Nachrichten aus der Politik: Die Lageberichte Hermann Kunsts für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1951-1977. Analyse und Edition [1 ed.] 9783666500275, 9783525500279


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German Pages [521] Year 2023

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Nachrichten aus der Politik: Die Lageberichte Hermann Kunsts für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1951-1977. Analyse und Edition [1 ed.]
 9783666500275, 9783525500279

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Reihe A: Analyse und Edition, Band 22 Fast drei Jahrzehnte nahm Hermann Kunst als Bevollmächtigter die Interessen der Evangelischen Kirche (EKD) in den politischen Institutionen der Bundesrepublik wahr. Das Wirken dieses Kirchendiplomaten vollzog sich außerhalb der Öffentlichkeit, umfasste aber nahezu alle Politikbereiche, von der Inneren Sicherheit bis zur Außenpolitik. Die hier erstmals präsentierten Lageberichte Kunsts für den Rat der EKD vermitteln ein facettenreiches Bild der politischen Zeitgeschichte. Sie ermöglichen Einsichten in ein Politikverständnis und in Wahrnehmungsmuster, die in vielerlei Hinsicht repräsentativ waren für das protestantische Bürgertum dieser Jahre. Auch wird deutlich, wie erfolgreich Kunst sein Konzept von der Kirche als loyale Partnerin und moralische Stütze des Staates vertrat.

Pöpping  Nachrichten aus der Politik

44mm

Format: Bez.155x232, Aufriss: HuCo

Dagmar Pöpping

Nachrichten aus der Politik Die Lageberichte Hermann Kunsts für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1951–1977

Die Autorin Dr. Dagmar Pöpping ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsstelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

ISBN 978-3-525-50027-9

AKIZ A 22

9 783525 500279

9783525500125_Spehr_Lehmann_Umschlag_neue.indd Alle Seiten

13.07.23 12:07

Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte

Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe A: Quellen Band 22

Vandenhoeck & Ruprecht

Dagmar Pöpping

Nachrichten aus der Politik Die Lageberichte Hermann Kunsts für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1951–1977

Analyse und Edition

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar.  2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Gçttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schçningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Bçhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Gçttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0866 ISBN 978-3-666-50027-5

Dank Die Edition der Lageberichte Hermann Kunsts war ein langfristiges Projekt. Sein Abschluss wäre ohne die Hilfe anderer nicht möglich gewesen. Folgenden Menschen und Institutionen bin ich zu großem Dank verpflichtet: An erster Stelle ist Frau Prof. Dr. Claudia Lepp zu nennen, die Leiterin der Forschungsstelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte an der LMU München, die das Projekt geduldig und konstruktiv begleitete. Sie, Dr. Nora Andrea Schulze und Dr. Karl-Heinz Fix haben die Arbeit auf sich genommen, das Manuskript Korrektur zu lesen. Das war eine große Hilfe. Auch Kerstin Müller-Römer M. A. hat mir mit ihren Korrekturen der Verzeichnisse sehr geholfen. Dies alles konnte nur geschehen, weil die Kommission der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte das Projekt immer wohlwollend unterstützt hat, und weil ihre Vorsitzenden Prof. Dr. Harry Oelke und Prof. Dr. Siegfried Hermle für die Aufnahme in die A-Reihe der Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte gesorgt haben. Eine zentrale Rolle spielte Frau Astrid Sailer, die über Jahre meine Transkriptionen der schwierigen Handschrift Kunsts sorgfältigst überprüfte. Möglich wurde dies durch die großzügige finanzielle Unterstützung des ehemaligen Vereins zur Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte in Deutschland nach 1945. Wichtig war außerdem das Evangelische Zentralarchiv in Berlin (EZA), das die Originale der Lageberichte und viele Dokumente, die ihre Kommentierung ermöglichten, beherbergt. Das Team des EZA allen voran seine frühere Leiterin Dr. Christa Stache und ihr Nachfolger Dr. Henning Pahl stand mir stets zur Seite. Dabei waren mir Henner Grundhoff und sein Vorgänger Dr. Peter Beier zuverlässige Ansprechpartner für meine unzähligen Fragen. Stellvertretend für die Mitarbeitenden aller anderen Archive, die mir mit Auskünften geholfen haben, sollen genannt sein: Michael Koltan, der Leiter des Archivs Soziale Bewegungen in Freiburg/Br., Ministerialrätin Petra Düwel, die Leiterin des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages und Lukas Henke vom Referat für Forschungs- und Medienanträge bei der Stasi-Unterlagen-Behörde (heute Teil des Bundesarchivs). Schließlich möchte ich Michael Grüttner danken, der mir in all der Zeit beistand. Wie immer waren mir sein unbestechliches historisches Urteil, sein Beharren auf Logik und Plausibilität sowie sein Sprachempfinden unersetzlich. München im Mai 2023

Dagmar Pöpping

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

Hermann Kunst und die Politik . . . . . . . . . . . . . 1. Prägungen und Amt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrenz der Konfessionen . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zum Katholizismus . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu den Parteien . . . . . . . . . . . . . 5. Militärbischof im Nebenamt . . . . . . . . . . . . 6. Deutsche Teilung und Kalter Krieg 1951 bis 1961 7. „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke 1962 bis 1969 8. Die Neue Ostpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Weltpolitik und Moral . . . . . . . . . . . . . . . 10. Innenpolitik Die 1970er Jahre . . . . . . . . . . 11. Am Ende der Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

13 13 19 25 29 35 37 42 47 52 58 62

II.

Quellenbeschreibung und editorische Hinweise . . . . . . . . . .

65

III.

Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

IV.

Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. 1951 bis 1961 – Deutsche Teilung und Kalter Krieg B. 1962 bis 1969 – „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke C. 1970 bis 1977 – Wendepunkte . . . . . . . . . . . .

V.

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

VI.

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . I. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen III. Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . .

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. 75 . 75 . 137 . 213

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421 421 422 438

VII. Personenregister/Biographische Angaben . . . . . . . . . . . . . 443 VIII. Institutionen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . 505

Einleitung Hermann Kunst war nicht nur der erste Inhaber des Amtes des Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im politischen Bonn, er war der Erfinder dieses Amtes, für das es bis dahin kein historisches Vorbild gab. Fast drei Jahrzehnte lang, 1949 bis 1977, prägte er Form und inhaltliche Ausrichtung der Bevollmächtigtenstelle in Bonn. Kunst verteidigte die gesetzlich verankerten Privilegien der Kirche im Staatsgefüge der Bundesrepublik, gestaltete maßgeblich die Kontakte zur DDR und übte Einfluss auf verschiedene Gesetzgebungsprojekte der Bundesregierung sowie deren Personalpolitik aus. Kunst steuerte zahlreiche Stellungnahmen der Evangelischen Kirche zu aktuellen politischen Debatten und wirkte vor allem diplomatisch hinter den Kulissen der Politik. Erst kürzlich wurde er als einer der entscheidenden Hinweisgeber für die Ergreifung Adolf Eichmanns durch den Mossad am 11. Mai 1960 bekannt1. Mit der Einrichtung der Bevollmächtigtenstelle durch den Rat der EKD demonstrierte die Evangelische Kirche ein verändertes Selbstverständnis. Erstmals entwickelten evangelische Kirchenvertreter eine konstruktive Beziehung zum parlamentarischen Staat. Damit zogen sie die Konsequenz aus der Vergangenheit, in der Protestanten durch ihr distanziertes Verhältnis zur Weimarer Republik den Untergang der ersten deutschen Demokratie mit befördert hatten. Der sich im Bevollmächtigtenamt dokumentierende politische Mitgestaltungsanspruch der EKD kollidierte allerdings auf eigentümliche Weise mit einem lutherischen Politikverständnis, das Kirche und Politik voneinander trennte. Der Lutheraner Hermann Kunst löste dieses Dilemma, indem er stets die Überparteilichkeit der Kirche betonte und erklärte, aus einer vermeintlich neutralen, kirchlich-theologischen Position heraus für das Wohl des Staates zu wirken. In diesem Kontext fand Kunst seine politische Rolle in Bonn: als Vermittler zwischen den politischen Lagern, zwischen DDR und Bundesrepublik oder zwischen Gegnern und Befürwortern der Bundeswehr. Kunst galt als exzellenter Netzwerker. Dies verschaffte ihm wie kaum einem anderen Kirchenmann seiner Zeit ein ausgedehntes Insiderwissen über die politischen Vorgänge in Bonn. Daher vermutete Wolfgang Huber bereits im Jahr 2000 in den Lageberichten Hermann Kunsts für den Rat der EKD eine historische Quelle von „unschätzbarem Wert“2. Allerdings ist zu bedenken, dass gerade die im Vertrauen gewonnenen Informationen Kunsts häufig kei1 Vgl. Stangneth / Winkler, Eichmann, 11–13. 2 Vgl. Huber, Schlusswort (online).

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Einleitung

nen Eingang in seine Berichte fanden, da Kunst die Indiskretion von Ratsmitgliedern und den zahlreichen anderen Teilnehmern der Ratssitzungen fürchtete3. Der Wert dieser Quelle liegt auf einer anderen Ebene. Die Lageberichte spiegeln die Wahrnehmung von Politik durch Hermann Kunst und sind in der Geschichte der politischen Mentalitäten zu verorten. Selbst dort, wo sie nur wiedergeben, was Kunst gerade in der Zeitung gelesen hatte oder von einer Bundestagsdebatte für berichtenswert hielt, lassen sich Aufschlüsse gewinnen über Kunsts Perspektive auf die Welt und die darin deutlich werdende Gewichtung aktueller Themen und Ereignisse. Die Relevanz der Lageberichte für die historische Forschung ergibt sich daraus, dass die subjektive Wahrnehmung von Politik durch Hermann Kunst repräsentativ für einen großen Teil der leitenden Funktionsträger der EKD war. Hier lassen sich Aufschlüsse gewinnen über die Wahrnehmungsmuster, Ängste, Sorgen und Hoffnungen führender Repräsentanten der EKD auf dem Feld der Politik in den ersten drei Jahrzehnten der Bundesrepublik4. Die Lageberichte Hermann Kunsts zeugen von einer überraschenden Wandlungsfähigkeit des Bevollmächtigten. Der von seiner Prägung her nationalkonservative Lutheraner suchte bereits in den 1950er Jahren eine neue ,dialogisch‘ orientierte Perspektive auf den Ostblock, in den 1960er Jahren überdachte er kritisch die eigene Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und die NSGeschichte, und in den 1970er Jahren stellte er sogar seine bisherige Fixierung auf den Nationalstaat durch eine universale christliche Perspektive auf die Weltwirtschaft infrage. In den Lageberichten dominiert klar eine außenpolitische Perspektive auf den Ost-West-Konflikt im Kalten Krieg, die Deutschlandpolitik und später auf die Entwicklungspolitik. Innenpolitische Themen wie der Umgang mit den „Gastarbeitern“ oder die Wirtschaftspolitik fanden nur am Rande seiner Lageberichte Erwähnung – so etwa die Gesetze zur Vermögensbildung (1965, 1970), zur Mitbestimmung (1951, 1976) oder die Maßnahmen der Großen Koalition zur Überwindung der Wirtschaftskrise Ende der 1960er Jahre. Gesundheitspolitische Fragen oder die Raumordnungspolitik der 1970er Jahre spielten kaum eine Rolle in den Ausführungen Kunsts. 3 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 298. Gewöhnlich nahmen außer den Ratsmitgliedern bis zu 20 Vertreter weiterer Amtsstellen der EKD an den Ratssitzungen teil; in der Ratssitzung am 7./8. 12. 1973 waren es sogar 32; vgl. das Protokoll der Ratssitzung vom 7./8. 12. 1973 (EZA Berlin, 2/8361). Hinzu kamen Gäste, die über aktuell anstehende Themen referierten. Vor diesem Hintergrund erschien die Vertraulichkeit der Gespräche im Rat kaum noch gewährleistet. Nur in den sogenannten vertraulichen oder geschlossenen Ratssitzungen waren die Ratsmitglieder unter sich. Diese wurden wegen ihrer größeren Aussagekraft bei der Auswahl der Lageberichte für die vorliegende Edition besonders berücksichtigt. 4 Zur Weltdeutung und Selbstwahrnehmung durch ein historisches Subjekt im Bereich der Kulturgeschichte vgl. Daniel, Kulturschock, 202 f. Die „Wahrnehmungsgeschichte“ als eigene Disziplin der historischen Forschung ist bislang methodisch kaum entwickelt; vgl. Bauer, Politisierung, 23.

Einleitung

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Der folgende Teil (Kapitel I) gibt einen Überblick über die biographischen Prägungen Hermann Kunsts sowie die wesentlichen politischen Kontexte, Motive und Schwerpunkte seiner Tätigkeit in Bonn. Darüber hinaus werden die großen inhaltlichen Linien der Lageberichte in ihren zeitlichen Phasen und Themensetzungen beschrieben. Der Quellenbeschreibung und den editorischen Hinweisen in Kapitel II sowie dem Dokumentenverzeichnis (Kapitel III) folgt der Hauptteil (Kapitel IV), in dem die Lageberichte Kunsts in chronologischer Reihenfolge präsentiert werden. Ausgewählt wurden 75 von insgesamt 160 Berichten. Sofern diese hier abgedruckt sind, werden sie stets als Dokumente (Dok. 1 75) bezeichnet. Gelegentlich verweisen die Fußnoten auch auf nicht in die Edition aufgenommene Lageberichte. Sie erscheinen unter dem Titel „Bericht Kunsts für den Rat der EKD“ und werden mit Datum und Fundort nachgewiesen. Die ausführlichen Register am Ende des Bandes (Kapitel V bis VIII) dienen der weiteren intensiven Erschließung der hier präsentierten Dokumente. Da die schwer zu entziffernden, überwiegend handschriftlichen Berichte Hermann Kunsts hier erstmals in transkribierter Fassung vorliegen, bleibt zu hoffen, dass sie in Zukunft verstärkt für die Forschung herangezogen werden.

I. Hermann Kunst und die Politik 1. Prägungen und Amt Die Karriere Hermann Kunsts als kirchlicher Spitzenbeamter war nicht vorgezeichnet. In seiner Familie gab es weder Theologen noch andere Akademiker, die als Vorbild hätten dienen können1. Der Vater, Wilhelm Kunst, war Bahnhofsvorsteher. Hermann, der am 21. Januar 1907 im hannoverschen Ottersberg geboren wurde, wuchs im westfälischen Bocholt als fünfter von sechs Brüdern auf. Den Wunsch, Theologe zu werden, verdankte er laut eigener Aussage dem Bibelkreis seines Gymnasiums und der Unterstützung seines Konfirmators, dem evangelischen Pfarrer Gustav Quade, einem Bruder seiner späteren Ehefrau Elisabeth2. In den Jahren 1926 bis 1930 studierte Kunst Theologie in Münster, Marburg und Berlin. Weil er mit der wissenschaftlichen Bibelkritik, die ihm im Laufe seines Studiums begegnete, nicht fertig wurde, beschrieb er sich selbst rückblickend als „theologisch-geistig gescheiterte Existenz“3. Zeit seines Lebens stand Kunst auf dem Boden des konfessionellen Luthertums. Aus der Zeit seines Lehrvikariates in Mennighüffen war er zudem vom Pietismus beeinflusst. Seit 1932 nannte er sich selbst einen „lutherischen Pietisten“4. Ende 1933 wurde Kunst zum Pfarrer an der Stiftberger Mariengemeinde in Herford berufen, deren Presbyterium zu dieser Zeit ausschließlich aus Anhängern der Deutschen Christen bestand5. Später fand man Kunst auf der Seite von Präses Karl Koch, der – zerstritten mit den Bruderräten – den kompromissbereiten Kurs der gemäßigten Bekennenden Kirche vertrat6. Kunst beschrieb sein Elternhaus als zutiefst patriotisch. Sein Vater hatte sich 1914 im Alter von 47 Jahren freiwillig zum Einsatz im Ersten Weltkrieg gemeldet. Man habe eher mit ungewaschenen Fingern an den Tisch kommen dürfen als in seiner Gesinnung kein Patriot zu sein, erklärte Kunst in einem Interview aus dem Jahr 19847. Seine starke nationale Ausrichtung zeigte sich in einer schon früh dokumentierten Nähe zum Militär und sollte auch in seiner 1 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 235. 2 Für diese Information danke ich Friedrich Kunst (Interview der Autorin mit Friedrich Kunst vom 22. 4. 2022); zur Eheschließung Hermann Kunsts mit Elisabeth Quade 1932 vgl. Personalakte Hermann Kunst (EZA Berlin, 2/433, Bl. 3, 76). 3 Interview Dieter Beeses mit Hermann Kunst vom 28. 2. 1984 (zitiert nach Beese, Seelsorger, 196). 4 Beese, Seelsorger, 197. 5 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 250. 6 Vgl. ebd., 255. 7 Vgl. Beese, Seelsorger, 198.

