Natur und Seele: Ein Beitrag zur magischen Weltlehre 9783486758450, 9783486758443


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German Pages 200 [204] Year 1928

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Table of contents :
Vorrede
1. Die Grundfrage
2. Mensch und Natur
3. Weltanschauung
4. Magische Weltsicht
5. Der Mensch als Maß
6. Außen und Innen
7. Der magische Kreis
8. Das Leben
9. Magie und Naturwissenschaft
10. Magie und Psychologie
11. Hellsicht und Einsicht
12. Magie und Intellekt
13. Das Opfer
14. Das Wort
15. Körper und Kosmos
16. Kosmos und Leben
17. Aberglaube und Wirklichkeit
18. Gleich und Gleich
19. Das organische Gestalten
20. Verwandlung
21. Abbild und Urbild
22. Natursichtigkeit
23. Magie im Märchen
24. Gefahr der Magie
25. Die Tat
26. Der Urmythus
27. Die Wende
28. Die Versenkung
Inhaltsverzeichnis
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Natur und Seele: Ein Beitrag zur magischen Weltlehre
 9783486758450, 9783486758443

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Natur und Seele Ein Beitrag zur magischen Weltlehrc

von

Edgar Oacque 3. Auflage

München und Berlin 1928 Druck und Verlag von R.Oldenbourg

Alle Rechte, einschließlich des übersetzungsrechtes, Vorbehalte». Copyright 1926 by R. Oldenbourg, München und Berlin.

Vorrede. *

Das Buch ist eine Ergänzung und Vertiefung des meta­ physischen Telles meines früher erschienenen Werkes: „Urwelt, Sage und Menschheit". Was dort unmittelbarer Ausblick war,

ist hier methodisch bewußter zusammengefaßt und begründet. Es

handelt sich um die „magische" im Gegensatz zur mechanistischintellektvalen Weltanschauung. Doch soll keineswegs eine Syste­ matik der Magie gegeben werden, sondern es wird nur ausge­ sprochen, was ein selbsterlebender Mensch, der zugleich Natur­ forscher ist, von sich aus zu den tiefsten Fragen der Naturphllo-

sophie glaubt sagen zu können. Freilich ist jeder ein Kind seiner

Zeit und spricht bestenfalls deren geheime und doch Dielen in der

Seele lebende Gedanken ans. Darum sagt man auch, ohne es zu wissen, so oft das Gleiche wie andere Zeitgenossen.

Auffallende Parallelen finden fich bei den Naturphllosophen der Romantik, die neuerdings wieder unsere Aufmerksamkeit in

Anspruch nehmen und durch eben erscheinende verdienstvolle Neu­ ausgaben leicht zugänglich gemacht werden. Was jedoch die Denk­

weise der Romantik von unserer kommenden und eben angebahn­

ten Geistesrichtung unterscheidet, ist dies, daß ihr die Natur eine große Harmonie und die Beschäftigung mit ihr ein ästhetisches

Wohlgefallen war. Uns aber offenbart sich daS Furchtbare und Dämonische wieder: das Wohlgefallen ist gewichen, und auch zur eigenen Menschenherrlichkeit beglückwünschen wir «ns nicht mehr,

da uns die eigene Menschennatur immer wieder zur Katastrophe i*

führt. Und da wir anders sind, sehen wir auch in der Natur nicht mehr das harmonisch Beruhigte, sondern ihre Abgründe, vor denen

wir nicht mit Wohlgefallen, sondern mit Schauer und banger Frage stehen. Treffen sich die Gedanken beider Zeitalter auch oft bis zur scheinbaren Identität im einzelnen, so sind dies dennoch

nur Schnittpunkte von Linien, die aus verschiedener Grundrichtung kommend, sich kreuzen und darum wohl einen Augenblick lang

decken, aber auch im Deckvngspunkt von Grund aus verschieden gerichtet bleiben.

Die Art des Aufbaues der folgenden Darlegungen ist äußer­

lich scheinbar sehr lose. Dennoch stehen die Abschnitte untereinander in einem inneren Zusammenhang, der sich dem geduldig Lesenden

zuletzt von selbst öffnen wird.

Oberammergau, im Sommer 1926.

Die 2. Auflage war ein unveränderter Neudruck der ersten.

Die vorliegende 3. Auflage ist an mehreren Stellen ergänzt und verbessert. Der Sinn ist derselbe geblieben.

Soll« b. München, Mai 1938.

„Zeiten schön und wunderbar, Kindermärchen werden wahr."

r. Die Grundfrage. Es gibt nur eine wichtige Frage im Dasein; das ist die nach der Seele des Menschen. Auf dieses Wort läßt sich das ganze Leben und alle Philosophie und Wissenschaft bauen. Ob ein Volk seine Macht über seine Grenzen trägt und andere unterjocht; ob es selbst trauernd an den Wassern zu Babel sitzt und seine Harfen verstummt sind; ob es mit Geist und Technik über die Meere greift; ob es Künste und Wissenschaften pflegt oder ob es in Reli­ gionskriegen und inneren Kämpfen sein Mark verzehrt und sich wieder verjüngt: immer ringt es um seine Seele und damit um die Seele der Menschheit. Götterverehrung, Gebet, Opfer, Sitten, Künste, Zauberei, Mysterien, Philosophie», Wissenschaften, Staa­ ten- und Gemeinschaftsbilduagen aller Zeiten und in jeglicher Form, in der sie austraten, zielen und zielten bewußt oder unbe­ wußt auf diese eine einzig wichtige Frage, auch wenn es von den Klugen dieser Welt immer wieder vergessen oder absichtlich ver­ leugnet wird. In keiner Epoche der Geschichte haben wahre Helfer der Mensch­ heit, haben wahre Eingeweihte, Weise uno Propheten anderes gesucht und mit Bangen und Liebe nach anderem gefragt als nach der Seele des Menschen. Nie haben Religionen und echte Philo­ sophie etwas anderes bedeutet als ein Ringen um diese eine älteste und doch immer wieder neu brennende Frage. Wir mögen uns betäuben, wie wir wollen; wir mögen unser äußeres Wohl­ ergehen in allem Ernst für das Erste und Wichtigste halten und glauben, es könne aus sich selbst bestehe»; wir mögen stolz er-

hobenen Hauptes auf die Erfolge unserer Geisteskraft und Arbeit blicken oder tief gebeugt von der Not des Daseins nicht wissen, wohin wir unser Haupt legen sollen — immer und immer wieder wird jenes Eine, das not ist, vor uns treten, und die Geschichte

wie das Leben des Einjelnen wird immer wieder Rechenschaft fordern gerade über dieses Eine. So kehrt die Frage nach der Seele des Mensche» verhüllt oder unverhüllt in allen Beziehungen des Daseins als Sinn und Kern alles Strebens, Denkens und Empfindens und Kämpfens wieder. Sie ist die Frage, in der Leben und Tod eins stnd, und es ist nur ein anderer Ausdruck für dieses Derbundensein, wenn ein Genius sagt, ohne den Tod gäbe es keine Philosophie. Nach jener Frage beurteilen wir deshalb auch alle Gedanken der Mensch­ heit und unsere eigene Wirtschaft. Vielleicht ist unser aufgeklärtes Zeitalter eines gewesen, das glauben konnte, es gäbe ein Völker­

leben und eine Phüosophie und Wissenschaft, worin es fich nur um äußere Tatsachenbestände handeln könne, nach denen fich das

Dasein so richte, daß die Seele des Menschen dabei ausscheide? Wie sehr hat man fich getäuscht. Wie besinnt man sich wieder auf de» einzigen Wert, auf die wahre Triebkraft des Geschehens im Menschenleben wie in der Natur: auf die Seele. Und schon hat sie sich gemeldet mit einem lauten Aufschrei, sie, von der man immer verlangt, sie solle schweigend sich beugen vor dem Thron der Götti» Vernunft. Wir beginnen eine neue Phllosophie, eine neue Wissenschaft. Wir suchen die Seele in der Natur und die Seele im Menschenleben. Wir besinnen uns wieder auf das wahrhaft „Wirkliche", aus dem alles bestimmt wird, aus dessen lebensvollen unergründlichen Tiefen alles entsteht, in die alles zurückkehrt. Das Verhältnis des Daseins zum Ewig-Unerforschlichea wollen und müssen wir wieder für unsere Zeit bestimmen, um überhaupt Lust zum Weiterleben, um den Sina für Philosophie und Forschung

eines neuen Zeitalters zv bekommen; wie es frühere Zeiten für sich bestimmt haben. Denn keinem Zeitalter bleibt die Rechenschaft erspart und kein neues bricht an ohne sie; alle sind „für sich zu Gott". Wir erkennen, daß zu allen Zeiten Philosophie und Wissen­ schaft nur Bestandteil der Seelenfrage waren und sein werden und

daß sie darum zuletzt—mögen sie sich zeitweise noch so sehr in belang­ loses äußeres Vielerlei verlieren — immer wieder von der mit neuer Erschütterung und neuer Kraft gestellten und erlebten Frage nach der Seele des Menschen und des Weltalls neues Leben und neues Ziel erhalten.

2. Mensch und Natur. Der religiöse Mensch, der die Natur in sich und um sich er­ forscht, kann zweierlei Stellung zu ihr haben: Entweder sieht er in ihr seinen Unseligkeitszustand und ringt um Erlösung; oder er weiß sie als Ausfluß und Schöpfung Gottes und sucht sie in sich zu verklären, das dem Ewig-Guten Dienende in ihr zu sehen. In jedem Fall wird sie ihm zu einem Symbol, sein Arbeiten und Forschen wird einen tieferen Sinn haben, auch wenn es sich auf das Alleräußerlichste richtet. So wird ihm Wissenschaft nie uferlos,

ob er sich um Philosophie oder technische Ergründung der Natur­ kräfte bemüht. Er wird im wahren Sinn der Idee des Menschen dienen. Wenn für den hellenischen Denker der Lichtgott am ge­ schloffenen Firmament dahinzog, dem er seine Anbetung zollte;

wenn dem Volk heute noch das Gewitter die Stimme Gottes ist, so sind das religiöse Vorstellungen des sittlichen Menschen, un­ abhängig davon, was nüchterne Naturforschung stets wechselnd über den Sonnenkörper oder die physikalisch-meteorologische Ent­ stehung des Gewitters weiß und erforscht. Das äußere physische Erleben der Sonne und des Gewitters wird ihm zu einem Symbol

der Gottheit, die zu und aus seinem Innern spricht, weil sein innerer Sinn sich des Zusammenhangs mit schöpferischen Kräften bewußt ist, die er nicht begreift und die sich so gut in ihm selbst, wie in dem, was er von außen wahrnimmt, manifestieren. So mag ihn auch das „wissenschaftliche" Erleben und Erkennen zur Anbetung Gottes führen, und es ist für ihn darum im Wesen kein Unterschied, ob seine Seele die Sonne und das Gewitter mythisch oder wissen­ schaftlich erlebt. Schopenhauer nennt alle Natur objektivierten Willen zum Dasein. Dies ist ihm das transzendente Prinzip jeder Erscheinung,

die Innenseite der Natur, Kants Ding an sich, die wahre Ur-Sache

in allem und jedem. Indem es sich objektiviert und als Vielheit der Dinge erscheint, reflektiert es sein Wesen vor sich selbst, erinnert sich seiner Einheit, erkennt in allem Vielerlei das Eine. Und indem es dies gewahrt, wird es des Ewig-Gleichen der immer erneuten und doch innerlich wesensgleichen Ojektivationen inne, bemerkt es die Sinnlosigkeit der objektivierten Welt. So wird der Wille zum Dasein reif jur Abkehr vom äußeren Vielerlei, er wendet sich jurück, kehrt in sich ein und ist damit auf den Weg der Erlösung gelangt. Das volljieht sich im Menschengeist. Es sei deshalb die höchste und würdigste Beschäftigung, in der reinen unbefangenen Betrachtung der Natur j« verharren und so die Erlösung vom Dasein ju fördern. Der gemeine Verstand, der „Pöbel" will nur soweit erkennen, als ihm daraus ein äußerer Gewinn für das ichbefangene Dasein fließt. Das ist der Unterschied zwischen nutz­ mäßig gerichteter Wissenschaft und wahrer Phllosophie. Aus reiner, sich selbst verlierender Beschauung ergibt sich das Wesen des Da­ seins, das Wesen der Natur. Doch diese Phllosophie Schopenhauers, so tief sie ist, entbehrt der inneren Wärme, der Helligung. Sie kennt nicht die „Seele". Sie verwirft dieses Wort als haltlos und hohl. Aber an sich wäre der gestaltende Wille zum Dasein haltlos und hohl, sinnlos und richtungslos; er schafft immer nur äußerlich Neues und doch end­ los dasselbe. Seele aber ist das, wodurch erst der Wille zum Dasein innere Bedeutung erhält. Es gibt, wie unser Inneres uns offen­ bart, im transzendenten Daseinswillen noch eine Bestimmung, die sein neutrales Wollen erst zu einem Ewigkeitswert macht, wenn auch tausendmal alles Äußere, worin er sich manifestiert, diesem Willen gegenüber dasselbe ist. Der Ewigkellswert ist das Schöpfer­ tum, das in jeder Manifestation des Willens zum Dasein ewig neu und unergründlich ist: Ausdruck der „Seele", die zugleich mit dem objettivierten Willen zum Dasein in allem und jedem liegt. Wir sagen also wohl mit Schopenhauer: alles Dasein und auch Ich, der Mensch, ist Objettivation des transzendenten Willens zum Dasein; aber wir sagen dazu: es ist auch Ewigkeitswert. In allem, auch im Menschen als Natur, kämpft das Dasein um Ausdruck und Verwirklichung dieses Ewigkeitswertes. Diesen als Sinn und

Bestimmung des Daseins ju erkennen, das Dasein, und sei es volles Leid, deshalb und um dessentwillen zu bejahen, ist mehr als die Ab­ kehr, wie sie Schopenhauer sieht; ist erst wahrer Weg zur Erlösung. In der äußeren Natur erscheint uns der gestaltende Daseins­ wille sittlich neutral. Ob eine Blume erblüht oder ein Sturm den Baum entwurzelt, ob ein Wesen das andere tötet, ob es seine Jungen hegt, das alles ist weder hellig noch unheilig, solange sich uns darin nicht ein Seelenhaftes spiegelt. Dem modernen Natur­ forscher ist insofern die Natur und ihr Gestaltungswille neutral, seelenlos. Aber wir wissen, daß es eine Betrachtung und ein Er­ leben der Natur gibt, das in der Natur die Seele schaut. Dies «ollen wir die magische Weltsicht nennen. Es ist nicht der Unterschied zwischen dichterischem und naturwissenschaftlichem Darstellev der Natur, den wir hier meinen, sondern was wir suchen, liegt viel viel tiefer und rührt an die mythische Frage von Schuld und Erlösung. Wenn sich dem Dichter Busch und Tal still mit Nebelglanz füllen, der ihm die Seele löst, dann ist das ein ästhetisches Natur­ erleben, dessen seelischer Wert außerordentlich zusammenschmUzt, wenn diese Naturstille unterbrochen wird vom Einschlagen der Granaten im Schützengraben. Und die Begeisterung für die Herrlichkeit des Gewitters wird schnell einem anderen Gefühl weichen, wenn der niederfahrende Strahl mein Kind zur Leiche wandelt. Darum die brennende Frage: hat denn das Geschehen einen Ewigkeitssinn? Wo ist das, was über dem allem steht, was alles dieses in sich beschließt und verklärt; in dem alles dieses erst Sinn und Bedeutung erhält über das ästhetische Wohlgefallen, über das Abscheuliche und Schreckhafte, über das Schöne und Ge­ waltige des äußeren Geschehens, über das äußere Dasein hinweg? Ist es „wissenschaftliche" oder „naturphilosophische" Betrachtung der Geschehnisse, wie Schopenhauer es uns nahelegt? Findet sich das Erlösende dort, wo wir den Mechanismus und den Ab­ lauf der Dinge und Erscheinungen nach den Gesetzen der Schwer­ kraft, der Stoffdermischung, der Molekularstrukturen als ein mechanisch Notwendiges begreifen lernen? Nein; so wenig wie im rein Dichterischen. Aber wo liegt es sonst?

Der Mensch findet sich in einer Welt, die sich in seinem Be­ wußtsein spiegelt. Teils fühlt er sich als eins mit ihr, teils fühlt er sich ihr entgegen; innerlich und äußerlich. Und weiß nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. Er sieht den Ablauf dieser Welt, der größtenteils und anscheinend ohne sein Zutun sich vollzieht. Und was so abläuft ohne sein Zutun, auch an ihm selbst, ja in ihm selbst, ist ihm fremd. Dieses Fremde nennt er „gidtttt". Solange er über sie vachdenkt und womöglich sein Gefühl, sein Wollen mit ihr in Gegensatz steht, ist sie ein Feind seiner Seele. Er ist nicht mit ihr eins, nicht in ihr daheim. Auch die anderen Menschen, die er als seinesgleichen kennt, und von denen er kraft eines starken unmittelbaren inneren und äußeren Erlebens weiß, daß sie seiner Art sind, auch sie sind ihm „Natur", Umwelt, Gegenüber, die selten in sein Wollen und Fühlen ein­ klingen, öfters ihm still oder gewaltsam entgegen sind. Und das alles entscheidet sich in der „Seele", hüben und drüben; und daher wissen wir es. Auch in sich, bei sich findet der Mensch die ihm fremde Natur und ist ihr da ebenso machtlos preisgegeben wie sonst überall. Wer kann dafür, daß seine Haare grau werden? Wer kann an dem Wachstum und Altern seines Körpers etwas ändern? Wer hat Macht über seine Geburt, seinen Tod, ja nur über seine Lebens­ bedürfnisse und Leidenschaften? So beherrscht uns die Natur auch in uns selber, es objektiviert sich der Wille zum Dasein in immer neuer Form gegen unseren Willen, auch in uns selbst. Die Natur ist uns fremd in uns; wir «erden gelebt. Wir sind imstande, uns selbst als Natur zu sehen, ohne im Innersten mit uns einverstanden zu sein. Wir können uns betrachten und nehmen wie das Fremde um uns. Wir sind imstande, von innen heraus der eigenen Natur gegenüberzutreten, uns „Gegenstand" der eigenen Betrachtung zu werden. Damit zum erstenmal wird uns bewußt, daß wir etwas sind, was gegenüber dem blinden transzendenten Willen zum Dasein seine eigene Innenwelt hat, die sich über und außerhalb der „Statur" weiß und erlebt, aber heillos an sie gefesselt ist. Jenes Innere, das Schopenhauer ganz übersah, hat ein Gefühl und Bewußtsein

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eigener Gesetze, hat Gefühl un- Bewußtsein von einer ewigen unantastbaren Würde und Helligkeit. Und auf der anderen Seite sehen wir Ms abhängig, versklavt an jene Macht, die wir als fremd zugleich in uns und um uns fühlen: Natur. Aber schon ahnen wir Erlösung. Wenn es uns gelänge, das zu leben, was wir im Innersten find! Und so versuchen wir es und ringe« darum, diese „Natur" vom Innersten aus zu be, herrschen und zu lenken. Das ist der tiefe Sinn alles religiösen Tuns und aller Philosophie. Wir versuchen es oft nach außen: das ist der Kampf mit der Umwelt in jeder Form, sei es körperlicher Kampf oder geistiger Kampf, Technik oder Wissenschaft oder zauberisches Bemühen. Aber wir führen den Kampf auch nach innen, an uns selbst; versuchen, Herr zu werden über unsere Leidenschaften, diese Dämonen in «ns; wir suchen Hunger und Durst, Trägheit und Müdigkeit zu überwinden, auch Eigenschaften, die wir als Makel an unserer Seele empfinden und die wir als niedere Gefinnung bezeichnen. Wir können mit unserer Willenskraft und mit Selbstbeeinflußung unseren Körper stählen, unsere Sinne steigern, Schmerzen vermindern; wir erfahren, daß Vorstellungen oder die Anstrengung der aus unserem Innerste» gelenkten Kräfte viel zu erreichen vermag. Aber doch geht der Widerstand der „Natur" über unsere Kraft. Doch daß es bis zu einem gewissen Grad möglich ist, fie zu überwinden, wenn wir die Kraft unseres Innern einsetzen, zeigt uns zugleich, daß ein Weg zur Befreiung besteht, den wir erfolgreich gehen könnten, wenn uns im Innern eine Kraft beschert würde, welche unserer eigenen schwachen Kraft aufhülfe und fie zum Stege führte. Das ist die Sehnsucht nach dem „Erlöses. Ob er kommt und wann er kommt — das ist die Frage des lebendigen Glaubens, der nur aus innerer Offenbarung fließt. Willenskraft nnd Persönlichkeit sind das erste Mittel zur Be­ freiung von der Versklavung an die Natur, zu ihrer Beherrschung nach außen und innen; find ein Weg, zu uns selbst zu gelangen, Menschenwürde zu haben, die als heiliges Gefühl in «ns lebt, die das Ziel unserer tiefsten und echtesten Sehnsucht ist. Ohne innersten Kampf bleiben wir dem „blinden Willen zum Dasein", wie

ihn der Genius Schopenhauers sah, überlassen. Durch die An­ strengung aber ziehen wir höhere Kräfte herbei und bereiten in uns das Gefäß, sie aufzunehmen, wenn fie aus der Tiefe unseres Innersten kommen und sich uns offenbaren. Das ist das Zauber­ wort aller lichten und düsteren Magie: „Es kommt, was die Seele inbrünstig tast". Das ist zugleich die Gefahr. Wer reinen Herzens jener Quelle vertraut, wird nie Beschwörungen versuchen, nie Zauberei treiben und sich von allem Wahrsagewesen fernhalten; denn er erwartet das Hell nicht von solchem. Denn dies wäre ja der Versuch, mit anderen Mitteln als denen der inneren Erlösung Gewalt über das Dasein zu bekommen. Das aber führt nicht zur Erlösung, sondern zur größeren Verstrickung an die Natur; zur seelischen Bindung, nicht zur seelischen Befreiung; zur Ergreifung der Natur, nicht znr Verklärung, nicht zur Verwirklichung ihres Ewigkeitswertes, der sich doch gerade in der inneren Befreiung vom bloßen „Willen zum Dasein", im Kampf gegen die Natur in uns und um uns verwirklichen soll. Wir haben also zweifellos einen Weg zur Erlösung; aber wir haben nicht die Kraft in uns, ihn durch und durch bis zu Ende zu gehen. Es ist mehr ein Prüfstein, den wir mit uns führen durch das Dasein, von dem wir wie von dem sagenhaften Stein der Weisen erfahren, welche Richtung wir eingeschlagen haben oder eivschlagen müssen. Im einen Falle finden wir das, wie unsere Seele gerichtet ist, gut und recht; unser Inneres gibt uns Recht. Dann können wir uns innerlich behaupten, auch wenn die Welt voll Teufel töät'. Im anderen Fall verdammt uns der gleiche „Richtet. Die wahre Menschenwürde, die Erlösung, liegt im Selbstlosen, nicht im Gemeinen. Und Entscheidung wie Er­ lösung liegen in unserer Seele und darin, ob ihr das Dasein hellig ist. Daan hat sie keinen Zweifel mehr im Glauben an den „Er­ löses; denn dieser Glaube ist kein Wortglaube, sondern ist erlebt. Es ist also nicht etwa abhängig von Wissenschaft, sondern von der aus dem Herzen geborenen Gestnnung, in welcher Weise die Natur zu uns spricht und in welchem Sinn wir darum ringen, fie zu überwinden oder ste uns dienstbar zu machen oder sie zu ver­ klären. Der Jntellett allein, das Sehen in ihr Getriebe, reinigt

und befreit nicht. Und selbst wenn der Verstand, wie Schopen­ hauer will, die Sinnlosigkeit der immer erneuten Objektivation des metaphysischen Willens jum Dasein einsieht und ihn meta­ physisch verneint, ist das keine Erlösung, sondern eine Tötung oder Verödung. Erlösung aber ist nur das, was zugleich mit der Ver­ neinung auch in einem höheren Geist Bejahung ist. Der Schöpfer bejaht; so sollen auch wir bejahen. Dies ist das metaphysische Problem: Wo liegt wahre, hohe Bejahung, die den „Willen zum Dasein" erst verklärt und so die Natur in einem höheren Sinn überwindet?

3. Weltanschauung. Es wird uns berichtet von Brüderschaften, bei denen Wissen­ schaft und Religion eins waren. Weise und Priester waren sie und mußten in strenger Selbstzucht und Schulung jene innere Klarheit erlangen, ohne die jedes Wissen Gefahr, jede Natur­ erkenntnis Betrug und jede Lehre Gift für des Menschen Herz «erden kann, sei er Lehrer oder Schüler. Wissenschaft war ihnen darum ebenso hellig wie der Kult ihres Gottes, und es wäre Ent­ weihung gewesen, wenn man sie nicht mit reinem Gemüt ge­ pflegt hätte. So «ar der Sinn ihres Tuns und Forschens An­ betung des lebendigen Gottes, ihr Ziel die Weihe des Menschen­ herzens. Don solcherart geübter Wissenschaft empfing ihr Leben Gesetz. Es gibt eine heilige Wissenschaft, und es gibt eine «nhellige. Die eine entspringt aus einem frommen Herzen, weckt dessen Kräfte, verklärt die Natur in sich und führt zur Anbetung des ewigen Gottes. Die andere aber geht auf dem gleichen Weg der inneren Schulung vor, erlebt dämonische Kräfte und Wesenheiten der Natur, bannt sie und macht sie sich zunutze, um eigensüchtige Zwecke zu fördern. Sie ist gottwidrig und unheUbringevd. Sie ist mit Dunkel überkleidet und führt zuletzt zum seelischen Ruin dessen, der sie treibt. Wir aber glauben heute, das Seeleuhafte in der Natur als leeren Subjektivismus mit unserer Wissenschaft überwunden zu haben; wir wollen das Hereinglänzen des Seelischen in die Er-

kenntnisweise als Aberglauben abgetan wissen, um statt dessen nur eiye physikalische Naturbetrachtung ju haben, mit der man allein das „Wirkliche" ju fassen glaubt, und wobei man das See­ lische der Natur als leere Illusion ansieht; also eine Betrachtungs­ weise, bei der nicht nur die Seele der Natur, sondern auch die Seele des Forschers ausgeschaltet bleibt und nicht von Belang für die Gewinnung und Verwertung der Ergebnisse ist. Wir glauben sogar, es sei gleichgültig, ob ein Forscher in jenem erst bezeichneten Geist der Anbetung oder der religiösen Gleichgültigkeit seine Arbeit tut. Ja, der letztere gilt als der allein brauchbare, der allein objektive Forscher, und so erleben wir es, daß es heute

sogar religiöse Menschen gibt, die ihre Forscherarbeit wirklich trennen von ihrem Innern; die als Menschen ihr Religiöses im Herzen behalten, es auch außerhalb ihrer Forschung vielleicht von Mensch zu Mensch betätigen, die sich aber hüten, es in ihre Wissenschaft hineinzutrage» oder diese unter seinen Geist zu stellen. So sehr aber die Frage nach der Seele des Menschen wieder bren­ nend wird, so sehr wird sie auch für die Naturforschung wieder gestellt werden, und damit wird das Zeitalter einer magischen Naturbetrachtung kommen. Und ebenso sehr wird es von neuem ent­ scheidend «erden, ob ein Forscher das HeUige oder das Unheilige will. Denn die Natur wird wieder beginnen, Fragen an uns zu stellen und uns ihr Leben zu zeigen. Dann wird es heißen: Gott dienen ober Zauberei treiben. Und dann entscheidet bas Innere des Menschen wieder über den Wert des Forschers und über den Segen oder Unsegen, den seine Erkenntnis stiftet. Fast scheint es nach dem Gesagten überflüssig, zu fragen, ob wirklich, wie man immer wieder sagen hört, das Zeitalter der Naturwissenschaft zu Ende sei? Daß es einmal zu Ende gehen würde, darüber täuscht sich wohl niemand, der weiß, daß nichts von Menschen Erdachtes, nichts von Menschen Geschaffenes dauernd besteht. Jedoch mit einem solchen Gemeinplatz ist unserem Fragen nicht gedient. Denn wir wollen wissen, ob es jetzt eben zu Ende ist oder ob es erst mit unserer Kultur einmal zu Ende gehen wird? Diele glauben, daß auch unsere Kultur zu Ende sei und daß das, was übrigbleibt, nur eine technisch-soziale ZivUisation von

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allgemein europäischem Charakter, vielleicht von Weltgeltung sein werde. Andere, vertrauend auf das gesunde Wesen unseres Volkes, hoffen auf eine aus den Tiefen der Seele hervorbrechende Wiedergeburt und ahnen eine neue wahrhaftige Kultur. Hängt es von dieser oder von jener Erwartung ab, wie man die Frage nach dem Ende des Zeitalters der Naturwissenschaft beantworten will? Nicht Mele von denen, welche glauben und aussprechen, daß wir am Ende jener Geistesepoche stehen, find sich ganj klar, was sie damit sagen. Vielleicht ahnen fie nur gefühlsmäßig, wenn auch mit einem unbestochenen Gefühl, baß es wirklich so sei; oder sie sind von der allgemeinen, aus ehedem alljv hochgeschwellter, nun aber enttäuschter Hoffnung erklärbaren „Wissenschaftsmüdig­ keit" mit angesteckt. Sie fühlen und wisse», daß der reine Intellekt alles Leben tötet, zu geistiger Anarchie und zur Verödung der Seele führt und schon reichlich geführt hat. Wer aber in dem, was die Wissenschaft versprochen und nicht geleistet hat, nur ein Enttäuschter ist und nichts Besseres weiß, als enttäuscht zu sein, zeigt damit, daß er eine tiefere Lebensphllosophie nicht errungen hat. Denn sonst hätte er von dem Denken, aus dem uns die neuzeitliche Wissenschaft, insbesondere die Naturwissenschaft floß, nie etwas erwartet, dessen Nichthereinbringung ihn nun enttäu­ schen müßte. Ihm mag also die Lage einstweilen der Anlaß zu heilsamem Besinnen sei». „Das Zeitalter der Naturwissenschaft ist zu Ende" heißt vor allem nicht, daß man jetzt gerade aufhören werde, in der bisherigen Weise die Welt um uns, die „Statut" zu erforschen. Der ganze Erdball ist im Begriff, die technische, auf der bisherigen Art der Naturforschung beruhende Kultur des Abendlandes sich anzu­ eignen. Und solange es diese Art Kultur, d. i. europäische Zivili­ sation und Technik geben wird, wird es auch diese selbe intellektualtechnische Naturforschung auf allen Gebieten des Lebens bis in die Hellkunde hinein geben, und zunächst wohl noch angestrengter und ausgebreiteter als heute. Wenn man es so und nur so sieht, darf man mit Sicherheit auch vom Untergang -er abendländischen Kultur, aber nicht seiner Zivilisation reden.

In diesem Sinne also ist das Zeitalter der Naturwissenschaft, wie es sich bisher anließ, jur Stunde nichts weniger als jv Ende; dafür wird schon der wirtschaftliche Materialismus sorgen. So ist es heute. Ob es morgen so sein wird, wissen wir nicht. Etwas anders aber klingt die Antwort, wenn man sie vom Standpunkt der Weltanschauung aus jv gewinnen sucht. Welt­ anschauung nennen wir hier — sie wohl unterscheidend von reli­ giösem Bewußtsein — die im denkerisch selbstbewußten Ich reflettierte und in philosophische Gedanken gekleidete Auffassung von den Kräften der Natur, woraus ein bestimmtes soziales und wissenschaftliches Verhalten fließt. Wenn der Vorgang umgekehrt ist, nennt man es Opportunismus; wir haben dafür kein deutsches Wort, well es unserem inneren Wesen, aus dem die Sprache rinnt, zuwider ist. Die Weltanschauung kann eine materialistische oder idealistische, eine spirituelle oder animistische, eine optimistische oder pessimistische sein; sie ist gut, wenn das Herz rein, und sie ist schlecht, wenn sie dem eigenen Ich gegenüber verlogen ist. In keinem Fall ist sie in irgendeiner Form wahre lebendige Religion. Denn religiöses Erleben wurzelt seinem Wesen nach nie im intellektualen Denkprozeß und ist deshalb nie wissenschaftliche oder un­ wissenschaftliche Phllosophie, also in diesem hier gebrauchten Sinn auch nicht Weltanschauung. Um beides in seiner Auswirkung im Leben noch klarer auseinanderzuhalten, kann man auch sagen: die Betätigung einer Weltanschauung ist die Gestaltung des Diesseits um seiner selbst willen; die Betätigung des wahrhaft Religiösen, wie es zuletzt verkündet ist, geht auf die Erlösung der Seele von allem Naturhaften; das äußere Dasein hat dem zu dienen und ist nur nach diesem Ewigkeitswert wertvoll, aber gerade deshalb wert­ voll. Eine Religion ist immer Jenseitsreligion; sonst ist sie nur Weltanschauung. Sie braucht nicht Weltflucht zu sein; aber sie kann es sein. Sie kann alle geistigen und weltlichen Güter hoch­ achten und lieben um des Ewigkeitswertes willen; aber sie kann sie eben darum auch von sich stoßen. Sie will nur das Hellige und Wahrhaftige. Sie ist nicht «eltbeglückender Friede um seiner selbst willen, sondern sie ist Friede oder Kampf um der Ewigkeit 16

willen. Sie findet das Wort Gottes nicht nur bei den Großen im Geist, sondern auch bei den Kindern und Unmündigen. Es ist ihr alles gleich heilig, wenn es dem Ewigen dient. Sie trägt geistige oder weltliche Armut zu Gottes Ehre, wie fle auch geistigen und weltlichen Reichtum, Glück und Ehre vor den Menschen er, trägt um eben dieses Dienstes willen. Sie begehrt nichts für flch und ist demütig vor Gott. Sie haßt nur Eines und ist unerbittlich und hat Peitschenhiebe dafür: die Wechsler im Tempel und die Pharisäer. Denn fle will, daß sich die Geister scheiden und ist nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern den Entscheid dungskampf. Das System einer Weltanschauung ist aber im Moralischen eine Ethik, und ein Mann mit Weltanschauung wird, wenn er guten Willens ist, Philanthrop oder Sozialethiker. Aber wir mußten Sozialethiker und Phtlartthropen werden, weil wir nicht die Kraft und die Gnade fanden, zur wahren, sich selbst vergeffenden Menschenliebe zu gelangen. So kann man auf Welt­ anschauung auch Wissenschaften gründen und hat dies immer getan: Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften; materia­ listische und idealistische und manche andere, je nach -en Welt­ anschauungen der Zeiten, der Völker, der einzelnen Denker. Ja reinster, methodisch streng bewußter Form erblicken wir, so be­ gründet, auch die Gesamtwissenschaft unseres und des letzten Jahr­ hunderts. Wenn nun heute, phllosophisch betrachtet, das Zeitalter dieser Naturwissenschaft vorbei ist, so heißt das zunächst: die Weltanschauung, auf die es gegründet war, hat nichts über­ zeugendes mehr; oder es heißt: es sind schon so viele und geistig entscheidende Denker von der bisherigen wissenschaftlich­ philosophischen Weltanschauung abgegangea und haben für ihr Wissenschaftsbestreben eine derart andere, die sie ihrer Forschung zugrunde legen, daß die auf der bisherigen noch Verharrenden im Zeitbewußtsein veraltet erscheinen. Und deshalb ist das Zeitalter der Naturwissenschaft im bisherigen Sinn wirklich vorbei, was seinen philosophischen, erkenntnistheoretischen Inhalt betrifft. Was kommt nun? Es wäre unverbindliche Wahrsagerei, wenn wir nur darüber spekulieren wollten, was kommen wird.

Wir brauchen es aber glücklicherweise nicht jv tun, sondern wir können einfach sagen, was wir schon sehen. Die bisherige wissenschaftliche Weltanschauung und Voraus­ setzung der Forschung war das Axiom einer mechanistisch-physi­ kalischen Auflösung der Naturvorgänge. Es war auch eine Ein­ seitigkeit der von der mechanistischen Weltanschauung in Anspruch genommenen Naturwissenschaft, bis zur Unsauberkeit vernünftigen Denkens die Fiktion verteidigt und angewendet j« haben, daß die physikalische Formel auch im Untersuchungs- und Erscheinungs­ bereich des Lebens allein zu gelten habe. Und alles sollte gekrönt «erden von dem Bestreben, die Erscheinungen der gesamten Natur in mathematische Formulierungen einzukleiden; ja jede Spezialforschung schien um so mehr „Wissenschaft" zu sein, je mehr ihr dies gelang. Da aber Mathematik im Sin« formel­ hafter Gestaltung dessen, was man zählen und messen und wiegen kann, allein der adäquate Ausdruck für rein Mechanisches oder wenigstens mechanisch Dorgestelltes ist, so gelang diese Formu­ lierung teilweise oder ganz nur den physikalischen Spezialwissen­ schaften: Physik, Chemie, Mineralogie und Astronomie, während die biologischen und psychologischen Wissenschaften dies nur insoweit und scheinbar fertig brachten, als sie den Stoff allein an Stelle des Lebens, der Seele setzten, wie etwa die Vererbungs­ lehre und Experimeatalpsychologie. Dieses Zeitalter der Naturforschung ist erkenntniskritisch und gefühlsmäßig vorbei. Es ist freilich noch nicht in dem Sinn vorbei, daß Alle, die sich Naturforscher nennen und von Beruf Naturforschung treiben, dies klar wüßten; oder auch nur prin­ zipiell zugesiehen würden, daß es überhaupt in jener bezeichneten Weise einmal vorbei sein könne und müsse. Aber wenn es wahr ist oder wenn man es bildlich sagen darf, daß in dem ersten Men­ schen, der einmal nicht mehr voll Dämonenangst, sondern denkend das Auge zum Nachthimmel richtete, die Menschheit aus dem Zustand roher halluzinativer Unvernunft herausgetreten war in eine höhere Betrachtung der Welt, so sind auch wir, und nicht weniger entscheidend, herausgetreten aus dem barbarischen Zeit­ alter jener fiktiv mechanistischen, alles entseelenden Naturanschau-

«ng in eine freiere Betrachtungsart. Denn heute schon wissen Mele «nd sie wissen auch warum, daß jede Betrachtung der Natur und sei sie auch die allerkindlichste, die sich nur an den Blumen und dem murmelnden Wiesenbach freut und so erlebt, die gleiche meta­ physische Bedeutung «nd im Schöpferdasein denselben inneren Wert, denselben Wahrheitssinn und Wahrheitsgewinn hat, wie die Entdeckungen eines Kopernikus, Newton «nd Bunsen, die nur an ihrem Erkenntnisplatz unter einer bestimmten voraus­ gesetzten Weltanschauung, unter einem bestimmten Weltgefühl wertvoll, aber an stch nicht wertvoller als jenes flnd. Man wird nun dajv kommen, diese Relativität jeder welt­ anschaulichen Erkenntnis j» durchschauen und man wird sich von den Überheblichkeiten des solcherart erworbenen Wissens frei­ machen. Man wird damit einen wahrhaft historischen Geist be­ kommen. Denn was man bisher Geschichte der PHUosophie und der Wissenschaften genannt hat, war, von seltenen Ausnahmen ab­ gesehen, eine hochmütige Selbstbespiegelung des Europäertums letzter Zeiten «nd eine Verherrlichung des Glaubens, daß erst wir die Höhe der wahren Naturforschuvg, der wahren Wissenschaft erklimmen. Ja! Möge diesem pharisäischen Europa der Unter­ gang beschieben sein, jur Rettung unseres inneren Wesens. Man wird erkennen und wird einmal gehellt sein von dem Wahn, daß unsere wissenschaftliche Weltanschauung die Wahrheit besonders zutage bringen werde, so daß sie berechtigt wäre, unsere Seele zu fordern wie ein trügerischer Dämon, dem wir uns verschreiben mußten. Man wird sich von dem Wahn frei machen, eine auf eine bestimmte äußere Weltanschauung gestellte Wissenschaft für eine Weisheit gegenüber inneren Erkenntnissen, und seien sie noch so naiv, zu preisen, und wird nicht mehr still oder gar beifällig zusehen, wenn der wissenschaftliche Intellekt mit unkeuscher Hand nach Dingen greift, die ein unantastbares Heiligtum auf Leben und Tod bleiben müssen. Es geht wie immer im Leben um die Seele; auch in der Geistigkeit der Wissenschaft. Schon allein, daß wir dies mehr oder weniger Alle, wenn auch widerwillig wissen oder fühlen, zeigt, wenn wir zum Ausgang zurückkehren, daß das Ende des Zeitalters der herrschenden Welt-

anschauung herbeigekommen ist. Wir lernen für unser wissenschaft­ liches Forschen selbst daraus, daß jede Seite der Natur einer andern geistigen Anstellung bedarf, um ihr gerecht zu «erden, damit wir im Sinn einer bestimmten Weitsicht erkennen. Die mechanistisch gedachte Seite bedarf des physikalischen Denkens und der physikalischen Forschungsmethoden, denen man, in ihrem Ge­ biet, ihr volles Recht lassen muß, sich bis in ihre letzten Folgerungen an den Erscheinungen der Natur prüfend zu betätigen. Ebenso bedarf die biologische Seite der Natur eines biologischen Denkens, um dieser gerecht j« werden; die psychische und geistige Seite entsprechender geistiger Denkmethoden. Es war nun die Barbarei der eben durchmessenen Wissenschaftsepoche, alles dieses jusammengeworfen zu haben, bis man schließlich das Wort er­ tönen hörte: alle Wissenschaft sei überhaupt nur Naturwissenschaft und nur in dem Maß Wissenschaft, als sie sich naturwissenschaft­ licher Methoden bediene und naturwissenschaftsartige Ergebnisse erziele. Man verstand aber unter solcher Naturwissenschaft nun nicht ein ehrfürchtiges Schauen in das Geheimnis, ein Befragen der Natur und ihres mannigfaltigen stets frischen neuen Wesens, sondern man verstand darunter die mechanistische und — ethisch gesehen — die materialistische Weltanschauung, die man allem und jedem Geschehen aufzwingen und die man aus ihm heraus­ lesen wollte. Und man nannte das, bescheiden wie kein Jahr­ hundert zuvor, voraussetzungslose Wissenschaft. Und so groß ist inzwischen die durch kein Gefühl mehr gebundene Voraussetzungs­ losigkeit geworden, daß heute von tonangebender wissenschaftlicher Stelle, ohne ein Wort der Empörung, öffentlich bedauert wird, daß man versäumt habe, gefangenen Gortllaweibchev menschlichen Samen zuzuführen. Wann endlich wird das deutsche Volk diese Wechsler aus seinem Tempel jagen?

4. Magische Weltsicht. Der Sinn jeglichen Daseins liegt darin, daß es Symbol ist und Manifestation, AbbUd des Urblldes. Wenn wir also auf die äußere, naturwissenschaftliche und naturhistorische Betrachtung des Lebens blicken, werden wir keinen Zweifel mehr darüber haben.

daß diese Betrachtung uns nur einen Ausschnitt oder nur eine bestimmte Art und Weise des Anschauens erlauben wird; daß wir mithin eine bewußte Einseitigkeit begehen, und daß von dieser Einseitigkeit der Betrachtung'auch nur einseitige, unzureichende Ergebnisse erwartet werden können. Nun aber wissen wir und es lebt in allen unverknöcherten Geistern wieder auf, daß es noch andere Merkzeichen gibt für das unfaßliche Geschehen um uns und in uns, als nur das in­ tellektuelle Auffassen und Darstellen desselben. Wir werden uns nun neue Wege suchen, um dem, was wir an Weltanschauung mit­ bringen, eigenen neuen Ausdruck zu verleihen, so, wie wir es sehen, wie wir es fühlen. Das Zeitalter der mechanistischen Tyran­ nis ist zu Ende. Wir wissen jetzt, daß alles Sagen und alles Er­ kennen nur ein Deuten in seiner Art und Weise ist vnd daß man keinen inneren Grund mehr hat, zu glauben, es gäbe nur eine einzige und ein für allemal bestimmte Naturerkenntnis. Denn es hat schon manche andere gegeben und gibt es noch, und keine davon ist tot, solange sie Menschen in sich tragen. Eine solche Art Naturkenntnis, und zwar nicht nur die älteste, sondern auch eine ununterbrochen neben jeder anderen bisherigen wissenschaftlichen und philosophischen Forschung her­ gehende, noch nie erloschene, wohl aber zeitweise von ihrem wahren Gehalt abgeirrte, über die ihr gesteckten Grenzen übergreifende und, wie unsere Naturforschung, unhellig gewordene und intellektualistisch verzerrte oder technisch ausgebeutete Naturerkenntnis oder Naturauffassung ist jene, die wir die magische nannten. Man könnte sie im Gegensatz zur mechanistischen vielleicht auch die animistische nennen wollen; aber das ist ste nur, soweit sie systematisierte Wissenschaft und Praxis in verschiedener Form jeweils wurde; der Begriff würde das Gesamtwesen des Magischen nicht decken. Denn im Grund ist alles Sichtbare, von innen her gesehen, magisch, wie es von außen gesehen, physikalisch ist, «ährend das Animistische eine bestimmte Art der Darstellung des Magischen und Physikalischen sein kann. Bon der magischen Natursicht oder Weltanschauung wissen wir, daß sie nur den rein rationalistischen Geistesepochen oder

besser dem rein rationalistischen Denken fremd ist und fehlt, daß aber echte schöpferische Kultur sehr wohl mit ihr vereinbar ist, ja vielleicht gerade in ihr gründet, und eben nicht im rationalen Denken. Denn das Wesen des Magischen schließt eine intellektualifierte Weltansicht und ei» nur intellektualisiertes Welterleben ebenso aus, wie wahre Kunst, Philosophie und Religion; und nur die letzteren find ja das Kennjeichen wahrer Kultur. Den» sie fließen aus dem Unbewußt-Lebendige». Das Wesentliche an der magischen Weltficht ist nicht, daß ihr die Natur beseelt erscheint; das war fie für Bruno, Spinoza, die Romantiker und Goethe auch, ohne daß sie „Magier" im üblichen Sinn gewesen wären. Auch nicht etwa dies, daß die Natmgeschehniffe, die wir «ns sonst physikalisch denken, nun von Geistern, Dämonen und Heinzelmännchen bewirkt werden — son­ dern in der magischen Weltsicht wird das Beseelende in den Er­ scheinungen der Natur im Augenblick des Geschehens wirklich geschaut und in diesen seinen Manifestationen wirklich erkannt. Es wird aber auch erkannt und lebendig gefühlt, daß diese beseelte Natur in steter Wechselwirkung mit der Menschenseele steht und daß auf keiner der beiden Seiten etwas vorgeht, was nicht auf der anderen sein seelisches Korrelat und damit im gleichen Daseiasaugenblick auch seine natürliche Manifestation fände. Diese mit dem Ausdruck „Wechselwirkung" noch ganz unzu­ reichend ausgesprochene Wesensverflochtenheil ist niemals eine äußere, wie wir sie uns heute wissenschaftstechnisch vorzustellen gewöhnt sind; sondern sie besteht als ein unzeitlich-unräumlich Innerlich-Lebendiges und tritt nur im intellektuellen Reflektieren in jenes raumzeitliche Gegenüber und Miteinander ein, unter dem wir die physikalischen Dinge und Abläufe erblicken. Das Wesent­ liche des magischen Seins und Geschehens ist die innere Einheit und Gleichzeitigkeit des Geschehens, das wir sonst für ein Nach­ einander oder Nebeneinander ansehen. Durch solches JneinanderDerflochtensein ergibt sich nun für die im denkerischen Wachzustand gewöhnlich verharrende und nur da sich betätigende Menschenseele, sobald sie sich ihrer über die raumzeitliche Kausalität hinaus­ reichenden Freiheit bewußt wird, die Möglichkeit zu einem umge-

stattevden Eiuwirken auf die Natur wie auf den eigenen Körper.

Sie dringt nicht nur in das innere Weben der Natur ein, fleht nicht nur magisch die Zusammenhänge des äußeren kausalen Geschehens, sondern kann auch magisch handel». Magische Weltsicht gründet also darin und bestätigt sich uns

darin, daß das eigene lebendige Wesen des Menschen von innen her mit dem schaffenden Wesen der Natur eins ist, und zwar nicht nur in einer theoretisch abstrakten Vorstellung, die man modisch einmal Monismus nannte, sondern in einem tiefen und unmittel­ bar wirksamen Lebensfinn. Daher ist jede Naturerscheinvng im Gesamtkosmos auch in bestimmter Weise Ausdruck der Menschen­

seele und umgekehrt. Es flnd also etwa Tiergestalten oder kos­ mische Zusammenhänge ein lebendiges Symbol und Kevnzeichen, woraus nicht zuletzt auch menschliche Daseinszustände ablesbar «erden; oder es haben Veränderungen und seelische Erschütte­ rungen der Menschennatur ihr Erscheinungskorrelat im Kosmos; grob ausgedrückt: die Sintflut kam, weil der Mensch schlecht war und seinen Untergang brauchte. Umgekehrt muß aber aus der Seelenkraft des Mensche« dann auch die Natur irgendwo und irgendwie gelenkt und verändert sein, was wir äußerlich in physikalischen Ursachen- und Folgeketten wahrnehmen, während es innerlich ein magisches Einheitsgeschehen ist. Und so ist es, was dem Intellekt Unsinn erscheint, „wirklich" wahr, daß der Glaube Berge versetzt und Sterne bewegt. So wunderbar dieses Wenige und Wesentliche aus der magischen Natursicht nun auch klingt und so sehr es an gewisse uralte religiöse Vorstellungen anklingt, so ist die magische Welt­ sicht doch noch lange keine reine Religion, wie wir solche oben als Gegenwert zur bloßen Weltanschauung zeigten. Denn auch die magische Weltsicht ist zunächst eben nur Weltanschauung, ist auch nur, wie etwa der Materialismus, Axiom einer Natvrforschuog und nicht mehr. Auch magische Naturforschung kann, so gut wie materialistische, mit reinem oder unreinem Sinn getrieben wer­ den. Auch sie kann sich mit ihren Erkenntnissen und Wirkungen an Stelle deS Helligen und Unberührbaren im Menschenleben und

Menschenwesen setzen; ja sie ist weit gefährlicher als eine nur

materialistische Wissenschaft und Weltanschauung, weil diese nur mit dem trockenen Intellekt handelt und so schlimmstenfalls jur Barbarei und Seelenferne führt, während die magische den Men­ schen in den Mittelpunkt der Natur, seine Seele in den inneren Mittelpunkt des Kosmos stellt. In dieser Schau ist mit ihm und zu ihm und für ihn alles geschaffen, er hat allem sein Wesen aus­ geprägt und kann darum über alles herrschen, von innen her, wenn er den Weg daju kennt. So nimmt die Magie die ganze Seele in Anspruch, sei es im naturhaften Sinn, wo sie zur ma­ gischen Handlung oder zum gefährlichen „Zaubern" wird; sei es in einem reinen, verklärenden Sinn, wo sie hinüberführt und Frucht ist eines Lebens, das jenseits aller Klugheit dieser Welt liegt.

5. Der Mensch als Maß. Es gllt als ein Ruhmesblatt europäischer Naturforschung, daß die Kopernikanische Weltlehre die Erde, die Heimstätte des Men­ schen, aus dem früher erträumten Mittelpunkt der Welt verstoßen, die biologische Abstammungslehre ebenso den Menschen selbst seiner zentralen und einzigartigen Stellung der Tierwelt gegen­ über beraubt und ihn als Entwicklungsglied mitten in das natür­ liche Werden der organischen Natur htneingestellt habe. Darum preist man die Naturforschung, die solches vollziehen konnte, als objektive Wissenschaft im eigentlichen Sinn; denn sie habe der anthropozentrischen Weltauffassung in jeder Form ihr Ende be­ reitet. Doch wie sehr verwechselt man hier das Wesen der Sache mit dem äußeren Stehen in Raum und Zeit, wenn man glaubt, mit diesen übrigens durchaus auch vom Standpunkt der Natur­ forschung anfechtbaren Ergebnissen irgend etwas gegen des Men­ schen Wesen als inneres Zentrum des Kosmos bewiesen zu haben. Denn wir kennen nur einen Kosmos: den unseres Bewußtseins. Und der ist anthropozentrisch. Es liegt ein ungeheuerlicher erkenntuistheoretischer Irrtum in dem Verlangen an eine Wissenschaft, nicht anthropozentrisch zu sein. Wo aus aller Welt kann man die Berechtigung zu dieser Forderung hernehmen, die eine reine meta-

physische Fiktion bleibt, so lange man nur ein Wissen und nur ein Bewußtsein kennt und nur eine Art Dorstellungsinhalte: die des Menschen? Wie kommt man also dajv, von einer Wissenschaft oder Phllosophie, die doch nicht an sich bestehen können, sondern aus des

Menschen Wesen fließen und in seinem Kopf sich bllde» und ent­ wickeln müssen, zu verlangen, sie sollten so denken und forschen, als

ob es ein losgelöstes objektives Geschehen an sich gäbe, d. h. ein Ge­ schehen ohne den betrachtenden Geist? Als ob eine Welt denkbar wäre, in der es ein Objekt ohne Subjekt gäbe. Es gibt also auch nur anthropozentrische Wissenschaft, weil sie stets und in jeder Form auf des Menschen „Weltanschauung", d. h. auf apriorischen Axiomen und Kategorien beruht. Wenn Ich, das Subjekt, ein Teil oder ein Kräftekomplex

in der allgemeinen Weltenergie bin — wir reden hier so plump physikalisch wie möglich —, so muß der innere Zusammenhang des

Ganzen in mir verborgen und fühlbar sein. Was sollte denn anderes gefühlt und erkannt werden? Es gibt ja nichts außer dem Kosmos. So ist jedes Wissen um das Geschehen im Kosmos anthropozentrisch, und es bleibt demgegenüber ganz gleichgültig, an welchem Raumpuvkt des Kosmos das Ich steht. Umgekehrt kennen wir nur ein Bewußtsein des Kosmos: das reflektierend denkende Ich. Im Ich gelangt Kosmisches zum Bewußtsein. Der Mensch ist das Wesen, in dem der von ihm erlebte und ihn ein­ schließende Kosmos zum Bewußtseinsphänomen wird. Wie sollte es also eine andere als anthropozentrische Wissenschaft und Welt­ anschauung geben? Alles andere könnte nur bewußtloses Spielen und leerlaufendes Phantasieren sein. Und eben das muten die­ jenigen ihrer Wissenschaft zu, die „objektive Befunde" festzustellen sich bemühen. Jedermann wird nun ohne weiteres zugeben, daß die erste sinnenhaft naive Erfahrung subjektiv sein muß. Aber, so wird

man weiter sagen, diese naive Erfahrung wird durch die Beob­ achtung Vieler bestätigt und verbessert, und sie wird an Experi­ menten, soweit möglich, geprüft; stellt sich dann bet allen Beob­ achtungen dasselbe Ergebnis heraus und stimmen womöglich daraufhin

angestellte

Voraussagen

und

Vorausberechnungen

mit der später eintretenden Erscheinung überein, so ist das eben der Beweis für die Objektivität des zuvor Beobachteten. So argu­ mentiere» heißt aber nichts anderes, als behaupten: wenn ein Mensch durch eine grüne Drille steht, ist ihm die Welt subjektiv­ grün; wenn fünfzig Menschen aber hindurchsehen und sich dann mittellea, was sie sahen, sich daraufhin einigen und es in Begriffe fassen, ist die Welt objektiv-grün. Man beruft sich auf Astronomie und Mathematik. Beobach­ ten wir nicht, so sagt man, die Sterne in ihrem Lauf und setzen wir nicht daraufhin Rechnungen an; und die Rechnungen geben uns Tag und Stunde der neuen, der zu erwartenden Konstella­ tionen an; und es trifft alles zu, wie wir es auf Grund der Erfah­ rung berechnet haben. Besitzen wir also nicht eine objektive Wissen­ schaft? Man frage sich demgegenüber: In wessen Kopf entstehen die mathematischen Rechnungsansätze? Und wie entstehen sie? In keiner mathematischen Rechnung steckt mehr als an Voraus­ setzungen zuvor aufgestellt wurde, um sie beginnen zu können. Und ist sie durchgeführt, so ergibt sich das, was unter den gemachten Voraussetzungen möglich ist. Die Voraussetzungen aber beruhen auf apriorischen Axiomen oder auf sinnenhaster Erfahrung. Soweit also die mathematischen Berechnungen danach mit de» sinnenhasten Erfahrungen zusammenfallen, beweist dies, daß die Geschehensgesetze der außer uns existierenden objettiven Welt den inneren apriorischen Denkgesetzen unter den gemachten Voraus­ setzungen analog sind; baß mithin erkenntnistheoretisch ein Grund zu anthropozentrischem Denken gerade durch die exakteste aller Wissenschaften gegeben ist. Der Geist des Menschen ist der Spiegel und das Zentrum des erlebten Kosmos; jedoch nicht in einem physikalisch toten Sinn der reflettierenden Fläche, sondern in einem lebendigen Sinn. Solcherweise „spiegeln" aber kann der Mensch in sich das kosmische Geschehen doch nur, wenn in ihm das Wesen des Kosmos sein Wesen wiederfiadet. So findet der Kosmos sich im Menschen wieder und der Mensch den Kosmos in sich. Es gibt daher weder eine nur objekive Welt, noch eine nur objektive Wissenschaft; sondern es gibt im geistig-lebendigen Sinn eine nur anthropo-

jerttrische Welt und eine nur anthropozentrische Wissenschaft. Und diese allein ist die exakte, weil sie an die Wirklichkeit rührt. Jede anders gedachte ist Fiktion, die dann auch nur zu fiktiven Er­ kenntnissen führt. Gibt es aber keine andere als anthropojentrische Wissenschaft, was ist dann natürlicher, als daß Weltanschauung und Wissen­ schaft mit den Zeiten und Völkern wechseln, daß ihre Voraus­ setzungen wechseln und daß daher in jeder Zeit eine andere Sicht auf den Kosmos, andere Anschauungen als Wahrheit leben. Selbst wenn wir unseren betrachtenden Geist auf einen Augenblick hinwegzudenken vermöchten und dann das von ihm wahrge­ nommene Geschehen mechanisch zwangsläufig an sich darzustellen versuchten — und das ist ja das Ziel der neueren Naturwissen­ schaft gewesen — so wäre auch diese, des Menschengeistes entleert gedachte Welt immer noch gerade eben diese von ihm erlebte und konstruierte Welt; es wäre immer noch die anthropozentrische im inneren wie im äußeren Sinne. Eine andere würde uns gar nicht bewußt, selbst wenn sie «ns zerschmetterte. Wahrheit an sich im fiktiv naturwissenschaftlichen Sinn gibt es nicht; es gibt in der sinaeahaften wie in der inneren Erfahrung daher auch nur anthro­ pozentrische Wahrheit. So ist die erlebte Welt Symbol der Seele des Menschen. Und darum ist auch die Seele des Menschen ent­ scheidend für den Charakter und das Wesen seiner Welt; und die Seele des Forschers entscheiden- für die seiner Wissenschaft. Daraus gewinnen wir die rechte historische Stimmung zu auderen Wissenschafts- und Weltanschauungsepochen, die uns sonst wegen ihres hohen Alters oder wegen der „Primitivität ihrer Träger vielleicht weniger ehrwürdig als unsere, ja vielleicht sogar aber­ gläubisch erscheinen könnten. Heißt das nun: all das Wissenschaftsbemühen hat keinen Wert, Beobachtung nach außen hat keinen Sinn, denn du kommst doch nicht über die Betrachtung deines eigenen Anthropozentrums hinaus? Ja, das würde es mit Recht heißen, wenn man dieses Anthropozentrum mit seiner tiefen Innerlichkeit als ein räumlich­ materielles nehmen und es darum als einen Erkenntnissieg preisen wollte, was die Lehren des Kopernikus oder Darwins uns

brachten, als sie die Erde und den Menschen ans dem „Mittel­ punk der Schöpfung verstießen. So wenig diese Lehren „innere" Wahrheiten sind, so wenig ist der Mensch aus dem inneren Mittelpunkt des Kosmos verstoßen. In uns liegt das Zentrum des Kosmos, unser Leben ist sein Leben, unser Inneres sein Inneres. Und darum gibt es nur eine Art Wissenschaft und Philosophie: anthropozentrische. Und das eben ist wahre Erkenntnis. Die Wissenschaft als solche hat zunächst die Aufgabe, die Naturgegenstände zu beschreiben, wie sie dieselben vorfindet. Insofern könnte sie voraussetzungslos erscheinen. Aber sie ist es deshalb nicht, weil jeder wissenschaftlichen Betätigung, sowohl beim Einzelnen, der sie heute beginnt, wie bei den Völkern, die einst sie begonnen haben, ein Erleben voravsging, das an sich nichts mit systematischer Naturwissenschaft und ihren Absichten zu tun hat, sondern absichtslos da ist, indem der Mensch sich als erleben­ des und refleftierendes Wesen in der Natur findet und in ihr zum Bewußtsein seiner selbst und eines ihm Gegenüberstehenden kommt. Dieses Erleben mag ihm teils bewußte, teils unbewußte Eindrücke erwecken, tells bewußte, teils instinttive Handlungen bet ihm ver­ anlassen. Und so ist er schon mit einem Schatz von Erfahrungen und Deutungen in sich beladen, wen» er zu jener geistigen Tätig­ keit endlich gelangt, die man als den Anfang einer systematischen Wissenschaft wird bezeichnen können. Ein solches zur Wissenschaft gewordenes Naturerleben beginnt nun, die Gegenstände nicht mehr nach ihren ästhetischen oder Gemütswerten, nach ihrem magischen oder religiösen Inhalt, auch nicht mehr nach ihrem Nutzen und Schaden für den Menschen zu betrachten und zu bewerten, sondern sucht sie zu beschreiben, indem es sie untereinander vergleicht, das Ähnliche zum Ähnlichen stellt, also eine formale Ordnung schaffen will. Da sich aber die Gegenstände nicht gleich bleibe» und die Erscheinungen, die man jetzt beschreibt, nachher andere sind, so stellt man ihre bewegliche Reihenfolge und ihren Wechsel ebenso systematisch fest. Mündet ein solcher Erscheinungsablauf in einen anderen, schon bekannten ein, so hat man den neu beobachteten abgeleitet aus oder zurück­ geführt auf etwas schon Gesehenes und Beschriebenes. Man sagt,

die Erscheinung sei kausal „erklärt", wenn es gelingt, solche Er, scheinungsreihen für den jeweils beobachteten Naturjvstand und Naturgegenstand zu beschreiben. Und findet die Forschung unter gleiche» Bedingungen stets den gleichen Erscheinungswechsel, so nennt fle dies „Naturgesetz". Sie faßt die gleichen Er, scheinungen und Erscheinungsabläufe unter allgemeinen Begriffen zusammen, und ihr Wissen beruht schließlich in Abstraktionen, die an Stelle des ursprünglichen und auch vom wissenschaftstreibenden Menschen stets wieder erfahrenen unmittelbaren Naturerlebens treten oder wenigstens treten möchten. Indem ste nun solche Abstraktionen macht, etwa indem sie aus der Mannigfaltigkeit der lebenden Tiere und Pflanzen „Arten" beschreibt, sucht sie das in Worte zu fassen und in verstandesmäßige Begriffe zu gießen, was im Grunde unaussprechbar ist. Damit gelangt sie von selbst zu einer übertragenen Darstellung dessen, was der Mensch als Natur erschaut und erlebt. Je nach der gei­ stigen Veranlagung von Völkern und Zeitaltern, je nach den apriorischen Grundsätzen, womit die Denker nun an die Natur herantreten, um sie zu erklären, sind die Merkmale und damit die Bilder, die man sich von der Natur und ihrem Getriebe macht, wesensverschieden. So gab es eine Zeit, in der man die Natur, auch die anorganische Natur, beseelt sah; man erklärte sie im Sinn einer „animistischen" Weltanschauung. Seit der Renaissancezeit, insbesondere seit der mit Descartes beginnenden Epoche der neueren und in Kant ihren Höhepunkt erreichenden Philosophie versucht man, die gesamte Natur unter der Vorstellung mechanisch bewegter Stoffe darzustellen; neuerdings hat man den Begriff der Materie durch den Begriff der Energie zu ersetzen versucht und ist damit klarer, als es die rein materialistische Anschauungsform vermochte, wieder in das „Gefühlsmäßige" des Naturerlebens eingebogen. Sehen wir es genau an, was wir treiben, so merken wir, daß die „alte animistische" Betrachtungsart und die „neuere exakte" nicht Höhensiufen der Naturerkenntnis bedeuten, von denen die eine die andere überwand, sondern daß dauernd beide nebeneinander hergehen, wie sie immer nebeneinander herge.

gangen sind. Betrachten wir das Gebäude unserer Physik, das uns doch wohl das am reinsten mechanistisch ausgeführte dünkt, so sehen wir es ruhen auf einem Fundament von Begriffen, von denen jeder einjelne animistischer Natur ist. Gefühl ist alles, worauf selbst die Mechanik beruht; und wer glaubt, unter dem Begriff Kraft, Arbeit verberge sich etwas anderes als animistisches Wissen, der gebraucht diese Begriffe eben gedankenlos. Nur das, ob man bewußt animistisch erlebt oder ob man es naiv tut; ob man bewußt mechanistisch denkt oder ob man es naiv tut, oder ob man nach wieder anderen Aspekten sucht und sie für möglich hält: nur das macht den Unterschied der Forschungsepochen aus. Aber immer und immer wieder sind alle systematisch-wissenschaft­ lichen Bemühungen, seien sie animistisch und magisch oder mate­ rialistisch oder energetisch, Abstraktionen und führen j« einer sym­ bolisierenden Darstellung der Natur und ihres Geschehens. Es ist deswegen klar, daß darum jeder wissenschaftliche Aus­ druck, den wir anwenden, jede Hypothese, jedes Axiom, von dem wir ausgehen und damit zuletzt jede Theorie und jede Natur­ erklärung einen durchaus metaphysischen Grund und Boden hat. Selbst die scheinbar einfachste naivste Voraussetzung: daß das, was ich und Andere mit mir gleichzeitig «ahrnehmen, so sei, wie ich es wahrnehme, ist eia metaphysisches Axiom, das man im verflossenen Jahrhundert als Grundlage einer voraussetzungs­ losen Forschung machen zu können glaubte. Wir wissen heute, daß dies, erkenntniskritisch gesehen, eben metaphysische Voraussetzung ist, und daß jede Forschung, die darauf ruht, mit jener Vor­ aussetzung steht und fällt. Man mag aus irgendwelchen inneren oder äußeren Gründen, also etwa durch eigene Lebenserfahrung, jenes Axiom für das einzig wahre und richtige halten: Tatsache ist, daß es andere Menschen und andere Zeiten gab, welche Grund genug zu haben glaubten, diesem Axiom nur relativen Wert beüegen zu können. Es ist leicht, darzutun, daß es auch andere Sphären der Erfahrung gibt, welche nicht weniger real sind und deren Inhalt dennoch mit den Sinnen nicht «ahrgenommen und in wissenschaftlichen Abstraktionen nicht niedergelegt werden kann. So sind auch alle großen wissenschaftlichen Theorien, sei es die

Ptolemäische oder Kopernikanische Weltlehre, sei es die KantLaplacesche oder die Hörbigersche Weltentstehungslehre; oder im Biologischen die Darwinsche oder andere Entwicklungslehren — immer sind solche Theorien Abstraktionen und ihre Sprechweise ist übertragen. So wenn wir von Kraft oder Stoff, von Elektri­ zität «nd Licht, wenn wir von Entwicklung vnd Vererbung reden. Diese Worte besagen an sich nur insoweit etwas, als ein Erleben dahintersteckt. Das, was erlebt wird, sei es vom einzelnen For­ scher oder von seiner Zeit in ihrer Gesamtheit, ist aber jedesmal ein auf innerem Schauen beruhender Vorgang. Nur insoweit haben alle unsere wissenschaftlichen Begriffe Sinn und Bedeutung, als jeder, der sie gebraucht und zu dem sie gesprochen werden, des Erlebnisses in sich selbst teühaftig werden kann oder teilhaftig gemacht wird. Wenn «ns die Natur nun nach unserer mitgebrachten inneren Verfassung entgegentritt, stellen wir eben Fragen an sie. Wir nehmen sie zunächst naiv realistisch, d. h. wir sehen sie so an, als ob das, was wir sehen, hören, tasten, schmecken können, objektiv, d.h. außer uns an sich auch bestünde. Und indem wir solcherlei Eindrücke haben, beginnen wir uns wissenschaftlich zu wundern, stellen wir Fragen. Antworte» aber erhalten wir, indem wir das, was uns gleich oder ähnlich erscheint, für dasselbe oder für nahe­ verwandt halten, indem wir voraussetzen, daß gleich Erscheinendes auch gleiche Ursachen habe. Und danach fallen unsere Antworten aus auf die Fragen, die wir gestellt haben. Die Antworten gibt unser Geist selbst und gibt sie nach den bewußt oder unbewußt mitherangebrachten Grundvoraussetzungen, unter denen wir die Natur „nehmen". Darum sind die Antworten, welche die Menschen durch wissenschaftliches Forschen erhalten, so verschieden wie der Geist der Forscher, die sie geben oder wie der Geist der Zeiten, in denen diese leben. Mit Recht sagt daher Uexküll: Die Natur ertellt keine Lehren, sondern zeigt nur Formen und Veränderun­ gen; diese können wir zu Antworten auf unsere Fragen benützen. Die einzige Autorität, auf die sich ein wissenschaftlicher Lehrsatz stützt, ist nicht die Natur, sondern der Forscher, der seine eigene Frage selbst beantwortet hat.

