Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte [Reprint 2019 ed.] 9783111473208, 9783111106359

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
ERSTER TEIL: DIE EINHEIT DES MENSCHHEITSGESCHEHENS MIT DEM WELTGESCHEHEN
ERSTES BUCH: URORDNUNGEN
ZWEITES BUCH: URKRÄFTE
ZWEITER TEIL: DIE EINHEIT DER BEWEGUNG IM WELTGESCHEHEN UND IM MENSCHHEITSGESCHEHEN
DRITTES BUCH: DIE LEHRE TON DER EIGENBEWEGTHEIT
VIERTES BUCH: EIGENBEWEGTHEIT UND VERURSACHTHEIT
VERZEICHNIS DER EINSCHLÄGIGEN PHYSIKALISCHEN UND VERWANDTEN SCHRIFTEN
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Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte [Reprint 2019 ed.]
 9783111473208, 9783111106359

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NATURGESCHICHTE U N D MENSCHHEITSGESCHICHTE VON

KURT

BREYSIG

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN

WALTER D E GRUYTER & CO • BERLIN

Erschienen 1933 bei M. & H. Marcus, Breslau

Druck v o n C. Schulze & Co., C. m. b. H., Gräfenhainichen

HERRN

NIELS BOHR DEM MEISTER DER BAUENDEN PHYSIK AUS ALLER FERNE IN VEREHRUNG DARGEBRACHT

Nur die Naturdinge sind ganz währ. Adalbert Stifter. 1866.

VORWORT. Vom Jahre 1906 ab war ich entschlossen, der Geschichte der Menschheit, deren ersten Band ich damals abzuschließen im Begriff stand, Einleitungsabschnitte vorauszuschicken, deren zweiter die Aufschrift »Ursprünge der Menschheit« tragen sollte. Um seinetwillen ist die Einleitung jenes ersten universalgeschichtlichen Bandes nur in einem ersten Buch vorgelegt worden; das zweite Buch, das jene Aufschrift erhalten sollte, sollte dem zweiten Bande des Werkes vorbehalten bleiben. Eine vollständige Niederschrift dieses Teils ist damals zustande gekommen. Doch wird sie niemals veröffentlicht werden; sie entsprach den Anforderungen, die ich später an die Eindringlichkeit auch dieser wahrlich nur am Kreisrand meines Werkes gelagerten Außenteile stellen zu sollen glaubte, nicht vollständig. Immerhin war auch damals schon meine Absicht nicht im mindesten auf encyklopädische Übersichten gerichtet, sondern lediglich darauf, die Werdenszusammenhänge in diesen Bezirken des Weltgeschehens und der Weltgeschichte — das Wort in dem ihm eigentlich zukommenden Sinn menschlicher und außermenschlicher Geschichte verstanden — im Kern zu erforschen. Sie sollten als Maßstab und zum Vergleich für die Erkundung des Wesens und der Formen des menschheitsgeschichtlichen Werdens benutzt werden; auch sollten im Dienst der Gesellschaftslehre die Beziehungen unter anorganischen Körpern und unter lebendigen Wesen auf ihren soziologischen Kern geprüft werden. Von 1911 ab bereitete ich dann diese Fahrt nach unbekannten Ländern des Wissens von neuem vor und trat sie 1926 an; ob sie mich zu guten Häfen geführt hat, mögen andere entscheiden.

VI

Vorwort.

Ich teile diese Einzelheiten, die vielleicht sachlich nicht allzu belangreich sind, nur um deswillen mit, damit man sehe, daß ich nicht allein wie Jakob um Rahel und um Lea je sieben Jahre, sondern noch ein drittes Jahrsiebent weiterhin mich werbend um diese Wissenschaften, von denen mich ehedem nur die Sternkunde angezogen hatte, bemüht habe, ehe ich heute versuche, diejenigen ihrer Ergebnisse, die für die Geschichtslehre und ihre verwandten Fragen in Betracht kommen, für sie fruchtbar zu machen. Die Zielsetzung ist auch heute die alte, nur daß ich jetzt systematische Teilungen und begriffsmäßigere Zusammendrängungen an die Stelle der alten, läßlicheren Übersichten gesetzt habe und daß ich die gesellschaftswissenschaftlichen Untersuchungen zu einem großen Teil abgezweigt und sie einer Gesellschaftslehre einverleibt habe, deren I. Band jedoch erst zur Hälfte vollendet ist und den ich deswegen erst in einiger Zeit vorzulegen hoffen kann. Immerhin sind noch genug Bestandteile in dem heute vorgelegten Band verblieben, die ebensowohl einer gesellschaftswissenschaftlichen Werdenslehre angehören wie der Geschichtslehre, die sie allerdings noch weniger entbehren kann. Es sind die Geschichte Forschenden und Geschichte Liebenden, an die sich die Abschnitte meines Bandes wenden, die die Ergebnisse der physikalischen Wissenschaft auszunutzen suchen. Aber vielleicht gönnen auch die Männer der Naturwissenschaft ihnen ihre Aufmerksamkeit. Nicht um der Übersicht über diese Ergebnisse willen, die für sie nur selbstverständliche und elementare Feststellungen bieten kann, sondern um der sie beleuchtenden und ordnenden Zusätze willen, die ich ihnen zu geben gewagt habe. In Bezug auf das Verhalten zu den Erträgen der Fachwissenschaft war der einzige hier gewiesene Weg, mich in Hinsicht auf die Tatsachen imbedingt an die heute ihnen gegebene Formulierung zu halten. Darüber hinaus aber hielt ich für mein Recht, ordnende und deutende Auslegungen vorzutragen, die an sich gar nicht Sache der gründenden Forschung

Vorwort.

VII

sind, sondern in den Aufgabenbereich einer allgemeinen Naturlehre gehören. Von ihr nämlich nehme ich an, daß sie sich als ein Oberbau Uber den einzelnen gründenden Sonderwissenschaften, also der Physik, der Biologie und den anderen, erheben darf und soll, nicht ihnen tiberlegen, vielmehr sich auf sie stutzend und in Hinsicht auf die Erkundung der Wirklichkeit von ihnen abhängig. Ich fasse das Verhältnis ihrer Aufgabe zu der der Sonderwissenschaften als das gleiche auf, wie es zwischen der Geschichtslehre und der werktätig gründenden Geschichtswissenschaft besteht und wie es als zielsetzendes Gebot fUr alle meine Bemühungen um die Geschichtslehre gilt. Dieser Naturlehre habe ich dienen wollen. Von einer Vermengung der Ämter habe ich meine Ausführungen freigehalten: kein verstehender Leser wird die Grenze verkennen, wo sie den festen Boden der gründenden Wissenschaft unter sich zurücklassen und ihr begriffliches Bauwerk auf eigene Hand weiter aufwärts zu führen beginnen. Wo ich Sorge empfand dergleichen könne doch geschehen, da habe ich eigene Hinweise eingefügt. Der zweite Zweck, den ich mit diesem Buche verfolge, ist der Versuch, den Umfang der tatsächlichen Einwirkungen zu umgrenzen, die von dem außermenschlichen in das menschlichen Weltgeschehen eingeflossen sind und sein Wesen in so hohen Maße zu bestimmen und zu einem Teil aufzubauen vermocht haben. Die dritte Aufgabe, die ich meinen Ausführungen noch nicht in dem heute vorgelegten Bande, aber für das nächstfolgende Werk, das ganz in der Handschrift und halb im Druck vollendet ist, gestellt habe, ist der Nachweis, in wie hohem Maße auch das eigene Geschehen und Werden im Reich des Menschlichen, Geschichtlichen zuerst im unbewußten, später selbst im bewußten Tun und Trachten der Menschen und der Völker sich wie eine Fortsetzung, eine Fortbildung des großen Weltgeschehens darstellt. Nirgends haben bei diesem Unternehmen die Grenzen und Schranken

vni

Vorwort

zwischen außermenschlichem und menschlichem Geschehen verkannt werden sollen, nirgends sollte die Erhebung des Menschen über seine Umwelt in Frage gestellt werden. Doch die monokosmische Sicht überwiegt und der Drang zur Vereinheitlichung der Weltbildes. Gegenüber tausend trennenden, oft nur allzusehr scheidelustigen, trennungssüchtigen, schizothymen Lehrmeinungen sollten hier einmal die Einungen und Verbindungen, die zwischen dem Welt- und dem Menschheitsgeschehen bestehen, in das hellste Licht gerückt werden. Und wenn man mir nachsagt, meine Anschauung sei aus einem allzu naturalistischen Sehen erflossen, so werde ich entgegnen, daß sie ihre Wurzeln in einer starken Weltfrömmigkeit habe. Beide Betrachtungsreihen sind gewiß von geschichtswissenschaftlicher Zielsetzung, aber ich erhoffe für sie doch auch die Anteilnahme der Naturforscher um deswillen, weil in ihnen das Wirken des Naturgeschehens bis in tiefe Kernschichten der menschlichen Handlungs- und Denk-, Vorstellungs- und Fühlweisen nachgewiesen wird. Wo immer man bisher den Zusammenhängen zwischen Natur und Menschheit nachgespürt hat — selten genug — da ist als einzige der Naturwissenschaften die Biologie herangezogen worden; es trat hier der für das geisteswissenschaftliche Lager zugleich beschämende und erfreuliche Tatbestand ein, daß die Naturforscher ihrerseits den Weg in unser Reich früher fanden als wir den zu ihrem und daß bedeutende Forscher wie Oskar Hertwig und, mit weit größerem Erfolg, Jakob von Uexktlll Geschichte und Staatslehre auf die Möglichkeiten eines Vergleichs ihrer Bauformen mit denen der organischen Welt untersuchten. Gar nicht aber wurde das anorganische Reich in Betracht gezogen — abgesehen von dem Spezialfall der geopolitischen und geohistorischen Versuche, die nicht über Anregungen hinauskamen und von denen hier nicht die Rede sein soll. Und dies geschah, obwohl die elementare Stärke und Wucht des physikalischen Geschehens im Grunde die Blicke der

Vorwort.

IX

vergleichenden Forscher zuerst hätte auf sich ziehen sollen. So ist denn der hier angestellte Versuch, so weit meine Kenntnis des ernsthaften Schrifttums reicht, ein erstmaliger. Und ich habe nie das Bewußtsein der Waghalsigkeit meines Unternehmens verloren. Doch mit jedem Schritt, den ich auf dieser Bahn vorwärts tat, wuchs auch in mir die Überzeugung, wie notwendig und für die eigensten Zwecke der Geschichtslehre und auch der Gesellschaftswissenschaft, der ja mein Buch fast ebensosehr dient, unentbehrlich das Aufsuchen dieser Zusammenhänge ist. Zugleich wurde mir als köstlicher Lohn die Freude an den Wundern des uns Außenseitern so gänzlich unbekannten neuerschlossenen Kernbezirkes der Elektrophysik, mehr noch an der Kühnheit und den gewaltigen Erfolgen der Forschung zuteil, die sie enthüllt hat. Sie war so groß, daß ich Mühe hatte, mich beständig an meinen nur begrenzten Zweck zu halten und nicht um der Herrlichkeit des Gefundenen willen Grenzüberschreitungen zu begehen. Ich habe mich mit der Überzeugung durchdrungen, daß die Physik des letzten Menschenalters mit ihren wunderreichen Siegen sich im Wettbewerb aller Forschergruppen, nicht nur unter den Naturwissenschaften, Kranz und Krone errungen hat. Ich mußte es als Ehre und Auszeichnung empfinden, daß ich immer dann, wenn mir das Schrifttum der Physik nicht genug Aufschluß über die heut gültige Lehrmeinung verschaffen konnte, die Führer der Forschung selbst befragen durfte und von ihnen — Herrn Planck und Herrn Nernst in Berlin, Herrn Franck in Göttingen — die gütigste Auskunft erhielt. Wenn ich gewagt habe, diese Schrift Herrn Niels Bohr in Kopenhagen zu widmen, nicht aus dem Recht einer persönlichen Nähe, sondern nur aus dem großer geistiger Verehrung, so wollte ich dadurch nicht ihm allein, der doch einen so kostbaren Bau erfahrender und dazu phantasiebeschwingter Forschung errichtet hat, nein auch der physikalischen Wissenschaft dieser Tage

X

Vorwort.

huldigen. Sie hat Werke hervorgebracht, von denen man •wird behaupten dürfen, daß Goethe sie um der Größe und Schönheit des von ihnen entworfenen Weltbildes willen mit voller Übereinstimmung, ja mit Freude empfangen haben würde, aber von denen auch gilt, daß sie den Geschichts-, den Geisteswissenschaften Förderungen der Forschungslehre und der Forschungskunst in Zukunft werden zuteil werden lassen, weit Uber die hinausreichend, die fruchtbar zu machen wir Heutigen nur erst tastende Versuche machen können. Und diese beiden Eindrücke strömen nur auf uns Außenstehende ein: den Meistern vom Bau wird an ihnen nicht allzuviel gelegen sein; sie wissen aber, mit welchem Stolz sie auf die Festigkeit und Folgerichtigkeit des forscherlichen Gefüges ihrer Wissenschaft schauen können, auf das es ja auch für uns Empfangende letztlich am meisten ankommt. Ich empfinde als mißlich, daß in dem heut und hier vorgelegten Band so wenig vom organisch-biischen Reich und seiner Erforschung die Rede sein konnte. Diese Lücke soll in einem späteren Buch ausgefüllt werden. Doch werde ich auch in ihm nicht alle Ergebnisse meines Mühens um diese Grenzaufgaben bergen können, sondern muß der Werdenslehre des weithin vorbereiteten gesellschaftswissenschaftlichen Werkes ganze Teile dieser Arbeit überlassen, die noch neue Schächte in das harte Gestein des Ungewußten treiben möchten. Rehbrücke bei Berlin, den 25. Juli 1932. KURT BREYSIG.

INHALTSVERZEICHNIS.

NATURGESCHICHTE UND MENSCHHEITSGESCHICHTE. ERSTER TEIL: DIE EINHEIT DES MENSCHHEITSGESCHEHENS MIT DEM WELTGESCHEHEN

1—245 1—76

ERSTES BUCH: URORDNUNGEN

Erster Abschnitt: Das Grundverhältnis von Welt und Menschheit

Erstes Stück: Die Ureinheit der Welt

1—33 1—9

Einzelwissenschaft fordert Daseinslehre 1 — Die Einheit der Welt als Erfahrung 2 — Zweiheiten im Weltbild 3 — Geschichte des Verstandes: Zweiheit von Seele und Leib 3 — Die Seinseinheit Leib-Seele, die Funktionsteilung Leib und Seele 5 — Biische und bewußte Welt 0 — Begriffswissenschaft für Sein, Erfahrung f ü r Werden 6 — Der zweite Zweiheitsglaube: Tier und Mensch 8 — Die dritte Zweiheit: anorganisches und biisches Reich 8 — Gewähr der Ureinheit: das Gesetz, monokosmische Sicht 9.

Zweites Stück: Urseinslehre

9—14

Spiritualistische Einheitslehren: Fichte 9 — Materialistische Einheitslehre: Haeckel 10 — Hegels Mythos vom Geist 11 — Ein Mythos von der Natur ? 12 — Endophysik, nicht Metaphysik 14.

Drittes Stück: Welt-Geschichte Welt-Gesellschaftslehre

und 14—18

Das Werden der Welt; Nebeneinander der drei Reiche 14 — Das Nacheinander der drei Reiche 15 — Alter des anorganischen, des biischen, des Menschheits-Reiches 16 — Weltbild und Gottesvorstellung, Wandlungen des Weltbildes 17.

Viertes Stück: Geschichtliche und ungeschichtliche Naturauffassung . 19—29

YTT

Inhaltsverzeichnis.

Eigengesetzlichkeit der drei Reiche 19 — Auf Mensch und E r d e beschränkte Glaubensbildungen 20 — Sendung und Amtsbereich der Welt-Geschichte 21 — Verhalten der Erdbewohnerschaft 22 — Daseinslehren, glaubensmäßige wie profane: Weltvermenschlichung 23 — Unzulänglichkeit der Stoffdeutungen der Welt 24 — Welt-Gesellschaftslehre 25 — Machtverhältnis zwischen Welt und Menschheit 26 — Nicht vermenschlichendes, anthropomorphisierendes Sehen des anorganischen, aber kosmomorphisierendes, verweltlichendes Sehen des menschlichen Geschehens 27 — Drei Regeln des Sehens 29.

Fünftes Stück: Die Einheit von Welt und Seele

29—33

Die Welt als Schaffenskraft ist Vernunft 29 — Die Welt als Schaffenskraft ist Phantasie 30 — Die Welt als Wille 31 — Die Welt handelt Gefühl 31 — Das Denkbild Welt und das Denkbild Gott; die Welt als Tugend 32.

Zweiter Abschnitt: Die Vernunft im Weltgeschehen

33—76

Erstes Stück: Vernunft und Welt

33—41

.

Notwendige Einschränkungen gegenüber den zunächst gültigen Begriffsumgrenzungen 33 — Anaxagoras; die Zusammengesetztheit des Bleiatoms 35 — Zusammengesetztheit der Weltlehre Meister Eckharts; Eiweißmolekül, kleinste Tierkörper 37 — Vergleichsmöglichkeit: Seinszusammengesetztheiten, Geschehensverflochtenheiten 37 — Glaubenslehren, Daseinslehren und ihre Lobpreisungen der Weltvernunft 38 — Überlegenheit der Menschen-Vernunft über die Weltvernunft ? Die Versuche der anorganischen Natur 39 — Prüfende Vorstöße: ThoriumStrahlen; Versuche der organischen Welt 41.

Zweites Stück: Die Gebundenheiten der menschlichen Vernunft . . 42—49 Begrenztheit der Vorzüge der menschlichen Vern u n f t : Radius, Verschiedenheit der gewollten und

xni

Inhaltsverzeichnis. der wirklichen Geschehensrichtungen des menschlichen Handelns 42 — Vorzug« der menschlichen Vern u n f t : Spiegelung, Freiheit 43 — Der gemeinsame Geschehenskern in den drei Reichen: Verursachtheit, Zielstrebigkeit, Eigenbewegtheit 44 — Die Verknüpfung der drei Verkettungsformen nähert das menschliche dem anorganischen Geschehen 45 — Die Selbstbezeugung der Vernunft des anorganischen Geschehens 46 — Die eine H ä l f t e der Fähigkeiten der menschlichen Vernunft auch im Besitz der anorganischen Vernunft 47 — Unfehlbarkeit der Natur, Beständigkeit ihrer Bildungen 48.

Drittes Stück: Die Stärke der Weltvernunft

49—56

Vernunft im Bunde mit Willen: Folgerichtigkeit, mit Einbildungskraft: Mannigfaltigkeit 49 — Teilungen und Bindungen im Weltgeschehen wie im Denken 50 — Die Verhaßtheit der Zahl bei den Geistesforschera 51 — Menschliche Ursprünge der Zweiheiten im Weltbilde 53 — Die Natur und die Zahl 54 — Der Glauben und die Zahl: romantischer Historismus und Zeitschwäche ihrer Ablehnung 55.

Viertes Stück: Die B e g r i f f s s t ä r k e der Ordnungen im anorganischen Reich

56—61

Der Kosmos der Griechen; das Weltbild der heutigen Physik 56 — Die Ordnungen des Reiches der größten und der kleinsten Körper 57 — Ordnung und Beschreibung, die Tätigkeiten der menschlichen Vern u n f t 58 — Die Schichten des Bauens: 1. Ordnen im Nebeneinander 68 — 2. Ordnen im Aufeinander 59 — Nicht Weltvernunft sondern vernünftiges Sein und Wirken der Welt; Körper und Begriff 60.

Fünftes Stück: Urkörper und begriffe

End-

Das Eiweißmolekül: Größe, Aufbau, Zahl der Eigenschaften 61 — Aufbau des Schwefelatoms; wachsende Eigenschaftsarmut 63 — Das Elektron 64 — Eigenschaftsarmut der kleinsten Urkörper 65 — Die Reihe der immer einfacheren Körper und der Bau

61—68

XIV

Inhal tsvereeiohnU.

einer Begriffsreihe 66 — Die Gefüge im Sein ähnlich den Gefügen im Geist 67.

Sechstes Stück: Urkörper und Weltkörper 68—76 Elektronen und Planeten 68 — Unbegrenztheit von Zahl und MaQ 69 — Ähnlichkeit der Ordnungen 71 — Entfernungen der Außenkörper von der Mitte des Gliederganzen in beiden Fällen 72 — Vergleich der Dichtigkeit 73 — Übereinstimmungen und Abweichungen 74 — Gewalt der Ordnungen 76.

ZWEITES BUCH: URKRÄFTE

77—246

Erster Abschnitt: Weltkräfte and Seelenkrätte

77—122

Erstes Stück: Die Nähe des menschlichen Willens am Weltgeschehen 77—81 Sonderstellung, Aufgabe des Willens 77 — Der Wille ohne einzelne Tätigkeitsbereiche 78 — Willenskraft als Teilkraft der Mitte, als spezialisierte Zentralkraft 79 — Der Wille den Naturkräften eigens nah 80 — Hilfstatsache: schicksalwendende Handlungen ohne jedes bewußte Beschließen 81.

Zweites Stück: Wille und Welt . . . .

81—86

Eigenschaften des Willens, abgelesen an seinen Hervorbringungen 81 — Eigenschaften der Bewegungen im anorganischen Geschehen: Geschwindigkeit der Urkörper 82 — Geschwindigkeit der Sterne 83 — Die große Heftigkeits- (Geschwindigkeits-) Stärke 84 — Überlegenheit des anorganischen Geschehens an Beständigkeit 84 — Geradlinige Bewegung 86 — Zusammengesetzte Bewegung 86.

Drittes Stück: Das Welt

Gedäohtnis

der

Gedächtnis und Wiederholung 87 — Wiederholung ohne Bespiegelung 88 — Zwei Schichten des Gedächtnisses: der unterbewußte Vorrat von Erinnerungsbildern 89 — Zuhilfenahme leibseelischer Zusammenhänge von der Zukunft zu erwarten 90 —

86—95

Inhaltsverzeichnis.

XV

Die Unerschütterlichkeit der Ein- und Dasselbigkeit von Leib und Seele 91 — Gedächtnis des Leibes: mechanische Fertigkeiten; Artgedächtnis 92 — Wachstumsvorgänge und Artged&chtnis 93 — Wachstum als Sicherstellung von Wiederholung 94.

Viertes Stück: Das Gedächtnis der Natur und das Gedächtnis des Menschen 96—98 Gedächtnis, Wachstum und Wiederholtheiten des anorganischen Reiches 95 — Gewinnst« und Verluste an Geschehensfähigkeit durch Bewußtheit 96 — Zwischenformen: Gedächtnis der Tiere 97 — Leibliche Grundlage des Denkgeschehens 98.

Fünftes Stück: Die Grenzen von Bewußtheit und Willkür im menschlichen Gedächtnis 99—106 Unbewußtheit der Hirn-Denk-Vorgänge 99 — Das schöpferische Denken zum großen Teil unbewußt und unwillkürlich 100 — Die Möglichkeit schöpferischer Betätigungen des unbewußt arbeitenden Hirns 101 — Fehler und Vorzüge dieses Nur-HirnGeschehens 103 — Träume, Wachträume, Halbträume 104 — Auswendiglernen, mechanische Handlungen 105 — Die halbe oder volle Ebenbürtigkeit rein leiblicher Denkbilderreihen 105.

Sechstes Stück: Die Wiederholtheit im anorganischen Reich als Wegebereiterin des Gedächtnisses der organischen Welt 106—110 Werden und Wachstum 106 — Genauigkeit der Wiederholtheit im Bereich der Himmelskörper 107 — Noch stärkere Präzision der Wiederholtheit im Kernbezirk der Urkörper 108 — Die Wiederholtheit in anderen Bezirken des anorganischen Reichs variabler 109 — Wiederholtheiten unter äußerem Zwang 109.

Siebentes Stück: Anorganische und organisch-biische Wiederholtheiten:

XVI

Inhaltsverzeichnis.

Ähnlichkeiten heiten

und

Verschieden110—116

Kosmogonien 110 — Reihenfolge von Nebelformen 112 — Anorganisches Weltgedächtnia ? Unterschiede und Gegensätze 113 — Gemeinsamkeiten: starke Betonung des zeitlichen N a c h e i n a n d e r ; Stoffeinheit zum überwiegenden Teil 114 — Gefügefestigkeit der anorganischen Geschehensreihen 115.

Achtes Stück: Fortgesetztheiten Unaufhörlichkeiten

und 116—122

Eigenwüchsiger Werdegang nicht gleich Wachstum 116 — Element der Eigenkraft im Trägheitsgesetz 118 — Erhaltung des Drehmoments 119 — Erhaltung des Kreislaufmoments T 120 — Wiederholtheit in der Eigenbewegtheit 121.

Zweiter Abschnitt: Das menschliche Gefühl und die Verbindungsdränge der anorganischen Welt 122—146 Erstes Stück: Fühlen und Benken und ihre Bewirkbarkeit von außen her 122—128 Die Nähe von Vernunft und anorganischem Geschehen verglichen mit der von Gefühl u n d Weltgeschehen 122 — Das seelische Fühlen minder selbsttätig als das Denken: seine Abhängigkeit von äußeren Beizen 124 — Gründe: die Verbundenheit des seelischen Fühlens mit Leibesvorgängen 125 — Einfachheit des Hergangs 126 — Der Gradunterschied zwischen Denken und Fühlen in Hinsicht auf die Zwangsläufigkeit ihres Bewirktwerdens von außen 127 — Grenzen der heutigen Seelenkunde 128.

Zweites Stück:Die Verbundenheiten im anorganischen und im menschlichen Geschehen 129—135 Ergebnis: größere Nähe des Fühlens als des Denkens zum Naturgeschehen; die Einung als bewirkt durch Gefühl; Mischung mit andern Seelengewalten 129 — Die Bolle des Gefühls im Gesamttatbestand des gesellschaftlichen Verhaltens der Menschheit 130

Inhaltsverzeichnis.

XVII

— Die Einungen vornehmlich von ihm geschaffen; der umfaßte Bereich: Liebe und seelisch sich auswirkende Macht 131 — Der Unterwerfungstrieb — Hingabetrieb — des sich Unterwerfenden 132 — Das gleiche Übergewicht der vorherrschenden Körper im anorganischen Reich 133 — Der gleiche Entwicklungsgang zu immer verflochteneren Und vielfacheren Zusammengefügtheiten in allen drei Reichen; Gefühlsbestandteile in den Verbundenheiten 134.

Drittes Stück: Macht und Liebe als Gefühlskräfte 135—142 Die hinter den Verbundenheiten wirkenden K r ä f t e : Formen- und Seelenlehre der Machtauswirkung 135 — Die Gefühlsbetontheit auch des innersten Machtkernes 136 — Machtauswirkungen von Völkern gegen Völker 137 — Enge Zusammengeordnetheit von Macht und Liebe: tätige und leidende Liebe 138 — Macht und Gewalt in Liebesbünden 139 — Die seelischen Gewaltmittel der Liebe 140 — Das Kerngeschehen: Verbindungsdränge 141.

Viertes Stück: Menschliche und ahorganische Verbindungsdränge . . . 142—146 Bezeichnungen aus der anorganischen Welt für seelisches Geschehen 142 — Verbindungsdrang im anorganischen Reich: kein Denkbild sondern Urkraft 143 — Verhältnis der Urkräfte zu den Teilkräften 144 — Der Begriff der Energie 145 — Verbindungsdränge im Reich der Lebewesen 146.

Dritter Abschnitt: Die Schöpferkraft der Welt und die Schöpferkraft der Menschlichen 147—245 Einbildung . Erstes Hauptstück: Die Grenzen zwischen dem Naturschaffen und dem 147—166 Menschenschaffen Erstes Stück: Sinnlich-seelische Einwirkungen der Welt auf den . 147—150 Menschen B r • y • i g, Naturgeaohlehta and Menachheltsgeiohlchte.

II

XVIII

Inhaltsverzeichnis.

Das Geschehen des Werkeschaffens in der Welt und das Schaffen von Werken durch Menschen 147 — Die Ähnlichkeit der Natureindrücke und der Kunsteindrücke; Besonderheit der durch die N a t u r hervorgebrachten Eindrücke 148 — Beeinflussung des Urzeitmenschen; das Unterbewußte als Wirkungsleiter; Zeugnisse: Glauben 149 — Sinnlich-seelische Freude durch Kenntnis aus Nähe 150.

Zweites Stück: Die Anziehungskraft der Natur und die Schönheit der Kunst 151—155 Begriff der Schönheit 151 — Schönheit eine Schöpfung der Kunst 152 — BeWirkungsmacht der N a t u r 153 — Stilisierende Kunst und Entstehen von Schönheit 154.

Drittes Stück:Der Begriff der Schönheit und der Umfang der Schöpferkraft der Natur 155—160 Begriffsumgrenzung, Ausschließung aller Absolutheit 155 — Streben nach dauernd gültigem Schönheitsbegriff: Klassizismus 156 — Die Schule Georges 157 — Selbstbejahimg jedes Schönheitswillens 158 — Wandelbarkeit der Schönheit 159 — Notwendigkeit der Anerkennung des Gesetzes des Wechsels 160.

Viertes Stück: Die Übertragenheit des Begriffs Naturschönheit . . 160—166 Schönheit eine Übereinkunft 160 — Ein subjektiver, vom schauenden Ich bestimmter Begriff 161 — Keine objektive Schönheit der N a t u r ; Comtes biologisches Apriori 162 — Schönheitsempfinden und NaturWirkungen; Verhältnis früherer Jahrhunderte zur Landschaft 163 — Erweckung des Landschaftsgefühls im 18. J a h r h u n d e r t 164 — Lenkung des Schönheitsgefühls durch die Künstler 165 — Schönheitsbegriff und menschliche Gestalt 166.

Zweites Hauptstück: Die Überlegenheit des Naturschaffens über das Menschenschaffen 166—185

Inhaltsverzeichnis.

XIX

Erstes Stück: Das Wesen der Schöpferkraft der Natur 166—170 Abhängigkeit der kunstschaffenden Einbildungskraft vom Urbild der Umwelt 167—Formenvorrat der Natur 168 — Schöpferkraft der Natur und der Kunst 169.

Zweites Stück:Das Schaffen der Welt und das Schaffen der menschlichen Einbildungskraft . . . . 170—175 Naturgeschehen nur von außen erkeimbar ? 170 — Nicht-Zweckbestimmtheit des Weltgeschehens 171 — Gewinnste durch Spiegelung 172 — Begrenzte Zweckbestimmtheit des künstlerischen Schaffens 173 — Einbezogenheit in größere Geschehenszusammenhänge 174.

Drittes Stück: Die einzelnen Formen des Menschenschaffens: Kunst und Technik 175—185 Naturähnlichkeit von Kunstschaffen und Kunstwerk 176 — Phantasiewert der Hervorbringungen der außermenschlichen Welt 176 — Voraussetzungen des Vergleichens 177 — Abzüge der Vorbildantriebe 178 — Vergleich des Umfangs des Geltungsbereiches und der Mannigfaltigkeit der Auswirkungsmöglichkeiten; Erbgut in der Technik 179. — Schulung durch das Weltgeschehen 180 — Unermeßliches Übergewicht der Bildnerkraft der Natur an Leistungsfähigkeit 181 — Undurchdringbarkeit des Aufbaus des Eiweißmoleküls, des Gehirns 182 — Querverbindungen der Technik zwischen den Naturreichen 183 — Technik: weiterer und engerer Begriff 184 — Doppelverwendung von Ausdrücken 185.

Drittes Hauptstück: Die Überlegenheit des Naturschaffens über das Menschheitsschaffen in Glauben und Forschung 186—216 Erstes Stück: Die Schaffensmacht des Glaubens 186—192 Überseinsbilder des Glaubens 186 — Entdeckung einer Welt neben der wirklichen; Tatnähe des II»

XX

Inhaltsverzeichnis. Glaubens 187 — Erzeugnisse höchsten Glaubens 188 — Uneinheitlichkeit der Welt? 189 — Das Ding Welt 190 — Verpersönlichende Form der Weltvereinheitlichung 191.

Zweites Stück: Die Schöpferkraft der Forschung 192—196 Einbildungskraft und Forschung 192 — Bund von Einbildungskraft und Verstand 193 — Anteilsverschiedenheiten 194 — Forschung als Bezeugung menschlicher Schaffensmacht 195 — Absicht des Spiegeins der Welt 196.

Drittes Stück: Einbildungskraft und Forschung . 196—201 Schranken der forscherlichen Einbildungskraft 196 — Zurückbleiben hinter dem Urbild 197 — Absicht: Enthüllung von Tatsachenzusammenhängen der Wirklichkeit 198 — Schöpferische Daseinslehren 199 — Hegels Trilogie des Geistes 200.

Viertes Stück: Einzelbegriffe und Einzeltatsachen, Oberbegriffe und Urwirklichkeiten 201—205 Reichtum der Metaphysik an Zusammengesetztheit und Ausgegliedertheit verglichen mit dem des Weltgeschehens 201 — Überlegenheit der Forschung an gedanklicher Verbindung ? 202 — Sammeltatsachen und Begriffsbildungen 203 — Denkbilderordnungen : Linné 204 — Haeckel 205.

Fünftes Stück: Sammelbegriffe und 205—209 Urdinge Hegels Begrifflichkeit 206 — Verbindungen der Wirklichkeit 208.

Sechstes Stück: Urdinge ziehungen

und

Be-

Die Richtigkeit des Wirklichkeitsgeschehens 209 — Ordnung im Geschehen, nicht im Geist gegeben 210 — Sternenordnung 211 — Das Geschehen der Welt als Urbild 212 — Querverbindungen des Geschehens: Gravitation 213 — Elektrische Anziehung 214 — Organische und seelische Verbindungsdränge 215.

209—216

Inhaltsverzeichnis.

XXI

Viertes Hauptstück: Eigenbezirke der menschlichen Einbildungskraft . . . 216—245 Erstes Stück: Eigenmenschliche Schöpfermacht in Staat und Tat 216—221 Kern von Phantasieschöpfung im staatlichen Tun 216 — Großkönigreiche, Imperien 217 — Kriege, Diktaturen 218 — Fülle der seelischen und geistigen Regungen 219 — Unbewußte entscheidende Antriebe 220 — Macht menschlichen Geschehens 221.

Zweites Stück: Die eigenmenschlichen Erfolge der Schöpferkraft des Geistes in Kunst und Technik 221—233 Stärkegrade der Phantasieformen in beiden Reichen 221 — Eigenmenschliche Bezirke der Kunst 222 — Seelenschilderung, Landschaftsschilderung 223 — Tierbildnerei 224 — Tonkunst, Bau- und Zierkunst 225 — Naturbewirktheit von Pyramide und Tempelpfeiler j Gotik 226 — Architektonischer Aufbau in der Malerei 227 — Einheitlichkeiten von Menschheitsund Weltgeschehen in der Technik 228 — Unterschiede 229 — Technik aus Selbsterweiterungsdrang 230 —Verwandlung der Instrumentation des Ichs 231 — Schaffung neuer Geschehensmöglichkeiten 232.

Drittes Stück: Die eigenmenschliche Einbildungskraft in Glauben und bauender Forschung 233—240 Eigenmenschliche Bezirke: die vermenschlichende Gestalthaftigkeit des Glaubens 233 — Gestaltungen der Neueren Zeit 236 — Vorwegnahmen der Forschung: Naturwissenschaften 236 — Geisteswissenschaften 237 — Geschichte 238 — Selbstbeschränkung der Forschung 239 — Logik des Folgerns, nicht des Geschehens 240.

Viertes Stück: Die eigenmenschliche Einbildungskraft in Daseins-und Erkenntnislehre 240—245 Denkgebäude, Philosophie 241 — Hinfälligkeit der Denkgebäude 242— Logik, Erkenntnislehre243— Aus. bildung der Denkwerkzeuge 244 — Bescheidung 245.

XXII

Inhaltsverzeichnis.

ZWEITER TEIL: DIE EINHEIT DER BEWEGUNG IM WELTGESCHEHEN UND IM MENSCHHEITSGESCHEHEN 246—442 DRITTES BUCH: DIE LEHRE TON DER EIGENBEWEGTHEIT 246—345 Erster Abschnitt: Die Bewegung im anorganischen Reich 246—285 Erstes Stück: Das Trugbild des Seins der Dinge 246—251 Das Trugbild des Seins der Dinge 246 — Der Doppelsinn des Ausdrucks Sein: Sein und Vorhandensein; Beschränktheit des griechischen Weltbildes 247 — Entstehung des Trugbildes durch den Einfluß der Mechanik 248 — Verknüpfung der Starrheit der Seins- und Begriffs-Sicht mit diesem mechanischen I r r t u m 249 — Der zweite I r r t u m : die Unbeweglichkeit der Erde 250 — Begriff und Sein 251.

Zweites Stück: Die Bewegtheit als Urform des Weltgeschehens . . . . 251—258 Unwirksamkeit der Kopernikanischen Lehre für die Seinssicht der Welt 251 — Kants tragische Zwitterstellung 252 — Die Auffindung der Bewegtheit der Urkörper: kinetische Gastheorie, Wärme als Bewegtheit 253 — Bewegtheit der Moleküle und Atome in den festen Körpern 254 — Maße der Bewegtheiten 256 — Bewegtheit der Elektronen 257.

Drittes Stück: Das Wesen und die Formen der Allbewegtheit 259—265 Begriffsumgrenzung der Bewegung 259 — Geschwindigkeit der unverbundenen Urkörper 260 — Abnahme der Geschwindigkeitsgrade der Urkörper bei Zunahme der Gebundenheit 261 — Ein Urmaß der Geschwindigkeit! 262 — Bildung neuer Geschehensformen 263 — Die Allbewegtheit im Geschehen der Sterne 264.

Viertes Stück: Die Sonderbewegtheit der Urkörper und die mechanische Bewegtheit der Festkörper . . . . 266—273

Inhaltsverzeichnis.

xxin

Die Urkörper als die Mittel der Ausführung der Bewegung der Festkörper 266 — Der Längsschnitt(geschichtliche) Zusammenhang zwischen dem Geschehen der Urkörper u n d dem der Festkörper 267 — Sicherheit der Gesamtverkettung 268 — Ungebundenheit der Urkörper in den Gestirnen 269 — Grundirrtum der Naturlehre 271 — Erkenntnisse von Stern- und Erdkunde 272 — Folgerungen 273.

Fünftes Stück: Die Sonderbewegtheit der Urkörper als Eigenbewegtheit 273—277 Allbewegtheit 273 — Allbewegtheit als Eigenbewegtheit 274 — Die UnWahrscheinlichkeit eines Anfangszustandes der Unbewegtheit der Urkörper 275 — Unterstellungen der Sternkunde 276 — Mangel an Beobaohtungsmöglichkeit im freien Naturgeschehen 277.

Sechstes Stück: Zwei Weltsichten . . . 277—285 Die Elektronendrehung und ihre grundlegende Bedeutung 278 — Kreiselbewegung von Sternnebeln, Kreisläufe von Geleitsternen 279 — Translatorische Bewegung der Fixsterne 280 — Wirkungen der Anziehungskraft ? 281 — Erweiterung der zweiten Newtonschen Bewegungsregel 282 — Zwei Wege der Deutung des Weltbildes 283 — Gleichnis: weibliches Bewirken als Ursprung männlichen Tuns 284 — Die Eigenbewegtheit nicht im Widerspruch gegen die physikalische Wissenschaft 285.

Zweiter Abschnitt: Die Bewegtheit als Grandform des Lebens-Geschehens . . . . 285—312 Erstes Stück: Das Leben als Eigenbewegtheit im Innern der Körper . 285—292 Grenzen der Einheitssicht T 286 — Ähnlichkeit zwischen Stern und organischem Wesen: Intensität des Daseins 287 — Durchmessung eines Kreislaufs von Zuständen 288 — Zwei Formen der Bewegtheit 289 — Physikalisch-chemisches Geschehen innerhalb des Lebensgeschehens 290 — Auch die unbelebten Körper Geschehenseinheiten von innerer Bewegtheit 291 — Leben eine Form der Eigenbewegtheit 292.

XXIV

Inhaltsverzeichnis.

Zweites Stück: Das äußere Leben der Wesen als Eigenbewegtheit . . . 202—296 Neue Ausformungen der Eigenbewegtheit 293 — Einheitlichkeit der Entwicklungsrichtimg 294 — Stammbaum der Elemente und Stammbaum der Arten 295.

Drittes Stück: Die Grundeigenschaften der Bewegtheit im anorganischen und im biischen Reich 296—301 Bestandteile der Gemeinsamkeit der verschiedenen Formen des Weltgeschehens 296 — Beschränktheit der Urkörper auf die Bewegung des Ortswechsels und Anziehung 297 — Bündelung von Geschehensreihen: potenzierte Bewegung 298 — Eigenbewegtheit als Kerngeschehen innerhalb des Werdens 299 — Das Werden neuer Geschehensformen aus den Möglichkeiten reiner Eigenbewegtheit ableitbar 300 — Fortbestand und neues Werden der anorganischen Welt aus Eigenbewegtheit und Verbindungsdrang 301.

Viertes Stück: Das Wesen organischbiischer Innenbewegtheit . . . . 302—307 Die Eigenbewegtheit als Kerngeschehen der Bewegtheit im Inneren der Lebewesen 302 — Eigenbewegtheit und Wachstum 303 — Umwandlungsfähigkeit der Eigenbewegtheit in Formen gesteigerter Bewegtheit 304 — Der Ortswechsel als Form der tierischen Eigenbewegtheit 305 — Innenbewegtheit und Außenbewegtheit der Tiere 306.

Fünftes Stück: Die der Lebewesen

Außenbewegtheit 307—312

Die Außenbewegtheit der Tiere der physikalischen Urbewegtheit nah 307 — Erbgang der Bewegungsgespanntheit ? 308 — Steigerung und Vermannigfaltigung der Bewegtheit als Mittel und Ziel jeder Umformung 309 — Das Verhältnis der äußeren u n d inneren Bewegungen des Tierkörpers zu dem Grundgeschehen der Bewegtheit 310 — Die sich wandelnde Eigenbewegtheit als Werdensantrieb 311.

Dritter Abschnitt: Die Bewegtheit als Grundform des menschlichen Geschehens . . 312—345

Inhaltsverzeichnis.

XXV

Erstes Stück: Der Übergang von den Bewegtheitsformen des Tieres zu denen des Menschen 312—317 Der Übergang vom Tier zum Menschen 313 — Die Entstehung des Denkens: Bilderschrift, Gebärdensprache, Lautsprache als sinnliche Wege zum unsinnlichen Denken 314 — Die innere Lebensbewegtheit des Menschen 315 — Die Begrenztheit der freien Bewegung auch des Menschen und die Lehre vom freien Willen 316.

Zweites Stück: Die Eigenkraft der Urkörper als Wurzel der Urkraft des Menschen 317—324 Die Entwicklungswege zwischen dem Geschehen der Urkörper und dem des Menschen; Urkraft und mechanische K r a f t 317 — Urkraft und Beharrungsprinzip der Bewegung; die bewegende K r a f t als von außen kommende, auf die Körper stoßende 318 — Energie nicht gleich Eigenkraft 313 — Newtons erstes Bewegungsgesetz und die Doppelform der Bewegtheit 320 — Begriffsumgrenzungen : Eigenk r a f t , Innenkraft, Außenkraft 321 — Zusammengesetzte K r a f t f o r m e n : Urkörper, Himmelskörper 322 — Erhaltung der Energie 323 — Ewigkeit der Eigenkraft 324.

Drittes Stück:Die Eigenbewegtheit des Menschen als Seitenstück zur Eigenbewegtheit der Urkörper . . . 325—328 Innere Wesensähnlichkeit zwischen der Eigenbewegtheit der Urkörper und des Menschen; die menschliche Eigenbewegtheit; die sekundäre Eigenbewegtheit des menschlichen Handelns 325 — Urkraft und Sonderkraft 326 — Vergleich zwischen dem Verhältnis Urkraft-Sonderformen und dem anderen Eigenbewegtheit-Zuspitzung; Vergleich auch der Zuspitzung der Eigenbewegtheit mit dem biologischen Grundverhältnis zwischen Körperbau und Merkwelt der Tiere 327 — Derselbe Vorgang, verschiedene Gesichtswinkel, verschiedene Geschehensformen 328.

Viertes Stück: Formenlehre wegtheit des Menschen

der

Be328—332

XXVI

Inhaltsverzeichnis.

Das Verhältnis der Bewegtheit des Menschen zu der des Tieres 328 — Ähnlichkeit des Grundwesens der Bewegtheit 329 — Formenlehre: Einheit des menschlichen Handelns mit dem Weltgeschehen und in sich 330 — Das Geschehen a n sich der kosmische Kern unseres Daseins; sittliche Folgerungen 331.

Fünftes Stück: B e w e g t h e i t schichte

und

Ge332—336

Größere Einfachheit des Bewegtheitsbildes im Vergleich mit dem Stammbaum der Kräfte 332 — Tempoverschiedenheiten im Einzelleben 333 — Tempoverschiedenheiten der Völker 334 — Formenlehre des menschlichen Werdens; die Bewegung in Menschent u m und Geschichte 335 — Geistige Bewegung 336.

Sechstes Stück: Die Grade der Bewegtheit im geschichtlichen Werden . 336—342 Das geschichtliche Werden als Bewegtheit; Bewegtheitsgrade: Gründe ihrer Verschiedenheit 336 — Bewegtheitsgrade: Grenzfälle 337 — Nicht Unbeweglichkeit sondern langsame Bewegtheit der Urzeitvölker: die Sprache 338 — Ungleiches Tempo der geschichtlichen Bewegtheit: China und Japan, Mongolen und Malaien 339 — Land und Klima 340 — Die Unterschiede der Bewegtheitsgrade von Griechen und Römern 341.

Siebentes Stück: Äußere und innere Gründe der Bewegtheits-Veränderungen 342—345 Neueuropäische Spannungen: Nord- und Südgermanen, Slaven und Ugrof innen gegen germanischromanische Völker 342 — Das Zusammenwirken von Blut und Land 343 — Beständigkeit des Bewegtheitsgrades eines Volkstums 344 — Die Bewegtheit des Einzelnen widerstandsfähiger als die der Völker 345.

VIERTES BUCH: EIGENBEWEGTHEIT UND VERURSACHTHEIT 346—442 Erster Abschnitt: Physikalische Voraussetzungen 346—373

Inhaltsverzeichnis.

XXVII

Erstes Stück: Die H e r k u n f t der Verursachtheit aus der Mechanik . . . 346—355 Einheitsgedanken der Wissenschaft und das Gesetz der höchsten Vereinfachung: 1. im Aufriß 346 — Das Prinzip der kleinsten Wirkung 347 — 2. I m Querschnitt 348 — Das Was und das Wie der Forschung; Verursachtheitslehre 349 — Die Begriffsmäfiigkeit, Verstandesgeborenheit des Verursacht heitsgedankens 350 — Die Verursachtheitslehre als Kind der Mechanik; der Zusammenhang zwischen Verursachtheits- und Seinslehre 361 — Die Mechanik als einzige Wurzelschicht für die Verursachtheit 352 — Seinslehre und Verursachtheitslehre als Erzeugnisse der Mechanik 253 — Verursachtheitsanschauung und Glauben 254.

Zweites Stück: Werksteine und Werkzeuge des Weltgeschehens . . . . 355—358 Der Fortfall jeder treibenden Ursache; Gang der Forschung vou der Mechanik zur Physik 355 — Das Eindringen der Forschung in den Kernbezirk der Urkörper 350 — Notwendigkeit einer Umänderung unserer Begriffswerkzeuge 357.

Drittes Stück: Nicht Stoff, nicht Kraft 358—363 Infragestellung der Materie 358 — Zusammengesetztheit 359 — Wirkung ohne Stoff 360 — Wirkung ohne K r a f t 361 — Bestehenbleiben der Anziehungskraft 362.

Viertes Stück: Die Welt als Bewirktheit 363—368 Die Elektrophysik als Adelung des Weltbildes; die beiden möglichen Formen der Entmaterialisierung der Welt: von je Metaphysik, jetzt Physik 364 — Die Zuständigkeit einer allgemeinen Naturwissenschaft 365 — Die doppelte Möglichkeit: ein Versagen des Weltgesetzes oder eine Unzulänglichkeit unserer Sehweise 366 — Keine Beschränkung der Umänderung des Weltbildes auf den Bezirk der Urkörper 367.

Fünftes Stück: Die Welt als Wirkung 368—371 Wirkung und Bewirktheit 368 — Wirkung als aktives Geschehen 369 — Wirkimg als Endursache alles Geschehens 370.

xxvin

Inhaltsverzeichnis.

Sechstes Stück: Entwirklichung Stoffes

des 371—376

Der Begriff der Masse 371 — Die Frage nach dem Wesen der Masse und die Elektronenlehre 373 — Entmaterialisierung der Welt 375.

Zweiter Abschnitt: Die Schranken der Yerursachtheit im anorganischen Reich . . 376—391 Erstes Stück: Die Begrenzung der Verursachtheit durch die Eigenbewegtheit 376—382 Die stofflose Wirkung als Weltgeschehen ewig bestehend und also ursachenlos; die Einschränkimg des Verursachtheitsgedankens durch die Anerkennung der Eigenbewegtheit 376 — Ursprung der Verursachtheitslehre in den Beobachtungen der Mechanik 377 — Gegensatz zum Weltbild der neuen Elektrophysik; Unaufhörlichkeit des Geschehens 378 — Zeitliche Bedingtheit der Verursachtheitslehre 379 — Wandernde Wirkungszentren 380 — Unendlichkeit der Wirkung 381 — Wirkimg und Eigenbewegtheit 382.

Zweites Stück: Die Aufrechterhaltung von Verursachtheiten 383—386 Grenzen des Bezirks der ursachlosen Eigenbewegtheit: Autarkie und Autogenie als Voraussetzungen des ursachlosen Geschehens 383 — Das Einsetzen der Verursachung innerhalb des Atoms 384 — Neues Einsetzen von Eigenbewegtheit hinter der Verursachtheit; Beginn der Herrschaft der Verursachtheit im Wasserstoffatom 385.

Drittes Stück: Dje Verflechtung von Eigenbewegtheit und Verursachtheit 386—391 Neue Eigenbewegtheit des Atoms 386 — Fortsetzung der Eigenbewegtheiten bis zum menschlichen Körper, Unterbrechung durch Einbrüche von Verursachung 387 — Die Entstehung der neuen Elemente innerhalb des Bohrachen Atommodells 388 — Andere Formen der verursachenden Durchbrechung der Eigenbewegtheit 389 — Die Beziehungen des Neben-

Inhaltsverzeichnis.

XXIX

und des Nacheinander zwischen Eigenbewegtheit und Verursachtheit 390 — Größere als zweigliedrige Geschehensverkettungen 391.

Dritter Abschnitt: Namenlose Gewalten . 392—407 Erstes Stück: Causae Mechanik

occultae

in der 392—395

Wirkungen einer halb bekannten, halb unbekannten Verursachtheit 392 — Newtons Anziehungsgesetz 393 — Das Trägheitsgesetz 394.

Zweites Stück: Causae, occultae in der nach-mechanischen Physik . . . . 395—399 Coulombs zwei Elektrizitätsformen 395 — Das Dasein der Welt; die Eigenbewegtheit; die Welt als Wirkimg und ihre causa occultissima 396 — Nicht Sache reiner Erkenntnislehre, sondern von Was und Wirklichkeit der allgemeinen Naturwissenschaft 397 — Festigimg von Was und Wie des Erkennens durch Gewohnheit und Alter 398 — Erkenntnis von vier Grundirrtümern 399.

Drittes Stück: Compositio

oppoaitorum

400—407

Verbindungsneigung von sich entgegenwirkenden Geschehensstrebungen: Anziehungskraft 400 — Elektrische Anziehung 401 — Anziehung innerhalb des Atoms 402 — Der Kreislauf 403 — Der Kreislauf als Folgeerscheinung des Verbindungsdranges der Gegensätze 404 — Magnetische Erscheinungen, Feldtheorie 405 — Gegensatz der Geschlechter im Pflanzen- und Tierreich und im Seelischen 407.

Vierter Abschnitt: Die Grenzen des Reichs 407—423 der Yernrsachtheit Erstes Stück: Begriff und Umfang der Verursachtheit 407—412 Verursachtheit bezogen auf Wirklichkeiten 407 — Die Welt sinnlich wahrnehmbar; Nachteile einer nur formalen Behandlung von Dingen der Wirklichkeit 408 — Falsche Voraussetzung: die Zerspaltung des Geschehens in abgebrochene Teilgeschehen 410 — Widerlegung der Allgemeingültigkeit des Stakkatogeschehens durch die Entdeckung des fließen-

XXX

Inhaltsverzeichnis.

den Geschehens 411 — Die Geschehensform Eigen bewegtheit von Verursachung losgelöst 412.

Zweites Stück: Die Absonderung Ichs von der Welt

des 413—419

Die Geschehenseinheit der Welt 413 — Das Teilding I c h ; das Verhältnis zwischen Ich und Welt nicht ein Gegenstand der reinen Erkenntnislehre 414 — Die Einwirkung der Welt auf den Hirn-Denk-Apparat 416 — Zwangslauf und Steigerung des Weltgeschehens im Ich 417 — Die Weltsicht der Mystik 418 — Notwendigkeit einer Umgrenzung des Ichs für Leben und Sitte 419.

Drittes Stück: Das Ding Welt . . . .

419—423

Die Absonderung der Dinge durch Benennung uud Abgrenzung 419 — Entwicklung der Begriffssetzung 420 — Unmöglichkeit eines Für-Sich-Seins der Einzeldinge 421 — Seinsgeschlossenheit auch zwischen Ich und Welt; Folgerungen für Daseins- und Lebenslehre 422.

Fünfter Abschnitt: Eigenbewegtheit und Yerorsachtheit in Gesellschalt und Geschichte . . 423—442 Erstes Stück: Die Eigenbewegtheit im Menschheitsgeschehen 423—429 Die Erträge der biologischen und physikalischen Vergleiche 423 — Das Leben als Bewegtheit aus sich selbst 424 — Die Bewegtheit des menschlichen Leibes und Geistes; Werden als Wirkimg der Bewegtheit 425 — Rousseaus ungeschichtliche Losung 426 — Spiele, Ernste, Kampf 427 — Geringe Bedeutung der Zwecksetzungen 428.

Zweites Stück: Formenlehre der Verursachungen 429—435 Möglichkeit einer Formenlehre der Eigenbewegtheit und der Verursachtheit 429 — Außermenschliche Einwirkungen; Durchkreuzung zweier Geschichtsverkettungen 430 — Bewirkungen halb geschlossener Geschichtsgemeinschaften: französische und deutsche Malerschulen 431 — Bahnendurchkreuzungen in der äußeren Staatsgeschichte: Staatentode; friedliche Bewirkung 432 — Geistiges Besiegt-

Inhaltsverzeichnis.

XXXI

werden von Siegervölkern 433 — Bewirkungen des Einzelnen 434.

Drittes Stück: Das Grundverhältnis zwischen Eigenbewegtheit und Verursachtheit 435—439 Die Bolle der Eigenbewegtheit in der Geschichte 435 — Neue Wesensumschreibung f ü r Eigenbewegtheit lind Verursachtheit; makroskopische und mikroskopische Betrachtungsweise; Reziprozität und Relativität der gegenseitigen Bezogenheiten 436 — Die Teilung der beiden Geschehensformen qualitativ, nicht quantitativ 437 — Richtunglose Eigenbewegtheit, kraftlose Verursachung 438.

Viertes Stück: Getrenntheit und Vereinigung der beiden Geschichtsmächte 439—442 Tempo- und Wuchtbewirkungen zwischen den eigenbewegten Geschehensreihen 439 — Verursachungen in der Regel von außen her; Ausnahmen: Romantiken, Zielsetzungen 440 — Wunschbilder als äußere Wirkungszentren 441 — Geschichte als Ergebnis des Zusammenwirkens von Eigenbewegtheit und Verursachimg 442.

Anhang: Planeten, Monde, Elektronen: Bahnläufe und Bahngeschwindigkeiten 443—472 Erstes Stück: Die Bahnabstände zwischen Elektronen und Planeten . 443—449 Vergleich der Ordnungen des Atoms mit denen des Sonnensystems 443 — Regelmäßigkeit des Baues eines Wasserstoffatoms 444 — Ausdehnung der Elektronenbahnen 445 — Wachsende Zwischenräume der Bahnen; Zwischenräume der Planetenbahnen (Titiussches Gesetz) 446 — Wertung durch die Wissenschaft 447 — Möglichkeit einer Erklärung der Abweichungen; Grundzüge des Bahnenbaues 448.

Zweites Stück: Annäherung im Ganzen und im Einzelnen 449—453 Unterschied zwischen beiden Formen des Bahnenbaues 449 — Neue Umschreibung der Planetenab-

Inhalteverzeichnis.

XXXII

stände 450 — Ähnlichkeit beider Reihen 451 — Weitere Unterschiede 462 — Innerer Zusammenhang 453.

Drittes Stück: Die Zwischenräume zwischen den B a h n e n der Planetenmonde

454—461

Wiederkehr des Gesetzes im Bau der Mondbahnen 454 — Entfernungen der Jupitermonde 455 — Unregelmäßigkeiten 466 — Fortbestehen der Grundregel ; Teilbestätigungen 457 — Saturnmonde 458 — Tabelle der Planeten 459 — Tabelle der Satelliten 460.

Viertes Stück: Die Bahngeschwindigkeiten von Elektronen, Monden und Planeten 462—468 Ähnlichkeit der Bahngeschwindigkeiten; Regel der Bahngeschwindigkeit der Elektronen 462 — Gleicher Grundsatz in der Reihe der Planetengeschwindigkeiten 463 — Vergleich nach Zurückführung auf Vom-Hundert-Einheiten der höchsten Geschwindigkeiten 464 — Mondgeschwindigkeiten: Marsmonde 465 — Jupitermonde; ideelle Mondbahnen 466 — Saturnmonde 467 — Uranusmond; Geschwindigkeit des Neptun- und des Erdenmondes 468.

Fünftes Stück:

Ergänzungen

und

Schlußfolgerungen 468—472 Fragen der Entstehung der Gestirne: Filiationstheorie, Gezeitentheorie 469 — Ähnlichkeit der Gezeitenlehre mit Bohrs Lehre von der Entstehung der Elemente 470 — Einungen von Haupt- und Gliedkörpern im Reich der Gestirne und der Urkörper 471.

Verzeichnis der einschlägigen und verwandten Schriften

physikalischen 473—475

E R S T E R TEIL.

DIE EINHEIT DES MENSCHHEITSGESCHEHENS MIT DEM WELTGESCHEHEN. ERSTES BUCH. URORDNUNGEN. Erster

Abschnitt.

Das Grundverhältnis von Welt und Menschheit. Erstes Stück. Die Ureinheit der Welt. Forschung muß die Welt, die sie erkunden will, in Stücke aufteilen, um die Einzelheit zu erkennen. Forschung muß die Welt als eine Einheit sehen, will sie ihr Ganzes überschauen. Und da kein Einzelerkennen dem Geist ein Genüge tun kann, da das Geschehen der Welt über alle Grenzen der Einteilungen fortflutet, die die Wissenschaft noch eben schuf und beständig einzuhalten bemüht ist, da unser Forschen fort und fort auf Einwirkungen in diese Bezirke von außen, auf Ausstrahlungen aus ihnen nach außen stößt, da dieses immer weiter und weiter sich fleohtende Netz von Beziehungen nicht eher aufhört als an dem Umkreis der Welt, so ist keine Einzelwissenschaft denkbar, die nicht in ihren letzten Fragen eich an die Weltlehre, die Kosmologie, die Wissenschaft vom Sein des Weltganzen wenden, oder, stolzer und sicherer zugleich, sich in irgendeinem Teilsinn zu ihr erweitern müßte. Geschichte in Sonderheit ist, wenn sie ihren letzten Zielen zustrebt, nicht ohne solches Plug Ultra zu denken. Es ist nicht für uns Heutige irgend Maße setzend, doch nützlich zu wissen, daß der größte unter deutschen Denkern seine B r e j i l g , Naturgeschichte and Meaiohheltsgeechlchte.

1

2

Urordnungen: Grondverhältnis: Ureinheit der Welt.

Daseins-, seine Geist-, seine Weltlehre ausmünden ließ in einer Geschichte der Menschheit. Es ist nicht von ungefähr, daß Hegel die Geschichte unseres Geschlechts als die Krönung, die letzte Ausgipfelung des Mythos vom Geist auffaßte, in den er alles Weltgeschehen unidichtete. Unser Sehen mag falsch sein, weil wir das Nahe zu groß, das Ferne zu klein sehen; aber unser nächster Kreis wird uns zum Kern alles Weltseins, und ihn nimmt die Menschheit und ihre Geschichte ein. Viel zu eigenwillig, eigenwüchsig möchte eine echte Geschichtslehre ihr Amt erfüllen, um nicht zu versuchen sich, wie beschränkt auch immer, in den Elementen einer Weltlehre, soweit sie ihrer bedarf, die Grundveste ihres Gebäudes selbst zu schaffen. Folgt sie dem ihr innewohnenden Grundsinn, so kann sie auch an diese Vorbereitung nur mit der gleichen Absicht herantreten, wie an jeden Teil ihrer eigentlichen Sendung, das heißt dem Erfahren ihrer Sinne, der ordnenden Tätigkeit ihres Verstandes trauend, jede geforderte Vorerkenntnis, Vorbegrenzung, Voraus-Setzung ablehnend. Nur ein Gesetz ihres Sehens wird sie anerkennen, vielmehr selbst vor ihr eigenes Tun stellen müssen: daß sie die Welt als Einheit begreift. Es ist nichts anderes als die erste Ableitung aus dem Erfahren, auf das sie allein bauen will: wie es nur ein Erfahren gibt, das mir zugänglich ist, das meine, so nur eine unteilbare, nirgends in sich zerschnittene Wirklichkeit : die Welt, die, soweit ich sie sehe, in sich zusammenhängt und keine Scheidungen aufweist. Die Welt ist voll von Ordnungen, Gliederungen; aber nirgends, wohin unser Auge auch schweift, trifft es auf die Grenzen dieser Ordnungsteile, auf Klüfte, die das Hüben und Drüben auseinanderrissen. Wo immer solche Klüfte unser Weltbild zerspalten, sind sie von unserm Geiste geschaffen, zuerst von unserer Einbildungskraft erträumt, dann von unserm Willen der Wirklichkeit eingepreßt, endlich von unserm Verstand, einem stets bereiten Diener der Wünsche des Geistes, als wirklich

Einheit der Welt, Zweiheitslehren: Seele und Leib.

3

erwiesen. Die Welt selbst weiß von ihnen so wenig, wie unser vorbehaltloses Aufnehmen. Das heut herrschende Weltbild starrt von Zweiheiten, und es scheint, als habe eiferndes, ja zürnendes, hassendes Fürwahrhalten der Menschen sich ihrer mit besonderer Vorliebe und in einzelnen Fällen mit einer Leidenschaft angenommen, die sich bis zur Käserei zu steigern fähig war. Die älteste und mächtigste von ihnen ist die, die zwischen Seele und Leib den Spalt aufriß, der durch unser eigenstes, persönlichstes Dasein, das Bild von unserm Ich geht, und in ihren Ausläufern die Völker im Tiefsten zerspalten, Haß, Kampf und Krieg der Geister ohne Ende entfesselt hat. Sehr viele Glaubensformen der Urzeit, alle höheren Religionen haben diese Zweiheit zur Grundlage für ihre Geister-, Götter- und Gotteslehren gemacht, der größte Teil der vom Glauben aus gesetzten Sittenlehren hat sie zur Voraussetzung; der Glaube selbst hat sie durch die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele zum wesentlichsten Zucht- und Strafmittel gemacht. Aber auch die ganz weltlich gewordene, von dem Zusammenhang mit dem Glauben sich lösende Daseinslehre hat in hundert Formen diese Zweiheits-Setzung beibehalten. Dem Glauben, der erst beginnen will, wo Wissen aufhört, kann diese so wenig wie irgendeine andere von seinen Annahmen genommen werden. Wissenschaft, die auf Erfahrung baut, weiß von dieser Zweiheit nur, daß sie für Erkenntnisund für Lebenszwecke eine überaus nützliche, kaum entbehrliche Einteilung der Tätigkeiten und Fähigkeiten des Menschen ist, aber auch, daß das Wesen des Menschen an sich Eines und unteilbar ist. Wie fast immer, wenn die Erkenntnislehre ihre Erzeugnisse im freien Luftmeer der Gedanken, in einem künstlich luftleer, d. h. wirklichkeitsfrei gemachten Raum hervorbringen will, ohne jede Zuhilfenahme der Geschichte des Erkennens und seiner Mittel und ohne jedeHinbeziehung unserer geistigen Beschaffenheit auf die Einwirkungen der außermenschlichen Welt, und dabei dann in die Irre gerät, ist kein besserer Aus1»

4

Urordnungen: Grund Verhältnis: Ureinheit der Welt.

weg da, aus dieser Not zu kommen, als indem man eben die Geschichte des menschlichen Verstandes zu Rate zieht. Von ihm behaupten die Erkenntnislehrer, insbesondere die solipsistischer1, aber auch die neuplatonisch-ontologischer Richtung, er sei ein von Anbeginn des Menschengeschlechts gegebenes Werkzeug, ein unveränderlich festes Instrumentarium, während in Wahrheit von ihm, wie vom Menschen in allen seinen Eigenschaften, nachzuweisen ist, daß er in seinem heutigen Bestände ein geschichtlich Gewordenes ist. Und eigens sicher läßt sich unter allen Zweiheitssetzungen die ursprünglichste, die die Seele in Gegensatz zum Leibe bringt und beide als zwei von einander trennbare Wesen ansieht und zu der alle anderen Zweiheitssetzungen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Abstammungsverhältnis stehen mögen, als geschichtlich geworden nachweisen. Wie so viele für alle Stufenalter der Völker schicksalgründend gewordene Findungen des menschlichen Geistes gehört sie der Urzeit an: das Basein eines zweiten Ichs, gewiß nicht immer, so doch öfter aus der Erfahrung des Traums als aus der Annahme frei vagierender Totenseelen geboren, zuerst noch wenig bedeutend, ist doch früh wichtig für die Vorstellung von einem Fortleben dieses zweiten Ichs nach dem Tode geworden. Und es ist nicht abzusehen, wie alle, aber auch alle Geschichte des Glaubens und der Sittlichkeit grundstürzend dadurch beeinflußt worden ist, daß diese Anschauung sich zu immer umfassenderen Tochtervorstellungen ausgliederte. ') Auch Driesch ist hierin nicht beizustimmen. Der Dualismus seiner Erkenntnislehre tritt nur deshalb etwas verhüllt auf, weil sein solipsistischer Aufbau des — weit über Kant hinaus umfangreichen — Vorrats von den Menschen eingeborenen Erkenntnismitteln von vornherein entschieden und ausschließlich geistmäßig, spiritualistisch ist (vgl. Ordnungslehre [* 1923] 20 ff., woran die Reserve S. 347 nichts ändert), während der Leib, folgerichtiger Weise, aber in radikalstem Dualismus den Naturdingen eingereiht und als nur mit einigen Sonderprivilegien ausgestattet erscheint (S. 354). Erst ganz spät im Begriffsaufbau erscheint die Setzung Seele als ein besonderes Sein, aus dem das bewußte Selbst gelegentlich aufblitzt (S. 346 vgl. S. 148).

Semseinheit Leib-Seele, Funktionsteilnng Leib und Seele.

6

Man stelle sich vor, die Geschichte dieses Geistesgebildes, das erst die frei spielende Einbildungskraft schuf, dann der Verstand mit Myriaden von Beweisführungen befestigte, hätte den Verlauf genommen, den etwa heutige Wertung ihrer Haltbarkeit und Anwendbarkeit ihr zumessen würde, so würde für lange Jahrhunderte-Reihen die Einheit Mensch, in ihrer Umfassung aller leiblicher wie seelischer Fähigkeiten und Tätigkeiten unangetastet geblieben und in aller Unbefangenheit als Grundtatsache unseres Daseins einfach hingenommen und aufrecht erhalten sein und erst in einer vermutlich späten Zeit würde eine beschreibende Menschenkunde zu ihren ordnerischen Zwecken eine Zweiteilung der menschlichen Fähigkeiten und Tätigkeiten vorgenommen haben, von denen man die eine Halbschied des von den Sinnen wahrnehmbaren Handelns, Erleidens und Empfindens leiblich, die andere des nur vom Denken aufzunehmenden Tuns und Empfangens seelisch genannt haben würde: es ist nicht zu ermessen, wie im tiefsten die Geschichte unseres Geschlechts durch einen solchen Verlauf geändert worden wäre. Niemand, der sich eine rechte Vorstellung von der Vorherrschaft der Einbildungskraft und des Willens auf den beiden frühen Stufen der menschheitlichen Entwicklung machen will, wird es unterlassen dürfen von diesem Tatbestand auszugehen. Sie haben uns auf weiten Strecken unseres Weges geführt, und erst im Zeitalter der Vernunft — in der Neueren Zeit — ist es zu mühsamen, zumeist oberflächlichen und wenig glücklichen Rückbildungen zu einer Einheits-Vorstellung gekommen; aber gerade dieses Entwicklungsalter hat — in Descartes und Kant — den anmaßlichen Versuch gemacht, nur das denkende Ich als das allein sicher seiende auszurufen und so den Verstand, also nur eine Teilkraft der Seele, erst als die einzig seiende, demnächst als die das Chaos der übrigen Welt allein ordnende Kraft zu erweisen. Und die Macht dieser Zweiheit über unser Denken und selbst Handeln ist noch heut so groß, daß wir, die wir uns mühen, an die Stelle von ihr eine Einheit, Leib-Seele

6

UrOrdnungen: Grundverh<nis: Ureinheit der Welt.

oder wie man sie nennen mag, zu setzen, auf diesem Wege nur langsam vorwärts kommen. Unglücklich-oberflächliche Lösungen von Leib und Materie her wie die Feuerbachs und Haeckels schrecken noch mehr, als daß sie uns vorwärts helfen. Aber auch die mühselig-umständlichen Parallel-Auffassungen leiblicher und seelischer Vorgänge geben Zeugnis für das Fortbestehen dieser Lähmung: noch hat keine starke Hand hier ein Denkbild aufgestellt, das dem Zweifeln Schweigen auferlegt und eine endgültige Sicht geschaffen hätte 1 . Von geringerer Tragweite, aber auch von geringerer Widerstandskraft sind die anderen Zweiheitslehren, die sich gebildet haben, insonderheit die Grenze zwischen der biischen, d. h. der nur belebten, und der bewußten Welt, zwischen Tier und Mensch also, obwohl doch auch diese Scheidegrenze von den Verfechtern der alten, insonderheit der gläubig bestimmten Weltanschauungen wie ein sittliches Gut verteidigt worden ist. Wie der Italiener, wenn er sein Pferd mißhandelt, auf Vorhaltungen antwortet: non e Cristiano, wie der Katholizismus mit der eigens zähen Überlieferungstreue, die sein Verhalten stets zum Exponenten allen, insbesondere des alten Christentums macht, diese Zweiheit mit Eifer aufrecht erhalten hat, so hat auch evangelische Rechtgläubigkeit sich für sie mit so glühendem Eifer eingesetzt, als sei sie eine Grundveste des Glaubens. Alle Begrifflichkeit fordert Sein, unumschränktes, unveränderliches Sein und ist deshalb dem Werden von Grund aus abhold, dem Werden, das als Tatbestand erkannt zu haben erst erstarkender, tiefer Erfahrungswissenschaft gelang. Für die griechische Geistigkeit, die bis ins Innerste begrifflich war, ist nichts so kennzeichnend, als daß sie das Wesen des Werdens weder in der Menschheits- noch in der Naturgeschichte recht erkannte; für das germanische Weltalter aber ist ebenso ') A l l e Begründungen auftretenden

der

Lehrmeinungen

methodologischen lehre vorbehalten.

Schlußteil

hier nur als n a c k t e Behauptungen sind dem der

noch

Bändereihe

unveröffentlichten dieser

Geschichts-

Büsche und bewußte Welt, Sein und Werden.

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auszeichnend, daß seine Forschung ihre reichsten Siege erfocht durch Enthüllung des Wesenskerns von allem Werden in Menschheit und Natur. Aber auch in unserem Völkerkreise verschließt alle eigens begrifflich gestimmte Forschung, in der Philosophie wie in den Einzelwissenschaften — man denke an die Rechtswissenschaft, an die Physik — der Erkenntnis des Werdens wie aus Grundsatz die Pforten. Die beiden Zweiheitslehren können nur von dem geschichtlichen Gedanken überwunden werden. Von der Teilung des einen und unteilbaren Menschen in den Leibmenschen hier, den Seelenmenschen da, wird der hier nur eben angedeutete Nachweis, daß sie eine Gewordenheit, das phantasiegeborene Erzeugnis der Urzeit ist, durch eine — vorläufig kaum in den ersten Anfängen vorhandene — Geschichte des menschlichen Verstandes und der Werkzeuge seines Erkennens, insonderheit der Begriffe, erbracht werden. Das, was heutiger Erkenntnislehre und ihren erleuchtetsten Vertretern als ein absolutes, unveränderliches mithin überzeitlich ungeschichtliches Instrumentarium gilt, wird als ein von Schritt zu Schritt erkämpfter, durch tausendfache Ausgliederung und Fortbildung beständig veränderter Werkzeug-Vorrat erwiesen werden und, was in gleichem Sinn geschichtlich ist, dies Instrumentarium wird als Eingebung der außermenschlichen Welt, als ein Einfließen ihrer Ordnungen in die Ordnungen menschlichen Erkennens enthüllt werden. Mit einem zweiten, aber ebenso geschichtlichen Hilfsmittel kann hier die Geistesgeschichte der um ihr Wie und damit um ihr Leben ringenden Erfahrungswissenschaft beistehen: eben die Herrscherlichkeit der rein begrifflichen Zweiheitslehre, die superbia idearum, mit der sie der Erfahrung und dem Werden entgegentritt, hat ihren Ursprung erstlich in der ungeschichtlichsten von allen Griechenlehren, in der Piatons, demnächst in dem Vernunftrausch des achtzehnten Jahrhunderts. Dessen Vorläufer Descartes, dessen Führer Leibniz und Kant haben die noozentrische Lehre, die Lehre von der allein sicheren Mitte des erkennenden Verstandes begründet,

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Urordnungen: Grund Verhältnis: Ureinheit der Welt.

und alle heutigen ihnen verwandten Erkenntnislehren, gleichviel ob cartesianisoh oder neu-kantisch, phänomenologisch oder noologisch, vertrauen 6ich ihrem Vorbild an, nicht achtend, daß sie sich damit der Herrschaft eines Zeitalters unterwerfen, das von seiner Leidenschaft für Vernunft und Begriff zur unmöglichsten Verachtung von Erfahrung und Werden vorwärts getrieben wurde. Der zweite Zweiheitsglaube — denn ein Glaube ist er recht eigentlich, nicht eine Erkenntnis — der die Grenze zwischen Tier und Mensch ziehende, der heut fast als beseitigt gelten kann, ist ingleichen durch den geschichtlichen Gedanken überwunden worden. Von Darwins großem Angriff sind viele Teile als schwach und zu Unkräften unternommen befunden worden; das Kernstück seiner Front aber ist auch von seinen erfolgreichsten Gegnern unangetastet gelassen worden: die Auflösung des begrifflichen Nebeneinander, wie der Arten überhaupt, so auch der Arten Anthropoiden und Mensch in das Nacheinander eines Werdens, in einen Artenstammbaum. Es ist der Erwähnung wert, daß Kant, auch hierin eng bis zur Leidenschaftlichkeit, die unhaltbarsten Auffassungen seiner Zeit über die Verächtlichkeit und die Inferiorität des Tieres geteilt hat. Die dritte Zweiheit in unserem Weltbild, die zwischen dem anorganischen und dem biischen Reiche, zwischen der unbelebten und der belebten Welt, ist erschüttert, doch noch nicht endgültig beseitigt. Wohl ist die heutige Physiologie der Meinung, die Entwicklung der organischen aus den anorganischen Stoffen und damit des Lebens aus den erregtesten Formen der unbelebten Körperlichkeit annehmen zu können; doch fehlt ihr noch viel zur Sicherheit dieser Erkenntnis. Als Grundauffassung ist sie heut schon aufrecht zu erhalten, als allein dem Insgesamt unseres Weltbildes entsprechend. Und vor den Zionswächtern der Zweiheitslehren ist sie sicher, da deren Kenntnis und also auch Besorgtheits Radius nicht bis an diese Grenze zu reichen pflegt. Daß Kant, so lang er noch ein Roh-Empiriker war, durch die Übernahme

Unbelebte und belebte Welt. Spiritualiatische Einheitslehren.

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der Forschungsergebnisse des Engländers Wright in seine Himmelskunde dem geschichtlichen Gedanken zum mindesten innerhalb des anorganischen Reiches zum Siege verholfen hat, ist denkwürdig. Über die Klüfte aber, die die einzelnen Erkenntnis-Massive unseres Weltbildes trennen, reicht ein Wie des Geschehens hin, das als Beherrscher aller Bezirke der Wirklichkeit in immer neuen Vorstößen der Forschung als ihnen allen eigentümlich erwiesen wurde und immer weiter erwiesen werden wird: das Gesetz, die feste Gebundenheit des Weltgeschehens an ihm innewohnende unverbrüchliche Regeln. Wie sollte eine Geschichtslehre, die nichts bewußter erstrebt als die Aufdeckung der Gesetzlichkeit alles Menschheitsgeschehens, zweifeln an dieser höchsten und unwiderleglichsten Gewähr für die Einheit aller Wirklichkeit, für die monokosmische Sicht, die auf diesen Blättern immerdar als die gültige verfochten werden soll.

Zweites Stück. Urseinslehre. An Daseinslehren, die die Einheit der Welt festhalten wollen, ist kein Mangel. Nur drei sollen in Betracht gezogen werden: eine, die immerhin so nahe ist, daß noch eine Beziehung zu ihr herzustellen ist, zwei als artvertretende Fälle der Herausforderung einer notwendigen Ablehnung. Indem Kant seine Erkenntnislehre und mit ihr eine Zweiheit im Weltbilde schuf, zerreißender als irgend eine je dagewesene, rief er dooh alle Geister der Einheit wach, die verletzt sich erhoben, um dem Verhältnis des Geistes zur Wirklichkeit wieder Geschlossenheit, der Seele des sie betrachtenden Menschen Ruhe zu geben. Auf zwei Wegen konnte man dem von Kant aufgerissenen Abgrund zu entrinnen suchen; der ganz im Begriff aufgehende Geist des Zeitalters selbst ver-

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Urordnungen: Grund Verhältnis: UrseinBlehre.

suchte den einen: Fichte ging auf der von Descartes eingeschlagenen, von Kant um so viel weiter durchlaufenen Bahn bis zum letzten möglichen Ziele fort. Er machte aus der Suprematie des Geistes, die Kant schon zu einem Despotismus erhoben hatte, eine Alleinherrschaft und hob die Wirklichkeit, die ihm nur noch ein unbestimmtes und unbestimmbares Nicht-Ich war, auf, und ließ sie für die Vernunft — wenn auch nicht für das Handeln — im Bauch vollkommener Wesenlosigkeit aufgehen: für uns, die wir den Geist gar nicht tief genug in der Wirklichkeit wurzeln lassen können, eine seelische, um der Willkür ihrer Setzungen willen eine forscherliche Unmöglichkeit. Aber ebenso unmöglich der — im Denktechnischen ganz ungefüge, kindlich stammelnde — Versuch, den im Namen der Naturforschung erst gegen Ende des Jahrhunderts Haeckel unternahm, auf der anderen Seite der Kluft den Stoff als einzige Form des Seins zu erweisen und um seinetwillen den Geist in ihm aufzulösen. Der Grundfehler, der hier begangen wurde, war, daß Haeckel nicht das Naturgeschehen aus sich heraus zu erklären trachtete, sondern in seltsamer Vermenschlichung, rein anthropomorphisierend, ihm die seelischen Eigenschaften der Menschen unterzuschieben versuchte. Die Molekülseele, die Kristallseele, die Zellseele1 — diese Begriffe brauchen nur ausgesprochen zu werden, um ihr innerstes Irren deutlich zu machen. Gar nicht zu bezweifeln ist, daß Haeckel in seinem Grundstreben nach der Erweisung der Ureinheit der Welt von dem besten Drang geleitet war, aber er besaß weder genug von der Scheidekunst des Denkens, um in das Verhältnis der beiden Reiche des Geistes und der Welt tief einzudringen, noch genug bauende Kraft, um ein Gedankenwerk zu errichten, das den formalen Angriffen der Techniker des Denkens hätte Widerstand leisten können. Die Banalität des Gewandes, in das l ) Man vergleiche seine letzten und eindringlichsten Darlegungen in dem Buch Kristallseelen, Studie über das anorganische Leben (1917) 107—113.

Haeckels materialistische Einheitslehre, Hegels Geistlehre.

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er seine Gedanken kleidet, ist nur Bild und Gleichnis der Flüchtigkeit und Untiefe seiner leitenden Erwägungen. Man wird alle Ablehnung, die gegen Haeckel zu richten ist, in diese letzte Formel zuspitzen können: statt vom Weltgeschehen her, vornehmlich dem des anorganischen Reichs, langsam aufsteigend die Mächte, die es regieren, als immerdar während und als auch noch die Zwischenschicht des biischen Reiches, die Oberschicht des bewußten Menschentums beherrschend nachzuweisen, schlug er den umgekehrten Weg ein und suchte alles Tier- und Pflanzenleben, ja alles anorganische Geschehen zu psychisieren, zu beseelen. Und so ein unerträglich stumpf vereinheitlichendes Bild schaffend, gab er mit der einen Hand viel zu viel, während er nach der Seite des Menschentums freilich selbst viel zu arm war, um seine Reichtümer, seine Wesenheit auch nur aufzufassen. Hegel schlug einen Mittelweg ein: er muß an der von Kant heraufbeschworenen Entzweiung so sehr gelitten haben, daß in Reaktion gegen sie auch sein Trachten auf Wiederherstellung einer Einheit, ja mehr als das, auf die volle Wiederaufnahme der Wirklichkeit in das Denkbild der Daseinslehre gerichtet war. Es ist nicht von ungefähr, daß unter allen Denkern höchsten Ranges nach und außer Aristoteles er der einzige war, der den Gedankendom seiner Daseinslehre über das volle Kreisrund aller Einzelwissenschaften von der Wirklichkeit spannte. Aber so weit war er doch noch im Bann des übermächtigen Kant, daß er in der Zwei-Einheit, die er nun als umfassendes Band um Geist und Welt schlang, das Übergewicht dem Geist zuteilte. In dem Mythos vom Geist, in den er die Daseinslehre umdichtete, war der Geist der Held, der Täter, der Ursprung aller Wirklichkeit und von dieser wurde kühn genug behauptet, daß sie ebenso wohl als die zweite Welt, in die sich der Geist aus seinem ersten Dasein, dem Dasein als Begriff entläßt, als Natur, wie als die dritte, in die er sich zum anderen Male ausgestaltet, in der er sich zuletzt seiner selbst bewußt wird, wie automatisch dem gleichen Gesetz unterworfen ist wie im Urdasein des Geistes:

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Urordnungen: Grand Verhältnis: Urseinslehre.

dem Gesetz der strengen Begriffliclikeit. Gleichviel wie weitgehend und zahlreich die Unfolgerichtigkeiten waren, die Hegel sich und seiner eigenen Regel erlaubte und durch die sein Weltbild in Wahrheit viel wirklichkeitsnäher wurde, es leuchtet doch ein, daß eine so dichterisch dem Endziel, so begrifflich dem Wege nach gerichtete Daseinslehre alles andere als erfahrungsgesättigt und weltgemäß werden mußte. Die Einund Dasselbigkeit, die hier von Geist und Welt ausgesagt wurde, war im Grunde eine Spiritualisierung, eine Geistwerdung, ja eine Logifizierung, eine Verbegrifflichung der Wirklichkeit, eine Unterwerfung des Weltbildes unter die Gebote einer Schullogik, bei der es immerdar Vergewaltigungen erleiden mußte und erlitt. Es war keine Einheit auf dem Grunde ebenbürtiger Verschmelzung, sondern auf dem einseitiger Bevorzugung des Geistes. Und so ist Hegels Versuch wie der an sich unvergleichlich viel weniger bedeutende, mit viel bescheideneren, allzu bescheidenen Mitteln unternommene Haeckels gescheitert: beide im Grunde daran, daß ihre Einheitsliebe und Einheitslehre nur eine scheinbare war, daß ihr Denken dem Wesen nach zweiheitlich blieb. Über die Kluft hat Hegel zwar eine Brücke geschlagen, aber sie selbst blieb unausgefüllt und in Wahrheit hat Hegel sie sowenig überschritten wie Haeckel: der Denker blieb diesseits, der Forscher jenseits des Abgrunds; beide gelangten nicht in das andere Land, der eine nicht um des königlichen Eigenwillens seines geistigen Herrschertums willen, der andere nicht aus der Schwäche seines Unvermögens. Nur wenn der Abgrund sich schließt, ist auf die wahre Einheit unseres Weltbildes zu hoffen — die Einheit, die unser Erfahren vor unsern Augen sich nirgends spalten, nirgends, es sei denn an den Grenzen der Welt selbst, enden läßt, die Einheit, die unser Lebens- wie unser geistiges Bedürfnis ist gleich sehr für die Welt, die wir handelnd beherrschen, wie für die, die wir forschend als Ganzes erkennen wollen. Wenn Hegels Versuch seinen Mythos vom Geist als echtes Weltbild zu formen scheiterte, sollen wir nun einen Mythos

Ein Mythos von der Natur?

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von der Natur dichten ? Mitnichten: Forschung soll nur erkennen, soll nur Wahrheit wissen wollen. Weltbilder aus einem Grundstock von dilettierender Wissenschaft und technisch virtuoser Sensation herzustellen, soll sie den Schriftstellern überlassen, die der Belustigung des nach wissenschaftlichen Unterhaltungsschriften hungrigen Publikums dienen wollen, oder den noch schwächeren Halbdichtern, die vom tönenden Licht oder von der geschichtslosen, werdensfreien Geschichte zeugen, von der Geschichte, die nur aus Sein und Sonnenbällen, d. h. den wenigen GipfelEinzelnen der Weltgeschichte, um derenwillen allein es sich verlohnt Geschichte zu schreiben, besteht. Es handelt sich nie darum ein Weltbild hinzustellen, weil es geistreich, d. h. willkürlich ersonnen und durch Schillern in Doppelsinn, Spielen in Zerrbildern bestechend ist. Ebenso wenig wird möglich sein in den angeblichen Götterglauben jener Dichter einzustimmen, die aus historisierender Romantik die Welt mit Göttern bevölkern, zu denen sie nicht beten und denen sie keine Tempel errichten, oder in die Gottespredigt jener Denker, die von einem Gotte zeugen, von dem ihr eigens Ich niohts weiß, etwa weil es eine begriffliche Notwendigkeit sei, einen Weltschöpfer zu fordern oder einen Gott zu verkündigen, weil das Volk ihn als Zuchtmeister nötig habe. Nie wird wahre Wissenschaft Freude daran haben, den im Herzen Gottesgläubigen ihre Ehrfurcht anzutasten, denn Glauben ist eine Sache des Gemütes und nicht des Verstandes und also auch nicht der Forschung. Aber mit den in Wahrheit Frommen haben weder jene Dichter noch diese Denker auch nur das Geringste gemein. Nur dem Sein wollen wir nachsinnen, nur das Werden wissen, ein Bild aus Wahrheit, Welt, Wirklichkeit weben. Und niemals wollen wir uns davor scheuen es so zu bezeugen, wie es sich unseren Augen zeigt, auch dann, wenn uns das Gesehene, Erahnte nicht ein einmaliges Geschehen, sondern eine ewige Wiederholtheit in der Folge der Zeit, in der Weite der Bäume vermuten läßt. Nicht schimmernd im Sinne

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Urordnungen: Grundverhältnia: UrseiEslehre.

geistigen Spiels, nicht gestalthaft schön im Sinne der Kunst soll unser Weltbild sein, sondern wahr, wahr, wahr. In den Zeiten seines Anstiegs zur reifsten Kraft hat Kant als vorgeblicher Anwalt der reinen Erfahrungswissenschaft nicht nur den Namen, nein auch das Tun jeder Metaphysik, jeder bauenden Daseinslehre mit dem Bannfluch seines höchsten Zorns belegt, und Nietzsche hat mit beißendem Hohn von solchen Lehren als dem Machwerk von Hinterweltlern gesprochen. Solch Schelten und Verschmähen kann nicht die Sache ruhevoll sicherer Forschung nach dem Sinn der Welt sein: sie wird weder echtem Glauben noch echter glaubensartig setzender Daseinslehre ihre Achtung versagen dürfen, ja sie wird sie als geistiges Vermögen verehren auch dann, wenn sie wie die Verkündung des Gründers der Phänomenologie oder einzelner starker Neuplatoniker in den Einzelwissenschaften ungefähr dem Gegenpol ihrer eigenen Überzeugung zustrebt. Aber so wenig wie einen Mythus wird sie eine Metaphysik, eine Daseinslehre im alten aprioristischen, analytischen und deduktiven Sinn, im Sinn der Setzung im Voraus also und des von oben her ableitenden Auflösens allgemeinster, aus dem Recht des Begriffs hingestellter Denkbilder schaffen wollen. Nicht Überbauten über dem Sein, sondern Enthüllungen der Tiefen, der Kerne des Seins wird sie schaffen wollen: nicht Metaphysik, sondern Endophysik, nicht willkürlich bauende Daseinslehre, sondern Urseinslehre. Sie wird nicht Begriffe enthüllen wollen, sondern Seinskerne, Urdinge.

Drittes Stück. Welt-Geschichte und Welt-Gesellschaftslehre. Läßt sich die Geschichtslehre schon auf das Wagnis ein, dem eignen Bau als Grundveste eine Weltlehre oder doch die Elemente einer Weltlehre zu errichten, so wird sie solche Kühnheit nur dann auf sich nehmen können, wenn

Endophysik.

Drei Keiche: ihr Neben- und Nacheinander.

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sie es in ihrem eigensten Sinne tut. Der aber ist auf das Werden gerichtet. Und so wird sie Welt und Menschheit nur als ein Gewordenes, Werdendes begreifen können, nie als ein sei es von jeher ruhendes, sei es endlich erstarrtes Sein. In drei Reiche zerlegt sich der Schauplatz, in drei Gruppen teilen sich die Träger alles Weltgeschehens. Das anorganische Reich: das Reich der unbelebten Körper, der kleinsten und der größten Welteinheiten, der Elektronen und der Gestirne; das biische Reich der belebten und der erst unvollkommen beseelten Leiber, der Pflanzen und der Tiere; das menschheitliche Reich der bewußten Leib-Seelen. Alle drei stehen in ihrem Übereinander in engster Verbindung: in die Schicht des Anorganischen, die unterste, sind beide andern tief verwurzelt: denn jeder lebendige Leib des Pflanzen-, Tier- wie des Menschenreichs ist erstens auch ein anorganischer Körper, insofern er sich aus anorganischen Bestandteilen zusammensetzt, und ist zweitens als solcher wie noch mehr als lebendiger Leib abhängig von seiner unbelebten Umwelt. Im selben Maße ist die Menschheit, insofern sie ein seelisch-bewußtes Dasein führt, also mit den ihr allein zugemessenen Fähigkeiten und Tätigkeiten, tief eingebunden in das biische Reich, dem sie mit dem Leibe ganz angehört. Man kann sich das gegenseitige Verhältnis der drei Reiche sinnfällig in der Gestalt vor Augen stellen, daß man drei Keile — drei gleichschenklige, spitzwinklige, basislose Dreiecke also — in der Weise auf einander baut, daß sich in den untersten, den anorganischen Keil der biische tief einschiebt, so tief, daß der anorganische Keil auch den innersten, den menschheitlichen Keil noch mit den oberen Enden seiner Schenkel umschließt. Dieses Bild macht am deutlichsten, wie das menschheitliche Sein zuerst in das leiblich-biische, dann durch dieses hindurch in das anorganische Geschehen eingebettet und zugleich zuerst von dem einen, dann durch seine Vermittlung von dem andern abhängig gemacht ist. Dieses gegenseitige Verhältnis der drei Reiche im Sein aber kann eine Geschichtslehre, die sich überhaupt über sie Ge-

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Urordnungen: Grund Verhältnis j Weltgeschichte.

danken macht, in keine andere Sicht stellen als die geschichtliche, und gerade sie ist es, aus der die mannigfachsten Folgerungen für das Amt der Geschichtsforschung selbst gezogen werden können, gezogen werden sollen, Folgerungen, die ihr Richtschnuren, Sehweisen, Maßstäbe, Bangordnungen verleihen können. Gewiß sind dies Hilfen, deren sie auf das dringendste bedarf. Und was liegt näher, als daß Geschichte, der das Weltgeschehen zum überwiegenden und entscheidenden Teil Werden ist, für ihr Amt als Wissenschaft vom menschheitlichen Werden sich Richte und Maße von dem Werden der — außermenschheitlichen — Welt setzen läßt, das Geschehen des Menschengeschlechts als einen Teil des Weltgeschehens, als einen dieser größeren Werdenseinheit zu innerst zugehörenden Teil zu begreifen sucht. Die Zeiträume, an die sich das Schrittmaß der Geschichte eines Sonnensterns bindet, zählen nach Jahrmilliarden: eine Milliarde Jahre, so meinte man noch jüngst, vergeht von Rotglut zu Rotglut eines Fixsterns, eine Milliarde Jahre dauert es, bis wieder eine Sonne in ungeheurem Ausbruch von Flamme und Licht den immer wiederkehrenden Anfang erlebt, bis wieder von ihm wir fernen Bewohner des kleinen Wandelsterns einer von den Sonnen unter den 300 bis 400 Milliarden Sonnen, die unsere Milchstraßenspirale, unseren Sonnen-Schwärm bilden, sagen — bis heute irrend sagen — eine Stella novo sei aufgegangen1. Die Erforscher der Erdgeschichte, die den Gehalt einzelner Gresteine an bestimmten Elementen, BO an Helium, zu Hilfe nehmen, bemessen hiervon weit abweichend die Zeit, seit der auf diesem unserm Geleitstern der Sonne die ältesten Gesteine in Bildung begriffen sind, auf 1200 Millionen Jahre2. Wie unendlich wenig J ) Nernst, Über das Auftreten neuer Sterne (Berliner Universitäts-Festrede 1922) 18, doch auf Grund einer viel geringeren Sternenzahl. *) Man sieht leicht, daß dies eine größere Zeitspanne zwischen zwei Entflammungen des ihn beherrschenden Fixsterns zur Voraussetzung haben würde. (Vgl. Hahn, Was lehrt uns die Radioaktivität über die Geschichte der Erde [1926] 13.)

Alter der drei Reiche. Weltbild und Gottesvorstellung'.

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bedeuten die 23000 Jahre, auf die man mit einem kleinen Schein von Vermutbarkeit die Geschichte des Menschengeschlechtes hat berechnen wollen, oder die zehntausend Jahre, aus deren Anfängen die ersten Schimmer von Geschichte zu uns herüberdringen, diesen zwölfhundert, jenen tausend Millionen Jahren gegenüber. Unser weises Geschlecht aber hat mit dem naiven Dünkel, der so oft die im Besitz der Macht, auch in dem der geistigen Macht Befindlichen auszeichnet, gerade das Gegenteil getan und seine kleinen und kleinsten Maßstäbe mit der anspruchvollsten Sicherheit eben an diese früheste und unterste Schicht des Weltgeschehens gelegt. Als Schöpfungen gläubig-dichterischer Einbildungskraft waren jene alten Gebilde herrlich. Wenn einst in der frühen Morgendämmerung seiner Urzeit ein grübelndes Wüstenvolk zu der Vorstellung von einem Gott-Schöpfer kam, der die Welt entstehen machte, so war das ein Gedanke, der der geistigen Stufe dieses Entwicklungsalters durchaus gemäß war. Im Kern war er hundert Urzeitvölkern gemein, aber ihn so stark und gestalthaft ausgeprägt zu haben, war eine Gipfelleistung, es war das Werk eines Genies unter den Glauben schaffenden, damit aber auch unter den metaphysischen Völkern. Und wenn noch Thomas von Aquino auf einer viel höheren, auf Mittelalter-Stufe an dem Gott-Macher, der die Welt aus dem Nichts schuf, festhielt, so war dies zwar in Widerspruch zu dem tiefsten, dem mystischen Glaubenswillen seines Entwicklungsalters gesprochen, der die Gottesgestalten nicht zu festigen, sondern aufzulösen bestrebt war, und der begriffliche Unterbau, auf den er seine Lehre stützte, ist mancherlei Anzweifelungen ausgesetzt; aber der Geistigkeit dieser Zeit entspricht er durchaus. Noch stärker als die Gottesbilder selbst verweisen in die Zeit, die sie erzeugte, die Weltbilder, vor die als Hintergrund jene hohen Gestalten gestellt wurden. Jahwe hatte noch in der gläubigen Phantasie seines Volkes des Abends im Garten Eden gewandelt; er war ein Drachenbesieger, ein B r t t j a l g , Naturgcaohloht« and M«D>ohheit»gMohlehto.

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UrordnuDgen: Grundverhältnis: Weltgeschichte.

Heilbringer von echter Urzeitart und als solcher auch wie hundert andere Heilbringer und keimende Urzeitgötter ein Weltschöpfer. Auch der etwas höher gestuften ElohimGestalt des späteren Judentums, aus der der Christengott hervorging, hat man unter Zuhilfenahme des babylonischen Priester- und Forscherglaubens eine würdige Bühne bereitet: das feste Himmelsgewölbe über der Erde, die die Mitte und den einzig wichtigen Kern der Welt ausmachte. Schon das Kopernikanische Sonnengebäude hat diese Vorstellung erschüttert und stieß deshalb auf so erregten Widerspruch bei der Kirche: sollte man dies Himmelsgewölbe und den Thron des ewigen Gottes nun um die Erde sich wie sie drehen, mit ihr um die Sonne sich wälzen lassen? Und ganz unmöglich wurde die alte Vorstellung im Weltbild der Herschelschen Sternkunde: wie hätte jede der Erden, die noch um Millionen von Sonnen in unserem und anderen Milchstraßengebäuden und Andromeda-Nebeln kreisen mögen, mit einem Himmel, einem Gott, der sich auf ihm thronend um sie dreht, gedacht werden können. So sah sich auch die kirchlich-christliche Gläubigkeit genötigt, ihre Gottesgestalt, deren Persönlichkeits-Kern und somit deren Menschenähnlichkeit sie zwar beibehielt, doch der meisten menschennahen Eigenschaften zu entkleiden, mit denen jene älteren Zeiten sie ausgerüstet hatten und sie mit Hilfe weltlicher, sei es griechischer, sei es neueuropäischer Daseinslehren von all diesen allzu wirklichkeitsnahen Beziehungen zu lösen. Die Gotteslehre, die heute vorherrschen mag, ist so weniger menschennah, aber auch weniger weltfern. Die Reihe der Gottesbilder, die die weltlichen Metaphysiker entworfen haben, zeigt in den meisten Fällen eine große Nähe zu der Menschenähnlichkeit der christlichen Gottesgestalt, nur selten ist es zu einer Ineinssetzung von Welt und Gott, wie am eindrucksvollsten bei Spinoza, gekommen.

Weltbildwandlungen.

EigengeBetzlichkeit der drei Reiche.

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Viertes Stück. Geschichtliche und u n g e s c h i c h t l i c h e Naturauffassung. Heutiger Erfahrungswissenschaft, die am wenigsten sich berufen fühlen wird, Übergriffe in das Amt des Glaubens zu unternehmen, würde der Gedanke eigens nahe liegen, daß jedem der drei Reiche des Weltgeschehens eine ihm gemäße Weltsicht angepaßt werden sollte: dem anorganischen Reich eine physikalische, dem organisch-biischen Reich eine biologische und erst dem menschlichen Reich eine anthropologische, von der Form, wie sie bisher am alleröftesten als eine für das Weltganze passende und ihm gerecht werdende ausgebildet worden ist. Stellt man sich vor, was denn freilich ein Unmögliches ist, der metaphysische Drang des Menschen hätte sich von jeher auf diese Weise Schranken gesetzt, dann hätte er die ihm noch ganz unerschlossenen Reiche des außermenschlichen Weltgeschehens in langen Jahrhunderte-Reihen ganz unangerührt lassen und sich allein dem innersten Bezirk, den er wirklich aus Eigenem begriff, zuwenden müssen, dem eigenen, dem des Menschen. Bas Gegenteil geschah und geschieht noch heute. Und doch ist, zum wenigsten in unserm Stufenalter etwas umfänglicherer und vergleichsweise gesicherter Weltkenntnis, der Gedanke möglich, daß der Aufbau von jedem der drei Reiche nach dem ihm innewohnenden Gesetz, nach den seinem Sein und Werden gemäßen Regeln zu begreifen sei. Es wäre möglich, daß eine bauende, aber erfahrungsgebundene Weltlehre das anorganische Reich grundsätzlich als reine Materie, die belebte Welt als Leben ansähe, und daß sie nur für das menschheitliche Geschehen ein Weltbild nach lediglich menschlich-seelischen Begriffen formte. Allerdings würde es, um diesen Weg einzuschlagen, einer wenn nicht geschichtlichen Schulung, so doch eines geschichtlichen Sinnes, fast möchte man sagen eines geschichtlichen Gefühles bedürfen, eines Empfindens dafür, daß es zum wenig2*

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Urordnungen: Grundverhältnis: Geschichtliche Naturauffassung.

sten unschicklich ist große Reiche des Weltgeschehens mit Augen zu sehen, die durchaus nur auf Menschendinge eingestellt sind und nicht im mindesten auf den neuen Gegenstand, der sich ihnen darstellt, und ganz untunlich Dinge, die durch unabsehbare Zeiträume hindurch da waren und geschahen, mit einem Urteil zu betrachten, das nur ein Heute und ein Gestern umfaßt und von ihm seine Maßstäbe herleitet. Nicht immer ist die Bahn, die der geistige Werdegang der Völker in Wirklichkeit eingeschlagen hat, von der hier angedeuteten Richtung abgewichen. Man erwäge, wie ganz der doch wahrlich reich ausgestattete Götterhimmel der Griechen ihr entsprach. Mit aller Fülle seiner Gestalten blieb er fast ganz in die Schranken einer irdisch-menschlichen Welt gebannt. Es ist bezeichnend, daß Kosmo- und Theogonien großen Maßstabes erst von einem höchst verstandesmäßigdenkhaft gerichteten Dichter in einem nahezu wissenschaftlichen Lehrgedicht ausgebildet wurden und Hesiods Werk ist nicht im mindesten umwittert von dem Ahnen einer aus den Tiefen der Volksseele schöpfenden Glaubenskraft. Die Götter des Olymps und aller heiligen Stätten wandelten auf Erden, im eigenen Land, ja in nächster Nähe. Diesem Glauben war an sich nur der Mensch Mitte, die Erde einziger Schauplatz seiner Vorstellungen. Und kaum übersehbar ist die Reihe der Glaubensformen, die weit über die Erde zerstreut von reifen Urzeit-, frühen AltertumsVölkern geschaffen von gleicher Gesinnung zeugen. Selbst wo wie in hundert Urzeitsagen kosmogonische Klänge sich entflechten, da ist die Weltschöpfung durchaus auf die Erde und ihre Bewohner beschränkt und wenn auch Sonne, Mond und Sterne zuweilen auftreten, so tun sie es nicht eigentlich um ihrer selbst willen, sondern lediglich als schmückender Zierat, als Lichter an der Decke des Erdensaals. Im Ganzen aber widerspricht vornehmlich auf den mittleren und höheren Stufen des menschlichen Glaubens und Denkens die wirklich vollzogene Entwicklung solcher heil-

Selbstbeschränkung griechischer Glaubenslehren.

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samen Selbstbeschränkung. Und das Hinzutreten einer weltlichen Daseinslehre zu den altüberlieferten des Glaubensbezirks hat hier keineswegs in dem Sinn eines Fortschrittes der Selbsteingrenzung gewirkt, eher im Gregenteil. Dem Glauben andrerseits widerfuhr insofern ein ganz äußerer Zwang, als die Ausweitung, die dem Weltbilde wenigstens der neueuropäischen, christlichen Völker durch die um sich greifende Naturwissenschaft widerfuhr von der Kirche zwar anfänglich in hartem Widerstand von ihrem Gottesbild fern gehalten wurde, später aber ihm einverleibt wurde. Dadurch entstand ein eigentümlicher Widerspruch in der Daseinslehre des christlichen Glaubens; er gab sich und dem Herrschaftsgebiet seines Gottes eine ganz außerordentliche Ausdehnung in die von der neuen Forschung erschlossenen Weiten der Welt, hielt aber, wie für die jedem Glauben zu innerst eigentümliche Überlieferungstreue selbstverständlich war, an dem von ganz anderen, viel früheren Lebensaltern der Menschheit geschaffenen Gottesbild fest. Dadurch entstanden Spannungen, die auch sehr frei denkende Gottesgelehrte nicht ganz zu überwinden vermochten. Immerhin hat aus ähnlichem Zwang auch die rein denkende Daseinslehre ähnliche Widersprüche zu vereinigen getrachtet, oft ohne sie zu überwinden. Und wenn im Folgenden von der Weltanschauung der Gegenwart die Rede ist, so nehmen an ihr weltliche und gläubige Daseinslehre fast gleichmäßig teil. Die Widersprüche, die sich hier zwischen den Ergebnissen erfahrender Wissenschaft und den Setzungen bauender Daseinslehre auftun, sind beiden Gattungen von dieser gemein. Und wie es ein objektiver Gegensatz der Lehrmeinungen ist, um den es sich hier handelt, so ist um so willkommener, daß an ihn ein ebenfalls ganz sachlicher Maßstab gelegt werden kann: eben der einer mehr oder minder weit-, d. h. naturgeschichtlichen Auffassung. Am wenigsten der anorganischen Schicht des Weltgeschehens hat der forschende oder zum mindesten der philosophierende Mensch das Adelsrecht ihres so unvergleich-

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Urordnungen: Grundverbältnis: Geschichtliche Naturaaffassung.

lieh viel höheren Alters zugestehen wollen. Gerade ihr gegenüber hätte Begriff und Notwendigkeit einer wirklichen WeltGeschichte anerkannt werden sollen und mit ihr die Verpflichtung für die Daseinslehre sich auch bei Abschätzung des Seins der Welt ihres Gewordenseins zu erinnern und sich der Gesichtswinkel zu bedienen, die allein solche WeltGeschichte darzubieten hat. Noch ist einer Welt-Geschichte solchen Sinnes nicht einmal der Zweck ihrer Sendung und der Umfang ihres Amtsbereiches abgegrenzt worden, da er doch mit Händen zu greifen ist. Unter Welt-Geschichte darf dann freilich nichts anderes verstanden werden, als die Summe der Abwandlungen des Weltgeschehens in der Abfolge aller Zeiten und in allen seinen Schichten und Formen mit Einschluß, aber nicht unter Bevorzugung der Menschheitsgeschichte, die nur eine der Teilschichten des Weltgeschehens angeht, nicht unwichtiger, aber auch nicht wichtiger als die Geschichte der anorganischen und der biischen Schicht. Als ganz entgegengesetzt solcher Weltsicht, solcher weit-geschichtlich sehenden Seinsauffassung stellt sich das Verhalten der Menschheit zum anorganischen Reich insbesondere dann dar, wenn man die Geschichte der Menschheit als ein Glied der Welt-Geschichte sieht. Vielleicht das Großteil einer Milliarde von Jahren in der Geschichte des Fixsterns, in dessen Gefolge unsere Erde eingeordnet ist, war in seinem jetzigen Geschichtskreislauf, d. h. seit seiner letzten Entflammung verflossen, da tat unser Stern Erde, einer der kleinsten Geleitsterne unseres Fixsternes, sein Auge auf, erwachte in der gereiftesten Art seiner lebendigen Bewohner zu bewußtem Sein, schaute auf die Welt und — erklärte durch den Mund dieser Bewohner, sobald sie nach einigen Jahrzehntausenden den notwendigen Grad geistiger Sehfähigkeit erreicht hatten: das Weltall ist ein Dachgewölbe über unserer Erdenstube, in der es seine Mitte und seinen einzig wichtigen Bestandteil hat. Es hat nur Bedeutung, insofern es uns dient.

Welt-Geschichte.

Weltvermenschlichende Sichten.

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Und nun wurde dies Erdengeschlecht, Aug' und Mund unsres sehr kleinen Sterns, etwa fünf Jahrtausende lang nicht müde, alles Entstehen, alles Geschehen der Welt, vornehmlich ihres anorganischen Reiches sich nach sehr irdischen, ach nur allzu irdischen, allzu kleinen Maßstäben zurecht zu legen. Es war, als hätten sich diese Wesen vorgesetzt, das erste Kapitel des neu begonnenen dritten Buchs der WeltGeschichte, Menschheit, mit dem sie sich in die Chronik der Welt-Geschichte einschrieben, als eine Komödie wider Willen aufzuzeichnen. Dies Menschengeschlecht, d. h. die Zwergenbewohnerschaft eines Zwergs unter den Gestirnen, hat, kaum zum Bewußtsein erwacht, sich noch eben nach langem Kindheitstraum die Augen wischend, in die Welt geschaut, da erklärte es schon: du Welt bist nur der Schemel meiner Füße an meinem Thron; ich Herrscher, Bildner, du nur Thon. Und die ganze halbe Jahrmyriade hindurch, die sie seitdem gelebt hat, hat sie diesen Thon nach immer neuen Gedanken in immer neue Formen gepreßt, aber immer nur in dem einen Sinn, daß für dies Bildnerwerk lediglich Menschenmaße, Menschenbegehrungen, Menscheneigenschaften als Urbilder benutzt werden sollten und dürften. Alle Daseinslehren, seien sie nun wie Jahrtausende hindurch die Regel war, aus dem Glauben entsprungen, seien sie — auf höheren Stufen wenigstens bei Griechen und Germanen — im Dienst profanen Denkens entworfen, haben dies mit einander gemein, daß sie das Geschehen der außermenschlichen Welt vermenschlichen: sie anthropomorphisieren, sie vermenschlichen eine Welt, die Jahrmillionen vor der Menschheit bestand. Und wenn die Glaubensformen aller mittleren, ja auch der hohen Stufen nicht mehr nur, wie in der Urzeit, das Erdenrund von Tiergeistern, Heilbringern, keimenden Göttern, nein das Weltall von Göttern, von dem höchsten Gott und zuletzt von dem All-Einen, zu äußerst aus dem Nichts schaffen ließen, so war auch dies in dem hier umschriebenen Sinn eine Annäherung an die Menschen-Mitte, eine Anpassung des Weltbildes an

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Urordnungen: Grundverhältnis: GeBchichtlicheNaturauIfaseang.

anthropomorphisierende, anthropozentrische Vorstellungen. Und wenn die verweltlichte Philosophie höchster Stufen irre zu werden begann an dem Grundverhältnis, wenn sie Sichten entwarf aus der Anschauung heraus, daß dies große Weltgeschehen doch vielleicht auch aus eigener Macht rollen möge, wenn Spinoza, um dem Zwiespalt zu entgehen, den Gott mit der Welt gleich setzte, wenn die Deisten, schwächer, den allmächtigen Gott auf das Altenteil eines Schöpferamtes, auf die Vorstellung des All-Geschaffenhabens zurückdrängten, so war auch dies noch immer Vermenschlichung genug. Und es war einem ganz gott- und glaubensfremden Denker vorbehalten, aus der superbia idearum heraus mit dem äußersten Hochmut alle Ordnung der Welt in den Geist zurückzuziehen. Ich das Gesetz, ich die Ordnung, du Staub, du Schutt, so sprach Kant und aus ihm der Geist unsres Geschlechts zur Welt. Damit war der letzte noch mögliche Grad einer Rebellion der Menschheit wider die Welt erreicht. Nicht mehr wurde, um die Welt dem Menschentum zu unterwerfen, der Umweg über den Gott genommen, sondern der menschliche Geist selbst zog sich in eine Herrenstellung gegenüber der Welt auf sich selbst zurück. Mit dieser Losung verglichen sind alle früheren Daseinslehren von Glaubens- wie von weltlichem Ursprung weltfromm, denn auch die vergottete Welt, an die sie sich hingaben, war noch Welt. Wohl haben die Materialismen neuester Zeit hiervon eine Abkehr eingeleitet; aber so wenig sie eine Weltlehre von Ansehen und eigener Festigkeit aufzubauen vermochten, so wenig gelang es ihnen die Fortdauer der alten Umdeutungen der Welt in Menschenform einzuschränken, ihr Ansehen bei den Geistigen zu schwächen oder selbst das Emporkommen neuer Welt-Vermenschlichungen hintan zu halten. Die neuplatonischen Erkenntnislehren, die in unserer Gegenwart aufschießen, sind ebenso viele anthropozentrische, den Menschen als Mitte der Welt ausrufende Deutungen der Welt. Der tiefste Mangel der rein stoffmäßigen, ganz materi-

Unzulänglichkeit der Stoffdeutungen. Welt-Gesellschaftslehre.

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alistischen Wirklichkeitslehren aber ist, abgesehen noch von ihrem denktechnischen Unvermögen, daß sie vom Wesen und dem Wirken des Geistes so gut wie nichts wußten und schon deshalb zu schwach waren, um die gegnerische Meinung zu überwältigen. Der gegenwärtige Zustand des Denkens der Menschheit über die Welt ist immer noch überheblich genug, vornehmlich in Ansehung dessen, daß ihr Wissen um die Wirklichkeit der Welt so viel ausgedehnter und eindringlicher ist als zuvor. Daß die Materialismen eine biblia pauperum der sozialistischen Menge bilden, daß selbst die Naturforscher zu einem Teil, vielleicht in der Mehrheit, nicht mehr die Welt vermenschlicht sehen, ändert daran nichts Entscheidendes. Die Losung »der Mensch Mitte« ist noch nicht für die Weltlehre überwältigt. Neben die Welt-Geschichtslehre, die dieser Losung Recht und Boden entzieht, muß eine Welt-Soziologie, eine WeltGesellschaftslehre treten, schon um jener die Begriffe, die Formen des gesellschaftlichen Verhaltens von Menschen und Einungen zuzureichen. Für die Welt-Geschichte ist innerhalb der Menschheits-Geschichte der wichtigste ihrer Ausschnitte derjenige, der von dem Verhältnis der Menschheit zur Welt und seinen Wandlungen, sei es in Geist oder Tat, erzählt. Innerhalb der Welt-Gesellschaftslehre aber entspricht ihm derjenige ihrer Teile, der das gleiche Verhältnis angeht, das aber nunmehr nur begrifflich als ein Seiendes, nicht mehr geschichtlich als ein Werdendes ausgewertet wird. Daseinslehre, Erkenntnislehre im Geist, aber auch das große Ganze des gesellschaftlichen Zustandes sind erfüllt von Beziehungen zwischen Menschheit und Welt. Von Kants Apriorismus, dem allgemeinsten wie dem in den Grundforderungen seiner transzendentalen Ästhetik, in seiner Raum- und Zeitlehre, läßt sich dies, wie schon angedeutet, mühelos nachweisen1; Nietzsches ganz erdfrohe, mit tausend Wirklichkeiten ge1 ) Vgl. die Schrift: Der Aufbau der Persönlichkeit von aufgezeigt an seinem Werke (1931) 59 ff.

Kant

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Urordnungen: Grund Verhältnis: QeschichtlicheNaturauifasBung.

sättigte Nicht-Metaphysik bedeutet dazu, wenngleich mehr in der Richtung als in der Ausführung, einen Gegenpol. Die Geschichte des Rückgrats aller staatlich-gesellschaftlichen, aber auch aller geistigen Ordnungen bietet weiter eine Fülle von Bausteinen zur Formenlehre dieses Grundverhältnisses der Menschheit zur Welt dar. Hier aber sei nur eine elementarste Beziehung zwischen Welt und Menschheit, sowie auch zwischen den einzelnen Reichen der außermenschlichen Welt aufgedeckt. Ganz ungleich ist die Macht verteilt zwischen jenen drei Schichten des Weltgeschehens — und zwar am meisten zu Ungunsten der Menschheit. Das mächtigste der drei Reiche ist sonder Zweifel das anorganische. Alles Gedeihen der Menschheit wird in Frage gestellt, wenn die Temperatur unseres Sterns sich in Jahresabständen um zehn Grade senkte, ihr Dasein, wenn die Abkühlung fünfzig Grade erreichte. Ein SterngeBchehen, das die Oberfläche der Erde eingreifend und dauernd umwandelte, etwa im Sinne der Marszustände, würde auch Sinn und Richtung der Geschichte unseres Geschlechts grundstürzend verändern. Die Macht, die das Geschehen dieser untersten Schicht auf die biischen und damit auch auf die seelisch-menschlichen Verhältnisse ausübt, ist elementar und stark bis zur brüsken und brutalen Überlegenheit. Andererseits sind die Möglichkeiten einer Bewirkung des anorganischen Reiches durch den Menschen bis zur Lächerlichkeit gering. Die Veränderungen, die er an der Oberfläche der Erde bisher hat vornehmen können, sind gemessen selbst nur an der Ganzheit des Erdballs kaum mehr als ein Nichts. Am beträchtlichsten mögen noch die unbewußten Bewirkungen sein, die unser Geschlecht ausübt: so etwa die Verringerung des Stickstoff-Bestandes in der atmosphärischen Luft um jährlich ein Tausendstel seiner Gesamtsumme. Nicht einmal das biische Reich unterhegt in irgend einem beträchtlichen Maß der Beeinflussung durch den Menschen: die Züchtungen, die er mit Pflanzen-, mit Tierrassen vorgenommen hat, reichen in einem kosmischen

Macht Verhältnis zwischen Welt und Menschheit.

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Sinn nicht weit. Wohl aber ist umgekehrt das seelischmenschheitliche Geschehen in schicksalgebender Tiefe eingewurzelt in das biische Reich. Man kann fast alle Formen sittlicher Regelung unseres Lebens als eine Summe von Versuchen ansehen, die Seele dieser Umfangenheit durch die offenen und verborgenen Zwänge des Leibes zu entziehen — einige Losungen letzter Zeit schlagen den umgekehrten Weg ein. Die allermeiste biologische Deutung des gesellschaftlichen Handelns und Verhaltens der Menschen ergibt ein überwältigendes Übergewicht von aus dem Leibe erfließenden Ähnlichkeiten dieses Geschehens mit dem des Pflanzen- und Tierreiches. Am härtesten, am sichtbarsten ist die Übermacht des anorganischen Reichs über unser Geschlecht, und dennoch dieses Höchstmaß von Erhebung—reine Weltlehre wird urteilen von Überhebung — des Geistes über alle Weite, alle Tiefe dieses Reiches, die heut weltfrommes Fühlen ehrfürchtig ermißt! Alle religiösen, alle metaphysischen Geistigen werden eigens stark erklären: dies ist der Stolz des Geistes, daß er so herrisch gegen die erfahrbare Wirklichkeit sich auflehnt und die Denkbilder seines Wollens, mochte er sie auch hoch über sich erheben, doch noch trotziger, noch eigenwilliger gegen den geoffenbarten Willen der Welt setzt und aufrecht erhält. Monokosmische Gesinnung, Urseinsgesinnung wird dagegen einwenden, daß sie alle die Kraft des Menschen, die sich in diese Gebilde warf, in ihrem vollen Umfang anerkennen möchte und dennoch von ihr immerdar wird behaupten wollen und können, daß sie sich in unrechte Bahnen verströmte. Vollends müßig würde jedenfalls sein, über das vergangene Tun der Menschheit zu eifern, zu hadern. Wichtig ist hier nur die Entscheidung über die Wege der Zukunft, wichtig auch die Befehdung weit abweichender Denkweisen, um gegen sie die Sichten von Urseinslehre und Welt-Geschichte zu verfechten, denen hier gedient werden soll. Eifernde Forschimg, die von entgegengesetzter Richtung her den Kampfplatz betritt, kann nicht genug zürnen über

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Urordnungen: Grundverhältnis: Geschichtliche Naturauffassimg.

jeden Versuch, im Weltbild gemeinsame Linien durch die wissenschaftlichen Spiegelungen von Welt und Menschentum zu ziehen. Sie erklärt scheltend, dies heiße wider den Geist der Wissenschaft selbst sündigen: wohl könne sie den Menschen und sein Tun verstehen — weil hier Beobachter und Gegenstand der Beschreibung ein und dasselbe seien; die Welt aber könne sie, weil bei ihr diese Voraussetzung nicht zutreffe, nur begreifen — wodurch dann alle Naturerkenntnis von vornherein zu einer Wissenschaft zweiten Ranges herabgesetzt wird. Es erscheint fraglich, ob diese oft ausgerufene, selten bewiesene Losung wirklich viel Früchte tragen kann: da es ja der Wissenschaft nur auf erlangbare Wahrheit ankommen kann, so wird sie jedenfalls diese Behauptung, die man so oft mit totenrichterlicher Schärfe aufstellt, hinnehmen können, ohne daß ihre monokosmische Weltanschauung Schaden, ihr werktätiges Verhalten irgend welche Änderung erleidet1. Indem sie alle Streitfragen der Erkenntnislehre, die aus diesem angeblich unüberwindlichen Gegensatz hervorwachsen, vorläufig bei Seite schiebt, kann sie erklären: nun wohl, ihr, die ihr der Losung Mensch Mitte folgt, geht eure Pfade der vermenschlichenden, der anthropomorphisch im Ausgang, anthropomorphisierend im Wollen gerichteten Weltsicht, aber laßt uns weltisch, weltfroh und weltfromm Gesonnene unseren Weg von dem entgegengesetzten Pol her einschlagen. Soll mit dem hier ausgesprochenen Verdikt Ernst gemacht werden, daß die materialistischen Monismen so oft fehl gehen, weil sie am falschen Ort anthropomorphisieren, dem Urkörper des anorganischen, des biischen Reiches unbedacht und unbegründet menschliche Eigenschaften einverleiben, so muß die umgekehrte Richtweisung aufgestellt und befolgt werden und fürs Erste •— wenngleich gewiß 1 ) Eine eingehende Besprechung und Widerlegung der Lehre vom Unterschied der verstehenden und begreifenden Wissenschaft bleibt dem methodologischen Schlußteil der Bändereihe dieser Geschichtslehre vorbehalten.

Monokosmische Weltanschauung.

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nicht über die Mitte des Wegs hinaus — eine kosmozentrische, kosmomorphisierende Deutung des Menschheitsgeschehens und von da aus seine Angleichung an das Weltgeschehen versucht werden. Bis sich zuletzt so viel Nähe und so viel Ähnlichkeit im Kern ergiebt, daß die eine und gleiche Urseinslehre, die eine und gleiche Endophysik die Bahnen beider Geschehensformen in eine einzige, die monokosmische Sicht einordnen kann. Denn aus dem vollkommenen Gleichgewicht eines ganz unbefangenen Sehens muß es möglich sein, stoffliches und biisches und beseelt-bewußtes Geschehen zu einer Ureinheit zu vereinigen und doch die Grade der Besonderheit ihres Wesens nicht zu verwischen, sie vielmehr eigens scharf hervortreten zu lassen. Die erste Regel, die auf der so gewiesenen Bahn vorwärts führt, kann nur die sein: in das Bild des Geschehens im anorganischen Reich — von ihm soll fürs erste allein die Rede sein — darf zwar nicht das geringste Maß von Menschenähnlichkeit getragen werden, aber es muß in ihm jedes Geschehen ausgesondert werden, zu dem sich eine Form menschlichen Verhaltens als Seitenstück auffinden läßt. Die zweite aber würde lauten: wir haben das Recht menschliches Tun so zu sehen, als sei es nicht von der besonderen seelischbewußten Weise unseres Geschlechts eingegeben, sondern als unterstünde es lediglich dem Gesetz des Reiches der unbelebten Körper — nicht in dem Sinne, als sei dieses Gesetz ein andres, als das den Menschen regiere, sondern als sei es dessen Ur- und Kernbestandteil, werde nur von seiner weiteren Einheit überdeckt. Fünftes Stück. Die E i n h e i t v[on Welt und Seele. Das Grundverhältnis zwischen Welt und Seele sei zuerst in der läßlicheren Form von Bild und Gleichnis umrissen. Die Lehrer aller Zweiheitslehren, der gläubigen wie der profanen, kennen keinen festeren Glauben als diesen: die

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Urordnungen: Grandverhältnis: Einheit von Welt und Seele.

Welt ist nicht Geist, weil sie keine Vernunft hat. Ich aber sage: die Welt ist Geist, denn sie ist Ordnung, ist Gesetz; dem Geist aber ist in die Welt hinein keine größere Gewalt gegeben, als ihre Ordnung, ihr Gesetz zu erkennen; er ist im Stande Ordnung und Gesetz zu schaffen, aber nur in seinem Herrschaftsbezirk, der gegen die Welt verglichen zwerghaft klein ist, und die Ordnung, das Gesetz, die er dort schafft, sind verglichen gegen die Ordnung, gegen das Gesetz der Welt unsäglich schwach und überrasch vergänglich. Wie überhob doch den Menschen sein Dünkel, daß er, der Spätling von gestern, er, der Schwache auch noch von morgen sich gegen die unendliche, gegen die ewige Welt stellte und sagte: weit bin ich erhaben über dich, denn ich bin das Licht und du das Dunkel, ich bin Herr, du ein Werkzeug; ich bin der Geist und du der Stoff; ich bin fast ein Gott und du der Staub zu meinen Füßen. Und als ihn zuletzt der Wahn seiner Größe vollends mit Rausch erfüllte, sprach er: ich bin nicht nur der Geist, ich bin auch die Ordnung, das Gesetz, ohne mich bist du ein Haufen von Schutt und Geröll. Die Meister haben gesagt und sagen: die Welt ist nicht Geist, denn sie hat kein Gedächtnis. Ich aber sage, die Welt ist Geist, denn sie hat Erinnerung. Wie wenig ist Bewußtheit: denn sie ist nur ein Spiegel, vorgehalten dem eigenen Geschehen; aber wie groß ist Erinnerung, auch wenn sie ohne Bewußtheit nur in der Tat sich äußert, wenn sie Erinnerung des Geschehens, Gedächtnis der Wiederkehr ist. Die Meister haben gesagt und sagen es noch: die Welt ist nicht Geist, denn sie hat keine Einbildungskraft. Ich aber sage: die Welt ist Ge st, denn sie hat Schaffenskraft. Sie schafft ohne Unterlaß; sie schafft nichts Neues außer sich, aber sie schafft rastlos Neues aus sich, in sich, an sich. Sie schafft sich beständig um, sie der Schöpfer, sie das Geschöpf. Was ist mehr: eine Welt schaffen, die in dem kleinsten ihrer Gestirne tausend Zusammengesetztheiten des

Die Welt als Vernunft, als Phantasie, als Wille, als Gefühl.

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Seins, tausend Verflochtenheiten des Geschehens birgt, oder ganze Weltsichten eröffnen, ganze Daseinslehren erbauen, die in ihrem Insgesamt von kindlicher Einfachheit, von überheller Durchschaubarkeit sind, verglichen mit den Geheimnissen des Seins, den Verschleierungen des Geschehens noch im kleinsten Zwerggestirn. Auch Einbildungskraft ist nur ein Spiegel, gehalten vor die Möglichkeiten des zukünftigen Geschehens; Schaffenskraft aber macht ohne Besinnen, ohne Planen, ohne Schwanken aus der Zukunft Gegenwart, aus der Möglichkeit Geschehen. Ist nicht selbst unser, der Menschen, der zaghaft Wägenden, der sorgenvoll Wählenden stärkstes Tun nur das, das ohne Wägen, ohne Wahl und am gewissesten ohne Wort aus uns hervorbricht? Die Meister haben gesagt und sagen es noch: die Welt ist nicht Seele, denn sie hat nicht Willen. Ich aber sage, die Welt ist Seele, denn ihr Wirken ist ihr Wille. Ist Wille, menschlich und allzu menschlich gesprochen, nur der Wille, der ins Bewußtsein tritt, der bewußt gewollt wird, bewußt will, so ist Wille nur Eigentum und Eigenschaft des Menschen. Ist aber Wille, höher gesprochen, der Wille der will, der Wille, der sich durch die Stärke und die Stetigkeit seines Tuns bezeugt, der sich durch die Richtungseinheit und durch die Dauer seines Geschehens bewährt, dann will die Welt zu jeder Stunde. Denn was ist stärker als der mit Lichtes Geschwindigkeit durch den Weltraum zuckende Strahl, was ist steter als das Kreisen der Elektronen und der Planeten um ihre Kerne und ihre Sonnen, was ist folgerichtiger als die gerade Linie, in der die Welt- wie die Urkörper sich bewegen, und was ist ewiger als die Gesetze ihrer Bewegung ? Die Meister haben gesagt und sie sagen es noch: die Welt ist nicht Seele, denn sie hat nicht Gefühl. Ich aber sage: die Welt ist Seele, denn sie handelt, wie Fühlen handelt. Auch Fühlen ist in uns Menschen ein Doppeltes: einmal das Gefühl zu fühlen, zum zweiten aber Gefühltes zu tun. Die Welt hat nicht Gefühl, das sein Fühlen fühlt, aber die

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Urordnungen: Grand Verhältnis: Einheit von Welt and Seele.

Welt handelt beständig Gefühltes. Liebe ist in ihrem innersten Kern nichts anderes als das Beieinanderbleiben-Müssen zweier Menschen, Freundschaft, Treue sind ingleichen Vereint-sein-Müssen. Kein Menschen-, kein Tierschicksal weist ein so unverbrüchliches Verharren bei einander auf wie die Verbundenheit des Elektron mit seinem Kern, kein menschlicher Bund ist so unzerreißbar wie der zwischen Wandelund Sonnenstern. Jenes andere Gefühl, das die Menschen allein besitzen, ist es nicht nur wieder wie der bewußte Wille Spiegelung ? Und was ist wichtiger: das Geschehen selbst oder die Spiegelung? Und wenn Spiegelung wirklich Verstärkung bedeutet, ist dann nicht das Handeln, das keiner Spiegelung und also keiner Verstärkung bedarf, das kräftigere, das echtere ? Die Meister haben gesagt und sie sagen es noch: die Welt ist nicht Geist und nicht Seele, denn sie weiß nicht Gott, noch fühlt sie Gott. Ich aber sage, die Welt ist Gott und um so viel Gott-Sein mehr ist als Gott wissen, um so viel höher ist Welt als Glauben. Und ich sage mehr: das Denkbild Welt ist mehr als das Denkbild Gott, denn sie ist Gewalt und Gott ist Gestalt, Gewalt aber ist mehr als Gestalt, denn Gestalt ist nur Menschentum, gehöhtes Menschentum, vervielfachtes Menschentum. Die Gewalt der Welt aber ist um so viel stärker denn Menschentum, und sei es vergottetes Menschentum, als die Sonne heller ist als ein Menschenlicht, und sei es die Fackel des Prometheus. Die Meister haben gesagt und sie sagen es noch: die Welt ist nicht Geist und nicht Seele, denn sie hat nicht den Willen zum Guten, sie ermangelt der Tugend. Ich aber sage, die Welt ist Geist und ist Seele, denn sie ist der Wille zum Besseren, sie ist das Ethos selbst. Kein Sittenlehrer hat je seine Tafeln über das Tun der Menschen gehängt, der wahrer gesprochen, höher gefordert hätte als das Gesetz, das die Welt uns mit lauter Stimme predigt, falls unsere Ohren nur ihr offen sind und wir ihr Wort recht auslegen.

Die Welt als Gewalt, die Welt als Tugend.

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Der Wille der Welt an uns ist uns geoffenbart. Denn ihr Geschehen ist ihr Wille an ihr selbst und wenn wir uns fromm und gläubig in sie senken, so ist uns nur not, dem Willen, den sie an ihrem Geschehen hat, auch unser Tun zu unterwerfen. Es giebt nur ein Gut der Menschen, das ist Schaffen, die Welt aber ist das stete Schaffen, das ewige Schaffen. Es giebt nur eine Tugend, das ist die Kraft, die zu schaffen, zu wirken weiß, die immer baut, niemals zerstört. Die Welt aber ist selbst diese Kraft, weil sie zuletzt auch baut, wo sie zerstört. Die Welt ist der Wille zum Guten, zum Besseren, denn sie steigt immer, sie wird immer reicher. Sie ist die Tugend, das Ethos, denn sie wird. Also ist Welt Vernunft, also ist Welt die Schaffenskraft, die mehr ist als Einbildungskraft, also ist die Welt Wille, also handelt die Welt Gefühl, also ist die Welt Tugend, denn sie ist Werden, also ist die Welt Geist und mehr als Geist, also ist die Welt Seele und mehr als Seele, also ist die Welt Gewalt und mehr als Gestalt, auch als die GottGestalt. Dies Alles sei als Bild und Gleichnis, nicht als Wissenschaft gesprochen.

Zweiter

Abschnitt.

Die Vernunft im Weltgeschehen. Erstes Stück. V e r n u n f t und W e l t . Unsere Sprache ist arm und die Zahl der Begriffe, die sich ohne besondere Deutungen mitteilen lassen, ist gering. So ist nötig, die sehr gedrängten Sätze, die hier die Einheit von Welt und Seele behaupten sollten, so zu erläutern, daß ihre Worte nicht mehr zu umfassen scheinen, als sie umfassen sollen. Nennen wir Seele die Summe aller überkörperlichen Breysig, N&targeschichte and Menschheitsgeschichte.

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Urordnungen: Vernunft: Vernunft und Welt.

Kräfte, Geist die Summe von Verstandes- und Einbildungskraft in einem Menschen, so leuchtet ein, daß wir der Welt nur in einem übertragenen Sinn Seele, Geist zusprechen können. Das gleiche gilt von den einzelnen Seelenkräften: ist die Vernunft diejenige überkörperliche Kraft in uns, die die von der Wirklichkeit empfangenen Eindrucks- und Erinnerungsbilder in Gedanken umzuformen und diese Gedanken zu ordnen und weiterzubilden vermag, ist die Einbildungskraft diejenige überkörperliche Kraft in uns, die die von der Wirklichkeit empfangenen Eindrucks- und Erinnerungsbilder willkürlich von neuem hervorzurufen und frei umzuformen vermag; ist der Wille diejenige überkörperliche Kraft in uns, die unserem Tun, Denken, Einbilden, Fühlen bestimmte Wege anzuweisen und das Fortschreiten auf ihnen festzuhalten, zu unterbrechen oder zu beenden vermag; ist das Gefühl diejenige überkör perliehe Kraft in uns, die über körperliche oder überkörperliche Erfahrungen überkörperliche Freude oder überkörperlichen Schmerz oder alle die zwischen diesen beiden Polen hegenden Lust- oder Unlustgrade empfindet, so können auch alle diese Kräfte nicht der Welt zugeschrieben werden. Ist Bewußtheit diejenige Kraft der menschlichen Vernunft, welche sie in Stand setzt unser Denken, unser Einbilden, unser Wollen, unser Fühlen im Spiegel unseres Denkens als in uns vorgehend gewahr zu werden; ist die Erinnerung die Fähigkeit unserer Seele, empfangene Eindrucksbilder nur als solche oder in ihrer Umformung in Gedanken oder Gebilde, ebenso getane Handlungen oder vergangene Wollensregungen, erlebte Gefühle im Spiegelbild unseres Denkens, unserer Einbildung, unseres Wollens, unseres Gefühls aufzubewahren und willkürlich in uns heraufrufen zu können, so kann der Welt, wie unter allen Umständen keine Bewußtheit, so auch keine Erinnerung beigemessen werden. Wenn hier nun der Welt doch Geist und Seele oder einige Teilkräfte von ihnen zugeschrieben werden, so geschieht es mit der denkmäßigen Unterstellung, daß auch der Welt

Begriffsumgrenzungen; Übertragung; Anaxagoras.

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diese Fähigkeiten und Kräfte in übertragenem Sinn dann beigemessen werden dürfen, wenn sehr genau angegeben wird, unter welchen Einschränkungen dies geschieht. Für alle einzelnen Anwendungen dieses übertragenen Sinnes gilt ferner die allgemeine tatsächliche Voraussetzung, daß von einem Geschehen, für das kein menschlicher oder menschenähnlicher Geist- oder Seelenträger als Urheber nachzuweisen ist, dann ausgesagt werden darf, es offenbare Geist oder Seele, wenn die in ihm sich auswirkenden Eigenschaften, seine Folgerichtigkeit, seine Einheitlichkeit, sein Formenreichtum die gleiche oder eine größere Wertigkeit aufweisen wie Menschenwerk — so, wenn es auf Vernunft und Einbildungskraft ankommt — oder die gleichen oder größere tatsächliche Erfolge — so, wenn es auf Gefühl und Willenskraft ankommt. Gegen Ausgang des Stufenalters der Neueren Zeit der Griechen hat Anaxagoras, so wenigstens wie ihn Hegel auffaßt, die Welt überhaupt als von einem in ihr einverleibten Geist regiert angesehen. Und wenn er nicht so kosmotheistischer Ansicht war, sondern, wie Andere meinen 1 , als erster Monotheist vielmehr diesen Weltgeist von der Welt trennte, so hat er doch streckenweise eine solche Auffassung vertreten und Demokritos hat sie sicher zu Ende gedacht. Ganz in dem Sinne aber, wie Hegel ihn dem Anaxagoras zuschreibt, wenn er als seine Meinung hinstellt, daß die Gesetze, nach denen das Sonnensystem 6ich drehe, seine Vernunft seien, läßt sich in der Tat von einer Vernunft der Sternenwelt wie des ganzen anorganischen Reiches sprechen. Aber die Eigenschaften, die wir den Werken menschlichen Verstandes nachrühmen, offenbart diese Geschehensform der Dilthey (Einleitung in die Geisteswissenschaften I [1883] 201 ff.) will ihn zum Begründer des griechischen Monotheismus machen, widerspricht sich hier aber selber (vgl. S. 208); (Vgl. Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie I ['1894] 87ff., auf Grund seiner Abhandlung über den vovs des Anaxagoras) ähnlich gegen Hegel (Philos. der Geschichte [ 8 1848] 167). 3*

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Urordnungen: Vernunft: Vernunft und Welt.

Welt in einem Maße, hinter dem die gepriesensten Werke menschlicher Weltweisheit weit zurückbleiben. Wenn nach Niels Bohrs Atommodell das Bleiatom 82 negative Elektronen z ä h l t d i e seine Kernsonne, auf fünf Bahnenschichten verteilt, als Planeten umkreisen, und wenn man vernimmt, daß nach der weiteren Fortbildung dieser Lehre der Kern des Bleiatoms aus 207 Wasserstoffprotonen und 125 negativen Elektronen besteht, die wieder der größeren Hälfte dieser positiven Kernbestandteile, nämlich 125, die Wage halten 2 , so bedenke man, wie außerordentlich zahlreich und verwickelt die Beziehungen der Anziehung, Abstoßung, der Bahn- und der Geschwindigkeitsbewirkung und so fort sind, die in einem Bleiatom Gültigkeit haben. Heutiger Erkenntnis noch nicht erschlossen, mögen sie morgen oder übermorgen •wirklich voll aufgeklärt werden. Allerdings wird man sagen dürfen, daß wohl ein menschlich-gesellschaftlicher Körper von der gleichen Gliederzahl eine noch mannigfaltigere Formenfülle der gegenseitigen Bewirkung aufweist; aber ebenso gewiß ist, daß selbst Daseinslehren mittlerer und höherer Stufen, die also die ganze Welt in ihrem Bilde umfassen, noch kaum dies Maß von Zusammengesetztheit des Seins und von Verflochtenheit des Wirkens erreichen, das dem Bleiatom nicht abzusprechen ist. 1 ) Das Allgemeine bei Niels Bohr (Drei Aufsätze über Spektren und Atombau [ 2 1924] 67ff., 125f.) a ) Lise Meitner, Atomvorgänge und ihre Sichtbarmachung (1926) 25. — Ich möchte hier ein für alle Mal erklären, daß die Auswahl der zum Beleg der Darstellung in den Anmerkungen angerufenen Stellen aus dem wissenschaftlichen Schrifttum nicht nach den Grundsätzen der physikalischen Forschung erfolgt ist, sondern nach den Bedürfnissen der lediglich empfangenden Verwertung der Ergebnisse dieser Forschung, auf die es hier allein ankommt. D. h. es sollen nicht die Autoren und Stellen genannt werden, die eine Erkenntnis selbst erarbeitet haben, wie für jeden Physiker selbstverständlich wäre, sondern unter Umständen auch Schriften zweiter Hand, sofern sie noch für die wissenschaftliche Sicherheit ihrer Angaben volle Gewähr leisten.

Zusammengesetztheiten.