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Hermann Kunst und die Politik

späteren Karriere als evangelischer Militärbischof der Bundeswehr von zentraler Bedeutung sein. Kunst wurde im März 1935 zum nebenamtlichen Standortpfarrer eines in Herford stationierten Ausbildungsbataillons berufen8. In diesem Amt schwor Kunst seine Soldaten auf den nationalsozialistischen Staat ein. Am 7. November 1935 erklärte er in einer öffentlichen Ansprache anlässlich einer Rekrutenvereidigung: „Ihr seid bis an euer Lebensende keine Privatpersonen, sondern eine dem Führer des Volkes verschworene Kampfgemeinschaft. Keine Überlegung, kein Reiferwerden entbindet euch von eurem Eid. Das sage ich euch als ein berufener Diener am Wort.“9. Eine Parteimitgliedschaft in der NSDAP konnte ihm nicht nachgewiesen werden10. Am Zweiten Weltkrieg nahm Kunst als „Kriegspfarrer auf Kriegszeit“ teil – zunächst als Lazarettpfarrer in Polen und später als Divisionspfarrer im Krieg gegen Frankreich, in dem er mit dem Eisernen Kreuz Zweiter Klasse ausgezeichnet wurde11. 1942 kehrte er nach Herford zurück, um dort als Superintendent zu wirken. 1943 kam Kunst erneut als Kriegspfarrer an die Front – dieses Mal im Krieg gegen die Sowjetunion. 1945 kehrte er nach kurzer Kriegsgefangenschaft im ostfriesischen Hage nach Herford in sein Superintendentenamt zurück12. Inzwischen war Kunst auch in die Leitung der Kirchenprovinz Westfalen berufen worden. Nach einer gescheiterten Bewerbung um die Nachfolge von Präses Karl Koch musste Kunst seine Hoffnungen auf eine Karriere in der westfälischen Landeskirche aufgeben, denn seine kirchenpolitischen Positionen galten als unvereinbar mit denen des neuen Präses Ernst Wilm. Während Wilm dem bruderrätlichen Flügel der Bekennenden Kirche um Martin Niemöller angehörte und wegen seiner Predigten gegen die Euthanasie 1942 ins KZ Dachau verbracht worden war, hatte Kunst einen kirchenpolitisch kompromissbereiten Kurs gegenüber dem NS-Staat vertreten und setzte sich auch nach dem Krieg für die berufliche Rehabilitierung von Pfarrern ein, die auf Seiten der Deutschen Christen gestanden hatten13. Wie viele seiner Zeitgenossen hielt Kunst die Deutschen für Opfer von Krieg und Nationalsozialismus14. Dies zeigte sein langjähriges Engagement für eine Reihe von „Notgemeinschaften der Evakuierten“, die öffentlich die vermeintlichen Ungerechtigkeiten des

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Vgl. ebd., 197. Zitiert nach Buchna, Jahrzehnt, 248. Vgl. BArch (ehem. BDC) und Personalakte Kunst (BArch, Pers 6/85287). Vgl. ebd. Vgl. Personalakte Hermann Kunst (EZA Berlin, 2/433, Bl. 146). Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 275. Die junge Bundesrepublik – so der Historiker Tony Judt – sah sich als Opfer Hitlers, als Opfer der siegreichen Feinde und der durch diese verursachten Kriegszerstörungen sowie als Opfer einer böswilligen Nachkriegspropaganda, die die deutschen Verbrechen bewusst überzeichnete und die deutschen Verluste herunterspielte; vgl. Judt, Geschichte, 304.

Prägungen und Amt

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alliierten Besatzungsregimes anprangerten15. Auch seine steten Bemühungen für die Freilassung des in Spandau einsitzenden Rudolf Heß und die in den Niederlanden und in Italien einsitzenden vier deutschen Kriegsverbrecher, die von Kunst als „Kriegsgefangene“ oder „Kriegsverurteilte“ bezeichnet wurden, zeugen von einer geschichtspolitischen Perspektive, die in den Deutschen vor allem Opfer einer „Siegerjustiz“ sah (Dok. 24, 47). Ende 1949 ging Kunst auf das Angebot des Rates der EKD ein, als dessen „Bevollmächtigter“ nach Bonn zu wechseln16. Seine neue Tätigkeit kam aber nur schleppend in Gang. Das Amt war präzedenzlos, und es mangelte der EKD an Erfahrung in der politischen Interessenvertretung. In seiner Sitzung am 29./30. November 1949 beschloss der Rat der EKD, Kunst zunächst nur für ein halbes Jahr „als Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am Sitz der westdeutschen Bundesregierung in Aussicht zu nehmen“ und ihm außerdem den amtsbezogenen Titel eines „Propstes“ zu verleihen17. Doch die Position des Bevollmächtigten war hoch umstritten. Die EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung und ihr Mitinitiator, der Historiker Gerhard Ritter, der 1947 von der Kirchenkanzlei offiziell zum Berater der EKD bestellt worden war, kritisierten das Vorhaben. Vor dem Hintergrund der theologischen und kirchenpolitischen Zerstrittenheit der EKD erschien es unmöglich, mit einer Stimme zu sprechen18. Man rückte den Bevollmächtigten in die Nähe der katholischen „Nuntiatur“ und warf ihm einen klerikalen Führungsanspruch in der politischen Welt vor19. Stattdessen sollten evangelische Laien in Parteien, Bundestag und politischen Ämtern für die Zusammenarbeit mit der EKD gewonnen werden. Ausgewählte Abgeordnete sollten an den Kammersitzungen teilnehmen und den Rat über die politischen Entwicklungen und Ereignisse in Bonn informieren20. Diese Vorschläge konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Im August 1950 verlängerte der Rat die Amtszeit des Bevollmächtigten um ein weiteres halbes Jahr. Doch da man Kunst kein festes Beamtenverhältnis bei der EKD anbot, kehrte dieser vorerst in das Amt des Superintendenten nach Herford zurück21. Schon zu diesem Zeitpunkt löste sein Rückzug großes Bedauern bei Politikern aus. Abgeordnete verschiedener Fraktionen schrieben an den Rat der EKD und traten für Kunst und die Verstetigung seines Amtes ein22. 1951 verhandelte der Rat in fünf Sitzungen über die Fortführung der 15 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 270 f. 16 Vgl. ebd., 277. 17 Vgl. Protokolle, Bd. 3, 393. Bereits in der Sitzung vom 11./12. 1949 hatte der Rat der EKD beschlossen, mit Kunst zu klären, ob dieser zur Annahme eines befristeten Auftrages bereit sei; vgl. ebd., 338; und Buchna, Jahrzehnt, 277, 281. 18 Vgl. ebd., 276. 19 Vgl. ebd., 246. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. ebd., 282–299, 291. 22 Vgl. Protokolle, Bd. 5, 42 f.

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Hermann Kunst und die Politik

Bevollmächtigtenstelle23. Schließlich wurde eine vorläufige Regelung beschlossen. Kunst sollte die Aufgaben des Bevollmächtigten in Zukunft nebenamtlich wahrnehmen. Obgleich auch andere Namen für das Amt ins Spiel gebracht wurden, konnte Kunst die langwierigen Verhandlungen mit dem Rat nutzen, um zahlreiche finanzielle und dienstrechtliche Forderungen durchzusetzen, darunter Kilometergeld für den Dienstwagen, ein Standquartier und ein Vikar in Bonn, eine Schreibkraft in Herford und die finanzielle Beteiligung der Kirchenkanzlei an Geschirr und Besteck für die geplanten Bonner Gesellschaftsabende24. Am 1. Juli 1951 trat Kunst das Nebenamt als Bevollmächtigter des Rates am Sitz der Bundesregierung an. In diese Zeit fällt auch sein erster schriftlich überlieferter Lagebericht für den Rat der EKD (Dok. 1). Für das Jahr 1952 liegen nur zwei weitere Lageberichte vor. Der Grund dafür war, dass der Bevollmächtigte in dieser Phase nur selten zu den Ratssitzungen eingeladen wurde. Vielmehr hielt man ihn bewusst vom innerkirchlichen Meinungsbildungsprozess fern, so dass er nur über den Evangelischen Pressedienst von den Beschlüssen der Ratssitzungen erfuhr. In der Folge konnten Politiker nicht mehr darauf vertrauen, dass Kunst hinreichend über die Meinungslage im Rat informiert war. Umgekehrt bekam der Bevollmächtigte erst gar nicht die Gelegenheit, den Rat ausreichend über die Anliegen und Vorgänge der Bonner Politik zu unterrichten25. Erst Anfang 1953 verbesserte sich seine Position, als die Stelle des Bevollmächtigten zum Hauptamt wurde. Von nun an trug Kunst den Titel eines „Prälaten“ und wurde regelmäßig zu den Ratssitzungen eingeladen26. Ein weiterer Grund für den schleppenden Start des Bevollmächtigten in Bonn war die „vorläufige Geschäftsordnung“ von 1950. Sie verpflichtete Kunst, engste Fühlung mit der Bonner Außenstelle der Kirchenkanzlei zu halten und ihren Leiter, den Kirchenjuristen Hansjürg Ranke, laufend über seine Arbeit zu unterrichten sowie alle Schreiben von diesem mitzeichnen zu lassen. In der Folge kam es wiederholt zu Kompetenzkonflikten zwischen den beiden Stellen27. Erst die neue Geschäftsordnung vom Oktober 1954, die den Bevollmächtigten nicht mehr der Kirchenkanzlei, sondern unmittelbar dem Rat der EKD unterstellte, verschaffte Kunst den Handlungsspielraum, der ihm in den kommenden Jahren den Ausbau des Amtes in Bonn erlauben sollte28. Die holprigen Anfänge des Bevollmächtigten ließen nicht ahnen, dass dieser sich in den folgenden fast drei Jahrzehnten als feste Größe im Bonner Politikbetrieb etablieren sollte. Während seiner Amtszeit hatte es Kunst mit 23 24 25 26 27 28

Vgl. ebd., 105 f., 177, 191 f., 391. Vgl. ebd., 177, 191 f. Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 295–297. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 287–290. Vgl. ebd., 299; die Geschäftsordnung in: Protokolle, Bd. 8, 361; und Hauschild, Nachruf, 69.

Prägungen und Amt

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vier Ratsvorsitzenden29, fünf Bundeskanzlern30 und sechs Verteidigungsministern31 zu tun. Auch überdauerte Kunst vier Leiter des „katholischen Büros“ – dem Pendant der katholischen Kirche zum Amt des Bevollmächtigten32. Die stetig wachsende Bedeutung Kunsts für die EKD lässt sich auch in den Protokollen der Ratssitzungen nachvollziehen, in denen Kunst über seine regelmäßigen Berichte zur Lage hinaus immer häufiger zu unterschiedlichsten Themen vortrug. Auch die finanzielle Ausstattung des Amtes nahm beständig zu. Der Personaletat stieg seit 1954 jährlich um bis zu 15.000 DM. Die Dienststelle Kunsts, die anfänglich zusammen mit der Außenstelle der Kirchenkanzlei eine Sekretärin beschäftigte, hatte 1977 – als Kunst in den Ruhestand ging – 16 Mitarbeiter und einen Chauffeur33. Zur Aufgabenbeschreibung des Bevollmächtigten gehörte die Seelsorge an den Abgeordneten und Regierungsmitarbeitern in Bonn, wobei pastorale Versorgung der Politiker und kirchliche Interessenvertretung bewusst nicht deutlich voneinander unterschieden wurden34. Neben der Seelsorge am politischen Personal in Bonn ging es um die Sicherstellung des Informationsflusses zwischen den Organen des Staates auf der einen Seite und den Repräsentanten der Kirche auf der anderen. Dies geschah in den Berichten für den Rat, den informellen Gesprächen mit Politikern und in Vorträgen vor dem Rat sowie in den von Kunst moderierten Gesprächen zwischen Ratsmitgliedern und Entscheidungsträgern aus Ministerien, Parteien, Bundesrat oder Bundespräsidialamt, aber auch wichtigen gesellschaftlichen Verbänden. Darüber hinaus galt es, Einfluss auf die Gesetzgebung des Staates auszuüben. Dies betraf die Sicherung der Rechte und Privilegien der EKD im Staat und die „Fürsorge“ und „Verantwortung“ für die Kirchen in der DDR (Dok. 23)35. Innerhalb der Bundesrepublik ging es um ethische Themen wie soziale Gerechtigkeit, Ehe- und Familienrecht oder die sich wandelnde Sexualmoral, die in der Strafrechtsreform, etwa im Zusammenhang mit dem Paragraphen 218 oder dem Pornographieverbot verhandelt wurde36. In den 1970er Jahren kamen bildungspolitische Fragen und Fragen der Entwicklungs-, Umwelt- und Ausländerpolitik hinzu (Dok. 67). 29 Otto Dibelius (1949–1961), Kurt Scharf (1961–1967), Hermann Dietzfelbinger (1967–1973) und Helmut Claß (1969–1977). 30 Konrad Adenauer (1949–1963), Ludwig Erhard (1963–1966), Kurt Kiesinger (1966–1969), Willy Brandt (1969–1974) und Helmut Schmidt (1974–1982). 31 Theodor Blank (1955–1956), Franz Joseph Strauß (1956–1963), Kai-Uwe von Hassel (1963–1966), Gerhard Schröder (1966–1969), Helmut Schmidt (1969–1972) und Georg Leber (1972–1978). 32 Wilhelm Böhler, Wilhelm Wissing, Heinrich Tenhumberg und Wilhelm Wöste. 33 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 299. 34 Vgl. Kalinna, Verbindungsstellen, 189 f.; und Kapitel I.2. 35 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 280. Zum institutionellen Einfluss der EKD in der Bundesrepublik vgl. Ziemann, Kirchen (online), 2, 4. 36 Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 107 f.

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Zu den stets wiederkehrenden Themen des Bevollmächtigten gehörten die Sicherung und der Ausbau der gesetzlich verankerten Rechte der Kirche im Staat, darunter das staatliche Kirchensteuereinzugsverfahren (Dok. 31, 47, 57)37, die Verankerung der Theologenausbildung an den Universitäten, der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen38 oder die kirchliche Trägerschaft von Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern. Hinzu kamen kirchliche Ansprüche bei der Feiertagsregelung (Dok. 59), die Integration von Geistlichen in den Beamtenapparat der Militär- und Gefängnisseelsorge und die Beteiligung der Kirchen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehräten (Dok. 42)39. Die intensive Verzahnung von Kirche und Staat in der Bundesrepublik sorgte für eine geradezu unübersehbare Vielfalt von Berichtsthemen. Gelegentlich wies Kunst darauf hin, dass es über die bekannte Verankerung der Kirche im Staatskirchenrecht hinaus noch sehr viel mehr unbekannte kirchliche Tätigkeitsbereiche gebe, für die Bundesmittel an die Kirche flossen. Dazu gehörten die finanzielle Fortführung von Verträgen der Altpreußischen Union mit dem preußischen Staat zur Unterstützung der Kirchengebiete jenseits von Oder und Neiße40, das Recht des Bevollmächtigten, dem Bundespostminister jährlich ein Briefmarkenmotiv vorzuschlagen (Dok. 60)41, die Beteiligung der EKD an staatlichen Stiftungen oder die Ausstattung von Botschaften im Ausland mit staatlich finanzierten Pfarrstellen, etwa in Moskau oder in Rom42. Diese Vorrechte der Kirche im Staat wurden während der 1960er und 70er Jahre verstärkt zur Zielscheibe der Kritik aus Kreisen der FDP und linken kirchenkritischen Gruppen in und außerhalb der EKD, was für den Bevollmächtigten Anlass genug war, im Rat eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Staatskirchenrecht anzumahnen (Dok. 31)43. Anfang des Jahres 37 Im Bericht vom 16./17. 3. 1967 (Dok. 31) legt Kunst dar, dass der Finanzminister durch die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer von der Lohnsteuer die Einbuße der staatlichen Einnahmen auf jährlich mindestens 800 Millionen DM beziffert habe. Infolgedessen – so meinte er – sollte die Kirche vorbereitet sein, wenn dieses Privileg wieder in den Fokus der politischen Kritik gerate. 38 So beriet sich Kunst in einem kleinen mit Katholiken und Protestanten besetzten Kreis von Staatsrechtlern zu Vorschlägen für eine Grundgesetzänderung in Bezug auf das Schulrecht und das Rundfunk- und Fernsehrecht; vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12. 1. 1968 (EZA Berlin, 742/2). 39 Vgl. ebd. 40 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 30. 1. 1975 (EZA Berlin, 742/8). 41 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 5. 4. 1973 (EZA Berlin, 742/6); und Pöpping, Forschung, 244. 42 Zur Beteiligung der EKD an der Stiftung für Umweltfragen vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 21. 4. 1972 (EZA Berlin, 742/5); zur pastoralen Betreuung der Botschaft in Moskau vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 17. 2. 1972 (EZA Berlin, 742/5). 43 Im März 1967 erklärte Kunst dem Rat am Beispiel des Schulstreits und den damit verbundenen katholischen Forderungen nach einer Grundgesetzänderung, dass das Staatskirchenrecht noch nicht ausgereift sei; vgl. den Bericht vom 16./17. 3. 1967 (Dok. 31). Anfang des Jahres 1968 wies Kunst darauf hin, dass die von der innerkirchlichen Linken kritisierte zu große Nähe der Kirche

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1968 forderte er in einer vorläufigen Bilanz über seine Tätigkeit den Rat dazu auf, darüber nachzudenken, wie der Eindruck vermieden werden könne, „als verteidigten wir uralte, unzeitgemäße Privilegien“44 Auch sah sich Kunst zu der selbstkritischen Überlegung veranlasst, ob der Rat nicht prüfen müsse, in Einzelfällen ersatzweise für bisher vom Bund gezahlte Mittel einzutreten (Dok. 52). Zu den Konstanten der Arbeit des Bevollmächtigten gehörten die Kirchen in der DDR, die noch bis 1969 in organisatorischer Einheit mit der EKD standen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum für Kunst die Wiedervereinigung Deutschlands so zentral war.