Vielleicht wird unser wissenschaftliches Bemühen, so wie wir es heute noch verstehen, erlahmen und erstarren und dann wohl nur noch dem äußeren Dasein als Technik dienen. Oder es wird fich dem inneren Wesen der Dinge zuwenden. Dann hört es auf, das zu sein und zu wollen, was es jetzt ist und will. Es wird dann religiöser Mythus werden, während es jetzt intellektueller Mythus ist. Soweit Wissenschaft bisher „erklären" will und auf Grundbegriffen ruht, ist sie durchaus mythenhaft geblieben; selbst die scheinbar so rationale exakte Physik. Denn auch die Atome und die Kräfte sind ein transzendentaler, ein mythischer Begriff. Auch ihr Erklären ist darum eine Art magischer Symbolik, aber nicht mehr im lebendigen, sondern im technischen Sinn. Man spricht heute viel von Wissenschaftsmüdigkeit, well wir nach dem neuen Wirklichkeitserlebnis suchen. Müde und durstig ist man aber nur dort, wo der alte Quell, aus dem man sich sättigen wollte, verstegt und der neue noch nicht gefunden ist. Wo aber liegt er? Es wäre banal, zu sagen: im Unbewußten. Die Wirklichkeit selbst ist transzendent und das Wesen des Daseins ist für unseren, stets Begriffe bildenden Wachverstand transzendent. Es kann nicht formuliert, es muß erlebt «erden. Der Ort des Erlebens ist das eigene Innere oder, wie es die Weisen aller Zeiten nennen und fordern: die Versenkung und das Ver­ lieren des Ich im All-Einen. Dort liegt das wahre Verstehen, dort der Quell wahrer Wissenschaft.

6. Außen und Innen. Es wurde einmal von Naturforscherseite das Wort ausge­ sprochen, wenn ein junges Blut zum erstenmal Liebessehnsucht emp­ finde, glaube es, ein seelisches Erleben zu haben und ahne nicht, daß es nur durch Ausscheidung von Hormonstoffen im Blut vergiftet sei. Man kann diesen Satz also eine Erllärung der Liebe nennen, von deren Geheimnis die Jahrtausende durchdrungen waren, bis die Zeit der Aufklärung, unsere Zeit, kam und uns statt des Erlebens eine Formel geben will. Die naturwissenschaftliche Tat­ sache in allen Ehren; nur ist Hormonreizung nicht Liebessehn-

sucht, sonst müßte man ja aus wissenschaftlicher Folgerichtigkeit das Kind, das dieser Liebe entsproßt, ein Stück Fleisch mit einigen Pfund Knochen nennen. Daß in ihm ein Seelisch-Wirkliches eigenen Wesens lebt und sich erlebt, bleibt dieser Art wissenschaftlicher Darstellung ««eröffnet; aber darum darf sie ihre Dürftigkeit auch nicht jur Norm des Wissens um das Leben erheben. Ist es doch eine nur hinkende Weisheit, die sich bemüht, ein Kansalitätsverhältnis zwischen Stoff und Seele unmittelbar her­ zustellen, und wir sollten über den vergeblichen Streit endlich weg­ gekommen sein, in dem wir uns, grimmig einander drohend, immerfort beweisen wollen, was von beidem Ursache, was Wir­ kung sei. Denn keines ist nur Ursache oder nur Wirkung. Es sind zwei Formen des Lebens, des Daseins, von uns reflektierend als Zweiheit erlebt und im Wachbewußtsein so gespiegelt, jedoch auf ein dem Verstand transzendentes Wesen deutend, für das sie beide ein Ausdruck sind. Deshalb kann nicht eines unmittelbare Ursache oder Wirkung des anderen sein. Nur mit dem Maßstab des Intellektes, also von außen betrachtet, kann man sie in ein Ursache-Wirkungs­ verhältnis pressen, je nachdem man willkürlich vom einen oder vom anderen seinen Ausgang nimmt. Da man die Existenz beider Erscheinungsseiten des Daseins nicht gut wird leugnen können, so muß man wohl, da sie in einen einseitigen Ursache-Wirkungsgang nicht zueinander zu bringen sind, die eine ohne die andere als nicht existent annehmen und sie als zwei Manifestationsarten eines höheren Einen, in dem sie gleichzeitig beschlossen liegen, ansehen. Kann aber keine Sette ohne die andere, kein Pol ohne den anderen sein, so wird das Sichtbar- und Greifbar-Physische, sei es organisch oder anorganisch, immer und in jedem Fall Spiegelung, Symbol oder Außenseite im ««räumlichen idealen und doch lebendig wirklichen Sinn. Gelänge es selbst, die Gestaltung eines Organismus mechanisch ablaufend darzustellen — was eine Forschungsthese zu metho­ dischem Zweck, aber in keinem Fall empirisches Forschungsergebnis ist — so bliebe auch dieser mechanisch dargestellte Ablauf Symbol für ein Lebendiges und Seelenhaftes. Um das zu wissen, darf

man nicht nur ein Naturforscher, man muß ein innerlich erleben­ der Mensch sein. Wenn man Seelenvorgänge mit Körpervorgängen ver­ wechselt, so ist es dasselbe, wie wenn man physische Feinstruktur, die dem Auge auch mit den stärksten Vergrößerungen unsichtbar bleibt und gar nicht mehr stoffhaft, sondern nur noch energetisch hypostasiert wird, mit dem Seelischen verwechselt. Physisch Sicht­ bares und physisch Unsichtbares sind keine zwei Welten oder zwei Manifestationen des Daseins, sondern nur Stufen materieller Verdichtung. Man kann den Standpunkt vertreten, es gäbe keinen Körper im plump materiellen Sinn und alles seien Energie­ komplexe, die gegeneinanderstehen oder in Schwingungen und Wirbelbewegungen sich beeinflussen — in keinem Fall ist das, was uns als Körper zum Bewußtsein kommt, dasselbe, was von uns als Seele erlebt wird, und beider Verbindung kann nur meta­ physisch in einer höheren Einheit beschlossen liegen. Aber jener Irrtum des Nichtunterscheidenkönnens von „Außen und Innen", von Körper und Seele, d. h. des Unvermögens, beides nur in einer höheren Einheit als ein und dasselbe zu erleben, geht weit in die Kreise ernster Forscher hinein. Mir hat Einer, von dem ich weiß, daß er seine Wissenschaft als verantwortungsvolle Aufgabe empfindet und so betreibt, im Ernst versichert, wir könnten eine Lehre des Lebens erst gebe», wenn wir vielleicht hundert Jahre intensivsten Ausbaues der Vererbungs- und Zellforschung hinter uns hätten. Und er versteht unter „Leben" die gesamten sozial­ biologischen Beziehungen, nicht nur die Physiologie des Körpers, und vergißt, daß die Menschheit doch schon Jahrtausende lang ohne solche Forschung lebte. Auch er verwechselt das Außen und Innen mit physischer Grob- und physischer Feinstruktur. So strebt auch die Physik danach, durch Verfeinerung der Instru­ mente und Methoden ins „Innere" der Materie eivzvdringen und es gelingt auch in steigendem Maße, wie die Erschließung der Kristallgitter durch die Röntgenstrahlen zeigt. Und so glaubt auch die Biologie, wenn sie die Zellstruktur sinnenhaft durchblicke, um so klarer werde sich ihr das enthüllen, was wir gemeinhin Leben heißen. Vielleicht wird sich bis zu Ende der Mechanismus so ent-

hüllen, daß wir ein genaues Feinmodell des Organismus werden Herstellen können. Aber auch dieser gesamte Feinmechanismus wird den eben noch triumphierenden Forscher nun schon vor die Frage gestellt haben, wo nun das Leben ist. Ja, auch der Phyfiker langt immer wieder bei der Frage an, welchen Wesens das ist, was er als grobe oder feine, als unendlich verdünnte oder mole­ kulare oder energetische Zentren, d. i. als Körperhaftes und als Mechanismen wahrnimmt, die eben niemals selbst „Inneres" find, sondern Manifestation eines Innerlich-Lebendigen. Man stoße flch nicht an dem Begriff „Innerlich-Lebendiges" auch für die rein anorganisch gedachte Materie; denn wir wollen damit nicht wie Fechner behaupten, daß auch fie organisch wie ein Lebewesen sei. Solche Gewaltsamkeiten des Vorstellens wollen wir nicht mitmachen, wohl aber zeigen, inwiefern auch Anor­ ganisches Manifestation eines Metaphyflsch-Lebendigen ist. In jener erkenntnistheoretischen Schwierigkeit der Unter­ scheidung des Räumlich-Inneren vom Potentiell-Inneren liegt ja auch zugleich die Schwierigkeit mit beschlossen, weshalb kein Naturforscher definieren kann, was eine „Art", eine „Gattung" oder was eine „Urform" im Organischen ist. Jede morphologische Definition versagt da, weil eben das „Innere", d. h. das Wesen der Sache kein Materielles, sondern ein Metaphysisches ist, das man mit Potenz, Idee, Entelechie bezeichnen kann, das man auch einen Willen zum Dasein und dazu auch ein Seelenhaftes nennen kann. Es hat ja schon vor Jahrzehnten Dubois-Reymonb in seiner viel umstrittenen Rede „über die Grenzen des Naturerken­ nens" klar gemacht, daß wir selbst dann keine Spur des wirklichen Lebens im Organismus wahrnehmen würden, wenn wir die zellulären Molekularbewegungen bis ins letzte mikroskopisch durchschaut hätten. Seele kann nur von Seele erfaßt und erlebt werden. Freilich «ar es von ihm ein erkenntnistheoretischer Irr­ tum, zu erklären, es könne deshalb überhaupt nur ein Ignorabimus geben. Es ist eben doch wahr, daß wir ins Innere der Natur einzudringen vermögen; aber nicht von außen her, nicht durch die Sinne, sondern von innen her, durch die Seele, durch die Ver­ senkung ins eigene Wesen, durch das intuitive Erleben, wobei

dieses nicht intellektuell gedacht werden darf. Es geht Las also weit über alle außenhaft empirische Beobachtung und instrumen­ telle Forschung hinaus, obwohl diese als Mittel auf seinem Weg liegen kann. In jenem Mißverstehen des Außen und Innen und in der gegenseitig nicht gleichartigen Anwendung dieser Begriffe wurjelt auch der Streit, -en Goethe mit den Manen Hallers hatte. Aus Hallers Schweizerwerk stammt das Wort: „Jas Jan're der Natur bringt kein erschaffener Geist; Glückselig, wem sie nur di« äußere Schale weist."

Und Goethe, die innere Einheit alles außensymbolischen Daseins durchschauend und stets gegenwärtig erlebend, und wissend, daß nichts räumlich umhüllender Mantel ist, wohl aber auch Haller gründlich mißverstehend, antwortet ihm: „Matur hat weder Kern noch Schale, Alle- ist sie mit einem Male."

Das wußte Haller auch und meinte, mit den Sinnen nicht in das Metaphysische, in die Innenwelt zu sehen. Goethes Geist aber sah diese Innenwelt immer zugleich in dem Sinnenhaften und konnte deshalb Haller in diesem Augenblick nicht verstehen, obwohl sie im Sinn der Sache einig gehen. Haller drückte es nur sehn­ süchtiger und bescheidener aus. Wir machen beim wissenschaftlichen Forschen gewohnter Art die Voraussetzung, Wissen sei nur auf dem stets persönlich kontrol­ lierten Bewußtseinsweg zu erlangen, erringe sich auf dem Weg des äußeren bewußten Betrachtens und Anfühlens der Gegen­ stände und mittels daraus gezogener logischer Schlußfolgerungen. Damit erwirbt man sich jedoch nur die Fähigkeit zu einem Ver­ halten im Gegenständlichen, im Äußeren. Wenn aber das äußere Wahrnehmen und Schließen nicht begleitet und getragen ist von einer im Unbewußten vollzogenen Znnenschau, so ist eine wahre Erkenntnis, die auf das Wesen der Natur geht, nicht möglich. Denn alles, was dem Bewußtsein erscheint, besteht als Erscheinung nur kraft einer „inneren" Wirklichkeit, deren wir in unserem eigenen Wesen teilhaftig sind. Die Manifestation des „Lebendigen an sich" ist die äußere Welt, sei sie objektiv von uns gedacht oder nur als

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Bewußtseinsinhalt anerkannt. Man darf das alles nur nicht abstrakt nehmen, sondern durch und durch als lebendiges Sein, Fühlen und Erleben. Aber freilich Worte versagen da. Zu dieser konkreten, objektiv empfundenen äußeren Welt steht nun der Intellekt und damit das logische Schließen in unmittel­ barer Korrelation; er ist für sie und nur für sie da. Deshalb ist der Intellekt kein Maßstab für die „Innenwelt". Darum bleibt alles nur „äußere" Erkenntnis, was der Intellekt perzipiert. Wollen wir also die äußere Anordnung des Geschehens in ihrem symbolischen Wert und als Ausdruck der metaphysischen Wirk­ lichkeit erkennen, so muß det nach außen gerichtete Menschengeist die Wendung vollziehen und in die Tiefe der Innenwelt steigen. Diese Tiefe findet er in sich. Von außen her kommt er in die Dinge und Erscheinungen der Natur nicht hinein; da weist sie ihm nur die äußere Schale und er sieht sie nicht in Einem. Darum ist die Jnnenschau die Grundlage der Magie und sie ist die Grund­ lage zu jeder Wissenschaft überhaupt von jeher gewesen. Und es ist, wie Joel in dem Buch „Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik dargelegt hat, gewiß, daß jede Wissen­ schaft und wissenschaftliche Philosophie stets aus der wahren Mystik hervorgegangen ist, dort ihren immerwährenden Nährboden hat und stets dahin zurückkehren muß, um nicht zu verdorren.

7. Der magische Kreis. Weit entfernt davon, das Erkennen des Daseins mit Be­ wußtseinsdenken gleichzusetzen, werden wir uns stets daran zu erinnern haben, daß wir mit wahrem Erkennen ebenso wie mit wahrem Leben und Erleben im Unbewußten wurzeln. Die Er­ scheinung des Lebens nun, wie sie in unser Bewußtsein gelangt, hat eine doppelte Form: Körper und Seele. Unsere Person als Physis und Psyche aber findet sich als ein bewußter Komplex und kann von sich aus nach beiden Seiten, nach der körperlichen und der seelischen, ins Unbewußte hinübertasten. Denn in beide« bemerken wir durch Selbstbeobachtung, wie vieles und gerade meistens das Wichtigste und Entscheidungsvollste für unsere

Person unbewußt in uns abläuft. Nennen wir das unbewußt ablaufende Körperliche unterbewußt, das unbewußt ablaufende Seelische überbewußt, um ein kurzes Unterscheidungswort zu haben, dann können wir uns symbolisch folgenden Kreis ent­ werfen, der das Leben vom Standpunkt der Person aus darstellt:

In dem inneren Kreis des Bewußtseins spielt sich unser ge­ wöhnliches Verstandesleben ab. In ihm ist vergleichsweise alles atomisiert, in ihm ist alles ein Neben- und Nacheinander, es herrscht in ihm die Daseinsform von Raum und Zeit. Es ist die Sphäre des Intellekts, wo im raumzeitlichen Sinn kausal ge­ dacht wird. Dort betrachtet man die Dinge von außen; dort herrscht Vielheit und Trennung; dort gibt es ein Gegenüber, es gibt „Gegenstände", Objekte, die Welt zerfällt für unseren Geist in Subjekt und Objekt. Man kann den inneren Kreis auch ver­ gleichsweise als die Sphäre des Individuums, des körperlich dar­ gestellten Individuums bezeichnen. Je starrer und enger der Kreis nun ist, um so mehr ist das Individuum intellektuell orientiert; um so weniger tendiert sein Wesen ins Unbewußte, um so weniger Intuition hat es. Je mehr Intuition es hat, um so labiler ist die Grenze des Kreises nach der überbewußten Sphäre hin; je mehr natürlichen Instinkt es hat, um so labiler nach der unterbewußten. So auch bei Völkern und Rassen oder bei den Menschen einzelner Zeitalter. Rassen, bei denen der Jnnenkreis nach der überbewußten Seite erweitert ist, sind dem Transzendenten zugänglicher gewesen. Sie konnten etwa prophetisch Träume deuten, d. h. das, was im Überbewußten ablief, ins zeiträumliche Wachbewußtsein herüberbringen. Um#

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gekehrt: ist der Kreis mehr nach der unterbewußt körperlichen Seite verlagert, so wird das Körperhafte lebendiger und vertiefter, da,

gegen das „Chaldäische" vermindert sein oder fehlen. So etwa bei den Griechen des klasstschen, nicht des orphischen Zeitalters, in deren Kunst das Wesen des Körpers, die ideale Körpergestalt vollendetsten Ausdruck findet. Sie haben eben durch Erweiterung

ihres Bewußtseins in diese Sphäre hinein, das Körperliche so empfunden und erschaut, daß sie imstande waren, dieses in seinem Wesen künstlerisch darjustellen; wogegen die Chaldäer, nach der anderen Sphäre erweitert, für das Figürlich,Körperliche als solches gar nichts übrig hatten. Das Wort: „Du sollst dir kein Blldnis noch irgend ein Gleichnis machen" ist der größte Gegen,

satz jum griechischen Tempel mit der Götterstatue. Indem wir das Bild der beiden Kreise nun sozusagen als Bild des Kosmos nehmen, wie er uns gegeben ist und es damit zum Ausdruck unserer tieferen Erkenntnis machen, wirft es allerlei Reflexe zurück und belehrt uns noch über allerlei anderes, woran wir zuvor vielleicht nicht dachten oder wofür wir die Formel nicht fanden. So erscheint auch der Tod nicht als der absolute Gegen, satz zu dem allumfassenden Kreis des Lebens, sondern als Weg­ fall der Schranke des Jnnenkreises und Übergang zu dem diesem Transzendenten. Er spielt sich, wie wir ihn in der Natur finden, ganz innerhalb des umfassenden Lebenskreises ab. Anfang und Ende gibt es nicht; sie sind nur Begriffe des in Teile spaltenden Intellekts. Da der Tod ein Erlöschen und Zerfall der organischen Lebensform ins Anorganische ist, so muß das, was wir oben schon einmal als „das Lebendige" bezeichnet haben, etwas anderes sein als das Leben in Gestalt der organischen Formen auf der Erde. Wir nennen dieses „Innerlich,Lebendige" kosmisches Leben und werden später sein Verhältnis zum Anorganischen wie zum Organischen, so wie wir dieses kennen, noch darlegen. Wenn wir im gewöhnlichen, naiv realistischen Sinn denken, also wenn wir im landläufig wissenschaftlichen Sinn denken, bewegen wir uns im innern Kreis. Da gibt es kein „auf einmal"

des Ganzen; der Verstand muß vom Vorher zum Nachher, von Gegenstand zu Gegenstand schreiten. Ihm ist Aufstieg aufgeteilt

in Stufen und Sprossen; der Stoff ist ihm aufgelöst und nur denkbar in Atomen; das Werden des lebendigen Körpers ist ein Ablauf und ein Übergang von Stadium zu Stadium. Die Ver­ erbung und die Wiederkehr von Eigenschaften an den Nachkommen ist bedingt durch Korpuskeln oder Gene, welche ihm „Träger der Vererbung" sind. Der Bewußtseinsverstand kann kein Konti­ nuum denken; er schneidet und jerlegt. Sein Grundgefühl ist das Greifen, seine Betätigung das „haptische" Verfahren: er will „begreifen" im wörtlichen Sinn. Und wenn er daher das Höchste schafft, was er seinem Wesen nach schaffen kann, so ge­ langt er ju einer mechanistischen Molekularphysik. Und damit ist er ganj fern vom Wesen deS kosmisch-lebendigen Daseins. Ihm gegenüber steht das Schauen, die Intuition; im Unter­ menschlichen nennen wir sie Instinkt. Aber im menschlichen Sinne ist es jenes künstlerische Erfassen des Ganzen und Wesenhaften im Teil und im Vielen; ist es jenes durchdringende Sehen, das im Gegensatz zum Greifbaren die Dinge und Gestalten nicht atomistisch und stufenförmig zusammengesetzt denkt, sondern in jedem Ding und jeder Gestalt auf einmal das innere Ganze erschaut, wodurch das Äußere zum Symbol des Ungreifbar-Junern, wodurch das Vergängliche in jeder Form zum Gleichnis des ewigen Ideen­ haften wird, das gerade nicht Körper ist. Intuition, künstlerisches Erlebnis oder, was dasselbe ist, Vertiefung der Wissenschaft zur inneren Wahrheit ist somit, um zu unserem Kreissymbol zurückzukehren, nichts anderes, als das Vermögen, irgendwo in der Vielheit der Dinge, in irgend einem Geschehen, an irgend einem Gegenstand, einem Körper in dem engen Kreis des Bewußtseins plötzlich das Ganze, den inneren Zusammenhang zu sehen. Und das ist überall und in jedem Augen­ blick möglich.

„Sein Stäubchen ist so schlecht, kein Tüpfchen ist so klein: Der Weise stehet Gott ganz herrlich drinne sein." Wem es gelänge, immer und immer wieder gelänge, aus dem einzelnen Ding heraus die divinatorische Vision des inner­ weltlichen Ganzen des Lebens zu haben, für den wäre die Grenze des Jnnenkreises mit ihrer unseligen, unparadiesischen Bindung 4o

gefalle» und damit das Nur-Sehen der Vielheit, der Gegenstände aufgehoben, der haptische Verstand nicht mehr Führer und Norm im Dasein. Ihm wäre Vielheit stets Symbol des Einen, des Inneren; der Körper, auch der anorganische, stets ein seelenhaftes Wesen. Er würde magisch sehen, magisch sich verhalten. Ihm wäre Vielheit und Anderheit auch Spiegelung des eigenen We­ sens; die innere Brücke, auf der er durch den ganzen Kosmos gehen kann, wäre geschlagen. Damit ist der Weg der Jnnenschau als Weg der Erkenntnis in das Wesen des Kosmos, des Gesamt­ geschehens gegeben. Diese Jnnenschau ist nicht subjektiv allein, in welchem Falle sie ja Phantasieren wäre; sondern sie ist subjektiv und objektiv in Einem. Und das vollzieht sich in einem anderen Bewußtseinszustand, den wir im Gegensatz zum wachbewußt­ intellektuellen den magischen nennen können. Solches und noch vieles andere offenbart uns unser Kreis. Er zeigt uns, daß es mit Recht eine Lehre gibt, die nicht nur den Körper als Ausdruck der Seele nimmt, sondern auch daß eine Körperkrankheit eine seelische Störung und Ausdruck einer solchen sein muß. Doch wird dies nie für unseren Jntellektualverstand eine innere Einheit, und der Arzt etwa, der nur Intellekt, nicht Seher und Künstler ist, wird auf derselben Stufe bleiben, wie der Wissen­ schafter, der eine Atomphysik für Wahrheit schlechthin hält. Beide werden hervorragende Techniker, aber keine wahren Helfer der Menschheit und keine Erkenner des umfassenden Kosmisch-Leben­ digen sein. So wird es uns also auch klar, wie wenig zunächst das ein wahres Wissen ist, was wir im gewöhnlichen Verstand so nennen. Da ist nichts von jener inneren unmittelbaren Gewißheit, jenem unmittelbaren Erschauen, jenem faustischen Hinabsteigen zu den Müttern des Lebens, wo das Urbild alles Daseins wurzelt. In der gewöhnlichen Betrachtung der Dinge sehen wir von außen, sehen wir ein mechanisches Hin und Her diskontinuierlicher Telle, sehen wir „Gegenstände". Und wenn wir mit Hilfe solcher Er­ kenntnis etwas schaffen wollen, so setzen wir zusammen und treiben Technik im weitesten Sinne und in allen Lebensrichtungen, ob es nun Maschinenbau, Medizin, Politik oder Erziehung ist.

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Wo aber echte Schau auf das eine Dasein, wo echte Erkenntnis ist, da wächst es und gebiert es schöpferisch, in jedem Augenblick jung und wahrhaftig, von innen her gestaltend. Da ist wahre Magie. Es ist kein Zweifel, daß wir auf die äußere Betrachtung, auf das äußere Sammeln von Material immer und immer wieder angewiesen bleiben; denn wir sind keine ausschließlich im Transjendenten atmende Wesen. Das Entscheidende ist vorläufig nur, ob wir wissen, wo die wahren Quellen liegen und welcher Art von Erkenntnis wir Einfluß und Entscheidung in unseres Lebens Angelegenheiten jugestehen: ob wir „Magnet oder „Faust" sein wollen. Wagner ist nicht in Gefahr, der Magie jv verfallen und arbeitet beruhigt mit einem „soliden" Wissen. Za, es gelingt ihm, «ährend Faust ruhelos durch die Welt schweift und immer von neuem nicht weiß, was er weiß, nicht nur Pergamente ju entziffern, sondern der Natur mit Technik so beizukommen, daß er nahe daran ist, in der Phiole den Menschen selbst fertigznbringen. Aber es wird doch nur ein Homunculus, eine Halbheit daraus, die bald zerschellt, während der Träumer Faust schließ­ lich dort steht, wo das Unbeschreibliche geschieht.

8. Das Leben. So kommen wir näher daran, zu begreifen, was Leben in seinem inneren Wesen ist. In seiner Gesamtheit, in seiner inneren Einheit ist es für uns unter- und überbewußt, unserem Verstand transzendent, so daß wir nicht in das Wesen hinübertreten können, solange das Wachbewußtsein gewissermaßen alles Wahre aus­ löscht. Wir haben daher, von außen betrachtet, einen beschränkten Ausschnitt aus dem Gesamtleben, aus dem Gesamtdasein, und können nicht oder nur ahnungshaft und in ganz seltenen Augen­ blicken des Begnadetseins ins Jenseits blicken. Die Sache ist so, daß jedes Tellchen, jedes Wesen nicht etwas Getrenntes ist, sondern das Ganze enthält, das Ganze symbolisiert. Das Kantsche viel­ berufene „Ding an sich" ist in jedem Ding enthalten, in jedem Stäubchen, in jedem Menschen, in jedem Wesen; jedes kleinste

Teil des Daseins hat es sozusagen in sich, das Wesen der ganzen Welt. Das Wesen des gesamten Daseins aber ist Leben im inner­ sten Sinne, lebendiges Schöpfertum, von dem die Daseinsformen, organische und anorganische, nur Art der Manifestation sind und vielleicht nicht die einzige Art. Es mag viele andere Arten geben, die wir nicht kennen, von denen vielleicht die Natur der Sterne, die sich in astrologischen Erkenntnissen ausspricht, auch eine ist. Wenn wir mit den Denkformen von Zeit und Raum, Ur­ sache und Wirkung, Subjekt und Objekt, Zahl und Maß das Leben beschauen und erklären wollen und schließlich nur bei Begriffen landen, so befinden wir uns völlig in einer Zwangslage; denn wir wissen von Anfang an, daß wir nicht das Wesen der Sache treffen, sondern daß dieses auf einem anderen Weg erst ahnend zugänglich wird. Der menschliche Intellekt, sagt Bergson, fühlt sich zu Hause, so lange man ihn unter den leblosen Gegenständen beläßt, wo unser Tun seinen Angriffspunkt, unsere Arbeit ihre Werkzeuge findet. Unsere Begriffe find nach dem Bild der festen Körper ge­ formt, unsere Logik ist die der festen Körper. Eben deshalb feiert unser Intellekt seine Triumphe in der Geometrie, wo die Verwandt­ schaft von logischem Denken und Materie offenbar wird; wo der Intellekt unter geringstmöglicher Berührung mit der Erfahrung nur einfach seinem natürlichen Fließen zu folgen braucht, um von Entdeckung zu Entdeckung zu schreiten, immer gewiß, daß die Erfahrung ihm recht geben wird. Es folgt daraus, daß unser Denken in seiner rein logischen Form unfähig ist, das Wesen des Lebens, den Sinn der Entwicklung fich vorzusiellen. Geschaffen durch das Leben, unter bestimmten Verhältnissen und auf be­ stimmte Zustände zu wirken, wie sollte er das Leben selbst um­ spannen, von dem er nur eine Ausstrahlung, für das er nur ein Werkzeug ist? Tatsächlich fühlen wir auch, daß keine unserer Denk­ kategorien das Geschehen des Lebens genau deckt; das Leben ist alogisch. Vergebens pressen wir es in den oder jenen Rahmen; alle sind sie zu eng und zu starr für das, was wir hinetnspannen möchten. Unser Verstand, der sich so selbstgewiß unter den leb­ losen Dingen ergeht, fühlt gerade auf dem Lebensgebiet ein Un-

behagen. Selbst nur um eine einzige, ausschließlich dem reinen Denken verdankte biologische Entdeckung wäre man verlegen. Und zeigt «ns schließlich das Experiment, wie das Leben es an­ stellt, ein bestimmtes Resultat zu erreichen, so erweist sich sein Verfahren gerade als eines, worauf wir nie verfallen wären. Müssen wir also darauf verzichten, das Wesen des Lebens zu er­ gründen? Müssen wir uns zufriedengeben mit dem mechanistischen Weltbild, das unser Verstand allein «ns bietet und womit er das Leben einzwängen will in die Form menschlichen Handelns? Wir müßten verzichten, wenn die Entwicklung des Lebens dazu geführt hätte, aus uns reine Mathematiker zu machen; dann wären wir hoffnungslos eingemauert. Aber rings um unser logisch-begriff­ liches Denken liegt eine Sphäre, die aus jener Wesenheit besteht, woraus sich unser Intellekt selbst gebildet hat. Hier walten Kräfte, die den Verstand zu einem Ganzen zurückbringen und die wir nur erwecken müssen, um das Leben zu sehen. Beides zusammen wird mit einer gewisseren Methode, als sie der logische Verstand allein besitzt, die großen Fragen in Angriff nehmen, ja zu lösen ver­ mögen, die uns die Philosophie stellt. Gelänge ihnen ihr gemein­ sames Unternehmen, so würde sich uns die Entstehung unseres Intellektes selbst als eines Organs erschließen, damit auch die Entstehung der Materie selbst, und sie würden hinabgraben bis an die Wurzeln von Natur und Seele. So Bergson. Wenn wir das äußere Leben betrachten und uns auf die naturwissenschaftliche Betrachtung beschränken, tun wir so, als ob es nur das Körperliche, nur das Stoffhafte, nur das RäumlichGetrennte, nur das Zeitliche, nur das Nebeneinander gäbe. So wird uns, naturwissenschaftlich gesehen, auch das Leben zum Objekt, zum „Gegenstand". Ja, wir sind imstande, unseren eigenen Körper, unsere Seele als Gegenstand zu betrachten, «ns anzusehen als das Objekt unserer Betrachtung. Damit zerfällt unser Wissen um das Leben in zwei formal getrennte Gebiete: in das äußere, empirische, seelenlose; und das innere, erlebende, seelenvolle. Aber diese Trennung ist stets nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Denn so wenig der Mensch sich selbst in ein reines Derstandeswesen einerseits, in ein reines

Gefühlswesen andererseits zerlegen kann, so wenig kann er die Betrachtung des Daseins trennen in äußere Wissenschaft und inneres Versenken. Beides wird immer ineinander spielen, und das Streben des Naturforschers heutiger Art geht dahin, es mög­ lichst wenig ineinander spielen zu lassen. Es gibt aber wohl keinen Forscher, der nicht in etwas Künstler und Seher wäre; und keinen Künstler, der nicht mit dem Verstand nachdenke» müßte über seine Kunst. Die jonischen Naturphilosophen betrachteten das Leben als einen immanenten Zustand des Stoffes; dieser ist nicht ohne die Eigenschaft des Lebens denkbar. Alle Äußerungen des Stoffes, auch die chemischen, find dumpfe Lebensäußerungen. Das ist die Lehre vom belebten Stoff, der Hylozoismus. Sie sahe» Wesen­ heiten, die Welt von Göttern belebt. So galt ihnen auch das für unser Verstehen Unbelebte als belebt. Dabei stnd mehrere Schat­ tierungen der Auffassung möglich, wie etwa die, daß Organisches nichts anderes sei als eine Verwickelung der Kräfte und Eigen­ schaften des Anorganischen, ohne Htnzutreten einer nicht schon im anorganischen Stoff liegenden Ursache. Leben selbst wäre danach nur an die materielle Körperform gebunden und wäre ebenso eine Äußerung derselben, wie Farbe, Gewicht, Härte der Körper. Diese materialistische Auffassung ist mit der Formel von Ostwald gegeben: Der Organismus ist wesentlich ein Komplex chemischer Energien. Aber auch eine andere, umgekehrte Anschauung ist als wissen­ schaftliches Forschungsaxiom möglich: Anorganisches und Or­ ganisches find nicht verschieden, sondern auch das scheinbar leblose Anorganische ist belebt. Die Konsequenz zog Fechner: auch die Erde sei ein Organismus und das ganze Weltall, nur sei dessen Leben in dem Ausschnitt, den wir sehen, nicht als Organismus wahrnehmbar. Das ist vielleicht etwas anderes als der plumpe Materialismus, nämlich organische Auffassung der Welt; aber es sagt so wenig, wie jener. Denn es hat keinen Sinn, Dinge und Er­ scheinungen gleichzusetzen, von denen wir erfahrungsgemäß wissen, daß sie sich.unmittelbar nicht auseinander verstehen lassen. Dagegen könnte man sagen: Organisches und Anorganisches sind

jwei Äußerungsformen ein und desselben kosmischen Wesens, verschiedene Erscheinungsformen ein und derselben Substanz. Durch primäre Orientierung gäbe sie sich auf der einen Seite als organisch, auf der anderen Seite als anorganisch. Verlegt man also die Vereinheitlichung in einen jenseits beider Erschei­ nungsweisen liegenden Zustand des Alls, so ist für die sichtbare Welt ein Dualismus von Organisch und Anorganisch gegeben und anerkannt, der unserer Erfahrung entspricht, und dennoch ist die innere Einheit alles Daseins gewahrt. Damit ist in der Biologie die vitalistische Auffassung nicht vereinbar, die man dahin formulieren wollte, daß im lebenden Körper zum Physikalisch-Chemischen des Anorganischen noch eine Ursache hinzukomme, welche die einfachen Stosskräfte beherrsche und sie neuartig zusammenfüge, wodurch an ihnen die Lebens­ eigenschaften erscheinen. Man wird vielmehr in einem wahren transzendentalen Monismus gar keine Brücke vom Anorganischen zum Organischen zu schlagen versuchen, sondern das Organische und Anorganische als primär anders Gerichtetes, als andere Grundqualitätea fassen, in denen sich beiderseits gleichmäßig das­ selbe zuträgt und von innen her bedingt ist. Machen wir nun einen kurzen Umweg, um die Kette zu schließen, deren Anfang wir im 2. Kapitel aufnahmen. In welcher Form erleben wir das Leben außer uns? Man wird antworten: als Pflanze und Tier. „Pflanze" und „Tier?" Was ist das? Geben wir uns Rechenschaft, so sehen wir alsbald, daß es im unmittelbar realistischev Sinne nicht vorhanden, nicht sinnen­ haft da ist. Wo existiert die Pflanze, das Tier? Doch nur in den vielen Tieren und Pflanzen, nicht an sich, nicht in Wirklichkeit. Denn es existieren in äußerer Wirklichkeit doch nur die vielen, die zahllosen verschiedenartigen Rassen und Arten und Gattungen der Pflanzen und der Tiere. WaS sind aber die Arten und Gat­ tungen? Die Art Löwe, die Art Kirschenbaum, die Art Hund? Prüfen wir genau. Hat man jemals in der Natur Arten und Gat­ tungen wirklich gesehen? Wenn wir eine Herde von 2000 Elefanten in der Steppe Ostafrikas sehen: ist das die Art oder Gattung Elefant? Und wenn wir alle Wildgänse in den Lüften 46

sähen, die heutigen und alle, die je gelebt — wäre das die Art oder Gattung Wlldgans? Nein, das wäre es nicht; denn es sind ja noch ioooo Stück mehr denkbar — die Art ist in der Zahl der Individuen unbegrenzt — die Individuen sind aber niemals die Art selbst. Was aber dann? Sie bedeuten die Art. Das wirkliche, lebend-körperliche Wesen ist ein Symbol seiner „inneren" Art. Das Lebe» begegnet uns draußen nicht als die Pflanze, nicht als das Tier; es begegnet uns auch nicht als der Baum, der Käfer, der Mensch, der Fisch, sondern streng erfahrungsmäßig nur in einer Vielzahl von Einzelgeschöpfen, von „Individuen". Das allein: die einzelne wirkliche Pflanze, das einzelne wirkliche Tier, der einzelne wirkliche Mensch, der einzelne wirkliche Kristall treten uns gegenständlich gegenüber. Und nur diese können wir naturhistorisch als gegeben ansehen, und nur sie sind unserer naturwissenschaftlichen Beobachtung und Untersuchung zugäng­ lich. Alles andere ist, wenn lebensvoll erschaut: Idee; wenn lebensleer: abstrakter, formaler Begriff. Nun sind wir scheinbar aus unserem Himmel auf den Boden der nüchternen Tatsachen ge­ kommen. Aber gerade da sind wir mitten in der Metaphysik, die hinüber führt in das Unbegreifliche, in das Leben an sich. Goethe suchte nach der „Urpflanze". Er erkannte, daß sich aus dem Stengel alles formal ableiten lasse; erst das Blatt, aus diesem dann die Blüten und Staubfäden. Goethes Denkleben war so gegenständlich, daß er diese „Urpflanze" gegenständlich zu finden erwartete. Als er mit Schiller von seiner Urpflanze sprach, fuhr es Schiller, gebildet an dem klaren Kantschen Denken, heraus: „Die Urpflanze ist eine Idee". Goethe, nicht gewohnt, in der klaren, reinen Idealität Schillers die Dinge und das Wesen der Welt zu sehen, «ar wie zurückgefioßen; aber es ließ ihn nicht mehr los. So deutet auch die „Art", die „Gattung", das „Stet", die „Pflanze" auf eine Idee; wie unser eigenes Leben, und zwar nicht nur unser Körper, sondern auch unsere innere Persönlichkeit Idee und unser Dasein Symbol ist, wie wir schon sahen. Hier liegt innere Gleichheit vor zwischen dem Wesen der äußeren Gestalten, ihrer inneren Bedeutung und unserem Leben und seiner inneren

Bedeutung. Und die Frage: Ist „die Idee" nun wirklich oder nicht? beantwortet sich damit von selbst aus der Wirklichkeit unseres Innenlebens. So rasch sind wir bei der einfachsten Natur­ betrachtung mitten in der Metaphysik, ja noch mehr: bei unserer eigenen transjendenten Wirklichkeit angelangt. Nun wissen wir aber noch etwas von den äußere» Formen des Lebens. Jedes Lebewesen ist immer Individualität in irgend einer, wenn auch noch so dumpfen Art. Es gibt keine jwei gleichen Individuen. Das ist ein Satz, den man nicht erst zu belegen braucht. Nur Originale gibt es in der Natur, nie Kopien. Das aber ist gerade das Kennzeichen schöpferischer Gestaltung. Das Mechanische allein — es gibt nur vom Menschen hergestelltes — kopiert; das Lebendige wie alles Naturhafte ist ewig neu. Daher nicht nur die prinzipielle Unersetzlichkeit jedes und jedes Wesens und jeder Form, sondern daher auch ihr immanenter Ewigkeitswert als Idee. Die Schöpfung ist nie zu Ende, und das Ewig-Schaffende hat für alles die gleiche „Liebe" seiner ganzen Schöpferkraft. „Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein N« kann leben; Werb ich tnoicht', er muß vor Not den Geist aufgeben."

Das Individuum und damit jedes organische Geschöpf ist seinem Wesen nach: Einmaligkeit, Einzigkeit. Dies ist das „Principium individuationis“. In uns selbst aber fühlen und erleben wir dieses schöpferische Prinzip. Das ist zugleich unser innerster Wert, und das Wissen darum ist unsere innerste Über­ zeugung, unabhängig von allem Geschehen um uns. In diesem Innern liegt für uns der Sinn des Lebens und des Gesamtdaseins. In jedem Wesen liegt so das Grundsätzliche des Schöpfergedankens, liegt Idee, oder wie man es ausdrücken will. Im Organischen kommt es uns klar zum Bewußtsein, in uns selbst am klarsten. Im Anorganischen ist die Idee nur generell; im Organischen in­ dividuell. Das ist der Gegensatz von Organismus und Kristall. Der Organismus beruht auf dem innerlich Geschlossenen, dem Untellbaren; nicht so der Stein oder die Maschine. Das Zusammen­ gesetzte ist nie individuell. Es entsteht von außen, nicht von innen. Einem Organismus freilich kann aufgepfropft werden; aber immer wächst es dann zusammen zu einer inneren Einheit; andernfalls

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fällt das Aufgepfropfte wieder ab. Ein Kristall wächst auch; aber durch Anfügen des Stoffes von außen; und ein zerschlagener Kristall ist auch in seinen Tellen noch dasselbe. Ein Organismus wächst nur von innen her, kann nie in Tellen dasselbe sein, was er zuvor war. Zwar bekommt er Nahrungszufuhr von außen; aber die Nahrung wird verlebendigt und zur Natur des Organismus umgeschaffen, und so wächst das Ganze von innen heraus. Das Wesen des lebendigen Körpers, also des Individuums, liegt in einer „Ganzheitsbeziehung" (Driesch) der gewachsenen Telle; es ist Idee. Wenn man ein Froschei bis zum Gastrulazustand sich entwickeln läßt und teilt dann den Zellhavfen, so ent­ steht nicht aus jedem Teil ein halber Frosch, sondern je ein kleinerer ganzer Frosch. In jedem dieser Teile ist Ganzheitsbeziehung, die Idee der Art ist da, die im Individuum verwirklicht wird. Das Organische „will" sich immer als Ganzes zum Ausdruck bringen, „will" seine Idee darstellen. Nicht anders das Menschen­ leben, das danach trachtet, sich und seine innere Idee zum Ausdruck zu bringen. So ist beides dem Wesen nach ein und dasselbe: menschliches Innenleben und Innenleben der organischen Natur. Und da jenes, wie wir unmittelbar wissen, ein sittlich-schöpferischer Akt ist, so muß es dieses auch sein, jedoch in einem unserem Be­ wußtsein entrückten Bezug. Das Leben ist, wesenhaft gefaßt, immer Darstellung eines «ntellbaren Ganzen, und in jeder Form, worin wir es kennen, ist es damit Ausdruck einer Idee, seien es Körperformen oder seelisch-geistige Gebllde, wie unsere menschlichen Kulturäußerungen. Vielleicht sind auch die Sterne als Körper Ausdruck von inneren Kräften, von Ideen, wie es die uralte Astrologie, uns unverständlich, zu wissen schien und wie man noch im Mittelalter auch die Stoffe alle verstand. Man lese die Charakterisierungen der Sternwesen im Tetrabiblos des Ptolemäus oder die der Stoffe im Theophrast oder bei Agrippa von Nettes­ heim, und man wird, wenn auch den Sinn nicht unmittelbar kennend, doch unter dem eben angeführten Gesichtspunkt verstehen, wohin sie zielten und was «ns derzeit noch verschlossen ist. Der Sinn der lebenden Form wird auf ebenso vielen Wegen erlebt und erkannt, wie der Mensch sich selbst und sein Inneres DaequL, Natur und Seele.

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von je erkannte nnd erlebte; darum vielleicht am dürftigsten durch das, was wir heute Naturforschung nennen,, aber sicher am meisten durch das, was unsere Naturforschung in Grund und Boden ver­ worfen hat: durch das Erleben der Idee, womit das Äußere zum Symbol im tieferen Sinn, jum Ausdruck einer „Seele" wird. Damit stehen wir an der Pforte magischer Weltsicht. Kann diese eine Wissenschaft sein im üblichen Sinn?

9. Magie und Naturwissenschaft. Magisch ist nach du Prel eine Erscheinung, deren Entstehung auf Naturkräfte jurückgeht, die physikalisch noch nicht bekannt sind und deren Wahrnehmung nicht mit den Sinnen ohne weiteres gelingt, sondern die erst mit Hilfe wissenschaftstechnischer Mittel sichtbar und fühlbar gemacht werden müssen. Er sieht daher die Erforschung deS Magischen als einen Bestandteil der Naturwissen­ schaft heutiger Art an. „Magie ist im ersten Stadium unbewußte Anwendung unbe­ kannter Kräfte; sie wird dann jur bewußten Anwendung uner­ forschter Kräfte...; im letzten Stadium aber wird sie bewußte Anwendung erforschter Kräfte. Der Schlüssel jvr Magie aber liegt im animalischen Magnetismus, dem Reichenbach später den Namen Od gegeben hat. Darin liegt die Physik der Magie, und wenn diese einmal erforscht sein wird, wird die Magie in Wissen­ schaft verwandelt sein." du Prel tadelt dann Schopenhauer, der eine Anleihe bei einem metaphysischen Prinzip mache, statt auf naturwissenschaftlichem Boden zu bleiben, wenn er in den ma­ gischen Phänomenen, etwa der Hypnose und des Ttschrückens, eine Bestätigung der magischen Macht des Willens sah. Und du Prel fährt nach dieser ganz mißverständlichen Zitierung Schopen­ hauers noch irriger fort: „Er glaubte an eine direkte Einwirkung des Willens als ,Ding an sich' und verfiel damit in den oben gerügten Fehler wissenschaftlicher Halbheit, indem er jwischen die bekannten Naturkräfte ein metaphyfisches Prinzip einschob und wirksam sein ließ. In der Tat aber würde der Tisch fich nie­ mals bewegen, wenn nicht die menschliche Hand eine Odqvelle

wäre und das Od als bewegende Kraft aufträte. Diese physikalische Seite der Sache hat Schopenhauer übersehen; er hat den Hebel, -er die bewegende Kraft auslöst, den Willen, mit der Kraft selbst verwechselt." Als du Prel diese Worte schrieb, gegen Ende des vorigen Jahr­ hunderts, war er schon ein Älterer. Er gehörte einer Generation an, die in der Naturwissenschaft in der methodischen Form, die ihr besonders das 19. Jahrhundert gab, schlechterdings das einzige Mittel zur Erkenntnis der Welt sah. Darunter aber verstand man, wie du Prel selbst definiert, daß man die Überzeugung von der Alleinherrschaft des KausalitätsgesetzeS an die Spitze aller Unter­ suchungen zu stellen habe. Nun wird dem jeder Wissenschaftsmann auch heute noch zusttmmen. Aber es ist einfach nicht wahr, daß dies der grundlegende Satz unserer schulgerechten Natmforschung sei, sondern fle macht noch andere metaphyfische Prämissen, z. B. die, daß ein logischer Schluß zwischen zwei gegebenen Sätzen den natürlichen Zusammenhang dartue; oder die, daß alle Vorgänge und Erscheinungen auf rein phyfikalische Prinzipien rückführbar seien, d. h. auf Stoß und Gegenstoß, stoffliche Anziehung und Abstoßung korpuskularer materieller Teile. Daß aber eine solche Auffassung schon innerhalb der Schulwissenschaft nicht die einzig mögliche ist, hat die Ersetzung dieser Lehre durch die energetische Auffassung der Materie und ihrer Bewegungen gezeigt. Und mit dem Zerfall der Elemente und ihren Aus­ strahlungen, woraus ohne Gewichtsverlust des ausstrahlenden Elementes ein neuer Stoff entsteht, geriet man in dasselbe wissenschaftliche Erstaunen wie durch die erkenntnistheoretische Entdeckung, daß neben unserer Geometrie des Raumes auch eine »ichleuMdtsche, ja vielleicht theoretisch unendlich viele und in sich ebenso „richtige" Geometrien möglich seien. So «ar auch du Prel in dem Zeitgeist befangen, der ihn for­ dern und erwarten ließ, das Magische der Welt werde sich physi­ kalisch erschließen lassen, ohne daß er bei seiner sonstigen Vorurteilslosigkeit und Weisheit sich des inneren Widerspruchs in dieser Erwartung bewußt geworden wäre. Dabei glaubte er ganz un­ befangen, daß die rein physikalischen Kräfte und Erscheinungen 4'

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irgendwie in ihrem Wesen nns anders als magisch bekannt und anders als metaphysisch bewußt wären oder mit „naturwissen­ schaftlicher Methode" einmal in diesem ihrem Wesen bekannt werden könnten; er weiß und ahnt es nicht, daß auch die physi­ kalische Darstellung eine übertragende Deutung des an sich dem Denkverstand unbekannt bleibenden magischen Weltwesens ist, dem man mit einem metaphysischen Begriff wie Ursache und Wir­ kung, Materie und Energie Anschaulichkeit verleihen möchte. Und weil diese Art Naturforschung den Anspruch erhebt, die einzig mögliche zu sein, während sie, wie die euklidische Geometrie, nur eine mögliche ist, so mußte selbst ei» Geist wie du Prel dazu verurtellt bleiben, Schopenhauers Lehre, die den Kern des Magischen trifft, zu entstellen und nicht zu verstehen. Das Wesentliche an Schopenhauers Lehre ist nicht, daß er die „derzeit noch magischen" Erscheinungen, wie Hypnose und Tisch­ rücken, als physikalische Kräftewirkung im Sinne einer physiolo­ gischen Odlehre oder dergleichen verkennt und „den" Willen der ausübenden Person an Stelle des physiologisch-physikalischen Ablaufes setzt, womit er etwa aus der Sphäre konsequenter Natur­ forschung herausgefallen wäre und dilettantisch eine Anleihe bei der Metaphysik als Lückenbüßerin gemacht hätte — so unendlich flach darf man doch den Zusammenhang in jener Philosophie nicht darstellen. Vor allem ist es ganz irrig, de» Schopenhauerschen Trans­ zendentalwillen als „Ding an sich" mit dem persönlichen Willen eines bewußten Menschen zu verwechseln. Das ist geradeso, wie wenn philosophische Liebhaber von „den Dingen an stch" sprechen und nicht wissen, daß es im Transzendenten keinen Sinn hat, sondern zum Unsinn wird, solche Ausdrücke wie „Wille zum Dasein", „Ding an stch" in Mehrzahl oder konkret oder persönlich und somit in Vielzahl vorzustellen. Wille zum Dasein im Schopenhauer­ schen Sinne ist also nicht nur objektiviert im Vorgang der Hypnose oder der Telepathie und des Tischrückens; er ist in allem und jedem stets gegenwärtig und manifestiert. Auch jeder physi­ kalische Vorgang ist Objektivation des Willens zum Dasein, nicht in dem Sinne, daß dieser einwirkt auf irgend etwas, sondern

vielmehr so, daß alles Geschehen in sich schon die Objektivation des Willens jum Dasein ist. Nach Schopenhauers Lehre aber stellt sich diese Potenz in allen nur erdenklichen Graden der Ab­ stufung und Manifestierung dar und ist in dem, was wir gemein­ hin magisch nennen, für den Intellekt nur am unmittelbarsten als zeitraumlose Wesenhaftigkeit, d. h. am überraschendsten sichtbar. Daß Dasein, wenn überhaupt faßbar, doch nur als „Wille zum Dasein" innerlich zu erleben ist, kann jeder in sich selbst be­ merken. Man wird aber nicht in den Fehler verfallen dürfen, jener metaphysischen Innerlichkeit, aus der im tieferen Sinn jede Er­ scheinung fließt, Subjektität zuzuschreiben. Was wir oben schon das Außen der Natur nannten, ist, vom Jntellektualzustand aus gesehen, Objektität des metaphysischen Willens zum Dasein oder des „Ding an sich". Diese so als Objekt gesehene Objektität nun als etwas an sich Seiendes, als Ding an sich zu nehmen und zu erwarten, mit Physik in das innere magische Wesen der Gescheh­ nisse einzudringen, also das Magische als solches damit zu fassen, ist naivster Realismus. Mag sein, daß die magischen Geschehnisse, die wir Telepathie, Hypnose, Wunderheilen usw. nennen, in ihrem physiologisch-physikalischen Ablauf einmal ebenso erforscht sein werden, wie die Röntgenstrahlen und die Elektrizität und die Schwerkraft; so werden sie uns ihr Magisches auf solche Weise ebenso wenig enthüllt haben, wie die Gehirnschwingungen den Gedanken oder das Hormon die Liebessehnsvcht. Der naive Realismus aber ist eine erkenntniskritische Methode und ist der Grundsatz unserer ganzen Naturwissenschaft und aller Wissenschaften, die nach diesem Grundsatz verfahren. Der ist ganz recht und führt zu äußeren Erfolgen, zu technischer Natur­ beherrschung, zur Ansammlung eines äußerlich wohlgeordneten und danach im anderen Sinn auch verwertbaren „Wissensstoffes", so lange man sich der anderen Seite philosophisch bewußt bleibt und nun nicht Forderungen stellt, welche der Naturforschung etwas zumuten, was nicht in ihrem Wesen liegt. Da nun alles Naturhafte in dem metaphysischen Willen zum Dasein, oder wie man das jenseitige schaffende und diesseitig dem Bewußtsein sich als Objekt darstellende Ding an sich nennen will, in dem meta-

physischen, nicht persönlichen Prinzip des Unbewußten gründet, so ist und bleibt es als solches für den im Bewußten lebenden und handelnden Intellekt immer und immer magisch; dagegen dort, wo es in der reflektierend aufgefaßten Objektivation erscheint, physikalisch; denn dies ist die Anschauungsweise des Intellekts. Aber indem etwa eine Kristallbildung oder das Werden eines Organismus oder eine mediale Materialisation oder eine tele­ pathische Wirkung so verläuft und so erkannt wird, ist und bleibt sie dennoch symbolische Darstellung des magischen Willens zum Dasein als des transzendenten Prinzips, d. h. jenes Prinzips, das nicht von außen her stößt und wirkt, also nicht technisch verfährt, sondern von innen her schafft; was besagt, daß es erscheint, indem es „will". Dieses Innerlich-Lebendige ist immer schöpferisch und seinem ganzen Wesen nach daher nur mit innerster Intuition, mit inner­ lichstem Er-leben zu finden. Darum beansprucht das Erleben des Magischen des Menschen Innerstes, weit über alles intellektuelle Leben hinaus. Insoweit es uns gelingt, dem, was sich in äußerer Vielheit, in Raum und Zeit als Gegenstand uns darstellt, von innen her schauend beizukommen, erblicken wir die magische Seite, das magische Schaffen in der Natur. Wenn es aber gelänge, nun technisch-physikalisch zu schlldern, was an sich magisch geschieht, so wäre es nicht das Magische selbst, sondern es wäre im üblichen Sinne Naturwissenschaft. Würden also solche Geschehnisse einmal physikalisch verfolgt und nachgeahmt, so bliebe ihr Wesen dennoch dem Intellekt unbegreiflich, so gut wie alle anderen Naturkräfte ausnahmslos. Es wäre also im physikalischen Erfassen des Magische» — und alles ist magisch — keine vertiefte Erkenntnis der Natur gewonnen, wenn sich z. B. die empirisch so wohlbegründete und bloß aus metaphysischer Angst noch nicht von der Schulwissenschafi ausge­ wertete Reichenbachsche Odlehre, wie du Prel will, in uasere ge­ wöhnliche Naturforschung einbeziehen und systematisch-phäno­ menologisch ausbauen ließe. Wir würden damit, wie durch alle bisherige Naturforschung, an der Menge der Erscheinungen, an intellektuell geordnetem äußerem Wissensstoff sehr viel reicher

werden; wir würden Vorgänge, die «ns jetzt noch heterogen erscheinen und deshalb ganz verschiedenen Spejialwissenschaften zugewtesen «erden, vielleicht auf einen einzigen Vorgang zurück­ führen lernen; wir würden vielleicht einsehen lernen, daß etwa eine bestimmte Gestirnsiellung bestimmte Strahlungskombina­ tionen ergibt, die in der Atmosphäre Regen oder Gewitter, im menschlichen Körper gewisse Erregungszustände oder Krankheits­ dispositionen, in der Bakterienwelt eine gewisse Virulenz verur­ sacht, deren Zusammenhang «ns bisher derart nicht erschlossen ist; wir würden vielleicht erfahren, warum dieselben kosmischen Vorgänge im Menschenkörper Unfruchtbarkeit oder Konstitutions­ veränderungen oder sittliche Erschütterungen bedingen oder warum leichter Kriege ausbrechev, wenn Kometen erscheinen, oder warum der Amethyst, als Amulett getragen, vor Seuchen schützt, und wir würden, jeder bei sich, wenn er rechten Sinnes ist, auch erfahren und lernen, wie man mit seelischer Kraft und Willensstärke diesen Einflüssen und anderem „Aberglauben" begegnen und ihn über­ winden kann — kurz, es wären „Triumphe der Wissenschaft, die «ns zweifellos da beschert würden. Aber so wenig die Vereini­ gung der ursprünglich für so heterogen gehaltenen Erscheinungen: daß der losgelassene Stein durch das Gesetz der Schwere zur Erde fällt und daß die Erde sich um die Sonne dreht, eine Erkennt­ nis des Magischen darin ist, so wenig würde die physikalische „Entdeckung" der okkulten Phänomene eine Ergründung des lebendig Magischen in deren Natur sein, und es würde immer noch, wie bei aller nur intellektualen Wissenschaft heißen: Ignoramus — solange, bis der Einzelne bei sich den Weg ins wahre Märchenland gefunden hat.