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Man erwäge, auf wie einfache letzte Formeln sich selbst eine so tiefe und noch dazu vielfach in ihren Urbestandteilen unbestimmt ineinander verschwimmende Weltlehre wie die Meister Eckeharts zurückführen läßt — sie mag noch hinter dem Beziehungsnetz eines Bleiatoms zurückbleiben. So wird auch ein Betrachter urteilen, der sich — wie der hier schreibt — zu den Verehrern von Meister Eckeharts Lehrgehalten und von der in ihm wirkenden geistigen Kraft zählt. Man mustere die aus mehreren Hunderten von Atomen zusammengesetzte Formel eines Eiweiß-Moleküls, die die des Bleiatoms um Vieles hinter sich zurückläßt; sie wird auch das Insgesamt von Leibniz' Monadenlehre und die Summe der von ihr hergestellten Beziehungen noch um ein mehrfaches übertreffen. Die völlige Auflösung des Leibes einer ganz kleinen Tiergattung, etwa eines Sperlings oder einer Maus in alle seine organischen und anorganischen Urbestandteile und ihre anorganischen und biischen Beziehungen würde aber vermutlich selbst jedes Kapitel einer heutigen Daseinslehre und ihre verhundertfachten Zusammengesetztheiten und Verflochtenheiten noch beträchtlich übertreffen. Auf viele Forscher der Geisteswissenschaften wirken, das weiß ich wohl, Behauptungen dieser Art wie eine Herausforderung. In Wahrheit ganz zu Unrecht: denn gar nicht sind sie hier aufgestellt, um die Wertigkeit des Geistes herabzusetzen; wohl aber sind die, die hierüber zürnen, ganz unzureichend unterrichtet über den Formenreichtum des Naturseins und des Naturgeschehens. Ein wissenschaftlicher Streit, der aus diesem Anlaß entbrennen würde, hat den Vorzug — den er mit sehr vielen anderen durchaus nicht teilt —: er läßt sich entscheiden. Denn allerdings ist ein Eiweißmolekül mit einem Kapitel aus dem Lehrgebäude der Daseinswissenschaft nicht zu vergleichen, wenn man die Tragweite und die Bedeutung der von beiden, der einen tatsächlich verwirklichten, der andern im geistigen Bild wiedergegebenen Geschehensformen an einander mißt. Wohl aber sind sie zu vergleichen, wenn sie nur in Hinsicht auf die

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Urordnungen: Vernunft: Vernunft und Welt.

Zusammengesetztheit ihrer Seinsbestandteile und die Verflochtenheit, die gegenseitige Bezogenheit ihrer Wirkungsformen, wenn man will auf die Soziologie ihres inneren Aufbaus geprüft werden sollen. In beiden Beziehungen sind sie in der Tat an einem Maßstabe abzutragen. Wohl sind auch da Unstimmigkeiten — Discrepanzen — zu überwinden: auf Seiten des Meister Eckehart sicherlich die in den Umrissen verschwimmende — adumbrative — Art seiner Begriffsabgrenzungen — d. h. der tatsächlich innegehaltenen, nicht der von ihm aufgestellten. Aber auch auf der anderen Seite dadurch, daß nicht zwar die Natur, die immer klar und abgegrenzt ist, wohl aber die Ungewißheit unseres Erkennens, das noch erst im Vordringen, bei weitem noch nicht am Ziel angelangt ist, Unklarheiten in Hülle und Fülle schafft. Das Wichtigste aber ist, daß es auf das Endergebnis solcher Vergleiche im Grunde auch nicht ankommt, sondern nur darauf, daß soviel Wesenseinheit auf beiden Seiten da ist, daß sie verglichen werden können. Und gerade darin kommt aller monokosmischen Sicht, aller Welteinheitslehre Hilfe von einer Seite, von der man es gewiß nicht erwartet. Einer der Lieblingsgegenstände der Gottesverehrung, zugleich aber auch einer der zu öftest verwandten Beweisgründe für das Dasein Gottes ist die unendliche Weisheit der Welteinrichtung und die immer wiederkehrende Behauptung, daß kein Menschenwerk an sie heranreiche. Ja alle die höheren Glaubensformen, in Sonderheit das Christentum werden nicht müde, für den stärksten Beweggrund zur Lobpreisung Gottes eben diese vollkommen weise Erschaffung und Lenkung der Welt zu erklären. Jede vom Innern des Weltgeschehens aufsteigende Urseinslehre, jede Endophysik wird mit, beiden Behauptungen durchaus einverstanden sein mögen, wird aber, wie sie nicht anders kann, sich an die Gegenständlichkeit, das Objektive des ersten Satzes halten und die Unerreichbarkeit der Weisheit des Weltgefüges durch den Menschen gern als bewiesen annehmen. Und um eine der großen

Lob der Weltvernunft in Glaubens- und Daseinslehren.

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nicht vom Glauben beherrschten Zweiheitslehren, die Hegels anzurufen — die Ein- und Dasselbigkeit seiner GeistWelt-Lehre ergiebt sich ja als die schnell zu lösende Maske einer nur scheinbar als Einheitslehre wirkenden Zweiheitsanschauung — Hegel, indem er, an der angerufenen Stelle, von Anaxagoras spricht, nimmt ohne jedes Bedenken seinen Satz an, daß Vernunft in der Natur ist, daß sie von allgemeinen Gesetzen unabänderlich regiert wird. Er bemerkt nur, daß dies selbstverständlich sei, ja trivial. Und allerdings, auch die tiefste Setzung seiner großen Daseinslehre, Geist wird Welt, Welt ist Geist, sagt im Grund nur auf einer noch allgemeineren Ebene dasselbe. Die Folgerung für die Beschaffenheit der Welt ist die gleiche, wie die aus den Lobpreisungen der Gotteslehre hervorgehende. An das wesentlichste rein erkenntnismäßige Bedenken, das gegen alle diese Lobpreisungen der Welt und der Weisheit ihrer Einrichtungen, gleich viel, ob sie aus profanen oder glaubensmäßigen Quellen stammen, zu erheben ist, sei hier nur vorläufig und im Vorbeigehen erinnert, weil von ihm in aller Ausführlichkeit noch an mehr als einer Stelle zu handeln sein wird. Nur die kindlichste Naivetät kann die Welt rühmen, weil sie weise, d. h. der menschlichen Vernunft entsprechend eingerichtet sei, denn alle unsere Vernunft ist ja nur von dem Sein und Geschehen der Welt abgeleitet. Der Denkfehler, der hier begangen wird, und sei es auch durch den Mund Kants, kann durch keine Begründung verhüllt werden. Und welche Bedenken können gegen die Angleichung der Weltvernunft an die Vernunft des Menschen gemacht werden ? Doch nur dies, daß das Hervorgehen neuer Seinsund neuer Geschehensformen im Geschehen der Welt, etwa des anorganischen Reichs, sich nicht bewußt und nicht auf Grund denkenden Überlegens und Vergleichens vollzieht. Wie wenig Bewußtheit als Nur-Spiegelung bedeutet, war leicht zu erweisen. Will man aber der Weltvernunft dies als Nachteil gegenüber der menschlichen Vernunft anrechnen,

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Urordnungen: Vernunft: Vernunft und Welt.

daß ihr Prüfung und Wahl abgehe, so findet in dem Maße, in dem die eine mit der anderen Vernunft überhaupt verglichen werden kann, auch hier die nächste nur denkbare Annäherung statt: das Prüfen und Wählen findet im anorganischen Reich durch das Experiment, den Versuch der Ausführung statt: Vorstöße, neue Formen des Geschehens machen sich geltend, schwinden aber, falls erfolglos, auch wieder dahin. Jeder aus einem Atom entsandte Strahl, der nach einem kurzen — oder gleichviel auch langen — Wege erlischt, ist ein dergestalt fallen gelassener Versuch; wenn eine gewisse Menge Thorium dazu gebracht wird, a- Strahlen zu entlassen, so werden bei weitem die meisten von ihnen mit einer Länge von 4,8 und von 8,6 Centimetern erlöschen1. Das ist an sich ein Weg von beträchtlicher Länge in Ansehung dessen, daß das Atom selbst nur eine Ausdehnung von dem Zehnmillionstel eines Millimeters besitzt2. Mißt man ihn an der Entfernung, in die die Sonne ihre Protuberanzen schleudert — ein Vorgang, der sich in der Ebene der Weltkörper am ehesten mit jener Hinausschleuderung von Stoff aus einem Urkörper wird vergleichen lassen — so ist sie ungeheuer groß, nämlich das 480 Millionenfache des Durchmessers des entsendenden Körpers, während auch eine sehr hohe Sonnenprotuberanz, etwa die vom 25. März 1895, eine Höhe von 452000 Kilometern erreichte, d. h. nur wenig mehr als ein Drittel des Sonnendurchmessers3, und dies obwohl der entsandte a- Strahl, d. h. ein Helium-Atom, einen recht beträchtlichen Bruchteil des Thorium-Atoms ausmacht, das ihn entsendet: vier Wasserstoff-Atome4 gegenüber einem Hauptkörper, der gemäß seinem Atomgewicht schon 232 Wasserstoff-Atome zählt6, also noch mehr alsein Sechzigstel seiner Gesamtmasse, während jene Protuberanzen von der so Meitner, Atomvorgänge 17. Grätz, Atomtheorie in ihrer neuesten Entwicklung ( 5 1925) 9. 3 ) Newcomb-Engelmann, Populäre Astronomie ( 6 1921) 301, 271. 4 ) Meitner, Atomvorgänge 13. 6 ) Graetz, Atomtheorie 5 5. 2)

Versuchet prüfende Vorstöße der Natur.

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ungeheuren Masse der Sonne nur einen verschwindend kleinen Bruchteil ausmachen können. Der Vorgang, dessen Bedeutsamkeit für den Urkörper, an dem er sich vollzieht, hier umrissen wurde, ist jedoch nur die Durchschnittsform. Über diese fort erheben sich aber Einzelfälle: der gleiche Vorgang läßt zuweilen, aber sehr selten, die a-Strahlen eine Entfernung von 11,3 Centimetern und noch seltener eine von 9,5 Centimetern erreichen. Das eine Mal in zwei Fällen auf 10000, das andere Mal in einem Fall auf 15000. Wenn man will, stellen also diese wenigsten Ausnahme-Fälle das mögliche Endziel des Geschehens, die 25000 übrigen aber alle nicht ganz geglückte Versuche dieses Geschehens dar. Sind die Asteroiden, die über 1000 kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter wirklich die Reste eines in Trümmer gegangenen großen Planeten, wie man doch immer noch als möglich ansieht1, so muß dieser eine Planet als ein zuletzt mißglückter Versuch des Sonnensystems angesehen werden, unter den großen Planeten an fünfter Stelle einen den anderen gleichgearteten aufrecht zu erhalten. Ganz voll von Bildungen, die sich wie verfehlte und schließlich wieder aufgegebene Versuche ausnehmen, ist die Geschichte des Artenstammbaumes. Oft trägt das Geschehen selbst das Gepräge eines tastenden Keim- und Vorgeschehens — man denke etwa an das leise Emporkommen und Wiederverschwinden der Bogenannten Krankheiten, die doch in Wahrheit auch vollgültiges physiologisches, zuweilen auch biologisches Geschehen sind, in dem in häufigem Vordringen und Zurückweichen zwei einander entgegengesetzte Lebensbetätigungen einander den Sieg streitig machen. ') N e w c o m b - E n g e l m a n n Astronomie ' 3 9 3 ; u n d H e p p e r g e r Die mechanische Theorie des Planetensystems (Kultur der Gegenwart III, III 3 [1921] 237).

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Urordnungen: Vernunft: Gebundenheiten.

Zweites Stück. Die Gebundenheiten der menschlichen Vernunft und die Stärke der Weltvernunft. Oft, nicht immer, mögen diese Vorstöße, die sich -wie ein Prüfen und Versuchen darstellen, mehr Zeit erfordern als ein wirkliches, ein menschliches Prüfen allein durch Verstandes- und Einbildungskraft erfordern würde; einen Vorzug aber haben sie gewiß vor den Prüfungen im Geist: sie sind unvergleichlich viel sicherer in ihrem Ergebnis als diese. Und wollte man einwenden, daß sie an Kühnheit ihrer Lösungen immer hinter denen des Geistes zurückbleiben würden, so wird zuzugeben sein, daß die Natur sich immer der Sprünge enthalten mag, die dem Geist so häufig zu machen möglich ist, daß dies aber nur ein Gradunterschied ist: auch das geistige Tun ist an Möglichkeiten gebunden und an einen sehr bestimmten Radius ihrer Reichweite. Alle Versuche des Menschen im Bereich der Tat haben vollends noch bestimmtere Schranken. Nun wohl, wenn dergestalt das anorganische wie erst recht das biische Reich prüft und wählt, so unterscheiden sie sich in diesem Stück von der Vernunft des Menschen nur dadurch, daß das Geschehen der Welt prüft und wählt in der Weise, die ihr allein gegeben ist, durch Geschehen selbst, während der Mensch durch Verstand und Einbildungskraft ein Vorgeschehen etwas früher im Denkbild vorwegzunehmen und bis zu einem gewissen Grade zwischen den möglichen Wegen zu wählen vermag. Dabei ist das eigene große Geschehen, das sich an und durch Menschen vollzieht, in weitem Zuge dem anorganischen und biischen Geschehen in manchen Entwicklungsreihen durchaus ähnlich, da die bewußten und gewollten Handlungen des Geistes durchaus nicht immer das Ganze oder auch nur den Kern des eigentlichen Geschehens umfassen. Die Regel ist vielmehr, daß den Menschen, und seien sie auch die Stärksten und Weisesten, auf dem Wege, auf dem sie mit dem Mut

Grenzen und Vorzüge der Menschenvernunft.

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und der Gebärde der Wollenden, mit der Selbstsicherheit der Wissenden einherzuschreiten pflegen, schon von der allernächsten Bahnstrecke dieses Wegs nicht viel bekannt ist, geschweige denn von seinem Ziel. Die Geschichtsschreibung pflegt schon wenige Jahrzehnte später über den tieferen Sinn, ja die eigentliche Richtung des Handelns der letzten Generation im Geist wie in der Tat eine ganz andere und weit besser begründete Meinung zu haben, als die Handelnden, Forschenden, Bildenden selbst. Die von Wundt gefundene Regel der Heterogonie der Zwecke bezeichnet im Grunde nur einen Grenzfall. Irgend eine Abbiegung des Weges von der vermeintlich innegehaltenen Richtung mag das Geschehen fast immer bedeuten. Selbst die ganz bewußt einem Ziel zustrebenden und es auch erreichenden Entwicklungsverläufe machen davon schwerlich oft eine Ausnahme. Man gedenke etwa der Begründung des deutschen Einheitsstaates: in welch anderes Licht ist sie schon durch die Staatsumwälzung von 1918 gerückt worden und zwar nicht allein ihre Vollendung durch Bismarck, nein auch ihre Vorbereitung durch die Nationalversammlung von 1848 und 49 und durch die liberale und nationale Bewegung der fünfziger und sechziger Jahre. Kein Zweifel: niemals ist die Form des menschheitlichen Geschehens als in der des anorganischen oder biischen Geschehens aufgehend zu denken. Das Vermögen des Geistes sich über die Dinge zu erheben, sie und sich in sich zu spiegeln und mit ihnen und sich in einem bestimmt abgegrenzten inneren Kreis zu schalten und zu walten, bleibt als weit über die unbelebte und die belebte außermenschliche Welt hinausführend das Vorrecht unsres Geschlechts. Aber dies steht ja nicht in Frage. Sondern nur, ob und in wie weit im außermenschlichen, vornehmlich im anorganischen Geschehen ein Kern steckt, der dem vernunftbestimmten Handeln der Menschen, soweit es ein reines, weder bespiegeltes noch »frei« bestimmtes Geschehen ist, entspricht. Diese Gemeinsamkeit eines wesensähnlichen Geschehens-

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Urordnungen: Vernunft: Gebundenheiten.

kerns muß aber umso gewisser aufrecht erhalten werden, als die Freiheit unseres Handelns, die uns selbst als eine so grenzenlose erscheint, in Wahrheit sehr umschränkt ist. So umschränkt, daß auch in diesem Punkt eine sehr große Nähe zwischen dem Welt- und dem Menschheitsgeschehen anzunehmen ist, und zwar auch dann, wenn man nicht die im anorganischen Reich so stark sich geltend machende Verursachtheit — eine determinierende Kausalität — noch auch die im biischen Reich so bedeutend vertretene Zielstrebigkeit — die teleologische Geschehenserklärung also — als zureichende Ordnungsformen der Geschehensverkettung ansieht, wie hier begründet werden soll. Erkennt man die Verursachtheit nur für einen Teil des Geschehens, die Zielstrebigkeit für einen noch viel begrenzteren Bruchteil des Geschehens als bedingend an, sieht man, wie hier erwiesen werden soll, die Eigenbewegtheit als die vorherrschende Form der Verkettung für den Grundstock alles Geschehens an, d. h. als einen Bestandteil, der weder der Verursachung noch der Zielstrebigkeit als eines Bewegers bedarf, so sind alle drei Reiche, das anorganische, das biische wie das menschliche an allen drei Grundformen der Geschehensverkettung — wenngleich nur für die Eigenbewegtheit in etwa gleicher, für Verursachung und Zielstrebigkeit aber in sehr ungleicher Verteilung — beteiligt. Die uns einmal innewohnende und uns zu jeder Stunde beherrschende Einbildung — Autosuggestion — unserer Natur, als seien wir frei in der Wahl unseres Tuns, hat die lebensmäßige und die wissenschaftliche Anschauung dieses Verhältnisses wieder und wieder auf das verwunderlichste in die Irre geführt. Sie hat den wirklichen Sachverhalt, daß wir von diesen drei uns regierenden Gewalten im Grunde ebenso abhängig sind, wie irgend ein Geschehen in der außermenschlichen Welt, völlig vernebelt und verdunkelt. So wenig wir etwa uns in allen Stunden unseres Lebens der ungeheuren Luftsäule bewußt sind, die jeder von uns über sich trägt und deren Druck allein uns in den Stand

Verkettung der drei Reiche durch gemeinsamen Geschehenskern

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setzt fest auf dem Boden der Erde zu stehen und zu schreiten, so wenig uns not tut im Lauf unseres Lebens dieses Tatbestandes inne zu werden — so gewiß können wir unsere Tage zubringen, ohne auch nur in einer einzigen Stunde uns das ungeheure Triplex von Verursachtheit, Zielstrebigkeit und Eigenbewegtheit zu vergegenwärtigen, das doch jede unserer kleinsten und unserer größten Handlungen bewirkt, d. h. in der Regel völlig bestimmt und selbst wenn diese Handlungen schöpferisch sind, immer noch sie zum großen Teil beeinflußt. Jenes Triplex, jene Dreigewalt der unser Tun zwar nicht determinierenden, wohl aber überwiegend beeinflussenden Verkettungsformen des Geschehens, hat nun in allen seinen drei Bestandteilen — von deren Verhältnis im Gegensatz zu den bisher gültigen Meinungen noch ausführlich die Rede sein soll — übereinstimmend die Folge für unser Handeln, daß es eingegrenzt wird, daß es der uns so allbeherrschend erscheinenden Freiheit bis auf den Restbestand des schöpferischen Tuns entkleidet wird und daß es somit dem Naturgeschehen, auch dem des anorganischen Reiches angenähert wird. Auch die Vernunft, von der hier die Rede ist, erscheint dadurch auf Seiten des Menschen, insofern sie beständig ordnend das menschliche Geschehen umgestaltet, in derjenigen Eigenschaft beschränkt, in der sie uns auf den ersten Blick der in der Natur waltenden Vernunft so völlig überlegen zu sein scheint: in der Freiheit, will sagen Ungebundenheit ihres Handelns; denn da alle drei Urbestandteile jener Dreigewalt Formen der Bindung darstellen, wird die menschliche Vernunft der Vernunft, die den beiden anderen Reichen einverleibt ist, angenähert, die uns ja als völlig gebunden — vielleicht auch nur auf den ersten Blick — erscheint. Die menschliche Vernunft teilt mit der des biischen Reiches alle drei Verkettungsformen, auch die Zielstrebigkeit, mit der des anorganischen Reiches wenigstens die anderen beiden: Eigenbewegtheit und Verursachtheit. Doch die im anorganischen Geschehen verkörperte Ver-

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Urordnungen: Vernunft: Gebundenheiten.

nunft bedarf kaum so mittelbarer Beweisführung, um in ihrer Stärke erkannt zu werden. Ganz unmittelbare Würdigung ihres eigenen Wesens führt vielleicht noch schneller zu diesem Ziel: sie hat sich wahrlich nicht unbezeugt gelassen. Drei Fähigkeiten sind es, die wir unsrer Vernunft zuschreiben: das Vermögen die Welt in Denkbildern in sich wiederzuspiegeln, das zweite, viel weiter führende, diese Denkbilder zu ordnen und das dritte, diesen Denkbildern gemäß auch dem menschlichen Handeln, Ahnen und Bilden Richtlinien zu setzen, will sagen, ihnen Ordnungen zu geben. Kommt man nun überein den Kern des natürlichen, insbesondere des anorganischen Geschehens, der sich durch sein Wesen dazu eignet, die Vernunft dieses Geschehens zu nennen, so ergiebt sich folgender Tatbestand. Das anorganische Geschehen ermangelt gänzlich der spiegelnden Fähigkeiten, durch die unsere Vernunft das ihr von den Sinnen überlieferte und von der Einbildungskraft festgehaltene Bild der Welt in Denkgebilde umformt und — als Gedächtnis — festhält. Die außermenschliche Welt denkt nicht — im vollen Sinn auch das Tier nicht — und sie forscht auch nicht, denn sie vermag nicht, diese Denkbilder zu neuen, nur gedachten Verbindungen zu vereinigen oder in neue, nur gedachte Teile zu zerlegen. Aber damit ist auch schon der Punkt erreicht, wo die Wesenslinien der beiden Vernünfte nicht mehr verschiedenen Richtungen folgen, sondern wenn nicht geeinigt werden, so doch gleichläufig neben einander gehen. Denn ihrem Geschehen nach stellt die Vernunft des anorganischen Reiches oder — wenn man mir den abkürzenden Ausdruck nachsehen will — die anorganische Vernunft beständig Verbindungen her und löst in Teile auf. Und zwar ganz in derselben Weise wie die menschliche Vernunft: der Regel nach zwar sich wiederholend, in den Ausnahmefällen — des schöpferischen Geschehens — aber völlig neu gestaltend. Daß im Menschen ihr dabei die Einbildungskraft als Dienerin zu Hilfe kommt, kann für jetzt außer Acht bleiben.

Seibetbezeugung der Vernunft im anorganischen Geschehen

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Die Gleichläufigkeit ist doppelt: zunächst ist die anorganische Vernunft völlig im Besitz des dritten Urbestandteils der Fähigkeiten der menschlichen Vernunft: sie vermag wie diese als handelnde — praktische — Vernunft Ordnungen in Geschehen umzusetzen, und zwar solche, die allen, auch den höchsten Anforderungen an Zusammengesetztheit und Folgerichtigkeit genügen, die nur menschliche Vernunft an ihre höchsten Hervorbringungen stellen mag. Sodann bedeutet dies auch, daß die anorganische Vernunft von den Tätigkeiten, die hier als die zweite Gruppe der Auswirkungsformen der menschlichen Vernunft zusammengefaßt wurden, die Hälfte verrichtet: insofern sie zwar gewiß nicht Denkbilder von Einzeltatbeständen zu Denkverbindungen zu vereinigen oder in ihre Urbestandteile aufzulösen vermag — das ist ihr gewiß verwehrt — aber indem sie, wie demnächst festgestellt werden soll, dergleichen Verbindungen oder Zerlegungen im tatsächlichen Geschehen herbeizuführen im Stande ist — und zwar wahrlich auf die folgerichtigste und zusammengesetzteste, also gewiß auch auf die begriffsmäßigste Art. Wenn man so naiv abzählen dürfte, man würde sagen müssen, daß von jenen drei Fähigkeiten der menschlichen Vernunft die des anorganischen Reichs anderthalb wahrzunehmen vermag. Und, diese Frage muß immer von neuem aufgeworfen werden, ist nicht auch als Leistung ordnender Vernunft betrachtet diese zweite Hälfte des geleisteten Werkes die wichtigere ? Kommt es nicht mehr auf Ordnungen an, die in Geschehen umgewandelt sind, als auf solche, die nur erdacht sind, die also auf das Handeln bezogen nur Plan sind, als Denkbild an sich betrachtet aber lediglich Spiegelung eines Seins oder eines Geschehens sind. Und Spiegelung ist, auch als Vernunftleistung betrachtet, niemals an so strenge Regeln gebunden wie irgend ein Geschehen der Natur. Kein Bauen im Geist, und sei es von Piaton oder Aristoteles, von Kant oder Hegel ausgeübt, ist gefeit gegen Kunstfehler: im Gegenteil, es pflegt die schwersten aufzuweisen.

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Urordnungen: Vernunft: Gebundenheiten.

Die Natur aber ist unfehlbar. Wie richtig ist jene geistreiche Klage des Grafen Hermann Keyserling, daß der menschliche Magen unvergleichlich viel zuverlässiger arbeitet als der menschliche Verstand. Denn eben die Verdauung unseres Leibes bringt Wunderwerke des genauesten und zugleich raschesten Arbeitens zu Stande: so wenn, wie Pawlow nachgewiesen hat, in der gleichen Sekunde, in der eine Speise von den Geschmacksnerven unseres Mundes gespürt wird, der Magen beginnt, unter den von ihm gewohnheitsmäßig bereiteten Verdauungsflüssigkeiten diejenige in Angriff zu nehmen, die der soeben eingetroffenen und von den Geschmacksnerven an den Magen gemeldeten Speise entspricht. Wohl macht die Natur im anorganischen wie im biischen Reich jene Vorstöße, die als Proben und Experimente den Vorerwägungen des Verstandes entsprechen und läßt sie gar nicht selten gleichsam als verfehlt wieder fallen. Hat sie sich aber einmal für ein Gebilde entschieden, so pflegen ihre Schöpfungen von eiserner Festigkeit und wenigstens im anorganischen Reich von ewiger Beständigkeit zu sein. Wo immer man die Werke der menschlichen Vernunft mit denen der WeltVernunft vergleicht, stehen sie weit hinter ihnen zurück. Die der zur Tat durchdringenden, die neue Ordnungen des Handelns in Geschehen überführenden, wenn man will die der praktischen Vernunft werden von dem Geschehen der außermenschlichen Welt an Widerstandsfähigkeit und Dauerhaftigkeit bei weitem übertroffen: hier stehen Jahrmillionen gegen Jahrzehnte, höchstens Jahrhunderte, selten Jahrtausende, sehr oft nur Monate. Den Werken der planenden, der denkenden Vernunft — der reinen, der theoretischen Vernunft wenn man will — und zu ihnen gehört nicht nur alle Forschung, nein auch alles Planen für die Tat: auch in Bismarcks Haupt dachte sie den deutschen Staat, ehe er ihn schuf — ist sie unsäglich überlegen durch die Größe und Weite ihrer Bauten, die Zusammengesetztheit und Verflochtenheit ihrer Ordnungen, neben denen

Unfehlbarkeit der Natur.

Maßstäbe der Vernunft.

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noch die Gedankenpaläste der großen Weltbaumeister, des Aristoteles und Hegels, aber auch die Staatspläne der größten Staatsmänner sich wie Schattenspiel und Kinderwerk ausnehmen.

Drittes Stück. Die Stärke der W e l t v e r n u n f t . Wonach bemessen wir in dem Bezirk der Tätigkeit unserer Vernunft, den die Weltvernunft mit ihr allenfalls teilt, ihre Stärke, nach welchen Eigenschaften rühmen wir ihre Werke ? Doch wohl einmal nach der Folgerichtigkeit, mit der sie ihre Denkgebilde zu immer neuen Einheiten und schließlich zur höchsten Einheit eines vollständigen Weltbildes zusammenzufassen vermag, zum zweiten aber nach der Fülle und Mannigfaltigkeit dieser ihrer Hervorbringungen, eben der Denkgebilde, die sie unter jene mittleren Einheiten, sowie die höchste des Weltbildes, zusammenzuzwingen versteht. Ob diese Ordnungen ausschließlich dem Geist, der sie schafft, dienen sollen, oder ob sie sich dazu bestimmen in die Tat umgesetzt zu werden, kann bei dieser Wertung außer Acht gelassen werden. Dagegen darf wahrlich nicht vergessen werden, daß sehr leicht bei diesen Zuordnungen der Einzeltätigkeiten unseres Geistes zur Vernunft ihr Wirkungen zugeschrieben werden, die sie nur im Bunde mit den anderen Seelenkräften auszuüben vermag. So dankt sie die Folgerichtigkeit ihres Schließens, Teilens, Verbindens zu einem Teil sicherlich der Willenskraft, deren Spannungen, einmal in Bewegung gesetzt, nur ungern von einem Wirken, einem Tun in einer einmal eingeschlagenen Richtung ablassen, und so schuldet sie den Reichtum ihrer Denkgebilde unzweifelhaft zu einem Teil der Einbildungskraft, die dem Denken voraneilend ihm fort und fort neue Möglichkeiten des Teilens, Verbindens, Unter-, Nebenordnens nachweist, als Dienerin B r e y s i g , Naturgeschichte and Menschheitsgeschichte.

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Urordnungen: Vernunft: Stärke der Weltvernunft.

zwar, aber sehr oft ihr Werk zu eigener Lust weiter spinnend, als die Herrin Vernunft befiehlt. Aber ehe von den Werken der Weltvernunft die Rede ist, an denen sie freilich sich allein offenbart, seien zwei Gedankenhindernisse, die sich vielleicht auch dem hier willig Folgenden hemmend in den Weg stellen, weggeräumt. Das erste ist der Einwand, der so leicht sich einstellt: vermag denn die Weltvernunft den Maßnahmen, in denen die menschliche Vernunft sich vornehmlich bewährt, der Zusammenfassung, Zusammenordnung von Begriffsgruppen, die diese hier teilend, dort bindend herstellt, irgend etwas Gleichwertiges an die Seite zu setzen ? Ohne weiteres wird man einräumen, daß die höchste Einheit des Weltgeschehens, das Welt-Insgesamt ganz ebenso da ist wie die Einzeldinge der Welt, die ihre tiefste Ordnungsebene einnehmen; aber man wird erklären, nicht so stehe es um die Zwischengebilde, in deren tausendfacher Mannigfaltigkeit sich menschliche Vernunft am öftesten auswirkt. Dagegen aber ist zu sagen, daß schon das anorganische Reich, wie ebenso das biische, auch in allen diesen Zwischenschichten durch sein Geschehen durchaus die Seitenstücke zu allen Formen der ordnenden Teilung und Verbindung darbietet, die die Vernunft als Forschung nur vornehmen mag. Alle physikalisch, alle chemisch zu fassenden Vorgänge des anorganischen Reiches, also die elementarsten und darum entscheidendsten, lassen sich nach dem unlängst erreichten Stande der Erkenntnis auf Trennungen und Verbindungen der Urkörper zurückführen. Die Natur schafft somit in den Tatsachen dieser innersten Kernschicht ihres Geschehens Verhältnisse, ganz denen entsprechend, die die Wissenschaft und zwar jede bauende Einzelwissenschaft so gut wie jedes Philosophieren an den Denkbildern der Dinge vornimmt. Wenn ein ThoriumAtom einen Gammastrahl entsendet, so läßt es in der Tat — de facto — das gleiche geschehen, wie die elektro-physische Erkenntnis, wenn sie etwa das erste Mal, nachdem sie in der Geisler-Röhre das Entweichen eines Strahls dieser be-

Teilungen und Bindungen.

Verhaßtheit der Zahl.

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sonderen Art aus einer Thorium-Menge beobachtet hatte, den Gamma-Strahl als solchen von anderen Strahlen abzweigte und ihm durch Begriff und Wortzeichen sein Sonderdasein im Denkbild begründete. Oder wenn im Urgeschehen sich gemäß einer Anzahl in ihnen wirkender Kräfte zwei Wasserstoffatome zu einem Molekül verbinden, so geschieht hier dem Tatsachenkern nach nichts anderes, als da die Forschung zum ersten Mal zu der Annahme kam, daß ein Molekül durch die Einung von Atomen, ein Wasserstoffmolekül insbesondere durch die erstmalige Bindung und durch die nachfolgende dauernde Einung zweier Atome zu Stande kommt. Zum zweiten muß von der Zahl und ihrer Rolle im Weltgeschehen die Rede sein. Gegen die Zahl besteht — mit Ausnahme etwa der Volkswirtschafts- und der Gesellschaftslehre — im Bezirk der Geisteswissenschaften eine seltsame Abneigung. Es ist, als ob der tief innerst brennende Gegensatz zwischen den Natur- und den Geistesforschern an diesem freilich eigens exponierten Punkt der gegenseitigen Grenzberührung in lichterlohen Flammen aufschlägt. Die Vorurteile der Geistesforscher gegen die genaue Umreißung des Naturgeschehens durch Maß und Zahl, die ihnen wie Bild und Zeichen einer Technisiertheit, Mechanisiertheit, will sagen Entseeltheit des Gegenstandes der Naturforschung wie dieser selbst erscheint, sind an sich völlig ungerechtfertigt; denn einmal wird bei zulänglicher Fortbildung der Geisteswissenschaften auch in ihnen ein gar nicht wenig umfänglicher Bezirk ihres Reiches noch für Maß und Zahl erobert werden; zum zweiten aber ist die Unterschiedenheit der Forschungsmittel da, wo sie immer bestehen bleiben wird — für alle die noch zahlreicheren Unmeßbarkeiten und Unwägbarkeiten des geistig-seelischen Geschehens — an sich alles andere als ein Beweis für die Unversöhnbarkeit der beiden Sehund Forschungsweisen, sondern lediglich ein Ausfluß der Unterschiedenheit der zwei, oder vielmehr der drei Wirklichkeitsformen •— der anorganischen gänzlich zähl- und 4*

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Urordnungen: Vernunft: Stärke der Weltvernunft.

meßbaren, der biischen, überwiegend zähl- und meßbaren, der geistig-seelischen, fürs erste nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil zähl- und meßbaren Wirklichkeiten. Die Auffassung aber, die sich hinter dem Grimm der Geistesforscher auf die Naturwissenschaften teils eingestandener, teils abgeleugneter Maßen verbirgt, ist ja nur die Grundanschauung aller Zweiheitslehren: die außermenschliche Welt sei durch einen unüberbrückbaren Abgrund von der Menschheit geschieden. Wenn dann auf etwas kleinerem Gedankenraum in engerer Nachbarschaft sich der gleiche Zwist zwischen Biologen und Physikern wiederholt, wenn Biologen in fast herzerquicklichem Zorn darauf schelten, daß die Welt nunmehr in ein Wirbelspiel von Molekülen, Atomen und Elektronen aufgelöst werden solle, so wird für den unbefangenen Beobachter die Schwere dieses Widerstandes nicht vermehrt sondern herabgemindert: allzu deutlich schauen hier Beweggründe der Gelehrtenseele hervor, die in einem sehr harmlosen Sinn des Wortes allzu menschliche sind, als daß man ihnen ein inneres Gewicht beilegen sollte. Zornig eifernd stellen sich die einzelnen Gelehrtenzünfte vor die von ihnen verwalteten Wissens- und Weltbezirke und suchen jede für den ihrigen eine Ausnahme-, eine Sonderstellung und möglichst viele Rang- und Hoheitsrechte. Der Hochmut, mit dem die Biologen auf die »nur« physiko-chemischen Vorgänge herabsehen, gleicht dem, mit dem die Geistesforscher erklären, daß alles außermenschliche Geschehen sich tief unter allem Tun des Geistes abspiele, wie er wieder der kindlichen Überhebung gleicht, mit der ein Ägyptologe etwa die Behauptung zurückweist, die Ägypter, seine Ägypter könnten je Menschen gefressen haben — uns Deutsche lehrt das Urzeitgut unserer Märchen von unseren Ahnen das Gegenteil — oder dem noch älteren, noch weiter verbreiteten, noch hartnäckiger vertretenen Dünkel, mit dem sich der Kulturmensch über die lebenden Urzeitvölker erhebt, oder der im Grunde häßlichste, mit dem unsere Religiosi etwa es für einen Abgrund von Abscheulichkeit erklären, daß

Menschliche Ursprünge der Zweiheiten im Weltbilde.

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man jetzt in die Gesellschaftswissenschaft sogar die Primitiven hineinziehe. Der Weltgläubige, der Weltfromme wird allen diesen heftigen Entflammungen von Zweiheits-, d. h. von Kampf-, d. h. von Haß-Geist mit einem ruhigen und geduldigen Lächeln zuschauen, wird auch sie als menschlich begreifen und wird geduldig der Zeit harren, in der sich alle diese Abgründe von Gegnerschaft zwischen den Menschen schließen und die ihnen entsprechenden Abgründe im Weltsein zwischen belebtem und unbelebtem, geistigem und ungeistigem Sein für ausgefüllt gelten werden. Denn er weiß, daß die angeblichen Unüberbrückbarkeiten im Weltsein ihren Ursprung weit eher von den Zerklüftungen im Weltbild, richtiger von den Parteiungen zwischen denen, die dies Weltbild zu entwerfen sich berechtigt fühlen, herstammen. Und er muß vertrauen, daß die Einheit der Welt als Sein, indem sie sich dem menschlichen Geist als herrscherliches Gesetz auferlegt, auch diese Urkluft in ihm überwinden wird. Die Zahl aber, die hier nur als Stichwort für die ganze Fülle der Gegensatz- und Zweiheitsbeleuchtungen benutzt werden soll, wird noch mehr unausgesprochen als ausgesprochen wie etwas Unvornehmes, wie etwas den Geeist Erniedrigendes angesehen. Nichts verscheucht vielleicht den aus dem Bezirk der Geisteswissenschaften Kommenden so sehr, wie die Zahl, die er in aller Naturbetrachtung einen so überwiegenden Rang einnehmen sieht und die er doch wie etwas Starres, Lebloses, etwas recht eigentlich dem Wesen des Geistes Widersprechendes empfindet. Fremdkörper aus einer niederen Welt: das ist der überwiegende Eindruck. Keine Erinnerung an die Zahlenmystik des Pentateuch und der Kabbala, des Pythagoras und des Plotinus kann einen Mystiker von heute bewegen die Zahl nicht als Bild und Hervorbringung völliger Seelenleere der Wissenschaften, die sie benutzen, anzusehen, und allzu weit pflegt die innere Grundstimmung der Forscher im Bereich der meisten Geisteswissenschaften von dieser Meinung nicht abzuweichen.

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Urordnungen: Vernunft: Stärke der Welt Vernunft.

In Wahrheit ist nichts tiefer begründet in dem Wesen allen Naturgeschehens als seine Verbundenheit mit der letzten Genauigkeit seiner Maße, die sich in unserem Verstand zulänglich allein durch das Zeichen der Zahl widerspiegelt. Erwägt man zudem, einen wie großen Teil ihrer Siege die Naturforschung, vorzüglich die im anorganischen Reich, ihrem Handhaben der Zahl verdankt, so erscheint nichts begreiflicher als die drängende Lust, mit der sie beständig der Ausprägung aller ihrer Beobachtungen in der Zahl zueilt, nichts vorurteilsvoller aber als jene Abneigung der geisteswissenschaftlichen Strömungen, die darum, weil sie kaum als begründete Meinungen an der Oberfläche erscheinen, wahrlich nicht harmloser, sondern eher gefährlicher sind. Denn zieht man, was in vielen und gerade den tiefsten Zerwürfnissen der Wissenschaft zu raten wäre, nicht allein die sachlichen Gegensätze, sondern auch die Seelenkunde des Gelehrten zu Rate, so würde in diesem Falle sich herausstellen, daß an dem tiefen Riß, durch den die Zweiheitslehren unser Weltbild so heillos zerspalten haben, diese halb gefühls-, halb geschmacksmäßigen Vorurteile fast noch mehr Schuld tragen, als die Gegensätze der Erkenntnis oder gar die des Weltgeschehens selbst. Noch da, wo die Anwendung oder Nichtanwendung der Zahl eine scharfe Grenze zwischen geistes- und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt zieht, entspricht dies ganz zu Recht einer Unterschiedenheit der beiden Formen des Weltgeschehens, ohne doch die Ureinheit dieses Geschehens zu gefährden. Das Sein der Welt, so lang es nur in unbelebte Körper gebannt ist, hat nur die beiden Möglichkeiten in Stoff und Bewegung — die vielleicht nur auf eine, die Bewegimg, zurückzuleiten sind —• sich auszudrücken oder, noch unvoreingenommener gesagt, sich auszuwirken: beide aber gewähren unserm Verstände, wenn er sie erkennen, wiederspiegeln, begreifen will, wiederum nur die eine Möglichkeit ihnen nahe zu kommen: die der Messung. J a mehr als das, sie fordern diese Form »äußerer« Wieder-

Natur und Zahl, Seele und Zahl, Glauben und Zahl.

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Spiegelung von uns, als die einzige, die ihrem Wesen entspricht. Indem das Weltgeschehen — schon im biischen, mehr noch im menschheitlichen Reich — andere Formen von Sein und Geschehen, die des Lebens, der Entwicklung der Seele, der Geschichte annimmt, tritt mehr und mehr jene Möglichkeit und jene Notwendigkeit der Bemessung zurück: schrittweise und immer nur gradmäßig, nie auch bis zum gänzlichen Erlöschen, denn selbst für unsere innersten und zartesten Geistes- und SeelenVorgänge kommen Mengenvorstellungen in Betracht, die vielleicht nur für den heutigen Zustand unseres Erkennens des Grades von Genauigkeit entbehren, der die Voraussetzung für Zahl und Maß ist. Wir bemessen durchaus mit Fug die Trauer, die ein Mensch auch zarten Fühlens um einen geliebten Toten fühlt, nach der Länge der Zeit, die sie auf ihm lastet. Uns flößt die Geschwindigkeit des Schaffens, der Umfang von Werken eines großen Meisters Achtung ein, und wir h ben ein Recht, nicht das letzte Ausmaß, wohl aber die Stärke und die Breite seines Könnens nach ihnen zu bemessen. Es ist nicht von ungefähr, daß fast alle unsere Bezeichnungen für geistiges und seelisches Tun mengenmäßige sind, daß wir von Größe, Höhe, Tiefe, Stärke, Zartheit. Dünnheit in solcher Anwendung sprechen. Der Glauben selbst, an sich recht eigentlich die Hochburg der Abneigung gegen die Verschmelzung von Natur- und Menschheitssichten, ist im Grunde nicht frei von Maß und Zahlvorstellungen, wenigstens von mittelbaren. Die Vorstellung von einem allmächtigen, allwissenden Gott ist mengenund, wenn man will, zahlenmäßig. Täusche man sich doch darüber nicht: wäre den alten Zeiten, die der unseren die Gottesbilder schufen, schon das gleiche lebendige Eindringen in die Werkstatt der Natur zu eigen gewesen, wäre selbst dieser Glauben nur von den forschgewaltigen Babyloniern, statt von den Juden geformt worden, auch dieser Vorstellungskreis, der heute durch Einmischung der Zahl für entheiligt angesehen werden würde, wäre mit Maß- und

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Urordnungen: Vernunft: Begriffsstärke der Natarordnungen.

Mengebegriffen durchsetzt. Denn jene Zeiten hatten Kraft genug, sich und ihr Wesen in jeder ihrer Lebensäußerungen auszudrücken. Unsere Zeit aber hat wie so viele andere Schwächen auch die, zu meinen, daß sie ihren Glauben nur in der geistigen Form alter Zeiten hegen und heilig halten könne: Historismus und Romantik sind es, die diese Wirkungen hervorbringen und sie sind umso peinlichere Merkmale von Unkraft, als die, die ihnen das Wort halten, selbst von nichts so viel und an sich mit dem besten Recht sprechen, als von der Kraft, zu der die Gegenwart wieder gelangen müsse. Viertes Stück. Die Begriffsstärke der Ordnungen im anorganischen Reich. Das ewige Antlitz der Natur bedarf der Fürsprecher nicht, nur der Augen, die sich ihm hingegeben öffnen. Da sie die Ordnung selbst ist, so ist sie auch die Vernunft selbst. Nie hat das Ahnen der Griechen, das dieses größte Sein mehr fühlte als wußte, sicherer für einen inneren Tatbestand das Wort getroffen, als da es die Welt Kosmos, das ist Ordnung nannte. Hätten sie die Welt Logos genannt, so hätten sie nur einen Schritt weiter auf dem Wege zur Wahrheit getan. Doch freilich, es gab kein Zeitalter, das so viel Anlaß hatte wie das unsere, das Bild dieses Antlitzes sich in die Seele strömen zu lassen, keines das dennoch mehr verstockten Hochmut offenbart, um sich gegen die Gewalt der Sprache zu verschließen, die seine Runen unmißdeutbar reden. Ehedem wußten wir nur eine Welt, deren Ordnungen uns durchdrangen: den Raum im All, den zu umfassen unseren Sinnen ohne allzuviel Hilfsmittel Macht gegeben ist. Jetzt aber hat sich vor unseren staunenden Augen neben dieser, der Welt der größten Körper eine zweite eröffnet, die der

Der Kosmos der Griechen. Weltbild der heutigen Physik

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kleinsten, die derUrkörper. Und siehe da, ihre Ordnungen sind nicht minder wunderwürdig und von nicht geringerer Gewalt als jene. Und sie bezwingen uns die Seele eher noch mit größerer Übermacht als die wachsenden Sternenheere draußen im Weltraum, weil die unendliche Kleinheit ihrer Maße sie unsern Sinnen noch vier Jahrtausende länger verborgen hielt als jene ihre Ferne und sie uns nun mit einem Schlage im Verlauf weniger Jahre sichtbar geworden sind. Man stelle sich vor, daß die Sternenwelt dem Anblick des Menschengeschlechts zehn Jahrtausende lang durch eine undurchdringliche Wolkendecke entzogen geblieben wäre und mit einem Mal dieser Vorhang zerrissen und das ewige Schauspiel des Sternenhimmels uns sichtbar geworden wäre: es würde mit hundertfacher Gewalt uns in Sinne und Seele dringen. Doch so stark uns auch die Macht und die Schönheit der beiden Anblicke der unbelebten Welt, die uns vergönnt sind, überkommen mögen: dauernder mag uns doch die Begriffs stärke bezwingen, die sich in ihrer beider Ordnungen offenbart. Vielleicht, daß jene beiden Bewirkungen des Willens und der Einbildungskraft eine letzte Wurzel mit dieser Bewährung der Welt-Vernunft gemeinsam haben, ihre beste Nahrung selbst nur aus dieser ziehen. Und wenn nie das — nicht denkende — Tun der Welt-Vernunft mit dem — denkenden — Tun der Menschen-Vernunft anders verglichen werden darf, als nach den Werken, die beide aufzuweisen haben, so sind die der Welt-Vernunft stark genug, um diesen Eindruck zu einem unumstößlichen zu machen. Unermeßlich ist der Stoff, der sich zur Stützung solcher Behauptung herzu drängt. Aus ihm kann als eigens wirksam nur gewählt werden, was denjenigen Leistungen der menschlichen Vernunft am nächsten entspricht, die sie sich selbst als die höchsten anrechnet. Zwei Ziele sind es, wie schon angedeutet wurde, die sie als die letzten verfolgt: einmal die unendliche Vielheit und Mannigfaltigkeit von Erscheinungen oder von Begriffen, die aus den Erscheinungen

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Urordnungen: Vernunft: Begriffsstärke der Naturordnungen.

abgeleitet sind, zu Gruppen und endlich zur höchsten Einheit eines Weltbildes zu vereinigen und andererseits innerhalb dieser Umfassungen doch jener Vielfachheit und jenem Reichtum der Einzelformen des Weltgeschehens oder der Einzelgebilde des Denkens durch eine möglichst getreue und doch auch wieder begriffsscharf eingerichtete Beschreibung gerecht zu werden. Von beiden Formen unserer Verstandesbetätigung ist nun nachzuweisen, daß ihnen das Weltgeschehen im anorganischen — wie im biischen — Reich in hohem Maße entspricht. Und eben dies soll untersucht werden: ob die Seins- und Geschehensformen der außermenschlichen Natur sich so verhalten, daß sie den Anforderungen, zu denen die menschliche Begriffslehre — der menschliche Verstand, sich selbst den Spiegel vorhaltend -— gelangt, ein Genüge tun. Der Verstand will dem Geschehen von Welt und Menschheit gegenüber, das er wiederzuspiegeln gedenkt, ein Begriffsgebäude errichten: er will Bau oder, wie das Schulwort sagt, Synthese 1 . Das ist sein erstes und zugleich höchstes Absehen; denn das zweite, die genaue Beschreibung des Einzelnen, die Description, geht nur scheinbar voran, ist nur scheinbar die Urform der wissenschaftlichen Vornahmen — Wissenschaft ist ja weiter nichts als geordnetes, unter Zucht und Verantwortung genommenes Verstandestun — kann in Wahrheit immer nur nach irgend welchen ersten, bauenden Handlungen des Verstandes, und seien sie noch so flüchtig vorweggenommen, vorgehen. Im Reich des Geistes vollzieht sich ja ein beständiges Einander-Durchflechten, ein beständiger Wechsel von Einander-Vorweggehen, Einandererst-Folgen des Aufnehmens und des Ordnens. Bauen aber vollzieht sich in drei Schichten des geistigen Geschehens. In der ersten ist es reines Ordnen im NebenÜber vergl. die gezweigte aufgezeigt

die Abgrenzung dieses Begriffs bei Kant und an sich als besondere Schrift v o n der Geschichte der Seele abAbhandlung: Der Aufbau der Persönlichkeit v o n Kant, an seinem Werke (1931) 13 ff.

Ordnungen im Neben- und Aufeinander.

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einander auf der einen, untersten Ebene der zunächst aufgenommenen Tatbestände, d. h. also ein begriffliches Vereinigen des Zusammengehörigen, Scheiden des Unzusammengehörigen. Doch wird schon der Übergang zum Aufeinander insofern vollzogen, als die Ebene der ersten Gruppierungen, deren Bezeichnungen ja recht eigentlich die ersten Oberbegriffe darstellen, schon eine Schicht höher gelegen ist als die der zuerst aufgenommenen Tatbestände. Der Oberbegriff Baum, als erster hier angenommen, gehört, obwohl er nur eine Gruppe von Tatbeständen der untersten Ebene zusammenfaßt, also etwa Eiche, Birke, Tanne, der nächsthöheren Schicht der Begriffe zweiter Ebene an. Die zweite Schicht ist die des Ordnens im Aufeinander, d. h. der Verstand schafft, von unten her bauend, von der zweiten Ebene bis zu einer vierten, zehnten oder beliebig vielten Ebene aufwärts immer allgemeinere Gruppen von Begriffen, d. h. von Summierungen von Tatbeständen, die dadurch, daß sie mehr Einzeltatbestände oder mehrere Untergruppen zusammenfassen, notwendig auf immer mehr Besonderheiten — Eigenschaften — der umfaßten Dinge oder Unterbegriffe verzichten müssen, also etwa in der hier begonnenen Reihe aufwärts: Baum, Pflanze, organisches Wesen. Sehr wichtig ist zu beobachten, daß die zweite Schicht des Aufeinanders begrifflicher Ordnungen schon eine Hinneigung zum Nacheinander offenbart. Denn allerdings pflegt das rein begriffliche Sehen, und in dessen Bereich verbleiben wir, auch wenn wir ein Aufeinander aufbauen, die höheren Denkbilder der allgemeinen Begriffe auf die unterste Ebene des Nebeneinander zu projizieren, herunterzuwerfen; aber jede am Erfahren genährte bauende Erkenntnis — und das ist alle induktive, alle von unten her bauende Forschung—ist sich bewußt, daß immer dann, wenn diese Begriffsbauten des Aufeinander nicht reine, d. h. bewußt unwirkliche Denkgebilde darstellen wollen, sie sehr oft ein Nacheinander in sich bergen, insofern das organische Wesen vor der Pflanze, die Pflanze vor dem Baum, der

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Urordnungen: Vernunft: BegrifJsstärke der Naturordnungen.

Baum vor der Eiche da war. Mithin steckt häufig in diesem Aufeinander ein Kern von Nacheinander im Begriff und in dem ihm ohne weiteres zuzuordnenden Sein ein Werden. In diesen beiden Gefügeformen, der des Neben- und der des Übereinanders vollzieht sich die ordnende und bauende Tätigkeit unserer Vernunft, so weit das Sein der tatsächlichen oder der gedachten Dinge in Betracht kommt. Wollen wir sie loben, so rühmen wir ihr die Tugenden folgerichtiger, d. h. einheitlichen Regeln unterworfener Teilungen und völlig deckender Über- und Unterordnungen nach. Und nun vergleiche man die Ordnungen des Naturseins mit diesen Tätigkeiten. Es steht uns freilich, das sei immer von neuem auf das nachdrücklichste gesagt, im strengen Sinne nicht zu von einer Weltvernunft zu reden, die die Dinge von innen her, als ihnen einverleibte Gewalt — etwa wie die Seele im Sinne der Zweiheitslehren im Leibe wohnt — oder gar als gestaltete oder halb gestaltete Gewalt von außen her bewirkt; das hieße nur in die mythen- und märchenbildende Sicht der frühen Zeiten zurückfallen: noch der vovg, die Weltvernunft des Anaxagoras, ist ja als Eingottesgestalt gemeint, und jeder Weltgeist ist an sich nur eine Umsetzung aus der gotthaften Leibes- in die Sinnbildsgestalt. Wohl aber ist zu sagen möglich, daß das Sein und das Geschehen, in dem sich die Welt darstellt, im höchsten und betontesten Sinne des Wortes vernunftgemäß sind, d. h. den Regeln, die sich unsere Vernunft setzt, entsprechend. Am schlagendsten läßt sich dies erweisen an der höheren Form der bauenden Fähigkeit der menschlichen Vernunft, an dem Übereinander. Die Begriffe, die wir einander überund unterzuordnen pflegen, sind in ihrem gegenseitigen Verhältnis durch nichts so scharf gekennzeichnet als durch das Abnehmen der Zahl ihrer Besonderheiten nach oben, dem Allgemeinen zu und durch ihr Zunehmen nach unten, zur Wirklichkeit hin. Und nun stelle man neben jeden beliebigen, sei es beschreibenden, sei es rein gedachten Schichtenbau von Begriffen eine Reihe, die etwa von der Zelle bis zum

Körper und Begriff. Das Eiweifimolekül.

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Eiweißmolekül und von diesem bis zum Elektron reicht, so ergiebt sich ganz das gleiche Verhältnis. Die Zelle, dem Oberflächenblick auf die Welt wenigstens durch Werkzeug erreichbar, für uns also der unserm Erfahren nächste Endpunkt jener Reihe von Naturdingen, weist bei weitem die größte Anzahl von beschreibbaren Bestandteilsformen auf. Folgt man nun dem Übereinander ihrer Oberformen, so nimmt beständig die Mannigfaltigkeit ihrer Urbestandteile und demgemäß auch die Zahl ihrer Eigenschaften ab: auf dem Weg von der — noch sichtbar zu machenden — Zelle zu den — schon unsichtbaren — Protomeren und von ihnen zu den Molekülen, etwa Eiweißmolekülen, und dann wieder vom Eiweißmolekül bis zum Elektron läßt sich eine beständige Reihe von immer weniger zusammengesetzten Körpern verfolgen.

Fünftes Stück. Urkörper und Endbegriffe. Innerhalb der Zelle führt die Reihe von dem Zellganzen über Chromiolen, Centriolen, Chondriosomen, Plasmafasern, d. h. über einander im Ordnungsrang ebenbürtige Zwischengebilde, zu den Protomeren, aus denen sich alle jene größeren Gefüge zusammensetzen. Sie alle haben als vielfach und den Einzelformen nach sehr mannigfach zusammengesetzte Teilgebilde eine Fülle von Eigenschaften aufzuweisen, die Protomeren aber, die den Endpunkt bilden, schon sehr viel weniger. Das Eiweißmolekül, das in so hohem Maße dem Aufbau des tierischen Körpers, viel weniger dem des Pflanzenleibes dient, und das den Protomeren gegenüber wieder nur ein Teilgebilde ist, ist doch wieder, in seiner Schicht betrachtet, ein außerordentlich mannigfaltig und vielfach zusammengesetztes Gefüge. Auf ein Gewicht und eine Größe von 15000, ja von 16321 Wasserstoff-Einheiten berechnet, hat man es in einer der weit von einander ab-

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Endbegriffe.

weichenden Berechnungen so aufgeteilt, daß man von dieser Summe ungefähr 50 Teile vom Hundert dem Kohlenstoff, 6,5 dem Wasserstoff, 15 dem Stickstoff, 19 dem Sauerstoff, 0,3 dem Schwefel zugemessen hat 1 . Die Verschiedenartigkeit, in der diese Körper, die — etwa im Hämoglobin — den für organische Größenverhältnisse sehr kleinen Durchmesser von 2,4 Tausendstel eines Mikromillimeters, d. h. 2,4 Millionstel eines Millimeters haben, vorkommen können, ist trotzdem noch außerordentlich2. Man hat berechnet, daß die Isomerie der Eiweißmoleküle, d. h. die Vielfachheit ihrer Bauformen, sich auf mindestens 2,3 Trillionen beläuft, d. h. also, daß ein Eiweißmolekül mindestens in 2,3 Trillionen Gestalten vorkommen kann 3 , ja man hat die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß vielleicht jedes Lebewesen, ja selbst jede Zelle Eiweißmoleküle von nur ihm eigentümlichem Gefüge aufzuweisen hat 4 . Die Verschiedenartigkeit der Beschaffenheit und damit die Zahl der aufzufassenden Eigenschaften gründet sich hier nicht mehr nur auf die Unterschiedenheit der das einzelne Eiweißmolekül zusammensetzenden Stoffe, sondern in der Hauptsache auf die Verschiedenartigkeit der Anordnung der Atome im molekularen Gesamtgefüge. Wie groß bei einer Größe von 16321 Wasserstoff-Atom-Einheiten die Zahl der Varianten — Isomeren — sein muß, ist leicht zu ermessen. O. Diels, Einführung in die organische Chemie (* 1922) 310. ) Sehr anschaulich sind die Größenverhältnisse zwischen einem Wasserstoff-, einem Eiweiß- (Hämoglobin-) Molekül und einem submikroskopisch sichtbar zu machenden Goldteilchen in geeigneten Vergrößerungen dargestellt bei Zsigmondy, Kolloidchemie I (• 1923) 14 Taf. I I I . Submikroskopisch heißt die Zone sehr kleiner Körper, in der die kleinsten Teilchen zwar sichtbar, aber nicht getrennt erscheinen (S. 14 Fig. 4 A ) . Doch ist zu bemerken, daß die amikroskopische Zone — der Gürtel der Unsichtbarkeit — bei organischen Kolloiden viel früher einsetzt als bei den hier zu Grunde gelegten Metall- (Gold-) Kolloiden (S. 13f.). *) H a h n , Grundriß der Biochemie (1923) 76. *) H a h n , Biochemie 81. a

Aufbau des Schwefelatoms.

Wachsende Eigenschaftsarmut.

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Aber weder bei den Molekülen noch bei den Atomen — von denen für den Wasserstoff schon zwei genügen, um ein Molekül darzustellen, die sich also auf der gleichen Größenebene wie die Moleküle bewegen, ist das Ende dieser Reihe erreicht. Lassen wir sie bei dem Schwefel enden, von dem ein wenngleich geringer Prozentsatz das Eiweißmolekül zu bilden pflegt, dann ist auch das Schwefelatom noch ein Körper von nicht einfachem, sondern vielgegliedertem Bau. Nach Niels Bohrs Lehre besteht ein Atom Schwefel, da es das Atomgewicht 32 hat, aus 32 Wasserstoffkernen; da jedoch seine positive Kernladung — gemäß seiner Ordnungsziffer im periodischen System — 16 beträgt, so müssen 32 minus 16 Wasserstoffkerne, also 16, durch — ebenso viele — negative Elektrone neutralisiert sein. Mithin besteht der Gesamtkörper eines Atoms Schwefel aus 32 positiven Wasserstoffkernen, dazu 16 um den Kern gelagerten und 16 um ihn kreisenden negativen Elektronen, zusammen also 64 Elektronen. Und damit ist denn nun auch der Punkt erreicht, wo die hier aufgestellte Reihe der Körper sich dem Zustand zwar gewiß nicht der Eigenschaftslosigkeit, auch nicht einmal dem der Eigenschaftseinfachheit, wohl aber dem der Eigenschaftsarmut nähert. Allerdings ist nach Niels Bohrs großem Wirklichkeitstraum auch ein Atom Schwefel noch zusammengesetzt genug ebenso wohl an Teilkörpern — ein Körpersystem von 64 Gliedern ist sehr zerfasert — als an Beziehungen dieser Glieder untereinander. Immerhin ist der Unterschied zwischen dem Eiweißmolekül mit seinen vielleicht 16321 Teileinheiten und dem Schwefelatom mit 64 weit genug. Viel schwerer aber fällt ins Gewicht, daß das Schwefelatom ein fixierter Körper ist, d. h. ein immer und unter jeder äußeren Voraussetzung auswechselbarer Körper, während uns die Erforscher dieser Dinge für das Eiweißmolekül die Wahl lassen zwischen 2,3 Trillionen oder noch mehr Isomeren, d. h. Varianten, dabei aber uns auch eine Möglichkeit von unvergleichlich viel mehr, von annähernd unendlich — in

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper and EndbegriSe.

mathematischem Sinn unendlich—vielen Zustandstormen der Eiweißmoleküle lassen, wenn sie, wie soeben noch erwähnt, erklären, es sei nicht ausgeschlossen, daß jedes Lebewesen, ja jede Zelle eine andre — von allen sonst vorhandenen Arten unterscheidbare — Form von Eiweißmolekülen habe. Zieht man nun in Betracht, daß jedem der 2,3 Trillionen Isomeren auch die Zahl der Eigenschaften in irgend einem arithmetischen Verhältnis entsprechen muß, da für jede Beschaffenheitsform eine Anzahl von Eigenschaften zu folgern ist, so ist der Sprung vom Eiweiß-Molekül bis zum SchwefelAtom ein ungeheurer: von Isomeren für das Schwefelatom ist nicht mehr die Rede; da — wie es scheint — von der Forschung die Einunddasselbigkeit des Schwefelatoms sichergestellt ist, so ist auch die Zahl der Eigenschaften, die es haben kann, eine festgesetzte, ein für alle Mal gleiche. Die Veränderungen, die innerhalb des Schwefelatoms und nach den Folgerungen, die Bohr aus Plancks Quantenlehre gezogen hat, möglich sind, sollen nur gestreift werden: es sind die Umbauwirkungen, die jede Strahlentsendung des Atoms zur Voraussetzung hat 1 , die Bahnwechsel der kreisenden Elektronen2. Im Großen und Ganzen kann angenommen werden, das Schwefelatom wie jedes andre Atom ist ein stets sich gleich bleibender, ein auswechselbarer Körper: der Zustand des Eiweißmoleküls und seiner nach Trillionen zählenden Mannigfaltigkeit der Bauform liegt nun weit dahinten und ist überwunden. Da aber immerhin noch einem Bau von 64 Bestandteilen, die dazu in beständiger Bewegung befindlich sind, die die mannigfachsten Wirkungen auf einander ausüben und die in den mannigfachsten Beziehungen zu einander stehen, eine wenngleich begrenzte, so doch nicht ganz geringe AnJ

) Niels Bohr, Drei Aufsätze über Spektren und Atombau ( 1924) 60 f. s ) Bemerkungen zur allgemeinen Lehre von diesen Vorgängen bei Franck und Jordan, Anregung von Quantensprüngen durch Stöße (1926) 168 f. a

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Eigenschaftsarmut der kleinsten Urkörper.

zahl von Eigenschaften zuzuschreiben ist, so verfolgt das Auge die hier sich ergebende Reihe noch weiter bis zu ihrem vorläufig letzten Gliede: bis zum Elektron. Auch hier ist zwar wieder nicht eine unbedingt auswechselbare Ureinheit gegeben — das letzte Glied, das Elektron, unterscheidet sich darin zu seinem begrifflichen Nachteil vom vorletzten, dem Atom — denn auch die neueste Lehre von den Urkörpern führt uns vor zwei Formen von ihnen: Protonen und Elektronen, positive Kerne und negative Elektronen — im engeren Sinne — die nun zwar an sich stets gleich beschaffen, aber als weder von gleicher Masse, noch von gleicher Wirkung vorgestellt werden. Dennoch ist hier endlich ein Höchstmaß von Gleichförmigkeit und Vertretbarkeit erreicht: jedes negative Elektron kann mit jedem andern negativen Elektron, jedes Proton mit jedem andern Proton ausgewechselt werden und dieser Umstand gründet sich wiederum auf die — in dem hier verfolgten Zusammenhang entscheidend in Betracht kommende — Eigenschaftsarmut. Die Elektronen, bei denen heute die Wissenschaft als den kleinsten Urkörpern Halt gemacht hat, haben wirklich ein Mindestmaß von Eigenschaften: sie besitzen die Eigenschaften der Raumausfüllung und der Undurchdringbarkeit, sie bewegen sich — wie fürs erste mit allem Vorbehalt unterstellt sein möge aus ihrer Eigenkraft — unablässig, sie stoßen ihresgleichen ab, die Protonen also die Protonen, die Elektronen die Elektronen, und ziehen die ihnen ungleichen Urkörper an — also die Protonen die Elektronen und die Elektronen die Protonen. Die die beiden Gattungen der Urkörper unterscheidenden Eigenschaften, ihre Masse, ihr Umfang und die ihnen innewohnende Wirkungskraft — die elektrische Ladung — treten noch hinzu: die Masse eines Elektrons ist der 1835. Teil der Masse eines neutralen Wasserstoffatoms, woraus dann folgt, das die 1834 übrigen Teile der Atommasse dem Proton, dem positiven Kern zufallen, dessen Masse also 1834 Mal größer ist 1 . Der Umfang freilich ') G r a e t z , Die Atomtheorie (« 1925) 26. B r e y s i g , Natargesohiohte nnd Menschheitsgeschichte.

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Endbegrifie.

verhält sich entgegengesetzt: die Größe eines Protons verhält sich — bei genügender Vergrößerung — zu der eines Elektrons wie eine Kugel von 12 Centimetern Durchmesser zu einer Kugel von 240 Metern Durchmesser. Die Reihe, die hier verfolgt wurde, ist absichtlich in aller Bestimmtheit und Zahlenmäßigkeit ihrer Beschaffenheit, nicht mit einigen allgemeinen Kennzeichnungen, die blaß und unwirksam bleiben würden, umschrieben worden. Sie ist jetzt am Ende. Man schaue rückwärts und vergleiche ihre Eigenschaften mit denen einer Reihe, in die man das Aufeinander der Begriffe irgend eines beliebigen Teil-Lehrgebäudes, von den untersten, dem Boden der Wirklichkeit zunächst gelagerten Tatbeständen aufwärts bis zu den allgemeinsten Oberbegriffen ordnen könnte. In ihren entscheidenden Bauformen stimmen sie überein. Nur zwei Unterschiede, die allerdings im Aufbau beider Stufenfolgen obwalten, könnten sich diesem Vergleich als Hindernisse in den Weg stellen. Wohl sind sie beide zu beseitigen, aber sie müssen erörtert werden, um ihre Unschädlichkeit zu erweisen. Zuerst ein ganz formales Bedenken: wir sind gewohnt, bei allen induktiven, d. h. vom Boden der zunächst erfahrbaren Wirklichkeiten aufwärts zu immer stoffleereren Begrifflichkeiten aufsteigenden Stammbäumen dieser Art die letzteren den oberen, die ersteren den unteren Ebenen zuzuweisen. Wir würden aber andrerseits die an sich völlig andere zu Stande gekommenen Ordnungen, die wir von der Zusammensetzung der Stoffarten und von ihrer Zurückleitung auf immer einfachere, immer elementarere Grundstoffe allenfalls würden entwerfen wollen, gerade umgekehrt aufbauen, und würden in der hier als Beispiel gewählten Reihe etwa den Stammbaum bei den Elektronen in der untersten Ebene beginnen und ihn in der obersten Schicht bei den Eiweißmolekülen enden lassen. Doch es leuchtet ein, daß diese Zwiegespaltenheit nur ein Ergebnis der zeichnerischen Anordnung, nicht aber der inneren Bezogenheit ist und daß

Seinsgelüge den Begrifisgefügen ähnlich.

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der hier angestellte Vergleich ganz mit Recht die Umkehrung des zweiten Stammbaums vornimmt, wenn er ihn mit Nutzen dem ersten an die Seite stellen will. Ein zweites Bedenken ist sachlicher Art, insofern es zwar zunächst die begriffliche Ordnung ihrer Glieder, zugleich aber auch ihre wirkliche Ordnung und ihre sehr wirklichen Beziehungen zu einander angeht. Die Reihe, die hier dem anorganischen und in ihrer letzten Ausgipfelung dem organischbiischen Reich entnommen ist, ist nicht nur eine Abfolge des begrifflichen Aus-, sondern auch eine des entwicklungsgeschichtlichen Nacheinander: so wenigstens wie heutige Wissenschaft diese Dinge sieht, ist hier die einfachste Form des Seins und Geschehens auch die früheste, die am Anfang des Werdegangs der Welt stehende und jeder Fortschritt an Zusammengesetztheit fällt zusammen mit einem Fortschritt zum nächsten Entwicklungsabschnitt. Nun läßt sich zwar von dem hier gewählten Beispiel, das die Reihe von der Eiche bis zum organischen Wesen umfaßt, allenfalls das gleiche annehmen, wenn man sie, wie soeben als zulässig dargelegt wurde, in umgekehrter Abfolge liest. Doch ist dies nur um deswillen der Fall, weil auch dieser Begriffsstammbaum einem Bezirk der erfahrbaren Wirklichkeit entnommen worden ist und deswegen mit einem Werdens-, einem entwicklungsgeschichtlichen Stammbaum zusammenfällt. Aber diese Wahl ist nur willkürlich, hätte sie dies Beispiel dem Bereich der reinen Erkenntnislehre entnommen, so würde es diese Eigenschaft nicht aufweisen. Andrerseits — und damit kehrt diese Darlegung zu der Frage zurück, die zugleich ihr Ausgangs- und ihr Zielpunkt ist — weist wirklich das Weltgeschehen in dem Maße, wie hier vorläufig unterstellt wurde, ähnliche Gefüge im Sein, wie unser Geist im Begriff auf ? Sie muß von Grund aus bejaht werden, weil die Art der Abfolge, wie beide das Einfache zum Zusammengesetzten, die Bestandteile zu den Ganzheiten ordnen, die gleiche ist. Wie, um wieder zu den hier behandelten Beispielen zurückzugreifen, der Urkörper Elek5»

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper and Weltkörper.

tron Bich zu immer größeren, immer zusammengesetzteren Körpern erweitert, so auch der Urbegriff organisches Wesen. Und beiden Stammbäumen ist gemeinsam, daß der Stammvater, die Ursubstanz durch alle von ihm abstammenden Ordnungsebenen hindurch, allen seinen Sohnes- und Enkelgebilden angehörig bleibt und daß die Generationenfolge mit jeder neuen Geburt immer eigenschaftsreicher wird. Aus diesen Gründen wird man sagen dürfen, daß das wortund begriffslose Geschehen der Weltvernunft in seinen Bauweisen den denkenden und nennenden Vornahmen der Menschenvernunft ebenbürtig ist. Daß sie ihr in der Feinheit, Folgerichtigkeit, im Reichtum ihrer Formen um ein Vielfaches überlegen ist, daran sei nur zum Schluß noch einmal erinnert. Sechstes Stück. Urkörper und Weltkörper. Stellt man sich die Phalanx der anorganischen Erscheinungen geordnet nach der Größe der ihr zugehörigen Naturdinge vor, so wird sie zur Rechten und zur Linken eingerahmt von einer Kolonne des eindrucksvollsten Aufbaus. Die eine von ihnen, die der kleinsten Weltkörper, zur Linken, die andere, die der größten Weltkörper, zur Rechten, volle Gegensätze darstellend in Hinsicht auf den Umfang der von ihnen umfaßten Naturwesenheiten, auf das Wundersamste aber sich ähnlich durch die entscheidenden Grundgedanken ihrer Ordnung und ihrer Bewegung. Hier die im ungeheuren Raum dahin eilenden Sonnensterne, umgeben von den sie umkreisenden Wandelsternen, ihren Begleitern, dort die Welt der Atome, Körper von unsäglicher, für uns kaum ausdenkbarer Kleinheit; aber auch sie nach Formgedanken aufgebaut: jedes Atom einem Sonnensystem vergleichbar, der Kernkörper in der Mitte und auch ihn, die Sonne des Proton, eine Anzahl von Planeten umkreisend: die Elektronen, die

Elektronen und Planeten, Unermefilichkeit von Zabl und Mafi.

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in weiter, weiter Entfernung sieh um ihre Sonne wälzen, sie, die Zwerge, nach ganz gleich ehernen Gesetzen sich bewegend, wie die Riesenkörper der Planeten um ihr Königsgestirn den ewigen Reigen ziehen. Und wie die eisernen Regeln, nach denen sich dort die größten, hier die kleinsten Körper in unaufhörlicher Dauer bewegen, einander ähnlich sind, so sind es auch die schwindelnd hohen Zahlen, bis zu denen Himmels- wie Urkörper den Reichtum ihres Auftretens steigern. Als neueste Botschaft aus entferntesten Räumen wird uns die Kunde von einem unermeßlich großen, aber zur Einheit zusammengefaßten Schwärm von Sternenhaufen, einem Heer von Gestirn-Heeren, von der Coma-Virgo-Wolke, die von uns um 300 Trillionen Kilometer entfernt ist, die auf einen Längsdurchmesser von 21/10 Trillionen Kilometern geschätzt wird und von der doch noch wunderreicher als diese Zahlengrößen der Aufbau ihrer Ordnungen ist. Denn man glaubt von ihr annehmen zu können, daß sie von unserem eigenen Gestirneheer, von der Weltinsel der Milchstraße her gesehen ein Gebilde noch höherer Ebene als diese mit ihren 300 bis 400 Milliarden Sonnensterne darstellt und daß unter den 103 Spiralnebeln, aus denen sie besteht, sich solche befinden können, die mit den bisher als größte angesehenen GestirnGefügen, also mit dem Andromeda-Nebel oder unserem Milchstraßengebäude eines Größen- und Ordnungsranges sind. So daß es zum mindesten wahrscheinlich ist, daß diese ComaVirgo-Wolke ein System von Systemen, eine Schaar von Welten darstellt. Dieselbe Unermeßlichkeit von Zahl und Maß wie im Riesenreich der Gestirne eröffnet sich unseren Augen im Zwergenland der Urkörper, nur in der umgekehrten Richtung auf das unermeßlich Kleine. Wir hören doch mit immer neuem Staunen, daß der Halbmesser eines Elektrons 17% Billionstel eines Zentimeters mißt, daß ein Kubikzentimeter Trillionen von Elektronen enthält, daß ein Gramm Materie etwa einer Quadrillion von Elektronen gleichzusetzen ist, daß das Licht

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Weltkörper.

einer Hundert-Kerzenlampe dadurch hervorgebracht wird, daß ihr Draht in jeder Sekunde von drei Trillionen Elektronen durchjagt "wird1. Zuweilen kreuzen sich die Grenzen beider Reiche und die unermeßlichen Zahlen des einen werden auf die des andern gehäuft. Die an sich nur physikalische Tatsache, daß der uns als Licht kund werdende Strahl den Raum mit einer Geschwindigkeit von 300000 Kilometern in der Sekunde durcheilt, ist die Unterlage für die Berechnung einer astronomischen Maßeinheit geworden, für das Lichtjahr, d. h. die Entfernung von etwas weniger als 9% Billionen Kilometer, und wie man heute lieber rechnet für eine Sternweite — 1 parsec — d. h. den 3 1 / 4 fachen Betrag eines Lichtjahres, zwei Maße auf die die Sternkunde alle Entfernungen zurückleitet 2 . Schließlich aber hat man, wie um den Gipfel aller Zahlenmöglichkeiten zu ersteigen, die Summe der Elektronen, der kleinsten Körper, aus denen sich der größte, die Welt, zusammensetzt, ausrechnen wollen und ist dabei auf die Zahl 1078, d. h. auf eine Quintillion Oktillionen gekommen, eine Zahl die, wollte man sie als Ziffer schreiben, achtundsiebzig Nullen zählen würde 3 . Daß diese Zahl auf dem Grund der Annahme de Sitters von einer endlichen Welt, des weiteren also auf der des Minkowskischen Kugelraumes — die eine so willkürlich und irreführend, wie die andere — aufgebaut ist, kann für den hier obschwebenden Gedankengang bei Seite gelassen werden. Auch handelt es sich bei derartigen Be*) Graetz, Alte Vorstellungen und neue Tatsachen der Physik (1925) 34. *) Die genauen Zahlen vgl. bei P. ten Bruggencate und Kienle, Astronom, und physikal. Grundbegriffe (Kopff, Physik des Kosmos [1928]) 10. Das Lichtjahr beträgt 0,9463 10" cm, was hier mitgeteilt sein mag, -weil sich zuweilen auch fehlerhafte Angaben in das wissenschaftliche Schrifttum einschleichen: so 10 w km statt allenfalls 101S km bei Bottlinger (Das Lichtjahr: Handwörterbuch der Physik [ a 1932] 725). *) Haas, Naturbild der Neuen Physik "134.

Ähnlichkeit der Ordnungen.

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xechnungen, wenn nur ihr schwankendes Ungefähr im Auge behalten wird, nicht um müßige Zahlenspiele. Denn auch diese Eigenschaft des Weltgeschehens — ihre schier unendliche Zusammengesetztheit — wird, wie später nachgewiesen werden wird, nicht ohne Nutzen für die Zusammengesetztheit menschlicher Angelegenheiten als Urbild und Gleichnis herangezogen werden können. Wollte man sich aber auch dem an sich höchst begreiflichen Bausch der Bewunderung dieser Maße ohne Maß, der die Physiker und Astronomen beseelt, verschließen, so müßte doch auch die nüchternste Weltbetrachtung überwältigt werden von der ungeheuren Macht des immer beständigen, immer einheitlichen Gesetzes, das das Geschehen in diesen beiden Beichen der Unermeßlichkeit beherrscht von den weitesten Fernen der Sternen- bis zu den tiefsten Tiefen der Urkörperwelt. Die Ähnlichkeiten der beiden Ordnungen drängen sich dem vergleichenden Auge auf und selbst die elementarsten und heute fast wie selbstverständlich hingenommenen sind bemerkenswert genug. Zuerst die eine, die den Bau beider Gliederungsformen am grundsätzlichsten bestimmt: daß hier jedes Mal die anziehende Gewalt eines an Kraft überlegenen Mittelkörpers einen oder mehrere an Kraft schwächere Körper soweit in seinen Bann gezogen hat, daß er sie genötigt hat, ihren eigenen geradlinigen Weg zu verlassen und ihn in kreisförmigen oder elliptischen Bahnen beständig zu umlaufen, ohne daß er sie doch in seine nächste Nähe zu kommen oder sich gar in ihn zu stürzen gezwungen hat. In beiden Fällen wird einem Körper, der entweder — im Fall der Elektronen — von jeher den Weltraum frei durcheilt hat oder — im Fall der Planeten — ihn ohne diesen Zwang fessellos zu durchmessen im Stande wäre, die schwerste Beeinträchtigung zugefügt, die ihm widerfahren kann: es wird seine Bewegung, d. h. die einzige Selbstbetätigung, die ihm vergönnt ist, aus einer freien, hemmungslos durch den Raum schießenden in eine örtlich gebundene

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Weltkörper.

verwandelt. Er wird aus einem freien Glied des großen Weltgeschehens der Untertan eines fremden Verbandes, das zwangsmäßig laufende Rad in einem straff gebundenen Triebwerk. Am erstaunlichsten ist von den Eigenschaften dieser Gliedergebilde, daß die Anziehungskraft, durch die die energieschwächeren Gliedkörper am Kreisrand des Gliederballs von der übermächtigen Mitte zu veränderten Läufen gezwungen werden, zumeist nicht so stark ist, sie bis zu völliger Näherung oder gar Vereinigung zu zwingen. Dies ist in beiden Körperformen der Fall und es entsteht so eine Ordnung des Gesamtbaus, die bis in Einzelheiten hinein eine immerhin weitgehende Ähnlichkeit des Kräftespieles im Gliederganzen erkennen läßt. Man entsinne sich der Größen-Umschreibung, durch die man die Verteilung der Planeten im Baum des Sonnensystems anschaulich gemacht hat. Wird die Sonne als ein Ball von einem vierzig Meter betragenden Durchmesser vorgestellt, der sich am Ort des Doms von Berlin befindet und seiner Kuppel an Größe ungefähr ähnlich ist, dann würde dieMerkurbahn durch das Reichstagsgebäude zu legen sein; die Venus würde den Tiergarten zwischen dem Großen und dem Kleinen Stern durchschneiden und die Erde, in den Abmessungen einer sehr großen Kegelkugel mit einem Durchmesser von 37 Zentimetern, in der Entfernung des Tiergarten-Bahnhofs die Dom-Sonne umkreisen. Der Mars hat dann die Entfernimg des Zoologischen Gartens, Jupiter die von Spandau, während Saturn auf Nauen, Uranus auf Frankfurt an der Oder, Neptun auf Magdeburg trifft. Der Mond würde in dieser selben Übertragung als ein Kinderball von einem Durchmesser von 10 Zentimetern, die 37 Zentimeter starke Erde in einer Entfernung von 11 Metern umkreisen1. Wir sind verwundert ob dieser Menge an leeren Zwischenräumen, die allerdings gemessen an den Entfernungen des Fixsternhimmels, der bei hinlänglicher Größenumschreibung einen Fixstern von der Größe eines Stecknadelkopfes in Berlin, seinen nächsten Nachbarn aber erst in Magdeburg >) Scheiner, Der Bau des Weltalls (» 1908) 8.

Vergleich der Radien, Vergleich der Dichtigkeit

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zeigt, noch gering ist. Aber wir erstaunen doch noch mehr, wenn uns mitgeteilt wird, daß im Innern eines Wasserstoffatoms die Größen der Gliedkörper und der Entfernungen, wie schon einmal in anderem Zusammenhang berührt wurde, bei gehöriger Umrechnung die folgenden sind. Der positive Kern des Atoms, das Proton, befindet sich in der Größe eines Kinderballs in Berlin; da das Atom zum Umfang der Erdkugel erweitert gedacht ist, so wird das negative Elektron, das das Proton umkreist, in der Entfernung, die der Länge des Erdradius, d. h. 6350 Kilometern entspricht, also ungefähr in der Gegend halbwegs zwischen Omsk und Jrkutsk zu suchen sein, wenn dabei die Eisenbahnlänge dieser Strecke in Betracht gezogen wird. Die Maße der in beiden Fällen von Gliedergebilden in Betracht kommenden Entfernungen zwischen der regierenden Mitte und den regierten Außengliedern sind denkbar verschieden. Der Radius eines Wasserstoffatoms, d. h. also die Entfernung zwischen einem Kern und der ersten, der einquantigen Bahn des ihn umkreisenden negativen Elektrons beträgt 1 0,55 mal den Tausend-Millionsten Teil eines Centimeters. Der Radius der Bahn, auf der der Pluto die Sonne umkreist, beträgt 5906 Millionen Kilometer. Und doch ist ein Vergleich möglich in Hinsicht auf das Verhältnis, in dem diese Entfernungen zueinander stehen, in Hinsicht also auf die Dichtigkeit der Bewohntheit des Baums, und da ergiebt sich auf den ersten Blick, daß die Leere des Baumes, die innerhalb des Gliederganzen des Sonnensystems herrscht, verglichen mit der innerhalb eines Atoms eine dichte Fülle genannt zu werden verdient. Und selbst die unendliche Leere des Fixsternhimmels — man entsinne sich des Stecknadelkopfes in Berlin und des andern in Magdeburg als der Gleichnisbilder für die Entfernung zweier Fixsterne von einander — erscheint von der Größenebene der Weltkörper auf die ganz andere der Urkörper übertragen noch verhältnismäßig dicht besetzt. Für uns ') Graetz, Atomtheorie

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Weltkörper.

Laien ein immer von neuem aufs äußerste verwunderlicher Tatbestand, der uns nur faßbar erscheint, wenn man uns, — wie schon einmal berührt — mitteilt, daß die Erde dann, wenn die Elektronen, aus denen sie besteht, eng aneinander gepackt wären, den Raum einer Stube einnehmen würde. In den Ordnungen überwiegen die Ähnlichkeiten, aber selbst da wo ein Mischverhältnis von Übereinstimmung und Abweichung stattfindet, sind die Entsprechungen noch außerordentlich schlagende. Sehr auffällig ist die Umkehrung des GrößenverhältnisBes zwischen dem regierenden Körper der Mitte und den abhängigen Gliedern des Ganzen am Rreisrand. Die Sonne ist ihren Geleitsternen an Größe außerordentlich überlegen: man entsinne sich, daß die Erde mitsamt ihrem Begleiter, dem doch nicht ganz nahen Mond, in den Innenraum der Sonne versetzt werden könnte, ohne daß ihr dort eine allzu nahe Enge drohen würde. Nach der noch eben benutzten Umrechnimg würde in der vierzig Meter im Durchmesser haltenden Kugel der Sonne die 37 Centimeter starke Erde und das von ihr um elf Meter entfernte, zehn Centimeter breite Kügelchen des Mondes so bequem untergebracht werden können, daß der Zwischenraum zwischen der Oberfläche der Sonne und der Erde noch immer doppelt so groß sein würde wie die Entfernung der Mondbahn von der Erde 1 . Noch eindrucksvoller ist der Unterschied des Gewichts: man meint das Gewicht der Erde auf ein wenig unter 6000 Trillionen Tonnen, das der Sonne aber auf 2000 Millionen Trillionen, also das 332000 fache des Gewichts der Erde schätzen zu können 2 . Schlechthin umgekehrt verhält sich die Größe des Kerns im Atom zu derjenigen der Elektronen der Hülle. Der Radius eines Elektrons des Kreisrandes mißt 1,9 mal den zehnbillionsten Teil eines Zentimeters, während der des Protons nur ein Mal den zehntausend billionsten Teil eines Zenti») Scheiner, Der Bau des Weltalls (» 1908) 9. s ) Jeans, Sterne, Welten und Atome (1931) 56.

Übereinstimmungen und Abweichungen.

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meters als Länge aufweist, mithin rund nur den 2000. Teil der Länge von jenem mißt. Es steht damit so, daß, wenn man jenes Gleichnisbild zu Hilfe ruft, das hier aus dem gleichen Grund schon einmal zu Rate gezogen wurde und das das Atom zum Umfang des Erdballs erweitert zeigt, das negative Elektron, das in der Hülle des Atoms kreist, die Größe einer einhundertzwanzig Meter im Durchmesser haltenden Kugel aufweist, also etwa die Größe der Sankt Peterskirche in Rom, zum Ball erweitert, während das Proton der Mitte nur 12 Zentimeter Durchmesser hat, also nur den tausendsten Teil1, nur die Größe eines Kinderballs. Aber dies Verhältnis ist nur scheinbar; in Wahrheit wird es durch einen zweiten Tatbestand völlig in sein Gegenteil verwandelt. Schon die anziehende Kraft des Protons, die das große Elektron der Hülle so weit bezwingt, daß es ihm eine kreisende Bahn aufnötigt, läßt erkennen wie überlegen seine Kraft der der negativen Elektronen ist. Sie wird noch ersichtlicher dadurch, daß andere Elektronen von dem Proton der Mitte sogar ganz nahe an sich gezogen werden, so nahe, daß sie sich mit ihm vereinigen. Der Grund dieser Erscheinung ist, daß, so gering die Größe der Protonen des Kerns ist, ihre Masse, d. h. die Summe der in ihnen aufgespeicherten Energien, um ein Vielfaches, fast um ebensoviel größer ist, wie der Umfang des negativen Elektrons größer als der eines positiven Protons. Die Energie der Protonen ist annähernd 2000 Mal so stark, als die eines Elektrons der Hülle. Die Übermacht des Protons zeigt sich dann am stärksten, wenn ein negatives Elektron von ihm zu äußerster Annäherung gezwungen wird; dann verschlingt es den Kömmling vollständig. Wieso das Elektron, das doch tausend Mal so groß wie das Proton ist, von diesem verschlungen werden kann, ist eines von den kleineren Wundern des rätselreichen Weltgeschehens. So viel im Einzelnen die Erscheinungen dieser Gruppen in den beiden Reichen, hier in dem der Welt-, dort in dem ') Graetz, Atomtheorie ' 46.

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Urordnungen: Vernunft: Urkörper und Weltbörper.

der Urkörper, von einander abweichen, das Gradverhältnis ist doch in einem erstaunlichen Maße ähnlich: die Übermacht eines Körpers der Mitte, der die sehr viel schwächeren Teilkörper der Hülle eines Raumballs in Unterwerfung zwingt und ihnen das in alle Ewigkeit beständige Durchlaufen einer halb unabhängigen, halb abhängigen Kreisbahn aufnötigt. Aber gerade indem nicht das Auge — dem wäre es ja unmöglich — aber unsere Einbildungskraft die ungeheueren Größen-Unterschiede überfliegt, die zwischen den Körpergrößen, den Bewegungsmaßen der Urkörper hier, der Weltkörper dort sich spannen, wird unsere Seele ergriffen von der eisernen, unerbittlichen Gewalt, mit der in ihnen die Ordnung des Weltgeschehens waltet. Der Gang der Elektronen bleibt wohl durch eine unverkürzte Ewigkeit an die ihm gesetzten Maße von Billionstein von Sekunden, von Billionstein eines Centimeters gebunden; aber auch ein Planet magAeonenund Aeonen brauchen, ehe er in den Kreisläufen seiner nach Milliarden von Kilometern und nach Jahrhunderten von Wegleistung messenden Bahnen auch nur um einer Sekunde oder eines Centimeters Maß von seinem Tun abweicht. Der Mensch aber hat vielleicht 25 Jahrtausende gebraucht, ehe er seinen Verstand so weit an diesem Vorbild schulte, um eine annähernd gleiche Exaktheit seines Beobachtens, seines Handelns zu erreichen. Unverdrossen aber verkünden unsere eifervollen Noologen und Geistesdeuter, erst der Mensch habe Maß und Ordnung aus seinem reichen Geist in diese arme Welt gebracht. Mit noch mehr Übersteigerung hat wohl menschlicher Hochmut nie das Verhältnis unseres kleinen Geschlechtes zum großen Weltgeschehen in sein Gegenteil verkehrt.

ZWEITES BUCH.

URKRÄFTE. Erster

Abschnitt.

Weltkräfte und Seelenkräfte. Erstes Stück. Die

Nähe

des

menschlichen Willens geschehen.

am

Welt-

Längst sind Bedenken dagegen wach geworden den Willen in die gleiche Reihe mit den anderen Seelenkräften zu ordnen. Man macht geltend, daß die Auswirkungen des Willens niemals mit derselben Deutlichkeit wie die jener anderen Kräfte unseres Ichs abgesondert und als selbständige betrachtet werden können: immer mischen sie sich mit den Gehalten, die ihnen die anderen Kräfte zur Verfügung stellen. Sehen wir den Willen als diejenige unserer Seelenkräfte an, die im Stande ist unserem Handeln wie unserem Denken, Einbilden und Fühlen Vorschriften zu machen, indem sie sie aufruft, ihnen die Richtung ihrer Betätigung anweist und diese Betätigung fortdauern, sie sich verstärken oder abschwächen läßt, sie unterbricht oder beendet, so ergiebt sich schon aus dieser Begriffsumgrenzung, daß dem Willen an sich jeder Gehalt abgeht, daß er nur Gewalt übt, nicht Gestalt giebt. Dem Willen kommt so ein seltsames Doppelverhältnis zu den ihm verschwisterten Seelenkräften zu: er steht ihnen nach, insofern er für seine Befehle, richtiger gesagt für seine Spannungen — denn ein Befehl hat schon einen Gehalt — erst die Inhalte entleihen muß, ohne die diese Spannungen ein färb- und formloses Nichts wären. Und wiederum würde

78

Urkräfte: Weltkräfte: Menschlicher Willen und Weltgeschehen.

den Auswirkungen unseres Denkens, Einbildens, Fühlens, wie unseres Tuns selbst jeder Nachdruck genommen: unser handelndes wie unser geistiges Leben würde zum Traum, zu kraitlosem Spiel erniedert werden, würden ihnen die Innervationen, eben die Spannungen und mit ihnen Stärke und Stetigkeit genommen, die sie aus sich selbst nicht schöpfen können. Denn ohne Zweifel vermögen wir, ja sind es gewohnt, auch ungewollt zu handeln, zu denken, Einbildungen zu haben, zu fühlen. Aber erst das bestimmte Einsetzen, die Stetigkeit und unter Umständen die Steigerungen, auch Abschwächungen der Kraft, die wir an unsere geistigen wie handelnden Fähigkeiten setzen und die vom Willen auegehen, verleihen unserem Tun jedweder Art in der Kegel erst Erfolg und Dauer. So verhalten sich also Verstand, Einbildungskraft, Gefühl zum Willen wie Werkzeuge. Aber sie haben vor ihm voraus, daß sie, jedes für sich, einen eigenen Tätigkeitsbereich haben, daß sie sich in einer Fülle von Einzelfähigkeiten entfalten, auch daß ihr Auswirkungsfeld ganz scharf gegen das der anderen zwei Seelenkräfte abzugrenzen ist, wenngleich sie mit ihnen häufige Tätigkeitsverbindungen eingehen. Wenn wir das Insgesamt unserer Denkfähigkeiten Verstand, das unserer willkürlichen Vorstellungsfähigkeiten Einbildungekraft, das unserer seelischen Fühlfähigkeiten Gefühl nennen, eo ist jede dieser Gesamtkräfte in eine Mannigfaltigkeit von Einzelfähigkeiten zu zerlegen. Der Wille aber hat keinen Sonderbezirk von Tätigkeitsformen und die Sonderfähigkeiten, in die man ihn zerlegen kann — Beharrungekraft, Angriffekraft — Elan — und so fort — verharren ebenfalls in einer Mitte unseres Wesens, die ibnen nicht erlaubt, mit der Umwelt unseres Ich-Seins in unmittelbare Berührung zu treten oder nur den Kreisrand unseres Ichs zu erreichen. Nur in der Gestalt der Verbindungen, die der Wille allerdings auch mit den Einzelfähigkeiten des Denkens, deB Fühlens, der Einbildungskraft eingeht, ist ihm verstattet, über diesen Kreisrand hinauezuwirken: so wenn etwa den ausübenden

Willenskraft als Teilkraft der Mitte.

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Tonkünstler eine ausgezeichnete Zucht seines Willens erst zu den Leistungen seines Musizierens befähigt, oder wenn der ekstatische Gläubige seine heiligen Tagträume •willkürlich erzeugt, oder wenn der Liebende ebenso willkürlich die Wallungen seines Liebesgefühls für die entfernte Geliebte erzeugt. Ingleichen ist das Handeln selbst doch ein Geschehen an und für sich, das selbst nicht Wille, nur vom Willen geleitet ist. So hat der Wille, wenn man seinen Tätigkeitsbereich, den Umkreis seines Wirkens umschreiben will, nur das Insgesamt unseres Ichs als Reich, während ihm keiner von dessen Sonderbezirken zugehört. Er ist immer nur Triebkraft, nie selbst Werkzeug. Und so ist er denn wie die Urkraft, die Kraft der Mitte, die den Innenbau und durch ihn die ausgeformten Kräfte unseres Ichs vom Kern her beherscht, durchaus eine ungeformte treibende Kraft 1 . Ganz gewiß nicht sie selbst, sondern nur eine Teilkraft von ihr, mit eigenen Tätigkeiten, eigens ausgebildeten Fähigkeiten. Für ein und dasselbe wie die Kraft der Mitte kann die Willenskraft nicht erklärt werden: weil alle die großen Hauptkräfte, Verstand, Einbildungskraft und Gefühl von der Kraft der Mitte gespeist werden, von ihr Stärke, Schritt- und Zeitmaß gesetzt erhalten. Sie wie alle die Einzelkräfte, in die sie sich wieder zergliedern, empfangen die Gesamtsumme ihres Könnens und Vermögens von der Kraft der Mitte zuerteilt. Somit darf nicht eine an sich schon eigens ausgeformte Hauptkraft — eine spezialisierte Centraikraft — wie die Willenskraft mit ihr gleichgesetzt werden. Denn sie würde die drei Werkzeugkräfte nur mit den besonderen Antrieben ihrer Tätigkeitsform — den Spannungen zu willkürlichem Beginnen oder Beenden für die Handlungen der Denk-, Einbildungs- und Fühlkraft versorgen können, nicht aber mit der für sie erforderlichen Gesamtkraft. Über die Triebkräfte unserer Seele zu sprechen ist schon um deswillen schwierig, weil jedes Wort, das hier gewählt wird, bild- und gleichnishaft sein muß. Am ehesten möchten ') Vergl. Vom geschichtlichen Werden I (1925) 7 f.

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Urkräfte: Weltkräite: Menschlicher Willen und Weltgeschehen.

physiologische Vergleiche, etwa aus dem Tätigkeitsbereich des Herzens, dem wirklichen Tatbestand nahe kommen. Aus dem anorganischen Reich bietet sich immer von neuem das freilich unvollständige Gleichnis einer elektrischen Triebkraft an, der — etwa in einer vielfach ausgegliederten Maschinenfabrik — obliegt eine Anzahl von Einzelmaschinen in Bewegung zu halten. Nehme man an, ein Teil dieser elektrischen Triebkraft müsse abgezweigt werden, lediglich um die Einzelmaschinen jeweils in Bewegung zu setzen und zum Stillstand zu bringen, nicht aber sie für die Dauer mit Strom zu versorgen, so würde sich ein annähernd ähnliches Verhältnis ergeben, wie das der Willenskraft zur Kraft der Mitte. Kein Zweifel, dem Willen kommt unter den Seelenkräften eine eigens dumpfe und ungeistige Stellung zu. Noch weniger würde es möglich sein, ihn eine Geisteskraft zu nennen, als das Gefühl. Denn das Gefühl hat, wenn man es nicht allen Inhaltes berauben will — was aus mehr als einem Grunde zu widerraten ist — Vorstellungsgehalte, die es immerhin einer rein geistigen Kraft, der Einbildungskraft, sehr nahe rücken, wie sie sie denn auch von ihr entleihen muß. Den Willen aber — dem Gefühl entsprechend — etwa mit Zielvorstellungen angefüllt anzunehmen, geht n ch weniger an. Die eigentümlich ungeistige, brutale Beschaffenheit, die so für ihn übrig bleibt, nähert ihn umso mehr den Formen des Naturgeschehens, die hier mit ihm verglichen werden sollen. Der Wille will: wenn in Wahrheit von dieser unserer Seelenkraft nur das ausgesagt werden soll und darf, so stehen die Naturgewalten, und zwar schon die des anorganischen Reiches, diesem Teil unseres überkörperlichen Wesens näher als irgend einem anderen. Wohl geht ihnen die Bespiegelung ihres Geschehens, die uns die Bewußtheit auch unserer Willensvorgänge ermöglicht, gänzlich ab. Aber auch in diesem Betracht rückt den Willen seine besondere Beschaffenheit den Naturgewalten eigens nahe. Denn das Bewußtwerden unserer Willensmaßnahmen erfolgt ja nicht durch sie selbst, sondern

Der Wille den N&tnrkräften eigens nah.

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durch den Verstand oder, wenn es sich um ein zukünftiges Tun handelt, durch die Einbildungskraft. Es bedarf sehr strenger Eigenzucht, um die Willenshandlungen nur zeitweise unter den Lichtkreis des Bewußtseins zu stellen. Der Wille treibt ohne solche eigenen Maßnahmen sein so starkes Werk in der überwiegenden Mehrzahl seiner Anspannungen im Ihinkel des Unbewußten: die Vornahmen gegenwärtigen oder namentlich zukünftigen Handelns, die er bewußt ausführt, bilden die Ausnahme. Es ist von höchstem Wert für den hier obschwebenden Gedankengang, der nur zu Zwecken der Gesellschafts-Seelenkunde und im weiteren Verlauf der Geschichtslehre unternommen ist, daß im Bereich der Einzelseelenkunde, wenngleich schwerlich bisher von ihr bemerkt, ein Tatbestand ihm zu Hilfe kommt, den gespannte Selbstbeobachtung ohne weiteres erkennen kann. Gerade die für unser Schicksal wichtigsten und es wendenden Handlungen führen wir ohne jede Voransehickung irgend eines Planens, Erwägens, ja selbst ohne jedes bewußte Beschließen aus, weil die Begehrungen, die Wollungen in uns so augenblicklich und in so zweifelloser Stärke aufkommen, daß wir nur tun, nicht denken. In solchen Fällen scheint also selbst der Umstand der Bespiegelung im Bewußtsein ausgeschlossen: mithin die nächste Nähe zum Naturgeschehen erreicht.

Zweites Stück. W i l l e und Welt. Läßt man aber auch diese Hilfstatsache bei Seite: in der Wirkung kommen das Tun des Menschen und das Geschehen der Naturdinge gleichwohl ganz nahe zusammen. Die Willensformen, die wir am meisten am Menschen zu rühmen lieben, kennzeichnen wir als die des heftigsten, d. h. des schnellsten Tuns, als die des unaufhaltsamsten, d. h. des stärksten Tuns, B r e y « I g , Naturgeschichte und MensohheitigeschiohU.

6

82

Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wille und Welt.

als die des folgerichtigsten Tuns, als die des beständigsten Tuns. Und nun prüfe man einige der elementarsten Tatsachen, die das anorganische Reich in Hinsicht auf das Urgeschehen der Körper, ihre Bewegung darbietet. Zwei seiner Bezirke, der der größten und der der kleinsten Weltkörper drängen sich hier dem suchenden Blick vorzüglich entgegen. Einmal weil sie in der Stufenleiter der Körpergrößen die beiden Endpunkte darstellen, sodann weil in ihrem Dasein Bewegung an sich die wesentlichste ihrer Geschehensformen ausmacht. Man wird ohne weiteres annehmen dürfen, daß die Geschwindigkeit, die man zuerst an den von unseren Augen als leuchtend empfangenen Strahlen gemessen hat, die 300000 Kilometer in der Sekunde beträgt und die die höchste von allen beobachteten ist, ein Endmaß bedeutet. Dafür spricht, daß auch die Beta-Strahlen des Radiums, d. h. Wasserstoffelektronen1, wenn sie dem Zwang ihrer Verbände, des Atoms und Moleküls entronnen sind, eine Geschwindigkeit annehmen, die der des Lichts nahekommt2. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, daß diese mit unseren Maßen gemessen ungeheure Geschwindigkeit eine naturgesetzte Norm darstellt, daß freie Körper dieser Größenordnungen sich immer nach diesem Geschwindigkeitssatze vorwärtsbewegen, wenn keine ändernden Umstände eintreten. Schon die Kathodenstrahlen in der Geisler-Röhre zeigen nur ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit, also sehr viel weniger3. Frei vorwärts schießende Helium-Atome — es sind die vom Radium entsandten Alpha-Strahlen — erreichen eine Geschwindigkeit von 20000 Kilometern in der Sekunde4. Die Elektronen vollends, die in den Atomen um den Kern kreisen, tun es nur mit einer Geschwindigkeit von 2172 Kilometern in der einquantigen Bahn, von 432,4 Kilometern in der fünfquantigen ) ) 8) *) 1 2

Lise Meitner, Atomvorgänge Graetz, Atomtheorie («1925) Graetz, Atomtheorie (»1925) Lise Meitner, Atomvorgänge

(1926) 8. 28. 25. 8.

Geschwindigkeiten der Urkörper und der Sterne.

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Bahn 1 . Die Lehre von den Bewegungen der Gase endlich hat festgestellt, daß die Geschwindigkeit der frei im Raum sich vorwärts bewegenden Gasmoleküle für Luft 447 Meter in der Sekunde, für Wasserstoff 1692, für Kohlensäure nur 362 Meter in der Sekunde beträgt. Immer noch sind diese Geschwindigkeiten mit der einen Ausnahme der zuletzt genannten Gruppe außerordentlich groß, die der größten Weltkörper, der Sterne, sind wesentlich geringer. Der Stern Zeta im Sternbild des Herkules legt 70,3 Kilometer in der Sekunde zurück2, die Sonne 16,5 — eine Geschwindigkeit, die von der der Planeten, wenigstens der näheren übertroffen wird, von dem Mars mit 24, von der Erde mit 29,7, von der Venus mit 35, von Merkur mit 47,8 Sekunden-Kilometern. Und auch unter den Fixsternen wachsen die Geschwindigkeiten nicht allzu sehr: der schwache Stern im Pictor, einem Sternbild der südlichen Halbkugel, den man für einen der schnellsten Sterne hält, bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 132,44 Kilometern in der Sekunde durch den Raum 3 . Die Geschwindigkeit in den beiden Bezirken des anorganischen Reiches, die hier als Antipoden herangezogen sind, ist sehr verschieden. Die Schnelligkeit der leuchtenden Strahlen, aber auch noch die der frei vorwärts schießenden Atome erscheint unvergleichlich viel größer als die der Himmelskörper. Jede Beschwerung mit Stoff scheint zwangsläufig eine Verlangsamung herbeizuführen: der Strahl, von dem die Meister der Physik heut annehmen, daß er ganz stofflos durch den ebenso stofflosen Weltraum zu eilen vermag, wird schon von den Atomen nicht erreicht. Aber die Masse der sich bewegenden Körper ist nicht allein bestimmend für die Geschwindigkeit: bereits die Moleküle der Gase sinken auf ein Maß der Vorwärtsbewegung herab, weit unter der Graetz, Atomtheorie (»1925) 82. *) Klein, Handbuch der Allgemeinen Himmelsbeschreibung 3 412. ') Kobold, Das Sternensystem (in dem Sammelband Astronomie hersgeg. von Hartmann [1921] 516). 6*

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wille und Welt.

Ebene, auf der die Geschwindigkeiten der Sterne abzutragen sind. Doch gleichviel welche Umstände hier bestimmend einwirken: noch die zur Gruppe der mittleren Geschwindigkeiten gehörenden, die — etwa vom Wasserstoff-Molekül — erreicht werden, sind an den Maßstäben der uns umgebenden anorganischen Wirklichkeiten gemessen, noch starke: die Schnelligkeit, mit der ein Geschoß das Geschützrohr verläßt — 1000 Meter in der Sekunde1 — erreicht sie nicht. Eben aus der Geschwindigkeit des anorganischen Geschehens geht hervor, wie heftig und wie stark im Sinn der Heftigkeit es ist. Es übertrifft in diesem Betracht alle unsere Leibesmöglichkeiten, aber auch alles Geschehen, das wir selbst hervorbringen können. Denn weder Fernschrift noch Funkspruch noch irgend welche andere von Menschen willkürlich hervorgerufene Vorgänge im anorganischen Reich sind anderes als Einspannung, Ausnutzung des Naturgeschehens, nicht aber von unseren eigenen geistigen oder gar leiblichen Kräften geschaffen. Über die Stärke des anorganischen Geschehens im Sinne der Unaufhaltsamkeit, der Unüberwindlichkeit ist vollends kein Wort zu verlieren. Läge es in der Entwicklungslinie der Erdgeschichte, daß die Wärme ihrer Atmosphäre auch nur um 20 Grade im Durchschnitt sänke, so wäre es um alle höhere Kultur der Menschheit, bei einem Sinken um 50 Grade wäre es um ihr Dasein geschehen. Es giebt kein erdenkliches Mittel, durch das sich eine Landschaft etwa auch nur gegen einen MeteoritenRegen schützen kann, wie der, der zur Zeit Karls des Großen eine Anzahl sächsischer Dörfer zerstörte. Und ebenso wenig ist es nötig die weltweite Überlegenheit der anorganischen Naturkräfte über den menschlichen Willen an Folgerichtigkeit und Beständigkeit durch allzuviele Worte oder Gründe zu erweisen. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft hat dies Eine als grundlegende Anschauung von anorganischem M Scheiner, Der Bau des Weltalls [»1908] 15.

Unaufhaltsamkeit, Geradlinigkeit.

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wie von biischem Naturgeschehen in unser Denken gelegt: daß die Beständigkeit der Kraft sich bis zur Unverlierbarkeit, bis zur letzten Unverringerbarkeit, also bis an die letzten denkbaren Grenzen ihrer Ausdehnung erstreckt. Eine nur dem Grade nach minder allgemein gültige Beobachtung läßt sich an tausend Gruppen des Einzelgeschehens machen. Die einfachste und ursprünglichste Form des anorganischen Geschehens, die der freien Bewegung der selbständigen Körper, ist wiederum in den beiden Polbezirken des anorganischen Reichs nachgewiesen als dem Gesetz der kleinsten Wirkung 1 , der beständig gradlinigen Bewegung unterworfen. Von den drei vorbereitenden Gesetzen, auf denen Newton seine neue Lehre von der Anziehungskraft der Körper aufbaute, heißt das erste: ein in Bewegung befindlicher Körper, auf den keine Kraft wirkt, bewegt sich gradlinig und mit gleicher Geschwindigkeit unaufhörlich fort — eine Regel des Weltgeschehens, mit der vornehmlich für die großen Weltkörper die Behauptung aufgestellt war, daß die ihnen eigentlich allein natürliche Urbewegung die geradeaus gerichtete sei und daß sie auch ewig, also höchst beständig sei 2 . Das Gleiche aber nimmt die Elektrophysik unserer Tage von den Urkörpern an: jeder Strahl, jedes Elektron, jedes Atom, jedes Molekül, die frei durch den Raum schießen, d. h. ehe die ablenkende Bewirkung durch irgend einen anderen Körper oder die von ihm ausgehende Kraft sie in eine andere Bahn zwingt, sie bewegen sich geradlinig und unaufhörlich vorwärts. Wie aber die geradlinige Bewegung die zu schnellst den Raum durcheilende und also die heftigste Gewaltauswirkung ist — wodurch die soeben angestellte Beobachtung der höchsten Heftigkeit des Geschehens in einem neuen Licht bestätigt wird — so ist auch beiden Formen der Bewegtheit durch ihre l ) Planck, Das Prinzip der kleinsten Wirkung (Lecher, Physik [1925] 772 ff.) a ) Newcomb-Engelmann, Astronomie *54.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräite: Gedächtnis der Welt.

Unaufhörlichkeit das Merkmal der höchsten denkbaren Beständigkeit gesichert. Andererseits aber ist die geradlinige Bewegung auch die — in der Formengruppe der einfachen Bewegungen — folgerichtigste, d. h. sie verfolgt ihren Weg in der immer gleichen Richtung, wie sie ihn aus anderen Gründen in der immer gleichen Geschwindigkeit zurücklegt. Zusammengesetzter ist die Beobachtung, die sich an den zusammengesetzten Bewegungen machen läßt: so etwa an der Kreislaufbewegung, die wieder in den beiden Polbezirken des anorganischen Reiches so vielfach und herrschend vorkommt. Aber auch an ihnen tritt nie eine andere Form des Geschehens in die Erscheinung als die des folgerichtigsten, beständigsten, kürzesten, zielstrebigsten. Unserem in jedem Betracht so gebrechlichem Geschlecht wird Niemand Unrecht tun, der seinem Handeln für die Regel ungefähr das Gegenteil von diesen Eigenschaften beimessen wird, der von ihm behaupten würde, daß es nur in seltenen Ausnahmen das Maß kraftvollen Vollbringens erreicht, das das Weltgeschehen in allen seinen Äußerungen wie ein müheloses Spiel aufweist. Daß das Menschen-Tun durch alle die Rückstände, Mängel und »Fehler«, die es im Vergleich zum Weltgeschehen offenbart, in unseren Augen tausend Reize und Vorzüge gewinnt, ist eine Selbstverständlichkeit, ändert aber nichts an dem hier ausgesagten Tatbestand.

Drittes Stück. Das G e d ä c h t n i s der W e l t . Gedächtnis nennen wir diejenige Tätigkeit unserer Einbildungskraft, die entweder auf Befehl oder unwillkürlich, uns Vorstellungen vor die Augen ruft, die sei es aus Seins- oder

Folgerichtige Bewegungen.

Gedächtnis und Wiederholung.

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Geschehensbildern, sei es aus Denk- oder Wortbildern bestehen. Sie ist diejenige Form des Tuns unserer Einbildungskraft, die sich nach rückwärts wendet, die nur ein Erfahrenes zum Gegenstand haben kann und die deswegen von vornherein durch äußere Einwirkungen gebunden ist, während die schöpferische Einbildungskraft, die ebenfalls uns Seins- und Geschehens-, Denk- und Wortbilder willkürlich und unwillkürlich vor das innere Auge zu stellen vermag, zwar unter Bevorzugung von Erinnerungsbildern, doch nicht an sie gekettet, frei und Neues schaffend wirken kann. Nun ist gewiß, daß dem anorganischen Reich nicht ein Gedächtnis beigemessen werden darf, insofern ihm die Werkzeuge des Leibes wie der Seele abgehen, deren Tätigkeit als Trägerin dieses Geschehens angesehen werden muß. Aber ebenso gewiß ist es, daß zu sehr umfassenden und elementhaft entscheidenden Formen des Geschehens im anorganischen Reich — vom biischen ganz zu geschweigen — Brücken vom Gedächtnis her hinüberführen, die seine Tätigkeit mit ihnen zu vergleichen erlauben. Es ist auch hier nur nötig von der Spiegelung abzusehen, für die es den anorganischen Körpern an aller Möglichkeit fehlt, um sich den Weg zum reinen Geschehen zu bahnen. Wollen wir unserem Gedächtnis die Einprägung einer Wortfolge aufnötigen, so pflegen wir ihre Sätze immer von neuem zu wiederholen. Das alte Scholarenwort repetitio est mater studiorum ist buchstäblich richtig: wir haben kein besseres, ja kein anderes Mittel, um unser Gedächtnis in den Besitz von Wortfolgen zu setzen, gleichviel ob wir sie als Reihen von Denkbildern oder Klangeinheiten zu willkürlicher Verfügung zu haben wünschen. Ebenso bemißt sich die unwillkürliche Einprägung von Gedächtnisbesitz im Groben gesehen nach der Häufigkeit der von der Außenwelt empfangenen Eindrücke. Es stellt sich da eine Stufenleiter 1 von Sicherheit, *) Vgl. die von Koffka (Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze [1912]) aufgestellte Wertereihe, dazu Messer, Psychologie ('1922) 221 ff.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Welt.

Klarheit, Reichtum der Erinnerungsbilder her; und sieht man von den Befähigungsgraden1 der Einzelnen, von der Stärke der gehabten und ihnen benachbarten Eindrücke ab2, so ergiebt sich eine Reihe, die von der Schwäche der einmaligen bis zu der Einprägsamkeit der öftest wiederholten Eindrücke reicht, derer, die wir »wie im Schlaf«, d. h. mühelos in steter Bereitschaft haben, also unvorbereitet und ohne die Hilfe vermittelnder Nebenvorstellungen in uns wieder hervorzubringen vermögen. Daraus folgt, daß die — gewollte oder ungewollte — Wiederholung von Eindrücken, die wir Erinnerung nennen, ein Vorgang unseres Innen-Ichs — selbstverständlich des vollen leiblich-seelischen — ist, der letzten Endes unabhängig von der Bespiegelung gedacht werden kann, aus der heraus wir doch Wesen und Eigenschaften dieses Geschehens in uns begreifen. Das will sagen: freilich wohl ist das Wachwerden empfangener Eindrücke, das wir Erinnerung nennen, ein Vorgang unseres Bewußtseins, aber er vollzieht sich in uns, nicht wir betätigen ihn. Allerdings gilt diese gleiche Aussage vom Denken überhaupt: dies gesehen zu haben, ist einer der besten Funde von Drieschs3 Seelenforschung4. Doch es !) Vgl. Meumann, Intelligenz und Wille ( 3 1920) 114f. ) Uber die sehr notwendige Abgrenzung der Erinnerungsbilder gegen die Sinneswahrnehmungen vgl. W. W u n d t , Grundriß der Psychologie (»1922) 304f. 3 ) Am stärksten zusammengefaßt in Drieschs Wissen und Denken (Prologomena zu aller Philosophie [1919] 2f. und vielfach sonst) doch auch schon zuvor festgelegt (so Ordnungslehre [1912] 3 und sonst). 4 ) Ich darf hier anfügen, daß ich ein so autogenes Geschehen im denkenden und wollenden Ich (seit 1909) wohl annahm, aber nur für eine ganz besondere Gewalt unseres Ich, die ich das E s nannte und der ich die eigentlich entscheidenden Wendungen unserer Lebensführung, aber auch unserer Denkwege beimaß, lange ehe Freud (Das Ich und das Es [1923] 25ff.) dem, wie er angiebt, von Groddeck und weiterhin von Nietzsche entlehnten Begriff Es, in einem freilich wieder anders gewandten Sinn, tiefe Bedeutung gab. Aber es ist leicht zu sehen, daß hiermit ein anderes, 2

Wiederholung ohne Bespiegelang, Gedächtnis-Schiohten.

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leuchtet ein, daß wenn hier am Gedächtnis Geschehen von Bewußtheit geschieden werden soll, es wieder in einem anderen Sinne geschieht, als wenn Driesch, wie er es sehr anschaulich ausdrückt, von der Inaktivität des Denkens redet. Es muß sich hier um eine noch tiefere Doppeltheit handeln. Denn alles Denken ist bewußt und vollzieht sich im taghellen Lichte der Bewußtheit. Für das Geschehen Erinnerung aber muß man unzweifelhaft eine grundlegende unterbewußte Unterschicht annehmen, für deren Zustandekommen, Dasein und allenfallsiges Wirkenkönnen in das bewußte Gedächtnis hinein die Tatsache, ob und wie oft wir dieses Emporheben eines Denk- oder Seinsbildes in unser bewußtes Erinnern vollziehen, völlig belanglos ist. Für das Nebeneinanderbestehen der beiden Schichten der Gedächtnistätigkeit spricht mehr als eine der uns bewußt werdenden Tatsachen dieses inneren Geschehens: erstens und vielleicht am deutlichsten die eine, für deren Feststellung es noch nicht einmal einer eigens in Gang gebrachten Selbstbeobachtung bedarf: daß uns unwillkürlich von unserem Gedächtnis Erinnerungsbilder mitten hinein in ihnen ganz fremde Gedankengänge geworfen werden, zu denen uns keine noch so unwillkürliche Gedankenverbindung geführt haben kann. Sie steigen selbsttätig wie von unten her aufkochende Blasen an die Oberfläche unseres bewußten Denkens. Sie beweisen das Dasein eines Vorrats von Gedächtnisbildern, und daß diesen Bildern immerhin so viel potentielle, für den Fall des Inkrafttretens lebendige Bereitschaft zukommt, daß sie auch ohne Antriebe von unserem Wollen her sich »in Erinnerung« bringen können. Doch auch der zweite, sehr viel alltäglichere Vorgang beweist hierfür fast ebenso viel: daß es in unser Belieben gestellt ist, Erinnerungsbilder der zeitlich und sachlich entferntesten Beschaffenheit in jedem Augenblick, in dem ein inneres Verlangen oder ein noch innerlicheres Geschehen gemeint ist, als das Denken bei Driesch, das dafür einen umso viel weiteren Wirkungsbereich hat.

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(Jrkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Welt.

äußerer Anstoß uns dazu antreiben, in die bewußte Schicht unseres Erinnerungsvermögens aufsteigen zu lassen. Auch aus diesem Sachverhalt ergiebt sich die unumstößliche Folgerung, daß diese Bilder im Vorrat bereit liegen. Nichts liegt näher als die Zuhilfenahme der körperlichen Unterlagen, die dieses wie jedes andere geistige oder seelische Geschehen haben muß, für die ganze Unterstellung, die ja im Übrigen fast nur auf Vermutungen angewiesen ist x . Man hat mit einem sehr glücklich gewählten Gleichnis die Erinnerungsbilder Engramme, also Einschriften genannt. Doch freilich ist hier die physiologische Forschung noch um Siriusweiten davon entfernt, den Fragen, die die Seelenkunde an sie zu stellen die allerdrängendste Ursache hat, Antwort zu geben. Nur sollte man nicht um dieser klaffenden Lücke willen sich irgendwie irremachen lassen in der Annahme dieses Tatbestandes2. Nicht um rein seelische, nicht auch um psycho-physische Parallelen, also leiblich-seelische Gleichläufigkeiten, noch weniger um eine lediglich durch die Körpervorgänge hervorgebrachte Verursachtheit kann es sich hier handeln, sondern nur um die — in der Geschichte des menschlichen Geistes schon in der Urzeit verloren gegangangene — Einsicht in die Ein- und Dasselbigkeit von Leibesund Seelenvorgängen, dieser wie aller anderen. Und daß man hier so unsicher fühlt, ist umso erstaunlicher, als schon das biologische Geschehen ein so unsäglich vielgeteiltes, vermannigfaltigtes ist, daß hier für Kernverläufe von letzter Verflochtenheit und Zusammengesetztheit Raum ist. Wenn jede der 22 % Billionen Zellen, aus denen der menschliche Körper im Durchschnitt aufgebaut ist, sich aus zahlreichen Protomeren zusammensetzt, jedes Protomer aus noch zahlreicheren Molekülen, und wenn wir erfahren, daß ein EiweißDies und vieles Folgende auf dem Grunde der Forschungen und Zusammenfassungen von Ziehen (Physiologische Psychologie [ 1 2 1924] 24ff., 394ff.), 3 ) Vgl. die von Messer (Psychologie 251 ff.) geäußerten Bedenken.

Die Ein- und Dasselbigkeit von Leib und Seele.

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Molekül in 2,3 Trillionen Isomeren, d. h. Bauarten auftreten kann, so ist bis zu der Grenze des organischen Reiches eine so überwältigende Fülle von Ordnungs- und Umordnungsmöglichkeiten gegeben, daß man sich jeder Sorge darüber entschlagen kann, der Natur könnte es hier an Möglichkeiten der körperhaften Vorgänge fehlen, um auch den zahlenmäßig höchsten Anforderungen zu entsprechen, zu denen die uns allein bekannte seelische Seite dieser Vorgänge führen mag. Man wird an sich nach Aufstellung der Quantenlehre und nach dem Aufbau des Atom-Modells nicht mehr so leicht wie zu DuBois-Reymonds Zeiten über das Wirken zukünftiger Forschergeschlechter aburteilen und ihm mit einem mehr oder weniger unbedachten Ignorabimus diesen oder diesen Weg verlegen wollen. Wenn es aber einen Bezirk im biischen Reich giebt, um dessen zukünftige Erforschung heutige Erwägung zu keiner Mutlosigkeit Anlaß hat, so ist es der der Zusammenhänge zwischen Hirn und Seele. Hier gilt es nur die geistige Tat Starker zu erwarten. Am allerwenigsten aber sollte man sich aus solcher Ursache an der Hauptunterstellung irre machen lassen, die die Grundveste jeder Erforschung der geistig-leiblichen Zusammenhänge bilden muß, dem Grundsatz von der Ein- und Dasselbigkeit von Leib und Seele und also von der Unmöglichkeit irgend eines seelischen Geschehens, das nicht untrennbar mit einem Leibesgeschehen verflochten ist. Und wenn auch die Vorgänge im Gehirn, die aus dem Grund dieser Verflechtung aufzusuchen sind, der Forschung bisher noch ganz unzugänglich sind — die Physiologen versichern uns ja, daß vor dem Mikroskop nicht einmal ein Unterschied zwischen dem Gehirn Goethes und dem des geringsten Tagelöhners bestehe — so sind die Einschritten des GeschehensGedächtnisses, die Engramme, für das leibliche Sein des Menschen sicher über jeden Zweifel erhaben, so weit man aus ihrer Auswirkung, wie man nicht anders kann, auf ihr Dasein eine feste Schlußfolgerung zuläßt.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Welt.

Aber die Tätigkeit des menschlichen Gehirns, soweit sie uns bewußt wird, ist durchaus nicht die einzige Form des sich an uns vollziehenden Naturgeschehens, in der sich das gedächtnishafte Walten des Leibes offenbart und dieses Walten ist auch nicht allein auf die Tätigkeit des Gehirns angewiesen, sondern dem Insgesamt unseres leiblichen Seins mitgeteilt und es beschränkt sich nicht auf die Einübung bestimmter Arten unseres Tuns, sondern greift noch viel tiefer in Wachstum und Aufbau unseres Körpers. Für beide Arten der Bezeugung strömen die Belege von allen Seiten zu. Alle Hand- und Fingerfertigkeiten, aber auch alle anderen Leibesübungen, die bis zu leichtem und völlig unbewußtem — automatischem — Abspielen eingedrillt sind, sind zu einem beträchtlichen Teil nicht nur Sache des Befehle erteilenden Gehirns, sondern auch der in Bewegungsfolgen tätigen Nerven und Muskeln: selbst in einem so geistigen Fall wie dem des virtuosen Klavierspiels. Das Gedächtnis des Wachstums und Aufbaus aber ist nicht nur ein Geschehen am Einzelmenschen, sondern an der Art, vermittelt durch den von Einzelwesen zu Einzelwesen sich fortsetzenden Erbgang. Der Gang des Menschen ist vom Standpunkt biologischer Statik, d. h. der Gleichgewichtsbewältigung durch Lebewesen, eine so schwierige, an Equilibristik, ja Akrobatik grenzende Leistung, daß seine Anzüchtung als eine der höchsten Errungenschaften der Leibes- und nicht nur der Leibes-Kultur angesehen werden muß und in allen Abschnitten ihrer Entwicklung ganze Jahrhundertereihen verschlungen haben mag. Bedarf es nun auch für jedes sehr junge Kind einer Schulung in dieser schweren Kunst, so stellt sich ihre Bewältigung doch so rasch ein, daß hier die Gedächtniskraft — Mneme — im Sinne der strengen Begriffsumgrenzung der Biologie sich hilfreich erweisen muß. Die Sprache im Sinn der Lautbildung ist zwar nicht ein so kühnes, sicher aber ebenso schwieriges Tun. Die mühelose Hervorbringung aller der Selbst- und Mitlaute, die die Sprachen gerade unseres Völkerkreises ausgebildet haben, braucht nur auf das oberflächlichste mit all

Gedächtnis des Leibes, Artgedächtnis.

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den ganz anders gearteten Gurgel-, Zisch- und Quetschlauten verglichen zu werden, die in afrikanischen und amerikanischen Sprachen ausgebildet worden sind, damit man einsieht, wie viele Möglichkeiten der Lautauslese bei doch nicht allzu großen Abweichungen des Mund- und Gaumenbaus bestanden, wie viel Wahlen hier also getroffen sind und wie umfangreich mithin auch hier das Erbgut eines Gedächtnisbesitzes ist, dem gegenüber das Maß des durch Einzelschulung von dem Kinde zu Erlernenden gering sein mag. Der glückliche Entdecker dieses Tatbestandes hat den Bereich der von ihm Mneme benannten Geschehensform nicht einmal so weit erstreckt1. Er hat das physiologische Verhalten des Menschen nicht in den Geltungsbereich seiner Mneme gebracht. Aber es gehört ihr, wenn man die Folgerungen aus seinen Aufstellungen zieht, ohne weiteres zu. Denn wenn Semon mit Recht die Ontogenese, den immer von neuem sich wiederholenden Aufbau des Einzelnen einer Art, zu einem beträchtlichen Teil auf mnemische Einwirkungen zurückführt2 trotz vielfacher — wie ich glaube unnötiger — Behinderung durch seine streng darwinistisch-kausalistische Anschauungsweise, so wird eine von diesen Behinderungen freie Auffassung der Wachstumsvorgänge hierin noch weiter gehen und sie vielleicht auf das Insgesamt der Wachstumserscheinungen, der Ontogenese erstrecken, nachdem man durch Versuche ihre Geltung schon bis zu sieben Achteln festgestellt hat. D. h. man hat erprobt, daß Wachstumsverläufe auch dann die gleiche Bahn einschlagen, wenn man ihnen die meisten ihrer Umwelt-Voraussetzungen — bis zu sieben Achteln — entzieht. Würde man an die Stelle der ganz unerschüttert kausalistischen, d. h. lediglich auf die physikalisch-chemische Vgl. die in Vom geschichtlichen Werden Bd. I I S. 463 — 465 gegebene kurze Wiedergabe der Gedanken von Semon (Die Mneme als erhaltendes Princip im Wechsel des organischen Geschehens t 3 1911] 83ff., 389ff., 402ff.). *) Vornehmlich Semon, Mneme 3 238ff.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Welt.

Verursachtheit gestützten Auffassung, von der diese Lehre ausgeht, eine im vitalistischen Sinne biologische und insofern begrenzt-teleologische, auf bedingte Zielstrebigkeit gestellte Anschauung setzen, so würde der Grundzug eines unterbewußten Gedächtnisses noch schärfer ausgeprägt werden. Keineswegs soll hier, wie überhaupt nie auf diesen Blättern, einer voll-teleologischen, also ganz unter das Gesetz der Zielstrebigkeit gestellten Grundauffassung von Werdens-, auch nicht von Wachstumsvorgängen das Wort geredet werden. Ziele in einem auch nur annähernd menschlichen Sinne kann ja kein außermenschliches Werden kennen. Wohl aber wird man die Endpunkte der Wachstumsvorgänge in einem bedingten Sinne — und deshalb auch im Wort besonders gefärbt — Vorgangsziele nennen können. Die von dem Hinstreben auf diese Vorgangs-Ziele umfaßten Geschehensverläufe sind im biisch-organischen Reich unzweifelhaft durch einen besonderen ihnen innewohnenden Zwang festgelegte Werdegänge, von denen jeder eine Längsschnitt-Einheit von einer starken Unzerreißbarkeit des inneren Zusammenhalts darstellt, wie sie das anorganische Geschehen nicht kennt, auch dann nicht, wenn es Werdegänge hervorbringt, deren Autogenie und Autarkie, deren Eigenwerdigkeit und Selbstgenügsamkeit stark genug sind, um sie immer wieder in genau den gleichen Geschehensformen sich erneuern und dann fortgehen zu lassen. Dies wird bewiesen insbesondere durch ihr Verhalten bei Störungen oder an ihnen von außen her hervorgerufenen Verletzungen oder Teilzerstörungen: hierauf antworten die Wachstümer durch selbsttätige Wiederherstellungen der sie tragenden Körper; den anorganischen Werdegängen aber ist die Möglichkeit zu dergleichen Abwehr- und Wiederr herstellungs-Maßnahmen durchaus nicht gewährt. Völlig eindeutig aber wird der Zusammenhang offenbar, in dem diese dem anorganischen Reich gegenüber neuen Werdensformen mit der allgemeineren Geschehensart »Wiederholung« stehen. Bezogen auf diese stellt sich alles Wachs-

Gedächtnis, Wachstum und Wiederholtheit.

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tum dar als eine Sicherstellung der Wiederholungsart. Es ist gewiß nicht nur dies, aber ebenso sicher auch dies. Denn gegenüber allen anorganischen Werdegängen zeichnen sich die Wachstümer durch eine Geschlossenheit ihrer Körpergrenzen, demnächst durch die Tatsache der Geburtenfolge, d. h. der Selbsterneuung aus, durch die auf eine der anorganischen Welt gänzlich fremde Weise die autogene, also eigenwerdige Wiederholung des Daseins und des Werdens jedes Einzelwesens gewährleistet wird. Ebenso ersichtlich ist, daß es nicht allein die Zielstrebigkeiten, die jedes Wachstum seinem Endpunkt zueilen lassen, sind, die das Grundgepräge der Wiederholtheit im organischbiischen Reich sicherstellen, sondern daß es das Insgesamt alles Wachstums, mit Inbegriff der Fortpflanzung, ist, das als Träger der Wiederholtheit in Anspruch genommen werden muß. Noch die letzte und verborgenste Faser eines Pflanzen-, eines Tierleibes folgt dem an ihm sich vollziehenden Bauplan— wie Uexküll ihn genannt hat — dem der Art bleibend eingeprägten und innewohnenden Schema.

Viertes Stück. Das Gedächtnis der Natur und das Gedächtnis des Menschen. Es gibt kein Teilstück des Weltgeschehens, das in gleich nachdrücklichem Maße wie das Wachstum das unbewußte Gedächtnis vertritt; denn hier wird, was die Wirkung anlangt, schon ebenso unbedingt wie durch die Engramme ein Folgegeschehen erzwungen, das dem Vorbild eines vorangegangenen Urgeschehens als einem unverrückbaren Muster sich anpaßt. Aber von der Mitte dieses in sich folgerichtigsten gedächtnisgleichen Wiederholungsgeschehens führen Wege nach vorwärts zu dem wirklichen Gedächtnis des Menschen, nach rückwärts zu der noch ungesteigerten Wiederholtheit des

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Natur.

anorganischen Reiches. Beider Wesenszüge sind am schärfsten zu erkennen durch Vergleich mit dieser Mitte. In der Richtung auf das menschliche Gedächtnis, dem im strengen Sinn von Wort und Begriff dieser Name allein zukommt, ist vornehmlich einem Irrtum, der sich als Hindernis auf diesem Verbindungsweg aufwerfen möchte, entgegenzutreten. Das ist die Vorstellung, als handle es sich bei dieser Entwicklung vom unbewußten zum bewußten Gedächtnis um eine Wertsteigerung auf der ganzen Linie. Es ist so gut wie sicher, daß diese Auffassung vom Lager der Nur- Geist -Verehrer geltend gemacht werden wird, und doch ist sie nicht im mindesten stichhaltig. Dem wahren Sachverhalt wird vielmehr am ehesten die Auffassung nahe kommen, die entliehen von dem mustergültigsten aller Werdegänge, von dem Wachstum des Einzelpflanzen- und des Einzeltier-Leibes, von vornherein bei dieser wie bei jeder anderen Abfolge von sich steigernden Geschehensformen eine Doppeltheit der Wertlinie annimmt — das Wort Wert in einem ganz sachlichen, völlig objektiven Sinn genommen, d. h. also als Zahl und Maß der Geschehensfähigkeiten bedeutend — die eine steigende und eine sinkende Kurve in sich schließt: auf der einen Seite Gewinnste, auf der anderen Verluste an Geschehensfähigkeiten aufweisend. Ganz nahe an einander gelagert ist das Vermögen der Wachstumsvorgänge sich zu wiederholen, das man mit so viel Recht Gedächtnis — Mneme — genannt hat, und das menschliche Gedächtnis, d. h. das Vermögen unseres HirnDenk-Apparates entweder unwillkürlich oder durch Willensentschließung Denkbilder von vergangenen Handlungen und Erlebnissen, d. h. sei es von eigenen Denkmaßnahmen, sei es von uns von außen zugekommenen Eindrücken in uns heraufzubeschwören. Die Spiritualisten, die Anwälte einer nur-geistigen Sicht auf die Welt werden hier nur eine Überlegenheit und zwar eine Überlegenheit höchsten Grades auf Seiten des menschlichen Gedächtnisses finden. Einmal um seiner Be-

Gewinn und Verlost durch Bewußtheit, Tiergedäohtnis.

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wußtheit willen und sodann um des Maßes von Willkür willen, das ihm zur Verfügung steht. Niemand wird bestreiten wollen, daß das menschliche Gedächtnis ein unvergleichlich viel bereiteres, gefügigeres Werkzeug seines Inhabers ist, als das Wachstums-Gedächtnis, die Mneme, die dem Werdegang eines im Lebensalter fortschreitenden Pflanzen- wie Tierkörpers Richtung und Bauplan vorschreibt. Mitten inne zwischen beiden steht das Erinnerungsvermögen der höheren Tiere, namentlich das des menschenähnlichen Affen, von dem eine neuere, mit großer Vorsicht zu Werke gehende Forschung nachgewiesen hat, daß es zwar bei weitem nicht an das menschliche Gedächtnis heranreicht, daß ihm aber doch die von Zwecksetzung geleitete Aneinanderreihung von drei, vier Einzelhandlungen von hohem Schwierigkeitsrang erreichbar ist 1 . Von dem Wesen und den Leistungen dieser Zwischenformen soll hier nicht die Rede sein, sondern recht absichtsvoll die freieste und erfolgreichste Verwendung des Gedächtnisses der gebundensten, wenn auch gewiß nicht schwächsten zur Seite gestellt und ihr verglichen werden. Gerade dann ergiebt sich unleugbar, daß die Spannung, die zwischen beiden besteht, in jeder von den zwei Beziehungen, in denen sie sich schon auf den ersten Blick geltend macht, bei weitem nicht so weit geht, wie die landesübliche, auch bei den Gelehrten im Schwang gehende Meinung annimmt. Es ist nämlich in jeder von beiden zu beobachten, daß die Bevorzugtheit des menschlichen Gedächtnisses vor dem des Wachstums der Lebewesen nicht so weit reicht, wie teils unvollkommene frühere Forschung, teils die seltsame Eitelkeit des Menschengeschlechts annimmt, die auch uns angeblich so Vorurteilsfreie beherrscht und die uns durchaus wünschen läßt die Kluft zwischen Mensch und Tier nach Mög') Wolfgang Köhler, Intelligenzprüfungen an Menschenaffen ( s 1921) 51, 75ff., 88ff. (Werkzeugherstellung, welche von den Spiritualisten, weil ihnen unbequem, geleugnet zu werden pflegt) 93ff., 191 f. (Schluß); dazu Köhler, Zur Psychologie des Schimpansen (Psychologische Forschung I 1/2 [1921]). B r e j s l g , Natargesohtcht« and MentohheltagMohlohte.

1

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis der Natur.

lichkeit zu erweitern. Eben die auf diesen Blättern so oft bekämpfte Weltsicht der Nur-Geistigen, der Spiritualisten hat diese Anschauung bis zur anstößigsten Übertreibung gesteigert, wie es denn bezeichnend ist, daß das achtzehnte Jahrhundert, dessen Aufklärung sich an Lehrmeinungen dieser Art gar nicht genug tun konnte, in dieser Richtung schlechthin das Äußerste an dünkelhafter und engstirniger Verachtung des Tiers und Überhöhung der menschlichen Seelenfähigkeiten über die tierischen zum Ausdruck gebracht hat: eine Ausschweifung dieses Hochmuts unserer Art, an der auch der höchste Führer dieser Bewegung im Geist, Kant, seinen vollgemessenen Anteil hat. Von jenen zwei Vergleichbarkeiten aber ergiebt sich sogar für die erste, die Bewußtheit, daß sie dem Arbeiten des menschlichen Denk-Hirn-Apparates in einem außerordentlich viel geringeren Maße innewohnt, als die uns beherrschenden Einbildungen und die von ihnen immer noch beeinflußten älteren Lehrmeinungen der Forscher zugeben wollen. So lange man im Denken einen lediglich geistigen Vorgang sah, war von vornherein die Gefahr gegeben, daß man ihn als ein voll bewußtes und demgemäß auch als ein ganz oder fast ganz willkürlich bestimmbares Handeln auffaßte. Sobald aber die rein physiologische Forschung dem Denken als einem Leibesgeschehen wenigstens zu einem — vorläufig leider noch nur allzu kleinen — Bruchteil auf die Spur kam, hat sich das Bild wesentlich geändert. Die in hohem Maß gesicherte Erkenntnis, daß alle Denkbilder in Gestalt von Engrammen, von Einschriften, in den Ganglienzellen — vermutlich zu Zehntausenden an der Zahl — physisch festgelegt aufbewahrt werden und daß der Denkhergang sich in der Form von Strahlungen vollzieht, die sich auf den diese Ganglienzellen verbindenden Bahnen abspielen, hat hier zuerst eine Grundlage rein physiologischer Beschaffenheit hergestellt, Schauplatz und Schauspiel der Hirnvorgänge umfassend, deren geistige Ausstrahlungen in unser Bewußtsein wir Denken nennen.

Leibliche Grundlage, Unbewußtheit der Hirn-Denk-Vorgänge.