2. Konkurrenz der Konfessionen Der Bevollmächtigte vertrat die Interessen der EKD in Bonn nicht nur im inhaltlichen Meinungsaustausch mit Politikern, sondern ganz wesentlich über eine gezielte Personalpolitik, die sich in Konkurrenz zu den Katholiken vollzog. Zwar hatten Katholiken und Protestanten mit der Gründung der christlichen Sammelpartei CDU nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Willen deutlich gemacht, gemeinsam Verantwortung in der parlamentarischen Demokratie übernehmen zu wollen, um so gegen die Säkularisierung zu kämpfen, die sie für das Aufkommen der totalitären Staaten in Europa verantwortlich machten. Doch die sich eröffnenden Möglichkeiten, den neuen Staat mitzugestalten, führten zunächst nicht zu einer Abflachung der konfessionellen Gegensätze, sondern – ganz im Gegenteil – zu einem ausgeprägten Konfessionalismus, d. h. zu einer sichtbaren Konkurrenz zwischen den Konfessionen um politisch einflussreiche Stellen45. Gerade unter den Protestanten, die bis 1945 wie selbstverständlich über ein politisch-kulturelles Übergewicht in Deutschland verfügt hatten, verfestigte sich mit dem Antritt der Regierung Adenauer das Gefühl, von den Katholiken dominiert und an den Rand gedrängt zu werden46. Zu verstehen war dies vor dem Hintergrund von Adenauers Katholizismus und der faktischen Mehrheit von Katholiken in seinem ersten Kabinett sowie in der regierenden CDU/CSUFraktion. Hinzu traten die veränderten Mehrheitsverhältnisse von Katholiken und zum Staat die „Grundlagen, die 1945 für unser gesellschaftliches Leben gelegt worden seien, zur Diskussion stellten“; vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12. 1. 1968 (EZA Berlin, 742/2). 44 Ebd. 45 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 17–19, 265, 283, 380, 473; Klein, Protestantismus, 361, 362, 365; „Evangelischer Arbeitskreis (EAK)“ (online); und v. Hehl, Irritationen, 172. 46 Vgl. ebd., 176, 185; und Buchna, Jahrzehnt, 455 f.

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Protestanten infolge der Neuaufteilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, die zu einer Erhöhung des katholischen Bevölkerungsanteils der Bundesrepublik von einem Drittel auf 44,3 Prozent geführt hatte47. Darüber hinaus verfügten die Katholiken nicht nur über weit größere Erfahrungen in der Durchsetzung ihrer politischen Interessen, wie die Verhandlungen über das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat eindrücklich gezeigt hatten48. Dank ihrer autoritären Kirchenhierarchie und ihrer klaren Staats- und Soziallehre waren sie in der Lage, theologisch und politisch sehr viel geschlossener zu agieren als der in sich zerstrittene Protestantismus49. Insbesondere die oppositionelle SPD und die bruderrätlichen Kreise um Martin Niemöller, der seine Gegnerschaft zu Adenauers Politik der Westbindung mit antikatholischen Verschwörungstheorien verband, nährten den Vorwurf einer katholisch dominierten Republik50. Auch wenn sich diese Vorwürfe statistisch nicht halten ließen51, befeuerten sie doch die Bemühungen des Bevollmächtigten, möglichst viele Protestanten im Zentrum der politischen Macht unterzubringen. So forderte Kunst die Parteien auf, evangelische Politiker auf ihre Kandidatenlisten zu setzen. Mit Blick auf die Bundestagswahlen im September 1953 berichtete er dem Rat, es könne nicht gleichgültig sein, wer als Mann und Frau der Kirche in den Bundestag käme. Seine Arbeit habe gezeigt, wie wichtig evangelische Persönlichkeiten im Bundestag seien52. Er führte Listen über die evangelischen Bundesminister und Abgeordneten der Bundestagsfraktionen, in denen er bevorzugte Ansprechpartner sah53. Kunst arbeitete eng mit dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU (EAK) zusammen, den der Oldenburger Oberkirchenrat Hermann Ehlers 1952 u. a. mit dem Ziel gegründet hatte, den Einfluss der Protestanten in der katholisch dominierten Regierungspartei zu stärken54. Regelmäßig berichtete Kunst dem Rat über den aktuellen konfessionellen Proporz innerhalb des Bundestages, der Ministerien oder der diplomatischen Vertretungen55. In seinem Bericht über die Bundestagswahl 1953 verwies er auf die Erfolge der CDU/CSU bei den protestantischen Wählern und deutete an, dass dies auch Konsequenzen für die konfessionelle Zusammensetzung der Regierung zugunsten der Protestanten haben müsse (Dok. 4)56. In seiner Wahlanalyse vom 47 48 49 50 51 52 53

Vgl. v. Hehl, Irritationen, 168. Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 145–230. Vgl. v. Hehl, Irritationen, 172. Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 468; und Ringshausen, Orientierung. Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 471. Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12./13. 2. 1953 (EZA Berlin, 742/1). Vgl. die Liste der evangelischen Abgeordneten in den Bundestagsfraktionen der CDU und SPD und FDP von 1961 sowie die Listen der evangelischen Bundesminister im IV. und V. Kabinett Adenauers von 1961 und 1962/63 (EZA Berlin, 87/826). 54 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 422–425; auch Grossbölting, Himmel, 64. 55 Vgl. Protokolle, Bd. 7, 21. 56 Vgl. den Bericht vom 10./11. 9. 1953 (Dok. 4).

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Herbst 1961 ging es ebenfalls um den Anteil von evangelischen Ministern in der Regierung (Dok. 17). Die Lageberichte zeigen eine ausgeprägte konfessionalistische Sicht Kunsts auf die politischen Akteure. Über Franz Etzel, den Adenauer als seinen Nachfolger favorisierte, konnte Kunst positiv berichten, dass dieser evangelisch sei. Negativ vermerkte er, dass Etzels katholische Frau für eine katholische Erziehung der Kinder sorge (Dok. 10). Wenn es um den konfessionellen Ämterproporz ging, fiel sogar die Konfession der Ehepartner ins Gewicht. Zwei Jahre später berichtete Kunst erneut über die Nachfolge Adenauers. Dieses Mal ging es um die Personalie Ludwig Erhard. Zwar spreche kein konfessionelles Argument gegen diesen, erklärte Kunst dem Rat am 9. Mai 1963, aber da Adenauer Erhard für ungeeignet halte und Teile der Presse diesem Urteil folgten, müsse man mit konfessionspolitischen Auseinandersetzungen um Erhard rechnen. 1966 – kurz vor dem Rücktritt Erhards vom Amt des Bundeskanzlers – erläuterte Kunst dem Rat: „Nach einem in der Welt anerkannten Katholiken als Kanzler darf der evangelische Nachfolger nicht als ein gescheiterter, unzulänglich empfundener Mann gehen. Dies würde in der evangelischen Bevölkerung sicher die Meinung erzeugen: die Katholiken haben den evangelischen Erhard zur Strecke gebracht.“ (Dok. 29) Zum Abschied von Bundespräsident Gustav Heinemann 1974 dachte Kunst laut über dessen Amtsnachfolger Walter Scheel nach – nicht ohne darauf hinzuweisen, dieser sei zwar evangelisch, jedoch gehörten dessen zweite Frau und ihre Kinder der katholischen Kirche an. Auch sei Scheels Staatssekretär nach dem Krieg zum Katholizismus konvertiert, was aber eine vertrauensvolle Kooperation mit diesem nie ausgeschlossen habe (Dok. 63). Konfessionelle Überlegungen mischten sich in alle Arbeitsbereiche Kunsts. Selbst sein Engagement für die vier in den Niederlanden und Italien in Haft sitzenden deutschen Kriegsverbrecher blieb davon nicht ausgenommen, denn bis auf einen waren alle anderen katholisch, was Kunst vor dem Rat der EKD problematisierte57. Gleichzeitig propagierte Kunst ein Amtsverständnis, das von der Behauptung lebte, keine protestantische Interessenpolitik zu treiben, sondern – im Gegenteil – nur das Wohl des ganzen Volkes im Auge zu haben. Stets betonte Kunst, dass die Konfessionszugehörigkeit nicht wichtig sei, wenn die Stelle nur mit dem qualifizierteren Kandidaten besetzt werde. So trat er etwa 1959 für den Katholiken Carlo Schmid als Bundespräsidenten ein, obwohl dies nicht der für die Verteilung von Spitzenämtern üblichen Konfessionsarithmetik

57 In diesem Kontext verwies Kunst auf die in den Niederlanden einsitzenden Katholiken Josef Kotalla, Franz Fischer und Ferdinand aus der Fünten sowie auf den im italienischen Gaeta einsitzenden Herbert Kappler. Aus der Fünten war zwar evangelisch, jedoch waren seine Ehefrau, Kinder und Enkel katholisch; vgl. den Bericht vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64).

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entsprach, nach der neben einem katholischen Bundeskanzler ein evangelischer Bundespräsident stehen musste58. In einem Rückblick auf die beiden ersten Jahrzehnte seiner Arbeit als Bevollmächtigter in Bonn erklärte Kunst: „Auf das Bestimmteste habe ich mich geschieden gesehen von der Auffassung meines Amtes als eine kirchliche Lobby“59. Diese Aussage wirkt mit Blick auf die massive personalpolitische Lobbyarbeit Kunsts nicht gerade glaubwürdig, entsprach aber einer lutherischen Theologie, die Staat, Kirche und Volk aus einer Glaubenswirklichkeit „hinter den Verfassungskräften“ legitimiert sah60. Einer Kirche, die sich aus der überweltlichen Macht Gottes heraus legitimierte, konnte es schon der Definition nach nicht um innerweltliche Interessen gehen. Mit dieser theologischen Sicht auf die Politik begegnete Kunst dem Vorwurf, er nutze seine Arbeit als Seelsorger bei den Politikern für profane kirchliche Lobbyarbeit. Ein Geistlicher, der die Gewissen der Politiker berate – so Kunst mit dem Verweis auf die transzendentale Ausrichtung des Seelsorgers – könne gar keine kirchlichen Lobbyinteressen vertreten61. Diese Perspektive war eng verbunden mit einer Mentalität, die in der historischen Verankerung der evangelischen Kirche in den Herrschaftsapparaten der Landesfürstentümer wurzelte. Das bis 1918 gültige Summepiskopat, in dem der Landesfürst gleichzeitig oberster Bischof der evangelischen Landeskirche gewesen war, hatte bei den kirchlichen Führungseliten eine ausgeprägte Staatsnähe gefördert, die wie selbstverständlich von der Übereinstimmung staatlicher Interessen mit denen der protestantischen Kirche ausging62. Der Wahlsieg Willy Brandts 1969 machte den Kampf um kirchliche Posten in der Politik für die Protestanten eigentlich überflüssig. Denn nun gab es kaum noch Katholiken an den Schaltstellen der politischen Macht (Dok. 68)63. Die Mitglieder von SPD und FDP waren überwiegend evangelisch, ein Umstand, der Kunst nachdenklich stimmte: „Die nach dem Protokoll höchsten 6 58 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 4. bis 6. 3. 1959 (EZA Berlin, 742/1). 59 Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12. 1. 1968 (EZA Berlin, 742/2). 60 Zum Begriff „Volkskirche“ vgl. Rendtorff, Volkskirche 303, 291. Für die Zeit nach 1945 kommt Rendtorff zu dem Schluss: „Volkskirche kann nunmehr verstanden und gestaltet werden als die verantwortliche Präsenz der Kirche in allen Lebensbereichen der Gesellschaft“; vgl. ebd., 309. Zum spezifischen Legitimationstypus der Kirche als gesellschaftliche Institution, die sich grundsätzlich von allen sonstigen Legitimationsmustern sozialer Verbände zu unterscheiden behauptet vgl. Tanner, Organisation, 214; und Brunner, Volkskirche, 320–325. 61 Vgl. Kunst, § 25, 280; Buchna, Jahrzehnt, 278; und den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 22. 8. 1975 (EZA Berlin, 742/10). 62 Vgl. Tanner, Organisation, 203. 63 Kunsts Kommentar zur konfessionellen Ämterverteilung in Regierung, Auswärtigem Amt, Bundeswehr und Bundesverfassungsgericht beginnt mit den Sätzen: „Seit 1969 spielt das, was man in den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik den ,konfessionellen Proporz‘ nannte, so gut wie überhaupt keine Rolle mehr. Aber wir sollten wenigstens wissen, daß unsere katholischen Brüder sich in ziemlich vielen Lebensbereichen beschwert wissen“; vgl. den Bericht vom 27. 9. 1975 (Dok. 68).

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Ämter, wovon Bundesratspräsident wegen des jährlichen Wechsels nicht zählt in diesem Zusammenhang: von 5 Ämtern 1 katholisch besetzt, Präsident des Bundesverfassungsgerichts Gebhard Müller. Sonst alle Schlüsselstellungen, die weit überwiegenden klassischen Ressorts der Regierung von Gliedern unserer Kirche verwaltet. So war es noch nie seit 1949. Bisher ein gesundes balanciertes Verhältnis“, kommentierte er vor dem Rat am 23. Oktober 1969. Nachdrücklich forderte er die Ratsmitglieder auf, behutsam mit den sichtlich gekränkten Katholiken umzugehen (Dok. 39). In der Folgezeit versuchte Kunst eine Parteinahme für die regierende SPD zu vermeiden, selbst dann, wenn klar war, dass die EKD deren politischen Ziele uneingeschränkt teilte. Dies zeigen seine Reflexionen nach Abschluss des „Vertrags über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ – kurz „Grundlagenvertrag“ – am 8. November 1972. Kunst erinnerte den Rat daran, dass sich die EKD seit langem um Normalisierung und Entspannung zwischen beiden deutschen Staaten bemüht habe. Insofern sei das Zustandekommen des „Grundlagenvertrages“ auch ein Erfolg der EKD. Dies bestätigte Bundeskanzler Willy Brandt mit Verweis auf die „Ostdenkschrift“ auch gegenüber dem Ratsvorsitzenden Helmut Claß64. Dennoch sprach sich Kunst gegen ein öffentliches Wort der EKD zum „Grundlagenvertrag“ aus. Selbst eine behutsame Würdigung – argumentierte er – habe fast keine Chance, so gehört zu werden, dass sie nicht wie unmittelbare Wahlhilfe für die Regierung aussehe (Dok. 56). Wie sensibel die Opposition auf alles reagierte, was von Seiten der EKD die Ostpolitik Brandts in ein gutes Licht rückte, zeigte sich, als der Generalsekretär der CDU Bruno Heck sich bei Kunst über einen Beschluss der EKU-Synode beklagte, der die Ostpolitik Brandts theologisch rechtfertigte. Für Kunst waren die Klagen Hecks ein Anlass, das Gespräch mit dem Rat zu suchen, um „größere Klarheit in der Sachfrage von Kirche und Politik zu bekommen“ (Dok. 42). Evangelischsein, so erläuterte der Bevollmächtigte im Blick auf die bevorstehenden Wahlen 1972, bedeute wohl zuerst, „daß wir keinerlei Zuarbeit für eine der 3 Parteien leisten“ (Dok. 53). Vor dem Hintergrund eines extrem polarisierten Wahlkampfes, in dem Regierungs- und Oppositionsparteien erbittert um die Ostverträge, aber auch um die sozialen Reformprojekte der SPD stritten, stellte Kunst in Abgrenzung zur katholischen Kirche die Überparteilichkeit der EKD heraus65. Für diese hatte er die Aufgabe vorgesehen, den Wahlkampf zu „versachlichen“ und damit zu entschärfen. Eine Kommission aus namhaften Repräsentanten des öffentlichen Lebens, der Parteien, Verbände und Kirchen sollte die Parteien auf ihr 64 Vgl. das Schreiben Willy Brandts an den Ratsvorsitzenden Helmut Claß vom 16. 5. 1974 (EZA Berlin, 87/655). Zur „Ostdenkschrift“ der EKD vgl. Lepp, Wort. 65 In Kunsts Kommentar zur Regierungserklärung Helmut Schmidts am 16. 12. 1976 hieß es: „Es gibt in der Bundesregierung in den zugehörigen Bundestagsfraktionen in Erinnerung an eine Reihe von Verlautbarungen der katholischen Kirche nicht nur Verärgerung, sondern auch eine solide Verbitterung“; vgl. den Bericht vom 14./15. 1. 1977 (Dok. 75).

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Wahlprogramm ansprechen und auf der Basis der Antworten Informationen zu den einzelnen Sachfragen publizieren. Im Idealfall – so Kunst – könne man die Parteien dazu bringen, sich innerhalb der Grenzen der politischen Vernunft und Toleranz zu bewegen (Dok. 53). Der Fragenkatalog an die Parteien sollte dafür sorgen, dass die Wähler nicht mehr aufgrund von vereinfachenden Wahlparolen im Stil einer „Waschmittelwerbung“, sondern aufgrund von Sachkenntnis ihre Wahlentscheidung trafen, erläuterte er an anderer Stelle66. Wie ernst man in der EKD dieses Anliegen nahm, zeigt das 20-seitige Protokoll über die Gespräche des Rates mit den Präsidien der im Bundestag vertretenen Parteien im Januar des Wahljahres 197667. Das von Kunst propagierte Bild der Kirche als einer überparteilichen Organisation zum Wohl des Ganzen war so erfolgreich, dass es den Blick der SPD-geführten Bundesregierung auf die Kirchen maßgeblich beeinflusste. In der Regierungserklärung Brandts vom 18. Januar 1973 hieß es: „Wir betrachten sie [die Kirchen, D. P.] nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft und wollen ihren Repräsentanten darum auch nicht als Vertreter bloßer Gruppeninteressen begegnen. Wir meinen im Gegenteil, daß die Kirchen in ihrer notwendigen geistigen Wirkung umso stärker sind, je unabhängiger sie sich von überkommenen sozialen und parteilichen Bindungen machen. Im Zeichen deutlicher Freiheit wünschen wir die Partnerschaft.“68 Für Kunst war diese Erklärung zentral, denn hier handelte es sich um eine politische Willenserklärung, die die von ihm anvisierte Rolle der Kirche im Staat auch in der Zukunft absicherte69. Wie stark die Überzeugungskraft Kunsts in Bezug auf die „Überpartei66 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 31. 1. 1975 (EZA Berlin, 742/8). 67 Darin mahnten die Ratsmitglieder ihre Gesprächspartner aus SPD, CDU/CSU und FDP vor der „Verketzerung“ ihres politischen Gegners im Wahlkampf und versuchten diese zu bewegen, festgefahrene inhaltliche Positionen in Richtung des politischen Gegners zu differenzieren. Die CDU/CSU wurde aufgerufen, in den Verhandlungen mit Polen auf die sozialliberale Koalition zuzugehen. Die SPD wurde ermahnt, ihren Reformdrang nicht im Sinne eines „staatlichen Expansionsdranges“ zu übertreiben, da dieser sich nur auf Kosten der individuellen Freiheit realisieren lasse. Der FDP erklärte man, dass der Begriff des Liberalismus neu definiert werden müsse und die Partei darüber nachdenken solle, wie sich junge Menschen mit dem Staat identifizieren könnten; vgl. das Protokoll vom 21./22. 1. 1976 (EZA Berlin, 87/2308). Vorschläge zum Fragenkatalog an die Parteien finden sich im Bericht vom 23. 5. 1975 (Dok. 67). 68 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 6 vom 19. 1. 1973, 56. Wie groß die Wertschätzung Brandts für die Kirchen war, zeigt auch der Erlass, mit dem er sämtliche Bundesministerien anwies, „den Kirchen die für sie relevanten Gesetzgebungsmaterialien frühzeitig und automatisch im Entwurfsstadium zukommen zu lassen“; vgl. Buchna, Jahrzehnt, 450. 69 Kunst, § 25, 283. Mit Verweis auf die Regierungserklärung Brandts von 1973 betonte Oberkirchenrat Hermann Kalinna, es sei „nicht die geringste Aufgabe“ des Amtes des Bevollmächtigten die besondere Bedeutung der Kirche, die über die Rolle als eine Gruppe unter anderen hinausgeht, im Bewusstsein der Politiker wachzuhalten. Sollte die Kirche eines Tages nur noch als eine Interessengruppe unter anderen Interessengruppen wahrgenommen werden, werde es nicht an der Bosheit der Menschen liegen, sondern an der eigenen Unfähigkeit; vgl. Kalinna, Verbindungsstellen, 195.