10. Magie und Psychologie. Wollten wir sagen, was Magie ist, so müßten wir Worte so tief aussprechen, daß sie ihre Lebenskräfte ausströmen. Man weiß heute, daß die innere molekulare Bindung der Stoffe so ungeheure Kräfte gefesselt hält, daß man durch den Zerfall eines Pfennigstückes, wenn wir ihn bewirken würden, eine

Großstadt ein Jahr lang mit Licht versorgen könnte. So wäre es auch mit dem Wort. Wer es wahrhaftig auszvsprechen verstünde, wüßte seelische Kräfte aus der Bindung ju befreien, würde solche Offenbarungen erlangen, daß er wahrhaft zaubern könnte. So wenig der logisch verfahrende Intellekt die Sprache anders ver­ steht, als sie in unserem Alltagsleben angewendet wird, z. B. in der Wissenschaft, so wenig kann mit dieser Art Sprache wirklich magische Wirkung ausgeübt werden; und ebensowenig lassen sich magische Zusammenhänge, magische Gesichte mit ihr aus­ sprechen. Auch die Sprache als Mittel oder Ausdruck seelischer Wal­ lungen reicht dafür noch lange nicht aus; aber in die Nähe der magischen Sphäre führt sie zweifellos. Man kann es ja zuweilen erleben, daß primitiver veranlagte Menschen in einer gewissen Erregung durch den Gebrauch von Worten sich noch mehr in Er­ regung, Wut und Raserei hineinsteigern und auch hineingesteigert werden können, wenn man ihnen rechtgibt und dabei diese selben, von ihnen gebrauchten Worte wiederholt. Man kann damit auch in Versammlungen gewisse Wirkungen erzielen, auch auf der Straße in unruhigen Zeiten, und kann sogar in wissenschaft­ lichen Körperschaften derartige Wirkungen sehen; ebenso wie sich das Wort umgekehrt auch als „Beruhigungszauber" anwenden läßt. Es erhebt sich diese Art der Sprachanwendung aber noch nicht zu einer wahrhaft magischen Wirkung, es bleibt, wie gesagt, nur bei seelischen Wallungen. Es liegt ja nahe, zunächst zu einer psychologischen Deutung und Erklärung des Magischen zu greifen, wenn man überhaupt glaubt, dessen eigentlichem Wesen rational nachspüren zu können. Man beruft sich eben dann auf allerlei magische oder magisch aussehende Wirkungen in unserem so ganz und gar unmagisch gewordenen Alltagsleben, und sucht daraus das psychologische Moment herauszuschälen. An solchen Versuchen ist kein Mangel; und wo man die Bedeutsamkeit des Magischen nicht einfach aus wissenschaftlicher „Aufklärung" abgeleugnet hat, sondern ihm sach­ lich nachzugehen versuchte, lag es am nächsten — und das ist zweifellos eine, wenn auch nicht in die innersten Gemächer der 56

Burg führende Eingangspforte — auf das Natürlich-Psychische, vor allem auf Suggestion und Autosuggestion zurückzugreifen. Dies ganj besonders bei all dem Gegenstands-, Bild- und Wort­ zauber, womit fich teils bewußt und gewollt, teils unbewußt und ungewollt das „Stott" aller Stände täglich beschäftigt oder herumschlägt. Wir brauchen nur zu erinnern an alle die Suggestionswirkungen bei Krankheiten, an die Heilwirkungen bei Ner­ vösen oder Hysterischen, an plötzliche schädigende Einwirkungen des Schrecks, an die tötende Kraft der überwältigenden Freude, an politische Vorgänge, an die suggestive Kraft der Worte. Am klarsten hat dies bisher Danzel zur Grundlage einer Erklärung des Magischen beim Primitiven zu machen gesucht, wovon einiges hier angeführt sei, wenn wir auch nicht auf dem­ selben Boden stehen. Jedenfalls hat es dieser Forscher gewagt, die ganze Magie der Naturmenschen als eine sehr reale und auch wirkungsvolle Weltanschauung und Wissenschaft zu nehmen. Er schreibt das Magische zunächst den Abscheugefühlen zu und verweist auf den ehemals über die ganze Erde verbreiteten Glauben, daß man abwesenden Personen Schaden zufügen könne, wenn man etwa ihr Bild verletzt oder zerstört, auch Gegenstände, Kleidungsstücke aus ihrem Besitz. Das beruhe ursprünglich darauf, daß beim Anblick solcher Gegenstände der Hassende sie unwill­ kürlich mit Geberden des Abscheus behandle; so entlade sich das Haßgefühl, und das sei die Urform jenes Zauberbrauches, der eine Schädigung einer auch entfernten Person bezwecke. Wenn nun, wie Danzel meint, dieses Tun den, dem es zugedacht sei, sicherlich nicht ohne weiteres beeinträchtige, so sei es um so mehr auf den es Äußernden selbst von Einfluß. Dies zeige sich gerade beim primitiven Menschen mit seinen starken Gebärden und Ge­ fühlen am meisten und es verleihe ihm erhöhtes Selbstgefühl, eine seelische Überlegenheit seinem Feinde gegenüber. Aus diesem ursprünglichen Sinn der Bräuche hätten sich dann später allerlei Zauberpraktiken entwickelt. Danzel nennt ein im Prinzip ähnliches Verfahren den Avbahnungszauber, wenn etwa der Jäger, der ein WUd jagen will, sich zuvor eine Figur des Tieres macht, auf sie den Pfeil abschießt und so gewissermaßen die Handlung der 57

Jagd im Kleinen vorausnimmt. Es sei das eben eine geistige Konzentration, mit der er sich in die künftige Handlung im voraus versetze; es wird „vorgeübt". Wieder eine andere Form des Seelisch-Magischen sei der Amulettglaube, und er beruhe darauf, daß der dazu benützte Gegenstand ein Gefühl des Vertrauens oder des Erhobenseins durch die Erinnerung an eine verehtte Person, die es gegeben habe, vermittle. Der Kreis dieser Grundlagen und Formen der Magie schließe sich endlich noch durch den Glauben an die objettive Wirkung von Gebeten, Bittgängen, Namensanrufvngen, etwa um eine gute Ernte zu bewirken. Hier soll der ursprüngliche Sina dieser Bräuche der sein, daß sie das sorgenvolle Gemüt des An­ rufenden selbst beschwichtigen; es sei die gute Wirkung des Kultes auf den gläubig Ausübenden selbst; vergleichbar im profanen Sinn den Protestversammlungen unserer Tage, die abgehalten werden, auch wenn man von vornherein von ihrer praktischen Nutzlosigkeit überzeugt ist; sie sind trotzdem nicht sinnlos, sondern dienen der Selbstbeschwichtigung der Teilnehmer, die sich damit des Grolles eMladen, der ihre Unternehmungslust gelähmt hat. „Solcherart Selbstbeschwichtigungen stellen nun auch eine große Zahl Kulte, Zeremonien, Riten des Homo divinans dar." Dahin gehören dann auch Heiltänze, die man für Kranke aufführt, und alle Heilmethoden, die letztlich auf Suggestion beruhen. Wie hat man sich zu erklären, daß man gute oder böse Vor­ zeichen beobachtet und danach sich verhält und diesen oder jenen Gegenzauber ausübt? Wir müssen an Vergleichbares in unserem Leben denken und fragen: gibt es auch da Vorzeichen? „Es gibt Vorzeichen für den, der gewisse Erscheinungen als Vorzeichen erlebt. Ist ein Mensch mutvoll und guter Dinge, wird er gewisse Erscheinungen nicht als böse Vorzeichen empfinden, überhaupt wahrscheinlich gar nicht bemerken. Befindet er sich aber in einem furchtsamen bedrückten Gemütszustände, dann glaubt er, überall bedrohliche Ankündigungen wahrzunehmen. Diese Zeichen kün­ digen auch wirklich Unheil an, denn «er mit Furcht und Unmut an ein Werk und ein Unternehmen herangeht, wird immer Miß­ erfolg haben. Wer dagegen mutvoll ist, wird überall ermutigende

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Anzeichen gewahren. So sieht der Mensch das, was in ihm selbst vorgeht, gleichsam in die Außenwelt hinein. Die Welt enthält gute oder schlechte Vorzeichen, je nachdem sein Gemütszustand ein guter oder ein schlechter ist. Darin liegt der ursprüngliche Sinn der Vorzeichendeutung, aus der sich dann später seltsame Wissenschaften entwickeln." Ebenso »ach Danzel die Wahrträume. Denn im Traum ver­ raten sich uneingestandene, unüberwachte Neigungen und Wünsche; im Traum erfüllen sich Handlungen und Wünsche, die man im Wachzustand nie sich erlauben würde. „Im Traum liegt alles gleichsam unverblümter an der Oberfläche des seelischen Ge, schehens." So werden die Träume auch zu Vorzeichen, und damit berühren wir nach Danzel das Gebiet der Voraussagen und der Traumbeuterei. „Im Traume offenbart sich bereits ein Gemüts­ zustand, der einem künftigen Unternehmen günstig oder nicht günstig sein wird. Ist jemand von einem Zustande beherrscht, der ihn für ein Unternehmen, das er plant, untauglich macht, so wird sich das in bedrückenden, erschreckenden Bildern im Traum an­ zeigen; ist jemand dagegen von einem Zustande beherrscht, der ihn anpassungsfähig und schnell von Entschluß macht, so wird sich das in hoffnungsreichen Bildern bereits vorher im Traume be­ merkbar machen. So ist der Traum ein Barometer, das vielfach feiner die günstigen oder ungünstigen Aussichten für ein Unter­ nehmen zum Ausdruck bringt, als die BeurteUung der sachlichen Verhältnisse im wachen Zustand es vermöchte. Auch die moderne Traumforschung, die Traumpsychologie, ist wieder zu gleichen Auf­ fassungen gekommen. Im Traume bahnt sich bereits das Ver­ halten, das für unser Geschick entscheidend wird, in folgenschwerer Weise an." Mer weiß denn unser Forscher nichts vom einfachen Hell­ gesicht im Wachen und im Traum? Warum «endet er es gerade hier, wo es am nächsten liegt und sozusagen alles danach ruft, nicht an, wo er damit geradewegs in das Wesen der Sache hinein­ gelangen könnte? Sagt er doch selbst, daß er die inneren Gewalten, die zur magischen Schau führen, nicht mehr nur reflektierend psychologisch nimmt, sondern sie den Menschen „überwältigen"

läßt. „Solche beherrschenden Mächte, die im Menschen liegen, dort, wo sein eigentliches Ich aufhört... werden von dem homo divinans je nach ihrer Qualität in der Form von göttlichen oder dämonischen, gespenstigen Gestalten geschaut, wie sie auch auf Bildern von Bosch und Brueghel noch dargestellt werden. Uns scheint es dann, als verlege der Mensch die inneren Gewalten in die Außenwelt. Goethe sagt einmal, der Mensch suche zu allem, was die Natur in ihn gelegt, in der äußeren Welt die Gegen­ bilder. Dieser Satz gibt nun, wenn wir ihn richtig anwenden, den Schlüssel zum Verständnisse des Geister- und Dämonen­ glaubens, wie ihn der Homo divinans ausbildet. Der Homo divinans findet für die Gewalten, von denen er sich abhängig fühlt, obwohl sie in seinem Innern verborgen sind, in den Erscheinungen der Natur... Gegenbilder... Gestirne, Himmelserscheinungen; Vorgänge des Wassers, der Erde, überhaupt der Natur, werden so zu Gegenbildern der Leidenschaften und Gefühle, die in dem Menschen selbst liegen." So wird die dem primitiven Menschen natürliche Hellsichtigkeit zugleich zu einer „Bildsichtigkeit", und in ekstatischen Zuständen vermag er ein Naturding unmittelbar als Symbol seiner eigenen Jnnevzustände zu schauen — das dem Wort Wissen verwandte indische veda ist gleich Gesicht oder Schau — die dem zum Wachbewußtsein erwachten Kulturmenschen zu abstrakten Begriffen verblassen. Vom Homo divinans wird daher subjektiv-psychologischer und objektiv-naturhistorischer Be­ deutungsgehalt tatsächlich als eine Identität erlebt, die sich nur in unserer nachträglichen Deutung und analytischen Ausdrucks­ weise auseinandergestaltet. „Wir nehmen wohl auch Natur und Umwelt, Himmel und Sterne wahr und bewundern ihren Glanz und ihre Farbe, aber wir vermögen sie zumeist nicht mehr so tief zu erleben, daß wir unser eigen Geschick und unsere eigene Natur, wie sie in unserem Innern lebt und webt, abzulesen vermöchten." Hier in diesem letzten Gedanken liegt nun das Wesen der magischen Schau und von da erst geht allenfalls auch magische Wirkung aus: so tief zu erleben, daß wir unser eigen Geschick und unsere eigene Natur, wie sie in unserem Innern lebt und webt, ab­ zulesen vermöchten. Ja, wenn wir dies könnten—es mag Einzelne

geben und hat Viele gegeben — dann hätten wir jene Jnnenschau und Einsicht, aus der heraus wir das rechte „SBott" dafür fänden, dessen Aussprechen den Zauberberg wie ein „Sesam, öffne dich" auftun könnte. Aber alle die anderen, vorher angefühttev psychologischen Momente liegen ganz an der Oberfläche. Denn alles, was dabei über Selbstbeschwichtigung, leidenschaftliche Konzentration auf einen gewollten Gegenstand, auf eine gehaßte Person gesagt wurde, sind alles Versuche, mit rationalem Wachgeist an eine Sphäre heranzukommen, bei der man sich, um einzutreten, erst aufgeben und verlieren, nicht sich betonen muß, und bei der es nicht psychologisch, sondern dämonisch jugeht. Niemals kann rationale Auseinanderlegung, niemals rationale Sprech-- und Darstellungsweise jener Sphäre gerecht werden. Man kann bestenfalls symbolisch und übertragen reden. Mer kein Wort wird dem Wirklich-Magischen gerecht, das nicht aus der Tiefe geboren ist im Augenblick eigener erschütternder Jnnenschau. Da liegt überhaupt die Grenze für jede nur auf die Wachzustände reflettierende Wissenschaft, bei der die Er-Jnnerung in das Wesen des Gegenstandes fehlt. Unsere Art, Wissenschaft zu pflegen, um damit an die Natur heranzukommen, hütet sich, des Menschen Herz, des Menschen tiefstes Inneres mit zu berühren. Wir handhaben unseren Verstand wie ein Werkzeug, und darum kann das, was der Eine damit packt, unschwer an den Anderen weitergegeben werden. Unsere Wissenschaft ist keine Er-Jnnerung dessen, der sie treibt, und darum ist sie jedem zugänglich, der nur den nötigen Jntellett hat. Und damit bleibt das Wesen der Dinge verschlossen oder erscheint in rationaler Form verhüllt. Darum gibt es auch gar keine Verständigung, zwischen Einem, der Er-Jnnerung auf die Dinge hat, und dem Anderen, der nur Jntellett hat. Es gibt somit zwei Wissenschaften: eine, die rational ist und in Zeitschriften, Hörsälen, Lehrbüchern zutage liegt; eine andere, in der sich die Suchenden und Wissenden mit den Worten andeuten, «essen sie sich „erinnern" wollen, um sich darin erst zu verstehen. Das Magische nun ist das, was nur auf solche erinnernde Weise mitgeteilt und erklärt werden kann und anders überhaupt nicht. Es

ist deshalb von vorne ab eine verfehlte Einstellung auf das Maß­ gische, es mit der Zange gewöhnlicher Wissenschaftlichkeit packen jv wollen, um es für die Anderen beizuholen, statt die Offenbarung in der Er-Jnnerung zu suchen. Nicht anders kann es gemeint sein, das: „Geheimnisvoll am lichten Tag

iLß sich Natnr des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag. Das zwtngst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben."

Wollen wir also Mitfühlen und Mitschauen erwecken für das, was Magisches als Ganjes oder in seinen Abarten ist, so werden wir uns bewußt bleiben, daß alles Schildern und alles Einkleiden in Sätze und alles, was wir aus dem Wachbewußtsein, sei es dem seelischen oder dem intellektuellen, herübernehmen und anführen, eben nur den Wert von Vergleichen, den Wert des „Als ob" habe« kann; daß in dem Gesagten nicht die Sache selbst gezeigt und offenbar geworden sein kann; sondern daß sie, wie das Blld von Sais, damit nur verhüllt vor uns steht und daß die Hülle nicht fällt, ehe uns nicht der „wahre Priester" geweiht, geschult und für reif erklärt haben wird.

1T. Hellsicht und Einsicht. Man trifft juwellen, auch bei religiös gestimmten Menschen, die es anders wissen müßten, die Anschauung, es werde viel für die Seele des Menschen gewonnen sein, wenn es sich erweisen sollte, daß aus dem Trancejvstand von Medien allerlei Emana­ tionen und Gestaltungen, telepathische Wirkungen und Hellgesichte hervorgehen oder daß man durch solche Vermittlung etwa mit den Verstorbenen in Verbindung treten könne. Sie hoffen weiter, daß es Naturkräfte und Wesenheiten geben könne, die wir mit unserem Auge zwar nicht wahrnehmen, die aber dennoch in unser Leben, in unsere räumliche Umgebung gelegentlich ein­ greifen und j« allerlei unverständlichem Geschehen Anlaß geben. Kurj, sie erwarten von physiologischen Wundererscheinungen und Zauberspuk eine Verinnerlichung des Menschen, wenn er unreligiös

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ist.

Die voll ehrlicher Überzeugung solches hoffen, verwechseln

gleichfalls das Außen und Innen; ihnen gilt das Wort, das im Jenseits Gott zu dem im Fegefeuer schmachtenden Reichen sprach, als er bat, man möge seine Brüder auf Erden warnen: fie haben die Worte der Erzväter und Propheten; wenn sie denen nicht glauben, so «erden sie auch nicht glauben, wenn ein Toter auf­ steht und zu ihnen redet. Doch nicht nur von naiv Religiösen, sondern auch von philosophisch-wissenschaftlicher Seite hat man das Bemühen um Er­ fassen jener „okkulten" Vorgänge für einen künftigen Bestandteil und eine Unterstützung des Religiösen ansehen wollen und hat geglaubt, wenn solche, von der Wissenschaft wohl etwas zu kurz­ sichtig abgelehnten Dinge betrieben und offenbart würden, so könnte sich daraus wirklich eine Einsicht in die „Ewigkeit ergeben, die einen religiösen Aufschwung der Menschheit versprechen würde. Armer Selbstbetrug, fern jeder wahren Innerlichkeit! Ist nicht jeder Grashalm die gleiche offenbarte okkulte Erscheinung wie eine mediale Emanation oder das Spuken der Toten? Ist nicht jene Kraft, welche die Planeten in den Sphären rollt, gleich gewaltig und gleich okkult, wenn sie durch Millionen von Meilen sich „an­ ziehen" und halten, wie es das bischen Telepathie Hysterischer im Dunkeln oder das Schlurfen der „Geistes auf der Diele ist? Mag im kommenden Jahrhundert die empirische Wissenschaft noch so weit in diese Fragen und Erscheinungen etndringen, die rein physische, physiologische oder psychologische sind, so wird für die Erkenntnis des wahren Ewigen, des Innerlich-Göttlichen, für die Erlösung der Seele nichts gewonnen sein, sondern die Diesseitsgesinnung wird sich, wie sie es im engen Kreis längst getan hat, auch auf diese Dinge werfen, ja, sie sich plump zunutze machen und technisch ausbeuten. Das Physische wird auch in seinem unsichtbaren Zustand gewiß mehr und mehr bekannt werben — darin habe ich das zuversichtlichste Vertrauen in die äußere Wissenschaft — so, wie «ns heute die Struktur der Kristalle, die Emanation der Substanz oder die Elektrizität unendlich mehr bekannt ist als unseren Vätern. Man wird vielleicht auch die Schwerkraft ebenso zerlegen lernen, wie das Licht in die Spektral-

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färben oder wie die Elektrizität in alle möglichen Licht- und ma­ gnetische und andere Strahlen; man wird dann wohl auch von wissenschaftlicher Seite nicht mehr darüber lachen, sondern es experimentell vachahmen, wie sich ein Gegenstand oder Monolith entgegen der Schwerkraft vom Boden hebt oder ein Mensch, auch ohne Nachtwandler zu sein, auf einem Dachfirst schwebt; es wird uns vielleicht gelingen, mediale Emanationen nicht nur zu photo­ graphieren, sondern auch diese Gestaltungen lebend in unseren Laboratorien oder in populären Vorträgen einem dann noch immer sensationslüsternen Publikum vorzuführen, gerade wie wir ihm heute die Spektralbänder vorführen: aber die Seele des Menschen, der dies sieht, wird dabei ebenso darben, wie sie bei unserer ganzen naturwissenschaftlichen Kultur und Aufklärung durch ein Säkulum hin bet allen äußeren Wissenserfolgen ge­ darbt und immer mehr gedarbt hat, so sehr, daß heute eine geradezu erschreckende Ablehnung und Verachtung oder wenigstens — und das ist das Bessere — eine innere Abkehr von allem Glauben an den sittlichen Wert derartiger Fortschritte sich voll­ zieht. Das Ewige, das innerlich Wertvolle, wird sich in neuen andersartigen Erfolgen, selbst wenn wir regelrecht zaubern lernen sollten, nicht offenbaren oder nur dem, dem es sich auch heute oder vor Jahrhunderten schon offenbarte aus jeder Blume des Feldes, aus jedem Lächeln eines Kindes. So wenig unendlich verdünnte Materie Geist und Seele ist, so wenig wird man Geist und Seele finden in der unsichtbarsten Materie, wenn nicht Geist und Seele in uns lebendig ist; und so wenig wird es eine religiöse Wiedergeburt geben aus analysierten oder verdichteten oder abgelenkten physischen Energien, wenn sie nicht trotz aller und gegen alle Herrlichkeit der Welt, auch der geistigen Welt, sich durchsetzt. Es hängt einzig und bet jedem Einzelnen von unserem Inneren ab, was für uns die Welt, was für uns die Natur und was jeder vor sich selber ist. So wird man auch aus verdichtetem und fixiertem medialem „Spuk" keine inneren Erkenntnisse gewinnen, selbst wenn die Toten mit uns reden. Es sind das alles nur verfeinerte Stoffzustände, die meinet­ wegen auch von den Toten übrig sind, an denen sich Vorstellungen

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oder somnambul beeinflußte Visionen entzünden, zu denen wir die Grundlagen oder vorausgegangeve analoge Erlebnisse schon in uns haben. Und so ist es nun auch mit dem, was wir Hellsichtigkeit in der üblichen Erscheinungsweise nennen. Sie ist eine physiologische Anlage, eine Naturanlage, die denen, welche sie nicht innehaben, ebenso schwierig begreifbar zu machen ist, wie einem Farbenblinden die Farben. Sie ist die einfache, durch Übung und Konzentration wie alle Sinnesfunktionen wohl zu steigernde und durch Über­

legung oft auch in verschiedener Art anwendbare Fähigkeit, Dinge zu wissen und zu sehen, die sich für das gewöhnliche Wachdenken als zukünftig oder als räumlich entfernt oder als körperlich ver­ hüllt, somit dem Wachsinn nicht unmittelbar erreichbar erweisen. Das gilt entsprechend auch für zeitlich Vergangenes. Ist aber diese Hellsichtigkeit irgendein höherer Zustand, welcher den, der sie besitzt, in sittlicher oder intellektueller oder gar in religiöser Be­ ziehung über die Anderen hinaus hebt? Und wie verhält sie sich zu einer wahren Intuition? Es ist vor allem falsch, Intuition mit Hellsehen, wie dieses Wort üblich und erfahrungsgemäß gebraucht wird, gleichzusetzen. Hellsicht in bezug auf äußerlich Gegenständliches, also Wissen um ein äußerliches Naturgeschehen in der räumlichen oder zeit­ lichen Entfernung oder um den Verbleib eines Gegenstandes, ist eine ganz niedere Naturfunktion, deren Besitz bezeichnenderweise auch meistens Personen zuteil geworden ist, die für jeden geistig entwickelten Menschen, gelinde gesagt, etwas Unentwickeltes haben. Je mehr diese Hellsichtigkeit mit geistig und sittlich hohem Wesen zusammentrifft, um so weniger gern betätigt sie sich in den meistens mehr sensationellen als im besseren Sinn aufklärend und befreiend wirkenden Versuchen, allerlei Banalitäten und Alltäglichkeiten des Daseins festzustellen. So wenig ein in sich gezügelter und in reinen hohen Ideen lebender Mensch alles anfliest, was ihm an Straßenecken, in Zeitungen, Büchern, Vorträgen, Versamm­ lungen und Hörsälen entgegenflutet, ebensowenig wird ein mit der Naturgabe der Hellsichtigkeit ausgestatteter reifer, verinner­ lichter Mensch diesen Sinn anders als seine sonstigen Sinne üben DaequL, Natur und Seele.

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und hüten, ihre Kraft anders als jv ernsten Lebenszwecken am wenden, jedenfalls dann stets mit einer bestimmten keuschen Zurückhaltung diese Gabe gebrauchen, die gleich beglückend und gleich zersetzend für ihn und die Anderen werden kann. Es ist dasselbe mit dem Medivmismus, dessen Anwendung immer etwas Unsauberes im physischen wie im psychischen Sinne hat, wenn er nicht äußerst ernst gehandhabt und mit Verantwortungs­ gefühl forschend geprüft wird. Und man wird es tief bedauern, wenn diese Dinge auf die Straße gezerrt und zu einem populären Wiffenschaftsvergnügen gemacht «erben. Die Niedrigkeit des geistigen Niveaus in allen Erscheinungen und Betätigungen nach dem Tode noch sich bemerkbar machender menschlicher Wesenheiten hat Jllig in seinem wundervollen Werk über die Rätsel des physischen Fortwirkens Verstorbener dargetan und an Stelle des Grauens und Elends, das diese Sphäre umgibt, mit erlösender Liebe das Lichte empfunden, das hinter dem allem steht. Immer sind es die seelischen Verankerungen an das Gegen­ ständlich-Irdische oder eine drückende ungesühvte Schuld, wodurch die Abgeschiedenen gezwungen sind, sich physisch zu manifestieren. Es ist in ihnen noch nicht lebendig geworden, daß es eine andere Richtung im Leben gibt, als die auf die Sorge um das Alltägliche. Und selbst wenn diese Sorge einem guten Gemüt entsprang, kann sie doch so sehr von Marthas Art sein, daß auch der Tod zunächst keine Entfesselung bringt. Jllig «eist auf die Seherin von Prevorst hin, der sich eine solche Gestalt nahte, mit der sie betete und die allmählich ein Helles Tal sich öffnen sah, bis die Sonne darüber aufging und nun der Bann gebrochen war, der über der Gestalt mit ihrer unseligen Verhaftung an das Irdische lag. Als dies geschehen war, kam der Abschied, und das ruhelose Wesen erschien nicht mehr. Es gibt ein schwedisches Märchen vom Atte Troll, das wohl auf derselben Erfahrung beruht. Darum werden alle die Untersuchungen der Spukphävomene und der mediumtstischen Materialisationen nichts, gar nichts über die innere und höhere Wesenheit des Menschen uns offenbaren, wenn sie nur als naturwissenschaftliche Erscheinungen gewertet vvd untersucht «erden. Im Gegenteil wird durch die experi-

mentelle Herbeiführung solcher oder als Spuk freiwillig erscheinen­ der Dinge, sowie durch ihre beabsichtigte Herausforderung und Verstärkung nur ein unendlicher seelischer Schaden an den so verhafteten Wesenheiten angerichtet, der nur so lange nicht sträflich ist, als das subjektive Bewußtsein dieser inneren Zusam­ menhänge den Forschern noch fehlt. Aber objektiv sind alle diese Hervorrufungen nicht minder verwerflich wie etwa das be­ wußte Quälen eines hilflosen Menschen in einer Seelevangst. Hier ist ein Punkt, wo die „Wissenschaft" vor anderen tief sitt­ lichen Forderungen unbedingt zvrückzustehen und wo ehrfürchtiges Helfen nach Art der Seherin von Prevorst an Stelle des bewußt oder unbewußt schamlosen Beguckens und HerbeiführenS zu treten hätte. Wer ein Gefühl für abgeschiedene Wesen hat, hält sich fern von allen Experimenten jener Art. Die religiösen Körper­ schaften sollten diesen Dingen mit tiefstem Ernst sich juwenden und sollten, wo ein Spuk oder ein Medium mit seinen Auswir­ kungen erscheint, es nicht minder liebevoll in seelische Pflege nehmen, wie eia verwahrlostes Kind, das man auf der Straße findet und das man zu seinem inneren und äußeren Wohl aufnimmt, schützt «ad «eiterführt. Vielleicht kommen wir, wenn der innere, von Jllig so wunderbar getroffene Zusammenhang aller dieser Fragen wirklich erfaßt und erlebt sein wird, dazu, die gaaje gesetzliche Kraft des Staates oder der Religionsgemeinschaften jenen verwahrlosten Toten jugewandt zu sehen, wie es jetzt nur in Seelenmessen meist konventionell und mit Exorzismen meist roh und seelenlos be­ trieben wird. Vielleicht sind die hier erwachsenden wahrhaften Liebespflichten gleich wichtig und entscheidend für den Frieden und das innere Werden der Menschheit als andere soziale Bestrebungen. Denn der Verkehr mit jenen abgeschiedenen und doch so elend an das Dasein verhafteten Wesenheiten kann nicht mit äußerer Verstellung, mit Lüge und Politik geschehen, wie diese sich sonst in alles Wohltätigkeits- und soziales Organisierungswesen mit hineiamtschen; sondern es erfordert opfernde Hingabe des Ein­ zelnen an die stumme oder verzweifelte Bitte, die in jedem Spuk und jedem medialen Erscheinen immer und immer wieder, wenn auch bisher meistens unverstanden, liegt. Aus dem gleichen 67

Zusammenhang mag sich späterhin vielleicht ei» tiefer begründ­ bares Urteil über den inneren Wert oder die inneren Gefahren einer raschen Leichenverbrennvng gewinnen lassen. Vorerst liegen hierüber noch keine durchgreifenden parapsychologischen Beobacht­ ungen und Erlebnisse vor, wie für die zuvor behandelte» Wesens­ komplexe. Es ist aber einstweilen bezeichnend, daß der Instinkt des Volkes immer »och gegen die Verbrennung einen Abscheu hegt, den man nicht mit so billigen Schlagworten wie „Rückständigkeit" oder „sentimentale Pietät" abtun sollte, zumal gerade die Leichenverbrenuung heutiger Art sich wesentlich von älteren historischen Verfahren unterscheidet und ein ganz typisches unmagisches Er­ gebnis des rationalen technischen Intellektualismus ist, für den tiefere Beziehungen zum Dasein ja nicht bestehen. Die natürliche Hellsichtigkeit nun kann man auch einen stark ausgeprägten Instinkt nennen. Denn Instinkt ist in seinem Wesen, sowohl in der Art wie er sich im Individuum betätigt, als auch in der Art sich dem Bewußtsein danach mitzutellen und ein be­ stimmtes Verhalten und Handeln des Individuums zu veranlassen, dasselbe wie Hellsehen, das zunächst auch im Unbewußten ver­ läuft und mit intellektvaler Einsicht und Überlegung nichts zu tun hat. Darum bleibt dies auf der Stufe des Tieres auch im Stadium rein instinkthaften Handelns und Verhaltens stehen, während es sich beim Menschenwesen alsbald ins Intellektuelle umsetzt, wenigstens tellweise, und, dem Intellekt selbst unver­ ständlich bleibend, sich da spiegelt und nun zu verwundertem Denken, zu klaren oder unklaren Aussagen Veranlassung gibt. Das eben nennen wir beim Menschen Hellsichtigkeit, welchen Ausdruck wir also auf das Tier, auch wenn es Analoges hat, doch mangels der intellektuellen Reflexion nicht anwenden, sondern im klärenden Gegensatz dazu eS dort bei dem Wort Instinkt belassen. Man darf das alles nicht mit logischer Sonde nun zertellen «ollen. Denn das ist eben gerade wieder das Wesenhafte des Hellsichtigen, daß es keine logische Überlegung ist. Es ist aber, «eil es logisch nicht ist, doch nicht unlogisch; denn es hat Ergeb­ nisse, die so sind, als ob sie logisch erschafft wären. Das ist ja der Grund, weshalb uns Jvstinkthandlungen der Tiere oder der

organisch bildenden Natur danach, wenn sie vor nns stehen, so eminent zweckmäßig erscheinen vnd es auch sind, daß sie den genialsten Techniker staunen machen. Und nur so hat auch das viel gegen die Wissenschaft zitierte Sprüchlein Schillers Sinn: „Was kein Verstand des Verständige« fleht. Das übet in Einfalt ein kindlich' Gemüt."

Man muß eben wissen, was man damit sagt. Und so könnten wir nns ja gut dem Instinkt anvertrauen. Aber kein Mensch besitzt diese instinktmäßige Reaktionsfähigkeit nur als solche; immer ist sie bei ihm, und sei er geistig noch so stumpf, mit einem bald größeren, bald geringeren Grad verständlichen, also individuell bewußten Reflektierens gepaart, durch dieses gelenkt oder beein­ trächtigt, verdorben oder gefördert; im Einzelfall wohl auch sehr zweckmäßig verbessert und in seiner Wirkung gesteigert. Dort, wo der Instinkt gesund, Intuition und Verstand gleich klar und besonnen ist, kommt darum eine geistige Höchstleistung zutage, die weder dem bloßen Instinkt, noch dem bloßen Jntellektualdenken möglich ist. Dies ist das Kennzeichen des Meisters, des Genius. Sein gedankliches Handeln und Überlegen ist ihm und den Anderen verständlich; seine Intuition ist ihm selber unbewußt und ihm vnd den Anderen verständlich unfaßbar. Aber daran eben erblicken wir nun auch den Unterschied zwischen bloß instinktmäßiger und danach mehr oder weniger in bas Wachbewußtsein gerückter Hellsichtigkeit einerseits und Intuition andererseits. Weder die bloße Hellsichtigkeit, »och das Jntellektualdenken allein, noch deren Kombination vollziehen den Eintritt in die Innenwelt, in das Reich der lebendigen Platonischen Idee. In das Jnnenretch geht nur die Jnnenschau. Denn Hellsichtigkeit und Intellekt erkennen nur den Ablauf und die äußere Erscheinung der Dinge; sie sind beide auf das schon Seiende oder auf das physisch sich demnächst Gestaltende als solches gerichtet. Würden wir selbst den weitesten Gebrauch von natürlicher Hellsichtigkeit machen können, würde sie ein intellektuell und nur intellektuell sehr entwickelter Mensch in ausgiebigem Maße besitzen, so würde er immer wieder nur das „Äußere" der Natur sehen, wie wir dies

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in einem frühere« Abschnitt darstellten; er würde nicht ins „Innere -er Natur" dringen. Don Goethe wird niemand sagen «ollen, daß er in einem besonderen Maße und abgesehen von seltenen Einjelfällen oder praktisch brauchbar hellsichtig gewesen sei; aber er war intuitiv im höchsten Maß und darum war er mit jeder Erscheinung und jedem Gegenstand „im Innern der Natur". Große Hellsicht könnte sich immer zu allem Bergangeaev oder räumlich Entfernten «enden; das erschiene dann wie ein starkes, fast lückenloses Gedächtnis. Aber von Intuition, von Jnnenschau würde es sich ebensosehr unterscheiden wie das „Ge­ dächtnis" vom Wesen der „Erinnerung". Wer einmal, vielleicht aus einem persönlichen Anlaß, ganj erlebt hat, wie kalt und lebens­ leer Gedächtnis ist, wo er Erinnerung erwartete, der kennt auch de« Unterschied von Hellsichtigkeit und Intuition. Und diese wahre Jnnenschau lebt nun nicht und erstreckt sich nicht auf das äußere Geschehen um seiner selbst willen; sie sammelt nicht Tatsachen; sondern sie sieht im Geschehen und den Dingen das, was sie im metaphysischen Reich der lebendigen „Ideen" bedeuten. Äußert sie sich daher in Worten oder Werken, so leistet sie „Bedeutendes". Denn alles Vergängliche ist ihr ein Gleichnis. Und wenn sie Phllosophie treibt, so ergeht sie sich nicht in Abstraktionen, sondern sie verwirklicht „Ideen"; sie schafft Kunstwerke im weitesten, allgemeinsten Sinne. Diese innere Schau ist wahre Einsicht. Sie, die sich auf Wesenszusammenhänge erstreckt, wird darum auch gewissermaßen das Interesse verloren haben an Feststellungen äußerer, zeitlicher und räumlicher Dinge um ihrer selbst willen. Sie wird nicht schlechthin Wissens­ material im gewöhnlichen Sinne häufen, auch nicht nach der „Menge des Wissens" fragen; sondern es wird ihr das Einzelne, das Äußere, der Gegenstand nur insoweit Sinn und Wert haben, als er ihr etwas Inneres, Wesenhaftes bedeutet. Darum zeigen alle Aussagen, die sie über äußere Dinge macht, stets etwas Wesenhaftes, Wesentliches; ihre Erkenntnisse und Aussagen sind eben „bedeutend", ganz im Gegensatz zu den Gegenstands- und Stoffhäufungen der Nur-Intellektuellen, der in diesem Sinn nur nach „Außen" Gewendeten, oder der Nur-Hellsichtige», die

tausenderlei Wirklichkeiten festsiellen und doch nicht wissen, was diese metaphysisch bedeuten. Erst dieses Bedeutende aber fördert von innen heraus den Mensche«, der es vollbringt, und den Menschen, der es wahrhaft nacherlebt. Man mag daraus ersehen, weshalb von allen natur­ magischen Künsten, von allem Mediumismus, aller Telepathie und aller Hellseherei nichts anderes als BanMäten ju erwarten sind, soweit nicht ein tiefer Geist Tiefen erschließt. Wie es gegen­ über dem Unvergänglichen als Ereignis die größte Banalität ist, wenn man über Ozeane mit Riesenschiffen fährt oder um -en Erd­ ball herum drahtlos eine Stimme hört, so wird auch die „okkulte" Welt eines Tages zu den banalen Herrlichkeiten dieser Welt ge­ hören, von Junftgelehrten, die sie jetzt „ablehnen", hochgeehrt und nützlich vorgetragen — die wahre Einsicht wird aus anderen Quellen fließen und sich zu anderem wenden. Sie finden wir durch eine Umkehr und Einkehr in uns selbst, durch ein unsagbares Erleben. Aber so wie Kant — nachdem man jahrhundertelang philosophiert hatte, dem bloßen Intellekt vertrauend, daß er zur Wahrheit führe — endlich dahin gelangte, durch Selbstbesptegelrmg seines Denkens zu begreifen, was für eine Art Wahrheit mit dem Intellekt allein zu erzielen ist, so müsse« wir Roch-Späteren uns Rechenschaft zu geben beginnen über die Art des Weitblicks, der fich nach „Wendung des Bewußtseins" «ns avftut und welcherlei Wahrheit wir da erreichen können; aber auch welcherlei „Wahrheit" wir gar nicht mehr «ollen, wenn sie auch Dielen als wichtigere erscheint — hoffend, daß einmal ein Kant kommt, der unser Stammeln zu einer Rede machen wird.

12. Magie und Intellekt. Magie, wie man sie gemeinhin als ein Wissen um sonst nicht faßbare Naturkräfte und deren Anwendung im Dienste des Men­ schen nimmt, ist Wirken eines Seelenhaften ohne äußere technische Mittel, die man sich mechanisch selbst geschaffen hätte. Zwar wirkt der Naturmagier durch solche; jedoch erst, nachdem er mit seiner Seele Eingang in die Natur gefunden und die Kräfte, die ihm dienst-

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bar werden sollen, erschaut hat nnd sie von innen her zn bannen weiß. Diese Begriffsbestimmung erlaubt uns zugleich auch, das magische Handeln, sei es der Natur oder eines Menschen, vom technischen Können und Handeln zu unterscheiden. Die Natur schafft stets aus ihrem Wesen. Und auch dort, wo sie für unsere von außen betrachtenden Sinne „Mttel" an­ wendet, gestaltet sie dieselben doch immer von innen her, wirkt also auch da immer magisch. Wo beispielsweise, um den gröbsten Fall zu nehmen, ein Tier zu irgendeinem Zweck ein technisches Mittel verwendet, ist nur die Anwendung des Mittels für unseren Verstand begreiflich, «eil es von außen herangebracht wird. Wenn einem Hirsch sein Geweih wächst, das er danach als tech­ nisches Mttel verwendet, so ist der Vorgang der Verwendung unserem Verstand begreiflich; unbegreiflich ist uns aber das Wachs­ tum und die Ausgestaltung zu diesem Zweck. Des Menschen Wirken ist also nur dort magisch, wo er Kräfte der Natur derart in Bewegung setzt und derartig Einfluß auf die gestaltende Natur gewinnt, daß ihm nun die Natur von innen her wirkt, so, als ob die Natur es von sich aus täte. Sie ist dann von seinem Willen geleitet und handelt, ohne daß der Mensch zunächst ein äußeres Mttel, ein Werkzeug anwendet. Ein treffendes Beispiel hierfür ist das Hellen durch Händeauflegen, im Gegensatz zur An­ wendung der Schulmedizin, oder das Wirken durch den Blick, durch Hypnose oder sympathetisch. Unmagisch ist also ein Geschehen, das wir intellektuell durch­ schauen. Da wir aber kein Geschehen je intellektuell durchschauen, sondern da wir bloß eine intellektuelle Darstellung ihm geben können, was aber nur eine bestimmte Form der Erkenntnis und nicht das Wesen ist, so ist alles magisch, selbst wenn es intellektuell dargestellt ist. Daraus geht hervor, daß das Magische als solches niemals intellektuell „eingesehen" werden kann. Alles äußere mechanische Tun nun, das unser zwecksetzender Verstand schafft, ist im eminentesten Maß ««magisch; es ist maschinell, und darin liegt der Unterschied zwischen Technik und Zauberei. Wie das Dorführen von Taschenspielertricks im Prinzip etwas anderes ist als etwa raum- und zeitdurchdringende Zauberei, so ist auch die

intellektuelle Beschreibung von Naturabläufen keine Darstellung dessen, was magisch-wirklich dabei geschieht. Wir sagen also: Magisch ist alles Geschehen, insoweit es

sich prinzipiell dem intellektuellen, die Dinge stets und immer nur mechanisch sehenden Denken verschließt. Prinzipiell. Denn es ist nicht so, daß das magisch wäre, was wir vorläufig noch nicht intellektuell verstehen; daß es also nur deshalb für frühere Zeilen und für uns magisches Geschehen gäbe, well wir quantitativ noch nicht genug «ns mit dem Intellekt angeeignet haben; sondern

magisch sind die Dinge, ist die Natur deshalb und wird sie bleiben

deshalb, weil sie eine Wesensseite hat, die dem intellektuellen Denken als solchem schlechterdings unzugänglich bleibt, für die er unserem Wissen gar nicht der Vermittler ist, mag er im übrigen

auch alles, was er wahrnimmt und so wie er es wahrnimmt, beschreiben können. Das Magische ist rational nicht austösbar; es ist nur zu er­ lebe» auf dem Weg einer inneren Sicht und ist in seinem Wesen irrational. Sobald es rationalisiert wird, ist es als solches weg. Es ist aber nicht imaginär. Imaginär ist ein mathematischer Be­ griff, den der Intellekt geschaffen hat. Wenn man irrational mit imaginär gleichsetzt und das Magische imaginär nennt, «eil es irrational ist, so begeht man denselben Fehler, wie wenn man de» religiösen Begriff Ewigkeit mit unendlicher Zeithäufung gleich­ setzt. Unendliche Zeit läuft immer ab; Ewigkeit ist das Nuncstans im Innern. Alles Lebendig-Schöpferische ist irrational. Ist es darum imaginär? Aber es ist durchaus magisch. So ruht die gesamte Natur, das gesamte Dasein auf irrationalem, magischem Grund oder ist es selbst, oder wie man es sonst ausdrücken will; rational nm insoweit, als es wie ein Mechanisches und Zahlen­ mäßiges vorgestellt wird. Alle rein physikalischen Natmkräfte sind rational, wenn man sie unter dem Bild der bewegten Massen und Mengen anschaut; sie sind irrational, wenn wir nach ihrem Wesen fragen. Man kann auch das Organisch-Lebendige und man kann auch das Seelische mit rationaler BUdlichkeit dar­ zustellen versuchen; diesen Versuch machen Biologie und Psycho­ logie, soweit sie nach „naturwissenschaftlicher Methode, also zählend,

messend und wiegend betrieben werden. Fragt man aber in einer dieser Wissenschaften nach dem Wesen des Gegenstandes, so steht man wieder vor dem Irrationalen — dem Magischen. Das Weseytliche des Magischen ist, daß es sich nur auf einem innerlichen Wege abspielt. Indem es sich gestalten will, ist es auch objektiviert da. Es liegt ein im tiefsten Sinn Lebendiges auch in jedem physikalischen Geschehen; und magische Sicht ist, daS Le­ bendige darin ju schauen. Im Organischen stellt es sich uns viel unmittelbarer dar als im Anorganischen, die beide jwei verschie­ dene Ausdrucks- und Gestaltungsseiten desselben Inner» sind. Ist es für unsere Sinne nur ein Latent-Lebendiges, so nennen wir es anorganisch; ist es attiv-lebeadig, so nennen wir es organisch; wir dürfen aber nicht sagen, daß das Anorganische auch organisch sei. Wir sagten vorhin, Magie sei das Wirken ohne äußere tech­ nische Mittel. Dies ist dasselbe wie das zweckmäßige Handeln und Gestalten der Natur, wodurch eine chemische Verbindung, die Kristallisation der Stoffe und organische Formen und Funk­ tionen zustande kommen. Denn durch Stoß und Schlag, durch sausende oder nach Planeteuart umlaufende Korpuskeln oder durch Energiewirbel oder Wellen oder geschleuderte Quanten kommt gar nichts zustande, auch nicht durch Kohäsion, Schwerkraft, Elettrizität, Strahlung, Emanation, was alles nur — im höheren Sinn — Derlegeaheitsausdrücke sind für Wesenheiten, die eben un­ mechanisch, irrational, nämlich magisch sind, also in irgendeiner Form Seelenkräfte der Natur. Man sieht gelegentlich den Versuch, das Wirken des Lebens in einem Organismus darzustellen, indem man eine Art Werkstätte im Gehirn und danach im Rückenmark zentralisiett darstellt, mit allen möglichen Verbindungen, Lettungen, Röhren und Rädern, die nun alle von heinzelmännchenartigen Hilfskräften bedient werden. Das ist, sinnlich dargestellt, das Problem der organischen Zweckmäßigkeit. Wenn wir den Lauf des Planetensystems dar­ stellen wollten oder die Kristallisation eines Stoffes oder eine eben zustaodekommende chemische Verbindung, so müßten wir es ebenso machen; wir könnten derlei als Arbeitsprodukt einer dafür eingerichteten Maschine zeigen; aber die Inbetriebsetzung und

zuvor schon die Einrichtung und den Bau der Maschine müßten wir wieder dem Kopf des Erfinders und den Händen der Arbeiter juschreiben. Es zeigt alles dies, daß wir entweder unsere wissenschaftliche intellektuellen Erkenntnisse nur abstratt, daher formal und lebens­ leer aussprechen, vermitteln und darstellen können; oder daß wir, um fie anschaulich zu machen, zu lebendigen Mtspielern greifen müssen. Selbst wenn ein Gelehrter, etwa ein Phyfiker oder Minera­ loge, sich die Bewegungen der Atomkomplexe bei Bildung eines Kristalls oder nur einer amorphen Stoffverbindung vorstellea will, so kann er es unbewußt oder bewußt nur so, daß er sich zwar abstrakt ausdrückt, sich aber gefühlsmäßig, als wenn er dazu gehörte und darin wäre, hineinversetzt. Das erstere gibt kein an­ schauliches BUd, ist nur formal und vnlebendig-intellettuell; das letztere aber ist primitivste Schau ins Magische, das als ein Ge­ fühlsmäßig-Lebendiges erscheint und ohne das keine wahre „An­ schauung" besteht. Man versteht, weshalb wir sagten, in allen physikalischen Vorgängen, so gut wie in den organischen stecke das „Lebendige" im übergeordneten Sinn, und weshalb anorganisch und organisch zwei Erscheinungsformen derselben Sache sein müssen. Dean das, was treibt und schafft und sich dem betrachten­ den Geist darin objeftiviert, ist weder organisch noch anorganisch, sondern ist in beide« dasselbe Magisch-Lebendige. Und dieses „Innert ist mit unserem „Inneren" wesensgleich; von außen gesehen aber zerfällt es uns in Subjett und Objett, in Betrachten­ des und Betrachtetes, wie wir selbst. Das große Problem der Zweckmäßigkeit also in der Biologie ist ein durch und durch magisches Problem, weil ein intellettuell handelndes Wesen nicht in den Organismen oder im Stoff sitzt und handelt, sondern weil das Gestalten ohne technische Mittel, nämlich durch Objektivierung vor sich geht. Alle körperlich­ räumliche Ratvrerscheinung, vor allem jede organische, ohne Werk­ zeug hergestellt, ist an sich Objektivierung und magisch. Wenn der Mensch gestaltet, auch künstlerisch gestaltet, so geschieht es, wie wir schon zum Unterschied vom magischen Ge­ stalten sagten, stets von außen her; er braucht Material und Werk-

zeug und prägt oder ordnet das Material so an, daß es erscheint, als ob es das wäre, was er -arstelle» will. Ein Marmorblock, der technisch so behandelt wird, daß er als Apoll von Belvedere erscheint, ist »ach wie vor Marmorblock und erweckt nur durch die Linien- und Flächenführung symbolisch das, was in des Menschen Seele und innerem Schauen, als er es schuf, wahrhaft apollisch war und sich in dieser Marmorumreißung niederschlug. Ganz anders die Gestaltung der organischen Naturform. Auch hier wird „Material" gebraucht. Aber die Form, der Körper gestaltet sich von innen heraus kraft eines seelenhasten Naturwillens, dessen Werkzeug nicht der Stoff und dessen Gestalten keine Technik ist, sondern dessen Objektivierung und Manifestation selbst un­ mittelbar Körperhaftes ist, das somit stets Ausdruck des ihm immanenten Wesens, also lebendiges Symbol bleibt. Dieses Präge» aus dem Innern heraus ist magisch; das andere ist technisch. Und jenes ist mit dem zeitraumhaft vor­ stellenden Denkverstand nicht faßbar. Auch in der nichtmenschlichen Natur, beim Tier, werden ja in gewissem Sinn auch Werkzeuge angewendet. Wenn der Vogel sein Nest baut oder die Spinne ihr Netz; wenn die Raupe sich verpuppt oder das Hühnchen das Ci aufsprengt, dann gebrauchen sie Telle ihres Körpers und Sekrete ihres Körpers als Werkzeug und Material. Sie verfahren dabei, wenn man so will, technisch. Und soweit sie das tun, ist es unserem Verstand auch intellektuell faßbar und stellt sich ihm soweit auch als ein äußerer, ein mecha­ nisch beschreibbarer Ablauf dar. Daß es dies allein nicht ist, lehrt ja die Mitbeteiligung des lebenden Wesens. Und warum dieses solcherlei tut, jener bewußte und unbewußte Lebens- und Schaffensdrang, aus dem es geschieht und den wir Instinkt nennen, der selbst ein Exponent des tieferen umfassenden orga­ nischen Bildungstriebes ist, wovon auch der Körper gestaltet wird — dieses eigentlich zweckvoll Wollende und Vollziehende ist dem Jntellettualdenken unauflösbar, ist irrational, ist magisch. Aber gerade in ihm liegt das Wesen des ganzen Vorganges, und das eben ist es, was wir bei aller Naturforschung einmal sehen und wissen möchten. Und sehen -och, daß wir"s nicht wissen können.

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Nicht: noch nicht wissen können, sondern mit dem diskursiv ver­ fahrenden Intellekt überhaupt nicht. Diese prinjipielle Unmög­ lichkeit klar zu erkennen, ist das sokratische „Ich weiß, daß ich nichts weiß". Es ist, wie schon gesagt, nicht das quantitativ und einst­ weilen zu Wenige, woran jeder Forscher bei jeder Arbeit hinkt und immer hinken wird; sondern es ist das prinzipielle Unver­ mögen der intellektualen Denkstruktur unseres Bewußtseins, dem Transzendenten im Gestaltungswesen und Gestaltungswillen und Gestaltungsverfahren der schaffenden Natur beizvkommen, weil dieses sich nicht deckt mit den Kategorien von Raum und Zeit, von Bor und Nach, von Oben und Unten, von Diel und Wenig, von Ursache und Wirkung, von Stoß und Gegenstoß, von Mecha­ nismus und Maschine — Kategorien, in denen allein das den­ kende Wachbewußtsein sich bewegt und womit das Naturmagische einfach nicht begriffen werden kann. Auch der Einzelmensch, der doch ganz bei sich ist, begreift ja nicht, was in ihm vorgeht. Er ist sich selbst ja durch und durch magisch, als Körper wie als Seele und Geist, und dies desto mehr, je klarer, echter und tiefer er ist. Die alles wissen, über alles ein Urteil haben, das sind die größten Flachköpfe, well sie trotz vielen Gedächtniswissens ohne „Erinnerung" sind. Oft machen sie auch intellektuellen Lärm in sich, um dem heiligen Schweigen zu ent­ gehen, das in jeder Seele lebt und das uns, wenn wir bescheiden lauschen, das Magische offenbart. So geht dauernd physisch und seelisch Magisches in uns vor, denn durch das Bewußtsein geschieht eS ja nicht, daß wir leben. Schon daß unser Körper, mit dem wir so oft und gewohnheitsmäßig unser Ich identifi­ zieren, wird und wächst und altert und vergeht ohne unser Zutun, geschieht magisch als Ausdruck eines Daseinswtllens, der dem Mensche» in seinem ganzen wesenhaften Zusammenhang okkult und unbewußt ist und ihm nur in dem kleinen Ausschnitt seines persönlichen Selbsterhaltungs- und Selbstbejahungstriebes be­ wußt wird, der aber ohne seine Bewußtheit und überhaupt schon vor Beginn seines Bewußtseins ihn gestaltet hat und dann erst als spätes Geschenk ihm dieses gab. Wo aber der Mensch auf der Höhe seiner geistigen Entfaltung oder schon in der Genialität des

Kindes, die auch der echte Künstler und Seher «och hat. Zusammen, hänge erlebt und schaut, deren Abglanz danach ins Bewußtsein fSCt und dort intellektuell verarbeitet werden soll, ist ihm dieses

Erleben ganz unverständlich und nachträglich mit dem wachen Denkverstand auch nicht mehr erreichbar: hier war er in der Welt des Magischen, die nur visionär im Unbewußten betretbar ist, von der der Intellekt ausgeschlossen bleibt, der immer von außen sein Gegenüber erkennen will, nach seinen Kategorien, in denen allein er sich zur Geltung bringen will und kann; womit er den Geist, der allein durch ihn die Natur steht, immerfort von der

inneren Lebendigkeit der Natur ausgeschlossen hält. Es ist klar, daß man solche Dinge nicht einfach beschreiben und nach Merkmalen definieren kann. Denn es handelt sich gerade nicht um Abstraktes, sondern um einen Einblick in die Struktur des eigenen Wesens.