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Fünftes Stück. Die

Grenzen von B e w u ß t h e i t u n d Willkür menschlichen Gedächtnis.

im

Von diesen Hirn-Denk-Vorgängen aber ist nun, wenn sie von der Leibes-Seite ihres Geschehens her in Betracht gezogen werden, ebenso aber auch, ja noch deutlicher, wenn sie so, wie sie sich im Geiste darstellen, angeschaut werden, auszusagen, daß sie sich in hohem, wenn nicht in überwiegendem Maße als in ihrer Verkettung unbewußte und von unserem Willen unbeeinflußte, vielfach nicht einmal beeinflußbare erkennen lassen. So gewiß die Gehalte, d. h. die Denkbilder unseres geistigen Erlebens uns bewußt sind — ihr Bewußtwerden ist ja Kern und Sinn ihres Geschehens — so wenig wird uns das Wie des Vorgangs unseres Denkens bewußt. Wenigstens zwei von den Selbstbeobachtungen, die sich in dieser Richtung anstellen lassen und die vielleicht die für dies Ergebnis schlagkräftigsten sind, seien hier aufgerufen. Die eine betrifft den Vorgang, den wir in der Sprache des Alltags das Sich-Besinnen nennen — ein Wort das die Wissenschaft am besten beibehalten würde. Wohl »strengen wir uns an «, eines uns im Augenblick entfallenen Worts habhaft zu werden, in der völlig irrtümlichen Annahme wir könnten ein Denk-Geschehen dieser Art durch eine Anspannung unseres Willens erzwingen. Wohl ist uns möglich durch die Aufsuchung benachbarter Gedankengruppen der Bemühung unseres Denk-Hirn-Apparates von der geistigen Seite seines Arbeitens zu Hilfe zu kommen, aber wo — etwa wenn es sich um Namen handelt — deren Hilfsmaßnahmen versagen, da bleibt in Wahrheit nur noch übrig, unseremunbewußten Denken einen ganz allgemeinen Befehl zu geben, ein aufforderndes Signal aufzustecken, das ihm das Zeichen der Richtung giebt, in der es einzustellen ist. Dies aber heißt nichts anderes, als daß wir uns dann allein auf das unbewußte, d. h. also leibliche Arbeiten dieses Apparates verlassen, das aber selbst7«

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis, Bewußtheit.

verständlich auch dann beständig in Bewegung ist, wenn wir es nicht solcher Gestalt beobachten. Sehr häufig meldet sich das Ergebnis dieses unbewußten Geschehens erst am nächsten Tage, mitten hinein in völlig andere Gedankengänge: die das geforderte Denkbild tragende Taste der an sich sei es bewegungslos verharrenden, sei es in ganz anderen Oktaven sich regenden Klaviatur unserer Ganglienzellen-Reihe springt auf und kündigt sich deutlich erkennbar an. Noch ersichtlicher ist das an sich selbständige Arbeiten des rein leiblichen Werkzeugs unseres Denk-Hirn-Apparates in Hinsicht auf das schöpferische Tun unseres Geistes. Auf dieses, d. h. auf das neue und nie erhörte Denkbilder-Reihen hervorbringende Schaffen der Forscher und Künstler, aber auch der neue Tatformen erzeugenden Männer unter den handelnden Menschen pflegen wir Erdenkinder am meisten stolz und demgemäß geneigt zu sein, es unserem Geist, seiner Bewußtheit und seinem herrscherlichen Willen beizumessen. Und doch mag zwar nicht von allem Vollbringen unseres Denk-Hirn-Werkzeugs in diesem vornehmsten seiner Bezirke, wohl aber von großen und vielleicht den schöpferischsten Teilen seines Erzeugens anzunehmen sein, daß gerade sie lediglich durch die neue Verbindungen zwischen alten Denkbildern, vorhandenen Engrammen herstellende Arbeit unseres Hirns zu Stande gebracht werden, daß gerade sie also weder bewußt noch willkürlich »gemacht« werden. Es muß also von ihnen vermutet werden, daß sie, sei es ganz, sei es teilweise, Erzeugnisse des rein leiblichen Geschehens Bind, das den physiologischen Grundstock der Denk-HirnBetätigung darstellt. Es ist schon so: von einem großen und vielleicht vom wertvollsten Teil unseres geistigen Schaffens gilt die Losung: es denkt in uns, nicht wir denken. Die Schöpferischen unter Forschern und Dichtern, so weit sie diesen Grundvorgängen ihres Tuns Aufmerksamkeit zuwenden, beobachten an sich, daß gerade in den Stunden des glücklichsten und des erfolgreichsten Schaffens ihre Feder nicht nur am schnellsten, nein

Schöpferische Betätigung des unbewufit arbeitenden Hirns.

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auch am unabsichtlichsten über das Papier dahingleitet, gleich als bedürfe es kaum eines Zutuns von Seiten dessen, der da schreibt. Ein Teil dieses Eindruckes mag auf Selbstsuggestion beruhen und also täuschen; ein Kernstück von ihm ist sicher untrüglich und giebt zu erkennen, daß das geheime — unbewußte und ungewollte — Geschehen der rein leiblichen Vollzugswerkzeuge des Denk-Hirn-Apparates auch hier seine zaubervollen Spiele spielt, seine assoziierenden Kräfte auf den Bahnen zwischen den Ganglienzellen und den molekularen Bildzeichen ihrer Engramme strahlen und aus ihnen neue Verbindungen, neue Denkbilder-Reihen erstehen läßt. Und so wenig die flutenden Durchblutungen des Hirns, die mächtigen Erregungen seines Nerven-Bahnenlaufs, denen das gesteigerte Wirken des Denkhirn-Apparates seine Entstehung verdankt, bewußte oder gar willkürliche Maßnahmen unseres leib-seelischen Ichs sind, so wenig mögen diese in Wahrheit schöpferischen Vorgänge es sein. Vielleicht steht es gar so, daß die Grenzen zwischen dem Schaffen des NurTalentes und dem höheren des Genius mit denen zwischen dem bewußten und dem überwiegend unbewußten Erzeugen neuer Denkbilder-Reihen zusammenfallen. Denn es spricht viel Wahrscheinlichkeit dafür, daß das eigentlich Genialische, das immer etwas Irrationales, Unbegreifliches, nur dem Ahnen Zugängliches ist, aus diesen Tiefen des Unterbewußten in unserem Ich-Geschehen aufsteigt. So daß dann — und dies sei den Anwälten der Nichts-als-Geistigkeit dieses Innengeschehens eigens nachdrücklich zur Kenntnisnahme gegeben — die Weisheit des Leibes es wäre, der unser geistiges Schöpfens sein bestes Teil verdankt! Die bei dieser Beurteilung angenommene Grundauffassung des Sachverhaltes — die in ausführlicher Begründung erst an einem anderen Ort des in diesen Bänden errichteten Lehrbaus ihre Stelle finden soll, wenn es sich um Forschungswege und Forschungsweisen der Geschichtslehre handeln wird — ist, was zur Verhütung nahe liegender Mißverständnisse hier wenigstens flüchtig angedeutet sei, keineswegs die,

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedäohtnis, Bewußtheit.

daß die physiologischen, die reinen Sinnesvorgänge von den rein geistigen getrennt gedacht sind. Es wird vielmehr angenommen, daß zwar alles »geistige« Denken niemals ohne die ihm zu Grunde liegenden leiblichen Hirnvorgänge, als deren Reflex es zu gelten hat, vollzogen werden kann, daß aber sehr wohl die Hirnvorgänge jeweils sich abspielen können, ohne daß sie solche Reflexe in unser Bewußtsein werfen. Erst in den Endstrecken dieser Hirn nicht Denk- — Vorgänge, von denen aus diese Reflextätigkeit doch wieder einsetzt, wird ihr Geschehen, das sich nun also als echtes Denken geltend macht, uns bewußt1. Und wenn hier die Mutmaßung geäußert wurde, daß das eigentlich Genialische im Schaffen seinen Ursprung in jenen Denkbilder-Verknüpfungen haben könne, die sich als reine Hirnvorgänge ohne Direktiven vom bewußten Denken her vollziehen, so wird damit nicht, wie die Nichts-als-Geistigen ') Die in der hier vorgelegten Geschichtslehre vertretene Auffassung ist zwar auf der von Ziehen (Physiologische Psychologie t111924]) geschaffenen Grundlage aufgebaut — soweit es sich um die Erforschimg der Hirntätigkeit handelt, über die Eigenes zu sagen dem, der hier schreibt, nicht in den Sinn kommen kann — weicht aber, soweit das Verhältnis zwischen Denk- und Hirnvorgängen in Betracht kommt, von seiner Parallelitäts-Lehre (ebenda l l 585ff.) ab, noch mehr allerdings von der heut am weitesten verbreiteten Wechselwirkungslehre. Die eingehenden Darlegungen dieser wie ich glaube neuen oder doch völlig selbständigen Lehre, die schon seit Jahren festgelegt und niedergeschrieben worden sind, können nach der Anordnung des hier errichteten Lehrgebäudes doch erst in dem methodologischen und erkenntnistheoretischen noch unvollendeten Schlußband ihren Platz finden. Ihre Grundabsicht ist darzutun, daß die von uns lediglich als geistig empfangenen und gewerteten Denkvorgänge identisch mit den Hirnvorgängen und nur als Ausstrahlungen dieser in den Bezirk unseres Bewußtseins hinein angesehen werden können, daß aber, wie bereits oben angemerkt, nicht alle Hirn- auch als Denkvorgänge empfangen werden und daß das uns gewordene Bewußtsein, wie alles vom Geist dem Hirn aufgenötigte Denkgeschehen, als eine nicht weiter erklärbare Gegebenheit unseres leib-seelischen Gesamtdaseins anzusehen ist.

Fehler und Vorzüge des Nur-Hirn-Geschehens.

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behaupten möchten, etwas Ungeheuerliches ausgesagt. Denn es möchte hier wohl eingewandt werden, daß unmöglich dem nicht vom Bewußtsein her geleiteten Hirngeschehen ein selbsttätiges Vollbringen von so hohem geistigen Rang zugetraut werden könne. Darauf aber ist zu sagen: wenn aller Wahrscheinlichkeit nach auch schon das bewußte Denken in vielen seiner Maßnahmen, gleichviel ob durch Wiederholung öfter vollzogener Verknüpfungen oder durch örtliche Zusammenordnung der auch geistig zu einander gehörigen Einzeichnungen — Engramme — geleitet, mehr dem Hirngeschehen als seinem Urkern folgt als irgendwelchen bewußten Wegleitungen des Denkens als geistigerTätigkeit, so wird nicht in Zweifel gezogen werden dürfen, daß jenes Nur-HirnGeschehen auch wohl ohne alles Zutun bewußter DenkMaßnahmen vollzogen werden kann. Ohne Zweifel kann dies vom Geist her ganz unbeeinflußte Urgeschehen auch zu Fehlleistungen führen — dies Wort natürlich nur in einem relativen Sinn begriffen. Fehlleistungen in einem objektiven, zu höchst sachlichen Sinn kann es überhaupt nicht geben, wohl aber DenkbilderReihen, die, wenn sie forscherliche sind, den jeweils von der Wissenschaft anerkannten Ordnungen widersprechen oder, wenn sie künstlerische sind, der die Kunst des Zeitalters beherrschenden Wirklichkeitswahl und Formengebung zuwiderlaufen. Diese werden dann für falsch erklärt und pflegen ohne Nachahmung und Beifall, in so weit also wirkungslos zu bleiben. Der Vorzug aber, den das aus dem selbsttätigen Wirken der Nervenbahnen und der in den Ganglienzellen aufgespeicherten, an sich ruhenden, plötzlich aber zu neuem Leben erregten Bild-Inschriften — Engramme — entstehende Verknüpfen von Denkbildern zu neuen Reihen vor dem bewußten und hin und wieder willkürlich geleiteten Erdenken solcher Reihen hat, ist ersichtlich die größere Ungebundenheit dieses Hirngeschehens. Die beständig festgehaltenen und deshalb allzu starren Regelungen, denen das bewußte for-

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Gedächtnis, Bewafitheit.

scherliche, aber auch künstlerische Schaffen unterworfen ist, werden gelockert und es entstehen Abweichungen von ihnen, die eben durch die Besonderheit ihrer Neuerungen, die freier sind als die erdachten, Ergebnisse haben, die mehr Reiz und Wert zeigen, als die des bewußten und regelhaften Hervorbringens. Weiter sei einer dritten Gruppe von Hirn-Denk-Vorgängen gedacht, die ebenfalls von hoher Beweiskraft für die Möglichkeit eines völlig selbsttätigen Arbeitens unserer Hirnwerkzeuge sind. Es sind die Träume: sie sind Denkbilder-Reihen, die unzweifelhaft ohne jede bewußte Absicht und ohne jede Willkür erzeugt sind und aller Wahrscheinlichkeit nach nur bruchstückweise und mit eigentümlich flüchtiger und schnell vergänglicher Leisheit in unser Bewußtsein geworfen werden. Noch denkwürdiger und in der gleichen Richtung ebenso beweiskräftig sind einmal die Tagträume, die etwa im Bezirk des männlichen Ehrgeizes oder in dem der Leibesliebe von den bewußten und willkürlichen zu den unbewußten und unwillkürlichen Bildungen von Denkbilderreihen hinüberleiten, und jene eigentümlichen halbwachen Gedankengänge, die in der kurzen Dämmerzeit zwischen Wachen und Schlaf, ausgehend von wachen und also ebenso bewußten wie willkürlichen Anfängen, unversehens in die regellosen und wirren Erzeugnisse des reinen Träumens hinübergleiten. Sie sind der Selbstbeobachtung eigens zugänglich, weil diese Zwielichtform von Denk-Hirn-Vorgängen leicht und häufig durch Rückfälle in das volle Wachsein unterbrochen zu werden pflegt und weil wir dann mit besonderer Sicherheit an den Kennzeichen dieser Dämmerung — sei es die Verkehrtheit ihrer Gedankengänge, sei es das plötzliche und völlig unmotivierte Auftreten von — optischen — Bildern — erkennen können, daß wir im Begriff sind zu träumen und also zu schlafen. Nur im Vorbeigehen erinnert sei an eine vierte Form der Gedächtnisbetätigung, die ebenfalls aller Wahrscheinlichkeit nach zum mindesten nach kurzer Einübung lediglich

Traum, Wachtraum, Auswendiglernen, mechanisches Handeln.

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von den Hirnwerkzeugen unseres denkenden Ichs wahrgenommen wird: es ist das Auswendiglernen, gleichviel ob von Gedichten oder Prosastücken, von Ton-, Schauspiel- oder Tanzstücken. Dieser Tatbestand ist doch wohl erwiesen durch die gänzliche Teilnahmlosigkeit unserer geistigen Tätigkeit an der Ausübung dieses Geschehens: sie wird offenbar in den meisten Fällen allein dem Hirnapparat unseres Denkens überlassen. Fünftens und schließlich giebt es eine Form von gedächtnismäßigem Handeln, die durch die Sinnlosigkeit, ja Zweckwidrigkeit ihres Tuns unwiderleglich erweist, wie ausschließlich sie ihre Entstehung nur der unbewußten und deshalb also sicherlich nicht-geistigen Tätigkeit des Gehirns verdankt. Ein Beispiel für viele: wir verlassen am hellen Tage ein Zimmer, an dessen Tür ein Schalter für die elektrische Beleuchtung angebracht ist. Wir setzen ihn in Bewegung und begehen damit also eine doppelte Zweckwidrigkeit: wir erzeugen Licht, wo es schon vorhanden ist und wollen Licht anzünden, wo wir es löschen müßten. Die Darlegung kehrt zu ihrem Ausgangspunkt zurück: alle diese Formen der Entstehung von DenkbilderReihen beweisen — die der Träume vielleicht am unwiderleglichsten — daß unser Denken, so weit es reiner Hirnvorgang ist, durchaus im Stande ist, auch selbsttätig und ohne jede Aufsicht und Leitung von Seiten des geistigen, d. h. des uns bewußt werdenden Denkens Denkbilderreihen hervorzubringen, von denen wir sei es durch ihre Endglieder, sei es durch ihre Ergebnisse, sei es durch verstohlene Unterbrechungen ihrer Verborgenheit Kenntnis erhalten und die wir deshalb aus solchem Teilbewußtwerden als sei es halb, sei es völlig ebenbürtige und gleichwertige Erzeugnisse unseres Denk-Hirn-Apparates zu würdigen haben. Man nehme bei diesem Ergebnis nicht etwa daran Anstoß, daß es sich hier zum größten Teil um Denkvorgänge handelt, die wir durchaus nicht dem Gedächtnisbezirke im Reiche des Denkens zuzurechen pflegen. Daran ist indessen gar nichts gelegen, weil die Hirn-Denklehre, auf deren Grundlagen sich

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Urkräfte: Weltkräfte and Seelenkräfte: Gedächtnis, Bewußtheit.

die hier verfochtenen Meinungen aufbauen, alle Denkvorgänge in ihrem vollem Umfange und ausnahmslos als Leistungen des Gedächtnisses auffaßt, insofern sie sie als Verknüpfungen der in den Ganglienzellen aufgespeicherten BildEinzeichnungen ansieht. Und nun wird man am Schluß dieser Kette von Erwägungen zugeben müssen, daß die scheinbar so unsäglich weite Spannung, die sich zwischen dem menschlichen Gedächtnis und dem Gedächtnis der Welt, wie es sich in der Mneme des Wachstums offenbart — wobei das Wort Gedächtnis immer nur im halb übertragenen Sinn Geltung hat — auf Seiten des Menschen eine sehr augenfällige Minderung erfährt, insofern das menschliche Erinnerungsvermögen in einem überaus wichtigen Grundstock seiner Betätigungen über die beiden Vorzüge, die ihm nach der weithin herrschenden Meinung als überstarke Überlegenheiten angerechnet werden, über Bewußtheit und Willkür gerade gar nicht verfügt. Sechstes Stück. Die W i e d e r h o l t h e i t im a n o r g a n i s c h e n Reich als Wegebereiterin des G e d ä c h t n i s s e s der organischen Welt Die Mneme, d. h. also die unbewußte Erinnerung des Wachstums der organischen Welt, nimmt in der Schlachtordnung dieser Geschehensformen eine Mittelstellung ein, deren einen Flügel das zum Teil unbewußte, zum Teil bewußte Gedächtnis des Menschen bildet. Den anderen Flügel aber bildet das anorganische Reich, dem zwar jedes Gedächtnis, auch das unbewußte des Wachstums abgeht, das aber durch seine überaus zahlreichen Formen der Wiederholtheit sich, soweit es auf die reinen Tatsächlichkeiten ankommt, wie eine Wegebereiterin zunächst des unbewußten Gedächtnisses der Wachstumsvorgänge im organisch-biischen Reich und mittelbar auch des menschlichen Erinnerungsvermögens darstellt. Die Entscheidung darüber, wie weit die Wiederholtheit

Werden und Wachstum; Wiederholungspräzision im Sternreiche.

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des anorganischen Weltgeschehens in einem inneren — tatsächlichen, nicht begriffsmäßigen — Zusammenhang mit der Wiederholtheit des Wachstums steht, rührt an die sehr viel breitere Fragstellung, wie weit Werden und Wachstum überhaupt als einem Geschehenszug angehörig angesehen werden dürfen. An sie soll jetzt noch nicht gerührt werden. Das Eine aber läßt sich schon vor der Entscheidung über diese allgemeinere und schlechthin weltweite Fragstellung sagen: soweit es auf das Endergebnis des schlichten Geschehens ankommt, fügen sich die beiden Ordnungsformen in einer Nähe aneinander, die denjenigen in Erstaunen setzt, der den Verkündungen dieser der begrifflichen Reihenfolge nach ersten Zweiheitslehre, des dem Range nach zweiten Dualismus nachgiebig zu lauschen gewohnt ist. Denn wenn die anorganische Wiederholtheit mit dem Weltgedächtnis, das das Wachstum beherrscht, verglichen werden soll, so wird man am ehesten geneigt sein, als Maßstab zunächst den Grad der Genauigkeit im Wiederholen des Vorganges anzulegen. Und da ergiebt sich doch auf den ersten Blick, daß nicht die entwicklungsspätere, nach der herkömmlichen Sicht also höhere Stufe der organisch-biischen Welt in dieser Hinsicht den Vorrang aufzuweisen hat, sondern die niedere der anorganischen. Denn die Wiederholtheiten des anorganischen Reiches reichen in der Mehrzahl seiner Bezirke bis zu dem äußersten in diesem Sachverhalt überhaupt erreichbaren Grade, nämlich bis zur restlosen Dasselbigkeit aufwärts: selbst von den Fixsternen, d. h. also Körpern von billionenfacher Zusammengesetztheit wird angenommen, daß sie ihre nach Quadrillionen von Kilometern messenden und in Millionen von Jahren sich vollziehenden Kreisläufe in einer auf Sekunde und Millimeter abgepaßten Genauigkeit durchmessen: zu oberst selbst das Milchstraßensystem, das jede der ihm zugeschriebenen Rotationen in 230 Millionen Jahren vollzieht und dessen längerer Durchmesser nach den letzten Schätzungen1 2820 Sternweiten, d. h. also 84600 Billi1

) Jeans, Sterne, Welten, Atome 81, Kopff, Physik des Kosmos 448.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wiederholtheit.

onen Kilometer mißt. Und will man diese Daten, die freilich nur auf Annahmen beruhen, als nicht hinlänglich sicher bei Seite lassen, so sei an den Halleyschen Kometen erinnert, dessen Wiederkehr alle 76 Jahre stattfindet, dessen Bahn ihn noch weit über die des Neptun, also die bis vor kurzem äußerste Grenze des Sonnensystems hinaus führt und dessen Erscheinen doch schon seit 1682, d. h. etwa seit seines Entdeckers Beobachtung, bereits drei Mal mit wachsender Genauigkeit vorausgesagt werden konnte, obwohl dabei die von den äußeren Planeten unseres System verursachten Störungen sehr lästige Schwierigkeiten in der Berechnung hervorrufen1. So im Reich der größten Körper, der weitesten Entfernungen, der mannigfaltigsten Zusammensetzung, im Reich der Weltkörper; andererseits aber findet sich dieselbe Erscheinung einer Wiederholtheit in einer noch erhöhten Gradstärke der Genauigkeit, die nunmehr bis zur Dasselbigkeit im Sinne von kaum denkbar kleinen Maßen gesteigert ist, in dem innersten Kern des anorganischen Reiches, im Bezirk der elektrophysischen Erscheinungen, im Bereich der Urkörper. Denn wenn wir vernehmen, daß noch in dem Atom des einfachsten der Elemente, in dem Atom des Wasserstoffs, dessen Halbmesser ein Zehnmillionstel Millimeter beträgt, sich ein beständiger Kreislauf von Elektronen vollzieht, deren Halbmesser nahezu zwei Billionstel Millimeter mißt, so erhalten wir den Eindruck, daß sich hier bei den Urkörpern in der Richtung auf die unendliche Kleinheit der Maße eine für unsere Fassungskraft ebenso schwer zu bewältigende Form des Geschehens vollzieht, wie dort bei den Weltkörpern in der Richtung auf die unendliche Größe und Weite der Abmessungen. Von diesen kleinsten Körpern weiß man, daß sie im Wasserstoffatom auf der einquantigen, der dem Kern nächsten Bahn mit einer Geschwindigkeit von 2172 Kilometern in der Sekunde einherfahren2 und der l

) Newcomb-Engelmann-Ludendorff: Astronomie 4 455ff. ') Graetz, Atomtheorie ('1925) 9, 82.

Noch größere Präzision im Urkörperreich.

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Kleinheit all dieser Maße zum Trotz — oder soll man besser sagen: ihr entsprechend? — ist die selbstverständliche, in Zehntausenden von Versuchen bestätigte Voraussetzung der Forscher, daß in Hinsicht auf die Wiederholtheit dieser bis in alle Ewigkeit fortgehenden Bewegungen die Präzisiertheit, d. h. die Dasselbigkeit des Geschehens sich bis in dieselbe Größenschicht der kleinsten Maße erstreckt, wie die Abmessungen der Körper und ihrer Wege selbst. Wohl läßt auch schon die kürzeste Übersicht über andere Bezirke des anorganischen Reiches, so etwa über die der Erdgeschichte oder gar der Wetterkunde, erkennen, daß in ihren Geschehensformen die Neigung zu leisen oder auch starken Abweichungen bei Wiederholtheiten überwiegt, die dennoch in ihrem Grundstock ein weitgehendes Beharrungsvermögen aufweisen. Aber das nimmt den eben berührten Beobachtungen des Gegenteils in den Bezirken der Welt- und der Urkörper nichts von ihrer Schlagkraft, denn einmal ist deren Wirkungsbereich allgemeiner und deren Rang deshalb höher, und zum zweiten sind hier wie bei all derlei Wesensbeurteilungen die Grenzfälle entscheidend. Aber auch gegen sie und gegen ihre Wertung wird man grundsätzlich und vor dem Eintritt in jede Diskussion eine Überlegung geltend machen, auf die hier zunächst eingegangen werden muß. Auf sie kommt umso mehr an, als sie sich auf eine Grundanschauung der physikalischen Wissenschaft stützt, die unbeachtet zu lassen nicht zulässig ist. Man wird nämlich erklären: gewiß, hier treten Wiederholtheiten der mannigfachsten Art und Form auf; aber sie als Vorformen der entwicklungsspäteren Wiederholtheiten im organisch-biischen Reich anzusehen, ist durchaus unzulässig. Ist es doch nicht einmal erlaubt, sie als selbständige Vorgangsreihen anzusehen, weil ihnen die beiden unentbehrlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch mangeln: Autarkie und Autogenie — Selbstgenügsamkeit und Eigenwerden. Denn als an einer Grundanschauung wird daran festgehalten, daß jedes Einzelstück — Hegel würde sagen jedes Naturding — der anor-

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wiederholtheit.

gamschen Welt an sich eine jeder eigenen Bewegung unfähige, also auch im übertragenen Sinne leblose Sache sei, durchaus nur passiver, leidender Bewirkung, d. h. Bewirktheit fähig, nie aber zu einer aktiven und sei es auch nur ihrem eigenen Selbst zugewandten Bewegung gerüstet. Diese Auffassung des anorganischen Dinges als eines caput mortuum, einer toten Sache — wobei die gewissermaßen mittlere, halbaktive Fähigkeit, durch Gravitations-, elektrische und magnetische Kraftfelder Anziehung auszuströmen bei Seite bleiben mag — verbietet offensichtlich streng, auch den Vorgang der Wiederholung irgendwie als einen von dem die Bewegung wiederholenden Körper selbst ausgehenden anzusehen. Dieser Auffassung ist der Wiederholtheit anorganischer Vorgänge gegenüber nur eine Stellungnahme möglich: sie kann zugeben, sehr wohl, hier findet eine Wiederholung statt, aber sie darf in keiner Weise als von dem seine Bewegungen wiederholenden Körper ausgehend angesehen werden, sondern lediglich als von seiner Umwelt, von ihren auf ihn einfließenden Bewirkungen verursacht. Was sich wiederholt, Bind im Grunde nicht die Bewegungen des Körpers, sondern die ihm von außen her aufgenötigten Bewegungszwänge. So die physikalische Wissenschaft, und wer sich ihren augenblicklichen Geboten unterwirft, dürfte allerdings nicht daran denken, irgend eine Wiederholtheit im anorganischen Reich als Wegebereiterin der orgamsch-biischen Wiederholtheiten, in Sonderheit des Wachstums aufzufassen. Anders wer die hier vertretene Lehre von der Eigenbewegtheit annimmt. Siebentes Stück. Anorganische

und

organisch-biische

Wiederholt-

heiten: Ä h n l i c h k e i t e n und Verschiedenheiten. Immerhin eröffnet sich hier ein Ausweg, zu dem der Anhänger rein erfahrungswissenschaftlicher Forschungsweise umso lieber seine Zuflucht nehmen wird, als es sich dabei um

Wiederholtheit unter Süßerem Zwang? Kosmogonien.

Hl

einen Bezirk handelt, der der greifbaren Wirklichkeit noch näher gelegen ist, als der der Elektrophysik, von der jenes harte Verbot ausgeht. Die heutige Sternkunde nämlich hat für ihre Weltentstehungslehren, ihre Kosmogonien, Reihen von auf- und auseinander folgenden Seinszuständen der Weltkörper aufgestellt, die, was den Tatsachenbestand angeht, die nächste Ähnlichkeit mit den Reihen des organischbiischen Werdens, auch denen des Wachstums haben. Wenigstens in ganz weiten und ganz leisen Umrißlinien sei die zentralste, die recht eigentlich Mitte und Kern der Sterngeschichte bildende von diesen Reihen angedeutet. Man geht aus von den nur denkmäßig, aber mit höchster Wahrscheinlichkeit sich aufdrängenden Annahmen eines Urzustandes der Welt, in dem der Stoff, der als unendlich verdünnter Wasserstoff gedacht ist, in der weitesten Verbreitung das Insgesamt des Raumes erfüllt. Von diesem Wasserstoff, der so dünn auftritt, daß der Atemzug einer Fliege, geschöpft aus der Luft unserer Erde genügen würde, um mit ihm das Innere eines Doms zu füllen, muß angenommen werden, daß er sich in ungleicher Mengenverteilung über den Raum verbreitet vorfand; denn er würde, falls er in gleicher Verteilung aufträte, den Verdichtungshergang, der als zwangsläufig eingetreten angenommen wird, dazu geführt haben, daß sich die Gesamtmasse des in der Welt vorhandenen Stoffes zu einer unbeweglichen Kugel zusammengeballt hätte. Jede ungleiche Verteilung des Stoffes im Raum aber — und dies ist die zweite notwendige Voraussetzung dieser Annahme eines Welt-Werdegangs — mußte zu Strömungen des Stoffes im Raum und diese wiederum mußten zu Rotationen führen. Die Rotationen ihrerseits mußten nach der von der Physik aufgefundenen und schon als Gesetz formulierten Regel der Erhaltung des Drehmoments, wenn einmal in Gang gebracht, auch darin weiter verharren. Der Zustand dieser Stufe ergiebt eine Reihe von in Rotation befindlichen Nebeln und zwar in Rotation von verschiedener Geschwindigkeit. Er wird aber nicht etwa als Vorstadium von einer lehrmäßigen Sternkunde

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräite: Wiederholtheiten.

gefordert, sondern von der werktätig-erfahrenden Forschung täglich beobachtet. Die Formen, in denen diese Sternnebel — innerhalb wie außerhalb der Milchstraßeninsel im Meer des Weltraums — vorkommen, lassen sich nun mit Hilfe von physikalischen, im Laboratorium unternommenen Versuchen in eine Entwicklungsreihe ordnen, von deren einzelnen Gliedern sich nachweisen oder zum mindesten mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen läßt, daß zwangsläufig das eine aus dem andern hervorgehen muß. Und so mag sich, wie man mit großer Sicherheit behaupten zu können meint, der Werdegang, der sich von formlosen Sternnebeln bis zur Bildungsstufe von Sternen vollzogen hat, durch die Folge dieser Formen hindurch bewegt haben 1 . Die erste von ihnen hat die Gestalt einer Kugel, die zweite die einer abgeplatteten Kugel, die dritte die eines rhomboedrisch zugespitzten Körpers, die vierte die einer Kugel mit tellerförmigem Gürtel in der Äquatorialebene, die fünfte die gleiche Gestalt nur mit einem außerordentlich erweiterten Äquatorialgürtel. Diese Nebelebenen zerteilen sich, bei immer weiter fortschreitender Zusammendrängung, zuerst in Nebelverdichtungen, später in Sterne, die aus diesen Verdichtungen entstehen. Aus den einfachen Sternen aber sind, so nimmt man an, durch Auseinanderbrechen doppelte Sterne entstanden. Aber auch die höchst umfangreichen Sternhaufen, die uns außerhalb der Milchstraßeninsel ihrer allzu weiten Entfernung wegen nur als Nebel erscheinen, bis zu der Größenebene des Andromeda-Nebels aufwärts und von dieser bis zu der noch höheren unseres Milchstraßen-Baus lassen sich allesamt in die Reihenfolge dieser Nebelformen einordnen. Den letzten Sieg dieser Forschungsweise bedeutet es wohl, daß man in dem so unsäglich schwer entwirrbaren Knäuel der Sternbewegungen als oberstes Prinzip eine Rotation des ganzen, auf annähernd vierhundert Milliarden Sterne geschätzten ) Jeans, Sterne, Welten, Atome (Ueb. 1931) 226, 223ff. dazu Tafel X V I Fig. 1 - 5 . 1

Gegensätze anorganischer und organischer Wiederholtheit.

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Milchstraßen-Systems erkannt zu haben glaubt, d. h. dieselbe Form der Bewegung, durch die sich im Anfangsalter dieses Weltwerdens die Sternnebel als die ersten abgrenzbaren Körper aus dem Urnebel abgelöst haben1. Was heißt dies Alles nun für den hier verfolgten Gedankengang, der darauf abzielt, die Wiederholtheiten des anorganischen Reichs und in Sonderheit der Sterrienwelt zu vergleichen mit den Wiederholtheiten des organisch-biischen Geschehens, insbesondere des Wachstums der Einzelkörper, der Einzelpflanzen und der Einzeltiere ? Soll man nun etwa auch von einer Mneme, einem Weltgedächtnis der anorganischen Werdegänge sprechen dürfen ? Das geht gewiß nicht an: es hieße ein schon einmal übertragenes Bild noch ein zweites Mal übertragen und man würde damit eine schon vorhandene Kluft des Gedankens bis ins Unerträgliche erweitern, d. h. auf Kosten einer wünschenswerten Abgrenzbarkeit und Teilbarkeit der Begriffe. Und doch, und auch dies darf nicht verkannt werden, leiten Wesensgemeinsamkeiten von den biisch-organischen zu den anorganischen Werdegängen hinüber, die auch in diesen etwas wie eine Wegebereitung, ein Anbahnen der an sich weit geschlosseneren Geschehenseinheiten erkennen lassen, die im anderen Lager sich in einer Form auswirken, die dazu berechtigt, sie wie einen Vorgänger der Betätigung des menschlichen Gedächtnisses anzusehen. Um hier unbedingte Klarheit zu schaffen, seien zunächst die Unterschiede, ja auch die Gegensätze ins Auge gefaßt, die die beiden Formen von Geschehenszusammenhängen trennen. Beide sind Werdegänge, die durch die Folge der Zeiten und sehr verschiedener Seinszustände hindurch zusammengehalten werden. Aber bei der einen, der anorganischen Gruppe überwiegen — davon war schon die Rede — die von außen her auf die Geschehenseinheiten, die die Träger dieser Werdegänge sind, einwirkenden Einflüsse der Umwelt, bei ') Jeans, Sterne, Welten, Atome 82, 227ff.; dazu Tafel XVIII bis X X von Teilen des großen Bären und des Dreiecks. B r a y i l g , Natargeschlohte and Menachhettageschlohta.

8

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wiederholtheiten.

der anderen, der biisch-organischen Gruppe überwiegen die vom eigenen Wesen her wirkenden Geschehenseinflüsse, jene werden in höherem Maß durch Gewalten des Nebeneinanders, des Seins, des Raums, diese durch Gewalten des Nacheinanders, des Werdens, der Zeit bestimmt. Jene sind überwiegend Querschnitt-, diese überwiegend Längsschnittgebilde, jene werden mehr durch äußere, diese mehr durch innere Geschehenszwänge geleitet. Doch nun die Gemeinsamkeiten. Sie werden überwiegend aus einer Grundeigenschaft abgeleitet werden können: aus der Geschlossenheit, der Begrenztheit im Nebeneinander des Raums, die alle organisch-biischen Körper und unter den anorganischen eine Anzahl von Gruppen aufweisen, eben die, von denen hier allein die Rede sein soll. Aus dieser Eigenschaft folgt dann in Hinsicht auf das Nacheinander der Zeit eine Betonung, man möchte sagen, eine Überbetonung der Zusammenhänge in diesem Nacheinander, die es erlaubt, ja gebietet, hier von Geschehenseinheiten im Längsschnitt der Zeitfolge zu reden: ganz unbedingt im Falle der organischbiischen Reihen, bedingt aber auch in dem der anorganischen FolgeVerkettungen. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist keineswegs ein vollkommener, ein Gegensatz, in dem die eine Geschehensform die andere völlig ausschlösse; weder sind die organisch-biischen Geschehensreihen völlig unabhängig von ihrer Umwelt im Nebeneinander des Raums — sie erfahren vielmehr beständig von ihr die nachhaltigsten, ja auch für ihr Fortbestehen unentbehrlichsten Einwirkungen — noch überwiegen in der anorganischen Gruppe diese Einwirkungen des Nebeneinanders die anderen des zeitlichen Nacheinander so weit, daß sie sie in Vergessenheit zu bringen vermöchten. Zu der Zeitfolge und ihrer Geschehenseinheit tritt noch eine andere, ebensoweit, ja im Grunde noch weiter gehende Gemeinsamkeit, die zwar auch nur teilweise Platz greift, die aber in beiden Gruppen einen so stark überwiegenden Teil alles Geschehens umfaßt, daß man, so wie man die erste Ge-

Gemeinsamkeiten: Stoffeinheit, Gefügefestigkeit.

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.meinsamkeit Werdenseinheit nennen kann, diese als Stoffeinheit wird bezeichnen können. Denn wenn etwa das Wachstum eines Pflanzenleibes mit dem Werdegang eines Fixsterns, so wie ihn die Lehren von Lockyer und Russell aufgebaut haben1, verglichen wird, so haben sie beide die Eigenschaft gemeinsam, daß der das Geschehen tragende Körper in jedem der Zustände, in die ihn sein Werdegang geraten läßt, mit seinem Vorzustand im größten Teil seiner Bestandteile eine Dasselbigkeit des Stoffes aufweist, durch die erst jene Geschehenseinheit der Zeitfolge, von der hier zunächst die Rede war, ermöglicht wird. Die Gemeinsamkeit beider Gruppen geht hier so weit, daß die Stoffeinheit in den anorganischen Geschehensreihen noch folgerichtiger durchgesetzt erscheint, als in den organisch-biischen. Obwohl die Wandlungen eines Sterns, die er im Laufe seiner Lebensdauer durchmacht, eher noch reicher und bunter sind, als die, denen eine Einzelpflanze während ihres Wachstums unterhegt, so ist die Menge der Einzelstoffe, die sich mit seinem Körper aus seiner Umwelt verbinden, unvergleichlich geringer, als die derjenigen, die dem Körper der Pflanze aus der seinigen zufließen, obgleich man das Gegenteil erwarten sollte. Für den hier obschwebenden Gedankengang ergiebt sich nun folgerichtig die Frage, ob sich nicht aus dem so festen Gefüge, das offenbar auch den hier ins Auge gefaßten anorganischen Geschehensreihen eignet, ein Maß von Zwangsläufigkeit ergiebt, das erlaubt, ihnen wenn nicht das Insgesamt, so doch einen Teil jener Eigenwerdigkeit und Selbstgenügsamkeit — Autogenie und Autarkie — zuzusprechen, die zuvor als das grenzsetzende Merkmal des organischbiischen Wachstums festgestellt wurde und die uns ermächtigen würde, von den Wiederholtheiten anorganischer Geschehensreihen als Wegebereiterinnen für das Gedächtnis der organischen Welt zu sprechen. 1 ) Guthnick: Physik der Fixsterne (Astronomie hrsg. von Hartmann in Hinnebergs Kultur der Gegenwart [1921] 404ff., 409ff.); dazu Jeans, Sterne, Welten und Atome 333 f.



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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Wiederholtheiten.

Ehe diese Erörterung begonnen werden kann, ist es nötig eine Vorfrage, nicht der Begriffe, sondern des Tatbestandes zu lösen oder doch anzudeuten, die sich jedem Vordringen in dieser Richtung in den Weg stellt. Es ist die Frage, ob, wenn sich uns solche nach außen scharf abgeschlossenen, nach innen aber zu selbstgenugsamer Zwangsläufigkeit verdichteten Geschehensreihen als Gegebenheiten darstellen, wir es dabei nicht mit Tatsächlichkeiten, sondern nur mit Erzeugnissen unseres ordnenden Zusammendenkens zu tun haben. Wobei dann natürlich nicht an jene allgemeine Form der denkenden Ausformung unseres Weltbildes gedacht ist, die allem Erkennen eigen ist, sondern an eine besondere, nur unserer Erfahrungswissenschaft zugehörige und wenn man will eigens selbstherrliche und deshalb unzulässige Weise der Umprägung unserer empfangenen Wirklichkeitsbilder in Wissenschaftsbilder, die unserem Denken wohlgefälliger sind.

Achtes Stück. F o r t g e s e t z t h e i t e n und U n a u f h ö r l i c h k e i t e n . Die Beantwortung der noch eben hier aufgeworfenen Frage wird im Wesentlichen davon abhängen, ob die anorganischen Geschehenszusammenhänge, deren Wesen erforscht werden soll, irgend welche in ihnen selbst wirksame Antriebe erfahren, die den Lebenskräften des organischen Wachstums zwar nicht gleichkommen — daran darf nicht gedacht werden — wohl aber eine der ihren ähnliche Wirkungsweise besitzen. Als ausgeschlossen für diese Fragstellung müssen von vornherein die tausendfach zusammengesetzten Geschehensreihen gelten, wie etwa die Werdegänge der Fixsterne. Wohl weisen sie eine Geschlossenheit und Abgegrenztheit ihres Werdens auf, die sie — wie schon berührt wurde — in dieser Hinsicht den Werdegängen der pflanzlichen oder tierischen Wachstümer noch um vieles überlegen erscheinen lassen; aber jene

Werdegang und Wachstum.

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geheimnisvollen, das Werden bindenden und fördernden Kräfte der organischen Welt gehen ihnen durchaus ab. Mag sich die Reihe von Zuständen, die ein Fixstern von der Bbis zur M-Klasse und wieder zurück durchzumachen hat, auch allein innerhalb des Milchstraßen-Gebäudes in Hunderten von Milliarden Fällen wiederholen, in vielen Graden der Ähnlichkeit, annähernder und fast vollendeter Gleichheit oder gar Dasselbigkeit, so wird man doch den hier eigens unerbittlichen Forderungen der physikalischen Wissenschaft sicher darin nachgeben müssen, daß diese Wiederholtheiten lediglich das Ergebnis der Wiederholtheit der Beschaffenheiten und der Umweltbewirkungen dieser Geschehensträger sind, daß also jeder von diesen Werdegängen an sich völlig unabhängig von seinen Vorgängern und nur aus seinen eigenen, durchaus selbstständigen Daseins- und Werdensbedingungen zu erklären ist. Und selbst da, wo schlechthin stammbaumartige Filiationen — Kindschaftsverhältnisse also — vorliegen, wie bei dem Losreißen der söhnlichen Teilnebel von ihren Mutternebeln, bei der Entstehung der Fixsterne also oder wie bei dem ähnlichen Hervorgang von den Teilnebeln, aus denen in besonders günstig gelagerten Fällen Planeten erwachsen1, wird man nicht von der Anbahnung eines Weltgedächtnisses im Sinn des Mneme-Begriffes, wie er sich für das leibliche Wachstum und sogar das rätselhaft vererbliche seelische Verhalten der Einzelwesen im Tierreich mit allem Recht herausgebildet hat, reden dürfen2. Denn so oft man auch von der Entwicklungsgeschichte eines Fixsternes oder eines Planetensystems sprechen mag, es geschieht nur läßlich, bildlich, denn dieser Begriff muß im Sinn sorgfältiger Forschungsweise seine Abgrenzung immer so erhalten, daß er die Werdensform Wachstum noch in sich schließt. Das aber wird von keiner Sterngeschichte zu behaupten sein, aller ihrer Eigenwerdig] ) Jeans, Sterne, Welten und Atome 254 f. *) Vgl. z. B. über das Verhalten der jungen Elstern beim ersten Anblick einer Wasserfläche Semon, Mneme (1911) 89.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Fortgesetztheiten.

keit im Nacheinander der Zeit und aller ihrer Geschlossenheit im Nebeneinander des Raums zum Trotz. Läßt nun aber eine im Vergleich unersättliche allgemeine Naturlehre im anorganischen Reich auf der Suche nach besser geeigneten Seitenstücken ihre Blicke noch weiter schweifen, so trifft sie doch auf Geschehensformen, die ihren Wünschen zum wenigsten sehr viel weiter entgegenkommen. Es sind notwendig die einfachsten und elementarsten Vorgangsarten, die hier in Betracht gezogen werden müssen, denn sie zeichnen sich durch eine Nichtzusammengesetztheit aus, die sie von dem Vorwurf befreit, daß sie eine Dichtigkeit des Querschnittund eine Abfolgegeschlossenheit des Längsschnittsgeschehens beanspruchen, die nur den Wachstümern der Lebewelt zukommt. Newtons zweites Bewegungsgesetz hat den Tatbestand enthüllt, daß jeder einmal in Bewegung gesetzte Körper, den kein Hindernis aufhält, diese Bewegung geradlinig und unaufhörlich fortsetzt. Die Formulierung dieses Sachverhalts hat seltsamer Weise den Namen Trägheitsgesetz erhalten, da sie doch von der stärksten und wuchtigsten, der tätigsten und unrastigsten Form des Weltgeschehens Zeugnis ablegt. Wohl wird von dieser Geschehensform durch Newtons Gesetz ein Ursprung ausgesagt, der von außen kommend ganz der Umwelt angehört und somit nichts mit Eigenwerdigkeit und Selbstgenügsamkeit zu schaffen hat, so daß einer auf Vereinheitlichung gerichteten Naturlehre der Wunsch erwachsen muß, diese Schranken zu durchbrechen und zur Lehre von der Eigenbewegtheit der Urkörper vorzudringen. Aber auch wenn dieser Gedankenweg nicht eingeschlagen werden soll, sei es grundsätzlich nicht und aus Scheu vor der Durchbrechung altüberlieferter Wissenschaftsregeln, sei es, wie es der Fall der auf diesen Blättern verfochtenen Meinung ist, nur vorläufig nicht, weil diese Auffassung an einem anderen Ort des hier errichteten Lehrbaus vorgetragen werden soll — wenn also nur im Sinne Newtons von der bereits in Gang gebrachten Bewegung die Rede sein soll, so ist doch offenbar,

Element der Eigenkraft in Beharrung und Drehmoment.

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daß auch in der so entstehenden von außen verursachten Bewegtheit und ihrer Fortgesetztheit durch den Urbestandteil der Unaufhörlichkeit, der ihr innewohnt, eine Geschehensform behauptet ist, der ein Höchstmaß von einer auch in ihr selbst wirkenden Triebkraft zugesprochen wird. Würde sich ergeben haben, daß jede derart in Gang gebrachte Bewegung aus irgend einem Grunde, etwa der Ermüdung, mit langsam sich vermindernder Geschwindigkeit schließlich zum Ablauf kommt, so würde kein dem Naturgeschehen Naher hieran Anstoß nehmen, und daraus folgt, daß Newtons Gesetz einen Tatbestand enthüllt, der zum mindesten auch ein Positives von Eigenkraft in der Beständigkeit und Unaufhörlichkeit enthält. Und wäre es zu viel behauptet, wenn man von diesem Sachverhalt aussagte, daß in ihm schon ein Keim der Geschehensform sich regt, nach der man hier auf der Suche ist ? Zu dieser Erscheinung gesellt sich eine völlig analoge aus dem äußeren Gürtel der auf die Weltkörper angewandten Physik. Die Sternkunde, soweit sie derlei Sichten eröffnet, versichert uns, daß in dem an sich sehr bedeutungsvollen Abschnitt der Entstehungsgeschichte eines Sterns, der seinen Übergang aus der Nebelgestalt in die sich bildende Kugelform des neuen Sterns umfaßt, die schon im Nebelzustand einsetzende Drehung auch später bewahrt bleibt gemäß dem Gesetz der Erhaltung des Drehmoments. Man könnte nun versucht sein, diese Drehung der entstehenden Weltkörper um den eigenen Mittelpunkt in Zusammenhang mit der Rotation der Elektronen zu bringen und hier eine Art von Erbgang von den Urkörpern bis zu den Weltkörpern zu vermuten. Doch fehlen zum mindesten für die heutige Erkenntnis, wenn nicht gar für den Tatbestand selbst, sehr viele Zwischenglieder. Die Astrophysik führt den Hergang jedenfalls nur bis auf jenes Gesetz der Erhaltung des Drehmoments zurück1, das die eigentliche Physik ihrerseits auch als einen Sonderfall der 1

) Jeans, Sterne, Welten und Atome 223.

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Fortgesetztheiten.

Lex secunda, des zweiten Bewegungsgesetzes von Newton ansieht und das für den hier verfolgten Gedankengang deshalb auch den gleichen Einschränkungen unterliegt, wie dieses1. Eine ganz freie, d. h. nicht von vornherein an die strengen Verbote der physikalischen Wissenschaft gebundene Betrachtung dieser Dinge wird geneigt sein, die Reihe dieser stützenden Fälle aus der angewandten und insbesondere der astronomischen, aber auch der reinen Physik noch zu verlängern und etwa die Frage aufzuwerfen, ob nicht dem Prinzip der Erhaltung des Drehmoments ein Prinzip der Erhaltung des Kreislaufmomentes an die Seite gestellt werden sollte, d. h. also eine Regel, die das Verhalten eines im Kreislauf befindlichen Körpers nicht lediglich auf die Einwirkungen, die von außen auf ihn treffen, gleichviel ob der aus der Gravitation oder der aus der Elektrizität stammenden Anziehungskraft entspringend, zurückführt, sondern ihm auch einen die Einhaltung der Kreislauf-Richtung bewirkenden oder vielmehr verstärkenden Antrieb zuschreibt. Gelänge dies, so müßten sich daraus die weitest tragenden Folgerungen ziehen lassen, denn wie in der Welt der Himmelskörper, so erstreckt sich auch in dem Bezirk der Urkörper die Kreislaufform über den bei weitem größten Teil aller ihrer Bewegungsformen überhaupt; doch müssen solche Erwägungen, die anzustellen zum mindesten der hier Schreibende keineswegs zuständig ist, dem weiteren Fortschritt der physikalischen Wissenschaft überlassen bleiben 2 . Die letzte Formelgebung, die für das Ergebnis der leisen und weiten Umrißbetrachtungen, die hier allein angestellt werden konnten, zu finden ist, wird mit aller Vorsicht gefaßt nur so lauten dürfen: nicht die an sich im Querschnitt des ') Vgl. die Darlegungen von Grammel, Kreisel (bei Berliner und Scheel, Physikalisches Handwörterbuch [ 2 1932] 641) und Impulskräfte, ebenda 528f.. 2 ) Vgl. jedoch einige Andeutungen von Grammel, Impulskräfte (bei Berliner und Scheel, Physikalisches Handwörterbuch 629).

Kreislaufmoment? Wiederholtheit in der Eigenbewegtheit.

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räumlichen, wie im Längsschnitt des zeitlichen Zusammenhangs zwar eng geschlossenen, aber nicht hinreichend durch Autogenie und Autarkie — Eigenwerdigkeit und Selbstgenügsamkeit — gesicherten Werdensreihen, wohl aber die elementaren Geschehensreihen der geradlinigen, der kreiseiförmigen und vielleicht auch der Kreislaufbewegungen weisen ein so wuchtiges und so unaufhörliches Continuum — eine so dichte Form der Verkettung, eine solche Intensität und Herrscherlichkeit der Wiederholtheit auf, daß sie als Urform und Entstehungsursache für alle Betätigungen der entwicklungsspäteren organisch-biischen Welt, ja noch des menschlichen Gedächtnisses angesprochen werden könnten. Wenn vollends, wie in späteren Darlegungen geschehen wird, die Eigenbewegtheit der Urkörper als Grundlage alles Weltgeschehens angenommen wird, so würde diese allgemeinste Form der Bewegung an sich in dem selben Sinn zu deuten sein. Es ist —um das Gleiche mit den allerkürzesten Worten zu sagen — doch so, daß die Wiederholtheit, die jede Form des unbewußten, wie des bewußten Gedächtnisses zum Zweck und zum Ergebnis hat, durch diese Reihen anorganischen Geschehens in einer Vollkommenheit erreicht wird, die sie jenen entwicklungsspäteren und entwicklungshöheren Erzeugnissen nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen zeigen. Daß diese Ergebnisse einer zwar rohen, aber letztlich doch entscheidenden Tatsächlichkeit ganz ohne die Hilfsmittel der höheren Formen des unbewußten Welt- oder des bewußten oder unbewußten Menschheits-Gedächtnisses zustande kommen, kann ihren Wertrang im Gesamtbilde des Weltund Menschheitsgeschehens um so weniger herabsetzen, als diese spätem Erzeugnisse der Welt-Entwicklung gar nie entstanden sein könnten, hätten sie nicht jene dumpferen, aber auch stärkeren Formen der Wiederholtheit zur Grundlage und Voraussetzung gehabt. Einer Weltsicht, der der Mensch Mitte oder gar Ziel alles Weltgeschehens ist, mag näher liegen zu erklären, das Verhalten aller dieser hier ins Auge gefaßten Formen von anor-

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Urkräfte: Weltkräfte und Seelenkräfte: Fortgesetztheiten.

ganischer Wiederholtheit stelle sich dar, als ob ihm die Hilfen eines organisch-biischen oder menschlichen, unbewußten oder bewußten Erinnerungsvermögens schon zu Diensten gestanden hätten. Aber vielleicht sagt der mehr, der erklärt, daß die Wirkungen jener anorganischen Geschehensreihen das Zielbild aller Wiederholtheit viel vollkommener, wenn auch begrenzter verwirklichen, als es je den so viel bruchstückhafteren und gebrechlicheren Mitteln der organisch-biischen Mneme oder des menschlichen Gedächtnisses für ihre zahlreicheren und sehr viel feiner und mannigfaltiger gegliederten, aber auch sehr viel weniger originären Aufgaben gelingt. Wie aber diese beiden oder richtiger gesagt drei Grundformen des Weltgedächtnisses in einander übergehen, davon soll erst später die Bede sein, wenn die weit allgemeineren Fragen des Grundverhältnisses zwischen anorganischem Werden, biischem Wachstum, menschlicher Entwicklung zu behandeln sein werden.

Zweiter Abschnitt. Das menschliche Gefühl nnd die Verbindungsdränge der anorganischen Welt. Erstes Stück. F ü h l e n u n d Denken u n d ihre B e w i r k b a r k e i t von a u ß e n her. Dem suchenden Auge, das Nähen, Gleichläufigkeiten, Ähnlichkeiten zwischen dem Menschheitsgeschehen und dem Weltgeschehen des anorganischen Reiches aufzufinden trachtet, erscheint die Entfernung bis zur Vernunftgemäßheit der Ordnungen auch in diesen menschenfernsten Bezirken der Wirklichkeit zwar weit, aber unser Empfinden scheut sich nicht allzu sehr ihm über diesen weiten Weg zu folgen. Anders ist es um das Gefühl bestellt, wenn uns in den Sinn

Vernunft, Gefühl und Weltgescheben.

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kommt auch für sein Erleben Seitenstücke in jenen Fernen zu suchen. Jedes, auch das oberflächlichste Hinschauen auf das nächste Zwischenreich, das uns von jenem Außenbezirk trennt, auf die Tierwelt, belehrt uns, daß alle höheren, ja schon mittleren Tiergattungen nicht allein das leibliche, nein auch das seelische Gefühl teilen und daß die niederen Tiere von Instinkten geleitet sind, deren Wirken dem unserer Seelenhandlungen noch immer sehr nahe ist. Und dennoch fühlt sich unser Fühlen selbst von der Möglichkeit abgestoßen, es könnte mit dem Geschehen der dumpfsten und gröbsten Körper im anorganischen Reich in irgend einer Beziehung zusammengeordnet werden. Obwohl das Gefühl in dem Innen-Haushalt unseres Ichs selbst dumpfer und dunkler, also weltnäher ist als das Denken, erscheint es uns wie eine Verletzung unseres zartesten Eigenbesitzes, unserer feinsten Vorrechte, wenn es in derlei Gedankengänge hineingezogen werden soll. Fühlen gilt uns, wenn nicht höher, so doch heiliger als Denken. Und dennoch, die Vergleichung, die hier angestellt werden soll, wird auch vor dieser scheinbar gewagtesten ihrer Unternehmungen nicht zurückscheuen dürfen. Wohl muß dabei die gleiche Vorsicht gebraucht werden, wie als von der Vernunftgemäßheit des anorganischen Geschehens die Bede war. Dann aber wird sich herausstellen, daß hier nicht ein größerer, sondern ein kleinerer Zwischenraum der Formund der Wesensfremdheit zu überwinden ist. Der Abzug nämlich, der dann gemacht werden muß, wenn das Ja oder Nein der Nähe irgend eines Geschehens am Gefühl erörtert werden soll, braucht nicht ein ganz so großer zu sein, als wenn Vernunft und Welt verglichen werden. Denn gleichviel ob unser Denken als ein bedingtes und vorbestimmtes angesehen wird, oder ob wir ihm ein größeres oder geringeres Maß von Selbstleitung zugestehen, so viel bleibt gewiß, daß innerhalb eines gewissen Spielraums unser Denken zum wenigsten nach unserem ichmäßigen Eindruck frei tätig ist, selbständig vor sich geht.

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Fühlen und Denken.

Unser Fühlen, so weit es rein seelisch ist — alles körperliche Fühlen soll von ihm getrennt und, wie sich in der Seelenkunde bereits eingebürgert hat 1 , ausschließlich als Empfinden bezeichnet werden — und soweit es nicht im augenblicklichsten und deshalb greifbarsten Sinne reaktiv, nur auf Reize antwortend ist, soweit wir also zum mindesten uns einbilden, es sei ebenfalls von sich aus handelnd, selbsttätig, hält doch der gleichen Prüfung wie das Denken noch weniger Stand. Wohl scheinen uns die Abwandlungen unseres Gefühls — etwa im Verlauf eines zusammengesetzten, verflochtenen und eigens wendungsreichen Liebesgeschehens — ganz ähnlich unabhängig, frei gewollt, wie die Gedankengänge etwa im Lauf einer forscherlichen Untersuchung. Aber von eindringender Aufhellung werden derlei Vorgänge ohne weiteres in einem umfänglicheren Maße als das Denken, zuletzt wohl ohne jeden Restbestand als Reaktionen, Reizbeantwortungen erkannt werden. Irgend welche seelischsinnliche Gegebenheiten, etwa die Seelen- und Leibesbeschaffenheiten eines anderen Menschen, wirken auf uns, und wie unser Fühlen, auch das rein seelische — also etwa von allen geschlechtlich-sinnlichen Nebenerscheinungen befreite — sich diesen Gegebenheiten gegenüber auch in seinen angeblich freien Entschließungen verhält, ist ebenfalls durch die Gegebenheiten unserer eigenen Person vorbestimmt. Auch noch die letzte Auswirkung unseres Gefühls ist als eindeutiges und unvermeidliches Antwortgeschehen auf die empfangenen Erregungen nachzuweisen. Alle scheinbare Selbständigkeit der Einzelhandlungen unseres Gefühls ist als Selbsttäuschung nachzuweisen. Hier könnte der Einwand erhoben werden, die gleiche Folgerung könnte auch für die Entscheidungen im Einzelverhalten des Denkens gezogen werden. Er ist nicht abzuweisen, denn auch unser Denken ist außer von den Fähigkeiten unseres geistigen Handelns im selben Sinne von den Vorräten der erhaltenen Eindrücke und den augenblicklich ») Vgl. hierzu Messer, Psychologie (»1922) 275f.

Abhängigkeit des Fühlens von äußeren Beizen.

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empfangenen Einwirkungen abhängig, wie das Gefühl von den es bewirkenden Reizen. Aber die Zusammenhänge, die hier entscheiden, sind im Bereich des Verstandes weniger leicht zu durchdringen, als in dem des Gefühls. Die Folgerungen etwa, die ein Forscher aus einem ihm vorliegenden Tatbestand ziehen wird, sind zwar gewiß vorbestimmt, aber im Voraus auch von den besten Sachverständigen nicht zu berechnen oder jedenfalls sehr viel schwerer, als die meisten Gefühlsentscheidungen. Seltsam genug, die Durchschaubarkeit unserer Entscheidungen ist in dem an sich doch wahrlich helleren Eigenbezirk des Verstandes geringer als in dem dunkleren des Gefühls. Der Grund mag sein, daß die dumpferen Regungen des Gefühls einfacher, stärker sind, als die feiner zerfaserten des Verstandes. Ein zweiter Grund für die Unterschiedenheit des Verhaltens beider Seelenkräfte ist wohl darin zu suchen, daß unser Fühlen, und zwar auch das ganz seelischer Art, untrennbar verbunden ist mit Leibesvorgängen der Lust und der Unlust. Die bei weitem mächtigsten Formen unserer Gefühlserregung, die im Lieben wurzelnden, sind bis auf einen gewissen Restteil mit Leibesvorgängen völlig vereinigt: nur einige der zartesten und seelischsten Liebesgefühle werden durch Vorgänge oder durch Erinnerungsbilder hervorgerufen, die nicht auch leiblicher Beschaffenheit sind. Aber auch Gefühlserregungen, deren Anlaß ganz weit entfernt von solcher Leibesverbundenheit zu suchen ist, etwa solche, die aus gläubig-gottesdienstlichen, aus kriegerischen, aus vaterländischen Ursachen stammen, wirken bei einiger Stärke auch auf den Körper und versetzen ihn in gewisse, von der Regel abweichende Erregtheitszustände des Herzschlages, des Blutumlaufs und so fort. Bei schwacher Betontheit fallen diese körperlichen Begleitvorgänge zwar fort oder schwächen sich zu einem für uns unmerkbaren Mindestmaß a b ; immer aber teilt unser Fühlen die zwangsläufigen Reizbeantwortungen, die der Körper jeder auf ihn treffenden Einwirkung giebt.

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Urkräfte: Verblndungsdränge: Fühlen and Denken.

Und wie so oft fügt sich zu der seelisch-leiblichen auch die menschlich-tierische Parallele. Das Tier, beweisbarer Weise wenigstens das der höheren Stufen, teilt mit dem Menschen das ganz seelische Gefühl: eine Kuh vermag sich über die Wiederkehr einer längere Zeit abwesend gewesenen Versorgerin zu freuen. Niemand wird daran zweifeln wollen, daß sich in der Seele des Tiers ein ebenso zwangsläufiger Vorgang reiner Reizbeantwortung vollzieht. Erbliche Zusammenhänge zwischen Mensch und Tier anzunehmen, liegt auch hier, wie vielfach sonst, nahe. Eine noch tiefere Begründung als die Einbettung in Leib und Tier mag der Tatbestand herleihen, daß der Hergang bei Hervorbringung von Gefühlen ein so überaus elementarer, nahezu plump einfacher ist. Denn da unser Fühlen zwar, was den Gegenstand und auch wohl die Ausformung seiner Wirkungsweisen angeht, einer tausendfachen Vermannigfaltigung fähig ist, in Hinsicht auf seine Endbetätigung aber durchaus nur sich in zwei Grundformen darstellen kann, in Lust und Unlust, so ist zum mindesten für unser Verstehen faßlicher, daß es sich an sich unfreier, abhängiger von den äußeren Bewirkungen verhält. Wenn, wenigstens in dieser Grundbetontheit, unser Fühlen nur die Wahl hat, schwarz oder weiß, froh oder traurig auf jedes ihm von außen kommende Erregen zu antworten, so ist die Zwangsläufigkeit dieser Beantwortung zwar ganz gewiß nicht erst in dieser Zweiheit gegeben, wohl aber durch sie viel deutlicher herausgestellt, als es ohne sie geschehen könnte. Um diesen Vergleich auf seine letzte Summe zu bringen, so läßt sich das folgende Ergebnis feststellen. Das Gefühl vermag zwar in sehr mannigfacher Ausgestaltung im Einzelnen, aber nur in zwei Grundfärbungen — jede in sehr verschiedenen Tonstärken — auf von außen eindringende Eindrücke zu antworten; wollte man das übliche Fremdwort Reagieren durch Gegenwirken ersetzen, so würde ein etwas abweichender Begriff eingesetzt werden. Und da solche Offenlassung von nur zwei Möglichkeiten der Antwort-

Zwangsläufigkeiten des Fohlens und des Denkens.

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Wirkung eine sehr viel leichtere Vorausberechnung der Wahl bei Gegebenheit der äußeren Umstände und annähernder, wenn auch sehr viel unsichrerer Bekanntheit des bewirkten Ichs zuläßt, so vermehrt sich der Eindruck der Zwangsläufigkeit dieses Verhaltens wohl noch über das der Wirklichkeit selbst entsprechende Maß. Denn in Wahrheit ist auch bis zu einem gewissen Grad das Geschehen Denken zwangsläufig: zwar nicht in dem Sinn, daß die Wege, die das Denken auf eine äußere Bewirkung hin einschlagen wird, irgend ähnlich wie die Grundform eines Fühlens vorausberechnet werden könnten, wohl aber insoweit, als behauptet werden kann, daß jede Tatoder jede Gedankenberührung von außen überhaupt ein Denken hervorruft. Das letzte Ergebnis, das sich darstellt, ist mithin, daß unser Fühlen uns in eine noch viel zwanghaftere Nähe zu dem Geschehen unserer Umwelt rückt, als das Denken. Es läßt sich vielleicht sagen, daß die so sehr viel größere Wahlfreiheit, die unserem Denken für seine Wege zusteht, im Vergleich zum Fühlen, so sehr wie keine andere unserer Eigenschaften dazu beigetragen hat, unserem Geschlecht das Königsrecht seiner Ausnahmestellung unter den Wesen zu verschaffen. Nur daß es freilich auf einer groben Selbst-täuschung beruht und einen noch gröberen Fehlschluß bedeutet, aus dieser Voraussetzung die Legende der menschlichen Willensfreiheit abzuleiten. Selbst das Denken würde von einem allwissenden Beobachter menschlichen Dichtens und Trachtens, vor dem alle Einsichts- und alle Vorstellungskräfte des Einzelichs und alle Gregebenheiten seiner Umwelt klar durchleuchtet dalägen, vorauszuberechnen sein. Doch dies hier nur nebenbei. Ohnehin können dergleichen Behauptungen, wie die hier soeben aufgestellten, nur als vorläufige ausgesprochen werden. Vornehmlich deswegen, weil die Wissenschaft, die hier Auskunft zu geben verpflichtet wäre, noch fast völlig fehlt. Die heutige Seelenkunde nämlich beschränkt sich grund-

128

Urkräfte: Verbindungsdränge: Fühlen und Denken.

sätzlich auf das Geschehen innerhalb des Einzelichs; die Gesellschaftsseelenkunde aber, an sich eine beginnende Wissenschaft, hat zunächst die groben Tatsächlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens, also das Verhalten des Einzelnen zum Einzelnen und des Einzelnen zu den Gemeinschaften in Betracht gezogen. Sie hat erst in seltenen Ausnahmefällen von diesem Außengeschehen aus ihre Schächte in das Innere der Einzelseele getrieben: etwa durch Ausbildung einer Lehre von den gesellschaftsseelischen Trieben 1 . Aber selbst gesetzt den Fall, der Bau einer solchen Trieblehre stände schon vollständig aufgerichtet da, so würde zwischen der Einzelseelenkunde heutigen Umfanges und einer Gesellschaftsseelenkunde der beschriebenen Art doch noch eine starke Lücke aufklaffen oder, genau gesagt, nicht zwischen, sondern neben ihnen. Die heutige Seelenkunde betrachtet in sehr strenger Selbstbeschränkung als ihren Gegenstand nicht nur ausschließlich die Einzelseele, nein auch in deren Betätigungsbereich lediglich die Einzelhandlung der Einzelseele. Sie erforscht den seelischen Vorgang, hierin der Physik, nicht der Chemie ähnlich, als actus, als Einzelgeschehnis, nicht als tractus, als Geschehensweise, als Handlungsfolge oder gar als Geschehenswerden. Die Gesellschaftsseelenkunde aber würde, wenn sie sich nach der Seite der Einzelseelenkunde hin elementare Grundvesten zu schaffen wünschte, zunächst einmal der bestehenden Aktpsychologie eine solche Traktpsychologie, eine Einzelseelenkunde der Verkettung von Einzelvorgängen, also eine Werdenslehre der Seelenvorgänge zu schaffen haben und sie — durch ihre Erweiterung in das Gebiet der Vorgänge zwischen Menschen — zu sich selbst in ihr längst angebautes Sondergebiet hinüberziehen. Wie in dem Abschnitt: Das Geflecht der Triebe (Vom geschichtlichen Werden I I [1926] 4 4 - 6 1 ) .

Grenzen heutiger Seelenkunde.

Einungen gefühlsbewirkt.

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Zweites Stück. Die V e r b u n d e n h e i t e n im anorganischen menschlichen Geschehen.

und im

Ergiebt sich also, daß das seelische Fühlen dem anorganischen Reich, als dem Kernbezirk alles Naturgeschehens nicht nur nicht ferner, sondern eher näher ist als das Denken, so darf der Versuch im anorganischen Geschehen Gefühlsähnlichkeiten aufzuspüren umso leichter gewagt werden. Der Weg aber, der dazu einzuschlagen ist, muß auch hier der sein, daß von der reinen Tatsächlichkeit der Auswirkungen dieser Seelenkraft im Menschen ausgegangen wird, nicht aber von ihr selbst. Denn verfolgt man den Stammbaum der Wesen und der Dinge — der Naturdinge, um Hegels glücklichen Begriff zu benutzen — so mag, ganz ins Grobe und Große gesehen, das geistige Gefühl, d. h. das nur in der geistigen Wiederspiegelung etwa durch die Kunst gewonnene, beim Menschen selbst und zwar wohl schon beim mittleren Urzeitmenschen aufhören, das seelische Gefühl beim höheren Tier, die Empfindung beim niederen Tier. Jede Unterstellung also, die sich weiter rückwärts zu Pflanze, Zelle und Kristall wagen wollte, würde ins Bodenlose geraten, wie Haeckels unglückliche Denkbilder von der Kristall- oder gar Atomseele zur Genüge erkennen lassen. Aber das Bild ändert sich, wenn die Betrachtung von den Geschehensformen im menschlich-gesellschaftlichen Bereich ausgeht, die unsere an sich ganz zweifelsfreie Auslegung, sei es ganz, sei es überwiegend, auf die Auswirkung des seelischen Gefühls zurückführt. Es ist vorzüglich das Vereintsein, die Verbundenheit von Einzelnen zu Einungen, von denen wir annehmen, daß sie durch Gefühlsbetätigung ganz oder überwiegend hergestellt und aufrecht erhalten werden. Von einer Anzahl von Einungsformen wird die Gesellschaftsseelenkunde ohne Einschränkung sagen, daß ihre Gefühlsbestimmtheit das bei weitem ausschlaggebende Bindemittel B r e y s i g , Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte.

9

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Verbundenheiten.

für ihr Zustandekommen und für ihre Aufrechterhaltung — auf Lebens- oder auf längere Zeit — ist. Die Verbundenheit einer Mutter mit ihren Kindern, auf einer höheren Stufe die aller Mitglieder einer Sonderfamilie überhaupt, ist hierher zu zählen. Von einem gewissen, zumeist erst mittelalterlichen Abschnitt der Entwicklung von Seelen- und Liebesleben an ist der freie oder durch Einrichtungen gefestigte Liebesbund zwischen einem Mann und einer Frau ein sicher gefühlsmäßiger. Früher noch setzt die freie Seelenireundschaft zwischen Männern gleichen Alters oder — als Bund zwischen Meister und Schüler — verschiedenen Alters ein. Alle diese Einungsformen — abgesehen von der zwischen Mutter und Kind — können außer durch Gefühl auch durch Verstandeseinflüsse, Nützlichkeitserwägungen gekittet werden; aber diese bleiben weit hinter den Einflüssen des Gefühls zurück, ja man wird von den viel lockreren und viel sachlicheren Gemeinschaften der früheren Lebensverbände, die wir nach den ihnen gesetzten Staats-, Wirtschafts- und, am öftesten, Geschlechtsverkehrs- und Blutszwecken vermutlich viel zu einseitig benennen, zum mindesten für ihre Entstehungs- und Anfangszeiten im Urzeitalter wenigstens so viel behaupten dürfen, daß die ganz gefühlsmäßigen Neigungen des Vereint- und Gleichseinwollens auch für sie einen sehr wesentlichen Bestandteil der bindenden Bewirkung ausmachen, neben allen überlegten und vernunftmäßigen Zweckhaftigkeiten, die hier vielleicht überwiegen mögen. Aber noch in den Treuverbänden des Mittelalters, im Nationalgefühl der Neuesten Zeit, im Sozialismus der Gegenwart, der doch auch an das soziale Empfinden sich wendet, Einungsformen also, die so viel umfangreichere Menschengemeinschaften umfassen, erweisen sich Gefühlsmächte als stark genug, um neben rechtlichen und staatlichen Bindungen, in denen außer der groben Gewalt die Zweckmäßigkeiten des Verstandes den Ton angeben, einen sehr starken Anteil an dem Fortbestehen und der Widerstandskraft dieser gesellschaftlichen Gebilde zu haben.

Gefühl und gesellschaftliches Verhalten der Menschheit.

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Für den hier verfolgten Gedankengang kommt es nur auf das Endergebnis auch solcher flüchtigsten Überschau an: auf die Feststellung, daß der stärkste Ausdruck, den die Gefühlsbewegungen der Seele im gesellschaftlichen Handeln finden, in der Bindung von Einzelnen zu Einungen besteht. Es kann dabei der Umstand, daß auch verstandesbestimmte, in Nutzhaftigkeit und Zweckmäßigkeit sich auswirkende, oder willensbestimmte, in Gewalt und Macht auslaufende Beweggründe sich mit den Gefühlsbetätigungen vermischen und einmal nur hinzutreten, dann wieder überwiegen, ebenso außer Acht gelassen werden wie der andere, daß es auch Gefühlsbewegungen giebt, die, wie der Haß, den Einzelnen von der Einung mit Anderen abhalten. Ja man wird vermuten dürfen, daß der Gesamtsachverhalt, der das gesellschaftliche Verhalten der Menschheit in allen ihren Entwicklungsaitern zu stärkst bestimmt hat, der unwiderstehliche Drang Einungen einzugehen und aufrecht zu erhalten, in der Hauptsache auf Gefühlsbewegungen, auf den Liebes- und Vereinigungstrieb des Menschen zum Menschen zurückzuleiten ist. Nun wohl, ist dem so und trachtet man wie angekündigt danach, für das Gefühl aus den Tatsächlichkeiten seines Wirkens denjenigen Urbestandteil seines Wesens zu ermitteln, der allenfalls mit Grundbeschaffenheiten des anorganischen Reiches verglichen werden dürfte, so wird man den Tatbestand Einung an sich ins Auge zu fassen haben, das heißt alle diejenigen Formen des Geschehens, durch die ursprünglich selbständige gesellschaftliche Einheiten, Einzelne sowohl als Gruppen, dazu gebracht werden, sich mit andern Einheiten, Einzelnen oder Einungen, soweit zusammenzuschließen, daß sie mit ihnen auf eine gewisse Zeitdauer neue, größere Einungen bilden. In wenig Worte läßt sich dieser Sachverhalt gießen, aber er umfaßt in den beiden Wirklichkeitsbezirken, die hier verglichen werden sollen, einen schlechthin ungeheuer weiten Umfang von Geschehensmassen, nicht in dem Sinne, daß 9*

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UrkrUfte: Verbindangtdr&nge: Verbundenheiten.

sie ihrem Insgesamt nach, wohl aber den sie beherrschenden Kräften nach in den Bereich jener obersten Losungen einzuschließen sind. In den Handlungsweisen der menschlichen Gesellschaft ist der unendlich glieder- und gruppenreiche Formenvorrat, den der Sammelname und -begriff Liebe umfaßt, ihnen völlig einzuordnen: Liebe will Menschen binden und gebundene in Geeintheit erhalten. Aber auch Macht, in so weit sie sich nur seelisch auswirkt — wunderlicher Weise haben wir uns gewöhnt, statt dessen moralisch zu sagen — d. h. insofern sie sich nicht durch Gewalt durchsetzt, übt die gleiche bindende und einende Bewirkung aus. Viel weiter, als es auf den ersten Blick scheinen mag, reicht diese feinere und zartere Nebenform von Machtauswirkung in die Bezirke von Tat und Staat, die Tätigkeitsbereiche gerade der greifbarsten und grobkörnigsten Geschehensformen des handelnden Lebens; vornehmlich deswegen, weil die an sich viel stillere Seelengewalt, die auf der Seite der von Macht Bewirkten, der Macht Unterworfenen der Macht entgegenkommt und die man — plumper — Unterwerfungstrieb, zarter Gefolgschaftstrieb nennen mag, die man aber jedenfalls als Zweig- und Tochterform des Hingabetriebs ansehen muß, weit verbreiteter ist als die rein seelisch sich durchsetzende Liebe. Denn sie übt ihre sehr leise aber sehr nachdrückliche Wirkung auch da aus, wo ihr die auch im irdischen Sinne starke, mit allen Mitteln staatlicher oder allenfalls auch wirtschaftlicher Gewalt ausgestattete Macht entgegentritt und giebt Bich ihr, nicht nur der Not, sondern auch der Neigung, in Wahrheit also dem eigenen Triebe gehorchend, hin. Auch die unumschränkteste und schroffste Selbstherrschaft kann von ihren Untertanen, noch der kapitalistischste Großbetrieb kann von seinen Arbeitern geliebt und freudig bedient werden. Alle andern Neben- und Zweigformen, in denen Bindung, Einung, Geeintheit auftreten, sollen hier, so viele und so wichtige ihrer sind, bei Seite gelassen werden.

Unterwerfungstrieb.

Einungen im anorganischen Reich.

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Aber so hoch man auch Rang und Stärke der Wirkungsmacht dieser gefühlsbestimmten Seelenkräfte im gesellschaftlichen Sein und Tun der Menschheit einsetzen mag, die ihnen entsprechenden Erscheinungen im anorganischen Reich stehen ihnen, sucht man sie ins Weite und Große gesehen einzuschätzen, in nichts nach, weder in Hinsicht auf die Macht der sie bewirkenden Kräfte, noch was die Ausbreitung und Wichtigkeit der von diesen Kräften geschaffenen Gebildformen betrifft. Von diesen letzteren, den Gebilden als der unmißdeutbareren Gattung der Bezeugungen dieses Geschehens sei ausgegangen. Wie in dem Gesellschaftsleben der Menschen die Fälle des völlig abgetrennten Seins der Einzelnen äußerst selten und selbst in den Urformen gesellschaftlicher Ordnung, d. h. im Keimzustand der Urzeit und der Urzeitvölker nur als Ausnahme vorkommen, so weist die anorganische Welt selbst in ihrem Keimbezirk, im Bereich der elektrophysischen Urkörper die untersten Einheiten ihrer Ordnung, die Elektronen, nur zur Seltenheit völlig vereinzelt auf; das überwältigendste Übergewicht ist bei den gebundenen Gebilden, vorzüglich dann, wenn der Weltraum als solcher, d. h. also der Raum außerhalb der Urkörper, der Elektronen selbst — innerhalb also aller greifbaren Körper und noch der Atome — so wie Planck es lehrt als stoffrei, gänzlich materielos angenommen wird1. Und der Drang nach Bindung ist so groß, daß selbst der lockerste von den drei Dichtigkeitszuständen, in denen die Urkörper sich zusammenfinden, der Gaszustand, schon Einheiten der dritten Ebene, der doppelten Zusammengesetztheit, Moleküle, als Urbestandteile aufzeigt. Jede 1 ) Über die Ätherfrage neuestens in ganz kurzer Übersicht, vgl. Graetz, Alte Vorstellungen und neue Tatsachen der Physik (1925) 78 — 84. Über die Nernstsche Vorstellung von den Dubletten, d. h. dicht aneinander gelagerten Wasserstoff-Kernen und Elektronen vgl. die kürzeste Zusammendrängung bei Graetz, Atomtheorie ( 5 1925) 100.

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Verbundenheiten.

Filiation aufwärts aber, jede Werdensstufe, jede Geburt einer neuen Geschehensform aufwärts am Stammbaum der — unbelebten — Körper zeigt eine Steigerung der Vielfachheit und Verflochtenheit der Verbindungen. Verfolgt man die Stammesgeschichte der Naturdinge in die Welt der — belebten — Wesen am Stammbaum der Arten noch weiter aufwärts, so steigert sich dieses selbe Verhältnis der Zusammengefügtheiten noch immer weiter und weiter. Und man wird sagen dürfen, daß der Formenstammbaum der gesellschaftlichen Ordnungen, der im menschheitlichen Reich von Horde und Siedlerschaft, Sonderfamilie und Geschlecht der keimhaftesten Urzeit bis zu den myriadenfach gegliederten Großstaaten und Weltreichen der Gegenwart reicht, den gleichen Entwicklungs-Grundzug zu immer neuer und immer vielfädiger verflochtener Zusammenfügung aufweist. Kein Zweifel, ein großer Teil dieser immer höheren Grade von Zusammengefügtheit und Verflochtenheit im Werdegang der menschlichen Gesellschaftsordnungen verdankt ihre Entstehung nicht gefühlsbetonten Beweggründen der Führermenschen, die sie schufen, der Gemeinschaften, die sie gründen halfen, sondern blanker Gewalt, d. h. der Form von Machtauswirkung, die weder auf dem Boden des Gefühls erwachsen ist, noch in irgend beträchtlichem Maße auf das Gefühl als Hilfsmittel rechnet. Staat und Tat haben in Tausenden von Fällen nicht das Geringste mit dem Gefühl zu tun. Und doch würde der irren, der leugnen wollte, daß die Erzeugnisse solcher Gewalttat in den Seelen der von ihr bezwungenen und zusammengefaßten Menschen sofort und sehr wirksam rein gefühlshafte Vorstellungen von Zusammengehörigkeit und Anhänglichkeit erwecken. Die nationalistische Staatsbewegung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ist nur dadurch so stark geworden, weil sie mit ihrem Blutsund Volksgedanken eine Staatsgesinnung erfüllt hat, in der ein Kern doch schon zuvor als Staatsgefühl zu werten war. Die schlachtenfrohesten und gewalttätigsten der Weltreich-

Gefühlsbestandteile der Verbundenheiten.

Machtauswirkung.

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gründer sind mit der stärksten und wahrlich ganz gefühlsmäßigen Verehrung geliebt worden.

Drittes Stück. Macht und Liebe als Gefühlskräfte. Schon glitt diese Darlegung an mehr als einer Stelle von den Zuständen, den Verbundenheiten ehedem selbständiger Einheiten, die sie als Zeugnisse von deutlicherer Bestimmbarkeit zuerst ins Auge faßte, zu den Kräften hinüber, die als ihre Erzeuger angenommen werden müssen, die darum freilich nur erst durch ein Erschließen, ein halb ahnungsmäßiges Erkennen zweiter Hand in das Bild gezogen werden können. Im menschlich-gesellschaftlichen Reich, an dessen formalgesellschaftswissenschaftlicher Deutung wir schon forscherliche Werkzeuge und Sehweisen ausgebildet haben und von dem deshalb eher auszugehen ist, sind Liebe und Macht diejenigen gesellschaftsseelischen Kräfte, die am sichtlichsten und unablässigsten Verbindungen von gesellschaftlich selbständigen Einheiten — Einzelmenschen zuerst, demnächst auch Einungen — herbeizuführen, Verbundenheiten zwischen ihnen aufrecht zu erhalten am Werke sind. Aber zwischen beiden ist insofern ein augenfälliger Unterschied, als zum mindesten für die erste Prüfung, wie sie hier angedeutet wurde, nur die eine von beiden Seelenbewegtheiten von rein gefühlsmäßigem Gehalt ist: die Liebe. An der anderen aber, so ergab sich zunächst, ist nur der Complementär-Vorgang, das Bewirktwerden durch Macht, so weit es rein seelisch ist, gefühlsbetont. Doch wendet sich die Betrachtung wieder rückwärts zu der wirkenden, der aktiven Macht, so findet sich auch in ihr ein Bestandteil rein seelischer Machtausstrahlung, der insofern er die Getroffenen nur durch Gefühle — Achtung Ehrfurcht, Furcht — bewirken will, auch seiner eigenen

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Macht und Liebe.

Beschaffenheit nach als in etwas gefühlsmäßig angesprochen werden muß, weil er Gefühl — Wunsch — ist, das sich nur in der Schicht der Gefühle zu betätigen vorhat. Doch gelangt eine Zerlegung des Machtgeschehens, selbst wenn sie soweit gedrungen ist, noch nicht bis zu seinem innersten Kern. Ihn zu enthüllen hilft, wie so oft bei den Fragestellungen der Gesellschaftsseelenkunde, die einfache Betrachtung der tatsächlich gewirkten Erzeugnisse der untersuchten Seelenkraft. Was sind denn die Ergebnisse eines sehr erfolgreichen Machtgeschehens auf seinem klassischen Boden, im staatlichen Leben der Völker ? Doch nichts anderes stärker als Verbundenheiten zwischen dem Machthaber, Machtwoller, einem Herrscher also etwa, und den seinem Machtwillen frei oder gezwungen sich Fügenden, seinen neuen Untertanen also in diesem Fall. Das nunmehr hergestellte Verhältnis ist doch auch, und zwar vornehmlich, das einer ganz nahen Anlagerung aller der Herzugenötigten an die Persönlichkeit ihres neuen Beherrschers. So rauh, ja selbst so gewalttätig die Herrschweise eines Völkerbezwingers sein mag, sie will doch einen ganz engen Verband zwischen Herrscher und Beherrschten schaffen, ein ganz nahes Lebensverhältnis zwischen ihm und ihnen. Diese Kennzeichnungen des schließlich hergestellten Zustandes von Verbundenheit als eng und nah lassen aufs deutlichste erkennen, daß es sich auch bei der herrischsten und rauhesten Machtauswirkung im Endziel um ein Gesellschaftsverhältnis handelt, das seinem Sinn und Kern nach nur als gefühlsbetont angesehen werden kann. Auch der gewalttätigste Selbstherrscher eines alten oder neuen Orientalenreiches begiebt sich doch durch die Beherrschung seiner Untertanen, in einem etwa soeben bezwungenen und eroberten Lande, in einen so engen Lebensbund mit ihnen, daß das ganze Geschehen von diesem seinem Ziel aus ins Gefühlsmäßige umgefärbt erscheint. Rein seelisch gesprochen ist auch ein selbstherrlich aufgezwungenes und noch in der Ausübung brutal gewalttätiges

Gefühlsbetontheit auch des innersten Machtkerns.

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Großkönigtum nichts anderes als die Dehnung, die Expansion des Lebensbereiches eines Ichs über andere Iche, andere Gemeinschaften und seien sie noch so groß, seien sie ganze Völker, die Hereinnähme aller dieser, vielleicht nach Myriaden oder nach Millionen zählenden Einzelschicksale in den eigenen Schicksals-, Lebensbereich des Herrschers. Dem in Wahrheit gefühlsmäßigen Lebensverhältnis, dessen Herstellung und Aufrechterhaltung den Endzweck alles Tuns des Machthabers darstellt, gegenüber erscheint die Anwendung von Gewalt bei seiner Herstellung und selbst bei seiner Aufrechterhaltung nur wie ein Mittel und Werkzeug. Und es darf übersehen werden, daß dem Träger und Heraufführer des ganzen Geschehens in manchen Fällen in der Tat mehr an der Ausübung von Gewalt gelegen sein mag, als an der Erreichung jenes Endzieles, daß ihm ebenso oft nur die roheste und einseitigste Form der es darstellenden Lebensverknüpfung vorschweben mag — die Gewalt bleibt das Mittel, der neue Schicksalsbund der Zweck und sein Bindemittel ist Gefühl, das Gefühl der Lebensverbundenheit. Am deutlichsten enthüllt sich der gefühlsbetonte Kern des Machtgeschehens dann, wenn nicht Einzelne, sondern Gemeinschaften selbst, Völker etwa, die Machthaber sind. In der Entwicklungsgeschichte der neueuropäischen Staatengesellschaft bietet der Teilabschnitt, der von der neuesten, der nationalistisch-volksmäßigen Form des Imperialismus beherrscht ist, hierfür eigens nachdrückliche Fälle dar. Wenn einem Staatsvolk aus reinem Machtdrang die Unterwerfung eines fremden Volksteils gelungen ist, man denke etwa als an ein Beispiel an die der Tat nach sans phrase eroberungsmäßige — durch die Hülle des Völkerbundsmandates kaum verschleierte — Einverleibung des deutschen Südwestafrika in die Südafrikanische Union — so strebt es sofort nach einer bis zur Verschmelzung einheitlichen Vereinigung des besiegten mit dem Siegervolk. An der Gefühlsmäßigkeit dieses Vereinigungswillens wird man nicht zweifeln.

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Macht und Liebe.

Wie eng Macht und Liebe ihrer gesellschaftsseelischen Beschaffenheit nach zusammen zu ordnen sind, wird dann besonders deutlich, wenn sich die Betrachtung aus dem Bezirk der Macht in den der Liebe wieder zurück wendet. Die Doppelung, die das Machtgeschehen in so überdeutlicher Ausformung kennzeichnet, seine Spaltung in die Machtauswirkung dessen, der tätig Macht ausübt, und in die Machtbewirktheit dessen, der leidend Machtübung erduldet, findet sich in dem Liebesgeschehen — der Seelen — in genauer Entsprechung wieder, nur mannigfach verhüllt. Es giebt keine Liebesbegegnung zwischen einem Mann und einer Frau — alle anderen denkbaren Spielarten bleiben hier billig bei Seite — die nicht mindestens zu Anfang eine sehr deutliche Unterschiedenheit in der Kräfteverteilung zwischen beiden Partnern aufweist: ein liebender und ein sich liebenlassender Teil, diese Rollenverteilung kennzeichnet den Grenzfall in völliger Klarheit. Das naturgegebene Verhältnis mag dies sein, daß der Mann, als der Werbende, die tätige, die Frau, als die Wartende, die leidende Partei darstellt. Doch zeigt sich schon auf sehr frühen Teilstufen des Urzeitalters, daß diese Gegebenheit nicht Stand hält, daß die Frau als die Lockende von vornherein sich der tätigen Rolle bemächtigen kann; innerhalb der dauernden Lebensbünde von in Liebe Vereinigten, wie sie ebenfalls schon die mittlere Urzeit geschaffen hat, mag ohnehin — aus Gründen der größeren Lebensschwäche, der höheren Lebensgefährdetheit der Frau — dieser Rollentausch frühzeitig fast die Regel geworden sein. Auf den höheren Entwicklungsstufen, vollends auf unserer eigenen, der auch in diesem Betracht die Lebensränge und Lebensrollen vielfach verflechtenden und vermischenden Gegenwart erscheinen Mann und Frau wie völlig gleich Beteiligte. Und so wenig in einem bestimmten Bunde die Verteilung des Einflusses auf das gemeinsame Leben zu völlig gleichen Hälften ausgeschlossen erscheint, die Regel des Überwiegens eines der beiden Verbundenen läßt nur seltene Ausnahmen zu.

Tätige und leidende Liebe, Macht und Gewalt in Liebesbünden.

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Unterscheidet man, um die Verteilung der Lebensgewalten vornehmlich bei Begründung eines Liebesbundes zu kennzeichnen, zwischen tätiger und leidender Liebe, so bedarf es einer ausdrücklichen Hervorhebung, daß diese Ausdrücke ganz so gegenständlich unentschieden —• objektiv indifferent — verstanden werden sollen, als wenn die alten Formeln der Schulsprache aktiv und passiv, die als Fremdworte mit aller Absicht vermieden werden sollen, noch angewandt würden: namentlich die leidende Liebe, die dem äußeren Geschehen nach auch heute noch zumeist den Frauen zufällt, darf nicht im mindesten als eine mit Schmerzen oder mit Widerstand erlittene verstanden werden. Unsere Wissenschaftssprache wird an dem Schaden der Fremdworte, selbst dann, wenn sie sich ihrer entledigt haben wird, noch eine gewisse Übergangszeit zu leiden haben: in diesem Falle so lange, als es dauern wird, bis wir die Ausdrücke tätig, leidend so weit abgestumpft haben werden, wie die alten lateinischen, die ja ursprünglich ebenso störend lebendige und gewachsene — concrete — waren. Die Nähe des Liebesgeschehens zum Machtgeschehen darf nicht in dem Sinn mißdeutet werden, daß die Verteilung von Herrschaft und Unterwerfung im Leben innerhalb des Liebesbundes als sich deckend mit dem Mehr oder Minder an Liebeskraft angesprochen wird. So schematisch dürfen die Auswirkungsformen der beiden Triebkräfte nicht mit einander verbunden werden. In Sonderheit die Frau wird gerade dann, wenn sie die an Liebeskraft und Liebeseinfluß Überlegene ist, sehr gern und sehr oft die in der äußeren und selbst in der inneren Gestaltung des Lebensbundes Nachgiebige sein : die Dreingabe von Lebensmacht ist ihr dann das Mittel der Ausübung von Liebesmacht. Denn so nahe sind andrerseits Liebe und Macht in dem Insgesamt ihrer Einwirkung auf Menschen, daß in Wahrheit von einer Machtauswirkung der Liebe gesprochen werden darf. Die schlechthin verfassungsartigen Einrichtungen, die seit langem der Staat als Gesetzgeber dem dauernden Liebes-

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Macht und Liebe.

bund, der Ehe, zu verleihen pflegt, sind dafür ein etwas äußerlicher, wenngleich an sich durchaus nicht gleichgültiger Beweis. Wesentlicher ist eine Ähnlichkeit zwischen Macht und Liebe, die sich sogar in die Geschehenssicht erstreckt, vor der sie am weitesten auseinanderstreben: in die Sicht auf die Mittel, mit Hilfe derer sie sich geltend machen. Wohl ist Gewalt das wesentliche Werkzeug, durch das sich Macht durchsetzt und solcher Gewalt entschlägt sich zwar Liebe nicht immer: in Sonderheit gründen sich die Geschlechtsverkehrsverbände der frühen Urzeit sonder Zweifel auf die überlegene Leibeskraft des Mannes, am ersichtlichsten dann, wenn es noch Gesamtverbände mehrerer Männer mit mehreren Frauen sind, wie im Zeitalter der Horde, d. h. in sehr keimhaften Entwicklungsabschnitten der Urzeit. Doch das sind Ausnahmen, die an dem Insgesamt des Bildes wenig ändern. Wohl aber ist von Gewalt als dem Mittel der Aufrechterhaltung, mehr noch der ersten Herstellung eines Liebesbundes dann zu sprechen, wenn man übereinkommt, ein zwingendes, nötigendes Einwirken auf Menschen auch dann Gewalt zu nennen, wenn es jedes vergewaltigende Tun vermeidet, auch nicht mit ihm droht — wie die Macht des Staates so oft tut •— sondern wenn es sich seelischer oder: genau gesagt seelisch-innerlicher Mittel bedient, um den Willen und das Leben eines Menschen, des Geliebten, dem Willen und dem Leben eines anderen Menschen, des Liebenden, zu unterwerfen und zu verbinden. Diese seelische Gewalt kann so stark und so widerstandslos zwingend ausgeübt werden, daß es vielleicht wirklich richtig für den Begriffsaufbau der Gesellschafts-Seelenkunde ist, hier zwischen tätig zwingender und seelisch zwingender Gewalt zu unterscheiden. Denn man erwäge doch, mit wie rücksichtsloser Stärke auch die unirdischste Form der Liebe, die ganz überwiegend seelische und in einem sehr hohen Grad persönliche, nicht vom Geschlecht als solchem ausgehende Liebe einen Menschen in die Bahn eines anderen reißen kann. Man setze einen Grenzfall, da ein solcher das schärfste Schlaglicht auf

Seelische Gewaltmittel.

Kerngeschehen: VerbinduDgsdränge.

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einen schwer zu durchschauenden Sachverhalt wirft: etwa den Werthers und Lottes. Kein Denken, daß dieser Mensch Werther, erreicht von dem Leidenschaftssturm, der ihm von diesem sanften und wahrlich verhaltenen Mädchen kam, hätte Widerstand leisten können. Kein Staubkorn, das von der saugenden Kraft eines Evaporators erreicht ist, kann hilfloser in dem reißenden Fluß seines Luftstroms dahinwirbeln. Wie sollte man von solchem übermächtigen Seelenzwang nicht als Gewalt sprechen ? Vielleicht auch deshalb, weil Schwergewichte zu denken sind, die auch in diesem Fall den Betroffenen vor dem Dahingerissenwerden bewahrt haben würden: eine minder reizbare Seelen- und Leibesbeschaffenheit, ein nicht so sprunghaft wechselndes, gleitend-ausgleitendes Temperament, eine geschultere Willenskraft, eine gebundenere Lebenszucht ? Der Zwang, den die Voraussetzungen dieses Seelengeschehens und dieses Seelen-, richtiger gesagt dieses Leib-Seelenzustandes auf den Menschen Werther ausüben, ist wahrlich um Siriusweiten entfernt von dem Zwang, den Gesetz und Schergendienst eines Staates ausüben können und der im äußersten Fall körperlicher Zwang wird; an Gewalt, an Unvermeidbarkeit steht er bei aller seiner Seelenhaftigkeit nicht hinter jenem zurück. Und da auch der drückendste Staatszwang in neunhundertneunundneunzig Fällen schon vorauseilend die Seele bewirkt, ehe er erst im tausendsten den Leib erreicht, so geben sich tatsächlich beide Geschehensformen auch in ihren Gewaltmitteln sehr nahe zusammen. Aber unter den Näherungen, Ähnlichkeiten, Übereinstimmungen breitet sich die Fülle der Teilformen aus, in die sich Macht und Liebe zerspalten, und die aller ihnen yerschwisterten Nebenformen — des Prestiges, des Einflusses, der Freundschaft, des Gemeinschaftssinnes und so fort — ein kaum übersehbares Stammbaumgeflecht von abweichenden Gebilden. Giebt es nun für sie, so fragt nach dem Gesetz der sparsamsten Wirklichkeitswiedergabe die allezeit auf letzte Zusammenfassungen gerichtete Wissen-

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Urkräfte: Verbindungsdränge: Macht und Liebe.

schaft, einen Oberbegriff, der sie alle unter sich zwingt, oder, um es richtiger und der hier erstrebten Erkenntnislehre gemäßer auszudrücken: giebt es ein Kerngeschehen, eine innerste Kraftform, die ihnen allen gemeinsam ist? Ich denke wohl und würde sie selbst wie alle ihre Auswirkungen Verbindungsdränge nennen — ein Wort, dessen Form man seine Umständlichkeit willen beanstanden mag, dessen Sinn man aber nicht mißverstehen wird.

Viertes Stück. Menschliche und anorganische Verbindungsdränge. Ist es Zufall oder innere Notwendigkeit: immer dann, wenn eine Forschung, die dem Wesen und dem Spiel der gesellschaftsseelischen Grundkräfte auf die Spur kommen will, durch die obersten, dem Leben zunächst zugewandten Geschehensschichten hindurch in den Kern noch tieferer und noch allgemeinerer Kräfte, in das Reich der Urkräfte vordringen will, so kommt sie ohne irgend eine vorwegnehmende Absicht zu Bezeichnungen, die der außermenschlichen, am öftesten der anorganischen Welt entnommen sind. So auch hier. Verbindungsdrang ist ein Name, der ganz seelische Wirklichkeiten lediglich auf ihre kärgste Formel bringt. Und auch die beiden Teilworte, die ihn zusammensetzen, benutzen wohl, wie hundert andere Bezeichnungen für unsere inneren Vorgänge, anorganische1, mechanische Ge1 ) So wollen Drang auch J. und W. Grimm (Deutsches Wörterbuch I I [1860] 1333ff.) überwiegend auf ein mechanisches Urbild zurückführen: pressura. Der v o n ihnen erst an letzter Stelle (Nr. 7 S. 1335) berücksichtigte physiologische Vorgang scheint meinem Sprachgefühl nach näher zu liegen, nur nicht so eng wie dort umschrieben, sondern jedes Sich-von-innen-bewirkt-Fühlen des Leibes zu einer ihn entlastenden Handlung; vielleicht immer verbunden mit Blutandrang und dem Begehren diesen zum Abschwellen zu bringen. Ferner ebenso physiologisch (von Grimm gar nicht er-

Verbindungsdrang im anorganischen Reich.

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echehensformen als wortgebendee Vorbild, aber sie sind beide für diesen Zweck schon so lang und häufig in Gebrauch, daß ihre Herkunft, wie ebenso in sehr vielen ähnlichen Fällen, völlig in Vergessenheit geraten ist. All dieser Absichtslosigkeit zum Trotz wird man gerade diesen Begriff ohne jedes Bedenken auf die Urkräfte anwenden können, die dem Macht- und Liebestrieb und ihrer ganzen Familie innerhalb des anorganischen Reichs am meisten entsprechen. Auch in ihm sind es zwei Geschehensformen, die nicht als die einzigen, wohl aber als die mächtigsten Vertreter dieser Erscheinungsgattung sich zuerst ins Blickfeld des suchenden Beobachters drängen: die allgemeine Anziehungskraft, die die unbelebten Körper, sobald sie hieran nicht durch entgegengesetzte Einwirkungen gehindert werden, auf einander ausüben und die besondere Anziehungskraft, die die beiden Grundformen der kleinsten Urkörper, die positiven und die negativen Elektronen auf einander ausüben. Auch diese Urkräfte überdecken, hierin Macht und Liebe durchaus ähnlich, ungeheuer weite Bezirke in ihrem Bereich, ganz wie jene in dem der Menschheit, und zerlegen ihr Wirken in unendlich gliederreiche Stammbäume von Teilformen des Geschehens. Gleichwohl wird man zugeben, daß auch sie noch zusammengefaßt werden können unter die Gesamtbezeichnung Verbindungsdränge. Denn selbst dann, wenn man lediglich von der Grundlage ihres eigenen Geschehens für sie einen sie so vereinigenden Gesamtbegriff finden wollte, müßte man zu ihm gelangen. Und wiederum darf von diesem wähnt) das Sich-Ein- oder Andrücken-Wollen des Leibes selbst oder seiner Gliedmaßen. Die Wurzellehre scheint hier ebenso wenig wie die Wortkunde völlig zu befriedigen (Vgl. Kluge, Etymolog. Wörterbuch der deutschen Sprache [6 1899] 82, Drang, drängen.) Ich ziehe dieses Beispiel deshalb so umständlich an, lim an ihm ersichtlich zu machen, wie schwierig selbst eine elementare Zuweisung wie diese — ob aus dem anorganischen oder dem organischen Reich — ist, auf die allein es doch bei dem hier verfolgten Gedankengang ankommt.

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Urkräfte: Verbindangsdränge: menschliche, anorganische.

Verbindungsdrang der unbelebten Körper ganz ebenso wie von dem im Menschen mächtigen ausgesagt werden, daß er nicht nur ein Begriff, ein Denkbild sei, sondern eine wirklich seiende Urgewalt, zu der sich allgemeine, mechanische und besondere, elektrische Anziehungskraft hier, wie Macht und Liebe dort verhalten, wie die besonders gewordenen, artgewordenen — differenzierten, spezifizierten — Auswirkungsformen einer Grundkraft, die auch für sich wirkend und seiend angenommen werden muß. Wie man das Verhältnis dieser Urkraft zu den von ihr ausgehenden Teilkräften aufzufassen hat, sei hier und heute noch nicht entschieden. Am nächsten würde vom Standpunkt physikalischer Betrachtung her liegen, jenen Verbindungsdrang in seiner anorganischen Gestalt, die immer als die leichter zu umschreibende in den Vordergrund wird gestellt werden müssen, als potentielle Vorform für die allgemeine, wie für die elektrische Anziehungskraft anzusehen. Potentiell, der Kraft nach möglich, ist eine der Körperlehre, der Physik und zwar ganz ebenso sehr ihrem älteren Zweige, der Festkörperlehre, der Mechanik, wie ihrem jüngsten, der Urkörperlehre1, der Elektrophysik völlig gewohnte Vor') Sollten, was durchaus wünschenswert wäre, doch wenigstens diese allgemeinsten Ausdrücke der Naturforschung, die Namen der Wissenschaften selbst, ihres fremden Gewandes entkleidet werden, so müßte Physik wohl einfach als Körperlehre bezeichnet werden, mit der Voraussetzung freilich, daß der Lebenslehre (Biologie) und der Leibeslehre (Physiologie) der Ausdruck Körper gänzlich versagt, der Ausdruck Leib f ü r die organische Lebenseinheit Pflanze, Tier, Menach ausschließlich vorbehalten würde. Festkörperlehre aber würde man für Mechanik anwenden dürfen unter dem Vorbehalt, daß die Kristallographie, die als eine sehr späte Teilwissenschaft nie der Mechanik zugeordnet worden ist, gegen den eigentlichen Umfang dieses Begriffs Festkörperlehre, ausdrücklich von ihr ausgeschlossen bleibt. Die elektrischen Grundvorgänge in der Schicht der Elektronen, Atome, Moleküle wird Urkörperlehre am sichersten abgrenzen, während der Ausdruck Feinkörperlehre für Kristallographie eingesetzt werden könnte, ßo wenigstens dünkt es einen an dem Gedeihen der Physik zu innerst teilnehmenden Nutznießer ihrer Ergebnisse.

Verhältnis der Urkräfte zu den Teilkräften.

Energiebegriff.

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Stellung von dem Vorzustande einer verborgenen Fähigkeit, der die Voraussetzung ist für die später, unter bestimmten Bedingungen, sich entfaltende offene Betätigung der eigentlichen Geschehensform. Fälle solcher potentiellen, der Betätigung nach möglichen Kraftaufspeicherung sind der Zustand der gespannten Feder oder der Zustand des zu einer gewissen Höhe gehobenen Körpers und der in ihm vorhandenen, aber noch nicht entfesselten Schwerkraft, der gleichsam wartenden Schwerkraft im Bereich der Festkörperlehre, der Mechanik 1 . Oder im Bereich der Urkörperlehre, der Elektrophysik, die in jedem Elektron etwa eines Wasserstoffatoms zwar gebunden vorhandene, aber noch nicht zur Auswirkung kommende Strahlungskraft, die nach der Lehre von Niels Bohr 2 dann in Betätigung tritt, wenn das Elektron die vier- mit der dreiquantigen Bahn vertauscht und wenn dann ein Strahl in den freien Raum außerhalb des Atoms entsandt wird. Die physikalische Wissenschaft hat nach mancherlei Schwankungen den Begriff Energie, der an sich freilich auch die ganz andere bewegende, kinetische K r a f t umfaßt, so weit gespannt, daß er beide Formen der Kraftbetätigung in sich begreift, hier also unbedenklich zum Vergleich herangezogen werden darf 3 ). Unvergleichlich viel einfacher ist der entsprechende Sachverhalt im Reich der Lebewesen gelagert. Hier bedarf es keiner Begriffsbildung, um Wesen und Umkreis der auch dieses Reich unumschränkt regierenden Verbindungsdränge zu bestimmen, und dies obwohl sie sich in Tausenden von Formen, in Hunderten von Gruppen auswirken. Hier, wo von der Anziehungskraft, die die Geschlechter auf einander aus1

) Vgl. die Darlegungen bei Graetz, Alte Vorstellungen u n d neue Tatsachen in der Physik (1926) 40f. a ) So nach dem zweiten Postulat der Atomlehre v o n Niels Bohr Kramers-Holst, Das Atom und die Bohrsche Theorie (übers. 1925) 97f. s ) Vgl. Wulff, Lehrbuch der Physik ( a 1929) 199. B r e y s i g , Naturgeschichte and Menschheitsgeschichte.

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Urkrälte: Verbindungfsdränge: menschliche, anorganische.

üben, gesprochen wird, bedarf es auch keiner Erwägung darüber, ob die Liebe der Leiber ein Urding, eine Wirklichkeit der Tiefe sei oder nur ein Begriff: an ihrer Wirklichkeit findet so wenig ein Zweifel statt, wie an der Allgewalt ihrer Herrschaft. Der Bau und das Leben der Pflanzen haben noch allerlei Hüllen und Masken für die Werkzeuge und die Antriebe ihrer Geschlechtstätigkeit, im Tierreich offenbart sie sich umso schrankenloser. Und da das Tier Mensch in diesem Betracht keine Ausnahme macht, so ist der Zusammenhang zwischen den tierisch-leiblichen und den menschlich-seelischen Verbindungsdrängen um so offenbarer bloßgelegt. Von den letzteren stellt sich der stärkste, die Liebe der Seelen, nur wie eine letzte Auswirkung und Verfeinerung der Leibesliebe dar.

Anziehung im Lebendigen. Werkwirken von Welt undMenscben.

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D r i t t e r Abschnitt. Die Schöpferkraft der Welt und die Schöpferkraft der menschlichen Einbildung.

Erstes Hauptstück. Die Grenzen zwischen dem Naturschaffen und dem Menschenschaffen.

Erstes Stück. Sinnlich-seelische Einwirkungen den Menschen.

der Welt auf

Wenn die Ordnungen des menschlichen Verstandes den Ordnungen der Welt in hohem Maß ähneln, wenn der menschliche Wille sein Urbild in dem knappen tatsächlichen Geschehen der Welt, wenn das menschliche Gefühl sein Seitenstück in den Verbindungsdrängen des anorganischen, in dem Geschlechtsleben und den Geselligkeitstrieben des organischbiischen Reiches haben mag, so kann die Tätigkeit der menschlichen Einbildungskraft nicht eines Vorbildes im Geschehen der Welt ermangeln. Und vielleicht ist keine dieser Gleichläufigkeiten so einleuchtend wie diejenige, die sich für die letzte der vier Seelenkräfte ergiebt. Die Schöpferkraft, die die Natur aufwendet, um ihre Werke beständig zu variieren und zu differenzieren, zu vermannigfaltigen und auszugliedern, muß der Schöpferkraft entsprechen, die sich im freien wie im werktätigen Spiel der menschlichen Einbildungskraft betätigt. Denn wenn man zunächst, wie rätlich und richtig ist, statt von Antrieben und Kräften, von einem sicher zu erfassenden Tatbestande, einer Faktizität ausgeht, nämlich von dem Geschehen des Werkeschaffens IC*

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Einwirkungen der Welt.

in der Welt, wie von dem Schaffen von Werken durch Menschen, so ergiebt sich eine fast unterschiedslose Ähnlichkeit. Die Natur, indem sie über das im Grunde zwar nicht formlose, wohl aber überaus formenarme Grundgeschehen der Moleküle, Atome und Elektronen einen durch immer neue Schichtungen, Verfassungen, Zusammensetzungen farbenund formenreich gewordenen Mantel breitet, schafft damit in tinendlichem Wechsel wenigstens für die besondere Einstellung unserer Sinne ein Schimmerspiel von Körpern, Flächen, Linien, Lichtern und Farben, das wir ganz ebenso als Genuß und Erregung empfinden wie Alles was Menschen ihr nachtun. Auf unsere Sinne und den ihre Eindrücke zu Bildern ordnenden Geist wirkt das ungewollte und unbewußte Schaffensspiel der Natur ganz ähnlich wie das seinem Ursprung nach von ihm freilich völlig verschiedene, das in dem absichtsvoll geregelten Werk der Kunst seine Erzeugnisse darbietet: das eine wie das andere bringt in uns freudige, genießerische Erregungen hervor. Kein Zweifel, diese Erregungen sind, wenn von den Werken der Natur hervorgebracht, andere, als wenn sie von den Werken der Kunst ausgehen. Es mag sehr lange gedauert haben, bis der Mensch sich der Eindrücke, die die Natur in ihm erzeugte, bewußt geworden ist, während doch im mindesten nicht zu bezweifeln ist, daß diese Eindrücke schon auf ihn wirkten. Es mag da eine Staffelfolge von sehr viel verschiedenen Zuständen der Empfänglichkeit und der Einordnungsfähigkeit im Laufe des seelisch-geistigen Werdegangs der Menschheit zu unterscheiden sein. Als zeitlich erste, zugleich aber auch als dauernd elementare Einwirkungsform muß ein unbewußter Eindruck des Weltgeschehens auf den Menschen angenommen werden, der, im Kern noch dumpf und dunkel, doch durchaus nicht der klarsten und zugespitztesten Einzelwirkungen zu ermangeln braucht. Der Mensch des Urzeitalters war sicher noch um Siriusweiten entfernt von der Möglichkeit, die Eindrücke, die er von der Natur erhielt, in Worte und Begriffe umzusetzen,

Natur- und Kunsteindrücke.

Naturbewirktheit.

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aber ebenso gewiß ist, daß dieser Eindruck ihn auf das Stärkste bewirkt hat; auch diese Wirkungen müssen sich, herkommend von der Natur, durch den Zwischenleiter des Unterbewußten an ihm geltend gemacht haben. Daß sie es taten, dafür erwachsen dem Forschenden Tausende von Zeugnissen aus dem Zustand der Gesittung und der Geistesbildung der Urzeitstufe: aus den Einwirkungen des Tierlebens, des Pflanzenlebens, der Bewegungen der Himmelskörper ist dem Menschen dieses Entwicklungsalters ein Glauben emporgewachsen, der in jedem seiner größten und seiner kleinsten Züge den Stempel eines sehr genauen Wissens um die Natur und einer sehr tiefen Liebe zu ihr trägt. Wenn ein Tlinkit von den beiden obersten Tiergeistern seiner Stammesgruppe, von Jelch dem Raben und von Kanuk dem Wolf so viele kleine Geschichten -— weder der Ausdruck Fabeln, noch der andere Märchen würde ihr Wesen treffend bezeichnen —• zu erzählen weiß, daß man von ihnen einen ganzen Äsop oder Reinicke Fuchs anfüllen könnte, so bedeutet dies erstlich ein so genaues Beobachten der Tiere, daß sich von ihm ein Städter unserer Zeit, der eine erkleckliche Summe von Instinktarmut und Beobachtungsblindheit in sich großgezogen hat, keinen Begriff machen kann. Zum zweiten aber spricht aus jedem kleinsten Zuge dieser Geschichten1 eine schrankenlose Neigung zu den geschilderten Tieren. Da dieselben Tlinkit den Tiergattungen die gleiche Gruppen-Bezeichnung wie ihren eigenen Völkerschaftsnamen anhängen, da sie ihnen die Fähigkeit zu sprechen beimessen, da sie ihre ersten Vorstellungen von übermächtigen und überirdischen Gewalten an Tiere heften 2, so geht aus dem Allen hervor, daß sie die Tiere nah und zärtlich Heben. Die Tungusen im östlichsten Sibirien lieben ihre Renntiere so sehr, daß sie jedem von ihnen einen Eigennamen beilegen3, d. h. ihm eine Ehre erKrause, Die Tlinkit-Indianer (1885) 258—282, vgl. Die GeBchichte der Menschheit I (1907) 298—302. a ) Krause, Tlinkit 116ff., vgl. Geschichte der Menschheit I 241 ff. ®) Shirokogoroff, Social Organisation of the Northern Tungus (1929) 36 ff.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Einwirkungen der Welt.

weisen, die bei manchen Urzeitvölkern den Menschen selbst erst seit einiger Zeit zuteil wird. Die afghanischen und persischen Kameltreiber, die sich nach mehrmonatigem Wüstenritt von ihrem Tier trennen, pflegen es noch heutigen Tages beim Abschied zu küssen — mitten auf sein Maul1. Und die Aranda vom Ära-, d. h. vom Känguruhgeschlecht am südaustralischen Eyresee wünschen in den Festgesängen, die sie den Känguruhs zu Ehren singen, diesen Tieren gutes Gedeihen und reiche Nachkommenschaft im nächsten Jahr offenbar aus einer schlechthin franziskanischen Bruderschaftsgesinnung heraus. Was aber könnte eine bessere Gewähr für eine auch ästhetische, eine seelisch-sinnliche Freude an den Tieren leisten, als solche Verbindung von genauem Kennen und brüderlicher Liebe. Aus den Verszeilen in dem soeben berufenen Känguruhgesang: möchten doch der Hellblauen [d. h. Jungen] viele den Dunkelblauen [d. h. Mutterkänguruhs] um die Beine herumlaufen, möchte ihnen viel Fett auf den Rippen wachsen2, geht wahrlich zur Genüge hervor, mit wie scharf zudringenden Sinnen und mit wie viel Freude an der äußeren Erscheinung die Aranda das ihnen nächst stehende Tier anschauen. Doch freilich, Schönheit im Sinn unserer und schon mancher früheren Zeiten wird man darum die Beschaffenheit des Weltgeschehens, die diese Wirkungen ausstrahlt, nicht nennen dürfen. Aus einem sehr einfachem Grunde: weil Schönheit nichts Objektives, den Dingen selbst Innewohnendes ist, sondern weil es ein Subjektives, von uns Menschen den Dingen nach unserer Wahl und Willkür Zugesprochenes ist. >) Sven Hedin, Zu Land nach Indien II (1910) 277. ) Strehlow, Die Aranda- und Loritja-Stämme in Australien (1911) I, III 10 ff. a

Zentral-

Naturverbundenheit.

Begriff der Schönheit.

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Zweites Stück. D i e A n z i e h u n g s k r a f t der Natur und die Schönheit der Kunst. Immer wieder, wohin uns Forschende auch die Lust am Scheiden und Verbinden unserer Eindrücke trägt, ist Ursache, sich jener tiefen und wahrhaft schöpferischen Sätze in Hegels Logik zu erinnern, in denen er uns die Erkenntnis einschärft, daß ein Begriff nur aus seinen Grenzen und aus dem Widerspruch alles jenseits dieser Grenzen Liegenden recht erkannt werden könne. Es würde so nahe liegen, dann wenn es sich um die Schöpferkraft der Natur handelt und wenn es gilt ihre Herrlichkeit zu preisen, ohne Weiteres von der Schönheit der Welt zu sprechen und sie als Erzeugnis und Zeugnis dieser Schöpferkraft zugleich ins Feld zu führen. Gerade der Bezirk der Wissenschaft, dem diese Erörterungen angehören, möchte die Versuchung zu solcher sehr allgemeinen Verherrlichung leicht in sich bergen. Die Kunstwissenschaft als der Forschungszweig, der einem eigens begeisternden Gegenstand gewidmet ist, erliegt eher als andere Teilwissenschaften der Gefahr, über ihrer Gefühlssteigerung die sehr kalten Begriffsscheidungen, deren sie und sie eigens zwangsmäßig bedarf, wo nicht in Vergessenheit, so doch in Nachteil geraten zu lassen. Und damit von vornherein auch das Ja dieser Dinge, d. h. also die Eigenschaften, die der Schöpferkraft mit Wahrheit zuerkannt werden dürfen, recht umgrenzt werde, muß von ihrem Nein ausgegangen werden, d. h. der Beschaffenheit, die noch nicht ihr, sondern erst dem gleichläufigen Tun der Menschen, dem künstlerischen, beigemessen werden darf. Und dies bedeutet den Versuch einer scharfen Begriffsumgrenzung für den Ausdruck Schönheit, der ohnehin einer der vieldeutigsten, in der Anwendung schwankendsten, aber

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Anziehungskraft der Natur.

auch seinem geistigen Wollen nach dunkelsten Begriffe ist. Wenn damit zugleich der Aufgabe einer etwas späteren Untersuchungsreihe dieses Werkes vorgegriffen wird, der Umschreibung des Kreises der erziehenden und lenkenden Einwirkungen, die von der Schöpferkraft der Welt auf die Entstehung und Entwicklung der menschlichen Einbildungskraft ausgegangen sind, so ist auch für die begriffliche Ordnung von ihr kein Schaden angerichtet, sondern nur die notwendige Grundlage geschaffen. Zunächst sei der Faden der geschichtlichen Entwicklung des sinnlich-seelischen Genuß-Verhältnisses des Menschen zur Welt dort aufgenommen, wo er hier fallen gelassen wurde. Es wurde von dem Urzeitmenschen ausgesagt, daß er zwar von der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung der Welt, die er sehr gut kennt, so weit angezogen wurde, daß er sie liebt. Aber diese von der Welt ausgestrahlte Anziehungskraft bedeutet noch nicht Auswirkung von Schönheit. Diese kann im Fühlen und Sehen der frühen Menschheit erst dann in Tätigkeit getreten sein, als in ihr Kunst und zwar eine absichtsvoll gelenkte und gewollte Kunst aufgetreten ist, frühestens also mit der Erreichung der Altertumsstufe. Denn von der Kunst des Urzeitalters, die so ganz auf die Wiederspiegelung der Wirklichkeit ausging1, wird man eine solche Auswirkung noch nicht annehmen können. Ich würde nicht wagen zu behaupten, daß den Urzeitvölkern der Begriff Schönheit völlig fremd ist und daß sie keinerlei ihm nahe kommendes Wort kennen. Dies aber läßt sich mit aller Entschiedenheit erklären: wenn sie irgend diesem Ausdruck nahe kommende Worte, diesem Seelengeschehen sich annähernde Begriffe ausgebildet haben, 1 ) Man vergleicht vielleicht die grundsätzlichen Nachweisungen, die ich schon früher gegeben habe (Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte [»1927] 37; Vom geschichtlichen Werden I I I [1928] 100), sowie die Einzelschilderungen, die ich von den Nordwestamerikanern entworfen habe (Die Geschichte der Menschheit I [1907] 281).

Schönheit eine Kunstschöpfung. Bewirkungsmacht der Natur.

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so verbinden sie mit ihnen sehr viel dunklere, dumpfere Vorstellungen. Für sie möchte der Ausdruck Anziehungskraft der Natur am ehesten sich aufrecht erhalten lassen. Denn er läßt fürs erste sehr deutlich erkennen, daß für dieses Verhältnis die stärkere Wirkung auf Seiten der Welt zu suchen ist und nicht beim Menschen. Natürlich, damit ein Lichtbild entsteht, muß eine lichtempfindliche Platte da sein, und damit ein Weltbild entsteht, muß ein Menschengeschlecht da sein, in dessen Geist sich die Welt spiegelt. Aber hier ist, wenn der Ausdruck erlaubt ist, das Objekt der aktive, das Subjekt aber der passive Teil: der Gegenstand wirkt, das beobachtende Ich erleidet. Zum zweiten aber ist Anziehungskraft der rechte Ausdruck für ein so dunkles, schwer zu erfassendes und doch unverkennbar wirkendes Geschehen. Die lockende Gestalt des Tieres, das wie etwa in den hier berufenen Entstehungsformen des Glaubens als artvertretendes Beispiel gelten mag, ist die Wirkung ausstrahlende Gewalt; der Mensch, von ihr zunächst vielleicht nur im Unterbewußtsein getroffen, giebt Bich ihr hin, sucht als forschendes Ich das Tier zu erkennen, beginnt als fühlendes Ich es zu lieben. Und so entsteht in ihm zuerst das Gefühl, dann das Bewußtsein des Angezogenseins auf Seiten der Menschen als das Erzeugnis des Wirkens der Anziehungskraft auf Seiten der Welt. Und es ist vielleicht der beste Beweis für die dunkeltiefe Macht dieses Geschehens, daß aus dem Wurzelreich, in dem es sich abspielt, der Glaube in derjenigen seiner Stammlinien erwachsen ist, die bis zu dem höchsten Gipfel seiner Entfaltung, vom Tier zum Tiergeist, zum Heilbringer, zum halben, zum ganzen Gott reicht. An anderen Formen dieses Geschehens ist der Verlauf der Entwicklung nicht so groß und reich gewesen; immer aber beginnt er in jenen Tiefen und wirkt sich aus in weit umfassenden Kreisausschnitten des Gesamtverhältnisses zwischen dem sehenden Menschen und der geschehenden Welt.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Anziehungskraft der Natur.

Die meisten der Völker, denen gelang aus dem Urzeitalter zur Altertumsstufe emporzusteigen, vermochten eine Kunst auszubilden, von der im Gegensatz zu der des Urzeitalters zu sagen ist, daß sie voll von absichtlichen Abänderungen, von gewollten Umformungen des Wirklichkeitsbildes ist, das die Welt den Sinnen darbietet. Damit aber ist stilisierende Kunst und mit ihr das Geschehen — schwerlich der Begriff — Schönheit entstanden. Denn schön kann erst die Kunst Bein. Gewiß hatte schon die Urzeitkunst zuweilen Werke geschaffen, die in unseren Augen stilisierende, also mit Absicht hier steigernde, dort fortlassende Abänderungen am Wirklichkeitsbilde vornahmen; doch unterliegen wir hier wohl zumeist einer Täuschung, insofern wir die Vereinfachungen, die die Künstler dieses Entwicklungsalters vornahmen, auch dann, wenn sie aus mangelndem Werkvermögen, aus noch ungeschulter Technik stammen, für absichtsvolle halten oder wenn sie von einem Hindringenwollen zu Wirklichkeiten der Tiefe herrühren — eine Einsicht zu der uns erst die Ausdruckskunst der Expressionisten-Bewegung von 1911 verholten hat. Und auch in diesem letzten Fall kann von bewußter Stilisierung ganz gewiß nicht die Rede sein. Fast alle Kunst der ägyptischen und der babylonischen Königsburgen und Göttertempel, der altchinesischen Königsgräber und der altamerikanischen Tempelreliefs ist gewollt, ist stilistisch im betontesten Sinn des Wortes und hat insofern Schönheit im echten Sinn des Wortes geschaffen. Doch soll hier weder die eigentümliche Form dieser Schönheit noch die späterer Zeitalter gleichen oder wenig geringeren Ranges gekennzeichnet werden, sondern es soll vielmehr sogleich der Begriff der Schönheit im höchsten, im überzeitlichen Sinn umgrenzt werden, weil nur so der hier obschwebende Zweck erreicht werden kann, einen klaren Gegensatz zu dem Begriff der reinen Schöpferkraft des außermenschlichen, unbewußten Weltgeschehens zu schaffen, damit so erst dessen Wesen und Umfang recht erkannt werden könne.

Stilkunst, Entstehen von Schönheit.

Begriffsumgrenzung.

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Man sollte meinen, daß die Werke der allgemeinen Kunstwissenschaft und der Ästhetik, die doch recht eigentlich die Wissenschaft des Schönen darstellen will, den Begriff der Schönheit nicht nur erörtern, sondern ihn geradezu zu Angelund Ausgangspunkt ihres Forschens machen. Doch ist dem nicht so, selbst Gesamtdarstellungen der Ästhetik von großem Umfang und breiter Entfaltungsgrundlage gehen über diesen obersten und letzten Begriff fort, als verstehe er sich von selbst. In Wahrheit aber mag er einen der verborgensten Urbestandteile dieser, ja aller Geisteswissenschaft darstellen. Er muß deshalb hier zuerst geschaffen werden.

Drittes Stück. Der Begriff der Schönheit und der Umfang Schöpferkraft der Natur.

der

Schönheit soll diejenige Beschaffenheit von Kunstwerken genannt werden, die dem höchsten Streben der Kunst des Zeitalters, dem sie entstammen, genug tut. Diese Begriffsumgrenzung mag sehr einfach, vielen vielleicht allzu einfach erscheinen. Dennoch lassen sich ihr bei scharfer Grenzziehung und bei Betonung der Begriffsmöglichkeiten, die außen bleiben und geradezu vermieden werden sollen, alle die Urbestandteile und Teilforderungen abgewinnen, auf die es ankommt. Das erste Nein, das sie in sich birgt, ist die Ausschließung aller Absolutheit, aller Überzeitlichkeit, aller Beständigkeit. Es ist der wesentlichste Ertrag aller entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der Kunstzeitalter, daß in jedem von ihnen, in jedem Volk, das bedeutenden Anteil am künstlerischen Schaffen genommen hat, ein ihm eigener Inbegriff von Schönheit ausgebildet worden ist, der dem Tun und Wirken der Künstler die Maßstäbe setzt und die Richtung weist.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Begriff der Schönheit.

Es sind nicht die lebensvollsten, wohl aber die im Denken ehrgeizigsten Kunstalter, die durchaus das Gegenteil wünschten : die einen herrscherlichen und ein für alle Mal festen Schönheitsbegriff durchsetzen wollten. So ist der Klassizismus gesonnen gewesen: in seiner vollkommenen Abhängigkeit von der Antike oder vielmehr von dem sehr blassen und schematischen Bild, das ihm als Repräsentant der griechischrömischen Kunst galt, glaubte er an diesem stark rationalisierten und etwas schemenhaften Schönheitsgesetz einen Richtweiser nicht nur für sein eigenes Schaffen, sondern auch eine unverbrüchliche Regel und Richtschnur für alle Zukunft zu haben. Dieser Schönheitsbegriff, der mehr ein wissenschaftlicher Schematismus als ein fleischgewordenes Zielbild der Kunst war und dem die klassizistische Kunst durch ihr eigenes Schaffen so wenig rotes Blut und warmes Leben einzuflößen vermochte, umfaßte die volle Breite einer ganzen Zeitkultur, wollte außer der bildenden auch die redende Kunst, außer der Kunst auch Wissenschaft und Leben umgreifen und verschwand doch mit außerordentlicher Geschwindigkeit von der Bühne der Zeitgeltung. Der Klassizismus hat kaum die dreißig Jahre, die seit dem Emporkommen des Rokoko ungefähr jede neue Geistes- und Kunstbewegung an der Herrschaft geblieben ist, erreicht; noch bei seinen Lebzeiten, in der vollen zweiten Hälfte seiner Regierungszeit, hat sich die Romantik schöpferisch geregt, die zwar manche und nicht die besten Eigenschaften vom Klassizismus als Erbe übernahm, die ihm aber doch in den Gehalten und in mehr als einem Stück auch in den Formen durchaus entgegengesetzt war, und nach 1815 setzen schon die ersten Wirkungen des übernächsten Zeitalters und seiner Kunstbewegung ein, d. h. des Realismus, des entschlossensten Feindes der klassizistischen Kunst, der von ihr jede, auch die letzte Spur auszutilgen gesucht hat. Ein zweites Beispiel von ähnlicher Herrscherlichkeit und Rechtgläubigkeit, mit der an einer Schönheitsform als absoluter, unübertrefflicher und auf lange hin unerschütterlicher

Klassizismus.

Stilkunst von 1890.

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Gültigkeit festgehalten worden ist, bot in der jüngsten Vergangenheit die Bewegung strenger Formenkunst, die von 1890 ab als starker Gegenstoß gegen den herrschenden Naturalismus aufkam. Vornehmlich in der Dichtung steigerte sie sich in einer nicht zahlreichen, aber gläubig begeisterten Schule zu der Überzeugung, daß die sehr stark geprägte Formensprache, die ihr Haupt, der deutsche Dichter George geschaffen hatte, ein Zielbild verkörpert habe, von dem weder in der eigenen Gegenwart noch auf alle nahe Zukunft abgewichen werden dürfe. Und mit der glühenden Erregtheit, die diese sektenhaft abgeschlossene Bewegung in sich wie sonst nur kirchliche Eiferer nährte, belegte sie jede abweichende Kunstgesinnung und Kunstübung mit den härtesten Bannflüchen, forderte selbst von den Anhängern stumme und vorbehaltlose Unterwerfung, von den werktätigen Folgern die unbedingte Nachahmung der Kunst des Schulhauptes, die Unterdrückung jeder eigenen Schaffensfreiheit, jeder persönlicher Fortbildung des Vorbildes. Dieses sollte als Norm in eiserner Unbiegsamkeit gelten. Mit dem Klassizismus und der ersten, noch strengen Romantik hatte diese Kunstweise allerdings noch einen Rest von Historismus, d. h. von allzu geschichtlicher Abhängigkeit — von Antike und Gotik—gemein; nach Kraft und Glut der Lebensgehalte, nach der Unabhängigkeit ihrer dichterischen Einbildungskraft, nach dem Adel ihrer Formensprache war sie beiden um Vieles überlegen. Schön war auch wahrlich die Entflammung der Seele, der die glaubensähnliche Gespanntheit dieses herben und harten und schroffen Bekennertums entsprang, zumal sich mit ihr eine Lebensgesinnung und Lebensgestaltung von ebenso schroffer Ausschließlichkeit, aber auch ebenso hohem Adel vereinte. Daß es sich mit politischen Einseitigkeiten verband, war wohl nur das Erzeugnis eines gleichen Historismus wie die neuklassizistischen und neuromantischen Anwandlungen seines Kunstbekenntnisses. Und doch ist, was diese Verkündung an Absolutheit für ihre Regeln forderte, eine Unmöglichkeit.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Begriff der Schönheit.

Denn so untadelig auch der Schönheitsbegriff sein mochte, von dem diese Kunstbewegung beseelt war: ihn zu einem unumstößlichen Gesetz zu kanonisieren war weder dem Grundwesen alles künstlerischen, ja alles geistigen Schaffens, noch dem des drängenden, pulsenden, wachsenden Lebens angepaßt. Der Geist und vor allem die Kunst darf nicht zum Gesetz erstarren, das Leben noch weniger; beide sind auf Werden und also auf Neuerung und Wechsel gestellt. Es würde heißen Schaffen und Leben zum Stocken zu bringen, wollte man ihm einen Zustand als endgültigen aufzwingen. Dem widerspricht nicht, daß auch Kunstalter, die sehr weit davon entfernt waren, so denkhafte und lehrmäßige Programme aufzustellen, ihrer unausgesprochenen oder wenigstens nicht formulierten Gesinnung nach immer nur sich und ihre Weise wollten und ihre Schönheit als die einzig richtige, die allein wahre. Wer könnte von den Meistern der Gotik, der Renaissance und der Spätrenaissance, des Barock und des Rokoko etwas anderes annehmen, als daß sie alle voll von der Überzeugung beherrscht waren, daß ihr Kunstwillen das Schöne zum Ziel hatte, wobei es ganz gleichgültig ist, wie weit ihnen diese Überzeugung bewußt war oder wie sehr sie nicht auf den Gesamtzug ihres Zeitalters, der uns als ihr Beherrschendes zunächst vorschwebt, sondern auf die besondere Richtung ihrer Einzelbewegung oder gar nur auf das periodische Wollen des Einzelnen beschränkt blieb. Aber man sieht leicht, wie wesentlich der Unterschied zwischen den frei gewachsenen Meinungen aller dieser Kunstalter und den lehrhaft und denkerisch aufgebauten Kunstlosungen des Klassizismus oder der Gegenwart ist: dort das natürliche Ja jedes starken Lebens zu sich selbst, hier zwar auch die gleiche Selbstbejahung, aber übersetzt in die Sprache des Gedankens. Und ebenso leuchtet ein, daß jene nicht so denkerischen, nicht so in ein fast wissenschaftliches Bewußtsein übertragenen Kunstmeinungen nicht so leicht in Selbstkanonisierung und Erstarrung übergehen konnten, wie etwa die des Klassizismus. Es ist nicht von ungefähr, daß diese

Selbstbejahung jeder Kunst.

Wandelbarkeit der Schönheit.

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Bedenkung, die so oft Zerdenkung der Kunstgrundsätze war, gerade in dem Zeitalter zum ersten Mal erschien, in dem zum ersten Mal ein theoretisch gewollter Stil auftrat, ein Stil, der nicht wie die meisten früheren Kunstweisen still wie eine Pflanze aus seinem Vorgänger hervorgewachsen war oder durch Übertragung von einer zwar fremden, aber lebenden Kunst entstanden, sondern der durch Theorie und Lehre der eigenen Kunst aufgeredet worden war. Der Klassizismus ist der erste von den Stilen, mit denen eine lendenlahme Baukunst das ganze neunzehnte Jahrhundert und noch unsere Gegenwart angefüllt hat, und er trat auf, als der letzte frei gewachsene Stil, das Rokoko, zu sterben gekommen war. Was Wunder, daß er auch zu einer so theoretischen; d. h. blutleeren Theorie wie zu der von einer absoluten Schönheit kam. Und nicht nur die Unhaltbarkeit des klassizistischen wie jedes anderen zur Absolutheit versteinerten Inbegriffs von Schönheit, mehr noch die Geschichte gewordene Wirklichkeit der Kunstentwicklung tut entscheidend dar, daß Schönheit immer wandelbar ist. Ja noch innerhalb eines Bereiches von annähernd gleicher Kunstgesinnung und Kunstübung wird immer ein Nebeneinander von Schönheitsbegriffen sehr weit von einander abweichender Art zu bemerken sein. Die Schönheitsbegriffe der italienischen Renaissance sind herrscherlich genug gewesen und haben dem Insgesamt ihrer Malerei ein verhältnismäßig einheitliches Gepräge gegeben: und doch, wie weit ist der Frauenkopf Tizians von dem Lionardos, der Andrea del Sartos von dem Correggios verschieden, von der noch weiteren Spannung zwischen dem Frauenkopf Rafaels und dem Michelangelos zu geschweigen. Auch die nächstverwandten Kunstgattungen, wie Malerei und Bildnerei, Bau- und Zierkunst klaffen oft weiter auseinander, als es die Verschiedenheit ihrer Zwecke und Mittel erfordert. Die Verschiedenheiten der einzelnen Kunstlandschaften, der toskanischen von der lombardischen, der fränkischen von der schwäbischen Malerei im gleichen Zeitalter schaffen

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Begriff der Schönheit.

ein noch größeres Vielerlei in dem Gesamtbild. Umso mehr leuchtet ein, wie richtig es ist, schon dem in einem Zeitalter angenommenen Begriff einen weiten Spielraum und eine läßlich schwankende Grenzziehung zuzugestehen und wie notwendig es vollends ist, in der Folge der Zeiten dem Wechsel dieses Begriffs von Kunstalter zu Kunstalter den Rang und die Geltung eines Geschichts- und damit auch eines Lebensgesetzes einzuräumen, nicht aber ihn, wie doch jede kanonisierende Schönheitsbestimmung notgedrungen muß, als einen Bruch, eine Verletzung des höchsten und allein gültigen Schönheitsgesetzes zu tadeln. Hierbei ist noch ganz von der Erkenntnis abgesehen, daß alle, aber auch alle Voraussetzungen menschlicher Entwicklungen, nicht nur im Reich der Kunst, sondern in allen Bezirken unseres Dichtens und Trachtens diesen Wechsel wollen.

Viertes Stück. Die Ü b e r t r a g e n h e i t des B e g r i f f s N a t u r s c h ö n h e i t . Wer dem Wesen der Schönheit des weiteren nachsinnt, wird finden, daß sie diese Eigenschaft ihrer Veränderlichkeit mit allen Formen menschlicher Übereinkunft teilt. Und gegen ihre Zugehörigkeit zu den Übereinkünften sich zu wehren, ist ebenso klug, wie etwa dem Gewissen und allen seinen, wie allen Sittenvorschriften überhaupt die Eigenschaft einer Übereinkunft abzustreiten. Und wie jenen anderen Gebilden eines zur Regel erstarkten Gemeinschaftswillens, so wird auch diesem weder die Mannigfaltigkeit der neben einander bestehenden Unterformen, noch der Wechsel im zeitlichen Nacheinander an Kraft und Nachdruck Eintrag tun. Im Gegenteil, was ihm durch sie an der Festigkeit genommen wird, die nur aus Einheitlichkeit und sehr langer Dauer hervorgeht, das wächst ihm zu durch die Anpassung der einzelnen Gebote an eine sehr bestimmte Lebens- und

Die Herrschaft des Wechsels. Schönheit eine Übereinkunft.

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Willensgemeinschaft und deren besondere Bedürfnisse und Bedingnisse. Alle diese Eigenschaften aber lassen Eines sehr deutlich erkennen, daß ein so umgrenzter Inbegriff von Schönheit durchaus nur Menschen als Trägern beigemessen werden kann, daß er überhaupt nur ein subjektiver, vom schauenden Ich, also vom menschlichen Urteil, menschlichen Willen bestimmter Begriff ist. Wenn wir dennoch von der Schönheit irgend eines Naturdinges, eines Baumes, einer Landschaft, eines Tierleibes und schließlich auch eines Menschenkopfes, einer Menschengestalt — die beide ja auch Naturding sind — sprechen, so findet hier offenbar eine Übertragung statt und es wird mit dieser Bezeichnung in Wahrheit gesagt, daß dieses oder dieses Naturding einer von Menschen Urteils- und willensmäßig festgesetzten und ursprünglich für Werke der Kunst gültigen Schönheitsregel entspricht. Man sieht ein, daß ein aus diesen Gründen verliehener Schönheitsbegriff nicht der Natur selbst gilt und daß es also ganz untunlich wäre, aus der Tatsache, daß es in diesem Sinn schöne Naturdinge giebt, zu folgern, hier sei in der organischen oder anorganischen Welt ein Seitenstück oder gar ein Urbild für die menschlich-kunstwissenschaftlichen Schönheitsbegriffe gegeben, ein Seitenstück in dem Sinn, wie hier die Ordnungen der Welt als ein Seitenstück, ja als ein Urbild für die Ordnungen des Verstandes erkannt wurden. Es findet hier vielmehr ein zwar verwandtes, überwiegend aber abweichendes Verhältnis statt. Zunächst noch ein Wort über den nur im übertragenen, fast möchte man sagen im mißbräuchlichen Sinn der Natur beigemessenen Begriff der Schönheit. Erstens — noch einmal — Schönheit als ein lediglich ich-mäßig menschlicher Begriff, als ein Begriff, durch den im Reich der Kunst alles Echte, Starke über alles Minder-Echte, Mittelmäßige, Schwache hinausgehoben werden soll, kann nicht willkürlich zu einem sachlichen, einem Gegenstands-Begriff gemacht und B r e y s i g , KutnrgeBchiohte und Menschheitsgeschichte.