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lichkeit“ seiner Kirche war, zeigte sich auch im Wahlkampf 1976, als der SPDVorsitzende Brandt Kunst bat, die EKD möge ein mäßigendes Wort zum Wahlkampf sprechen (Dok. 73). 1980 – Kunst war seit drei Jahren im Ruhestand – benannten die Parteien von Regierung und Opposition ihn zum Vorsitzenden einer gemeinsamen Schiedsstelle im Bundestagswahlkampf, deren Aufgabe es war, bei Verstößen gegen das „Fairneß-Abkommen“ tätig zu werden. Auch wenn bezweifelt werden kann, dass diese Schiedsstelle tatsächlich zur Entschärfung des Wahlkampfes beitrug, zeigte die parteienübergreifende Einmütigkeit bei der Benennung Kunsts, dass die Politik sich das von Kunst so beharrlich gezeichnete Bild der Kirche als „neutrale“ Partnerin des Staates zu eigen gemacht hatte70.

3. Verhältnis zum Katholizismus Kunst verwies immer dann gern auf die Katholiken, wenn er eine Negativfolie für sein eigenes Amtsverständnis brauchte. Während er für die Protestanten eine positive Partnerschaft mit dem Staat zum Wohle aller in Anspruch nahm, warf er den Katholiken politische Parteilichkeit vor. So befeuerten die katholischen Bischöfe im Wahlkampf 1972 mit ihren scharfen Angriffen gegen die SPD die Polarisierung und schwächten damit in den Augen Kunsts den Staat. Als die Katholiken im Juli 1974 ihre bereits zugesagte finanzielle Unterstützung der Bundesstiftung für das Behinderte Kind zurücknahmen, weil sie gegen die Reform des § 218 kämpften, hielt Kunst an den finanziellen Zusagen der EKD für die Bundesstiftung fest, obwohl auch sie gegen die Fristenregelung votiert hatte. Dem Rat erklärte er, er ziehe es vor, in einem kooperativen Verhältnis zum Staat zu stehen, um sich so bei wichtigeren Konflikten alle Türen zur Macht offen zu halten (Dok. 63). Gleichzeitig konnten die Katholiken Kunst durchaus auch als Vorbild dienen, wenn es etwa darum ging, das Engagement der eigenen Kirche in die eine oder andere Richtung voranzutreiben. Der Historiker Kristian Buchna hat das Katholische Büro und die Bonner Dienststelle der EKD mit „kommunizierenden Röhren“ verglichen71 und den permanenten Blick auf die andere Konfession als „konstitutive Elemente beider kirchlicher Verbindungsstellen“ bezeichnet72. So dokumentierten Aufbau und Ausstattung der beiden Bevollmächtigtenstellen eine bewusst arrangierte „Gleichrangigkeit“ auf der Führungsebene kirchlicher Interessenvertretung. Und auch der Titel „Prälat“ verdankte sich dem Vorbild des Prälaten Wilhelm Böhler, dem katholischen Pendant Kunsts. Ebenso orientierte sich der Titel des Militärbischofs am 70 Vgl. Mergel, Propaganda, 303. 71 Buchna, Jahrzehnt, 392. 72 Ebd., 388.

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Vorbild seines katholischen Amtskollegen Joseph Wendel. Kunsts Ernennung zum Militärbischof wurde wiederum von katholischer Seite zum Anlass genommen, Wilhelm Böhler den Titel „Exzellenz“ zu verleihen73. Auch in grundsätzlichen Fragen wie der Rechtsstellung der Kirche im Staat verwies Kunst wiederholt auf das katholische Vorbild. Als die katholische Kirche 1963 eine Überprüfung des Grundgesetzes in Bezug auf die Stellung der Kirchen im Staat forderte, hielt er es für nützlich, wenn sich die EKD ebenfalls mit diesem Thema beschäftigte (Dok. 23). Zukunftsweisend waren die Katholiken für Kunst in der Europapolitik. Die internationale Ausrichtung der katholischen Kirche verschaffte dieser einen erheblichen Vorsprung vor den Protestanten, die traditionell national orientiert waren. „Kann man schon in Bonn wirksam nur durch Kooperation mit den Katholiken etwas nach vorne tragen, gilt dies erst recht von internationalen Gremien“, urteilte Kunst in seinem Bericht vom September 1969 (Dok. 38). Als er 1971 die Rolle der EKD in Brüssel zu definieren suchte, verwies er darauf, dass der Heilige Stuhl einen eigenen Botschafter bei der Europäischen Gemeinschaft habe74. Am Ende seiner Amtszeit 1977 erinnerte Kunst noch einmal nachdrücklich an die „schon vorhandenen Aktivitäten der katholischen Kirche in Europa“. Die ausgewiesene Arbeit der Katholiken auf dem Feld der Europapolitik drohe die Protestanten zur „Arabeske“ in Europa zu machen75. Es dürfe nicht dahin kommen, dass von Europa als einer im Wesentlichen katholischen Unternehmung gesprochen werde76. Wenn die Katholiken auf dem Feld wichtiger gesellschaftlicher Fragen, wie der von Helmut Schmidt 1976 angestoßenen „Grundwertediskussion“ die Protestanten in den Schatten zu stellen drohten, mahnte Kunst die Kammer für öffentliche Verantwortung, sich ebenfalls umgehend mit diesem Thema zu beschäftigen (Dok. 75). Ein Theoriedefizit der Protestanten gegenüber der katholischen Konkurrenz sah Kunst in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus. Die Protestanten hätten es bereits in der Zeit des Nationalsozialismus versäumt, sich mit dem Wesen totalitärer Staaten zu beschäftigen, kritisierte er 1976. Nicht zuletzt deshalb stünde man heute in der evangelischen Kirche der neuen antiparlamentarischen Linken ziemlich hilflos gegenüber (Dok. 74). Auf anderen Feldern ging die EKD voran. Stolz berichtete Kunst, dass der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings Passagen aus dem Wort des Rates zum Auschwitzprozess 1963 in seine eigene Erklärung übernommen habe (Dok. 23). Auch in der Bildungspolitik sah Kunst die Protestanten als Trendsetter. 1964 verwies er auf die Thesen des protestantischen Bildungspolitikers Georg Picht, der maßgebliche Impulse für die Kulturpolitik der 73 74 75 76

Vgl. ebd., 389. Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 4. 11. 1971 (EZA Berlin, 742/4). Zitiert aus dem Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 14./15. 1. 1977 (EZA Berlin, 742/14). Vgl. ebd.

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Bundesrepublik gesetzt hatte (Dok. 24)77. Nicht zuletzt zeigte sich für Kunst der Erfolg der Arbeiten Pichts darin, dass es „belangvolle Kräfte in der katholischen Kirche“ gab, die sich von diesem „zu anstrengender Arbeit“ hatten anregen lassen. Freilich folgte die Sorge auf den Fuß, die Protestanten könnten den eigenen Vorteil im Wettstreit mit den Katholiken am Ende verspielen: „Wir sollten nicht immer nur säen und zurückhaltend in der Gestaltung sein“, mahnte er die Ratsmitglieder (Dok. 24). Auch in der neuen Ostpolitik gaben die Protestanten in den Augen Kunsts klar den Ton an. Dem deutschen Episkopat warf Kunst vor, selbst dann noch zu den Ostverträgen geschwiegen zu haben, als man sich im Vatikan längst für deren Ratifizierung ausgesprochen hatte (Dok. 24). Besonders in Bezug auf Polen sah Kunst Defizite bei den Katholiken. Dies war in seinen Augen umso bedauerlicher, als der im Dezember 1970 abgeschlossene Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Polen die Voraussetzung dafür bildete, dass Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Polen über die Rückgabe des Kircheneigentums in den Oder-Neiße-Gebieten beginnen konnten (Dok. 24). 1976 berichtete Kunst über das hochkarätig besetzte Treffen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik mit dem Polnischen Institut für Internationale Politik im unmittelbaren Umfeld der Ratifikationsverhandlungen zum Abkommen mit Polen über die Renten- und Unfallversicherung. Für die Katholiken, so Kunst, sei lediglich ein Laie gekommen. Es sei „mehr als am Rande des Peinlichen“, „wie wir als Evangelische Kirche in Deutschland mit einem Maximum von Dankbarkeit von Polen bedacht wurden, die kritische Rückfrage an die Katholiken sich aber unmittelbar anschloss“ (Dok. 24). Trotz aller Konkurrenz nahm im Laufe der Amtszeit Kunsts die Zahl der gemeinsamen Projekte mit den Katholiken zu. Das seit Mitte der 1950er Jahre schwindende Interesse an konfessionellen Fragen in der Politik zwang die Kirchen schon aus pragmatischen Gründen, ihre Ziele gemeinsam zu verfolgen78. So etwa 1966 beim Aufruf zur Hilfe für Vietnam, der vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Julius August Kardinal Döpfner, dem Ratsvorsitzenden Kurt Scharf sowie den Präsidenten des Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes gemeinsam unterschrieben worden war (Dok. 52). 1967 regte Kunst eine gemeinsame Kommission von Staatsrechtlern an, die Vorschläge für eine Grundgesetzänderung in Bezug auf die Schulfrage sowie das Rundfunk- und Fernsehrecht ausarbeiten sollte (Dok. 31). 1970 publizierten Katholiken und Protestanten unter dem Titel „Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung“ einen gemeinsamen Beitrag, mit dem sie gegen die Liberalisierung des Familien- und des Strafrechtes angingen. Das Vorwort hatten Döpfner und der Ratsvorsitzende der EKD Hermann Dietz77 Vgl. dazu Lepp, Think Tank. 78 In der Erinnerung Kunsts gaben die Bevollmächtigten beider Kirchen seit Ende der 1950er Jahre über 75 % ihrer Stellungnahmen gegenüber den Parteien gemeinsam ab; vgl. Buchna, Jahrzehnt, 518 f.

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felbinger verfasst (Dok. 45, 52). Auch die gemeinsame Denkschrift über die „Soziale Ordnung des Baubodenrechtes“, ein Memorandum der EKD-Kammer für soziale Ordnung und des katholischen Arbeitskreises „Kirche und Raumordnung“ stand für die Zusammenarbeit mit den Katholiken. Das von Dietzfelbinger und Döpfner gemeinsam verfasste Vorwort hatte für Kunst mehr Gewicht als ein Expertengutachten, wie er dem Rat in seinem Bericht am 15./16. Februar 1973 darlegte79. Vor allem in der Entwicklungspolitik war die interkonfessionelle Zusammenarbeit für Kunst zukunftsweisend. 1970 informierte er den Rat über den sichtbaren Fortschritt katholisch-evangelischer Kooperationen auf diesem Gebiet80. Er verwies auf die starken übernationalen Impulse, die dieser Zusammenarbeit vorangegangen waren – so die päpstliche Enzyklika „progressio populorum“ („Entwicklung der Völker“) von 1967 und die Weltkonferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) im schwedischen Uppsala 1968. Auch erinnerte er an die Kommission für die Gesellschaft, die Entwicklung und den Frieden (Sodepax), eine gemeinsame Gründung von katholischer Kirche und ÖRK, der er „schon aus gesamtökumenischen Überlegungen“ eine hohe Bedeutung beimaß81. Weitere Zeugnisse für die gelungene Zusammenarbeit mit den Katholiken waren die gemeinsame Erklärung von EKD und katholischer Bischofskonferenz zur dritten und vierten Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD III und IV) in Santiago de Chile (1972) und Nairobi (1976) (Dok. 51, 70). Das 1976 publizierte Memorandum „Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung“ war von den Bevollmächtigten der beiden Kirchen verantwortet und richtete sich an die Bundesregierung, den Bundestag, die politischen Parteien sowie an die breite Öffentlichkeit (Dok. 72). Selbstbewusst vermerkte Kunst, die beiden Großkirchen in Deutschland seien die einzigen Kirchen der Welt, die einen umfassenden Sachbeitrag zu den Diskussionen der Welthandelskonferenz beigesteuert hätten und wies darauf hin, dass die evangelische Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst und der katholische Arbeitskreis Entwicklung und Frieden inzwischen regelmäßig gemeinsam tagten (Dok. 70).

79 Vgl. Die soziale Ordnung des Baubodenrechts. 80 So enthält der Bericht Kunsts zur Ratssitzung vom 19. 9. 1968 mit dem Titel „Gründung einer Kommission für Entwicklungspolitik“ einen Hinweis auf die neue Kammer für Koordination der Entwicklungspolitik sowie auf die Kooperation mit der katholischen Kirche in Bezug auf die Hilfe für Biafra (EZA Berlin, 742/2). Zum folgenden Abschnitt vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 2. 3. 1970 (EZA Berlin, 742/3). 81 Vgl. ebd.

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4. Verhältnis zu den Parteien Kunsts These von der Überparteilichkeit der Kirche ging einher mit einer großen Offenheit für Gespräche mit allen politischen Parteien, bis hin zur KPD. Dennoch war kaum zu übersehen, dass seine politische Heimat in der CDU lag, auch wenn eine Parteimitgliedschaft bislang nicht belegt werden kann. Kunsts „natürliche“ Verbindung zur CDU ergab sich aus dem gemeinsamen Ziel der politischen Gestaltung des neuen Staatswesens aus dem Christentum heraus, der antikommunistischen Tradition des deutschen Protestantismus, verbunden mit dem Plädoyer für die Westbindung der Bundesrepublik, aber auch aus der einfachen Tatsache, dass die CDU/CSU über zwei Jahrzehnte hindurch die Regierung führte (Dok. 63). Seine Informationen für die „Lageberichte“ dürfte Kunst in dieser Zeit überwiegend aus Gesprächen mit Mitgliedern der CDU/CSU gewonnen haben. Umgekehrt konnte sich der Bevollmächtigte rühmen, den Einfluss der EKD bis in die Regierungserklärung Erhards vom Oktober 1963 hineingetragen zu haben. „Kanzler der Meinung, daß er uns nicht nur gehört, sondern bis in Formulierungen hinein auf unsere Argumente geachtet hat. […] Es fehlt nicht der Tadel des Luxus in der Lebensführung einzelner, die klare Absage an den Wohlstand als Leitbild des Volkes. Am nachdrücklichsten sind unsere Vorstellungen zu den Fragen von Erziehung und Bildung aufgenommen“, berichtete Kunst 196382. Als die CDU/CSU 1969 die Regierungsmacht verlor, erklärte Kunst dem scheidenden Außenminister und Vorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Gerhard Schröder, wie er sich die Neuausrichtung des Arbeitskreises in der Opposition vorstellte. Die neue „Staatspartei“ SPD, so Kunsts Prognose, werde sich vermutlich um das Image einer progressiven Reformpolitik bemühen. Dagegen lasse die alte „Staatspartei“ CDU/CSU nicht nur in ihrem Personalbestand eine „spürbare Materialermüdung“ erkennen. Der Evangelische Arbeitskreis müsse deshalb eine „neue Anziehungskraft auf die jungen und aktiven Schichten und auf die Intelligenz“ entwickeln83. Wie eng das Verhältnis Kunsts zur CDU-Führung war, zeigt auch der Briefwechsel mit dem bewusst katholischen CDU-Vorsitzenden, Rainer Barzel, der Kunst gelegentlich seine Redemanuskripte mit dem Hinweis zukommen ließ, diese seien unter dem Eindruck der Gespräche mit dem Bevollmächtigten entstanden84. Anlässlich der Wiederwahl Barzels zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion 1972 lobte Kunst Barzel für dessen fairen Wahlkampf, bot ihm eine Fortsetzung der „bewährten Kooperation“ an und lud Barzel zu einem „ruhigen Gespräch“ ein. Dazu bemerkte er, dass er die 82 Bericht für den Rat der EKD vom 28. 12. 1963 (EZA Berlin, 742/2). 83 Schreiben Kunsts an Gerhard Schröder vom 6. 10. 1969 (EZA Berlin, 87/650). 84 Vgl. das Schreiben Rainer Barzels an Kunst vom 16. 1. 1973 (ebd.).