13. Das Opfer. Es erscheint uns wie magisch, daß wir mit Hllfe der Röntgen, strahlen durch einen verschlossenen Holzkasten hindurchsehen können. Dasselbe kann nun der psychoskoptsch veranlagte Mensch auch, der durch einen verschlossenen, dichten Umschlag einen Brief ent­ ziffert, ein Bild beschreibt- Dieses ist wahres magisches Können; jenes aber nur ein intellektual gewonnenes physikaltsch-ckechnisches Beginnen. Cs hängt die Erzeugung von Röntgenstrahlen nicht von der seelischen, sondern nur von der intellektuellen Veranlagung ihres Entdeckers ab und derer, die es ihm nachtun. Der Intellekt «ar die Grundbedingung zum Finden und praktischen Darstellen der Röntgenstrahlen als physikalischer Erscheinung; und darum ist ihre Wirkung und ihre Natur für «ns eine nur physikalisch, technische. So ist auch eine Übertragung durch drahtlose Sendung, die unsere Stimme gleichzeitig hier und in Amerika hören läßt, kein Zaubern im natmhast magischen Sinn; denn es geht mit einem technischen Werkzeug vor sich, mit hohem Intellekt kon­ struiert. Für die Betätigung psychoskopischer „Strahlungen"

aber ist der Intellekt des Ausübenden zunächst Nebensache, seine 7«

hellseherische Seelenveranlagung, also sein physio-psychisches Ge­ fühlsleben — „Gefühl" hier wörtlich jv nehmen — die Hauptfache. Gelänge es, durch psychoskopisches Etnfühlen in die Natur Röntgenstrahlen ohne physikalisch-intellektuell angestellte Apparatur hervorzuholen und sie etwa aus den Fingerspitzen des psychoskopisch sich verhaltenden Individuums hervorsirömen zu lassen, so wäre das Naturmagie, es wäre lebendiges, nicht mehr nur physi­ kalisches „Zaubern". Man sieht, wie verschieden das „Medium" in beiden Fällen ist. Und darum ist Physik tot und Magie leben­ dig. Physik findet eine tote Welt, auch wenn fie sich Biologie nennt; Magie findet eine lebendige Welt, auch wenn sie sich Physik nennt. Und darum beansprucht magisches Sehen die Seele, physi­ kalisches Sehen nur den Intellekt. Zauberei nun ist die Physik der Magie. Zauberei ist eine systematische Wissenschaft wie Chemie, oder eine professionSmäßige Kunst, und ist entweder gewonnen durch Übung und Über­ legung, verbunden mit großer seelischer Anstrengung und Konzen­ tration, oder als Ausübung einer instinktmäßigen Fähigkeit, welch letztere immer die Vorbedingung ist, um durch Übung und Konzentration zu einem hohen Grad von Zauberwirkvng zu ge­ langen. Jedes Zaubern im echten Sin« beruht auf einem Verhalten, womit man die schaffende Natur irgendwo soviel in die Hand bekommt, daß sie nach dem Willen des Zaubernden anders ge­ staltet, als es an diesem Punkt im natürlichen Ablauf von selbst geschähe. Jede psychische Aktion und Reaktion, die innerhalb der Bewußtseinssphäre des Individuums verläuft, hat nur eine ganz schwache Möglichkeit zu solchem Eingreifen; meistens noch so schwach, daß sie nicht zum größeren magischen Handeln der Natur gegenüber genügt. Es lassen sich damit bloß bei besonders emp­ fänglichen Personen suggestive Wirkungen erzielen, und die auto­ suggestiven Wirkungen, die daraus möglich sind, hat ja Danzel scharf heravsgehoben, wie wir oben geschildert haben. Aber wir fühlen, daß dies alles doch ganz unterhalb der Schwelle bleibt, oberhalb deren wir erst von typischen Zauberwirkvngen würden

reden können. Zwar geschehen Heilwirkungen auf dem Umweg über die „Nerven" autosuggestiv in Lourdes oder in Padua, was fich zweifellos als magische Wirkung im einfachsten Sinn bezeichnen läßt; aber richtiges Zaubern, so wie es die Magier können und wie es uns vor allem die Märchen zeigen, wird damit noch nicht erzielt. Warum nicht? Eben weil dies alles vom bewußtbleibenden Individuell-Psychischen ausgeht, weil Überlegungen im Denk­ verstand dabei wach bleiben; mit einem Wort: well das über das Individuelle weit hinausgehende, es sprengende, es der Gattungs­ seele und damit der Jnaennatur Opfernde fehlt. Denn bei allen Berichten über wahrhaft zauberisches Handeln steht die Hingabe des Handelnden an die Sache, an die Zauberabsicht, auf Leben und Tod im Mittelpunkt des Geschehens. Mit deinem Blut, deinem Lebenssaft, deinem Wesen mußt du dich den Naturkräften verschreiben; deine Seele mußt du opfern, aber nicht sie behalten wollen, wenn du die wahre Zauberwirkung erzielen willst. Das ist so in der weißen wie in der schwarzen Magie. Und darum sind alle individuell und bewußt psychischen Vorgänge, bei denen der Einzelmensch wach bleibt, keine zureichende Erklärung für die wahren magischen Vorgänge und aktiven Zauberhandlungea. Es ist ja schon im gewöhnlichen Leben so. Welcher Mensch erzielt wahrhaft lebendige Wirkungen, gestaltet Leben zu neuem Leben? Doch nicht der, der etwas „macht", sondern der, der sein ganzes Herzblut, seine Seele, sein Leben der Idee seines Werkes opfert, der sich bedingungslos und wahrhaftig hingibt. Alles andere ist Talmierfolg. Die Idee des Seelentodes, des Auf­ opferns steht als lebendige Potenz inmitten aller Magie, und wo nicht das bewußte persönliche Leben hingegeben wird, ist wahre Magie nicht möglich, sei es lichte oder düstere. Wir brauchen nur einmal alles, was im hohen oder verderb­ lichen, im weißen oder schwarzen Sinn Magie ist, daraufhin durchzugehen, um sofort auf dieses Opfern der Person und der Persön­ lichkeit zu stoßen. Schon in der niedersten und herabgekommeasten Art der Zavberwirkung, beim Beschwören der niederen Natur­ dämonen, wie wir sie gelegentlich stärker noch bei Unkultivierten

treffen, ist eine Ekstase die Hauptjeremonie, wobei der Vollziehende tells mit, tells ohne Unterstützung sich selbst und damit jedes äußere Bewußtsein verliert. Das Blut, das oft dabei fließt, und nicht nur das Blut der Tiere, sondern auch Menschenopfer, die noch auf sehr hohen Kulturstufen lebendig waren, ist dabei nicht nur etwa allegorisches Symbol und Handlung, sondern ist das Mittel und der Effekt selbst, die Naturkräfte zu beschwören, zu bannen und zu Leistungen zu zwingen. Besser, als ich es hier vermöchte, gibt Schertet in seinem Werk über „Magie" die Bedeutung des Opfers für die Beschwörung an und zeigt, wie es durch alle Kulte hindurch bis in den heutigen Gottesdienst noch hineingeht. „Das Opfer ist die geheimnisvollste Tatsache im ganzen Dämonenkult. Sein Sinn besteht nicht ledig­ lich darin, dem Dämon irgendwelche Dinge zu .schenken', um ihn so günstig zu stimmen, sondern seine eigentliche Bedeutung liegt in dem mystischen Einswerden mit dem Dämon selbst. Durch das Opfer gewinnt der Dämon immer neue Blutfülle und Realität, während der amtierende Magier und seine Gemeinde sich immer neu mit dämonischen Kräften sättigen. Schon aus diesem Grunde ist klar, daß Magie ohne ausgesprochenen Dämonevkult eigentlich nicht möglich ist, denn nur durch den Kult und speziell durch das Opfer wächst die dämonische Kraft und steigern sich die magischen Fähigkeiten . . . Das Opfer bezweckt die Vereinigung und Ver­ schmelzung mit dem Dämon und hat ursprünglich äußerst blutige und orgiastische Formen. Da der Dämon dabei zunächst immer in einem Menschen inkarniert gedacht wird, ist das älteste Opfer das Menschenopfer, und da dieses stets in einem .Essen' des Geopferten besteht, erkennen wir deutlich die magisch-sakrale Wurzel dessen, was wir .Kannibalismus' nennen. Der Intellektuelle von heute hat für diese Dinge nur noch ein verächtliches Lächeln, da er von der Höhe seiner .leibfreien Erkenntnis' die tieferen Zusammenhänge der Wirklichkeit nicht mehr durchschaut. Für die alten Völker war das Verzehren eines .Leibes' — gleichviel ob von Tier oder Mensch —etwa- Grauenvoll-Heiliges und von dunkelster magischer Bedeu­ tung. Selbst in den abgeblaßten Religionen unserer Zeit können wir noch deutlich de» blutigen Ursprung einzelner Rtten nachweisen." Decqet, Natur und Seele.

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Was aber hier nicht kräftig genug heravstritt, ja vielleicht gar nicht beachtet ist, ist das Selbstopfer in jeder Form, von der harmlosesten bis zur fürchterlichste», das aller Zauberei, die man selbst ausübt, jugrundeliegt und dabei unumgehbar ist, weil an­ ders nur technische Wirkungen erzielt werden. Alchemie treiben, Zaubertränklein und Talismane verfertigen, das alles kann eine »aturkundige Rezeptiererei sein, bei der nicht mehr herauskommt als bei Chemie und Medizin heutiger Zeit. Mögen die physischen Wirkungen und prattischea Erfolge noch so groß sein, es bleibt „Technik. Und so ist es an sich seelisch nichtssagend und gleichgültig. Es wird aber zur Zauberet durch Verfahren, bei denen die Seele nun sich zu opfern beginnt. Scho» in einfachen Alltäglich­ keiten kann das platzgreifen. Alles, was nicht naiv natürlich ge­ schieht, sondern dämonische Wallung, sei es Zorn, Haß, sinnliche Begier zur Grundlage hat und nun sowohl Seele wie Intellekt anspannt, um zu einem von diesen Wallungen begehrten Ziel zu gelangen, ist bereits Opfer der Persönlichkeit und damit Beginn schwarzer Magie. Menschen, die solches planmäßig verfolgen, brauchen nichts weniger als etwa Schlemmer, Prasser und Genießer zu sein. Ganz das Gegenteil: sie werden sich ungeheurer Selbst­ überwindung befleißigen, sich abhärten, kasteien, Durst und Hunger leide» , um ihre Seele auf den einzigen Punkt ihres Begehrens zu richten, und sie werden ihn erreichen, wenn sie überhaupt die Anlage zu solchem haben. Alles gründet im Begehren und im Opfern der Seele. Also nicht harmlos wie unsere Art, Wissen­ schaft zu treiben, auch nicht bloß autosuggestiv durch ein Sichselbstversetzen in Wut und Kampfesstimmung, auch nicht ein Mittel bloß, um sich selbst stärker zu fühlen, sind die Zeremonien, die dem Zauber vorhergehen; sondern sie sind ganz im Gegentell Mittel, das eigene Ich zu verlieren, zu sprengen, damit es Brennpuntt dämonischer Gewalten werde, die von ihm Besitz ergreifen und dadurch nun sich physisch auswirken. Das mag vom Individuum als Rausch, als Ekstase erlebt und empfunden werden und braucht keineswegs in irgendeinem Sinn böse oder mit der Absicht, Anderen yi schaden, angelegt sein. Wir kommen hier an den Wesensunterschied zwischen weißer

und schwarzer Magie. Ist weiße Magie das, daß man „für Andere" nur zaubert, nicht für fich; und schwarze das, daß man es für fich selber, für die eigene enge Person tut? Beruht jener Unterschied auf solchem äußerlich unterschiedenen Altruismus und Egoismus? In Wirklichkeit ist das kein entscheidendes Maß. Dean auch das Zaubern für Andere ist Egoismus und beides ist „schwarze Magie", wenn es auf dem ichsüchtigen Begehren, sei es für fich oder Andere beruht. Weiße Magie liegt ganz wo anders, hat eine ganz andere Grundstimmung, eine ganz andere Ver­ fassung des Menschen zur Voraussetzung, wie ich noch zeigen will. Selbst wenn ich zauberisch Helle, nur um anderen Menschen damit zur körperlichen Gesundheit zu verhelfen, kann das ein höchst gott­ loses Handeln sein, es kann im tieferen Sinn durchaus „unerlaubt sein. Scherte! geht von einer viel zu physikalischen Voraussetzung aus, wenn er ,schwarzmagisch oder satanisch" und ,weißmagisch oder seraphisch" folgendermaßen umschreibt: „Infolge des energetischen Ursprungs der Gottesvorstellnng und des Dämonischen überhaupt nimmt dieses teil an den zwei Grnndeigenschastev oder Daseinsmöglichkeiten alles Energetischen, nämlich an Bewegung und Ruhe oder Aktualität und Potentialität, oder im Auerbachschen Sinne an Ektropismus und Entropismns. Diese Doppelseitigkeit des Energetischen drückt sich aus in der dä­ monischen Wirklichkeit in Gestalt der Polarität des .Satanischen' und .Seraphischen'. Das Satanische bedeutet Kinetik, Aktualität, Ektropismus oder .freie energetische Dalenz'; das Seraphische dagegen ist Latenz, Potentialität, Entropismns oder .gebundene energetische Dalenz'. Da alle Aktualität der Potentialität entgegeatreibt, so strebt auch alles Satanische irgendwie zum Se­ raphischen. Sobald aber der Zustand der Latenz, der Entropie erreicht ist, muß irgendwo wieder ein neues Zentrum kinetischer Energie aufbrechen, das durch seine ektropische Wirkung die end­ gültige Entropisierung des Gesamtkosmos wiederum für eine Welle hinansschiebt. .Satan' ist das eigentlich schöpferische, wertsetzende und wertsteigernde Prinzip, das znnächst immer .böse' erscheint. .Seraph' dagegen ist der ruhende, erhaltende, gegebene Werte auswirkende Pol, den wir .gut' nennen. Satan ist der be-

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fruchtende, vernichteud-aufbauende Kampf, Seraph ist der Besitz und der Friede. Satan und Seraph sind also keine Gegensätze, die man auseinanderreißen könnte, sondern sie sind »Polbegriffe', die nur ineinander und miteinander denkbar sind. Das Dämonische ist also wie alles Energetische in seiner Wurzel »satanisch', treibt aber im Laufe seiner Auswirkung zum Aufbau einer »seraphischen', in sich geschloffenen oder ruhenden Welt. Die Trennung einer »weißen' von einer »schwarzen' Magie ist demnach ein Unsinn, eine reine Konvention. Denn »weiß' heißt hier immer nur so viel wie »erlaubt' und »schwärz' soviel wie »verboten'. Das ist aber vollkommen relativ und hängt lediglich von der gerade herrschenden und deshalb als »berechtigt' und »richtig' anerkannten Grund­ synthese ab. Noch wesenloser aber wird diese Unterscheidung, wenn man sie auf das sozial-moralische Gebiet hinübersptelt und die »schwarze' Magie als die egoistische, die »weiße' als die »soziale' oder »altruistische' definiert. Denn es ist nicht einznsehen, warum der Dortell einer beliebigen »Vielheit' moralisch höher bewertet werden müßte als der Vorteil Einzelner." Und Scherte! beruft sich auf Auerbach, der in diesem Sinn noch sagt: „Was die Ethik be­ trifft, so ist die Gegenüberstellung: Egoismus und Altruismus banal und nicht entscheidend für die Hauptsache. Emscheidend ist nur die Antithese: Ektropismus und Entropismus. Egoismus kann gut und Altruismus kann schlecht sein. Dienen macht groß, aber Herrschen macht noch größer. Was erlaubt sei, hängt nicht bloß von dem Was, sondern auch von dem Wer ab. Erlaubt ist schließlich, was dem Kosmos gefällt; ja mehr als erlaubt: er­ wünscht. Den ektropischen Wirkungsgrad und Nutzeffekt geuialer Lebensführung und Lebensarbeit würde die landläufige Massen­ ethik stärker herabdrücken, als es die kosmische Polizei genehmigen dürfte. Quod non licet bovi, tarnen licet Jovi." Das ist eine Verwirrung der Begriffe, ist eine Richtungs­ losigkeit in dem, was Inneres und Äußeres, in dem, was hellig und unhellig ist. Wenn man wissen will, welcher Geist bereit ist zur schwarzen Magie und was schwarze Magie ist gegenüber der weißen, so braucht man nur diesen Geist des sich selbst vergöt­ ternden Hochmuts, der die Herrlichkeit der Reiche der Welt av84

betet, ju vergleichen mit dem, der sprach: „Du sollst Gott allein anbeten und ihm allein dienen." Alles betritt den Weg der schwarten Magie, was fich selbst an Stelle von Gottes Vorsehung in den Mittelpuatt stellt. Es ist kein Unterschied, ob man Magie für sich oder die Anderen treibt, wenn man sie überhaupt in selbstischer Absicht und mit dem Hochmutsgeist treibt, der im Paradies raunte: „Ihr werdet sein wie Gott." Wessen Seele ihres helligen Ursprungs gedentt, die kennt nur ein Gebot: in innerster Demut verharren, das Gute und Böse gleichermaßen als Willen Gottes erkennen. Dann kommen als Geschenk und Gnade weißmagische Kräfte ganz anderer Art, als die mit Zaubermitteln erstrebten und die ganz anders verwendet werden als vom Naturmagier die seinigen. Im Leben des Christus zeigen sich diese beiden Seiten. Als er vor seinem Austreten vor dem Volk in der Wüste «ar und auf der Zinne des Tempels, als er vor dem innern Nichts stand und von dieser ungeheuere«, ihn vor Gott seines Selbst entkleidenden Jvnenschau aus nun den Weg zur Rechten oder zur Linken zu wählen die Freiheit hatte, spiegelten sich in ihm, der eine durch und durch magische Natur war, die beiden „Pole": Satanisch und Seraphisch; und er entschied sich dafür, als demütiger Mensch dem Ewigen zu dienen. Nicht ein Satan wollte er sein, aber auch nicht ein Seraph; beides wäre Hochmut und Gott, abwendigkeit gewesen. Auch wenn er Seraph mit seiner magischen Macht geworden wäre oder, sich selbst betonend, hätte werden «ollen, so wäre er damit schon ein gefallener Engel, ein Satan gewesen. Denn auch der Satan «ar ein Engel Gottes. Insofern sind dies nur zwei Pole desselben Wesens. Aber Christus ging den anderen Weg: er nahm in Demut sein Kreuz auf sich und lebte sein Leben als Einer, der gekommen ist, zu dienen. Dies allein ist weiße Magie; alles andere schwarje. Wenn man jene Magie nicht kennt und sie gar nicht versteht, ja ihr Wesen und Dasein offenbar nicht einmal ahnt, dann allerdings gibt es nur eine Art Magie, und bei der ist es ein „Unsinn", zwischen egoistischer und altruistischer unterscheiden zu wollen; denn sie ist auf jeden Fall egoistisch. Wir aber wissen jetzt, wo wir die weiße Magie zu suchen und was wir von jeder anderen zu halten

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habe». Und diese andere, nur schwarze Magie mag nun entropische Kraftsysteme in ettropische verwandeln, mag geniale Leistungen vollbringen, wie es dem „Kosmos", d. i. dem Geist dieser Welt gefällt, fie mag durch ein ganzes, vielleicht schon einmal dage­ wesenes und wieder verlorengegangeues System, das man vielleicht wiederzufinden im Begriff ist, wirklich naturhaft zaubern können: gottlos und schwarz ist jede Wissenschaft, die des Menschen Seele verkauft, um dafür die Güter dieser Welt, und seien es auch die herrlichsten kosmischen Erkenntnisse und die größten zauberischen Leistungen, selbst Gesundheit und Verjüngung des Menschenge­ schlechts, einzutauschen. Dasalles find Satansdienste an der Mensch­ heit, auch wenn sie dabei in «och so blühenden sonnigen Gärten leben würde.

14. Das Wort. Immer wieder stoße» wir, sobald wir Wesenhaftes, intuitiv Geschautes ausdrücken und vermitteln wollen, auf die Schranken, die uns die Berstandessprache zieht. Einzelne Worte, die wir ge­ brauchen, erhellen oft auf Augenblicke wie ein kurz aufflammendes Licht die gesehenen Dinge und dies immer nur, wenn wir die Worte in solch einem Augenblick selbst erst neu prägen oder alte Worte plötzlich in einer Bedeutung sich erschließen sehen, die sie bisher gar nicht für uns hatten. Der gewöhnliche Gebrauch der Worte beruht auf Reflexion und Abstraktion, den beiden charakteristischen Formen des Intellek­ tes, der in seiner einfachsten, auch untermenschlichen Form be­ zeichnet werden kann als die Verarbeitung der Sinneseindrücke zu einem bewußten Blld, woraus ein bestimmtes Verhalten des Individuums entspringt, das dem Sinneseindruck angemessen und als Antwort auf den von der Umwelt erhaltenen Sinnesreiz mehr oder minder auch gewollt wird. Es braucht das noch nicht tiefere Überlegung zu sein, rührt aber daran. Ich möchte Über­ legung daher definieren als jene besondere Art einer aus Sinveseindrücken hervorgehenden Reflexion, die nicht sofort und iudem sie noch entsteht, fich in eine Reaktion nach außen umsetzt; sondern wobei zwischen dem Bewußtwerden des Sinneseindruckes und

dem Handeln eine scheinbare Ruhepause liegt, währenddessen der Organismus, das Individuum, Ziel und Richtung seines als­ dann erst in einem neuen Willensatt nach außen tretenden Han­ delns gewinnt. Wir nennen einen Menschen besonnen und über­ legt, dessen Handeln nicht unmittelbar reattionsmäßig verläuft — es hätte das für unser Gefühl etwas Tierhaftes — sondern dessen Handeln durch einen Att scheinbarer Ruhe vorbereitet und eingeleitet wird, einer Ruhe, die in Wirklichkeit innere Tätig­ keit und Arbeit des Geistes, im wahrsten Sinn des Wortes „ver­ ständig" ist, was auf jenes „Stehen" des Reattionsvorganges sinngemäß hindeutet; und wir finden es besonders verständig, wenn man das, was man dentt, eindeutig in klaren Worten ju sagen weiß. Darum liegt es so nahe, eines Menschen Sinn nach seiner Rede ju bevrtellen. Das Tier, ich meine hier das dem Menschen nächststehende höhere Säugetier — Elefant, Hund und dgl. — jeigt entschieden Spuren analoger Tätigkeit des Reflexionsvermögeas. Wer hätte noch nicht bei einem Hund die scheinbare Gelassenheit bemerkt, die er beim Spiel mit Kindern gelegentlich an den Tag legt, um dann im rechten Augenblick jvjupatschen oder, nach scheinbarer Unachtsamkeit, rechtzeitig nach dem hingelegten Gegenstand zu schnappen und damit «egzvspringen? Derartiges sind unver­ kennbare Äußerungen der Überlegung, die durch eine gewisse Erfahrung und Übung einen hohen Grad erreichen mag. Was diese immerhin „verstandhafte" Art jedoch von der analogen menschlichen Geistestätigkeit noch unterscheidet, ist außer dem Grad und Um­ fang auch eine wesenhafte Seite: die Unmöglichkeit der Abstrattion und damit das Fehlen der logischen Sprache. Menschen- und Tier­ verstand zeigen hier eine Wesensverschiedenheit, die es begründet, daß der Mensch reine, abgezogene Begriffe büdet und damit durch die Begriffsverknüpfung zu einer Satzsprache, endlich durch die Abtönung und Schattierung der Begriffe zu einer seelisch vollende­ ten und symbolischen Ausdrucksweise gelangt. Das ist dem Tier versagt. Und wenn es doch durch Zucht und Übung zu einer üaaglichen Wortbildung gelangt, so wissen wir, daß dies keine Sprache auf der soeben «mriffenen Grundlage, sondern eine 87

Gefühlsreaktion ist, wie der auch bei ihm seelisch geregelte Schrei oder auch nur wie das eingelerute Pfotengeben beim Hund oder das Drehorgeln beim Zirkuselefant; mit einem Wort: eine Papageisprache ist — ein Ausdruck, den wir verächtlich auf den Menschen anweaden, wenn er Dinge nachredet, die er nicht mit­ gedacht, nicht aus dem Innern geschaffen und nicht „verstanden" und nacherlebt hat. Neben dem Intellekt in seinen verschiedenen Graden geht bet de» höheren Tieren und dem Menschen noch bei jeder Reflexion und Überlegung — und sei es auch die abstrakteste und die unbe­ dingt logische des reinen Erkenntniskritikers — ein „Gefühl" im buchstäblichsten Sinn einher, ein geistiges gefühlsmäßiges Tasten nach dem begrifflich Verwandten; ein Gefühl, das als sol­ ches ein wenn auch kleines und kurzfristiges Moment des durchaus Unbewußten, überpersövlichen enthält. Es gibt aber auch eine Metaphysik der Sprache, die deren tiefen Sinn ausmacht und ihre andere Bedeutung enthüllt. Wie es a«S eines Menschen Rede lediglich möglich ist, auf seinen In­ tellekt zu schließen, aber nicht auf seinen inneren Sinn und Wert, wenn man nicht selbst einen geöffneten inneren Sinn hat, mit dem man ihn bei seinem ersten Wort, nach seinem Mienenspiel, nach seinem Auge oder sonst was erkennt, so bleiben auch die metaphy­ sischen Lebenskräfte und Bedeutungen der Worte verschlossen dem, der nicht über jenen inneren Sinn verfügt, mittels dessen er aus den Worten ganz andere Dinge erfährt als jener, der die Sprache nur intellektuell handhabt, aber nichts Tieferes darin erlebt. Die Sinnworte der Sprache, welche Wesenheiten ausdrücken oder Vorgänge bezeichnen, die wir nicht mit dem Intellekt er­ schließen, sondern nm in innerer unbewußter Schau erlebe», aus der heraus sich unbewußt die Sprache schuf — alle diese Sinn­ worte enthalten ein echtes tiefes Wissen «ms Magische. Entwicklung, Erlösung, Jnnenscha«, im Griechischen etwa Logos, sind solche Worte, und sie allein genügen, um das an sich Wissenswerte im Dasein auszudrücken. Da sie intuitiv geschaffen wurden zu einer Zeit, da das Volk, der Stamm, die Rasse noch nicht intellektualisiert war, sondern die Sinnworte seiner Sprache ebenso

mitbekam wie seine Körper- und Seelenkonstitutioa, so ist das Wesenhaft-Ursprüngliche der Sprache eben in jenen Sinnworten beschlossen, deren wahre Wiedererkennung und inhaltliches Wieder­ erleben alle die magisch-seherische Weisheit erschließt, die ur­ sprünglich vom Rassengeist hineingelegt war, als er sie ebenso schuf wie den Körper und die Seele seiner Rassenindividuea. Woher das alles kam und wie es kam, ist ein großes undurch­ dringliches Geheimnis. Der andere Teil der Sprache dagegen ist intellektualistisch, reflektiert, ist Logik. Wenn auch die Formbildungen von Aus­ drucksgefühlen oder, noch besser gesagt, von einem instinktmäßigen rassenmäßigen Sprachgefühl wie ein natürlicher Organismus unbewußt gebildet find, so find fle doch stark intellektualistisch, denn fle find mit dem Intellekt zugleich geworden und gewachsen. Der Intellekt selbst ist ja nichts Ursprüaglich-Naturhastes, sondern mitgeschaffen aus jenem unbewußt-organischen Bllden, wovon wir nachher noch reden werden, das längst war, ehe es einen Intellekt gab, der erst mit dem Großhirn als einer erdgeschichtlich recht späten Erscheinungsform wurde und der mehr und mehr auch im Menschen das Instinktiv-Seherische verdrängte. Ist es in diesem Zusammenhang doch auch bezeichnend, daß innerhalb jedes Kulturablaufes die Sprache um so starrer, um so abgeschltffener, innerlich um so toter wird, je mehr der Intellekt die Ursprüng­ lichkeit des Weltempfindens und des inneren Erlebens ersetzt, d. h. je mehr die Rassenursprüngltchkeit und die innerlich geborene Kultur von Zivilisation abgelöst wird. Es dient also der logische Satzba« einer Sprache und ihre Fähigkeit, Begriffe zu definieren, dem Leben in der äußeren Welt und kann die Schau aus der inneren Welt nicht oder nur durch Allegorien und Gleichnisse dem Wachbewußtsein darbieten. Darum wird in keiner Religion das Jenseits und das Himmelreich anders als durch Gleichnisse in Wort oder Blld mitgetellt. Dagegen erzielt ein einziges Wort, aus der Tiefe des inneren Erlebens und Schauens geboren und unter diesem seelisch-geistigen Eindruck halb unbewußt geprägt, oft unmittelbar den Eindruck und die Wahrheitsgewißheit dessen, was innen ist oder fich zuträgt. Das 89

Wort „Mütter" im Faust ist eine solche späte Augenblicksschöpfung eines schauenden Genies, und Goethe selbst sagt darüber, nachdem es dagestanden sei, habe er es mit einem eigenen unbekannten Schauer gelesen. Das Sinnwort, derart entstanden, ist ebenso tief und un­ ergründbar wie die Seele und die unerschlossene Innenwelt der Menschen, denen innerlich und von der Geburtsstunde der Rasse her diese Wortsprache jvgehört. Wie sie die uralten Sinnworte

verstehen, was sie von neuem daraus «iedergewinnen—das wird immer ein Maßstab für das Versiegen oder das Sprudeln des innersten Lebensquells eines Volkes sein. Das Sinnwort ist ewig frisch und bedeutungsvoll, ist der eigentlich magische Kern der Sprache, enthält Lebenskraft. Es ist genau das, was das

„Innert eines Organismus, eines Lebewesens ist, sowohl seinem Inhalt, wie seinem Entstehen, seiner metaphysische» Bedeutung nach. Es weist immer in das traasjendente Reich der Mütter, aus dem es kam, als die Völker kamen, jv deren Gut es gehört. Es ist heiliges Gut. Hier ist magisches Werden wie in dem un­ bewußten Gestalten der Natur; hier ist das Reich der lebendigen Ideen, verhüllt, und dem, der „Einsicht hat, dennoch offen. Diese Sinnworte, gebraucht, erschließen dem, der ihre Wesen­ heit erlebt und sich beim Hören der Worte daran er-innert, die Schau auf jene innere Lebendigkeit, für die sie Symbol sind, wie ein Organismus Symbol seiner „Att", seiner Entelechie ist. Mit solchen Worten muß man oder sollte man reden, um das innere Leben, das Magische der Natur in uns und um uns zu erschließen. Das war die Sprache der Runen, das auch die Sprache der echten Märchen, wie Bülow es in der „Geheimsprache der deut­ schen Märchen" uns dartut. Aber wie schwer es ist, wahrhaft mit ihnen zu reden, ohne sie intellektuell einzuengen, weiß der, dessen Seele schon nach solchen Worten und mit wie Jakob mit dem Engel, oder der das, heimnis des Lebens, nicht in diese Worte mälden oder Musik hat zum Ausdruck

solchen Worten gerungen, was er geschaut vom Ge­ gießen konnte und in Ge­ bringen wollen. Darum

sind solche Werke des Wortes oder der Musik oder der büdeuden Kunst, wenn sie echt sind, wie Märchen, und sind wie diese nie und

nimmer für den gemeinen Verstand geschrieben; ja, es denter ans ihr helliges Wesen, wenn er sie mißversteht. Wie dankbar dürfen wir jenen Männern sein, einen wie herrlichen, aber auch verantwortungsschweren Beruf haben die, welche unsere Sprache immer neu vertiefen, immer neu schaffen dürfen. Wie ahnen wir, daß sie das Leben unseres Volkes wahrhaft von innen her nähren, erhalten und erneuern, wenn sie der Worte Sinn erschließen—bis auch unseres Volkes Seele eingeht zu den Tiefen, woher sie kam. In dieser unergründlichen magischen Schöpfung der Sprache und der unser Inneres bedeutenden Worte — und alle Worte, die ein Inneres meinen, sind bedeutend — liegt auch die magi­ sche Wirkung des Wortes. Und so liegt im Wort auch alles das, was im magischen Tun als Wortbann und Wortzauber be­ kannt ist. Dem gewöhnlichen, die Sprache nm logisch handhaben­ den und sie auch nur logisch kennenden Intellekt bleibt es ganz und gar unverständlich, wieso Worte, lebendig aus der tiefsten Seele heraus erlebt und gesprochen, auch lebendige magische Wir­ kung haben können. Sie sind eine ungeheure herrliche oder un­ heimliche Gewalt, schöpferisch oder zerstörend, licht vnd rein oder dämonisch, und da sie ein Ausdrucksmittel für solche seelenhasten Gewalten sind, so sind sie ein ebenso gewaltiges Eindrucksmtttel von Seele zu Seele. Was ein Wort vermag, wenn etwas in ihm lebt, das haben Jahrhunderte gezeigt, und für sich weiß es jede Menschenseele. So wirkt es auch von Seele zur Natur, well Natur Seele hat. Es wirkt, «eil es geflossen ist aus einer inneren Erlebntsschau, die stets auch ein inneres, magisches Vereinigtsein des Schanenden mit dem Geschauten ist. Dieses magische Band verläßt das Wort auch nicht, wenn es ausgesprochen ist, und darauf beruht seine ungeheuere „Wirklichkeit. Es ist gewiß wahr: „Im Anfang west das Wort!"

15. Körper und Kosmos. Wollten wir uns auf phllosophische Erörterungen einlassen über das Wesen dessen, was uns als Körper, als Objekt erscheint, so müßten wir in allen den Werken und Gedankengängen Bescheid

wissen, die in der Geschichte der Philosophie zn diesem unerschöpflichen Gegenstand zv finden find. Dajv fehlt nns Eignvng und Wissen. So, wie wir hier die Frage betrachten, was der Körper ist und als Ausdruck für was und von was uns das erscheint, was wir in der Natur Körper nennen, brauchen wir nur ein genügend klares, folgerichtiges überlegen, um zu erkennen, daß „Körper" auch für philosophisch ungeschulte Naturforscher ein Etwas ist, dessen gedankliche Analyse uns geradezu in das Magische hineinführt. Wir halten, naiv realistisch die Natur von außen betrachtend, etwa den Stein, der da am Wege oder in Unzahl im Kiesbett eines Flusses liegt, für einen sehr fest «mrissenen Gegenstand, dessen massive Körperhastigkeit uns ohne viel Besinnen zum Bewußtsein kommt, wenn er uns etwa, während wir über seine Realität oder Nichtrealität spintisieren, an den Kopf fliegen sollte. Und dennoch fehlt ihm, während wir ihn ganz gegenständlich sehen, fühlen und in der Hand halten, wirklich jene Beständigkeit und Ganzheit, die wir ihm naiv realistisch zuschreiben, sobald wir ihn wtssenschaftsmäßig in seiner Existenz zu erfassen suchen. Denn er ist so, wie er vor «ns liegt, gar keine abgeschlossene und für sich zu nehmende Realität mehr, sondern sowohl in extensiver wie intensiver Richtung ein Durchgangspunkt, ei» Durchgangszustand aller möglichen anderen Existenzformen, und er ist in seiner wahren Realität gar nicht mehr zu erkennen, noch zu begreifen. Gehe« wir also zunächst seiner Herkunft nach. Er ist gar kein Gegenstand im Sinn irgendwelcher Abgeschlossenheit und Abgegrenztheit, sondern ist der zufällige Ausschnitt, das zufällige Rest­ produkt eines viel größeren Steins, der aus der Felswand herun­ terfiel und zersprang und vom Gebirgsbach talabwärts verfrachtet und dabei schon größtenteils zu Sand zerrieben wurde. Als aber seine Masse in ihrem größeren Umfang noch im Berge steckte, «ar sie homogen mit einer Maffenbtldung, die einmal in urweltlicher Zeit aus Sand- und Schlammanhäufungen in irgendeinem Meere niedergeschlagen wurde oder, wenn er vulkanischer Natur ist, als Glutflvßmasse damals aus dem Erdinnern hervorquoll. Als Teil einer solchen kam er unmittelbar von jener planetarischen

Urfeuermasse her, die irgendwann einmal sich als Planet Erde auf einmal oder durch Zusammenströmen von Massen und Gasen und Nebeln aus dem Raum des Universums zusammeuballte und ist damit in seiner realen Beziehung rasch in alle Zeit- und Raumfernen verfolgt, die unser Verstand mehr abstrakt als wirk­ lich zu erfassen vermag. Ist er aber Tell einer Zusammenballung vorweltlicher Meeresniederschläge, so wissen wir als Erdgeschichts­ forscher — auch ohne daß wir ihn noch einmal eigens unter daS Mikroskop legen, wie so viele seinesgleichen — daß er auS Sand­ körnern besteht, die damals ein Fluß in jenes Meer führte, wo sie zusammengebacken wurden durch einen gelatinösen Nieder­ schlag, von Bakterien aus den Salzen des Meeres abgeschieden, während zugleich sich zerriebene Schalentrümmer von Muscheln mit untermischten, die in dem damaligen Meere lebten. Die Muschelschalen aber waren entstanden als Ausscheidungen von Tiere», «ährend die gelatinierten Salze von anderen Räumen beigeströmt waren und die Sandkörner Zerreibsel waren eines Felsens, der als Hochgebirgsgipfel einmal schon Millionen von Jahren zuvor in die Lüfte ragte und dessen Entstehungsgeschichte zu beschreiben uns hier ins Endlose führen würde. Was ist also der Stein, der vor uns liegt? Könnten wir das, was sich in ihm ausdrückt — also sein Wesen — hellsichtig mit dem Auge eines Weltenbaumeisters in einer nicht abreißenben Kette überschauen, so würden wir gewahr, daß er nicht nur in diesem Augeublick mit einer endlosen Vergangenheit, sondern mit einer ebenso endlosen Zukunft seiner Gestaltung und Umgestaltung ver­ knüpft ist, die noch in keinem Augenblick seit Erschaffung der Welt ruhte noch je ruhen wird, solange nicht an Stelle des Universums das Nichts getreten sein wird. „Endlose Vergangenheit und end­ lose Zukunft seiner Gestaltung und Umgestaltung heißt aber doch, ganz gegenständlich in bezug auf den wirklich daliegevden Stein gesehen, gar nichts anderes als: «erdend verknüpft und in Berührung seiend durch seine Vergangenheit und Zukunft und in seiner ganzen gegenständlichen Gegenwart mit dem ge­ samten Kosmos. Wo ist also die Grenze dieses Steins, wenn wir ihn nicht gedankenlos, wenn wir ihn nicht naiv realistisch wie ein

unerfahrenes Kind, sondern denkend in seinem Wesen erfassen, wie ein Naturforscher es soll und möchte. Wir brauchen ja nur zu überlegen, daß auch Ströme der Schwerkraft, des Erdmagnetismus, des Temperaturgefälles und —wie man es sich denkt, aber nicht sieht—der Atombewegungen in ihm und durch ihn kreisen und ihn auch damit an den Kosmos ketten, aber auch von Sekunde ju Sekunde seine innere und äußere Gestalt in etwas ändern. Könnten wir ihn abermals mit dem Auge eines Weltenbaumeisiers hellsichtig durchschauen, so müßte er uns als ein endlos innerlich und äußerlich sich Ver­ änderndes, aber nie und nimmer Formbeständiges erscheinen. So ist er nie fertig, nie bestehend, nie losgelöst für sich, und spiegelt dem alles durchdringenden Auge zuletzt das Geschehen im ganzen Kosmos aus aller Vergangenheit in alle Zukunft hinein wieder. Wer das durchblicken, wer den Stein recht aasehen und in seiner Ganzheit sehen könnte, wüßte alles physische Geschehen im Kosmos durch alle Zeiten und könnte alle physische Vergangenheit und Zukunft beschreiben. Er hätte den Stein der Weisen, «eil er selber der Weise ist. Dies ist das Prinzip der Hellsichtigkeit und der Fähigkeit, aus jedem Gegenstand dessen Geschichte, die Geschichte seiner Um­ welt, und — wenn das Hellgesicht je nach der Fähigkeit weit­ reichend und tief genug wäre — zuletzt auch die Entstehung eines Sonnen- und Planetensystems abzulesen und daraus mitzvtellea; wie es alte Kosmogonien und Sagen tun. Konnten die, von denen sie herrühre», solche Blicke in die Steine und Sterne tun? Aber noch haben wir damit nur das Physische des Steins und des Kosmischen berührt. Es gibt noch eine andere Seite, der wir nicht abgewendet bleibe» möchten. Denn auch wir sind ja nicht nur Physis im räumlich-zeitlichen, im gegenständlichen Sinn, und könnten versuchen, ob uns nicht auch die Natur auf etwas antwortet, das wir in uns fühlen, wenn wir nur recht zu fragen wüßten. Denn unser Stein als angenommener Einzelgegenstand bleibt ja eine Abstraktion vnd wir wollen doch das wirkliche Dasein in seiner ganzen unendlichen Gegenwärtigkeit erfassen;

das ist unseres Wissensdranges Ziel. Unser naiv-realistisches Naturbetrachten mit dem Wachverstand verfährt dabei, der Wirklichkeit ganz ungemäß so, daß es stch die augenblicklichen Zustände in teilweiser Blindheit vorstellt, als ob sie länger dauernd wären. Auf solcher Als ob-Betracht«ng beruht alle und jede empirisch genannte, „exakte" Wissenschaft, beschäftigt stch also schon im Augenblick ihres Beginns mit fiktivem, nicht mit einem naturhaft wirklichen Zustand. Man muß fich das nur ein­ mal in seiner ganzen Schwere klargemacht haben, um von da an zu wissen, daß jede nicht hellseherische, jede nichtmagische For­ schung nie zum wirüichen Wesen, zum wirMchen Zustand eines Dinges vorschreiten kann, sondern fich von Anfang an mit einem Als ob begnügen muß, wenn auch gewiß darin Folgerichtigkeit liegen kann. Wir stellen «ns also augenblickliche Zustände als länger dau­ ernd vor. Dann, wenn wir im Vergleich zu dieser Vorstellung flnnenhaft am Gegenstand eine Änderung bemerkt haben, stellen wir diese wieder fest, und aus solchen „Feststellungen" besteht unsere Wissenschaft. Je mehr, je stärker festgelegt, d. h. je mathe­ matischer nach logischen Denkformen es gefaßt ist, für um so exakter gllt dieses Wissen. Und damit ist es von jedem lebendigen Wissen um die Wirklichkeit abgrundtief geschieden. Darum sagt Bergson in der „Schöpferischen Entwicklung": „Soll aber unser Bewußtsein mit seinem Urgrund irgend zusammenfallen, dann muß es fich losmachen vom Fertigbestehenden und fich an das Entstehende heften. Sich von innen nach außen «endend, stch auf fich selber hinwendend, müßte das Vermögen des Schauens eins «erden mit dem Akt des Wollens." Dies aber ist magisches Sehen. Das magische Sehen, die magische Wissenschaft — ich meine hier reine Erkenntnis des inneren lebendigen Zusammen­ hangs, nicht etwa eine Wissenschaft zur Anwendung oder Erwerbuug magischer Künste — diese reine, innere Wissenschaft beruht zunächst auf Intuition, wenn man dieses Wort so tief wie möglich und so «»intellektuell wie möglich versteht. Es ist nämlich kein Denkprozeß, sondern ein inneres Einswerden mit dem

Gegenstand der Betrachtung; das, was Bergson die Umwendung von innen nach außen nennt. Sobald solcherart daS Innere, das Wesenhafte einer Sache ergriffen, erschaut, erlebt wird, be­ merken wir auf einmal, daß unser inneres Sein gleich ist dem Wesen der Dinge — und damit ist das innere Wesen des Menschen­ bewußtseins gleichen Wesens mit dem Innern der Dinge, der

Natur. Und dies zu erfahren, zu sehen, jv wissen, ist magische Weltanschauung und zugleich wahre Naturwissenschaft. Wenn man sich vorstellt, daß auch ein Gegenstand an sich kein Gegenstand, kein Starres, sondern ein stetes Geschehen ist, in keinem Augenblick dasselbe wie eben zuvor, das nun auch eben durch seine Veränderung beständig die Umwelt affiziert, so wird es begreiflich, daß die Nähe eines Gegenstandes ebenso

wirken kann wie das Wetter oder wie Sternstrahlen. Er wird

aber ebenso sehr in diesem Wechsel auch durch die Umwelt beeinflußt und mitveräadert wie aus seinen eigenen inneren Zustands­ verschiebungen heraus und hat deshalb auch durch diese Ein­ wirkung zuvor schon allerlei avgenommen, was dann in ihm und aus ihm wieder mitschwingt und magisch „aufgespalten" oder hellsichtig wahrgenommea werden kann. Da nun das menschliche Bewußtsein jene Fläche oder jene Daseinsform im Kosmos ist, auf der sich durch Überlegung oder

hellsichtig oder telepathisch alles Geschehen spiegelt, d. h. eben zur Bewußtheit seiner selbst gelangt, so muß, da der Kosmos von innen her Einheit ist, auch von innen her im Menschen alles Geschehen, jeder „Gegenstand" bewußt, d. h. sichtbar werden, mithin über­ haupt Erscheinung werde« können. Dies ist der Grund dafür, daß die Jnnenschau prinzipiell der einzige Weg ist, um zum Wesen der Erscheinung der Gesamtnatur vorzudringen. Unsere sinnenhafte äußere „Empirik ist daher nur ein Ersatz für verlorengegangenes, oder noch nicht, oder noch nicht wieder entwickeltes inneres Schauen, d. h. für magische Erkenntnis. So führt uns von jedem Gegenstand ein äußerer und ein in­ nerer Weg zum Ganzen des Universums, aber damit auch zu jedem anderen Gegenstand hin. Der äußere Weg lehrt «ns die

linienhafte Verknüpfung fest gedachter Körperzustände kennen, es 96

ist die intellektual-rationalistische Betrachtungsmethode, die im Physikalischen von Ursache und Wirkung, im Zeitlichen von Vor «nd Nach, im Räumlichen von Außen und Innen spricht. Der innere Weg aber ist jener, auf dem durch Hellsichtigkeit der ganze, wenn auch nur phyfikalisch scheinende Zusammenhang im Werden des Gegenstandes oder der Erscheinung erkannt wird, eine Sicht, die von jedem Gegenstand zu jedem anderen Gegenstand, von jedem physischen Zustand zu jedem anderen rückwärts oder vorwärts, nah oder fern gelangen kann, und zwar, je nach dem Grad der Fähigkeit, weiter oder weniger weit, und die deshalb auch sagen kann, was sich an dem von der Aufmerk­ samkeit ergriffenen Gegenstand und in seiner Umgebung einmal abspielte. Intuition aber entzündet sich nur am Gegenstand, erfaßt jedoch nicht sein Bor und Nach im physikalischen Sinn, sondern erkennt seine innerlich wesenhafte Bedeutung als Ausdruck eines metaphysische« Sinnes; erkennt das Innerlich-Ganze des Kosmos im Teil. Sie schaut also in Sphären, wo von zeitlichem Vor und Nach, von physikalischer Ursache und Wirkung, von räumlichem Außen und Innen, von Da oder Dort zu reden keinen Sinn mehr hat, weil es auf diese Kategorien gar nicht ankommt, weil sie dort völlig „gegenstandslos" sind und es nur eine Ur-Sache gibt, welche Gegenstand und Wesen, Körper und Seele in Einem umschließt und beides in Einem ist. Da ist das Reich der Platovschen Ideen oder des Ding an sich, nicht das Gebiet der Abstraktion, als welches der Intellekt zu gelten hat; das Reich jener inneren Lebendigkeit des Daseins, die weder organisch noch anorganisch, sondern im tiefsten Sinn „kosmisch" ist. Aber es ist kaum möglich, dafür Worte zu präge». Der Künstler und Seher mag es erlebe», nie der gemeine Verstand, der ewig im Vorhof unter dem Gesinde bleiben wird.

T6. Kosmos und Leben. Der Kosmos und darin alles Dasein ist eine innere Einheit. Vieles, Getrenntes existiert nur scheinbar als solches, ist aber durch alle möglichen sichtbaren und unsichtbaren Fäden mit allem ver-

bunden. Wir wollen dies so physisch wie möglich nehmen. Einen leeren Raum als solchen gibt es nicht. Infolgedessen ist alles mit­ einander verbunden, und wäre es auch nur durch etwas, das die Physik eine Zeitlang Äther genannt hat und durch den sie das vermittelt denken mußte, was sie Licht oder Schwerkraft nannte. Auch der denkbar fernste und kleinste Weltkörper muß mit jedem anderen in dieser oder sonst einer Beziehung und Verbindung stehen, und jedes Stäubchen ist auf diese Weise kosmisch mit dem Ganzen verwoben. So dehnt sich jeder Körper, auch der meine, über seine sichtbare Grenze unsichtbar, aber dennoch physisch in irgendeiner Weise in den Kosmos und durch den Kosmos aus, und jedes Molekül irgendeines Stoffes, wo er sich auch befinde, ebenso. Wenn wir es ganz «nmetaphysisch hier zunächst mit dem äußeren Weitblick ohne jede Innerlichkeit betrachten, können wir mit Scherte! es so formulieren: „Wer sind nun eigentich .wir' gegenüber unserer .Umwelt'? Die Antwort kann nur in dem scheinbaren Paradoxon liegen: wir sind ein ,Tell' unserer .Umwelt'. Wir sind zwar gewohnt, unser .Ich' als geschloffenes Ganzes abzugrenzen von dem übrigen Kosmos und unsere ,Ich-Welt', den Mikrokosmos, von der .Umwelt', dem Makro­ kosmos, scharf zu unterscheiden. Genas betrachtet wissen wir aber garnicht, wo eigentlich unser .Ich' anfängt und wo es aufhört. Die Grenzlinie wird für die meisten Menschen wohl in der Haut­ oberfläche ihres Körpers gegeben sein, da bis dorthin ihre unmittel­ bare Fühlsphäre reicht. Trotzdem ist diese Festlegung ganz will­ kürlich. Manche Menschen vermöge» ihre Fühlsphäre auch über die Hautoberfläche hinaus auszudehnen, bei anderen wieder ist das Körpergefühl so rudimentär, daß sie kaum die Gliedmaßen ihres Körpers als zu ihnen gehörig empfinden. Für andere wiederum gehört überhaupt nichts .Körperliches' zu ihrem eigentlichen .Ich', dieses wird vielmehr .rein geistig' gedacht, so weit sogar, daß selbst gewisse sinnlich-seelische Regungen als .ichfremd' empfunden werden. Unser .Ich' im strengen Sinne des Wortes ist nichts anderes als ein .Blickpunkt', ein .Bewußtseinszentrum', ein .Knoten' innerhalb des unendlichen kosmischen Kraftnetzes, an sich vollkommen inhaltlos und lediglich Prinzip der Bewußtiverdung. 98

Was ivir aber unser .Ich' im Sinne von konkreter Persönlichkeit, realer Individualität usw. nennen, ist bereits ein Komplex von .Wahrnehmungselementen' und unterscheidet sich prinzipiell in nichts von der dinglichen .Umwelt'. Unser .Körper', unsere .Seele' usw. sind grundsätzlich nichts anderes als bestimmte Wahrnehmungskomplexe wie ein Baum, ein Haus, ein Stern oder sonst ein .Ding'. Daß wir dennoch unsere eigene Person der Umwelt gegenüberstellen und oft krampfhaft verteidigen, liegt daran, daß unsere Bewußtseinsmöglichkeit eben nur an dieser einen Stelle, die wir «nser .Ich' nennen, mit dem kosmischen Krastnetz zusammenhängt, und deshalb dieser eine Punkt für uns eine hervor­ ragende Wichtigkeit besitzt. Deshalb ist ja auch unser .Körper' als die uns zunächst umgebende Schicht der .Umwelt' mit un­ endlich viel reicheren und feineren Empfindungssträngen ausge­ stattet, als diejenigen sind, welche die fernerliegenden des Univer­ sums mit unserem Jchzevtrum verbinden. Ganze Sonnensysteme können untergehea, und wir merken unter Umständen kaum etwas davon, während das kleinste Stäubchen, das in unser Auge ein­ dringt .. zu heftigen Sensationen führt. Unser Körper ist die Hoch­ burg unseres Bewußtseins, und unser Jchzevtrum ist der Punkt, wo für «ns die Weltkräfte zusammenlaufen und Sinn gewinnen." Wenn wir diese Formulierung streng beschränken auf das Physische und absehen von den derart natürlich nicht zu fassenden metaphysischen Fragen, wie dem in uns liegenden naturentgegen­ gesetzten Ahnen und inneren Wissen um ganz andere Potenzen unseres Daseins; wenn wir also, wie bei jeder physikalischen Formulierung, absehen vom transzendenten symbolischen Sinn jedes Daseins, also auch nur unserer Persönlichkeit, der man so nicht gerecht wird — so mögen wir mit den vorstehend wieder­ gegebenen Gedanken Schertels eine genügend klare Darstellung der physischen Verbundenheit unseres und aller Körperhastigkeit im Universum haben. So gut indessen Wärme und Kälte, Nahrung und Sonnen­ licht unseren Organismus mttgestalten, der krqft des Principium individuationis von innen heraus objektiviert lebt, so gestalten ihn endlich auch alle im Kosmos und auf der Erde wirksamen inneren

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Kräfte mit. Denn die Natur ist eine Einheit, und wenn fich, wie Varevius sagt, ein Teilchen des Ozeans bewegt, bewegt sich der ganze Ozean. Wenn daher, wie es beispielsweise auch Hellpach annimmt, kosmische oder erdmagnetisch und meteorologisch spezifizierte kosmische Kräfte den Organismus, -. h. den seelischen und körperlichen Charakter des Individuums gestalten, so find eben diese Gestalter in ihrem organischen Wirken lebendige, seelevhafte, so gut wie fie unter dem intellektuellen Beschauen physikalische, körperlich-mechanische sind. Wären sie nicht organisch-seelenhaft, so könnten sie kein Lebendiges gestalten oder mitgestalte». Totes, Mechanisches kann nicht Lebendiges gestalten, kann sich zu Lebendigem nicht wie Ursache zu Wirkung verhalten. Denn sobald und solange etwa meteorologische Zustände und Bewe­ gungen organische Kräfte und Bewegungen und Bildungen Her­ vorrufen oder auch nur beeinflussen, müssen sie dem Organischen im Wesen adäquat sein, müssen also ebensosehr organisch-lebendige Potenzen in sich tragen oder Vermittler von solchen sein, wie um­ gekehrt das Lebendige, um mechanisch-stofflich beeinflußt zu wer­ den, gleichfalls der mechanischen Wesensseite teilhaftig sein muß, was ja sichtbar zutrifft. Soweit sie also Seelisches hervorbringen oder mitbestimmen, müssen sie auch von sich aus ein Seelisches sein oder ein solches vermitteln. Und vermitteln können sie es nur, wenn sie selber eines sind. ES ist ein erkenntniskritischer Denkfehler, der Unmögliches aufstellt und deshalb nur zu hohlen Fiktionen führt, wenn man die Entstehung eines Wesenhaften aus einem ihm wesenhaft prinzipiell Verschiedenen in Wirklichkeit ableiten will. Auch die mit allen Potenzen späterer Formbildung ausgestattete Eizelle eines Individuums würde doch nie zu einem solchen auswachsen, wenn die äußeren Einflüsse, die ihm begegnen, an denen es reaktiv seine formblldende Kraft erprobt, die es zu seiner Ernährung braucht und verbraucht, nicht ebensolche Potenzen in sich trügen. Ebensowenig kann es wahr sein, sondern ist nur reine Dialektik, zu sagen, die Pflanze baue aus anorganischer Materie, die sie dem Boden entnimmt, ihren Körper auf. Gewiß ist die aus dem Boden entnommene Materie für unser Unterscheidungsvermögeu der

Pflanze gegenüber anorganisch, während die Pflanze ein Organis­ mus von Anfang an ist. Aber wenn aus der Aufnahme jener Stoffe nachher in der Pflanze lebendige Vorgänge entstehen oder ausgelöst oder verstärkt und vermehrt und differenziert «erden, so «erden im selben Augenblick auch aus den aufgenommenen an­ organischen Stoffen Potenzen und Eigenschaften frei, die denen des Pflanzenkörpers wesenhaft entsprechen. Anderes ist gar nicht denkbar, und wenn es dennoch von der Wissenschaft ausgesprochen wird, so bleibt es bei den hohlen Hülsen des Formelhaften, aber es ist keine Lebevserkevntnis. Zu behaupten, anorganische Materie als solche baue den Organismus auf, bewegt stch auf ein und der­ selben «nphilosophischen und naiv-realistischen Linie wie der Irr­ tum, der zu der Lehre von der Abstammung des Menschen aus „niederen" Tieren Anlaß gab und stch trotz seiner inneren Unmög­ lichkeit solange hielt, als man eine mechanistische Weltanschauungs­ fiktion hatte. „Höheres" kann nicht aus „Niederem" hervorgehen, wenn das „Niedert wesenhaft wirklich nur „Niederes" ist. Wesen­ haft Höheres kann allerdings verhüllt und latent irgendwo liegen, also für unsere plumpen, nur einen kleinen Ausschnitt der Welt umgreifenden Sinne unfichtbar, unmerkbar sein, somit für diese scheinbar aus niederen Formen stch „entwickeln"; aber es kann in Wirklichkeit aus ihnen doch nur hervorgehen, wenn es seinem Wesen nach darin war und stch unter gegebenen Bedingungen in­ nerer oder äußerer Att enthüllt. Wenn also Hellpach dafür eintritt, daß die Gestaltung auch der seelischen Konstitution des Menschen vom Wetter oder vom Erdmagnetismus und kosmischen Perioden abhänge, so schreibt er damit, ob er es will oder nicht, auch dem Tellurischen und Kos­ mischen notwendig potentielles Leben, also Seele zu. Und wenn er es nicht tut und sich ausdrücklich gegen die „astrologische" Auffassung seiner Lehre wehrt, so bleibt er erkenntnismäßig bei derselben Halbheit und Unvollziehbarkeit seiner Gedanken stehen, wie jener Forscher, der das erwachende Liebessehnen des Jünglings als Hormonvergiftung diagnostiziert, statt der Seele zu geben, was der Seele ist, wie er mit Recht dem Körper gibt, was des Körpers ist. Man spricht viel von der Sauberhaltung des wissenIOI

schaftlichen Denkens und Forschens und warnt vor -er Überkreu­ zung mit -er Metaphysik; meint damit, man dürfe nicht Anleihen bet der Metaphysik machen, wenn man physische Natvrforschvvg zn treiben sich vorgenommen habe. Ganz recht; dann darf man aber auch nicht den Aufbau des Seelischen aus Körperlichem hervorgehen lassen, sondern muß es, wenn nicht als selbständig, so doch wenigstens als die inhärente Innenseite nehmen zu jener Außenseite, die wir Körperlichkeit nennen, und darf dann die Innenseite nicht durch die Außenseite einer mechanistisch vorgestell­ ten Umwelt erklären wollen; vielmehr muß man, um logisch konsequent zu bleiben, auch den Kräften und Dingen dieser Umwelt ein Seelisches zugestehen. Sonst hält man die Wissenschaft ja nicht sauber, weil man Dinge gleichsetzt und überkreuzt, die ver­ schiedenen Wesens sind. Jedoch ist damit nicht gesagt, daß die anorganischen Dinge eine entfaltete Seele, wie sie der Organismus schon hat, enthalten, sondern nur latent Seelenhaftes, das erst durch die Berührung der beiderseitigen Körperlichkeiten seine See­ lennatur öffnen vnd zur Wirksamkeit bringen kann. Mit dieser Gedankenentwicklung haben wir nun einen höchst fruchtbaren Gesichtspunkt gewonnen, der uns vielleicht die Pfor­ ten eines wahren Verständnisses des uralten Problems KoSmos und Mensch, also auch einer wahren Astrologie auftut. Wir sagten, das Anorganische trete in den Organismen aus seiner Latenz in die lebendige Wirkung und Erscheinung. Wir gewinnen damit eine neue, durchaus monistische Definition von Anorganisch und Organisch, unter welchen zwei Daseins­ formen «ns die sichtbare Welt ausschließlich entgegentritt. Das Organische ist das, worin das Seelische dieselbe Betätigungs­ freiheit gewonnen hat wie das Körperliche; ist das, was sich un­ unterbrochen anpaßt an die von ihm bewußt und unbewußt auf­ genommenen Eindrücke, Reize und daraus gefühlten Bedürfnisse. Ausdruck hierfür ist das Individuum. Organisches existiert nur in Gestalt von Individuum. Warum es so ist, das bleibt eine Qualitas occulta, die wir Principium individuationis heißen. Das Anorganische nun ist jener kosmische Zustand, bei dem das Seelenhafte nicht zu jener Beweglichkeit und Freiheit gediehen

ist, wobei es keine Eindrücke aufnimmt, keine Bedürfnisse empfindet, mithin darauf noch nicht mit Formbildung antwortet, somit nicht organifiert ist und daher das Principium individuationis nicht erlebt. Sobald nun das Anorganische in diejenige Berührung mit dem Organischen kommt, daß es von ihm ausgenommen werden kann, wird es selbst zu Organischem gewandelt; der un­ organische Stoff wird organisch, sein latent Seelenhaftes wird frei, betätigt sich, wirkt am Aufbau des ihn ausnehmenden oder von ihm berührten Organismus mit. Bedingung ist immer, daß ein echtes organisches Eingehen, nicht nur ein mechanisches Eindringen statthat. Der Schritt zum Verständnis wahrer Astrologie ist nun nicht mehr weit. Strömt die Achtmaterie, strömen die magnetischen — und wer weiß was ein Weltkörper alles ausstrahlt — Kräfte und Stoffe auf einen Jndividualorganismus ein — und bei seiner Lage im Weltraum wird jeder davon getroffen — so geht das Wesensverwavdte, das denselben molekularen Schwingungs­ rhythmus Enthaltende oder wie man es mangels wirklich leben­ diger Anschauung nennen mag, in den aus seinem inneren Principium individuationis sich entwickelnden Organismus ein, wird von ihm ausgenommen, assimiliert, und auch das LatentSeelische wird nun im neuen Organismvs aufgespaltet und assimlliert. Darum ist das Individuum ein Knotenpunkt, in dem die tellmisch-kosmischen Aspekte im Augenblick seiner Geburt, wo es den allein nährenden Mutterleib verläßt, zur Geltung kommen, von ihrem Wesen und latenten Leben darin abladen; also was sie aussandten, im Jndividualorganismus zur Geltung, zum Leben bringen und so de» Leib, den Charakter, also die seelische und kör­ perliche Struktur des neuen Individuums mitbestimmen. Da man nun schon vor Jahrtausenden empirisch festgestellt hat, von welcher seelisch-körperlichen Struktur ein Individuum ist, das unter bestimmten Aspekten, also unter bestimmten Emanationen der Sterne geboren ist, so kann man aus diesen Stellungen mittels eben dieser Erfahrung auch seine Anlagen bestimmen. Unter die­ sem Gesichtspunkt gesehen, ist die Astrologie, abgesehen von ihrer mißbräuchlichen und kritiklosen Anwendung, eine durchaus begründ-

bare, rationale Wissenschaft. Nicht rational darin ist, wie in jeder Wissenschaft ausnahmslos, der metaphysische Untergrund, ohne den in der Welt nichts besteht und der in der nüchternsten aller Wissenschaften, der Physik und Chemie, ebenso da ist wie in der Biologie und Psychologie. Es ist nun in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf unsere vorhin gegebene Definition von Organisch und Anorganisch von allerhöchstem Interesse, daß in unserem wissenschaftlich­ physikalischen Weltbild schon seit langem eine Lehre besteht, die eine Abwandlung und Spejifikation des Gesetzes der Erhaltung der Energie ist. Es ist die Verwandlung der lebendigen Kraft aus ihrem labllen Zustand in den latenten Kraftzustand, in dem ruhendes Gleichgewicht herrscht. Man hat daraus den mechanischen Weltentod abgeleitet und theoretisch vorausgesagt. Denn wenn, wie man es physikalisch annehmen darf, die Welt ein geschlossenes Ganzes ist oder unser gesamtes Sternsystem wenigstens praktisch ein solches ist, so wird endlich einmal ein Kräfteaustzleich in dem Sinn eingetreten sein, daß alle lebendige Energie sich so verteilt hat, daß ein allgemeines Kräftegleichgewicht herrscht, das nicht mehr in sich gestört wird. Dann herrscht vollkommene mechanische Ruhe — den Stoff aber denkt man sich noch bestehend. Wenn nun diese Vorstellung schon deshalb auch physikalisch ein Widerspruch in sich ist, weil Materie an sich ohne lebendige Kraft undenkbar ist, so besteht doch, darüber kann kein Zweifel sein, im sichtbaren Weltall dieses Meßen aus lebendiger in latente Energie. Das Lebensprinzip ist nun gerade jene Wesenheit, welche in der spontanen Umwandlung der latenten in die wieder lebendige Energie besteht; oder: durch die Qualitas occulta des Principium individuationis, die das bedingt, was wir Organismus nennen, wird aus unbekannter Ursache und Fähigkeit das Latente der Energie in das Lebendige der Energie gewandelt. So ist das Lebensprinzip zugleich die Aufspaltung des kosmisch-energetisch Gebundenen in seine energetische Beweglichkeit. Die Idee von der Umwandlung des Ektropischen der Energie in das Entropische beruht als echt naturwissenschaftliche Lehre — mehr ist sie nicht; sie ist lediglich eine physikalische Rechnungs-

unterläge — auf der Annahme, daß alles Geschehen im Kosmos nur Ortsveränderung bewegter Körper tm Raume sei. „Die Substanj beharrt, und ihr Quantum wird in der Natur nicht vermehrt, noch vermindert; aber auch die Energie beharrt, ihr Quantum wird in der Natur nicht vermehrt noch vermindert. Alle Formeln, in denen dies, je nach den wechselnden Begriffen, ausgedrückt worden ist, bringen nur immer dieselbe Voraus, setzung jum Bewußtsein: die Identität der Welt mit sich selbst.