H

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Übertragung des Begriffs.

der Natur als eine ihr innewohnende Eigenschaft einverleibt werden, eine Eigenschaft, die dann als ein Herrscherliches, ein Absolutum erscheinen würde, als eine vom menschlichen Urteil und von menschlicher Wahl völlig unabhängige Gegebenheit. Sie würde sich dann wie ein Denkgebilde darstellen dem ähnlich, das Comte als biologisches Apriori, als Richtweisung für die gesellschaftlich-geschichtliche Entwicklung des Menschengeschlechts verkündet hat 1 — d. h. also einen von den schwersten Denkfehlern von Comte wiederholen. Denn so wenig man mit Comte den biologischen Entwicklungsverlauf als vollgültig sicheres Schema für den Verlauf der menschlichen Entwicklung benutzen dürfte, so wenig dürfte man irgend eine Gruppe von Naturdingen als objektiv-schön bezeichnen und sie etwa der Kunst zur ungeänderten Nachahmung empfehlen. Wobei noch ganz davon abgesehen wird, daß der Begriff des biologischen Apriori bei Comte ein erkenntnistheoretisches Unding ist. Die Erfahrung kann nicht — soweit muß hier doch die Kantische Begriffsprägung als allgemein verbindlich zur Geltung gebracht werden — zu irgend einem Apriori als verbindlicher Folgerung führen. Nur einem Irrtum, der sich gegenüber einer solchen Abgrenzimg einschleichen könnte, muß im Voraus noch gewehrt werden: es ist die Vorstellung, als hätten die Gegebenheiten der Natur überhaupt nichts mit den Prägungen zu tun, durch die der Kunst schaffende oder auch nur der die Natur empfindende Mensch Schönes genießt, Unschönes ablehnt. Kein Zweifel, die von der Natur uns in Sinne und Seele geworfenen Bilder haben die stärksten Wirkungen auf das Gemüt und durch es hindurch auf das künstlerische Schaffen des Menschen hervorgebracht. Es mag keine Mauer an Königspalästen geben, die nicht in ihrem ersten Wurzelentstehen auf den Eindruck, den steile Felswände auf Menschen gemacht haben, zurückzuführen ist, Marcuse, Die Geschichtsphilosophie Auguste Comtes (1932) 164f., 177.

Naturwirkungen.

Frühes Verhältnis zur Landschaft.

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noch irgend einen Pfeiler in Göttertempeln, der nicht dem Anblick schlanker Baumstämme sein Dasein verdankt. Und es leuchtet ein,, daß diese Reihe sich noch auf hundert Gruppen, tausend Fälle von künstlerischer Formung und also von voraufgehender sinnlich-seelischer Bewirkung erstrecken läßt, einer Bewirkung, die erhebend, erheiternd, erstaunend, selbst erstarrend, erschreckend, oder wie sonst erregend sein kann, immer aber bewegend sein muß. Will man also das Gesamtverhältnis zwischen Ich und Welt in diesen Dingen umspannen, so wird jede Gattung und jede Einzelform von Schönheitsempfinden, von Schönheit-Schaffen und zuletzt auch von Schönheit-Beurteilen in ihren allerersten Ursprüngen auf Naturwirkungen zurückzuführen sein. Aber das ist ein Urgeschehen, das sich zu öftest im Dunkel des Halb- und Nichtbewußten abspielen mag; man wird es zwar als für alle die hier besprochenen Seelenvorgänge als Voraussetzung annehmen dürfen; aber es hat mit ihnen, die erst die Entscheidungen bringen, sich auch alle schon im Licht der Geschichte abspielen, eigentlich nichts zu schaffen und darf und muß deshalb bei ihrer Erörterung ausgeschlossen werden. Zum zweiten aber lehrt ein Blick auf Ursprung und Zustandekommen dessen, was man Schönheit der Natur genannt hat, wie ganz dieser Begriff sich selbst zu erkennen giebt als eine Schöpfung des Menschen, als ein von seinem künstlerisch-kunstwissenschaftlichen Urteil der Natur aufgeprägtes Prädikat, eine Aussage also, nicht eine Eigenschaft. Uns wird glaubhaft nachgewiesen, daß einmal im alteuropäischen Weltalter überhaupt, sodann aber bei unseren neueuropäischen Völkern bis zum Beginn des achtzehnten Jahrhunderts eine Ereude an der Landschaft, also wenn man will, ein Begriff von der Schönheit der Landschaft entweder gar nicht oder durchweg verbunden mit der Forderung auftritt, daß die Landschaft das Gepräge der zweckvollen und nützlichen Bearbeitung, der Kultur also im ursprünglichsten Sinn des Wortes, eines wohlbestellten Ackerbaus, Ii*

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Übertragung des Begrißs.

wohlbefahrener Flüsse, gut gebauter Städte an sich trug. Das Gebirge aber nun vollends haben die Römer wie noch die Menschen des siebzehnten Jahrhunderts als wüst und unnütz keiner Wertschätzung gewürdigt. Erst im zweiten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, in Deutschland durch Haller und Hagedorn1, später in Frankreich durch Rousseau ist eine leidenschaftliche Freude am Gebirge und eigens stark am Hochgebirge entzündet worden, die zum ersten Mal, was die stumme Natur angeht, einen Schönheitsbegriff schuf, der als von ihr ausgehend angegeben wurde. In Wahrheit aber lehrt dies Geschehen deutlicher als viele spätere Zusammenhänge dieser Art, daß es Menschen und zwar — wie im Grunde sich von selbst versteht — Künstler, Dichter waren, die einen Ausschnitt aus der Umwelt des Menschen als schön abstempelten. Und es waren Menschen, die diese Prägung durchaus aus dem Gefühl, aber auch aus der Kunstgesinnung ihrer Zeit und dem Kunstwillen ihrer Persönlichkeiten vornahmen. Nur dem Umstand, daß diesen Männern so viel geistige, so viel seelenbewegende Macht innewohnte, die empfänglichen Menschen ihres Zeitalters, ja noch aller Jahrzehnte, die seitdem bis zum heutigen Tage verflossen sind, in ihr Sehen, in ihr Fühlen hineinzureißen, ist es zu verdanken, daß man dieses sehr ichmäßigen, künstlerischen Ursprungs vergessen hat und nun heute dem Objekt, dem Gegenstand dieser Bewunderung zuschreibt, was doch in Wahrheit der Niederschlag eines ganz ichmäßigen, ganz menschlichen Wertens war. Wer sich der Landschaften erinnert, die auf den Bildern der schwäbischen und fränkischen Schule im fünfzehnten, auf den Bildern der Niederländer im sechzehnten Jahrhundert den Hintergrund zu heiligen oder profanen Handlungen bilden, der weiß auch, wie kühl und berichterstattend die Gefühlseinstellung jener Zeiten zur Landschaft war. ') Kammerer, Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen achtzehnten Jahrhundert (1909) 40 ff.

Erweckung des Landschaftsgefiihls. Einfluß der Künstler.

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Aber diese Veränderung, die für das Verhältnis ebenso sehr eine seelische Umwälzung, wie eine sinnlich-künstlerische war, ist nicht etwa die einzige geblieben, von der die Geschichte der inneren Kultur der letzten zwei Jahrhunderte weiß. Sie ist vielmehr nur ein Beispiel und zwar ein artvertretender, ein typischer Fall. In dem Dialog über die Lüge, in dem Oscar Wilde unter der ihm eigentümlichen geistreich-glitzernden Hülle eine für die Kunstwissenschaft grundlegende Untersuchung dieser Dinge gegeben hat, ist völlig überzeugend dargetan, daß den Menschen eines Zeitalters die Augen, mit denen sie auf die Landschaft schauen, von dem Künstler eingesetzt sind, der zuletzt ihre Seelen und Sinne regiert hat. So daß dann etwa der kultivierte Engländer zu Wildes Zeiten, aber wohl auch noch von heute die Themsebrücken im November-Nebel durchaus mit Whistlers Augen anschaut oder — um ein uns näher liegendes Beispiel aufzurufen — daß ein kunstgeschulter Norddeutscher die Föhrenwälder seiner Heimat mit den so schöpferisch stilisierenden Augen Leistikows sieht. Eine Sonderstellung nimmt das menschliche Angesicht, die menschliche Gestalt ein. Aber da auch sie ein Naturding ist, kann sie in dem hier obschwebenden Gedankengang nicht anders als die Gegebenheiten der außermenschlichen Welt angesehen werden; abgesehen von einem Punkt, in dem sich die Sachlage etwas verschiebt. Wie wenig auch für diese Gruppe eine objektive, wenn man will eine immanente Schönheit angenommen werden darf, geht aus dem Wechsel hervor, dem auch sie in den auf einander folgenden Zeitaltern unterworfen ist. Die Haar- und Barttrachten, die so viel zu dem veränderten Eindruck beitragen, die für Kopf und Antlitz noch mehr bestimmend sind, als das Gewand für den Körper, sind schlechthin einer Mode unterworfen. Der Wechsel ist für den Mann seltener als für die Frau, aber dafür um so tiefer einschneidend und deshalb um so nachdrücklicher. Wie sehr von dem im Vollbart prangenden Mann von 1870 der schnurrbärtige von 1890 und gar der römisch-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Wesen der Schöpferkraft.

amerikanische Bartlose von 1920 sich linterscheidet, ist noch in Menschengedenken. Und diesen Barttrachten entsprach eine Gesichtsform von nicht so leicht greifbarer, aber schließlich doch nicht zu verkennender Eigenart. Die Haar- und Barttrachten gehen vom Menschen aus, die Angesichtsformen aber sind Naturgegebenheiten. Die Haar- und Barttrachten haben, von ihnen selbst abgesehen, noch die Wirkung, bestimmte Gesichtsformen hervorzuheben. Der Inbegriff von Männerschönheit, den man um 1890 liebte, ist also schließlich doch nur eine in der Natur vorkommende Gegebenheit, die man zu ihrer Zeit anderen Gegebenheiten gleicher Art vorzog, also auch sie wenigstens in ihren Grenzen Ergebnis einer willensbestimmten Auslese durch den Menschen. Daß die von einer Zeit bevorzugte Kopfform und Leibesgestalt noch dazu von innen her durch die diese Zeit beherrschende Seelengestimmtheit bestärkt und betont wird, bezeugt nur die Auswirkung des gleichen Vorgangs von einer anderen, tieferen Ebene des Geschehens her.

Zweites Hauptstück. Die Überlegenheit des Naturschattens Uber das Menschenschatten. Erstes Stück. Das Wesen der Schöpferkraft der Natur. Verhält es sich nun aber so, wie hier dargestellt, so könnte zuletzt die Meinung aufkommen, als sei die Beschaffenheit der Welt von der des Phantasie- und in Sonderheit des Kunstschaffens der Menschheit so weit entfernt, daß zwischen ihnen beiden kein Verhältnis bestünde, das sie — ähnlich wie etwa die Verbindungsdränge des anorganischen und des biischen

Menschliche Schönheit.

Kunst und Urbild der Umwelt.

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Reiches mit dem menschlichen Gefühlsleben — verknüpfte. Und doch würde eine solche Folgerung noch viel weiter in die Irre führen, als die Vermischung von Kunst- mit Naturschönheit, deren Fehlerhaftigkeit soeben nachgewiesen wurde. Es heißt eine der selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten erklären, spricht man aus, daß diejenige Menschentätigkeit, in der sich die Einbildungskraft unseres Geschlechts am reinsten und am nachdrücklichsten auswirken kann, die Kunst, in jeder ihrer Vornahmen, von den grundsätzlichsten Entscheidungen bis zu den einfachsten Stoffentnahmen hin, abhängig ist von dem Urbild unserer Umwelt. Denn entweder bestrebt sie sich mehr oder weniger, genauer oder ungenauer diese Umwelt nachzubilden oder aber sie macht sie für ihren freien Flug doch zum Ausgangspunkt. Ohne dieses Urbild ist keine Form von Kunstübung zu denken und sei sie die fesselloseste. Kandinsky, der Expressionist, hat Bilder gemalt, die in Farbe und Umriß sich wie ein völlig von jedem Vorbild in der menschlichen oder außermenschlichen Wirklichkeit losgelöstes Gebilde darstellen; aber selbst von so ungebundenen Erzeugnissen künstlerischer Einbildungskraft — vielleicht den freiesten und wenn man will erfundensten, die im Bezirk der Malerei bisher geschaffen worden sind — wird niemals behauptet werden dürfen, daß sie ohne die Erregungen hätten erzeugt werden können, die ihren Urhebern von sei es nahen, sei es fernen Wirklichkeiten kamen und auf die hin diese Werke von ihnen, sei es in Analogie, sei es im Rückstoß, in Reaktion gebildet worden sind. Franz Marc hat in einem Werk, wie dem von ihm Formenspiele genannten, sich einen Schritt näher an die Wirklichkeit begeben; daß hier ein Geschehen tausend Faden tief unter der Oberfläche des Meeres geschildert werden soll und daß die Fabelwesen, die hier herumschwimmen, mit irgend welchen Crustaceen einige Umrißlinien —• nicht mehr — gemein haben, wird Niemand leugnen können; immerhin hat der Meister seine Einbildungskraft so herrscherlich walten lassen, daß der Beschauer denken mag, es sei hier ein Schöpfergott

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Wesen der Schöpferkraft.

in einer Feierstunde seines siebenten Welttages am Werke gewesen. Und dennoch ist selbst dieses kühne Wie der Kunst nicht zu denken, ohne daß der Meister, der hier schuf, von den Ausstrahlungen irgend welcher Bestandteile des Was der Welt getroffen und bewegt worden wäre. Wie aber ist der Widerspruch, der hier aufklafft, zu lösen ? Wenn einmal der Welt nicht Schönheit zugesprochen werden kann, wenn aber andererseits die Kunst, die beständig Schönheit zu schaffen bestrebt ist, als ausnahmslos von der Wirklichkeit abhängig erkannt wird, wie ist hier eine Formel zu finden, die beiden Feststellungen genug t u t ? Ich meine so: die Natur stellt für die Kunst einen Bilder- und Formenvorrat dar, an Zahl und Mannigfaltigkeit von schlechthin ungeheurem Umfang, ein Vielfaches im Vergleich zu der Formen- und Bildermenge, die die menschliche Kunst in allen ihren Zeitaltern und bei allen Völkern bis auf den heutigen Tag ausgebildet hat, aber ohne jede ausdrückliche Bevorzugung oder Heraushebung dessen, was wir Angehörige unserer Gegenwart oder irgend einer anderen Zeit als schön anerkannt und für die Zwecke der Kunst eigens geeignet aus dieser Menge ausgelesen haben. Wie sollte es auch anders sein: die Natur erschafft das Billionenheer ihrer Gebilde nach Gesetzen, die an sich nichts mit denen gemein haben, nach denen wir Menschen — in jedem Zeitalter, in jedem Volk anders — Kunstwerke gestalten. Wohl hat die Natur in ihrer stummen Sprache, der einzigen ihr zu Gebote stehenden, der Sprache des Geschehens, bestimmte Akzente gesetzt, die — davon soll in einem späteren Abschnitt sehr eingängig gehandelt werden — den Menschen bei allen seinen Schönheitswahlen, Schönheitsprägungen sehr nachdrücklich beeinflußt haben; aber Schönheit im Sinne einer Wahl, einer Auslese, einer Rangordnung konnte sie nicht entstehen lassen, weil ihr weder Zielsetzungen noch Willkür im Wählen möglich sind. Das eigentliche Geschehen aber, das sich hier vollzieht, ist lediglich das über Jahrzehntausende, Jahrmillionen hin sich erstreckende

Formenvorrat der Natur. Schöpferkraft von Natur und Kunst.

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Schaffen und immer wieder Schaffen von neuen Wirklichkeiten, die an sich nur sich selbst zum Zweck haben, jeder Hinbezogenheit auf den Menschen und sein bewußtes künst lerisches oder auch sein unbewußtes frei schaffendes Tun ermangeln, für den Menschen aber Rohstoffe, Materialien darstellen, aus denen er Gebilde der Kunst oder welches Schaffens immer nach seinem Belieben formen kann. Ist solchergestalt das rastlose Entstehen von immer neuen Wirklichkeiten in der außermenschlichen Welt hinlänglich weit von dem bewußten und willkürlichen Tun und Bilden der Menschen abgetrennt, so muß mit umso größerem Nachdruck in Betracht gezogen werden, inwiefern jenes Weltgeschehen des unwillkürlichen, ungewollten und in keinem Bewußtsein gespiegelten Schaffens der Natur Wesensähnlichkeiten, ja Wesensgemeinschaften mit dem gewollten, bewußten und so vielfach absichtsvollen Schaffen der menschlichen Einbildungskraft hat. Sie werden sich immer dann herausstellen, wenn nun gar nicht mehr von der Schönheit und dem Schönheit bezweckenden Tun der Kunst die Rede ist, sondern nur von der Schöpferkraft der Natur und der Schöpferkraft der Kunst oder jedes anderen freien Tuns der Menschen. Sie können und müssen verglichen werden, weil auch jedes Dichten und Trachten der Menschen lediglich in seinen Tatsächlichkeiten, seinen Faktizitäten angeschaut und dann zu Recht mit den Faktizitäten des Naturgeschehens verglichen werden soll. Zur Begründung dieser Forderung ist zunächst das Allgemeinste zu sagen: es ist letzten Endes nur das Ergebnis der Arbeitsteilung unserer scheidelustigen Wissenschaft, wenn in Hinsicht auf den tatsächlichen Verlauf Welt-Geschichte und Menschheits-Geschichte, d. h. also die Geschichte des anorganischen und des biischen Reiches und die des menschheitlichen Reiches getrennt werden. Wenn eine Tier-Art Bewußtsein und Verstand im engeren Sinn erworben und daraus die Fähigkeit selbständiger Lenkung ihrer Handlungen erlangt hat, wenn sie dazu eine schaffensfähige Ein-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Wesen der Schöpferkraft.

bildungskraft ausgebildet hat, so kann doch weder ihr eigenes Dasein noch ihr Wirken als außerhalb des Weltgeschehens und der Welt-Geschichte sich vollziehend angesehen werden. Beide sind vielmehr vom Standpunkt einer all' ihr Geschautes möglichst vereinheitlichenden Weltsicht als Teile des Welt-Geschehens und der Welt-Geschichte anzusehen. Sind es auch deren letzte Efflorescenzen, so ist doch auch die feinste Blüte eines Baums ein integrierender Bestandteil seines Ganzen und von seiner Stamm-, Äste-, Blätterbildung nicht als ihr fremd abzutrennen. Finden sich nun aber in dem Insgesamt der Welt-Geschichte zwei Bestandteile, die soviel Ähnlichkeit miteinander haben, wie die stumme, in ihrem Bilden und Schaffen sich äußernde Schöpferkraft der Natur und die absichtsvoll bewußt, klar sich aussprechende Schöpferkraft des Menschengeschlechts, die sich nicht nur in der Kunst, nein auch sonst in Geist und Tat bezeugt, so geht aus der Einheitsforderung der monokosmischen Sicht ohne Weiterers die Folgerung hervor, daß beide Geschehensformen in nächste Nähe zu rücken und zu vergleichen sind. Auf beider Wesen wird bei solchem Unternehmen manches aufklärende Licht fallen. Zweites Stück. Das Schaffen der Welt und das Schaffen der menschlichen Einbildungskraft. Ein formaler, methodischer Einwand, der Bich einem solchen Vergleich, wie jedem anderen ihm ähnlichen entgegenstellen wird, soll hier doch nur in flüchtigstem Berühren erörtert werden; es ist der Beweisgrund, der jedem Versuch, geistesund naturwissenschaftliche Forschungsweisen zu vereinigen, seit langem von befangenen Parteigängern der Geisteswissenschaften entgegengehalten zu werden pflegt: es könne das Naturgeschehen nur von außen, alles Menschengeschehen

Verstehen und Begreifen. Eeine Zwecke des Naturgescheheos.

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aber auch von innen her erkannt werden. Und man hat sich auf die nun schon in Jahrzehnten und in Ehren grau gewordene Losung Diltheys geeinigt: die Natur lasse sich nur begreifen, der Mensch aber verstehen, und hält an ihr mit bemerkenswerter Zähigkeit fest, ohne sich auch nur im mindesten auf eine Nachprüfung einzulassen. Sie würde ergeben, daß diese Unterscheidung zur Hälfte zwar zutrifft, zur anderen Hälfte aber mit sehr viel größerem Recht durch eine neue Methodenteilung zu ersetzen ist, die gerade keine Kluft zwischen Natur- und Geisteswissenschaften aufreißt, sondern beider Reiche durchquert und so weit eher einen neuen Beweis für ihrer beider Zusammengehörigkeit schafft. Doch soll dieser Fragenzusammenhang erst an einem anderen Ort des hier aufgerichteten Gedankenbaus einer Geschichtslehre erörtert werden1. Ein anderer Einwand darf als ein rein gegenständlicher schon heut und hier erörtert werden. Er macht geltend, daß alles Schaffen der Welt zwecklos und ohne an irgend welche gesetzte Ziele gebunden zu sein sich vollziehe, alles Schaffen des Menschen aber zweckvoll und beständig selbstgesteckten Zielen zustrebend vor sich gehe. Um dieser Beweisführung mit allem Nachdruck entgegenzutreten, bedürfte es der Aufrollung der ganzen, vollen Schlachtordnung der Gründe für die Geschichts- und Weltsicht, die auf diesen Blättern verfochten werden soll. Da dies nicht jetzt schon um eines Sonderzweckes willen geschehen kann, so müssen einige vorläufige Andeutungen genügen. Das Geschehen der Welt kann keine Zwecke haben, da Zwecke, d. h. Absichten, die die Zurücklegung einer bestimmten Geschehensbahn mit bestimmtem Endziel zum Gegenstand haben, nur von Menschen, d. h. von bewußten, willkürlich und aus dem Verstand handelnden Wesen erst gehegt und dann verfolgt werden können. Das Ge') In dem methodologischen Schlußband der Reihe von Werken, die der hier vertretenen Geschichtslehre gewidmet sind.

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Urkrätte: Schöpferkraft der Welt: Schaffen der Welt.

schehen der Welt kann Ziele nie im subjektiven, im ichmäßig-bewußten Sinn haben — aus demselben Grund; Ziele in objektivem Sinne, d. h. Endpunkte der in irgend einer Gegenwart von seinem Verlauf eingeschlagenen Bahn kann es nur insofern haben, als dies sein zwangsläufig bestimmtes Werden allerdings für eine gewisse Strecke seines Verlaufs einen Endpunkt haben muß. Einen Endpunkt freilich nie für das Ganze dieser Werdensbahn, denn das Werden als von jeher im Gang befindlich, also ewig, hat weder einen Anfangs- noch einen Endpunkt. Jene Teilzielpunkte würden sogar, im Sinn der Lehre, also der Theorie nach, vorauszuberechnen sein, doch freilich nur von einem allwissenden Beobachter, einem Demiurg etwa, nicht aber von menschlichem Verstände. Man sieht, solche Prüfung läßt die Hauptannahme jenes Einwandes bestehen, die Nicht-Zweckbestimmtheit des Weltgeschehens; aber in einem Punkt nähert sie doch das Wesensbild des Weltgeschehens dem des Menschheitsgeschehens: das ist die Vorausbestimmtheit, die Zwangsläufigkeit, wenn man will die Determiniertheit des Schaffens der Welt. Allerdings nur in der Äußerungsform, die dem Weltgeschehen allein zur Verfügung steht, in der Sprache des stummen Werdens, der reinen Tatsächlichkeit, der Faktizität schlechthin. Doch — sei dies einmal gefragt — wird dadurch dem Geschehen ein so großer Abzug zugefügt ? Was als Abzug zu Ungunsten des Weltgeschehens eingetreten sein könnte, ist doch nur erstens die Tatsache der Selbstbespiegelung des Geschehenen durch seine Träger und sodann die Möglichkeit, daß in Folge dieser Selbstbespiegelung im Falle der Menschheit das Geschehen sich anders, d. h. reicher vollzogen haben könnte, als es ohne sie hätte sein können. Und man wird zugestehen, daß diese zweite Folgerung von manchem Künstler, aber auch manchem Handelnden — etwa Techniker — nicht ohne weiteres zugegeben werden würde. Soweit es überhaupt verstattet ist, sich die Möglichkeit eines künstlerischen oder technischen

Begrenztheit der Spiegelungsgewinnste und der Zielsetzungen.

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Schaffens, das der Selbstbespiegelung, damit aber auch jeder Lenkung durch den ordnenden und zielesetzenden Verstand entbehren müßte, auszudenken, möchten Künstler wie Techniker vielleicht die Behauptung, daß ihr Tun durch den Verstand bereichert würde, entschieden ablehnen. Dürfte man sich Wesen vorstellen, die nur mit Empfindung und Einbildungskraft menschliche Gebilde zu schaffen vermöchten, so würden Künstler wie Techniker vielleicht sich eher dahin aussprechen, daß sie von solchen Geschöpfen eher mehr als weniger Reichtum ihres Schaffens erwarten würden. Und nun gehe man von der anderen von den beiden hier verglichenen Formen von Schaffenskraft aus: von der menschlichen. Werden an ihr die Zielsetzung und die Zweckbewußtheit ihres Tuns als unbedingte Überlegenheiten über die Schöpferkraft des Weltgeschehens gerühmt, so muß daran erinnert werden, daß deren Wirksamkeit eine höchst bedingte und beschränkte ist. Denn allerdings setzt sich das Streben jeder einzelnen Schule, jedes einzelnen Meisters Ziele, ja man kann sagen, jeder einzelne Handgriff eines Künstlers an seinem Werke will ein Ziel seines eben im Fortschreiten begriffenen Schaffens erreichen, aber sehr viel weiter als bis zum Endpunkt des zweit- oder drittnächsten, oder wenn es hoch kommt, des neunt- oder zehntnächsten Werkes reicht auch das Wollen des vorausschauendsten Künstlers oder Forschers nicht. Und vollends über die eigene Person hinaus erstreckt sich kaum irgend ein noch so zielbewußtes Wollen im geistigen Schaffen. Welcher Künstler wird etwa im Jahre 1931 dem künstlerischen Tun im Jahre 1941 oder 1951 Ziele setzen wollen? Es würde entweder ein müßiges Spiel des Geistes oder die eiserne Starrheit eines Despoten im Reiche der Kunst sein, das eine wie die andere von Anbeginn durch die Grundbeschaffenheit menschlichen Schaffens zum Mißlingen ihres Vorhabens verdammt. Und ferner, ist schon die Reichweite der Zielsetzungen der menschlichen Einbildungskraft sehr begrenzt, so ist vollends

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Schaffen der Welt

die Freiheit der Willensakte, aus denen sie hervorgehen, von äußerster Beschränktheit. Der hier obschwebende Gedankengang ist nicht berufen, den weit verzweigten Fragenzusammenhang der Willensfreiheit im Vorbeigehen zu lösen; soviel aber darf von dem Standpunkt der hier vertretenen Weltund Menschheitssicht wohl als vorläufige Entscheidung in dieser Sache hingestellt werden: daß die vollkommene Gebundenheit des menschlichen Willens dann sichergestellt erscheint, wenn das Insgesamt der Eigenschaften eines Menschen einbezogen wird in die noch größere Einheit der sein Handeln bedingenden und bestimmenden Geschehensverkettungen. Für diesen Tatbestand ist völlig belanglos, daß für unsere, sei es heutige, sei es dauernde Erkenntnis viele Glieder dieses Kettennetzes schlechthin unerreichbar sind, weil sie entweder in das Unterbewußtsein hinabreichen oder als bewußte uns doch verhüllt sind. Verhält es sich aber so, dann erscheint die Entfernung zwischen Welt- und Menschheitsgeschehen noch weiter verringert. Denn dann ist die eisern fest geschmiedete Notwendigkeit, die dem Menschheitsgeschehen ganz ebenso als Gesetz eingepreßt ist, wie dem Weltgeschehen, ein beide so eng vereinigendes Band, daß der Unterschied zwischen beiden Werdensformen nur ein auf die Oberfläche oder besser auf die letzten Auswirkungen, auf die Werkzeuge der Ausführung beschränkter ist. Die Vorgänge, die ein neues Element im periodischen System der Urkörper, eine neue Spielart Pflanze im Stammbaum der Arten entstehen lassen, sind ebenso tief eingebettet in den großen unabänderlichen Werdegang des Allgeschehens, wie die anderen, die den einen großen Menschen eine neue Staatsform, den anderen eine neue Kunstform, den dritten eine neue Wissenschaft finden lassen. Zuletzt erscheint auch hier der Unterschied zwischen dem Weltgeschehen dort, dem Menschheitsgeschehen hier weit mehr ein Ergebnis der Spiegelung, die uns unser Bewußtsein erlaubt und die uns die Selbständigkeit, wie die Besonderheit unseres Tuns überschätzen läßt, so daß sie dann viel eher

Eingebettetsein ins Allgeschehen. Naturfortsetzende Kunst.

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eine Vorspiegelung, als eine sachgetreue Wiedergabe des Tatbestandes zu bedeuten scheint.

Drittes Stück. Die

einzelnen

F o r m e n des M e n s c h e n s c h a f f e n s : Kunst und Technik.

Will man Umfang und Wucht der beiden Formen des Schaffens, des der Natur und des des Menschen, mit einander vergleichen, so ist zuerst nötig, den Kreis der Betätigungen zu umschreiben, in denen sich die menschliche Einbildungskraft auswirkt. Denn wohl ist die Kunst, von der bisher fast allein die Rede war, diejenige unter diesen Betätigungen, in der die Einbildungskraft sich am fessellosesten und deshalb am bezeichnendsten äußern kann, aber sie ist bei weitem nicht die einzige. Die Kunst rückt sich in diese Sicht nicht allein um der Freiheit ihres Schaffens willen, sondern auch wegen der Ähnlichkeit ihrer Werke: die freien, in Wahrheit wiederspiegelnden Künste, Malerei und Bildnerei stellen in ihren Gebilden eine zweite Natur neben die Natur, indem sie nur einige Abzüge vornehmen, die Malerei insofern sie das Abbild der Natur seiner Körperhaftigkeit, seiner Plastizität beraubt, die Bildnerei insofern sie auf die Farbe verzichtet. Die Künste, die man die angewandten, also gebundenen, genannt hat und die doch im Zuge des hier verfolgten Gedankenganges viel größere Ansprüche auf schöpferisches Bilden machen können als die freien, Baukunst und Zierkunst also — die man vielleicht besser noch Gerätkunst nennen sollte — wollen das Werk der Natur fortsetzen. Die Baukunst will, wenn sie Wohnräume schafft, Höhlen nachbilden, verbessern; wenn sie Mauern errichtet, ahmt sie Felsen nach. Die Gerätkunst will Sitzgelegenheiten oder Bergeräume noch einmal und diensamer herstellen. Die Dicht-, die Tanz-, die Schauspiel-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

kunst ahmten zum wenigsten sehr oft Natur und Leben nach, ingleichen die Tonkunst. Ist es zu gewagt, den Phantasiewert der Hervorbringungen der außermenschlichen Welt mit dem der Erzeugnisse menschlicher, künstlerischer Einbildungskraft zu vergleichen ? Alle Spiritualisten, alle Verfechter einer reinen Geistigkeit der Weltsicht, werden hier den Einwand erheben, daß jede Wertung und Würdigimg, die von uns aus dem Weltgeschehen zu Teil werden würde, so sehr den Stempel ihres ganz menschlichen Ursprungs an sich tragen würde, daß ihr eine gegenständliche, objektive, d. h. außer- und oberhalb beider verglichenen Tatbestände gewonnene Bedeutung überhaupt nicht zuerkannt werden könne. Darauf sei gesagt: es muß zugestanden werden, daß die Maßstäbe, die hier anzulegen sind, vom menschlichen Geist geformt sind. Aber einmal ist dies eine Eigenschaft, die sie mit allen Vornahmen der Wissenschaft teilen, sie ist geradezu die Voraussetzung für all unser forscherliches Tun. Sodann aber sind diese Maßstäbe gewonnen aus einer durch unsere Sinne gewährleisteten Anschauung und Inempfangnahme des Weltgeschehens. Führen wir also die als wirklich angenommene Welt nicht mit Kant auf das chaotische Ding an sich oder mit den Solipsisten strengster Richtung auf eine in unserem Geiste wirkende Ordnungsarbeit zurück — welche beiden Lehrmeinungen hier völlig außer Acht bleiben sollen — dann ist die Wirklichkeit der Welt und ihrer Einzelbeschaffenheit ganz ebenso sicher gegeben wie die ordnerische Denkarbeit unseres Geistes. Auf beiden Grundlagen dürfen wir aber unbesorgt einen Bau von Maßstäben errichten, der von den Gegebenheiten der Welt, von den von unserem Kunstdenken geschaffenen Ordnungen und Wertungen ausgeht. Diesem selben Kunstdenken aber dürfen wir zutrauen, daß es im Stande ist, Maßstäbe zu formen und von einer höheren, sachlicheren Ebene her das phantasiemäßige oder phantasieartige Schaffen der Welt mit dem der menschlichen Einbildungskraft zu

Phantasiewert der menschlichen und der Naturwerke.

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vergleichen und Beide auf den Grad ihrer objektiven Phantasiefruchtbarkeit zu aichen. Die erste Voraussetzung aber für diese Unbefangenheit wird sein, daß nur die Ergebnisse dieses Schaffens auf beiden Seiten verglichen werden, daß der Forscher, der so tut, nicht einen Augenblick vergißt, daß hier von der stummen und unbewußten Natur nur die ebenso stumme Sprache der gewordenen und vollendeten Tatbestände vernommen werden kann, der erst die ordnende und deutende Auslegung der Wissenschaft die Zunge lösen kann, und daß deshalb auf Seiten des menschlichen Schaffens unsere sehr viel eingängigere Kunde von Ursprung und Bedingtheit dieses Phantasiegeschehens hier völlig zum Schweigen gebracht und als ob sie nicht da wäre, bei Seite geschoben werden muß. Denn nur so wird in dieser Sache die Gerechtigkeit des Sehens und Urteilens sichergestellt, die allein die Wahrheit zu erkennen erlaubt, nur so sprechen auf beiden Seiten lediglich die gegebenen Tatsächlichkeiten ihre stumme und doch gewiß deutbare Sprache. Auf beiden Seiten muß hier ein Abzug vorgenommen werden, der sei es nur den Schein, sei es die Wirklichkeit der vergleichbaren Tatbestände an Umfang und Geltung vermindert. Auf Seiten der künstlerischen Betätigung der menschlichen Einbildungskraft ist im Voraus der schlechthin ungeheure Einfluß abzurechnen, den das Weltgeschehen als mittelbares oder unmittelbares Vorbild auf sie gehabt hat. Von diesem Einfluß wird an einem anderen Ort dieses DarlegungsZusammenhanges ausführlich zu handeln sein1, fürs Erste aber darf doch schon so viel beweislos behauptet werden, daß alle Realismen, alle Naturalismen der Kunstgeschichte ein unwiderlegliches Zeugnis von bewußter oder unbewußter Nachahmung des Weltbildes ablegen und daß noch die stilisierteste der Stil- und Formenkünste unverkennbare, >) S. unten Buch VI Abschnitt 3: Der Einfluß des Weltbildes auf die Entwicklung der menschlichen Einbildungskraft.

Braraig, Naturgeschichte and Memehheitigesohlchte.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

wenn auch verhüllte Spuren davon trägt, daß auch sie die allerwesentli'chsten Bewirkungen von der außermenschlichen Natur her erhalten hat. Und nun ist ersichtlich, daß alle diese Vorbild-Antriebe, die von dem Weltgeschehen, also auch von dem Weltschaffen auf das Menschheitsgeschehen, also auch auf das menschliche Schaffen übergehen, von diesem in Abzug gebracht werden müssen, denn alles, was von dort her kommt, ist nicht das freie Erzeugnis der menschlichen Einbildungskraft, sondern Leihgut, Erbe. Und wer die ungeheure Summe von erregender Kraft und ebenso von zur Nachahmung anreizendem, ja zwingendem Einfluß der Natur ermißt, dem möchte vielleicht schon jetzt, noch ehe er die beiden Wagschalen hat für die Endabrechnung gegeneinander schwingen lassen, ein wenig bange um die Gottähnlichkeit menschlichen Künstlertums werden. Auf der anderen Seite aber, der des Weltschaffens, wird freilich auch ein Abzug festgestellt werden müssen, der nur nicht dem Wie, sondern dem Was dieses Wirkens der Natur gilt; die Natur weiß noch nichts von den Spiegelungen, durch die die menschliche Kunst das Menschentum wie seine Umwelt zuerst auffängt, demnächst in absichtsvoller Änderung zu einer zweiten, geistgeborenen und insofern neu geschaffenen Welt erheben will. Dem Weltgeschehen ist wie jede Absicht, so insbesondere die einer Replik, einer ändernden, hier steigernden, dort fortlassenden Wiederholung von Welt- und Menschheitsgeschehen fremd und unzugänglich. Und doch erleidet dieser Abzug wiederum Einschränkungen, die diesen Tatbestand einer Stoffverringerung wiederum mindern und ihn also zu Gunsten des Weltschaffens zu einem Teil rückgängig machen. Es giebt innerhalb allen Menschheitsgeschehens einen Kernbereich, den man als einen ganz naturgeschaffenen Innenbezirk aus allem Menschheitsgeschehen wird ausnehmen müssen, da man dieses doch nur als ein geist- und willensbestimmtes wird ansehen können: es ist das Entstehen und

Abzüge auf beiden Seiten. Auswirkungsmöglichkeiten.

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Wachsen der Menschen selbst als körperlicher Wesen. Und da der Leib zugleich die Wurzelschicht für die seelischen Tätigkeiten und Fähigkeiten der untrennbaren Leib-Seelen-Einheit Einzelmensch darstellt, so umspannt dies schöpferische Geschehn der Natur nicht allein das Geschaffenwerden von immer neuen Menschenleibern, sondern auch Menschenwesen in ihrer Ganzheit. Und wer würde sich weigern wollen, weigern dürfen zuzugeben, daß alle Bildniskunst unserer Kunstgeschichte — das Wirken von Velasquez und Tizian, Holbein und Dürer, Donatello und Rodin, Graff und Lenbach einbegriffen — nur ein Lot ausmacht gegenüber dem Zentnergewicht dessen, was die unermüdlich zeugende Schöpferkraft der Natur an lebendigen Menschenbildern im Lauf der Jahrtausende hat entstehen lassen und immer weiter und weiter wird entstehen lassen. Doch, um zum Schluß zu kommen, die Entscheidung über das Gewichte-Verhältnis zwischen der Schaffensmacht der Natur und der der menschlichen künstlerischen Einbildungskraft wird doch nur dadurch herbeigeführt werden können, daß der Umfang des Geltungsbereiches und die Mannigfaltigkeit der Auswirkungsmöglichkeiten beider miteinander verglichen weiden. Und da kann doch keinen Augenblick ein Zweifel darüber obwalten, daß hier auf Seiten der Natur nicht eine mehrfache, nein eine hundert-, eine tausendfache Überlegenheit zu finden ist. — In den allernächsten Zusammenhang mit bestimmten Formen des Weltgeschehens setzt sich die Technik, die Werkzeugkunst. In ihren Anfängen verlängert sie mit den Werkzeugen, die sie schafft, lediglich unsere Gliedmaßen: der Stock ist der verlängerte Arm; Messer, Scheere, aber auch noch Spaten und Pflug nehmen das Werk der Hand auf. Alle Geräte der Fortbewegung vom Hand- und Pferdewagen bis zur elektrischen Bahn übernehmen und verbessern die Rolle des tragenden Menschenarms und Menschenrückens. Und für den gleichen Zweck sehen Flugzeug und Luftschiff dem Vogel das Wie und die Weise seiner Fortbewegung ab. Überall 12*

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

sind der ordnende Verstand und die planende Einbildungskraft des Menschen bemüht, die Wirkungsweisen dieser Werkzeuge zu vervollkommnen, aber der Grundstock der Erfindungen, der tragende Gedanke des neuen, des alleinmenschlichen Geschehens, sie sind uns von der außermenschlichen Natur eingegeben. Man mag darüber streiten, ob diese Erbstücke aus dem Urbesitz der Welt oder die Verfeinerungen und Verbesserungen, die die Menschheit an ihnen vorgenommen hat, für unser Bedürfen die höheren Werte darstellen. Aber daran wird kein Zweifel zuzulassen sein, daß wenn die Kräftespannungen verglichen werden sollen, die dort in dem Weltgeschehen und hier in dem Menschheitsgeschehen mächtig sind, das Übergewicht bei jenen zu suchen ist. Denn die ersten und zugleich die grundsätzlichsten Antriebe gehen von der außermenschlichen Welt und den natürlichen, körperlichen Gegebenheiten der Anlagen des Menschengeschlechts aus, die doch auch nur ein Erbgut von jenen her sind. Und bei solcher Reihung sind noch gar nicht die Anregungen, die Schulungen in Anschlag gebracht, die vom Weltgeschehen auf die künstlerischen, die technischen Betätigungen der menschlichen Einbildungskraft ausgegangen sind und die doch auch billiger Weise auf der Menschenseite in dem großen Kontobuch alles Geschehens in Abzug gebracht und der Seite der Natur gutgeschrieben werden müssen. Von ihnen soll später noch eingehend die Rede sein. — Für den heutigen Anblick, den das Bild dieses Vergleichs zwischen den Mitteln der Werkzeugkunst, die die Natur dem Menschengeschlecht in den Anfängen seines Bahnlaufs mitgegeben hat und den von ihm bis heute zugefügten Ausbildungen und Vermehrungen dieses Werkzeugvorrates, mag die Summe unserer Mehrleistungen in mehr als einem Stück überwältigend groß erscheinen. Aber ebenso gewiß ist, daß jeder der bald kleinen, bald großen Einzelfortschritte, die zu den bislang erreichten Zielen führten, im Zeichen einer ununterbrochenen, nie sprunghaften Fort-

Schulung durch die Natur, ihre überlegene Bildnerkraft.

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entwicklung vollzogen worden ist u n d daß noch für den kleinsten Handgriff, den die Einbildungskraft schöpferischer Bildner hier neu zugefügt hat, das Weltgeschehen selbst der Lehrmeister war. Immer waren diese Schaffenden Nachschaffende, waren anfänglich Finder, dann erst Erfinder und immer hat zuerst das Wissen um die Gegebenheiten der Natur die Bahn für das neue Tun des Menschen frei gemacht. Ganz im gleichen Sinn wie im Reich der Kunst, so muß auch in dem der Werkzeug-Forschung, muß mithin von der Summe der Leistungen und somit auch von der der bildnerischen Kräfte, die sich in ihnen ausgewirkt haben, ein Bruchteil in Abzug gebracht werden, der bei weitem den Rest von selbständigem Schaffen übertreffen mag, der unserem Geschlecht zu seinen Gunsten verbleibt. I n Wahrheit mag selbst diese etwas ängstlich besorgte Abzugsberechnung überflüssig sein, denn wenn, worauf es doch letztlich entscheidend ankommt, die Leistungsfähigkeit der auf das Werkzeug gerichteten Bildnerkraft der Natur mit der gleichen Betätigung des menschlichen Geistes verglichen werden soll, so ist das Übergewicht auf Seiten des Weltgeschehens so unermeßlich, daß jene Abzüge gegenüber dem Endergebnis kaum in die Wagschale fallen. Schon die verhältnismäßig einfachen Triebwerke, die das anorganische Reich in dem Kernbezirk der Urkörper aufweist, sind in Hinsicht auf Zusammengesetztheit, Antrieb und Bahnenlauf ihrer Urbestandteile den nächstverwandten Erzeugnissen menschlicher Werkzeugkunst bis zur Unerreichbarkeit überlegen. U m sich ein Bild von dem möglichen Aufbau eines Uran-Atoms zu machen, h a t menschliche Forschung eines sechstausendjährigen Entwicklungsganges bed u r f t ; von ihm eine völlig unselbständige Nachbildung zu liefern, von solcher Fähigkeit würde unsere gegenwärtige Werkzeugkunst noch um Siriusweiten entfernt sein. Schon die unsägliche Kleinheit der Maße würde ihr bei solcher Bemühung unübersteigliche Hindernisse in den Weg legen:

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Urkrälte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

noch weniger aber würde ihr gelingen, die vorwärts treibenden Kräfte oder gar die anziehenden und die abstoßenden auf die tragenden Teilkörper des Atoms in genauer Abmessung zu verteilen. Und wird ein so durchaus physikalischer Vorgang wenigstens nicht ganz und grundsätzlich aus dem Bereich menschlicher Nachbildungskraft hinausgewiesen, so bleibt die Aussicht auf solche Möglichkeiten in Bezug auf die meisten zusammengesetzten Vorgänge im organisch-biischen Reich, wenn nicht für immer, so doch noch für kaum absehbare Zeiträume versperrt. Noch ist nicht gelungen, den untersten Baustein dieser Bauwerke der Natur, das Eiweißmolekül nachzubilden; vor dem Gedanken aber, ein lebendiges Wesen noch der niedersten Ordnung mit Menschenhand aufzubauen, würde auch der heutige Forscher wie vor einem Frevel zurückscheuen. Und was den Körper der höheren und höchsten Lebewesen angeht, so ist bezeichnend, daß die feineren Gestaltungen seines Baus wie seines Wirkens, etwa die menschlicher Gehirne noch weit, weit hinter den Grenzen unseres sinnlich-geistigen Erkennens verborgen sind. Es wird nicht heißen dürfen, die letzten Ziele menschlichen Forschens und menschlichen Nachbildens in allzu bescheidene Nähe zu stecken, wenn die Vermutung ausgesprochen wird, daß es beiden nie gelingen wird, ein Triebwerk von der billionenfachen Zusammengesetztheit des Baus und dem drei Mal verborgenen Kräftespiel seiner Tätigkeit, wie es das menschliche Gehirn darstellt, völlig zu durchdringen, geschweige denn nachzubilden. Von allen diesen Vergleichen, über die das Auge, aus Scheu vor Selbstverständlichkeiten, nur leise und schnell fortzuschweifen wagt, kehrt es doch mit der eisern fest sich wiederholenden Erkenntnis zurück, daß die Überlegenheit der Welt in Sachen des Werkzeuggeschehens über das Vermögen des Menschen sie nachzuahmen oder, wie ihm dünkelhafter Wahn zuweilen vorspiegelt, sie gar zu übertreffen, so übergroß ist, daß ihm vermutlich bis an das Ende der

Das Lebende unnachbildbar. Querverbindungen der Technik.

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Tage Demut und nicht Hochmut in diesem Verhältnis geboten sein wird. Daß ein solcher Hochmut überhaupt aufkommen konnte, mag vornehmlich von dem Umstand herrühren, daß es dem menschlichen Erfindungsgeist gelungen ist, so oft mit seinen Werkzeugen die Grenzen zwischen den einzelnen Bezirken, ja selbst zwischen den großen Reichen des Weltgeschehens zu durchqueren und Einzelformen dieses Geschehens mit einander zu einheitlicher Wirkung zu verbinden, die einander völlig fremd sind. So etwa, wenn er zu Heilzwecken durch Bestrahlungen mit ultravioletten oder mit Radiumstrahlen auf den menschlichen Körper einwirkt. Aber auch solche Querverbindungen sind in kaum übersehbarer Menge vom Naturgeschehen selber hergestellt worden und zwar in einer Zusammengesetztheit der Teile, einer Feinheit der Kräfte, die alle Möglichkeiten des Menschentuns weit hinter sich lassen: man gedenke nur der Umgestaltungen der Tätigkeiten und der Bauformen an Pflanzen und Tierleibern, durch die sie sich in Veränderungen ihrer anorganischen Umwelt eingefügt haben; das weite Reich der Anpassung ist von ihnen erfüllt. Jene Querverbindungen, die der Mensch herstellt, bilden im Grunde nur eine Gruppe von Sonderfällen in dem weiteren Bereich derjenigen Vorkehrungen menschlicher Werkzeugkunst, durch die sie sich absichtsvoll Wege der Erkenntnis oder der Bewirkung von Naturgegebenheiten eröffnet hat, die zwar allenfalls auch als Fortsetzungen von Formen des Weltgeschehens zu gelten haben, aber sie in Bezirke hineintragen, in denen die Natur keine Seitenstücke zu ihnen kennt. Als Beispiele mögen Fernrohr und Mikroskop, Flugzeug und Luftschiff genannt sein. An diese aber ist folgerichtiger Weise der noch weiter reichende Begriff des von Willen und Überlegung geleiteten technischen Tuns zu knüpfen, mit dem allerdings alle menschlichen Werkzeuge weit über die dem außermenschlichen Weltgeschehen gesteckten Grenzen hinausreichen.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Knnst and Technik.

Es ist nicht von ungefähr, daß alle Erörterungen, die von den Anwälten der Nur-Geistigkeit aller Technik bis in die Nähe der hier aufbrennenden Frage geführt werden — ganz umfaßt ist sie von ihnen gewiß noch nicht — schon in ihren ersten Begriffsumgrenzungen von der sicher vorgefaßten Lehrmeinung ausgehen, daß schon die Bezeichnungen von Technik, also von Werkzeugkunde und Werkzeugkunst den Teilbegriff von Absicht und Bewußtheit in sich enthalten und deshalb ausschließlich auf das menschliche Tun bezogen werden können. Doch damit wird im Grunde nur eines von den doppeldeutigen Grenz-Denkbildern geschaffen, durch die es in der reinen Erkenntniswissenschaft und leider auch in den überwiegend begrifflich behandelten Bezirken der Erfahrungswissenschaften zu so vielen erbitterten und letztlich unfruchtbaren Streitigkeiten kommt, die eigentlich nur glitzernde Halbwahrheiten sind, in ihrem innersten Kern Setzungen-im-Voraus, durch welche dem wirklichen Weltbild Gewalt angetan wird. In Wahrheit umfassen die Begriffe Technik und Werkzeug ein Doppeltes, einmal nämlich — so wie sie hier von vornherein angewandt worden sind — ein Objektives, Gegenständliches : die Form des Zusammengesetztseins und des Zusammenwirkens der Urbestandteile der Welt, zum zweiten aber das gleiche Sein und Geschehen insoweit es vom Menschen wissentlich und willentlich herbeigeführt und gelenkt wird. Kein Zweifel, auch der zweite, engere Begriff ist unentbehrlich und vielleicht für das Menschheitstun noch wichtiger als jener erste, allgemeinere; aber ebenso gewiß ist auch dieser umfassendere Ausdruck notwendig und nicht zu missen, am wenigsten für die Zwecke einer Weltund Menschheitsgeschichte gleichermaßen umspannenden Werdenslehre. Auch der voreingenommenste Verfechter spitualistischer, also nur-geistiger Auffassung von Menschentum und Menschentun wird nicht leugnen können, daß von einer Technik des Sonnensystems und — mit dem deutschen

185 Wort — von Elektronen als Werkzeugen des Atoms, von den Gliedmaßen als den Werkzeugen des tierisch-menschlichen Leibes gesprochen werden kann, darf und muß. Freilich offenbart sich bei dieser Gelegenheit nur wieder das gleiche Übel, an dem die Forschung aller Bezirke täglich und fast stündlich zu leiden hat, die Armut des Wortvorrats unserer Sprache, die sich besonders dann sehr empfindlich geltend macht, wenn die Prägung neuer Kunstausdrücke — griechisch-lateinischer, aber auch deutscher — grundsätzlich vermieden werden soll. Der Schaden, der durch die doppelte Verwendung der gleichen Ausdrücke in diesem Falle angerichtet werden kann, besteht eben in der schon angedeuteten Möglichkeit, daß den Begriffen Technik, Werkzeug von vornherein die Bedeutung einer nur mit Willen und Bewußtsein, also ausschließlich vom Menschen zu schaffenden und auszuübenden Betätigung beigemessen wird. Mit einigem guten Willen, d. h. ohne die Absicht einer doppelsinnigen Verdunkelung ist aber dieser Übelstand zu vermeiden, wenn eindeutig erklärt wird, ob den beiden Beziehungen der weitere, gegenständliche, weltische, d. h. kosmozentrische oder der engere, subjektive, anthropozentrische, vom Menschen als Mitte ausgehende Sinn unterlegt werden soll. Einen Vorteil aber bietet die weite Spannung der Begriffe: sie läßt unmißdeutbar klar erkennen, daß das technische, das werkzeughafte Geschehen die außermenschliche, wie die menschliche Welt gleichermaßen umspannt. Und wenn sicher ist, daß es weder Menschenhand noch Menschengeist gelungen ist, in diesem Betracht den Grad der Zusammengesetztheit der Teile oder die Feinheit des Kräftespiels ihrer Umwelt auch nur von ferne zu erreichen, so ist anderseits unbestreitbar, daß das Tun des Menschen von dem Geschehen der Welt grundverschieden ist, eben weil es ein Tun ist, und daß ihm eben darum Eigenschaften zukommen, für die es an jedem Seitenstück außer seinem Bereiche fehlt. Doch soll davon erst später die Rede sein.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Schaffensmacht des Glaubens.

Drittes

Hauptstück.

Die Überlegenheit des Naturschaffens über das Menschheitsschaffen in Glauben und Forschung. Erstes Stück. Die S c h a f f e n s m a c h t des

Glaubens.

Nicht auf dem Wege körperlich-sinnlicher Nach- und Neubildungen, aber mit den Mitteln ahnender Geistigkeit hat der Glauben Vorstellungen, dann Vorstellungskreise und schließlich ganze Vorstellungswelten geschaffen, die mit der sinnlich greifbaren Wirklichkeit zwar gar nichts zu t u n hatten, dem Umfang ihres Dartuns nach aber von einer Reichweite waren, die zuletzt die Grenzen der gesamten sichtbaren Welt erreichten. Und sie verbanden damit den Anspruch auf eine Lebensbewirkung, die die wirkliche Welt wohl nur auf das Unterbewußtsein des Menschengeschlechts ausgeübt hat. Der Glauben begann in seinen Anfängen mit Denkerzeugnissen, die den Einzelstücken der den Menschen umgebenden Welt Eigenschaften und Fähigkeiten zusprachen, die wenig oder weit über das von ihnen mit den Sinnen wahrzunehmende Bild hinausgingen. Diese Überseinsbilder wurden aus einem tiefen Drang einmal nach dichterischer Aufhöhung der geahnten Daseinsform, sodann aber nach Unterordnung, ja Unterwerfung unter die geahnten und mit höherer Gewalt ausgestatteten Wesen mehr und mehr gesteigert. Waren es zuerst Pflanzen, Tiere, sichtbare Wesen, die man zu Geistern emporhob, so wurden es später unsichtbare oder nur selten sichtbar werdende Geister und Götter. Ein Totenreich schloß sich an als Wohnsitz der Verstorbenen und in einer staffelreichen Stufenfolge haben sich die Götter- und Gottesbilder gesteigert bis zu der Gipfelvorstellung eines allmächtigen, allwissenden, allregierenden, all-einen Gottes in dem Christentum, das die die Erde und ihre Völker beherrschende Glaubensform wurde.

Überseinsbilder, Tatnähe des Glaubens.

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Der Glauben, den wir nach dem Ursprung und der Beschaffenheit seiner Gebilde ganz dem geistigen Tun des Menschen zurechnen, ist dies doch nicht allein, sondern — das wird eigens unmißdeutbar ersichtlich, wenn man dem hier eingeschlagenen Gedankengang folgt — er will eine neue Welt neben der alten Welt nicht schaffen, wohl aber entdecken. Denn eben die Wesen und die Reiche, an deren Sein der Glaube glaubt, werden dem geistigen Geschehen nach zwar von der ahnenden Einbildungskraft und dem sie stützenden und ordnenden Verstand in den leeren Raum der Nichtwirklichkeit hineingebaut; aber so sieht nur unser, das von außen her auf das Geschehen des Glaubens blickende Schauen. Der Glaube selbst aber sieht sich und sein Tun ganz anders: er behauptet, er habe ein vorlängst oder gar ewig bestehendes Sein entdeckt: eine Überwelt neben der Welt, die, wertvoller und wichtiger als diese selbst, von jeher war. Verbindet man diese beiden Sichten, die vom unbefangenen Sehen auf den Glauben und die vom Glauben auf sich selbst gerichtete, so stellt sich als Ergebnis heraus, daß der Glaube, der nur eine Überwelt, eine andere Welt zu entdecken vermeint, diese zweite Welt neben der Welt schafft. Er tut dies freilich nur im Raum seines VorstellungsVermögens, aber was er da bildet, ist nicht ein reiner Denkvorgang, wie wir Geistigen nur allzu leicht wähnen, sondern er ist eine aus dem Willen geborene Tat, die eine Welt, wenngleich nur im Bilde, schafft. Aber eben um dieser Tatnähe, dieser Ähnlichkeit mit einem Schöpfungsakt willen ist gerade diese Auswirkung und dieses Werk der zeugerischen Macht des Naturschaffens am nächsten. Wie sehr, das soll an einem anderen Ort des auf diesen Blättern errichteten Gedankenbaus eingängig dargetan werden 1 . Gerade um dieser Nähe willen erhebt sich um so dringender die Forderung nach einem Vergleich zwischen beiden Betätigungsformen des Weltgeschehens, nach einer Antwort auf die Frage, welcher von ihnen das höhere 1

) Vgl. in dem auf den heut vorgelegten Band folgenden Teil dieser Reihe Buch II: Urgeschehen und Geistgeschehen.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Schafiensmacht des Glaubens.

Maß von Phantasiebetätigung zuzusprechen ist. Wobei Phantasie selbstverständlich wieder in einem Sinn höherer Ebene verstanden ist: oberhalb der menschlichen Einbildungskraft, aber in der Richtung ihrer Betätigung. Mit anderen Worten, es soll auf das Weltgeschehen eine Sicht im gleichen Beobachtungswinkel wie auf das menschliche Schaffen gerichtet werden. Und es soll dabei zum zweiten völlig von Wie und Weise des Zustandekommens der Gebilde abgesehen und nur die Tatsächlichkeit, die Faktizität ihres Aufbaus in Betracht gezogen werden. Es kann bei einem solchen Vergleich gar nicht auf den Gesamtumfang, geschweige denn auf die Vollständigkeit der Teile einer Formenlehre ankommen. Es möge genügen von dem Gipfelerzeugnis der den Glauben schaffenden Einbildungskraft, von dem christlichen Gottesbilde des AllEinen auszugehen. Das Denkbild dieses Gottes ist gewaltig: es ist das größte, das menschliche Einbildungskraft je geschaffen hat, die aller Künste, ja auch die, die sich in Taten umgesetzt hat, mit einbegriffen. Es ist die größte Summe von Macht, die höchste Form von Persönlichkeit, die hier in einem Träger zusammengedrängt ist. Gewiß hat das Weltgeschehen auch hier dem Schaffen des menschlichen Geistes Vorschub geleistet: die Welt bot ihm die Gestalt des Menschen, aus der als einem Grundstock menschliches Ahnen und menschlich-unstillbares Verehrenwollen in immer neuen Umdeutungen und Steigerungen endlich dieses höchste Gipfelerzeugnis des Glaubens hat hervorgehen lassen. Und sie hat für die Ausgestaltung dieses höchsten Glaubensbildes auch sich selbst als Unterlage dargeboten: indem sie sich als Schöpfung darstellte, wurde sie zum Zeugen und Verkünder seiner Macht und seiner Weisheit: ihre Herrlichkeit leistete Gewähr für die seine. Doch ist dies wahrlich nicht das Einzige, was die Welt diesem höchsten Gipfel menschlichen Ahnens und Bildens entgegenzustellen hat. Es giebt eine Weltsicht, die das

Höchste Glaubenssichten.

Uneinheitlichkeit der Welt?

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Weltgeschehen als ein Ganzes liebend u m f a ß t , mit so völliger Hingabe, daß, wenn sie die eigne Gesinnung Weltfrömmigkeit nennt, m a n ihr diese ihre W e r t u n g des eigenen Verhaltens k a u m wird verwehren dürfen. Völlig gleichgültig ist, ob m a n ihre Anhänger wird religiosi nennen dürfen, doch werden sie dies f ü r sich in Anspruch nehmen dürfen, daß ihre Stellung zur Welt, verglichen mit dem anthropozentrischen Weltbild K a n t s oder heutiger Gesinnungsverwandter, unendlich viel frömmer d. h. liebend verehrender ist als die Meinung dieser Denker, die die Allherrschaft des menschlichen Geistes als einzigen Ordners der Welt mit so viel H o c h m u t vertreten u n d die Welt f ü r einen chaotischen Geröllhaufen form- u n d namenloser Dinge erklären. Man wird sagen dürfen, daß diese Anschauung der Welt als eines großen, lebendigen Insgesamts, in das der Mensch sich tief eingebettet f ü h l t u n d weiß, im Grund der Daseinslehre aller vorkantischen Philosophien, ja auch aller höheren Glaubensformen viel verwandter ist als die Sehweise der Transzendentalen Ästhetik K a n t s u n d aller ihrer Anhänger 1 . Denn wenn sie auch der Vergöttlichung des Weltgeschehens sich entziehen will, so sieht sie doch den Menschen, wie aller Glauben höherer Stufen, als das Glied eines lebendigen Ganzen, eines leibhaften Weltgefüges. Ein Einwand ist denkbar, der sich als erster auf den K a m p f p l a t z dieses Streites drängen möchte: es ist die erregte Gegenfrage: ob denn nicht die Welt eine Vielheit von Dingen, von unzählbar vielen Dingen sei u n d also denkbar weit von einer Einheit entfernt u n d eben deswegen also dem Gedanken des Einen u n d Einzigen Gottes denkbar an zwingender, vereinheitlichender K r a f t unterlegen ? Doch gerade hierauf werden die Verteidiger einer rein kosmischen, ganz weltischen Weltsicht mit aller Gelassenheit erklären: mit Nichten, die Welt ist nicht eine Summe von sehr zahlreichen, an sich aber selbständigen u n d n u r addierbaren 1

) Man vergleicht vielleicht die nähere Ausführung dieser Kritik an Kants Lehrbau in der Schrift: Der Aufbau der Persönlichkeit von Kant, aufgezeigt an seinem Werk (1931) 137 ff.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Schaffensmacht des Glaubens-

Einzelstücken. Sondern im Gegenteil: die Welt ist nicht viele Dinge, die Welt ist e i n Ding. Schon der Begriff Ding im Sinn eines selbständigen und abtrennbaren Einzelstücks der Welt ist ein Erzeugnis unserer begrifflichen Willkür und zugleich ein Zeichen unserer geistigen Schwäche, die immer da sich offenbart, wenn es gilt die Welt in der ganzen Fülle ihres Wesens zu begreifen. Wir unterscheiden das Ding Blatt und tun wohl daran, so lange es sich darum handelt einen Teil vom Teil der Pflanzenwelt zu bezeichnen, die Wissenschaft uns erforschen heißt. Fragen wir aber nach der Unabhängigkeit dieses sogenannten Dinges, so findet es sich in eine unabsehbar lange Kette von anderen Einzelstücken der Welt eingefügt, von deren jedem es in Wahrheit abhängt: vom Zweig, vom Baum, von der Flüssigkeit, der Nahrung die dieser Baum mit seinen Wurzeln aus dem Erdreich, die derselbe Baum mit seinem Wipfel aus dem Luftreich zieht, und über diese beiden großen Spenderreiche fort geht ein unabsehbares Strömen und Rückströmen von Geschehen, von dem kein kleinster Teil aus jener Kette der wirkenden und bewirkten Weltzusammenhänge fortgedacht werden kann und das sein Ende erst am Ende der Welt findet oder vielmehr, da die Welt keine Grenzen hat, mit dem All in allen seinen Teilen verbunden ist 1 . Es gibt in Wahrheit nur ein Ding, das Ding Welt. Und da dieser Sach-, dieser Geschehenszusammenhang durch alle diese Verkettungen zur Einheit verbunden, durch das Gesetz, das ja nur Regel und Band ist, eisern fest zusammengeschmiedet ist, so ist sie, die Welt, die einheitlichste Einheit, ja im Grunde die einzige Einheit, die wir kennen. Und die Weltsicht, die von diesen Tatsachen ausgeht, wird geneigt sein, die Gottesanschauung zwar wie ein köstliches Gut der Vergangenheit, als die höchste Hervorbringung der menschlichen Einbildungs- und Bildnerkraft zu verehren, aber sie wird sich weigern, das Weltbild des Glaubens x

) Vgl. über die weiteren Folgerungen aus dieser Grundsetzung unten Buch IV, Abschnitt 4. Stück 4: Das Ding Welt.

Das Ding Welt.

Verpers0nlichen.de Weltvereinheitlichung.

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als ein dem ihren überlegenes anzuerkennen. Denn nur auf die Leistung des menschlichen Geistes kann es ja in Sachen des Glaubens ankommen, das Dasein Gottes als Tatbestand ist aller menschlichen Erkenntnis entrückt und kann ebenso wenig bewiesen wie geleugnet werden. Aber als Erzeugnis des bildnerischen Geistes der Menschheit wird diese Weltsicht den Glauben, der seinem Ursprung nach ein Erzeugnis des mythischen Entwicklungsalters der Geschichte unseres Geschlechts ist, nur als zeitbedingt und deshalb zeitbegrenzt ansehen können und wird ihm die personifizierende Auffassung des Weltgeschehens nicht als Vorzug, sondern weit eher als Schranke anrechnen, wird ihm entgegenhalten, daß der Gottesgedanke, die Gottesgestalt an sich eine Auswirkung gesteigerten Menschentums ist, die zwar als eine Form geistiger Vereinheitlichung des Weltgeschehens anerkannt werden m u ß d i e aber als solche den Stempel mythischer Anthropomorphisierung auf das deutlichste an sich trägt. Denn wenn der größte Denker des kirchlich-christlichen Glaubens, wenn Graf Thomas von Aquino Gott als den Ursächer, den Täter preist, so wird diese Setzung durch die aus der gleichen Anschauungsweise geborene Gegenfrage: wer aber war der Macher dieses Machers ? nur allzu bald entwaffnet. Diese verpersönlichende Form der Vereinheitlichung des Weltgeschehens war nicht zeitenthoben, nicht überzeitlich genug, um von wissenschaftlichem Sehen als allgemeingültig anerkannt zu werden. J a die Anhänger einer außerreligiösen Weltfrömmigkeit werden ihr entgegenhalten: unser Weltbild, das die Welt als Einheit eines lenkerlosen, aber völlig streng gefügten Geschehensganzen umfaßt, tritt für eine höhere Form der Weltganzheit ein: der AllEine ist groß, das All-Eine größer. Denn Verpersönlichung ist zwar auch Vereinheitlichung, Diese logisch-soziologische Eigenschaft der Gottesvorstellung ist, wie ich glaube, erstmalig dargelegt worden in der Abhandlung: Einheit als Geschehen (Soziologisches Jahrbuch, hrsg. von Salomon I [1925] 115—136).

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Schöpferkraft der Foraohong.

aber sie ist ein Erzeugnis noch einfacher, noch jugendlicher Sehweise. Sie beruht auf einer Setzung im Voraus, d. h. einer sehr phantasie-, sehr willensstarken Vornahme halb dichterischer Weltschau: Wissenschaft aber will nicht dichten, will nur wissen. Den eisern fest gefügten Bau eines myriadenfach zusammengesetzten Weltganzen als Einheit zu begreifen, gewährt zuletzt selbst dem Geist, der Erkenntnis u n d Bild will, eine größere Genugtuung als die ganz dichterische und nicht erkennende Gott-Welt der Sicht des Glaubens. Und so läßt sich die Erhabenheit der Schöpfermacht der Welt als der der menschlichen Bildnerkraft noch in deren höchstem Erzeugnis überlegen erkennen.

Zweites Stück. Die Schöpferkraft der Forschung. Noch eine Tätigkeit des Geistes hat das Menschengeschlecht ausgebildet, die allerdings nicht absichtlich der Schaffenskraft der Phantasie sich unterworfen hat, ja die im Grundsatz solche Unterwerfung als ihrem besonderen Wesen unangemessen ablehnt und die doch, sei es bewußt sei es unbewußt, sich der Einbildungskraft als eines unentbehrlichen Werkzeugs vom ersten bis zum letzten ihrer Schritte, von der einzelnsten bis zur umfassendsten ihrer Maßnahmen hat bedienen müssen. Jedes Bild, das man von dem Wirken der menschlichen Einbildungskraft entwerfen wollte und das der Wissenschaft nicht gedenken wollte, wird unvollständig sein. Ja zuweilen sind in der Reihe der Entwicklungsalter auch der kunstreichsten Völker einzelne gewesen, in deren Phantasieerzeugnissen die der Forscher die stärksten und kühnsten waren. Piatons Ideenlehre wird durch kein griechisches Kunstwerk seines Zeitalters an Weite des Wurfs, an Wucht der Erfindung übertroffen und der Dom von Hegels Daseins- und Weltlehre, die ja der letzte Weltmythus

Bund von Einbildungskraft und Verstand in der Forschung.

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war und zugleich der einzige, den ein Mensch später Zeiten in seinem Haupt erzeugt hat, wird als Werk dichterischer Bildnerkraft nicht unter den Zweiten Faust gestellt werden können. Von den frühesten Anfängen wissenschaftlichen Denkens, die sich am folgerichtigsten, am erfolgreichsten im Aufbau der keimenden Metaphysiken der Urzeit wie etwa der Inualehre der Eskimo, der Orendalehre der Irokesen ausgewirkt haben, hat sich in das kleinste wie in das größte Tun der Forschung die Einbildungskraft als eine so unentbehrliche Bundesgenossin dem die Wirklichkeit aufnehmenden und ihre Bilder ordnenden Verstand zugesellt, daß man alle Wissenschaft überhaupt wie das Erzeugnis eines Bundes beider Seelenkräfte anzusehen geneigt ist. Keine noch so reine, noch so sehr auf sich beschränkte Beschreibung von Natur- oder Menschendingen ist möglich, die nicht zuvor Begriffe gebildet, d. h. abgegrenzte Denkbilder und Denkbezeichnungen von ihnen geschaffen hätte. Und das wieder ist nur möglich durch eine mit dieser Vornahme Hand in Hand gehende Festsetzung von Sammelbegriffen einer etwas höheren, d. h. etwas allgemeinere Begriffsebene. Denn erst durch eine InBeziehung-Setzung der Einzelbilder mit den nächst höheren Sammelbegriffen ist eine sichere Abgrenzung der Bilder der Einzeldinge und damit auch ihre einfachste Beschreibung möglich. Einen solchen Sammelbegriff zu finden ist aber dem forschenden Geist ohne die zuerst versuchend und tastend vorgehende Beihilfe der Einbildungskraft unmöglich. Denn diese erfindet zunächst Denkbilder, deren Fassungskraft nachzuprüfen Sache des nunmehr erst hinzutretenden ordnerischen Verstandes ist. Von dieser einfachsten und docli für alle späteren Bauten der Wissenschaft den Grund legenden Gattung von Vornahmen bis zu den höchsten und kühnsten, weitesten und anspruchsvollsten Untersuchungen der Forscher führt nun eine staffelreiche Stufenleiter aufwärts, die doch auf keiner der von ihr erreichten Ebenen die Zeugnisse eines gleichen Bundes vermissen läßt, mögen sie auch nach Art und Lagerung dieses B r e j t l g , Naturgeschichte uud Menschhelttgeichtchte.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt und der Forschung.

Verhältnisses von Arbeitsgemeinschaft beständig wechseln. Noch die weitesten Systeme, wie Linnes Ordnungen für das Tier-, Pflanzen- und Mineralreich oder die kühnsten EinzelSchlußfolgerungen wie Newtons große Naturgesetze sind Hervorbringungen auch der wagemutigsten Einbildungskraft. Andere, in denen sich die Forschungsweise ihrer Urheber minder strenge Regeln gesetzt hat, weisen eine noch viel weiter ausgedehnte Anteilnahme der Phantasie an dem Wie und dem Was ihres Schaffens auf: Herders Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit etwa und Vicos Neue Wissenschaft, die einen noch vollständigeren Bau der Menschheitsgeschichte entwerfen wollte, als Herders Werk. Zum mindesten bei Vico ist hier auch schon der Übergang von der aufbauenden, der induktiven, vom festen Bodeij der Erfahrung aufwärts klimmenden Forschungsweise zur deduktiven, ableitenden, von Setzungen-im-Voraus abwärts steigenden, nicht mehr zusammensetzenden — also synthetischen — sondern auflösenden — also analytischen — Weise bauender Wissenschaft vollzogen. Vico wollte zwar auch rein-erfahrungswissenschaftlich, von unten her aufbauend, also induktiv vorgehen, aber da seine Neue Wissenschaft ja zugleich eine Philosophie und zwar eine aprioristische, gänzlich deduktive sein wollte, so streckte er zugleich auch, wie es seiner sehnsüchtig-ehrgeizigen Seele entsprach, schon die Hand nach dem ganz anders gearteten Kranz der Metaphysik, also einer aus Setzungen-im-Voraus nach abwärts leitenden Wissenschaft aus. An sich ein Versuch, hölzernes Eisen zu schaffen und doch ein großartiges Geistwerk1. Die Anläufe und Vollendungen eigentlicher Metaphysik, übererfahrungsmäßiger Daseinslehre, sind vollends überwiegend Hervorbringungen der Einbildungskraft. Hegel, der den großartigsten Bau dieser Forschungsgesinnung aufx

) Vgl. die vorläufigen Darlegungen von Peters (Der Aufbau der Weltgeschichte bei Giambattista Vico [1929] 15ff.) und mein Vorwort (S. X).

Forschung als Bezeugung menschlicher Schaffensmacht.

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gerichtet hat, liebt es freilich, die Bausteine für seine Gedanken den Einzelwissenschaften zu entnehmen und sprach sich auch nicht das Recht zu, in deren Formung und Fügung einzugreifen. Aber die Kuppel seines Weltgedichts, seiner Trilogie der Schicksale des Geistes, die er auf den so errichteten Grundmauern emportürmte, war wahrlich ein Werk dichterischer Einbildungskraft. Wo aber der metaphysische Drang die großen Schöpfer des reinen Gedankens nur zu der Aufstellung einzelner Sätze, sei es der Daseins-, sei es der Erkenntnislehre, leitete, Sätze, die in den Gebirgszügen der Philosophie sich wie nadelartige Pics über alle anderen Berge erheben, Sätze wie Descartes' Cogito ergo sum oder Kants Ding an sich, da vollzieht sich im Grunde der gleiche Vorgang. Mögen einzelne von diesen Forschern höchsten Ranges auch, wie Kant getan hat, immer von neuem versichern, daß sie sich nur vom Verstand leiten lassen, nur die Wirklichkeit erfahrungsmäßig erkunden wollen, mögen sie sogar, wie wiederum Kant vornehmlich es tat, Wort und Begriff Metaphysik zeitweise gehaßt und sie mit dem großen Bann eines Fluches aus dem Tempel der reinen Wissenschaft verstoßen haben: was sie empor zu ihren obersten Setzungen-im-Voraus trieb und trug, war wahrlich eine Auswirkung schöpferischer und wenn man will fast dichtender Einbildungskraft. Und der höchste Kant fühlte sich dieses seines Tuns so sicher, daß er von einer der kühnsten seiner Setzungen-im-Voraus, von seinem kategorischen Imperativ aus nicht allein der Sittenlehre, sondern dem Leben der Menschheit selbst seine Gebote erteilte. So erscheint denn das Werk der Forschung als in weiten Maßen und in tiefen Verwurzelungen bedingt und bestimmt durch die Mittäterschaft der Einbildungskraft und es ist eine der stärksten Bezeugungen der Schaffensmacht des Menschen. Allein, und hier beginnt für den Vergleich zwischen seiner Schaffensmacht und der der Natur, der das eigentliche Ziel dieser Untersuchungsreihe ist, die Gegenrechnung: sollte sich wirklich eine Überlegenheit dieses Menschen13*

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Urkrälte: Schöpferkraft der Welt und der Forschung.

Werkes über das Weltwerk der Wirklichkeit herausstellen ? Ist ein solches Ergebnis nicht noch um vieles unwahrscheinlicher, als wenn die Schaffensmacht der Kunst an der der Natur gemessen wird, da doch wahrlich die so viel fessellosere Kunst an sich sehr viel mehr Aussichten hat, diesen Wettbewerb siegreich zu bestehen, als die durch ihr Wesen so viel fester gebundene Wissenschaft? Was ist denn die Grundabsicht aller Forschung im Gefüge des Menschheits- und des Weltgeschehens ? Doch nur durch und für den menschlichen Geist ein Spiegelbild der Welt zu gewinnen. Wenn aber Spiegelung der Wirklichkeit ihr Amt und Aufgabe ist, so wird damit im Grunde schon diese Grenze ihres Tuns offenbar, daß gerade der Teil ihrer Tätigkeit, von dem hier allein die Rede ist, die von der Einbildungskraft ausgeübte, gerade gar nicht auf das Ziel einer Übertreffung des Weltgeschehens an bildnerischem Schöpfertum hingewiesen ist. Im Gegenteil, es ist eines ihrer Grundgesetze, mit den Gebilden ihrer Einbildungskraft nie und nirgends über die von der Wirklichkeit selbst erreichten Grenzen hinauszuschießen.

Drittes Stück. E i n b i l d u n g s k r a f t und Forschung. So ist von vornherein für die Forschung, auch insoweit sie sich der Einbildungskraft als eines Mittels und Werkzeuges bedient, eine unübersteigliche Schranke gesetzt: ihr wird geradezu verboten, dem Stoff nach über das Urbild der Welt, dessen Wiederspiegelung ihr zum Ziel gesetzt wird, hinauszudringen. Wohl läßt sich sagen, daß die geistigen Verknüpfungen, die die Forschung in dem von ihr entworfenen Weltbild allerdings ganz selbständig angebracht hat, einen Bestandteil dieses Bildes ausmachen, der, weil er durch keine Beschreibung zu erreichen, d. h. nicht an der Oberfläche des Geschehens abzulesen ist, von der forscherlichen Einbildungs-

Schranken, Zurückbleiben hinter dem Urbild.

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kraft hinzugeschaffen werden muß. Und ebenso gewiß ist, daß dieser Bezirk des von der Wissenschaft zu erobernden Wirklichkeitsbereiches, wenn nicht den größeren, so doch jedenfalls den problematischeren, den mit Aufgaben und Schwierigkeiten am dichtesten angefüllten Teil alles Forschungsstoffes ausmacht. Wenn nun also auch dem Stoff nach das Endergebnis, der endgültig ermittelte oder behauptete Tatbestand, nirgends über die Grenzen der Wirklichkeit des Urbildes hinausreichen soll, so ist doch jenen inneren Geschehensgängen, die vor allem die verborgenen Verursachungen und Verkettungen der an der Oberfläche sichtbar werdenden Ereignisse umfassen, nur auf dem Wege der Unterstellung und Vermutung beizukommen. Doch erleidet — denn bei jedem Schritt der Nachprüfung dieser so verwickelten, so mannigfach zusammengesetzten Tatbestände ändert sich das Bild — auch diese Feststellung eine neue und ganz grundsätzliche Einschränkung. Sind nämlich die Bilder des inneren Geschehens, wclche die Wissenschaft solcher Gestalt entwirft, nur mit Hilfe der Einbildungskraft zu gewinnen, so wird doch von ihnen nimmermehr anzunehmen sein, daß sie an Reichtum der Erfindung das Urbild der Natur übertreffen; ja es wird die tiefste Überzeugimg jedes wissenschaftlich Denkenden unserer Tage sein, daß sie dann, wenn dies scheinbar geschieht, in die Irre gehen, daß sie in den seltensten Fällen das Urbild erreichen, daß sie in der Regel aller Vermutung nach weit hinter ihm zurückbleiben. Alle Wissenschaftsgeschichte lehrt uns, daß die Forschergeschlechter noch jedes Jahrhunderts das Reich des Gewußten und des Wißbaren beständig erweitert haben, daß Natur- wie Geisteswissenschaft an diesem Gesamtgeschehen gleichmäßig, wenn auch gewiß in stets wechselndem Umfangsverhältnis beteiligt gewesen sind, daß für alle Zukunft eine ähnliche Erweiterung des Reiches der aufgehellten Wirklichkeit zu erwarten ist. Woraus denn also klärlich hervorgeht, wie manche Siriusweite unser heutiges Erkennen, auf das wir stolz genug sind, vom Ziel eines vollkommenen

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UrkrXfte: Sch6p!erkraft der Welt: Forschung.

Durchdringens der Wirklichkeit trennt. Und diese Vollkommenheit würde ja erst eine Ebenbürtigkeit der menschlichen Schaffensmacht mit der der Natur bedeuten. Und noch eine Seite dieses wahrlich mehrdeutigen Sachverhalts sei hervorgehoben: niemals will ja gerade die Aufdeckung der inneren, also nur durch Vermutung zu erschließenden Geschehensgänge etwas anderes als Tatsachenzusammenhänge der Wirklichkeit enthüllen; die phantasiestärkste Tätigkeit der Wissenschaft selbst behauptet von sich nichts anderes, als daß sie Tatsächlichkeiten enthüllen will. Wohl sind die Denkbilder, die die Forschung gerade von diesen inneren Geschehensformen entwirft, wesentlich anderer Art als die Geschehensformen der Wirklichkeit, die sie mit ihnen umgreifen will. Sie werden ihren Ursprung aus dem Reich der Gedanken und Begriffe nie ganz verleugnen können; sie werden an Stelle der färben- und formenreichen, bunten und saftigen Einzelwirklichkeiten, die sie vertreten wollen, immer nur Sprach- und Denkbilder geben müssen. Aber der Angriff, den die Spiritualisten, die Anhänger einer ausschließlich geistigen, oft gar nur ausschließlich verstandesmäßigen Sicht auf das Weltgeschehen gerade gegen diesen Ertrag phantasiestarker Gedanken-Schöpfung richten werden — der Einwand nämlich, daß unsere Forschung in ihren Ergebnissen weit mehr, wenn nicht ganz von den Ordnungen und also Hineintragungen unseres Sehens als vom Weltgeschehen selbst bestimmt werde — ist auch hier entschieden zurückzuweisen. Denn sind auch die Unterstellungen der Wissenschaft, die hier an die Stelle beschriebener Wirklichkeiten treten müssen, sei es auf begrifflichem Wege, durch Schlußfolgerung also, sei es mit den Werkzeugen der Einbildungskraft gewonnen, es sind doch Tatsachen, Dinge oder wie hier unterscheidend zu sagen ist, Urdinge1, nicht etwa nur ') Ich nehme hier eine Bezeichnung voraus, für die ich in dem noch nicht veröffentlichtet! Band I meiner Gesellschaftslehre die ausführliche Begründung nachträglich darbieten muß. Sie umschreibt einen für den Gesamtbau meiner Forschung grundlegenden Begriff.

Absioht: Enthüllung von Tatsaohenzuaammenhängen.

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Gebilde des reinen Denkens, die von ihnen gedeckt werden sollen. Also — und das ist für den hier verfolgten Gedankengang entscheidend — immer sollen auch von dieser phantasiemäßigsten Tätigkeit der Forschung nur Gegebenheiten der Welt enthüllt, nicht aber Geistesgespinnste geschaffen werden, die etwa ihrer Natur nach Anspruch auf den Bang einer im Sinn der Einbildungskraft höheren, kühneren Beschaffenheit machen. Diese Urdinge mögen auf dem Begriffs-, dem Phantasiewege erkundet worden sein, aber sie sind nicht Begriffe, sondern Dinge, Tatsachen. Kein Zweifel, es giebt eine Form der menschlichen Wissenschaft, die sich außerhalb des Rahmens der reinen Spiegelung der Welt gestellt hat: die Daseinslehre, die als Metaphysik sich Freiheiten zum mindesten gegenüber dem Oberflächenbild, das uns unsere Sinne von der Welt zuwerfen, wahrt. Jede von ihnen hat zwar von sich ausgesagt, daß sie nichts anderes erstrebe, als die Wiedergabe der Wirklichkeit; aber die Hintereeinsgründe, die sie hinter der Wirklichkeit aufgebaut haben, waren in sehr vielen Fällen Begriffsbauten, die sie aus der freien Machtvollkommenheit des selbstherrlichen Geistes errichteten, Werke, die denen des Glaubens und selbst der Dichtung näherstanden als denen erfahrender Wissenschaft. Für diese Hervorbringungen des Geistes aber, so willkürlich einzelne von ihnen sein mögen, gilt, was für die Gotteslehren des Glaubens gesagt wurde, die ja wohl als die kühnsten von allen Daseinslehren anzusehen sind: nie werden sie so schöpferisch, so reich, so vielverwickelt sein können, wie das Sein der Welt. Als einen artvertretenden Einzelfall wird man Hegels Gedankenbau gelten lassen müssen: denn er ist von allen Daseinslehren des neueuropäischen Denkens nicht allein der dem Sachumfang und der Sachvertiefung nach ausgedehnteste und gegliedertste, nein auch der dem Ansprang der Einbildungskraft nach kühnste und gewaltigste. Aber wenn sich nun, wie hier schon einmal geschehen ist, von diesem Geistwerk sagen läßt, daß es einem Weltmythos, einer

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Forschung.

Weltsage aus den Jugendzeiten der Menschheit ähnlich sei, ausgewirkt mit den Anschauungsmitteln und der Begriffsschärfe unseres späten Zeitalters, so bedeutet dies an sich gewiß Preis und Ruhm eben für die Stärke der Einbildungskraft, aber doch nur innerhalb der Spannweite menschlichen Dichtens und Denkens. Mißt man aber den Grad dieser Stärke an der der Schöpferkraft der Welt, so springt sofort der Mangel an Zusammengesetztheit, an Verflochtenheit sehr augenfällig in das Blickfeld, der jenem Mythos vom Geist anhaftet. Denn wenn der Begriff Mythos, auf eine Daseinslehre angewandt, nichts anderes als Verpersönlichung und damit notgedrungen auch Vermenschlichimg heißen kann, so heißt das, auf das Insgesamt des ganzen Weltgeschehens bezogen, das er doch in diesem Falle als seinen Gegenstand beansprucht, doch nichts anderes als Vereinfachung des Weltbildes. Man könnte an den großen Grundpfeilern schon, die Hegels Gedankenbau tragen, nachweisen, wie sehr die Umschreibung des Weltgeschehens in ein Schauspiel von drei Aufzügen auch die Grundzüge dieses Geschehens zusammenzieht, vereinfacht, verstärkt und doch zweifellos auch vergröbert. Diese Trilogie des Erlebens des Geistes in sich, in Natur und Menschheit preßt doch das Weltgeschehen in die wahrlich viel engere und allzu einfache Formel eines dramatischen Vorganges, die für einen Betrachter dieses Geschehens, der sich seiner Erhabenheit, seiner Majestät mit Ehrfurcht naht, keineswegs eine Erhöhung, sondern eine romantischdichterische verkleinernde Versinnbildlichung bedeutet, die dem Geschmack dieses Zeitalters entsprechen mochte, die aber dem Urbild gegenüber doch auf uns Weltgläubige einer herabmindernden Beschränkung nur allzu ähnlich sieht. Gewiß bleibt dieses Triptychon das gewaltigste, von allen von Menschengeist ersonnenen Beispielen seiner Gattung das höchste — mit der Ausnahme des einen noch erhabeneren Beispiels der frühchristlichen Gottes-Dreieinigkeit, mit dem es einige urtiefe Gemeinsamkeiten hat — aber wie dürfte man es an innerer Wahrheit und Wucht mit dem großen

Zasammengesetztheit von Daseintlehren and Wirklichkeit.

$01

Dreiklang der wirklichen Welt-Geschichte und ihrer Teilung in das Gefüge ihrer drei Reiche — des anorganischen, des organisch-biischen und des menschheitlichen Reichs — und ihrer Stufen vergleichen ?

Viertes Stück. Einzelbegriffe und Einzeltatsachen, und Urwirklichkeiten.

Oberbegriffe

Und vollends die Ausfüllung der drei Teile von Hegels Welt-Baubild, wie unsäglich weit bleibt sie zurück auoh nur an Zahl und Feinheit der Ausgliederung derjenigen Urbestandteile des Geschehens, die sie noch in den Blickbereich ihres Sehens aufnehmen will und kann. Zur Berechnung des Rückstandes, in dem die Metaphysik Hegels und noch kennzeichender die seiner Zeitgenossen, vornehmlich Schellings von dem Naturgeschehen entfernt bleibt, steht uns ein Maßstab zur Verfügung, gegen den nicht der mindeste Einwand zu erheben ist. Hegel ist wenigstens für die entscheidende Sicht um deswillen rätlicher Weise nicht heranzuziehen, weil er, als er in seiner Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften und den verwandten Schriften die Ergebnisse der Sonderwissenschaften zusammenhäufte, um sein Weltbild mit Einzelzügen auszustatten, den Grundsatz befolgte, die damals vorliegenden Ergebnisse der Einzelwissenschaften möglichst unberührt in seinen Gedankenbau aufzunehmen. Schelling aber hat sich hierin die größte Freiheit gegönnt, um von Jacob Böhme und verwandten Geistern der Vergangenheit zu schweigen. Wollte man nun aber die Summe der Erkenntnisse, die die Sonderwissenschaften in dem inzwischen abgelaufenen Jahrhundert über den Tatbestand von Welt und Menschheit hinzu errungen haben, ins Auge fassen, so würde sich ein sehr hohes Maß von Tatbeständen ergeben, die in ihrer

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UrkrUte: Sohöpferkraft der Welt: Einzelbegrifie.

Summe, mit den Ahnungen Schöllings oder Böhmes verglichen, einen weit größeren Reichtum an Einzelzügen des Weltgeschehens ergeben, als alle diese Metaphysiken zusammengenommen erdacht haben. Es erweist sich also, daß schon die in einem Jahrhundert neu errungenen Wirklichkeitsmassen ein Mehr von Zusammengesetztheit und Ausgegliedertheit darstellen, verglichen mit allen erahnten und erdachten, in das Weltbild hineingedichteten Einzelzügen, mit denen die Metaphysiken eines eigens auf Baseinslehren dieser entfesselten Art eingestellten Zeitalters ihr Weltbild zu füllen gedachten. Ja man wird ohne Übertreibung sagen dürfen: die gottgleiche Natur hat in jedem kleinsten Teil ihrer Werke mehr Schaffens- und also auch mehr Einbildungskraft offenbart, als alle Metaphysiken der Geistesgeschichte zusammengenommen. Niemand wird daran zweifeln mögen, daß auch die Zukunft Jahrhundert für Jahrhundert unser Wissen um die Einzelwirklichkeiten der Welt vermehren wird, und mit jedem Jahrhundert wird also die Erkenntnis davon wachsen müssen, daß in dieser Sache ein unvergleichlich großes Übergewicht auf Seiten des Weltgeschehens zu finden ist. Einen Einwand möchte man vielleicht gegen diese Kette von Darlegungen erheben, der im Voraus entwaffnet werden muß. Es ist der, daß man erklärt, man wolle zwar bereitwillig einräumen, daß die Summe der einzelnen Geschehensformen, die die Natur geschaffen habe, sehr viel größer sei, als die der von wissenschaftlicher Einbildungskraft erdachten, daß aber die gedanklichen Verbindungen und Zusammenfassungen, die die Arbeit der menschlichen Forschung geschaffen habe, umso deutlicher eine hohe Überlegenheit des menschlichen Geistes zeigen. Dieser Einwurf erscheint auf den ersten Blick verblüffend stark und schlechthin unwiderleglich — und ist es dooh so gar nicht. In Wahrheit nämlich entsprechen jene Verbindungen und Zusammenhänge den tatsächlichen Verkettungen oder Gleichläufigkeiten, die eben als Tatsachen die Einzelwirklichkeiten viel fester verbinden, als

Sammeltatsachen und BegriHsbildung.

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jene von Menschen nachträglich über sie hingesponnenen Denkgebilde. Sie sind Urdinge, sie sind im Weltgeschehen zumeist tief unter der Oberfläche der sinnlich unmittelbar wahrnehmbaren Geschehensformen, sie sind selbst im Menschheitsgeschehen im Unterbewußten, also ebenfalls unter dem Bezirk des unmittelbar Erkennbaren gelagert. Zu allen begrifflichen Verbindungen und Zusammenfassungen, die herzustellen der Wissenschaft obliegt, wird sie am zweckdienlichsten auf den Spuren jenes Naturgeschehens vordringen, d. h. sie wird wohl daran tun, nicht im freien Luftmeer der Gedanken aus Unter begriffen zu Oberbegriffen, zu Sammelbegriffen emporzusteigen, sondern den Ähnlichkeiten und Gleichläufigkeiten nachzuspüren, die das Geschehen selbst aufweist, und nach ihrer Richtweisung dann auf Obertatsachen, Sammeltatsachen zu schließen, die jene Teiltatsachen zu höheren Geschehensordnungen zusammenfügen. Schon die Möglichkeit so zu verfahren läßt eindeutig erkennen, wie verwandt diese Sammeltatsachen, diese Urdinge unseren Begriffsbildungen ähnlicher Ordnung sind. Daß sie von ihnen grundsätzlich zu scheiden sind, ist andrerseits die allerdings unentbehrliche Voraussetzung für diesen Vergleich. An einem Beispiel wird eher als an allgemeinen Festsetzungen nachzuweisen sein, wie völlig diese Wesensverschiedenheit gesichert ist, auf deren Grundlage erst die Wesensverwandtschaft, die hier bewiesen werden soll, Wert erhält. Ganz selbstverständlich ist in dieser Sache der Einwurf zu erwarten, daß es ganz unrätlich, ja im Grunde irreführend sei, derartige Sammeltatsachen und Urdinge den Sammelbegriffen rein forscherlicher Prägung gegenüberzustellen, da ja jene angeblich im Geschehen verwurzelten Urdinge von uns auf ganz demselben Wege — nämlich durch Unterstellungen und Schlußfolgerungen — zu Stande kämen, mithin im Grunde gar nichts anderes seien als Oberbegriffe, Sammelbegriffe und keinerlei Anspruch auf eigene, der Wirklichkeit nähere Geltung besäßen. Und doch ist in dieser doppelten Behauptung zwar der Vordersatz richtig, nicht aber die aus

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ihm gezogene Endfolgerung. Denn selbstverständlich ist die begriffliche Form, in der wir zu den Urdingen herabsteigen können, die einer beständigen Anwendung der induktiven, aufwärts bauenden Forschungsweise, aber dadurch wird noch nicht im mindesten erwiesen, daß die auf diesem Wege gewonnenen Denkbilder von gleicher Art sind wie die Ober- und Sammelbegriffe, die man auf die rein begrifflich abziehende — abstrahierende — Weise gewinnt. Schon das erstrebte Ziel scheidet die beiden Gattungen voneinander. Der Zweck, den eine rein-begrifflich abstrahierende Induktion verfolgt, ist lediglich der, eine übersichtlichere, d. h. in Gruppen und Obergruppen geschiedene Ordnung von erfahrungswissenschaftlich gewonnenen Denkbildern zu errichten. Der Zweck aber, dem ein Aufbau von unterstellten Tatsachen und Urdingen dienen will, ist die Aufzeigung von Wirkungszusammenhängen. Die großen Ordnungen, die Linné geschaffen hat, um Mineral-, Pflanzen- und Tierreich wissenschaftlich übersehen zu können, sind ein artvertretender Fall für eine wenigstens überwiegend begriffliche Hervorbringung jener ersten Form; Linné hat seine große Arten- und Familien-Teilung gegründet auf den rein morphologischen Gedanken einer Ordnung nach dem sinnlich gegebenen Bild: seine Formenlehre sollte vorzugsweise dem Bedürfnis der werktätigen Pflanzen- und Tierkunde, namentlich der Tätigkeit der Sammler dienen und für sie einen Vorrat scharf umrissener Formenbilder und vor allem eine klar aufgebaute und sicher festgestellte Namengebung schaffen. Und nach den Gesichtspunkten einer reinen Formenlehre waren auch in der Hauptsache seine Klassen, Familien und Arten geschieden. Man kann sagen, er dringt seinem Grundsatz nach nirgends zu Urdingen vor ; nur an einigen Stellen — er hat sie selbst angegeben — gelangt er dazu, seine Gruppierungen als natürliche zu bezeichnen, ihnen also einen inneren Zusammenhang ihrer Verwandtschaft beizumessen. Schlechthin umgekehrt ist der Grundsatz des Aufbaus des Haeckelschen Artenstammbaums : er ruht ganz und gar auf

Denkbilderordnungen: Linné, H&eckel.

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der Annahme von Urdingen, insofern er erstens das große Grundgesetz der Verwandtschaft der Onto- mit der Phylogenese, der Artengeschichte mit dem Einzelwachstum aufstellt und damit zwei oberste Urdinge, den Entwicklungstrieb und die Entwicklungsrichtung, als vorhanden behauptet. Dazu gesellt sich dann noch eine kaum übersehbare Reihe von Einzelurdingen : sie werden gebildet von der sehr großen Anzahl von Filiationen, von Einzelabstammungen, die je von einer zur anderen Art hinüber leiten. Immerhin muß die erste der beiden hier genannten Ordnungen als eine mittlere gekennzeichnet werden, denn eben darum, weil Linné seinem Grundriß wenigstens an einigen Stellen die Eigenschaft einer natürlichen Ordnung gab, wird offenbar, daß wenigstens an diesen Orten die Gruppierungen auf von innen her gegebenen Zusammenhängen, also auf Urdingen beruhten. Es ist bekannt, daß Linné sich im mindesten nicht auf eine nähere Kennzeichnung oder gar auf den Versuch einer Enthüllung dieser Zusammenhänge eingelassen hat. Die zu vermutende Beschaffenheit dieser Urdinge hätte nur eine werdensmäßige, in irgend einem Sinn naturgeschichtliche sein können und Linné war gerade dieser Sehweise grundsätzlich abgeneigt: er war ganz überzeugt von der Wesens- und Formenbeständigkeit der von ihm umschriebenen Arten. Seine Setzung lautete: Tot numeramus species quot creavit ab initio infinitum esse — das unbegrenzte Sein war ja die Formel unter der er Gott, richtiger wohl ein gottgleiches schöpferisches Weltgeschehen verstand. Man sieht, noch antievolutionistischer, noch antidarwinistischer hätte er sich nicht ausdrücken können.

Fünftes Stück. S a m m e l b e g r i f f e und Urdinge. Aber es giebt Wissenschaftsgrundrisse, Ordnungen also von ganzen Massiven von Einzelwirklichkeiten, die noch etwas

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Sammelbegriffe.

folgerichtiger den Grundsatz einer rein begrifflichen Zusammenfassung und Scheidung zur Geltung bringen und die mithin nicht das Mindeste mit Urdingen zu schaffen haben, sie weder behaupten noch sich irgend um sie kümmern. Man durchprüfe etwa — um einen äußersten Grenzfall zu wählen — diejenigen Abschnitts-Reihen, die in Hegels Encyclopädie der philosophischen Wissenschaft der Chemie gewidmet sind. Wir hören da zum Eingang die folgende Umgrenzung des Begriffs der besonderen Körper, die dazu dienen soll, die Erörterung des Wesens der chemischen Prozesse einzuleiten1: »Die Individualität in ihrer entwickelten Totalität ist, daß ihre Momente so bestimmt sind, selbst individuelle Totalitäten, ganze besondere Körper zu sein, die zugleich nur als gegeneinander differente Momente in Beziehung sind. Diese Beziehung, als die Identität nicht identischer selbständiger Körper, ist der Widerspruch — somit wesentlich Prozeß, der dem Begriffe gemäß die Bestimmung hat, das Unterschiedene identisch zu setzen, es zu indifferenzieren und das Identische zu differenzieren, es zu begeisten und zu scheiden.« Hier sind, wie man sieht, noch keine Zusammenhänge selbst aufgebaut, aber es ist für sie die grundsätzliche Vorbereitung geschaffen, das Rüstzeug zur Hand gestellt. Aber ebenso gewiß ist, wie wenig die so entstehenden Begriffswerkzeuge zusammenfassender oder scheidender Art mit Urdingen zu schaffen haben, wie ganz sie nur aus dem Begriff geboren sind. Das Kennzeichende für sie ist, daß sie lediglich Symbole der reinen Logik für die natürlichen Vorgänge sind, die sie angeblich erforschen wollen. Sie sind gar nicht gegen Welt und Wirklichkeit hin gerichtet, sondern gegen die reine Begrifflichkeit hin; sie sind Oberbauten, errichtet hinein in das freie Luftmeer des Gedankens. Urdinge aber sind im Innern des Welt- — auch des Menschheits- — Ge') Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften (Werke VJI1 [1842] 360 f.).

Hegels Begrifilichkeit

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Bchehens angenommene Wirklichkeiten, die unserem sinnliohen Aufnehmen zwar unzugänglich, von ihm also auch nicht wahrgenommen sind, die aber nach allen unseren sicheren Kenntnissen als Ursachen oder Vorphasen der uns sinnlich kund gewordenen Geschehensformen gelten können. Man könnte das Höchstmaß von Begrifflichkeit, das Hegel in diesen Abschnitten anwendet, die doch wahrlich einer Gruppe von wirklichsten Wirklichkeiten gewidmet sind, als Weltferne bezeichnen; denn die Oberbegriffe, die sie herstellt, gehören im Grunde lediglich der Schicht der Begriffe an: sie machen den Eindruck, als sei eine beliebige Gattung von wirklichen Tatbeständen nur benutzt, um an ihnen die Lust an der Formung immer neuer Begriffs-Verbindungen zu stillen. Die Entfernung von diesen dergestalt von vornherein entwirklichten Wirklichkeiten ist so groß, daß sie von deren besonderer Beschaffenheit noch kaum irgend welche Spuren an sich tragen. Am erstaunlichsten ist wohl, daß von den so geschaffenen Begriffsgebilden ebenso wohl etwa physikalische, physiologische, geologische Vorgangsmassen überdeckt werden könnten. Die Verbindungen aber zwischen einzelnen Geschehensformen, die so hergestellt werden, sind von der gleichen Luftigkeit und Wirklichkeitsferne: die Wahlverwandtschaften, d. h. die Verbindungen halb sich anziehender und halb sich abstoßender chemischer Säuren, von denen sich, wie wir durch Goethes Roman wissen, seit Jahrzehnten die Laienwelt sehr angezogen fühlte, waren damals auch für die chemische Wissenschaft ein Gegenstand lang fortgesetzter Bemühungen. Aber man fragt vergeblich, inwiefern die Chemie gefördert wurde, wenn ihr über diese Erscheinung mitgeteilt wurde, daß die Wahlverwandtschaft selbst nur eine abstrakte Beziehung der Säure auf die Base sei1. In vollem Gegensatz nun zu diesen zum reinen Denken hin und von der Wirklichkeit fort strebenden Formen der Be1

Ebenda VII; S. 406. (Die erste Ausgabe ist von 1817.)

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Sammelbegriffe.

griffsbildung suchen Linné sowohl wie Haeckel von der Wirklichkeit her zu Sammelbegriffen zu gelangen, der eine, Linné, indem er sich an einzelne Teilformen hält und diejenigen Pflanzen- und Tierarten, die diese Teilformen aufweisen, zu Gruppen eines Formenbaues zusammenordnet, der andere, Haeckel, indem er auf dem gleichen Wege eine entwicklungsgeschichtliche Gesamtsicht aufzurichten trachtet. An der Kennzeichung dieser drei Beispiele möge es sein Bewenden haben. So gewiß sie zu einer ganzen weit gegliederten Formenlehre erweitert werden könnten, so gewiß lassen sie, da sie artvertretende und zumeist Grenzfälle sind, doch die volle Weite des Spielraums erkennen, in dem sich die forscherliche Einbildungskraft bewegt, insofern sie begriffliche Verbindungen herstellt. Völlig außer Spiel bleibt hierbei, in wie weit diese Lehrbauten fest und verteidigungsfähig sind: es ist ganz gleichgültig, ob man die meisten der Begriffsbauten Hegels, viele von Haeckel und manche von Linné als nicht sicher verwirft. Es kommt hier nur darauf an, die geistige Form der durch sie vertretenen Ordnungsweisen festzulegen. Nun aber vergleiche man, welche Seitenstücke die Schöpfermacht, die formende Kraft des Weltgeschehens diesem menschlichen Tun an die Seite zu stellen hat. Es ist nicht mehr und nicht weniger als dieses : sie hat völlig ähnliche Verbindungen, so weit sie als Ordnungsformen stark und haltbar sind, schon längst selbst geschaffen, doch nicht als Gedanken-Gebilde, sondern als in der Wirklichkeit vorhandene Tatsächlichkeiten : Jahrtausende, oder Jahrzehntausende ehe Menschen und Menschengehirne entstanden, die jene Ordnungsnetze ersinnen konnten. Das Bindemittel, dessen sich das Weltgeschehen dabei bedient, ist das Werden, der Hervorgang einer Geschehensform aus der anderen. Man setze den Fall, es entstehen aus einer Geschehensform zwei neue, unter einander verschiedene und außerdem bleibt die alte, erste bestehen — ein Fall, der in

Verbindungen der Wirklichkeit, Richtigkeit des Geschehens.

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den beiden großen Erbgangfolgen doch wohl häufig vorkommen mag, im Stammbaum der Arten gewiß, in der Filiation der Elemente, in die das periodische System, das an sich ja nur als eine Ordnung des begrifflichen Nebeneinander entworfen worden ist, doch aller inneren Notwendigkeit nach projiziert werden kann, wenigstens vermutlich. Dann sind folgende drei Verbindungen geschaffen: erstlich die zwischen der ursprünglichen Mutterart und der ersten der neu entstandenen Tochterarten, zweitens die zwischen der Mutterund der zweiten Tochterart, drittens die zwischen den beiden Tochterarten. Von ihnen wird man die beiden ersten als echte Filiationen, Tochterschaften, die dritte aber als ein Verhältnis schwesterlicher Zuordnung bezeichnen können. Nun läßt sich gewiß anstoßfrei behaupten, daß in diesen Faktizitäten, diesen Gegebenheiten des Tatbestandes alle die »Beziehungen«, die die wissenschaftliche Sicht mit ihren Ordnungen von ihnen behauptet, zur Genüge dargestellt sind. D. h. als wirkliche Geschehensarten umfassen sie alle die einzelnen Geschehensformen, von denen die Wissenschaft nur ein — wie sie hofft — richtiges Bild zu geben trachtet.

Sechstes Stück. Urdinge und

Beziehungen.

Denn diese zwei Unterschiede weist die Wirklichkeit des Geschehens gegenüber dem von der Wissenschaft beabsichtigten Spiegelbild auf: einmal die unumstößliche Richtigkeit des Bildes, die sie doch gewährleistet. Denn an ihr fallen Bild und Geschehen in Eines zusammen; die Dasselbigkeit beider ist nicht in Zweifel zu ziehen und da sie immer unerschüttert die gleiche bleibt, so erliegt dies Urbild der Wirklichkeit nie den beständigen Schwankungen und Veränderungen, die jede menschliche Wissenschaft bedrohen und die in Wahrheit alle ihre Erzeugnisse, die nur Ansichten B r e y a i g , NaturgeBohiohte and Menschheitsgeschichte.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Urdinge.

sind, im Grunde hinfällig machen, sie wie ein trügerisches Schimmerspiel erscheinen lassen. Doch freilich, man wird es in diesem Punkte gewiß nicht an einem Einwand fehlen lassen, der nahezu wie eine Selbstverständlichkeit zu erwarten ist. Man wird erklären, daß die Beziehungen, die die Natur selbst herstelle, ja nur im Sehen und im Bewußtwerden, also nur durch den forschenden Menschen angeschaut werden können. Diese Lehrmeinung entspricht zwar völlig der Meinung Kants, der fordert, daß alle Ordnung, die wir in der Welt angeblich verwirklicht sehen, von unserem schlichtenden und schichtenden Verstand in sie hineingetragen sei 1 , sie überträgt sie nur von den großen Ordnungsformen des Raums und der Zeit auf die minder weit reichenden Beziehungen und Beziehungsnetze der Einzelzusammenhänge und -Tatsachen. Aber wie diese Sehweise in ihren Hauptsetzungen von der auf diesen Blättern vertretenen monokosmischen Weltsicht auf das entschiedenste abgelehnt wird — vor allem um deswillen, weil sie Setzungenim-Voraus und also Erzeugnisse forscherlicher Willkür sind — so können auch diese ihre Seitenstücke nicht hingenommen werden und es muß den Neu-Cartesianern, NeuKantianern und allen radikalen Spiritualisten von heute überlassen bleiben, ihnen Obdach und Deckung zu gewähren. Es muß vielmehr immer von neuem die Anschauung verfochten werden, daß die Gegebenheiten der Natur, die ihre Vernunft in uns haben überfließen lassen, denen aber nicht wir erst unsere — im Vergleich zu ihnen sehr kümmerliche — Vernunft haben zuteilen können, alle die Ordnungen, die sie als tatsächlich in sich bergen, auch im geistigen Sinn voll verkörpern. Ob wir dann von einem ihnen einverleibten Geist sprechen — wie Anaxagoras gern tat, was aber 1

der Die der der

) Vgl. die vorläufige Darlegung in der Schrift: Der Aufbau Persönlichkeit von Kant aufgezeigt an seinem Werk (1931). weiter gehende Auffassung von der Möglichkeit einer Erkenntnis wirklichen Welt soll erst in dem methodologischen Schlußbande meiner Gesehichtslehre gewidmeten Reihe vertreten werden.

Ordnung1 im Geschehen, nicht im Geist gegeben.

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schließlich nur bild- und gleichnismäßig gemeint ist und deshalb hier nicht nachgeahmt werden soll — oder ob wir in dem Allen nur die Einheit von allem Welt- und Menschheitsgeschehen, von Natur und Geist bezeugt finden, wie eine monokosmische Weltsicht will, ist letzten Endes nicht von Belang. Der eigentliche Irrtum fängt nur dort an, wo wie von Piaton bis zu den heutigen Phänomenologen das Weltgeschehen zu einem Almosenempfänger des Geistes erniedert wird, da doch in Wahrheit der Geist nur die letzte Blüte, die zarteste Efflorescenz dieses Weltgeschehens ist und nie etwas anderes haben und ausbilden konnte, als was er von ihr empfing. Die Spiritualisten sind es, die den Gaul beim Schwanz aufgezäumt haben, nicht wir Weltgläubigen, denen sie es vorzuwerfen nicht müde werden. Das Geschehen aber ist entscheidend, nicht der Nebenumstand, ob sich ein es wiederspiegelndes Sehen und Bewußtsein findet. Wollte man diesen Satz nicht annehmen, so würde man ja zu dem Widersinn kommen, daß es für den geistigen, den Vernunftwert der Ordnungen der Sternenwelt von irgend welchem und sei es auch nur dem geringsten Belang sei, ob diese Ordnungen von Menschen-Augen erblickt, geprüft und — vermutlich bis auf den heutigen Tag unzulänglich und stümperhaft genug—in dem Spiegelglas menschlicher Wissenschaft aufgefangen worden sind oder nicht. Niemand aber wird doch ernstlich leugnen dürfen, daß es für das Bestehen und Wirken, aber auch für den geistigen Rang, den Vernunftwert dieser ewigen Kreisläufe vollendet gleichgültig war, ob um einen von den 300 Milliarden Fixsternen der Planet Erde kreiste und ob er schon soweit in seinem Werdegang gediehen war, daß von ihm vernunftbegabte Wesen dieses Schauspiel bemerkten und es, so weit es in ihren schwachen — vermutlich für diese Aufgabe viel zu schwachen — Kräften stand, in Denkbildern und Worten wiedergaben. Und als ebenso wenig hinderlich erweist sich für alle diese Vergleiche der Umstand, daß das Geschehen der Welt wirklich Urbild und nicht Bild — wie die Wissenschaft — ist. 14»

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Urdinge.

Das deutsche Wort Urbild — im lateinischen Lehnwort Original etwas objektiver, auf sich bezogener gewandt — vermag vielleicht einen guten Weg zum Verständnis des hier vorliegenden allerdings etwas doppeldeutigen Sachverhalts zu weisen. Kein Zweifel, auch den eigens willig an das Weltgeschehen Hingegebenen wird hier, wo nicht ein Zweifel, so doch ein zögerndes Bedenken ankommen, ob es denn wirklich erlaubt sei, dieses zwar unsäglich reiche, auch durch viele Zusammenhangsnetze zusammengehaltene, aber auch trotzig verhaltene und in ewiger Stummheit schweigende Ding Welt in allen seinen Einzelbewegungen und Teilgebarungen mit unserem so ganz von seiner Art verschiedenen Denken und Bilden zu vergleichen. Das Wort Urbild aber eröffnet hier insofern eine klärende Sicht, als es in die Erinnerung ruft, daß wir auch Tatbestände ganz unbefangen mit dem Namen -bild zu belegen pflegen. Man wird erwidern, daß dies nur eine Lässigkeit der Sprache sei, aber ich meine, daß dies zwar so sein mag, daß aber gleichwohl richtweisend ist, wenn die Sprache hier ganz unbefangen ein Seiendes und ein Gespiegeltes mit dem gleichen Wort bezeichnet. Und die Natur hat eine Eigenschaft, die sie dem Abbild, das die Wissenschaft auch da giebt, wo sie sich auf ihre zum mindesten nachschaffende Einbildungskraft verläßt, noch weiter annähert. Sie ist wie unser Streben nie ein starres Sein, sondern immer ein wirkendes, schaffendes Werden. Und endlich, unser Forschen ist ja selbst Naturgeschehen: indem wir bestrebt sind, ein Abbild der Welt zu entwerfen, sind wir doch selbst nur die Träger eines Weltgeschehens, das nur als Reflector auf alles übrige Geschehen gerichtet ist, es spiegeln will. Die Forschung spielt nur die Rolle des Generalstabsoffiziers, der in der modernen Schlacht vom Feldherrn damit beauftragt ist, mit der Uhr in der Hand den Gang des Treffens von Viertelstunde zu Viertelstunde aufzuzeichnen. Und wie auch dies Tun ein Teilgeschehen werktätiger Kriegskunst ist, so ist unser, der Forscher Streben, eine letzte Ausgliederung des Weltgeschehens.

Urbild des Weltgeschehens, Querverbindungen, Gravitation.

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Und noch eine Nähe der Schöpfermacht des Weltgeschehens an dem Schaffen forscherlicher Einbildungskraft sei in das Blickfeld dieser Sicht gerückt. Immer ist noch ein letzter Rest von Widerstand gegen sie denkbar, der sich um den Gedanken kristallisieren würde, daß wenn das Weltgeschehen auch vornehmlich — oder ausschließlich ? — in der Form der Werdensverflechtung Beziehungen zwischen den Einzelreihen seines Insgesamts herstelle, ihm doch die Möglichkeit abgesprochen werden müsse, ganze Netze von derartigen Querverbindungen auszubilden, wie es doch im Bereich des Sollens und des Könnens aller im begrifflichen Querschnitt bauenden Wissenschaften ist. Und doch wird man auch diesen letzten Angriff auf den Vernunftrang des Weltgeschehens abschlagen können. Es bestehen in seinem Bereich Querverbindungen von außerordentlich weiter Fassungskraft. Um wenigstens einige Beispiele von artvertretender, ja von ungewöhnlicher Schlagkraft zu nennen: jene Verbindungsdränge, auf die im Verlauf dieser Darlegungen schon einmal eingegangen wurde, sind wohl ein Denkgebilde, daa aus völlig begrifflicher Prägung — erstmalig auf diesen Blättern — aufgestellt wurde, aber wer dürfte leugnen, daß hier das Geschehen selbst schon diese Verknüpfung hat entstehen lassen. Wenn es sich findet, daß Weltkörper von der größten Ausdehnung sich nach dem Verhältnis ihrer Größe und ihrer Entfernung einander anziehen, so war diese — nur an dem einen Fall von Erde und Mond gewonnene — Beobachtung schon eine Geschehensform von einer vielleicht nach Milliarden zählenden Fällezahl. Und ehe Newton mit dem starken Flügelschlage seiner forscherlichen Einbildungskraft sich im freien Luftmeer des Gedankens soweit erhob, daß er diese Überzahl von Fällen zu der gedanklichen Einheit einer umfassenden Regel zusammensetzen konnte, hatte längst die Natur selbst und ihre Schöpfermacht das zahllose Geflecht dieser Milliarden von Einzelgeschehensreihen zu dem Netz eines einheitlich zusammengebundenen Nebeneinanders und zu der Ordnung einer durch eine Regel zu-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Urdinge.

sammengehaltenen Geschehensgruppe verschmiedet: in dem Zusammenhalt so ungeheuer ausgedehnter Sternenheere, wie dem unseres Milchstraßensystems. Newton hat in der von ihm gefundenen Geschehensregel nur die Unterform einer viel weiter ausgedehnten Gruppe von Geschehensarten gesehen. Er erweiterte die Gültigkeit seiner dem Sternenlauf abgewonnenen Regel auf das Verhalten aller der physikalischen Wissenschaft seines Zeitalters überhaupt bekannten Körper. Und wieder hat als eine Selbstverständlichkeit zu gelten, daß das Weltgeschehen auch dies seit Sterne kreisten und seit Körper wurden als Tatsache geschaffen hatte. Aber seit Lorenz 1898 seine Elektronenlehre, seit Niels Bohr 1913 sein Atommodell geschaffen hatte — beides zu den kühnsten Taten physikalischer Phantasie zählend — hat sich zu jener ersten Geschehensform der Anziehung eine zweite gefügt, die schon seit Coulomb, d. h. also seit einem Jahrhundert entdeckt, jetzt erst im Bild der Forschung recht greifbare Gestalt gewann, insofern die Körper, die als ihre Träger angesehen wurden, erst jetzt von der Forschung Leben und Namen erhielten: die Elektronen, auf deren beide Gattungen, auf die positiven Protonen und die negativen Elektronen, jetzt die positive und die negative Elektrizität verteilt wird, die man bis dahin nur als Ladung zuerst von greifbaren Körpern, später von Urkörpern, von Korpuskeln, zunächst von Atomen, endlich von Ionen angenommen hatte. Es geschah sicherlich unter dem Eindruck des Sternenlaufs im Bau unseres Sonnensystems, daß Niels Bohr den geistig gewaltigen, künstlerisch schönen, wissenschaftlich wagnisreichen Bahnenbau der Elektronen im Atom halb rechnend und halb träumend erschuf und so in der nach Zehnmillionsteln eines Zentimeters messenden Größenwelt des Atoms, das bis dahin als der kleinste Urkörper, als der eigentliche Baustein des Weltalls galt, ein Seitenstück zu dem nach Hunderten von Körpern und nach Hunderten von Kreisläufen zählenden Planetengeschehen der Sterngefolgschaft der Sonne ausbildete.

Elektrische, organisch-biische und seelische Anziehung.

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Ob diese Lehren, die Lorentzsche Elektronentheorie und das Bohrsche Atommodell den Angriffen, die ihnen nicht erspart geblieben sind, völlig Stand halten werden, mag heute doch schon sicher entschieden sein; setzen sie sich als unerschütterlich durch, so hat die Wissenschaft noch eine zweite Form von Anziehungskraft gefunden, deren Verwandtschaft mit jener ersten von Newton entdeckten und umschriebenen nicht wird in Frage gestellt werden können. Noch ist kein anderer Newton aufgetreten, der zwischen beiden das verbindende Gesetz gefunden hätte; daß aber beide die Formen jener Urkraft sind, die auf diesen Blättern Verbindungsdrang genannt wurde, kann kaum in Zweifel gezogen werden. Ebenso wenig aber auch, daß so weit gespannt die Entfernung sein mag, die diese Naturerscheinungen trennt, so schlechthin zahllos die Fülle der Fälle ist, in denen sie sich auswirken — es müssen ihrer ja Centillionen sein — das Weltgeschehen es ist, das in unermeßlicher Schöpfermacht dieses Beziehungsnetz schuf, das in der Straffheit seiner TatsachenVerbindungen jedes Lehrgebäude an Stärke und Sicherheit, dazu an Reichtum der Gliederung übertrifft und dennoch ein Insgesamt von unauflösbarer Einheit darstellt. Und um die volle Weite dieses Beziehungsnetzes erkennen zu lassen, sei zum anderen Male daran erinnert, daß seine Herrschaft nicht an den Grenzen des anorganischen Reiches Halt macht, sondern weit darüber hinaus auch das organischbiische und das menschheitliche Reich umgreift. Denn die Verbindungsdränge, die als das körperliche und seelische Zueinanderstreben der männlichen und der weiblichen Einzelwesen zusammengefaßt werden können, werden zwar gewiß noch nicht von unserer Wissenschaft mit jenen wahrlich ganz anders gearteten anorganischem Drängen zu einem ursächlich verbundenen Seinskörper zusammengeschmiedet werden können. Noch weniger ist möglich, die seelischen Beziehungen, die im menschheitlich-gesellschaftlichen Geschehen Männer und Frauen, Führer und Folger ebenso

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Urdinge.

trennen und verbinden, mit jenen anorganischen und organisch-biischen Verbindungsdrängen in ein geschlossenes Einheitsgefüge zusammen zu schließen. Aber wenn unsere unwillkürlichen, vorläufig nur von forscherlicher Einbildungskraft eingegebenen Lehrwünsche diesem Ziel schon heut zustreben, wenn auch die vorsichtigste Wissenschaft wenigstens ein hohes Maß von Ähnlichkeit zwischen den drei von einander so weit entfernten Geschehensbezirken feststellen darf, so mag dies nur die Vorankündigung dafür Bein, daß die Wirklichkeit der Welt selbst schon längst ihre uns heute noch erst verborgenen Verkettungen um dieses Geschehen geschlungen hat.

Viertes Hauptstück. Eigenbezirke der menschlichen Einbildungskraft. Erstes Stück. Eigenmenschliche

Schöpfermacht Tat.

in

Staat

und

Das Bild, das hier von den Werken der künstlerischen, der gläubigen, der forscherlichen Einbildungskraft entworfen wurde und dessen Vergleich mit dem Urbild der Schöpfermacht des Weltgeschehens so sehr zu dessen Gunsten ausfiel, würde doch unvollständig bleiben, wollte man ihm nicht den Rahmen seiner Grenzen geben und damit — um mit Hegels Logik zu denken — den Widerspruch, das Nein seiner Endlichkeit. Es muß hier von der Schaffensmacht des Menschen in Staat und Tat die Rede sein, so weit auch sie von Einbildungskraft beseelt und beflügelt ist. Und einen Bolchen Kern giebt es, denn immer wird nötig und möglich sein, aus allem handelnden Leben einen Kern herauszuschälen, in dem das

Großkönigreiche, Imperien.

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geistige Geschehen überwiegt und zwar nicht nur das des ordnenden Verstandes, nein auch das der schöpferischen Einbildungskraft. Nur dann, wenn wir mit Augen, die sich von jahrhundertelanger Gewohntheit ihre Empfänglichkeit haben abstumpfen lassen, die Gebilde etwa unserer eigenen, der neueuropäischen Staatskunst anschauen, mag uns das Empfinden dafür entschwinden, daß es höchst erstaunliche Werke sind, die sich da im Lauf der Jahrhunderte erhoben haben. Der Bau des karolingischen Weltreichs, der römischen Papstkirche im Mittelalter, die deutsch-spanische Monarchie unter Karl V., der Weltstaatsplan Napoleons, das britische, das russische Weltreich sind solche Werke. Und in den früheren Entwicklungsaitern sind die gewaltigen Großkönigtümer und Großstaaten der Altertumsstufe vom Reich der Ägypter bis zu dem der Perser, vom Reich der Inder bis zu dem der chinesischen Großkönige von einem Standpunkt unbefangensehender Menschen im Grunde Traumtaten und Märchenwunder, von den Weltreichen Alexanders und der Caesaren ganz zu geschweigen. Ziehe man doch auch einzelne Pläne oder nur halb vollendete Unternehmungen in das Bild, wie den Gedanken, der die Heere des Xerxes, des Großkönigs der Perser, zu Anfang des fünften Jahrhunderts gen Westen trieb, den Gedanken das mittelländische Meer wie mit zwei eisernen Armen zu umklammern und am Nordrand Afrikas über Ägypten und Karthago, am Südrand Europas aber über Athen, Rom und Hispanien zu den Säulen des Herakles und damit an das Weltmeer vorzudringen oder jenen anderen Plan, dem der chinesische Feldherr Pan-tschau des Großkönigs Ming-ti nachjagte, als er im Jahre 72 nach Christus bis zum Ka&pischen Meer vordrang und Kundschafter ausschickte, um einen Zug gegen das römische Reich und seinen Kaiser Vespasianus vorzubereiten. Man denke, es hätte sich damals ein Weltbrand entzünden, ein Kampf zwischen dem Westpol und dem Ostpol der damaligen eurasischen Welt und ihren beiden an Macht und Umfang rivalisierenden Im-

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Urkräfte: Schöpferkraft: Eigenmenschliche Schöpfermacht.

perien entbrennen können. Die Völkerstürme, mit denen einmal asiatisch-mongolische, dann wieder asiatisch-semitische Heere über Europa brausten und über den germanisch-romanischen Kulturkreis die Gefahr zuerst einer hunnischen, dann einer arabischen Herrschaft heraufbeschworen, sind von abenteuerlichem Ausmaß und die Tschingis Khans, der 1275, und Timur Lenks, der 1405 starb, noch mehr: sie nehmen sich aus wie Tageswirklichkeit gewordene Angstträume der ost- und fast schon der mitteleuropäischen Menschheit. Und wenn die Türken später ein Vierteljahrtausend hindurch wirklich die Mitte Europas bedrohten und bedrängten, so war dies nur die gleiche Krankheit, nur aus der Heftigkeit akuter Anfälle in den dauerhafteren aber eher noch gefährlicheren Zustand eines chronischen Übels verwandelt. Der Weltbrand der napoleonischen Kriege, geführt von einem Imperator gegen einen Erdteil, und der größere Weltkrieg, in dem sich mehr als zwei Drittel der Menschheit gegen Deutschland und seine schwachen Verbündeten zusammengeschlossen hatten, sind noch massenhaftere Erzeugnisse der Tat und Kampf gewordenen Einbildungskraft von Staatslenkern. Daß die letzte Feuersbrunst der Staatenwelt uns, vor deren Augen sie aufflammte, nicht ganz so tief und gewaltig in die Seele drang, liegt nicht an ihrem Ausmaß, noch an der Größe ihrer Wirkungen; das eine war phantastisch, die anderen waren furchtbar genug. Nur der nüchterne Tatsachensinn unserer Zeit, der die nur allzu alltäglichmenschliche Entstehung dieses größten aller Kriege ganz durchdrang und der ihm zuletzt doch noch ein ganz unheroisch-vernünftiges Ende zu setzen vermochte, hat uns auch dies Geschehen, das den Kulturkreis der neueuropäischen Völker mit einer Gesamtkatastrophe bedrohte, so anzusehen gelehrt, als ob es sich durchaus nicht aus dem Bild der langsam sich hinspulenden Geschichtsentwicklung höbe. Und in Wahrheit mögen auch einzelne Taten wie Mussolinis Zug auf Rom oder in breiterer, nur wirtschaftlicher Form Stalins Fünfjahresplan und seine Durchführung als Leistungen

Kriege, Diktaturen.

Menschliche Vielgestaltigkeit.

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von Werk gewordener Staatsphantasie weit schärfere, kennzeichnendere Merkmale an sich tragen, als etwa der große Krieg von 1914 bis 18, dessen übergewaltige Maße doch mehr auf dem Wege immer neuer und ganz zwangsläufiger Häufung von an sich massenhaften Geschehensformen zu Stande gekommen sind. Von allen diesen Hervorbringungen der Staatskunst, die sich als eigens phantasiebestimmt darstellen, wird nun zweifelsohne auszusagen sein, daß sie sich als so durchdrungen von eigenmenschlichen Wesenszügen darstellen, daß sie als rein menschheitliche den außermenschlichen Formen des Weltgeschehens entgegengestellt werden dürfen. Allerdings steht es nun nicht so, daß das außermenschliche Weltgeschehen zu diesen Erzeugnissen menschlicher Schöpfermacht in Staat und Tat keinerlei Seitenstücke aufwiese — die Verfassung unseres Sonnensystems ist im Grundzug und in sehr vielen einzelnen Auswirkungen ihrer Ordnung im tiefsten der Verfassung eines Königsstaates verwandt — aber der entscheidende Unterschied liegt nicht im Grundstock des Geschehens von Herrschaft und Unterwerfung, der sich allerdings in beiden Geschehensreichen gleichmäßig oder doch ähnlich vorfindet, sondern in der feineren Ausgliederung und Ausfaserung der peripherischen Geschehensformen in dem einen, dem menschheitlichen Reich. Die ganze unsägliche Fülle und Mannigfaltigkeit der seelischen und geistigen Regungen und Bewegungen des Menschen, die die Außengürtel des Gesamtkreises seines handelnden Lebens in Staat und Wirtschaft, Recht und Gesittung bestimmen, sie sind zwar auch durch tausend Zusammenhänge mit jenem Kernbezirk, den das Menschheits- mit dem außermenschlichen Weltgeschehen teilt, verbunden, aber sie müssen als rein-menschliche Geschehensformen angesprochen werden, weil ihr überwiegendes Gepräge sie dorthin verweist. Die sehr viel größere Wechselhaftigkeit, die viel weichere und nachgiebigere Umformbarkeit lassen sie schon ihrem äußeren Anblick nach als getrennt von den um so viel beständigeren und in dauerhaftere

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Urkräfte: Schöpferkraft: Eigenmensohliche Schöpfermacht.

Formen gezwungenen Geschehensweisen des anorganischen und noch des organisch-biischen Reiches erkennen. Wird dazu noch das eigentümlich viel-bewegte, sch wankig-verschwimmende Innengeschehen unseres Denkens, Fühlens, Ahnens, Wollens in Betracht gezogen, so eröffnet sich eine neue Sicht in das Spezifisch-Menschliche unseres Wesens und erst recht unseres phantasiebestimmten, schöpfermächtigen Dichtens und Trachtens. Hier Grenzen zu ziehen, Vergleiche anzustellen, wird erst die Aufgabe späterer Untersuchungen der heute und hier eröffneten Reihe sein. Für jetzt sei nur dies betont, daß die Bande, die auch hier das reine Welt- und das reine Menschheitsgeschehen zu einer Einheit zusammenschließen, sehr viel engere sind, als die Anhänger der Diltheyschen Lehre von der Spaltung der Welt in eine Begreifens- und eine Verstehens-Hälfte behaupten. Am gegenwärtigen Ort sei nur darauf verwiesen, daß nicht Größe und Massenhaftigkeit des Geschehens hier entscheidet und daß nicht etwa die Riesengeschehnisse als dem Naturgeschehen besonders nahe, die kleineren, zarteren, feineren Formen des Menschentuns als gesichert rein-menschlich anzusehen sind. Es giebt vielmehr Werke der bauenden Staatsphantasie des Menschen, die von gewaltigstem Ausmaß ihres Umfangs sind und doch an ihrer spezifisch-menschlichen Wesensart nicht den mindesten Zweifel aufkommen lassen, und es giebt in der Formenlehre der Gesellschaftsseelenkunde Geschehensweisen von denkbar einzelmenschlicher — privater — und also beschränkter Bedeutung, doch von so tief in die allgemeinen zum Weltgeschehen hinüberleitenden Urformen, daß sie gerade nach dem Weltgeschehen hinweisen. Napoleons Handeln, wahrlich doch von der außerordentlichsten Spannweite seiner Auswirkung, mag in den entscheidendsten Teilen — etwa in dem mehr oder minder glücklichen Ausfall eines Gefechts oder des Grundplanes für die Führung eines Feldzugs — abhängig gewesen sein von den persönlichsten, also menschlich-seelischsten Zusammenhängen seines

Unbewußte Antriebe.

Macht des menschlichen Geschehens.

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Lebens. Und andererseits jeder kleinste Einzelmensch hält die Entscheidungen, die er in Sachen einer Brautwahl trifft, sicher für die privateste Privatsache und er ist doch dabei zu etwa neun Zehnteln seiner Beweggründe geleitet von Antrieben, die aus denjenigen unterbewußten Schichten seines Menschentums stammen, die unsere Art mit dem Geschlechtsleben noch der niederen Tiere teilt. So findet ein Herüber- und Hinübergreifen zwischen Weltund Menschheitsgeschehen statt, das vielleicht nur in den seltensten Einzelfällen ganz aufgeklärt werden kann. Bei dem Überwiegen des Rein-Menschlichen wird man diesen ganzen Geschehensbezirk als eine Tatsachenmasse ansehen können, in der die Schöpfermacht des Menschen weit, oft sehr weit über die Bereiche des außermenschlichen Weltgeschehens hinauswächst.

Zweites Stück. Die e i g e n m e n s c h l i c h e n E r f o l g e d e r S c h ö p f e r k r a f t des Geistes in K u n s t u n d T e c h n i k . Wenn so ein breiter Gürtel im Kreise allen Menschentums und Menschentuns als eine Erweiterung der Schöpfermacht des Weltgeschehens, ein Hinausragen der menschheitlichen Einbildungskraft über das gewirkte Werk des außermenschlichen Weltschaffens anerkannt ist, so muß billiger Weise in einem Rückblick festgestellt werden, ein wie großer Bereich auch in dem anderen Halbkreis menschheitlichen Geschehens, dem des geistigen Lebens über die Grenzen derjenigen Leistungen der menschlichen Einbildungskraft reicht, die sich mit denen der Schöpfermacht der Natur vergleichen lassen. Man erinnert sich, welche Leitgedanken für die soeben auf diesen Blättern angestellten Betrachtungen über die Schöpfermacht des menschlichen und des außermenschlichen

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

Weltgeschehens maßgebend waren: es sollten die Stärkegrade der in beiden Bereichen tätigen Phantasieformen mit einander verglichen werden. Das Ergebnis war in allen drei Bezirken des geistigen Schaffens gleichmäßig dieses, daß Wucht, Reichtum und Erfolg jedes Mal auf Seiten des Naturgeschehens die größeren waren. Damit ist aber noch nicht etwa die Behauptung aufgestellt, daß alle Formen des menschheitlichen Phantasie-Schaffens sich mit denen der Schöpfermacht der Natur decken. Mit anderen Worten: die Gesamtsumme der Schaffensgewalten, die sich in den Wirklichkeiten der außermenschlichen Welt verkörpert und bezeugt hat, wird als der vom Menschen in seinen geistigen Gebilden entwickelten unbedingt überlegen zu bewerten sein; aber diese Gebilde haben Formen der Phantasiebetätjgung entfaltet, deren Weise so weit von denen der Naturwerke entfernt ist, daß ihnen zwar nicht eine Überlegenheit über diese beizumessen ist, wohl aber ein Ursprünglichkeits-, ein Besonderheits-, ein Originalitätswert zukommt. Und seiner soll hier, wenngleich nur in den leistesten Umrissen, den allgemeinsten Andeutungen gedacht werden. Die Kunst, in Sonderheit die bildende, die hier als erster Zeuge für das Wirken menschlicher Einbildungskraft aufgerufen worden ist, hat unter ihren Hervorbringungen ganze Gruppen, die ihrem Gegenstand nach so tief in reines Menschentum eingebettet sind, daß sie unzweifelhaft dem Bereich spezifisch-menschlicher Phantasiebetätigung zugeteilt werden müssen. Dichtung, Bildnerei, Malerei insofern sie Dasein und Schicksal von Menschen schildern, sind — soweit sie überhaupt phantasiebestimmt sind — zwar gewiß nicht ganz, wohl aber überwiegend der Ausfluß von selbständiger Menschen-Bildnerkraft. Die ganze ungeheuer staffelreiche Stufenleiter menschlicher Daseins- und Lebensformen, menschlicher Spannungen und Freuden, Leiden und Leidenschaften ist von ihnen doch eben nicht nur — wie sie selbst stets vorgaben — wiedergespiegelt, sondern beständig abgewandelt, gesteigert, gehöht worden. Und wollte man einwenden, daß

Eigenmenschliche Bezirke, Seelen-, Landschaftsschilderung.

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auch das menschliche Leben, das diesen Künsten zum Vorbild dient, doch zum mindesten insoweit als es naturgeschaffen ist, dem unmittelbaren Welt- und nicht dem, sei es bewußt geleiteten, sei es unbewußt sich regenden Menschengeschehen angehöre, so kann dies zwar zugegeben werden, aber darüber hinaus ist das Dichten und Trachten, das Sich-Gebahren und Handeln der Menschen selbst zu einem großen Teil ein Erzeugnis ihrer an sich schöpferischen, von Einbildungskraft genährten und bestimmten Lebensformung. Überhaupt aber ist hier nur mit einer sehr feinen und spitzfingrigen Vorsicht die Grenze zu ziehen zwischen den beiden Bezirken innerhalb dieser die Wirklichkeit abschildernden Künste. An sich ist der eine von ihnen, der aus menschlichen Stoffen von menschlicher Einbildungskraft geschaffene, der nicht nur dem Umfang, nein auch dem Wert nach beträchtlichste: von den Werken, die die Größten geschaffen haben, von Michel-Angelos und Rembrandts, von Dantes, Shakespeares und Goethes Hervorbringungen gehören ihm bei weitem die meisten überwiegend, alle tiefste Leidesschilderung des Gekreuzigten, alles sonnige Mutterglück der Madonnen, alle höchste Liebesentzückung von Beatrice, Julia und Gretchen, aber auch alle stärkste Manneskraft, alle tiefste Greisenweisheit gehört ihm ganz an. Ja in einem Stück reicht dieser Bezirk noch weit in eine Kunstgattung hinein, von der man leicht meinen könnte, daß sie ganz und gar der von außen herzudringenden Vorbildmacht des Weltgeschehens unterworfen sei. Es ist die Landschaftsschilderung, auch die Pflanzen-, die Tierschilderung. Die bei weitem geliebteste und verbreitetste von ihnen, die Landschaftsschilderung, scheinbar die gegenständlichste, sachhafteste, objektivste von den dreien, auch sie ist erfüllt von Färbungen und Abwandlungen sowohl des Was wie des Wie ihrer Kunst, die erkennen lassen, wie groß von jeher die ganz menschlichen Urbestandteile, die Stimmungsgehalte und die Seelendeutungen waren, die die Maler

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

ihren scheinbar von der Natur abgeschriebenen Werken einverleibt haben. Dieses Einverleiben der eigenen Seele in die stumme Natur kann so weit dringen, daß die Dünste eines nebelreichen Herbstmorgens in der nordwestdeutschen Tiefebene uns mehr als der Ausdruck trauervoller Niedergeschlagenheit ihres Malers denn als Wiederspiegelung ihrer selbst erscheinen. Keines Sterblichen Auge hat den Zwielichtzauber dieser zarten Zusammenhänge tiefer gesehen, beeindruckter empfunden, als das von Rainer Maria Rilke, da er die Werke der Schule von Worpswede ausdeutete und mit den zärtlich feinen Worten pries, die seiner Sprache zu Gebote standen. Er geht so weit zu erklären, daß die Dichtung gerade dann am meisten von der Seele zu sagen weiß, wenn sie Landschaft giebt. Und weil er auch das tiefe In-Einander sah, in dem sich Mensch und Natur hier vermählen, so sagt er: »Und mit diesen einzelnen Einsamen — den echten Landschaftsmalern nämlich — nähert sich die ganze Menschheit der Natur. Es ist nicht der letzte und vielleicht der eigentümlichste Wert der Kunst, daß sie das Medium ist, in welchem Mensch und Landschaft, Gestalt und Welt sich begegnen und finden. In Wirklichkeit leben sie neben einander, kaum von einander wissend und . . . in der Kunst scheinen sie sich, wie in einer höheren prophetischen Wahrheit zusammenzuschließen, auf einander zu berufen und es ist, als ergänzten sie einander zu jener vollkommenen Einheit, die das Wesen des Kunstwerks ausmacht«1. Vom Tierbild wird im Ganzen Ähnliches, wenn auch im Einzelnen weit Abweichendes zu sagen sein: in den Tierbildern der Denkmäler-Allee der Ming-Dynastie bei Peking, in den Löwen von Mykene und dem Kampf zwischen Löwen und Stier im Akropolis-Museum, in Potters Stier und Troyens Rindern, in Franz Marcs Tiger und Kuh, Pferden und Affen hat stärkste Kunst Spiegelungen der Wirklichkeit gegeben, die bei aller Treue im Tiefsten doch keineswegs nur ihre !) R. M. Rilke, Worpswede (1903) 6 f.

Tierbilder; Tonkunst, angewandte Künste.