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Situation, in der sich unser Land befinde, „nicht als triumphal“ beurteile. Vielmehr seien die Aufgaben von „ungewöhnlicher Schwere“. Zuletzt mahnte er Barzel: „Dabei wird es gerade für Ihre Partei von entscheidender Bedeutung sein, daß Sie nicht nur den Schreibtisch leer arbeiten, sondern prüfen wie der innere und damit prinzipiell politische Weg Ihrer Partei in den nächsten Jahren sein soll.“85 Schwierigkeiten, sich auf die „neue Staatspartei“ SPD einzustellen, hatte Kunst nicht. Dies war keine Selbstverständlichkeit, wenn man den historischen Antagonismus zwischen der SPD als marxistisch orientierter Arbeiterpartei und den traditionell eng mit den bürgerlichen Eliten verbundenen evangelischen Kirchen in Deutschland bedenkt. Dabei hatte es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus wiederholt Versuche gegeben, das Verhältnis von SPD und Kirchen – zunächst auf lokaler Ebene – auf eine neue, weniger konfrontative Grundlagen zu stellen86. Für die Mitglieder des bruderrätlichen Flügels der Bekennenden Kirche um Martin Niemöller gab es ohnehin seit Bestehen der Bundesrepublik gemeinsame Schnittpunkte mit der SPD. Nicht zuletzt der 1957 erfolgte Wechsel des prominenten Protestanten und GVPGründers Gustav Heinemann in die SPD verdeutlichte diese Verbindung87. Vor dem Hintergrund der zweiten Wahlniederlage der SPD 1953 kamen erstmals auch Gespräche zwischen den Ratsmitgliedern der EKD und Spitzenpolitikern der SPD zustande (Dok. 4). Nach dem ersten Treffen, das Anfang Januar 1955 im Hause Kunsts stattfand, berichtete dieser über Verschiebungen im Verhältnis der SPD zum Christentum (Dok. 6)88. Dabei verwies er auf eine Rede des SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer auf der Paulskirchenkundgebung, in der Ollenhauer an die christlichen Grundlagen der westlichen Welt erinnert habe (Dok. 6). Kunst hatte bereits in den Jahren zuvor über Stimmen in der SPD berichtet, die für eine Öffnung zum bürgerlichen Lager plädierten (Dok. 4). Im Jahr 1957 wies er den Rat darauf hin, dass die SPD, wie ihre „nicht unbedeutenden Gewinne“ in Hamburg bei den jüngsten Bundestagswahlen zeigten, zunehmend auch für die Intelligenz und bürgerliche Schichten wählbar geworden sei (Dok. 10). Das 1959 auf dem Godesberger Parteitag der SPD beschlossene Grundsatzprogramm zeigte, dass Kunst sich nicht getäuscht hatte. In ihrem neuen Parteiprogramm distanzierte sich die SPD klar vom Marxismus und fand u. a. im Christentum eine neue moralische Grundlage für ihre Politik der sozialen Gerechtigkeit. Nun war offensichtlich, dass die SPD bereit war, sich für bür85 Schreiben Kunsts an Barzel vom 13. 12. 1972 (ebd.). 86 Vgl. dazu Friedrich, Kirche,189–199; und Hering, Kirchen, 240. 87 Zur Vorgeschichte vgl. Friederich, Kirche, 189; 194, 197. Mit Gustav Heinemann wechselten auch andere kirchennahe Protestanten wie Johannes Rau, Erhard Eppler und Diether Posser zur SPD; vgl. Hering, Kirchen, 241. 88 Vgl. Protokolle, Bd. 8, 475 f., Anm. 56.

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gerliche Wählerschichten zu öffnen89. 1960 lenkte der stellvertretende SPDVorsitzende Herbert Wehner in den außenpolitischen Kurs der Westbindung ein und erteilte damit noch dem im Jahr zuvor verkündeten Deutschlandplan der SPD, der für eine Wiedervereinigung auf der Basis politischer Neutralität plädiert hatte, eine Absage (Dok. 14). Das änderte freilich nichts daran, dass große Teile der CDU/CSU Herbert Wehner weiterhin für einen „Neutralisten“ hielten, wie Kunst in einem Lagebericht von 1967 bemerkte (Dok. 33). Kunst indes stellte sich schon früh auf die SPD als neue mögliche Regierungspartei ein. 1965 gegen Ende der Regierungszeit Erhards plädierte er für eine Große Koalition von SPD und CDU/CSU90. Natürlich sei eine große Koalition ungut in einer Demokratie, räumte er ein, doch mit Blick auf das angespannte Verhältnis zur DDR machte er geltend, dass eine Nation Entscheidungen treffen müsse, die nicht nur von einer Mehrheit getragen werden, sondern von allen wichtigen politischen Kräften91. Vor dem Regierungsantritt der großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Kiesinger erklärte Kunst dem Rat in Bezug auf die „Ostdenkschrift“ der EKD, keine Partei habe sich damit so viel Mühe gemacht wie die SPD. Die Kirche müsse ihr danken (Dok. 28). Zu den Genfer Verhandlungen über den Atomwaffensperrvertrag Anfang 1968 sagte er dem Rat: „Im Augenblick müßten wir dezidiert auf Seite der SPD treten“ (Dok. 35). Mit dem Antritt der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt im Oktober 1969 begann für Kunst die Ära einer neuen, „unverbrauchten Staatspartei“92. Trotz aller programmatischen Wandlungen der SPD bleibt es bemerkenswert, welch starke Position ihre Parteispitze den Kirchen im Staat einräumte. Die im Grundgesetz verankerten Rechte der Kirchen, die aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden waren und die bis heute für die ,hinkende‘ Trennung von Kirche und Staat stehen, wurden nicht nur nicht infrage gestellt, sondern von Brandt und Wehner gegen alle Angriffe, insbesondere aus den Reihen des Koalitionspartners FDP, verteidigt. Indes konnten die Bekenntnisse der SPD-Führung nicht verbergen, dass seit dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition die Konfessionszugehörigkeit in der Politik gleichgültiger geworden war. Nach der Wiederwahl Brandts bemerkte Kunst, dass es ihm nicht mehr möglich sei, die konfessionelle Zugehörigkeit vieler Staatssekretäre in der neuen Regierung festzustellen (Dok. 57). Zwar waren die Parteimitglieder von SPD und FDP ganz überwiegend evangelisch, doch handelte es sich bei ihnen meist nur noch um nominelle Kirchenmitglieder, deren Konfessionszugehörigkeit nicht mehr handlungsleitend war (Dok. 39). Kunst sah sich einer Bundesregierung ge89 Vgl. Hering, Kirchen, 246. 90 Dafür plädierten auch Vertreter der katholischen Kirche wie Josef Kardinal Frings und Weihbischof Heinrich Tenhumberg; vgl. Hering, SPD, 248. 91 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12./13. 8. 1965 (EZA Berlin, 742/2). 92 Vgl. das Schreiben Kunsts an Gerhard Schröder vom 6. 10. 1969 (EZA Berlin, 87/650).

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genüber, deren Spitze den Kirchen zwar eine hohe Bedeutung einräumte, deren Personal aber kaum noch das „richtige“ Verständnis für die Privilegien der Kirchen im Staat aufbrachte. Tatsächlich sei, so Kunst, mancher Sand im Getriebe. Die Kirche habe es zum ersten Mal mit Agnostikern unter den Staatssekretären und Ministerialdirigenten zu tun, die ihr mit „Distanz und Kühle“ begegneten (Dok. 42). Distanz und Kühle seitens der Staatsmacht bekam die Kirche vor allem dort zu spüren, wo es um sozialdemokratische Reformprojekte ging, etwa bei der Steuerreform93 oder in der Bildungspolitik94. Der Bevollmächtigte fürchtete um kirchliche Kindergärten, Krankenhäuser oder Altenheime, deren finanzielle Förderung mit dem Ausbau des Sozialstaats infrage gestellt schien95. Auch die Kommunikation mit den Entscheidungsträgern wurde beschwerlicher. Hatte der Bevollmächtigte in den Regierungsjahren von CDU/ CSU regelmäßig mit den Fraktionsvorständen der Parteien geredet, so stellte die SPD nun bestimmte Personen für das Gespräch mit den Kirchen ab96. 1973 wurde ein katholisches und ein evangelisches Kirchenreferat beim Parteivorstand der SPD eingerichtet. Kunst sah das kritisch, denn für ihn verfügten die Bundestagsfraktionen über größeren politischen Sachverstand als ein einzelner Referent, mit dem man zwar reden konnte, der aber noch lange nicht die begehrte Nähe zur Macht garantierte. Der für die EKD zuständige Referent Rüdiger Reitz hatte sich zudem schon vor Antritt seines Amtes unbeliebt gemacht (Dok. 58). Auf der EKD-Synode in Berlin-Spandau im November 1974 beklagten die Synodalen erstmals das Abrücken staatlicher Stellen von der eingeübten partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Wenn auch auf oberster Ebene keine Schwierigkeiten bestanden, so trat doch überall sonst an Stelle des Dialogs ein Regelungsanspruch des Staates97. Dem entsprach die Klage Kunsts in seinem Bericht vom 31. Januar 1975: „Früher wurden die Minister in viel höherem Maße als jetzt von sich aus tätig und gingen auf uns zu. Jetzt müssen wir Sorge tragen, daß das Miteinander nicht abbröckelt.“98 Ganz offensichtlich bestand eine Diskrepanz zwischen der SPD-Parteiführung und ihrem Personal, wenn es um die Wertschätzung der Kirchen ging. Während die Führungsebene der Partei die Kirchen und ihre staatsrechtlich 93 1971 wies Kunst den Rat auf die Diskussionen innerhalb der SPD über das Ende der Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer hin. Dies hätte einen tiefgreifenden Einschnitt in die privilegierte Rechtsposition der Landeskirchen innerhalb des Steuersystems bedeutet; vgl. den Bericht vom 7./8. 7. 1971 (Dok. 47). 94 Vgl. den Bericht vom 1./2. 7. 1973 (Dok. 58), Anm. 12. 95 Vgl. „Bemerkungen BK [Bundeskanzler, D. P.] während des Klausurgesprächs Ev. Kirche/SPD am 6. 10. 1973 in Bonn“ (EZA Berlin, 87/655). 96 Für das Gespräch mit der katholischen Kirche stand Bundesverkehrsminister Georg Leber zur Verfügung, für die evangelische Kirche der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erhard Eppler; vgl. den Bericht vom 29. 7. 1970 (Dok. 42). 97 Vgl. Greschat, Protestantismus, 140. 98 EZA Berlin, 742/8.

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verankerten Privilegien schützte, mangelte es bereits in den unmittelbar darunter liegenden Stellen der Macht an Verständnis für die Rolle der Kirchen im Staat. Die SPD-Spitze aber blieb auch weiterhin an der Zusammenarbeit mit den Kirchen interessiert. Am 1. Februar 1975 legte der SPD-Vorstand den Entwurf eines ökonomisch-politischen „Orientierungsrahmens“ für die Jahre 1975 bis 1985 vor99. Umgehend leitete der Parteivorsitzende Brandt das Papier an Kunst weiter und bat diesen, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen100. Die Kirchen sollten die SPD in ihrem Kampf um eine sozialere und menschlichere Gesellschaft unterstützen. Dabei ging es vor allem um die Präzisierung der „Grundwerte“ aus dem christlichen Glauben heraus. „Ein vergleichbarer Vorgang“ – so Kunst – sei bis jetzt nicht vorgekommen. Er attestierte der SPD eine „bemerkenswerte Bereitschaft des Hörens für unsere möglichen Einsprüche“ (Dok. 66). Dennoch hatte er gravierende Einwände gegen das neue SPD-Programm. Die SPD – so Kunst – kranke in ihrer Programmatik immer an der „Überschätzung des Menschen und des in der Welt Machbaren“. Nicht zuletzt daran sei die Reformpolitik Brandts in einer Reihe von Bereichen gescheitert. Die Passagen über das Primäreinkommen ließen darüber hinaus die Frage aufkommen, ob man so nicht auf Anreize zum Leistungswillen der Beschäftigten verzichte. Auch als Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 die Kirchen der Bundesrepublik ausdrücklich als Institutionen anerkannte, die stabilisierend bei der Aufrechterhaltung und lebendigen Gestaltung von Grundwerten wirkten, war dies für Kunst kein Anlass zur Freude, sondern nur ein Beleg für den rapiden Wandel in den ethischen Vorstellungen der Gesellschaft, deren christliche Orientierung verloren zu gehen drohte (Dok. 75). Kunst sprach auch mit der FDP. Ende 1952 berichtete er dem Rat von einem Gespräch mit Bundesjustizminister Thomas Dehler, in dem sich beide darüber einig zeigten, dass es nicht zu einer Säkularisierung der Kirchen kommen dürfe, aber auch nicht zu einer Klerikalisierung des öffentlichen Lebens101. Seit Mitte der 1950er Jahre trafen sich Ratsmitglieder und hochrangige Repräsentanten der FDP zu wiederkehrenden Gesprächen102. Auch in der FDP gab es Kräfte, die die gemeinsamen christlich-protestantischen Wurzeln im Sinne eines „geläuterten Liberalismus“ betonten. Hinzu kam, dass das Verhältnis der

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Vgl. Ökonomisch-politischer Rahmen für die Jahre 1975–1985 (online). Vgl. das Schreiben Willy Brandts an Kunst vom 5. 2. 1975 (EZA Berlin, 87/2314). Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 5. 12. 1952 (EZA Berlin, 742/1). Das erste Gespräch mit Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion fand im Hause Kunsts zusammen mit SPD-Abgeordneten am 17./18. 1. 1955 statt. Weitere Gespräche folgten Anfang Februar 1962, am 12. 2. 1965, 20./21. 6. 1966, 22. 4. 1970, 16. 5. 1973, 23. 4. 1974, 4. 9. 1974; vgl. Esch, Kirche 141, 145, 149; und die Berichte vom 8. 2. 1962 (Dok. 18), 15./16. 2. 1973 (Dok. 57) und 20./21. 9. 1974 (Dok. 64).

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FDP zum Katholizismus als zerrüttet galt und die überwiegende Mehrheit der Parteimitglieder zumindest formal der evangelischen Kirche angehörte103. Letztlich aber überwogen die Gegensätze zwischen EKD und FDP104. Dies zeigte sich z. B. in der Diskussion um die „Ostdenkschrift“ der EKD, in der die FDP der Evangelischen Kirche vorwarf, diese mische sich zunehmend in die Politik ein. Der christliche Laie könne „irgendwann nicht mehr unterscheiden“, ob die Kirche als Verkünderin des Wortes oder als Gruppe der pluralistischen Gesellschaft auftrete, was auf lange Sicht zu ihrem Bedeutungs- bzw. Authentizitätsverlust führen würde105. In diesem Kontext verwies Kunst auf Umfragen, die belegten, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gegen die Kirchen gewendet hatte. „Überzeugung des Volkes bei Umfragen: hoher Einfluß der Kirchen. Starker Hass gegen Kirche wie seit 1945 nicht mehr“, lautete die Notiz für den Ratsbericht im Dezember 1965106. Im Wahlkampf 1969 forderte die FDP die Abschaffung der „staatlichen Kirchensteuer“ und eine Kirchensteuererhebung ohne staatliche Hilfe – eine Forderung, die auch von Kreisen der kirchlichen Linken geteilt wurde (Dok. 31). In der FDP hielt man den Zeitpunkt für gekommen, die „sachliche Unabhängigkeit“ von Kirche und Staat zu sichern. Die Mehrheit der Kirchenvertreter betrachtete dies als reinen Populismus, mit dem die FDP die „Welle der weithin hörbaren Kritik an den Kirchen“ ausnutzen wolle107. Doch die Forderung der FDP nach einer klaren Trennung von Kirche und Staat blieb ein Dauerthema. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Diskussionen mit dem Papier der Jungdemokraten „Liberalismus und Christentum“108 im Januar 1973, dessen Thesen Eingang fanden in das Kirchenpapier „Freie Kirche im freien Staat“, das am 1. Oktober 1974 auf dem Bundesparteitag der FDP beschlossen wurde. Doch weder Willy Brandt noch sein Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers, Helmut Schmidt, waren bereit, einen Streit mit den Kirchen zu riskieren und so blieb das Kirchenpapier der FDP politisch irrelevant109. Solchermaßen durch die Regierung geschützt, hielt sich der Rat der EKD seinerseits mit Angriffen auf die FDP zurück (Dok. 64). Kunst berichtete indes weiterhin über die in seinen Augen eher nutzlosen Gespräche mit der FDP (Dok. 57, 59, 64, 66, 75). Für ihn hatten die Forderungen aus dieser Partei vor allem deshalb Bedeutung, weil sie eine in der Gesellschaft verbreitete, antikirchliche Stimmung zum Ausdruck brachten.

103 Vgl. Esch, Kirche, 140 f. 104 Vgl. ebd., 142–149. 105 So die Kritik des nordrhein-westfälischen FDP-Landesvorsitzenden Willi Weyer auf der gemeinsamen Tagung von FDP und EKD-Vertretern am 20./21. 6. 1966; vgl. ebd., 146 f. 106 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 8. 12. 1965 (EZA Berlin, 742/2). 107 Höhler, Brief, 3 f. In der Ratssitzung am 29./30. Mai 1969 wurde Kunst gebeten, mit der FDP über deren Wahlkampf zu sprechen; vgl. den Bericht vom 25. 9. 1969 (Dok. 38). 108 Vgl. Greschat, Protestantismus, 135–140. 109 Vgl. Esch, Kirche, 442.

Militärbischof im Nebenamt

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„Nicht täuschen, auf wie mannigfachem Boden diese Saat fruchtbar aufgeht“, notierte er für seinen Lagebericht am 12. Januar 1968 (Dok. 59).