Diese Auffassung kann man auch in den Satz kleiden: Es gibt nichts Neues in der Welt. Physikalisch gesehen, muß es irgendwie schon dagewesen sein; denn neu ist nur die Konstellation des Ma, teriellen, die Substanzen ändern ihre Lage zueinander und damit die Verteilung der Energie. Daher ist die Naturforschung befrie, digt, wenn sie die Veränderungen in Form meßbarer Größen

dargestellt hat. Aber alle diese Verschiebungen und Verteilungen gehen jenen unabänderlichen Gesamtbestand des Universums nichts an: er bleibt immer derselbe, alles Geschehen gleitet an ihm ab, als ob es nie dagewesen wäre. Er erlebt das Geschehen nicht." So Windelband in der Einleitung zu Bergsous „Materie und Gedächtnis". Dieses unerlebte, unschöpferisch gedachte Geschehen nennt man physikalisches Geschehen; ihm dient der Intellekt. Dieses allein kann er erfahren. Aber gerade dieses Geschehen ist Fiktion, wenn es sich um Erkenntnis des Wesens des Kosmos handelt, von dem wir selbst innerer Brennpunkt sind. Die Fiktion besteht darin, daß man setzt, es sei immer dasselbe, wenn es unseren doch sehr be­ schränkten Sinnen äußerlich als dasselbe erscheint. Es ist aber der KoSmos nie und in keinem Augenblick derselbe wie vorher, weil er stets Objektivation des inneren schöpferischen Dasetnswillens ist, dessen Wesen darin lebt, nie Kopie, sondern immer Origi, nal zu sein. Darum wird es im Kosmos nie den Leerlauf der Kräfte geben oder gar den Stillstand, wie es das Gesetz von der Umwandlung der Ektropie in die Entropie formelhaft vorstellt; sondern immer wieder quillt „Neues", immer wieder wird der Stoff vom Leben aufgespaltet, vielleicht am meisten dann, wenn die Entropie am größten geworden wäre.

17. Aberglaube und Wirklichkeit. Was ist es, wenn über eine Straßenqnernng ein Wagen fährt, über die sonst stundenlang niemand herübergeht, gerade in dem Augenblick, wo ich eilends herübergehen muß und daher ärgerlich diese Tücke des Objetts empfinde? Als „modernes Mensch sehe ich natürlich darin keinen moralischen oder seelischen Zusammenhang Mischen mir und dem Geschehen, sondern nenne beides Zufall. Es ist eben etwas „passiert", d. h. durch meinen Lebensund Bewußtseinskreis hindurchgegangen, von dem ich nicht glaube und es auch nicht sehe, wie es allenfalls mit meiner inneren Verfassung zusammenhängen könnte. Ich bin eben zu einer be­ stimmten Stunde h von zuhause fortgegangen, habe mit einer bestimmte» Schnelligkeit s einen Weg von 500 m zurückgelegt; der Wagen fuhr auch zu einer bestimmten Zeit h' mit einer be­ stimmten Schnelligkeit s' weg auf einem Weg von 1200 m und kam deshalb — das weiß ich als Kausalitätsglävbiger — gleichfalls um 805 Min. an die besagte Straßenquervvg, wie ich auch. Alles ist erklärt, weiter brauche ich nichts, ich habe den Fall wissenschaftlich exakt erforscht. Verfolge ich die beiden Ursachen­ ketten wetter rückwärts, so komme ich schließlich zu dem Tag, an dem der Wagen erst gebaut; weiter zurück, wo der Wagenbauer erst geboren wurde, bis zu Adam und Eva und dem Paradies. Ebenso wenn ich das Werden der Pferde, des Wagenlenkers, den Straßenbau und mich selbst von dem Zusammentreffen um 806 ab rückwärts verfolge. Wir würden alle bei Adam und Eva zusammentreffen. Eine endlose Kausalkette ergibt flch für alles und jedes — und doch wäre mit dieser ganzen Kausalität, selbst wenn sie Schritt um Schritt bis ins letzte verfolgbar wäre und ich sie völlig überblickte, nichts gewonnen im wesentlichen Sinn; es wäre nämlich das Zusammentreffen nicht nach seiner inneren Notwendigkeit erklärt. Dies allein aber wäre die wirkliche Erklärnng. Die magische Natursicht aber wüßte den inneren Grund für alle diese Ursacheaketten. Und sie allein hätte das wirkliche Wissen um den Ablauf der Geschehnisse. Die magische Natursicht ist aber

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gerade die, welche nicht intellektvalistisch-kausal verfährt, welche nicht „Stadien" nach rückwärts verfolgt und aneinanderreiht, welche nicht Zeit- nnd Raumlinien verfolgt; sondern es ist die Anschauung, vermöge deren jede dieser Kausalreihen auf einmal und von innen her gesehen, in ihrem Wesevsursprung und nach den darin wirksamen Kräften und inneren Verkettungen erfaßt wird — kurj ausgedrückt: wo die, allen diesen Geschehnissen gemeinsame „Ursache", in der sie wurjeln und in der sie ununter­ brochen ablaufen, gesehen wird. Liegt diese einheitliche, und jwar nicht jeitlich bloß vorausgehende, sondern immerfort sich in dem Ablauf verwirklichende Ur-Sache dem magischen Natursehen offen da, so hat auch das Zusammentreffen von Wagen und Person, von Sintflut und Menschenschlechtigkeit seinen gemeinsamen, inneren Sinn. Und damit erklärt die magische Weitsicht mehr als alle kausale Kettenempirie; denn sie hat etwas Wirkliches, etwas Wirksames erblickt; das innere Urgeschehen im unjeitlichen Sinn wofür das Äußere nur Träger, nämlich mitgesetztes Symbol ist. Es ist der Inhalt von Bergsons Philosophie, daß die ver­ standesmäßige Tätigkeit „schneidet, -aß sie das Gesamtgeschehen zerlegt: die Entwicklung in Stadien, den Stoff in Moleküle, und nun wieder zusammensetzt. Diese Stadien läßt der Verstand bei Geschehnissen sodann vor dem geistigen Auge rückwärts ab­ laufen und meint, er habe das Geschehen schlechthin erkannt. Aber das Wesenhafte sitzt gewissermaßen zwischen den Stadien und Mole­ külen und ist am Anfang dasselbe wie am Ende; es hat sich im räumlich-zeitlichen Ablauf manifestiert. Jener innere Zusammen­ hang, vermöge dessen etwa die Entwicklung eines Wesens ein Ganzes ist und durch den für die magische Sicht alle Vergangen­ heit noch gegenwärtig lebendig, alle Gegenwart auch schon in der Vergangenheit lebt: das ist es, was das Wesen im buchstäblichen Sinn, was das Sein einer Erscheinung, was ihre „Ursache" aus­ macht und was eben gerade nicht durch den zählenden und messen­ den, nicht durch den in ein Zuvor und ein Danach, nicht durch den in Stadien und Molekülen denkenden Verstand, sondern was nur durch Einkehr in das eigene Sein, nur durch Intuition, nur durch innere zeitlose Empirie, eben dvrch wahre Einsicht ergriffen und

begriffen werden wird. Es wird deshalb nie möglich sein, selbst bei der eingehendsten äußeren sinnenhaften Verfolgung aller Stadien eines Ablaufs, dem eigentlich „ursächlichen" Sinn auf die Spur jv kommen. Und deshalb hat das Zusammentreffen von Wagen und Fußgänger auch einen inneren Sinn und ist nur äußerlich besehen ein Zufall. So ist also wissenschaftliches Verfahren im üblichen Sinn nicht befähigt, eine wesenhafte Kenntnis der Natur uns zu geben. Es ist aber auch nicht befähigt, über magisches Wissen zu urteilen, es von sich aus, mit seinen Denkmitteln zu verstehen, es wahr­ haben oder nicht wahrhaben zu können. Und so sehr das Leben innerlich und daher „magisch" ist, so wenig ist die Wissenschaft befähigt, lebendige Gesetze für das Leben zu geben. Deshalb sind nun auch alle wissenschaftlichen Analysen des Stofflichen, der äußeren Erscheinungen, der Gegenstände und Formen in Wirklichkeit keine Erklärungen, sondern bieten, wenn sie einigermaßen vollständig sind, Perlenkränze, oder wie man es nennen mag, dar, an denen die Stadien aufgereiht sind, die nun beim zeitraumhaften Dorbeiziehen am individuell stehenbleiben­ den Bewußtsein scheinbar das Naturleben selbst zeigen, aber ebenso wenig das Wirklich-Lebendige geben wie das Ftlmband, auf dem tote starre Bilder nacheinander folge», die durch das rasche Vorbeiziehen am stehenbleibenden Auge des Beschauers, also bloß durch eine optische Täuschung, so etwas wie Leben und Geschehen vorspiegeln. Insofern ist auch der Film ein getreues Abblld unseres wissenschaftlichen Tuns und Denkens und ein ebenso intellektualistisches Abbild des Daseins, wie unsere Wissen­ schaft. So wenig aber die Bewegungen auf dem Film Wirklich­ keit sind, und so wenig wir etwa die darauf lebenden Personen oder Tiere greifen und für wirklich nehmen können, so wenig kann wissenschaftliche Spiegelung des wahrhaftigen Geschehens das wahre Wesen vermitteln. Dieses wahre Geschehen ist dem wissen­ schaftlichen Sehen gegenüber ebenso okkult, wie es die photo­ graphierten Personen und Tiere dem Fllmbeobachter gegenüber sind. Um sie zu verstehen, muß er sie in seinem Innern schauen und nacherleben. Um sie aber wirklich zu greifen, müßte er ganz wo

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anders hingehen; er müßte den Weg wissen ans dem Filmsaal heraus in die Werkstatt ju dem Werkmeister, wo die „Ursache" jv alledem lebt. Auch an anderen Beispielen wird die Unmöglichkeit, das Magische logisch-kausal aufzulösen, klar, nämlich dort, wo es nicht an die Person, sondern an den Ort als solchen geknüpft ist. Ein Freund von mir, ein Deutschpole, beheimatet in Ratibor, hatte nach Jahrzehnten schwerer Arbeit und Not bei der Volks­ abstimmung in Oberschlesien Gelegenheit, seine Heimat wiederzusehen. Wie es einem älteren Mann zumute ist, wenn er nach länger Zeit wieder an die Stätten seiner Jugend kommt, so er­ innerte er sich an das und jenes, was er erlebt und dort gehört hatte. Eines Abends, als er mit Freunden zusammengesessen hatte, sollte er noch in der Nacht zum nächsten Ort über das Feld heimgehen. Dort war zwischen Neuporten und Altendorf ein Weg, an dessen Rand früher ein Busch stand, von dem er seit seiner Kindheit wußte, es sei dort nicht geheuer. Nach dem Abschied von seinem Kreis ging er über das besagte Feld, und als er im Dunkeln an der Stelle vorüberkam, leuchtete es am Weg plötzlich auf. Unwill­ kürlich beschleunigte er mit einer Art lachender Scheu und Verwun­ derung seinen Schritt. Auf einmal rief ihn eine Stimme, die er nicht kannte, mehrmals bei seinem Vornamen, und kam, nachdem er schon ein Stück Wegs zurückgelegt hatte, im Dunkeln ihm nach. Es war ein Bekannter von ihm, der schon früher weggegangen und einige Zeit stehengeblieben war, danach vor dem Weitergehen seine Pfeife wieder angezündet, dabei den Vorübergehenden er­ kannt, und, als dieser nicht «artete, ihm nachgerufen hatte. Die Kausalitätsreihen liegen also wieder offen und wunderlos da und Merkwürdiges war nicht dabei. Gewiß nicht. Aber damit sind wir nicht zufrieden. Denn wie kommt es, daß so etwas gerade wieder an dem Weg sich zutrug, von dem der, welcher dahinter­ stand, gar nicht wußte, daß es dort „nicht geheuer" sei, und wobei ein absichtlicher Scherz nicht mit im Spiele war? Es ist früher von anderen Menschen und Generationen doch offenbar auch schon allerlei erlebt worden, was den Ort als solchen in jenen Ruf brachte. Selbst wenn es zu Großvaters und Urgroßvaters

Zeiten stets gleich Unwichtiges und Selbstverständliches «ar, was vielleicht nicht so unmittelbar oder überhaupt nicht aufgeklärt worden war und somit dem „Aberglauben" Nahrung gab, so ist es doch merkwürdig und weiterer Aufklärung wert — gerade hier steckt ja das eigentliche Problem — warum an einem bestimm­ ten Ort stch soviel harmlos Merkwürdiges abspielt, daß er eben in Verrufkommt. Es muß also doch wohl an dem Ort als solchem etwas haften, daß stch solche Geschehnisse gerade da zutragen, wo Ähnliches auch unserem Freund „passterte", d. h. in seinen Lebenskreis trat. Je nachdem nun der Mensch, dem solches be­ gegnete, veranlagt war, konnte es stch als Lärm oder Feuerschein oder Gespenst oder Tiergestalt oder natürlicher Zufall äußern. Aber immer noch bleibt das Problem bestehen: warum „pasflert" der Zufall immer jene Stelle, die eben deshalb als nicht geheuer verschrien wurde? Dadurch, daß diese und alle früheren Geschichten dort sich in natürlichen Vorgängen abspielten und in ihrem äußeren Verlauf wohl auch in jedem einzelnen Falle bei Untersuchungen hätten aufgezeigt werden können, ist noch lange keine wirkliche Erklärung für diese Eigentümlichkeit des Ortes gegeben, an dem stch solche Dinge gerade wie eine Tücke des Objektes gern und oft­ mals zugetragen haben. Hier könnte wiederum nur eine hellflchtige Erklärung helfen. Es ist mir noch ein ähnliches Beispiel bekannt, das in dem Werk von R. Hennig „Don rätselhaften Ländern" steht. Es heißt dort: „Am 14. August 1771 waren in der Gegend des Dinetariffs bei Cosero«, das die Dolkslegende von jeher mit der versunkenen Stadt willkürlich in Verbindung brachte, zwei holländische Fahr­ zeuge gescheitert und einige Mann der Besatzung dabei umgekom­ men. Zur Untersuchung des Falles wurde von der preußischen Regierung eine Kommisston an Ort und Stelle entsandt... In ihrem Bericht stand nun zu lesen, daß man an der spukhaften Meeresstelle beim Dinetariff Überreste von Marmor- und Ala­ basterpfellern auf dem Grunde des Meeres erblicken und, gemäß der Bekundung von Fischern, zuweilen Glockentöne aus der Tiefe vernehmen könne ... Auch der Zug der Sage, der zu berichten weiß, daß entweder in der Johannisnacht oder am Jahrestage HO

ihres Unterganges die Stadt über den Wellen auftauche und .wafele', wobei die emporsteigenden Kirchtürme den Schiffen gefährlich «erden können, ist unzweifelhaft durch gelegentliche Schiffsunfälle nach Art des eben geschilderten hervorgerufen wor­ den. Don der älteren Generation «erden sich ja noch manche Leser des gewaltigen Aufsehens erinnern, das entstand, als am 24. Juli 1891 der Ostsee-Passagierdampfer .Cuxhaven' unmittelbar am Mnetariff auf ein in den Seekarten nicht verzeichnetes Riff auf­ lief und so schwer zu Schaden kam, daß einzelne Personen .. er­ tranken. Die Erinnerung an die Vinetasage wurde damals um so mehr lebendig, als die Leichen der Umgekommenen nicht ge­ funden wurden, denn gerade dieses Verschwinden der über dem Mnetariff im Meer ertrinkenden Opfer ist auch in der Sage aus­ drücklich hervorgehoben. Kein Wunder, wenn unter solchen Um­ ständen die Dolksüberlieferung auf lange Zeit immer aufs neue Nahrung erhält." Eine Fülle anderer Beispiele bietet natürlich das Spuken an bestimmten Orten, wo der Mensch zuweilen nichts merkt, wo aber Pferde scheuen; überhaupt der Spuk in Häusern oder an Orten, «0 sich unter besonderen Umständen Todesfälle zugetragen haben, mit denen besondere Übeltaten verknüpft sind. Darüber haben wir jetzt das prächtige, klar abwägende und seelisch tief schürfende Werk von Jllig: „Ewiges Schweigen?". Wie hierbei die Natur für den Menschen so erscheint und so wirkt, wie er seinem innersten Wese» nach — nicht im bewußten Denken — ist, und wie sie sich beide gegenseitig miteinander und aneinander gestalten, so entscheidet es sich auch, was Aberglaube ist und was nicht. Wessen Innerstes auf einem wahrhaftigen und reinen Grunde ruht, dem werden dieselben Dinge licht, verklärt, befreiend erscheinen, die auf den mit entgegengesetztem Wesen Begabten furchterregend, dämonisch, schlecht und teuflisch wirken. Wenn man etwa aus dem Horoskop gewisse Anlagen und Charakter­ richtungen eines Menschen feststellt, so wird man finden, daß bei dem innerlich befreiteren, kraftvollen Menschen sich dieselben Anlagen zu großen Taten und edlen Wirkungen entfalten, die bei einem innerlich Unfreien, Unedlen abscheuliche Formen an-

nehmen können. Jeder ist von seinem Innersten bestimmt; und wenn auch „die Sterne nicht lügen", so bestimmen sie doch selbst nicht das Innerste des Menschen, dessen sittliche Freiheit aus ganz anderen Quellen fließt und mit seiner Verhaftung an die Natur ursprungshaft gar nichts zu tun hat. Folgen daher die „primi­ tiven" Menschen jeder Regung ihrer Natur, so lügen bei ihnen die Sterne gewiß am wenigste«; man kann solchen Menschen unmittel­ bar prophezeihe», well sich voraussehen läßt, daß sich bei ihnen die astrologisch erkennbaren Eigenschaften unvermittelt und primitiv auswirken werden; den mit lebendiger Jnnenkraft Begabten aber wird sich nicht prohezeihen lassen, weil sie in ihrem Handeln von ganz anderen Motiven bestimmt sind. Mit Recht glaubt daher das primitive „Sols" den Wahrsagereien; mit ebensolchem Recht er­ kennt sie der entwickeltere Mensch für sich als Aberglauben. Wahr­ sagerei, Bemühung um das Horoskop und dergleichen Dinge sind daher immer das Zeichen eines unfreien Gemütes, eines man­ gelnden lebendigen Zusammenhanges mit der inneren Gnade und Freiheit, und sind deshalb schlimm und schädlich; aber sie sind nicht unwahr im naturwissenschaftlichen Sinn. Das muß gegen­ über den Allzuklngen aufrecht erhalten «erden. Wenn diese Dinge reiner Unsinn wären, würde man nicht mit dem Geist der Religion und der ernsten Aufklärung immer wieder gegen sie mit richtigem Instinkt gekämpft haben. Wie es nun für den einzelnen Menschen sich mit dem Aber­ glauben verhält, so auch für einzelne Zeiten. Es gibt abergläu­ bische und weniger abergläubische Zeiten; es gibt Zeiten, in denen man den natvrhaften lebendigen Grund jener Zusammenhänge erschaut, die später vielleicht zusammenhangslos und daher un­ wahr erscheinen. Die ganze mittelalterliche Literatur, die wir heute als abergläubisch ansehen, beruht auf solchen Erkenntnissen, die uns verloren gingen oder die wir von innen heraus überwunden haben. So wenn etwa das Vergraben von Körperteilen oder von Körperausscheidungen unter Bäumen dazu führen sollte, daß diese Bäume nun die sich zersetzenden Stoffe aufnahmen, dadurch einen magnetischen Bezug zu der Person, wovon sie genommen waren, bekamen, und nun der Person Schaden zugefügt werden

konnte, wenn man solche Bänme beschädigte. Das mag alles jutreffend gewesen sein in einer Zeit, wo die Senfitivität der Men­ schen allesamt so war, daß derartige Natnrverbnndenheiten sich nnmittelbar an den Körpern auswirken konnten. Vermutlich bestehen solche, streng empirisch damals festgestellten Beziehungen heute auch noch; aber unsere seelisch-körperliche Verfassung ist derart anders geworden, daß andere Kräfte der unmittelbaren Auswirkung solcher Zusammenhänge entgegenstehen, diese deshalb unwirksam, d. h. zum Aberglauben geworden sind. Auch im rein Seelischen läßt sich diese Änderung der Verfassung als Ursache der Nichtmehrwirksamkeit früher gefahrbringender Natnrgeschehnisse nachweisen. So galt schon im Altertum der Blick einer Leiche für gefahrbringend, worüber Seligmann in seinem Werk: „Der böse Blick und Verwandtes" schreibt: „Dem Bedecken des Gesichts wie dem Zvdrücken der Augen der Leiche lag in den meisten Fällen ursprünglich nur die eine Absicht zugrunde: den bösen Blick des Toten unschädlich zu machen. Dieser .fromme' Brauch findet sich heute noch bei den meisten Völkern, nur denkt man vielfach nicht mehr an die ursprüngliche abergläubische Ent­ stehung dieser Sitte und schiebt ihr .edlere' Motive unter." Za, so ist es auch: man hat jetzt edlere Motive, wir sind wirklich über die dämonische Seite jenes Glaubens, der damit zum Aberglauben geworden ist, hinausgewachsen. Wir drücken unseren Toten aus reinem Liebesgefühl, nicht mehr aus niederem Abscheu die Augen zu und erleben dabei echt und wahrhaftig wie in einem segnenden Symbol, -aß wir sie zu ihrem ewigen Schlaf hinübergeleiten und aus ganzem Herzen ihre Ruhe nicht mehr durch das Außen gestört haben wollen. Es ist wirklich der Aberglaube überwunden durch eine innere Höhe des Schauens und Liebens, welche alle Dämonen bannt. Wo aber der Aberglaube noch lebt und jene innere Be­ freiung nicht erreicht ist, erzeugt eben die Seele des Menschen selbst die Dämonen, weckt sie zv Leben und Wirkung, nährt sie mit der eigenen Kraft und verhilft so dem Naturzauber zu seiner schädlichen Wirksamkeit. Darum haben wirklich früher die Augen der Toten geschadet und heute schaden sie nicht mehr, wenigstens nicht Allen mehr. Der wahre Aufklärer der Menschheit ist also nicht DaequL, Natur und Seele.

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der plumpe Wissenschaftsmensch, der alles leugnet, was er nicht münzen kann; sondern wahrer Helfer und Aufklärer ist der, welcher die Wirklichkeit aller dieser Dinge lehrt, aber sich nicht fatalistisch und wahrsagerisch hingibt, sondern den Weg zur Befreiung zeigt.

18. Gleich und Gleich. Das Wort: Gleiches zieht Gleiches an, oder Gleiches wirkt mit seiner Veränderung ebenso auf Gleiches, ist ein Grundwort magischen Naturverstehens. Wenn es sich im Gedanklichen des Menschen vollzieht, ist es eine Grundlage des Bildzaubers oder auch des Heüungszaubers und alles dessen, was auf einer wirklichen oder vorgestellten Gleichheit zweier Dinge oder Wesenheiten in zauberischen Handlungen beruht. Zunächst einige Beispiele. Wenn das Volk einen Abszeß am Auge, den man Gerstenkorn zu nennen pflegt, damit heilt, daß der Betroffene ans Wasser geht, ein mitgenommenes Gerstenkorn unter Hersagen eines Zauberspruchs dreimal über das Auge führt und es dann mit einer Ver­ wünschung ins Wasser wirft, so ist dies ein Zauber, der auf der Analogie beider Gebilde in der Vorstellung des Menschen beruht, der ihnen beiden denselben Namen gab. Wenn er nun diese Identität stark erlebt und das dafür geschaffene Zauberwort zur Hervorrufung dieses Erlebens benützt, so wird der Erlebensimpuls eben zu einem physiologischen Lebensimpuls, und dieser, durch das Unbewußte des organischen Gestaltens fließend, ruft dem Willen des Leidenden und Zaubernden gemäß die magische Heilung hervor. Man kann freilich demgegenüber noch einwenden, beide Dinge gerade „Gerstenkorn" zu nennen, sei ein ganz äußerlicher spielerischer Vergleich, hinter dem keine tiefere Analogie beider Gebilde stecke. Aber einmal fragt es sich doch, ob man nicht wegen irgendeiner, uns derzeit gerade unbekannten, vor alters aber vom Volk hellsichtig erfaßten stofflichen oder energetischen Eigenschaft in beiden Naturprodukten eine solche Namensübertragung sinnvoll und zu magischen Zwecken auch angebracht fand; und dann ist es, wenn man solches nicht annehmen mag, beim zauberischen Handeln zuletzt gleichgültig, wie man die Lebensimpulse auslöst

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und in gewünschter Richtung zur Wirksamkeit bringt; dem naiven Menschen können einfache Affojiationen dazu genügen. Wenn der magisch handelnde Mensch das Bild eines Verhaßten verbrennt, um ihm damit zauberisch ein Leid anzutua, ihn an seiner Gesundheit, womöglich an seiner Seele zu schädigen, so verfährt er nach dem Satz von der Wirkung des Gleichen auf das Gleiche. Diese entzündet sich an dem Bild, das ihm ein Hilfsmittel zur möglichst lebendig-kräftigen Vorstellung des Verhaßten wird. Durch die kosmische Verbundenheit aller Naturkörper, die wir in einem vorigen Abschnitt dartaten, geht der so mobil gemachte und bestimmt gerichtete Lebensimpuls durch das kosmische Me­ dium ins organische Wesen des Anderen ein und gelangt damit an dessen unbewußte Körperseele. Sind in dieser gleiche Haßelemente, so werden sie durch das anlangende Gleiche in Bewegung gesetzt und, da sich kein Widerstand auftut, so zum organischen Wirken gebracht, wie es der „Richtung", aus der die Gesandten kamen, entspricht. Und so wirken sie sich aus oder suchen es zu tun. Nun könnte man auch beim Bildzauber wieder sagen, ein Bild, besonders ein nur gezeichnetes Bild, sei doch zum Menschen, den es darstellt, nicht ein Gleiches; denn der Mensch ist Fleisch und Blut und ganz anderen Wesens als das Bild, das Papier und Farbe ist. Aber eben daran erkennt man, daß es eine innere, seelisch gemeinte Sinngleichheit ist, die sich des Bildes zur Ent­ zündung bedient. An eine richtige materielle, etwa Strahlungen enthaltende und so übertragene Wirkung vom Bild zum Menschen, den es darsiellt, könnte man allenfalls noch bei Verwendung einer Photo­ graphie zu zauberischen Manipulationen denken. Denn jede Photographie und jede durch Kopie oder sonst durch ein technisches Vervielfältigungsverfahren auch im Buchdruck hergestellte Kopie hat tatsächlich physischen Kontakt, materielle Berührung mit der aufgenommeven Körpergestalt gehabt. Zuerst wird diese von der Kamera ausgenommen, wo durch die vom Körper der Person rückgestrahlten Lichtstrahlen auf der empfindlichen Platte das Bild entsteht; hier herrscht also unbedingt ein materiell ganz spezifisch vermittelter Kontakt von Person und Platte. Wird nachher eine

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Kopie hergestellt, so berührt auch die Kopie wieder unmittelbar die Platte, welche auf die beschriebene Weise mit dem lebenden

Original in Berührung war. Es kann also die durch Ausstrahlung auf die Platte juerst übertragene Körperemanation jeder folgenden

Kopie mitgeteilt werden, denn immer besteht diese ganze Kette der Berührungen zwischen dem Anfang und jeder folgenden Wieder­ gabe. Darum ist es denkbar, daß psychoskopisch Veranlagte besonders aus der Photographie hellseherische Angaben über die Person zu machen wissen. Genau das gleiche, »ach demselben Prinzip, ist mit der

Handschrift, auch der technisch reproduzierten Handschrift, der Fall. Und so muß es für jeden Gegenstand in erhöhtem Maße zutreffen, der mit irgend etwas, also einem lebendigen Wesen, einem Tier, einer Person, einem anderen Gegenstand einmal in einer phyflsch unmittelbar sichtbaren und räumlich ungetrennten Berührung «ar. Es müssen sich auf solchem Weg psychoskopisch Aussagen etwa über die Geschichte eines Wesens oder einer Landschaft, eines Hauses machen lassen, worin der Gegenstand lag, wohin er gehörte. Und

so ist selbst ein gemaltes oder bloß zeichnerisch umrisseves Blld in Berührung mit der Person gewesen, die es darstellt. Denn dieses BUd ist verfertigt von einem Menschen, der die zu bannende Person, das zu treffende Tier mit leiblichen Augen gesehen und bei dieser Beobachtung oder aus seinem Sinnengedächtnis wieder reproduziert. Indem nun das Bild angefertigt wird, kommt jene lebendige Strahlvng aus dem Auge des Ver­ fertigers ebenso zur Geltung wie aus der photographischen Platte auf die Kopie. Nur das übertragende „Medium ist ein anderes; der Vorgang selbst ist kosmisch der gleiche. Und so beruht die mögliche Zauberwirkung auch aus einem gemalten Blld ebenso auf dem Prinzip der Wirkung des Gleiche» auf das Gleiche. Daraus erklärt es sich nun, daß tatsächlich nur eine „entfernte" Ähnlichkeit nötig ist, um den Zauber auszuführen; ohnehin sind ja in der Natur niemals zwei gleiche Dinge wirklich gleich; sie sind es nur unter bestimmten Gesichtspunkten für unser Erleben. „Will man Regen haben," sagt Scherte!, „so wird irgendeine Handlung avsgeführt, die mit Regnen eine entfernte Ähnlichkeit 116

hat; will man Feinde vernichten, so werden etwa Kriegstänje veranstaltet; will man sich etwas aneignen, so wird die Tätigkeit des Nehmens, Stehlens oder Raubens nachgeahmt." Versteht sich, daß dabei immer das Kennen und Erleben des Gegenstandes, den man bejaubern will, Voraussetzung ist, sei es, daß man ihn zuvor hellfichtig oder unmittelbar physisch erblickt hat. Die andere, und zwar die physische Voraussetzung, ist die von uns oben ent­ wickelte kosmische Zusammengebundenheit aller Dinge und Wesen. Und überbaut, innerlich zusammengebracht und reaktiv wirksam gemacht wird der Zauber durch die seelische Wallung, die man ganz allgemein ein vom Bewußten ins Unbewußte und umgekehrt verlaufendes Begehren nennen kann und das nun in den Körpern eine entsprechend gerichtete Objektivation des physischen Gestal­ tungswillens oder des organischen Bildens hervorruft. Es mag dem gewöhnlichen Borstellungsvermögen verwunderlich und unsinnig erscheinen, so weitgehend die Zusammenhänge der Dinge zuzugestehen, und doch mutet man uns zu, an eine Fernwirkung der Schwerkraft im Weltraum oder an ein Herumkreisen in Atom, körpern zu glauben. Für mich ist solches solange unglaublich, als man es nicht ebenso auf einem Jnnenweg erklärt. Das Prinzip der Wirkung und Hervorrufung des Gleichen durch das Gleiche können wir noch an verschiedenem anderem verfolgen. Durch dasselbe ist etwa das Versehen der Frauen zu erklären; auch die Wahlverwandtschaften, die oft schon im frühen Alter konzipiert werden mögen, wenn die Seele des jungen Wesens Eindrücke empfängt, die durch das Unbewußte auf die Ge­ schlechtssphäre wirke». Es beruht darauf auch der Trick, das Huhn zum Eierlegen zu bringen, indem man ihm ein künstliches Ei ins Nest legt. Es beruht darauf der ganze physiologisch-biologische Erscheinungskomplex des Nachahmens von Färbungen, Blättern, Steinen oder anderen Organismen durch Tiere — alles jene okkulten sympathetischen Verkettungen, durch die das biologische Problem der Mimikry erst wirklich von innen her erklärbar wird. Hier werden eben durch das Auge oder durch die Nahrung Stoff­ qualitäten ausgenommen, die in einem Aufspalten auch des anor­ ganischen Stoffes und in einer Aneignung von dessen gestaltenden ii7

Kräften beruhen müssen. Auch in der Magie ist das Verzehren des Opfers oder bestimmter Teile desselben das Wirksame und ebenso in der magischen Volksmedizin. Wenn demnach der Assimilationsprozeß im Organismus, durch den er seine Lebensflamme erhält und in der Lage bleibt, sich weiter zu gestalten und seine Lebensbedürfnisse zu erfüllen, darin besteht, daß das in ihm schon entfaltete Lebendige nun die verschlossenen Kräfte und Eigenschaften des Nahrungsstoffes aufschließt, auf­ spaltet und für sich verwertet, dann liegen eben diese Eigenschaften danach im Organismus als sein lebendiges Eigentum, aber sie beherrschen ihn auch im ganzen Zusammenhang seines Daseins zugleich mit, weil er sie eben lebendig, d. h. wirksam in sich herein­ genommen hat. Die Aufspaltung also, die das Leben mit dem anorganischen Stoff vornimmt, und dessen innere geheime Lebendigkeit es sich damit einverleibt, ist also etwas wesenhaft anderes als der von der mechanistisch oder vitalistisch denkenden Biologie vorgestellte physikalisch-molekulare Einbau der anorgani­ schen Materie in den nur aus Verwebung und Wirkung molekularer Kräfte zusammengesetzt gedachten Organismus. Wenu die Idee der Homöopathie darauf beruht, durch grenzenlose molekulare Feinverteilung verdeckte Eigenschaften der Stoffe frei und wirksam werden zu lassen, so hat sie empirisch vielleicht gerade das erfaßt, was wir soeben die Aufspaltung der Stoffe zum Herausholen ihres Okkult-Lebendigen nannten und was sie, ohne es zu wissen, an­ wendete. Sie ist daher der Absicht nach schon eine magisch gerichtete Medizin, im Gegensatz zur Schulmedizin unserer Epoche. Mit dieser Aufdeckung eines Zusammenhanges, der, indem er sich vollzieht, magisch erscheint und materialistisch wie vitalistisch als einfache Stoffübertragung nicht zu erklären ist, haben wir nun den Weg aufgezeigt, auf dem Wirkungen erzielt «erden können und Vorgänge sich ohne bewußtes Zutun des Menschen abspielen, die sonst unverständlich sind. Auf die Art der Wirksamkeit homöopathischer Arzneien wurde soeben vorübergehend schon hin­ gewiesen. Eine andere Art Volksmedizin, als Aberglaube und Sinnlosigkeit von den Allesmünzern verworfen, ist die Sympathie­ heilung in der Form, daß der Lungenkranke etwa eine gesunde ii8

Ochsenlunge verspeist, um stch ihre gesunde Kraft zunutze zu machen. Das ist freilich ein Unsinn, wenn man meint. Lungen­ substanz gehe als solche in die Lungensubstanz des Essenden ei». Vielmehr ist es auch hier wieder so: Sobald die Lunge dem Ochsen entnommen ist, ist sie ein assimilierbarer Stoff. Zn diesem liegen, solange er nicht in Zersetzung übergegangen ist, unaufgespalten noch die Potenzen, welche die Lunge zu einer gesunden Lunge gemacht haben. Durch das Verzehren und Aufnehmen in de» Körper spaltet dieser, wie aus jeder anderen Nahrung, die ihm dienlichen Substanzen auf und entnimmt für sich die latent gebliebenen Lebeaspotenzen in sein Blut, die eine gesunde Lunge schaffen, also seine kranke heilen können. Beherrscht aber ist der Heilungs­ vorgang von der ins Unbewußte eingegangenen und von dort aus organisch wirksam gewordenen Vorstellung, von Wunsch und Bedürfnis des zu Heilenden nach einer geheilten Lunge. Sinn und Bedeutung dieser Auffassung wird der Abschnitt über das „Organische Gestalten" noch entscheidend hervortreten lassen. Auf demselben Grund beruht, wie gesagt, das Versehen von Frauen; es beruht darauf die auf den ersten Blick so leere Medizin der Mittelalterlichen mit ihrem Feuchten und Trockenen, Wässerigen und Dünstigen; es beruht darauf die Bezeichnung des Saturnhasten, Jupiterhaften in der Astrologie. Alle in den Dingen und Wesen enthaltenen Eigenschaften werden von her Lebensseele des Individuums, des Organismus angezogen, aus­ genommen, aufgespaltet und deren latente okkulte Lebens­ fähigkeit in die aktive Lebendigkeit des Organismus übersetzt. Darin beruht jeder, auch der geringste organische Prozeß in unserem Körper. Das ist es, was wir aktiv-organisches Leben, im Gegen­ satz zum latenten des Mineralisch-Anorganischen, nannten und was im allgemeinen Sinn immer magisch, genauer gesagt: naturmagisch ist. Niemals geht die Aufnahme eines Stoffes in den Verband eines Organismus durch Assimilation mechanisch vor, etwa so, wie man sich die Vereinigung zweier Stoffe im Reagenzglas vorzustellen hätte; sondern immer auf dem natur­ magischen Weg des „Gefühlsmäßigen", also Unbewußt-Seelenhasten, das in allem Organischen lebendig tätig ist. ii9

So wird nun vermutlich auch in der Zauberei das Aneignev von Dingen oder Wesen im voraus bereits dadurch vollzogen, daß man durch den beschriebenen unmittelbaren oder kosmischen, aber gewöhnlich physisch unsichtbaren Kontakt Ausstrahlungen sich aneignet oder die eigenen hinsendet, Andere derselben teilhaftig macht, solcherweise bannt, so weiterwirkt ins Seelische, oder beim Ding ins Unpersönlich-Seelische, und so die Natur gestaltet oder herlentt nach dem Willen des Zaubernden. Wenn die Jntellektualmedizin das Lebendige der Natur be­ nützt, indem sie etwa Blutegel ansetzt oder heute zur Reinigung des Darmes Hefepilze einführt, oder zur Hellung der Syphilis­ streptokokken Malariaerreger eivimpft, so beeinflußt sie freilich Leben durch Leben; aber wiederum intellettuell mechanisch durch eine Apparatur, die in diesem Fall gerade kein totes Instrument, wie beim Chirurgen die Schere, sondern ein lebendes, aber immer noch, da intellettuell und mit äußerlichen Mitteln herangebracht und verwendet, Instrument bleibt, selbst wenn es lebendige Tierzellen sind, die lebendig wirken. Die Lebendigkeit der Magie und des magischen Verfahrens und Mittels aber ist eine andere, nämlich eine nicht von außen herangebrachte. Denn hier wird ein Sicht­ blick in das innere Weben der Natur getan. Es wird mit seelischer Einstellung und Kraft die Naturkraft auf innerem Weg erkannt. Es wird die organisch gestaltende unbewußte Willenskraft der Natur, die im Hellenden wie im zu Heilenden eine ist, geweckt, durch das seelische Medium übertragen. Es ist die durch Jnnenschau ermöglichte unbewußte Willensbezwingung des Lebendigen in der Natur und die von innen her erfolgende lebendige Übertragung. Dieses „Naturlebendige" ist nicht organisch im Sinn des Gegen­ satzes zum Anorganischen, so, wie es unsere intellettuelle Anschau­ ung unterscheidet; sondern es ist das im ganzen Dasein aller Natur sich unmittelbar Ausdrückende und Objektivierende, was Schopen­ hauer „Wille zum Dasein" nennt und den man eher das „Aussich-Schöpferische" nennen könnte, um zu vermeiden, daß bequemes Mißverstehen bei dem lebendigen „Willen zum Dasein" immer an eine individuell reflettorische Willensäußerung der sichtbaren Natur, wie wenn sie ein Lebewesen wäre, denkt. Es ist also das

in der ganzen Natur seelisch Daseiende und sich Manifestierende, vermöge dessen überhaupt die Möglichkeit besteht, Gleiches aus Gleichem zu erzeugen. Ganz unverständlich, aber auch irgendwie auf dem magischen Prinzip vom Gleichen zum Gleichen beruhend, ist die bekannte Doppelfälligkeit der Dinge und Geschehnisse, worüber uns v. Scholz eine Zusammenstellung geschenkt hat. Wenn man darauf achtet, findet man immer wieder das Zusammentreffen ober das un­ mittelbare Nacheinanderkommen ähnlicher oder gleicher Er­ eignisse und Erscheinungen, die oft alleräußerlichste und, wenn man sie so konstatiert, ganz lächerlich wirkende Dinge betreffen. Wer viel auf der Landstraße fährt, wird immer wieder bemerken, wie lange Zeit die Straße leer ist. Nähert man sich einem langsam fahrenden Bauernwagen, so kommt gewiß im selben Augenblick von rückwärts auch ein Automobil und von vorne noch ein Motor­ fahrer; wir alle treffen uns dann an derselben Stelle; womöglich ist dort auch die Straße noch besonders schlecht. Auffallend ist die periodische Gleichzeitigkeit desselben Namens in Todesanzeigen in größeren Tagesblättern, die ich deshalb gelegentlich immer wieder verfolge und tellweise sammele. Auch gleichnamige Ab­ senderfirmen von Briefen und Drucksachen, die in keinem er­ sichtlichen Zusammenhang stehen, treten gelegentlich unter der Korrespondenz auf. Ernster ist das Zusammentreffen von Unglücks­ fällen, wofür man bei einiger Aufmerksamkeit immer wieder bei Famllien Material genug findet. Goethe erzählt eine Geschichte, welche den bekannten „Aberglauben" zum Gegenstand hat, daß beim Zerspringen eines alten Möbels auswärts in derselben Fa­ milie ein Unglück passiere. Er erzählt von einem Schreibpult aus Eichenholz, das aus demselben Baumstamm geschnitten war wie ein ihm genau gleiches, das anderwärts auf einem Gut der nächstverwandten Famllie stand. Als dort das Haus abbrannte und der eine Schreibtisch ein Opfer des Brandes wurde, zersprang der Schwesterschreibtisch auf dem anderen Gut, und man erwartete, bald von einem Unglück zu hören, was sich danach derart erwies. Hier in diesem letzteren Fall läßt sich ja eher ein naturhafter Zusammenhang zwischen beiden Gegenständen noch erkennen.

weil sie aus demselben ehemals lebendigen Holj gebaut waren und daher im oben beschriebenen Sinn immerfort Kontakt mit, einander gehabt haben könnten, so wie es jede Photographie mit dem Aufgenommenenen haben muß. Aber die Wiederholung etwa des gleichen Namens in Anzeigen oder Briefsendungen ist in ihrem Zusammenhang nicht so leicht theoretisch formvlierbar, und hier muß ein übergeordnetes Prinzip dabei sein, das in etwas an das im Folgende» beschriebene „Gattungsgedächtnis" gemahnt, in dem sich lebendig wirksame Assoziationen ohne wirkliche Wesensgleichheit einstellen und sich so zur sichtbaren gleichartig erscheinenden Äußerung gestalten können. Bon innen gesehen müssen es — ich weiß es zunächst nicht anders auszudrückev — Assoziationen ganz eigener Art in einem Medium, einem natur, haften Zustand sein, den wir nicht zu umschreiben verstehen, der aber irgendwie aus unbewußten Vorstellungen äußere Gleich, heilen schaffen oder sich solcher bemächtigen kann und den wir zu, nächst wohl nicht besser bezeichnen können als den magischen Zu, sammenhang von „Gleich und Gleich", der auch ein Grundmotiv in den Gestaltungen der organischen Natur ist.

19. Das organische Gestalten. Es ist bezeichnend, daß im gedanklichen Mittelpunkt einer gewichtigen naturwissenschaftlichen Theorie über die Entstehung der Arten das Magische steht. Es ist aber auch bezeichnend, daß sie gerade in diesem Punkt auch von der Schulwissenschaft abgelehnt oder umgewandelt und deshalb in ihrem wahren Sinn entstellt oder mißverstanden wurde. Überhaupt ist jede gute, innerlich Wesentliches treffende Theorie über das organische Bllden bisher durchaus magisch gerichtet gewesen, ist aber auch von Phllosophen und nicht von Naturforschern der Schule geschaffen worden. So in neuerer Zeit die Lehren von Hartmann, Bergson, Schopenhauer, in etwas früherer Zeit aber die „Philosophie zoologique“ von Lamarck, der jedoch ausgesprochener Natur, forscher und als solcher am Jardin des Plantes beamtet war, viele beschreibend naturgeschichtliche Arbeiten geliefert hat und

wohl nur deshalb mit seiner genialen Theorie nicht ganz ver­ neint wurde. Verstanden ist er in seiner ganzen Tiefe aber bis heute noch nicht. Zur Zeit Lamarcks, um die Wende vom i8. zum 19. Jahr­ hundert, lag die Idee in der Luft, daß die Arten der Tiere wand­ lungsfähig seien und dies im Zusammenhang mit den Änderungen ihrer Umgebung. Besonders in Frankreich spielte dieser Gedanke durch Buffo», später durch Etienne Geoffroy St. Hilaire eine entscheidende Rolle, und dieser letztere «ar es auch, der zuerst die den heutigen nächstverwandten vorweltlichen Formen als genetische Vorläufer jener in Anspruch nahm. Die Arten bleiben gleich, so lange der Kreis äußerer Bedingungen stch gleich bleibt; und sie ändern sich entsprechend, sobald die Lebensbedingungen sich ändern. Lamarck nun nahm dies gleichfalls an und belegte es durch den Hinweis auf die tägliche Beobachtung, die man an den lebenden Wesen hierüber machen kann, wenn sich durch Übung und Gebrauch ihre Organe verbessern. Aber er ging weiter. Denn es genügte ihm nicht die Hervorhebung der Tatsache einer orga­ nischen Wandlung, sondern er forschte nach den bewirkenden Kräften und Vorgängen selbst. Er fragte sich, wieso die wechselnden äußeren Umstände zu einer Formwandlung bei den lebenden Wesen führen möchten. Gewohnheit einer bestimmten Lebensweise, eines bestimmten Gebrauchs der Organe, Übung und Anstrengung, Festlegung ein­ getretener Veränderungen durch Erblichkeit sind die physiologisch­ biologischen Momente, welche bei der Umwandlung mitsprechev und dem Körper ebenso die Möglichkeit zur Umwandlung geben wie er wächst, sich ernährt, sich fortpfianzt. Es bestimme daher nicht die gegebene Form die Lebensweise des Tieres, sondern die Lebensumstände bestimmten und wandelten die Form. Entscheidend aber und von Lamarck selbst in seiner ganzen Tiefe und Auswirkung noch nicht erfaßt, ist der Gedanke bei ihm, baß Seele und Körper eine Einheit seien und daß jene bei der urteilung der organischen Formgestaltung nicht außerhalb der Betrachtung gelassen werden könne. Während nämlich die materialistisch-mechanistisch orientierte Entwicklungslehre, also

besonders die Darwinsche, überhaupt nichts von der „Seele" weiß, sondern immer und immer wieder den Stoff und die Form des Stoffes nur kennen und verstehen will, nimmt Lamarck den organischen Körper, wie er es eben ist, als den beseelten Körper. Seine Bedürfnisse, Gewohnheiten und sensitiven Ein­ drücke werden ebenso sehr in den Kreis der Erklärung herein­ genommen oder als Mittel jur Erklärung der Formgestaltung gebraucht, wie das Material des Körpers selbst. Dies ist fest­ zuhalten, wenn man die Lamarcksche Lehre verstehen will. Das Merkwürdige ist nun, daß Lamarck infolge des noch um ihn herrschenden Rationalismus selbst gar nicht imstande war, die ungeheure Konsequenz seiner Lehre und seiner Beweisführung zu erkennen, die geradezu eine naturwissenschaftliche Theorie des magischen Naturwirkens ist. Die Lehre war für die damalige Zeit überhaupt nicht schmackhaft und blieb ziemlich unbeachtet. Es kam dann die Epoche, aus welcher der Darwininsmus hervorging. Es ist unerhört in der Geschichte der Wissenschaft, sagt A. Wagner, daß eine Lehre zuerst ohne Beachtung blieb, dann ein halbes Jahrhundert später von einer zwar dasselbe wollenden, aber in ihrem Wesen doch andersartigen Lehre vollständig verdrängt wird; daß unterdessen ein immer gewaltigeres Tatsachenmaterial anschwillt und daß endlich gerade unter der Wucht dieser von der feindlichen Theorie selbst geförderten Tatsachen jene alte Lehre fast ein Jahrhundert später auflebt und sich den Tatsachen ange­ messener zeigt als die jüngere, und nun zu einem Kampf zweier Weltanschauungen auf naturwissenschaftlichem Boden führt. Die zentrale Annahme, die Lamarck machte, war nun die, daß die lebendigen Formen nicht fertig da sind und dann funktio­ nieren, sondern daß umgekehrt durch die Tätigkeit des Körpers, durch seine Anstrengung und Leistung selbst, sowie durch das organisch gefühlte bewußte oder unbewußte Bedürfnis der Kör­ per selbst sich bllden bzw. umbilden müsse. Der augenscheinliche Beweis lag für ihn in der Erfahrungstatsache, daß Tiere und Pflanzen, unter andere Lebensverhältnisse gebracht, anders «erden und anders funktionieren, wie sich etwa ein Pelz in der Kälte verstärkt; dann aber, daß man ideale Vollkommenheits-

grade unterscheiden kann in bejug auf die bestimmten Lebens­ bedingungen. Somit bilde die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Organismus in diesem selbst und aus diesem die neue Form. Es ist das Unbewußt-Lebendige, welches Bedürfnisse empfindet und die Wege zu ihrer Befriedigung einschlägt. Hier ist nun eine Derknotungsstelle von Kräften berührt, deren Wesen Lamarck noch nicht zu unterscheiden vermochte und zu deren Erfassung erst die Erkenntniskritik und psychologische Philosophie des 19. Jahrhunderts den Unterbau lieferte, ja deren ganzen Umfang und Charakter wir erst jetzt mit dem neuesten Forschvngsstreben wenigstens zu formulieren in die Lage kommen. Dor allem war er fich in keiner Weise klar — und die Naturfor­ schung selbst ist sich heute größtenteils noch nicht klar darüber — daß der Begriff des Bewußten und Unbewußten entscheidend hier hereinragt. Ihn hat, gerade für den Naturforscher, erst die Philo­ sophie des Unbewußten von E. Hartmann brauchbar gemacht. Leben und damit Bedürfnis fühlen und auf Bedürfnis reagieren, ist nicht nur ein dem Bewußtseinsindividuum Zu­ kommendes, sondern ein Allgemein-Organisches, das zwar im Individuum verläuft, aber nicht in dessen individuellem Bewußt­ sein durchweg zum Ausdruck kommt. Eine große Zahl von Hand­ lungen und Bewegungen führt auch das Tier bewußt aus. Aber eine noch größere Zahl unbewußt. Dort, wo derselbe Vorgang bewußt und unbewußt ausgeführt werden kann, liegt die erkennt­ niskritisch wichtige Nahtstelle zwischen beiden Seelenzuständen. Es kann das Zuschlägen des Augenlides beim plötzlichen An­ nähern eines schädlichen Gegenstandes reflektorisch unbewußt vor sich gehen; es kann aber auch mit voller Bewußtheit voll­ bracht werden. Es geht das Atmen unbewußt vor sich; es kann aber auch mit voller Bewußtheit durchgeführt werden. Wie nun das Atmen ein gewöhnlich unbewußt, ohne das Zutun des Indi­ viduums verlaufender Akt ist, so ist der Herzschlag völlig dem Willen des Individuums entrückt. Dennoch kann der Herzschlag durch Freude- oder Angstgefühl gehoben oder vermindert werden. Wir wissen dasselbe vom Derdauungsapparat, von der Säfteavsscheidung. Der bewußte Wille scheidet hier also völlig aus und

höchstens bewußte Vorstellungen vermögen mittelbar die sonst durchaus unbewußt bleibende Funktion ju beeinflussen. Es gibt endlich auch Vorgänge, wie das Wachstum des Körpers, der Knochen, der Haare oder die Tätigkeit von Niere und sonstiger Organe, die wir weder durch bewußtes Wollen, noch durch be­ wußte Vorstellungen erkennbar zu beeinflussen vermögen. Damit sind wir ganz im unbewußten Schaffen des Organismus, der Natur angelangt, und dieses Unbewußte ist es nun auch, was neue Individuen schafft, was neue Varianten und sonstige Körpervmbildüngen am Individuum oder von Generation zu Generation bewirkt. Es ist klar, daß dieses Unbewußte des Organischen ebenfalls „Bedürfnisse fühlt". Die daraufhin erfolgenden Wandlungen sind eben jene, welche den springenden Punkt der Lamarckschen Lehre ausmachen. Daß Unbewußtes Bedürfnisse hat und fühlt, daß Unbewußtes Formänderungen ebenso hervorbringt, wie es die Funktionen des Körpers bedingt und leitet: das muß festgehalten werden, wenn man das, was Lamarck »och verworren und unge­ klärt ahnte und aussprach, nun wirklich durchschauen will. Man muß, wenn man den Genius Lamarck über den per­ sönlichen Denker Lamarck hinaus erfassen und verstehen will, ihm mit dieser Formulierung denkend zu Hilfe kommen. Zugleich bemerkt man jetzt den ganzen abgrundtiefen Unterschied zu Darwin. Bei Darwin verhält sich der Organismus wesentlich passiv; er ist ein mechanisch verändertes Objekt. Bei Lamarck ist er ein be­ wußt und unbewußt Beseeltes, also ein Lebendiges, reagiert aktiv, ist organisch gesehen, und seine Bedürfnisse schaffen seine Formen. Ist dies nicht eine geradezu Magisches bezeichnende Auffassung? Wollen wir uns nun einmal ganz auf die Ausdrucksweise Lamarcks selber einstellen, die für uns zunächst etwas lächerlich Naives zu haben scheint; daraus soll das von ihm noch nicht zu­ reichend Formulierte abgeleitet werden. Lamarck sagt etwa: Die Schwimmvögel oder Meeressäugetiere haben ihre Schwimm­ häute bekommen dadurch, daß sie im Wasser die Zehen auseinander­ streckten und Ruderbewegungen damit machten; der Reiz und daS Bedürfnis nach Schwimmhäuten sowie die Anstrengung zum

Schwimmen hin bewirkten diese organische Gestaltung, die sich in Generationen immer vollkommener ausprägte. Oder er sagt: Die Sumpfvögel bekamen infolge ihres Watens im Schlamm lange Beine; die Schnecke bekam Fühler aus dem Bedürfnis heraus, alles jv betasten. Die Lunge der Vögel dehnte sich in die Knochenhöhlen hinein aus, weil die Vögel sich bedürfnis­ gemäß immer aufbliesen, um sich für den Flug, der juerst ein Drang und eine Anstrengung danach war, leichter zu machen. Und das klassische Beispiel: die Giraffe war im graslosen Afrika auf das Laub der hohen Bäume angewiesen, streckte bedürfnis­ mäßig und unter Anstrengung Vorderbeine und Hals solange, bis sie im Lauf vieler Generationen die wunderliche, vorne ge­ hobene langhalsige Gestalt von vielen Metern Höhe erhielt. Nimmt man diese Ausdrucksweise mit Lamarck ganj naiv hin als äußerlich naturhistorische Beschreibung des Hergangs, so mutet sie an wie ein Märchen; d. h. sie mutet uns so an, wie wenn der Wunsch, das Begehren jauberhafte Wirkung auslöfle und nun den Organismus als den Zauberer selbst „verwandelte". Jeder auf seinen Verstand pochende Naturforscher mußte natürlich pflichtgemäß darüber lachen und diesen Gedanken als kindisch, als unwissenschaftlich abtun. Ihn anzuerkennev hieße: sich zur magischen Weltauffassung bekennen. Es ist bezeichnend für den rationalistischen Sinn, den man auch der lebenden Natur und ihrem inneren Gestalten entgegen­ brachte, daß selbst dort, wo Lamarck Anerkennung fand, doch wieder nicht die Tiefe des Problems erfaßt, sondern etwas Rationales aus der organischen Gestaltung gemacht wurde. Man suchte das biologisch Zweckmäßige, wie es uns als solches erscheint und den Organismus als solchen ausmacht, auf ein nach rationalen Grundsätzen im Organismus sich Betätigendes zurückzuleiten. Dies begegnet uns in einer Lehre, die wohl das Extrem, wenn auch in seiner Begründung geistvollste Extrem an rationaler Auffassung des Lebensvorganges darstellt, was die versinkende Periode der Naturforfchung hervorbrachte, zugleich das Geistvollste, was zum Lamarckismus gesagt und worin er in einer falschen Richtung zu Ende gedacht wurde.

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Dies hat A. Pauly in seinem Werk „Darwinismus und Lamarckismus" geleistet, der versuchte, in jene merkwürdige Bejiehung zwischen dem Lebensbedürfnis und dec danach ge­ stalteten Form an der entscheidenden Stelle, wenn man will, an der eigentlich magischen Stelle, Licht zu bringen, indem er die Frage stellte: Wie kommt dieses seelische Moment des bewußten oder unbewußte» Bedürfnisses dazu, sich in organischer Form­ bildung zu äußern?

Schreibt man das Giraffenbeispiel planmäßig in den ein­ zelnen Stadien des nach Lamarck vorgestellten Ablaufes hin, so bekommt man folgende Reihe:

1. 2. 3. 4.

Einwirkung der Außenwelt Fühlen des Bedürfnisses Anstrengung Umwandlung

— — — —

Hoher Baum. Hunger nach Blättern. Strecken des Halses. Verlängerung des Halses.