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Nachbildungen sind, sondern ihr eine Würde, eine Höhe mitteilen, die zur einen Hälfte gewiß den Urbildern selbst und ihrem letzten Seinskern abgelauscht, zur anderen aber durch das königliche Streben des Menschen nach Größe und Herrscherlichkeit in sie hineingeschaut ist. Verschweißung, Legierung, Vermählung des eigenmenschlichen und des von außen, vom Weltgeschehen her kommenden Anteils findet auch hier statt. Die Tonkunst hat in dieser Grenzziehung eine ganz eigene Rolle in Anspruch genommen: sie hat Urlaute der menschlichen, selbst noch der außermenschlichen Natur schrittweise umgewandelt, bis sie ihr zu Stoff und Werkzeug einer neuen und nunmehr völlig von der eigenmenschlichen Einbildungskraft beherrschten Kunst wurden. Ganz anders ist das Verhältnis von Bau- und Zierkunst zum Phantasieschaffen der Natur. Sie sind in einem weit höheren Maße als Malerei, Bildnerei und Dichtung dem außer menschlichen Weltgeschehen nahe, denn diese, die man mit sehr zweifelhaftem Rechte die freien Künste genannt hat, sind ja an Menschentum und Menschentun und ihre Wiederspiegelung viel fester gebunden, als jene. Bau- und Zierkunst aber, denen man den etwas verkleinerlichen Namen der angewandten Künste aufgezwungen hat, stehen dem Schaffen der außermenschlichen Natur in ihrem in Wahrheit viel freieren Schaffen eher wie ebenbürtige Nebenbuhler in gleichberechtigtem Wettbewerb gegenüber. Gerade in diesem Wettbewerb findet nun ein im Einzelnen sehr fein ausgegliedertes Grenzverhältnis statt: ein Grundstock alles Bauens und Zierens ist gar nicht zu denken ohne ein zwar sehr mittelbares, aber an sich unverkennbares Entlehnen der Leitgedanken dieses neuen Schaffens. Kein Haus, kein Tempel hätte geschaffen werden können, ohne das Vorbild der Höhle und des schützenden Baumwipfels. Und noch die freiesten und kühnsten Gebilde mexikanischen Tempelschmuckes oder vorderasiatischer Teppichknüpferei sind in irgend einer Anlehnung an Naturvorbilder, B r e y s i g , Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik

Tiergestalten oder Pflanzengewirr entworfen. Aber das Maß dessen, was aus dem Zellkern dieses Urbildes entwickelt werden mußte, damit diese Werke entstehen konnten, ist unendlich verschieden und erfließt ohne Ausnahme dem seelisch-sinnlichen Hinzutun der künstlerischen Menschen. Ferner ist innerhalb dieses Bereiches eigenmenschlicher Schaffenskraft eine umfangreiche Gruppe von Erzeugnissen zu unterscheiden, denen man nicht eine Nachahmung der Natur von außen her wird nachsagen dürfen, die aber in einem — oft ganz verborgenen — Grundstock ihres Aufbaus die tiefsten Bewirkungen von verwandten Naturdingen erfahren haben. Die Pyramide ist vielleicht der am kennzeichnendsten diese Art vertretende Fall. Die Pyramide ist zwar gewiß ein Erzeugnis ganz absichtsvoller, ganz stilisierender Kunst, also weit eher eine Hervorbringung ganz eigenmenschlicher Kunstbestrebungen; aber in ihr ist eine naturnahe Wucht und Einfachheit, die sie uns wie ein Naturgeschehen, etwa einen Berg von Aetna- oder Fusijamaformen empfinden läßt. Die Kunst der Menschen ist hier nicht als Nachahmerin, sondern als Nebenbuhlerin der Natur aufgetreten. Der Einfluß von Weltgeschehen auf das Menschenschaffen wird trotz solcher Verdunkelungen auch hier zu erkennen sein, er hat nur innerlichere Kanäle, verborgenere Röhren aufgesucht, als in den so benannten Naturalismen. Ahnliches, nur nicht ganz so Elementares ist auszusagen von den Pfeilerhainen der ägyptischen und der dorischen Tempel, der Mezquita von Cordoba mit ihren achtzehn Säulenreihen oder der Kathedrale von Amiens, wenn der Beschauer ihr Inneres unter der Vierung betrachtet. Görres1 mag von der Nähe der gotischen Pfeilerordnungen an Wald und Stamm schon beeindruckt worden sein; denn es ist schwerlich von ungefähr, wenn er seine Geschichte des Straßburger Münsters bei dem alten heiligen Hain der Tribocher und den drei hohen *) J. v. Görres, Der Dom von Köln und das Münster von Straßburg (1842) 55.

Pyramiden, Säulen, Gotik, geometrischer Aufbau von Bildern.

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Buchen, unter denen die Standbilder der drei großen heidnischen Götter standen, beginnen läßt. Aber auch die feiner und zarter ausgegliederten Zierstücke, mit denen die reiferen Kunstwei6en den Grundstock ihrer Bauten zu umkleiden liebten, haben derlei mittelbarere und tiefere Eindrücke von der Natur erfahren. So die Gotik in ihren stalaktitenhaften Pfeilern — etwa an der Turmhaube, mit der der letzte große Meister Hans Hüls von Köln den Turm des Straßburger Münsters gekrönt hat — so das Rokoko mit dem Wellengekräusel seiner Zierformen — etwa am Zwinger zu Dresden oder den Crustaceen- und Meertier-Formen in den Türfüllungen und Stuckdecken der Würzburger Residenz oder des fürstbischöflichen Sommerpalais von Bruchsal. Am bedeutendsten mag die Wirkung dieser Einflüsse aus der *Tiefe zuerst des Welt-, demnächst des Menschheitsgeschehens noch in der Bildnerei und Malerei sich in der Erscheinung geltend machen, daß selbst diesen doch vom Menschensein doppelt abhängigen darstellenden Künsten ein von Grund aus architektonisches Streben eingegossen ist. In der Bildnerei der Standbilder ist die Nähe am Baumstamm, die in den ersten altgriechischen Bildsäulen des sechsten Jahrhunderts 60 deutlich hervortritt, noch bis auf den heutigen Tag nicht zu verkennen. Noch merkwürdiger ist an den Werken der Malerei der Grundzug zu geometrisch wuchtigem Aufbau, der an den großen Gemälden harmonisierender Kunst, wie der italienischen Renaissance und des französischen und deutschen Klassizismus, aber auch Millets und Puvis de Chavannes' — schon vorlängst bemerkt durch Wölfflins Scharfblick — als eine allgemeine, im Ja wie im Nein gleich wichtige Erscheinung erkannt worden ist. Auch sie gehört, wie unschwer zu erweisen ist, in die Gruppe dieser aus dem Unterbewußten aufsteigenden Bewirkungen. Und wenn Franz Marc durch den Rücken seiner Pferde seine seltsamen Diagonalen und Rhomboeder gehen ließ, so hat er damit dieses Grundverhältnis zur symbolisch sichtbaren Erscheinung gebracht. 15»

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst and Technik.

Aber alles dieses sind Ausnahmen, es überwiegt in den Künsten aller Gattungen das eigenmenschliche Schaffen. — Schon wurde angekündigt, daß auch im Bezirk der Technik die Grenze zwischen weltähnlichem und eigenmenschlichem Tun gezogen werden solle. Diese Trennung darf hier umso weniger versäumt werden, als sich das Schaffen des Menschen absichtlicher- und ausgesprochenermaßen in keiner seiner Formen so deutlich zum Zweck setzt, das Wirken der Welt fortzuführen, es zu erweitern, zu verbessern, mit einem Wort: selbst Welt zu machen. So notwendig es nun ist, diesen Zusammenhang und die durch ihn bewirkten Ähnlichkeiten, ja Einheitlichkeiten von Menschheits- und Weltgeschehen bloßzulegen, so ersichtlich ist doch auch die Verschiedenheit beider Geschehensformen. Nicht so sehr um der Erzeugnisse der Faktizität willen, die auf beiden Wegen entstehen, als wegen des Wies und der Weise dieser Entstehung selbst. Auch in Hinsicht auf sie kommen für einen Vergleich am meisten nicht die großen und grundsätzlichen Unterschiede in Betracht, die sich hier in das Blickfeld drängen: weder die Willensmäßigkeit noch die Bewußtheit. Und zwar deswegen, weil die Willensentschlüsse des Menschen ihm zwar in den Täuschungen seiner Selbstbeobachtung wie die Erzeugnisse freier Wahl und Willkür erscheinen mögen, in Wahrheit aber als die Ergebnisse des Zusammenwirkens seiner eigenen Anlagen mit den von seiner Umwelt auf ihn eindringenden Einflüssen im Grund ebenso zwangsläufig bedingt und bestimmt sind, wie irgend ein Geschehen in der organischbiischen, ja auch in der anorganischen Welt. Und von der Bewußtheit gilt letzten Endes das Gleiche: denn insofern sie nur Spiegelung ist, sei es des in Frage kommenden Weltgeschehens, sei es des eigenen, menschlichen Tuns, vermag sie an sich dem zweiten so wenig wie dem ersten etwas hinzuzufügen. Insofern sie aber aus der Einbildungskraft geborenes und von ihr gelenktes neues Schaffen ist, bleibt sie doch noch, wie in der Lehre vom Gedächtnis

Technik und Weltgeschehen: Einheit und Unterschiede.

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zur vollen Genüge dargetan wurde, an den in dem Einzelmenschen aufgespeicherten Vorrat von Engrammen, von Eindrucksbildern gebunden. Denn eben das, was ich die Freiheit meines Phantasieschaffens nenne, ist lediglich die Möglichkeit der Verknüpfung von an sich in mir vorhandenen, d. h. früher in mich hineingeworfenen, nur bisher weder von mir, noch von anderen in dieser Verbindung geltend gemachten Einzelvorstellungen. Und es bedarf keines Beweises dafür, daß auch diese Entstehung von Verknüpfungen ein ebenso zwangsläufig bestimmter Vorgang, wie jedes organische oder anorganische Weltgeschehen ist. Wer aber dem Vergleich zwischen dem menschlichen und dem außermenschlichen Werkzeuggeschehen ernsthaft zu Leibe gehen will, wird bald inne werden, daß diese Nähen ihres Wesens zwar völlig zu Recht bestehen, daß es auf sie aber gar nicht ankommt, weil sie zu allgemeine, zu weitmaschige Tatbestände angehen. Dringt man aber in den von ihnen gespannten Rahmen ein, 60 finden sich Unterschiede, die auch von der unbefangensten, kosmozentrischsten, weltnächsten Sehweise zugegeben werden müssen und die gewichtig genug sind. Nur einem Mißverständnis sei im Voraus entgegengetreten, das sich nur allzu oft bei den Verfechtern der Nichts-als-Geistigkeit dieser Dinge einstellt; es ist die Meinung, als habe das technische Tun der Menschen gegenüber dem technischen Geschehen der Welt von vornherein nur Vorzüge. Die Wahrheit ist, daß dies Wertverhältnis, wie so oft, sich aus einem J a und einem Nein, aus Vorzügen und Nachteilen zusammensetzt. Die Vorzüge des menschlichen Werkzeugs, das, wie immer wieder von neuem zugegeben werden soll, im engeren und betonten Sinn des Worts allein Anspruch auf diesen Begriff hat, erfließen allesamt aus der einen sinnlich-seelischen Wurzel, aus der alle diese Findungen und Erfindungen des menschlichen Geistes entsprossen sind, nämlich aus dem

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

Bedürfnis. Alle Werkzeuge, die der Mensch geformt hat, sind Kinder eines Bedürfnisses, das er empfand. In ihm mag der tiefste Quell für all das Dichten und Trachten zu suchen sein, durch das unser Geschlecht neben vielen anderen Zwecken auch den verfolgt hat, die Basis von Sein zu erweitern, die ihm seine Umwelt gewährt. Nicht Not, wie man mit etwas müde kränkelnder Weltweisheit allzu einseitig gemeint hat, darf an die Stelle des Bedürfnisses gedacht werden: denn Not wird nur von der Schwäche verspürt, Stärke aber, die sich auswirken will, fühlt auch ein Bedürfnis, aber nicht das zehrende, saugende Schutzund Nahrungshungernde des Triebes, der auf Selbsterhaltung und bestenfalls Selbstbereicherung ausgeht, sondern den schwellenden Drang nach Lustvermehrung und nach einer Selbsterweiterung, die auf Tat und Macht, auf Zeugen und Schaffen gerichtet ist. Beide Formen von Bedürfnis, aber weit mehr noch die auf Tat zielende, als die aus Not geborene mögen zusammengewirkt haben, um dem Menschen das Streben zur Formung des Werkzeugs einzugeben, das zu erfinden ihn nur Schaffenslust drängte und das ihm die Kräfte zu einer äußeren Erweiterung seines Selbst verlieh. Sehr mit Recht hat man den Menschen ein Zwecke setzendes Wesen genannt, und es war ein sehr entschlossener Verfechter der nur-geistigen Sicht auf Menschentun und -treiben: Sombart, der so tat. Er mag geirrt haben, insofern er vermeinte, damit eben dieser Sicht eine neue Stütze zu geben. Aber wenn dies auch nicht der Fall ist — aus demselben Grunde, der wie noch eben dargelegt wurde, es hindert, das menschliche Handeln um seiner Gewolltheit willen als sich hoch über das Weltgeschehen erhebend von ihm abzusetzen — wenn auch jene Zweckhaftigkeit ebenso wie die Gewolltheit an der Vorbestimmtheit und Vorbedingtheit des menschlichen Tuns nichts ändert und also den behaupteten Gegensatz nicht begründet, so ändert sich doch die Form des Geschehens in den Mitteln seiner Auswirkung.

Technik aus Selbsterweiterungsdrang, Wandlung des Ichs.

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Indem der Mensch Werkzeug erschafft, ändert er die Werkzeugausrüstung seiner Seelenkräfte. Es ist die Instrumentation seines Ichs, die er verwandelt, indem er ihm Instrumente giebt. Indem er sich Werkzeug zum Wirken bildete, handelte er wie der hilfreich-kluge Chirurg der Gegenwart, der dem verstümmelten Menschenleib für die durch Verletzung verkürzten Gliedmaßen Prothesen, künstliche Verlängerungen giebt. Er glich, wie dieser, vorhandene Mängel durch wohl ersonnene Hilfsmittel aus. Aber so wenig Metall und Elfenbein oder Holz und Leder die Wirkungsfähigkeiten von Fleisch und Blut erlangen können, so wenig haben je Werkzeuge die Wirkungsfähigkeiten von lebenden Organen — ein Wort das auch Werkzeug bedeutet — erreicht. In diesem Zurückbleiben aber ist nicht nur der Nachteil umschrieben, den jedes Werkzeug aufweist, sondern, mehr noch, der Mangel, den das Ich des Menschen selbst gegenüber der Schöpferkraft der Natur zeigt: es ist selbst etwas eisern oder hölzern gegenüber dem quellenden Wachstum des Lebens, wenn es sich diese Hilfsmittel schmiedet. Aus dem Gleichnis in die Wirklichkeit übertragen will dies besagen, daß die menschliche Werkzeugkunst sich unvergleichlich viel gröberer Stoffe und unvergleichlich viel einfacherer Kräfte bedient als das Weltgeschehen und ebenso daß auch sein Denken ähnlich einfacher und gröber ist, als das Kräftespiel der Natur und der in ihm, um in Menschensprache zu reden, wirksam gewordene Erfindungsreichtum. Wollte man dieser Anschauung gegenüber an das oft berufene Wort von Helmholtz erinnern, daß er das menschliche Auge einem Optiker, der es ihm als sein Erzeugnis überreicht haben würde, um seiner Baufehler willen zurückgegeben haben würde, so muß darauf verwiesen werden, daß diese Äußerung doch nur den gröbsten Außengürtel im Umkreis dieses Naturerzeugnisses trifft, an dem Zellen- und Molekülbau seines Kerns würde ihr menschlicher Hochmut schnell genug zerschellen.

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Kunst und Technik.

Soweit erstreckt sich das Nein des Gleichnisses; sein Ja aber reicht um deswillen noch sehr viel weiter als die genaue Deutung des Bildes zulassen würde, weil ja die menschliche Werkzeugkunst nicht wie der Orthopäde sich auf den Ersatz verloren gegangener Geschehensmöglichkeiten beschränkt, sondern zugleich neue schafft. Und schon die einfachsten von ihnen, die Wage, der Wagen, die Schleuse, die Uhr konnten nicht ersonnen werden ohne ein hohes Maß von einer die Wirklichkeit zwar belauschenden, von ihr auch belehrten, aber weit über sie hinaus fliegenden Einbildungskraft, von einem die erwünschten Möglichkeiten klug berechnenden Verstand und einem starken Willen, der die überall von der Natur entgegengesetzten Hindernisse zäh überwindet. Die Stärke der so wirkenden Kräfte und der von ihnen gewirkten Werke wird man ihrem Grundbegriff nach so umschreiben dürfen: sie vermögen zum ersten den bewegenden Kräften der Natur eine über ihre an sich gegebene Betätigung zum Nutzen des Menschen hinausgehende Wirkung abzugewinnen. Der von einem Fluß vorwärts getriebene, den Menschen nur gelegentlich tragende Baumstamm verwandelt sich unter seiner Hand in das Boot. Sie vermögen zum zweiten freie, von der Natur nicht vorbereitete Geschehensformen zu erzeugen, die, sei es unter der Einwirkung der Menschenkraft, sei es durch selbsttätig arbeitende Beweger angetrieben werden: die eine Gruppe, die reinen Werkzeuge und die zu Unrecht so genannten Maschinen umfassend: von der Nadel bis zur Nähmaschine, vom Pflug bis zur Mähmaschine, von der Hand- bis zur Windmühle, die andere Gruppe aus den mit Recht so benannten Maschinen bestehend, von der Uhr bis zum elektrischen Triebwagen, bis zur Draht- und zur drahtlosen Telegraphie. Das auszeichnende Merkmal, das beiden Gruppen eigentümlich ist, und das beide gegen alles Naturgeschehen abgrenzt, ist, daß der Mensch nach dem Bedürfnis seiner Art

Neue Geschehensmöglichkeiten.

Gestalthafter Glauben.

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diese Werkzeuge schuf. Und so gewiß er selbst und sein Wachstum und seine Entwicklung, auch die seines Geistes, sich dem übrigen Weltgeschehen an- und einpaßt, als ein das Insgesamt zwar übertreffender aber ihm nicht wesensfremder Teil, so gewiß trägt die Werkzeugkunst des Menschen, obwohl sie »Welt machen« will, ein imbedingt eigenmenschliches Gepräge. Und es ist nicht nur ihre Begrenztheit, ihre allzu grobe, allzu einfache Verfahrensweise, nein auch ihre Stärke, die Eigenwilligkeit, mit der sie ihre Zwecke durchsetzt, die sie von allem naturgegebenen Weltgeschehen abhebt. Beides, daß sie dieses nicht nachahmen kann, oft aber auch nicht nachahmen will, setzt hier den Unterschied: ein geradliniger Kanal, der die Landschaft durchschneidet, den Menschen nützt, die Natur entstellt, ist für beide Wirkungen Bild und Gleichnis.

Drittes Stück. Die e i g e n m e n s c h l i c h e E i n b i l d u n g s k r a f t in ben und b a u e n d e r Forschung.

Glau-

Für Glauben und Forschung gilt das gleiche wie für die Kunst: auch in ihren Reichen grenzen sich sehr umfangreiche und wertvolle Bezirke ab, in denen das eigenmenschliche Schaffen durchaus vorherrscht. Doch sollen diese hier nicht einmal in den weitesten und leisesten Umrißlinien angedeutet werden, da es eines tiefen Eingehens in die Formenlehre beider Bereiche geistigen Schaffens bedürfen würde, um dies mit einiger Sicherheit zu tun. Nur dies sei gesagt: so weit der Glauben einer kosmologischen Metaphysik, einer Weltlehre also zugehört, reicht auch der Bezirk der stärksten Einwirkung des Weltgeschehens auf seine Gebilde; dort aber, wo eine anthropologische Metaphysik einsetzt, eine menschennahe, eine vermenschlichende Gestalthaftigkeit des Glaubens, da machen sich, wie im Grunde selbstverständlich

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Glauben, Forschung.

ist, die Umprägungen eigenmenschlicher Einbildungskraft geltend, nicht immer bis zu herrscherlichem Übergewicht reichend, aber ganz gewiß nicht ohne ihr Hinzutreten denkbar. Die Grenze mag am ehesten da zu ziehen sein, wo der Mythos endet, d. h. also die heilige Sage, die in der Regel im Urzeitalter der Völker entstanden ist, die aber auch auf der Altertumsstufe bei weiterer Ausdehnung der Götterwelt die mannigfaltigste Ausgestaltung erfuhr. Überall, wo der Geist dem Glauben diese Form verboten hat, da überwiegt Menschentum und Menschentun, oft in buntfarbigstem Gewimmel: Gestalten wie Geschichten, die sich ebenso sicher dem Was ihres Daseins und Geschehens wie dem Wie der sie formenden Kräfte nach unmißdeutbar als Ausgeburten der menschlichen Einbildungskraft zu erkennen geben. Ja noch die Mystiken der Mittelalter, deren Sinn und Wirkung recht eigentlich darin besteht, daß sie die Gestalten der Götterhimmel wieder in Gewalten und mithin den Mythos wieder in Metaphysik auflösen, tragen zuweilen ein Gepräge von überwiegend eigenmenschlichen Zügen. Buddhas Lehre zwar nimmt sich wie ein neuer Sieg des Weltgeschehens über den Glauben aus: der Rückgang der Seele aus der Unrast ihres Erdenlebens in das All kann gar nicht anders gedeutet werden, denn als eine Kosmologisierung, ein Wieder Weltischwerden des Glaubens. Aber schon die in so viel Ordnungen gestuften Engelhimmel des Pseudodionysios, des Areopagiten, oder Wilhelms von Auvergne1 tragen die deutlichsten Zeichen davon an sich, daß weder altgriechische Mystik Neuester Zeit noch germanisch-romanische des Mittelalters es an reichlichen Vermenschlichungen des Grundkerns der mystischen Lehre ermangeln lassen. Dieser Grundkern selbst aber setzt sich auf dem Gipfel dieser Entwicklung bei Meister Eckehart schon zu gleichen Teilen aus Eindrücken vom ') Vallentin, Der Engelstaat (Bausteine und Grundrisse zur Staats- und zur Geschichtslehre zusammengetragen zu den Ehren Schmollers von Breysig u. A. [1908] 43ff.).

Kosmologisierende Glaubensgestaltungen.

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Weltgeschehen und aus ganz menschlichen Phantasiegebilden zusammen. Die Gestaltungen des Glaubens, die, von reicher Fruchtbarkeit nur im neueuropäischen Weltalter, die Neuere und die Neueste Zeit beherrschen, bedeuten erst recht eine Erneuerung und Verstärkung dieser Vermenschlichuug des Glaubens. Luther vornehmlich, doch auch Calvin sind Träger eines so anthropologischen Christentums, das den Menschen zu Mitte und Ausgangspunkt auch der Gotteslehre macht. Die Alte Kirche vollends brauchte zur Austilgung ihrer durch die Mystik herbeigeführten Kosmologisierung, ihrer Verweltlichung also, wenn man das Wort in einem abgewandelt daseinswissenschaftlichen Sinn so anwenden darf, nur den im Grunde nie erschütterten anthropologischen Kern ihrer Glaubenslehre wieder zur vollen Herrschaft zu bringen, um eine Rückbewegung in gleicher Richtung zu vollziehen. Wohl hat dann die Aufklärung gegen diese einen neuen Gegenschlag geführt, indem sie ihre unpersönliche Daseinslehre und ihre Vorstellungen von dem deistischen Gott, der nur das Weltgesetz giebt, von der Vorsehung und schließlich von einer ganz ungöttlichen Entwicklung durchzusetzen suchte. Gewiß waren das Rückwendungen zu einer kosmologischen, einer weltischen Daseinslehre innerhalb des Glaubens; doch ist das gläubige und kirchliche Christentum des neunzehnten Jahrhunderts, das in der Romantik sehr schnell zu Abwehr und Rückschlag ausholte und eine vollkommene Restauration der alten persönlich-menschlichen Gotteslehre herbeiführte, bis zur Gegenwart durch jene »Verweltlichung«, Kosmologisierung nicht nachdrücklich oder gar dauernd beeinflußt worden. Die Alte Kirche, ebenso die evangelische Rechtgläubigkeit blieben von ihr unberührt und auch der liberale Protestantismus hat sich ihren Nachwirkungen trotz einigen metaphysisch-kosmologischen Anwandlungen in diesem Stück im Wesentlichen entzogen. Der moderne Abfall von Glauben und Gotteslehre ist zwar gewiß, vornehmlich in seinen materialistischen und monisti-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Glauben, Forschung.

sehen Ausformungen, eine neue und stärkere Rückbiegung zu der Verweltlichung, den Kosmologien der Aufklärung; aber da sie sehr radikal waren, so wurden sie zu Bewegungen nicht mehr innerhalb, sondern außerhalb des Christentums. In der Forschung aber verschiebt sich das Bild, in seinem Insgesamt betrachtet, eher wieder zu Ungunsten der eigenmenschlichen Schöpfermacht. Gewiß ist: schon ihr letztes Ziel, das ihr aufdämmert, sobald sie sich nur aus dem bloßen Wissen der Uranfänge emporarbeitet, ist ja auf eine Wiederspiegelung von Welt und Wirklichkeit gerichtet. Und der Verzicht auf ein Waltenlassen der Einbildungskraft, der in dieser Grunderkenntnis liegt, ist von aller Erfahrungswissenschaft bis auf den heutigen Tag mit möglichst viel Treue, oft mit Strenge und mit eifernder Abwehr gegen jede Einmischung der Phantasie zum mindesten in den Endergebnissen, in dem Stoff der errungenen Erkenntnisse aufrecht erhalten. Kein Zweifel, auch die wirklichkeitstreueste Wissenschaft hat sich ihre Werkzeuge nur von der forscherlichen Einbildungskraft schmieden lassen und sie nur mit ihrer Hilfe handhaben können. Haben auch alle Ober-, alle Sammelbegriffe, wie dargetan wurde, mit den Wurzelfaktizitäten, aus denen sich die Einzelwirklichkeiten ableiten, eine innerste Ähnlichkeit, so sind sie doch zu erringen nur vermittelst der Vorwegnahme, die allein die wissenschaftliche Einbildungskraft leisten kann, und für die die Wege gefunden zu haben eine der größten Errungenschaften ist, deren sich diese zu rühmen hat. Und so ist auch bei allen feiner gegliederten, höheren Aufgaben das Werk der Wissenschaften selbst in allen streng-erfahrungsmäßig verfahrenden Wissenschaftszweigen nicht ohne Phantasiehilfe zu verrichten. Und zuweilen sind, wie so oft in der Sternkunde — etwa für die astrophysikalisch ermittelte Sterngeschichte und in der Erdgeschichte — selbst noch in der so strengen Physik, der Forschung Gebilde gelungen, die nur einer äußersten

Vorwegnahmen der Forschung, Geschichtsschreibung.

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Spannung wissenschaftlicher Einbildungskraft ihr Dasein verdanken konnten: so das von Lothar Meyer und Mendelejeff gleichzeitig gefundene Periodische System. Aber immer — davon war schon zur Genüge die Rede — war ja der Ehrgeiz auch dieser höchsten Leistungen forscherlicher Phantasie dem Urbild der Wirklichkeit nahe zu kommen, immer auch — wie ebenfalls dargelegt wurde — erhebt sich über alle diese an sich erstaunlichen Erfolge das Bewußtsein, um wieviel reicher die Gebilde des schöpferischen Weltgeschehens sein mögen, deren wirklichem Wesen sich jene Anspränge des Menschengeistes besten Falls nur nähern können —- ein Bewußtsein, das den hochmütigen Sinn eifernder Spiritualisten niederdrücken mag, das aber die weltfromme Gesinnung der nur auf Erfahrung gestellten Forschung eher erheben kann. Denn sie wird die drängende Fülle, den überfließenden Reichtum des Weltgeschehens als ihren eigenen Besitz, als den Reichtum auch des Menschengeschlechts ansehen. Von den Geisteswissenschaften könnte man, insofern sie Wissenschaften von Menschen und von Menschheitsgeschehen sind, annehmen, daß sie schon um dieses ihres Gegenstandes willen dem in betontem Sinn eigenmenschlichen Bezirk forscherlicher Einbildungskraft zugewiesen werden müßten. Und so gewiß dies zutrifft, so gewiß ist doch auch, daß das Wie der Forschungsweise, auf das es doch letztlich ankommt, im Bereich der erfahrungsmäßig verfahrenden Geisteswissenschaften im Vergleich mit den Naturwissenschaften eher auf geringere als auf größere Spannungen der forscherlichen Einbildungskraft Anspruch erheben wird. Einen sehr starken Beweis erbringt dafür die Geschichte der Geschichtsschreibung: ihre Absicht ist freilich von ihren Anfängen an für lange Jahrhundertereihen nicht eigentlich wissenschaftlich, sondern lebensmäßig gewesen, nämlich in der Niederschrift von sehr stark empfundenen Ereignissen ein Erinnerungsbild und damit noch einen letzten Rest des Erlebens selbst aufzubewahren. Bei dieser Weise ist man lange Jahrhundertereihen hindurch geblieben und sie be-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Glauben, Forschung.

deutet doch eben durchweg einen Verzicht auf die Anspannung der forscherlichen Einbildungskraft. Auch bei den großen, geistreichen Völkern, bei Griechen und Römern, Italienern und Franzosen, Engländern und Deutschen hat es bis tief in die Neuere Zeit gedauert, ehe starke Geister sich höher über die Dinge erhoben. Nicht Herodot, wie auch in einem tieferen Sinn Thucydides, sondern erst Aristoteles und Polybios, nicht Livius und Caesar sondern erst Tacitus, nicht die Chronistenschar des Mittelalters und noch der Neueren Zeit sondern erst Vico und Montesquieu, Ferguson und Herder haben den Bann der alten reinen Beschreibungskunst zu brechen vermocht. Es will im Zuge dieses großen Geschehens sehr wenig besagen, wenn Thucydides die von ihm selbst verfaßten Beden den Helden seiner Darstellung in den Mund legte; dies war eher ein Übergreifen der künstlerischen, nicht aber das Emporsteigen der forscherlichen Einbildungskraft. Die Großen von Vico bis Herder aber versuchten das unabsehbare Tatsachengewimmel der überlieferten Beschreibung in die großen Ordnungen weitgreifender Geschehenszusammenhänge einzureihen. Kein Zweifel, diese großen Leistungen ordnerischer Wissenschaft waren der Ertrag von hohen und höchsten Spannungen der forschenden Einbildungskraft: die nicht allein in der Überlieferung, nein auch im wirklichen Geschehen selbst in Myriaden von Einzelvornahmen des menschlichen Handelns zerspaltenen Bruchstücke dessen, was man Geschichte nennt, wurden durch sie in die Netze bindender und verbindender, einender und trennender Denkverknüpfungen eingefangen, die von sich selbst zwar behaupteten, sie seien Tatsachenzusammenhänge, die ihrer Entstehung nach aber gewiß nur Denkgebilde waren. Und die Versuche, die Hegel und Comte in der gleichen Richtung, nur noch weiter vorschreitend, machten, trugen den Stempel dieser echt eigenmenschlichen Schöpferkraft noch viel stärker an sich. Unter Hegels Händen wurde die Geschichte der Menschheit schlechthin zu einem Weltgedicht, einem Drama, in dessen vier

Selbstbeschränkung' begrifflicher Forschung.

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Akten die großen Völker nach einander sich ablösend die Protagonisten-Rolle sei es als Einzelne, sei es als Gruppe übernahmen. Nur daß man die Worte Gedicht, Drama nicht im eigentlichen, dichterischen Sinne, sondern als Bild und Gleichnis für ein an sich ganz forscherliches Tun auffassen muß. Gleichwohl ist auch von allen diesen kühnsten und am weitesten vorstoßenden Unternehmungen schaffensfreudiger und im wahrsten Sinne des Worts phantasiebeflügelter Geschichtsforschung gewiß, daß sie alle — wenn auch in Graden von sehr verschiedener Stärke — selbst in ihren letzten Zielsetzungen nach nichts so sehr trachteten, als den Kern des geschichtlichen Geschehens zu enthüllen und somit nur Wirklichkeit wiederzuspiegeln, wenngleich in inneren und innersten Schichten, tief unter der dem zuschauenden Auge der Zeitgenossen oder selbst noch des beschreibenden Geschichtsforschers sichtbaren Oberfläche. Und die heutige Geschichtslehre, die, sehr gegen die Gesamtstimmung der Wissenschaft und insbesondere der Geschichtsforschung selbst, nach fast hundertjährigem Schweigen diese Stimmen der Tiefe wieder zum Tönen zu bringen versucht, hat aus noch viel eifervollerer Überzeugung und noch unbedingter als je zuvor allem diesem Suchen und Forschen doch die Grenze der Wirklichkeit gesteckt. Diese junge Wissenschaft würde all ihr Tun für eitel und nutzlos halten, wenn sie je etwas Anderes als die verborgenen Kräfte, die Urdinge des geschichtlichen Geschehens zu erkennen trachten sollte. Ganz in der gleichen Lage sind die anderen auf Begriffsbauten gerichteten Geisteswissenschaften, die sich gegenüber dem überwiegenden Strom der beschreibenden Forschungsweise behaupteten, schon seit Jahrzehnten gewesen und sind es noch heute, so vornehmlich die Volkswirtschaftslehre, so auch die leider im Bereich der Philologie von der Literargeschichte und Textkritik in den Hintergrund gedrängte eigentliche Sprachwissenschaft, so endlich auch die erst in den letzten zwanzig Jahren sich erhebende Ge-

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Urkräfte: Schöpferkraft der Welt: Glauben, Forschung.

sellschaftslehre. Die Begriffsbauten aller dieser Wissenschaften sind Werke schöpferischer Einbildungskraft in der Forschung; sie alle aber wollen nichts anderes als Wirklichkeiten erfassen und ihre Vertreter müssen sich, wenn sie den rechten Einblick in das innere Triebwerk menschlicher Dinge gewinnen wollen, mit der Überzeugung durchdringen, daß ihre allerdings nur von forscherlicher Phantasie zu bewirkenden Ergebnisse im besten Fall ihren Bauten nur einen Bruchteil von den Tatbeständen einverleiben können, die die unvergleichlich viel reichere, viel schöpferischere werktätige Bildnerkraft des geheimen und unseren Augen fast ganz entzogenen Menschheitsgeschehens als Wirklichkeiten hat entstehen lassen. Wohl bleibt durch alle solche Zugeständnisse die Tatsache unberührt, daß es ein neuer und wahrlich ein eigenmenschlicher Weg ist, auf dem unser Forschen seine Schöpfermacht bewährt: es ist nicht die Logik des Geschehens, sondern die Logik des Schließens und des Folgerns, aus der heraus sie ihre Ergebnisse erzielt. Für die Gesamtsicht aber wird man das unbewußte Welt- mit dem bewußten Menschheitsgeschehen doch vergleichen dürfen, vornehmlich dann, wenn man sich daran erinnert, daß noch die bewußteste unter den bewußten Handlungsformen des Menschen, das Denken selbst von uns weder seinen Inhalten nach willkürlich, noch als Tätigkeit bewußt vollzogen werden kann: es denkt in uns genau so, wie es wächst im organisch-biischen Reiche, oder wie es strömt im elektrischen Bezirk des anorganischen Reiches.

Viertes Stück. Die

eigenmenschliche Einbildungskraft seins- und Erkenntnislehre.

in

Da-

Weitere Ansprüche haben die Wissenschaftsbewegungen erhoben, die an den Grenzen der eigentlich erfahrungsmäßi-

Logik des Folgerns, nicht des Geschehens.

Denkgebäude.

241

gen Bezirke dieser Geisteswissenschaften sich geregt haben und ein Hinüberlangen dieser Forschungsgattungen in das Reich des reinen Gedankens eingeleitet haben. Es ist eine Sozialphilosophie, eine Kunstphilosophie, eine Rechtsphilosophie entstanden und von ihnen sind Begriffsbauten errichtet worden, die allerdings weit kühnere und weit selbständigere Spannungen der forscherlichen und mithin ganz eigenmenschlichen Einbildungskraft darstellen, aber freilich auch nicht mehr darauf Anspruch machen dürfen, daß ihre Ergebnisse den Wirklichkeiten der Tiefe, den Urdingen entsprechen. Wohl wird dies von ihnen noch immer behauptet, aber die von dieser Grenz- und Übergangsgattung geschaffenen Gebilde sind in Wahrheit reine Denkgebäude, aufwärts ragend in den freien Luftraum des reinen, wirklichkeitsfernen Gedankens, nicht aber mit festem Balkenwerk hinunterreichend in das Reich des Wurzelgeschehens und der Tiefe. Das Kennzeichen dieser Wissenschaftsgattung ist, daß es ihr im Grunde weit mehr auf die Kunst des BegriffeScheidens und -Yerbindens ankommt, als auf die Ermittelung irgend eines Tatbestandes. Den Forschern, die dieser Weise zugeschworen sind, würde es im Grunde gleichgültig sein, ob der Gegenstand, an dem sie diese ihre Kunst üben, Kunst oder Wirtschaft, Recht oder Gesellschaft ist. Doch freilich, der letzte Zielgedanke aller dieser Forschungen bleibt immer, ein Abbild der Wirklichkeit zu liefern, wenn es oft auch eher ein Äquivalent von ihr ist. Und das Gleiche gilt von jener dritten Form alles forscherlichen Mühens: von der Philosophie, die so oft den Anspruch erhoben hat und zuweilen noch heutigen Tages erhebt, daß sie alle andere Wissenschaft überflüssig mache. Sofern sie als Metaphysik reine Daseinslehre, als Logik halb daseinswissenschaftliche Erkenntnislehre sein will, hat sie in ihren kühnsten Ausgipfelungen Gebilde erzeugt, die in der Tat nicht allein dem Wie ihres Bauens, sondern auch der Höhe ihrer Bauwerke nach danach trachteten, sich über die Natur zu erheben. Und ihre Eigenmenschlichkeit haben sie bezeugt in der B r e y a i g , Naturgeschichte and Menschheitsgeschichte.

16

242

Urkräfte: Schöpferkraft: Eigenmenschliche: Daseinslehre.

Stärke der Werkzeuge und der Manipulationen ihres Denkens, wie auch in der Schwäche ihrer oft nur allzu naiv phantastischen Mißgriffe. Haltlos in allen ihren Einzel- wie in ihren Endfolgerungen, ist doch nicht nur die Scholastik des Mittelalters geblieben bei aller Vielgliedrigkeit und Schönheit ihrer Gedankendome; ganz ohne allen festen Erfolg ist doch auch Leibniz' seltsam unsichere und schwankende Monadenlehre verkündet worden, von Fichtes und Schellings Geistdichtungen ganz zu geschweigen. Und selbst Hegels an sich so viel fester auf die Grundmauern der Erfahrungswissenschaft gegründeter und in seinen Krönungen dann doch umso dichterischerer Denkbau ist ein Luftgebilde geblieben, dessen Größe man als einen letzten Mythos vom Geist verehren kann, auf dessen Standfestigkeit heute aber kein Forscher und kein Metaphysiker auch nur das Mindeste geben würde. Man wird nicht leugnen dürfen, daß die Brüchigkeit, ja Hinfälligkeit der Denkgebäude, die man recht eigentlich mit Betonung als Metaphysiken zu kennzeichnen pflegt, auch an ihrem Rang und Wert als von Zeugnissen eigenmenschlicher Schöpfermacht eine herabmindernde Wirkung ausüben muß. H ä t t e n wir, was wir wunderlicher und zugleich bedauerlicher Weise nicht haben, eine kritische, eine wahrhaft richterlich prüfende Geschichte der Philosophie, so würde sich ergeben, daß überall dort, wo die Metaphysiker in diesem beschränkten Sinn des Wortes gebaut haben, heute Trümmerfelder sich dehnen. Und vergleicht man mit diesem Tatbestand die Baugeschichte der so viel bescheideneren Erfahrungswissenschaften, der Sternkunde — seit den Tagen der Babylonier —, der Physik seit Newton, der Chemie seit Dalton, so finden sich freilich auch in ihr genug Ruinenstätten, die nach kurzer Zeit von denen, die sich zuerst auf ihnen hoffnungsfreudig angesiedelt hatten, verlassen worden sind und zu denen bis in alle Zukunft hinein nie wieder ein Nachfahr seinen Schritt zurück lenken wird; aber im Ganzen stellt sich doch das Gesamtwerk dieser Wissenschaften wie die von Schicht zu Schicht emporstei-

Hinfälligkeit der Denkgebäude.

Logik und Erkenntnislehre.

243

gende Schöpfung eines sich folgerichtig aus sich entwickelnden Werdens dar. Was bedeutete es schließlich für das dauerhafte Wirken der Philosophie, wenn Hegel seinen frei erfundenen Mythos vom Geist mit breiten Schichten sicherer oder doch damals gesicherter Ergebnisse der Erfahrungswissenschaften durchzog. Wie konnte das Zusammenschweißen so grundverschiedener Baubestandteile anders enden, als mit Zusammensturz und Trümmern. J a man hat zuletzt die Empfindung, als hätte sich das in Wahrheit Allzu-hoch-Planen und Allzu-hoch-Bauen dieser Erzeugnisse eigenmenschlichen Schaffen-Wollens an ihren Urhebern und ihren Werken gerächt. Es wurde an ihnen offenbar, daß diese Wirkensweise forscherlicher Ein bildungskraft viel zu schwach war, um sich mit den ewigen Werken des Weltgeschehens auch nur im entferntesten messen zu können. Noch bleibt das Werkzeug und die eigentliche Werkzeugwissenschaft der Philosophie, noch bleiben Logik und Erkenntnistheorie hier anzugliedern. Daß ihr Tun, die Bildung von Begriffen, zu drei Vierteln ein Werk forscherlicher Einbildungskraft ist, soll als ebenso gesichert angenommen werden, wie ihre ausschließend eigenmenschliche Beschaffenheit. Denn so gewiß auch die Wesensähnlichkeit der Urdinge mit den Sammelbegriffen, von der die Rede war 1 , nicht zu erschüttern ist, so gewiß hat das Hingelangen des menschlichen Geistes zu Oberbegriffen und Sammelbegriffen nirgendwo im Weltgeschehen sein Seitenstück und kann es auch als eine Vornahme wissend-bewußten Tuns nicht haben, da ja die Natur nur an diesem einen Ort, im Geist des Menschen, wissend und bewußt geworden ist. Wir Forscher haben am öftesten und am tiefsten Ursache, diese Fähigkeit des Geistes, die den Menschen über das Weltgeschehen hinausgehoben hat, als Gabe, als Glück !) Vgl. oben S. 205 ff. 16*

244

Urkräfte: Schöpferkraft: Eigenraenschliche: Daseinslehre.

und als Auszeichnung zu empfinden: alles Mühen und Erkennen der Erfahrungswissenschaften hat seinem Wie naoh die gleichen Werte an sich erzeugt, nur daß an ihnen das Werkzeug sich in seiner werktätigen Anwendung bewähren, daß es zumeist auch erst geschaffen werden mußte, während die Lehre vom Wesen und den Formen des Erkennens die grundsätzlichen Fragen zu lösen hatte. Kein Zweifel, der Mensch hat mit diesem Erfolg ganz ebenso wie mit dem Wie der Kunst in das Gesamtbild des Weltgeschehens einen Bestandteil gefügt, den dessen Insgesamt noch nirgends sonst aufzuweisen hatte, und dooh muß auch hier an die Begrenztheit der erreichten, wie überhaupt erreichbaren Ergebnisse dieses an sich schöpferischen Tuns erinnert werden. Mit aller Feinheit und aller Kühnheit, die der menschliche Geist bei Ausbildung dieser se ner Denkwerkzeuge entfaltete, hat er doch nie ein anderes Ziel durch sie verfolgen können, als die Spiegelung der Welt oder seines eigenen, des Menschheitsgeschehens. Es ist doch bezeichnend, daß der gewaltigste Denker, der je seine Kraft an die Prüfung und Neuformung der allgemeinen Werkzeuge des Denkens gesetzt hat, sich auf das Grundsätzlichste als einen Mann erfahrender Wissenschaft bekannt hat und nichts so leidenschaftlich beteuert hat, als daß es ihm zuerst und zuletzt auf die Täler und Niederungen, das ßadog der Wirklichkeit ankomme. Und zum Zweiten, wie brüchig und teilstückmäßig ist wieder der Erfolg aller dieser Bemühungen geblieben. Es giebt keine Geschichte irgend einer einzelnen Wissenschaft, die nicht lehrte, daß die Kette der Neuerungen, die sie in der Folge an dem Werkzeug ihrer Forschungsweisen vorgenommen, zum kleinsten Teil aus unerschütterlichen Errungenschaften, zum größten Teil aber aus Fehlgriffen und Irrtümern besteht, die nach einem oder mehreren Jahrzehnten immer eingesehen und zurückgenommen worden sind. Wie wenig endlich auch die allgemeinsten Erzeugnisse der Erkenntnislehre, von den stärksten Händen erzielt, uner-

Ausbildung der Denkwerkzeuge.

Bescheidungen.

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schütterliehe Festigkeit gewinnen können, zeigt auf das deutlichste das Beispiel Kants. Das höchste und feinste Werkzeug, das er menschlichem Erkennen bereiten wollte, das A priori, die Setzung-im-Voraus, genauer die Gesetztheit-im-Voraus, die er als ein der menschlichen Vernunft eingeborenes und eingebautes Fach ordnenden und schichtenden Sehens erweisen wollte, starrt als Erzeugnis der Begriffsbaukunst von Kunstfehlern und ist an sich nicht nur ein undienliches, nein auch ein das schlichte Wirklichkeitserkennen gefährdendes Werkzeug. Und der Satz, in dem seine Erkenntnislehre gipfelte, daß die Welt ohne die von uns in sie hineingesehene Ordnung ein Chaos, ein Geröllhaufen wirrer Einzeltatsachen sei, ist für unser heutiges Erkennen nichts anderes als das charakteristischste Erzeugnis des wie von Dämonen besessenen Verstandes- und Ichhochmutes seiner Zeit: ein Wahnbild, über das die werktätige Erfahrungswissenschaft von anderthalb Jahrhunderten achtlos hinausgeschritten ist, als sei es nie aufgestellt worden, während ihm doch sein Urheber ewige unumstößliche Geltung gesichert zu haben glaubte. So scheint denn auch alle bauende Erkenntnislehre vor einen Zwieweg gestellt zu sein: entweder sie bescheidet sich und lernt einsehen, daß auch die kühnsten ihrer Untersuchungen an den Gegebenheiten der erfahrbaren Welt ihre unübersteigliche Schranke finden, oder aber sie macht sich, wenn ihr an noch höheren Bauten liegt, darauf gefaßt, daß ihre Werke, hierin den Metaphysiken und manchen Glaubenslehren ähnlich, von der nächsten oder übernächsten Generation in Trümmer geschlagen werden. Als die entscheidende Kennzeichnung des Rangverhältnisses zwischen der Schöpfermacht des Weltgeschehens und der der eigenmenschlichsten Form forscherlicher Einbildungskraft wird auch für Daseins- und Erkenntnislehre der Satz zu gelten haben: nie wird sie hoffen können den Umfang, noch auch die Tiefen, noch auch den Formenreichtum des Weltgeschehens, am wenigsten aber seine Sicherheit auch nur von ferne zu erreichen.

ZWEITER

TEIL.

DIE EINHEIT DER BEWEGUNG IM WELTGESCHEHEN UND IM MENSCHHEITSGESCHEHEN. DRITTES BUCH. DIE LEHRE VON DER EIGENBEWEGTHEIT. Erster Abschnitt. Die Bewegung im anorganischen Reich. Erstes Stück. Das T r u g b i l d des Seins der Dinge. Unsere Anschauung der Welt ist durchflochten von Irrtümern, auch da und gerade da, wo die ältesten und scheinbar sichersten ihrer Bestandteile in Betracht kommen. Nichts erscheint mos unumstößlicher als der Satz: die Dinge sind, und doch ist er bis ins Innerste falsch. Wahr ist vielmehr: die Dinge werden, oder wenn geschärfte Begriffsscheidung den Ausdruck Werden vorbehält für das Entstehen neuer Geschehensformen, so bleibt als Kern unantastbar: die Dinge geschehen. Dies Wort meint: die Dinge verharren nie, auch den kleinsten denkbaren Bruchteil einer Zeiteinheit nicht, in einem unveränderten Zustand, sondern sie sind bis in den letzten Winkel ihres Insgesamts wie bis zum kleinsten denkbaren Bruchteil ihrer Körpereinheiten in Bewegung begriffen. Kein Satz erscheint uns selbstverständlicher als der vom Sein der Dinge: wir brauchen ihn täglich, er ist fast stündlich die Voraussetzung für jede Aussage unseres Denkens über die Welt; die Wissenschaft von der Wirklichkeit der Welt, die Urwissenschaft nennen wir, als könne es gar nicht anders sein, Daseinslehre. Und doch irrt die Aussage im tiefsten wie im äußerlichsten Sinn. Die Dinge sind nicht, die Dinge sind nie — insofern Sein einen dauernden Zustand bedeutet,

Das Sein der D i n g e ; Doppelsinn des Ausdrucks Sein.

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wie der beständige und unveränderliche Denkwille unserer und aller ihr verwandter Sprachen es will. Man wende nicht ein, daß das Wort Sein in dem Satz: die Dinge sind, einen umfassenderen und biegsameren Sinn habe, den des bloßen Existierens, des Vorhandenseins. Denn wohl kann der Satz diese etwas dehnbarere Bedeutung auch haben; aber im Kern will er sagen: die Dinge sind vorhanden in einem beharrenden Zustand. Und in jedem Fall wollen wir von jedem Gegenstand, von dessen Sein wir sprechen, erklären: er verharrt so, wie er ist. Und daß wir so sprechen, daß wir jede Aussage von irgend einem Ding in der Welt, von dem wir in irgend welcher Absicht reden, in die Form kleiden, es ist, d. h. doch eben auch, es ist vorhanden in der Form des Zustandes, des Verharrens in einer und der gleichen Beschaffenheit, hat die schicksal- und wenn man will, die verhängnisvollsten Folgen gehabt. Wenn die Menschen der frühen Zeiten von den Dingen und ihrem Sein sprachen, so dachten sie dabei zuerst gewiß an die unbelebten Bestandteile ihrer Umwelt, die allerdings dem Aufnehmen ihrer Sinne fest und unbeweglich erschienen. Aber sie dehnten diesen Begriff des Beharrens, eben des Seins auf die Welt überhaupt aus, und so wurde der ursprünglich auf einen Sonderbezirk der Wirklichkeit beschränkte Irrtum auf ihr Insgesamt, auf die Welt ausgedehnt. Und diese Ausdehnung hat weiter all unser Erkennen von vornherein in die Seinssicht gebracht: wir sind durch Jahrtausende an sie gefesselt worden, die Einebnigkeit aller unserer Erkenntnislehre, die Gleichsetzung von Sein und Begriff ist die Folge des Irrtums über das Sein der Dinge — jetzt das Wort im engsten Sinn des Verharrens verstanden — gewesen. Uns, den Angehörigen des neueuropäischen, des germanischen Weltalters steht zu, mit einigem Stolz die Tatsache festzustellen, daß den Griechen die Sicht in diese Wahrheit vom Geschehen der Welt dergestalt verschlossen war, daß sie in die Einebnigkeit ihrer Seins- und Begriffslehre immerdar gebannt blieben. Wohl hatten sie in den frühesten Zeiten

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Trugbild des Seins.

ihres Denkens durch die Forschung der ältesten Jonier und des Herakleitos einen Vorstoß in die Erkenntnis der Wahrheit und des Werdens gemacht; aber er war nicht nachhaltig genug; der Rückfall des Parmenides und der anderen Denker von Elea blieb im Grunde ein endgültiger. Nie ist der griechische Gedanke zu einer tiefen und umfassenden Erkenntnis des Werdens als der Urform des Weltgeschehens vorgedrungen. Und bei der Abhängigkeit, in die der germanische Geist durch eine trotz aller Fruchtbarkeit tragische Schicksalsverkettung geraten ist, hat ihn dieser griechische Irrtum auf lange beherrscht, ja er ist durch Leibniz', Kants und der heutigen Neuplatoniker Steigerungen noch vermehrt worden. Man kann sagen, hätte der menschliche Geist den Tatbestand der Welt, die ihn umgiebt, in dieser Grundbedingung schon von Anbeginn seines selbständigen, also etwa seines spätmittelalterlichen Denkens so erkannt, wie ihn die Physik unseres Zeitalters aufgedeckt hat, er hätte die Wirklichkeit in dieser Grundsicht von Anbeginn anders gesehen und damit eine Anzahl der schwersten Fehlmeinungen vermieden. Und seltsam, so gewiß sich diese Irrtümer vornehmlich in der Schicht der doch wahrlich ganz geisteswissenschaftlichen Erkenntnislehre ausgewirkt haben, so gewiß ist doch die Ursache für diese in jedem Sinn Irrtum auf Irrtum häufende Fügung im Fortgang der Geistesgeschichte unseres Geschlechtes in einem elementaren Mangel unseres frühen Naturerkennens zu suchen. Die oberste Oberfläche alles Körpergeschehens, aller Physik erhob sich über das wahre Geschehen und verdeckte dieses vor unseren Augen. Wer an Dämonen in diesem größten Werdenszuge des Menschheitserlebens glauben wollte, müßte meinen, das innere Weltgeschehen habe sich in dieser Oberfläche eine Maske vorgebunden und uns so über die Beschaffenheit unserer Welt schmählich getäuscht. Die Mechanik, d. h. die Kunde von den festen Körpern sichtbarer Größenmaße wurde so zum entscheidenden Maß-

E i n f l u ß der Mechanik.

249

etab für unser Naturerkennen, aber auch für unsere Erkenntnis-, unsere Daseinslehre, für das wissenschaftliche Wie und Was unseres Weltbildes. Gerade so weit unsere unbewaffneten und ungeschulten Sinneswerkzeuge uns einen Anblick von unserer Umwelt vermitteln, reichte dieser Erkenntniskreis. Und er läßt uns allerdings grundsätzlich ruhende, in ihrer Lage beharrende Dinge wahrnehmen; kein Stein, kein Stück Holz, keine Waffe, kein Werkzeug, kein Stück unseres Hausrats, keine Mauer unseres Hauses regt sich: es sei denn, wir selbst oder irgend ein Lebewesen, ein Naturgeschehen, das von außen auf sie eindringt, setzte sie in Bewegung. Und seltsam, gerade an diese Form des Geschehens hefteten sich die entscheidenden Gedankengänge unseres Weltsehens. Die festen Körper sichtbaren Größenmaßes sind doch wahrlich auch für unsere unbewehrten Augen nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Kreisrund unserer Umwelt; gleichwohl haben wir von ihnen all unsere Grundsätze, unsere Welterkenntnis abgeleitet. Der Tisch ist, der Stein ist, die Eisenplatte ist, das ist im Grunde die gleiche Täuschung wie der Satz: die Dinge sind, die Welt ist. Diese zweite ist ja auch in Wahrheit von jener ersten hervorgebracht. Eine Entscheidung unseres Geistes, die man doch nicht ohne Verwunderung hinnehmen kann. Denn wohl könnte man hier einwenden, daß dem damaligen Werkzeugbestand der Naturbeobachtung jene mechanische Maske nicht nur undurchdringbar war, sondern auch undurchdringbar sein mußte. Aber, so fragt man und diese Denkmöglichkeit hegt wahrlich nahe genug, warum heftete sich der Geist gerade an diesen Ausschnitt seiner Umwelt, warum nicht an andere, die seinem Begreifen um nichts weniger zugänglich waren und die ihm nie die Starrheit und Unbeweglichkeit ihres Seins als Unterstellung für alle Wirklichkeit so aufgedrungen hätten wie jener. Auch die oberflächlichste Beobachtung von lebendigen Wesen, sei es der Tiere, sei es des menschlichen Leibes, ja auch der Pflanzen hätte zu der ent-

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Trugbild des Seins.

gegengesetzten Unterstellung führen müssen, hätte die Annahme des Fließens, des Geschehens, des Werdens aller Wirklichkeit mit derselben Dringlichkeit aufnötigen müssen. Und da ja der Geist hier wie immer und überall zu einer Einheit drängt, so ist mehr als wahrscheinlich, daß man zu der obersten Formel: die Dinge geschehen, die Welt wird, gelangt wäre, also zum vollen Gegenteil. Eben um jene ersten Bedenklichkeiten der jonischen Daseinslehren und ihres wahrlich noch kindhaft genug tastenden Forschens wach zu rufen, hat ja schon eine so einfache Beobachtung wie die Bewegtheit des Wassers im strömenden Fluß genügt. Sie hat zu einer Beanstandung der Grundanschauung vom Sein der Dinge geführt, immerhin also nur auf Grund einer schließenden Betrachtung, sogar nur von Vorgängen der unbelebten Welt, an deren Stelle freilich jede Beobachtung des Sternenhimmels, jedes Aufmerken auf den Wechsel von Ebbe und Flut, Tag und Nacht oder Winter und Sommer den gleichen Dienst hätte tun können. Es scheint aber wirklich so, als ob die Beobachtung der greifbar festen Körper der unbelebten Umwelt vor dem Geist dieser Dämmerzeiten allen anderen Sichtbarkeiten, den bewegten des anorganischen, den noch beständiger und noch nachdrücklicher bewegten des organischen Reiches so sehr den Vorzug abgewann, daß ihre Wesensart allein ihm die Richtung für die Formung seines Weltbildes gab. Nur der — an sich ebenso irrtümliche — Eindruck der festen Unbeweglichkeit der Erde mag hilfreich hinzugetreten sein; sonst vermag man sich nicht einmal Gedanken über die Gründe dieser — daseinswissenschaftlich höchst willkürlichen — Vorliebe zu machen. Es bleibt höchstens die Vermutung, daß der Mensch eben aus der Bewegtheit seines eigenen Daseinsbereiches, seines leiblich wie seelisch beständig bewegten und von unsicheren Gewalten bedrohten Lebens heraus im Unterbewußtsein das Beharren der festen, unveränderlich seienden Dinge wie einen ersehnten und erwünschten Gegensatz empfunden hat.

Unbewegliohkeit der Erile.

Sein und Begriff.

Ü51

Bei der Ausbildung dieser Bevorzugung des Seins zu einem begriffsmäßig erfaßten Weltbild half unzweifelhaft — und dies läßt sich viel sicherer sagen — der innere Zwang aller Begrifflichkeit und hat der Seinssicht zur endgültigen Herrschaft verholfen. Der Begriff bedarf der Annahme eines unveränderlichen Seins als einer für ihn unentbehrlichen Unterlage: sein Werk wird in seiner Wesenheit in Frage gestellt, in seiner Sicherheit bedroht durch die Vorstellung, der von ihm hergestellte Querschnitt durch die erfahrene Wirklichkeit sei zwar heute dieser, gestern aber ein anderer, morgen ein dritter. Ein Begriffsbau vollends —• und alle Erkenntnis-, alle Daseinslehre, ja auch die Gesamtheit aller begrifflichen Einzelwissenschaften sind Begriffsbauten — würde in die Gefahr sofortiger Vernichtung geraten, wenn auch nur ein Teil seiner Bausteine veränderlich wäre. Und da in der Geistigkeit des Volkes, das in den ersten zwei Jahrtausenden der europäischen Geschichte das Weltbild festsetzte, Neigung und Befähigimg zur Begriffsbildung jede andere, insbesondere die gläubiger Hingabe an Welt und Wirklichkeit, die zu erfahrungsmäßigem und insbesondere geschichtlichem, werdensmäßigem Sehen führt, überwog, so war der Sieg dieses größten Irrtums im Anschauen der Welt auf lange hin gesichert. Auch die Germanen haben ihren Weg bis zur Mitte der Neueren Zeit durchlaufen müssen, ehe sie von ihm sich zu lösen vermochten. Vicos Menschheits-, Wrights und Kants Himmelsgeschichte haben die Wendung herbeigeführt, aber man weiß, daß auch sie keineswegs endgültig war, daß ihr Rückfälle in die alte Ansicht auf dem Fuße folgten und daß sie bis zur heutigen Zeit und ihren mannigfaltigen Neuplatonismen andauern.

Zweites Stück. Die B e w e g t h e i t als Urform des Weltgeschehens. Es gab schon ein Mal einen Zeitpunkt in der Entwicklungsgeschichte des Geistes, an dem Anlaß gegeben war, die Tau-

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Eigenbewegtheit: B e w e g u n g : Urform des Weltgeschehens.

schung des Oberflächenbildes der Welt zu durchdringen und das Sein der Dinge als Grundform alles Sehens aufzugeben: als man der Bewegtheit der Erde gewahr geworden war. Damit war eine der wesentlichsten Voraussetzungen für jenes Weltbild dahingefallen. Aber so wenig die Wissenschaft sich dieser Voraussetzung bewußt geworden ist, so wenig hat sich etwa die Erkenntnislehre des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts des neu-ermittelten Tatbestandes bemächtigt. Daß der uns zunächst angehende Teil der anorganischen Welt, der größte der scheinbar unveränderlichen festen Körper als bewegt nachgewiesen wurde, veranlaßte keinen Denker, das Trugbild des Seins der Dinge, das doch recht eigentlich die Grundveste für alle Begrifflichkeit des Wie und für die wichtigsten Bestandteile des Was unserer Welterkenntnis abgegeben hatte, zu prüfen oder gar anzugreifen. Und es nimmt sich wie ein tragisches Geschehen in der Geschichte des Geistes aus, daß der gleiche Kant, der durch Übernahme der Lehre Wrights von der Zusammengesetztheit, Verfassungsmäßigkeit, Einheit des Fixsternhimmels, wie durch seine eigene Lehre vom mechanischen Ursprung des Planetengefüges der Sonne der Werdenssicht innerhalb des anorganischen Reichs zu einem ihrer folgenreichsten Siege verholfen hatte, in der zweiten Hälfte seines Lebens die ungeheure Kraft seines Verstandes daran setzte, die Begrifflichkeit der Weltschau so herrscherlich durchzusetzen, wie es selbst Piaton nicht gelungen war, und damit wie alle Erfahrungs- so auch alle Werdenssicht auf die Welt zu entAverten.

Die vollkommene Umstüizung unseres Weltbildes, so weit sein innerstes Kerngeschehen, das der Urkörper kleinsten Umfanges in Betracht kommt, die den großen Physikern unserer Tage von Clausius bis zu Lorentz und von Planck bis zu Niels Bohr gelungen ist, kann unmöglich wirkungslos an der Fortbildung jener Grunderkenntnisse aller Daseinslehre wie aller Einzelwissenschaften vorübergehen. Denn

Kopernikns. Kant. Kinetische Gastheorie.

263

wenn eines der Ergebnisse dieser wunderwürdigen Forschung unumstößlich ist, so ist es die Einsicht in die beständige und ausnahmslose Bewegtheit der Urkörper, aus denen sich die Welt in ihrem vollen Umfang, in ihrer anorganischen wie in ihrer organischen Hälfte zusammensetzt. Wenn zuerst — durch Dalton 1803 — mit Sicherheit der Stoff als aus Urbestandteilen zweier Größen, den Molekülen und den Atomen zusammengesetzt erwiesen wurde, wenn dann die kinetische Gastheorie Waterstons von 1845 und Clausius' 1857 die beständige Bewegtheit der Moleküle und Atome zunächst im Luftzustande entdeckte und maß, so war damit der Grund gelegt zu einer Auffassung des Stoffes, die schließlich in allen seinen denkbaren Zuständen, dem Gas-, dem flüssigen, dem kolloidalen — halb festen, halb flüssigen — und dem festen Zustand, diesen Urkörpern eine beständige Bewegtheit beimaß 1 . Die Zurückleitung der Wärme auf diese Bewegtheit der Urkörper und ihre verschiedenen Heftigkeitsgrade hat dann vollends diese Lehre zum Abschluß gebracht. Die Erscheinung, auf die unser Leib mit der Empfindungsform Wärme antwortet und deren Namen wir — in der uns natürlichen Verwechslung unserer Sinneszustände mit dem sie verursachenden Geschehen in unserer anorganischen Umwelt — auf diese übertragen, ist, von Clausius 1857, Maxwell 1860 und ihren Folgern ausgebildet, restlos auf jene Bewegtheit der Urkörper und die ihnen innewohnende Energie zurückgeführt worden 2 . Ein so einfaches alltägliches Geschehen wie das, daß eine gewisse Luftmenge — etwa in einem Zimmer — durch eine andere — etwa durch ein geöffnetes Fenster — in sie eindringende Luftmenge in ihrer Wärme herabgesetzt wird, bedeutet nichts anderes, als daß die verhältnismäßig beschleunigte Molekularbewegung der Zimmerluft durch die minder schnelle der kälteren Außenluft infolge J

) Nernßt, Theoretische Chemie ("1926) 213f. ') Ebenda S. 223 f.

264

Eigenbewegtheit: Bewegung: Urform des Weltgeschehens.

der Vermischung und Durchdringung beider Luftmassen verlangsamt, wie diese erhöht wird. Da aber die gleiche Erscheinung auch an Stoffmengen in flüssigem, halbflüssigem oder festem Zustand zu beobachten ist, da heißes Wasser durch kaltes abgekühlt, ein eiskalter Granitblock durch ihn umgebende heiße Luft erwärmt werden kann, so geht daraus hervor, daß auch die härtesten und festesten Stoffe, wie die flüssigen und halbflüssigen, ganz im gleichen Sinn aus Urkörpern, die in beständiger Bewegung begriffen sind, bestehen müssen. Für uns Laien sind noch etwas sinnfälligere Erscheinungen, wie die, daß zwei geglättete Silberplatten, die fest auf einander gelegt werden, in nicht allzu langer Zeit ohne jede Wärmeerhöhung zu einer verschmelzen, noch überzeugender: sie sind nur aus der Vermengung der Molekularbewegungen der an einander grenzenden Silbermassen zu erklären. Aus diesen feineren, jedoch immerhin sichtbaren Geschehensformen — so der Deutung der Brownschen Bewegung, d. h. des Oscillierens sehr kleiner fester Körper, die in Flüssigkeiten aufgehängt sind1 — leitet die Forschung heute die Überzeugung ab, daß die Annahme des Daseins der Moleküle und ihrer beständigen Bewegtheit nicht mehr den Unterstellungen, sondern den erfahrungsmäßig gesicherten Tatsachenbeständen zuzurechnen ist 2 . Das Dasein der Atome, wie schon das der Elektronen, ist bereits seit einigen Jahren durch Photographie gesichert, ihre Bewegtheit ebenfalls8. Langsam tastete man sich zu der Einbeziehung aller Zustände des Stoffes in die Bewegtheits-Sicht, unter die man zunächst nur die Gase gestellt hatte. Noch vor kurzer Zeit — 1911 — schied man sogar die drei Zustandsformen nach Nernst, Theoretische Chemie " 2 2 4 . ») Nernst, Chemie ™225f. 3 ) Man vergleiche die Abbildungen 4 und 6, auf denen a-Strahlen-, also Helium-Atom-, und ß- Strahlen-, also Elektronen-Bahnen, sichtbar gemacht erscheinen bei Lise Meitner (Atomvorgänge und ihre Sichtbarmachung [1926] 16, 18).

Bewegtheit der Meleküle, Bauformen der Körper.

265

den Graden der Molekularbewegtheit in der Weise, daß man den Gasen eine Beschaffenheit beimaß, nach der die Moleküle weit von einander entfernt durcheinander fliegen, so wie die Körner in einer Staubwolke, den flüssigen Körpern einen Zustand, in dem die Moleküle sich so beweglich zueinander verhalten wie die Körner eines Sandhaufens, die leicht an einander vorbeischlüpfen können, den festen Körpern aber einen Zusammenhalt, der so eng ist, daß den Molekülen wohl noch ein Vibrieren verstattet ist, nicht aber ein Ortswechsel, ein An-einander-Vorüberschlüpfen1. Schon heute, nach so kurzer Zeit, haben sich die Bilder der drei Zustände insofern weit auseinander geschoben, als die Bewegungsform der Gasmoleküle zwar ungefähr festgehalten, von der des flüssigen Zustandes aber angenommen wird, daß die sie ausführenden Komplexe viel verwickelter gebaut sind, daß sie häufig viel größer und aus mehreren oder gar vielen Gasmolekülen zusammengesetzt sind, so daß hier zunächst ein Bauunterschied obwaltet. Und wenn vom flüssigen Quecksilber-Molekül ausgesagt wird, daß es eine mittlere Weglänge von 60 Milliardstel Zentimeter besitzt, d. h. daß es im Durchschnitt diese. Entfernung zurücklegen muß, ehe es wieder auf ein Molekül stößt, so bedeutet dies, daß ihm für diesen Zwischenraum ein etwas geringeres Längenmaß bleibt als sein eigener Durchmesser beträgt 2 , während von den Gasmolekülen angenommen wird, daß dieser Spielraum die fünf- bis fünfzehnfache Ausdehnung ihres Durchmessers hat 3 . Von den Molekülen der festen Körper aber wird angenommen, daß sie im selben Sinn wie die Moleküle der ' ) Mie, Moleküle, Atome, Weltäther ( 3 1911) 34, auch in der späteren Form des Buches, Das Wesen der Materie I ( 4 1919) 32 noch nicht geändert. Auf die Jahreszahlen kommt es hierbei wenig an, derlei zusammenfassende Schriften pflegen aber den Durchschnitt der etwas früher in der Einzelforschung gültigen Erkenntnisse wiederzugeben. ' ) Chwolson: Die Lehre von den gasförmigen, flüssigen und festen Körpern (Lehrbuch der Physik I 2 [«1918] 146, 148). ») Graetz, Atomtheorie (»1925),

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Urform des Weltgeschehens.

flüssigen Stoffe sich bewegen, infolgedessen wie diese ununterbrochen mit einander zusammenstoßen und zwar wahrscheinlich noch öfter als jene1. Alle diese Verhältnisse werden sich also für die endgültige Erkenntnis, von der man noch weit entfernt ist, als sehr viel unregelhafter herausstellen, als zuerst zu vermuten war: die Bauform mischt sich für die flüssigen Stoffe ein und die festen sind in der Schicht der Urkörper durchaus nicht beständiger, sondern eher bewegter2. Das Gesamtergebnis wird aber nicht erschüttert, eher in dem hier gebuchten Eindruck noch verstärkt: man traf auf eine innerste Welt von völlig getrennten und von einander ganz oder halb unabhängigen Urkörpern, die im Gegensatz zu den für unsere Sinneswerkzeuge erkennbaren festen Körpern nicht, wie das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden angenommen hat, fest und starr, in einem beständig ruhenden Verhältnis verharren, sondern von einer ewigen Unruhe getrieben, sich beständig bewegen. Die erste Maske des Seins war gefallen. Und es handelt sich nicht etwa um leise Schwankungen, stille Vibrationen, sondern um Bewegtheiten, die an den Maßen unserer körperlichen, ja auch schon der von uns durch physikalisch und chemisch arbeitende Maschinen hervorgebrachten Bewegungen gemessen sehr hohe sind. Wenigstens von der einen Hauptgruppe, d. h. etwa der Hälfte dieser Urkörper — wie hier die Körper kleinsten Umfanges im anorganischen Reich genannt werden sollen — ist teils durch schließende Berechnung, teils durch erfahrungsmäßige, auf Versuche gegründete Beobachtung die Geschwindigkeit ihrer Bewegung festgestellt. Von den Molekülen weiß man, wie man sich erinnert3, daß sie, wenn es sich um Wasserstoff handelt, 1692 Meter in der Sekunde zurücklegen, also >) Chwolson, Physik I 2 S. 289. ') Die Einzelforschungen mit viel eingängigeren Nachrichten sind bei Chwolson, Physik I 2 4 149, 303 nachgewiesen. ») Vgl. oben S. 82.

Maße der Bewegtheit, Elektronenbewegtheit.

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sehr viel mehr als die höchste Geschwindigkeit, die mechanische Werkkunst einem festen Körper geben kann, mehr als die 1000 Meter Anfangsgeschwindigkeit, die ein Geschoß beim Verlassen der Rohrmündung hat. Aber noch hatte man die Bewegtheit der Moleküle innerhalb der festen Körper kaum angefangen zu untersuchen, da wurde das Atom, der bis dahin kleinste Urkörper, der recht eigentlich als die Baustein-Einheit für den Palast des anorganischen Reichs galt, ebenfalls in eine Anzahl von selbständigen Bestandteilen aufgelöst. Und von diesen, den Elektronen, wurde nun vermittelst der Spektralanalyse und der größten Enthüllung der zeitgenössischen Physik : Plancks Quantenlehre, wieder eine Bewegtheit nachgewiesen, die noch heftiger, noch schneller als die der meisten Moleküle ist. In den Planeten-Gebäuden der Atome, wie sie bereits geschildert wurden, eilen die Elektronen in den dem Kern nächsten, den einquantigen Bahnen mit einer Geschwindigkeit von 2172 Kilometern in der Sekunde, auf einer etwas ferneren, der fünfquantigen immerhin noch von 434,4 Kilometern dahin. Noch entferntere Bahnen bis zum 16. und 29. Kreis kommen unvergleichlich viel seltener vor ; für den Wasserstoff etwa ist die fünfquantige Bahn auf der Erde schon die äußerste, alle weiteren bis zur 29. sind nur im Spektrum der Himmelsnebel beobachtet worden1. Diese Bewegtheit, die durch Niels Bohrs unser Weltbild umstürzende Entdeckung im innersten Kern allen Geschehens — des biischen ganz ebenso wie des anorganischen Reiches — erkannt worden ist, ist aber von noch sehr viel grundsätzlicherer und umfassenderer Bedeutung. Zuerst, weil sie allen Zuständen des Stoffes gleich eigentümlich ist: denn da das Atom innerhalb des Elementes ein gleichbleibender Körper ist — während das Molekül bereits in die Zone der mannigfachsten Individualisation fällt — so ist Bau und Lauf der Elektronenbahnen für jedes der Elemente als ein durch Graetz, Atomtheorie »82, 85.

Vergl. o. S. 82.

B r e j a i g , Natnrgesohlotite und MenBchheitRgeBchlchte.

17

258

Eigenbewegtheit: Bewegung: Urform des Weltgeschehens.

alle Zustände des Stoffs, alle Reiche der Wirklichkeit unerschütterlich Gleiches vorgeschrieben und die Elektronen, als die allein unbedingt gleichen, vertretbaren unter den Urkörpern sind vollends immer dieselben. Wird von ihnen nun höchst wahrscheinlich gemacht, daß sie in beständiger heftiger Bewegung sind, so ist für die Welt bis in die letzten und zwerghaftesten ihrer Urbestandteile diese Bewegtheit bis zum selben Grad von Gewißheit nachzuweisen. Und sie ist zum Zweiten nicht nur außerordentlich viel schneller — in den entscheidenden Fällen der einquantigen Bahnen stehen etwa anderthalb Kilometern für die Moleküle 2172 Kilometer in der Sekunde für die Elektronen, also mehr als das Vierzehnhundertfache, gegenüber — sondern sie ist auch beständiger, ungebrochener. Auch die freiesten, am wenigsten behinderten unter den Molekülen, die im Gaszustand, können ihre Bewegung zwar immer noch schnell genug, aber doch nur in einem beständigen Zick-Zack-Lauf vollbringen, da sie ja immer wieder an einander stoßen. Das Durchschnittsmaß von ungehindertem Geradeaus-Laufen, das ihnen dabei verstattet bleibt, die mittlere Weglänge, ist immerhin sehr beschränkt: für Luft 0,96 der in diesem Bezirke gültigen Wegeinheit, die ein Hunderttausendstes Zentimeter beträgt, für Wasserstoff 1,78, für Kohlensäure 0,65*. In den Kreisläufen, die die Elektronen als Wandelsterne um die Sonne ihres Kerns beständig durchmessen, ist ihnen die gleiche unablässig nach vorwärts strebende Bewegung verstattet, wie sie die noch in keinen Atom- und also auch keinen Molekularverband eingefangenen Elektrone aller Vermutung nach an sich beständig verfolgen. Nur daß die Geschwindigkeit ihrer Bewegung sehr gemindert und daß diese in den seltsam zwischen Vorwärtsstreben und Festgehaltensein die Mitte haltenden Kreislauf gezwungen ist. ') Graetz, Atomtheorie

8

8.

Bewegtheit des Insgesamt der Welt.

BegriBsumgrenzung.

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Drittes Stück. Das Wesen und die F o r m e n der Allbewegtheit. Die Entdeckung Niels Bohrs hat eine Reihe von Forschungen zum Abschluß gebracht, durch die nicht allein, wie sich von selbst versteht, die Elektrophysik, d. h. die Urkörperlehre auf das Entscheidendste gefördert worden ist, sondern die der mannigfachsten Ausgestaltungen über die Grenzen des anorganischen Reiches fort durch die Bezirke der belebten Welt hindurch in Menschheit, und Geschichte hinein fähig ist und die endlich zwei Ausdeutungen für die Zwecke der Erkenntnislehre zuläßt, die zwei die Mitte ihres Bereiches innehaltende und bestimmende Fragenzusammenhänge in eine neue Beleuchtung versetzen. In diesen ihren letzten Erträgen ändert sie das Was und das Wie unseres Weltbildes. Die Bewegtheit der — für das heutige Sehen — kleinsten Urkörper ist an sich eine universale Geschehensform, die keiner Neben- und Folgeerscheinungen als weiterer Stützen bedarf, denn sie umfaßt ohne Ausnahme oder Abweichung irgend welcher Art zuzulassen das Insgesamt der Welt in allen seinen Bestandteilen. So kommt alles darauf an, ihr Wesen zu erkennen und ihren yeiteren Ausformungen nachzugehen. Freilich ist Bewegung in sich eine Urerscheinung, noch viel elementarer in ihrer Gegebenheit, als man ihr bisher hat zubilligen wollen, und deshalb keiner eigentlichen Erklärung, allenfalls nur einer Umschreibung zugänglich. Bewegung ist das Geschehen an Körpern oder Teilkörpern, durch das einer von ihnen seinen Ort im Raum dergestalt wechselt, daß er alle auf irgend einem Wege zwischen seinem Ausgangs- und seinem Zielort befindlichen Raumteile ihrer Raumfolge nach durchmißt. Dieser Begriffsumgrenzung ist zur Erläuterung beizufügen, daß weder unter dem Ausgangs- noch unter dem Zielpunkt an sich Orte seines beharrenden Aufenthaltes verstanden sein sollen. 17*

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Formen der Urbewegtheit.

Die Urbewegung, d. h. die Bewegung der Urkörper, ist beständig und nie aussetzend; für sie gilt, daß Ausgangsund Zielpunkt sicher und ausnahmslos — so weit sich der Bewegung keine Hindernisse in den Weg stellen — nur Durchgangspunkte ihrer Bewegung darstellen. Ebenso allgemein und ausnahmslos ist die Verbreitung dieser Bewegtheit. Diese Allbewegtheit ist, so wesentlich sie ist, noch nicht unter die allgemeinen Feststellungen der Physik aufgenommen. Sie bedarf deshalb einiger Beleuchtung. Den Elektronen, den eigentlichen Fundamentalkörpern, die vielleicht — nicht sicher — ihren untersten und also elementarsten Rang behaupten werden, wird dann, wenn sie — was in der Regel, wenn von ihnen gesprochen wird, der Fall ist —- einem größeren Verband, d. h. einem Atom angehören, die Bewegtheit als eine Eigenschaft wie selbstverständlich beigemessen. Wie schon berührt, kann man ihre in der Stufenfolge der Quantenbahnen gegen den Kern hin zu-, gegen den Grenzrand abnehmenden Geschwindigkeiten genau bemessen 1 : bis in diese zu tiefst gelagerte Kernschicht des anorganischen Reichs ist also dieser Urtatbestand mit letzter Genauigkeit sichergestellt. Aber außer den in den Atom-Verbänden gebundenen Elektronen müssen aus mehr als einem Grunde auch solche angenommen werden, die frei sich durch den Raum bewegen. Die Kathodenstrahlen 2 , die man beobachtet hat und die 1

) Graetz, Atomtheorie 6 82. ) Dem Laien sei hier eine leise Klage erlaubt: die heutige Elektrophysik macht es auch den aufmerksamen unter den von außen herantretenden Wißbegierigen, die ihre Ergebnisse empfangen möchten, zuweilen nicht ganz leicht. So werden neben einander Strahlen, a-Strahlen, die heute als Heliumatome erkannt sind, und Kathodenstrahlen, die negative Elektronen sind, y-Strahlen die wirkliche Strahlen sind, genannt (vgl. Nernst, Theoret. Chemie [ 16 1926] 465, 482, dazu die Zusammenstellung bei Lise Meitner [1926] Atomvorgänge 8). Also vier Gattungen Strahlen, von denen nur eine wirklieh aus Strahlen besteht! Der Grund dieses Wirrsals ist einfach und begreiflich genug. Diese Erscheinungen wurden 2

Geschwindigkeitsgrad und Gebundenheitsgrad.

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man willkürlich erzeugen kann, sind als negative Elektronen erkannt worden, bei radioaktiven Prozessen werden beständig Elektronen entsandt 1 , die willkürliche Zertrümmerung von Atomen des Stickstoffs und noch mehrerer anderen Elemente, die Rutherford von 1902 ab gelang2, kann nichts anderes bedeuten als die Wiederfreimachung ehemals ungebundener Urkörper. Endlich liegt dem Laien nahe, aus der Atomlehre, die Niels Bohr aufgestellt hat, und die er selbst freilich nicht geschichtlich und kaum genetisch aufgefaßt sehen will, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß vor der Entstehung des Wasserstoffatoms, der alle anderen Bildungen von Elementen gefolgt sein müssen, ein Urzustand vermutet werden könnte, in dem nur freie und noch nicht gebundene oder, wie Bohr es nennt, noch nicht eingefangene Elektronen den Raum durcheilten. Gleichviel — auch die Urkörper unterster Größe, die Elektronen, treten auch in freiem und ungebundenem Zustand auf und sie weisen in zahlreichen Fällen eine eigens hohe Geschwindigkeit auf, die zuweilen der der Lichtstrahlen, der höchsten in der Natur, nahekommt. Übersieht man die Geschwindigkeitsgrade, in denen die Bewegung der Urkörper auftritt, so fällt sofort in die Augen, daß die freien Elektronen sich unter Umständen viel schneller vorwärtsbewegen als die gebundenen. Während die um einen Wasserstoffkern kreisenden Elektronen in der fünfquantigen Bahn nur 434,4 Kilometer in der Sekunde, die in der erstquantigen Bahn 2172 zurücklegen, erreichen die aus dem Atomverband herausgeschleuderten Elektronen, die man Kathodenstrahlen genannt hat, Geschwindigkeiten von 30000 zuerst wirklich für Strahlen gehalten und die in r starkem Fortschreiten begriffene Forschung in diesem Kernbezirk hat nicht Muße gefunden, diese Benennungen umständlich zu ändern. 1 ) So nach den Forschungen von Lise Meitner: Nernst, Theoret. Chemie ( 16 1926) 489 f. 2 ) Nernst, Theoret. Chemie ( 16 1926) 490f.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Formen der Urbewegtheit.

bis zu 75000 Kilometern in der Sekunde; die negativen Elektronen, die man Betastrahlen genannt hat, bringen es bis zu 280000 Kilometern in der Sekunde, also bis nahe an die Geschwindigkeit der Lichtstrahlen. Schlüsse auf die Geschwindigkeit der noch in voller Freiheit befindlichen Elektronen scheinen auf diesem Wege nicht unmittelbar erlaubt zu sein, da die Schnelligkeit der Bewegung der aus Atomen entsandten Elektronen bald abzunehmen pflegt, so daß ihnen eine gesetzmäßige, wenn auch zwischen mehreren Längenmaßen — 4,8; 8,6; 9,5; 11,3 Zentimeter bei bestimmten Thorium-Unterformen, sehr weite Strecken also für die sehr kleinen Körper — sich verteilende Reichweite nachgewiesen werden konnte 1 . Immerhin mag eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, daß die Geschwindigkeit der Lichtstrahlen, d. h. der völlig stofflosen Entsendungen von Licht, die Grenze für die Geschwindigkeit der kleinsten Urkörper darstellt, da sich ja Elektronen ihr wenigstens zeitweise nähern können. Wie immer es sich damit verhalten mag: die Urerscheinung der Bewegtheit scheint allverbreitet zu sein. Und weiter leitet das Streben jedes wissenschaftlichen Erkennenwollens der Welt zu dem Gedanken, daß alle die Ausformungen, die die Wirklichkeit erfahren hat, auf die Ausformungen der Bewegtheit zurückzuführen sind. Die verhältnismäßig große — von unserem Standpunkt aus gesehen unbeschränkte — Mannigfaltigkeit der Geschehensformen —• wir sind gewohnt zu sagen Daseinsformen — im anorganischen Reich läßt sich abtragen auf einen Stammbaum der Elemente, dessen formbestimmender Urbestandteil, das wird später auszuführen sein, die immer neuen und vor allem immer gliederreicheren Formen der Bewegtheit sind, nach denen sich die Bahnen der Elektronen in den einzelnen Elementen richten. Die Lehre von Niels Bohr ermöglicht, einen Stammbaum der Elemente aufzustellen, l

) L. Meitner, Atomvorgänge 17.

Urmaß der Geschwindigkeit?

Neue Geschehensformen.

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dessen grenzsetzende Merkmale durch die Anzahl und den Bahnenzug der Elektronen in den Atomen gegeben sind Das Geschehen wandelt sich in Werden — den Begriff in seinem eigentlichen und strengen Sinn verstanden — um, wenn es eine neue Geschehensform heraufführt 2 . Dies Werden aber kann nur eine gesteigerte Form des Geschehens sein, selbst seine Ausgliederung nur eine Ausgliederung der Bewegtheit der Urkörper bedeuten. Einen großen, eigens ursprünglichen Hauptast an dem Stammbaum aller Körper und Wesen stellt diese Welt der Urkörper dar. Sie bleibt mit ihrer Entwicklung noch innerhalb des Kernbezirks des anorganischen Reichs; Erdkunde, Erdgeschichte, Petrographie, Mineralogie, Geologie machen dessen inneren Kreis, die Sterngeschichte und die Sternkunde — Kosmogonie, Astrophysik, Astronomie — den äußeren Gürtel aus. Sie alle lassen sich, vom Standpunkt der reinen Welt- und Naturgeschichte und einer allgemeinen Werdenslehre, der diese Blätter beständig zuerst und zuletzt dienen möchten, als immer neue Bildungen von Geschehensformen auffassen. Gleichviel aber, ob von der Bildung der Erde, unseres Sternes, an seiner Oberfläche, seiner Kruste oder von seiner inneren Tektonik die Rede ist, oder von der Kosmogonie, der Entstehung der fremden Weltkörper, überall handelt es sich um immer neue, immer mannigfaltiger zusammengesetzte Geschehensformen. Denn alles sogenannte Sein auch der großen Weltkörper ist als ein beständiges Geschehen zu erkennen und die Vielfachheit der Formen dieses Geschehens kann nur zurückgeführt werden auf das über die Folge der Zeiten verteilte Entstehen neuer Geschehensformen. Allbewegtheit dort, Eigenx ) Vgl. Werden, Wachstum und Entwicklung, die in Bälde zu veröffentlichende Fortsetzung des heute und hier vorgelegten Werkes, Buch V, 2: Die Zusammengesetztheit des Geschehens und ihre Grade. 2 ) Vgl. ebenda Buch IV: Die Reihe der Werdensformen.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Formen der Urbewegtheit.

zeugung — wie vorläufig die Heraustreibung neuer Formen der Allbewegtheit in vereinfachter Formel genannt werden soll — hier, in allen Fällen aber ein autogenes, eigenwüchsiges, nur aus sich werdendes Geschehen. Die Allbewegtheit der Körper kommt in einem dieser reichen Außenbezirke des anorganischen Reiches, im Geschehen der Sterne zur eigens reinen und eindrucksvollen Gestaltung. Denn indem diese großen Weltkörper an die anorganische Form gebunden bleiben, wiederholen sie nur auf der Ebene ganz anderer, sehr viel derberer, greifbarerer, größerer Umfangsmaße die Geschehensweise der Urkörper, der kleinsten Weltkörper. Wenn hier als ein Beleg für die vernunftähnliche Ordnung des anorganischen Reichs die Kreisläufe der Elektronen mit denen der Wandelsterne verglichen worden sind, so ist dies nur möglich, weil die Geschehensformen beider Wirklichkeitsbezirke einander so außergewöhnlich nahe bleiben. Und es ist nicht allein der Umfang, der in den Weltkörpern außerordentlich gesteigert erscheint, nein auch die Mehrfaltigkeit, d. h. die Vielfachheit der ineinander verkapselten Geschehensformen1. So unabsehbar sich aber auch diese Verflechtungen vermehren und verästeln: die Allbewegtheit als die von Anbeginn auftretende und nie rastende, stets sich steigernde, immer von neuem sich ausgliedernde Geschehensform ist als vorherrschende Erscheinung für alles Geschehen nirgends zu verkennen. Die besondere Nähe des Geschehens der Weltkörper zu dem der Urkörper erweist sich aller Wahrscheinlichkeit nach vornehmlich in den Bewegungen der Fixsterne. So mannigfaltig auch die Wege sind, die die einzelnen Forscher in ihren Weltwerdenslehren die Entwicklung einschlagen lassen: die Allbewegtheit der Weltkörper rückt sie an die Seite der allbewegten Urkörper und die Bewegungen der Fixsterne, sei es als Einzelkörper, sei es in Sterngruppen, Sternhaufen, Sternströmen innerhalb des Milchstraßengebäudes, *) Vgl. Werden, Wachstum und Entwicklung, Buch V 2.

Verwandtschaften der Bewegtheit der Ur- und der Weltkörper.

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sei es endlich mit diesem selbst, müssen als Folgeerscheinungen, Umgestaltungen, Ausgliederungen der Allbewegtheit der Urkörper angesehen werden. Die Verkettung beider liegt hier offener zu Tage, ist unmittelbarer gegeben als irgendwo sonst. In einem Stück ist eine Verwandtschaft zwischen den Bewegungen der Ur- und denen der Weltkörper augenfällig: das ist ihre Gradlinigkeit. Sie, die die Grundeigenschaft der Bewegung der freien Urkörper, der noch ungebundenen Elektronen, Atome, Moleküle ist, findet sich bei den freien Weltkörpern, den Fixsternen wieder. Und es liegt nahe anzunehmen, daß beide Erscheinungen ebenso eng verbunden sind, wie daß die kleinen Sterne der gebundenen Systeme in ganz ähnliche Kreis- und Ellipsenläufe gezwungen sind wie die Elektronen in den Atomverbänden. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Allbewegtheit der Urkörper, die in den Bewegungen der Weltkörper trotz des Abstandes des Umfanges sich eigens ähnlich wiederspiegelt, sich bei den zu ihrer Bildung führenden Umstellungen eigens wenig in ihrem Grundgeschehen hat ändern müssen. Im Sinn sicherer Erfahrungs- und gründender Einzelwissenschaft werden sehr viele Übergänge zwischen der Allbewegtheit der Urkörper und den Vorgängen etwa der Erdgeschichte, der Entstehung der Erdkruste und der Oberfläche der Erde heut noch ganz unerweisbar sein. Das Einheitsstreben unseres Denkens, das selbst ja nur Spiegelbild und Erzeugnis der Einheit des Weltgeschehens ist, drängt gleichwohl dazu, die fehlenden Glieder in diesen weitgedehnten und vielverflochtenen Kettengefügen in Vermutungen zu ergänzen. Und man begegnet hier kaum allzu viel Einwänden von Seiten der strengen, der gründenden Wissenschaft.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Urkörper und Festkörper.

Viertes Stück. Die S o n d e r b e w e g t h e i t der U r k ö r p e r u n d die chanische Bewegtheit der Festkörper.

me-

Die wichtigsten Ergebnisse dieses Überblicks über die Zeugnisse der Allbewegtheit im anorganischen Reich sind diese zwei. Erstens, alle Urkörper, von denen uns die Physik spricht, sind in beständiger Bewegung und es wird uns von keinerlei Urkörpern in einem ruhenden, am Ort verharrenden Zustand berichtet. Zum Zweiten stößt der Nachweis des Fortwirkens der Allbewegtheit der Urkörper in allen Gestaltungen der Außenbezirke und der greif- und sichtbaren Größenebenen des anorganischen Reiches zwar gewiß heute noch, wie betont wurde, auf mannigfache Schwierigkeiten. Immerhin beziehen sich diese Mängel nur auf die Aufdeckung des Werdeganges, der Geschehensverkettung zwischen jenen Erst- und den Zweiterscheinungen der Oberfläche, zwischen jenen primären und diesen sekundären Bewegtheitsformen. Unberührt von diesen Gewißheitsminderungen, die das Nacheinander des Werdens, den Längsschnitt der Geschehensverkettung, die Senkrechte angehn, bleibt aber der in jedem Augenblick des Geschehens wirksame Zusammenhang des Neben-, Mit-, Ineinanders aller Geschehensformen, der Querschnitt, die Wagerechte. Denn, und dies darf nicht mit einem Gedanken in Zweifel gezogen werden, all die Geschehensweisen, die den eigentlichen und allein sichtbaren Inhalt des gröberen, massiveren Seins und Werdens in den Außenbezirken des anorganischen Reiches ausmachen, werden ja ihrem innersten Kern nach ausgeführt von Urkörpern, von Elektronen, Atomen, Molekülen, und wo immer sich Kristalle, Metalladern, Felsmassen, Wolken, Winde, Gletscher, Berge und selbst Festländer und Meere in Bewegung befinden, ihr Bewegtsein kann nur deswegen zu Stande kommen, weil jene untersten, kleinsten

Querschnitt- und Längsschnittzusammenhänge.

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drei Formen von Körpern, die Urkörper in ihrer Eigenbewegtheit sich dem gröberen, massigeren Geschehen dieses Außenund Oberflächengeschehens bereitwillig als Werkzeug darbieten. Wohl sind in diesen Schichten die Bewegungen der größeren Körper das Entscheidende: schon Kristalle führen Bewegungen aus, die an sich die von ihnen umfaßten Moleküle nichts angehen, sie nur zum Gegenstand haben, geschweige denn Felsmassen, Gebirge, Länder. Aber die Voraussetzung, ohne die alles dies Geschehen unmöglich wäre, ist, wie das Vorhandensein, so auch die Bewegtheit, die Allbewegtheit der Urkörper; und ebenso werden alle Bewegungen der großen Körper vermittelst deren der Urkörper ausgeführt. Und wenn' nun auch von der anderen Seite her gesehen diese Bewegungen der Urkörper dann bewirkt sind durch die der Großkörper, die sie verändern, also in Hinsicht auf die Urkörper durch äußere Ursachen, so gewiß wäre diese Bewirkung machtlos, ganz oder zum entscheidenden Teil hinfällig, wenn die Sonderbewegungen der Urkörper sie nicht aufnähmen, fortpflanzten und so erst recht geschehen ließen. Und selbstverständlich wird auch die Geschehensverkettung in Nacheinander und Längsschnitt, in jener senkrechten Richtung, von der zuerst die Rede war, durch dieses Kernverhältnis für unser Erkennen sichergestellt. Es muß hier streng unterschieden werden zwischen der Erweisbarkeit im Einzelnen und der im Ganzen. Die im Einzelnen scheint sogar im Bereich der Urkörper selbst den sehr hohen Anforderungen, die die Physik dieser Bezirke an ihre Schlußfolgerungen stellt, kaum gewachsen zu sein. So kommt der Außenstehende, der hier nicht Urteile, sondern nur Eindrücke auszusprechen vermag, zu der Anschauung, daß nicht einmal die Umsetzung der ursprünglichen, freien Elektronenbewegung in die — weit langsamere — kreisende Bewegung der gebundenen, der inneratomaren Elektronen der Wissenschaft als ihre abgeschwächte Fortsetzung gilt. Wie viel mehr Brücken, Fehlglieder, Lücken der Entwicklung müssen

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Urkörper und Festkörper.

in dem weiteren Stammbaum der Geschehensformen, der sich bis zu den größten und massigsten Vorgangsarten der Erdoberfläche entfaltet, erwartet werden. Anders aber steht es um die Grundsätzlichkeit und also die Gesamtheit dieser Geschehensverkettung im Nacheinander, im Längsschnitt. Sie ist ganz in dem gleichen Grade wie jene im Querschnitt, von der noch eben die Rede war, allgemein erweisbar. Denn der Stammbaum der Geschehensformen, der das anorganische Reich im gleichen Sinn beherrscht, wie der Stammbaum der Arten, in den er sich im organisch-biischen Reich verwandelt, dieses, ist — davon wird weiter zu sprechen sein 1 — im selben Maß wie jener Querschnittzusammenhang gebunden an das Kerngeschehen der Urkörper, ohne das er nicht zustande kommen könnte. Schon die untersten Verzweigungen an diesem Stammbaum, die noch dem Kernbereich der Urkörperlehre selbst angehören, können, wie dargestellt werden wird, nur dadurch entstehen, daß die Urkörper, eben die Elektronen, beiBildung der hundert Gattungen Atome in neue größere Gruppierungen zusammentreten und in ihnen andere Bahnen als bisher und mit anderen Geschwindigkeiten als bisher durchlaufen. Alle diese Umformungen sind Umänderungen ihrer Bewegung. Aber wie sie ihre Sonderbewegtheit selber in ihre neuen Verbände übernehmen und so an diese zum Teil abgeben, so ist auch keine einzige der hundert späteren Umformungen, durch die sich Kristalle, Gesteine, Minerale, Grundkern und Oberfläche der Erde gebildet haben, zu denken, es sei denn — in jedem Falle — durch passive Mitwirkung oder aber durch das tätige, von ihnen aus gesehen selbständige Eingreifen der Urkörper. Jede Entstehung einer neuen Geschehensform ist geknüpft an das Verhalten der Urkörper und muß sich, da sie letzten Endes nur aus neuen Bewegungen und Bewegungszusammenhängen besteht, durch eine neue Umstellung der sie erzeugenden Urkörper vollziehen. Daß dabei in den höheren ') Vgl. im folgenden Band dieser Reihe Buch IV: Die Reihe der Werdensformen in Welt- und Menschheitsgeschichte.

Sicherheit der Gesamt Verkettung.

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Schichten nur die Mittelglieder der viel derberen Festkörper und ihre geänderten Bewegungen sich in das Blickfeld schieben, schafft die Tatsache nicht aus der Welt, daß deren Bewegungen immer nur ausgeführt werden durch die ihnen zu Grunde liegenden Umformungen jener Urbewegtheit der Urkörperschicht. Übersteht das Gesetz von der Erhaltung der Energie alle die Erschütterungen, die ihm von der Urkörperlehre her drohen 1 , so würde seine Tragweite allein schon genügen, um den Satz, daß alle Formen der Bewegung der Festkörper als durch Umformung von Urkörperbewegungen entstanden angesehen werden müssen, zu beweisen und damit wie mit einem Schlage und ohne die Aufdeckung irgend welcher Einzelverkettungen die Annahme zu sichern, daß alle eigen gewordenen, alle autogenen Festkörperbewegungen, autogen, eigenwüchsig aus den Bewegungen der Urkörper hervorgegangen sein müssen. Die Gruppe innerhalb des Weltgeschehens, die dies Verhältnis am unzweideutigsten erkennen läßt, ist gerade diejenige, die von dem Kernbezirk der Urkörper schon in ihren Größenverhältnissen am weitesten entfernt ist und von der man solche Ähnlichkeit deshalb am wenigsten erwarten sollte: die der Gestirne. Aber die Weltkörper haben mit den Urkörpern nicht nur in den Ordnungen ihrer Bewegungen — davon war noch eben die Rede — wunderbare Übereinstimmungen, nein sie sind ihnen auch darum eigens nahe, weil die zahlreichsten von ihnen, die Fixsterne, noch in gasförmiger Beschaffenheit verharren und darum die Urkörper, aus denen sie sich zusammensetzen, in einem Zustand der Gelöstheit und verhältnismäßiger Ungebundenheit aufweisen, der allen Festkörpern auf der erstarrten Oberfläche des von uns be*) Vgl. hierzu die Darlegungen von Niels Bohrs neuer Auffassung der Grundpostulate bei Kramers-Holst, Das Atom und die Bohrsche Theorie seines Baus (Übers. 1925) 138ff , dazu die allgemeinen Erörterungen von Nernst (Zum Gültigkeitsbereich der Naturgesetze [Berl. Rektoratsrede 1921] 18ff.)

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Urkörper nnd Festkörper.

wohnten Wandelsterns ganz fremd ist. Eddington, der große englische Astronom unserer Tage, hat festgestellt, daß die Abweichungen des Verhaltens der in den Fixsternen wallenden Gase von dem der idealen, d. h. also der auf der Erde beobachtbaren an sich völlig freien Gase verhältnismäßig gering sind1. Die Sonne aber, an deren Zustände er sich gehalten hat, ist ein Tummelplatz von Spielen der Urkörper von schlechthin mustergiltiger Mannigfaltigkeit des Geschehens. Was den irdischen Forschern, was Rutherford und seinen Folgern erst nach langem Denken und Versuchen gelungen ist, die Zertrümmerung der Atome, ist in dem Glutmeer der Feuerstrudel der Sonne — deren Tempeperatur in ihrem Kern auf 40 Millionen Grade steigt und deren Moleküle, was dasselbe besagt, sich mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilometern in der Sekunde vorwärts bewegen — ein tägliches, ein stündliches Geschehen. Beständig werden Atome jonisiert, d. h. zu Ionen, zu unvollständigen Atomen gemacht, dadurch, daß Ätherstrahlen auf sie treffen und ein oder mehrere Elektronen von ihnen abspalten2. Ja es ist aus diesen Voraussetzungen schon gefolgert, daß nicht einmal der Molekülverband aufrecht erhalten werden kann 3 , so daß nur Atome oder gar nur Elektronen die Einheiten sind, die dann noch bestehen. Von einem Weltkörper, der dergestalt aus Urkörpern im Rohzustand besteht, ist aber um so eher anzunehmen, daß seine eigenen Bewegungen im Weltraum, die ja ebenfalls Sonderbewegtheit als Grundeigenschaft aufweisen, in unmittelbarer Abfolge aus der Sonderbewegtheit der Urkörper entstammen, wie viele Zwischenzustände jedes Gestirn auch durchgemacht haben mag. Wie und auf welchen Wegen, Eddington, Der innere Aufbau der Sterne, verbesserte Übersetzung (1928) 332. 2 ) Eddington, Sterne und Atome, verbesserte Übersetzung (1928) lOf. *) Jeans, Sterne, Welten und Atome. Übersetzung von The World around us (1931) 305.

Freiheit der Urkörper in den Sternen. Irrtum der Naturlehre.

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gegen welche Widerstände und unter welchen Einwirkungen ihrer Umwelt sich die Umformungen von Sonderbewegtheiten der Urkörper in Sonderbewegtheiten der Weltkörper vollzogen haben mögen, darüber auch nur Vermutungen aufzustellen ist, der hier schreibt, nicht im mindesten berufen. Nur das mag erlaubt sein, zu behaupten, d a ß die Bewegungen der Sterne durch eine in der Hauptsache eigenwerdige und selbstgenugsame, von Autogenie und Autarkie bedingte Vorgangsreihe aus der Bewegtheit der Elektrone und Atome hervorgegangen sind. Doch freilich, auf dem von uns bewohnten winzig-kleinen Geleitstern des einen Fixsterns Sonne — der seinerseits einer von 300 oder 400Milliarden Sonnensternen ist—ist einZustand von Starrheit eingetreten, der diesen Entwicklungsgängen ein Ende bereitet hat und für uns eine Umwelt von wenig veränderlichen und noch weniger beweglichen Körpern geschaffen hat. Dieser Zustand der Starrheit und der scheinbar so gar nicht bewegten Beharrung hat in den Gedanken der diesen neuen, nun nicht mehr nur gasförmigen Weltkörper bewohnenden Wesen eine Naturlehre entstehen lassen, die nur von Festkörpern und nur von durch Anstoß hervorgebrachten Bewegungen wußte, und eine Erkenntnislehre, die nur ein verursachtes, durch Anstoß von außen hervorgebrachtes Geschehen kennt und deshalb auch nur eine an Verursachtheit gebundene Geschehenslehre. Die Physik der Festkörper, die so emporwuchs, hat höchst verdienstvolle Einsichten in die Mechanik, aus der sie allein bestand, gewonnen. Dennoch täuschte sie sich darüber, daß die scheinbare Starrheit und Unbewegtheit der uns umgebenden Festkörper nur eine Hülle für die Bewegtheit eines inneren Geschehens ist, das wohl an seiner Außenseite für Menschensinne unbemerkbar ist, und das sich deshalb auch in allen bisher verflossenen Jahrtausenden der Geschichte der Menschheit ihrer Kenntnis entzogen hat. Wohl hat dieses Geschehen an den uns zugekehrten Grenzen seines Bereichs außerordentliche Verluste an Wucht und Heftigkeit erlitten;

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Eigenbewegthelt: Bewegung: UrkBrper und Festkörper.

abgesehen von dieser Minderung aber hat es sein Wesen durch alle die Zwischenzustände, die es inzwischen durchgemacht haben mag, fort erhalten. Auf zwei anderen Wegen ist die Wissenschaft der letzten hundert Jahre zu derselben Grunderkenntnis vorgedrungen: sie hat zum ersten als Sternkunde die Natur der Gestirne als ungeheurer Gaskörper erkannt. Und während sie sich in den voraufgegangenen Zeitaltern durch die Vorstellungen, die sie sich von ihrer Beschaffenheit machte, in dem Anschauungskreis einer nur-mechanischen Physik zum mindesten nicht hatte beirren lassen, hat der neue Wissenschaftszweig der Astrophysik, der die Kenntnis von der Sternenwelt schlechthin verdoppelte, das Wissen von dem Wesen der Urkörper, wenn auch nicht beträchtlich vermehrt, so doch auf das nachdrücklichste bestätigt. Zum zweiten aber haben Geologie und Erdgeschichte ermittelt, daß auch unser Stern selbst wie zum Bild und Zeichen der Beschaffenheit aller Festkörper ein inneres Geschehen von heftigster Bewegtheit in sich birgt. Es kann mit einem Höchstmaß von wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Erde in früheren Zeitaltern ihrer Entwicklung ganz ebenso wie die Fixsterne ein Gasball gewesen ist, daß um ihn sich allmählich ein Mantel von erstarrenden Stoffen gelegt hat und so auch sie für die vorwissenschaftliche Erkenntnis unseres Geschlechts zum Festkörper gestempelt hat. Und dies obwohl sie noch bis auf unsere Tage in ihrem Innern und zum weit überwiegenden Teil ihrer Masse ein Glutball geblieben und nur an ihrer Oberfläche von einer verhältnismäßig dünnen Kruste fester Stoffe umgeben ist. Es ist, als hätte die Natur die Menschheit wie absichtlich auf Wege leiten wollen, die zu vollkommen falschen Vorstellungen über unsere Umwelt führen mußten. Dennoch ist die Masse an völlig irrigen Vorstellungen, die so sich bildete, nur ein neuer Beweis für die Richtigkeit der auf diesen Blättern vertretenen Gesamtanschauung, daß es das

Erkenntnisse der Stern- und Erdgeschichte, Folgerungen.

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Weltgeschehen selbst ist, das all unser Wissen und Denken in uns entstehen läßt. Diese Vorstellungsmasse ist dahin geschwunden; die bessere Naturerkenntnis, die sich an ihre Stelle gesetzt hat, bewirkt in uns aber die Einsicht, daß der Mantel von Festigkeit und Unbewegtheit, der sich um den uns nächsten Teil unserer Umwelt gebreitet hat, ähnlich der Kruste um den Glutkern unseres Sterns nur eine dünne und verhältnismäßig leicht durchschaubare Hülle um das innere, wahre Geschehen darstellt. Die Mechanik der Festkörper dieser obersten Oberfläche unserer Erde hat für die werktätige Bezwingung unserer Umwelt den höchsten Nutzen geschaffen; sie bot auch für eine vorübergehende Zeit unserer Erkenntnislehre in dem von ihr abgeleiteten Verursachtheitsgedanken ein brauchbares, wenngleich höchst zerbrechliches Werkzeug dar; an unserem Weltbild können beide, nachdem sie als unzulänglich erkannt sind, nichts mehr ändern.

Fünftes Stück. Die Sonderbewegtheit der Urkörper als Eigenbewegtheit. Die Tatbestände, die hier gemustert wurden, haben zum Ergebnis, daß im innersten und elementarsten Bezirk des anorganischen Reiches die Urkörper, d. h. Elektronen, Atome und Moleküle in einer nur gradweise abgestuften und so beständigen Bewegung angetroffen werden, daß von ihrer Bewegtheit und, da sie ausnahmslos zu beobachten ist, von ihrer Allbewegtheit gesprochen werden muß. Diese Erscheinung setzt sich fort in anderen Bezirken der unbelebten Welt, am ausgeprägtesten im Reich der Gestirne, wo sie die größten Körper, die unser Weltbild kennt, umfaßt. Sie macht sich aber auch durch Teilerscheinungen in anderen, mittleren Provinzen des anorganischen Reiches B r e n i g , Naturgeschichte und Mensehheitagesohiohte.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Urkörper.

geltend, bis tief in die Bezirke der Festkörper, in die Geschichte der Erde und ihrer Oberfläche, in die Welt der Metalle und Gesteine. Gerade dann, wenn man das Insgesamt dieser Naturgegebenheiten als eine Einheit ansieht und wenn man, wozu hundert Gründe zwar nicht zwingen, aber überreden, annimmt, daß die Bewegtheit der Urkörper alle übrigen Erscheinungen in den höheren Schichten, sei es ganz, sei es teilweise zur Folge hat, wird zum mindesten der von außen her an diese Dinge Herantretende, der an der Physik nur als Empfangender Beteiligte, von ihrer Innenüberlieferung nicht Beeinflußte, zu der Auffassung gelangen, daß diese Erscheinung eine aus sich selbst auftretende ist. Er wird geneigt sein, die Allbewegtheit als Eigenbewegtheit zu begreifen und sie so zu nennen. Doch darf keineswegs verschwiegen werden, daß die heutige physikalische Wissenschaft noch nicht für diese Auffassung als Zeugin berufen werden kann. Auch die führenden Forscher hängen vielmehr der Ansicht an, daß ein Elektron oder ein frei fliegendes Atom einmal in schneller, dann wieder in langsamer Bewegung durch den Raum eilen, auch wohl zum Stillstand kommen kann, immer aber nur davon abhängig ist, welche Kräfte — stoßend oder ziehend — auf es wirken. An sich werden sie als vollkommen passiv, als durchaus nur Bewegung empfangend, nicht Bewegimg besitzend betrachtet. Kein Zweifel, der geistesgeschichtliche Grund, aus dem die physikalische Wissenschaft auch heute noch an der Auffassung der Materie, die sie als ursprünglich unbewegt ansieht, mit so unerschütterlicher Beständigkeit festhält, liegt in der Unüberwindlichkeit der alten mechanischen Grundvorstellungen vom Wesen der anorganischen Körper. Sicherlich sind sie von ihrer Überlieferungstreue noch eigens lang dadurch erhalten worden, daß man diese Eigenschaft der Unbewegtheit und der Nur-Bewegbarkeit wie einen Charakter indelebilis als wichtigstes Grenzmerkmal gegen die belebt©

Eigenbewegtheit.

Urzustand der Unbewegtheit?

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Welt und ihre tausendfache Entfaltung von eigener Beweglichkeit angesehen hat. Die Lehre von der Eigenbewegtheit, die auf diesen Blättern vertreten werden soll, ging von der Voraussetzung aus, daß der Tatbestand, den sie behauptet, zwar bisher nicht so, wie hier, gesehen wurde, daß er aber, einmal behauptet, gar nicht in Zweifel zu ziehen sei. Ist es aber, wie erste Berührungen des Gedankens mit den Berufenen ergaben, durchaus nicht an dem, so ist nötig die Widerstände, die sich ihm entgegenstellen und die Widerlegungen, die diesen allenfalls entgegengehalten werden könnten, hier zu besprechen. Der oberste und stärkste Beweggrund, der dazu nötigen muß das Problem der Eigenbewegtheit aufzuwerfen, ist die Frage: wie will man ohne sie anzunehmen das Dasein bewegter Körper überhaupt erklären. Wollte man sich nämlich den heutigen Zustand ohne die Eigenbewegtheit als ersten Erreger vorstellen, so würde man zu einem System von Bewegungsformen gelangen, das lediglich durch Zug und Stoß zu Stande käme, d. h. durch anziehende K r a f t oder stoßende Schübe. Die letzte Gruppe würde ausscheiden, als bei einem Anfangszustand von unbewegten Körpern nicht gegeben. Aber auch für die Entstehung der Bewegung nur durch das Wirken von anziehenden Kräften sind die Möglichkeiten der Denkbarkeit sehr bedroht. Will man nämlich von einem Anfangszustand ruhender Elektronen ausgehen, so müßte man doch billiger Weise so verfahren, wie die Sternkundigen tun, wenn sie eine Verteilungsweise der Einzelsterne über ihren Fixsternhimmel erwägen und dann zu dem Ergebnis kommen, daß man am richtigsten eine gleichmäßige Verteilung über den R a u m annehmen müsse. Würde man so verfahren, so würde man zu einem Gleichgewichtszustand gelangen, angeordnet etwa in Verbindungen von positiven mit negativen Elektronen. Die Anziehungskraft der Elektronen unter sich würde zwar als bestehend angenommen, ihre Einzelwirkungen 18*

276

Eigenbewegtheit: Bewegung: Urkörper.

würden sich aber bei dem bestehenden Gleichgewichtszustand gegenseitig aufheben. Von diesem ruhenden Zustand aber wäre nicht abzusehen, wie er auf andere Weise in Bewegung hätte geraten können, es sei denn durch eigenbewegte Urkörper. Die gleiche Eigenschaft der Eigenbewegtheit aber müßte, wenn sie erst einmal wenigen Elektronen zugesprochen wird, auch allen anderen grundsätzlich beigemessen werden. Man wende auch nicht ein, daß die Unterstellung von derlei ganz unverwirklicht gebliebenen Möglichkeiten allzu kühn sei: einer der erfolgreichsten Vertreter der englischen Sternkunde hat dort, wo er den Fall setzt, daß der Urzustand der Welt eine überall gleichmäßig verteilte Gasmasse dargestellt habe, ein ganz ähnliches Wagnis auf sich genommen. Und er geht noch einen Schritt weiter, wenn er annimmt, daß sämtliche Korpuskeln, aus denen eine solche Gasmasse sich zusammensetzte, die mittesuchende, zentripetale Richtung eingeschlagen hätten, und erklärt, daß in einem solchen Fall die Welt zu einem kugelförmigen und gänzlich unbeweglichen Gasnebel sich hätte zusammenschließen müssen, dem ebenfalls jene Möglichkeit der Entfaltung einer unserem Weltzustand auch nur entfernt ähnlichen Geschehens- und Formenfülle versagt geblieben wäre. Es sei dahingestellt, ob nicht auf einem ähnlichen Wege die Annahme eines Urzustandes von allgemein unbewegten Urkörpern als unmöglich widerlegt werden könnte. Etwa in dem Sinne, daß ein solcher Urzustand, weil in vollkommenem Gleichgewicht schwebend, überhaupt sich nie hätte ändern können, so daß es zu der Wunderfülle myriadenfacher Gestaltung, wie sie das wirklich gewordene Weltbild darstellt, überhaupt nicht hätte kommen können, oder in dem anderen, der von Jeans erwogenen Möglichkeit ähnlichen Sinne, daß irgend eine symmetrische, aber ganz unbewegliche Zustandsform entstanden wäre1. *) Sterne, Welten und Atome 223. Sir James Jeans — denn um eine seiner Unterstellungen handelt es sich — will damit nur

Unterstellungen der Sternkunde.

Bedenken.

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Andrerseits erscheint auch die gegenteilige Lehrmeinung, die alle Bewegungen als von außen verursachte auffaßt, nicht gegen alle Bedenken bewehrt. Man ist einmal der Ansicht, daß es in concreto keinen einzigen unbewegten Punkt in der Welt giebt — dies im Hinblick auf die spezielle Relativitätstheorie — hinwiederum aber erklärt man, daß die Urkörper, Elektronen und Atome, die frei den Baum durcheilen, erstens die verschiedensten Geschwindigkeitsgrade annehmen können — natürlich je nach den ihnen zu Teil gewordenen Antrieben — zweitens aber auch völlig in Stillstand geraten können, wenn auch nur momentan, etwa in Folge eines Anpralls an einen anderen Urkörper. Man sieht gegenüber dieser Formenlehre nicht recht ein, warum nicht auch gänzlich unbewegte Elektronen oder Atome angenommen werden. Denn wenn man von der Voraussetzung gänzlicher Unbewegtheit der Urkörper als ihres Anfangszustandes ausgeht, so ist nicht abzusehen, warum nicht einzelne Urkörper — von allen äußeren Bewirkungen verschont oder aber von entgegengesetzt auf sie treffenden und sich gegenseitig aufhebenden Bewirkungen getroffen — auch im Ruhezustand verharren sollen. Endlich bleibt mißlich für die gegnerische Meinung, daß sie, ganz ebenso wie die Annahme der Eigenbewegtheit, nur auf allgemeine Erklärungen des von ihr angenommenen Grundverhältnisses angewiesen ist; denn die Auswirkungen dieses Grundverhältnieses lassen sich wohl im Laboratorium, nicht aber im freien Naturgeschehen beobachten.

Sechstes Stück. Zwei W e l t s i c h t e n . Und noch eine zweite Reihe von ganz allgemeinen Erwägungen läßt sich hier anstellen. Sie wird ihren Ausgangsnachweisen, wie notwendig es sei, für jenen Urzustand eine ungleichmäßige Verteilung seiner Dichtigkeiten anzunehmen.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Zwei Weltsichten.

punkt da zu nehmen haben, wo schon eine frühere Erörterung münden mußte: bei jenen elementaren Geschehensreihen, in denen sich die Wiederholtheit und damit, wenn ein Gleichniswort verstattet ist, das Urgedächtnis des Weltgeschehens im anorganischen Reich ankündigt. Denn alle die Geschehensverkettungen, auf die damals als auf Beispiele solcher Wiederholtheit Bezug genommen wurde, sind zugleich auch, wie sich von selbst versteht, Beispiele von eigens nachdrücklicher und eigens andauernder Bewegtheit von anorganischen Körpern und zwar in den wirksamsten Fällen von Urkörpern. Es kann gar keine gewichtigere Form von Eigenbewegtheit geben, als die geradlinige Bewegung eines ß-Strahls, d. h. eines Atoms von radioaktiver Substanz1, das nahezu Lichtgeschwindigkeit, also eine Geschwindigkeit von annähernd 300000 Kilometern in der Sekunde besitzt. Für die Lehre von der Eigenbewegtheit aber bietet sich eine etwas verstecktere Form von dauernder Bewegtheit als Stütze an: es ist der spin, d. h. die Rotation der innerhalb des Atoms sich bewegenden negativen Elektrone, die kreisend das Proton, den positiven Kern umlaufen. Sie ist für diese Lehre von großer, ja von kaum zu überschätzender Wichtigkeit um deswillen, weil hier in einem ganz besonderen, ja soweit die Kenntnis dessen, der hier schreibt, reicht, einzigen Fall die physikalische Wissenschaft sich dazu entschlossen hat, das Dasein einer von jeher im Gang befindlichen, nicht von außen her verursachten Bewegtheit zuzugeben. Damit aber ist zunächst einmal in diesem einen Falle, wie schon berührt wurde, das Vorhandensein einer Urbewegtheit, einer Eigenbewegtheit, Wort und Begriff also im umfassendsten Sinn verstanden, eingeräumt. Für den Gedanken der Eigenbewegtheit ist damit ein außerordentb'ch großer Gewinnst eingeheimst, denn man wird billiger Weise zugeben müssen: wenn das von der l ) Lise Meitner, (1926) 8.

Atomvorgänge

und ihre

Sichtbarmachung

Elektronendrehung, Kreiselbewegung, Sternkreislauf.

279

physikalischen Wissenschaft bis zum heutigen Tage festgehaltene Weltbild einer im anorganischen Reich nie anders als von außen her verursachten Bewegtheit auch nur an einer Stelle durchbrochen wird, so hat dies eine grundsätzliche Bedeutung von äußerstem Ausmaß; der Grundstein dieses Gedankenbaus und damit dieser selbst erscheint erschüttert. Nicht dürfen, auch davon war schon die Rede, die im Nacheinander völlig andauernden, im Nebeneinander vielfach zusammengesetzten Geschehensreihen, wie sie die Astronomie etwa in ihren Sterngeschichten darbietet, als Geschehensreihen in diesen Zusammenhang einbezogen werden. Einmal eben ihrer Zusammengesetztheit im Querschnitt wegen, durch die die Einsicht in das Wesen und den Ursprung ihrer Längsschnittverkettungen offenbar um Vieles erschwert wird, sodann weil die Untersuchung damit in das Gebiet der Werdegänge übergreift, d. h. der Verkettungen von wesensverschiedenen Seinszuständen. Es empfiehlt sich aber, sie diese Grenze nicht überschreiten, sie vielmehr bei den einfachen und elementaren Geschehensreihen verweilen zu lassen. Wohl aber wird eben aus der Zahl dieser einfachen Geschehensreihen an jene erinnert werden dürfen, die, wie sicher die Kreiselbewegung von Sternnebeln, vielleicht auch die Kreisläufe der Planeten und Monde, das Bild unaufhörlicher Bewegtheit darbieten und deswegen, sei es mit Sicherheit, sei es mit hoher Wahrscheinlichkeit, als Stützen der Lehre von der Eigenbewegtheit angesehen werden können. Denn wenn ihre Kreisläufigkeit auch gewiß durch die Anziehungskraft ihrer Herrschergestirne vorgeschrieben ist, die ihnen schon zuvor in der Zeit ihrer Unabhängigkeit innewohnende Geschwindigkeit kann wiederum am bedenkenfreiesten aus der allgemeinen den Weltkörpern von den Urkörpern mitgeteilten Eigenbewegtheit abgeleitet werden. Ganz ohne Bedenken wird endlich noch eine sehr viel weiter verbreitete und dazu unmittelbarere Grunderscheinung aus dem Bereich der Sternenwelt zur Stützung der Lehre von der Eigenbewegtheit herangezogen werden dürfen.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Zwei Weltsichten.

Wohl ist das Bild, das die Sternkunde von den Bewegungen der Fixsterne entwirft, voll von den Auswirkungen der Anziehungskraft, nun nur nicht der durch Elektrizität, sondern der durch Gravitation sich äußernden; ja man kann sagen, daß bei weitem die meisten Einzelzüge der Bahngestaltung, die es darbietet, auf die passive, die Bewirkung erduldende Grundform der Ursprünge von Bewegung zurückgeführt werden müssen. Aber darüber darf nicht vergessen werden, daß die primärste, die elementarste, die ureigentümlichste Art der Bewegung der Gestirne, diejenige, die sie zu ihren translatorischen, zu ihren den Ort im Weltraum wechselnden Läufen zwingt, weder für die unabhängigen, die Fixsterne, noch für die abhängigen, die Geleitsterne — Planeten wie Monde — auf eine Anziehungskraft oder überhaupt auf irgend welche von außen her auf sie einwirkende Ursache zurückgeleitet, sondern als Grunderscheinimg betrachtet wird. Ganz gewiß nicht hat die gegenwärtige Sternkunde diese Erscheinung als eine Geschehensform von höchstem oder auch nur eigenem Rang an die Spitze ihres Weltbildes gestellt. Sie hätte ja dann zur Ausbildung einer astronomischen Teilart der Lehre von der Eigenbewegtheit schreiten müssen; sie hat sie vielmehr, ihrem überwiegend beschreibenden Grundzuge gemäß, als eine einmal vorhandene Gregebenheit — nicht anders als etwa das Dasein der Sterne an sich—hingenommen, ohne ihren Ursachen nachzuforschen. Nun leuchtet ein, daß die Eigenbewegtheit der Weltkörper, die als Tatbestand unleugbar ist, mit einem sehr hohen Grad von Wahrscheinlichkeit von der Eigenbewegtheit der Urkörper abzuleiten ist. Denn, wie schon einmal geltend gemacht wurde, aus diesen, den kleinsten, haben sich jene, die größten Weltkörper ja in immer neuen Zwischenzuständen zusammengesetzt, und eo zahlreich und so mannigfaltig die Glieder dieser Geschehensverkettung auch sein mögen, an deren schlüssigem und unzerreißbarem Zusammenhang wird kein Zweifel erlaubt sein. Es mag selbst diese Annahme erlaubt sein, daß der spin, das Dreh-

Gang der Fixsterne.

Wirkungen der Anziehungskraft?

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moment, das die Elektronen nötigt, während ihrer unaufhörlichen Kreisläufe um ihren Kern ebenso unaufhörlich zu rotieren, d. h. sich um sich selbst zu drehen, die gleiche Gewalt ist, die das Milchstraßensystem mit seinen 300 oder 400 Millionen von Fixsternen nötigt, sich im Laufe von 230 Millionen Jahren einmal um sich selbst zu wälzen — eine Mutmaßung, die um so mehr Gewicht hat, als hier ein Geschehen an den kleinsten mit einem Geschehen an den größten aller für menschliche Berechnung zugänglichen Körper zu einer Verkettung zusammengeschlossen erscheint. Dennoch ist möglich, gegen diese Reihe von Erwägungen, die die Lehre von der Eigenbewegtheit zu stützen bestimmt ist — und auch dies soll nicht verschwiegen werden — eine Gegenfront von Einwänden aufzubauen. Sie würde ausgehen von dem Gedanken, daß, wenn die Allbewegtheit, die für beide Seiten als unumstößliche Gegebenheit gilt, nicht aus der Eigenbewegtheit, sondern aus dem Wirken der Anziehungskraft abgeleitet wird, ein gleicher Endzustand sich ergeben würde. D. h. es würde als Ur- und Anfangsgeschehen ein nirgends begrenztes Angezogen- und deshalb Bewegtwerden der zunächst unabhängigen Urkörper angenommen werden, aus dem sich dann in der gleichen Abfolge die Reihe der Zwischenzustände entwickelt haben müßte, die nach der Gegenannahme von der Eigenbewegtheit zu dem heutigen Endgeschehen geführt hätte. Eine Lehrmeinung, die in den letzten Jahren wenigstens als Vermutung vertreten worden ist, kommt dieser Auffassung zu Hilfe. Sie geht, wie noch einmal in anderem Zusammenhang auszuwerten sein wird, von der Uberzeugung aus, daß die Wirkung eines Elektrons nicht etwa nur bis zum Kreisrand seines Atoms, sondern über ihn fort und unaufhaltsam in das All, also ins Grenzenlose reicht. Ist dem so, dann würde eine elektrisch anziehende — oder abstoßende — Kraft von jedem zu jedem Elektron des Alls gelangen und das Insgesamt der Sternenwelt ihr so gut wie der Gravitation unterworfen sein.

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Zwei Weltsichten.

Dennoch lassen sich entscheidende Gegengründe gegen diese Sehweise aufbringen. Wohl wird durch sie das ganze unendlich verflochtene Netz von Querbeziehungen zur Genüge erklärt, durch das die Läufe der Gestirne sich gegenseitig beeinflussen — die Gravitation ist vermutlich nur eine Auswirkungsform der elektrischen Anziehung — nicht aber die translatorische, die Eigenbewegung der Sterne, noch auch ihr spin, ihr Drehmoment. Die Fortdauer des letzteren erklärt sich durch sich selbst; aber auch die Eigenbewegung der Gestirne läßt sich aus der Eigenbewegtheit der Urkörper geradlinig ableiten, insofern das gleiche Bewegungsprinzip sich als erhalten darstellt, ein Tatbestand, der jener anderen Allbewegtheit gänzlich mangelt. Dem System der Sternbewegung werden also bei Annahme der hier bekämpften passiven Allbewegtheit die zwei stärksten seiner tragenden Säulen fortgeschlagenx. Wird es damit nicht zertrümmert ? Andrerseits zeichnet sich die hier vertretene Lehrmeinung der Eigenbewegtheit dadurch aus, daß sie die Wirkung der Anziehungskraft dort, wo sie mächtig ist, nämlich in den Querverbindungen, völlig unangetastet läßt. Die letzte Entscheidung über diese Dinge wird von der Frage abhängen, ob die Setzung der zweiten BewegungsRegel von Newton nicht einer Erweiterung in dem Sinne fähig ist, daß sie von ihrer Klausel befreit und als allgemeine Behauptung ausgesprochen wird: jeder selbständige Urkörper, in Sonderheit jedes freie Elektron, das noch keinem zusammengesetzten Körper einverleibt ist, bewegt sich geradlinig und unaufhörlich, so lange es ungehindert seine Bahn verfolgen kann. Daß diese Erweiterung zwar vermutet, l ) Eine Dunkelheit, die bleibt, sei doch angemerkt. Billiger Weise muß von der Eigenbewegtheit der Urkörper im Urzustand angenommen werden, daß sie sich nach allen Seiten gleichmäßig richtet. E s bleibt fraglich, inwieweit sich aus diesem Urzustand Zusammenballungen haben bilden können. Doch reicht schon die Besprechung dieser Frage weit über die Zuständigkeit dessen hinaus, der hier schreibt.

Newtons 2. Bewegungsregel.

Zwei Wege der Weltdeutung

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nicht aber als wissenschaftlich beweisbare Gewißheit ausgesprochen werden kann, wurde schon zugegeben, zugleich aber auf einige Tatbestände hingewiesen, die jene Vermutung stützen können. Zwei Wege sind der zukünftigen Entwicklung der physikalischen Wissenschaft in diesem Fragenzusammenhang gegeben : entweder sie behandelt nach wie vor den anorganischen Körper bis zum Elektron herab als ein caput mortuum, dessen Dasein ein völlig passives, nur zum Bewirkt-, nur zum Bewegtwerden, nie aber zum aktiven, tätigen, auch nur das eigene Selbst bewegenden Verhalten bestimmt ist; oder aber sie entschließt sich, den Urkörpern Eigenbewegtheit zuzuerkennen. Dieser zweiten Möglichkeit der Erklärung steht keinerlei naturgegebener Sachverhalt im Wege. Denn — und dies sollte doch nachdenklich machen — auch die heut gültige Auffassung nimmt an, daß im Insgesamt des anorganischen Weltgeschehens und insbesondere im Kernbezirk der Urkörper nirgends ein Stillstand, überall aber Bewegung herrsche. Denn wenn uns auf die Frage, ob es denn niemals zu einem Stillhalten der Elektronen kommen kann, geantwortet wird: o doch, etwa im Falle des Zusammenstoßes zweier Elektronen und auch dann nur für den Zeitpunkt ihres Zusammenstoßes, so ist das nicht etwa eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, sondern eine Beobachtung, die den Tatbestand der Regel nicht einmal in Frage stellt. Zwei Weltsichten ergeben sich somit als Möglichkeiten für die Deutung des Verhaltens der Urkörper im anorganischen Reich. Die eine behandelt diese Urkörper einmal als t o t oder, wenn man lieber will, als kraftlos, keiner eigenen Bewegung fähig; dann aber macht sie diese Urkörper zu Sitzen und Trägern einer anderen, der anziehenden K r a f t , einer Kraft, die dieser Weltsicht die Inhaberin und Betätigerin einer Allgewalt ist: der Anziehungskraft, die sich in der dreifachen Form der Gravitations-, der elektrischen und der magnetischen Kraftfelder ausströmt, die, man möchte

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Eigenbewegtheit: Bewegung: Zwei Weltsichten.

sagen, nur lockend, ladend, saugend und — wenn ein Gleichnis aus der Welt der Lebewesen erlaubt ist — nur weiblich ist und von der doch alle Bewegung der anderen Körper als ihnen aufgenötigt ausgehen soll. Eine aktive, aus dem eigenen Selbst hervorgehende und dieses Selbst bewegende locomotorische Kraft wird geleugnet, alle Formen der Bewegung werden als passiv, als auf lockende Bewirkung zurückzuführen angesehen. Wäre es erlaubt, diese in Wahrheit von uns 60 fernen Dinge für einen Augenblick in Bild und Gleichnis auf die Ebene menschlich-gesellschaftlicher Verhältnisse zu übertragen, man müßte sagen, diese Welt gliche einer Menschheit, in der den Männern keinerlei Kraft der eigenen Bewegung zukäme, in der vielmehr all ihr Tun ihnen nur durch die lockende und ladende Leibes- und Seelengewalt der Frauen aufgenötigt würde. Kein Zweifel, nicht Bilder noch Gleichnisse können im Reich der Wissenschaft irgend ein Recht auf Geltung in Anspruch nehmen. So viel Nützliches aber können sie selbst der nüchternsten Forschung leisten, daß sie ihr im Spiegel einer anderen Geschehensform wenigstens die Grundbedingungen von Bau und Wesen ihres eigentlichen Gegenstandes zeigen. Im vorliegenden Fall aber wird auch für eine Weltsicht, die weder Wesen noch Wirken der auf die Urkörper verteilten und von ihnen ausströmenden Anziehungskräfte auch nur im leisesten herabmindern oder gar anzweifeln möchte, vielleicht erkennbar, wie vollkommen einseitig die augenblicklich gültige Anschauung ist. Man wird den von ihr festgestellten Tatbeständen vielleicht keine Antinomie, keine Widergesetzlichkeit, wohl aber ein Höchstmaß von Discrepanz, von klaffender Gegensätzlichkeit beimessen dürfen. Für die Gegensicht, die der Eigenbewegtheit, ergiebt sich aus allen diesen Feststellungen erstens, daß die von der physikalischen Wissenschaft heute festgehaltene Sehweise kein Wider, kein Contra gegen sie aufzuweisen hat; denn es

Frauen-Bewirken und Männer-Tat. Fragen an die Forschung.

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wird unschwer möglich sein, einen Teil der Urkörperbewegung von dem Geschehenszusammenhang, der ausschließlich aus Passivität und Angezogenwerden, aus Bewirktheit also und Ursachenzwang besteht und dem sie heut ausschließlich beigemessen wird, loszulösen und ihn der aktiven, wirkenden Eigenbewegtheit zuzuschreiben. Zum Zweiten aber hat die für die Eigenbewegtheit der Urkörper eintretende Sehweise für sich den Vorzug geltend zu machen, daß der von ihr behauptete Sachverhalt sich widerspruchslos einem einheitlichen Weltbild einfügt und das er im organisch-biischen wie im menschlich-gesellschaftlichen Reich seine ihm im tiefsten entsprechenden Seitenstücke hat. So gewiß auch eine solche Feststellung keinen Beweis im strengen Sinn der Einzelwissenschaft, ja noch mehr, auch nicht die Möglichkeit der Umdeutung unleugbarer Tatbestände in sich schließt, so gewiß bedeutet sie doch den stärksten Antrieb, der Forschung die Richtung auf das von ihr erahnte Zielbild hin zu geben. Vergleichende Betrachtung kann in diesen Dingen nur Fragen aufwerfen, Möglichkeiten erörtern. Nur dies sollte hier geschehen. Die Entscheidung steht bei der gründenden und exakten Wissenschaft.

Zweiter Abschnitt. Die Bewegtheit als Das Leben

Grundform des Lebens-Geschehens.

Erstes Stück. als Eigenbewegtheit Körper.

im Innern

der

Die Reihe von Darlegungen, die hier entfaltet werden sollte, führte zu der Feststellung, daß zwar die Abfolge der immer neu sich auf einander türmenden Formen der Bewegt-

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Eigenbewegtheit: Leben im Innern der Körper.

heit im anorganischen Reich keineswegs zu einer von Glied zu Glied fest geschlossenen Kette von Geschehensweisen zusammenzufügen ist, daß aber nirgends ein denkmäßiges Hindernis sich erhebt, das an dem wirksamen Ineinander dieser Zusammenhänge zu zweifeln gebietet. Immer giebt sich der Betrachtung als einleuchtende Wahrscheinlichkeit die Annahme an die Hand, daß die Lücken, die allerdings oft genug klaffen, nur durch die Unzulänglichkeiten der bisherigen Forschung hervorgerufen sind, nicht aber durch irgendwelche Brüche und Klüfte im Geschehen. Anders auf der Schwelle zwischen dem anorganischen und dem biischen Reich, der unbelebten und der belebten Welt. An dieser Stelle tritt diesem Gedankengang auf seinem Wege die entgegengesetzte Neigung unseres Denkens, die zur Zweiheit, zum ersten Mal, wenngleich gewiß noch nicht in ihrer schroffsten Form entgegen: auch sie zweifelsohne Spiegelung von Zweiheit und Zwist im Weltgeschehen. Diese Zweiheitesicht, die sich der monokosmischen, der Welteinheitslehre widersetzt, will zwischen dem unbelebten Geschehen und dem lebendigen, sowie zwischen den Werdegängen des einen, dem Wachstum und der Entwicklung der Stammesgeschichte des anderen eine unüberschreitbare Kluft aufreißen. Recht und Unrecht der Beweisgründe, die man hier in Für und Wider vorgebracht hat, sollen nicht jetzt noch hier erörtert werden, sondern nur das Bejahende, Tatsächliche, das für diese Zweiheit vorgebracht werden kann, aufs kürzeste angedeutet werden. Der Antrieb, die belebte mit der unbelebten Welt e i n e m Gesetz unterworfen zu sehen, ist uns, wie in gedrängtester Zusammenfassung noch dargelegt werden soll1, eingegeben durch die Einheit des Weltgeschehens selbst2. Und die Be1

) Vgl. in dem noch nicht veröffentlichten methodologischen Teil der Werkereihe, von der der hier vorgelegte Band ein Glied bildet, den Abschnitt: Die Erkenntnismittel der Ursichten. 2 ) Vgl. auch die vorläufige Zusammendrängung in dem Aufsatz: Einheit als Geschehen (Soziol. Jahrbuch hrsg. von Salomon I

[1925]).

Ähnlichkeiten von Sternen und Lebewesen: Daseinsintensität

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obachtung, die in ihrer allgemeinsten Anwendung zu diesem Schluß, zu der monokosmischen, der Welteinheits-Sicht drängt, läßt sich für diesen besonderen Zweck mit eigens starkem Nachdruck geltend machen. Betrachtet man das Geschehen des organisch-biischen Reiches, das man Leben genannt hat, mit demselben Vorsatz, die Tatsächlichkeiten allein ins Auge zu fassen, wie er hierfür schon als notwendig betont wurde, als die Weltgewalten des anorganischen Reichs mit den Seelengewalten des Menschheitstuns verglichen wurden, so kann die Kluft zwischen unbelebtem und belebtem Geschehen unmöglich als unüberbrückbar empfunden werden. Ein Stern, aufgefaßt als ein einheitliches Insgesamt mit allem Teilgeschehen, das sich in seinem Innenbau und auf seiner Oberfläche zuträgt, kann in keine Wege als unbewegter, ungeschlossener aufgefaßt werden als ein Tier, wenn man einmal die Tatsache Leben in einem äußeren Sinn, dem Sinn des Bewegtseins und losgetrennt von allen seinen inneren Verursachtheiten anzunehmen sich entschließt. Sein Daherrollen durch den Weltraum, beobachtet etwa aus einem Gesichtspunkt nahe genug an seiner Bahn, um ihn mit menschlichen Augen erblicken zu können, fern genug, um seine ungeheuren Flächenmaße zu umspannen, kann nur als ein Schauspiel vorgestellt werden, das von so gewaltiger Majestät und zugleich von so ungeheurer Wucht, so leidenschaftlicher Heftigkeit des Geschehens ist, wie keines, das sich unserem Geschlecht auf der Erde je dargestellt hat. Ist es einer von den Geleitsternen einer Fixsternsonne, unserer Erde ähnlich, so ist die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, die er hervorbringt, das Sich-Heben, SichSenken von Kontinenten, das Wechseln von Eis- und Wärmezeiten, das Sich-Formen von Meeren und Gebirgen, das SichBegrünen mit einer Pflanzen-, das Sich-Bevölkern mit einer Tierbewohnerschicht so reich, so blühend, so glühend, daß man es wird lebensmäßig nennen können, wenn man sich einen Augenblick dazu herbeiläßt, den strengen und engen Sinn dieses Begriffs außer Acht zu lassen. Ist es aber ein Fix-

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Eigenbewegtheit: Leben im Innern der Körper.

stern, so würde das Schauspiel von noch größerer Erhabenheit und von kaum geringerem Reichtum sein. Die wallenden in immer neue Strudel und Klüfte und Kessel zerrissenen Feuermeere der Oberfläche der Sonne, die viel ferner als in Mondweite sich in den Weltraum werfenden Glutwedel der Protuberanzen müssen Bilder von einer Mannigfaltigkeit, einer wilden und funkelnden Schönheit zeigen, wie sie keines Menschen Vorstellungskraft sich erträumen kann. Und zu dieser Macht, dieser Schönheit, diesem Reichtum, zu dieser Heftigkeit und beständigen Bewegtheit seiner Daseinsbezeugungen, die alle den Stern so nahe an ein lebendiges Wesen rücken, gesellt sich das Auf und Nieder seiner Zustandsfolgen, die den gleichen Eindruck hervorrufen. Wohl ist ein Jahr, so scheint es uns, unvergleichbar weit von dem Zeitmaß zweier Jahrmilliarden getrennt, und doch wird niemand leugnen dürfen, daß die Durchmessung eines Kreislaufs, als die sich der Werdegang eines Fixsterns auffassen läßt, mit dem Blühen, Reifen und Vergehen einer Pflanze im Laufe der Jahreszeiten eines Jahres einige Grundzüge gemein hat, vornehmlich die stete Wiederholung, den Anstieg und den Ablauf einer Bewegung, die wir Kreislauf nennen dürfen. Ein Fixstern beginnt als M-Stern seinen Lauf, d. h. als ein Nebelball von äußerster Ausdehnung und geringster Dichte, als sehr heller Riesenstern, ein Zustand, dem dann die Entwicklungsalter folgen, die nach den Klassen der sehr verschiedenen Spektralbilder geordnet worden sind. Ihre Reihe führt über die Zustände K, G — der Sonne — über F und A zu B, der Beschaffenheit der Orion-, der Helium-Sterne, die als Zenith der Entwicklungsbahn angesehen wird. Diese Abfolge ist gekennzeichnet durch ein beständiges Zunehmen an Dichtigkeit und eine ebenso beständige Zunahme der Hitze — die Sterne dieses aufsteigenden Astes sind die Riesensterne im Zustand der Weißglut. Nachdem sie aber das EndEntwicklungsalter B erreicht haben, das den mittleren Zustand bedeutet, kehren sie auf dem gleichen Wege zurück, jedoch im Zustand wachsender Dichtigkeit — daher Zwerg-

Durchmessung eines Zustandskreislaufs, zwei Bewegtheitsformen. 289

Sterne — und abnehmender Helligkeit — daher im Zustand der Botglut, bis sie über die Staffeln A, F, Gr, K zurück den Anfangszustand M wieder erreicht haben. Da sich auf den einzelnen Stufen die Sterne des aufsteigenden Entwicklungsastes von denen des absteigenden durch ihre Größe und Dichtigkeit unterscheiden lassen — jene sind Riesen-, diese Zwergsterne1, so falten sich die beiden Entwicklungsfolgen in dem heutigen Bestand der Gestirne, der Entwicklungszustände aller Art umfaßt, deutlich auseinander. Zwei Formen stärkster und zugleich zusammengesetztester Bewegtheit hat also jeder der Himmelskörper, deren Scharen das uns sichtbare Firmament bevölkern, aufzuweisen: die eine nach außen allein erkennbare eines beständigen Ortswechsels seiner kleinsten Teile und vieler von ihren größeren Zusammenballungen und außerdem die zweite einer Veränderung der Formen dieses Ortswechsels. Von den beiden ist die erste ein reines Geschehen, die zweite ein Werden, d. h. eine Umwandlung der bis zu einem gewissen Grade beständigen, d. h. in der Zeit dauernden Geschehensformen. Nun wird aber Niemand, auch der eifervollste Dualist, sei er Zweiheitsanhänger oder Zweiheitslehrer, leugnen können, daß die Vorgänge im Inneren von Pflanzen- und Tierkörpern, die wir unter dem Namen und Begriff Leben zusammenfassen, unter Einschluß der ihnen eigentümlichen Werdensund insbesondere Wachstumsarten, nichts anderes darstellen, als was an den unbelebten Körpern unter jenen beiden Formen des reinen Geschehens und des Werdens verstanden wird. Wohl wird dabei der tiefste Unterschied zwischen allem belebten und unbelebten Geschehen völlig bei Seite gelassen — 1

) So nach der Lockyerschen Spektraltabelle und nach den Lehren von Hertzsprung und Rüssel die zusammenfassende Darstellung bei Guthnick, Physik der Fixsterne (Hartmann, Astronomie [1921] 401—404, 405f ; 408—410), in letzter Zusammendrängung bei Kobold, Das Sternsystem (ebenda 556f.). Vgl. dazu NewcombEngelmann Astronomie, hrsgeg. von Ludendorff ('1921) 548f. (Spektraltabelle) 792f. (Kosmogonie der Fixsterne).