5. Militärbischof im Nebenamt In den ersten Jahren der Bundesrepublik war die Einstellung ihrer Bürger zur Wiederbewaffnung äußerst kritisch. Laut einer Emnid-Umfrage von 1950 zeigte die überwältigende Mehrheit der Bundesdeutschen keine Bereitschaft, sich selbst zu verteidigen110. Diese Stimmung überschattete die Arbeit Kunsts in seinem Nebenamt als Militärbischof. Rückblickend auf die ersten zehn Jahre seiner Amtszeit stellte er fest: „Gewollt hat niemand die Bundeswehr“. Vielmehr hätten alle lieber weiterhin für die Besatzungsmächte gezahlt als für eine eigene Armee. In der Bevölkerung herrsche ein tiefes Misstrauen gegen Soldaten (Dok. 29). Als Kunst 1956 an die Spitze der evangelischen Militärseelsorge trat – ein Amt, für das er sich mit der Aushandlung des Staatsvertrages zwischen Bundesrepublik und EKD zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge qualifiziert hatte – war die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung zwar gestiegen, doch erfreuten sich ihre Gegner – darunter zahlreiche evangelische Pfarrer aus den bruderrätlichen Kreisen um Martin Niemöller und Gustav Heinemann – großer medialer Aufmerksamkeit. Zudem befand sich die Bundesrepublik zu dieser Zeit in einer heftigen Kontroverse um die atomare Ausrüstung der Bundeswehr111. Kunst versuchte die Militärseelsorge aus dieser Polarisierung herauszuhalten, indem er sie in den Kontext einer evangelischen Friedensethik stellte. Er machte sogar die wissenschaftliche Analyse der Militärseelsorge zur Bedingung für die weitere Ausübung seines Amtes als evangelischer Militärbischof112. Weitere Impulse Kunsts in diese Richtung folgten – so etwa die „Heidelberger Thesen“ in „Atomzeitalter – Krieg und Frieden“ von 1959, die sowohl den Militärdienst als auch dessen Verweigerung für legitim erachteten (Komplementaritätsthese). Dies ermöglichte es der tief zerstrittenen EKD, ihre Position im Sinne eines Ausgleichs zwischen Gegnern und Befürwortern der westdeutschen Verteidigungspolitik, insbesondere in Bezug auf das Konzept der atomaren Abschreckung, zu formulieren113. Indes konnten alle Bemühungen, die Bundeswehr in den Kontext der Friedenssicherung zu stellen, die Angriffe auf die Militärseelsorge nicht verhindern. Wiederholt kreisen die Berichte Kunsts um die „Bösartigkeit der 110 111 112 113

Vgl. Geyer, Angst, 274. Vgl. ebd., 278; und Ehlert, Interessenausgleich, 47. Vgl. Lepp, Think Tank, 113. Vgl. ebd., 113–115.

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Verleumdung“ der Militärseelsorge durch linke Studentenpfarrer oder durch Kriegsdienstverweigerer und der sie beratenden Pfarrerschaft (Dok. 16). Auch wenn es sich bei diesen immer noch um eine kirchliche Minderheit handelte, entstand doch vielfach der Eindruck, dass hier eine Minderheit für die ganze EKD sprach. Überall werde der Eindruck erweckt, dass die wahren Jünger Jesu Kriegsdienstverweigerer seien, stellte Kunst in seinem Bericht vom 4. Juli 1963 fest. Die Soldaten hingegen stünden als räudige Schafe da und hätten das Gefühl, die evangelische Kirche wolle sie nicht114. Als es 1960 um die Novellierung des Wehrgesetzes ging, trafen einander ausschließende Auslegungen des Grundgesetzes hart aufeinander. Während die CDU/CSU die Wehrpflicht im Grundgesetz verankert sah und die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung nur als Ausnahme von der Regel verstehen wollte, maß die SPD dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Kriegsdienstverweigerung das gleiche Gewicht zu wie der Wehrpflicht, was in der Konsequenz eine Gewissensüberprüfung überflüssig gemacht hätte. Vor diesem Hintergrund verwies Kunst den Rat der EKD auf das politische Agieren der Organisationen der Kriegsdienstverweigerer, die in seinen Augen die Gewissensüberprüfung ad absurdum führten, die Soldaten beleidigten und die Militärseelsorge „in der widerlichsten Weise“ angriffen. Dies – so empörte er sich – verstoße gegen die Spielregeln der Demokratie115. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre spitzte sich die Situation weiter zu. Gruppen von Kriegsdienstverweigerern wandten sich mit Flugblattaktionen an Soldaten, die in ihre Kasernen zurückkehrten, entrollten rote Fahnen und riefen über den Zaun. In einem Fall entwaffneten sie sogar Posten, berichtete Kunst 1964. Er erläuterte, wie schwierig es für die Bundeswehr schon immer gewesen sei, sich eines kritischen Urteils über die Kriegsdienstverweigerung zu enthalten, umgekehrt aber würden Soldaten von den Kriegsdienstverweigerern heftig angegriffen. Zudem würden sie auch noch durch kirchliche Beratungsstellen unterstützt, klagte er (Dok. 36). Sein Versuch, Militärseelsorge und Kriegsdienstverweigerung miteinander zu versöhnen, scheiterte auf ganzer Linie. Denn auch nationalkonservative Protestanten machten gegen den Militärbischof mobil. Sie beschuldigten die Militärseelsorge der EKD „Seite an Seite mit der heimatlosen Linken“ zu marschieren und forderten offen deren Abschaffung. Rechtskonservative Autoren wie der Christ- und Welt-Redakteur Hans Georg von Studnitz warfen der EKD Schizophrenie vor. Sie könne sich nicht – wie es in der Militärseelsorge geschehe – vom Staat finanziell aushalten lassen und gleichzeitig dazu beitragen, die Existenz dieses Staates und seiner Machtmittel in Frage zu stellen, erläuterte von Studnitz in seiner 1967 erschienenen Kampfschrift „Rettet die Bundeswehr.“116 Die Bundeswehr werde nicht zu sich selbst finden 114 EZA Berlin, 742/2. 115 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 7. 7. 1960 (EZA Berlin, 742/1). 116 Vgl. Studnitz, Bundeswehr, 121.

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– so von Studnitz – „solange auf jedem Kasernenhof trojanische Pferde stehen“ (Dok. 34). Aufmerksam verfolgte Kunst die militärischen Skandale um die „Traditionalisten“ in der Bundeswehr. So berichtete er über die „Nagold-Affäre“ vom Juli 1963, als bekannt wurde, dass es in einer Ausbildungskompanie eines Fallschirmjägerbataillons zur Misshandlung von Rekruten und einem Todesfall gekommen war117. 1964 bescheinigte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmuth Guido Heye, in einem Artikel für die Illustrierte „Quick“ der Bundeswehr eine miserable Menschenführung und einen bedenklichen Kommisston. Wie einst die Wehrmacht sei die Bundeswehr ein „Staat im Staate“, hieß es dort118. Auch die Presseenthüllungen über Gedankenspiele des Generalinspekteurs der Bundeswehr Heinz Trettner, der dem NATO-Militärausschuss vorgeschlagen hatte, Atom-Minen auf westdeutschem Boden im Grenzgebiet zur DDR anzulegen, veranlassten Kunst zu besorgten Berichten119. Zu den Angriffen von links und rechts traten Angriffe von liberaler Seite, denn die Forderungen der FDP nach Trennung von Kirche und Staat zielten auch auf die Abschaffung der staatlich garantierten Militärseelsorge120. Vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass Kunst in regelmäßigen Abständen laut vor dem Rat darüber nachdachte, das undankbare und kräftezehrende Nebenamt abzugeben (Dok. 14). 1967 bat er um die Entbindung von seinen Pflichten als Militärbischof (Dok. 31)121. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis ein Nachfolger gefunden war. Am 18. Oktober 1972 übergab Kunst das Amt an Sigo Lehming122.

6. Deutsche Teilung und Kalter Krieg 1951 bis 1961 Die ersten zehn Jahre der Lageberichte Kunsts an den Rat der EKD handelten vor allem von den außenpolitischen Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Die Außenpolitik – so hatte es Kunst gegenüber Außenminister Gerhard Schröder erklärt – sei „Motor und 117 Vgl. Die Zeit nach 1945, 86–90. 118 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 2./3. 7. 1964 (EZA Berlin, 742/2). 119 Vgl. „Trettners Minen-Spiel“. In: Der Spiegel 19 (1965), Nr. 1 vom 6. Januar 1965, 16–24; vgl. dazu Weber, Geschichte, 525 f. 120 Vgl. Kapitel I.4. 121 Vgl. das Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Militärseelsorge des Rates der EKD am 17. 3. 1967 (EZA Berlin, 2/1814). Kunst betonte gegenüber anderslautenden Gerüchten, sein einziger Grund für die Niederlegung des Amtes des Militärbischofs sei die arbeitsmäßige Überlastung, die durch die gleichzeitige Wahrnehmung der Aufgaben des Bevollmächtigten und des Militärbischofs entstehe (ebd.) 122 Vgl. das Protokoll der 68. Sitzung des Rates der EKD am 21./22. 9. 1972 (EZA Berlin, 2/8347).

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Leidenschaft“ des öffentlichen Engagements der Kirchen, da sich nur über die Außenpolitik die Kernfrage der „Teilung des Vaterlandes“ lösen lasse123. Das hieß: Alles, was in der Außenpolitik entschieden wurde, hatte unmittelbare Rückwirkungen auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Wiedervereinigung und war deshalb von elementarem Interesse für die evangelische Kirche124. Bis 1955 schilderte Kunst wiederholt die kontroversen Diskussionen über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und deren Integration in das westliche Verteidigungsbündnis. So beschäftigte sich sein erster Bericht vom 6. September 1951 mit der Aufstellung deutscher militärischer Verbände im Rahmen der von Frankreich vorgeschlagenen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie mit der kurz zuvor entstandenen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der „Montanunion“, mit der Frankreich der Bundesrepublik erstmals die Möglichkeit einräumte, gleichberechtigt an der gemeinsamen Verwaltung der Kohle- und Stahlindustrien teilzunehmen. Kunst beschrieb die beiden entgegengesetzten Positionen von Regierung und Opposition. Während für Adenauer und die CDU/CSU Europäische Verteidigungsgemeinschaft und Montanunion zu den notwendigen Vorleistungen gehörten, mit denen schrittweise die Gleichberechtigung der Bundesrepublik als souveräner Staat erreicht werden solle, stehe die oppositionelle SPD dem von Adenauer eingeschlagenen Weg zu einem vereinten Europa ablehnend gegenüber. Kunst untermauerte die Einwände der SPD mit dem Verweis auf die bisherigen schlechten Erfahrungen mit der Besatzungspolitik der Westalliierten. Am Ende betonte er aber, Regierung und Opposition seien sich darüber einig, dass es wieder Soldaten in der Bundesrepublik geben müsse und dass eine Neutralitätspolitik in der aktuellen historischen Lage nicht möglich sei. Auch der innenpolitische Kampf um die Durchsetzung des Generalvertrages 1952 wurde zum Thema seiner Lageberichte, ebenso die fulminante Bestätigung der Adenauerschen Politik der Westbindung bei den Wahlen 1953, die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch die französische Nationalversammlung 1954 sowie die kurz darauf stattfindende Londoner Neun-Mächte-Konferenz, auf der die Pariser Verträge vorbereitet wurden, die den Weg der Bundesrepublik in die Souveränität, die NATO und die Westeuropäische Union 1955 ebneten (Dok. 3, 5). Schon kurz nach dem erfolgreichen Abschluss der Pariser Verträge im Mai 1955 bemerkte Kunst eine veränderte Stimmung im politischen Bonn, wo er das Bedürfnis wahrnahm, sich zukünftig mehr den innenpolitischen Themen zuzuwenden, was zu seinem Bedauern jedoch nicht gelang. Am 26. Mai 1955 berichtete er, es werde höchste Zeit, die Außenpolitik ihrer absoluten Vor123 Schreiben Kunsts an Schröder vom 17. 11. 1961 (EZA Berlin, 87/699). 124 Dies wiederholte Kunst in seinem Kommentar zu den Bundestagswahlen 1965; vgl. den Bericht vom 7./8. 10. 1965 (Dok. 27).

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herrschaft zu entkleiden, um den drängenden innenpolitischen Problemen den ihnen gebührenden Raum zu geben. Doch genau das Gegenteil sei nach der Ratifikation der Pariser Verträge durch den Bundestag geschehen (Dok. 6). „Die Empfänge und Partys in Bonn kennen bis zur Grenze der Unhöflichkeit gegen die Damen nur außenpolitische Themen“, bemerkte er125. Es wird deutlich, dass die Auseinandersetzungen um die außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik mit erheblichen innerkirchlichen Konflikten einhergingen. Im Vorfeld der Ratifizierung der Pariser Verträge sprach Kunst über die politischen Aktivitäten evangelischer Pfarrer und machte auf deren zentrale Rolle bei der Paulskirchenkundgebung am 29. Januar 1955 aufmerksam (Dok. 6). Hier protestierten die Gegner der Wiederbewaffnung aus der politischen Linken gemeinsam mit den bruderrätlichen Kreisen der EKD gegen die sich abzeichnende Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Verteidigungsbündnis und forderten, dass die Wiedervereinigung Vorrang vor der Einbindung in die militärischen Blöcke haben müsse, wenn sie nicht völlig unrealistisch werden solle126. Auch Kunst, der für eine Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Verteidigungsbündnis eintrat, begann sich um die Möglichkeit der Wiedervereinigung zu sorgen, die nun bei den westlichen Bündnispartnern an Bedeutung verlor. Diese Sorge bewege alle Politiker, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, erläuterte er kurz vor der Ratifizierung der Pariser Verträge (Dok. 6). Die stete Sorge Adenauers, die beiden Supermächte könnten sich auf Kosten der Wiedervereinigung Deutschlands auf eine friedliche Weltordnung verständigen, trieb auch Kunst um. Die sich seit dem Tod Stalins 1953 ankündigende Phase der Entspannungspolitik zwischen den beiden Großmächten verunsicherte ihn. Vor dem Rat berichtete er über die Ängste und das tiefe Misstrauen Adenauers gegenüber Moskau, aber auch gegenüber Washington, etwa als der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower in einer Rede vom April 1953 Vorschläge machte, die das Wettrüsten mit der Sowjetunion beenden sollten (Dok. 3). Die Gefahr eines US-amerikanischen Truppenrückzugs aus Europa war – so schien es – allgegenwärtig127. Die Lageberichte zeugen davon, dass Kunst diese Befürchtungen teilte. Bereits 1956 stand für Kunst fest, dass der „Anticharakter“ der beiden Blöcke nicht mehr an erster Stelle in der Weltpolitik stand und die Wiedervereinigung ein bloßes „Deklamationsobjekt“ zu werden drohte (Dok. 7). Das Schreckbild einer sowjetisch-amerikanischen Annäherung wurde konkret, als die Amerikaner gemeinsam mit der Sowjetunion während der Suez-Krise im 125 Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 26. 5. 1955 (EZA Berlin, 742/1). 126 So Helmut Gollwitzer in seiner Rede in der Paulskirche am 29. 1. 1955 „Der ,deutsche Teig‘ muß zur deutschen Unruhe werden“; Abdruck in: Rettet Einheit, Freiheit, Frieden! Gegen Kommunismus und Nationalismus!, 6. 127 Vgl. Thoss, Doppelkrise, 579 f.

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Oktober desselben Jahres eine scharfe UN-Resolution gegen Frankreich, Israel und Großbritannien durchsetzten und diese zum Rückzug aus den bereits eroberten Gebieten Ägyptens zwangen128. Möglicherweise, so erläuterte Kunst, müsse man vor dem Hintergrund der hier sichtbar gewordenen Verständigung eine Neutralisierung Deutschlands befürchten, was „zwangsläufig eine starke Beschränkung des deutschen Heeres bringen“ würde, sodass „wir den Russen unmittelbar gegenüberstehen ohne die Gegenwart amerikanischer Truppen.“ (Dok. 8)129 1959 prognostizierte Kunst in einer Zwischenbilanz über die Genfer Außenministerkonferenz – der letzten internationalen Konferenz, auf der sich die vier Siegermächte mit der Deutschlandfrage befassten – das völlige Verschwinden der Wiedervereinigung von der Agenda130. Darin war er sich mit Spitzenpolitikern der SPD wie Carlo Schmid einig. Dieser hatte nach seinem Moskaubesuch im März 1959 erklärt, dass sich die Erwartung Adenauers, die Sowjetunion könne den Rüstungswettlauf mit den USA nicht durchhalten und werde daher in der Frage der deutschen Einheit nachgeben, nicht erfüllt habe und die Wiedervereinigung folglich nicht mehr im Zentrum der Weltpolitik stehe131. Am 23. April 1959 diskutierte Kunst den Deutschlandplan der SPD sowie den Plan des polnischen Außenministers Adam Rapacki zur Demilitarisierung Deutschlands, Polens und der Tschechoslowakei (Dok. 12). Beide Konzepte zielten auf die Wiedervereinigung im Rahmen einer langfristig angelegten Neutralisierung Mitteleuropas. Für Kunst jedoch war klar, dass solche Pläne keinerlei Bedeutung mehr haben konnten. Für ihn lag die Wiedervereinigung zu diesem Zeitpunkt bereits in utopischer Ferne132. Ende der 1950er Jahre ging es für Kunst nur noch darum, die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Ost und West auszuloten. Die Botschaften – so erläuterte er – glaubten ohnehin nicht an große Pläne, sondern nur an kleine Schritte. Man müsse prüfen, unter welchen Bedingungen die Sowjetunion bereit sei, in eine Humanisierung der Verhältnisse in der DDR einzuwilligen (Dok. 12). Diese schon 1959 skizzierte ,Politik der kleinen Schritte‘ bestand darin, nicht gegen, sondern im Einvernehmen mit den kommunistischen Machthabern die Situation für die Menschen in der DDR zu verbessern. Damit 128 Vgl. ebd., 584 f. Ein neues Klima der „Entspannung“ zwischen den USA und der Sowjetunion hatte sich bereits auf der Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 angekündigt. Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund einer von Jahr zu Jahr eskalierenden atomaren Wettrüstung der beiden Supermächte; vgl. Judt, Geschichte, 281. 129 Zu den Befürchtungen einer Neutralisierung Deutschlands vgl. Thoss, Beitritt, 148; und Köhler, Adenauer, 857 f. 130 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 11./12. 6. 1959 (EZA Berlin, 742/1). Die von Kunst angesprochene Gipfelkonferenz der Vier Mächte fand am 16. 5. 1960 in Paris statt, scheiterte allerdings; vgl. Konferenzen und Verträge II, Bd. 4 B, 1–6. 131 Vgl. Schmid, Erinnerungen, 655. 132 Vgl. Judt, Geschichte, 567.