Das Fühlen des Bedürfnisses (2) infolge der Umweltwirkung und die daraus entspringende Anstrengung (3) sind seelische Vor­ gänge, die uns als solche unmittelbar bekannt und in ihrem inneren Ablauf daher verständlich sind; es sind keine verstandesmäßigen, sondern gefühlsmäßige Qualitäten. Das Lamarcksche Rätsel liegt zwischen 3 und 4. Wie führt die Anstrengung zur Umwand­ lung, also das seelisch-bewußt oder unbewußt Gefühlsmäßige zu einer körperlichen Gestaltung, die sich als biologisch zweckmäßig erweist? Es ist die alte Frage: Wie entsteht organische Form? Wir sehen den Vorgang hier ganz in den Organismus hinein­ verlegt, nicht, wie bei Darwin, wesentlich von außen sich voll­ ziehend gedacht. Jede Theorie des Zweckmäßigen, sagt nun Pauly, die mit der Anerkennung eines tätigen Vermögens des Organismus selbst beginnt und in ihm gründet, also die Ursache der Form­ gestaltung im Organismus selber sucht, muß „Psychologie im weiteren Sinn werden, well innere organische Zustände als Ursache bestimmtgerichteter physischer Abläufe eben seelische Zustände sind. Pauly erkennt an, daß die biologische Reaktionsfähigkeit in den einzelnen Regionen des Organismus nicht davon abhängt, ob sie

dem Individuum bewußt oder unbewußt sich vollzieht. Dieses letztere festgehalten, versteht man nun die wetteren Schluß­ folgerungen Paulys, der etwa sagt: Die Gestaltung von Zweck, mäßigem sei stets nur dann möglich, wenn am Ort der Emp, finduvg des Bedürfnisses auch die Vorstellung eines Mittels zur Befriedigung des Bedürfnisses entstehe. Das aber sei nur mög, lich, wenn dieser Ablauf sich innerhalb desselben Subjektsempfin, dens vollziehe, weil nur so die Verknüpfung des Bedürfniserlebens mit dem Bedürfnisbefriedigen, also ein „Urteil" möglich sei. So beantwortet Pauly, sinngemäß Lamarck weiterbildend, unsere Frage, was zwischen dem Ereignis 3 und 4 sich abspiele: es voll, ziehe sich darin die Tätigkeit eines „urtellenden Prinzips". Daß hier nicht ein urteilendes Prinzip gemeint ist, das mit dem Bewußtwerden des Bedürfnisses im Persönlich,Individuellen, also bei uns etwa in unserem Wachverstand, identisch sei oder gar von ihm abhänge, ist jedem klar, der nicht aus absichtlicher Dor, eingenommenheit oder mangelndem erkenntniskritischem Der, mögen heraus mißversteht. In jedem Organismus ist nun gleiche Svbjektsempfindung da, ganz abgesehen vom etwaigen persön, lichen Bewußtwerden. Dieses einheitliche Subjektsempfinden, das ja auch staatenbildende, körperlich verbundene Tiere haben, ist nichts anderes als das, was wir Korrelation nennen; jeder Teil eines Organismus hängt dadurch mit dem anderen in gemeinsamer innerer Einheit zusammen, die sogar so weit geht, daß ein zerschnittener Regenwurm aus beiden isolierten Hälften das ganze Tier regenerieren kann, daß also die Telle in sich die „unbewußte Vorstellung" des Ganzen haben, zu dem sie sich wieder auswachsen, oder — lamarckisch gesprochen im Sinne Paulys —, daß das Bedürfnis zur Regeneration des Ganzen auch die Mittel zur Befriedigung des Bedürfnisses ergreift und die zweckmäßige Herstellung der fertigen Form schafft. Treten wir kurz in die Kritik dieser Idee, die in der ziel­ bewußten Vollendung des Lamarckismus liegt, ein, so müssen wir uns vor allem klar machen, daß alle Ausdrucksweisen, die sich auf unbewußte Vorgänge, auf Jnstinkthandlnagen, auf organi, sches Bllden beziehen, notwendig unserem bewußt reflektierenden OaequL, Natur und Seele.

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Intellekt entnommen sind, mithin sich einer aus diesem über­ tragenen Ausdrucksweise bedienen müssen. Wir können stellen­ weise vielleicht das organische Bilden und Schaffen in uns unbe­ wußt mitfühlen; aber wir können es in klaren Sätzen nur schildern, als ob irgend etwas, irgend ein Subjekt hierbei Tätigkeit entfalte wie ein bewußt handelndes Wesen. Wenn man den Stoffwechsel im menschlichen Körper blldlich darstellen will, wie das jetzt in belehrenden Büchern gelegentlich geschieht, so wird die Funktion des Auges, des Gehirns, der Niere usw. immer durch elektrische Leitung mit Auslösern und eingejeichneten handelnden, kleinen Menschenfiguren gegeben. Jeder weiß, daß dies Veranschaulichun­ gen sind. Genau ebenso sind es Veranschaulichungen, wenn nun Pauly vom „urtettenden Prinzip" spricht und damit gewissermaßen ein bewußtes und bewußt handelndes Wesen wie einen ein­ sichtigen Disponenten im Organismus arbeiten läßt. Trotzdem wir nun wissen, daß hier aus der Bewußtseinssphäre bloß ausdruckshaft übertragen wird, um eine kausale Vorstellung zu haben, können wir doch nicht darüber hinaus und müssen uns mit dem symbolischen Ausdruck „urtellendes Prinzip" begnügen. Hier zeigt sich abermals, daß auch bei klarer Erkenntnis der inneren schaffenden, gestaltenden Zusammenhänge des organischen Bildens mit intellektuellen Begriffen nichts anzufangen ist, man nehme sie denn symbolhaft. Das Wesen des lebendigen Ablaufes ist verständlich nicht zu formulieren, sondern nur im Unbewußten zu ergreifen. Da hierfür der Verstand keine Kategorien hat, so bleiben wir auf der Außenseite des Geschehens. Das Leben in seinem schaffenden Wesen ist das „Ding an sich", von dem wir keine Vorstellung gewinnen können. Daß Pauly nun dieses Unbewußtbletbende blldlich ein „urtellendes Prinzip" nennt, erklärt uns im wachverstandlichen Sinn den Vorgang zwischen 3 und 4 nicht, sondern läßt uns nur erkennen, daß hier im tieferen Sinn vernünftige Kräfte walten, die im kontradiktorischen Gegensatz zu jedem Materialismus stehen, vielmehr auf ein biologisch zweckmäßiges Geschehen Hinweisen. Wenn daher Pauly davon spricht, daß die lamarckisch richtig durchgeführte Analyse den organischen Gesamtentwicklungsgang 130

zu einem „Entwicklungsgang der Vernunft" mache und ihn uns als solchen darjvstellen ermögliche, so steht er damit noch ganj in der von ihm selbst durchstoßenen naturwissenschaftlichen Weltauffassnng der verflossenen zwei Jahrhunderte, welche glaubte, daß das Leben und die Lebensvorgänge in ihrem Wesen rational seien, während wir wissen, daß das Leben dem Wachverstand und seinen Begriffen inkommensurabel ist, also im wahrsten Sinne des Wortes ein magisches Geheimnis bleibt. Die in den Individuen lebende Gattungs- oder, was das­ selbe ist, Artseele, und die anzuerkennen wir im folgenden noch alle» Grund haben werden, darf somit aber niemals „uttellend" wie ein wacher und zweckmäßig die Mittel handhabender Jadividualverstand genommen und als ein in solch äußerlicher Weise Ursache und Wirkung in einem zeitlichen Ablauf Setzendes dar­ gestellt werden. Die Gattungsseele handelt auf innere Weise oder magisch. Was aber heißt das in bezug auf unser Problem? ES heißt wieder, wie oben schon einmal dargetan wurde, daß Psychisches und Physisches nicht wie Ursache und Wirkung zu­ einander stehe», sondern zwei Manifestationen des UnräumlichUnzeitlich-Einen sind, dem Verstand transzendent, und daß das, was äußerlich wie Ursache und Folge aussteht, in seinem Wesen ein Einiges ist. Nun hat Schopenhauer jene metaphysische Welt ganz sinn­ voll die des unbewußten Willens zum Dasein genannt, die Kant die Welt des Ding an sich, Platon die der Ideen, Hartmann die des Unbewußten nannte, die wir oben als die wahre „Ur-Sache" bezeichneten. „Wille" in jenem metaphysischen Sinne ist nicht der individuelle Wille, der nur eine Spezialerscheinung des abso­ luten Willens zum Dasein ist und der sich auch in den unbe­ wußten Gestaltungsvorgängen des Universums und des «ntervnd überbewußt-organischen Schaffens und Geschehens kundgibt. Cs ist der schöpferische Gestaltungswille, den wir im Organischen als gestaltenden Gattungswillen, als Willen der Gattungsseele, im wetteren Sinne als den Typenwillen, mit Aristoteles und Goethe als Entelechie bezeichnen können — immer im Gegensatz zur bewußten Welt des Intellekts und der gegenständlichen Mel9*

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heil. Wenn wir nun, sagt Schopenhauer, vom Entstehen der Lebewesen, also auch von der Urjeugung schon reden und so im Sinne des Intellekts nach einem „Anfang" fragen, so ist das Problem intellektualisiert; es ist das Ganze in den engen Be­ wußtseinskreis hereingenommen und deshalb im Sinne einer tieferen Phllosophie gar nicht so zu beantworten. Und er ver­ weist auf Lamarck, der sich bemühe, darzutun, daß die Gestalt, d. h. die nach außen in Erscheinung tretende Körperlichkeit oder die Organe einer Tierart keineswegs beim Ursprung derselben schon dagewesen seien, sondern erst infolge der bewußten oder unbe­ wußten Willensbestrebungen, hervorgerufen durch die äußere Lage, durch die stets wiederholten Anstrengungen und daraus entsprungenen Gewohnheiten allmählich im Lauf der Zeiten von Generation zu Generation entstanden seien. Lamarck aber habe — so sagt Schopenhauer — den augenfälligen Einwand gar nicht beachtet, daß jede Tiergruppe, ehe fie soweit gewesen wäre, längst hätte zugrunde gehen müssen. Dennoch liege hier eine sehr richtige und tiefe Auffassung von der Natur zugrunde. Lamarcks Idee sei ein genialer Irrtum, der eben als solcher mehr wert sei als das äußerlich Richtige, «aS hundert Banausen sonst sagen. Das Wahre liege eben darin, daß es der metaphysische Wille zum Dasein, zur Gestaltung sei, welcher die Wesen schaffe. Das Falsche liege aber darin, daß Lamarck die Körperlichkeit als die Wirklichkeit an sich nehme; daß er, wie wir sagen könnten, die Wirklichkeit nm im inneren Kreis der Vielheit, in der Sphäre von Raum und Zeit sieht. Daher konnte er sie nicht anders ent, standen denken als in einer räumlichen Umgebung und in zeit­ licher Folge. Was hier Schopenhauer berührt, trifft nicht nur Lamarcks Lehre, es trifft die ganze Abstammungslehre und zuletzt die naiv realistische Naturwissenschaft schlechthin. Sie ist keine wahre Naturforschung, sondern wird es erst, soweit sie metaphysisch sieht und das magisch Wirkende erkennt. Lamarck kam also, wie Schopenhauer sagt, gar nicht auf den Gedanken, daß der Wille zum Dasein, der Wille zum Gestalten zwar in dem einzelnen Tier als Unbewußtes lebt, aber nicht als ein räumlich Abgegrenztes und

zeitlich Bestimmtes darin ist. Darum begehe er den Fehler, das Tier, wie es stofflich da ist, ausgehen zu lassen von einem gedachten ebenso wirklichen Tier, das sozusagen ohne ausgesprochene Organe vnd noch ohne entschiedene Bestrebungen bestanden habe, dennoch aber mit Wahrnehmung und Empfindung ausgerüstet gewesen sei; dann sollte es durch Willensreaktion in Wechselwirkung mit der Umwelt Organe bekommen haben. Hätte daher, sagt SchopenHauer, Lamarck den Mut gehabt, ganz bis zu Ende durchzudenken, so würde er ein Urtier haben annehmen müssen, das sinngemäß ohne alle Organe gewesen wäre. Damit aber würde sich ihm die Uvhaltbarkeit seiner Gedankenverbindung offenbart haben. Ja Wahrheit freilich gibt es ein „Urttet". Das aber ist nicht körperlich sichtbar als solches da, sondern dieses Urtier ist der unzeitliche, ««räumliche, der metaphysische Wille zum Leben, der Wille zur Gestaltung, die innere Natur. Das einheitliche Subjektsempfinden bringt je nach dem von ihm gefühlten Bedürfnis Willensimpvlse, die sich in diesem Augenblick mit ihm objektivieren, hervor. Sie treten heraus wie organisch-zweckmäßige Formgestaltung für den reflektierenden Intellekt. Was so, innerlich empfunden, Bedürfnis und Wille ist, ist äußerlich gesehen und mit intellektuellen Begriffen ausgedrückt: Stoffderänderung, Formveränderung, Fnnktionsänderang. Indem der Willensimpuls der Gattungsseele sich in dem beanspruchten Körper erlebt und findet, gibt er sich, äußerlich gesehen, als Form und Formgestaltung. So muß man, um auf lamarckischer Bahn wirklich zu Ende zu denken, alles äußerlich sich Vollziehende und Erscheinende von einer Innenseite her er­ schauen; man muß seinen Standpunkt im Metaphysischen nehmen. Es ist dies die naturwissenschaftliche Wahrmachung der von den tiefsten Geistern stets erkannten Wahrheit, daß das Äußere nur verständlich ist in einem gleichzeitigen Miterfühlen, Miterleben eines Innern: des Innern, von dem eben das Sichtbare die Außenseite, jedoch nicht im räumlichen Sinn, sondern Objektivation und da­ mit zugleich lebendiges Symbol ist. Dieses Innere ist nicht ein ränmltch-körperliches Innere, sondern ein transzendentes. Nicht als ob die Natur, das Gesamtdasein an sich, in zwei Hälften damit

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zerfiele: es ist ein Doppeltes, ein Zweiseitiges, insofern unser Wachbewußtsein nur für die eine Seite aufnahmefähig ist.

20. Verwandlung. Wir haben im Vorstehenden nun die Formbildung an fich betrachtet und sie als „magisch" erkannt. Noch eine weitere Seite -es Magischen können wir, im naturwissenschaftlichen Bereich verwettend, hinzufügen, wenn wir «ns überlegen, daß es nicht nur einen augenblicklichen individuellen, sondern auch einen über lange Zeiträume sich erstreckenden Ablauf der Formbildung und Formwandlvng gibt. Es sind Formentwicklungen, die nicht am Einzelindividuum, auch nicht in einer einzelnen Generation ganz sich ausbttden, sondern erst im Lauf von Generationen voll zur Erscheinung kommen. Sie erstrecken sich auf die Gattung in ihrer sichtbaren Gesamtform. Es ist also ein einheitliches Gattungs­ empfinden, ein höheres einheitliches Subjettsempfinden, ein „Gattungssrrbjekt", wie wir es erweitert nennen könnten, im lamarckistischen Sinne da, welches die einheitliche Gestaltung durch die Reihen der Generationen und Zeiten hindurch verbürgt. Cs ist, klar gefaßt, der einheitliche Gattungswille, die Gattvngsseele, die Entelechie. Diese ist jo mit der gemeinsame Ott für das durch Bedingungen der Außenwelt hervorgerufene gefühlte und so­ dann durch Formbildung oft erst in langen Generalionsfolgen erfüllte Bedürfnis. Es ist dem Individuum überbewußt, geht «eit über dessen eigenen Oaseinskreis hinaus und ist doch, wie die generationenlange Entwicklung der Form zeigt, einheitlich, immer lebendig da. Es hat einen Gattungswillen und ein Gat­ tungsgedächtnis. Hier haben wir ganz offenbar die für das Individuum transzendente, aber doch in ihm sich objettivterende Gattungs- und Gestaltungsseele. Die beschriebene Anordnung der Lamarckschen Gedankenreihe 1-4 hat auffallende Ähnlichkeit mit der Theorie der Suggestionen, wie sie Baudouin neuerdings entwickelt. Dies zeigt, daß hier we­ sensverwandte Beziehungen vorliegen, wenn nicht sogar dasselbe. Daß Vorstellungen von Übeln und Krankheiten oder solche von

möglichen Veränderungen des Organismus zu entsprechenden Bildungen und UmbUdungen führen, ist nur für die mit Absicht Nichtwissenwolleaden noch fraglich. Wir haben so viele Zeugnisse auch von Ärzten, denen Phantasterei ferne liegt, daß wir nicht mehr zu den Stigmatisierungen greifen und ins Mittelalter hinabsteigen müssen, um Beispiele z« holen. Was wir hier im Zusammenhang mit der Lamarckschen Theorie der Umwandlung der Arten auf Grund von Bedürfnissen, bewußten oder unbe­ wußten, meinen, deckt sich mit dem, was Baudouin über die Sug­ gestion im allgemeinen darlegt. Jede Suggestion ist ihm ja im Grunde Selbstsuggestion, insoweit eine Suggestion nur aus dem eigenen unbewußten Innern heraus wirksam wird und insofern auch die von außen zugeführte suggestive Idee im Innern des Empfangenden ihr Korrelat haben muß. Jede Selbstsuggestion ver­ läuft nun in drei Stufen:

1. Vorstellung einer Veränderung. 2. Prozeß der Verwirklichung, der für unser augenblickliches Ich unbewußt bleibt.

3. Hervortreten der Veränderung, die wir vorgestellt haben. Die zweite Stufe liegt ganz im Unbewußten. Das aber ist genau das Analogon von vnserer S. 128 oben dargelegten Reihe, in der eine lamarckisch gedachte Änderung des Artorganismus ab­ läuft und von der wir sagten, daß das „Mittelstück" im Un­ bewußten, in der Gattungsseele liege. Vielleicht könnte so, von der Biologie herkommend, der Begriff Gattungsseele auch fruchtbar für die Theorie der Suggestion «erden? Wenn Baudouin aber die Suggestion definiert als die unterbewußte BerwirMchung einer Idee: was ist die Darstellung der organischen Wesen in tieferem Sinne anderes als die unbewußte BerwirMchung einer Idee? Bei der Autosuggestion, sagt Baudouin, genügt es bloß, den Zweck zu denken; die Dinge gestalten sich dann ganz so, als ob unser Unterbewußtes unseren physischen und psychischen Orga­ nismus in allen Einzelheiten kennte und aus dieser Kenntnis heraus die nötigen Mittel erschlösse, die zur Verwirklichung des vorgesetzten Zieles führen. Wenn Baudouin, indem er solches

über die Suggestion sagt, unsere Darstellung des Lamarckismus gelesen hätte und darüber sprechen wollte, hätte er nicht ähnlichere Motte wählen können, um die Wesensgleichheit beider Abläufe: der suggestiv gestaltenden und des Lamarckischen der Artumwand, lung darzustellen. Daß aber, vom Subjett aus gesehen, nun wirklich das Äußere als Anlaß zur Formumgestaltung erscheint und daß zuerst ein Reiz und Bedürfnis daraus entsteht, und daß weiter dies wieder jenes magische Geschehen auslöst, wobei Gleiches Gleiches erzeugt, erhellt aus folgendem Beispiel. Es gibt einen kleinen Meereskrebs, der auf braunen, grünen vnd anders gefärbten Algen sitzt. Die einzelnen Tierchen haben dieselbe Körperfarbe wie die Alge, auf der sie sich bewegen. Der, treibt man sie, so suchen sie sich alsbald wieder Algenfäden aus, die ihrer Körperfarbe entsprechen. Bringt man sie in ein Aqua, rium, in das man nur Algen von einer Farbe tut, so drängen die so gefärbte« Tierchen rasch auf die Alge zu; die übrige« aber suchen; und wenn sie ihre Algenfarbe nicht finden, setzen sie sich notgedrungen auf die einzige andersfarbige, bekommen aber im Verlauf weniger Stunden dann die neue, entsprechende Farbe. Blendet man ihnen das Auge, so vollzieht sich diese Umwandlung nicht. Es ist also zweifellos, daß die Umwandlung des Körpers durch die sinnenhafte Perzeption des Farbeindruckes veranlaßt ist; ob dieser Eindruck bewußt oder unbewußt oder beides ist, bleibe dahingestellt. Natürlich hat die Wissenschaft eine wundervolle Erklärung für den Vorgang: denn es läßt sich unschwer nachweisen, daß durch den Reiz die Farbzellen der Haut zu anderer Funktion an, geregt «erden und alsbald, statt der früheren, nun neue Färb, stosse ausscheidea, welche den neuen Bedingungen entsprechen. Daß das freilich nur eine Beschreibung des mechanisch,physio, logischen Vorganges der Umwandlung ist, kann ja nicht weiter zweifelhaft sein; es ist dieselbe Kausalität, die wir oben beim Zusammentreffen des Wagens mit dem Fußgänger an der Straßen, krevzung erörterten. Das Problem liegt also auch hier nicht ein, fach in dem Nachweis des äußeren Ablaufs der Umwandlung,

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sondern dort, wo man fragt: wie kommt das Gestalten-Wollende, Seelenhafte, Organisch-Bildende daj«, sei es mit, sei es ohne Wissen des Individuums, aus einem Farbeindruck und damit ans einem dem Individuum bewußten oder unbewußten Be­ dürfnis heraus eine Anstrengung zu machen, die zur körper­ lichen Umwandlung, also einem finvemsprechenden Ende führt? Oben haben wir vom Aufschließen, vom Aufspalten der Materie gesprochen, wodurch eine Aneignung von deren Eigenschaften in den Körper des aufnehmenden Wesens stattfindet. Wir er­ klärten so die kosmischen Einflüsse und das Assimilieren von Stoffen im organischen Körper. Beim Wachstum einer Pflanze und der dadurch bewirkten Formänderung geht dieses Aufschließen des aufgenommenen Stoffes langsam und in der einfachsten Weise vor fich. Aber wie erklärt flch dann das organische Bllden der Farbe gemäß der Umgebung bei jenem oben beschriebenen Krebschen? Auf sein Auge strömt das blaue oder rote oder grüne Licht ein; der Lebensprozeß spaltet diese Influenz auf und entnimmt ihr die Eigenschaften, deren Anwesenheit und Befltz das Blaue, Rote, Grüne im Organismus hervorruft. Durch das Auge nimmt der Krebs also nicht blauen Farbstoff auf und leitet ihn in die Pigmentzellen seiner Haut, sondern die Emanation des blauen, roten, grünen Lichts wird aufgespalten und die entsprechende Eigenschaft der Alge assimiliert, die nun auch beim Krebs die gleiche Färbung hervorruft. Es wird dabei die lebendig gestaltende Körperseele beeindruckt und arbeitet danach die organische Ge­ staltung aus, die dann wieder als dieselbe Färbung wie bei der Alge erscheint. Jedenfalls ist es, metaphyfisch ausgedrückt, eine „Erinnerung", die das Blau oder Rot oder Braun im Unbewußten erfährt und aus der heraus flch nun das Gleiche objektiviert. Die Frage ist natürlich nicht gelöst, wenn man mit dem Natur­ forscher alles darauf schiebt, daß einmal irgendwann Krebse existierten, unter denen immer jene Individuen überlebten, bei denen die Eigenschaft, auf Farbe zu reagieren und durch das Auge beeinflußbare Pigmentausscheidungen zu habe», überwog. Denn eben das Zustandekommen auch der kleinsten Spur von Fähigkeit

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in dieser Richtung ist das Problem, und daran ist Halt zu machen, nm es jn erklären; es darf nicht einfach Doranssetzung sein, sonst nmgeht man das Wesen -er Sache, wie es der so verfahrende Darwinismns gerade tnt. Auch hier also würde sich eine wirkliche Erklärung nur ge­ winnen lassen, wenn wir in das „innere" lebendige Getriebe des organischen Gestaltens blicken könnten. Nicht in das räumlich Innere des Organismus, was wir ja mit dem Mkroskop recht gut können und wovon wir das Wissen um die Farbzellentätigkeit ja auch haben. Wenn es uns aber gelänge, in die organisch blldenbe, nicht kausal verstandesmäßige, sondern magisch-seelische Struktur einjudriugeu, wovon der Farblichteindruck auf das Auge das erste Glied ist, würden wir wirklich wissen, was bei dieser Wandlung vorging und wie sie zu vollziehen ist. Damit aber würden wir auch Beziehungen und Abläufe kennen gelernt haben, welche unmittelbar zur Benützung innerer Naturkräfte, organisch blldender seelischer Kräfte führten. Es würde uns ein Weg ge­ öffnet sein, nun auch bei «ns selbst um solche Zusammenhänge zu wissen; und da wir reflettierende, bewußt beobachtende Wesen sind, so würden wir auch erkennen, inwieweit sich mit unserem Willen solche Vorgänge in.Bewegung setzen lassen. Diese offen­ bar nur kurz gespannte kleine Brücke zu schlagen vom Sinnes­ eindruck des Krebschens bis zur ersten Reizung der Farbzellen: darin liegt das ganze Problem, wie in die Naturmagie einzu­ dringen, wie eine bewußte Wandlung des eigenen Körpers oder der Natur magisch zu erzielen sei, also wie man richtig naturhaft, nicht technisch zaubern könne, so, wie es die Märchen uns vorführen.

21. Abbild und Urbild. Wenn der Mensch das große Einheitserleben jenseits seiner bewußten Persönlichkeit hat, so ist er damit eingetreten in jenen all­ gemeinen Zustand, den man als den der G attungsseele bezeichnen kann. Er verläßt damit sein abgegrenztes eigenes Ich und erweitert sich in jenen inneren Lebensraum hinein, aus dem er selbst hervor­ ging, lange ehe er Bewußtsein hatte und in dem alle ihm gleich­ artigen Wesen wie in einem mütterlichen Haus umfriedet wohnen.

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Das Wesen alter Natursichtigkeit war, wie wir es im fol­ genden Kapitel beschreiben, etwa dies: das Eivjelindividnvm lag mit seinem noch nicht indtvidvalistisch entfalteten Bewußtsein ganz innerhalb des Gattungsbewußtseins und nahm darum teil an allen jenen inneren natur- und seelenhaften Gemeinsamkeiten, die dem individuell-bewußten Einzelwesen später nicht mehr so unmittelbar zugänglich find. Gerade wie der Körper des Einzel­ nen stch bildet vermöge des inneren gattungsmäßigen „Urbildes", d. h. aus einer Lebenspotenz heraus, die für Alle ein und dieselbe ist und darum jeden Körper nach diesem Urbild gestaltet, so muß auch für das Jnnerlich-Seelenhafte ein gemeinsames Gattungs­ wesen da sein, in dem jedes Individuum gründet. Geht nun der Mensch kraft seiner Einkehr in jenes Jnnenwesen ein, hat er, mit anderen Worten, ein inneres Einheitserlebnis zunächst mit seiner Gattungsseele, und gelangen die hierbei erschlossenen Bllder danach in sein Wachbewußtsein, so verfügt er damit über ein Wissen, das fich auf jenes innere Urbild des Menschen bezieht. Ist diese Jnnenschau tief künstlerisch und bringt fie die dabei gewonnenen unaussprechlichen und unmittelbar nicht körperhaften Einfichten dann zur Darstellung, so entstehen, je nach dem individuellen Vermögen, Werke der blldenden Kunst, der Dichtkunst, der Mufik, es entstehen tiefe Phllosophien und im höchsten Fall religiöse Bewvßtseivsempfindungen, denen man, selbst wenn fie technisch noch so ungeschickt und unbeholfen dargestellt sind, ihre Herkunft aus dem Innersten ansieht, weil sie sofort und unmittelbar auf die Seele des Beschauenden zurückwirken und dort, halb bewußt, halb unbewußt dasselbe ahnende Gefühl des inneren Schavens erwecken. Solche Werke unterscheiden sich in ihrem Wesen von jeder ausgedachten und gemachten Kunst und tragen den Charakter ihrer Herkunft so in sich, daß der Wissende nicht getäuscht zu werden vermag. Es ist darum, von innen besehen, niemals ein Kennzeichen für echte Kunst, ob sie im technischen oder anatomischen Sinn un­ serem jewelligen zeitgewohnten Formevsinn entspricht oder nicht; sondern alles ist entschieden, wenn sie das zur Darstellung bringt, was sie Unaussprechliches erlebt hat. Der Meusch und seine Gattungsseele ist aber nicht von heute,

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sondern eine ewige Idee. Dringt daher das innere Gesicht so tief ein, daß sich nicht nvr das Augenblickliche erschließt, sondern ein längeres DerweUen statthat, so werden in jenem Jnvengeflcht Bilder lebendig, die nun auch äußerlich Vergangenes des Menschen­ wesens dem Eingekehrten erschließen. Dies ist der erste Schritt zu innerem Wissen um menschheitsgeschichtliche Vergangenheit. Gab es nun Menschen oder gibt es solche, denen solche Jnnengesichte wurden, so konnten sie auch zu einem Wissen um die Urzeit ge­ langen, das ihnen auf solche Weise ohne Wort und Schrift, ohne gesprochene Tradition überliefert wurde. Dieses Wissen, ebenso unaussprechlich für die intellektnalen Mittel des Wachbewußtseins wie die Gesichte, welche hinter den tiefsten Kunstwerken stehen, wurde in Gleichnissen, in Mythen und Märchen niedergelegt; es kann aus diesen wiederum nur erschlossen werden, wenn sie mit gleichem innerem Sehen oder Ahnen ausgenommen werden. Darin liegt die grundsätzliche Unmöglichkeit, mit dem gemeinen Verstand ihr innerliches Wissen auszukunden. Und ebenso ist es mit den magischen Erkenntnissen, die frühere naturverbundenere Zeiten oder einzelne Menschen hatten: auch sie sind nicht einfach durch derzeitige intellektualpsychologische Vergleiche oder gar Gleichsetzungen mit wachbewußten Vorstellungen unseres Zeit­ geistes aufzutun. Aber nicht nur der Eintritt in die Gattungsseele und das GattungsgedLchtnis des Menschen selbst ist durch ein nach innen gerichtetes Forschen zu gewinnen. Der Mensch ist nichts Losgelöstes, nichts für sich Bestehendes in der Natur und im Reich des Seelen­ haften. Er ist, wie wir schon wissen, innerlich nicht weniger als äußerlich, mit der gesamten Natur, mit dem Leben und Wesen des Kosmos verknüpft. Schon jedes gewöhnliche Hellsehen legt ja Zeugnis davon ab, wie sehr über die Grenzen seines Wachwiffens hinaus die Wege geöffnet sein können zu räumlich und zeitlich ent­ ferntere« Dingen. So gewinnt die Jnnenschau des vertiefter«« Denkers auch den Weg zu einem Wissen um Naturzusammenhänge, die als magisches Wissen erscheinen, wenn sie nun ins Wachbewußt, sein herübergelangen. Darum ist Magie, wie man das Wort auch auffasseu will, in jedem Falle vergleichbar der Kunst im all-

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gemeinen Sinn, ist gleichfalls auf rein intellektnellem Weg nicht zn eröffnen. Es ist das, was wir oben schon, von anderen Über­ legungen aus hingelangend, sagten: magisches Tun und magisches Wissen ist niemals intellektuell-technisches Verfahren. Erst danach, wenn die Erkenntnisse gewonnen und herübergebracht sind, mögen sich Praktiken ausarbeiten lassen, womit etwa jauberische Handlungen ausführbar werden. Aber auch damit gelingt niemals etwas, wenn nicht immer wieder von neuem zugleich der Hinabstieg in das „dunkle Reich" erfolgt. Darum sind auch Zauber­ sprüche wirkungslos und mit Recht zum Aberglauben zu werfen, wenn nicht der Aussprechende das Lebendig-Unaussprechliche im selben Augenblick mit ganzer Seele erfaßt. Wir sahen, daß darin vor allem die Gefahr der Naturmagie liegt. Aber hier wollen wir nicht nur dieser gedenken. Vielmehr wollen wir uns nur klar zu werden suchen, welche Verkettung und welcher Weg besteht zu jenem inneren Wissen um die eigene Gattung und um kosmische Diuge und kosmisches Geschehen, sei es augenblickliches oder vergangenes. Ist ein solches Wissen vorhanden, so muß es sich irgendwie auch kennzeichnen lassen. Im einfachsten vaturhaftesten Sinn erkennen wir es an jeder Wiederholung des Artbildes in jedem zur selben Art gehörenden Individuum. In dem Prozeß, in den Lebens­ potenzen, die von Individuum zu Individuum, von Generation zu Generation weitergegeben werden, so daß in endloser Folge immer wieder dasselbe Artwesen erscheint, liegt das beschlossen, was wir als blldendes Gattungsgedächtnis bezeichnen können. Es besteht ein „Urbild", ein lebendig Bestimmtes, ein innerlich Wirkendes, daher Wirkliches, eine Entelechie oder platonisch: die Idee, das UrbUdungsprinzip, wonach sich in den sichtbaren Indivi­ duen alles gestaltet, für das sie Symbol und Ausdruck sind. Diese innerlich lebendige Bestimmtheit enthält wesenhaft alles das, was wir vergleichsweise als Gattungsgedächtnis bezeichnen dürfen. Zunächst erstreckt sich dieses Gedächtnis auf die Möglichkeit der Wiederholung derselben organischen Form. Darum gleichen sich die Individuen einer Art, einer Gattung. Aber da diese allen möglichen äußeren Lebensumständen schon als Ei im Mutterleib

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unterliegen, so kann körperlich kein Individuum dem anderen gleichen. Innerlich gesehen ist deshalb kein Individuum nur von der allgemeinen Gattungsseele und deren formblldnerischem Gatttmgsgedächtnis bestimmt, sondern jedem ist etwas jutell geworden, waS wir im entwickeltsten Maße Persönlichkeit nennen und was eben die seelische Verfassung ausmacht, die für jedes Wesen verschieden ist. Die phyfischen Individuen nun sind nicht irgendeiamal in ihrem Leben oder am „Anfang" ihres Lebens — wo sollte der liegen? — aus der formblldenden Gattungsseele entsprungen und dann sich selbst überlassen geblieben; sondern sie sind in jedem Augenblick ihres Daseins immer und immer von neuem wieder schöpferischer Ausdruck derselben Entelechie. Das eben ist gerade das, was jedes physische Bestehen ermöglicht. Denn in jedem Augenblick ist jedes und alles ne«, nie bleibt es dasselbe. An den Organismen sehen wir es am deutlichsten; und für die Materie hat es nun sogar Nernst schon in Erwägung gezogen. Stete Neu, schöpfung! Die Organismen «erden und vergehen an und in ihrem Körper ununterbrochen, denn der Lebensprozeß setzt nie aus, solange sie als solche da sind. Infolgedessen ist ihr scheinbares Sein ein beständiges Werden. Damit aber nimmt die überindividuelle Gattungsseele auch in jedem Augenblick durch das Individuum neue Eindrücke auf, paßt sich neu an, reagiert, und verleibt die so gemachten Erfahrungen ihrem lebendigen Wesen, ihrem „Gedächtnis" ein. Sie realtsiett die Ergebnisse solcher Erfahrungen nun weiterhin am selben oder an allen oder an künftigen Individuen. So kommt es, daß sich im Laufe der erdgeschichtlichen Zeit, oft sehr rasch, oft allmählich die Atten umgeblldet haben. Darin liegt nun die Möglichkeit, daß das nach innen gekehrte Bewußtsein besonders begabter Menschen, dieses Gedächtnisses tellhaftig geworden, auch über die Dergangenheitszustände der Menschheit, seien es physische oder seelische, ein erinnerndes Wissen gewinnen kann; aber eben auch von der ehemaligen Umwelt des Menschen. Denn die früheren Individuen der Menschheit haben ja eine andere äußere Natur um sich gehabt, waren anders einge­ stellt auf diese. Sie haben auch mit anderen Tieren zusammen-

gelebt. Alles dieses ist im Gattungsgedächtnis niedergelegt und darum grundsätzlich dem mit Jnnenschau Begabten zugänglich. Daraus mögen wahre Seher ihr Wissen um die Vergangeuhett auch der äußeren Natur in uralten Zeiten gewonnen, also etwa von Drachen und Lindwürmern, von Sintfluten, von Ver­ änderungen des Himmels und der Erbe Bewußtsein bekommen haben, um dies in allerlei Mythen und Märchen danach niederzulegen. Bedevtt man nun, daß in früheren Zeiten der Menschheit eine größere Natursichtigkeit noch herrschte und somit natürlicher­ weise eine hellsichtigere Schau auf die Natur und in die Natur bestand, so darf es «ns nicht wundernehmen, wenn wir in alten Überlieferungen ein Wissen finden, das mit Recht unser Staunen erregt, wenn wir es nicht als leere Phantasie bezeichnen, sondern wenn wir nun eine Vorstellung haben, aus welchen sicheren, un­ verfälschten Quellen es gewonnen wurde; Quellen, die um so klarer flössen, als sie nicht durch die Brille äußerer Sinne ge­ schaut worden sind. So mag also neben der Worttradition, neben dem Erzählen der Vergangenhett auch ein stets erneutes, später vielleicht nicht mehr möglich gewesenes Wissen bestanden haben, das nun den Inhalt des längst verdorbenen und mißverstandenen MythenSagen- und Märchengutes ausmacht. Es ist wie mit dem gesuchten Urzustand der Magie: alles, was wir historisch davon haben, ist herabgekommenes Wissen, weil uns das innere Organ fehlt, es neu zu erleben und wieder von innen her aufzufrischen. Was die Menschheit einmal außen erlebte, alles, was im Kosmos geschah, mit dem sie stets verbunden war: das muß im Grunde des Gat­ tungsgedächtnisses, im Schoß der Mütter ruhen, muß dem, der mit dem wahren Schlüssel kommt, aufschließbar sein. Nu« gibt es ja nicht nm eine einzige Gattungsseele, nämlich die des Menschen, sondern gemäß der Dielhett der Dinge müßte es viele geben; im Reich der Urbllder, der Ideen müßten soviele umschriebene Potenzen liegen, als es AbbUder davon im Reich des Gegenständlich-Physischen gibt. Dennoch geht es nicht an, solche Vielheit dem Inneren zuzuschreiben. Schon für das, was wir

Arten irnd Gattungen des organisch-physischen Reiches nennen, besteht ja eine Vielheit nur im fiktiven Sinn. Denn letztlich hängt alles jusammen, und wir vergewisserten uns zuvor schon einmal, daß auch der Stein, der am Wege liegt, als Gewordenes und Wer­ dendes betrachtet, nichts für flch Bestehendes sein kann, sondern zeitlich und räumlich und körperhaft im ganzen Kosmos verwoben und verankert ist. So bildet die ganze Natur schon äußerlich, voll­ ends aber innerlich eine lebendige Einheit. Was wir daher äußerlich Individuen oder Gegenstände nennen, ist niemals Einzelnes, sondern immer nur insoweit Abgegrenztes, als unser Bewußtsein oder Erleben es zu einem abgegrenzten Bewußtseinsinhalt werden läßt. Es sind demgemäß vergleichsweise auch die Grundbllder, die platonischen lebendigen Ideen nur insofern eine Vielheit, als fie in einem höheren, umfassenderen, für uns mit dem Lebendig, Unbewußten, mit dem Gesamtkosmisch-Lebendigen zusammen­ fallenden „Bewußtsein" spezielle Lebenszentren, Lebensverdich, tungen sind, oder wie man es mangels anschaulicher Worte nun nennen mag. So kommen wir von der zunächst nur für den Menschen festgelegten Gattungsseele zu einer Gesamtweltseele. Und eben dies ist es, was wir verschiedentlich schon die innere Lebendig, kett des Kosmos genannt haben. Diese kosmische Lebensseele, die weder organisch, noch anorganisch, sondern ein transzendentes lebendiges Eines ist, umschließt und enthält auch unseren Pol. Daher ist es gegeben, daß der Mensch von sich aus als Zentrum, als inneres Zentrum des lebendigen Weltgeschehens sich wissen kann und nun auf dem Wege der tieferen Jnnenschau Zugang zu allem Geschehen und Erscheinen findet, das jemals war, ist und sein wird. Nennen wir dieses Ganze, in dem alles beschlossen liegt, aus dem alles unaufhörlich wird, in dem es west und besteht, Gott, so bestätigen wir, indem wir nur von rein naturforscherhaftea Betrachtungen ausgingen, das Wort, daß des Menschen Seele Ebenblld Gottes sei. Damit aber geben wir dem Ausdruck, was als lebendiges, und als heiliges Gefühl in uns lebt. Wir sehen auf einmal, weshalb das Eindringen ins „Innere der Natur" auch ein Berühren von

Gottes Schleier ist, und erkennen, daß von der reinen oder un­ reinen Gefinnung der Fluch oder der Segen alles Wissens und Er­ kennens unmittelbar bestimmt wird. Jede echte Naturforschung, überhaupt jedes Wtssenwollen trägt daher eine tiefe «aumgehbare Verantwortung in sich. Und aus der Art des Eindringens ergibt es sich, ob das, was wir hervorholen und womit wir wirken, Aus­ fluß einer verantwortungslosen schwarten oder einer geheiligten weißen Magie, eine keusche oder unkeusche Handlung der Seele ist. Alles begehrende Wissenwollen, womit der Mensch sich selbst sucht, das selbstsüchtig gewollt ist, ist daher bewußt- oder unbewußtgottfremd. Was aber aus dem reinen inneren Schauen entströmt und so sich auch nach außen verhält, ist ein Offenbarwerden der „Gedanken" Gottes, in dessen umfassendem Wesen und „Gedächt­ nis" alles ewig ruhend beschlossen liegt.

„Die Rose, wie sie hier bei» leiblich' Auge fleht. Die hat von Ewigkeit ia Gott also geblüht." In diesem umfassenden Wesen ist die Heimat der Dinge; da gestalten sich die „Urbildes ju abgegrenztem Leben. Da wird der Kosmos in seiner mannigfaltigen Gestaltung, da wird die „Natur". So wird sie für uns lebendige Schöpfung. Dem widerspricht nicht, daß sie auch physikalisch erkennbar und darstellbar ist. Aber wie man sie erlebt, lediglich davon wird es abhängen, was man für wahre Naturforschung hält und welchen inneren Wert diese hat.

22. Natursichtigkeit. Wenn man das rationale diskurstve Denken, wie es unser bewußtes Leben und wissenschaftliches Forschen zu regieren scheint, als jene Art der Geistestätigkeit bezeichnet, bei der sich das Be­ wußtsein als Subjekt der gesamten Natur als Objekt gegenüber findet und solcherweise nicht die innere Einheit erlebt, so könnte man magische Sicht jene Geistesverfassung nennen, bei der das Denken von einem unbewußten Eingehen in den Naturzusammen­ hang begleitet ist, von dem aus es nun gespeist wird und seine Eindrücke empfängt. Hierdurch entsteht ein traumhaftes Schauen, wodurch beim „Erwachen", d. i. bei der Rückkehr des Bewußt-

seins in die Kategorien des Intellekts, nvn Kenntnisse mitgebracht werden, die dem Wachbewnßtsein als solchem jv erreichen nicht möglich sind. Gelingt eS nun dem Ich, eine daraus sich ergebende Überlegung anzustellen, eine Abficht zu fassen und mit einer durch gedankliche und seelische Konzentration und Selbst­ zucht geübten Willensanspannung diese Absicht in jenen natur­ verbundenen Traumzusiand rückläufig mit hinüberzubringen, so können von innen her nach der Abficht des Menschen Dinge ge­ schehen, die für den eigenen Intellekt wie den der anderen als Zauber wirken und es auch find. Es können so auch Difiooen erlangt, Zukunftsbilder geschaut und Wahrträume erreicht Und gedeutet werden. Das uns auS der JePzeit oder der Geschichte vielfach be­ kannte Hellsehen und die Äußerungen der Telepathie sowie deS Dämonenzaubers und der Beschwörungen ist gegenüber einem Urzustand mit aktivem unmittelbarem naturmagischem Wirken nur ein Rudiment. „Die grauenvolle jenseitige Verlebendigung der Ratmdinge, welche aller Magie zugrundeliegt", sagt Schettel, „erzeugt jene Gesamtweltanschauuvg, die uns als »Animismus', »Pananimismus' oder als .Naturbeseelung', »Panpsychismus' bei den sogenannten Primitiven bekannt ist. Die »Dinge' find für de» Urmenschen dunkellebeadige Wesenheiten, eine hellige Schreck­ nis umwittert alles und bedeutet selbst wieder eine Quelle von Kräften, durch die gewisse magische Wirkungen überhaupt erst mög­ lich werden." Dieser magisch wissende Animismus sei nun überall, wo wir jetzt oder in der Bölkergeschichte auf ihn treffen, eine recht heruntergekommene Religiosität, und statt von einer Vollendung und Erhebung im Lichte der Geschichte sehen wir eher eine Art De­ generation. „Es wechseln wohl große Magier mit kleinen, wechseln Zeiten, in denen die Magie das gesamte Leben beherrscht und durchtränkt, mit anderen, wo sie zurücktritt; aber irgendein Fort­ schritt in unserem rationalistischen Sinne läßt sich nirgends auf­ zeigen. Es scheint fast, als wäre die Menschheit zu irgendeiner ftüherev Zeit im Dollbefitz der magischen Fähigkeiten gewesen und seitdem lediglich von dieser Höhe abgesunken. Wie der Mensch auf jenen hohen Grad gekommen war, entzieht sich völlig unserer

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Kenntnis. Jedenfalls scheitern hier alle Theorien von dem stetigen „Fortschritt" im Weltgeschehen... Was wir klar auf, zeigen können, ist also nur die Geschichte der Degeneratiou der Magie. Und diese Degeneration wiederum fällt zusammen mit der allmählichen Auskristallisierung jener Haltung,... die im heutigen Europa vielleicht ihreu Höhepunkt gewonnen hat. Je mehr sich ein Volk diesem „europäischen" Zustand annähert, desto mehr flaut sein magisches Vermögen ab und erstarren seine magischen Äußerungsformen... Was den europäischen und damit über, Haupt den „späten" Menschentypus charakterisiert, ist sein Mangel an Gefühl für das Konkrete, „Leibhafte". Er erlebt die Körper, «elt nicht mehr als ein Wesenhaftes und Gehaltvolles, und so fehlt ihm jeder Sinn für die tiefere Bedeutung des Gestalthasten, Wirklichen. Man sagt zwar immer, der Europäer verfüge über einen besonders ausgesprochenen „Wirklichkeitsflnn, Tatsachen, sinn" usw. Genauer betrachtet aber sieht er an der „Wirklichkeit" und den „Tatsachen" immer vorbei, und was er in Händen be­ hält, sind leere Schemen. Der ganze Materialismus und Ratio, nalismus unserer Tage schlägt jedem tieferen Wirklichkeits, und Tatsachensinn geradezu ins Gesicht." Hier wird zum erstenmal, soweit ich sehe, in der Literatur festgefiellt, daß alles, aber auch alles, was uns von Magie je historisch zugänglich wurde, ein Torso ist, von dem das fehlende Haupt und die Glieder — anderswo liegen und vergraben sind. Dieses Anderswo habe ich in meiner Studie „Urwelt, Sage und Menschheit" schon aufzudecken versucht und gezeigt, daß der Platz, wo man zu graben hat, in erdgeschichtlicher Ferne liegt, bet einem Urmenschen, der im Grunde aber nicht unbekannt ist, «eil ihn die echten Sagen und Mythen nicht nur körperlich, sondern noch mehr seelisch schildern. Ergebnisse der vergleichenden Paläontologie, zusammengehalten mit den frellich von einem entsprechenden Geist erfaßten uralten Menschheilsüberlieferungen lassen erkennen, daß der Stamm des Menschen nicht ein spätes Eatwicklungsprodukt der Natur ist, sondern in tiefe erdgeschichtliche Epochen hinabreicht und in einer von Epoche zu Epoche körperlich und seelisch veränderten Gestalt in jenen Urzeiten schon physisch da IO*

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war und auch der wahre Magier in ganz verschiedenen Graden des Wachbewußtseins gewesen ist — der Mensch, den nun die neuere Erkenntnis, wie eben gezeigt, gerade sucht. Dieser Mensch war zuerst „natursichtig", in einer wohl geradezu naturhaft­ somnambulen Weise, um später mit der erdgeschichtlich gleichfalls nachweisbaren, allmählichen Zunahme des Großhirns mehr und mehr bewußt hellsichtig und zuletzt intellektuell zu werden. In jener alten Eigenschaft der Natursichtigkeit aber lagen die Quellen jener rein magischen Welteinstellung und natürlichen Fähigkeit zum Zaubern, von der alles Spätere uns wie Degeneration an­ mutet und es in gewißem Sinne auch ist. Die anatomischen Eigenschaften jenes Urmenschen bestanden vermutlich vor allem im Besitz von Organen des Gehirns, die wir in Resten heute noch bei uns finden, die aber inzwischen vom intellektualen Großhirn so überwuchert sind, daß sie nicht mehr wie früher durch die Schädeldecke hindurch mit der Außenwelt in Verbindung stehen; sie sind rudimentär und fast gar nicht mehr mit den alten Funktionen beschäftigt, sondern haben sich im Zu­ sammenhang mit der auch sonst veränderte» Körpergestalt anderen Wirkungsweisen angepaßt. Das hervorstechendste Merkmal war ein mit der nunmehr veränderten Zirbel und ihre« Nachbar­ drüsen in Beziehung stehendes Stirn- oder Scheitelauge, dem man für die Urzeit naturhaft hellseherische und telepathische Fähig­ keiten zuschreiben mag. Wir haben fossile Tierschädel, welche Ana­ loges klar entwickelt zeigen und uns damit eine erdgeschichtliche BUdungsform des Wirbeltieres veranschaulichen, deren auch nach einem bestimmten Gesetz der Urmensch teilhaftig gewesen sein muß. Reste dieser Bildung haben heute noch gewisse alte Reptllarten, auch Schlangen und einige Amphibien, die aus jener Urzeit stammen. Da nun das Großhirn ein nachweislich sehr spätes erdgeschichtliches Entwicklungsprodukt im Wirbeltierkörper ist, dessen Kommen sich sehr allmählich vollzogen hat, und da dieses gerade der Sitz der intellektualen Denkart ist, so müssen eben jene Fähigkeiten, die uns mit der intellektualen Dollhirn­ entfaltung ganz besonders verlorengingen — die naturmagi­ sche« Fähigkeiten — bei den damaligen Urmenschen besonders

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entwickelt gewesen sein und dies in einem Grade, dem gegenüber heutiges Hellsehen und telepathisches Empfinden „degenerierte" Überbleibsel find. Diese Fähigkeiten, die bei uns jetzt noch sporadisch hervor, treten, aber so gut wie keine magischen Wirkungen mehr haben, müssen also damals unmittelbar naturhaft wirksam gewesen sein und sich damit jenem Zustand des kosmischen Sehens und Empfindens und Handelns so angenähert haben, daß eine „Zauberei" und Weltsicht möglich war, die uns jetzt nur noch sagenhaft entgegentritt. Ich nannte deshalb jenen Menschenz«, stand, im Gegensatz zum gewöhnlichen Hellsehen und zur Tele, pathie, „Natursichtigkeit" und bezeichnete ihn als den ältesten Seelenzustand der Menschheit. Ohne dieses Hinabsteigen in die Zeiten erdgeschichtlicher Vergangenheit auf bestimmter vergleichender erd, und lebens, geschichtlicher Grundlage, ohne Loslösung von der einstwellen nur aus Unwissen uns geläufig gewordenen Vorstellung, daß etwa der eiszeitliche und unmittelbar voreiszeitliche Steinzeit, mensch der Urmensch und die Bronzezeit etwa nur ein Übergangs, zustand zu den frühesten Altertumskulturen sei — kurz ohne ein völliges Umdenken aller überkommenen historischen und prä, historischen Begriffe wird darum auch kein Verständnis einer Geschichte der Magie und des magischen Wesens im Menschen selbst zu erringen sein. Der wahre magische Mensch «ar natur, fichtig und lebte in tiefer Vergangenheit. Ich verweise auf die Tabelle der Menschheitsgeschichte mit den erdgeschichtlichen Zeit, altern und körperlich,seelischen Entwicklungszuständen („Urwelt, Sage und Menschheit"), die ein erster Versuch war, aus teilweise rein naturhistorischen, teilweise auch erfühlten Gründen heraus neues Licht in die Urzeit zu bringen. Danach stellt sich die Ge, schichte der Menschheit einmal dar als ein Weg aus dem natur, magischen in den intellektualen Zustand; zugleich aber auch als ein Weg, auf dem die bewußte Einsicht wuchs und dazu diente, das somnambule Verhaftetsein an die Natur immer mehr zu verdrängen und durch die selbstbewußte Gegenüberstellung des Menschengeistes zur Natur das klare Gefühl für die Erlösung

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von jenem magischen natvrhaften Willen zum Dasein zu er­ reichen vvd die reine religiöse Anschauung zu erwecke«, die uns nun längst verkündigt, aber noch nicht Gemeingut geworden ist, weil der Intellekt selbst noch nicht von ihr überwunden ward, so, wie er einstmals das Naturmagische überwinden sollte. Indem wir diese Linie festhalten, besitzen wir nun eine ganj klare sichere Handhabe, auch alle uralten Fragen und Erschei­ nungen ju klären, die mit intellektuellen Auseinanderlegungev nie und nimmer zu fassen sind, well sie einem ganj anderen inneren und äußeren Lebensjustand angehörten, der uns fremd erscheint, verlorengegangen ist. Zu solchen rechne ich nicht nur alles, was an märchenhafter Zauberei aus unbekannten Urjeiten berichtet wird, sondern auch alle die mit der bisherigen naturwissenschaftlichev Betrachtungsweise nicht ergründbaren Besitztümer, die uns in gejüchteten Tiere«, Kulturpflanzen und -früchtev, Hellmitteln, kos­ misch-astrologischen Wahrheiten, Mythen, Weltentstehungslehren und Sprache überliefert sind. Denn es ist ja ganj undenkbar, daß mit einem äußeren, sozusagen wachen Experimentieren uns solche Pro­ dukte wie edle Früchte, Korn, Weinbeere, Hausvieh zuteil geworden wäre». Man darf das um so weniger glauben, wenn man steht, wie wenig unsere doch so hoch entwickelte Wissenschaft hierin ver­ mag. Wo ist der Züchter, der aus einem leeren Gras das Korn, die Grundlage der Ernährung des Menschen, etwa hervorbringen oder aus einem reinen Naturwesev eine Mllchkvh hätte entwickeln können. Wird uns doch gerade in den uralten Sagen in mannig­ faltiger und immer wieder von neuem höchst anschaulicher Weise berichtet, wie alles dies schon dem ältesten Menschen von gütigen Wesen oder Göttern zum Geschenk gemacht wurde. Das alles führe ich eben auf jenen ältesten Zustand der Natursichtigkeit zurück, der, wie gesagt, nicht mit der nun vom Intellekt überwucherten und naturfremderen Hellseherei unserer Epochen gletchgesetzt werden darf, sondern der eben darin bestand, daß die Seele des Menschen noch derart mit dem Wesen -er Natur verbuuden war, daß er nicht von außen fragend und handelnd an die Umwelt heravtrat, sondern natursomnambul — ein Aus­ druck von Schopenhauer — mit dem Tellurisch-Kosmischen ver-

bunden war, so daß jede seiner Regvvgen mit denen der Natur korrespondierte, jede Naturregvng in ihm sich traumhaft ab­ spiegelte, und daß er aus seinem reinen Gefühl und Begehren, gaoj so wie es die oben beschriebene Lamarcksche Lehre für das organische Bilden annimmt, nun immerzu Gestaltungen um sich entwickelte, die seinem aufkeimenden Bewvßtsein langsam Gegen­ stände des individuellen Besitzes wurden. Daher kam ihm, zuerst wie das Geschenk gütiger Naturwesen, oft aber auch wie von schrecklichen Dämonen wieder abgerungen, der Besitz von Kultur­ pflanzen, Haustieren, Natvrheilmitteln und sonstigen von der modernen Wissenschaft vergeblich abgeleugneten Kenntnissen, die bis zur Stunde bewußt und unbewußt und mit sicherem Natur­ instinkt resthaft im „Volke" festgehalten worden sind. Der uralte Glaube an Seelevwanderung mag darin gründen, daß durch innere Naturverbvndevheit sich das Mevschenwesea auch in den Tierseelea spiegeln und sich an sie innerlich binden konnte. Das klärt uns dann wiederum die sagenhaften zaube­ rischen Verwandlungen in allerlei Tiere; wie überhaupt auch das Dämonenbeschwören und Bannen, das Schädigen auf somnambulem Wege und alle solche höchst merkwürdigen «ad in ihrer wahren Natur bisher «naufgehellten hochmagischev Zu, sammenhänge nun in einem naturhaften und natürlicheren Lichte erscheinen. Zugleich sieht man aber daraus auch, weshalb eS bisher nicht möglich war, mit der Einstellung auf ein dem heutigen Naturmenschen analoges Denken jenes magische Urzeit­ alter überhaupt zu entdecken und weshalb alle vom Jetztzeit­ menschen ausgehenden Erklärungen unbedingt versagen müssen. So konnte Schertel, ohne wohl noch ganz zu wissen, wie sehr mit vollem Recht, zu dem Satze kommen, den wir oben wiedergegebea haben: daß alles, was wir an Magie aus der Geschichte oder bei Primitiven kennen, wie der Rest eines verlorenen Gutes erscheine. Wir dürfen noch weitergehen und annehmen, daß sich solches Wissen und Können auch in etwas spätere Zeiten, als die Natur­ verbundenheit schon durch die Jvtellettualentwickluug mehr und mehr unterdrückt wurde, durch „Eingeweihte" noch herüber151

gerettet hatte und noch lange, geheimgehalten vor der Menge, sich weitervererbte und nun sich bis in späte Zeiten, allmählich seines wirksamen Sinnes beraubt, als Dämonenkult und räube­ rischer Aberglaube fortsetzte, umso mehr jvm Aberglauben werdend, als der wachsende Wachverstand dies nicht mehr zu durchschauen und avjuwenden verstand. In solcher Weise ent­ standen dann Zauberkulte, Zauberbücher, und so auch die unver­ ständlichen Spätfassungen der kosmogonisch-mythischen Sagen, in deren Kern Wahrheiten stecken, die uns so ganj und gar ver­ lorengegangen sind, die aber doch ehedem auf tiefen Einblicken in den wahren Natnrzusammenhang beruhten. So finden wir in ihnen das Tier und die Tiergestalt in noch einer Form: als Ausdrucksweise für ei» menschliches Erleben am gestirnten Himmel. Die Welterschaffungsmythen sind voller ge­ waltiger Bllder von Naturkrästen und Naturgeschehnissen, in denen tierisch dargesiellte Götter miteinander ringen. Und wo Stervenkult und Sternenglaube auch in späteren, nicht mehr sagenhaften, sondern vielleicht schon greifbaren Daseinsepochen der Völker bestanden, sind die Himmelsvorgänge meistens er­ zählt und erlebt in Form von Tiergestalten und tierhaften Men­ schendarstellungen. Wir wissen nun, daß alle sternglävbigen, einen Sternenkult treibenden Völker, ja vielleicht ursprünglich alle Völker auch die Überzeugung einer lebendigen Beziehung zwischen den Himmels­ kräften, den Himmelserscheinungen und dem Menschendasein in sich trugen und daß ihr tägliches Leben davon beherrscht und durch­ drungen war. So ergibt sich auch hier von mythischer Zeit her eine Beziehung zwischen Mensch und Himmelskörpern einerseits, zwischen Tier und Himmelskörpern andererseits, und wir erkennen, daß die große Frage des Zusammenhangs zwischen Mensch und Tier die eine, die Beziehung zwischen Mensch, Tier und Himmels­ kräften die andere Perspektive auf den ganzen lebendig erlebten kosmischen Zusammenhang alles Daseins ist. Darin gründet aber auch die Metaphysik der Astrologie, die uns gleichfalls nur aus einem ganz spätzeitlichen Wiffenszustaad geschichtlich bekannt ist und darum, ebenso wie alle sonstige Magie, nichts mehr von jener

malten Ursprünglichkeit haben konnte, die in der vorweltlichen Natursichtigkeit des Menschenwesens wurzelte. So haben wir nun einen großen Gedankenzusammeahaag zwischen Menschenseele und Natur erkannt und damit das Tor zur tiefsten Vergangenheit um ein weniges weiter auseinander­ gebracht. Wir sind «ns bewußt geworden, daß hinter allem ein großes naturhaftes Einheitserlebnis, das wir allmählich verflachen sahen, aber ganz gewiß kein intellektuelles Wissen ursprünglich liegen muß. Ja, in dem Grade, als wir ein intellektuelles Fabeln und damit ein Verschwinden des Religiös-Mythischen in diesem Lebens- und Erlebensgeheimnis finden, um so flacher und nichtssagender, um so allegorischer und um so „geistreicher" wird das Sagen darüber. Das zeigt uns, daß mit Zunahme des Intellektes, der schließlich sich zu Wissenschaften und wissenschaft­ lichen Philosophien verdichtet, eben gerade das verloren geht, was inneres Erleben war und durch inneres Erleben unmittelbar erfaßt wurde. Das natursichtige Wissen ist verdrängt vom intel­ lektuellen Wissen; das innere Sehen vom äußeren, und die innere lebendige Einheit, die der „Urmensch" erfühlte und erschaute, ist abgelöst von der „Feststellung" filmhafter Stadien. Es ist aus alledem auch leicht ersichtlich, warum wir heute nicht mehr richtig zaubern können, und wenn es in geschichtlichen Zeiten geschah, weshalb es da nicht mehr unbedingt naturgemäß war, sondern seelische Anstrengungen erforderte, die etwas Un­ gesundes hatten, weil sie die Hineinsteigerung in einen Zustand bedeuteten, der für uns nicht mehr der gegebene ist. Wenn Irr­ sinn in mancher seiner Formen ein Rückschlag in nicht mehr an­ gemessene und mit dem jetzigen Jntellektualzustand disharmo­ nierende Urstadien ist, so versteht man auch, wie das mit Seelen­ krämpfen und -Verzerrungen verbundene zauberische Bemühen spätzeitlicher schwarzer Magier umgekehrt zu geistiger Störung und Zerstörung des Ausübenden führen konnte. Insofern mußte alles derartige unseren Epochen auch verwerflich sein. In der äußeren Wirkung mag das, was wir mit der tech­ nischen Beherrschung der Naturkräfte vollbringen, gewaltiger und in manchem auch der Wirkung des echten Zauberns gleich oder

ähnlich sein; aber es ist ein Unterschied, wie wir der Natur gegen­ überstehen, ein Unterschied des körperhaften und seelischen Gesamt­ zustandes und ein Unterschied in der Anwendung der geistig­ seelischen Kräfte. FreUich, wenn wir einem Unkultivierten etwa die Wirkung eines Schusses auf ein paar Kilometer Entfernung oder ein fahrendes Luftschiff, das unserer Lenkung gehorcht, oder — ein von Schopenhauer in anderem Zusammenhang vorge­ brachtes Beispiel — den aus einer warmen Champagverflasche endlos quellenden Schaum zeigen, dann glaubt er an echte Zau­ berei. Aber diese unsere „Jntellektualzauberei" unterscheidet sich von der altmagischen natursichtigen, mit der man vielleicht ebenso auf die Ferne wirkte, ebenso Massen in den Luftraum hob, durch jene ganz andere Verwobenheit des Menschenwesens mit der Natur, womit diese selbst zur Aktivität von innen her gebracht und so geformt und gelenkt wurde. Man könnte zum Schluß noch fragen, in welcher anatomisch begründbaren Richtung allenfalls die nächste Weiterentwicklung des Menschen liege? Als nächstes Stadium ist naturgemäß eine noch stärkere Ent­ faltung des Großhirns und damit der intellektuellen Eigenschafteu zu erwarten; denn jenes ist deutlich einer nach vorne gerichteten Aufwölbung und Vergrößerung fähig. Der Schädel würde dann mehr nach vorwärts gewölbt, das Gesicht noch mehr von ihm überschattet werden. Im selben Maß als dies geschähe, könnte das Großhirn nach rückwärts Raum lassen, wodurch die alten Organe und Fähigkeiten der Ursinnessphäre wieder mehr hervorzu­ treten vermöchten. Sobald dies begänne, würden damit auch die alten natursichtige» Fähigkeiten und Betätigungen über ihren derzeitigen Schlummerzustand hinaus stärker werden und nun zu einem Einklang mit den Funktionen der Großhtrnsphäre, dem Intellekt, gelangen. Wir würden also bewußte magische Fähig­ keiten damit gewinnen, die nun nicht mehr wie beim ursprünglich nur natursichtigen Menschen primitiv somnambul, nicht mehr nur organisch reaktionshaft wirkten, sondern da sie durch die Schule des Intellektes gingen und anatomisch von seinem ZeMrvm umschlossen wären, auch mit Äußerungen hoher Bewußtheit und

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Planmäßigkeit verbunden wären. Es müßte damit jene geahnte Entwicklungsepoche eingetreten sein, wo Natmerkenntnis nicht mehr wie heute ein intellektuelles Problem bliebe «nd sich in lebensleeren Abstraktionen, in einem äußerlichen Zählen, Messen, Wiege», Hören, Tasten erschöpfte und bloß technische Triumphe feierte, sondern wo ein mehr hellseherisches Erkennen das nicht, lineare Raumjeitliche in Einem aufnehmen könnte, wo daS leben, dige innere Getriebe auch der toten Materie erschiene, wo die ganze Natur vom Menschen selbst aus seinem eigenen Wesen erkannt und verstanden und damit das Zeitalter der wahren Magie, Astro, logte, kurz, das Zeitalter einer vertiefteren, wenn auch schwere Gefahr in sich bergenden Naturwissenschaft anbrechen würde.