Brtjilg, Natarguohlohte and Men«chh«ttageichichte.

19

290

Eigenbewegtheit: Leben: im Innern der Wesen.

die Umwandlung der auf sich selbst beschränkten und durch sich selbst erklärten Bewegungsformen des physikalischchemischen Reiches in die einmal gesteigerten, dann aber auch geminderten Bewegungsarten des biologisch-physiologischen Bezirkes, deren Ursachen und deren Triebwerk uns wie ein schlechthin undurchdringliches Geheimnis verborgen sind. Aber ein solches Übersehen muß für die Zwecke rein begrifflicher Durchdringung und Ordnimg der Wirklichkeiten zugelassen und darf nicht wissenschaftliche Willkür gescholten werden. Dies umso weniger, als das Naturgeschehen uns, den Schauenden, ein Verhältnis der Geschehensformen zeigt, das Unterschiedenheit und Einheit der zwei Geschehensweisen auf das unmißdeutbarste und dabei doch in der geheimnisvollsten Verknüpfung vor Augen stellt. Denn alles biologisch-physiologische, also alles vom Leben bestimmte Geschehen löst sich doch für unsere Betrachtung, wenn es auf seine Urbestandteile zurückgeführt wird, in ein lediglich physikalischchemisches Geschehen auf. Und wenn jeder Pflanzen- oder Tierleib auch eine Zusammenballung von Molekülen, Atomen und Elektronen ist, so muß der zusammenfassenden Sicht, die alles Welt- und Menschheitsgeschehen zu einem Insgesamt zwingen will, erlaubt sein, die Körper der unbelebten Stoffe und die Leiber der Lebewesen unter die sie beide zusammenklammernde höhere Einheit bewegter Stoffmassen zu stellen. Von den Veränderungen, die im Sinn des Werdens an den belebten wie den unbelebten Körpern, an den belebten in den Werdensformen des Wachstums und der neuen Artenbildung, an den unbelebten in der Form der Zuständefolge, wie etwa der kosmogonischen der Sternphasen oder der erdgeschichtlichen der Strata-, der Schichtenbildung, und vielleicht auch in der der neuen Elementebildung stattfinden, sei fürs Erste abgesehen; sie sollen in dem hier aufgerichteten Gedankenbau an einer anderen Stelle ihren Ort finden. Und ebenso soll dort erst die Unterscheidung des Lebensvorganges von

Alle Körper Geschehenseinheiten von innerer Bewegtheit.

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den Geschehensformen des anorganischen Reiches, soweit sie überhaupt möglich ist, umschrieben werden. Für den hier verfolgten Gedankengang aber möge es genügen, den Satz als unumstößlich festzuhalten, daß die unbelebten Körper, gleichviel ob sie als festmechanisch abgetrennte und abgeteilte Körper oder —• vornehmlich im Bezirk der Urkörper, der Elektrophysik — als Bezugssysteme in sich geschlossen sind, mit den Pflanzen- und Tierleibern der belebten Welt dies gemeinsam haben, daß -sie Geschehenskomplexe, also Geschehensverbundenheiten, Geschehensverflochtenheiten, Geschehenseinheiten sind wie diese und ihnen an Vielfachheit der inneren Bewegtheit nicht allzuviel nachstehen. Die erste Voraussetzung, daß beide Formen des Weltgeschehens mit einander verglichen werden dürfen, die Geschlossenheit der Einheiten, ist allerdings in höherem Maße für die Lebewesen gegeben, für die die Steigerung dieser Eigenschaft eines ihrer grenzsetzenden Merkmale ist 1 , aber sie gilt doch auch für die Körper der unbelebten Welt und zwar ohne alle Ausnahme. Denn auch so ungenau umschriebene Körper wie die Wasserstoff-Gasnebel, von denen die Sternkunde als der Urform aller Himmelskörper berichtet, oder das uns umgebende Luftmeer haben — das letztere an den Übergängen aus der Atmosphäre in den Weltraum — ihre bis zu einem gewissen Grade sicheren, d . h . für uns feststellbaren Grenzen. Was aber die Mannigfaltigkeit und die Vielfachheit der Bewegtheit der Urbestandteile angeht, aus denen sich belebte wie unbelebte Körper zusammensetzen, so weisen jene gegen diese zwar ein beträchtliches Mehr in beiden Stücken auf, immer aber wird man nur von einem Unterschied des Grades in Hinsicht auf beide Äußerungsformen des Geschehens reden dürfen. Der kennzeichnende Unterschied im Innengeschehen der belebten Körper gegenüber dem der unbelebten ist, rein formal Hier doch noch immer gültig die Bemerkung v o n Verworn, Allgemeine Physiologie (• 1909) 143. 19»

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Eigenbewegtheit: Leben: im Innern der Wesen.

betrachtet, der, daß sich in jenem eine Anzahl von Geschehensschichten über dem Kern der anorganischen Bewegungen, den beide Arten von Körpern mit einander teilen, auftürmt, die bestimmte Gruppen des anorganischen Teilgeschehens zusammenfasst und zu neuen, dem anorganischen Reich ganz fremden Weisen eines Sammelgeschehens lenkt und zwingt — eines Sammelgeschehens, das ein solches freilich nur den anorganischen Urkörpern, etwa als Zelle den Molekülen gegenüber, darstellt, das dem Ganzen der Gesamtkörper, der Pflanzen- oder Tierleiber, gegenüber auch wieder nur ein Teilgeschehen bedeutet. An sich ist an dem Wesenszug der Innenbewegungen im Pflanzen- und im Tierleibe als von Wesensäußerungen von Eigenbewegtheit nicht der mindeste Zweifel erlaubt, so wenig, daß man behaupten kann, alles Geschehen in beiden Leibesformen sei die kennzeichnendste Gattung, recht eigentlich der Archetypus der Eigenbewegtheit. Die Begründung für diese Behauptimg wird erst in den Beweisführungen zu geben sein, die der eigentlichen Werdenslehre zufallen sollen. So wird man sagen dürfen, an dem Grundgeschehen der Eigenbewegtheit nimmt das Leben als Tatsache innerhalb der Körper eine Intensivierung, d. h. eine Steigerung, Vermannigfaltigung und Vervielfachung vor, es ist mit ihr einmal identisch, dann aber höht und vermehrt es noch ihre Kraft und Wucht.

Zweites Stück. Das äußere Leben der Wesen als Eigenbewegtheit. Aber das Leben bleibt bei dieser seiner inneren Auswirkung nicht stehen, es greift über sich selbst hinaus und schafft wenigstens für das Tierreich eine neue Form seiner selbst, indem es den Tierleib mit der Fähigkeit eigenwilliger Bewegung ausrüstet. Wäre die Ausstattimg unseres Sterns

Leben eine Form der Eigenbewegtheit, neue Ausformungen.

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mit immer neuen Bewohnerschaften auf ihrem Entwicklungswege bei der Staffel des Tierreichs stehen geblieben, so müßte doch auch deren Fähigkeit, nach eigenem Antrieb Bewegungen ihrer Körper zu vollziehen und unter deren Richtungsmöglichkeiten, wo mehrere gegeben sind, zu wählen, als eine neue und zwar stark gesteigerte Form der Eigenbewegtheit gedeutet werden. Denn so gewiß auch die Anlagen, aus denen heraus die Antriebe, die diese Richtungswahl bestimmen, stattfinden, ebenso eisern fest gegeben sind, wie die Tatsachen der Umwelt, die als ein zweiter wirkender Ursächer diese Richtungswahl des weiteren lenken und bestimmen, so gewiß bedeutet doch die Vollziehung der Bewegungen durch einen hier zwischengeschalteten Apparat von Sinnen-, Gefühlsund Entschlußfähigkeit und -tätigkeit eine neue Potenzierung und Differenzierung, Verstärkung und Vermannigfaltigung der aus dem anorganischen Kern des Weltgeschehens ererbten Eigenbewegtheit. Denn zu den Formen der Bewegtheit wird nun eine neue, die eigenbestimmte der Körper gefügt; Zahl und Mannigfaltigkeit der Bewegungsarten wird von neuem vermehrt. Der Aufstieg einer oder mehrerer Arten der Tierheit zu dem bewußt handelnden Übertier, das mit Verstand, Einbildungskraft und einer von beiden lenkbaren und weit biegsameren Willenskraft ausgestattet ist und das wir den Menschen genannt haben, hat dann den bisher letzten Schritt auf dem Wege der Eigenbewegtheit zu immer neuen Auswirkungsformen vollzogen. Die Erledigung der Frage, ob es sich bei den vermehrten und veränderten Weisen der Bewegtheit, die der Mensch selbst noch im Vergleich zum Tier an sich herausgebildet hat, wirklich noch um eine letzte Entwicklungsform der Eigenbewegtheit, wie sie in ihrem Urkern im Kern des anorganischen Reichs gegeben ist, handelt, wird im Sinn fachmäßiger Naturforschung für heute vielleicht überhaupt nicht auszumachen sein. Denn wenn es schon schwer fallen mag, die ersten Formen des Werdens aus den Anfängen der Bewegtheit

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Eigenbewegtheit: Leben: äuSeres Leben.

der kleinsten Urkörper mit Notwendigkeit abzuleiten, wenn es der Forschung noch nicht verstattet ist, die Bewegtheitsformen der Weltkörper, wie die Schichtenbildung der Erdgeschichte, oder das äußere Vorwärtseilen und die innere Umbildung der Gestirne in einer schlüssigen Ursachenverkettung mit der Eigenbewegtheit der elektrophysikalischen Kernbezirke der Urkörper in Zusammenhang zu bringen, so wird es vollends kaum möglich sein, eine weitere Brücke dieser Art zwischen den anorganischen Bewegtheitsformen und denen des innerkörperlichen und des nach außen gewandten Lebens der Tiere zu schlagen. Die Grenze zwischen den anorganischen und den organischen Molekularverbänden bietet in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten dar, aber die Kluft, die zwischen der Bewegtheit der Moleküle, Atome und Elektronen auch noch des organischen Elementarbereichs und den eigentlichen Lebens- und vornehmlich den Wachstumsregungen klafft, ist für unser Erkennen noch so wenig überwunden, daß wenigstens für heute die Behauptung einer in sich geschlossenen Uberleitung des Geschehens aus der einen in die andere Ordnung nicht schlüssig wird zu erweisen sein. Aber ein Anderes, wenn auch nicht so zwingend Einigendes wird doch aufrecht zu erhalten sein: dieses, daß die Entwicklungsrichtung der in der hier aufgestellten Werdensreihe auf einander folgenden Erscheinungsformen durchaus die gleiche bleibt. Das will sagen, daß zum mindesten für unser Sehen etwa der Stammbaum der Arten, zu dem wir nicht erst seit Darwin, noch auch von der Gültigkeit seiner Lehre abhängig die Entstehungsgeschichte der Tiergattungen zu ordnen pflegen, in der Weise seiner im Zuge der Zeiten fortschreitenden Entfaltung eine innerste Ähnlichkeit mit dem Stammbaum der Elemente aufweist, zu dem eine genetischgeschichtliche Denkweise, wie sie von bedeutenden Physikern vertreten wird, die Ergebnisse von Niels Bohrs Atomlehre als zu einem entwicklungsgeschichtlichen Bau zusammenfügen mag. Wohl wird gegen diese Auffassung der Einwand

Richtungseinheit des Werdens, Elemente- und Artenstammbaum.

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erhoben werden können, daß die Ähnlichkeit, die von ihr geltend gemacht wird, nicht mit Sicherheit in den Dingen liege, sondern von uns, den sie Erforschenden, in sie hineingesehen werde und daß in diesem Hineinsehen eben die Gewalt des unser Zeitalter mehr als jeder andere beherrschenden Wissenschaftsgedankens der Entwicklung sich bezeuge. Doch soll die Erörterung und Zurückweisung dieser Gegenerwägung nicht heute und hier sondern an einem anderen Ort der auf diesen Blättern vertretenen Lehre vorgenommen werden1). Für eine Schlußfolgerung, die überhaupt nur mit Wahrscheinlichkeiten, wenn auch des höchsten Grades, zu rechnen genötigt ist, ist die Summe des zu ihrer Stützung heranzuziehenden Tatsachen-Vorrats so groß, daß an ihrer Haltbarkeit für den gegenwärtigen Wissensstand kein Zweifel aufzukommen vermag. Beide entwicklungsgeschichtlichen Sichten, von denen hier die Rede ist, der Stammbaum der Elemente wie der der Arten, die beide auf eine Überfülle von dicht an einander schließenden Geschehensverkettungen zu stützen sind, haben nun dies gemein, daß jedes Mal in einer langen Reihe von Filiationen, von Urzeugungen wenn man will, immer komplexere, immer zusammengesetztere, immer mannigfaltiger gegliederte Gebilde das eine aus dem andern entstehen. Oft nimmt der Umfang der Gebilde zu, doch nicht immer; immer aber vermehrt sich die Zahl der Urbestandteile, aus denen sich das einzelne Gliederganze zusammensetzt. Und daß das Weltgeschehen an sich diese Werdensform hat, dafür besitzt unser Wissen zwei untrügliche Zeugnisse: das Wachstum des Pflanzen-, Tier- und also auch des Menschenleibes am Einzelwesen und den unendlich verzweigten Werdegang der menschlichen Gesittungs- und menschlichen Geistesbildung: beide, das Wachstum ein Einzelwerden, eine Ontogenese, die Geschichte des Menschentums aber ein Artenstammbaum, eine Phylogenese, stellen Beispiele solcher Werdensverzweigung dar, deren l

) Werden, Wachstum und Entwicklung: Buch V.

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Eigenbewegtheit: Leben: äußeres Leben.

täglich sich erneuernde Wirklichkeit —soweit das Wachstum in Frage kommt — durch nichts zu erschüttern ist und deren sicher überlieferte Vollziehung — soweit die Geschichte der Menschheit in Betracht zu ziehen ist — als so und nicht anders in die Welt getretene Gegebenheit ebenso wenig angezweifelt werden kann. Beide Belege wirklichen Werdegangs sind nicht aus dem Bild des Weltgeschehens fortzuschaffen und beide beweisen für die beiden Artenstammbäume, die beiden Phylogenien, die nur mit höchster Wahrscheinlichkeit angenommen werden dürfen, wenigstens soviel, daß deren Werdensvollzug durchaus dem Schema, dem Bauplan —• um mit Jacob von Uexküll zu sprechen —entspricht, den das Weltgeschehen in den nächst benachbarten und gleich wichtigen Werdensreihen einhält. Wird nun aber durch diese Vergleiche und durch die sich aus ihnen ergebenden Entsprechungen und Gleichläufigkeiten ein großer Wesenszug wahrscheinlich gemacht, der als eine innere Gemeinsamkeit die einzelnen Formen des außermenschlichen Weltgeschehens zur Einheit zusammenzwingt, so ist mindestens ebenso wahrscheinlich, daß das Geschehen der Menschheit, das sich ja nur als eine letzte Auszweigung und Fortsetzung jenes größeren vormenschlichen Geflechtes von Geschehensformen darstellt, die glei en Wesenszüge offenbart und sich mit jenem Insgesamt zu einer noch weiteren Einheit zusammenschließt.

Drittes Stück. Die Grundeigenschaften der B e w e g t h e i t im organischen und im biischen Reich.

an-

Ehe die Reihe der hier angestellten Beobachtungen in den entscheidenden, der Menschheit selbst gewidmeten Schlußabschnitt eintritt, sei festgestellt, aus welchen Einzelzügen sich das Bild der großen Gemeinsamkeit zwischen den verschic-

Gemeinsamkeiten: Urbewegung; Ortswechsel und Anziehung.

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denen Formen des Weltgeschehens zusammensetzt, die hier behauptet wird. Es geschieht fürs Erste nicht eigentlich zu dem Zweck, die Abfolge dieser Geschehensformen als eine werdensmäßige und somit im echten Sinne des Wortes geschichtliche Abfolge, als eine Entwicklung also hinzustellen — das soll einem späteren Teil dieser Beobachtungsreihe vorbehalten bleiben — sondern es sollen nur die einzelnen Bestandteile der Gemeinsamkeit in jenem Gesamtbild ins Auge gefaßt werden. Es handelt sich zunächst um den Begriff oder — wie die auf diesen Blättern vertretene Wissenschaftsgesinnung will — um die Tatsache des Geschehens selbst, die als allen Bezirken des Weltseins gemeinsam in erster Linie geprüft werden muß. Als ihre Urform, d. h. als die elementarste ihrer Erscheinungsformen, wurde hier die Bewegung der physikalischen Urkörper, der Elektronen, Atome, Moleküle an die erste Stelle gesetzt und ihr die Eigenschaft der Eigenbewegtheit zuerkannt, d. h. derjenigen Bewegtheit, die den von ihr ergriffenen Körpern an sich als eine des weiteren nicht erklärliche Eigenschaft innewohnt, die weder von außen her durch den Anstoß eines anderen Körpers, noch von innen her durch einen Antrieb bewirkt wird, der als Kraft, Antrieb oder wie immer benannt von dem Körper oder dem mit und an ihm sich vollziehenden Geschehen getrennt gedacht werden kann. Leistung und Werk der in ununterbrochener Bewegung befindlichen Urkörper beschränkt sich auf die Bewegung selbst, d. h. auf die Vollziehung eines unaufhörlichen Ortswechsels, der selbst Arbeit erfordert. Aber schon innerhalb dieses innersten Bezirks des anorganischen Geschehens beginnt unter der Einwirkung des an sich ebensowenig wie die Eigenbewegtheit erklärbaren Vermögens der Urkörper sich anzuziehen — sei es durch das Mittel der elektrischen, der magnetischen oder der Gravitationskräfte — die Bildung neuer, zuerst aus wenigen, dann aus immer zahlreicheren Urkörpem zusammengesetzter Gesamtkörper. Diese Reihe, die sich zuletzt zu einer fast unübersehbaren Formenfülle erweitert, setzt schon

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Eigenbewegtheit: Leben: Grandeigenschaften.

ein innerhalb des Atoms, das als Gliederganzes von den zwei oder drei im Wasserstoffatom vereinigten Elektronen bis zu der auf Hunderte sich belaufenden Zahl des Uranatoms schon eine staffelreiche Stufenleiter immer neuer Gebilde in sich umfaßt. Schon mit diesem Eintreten einer Bündelung von Geschehensreihen, eben der zu höheren Einheiten zusammengezwungenen Bahnläufe der Elektronen, ist das Weltgeschehen in eine neue Form der Bewegung hinein gediehen, die sich neben der einfachen Bewegung des reinen Ortswechsels wie eine gesteigerte, eine potenzierte Bewegimg, eine Bewegung höheren Grades ausnimmt. Es ist das Werden, d. h. die Weise des Geschehens, die es nicht bei der Fortsetzung einer Bewegung sein Bewenden haben läßt, sondern auf eine Abwandlung der Bewegungsart, also der Geschehensform hinausläuft. Als die ersten Betätigungen dieser neuen, stärkeren, verdichteten, intensivierten Art der Bewegtheit werden die in sehr ähnlich bemessenen Graden fortschreitenden Entstehungen immer neuer Elemente, vom ersten bis zum zweiundneunzigsten, vom Wasserstoff bis zum Uran zu gelten haben; aber noch das Insgesamt der Schichtung von Geschehensformen, als das sich das anorganische Reich darstellt, besteht aus einer Aufeinandertürmung von Werdensformen, deren Erzeugnisse immer zahlreicher und immer mannigfaltiger zusammengesetzte Gebilde sind, gleichviel ob für diese Beobachtung die Bildungsgeschichte der Fixsterne oder die der festen Kruste des Planeten Erde, die Wetterbildung oder die der Erdoberfläche in Betracht gezogen wird. Die zwei Formen des Geschehens, die des einfachen, aus reiner Bewegung bestehenden Geschehens — klassisch vertreten durch die freien Elektronen, die noch ohne jede Bindung den Raum durcheilen — und die des neuen, eine neue Bewegungsform schaffenden Geschehens, des Werdens sind um deswillen schwer auseinanderzuhalten, weil die zweite, die gesteigerte Geschehensform Werden sich durchaus mit den Mitteln und in einem ursprünglichen, einem pri-

Potenzierte Bewegung.

Eigenbewegtheit und Werden.

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mären Sinn sogar nur auf den Wegen des älteren, des einfachen Geschehens vollzieht. Denn die Wandlung, die eintritt, geht ja nicht etwa das Wesen der Bewegung an; vollstrecken doch die einfachen Urkörper, die sich als Glieder den neuen, zusammengesetzten Einungskörpern einfügen, nach wie vor die ihnen ursprünglich innewohnenden Bewegungen. Und wenn sich mit dem Zeitpunkt dieser Einverleibung die Bahnen ihrer Bewegung — in der Regel aus geradlinigen in kreisförmige oder elliptische — verwandeln, wenn ferner der Verlauf ihrer Bewegung aus einem unbegrenzt in die Ferne des Raums fortgehenden Vorwärtseilen in die zu einem Teil stationäre Form ganz oder annähernd kreisläufiger Wiederholung übergeht und wenn endlich die Geschwindigkeit der Urbewegung durch die so eingetretene Bündelung sowohl bei der Bindimg der Elektronen zum Atom, wie bei der der Atome zum Molekül beträchtlich herabgesetzt wird, so erscheinen alle diese Veränderungen insoweit unerheblich, als sie das Wesen der Bewegung selbst nicht verwandeln. Wenn Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung sich auch ändern, sie selbst bleibt. Damit erscheint die Fortdauer der Eigenbewegtheit als des Kerngeschehens auch innerhalb des Werdens sichergestellt. Durch das Hinzutreten jener eigens schwer deutbaren Antriebe, die als Anziehungskräfte oder, wie es hier geschah, als Verbindungsdränge doch eben nur umschrieben, nicht aber erklärt sind, wird die Eigenbewegtheit zwar modifiziert, d. h. in eine Teilform übergeführt, ihr Walten und Wirken aber nicht in Frage gestellt. Insbesondere für denjenigen, der, auf immer weiter greifende Vereinheitlichungen dringend, vorauseilend auch die Bewegtheitsformen des organisch-biischen Reiches in Betracht zieht, möchte der Gedanke naheliegen, hier das Einsetzen einer eigenen Bewegungsquelle zu mutmaßen, die man dann Werdenskraft wird nennen mögen. Sie würde dann als Seitenstück der besonderen Wachstumskraft innerhalb der Pflanzen- und Tierwelt — die in Drieschs vitalistischer Lehre

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Eigenbewegtheit: Leben: Grandeigenachaften.

als Entelechie bezeichnet worden ist — gelten müssen. Daß eine solche Werdenskraft, die man als das Vermögen der Urkörper aus einer Ordnung des Geschehens in eine andere, also etwa aus der des Wasserstoffatoms in die des Heliumatoms überzugehen, umgrenzen müßte, jeder Erklärung durch Verursachung entbehren würde, möchte an sich noch kein Hindernis darstellen. Denn wie noch in Kurzem dargelegt werden soll, an causae occultae im Sinn der Cartesianer fehlt es auch im Bereich dieses Kernbezirks des anorganischen Reichs nicht — die Anziehungskraft der Elektrizität zwischen positiven und negativen Elektronen und die der Gravitation zwischen Weltkörpern sind nur eigens schlagkräftige Beispiele. Aber einmal unterscheiden sich die Vorgänge, die durch die Annahme dieser Kräfte überdeckt werden sollen, insofern von einer Werdenskraft dieser Art, daß sie den einzelnen Urkörpern innewohnen, während die einer solcher Gestalt unterstellten Werdenskraft ein ganz komplexes, auf dem Zusammenwirken mehrerer und verschiedenartiger Körper beruhendes Sammelgeschehen sein würde. Ein solches Sammelgeschehen würde zwar in dieser seiner Eigenart dem Sammelgeschehen entsprechen, auf das das Wachstum und die Entstehung einer neuen Art zurückgeführt werden muß, aber es würde aller der besonderen Vorbedingungen entbehren, durch die diese Geschehensformen der organisch-biischen Welt vor denen der anorganischen ausgezeichnet sind. Sodann, und diese zweite Erwägung fällt noch schwerer ins Gewicht, ist alles Werden neuer Geschehensformen auch dann noch erklärbar, wenn lediglich die Möglichkeiten der reinen Eigenbewegtheit als gegeben angenommen werden. Denn wenn die Entstehimg einer neuen Geschehensform auf das Eintreten einer neuen Variante des zu Grunde liegenden Urgeschehens zurückgeführt wird, also etwa die Entstehung des Helium-Atoms auf das Eindringen eines freien Elektrons in das gebundene Elektronengefüge eines Wasserstoffatoms unter bis dahin noch nie verwirklichten Bedingungen seiner Bewegungsrichtung, dann ist das Auftreten dieser

Ableitbarkeit des Werdens aus der Eigenbewegtheit.

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neuen Geschehensform und des durch sie entstandenen neuen Körpers vollauf erklärt, ohne daß es der Annahme einer eigenen Werdenskraft bedarf und ohne daß das sonst so einheitliche Bild, das eine lediglich durch Eigenbewegtheit vorwärts getriebene Körperwelt darbietet, durch einen störenden Eindringling verschoben und verwirrt wird. Wenn nun dergestalt das Geschehen im elektrophysischen Kernbezirk des anorganischen Reichs in seinen beiden Grundformen, in der einfachen der Bewegung wie in der gesteigerten des Werdens einheitlich auf die Eigenbewegtheit zurückgeführt werden kann, so gilt das Gleiche von allen weiteren und grobkörnigeren Bezirken der anorganischen Welt: Modifikationen, Geschehensänderungen ohne Zahl finden statt, vor allem durch die Bündelung von Geschehensbahnen der Teilkörper zu neuen Gesamtkörpern; aber die Urkraft der Eigenbewegtheit bleibt. Von dem Werden aber, das an der Stufenleiter der Geschehensformen bei jeder neuen Zusammenballung eine neue Staffel bildet, ist zu sagen, daß es immer dann in K r a f t tritt, wenn sich eine neue Verflechtung von Geschehensreihen durchsetzt, d. h. wenn erstens aus irgend einer neuen Kombination der alten Geschehensreihen eine zunächst momentane Verbindung entsteht, und wenn zweitens die für diese Verbindung wirksamen Kräfte stark und stetig genug sind, um die zuvor vereinzelten zu nunmehr verflochtenen Geschehensreihen für die Dauer zusammenzuziehen und so aus den bisher getrennten Körpern neue Gesamtkörper mit eigenen Bewegungsbedingungen entstehen zu lassen. Aus dem Wirken von Eigenbewegtheit und Verbindungsdrängen wird somit die anorganische Welt, sei es in ihrem Geschehen forterhalten, sei es zu neuem Werden gesteigert.

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Eigenbewegtheit: Leben: Innenbewegtheit.

Viertes Stück. Das Wesen organisch-biischer

Innenbewegtheit.

Allen den Schwierigkeiten zum Trotz, die vielleicht nicht so sehr in Schranken des wirklichen Geschehens als in den Behinderungen unseres gegenwärtigen Erkennens bestehen, wird zum mindesten der Satz aufrecht zu erhalten sein, daß die Formen der Bewegtheit im biischen Reich, auf welchen Wegen sie auch immer aus den Bewegtheitsformen der anorganischen Welt entstanden sind, mit ihnen beide Grundzüge teilen; daß nämlich ihre einfache, ganz ebenso wie ihre Werdensbewegtheit auf den Urkern der Eigenbewegtheit der elektrophysischenUrkörper zurückzuleiten sind. Für alle Arten einfacher Bewegtheit im Inneren der Lebewesen ist dies wie eine Selbstverständlichkeit: denn einmal vollziehen sich diese, obwohl schon auf den niedersten Stufen unendlich vielfach zusammengesetzte Körperverbände — wie etwa schon die Zellen — ihre Träger sind, immer und ausnahmslos in den Formen und mit den Mitteln der anorganischen Urkörper, aus denen sie zusammengesetzt sind; mögen Zellen sich bewegen, es sind doch Sammelscharen von Elektronen, Atomen, Molekülen, die unter bestimmten Voraussetzungen der Verbundenheit den Namen Zellen tragen und zu gesamter Hand diese Bewegungen vollziehen. Und was außer der den Urkörpern innewohnenden Bewegungsform an Sonderbewegungen durch den von den Sammelkörpern ausgehenden Antrieb hinzugefügt wird, das bestimmt für diese wohl neue Bichtungen, mag auch die Geschwindigkeit jener Urbewegungen entweder vergrößern oder verringern, aber es tastet nicht die elektrophysische Urbewegtheit als solche an und ist auch selber immer nur eine Modification, eine Abwandlung von ihr. Die zweite Form der inneren Bewegtheit, die dem Wachstum des Einzelwesens oder im Gipfelfalle dem Werden einer neuen Art dient, kann letzten Endes nicht anders angesehen

Eigenbewegtheit in Innenbewegtheit und Wachstum.

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werden: immer ist die Eigenbewegtheit der Grundstock, und so selbständig die sich ihr einfügenden Wachstums- und Werdenserscheinungen sein mögen, über deren Zustandekommen im Einzelnen uns nicht einmal Vermutungen aufzustellen erlaubt ist, auch sie können nichts anderes tun, als jene neuen Lebensbewegungen der einfacheren Art modifizieren, und durch sie hindurch auch die Urbewegung der elektrophysischen Teilkörper umändern. Und so wichtig sie für die Gestaltung und vollends für die neuernde Umgestaltung des Tier- und Pflanzenreichs sein mögen, niemand wird daran zweifeln mögen, daß nicht nur das Ur- und Anfangsgeschehen, sondern auch die tragende Macht und damit der überwiegend wichtige Teil alles Geschehens bei der Eigenbewegtheit der Urkörper zu suchen ist. Denn so gewiß die neuernden, abwandelnden Auswirkungen des Wachsens und des Werdens auch an sich selbst Bewegung und also ein Mehr von Bewegtheit hervorbringen mögen, die Gesamtsumme dieses Mehrs mag s, verschwinden neben dem Grundstock der von den Urkörpern herstammenden Eigenbewegtheit und für diesen Grundstock beschränkt sich die Einwirkung des Wachstums auf eine Veränderung der Geschehensrichtung. Bis zu diesen Formen der Lebensbewegung reicht eine Entwicklungsreihe, die von der Eigenbewegtheit der frei durch den Baum eilenden Elektronen bis zu den Bewegtheitsarten führt, die durch das Werden einer neuen Art hervorgebracht werden. Denn nicht nur das Überwiegen jenes Kernbestandes der Eigenbewegtheit zwingt alle diese Teilentwicklungen zu einer Einheit zusammen, sondern sie werden auch noch durch eine innere Gefügtheit zu einem Ganzen zusammengeschlossen. Mögen nämlich auch die Antriebe, die das Wachstum der Einzelwesen, das Werden der neuen Arten bewirken, bis heute unerklärbar sein, so muß doch von allen diesen Abwandlungen ausgesagt werden, daß sie, wie alles Weltgeschehen, zuerst und zuletzt aus den Bewegungen der Elektronen, Atome und Moleküle bestehen. Es muß deshalb daran festgehalten werden, daß alle die durch jene Antriebe hervor-

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Eigenbewegtheit: Leben: Innenbewegtheit.

gebrachten Abwandlungen in den Bewegungsformen, die bis zu ihrem Eintreten nur durch die Eigenbewegtheit der Urkörper und die in ihrem Verlauf eingetretenen Kausalbedingtheiten, d. h. die an sie herantretenden äußeren Bewirkungen entweder durch ihresgleichen oder durch größere Sammelkörper bestimmt waren, doch immer auch dem Gesetz dieses Urgeschehens sich einfügen mußten. Mit anderen Worten, wenn durch die Antriebe, die wir unter dem Namen von Wachstum und Artenentstehung zusammenfassen, auch zu dem bisherigen Geschehen ein anderes, neues hinzutritt, so darf dieses neue doch den alten und ohnehin sich weiter fortsetzenden Bewegungsformen nicht widersprechen1. Und auch durch diese zwangsläufige Übereinstimmung wird ein weiteres Band der Einheitlichkeit um alle die an sich so verschiedenen Formen der Bewegtheit geschlungen. Die Vorherrschaft der Eigenbewegtheit der Urkörper macht sich auch hierin geltend. Für den hier verfolgten Gedankengang aber bleibt festzuhalten, daß es zwei Wesenszüge sind, die dasWesen und Wirken aller Bewegtheitsformen — im anorganischen wie im biischorganischen Reich — kennzeichnen: einmal, daß die ursprünglich einfache Form der Eigenbewegtheit zwar im Kernbezirk der Urkörper unberührt fortbesteht, daß sie aber im Verlauf einer immer neuen Bündelung der Urkörper zu Sammelkörpern die Fähigkeit erweist, sich in neue Formen der Bewegtheit umzuwandeln; zum zweiten, daß Antriebe von vorläufig unerkanntem Ursprung und Wesen zu den Formen der ursprünglich einfachen Eigenbewegtheit, wie der in einem ganzen Stammbaum von neuen, abgewandelten, aber von ihr abzuleitenden Arten der Eigenbewegtheit hinzutreten und sich mit ihnen zu den Gattungen der gesteigerten Bewegtheit, wie namentlich des Lebens der Pflanzen und Tiere vereinigen können. *) Die weiteren Schwierigkeiten, die sich hier ergeben, sollen erst in Buch IV des Werkes Werden, Wachstum und Entwicklung: Die Stufenfolge der Werdensformen besprochen werden.

Umwandlung der Eigenbewegtheit in gesteigerte Bewegtheit.

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Diese Feststellung scheint bescheiden zu sein. Aber gerade die Selbstbeschränkung, die sie sich auferlegt, leistet Gewähr für die Haltbarkeit ihrer Behauptungen: sie vermeidet die Übertreibungen, die ebensowohl nach Seiten einer vitalistischen Deutung des Lebens mit ausschließlich biologischen Sehweisen, wie nach Seiten einer nur-mechanistischen Erklärung der Entstehung des Lebens mit rein physikalischchemischen Mitteln möglich sind, indem sie mit einer Rücksichtslosigkeit, die von den Naturwissenschaften selbst nur allzu selten geübt wird, eine Lücke in unserem Erkennen bloßlegt und nicht, wie auf beiden Seiten in diesem großen Wissenszwist so oft geschieht, diese Lücke verhüllt, um eine von beiden Erklärungsmöglichkeiten durchzusetzen. Denn in Wahrheit reichen unsere heutigen Erkenntnismittel für die eine von ihnen ebensowenig wie für die andere zu. Endlich ist auch noch die letzte der Bewegtheitsformen, die in dieser Reihe in Betracht kommt, die äußere Bewegtheit der tierischen Lebewesen, unter den gleichen Gesichtswinkel zu stellen. Die an sich vor Aller Augen offenliegende Tatsache, daß damit eine das organisch-biische Reich selbst durchquerende Kluft überschritten wird, muß für den hier zu beobachtenden Zusammenhang in Erinnerung gebracht werden. Das Tierreich ist vom Pflanzenreich dadurch geschieden, daß seinen Lebewesen die den Pflanzen abgehende Fähigkeit des willkürlichen Ortswechsels zukommt. Denn alle die an sich nicht ganz geringe Vorwärtsbewegung von Einzelpflanzen vollzieht sich innerhalb der Grenzen ihres Leibes. Liegen dem Mehr an Bewegungsfähigkeit der Tiere auch die tiefsten Unterschiedenheiten des Aufbaus und der Innentätigkeit ihres Leibes, verglichen mit dem der Pflanzen, zu Grunde, für die Staffelung des Weltgeschehens ist jenes Mehr doch die entscheidende Stufe: es entsteht hier eine neue höhere Form der Eigenbewegtheit. Sie ist zwar von ganz anderer Beschaffenheit als die der elektrophysischen Urkörper; es wäre deshalb auch nicht rätlich, ihr für die wissenschaftliche Verwendung die gleiche B r e y s i g , Naturgeschichte and Menschheitsgeschichte.

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Eigenbewegtheit: L e b e n : Innenbewegtheit

Bezeichnung beizulegen; die Wesensähnlichkeit aber ist unverkennbar: die Lebensbetätigung der Tierleiber ist, abgesehen von einigen scharf umrissenen Ausnahmezuständen — Schlaf, Winterschlaf, Erstarrung — grundsätzlich gebunden nicht nur an die Fähigkeit zur Eigenbewegung, sondern auch an den unaufhörlichen und unbezwinglichen Drang, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen. Biesen Drang nun — nicht das Geschehen der tierischen Eigenbewegtheit selbst, sondern den Drang zu ihm — wird jede auf Vereinheitlichung der Geschehensformen gerichtete Weltsicht nicht umhin können auf das Innenleben der Tierkörper und durch es hindurch auf die Eigenbewegtheit der Urkörper zurückzuführen. Mit anderen Worten, sie wird in der Bewegungsfähigkeit der Tiere ebenso eine Transformation, eine Umformung des Innenlebens, der Innenbewegtheit der Tiere in ihr Außenleben, ihre Außenbewegtheit sehen, wie sie in ihrem Innenleben eine Umformung der Eigenbewegtheit der Urkörper sieht. Kein Zweifel^ die Lücke, die hier zwar gewiß nicht im Geschehen, wohl aber in unserem Erkennen klafft, ist eigens groß. Daß eine UrsachenVerkettung im Sinne strenger Naturforschung hier nachzuweisen wäre, davon kann wohl keine Rede sein, am wenigstens zwischen den Handlungen der Sammelkörper — der Tierleiber — und dem Geschehen der Urkörper, aus denen sie sich zusammensetzen. Denn wohl findet auch hier jene Dasselbigkeit, jene Identität des Geschehens statt, die die innere Bewegtheit der Tierkörper so nahe mit der Bewegtheit der Urkörper verbindet: auch die äußere Bewegtheit der Tiere deckt sich mit der Bewegtheit der Sammelgruppen von Urkörpern, aus denen die Tierkörper bestehen. Niemals aber oder nur in besonders bedingten Ausnahmefällen würde man eine nach außen gerichtete Einzelbewegung der Tiere auf ein physikalisch-chemisches Grundgeschehen, das sich an den Urkörpern und von ihnen aus vollzogen hätte, zurückführen können. Hier drängt sich vielmehr das Innenleben der Tierkörper so mächtig zwischen

AuBenbewegtheit der Tiere: Nähe zur Urkörperbewegung.

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die Bewegtheit der Urkörper und die des Außenlebens der Tiere, daß — immer von Ausnahmefällen abgesehen — jede unmittelbare Ursachenverbindung zwischen beiden Geschehensbezirken fürs erste dunkel erscheint.

Fünftes Stück. Die Außenbewegtheit der Lebewesen. Andererseits sind die Verkettungen, die zwischen dem Innen- und dem Außenleben der Tiere bestehen, so enge und klar erkennbare, daß dieser nähere Zusammenhang gewiß nicht in Zweifel gezogen werden kann. Man entsinne sich des neuen großen Erkenntnisfundes, den die Forschung Jakob von Uexkülls gesichert hat: er schließt den untrennbaren Zusammenhang in sich ein, durch den der Innenbau der Tiere und die besondere Beschaffenheit ihrer Merkwelt, d. h. des ihnen verspürbaren Kreis-Ausschnittes aus ihrer Umwelt, zu einer eisern fest verklammerten Einheit zusammengeschmiedet ist. Erwägt man aber, daß ein sehr großer Bruchteil des Innenbaus sowie der Innentätigkeit des Tierleibes dem Verkehr mit seiner Umwelt und somit auch seiner äußeren Bewegung dient, so ist damit doch auch für dieses Geschehen die gleiche Nähe zu dem ihm zu Grunde liegenden anorganischen Urgeschehen gegeben, wie für das Innenleben des Tieres überhaupt, für das dieser Zusammenhang noch eben erörtert wurde. So wird man denn, ohne sich einer Übereilung schuldig zu machen, von der lebendigen Außenbewegtheit der Tiere annehmen dürfen, daß auch sie sich wie die Innenbewegtheit ihrer Lebensvorgänge mittelbar an die Eigenbewegtheit der Urkörper anschließt und aus ihr letzten Endes hervorgeht. Das Insgesamt des Entwicklungsganges, wie er auf der Erde von der Eigenbewegtheit der frei durch den Raum eilenden Elektronen bis zur Ausbildung der tierischen Außen20*

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Eigenbevegtheit: Leben: Aafienbewegtheit.

bewegtheit sich vollzogen haben mag, stellt sich deshalb dar wie eine lange Kette von einheitlichem Werden, die nur durch eine Anzahl von Transformationen, von eingeschalteten Umformungen unterbrochen ist. Der Strom aber, der diese Kette durchfließt, ist der der Bewegung selbst, jener Eigenbewegtheit der Urkörper, der immer neue Verwandlungen erleidet, aber nie sein Wesen, als das einer aus sich selbst entstehenden, einer eigenwerdigen, autogenen Bewegung verliert. Wer mit einiger Zagheit sich scheuen möchte so allgemeine Sätze auszusprechen, könnte versucht sein, hier nur von einer Reihe von Geschehensverkettungen und von einem Erbgang der Bewegungstendenz, der Bewegungsgespanntheit zu reden. D. h. er würde dann, wenn nicht für die früheren Umformungen, so doch für die letzte auf die Behauptung einer Geschehensfortsetzung und also Geschehenseinheit verzichten und es nur bei der Annahme einer in deutlichem Staccato unterbrochenen Abfolge von an sich von einander unabhängigen, nur durch die Ähnlichkeit der Bewegungsgespanntheit verbundenen Geschehensketten sein Bewenden haben lassen. Und doch ist diese Vorsicht nicht geboten; ja sie würde nur einen Scheinerfolg bedeuten, weil sie neue und diesmal wirklich unüberwindliche Schwierigkeiten nach sich ziehen würde. Denn wenn man wirklich Lücken in dem Zuge dieser längsten von allen irdischen Geschehensverkettungen annähme, so würde nach jeder von ihnen und insbesondere zwischen der inneren und der äußeren Lebensbewegtheit der Tiere ein Abreißen jenes Geschehenszuges angesetzt werden müssen und das Entstehen einer neuen, unabhängigen, nicht von früher her genährten Eigenbewegtheit. Außerdem ist auch das Wiederaufspringen der gleichen Bewegungstendenz, Bewegungsgespanntheit an sich ebenso schwer begreiflich, wie das einer tatsächlichen Bewegtheit selbst. Wird aber, wie hier geschah, das immer weitergehende Fortwirken der gleichen Urbewegtheit unterstellt, über alle,

Erbgang der Bewegungsspannung? Bewegtheit und Umformung. 309

auch über die letzte ihrer Umformungen fort, so ist in ihr der zuverlässige Träger einer großen Geschehenseinheit gegeben. Es wird ein erster und einziger Urantrieb von unerschöpflicher Kraft angenommen, oder vielmehr, um es richtiger zu sagen, von allen Erdendingen wird eine ihnen innewohnende Eigenschaft, eben ihre Eigenbewegtheit, behauptet, deren Form zwar den mannigfachsten Umwandlungen unterliegt, deren Grundwesen aber unveränderlich das gleiche bleibt. Wendet sich der Blick nach allen diesen Feststellungen wieder zurück zu dem hier eingeschlagenen Gedankengang, so ergiebt sich als neuer Gewinnst für den Aufbau eines Bildes der Grundeigenschaften dieses großen Geschehenszuges die Erkenntnis, daß der in ihm ausgewirkte Werdegang es vermochte, die ursprünglich auf reinen Ortswechsel beschränkte Bewegtheit, die zuvor schon zu der Geschehensform Werden, darauf zu der Werdensform Wachstum und zugleich zu der Daseinsform Leben gesteigert war, nun auch noch bis zu dem Beweglichkeitsgrade frei schweifender Tiere emporzuheben. Gewiß war diese Beweglichkeit in feste Bezirke gebannt. Aber auch innerhalb dieser Grenzen sie zu erreichen, hatte —• etwa im Vergleich zu den unbeweglichen Pflanzen — ein hohes Maß neuer Bau- und Tätigkeitsordnungen, neuer Strukturund Funktionsorganisationen im Inneren der Tiere zur Voraussetzung. Um das Außenleben der Tiere bis zu diesem Grade zu erhöhen und zu befreien, mußte ihre innere Gliederung die mannigfachsten Vervollkommnungen erfahren, auch sie in ihrem neuen Werden durch Umformungen älterer Bewegtheitsformen — des Innenlebens der Tiere — erzeugt. Steigerungen und Vermannigfaltigungen der Bewegtheit stellen ebenso wohl die Mittel und Werkzeuge, wie die Zwecke und Ziele dieser letzten großen Umformung dar, die sich vor der Entstehung des Menschen in dem Geschehenszuge der Eigenbewegtheit vollzogen hat. Aber noch eine dritte, ihrem Wesen nach völlig abgesonderte und neue Erscheinung muß als durch diese Um-

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Eigenbewegtheit: Leben: Anfienbewegtheit.

formung bewirkt gebucht werden. Es ist wenigstens für das mittlere und höhere Tier die Erlangung eines gewissen Grades von freier, d. h. bewußter Zielsetzung für die eigene Bewegung. Die Sammelkörper, als die sich verglichen mit den Urkörpern die Tierleiber darstellen, sind nicht nur mit der Möglichkeit eigener Bewegung ausgestattet, sondern auch mit der Fähigkeit, vermittelst der ihnen zu Teil gewordenen halbseelischen Hirnwerkzeuge die Richtung ihrer Bewegungen zu bestimmen. Man wird in Zweifel geraten, ob diese neue Fähigkeit ohne weiteres in die hier verfolgte Reihe der Bewegtheits-Entwicklung gestellt werden kann. Daß in ihr nicht eine Steigerung der Eigenbewegtheit in dem bisher beobachteten Sinn zu erblicken ist, scheint ersichtlich: denn das neue Wie der Bewegtheit, das sie seinem Träger verschafft, geht wenigstens unmittelbar nicht eigentlich das Geschehen der Bewegung, sondern ihre Lenkung an; es bedeutet eine Umwälzung nicht im Sichbewegen, sondern in dem Sichbewegenden. Dennoch steht, das ergiebt jede genauere Prüfung des Tatbestandes, diese innere Umwandlung in der Person des Ursächers und Betätigers der Bewegung keineswegs außer jeder Beziehung zu der Beschaffenheit der Bewegung. Indem da« höhere Tier seine Bewegungen unter die Kontrolle seines Bewußtseins und seiner vom Willen bedingten Zielsetzung nimmt, wird das Bewegungsgeschehen doch insofern berührt, als die Erreichung bestimmter Ziele besser durchsetzbar wird, als es durch eine Steigerung, etwa eine Beschleunigung unbewußter Bewegungen geschehen könnte. Und es ist weiterhin daran zu erinnern, daß auch das Werkzeug, durch das dem höheren Tier Denk- oder denkähnliche Handlungen ermöglicht werden, das Hirn mit seinen unendlich zusammengesetzten, unendlich kleinen und unendlich zahlreichen Teilkörperchen seine Tätigkeit, die Empfangnahme, die Aufzeichnung und die Erneuerung seiner Denkinschriften, seiner Engramme ausschließlich durch Bewegungen vollzieht. Man wird sagen können, daß der rein-leibliche Träger der zu einer untrennbaren Einheit verbundenen leibseelischen

Tierkörperbewegungen und Grundbewegtbeit. Werdensantriebe. 311

Denkvorgänge, eben das Gehirn, der Sitz derjenigen Lebensbewegungen ist, die im Bereich des Tierkörpers die gegliedertsten, verfeinertsten, am mannigfachsten verflochtenen sind. Kein Zweifel, daß die Lebensbewegungen, die im Tierkörper im Dienst seelisch-geistiger Vorgänge vollzogen werden, ein Höchstmaß von Qualität in diesem ganzen Bereich darstellen, so daß denn auch hier noch eine BeschaffenheitsSteigerung der Bewegtheit eintreten mußte, damit das Tier diesen seinen höchsten —inneren wie äußeren —Bewegungsaufgaben ein Genüge tun konnte. Zieht man nun den Sumraenstrich unter die drei Gruppen umgeformter Eigenbewegtheit, die hier zuletzt beobachtet wurden, um ihrem Insgesamt die Grundeigenschaften ihrer Fortbildung abzugewinnen, so ist als Endergebnis zu erkennen, daß diese Fortbildung selbst eine Umformung der ursprünglichen, in den elektro-physischen Urkörpern aufspringenden Eigenbewegtheit darstellt. Mit anderen Worten, der Werdensantrieb, der diese neuen Geschehensweisen entstehen läßt, ist nur die fortgeleitete, lediglich in starken Vorstößen sich immer von neuem wandelnde Eigenbewegtheit selbst. Zu folgenden Vorstößen, das ist das Ergebnis der hier angestellten Überblicke, erwies sich diese als Werdenskraft gegen sich selbst gekehrte Eigenbewegtheit fähig: von der anorganischen zur inneren Lebensbewegtheit, vom Werden zum Wachstum, zur Artenentstehung, von dem örtlich festgehaltenen zum frei schweifenden Leben, von dem unbewußten zum halb bewußten und halb willensbestimmten nach außen gerichteten Handeln. Auch die letzte der hier aufgeführten Umformungen wurde als aus einer Qualitätssteigerung der Lebensbewegtheit bestehend nachgewiesen. Als die Grundeigenschaft aller dieser Umformungen wird doch nur eine ganz elementare anzusehen sein, eben die Fähigkeit des eigenbewegten Geschehens sich in neue Bewegtheitsformen umzusetzen. Doch wird nicht erlaubt sein, für diese Wandlungen eine geheimnisvoll wirkende Nebenkraft an-

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Eigenbewegtheit: Leben: Aufienbewegtheit.

zunehmen, die sie erzeugt; eine rein sachlich verfahrende Forschung wird sich vielmehr dahin bescheiden müssen, die reine Faktizität, den schlichten Tatbestand als solchen zu vermerken und sehr wohl die Annahme zuzulassen, daß alle diese Umformungen sich lediglich aus den gegenseitigen Bewirkungen verschiedener Geschehensweisen ergeben haben, die aus besonderen, ihrem eigenen Wesen entsprechenden Ursachen erst zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Entwicklung aufeinander gestoßen sind. Auch diese auf die reine Tatsächlichkeit beschränkte Feststellung aber hat für das Ziel des hier verfolgten Gedankengangs Nutzen und Wert. Es mag sich ergeben, daß die so beobachteten Reihen von Geschehens-, von Bewegtheitsarten, die sich als zeitlich geordnete Zustandsfolgen der außermenschlichen Welt darstellen, im menschlichen Geschehen Seitenstücke haben, deren Wesen und Werden durch einen Vergleich mit jenen eine sehr ergiebige Aufhellung erfährt.

D r i t t e r Abschnitt. Die Bewegtheit als Grundform des menschlichen Geschehens. Erstes Stück. Der Übergang von den Bewegtheitsformen Tiers zu denen des Menschen.

des

Vor den richterlichen Augen heutiger strenger Naturforschung würden die hiererörtertenZusammenhänge zwischen der Eigenbewegtheit der Urkörper und allen späteren Bewegtheitsweisen und deren Deutung als Umformungen jener Urerscheinung nur als eine Reihe von Vermutungen bestehen können. Doch mag der Kühnheit, die eine solche Reihe aufstellt, zum Trost gereichen, daß die ersten Staffeln dieser Reihe, die noch in den elektrophysischen Kernbezirk des an-

Übergang vom Tier zum Menschen.

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organischen Geschehens zurückreichen und die die ersten dieser Umformungen in sich begreifen, doch auch von der exakten Physik nur ihrem tatsächlichen Bestände nach festgestellt, nicht aber in ihrer Abfolge erklärt werden können. Man weiß wohl, oder glaubt zu wissen, daß die 20000—300000Kilometer-Geschwindigkeit, mit der die noch ungebundenen Elektronen den Raum in der Sekunde durcheilen, sich nach ihrem Eintritt in den Atomverband auf 2898 und nach Bündelung in Molekülen auf 1692 Meter in der Sekunde ermäßigt, aber man ist nicht im Stande für diesen Vorgang nähere Ursachen anzugeben. Und so mag sich denn eine an leichtere Bedingungen des Forschens gebundene Sehweise, wie sie auf diesen Blättern zur Geltung gebracht werden soll, daran genügen lassen, einen Überblick über eine Abfolge von Entwicklungszuständen zu eröffnen, ohne von der Verbundenheit der einzelnen Güeder dieser Kette mehr auszusagen, als daß sie von hoher Wahrscheinlichkeit sei. Das letzte Glied in dieser hier angenommenen Kette von Umformungen — oder wenn man lieber will von Ausformungen, da ja der Grundstock der Eigenbewegtheit im elektrophysischen Kernbezirk durch alle Wandlungen hin doch immerdar unangerührt der gleiche bleibt — ist die Entstehung des Insgesamts der leib-seelischen Fähigkeiten des Menschen. Gerade diese Umwälzung hat man von jeher für so gewaltig angesehen, daß man lieber eine unüberbrückbare Kluft an ihre Stelle hat setzen wollen. Denn alle Zweiheitslehren, alle Dualismen tragen von der Spaltung in Welt- und Menschheitswerden, die man hier entstanden wissen will, den Namen. Im Sinn erfahrungswissenschaftlicher Gewißheit kann der Ubergang vom Tier zum Menschen heut noch nicht nachgewiesen werden, so viele Ergebnisse vergleichender Anatomie ihn auch wahrscheinlich machen. Auch die auf Vereinheitlichung gestellte Weltsicht, die auf diesen Blättern verfochten wird, wird hier nur eine Unterstellung, wenngleich eine von höchster wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit vornehmen können.

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Übergang vom Tier.

Ist aber diese grundsätzliche Unterlage einmal geschaffen, so erweisen sich die verändernden Entwicklungen, die hier als vorläufig noch ganz oder halb unerkannte Zwischenglieder vorausgesetzt werden müssen, als nicht so sprunghaft oder bedenklich, wie man vielfach hat glauben machen wollen. Insbesondere die Annahme einer langsamen Überleitung der Fähigkeiten höchster Tierarten zum beginnendem Denken bis zur Ausbildung der immerhin noch begrenzten Denkmöglichkeiten der Urzeitmenschen niederster Stufe stößt, über Jahrzehntausende und zahlreiche Zwischenstaffeln verteilt, nirgends auf begriffliche Schwierigkeiten. Insbesondere für die Entstehung von Sprache und Begriff, die als ein zur Einheit verbundenes Doppelgeschehen angenommen werden muß, sind durchaus mögliche Entwicklungswege zu erdenken. Die Anhänger einseitiger Begrifflichkeit pflegen hier gern die Behauptung aufzustellen, daß schon in dem Augenblick, in dem das erste Wort von einem Menschen ausgesprochen worden sei, der Mensch auch als geistiges und damit als bis in die tiefsten Wurzeln seines Seins vom Tier unterschiedenes Wesen aufgetreten sei. Eine solche Umwandlung aber könne nur als durch einen einzigen übernatürlichen Schöpfungsakt zustande gekommen gedacht werden, niemals aber auf dem Wege natürlichen Wachstums. Der Grund für diese Schlußfolgerung ist bei ihren Verteidigern sicher auf einen Mangel an forscherlicher Bildnerkraft, außerdem aber auch an Wissen um den Urzeitmenschen und seine Geistigkeit zurückzuführen. Alle Forschungen, die an nordostamerikanischen Urzeitvölkern zur Geschichte der Bilderschrift angestellt worden sind, machen wahrscheinlich, daß wir in ihr einen tauglichen Schlüssel für die Erkenntnis der Zeichensprache besitzen, d. h. derjenigen Form des geistigen Verkehrs zwischen Menschen, die der Wortsprache vorangegangen ist. Zum zweiten aber ist daraus die Folgerung zu ziehen, daß diese wort- und insofern auch begrifflose Gebärdensprache ein erstes Übergangsglied darstellt, das, insofern es wort- und demgemäß auch begriffs-

Bilderschrift, Gebärden-, Lautsprache und Denken.

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los war, ein dem Urmenschen als nicht Verstandes- sondern bildmäßig leichter zugängliches und trotz dieser seiner Nichtintellektualität sehr schlagkräftiges Verständigungsmittel war. War aber erst einmal ein ansehnlicher und vielleicht schon nach Hunderten zählender Vorrat von Verständigungszeichen dieser Art geschaffen, wurde dann die zunächst ebenso sinnliche Lautsprache auf onomatopoietischem, also den Laut des gemeinten Geschehens nachahmendem Wege geschaffen, so war damit auch ein doppelter Zugang zu der Heranbildung von wirklichen Worten und damit wirklichen Begriffen gegeben, die nunmehr nach so völlig sinnlicher und undenkhafter Vorbereitung eigens leicht möglich geworden sein muß und zu deren Herbeiführung es keiner übernatürlicher Eingriffe bedurfte. Doch wie immer es auch zukünftiger Forschung wird gelingen mögen, diese Werdegänge aufzuklären, selbst der vor unseren Augen offen zu Tage liegende Endzustand, d. h. also das innere und äußere Verhalten des rezenten, des gegenwärtigen Menschen läßt im Zuge des hier verfolgten Gedankenganges nicht eigentlich grundsätzlich neue, sondern nur zu erwartende Steigerungen erkennen. Das leib-seelische Innenleben muß in der Hirn-Denktätigkeit als außerordentlich viel mannigfaltiger, unterschiedener, zusammengesetzter bewegt vorgestellt werden als das auch der höchsten Tierarten, doch nur im Sinn gradueller, nicht aber wesentlicher Steigerung. Das nach außen gewandte Leben des Menschen aber erscheint ebenfalls bis zu einem gewissen Punkt nur im gleichen Sinn bewegt wie das tierische. Und wo neue Befähigungen auftreten wie in Hinsicht auf die denkende, die bewußt führende, die bewußt bildende, die bewußt wollende Vorbereitung und Planung der Handlungen des nach außen gerichteten Lebens, da wird die Bewegtheit dieses Lebens durch die Reflektiertheit, die innere Bespiegeltheit des Handelns zwar auf eine etwas weitere Entfernung hin beabsichtigt und insofern sicherer gelenkt, aber in ihrer Auswirkung nicht eigent-

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Eigenbewegtheit: mensohliohe Bewegtheit: Übergang vom Tier.

lieh geändert. So weit dieses äußere Leben als Bewegtheit gemessen werden soll, ist es bei Tier und Mensch gleich. Und selbst der Unterschied in der willensmäßigen Eigenlenkung der äußeren Bewegungen, der sich zwischen Tier und Mensch aufbaut, kann nicht als ein wesens-, sondern nur als ein gradmäßiger anerkannt werden. Das Handeln des Tiers wird von uns wie selbstverständlich gedacht als in seiner Freiheit beschränkt, es erscheint uns nicht anders als die Möglichkeit der Ortsbewegung einer Ziege, die an einen festen Pfahl angepflockt ist und der nur frei steht sich in dem Kreis zu bewegen, den ihr der Strick, mit dem sie angebunden ist, zu durchmessen erlaubt. Der Strick, der dies bewirkt, ist uns bei diesem Vergleich Bild und Zeichen finden Zwang, der dem Tier in seinen Bewegungen durch die inneren Gebote seiner Veranlagung, die äußeren seiner Umwelt angetan wird. Ist aber die Freiheit, die dem Menschen für die Bewegungen seines äußeren Lebens vergönnt ist, nicht nur gradweise und keineswegs wesentlich von der des Tieres unterschieden ? Der Strick, der ihn fesselt, mag etwas länger, der Radius des ihm freigegebenen Bewegungskreises etwas größer sein, aber festgepflockt ist auch er; denn der Zwang, den die Auswirkungen seiner inneren Veranlagung, seiner äußeren Umwelt seinem Handeln antun, ist gleich unentrinnbar. Wer diese Dinge mit einem von Vorurteilen freien Blick beobachtet, dem wird das Leben des Einzelnen wie noch mehr das der Völker dermaßen von der Gewalt dieser inneren und äußeren Zwänge in Fesseln geschlagen erscheinen, daß er nicht anders wird urteilen können. Und der uralte Irrtum, der den freien Willen des Menschen und damit das Gegenteil behauptet, muß vor diesen unumstößlichen Gegebenheiten in nichts zergehen. Er war ein Wahn von Anbeginn und es mag fraglich sein, ob ein schöner. Denn seine seelische Wurzel ist, wie die aller Zweiheitslehren, aller Dualismen, ein Dünkel des Menschen, der sich und seinem Geschlecht ein Ausnahme- und Herrenrecht zuschreiben

Freiheitsbegrenztheit.

Urkraft und mechanische Kraft.

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möchte, das ihn über alles übrige Weltgeschehen hinausheben soll und das ihm in Wahrheit gar nicht zusteht. Die entgegengesetzte Weltsicht aber, die den Menschen viel tiefer in das außermenschliche Weltgeschehen eingebettet erkennt, ist demütiger, hingegebener — wenn der Ausdruck erlaubt ist — frömmer und eben darum befriedend und beglückend.

Zweites Stück. Die Eigenkraft der Urkörper als Wurzel der Urkraft des Menschen. Bisher wurde die Verbindung zwischen der Urform der Eigenbewegtheit der kleinsten Körper und der Bewegtheit, die Leben und Geschichte des Menschen regiert, auf dem sehr langen und staffelreichen Wege aufgesucht, den die Weltentwicklung selbst in Zeiträumen von Jahrzehntausenden zurückgelegt haben mag. Doch es giebt Ursachen genug, die dazu drängen, einmal auch Anfang und Ende dieser langen Reihe in die engste Nähe zu rücken und das Geschehen der Urkörper und das durch Menschen sich vollziehende unter eine Sicht, die sie unmittelbar vergleicht, zu stellen. Es ist unmöglich, dauernd von der Erscheinung der Eigenbewegtheit zu sprechen, ohne ihr Verhältnis zur Kraft ins Auge zu fassen. Und sobald man die Bedeutung feststellt, die in dem Lehrbilde heutiger und früherer Physik dem Begriff Kraft, wie dem von diesem abgeleiteten Energie, beigemessen ist, findet sich, daß dem Begriff der Eigenbewegtheit eine Nebenform des Kraft- oder des Energiebegriffs entsprechen muß, wenn nicht Mißverständnisse entstehen sollen. Unter Kraft hat man, von der ersten bedeutenden Anwendung des Begriffs bei Newton an, immer nur eine auf den Körper, von dessen Bewegung die Rede ist, von außen her treffende Einwirkung verstanden, da alle diese

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkraft.

Begriffe zu einer Zeit gefunden wurden, in der die Physik nur Körperlehre im Sinn der Mechanik war, d. h. nur von den Großkörpern handelte, die greif- und sichtbar sind. Diese Körper können, so mußte es der damals allein möglichen Erkenntnis scheinen, nur von außen her, durch Anstoß also, in Bewegung gesetzt werden, da sie an und für sich als ruhende, in ein und demselben Punkt verharrende erscheinen. Bis zu Galilei und Kepler hatte man auch der ganz entsprechenden Meinung angehangen, daß ein einmal in Bewegung gesetzter Körper nur dann in ihr erhalten werden könne, wenn er durch eine von außen auf ihn einwirkende Kraft hierzu gebracht sei. Und wenn Newtons erstes Bewegungsgesetz, die prima lex motus, auch diesem Irrtum ein Ende machte, so blieb es doch insofern bei der alten Auffassung stehn, als von dem in Bewegung befindlichen Körper wie selbstverständlich angenommen wird, daß er impressis viribus, also durch in ihn eingedrückte Kräfte in Bewegung gebracht sei. Als Entstehungsgrund einer Bewegimg wird also ohne weiteres ein von außen auf ihn wirkender Anstoß angenommen. Immer gilt der Körper nicht als Subjekt, sondern nur als Objekt, als passiv, nicht als aktiv, als bewirkt, nicht als bewirkend. So ist es denn nur folgerichtig, wenn die Auslegung, die die heutige, hierin von Newton nicht abweichende Physik dem Begriff Kraft giebt, lediglich von einer Einwirkung von außen auf den bewegten Körper spricht. Ändert ein Körper, so heißt es in einer eigens denkscharfen allgemeinen Einleitung in die theoretische Physik, seine Geschwindigkeit oder seine Bewegungsrichtung, so muß als Grund dieser Änderimg eine äußere Ursache angenommen werden, die den Körper, wenn er ruhte und frei beweglich wäre, in Bewegung versetzen würde und die eben mit dem alt hergebrachten Ausdruck Kraft bezeichnet wird1. Die herausgehobene Stelle ist für den hier verfolgten Gedankengang >) Haas, Einführung in die theoretische Physik I (1923) 4.

Stoßkraft von außen. Energie nicht gleich Eigenbewegtheit.

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besonders wirksam auszunutzen. Denn wohl geht die Erklärung, genau wie der Wortlaut der Newtonschen von dem Geschehen aus, durch das ein schon in Bewegung befindlicher Körper bewirkt und durch das seine Bewegung verändert wird, nicht also von dem Ursprung der Bewegung, auf den es für die Lehre von der Eigenbewegtheit eigens ankommt. Aber diese Anfangsbewegung wird wenigstens als Hilfsmittel herzugezogen und eben aus der Art, wie es geschieht, erhellt zur Genüge, daß die Auffassung vom Entstehen der Bewegung noch immer die newtonisch-mechanische ist, die den Anstoß von außen als causa movens annimmt. Auch der Begriff Energie, den erst eine wenig zurückliegende Physik — Rankines Abhandlung von 1853 — geschaffen hat, ändert an diesem Tatbestand an sich nichts; denn wohl verlegt er das Wirken der Kraft in den bewegten Körper selbst, insofern die eine Form der Bedeutung, die dem Wort En-Ergie beigelegt wird und die als kinetische Energie der hier nicht in Betracht kommenden potentiellen Energie, der aufgespeichert gespannten, aber noch nicht eich auswirkenden Energie entgegengesetzt ist, nu den in voller Bewegung befindlichen Körper angehen will und die Kraft als in ihm arbeitend kennzeichnet. Aber darüber, wie diese Kraft ihm einverleibt ist, wird von dem Begriff an sich lediglich nichts ausgesagt. Es schwebt offenbar auch hier der Anstoß von außen als im eigentlichen Sinn des Wortes bewegende Ursache vor: nur daß die von außen stoßende Kraft sich dem Körper eingegeben hat und nunmehr in ihm oder von ihm aus wirkt. So sehr die schöne Übersetzung, die die deutsche Physik dem ursprünglichen Wort gegeben hat: lebendige Kraft, auch dazu verlocken mag, es besteht keinerlei Anzeichen dafür, daß die Lehrmeinung, die sie geschaffen hat, mit ihr einen autogenen, einen eigenwüchsigen Ursprung der Innen-Arbeit, der Energie behaupten wollte. Diese Umschreibung begreift den Ursprung nicht mit in sich, es wird von ihm schlechthin nichts ausgesagt. Die Einwohnung der bewegenden Kraft in dem von ihr bewegten Körper, die aller-

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkraft

dings durch die Wahl des Wortes En-Ergie herausgehoben werden soll, bedeutet, angesehen von dem Standpunkt des hier verfolgten Gedankenganges, eine für ihn nicht entscheidende Feststellung: es wird ganz objektiv, ganz gegenständlich lediglich dies behauptet, daß die Kraft, die den in Bewegung befindlichen Körper vorwärts treibt, ihren Sitz in ihm hat, nicht aber, daß sie aus ihm stamme. Alle Handhabung der hier angrenzenden Nutzanwendungen spricht vielmehr dafür, daß nach wie vor stillschweigend der Anstoß von außen als die bewegende Ursache gilt. Aus dem Allen aber folgt mit eindeutig zwingender Bestimmtheit, daß die Auffassung von der Eigenbewegtheit, die hier aufgestellt wurde, zu einer besonderen Form des Kraftbegriffs führt. Wollte man beispielshalber die Prima lex motU8 Newtons so aussprechen, daß sie die Eigenbewegtheit mit umfaßt, so müßte sie lauten: die Urkörper, die nur in beständiger Bewegtheit auftreten, behalten diese ihre geradlinig und gleichförmig fortschreitende Eigenbewegtheit so lange unvermindert bei, als sie nicht durch Bindung oder Zusammenstoß mit anderen Urkörpern abgeändert wird. Festkörper behalten die Ruhe oder die in gerader Linie gleichförmig fortschreitende Bewegtheit, die ihnen sei es durch die sie bildenden Urkörper mitgeteilt, sei es durch Anstoß von außen her veranlaßt worden ist, so lange bei, als sie nicht durch von außen einwirkende Kräfte gezwungen werden, dieses Verhalten zu ändern. Man sieht leicht, die Umänderung, die hier vorgenommen ist, will in ihrem ersten Teil nur auf die von der heutigen Physik noch nicht anerkannte, ja schlechthin geleugnete Tatsache, daß die Urkörper in eigengewordener, ursprünglich geradliniger Bewegtheit sind, Rücksicht nehmen und auch auf sie das Gesetz anwenden. In der zweiten Hälfte der Formel aber wird für die Bewegung der Festkörper, an die Newton allein denken konnte, sein Gesetz unverändert ausgesprochen, nur mit dem Hinweis auf die für Newton selbstverständliche, für heutiges Wissen aber nur teilweise zutreffende Verur-

Doppelform der Bewegtheit. Eigen-, Innen-, Aufienkraft.

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sachung der Bewegung durch eine auf den bewegten Körper einwirkende Kraftübermittelung. Von dieser Zerlegung der Bewegtheit in zwei Grundformen, die Eigenbewegtheit der Urkörper und die entliehene Bewegtheit — von innen oder von außen — der Festkörper, gelangt man wie durch eine zwangsläufige Folgerung zur Aufstellung eines doppelten Kraftbegriffs. Der Eigenbewegtheit der Urkörper, d. h. der Elektronen, Atome, Moleküle, für die sich die Annahme eines von außen kommenden Stoßes als der Ursache, der Spenderin der sie hervorbringenden Kraft, wie nachgewiesen wurde, nicht tunlich erweist, muß eine ihr von Anbeginn innewohnende Kraft entsprechen, eine Urkraft, die hier Eigenkraft genannt werden soll. Jene andere Kraft aber, die den Festkörpern zwar völlig einverleibt ist, so völlig, daß man sie Innen-Wirkung, Innen-Arbeit, En-Ergie genannt hat, die auf sie, genauer gesagt in sie, aber von anderen Körpern übertragen ist, soll hier Innenkraft genannt werden. Will man mir erlauben, diesen Ausdrücken für den sehr begrenzten Zweck der hier geführten und allenfalls verwandter Untersuchungen Begriffsumgrenzungen zu geben, so müßte unter Eigenkraft die Kraft verstanden werden, die die immer bewegten Urkörper vorwärts treibt und die ihnen von jeher innewohnt; unter Innenkraft diejenige Kraft (Energie), die bewegte Festkörper beständig vorwärts treibt und die ihnen von denen sie zusammensetzenden Urkörpern mitgeteilt ist, unter Außenkraft aber diejenige Kraft (Energie), die die bewegten Festkörper vorwärts treibt und die ihnen durch Anstoß von andern, auf sie treffenden Festkörpern mitgeteilt ist. Zur weiteren Erläuterung ist zu sagen, daß die Außenkraft den bewegten Festkörpern durch Stoßkraft mitgeteilt wird, d. h. durch eine Kraft, die von einem Festkörper ausgehend einen anderen Festkörper in Bewegung setzt oder seine Bewegung in ihrer Geschwindigkeit oder in ihrer Richtung verändert. Brejslg, Natargeichlobte und Men«chheitsg68chioht«.

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkraft.

Als eine vierte und letzte Kraftform ist die Kraft anzusehen, die als anziehende Fernkraft von einem Urkörper auf einen Urkörper, als Zugkraft von einem Festkörper auf einen Festkörper ausgehend diesen nötigt, seine Bewegung in der Richtung auf den bewirkenden Körper hin zu ändern und zu beschleunigen. Die Verteilung dieser Kraftformen über die Wirklichkeiten des anorganischen Reiches ist eine vielfach verschlungene. Schon die Bewegung eines negativen Elektrons, das in das Bewegungs- und Bahnengefüge eines Atoms einbezogen worden ist, wird einmal nach wie vor durch seine — nur vielfach geminderte — Eigenkraft vorwärts getrieben, zum zweiten aber durch die Zugkraft, die das Proton, der positive Kern auf es ausübt, in dem Sinne bestimmt, daß nunmehr seine Bewegung in der Richtung geändert wird — so daß sie, statt gradlinig vorwärts zu eilen, um das Proton beständig dauernde kreisförmige oder elliptische Umläufe vollzieht. Noch einfacher und dennoch ebenso zusammengesetzt ist der in unzählbarer Häufigkeit beobachtete oder doch wenigstens angenommene Zusammenstoß zwischen den in großer Menge auf die kleinsten Räume verteilten Moleküle eines Gases, die nach den Enthüllungen der kinetischen Gastheorie beständig durcheinander schwirrend sich immer wieder berühren und dann im Rückprall immer neue Zickzacklinien machen müssen, anstatt der ihnen gemäßen beständig geraden Vorwärtsbewegung. Jeder dieser Rückprall-Verläufe muß sich unter Einwirkung einer doppelten Kraft vollziehen: der Eigenkraft, die das Molekül als ihm innewohnende Urkraft vorwärts bewegt, und des Stoßes, den es von dem getroffenen Molekül erhalten hat. Sind die Bewegungen der Himmelskörper wirklich, wie zuvor als Vermutung ausgesprochen wurde, zum Teil auf die Umwandlung der Eigenkraft der Urkörper, aus denen sie sich zusammensetzen, in die Innenkraft der Gestirne zurückzuführen, so tritt auch hier eine Mischung ein: die Kraft, die etwa den Sternhaufen, dem die Sonne angehört, in einer

Zusammengesetzte Kraftformen. Erhaltung der Energie.

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Richtung innerhalb der großen Bewegung der Sternentrift vorwärtstreibt, und die nach der eben aufgestellten Annahme von der Eigenbewegtheit der Urkörper abzuleiten ist, verbindet sich dann mit den Antrieben, die von den ihm benachbarten Weltkörpern durch die Anziehungskraft der Gravitation ausgehen. Oder in der Welt der Urkörper tritt zu der Eigenbewegtheit der Elektronen die Einwirkung, die die sie umschließenden Sammelkörper, die Atome und die Moleküle, auf sie ausüben, wenn sich zuerst die Atome, im weiteren Verlaufe die Moleküle zusammenschließen. Im Reich der Weltkörper aber trägt sich als reines Seitenstück zu dem Kreisen der Elektronen um ein Proton, nur übersetzt in ihre BO viel stärkeren Größenmaße, der gleiche Vorgang einer Kraftmischung zu: die Monde, die Planeten verfolgen aus der ihnen innewohnenden Innenkraft der Urkörper ihre Bahn; mit ihr vermischt sich aber eine Kraft aus dem Bezirk der Festkörper: die Gravitation; beide zusammen erzeugen die kreisende Bewegung ihrer Bahn um den sie beherrschenden Fixstern oder Planeten. Die Eigenbewegtheit der Urkörper erfährt mancherlei Minderungen, insofern sie ihre Auswirkungen in ganz andere Gestalten von Bewegtheit übersetzen und in sie hineingeben muß. Wenn die heutige Körperlehre annimmt, daß etwa die Erwärmung eines Gases nicht nur die Bewegung der Moleküle oder Atome steigert, sondern auch die der Elektronen innerhalb dieser Verbandskörper1, so ist daraus für die Einwirkungen in umgekehrter Richtung zu schließen, daß auch die Elektronenbewegungen sich in Atom- und Molekularbewegungen umsetzen. Es sei dahingestellt, wie weit sich auch in diesem innersten Kernbezirk des anorganischen Reichs das Gesetz von der Erhaltung der Energie in seinem Walten nachweisen läßt. Daß es auch hier noch, oder vielmehr auch hier schon Gültigkeit haben muß, ist ohne weiteres anzunehmen. Und da es die potentielle, die nur seiende Energie ebenso wie die le') Nernst, Theoretische Chemie

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910. 21*

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkraft.

bendige, d. h. die entsandte und arbeitende Energie umfaßt, so ist ein Doppeltes aus ihm abzuleiten. Erstens: kein in irgend eine Form anderer Bewegtheit übergeleiteter Bestandteil entsandter oder physikalisch gesprochen lebendig gewordener Energie kann verloren gehen. Zum zweiten aber ist durch dies Gesetz auch gewährleistet, daß die ruhende, seiende Kraft, die immer von neuem Kräfte entsenden kann, fortbesteht und sich nur insoweit mindert, als sie Teile von sich abgiebt. Wie immer aber auch die Wissenschaft diese vielfach noch dunklen Fragenzusammenhänge aufhellen wird, als Tatsache mag bestehen bleiben, daß der Eigenbewegtheit der Urkörper, gleichviel, ob sie sich in dem Kernbezirk allein ausgiebt oder ob sie durch Umsetzung in die gröbere und größere Geschehens form der Festkörper hinüberwirkt, eine Eigenkraft entsprechen muß, die sich denn freilich den mannigfachsten Verwandlungen, Bindungen und insofern auch Minderungen unterwerfen muß. Die herrlichste, freieste und stärkste ihrer Äußerungsformen, das unaufhaltsame, unaufhörliche, gradlinige Dahinschießen der freien, noch unverbundenen Elektronen im Weltraum mit einer Geschwindigkeit, die der des Lichtstrahls nahekommt, wird durch keine der späteren, gefesselten wieder erreicht. Aber eine ihrer Ureigenschaften wird durch keine dieser Übersetzungen in Frage gestellt, das ist die Ewigkeit der Eigenkraft. Zu den beiden unendlichen Beschaffenheiten der Welt, zum unendlichen Baum und der unendlichen Zeit gesellt sich als drittes unbegrenztes Geschehensmaß die unendliche, von jeher wirkende und nie endende Eigenkraft und die von ihr hervorgebrachte, ebenso wenig je beginnende, noch je endende Eigenbewegtheit der Urkörper. Die Eigenkraft ist die Grundmacht des anorganischen Geschehens, wie nicht minder im biischen Beich die des belebten Geschehens. Nichts liegt näher, als daß sie auch in dem Bezirk des menschlich-seelischen Geschehens und letzlich also auch der Geschichte ein unmittelbares Seitenstück hat.

Ewigkeit der Eigenkraft. Urkörper- und Menschenbewegtheit.

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Drittes Stück. Die E i g e n b e w e g t h e i t des M e n s c h e n als S e i t e n s t ü c k zur E i g e n b e w e g t h e i t d e r U r k ö r p e r . Der wirkliche Tatsachenzusammenhang, durch den in immer neuen Filiationen, in immer weiter vorschreitenden Abspaltungen vom Stammbaum des Weltgeschehens die Eigenbewegtheit der Urkörper sich bis in die Fähigkeiten und Tätigkeiten des inneren und des äußeren Lebens den Weg gebahnt haben mag, ist beschrieben worden. Aber vielleicht rückt jenen Anfang und dieses Ende, jene Wurzel und diesen höchsten Wipfel des Stammbaums der Dinge und der Wesen noch näher die Beobachtung zusammen, daß ihnen eine Wesensähnlichkeit eigentümlich ist, die auch ohne jenes Abhängigkeitsverhältnis eine Verbindung zwischen ihnen herstellen würde und die für die besonderen Zwecke der menschlichen Geschichtslehre bei einem Vergleich eigens hohe Erträge verspricht. Gesetzt den Fall, das Bild des elektrophysischen Kernbezirks der anorganischen Welt wiese nicht schon den Einzelzug der Eigenbewegtheit an seinen Urkörpern auf, so müßte Begriff und Bezeichnung dieses Geschehens für das Verhalten des Menschen neu geprägt werden. Denn die in Fragen der Bewegtheit entscheidende Eigenschaft alles menschlichen Verhaltens ist auch eine Eigenbewegtheit, nur von einer sehr viel weiter abgeleiteten und einer sehr viel mannigfaltiger zusammengesetzten Beschaffenheit. Es darf nämlich auf Grund aller Zwischenzusammenhänge behauptet werden, daß alles Tun und Treiben der Menschen, von Seiten reiner Menschheitsbeobachtung gesehen, sich darstellt als in zwei Geschehensmassen zerfallend: einmal in den Grundstock einer an sich noch ziel- und gegenstandslosen Grundbewegtheit, der aber den ersten Antrieb und die an sich nur mit dem Leben des Einzelnen erlöschende Gerichtetheit auf Bewegung und Kraft zur Bewegung in

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkörper.

sich schließt, und sodann die Zugespitztheit dieser Bewegtheit auf bestimmte Zwecke, eine Zugespitztheit, die jener an sich vorhandenen Bewegtheit erst Richtung und Ziel giebt. Man könnte gegen eine solche Aufstellung einwenden, daß sie willkürlich sei: mit Unrecht, denn sie unterscheidet mit der gleichen Strenge, wie die Physik längst zu tun gewohnt ist, zwischen der Kraft, die eine Bewegung antreibt, und der Richtung, die sie einschlägt. Auch möchte man sie vielleicht überflüssig und nutzlos schelten, und doch auch dies nicht mit Grund; denn wie schon das für die Geschichts-, aber auch die Gesellschaftalehre gleich wichtige Grundwesen der Bewegtheit so erst in seiner Doppeldeutigkeit richtig erkannt wird, so wird auf diesem Wege, wie auf den nächst folgenden Blättern dargetan werden soll, die Erkenntnis von der Axt der Verursachtheit des menschlichen Dichtens und Trachtens schlechthin grundstürzend geändert. Der Ausdruck Zugespitztheit bedarf der Erläuterung. Es ist damit angedeutet, daß die in einem Menschen lebendige Kraft dann eine andere, differenzierte, d. h. an besondere Zwecke angepaßte Kraft, eine Sonderkraft wird, wenn die von ihr ausgehenden Wirkungen ganz eigentümlichen Umweltbedingungen und nur ihnen dienen sollen und können. Und hier ist der Punkt in dieser Darlegungsreihe erreicht, an dem ihre Gleichläufigkeit, ja ihre völlige Übereinstimmung mit einer früheren, an einem anderen Ort dieses Lehrbaus vertretenen zur Geltung gebracht werden darf. Es ist die Anschauung, die eine Kraft der Mitte innerhalb des Wesens des Einzelmenschen, eine Urkraft als die Feder im Uhrwerk, als die Grundkraft kennzeichnen wollte, von deren Ausmaß einmal die Summe aller in einem Menschen verkörperten Seins- und Handelnsmacht abhängig ist, aber auch die Summe aller von ihm ausgehenden Wirkungen. Diese Urkraft wurde als getragen von dem Insgesamt der leibseelischen Beschaffenheit eines Einzelmenschen und als an sich noch ungeformt beschrieben und ihr wurden die Sonderfähigkeiten

Urkraft und Sonderformen, Eigenbewegtheit und Zuspitzung.

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und Sondertätigkeiten des Einzelnen als ausgeformte Sonderkräfte entgegengesetzt1. Vergleicht man nun diese beiden Formeigebungen, so ergiebt sich auf den ersten Blick, daß die von beiden vorgenommene Rollenverteilung durchaus den selben Sinn hat; dem Unterschied, der zwischen dem Grundstock der Eigenbewegtheit und ihrer Zugespitztheit auf einzelne Tätigkeiten gemacht wurde, entspricht jener andere zwischen der ungeformten Urkraft und den ausgeformten Sonderkräften durchaus. Und vielleicht wird man in dieser Übereinstimmung, wenn nicht einen Beweis, so doch eine Stütze für die Richtigkeit der Endbehauptung finden. Denn mögen auch beide Begründungen aus derselben Sicht auf das menschliche Geschehen hervorgegangen sein, so sind doch die Wege, auf denen sie zu ihren Zielergebnissen gekommen sind, weit von einander geschieden. Und gewiß gilt auch die Gleichläufigkeit, die für die Entstehung der ausgeformten Sonderkräfte mit dem biologischen Geschehen der Ausbildung des Körperbaus einer Tierart behauptet wurde, für den Vorgang, der hier die Zugespitztheit der Eigenbewegtheit genannt wurde. Jakob von Uexkülls Entdeckung, die, wie noch eben berichtet, den Zusammenhang zwischen der Merkwelt der Tiere, d. h. dem für sie spürbaren Kreisausschnitt aus ihrer Umwelt einerseits und ihrem Körperbau andrerseits festgestellt hat, wurde als das genaue Seitenstück für den Hervorgang der leib-seelischen Sonderkräfte aus der Urkraft des Menschen nachgewiesen2. Sie muß aber auch in dem gleichen vorbildhaften Verhältnis zu der Zuspitzung der an sich nur elementaren Eigenbewegtheit zu den besonderen Formen ihrer Bewegung gedacht werden. Denn auch diese können nur aus der gegenseitigen Bewirkung zwischen den Lebensaufgaben und den Lebensbezirken der menschlichen und der außermenschlichen Umwelt, in die sie hineinstoßen, entstanden sein. Und dieser Vorgang, a

Vom geschichtlichen Werden I (1925) 1 ff., 6 ff., 9. ) Ebenda S. 11 ff.

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Urkörper.

der in dem biologischen Urbild von einer schier undurchschaubaren Zusammengesetztheit und Verflochtenheit ist, kann auch in dem menschheitlichen Seitenstück nicht verwickelt und deshalb undurchdringlich genug vorgestellt werden. Allenfalls möchte der Einwand erhoben werden, daß die Gleichheit, die hier behauptet wird, nur die zwischen zwei Gleichnissen für dasselbe Geschehen ist; doch würde ihm nicht Statt zu geben sein. Denn mag auch der Träger des einen Vorganges mit dem des anderen in einem hohen Maße sich decken, das Geschehen wird doch unter einem doppelten Gesichtswinkel angesehen; das eine Mal wird es angeschaut, insofern sich durch Ausgliederung, durch Differenzierung also, neue Werkzeuge des Einwirkens auf die Außenwelt herausbilden, das andere Mal aber wird es betrachtet als der Vorgang der Verteilung einer ursprünglich ungespaltenen Bewegung und der sie treibenden Kraft auf sehr viele Einzelbewegungen. Daß die Sicht das eine Mal vom organischbiischen, das andere Mal vom anorganischen Reich aus genommen ist, ist nicht von ungefähr. Es verbürgt aber auch, daß es sich hier in Wahrheit nicht allein um verschiedene Sehweisen, nein auch um verschiedene Geschehensformen, wenn auch am gleichen Träger des Geschehens, handelt. Eür die Geschichts- und Gesellschaftslehre aber wird am richtigsten bleiben, daß nur das Leben als Quell der Urkraft angenommen ist. Die für den Menschen gezogenen Folgerungen würden bestehen bleiben, auch wenn die Lehre von der Eigenbewegtheit dahinfiele.

Viertes Stück. Formenlehre der B e w e g t h e i t des

Menschen.

Ist nun, diese Frage erhebt sich am Schluß dieser Darlegungsreihe, wirklich das Leben des Menschen, das leibliche, das seelische, das geschichtliche, unter den Generalnenner der Bewegtheit als eine sie völlig umklammernde Einheitsformel

Leben Quell der Urkraft.

Einheitsformel der Bewegtheit.

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zu stellen ? Doch sicherlich — und eine kürzeste Übersicht über die hier sich ergebende Formenlehre wird dies erweisen. So gewiß diese Einheitsformel vom anorganischen Reich herstammt, so gewiß lassen sich durch Anschaulichkeit überzeugende Anwendungen von ihr doch auch von jenen Zwischenformen des Weltgeschehens herleiten, die dem Reich des Lebendigen angehören und deren Eingewurzeltheit in die Urform der physikalischen Eigenbewegtheit auf den voraufgehenden Blättern dargetan wurde. Sie sind näher benachbart und wirken deshalb auf uns nachdrücklicher. Da der Mensch, nach Bau und Tätigkeit seines Leibes gesehen, eine Tierart ist, so ist auch sein inneres wie sein nach außen gewandtes Leben, soweit es sich in körperlichem Geschehen äußert, im selben Sinn wie das des Tieres Bewegtheit. Die gespannteste Form der Bewegtheit, die des Werdens neuer Wesensarten, erfährt freilich im Bereich des menschlichen Geschehens im Vergleich zu dem des Tieres eine sehr augenfällige Einschränkung Denn während wenigstens bis zu hoher Wahrscheinlichkeit gesteigerte Unterstellungen ein reich entfaltetes Werden von immer neuen Daseinsformen am Stammbaum der Arten annehmen lassen, so darf vom Menschen auch das kühnste Vermuten nicht eine Abfolge auch nur von zwei wesensgeschiedenen Arten behaupten. Der gegenwärtige, der rezente Mensch hat keine von ihm abweichende Ahnenart mit Sicherheit aufzuweisen und die Rassen, in die er heute zerfällt, sind nur Spielarten, die im entwicklungsgeschichtlichen Sinn einander gleichgeordnet sind. Um so gewisser ist das Grundwesen der menschlichen Bewegtheit der des Tieres angenähert und mit ihr wesensgleich. Wobei denn unter Bewegtheit die ganz elementare, Tag und Stunde beherrschende Bewegtheit, so weit sie nach außen gewandt ist, verstanden sein soll. Von den höchsten Tieren mag gelten, daß sie beständig in einem Tun also in Bewegung begriffen sind: zuerst im körperlichen Sinn, der Hirsch befindet sich in der Regel — Ausnahmezustände wie selbstverständlich vorbehalten — in Lauf oder Gang; alle

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Formenlehre.

diesem Tun Richtung gebenden Anstöße aber kommen als Reize von außen, denen die Begehrungen oder Befürchtungen von innen antworten, zu Stande. Die inneren Vorgänge im höheren Tier, die hierfür als Eindrücke oder Denkhandlungen in Betracht kommen, können nicht anders denn als seelische oder genauer gesagt leibseelische, bezeichnet werden. Die inneren Handlungen des Menschen, die seinem Tun die Richtung geben, mögen nun durch die Verfeinerungen und Aufhöhungen der ihm zur Verfügung stehenden seelischgeistigen Werkzeuge die mannigfachsten Veränderungen und Steigerungen erfahren, als Bewegung auslösende Ursachen seines äußeren Handelns behalten sie das gleiche Grundverhältnis ; denn die Eigenbewegtheit, die auch für den Menschen den Grundstock seines äußeren und inneren Handelns ausmacht, erhält durch sie die ihr beständig und ausnahmslos die Richtung gebenden Anstöße. Auch das Handeln des Menschen setzt sich aus dem an sich ziel- und gegenstandslosen Bewegtsein und ferner aus den Sonderbewegungs-Entschlüssen zusammen, die durch das Zusammentreffen und das Zusammenwirken der von außen andringenden Reize und der auf sie antwortenden innern Gegenhandlungen —Reaktionen — zu Stande kommen. Der Unterschied, der sich zwischen den Gegenhandlungen der Tiere und denen des Menschen auftut, wird außer in der unendlichen Verfeinerung und Bereicherung der leib-seelischen Werkzeuge des letzteren vornehmlich in der Ausdehnung der Spannweite zu suchen sein, die der Mensch seinen Willensentschlüssen zu geben vermag. Von den im Augenblick auszuführenden Entschlüssen des Alltags aufwärts führt eine staffelreiche Leiter bis zu denen empor, die — etwa in den Sittengeboten der Glaubensformer und der Denker — über Jahrtausende der Vergangenheit und vielleicht noch der Zukunft fortwirken. Die Folgerungen, die sich aus diesen obersten Sätzen für die Formenlehre der Bewegtheit des Menschen ergeben, sind etwa die folgenden. Zuerst die Feststellung, daß alle Bewegtheitsformen und

Einheit des Menschentuns mit dem Weltgeschehen und in sich.

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alle einzelnen Arten von Bewegungen den einen Ursprung von der aus den Tiefen des anorganischen Reichs aufsteigenden Eigenbewegtheit der Urkörper haben: eine Sicht, die einmal alles Tun der Menschheit mit dem Weltgeschehen zu einer größten Einheit verbindet, die zum anderen aber — und das kommt für den nunmehr zu bewältigenden Teil dieser Untersuchung noch weit nachdrücklicher in Betracht — auch das Handeln der Menschheit in allen seinen Formen und Gattungen zu einer unlöslichen Einheit von an sich geringerem, doch immer noch sehr weitem Umfang zusammenschließt. Oberflächlicher Betrachtung könnte die Erkenntnis, daß alles Tun, alles Dichten und Trachten der Menschen auf diese besondere, menschliche, wenn man will sekundäre Eigenbewegtheit zurückzuführen ist, wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen und sie ist es doch ganz gewiß nicht. Denn einmal wird durch sie in dieser an sich gewiß ausgegliedertsten und verfeinertsten Schicht alles Weltgeschehens ein Kern von ursprünglich form- und zielloser Bewegtheit als beständig wirkender, von je vorhandener und in keiner Zukunft erlöschender Ur-Antrieb erkannt. Zweitens soll zwar gewiß nicht das Tun der Menschheit als an sich unbewegt und eines besonderen Anstoßes bedürftig hingestellt werden, wohl aber wird durch diese Erkenntnis dem Bild des menschlichen Geschehens die eine zuerst und zuletzt entscheidende Grundtatsache des Bewegtseins als eine nur ihm eigentümliche, als seine spezifische Eigenschaft abgesprochen. Mit anderen Worten: daß Menschentun und Menschentum geschieht, ist eine nicht ihm selbst zuzurechnende Form seines Wesens, sondern eine ihm als einem Teil der Welt eingeborene Eigenschaft. Es ist der kosmische Kern unseres Daseins. Folgerungen sind für die Beurteilung der menschlichen Dinge doch schon aus dieser Grundtatsache zu ziehen. Unser sittliches Bewußtsein pflegt nicht an Hochmut, sondern viel öfter an Selbstanklagen und zwar nicht selten an überflüssigen, die Lebenskraft verderblich mindernden zu leiden. Hier aber eröffnet sich eine Erkenntnis, die uns offenbart, daß

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Formenlehre.

wir auch von den guten Kräften, die in uns leben und wirken, gerade die beste, die all' unserem Wollen und Streben den Antrieb giebt, dem in uns mächtigen Weltgeschehen verdanken, so daß wir sie nicht einmal als einen ausschließlichen Besitz, als ein Vorrecht unßeres Geschlechts in Anspruch nehmen dürfen. Als eigentümlich, als spezifisch-menschlich kann nur die besondere Ausformung unserer Bewegtheit angesehen werden, die hier Zugespitztheit genannt wurde. Sie verdankt diese ihre Eigentümlichkeit zu einem Teil dem Walten der unserem Geschlecht allein und ausschließlich zugehörigen Wesensbeschaffenheiten, zu einem anderen Teil aber den Gegebenheiten der Umweltausschnitte, in die die Fügungen des Welt- und des Menschheitsgeschehens uns hineingestellt haben und mit denen kämpfend, mit denen sich versöhnend, sich vermischend, sich anpassend erst jene besonderen, zugegespitzten Bewegtheitsformen an uns entstanden sind.

Fünftes Stück. B e w e g t h e i t und

Geschichte.

So ist die schier unübersehbare Formen- und Fällefülle erwachsen, die recht eigentlich die Mannigfaltigkeit des gegenwärtigen wie des geschichtlichen Lebens der Menschheit ausmacht. Immerhin ist das Bild, das dann entsteht, wenn von den Maßen und Graden der Bewegtheit ausgegangen wird, sehr viel begrenzter und in einfachere Ordnungen geteilt, als dasjenige, das entsteht, wenn die Betrachtung von der Urkraft und ihrer Zergliederung in Sonderkräfte, Sonderfähigkeiten ausgeht. Denn zuletzt wird ja hier die Mannigfaltigkeit der menschlichen Tätigkeiten und Leistungen auf einem einzigen Maßstab, auf dem der Bewegtheits-Stärke und allenfalls noch der Bewegtheits-Stetigkeit abgetragen, während der Stammbaum der Kräfte allem Farbenund Linienreichtum des wirklichen Lebens ganz nahe bleibt.

Tempoverschiedenheiten: im Einzelleben.

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Die Unterschiede, die von Grad und Stärke der Bewegtheit bestimmt sind, machen sich schon in dem engsten der Kreise, in die Leben und Wirken der Einzelmenschen gestellt ist, geltend. Denn die Bewegtheit an sich ist ja die allgemeinste Erscheinung, die überhaupt das leibliche wie das geistige Geschehen zur Einheit zusammenfaßt: von den ersten tastenden Greifbewegungen des Kindes an der Mutterbrust bis zu den Wanderungen der Völker, den Heerzügen der Könige ist alles Tun und Treiben der Menschen auf Bewegung gestellt und mit dem einfachsten Handgriff der rohesten Werkarbeit teilt sie noch der Pinselstrich des höchsten Künstlers, der Federzug des stärksten Forschers. Und selbst da, wo die Bewegungen ganz ohne äußerlich sichtbare begleitende Leibesbewegungen nur den Geist anzugehen scheinen, da fehlen die tragenden Hirnvorgänge, die zunächst körperliche sind, nicht und auch sie sind Bewegungen. Schon das engste Leben des Einzelnen ist durch Unterschiede der Bewegtheitsstärke in sehr weit von einander abweichende Formen und Schichten geteilt. Das Zeitmaß, das Tempo schon der körperlichen Bewegungen, demnächst aber auch der Willensentschlüsse, der Phantasiebereitschaft, des Gefühlswechsels, der Denkgeschwindigkeit ist nach hundert Geschwindigkeitsgraden bei den Einzelnen zu unterscheiden: die noch staffelreichere Stufenleiter der Temperamente, der Wesensgestimmtheiten drückt sich zu einem beträchtlichen Teil — wie schon die Wortverwandtschaft zeigt — im Tempo des Einzelnen aus. So sehr viel von dem, was wir Wesensart oder griechisch Charakter nennen, wird überdeckt vom Zeitmaß des Handelns, und daß die Geschwindigkeit des Blutumlaufs, der Reizbarkeitsgrad der Nerven und noch manch andere Beschaffenheit des Körpers sich im Zeitmaß auf das unmittelbarste auswirken, bestärkt nur in der Überzeugung von der tiefen Eingebettetheit dieser menschlichen Dinge im Weltgeschehen. Ein nicht geringer Teil aller Menschenkunde richtet sich auf das Erkennen der Tempoverschiedenheiten am Ein-

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Geschichte.

zelnen. Die vergleichende Seelenkunde der Völker aber läßt die zwischen den Volkstümern aufklaffenden Unterschiede nach dem Gesetz der großen Zahl noch deutlicher hervortreten. Das Tempo der Romanen setzt sich gegen das der Germanen als viel heftiger ab und wiederum ist das der Slaven, in Sonderheit das der Russen, aber auch das der Südslaven, ihrer weicheren Verträumtheit entsprechend, wesentlich langsamer als das der Germanen. Der bis zur Starrheit monumentalen Würde der Römer hat die leichtere Lebendigkeit der Griechen immer einen sehr merklichen, nicht eben günstig empfundenen Eindruck gemacht. Noch viel breiter ist die Kluft, die die Asiaten von den Europäern trennt. Vornehmlich die Mongolen, von den Urzeitvölkern des nördlichen Sibiriens bis zu den Chinesen und über diese fort zu Tibetanern und Türken heben sich durch die unvergleichlich viel geringere Beweglichkeit ihres Temperaments gegenüber der Gesamtheit der Europäer deutlich ab. Dieser Unterschied ist frühzeitig auf das stärkste empfunden worden als Gegensatz zwischen Orient und Occident. Man hat ihn in der Gegenwart auf die Unterschiede des Klimas zurückführen wollen und dafür mag sprechen, daß auch die Völker des vorderen Orients in den Jahrhunderte-Reihen, die sie durchlebt haben, Ägypter, Babylonier, Assyrer, Perser in der steilen Würde ihres despotischen Königs- und Staatsprunkes, in der Gehaltenheit und dem Formenzwang einer eingeborenen und doch auch wieder gewollten Langsamkeit dem gleichen Gesetz unterlegen zu sein scheinen. Daß insbesondere die Einwirkungen des Klimas die der Rasse überwinden können, beweist vornehmlich das Beispiel der arischen Inder, die unter dem Druck der tropischen und subtropischen Wärme ihres Landes nichts von der tatfrohen und unrastigen Beweglichkeit ihrer indogermanischen Vettern aufzuweisen haben. Gleichwohl setzt doch auch wieder die Rasse in dem Fall der starr-unbeweglichen Mongolen ihre Macht gegen das Klima durch: denn mongolische Völker haben genug Anteil an Ländern gemäßigter Breitengrade. Eine Regel

ImLebender Völker. Bewegungin Menschentum und Geschichte.

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wenigstens von plump eindeutiger Einfachheit wird sich hier nicht aufstellen lassen. Die Ursachenzusammenhänge müssen sehr viel zusammengesetztere und verflochtenere sein, als eine solche Regel zulassen würde. Und gesetzt eine Formenlehre des Tempos würde sich auch über die Rassen und Volks tümer Afrikas und der Neuen Welt erstrecken, sie würde nur neue Differenzierungen hinzufügen. Aber außer den Unterschieden, die das Nebeneinander der Einzelmenschen und ihrer Temperamente, sodann der Blutseinheiten für das Tempo des menschlichen Tuns zeigen, machen sich die anderen Verschiedenheiten geltend, die das geschichtliche Bild der Menschheit aufweist. Das Werden muß im menschlichen Tun als die gespanntere Form der Bewegtheit angesehen werden: denn zu der Bewegung, die jedes Handeln an sich in sich schließt, fügt es die Veränderung in der Weise, d. h. in der Richtung der Bewegung und auch diese Veränderung schließt eine neue Bewegtheit in sich, so zu sagen die Bewegung der Bewegung, mithin eine eigens intensive, eigens gesteigerte Art der Bewegung. Es bedarf, ehe eine Formenlehre dieser Bewegtheits-Arten, wenn nicht umrissen, so doch angedeutet werden soll, einer grundsätzlichen Beleuchtung des Begriffs der Bewegung im Hinblick auf Menschentum und Geschichte. Wohl ist ein großer Teil alles menschlichen, alles geschichtlichen Handelns so eng mit körperlicher Bewegung verbunden — man denke an alle Wanderungen, alle Kriege, alle wirtschaftlichen Vorgänge — daß er sogar in ihr sich überwiegend ausdrückt ; der Rest aber ist so beschaffen, daß das geistige Tun in ihm dermaßen die Vorherrschaft ausübt, daß die körperliche Bewegung zwar immer ein unentbehrlicher Bestandteil von ihm bleibt, aber für das innere Bild dieses Geschehens nur die Rolle eines dies Geschehen zwar tragenden, aber sonst wenig erheblichen Nebenumstandes innehat. Schon für große Teile der inneren Staatsgeschichte — etwa die Tätigkeit der Volksvertretungen oder die der leitenden Staatsbehörden — bedeutet das leibliche Geschehen, in dem sie

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Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Geschichte.

ihren Ausdruck finden, so gut wie nichts; in der Wissenschaft, in den redenden Künsten, fast auch in einem großen Teil des Glaubenslebens erscheint es auf ein Mindestmaß eingeschränkt, während es allerdings in den bildenden, tönenden, mimischen Künsten als Ausdruck des geistigen Handelns wieder zu voller Ebenbürtigkeit gesteigert erscheint. Dennoch muß erlaubt sein, das geistige Geschehen im selben Sinn als Bewegung aufzufassen, wie das körperliche oder halb körperliche, halb geistige. Denn Aktion, Handlung ist beides. Immer soll eya Neues ins Leben gerufen, immer soll der bestehende Zustand, der gesellschaftliche oder der geistige, verändert, also bewegt werden.

Sechstes Stück. Die G r a d e der B e w e g t h e i t im g e s c h i c h t l i c h e n Werden. Werden ist, wie dargetan wurde, im menschlich-geschichtlichen Geschehen ganz ebenso wie im Natur- und naturgeschichtlichen Geschehen eine gespanntere, gesteigerte Form der Bewegtheit. Daraus folgt dann wie selbstverständlich, daß sich innerhalb der Formenfülle des geschichtlichen Werdens auch Grade der Bewegtheit absetzen müssen. Und so gewiß die Verstärkungen, d. h. die Beschleunigungen der Bewegtheit im geschichtlichen Werden in Abhängigkeit gedacht werden müssen von dem an sich nicht geschichtlichen, sondern beständigen Tempo und Temperament des Einzelnen, so haben sie doch auch ganz selbständige Bedingungen ihrer Gradbemessung. Denn einmal sind sie die Lebensbetätigungen großer Kollektive, großer Einungen, wenngleich auf das stärkste beeinflußt — gefördert oder gehemmt — von den starken und stärksten Einzelnen und deren Beweglichkeit, und sodann mischen sich in sie auch die Einwirkungen von außen, die

Bewegtheitsgrade: Gründe der Verschiedenheit, Grenzfälle.

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sie von der Berührung und Reibung mit anderen großen Gemeinschaften erfahren. Damit aber ist eine Wirkungsquelle gegeben, die von den hundertfachen Fügungen der Völkergeschichte abhängig ist: harte Bedrängungen können von außen auf ein Volkstum drücken und können aus seiner Seele Gegenhandlungen — Reaktionen — herausreizen, die ihm sehr viel heftigere Bewegungen aufnötigen, ja es sogar zu einer völligen Änderung seines Temperaments, einer Steigerung seines Bewegtheitsgrades, bringen können. Oder aber die Nachbarschaft eines übermächtigen Reiches kann seine Staatskraft dermaßen lähmen, daß seine Bewegungsfähigkeit überhaupt abnimmt. Höher aber noch mu ß ein innerster Grund der Verschiedenheit zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit etwa eines Volkes veranschlagt werden. Die Erregungen und die Erregbarkeiten einer Gemeinschaft können nicht als die glatte Summe der Erregbarkeiten ihrer Glieder veranschlagt werden, sondern sie folgen ihren eigenen, hier fördernden, dort hemmenden Gesetzen. Im Lauf der Reihe von Bänden, die der allgemeinen Geschichtswissenschaft gewidmet wurden und denen auch das heut und hier vorgelegte Werk angegliedert worden ist, ist in einer Lehre von den Entwicklungsgeschwindigkeiten1 der Gegenstand, um den es sich hier handeln soll, in einem summarischen Abriß erörtert worden. Er soll deshalb jetzt nur mit einigen weiten Linien umschrieben werden. Wie immer in Dingen noch wenig durcharbeiteter Erkenntnis unterrichten die Grenzfälle am ausgiebigsten. Alle Urzeitvölker, die noch heute in diesem Kindheitsalter der Menschheit verharren —und die von ihnen besiedelten Länder machen noch immer einen beträchtlichen Teil der Erdoberfläche aus — sind Zeugen dafür, daß es eine auch immer noch an Formen reiche Möglichkeit gab, auf dieser untersten Stufe menschlichen Daseins durch Jahrzehntausende zu verharren und damit denn freilich nur ein Mindestmaß von Bewegtheit des geschichtlichen Werdens zu leisten. l

) Vom geschichtlichen Werden III (1928) 5 9 - 7 8 .

B r e y B i g , Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte.

22

338

Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Grade im Werden.

Nicht darf angesichts dieses Tatbestandes etwa die Meinung aufkommen, daß diesen Völkern des niedersten Entwicklungsgrades nun jede geschichtliche Wegleistung abzusprechen sei. Denn die Summe von Errungenschaften gesellschaftlicher Gesittung und geistiger Bildung ist auch bei den unentwickeltsten von ihnen so mannigfaltig und im Einzelnen zuweilen so gehaltvoll, daß sehr lange und stufenreiche Werdegänge vorausgesetzt werden müssen, die sie seit ihrem ersten Emporsteigen aus tierischen Zuständen zurückgelegt haben. Die Eskimos haben weder in ihrer staatlichen, noch, was viel mehr ins Gewicht fällt, in ihrer Blutsverbands-Verfassung irgend bedeutende Gebilde zu Stande gebracht; dagegen aber haben sie eine Sprache ausgebildet, die außer dem größten Formenreichtum eine so strenge Folgerichtigkeit der Gliederung aufweist, daß sie von keiner Sprache der Völker höchster Entwicklungsstufe, etwa vom Griechischen oder Deutschen, hierin übertroffen wird. Dabei glaubt man versichert zu sein, daß der Bestand des Eskimo schon um das Jahr 1000 in seiner heutigen Gestalt vorhanden war. Man wird unmöglich in der Annahme fehlgehen, daß nach rückwärts von diesem Zeitpunkt Jahrtausende vergangen sein müssen, ehe ein geistig so reiches und kostbares Gebilde wie diese Sprache hat ausgebildet werden können. Überhaupt ist die Sprache ein Geistesgut, an dem sehr viele, wenn nicht die allermeisten Urzeit Völker ein sehr hohes Maß von Entwicklungsleistung und also von Bewegtheit des geschichtlichen Werdens bewährt haben. Denn von allen Ergebnissen, zu denen eine — heute noch nicht vorhandene — vergleichende Universalgeschichte der Sprache führen müßte, mag diese Erkenntnis das augenfälligste, aber auch das sicherste sein, daß der Urzeit der unvergleichlich größte Anteil an der Schöpfungsgeschichte der Sprache zufällt. Gegenüber dem Höchstmaß an bildnerischer, also auch an bewegender Kraft, das die Menschheit in allen ihren Gliedern, auch den in ihrer sonstigen Entwicklung weit zurückgebliebenen hierin bewährt hat, nimmt sich die Fortbildung,

Urzeitvölker-Sprache.

Mongolen und Malaien.

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die auch die höchstbefähigten Völker an dem ihnen von der Urzeit hinterlassenen Erbgut auf ihren mittleren und höheren Stufen vorgenommen haben, beinahe kläglich gering aus, ja es ergiebt sich der beschämende Tatbestand, daß die Entwicklungslinie der Sprache in diesen Lebensaltern bei Völkern höchster Geschichtskraft eine sinkende Kurve darstellt. Die englische Sprache, die allerdings wohl den Grenzfall dieses Vorgangs darstellt, weist im Vergleich zu ihren Anfängen fast nur noch Verwitterungs- und Verschleiß-Erscheinungen auf. Es ergiebt sich also für diese eine Entwicklungsreihe in der Geistesgeschichte der Menschheit der immerhin denkwürdige Tatbestand, daß in ihr das früheste, das Kindheitsalter unseres Geschlechts der Regel nach ein Höchstmaß von Werdenskraft und also von geschichtlicher Bewegtheit erwiesen hat, während alle folgenden Lebensalter auch der geistig stärksten Völker in derselben Form geistiger Betätigung die empfindlichste Minderung erlitten haben. Doch auch die mittleren und höheren Alter der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zeigen Verschiedenheiten der geschichtlichen Bewegtheit von höchstem Ausmaß auf. Einen äußersten Grenzfall von Langsamkeit des geschichtlichen Werdens und damit eines Mindestmaßes von geschichtlicher Bewegtheit stellt die chinesische Entwicklung dar. Sie weist eine Länge der Dauer des Zeitalters der Altertumsstufe auf, die im Insgesamt der Menschheitsgeschichte ihres Gleichen nicht hat und an deren vier, wenn nicht fünf oder sechs Jahrtausenden selbst die Länge der von dem altägyptischen Großkönigtum auf dieser Stufe erreichten Lebensdauer von drei bis dreieinhalb Jahrtausenden, die ihr an sich am nächsten kommt, gering erscheint. Dieser überlangsame Verlauf muß mindestens zu einem Teil als ein Erzeugnis des Blutes angesehen werden, das wie schon kurz bemerkt, auch im Leben des Einzelnen bei Chinesen, wie bei den nordsibirischen Urzeitmongolen seine Wirkungen ausübt. Der Anteil der Rasse an diesem be22*

340

Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Grade im Werden.

sonders geringen Grade von Bewegtheit wird eigens stark herausgetrieben, sobald man die chinesische, also rein mongolische, mit der japanischen, mithin gemischt mongolischmalaiischen, vergleicht: es ist, als ob hier die Geschichte in nächster Nähe den äußersten Gegensatz habe hervorbringen wollen; denn die Zeitspanne des überstarken Großkönigtums der Altertumsstufe beträgt innerhalb der japanischen Entwicklung nur etwas weniger als drei Jahrhunderte: von der Taikwa-Gesetzgebung an bis zu der großen Staatsumwälzung von 931, mit der der mittelalterliche Adelsstaat über Japan hereinbricht und wenigstens der vollen und ungebrochenen Herrschaft des Großkönigtums ein Ende macht. Mag man der Zeitdauer des starken Großkönigtums auch noch die Jahrhundertereihe vor der Taikwa-Gesetzgebung von 645 zurechnen, in der sich der Geschlechterstaat schon eine monarchische Spitze gegeben hatte, so nimmt sich auch der so erweiterte Zeitraum der archaischen Königsherrschaft in Japan, verglichen mit der Jahrtausende-Reihe der chinesischen Altertumsstufe, wie ein äußerstes Gegenbeispiel aus. Daß im Falle Japans die malaische Rasse als die Bewegtheit fördernd sich geltend gemacht hat, mag durch die Beobachtung bestätigt werden, daß die malaischen oder halbmalaischen Polynesier die einzigen Völker außerhalb Asiens und Europas sind, die bis zu einem Mittelalter emporgestiegen sind. Entspricht ihr Entwicklungsstand auch nicht dem voll ausgeprägten Wesensbild asiatischer und europäischer Mittelalter, so trägt er doch die entscheidenden Züge dieser Stufe. Doch macht sich — und dies lehrt der Vergleich zwischen China und Japan ebenfalls auf sehr nachdrückliche Weise — auch eine andere und dies Mal außermenschliche Naturgegebenheit als hier hemmend, dort fördernd geltend. China, das im geschichtlichen Werden beispiellos verlangsamte Land, ist zugleich das Land der geringsten Küstenentwicklung, der mithin am meisten festländischen, am wenigsten von See und Schiffahrt beeinflußten Beschaffenheit. Japan dagegen ist unter allen zu höchster Entwicklung gediehenen Völ-

Land und Klima. Bcwegtheitsgrade der Griechen und Römer.

341

kern, mehr noch selbst als Großbritannien ein Küsten- und Inselland. Und wenn sein Blut doch wenigstens zum Teil malaisch ist, so weist auch dieser Zusammenhang in der gleichen Richtung; denn die Malaien sind mindestens in ihren Anfängen die seetüchtigste von allen Rassen der Erde : sie haben den Stillen Ozean nach allen Richtungen hin durchquert, vermutlich zu einer Zeit, in der die Alteuropäer noch selbst das mittelländische Meer ängstlich an den Küsten befuhren, und jedenfalls lange, bevor die Neueuropäer ihre endgültige Fahrt über den atlantischen Ozean antraten. Vielleicht hat aus dieser Vergangenheit ihrer Rasse auch denjenigen Malaien, die das japanische Volk haben bilden helfen und die ja zur See in das Land gekommen sein müssen, eine größere, auch geschichtlich lebendige Beweglichkeit im Blute gelegen. Der Unterschied von größerer oder geringerer Beweglichkeit, der den griechischen und den römischen Einzelmenschen von einander trennte, hat auch das geschichtliche Leben des griechischen Volkes zu dem der Römer in einigen Gegensatz gebracht. Die griechische Geschichte ist mindestens in einem ihrer Zeitalter die am raschesten von Altersgrenze zu Altersgrenze schreitende. Die Neuere Zeit, d. h. das Zeitalter der stärksten Anspannung des Staatsbegriffs und der Staats geschlossenheit wie der wenn nicht stärksten, so doch blühendsten Entfaltung der redenden und bildenden Künste, vornehmlich im Drama und in der Bildnerei, wie in der Forschung, insbesondere in der der Welt und dem Leben zugewandten Philosophie und in der Geschichtsschreibung, ist in Griechenland von einem Reichtum und einer Steigerung des Schaffens vorwärtsgetrieben, die die Griechen in Stand gesetzt hat, diesen Entwicklungsabschnitt in der Kürze eines Jahrhunderts, zwischen 510 und 404, d. h. so schnell wie kein anderes Volk des alt- oder neueuropäischen Weltalters zurückzulegen. Dem gegenüber hat die römische Geschichte zwar für ihre mittleren Entwicklungsstrecken etwas kürzere Zeit verbraucht als die griechische, aber eine Neueste Zeit

342

Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Grade im Werden.

von sechs Jahrhunderten in Westrom, von fast sechzehn in Ostrom ausgedauert — ein Beweis vielleicht zunächst von einer zwar sinkenden aber zähen Lebenskraft, demnächst aber doch auch von einem minderen Maß von Beweglichkeit1. Und die Richtigkeit dieser zweiten Auslegung mag noch des weiteren dadurch erhärtet werden, daß die Linie schon der weströmischen Entwicklung nach Diocletian, die der oströmischen aber schon von Anbeginn einer sinkenden Kurve gleicht. Und eben die Merkmale der Erstarrung, ja sogar des Rückgangs, die diesen Abstieg kennzeichnen, können, gesehen unter dem hier aufgestellten Gesichtswinkel, nicht anders denn als Zeugnisse verringerter Bewegtheit und verringerter Bewegungskraft angesehen werden.

Siebentes Stück. Äußere

und

innere

Gründe

der

Bewegtheits-

Veränderungen. Endlich bietet auch die Geschichte des neueuropäischen Völkerkreises mehr als ein Beispiel höchst bezeichnender Bewegtheitsunterschiede: zwischen nord- und südgermanischem Werdegang ergiebt sich in den Reihen der staatlichen wie der städtischen Verfassungsgeschichte eine Spanne bis zu einem halben Jahrtausend, um das die norwegischschwedische Entwicklung hinter der fränkisch-deutschen zurückgeblieben war. Noch sinnfälliger ist die Verschiedenheit der Bewegtheitsgrade, wenn man dem neu-europäischen Völkerkreise auch die ihm angelagerten slavischen und uralaltaischen Volkstümer zurechnet und deren unvergleichlich viel späteren Eintritt in Altertum und — wenigstens in dem einen bedeutendsten, dem polnischen Fall—Mittelalter mit dem gleichen Entwicklungspunkt in der Geschichte des germanischVgl. die Tabelle: Stufenbau und Gesetze der Weltgeschichte (21927) 88 Anm.

Neueuropäische Spannungen.

Blut und Land.

343

romanischen Kerns dieser Völkergruppe vergleicht. Da ergeben sich Zeitspannen von drei bis zu sechs Jahrhunderten für den Eintritt in das Entwicklungsalter der Altertumsstufe und immerhin noch von Jahrhunderten für die Einzelfälle des Eintritts von Polen, Böhmen und Ungarn in das Mittelalter Auch in allen diesen Entwicklungen mögen wie in der von China Blut und Land zusammengewirkt haben und einen so viel geringeren Bewegtheitsgrad haben entstehen lassen. In Sonderheit für Rußland und seine halbasiatische Landund Klimabeschaffenheit, sowie die weiblich-weichere, mehr empfängliche als zeugerische Grundanlage der Russen mag dies zutreffen. Auch für alle sonstigen osteuropäischen Volkstümer muß ihre von Nordsee und Ozean entfernte abseitige Lagerung im Zusammenwirken mit ihrem nicht germanischen und vollends nicht romanischen und deswegen passiveren Blut ungefähr ähnlich hemmende Einflüsse gehabt haben. Rußland bleibt für sie alle der Grenzfall, auch insofern, als in seiner Geschichte die autogene, die eigenwüchsige Entwicklung seines Volkstums keineswegs rein und ungestört zum Ausdruck gekommen ist: ihrer aller Bewegtheitsgrad würde um vieles geringer geblieben sein, hätte sich ihre Geschichte auf einem von Europa weiter entfernten, etwa einem westasiatischen Schauplatz abgespielt. Das ihnen innewohnende Urbild ihrer Entwicklung, das sich dann auch in ihnen entfaltet haben würde, wäre aller Vermutung nach viel uneuropäischer, vor allem aber sehr viel minder rasch bewegt ausgefallen, als in dem Wirklichkeit gewordenen Verlauf mit seinen immer neuen Bewirkungen, d. h. Beschleunigungen von dem mittel- und westeuropäischen Kernkreis her. Die russische Geschichte ist hierfür auch in den Einzelheiten von beispielhafter Deutlichkeit. Sie hat etwa seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, vor allem aber im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert die stärksten Einwirkungen von der germanisch-romanischen Staatengesellschaft erfahren; aber das Zarentum, das recht eigentlich das Musterbild ') Vgl. Vom geschichtlichen Werden III (1928) 313.

344

Eigenbewegtheit: menschliche Bewegtheit: Veränderungen.

einer asiatisch-archaischen Despotie war, hat von diesen Vorbildern immer nur die Züge zur Nachahmung übernommen, die dem Kern seines Wesens entsprachen. Es hat nie ständisch-parlamentarische Einrichtungen nachgebildet und so kam es, daß Rußland, hierin sogar weit hinter Polen zurückbleibend, nie zu einem Mittelalter fortschritt; aber es hat dem inzwischen zur Neuen Zeit und zum unumschränkten Königtum fortentwickelten West- und Mitteleuropa die mannigfachsten Werkzeuge und Verfahrensweisen seiner Verwaltung abgelauscht, die es als ganz wesensverwandt ohne weiteres seinem Bau einverleiben konnte, und blieb dabei auch noch im neunzehnten und in dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert. Man kann einem solchen Verhalten mancherlei Gründe der Schicksalsbildung zuschreiben. Die tiefste Deutung wird doch die Erkenntnis darstellen, die hier eine Überlegenheit oder besser gesagt eine Beständigkeit des einem Volkstum und seinem Staat einmal eigentümlichen Bewegtheitsgrades sich auswirken sieht. Die Werturteile, die wir Mittelund Westeuropäer an diese an sich zu innerst objektiven, ganz aus der Natur der Dinge entspringenden Tatbestände zu knüpfen pflegen, sind von einer sehr bedingten Schlagkraft. Denn sie legen den Maßstab unseres eigenen Wesens und Verhaltens mit der Unterstellung an, er sei der allgemeinmenschliche, unumschränkt gültige, während sehr wohl auch der entgegengesetzte Gedanke ein Recht auf Beachtung fordern kann, daß dem verschiedenen Blut der Völker, der verschiedenen Klima- und Lagebeschaffenheit ihrer Länder ein weit abweichender Bewegtheitsgrad besser entsprechen kann und daß dann nach ihm sich zu entwickeln ihrem Vermögen und ihren Glücksmöglichkeiten weit mehr angemessen ist, als einem fremden Vorbild als Muster nachzufolgen. Doch wird, da dies alles Fragen sind, die von der Geschichtsmacht der überlegenen, der nach Tat und Geist stärksten Völker abhängen, der wirkliche Verlauf der zukünftigen Entwicklung aller Vermutung nach ganz ohne Rücksicht auf

Gradbeständigkeit, Widerstandskraft der Bewegtheit.

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solche Wesensverschiedenheiten vor sich gehen, weil ein dem gesamten Heerhaufen der Völker gemeinsames Tempo sich aller bemächtigen und auch die schwachen und widerwilligen unter ihren Einzelgliedern vorwärts treiben wird. Für die höhere Einheit der beiden hier beobachteten Erscheinungsgruppen, der Bewegtheitsgrade der Einzelmenschen und der Völker, mag endlich noch diese Schlußfolgerung wichtig sein. Die Bewegtheit der Einzelmenschen muß zäher und widerstandsfähiger sein als die der Völker. Eine ach nur allzu lange Reihe von Staaten- und doch auch Völkertoden, von den großen Reichen des vordem Orients, von Babyloniern, Assyrern, Medern, Persern, bis zu West- und Oströmern und bis zu Ost- und Westgothen, Vandalen und Langobarden bezeugt, daß in den großen Gemeinschaften die Bewegungskraft bis zur Leichenstarre erlöschen kann, während von keinem Volkstum als Träger von Einzelmenschentum anzunehmen ist, daß es völlig vergangen ist. Ein Volk kann als Gemeinschaft sterben, das in den lebendigen Familienstämmen und ihren immer neuen Generationen fließende Blut kann es auch — die langen Register ausgestorbener Adelsfamilien bezeugen es — aber an die Stelle der Fortgefallenen drängt sich unaufhörlich neues Menschentum aus Stämmen, die ihre Kraft behalten haben. Wie von den Griechen, so von den Römern des alteuropäischen Weltalters ist anzunehmen, daß in den heutigen Hellenen, den heutigen Italienern noch in zahlreichen Familien ihr Blut weiter strömt. Der Grund für diese Erscheinung mag darin zu suchen sein, daß die Schicksale der Einzelnen und ihrer Nachkommenschaften bei weitem nicht so hart bedroht sind, wie die der Staaten, der Völker. Und vielleicht ist diese Erscheinung eine neue Widerlegung der Untergangspropheten, die noch heute unsere an sich wahrlich in Kraft blühenden Völker zu ängstigen trachten, und zugleich eine Gewähr für die Fortdauer jener Urkraft, aus der alle Bewegung, d. h. alles Leben der Menschheit hervorgeht. Staaten können vergehen, Menschheit und Menschentum nicht.

V I E R T E S BUCH. EIGENBEWEGTHEIT UND VERURSACHTHEIT. E r s t e r Abschnitt. Physikalische Voraussetzungen. Erstes Stück. Die Herkunft der Verursachtheit aus der Mechanik. Die Darlegung dieser Blätter geht von dem Gedanken aus, daß der Eigenbewegtheit im anorganischen Reich die Gesamtheit der Lebensregungen im biischen Reich entspricht und daß das beständige Vorwärts, das Menschheit und Geschichte offenbaren, alle Lebensregung der Seele also, nur das zweite Seitenstück jenes Urbildes ist. Der Einwand läge nahe, daß man die Folgerungen, die von jenem Urbild in die Grundschichten unserer Menschenkunde und Geschichtslehre hinüberleiten könnten, allenfalls doch auch lediglich aus den diesen näher benachbarten Bezirken des Pflanzen- und Tierreiches ableiten könnte. Aber eine solche Sicht würde begrenzt und teilmäßig sein, nicht das für unser Blickfeld erreichbare Ganze von Welt und Wirklichkeit umfassen. Und es ist doch auch nicht nur jener Drang zur Welt-Einheitssicht, zur monokosmischen Sicht, also ein Beweggrund des Was der Wissenschaft, der uns auf diesen Weg weist, sondern im Grunde viel mehr noch eines der Gesetze des Wie, und zwar das letzte und wichtigste von allen: das Gesetz der Wirklichkeitsvereinfachung. Man kann sagen — schon wurde daran gerührt — alle bauende Wissenschaft sei diesem Gesetz Untertan: zuerst und am meisten die herrisch willkürliche

Forschungsgesetz der höohsten Vereinfachung.

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der großen Setzenden, der Deduktoren, die von Himmelshöhen angeblich ohne Erfahrung, in Wahrheit nur auf allzu schmalem Wirklichkeitsgrunde, ihre leicht gezimmerten Bauten aufrichtet, bei denen sie in rastloser Abwandlung des alten Platon-Märchens behauptet, sie seien aus den ewig seienden, von keiner Wirklichkeit abhängigen, von keinem Menschenverstände gebildeten Denkbildern abgeleitet. Sie muß ihrem innersten Wesen nach Vereinheitlichung anstreben und hat deshalb in der Regel einen höchsten Quell alles Geschehens, sei es mit Piaton in einem höchsten Gut, sei es mit der christlichen Daseinslehre in einem Gott angenommen. Aber auch die zweite Form der bauenden Wissenschaft, die rechte, die der Induktoren, die ihre Denkbilder vom Boden der Erfahrung aufwärts schichtet, muß dem gleichen Grundsatz folgen. Wir Erdfrohen streben mit aller Kraft danach, in beständigem Ringen mit der unsäglichen Menge, mit dem noch ungeheuerlicheren Wirrsal der unerschöpflich mannigfaltigen Wirklichkeiten zu immer höher geordneten Ebenen, d. h. zu immer mehr vereinfachten Zusammenpressungen der Weltgegebenheiten zu gelangen. Alle Wissenschaftslehre, die für ihre Richtlinien, wie es jede echt erfahrungsmäßige Forschung nicht anders kann, ihre besten Bestätigungen in der Anlehnung an das Naturgeschehen sucht, wird sich in diesem obersten Grundsatz ihrer Vorschriftenreihen eigens wohl unterstützt fühlen. Denn es giebt ein ebenfalls oberstes Gesetz in allem Naturgeschehen, aus dem jene Weisung zur äußersten Vereinheitlichung ohne jeden Gedankensprung als schlüssige Folgerung abzuleiten ist. Das ist die Naturmaxime, die man das Prinzip der kleinsten Wirkung genannt hat und die von Leibniz und Maupertuis ab durch eine ganze Dynastie erlauchter Forscher bis zu Helmholtz und Planck immer von Neuem durchprüft und umgeformt worden i s t E s besagt, daß die Natur sich stets und ausnahmslos des geringsten Aufwandes an Vgl. Planck, Das Prinzip der kleinsten Wirkungen (Lecher, Physik [ 2 1925] 7 7 2 - 7 8 2 ) 774 ff.

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Verursachtheit: Physikalische Voraussetzungen: Mechanik.

Weg und Vorbereitung bedient, um irgend ein Geschehen seinem Ziel zuzuführen1. Es ist eine Setzung, der noch vor jener Reihe von Denkern ein größerer Empiriker, Newton selbst, mit seinem Wort: Maximus effectus minima sumptu vorgegriffen hat. Wenn dies die Weise des Naturgeschehens ist, dann wird jede bauende Erfahrungswissenschaft sich bei ihrem Streben nach möglichster Vereinheitlichung ihres Weltbildes schon in den einzelnen Fortschritten ihrer gründenden Arbeit, im Aufwärtsklimmen zu jeder nächst höheren, d.h. abgezogeneren Ebene der Zusammenfassung und Verallgemeinerung ihrer Erkenntnis auf sie berufen können. Aber sie wird sich die Befolgung dieses Gesetzes der gespanntesten Vereinheitlichung erst recht bei den letzten Schritten zu dem Ziel der Herstellung einer zum Ganzen geschlossenen Weltsicht zur Pflicht machen, d. h. wenn es gilt Naturgeschehen und Menschheitsgeschehen, Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte zu einem Insgesamt zusammenzufassen. Denn der gleiche Trieb zur Vereinfachung, der innerhalb des Aufbaus der Wirklichkeitsbilder zu immer gedrängterer Zusammenpressung der Einzelheiten, zu immer strengerer Auslese unter den in das Lehrbild aufzunehmenden Merkmalen treibt, muß auch in die Breite und Weite der von Wissenschaft zu umspannenden Wirklichkeiten drängen. Der Geist, gestellt vor die beiden Reiche des Weltgeschehens, das der belebten und der unbelebten Natur dort, das des beseelten Menschen hier, wird seiner Beschaffenheit nach nicht anders können, als danach trachten die begrifflichen Zusammenfassungen, die er zur Rechten und zur Linken vornimmt, durchzuziehen in einer Linie von einem Reiche in das andere hinüber. Der Trieb zur Vereinfachung der Weltsicht wird hier am wenigsten 1

) So formuliert in der Schrift: Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte ( 2 1927) 188f., vgl. aber auch den Aufsatz: Einheit als Geschehen (Soziol. Jahrb. hersg. von Salomon I 1 [1925] 115ff.), der als Vorabdruck aus dem II. Band meiner noch unveröffentlichten Gesellschaftslehre zu gelten hat.

Einheitsstreben im Was und im Wie. Verursachtheitslehre.

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stillhalten wollen; denn er wird nicht trotzdem, sondern weil hier die tiefste Kluft aufgerissen ist zwischen den Wirklichkeiten, über sie fort bauen wollen. Die Philosophie hat sich seit zwei Jahrtausenden das Königsrecht nicht mindern oder gar nehmen lassen, beide Reiche zum mindesten dem Grundsatz nach gleichmäßig zu umspannen. Aber da ihre Einigungswerke bis auf den heutigen Tag sich weder für die Natur- noch die Geisteswissenschaften ein unumstößliches Ansehen zu verschaffen vermocht haben, so bricht der Drang zur Einheit in den Einzelwissenschaften, an sich in ihnen mächtig genug, immer von neuem überstark hervor. Und wie es nicht anders sein kann, er erstreckt sich zwar mit allem Eifer auf das Was des Wissens und sucht für seine beiden Seiten nach unmittelbaren Verbindungen, aber er kann sich auch nicht verbieten, das Wie, das Werkzeug der Forschung zur Hand zu nehmen und selbst zu prüfen. Fast möchte man, ohne irgend den Philosophen als den berufenen Pflegern der Erkenntnislehre zu nahe treten zu wollen, vermuten, daß eine volle Sättigung des Bedürfnisses nach diesen unentbehrlichsten Werkzeugen des Wissens erst dann eintreten wird, wenn die Einzelforscher sich mit ihnen zusammenschließen werden zu einer Arbeitsgemeinschaft, die freilich auch beständig am Werk wird bleiben müssen, um rastlos zu ändern und zu neuern. Denn endlich wird man sich doch zu der — für die Erkenntnislehre, wie sie heute ist, freilich sehr entsagungsvollen — Überzeugung durchringen müssen, das das Was der Forschung mindestens ebenso oft Anlaß gegeben hat ihr Wie zu ändern und zu verbessern, wie umgekehrt. Kein Einzelbestandteil der Erkenntnislehre mag mehr geeignet sein, diesen Grundsatz durch Erfahrung zu bestätigen, als die Lehre von der Verursachtheit. Sie ist in Wahrheit der Grundstein, oder wenn man dies nicht zugeben will, der Schlußstein am Gewölbe der Wissenschaft. Will man sich mit einer vorläufigen Begriffsumgrenzung begnügen, so sei hier unter Verursachtheitslehre — Kausalis-

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Vernrsachtheit: Physikalisohe Voraussetzungen: Mechanik.

mus — diejenige Auffassung der Wirklichkeit verstanden, die alles Geschehen in Reihen von Einzelgeschehnissen auflöst, im Laufe derer jedes zeitlich folgende Geschehnis als durch ein zeitlich voraufgehendes Geschehnis bewirkt, d. h. ganz oder zum ausschlaggebenden Teil herbeigeführt, erklärt wird. Diese Begriffsumgrenzung, die dem bisherigen Wissenschaftsgebrauch entspricht und für die noch mannigfaltige Umgestaltung vorbehalten sei, läßt doch sogleich erkennen, wie wenig zureichend im Grunde der Begriff der Verursachtheit — Kausalität — ist, den sie zum wichtigsten Hilfsmittel aller Erkenntnis macht. Denn dieser Satz, der in Wahrheit nichts anderes als die alte Umschreibung post hoc ergo propter hoc ist, durch die man ihn aber doch eher herabsetzen als rühmen wollte, hat die mannigfachsten Schranken und Schwächen. Sie lassen sich allesamt auf seinen Formalismus, d. h. auf ein Überwiegen des Wie der Beobachtung, eine zu geringe Berücksichtigung des Was des betrachteten Geschehens zurückführen. Mit anderen Worten, die Verursachtheitslehre offenbart sich als das, was sie ist, als die Hervorbringung einer von Begriffen, nicht vom Beobachten ausgehenden Forschungsweise, als das Erzeugnis reiner Begriffs-, nicht aber wirklichkeitsgesättigter Erfahrungswissenschaft. Daß hinter diesem Oberflächengrunde freilich doch noch ein anderer steht, daß auch dieses Wie des Erkennens, wie jedes andere Wie, auf einem Was ruht und daß das Was, auf dem sich die heutige Verursachtheitslehre aufbaut —was auch so häufig aller ableitenden Begriffswissenschaft zum Vorwurf zu machen ist — viel zu schmal ist, als daß es eine für alles Sehen der Welt entscheidende Erkenntnislehre hätte tragen dürfen, das sei im Voraus nur ganz allgemein erklärt. Allerdings: alle begriffsmäßige, in Sonderheit alle ableitende, von oben her bauende, setzende Erkenntnis- und Daseinslehre würde mit Entrüstung eine Ableitung des Verursachtheitsgedankens aus irgend welchen Tatsachenmassen des anorganischen — wie ebenso des biischen oder des mensch-

Begriffsmäßigkeit, Herkunft von der Mechanik.