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nahm Kunst das Konzept vom „Wandel durch Annäherung“ vorweg, das 1963 durch einen Vortrag des SPD-Politikers Egon Bahr in der Evangelischen Akademie Tutzing bekannt wurde und heute als frühe Ankündigung eines Strategiewechsels in der Deutschlandpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt verstanden wird133. Trotz dieser bereits früh an die politischen Realitäten angepassten Perspektive Kunsts auf die Deutschlandpolitik blieb sein Misstrauen gegen den Ostblock und insbesondere gegen die DDR bestehen. Dies zeigt sein Bericht vom 4./5. Februar 1960, in dem es um die auffällige Summierung antisemitischer Hetzparolen und Hakenkreuzschmierereien auf Synagogen und jüdischen Friedhöfen zu Beginn des Jahres ging (Dok. 13). Die antisemitischen Ausschreitungen standen im historischen Kontext der breiten Diskussion über den Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 sowie über den Eichmannprozess, der 1961 begann, und galten vielen als Beleg für ein Aufleben des Judenhasses in der Bundesrepublik, was weltweit für Empörung sorgte. Kunst mutmaßte hinter den Vorgängen eine Kampagne Ostberlins, die das Ziel verfolge, eine antideutsche Stimmung auf der nächsten Gipfelkonferenz in Genf zu erzeugen134. In den gleichen Kontext stellte er die Vorwürfe gegen den ehemaligen Nationalsozialisten und amtierenden Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Theodor Oberländer135. Der vergangenheitspolitische Umgang mit dem Nationalsozialismus bedurfte allerdings auch einer Perspektive, die über den Kontext des Kalten Krieges hinaus ging. So wurde der Eichmannprozess in Jerusalem 1961 Gegenstand einer ausführlichen Kommentierung Kunsts vor dem Rat. Dabei blickte er vor allem auf die Rezeption des Prozesses in Deutschland. Noch niemals, so kommentierte Kunst, habe er in den vergangenen zwölf Jahren einen solchen Unterschied zwischen den Ansichten des „offiziellen Deutschlands“ und der Bevölkerung bemerkt. Gegen das, was nicht in den Zeitungen stehe, seien die Schmierereien an Weihnachten 1959, die damals die Welt erregten, „lächerlich und harmlos“ (Dok. 13). Zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehe er wieder echten Antisemitismus in Deutschland. Grund dafür sei die Kette von Prozessen gegen Täter aus der NS-Zeit sowie die Unruhe, die vom Ulmer Einsatzgruppenprozess und dem Auschwitzprozess in Frankfurt ausgehe. Verständnisvoll meinte er: „Es ist, als ob sich das Volk wehrt, es kann nicht mehr täglich diese Beschreibungen und Bilder der fürchterlichsten Scheußlichkeiten ertragen“ (Dok. 15). Den Rat bat er zu prüfen, „was wir tun können“ und mahnte: „Wir sollten nicht zuviel Zeit verlieren, die Gewissen werden nicht wacher, sondern stumpfer und ver133 Vgl. Bahr, Wandel (online). 134 Kunsts Vermutungen werden durch den Historiker Hans-Peter Schwarz gestützt. Laut Schwarz lagen Adenauer Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor, die eine Beteiligung der Stasi bei den Hakenkreuzschmierereien belegten; vgl. Schwarz, Adenauer, 529. 135 Vgl. Lemke, Kampagnen, 160–162.

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stockter. Die Liebe Christi kennt noch etwas anderes als im Predigen die Sünde vorhalten“136. Offenbar wehrte sich Kunst gegen eine allzu schonungslose Aufklärung des Holocaust in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Interessant ist diese Position vor allem im Kontext der jüngst veröffentlichten Recherche von Willi Winkler und Bettina Stangneth, die belegt, dass es Kunst war, der 1959 den entscheidenden Hinweis an den ermittelnden hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gab, der zur Ergreifung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst Mossad führte137.

7. „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke 1962 bis 1969 Die Erkenntnis Kunsts, dass die Wiedervereinigung Deutschlands auf kurze Sicht keine Chance hatte, sollte sich in den folgenden Jahren verfestigen138. Das Nichteingreifen der USA beim Bau der Berliner Mauer im August 1961 hatte deutlich gemacht, dass die Amerikaner keinen Krieg riskieren würden, um Berlin für den Westen offenzuhalten. Weltpolitisch gesehen stabilisierte die Mauer die beiden antagonistischen Blöcke und wirkte in Richtung einer „friedlichen Koexistenz“139. Die fortschreitende atomare Aufrüstung machte einen möglichen Weltkrieg zwar gefährlicher, aber auch unwahrscheinlicher. Anfang 1962 erkannte Kunst Anzeichen für ein Tauwetter zwischen den Großmächten. Grund dafür sei – so erläuterte er –, dass niemand einen Atomkrieg wolle (Dok. 18). Dennoch blieb seine Fokussierung auf das zweigeteilte Deutschland weiterhin zentral, zumal der Bau der Mauer die Teilung der EKD in greifbare Nähe rückte. Auch fielen nach dem Mauerbau kirchliche Mitarbeiter in der DDR 136 Der Rat kam dieser Aufforderung nicht nach. Lediglich die Synode der EKD hatte sich im Vorfeld des Eichmann-Prozesses geäußert; vgl. KJ 88 (1961), 43. 137 Stangneth / Winkler, Eichmann, 12. 138 Kunst erklärte 1968, dass er zu seinen Lebzeiten nicht mehr mit der Wiedervereinigung rechne; vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 12. 1. 1968 (EZA Berlin, 742/2). 139 Mit dem politischen Schlagwort von der „friedlichen Koexistenz“ hatte sich die KPdSU auf ihrem XXII. Parteitag 1961 vom Dogma der Unvermeidbarkeit der Kriege zwischen dem kommunistischen und dem kapitalistischen System verabschiedet und war zum Konzept Lenins von der Anerkennung zweier zeitweilig nebeneinander bestehender, antagonistischer Gesellschaftssysteme zurückgekehrt. Da dieses Konzept jedoch als eine besondere Form des Klassenkampfes zwischen Kapitalismus und Sozialismus verstanden wurde, war es zunächst völkerrechtlich hoch umstritten. Gleichwohl wurde das Konzept der „friedlichen Koexistenz“ von westlicher Seite für die christlich-europäische Rechtstradition vereinnahmt. 1972 erkannten die USA in einer gemeinsamen Erklärung mit der Sowjetunion die „friedliche Koexistenz“ als einzige Grundlage für die Beziehungen zwischen beiden Staaten an. In der vorliegenden Darstellung dient der Begriff der Beschreibung der Anfang der 1960er Jahre einsetzenden politischen Entspannungsphase zwischen den beiden Machtblöcken im Kalten Krieg; vgl. Wilkens, Koexistenz, 1325 f.; auch Kunzmann, Koexistenz, 742–744, 747.

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einer Verhaftungswelle zum Opfer, die in der Folge zahlreicher Fluchtversuche aus der DDR einsetzte140. Vor diesem Hintergrund ergaben sich neue Aufgaben für die innerdeutschen Aktivitäten des Bevollmächtigten. Im August 1964 berichtete Kunst erstmals über die kirchlich organisierten und finanzierten Häftlingsfreikäufe, das sogenannte Kirchengeschäft B. In diesen Kontext gehörten auch Fragen des Passierscheinabkommens, der Härtefälle, der Familienzusammenführung und des Gefangenen- und Agentenaustausches zwischen Bundesrepublik und DDR, die sich je nach politischer Großwetterlage unterschiedlich schwierig gestalteten (Dok. 32)141. Kunsts Bemühungen galten zunächst der eigenen Kirche und ihren Mitgliedern. Nach dem ersten erfolgreichen Freikauf von 45 Häftlingen im Sommer 1964 aus der DDR, bei dem die EKD 1,45 Millionen DM bezahlte, informierte Kunst die Bundesregierung über diese kirchlich verantwortete Aktion, woraufhin beschlossen wurde, dass alle weiteren Häftlingsfreikäufe vom Bund bezahlt und verantwortet werden würden142. Doch nachdem Meldungen über die Häftlingsfreikäufe an die Presse gelangt waren, entschied man, die Häftlingsfreikäufe zwar staatlich zu finanzieren, aber weiterhin über die Kirchen abzuwickeln143. So sprang der Bevollmächtigte der EKD für den Staat ein, indem er jegliche politische Belastung von der Regierung fernhielt und gleichsam unter dem Radar der offiziell nicht bestehenden diplomatischen Beziehungen zwischen DDR und Bundesrepublik die Verhandlungen übernahm144. Seit 1967 hätte es eigentlich keiner kirchlichen Vermittlung im Geschäft mit den Häftlingen mehr bedurft, da die Bundesregierung von ihrem Grundsatz abgerückt war, nicht mit Amtsträgern der DDR zu verhandeln. Dennoch wurden die finanziellen Transaktionen weiterhin über Kunst und das Diakonische Werk durchgeführt. Im Gegenzug versorgten die Verhandlungsführer der Bundesrepublik Kunst mit Informationen und setzen sich mit Nachdruck für die von kirchlicher Seite benannten Gefangenen in der DDR ein145. Über die gesamte Berichtsphase blieb der Ost-West-Konflikt der Kompass für Kunsts politischen Blick auf die Welt. Kaum ein außenpolitisches Thema, das nicht als Teil dieser Auseinandersetzung wahrgenommen und in seiner Konsequenz für das zweigeteilte Deutschland diskutiert wurde. Selbst der 140 Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 80 f. 141 Vgl. die Berichte Kunsts für den Rat der EKD vom 26. 8. 1964 und 5. 5. 1965 (EZA Berlin, 742/ 2); und vom 29. 5. 1969 (Dok. 38). 142 Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 93 143 Vgl. ebd., 93, 106 f.; vgl. dazu den Bericht Kunsts für die „Vertrauliche Ratssitzung“ am 21./ 22. 9. 1972 (Dok. 55). Bis Mitte des Jahres 1964 stellte das Diakonische Werk die Häftlingslisten für die bundesdeutsche Seite zusammen. Ab Juli 1964 übernahm das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen die Zusammenstellung der Häftlingslisten; vgl. Hammer, Bemühungen, Bd. 1, XI. 144 Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf 112. 145 Vgl. ebd., 113 f.

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chinesisch-indische Grenzkrieg im Herbst 1962 bekam in diesem Kontext Bedeutung: „Alle weltpolitischen Ereignisse lösen Fragen und Hoffnungen für die Zone aus. Peking nach wie vor auf Lenin-Stalin-Kurs; wenn Novotny´ gehen muß, ist in Moskaus Herrschaftsbereich Ulbricht der letzte Stalinist“, räsonierte Kunst gegenüber dem Rat (Dok. 21). Auch wenn Kunst eine baldige Wiedervereinigung für unwahrscheinlich hielt, blieb sie doch ein zentrales Argument in seinen politischen Stellungnahmen. Dies betraf vor allem seine Haltung zur Frage der Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen mit Israel. Im August 1964 versuchte er den Rat davon abzubringen, bei der Bundesregierung für den Botschafteraustausch mit Israel zu votieren. Die Bundesrepublik müsse fürchten, argumentierte er, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel die deutsche Teilung zementiere, da die arabischen Staaten in diesem Fall umgehend die völkerrechtliche Anerkennung der DDR aussprechen würden146. In Bezug auf Israel ging es für Kunst um zwei grundsätzlich verschiedene ethische Positionen: zum einen um den nationalen Wert der Wiedervereinigung, zum anderen um eine „ethisch rigoristische Meinung“, mit der er auf eine universelle Ethik anspielte, deren Maßstab nicht das Wohl der eigenen Nation war. Eine solche Ethik werde – so Kunst – z. B. von Carlo Schmid vertreten, der in der historisch-moralischen Schuld Deutschlands gegenüber Israel das entscheidende Argument für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel sehe – selbst dann, wenn dies mit Nachteilen für Deutschland verbunden sei147. Die Nachteile eines Botschafteraustausches mit Israel lagen für Kunst auf der Hand, denn es war zu erwarten, dass die arabischen Staaten mit der Anerkennung der DDR reagieren würden und damit das Staatsziel der Wiedervereinigung in noch weitere Ferne rückte. Doch 1964 konnte Kunst mit diesem Argument keine Mehrheit mehr hinter sich versammeln. Der Rat gab der – von Kunst diskreditierten – „ethisch-rigoristischen“ Haltung den Vorzug und riet der Bundesregierung zum Botschafteraustauch mit Israel148. Am 12. Mai 1965 nahmen Israel und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf149. Andere europäische Länder gerieten vor allem dort in den Blick, wo es – wie im Falle Polens – um die Verbesserung der Beziehungen zur östlichen Hemisphäre ging oder wenn sich – wie in Italien 1963 – ein kommunistischer Wahlsieg abzuzeichnen schien. Besorgt fragte Kunst: „Liegt das nur an lokalen Ereignissen, wie die Korruptheit der Administration in Italien oder ist hier eine politische Welt auf dem Abmarsch vor der gänzlichen Säkularisation in der Politik oder vor einem Neuerstarken des Sozialismus?“ (Dok. 23) 146 Vgl. Gronauer, Staat, 185–187; und den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 26. 8. 1964 (EZA Berlin, 742/2). 147 Vgl. ebd. 148 Vgl. Gronauer, Staat, 187. 149 Vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 111–118.

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Ansonsten war der Blick Kunsts auf die Außenpolitik stark von einer militärischen Perspektive bestimmt – etwa 1963, als er die Pläne für eine multilaterale Atomstreitmacht vor dem Rat erörterte (Dok. 22). 1964/65 sprach Kunst über die Bedeutung des Zypernkonfliktes für die Bundeswehr, die Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel und über Fragen der atomaren Aufrüstung (Dok. 24, 26). Im September 1969 erläuterte er ausführlich die Lagerung von B und C-Waffen in US-amerikanischen Waffendepots auf bundesdeutschem Boden (Dok. 38). Dies war bekannt geworden, nachdem auf der Insel Okinawa Nervengas aus einem US-Armeedepot ausgetreten war und 25 US-Soldaten verletzt hatte150. Kunst untermauerte seinen kritischen Bericht vor allem mit dem Verweis auf den Einsatz chemischer Kampfstoffe im Vietnamkrieg durch die USA. Ein wichtiger Punkt auf der politischen Agenda Kunsts war die Entwicklungspolitik, welche die Kirchen bereits gegen Ende der 1950er Jahre als neues Arbeitsfeld entdeckt hatten151. 1962 wurde Kunst Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe, deren Aufgabe es war, öffentliche Haushaltsmittel der Bundesregierung zur Förderung entwicklungswirksamer Vorhaben zur Verfügung zu stellen152. Im Laufe der folgenden Jahre verschob sich die kirchliche Sicht auf die Entwicklungspolitik dramatisch. 1968 verständigte man sich auf der Vollversammlung des ÖRK in Uppsala auf das Ziel, die strukturellen Abhängigkeiten in der Weltwirtschaft zu überwinden und durch eine gerechtere Weltwirtschafts- und Währungsordnung zu ersetzen153. An die Stelle der diakonischen Ausrichtung weltweiter kirchlicher Hilfen sollte eine entwicklungspolitisch engagierte Kirche treten, d. h. eine politische Kirche, die sich für eine grundsätzliche Änderung des Welthandels einsetzte (Dok. 31). Dieser Paradigmenwechsel wurde von der vom 6. bis zum 11. November 1968 in Spandau stattfindenden EKD-Synode bestätigt154. Die Kirchen waren angehalten, ihre politische Lobbyarbeit in diesem Sinne zu verstärken und ihre finanziellen Beiträge für die Entwicklungspolitik zu erhöhen155. Auch sollten sie mit einer neuen „Volkspädagogik“ dazu beitragen, ein Bewusstsein in den Industriestaaten zu schaffen, aus dem heraus die Weltwirtschaft im Sinne gerechterer Strukturen, die sich zugunsten der „Dritten Welt“ auswirkten, verändert werden konnte. In diesem Kontext schlug Kunst die Bildung einer EKD-Kammer vor, in der ökumenische Aufgaben im Bereich der Entwicklungspolitik bearbeitet werden sollten156.