23. Magie im Märchen. Das Märchen ist die typische Welt der Naturflchtigkeit. So, bald man es unter diesem uns nun erschlossenen Begriff betrachtet, tut sich der ganze Unterschied auf zwischen seiner Daseinswelt und einer bloß hellseherischen oder magischen Berfassuvg, wie wir sie in historischer Zeit oder bei Primitivvölkern oder beim Steiu, zeitmenschen, der darin ganz unseren Primitiven gleicht, finden. DaS alles ist nur ein schwacher Abglanz der echten Märchenwelt «nd reicht nirgends an sie heran. Und wenn Scherte! in seinem genialen Satz nach der magischen Dollwelt fragt, die vor jener Degeverationsepoche liegen muß und deren wir geschichtlich noch nicht habhaft geworden sind: hier im Märchen ist sie uns in wirk, lichen Überlieferungen leibhaftig vor Augen gestellt. Dort voll, zieht sich alles das, was wir dem auf anderem Wege schon hypo, thetisch erschlossenen «rweltlichen Menschenwesen zuschreiben muß, ten, in dem Maß, als wir Grund hatten, ihm ein so einseitiges Jntellektualleben, wie es die geschichtlichen Zetten und besonders wir führen, noch nicht zugestehen konnten. Damals war Natur, sichtigkett sein geistig,seelischer Zustand, aus dem heraus es mtt derselben naturgegebenen Sicherheit im Dasein verfuhr und er, lebte, wie die Tiere mit dem Jnstintt uud wir mtt der intellektuelle» Überlegung. Da aber der Mensch seelisch-geistig niemals ein Tier, iSS

sondern essentiell immer Menschenwesen war, so war auch seine Natursichtigkeit niemals bloßer Instinkt im tierischen Sinne, sondern eben etwas Eigenmenschliches. Folgen wir also dem Märchen, das uns diese Welt ausdrückt, in seine ganje natur­ wahrhaftige Naivität hinein und nehmen wir es, wie es ist und wie wir es als Kind innerlich erlebt und nacherlebt haben, so liegt in der klarsten und verständlichsten Weise das vor uns ausgebreitet da, was wir mit aller Derstandesanstrengung sonst kaum aus­ drücken können: das Echt-Zauberische, nicht das gewaltsam bei entwickeltem Intellekt herbeigeführte nur technische Können. Daß dieses echte Natursichtigkeitsleben nun keineswegs ein bloß tierhaft instinktmäßiges ist, zeigt sich sofort an der ganzen Art, wie die bedeutsamen Geschehnisse in jener seelisch-natürlichen Welt sich zutragen. Zwei Hauptdinge stellen fich uns im Märchen dar: die naturhaft-magische Verwandlung, dem alles Natürliche ausgesetzt ist; und die unmittelbare aktive Beteiligung der Men­ schenseele dabei. Auch wo Naturgeister, Naturgewalten in mensch­ lichen Angelegenheiten scheinbar von fich aus einen zauberischen Wandel herbeiführen, vermögen ste es nie, wenn das Menschen­ wesen, das solches erfährt, nicht selbst irgendwie mit seinen Wünschen dabei beteiligt ist, also unter Hingabe seines eigene» Seelischen. Nur so erscheinen uns ja auch die Märchen bedeutsam und wirklich echt. Nachgedichtete Jntellektualmärchen sagen uns nichts oder find höchstens als Allegorien zu nehmen. Aber Allegorien find niemals Märchen im naturhaft uralten Sinn; denn bei diesen gibt es keine Allegorien, sondern stets und nur innere magische „Wirklichkeit". Wir dürfen die Märchen als volle Realität nehmen, seelisch und physisch. Nur nicht als Realität des spät­ geborenen Jntellektualmenschen, sondern als Kunde der Wirklichkeit eines natvrfichtigen Menschheitsalters. Sehen wir uns nur so ein Märchen an, in dem Zauber ge­ trieben und von einem Naturwesen Zauber vermittelt wird zu einem menschlichen Zweck. Im Märchen vom Rumpelstilzchen stellt das Naturwesen der in Not geratenen Königstochter seine Kraft zur Verfügung; aber indem es helfen will, verlangt es

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seinen Lohn und weiß schon, daß es etwas sein wird, das ihr ans Leben, an die Seele greift. Und sie bewilligt es ihm, weil ihr Wachbewußtsein nichts von den Zusammenhängen weiß und das natursichtige Bewußtsein sich in diesem Augenblick nur auf das zunächst in Rede stehende naturmagische Geschehen erstreckt, auf das sich ja allein ihr seelisches Begehren richtet. Wir können daraus vielleicht folgern, daß der den Naturzauber jeweils lebendig machende Willenszustand des Natursichtigen immer eng verbun­ den war und hervorging aus einem ganz elementaren, vielleicht tief leidenschaftlichen seelischen Begehrungszustand, der nun unmittelbar in die Natur Übergriff und dann alles andere nicht «ahrnahm. Dies uns vorgestellt, empfinden wir zugleich das Traumhaft-Unintellektuelle, das dieser geheimnisvollen magischen Menschenwelt eigen war. Dies ist auch in anderen Varianten zu finden: etwa ein König, der sich im Wald beim Jagen verirrt, nicht mehr heimfindet, und dem dann das Männlein begegnet, das ihn heimbringt, wenn es dafür bekommt, was dem König bei der glücklich vermittelte« Heimkehr entgegenläuft. Der König aber denkt, es werde wie immer sein Hund sein, und sagt es zu. Und danach ist es sein Kind, das er hergeben soll und dessen Verlust ihm zu tiefst in die Seele greift. Die solcherweise zugleich im Helfen auch tief schadenden Natur­ wesen helfen nun nicht, um zu schaden; sondern indem sie helfen, schaden sie naturnotwendig, wie nach einem inneren Gesetz, unter dem sie ihrem Wesen nach im Verhältnis znm Menschen stehen, wie auch der ganze Zusammenhang streng gesetzhaft verläuft bis zum irgendwie sich vollziehenden Ende und dem damit erfolgenden Verschwinden des ganzen Zaubers. Besieht man es recht, so ist es, wie gesagt, einzig das Begehren des Menschen, das alles herbeirvft. „In früheren Zeiten, wo das Wünschen noch half..so beginnt manches Märchen und zeigt damit, wo Anlaß und Kern des naturmagischen Geschehens liegt. Der Mensch ist in Not, sinnt auf den Ausweg; das Naturwesen wird magisch davon herbeigezogen, erscheint, bietet an, fordert, bekommt Zusage und verhilft zum gewünschten Ziel. Es wird

also — das ist mit einem Wort der Sinn — vom naturverbundenen Menschen Natnrkraft räuberisch Herbeigernfen und ihm dienstbar. Diese Nutzbarmachung der dämonischen Naturkraft durch des Menschen Begehren und die damit geleistete Arbeit wird aber nicht aus dem Nichts geboren, sondern ist zum voraus schon bestritten durch ein Opfer, eine Leistung des Menschen selbst. Sine in der Zukunft liegende Dreingabe ist die Energiequelle, durch welche die Hilfe bewirkt wird. Dor und Nach spielt aber im Naturinnern keine Rolle. Was aber die Arbeitsleistung beim natursichtigen und daher die Zauberkräfte «eckenden Menschen von unserem physikalischen Herbeiführen einer Arbeitsleistung durch Naturkräfte unterscheidet, ist, daß wir nicht magisch, sondern physikalisch verfahren. Und das heißt ganj allgemein, daß wir nicht bei uns selbst augenblicklich die Kraft einer solchen Arbeitsleistung erwecken und sofort wirksam «erden lassen können, sondern daß daju Berechnungen, technische Konstruktionen gehören; und dies wiederum heißt, daß wir zu­ nächst keine sittlichen und seelischen Werte dreingeben oder viel­ leicht nie dreinzugeben scheinen, sondern daß es anscheinend nur intellektueller Leistungen bedarf, die seelisch neutral, objektiv, wie man sagt, sein sollen. Der naturverbundene Mensch ist also durch sein Wünschen und Begehren, dem ein bestimmter innerer, somnambuler Zustand entspricht, unmittelbar imstande. Natur­ kräfte magisch in seinen Dienst zu stellen; aber er zahlt einen Preis, der ihn später in einen seelischen und sittlichen Konflikt bringt. Hier liegt das Dämonisch-Menschenfeindliche im tieferen Sinn erschlossen da. Die Naturkraft zwar ist an sich weder gut noch böse, weder liebt noch haßt sie. Sie ist nur „Wille zum Dasein"; aber sie wird auf dem Weg des Unbewußten geweckt und wirksam, wird aktiv lebendig durch die seelische Begehrungskraft des Menschen, wird von ihr genährt. Und indem dies geschieht, fordert sie damit innerlich-notwendig das Äquivalent für ihre Arbeit. Es ist vergleichsweise das, was wir in der Physik formu­ lieren mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie: keine Arbeit wird aus nichts geleistet; sie erfordert die Umwandlung einer 158

anders gebundenen Energie: im Technischen die einer physischen, im Magischen die einer seelischen „Energie". Aber noch eine andere Seile hat die magische Bindung der Seele an das Naturwesen, mit dessen Hilfe sich der Zauber nun vollzieht. Wenn danach die Königstochter ober der heimkehrende König sehen, was sie unbewußt und ahnungslos versprochen haben, ist niemand mehr imstande, nun mit äußerer Gewalt, wie man es wohl gegen seinen menschlichen Feind tun würde, vorzugehen; sondern der Mensch findet sich selbst nun in einer magischen Bindung, der er nicht entweichen kann und wogegen äußere Kräfte nichts wirken. „Die Hölle selbst hat ihre Rechte". Es muß aus innerer Notwendigkeit das eingegangene Rechts­ bündnis erfüllt «erden. Man ahnt, was „Fegefeuer" und „Ver­ dammnis" besagen. Ist es etwas anderes, wenn der Magier des Mittelalters mit dem Teufel einen Bund geschlossen hat, den er durch die Unterschrift mit dem „Blut", d. h. mit seiner Seele beflegelt hat und von dem es zunächst keine Lösung gibt, weil auch im Dämonenreich das innere Recht an eine Sache und an eia Wesen gilt, das dieses lebendige Recht selbst geschaffen hat und dem es darum nun angehört? Es gibt nur eine Befreiung: wenn die Seele des den Zauber verlangenden Menschen bei alle­ dem innerlich rein blieb und sich freigehalten hat von innerer Schlechtigkeit und wirklicher Gemeinschaft mit dem Teuflischen. Zwar ist die Lösung von dem Banarecht schwer, das die unter­ menschliche Natur nun an den Menschen hat; aber immer ist die Lösung möglich. Wir nennen es mit Absicht nicht Erlösung, sondern nur Lösung, weil lediglich eine Bindung, aber keine innere Ver­ worfenheit des Menschen dabei lebendig ist. Welches ist nun der Weg, auf dem sich der dämonische Rechts­ bann löst? Das Naturwesen ist bereit zum Ablaß, ja es kann nicht mehr auf seinem Recht bestehen, wenn man seinen wahren „Namen" nennt. Entweder wird es dadurch getötet, es verschwindet in sein Nichts; oder es erweist sich selbst als verzaubert, wird nun selbst gelöst und kehrt in seine menschliche Seeleahaftigkeit zurück. Das RumpelstUzchen, das der in Not geratenen Königstochter das

Stroh ju Gold verspinnen hilft und das am nächsten Abend kommt, seinen ausbedvngenen Lohn abzuholen — nämlich das ans ganzer Seele geborene „Kind" der Königstochter — dieses Naturwesen will nur unter der Bedingung davon ablassen, daß bis zum aber­ mals nächsten Abend die Königstochter ihm seinen Namen nennen kann. Den aber verrät es der ihm nun naturstchtig nachschleichen­ den Frau selber dadurch, daß es auf „seinem Feld", wo es fich unbeobachtet glaubt, wie toll vor Freude, seiner Beute vermeint­ lich schon sicher, herumtanzt, in dieser seiner ekstatischen Ausge­ lassenheit sich nun der lavschenden Königstochter unfreiwillig offenbart und ihr damit seinen „Namen" kundgibt, sein Wesen erschließt. Nun kann sie es durchschauen in seinem natvrhaftmagischen Bestand und diesen brechen; sie kann es ihm „nennen". Und als es am nächsten Abend kommt, seines Gewinnes sicher, und als ihm die Lanscherin sein Wesen spiegelt, indem sie „seinen Namen nennt", vernichtet es sich selbst. Der Bann ist verschwunden, der Rechtsanspruch getilgt. Es gibt aber auch märchenhafte Handlungen und Natur­ geschehnisse, in denen wohlwollende Naturwesen wie von selbst in die menschliche, in die häusliche Sphäre eintreten und dort die Arbeit verrichten, die getan werden muß, so wie es das Treiben der Heinzelmännchen zeigt. Alles läuft alltäglich seinen guten Gang, bis der Mensch, dem es gilt und unverdient zugute kommt, es nicht mehr naiv dankbar hinnimmt, sondern neugierig wird, erkennen will mit dem unkeuschen, nichts verhüllt lassenden, stets und alles nur betastenden intellektualen Wachverstand, sie nun belauscht und damit für immer vertreibt. Was ist hier die Quintessenz der Zusammenhänge? Scheinbar unbeteiligt ist der Mensch am Anfang, da er solches erfährt; die Heinzelmännchen kommen völlig ungerufen, nicht einmal der Wunsch nach ihrer Hilfe wird bewußt ausgesprochen. Es ist also wie beim Rumpelstilzchen, von dem ja die Königstochter zuvor auch nichts weiß und das scheinbar von selbst vor sie hintritt und seine Hllfe ihr anbietet. Dennoch ist in beiden Fällen der Wunsch des Menschenkindes die magische Kraft, welche die Hilfe herbei­ zieht. Denn auch ehe die Heinzelmännchen eingreifen, ist ja die 160

tägliche Plage und Arbeit ohne weiteres Anlaß manches Seufzers, manches Aufbegehrens, manches heftigen oder dauernden Wunfches, von der Arbeit befreit zu sein und Hilfe zu haben. Es wird durch diesen lauten oder schweigenden Begehrungszustanb eine seelisch-geistige Sphäre geschaffen, eine Art Kraftzentrum, die nun von selbst von den letstvngsbereiten Naturwesen gewittert wird, auf die sie nun htnströmen, um natmnotwendig ihre Tätigkeit in ihr spielen zu lassen. Der Mensch hat, ohne es zu wissen, an ihrer Sphäre lang gesogen und sie angezogen. Aber ein Unterschied besteht zwischen diesen harmlosen Geistern, deren Wesen Arbeit und nur Arbeit ist, und jenem Rumpelstllzchen, dessen Wesen nicht Arbeit, sondern Gewinn ist: sie fordern vom Menschen nichts und fordern nichts von seiner Seele. Aller­ dings etwas ist von dem Menschen, der ihre Hilfe erfährt, wohl gefordert, an sich, nicht durch den ausgesprochenen Wunsch der Naturgeister als solcher: er darf sie nicht mit dem Wachverstand belauschen, nicht mit den Wachsinnen sehen «ollen. Das ist immerhin ein Opfer der Selbstüberwindung, das der Mensch in solcher Lage zu bringen hat. „Nichts ist so schwer zu tragen, als eine Reihe von guten Tagen." Hat man sie, so verfällt man bald auf allerlei Allotria und braucht schließlich zur Abwechslung neue ungewohnte Eindrücke und Reize. Was liegt da näher, als die geschäftigen Naturgeistchen zu belauschen, die einem das Leben so leicht und angenehm machen? Hier liegt das Gebot der Ent, haltsamkeit, nicht einzudringen in Seelengeheimnisse, die verhüllt bleiben müssen, wenn ihr gutes, segenspendenbes Getriebe nicht

verfallen oder sich gar zum Schlimmen «enden soll. Und wenn dieses stillschweigend geforderte Opfer nicht freiwillig dauernd ge­ bracht wird, erlischt der wohltätige Zauber, ja, er kann sich in sei» Gegentell verkehren. Denn in einem anderen Märchen wird auch berichtet, daß die Heinzelmännchen, einmal belauscht, allen Hausrat, den sie sonst pflegten und in Ordnung hielten, zerschlngen. Es sind also zwei Arten von Naturwesen, deren magische

Wirksamkeit, immer vom Menschen in irgendeiner Begehrungsform unbewußt angezogen, in den Kreis des Menschen und seines Tuns eintritt: das gutmütige, aus innerem Drang sich betätivacquL, Natur und Seele.

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gende, und das gewinnsüchtige, schädigende. Keines von beide» scheint einer HSHerev seelisch,geistigen Daseivsstufe als der Mensch aazugehörev; sie stehen alle unter ihm, gehören der organisch schaffenden Natur an, sind spejtalisierte Potenzen in ihr, die der Mensch an sich zieht, in sich hat. Ganz anders jene Märchenwesen, welche an die gottbeauf, tragten Engel des Christentums erinnern und berufen sind, für Recht und Gerechtigkeit, für den Schvtz der auf Erden verfolgten Unschuld und für Bestrafung des Bösen, des Hochmuts, der Ettel, fett, des Geizes einzutreten. Die Wirkungen, die von ihnen aus, gehen, sind nicht solche des äußeren Naturgeschehens, wenn auch die Art, wie sie uns im Märchen geschüdert werden, die geistigen und ftelischen Wandlungen wie Naturvorgänge vollzogen darstellt. Lin gutes Beispiel dafür ist das Schicksal der Goldmarie und der Pechmarie. Die Goldmarte ist das fügsame brave Stiefkind einer bösen Stiefmutter mit einer ebenso bösen und nichtsnutzigen Tochter. Als der Braven die Spindel in den Brunnen fällt und die Stiefmutter verlangt, sie müsse sie wieberbrtngen, stürzt sich die Verzweifelte kopfüber in den Brunnen und kommt unten durch eine wunderschöne Landschaft an das Haus der Frau Holle. Eie bleibt bei ihr, dient ihr treu und wird nach drei Jahren, als sie hetmkehren soll, von ihr durch ein Tor geführt, das zum Lohn für ihre treuen Dienste Gold und Sllber über sie schüttet. So kommt sie heim und erregt die neidische Sehnsucht der Stiefschwester uach dem gleichen Glück. Nach der Erzählung des Geschehenen stürzt sich die Stiefschwester in den gleichen Brunnen, kommt ebenso bei der Fra« Holle an, dient ihr aber lässig und «n, willig, dabei nur an den erhofften Gewinn denkend. Das Tor schüttet zuletzt auf sie Pech und Schwefel und sie kehrt ver, vvziert und enttäuscht zu ihrer gleichgesinnten Mutter zurück. Wieder ist es die Seele des Menschen, die sich das Schicksal schafft. Alles im Dasein ist magisch, d. h. es beruht auf der An, ziehung des Gleichen durch das Gleiche. Im rein Seelischen ist «ns das ja ohne weiteres verständlich, und ein Geschick wie das der Goldmarie und Pechmarie ist uns als Ausdruck ihrer Seelen, Hastigkeit eine alltägliche Sache. Auch hier ist die Figur, die

sie »«letzt machen, eine Darstellung ihres Inneren, ihres Wesens, nad Seelenjustavdes. Wen» ein übelwollender Mensch schließlich in seine« Gesichtsjügen einen entsprechenden Ausdruck bekommt und wenn alle feinfühligen Naturen, die ihm begegnen, das un, mittelbar und vom ersten Augenblick an merken und ohne weiteres wissen, was mit ihm ist, so ist dies das vollkommene Gegenstück »um Märchen von der Pechmarie. Die strafenden und Berechtig, kett übenden „Engel", mit denen jeder Mensch in Verbindung steht, «ad die ihm jutell werden lassen, was ihm nach seiner Seele ge, bührt, »andern eben auch, wenn auch in einem gan» anderen Sinn und mit gan» anderer Absicht als die niederen, unter dem Mensche» stehende» Naturgeister. I» jedem dieser Zusammenhänge aber ist es immer «ud immer wieder die seelische Verfassung des Menschen, die den Zauber möglich macht, sein Inkrafttreten be, wirft, ihn löst oder nicht löst und das Schicksal gestaltet. Endlich bietet das Märchen noch eine dritte Art von Magie, nnd das ist jene, auf die wir im eigentlichen Sinne das Wort »aubern. Zauberet im Sinne der Hexenküche oder des magischen Laboratoriums anwenden. Da ist ein böses Weib, die Hexe, ein böser Mana, der Zauberer, die sich durch allerlei Machenschaften Kenntnisse verschafft haben, womit sie andere Menschen und der Menschen Werk schädigen, aus reiner Bosheit, aus Neid und Rachsucht. Don Helfenwollen, wenn auch im primitiv gewinn, süchtigen, aber immerhin noch naiv natmhaften Sinne ist da nicht mehr die Rede; sondern mit ausgesuchter Bosheit und Raffiniett, heit, das Kleid des Armen, des Gütigen ««nehmend — also gepaart mit dem Intellekt — tritt da das magische Bestreben in de» Dienst niederster teuflischer Absichten, wie etwa im Märchen vom Schneewittchen bei den sieben Zwergen, das von der als Krämerfra« verkleidete» Stiefmutter den vergifteten Apfel be, kommt. Bejeichnend bei dieser menschlichen Jntellettualmagie ist nun, daß hier vonseiten des Zauberers nicht mehr nur Natur, erlebnisse und aus Wunsch und Begehren entspringende Natur, Wirkungen hervorgerufen, seelevhaft Naturgeister dienstbar gemacht «erden und damit dem begehrenden Menschen selbst Hllfe aus momentaner Not »«teil wird; sondern es wird mit einer Appa, ii*

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ratvr gearbeitet, es wird gekocht und gebraut, es wird ei» Spiegel gebraucht, in den man hineinfleht und der Antwort gibt, wie weit das böse Werk gediehe» ist: kurz, es ist eine schwarje Küche dazu vonnöten, also eine Technik, eine planmäßig avsgebaute Wissen­ schaft, mit der all solches Teufelswerk vollzogen und mit technischer Sicherheit, den empfindsamen Zufall ausschließend, festgehalte» wird. So stnd es also drei Hauptarten von Magie, die uns im Märchen begegnen, und es find die drei Arten überhaupt, die es gibt und die wir nun in ihrem Geschehen und in ihrem seelischen Zusammenhang mit dem Menschen kurz umschreiben können. Die eine, charakterisiert durch das Erscheinen der Heinzel­ männchen in der menschlichen Arbeit, entsteht dadurch, daß jede menschliche Anstrengung und Leistung zugleich ein wenn auch noch so unbewußtes Begehren ist. Dieses schafft eine Kräftezone, einen Krastwirbel, in den entsprechende Naturwesenheit herein­ gezogen wird, die nun mitspielt. Mit der Arbeit wachsen die Kräfte oder der geübte Muskel verstärkt sich — das sind Worte, die wir als Erfahrungsergebntsse hundertmal aussprechev und die etwas durchaus Magisches besagen, so „natürlich" sie unS er­ scheinen. Wir haben gesehen, daß eine ganze natmwissevschastliche Theorie zur Erklärung der Umwandlung organischer Formen auf diesem magischen Sinn des Wortes „der geübte Mvskel verstärkt sich" beruht, daß man in der Wissenschaft mit dieser Theorie arbeitet und sich nicht klar darüber geworden ist, daß man hier mitten in einer magischen Naturlehre steht. Jene Induzierung von entsprechend wirksamen Naturkräften in den Wirkungskreis des Menschen, der anstrebt und auf äußere Weise schaffen will, was sie von innen her aus der Natur der Sache können, ist auch in einem Zusammenhang wirksam, der änßerlich ja auch die meiste Ähnlichkeit mit dem echten Zaubern hat: beim Dorführen von größeren Taschenspielerkünsten auf Bühnen vor aller Öffentlichkeit. Es wird mir von vertrauens­ würdiger Seite versichert, daß sehr geübten und für jene Kunst­ stücke besonders genial veranlagten Künstlern bei ihren Dorführvngen, die sie teilweise selbst erfinden, gelegentlich unter den 164

HLnden Dinge gelingen, die sie im Augenblick und auch zuvor nicht beabsichtigt hatten, so daß hierbei also Kräfte und Wesen, heile« durch des Künstlers Körper als Medium hindurch sich betätigen, die eben in dessen Strebens- und Tätigkeitskreis mit hineiugezogen wurden, wie die Heinzelmännchen. In diesem ersten und einfachsten, auch harmlosesten Herein­ treten der naturmagischen Wesenskreise in das Tätigkeitsbereich des Menschen wird noch keine seelische Schuld kontrahiert; höchstens entsteht ein Schaden für den Menschen dadurch, wenn er das, was ihm von selbst gelingt, nun mit dem Wachverstand belauscht und es solcherweise erhaschen und nach seinem eigenen Belieben ann in seinen Dienst zwingen will, wodurch er es bestenfalls ver, treibt. Etwas ernster und folgenschwerer spielt sich der Zauber dann ab, wenn das Naturwesen dem begehrenden, in heftiger Not wünschenden Menschenkind sich anbietet und der Mensch sofort sieht, daß er die Hüfe erlangt, wenn er einen Preis zahlt, dessen Abttagnng wir oben im Fall des Rumpelstilzchens genauer um, schrieben haben. Beidemale aber, sowohl in diesem wie im Hetnzelmännchenzauber, geht der Mensch keine schlimme und seine Seele schädigende Bindung ein in dem Sinn, daß er etwas Dunkles, Böses, Teuflisches selber «olle. Ganz entschieden ist dies aber der Fall bei jenen letzten dä, monischen Zaubereien, bei denen zu dunklen, bösartigen Zwecken der Mensch Naturkräfte magisch bannt und zu seinen niederen Absichten und zum Schaden Anderer verwendet. Seine Seele ist böse vnd darum wird sein Werk böse. Es ist nicht ein Intel# lektvelles Verfahren allein; sondern es ist die Hereinzwingung der auf magischem Weg gewonnenen NaturkrLfte in seine intel­ lektuelle Geistigkeit und seine bösen Absichten, womit sich der so verfahrende Magier dem „Teufel" verschreibt. Die Magie wird zu einer Wissenschaft, wird technisiert. Aber was sie von wissen­ schaftlicher Technik unterscheidet, wie wir sie üben, wenn wir Dynamos bauen und unsere Städte damit belevchten, ist die seeli­ sche Bannung der Naturkräfte, d. h. jener Innenseite des sonst nvr physikalisch für nns bewußt «erdenden Naturgeschehens. Dieses für uns technisch-wissenschaftliche Menschen allein zugängige

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Physikalische der Naturvorgänge wird vom Magier gar nicht in erster Linie erstrebt und ergriffen; sondern er spaltet durch einen somnambulen seelischen Prozeß die Seele jener Sphären auf, aus denen das physikalische Wirken wie eine Emanation oder räumlichzeitliche Manifestation erst fließt. Es ist, wie man unmittelbar bemerkt, außerordentlich schwierig, diese Dinge mit Worten darzustellea. Wer sie verstehen will, maß sich nur von allem Anfang an klar machen, daß der Unterschied zwischen wissenschaftlicher Technik, womit man Naturkräste beherrscht, «nd der magischen Besitzergreifung vergleichsweise der­ selbe ist, wie wenn ich die Arbeitsleistung von Sklaven in meinen Dienst zwinge mit äußeren Gewaltmitteln, statt den Sinn der Menschen zu wecke«, aus dem heraus sie mir mit ihrer ganzen seelischen Hingabe helfen. Wie tvean ich ein Weib betrüge, indem ich ihr meine Seele zu schenken scheine, um sie für meine Stnnevlust zu besitzen, so zwingt der schwarze Magier die Seele der Naturkräste in seinen Dienst zu seinem niederen Begehren. Damit lädt er eine tiefe seelische Schuld auf sich — und das ist der Unterschied zwischen Magie und gewöhnlicher technischer Wissenschaft. Der Kernpunkt ist zwingendes Begehren. Und es ist sicher tief bedeutungsvoll und von gesunder natürlicher Sinnlichkeit abgrundtief geschieden, wenn wir in den Märchen und magischen Geschichten den Verkehr der Hexen und Magier als wüste sexuelle Orgien geschlldert sehen. Liegt doch alles, was nicht gesunder Sinnentrieb und mit reiner Seele getriebene Werbung in dieser Hinsicht ist, ganz im Bannkreis düsterer Magie. Das Moment des Begehrens, gerade im Sexuellen am brennendsten erlebt, ist eben das, was den Weg in das natur­ magische Geschehen öffnet, wie es uns ja die Märchen auch lehren. Jedoch nicht der Teufel, sondern Gott sitzt im Regimeute. Der böse Zauber kaun als Ausfluß der Kraft, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft", geradezu eine reinigende Kraft haben. Zauber und Bann ist, wie jede einfache Suggestion, nur möglich, wenn im Unbewußten des Betroffenen das lebt, was nach dem Gesetz von Gleich und Gleich geweckt und so von inne« heraus in Tätig­ kett gesetzt, wird. Gehoben kann daher der Bann «erden, wenn 166

dieses unbewußte Jnnenwesen durch das Unglück, in das der Mensch gerät, zur Spiegelung im Wachbewußtsein kommt nnd dadurch nun das Innere rückwirkend gereinigt wird. Darum ist alle innere Reinigung nicht bewußter Willensakt des Jndivid«, ums, sondern „Gnade" durch das Leid, das den ersehnten Zu­ stand der Reinheit spiegelt. Darnm ist auch großer Schmerz eine tiefe Defreiuung; oder wie es Maeterlinck so schön ausdrückt: Wir gehören uns selbst nie inniger an als am Tag nach einem großen Unglückserleben. Dem Zauber also kann man nicht ent­ gehen durch den einfachen Willen, und sei er noch so stark, sondern durch das Jnnenerlebnis und die daraus kommende „Wieder, getatt" eines neuen Menschen, der gereinigt ist und nun nichts mehr unbewußt in sich tragen darf, was dem bösen Zauberwirken gleichgerichtet wäre. So kommen wir zu jener letzten Hauptart der Magie in der Märchenwelt, die wir nun, da wir die schwarze ahnend verstehen, als ihren unbedingten Gegensatz die weiße nennen können. Cs ist die Magie gütiger und gerechter Geister. Sie suchen nicht daS Ihre, sie wollen anderen Wesen nicht schaden, sondern ihnen zur Seligkeit verhelfen durch die Auswirkung dessen, was in ihnen steckt; zur Strafe, zur Reue, zur Umkehr und dauernder Reini­ gung. Auch hier wirkt Natur so, wie es der Seele dessen, in dem sie wirkt, naturgemäß ist. Auch hier zieht die Seele das ihr Gleiche an, die reine Seele Gold und Silber, die unreine Pech und Schwe­ fel. So gibt es Belohnung und Himmelfahrt, wie es Strafe und Fegefener gibt. Hier in diesem hat der Teufel sein Reich und dient — gegen seine Absicht — der Reinigung der gestraften Seele, zuletzt also der weißen Magie. Die auch im Unbewußten reine Seele überwindet jeden Zauber und setzt der schwarzen Magie die unüberwindliche Kraft der lichten Magie, die von ganz anderer Art ist, gegenüber. So geht etwa in dem eingangs besprochenen Märchen vom König, der sein Kind hergeben muß, die dem Natur­ wesen überlassene Tochter furchtlos mit diesem in den Wald, und ihr hllfreiches reines Wesen bringt es alsbald dahin, daß ein weiterer Zavberbann fällt: der Bär oder der Zwerg, der sie als Lohn gefordert hatte, erweist sich selbst als ein Gebannter nnd 167

Verzauberter und erhält durch ihre selbstlose Liebe wieder seine befreite Menschengestalt.

24. Gefahr der Magie. Wenn man ein Helles Licht ans sich zvkommea steht und weiß, daß es blenden wird, so schließt man bewußt das Auge und vollbringt damit, ebenso wie beim Greife« mit der Hand, einen Willensakt. Es kommt aber auch so zustande, daß sich das Auge unwillkürlich schließt, «en« ihm Gefahr oder Belästigung droht. Ein und derselbe Dorgang kann sich somit bewußt und unbewußt vollziehen. Dieses unbewußte Geschehen ist Wille zum Leben, -er auch organische Formen und auch unseren Körper selbst gestaltet, ohne daß und ehe wir es wissen. Noch klarer wird dies beim Atmen. Gewöhnlich verläuft dieses ohne unser Zutun Tag und Nacht. Aber es wird uns leicht, mit Bewußtsein und ganz willkürlich das Atmen aufzuhalten ober zu beschleunigen. Jedoch nicht lange; dann fordert ein nicht unter unserer bewußten Macht stehender Körpern und Lebenswille sein Recht, und wir müssen willenlos den Ablauf geschehen lassen, wie er von sich aus normal vor sich geht. Unsere Herztätigkeit, unsere Verdauung und alle diese inneren Funktionen sind zunächst ganz und gar unabhängig von unserem bewußten, oder was dasselbe ist, persönlichen Wille». Es ist aber auch hier durch eine gewisse konzentrierte Willens/ anspannung und Übung möglich, diese Funktionen der inneren Organe etwas zu beeinflussen, so baß sich hier die Verbundenheit des bewußten eigenen und des unbewußten körperlichen Lebevswillens kundtut. Und schließlich gibt es noch ein Beispiel dafür, daß wir den bewußten anfänglichen Willensatt in den unbewußten über, führen können: beim anhaltenden Gehen. Wenn wir uns erheben, um das Haus zu verlassen, dann machen wir die dazu nötigen Bewegungen noch vollkommen bewußt. Sobald wir aber eine Zeit lang gelaufen sind und uns auf dem vielstündigen Marsch bergauf bergab befinden, gehen die Beine unbewußt von selbst; wir können Lieder singen oder unseren Gedanken nachhüngen oder die Schönheit der Landschaft auf «ns wirken lassen — es läuft

unterdessen weiter und weiter, wie das Atmen, wie der Herjschlag. Wenn wir Schritt um Schritt bewußt, d. h. mit darauf reflektieren, der Willensanspannung ju machen hätten, würden wir nur dem leben und nur daran denken müssen und könnten weder singen, noch die Schönheit der Landschaft genießen, noch natmwiffen, schaftlich beobachten. Vergleicht man nun alle diese Beispiele in ihrer stufenweisen Verknüpfung miteinander, die uns den Übergang aus dem be, wußten in den unbewußten Lebenswillen und wechselweise die ««merkliche Verwobenheit beider miteinander jeigt, so hat der Echopenhauersche Begriff, daß Körper, Organe und Funktionen die physische Manifestation des Willens zum Leben seien, nichts Vages mehr, sondern ist etwas an vnser Bewußtsein Angeknüpftes. Mit anderen Worten: unser Willensbewußtsein ist ein uns er, kennbarer Pol jenes großen Lebensmagveten, dessen anderer Pol für uns im Unbewußten liegt und woraus alle Gestaltung als Manifestation fließt. Gelänge es, im Bewußtsein zu jenem anderen Pol mehr und mehr vorzudringen und so den ganzen Lebensma, gneten in unsere Hand zu bekommen, so würden wir unseren Körper, seine Organe und deren Funktionen ebenso beeinflussen und gestalten können, wie wir den Arm heben oder die Atemzüge wandeln oder nach einem Ziel marschieren. Das aber wäre Selbst, Verwandlung im naturhaften Sina, genau das, was wir magische Zauberei nennen und was die Sagen und Märchen einigen Men, schea und Zeitaltern zuschreiben. Cs ist ohne weiteres richtig, daß der Weg dazu in einer un, geheueren, die gewöhnlichen Funktionen des Leibes überwinden, den bewußten Willensschulung und Dorstellungskonzentration liegen muß, einer Schulung, die eben einen großen TeU oder alles, was sonst vnbewußter Lebensakt ist, der Bewußtheit unserer Person unterwirft. Der Sinn asketischer Übungen, der fürchterlich, sten Selbstüberwindung, Entsagung vor eigenen Lust, oder Un, lustgefühlev, andererseits Einschläfervngen und Berauschungen zur Ausschaltung der gewöhnlichen Wachgefühle, Auslösungen ge­ wisser sonst schlummernder Zustände und daraus sich ergebende Erweckuvg von Visionen «erden uns solcherweise Mittel zur zaube, 169

rischen Beherrschung der Natur. Es ist gar kein Zweifel, daß Men, scheu, nicht »vr in früherer Zeit und nicht nur geschult in besonderen Mysterien, sondern auch heutigentags unter uns, diese Wege kennen und üben: die Wege jv den Naturgeistern, zur zaube, rischen Verwandlung. Glücklicherweise ist Selbstüberwindung und Entsagung mei, stens denen nicht gegeben, die das Leben im äußerlich natürlichen Sinn nur kennen und nehmen, deren Innenwelt allein der I», tellekt und deren Gott das eigene Wohlergehen oder der Satz „Jeder ist sich selbst der Nächste" ist. Sie sind nicht imstande, zur Magie durch Selbstüberwindung vorzudringen, well eines das andere ausschließt. Es sind das die Menschen, welche auch ihre Wissenschaft als rationalistisches Geschäft betreiben und belleibe nicht ihre Seele dabei dreingeben; die mit ihrer Wissenschaft Ehre und Pfründen erwerben und kühl bis ans Herz hinan bleiben, wenn sie der Wahrheit wegen, die sie in sich fühlen oder anderswo winken sehen, Opfer bringen oder sich in den Augen der Maß, gebenden kompromittieren und vor der Klugheit der Welt Narren sein sollen. Alle die werden nie zu einem seelenhaften Verständnis der Natur vordringen, das Opfer auf Opfer fordert und das nicht dem Intellekt, sondern dem naiven Gefühl und der entsagenden Hingabe sich erschließt; gerade wie die Märchenwelt, die nur ein Naturkind unmittelbar versteht und ein ichliebender Verstandes, mensch trotz aller Gelehrsamkeit nicht. Trotzdem muß aufrichtig gewarnt werden vor dem Versuch und dem Bestreben, Magie auf dem Wege der systematischen An, Wendung von allerlei Manipulationen und Kunstgriffen gegen sich selbst zu erlernen. Denn wenn auch im allgemeinen jedem nur zuteil wird, was ihm innerlich schon gehört, man also auch da nichts, was Bestand haben oder wahrhaft beglücken soll, künstlich zu erzwingen vermag, so können doch Triebe und Gesichte auf künstlichem Wege geweckt werden, die selbst dann zerstörend auf die eigene Persönlichkeit wirken, wenn sie auch nur illusionäre Bllder und Einblldungen Hervorrufen. Es können z. B. durch gewtsse Übungen und gleichzeitige Selbstbeobachtung eben jene oben er, wähnten, uns unbewußten organischen Blldungskräfie teilweise 170

in die Bewußtseiusschau gerückt und dann durch die nnn vom Geist ans nicht angemessen geregelten und gebändigten Vor­ stellungen oder Begierden hypnotisch so beeivflvßt werde«, daß sie die sonst unbewußt verlaufenden Körperfunktionen und BlldungsjvsammenhLnge ungesund ablenken und störe»; wie wenn man einem Kompaß ein Stück Eisen, einen Magneten oder einen Draht mit durchgehendem elektrischem Strom willkürlich nähert. Dadurch können seelische oder körperliche Jrrgänge, Störungen der Sinnesperjeptionen, damit der Derstandesvorstellungen ein­ treten, und körperliches oder geistiges Siechtum die nächste Folge sein. Wer daher nicht sein niederes Ich bereits ganz hat beherr­ schen lernen, lasse die ungeweihte Hand vom verschleierten Blld: »Weh' dem, der zu der Wahrheit geht durch Trug! Sie wirb ihm nimmermehr erftealich feto."

Es ist daher geradezu gefährlich, wenn in sonst sachlichen Werken kurzweg Anweisungen gegeben werden, wie man fich der Magie bemächtigt, welche Anfangsübungen man anzvstellen hat, um in einen gewissen Trance- und Dtsionszustand zu gelangen. Zwar wird oftmals betont, daß alle praktischen Anweisungen nicht zum Ziele führen können, wenn der magische Sinn nicht von selbst schon in dem Schüler ruht oder herausdrängt. Aber warum gibt man dann die Anweisungen? Bei wem magischer Sinn echt und lebendig ist, dem wird sich bald von selbst naturhaft und ohne tech­ nische Anweisung manches erschließen und, wenn er ein reines Gemüt hat, auch zum Segen gestalten, was bet dem, der nur technisch verfährt und Dinge künstlich erzwingt, die ihm nach seiner innern Verfassung nicht gebühren, zum Gift wird. Es ist wie das gewaltsame Offnen einer Blume in ihrer Knospe, ehe sie sich aus innerer Kraft selbst erschließt; sie kann nur zerstört werden. Und man soll ja nicht glauben, daß die Natur und ihre Geisterwelt für jeden objektiv dieselbe sei, daß also ein magisch erschlossenes Ge­ schehen sich jedem auf gleiche Weise und mit gleicher Gunst darstellen müsse. Die intellektuell erworbenen Dinge und Vorgänge frelltch sind jedem Wtssenschaftsmenschen und auch jedem Snob gleicherweise zugänglich; das Blitzen der Leydver Flasche und das Getnte des Lautsprechers sind Dinge, die Allen gleicherweise er,

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scheinen können. Was aber seelisch erschlossen und erlebt wird, ist so wie die Seele dessen, der es erschließt und erlebt. Darum sind magische Eröffnungen für den Ungeweihten eine große Gefahr. Glücklich wenn sie für den, der reinen Herzens ist, so ablaufen wie Fausts Beschwörung des Erdgeistes, durch den er zur Demut geführt ward. Alle Erzählungen von magischem Geschehen, das sich vor mehreren Menschen oder vor einer Volksmenge abspielte, sagen es immer ausdrücklich oder lassen es erkennen, daß das „Wunder" oder die „Geistererscheinung" nicht von Allen gleichartig aufgefaßt und erlebt, ja von manchen gar nicht bemerkt oder nur als äußer­ licher Vorgang gesehen und vernommen wird, «ährend den Anderen das Magische als solches zum Bewußtsein kommt und in die Seele eingeht. Andererseits fleht der Eine die teuflischen Ge­ stalten, wenn der Andere die Engel sieht. Dem Reinen ist alles rein. Das alles deutet daraufhin, was wir Alle auch ohnedies ans unserem Seelenleben wissen oder leicht wissen könnten, daß je nach der inneren Verfassung des Menschen ihm auch die Seele der Welt und der Natur verschieden erscheint. Mer daher die innere reine Atmosphäre nicht in sich fühlt, verzichte zu seinem eigenen Wohlergehen auf jeden Versuch, anders als daß es ihm in in­ brünstigen Augenblicken als Gnadengeschenk gegeben würde, in das Reich des Magische» einzudringen. Denn Erkenntnisse findet er dort ebensowenig wie der, welcher mit Medien experimen­ tiert, Emanationen und polternde Gegenstände dabei beobachtet und damit doch auf der Außenseite der Dinge bleibt, bis sie ihm eines Tages vielleicht einmal über den Kopf wachsen und eine „Explosion im Laboratorium" Hervorrufen, die ihm Sinn und Verstand rauben kann; oder es können ihm Fratzen erscheinen, die er nicht mehr los wird, wie der Zauberlehrling den wasser­ schüttenden Besen. Ein Wort in den Sprüchen Salomons heißt: „Ein unver­ dienter Fluch trifft nicht." Das „Verdienen" des Fluches oder der guten wie der schlechten Zauberwirknng liegt aber immer in der eigenen seelischen Einstellung und Verfassung. Wessen Seele rein und schuldlos ist, kaun von Haßzauber nicht getroffen, d. h. nicht 17a

in seiner Seele selbst geschädigt werben. Aber wer ist rein und schuldlos? In wem lebt nicht bewußt und unbewußt das Arge? Darum sind wir Alle auch dem Gleichheitsjauber ausgesetzt, und es gehört viel „Wachen und Beten" dazu, die Anfechtung jv über, winden. Daß der Mensch nicht wehrlos allen suggestiven Einflüssen preisgegeben ist, daß der unverdiente Fluch nicht trifft, ist nicht nur eine sittliche Forderung, ju der die Überjeugung bestimmt in uns lebt, sondern es ist auch aus dem Wesen der Suggestion ju erweisen. Jllig weist in seinem sonnenklaren Werk „Ewiges Schweigen?" auf die von Baudouin betonte Tatsache hin, daß Suggestion, also auch Bann und Zauber nicht geübt werden kön­ nen, wenn in dem der Suggestion ausgesetzten Wesen nicht die­ selbe Idee, welche ihm suggeriert werdeu soll, lebt. Der Wille im Wachsinn ist es nicht, der die Suggestion unmittelbar schafft oder in jedem Fall ihr unmittelbar entgegengestellt werden könnte; sondern es zeigt sich im Gegenteil, sowohl bei Suggestions­ vorgängen, wie bei Halluzinationen oder Wahrgesichten, daß das Dagegenangehen mit dem bewußten individuellen Wollen jene Wirkungen noch verstärkt, nach dem „Gesetz der das Gegentell bewirkenden Anstrengung". Ja, je selbständiger die Person in ihrem Wachbewußtsein ist, umso mehr könne die durch Suggestion in ihr geweckte Idee auch an Umfang und Stärke gewinnen, sie ist also gewissermaßen leichter und mit größeren Folgen zu beeinflussen als die in ihrem inneren Sinn mehr ruhende Persön­ lichkeit. Es darf, wie Baudouin ausdrücklich betont, der Vorgang des Wollens, soweit er in das Bewußtsein tritt, nicht mit dem suggestiven Vorgang im Unterbewußtsein verwechselt werden. Und auch praktisch wird nach ihm die Suggestion nur fruchtbar, wenn das Willensmoment ausscheidet. Das also, was man bloß im Wachbewußtsein will, ist nicht das, was man als Magier will. Das Unbewußte arbeitet magisch nach seinem „Willen", der aber irgendwie mit dem bewußten Willen sich vereinigen kann. Was wir im Unbewußten begehren und, wenn man übertragen so sagen darf, dort uns vorstellen, hat magische Wirkung. Das bewußte und darum gefährliche magische

Können ist das: mit dem bewvßten Willen vnd Begehren Eingang zu finden in das im Unbewußten wirksame Geschehen. Trifft man dort bei sich oder Anderen analoge Bereitschaft, dann kann sich Zauberwirkung, im einfachsten Fall Autosuggestion vollziehen. Darum ist die Autosuggestion der Grundtypus jeder Suggestion, die nichts anderes ist als die unterbewußte Verwirklichung einer Idee, wobei der Derwirklichungsprozeß in seinem Verlauf dem Betroffenen verborgen bleibt. „Leider vaterschätzen die meisten Menschen", wie Jllig in diesem Zusammenhang fortfährt, „noch die Macht der Gedanken und Vorstellungen, mit denen sie lieb, äugeln, vnd meinen, es sei Sache des Wollens oder der Umstände, was ihr Wohl und Wehe bestimmt. Letzten Endes sind es aber die Ideen und Vorstellungen, die von irgendwoher in unser Unter­ bewußtsein gekommen sind oder die wir selbst dareingelegt habe«... Denn alle unsere Ideen, Vorstellungen und Wünsche sind Ener­ gien, die nach Verwirklichung streben, wofern sie nicht bloß als to­ tes Wort in das Sinaenbewußtsein treten, sondern durch eine Gemütserreguag in die Tiefen des Unterbewußtseins getragen «erden, oder wenn sie in einem Zustand des bloßliegenden Unter­ bewußtseins sich in dieses betten und zu Suggestionen werden, wie dies in den Dämmerzuständen vor dem Einschlafen, in de« Träu­ men, beim Erwachen, in Ohnmachten, in somnambulen Zuständen und im Sterben der Fall zu sei» pflegt. Wenn wir aber annehmen, daß die psychische Sphäre des Menschen weit über den Körper hinansgreift—und die Erfahrung zwingt «ns dazu—daun drängt sich «ns die «eitere Annahme eigentlich ganz von selbst auf, daß Wünsche, Vorstellungen und Suggestionen auch außerhalb des grobstofflichen Körpers, soweit dessen psychische Sphäre reicht, solche Wirkungen hervorbringen können, wenn die Voraus­ setzungen dazu gegeben sind." Jede magische Übung, jede Iauberübnng beruht darauf, -aß durch irgendeine Jnansprnchnahme der Seele, und sei es auch nur ei« einfaches heftiges oder stilles, aber anhaltendes «nd jähes Begehren nnd Nachsinnen seelische Kräfte der Natur heran­ gezogen und durch dieses in Verbindung Treten nun in de» eige­ nen Körper eingeführt werden. Dann geschieht alsbald zweierlei:

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Die organisch schaffende» Funktionen und Gestaltungskräfte im Körper «erden umgestellt, durch die Kontaktwirknng mit dem Avßerkörperlichev in einen anderen Fuuktiouszusammeuhang gebracht und unterliegen nun neuen Einflüssen, nämlich denen, mit denen durch das Begehreu und sonstige Konzeutratiovswirkuu-

gen der Kontakt hergefiellt wurde. Andererseits tritt aber auch, da jede Wirkung ihr natürliches Gegenspiel hat, eia gestaltender Einfluß aus dem Körper des magisch Derbundeuen in die Natur bejtehungsweise in einen anderen Körper hinüber, wobei die räumliche Entfernung, als einem anderen Daseiuszvstaud an,

gehörend, keine Bedeutung hat. Je nachdem nun die eine oder andere der beiden Seiten vom Magier gewollt und begehrt und itt'd Unbewußte übertragen und dort lebendig wirksam geworden ist, gelingt ihm zweierlei. Entweder hat er Visionen, die ihm gesuchte Zusammenhänge verraten; er erfährt beispiels, «eise Heilmittel für bestimmte kranke Körper oder für seinen Kör, per; er erfährt den Platz, wo ein alter Schatz vergraben liegt, oder er erfährt unmittelbar die Verkettung von Umständen, aus denen er ihr Ergebnis, d. i. „die Zukunft" voraussagen kann. Oder aber er kaun nun mittelbar oder unmittelbar Wandlungen an seinem eigenen Körper oder an dem anderer Wesen, «en« sie durch das, selbe Begehren bewußt oder unbewußt magisch mit ihm verbünde» sind, oder au Gegeustäudeu Hervorrufen, also beispielsweise das Vieh verhexe» oder in einem Haus einen Spuk avjetteln oder durch Crfahreu gewisser verhüllter seelischer Zusammenhänge Namens­ zauber au anderen Personen ausüben und was derlei Dinge mehr sind, die uns aus Märchen und aus allerhand Berichten über ma, gische Geschehnisse historischer Art bekannt sind. Maa erkennt daraus auch die Gefahr, in der man unbewußt immer schwebt, wenn die eigene innere Wunsch, und Gedankenwelt nicht rein gehalten ist. Wie dem aber im einzelnen auch sei, das steht fest, daß die Seele des Menschen — und zwar sowohl dessen, der den Zauber verübt, wie dessen, der ihn begehrt oder dessen, der sich durch solches Begehreu, also durch seine Schuld, in den Bannkreis des Zauberu, deu «ud damit der von ihm dienstbar und nutzbar gemachten

Naturkräste begibt —, daß die Seele des Mensche» dabei -er entscheidende Lebenspunkt, der entscheidende Konzentrationspunkt für alles Geschehen ist. Damit ist dargetan, was wir abermals aus allen Märchen und Zaubergeschichten wissen, daß sich durch das naturmagische Beginnen der Mensch den dämonischen Kräften, populär ausgedrückt: dem Teufel verschreibt und, während er glaubt, diese zu beherrschen und sie sich dienstbar gemacht zu haben, zugleich von ihnen oder ihrem „Meistes abhängig wird. Da aber alles letzthin ans Begehren beruht, so ist mit dem einmaligen Begehren und Gewinnen die Sache nicht geschehen. Denn alles Begehren, sobald es befriedigt wird, ruft nach seiner innern Natur neues Begehren hervor. So wächst die Schuld, wie die Leistung wächst. Was wir heute Wissenschaft nennen, ist, fast möchte man sagen glücklicherweise, so nüchtern, daß sie die Gefahr, zu dämo­ nischer Zauberei zu führen, noch glücklich vermieden hat. Sie ist zu flach, um das dienstbar Lebendige in der Natur zu fühlen. Sie kennt es weder beim Tier, noch bet der Pflanze, geschweige denn beim Mineral oder der Sternenwelt, und auch nicht in des Men­ schen Herzen. Sie will Naturbetrachtung von außen her üben, will Naturbeherrschuvg in einem rein technischen Sinn und ist als solche trocken und nichtssagend für die Seele des Mensche«. Sie ist weder kalt noch heiß, sondern lau und gefühlleer. Doch wie ein spielendes Kind am Abgrund hingeht und ahnungslos seine Stein­ chen sammelt, so ist der Geist der Wissenschaft unserer Tage. Sie ist unendlich entfernt von der verklärten Höhe helliger Wissenschaft und ist ebenso weit entfernt von der gefährlichen dunkeln Beherr­ schung dämonischer Naturkräfte. Sie ist, wie alles in unserem Zeitalter, von einer flachen Halbheit und bleibt auf einem mittleren Nivea«. Darum kann ein Mensch mit kleiner Seele heute ein vorzüglicher Wissenschaftsmensch sein oder wenigstens nach außen dafür gelten. Wer aber nicht wahrhaft in die Höhen oder in die Ab­ gründe gestiegen ist, kann nicht wahrhaft groß oder elend und kann noch weniger ein wahrhaft Wissender oder ein Helfer sein. Aber bei dieser Halbheit werden wir nicht stehevbleibev. Unser Denken wird sich in kommender Zeit für die Einen zum Got, 176

tesdienst, für die Anderen zur dämonischen Zauberei entwickeln. Man ruft nicht umsonst die NaturkrLfte auf und macht sie nicht umsonst sich dienstbar. Sie fordern ihren Lohn und drängen zu Entscheidungen. Und ehe man stchs versteht, zwingen fle uns die Erkenntnis ihres dämonischen Lebendigseins auf.

25. Die Tat. Wenn wir vollkommen einstchtige Wesen wären, dann gäbe es die Trennung in äußeres und inneres Schauen nicht. Dean wir wären jederzeit imstande, die Zusammenhänge zu sehen, das Wesen im Ding. Und außerdem wären wir imstande, uns gegen­ seitig unser unmittelbares Wissen ohne alle Wortübertragung zu zeigen, also schweigend mitzuteilen. Unser ganzes gegenseitiges Menschenleid liegt eben gerade darin, daß wir das nicht können und uns nicht oder nur unvollkommen verstehen. Wir können uns weder jederzeit versenken, noch Alle in gleich tiefem Grad, noch uns unmittelbar etwas übermitteln. Dies können nur Einzelne, und sie nur in bestimmten Fällen und Augenblicken. Selbst in der innigsten Freundschaft und Liebe gibt es Mißklang, und klug ist, wer dies von vorneherein weiß. Wenn wir darüber hinaus könnten, läge jeder vor dem Anderen offen da, mit seinem Wissen und Gefühl. Dann hörte auf: das Vielerlei, die Lüge, das Miß­ verstehen, politische und soziale Zerklüftung, BUdungsunterschiede, Feindschaft gegen die Tiere usw. Wir sehen, wo die wahre HeUung dieser Schäden läge. Da das alles nicht geht, so hat sich der Jnstintt und der Wille des Menschen von jeher Instanzen geschaffen, die eine gewisse äußere Regelung und Ordnung der Beziehungen bewirken, «ns festlegen oder festlegen sollen auf bestimmmte Regeln: für das Soziale den Staat, für das Religiöse die Glaubensgemeinschaften, für die Beobachtung und Verarbeitung der Dinge die Wissenschaft, für die Fortpflanzung die Familie, für die Erziehung die Schule. Sie alle haben inneren, haben Ewigkeitswert, und wenn sie es nicht haben, sind sie Schäden des Menschengeschlechts, wie sie andernfalls ein Segen sind. Keines von ihnen ist, im inneren

Zusammenhang gesehen, mehr als das andere oder müßte ihm notwendig störend und feindlich im Wege sein. Wenn dies aber geschieht, dann liegt es an den handhabenden Menschen, die als unvollkommene Wesen das Ganze innerlich nicht erfassen können, das fich in diesen äußeren Spezialisationen des geistigen und fee# lischen Lebens vom Unbewußten her ausspricht und in ihnen sich ver­ wirklichen will. Keines davon ist heilig schlechthin; doch jedes so­ weit, als es Gefäß des Ewigen ist und den Sinn dahinlenkt. Darum die Gefahr, die uns täglich gegenübersteht und be­ schäftigt. In dem Augenblick, da die formulierte Lehre spricht: »Ich bin die Wahrheit", macht sie sich au Stelle des immer neu zu erringenden, immer nur in neuem Erlebnis sich kundgebendeu, aus Gott fließenden Lebens zvm Götzen, zwingt uns zum Götzen­ dienst. So die Wissenschaft, so die Philosophie, so die Religions­ lehre. Denn es sucht sich das formulierte, erstarrte, intellektualisierte Wissen, das zuerst und nur aus Offenbarung floß und nur von da sich immer erneuern kann, an Stelle dieser zu setzen. Das ist der Abfall des Geistes von Gott, vom Ewigen. Es wird uns die Herrlichkeit des „Wissens" versprochen; es wird uns zugeraunt: ihr «erdet sein wie Gott und Erkenntnis haben; reich sollt ihr «erden durch das eiskalte Wissen, das nun eueren Geist fülle» wird. Dagegen (teilt sich das einfache Wort der Bergpredigt von der geistlichen Armut, die in Gott ruht. Dieser Kampf geht durch alle Welt und alle Zeiten. Die dem zweiten Ruf gefolgt sind, waren die Narren und Törichten. Man könnte ihr Leben eine Schwär­ merei nennen; man kann es auch eine große Hoffnung neune». Doch das alles heißt freilich nicht, Lehre und Derstandeswiffen verachten. Wer wird das Gerüst verachten, weil er das HauS will? Wenn das Gerüst nicht wäre, würde danach das Haus nicht sein. Aber das Gerüst um seiner selbst willen bauen und stehen lassen, ohae an das Haus zu denken, ohne das Haus dahinter als Ziel zu sehen, oder es noch stehe» zu lassen, wenn das Haus fertig ist: das ist Sünde, Vermessenheit, Torheit. Und die begehen die Men­ schen unausgesetzt; oft aber auch dadurch, daß sie zu früh das Gerüst oder Telle davon abbrechen. Das Gerüst aber muß immer wieder erneuert «erden. So auch im Sterben der Kulturen und Bölter.