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lich-seelischen — Reiches abweisen. Und in der Tat, wenn die Klantische Aprioristik an irgend einer Stelle Recht hat, so ist es hier. Der Gedanke der Verursachtheit, d. h. die Auffassung, daß ein Geschehen nur durch ein voraufgehendes Geschehen ermöglicht und herbeigeführt sei, ist ein vom menschlichen Verstände an die Dinge herangetragener, also eine Kategorie, wie Kant es nennt, eine vom Verstand festgesetzte Ordnungsform für das Geschehen. Das Geschehen selbst ist stumm: es spricht nicht Begrifflichkeiten so hoher Ebene aus. Aber so wenig dieser Sachverhalt geleugnet werden darf und soll, insoweit das heut und seit Leukippos vorhandene Erkenntnis-Werkzeug als ein fertiges in Betracht kommt, so wenig darf zugegeben werden, daß die Erkenntnis von Verursachtheit überhaupt nicht auf der Grundlage von Erfahrung zu Stande gekommen ist und nicht also die Wirklichkeit des Naturgeschehens zur Voraussetzung hat. Mit anderen Worten: es darf im mindesten nicht eingeräumt werden, daß es dem menschlichen Geist möglich gewesen wäre, den Begriff der Verursachtheit zu fassen ohne das Vorhandensein eines gewissen Teils der Naturtatsachen, auf die er ihn heute anzuwenden gewohnt ist. Eines gewissen Teiles nur, weil er ihn, wie hier sehr bald erwiesen werden soll, auf drei Viertel der Geschehenszusammenhänge, denen er ihn aufprägt, zu Unrecht anwendet. Daß Philosophieren ohne Kenntnis der Philosophiegeschichte dem Geist nur ein sehr gebrechliches Werkzeug darbietet, wird vielleicht an keinem Ort des von Philosophen geschaffenen Begriffsgebäudes so deutlich, wie in Sachen der Verursachtheitslehre. Sie stammt aus dem Kreisausschnitt des Weltbildes, den die Mechanik teils selbst geschaffen, teils mittelbar entstehen lassen hat, und alle die Irrtümer und Mängel, die ihr noch bis auf den heutigen Tag anhaften, sind auf diesen ihren Ursprung zurückzuführen. Und wie denn ein Denkfehler in der Regel auf einen älteren, noch umfassenderen, noch tiefer greifenden zurückzuführen

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Verursaohtheit: Physikalische Voraussetzungen: Mechanik.

ist, so ist unzweifelhaft die VerursachtheitBsicht, durch die recht eigentlich das Welt- wie das Menschheitsbild ins Schiefe umgeformt wurde, zurückzuleiten auf jene Grundvorstellung vom Sein der Welt, von deren Unzulänglichkeit und Brüchigkeit schon einmal kurz die Bede war und die ganz ebenso wie die Verursachtheitslehre aus der Wurzelschicht einer noch rein mechanischen Physik herstammt. Der Stammbaum dieser Gedanken, den wissenschaftsgeschichtlich im Einzelnen zu verfolgen nicht im mindesten die Aufgabe dieser Blätter sein kann, mag etwa folgendermaßen zu umschreiben sein. Der einzige Ausschnitt aus dem Kreisrund der physikalischen Welt, der in den Anfängen des alteuropäischen Denkens, aber noch bis in das zwanzigste Jahrhundert auch dem neueuropäischen Forschen zugänglich war, bestand aus den Tatsachen der Mechanik, d. h. der Physik der mit dem bloßen Auge wahrnehmbaren Festkörper. Aus ihrem Bereich waren in Hinsicht auf die Bewegung zwei Folgerungen zu gewinnen: die eine, daß die Welt eine seiende sei, d. h. daß die Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzt, in der Regel an einem Ort verharren, und die andere, die sich aus der ersten mit begrifflicher, aber auch mit erfahrungsmäßiger Notwendigkeit ergiebt, daß nur diejenigen unter diesen Bestandteilen der unbelebten Welt in Bewegung geraten, die von außen her einen Anstoß zu ihr erfahren. Noch Newton, dessen gewaltige Geisteskraft gerade zu der Zeit sich diesen Dingen zuwandte, als im Kreis unserer Völker zuerst physikalische Fragen mit Leidenschaft und Erfolg aufgeworfen und beantwortet wurden, hat das Grundgeschehen der Bewegung nicht anders gesehen. Obwohl er, wie schon berührt, in seinem ersten Bewegungsgesetz fand, daß ein einmal in Bewegung befindlicher Körper an sich seine Bewegung beibehält, so hat er, wie aus dem Ausdruck impressis viribus hervorgeht, den Ursprung jeder Bewegung in einem von außen kommenden Anstoß gesehen.

W u r z e l von Verursachtheits- und Seinslehre in der Mechanik.

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Im Bereich der Mechanik im engeren Sinn, d. h. der Lehre von den greif- und sichtbaren Festkörpern lag noch bis heute kein Grund vor, von dieser Anschauungsweise abzugehen1. Und an ihr konnte ebenso wohl die irrige Anschauung vom Sein der Welt wie die ebenso falsche Meinung von der Allgewalt einer die Dinge von außen vorwärts stoßenden Verursachtheit des Geschehens Grundlage und Stütze finden. Wie tief die Seinsvorstellung alle Weltbilder, die seit zweieinhalb Jahrtausenden das Denken der alt- und der neueuropäischen Völker durchdrungen haben, sie ändernd bewirkt hat, das würde vielleicht nur durch einen Uberblick über alle Philosophiegeschichte in Hinsicht auf diese Grundanschauung auszumachen sein. Eine Daseinswissenschaft, die überall da, wo Denker vom Sein gesprochen haben, das Geschehen eingesetzt hätte, würde vermutlich sehr viel farbigere und in Wahrheit bewegtere, vielleicht auch leidenschaftlichere Bilder hervorgebracht haben. Und es mag sein, daß sich der Einfluß dieser Grund-Setzung über Daseins- und Erkenntnislehre hinaus bis in Sittenlehre und Sittengebot und bis in das zu lebende Leben selbst erstreckt haben würde. Man kann sich doch des Gedankens nicht erwehren, als sei die tiefe Vorliebe des griechischen Geistes für alles Sein — in Forschung wie Kunst — wie eine aus Nähe und klimatischer Nachbarschaft geborene Verwandtschaft mit dem Orient und seiner Beharrungskraft anzusehen. Denn die so ganz auf Sein und Endgiltigkeit — des Begriffs in der Wissenschaft, der Form in der Kunst — eingestellte Sonderart der Griechen hatte zwar nichts von asiatischer Ruheseligkeit, aber sie wollte doch auch ein Ziel, über das hinaus es kein Fortstreben geben sollte. Germanische und in Sonderheit deutsche Weise war immer auf Unrast, Schaffen und Bewegung *) Vgl. oben S. 320, 351 f. Auch das von Hertz aufgestellte Grundgesetz: »Systema omne liberum perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directissimam« läßt in seinem •ersten Satzteil die Aufrechterhaltung der alten Meinung noch erkennen (Hertz, Die Prinzipien der Mechanik [1894] 162). Ii r ey 8 i g , KatargeschicLte und Menschheitsgeschichte.

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Verursachtbeit: Physikalische Voraussetzungen: Mechanik.

gerichtet 1 ; und es mag nicht von ungefähr sein, daß es der deutschen, der germanischen Naturforschung gelang zu dem Weltbild vorzudringen, das dem Geschehen der Welt als ihrer Grundeigenschaft erst ganz gerecht wurde. Aber noch weit über ihren Ursprungsbezirk hinaus ist die auf der mechanischen Grundvorstellung von Stoß und Vorwärtsdrängen beruhende Verursachtheits-Anschauung gedrungen. Sie hat sicher alle Vorstellungen vom Weltgeschehen auf das nachhaltigste beeinflußt: in keinem Stück vermutlich mehr als in Sachen der Gottesverehrung. Ist es nicht bezeichnend, daß Graf Thomas von Aquino, der König der Scholastiker, der trotz aller Gläubigkeit sich doch nicht völlig verstrickt in die Hände der gottesgelehrten Daseinswissenschaft gab, da. wo er von den Beweisen für das Dasein Gottes spricht, sich letzlich mit der sichersten Zuversicht auf den Satz zurückzieht, daß Gott notwendig als Ursächer, als Macher der Welt gedacht werden müsse. Es kommt für den hier verfolgten Gedankengang nicht so viel darauf an, daß dieser an sich scharfsinnige und vielfach fast unbefangene Denker sich nicht selbst die Gegenfrage entgegenwirft, wer denn nun den Macher gemacht habe; entscheidend ist, daß für ihn der Verursachtheitsgedanke zu der Grundveste wird> auf der er den Glauben an Gott mit begrifflicher Sicherheit zu errichten gedenkt. Wenn die mechanische Auffassung von der Notwendigkeit ausging, jedes Einzelgeschehen durch ein es hervorbringendes anderes Einzelgeschehen zu erklären und wenn sie zugleich von der Zulänglichkeit dieser Erklärung ganz erfüllt war, wie hätte sie nicht zu der Gottheit als der ersten Ursache der Welt gelangen sollen und zugleich von der Zulänglichkeit auch dieser Erklärung überzeugt sein, sollen. Doch der Gott-Ursächer ist nur ein Grenz- und Gipfelfall: eine Formenlehre aller der Denkbilder, die aus der me1

) I n aller Kürze dargelegt in dem Buch Vom deutschen Geist* und seiner Wesensart (1932) 278f., vgl. auch Vom geschichtlichen. Werden I I I (1928) 445.

Verursachtheitslehre und Glauben. Von Mechanik zu Physik.

355

chanischen Ursachen-Vorstellung hervorgegangen sind, würde Bich noch über weite Gebiete des Weltsehens erstrecken müssen. Sollte es nun aber, nachdem die große Forschung des letzten Menschenalters mit der Vorherrschaft der Mechanik in der Physik ein Ende gemacht hat, nicht an der Zeit sein auch ihr Erzeugnis, die mechanische Verursachtheitslehre, auf ihr Recht zu prüfen ?

Zweites Stück. Werksteine

und Werkzeuge

des

Weltgeschehens.

Zieht man aus dem Werk der Physiker des letzten Menschenalters erst die Folgerungen, an die sie selbst, versenkt in die Tiefenforschung ihrer beständig vorwärts drängenden Einzelarbeit, nicht denken, so ergeben sich zwei Feststellungen von anspruchsvollster Tragweite, von wurzelhaftester Stärke. Die beiden Grundvesten, auf denen noch unsere Großväter ihr Weltbild aufbauten, Kraft und Stoff, sind beide um ihre Geltung gebracht: man kann sagen, sie sind beide in das Nichts versunken. Zum wenigsten, es nützt nicht mehr, von ihnen als den beiden Grundgehalten der physikalischen Welt zu reden; es sind Begriffe, die, einmal von höchster Brauchbarkeit, jetzt bei Seite geschoben werden dürfen, weil ihnen die heutige Weltsicht, die sich auf dem Grund der physikalischen Forschung des letzten Menschenalters aufbauen möchte, keine Wesenheit mehr beimessen kann. Es sind die Forschungen in dem elektro-physischen Kernbezirk des anorganischen Reichs, die diese Umwälzung vorbereitet haben, eine Umwälzung, von der ausgesagt werden kann, daß sie nicht nur allen Umwälzungen der aprioristischen Daeeinswissenschaft, der Metaphysik also, ebenbürtig, sondern •— von unserem erfahrungswissenschaftlichen Standpunkt gesehen — überlegen an Wucht und Bedeutung ge23»

356

Verursachtheit: Physikalische Voraussetzungen: Weltgeschehen.

wesen ist. Denn während jene nur Gedanken angehen, hat diese den Blick in Wesenheiten eröffnet, während jene nur Gestaltungen des Weltbildes betreffen, hat diese es mit den Wirklichkeiten der Welt zu tun. Es ergab sich, daß die Mechanik der Festkörper, von der die alte Physik allein wußte und mit der sie sich geradezu für identisch erklärte, nur einen Außengürtel um das Kreisrund der anorganischen Welt darstellt und daß sich ihr entscheidendes Geschehen in einem Kernbezirk abspielt, der nicht nur dem der Natur nicht eben zugeneigten Denken der Griechen, sondern auch der um sie schon leidenschaftlich bemühten Wissenschaft, der Neueren Zeit des neueuropäischen Weltalters völlig verschlossen geblieben war. Zuerst mußte eine Anzahl von Irrwegen versucht und später wieder aufgegeben werden; dann aber hat eine Arbeit von kaum zwanzig Jahren genügt, um dem menschlichen Geist einen innersten Bereich zu erschließen, von dessen Dasein ihn bis dahin auch nicht die leiseste Ahnung angewandelt hatte. Und es wird hier ein Urgeschehen aufgedeckt, das das bisherige Weltbild in seinen elementarsten, seinen gründenden Wesenszügen als falsch und irrig widerlegt und ein anderes fast entgegengesetztes an seine Stelle setzt, das in seinen entscheidenden Zügen der Gegenwart, die doch seine Grundlagen geschaffen hat, noch kaum bewußt geworden ist. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sind von der Physik die wichtigsten neuen Erkenntnisse gewonnen worden, aber die meisten von ihnen galten den mittleren und äußeren Gürteln im Kreisrund des anorganischen Reichs, der Gas-, der Wärmetheorie oder der neuen Spektraloptik, oder sie näherten sich wohl dem innersten Bezirk der Urkörper, bereiteten aber deren Erkenntnis erst vor, wie schon zuvor zu Anfang des Jahrhunderts Daltons Aufstellung der Atome und der Moleküle als unterster Größenordnungen der Materie, und, 1869, die Einteilung der Elemente nach ihrem Atomgewicht im periodischen System. Aber erst der kühne Vorstoß des Holländers Lorentz von 1895 drang in den

Kernphysik.

Notwendige Änderung unserer Begriffe.

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innersten Kreis der Urkörper ein: seine Elektronenlehre machte noch die kleinste der bisherigen Größenordnungen, das Atom, als einen Verband noch kleinerer Körper erkennbar und erschloß damit eine ganz neue Kernschicht von Vorgängen kleinsten Maßes. Und wenn der Däne Niels Bohr diesen Vorstellungskreis zu einem großen Lehrbau von durchdringendem Scharfsinn und zugleich von hoher Schönheit ausgestaltete, wenn sein Atommodell das Innengeschehen des Atoms als ein Planetensystem darstellte, in dem die negativen Elektronen der Hülle einen Kern von positiven Protonen umkreisen, und wenn glückliche Nachfolger dieses Bild durch Theorie und Experiment noch immer weiter ausgestalten, so rundet sich dieses großartige Erzeugnis forscherlicher Einbildungskraft und prüfender Verstandesarbeit zu einem immer volleren Bild. Der erstaunlich geringe Umfang dieser Zwergkörper, —-heute wird die Länge des Radius eines Elektrons mit 17 y2 Billionstein eines Zentimeters berechnet — erscheint uns zunächst als Beweis für die höchste Praezision dieser Forschung, aber sie giebt zum zweiten eine Gewähr für die Allbedeutung dieser Urkörper, aus denen sich alle anderen Körper, d. h. also alle Teile der unbelebten wie der belebten Welt zusammensetzen. Doch die geistige Bedeutung dieser Enthüllungen erschöpft sich nicht in diesen Fortschritten, in dieser neuen Erkenntnis des Naturgeschehens, sondern greift über sie noch weit hinaus, insofern aus diesen Sondererkenntnissen die Notwendigkeit einer grundstürzenden Umwälzung unserer Verstandeswerkzeuge, des Instrumentariums unserer empfangenden und ordnenden Grundbegriffe abzuleiten ist. Immerhin hängt die letzte und allerdings schlechthin umstürzlerische dieser Folgen auf das genaueste mit den ersten, noch im engeren Sinn physikalischen Auswertungen der erfahrenden und beschreibenden Einzelforschung zusammen. Als noch lange vor allen diesen Entwicklungen, 1855, Ludwig Büchner seine volkstümliche, treuherzig-dickbalkige Na-

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Verursachtheit: Physikalische Voraussetzungen: Weltgeschehen.

turphilosophie schrieb, nannte er sie Kraft und Stoff, und so wenig die erfahrungsmäßigen Grundanschauungen, auf die er sie aufbaute, schon in den nächsten Jahrzehnten der vorwärtsstürmenden Wissenschaft genügen konnten, so sicher ist doch die fachmäßige Physik noch heute auf die Erforschung von Kräften und Stoffen eingestellt und die Encyklopädisten der Naturwissenschaften, die heute dem allgemeinen Wissensdrang wie Büchner ehemals dienen wollen, taten noch lange recht daran, die Formel Kraft und Stoff als die Losung heutiger Naturerkenntnis auszurufen. Heute nicht mehr!

Drittes Stück. Nicht S t o f f , nicht Kraft. Denn nun hat der letzte entscheidende Vorstoß der elektrophysischen Forschung einen Tatbestand erkennen lassen, der das Dasein eines Stoffes, einer Materie, in dem Sinn, mit dem ein Jahrtausende alter Gebrauch diese Worte verbunden hat, völlig in Frage stellt. Entspricht nämlich der Bau des Atoms auch nur den Grundsätzen der Bohrschen Lehre, dann besteht das Atom lediglich aus Elektronen und es bleibt in ihm für irgend einen noch so kleinen Bruchteil nicht-elektrischen Stoffes nicht der mindeste Platz. Das Atom-Modell von Niels Bohr läßt alle Verschiedenheiten des Elementen-Systems, d. h. aller auf der Erde vorkommenden Urstoffe, aus den Verschiedenheiten der Anzahl der Elektronen und aus denen der Anordnung der Bahnen, die sie beständig im Innern des Atoms durchlaufen, hervorgehen. Die Elektronen aber sind lediglich körperlich zusammenhaltende Ansammlungen von Elektrizität; als solche erfüllen sie die kleinsten Raumteilchen, die jeweils von ihnen eingenommen werden, die sie aber in beständigem Wechsel mit sehr großer Geschwindigkeit — im Höchstmaß 2898 Kilometer in der Sekunde — durcheilen. Aber von irgend einem Träger der elektrischen Erregung, die sie dem gerade von ihnen einge-

Infragestellung der Materie. Zusammengesetztheit.

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nommenen Raumteilchen mitteilen, ist niemals die Rede. Das Insgesamt der Ordnung, als die sich der neue Aufbau der Atome und der ältere Fund des periodischen Systems in dem von Niels Bohr hergestellten Zusammenhang darstellen, läßt einerseits erst beim Atom den Stoff oder, wie man sich zu sagen gewöhnt hat, die Materie beginnen, denn ihre nach annähernd 92 Grundstoffen geteilte Gliederung wird bedingt durch die innere Verfassung des Atoms. Die Elektronen aber, deren Zahl und Bahnenlauf diese Verfassung bestimmt, werden, wie man schon aus dieser Teilung annehmen muß, an und für sich nicht als Materie betrachtet, sondern, wie ihr Name besagt, als ElektrizitätsKorpuskeln, die erst durch ihre Vereinigung in mehrgliedrigen und auch sonst bestimmt angeordneten Verbänden Materie hervorbringen. Noch das Atom und das ihm nächst benachbarte und auch in der Größenordnung nicht allzu weit von ihm abweichende Molekül sind von so geringem Umfang, daß sehr beträchtliche Zahlen von ihnen sich zu Verbänden zusammenschließen müssen, ehe sich aus ihnen Körper der nächst größeren und dann freilich auch mikroskopisch sichtbaren Hauptstufe — etwa Kristalle im anorganischen, Zellen im organisch-biischen Reiche — bilden können. Und erwägt man dann, daß ein animalischer Körper von mittlerem Umfang, wie der des Menschen, aus 22 % Billionen Zellen besteht, so ermißt man wie ungeheuer glieder- und überdem auch stufenreich die Pyramide der unbelebten Dinge dort, der belebten Wesen hier ist, die sich von dem Tiefenreich der Urkörper her aufwärts aufbauen mußte, ehe die für Wesen unserer Art zunächst in Betracht kommende Ebene erreicht war. Eine lange Reihe immer mehr Urkörper zählender, immer reicher in Unterverbände gegliederter Zwischengebilde muß sich in stets wiederholtem Übereinander, in stets mehr Urbestandteile umfassendem Umfange auftürmen, bis die Spitze dieser Pyramide erstiegen ist, mit der wir nach der uns notwendig innewohnenden Ichmäßigkeit unseres Sehens uns selbst gleichsetzen.

360

Verursachtheit: Voraussetzungen: Nicht Stoff, nicht Kraft.

Die Ergebnisse der Naturforschung und ihres in Wahrheit die eigene Arbeit teilenden, das Bild der Welt immer von Neuem spaltenden Tuns mochten uns Laien noch bis zum Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts begreiflich bleiben, d. h. bis zu der Aufbohrung und Aufhellung des Balls des Weltgeschehens bis zu den Kerngebilden der Moleküle und Atome abwärts. Denn so unendlich klein und eben deswegen schwierig und unsicher zu erkennen uns diese Urkörper, die fast ein Jahrhundert lang als die einzigen und die letzt erreichbaren galten, erscheinen mochten, sie wurden uns doch dargestellt als Bruchteile des Stoffes, aus dem nach der Meinung aller der Jahrhunderte, in denen der menschliche Geist seine forschende Aufmerksamkeit überhaupt diesen Dingen zugewandt hatte, die Welt gebaut ist. Die Elektrophysik des zwanzigsten Jahrhunderts, Plancks scharfsinnige Lehre, Rutherfords im Größten glückliches Experimentieren, endlich Bohrs bauende und wahrhaft schöpferische Forscherphantasie haben diesem uns befriedigenden Zustand eines bis in den innersten Kern hinein gleichgearteten Weltbildes ein Ende bereitet. Denn so wenig die Physiker selbst den Abgrund, der sich vor ihnen auftat, voll gewertet haben mögen oder so wenig sie wenigstens sich über ihn ausgesprochen haben mögen, dem aufmerksam von außen und von weitem her diese Forschung und ihre Bedeutung für das Sein und für den Sinn der Welt prüfenden Auge kann doch nicht entgehen, daß hier die Auffassung der Welt als eines aus Stoff errichteten Baus zum ersten Mal versagt. Denn in dem nun erschlossenen innersten Kern des Weltgeschehens wurde wohl noch Geschehen, wurde noch Wirkung erkannt, aber weder ein Stoff, von dem diese Wirkung ausging, noch ein Stoff, an dem sie sich als wirkend bezeigte. Eine zweite Folgerung aber mußte dieser ersten auf dem Fuße folgen. Wurden die endgültig innersten Urkörper, die Elektronen, als in beständiger Bewegung befindliche und überdies völlig stofflose Wirkungszentren erkannt, so ist nicht mehr möglich von einem besondern, für sich bestehenden

Wirkungen ohne Stoff und Kraft.

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Antrieb in ihnen, der sie in Bewegung setzt und erhält und Kraft genannt werden möchte, zu reden. Ja es stoßen hier zwei Gedankengänge zusammen und lassen beide nur denselben Schluß zu. Denn auch die Eigenbewegtheit der Urkörper, von der schon so lange die Rede war, führt zwangsläufig zur Aufhebung des Begriffs Kraft, wenigstens in dem Sinn eines primären, von Anbeginn wirkenden Bewegers. Wenn, um eine Verbindung zwischen dem anorganischen und dem menschheitlichen Reich herzustellen und auf die Gleichläufigkeit der Formen der Eigenbewegtheit hinzu deuten, der für das eine geprägte Begriff Urkraft vorläufig auch für das andere angewandt wurde, so sei jetzt sehr nachdrücklich erklärt, daß ihm für die Elektronen seine Geltung abzusprechen ist. Für sie ist der Begriff Kraft um deswillen abzulehnen, weil neben der sie durchdringenden Eigenbewegtheit — man möchte sagen, sie sind überhaupt nichts anderes als Bewegtheit — gar kein Platz für eine besondere Triebkraft vorhanden ist. Aber auch den nächst höheren Verbänden, den Atomen und Molekülen, wird man schwerlich den Begriff Kraft als den einer sie bewegenden Triebfeder beimessen dürfen. Er gewinnt dann leicht die Nebenbedeutung eines sie, die an sich unbewegten, antreibenden und eines sie vorwärts stoßenden Bewegers im Sinne eines gleichsam in sie eingebauten Maschinchens und erinnert allzu sehr an jene im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts aufgestellte Lehrmeinung, die jedem Atom ein Ion als ein Reiterchen beigab, d. h. einen Träger der Elektrizität, der als causa movens den an sich unbewegten Körper mit sich reißen sollte, und die so schnell wieder aufgegeben wurde, als der Formgedanke der Elektronen auf dem Plan erschien und als im weiteren Fortschritt der Forschung viel tausend erfolgreiche Experimente seine Richtigkeit bestätigten. Nur dieser Vorbehalt muß aller der Kritik zum Trotz, die an dem Kraftbegriff auf Grund aller dieser Forschungen geübt werden kann, gemacht werden: so weit er nicht einen Beweger bezeichnen soll, der den von ihm bewegten, an

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Verursachtheit: Voraussetzungen: Nicht Stoß, nicht Kraft.

sich bewegungslosen Körper antreibt, sondern soweit er etwa nur die Summe der in einem Körper tatsächlich wirksamen und ihn immer weiter treibenden Bewegtheit — mit Einschluß seiner Eigenbewegtheit, aber auch die ihm etwa von außen her erteilten Verstärkungen der Bewegtheit mit umfassend — bedeuten soll, ist gegen seine Anwendung nicht das Mindeste einzuwenden und es steht zu vermuten, daß die physikalische Wissenschaft ihn oder den mit ihm das Gleiche meinenden Begriff der Energie noch lange in diesem Sinn benutzen wird, obwohl Mißverständnisse hier leicht das Bild verwirren können. Und noch ein zweiter Vorbehalt ist zu machen. An einem Ort läßt auch die letzte, die am kühnsten vordringende Physik sowohl Begriff wie Wesen der Kraft bestehen; das ist da, wo von Kraft nicht als einer bewegenden, sondern als einer anziehenden Antriebsform die Rede ist, d. h. also von derjenigen, die sich in der Gravitation, in Coulombs elektrischer Anziehung und in der magnetischen Folgeerscheinung dieser letzteren auswirkt. Soweit man also unter Kraft auch anziehende und nicht nur bewegende Kraft versteht, so dürfte die Setzung: Nicht Kraft, nicht Stoff nicht ohne Vorbehalt ausgesprochen werden. Als die für das Weltbild unserer Zeit gültige Losung darf sie doch angenommen werden, weil die bei weitem häufigste und zugleich dem Sinn nach bei weitem überwiegende Bedeutung, die w'r dem Wort Kraft innerhalb des anorganischen Reiches beilegen, immer nur auf jene aktive bewegende, nicht aber auf die passive anziehende Kraft erstreckt wird. Bezeichnend ist vor allem, daß der Ausdruck Energie, durch den man in diesem Reich das Wort Kraft ersetzt hat, um dieses dem organisch-biischen überlassen zu können, doch wohl durchgehends auf jene andere, auf die bewegende Kraft, nicht aber auf die anziehende Kraft angewandt worden ist. Deshalb bleibt der Satz bestehen, daß der Begriff Kraft in der auf diesen Blättern angewandten Bedeutung Urkraft

Fortbestehen der Anziehungskraft. Ästhetischer Eindruck.

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völlig auszuscheiden hat und ebenso in dem seit Jahrzehnten üblichen allgemeinen Sinn des Wortes Kraft, als der Triebfeder alles Weltgeschehens. Und so wird man mit Recht erklären können, daß an dem alten Lehrbau der naturwissenschaftlichen Gesamtanschauung vom Sein und Geschehen der Welt insbesondere im anorganischen Reich die beiden Säulen, die ihn trugen, zusammengebrochen sind. Weder sind die Bausteine, aus denen das Weltgebäude errichtet ist, so wie sie dachte, Stoffe, noch sind die Werkzeuge, die Triebfedern, welche das Weltgeschehen in Bewegung halten, Kräfte. Die Losung Kraft und Stoff, wie sie Ludwig Büchner meinte, ist in ihren beiden Bestandteilen hinfällig geworden.

Viertes Stück. Die Welt als Bewirktheit. Daß die Folgerungen, die aus den beiden neu aufgedeckten Tatbeständen — nicht Kraft, nicht Stoff — zweifellos sich ergeben, bis auf den heutigen Tag nicht gezogen sind, hat mehrerlei Gründe, die alle nicht eigentlich auf einem Versagen des wissenschaftlichen Sinns beruhen, sondern eher auf einem Herzudrängen anderer und ebenso berechtigter Sehweisen wie die einer allgemeinen Naturerkenntnis, die hier notwendig auf den Plan zu treten hat. Eine allgemeinste, nicht wissenschaftliche, auch nicht einmal allgemeinwissenschaftliche Regung macht sich zum mindesten bei den von außen auf diese Dinge Schauenden geltend: ein rein menschliches Fühlen gegenüber den Erfolgen der Wissenschaft, das im Grunde immer da sein sollte und in Wirklichkeit auch gar nicht so selten in aller Heimlichkeit sich im Herzen der Wissenschaft Genießenden regen mag, das aber in diesem Fall den tiefsten Anlaß hat sich geltend zu machen und das deshalb hier auch mit aller Macht zum

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Verursachtheit: Voraussetzungen: Die Welt als Bewirktheit.

Ausbruch kommt: es ist die Freude, die uns neu erobertes Wissen bereitet. In der Tat vollzieht sich ja hier ein schlechthin Ungeheures: vor unseren sehenden Augen entschlackt sich die Welt. Sie, die bisher von allen einseitig dem Geist Zugewandten geschmäht wurde, als befleckt von der Niedrigkeit und dem Schmutz der Materie, sie, die selbst uns, den die Erde Liebenden zuweilen als mit einem Rest zu tragen peinlich allzu nah verbunden erscheinen mochte, sie wird plötzlich von allen so bedenklichen Zutaten befreit: sie immaterialisiert sich. Das ist ein Schauspiel von zauberischer Macht: schon die Elektrizität, an der nichts häßlich ist als ihr Name, der allzu sehr an Straßenbahn, Zimmerklingel und andere Nützlichkeiten des gemeinen Lebens erinnert, die aber als die Urmacht der Natur, die sie ist, sich schon durch die silberne Klarheit ihrer Lichterscheinung würdig ankündigt, bedeutete, als sie in den Elektronen als Baustein der Welt erkannt wurde, eine Verklärung der Materie. Wird nun aber gar ein Zustand der Welt erkannt, der nicht Stoff noch Kraft als Gegenstände oder Quellen des Geschehens mehr erkennen läßt und an dem im Kernbezirk der Urkörper nichts wirklich ist als die Wirkung, so überkommt uns ein Gefühl, als ob wir, Wesen von Äther, in Äther schwebten, als ob wir ein aller Irdischkeit enthobenes Dasein führten, dem ähnlich, das der Glaube unserer Väter den Engeln droben in ihrem Himmelssaal zuschrieb. Und welch ein großes, gewaltiges Geistgeschehen begiebt sich da vor unseren staunenden Augen. Was anderes als Immaterialisierung des Weltbildes war denn in JahrhunderteReihen das Streben und die Sehnsucht aller Metaphysiker, aller derer, die eine Geistwelt über der Erdenwelt aufrichten wollten, sei es im Dienste des Glaubens, sei es in dem des frei bauenden Gedankens ? Und nun geschah das Seltsame, Unerwartete, daß dieselbe Naturforschung, deren beklagtes oder verfluchtes, oft bekämpftes und zum mindesten als fremd angestarrtes Werk das ganz irdisch aufgefaßte Weltbild war, das man, wenn nicht aufzulösen, so doch zu ent-

Entmaterialisierung der Welt durch Metaphysik und Physik.

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werten trachtete, mit ihren eigensten Werkzeugen, ihren strengsten Forschungsweisen, die unterste Schicht, den innersten Kern alles Weltgeschehens ihrer materiellen Greifbarkeit entkleidete. Es war, als wollte die Physik das Amt der Entstofflichung der Welt, das bisher unbestritten und allein in den Händen der Metaphysik gewesen war, dieser entfremden und, freilich auf ihre ganz andere Weise, sich aneignen. Doch rief die eine Seite dieses Geschehens so wie die andere, die ästhetische wie die geistesgeschichtliche, mehr den Eindruck eines großen Schauspiels hervor und blieb deshalb von den Physikern, die in unablässigem Vorwärtsdrängen nur immer weiter die Tatsachen erforschen und beleuchten wollten, nahezu unbemerkt; aber es giebt noch eine dritte Sicht auf diese Dinge und sie ist diejenige, um derentwillen hier von ihnen, wenn gleich nur andeutend, gesprochen werden muß. Wenn die Geschichtslehre, der das heut und hier vorgelegte Werk dient, für ihr eigenes, das geschichtliche Gebiet ganz allgemeine Fragestellungen und Antworten finden muß, so kann sie dann, wenn sie, wie hier geschehen soll, von der Naturforschung Belehrung für ihr eigenes Tun gewinnen will, diese nur von einer allgemeinen, von einer theoretischen Naturwissenschaft erwarten, deren Verhältnis zur erfahrenden und beschreibenden Forschung dem ihrigen entsprechen müßte. Eine solche ist zum mindesten in Deutschland zwar noch nicht zu starken und widerstandsfähigen Lehrgebäuden ausgestaltet, wohl aber im besten Werden und Wachsen begriffen — nur daß man sie nicht, wie wohl häufig geschieht, Naturphilosophie, sondern Naturlehre oder allgemeine Naturwissenschaft nennen sollte. Ihr würde durch die Zurechnung zur Philosophie ein Gepräge von aprioristischer, deduktiver Richtung oder wenigstens von Neigung zur Setzung im Voraus und zu von solchen ausgehenden Ableitungen gegeben, während sie doch nur, ganz wie die Geschichtslehre, als induktive, von dem festen Boden der sinnenmäßigen Wirklichkeit aufwärts bauende Erfahrungswissenschaft zu guten Erfolgen gelangen kann.

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Verursachtheit: Voraussetzungen: Die Welt als Bewirktheit.

Innerhalb einer solchen würden die Schlüsse, die hier gezogen werden sollen, nicht nur haltbare, sondern schlechthin notwendige Forderungen sein. Forderungen, die umso unabweisbarer herandringen, weil sie nicht nur das Was des Weltbildes, sondern ebenso sehr, ja noch mehr das Wie seiner Erlangung, die Werkzeuge seiner Erforschung angehen. Wie steht es denn: der Tatbestand, den die exakte Einzelforschung erkennen läßt, zeigt, daß unterhalb einer bestimmten Grenze des elektrophysischen Kernbezirks, daß innerhalb des Atoms keine eigentlich stofflichen Vorgänge mehr anzunehmen sind. Vorgänge zwar wohl, aber nicht solche, die stoffliche Körper, und seien sie auch noch so klein, zu Trägern haben, an oder mit denen sie sich vollziehen, noch solche, die von stofflichen Körpern hervorgebracht sind. Nach allen begriffsgültigen Gesetzen unseres Schließens giebt es angesichts dieser Beobachtungslage nur zwei Folgerungen: die eine, daß das Weltgeschehen sich zuweilen und zwar auch an einem die Mitte seines Bereichs ausmachenden und also denkbar wichtigen Punkte seinen Gesetzen, d. h. den Geschehensregeln, die wir an ihm beobachtet haben, entzieht und ihnen nicht folgt. Denn wenn wir von nichts mehr durchdrungen sind, als davon, daß in der Welt nichts ohne Ursache, d.h. ohne den bewirkenden Vorausgang eines andern Geschehnisses sich vollziehe, so gleichermaßen auch davon, daß die Welt von ihrem innersten Kern her aus Stoffen bestehe. Oder aber die andere Möglichkeit führt aus dieser an sich unlösbar scheinenden Schwierigkeit heraus: das ist die Erkenntnis, daß unsere Grundauffassungen vom Wesen der Welt irrig und unsere Erkenntniswerkzeuge zum Sehen der Welt verkehrt und einer tiefgreifenden Veränderung bedürftig sind. Die erste Möglichkeit kann in keiner Weise zugegeben werden; alle unsere Einzelerfahrungen von Welt und Wirklichkeit führen zu der Erkenntnis, daß ihr Geschehen einheitlich und unverbrüchlichen Regeln unterworfen ist. Die Annahme einer grundsätzlichen Durchbrechung dieser Regeln würde dieses unser Weltbild in Trümmer gehen lassen.

Versagen des Weltgesetzes oder Änderung unserer Sehweise.

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So bleibt nur die zweite Möglichkeit, daß wir unsere Sehweisen als nicht mehr zutreffend erkennen und andere an ihre Stelle setzen. Es findet sich, daß es Geschehensarten giebt, die nicht in den Zug irgend einer Verursachtheit zu stellen sind — doch davon soll erst später, wenn von der Lehre der Causae occultae zu reden sein wird, gehandelt werden. Zum zweiten aber, und das ist für den hier verfolgten Gedankepgang Ziel und Entscheidung: wir müssen einsehen, daß das Geschehen der Welt in seinem Kern nicht aus irgendwelchen Bewegungen von Stoffteilchen besteht, sondern aus einer Abfolge von Wirkungen. Mit andern Worten: d e Bewegtheit der Urkörper hat keinerlei, wenn auch noch so kleine Stoff-Teilchen zu Trägern, sondern besteht nur aus Wirkungen. Und diese Wirkungen sind nur einseitig, insofern sie zwar von den von ihnen betroffenen oder aus ihnen gebildeten Körpern gleicher oder höherer Größenordnung empfangen werden, nicht aber eigentliche Handlungen sie ausübender Urkörper darstellen. Die Elektronen sind passive Ereignisse an dem Objekt des Weltraums, nicht aber als aktive Urkörper Subjekte eines Geschehens: sie sind genau genommen Bewirktheiten, nicht Wirkungen. Doch bleibt diese Umänderung des Bildes vom Weltgeschehen nicht auf den Kernbezirk der Urkörper beschränkt; denn da ja die Körper aller höheren Ordnungen von den Atomen und Molekülen aufwärts nur Verbände von Urkörpern sind und zwar bis zu den größten Einheiten des anorganischen Reiches, etwa den Weltkörpern der Gestirne, oder bis zu den größten Einheiten der organisch-biischen Welt, denPflanzen- und Tierleibern hinauf, so kann auch deren Geschehen, das sich unserem bisherigen Sehen als ein unbedingt und greifbar stoffliches darstellt, nichts anderes sein, als eine, wenn auch in zahlreichen Schichten aufgetürmte, in noch mehr Formen zusammengefaltete Einheit von Bewirktheiten, d. h. also wiederum von einseitig erduldeten, objektiv erlittenen Vorgängen, nicht aber von Handlungen aktiver Körper-Subjekte.

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Verursaohtheit: Voraussetzungen: Die Welt als Bewirktheit.

Kein Zweifel, die Welt wird so zu einem Insgesamt von erlittenen Eindrücken, von erduldeten Geschehnissen und nicht mehr von sich ausübenden Handlungen wahrhaft stofflicher Körper. Am Anfang aber steht eine unverursachte Wirkung, die, wie aus dem Nichts geboren, den unendlich verzweigten Stammbaum von Geschehensformen, den wir die Welt nennen, aus sich hat entstehen lassen. Man wird sagen dürfen: die Welt ist Bewirktheit ohne Ursache. Und da sie zugleich ein Geschehen, ein Ding ohne Stoff ist — was freilich schon in der Aussage »Die Welt ist Bewirktheit« begriffen liegt — so werden an unser Denken, das in so ganz anderer Richtung sich zu bewegen gewohnt ist, allerdings harte Forderungen gestellt.

Fünftes Stück. Die Welt als Wirkung. Noch aber ist der hier verfolgte Gedankengang gar nicht am Ziel dieser Reihe von Rätseln angekommen. Wenn bisher das anorganische Urgeschehen als eine Summe von Bewirktheiten gekennzeichnet wurde, so könnte man es mit demselben, ja vielleicht mit noch besserem Recht als eine Summe von Wirkungen betrachten und von der Welt als Wirkung lieber noch als von der Welt als Bewirktheit reden. Das erscheint auf den ersten Blick schwankend und unklar, ist es aber in Wahrheit nicht, weil die Doppeldeutigkeit, die sich allerdings in dem Nebeneinander dieser beiden entgegengesetzten und sich ergänzenden Begriffe ausdrückt, ihren Grund nicht auf der Seite von uns, den Betrachtenden hat, sondern tief in dem Wesen dieser geheimnisvollsten von allen Formen des Weltgeschehens verwurzelt ist. Zu einem Teil ist freilich auch wie so oft in den peinlichsten Verlegenheiten unserer Wissenschaften die Armut unserer Sprache schuld. Wirkung heißt in ihr ein Doppeltes: einmal objektiv,

Wirkung und Bewirktheit.

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gegenstandhaft somit noch Bewirktheit, zum Zweiten aber subjektiv, täterhaft: Wirkung im engeren Sinne des Wortes, d. h. also ein Hinüberwirken von einem Ding oder Geschehen auf das andere. Wenn hier zunächst von Wirkung im Sinne von Bewirktheit die Rede war, so entspricht dies durchaus unserem Sprachgebrauch, der in der Tat überwiegend oft unter Wirkung Bewirktheit verstanden haben will — man denke nur an das in hundert Anwendungsformen benutzte Begriffspaar: Ursache und Wirkung. Der sachliche Grund aber für diese Bevorzugung des zweiten Begriffs, der Bewirktheit also, ist die Absicht, dem Urteil der gegenwärtigen Menschen den Übergang zu der an sich für uns schwierigen Weltsicht zu erleichtern, die von uns verlangt, eine stofflose und zugleich ursachenlose Wirklichkeit anzunehmen. Diese Erleichterung soll dadurch bewirkt werden, daß zunächst der Körperbegriff als eine Unentbehrlichkeit ausgelöscht wird. Das noch an den Stoff gebundene Weltbild benutzt aber den Körper zunächst und am öftesten als Träger aller Bewegung, aller Handlung. So kommt es, daß die heute notwendige Verteidigung eines stofflosen, nur auf Wirkung beruhenden Weltbildes zunächst den Körper als Träger von Handlung, mithin auch von handelnder, aktiver Wirkung beiseite zu schieben trachtet, d. h. von Wirkung zunächst und vorläufig ausschließlich als Bewirktheit redet. Das war hier getan. Aber sobald man dem Wort Wirkung das volle Kreisrund seiner Bedeutung verschaffen möchte, sobald man, was wichtiger ist, die volle Wesenheit des Geschehens Wirkung ausschöpfen will, muß sich ergeben, daß mit einer Deutung auf Bewirktheit doch nur die eine Seite dieser Wesenheit erfaßt ist und daß Wirkung in dem engeren Sinn des handelnden, des aktiven Wirkens aus den stärksten Gründen gerade der hier vertretenen Weltsicht noch viel "weniger entbehrt werden kann, als Bewirktheit. Denn Wirkung als ein handelndes, aktives, von dem wirkenden Geschehen als Subjekt ausgehendes zweites GeB r e y s i g , N a t u r g e s c h i c h t e lind M e n s c h h e i l s g e s c h i c h t e .

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Verursachtheit: Voraussetzungen: Die Welt als Wirkung.

schehen ist ja recht eigentlich das Gepräge der Eigenbewegtheit, von der die auf diesen Blättern vertretene Anschauung des anorganischen Reiches ausgeht; es gibt nichts aktiveres, subjekthafteres, nichts handlungs-, nichts täterhafteres als Eigenbewegtheit. Wie sollte hier also dem Begriff Wirkung gerade diese Hälfte seiner Bedeutungsmöglichkeiten abgesprochen werden. Es wäre um so weniger statthaft, als die Geschehensform Wirkung ja eben an den Urkörpern, den Elektronen, diejenige Form der Eigenbewegtheit in sich schließt, auf die es als die anfänglichste und zugleich grundsätzlichste am meisten ankommt. Ereilich werden auch die Schwierigkeiten, die der Tatbestand an sich unserem Denken bereitet, durch diese Feststellungen um ein beträchtliches gesteigert. Das innerste Urgeschehen und damit doch im Grunde alles Geschehen der Welt überhaupt ist ein stoffloses und ursachloses; es ist ein Geschehen, das sich als Bewirktheit am Weltraum d. h. an einer Naturgegebenheit äußert, die nur Bühne ist, nicht aber selbst Schauspiel, nur Rahmen, nicht Bild, insofern sie stofflos ist. Diese Äußerung ist eine objektive, gegenständliche, noch genauer eine objektivierte, vergegenständlichte. Der Weltraum, selber ein stoffloses Nichts, erleidet eine Wirkung, es findet also eine Bewirktheit statt. Daß den Weltraum, so wie die etwas ältere, wenngleich auch heute noch vielfach vertretene Lehrmeinung1 wollte, durch den immerhin stoff haltigen Äther zu ersetzen, eine von der herrschenden Physik verlassene Stellung ist, sei hier nur zur größeren Sicherheit nebenher bemerkt2. Aber zugleich muß die Geschehensform Wirkung als eine im höchsten Maße aktive, handelnde, also als Wirkung im engeren Sinn des Wirkens aufgefaßt werden. Sie ist die causa movens, die Endursache alles Geschehens, mithin die aktivste Aktion, die tätigste Tat; aber sie ist selbst nicht durch irgendein anderes Geschehen her aufgerufen. Stofflos und !) Vgl. z. B. Wulf, Lehrbuch der Physik (a 1929) 503 ff. 2 ) Planck, Mündliche Mitteilung.

Wirkung als Endursache des Geschehens. Begriö der Masse.

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doch die Grundlage legend für alles Geschehen und Sein, das von uns als Stoff angesehen wird, alles Geschehen verursachend und selbst ursachlos, uns die im Geist das Weltgeschehen Erlebenden als Wirklichkeit bewirkend und selbst im Grunde wirklichkeitslos: Urrätsel der Welt.

Sechstes Stück. Entwirklichung des Stoffes. In der geistigen Not, in die wir durch diesen Zwang zu einer völlig neuen und jeder gewohnten Weltsicht durchaus entgegengesetzten Denkweise geraten, schauen wir uns nach Seitenstücken um, die uns hier, sei es den ganzen Weg oder den halben bis zu einer ähnlichen Begriffsbildung führen und durch ein so beschaffenes Musterbild uns über die Schwierigkeit einer so unerhörten Annahme hinweghelfen könnten. In der Tat giebt es im Bereich der Physik Geschehensformen, die nicht allein dem Begriff der reinen und ursachlosen Wirkung als Gleichnis an die Seite gestellt werden können, sondern ihm ihrem Wesen nach noch etwas näher gerückt erscheinen. Es ist vornehmlich der Begriff der Masse, der hier in Betracht kommt; dieser, der, wie uns Laien eigens stark ins Gedächtnis gerufen werden muß, nicht etwa mit dem des Gewichtes sich deckt1, wird so umgrenzt: Masse wird an einem von außen in Bewegung gesetzten Körper diejenige Eigenschaft genannt, durch die die von einer solchen Einwirkung ausgehende Beschleunigung herabgesetzt wird. Von dieser Begriffsumgrenzung muß nebenbei bemerkt werden, daß sie nicht eben durch die Klarheit ihres Baus ausgezeichnet ist: denn die Masse wohnt ja doch dem Körper, *) Doch wird die Erkenntnis dieses Tatbestandes dem von außen Kommenden nicht eben erleichtert, wenn ein Lehrbuch, im selben Atemzug in dem es sie überliefert, mitteilt, daß die Masse nach Grammeinheiten ( g ) eingeteilt wird. (Wulf, Lehrbuch der Physik

[•1929] 32).

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Verursachtheit: Voraussetzungen: Entwirklichung des Stoffes.

von dem ihr Maß ausgesagt wird, auch im unbewegten Zustand inne und diese Tatsache müßte von einer gut gebauten Begriffsumgrenzung berücksichtigt sein1. Im Gegensatz *) l o h würde, wenn ich zu einem solchen U n t e r n e h m e n berechtigt wäre, f ü r besser h a l t e n zu sagen: Die Masse eines K ö r p e r s ist das Beharrungsvermögen, d a s i h m zwar auch im unbewegten Z u s t a n d innewohnt, sich a n i h m aber noch nicht b e m e r k b a r m a c h t , d a s durch Wägen gemessen werden k a n n , wenn m a n sein Gewicht d u r c h die v o n der Anziehungskraft der E r d e ausgehende Wirkung dividiert u n d d a s d a n n , w e n n der K ö r p e r durch eine v o n a u ß e n auf ihn ausgeübte Einwirkung in Bewegung gesetzt wird, a n der v o n i h m ausgehenden Verringerung der ihm mitgeteilten Geschwindigkeit e r k a n n t u n d bemessen w e r d e n k a n n . Die oben b e n u t z t e Begriffsumschreibung s t e h t bei Wulf (Lehrbuch der Physik [ a 1929] 32) u n d ich f a n d sie b r a u c h b a r e r als a n d e r e (vgl. z. B. Auerbach, W ö r t e r b u c h der P h y s i k [1920] 274). Ü b e r h a u p t möchte einem v o n a u ß e n k o m m e n d e n Benutzer des physikalischen Schrifttums die B e m e r k u n g v e r s t a t t e t sein, d a ß die v o n diesem geformten Begriffsumgrenzungen augenfällig häufig eine D u r c h a r b e i t u n g u n d E r n e u e r u n g verlohnen würden. D a bis z u m heutigen Tage die Wissenschaftslehre, d. h. also eine Regelsetzung f ü r Wie u n d Weg der Forschung, zu d e n a m meisten vernachlässigten Wissenschaftszweigen gehört, so fehlt es d u r c h a u s a n einer Methodik der Definitionen, einer Anweisung f ü r d e n Aufb a u v o n Begriffsumgrenzungen. Vor allem sollen sie nicht v o n der Meinung beherrscht sein, den sie B e n u t z e n d e n sei ihr I n h a l t u n d ihre Absicht im voraus b e k a n n t . Sie dürfen auch nicht die ganze Wissensfülle des Sachbezirks, d e m sie angehören, voraussetzen, sondern sie sollten immer a u c h einem lediglich allgemein wissenschaftlich Geschulten d e n vollen von ihnen u m f a ß t e n T a t b e s t a n d d e u t l i c h machen. Sie sind n u r d a n n v o n solcher Verpflichtimg zur Vollständigkeit e n t b u n d e n , wenn sie als Bausteine Teilbegriffe benutzen, die im Zuge ihrer eigenen Darlegung zuvor schon abgegrenzt worden sind, auf die sie also verweisen können. W a s a n Wulfs Begriffsumgrenzung meines E r a c h t e n s zu bemängeln ist, geht aus d e m oben gegebenen Versuch einer a n d e r e n Fassung hervor, aber noch m e h r E i n w ä n d e mögen gegen die v o n Auerbach gegebenen Formulierungen geltend zu m a c h e n sein. Dieser, sonst ein Meister in der K u n s t , die Ergebnisse einer Wissenschaft a n noch zu Belehrende zu überliefern, sagt noch an einem zweiten Ort (Die Grundbegriffe der modernen Naturlehre [ 4 1917] 65): Masse n e n n t m a n d e n Widerstand der K ö r p e r gegen die Bewegung,

Die Frage nach dem Wesen der Masse u. die Elektronenlehre.

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zur Masse wird dann der Begriff des Gewichts dahin umgrenzt, daß es die Masse darstellt, vervielfacht mit der Beschleunigung, die demselben Körper durch die Schwerkraft widerfährt1. Was nun aber die Masse anlangt, so wird durch die hier benutzten Begriffsumgrenzungen, die noch ganz und gar der Sehweise der Mechanik, von der aus sie aufgestellt sind, entsprechen, zwar ein schwer greifbares Geschehen umschrieben — eine potentielle, nur im Falle der Inanspruchnahme einsetzende, sonst aber nicht sich auswirkende Kräftespannung wird als seine Trägerin gekennzeichnet — aber damit wird im Fall dieses Tätigwerdens eine Wirkung, d. h. ein stoffloses Aufspringen von Geschehen, wenigstens zur Hälfte behauptet. Denn der von außen kommende Anreiz zu diesem Tätigwerden ist eine halbe Ursache. Immerhin ist damit schon eine halbe Wirkung gegeben. Doch hat sich dann, als die neue Elektronenlehre mit der Frage nach dem Wesen der Masse verbunden wurde, ein weiterer Fortschritt in der Richtung zur stofflosen Wirkung hin vollzogen. Die neuere Forschung kommt zu der Auffassung, daß die Masse scheinbare Masse sei und daß die Erscheinungen, die an einem Atom von ihr ausgehen, lediglich von der elektrischen Ladung seines positiven Kerns ausgehen. Und wenn nun auch noch des weiteren erklärt wird, daß die negativen Elektronen nur scheinbare Masse besitzen, so ist 2 , wie man sieht, wenigstens eine Strecke des Weges zurückgelegt, der bei folgerichtiger Weiterbildung dieser Geden Faktor, mit dem man die Geschwindigkeiten, die sie annehmen, multiplizieren muß, um immer dasselbe Produkt (die Muskelanstrengung) zu erhalten. Oder aber: Massen zweier Körper sind die Zahlen, die sich umgekehrt verhalten wie die Beschleunigungen, die sich diese beiden Körper gegenseitig erteilen, wenn sie in Wechselwirkung treten (ebenda S. 84). Namentlich die zweite Formel leidet wohl daran, daß sie einen Sonderfall beschreibt, nicht aber eine Gesamterklärung giebt. Berliner, Lehrbuch der Physik ( 3 1924) 18. 2 ) So Graetz, Die Atomtheorie («1925) 46, 45.

374

Verursachtheit: Voraussetzungen: Entwirklichung des Stoffes.

danken bis zu dem Ziel der auf diesen Blättern vertretenen Auffassung von der stofflosen Wirkung hinleitet. Freilich sind es nur die ersten Schritte, die auf dieser Bahn zurückgelegt wurden, denn derselbe Gelehrte, der diese Meinung vertritt, läßt von der überlieferten Vorstellung vom Stoff so wenig ab, daß er erklärt, die positiven Elektronen des Kerns seien stets an die »Atome der Materie« gebunden. Er bezweifelt mithin ebenso wenig die Verursachtheit der Elektronen wie das Vorhandensein des Stoffes 1 . Der Forscher, der diese mittlere Stellung einnimmt, bezeichnet die von ihm vertretene Meinung als sehr kühn — und sie ist es auch gewiß, gemessen an der überlieferten Lehre — insofern sie die Masse, die man bis dahin für das Realste auf der Welt gehalten hat, für nur scheinbar erklärt. Noch kühner aber ist zweifellos die Leugnung des Stoffes, wie sie auf diesen Blättern vertreten werden soll. Und doch ist sie nur das folgerichtige Ergebnis einer Auswertung der von der physikalischen Forschung enthüllten Tatbestände. Denn die Materie, an die jener Forscher noch glaubt, ist ja nach Bohrs Lehre nichts anders als die Zusammenballung der stofflosen Elektronen im Atom, mit dem erst der »Stoff« zu existieren beginnt. Die Materie ist eine Geformtheit dieser an sich aus unstofflichen Vorgängen zusammengesetzten Geschehensballungen, nicht etwa eine neue, gröblichere, irdischere Daseinsart. 1

) Graetz, Atomtheorie 6 46, 34. — In einigem Widerspruch dazu steht dann freilich der Satz, der die Verbundenheit des Elektrons mit Materie leugnet. Irgendwelche Schlußfolgerungen im Sinne des obigen Textes werden auch hier nicht gezogen. (Atomtheorie 6 28). Noch näher der oben vertretenen Anschauung kommt die Fassung, die in dem Chowlsonschen Lehrbuch diesem Gegenstand gegeben ist: daß ein positiv geladenes Atom nicht ein materielles Atom sei, sondern daß die Masse eines solchen Atoms ganz wie die des negativen Elektrons nur scheinbare Masse sei. Doch werden aus dem Tatbestand, der doch wahrlich verwunderlich genug ist, nicht die mindesten Folgerungen gezogen. (Chwolson-Schmidt, Lehrbuch der Physik II 2 [ a 1922] 9, 7f.).

Entmaterialisierung der Welt.

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Der allgemeinen Naturwissenschaft, der Endophysik, wie sie hier genannt -wird, gelingt, was die Metaphysik, die vom Begriff herkommende Daseinswissenschaft immer erstrebt, nie erreicht hat: die Entschlackung, die Entmaterialisierung der Welt, wenngleich in einem viel wirklichkeitsnäheren, welthafteren Sinn, als jene sie wollte. Und es sind nicht nur Folgerungen für das Insgesamt des Naturgeschehens, die sich aus dieser an sich sehr allgemeinen Setzung ziehen lassen; es giebt auch Sonderfragen der Physik, denen von dem durch sie gewonnenen Standpunkt eine neue Beleuchtung zu Teil wird, und Rätsel, die sich jeder Lösung zu entziehen schienen und die nun gewissermaßen von innen her beseitigt erscheinen. Als ein Stein des Anstoßes mußte Jahrzehnte hindurch dem denkenden Physiker und erst recht jeder deutenden und ordnenden Naturlehre der Äther gelten. Man hat ihn zu einer Zeit erfunden, als die Grenzen zwischen Materie und Elektrizität noch weit weniger scharf gezogen waren, aber immer war er im Grunde das Erzeugnis einer Verlegenheit. Schon die Erscheinung des Lichts, das den Raum mit der größten von allen bekannten Geschwindigkeiten durcheilt, verlangte eine Erklärung dafür, was es denn sei, was da leuchte. Nahm man einen vollkommen stoffleeren Weltraum an, dann mußte das Licht als aus einem irgendwie körperhaften Geschehensträger bestehend gedacht werden. Nahm man aber einen noch so dünn im Raum verbreiteten Stoff als ihn erfüllend an, so war nötig, diesen in Beziehung zu den bekannten Körpern zu setzen. Zu dem ersten Ausweg war man umso weniger geneigt, je weniger man bereit war, den Lichtstrahlen eine körperhafte Natur zuzugestehen, den zweiten aber zuzulassen standen hundert Widersprüche im Wege. Eine Auffassung, die, wie die hier vertretene, das elektrische Geschehen der Urkörper, zu denen auch die Strahlen gerechnet werden dürfen und müssen, als ein vom Stoff befreites reines Wirken auffaßt, bedarf dieser Auswege überhaupt nicht, des einen so wenig wie des anderen: im

376 Verursachtheit: Schranken: Begrenzung durch Eigenbewegtheit.

Gegenteil, sie wird durch das Beispiel eines gesichert stofflosen Geschehens, wie es das Hineilen der Elektronen und Strahlen durch den leeren und ebenso stofflosen Kaum darstellt, noch eigens nachdrücklich bestätigt.

Zweiter Abschnitt. Die Schranken der Yerursachtheit im anorganischen Reich. Erstes Stück. Die

Begrenzung der Verursachtheit Eigenbewegtheit.

durch

die

Ob die Geschehensform der reinen stofflosen Wirkimg in ihren Anfängen durch ein Geschehen anderer Art vorbereitet und also verursacht worden ist, das ist eine Frage, die kaum aufzuwerfen, jedenfalls aber nicht zu beantworten ist. Sind aber Vermutungen erlaubt, so wird anzunehmen sein, daß wie dem Wesen der Welt die Unendlichkeit des Raums, in den sie gestellt ist, und die Ewigkeit der Zeit, die ihrem Ablauf zukommt, am meisten gemäß ist, die stofflose Wirkung, die als innerste und fast einzige Art des Weltgeschehens anzusehen ist und die sich als eine fortgesetzte Reihe von Ausformungen des elektrischen Urzustandes der Welt in immer neuen Weisen darstellt, ebenfalls den unendlichen Raum als ihren Schauplatz und die unendliche Zeit als ihre Dauer voraussetzt. Ob, wie bedeutende Physiker wollen, Naturphilosophen fordern, hierbei ein Wechsel von Aufbau- und Abbau-Kurven anzunehmen ist, bleibe hier unerörtert. In ein Gebiet sehr viel sichrerer Wertungen des Weltgeschehens tritt die Beobachtung dieser Dinge dann, wenn sie das Wesen dieses Geschehens in den vor unseren Augen sich vollziehenden, sichtbaren Verläufen erkunden will. Und hier stellt sich ein Ergebnis heraus, das an Wichtigkeit dem

StoSlose Wirkung ursachlos. Verursachung und Mechanik.

377

Satz von der Welt als Wirkung kaum nachstellt: es ist die Einschränkung der Herrschaft des Verursachtheitsgedankens, des Kausalismus, die zunächst für das anorganische, dann auch für das organisch-biische, zuletzt für das menschliche Reich in unserem Weltbild sich als zwangsläufige Folgerung herausstellt, sobald man nur die Geschehensform der Eigenbewegtheit in dem vollen Umfang ihrer Geltung erkennt und anerkennt. Solange die Physik nur Mechanik war und auf die Beobachtung der greifbaren groben Festkörper angewiesen war, hat sie die Anschauung von der Verursachtheit in jener Staccato- und Stoßform, von der schon die Rede war, ausgebildet und ausbilden müssen. Ja man wird, wie ebenfalls bereits berührt wurde, annehmen müssen, daß die Lehre von der Verursachtheit alles und jedes Geschehens zum mindesten in ihrer Allgewalt lediglich in den elementarsten Beobachtungen der Mechanik ihren Ursprung hat. Umso notwendiger ist, aus dem in diesem Betracht völlig geänderten Weltbild die Folgerungen zu ziehen, die sich für den Verursachtheitsgedanken im Allgemeinen, d. h. als ausnahmslos angewandtes Hilfsmittel der Erklärung aller Geschehensfolgen, ergeben, wenn man die Eigenbewegtheit in ihrem Verhältnis zu einer Überzahl von Einzelfällen und Einzelformen der GeschehensVerkettung prüft. Das anorganische Reich stellt sich als besonders geeigneter Gegenstand für solche Prüfung dar. Denn alle Bewirkungen, die sich in ihm zwischen den Körpern vollziehen, sind zum mindesten für die Sehwerkzeuge heutiger Forschung sehr viel klarer erkennbar, als die im organisch-biischen Reich, deren Zusammenhänge durch ihre Verflochtenheit und ihre Verborgenheit so oft schwer durchdringlich gemacht sind, oder gar als die im menschlichen, deren überwiegend seelische Beschaffenheit sie dem Auge des Forschers noch durch tausend neue Verwicklungen, durch tausend neue Hüllen und Schleier entzieht. Es ist nicht von ungefähr, daß führende Physiker sich so häufig und eingehend um den Fragenzusammenhang

3 7 8 Verursachtheit: Schranken: Begrenzung durch Eigenbewegtheit.

der allgemeinen Verursachtheit, der weit über die sonst von ihnen peinlich innegehaltenen Grenzen ihres Arbeitsbezirks hinausreicht, bekümmert haben. Schon seit geraumer Zeit war möglich, vorauszusagen, daß von dem Standort der Physik aus am ehesten die Dunkelheiten der Verursachtheitsfrage aufzuhellen möglich sein werde1. Man möge entscheiden, ob der hier angestellte Versuch, einen Teil dieser Aufgabe zu lösen, der damals schon vorschwebte, gelungen ist. An der alten, aus der Frühzeit der Physik herstammenden Verursachtheitslehre ist dies für unseren an den Ergebnissen der Elektrophysik geschulten Blick das Auffälligste: die Vielfachheit und Zerspaltenheit des Geschehensbildes, von dem sie ausgeht. Das der Ausbildung des Vorstellungskreises von Ursache und Wirkung zu Grunde liegende Urbild ist das von der Mechanik wie eine Selbstverständlichkeit dargebotene, eine Abfolge von Stößen, die von Körper zu Körper sich fortpflanzend die Kette von Geschehnissen entstehen läßt, als die schließlich jede Geschehensreihe in den damals bekannten Bezirken des anorganischen Reichs sich darstellt. Ganz anders die Elektrophysik unserer Gegenwart: sie stellt das im innersten Kernbezirk des anorganischen Reiches, zu tiefst innerhalb des Atoms sich vollziehende Geschehen in der Form eines unaufhörlichen und unendlich beschleunigten Kreisens der kleinsten Urkörper, der Elektronen dar. Und eben diese Form eines unaufhörlichen Geschehens ist es, die den Unterschied zwischen dem alten Bild, das dem mechanischen Geschehen, d. h. also dem Verhalten der groben Festkörper entstammt, und dem anderen bedingt, das dem elektrophysisch bestimmten Ursachenbegriff vorschwebt. Sie ist es, die mit dem Gedanken der Eigenbewegtheit auch den der Unverursachtheit für einen, vielleicht den überwiegenden Teil aller Geschehensverkettungen eingeben muß. Wenn die den Urkörpern innewohnende Bewegtheit an *) In dem Aufsatz: Die Kulturgeschichte in dem Unterricht der höheren Schulen (1926) Heft 9 S. 24.

Weltbild der Elektrophysik, unaufhörliches Geschehen.

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ihnen selbst und allen Zusammenballungen von ihnen, d. h. also an allen Körpern, die einzige Art ist, in der sich uns das Weltsein darstellt, das eben in Wahrheit nie ein WeltSein im Sinn starren Verharrens, sondern immer nur ein Weltgeschehen im Sinne beständiger Bewegtheit ist, dann wird für alle Teile dieses Geschehens, an denen sich nichts anderes als eine Reihe dieser Eigenbewegtheiten wahrnehmen läßt, Begriff und Wesen einer Verursachtheit im Sinn der mechanischen Ursachensicht überflüssig. Ein unaufhörliches Geschehen bedarf, da es nicht aus Stößen und auf einander prallenden Bewirkungen besteht, keiner Ursachenvorstellung mehr zu seiner Erklärung. Es könnte scheinen, als würde durch die Aufstellung einer solchen Entwicklungskonjektur, einer Vermutung also darüber, wie der Verlauf eines geistesgeschichtlichen Geschehens sich gestaltet hätte, wenn die wissenschaftlichen Ereignisse sich in einer ganz anderen Abfolge in der Zeit geordnet hätten, als sie in der Wirklichkeit der Geschichte eintrat, der Zuständigkeitsbereich geschichtswissenschaftlicher Betrachtung überschritten. Doch ist dies in Wahrheit nicht der Fall. Denn wenn man erklärt, daß auf dem Grund der physikalischen Erkenntnisse von 1913 die Ursachenlehre des siebzehnten Jahrhunderts — die ja ohnehin im Grundsatz schon ein zwei Jahrtausende altes Erbgut war —sich nie hätte halten können, daß also zur Zeit Newtons eine ganz andere Verursachtheitslehre sich ausgebildet haben müßte, so sollen ja durch eine solche Unterstellung, nicht die Zeitalter und ihre notwendig ganz verschiedenen Lehrmeinungen durcheinander gewürfelt werden, wovon man sich allerdings wenig Nutzen versprechen könnte, sondern es soll damit darauf hingewiesen werden, wie völlig die damals gültige und bis auf den heutigen Tag noch festgehaltene Verursachtheitslehre mit der damals allein vorhandenen rein-mechanischen, vorelektrischen Physik verbunden ist. Es soll dergestalt nur auf einem etwas anschaulicheren Umweg erkennbar gemacht werden, daß das von der physikalischen Wissenschaft des be-

3 8 0 Verursachtheit: Schranken: Begrenzung durch Eigenbewegtheit.

ginnenden zwanzigsten Jahrhunderts geschaffene Wissenschaftsbild eine Verursachtheitslehre, wie sie damals erst recht fest geprägt wurde, gar nicht hätte aufkommen oder fortbestehen lassen können. Umso notwendiger muß sie heute, da diese so tief veränderte Grundlage geschaffen wurde, einer Durchprüfung und Umwandlung unterzogen werden. Ganz stark aber setzt sich so der Eindruck durch, daß ein Naturgeschehen wie dieses weder für sich selber, noch als Ur- und Vorbild für das biische oder gar das menschheitliche Weltbild Anlaß für die Ausbildung der Verursachtheits-Sicht der überlieferten Form gegeben haben würde. Es ist der Kausalismus selbst, die Vorstellung von der Verursachtheit alles Geschehens selbst, die durch diesen neuen Fortschritt des physikalischen Erkennens erschüttert oder zum wenigsten in ihrer Tragweite beschränkt worden ist. Es darf aber von diesen Zusammenhängen zwischen der Bewegtheitslehre, die sich aus den Ergebnissen der Elektrophysik von heute und dem Verursachtheitsgedanken ableiten lassen, nicht die Rede sein, ohne daß hier noch einmal jener Tatbestände gedacht wird, die noch eben unter der Losung die Welt als Wirkung zusammengefaßt wurden. Sieht man, wie dargelegt wurde und wie unausweichlich ist, die Urkörper der Elektronen als wandernde Wirkungszentren, als nicht — genauer gesagt: noch nicht — aus Stoff bestehende Körper an, so läßt sich von dieser Feststellung her der Verursachtheitsgedanke alter, mechanistischer Prägung völlig erschüttern. Denn die Wirkung, wie sie hier als heute noch schwer begreifliche, weil unseren mehrtausendjährigen Denkgewohnheiten widersprechende Geschehensform umschrieben wurde, muß als ursachenlos, als selbst nicht bewirktes Wirken angesehen werden, d. h. als von jeher im Gang befindliches, nach rückwärts in die Vergangenheit, wie nach vorwärts in die Zukunft hinein als unaufhörlich anzusehendes Geschehen. Dem Stoff, der als Träger des Weltgeschehens verdrängt wird durch die Wirkung, wurde von der physikalischen Wissenschaft der letzten Jahrzehnte ein ebenso begrenzt

Wandernde Wirkungszentren.

Unendlichkeit der Wirkung.

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gegebenes, aber auch unveränderliches Wieviel zugeschrieben wie der Kraft. Man hätte neben das Gesetz von der Erhaltung der Kraft ein Gesetz von der Erhaltung des Stoffes stellen können. Nun aber, da an die Stelle des Stoffes die Wirkung gesetzt wird, da die untersten Urkörper, die Elektronen als wandernde Wirkungszentren angesehen werden und die Elektronen wiederum als die Bausteine der Welt zu gelten haben, könnte man ein Gesetz von der Erhaltung der Wirkung aufstellen. Der Unendlichkeit des Raumes, der Unendlichkeit der Zeit, muß als die eigentliche Substanz des Weltgeschehens eine Unendlichkeit, d. h. eine weder zeitlich noch räumlich begrenzte Ausdehnung der Wirkung entsprechen. Eine solche Ausdehnung der Wirkung aber, die sich für unser Sehen und Empfinden als der ebenso unendliche Stoff darstellt, hebt aber — dazu bedarf es keines Wortes der Begründung — die Notwendigkeit nach irgendwelchen Verursachungen zu forschen, für einen Großteil alles Geschehens auf. Denn ganz wie sich die gleiche Folgerung für die Eigenbewegtheit ergibt, so erschließt sich auch für die Wirkung in ihrer Allverbreitetheit die Forderung, daß der Grundstock jedes anorganischen Geschehens irgendeines weiteren Antriebes zu seinem Geschehen, d. h. seiner Bewegtheit nicht bedarf. Denn da eine Wirkung, die nicht in Bewegung sich äußert, kaum vorstellbar ist, so ergiebt sich jene alte, schon für die Eigenbewegtheit zu ziehende Forderung noch einmal: daß der alte mechanistische Verursachtheitsgedanke an seinem Geltungsbereich eine beträchtliche Einbuße erleidet. Schwierigkeiten bleiben freilich noch genug: denn die Wirkung, die hier an die Stelle des Stoffes gesetzt ist, braucht nicht ohne weiteres als eine translatorische, den Ort wechselnde Bewegung gedacht zu werden, könnte vielmehr auch eine vibrierende, an den Ort gebundene Bewegtheit eein. Die von der physikalischen Wissenschaft angenommene und mit Nachdruck verteidigte gespannte Kraft, die sich zwar nicht äußert, aber potentiell für den Fall der Lösung vorhanden ist,

382 Verursachtheit: Schranken: Begrenzung durch Eigenbewegtheit.

würde vermutlich ein derartig Mittleres daxstellen. Doch ist dem Schreiber dieser Zeilen nicht verstattet, hier etwas anderes als die leisesten Vermutungen zu äußern. Die Physik wird vermutlich in absehbarer Zeit in allen diesen Dingen neue klare Bilder schaffen. Ebenso wenig ist das Verhältnis, das zwischen der Geschehensform Wirkung und der Geschehensform Eigenbewegtheit besteht, völlig geklärt. Nur die Meinung, die hier allenfalls aufkommen könnte, wird unbedingt abzulehnen sein, daß beide miteinander sich decken und ein und dasselbe sind. Das ist nicht der Fall: denn Wirkung als der allgemeinere Begriff will behaupten, daß ein stoff- und ursachloses Geschehen, das nur Wirken ist, allem Weltgeschehen zugrunde liegt; Eigenbewegtheit aber bedeutet, daß noch die kleinsten und also elementarsten Urkörper in beständiger eigenerschaffener Bewegung sind. Wohl wird dadurch ein beiden Feststellungen Gemeinsames ausgesagt, nämlich daß, was wir uns als Stoff vorstellen, von beständiger eigenwerdiger Bewegung beherrscht wird. Aber das eine Mal, in Hinsicht auf die Wirkung, wird zum Träger dieser Bewegung das Geschehen an sich gemacht, das andere Mal, wenn von Eigenbewegtheit die Rede ist, sind es geformte Körper, die Träger der Bewegung sind; das eine Mal wird die Eigenbewegtheit als translatorische Bewegung aufgefaßt, das andere Mal die Wirkung als Bewegung schlechthin. Die Unterschiede sind also bedeutend genug, um jenen Irrtum zu verhindern. Wohl aber wird man — und dies sei hier mit allem Nachdruck zu der Lehre von der Eigenbewegtheit nachgetragen —• die Geschehensform Wirkung als eine der sichersten Stützen dieser Lehre ansehen dürfen. Denn wenn Wirkung nur als Bewegtheit vorgestellt werden kann, wenn Wirkung eine alles anorganische Geschehen bedingende und beherrschende Gegebenheit ist, dann ist Eigenbewegtheit lediglich eine ausgeformte Wirkung, nur gesteigert, insofern sie eine Ortsveränderung ist. Bedürfte die Eigenbewegtheit noch eines weiteren Beweises, hier wäre er gegeben.

Wirkung und Eigenbewegtheit. Grenzen der Unverursachtheit.

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Zweites Stück. Die Aufrechterhaltung von Verursachtheiten. Kein Zweifel, wäre etwa zu Newtons Zeiten das Weltbild mit demselben Nachdruck schon von dem Geschehen des ©lektrophysischen Kernbezirks im anorganischen Reich bestimmt worden, wie es tatsächlich von dem Kreisrand- und Oberflächengeschehen der Mechanik und der Festkörper entscheidend beeinflußt wurde, man hätte zunächst das physikalische Sehen nicht so auf die Stoß- und StaccatoFolge eines Nacheinanders von Ursachen und Wirkungen eingestellt, noch weniger hätte man den Ursachenbegriff so zum Idol aller begrifflich geordneten Wissenschaft gemacht, wie es geschah. Doch es muß dann, wenn, was damals versäumt werden mußte, heute nachgeholt werden soll, sehr gewissenhaft untersucht werden, in welchem Umfang die Kennzeichnung deB anorganischen Geschehens als eigenbewegt und mithin ursachlos gültig ist. Zunächst wird allen den Geschehenszügen diese Gültigkeit zuerkannt werden müssen, die wirklich aus einem nach außen geschlossenen, von rück- und nach vorwärts aber fließenden Geschehenszusammenhang bestehen. Aber zugleich ist mit dieser Begriffsfestsetzung die Folgerung gegeben, daß sobald andere Geschehensströme sich einmischen, sei es durch Bewirkung, sei es durch Vereinigung, diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist und daß dann die alte Erklärungsform der Verursachung wieder in ihr Recht tritt. Die Autarkie, die Selbstgenügsamkeit eines Geschehenszuges und eine durch sie gewährleistete Eigenwerdigkeit, Autogenie, sind die beiden Voraussetzungen der Befreiung einer Geschehenserklärung von der Last des Ursachen-Nachweises. Doch genügt diese einfachste und zugleich grobfädigste Grenzbestimmung noch nicht. Wollte man nämlich auf dem Grund dieser Vorschrift eine Formenlehre für den Bezirk der ursachlosen Eigenbewegtheit hier und für den der echten Verursachtheit dort aufstellen und nach ihr

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Verursachtheit: Schranken: Aufrechthaltung von Verursachtheit.

mit buchstäblicher Strenge verfahren, dann würde ihr nur das Dahineilen eines durch keinen größeren Verband, durch kein Atom gefesselten Elektrons voll entsprechen, d. h. also nur die eine ursprünglichste und einfachste von allen Formen eigenbewegten Geschehens nicht nur im anorganischen, nein auch im organisch-biischen und im menschlichen Reich — eine Eingrenzung, die, wie man sogleich sieht, den Nutzen dieser Beschränkung des Verursachtheitsgedankens fast ganz aufheben würde. An sich richtig ist die Trennung an dieser Stelle gewiß: denn der Unterschied zwischen dem Verhalten eines Elektrons, das frei, d. h. nur durch das eigene Gesetz der Gradlinigkeit und das zweite der Lichtgeschwindigkeit bestimmt, durch den Raum dahineilt, und dem eines Elektrons, das, für ewig eingeschlossen in ein Atom, in dessen Kugelraum beständig einen sehr kleinen Kreislauf mit einer außerordentlich verringerten Geschwindigkeit zu durchmessen hat, ist unermeßlich. Dort der Weltraum als Bahn und das höchste in der Welt zutage tretende Maß von Geschwindigkeit als Zeitmaß, hier die Beschränkung auf den kleinsten ober- und außerhalb des Elektrons vorhandenen Urkörper und ein hoher Verlust an Geschwindigkeit. Das freie Elektron hatte den im mathematischen Sinn unendlichen Raum der Welt vor sich zu durchlaufen, das gebundene Elektron aber nur eine Kreisbahn, deren Durchmesser etwas mehr als 1 / 100 von dem Millionsten Teil eines Zentimeters beträgt; die Geschwindigkeit eines freien Elektrons kann das volle Maß der Lichtgeschwindigkeit, die eines gebundenen Elektrons aber nur 2898 Kilometer auf der einquantigen Bahn eines WasserstoffAtoms und 579 Kilometer auf der fünfquantigen Bahn betragen 1 . Das bedeutet aus der Sprache der Urkörper in die Menschensprache übersetzt, daß ein Elektron durch den Übertritt in den Bereich eines Atoms den schwersten Verlust an Betätigungsmöglichkeit und an Wirkungsraum erleidet, der 1)

Graetz, Atomtheorie

5

82.

Erste Verursachung, Neu-Einsetzen von Eigenbewegtheit

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ihm überhaupt zugefügt werden könnte. Man vergesse doch nicht, daß gesehen aus der monokosmischen Sicht, der auf diesen Blättern alle Gegebenheiten in Natur und Menschheit unterworfen gedacht werden sollen, doch den Körpern in dem elektrophysischen Bezirk keine anderen Ausdrucksmittel für ihren Daseins- oder vielmehr Geschehensdrang als Bewegung und BeWirkung zur Verfügung stehen. Das Schicksal also, das dem ursprünglichsten der Urkörper dadurch bereitet wird, daß er, wie Niels Bohr es ausdrückt, eingefangen wird, ist ein besonders hartes, wenn es erlaubt ist, einmal für einenAugenblick das Geschehen des anorganischen Körpers anthropomorph und also sicher allzu menschlich aufzufassen. Ein Höchstmaß von Zwang und von TätigkeitsMinderung wird ihm angetan. Allein weder dies Schicksal noch die Beschränkung der ursachenlosen Eigenbewegtheit sind in Wahrheit an diesem so überfrühen Punkt am Stammbaum der Geschehensformen des Weltganzen schon voll durchgesetzt; bei weiterer Betrachtung ergiebt sich, daß auch nachdem die frei dahineilenden Elektronen eingefangen sind, sie doch noch einen beträchtlichen Teil von Eigenbewegtheit und insofern auch von ursachenlosem Geschehen behalten. Um nämlich von einem nächst benachbarten Fall als Beispiel zu reden: in einem Wasserstoffatom von einfachster Lagerung — bestehend also nur aus einem negativen Elektron und einem positiven Proton und das Elektron nur auf einer einquantigen Bahn um den Kern kreisend — hat erstens ein positives Elektron ein negatives an sich gezogen, es dann gezwungen es zu umkreisen und endlich kraft seiner überlegenen Gewalt ihm für ewige Zeiten dieses Abhängigkeitsverhältnis aufgenötigt. Schon dieser Vorgang trägt die Merkmale echter Verursachung an sich, denn es sind zwei an sich unabhängige und bis dahin nur durch Eigenbewegtheit vorwärts getriebene Geschehensreihen mit einander in zuerst augenblickliche, demnächst dauernde, ja ewige Verbindung getreten und die B r e y a i g , Natargesohichte und Menschheit«ffeaohichte.

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386

Verursachtheit: Schranken: AufrechthaltungvonVerursachtheit.

beiden Körpern — dem einen als dem stärkeren, dem andern als dem schwächeren — eigentümlichen Eigenschaften, deren Maß sich nach ihrem Wirkungsvermögen richtet, sind die gewiß echten Ursachen dieses neuen Doppelgeschehens, das aus der Eigenbewegtheit beider nie zu erklären wäre. Eben diese gegenseitige Bewirkung ist ein Eingreifen fremder Geschehensverkettung und es führt in beiden Geschehenszügen zu Abänderungen der ihnen ursprünglich innewohnenden Geschehensrichtung, zu Abänderungen, deren Ursache eben der andere Geschehenszug darstellt. Allein ebenso gewiß ist die Bewegtheit, die den zu Kreisläufen gezwungenen Elektronen verbleibt, nicht ihnen erst jetzt aufgenötigt, sondern ihnen frei innewohnend: ist also Eigenbewegtheit.

Drittes Stück. Die Verflechtung

von E i g e n b e w e g t h e i t ursachtheit.

und Ver-

Was sich aber von der Entstehung des Atoms aussagen läßt, das gilt des weiteren von dem nunmehr zu einem neuen Körper zusammengeschlossenen Insgesamt der noch eben unabhängigen Teilkörper. Der neu entstandene Körper der zweiten Größenordnung ist ja so eisern fest zusammengeschmiedet, daß er als eine für ewige Zeiten aushaltende Einheit angesehen werden kann. Man weiß von der langen Kette immer gleich gerichteter Versuche seit Rutherfords großer Entdeckung, wie ungeheure Kräfte angewandt werden müssen, um einem Atom wieder eines seiner Elektronen zu entreißen. Von einem so sicher zusammenhaltenden Körper, in dem die Eigenbewegtheiten seiner Teilkörper fortarbeiten, kann ohne Bedenken ausgesagt werden, daß er selbst über Eigenbewegtheit verfügt. Das Gleiche aber, was von dem zweigliedrigen Wasserstoffatom gilt, hat auch auf das Uran-Atom mit seinen Hunderten von Elektronen

Folge von Eigenbewegtheit, Einbrüche von Verursachung

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Anwendung. Und ebenso auf den Körper dritter Größenordnung, das Molekül. Und das selbe Maß von Unabhängigkeit der eigenen, von den Urkörpern her entliehenen Bewegtheit mag sich, wie bereits dargelegt, über alle Klüfte der Wesensverschiedenheit fort durch die Reihe höherer anorganischer und die der pflanzlich-tierischen Körper bis zum Menschen hin fortpflanzen, wie schwer es auch der gründenden Forschung, sei es der physikalischen, sei es der physiologischen, werden mag, die Zusammenhänge rückwärts bis zu den Urkörpern schlüssig nachzuweisen. Immer aber müssen, zum mindesten bei jedem Übergang von einer Körper-, einer Wesensgattung zur anderen, starke Einbrüche vollkommener Verursachung, d. h. von außen herzutretender Einwirkungen diesen Geschehenszug unterbrochen haben, nicht in dem Sinne, daß die Fortleitung der Eigenbewegtheit tatsächlich zerrissen worden wäre, sondern in dem beschränkteren, daß deren Herrschaft eich mit jenen Einwirkungen verband und verschmolz, die von anderen Geschehensverkettungen hervorgebracht waren. Die Regel muß gewesen sein, daß immer wieder die alten, aus Eigenbewegtheit stammenden Geschehensformen mit den neuen, von außen eindringenden sich zu einer größeren Einheit zusammengeschlossen haben und dann als solche von neuem zu Trägern von Eigenbewegtheit wurden* Und dies gilt von den anorganischen neuen Körpern ganz ebenso wie von den neuen Arten der Lebewesen, denn beider eisernes Gesetz scheint zu sein, daß jede neu zu Stande gekommene Geschehensform — heiße sie Körper oder Wesen — nach dem großen Zeugungsakt der Natur, der sie schuf, in einem Teil ihrer Exemplare unerschütterlich fest bestehen bleibt. Diese neuen Geburten sind die Ereignisse, an denen im anorganischen Reich sich das Mächtigwerden der Verursachung am unbedingtesten geltend macht. Denn seinem innersten Wesen nach können sie nur durch äußere Einwirkungen zu Stande kommen, während allerdings im or25»

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Verursachtheit: Schranken: Verflechtung mit Eigenbewegtheit.

ganisch-biischen Reich Bich die Entstehung neuer Arten innerhalb der Grenzen der Eigenbewegtheit vollzieht: die Geburt der neuen Art ist dann selbst eine Bezeugung der Eigenbewegtheit und zwar die höchste, zu der sie ihre Kräfte zu sammeln vermag. Diese Folgerung wenigstens ist zu ziehen, wenn die große Entdeckung, die die Biologie in diesem ihrem Kernbezirk gemacht hat, die Mutationstheorie von Hugo de Vries, zu Recht bestehen bleibt. Den Archetypus, den im betontesten Sinn des Wortes artvertretenden Fall für den anorganischen Werdensvorgang stellt wiederum das Geschehen im Kernbezirk der Urkörper dar, wenigstens wenn —woran indes kaum mehr zu zweifeln ist — das Atommodell von Niels Bohr als endgültige Enthüllung dieses Geschehens anzusehen ist. Denn der immer wiederholte, vom Wasserstoff bis zum Uran über alle Staffeln des periodischen Systems reichende Vorgang ist der, sei es erzwungene, sei es zufällige Eintritt eines neuen Elektrons in den Verband des Atoms, ein Geschehen, das eben das alte in ein neues Element umwandelt. Immer lag für den Drang noch Vereinheitlichung des Weltbildes, wie ihn die auf diesen Blättern vertretene monokosmische Sicht eingiebt, die Versuchung vor, auch diese Werdensakte als Erzeugnis der Eigenbewegtheit anzusehen, so daß dann der Stammbaum der Elemente, wie ihn der kühne Bau von Meyer und Mendelejeff hat erstehen lassen, auch im buchstäblichen Sinn, im Sinn eines Wachstums als Seitenstück zu dem Stammbaum der Arten, den alle Kritik doch von Darwins Werk hat bestehen lassen müssen, anerkannt werden dürfte. Die Beantwortung der Frage, die hier sich aufdrängt, ist um so wichtiger, als aller Formenreichtum, alle Mannigfaltigkeit und alles Farbenspiel unserer bunten Welt ja erst durch diesen Vorgang im Kernbezirk der Urkörper möglich geworden ist; aber so verlockend es wäre, das anorganische Werden mit dem organischen Wachstum zu einer Werdensform sich zusammenschließen zu lassen, sie müssen auseinander gehalten und dem Werden darf die

Die Entstehung neuer Elemente.

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Innentraft der Pflanzen- und Tierwelt, die sie nicht allein zum Wachstum der Einzelkörper, sondern auch zur Hervorbringung neuer Arten befähigt, nicht zugesprochen werden. Es erscheint hart, demZufall des Einzelgeschehens eine so wichtige Rolle im Aufbau der Welt zuzuerkennen; aber so bedeutende Physiker wie Planck beharren darauf1, auch innerhalb des Bohrschen Atommodells nur der Variation der Einfallswege das Zustandekommen der Einfangung eines Elektrons und damit die Entstehung eines neuen Elements zuzuschreiben. Damit aber ist das Gebiet der Herrschaft der reinen Verursachung auch über diese wichtigste aller Geschehens-, aller Werdensformen im elektrophysischen Bereich erstreckt. Es muß wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen, daß die Werdensakte der Entstehung eines neuen Elements, die ja Festtage im Lebenslauf der Natur sein müssen, nicht die einzigen Anlässe zu Vorgängen von reiner, d. h. also äußerer Verursachtheit sind; im Gegenteil, wiederum im elektrophysischen Kernbezirk des anorganischen Reichs nimmt die physikalische Wissenschaft auf dem Wege reiner Unterstellung ein sehr häufiges Eintreten solcher Fälle an. Man ist überzeugt, daß unter den Trillionen Elektronen, die einen Kubikzentimeter Wasserstoff erfüllen, sehr häufig der Fall eintritt, daß eines von ihnen durch einen Stoß in eine von den stabilen, d. h. beständig von einem zugehörigen Elektron belaufenen Bahnen geschleudert wird und dann ebenfalls in dieser Bahn rotiert2. Es kann dann durch einen andern Stoß aus ihr wieder herausgeschleudert werden und in eine andere Bahn hinüberwechseln, ja der Vorgang kann sich des öfteren wiederholen, bis endlich auch dieses Elektron in den Verband der von einem Atom fest zusammengeschlossenen Elektronen aufgenommen wird und nun einen immerwährenden Kreislauf auf einer der ihm zur Verfügung stehenden Bahnen vollzieht. Ganz offenbar ist hier ein Geschehnis *) Mündliche Auskunft. 2 ) Der hier benutzte Fall wird zu ganz anderen Zwecken gesetzt von Graetz (Atomtheorie s 82f.)

390

Verursachtheit: Schranken: Verflechtung mit Eigenbewegtheit.

reiner Verursachung gegeben, das, wie gelegentlich auch immer entstanden, doch im Fall eigens günstiger Vorbedingungen zum erstmaligen Entstehen eines neuen Elements führen kann, d. h. also zu einem Ereignis von wahrhaft »weltgeschichtlicher« Bedeutung. In allen Ordnungen höherer Größen sind nicht diese, wohl aber sehr viele andere Möglichkeiten der gleichen Bedeutung gegeben, d. h. also Fälle von Bewirkung und Störung, Durchkreuzung oder gar Beendigung von Bahnläufen eigenbewegter Körper durch von außen auf sie aufprallende Auswirkungen anderer Geschehenszüge. Und sie können auch hier die außerordentlichsten Ereignisse hervorrufen, Ereignisse von einer Geschehensstärke, die sonst ihrer Wucht und ihrer Tragweite wegen nur der Eigenbewegtheit und ihrem Reich zugeschoben wurden. Wenn die Unterstellungen, mit denen sich die Erforscher der Erdgeschichte auf Grund ihrer paläontologischen Funde in den Streit um Darwin eingemischt haben, sich irgend haltbar erweisen, dann muß angenommen werden, daß der Untergang von Arten, den Darwin in so hohem Maß ihrem Unterliegen im Kampf »für das Leben« mit überlegenen Arten zuschreiben wollte, gar nicht selten durch erdgeschichtliche Katastrophen, Versinken von Erdteils-Stücken im Meer und dergleichen herbeigeführt worden ist1. In einem solchen Fall würde ein tief in die Entwicklung des Stammbaums der Arten eingreifendes Geschehen vorliegen, das äußerer Einwirkung, also reiner Verursachung entstammt. Für das Insgesamt der Beziehungen zwischen Eigenbewegtheit und Verursachtheit ergiebt sich aus den hier zusammengefaßten Beobachtungen, daß sie zu einander in dem Verhältnis einer doppelten Verflochtenheit stehen. Stets gehen sie neben einander her; die nie stillestehenden Ströme der Eigenbewegtheit werden je zuweilen bewirkt, gestört, umgebogen, gelähmt oder gar zu einem jähen Ende gebracht, i)

Steinmann, Die geologischen Grundlagen der Abstammungslehre (1908) 20 ff.

Verflechtung im Neben- und Nacheinander. Höhere Ganzheit. 391

wenn andere Geschehensverkettungen ihren Weg kreuzen. Aber ebenso gewiß ist für ihrer beider Wesensbild von Belang das Nacheinander, in dem sie so oft auftreten. Wenn etwa in dem zwar nicht natürlichen, wohl aber begrifflichen Stammbaum der Elemente ein Atom durch Eintritt eines neuen Elektrons zum Träger eines andersartigen und anders benannten Elementes wird, so ist dieser Vorgang ein Schulfall reiner Verursachtheit. Da aber das so zu einem neuen Element umgestaltete Atom sofort seinen Weg fortsetzt und ihn im selben Sinn einer gar nicht oder nur Schwei erschütterlichen Geschlossenheit, fast völliger Selbstgenügsamkeit — Autarkie — und Eigenwerdigkeit — Autogenie — durch alle Zeiten hindurch weiter verfolgt, vielleicht in alle Ewigkeit hinein nie wieder von einer von außen aufprallenden Verursachung heimgesucht, so steht nichts im Wege, der Vorwärtsbewegung des neuen Körpers das Wesensmerkmal der Eigenbewegtheit zuzuerkennen. Es mag auch ein Überlebsel und deswegen ein an sich völlig veraltetes Erbgut aus dem Zeitalter des lediglich mechanisch bestimmten Verursachtheitsgedankens sein, daß wir immer nur an Geschehensverkettungen von zwei Gliedern denken und von diesen dann das eine die Ursache, das andere die Wirkung nennen. Wir übersehen dabei dann erstens, daß die beiden Glieder nicht zwei von einander unabhängige Einheiten darstellen, sondern sich zu einem Ganzen zusammen schließen, das selbst eine Geschehenseinheit ist, und zweitens daß eine größere Geschehensverkettung weit rückwärts vor das erste Glied der kleinen Geschehensfolge, seine sogenannte Ursache, zurückreichen und weit vorwärts über das zweite Glied, die sogenannte Wirkung, in die Zukunft hinein reichen kann. Beide Zusammenhänge sind Geschehenseinheiten und sie umschließen in sich, wohl in zeitlicher Folge und doch in innerer Verbundenheit, Eigenbewegtheit und Verursachtheit zu einer höheren Ganzheit.

892

Verursachtheit: Namenlose Gewalten: Cansae ooonltae.

Dritter Abschnitt. Namenlose Gewalten. Erstes Stück. Causae occultae in der Mechanik. Die Enthüllung der Vorgänge im Kernbezirk der Urkörper, die den großen Physikern der Gegenwart zu so hohem Ruhme gereicht, führt nun aber doch nicht nur zu der Erkenntnis, daß die alte, allein unter dem Einfluß der Mechanik zu Stande gekommene Ursachenerklärung nicht ausreicht, um die Verkettung auch nur des anorganischen Geschehens so weit zu durchschauen, wie es uns Heutigen überhaupt gegeben ist, sondern auch zu der weiteren Einsicht, daß es Formen der einseitigen oder gegenseitigen Bewirkung von Geschehensreihen giebt, die nicht ohne weiteres als Folgen der Eigenbewegtheit angesprochen werden können, die aber auch nicht als Verursachungen anzusehen sind, weil man zwar wohl die Körper kennt, von denen sie ausgehen, weil man aber von den Vorgängen, die diese Wirkungen hervorbringen, nichts weiß. Genau gesprochen, müßten diese Wirkungen als solche einer halb bekannten und halb unbekannten Verursachtheit gebucht werden. Im ausgehenden siebzehnten und im beginnenden achtzehnten Jahrhundert kannte die damals in der Philosophie herrschende Schule der Cartesianer kein härteres Verdikt über eine Folgerung als den Vorwurf, daß sie von einer Causa — öfter noch sagte man einer qualitas — occvlta, ausgehe, und es leuchtet ein, daß sie in dem Sinn der damaligen Begriffsvorschriften auch einen verursachenden Vorgang, dessen tragenden Körper man wohl kennt, dessen Übertragungs-Wie aber völlig im Dunkeln bleibt, mit allem Recht den Causae occultae zugerechnet haben würde. Ja man hielt in einem solchen Fall es sogar für verboten, auch nur Vermutungen

Wirkungen halbbekannter Verursachung.

Anziehungsgesetz.

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über das Wesen dieses Übertragungs-Wies auszusprechen: die stolz grollende Ablehnung, die in dem erlauchtesten Fall eines solchen Unternehmens jedem Versuch dieser Art durch Newtons Donnerwort: hypotheses nonfingo, entgegengehalten wurde, lehrt die Schärfe und eiserne Folgerichtigkeit dieser Denkweise erkennen. Und der Naturvorgang, um dessen Erklärung es sich damals handelte, die Anziehungskraft, die die Körper auf einander ausüben, ist nicht etwa nur ein verwandter, in irgend welcher Teilminderung ähnlicher, sondern er gehört schlechthin in die Gattung der Geschehensformen von halb unbekannter Verursachtheit, von der hier die Rede ist. Denn nachdem die hier gründende Physik bei Entdeckung des innersten Kernbezirks der unbelebten Welt auf eine Anzahl dieser halb verhüllten Ursachenzusammenhänge gestoßen ist, so wird doch eine allgemeine Naturwissenschaft nicht zögern dürfen, zu diesen heut offenbar gewordenen Causae occultae auch jene älteren, der Physik schon längst bekannten Geschehensformen von gleichem Rang heranzuziehen und sie dieser Gruppe zuzuordnen. Als älteste jene in Gesetzform ausgesprochene Feststellung Newtons von 1687, daß in einem abgeschlossenen System von Weltkörpern jeder Körper alle andern anzieht und von allen anderen angezogen wird. Newton, das ist das Große, geschichtlich Denkwürdige an dem Vorgang, ging sehr weit in der begriffsmäßigen Auswertung dieser zunächst nur die Sternkunde angehenden Geschehensregel, indem er sie erstens auf die Ebene eines allgemein gültigen, also physikalischen Gesetzes hob und zum zweiten die Maße ihres Wirkens in eine allgemeine, also mathematische Formel brachte. Aber er wehrte die Zumutung weit von sich ab, an die Stelle des blanken Nichts der Unerklärbarkeit, das er vor sich sah, nun erfahrungsmäßige Hilfsunterbauten zu setzen, die denn freilich nur Vermutungen hätten sein können. Er wollte lieber ein Geschehen entdeckt haben, für das er eingestandener Maßen keinen Grund angeben konnte, als irgend welche unsichere Erklärungsver-

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Verursaohtheit: Namenlose Gewalten: Cansae occnltae.

suche machen. Es war eine Auffassung von den Pflichten reiner Erfahrungswissenschaft, die an Strenge der Kants gleich kam. Und so schulfallmäßig diese erste Entdeckung eines völlig ursachenlosen oder genauer gesprochen dem Wie seiner Verursachung nach, also halb, unbekannten Tatbestandes war, so völlig artvertretend war die Weise, mit der diese begriffliche Bedeutung einer an sich rein tatsachenmäßigen Feststellung im Zeitalter dieses wissenschaftlichen Geschehens selbst gewertet wurde. Schon Newton selbst sah die Gefahr, die seiner Sache drohte, wenn auch wohl nicht in aller Schärfe1; aber was dem Urheber selbst noch halb verhüllt blieb, das spürte —Niemanden, der die Tiefen und die Untiefen des Seelenlebens gelehrter Menschen kennt, wird es verwundern — die Gehässigkeit feindseliger Berufsgenossen auf: die Cartesianer schlugen Lärm, wollten auch in diesem erlauchten Fall nichts von Causae occultae wissen und noch im Jahre 1732 hat die Pariser Akademie der Wissenschaften einem Mathematiker den Preis für eine Abhandlung erteilt, die das Zustandekommen des Sonnensystems nach den Rezepten des Meisters der Schule, nach Descartes' Wirbeltheorie erklärte. Überdies steht der Fall der Gravitation innerhalb des Lehrgebäudes von Newton als Causa occulta nicht vereinzelt da. Denn das erste von den drei Bewegungsgesetzen, mit denen er sich die Grundlage für sein Gravitationsgesetz schuf, das Trägheitsgesetz, trägt ganz ebenso wie das Hauptgesetz das Eingeständnis einer Causa occulta in sich. Denn *) Doch wollte er nicht durch »verborgene Eigenschaften der Dinge«, ursächliche Zusammenhänge erklären »wie die Aristoteliker sie annahmen«. (Vgl. Else Wentscher, Geschichte des Kausalproblems [1920] 116). Doch man sieht sogleich, wie ihn auch dieses Abwehrargument nicht vor den Vorwürfen der Cartesianer schützen konnte. Vgl. noch Wiechert, Die Mechanik im Rahmen der allgemeine Physik (Hinneberg, Kultur der Gegenwart: Physik [1025] 12) und Oppenheim, (Probleme der modernen Astronomie ]1915] 149).

Newtons erstes Bewegungsgesetz.

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indem von einem in Bewegung befindlichen Körper ausgesagt wurde, daß er sich, falls keine andere Kraft auf ihn einwirke, gradlinig und unaufhörlich fortbewegen werde, so bedeutete das in einer Physik, die noch unter der unumschränkten Herrschaft der Mechanik stand, um deswillen die Unterstellung einer Causa occulta, weil nach allen Grundsätzen der Mechanik ein Körper nur durch einen von außen kom menden Stoß in Bewegung versetzt und erhalten werden konnte, hier aber nun wenigstens die Fortdauer einer einmal — natürlich mechanisch — in Gang gebrachten Bewegung ohne jeden Antrieb von außen her behauptet wurde. Hätte Newton hier noch einen Schritt weiter getan und hätte erklärt, alle Körper sind in Bewegung befindlich, so wäre schon eine sehr viel weiter gehende Entscheidung erreicht gewesen und damit freilich eine Causa occulta von noch dunklerer Verborgenheit behauptet worden. Tröstlich doch, daß um des größeren Gewinnes willen, den das Naturerkennen selbst davon trug, Newtons Genius in Widerstreit zu der Wissenschaft seiner Zeit geraten mußte, zumal dieser Widerstreit ja nur recht eigentlich ein formaler war. Überdem aber lag, wie kaum nötig ist zu bemerken, eine so weitgehende Behauptung, wie sie hier eben unterstellt wurde, noch jenseits von aller Erkenntnis, die der damaligen Naturwissenschaft zu erreichen möglich war. Ihrer zu gedenken liegt nur gegenüber Newtons erstem Bewegungsgesetz eigens nahe, da es nur der Abänderung von zwei oder drei Worten bedürfte, um hier aus einem nur mechanischen Gesetz ein im tiefsten physikalisches zu machen.

Zweites Stück. Causae occultae

in der n a c h - m e c h a n i s c h e n

Physik.

Newtons Causae occultae blieben fast anderthalb Jahrhunderte die einzigen. Dann aber von 1814, von Coulombs

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Verursachtheit: Namenlose Gewalten: Causae occultae.

Entdeckung der zwei Formen von Elektrizität und der ihnen eigentümlichen gegenseitigen Bewirkung ab, sind andere zu ihnen getreten und unter ihnen einige, denen eine allgemeine Naturwissenschaft eine noch ausgedehntere Tragweite wird zuschreiben mögen, als selbst jenen alten Newtonschen. Sie sind zum größten Teil nicht Errungenschaften neuer physikalischer Entdeckungen, sondern die begrifflich notwendigen Schlußfolgerungen aus sei es längst bekannten, sei es neu sich herausstellenden Gegebenheiten der physikalischen Wirklichkeit. Das Dasein der Welt einer Ursache zuzuschreiben und, da sie unauffindbar ist, sie als die erste aller denkbaren Causae occultae anzusehen, erscheint nicht rätlich, weil jedes unbefangene Denken über das Wesen der Welt zu keinem anderen Ergebnis führen kann, als ihr wie die Unendlichkeit im Raum auch die in der Zeit beizumessen, woraus sich dann jene Frage nach der Offenheit oder Verborgenheit einer Ursache der Welt erübrigt. Anders die ganz allgemeine Erscheinung der Eigenbewegtheit der Körper. Wollte man ihre das Ganze der Welt umfassende Herrschaft zum Grund dafür nehmen, für sie ebenso wenig wie für das Dasein der Welt nach einer Ursache zu forschen, so würde dies doch nicht als schlagkräftig zu erweisen sein, weil auch eine Daseinsform der Welt, die nicht auf Eigenbewegtheit der Körper beruhen würde, sehr wohl denkbar ist. Doch ist ebenso gewiß, daß für die Eigenbewegtheit der Urkörper, nimmt man sie an, in der Tat eine neue Causa occulta aufgestellt werden würde. Über sie hinaus aber streckt sich dem suchenden Blick eine Naturerscheinung entgegen, die einen noch allgemeineren Herrschaftsbereich im Weltgeschehen für sich in Anspruch nimmt und für ihren begrifflichen Bau mehr noch als jede andere denkbare eine Causa occulta zur Voraussetzung hat. Es ist das Insgesamt der Naturerscheinungen, das hier unter die beiden Lehren von der Entstofflichung der Urkörper und von der Welt als reiner Wirkung zusammengefaßt wurde.

Zwei Elektrizitätsformen, Eigenbewegtheit, Welt als Wirkung.

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Denn in dieser Sicht wird nicht nur für eine bestimmte Geschehensform, sondern letzten Endes für das Insgesamt der Welt die Forderung erhoben, daß wir es als ein Unverursachtes ansehen, daß wir von ihm grundsätzlich annehmen, es wirke wohl, aber es sei nicht selbst ein Bewirktes. Vielleicht möchte nun hier trostreich eingewandt werden, diese Forderung sei eine Sache des Wies unserer Forschung, gehe also eigentlich nur die Erkenntnislehre an. Doch ist dem nicht so oder doch nur für eine Auffassung unseres geistigen Verhaltens zur Wirklichkeit, die schon die einfachste Summierung von Einzelwirklichkeiten zu einem Sammelbegriff, etwa den Begriff »Blatt«, als eine willkürliche Prägung dem formenden Ich zuschiebt, eine Auffassung, die für das in diesen Bänden errichtete Gedankengebäude von der Schwelle her abgelehnt wird1. Denn mit jenem ganz allgemeinen Satz wird ja behauptet, daß zunächst die Vorgänge der Urkörper, demnächst aber, als von ihnen erzeugt, alle Geschehensformen der Welt aufgefaßt werden als durch keine andere Geschehensmasse herbeigeführt. Das heißt nun zwar, sie sollen als ursachenlos angesehen werden, nicht aber in dem denktechnischen Sinn der Erkenntnislehre, sondern in dem physikalischer Wirklichkeitsforschung. Doch freilich, der Grund dafür, daß uns ein solcher Tatbestand hart und kaum annehmbar erscheint, entstammt der Erkenntnislehre, die sich heut 2 wie zu des Descartes Zeiten gegen die Hinnahme jedes ursachlosen Geschehens sträubt. Indessen wird jede Geschichte des reinen Gedankens, die auf seine erfahrungs- und in Sonderheit naturwissen1

) Dieser im tiefsten erfahrungswissenschaftliche Standpunkt kann als solcher weder hier, noch an einer der zahlreichen Stellen der Einzeldarlegungen dieser Schriftenreihe, die dazu verlockten, entwickelt und verteidigt werden. Das soll vielmehr ihrem methodologischen Schlußband, wie auch einzelnen nächstbenachbarten Abschnitten in dem I. (noch unveröffentlichten) Band einer Gesellschaftslehre vorbehalten bleiben. 2 ) Vgl. z. B. Becher, Naturphilosophie (Hinnebergs Kultur der Gegenwart [1914] 148.

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Verursachtheit: Namenlose Gewalten: Causae occultae.

schaftlichen Hintergründe Rücksicht nimmt, hier geltend machen, daß sich in dieser Abneigung von Neuem die Einwirkung eines sehr gröblich erfahrungs-, ja naturwissenschaftlichen Denkzusammenhanges als wirksam erweist; es ist auch hier wieder die alte, die nichts-als-mechanische Physik, die durch ihre etwas grobknochige Verursachtheitsanschauung eine Lehrweise dieser Art innerhalb der Philosophie zwar gewiß nicht erst entstehen ließ, sie aber auf das Nachdrücklichste unterstützt hat 1 . So ist denn das geistesgeschichtlich immerhin denkwürdige Geschehen zu beobachten, daß eine allgemein-naturwissenschaftliche Sicht, die sich aus den wertvollsten Entdeckungen der heutigen, doch wahrlich unmechanistischen Physik ableiten läßt, noch heute von der längst begrabenen Lehre der Ahnen bekämpft wird; es ist, als ob sie noch aus ihrem Sarge mit ihrer dürren Knochenhand einem blühenden Enkel ans Leben wollte. Dennoch ist uns gegen sie ein Abwehrmittel von durchschlagender Kraft gegeben, das denn freilich auch wieder der Erkenntnislehre entstammt, nur allerdings einer solchen, die von einer erfahrungswissenschaftlichen, ja zu innerst geschichtlichen Grundsicht ausgeht. Es besteht aus der Erfahrung, daß alle und auch die durch Gewohnheit und Alter am meisten geheiligten Bestandteile unserer Weltanschauung auch dann, wenn sie ein Was unseres Weltbildes behaupten, ihren Halt doch nur in dem Wie unseres Sehens finden. Wenn nun erst ganze Jahrhunderte-Reihen über die ständige Anwendung eines Satzes, der über irgendeine Geschehensform in der Welt eine Aussage macht, hingegangen sind, dann ist J

) Wie sich die beiden Gedankengänge etwa bei Descartes, der als reiner Mechaniker alle Bewegung der Körper auf Druck und Stoß zurückführt, oder bei Leibniz verflochten, darüber vergleiche die auch sonst über diese denkgeschichtlichen Zusammenhänge vortrefflich unterrichtende Darstellung von Else Wentscher (Geschichte des Kausalproblems in der neueren Philosophie [1920] 20, 115).

Macht veralteter Lehren.

Erkenntnis und Gewohnheit.

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uns nicht nur die Richtigkeit des behaupteten Tatbestandes in den Kopf gehämmert, sondern auch die Richtigkeit eines So-Sehens, das diesen Tatbestand zum Ergebnis hat. Wenn hier die Unrichtigkeit von vier großen Sätzen von der allgemeinsten Tragweite teils bekräftigt, teils neu behauptet wurde, wenn zum ersten erklärt wurde, daß die Welt nicht ist, sondern wird, sondern geschieht, zum zweiten daß tausend Formen von angeblich verursachter Bewegung durch die Eigenbewegtheit der Urkörper hervorgebracht werden, zum dritten, daß die Urkörper keinen Stoff haben, zum vierten, daß ihnen keine Kraft als besonderer Antrieb innewohnt, so geht daraus hervor, nach wieviel Grundirrtümern unsere Weltanschauung noch heute sich einzurichten gewohnt ist. Aber ebenso gewiß ergibt sich daraus auch dies: wenn die Richtigkeit der jeweils entgegengesetzten Sätze eine Reihe von Jahrzehnten mit der gleichen Selbstverständlichkeit angenommen und gehandhabt worden ist, dann wird man an dieser Umkehrung nicht den mindesten Anstoß nehmen und das, obwohl hier ja nicht nur ein Was von weltumfassender Tragweite, sondern auch ein Wie von entsprechender Wichtigkeit schlechtweg in das Gregenteil verkehrt ist. Für dies erste Umlernenmüssen —das des Was —könnten wir uns auf die Mängel unseres früheren Wissens berufen; das zweite Versagen, das unseres Wies, bedeutet aber einen sehr schweren Vorwurf gegen unsere Erkenntniswerkzeuge, ja auch gegen unsere Erkenntniskraft. Und dennoch werden wir nun ohne sonderlich viel Aufhebens davon zu machen, in Kurzem unser geistiges Auge zu dem völlig geänderten Sehen umgestellt haben und frischweg mit der gleichen Miene geistiger Unfehlbarkeit unseres Weges weiterschreiten. Steht es aber so, dann ist nicht abzusehen, warum wir uns nicht auch in die Erkenntnis eines fünften Grundirrtums finden sollten und zugeben, daß das Weltgeschehen nur Wirkung ist, d. h. eine Geschehensform, die nicht Stoff noch. Ursache hinter sich hat.

400

Veraraaohtheit: Namenlose Gewalten: Compositio oppositorum

Drittes Stück. Compositio

oppositorum.

Noch aber stellt sich dem suchenden Blick des Forschers eine Geschehensform entgegen, die von erstaunlicher Bedeutung und einem eigentümlich doppelseitigen und fast auch doppeldeutigen Wesen ist und die hier in einiger Wandlung der alten scholastischen Formel compositio oppositorum genannt werden soll. Sie -wird nicht durch einen Fall nur, sondern durch eine ganze Gruppe von in ihrem Bau übereinstimmenden Geschehensarten vertreten und sie erstreckt sich nicht nur über diese Gruppe innerhalb des anorganischen Reichs, sondern auch in das organisch-biische und das menschheitliche Reich. Das kennzeichnende Merkmal dieser sechs Arten umfassenden Gruppe von äußerlich unverursachten Geschehensformen ist die einzig dastehende Erscheinung, daß Geschehensstrebungen, die an sich einander — in fünf Fällen —schlechthin entgegenwirken, doch die unabänderliche Neigung offenbaren, ihre Träger, d. h. die von ihnen beherrschten Körper, Wesen, Menschen, zusammenzufassen und sie zu einer Wirkenseinheit zu verbinden. Im sechsten Fall, es ist der der Gravitation, ist zwar die Erscheinung des Zusammenstrebens im gleichen vollen Maße zu beobachten, auch eine starke Wesensverschiedenheit wenigstens in Hinsicht auf Umfang und Masse zu verzeichnen, aber keinerlei Drang einander entgegenzuwirken. Eben dieser letzte Fall, der der Anziehungskraft, die Körper auf einander ausüben und der an Weltkörpern zuerst, zunächst an Erde und Mond, beobachtet wurde, ist zeitlich der erste, für über zwei Jahrhunderte der einzige geblieben. Daß an ihm die Wesensungleichheit auf die Masse beschränkt bleibt oder daß, genau gesagt, die Anziehungskraft sich nur dann entschieden äußert, wenn der eine Körper dem andern an Masse überlegen ist, ändert an der Endwirkung, die hier wie überall sonst auf eine unzerreißbare Verbundenheit

Gegensatzverbindungen.

Gravitation.

Elektrizität.

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hinausläuft, ebenso wenig wie an der völligen Unerkennbarkeit der Ursachen, die hier, sei es von innen oder von außen, die Körper zwingen sich zu verbinden. Wie überall sonst, wenn in diesem Zusammenhang von Causae occultae die Rede ist, ist hier zwar das Geschehen selbst deutlich zu erkennen, nicht aber die wirkende Gewalt, die dies Geschehen herbeiführt. Verborgen also ist wenigstens die Ursache im engeren, älteren Sinn. Wenn es über fünf Viertel eines Jahrhunderts gedauert hat, bis im Bereich der unbelebten Natur ein Seitenstück zu diesem Paarungsgeschehen beobachtet wurde, so ist es auch dann, 1814, als Coulomb sein Gesetz fand, erst in sehr beschränktem Maß geschehen. Sehr langsam hat man sich von der Beobachtung elektrischer Wirkungen, die den Griechen gemäß ihrer kindhafteren Geistigkeit in Sachen der Natur nur im Rohesten bekannt waren, im siebzehnten Jahrhundert zu der Erkenntnis von zwei verschiedenen Formen elektrischer Kraft hingearbeitet. Im achtzehnten Jahrhundert hatte man dieser Lehre die von einer einheitlichen Elektrizität entgegengesetzt und die Verschiedenheit ihrer Wirkungsformen auf ein Mehr oder Minder derselben Kraft zurückführen wollen — eine Meinung, die, nebenbei bemerkt, theoretisch noch heute nicht als unmöglich angesehen werden darf — zuletzt entschied man sich doch für zwei Formen der Elektrizität, der man die an sich ganz willkürlichen Namen der negativen und der positiven beilegte. Und Coulomb fand im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sein Gesetz, das die beiden Kraftformen und ihre Wirkungen mengenmäßig umschrieb 1 . Aber zu der Aufdeckung eines Geschehens zwischen Körpern, das sich mit der Anziehungskraft zwischen Gestirnen hätte messen können, ist es doch erst wiederum ein Jahr*) Richarz, Die Entwicklung der Elektrizitätslehre bis zur Grenze der Faradayschen Anschauungen (Kultur der Gegenwart hrsg. von Hinneberg: Physik [ s 1925] 298). B r e y « i g , Naturgeschichte and Menschheitsgeschichte.

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Verursachtheit: Namenlose Gewalten: Compositio oppositorum.

hundert später gekommen. Erst als Lorentz seine Elektronentheorie, Planck die Quantenlehre aufgebaut, Rutherford die Spaltbarkeit der Atome durch Versuch nachgewiesen hatte, hat Niels Bohr mit seinem Atommodell den inneren Bau der Atome halb ersonnen, halb erahnt und ihm ist das unerhörte Forscherglück zu Teil geworden, daß eine Fülle von ihm nachfolgender Einzelarbeit sein mehr als kühnes Unternehmen bestätigt und befestigt hat. Der Bauplan, den Niels Bohr vom Atom entwarf, hat, ein neues Wunder, neben dem Planetensystem der Sonne ein zweites im Bereich der Urkörper entstehen lassen. Für das Paarungsgeschehen in jenem konnte in diesem ebenfalls ein Seitenstück gemutmaßt werden, das nun in allen groben Zügen der Anziehungskraft, die etwa die Sonne auf ihre Planeten ausübt, entspricht. In einem ungefähr ballförmigen Raum nimmt beide Male die Mitte ein Körper, beziehungsweise eine Körpergruppe ein, die mit überlegener Gewalt die in Abständen sie umkreisenden abhängigen Körper von sehr viel geringerer Kraft im Bann hält und sie zu beständigem Kreisen zwingt. Es ergeben sich nunmehr Ähnlichkeiten, ja Gleichheiten, die vielleicht ein Zeugnis für ein höheres, in beiden Fällen waltendes Gesetz ablegen und von denen zur Zeit von Coulombs erstem Elektrizitätsgesetz noch nicht die Rede sein konnte.. Die Anziehung reicht in beiden Fällen dazu aus, den schwächeren Körper aus seiner bisherigen Bahn in die Nähe des stärkeren zu bringen; aber sie ist in beiden Fällen nicht so stark, um den schwächeren Körper zu nötigen, sich in den stärkeren zu stürzen oder auch nur in eine engst© Nähe zu ihm zu kommen; sondern es findet in beiden Fällen ein Mittleres statt: der schwächere Körper beginnt den stärkeren zu umkreisen. Allerdings gilt diese Regel nur für einen Teil dieser Erscheinungen: andere Elektronen können in der Tat vom positiven Kern, obwohl er einen so sehr viel kleineren Umfang hat, verschluckt werden. Doch kann dieser Tatbestand hier vorläufig bei Seite gelassen werden.

Der Kreislauf der negativen Elektronen.

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Diese kreisenden, zuweilen auch elliptischen1 Umlaufbewegungen — dies sei hier nebenher bemerkt — haben im Baugeschehen der Welt eine ganz außerordentliche Bedeutung. Ihre Bahn ist das Ergebnis einer reinen Verursachung, einer von außen her kommenden physikalischen Bewirkung, einer Beugung der an sich selbstverständlich geradlinigen Bahn der angezogenen Körper. Zunächst ist die Anziehung nur die alte, mechanische, durch Newtons Gravitation umschriebene; diese aber ist gemäß der Größenordnung dieser Urkörper so verschwindend klein, daß sie neben der elektrischen Anziehung nach Coulombs Gesetz gar nicht ins Gewicht fällt. Im Fall der Entstehung eines neuen Atoms wird die Bahn des eingefangenen Elektrons durch das Zusammenwirken dieser anziehenden Kraft mit der dem Elektron bisher innewohnenden geradlinigen Bewegung bestimmt und so entsteht die diesem nunmehr zwangsläufig vorgeschriebene kreisförmige oder, wie genauere Forschung ermittelt hat, elliptische Bahn2. Der Kreislauf spielt im Werdegang der Bewegung eine Rolle von höchster Bedeutung. Denn verglichen mit der Bewegung des immer in der gleichen Richtung vorwärts gehenden, unaufhaltsam durch den Weltraum eilenden Elektrons ist hier eine Form der Bewegung geschaffen, die zur einen Hälfte zwar noch Bewegung bleibt, die zur anderen Hälfte aber eine Stillhaltung ist, eine Sistierung oder, wenn das Wort erlaubt ist, eine Fixation der Bewegung, insofern sie absolute Ortsveränderung, Zurücklegung einer Strecke im Weltraum bedeutet. Es wird ein seltsames Mittelding zwischen Bewegung und Nicht-Bewegung geschaffen. Darf man soanthropomorphe, unserem eigenen Wesen allzu nahe Urteile aussprechen, so wird, wie schon berührt, dem bis dahin freien Elektron ein Verlust an Aktivität zugefügt, ein Verlust, dessen Maß durch die Herabsetzung der Geschwindigkeit, unter Umständen von 1 ) Kramers und Holst, Das Atom und die Bohrsehe Theorie seines Baus (1925) 79. 2 ) So Sommerfeld, Atombau und Spektrallinien ( 3 1922) 286ff.

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Verursachtheit: Namenlose Gewalten: Compositio oppositorum.

300000 Sekunden-Kilometern auf 579 Sekunden-Kilometern1, noch durchaus nicht voll umschrieben ist, sondern das erst durch jene halbe Stillehaltung recht gekennzeichnet wird. Aber mag der Verlust, den solchergestalt das Einzelwesen des Elektrons erleidet, ein ungeheurer sein, mindestens ebenso gewaltig ist der Gewinn, den das Insgesamt des Weltbaus durch diese Umwälzung erfährt. Es kann kein Zufall sein, daß mit dem Eintritt des Kreislaufs der nunmehr gebändigten Elektronen erst das geschaffen ist, was in dem Weltbild, das der nachbohrschen Physik entspricht, Materie genannt wird. Denn mit diesen Kreisläufen der Elektronen ist das Atom entstanden, d. h. der Baustein, aus dem in hundertfacher neuer Bündelung und Ordnung der Bau der Welt erwächst. Die compositio ojypositorum, der Verbindungsdrang der Gegensätze, ist an dem Zustandekommen des Kreislaufs entscheidend beteiligt: denn dadurch, daß ein negatives Elektron von einem Kerne, von einem Proton angezogen wird, daß es aber auch gemäß der in ihm selbst vorwärts treibenden Kraft seine an sich geradlinige Bahn weiter zu verfolgen trachtet, ist diese neue Form bewegten Geschehens zu Stande gekommen2. Der Vorgang entspricht dem äußeren Erfolg nach durchaus dem Zustandekommen der Kreis- oder elliptischen Bahnen, die die Monde um die Planeten, die Planeten um die Sonne zurücklegen. Das Bedürfnis eines nach Vereinheitlichung trachtenden Forscherdranges möchte zu dieser Ähnlichkeit des äußeren Vorganges auch eine Ähnlichkeit der Antriebe, die beide Geschehensformen im Gang erhalten, also der mechanischen Gravitation Newtons, der elektrischen Anziehungskraft Coulombs erwiesen haben. Doch hat sich eine solche bis heut nicht nachweisen lassen. Nur ist denkwürdig, daß ein Forscher von der schöpferischen Kraft von Lorentz die Lehre aufgestellt hat, daß die gleiche elektrische An*) So in der fünf quantigen Bahn des Wasserstoffatoms (Graetz, Atomtheorie 5 81 f.). 2 ) Graetz, Atomtheorie 6 80.

Der Kreislauf im Bau der Materie.

Magnetische Anziehung.

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ziehungskraft, die positive auf negative Elektronen ausüben, auch von der Sonne auf ihre Planeten ausstrahle, sie zu ihren Kreisläufen zwinge. Er ging von der Unterstellung aus, daß die ungleichnamigen Elektronen sich um ein Geringes stärker anziehen, als sich die gleichnamigen abstoßen. Und er legte mit voller Überzeugungskraft dar, daß dann, wenn diese Voraussetzung zuträfe, die Anziehung, die die Körper nach Newtons Gravitationsgesetz auf einander ausüben, völlig hinlänglich durch dies Mehr an elektrischer Anziehung erklärt sein würde 1 . Doch ist diese Lehre nicht angenommen worden, sie ist im Strom der Wissenschaftsgeschichte untergegangen, ohne auch nur Spuren hinter sich zurückzulassen. In die Reihe der verschiedenen Formen des Verbindungsdranges von einander entgegengesetzten Geschehensträgern gehören endlich auch die magnetischen Erscheinungen. Sie werden als Folgevorgänge des elektrischen Geschehens erklärt 2 und haben mit diesem gemein, daß auch sie sich in zwei entgegengesetzten Wirkungsweisen bezeugen und daß auch in ihrem Bezirk Ähnliches von Ähnlichem abgestoßen, von Unähnlichem aber angezogen wird. Coulomb hat auch für sie das grundlegende Gesetz aufgestellt: gleichnamige Magnetpole stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Immerhin ist es doch zu einer Verbindung der drei Hauptformen des ursachlosen Verbindungsdranges gekommen: man hat sie unter dem höheren Gesichtspunkt der Feldtheorie zusammengefaßt. Diese ist von Maxwell zuerst für die elektrischen Vorgänge aufgestellt. Er nahm an, daß um die elektrisch geladenen Körper ein Dielektrikum sich breite, in dem auch Elektrizität vorhanden sei, nur sehr ') Oppenheim, Probleme der modernen Astronomie (1911) 156. 2 ) Sie sind viel zu verwickelt, um hier auch nur angedeutet werden zu können. Kurze Darlegungen bei Graetz, Die Physik (1910) 310, 328. Der Mangel an zureichenden Begriffsumgrenzungen (vgl. oben S. 370) wird an diesem Ort des physikalischen Lehrgebäudes (s. z. B. Auerbach, Wörterbuch der Physik [1920] 271) dem Außenseiter zu besonders schwerer Plage.

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Verursaohtheit: Namenlose Gewalten: Compositio oppositoram.

viel schwächer, gleichsam in verdünnter Lösung. Lorentz hat mit seiner Elektronentheorie auch diese Lehre fortgebildet. Und heute sieht man in den Elektronen nicht mehr die einzigen Träger der Elektrizität, sondern nur bevorzugte, von besonders viel Elektrizität aufgesuchte Baumteilchen — Elektrizitätsknoten — umgeben von Kraftfeldern, die nur an geringeren Dosen von Elektrizität Anteil haben. Diesen elektrischen Feldern entsprechen aber die magnetischen und die Gravitationsfelder; und da alle drei Formen unendlich weit sind, so können auch die größten Entfernungen, wie sie zwischen Gestirnen sich dehnen, von der elektrischen Anziehungskraft überwunden werden, in der aber auch die magnetische und die der Gravitation aufgehen. Selbst die Anziehungskraft, die offenbar auch zwischen Fixsternen waltet und noch das Milchstraßensystem, als Gesamtkörper zusammenhält, verliert ihre Unerklärbarkeit. Die alte Fernwirkung, die zur Zeit der mechanischen Physik als trägerlos dem Denken soviel Schwierigkeiten machte und die Newton hinzunehmen sich unwillig weigerte, hat sich nun in eine Nahwirkung verwandelt, die dennoch jeden Raum überwindet. Die Frage des Äthers, die bis dahin ein so peinliches Kreuz für die naturwissenschaftliche Begründung darbot, geht in diesem Begriff des Kraftfeldes auf. Kurz eine ganze Fülle von bis dahin unlösbar scheinenden Rätseln des Weltgeschehens ist mit dieser Hülfsvorstellung gelöst, die, da sie auf keine Widersprüche im Erfahrungsbereich stößt, als unerschütterlich gelten muß 1 . ') Lorentz, der als Geschichtsschreiber der Physik auch die nach ihm auf den Plan getretenen Lehren verfolgt, sagt (1925) zu dieser, noch halb sie abwehrend: »es sind manche Physiker sogar so weit gegangen, gar nicht mehr von einem Aether, sondern nur von dem sich im Raum ausbreitenden elektromagnetischen Feld zu sprechen. Die Frage inwiefern dies zweckmäßig sei, muß hier dahingestellt bleiben«. Diese Sätze seien hier als ein Beispiel dafür herausgehoben, wie in der Kette der Wissenschaftsentwicklung sich halb erhaltend, halb gegensätzlich Glied an Glied setzt. (Lorentz, Die Maxwellsche Theorie und die Elektronontheorie. Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Physik [* 1925] 366.

Kraftfelder.

Gegensatz der Geschlechter.

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Weit über die Grenzen des anorganischen Reiches hinaus hat die Geschehensform der compositio oppositorum ihre Herrschaft erstreckt. Der Gegensatz zwischen den beiden Geschlechtern im Pflanzen- und mehr noch im Tierreich zeigt dieselbe Erscheinung der Anziehung zwischen Verschiedenartigem, der Abstoßung oder zum wenigsten der Gleichgültigkeit zwischen Gleichartigem. Causae occultae wirken hier in des Wortes betontester Bedeutung und in der Auswirkung des gleichen Doppelverhältnisses; auch noch bis tief in das seelische Verhältnis zwischen Männern und Frauen findet dieser Vereinigungsdrang von Gegensätzen den letzten, den stärksten und zugleich den rätselreichsten Ausdruck.

Vierter

Abschnitt.

Die Grenzen des Reichs der Verursachtheit. Erstes Stück. Begriff und U m f a n g der V e r u r s a c h t h e i t . Ehe auf Wesen und Betätigung der Verursachtheit im geschichtlichen Leben der Menschheit eingegangen werden kann, ist erforderlich sich über Begriff und Umfang des Gedankens »Verursachtheit« zu verständigen. Was den Namen anlangt, so ist im Bereich der reinen Erfahrungswissenschaft, den die Geschichtslehre dieser Blätter nie verlassen möchte, nicht nur wie sonst aus den Gründen der Sprachschönheit und Sprachklarheit das deutsche Wort dem fremden vorzuziehen, sondern ebensosehr um deswillen, weil das so unvergleichlich viel häufiger benutzte Kausalität mit Verursachtheit sich keineswegs völlig in seiner Bedeutung deckt. In Kausalität schwingt der Beiklang Kausalgedanke hörbar, ja fast vorherrschend mit, während er in dem Wort Verursachtheit gar nicht lebendig wird: Verursachtheit redet nur von Wirklichkeiten, nicht vom Denken über sie.

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Verursachtheit: Grenzen: BegriH der Verursachtheit.

Diese Sehweise aber kann allein die für die folgenden Darlegungen maßgebende sein. Damit sind alle logizistischen und alle phänomenologischen, d. h. alle von anthropozentrischen Gesichtspunkten ausgehenden Betrachtungsarten ausgeschaltet, die von der Mitte Mensch her die Verursachung, sei es in der Linie Descartes-Husserl als Erscheinungsform oder noch eingeengter den Ursachengedanken im Sinn Kants und der ihm Geistesverwandten als Denkform auffassen. Beide müssen für ein endgültiges Bild des Gesamtzusammenhangs der Ursachenlehre unzweifelhaft herangezogen werden, insofern auch sie in einem von ihnen selbst freilich absichtsvoll verborgenen Kern Grade des Erkennens der Wirklichkeit darstellen, die wesentlich sind, noch ganz abgesehen von ihrer denkgeschichtlichen Bedeutung. Soll aber das Wesen der Verursachtheit nur insoweit untersucht werden, als es eine Form des wirklichen Geschehens ist, so dürfen, ja müssen jene Sehweisen völlig bei Seite gelassen werden. Denn solche Betrachtung geht von der von allen Logizisten wie Phänomenologen verworfenen Meinung aus, daß die Welt uns auf dem Wege der sinnlichen Wahrnehmung erkennbar sei1, daß mithin auch eine Wissenschaft vom Sein der Welt möglich sei, die sich auf eine sachhafte — objektive — und nicht auf eine ichmäßige — subjektive — Erkenntnis der Welt stützt. Und es ist wohl im Gesamtbereich der Philosophie, soweit man sie als Daseinslehre auffaßt, kein Fragenzusammenhang aufzufinden, an dem sich stärker die Nachteile einer nur formalen Behandlung von Dingen erweisen, die der wirklichsten Wirklichkeit und nur ihr angehören. Solcher Formalismus aber ist in dieser Sache in der Regel selbst bei den ') Es muß von neuem in Hinsicht auf diesen Fragenzusammenhang verwiesen werden auf die Darlegungen, die in dem Schlußband dieser Schriftenreihe der Daseins-, Erkenntnis- und Forschungslehre gewidmet werden sollen, so weit sie die Geschichtswissenschaft angehen. Ich hoffe dort die mir wohlbekannten Bedenken gegen die oben vertretene Lehrmeinung entkräften zu können.

Verareachtheit und Wirklichkeiten.

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Philosophen Brauch gewesen, die an sich der Seite von Wirklichkeit und Erfahrung zugeneigt waren. Der Schaden aber ist vorzüglich dadurch entstanden, daß diese formalistische Behandlungsweise doch, wie es nicht anders sein konnte, sich auf dem Grunde einer, wenn auch noch so schmalen Unterlage von Erträgen erfahrender Wissenschaft erheben mußte. Diese war die Anschauung einer noch ganz grob mechanischen Physik; sie konnte sich Ursache und Wirkung durchaus nur unter dem Bilde der Bewegungen eines stoßenden und eines gestoßenen Körpers vorstellen und rief eine Lehre ins Leben, die diesen an sich recht grobbalkigen Geschehenskern mitsamt dem von ihm abgeleiteten Verursachungsgedanken als einzig maßgebende Grundlage für ihren Denkbau hinnahm. Und was einmal übernommen war und was allenfalls für eine erste Arbeitsunterstellung genügt haben würde, behielt man bei; es ist fast peinlich zu sehen, wie durch Jahrhunderte zum mindesten die Lehrer einer wirklichkeitsnahen, oft aber auch die einer ableitenden und im Voraus setzenden, also einer deduktiven und aprioristischen Daseinswissenschaft sich mit diesem nur allzu kargen Anlagekapital einer erfahrungsmäßigen Ursachenauffassung begnügten und damit dann ein mannigfaltiges und oft recht willkürlich-buntes Denkspiel trieben, ohne je auf den doch wahrlich nahe liegenden Gedanken zu verfallen, daß es geraten sei, jene uranfänglich geschaffene, aber bekümmernd einfache Grundlage von physikalischer Erfahrung auf ihre Vollständigkeit und ihre Widerstandskraft gegen etwaige Einwände zu prüfen. Mit jener seltsamen Vorliebe für Gedankengebilde, die mit einem Mindestmaß von erfahrender Wirklichkeitsbeschreibung ein Höchstmaß von reiner Begriffsbaukunst verbinden, ist man zu öftest bis zum heutigen Tage mit jener ältesten und primitivsten mechanischen GrundVorstellung ausgekommen und hat sich verhalten, als hätte unser Erkennen lediglich die aus der Erfahrung stammenden Anhalte, die schon dem Grafen Thomas von Aquino zur Verfügung standen. Erst in der Gegenwart, als einem

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Verarsachtheit: Grenzen: Begriff der Vernrsachtheit.

Zeitalter der höchsten Blüte physikalischer Wissenschaft, sind die Männer derjenigen erfahrenden Einzelwissenschaft, auf deren Hilfe man freilich am ersten hätte rechnen müssen, herzugetreten und haben begonnen den — an sich weiten — Bezirk dieses Fragenzusammenhanges einer Prüfung zu unterwerfen. Sie haben dabei die Sonderfragen der Gesetzlichkeit und der Notwendigkeit des ursächlichen Geschehens bevorzugt, welche beide nicht heute noch hier berührt, sondern einem anderen Ort des Lehrgebäudes vorbehalten werden sollen; die Frage der Verursachtheit in dem hier gemeinten Sinn blieb noch unerörtert. Dabei giebt es einen schlechthin die Mitte des gesamten Fragenkreises ausmachenden, innersten Kern in ihm, an dem eine Kritik der bisher vertretenen Verursachtheitsvorstellungen einsetzen kann mit der Hoffnung, sie dadurch auf das wirksamste zu durchprüfen. Manche Mängel lassen sich der bei aller ihrer Elementarität doch immer noch, wenngleich vielleicht nur aus dem Hintergrund, herrschenden Grundvorstellung von Ursache und Wirkung nachweisen. Sie haben allesamt ihren Ursprung in jener so ganz zeitbedingten und zeitbeschränkten Mechanistik der Stoß- und Staccato-Vorstellung, die man aus den kärglichen und in Wahrheit oberflächlichen Erkenntnissen einer kindhaften Physik abgeleitet hatte. Diese geht von folgender Voraussetzung aus: sie behauptet, daß alles Geschehen in Teileinheiten, in EinzelGeschehnisse zerfällt. Diese Meinung war schon damals — etwa zu Keplers und des Kopernikus Zeiten — als sie, noch nicht allzu alt, in vollster Blüte stand, willkürlich und durch eine schon damals leicht erlangbare Erkenntnis erfahrungsmäßig zu verbessern oder wenigstens zu ergänzen. Hätte man sich an den Lauf der Gestirne gehalten, so hätte man einsehen müssen, daß es eine Form des fließenden Geschehens giebt, die in vollem Widerspruch zu jener Staccato-Auffassung des Geschehens steht. Soll man etwa den Lauf der Erde um die Sonne von der 1. bis zur 10000. Meile die Ursache für ihren Lauf von der 10001. bis zur 20000. Meile nennen ?

Staccato-AuffasBung eines flieflenden Geschehens.

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Die Frage aufwerfen heißt sie beantworten, heißt sie unbedingt verneinen, insofern hier ein stetiges, längst in Bewegung befindliches, und noch weit über sich hinaus dauerndes Geschehen willkürlich in Stücke zerschnitten und willkürlich jedes von ihnen zu einer unabhängigen Einheit gemacht würde. Allerdings ist für zwei so abgetrennte Bahnabschnitte des Kreislaufs der Erde um die Sonne — abgesehen von der anziehenden Bewirkung der Erde durch die Sonne — die Bewegung des vorausgehenden Bahnabschnittes insofern verursachend, als im zweiten die Bewegung des ersten zwangsläufig fortgesetzt wird. Aber die Abtrennung ist willkürlich auch dann, wenn man die Abschnitte auf ein Mindestmaß verkleinern würde; man hätte dann eine Quantentheorie des Geschehens schaffen müssen, für die nicht die mindeste erfahrungsmäßige Grundlage vorhanden gewesen wäre. Schon das erste Bewegungsgesetz Newtons hätte eine solche Aufteilung eines an sich fließenden Geschehens als verkehrt erkennen lassen müssen. Und in Wahrheit ist eine solche Quantentheorie auch aufgestellt worden, schon durch die Zerhackung alles Geschehens in Einzelgeschehnisse, eine Maßnahme, die an sich, wie sogleich in dem Abschnitt »Das Ding Welt« nachgewiesen werden wird, in vielem Betracht irreführend war, wenn sie auch aus Gründen der denkerischen Praktikabilität unvermeidlich sein mochte. Aber sie wäre nur zulässig gewesen unter beständigem Hinweis auf ihre nur provisorische Gültigkeit. Auch sie hätte, sobald durch Newtons Gesetz ein so fließendes Geschehen, wie die an sich unaufhaltsam fortgehende Bewegung einmal in Bewegung befindlicher Körper aufgedeckt worden war, wenn nicht aufgegeben, so doch durch Feststellung einer zweiten Form des Geschehens, eben der des fließenden Geschehens ergänzt werden müssen. Auf diese innerlich notwendige Folgerung aber ist in zweieinhalb Jahrhunderten niemand gekommen, obwohl sie nahe genug lag und obwohl nicht nur eine kaum absehbare Reihe scharfsinniger, sondern auch eine Anzahl großer Denker beständig

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Verursachtheit: Grenzen: Begriff der Verursachtheit.

um den Aufgabenzusammenhang der Verursachtheit bemüht war. Hier hat sich einmal die Neigung der Männer des reinen Denkens immer nur im luftleeren Raum einer erfahrungslosen oder doch wenigstens erfahrungsfremden Begrifflichkeit zu arbeiten auf das Sichtlichste gerächt. Selbst das Werk Newtons, das doch wahrlich den Stempel höchster Begriffsschärfe an sich trug, vermochte nicht sie zu der Frage anzuregen, ob denn die von ihnen bisher benutzte Erfahrungsgrundlage nicht zu schmal sei. Man möge diese Darlegung nicht mißverstehen: es würde möglich sein von jenen Bahnabschnitten des Kreislaufs der Erde um die Sonne auszusagen, daß die Bewegung des ersten die Ursache für die Bewegung des zweiten sei, weil die dem ersten innewohnende bewegende Energie ausreicht, um sich der Bewegung des zweiten mitzuteilen und sie zu ermöglichen. Aber ebenso gewiß ist, daß eine Verursachung, die nur aus der Bewirkung der Fortsetzung eines schon längst im Gang befindlichen Geschehens besteht, eine gänzlich andere Form darstellt, als die von der Stoß- und StaccatoAuffassung des Ursache-Wirkungs-Verhältnisses. Trat nun die Entdeckung des ersten Newtonschen Bewegungsgesetzes hinzu, daß ein einmal in Bewegung befindlicher Körper diese ungemindert fortsetzt, solange ihn kein Hindernis aufhält, so hatte für sehr viele Arten des fließenden Geschehens der Verursachungsgedanke jeden Sinn verloren. Die Lehre von der Eigenbewegtheit, von der ja das Newtonsche Bewegungsgesetz nur einen speziellen, seinem Geltungsbereich wie seiner Auswirkungsform nach beschränkten Fall darstellt, setzt dann vollends in dem von ihr überdeckten Bezirk den Verursachtheitsgedanken außer Wirksamkeit. Nimmt man sie an, dann ist nicht nur rätlich, sondern unausweichlich, alle Erscheinungen, die sich durch sie erklären lassen, völlig aus der Geschehensform der Verursachtheiten herauszulösen und sie so, wie hier geschehen ist, als eine von ihr unabhängige, ihr ebenbürtige und ganz auf sich selbst beruhende Form des Geschehens anzuerkennen.

Unabhängige Eigenbewegtheit.

Geschehenseinheit der Welt.

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Zweites Stück. Die Absonderung des Ichs v o n der Welt. Es sind alles Formen der Eigenbewegtheit, von deren Ursprung in dem Dunkel, für das hier der Ausdruck Causae occultae als Gesamtbezeichnung gewählt wurde, gehandelt wurde. Es sind jedes Mal Kräfte, Antriebe, die die ersten Strecken von den langen Linien eigenbewegter Geschehensreihen beherrschen und deren Wesen verborgen bleibt. Aber auch im Reiche des verursachten, im Ganzen also im Licht tagheller Überschaubarkeit lagernden Geschehens giebt es dunkle Grenzmarken, die unser Blick keineswegs durchdringen kann, von denen wir vielmehr annehmen müssen, daß sie sich zuerst in das Zwielicht halber Wißbarkeit, bald aber in die Nacht völliger Entzogenheit verHeren. Wenn hier der innere Umfang derVerursachtheit so umgrenzt wurde, daß sie nur bis dahin reicht, wo die der Eigenbewegtheit vorbehaltenen autarken und autogenen, selbstgenugsamen und eigengewordenen Geschehensreihen sich kreuzen oder bewirken, so liegt die Folgerung nahe, daß auch die Grenzen des äußerlichen Bezirks der Verursachtheiten nicht allzu weit hinausgerückt sein könnten. In Wahrheit aber sind sie wohl ins Unendliche hin auszudehnen, das Wort im mathematischen, also im betontesten Sinn verstanden. Doch ist der Beantwortung dieser Frage nur auf einem etwas weiten Umwege beizukommen; handelt es sich hier doch um nicht mehr und nicht weniger als um die Cohärenz, die Geschehenseinheit und Geschehensdichtigkeit der Welt. Und um mit einem Satze sogleich die Aufstellung zu erreichen, die als Ziel dieser Beweisführung gelten soll: es giebt nur ein Ding Welt, es giebt nicht eine Mehrzahl von selbständigen, unter einander unabhängigen Einzeldingen, wie unsere Namengebung, aber auch unsere. Begriffssetzung es erscheinen lassen. Die Welt ist Eines, nicht Mehreres oder Vieles, wie die mehrtausendjährige Gewohnheit unseres

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Verursachtheit: Grenzen: Absonderung des Ichs von der Welt.