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Die ganze Geschichte des Geisteskampfes unter den Menschen ist die Geschichte dieses Gerüstbauens. Entweder man baut ein Gerüst um seinetwillen, statt um des Hauses willen; oder man will es nicht verbessern, wenn es Zeit ist; oder man bricht es zu bald ganz oder tellweise ab; oder man einigt flch überhaupt nicht über die Art des Aufbauens und Abbrechens. Jeder Gelehrten­ streit, jeder Kirchenstreit, jeder Weltanschauungsstreit, jedes phllosophische System, das flch in Gegensatz zu andern stellt, jede Parteien- und Sektenblldung, jede Reformation, jede Revolution und jede Reaktion — immer dreht es flch um die Behandlung des Gerüstes! Denn, daß wir das Haus bauen «ollen, darüber find wir «ns Alle einig. Wir streiten nur um das Wie. Das ist es, was alle Kämpfe ausmacht und was so wichtig und unumgänglich ist, daß die großen und tiefen Geister der Mensch­ heit in diesem Kampf gerade als solche erscheinen und entscheidend darin find; daß fle, ihres persönlichen Daseins nicht achtend, Geld und Gut, bürgerliche Ehre und Freundschaft, Namen und Angehörige dretngeben in diesem Kampf um den guten Hausbau der Menschheit, weil er eben bas Symbol ihrer inneren Wahr­ haftigkeit, ihres wahren Lebens und ihrer Menschenliebe im höheren Sinn ist. „Berni dir Glock" soll aufersiehen, Maß die Form in Stücke gehen."

Aber „nur der Meister kann die Form zerbrechen mit weiser Hand zur rechten Zeit" heißt es gleich darauf «eiter. Die Form darf nur zerschlagen, das Gerüst darf nur abbrechen, wer sein Haus von innen her fertig gebaut weiß. Alles andere ist Torheit, Frevel, Übermut, Zerstörung. Jedem Menschen ist es kraft der inneren lebendigen Einheit alles Geschehens möglich, mitzubauen, wo er auch steht; öffentlich oder im Stillen; in Schule und Haus, in Staat oder Famllie; in Wissenschaft oder Kunst; in der Alltagsarbeit von Mensch zu Mensch; von Mutter zu Kind; von Freund zu Freund. Redend oder schweigend; durch Tat oder Dorbüd. Don jedem Menschen geht die geheimnisvolle Beziehung hinüber ins All-Eine, ins Ewige. Nichts ist umsonst, nichts ist verloren; auch nicht der stillste Ge12'

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danke, nicht die geheimste gute oder böse Herzensregung. Das ist der Sian des lutherischen Bekenntnisses: Jeder muß in sich selbst Gott Rechenschaft geben. Das aber heißt in gewissen Augenblicken des

Lebens auch: du hast die harte Pflicht, die gewohnte, vielleicht dir selbst allzu liebe Form und damit deines Herzens Ruhe zu brechen,

wenn dieses, statt Gefäß, nur Hemmnis des wahrhaftigen Erlebens geworden ist. Leiden und Opfer ist der Sinn des Lebens. Damit entsteht, so hoffen und glauben wir, jenes Haus, in das jeder von uns und das ganze Menschenwesen einmal eingehen wird: dott, wo wir wieder Eins «erden mit dem schöpferischen Urgrund unseres und alles Daseins.

So ewigkeitsbedevtend ist

das Leben. Und auf die Frage, was es sei, antwortet so unser Innerstes in unzweideutigem Wort.

26. Der Urmythus. Schon dort, wo wir dem Mythus über das erste Werden des Menschen begegnen — dem Ursprünglichsten im unzeitlichen Sinn, was wir über den Menschen wissen — liegt nicht nur die Verbindung von Menschen- und Naturseele offen da, sondern es ist zugleich auch das Transzendent-Sittliche darin zum Ausdruck gekommen: in der Erzählung vom Paradies. Dort «ar es, «o nicht nur Friede zwischen den Wesen und Kräften allen, nicht nur Friede auch zwischen Mensch und Tier lebte, sondern wo der Mensch auch die „Spracht der Natur verstand, und «eil er ihr Wesen un­ mittelbar in seinem harmonisch sah, auch ihr Wesen auszusprechen, allem den „Namen" zu geben verstand. Das Paradies ist der von Menschenwesen in seinen Tiefen geschaute Zustand des Ursprungs, der aber nicht ein sentimental glückliches Schäferleben bedeutet, sondern über dem ein schweres und entscheidendes sittliches Gebot steht, zeitlos gesehen: der Zustand der Freiheit, zugleich der Berantwottung, aus dem alles kam und zu dem alles zurückkehrt und der auch immerzu für das besteht, was erst noch kommen soll. Es ist der Born der Schöpfung. In ihm liegt alles als innere

lebendige Einheit beschlossen, was wir im Bewußtsein Natur und Leben nennen und was wir jetzt nur unter der Form 180

von Zeit oder Raum, von Subjett und Objett, von Vielheit und Gegenstand in unserem Wachbewußtsein finden. Es ist, wenn man will, das Reich der Platonischen Ideen; kein leeres Gedankenblld, das ein Jntellett erfand, sondern das Reich des verinnerlichten Lebenszustandes, in dem volle seelische Reinheit herrscht. Er wurde gebrochen aus einer ins Mark reichenden „Sünde". Nun war der Lebenszustand des „inneren Kreises" gegeben, den wir oben charatteristerten. Nun war eben das gegeben, was als äußere Natur sich von der inneren unterscheidet. Es gab keine unmittelbar erlebte und gelebte lebendige Einheit mehr, sondern alles war zerfallen in eine Vielheit; es gab ein Außen und ei» Jane». War auch das Außen noch Symbol des Innen, so war beides eben doch Zweierlei. Das Menschwesen «ar nun an die Natur versüavt, hatte seine innere Würde verloren. Es hatte, der Ent­ zweiung entsprechend, reflettierendes Bewußtsein bekommen, daS sich im Lauf der physischen Evolution mehr und mehr entwickeln, verwirklichen sollte. Nun sah es sich der Natur gegenüber, wenn auch zuerst nur ganz dumpf und somnambul; es sah das Tier und die Bäume und den Himmel als sein Gegenüber, als Fremdgewordeues, «ad ahnte doch träumend, daß im „Jenseits" die innere selige Einhett bestand. Da es sich aber aus der Vielheit der Ge­ staltung und des Werdens nicht mehr zu seiner eigenen seelische» innere» Harmonie, zum Frieden des Paradieses zurückfand, so «ar an Stelle des Friedens das Gefühl des Gegenübers, der Zerrissenheit und damit der „Feindschaft" getreten. Hier liegt die Geburtsstvnbe des Gegensatzes zum „Tier"; zum Tier in sich und zum Tier sich gegenüber, das ihm nun seinen Unseligkeitszvstand, das ihm nun die eigene mannigfaltig schillernde Vielheit seiner naturhaft gewordenen Seelenzustände spiegelte. Da liegt zugleich die Geburtsstvude des feindseligen und des nach Versöhnung ringenden Tierkultus und des Tierzaubers; darin der Begin« des Dämoneadienstes, der Dämonenbeschwörung und -abwehr; darin der Beginn aller seelenhaften Himmelskunde; darin die Quelle aller Naturmythen und -sagen. Und «eil dies alles mit dem see­ lischen Bruch in der Mevschenidee im Transzendenten lebendig wahrhaftig verbunden war, so ist es zugleich Religion geworden

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bis ju dem Tag, als in der irdisch gewordenen, verstoßenen Mevschevseele der „Erlöser" erschien. Zugleich ist damit alle Naturforschung, selbst die modernste und scheinbar nach anderen Prinzipien verfahrende, auf ihren tieferen Sinn und Ursprung zurückgeführt. Sie gründet im Mythus vom verlorenen Paradies und in der Frage nach der Erlösung. Wir kommen mit unserem Denken und unserer Seele immer dahin zurück, wo unser Ursprung liegt. So wurzelt alles, was wir forschen «ollen, in der „Mystik," auch wenn wir von der Frage der paradiesvertreibendev Schuld absehen und Mystik nur als das Erleben der inneren Einheit, aber der lebendig-schöpferischen Einheit alles Daseins nehmen, als die erschaute Gewißheit, daß alles lebendig im Schoß Gottes liegt. Mystik ist, philosophisch gesehen, ficherste Erkenntnis, ist inneres, unmittelbares, eines historischen oder naturhistorischea Beweises nimmermehr bedürfendes Wissen um die Ewigkeit, um das Nunc stans in allen Dingen und Erscheinungen und allen Wesen; ist das Stchverlieren und Sichfivden in einer lebendigen Ewigkeit, die nicht gehäufte Zeit, nicht endloser Raum, sondern keines von beiden, aber stehende Gegenwart Gottes in steter Schöpfung ist. Aus dieser Mystik quillt alle Wissenschaft, und ohne sie gibt es keinen wahren Wert in ihr. Wie treffend sagt doch Jokl, dessen Werk wir schon nannten: „So ist insgesamt der Natur­ erkenntnis eine Fülle von Begriffen avö der Mystik oder doch aus der Gemeinschaft mit ihr zugeflossen: die Welt als Einheit und als Unendlichkeit, die Welt als Einheit der Mannigfaltigkeit, als harmonisches System, die Welt als Ordnung, Gesetzlichkeit und Notwendigkeit, die Welt als Kraft- und Lebensentfaltung, und im Gegensatz dazu als Materie und Elemente, insgesamt als Objekt gegenüber dem Subjekt, die Welt als Wandlung und Kreislauf, als kausale Folge, als Entwicklung, als Deszendenz und Aszendevz — kurz, es sind wohl die obersten Grundbegriffe, das ganze Grund­ schema aller Naturerkenntnis, das in der Dchstik gegeben «ar. Die Naturerkenntnis hat sich aus der Mystik immer weiter heraus entwickelt; sie ist immer differenzierter, spezialisiischer, mechani­ stischer geworden — aber die Mystik fordert Einheit und Leben. Die Naturerkenntnis hat sich immer weiter von der Mystik ab-

gewandt, und sie soll es; und dennoch isi sie zu der Mystik, aus der sie als altgriechische Naturphilosophie entsprang, zweimal bereits jurückgekehrt, und gerade in den Zeiten des Anlaufs zu höchstem Aufschwung: in der Renaissance und am Anfang des 19. Jahrhun­ derts. Sollte nicht ein Gesetz darin liegen? Die Naturerkenntuis muß sich in ihrer Entwicklung immer weiter von der zentralen Mystik entfernen, gleichsam immer peripherischer werden, und dennoch muß sie gerade in ihrem höchsten Fortschreiten, das stets als Wiedergeburt kommt, am tiefsten und bewußtesten den Zusammen­ hang wahren mit ihren mystischen Wurzeln, mit jenen subjektiven und anthropomorphea, vitalistischen und panentheistischen, kurz idealistischen Quellen, aus denen sie immer wieder neue Kraft zieht, wenn sie im Mechanischen zu veräußerlichen, im Speziellen zu verarmen droht." Das Entscheidende in der Mystik ist nun jedesmal nicht nur das Etuheitserlebnis schlechthin, sondern die sittliche Bindung dabei, «örtlich: die Religion. Wurzelt also die Wissenschaft in dem inne­ ren Einhettsbewußtsein, das wir im phllosophischen Sinn mystisch nennen mögen, so wvrzelt sie auch in der tiefsten sittlichen Grund­ frage. Joel zeigt, daß schon bei deu alten jonischen Naturphilosopheu der Weltprozeß moralisch gerichtet war. Der Weltprozeß „ist mehr oder minder deutlich ein Herabsinken vom göttlichen Ur, sprvug ins materielle sterbliche Einzelne und Rückkehr der endlosen Weltfülle ins ewige göttliche Ur-Etne, im Grunde eine Selbst­ entfremdung, Selbstentfaltung, Selbstentwicklung, Wandlung Gottes, wie sie eben die Mystik auch zu den Zetten Böhmes und Schellings lehrte. Bet Böhme wie bet Schelling ist der theogonische Prozeß weltbedevtend. Die theogonische Dichtung ist der Dorläufer und Begleiter der altgriechischen Naturphilo­ sophie, und ist mit ihr einig in dem mystischen Grund­ gedanken der Weltentfaltung aus dem Göttlichen, der göttlichen Werdevsfolge. Die theogonische Dichtung hat tief Anregendes für die Naturerkenntnis: sie hat die Wandlung und Folge heiliggesprochen, sie hat ja sogar mehrfach den „Chronos" zu einem Urprinzip gemacht und somit die Bedevtung des Zeitbegriffs vorgeahnt, und sie hat den Kausalitätsflnv erweckt, wenn auch

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im naivst vitalisiischen Sinne: die Weltentwicklung als Geburten­ folge .. " Daß die innerlich erschauten „Ideen" bei allen wirklich großen Forschern stets die Grundlage ihres erkenntnistheoretischen Wollens sind, lehrt die Geschichte des menschlichen Denkens auf jeder Seite. So «eist Siegel auf Kepler als ein leuchtendes Beispiel dafür hin. „Die sogenannten Keplerschen Gesetze, die zu Grundlagen der exakten Himmelsmechanik geworden find, wurden von ihrem Ent­ decker im Dienste der Ausbildung seiner Metaphysik gefunden. Die ästhetisch-theologische Naturanschauung in seiner Verbindung mit der pythagoräischen Lehre von der Zahl als dem Bestimmende« in den Dingen läßt Kepler nach der mathematisch definierbaren Harmonie der Welt suchen, die dem WeltschSpfer vorgeschwebt und im Weltbau jur Realisierung gelangt ist. Damit ist gegeben, daß er nicht nur die sukzessiven Veränderungen, sondern auch die Anfangskonstellationen als der Regel unterworfen betrachtet." Aber wir nehmen es noch tiefer, ich möchte sagen: für die Seele entscheidender, noch erdverbundener vnd mythischer, als alle die vorstehenden Worte eS tun, die immer noch in dem Begriff Mystik ein Denksystem oder ei« Phllosophisch-WeltavschaulicheS sehen. Wir aber führen das ganze geistige Wollen der Menschheit in allen Stadien, die wir uns ausdenken können, von Urzeit an, wo die Seele nur naturflchtig und erst dumpf reflektierend «ar, auf das innere Ahnen von Schuld vnd Sühne, von Ausstoßung und Heimkehr im wärmsten Sinn zurück. Der Sturz «ar veranlaßt durch das Begehre». Auch nach der Lehre der deutschen Mystik des Mittelalters ist ja, wie Joöl andeutet, das Begehren Anlaß zu aller Entzweiung, zu allem unparadiesischen Zustand. Damit wird ein Bewvßtsein des Gegenüber, des vom Urgrund, von Gott Geschiedenen erzeugt — es ist das Bewußtwerden der Natur­ verbundenheit und des Naturkampfes in der Menschenseele. „Durch die Begierde", sagt Jakob Böhme, „werde ich zu dem, worauf und wonach sich mein Begehren richtet." So entstanden als Ver­ treibung aus dem inneren Einheitsznstand, aus dem Paradies, die Verschiedenheiten der Dinge vnd Wesen. Die Erschaffung der physisch-sichtbaren Welt als Emanation Gottes ist die Dertrei184

buog der Menschenseele aus dem Paradies. Da auf ihre metaphysische Schuld, auf ihr Begehren als auf die Ursünde dieser Welt die vom Menschen entjweite Natur zvrückgeht, so müssen wir den Gegensatz von Menschenseele zur Natur im Menschen und nm den Menschen herum als ein Herausgestoßenwerden aus dem Inner­ lichen in das Äußere, in das Gegenüber, in den Zustand von Sub­ jekt und Objekt, in das Intellektuelle erleben, das damit gekom­ mene Weltleid als Folge der Schuld, und das wahre innere Ab­ sterben von Welt und Natur, den intellektuellen geistigen Tod als Sühne und als Weg zur Rückkehr in die Heimat, in die wahre Freiheit begreifen. Im Begehren wurzelt daher der Verderb der gottgeborenen Menschevseele, die Vertreibung aus dem innere» Einheitszustand; es wurzelt in ihm auch die magische Zauberei; es «urzelt in ihm auch jede Wissenschaft. Darum kann jedes dieser Begehren ein immer erneuter Abfall sein von dem über dem Para­ dies stehenden Gebot, und kein menschliches Streben gibt es, selbst da- klarste geistige Streben nicht, das nicht die stete Gefahr der in­ neren Gottabwendigkeit in sich schließt. Darum treibt notwendig auch unsere Forschungsepoche entweder zu einem Priestertum der schwarzen oder zu einem der weißen Magie. Der EntwicklvngS- und Fortschrittsglaube, der mit dem 18. Jahrhundert in menschlich-kulturellen Dingen avfkam und im 19. Jahrhundert für die natvrhistorische Entwicklung des TypvS „Mensch" aufkam, ist heute erschüttert und auch in der Natur­ forschung bereits überholt. Wir beginnen zu ahnen, ja auch schon zu verstehen, daß am Anfang der Menschheitsgeschichte nicht das Tier und der Affe, sondern das ganze Menschenwesen stand; daß am Anfang des Menschseins nicht zufällige Naturgeschehnisse, sondern göttliche Fügung und Leitung stand; daß am Anfang der Kultur nicht Unkultur und Barbarei, sondern innerlichste Kulturbefähi­ gung stand; daß am Anfang der Religionen nicht Religions­ losigkeit, sondern unmittelbar erlebendes Wissen um den geoffenbarten Gott stand. Wenn das Menschenwesen im Paradieszustand vollkommen «ar und dann fiel, so lebt in dem Mythus vom Para­ dies auch das klare Bewußtsein, daß am Anfang das Dasein nicht minderwettig war oder nur tierhaft, sondern daß der Mensch sein

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Wesen, seine innere lebendige Besiimmvvg von Anfang an in sich trug. Es ist eine jeder umfassenden Einsicht bare Konstruktion einer vergehenden Naturanschauung, den Mensch als erdgeschicht, lich spätes Wesen aus der „niederen" Tierheit hervorkommen jv lassen. Wie soll Höheres aus Niederem kommen, ohne darin ent­ halten und verhüllt zu sein, so daß dieses Niedere eben nicht das Niedere, sondern das Höhere selbst schon ist? Törichtes Spiel mit Worten! Schon die innere Unmöglichkeit, daß solches irgendwo geschehen könne, müßte von vornherein eine naturhistorische Theorie unmöglich gemacht haben, die solches „glaubte". Es «ar Köhlerglaube. Oder sie müßte in das wirklich angenommene älteste „Stammtier" die Evtelechie „Mensch" hineiagelegt habe», einerlei in welcher gedachten Form; jedenfalls der ganzen leben­ digen Potenz nach. Es gibt nur eine Möglichkeit zu einer wahrhaft naturgeschicht­ lichen Abstammungs- und Entwicklungslehre des Lebens zu gelangen: aus einem innerlich Umfassenden und Vollkommenen alles das abzuleiten, was sich physisch und seelisch als Mensch, Tier «ad Pflanze in erdgeschichtlichen Zeitaltern und darüber hinaus darstellt. Wir sagen mit Schelling: Jede Barbarei ist Rest einer Kultur. Wir sagen mit Scherte!: Jede Magie ist Rest oder Dege, neration einer ehemaligen Dollmagie. Wir sagen aus eigener Überzeugung: Jede Tierform ist Rest eines aus der Menschheits, eutwicklung abgelegten tierhasten Seelenzustandes, ist eine Ent, Wicklungsmarke auf dem Weg der äußeren Entwicklung nach Ver­ lassen des paradieshaften Zustandes. Und jede Mevschenform ist Rest eines ehemals vollkommenen Menschentums. Und wir sagen «eiter: Alles Werden und Streben in der Natur- und Menschen­ seele ist ein Suchen nach der Rückkehr zu jenem vollkommenen Urzustand. Nun könnten wir auch wissen, warum alle großen echten Mythen und Sagen und Märchen unter allen Völkern, selbst den barbarischsten, denen wir keine Kulturfähigkeit mehr zutrauen dürfen und die wir für unentwickelt oder zurückgeblieben halten, so überraschend gleich sind und von einer geistigen Höhe zeugen, von der wir jetzt nichts mehr sehen, auch bei uns nicht.

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Wurzeln so, »«zeitlich gesehen, alle Mythen und Religionen und alle Wissenschaften in jenem metaphysisch-physischen Riß, so können wir von da aus auch alle uns im Lichte der menschlichen Geistesgeschichte begegnenden Naturkulte, Tierkulte, Stervevkvlte, alle Beschwörungen von Naturkräften, alle Zauberei und alle menschlich-tierischen Götzenbllder und endlich auch Philosophien und Wissenschaften aller Kulturepochen zuletzt verstehen. Aber wir müssen «ns klar darüber sein, daß nun, historisch gesehen, die Urzeiten nicht nach dem intellektuellen Maßstab bemessen werden dürfen, sondern daß wir alles naturkulthafte Fühle», Glauben, Denken unter dem Licht einer für «ns eben nicht mehr unmittel­ bar vorstellbaren Naturhastigkeit — seelisch und geistig gesprochen also einer Natursichtigkeit — denken müssen, so daß mit wissen­ schaftlicher Analyse im gewohnten Sinn hier nie und nimmer beizukommen sein wird. Es bleibt nur der eine Weg übrig: intuitive Einfühlung, inneres Schauen.

27. Die Wende. Was hat z« alledem der wissenschaftliche Mensch zu sagen, der darauf bedacht ist, sich freizuhalten von allem Aberglauben und aller haltlosen Phantasterei, die ihm ein Non liquet sein muß? Er dürste beides verwerfen, wenn er dabei nicht meistens zu sum­ marisch verfahren und unter den Begriffen Aberglauben, Phanta­ sterei oder Schwärmerei allerlei mit über Bord geworfen hätte, dessen ernste Behandlung uns bitter not wäre. Was denkt man sich in der Naturwissenschaft etwa unter der angenommenen Einheit der Natur, des Universums? Warum zieht man daraus nicht die ernsten Folgerungen, die dieses Wort mit sich bringt, das man bisher kaum irgendwo bis znr ganz lebendigen Wahr­ haftigkeit durchgedacht, wohl aber zu einer gedankenlosen, wenn nicht zynischen Bekämpfung und Zerstörung anderer Werte benützt hat? Es ist merkwürdig, daß die wahre innere Einheit alles Da­ seins am wenigsten in einer Zeit erkannt und erlebt wurde, wo man das abstrakte Fremdwort „Monismus" bis zum Überdruß im Munde führte und es als Grundlage aller Forschung erklärte. 187

Wenn man es mit dem deutschen Wort „Einheit alles Daseins" bezeichnet hätte, wäre man vielleicht schon gefühlsmäßig sich dessen bewnßt geworden, was es eigentlich sagen soll. Man wäre dann heute nicht ohne vernünftige „Magie", man hätte längst den Mut zu einer magischen statt j« einer mechanistischen Weltanschaunvg aufgebracht. Denn wahre Magie ist wahrer Monis­

mus, well nur so das Wott „Einheit alles Daseins" Sina und naturphllosophische Bedeutung hat. Mensch und Welt find innerlich-lebendig „vereinigt". Das Wesen des Kosmos liegt in unserem Wesen geheimnisvoll mit beschlossen. Darum ist für jede wahre monistische und eben daher

magische Wissenschaft unser „Inneres" Mittelpuatt, von wo aus der Kosmos nach allen Seiten durchmessen «erden kann nvd wo seine Fäden zvsammenlaufen, räumlich vud vnräumlich-seelisch. Das alles ist nicht bloße Abstrattiov im Verstand, sozusagen als Fa$on de parier, sondern lebendig-wirklich. Wo aber nun eine darauf gegründete ernstere und mit anderen als den Jvtellettualmethoden arbeitende Wissenschaft das Magische ergreift, rührt fle alsbald an die lebendige Sphäre des Dämonischen, mündet fie allzuleicht in das natvrhafte Zauber« ein und beansprucht uun die Seele des Meuschen. Vielleicht erleben wir noch die Zeit, wo man Wege findet, die lebendigen Kräfte der Natur deratt zu erfassen und fle zauberisch zu verwetten. Das ist es, «aS an die Seele derer greift, die das avsüben «erden, und wehe, wenn es nicht

mit reinem Herzen geschieht. Daan tun flch die Abgründe der eigenen Seele zugleich mit denen der Natur auf. Des Meuschen inneres Wesen ist das, was die Natur ihm spiegelt, die er erlebt, uud die durch ihn selbst zu ihm spricht. Man wird dann nicht Halt machen, wo man sollte; man wird es ebenso auf die Straße stellen, wie die jetzige Wissenschaft, und wird den Dämonen ebenso opfern müssen, die Seele opfern müssen, wie wir jetzt schon der Technik unserer Zivilisation opfern müssen. Und wenn wir es einmal ohne Dorutteil ins Auge fassen: Sind wir ihr nicht ebenso schon untettan, wie man in Sagen und Märchen den zauberischen

Kräften der Natunvesen oder dämonisch entfesselten Heerschaare« untettan wurde? Werden wir ihnen nicht in einer immer furcht, i88

barere» Art vnd Weise tributpflichtig, ohne einen Weg jv sehen, wie wir ans ihrer Bindung «ns befreien könnten, von ihrer Gewalt, die fie nun schon in einen kaum mehr erträglichen Rechtstitel gekleidet haben, dessen Erfüllung fie fordern, «eil ihre einstigen Er­ zeuger und Herren nun zu Sklaven des eigenen Könnens herab­ gesunken find? Sehen wir so etwa den Bau unserer Turbinen und Dynamo­ maschinen an, womit wir unsere Städte beleuchten, unsere Bahnen treiben, unsere Fabriken in Gang setzen; gedenken wir dessen, was nötig und zuvor in Bewegung gesetzt ist und schon war, um dies zu erreichen; denken wir «eiter daran, was das alles jetzt, indem es geschieht und in Gang erhalten wird, uns kostet an menschlicher Arbeit, an Gedanken, an Handreichungen, an Jngenieurstäben, an Arbeitermassen; was es kostet an geistiger, an seelischer, an körper­ licher Kraft; wie es ausstrahlt in Bureaus, Laboratorien, Arbeiterhäuser, Großstädte; was es an sozialen Zuständen mit fich bringt; wie es finnlos die äußeren Bedürfnisse steigert, die wieder von neuem durch größere Leistungen befriedigt werden wollen; wie es beim Einzelnen und bei den Bielen in die Familie eingreift von früh bis spät; wie es auf Schule, Staat, Gesellschaft durch tausend und abertausend Kanäle geht; wie Glück und Leid, Segen und Elend von Kindern und Müttern und Bätern daran hängt — täglich, stündlich ohne Unterlaß: wie dürften wir sagen, unser Herbeirufen, unser Dienstbarmachen der Naturkräste fordere nicht immerzu das Dreingeben dessen, was dir zuerst entgegen­ eilt, wenn du nachhause kommst? Wahrlich, wenn wir das Märchen vom König hören, der fich im Walde verirrt hat auf der Jagd und nicht mehr heimfindet, und durch seine Not und sein heftiges Begehren den Naturgeisi ruft, der ihm seinen Wunsch zu erfüllen fich erbietet, wenn er ihm — noch nicht ahnend, was es ist — sein Liebstes, sein Teuerstes, seines Lebens Seele opfert: ist es nicht unsere eigene Geschichte? So sehen wir in dem einen Wesentlichen keinen Unterschied bestehe« zwischen dem Märchenkönig und unserem Hasten und Drängen »ach Erkenntnis, nach technischem Fortschritt, nach immer erweiterter Zivilisation um ihrer selbst willen, mit unseren nie

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befriedigte« und stets durch die Befriedigung neu angestachelten Bedürfnissen, die wieder neue „Fortschritts jeitigen, ohne daß alles daS gelenkt «ud beherrscht wäre durch den Geist aus der Höhe, der sprach: „Eins aber ist not." Auch wir opfern unser Inneres einer Arbeit, die nicht mehr durch dieses Innere geheiligt ist. Die Leistung, die uns die Natur hier vollbringt, die wir technisch seelenlos herbeirvfen, ist an sich weder gut noch böse; sie kommt innerlich notwendig, weil wir sie begehren und den Preis zahlen «ollen, den sie verlangt. Da also ans einmal, wen» alles im herrlichsten Gang ist, tut sich mitten in unserer doch so mechanistischen und seelisch so unverbindlich beglückenden Wissenschaft das furchtbar Lebendige der Natur auf, deren Kräfte wir mehr und mehr beanspruchte«. Warum beanspruchten? War es eine höhere Pflicht oder war es nur aus Diesseftsmotiven oder gar Leidenschaft zur Befriedigung äußerer Bedürfnisse, zur Erhöhung des „allgemeinen Wohlstan, des"? Und während wir es noch begeistert preisen, welchen Fort, schritt die Menschheit mache, sehen wir uns auf einmal furcht, barer als je beherrscht, und das Dämonische bricht auf einer Sette herein, wo wir es nicht ahnten. Die dienstbar gewordene Natur schien von uns nur zu verlangen, was wir ohne Bedenken zahlen konnten; etwas, wovon wir dachten, daß es «ns doch nicht weh tue, wenn wir eS dreingäben: den Hund daheim, unsere vnper, sönliche intellettuelle Arbeit, bet der die Seele in sicherer Kammer bliebe. Und da nun der Zauber der Natur wirft und immer größere Dimensionen annimmt, erkennen wir, daß es unser Liebstes, unser Herzblut, unsere Seele ist, die wir dem hüfespendenden Naturwesen ahnungslos versprachen und nun opfern müssen. Da auf einmal gewahren wir, wie dämonisch verflochten in die Natur wir sind; da auf einmal gewahren wir, was „Monismus" wirk, ltch heißt. Und nvn beginnt das Klagen und Bitten, beginnt das Nach, sinnen, wie wir das Naturwesen, den Dämon prellen, ihm den ausbeduvgenen Lohn abjagen oder ihn mit gvtem Zureden von seiner Forderung abbrivgen können. Aber er kommt und will holen, was wir ihm unwissend zusagten. Um ihn zn besänftigen.

beginnen wir, soziale Einrichtungen zu treffen, beginnen wir, ihm mit äußeren, mit „wissenschaftlichen" Mitteln seine Beute abjagen zu wollen. Wer er ist unerbittlich. Er wird ungehalten, vagebärdig; schlägt um sich und macht Miene, das ganze Haus zu zerstören; schafft uns technisch unerhötte Kriege, läßt Throne zusammenbrechen und Reiche, schafft ungeheuere Entwettungev, läßt die in herrlichen Gang gesetzten Räder knirschend stille stehen, schafft Hungersnöte in den zusammengedrängten Menschenmassen der Großstädte und bleibt kalt auf seiner Forderung, zu der er ein Recht hat, bestehen — Recht ist immer das Fürchterlichste, Eeelenverhärtetste, das es gibt, wenn es nicht in einer höheren Idee lebt. Bis wir am Rand der Verzweiflung sind und ohne Hoffnung aiederflnken. Da sagt es unS: Gut! Wenn du bis morgen meinen „Namen" weißt, soll dtr's erlassen sein. Und nun beginnen wir, zunächst noch ratlos: Wie sollen wir seinen Namen erfahren, sein Wesen erkennen und es aussprechen, um seine Gefährlichkeit für immer zu bannen und uns von ihm zu befreien? Und mit dieser Frage ist das mechanistische Zeitalter der Naturwissenschaft innerlich vorbei und das der magischen Naturforschung beginnt. Ob es uns mit seinen Erkenntnissen helfen wird oder «ns erst recht in die Versklavung an das Dämonische der dienstbar gemachten Natur htneinzwtngen wird, vielleicht noch schrecklicher als zuvor? Es kommt mir eine Parabel in den Sinn, die ich in den „In­ dischen Erzählungen" fand und die etwa so lautet: Vier Freunde gingen in die Welt, die Weisheit zu studieren; danach zogen sie wieder heimwärts. Unterwegs kamen sie in einen großen Wald und verirtten sich darin. Da sahen sie einen toten Tiger vor sich liegen und sagten: Wir sind nun mit den Wissenschaften vettravt geworden, vermögen tote Menschen lebendig zu machen, so wollen wir auch diesen toten Tiger beleben; wir können unsere Wissen­ schaft erproben und außerdem wird er «ns, da wir uns verirrt haben, den rechten Weg zeigen. Unter den vier Freunden hatten drei die Wissenschaften gelernt, der Vierte aber «ar nur klug und ungelehrt. Der sagte: Wenn ihr den Tiger belebt, so wird er euch fresse». Die drei anderen lachten: Du bist dumm; wie kann er irgend jemand fressen, der ihm selbst das Leben gibt? Wir beleben iyi

den Tiger. Der Ungelehrte stieg ans einen Baum, und die drei Anderen begannen, die Teile des Tigers aneinander jv legen und wollten ihm nun das Leben geben. Da rief der vom Baum: Ihr Unglücksmenschen, laßt's dabei sein Bewenden habe»; euere Wissenschaft habt ihr jetzt erprobt; macht ihn nicht auch noch lebendig. Die Drei aber sagten: Das ist Narrengeschwätz. Und fle belebten den Tiger. Der aber tötete ste alle drei. Daan ging er seines Wegs davon. Danach stieg der Ungelehrte vom Baum herunter. Ob des Menschen Hochmut, der ihn aus dem Paradies stürzte, da er sein wollte wie Gott und erkennen wollte ohne Grenze, einmal sich so «endet, daß er auch seiner „Wissenschaft" Zügel anlegt? Und wird eine neue Epoche der Wissenschaft, die kommt, die magische — wird sie abermals einen noch gefährlicheren Tiger belebe» oder die Wendung und die Rückkehr zum Helligtum finde«? Wird sie den Naturdämon bannen, in seinem Wesen erkennen, bei seinem „Namen" nennen und damit glücklich die furchtbare Gefahr überwinden, und ihn nicht zu neuen größeren Diensten zwingen, um die man immer noch furchtbareren Preis wird zahlen müssen? Die Antwort liegt in unserer inneren Wieder­ geburt, in der Tiefe unseres Herzens. Davon erhallen Wille und Persönlichkeit ihre Farbe und ihre Richtung und Kraft; nicht vom Intellekt. Es muß eine große kraftvolle religiöse Innen­ schau uns die wahren Quellen des Lebens wieder erschließen. Wenn wir den Weg zur reinen Menschenliebe, das Gefühl der Verant­ wortlichkeit für jede Seele in unserem Kulturschaffen fänden und unter größter Selbstzucht übten, bei «ns selber, und sie nicht nur immer vom Anderen erwarteten—es kann jeder täglich und stünd­ lich bei sich selbst beginnen, in seinem engsten Kreis; es wäre eine harte, rauhe Schule gegen sich und Andere und keine optimistische Fortschrittsduselei — wenn wir den Dämon so mit innerer Kraft, mit neuem Willen, mit Herzensreinheit beim rechten Namen zu nenne» wüßten, so wäre er unschädlich geworden und über­ wunden. Das weiß ich auch, daß man ein Schwärmer ist, wenn man so etwas sagt und hofft. Das praktische Leben, versichert man mir,

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läßt dafür keine« Raum. Man will doch nicht etwa der Wissen­ schaft in den Arm fallen? Freiheit jvr Belebung des Tigers! Don außen soll man sie ja nicht binden; aber aus dem Innern des Herjens soll sie gebunden, gehelltgt werden. Man nenne es Schwärmerei, Utopie. Die seelische Not wird uns daju bringen, oder wir «erden am Geist jugrunde gehen. Denn zuletzt kommt doch der Aufschrei der Seele und die große Frage nach dem Wert unseres Daseins, hart vnd unerbittlich für den Einzelnen wie für

jede Epoche.

28. Die Versenkung. Wir leben längst, ehe wir darum wissen; wir handeln und ver­ halten uns de» Trieben und Erfordernissen des Lebens entsprechend,

lange ehe wir darüber aachzudenkea fähig gewordeo sind. Und «en» wir später darüber vachzudeaken beginnen und tiefer etnbringea, dann wird uns das Leben immer unbegreiflicher in seinem Wesen. Wir sind dieses Leben und sind es doch nicht — dieses geheimnisvolle Es. Wir können uns nicht ganz kennen, nicht ganz durchschauen. Wen» wir uns selber ganz kennen und durchschauen könnten, wüßten wir die Wahrheit und damit das Wesen des Daseins. Daran vermögen wir zu erkennen, daß unser innerstes Wesen gleich ist mit dem Dasein schlechthin; daß somit das Eindringen in unser eigenes Wesen auch Erkenntnis der Natur im ganzen wäre. So sehen wir den Weg, auf dem wir zur Wahrheit vor­ dringen können. Unser Inneres ist Wahrhett und Leben schlecht­ hin, ohne daß es eines noch einmal reflettiertev Beweises bedürfte. Das Dasein, dessen wir vnmtttelbar gewiß sind, ist unser eigenes Innenleben. So, wie wir uns körperlich sehen und wahr­ nehmen, das könnte vielleicht ein Traum sein; aber daß wir träu­ men, wäre für «ns gewiß. Im eigenen Innern also sind wir da­ heim; das Innere, Wesenhafte ist unsere Heimat. Da sind wir

„bekannt", d. t. wir bekennen uns selbst. Dott liegt ausgesprochen vor unserem Geist da, was wir sind. Darum die Furcht so vieler Mensche», allein mit sich zu sein, darum das stete Lebeu nach außen.

das viele Gerede und Getriebe. Erst im Schweigen und im innern Schauen lebt die Wahrheit. Aber lieber erträgt der Mensch Lange­

welle, als bei sich einjvkehren und nackt vor seiner Seele zu stehen. Denn da muß er bekennen, da gibt es kein Verstecken vor sich selbst, kein Sich-Betävben, keinen falschen Schein. Da ist alles gewiß. Darum nennen wir dieses Innerste auch unser „Ge­ wissen"; das, dessen wir gewiß sind und vor dem wir gewiß das scheinen, was wir sind. Objektiviert nennen wir es den persönlichen Gott, good, guot: unser höchstes Gut, das Gute. So ist da- Gute im Sinn von „Gott" die Wahrheit, ist das Leben schlechthin, ist

«nser innerstes Wesen. Damm ist des Menschen Seele das Ebeablld Gottes. Und der wahre Tod ist nicht der Körpertod, sondern der wahre Tod wäre die Verneinung alles dessen, was innere Wahr­ heit ist. Nicht die gedankliche Verneinung, sondern die wirkliche, die jenseitige. Das wäre der einzig wirkliche Tod. Wer der Körper­ tod ist nur Verwandlung des ewig sich neu mantfestierevdeu innersten Lebens. Von allen Dingen nun haben wir äußere, „oberflächliche" Eindrücke, «ährend wir selbst von innen her uns und das Leben «ahrnehmen mit unmittelbarer Gewißheit. Was ans diesen Tell entfällt, ist erst wahre Wissenschaft. Wer in sich selber die Wahr­ heit und daS einzige Leben schauen könnte, wäre befreit von der Belastung mit dem äußeren Dasein und brauchte dort die Wahrheit nicht zu suchen; er wäre ganz und gar daheim; er hätte aus sich höchstes Wissen; er wäre stets der Wahrhett gewiß. ES «ar von je die tiefste Weisheit und die hohe Schule aller echten Religion, alles echten Priestertums, durch die Versenkung ins eigene tiefste Innere Gott zu finden; denn die innerste Seele des Menschen ist aus Gott geboren, sie spiegelt Gott wieder. Dort liegt Wahrheit,

dott wahres Leben. Könnten wir die Dinge und Wesen um uns her so tief wahr­ nehmen, so in ihr Innerstes eindringen, sie so von innen her er­ leben wie «ns selbst, so wären wir ihres Wesens ebenso gewiß wie unser selbst. Dann wäre uns nichts mehr fremd in der Welt;

wir wären überall daheim, überall wäre es uns heimlich; die Natur wäre «ns nicht mehr unheimlich und dämonisch. Denn

überall fänden wir jenen innersten Kern: Gott. Wir würden mit allem ein Zusammengehörigkeitsgefühl haben, würben das Wesen der Dinge in «nserem Wesen miterleben «nd würden erkennen und fühlen, daß alles Leben ein umfassendes Einiges ist. Doch wir Alltagsmenschen können nicht bis jv dieser klaren Quelle vordrin­ gen; höchstens auf kurje Augenblicke, wenn wir uns selbst verlieren und ein unerhörtes ahnendes Schauen haben. Wer es kann und «er davon die Gewißheit der inneren Wahrheit, seiner Wahrheit mitbringt ins gewöhnliche Bewußtseinsleben, ist ein Weiser, unbeschadet der Tatsache, daß auch der Weiseste der Menschen unvollkommen unter Unvollkommenen bleibt «nd sich nie wird überheben können, well seine aus der Jnnenschau geschöpften Erkenntnisse eben doch ein Gnadengeschenk sind, das weit über seine Person hinausgeht. Er ist nur Gefäß. Aber er trachte danach, eia reines Gefäß ju sein, um das Gute unverfälscht den Harrenden -artubringen. Wer es kann, und «em daraus obendrein noch die Liebe jv allen Seelen entbrennt, ist ei« Heiliger. Und der „Gewinn" aus der Versenkung: das ist wahre, reine, hellige Magie. Das Betrete» jener innersten Lebensregion, mit der ganzen WirMchkeit der Seele, das ist jener mythisch gewordene Zustand, den die Religion „Paradies", den ewig blühenden Garten, nennt; der lebenswirklich nichts anderes sein kann als das lebendige innere Verstehen, das liebende Gemeinschaftsgefühl des Daseins, das innere Sich-Eivs-Wissen mit Gott, der aller Wesen Kern und Da­ sein ist. Das wäre die größte Lebenslust «nd zugleich die tiefste Wissenschaft vom Leben, die man haben könnte, well darin nichts mehr fremd, nichts mehr entgegenstehend ist, nichts mehr „Gegen­ stand"; sondern alles wäre innerlich Eins, daher im Frieden; alles wäre heimlich. Das ist das „Geheimnis" des Daseins. Dort erst läge das wahre Wissen um die Natur — es ließe sich unendlich viel Schönes und Tiefes sagen, vielleicht auch nur in Musik wie­ dergeben. Jedenfalls, wenn wir es hätten: das wäre wahre Wissen­ schaft und wirkliche Magie. Gewissermaßen so von ferne erleben wir wohl gelegentlich solches; oder wir erleben wenigstens soviel davon, daß wir das ganz Hohe, das Umfassende ahnen können. So im höchsten

religiös-künstlerischen Erfassen der Wirklichkeit — wahres Künstler, tum ist immer tief religiös, ebenso wie wahre Wissenschaft — was sich dann Ausdruck schasst in ungeheueren Schöpfungen, in einer Neunten Symphonie oder einer Fausitragödie. ES kann uns auch jutell werden im innigen Erleben einer anderen Men­ schenseele, im schweigenden Verstehen zweier Wesen miteinander. Von jenem inneren Erleben her bekommt alles seinen tiefen helltgen Sinn; es wird zum „Sakrament. Auch das Profane wird hellig, well es zum Symbol des Innerlich-Ewigen wird. Dieses Erlebe» des Innersten ist auch möglich zwischen Mensch und Idee, und hier wohl am reinsten. ES herrscht dort, wo man einer hohen Idee auf Leben und Sterben dient, der man sich opfert, in die man sich versenkt. Nur solcher Dienst an Ideen, bet dem wir stets und jeden Augenblick uns selbst verlieren, de» „Tod" erleiden — eS braucht nicht der körperliche Tod zu sei» — wobei wir unsere eigene» Interesse», unser eigenes so wohl­ gehaltenes Ich aufgebev, wo wir mit unserer unkeuschen Geschetdt, heil zurücktreten vor dem Schauen des Höheren in uns: nur daS ist wahrer Dieust an einer Sache, nur das ist wahrhaftiges Lebe», nur -aS wahrhaft sittliches Tun. Aber dieses allein ist auch von ewiger Wirkung und von den Pforten der Hölle nicht zu über, «ältigen. Maa prüfe daran, waS Einem entgegentritt an vater, ländischem Reden und Schreiben, an politischem, sozialem und religiösem Tun, an Wissenschaft und Kunst; und man wird leicht überall den Spreu vom Weizen sondern lernen. Und darum bleiben auch von vielen Büchern nur wenige übrig, die unserer Seele Freund werden können. In wahrhaft religiösen Zeiten mögen sich Mystiker so ver, senken können, sich so ihres eigenen Sinnes entäußern können, so geistlich arm werden und sterben können, daß sie die Einheit der Seele und alles Lebens mit dem göttlichen Urgrund lebendig erschauen, „erleben". Das sind die wahren Magier. DaS ist die „Unio mystica“, das Hingenommensein in Gott. Die Seele öffnet sich als „Braut GotteS" dem Urgrund des Daseins und erlebt das wahre Leben, unaussprechbar in Worten. ES ist das, «aS am Ende des „Faust" triumphiert:

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„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, Das Unzulängliche, hier roirb'd Ereignis. Das Unbeschreibliche, hi« ist's getan; Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan." Richt das Ewig-Weibliche, wie es immer mit gemeinem niederem Gefühl gefaßt wird; sondern als das Ewig-Weibliche will es geahnt und erlebt sein. Das ist der Sinn dessen, von dem wir oben sagten, es werde Sakrament. Darin liegt vor allem auch der hellige Sinn der Ehe und des Kindes, was damit, daß man es als eine sojiale Institution ansieht, nicht seinen Sinn erhält; so wenig jene der äußeren Bestimmung bedarf, um ein Sakrament tu sein. Denn sie kann nur von ihrer inneren Wahrhaftigkeit he» das hellige Symbol sein jener Idee der „jungfräulichen Seele", die als Gottesmutter mit dem Helligen Kind auf dem Arm über alle» Himmeln thront. Wer das mit seiner Kunst bis ins Tiefst« darstellen, «er es in Wott und Blld uns nahebringen, es wahr, haft in uns «ecken und schauen lassen kbnnie — dieses innerste, reine, mütterliche Wesen Les Lebens und der Wahrheit, die in unserem Stall Gott geboren werden läßt — der würde daS Höchste und Herrlichste gesagt haben, was vom Lebeuwollen und von Magie zu sagen ist. Wird so, von innen gesehen, alles äußere Dasein Gleichnis des Ewig-Guten, so wird auch Leben und Wissenschaft in den höheren Dienst gestellt; es wird der Weg gejeigt, da man ju einer wahren Erforschung des Lebens, ju einer Kenntnis der wahre» Magie gelangt. Alles sucht nach Leben, nach seinem Leben. Im vnparadteflschen Zustand will Alles ergreifen, selber wachsen, selber besitzen; und die Erbsünde ist, erkennen zu wollen jv eigen­ süchtigem, ju gott-abwendigem Besitz; selber Gott zu «erben, statt sich in seinem Innern in Gott zu verlieren; zu greifen nach der Herrlichkeit der Reiche der Welt, die nicht im materiellen Genuß sondern viel mehr in einer entwickelten Geistigkeit bestehen können und herrlich in ihrer Klugheit sind. Das innere Leben aber wird uns zuteil durch Hingabe und Opfer des eigenen begrenzten Selbst. Es wird rein erlebt in jener liefen, dem Gottesurgrund zuellenden magischen Tätigkeit, die sich verstatt, sich opfert, im Ewigen aufgeht.

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Darum ist jenes hellige Wesen reinster Mutterschaft höchstes Sym­

bol für das Leben, es ist das heilige Zeichen, vor dem sich die böse« Geister neigen. Es ist die wahre Magie, -er wahre Zauber. Uud wir erblicken dieses tiefste, reinste Leben, so widersinnig es klingt, um den Preis des Sich-selbst-Verlierens, des Sich-selbst-überwivdens. Das ist der Sinn des Christuswortes: „Wer sein Leben

verliert, der wird es finden." Ist es darum auffallend und nicht selbstverständlich, daß das Christuslebea, als welches ich allein den Geist der Bergpredigt und was diesem Geiste entspricht, ansehe, keine Naturmagie und noch weniger eine Naturphilosophie kennt? Ebensowenig weiß das monotheistische Israel etwas davon, im Gegensatz ju allen Reli­ gionen des Altettums, auch jur germanischen und ju jener der Natur­

völker. Der Muhammedanismus scheidet aus, denn er ist keine neue Religion, sondern nur eine Auspflanzung oder Verzerrung. Noch die Lehre Gotamo Buddhas, die au immaterieller Reinheit dem

Christentum der Bergpredigt am nächsten kommt, ist schwanger von der Beziehung der Menschenseele zur Tierseele, von der Seelen­ wanderung und Wiedergeburt durch die Verhaftung an die Natur; ja sie befaßt sich grundlegend mit dem Tier, sei es, daß ihm als gleichem Gottesgeschöpf jede Rücksicht gegönnt wird, die man für sich als den Mensche» fordett, sei es, daß die unmittelbare Be­ ziehung eben durch die Seeleuwauderung gegeben ist. Im Christen­ tum aber ist das Tier und die Natur in jeder Form, also auch im Menschen überwunden. Denn auch der Mensch ist dott überwun­ den, gekreuzigt: die Natur, die ihn zur Unseligkeit brachte. Man mag in jeder Religion, und sei sie noch so erhaben wie die Buddhas oder die Götterwelt Griechenlands oder die der Arier, noch das ganze dämonische Verhältnis der Menschenseele zum Weben der

Natur spüren können — im Wort Christi ist das ausgesprochen nicht mehr möglich. Und deshalb ist auch im Christentum Christi, in der Bergpredigt, wo die Wunberlegende der reinen Gottes­ kindschaft gewichen ist, jede Spur der Natvrmagie und des Zaubers

in diesem Sinn verschwunden und erloschen. Das Christusweseu

aber bedeutet für uns: Erlösung. FreUich, jede Religion und auch die Erlösuvgsreligion, wie

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jede tiefe Idee, sobald sie das Reich des Transzendenten verlasse» hat und in das Menschenbewußtsein eiatritt, wird j» einer Derjerrvng des Ewigen und Guten. Selbst dort, wo ein ernster Wille und ein ernstes Sehnen »ach ihrem Lichte lebt, wird sie voll behaftet mit Irrtümern und Flecken sein. Ihre Anwendung und Betätigung in der Menschenwelt, ihre Einkleidung in Lehren, die Verwaltung ihrer Heilsgüter durch die Menschen, die eben Menschen sind — das alles bringt es mit sich, daß immer noch und daß immer von neuem wieder das Naturhast-Meuschliche durch, bricht und an Stelle des Reinen, des Lichten, des ErlSseuben tritt. So ist auch die Betätigung der Lehre Christi immer noch zu einem große» Tell und für Diele, Mele unter uns in ihren Kultformen Zauberei, natvrmagisches Handel» und Denken geblieben. Das Volk ruft seine Helligen an und opfert ihnen, wie es seine Natur, götter und Dämonen angerufev und ihnen geopfert hat. Die Ernte, -ittgänge, das wundertätige Mirakel, die Dotivgescheuke, ja, wenn es nicht in reiner tiefer körperloser Anbetung geschieht, auch die Verwandlung der Hostie in den Leib Christi durch alletu dajv be­ stellte Priesterhand wird vom „Sott", zu dem auch der innerlich nicht berufene Verkünder des Wottes gehört, als Zauber empfuu, den, so gewollt und avgeweudet, und naturmagische Wirkung wird davon erwattet. Das ist das ausschließende Gegeutell des Geistes der Bergpredigt und des Sterbens des Christ. I» dem Maß, als des Menschen Wesen echter gottergeben wird, hört auch das gottlose magische Wirken mit dem Gebet auf. Richt das Magische im hohen und reinen Sinn, nicht das geheimnis­ volle in Gott Gebundensein unseres Daseins mit seinem Lieben und Leiden, das die Seele erfüllt und ihr echte einfache Ju­ bel- oder Schmerzens- und Hüferufe abpreßt, ist das unrecht Zauberische, das auch in den „Erlösten" noch lebt; sondern dies, daß man mit überlegtem Begehren und Wottgebet die Natur in sich vnd das Geschehen um sich zum eigenen äußeren Wohl­ ergehen gestalten oder groß und fromm und stark damit werden will. Auch das beschwörende, gedankenlose und uvhellige Beten des Volkes, oftmals abergläubisch geknüpft an Ott, Gegen­ stand oder bestimmte Wortwenduugev, wodurch an sich schon eine

gewisse magische Stimmung erzeugt wird, will bewußt und «u, bewußt auf dem Umweg über Gott, wie sonst über die Natur, dämouev, Umwelt und Lebenslage, also die Natur umzauber«.

Wir tuu es iu gewissem Maß Alle, weu« wir beten. Denn wer ist, der fich des Wunsches und der Bitte um Wohlergehen auch auf dieser Erde, um Gesundheit und langes gutes Leben, um Heraus,

Hebung über die Sorgen des Alltags eutschlageu könnte? So fiud wir an die Natur gebunden und suchen uns ihrer durch Seelen,

kraft und Zauber zu eutledigeu. Wo der Geist höher schaut und die Seele in die reiue, htugebende, vertrauende Gotteskindschast eingeht, da kommt es zur wahre» Armut und zu dem einzig wahrhaft reinen magischen Gebet, das Berge versetzt und das Para, dies öffnet: „Dein Wille geschehe."

Inhaltsverzeichnis Säte Vorwort ............................................................................................... 3 1. Die Grundfrage............................................................................... 5 2. Meusch «ab Natur......................................................................... 7 3. Weltaaschauaag............................................................................... 13 4. Magische Weitsicht ......................................................................... 20 5. Der Measch als Maß ......................................................... .. 24 6. Außea «ad Jaaea........................................................................ 32 7. Der magische Kreis......................................................................... 37 8. Das Lebe» .................................................................................... 42 9. Magie uad Ratarwiffeaschaft....................................................... $0 10. Magie «ad Psychologie.................................................................. 5$ 11. Hellflcht «ad Siaflcht .................................................................... 62 12. Magie «ad Jatellekt .................................................................... 71 13. Das Opfer .................................................................................... 78 14. DaS Wort .................................................................................... 86 15. Körper »ab Kosmos .................................................................... 91 16. Kosmos ««d Lebe»......................................................................... 97 17. Aberglaube uad Wirklichkeit................................................................. 106 18. Gleich «ad Gleich ............................................................................114 19. Das orgaaisch« Gestalte« .................................................................122 20. Derwaabluag...................................................................................... 134 21. Abbild «ad Urbilw............................................................................138 22. Raturflchtigkeit ................................................................................. 145 23. Magie im MSrchea............................................................................155 24. Gefahr der Magie ............................................................................168 25. Di« Tat........................................................................................... 177 26. Oer UrmythaS ................................................................................ 180 27. Die Weade ......................................................................................187 «8. Oie Versenkung................................................................................ 193

EDGAR DACQUE Urwelt/ Sage und Menschheit Mrre naturhtsiortsch-metaphxfische Studie 5. Auflage. 379 Seiten. 1928. In Leinen geb. M. 11.50

Inhalt. Einführung: Theorie und Wissenschaft — Wirklichkeit-wert der Sagen. Naturhistorie: Typenkreise und biologischer Zeitcharakter — Da-erd­

geschichtliche Alter de- Menschenstammes — Körpermerkmale de- sagen­ haften Urmenschen — Urmensch und Sagentiere — Die Atlanti-sage -

Die geologische Erklärung der noachitischen Sintflut — Datierung und Raumbegrenzung der noachitischen Sintflut — Jüngere Fluten und Land­ untergänge — Sagen von Mond und Sonne — Sternsagen — Gond­

wanaland. Metaphysik: Da- Metaphysische in Natur und Mythu- — Natursichtigkeit al- ältester Seelenzustand — Kulturseele und Urwelt — Natur­

dämonie und Paradies - Die Natur al- Abbild de- Menschen - Die Quelle der Weltentstehungö- und Weltuntergangsagen — Seelenwande­

rung, Tod und Erlösung.

Leben als Symbol Metaphysik einer Entwicklungslehre 259 Seiten. 1928. In Leinen geb. M. 8.50

Inhalt. Einführung: Symbol, Allegorie, Sinnbild - Da- Symbolische in

der Wissenschaft - Naturhistorie und Mythus. Entwicklungslehre: Die organische Zweckmäßigkeit — Die Idee der Urzeugung — Die Idee der Vervollkommnung — Vervollkommnung und Stammbaum - Da- Individuum als Symbol — Die Cntelechie der

Art — Typus und Urform — Form und Verwandtschaft — Sterben und

Kommen der Typen.

Natur und Menschenwesen: Natur und Kunstwerk — Der Tier­

mythus — Der Mensch al- Urform — Totem als Symbol de- Menschen­ wesen- — Dämonie der Formentwicklung — Dämonie der Menschen­ natur - Naturgesetz und Menschenleben - daS astrologische Symbol -

Urkunst und Urwissenschaft.

R.OLDENBOURG/ MÜNCHEN UND BERLIN

Urwelt, Sage und Menschheit ist ein naturhistorisch begründeter Einblick in eine bisher nur sagenhaft erahnte Urmenschheit und erweist altes Sagenwiffen als echte- MenschheitSerlebniS. Die Ergebnisse exakter Forschung verbinden sich mit ernster philosophischer Forschung -u einem neuen Weltbild. Fragen nach dem Wahrheitsgehalt alter Sagen und Mythen (Atlantis, Sintflut usw.), nach dem Alter de- Menschengeschlecht-, nach der Möglichkeit einer natur­ wissenschaftlich wie metaphysisch befriedigenden Stellungnahme zur Ab­ stammungslehre erhalten eine überraschend neue Beleuchtung. Aber mit der Naturhistorie der Sagen ist eS allein nicht getan. Gerade ein Problem wie da- vorliegende ist in seinem ganzen Umfang, in seiner ganzen Tiefe ohne bewußte Metaphysik überhaupt nicht zu fassen. Deshalb zeigt der Verfasser im zweiten, tief religiösen Teil dieses Werke-, daß sich eineBrückevomAußerlich-NaturhistorischenzumJnnerlich-Metaphysischen unschwer schlagen läßt, wenn man sich einer Betrachtungsweise anvertraut, die ihre großen Vorbilder auch unter den Naturforschern hat, die aber im allgemeinen in unseren Tagen nicht üblich ist und vielen unmöglich, wenn nicht verwerflich erscheint. DaS soeben erschienene dritte Werk

Leben als Symbol dient dem Ausbau und der Vertiefung früher ausgesprochener Gedanken. Im ersten Werk begann der Versuch, die Naturforschung am Mythus und diesen an der Naturforschung zu spiegeln. Doch blieb die Darstellung noch mehr zeitlich-historisch gebunden, d.h. eS wurde gezeigt, wie das Mythische, ebenso wie der Ursprung der Sagen, in grauer Vorzeit festliegt. Aber eS war nicht nur dort allein lebendig, sondern daS neue Werk will klarlegen, wie daS Mythische im Dasein und im Erleben der Natur unabhängig von der Zeitbedingtheit erfaßt werden muß. WaS ursprüng­ lich nur als Wunsch durchschimmerte, wird jetzt unmittelbar gezeigt, nicht mehr nur programmatisch betont: durch die Wissenschaft unserer Tage zur Würdigung einer anderen CrkenntniSweise zu gelangen. Die innere Ver­ bindung zwischen den beiden Weltanschauungen deS Rationalen und des Mythischen liegt im Symbolischen. Bei der Erweiterung und Klarlegung des WesenS der Naturseele kommt der Verfasser zu der Frage, ob nicht auch ein tiefere- Verstehen der organischen Entwicklung im Symbolischen liege. Auch da- wäre mythi­ sche- Erleben, wenn auch ander- geartet und ander- gewonnen, al- es die alten Mythen bieten, und damit wäre auch die für unser heutige- Denken nicht mehr genügende realistische Entwicklungslehre ersetzbar durch eine Lehre über die innere Bedeutung der Formen.

R.OLDENBOURG/ MÜNCHEN UND BERLIN