Sehens es uns einbildet; jedes von uns sogenannte Einzelding oder Einzelwesen ist ein Teil des Weltganzen, der aus ihm ganz ebenso wenig herausgetrennt, aus ihm herausgeschnitten gedacht werden kann, wie der kleinste Teil eines lebendigen Leibes aus ihm herausgeschnitten und ihm gegenüber verselbständigt zu denken ist. Jedes Einzelding und vor allem das Einzelding Ich, dem wir diese Selbständigkeit von jeher am ehesten und am unbedingtesten zuzuerkennen gewohnt sind und dem sie doch ebensowenig wie irgend einem anderen Teilding der Welt zukommt, ist nicht ein Wesen für sich, ist vielmehr nur Teil vom Teile, Teil des einen und einzigen Dinges Welt. Von diesem Teilding Ich aber muß ausgegangen werden, nicht weil es, wie wir so häufig wähnen, eine Herrscherstellung, ein Königsvorrecht in Anspruch zu nehmen ermächtigt wäre, sondern weil zu mutmaßen ist, daß alle die falsche Individualisiertheit, die unberechtigte Besonderheit, die wir den Einzeldingen in der Welt einzuräumen pflegen, ihren denkmäßigen oder richtiger zu sprechen denkgeschichtlichen Ursprung in jener ersten Individualisiertheit, in jener hauptsächlichen Besonderheit hat, mit der der Mensch in dem seiner Art wie in Notwendigkeit angeborenen Hochmut die eigene Persönlichkeit schmückte, bewehrte, verstärkte, um ihr die herrscherliche Stellung gegenüber der Welt zu verleihen, die er nötig zu haben glaubt, um sich in seinem Kampf ums Dasein zu behaupten. In naiveren Zeiten hatte er diese sozusagen unrechtmäßige Verstärkung vielleicht nötig, denn der ihm auferlegte Kampf war doch auch ein seelischer und nicht zum geringsten Teil ein innerer, gegen die Gewalten im eigenen Ich gerichteter und deshalb eigens schwerer. Für uns Heutige aber, in denen nicht wenige von diesen inneren Feinden zum Absterben gekommen sind, erwächst aus einem unbefangenen Verhältnis zur Welt die Pflicht, bei unserem Ich zu beginnen, wenn es sich darum handelt, alle diese Individualisationen, diese Besonderheitsrechte auf ihre Stichhaltigkeit nachzuprüfen. Und man wende auch

Prüfung der Besonderheitsrechte nach Gehalt, nicht nach Form.

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nicht ein, daß eine solche Nachprüfung ganz und gar in den Bezirk reiner Erkenntnislehre falle und deshalb nach den sonst auf diesen Blättern befolgten Grundsätzen von ihnen ausgeschlossen bleiben müsse. Denn dieser Einwurf trifft nur der begrifflichen Form, nicht dem Wirklichkeitsgehalt nach zu; ist doch das Verhältnis zwischen Ich und Welt durch das Begriffsnetz einer formalen Erkenntnislehre nur in den von ihr selbst ihm verliehenen begrifflichen Prägungen, nicht seinem Seinskern nach einzufangen. Dieses Verhältnis ist ein physikalisches, ein physiologisch-biologisches und endlich ein psychologisches und hat in allen diesen Beziehungen mit den formalen Ordnungen der Erkenntnislehre nicht mehr zu tun, als jedes, auch das elementarste wissenschaftliche Tun überhaupt; denn jenen Eiferern, die da erklären schon die Festsetzung des Ausdrucks Blatt sei eine erkenntnistheoretische — wo nicht gar metaphysische —• Maßnahme, um deren willen die Herrschaft der reinen Erkenntnislehre in den Einzelwissenschaften, hier in der Pflanzenkunde, schon bei den elementarsten Begriffsabgrenzungen beginne, werden wir doch entgegnen müssen: ganz wohl, ihr mögt im Sinne eines strengsten — und engsten — Formalismus Recht haben, aber zur Erforschung der Wirklichkeit trägt eine reine Begriffsprägung nicht mehr bei, als ein Messerschleifer zur Arbeit eines Anatomen. Und verwunderlich ist nur, daß es noch einige Männer der Erfahrungswissenschaft giebt — und es sind nicht die schlechtesten — die solchen Rechtgläubigen des reinen Begriffs Hilfe leisten und damit dann freilich die Sicherheit ihres eigenen Wirkens in den Einzelwissenschaften in Frage stellen. Den Fanatikern einer Erkenntnislehre von letzter Ausschließlichkeit aber wird jeder Arbeiter in den Einzelbezirken der Erfahrungswissenschaft ruhevoll erwidern: macht es euch Freude auf Luft zu kauen, so mögt ihr dabei bleiben; wir ziehen eine etwas konsistentere Speise vor. Wie wenig eindringlich aber das rein begriffliche Werkzeug sich erweist, wenn es sich darum handelt die Grenzbezirke der Tatsachenwelt von ihrem

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Verursachtheit: Grenzen: Absonderung des Ichs von der Welt.

Ort aus zu durchdringen, das wird an jenen Schriften erkennbar, in denen Begriffstheoretiker unternehmen etwa eine Forschungslehre für die Geschichtswissenschaft zu entwerfen und von denen jedes Blatt ihres stattlichen Umfangs erkennen läßt, daß ihnen weder die Erforschung geschichtlicher Dinge aus eigener Übung vertraut, noch der Inhalt der Geschichte aus eigenem Wissen bekannt ist. Und dennoch glauben sie einem ganzen großen Wissenschaftsbezirk, der ihnen im Grunde völlig fremd ist, das Gesetz ihrer Forschungslehre auferlegen zu können. In dem Grenzzug, den die Umrisse unseres leiblichen Ichs zwischen ihm und der Welt entstehen lassen, ist nicht eine Stelle zu entdecken, an der die Besonderheit unseres Seins irgend erfolgreich gegen die übermächtigen Einwirkungen der Welt abgeschlossen wäre. Die Zahl der Schädigungen, die uns von ihr zugefügt werden können, und die bis zum vollen Verderben sich erstrecken, ist Legion. Eine Klimaänderung, die vom Standpunkt der Geschichte unseres Sterns aus betrachtet ein Mindestmaß bedeuten würde, wäre im Stande, dem Dasein des Menschengeschlechts in kurzer Frist ein Ende zu setzen. Der Leib des höchsten Denkers kann von Lebewesen, die erst das bewaffnete Auge wahrnimmt, in wenigen Monaten zerstört werden. Und was noch weit mehr besagen will, Klimaänderungen, die ein Volk etwa durch Wanderungen ohne das mindeste Bewußtsein von den Folgen seines Tuns auf sich herabbeschwört, können sein geistiges Schaffen, ja noch sein seelisches Sein bis in die letzten und feinsten Verfaserungen grundstürzend verändern. Noch tiefer aber dringt das Wirken und Wesen der Welt in unser geistiges, unser seelisches Sondersein durch die viel stilleren, ja kaum spürbaren Einflüsse, denen die Anordnung und der Bau unseres Hirn-Denkwerkzeuges durch hundert Pforten Einlaß gewährt. Unser Denken ist seiner leiblichen Hälfte nach angewiesen auf den nach Tausenden von Bildern zählenden Vorrat von Engrammen, d. h. von den unsern Hirnganglien eingeprägten Restspuren, die die

Verflochtenheit von Weltgeschehen und Ich.

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Einzelstücke unserer Merkwelt nach ihrem ersten Eindringen zurückgelassen haben. Mit ihnen neue Bild-Verbindungen herzustellen und insofern frei zu denken, ist unserem. HirnDenk-Apparat wohl verstattet, aber niemals ist das anders möglich als durch Verwendung und Fortbildung jener einzelnen von der Welt empfangenen Engramme, und selbst die Wege, die diese Denkbilder-Verbindungen einschlagen, sind uns zweifellos durch den Lauf der Leitungsbahnen zwischen den Ganglien vorgeschrieben. Auch die kühnsten Verbindungen bauender Forscher, phantasie-starker Künstler sind auf dieses unser habendes Vermögen angewiesen, das doch nur Leihgut ist, uns von der großen Spenderin Welt geschenkt. Die Freiheit des menschlichen Denkens und Bildens ist ganz ebenso wie die unseres Willens, von der das Gleiche schon dargelegt wurde, nach allen Seiten eingegrenzt. Wohl sprechen wir von unserem Denken, allein es stünde uns besser an zu sagen: es denkt in uns. Es ist unmöglich zuzulassen, daß ein so beschaffener Denkapparat, eine so beschaffene Merkwelt, wie sie uns zur Verfügung stehen, je auch nur um eines Haares Breite abweichende Erzeugnisse hervorbringen könnten, als sie in uns erstehen lassen, nur etwa weil wir es »wollten«. Es giebt keine unser Denken leitende Nebenmacht in uns, die es wie der Reiter sein Pferd lenken könnte; unser Ich ist ein ungeteiltes. Und da unser Wollen nur einen Teil unseres Denkens ausmacht, so ist es in den gleichen fest umschränkten Zwangslauf des uns durchschreitenden Weltgeschehens gebannt. Man würde auch sehr viel richtiger sagen: es will in uns, als ich will. Der Vorgang aber, der sich in uns vollzieht, ist stets ein doppelter, ein leib-seelischer, der zwei Wirkungsformen, aber nur ein untrennbares Wesen hat. Es ist wahrlich nicht zu verwundern, daß wir von unserem Ich wie von einem Herrscher reden: das ist es auch, insofern uns das Weltgeschehen mit außerordentlichen Gewalten des Denkens, des Willens ausstattet. Aber dieser Herrscher B r e y Big, Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte.

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Verursachtheit: Grenzen: Absonderung des Ichs von der Welt.

wird beherrscht von der Welt, die auf ihn einwirkt und von der er ein Teil ist. Unser Ich ist Schauplatz, ist Werkzeug des Wirkens der Welt, das sich in uns zu einzigartigen Wirkensformen sammelt. Elektrische Knoten sind wir, um ein physikalisches Bild zu gebrauchen; das Geschehen rafft und strafft sich in uns zu sonst unerhörten Steigerungen zusammen, aber wir sind wahrlich nur die Träger dieses verstärkten, dieses potenzierten Geschehens, nicht, wie wir in kindlichem Hochmut wähnen, seine Schöpfer. Ist es nun aber so, durchflutet uns das Weltgeschehen, zwar gewiß ein kurzes Zeitmaß zu einzigartiger Wirkenshöhe sich sammelnd, nachher aber einen hülflosen Haufen anorganischer Urkörper hinterlassend, so schwindet doch auch der Anspruch dieser Partikel Welt auf eine Abgesondertheit, eine Individualität, die ihr wohl für unser beschränkt ichmäßiges Sehen, nicht aber vom Gesamtsein der Welt her betrachtet zukommt 1 . Heute sei noch dahingestellt, in welchen ihrer Bekenntnisse die Urzeit-Mystik des Allseelenglaubens viele Urbestandteile und Ahnungen einer Weltsicht enthält, die von dieser Ichabsonderung noch nichts weiß; die echten und reifen Mystiken der außereuropäischen und europäischen Mittelalter würden dann schon — am ausgesprochensten im spätbrahminischen und im buddhistischen Weltbild — eine bewußte Rückwendung von den eigens klar und fest umrissenen Göttergestalten der Alterstumsstufe bedeuten, die ihrerseits als äußerst herausgetriebene Abgesondertheiten — Individualisationen — des Menschenichs anzusehen sind und die in den ihnen zugeordneten Unsterblichkeitsvorstellungen x

) Die obigen Darlegungen sind nicht in der Grundsetzung, noch weniger in irgend welchen Einzelheiten von Theodor Lessing entliehen. U m so notwendiger ist, darauf hinzuweisen, daß seine gegen, die Subjekt-Objekt-Trennung in unserer Weltsicht (Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, Anhang zu Buch I [ 4 1927] 112) gerichteten Bemerkungen mir, als ich sie später kennen lernte, wie die beste Bestätigung und Bestärkung meines Grundgedankens erschienen.

Steigerung der Welt im Ich. Ausformungen des Ichgedankens.

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eine eigens unmittelbare Brücke zur Individualisation des Menschenichs selbst erhielten. Und in der Gedankengeschichte, in der sich diese seelische Entwicklung nicht zuletzt ihren Ausdruck gefunden und gegeben hat, stellt der grenzenlose Hochmut, mit dem das achtzehnte Jahrhundert in der Linie Descartes—Kant sein Ichbild hoch über die Welt und unendlich weit getrennt von ihr wie ein Idol, ein Götzenbild aufrichtet, ein letztes Ausschwingen des Pendels nach dieser Seite dar. Es war ein Hochmut, dessen fast höhnischer Schrankenlosigkeit doch die Beschränktheit dieser geistigen Sicht, soweit sie das wirkliche Welt-Ich-Verhältnis zum Gegenstand hatte, nur entsprach. Kein Zweifel, Lehre wie Leben werden immerdar an der Umgrenztheit und an der Selbständigkeit des Weltfragments Ich ebenso festhalten, wie Recht und Sitte an der Herrschaft des wollenden Ichs über sich selbst und deshalb an seiner Verantwortlichkeit für sein Tun festhalten müssen. Zuviel ist nach der einen wie nach der anderen Seite daran gelegen, daß dem Ich die Spannungen, die ihm seine Ich-Souveränität eingiebt, zur Verfügung bleiben, mag sie auch eine zum Teil nur erträumte sein. Aber dieser sehr gute Grund unserer Seelenkunde, Lebens- und Seelenkunst darf uns nicht verführen, den für unser Erkennen wie unser Tun wichtigsten Tatbestand, das Ich-Welt-Verhältnis, willkürlich umzufälschen oder auch nur zu verhüllen.

Drittes Stück. Das Ding Welt. Es würde bei dem heutigen Stande dieser Forschung, die von der heute noch wenig ausgebildeten Semasiologie, der Wortbedeutungslehre und der weiter gediehenen, aber gewiß noch nicht vollendeten Wortgeschichte zu leisten wäre, schwer, ja fast unmöglich sein nachzuweisen, in welcher Zeit27*

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Verursachtheit: Grenzen: Das Ding Welt.

folge und auf welchen Wegen die Auslese derjenigen Realitäten, derjenigen Bruchstücke der sichtbaren Welt stattgefunden hat, denen der Mensch die Auszeichnung gegönnt hat, sie mit einem Namen und Begriff zu belegen und sie damit abzugrenzen gegen die übrige Wirklichkeit. Das Eine aber hat große Wahrscheinlichkeit für sich, daß aus jener Absonderung, jener Individualisation, die das Ich an sich selber vornahm, erst die anderen, den Sachen sich zuwendenden Absonderungen entstanden sind. An sich war es ja doch eine große Entscheidung in der Geschichte des Denkens der Menschen, daß sie die Welt, die doch vor ihren wahrlich nicht scheidungsgeübten, ja nicht einmal scheidungslustigen Augen wie ein ganz unklar in sich verschwimmendes Ganzes lag, in Teilstücke zu zerspalten begannen und diesen Teiletücken einen Sondernamen und damit ein Sonderdasein verliehen. Die Bedürfnisse des werktätigen Lebens halfen im weiteren Verlauf mit; vom Gewachsenen, Einzelnen ging man aus: es ist bezeichnend, daß ein Urzeitvolk von mittlerem Geeittungsstande, wie die nordwestamerikanischen Tlinkit, eher der Birke, Föhre, Eiche, Buche ihre Namen gaben, ehe sie zum Wort Baum gelangten; offenbar weil für diesen Sammelbegriff, der vielleicht mehr aus geistigem als aus Lebensbedürfnis aufgesucht wurde, eine abziehende — abstrahierende — Verstandestätigkeit als Werkzug nötig war. Hier bog sich der Geist schon wieder zurück und vereinigte, was er noch eben gespalten hatte, wieder wenigstens in Gruppen. Auf sehr viel höheren Entwicklungsstufen haben dann Zuspitzungen, Verschärfungen der Begriffsfestsetzung stattgefunden, die zweifelsohne die Grenzen dieser Absonderung noch wesentlich schärfer gemacht haben. Die Auffindung des Begriffs Begriff durch Sokrates mag eine der wichtigsten unter diesen Umwälzungen herbeigeführt haben: wie stark sie zur weiteren Absonderung, zur geprägteren Individualisierung des Einzeldings beigetragen hat, ist sehr nachdrück-

Absonderung durch Benennung. Gestaltung in Begriff und Idee. 421

lieh dadurch in Erscheinung getreten, daß Piaton mit seiner Einsetzung der Ideen nicht nur den sokratischen Begriffen einen Namen verlieh, sondern ihnen auch eine halb dichterische, halb plastische Gestalt gab, die ihnen mit ihrer überirdisch-ewigen Verklärung zugleich einen halb göttlichen Rang über den unvollkommenen Erdenwirklichkeiten gab. Damit aber wurde im Reflex, im Rückprall doch auch den irdischen Dingen ein Gewicht und ein Nachdruck von Fürsichsein verliehen, der diesen Werdegang zu immer schärfer umrissener Besonderheit, immer betonterer Individualisation fortschreiten ließ. Man wird sagen dürfen, daß in Hinsicht auf die Besonderheit des Dinges die Ausformung der platonischen Ideen eine ganz ähnliche Rolle gespielt hat, wie die Ausbildung der Göttergestalten auf der Altertumsstufe der Glaubensgeschichte im Hinblick auf die Besonderheit des Ichs. Jedes Mal wurde aus der fortschreitenden Individualisation eine fortschreitende Verpersönlichung — beide Male in der Form der ganzen oder halben Vergöttlichung — und die beiden Umwälzungen in der Geschichte des menschlichen Geistes bedeuteten jede für sich eine immer weiter gehende Entfernung des Weltbildes von der Weltwirklichkeit. Die Ergebnisse der Naturforschung des letzten Jahrhunderts setzen uns in den Stand, die Unmöglichkeit eines Für-Sich Seins der Einzeldinge einzusehen. So undenkbar es ist, einem Zweig, einem Blatt ein Sonderdasein zuzuschreiben, das sie abgetrennt von ihrem Baum führen könnten, so ganz eingebettet ihr Leben uns in das Leben des größeren Insgesamts, dem sie angehören, erscheint, so wenig kann der Baum selbst als unabhängig von der Erde gedacht werden, in der er wurzelt und aus der er sich nährt, von dem Wasser, das er aus ihr saugt, von dem Sauer-, dem Stickstoff und wieder der Feuchtigkeit, die er aus der Luft empfängt. Das Erdreich aber, in das er seine Wurzeln hinabsenkt, der Luftraum, in den er seinen Wipfel streckt, sie sind wiederum durch tausend und aber tausend sie verbindende Kanäle des

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Verursachtheit: Grenzen: Das Ding Welt.

Stoffaustausches mit weiter entfernten Teilbezirken des Weltgeschehens zu einem Netze vereinigt. Und da die Welt grenzenlos ist, so ist auch der Umfang dieses Netzes von Geschehensverbundenheiten grenzenlos1. Soll aber die Wirklichkeit, die wir in der Regel als eine Summe von Einzeldingen, d. h. von großen oder kleinen Bruchstücken auffassen, als Einheit angesehen werden, was nach all diesen Voraussetzungen unvermeidlich erscheint, dann ist nur sie in aller ihrer Unendlichkeit Ding. Es giebt, das darf noch einmal erklärt werden, nur ein Ding: das Ding Welt. Die Folgerungen, die aus dieser Einheitserkenntnis für eine Daseinslehre, die sich auf die erfahrbaren Wirklichkeiten gründen will, zu ziehen sind, dürfen hier nur angedeutet werden. Es ist die festeste Seinsgeschlossenheit, die zwischen den Dingen und Wesen, aber auch zwischen Ich und Welt besteht, die hier ihren folgerichtigsten Ausdruck findet. Und ingleichen erhält die Lebenssicht, die sich auf solcher Weltsicht als Bekenntnis und Gebot aufbaut, so ihre zulänglichste Gestalt. Das Einheitsgefühl, das uns mit dem Weltganzen verbindet, der Verzicht auf die Schärfe und Schroffheit einer Abwehr- oder einer Herrscherstellung des Ichs zur Welt, sie mögen dem Kern von Mystik entsprechen, der uns Wirklichkeitsnahen und Lebengesättigten in unserer Zeit allein noch erträglich ist. Dieses Einheitsgefühl läßt uns ganz eingehen in das Weltsein und Weltgeschehen ohne jedes rührselige Verzichten auf Tat des Handelns, auf Schaffen des Geistes. Denn da die Welt Geschehen ist, so ergeht als das oberste Gebot dieser unserer so gar nicht indisch-lässigen, so ganz europäisch aktivistischen Weltgesinnung an uns der Befehl, selbst zu geschehen, zu handeln, zu schaffen. Nachträglich finde ich bei Weyl einen Satz, der den obigen Gedanken nicht entschiedener, aber noch begriffsschärfer ausdrückt: das wirkliche Ding aber ist eine Grenzidee, entfaltet nur in einem auf jeder Stufe ins Unendliche hinein offen bleibenden Prozeß seinen »inneren Horizont« (Weyl, Was ist Materie [1924] 45 Anm. 2).

Seinsgeschlossenheit zwischen Dingen und Wesen, Ich und Welt. 423

Wohl ist die Weltfrömmigkeit, die aus solchem Eingehen in das Ding Welt erfließt, Demut; denn obwohl sie nichts weiß von den Unterwerfungen unter die Gewalten und Gestalten alter Menschheitsstufen, fügt sie sich willig ein in das Ganze des Weltgeschehens. Und indem sie verzichtet auf unhaltbare Herrscheransprüche des Ich, irdische wie überirdische, auf Ansprüche der irdischen Unabhängigkeit oder der überirdischen, überzeitlichen Daseinsdauer, nimmt sie doch so erst völligen Teil an aller Majestät, aller Wucht, aller Kraft des Weltgeschehens. Doch nicht wegen solcher Folgerungen in Daseins- und Lebenslehre sollte von dem Ding Welt hier die Rede sein, sondern um der Unendlichkeit willen, die durch diese Sicht auch dem Geflecht der Verursachungen zugesprochen wird — um der dunkeln Ursprünge willen, die nunmehr nicht nur allen Geschehensformen der Eigenbewegtheit, sondern auch den taghell beleuchteten und völlig durchsichtigen Geweben der Verursachtheiten zukommen. Und es scheint ja Menschenart zu sein, daß der Geist zwar stets dem Licht der Gewißheiten zustrebt, daß ihm aber erst ganz wohl ist, wenn er das geheimnisvolle Zwielicht von Grenzbezirken der Ungewißheit und hinter ihnen noch das volle Dunkel gebärender Nacht wahrnimmt.

Fünfter

Abschnitt.

Eigenbewegtheit und Verursachtheit in Gesellschaft und Geschichte. Erstes Stück. Die E i g e n b e w e g t h e i t im M e n s c h h e i t s g e s c h e h e n . Zuerst sei zusammengefaßt, was als Ertrag allgemeinnaturwissenschaftlicher und in Sonderheit physikalischer Beobachtungen sich allenfalls für die halb gesellschafts- und

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit im Menschheitsgeschehen.

halb geschichtswißsenschaftliche Durchleuchtung menschlichen Seins und Werdens gewinnen läßt. Wäre eine solche allein auf die Biologie, auf die Erforschung von Leib und Leben der Tiere und der Pflanzen angewiesen, so würde an Stelle des physikalischen Leitgedankens der biologische des Lebens treten können, ohne daß ein unmittelbarer Verlust an aufzeigender und enthüllender Kraft eintreten würde. Denn auch das Leben als innerleibliche und als nach außen gewandte Bewegtheit von äußerster Spannung würde genügen, um auch in dem handelnden und geistigen Tun der Menschen einen autogenen und autarken, eigenwerdigen und selbstgenugsamen Kern von aus sich selbst bewegtem Geschehen gegen einen Hüllen-Gürtel von nur verursachtem Wirken sich deutlich absetzen zu lassen. Gleichwohl soll hier die von weiter her kommende Sicht der Eigenbewegtheit beibehalten werden, nicht nur weil sie von einer ursprünglicheren Kraft des Geschehens Zeugnis ablegt und weil sie dem Leben selbst im Kern den Antrieb giebt, sondern mehr noch, um die Einheitlichkeit des Weltgeschehens auch mit diesem seinem feinsten und zerfasertsten Ausläufer, dem durch die Menschheit ausgeübten Gipfelteil, auf das nachdrücklichste zu betonen. Und handelt es sich darum, die eine oder die andere Teilform des Weltgeschehens als Bild und Gleichnis für das Tun und Trachten des Menschengeschlechts zu benutzen, dann hat die dem anorganischen Reich entliehene wahrlich nicht etwa die geringere Schlagkraft aufzuweisen. Denn mag die hohe Geschwindigkeit, mit der das freie Elektron den Weltraum durcheilt, eine sehr einfache Form von Betätigung sein, so ist sie doch eine ungeheuer gesteigerte von Aktivität, und in Anbetracht dessen, daß einem Urkörper dieser Größenordnung die Bewegung als einzige Art der Selbstauswirkung zur Verfügung steht, wird man ihm die Einseitigkeit dieses Geschehens nicht als Mangel auslegen dürfen. Und noch gewaltiger, bis zur Erhabenheit stark reckt sich das Bild dieses Urgeschehens vor unseren Äugen empor, gedenkt man der so zu sagen geschieht-

Urgestalt und Umformungen der Bewegtheit.

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liehen, genauer gesprochen naturgeschichtlichen Wirkungen, die dies Urgeschehen gehabt hat, insofern aus ihm in einem unendlich weit verzweigten Stammbaum von Filiationen, von immer neuen Umformungen alles Eigengeschehen in den drei Reichen erwachsen ist. Will man den Grenzen zwischen Eigenbewegtheit und Verursachtheit im Menschlichen auf die Spur kommen, so ist vom Körperlichen auszugehen. Wie vom Inneren des Leibes, so verlangt das Leben auch von seinem äußeren Verhalten stetige Bewegtheit: verlangt sie und giebt sie. Der Mensch ist seiner Beschaffenheit nach ein schweifendes Feld- und Waldtier; Unruhe und Beweglichkeit seines Tuns und Treibens werden ihm von dieser seiner Natur diktiert. Und sie haben sich im selben Grade, wie sein Wesen und Wirken allmählich aus einem nur körperlichen zu einem auch geistigseelischen emporgewachsen ist, auch diesen Seiten seines Seins und Tuns mitgeteilt. Sich Regen ist ihm in allen Be Ziehungen, in die er gestellt ist, Zwang und Bedürfnis, Not und Lust zugleich. Daß dieser Kern seiner Natur dem Menschen nicht allein das Wieviel und Wiehäufig seines Handelns vorschreibt und es damit gegen den Hüllengürtel des von außen her verursachten Teils seines Wirkens abgrenzt, wird sogleich offenbar, wenn man von den zu allen Zeiten und in allen Lagen ihn beherrschenden Gegebenheiten seines beständigen Seins übergeht zu den Auswirkungen, die sie an seinem Werden ausgeübt haben. Dann findet sich, daß dieses Werden zu einem nicht geringen Teil bedingt und bestimmt worden ist durch diesen Wesenskern seiner Eigenbewegtheit. Nicht in dem selbstverständlichen Sinne, daß in allen Zeitaltern die aus diesem Kern hervorgehende Regsamkeit unvermindert fortbestand, sondern in dem viel weitergehenden, daß, um auch nur das gleiche Maß von Bewegtheit beizubehalten, es unserem Geschlecht Not tat, seine Handlungsweisen beständig zu ändern. Rousseau hat, als er seinen breit und weit über die Völker hin hallenden Schrei »zurück zur Natur« ertönen ließ, diese

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Verursach theit: Eigenbewegtheit im Mensohheitsgesohehen.

seine Losung damit begründet, daß er einen großen Teil des Unglücks oder zum wenigsten des mangelnden Glücks der gegenwärtigen Menschen auf die Wirkungen der Zivilisation und der Kultur, die unser Geschlecht seit seiner Kindheit ausgebildet hat, zurückführt. Er sieht diese Gebilde vor allem darum für unheilvoll an, weil sie diejenige Ungleichheit der sozialen Lage zwischen Menschen geschaffen haben, die er verwirft, sonderlich die, die nicht durch die Verschiedenheiten der persönlichen Fähigkeit — diese billigt er — sondern durch die Ordnungen der Gesellschaft hervorgebracht sind. Mit anderen Worten, er macht den geschichtlichen Prozeß, soweit er sich auf das gesellschaftliche Leben bezieht, in seinem Insgesamt verantwortlich für alles Leid der Menschheit. Seine Mißbilligung ist eine betont sittliche, es sind die Untugenden der Menschen, die diesen Prozeß ganz wesentlich bestimmt haben. Aber so wenig auch Rousseau sonst ein Sohn seines Jahrhunderts war, und dessen überwiegender Stil- und Begriffsstärke weit mehr Abbruch als Förderung widerfahren ließ, so gewiß nahm er in diesem Punkt ganz an dem geistigen Mangel der Wissenschaft seiner Zeit Teil, einer Neigung zu allzu begriffsmäßigem Bauen, allzu wenig erfahrungsmäßigem, allzu wenig geschichtlichem Sehen. Er übersah, daß der Mensch durch die Grundlage seines Wesens dazu gedrängt, ja gezwungen war, Gegenstände, Ziele, Losungen für seine Bewegtheit aufzusuchen, die sich dann, wenn sie sich stark und ergiebig auswirken wollte, in Tätigkeitstrieb umsetzen mußte. Gewiß ist rein lehrmäßig denkbar, daß der Urtrieb, der sich hier geltend macht, sich spielerisch, d. h. zweck- und ziellos hätte auswirken können; dann hätte Rousseaus Wunschtraum in Erfüllung gehen und die Menschheit in seinem Sinn unschuldig bleiben können. Aber eines würde damit übersehen: daß es der Spieltrieb selbst war, der sich auch in dem weit verzweigten Stammbaum gesellschaftlicher — auch geistiger — Handlungsweisen ausgeformt hat. Man wird gewiß manchem ernsten Gemüt

Entwicklung durch Tätigkeitstrieb in Spiel, Ernst, Kampf.

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•wehtun, wenn man behauptet, daß ein seelischer Unterschied zwischen den Spielen und allen »ernsten«, d. h. allen zweckhaften Betätigungen der Menschen, so tief oder so leidenschaftlich sie sein mögen, insofern nicht besteht, als sie beide die gleiche Wurzel haben, dem Tätigkeitsdrang ihr Dasein verdanken. Wenn dieser Tätigkeitsdrang sich selbst überlassen blieb und wenn er seinem eigenen Gesetz und seinem Streben nach Lustbefriedigung dienen wollte, so mußte er zu allen den ernsten Tätigkeiten vorschreiten, zu denen er im Laufe des Werdegangs seither gelangt ist. Denn wie konnte er wirksamer die Spannungen und damit die Freuden seiner Spiele erhöhen, als indem er die Bedingungen für ihre Übung immer strenger machte, die Preise, die er für sie zahlte, bis zum Opfer erhöhte, zum Opfer und sei es seines Lebens. Man sieht alle diese Entwicklungen falsch, wenn man sie von vornherein und wo möglich von ihrem Ursprung an als auf die Zwecke gerichtet ansieht, die sie freilich schon in Mitten ihres Verlaufs erhielten und die dann mit zwingender Stärke ihre eigene Macht auszuüben begannen. In Wahrheit aber ist der Anfang aller dieser Betätigungen aller Vermutung nach in einem noch unbewußten, noch zwecklosen Tun zu suchen, das sich dann allmählich auf sich selbst und seinen »Ernst« besann und sich zum Selbstzweck erhob. Dazu kommt die Freude an Wechsel, an Gegensatz, selbst an Kampf. Wieder nur Tätigkeitsdrang muß zu ihm treiben: die Spannungen wachsen im Übergang zu neuen Formen der Selbstbetätigung. Und so wird das Erreichen der einzelnen Staffeln des Werdens selbst zum Teil als ein Erzeugnis nur des immer neu sich einsetzenden Tätigkeitsdranges anzusehen sein. Daß die Eigenbewegtheit an sich ihrerseits und ohne diese seelischen Seiten- und Hilfsbewirkungen alles Wirken und Werden vorwärtstrieb, ist selbstverständlich. Und wenn der Grad dieser Spannungen je nach Alter und Anlage ein sehr verschiedener war, wenn die Verschiedenheit der Wegleistung bei den einzelnen Völkern im wesentlichen auf eine

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Verursachtheit: Eigenbewegthett im Menschheitsgesohehen.

Verschiedenheit der Gradstärke dieser Spannungen zurückzuführen sein mag1, so wird die Grundtatsache, daß der überwiegende Teil alles geschichtlichen Wirkens und Werdens auf diese eine ursachlose Kraftquelle zurückzuführen ist, nicht vermindert oder gar in Frage gestellt. Von außen herzudringende Träger von Geschehen, also reine Verursachtheiten, fehlen in der Keihe der Erreger von Menschheitsgeschehen und damit von Geschichte nicht ganz, die Natur stellte sich den rein menschlichen Tätigkeitsformen nicht selten in den Weg, reizte sie durch solche Hemmung zu einigen neuen Arten des Handelns, denen sie sich solcher Gestalt als Gegenstand oder wie das lateinische Objekt so fein sagt als Gegenwurf dartot. Aber — man wird vom Standpunkt des Geistes, ja der Seele sagen müssen, zum Glück — der Bruchteil, den diese Anreizungen im Gesamthaushalt des Lebens der Menschkeit ausmachen, ist nicht allzugroß. Man wird in der Summe sagen dürfen, daß Geschichte zum überwiegenden Teil und aus der wuchtigeren Kraft nicht aus irgend welchen von außen auf sie eindringenden Ursachen, sondern aus der unserem Geschlecht innewohnenden Eigenbewegtheit entstanden ist. Von Zwecksetzungen darf hier mit Fug geschwiegen werden, denn sie sind nur Vorgänge des inneren Entschließens der führenden Menschen und brauchen nicht als von dem Geschehen losgelöst betrachtet zu werden. Und selbst in diesem engeren Verhältnis wird man wohl tun, ihnen nicht allzu viel Gewicht beizumessen. Sie bedeuten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nichts Anderes, als daß auf dem Wege irgend einer fortschreitenden Geschehensreihe eine Handlung, wenige Schritte bevor sie ausgeführt wird, ins Auge gefaßt und beschlossen wird. Dies aber kann als eine vorbereitende Gedankenhandlung ohne weiteres der Haupthandlung des Tuns zugerechnet werden. Im Übrigen sind *) Ich darf hier um der Vollständigkeit des Gedankens willen auf frühere Ausführungen verweisen: Vom geschichtlichen Werden I I I (1928) 324—346.

Eigenbewegung als Antrieb, nicht Verursachung oder Zweck.

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wohl auch jene Gesellschaftslehrer, die das Zwecke-Setzen als ein grenzenschaffendes Merkmal des Menschen zu seiner obersten Seeleneigenschaft erheben wollen, nicht auf dem richtigen Wege; sie scheinen ganz zu übersehen, daß dies an Einsicht wie Willen nichts weniger als starke Geschlecht der Sterblichen — der Einzelnen wie der Völker — fast alle seine Wege so befangen und so beschränkt in seinem Weitblick zurückzulegen pflegt, wie ein Tier, das die Nase in den Staub gedrückt und kaum um sich schauend den Gewöhnungen seiner letzten Zeit und den dunklen Antrieben seines Wesens folgend seinen Pfad durchschreitet. Da kommt auch für die Bewertung seines geistigen Verhaltens fast so wenig wie für die reinen Wegewahlen und reinen Wegleistungen darauf an, ob die Beschlußfassung des zehnten oder die Tat des zwanzigsten Schrittes in Betracht gezogen wird.

Zweites Stück. Formenlehre der Verursachungen. Kein Zweifel, es würde gelingen können eine Formenlehre der Eigenbewegtheit aufzustellen, die ihre Arten und Gattungen nach dem Grad ihrer Stärke, nach der Beständigkeit oder Stoßhaftigkeit, nach dem Zeit- und Schrittmaß, nach Tempo und Rhythmus ihrer Bewegung unterscheiden würde. Für das Gesamtbild der Geschichte, dem die hier gegebenen Umrisse genügen mögen, kommt es mehr auf eine Zusammenfassung und Gruppierung der Verursachtheiten an. Denn mögen sie auch an Wucht und Kraft hinter der Eigenbewegtheit zurückstehen, mag es deshalb auf den Hüllen-Gürtel, den sie im Kreisrund des geschichtlichen Geschehens einnehmen, an sich weit weniger ankommen, als auf den Kernbezirk der Eigenbewegtheit: er wird um deswillen eine schärfere Durchleuchtung erfordern und verlohnen, weil er in sehr viel mehr von einander verschiedene Schichten und Gruppen zerfällt.

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit: Verursachungen.

Die erste von diesen Gruppen mag die der außermenschlichen Ursachen sein, die als das menschliche Verhalten bewirkend und bestimmend, sei es fördernd, sei es hemmend, am aller eindeutigsten die Bedingung erfüllt, die an alle Verursachungen zu stellen ist; daß die Bewirkungen auf die an sich aus Eigenbewegtheit stammenden Geschehensreihen des menschlichen Handelns von außen aufprallen. Boden und Himmel, d. h. die Gesamtbeschaffenheit des Landes, aber auch die Tier- und Pflanzendecke eines Landes, die katastrophenhaften Einbrüche der außermenschlichen Umwelt, wie Erdbeben und Überflutungen, ebenso die langsamen Veränderungen, die die Natur am Antlitz der Erde vornimmt, gehören hierher. Auf sie soll nicht im Einzelnen eingegangen werden 1 . Umso notwendiger ist es, in die zunächst recht verwickelt, ja verworren erscheinende Fülle der Verursachungsformen einzudringen, die sich in dem Geschichtsbild der innermenschheitlichen Beziehungen darbieten, um in ihnen durch Teilung und durch die Herstellung von Zwischenbeziehungen Ordnung zu schaffen. Es ist geraten von derjenigen Form verursachender Bewirkung zwischenmenschlicher Geschichtsverkettungen auszugehen, die am unzweideutigsten das Merkmal an sich trägt, das von allen Arten und Gattungen innermenschheitlicher Verursachung zu fordern ist: das Aufeinanderstoßen zweier von einander völlig getrennter und völlig unabhängiger Geschehensreihen. Es ist die Durchkreuzung zweier solcher Reihen, die in der Regel eine durchgreifende Richtungsänderung sei es einer, sei es beider Geschichtsverkettungen zur Folge hat, d. h. aus der Ebene der hier gewählten rein begrifflichen Sicht wieder zurückgeworfen auf die der gewachsenen, konkreten Geschichtsbegebenheiten, die Überl

) Um so weniger als wenigstens die verwickeiteren und verborgeneren Fragenzusammenhänge dieser Art schon behandelt worden sind (Stufenbau [«1928] 138-140, 146, 218, 307; Vom geschichtlichen Werden I I I [1928] 345).

Natureinwirkung.

Kreuzung menschlicher Geschehensreihen.

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wältigung der Handlungsweise der Menschengruppe, die Träger der einen Entwicklungsreihe ist, durch die Über-« macht der Handlungsweise der anderen Gruppe, die Träger der zweiten Entwicklungsreihe ist, oder aber die Herstellung einer Mischbildung für beide. Doch sind noch viele andere Teilmöglichkeiten oder Spielarten der Folgen eines solchen Zusammenstoßes zu beobachten. Es sind sehr oft zwei geschlossene Geschichtsgemeinschaften — das will sagen zwei im Sinne der Gesellschaftslehre vereinheitlichte und nach außen scharf abgegrenzte Gemeinschaften, die im Sinne der Geschichtslehre sich durch eine Abfolge von Zeiten in ihrer Besonderheit und in halber oder ganzer Unabhängigkeit erhalten •— die die Träger solcher Geschehensreihen sind. Jedoch keineswegs immer: die Entwicklung der französischen und der deutschen Malerei in den Zeiten, in denen sie schon in nahe Berührung mit einander getreten waren, d. h. in den letzten zwei Jahrhunderten, bietet Beispiele dafür, daß volle Teile der deutschen Malerschaft, Schulen also, ganz oder fast ganz von der ihren Entwicklungsgang durchkreuzenden Bewirkung durch eine neue französische Kunstweise überwältigt und in eine andere Richtung gedrängt wurden: so etwa durch Manets radikalen Naturalismus, aber auch noch durch den Impressionismus von Monet, Renoir, Sisley und ihren Phalanxgenossen, am wenigsten durch Derain, Picasso und die anderen Expressionisten, die in Deutschland auf eine zwar gesinnungsverwandte, aber aus eigenem Recht stärkere Parallelbewegung stießen. Diese Gemeinschaften einer gleichen Kunstweise waren weder als Gesellschaften, noch als Geschichtsgemeinschaften selbständige und im Lebensinnern geschlossene Körperschaften und haben doch Schicksale völliger oder halber Überwältigung bei gegebener Bahnendurchkreuzung erlitten. Die durchsichtigsten Beispiele aber liefert das Geschehen der äußeren Staatsgeschichte, am öftesten in den mittleren Entwicklungsaitern, in denen die Völkerschicksale sich so

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit: Verursachungen.

oft mit der brutalsten Gewalttätigkeit und bis zu den äußersten Folgerungen von Unterwerfung und Staatentod vollzogen. Assur unterwirft Babylon und verleibt es sich ein zu einer Zwangssymbiose, einem Doppelstaat mit einem herrschenden, einem unterworfenen Volk. Oder aber die Perser erobern Medien, Babylonien, Assyrien und diese Staaten hören zu leben auf, ja selbst ihre Völker verschwinden wie fortgewischt von den Tafeln der Geschichte. Fälle dieser Art bilden eine eigene Sondergruppe von Durchkreuzung: hier ist die Übermacht der zweiten Geschehensreihe, die auf die erste aufprallt, so groß, daß dem Verlauf dieser ein Ende gesetzt wird. Eine zweite Sondergruppe steht bei dem anderen Pol dieser Staffelreihe von Möglichkeiten: es ist die Gruppe der nahen Bewirkungen, die dann entstehen, wenn zwei annähernd gleichläufige Geschehensreihen sich soweit nähern, daß die stärkere die schwächere, ohne sie zu durchkreuzen, durch Fernwirkung nötigt, eine etwas abweichende Richtung einzuschlagen. Der ursprünglich indische, später tibetanische Buddhismus zieht große Teile der chinesischen, der japanischen Völker in die Sphäre seiner Glaubensform; der japanische Geschlechterstaat wird durch den benachbarten Despotismus Chinas in die Stufe des archaischen Großkönigtums hinaufgehoben und vollzieht durch die Taikwa-Gesetzgebung von 645 dieses weitumfassende und sein Volk bis ins Tiefste neu ordnende Geschehen in einem Akt, völlig freiwillig. Die mongolischen Türken bekehren sich zum Islam, obwohl sie als Staatsvolk unvergleichlich viel stärker sind, als die längst erschlafften Araber, die doch diesen Glauben und eine ganze mit ihm zusammenhängende Kultur geschaffen haben. Das vergreiste Römertum wird ebenso freiwillig christlich wie die kindhaft jungen Germanen. Alle Rezeptionen, alle Renaissancen der germanischen Völkerkreise geschehen freiwillig. Die zeitweilige Französisierung der germanischen und slavischen Völker im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ist ähnlich das Erzeugnis einer

Überwältigung. Bewirkungen der Nähe. Sieger und Besiegte.

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rein geistigen Fernwirkung. Die nicht nur geistige, nein auch gesellschaftliche Europäisierung, die in der Gegenwart die Völker des Erdballes umklammert, ist, was das Wie der Verbreitung und der Empfängnis angeht, eine zumeist rein freiwillige. Mischformen halten die Mitte. Die Mandschu und viele innerasiatische Mongolen, die ihnen auf ihrer Bahn vorangeschritten sind, haben wohl China überwältigt, sich selbst aber chinesisiert. Die immer neuen Wellen von Urzeitsemiten, die aus der Völkerwiege Arabien den Kulturstaat der Babylonier überschwemmten, haben das gleiche Schicksal über die Überwältigten gebracht und von ihnen erlitten. Die Assyrer bezwangen durch ihre staatlich kriegerische Kraft Babylon und nahmen doch seine Kultur an. Die Mazedonier beherrschten Griechenland und gräzisierten sich, die Römer überwältigten die Hellenen und unterwarfen sich ihrer überlegenen Geistigkeit. Das halb griechische Römerreich wurde von den Germanen überwältigt, aber die Eroberer erlitten im Lauf der Jahrhunderte im Geist eine Niederlage nach der anderen, selbst noch durch das Gespenst der längst verstorbenen Antike. Dabei wird man nicht sagen dürfen, daß dies geistige Besiegtwerden von Siegervölkern der Tat ein Zeichen von Schwäche und das Ausbleiben dieses Rückschlages ein Zeugnis von Stärke auf Seiten der starr und stark im eigenen Wesen verharrenden Herrschervölker war: denn Niemand wird in den Sinn kommen, daß die Türken, weil sie ein halbes Jahrtausend auch ihre Geistigkeit über den unterworfenen christlichen Rajahvölkern zäh festhielten, im Geist stärker gewesen seien als die Germanen, die das Gegenteil erlebten und erlitten. Bisher war immer von den verhältnismäßig breiten Geschehensreihen die Rede, deren Träger ganze Lebensgemeinschaften — Völker, Klassen — oder doch wenigstens Werkgemeinschaften — Berufsstände, Amts-, Wirtschaftsverbundenheiten, Forscher- oder Künstler-Schulen, Glaubenskörperschaften — sind. Ihre Durchkreuzungen und BewirB r e y 8 i g , Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte.

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit: Verursachungen.

kungen lassen sich in dem an sich immerhin schwer übersehbaren Gespinnst der Geschichte um deswillen einigermaßen deutlich erkennen, weil sie die breiten Strähnen in dem Gebild darstellen. Aber außer ihnen findet sich ja noch eine myriadenfach zahlreichere und zugleich im gleichen Grad verfeinerte Menge von Geschehensreihen, deren Träger die Einzelmenschen sind. Jeder von uns erlebt, wirkt, erleidet eine Geschehenskette, deren Glieder nicht täglich, sondern stündlich und noch öfter wechseln. Ein Wort, ein Blick, eine Gebärde, die eines anderen Menschen Tun an unser Ohr, auf unsere Netzhaut, in unsere Seele wirft, kann an unseren eigenen Lauf durchkreuzend oder bewirkend rühren, kann ihm verursachend die Richtung ändern. Nun ist, der Forscher muß sagen: den Göttern sei Dank, nur ein unendlich kleiner Bruchteil, nämlich der, der das Leben der Starken, der Großen angeht und auch er nur an entscheidenden Punkten, Gegenstand der Geschichte. Aller übriger Geschehensstoff dieser Art geht in großen Kollektiv-, in Gesamtschilderungen als Sammelgeschehen auf. Dennoch ist auch jener Rest noch umfangreich und zerfasert genug, so umfangreich und so zerfasert, daß leicht der Gedanke aufsteigen könnte, ob sich diese unsägliche Wirrsal dem Auge des Forschers nicht so weit entziehen möchte, daß hier die Unterscheidung von Eigenbewegtheit und Verursachtheit ihre Grenzen finden müßte. Und doch ist dem nicht so: die Mannigfaltigkeit und die aus ihr entstehende Schwierigkeit der Aufgaben kann niemals maßgebend für die Festsetzung der Forschungsregeln sein. Auch die Größten und Stärksten unter den Einzelmenschen erleiden beständig Bewirkungen von den neben ihnen Gehenden, den ihnen Begegnenden. Und es wird beständig die Sache des Forschers, der sich vor dies Riesenmaß von Aufgaben gestellt sieht, sein, durch Summierungen, Typisierungen, Vereinfachungen die Herrschaft über dies unermeßliche Liniengewirr zu gewinnen, das ihm das unendlich zeugerische Leben darbietet und das in seiner unsäglichen Vielfachheit mit photographischer

Bewirkung des Einzelnen.

Eigenbewegtheit und Geschichte.

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Treue wiederzugeben ihm niemals in den Sinn kommen kann. Denn das Wort, das ein bekannter Maler unserer Tage vom Zeichnen gesagt hat, es sei die Kunst des Fortlassens, gilt in vollem Maß auch von der Geschichtsschreibung.

Drittes Stück. Das Grundverhältnis zwischen E i g e n b e w e g t h e i t und Verursachtheit. Der wertvollste Ertrag, den die Trennung der Geschehensformen, die aus der Eigenbewegtheit stammen, von den anderen, die durch Verursachtheit entstehen, ergiebt, ist die Einsicht in beider Grundwesen, die nur durch den Vergleich gewonnen werden kann. Wohl ist der Grundkern einer Erkenntnis des eigenbewegten Geschichtsgeschehens herzuleiten aus dem Vergleich des menschlichen mit dem außermenschlichen, in Sonderheit dem physikalischen Geschehen. Es bedeutet eine grundstürzende Umwälzung für all' unser Sehen auf Geschichte, wenn wir innewerden, daß der Großteil aller Geschichte, insofern sie Leben und Bewegung ist, durch eine Kraft—richtiger durch ein innerstes Kerngeschehen — zu erklären ist, die an sich ziel- und gehaltlos, aber urstark ist. Und wir werden auch die Gestalt, die das geschichtliche Werden endlich annimmt, all' das Wirken und die Werke — die beide wir als Inhalt der Geschichte ansehen, insofern sie Effekt, Auswirkimg, Ausprägung jener Kraft ist — auf diese Urkraft, dieses Kerngeschehen zurückführen müssen: Geschichte ist ebenso wohl als Geschehenes, wie als Geschehendes Erzeugnis der Eigenbewegtheit. Wird so Geschichte, insofern sie Eigenbewegtheit ist, erst recht erkannt, indem man sie mit der Eigenbewegtheit des anorganischen Reiches vergleicht und sie zugleich aus ihr ableitet, so ist doch ein tiefstes Erkennen ihres Wesens erst 28*

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit: Grandverhältnis.

zu erreichen aus dem Vergleich mit dem anderen von den beiden Urbestandteilen, von den beiden Componenten, die in einem complementären, einem sich ergänzenden Gegensatzverhältnis zu einander stehen, mit der Verursachtheit. Bisher wurden in dieser Darlegung die beiden die GeBchichte zeugenden und formenden Gewalten in einem weiteren und läßlicheren Sinne verstanden: wenn von einer großen eigenbewegten Geschehensreihe die Rede war, etwa der Geschichte eines Volkes, so wurde darunter dann das Insgesamt dieser Geschichte verstanden und sie der Macht der Eigenbewegtheit zugeordnet, obwohl die Einwirkungen etwa von Himmel und Boden immer als Verursachungen bis tief in ihr Innerstes eindringen und so noch bis in die Wesensart, in die seelischsten Eigenschaften des Volkes hinein ein Mischgebild von Eigenbewegtheit und Verursachtheit hervorbringen. Gegen diese Bezeichnungsweise ist nichts einzuwenden, so lange es sich um eine makroskopische, ins Weite sehende Beobachtungsweise handelt. Geht man aber etwa von dem noch eben besprochenen Durcheinander der schmälsten Geschehensreihen aus, derer, die die Einzelmenschen zu Trägern haben, dann stellt sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer strengeren, einer wenn man will, mikroskopischen, ins Enge sehenden Betrachtungsweise heraus. Für sie aber ergibt sich innerhalb des breiten Strombettes einer ganzen Volksentwicklung das Neben- und Durcheinanderfließen von vielen einzelnen Wellen und man wird zugeben müssen, daß alle die Geschehensreihen der Einzelnen, aber auch der kleinen Gemeinschaften auf ihre nächsten Nachbarn zur Rechten und zur Linken einwirken, von diesen her gesehen also als Verursachungen angesehen werden müssen. Ein Verhältnis der Reziprozität, der gegenseitigen Bewirkung stellt sich dann zwischen den einzelnen, an sich völlig unter dem Szepter der Eigenbewegtheit stehenden Geschehensreihen heraus, das übrigens mit dem gleichen Nachdruck auch für die breiteren Geschehensreihen der Volks-, der

Wechsel-Bezug.

Qualitative, nicht quantitative Teilung.

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Stammes-, der Stadt- oder der Klassen- und Standesgeschichten behauptet werden kann. Eine Relativität, ein auf reiner Bezüglichkeit beruhendes Gegenseitigkeitsverhältnis findet also statt: jede an sich eigenbewegte Geschehensreihe wird Verursachung, so bald eine andere an sich ebenso eigenbewegte Reihe von ihr bewirkt wird. Es möchte der Einwand erhoben werden, daß durch diese Feststellung, die an sich unangreifbar ist, die Aufteilung der geschichtlichen Geschehensformen in zwei Gruppen in ihrem grundsätzlichen Wert erschüttert und fast als überflüssig gestempelt werde. Dennoch gewiß zu Unrecht: denn einmal wird durch dieses Relativitäts- und Reziprozitäts-, dieses Bezogenheits- und Gegenseitigkeits-Verhältnis der Nutzen des Nachweises der Eigenbewegtheit als des treibenden Kerngeschehens im Insgesamt der geschichtlichen Entwicklung nicht in Frage gestellt oder auch nur im geringsten vermindert; sodann aber ist ja der Zweck jener Aufteilung nicht der, das Gebiet des geschichtlichen Lebens in zwei Hälften zu zerlegen, sondern jeder Geschehensreihe soll für einen bestimmten, nach Zeit und Gegenstand genau gegebenen Ereigniszusammenhang die Erkenntnis abgewonnen werden, ob sie in ihm die Funktion, die geschichtliche Betätigung als eigenbewegte oder als verursachte ausübe. Es soll mithin nicht eine quantitative, eine gebietsmäßige, sondern eine qualitative, eine eigenschaftsmäßige Aufteilung vorgenommen werden. Gerade sie aber läßt zu, daß dieselbe Geschehensreihe das eine Mal, von innen her, aus ihrem Eigenleben beurteilt, sich als vollkommen eigenbewegt darstellt, das andere Mal aber, von außen her gesehen, ebenso wohl als verursachend, wie als von Verursachung getroffen angesehen werden kann. Und so eng schon diese Verflochtenheit der beiden Geschehensformen erscheinen muß: es kann und muß noch über sie hinaus ein Schritt des Erkennens getan werden, da ihr Verhältnis als ein noch innerlicher vereinheitlichtes und gleichwohl doppelseitig bleibendes zu begreifen ist. Denkt

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Verursachtheit: Eigenbewegtheit: Verursachungen.

man nämlich das Wesen der Eigenbewegtheit bis in seine letzten Folgerungen hinein durch, dann findet sich, daß sie an sich weder Ziele noch Gehalte in sich hat, sondern nur Kraft oder, um es wiederum sicherer umschrieben auszudrücken, eine Fähigkeit der Vorwärtsbewegung, die sehr stark ist, aber nicht irgend welche Richtung auf ein bestimmtes Ziel hat. In vollem Gegensatz hierzu bedeutet Verursachung nur ein Stoßen, ein Drängen, ein Weisen in Richtungen, ohne daß eine sie antreibende Kraft von diesem Begriff umfaßt wird. Daß bei einem Zusammentreffen von zwei Geschehensreihen die übermächtige und also verursachende auch über stoßende Kraft verfügt, wird dabei vorausgesetzt. Diese Kraft aber wird überwiegend von ihrem eigenen Geschehen und dann als Eigenbewegtheit betrachtet. Es stehen sich also, wenn man die beiden Formen des geschichtlichen Lebens in dieser letzten und strengsten Umgrenzung ihres Begriffs faßt, eine Geschehensmacht voll von vorwärts treibender Gewalt, aber ohne jede Zielsetzung und eine zweite beständig Richtung gebende, aber der eigenen Triebkraft durchaus entbehrende gegenüber. Beide stehen in einem völlig folgerichtigen Verhältnis gegensätzlicher Ergänzung, komplementären Kontrastes zu einander; es sind Erscheinungen, die sich gegenseitig fordern und einander nicht entbehren können. Eine Eigenbewegtheit im menschlichen Tun, der sich keinerlei Seiendes oder Geschehendes als es beeindruckendes und also als Verursachung ihm Richtung gebendes entgegenstellt, ist nicht zu denken oder doch nur wie eine mit ungeheurer Kraft arbeitende, aber beständig ins Leere stoßende Maschine. Alle Geschehensreihen aber, die sich den eigenbewegten Geschehensreihen entgegenstellen und ihnen dadurch zur Richtung gebenden Verursachung werden, würden ebensowenig zu denken sein als nicht auch ihrerseits von Eigenbewegtheit vorwärts getrieben. Eben bei so scharfer Entgegensetzung der beiden Geschichtsmächte konnte von neuem das Bedenken aufsteigen, ob es nicht nutzlos oder zum mindesten verwirrend sei, die

Richtungslose Eigenbewegtheit, kraftlose Verursachung.

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beiden Formen von Geschehensreihen so schroff einander gegenüberzustellen und sie durch ihre Benennung so grundsätzlich von einander zu trennen. Etwa mit der Begründung: jede Geschehensreihe sei durch Eigenbewegtheit vorwärts getrieben und jede Geschehensreihe — so darf man annehmen •— werde für eine andere Richtung gebende Verursachung. Doch ist auch dieser letzte mögliche Angriff abzuschlagen. Denn der Wert der grundsätzlichen Unterscheidung der Eigenbewegtheit und der Verursachung, die als Funktionen, als Betätigungen einander entgegengesetzt werden, nicht als Arten von Geschehensreihen, wird, wie schon nicht durch die Dasselbigkeit, die Identität des Wesens beider, so auch nicht durch die Feststellung herabgemindert, daß jede dieser Geschehensformen erst ihre volle Gestalt durch die Miteinwirkung der anderen erhält.

Viertes Stück. Getrenntheit

und Vereinigung der schichtsmächte.

beiden

Ge-

Aus dem so umrissenen Tatbestand lohnt es sich noch einige Einzelfeststellungen abzuleiten. Die wichtigste ist wohl diese: daß die Bewirkungen, die von einer von außen kommenden Verursachung auf eine Geschehensreihe ausgeübt werden, in der Regel nur die Richtung der bewirkten Geschehensreihe ändern können, nicht aber etwa das Tempo oder die Kraft ihres Vorwärtsschreitens. Ausnahmen sind möglich: es kann etwa ein Volk ein anderes, das von ihm nachdrücklich beeinflußt wird, auch in die größere Wucht oder die größere Geschwindigkeit des eigenen Werdegangs fortreißen. Die Einwirkung, die etwa die staatliche, etwa die künstlerische Entwicklung Frankreichs auf Belgien im neunzehnten Jahrhundert ausgeübt hat, ist von dieser Art. Doch läßt sich — das ist nicht zu verkennen — jede einzelne der in diesem

440

Vernrsachtheit: Eigenbewegtheit: Getrenntheit, Vereinigung.

Sinn von Frankreich auf Belgien erfolgten Einstrahlungen aus der Ebene von Entwicklungsgeschwindigkeit und Entwicklungskraft umschreiben in die andere Ebene der bestimmten einzelnen Staatseinrichtungen oder Kunstweisen und damit also auch ganz sachlicher Bewirkung, d. h. also der an sich regelhaften Form der reinen Verursachung. Als zweite Folgerung wird sich aus dem hier untersuchten Tatsachenzusammenhang die Einzelbeobachtung ergeben, daß Verursachungen grundsätzlich nur von außen her auf eine Geschehensreihe eindringen werden. Zwei bemerkenswerte Ausnahmen von dieser Regel müssen doch eingeräumt werden: einmal ist möglich, daß eine Geschehensreihe dadurch einen neuen Antrieb gewinnt, daß die sie tragende Gemeinschaft, die sich damit recht eigentlich nicht nur als Gesellschafts-, sondern auch als Geschichtsgemeinschaft bewährt, sich auf alle in früheren, vielleicht schon um einige Jahrhunderte zurückliegenden Zeiten lebendig und stark gewesene Handlungsweisen besinnt und sich vornimmt, sie zu erneuern, ihnen wieder zu Kraft und Wirkung zu verhelfen. Die deutsche und manche andere Romantik der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts stellt einen Schulfall dieser Möglichkeit eines auf sich selbst zurückgreifenden Geschehens dar. Denn so wenig man wird behaupten können, daß Tieck und selbst Novalis und Eichendorff, Cornelius und Overbeck und selbst Veit und Schwind die markige Kraft der mittelalterlichen Kunst wirklich wieder ins Leben zu rufen im Stande gewesen sind, so gewiß wurde doch durch ihr gutes Wollen und ihr oft sehr viel schwächeres Vollbringen eine Fülle von Lebensgehalten und Formabsichten aus der Tiefe der Zeiten gehoben und der eigenen Gegenwart übereignet. Eine zweite Möglichkeit so innengeborener Verursachung ist von ähnlicher Artung nur mit umgekehrtem Vorzeichen: es sind jene Zielsetzungen, durch die sich nicht ganz selten die tragenden Gemeinschaften einer Geschehensreihe ihren weiteren Weg festzulegen trachten: insofern also in die Zu-

Innenursachen-

Wunschbilder als äußere Wirkungszentren.

441

kunft weisend und nicht in die Vergangenheit, dieser gleichwohl doch auch verbunden, weil in derlei Richtweisungen eine in der jeweiligen Gegenwart wie schon in der ihr voraufgehenden jüngsten Vergangenheit herrschende Handlungsweise sich über sich selbst hinaus zu erhalten und noch späten Generationen die Fortsetzung der einmal eingeschlagenen Bahn aufzuerlegen trachtet. So haben die Anhängerscharen des preußischen Staatsgedankens oder der Aufklärung im achtzehnten, die weit größeren Heere der nationalistischen und der sozialistischen Bewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert ihrem Handlungs- oder ihrem Meinungswillen über sich selbst hinaus Dauer und Geltung zu verschaffen gesucht: auch dies eine zwar sicher Richtung gebende und also verursachende und dennoch nicht von einer fremden, sondern aus der eigenen Geschehensreihe stammende Einwirkung. Unleugbar findet in diesen beiden Fällegruppen im Gegensatz zu der sonst ausnahmslosen Regel kein Anstoß von außen statt. Dennoch würde es kaum rätlich sein, die Romantiken der einen, die Zielsetzungen der anderen Einwirkungsform in einen Begriffsbezirk außerhalb des weiten Bereichs der Verursachung zu versetzen. Denn indem eine Geschichtsgemeinschaft derlei Wunschbilder vor sich aufstellt, schafft sie doch ein Wirkungszentrum außerhalb ihrer selbst, das, wie sehr es auch aus den Willensgehalten der eigenen Vergangenheit oder Gegenwart geschöpft sein mag, doch als ein »Gegenstand«, ein neu geschaffenes Sein sich der eigenen Bewegung dieser Gemeinschaft nicht anders entgegenstellt, als ein ihm ursprünglich fremdes Sein. Noch weniger wird durch dieses Sondergeschehen das Grundverhältnis zwischen der Eigenbewegtheit als einer krafterfüllten, aber gehaltleeren, ziellosen und der Verursachung als einer zwar an sich kraftfremden, aber gehalterfüllten, richtunggebenden Geschichtsmacht berührt. Das Gespinnst allen Geschichtsgeschehens stellt sich nach dem Allen als ein aus der Eigenbewegtheit als Zettel, der

442

Verursaehtheit: Eigenbewegtheit: Getrenntheit, Vereinigung.

Verursachung als Einschlag gewirktes Gewebe dar. Oder, falls auch dieses Gleichnis die beiden Geschichtsmächte noch allzu wesensgleich erscheinen lassen möchte, wie ein ungeheures Triebwerk, in dem die Eigenbewegtheit die bewegende Kraft, die Verursachung aber den Stoff darstellt, auf den sie sich richtet, an dem sie sich nimmer rastend erprobt. Keine von beiden würde vermögen, das volle Werk der Geschichte zu erschaffen: erst das Aufeinanderstoßen der an sich eigenbewegten Geschehensreihen giebt ihnen die Richtimg ihrer Bahn, die Inhalte ihres Wirkens; erst das Aufprallen und das Eindringen der so entstehenden Bewirkungen läßt auch die ursprünglichen Geschehensreihen zu ihrer vollen Auswirkung kommen. Die betroffenen Geschehensreihen nehmen sie in ihr Handeln auf, verleiben sie ihrem eigenen Vorwärtsdringen ein und lassen durch Verbindung beider Richtungen, der alten ehedem eingehaltenen und der neuen durch Stoß empfangenen, eine neue dritte, eine Diagonale der Kräfte entstehen. Doch ist dies nur die häufigste Fällegruppe : auch das jedenfalls vollere, stärkere, stolzere Weiterfließen des eigenwerdigen, selbstgenugsamen Geschehens einer Volks-, einer Bildungs-, einer Wirtschaftsgemeinschaft kann Geschichte bedeuten.

ANHANG. PLANETEN, MONDE, ELEKTRONEN: BAHNLÄUFE UND BAHNGE SCHWINDIGKEITEN. Erstes Stück. Die B a h n a b s t ä n d e z w i s c h e n E l e k t r o n e n zwischen Planeten.

und

Tritt der Forscher, der im Dienst zwar nicht der Physik 1 — denn die Physiker lehnen derartige Vergleiche als gänzlich außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches liegend mit einiger Strenge ab2 — wohl aber einer allgemeinen Naturlehre wirkt, die doch auch ein Amt in diesem Reich der Wissenschaft zu verwalten hat, an diese Dinge heran, so liegt für ihn nichts näher, als die beiden in so vielem Betracht einander ähnlichen Ordnungen, die über eine unendlich staffelreiche Stufenleiter von zwischen ihnen liegenden Geschehensformen fort wie Pol und Gegenpol der anorganischen Welt einander -1) Die hier folgenden A u s f ü h r u n g e n schließen sich a n das Stück Urkörper u n d Weltkörper (im B u c h I , Abschnitt 2 oben S. 76) a n u n d sind n u r u m deswillen in d e n A n h a n g verwiesen, u m d e n K ö r p e r des eigentlichen B u c h t e x t e s n i c h t m i t d e n Einzelheiten zu belasten, die, d a sie dessen allgemeine B e h a u p t u n g e n stützen, doch nicht fortbleiben sollten. 2 ) Eine höchst bezeichnende Äußerung, bezeichnend f ü r die, d a ß ich so sage, keusche Strenge, m i t der die heutige P h y s i k in diesem Sinn v e r f ä h r t , f i n d e t sich bei Sommerfeld: E s ist schwer, bei dieser Gegenüberstellung die Titius - Bodesche Regel n i c h t zu erwähnen. Diese b e h a u p t e t bekanntlich, d a ß zwischen den B a h n r a d i e n der P l a n e t e n eine einfache arithmetische Beziehung a n g e n ä h e r t gelte; wir lehnen es aber ab, hierin einen Ausfluß der Quantentheorie zu sehen u n d jene Regel m i t unseren Gesetzen für die diskreten A t o m b a h n e n zu vergleichen. (Sommerfeld, A t o m b a u u n d Spektrallinien [ 3 1922] 82 A n m . 1.)

444

Anhang.

Bahnabstände zwischen Elektronen und Planeten.

grüßen, mit einander zu vergleichen: die Ordnungen des Atoms hier und des Sonnensystems dort. Es muß geschehen, zunächst für die räumliche Anordnung der Bahnen, auf denen die Gliedkörper im einen wie im andern Falle ihre Kreisläufe unter dem übermächtigen Zwang des Mittelkörpers um ihn vollziehen. Dabei aber bleibt es nicht, sondern die Ähnlichkeiten gehen noch weiter in die Laufgeschwindigkeiten der kreisenden Gliedkörper hier wie dort hinein. In Sachen des Bahnenbaus hat das Netz der Ähnlichkeiten zwar nicht unbeträchtliche Lücken, jedoch ein Grundstock von Entsprechungen ist nicht im mindesten zu verkennen. Der Bau des Atoms ist, wie nicht Wunder nehmen kann, von außerordentlicher Regelhaftigkeit und Korrektheit: er ist ja am Urquell alles anorganischen Geschehens geschaffen, da wo die ersten und ursprünglichsten Bausteine für das Weltgebäude entstanden sind, und es entspricht zum mindesten unseren Vorstellungen von dem Aufstieg dieses Baues, daß er mit einem Mindestmaß von Ausgliederung und Besonderheit, von Differenzierung und Individualisation, mit einem Höchstmaß von Einheitlichkeit und Vereinfachtheit begonnen hat. Das vollkommen sichtbare und deshalb sichere Urbild jedes natürlichen Werdegangs, das Wachstum der Einzelpflanze und des Einzeltiers läßt diese Geschehensabfolge eindeutig erkennen und im anorganischen Reich können trotz manchen Lücken und manchen nur denkmäßigen Überleitungen langhin sich dehnende Verkettungszüge in den Geschichten der Himmelskörper als halbwegs gut vergleichbare Seitenstücke nachgewiesen werden. Demgemäß ist der an sich sehr einfache, dennoch an Gestaltungsmöglichkeiten überreiche Bau eines Wasserstoffatoms von strenger Regelmäßigkeit. Die Zahl der Gliedkörper, die die Mitte des Kerns umkreisen, ist die denkbar kleinste; es ist im Fall des neutralen Wasserstoffatoms nur ein negatives Elektron, das um den Kern läuft 1 . Es ist zwar 1

) Graetz, Atomtheorie

5

101.

Regelhafter Bau des Wasserstoffatoms. Bahnenausdehnung.

445

möglich, daß ein zweites negatives Elektron in den Verband des Atoms eintritt; doch erfordert das Gleichgewicht des atomaren Baus, daß wie zum Ausgleich des eintretenden Hüllen-Elektrons ein zweites mit aufgenommen wird, das zum Kern tritt und ihm einverleibt wird. Dadurch wird vermieden, daß durch das eine neu in der Hülle auftretende Elektron das bis dahin bestehende, an sich völlig abgewogene Verhältnis der sich gegenseitig teils anziehenden, teils abstoßenden Kräfte der hier im Kern, dort in der Hülle wirksamen positiven und negativen Elektrizitäten erschüttert wird. Das ist ein sehr einfaches Grundgesetz der Verfassung; um so reicher entfaltet sich die Fülle der Bahnmöglichkeiten für die Kreisläufe des einen oder im äußersten Fall der zwei Elektronen der Hülle. Für sie nämlich ist ein zwingendes Schema vorbereitet; denn den Elektronen, die den Kern umkreisen, ist durch die Gewalt der sie bestimmenden Tatbestände nicht nur das Umkreisen selbst vorgeschrieben, sondern auch eine Anzahl von Bahnen, die mit einander gleichläufig in bestimmten, immer gleichen Entfernungen von einander getrennt verlaufen. Den Elektronen ist durch diesen Zwang verwehrt, ihren Lauf zwischen den Bahnen zu nehmen, und es ist ihnen auferlegt nur deren Richtung zu verfolgen. Lediglich diese Freiheit ist ihnen gewährt, daß sie von Bahn zu Bahn springend den Weg wechseln. Es geschieht auf äußere Anregungen hin, sei es durch Wärmewechsel, sei es durch elektrische Felder, sei es durch Zusammenstöße 1 . Diese Erscheinung, die von der tieferen und allgemeinen Geschehensform abhängt 2 , die ihr Enthüller Planck unter den Namen der Quantentheorie gestellt hat, läßt nicht nur die Gesetzesstrenge in dem Verhalten der Urkörper erkennen, Sommerfeld, Atombau und Spektrallinien (' 1922) 82. Alles Genauere bei Franck und Jordan, Anregung von Quantensprüngen durch Stöße (1926) 168 ff. 2 ) Vergleiche den kurzen Nachweis des Zusammenhanges dieser Tatsache mit dem von Planck aufgedeckten Wirkungsquantum bei Graetz (Atomtheorie 5 81).

446

Anhang.

Bahnabstände zwischen Elektronen und Planeten.

sondern hat auch die Regel abgegeben für eine sehr weite Ausdehnung der Elektronenbahnen im Atom und damit auch des Gesamtumfanges der Atomkugel selbst. Es kommt nämlich bei äußerster Verdünnung der Masse des Atoms dazu, daß das Elektron eines Wasserstoffatoms auf der 29. Bahn seine Kreisläufe vollzieht — ein Tatbestand, der allerdings nicht im Laboratorium zu beobachten ist, sondern nur für die allerausgedehntesten und deshalb dünnsten der aus Wasserstoff-Gasen bestehenden Sternen-Nebel im Weltraum angenommen wird. Es kommt vor, daß in diesen das Elektron einen Kreislauf zurücklegt, dessen Radius das Tausendfache von der Länge des Radius im innersten Ring, also in der innersten Quantenbahn, besitzt 1 . Es ist nun • für die Elektronen im Atom zunächst im groben Grundsatz — von Abweichungen soll noch die Rede sein — nur das Eine festzustellen, daß sie in wachsenden Zwischenräumen von einander entfernt sind. Die Radien der auf einander folgenden Quantenbahnen verhalten sich wie die Quadrate der auf einander folgenden ganzen Zahlen, also wie 1 zu 4 zu 9 zu 16 zu 25 zu 36 zu 49 zu 64. Ein abweichendes und dennoch in gewissem Sinn verwandtes Verhältnis findet für die Bahnen statt, auf denen die Planeten ihre Mitte, die Sonne umfliegen. Verhältnismäßig früh, am Schluß des zweiten Drittels des achtzehnten Jahrhunderts, hat ein deutscher Forscher festgestellt, daß in Hinsicht auf ihre Entfernung die Reihe der Planeten sehr nahe einer einfachen, völlig regelhaft gebauten Zahlenreihe, derjenigen von 4, 7, 10, 16, 28, 52, 100, 196 gelagert ist; denn diese Zahlenreihe läßt sich so ausdrücken, daß, wenn jedes Mal 4 abgezogen wird, sich die Reihe 0, 3, 6, 12, 24, 48, 96, 192 als Grundstock ergiebt, d. h. eine Reihe, in der jedes einzelne Glied das Doppelte seines Vorgängers ausmacht. Der Unterschied dieser schematisierten Reihe von der der wirklichen Zwischenräume ist sehr gering; diese beträgt, wenn man die Entfernung der Erde von der *) Graetz, Atomtheorie

6

86.

Zwischenräume der Elektronen- und der Planetenbahnen.

447

Sonne — 149,5 Millionen Kilometer1 — gleich 10 setzt: Merkur 3,9, Venus 7,2, Erde 10, Mars 15,2, Asteroiden 20,5, Jupiter 52, Saturn 95,4 — soweit lagen damals die Beobachtungen der Wirklichkeit vor. Allerdings hat diese Reihe, die für Titius, den Urheber dieser Lehre, 1766 mit Saturn abschloß und erst später durch Uranus ergänzt wurde, nach der Entdeckung des Neptun eine Abbiegung erfahren, die beträchtlich genug ist, um das Gesamtbild zu stören. Denn während Uranus, der erst nach Bodes zweiter Besprechung von 1772 entdeckt worden war, sich auf das Gefügigste der gefundenen Regel unterordnete, erwies sich Neptun als störrisch, insofern seine Zahl, die nach Titius hätte 388 betragen sollen, in Wirklichkeit nur 301 beträgt. Völlig aus der Linie fällt vollends Pluto, das zuletzt •— 1930 — entdeckte Glied der Planetenfamilie, dessen wirkliche Entfernung — 400 —• um vieles hinter der ihm nach dem Gesetz der Titiusschen Reihe zukommenden Grundzahl 772 oder selbst hinter der ihm aus Neptuns wirklicher Entfernungsziffer abzuleitenden Zahl 600 zurückbleibt2. Aus den Abweichungen der Wirklichkeit von der durch das Titiussche Gesetz eingeschlagenen Linie haben die Sternkundigen völlig entgegengesetzte Schlüsse gezogen, die einen, die strengeren, wie der Engländer Jeans, die, daß durch sie die Zufälligkeit der früher festgestellten Entfernungen erwiesen und diesen also jeder Wert einer Gesetzhaftigkeit geraubt sei3. Deutsche Forscher dagegen sind geneigt, ihnen die Bedeutung einer kosmogonischen Gesetzmäßigkeit zu lassen 1 ) So nach den Berechnungen vor allem v o n Newcomb, die aber noch keineswegs als endgültig gesichert gelten. Immerhin wird die mögliche Größe des vielleicht vorliegenden Rechenfehlers nur auf 170000 Kilometer veranschlagt. (Newcomb-EngelmannLudendorf, Astronomie 6 193.) 2

) Tabellen bei Newcomb-Engelmann-Ludendorff (Astronomie [ 1921] 266) und vollständiger bei Jeans (Sterne, Welten und Atome [1931] 31). s ) Jeans, Sterne, Welten und Atome 31. 6

448

Anhang.

Bahnabstände zwischen Elektronen und Planeten.

und nur hervorzuheben, daß es bisher nicht gelungen sei ihre entwicklungsgeschichtlichen Gründe aufzudecken1. Jeans, der Engländer, ein so geistreicher Ausleger des Weltgeschehens im Sternenreich er sein mag, hat hier sicher nicht Recht. Er würde es nur auf seiner Seite haben, wenn nicht möglich wäre, auf die durchaus nicht geringe Wahrscheinlichkeit zu verweisen, daß ein Grundbezirk von völlig gesetzmäßigem Geschehen hier an seinem Kreisrand Abweichungen erlitten hat, die eben aus der besondern Lage dieser Grenzmark irgend welche Erklärung finden mögen. Denn einmal kann hier, in der weitesten Entfernung von dein übermächtigen Hauptkörper der Mitte, dessen Einwirkung in etwas ermattet sein —• also etwa seine hinauswerfende Kraft an einem von ihm sich loslösenden Teilkörper sich nicht so stark wie im Innern des Kugelraums betätigt haben — oder aber von außerhalb des Systems herstammende Einwirkungen haben sich dort am Außenrand des von der Sonne beherrschten Raumballs stärker geltend gemacht. Beide Möglichkeiten liegen nahe und es läßt sich gegen sie kein wissenschaftlich zu begründender Einwand erheben. Aber selbst dann, wenn der hier vertretenen Auffassung solche besonderen Stützen fehlten, dürfte unmöglich zugegeben werden, daß wenn in einer Reihe von 10 oder vielleicht noch mehr Gliedern — denn auch die Auffindung transplutonischer Planeten ist nicht ausgeschlossen — die acht ersten mit eiserner Folgerichtigkeit einer Geschehensregel folgen, dieser Erscheinung das Wesen der Regelhaftigkeit abgesprochen werden müßte, nur weil diese Regel im neunten und zehnten Glied der Reihe zwar Abweichungen, aber nicht grundsätzliche Veränderungen aufweist. Eine grundsätzliche Veränderung des Bahnenbaus würde vorliegen, wenn plötzlich eine Lücke von dem sechsfachen Betrage der bisherigen Zwischenräume oder aber von einem Sechstel ihrer Spannung eintreten würde oder wenn einer der 1 ) Engelmann und Ludendorff auf dem Grunde des englischen Originals von Newcomb (Populäre Astronomie 6 207).

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Grundzüge des Bahnenbaus. Unterschiede-

Planeten plötzlich eine Ellipse um die Sonne beschriebe, in der der Hauptkörper asymptotisch in nächster Nähe von dieser Bahn des Gliedkörpers seinen Platz fände. Der Grundstock des Bahnenbaus besteht aber erstens darin, daß eine Anzahl von einander nach Umfang und Masse ähnlich gearteten Gliedkörpern einen Mittelkörper auf überwiegend gleichläufigen Wegen umkreist, zweitens darin, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Zwischenräume zwischen den Bahnen der Gliedkörper nach einem und demselben» Grundsatz geordnet und von wachsender Größe sind und daß in allen Fällen der Zwischenraum von bedeutendem Maße ist. Und weder Neptun noch Pluto stören dies Grundbild. Und eben dieses Grundbild ist es nun auch, das die zureichende Unterlage darbietet für den hier obschwebenden Vergleich zwischen dem Lauf der Elektronen im Planetensystem des Atom und dem Lauf der Planeten in dem atomähnlichen Kugelball des Sonnensystems.

Zweites Stück. Annäherung im Ganzen und im Einzelnen. Der vornehmste Unterschied zwischen beiden Formen des Bahnenbaus ist darin zu sehen, daß die Abstände der Quantenbahnen im Atom in der Weise wachsen, daß sie von der Mitte ab eine Reihe der Quadrate von auf einander folgenden ganzen Zahlen darstellen, während die Zwischenräume zwischen den Planetenbahnen ebenfalls von der Mitte ab so fortschreiten, daß überwiegend jede Entfernung das Doppelte ihrer Vorgängerin darstellt. Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn festgestellt wird, daß der Zwischenraum zwischen der sechsten und siebenten Quantenbahn 11 der zwischen der siebenten und achten 13 Einheiten beträgt, während die Entfernung zwischen der sechsten und siebenten Planetenbahn, also zwischen Jupiter und Saturn, 44 EinB r e y s t g , Natargesohiohte ur.d Menschheitsgeschichte.

29

450

Anhang: Elektronen- und Planetenbahnen: Annäherungen.

heiten, die zwischen der siebenten und achten Planetenbahn, also zwischen Saturn und Uranus 96 Einheiten ausmacht. Vergleicht man die Zwischenräume zwischen dem sechsten und siebenten Glied und dem siebenten und achten Glied beider Reihen, so ergiebt sich bei den Elektronenbahnen eine Zunahme um 118, bei den Planetenbahnen eine Zunahme um 218 Vom-Hundert der Ausgangseinheiten. Der Unterschied erscheint auf den ersten Blick übermäßig groß: das Tempo der Zwischenraumvermehrung ist ein weit heftigeres in der Gruppe der Planeten- als in der der Elektronenbahnen. Gleichwohl bedeutet dann, wenn man die beiden Gebildegruppen mit einander vergleicht, dieser Unterschied nicht allzu viel, wenn man den Vergleich auf die ganzen Reihen erweitert. Die durch Titius ermittelte Reihe ist zwar insofern wichtig, als sich durch sie ein wenig deutlicher als durch die natürliche Abfolge der hinter einander geschriebenen Abstände erkennen läßt, wie regelhaft die Vermehrung dieser Abstände ist. Immerhin läßt sich der Eindruck durch neue Umschreibungen des gegebenen Zahlenkörpers noch beträchtlich vertiefen. Wer zuerst das eiserne Gesetz vernimmt, nach dem die für die Quantenbahnen errechnetenAbstände ihr Wachstum vollziehen, dem ist bange um den sich ergebenden Vergleich mit den Gestirnen, deren Verhalten doch von so viel mehr und so viel zusammengesetzteren Bewirkungen abhängig ist; stellt man aber dieselben Zwischenraum-Werte ebenso für die Elektronen-, wie für die Planetenbahnen in übersichtlicheren Zahlen auf, indem man sie auf Vom-Hundert-Teile des Abstandes zwischen dem Atomkern und der zehnten Quantenbahn hier und ebenso auf Vom-Hundert-Teile des Abstandes zwischen der Sonne und dem zehnten Planeten Pluto dort zurückführt und indem man zum Uberfluß auch noch aus diesen beiden Reihen die Spannungen zwischen je zwei auf einander folgenden Quantenbahnen und zwischen je zwei auf einander folgenden Planetenbahnen entnimmt

Umschreibung der Abstände.

Ähnlichkeit der Reihen.

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und zu Reihen ordnet, so ergiebt sich ein sehr viel einheitlicheres und eben deshalb noch nachdrücklicher unterrichtendes Bild als durch die Titiussche Reihe. Gegen die letztere ist an sich einzuwenden, daß sie mit ihrer VierAddition von einem willkürlich gewählten Ansatz ausgeht und sich dadurch in etwas in den Verdacht einer arithmetischen Stilisierung bringt, die die astronomischen Tatsachen nur beleuchten, sie aber nicht durch ihre Ergebnisse verdrängen kann1. Zum mindesten für den von außen her zu diesen Dingen Herantretenden fällt in die Augen, daß doch schon die Abstände der Bahnpaare im Atom nicht gleiche, sondern verschiedene und zwar wachsende Beträge aufweisen — für den Mathematiker natürlich eine Selbstverständlichkeit. Dadurch wird auch dieses Zahlenbild ein wenig von der abstoßenden Regelmäßigkeit befreit, von der man besorgt, daß sie sich allzu schroff gegen die natürlicher gewachsene Reihe der Planetenabstände abheben möchte. Es ist erstaunlich genug, daß die Reihe der Planetenabstände — in der Übersicht Spalte I V -— sich auf den ersten Blick nicht so übermäßig wie man denken sollte von der der Elektronenabstände unterscheidet. Zuerst bleibt die Planeten-Reihe auf eine lange Strecke hin beträchtlich hinter dem Fortschritt der Elektronen-Reihe zurück; etwa in der Entfernung der fünften Quantenbahn im Atom und in der für die Asteroidengruppe hier angenommenen mittleren Entfernung im SonnenSystem ist das Tal der Kurve dieses Zurückbleibens erreicht. Dann aber steigt sie, zuerst langsam bis zum Jupiter, sehr viel schneller zum Uranus und hat beim Neptun schon fast den Grad des Abstandes der ihm entsprechenden neunten Quantenbahn erreicht: diese hat einen Abstand von 82,6 vom Hundert der Gesamtentfernung zwischen der 10. Quantenbahn und ihrer Mitte aufzuweisen, die ebenfalls neunte 1 ) Die auf S. 459 folgende Tabelle giebt alle die oben benutzten Zahlen wieder. Die mittlere Bahn der Asteroiden ist nur schematisch nach Jeans (Sterne Welten und Atome [1931] 31) eingesetzt.

29*

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Anhang: Elektronen- and Planetenbahnen: Annäherungen.

Bahn des Neptun schon einen von über 75 vom Hundert der entsprechenden Sonne-Pluto-Entfernung. Hätte man einen Vergleich wie den hier vorgelegten innerhalb der sechzehn Jahre angestellt, die zwischen der Enthüllung des Atombaus durch Niels Bohr und der Auffindung des Pluto verflossen sind, man hätte damals ein Vergleichsbild von dem allerbefriedigendsten Zusammenschluß gewonnen. Doch auch heute nach neuer Verschiebung der letzten Strecke der beiden Parallelen bleibt der Eindruck bestehen, daß die Systematik des Bahnenbaus der Planeten gegen seinen Kreisrand, gegen seine Außengrenze hin sich wieder der Norm, als die man doch das Gefüge der Elektronenbahnen wird ansehen müssen, nähert, während er gegen die Sonnennähe hin in bemerkenswerter Weise von deren Schema abweicht. Darüber, aus welchen Ursachen diese sehr bedeutende und so zu sagen organische Abweichung herzuleiten ist, auch nur die leiseste Vermutung zu wagen, ist, der hier schreibt, gänzlich unzuständig; er meint nur sagen zu dürfen, daß es sich für die gründende Forschung verlohnen mag, dieser Frage nachzugehen. Bislang hat die Sternkunde sich damit beschieden, festzustellen, daß für die von Titius beobachtete Regelmäßigkeit noch keine kosmogonische Ursache angegeben werden könne1. Die weiteren Unterschiede, die sich zwischen dem Bahnenbau der Quanten und dem der Planeten ergeben, diejenigen, die sich, um so zu sagen, als Einbrüche in das System darstellen, sind durch die schon berührten Abweichungen in der Lage der Bahnen von Neptun und Pluto dargestellt, die schon zur Genüge durch den Vergleich mit der Titiusschen Reihe herausgehoben sind, die aber vielleicht auch durch den mit den Quantenbahnen nicht ohne Nutzen des Weiteren gekennzeichnet werden. Daß bei der Ausweisung der an sich in erfreulicher Regelmäßigkeit wachsenden Reihe der Abstandszunahmen in der vierten Zahlensäule der so *) Newoomb-Engelmann-Ludendorff, Astronomie ' 207.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Bahnenbaus.

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viel geringere Abstand zwischen Neptun und Pluto auf das deutlichste herausspringt, ist ein verhältnismäßig kleiner Gewinn dieser Parallelisierung; von größerer Bedeutung ist, daß der Vergleich der aufeinander folgenden Spannungen zwischen diesen Abstandswachstümern — in der fünften Zahlensäule — so unbezweifelbar deutlich erkennen läßt, daß die Abweichung im Grundsatz des Baus schon auf der Strecke zwischen Uranus und Neptun beginnt, insofern jene Spannung plötzlich von 13,4 auf 3 Einheiten zurückspringt. Der Wechsel in der Bauform wird hier eigens deutlich. Die völlige Zerreißung der Regel bei dem Fortgang von Neptun zu Pluto tritt in dieser Säule dadurch so deutlich hervor, daß die Spannung plötzlich, im Gegensatz gegen alle frühere Entwicklung der Reihe statt neuer Zunahme eine Abnahme aufweist. Aber alle diese Lücken und Mängel des Zahlenbildes, die ja durch den hier neu eingeführten Vergleich mit den Quantenbahnen eher mehr als weniger herausgetrieben werden, werden nicht daran irre machen können, nicht auch wird der Widerspruch eines bedeutenden 1 Physikers verhindern können, daß hier vergleichende Naturlehre an einem inneren Zusammenhang festhält, sei er nun wirklich durch eine nie unterbrochene Geschehensverkettung oder nur durch das beiden Geschehensformen ewig innewohnende und sich immer neu geltend machende Gesetz der anorganischen Welt hergestellt. Von einer Wucht und Größe, die unser an die Majestät des Weltgeschehens hingegebenes Herz mit Ehrfurcht und Schauer erfüllt, würde auch die zweite, an sich enger begrenzte Möglichkeit Zeugnis ablegen. 1 ) Auch der Autorität von Graetz wird man. hier nicht nachgeben dürfen, der erklärt: „Während aber die Planeten, die um die Sonne kreisen, ganz verschiedene Abstände von der Sonne haben und in ihrer Bahn ganz verschiedene Geschwindigkeiten besitzen, wobei die Abstände ganz beliebig sind und keinem Gesetz unterliegen . . .". (Graetz, Atomtheorie 5 80). Die Einwände gegen den ersten Teil dieser Behauptung sind oben S. 446ff. dargelegt; die gegen den zweiten Teil, die Bahngeschwindigkeiten betreffend, folgen unten S. 465 nach.

454

Anhang: Elektronen- und Mondbahnen: Zwischenräume.

Drittes Stück. Die

Z w i s c h e n r ä u m e zwischen den Planetenmonde.

Bahnen

der

Die Nachdrücklichkeit des Gesetzes, das hier walten mag, wird nur noch tiefer in die Seele geprägt, wenn sich herausstellt, daß es sich doch auch auf der nächst niederen Größenebene, bei den Geleitsternen der Planeten, bei den Monden geltend macht 1 . Nicht zwar, das sei mit aller Stärke betont, mit der gleichen Wucht und derselben überwiegenden, wenn auch nicht ausnahmslosen Folgerichtigkeit wie auf der Ebene der Planeten, geschweige denn mit der primären Gesetzesstrenge der Elektronen, und dennoch den Kern der Regeln des Bahnenbaus der Planeten, ja selbst der Elektronen festhaltend oder nur in den Außenwerken der Nebenregeln zuweilen leise, zuweilen auch sehr stark abweichend. Doch der Grundstock des Bahnenbaus bleibt unerschütterlich derselbe. Es ist, als ob in einem Tonwerk die Grundmelodie festgehalten wird, aber in den sie umgebenden Arabesken gegen das Ende immer öfter abvariiert und zuweilen in das Gegenteil des Anfangs verkehrt wird. Diese Ähnlichkeit setzt schon beim Mars ein, von dessen Satelliten der innere, Phobos, ungefähr 9200 Kilometer von dem Mittelpunkt des Mars entfernt ist, während der äußere, Deimos 23000 Kilometer von ihm sich bewegt. Es findet hier also etwa die gleiche Zunahme ') Ich wage diese Feststellungen hier anzufügen, obwohl ich weder in dem astronomischen noch im physikalischen Schrifttum, soweit es mir bekannt ist, irgend einen Hinweis auf diese Gleichförmigkeit finde, deren kosmischer Wert doch dem der planetaren nur wenig nachsteht. Ich füge ausdrücklich bei, daß mir wohl bekannt ist, daß an einer Stelle ein Versuch gemacht worden ist, das Titius-Bodesche Gesetz auf ein Satellitensystem — es ist das daraufhin von Charlier untersuchte des Saturn (vgl. NewcombEngelmann-Ludendorff, Astronomie '421) — anzuwenden, allein hier handelte es sich nicht um einen generellen Versuch die Monde der Planeten überhaupt jener großen Regel anzuschließen, sondern um die Anwendimg des Prinzips jener Hauptregel auf den Sonderfall des Saturn und seine sinngemäße arithmetische Abwandlung.

Gleiches Gesetz im Bau der Mondbahnen.

Jupitermonde.

455

von der Entfernung zwischen Muttergestirn und erstem Trabanten zu der zwischen diesem und dem zweiten statt wie zwischen den zwei ersten Bahnen der höheren Größenebene, der Ebene der Planeten. Das reiche Gliederganze des Jupiter und seiner neun Monde bietet die Bestätigungen der an sich laxen Regele wenn man von einigen nicht ganz geringen Abweichungen sich nicht irre machen läßt. Diesen ist aber umso weniger ein allzu schweres Gewicht beizumessen, als dieses System überhaupt eigens vielen von außen, namentlich von der Sonne kommenden Störungen unterliegt, Störungen, die sich am stärksten etwa in seinen eigens ungleichläufigen Mondbahnen1 äußern. Der fünfte Mond, der in Wahrheit der seinem Planeten nächste, also erste ist, und nur weil er um seiner Kleinheit willen erst nach vier älteren entdeckt wurde, diese Zahl erhielt, hat von seinem Hauptgestirn einen Abstand von 2,5 Halbmessern des Jupiterumfangs, der erste alter Zählung einen von 5,9, der zweite einen von 9,4, der dritte einen von 15, der vierte einen von 26,4, der sechste von 160, der siebente von 167, der achte von 330, der neunte von 345 Jupiter-Halbmessern. Man sieht auf den ersten Blick, daß die Reihe der Entfernungszunahmen in der Mehrzahl der Fälle sich durchaus nicht in den Grundsatz fügt, der für die Hauptstrecke der Planetenbahnen sich mit so schöner Folgerichtigkeit als gültig erweist. Die Reihe der Entfernungsvermehrungen wird, wenn man sie im Ganzen überschaut, an zwei Stellen durch ganz außerordentliche Durchbrechungen ihres Fortschreitens gestört. Formt man, was auch hier die anschaulichste Übersicht gewährt, die Zwischenräume zwischen den Geleitsternen in eine Zahlensäule um, als deren Grundeinheit die Entfernung zwischen dem Hauptgestirn und dem entferntesten, also dem IX. Mond angenommen wird und deren 1 ) Vgl. die ein f a s t wildes Bild darbietende Bahnenskizze bei Newcomb-Engelmann-Ludendorff (Astronomie 6 408).

456

Anhang: Elektronen- nnd Mondbahnen: Zwischenräume.

Teileinheiten in Vom-Hundert-Teile dieser Gesamteinheit umgerechnet werden, so gewinnt man eine dritte Zahlensäule, die die Spannungen zwischen je zwei auf einander folgenden Mondbahnen enthält. Diese Reihe nun weist im Ganzen einen recht ebenmäßigen Fluß, an zwei Stellen aber, zwischen dem IV. und VI. und zwischen dem VII. und VIII. Mond die Katarakte eines völlig aus dem Bilde herausfallenden Zahlensprungs auf. Während die Beträge dieser Spannungen nur geringe Höhen —zwischen 1 und 4,4 vom Hundert der Gesamteinheit — erreichen, treten hier plötzlich 38,8 und 47,2 vom Hundert auf. Ihnen entsprechen die absoluten Zahlen der wirklichen Zwischenräume: die Bahn des VI. ist von der des ihm voraufgehenden IV. Mondes durch 9674000 Kilometer getrennt und der VIII. vom VII. durch 11790000 Kilometer, während fast alle anderen Bahnen-Zwischenräume nur nach wenigen Hunderttausenden von Kilometern messen. Zu diesen auffällig großen Lücken gesellt sich eine ebenso auffällig kleine: es ist die zwischen den Bahnen des VI. und VII. Mondes. Sie beträgt nur 2 vom Hundert der Gesamteinheit, während frühere und spätere Spannungen der Reihe schon 3,3 und 4,4 von Hundert erreichen; die wirkliche Entfernung beträgt 500000 Kilometer, während die zwischen dem III. und IV. Mond schon 812000 erreicht und die zwischen dem VIII. und IX. Mond bis zu 1040000 Kilometern steigt. Diese am meisten in die Augen springenden Unterbrechungen der Reihe sind so unmäßig, daß sie weit eher den Eindruck hervorrufen, daß sie die Erzeugnisse, sei es von außerordentlichen katastrophenhaften Ereignissen, sei es von starken Lücken in der astronomischen Forschung sind, was für den zweiten Fall bei der Kleinheit dieser Satelliten — der II. z. B ist ungefähr so groß wie unser Mond — für den ersten bei der offenbar sehr anfälligen Lage des Systems besonders wahrscheinlich ist. Jedenfalls dürfen hier nur leiseste Vermutungen aufgestellt werden, so nahe

Unregelmäßigkeiten.

Bewahrung der Haaptregel.

457

sie auch liegen mögen: wie etwa die, daß die beiden allzu nah neben einander kreisenden Monde VT und VII durch eine Berstung entstanden sein mögen, oder die andere, daß die großen Lücken zwischen dem IV. und VI. und dem VII. und V n i . Mond früher einmal durch die Wirklichkeit ausgefüllt waren oder später einmal durch die Forschung ausgefüllt werden werden. Immerhin ergibt sich in Hinsicht auf die fortschreitende Vergrößerung der Zwischenräume, sobald man zunächst den ersten und grundsätzlichen Urbestandteil der Regel in Betracht zieht, nicht der kleinste Verstoß gegen sie: die Zwischenräume wachsen mit dem zunehmenden Abstand vom Hauptgestirn 1 . Wenn man wie billig von jenen drei augenfälligsten Unregelmäßigkeiten absieht, die nur durch besondere und aller Vermutung nach von außen herzugedrungene UrBachen, sei es der Natur, sei es der Forschung zu erklären sein können, so finden sich sogar noch streckenweise die schönsten Bestätigungen für den zweiten Bestandteil der Regel, so weit man sie von dem Musterbild der entsprechenden Reihe im Bahnenbau der Planeten ableiten kann. Zwischen dem ersten und dritten Glied der Reihe, d. h. den Zwischenräumen zwischen dem I. und V. und zwischen Mond V und dem Hauptgestirn findet, annähernd dem Urbild entsprechend, eine mehr als doppelte Vergrößerung der voraufgehenden Entfernung statt, eine einfache Verdoppelung zwischen Mond I I / I I I und I/II und zwischen III/IV u n d l l / I I I , und die Vermehrung, die an dem Zwischenräume zwischen den Monden VII und VIII auftritt, bedeutet sogar völlig korrekt der Planetenregel entsprechend eine Verdoppelung gegen die Gesamtentfernung zwischen dem Mond VII und dem Hauptgestirn. Als Endergebnis wird man zugeben müssen, daß selbst in diesen Nebenerscheinungen die Durchsetzung des Grund!) Siehe Säule IV der Tabelle S. 460.

458

Elektronen- nnd Mondbahnen: Zwischenräume.

etocks der Regelung weit stärker in die Augen fällt, als das Auftreten der Abweichungen. Das um Einiges reichere Gliederganze des Saturn und seiner Trabantengefolgschaft bietet in Hinsicht auf seine Abstände ein Bild dar, das noch etwas mehr von Unebenheiten heimgesucht ist als das des Jupiter; dem Hauptmerkmal der Bauform nach verhält es sich aber in fast wünschenswerter Regelmäßigkeit. Man überblicke — in der IV. Zahlensäule — die Abfolge der auf Vom-Hundert-Einheiten der Entfernung des äußersten Mondes umgerechneten Mondabstände vom Hauptgestim, so ergibt sich eine durch Rückfälle nie unterbrochene Reihe steigenden Wachstums der Zwischenräume. Und selbst die Reihe der Abstände der aufeinander folgenden Mondbahnen offenbart mehr Regel- als Unregelmäßigkeiten. Prüft man etwa die fünfte Zahlensäule, die die Spannungen zwischen den Abstandzunahmen ausweist, so ergiebt sich für die ersten vier Mondbahnen eine schlechthin arithmetische Regelhaftigkeit. Und wo in dieser Säule die Zahlen sprunghaft werden, hat man den Eindruck, als seien schwere Lücken, entstanden im Bahnenbau der Wirklichkeit oder in den bisherigen Ergebnissen ihrer Erforschung, die Ursache, nicht aber irgendwelche Änderungen im Grundsatz des Baues. So sind die Lücken zwischen Rhea, mit 8,7 Saturn-Halbmessern Entfernung und Titan mit 20,2, sowie zwischen Hyperion mit 24,5 und Japetus mit 58,9 SaturnHalbmessern Entfernung zu groß, als daß sie sich nicht in den Ergebnissen der Folgeberechnungen überstark geltend machen sollten. Andererseits ist die Gruppe Titan, Themis, Hyperion BO dicht zusammengedrängt, daß sie in den späteren Zahlensäulen ein sehr abweichendes Bild ergeben muß. Noch unnormaler klafft die Lücke zwischen Japetus und Phoebe auf, über welche letztere schon Zweifel aufgestiegen sind, ob sie wirklich der Gefolgschaft des Saturn angehört oder ob sie zum mindesten nicht eine von Saturn eingefangene Asteroide sei.

Saturnmonde. Entfernungen, Geschwindigkeiten d e r Planeten. 4 5 9

*

16,6 14,3 12,5 11,1 10 ö. Bahn

7. Bahn

20,1 14.2 11.3 9,9

362 310 5,9 8. Bahn , 271 2,9 9. Bahn 230 1,4 10. Bahn 217

432 20 5. Bahn

25,3

oo_ o\ ac. o" «*" t-" -+" —1 C* S« IM

«o, ¡3. cq_ o^ Q »* n co x u>* -< n CT h- Io396 26.5 786 62.6 778 52 1430 95,4 2870 191,9 4500 300,7 5906 400

S* J i ? i - a s i g 3 „ 1 m1

oo io oo, « ei n

40.5 52,9 66,9 9. Bahn 82.6 10. Bahn 100

1. Bahn 2. Bahn H

IP»1»1®«»0 >• n»)OTo{> nop nj X a»GOJ|via »P 1l»l8ipnjjiqcnag

460

A n h a n g : Elektronen- u n d M o n d b a h n e n : Zwischenräume. III

II

Entfernung in Halbmessern Tauend d« km Hanptgeitlrni

384,4

60,8

9.2

2,7 6

VI

IV

VII

VIII 1 a5 SS

Entfernong s.S Sa fl•o•efl der Qnanten• •A« —5O«3*8 Qaan* balinen Tom » S i l Sä 4 S J Kern Im 5 Ss1«® tenI I »O S b ahnen Waueratoff- M O £ a ¡Sa atom ESS® Ia Ii In om II* w

H

40.3 } 59,7 100

i. ii.

0,66-10 - 8 25 2,20-10-8 100

i. 0,55 1 0 - 8 1,2 } 1 4,9 II. 2,20-10-« } 1 4,95 1 0 - 8 11,1 HL } 1,6 IV. 8,80-10-8 19,7 } 3,3 V. 18,75-10-8 30,8 } 88,8 VI. 19,80-10-8 44,4 } 2 VII. 26,95-10-8 60,5 } 47,2 VIII. 35,20-10-8 79,2 } 4,4 IX. 44,55-10-8 100

2,5 164 427 5,9 679 9,4 1084 15 1906 26.4 11570 160 12070 167 23860 330 24900 345

0,7 1,7 2.7 4.3 7,6 46.4 48,4 95,6 100

161 8,1 232 3,9 288 4,9 869 6,2 515 8,7 1193 20,2 1427 24,9 1445 24.5 8476 58,9 12650 814,4

1 I. 0,55-10-8 1.4 0,4 4 1.8 II. 2,20-10-8 0,5 9 2.3 I I I . 4,95-10-8 0,6 2,9 IV. 8,80-10-8 16 1,1 4 V. 13,75-10-8 25 5,4 9.4 VI. 19,80-10-8 36 1,9 11.3 VII. 26,95-10-8 49 0,1 11.4 VIII. 35,20-10-« 64 27.5 } 16,1 IX. 44,55-10-8 81 } 72,5 55-10-8 100 100 X.

177 249 405 542

7 9,9 16,1 21,5

454

15

32.6 } 13,4 46 74.9 } 28,9 } 25,1 100

I. II. III. IV.

0,55-10-8 2,20-10-8 4,95-10-8 8,80-10-8

6,8 25 56,2 100

Monde der Planeten: Entfernungen, Geschwindigkeiten. XI

XII

XIII

XIV

xv

XVI a

« ® .

TJmlaufzeit der Monde in Tagen und Stunden

. El M 3 1-2! ® a ,

fflo 1! H

29 T. 3 Btd.

0,58

7,5 Std. 1 T. 6 Std.

2,32 1,42

i £ ™ S "'S B ® S Ms® Jtff* 0 O o» ® W H V O •g""S S b c a» 'ateo M -O g M M O S « j2.5 o» «K =3? S aS a®,S ja 1 *9 6s « S SÄ aSa®

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Quanten« bahnen

%A

l-s-i | g s i® riï

100 } 38,8 61,2

I. II.

1,38 100 0,90 65,2 } 34,8 13,8 0,71 51.4 9,6 0,57 41.8 10,6 0,43 31,2 19,2 0,166 12 0,1 0,165 11.9 2,5 0,13 9,4 0,7 0,12 8,7

I. II. III. IV. V. VI. VII. Vili. IX.

100 50 33,3 25 20 16,6 14,3 12.5

22 Std. 1 T. 9 Std. 1 T. 21 Std. 2 T. 18 Std. 4 T. 12 Std. 15 T. 23 Std. 20 T. 20 Std. 21 T. 6 Std. 79 T. 8 Std. 550 T. 10 Std.

0,90 0,79 0,71 0,63 0,53 0,35 0,32 0,32 0,20 0,11

100 87.7 78.8 70 58,8 38,8 35.5 35.5 22,2 12,2

} 12,3 8,9 8,8 } H,2 20 3,3 0 } 13,3 } 10

I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

100 50 33,3 25 20 16.6 14,3 12,5 11,1 10

2 T. 4 T. 8 T. 13 T.

0,78 0,66 0,51 0,44

100 84.6 } 15,4 65,4 } 19,2 56,4 } 9

I. II. III. IV.

100 50 33,3 25

12 Std. 1 T. 18 Std. 3 T. 13 Std. 7 T. 3 Std. 16 T. 17 Std. 251 T. 265 T. 739 T. 800 T.

12 Std. 3 Std. 17 Std. 11 Std.

5 T. 21 Std.

0,58

100 50

11,1

461

462

Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

Viertes Stück. Die

Bahngeschwindigkeiten von Elektronen, Monden und Planeten.

Daß so weithin ihr Gebot erstreckende Gewalten den gesamten Ball des anorganische Reichs beherrschen von Pol zu Pol, dafür läßt sich aber noch ein zweites Sondergeschehen aufspüren, für das die Ähnlichkeit des Verhaltens der Weltkörper mit dem der Urkörper von einer noch wundergleicheren und dazu von ebenso schlagender Kraft ist. Das ist die Ähnlichkeit der Stufenleiter der Bahngeschwindigkeiten im Fall der Elektronen mit der der Planeten und über diese hinaus noch mit der der Monde. Ich füge sie hier ein, obwohl ich in dem mir bekannten Schrifttum der beiden Wissenschaften, der Physik wie der Astronomie, noch keinen Hinweis auf sie finde, dennoch hoffend hierin nicht zu irren. Von vornherein freilich wird man nach all* den Beobachtungen, die sich an den verwandten Stufenleitern des Wachstums der Zwischenräume zwischen den Planeten- und den Mondbahnen machen lassen, nicht eine starre Gleichheit zwischen dem Verhalten der Urkörper und dem der Weltkörper vermuten können, sondern nur eine sich ihr von weitem annähernde Ähnlichkeit. D. h. man wird weder die strenge Abgepaßtheit der Geschwindigkeitsmaße noch die Undurchbrechbarkeit der einmal durchgesetzten Regel wie bei den Urkörpern erwarten dürfen. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich aber auch in diesem Stück die Ähnlichkeit zwischen den Verhaltensweisen zweier so weit von einander getrennten Welten als erstaunlich groß. Die Regel, die für die Bahngeschwindigkeiten der Elektronen gefunden worden ist, ist denkbar einfach. Ihr Grundansatz ist vermittelst der durch Plancks Enthüllung gewonnenen Einheit des Wirkungsquantums abgeleitet von dem alten Elementarquantum und ergiebt für das Wasserstoff-Elektron auf der ersten Quantenbahn eine Geschwindig-

Gleiche Regel bei Elektronen und Planeten.

463

keit von 2,172 mal 100 Millionen Centimetern in der Sekunde, d. h. etwa den 138. Teil der Lichtgeschwindigkeit; auf das Einheitsmaß höherer Größenebenen gebracht: 2172 Kilometer in der Sekunde, ein Betrag, der an der FastLichtgeschwindigkeit frei durch den Raum eilender Elektronen gemessen gering erscheint, von dem man aber keinen Augenblick vergessen darf, daß der Kreis, bei dessen ewiger Durchlaufung der Urkörper, der selber einen Durchmesser von 1,9 Zehnbillionstel Centimetern hat, seine Tage zubringt, nur einen Halbmesser von einem Zehnmillionstel Millimeter hat. Die Regel selbst aber ist für die weiteren Quantenbahnen dahin umschrieben, daß je weiter die Bahn von dem Atomkern absteht, desto mehr sich die Geschwindigkeit des diese Bahnen durchlaufenden Elektrons vermindert und zwar in dem Verhältnis von 1 zu 1 / 2 zu 1 / 3 zu 1 / 4 zu 1 / 6 und sofort 1 . Sie sinkt also, in Sekunden-Kilometern ausgedrückt, von 2172 in der ersten Quantenbahn, auf 1086 in der zweiten, auf 724 in der dritten Quantenbahn und so fort bis auf 217 Sekunden-Kilometer in der zehnten Quantenbahn. Dem gegenüber weist die Zahlensäule der Planetengeschwindigkeiten zunächst, und darauf kommt ja das Meiste an, die vollkommene Durchsetzung des gleichen Ordnungsgrundsatzes auf: von Merkur bis zu Neptun unter Einbeziehung der Asteroidengruppe fällt die Säule von dem bei Merkur erreichten Höchstmaß von 47,83 Sekunden-Kilometern auf 73,1% bei Venus, 61,2% bei Erde, 50,4% bei Mars. Für die breite Schar der vielfach wie in ihren Bahnen so auch in ihren Geschwindigkeiten differenzierten Asteroiden soll hier nur ein einziger Stern, Priamus, aus der erst jüngst entdeckten jupiternahen Trojagruppe als artvertretendes Beispiel gewählt werden. Er hat bei mäßiger Excentrizität — es2 sind 0,12 —eine Geschwindigkeit von 12,99 SekundenKilometern. In der oberen Gruppe der Planeten fällt dann 1 2

) Graetz, Atomlehre s 82. ) Newcomb-Engelmann-Ludendorff, Astronomie *398.

464

Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

die Geschwindigkeit rasch von 13,5 Sekunden-Kilometern bei Jupiter auf 9,64 bei Saturn, 5,43 bei Neptun. Ein Vergleich zwischen den beiden wahrlich durch eine Welt getrennten Gruppen von Geschwindigkeiten darf zweckdienlicher Weise nicht von diesen absoluten Zahlen ausgehen, sondern von Vom-Hundert-Einheiten der höchsten Geschwindigkeit, der des Merkurs auf Seite der Weltkörper und der der 1. Quantenbahn auf Seite der Urkörper, wie sie in Säule X I I und XVI der Übersicht festgelegt sind. Hier wiederholt sich der für den Außenseiter so überraschende Eindruck, der sich schon bei der vergleichenden Auswertung der Entfernungen zwischen den Bahnen des Wasserstoffelektrons einerseits und den Bahnen der Planeten und Monde andererseits geltend machte, daß die Zahlen bei den Urkörpern, von deren allzu starrer Regelmäßigkeit man schmerzhafte Enttäuschungen für das Recht dieser Vergleiche befürchtet, durchaus nicht in so unfruchtbarer Gleichheit der Abstände Bich darstellen, sondern vielmehr ein erfreuliches Maß zwar nicht von Unregelhaftigkeit, wohl aber von Ungleichheit darbieten. Und diese Ungleichheit ist es, die von einem solchen Vergleich, wie er hier angestellt werden soll, nicht abschreckt, sondern noch des Weiteren zu ihm einlädt. Läßt man das Auge gleiten von der XVI. Säule, wo die Geschwindigkeiten der Elektronen im Wasserstoffatom auf Vom-HundertEinheiten zurückgeführt sind, zu der Säule XII, die die gleiche Stufenleiter für die Planetengeschwindigkeiten enthält, so ergiebt sich die in diesem Sinne erfreuliche Beobachtung, daß der gradweise sich vollziehende Fortschritt der beiden sinkenden Reihen streckenweise augenfällige Ähnlichkeiten offenbart. In den ersten vier Graden, d. h. in den Geschwindigkeiten der vier unteren Planeten, bleibt die Senkung allerdings weit zurück hinter der durch die Stufenleiter der Elektronen bestimmten Norm; sie vollzieht sich bei den Planeten sehr viel zögernder als bei den Elektronen und ist noch bei Mars nur halb so gering wie auf der entsprechenden vierten Quantenbahn; aber jenseits des durch die Heerschar der Asteroiden

Vergleich, Mondgeschwindigkeiten, Marsmonde.

465

eingenommenen Zwischenstreifens nähern sich die beiden Kurven zusehends und fallen bei Uranus und Neptun schon fast zusammen: denn dem Stand des Uranus bei 14,2 vom Hundert der Merkurgeschwindigkeit entspricht der der 8. Quantenbahn mit 12,5 vom Hundert der Geschwindigkeit der 1. Quantenbahn sehr nahe. Und wenn die gleichen Zahlen für Neptun und die 9. Quantenbahn ll,3und 11,1 betragen, so ist die Abweichung noch geringer: nur noch 0,2 vom Hundert. Jedenfalls sind die Entsprechungen beider Reihen stark genug, um aussagen zu können, daß sie nicht nur durch den in beiden siegreichen Hauptgrundsatz zusammengehalten werden, der den abhängigen Gliedkörpern eine gradweise sich vollziehende Abnahme ihrer Umlaufsgeschwindigkeit vorschreibt, sondern auch durch nicht unbeträchtliche Ähnlichkeiten im Vollzuge dieser Vorschrift. Wie nach allem Voraufgehenden zu erwarten steht, macht die Geltung der hier vorherrschenden Grundregel nicht Halt bei den Planeten, sondern greift mit der gleichen siegreichen Kraft auch in die nächstniedere Größenebene über, die der Monde. Und nicht etwa findet sich hier ein Erlahmen der Geltungskraft: schon die beiden Monde des kleinsten unter den mit Begleitern ausgerüsteten Planeten, die Satelliten des Mars weisen eine Nähe zur Norm der Elektronen-Geschwindigkeiten auf, die gegenüber den Vergleichstatsachen im Geschehen der Planeten-Ordnung erstaunlich ist. Wird für den dem Planeten nächsten Mars-Mond, den Phobos, der von seinem Hauptgestirn nur 9200 Kilometer entfernt ist, die Geschwindigkeit seines Bahnumlaufs, die 2,32 Marshalbmesser in der Stunde beträgt, als Hundert-Einheit angesetzt, so ist für den Deimos, den zweiten Marsmond, der 23000 Kilometer von dem Planeten entfernt ist und eine Umlaufzeit von 1 Tag 6 Stunden hat, eine Geschwindigkeit von 1,4 Marshalbmessern in der Stunde anzusetzen und dies beträgt 61,2 vom Hundert jener Phoboseinheit. Die Abweichung von den 50 vom Hundert, um die die Geschwindigkeit der 2. Quantenbahn im Wasserstoff-Atom hinter der der ersten zurückB r e y s i g , Naturgeschichte und Mensohbeitflgeachioble.

30

466

Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

bleibt, ist unbedeutend. Man sieht, die allerdings nur kurze Säule der Geschwindigkeit der Marsmonde verhält sich in dem Schrittmaß ihrer Senkung fast in physikalischer Richtigkeit. Die nächste Planetengefolgschaft, die der Jupitermonde, zeigt, auf dieselbe Weise in Vom-Hundert-Einheiten der Geschwindigkeit des V., d. h. des dem Hauptgestirn nächsten Mondes, umgerechnet, in der Säule ihrer Senkungen ein ungefähr ähnliches Verhalten, wie die entsprechende Säule der Planetengeschwindigkeiten: der Grundsatz der nach dem Kreisrand des Systems zu sinkenden Geschwindigkeit ist in Vollkommenheit aufrecht erhalten; das Schrittmaß ist, wie bei den Planeten, recht entfernt von physikalischer Regelmäßigkeit, weicht jedoch in seinen Unregelmäßigkeiten kaum weit von denen der Planeten-Säule ab. Zu Anfang beim V., I., II., III. Monde, die also den vier unteren Planeten entsprechen, ist zwar die Verlangsamung für den I. Mond um mehr als 10 vom Hundert größer als bei der ihm entsprechenden Venus, aber bei dieser Spannung bleibt es auch: ganz im Belben Sinn bleibt noch der III. Mond hinter dem ihm entsprechenden Mars um wenig mehr als 10 vom Hundert der Ausgangseinheit zurück. Von den vier letzten Monden des Jupiter bleibt noch der VII. in seinem ungefähren 10-vomHundert Abstand hinter dem ihm in der Folge gleichgeordneten Saturn zurück. Erst der letzte Mond zeigt eine auffällig viel stärkere Verlangsamung seiner Bewegung: er hat nur 4,3 vom Hundert, während Neptun, der ihm in der Ordnung entspricht, noch immer 11,3 vom Hundert der Ausgangseinheit aufbringt. Die neunte Quantenbahn hat 11,1. Wollte man hier das Allergenaueste ermitteln, so müßte man — das leuchtet ein — die Systematik dieses Vergleichs des weiteren ausgestalten. Insbesondere zum Zweck des Vergleichs mit der Geschwindigkeit der Elektronen würde es dienlich sein, das Bild der Planeten- und Satelliten-Bahnen von den Gegebenheiten der wirklich durchlaufenen Wege etwas frei zu machen und in Abständen, die am vorteilhaftesten denen der Quantenbahnen entsprechen würden,

467

Jupitermonde, Saturnmonde.

ideelle, nur gedachte Planeten- und Mondbahnen anzunehmen und für sie ganz entsprechend den beiden benachbarten wirklichen Gestirnbahnen und den auf ihnen gültigen wirklichen Geschwindigkeiten fingierte Geschwindigkeiten zu errechnen, an deren Fort- oder genauer gesagt an deren Rückschritt man sicherer als an jenen das Schrittmaß ihrer Geschwindigkeitssenkung ablesen könnte. Doch soll dies späterer Arbeit überlassen bleiben. Setzt man für das nächstfolgende Gestirnsystem, den Saturn und seine Satelliten, die Geschwindigkeit von Mimas, dem ersten der Saturnmonde als Grundeinheit, so ergiebt sich in der auch hier völlig regelrecht sinkenden Säule der Bahngeschwindigkeiten eine augenfällige Gleichmäßigkeit im Schrittmaß dieser Verlangsamung. Die Monde von Enceladus, dem zweiten, bis zu Rhea, dem fünften, folgen in Staffeln von 87,7, 78,8, 70, 58,8, also in fast ebenmäßigen Senkungssprüngen und wenn Titan darauf mit einem weiteren Sprunge folgt, von 58,8 auf 38,8, so ist auch dies nur eine scheinbare Abirrung, denn zwischen Titan und seinem Vorgänger Rhea klafft ein sehr viel größerer als der gewöhnliche Abstand: 11,5 statt 2,5 wie zwischen Dione und Rhea. Ebensowenig darf befremden, daß die Gruppe der drei Monde Titan, Themis, Hyperion nur geringe Bewegung aufweist; hier liegt der umgekehrte Grund vor: die Gruppe ist in ihren Bahnen auffällig eng zusammengedrängt. Dann erfolgt zwischen Hyperion und Japetus bei besonders starkem Abstand — von 24,5 zu 58,9 — auch eine starke Verlangsamung. Dagegen bringt die aus aller Regel herausspringende übermäßige Entfernung der BahnPhoebes, des letztenMondes—die Spannung zwischen Japetus und Phoebe geht von 58,9 auf 214,4 Saturnhalbmesser—nicht eine entsprechende Zunahme der Verlangsamung hervor, sondern nur den gewohnten Rückgang um 10,2 vom Hundert der Mimas-Geschwindigkeit. Für den Vergleich zwischen den Geschwindigkeiten dee Saturn-Monde ist noch zu vermerken, daß die Ebenmäßigkeit, mit der sich die Verlangsamung bei jenen vollzieht, ihre Reihe 80*

468

Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

nicht etwa der Reihe der sinkenden Quantenbahn-Geschwindigkeiten annähert: im Gegenteil, das heftig springende Schrittmaß, in dem sich deren Rückgang vollzieht, wird hier eigens deutlich. Die letzte der reich ausgegliederten Gestirnegruppen, die des Uranus, mit noch wenigstens vier Monden, ist von augenfälliger Regelhaftigkeit, nicht nur in Hinsicht auf das Grundgesetz der steigenden Verlangsamung, sondern auch auf das Schrittmaß dieser Tempo-Verringerungen. Wird die Geschwindigkeit, mit der Ariel, der dem Hauptgestirn nächste der Uranusmonde, seine Bahn durchläuft — 0,78 Uranushalbmesser in der Stunde — als Grundeinheit angesetzt, dann weisen die drei anderen Umbriel 84,6, Titania 65,4, Oberon 56,4 vom Hundert der Einheit auf. Die verhältnismäßig hohe Geschwindigkeit auch noch des letzten der Monde müßte die Vermutung nahe legen, daß noch weiter hinaus im Weltraum noch mehr Satelliten des Systems ihre Kreise ziehen. Wenn von Neptun bis heute nur ein Mond bekannt geworden ist, so gibt doch auch er zu der Beobachtung Anlaß, daß seine Geschwindigkeit — sie beträgt 0,58 Neptunhalbmesser — sich durchaus dem Bild der benachbarten Systeme einpaßt. Sie entspricht etwa der des Umbriel in der Gefolgschaft des Uranus. Das Gleiche gilt vom Mond der Erde, dessen Geschwindigkeit — 0,58 Erdhalbmesser in der Stunde — etwa der der Dione im Satumsystem entspricht, wobei doch jedes Mal nur das relative Raummaß, der Halbmesser des Muttergestirns zu Grunde gelegt ist. Fünftes Stück. Ergänzungen und Schlußfolgerungen. Ehe die Summe aus allen diesen Einzelbeobachtungen gezogen werden soll, aus der sich dann die Schlüsse ergeben, die sich für das Ordnungsbild des Weltgeschehens gewinnen lassen, müssen die bisherigen Betrachtungen noch an einigen

Uranusmonde, Neptun- und Erdenmond. Gestirnentstehung.

469

Stellen ergänzt werden. Zunächst möchte eine Bemerkung ausgesprochen werden, die nicht eine Kritik der bisherigen astronomischen Arbeit, sondern einen Wunsch an ihre Fortsetzung ausdrücken soll. Auch sie ergiebt sich aus dem Vergleich zwischen dem Verhalten der Elektronen im Atomund dem der Planeten und Monde im Sonnen-Systembau und zeigt vielleicht, wie nützlich auch für die werktätige Wissenschaft dergleichen Querverbindungen zwischen den Geschehens- und Forschungsbereichen sind. Wer als Außenseiter vor den bisherigen Ergebnissen der Sternkunde in Hinsicht auf die Systematik der Beziehungen zwischen der Sonne und ihrem Sterngefolge steht, ist doch erstaunt zu finden, daß die Erforschung der Geschichte des Zustandekommens dieses weitverzweigten Gliederganzen, wie die Astronomen selbst klagen1, noch durchaus nicht zu einhellig angenommenen Lehrmeinungen vorgedrungen ist; zum zweiten aber regt sich die Hoffnung, es möchte unter der Einwirkung der Vergleichsmöglichkeiten, die sich aus dem gewaltigen Erkenntnisfunde des von Niels Bohr entworfenen Atommodells ergeben haben, durchführbar sein, einige weitere Schritte auf dieser Bahn zurückzulegen. Denn so weit auch die beiden Bezirke des Elektronen- und des Planeten- wie Monde-Laufes voneinander entfernt und so tief verschieden ihre Daseinsbedingungen sein mögen, die Konfrontation beider muß Nutzen bringen. In Hinsicht auf die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems, in Sonderheit auf den Ursprung der Planeten und des Mondes treten im Großen und Weiten gesehen zwei Auffassungen als die gewinnendsten aus der Reihe hervor, zum Teil in schroffem Widerspruch, dann wieder zu Kompromiß- und Mischbildungen vereinigt. Die eine läßt die Tochter- und Enkelgestirne der Sonne aus immer neuen Geburten, immer neuen Filiationen entstehen: Schwellungen am Leibe des MutVgl. die Äußerung »in einem hoffnungsloseren Zustand denn je« bei Kienle, Probleme der Kosmogonie (Kopff, Physik des Kos mos [1928] 505).

470

Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

terkörpers, Ringe die sich von ihm loslösen, Geleitsterne, die sich aus diesen Ringen bilden. Die andere, die Gezeitentheorie, verlegt die Bildung der Geleitsterne schon in den Entwicklungsabschnitt hinein, in dem die Sonne selbst und alle ihre zugehörenden Nebenkörper sich noch im Nebelzustand befanden und eine weit hingebreitete Nebelmasse bildeten, aus der dann vorüberziehende andere Nebelkörper durch Gezeitenreiz Halbinseln herausgezogen und ihre Umbildungen zu Spiralnebeln herbeigeführt haben. In ihnen aber seien, so meint man, die Planeten und wohl auch ihre Monde als eigene Nebelknoten entstanden und die Systeme zuletzt durch Anziehungskraft zusammengebracht1. Nun sieht man, wenn anders man geneigt ist, so vergleichend zu verfahren, wie auf diesen Blättern immerdar geschehen ist, auf den ersten Blick, daß die neuere, die Gezeiten-, die Nebel-Lehre zur Annahme von Vorgängen führt, die mit den von Niels Bohr für das Zustandekommen neuer Elemente unterstellten eine nahe Ähnlichkeit aufweisen, für die in der alten Kant-Laplaceschen Theorie nicht der mindeste Raum übrig bleibt. Denn in beiden Geschehenssichten wird die Entstehung eines neuen oder die Erweiterung eines alten Systems durch Einfangen eines neu herzutretenden Gliedkörpers bewirkt, der bis dahin unabhängig seines Weges zog, nun aber lediglich durch seine Nähe und die ihn erfassende Gewalt der Anziehungskraft, das eine Mal aus dem Grunde der Gravitation, das andere Mal überwiegend aus dem der Anziehung, die ungleichnamige Elektrizitäten aufeinander ausüben, in Abhängigkeit und Unterwerfung gezwungen, einem Gliederganzen einverleibt wird. Man stellt sich gern vor, daß diese Ähnlichkeit, sei es in Anpassung an sie, sei es in Auseinandersetzung mit ihr, der Erforschung der Ent1 ) Es sind die Gedanken von G. H . Darwin, aber auch die der gemeinsamen Arbeiten von Chamberlin und Moulton, um die es sich hier handelt. (Vgl. Newcomb-Engelmann, Astronomie 785 f.) Dazu dann die Übersicht über eine eigene Lehre bei Nölke, Das Problem der Entwicklung unseres Planetensystems [1911] 376 — 379).

Nebellehre und Lehre der Elemententstehung.

Einungen.

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stehungsgeschichte des Sonnensystems einmal gute Dienste leisten könnte. — Hin und wieder tauchen ja Tatbestände auf, die es schon heute den Sternkundigen willkommener erscheinen lassen, das Angezogenwerden eines Mondes anzunehmen als seine Abstammung vom Muttergestirn, so etwa in Hinsicht auf die beiden äußersten Monde des Jupiters 1 , den VIII. und IX., so auch in Hinsicht auf den Mond der Erde, für den das Gleiche des öfteren behauptet worden ist. Zuletzt mag ein kurzer Hinweis darauf verstattet sein, daß ein Grundzug den Bauformen beider Weltbezirke aufgeprägt ist, der gewiß nur allgemein und grundsätzlich ist, sie aber doch beide in denkwürdiger Verwandtschaft erscheinen läßt: es ist die türmende Kuppelung von zwei Körperformen sehr verschiedener Größenordnung in dem Sinne, daß die größere eine Anzahl von Einzelgliedern der kleineren zu einer Einung zusammenschließt, einer Einung, die zwar diesen Gliedern ihre Bewegung als reine Ortsveränderung läßt, sie ihnen aber benimmt, insofern sie sie nur den Hauptkörper umkreisen läßt, ihnen also jede Freiheit ungehemmter Bewegung raubt. Die Unterschiede der Größenmaße beider Körper- und beider Geschehensformen sind von schlechthin ungeheurer Spannung — die erste Quantenbahn eines Wasserstoffatoms ist von dessen Kern um etwas mehr als die Hälfte von einem Hundertmillionstel eines Centimeters (0,55 x 10—8 cm) entfernt, während Pluto die Sonne in einem Abstand von 5906 Millionen Kilometern umkreist; und die Geschwindigkeit, mit der das Elektron die erste Quantenbahn des Atoms durchläuft, beträgt etwas mehr als 217 Millionen Centimeter in der Sekunde (2,172 x 10 8 cm), d. h. also 2172 Kilometer in der Sekunde, während der Planet Merkur, also das Elektron auf der ersten Quantenbahn des Atomgebäudes des Sonnensystems, nur 47 Kilometer in der Sekunde zurücklegt 2 . 1

) Newcomb-Engelmann-Ludendorff, Astronomie 6 409. ) Graetz, Atomtheorie 5 82; Zagar, Nuove ricerche sull' orbita di Plutone (1932); Rüssel-Dugan-Stewart, Astronomy (nach 1926) 2

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Anhang: Elektronen und Monde: Geschwindigkeiten.

Je gewaltiger aber die Größenunterschiede sind, die sich zwischen den Weltkörpern dort, den Urkörpern hier spannen, desto mehr wächst unsere Ehrfurcht vor der Allgewalt des Gesetzes, das über alle diese Trennungen fort die Fülle der Erscheinungen des Weltgeschehens zur Einheit zwingt. Vol. I Appendix. — Durch die Ergänzung der Angaben für Pluto, des weiteren aber auch durch die Nachprüfung der Angaben in Säule X I der ersten Tabelle (Planetengeschwindigkeiten) und in Säule X I I der zweiten Tabelle (Mondgeschwindigkeiten) h a t mich Herr Kopff, der Direktor des Astronomischen Becheninstitutes in Dahlem, der sie in seinem Institut ausführen ließ, zu großem Dank verpflichtet. Waren meine Umrechnungen auch in der Hauptsache zutreffend, so ist nur so eine fachmäßige Genauigkeit erreicht worden.

VERZEICHNIS DER EINSCHLÄGIGEN PHYSIKALISCHEN UND VERWANDTEN SCHRIFTEN. Auerbach, E k t r o p i s m u s oder die Physikalische Theorie des Lebens (1910). — Die W e l t h e r r i n u n d ihr S c h a t t e n ( 2 1913). — Die Grundbegriffe der modernen N a t u r l e h r e ( 4 1917). — W ö r t e r b u c h der Physik (1920). — Entwicklungsgeschichte der modernen Physik (1923). Berliner, L e h r b u c h der Physik ( 8 1924). Berliner u n d Scheel, Physikalisches H a n d w ö r t e r b u c h ( 2 1932). Bohr, A b h a n d l u n g e n über A t o m b a u (1921). — Drei Aufsätze über Spektren u n d A t o m b a u (1922), ( 2 1924). — Über die Quantentheorie der Linienspektren (1923). — A t o m t h e o r i e u n d N a t u r b e s c h r e i b u n g (1931). Borel, Zeit u n d R a u m (1931). Born, Der A u f b a u der Materie ( 2 1922). — Atomtheorie des festen Zustandes ( s 1923). — Vorlesungen über A t o m m e c h a n i k I (1925). Buchwald, D a s Korrespondenzprinzip (1923). Chwolson, L e h r b u c h der Physik I 2 ( 2 1918). — L e h r b u c h der Physik I I 2 ( 2 1922). — Die Physik u n d ihre B e d e u t u n g f ü r die Menschheit (1924). Dingler, Die Grundlagen der P h y s i k ( 2 1923). Driesch, Relativitätstheorie u n d W e l t a n s c h a u u n g (2 1930). v. Dungern, Über die Prinzipien der Bewegung, d a s Wesen der Energie u n d die Ursache der Stoßgesetze (1921). — Dynamische W e l t a n s c h a u u n g (1920). E d d i n g t o n , S t e m e u n d A t o m e . Übers. (1928). — Der innere A u f b a u der Sterne. Übers. (1928). Einstein, Ü b e r die spezielle u n d die allgemeine Relativitätstheorie ("1922). Engel, B r a u c h t der P h y s i k e r E r k e n n t n i s t h e o r i e ? (1929). F a j a n s , R a d i o a k t i v i t ä t ( 4 1922). Falkenhagen, Quantentheorie u n d Chemie (1928). Franck u n d J o r d a n , Anregung v o n Quantensprüngen d u r c h Stöße (1926). Frenkel, L e h r b u c h der E l e k t r o d y n a m i k I (1926). Gehrke, Physik u n d E r k e n n t n i s t h e o r i e (1924).

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Verzeichnis der benutzten physikalischen Schriften.

Geiger und Scheel, Handbuch der Physik X X I I : Elektronen. Atome, Moleküle (1926). — Handbuch der Physik I : Geschichte der Physik (1926). — Handbuch der Physik X X I I I : Quanten (1926). — Handbuch der Physik X X I V : Negative und positive Strahlen. Zusammenhängende Materie (1927). Gerlach, Atomabbau und Atombau (1923). — Materie, Elektrizität und Energie (1923). Graetz, Die Physik (1917). — Die Elektrizität ("1922). — Die Atomtheorie (41922). — Alte Vorstellungen und neue Tatsachen der Physik (1925). — Die Atomtheorie ( 5 1925). .Haas, Das Naturbild der neuen Physik (1920). — Einführung in die theoretische Physik I I (x u. 2 1921). — Einführung in die theoretische Physik I (3 u. 1 1923). — Das Naturbild der neuen Physik (21924). — Die Welt der Atome (1926). — Atomtheorie (1924), (31929). — Quantenchemie (1929). — Materiewellen und Quantenmechanik (®1930). Hahn, Was lehrt uns die Radioaktivität über die Geschichte der E r d e ? (1926) Hartmann, Astronomie: Kultur der Gegenwart, hrsg. von Hinneberg I I I 3 (1921). Hertz, Die Prinzipien der Mechanik (1894). Hopf, Relativitätstheorie (1931). Jeans, Sterne, Welten und Atome. Übers. (1931). Kienle, Unendlichkeit T (o. J.) Kippenberger, Werden und Vergehen auf der Erde im Rahmen chemischer Umwandlungen (1916). Kistner, Der Feinaufbau der Materie (1923). Kobold, Der Bau des Fixsternsystems (1906), Koppel, Der Bau der Atome und das periodische System (1927). Kossel, Valenzkräfte und Röntgenspektren (1921). Kramers und Holst, Das Atom und die Bohrsche Theorie seines Baues (1925). Lande, Die Neuere Entwicklung der Quantentheorie (21926). Lecher, Physik. Kultur der Gegenwart, hrsg. von Hinneberg 3 I (1925). Lenard, Über Äther und Uräther (21922). Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung (1912). Meitner, Atomvorgänge und ihre Sichtbarmachung (1926).

Verzeichnis der benutzten physikalischen Schriften.

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Mie, Moleküle, Atome, W e l t ä t h e r ( s 1911). — Das Wesen der Materie I ( 4 1919). Millikan, Das Elektron (1922). Müller-Pouillets Lehrbuch der Physik V 2: Physik des Kosmos, hrsg. von Kopff ( u 1928). Nernst, Zum Gültigkeitsbereich der Naturgesetze. Rektoratsrede (1921). — Theoretische Chemie ( " - " 1 9 2 6 ) . Nölke, Das Problem der Entwicklung unseres Planetensystems (1919). Oppenheim, Probleme der modernen Astronomie (1911). Perrin, Die Atome (®1923). Planck, Neue Bahnen der physikalischen Erkenntnis. Rektoratsrede (1913). — Einführung in die Mechanik der deformierbaren Körper ( a 1922). — Die Ableitung der Strahlungsgesetze (1923). — Kausalgesetz und Willensfreiheit (1923). — Das Prinzip der Erhaltung der Energie ( 5 1924). — Vom Relativen zum Absoluten (1925). — Gesetzlichkeit im Lichte neuerer Forschung. (Die Naturwissenschaften X I V H e f t 13 [1926]). — Thermodynamik (»1927). — Aus der neuen Physik. Vortrag. (1928). — Das Weltbild der neuen Physik ( s u . 4 1930). — Positivismus u n d reale Außenwelt (1931). — Der Kausalbegriff in der Physik (1932). — Wege zur physikalischen Erkenntnis (1933). Reichenbach, Atom und Kosmos (1930). Schaefer, E i n f ü h r u n g in die theoretische Physik I ( s 1922). — Einführung in die theoretische Physik I I (1921). Schmid, D a s A t o m — ein räumliches Planetensystem (1925). Schrödinger, W a s ist ein Naturgesetz. (Die Naturwissenschaften X V I I H e f t 1 [1929]). Sommerfeld, Atombau u n d Spektrallinien ( 3 1922). S t a r k , N a t u r der chemischen Valenzkräfte (1922). — A t o m s t r u k t u r u n d Atombindung (1928). — Fortschritte u n d Probleme der Atomforschung (1931). Stock, Ultra-Strukturchemie ( 2 1920). Valentiner, Die Grundlagen der Quantentheorie ( 3 1920). — Anwendung der Quantenhypothese ( 2 1921). Weyl, Was ist Materie? (1924). — R a u m , Zeit, Materie (1923). Witte, R a u m u n d Zeit (»1920). Wulf, Lehrbuch der Physik ( a 1929).

M.&H. M A R C U S

VERLAG /

BRESLAU

KÜRT BREYSIG

DIE GESCHICHTE DER SEELE IM WERDEGANG DER MENSCHHEIT Geheftet RM. 1 5 — , in Leinen RM. 17.— Drei Formen der Geschichtsforschung unterscheidet Breysig: Die berichtende Geschichtsschreibung (Tatsachenberichte), die ordnende Geschichtsschreibung (Aufdeckung von Zusammenhängen, entwickelnde Geschichtsschreibung), die deutende Geschichtsforschung. Dieser letzten, für ihn höchsten Form hat Breysig das vorliegende Werk gewidmet. Er legt die Tatsächlichkeiten der ersten und zweiten Form zu Grunde und gewinnt daraus die Erkenntnis der Werdegänge geschichtlichen Geschehens. Die Sprache des Buches ist ernst und wissenschaftlich, aber frei von philosophischen Fachausdrücken und daher für jeden Gebildeten durchaus verständlich. Ständig dringt Breysig in den Sinn des Geschehens der Geschichte ein und gewinnt daraus das Material seiner Seelengeschichte, die mit Recht als die Krönung seiner Geschichtsforschung bezeichnet werden kann. Die Ergebnisse dieser seelengeschichtlichen Forschung sind keineswegs abstrakte Begriffe. Sie sind historische Realitäten, denn es zeigt sich, daß die Seelenkräfte (Verstand und Gefühl, Wille und Einbildungskraft) nicht minder geschichtsbildend wirken als Waffenkampf, Wirtschaftsform und geographischer Lebensraum. So entsteht ein geschlossenes Geschichtsbild; dies Auf und Ab der Bewegungen in Glauben, Kunst, Wissenschaft, Staat, Wirtschaft erhält einen ganz anderen Sinn: die Weltgeschichte erscheint in neuer Beleuchtung. Dadurch, daß so Geschichte zur Seelenkunde wird, wird die Schilderung auch der entlegensten Zeiten und Völker von aller Kälte und Blaßheit befreit. D RUCK VON C. SCHULZE « CO., GMBH., G R Ä F E N H A I N I C H E N