150 Vgl. AAPD 1969, Bd. I, 923. 151 Vgl. Lepp, Konfrontation, 375. 152 Zu Ursprüngen und Entwicklung der Evangelischen Zentralstelle vgl. Renesse, Entwicklungszusammenarbeit, 389–392. 153 Vgl. Willems, Entwicklung, 261. 154 Vgl. Renesse, Entwicklungszusammenarbeit, 381 f. 155 Vgl. Lepp, Konfrontation, 375. 156 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 19. 9. 1968 (EZA Berlin, 742/2). Die Kammer

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Innenpolitisch beschäftigten Kunst die Wahlerfolge der NPD, in denen er – wie der Bericht vom November 1966 zeigt – allerdings kein genuines Problem der Bundesrepublik sah (Dok. 30). Vielmehr sorgte er sich um die gefährdete Reputation im Ausland und die damit verbundenen möglichen wirtschaftlichen und politischen Nachteile. Zwar konnte er im Wahlkampf der NPD durchaus Parallelen zu den Wahlkämpfen der NSDAP in der Weimar Republik erkennen, doch hielt er es für falsch, in diesem Zusammenhang von einer „Neonazipartei“ zu sprechen. Als die NPD bei den Landtagswahlen in BadenWürttemberg im April 1968 9,8 % der Wählerstimmen errang und damit ihren größten Wahlerfolg in der Geschichte des baden-württembergischen Landtages erzielte, machte Kunst den Rat darauf aufmerksam, dass es mehrheitlich Protestanten seien, denen die NPD ihren Wahlerfolg zu verdanken habe (Dok. 36). Die NPD geriet vor allem dann in den Fokus, wenn Kunst auf die Bedrohung des Staatswesens durch eine allzu große Polarisierung der Gesellschaft hinweisen wollte. Die eigentliche Ursache für diese Bedrohung sah er jedoch bei der außerparlamentarischen Linken, gegenüber der sich der Staat in seinen Augen zu nachsichtig zeigte. So bemängelte Kunst die fehlende rechtliche Ahndung von Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung im Sommer 1968 und fügte hinzu: „Ich sage dies, weil die NPD aus diesen Vorgängen kein geringes Kapital schlägt. Selten hat es eine Partei in unserem Lande so leicht gehabt wie z. Zt. die NPD“ (Dok. 37). Insbesondere kritisierte Kunst die Pfarrer, die im Talar auf der großen Demonstration in Bonn mitmarschiert waren und dabei die Parolen der Linken kritiklos übernommen hatten. Inzwischen forderten Abgeordnete und Regierungsmitglieder Erklärungen von der Kirche, weil Pfarrer mit Schildern wie „Notstandsgesetze = Nazigesetze“ gesehen worden seien, erläuterte Kunst dem Rat. Dies habe der Kirche schweren Schaden zugefügt und man müsse befürchten, dass solche Vorgänge zu einer größeren Distanz zwischen Kirche und Staat führten, zumal bislang kein Fall bekannt sei, in dem eine Kirchenleitung diese Pfarrer diszipliniert hätte (Dok. 37). 1967 beobachtete Kunst perspektivische Verschiebungen innerhalb der Kirche in Bezug auf die historische Wahrnehmung der NS-Zeit. Deutlich wurde dies in seinem Kommentar zu den „Flensburger Vorgängen“. Drei Flensburger Pastoren und ihre Gemeinden hatten beschlossen, alle soldatischen Gedenkstätten in den Seitenkapellen ihrer Kirchen zu entfernen und ihre Thesen unter dem Titel „Gefallenenehrungen haben in Kirchen keinen Platz!“ öffentlich gemacht. Hier stand nicht mehr die deutsche Opfergemeinschaft im Mittelpunkt der kirchlichen Erinnerung an Nationalsozialismus und Krieg, sondern eine Perspektive, die sich zugunsten der Opfer der Deutschen verschoben hatte eine Entwicklung, die er auch in Bezug auf den der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst wurde 1969 gegründet; vgl. Renesse, Entwicklungszusammenarbeit, 394; und Lepp, Konfrontation, 376.

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Volkstrauertag zu sehen meinte, bei dem man lange weniger an Juden und andere KZ-Opfer gedacht habe als an die deutschen Soldaten oder die im Bombenkrieg und die in Flüchtlingszügen umgekommenen Deutschen (Dok. 31). Weitere innenpolitische Themenkomplexe in den Berichten Kunsts waren die Novellierung des Strafrechts (Dok. 27, 31, 34), die Bildungspolitik (Dok. 24, 27) und zunehmend auch der Appell an einen sittlich vertretbaren Politikstil. Dies zeigte Kunsts Bericht über die ,Spiegelaffäre‘ Ende November 1962. Der Bevollmächtigte sorgte sich schon länger um den rauen Ton in den politischen Auseinandersetzungen. Er fürchtete, wie er dem Rat erklärte, dass sich hier eine innere Verfassung der bundesrepublikanischen Gesellschaft zeige, „die wir unter allen Umständen perhorreszieren müssen“ (Dok. 21).

8. Die Neue Ostpolitik Bei seinem Regierungsantritt im Herbst 1969 hatte Bundeskanzler Willy Brandt eine selbstständigere deutsche Politik gegenüber den Verbündeten angekündigt. Damit öffnete er neue Wege in der Ostpolitik mit dem Ziel, die Teilung Deutschlands zugunsten einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu überwinden157. Die Neue Ostpolitik zielte in einem ersten Schritt auf die Aussöhnung und Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion und zu Osteuropa. Dazu gehörten die Verträge mit Moskau (1970), Warschau (1970) und Prag (1973). Ihr Kern war der gegenseitige Gewaltverzicht und die Anerkennung der durch den Zweiten Weltkrieg entstandenen Grenzen in Osteuropa. Darüber hinaus sollte das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik neu geregelt werden. Der „Grundlagenvertrag“ sah menschliche Erleichterungen für die Deutschen – vor allem im Ostteil des Landes – vor. Dies beinhaltete Handel, Kooperation in Wissenschaft, Verkehr und Fernmeldewesen sowie Erleichterungen bei Familienzusammenführungen. Mit der „Politik der kleinen Schritte“ sollte die „Mauer durchlässiger“ werden, wie es Egon Bahr, der „Architekt der Neuen Ostpolitik“, formulierte. Im Gegenzug zu Zugeständnissen der DDR sprach die Bundesrepublik die staatsrechtliche, nicht aber die völkerrechtliche Anerkennung der DDR aus. Der Abschluss des „Grundlagenvertrages“ 1972 und die Ratifizierung der Ostverträge waren die Bedingung für das Inkrafttreten des im Jahr zuvor abgeschlossenen Viermächteabkommens über Berlin, das Westberlin an die Bundesrepublik band und damit den umstrittenen Status Berlins beendete. Die deutschlandpolitischen Ziele der Bundesrepublik und der DDR blieben jedoch unterschiedlich. Während die Bundesrepublik langfristig von einem 157 Vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 168–170.

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geregelten Nebeneinander mit der DDR zu einem Miteinander innerhalb eines wiedervereinigten Deutschlands kommen wollte, zielte die DDR auf eine völkerrechtliche Festschreibung der Zweistaatlichkeit158. In seinen Berichten für den Rat kommentierte Kunst ausführlich die politischen Kämpfe um die Durchsetzung der Ostverträge Anfang der 1970er Jahre. Schließlich bildete die Deutschlandpolitik nach wie vor einen zentralen Kern seines politischen Denkens und Handelns (Dok. 42, 44, 46, 48–52, 54–57, 59). Er beschrieb die Ziele der verhandelnden Parteien, die Atmosphäre der Verhandlungen, aber auch die Rezeption durch die westlichen Alliierten, die umliegenden Ostblockstaaten, insbesondere die DDR, durch die CDU/CSUOpposition und die Vertriebenenverbände bis hin zur DKP (Dok. 48, 49). Doch zunächst stand Kunst den offiziellen Verhandlungen mit den Staaten des Ostblocks skeptisch gegenüber, denn er zweifelte an deren Vertrauenswürdigkeit. So erklärte er nach dem Abschluss des Moskauer Vertrages: „Umso enttäuschender, wie Gespräche bisher verliefen. Aber nach aller Erfahrung mit den Russen ist ihr Verhalten nicht überraschend. Es ist ihre Gewohnheit, nach einem Abschluß von vorne anzufangen, als sei nichts geschehen.“159 Immer wieder machte er deutlich, dass die Ziele der sozialliberalen Koalition eigentlich nicht kompatibel seien mit dem, was die DDR und der Ostblock wollten. Der Westen strebe nicht nur bessere Wirtschaftsbeziehungen sowie wissenschaftliche und kulturelle Kontakte an, sondern eine grundsätzliche Liberalisierung des Verhältnisses zwischen Ost und West, erklärte Kunst dem Rat. Dagegen wolle Ostberlin die wirtschaftlichen Beziehungen zwar ausbauen, strebe aber gleichzeitig ein festeres Zusammenrücken im Ostblock an. Dort verstehe man die Entspannungsbemühungen des Westens als Weg, den Ostblock auf längere Sicht aufzuweichen und zu zerstören160. Diese Perspektive zieht sich durch die gesamte Berichterstattung Kunsts über die Ostverträge161. Gerade die DDR müsse sich von jeder Art der Auflockerung und Entspannung im innerdeutschen Verhältnis bedroht fühlen, hieß es in einem Bericht über die Verhandlungen der Botschafter der vier Siegermächte über Berlin (Dok. 46). Die deutsche Öffentlichkeit unterschätze das Maß der Verfestigung, Verhärtung und das gegenseitige Misstrauen in allen den Osten und besonders die DDR betreffenden Fragen, berichtete Kunst an anderer Stelle (Dok. 44). Indes konnte er dem neuen Bundeskanzler seine Bewunderung kaum versagen. Schon mit einem einzigen Land zu einer Aussöhnung, oder besser zum Anfang einer Normalisierung zu kommen, müsse als „eine Tat von hohem Rang“ angesehen werden, urteilte er über die Ostpolitik Willy Brandts162. 158 159 160 161 162

Vgl. Wolfrum, Demokratie, 294–305. Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 14. 10. 1970 (EZA Berlin, 742/3). Kunst sprach in diesem Zusammenhang von der „Erosion des Ostblocks“ (ebd). Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 9. 12. 1970 (ebd). Vgl. ebd.

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Von großem Interesse war auch die Bundestagsdebatte im Vorfeld der Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau am 17. Mai 1972 (Dok. 50). Kunst beschrieb die Polarisierung zwischen Gegnern und Befürwortern der Verträge, aber auch den mäßigenden Einfluss, den das positive Votum der USA für die Ostverträge auf die Auseinandersetzungen zwischen Regierungsparteien und CDU/CSU-Opposition hatte163. Im März 1972 erklärte Kunst dem Rat, dass sowohl die USA als auch Frankreich kein Scheitern der Verträge wollten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte auch bei ihm – wie in Teilen der CDU – ein Umdenken eingesetzt. Nun warnte er vor dem Scheitern der Verträge im deutschen Bundestag. Denn damit, so Kunst, würde sich die Bundesrepublik außenpolitisch isolieren. Es sei kaum zu verantworten, dass die Entscheidung über die Ostverträge nur an zwei oder drei Abgeordneten hänge, ließ er den Rat wissen. Schließlich müsse das ganze Volk bezahlen, wenn es schief gehe (Dok. 49). Anfang Mai 1972 berichtete Kunst über das Scheitern des Misstrauensvotums gegen Brandt im Vorfeld der Abstimmung über die Ostverträge. Inzwischen sorgte er sich wie viele seiner Zeitgenossen um die Regierbarkeit des Landes und warnte eindringlich vor der Verunsicherung und Selbstzerstörung des Staatswesens (Dok. 52, 53)164. Dem Rat erklärte er, die SPD müsse ein gesamtstaatliches Interesse daran haben, dass die CDU nicht zerfalle, umgekehrt müsse die CDU ein gesamtstaatliches Interesse an einer gesunden, im Inneren nicht verunsicherten SPD haben (Dok. 50). Nachdem die Ostverträge infolge der Stimmenthaltung eines großen Teiles der CDU-Abgeordneten durch den Bundestag ratifiziert worden waren, konnte sich Kunst nicht enthalten, vor dem Rat einen Artikel des Chefredakteurs der Süddeutschen Zeitung Hans Heigert zu referieren, in dem dieser der CDU/CSU vorwarf, sich durch ihre parteipolitisch motivierte Stimmenthaltung aus der nationalen Verantwortung „fortgestohlen“ zu haben. Manche Politiker machten sogar historische Parallelen zum Ersten Weltkrieg geltend. Danach hatte die bürgerliche Rechte den Krieg zwar mitgetragen, aber es lieber der SPD überlassen, die Kapitulation und den Versailler Vertrag zu unterschreiben. Die SPD – so das Fazit – müsse sich nun in der Erfahrung bestätigt sehen, dass das Bürgertum die Nation ins Unglück reite und es dann der SPD überlasse, die Folgen dieses Unglücks zu verantworten (Dok. 51). Auch wenn Kunst hier nur eine SPD-nahe Meinung wiedergab, machte er doch deutlich, dass er die Ostverträge im Sinne der Staatsräson für richtig hielt und dass er von den Parteien erwartete, taktische Manöver in diesem Kontext zu unterlassen (Dok. 51).

163 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 17. 2. 1972 (EZA Berlin, 742/5). 164 Zu den Gründen für die in den 1970er Jahren verbreitete Befürchtung, die europäischen Demokratien könnten „unregierbar“ werden, vgl. Judt, Geschichte, 521; und Faulenbach, Sozialdemokratie, 295 f.

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Kurz vor der Unterzeichnung des „Grundlagenvertrages“ im November 1972 erklärte Kunst, der die Welt der Politik gewöhnlich von der religiösen Sphäre trennte, niemand dürfe ein politisches Urteil in dieser Situation ohne die Inanspruchnahme geistlicher Kategorien aussprechen und offenbarte damit den hohen Wert, den die Ostverträge für ihn hatten (Dok. 56). Doch schon bald stellten sich neue Schwierigkeiten ein. Nun sah Kunst die bislang diskret unter seiner Vermittlung ablaufenden Häftlingsfreikäufe durch Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen von Bundesrepublik und DDR gefährdet. Im September 1972 berichtete er in einer vertraulichen Sitzung des Rates, der amtierende Minister für gesamtdeutsche Fragen, Egon Franke, versuche die kirchliche Einflussnahme auf den Häftlingsfreikauf und die Familienzusammenführungen radikal zu beschneiden. „Ziemlich sicher möchte mich Franke – die Katholiken sind überhaupt nicht mehr beteiligt – vollständig ausschalten“, lautete sein Fazit (Dok. 55)165. Dass dies nicht gelang, sei einzig dem „radikalen Widerstand der DDR“ geschuldet, der sich den „guten Erfahrungen“ verdanke, die man dort seit 15 Jahren mit ihm gemacht habe – „vor allem auch in Krisenzeiten“. Auch fürchte man dort die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, sollte das Ausmaß der „Häftlingsfreikäufe“ öffentlich werden. Es sei ein Vorteil der Kirche – anders als die Bundesregierung – weithin unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung agieren zu können. Die Regierung der Bundesrepublik müsse in kritischer Situation öffentlich Rede und Antwort stehen, die Kirche brauche dies nicht, erklärte Kunst dem Rat (Dok. 55). Die „diskreten“ Verhandlungswege Hermann Kunsts blieben auch nach Abschluss des „Grundlagenvertrages“ bestehen. Dennoch wehte dem Bevollmächtigten nach Abschluss der Verträge aus der DDR ein schärferer Wind entgegen. Die DDR – so Kunst – habe nicht vor, sich von der Bundesrepublik zu Tode umarmen zu lassen. Eine Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen sei für diese erst dann möglich, wenn der prinzipielle Unterschied der Systeme allgemein anerkannt sei. Auch wenn Kunst die „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt unterstützte, machte er klar, dass damit der Kampf der Ideologien in seinen Augen noch lange nicht entschieden, sondern nur in eine neue Phase getreten war. An dieser Situation änderte sich in den folgenden Jahren nichts. Im Februar 1973 berichtete Kunst, dass nach Auffassung der Bundesregierung die Ausführung der Verträge durch die DDR mindestens an einigen Stellen hart an der Grenze der Vertragsuntreue liege. Man merke auch am „Zögern bei Entscheidungen bescheidener Art“, wie schwer sich die DDR-Führung tue (Dok. 57). Wiederholt berichtete er über Ärger und Schikanen von Seiten der DDR und wies darauf hin, dass deren Furcht vor einer Öffnung zum Westen zu einer verstärkten ideologischen Abgrenzung führe. 165 Insgesamt wendete das BMG (ab 1969 BMB) zwischen 1964 und 1990 3,4 Mrd. DM auf, um 33.000 Häftlinge freizukaufen und um 250.000 Personen im Rahmen der Familienzusammenführung zu unterstützen; vgl. Lepp, Tabu, 460.

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Analog zur Verhärtung des kommunistischen Widerparts verstärkte sich bei Kunst die Furcht, die Bundesrepublik könne den Angriffen aus der DDR nicht gewachsen sein. Schließlich könne man von einer „Wohlstandsgesellschaft“ nur „mäßige nationale und moralische Anstrengungen“ im Kampf gegen den ideologischen Gegner erwarten, argumentierte er (Dok. 57). Als der Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew im Mai 1973 der Bundesrepublik seinen ersten Staatsbesuch abstattete, argwöhnte Kunst, dass dies ein Nachlassen des „staatspolitischen Selbstbehauptungswillens“ und der „Entschlossenheit, den Kommunismus ideologisch abzuwehren“ zur Folge haben könne166. In Kunsts Wahrnehmung der politischen Welt blieb der Ost-West-Konflikt präsent. Er warnte davor, die europäische Ost-West-Entspannung mit der Entschärfung weltweiter Gegensätze zu verwechseln. Dieses „feststehende Faktum“ trete nach der Ratifizierung der Ost-Verträge sogar noch deutlicher in das Blickfeld (Dok. 59). So verwundert es nicht, dass Kunst die im Juli 1973 in Helsinki eröffnete KSZE-Konferenz äußerst kritisch beobachtete. Der Ostblock empfinde die These Bahrs vom „Wandel durch Annäherung“ als offene Kriegsdrohung, kommentierte er. Für ihn war es ausgeschlossen, dass eine Liberalisierung des Ostens herauskomme (Dok. 59). Sein Fazit war vernichtend: Die Grundthese der Bundesregierung für die Neue Ostpolitik sei falsch, weder sei die Sicherheit in Europa größer geworden noch der Frieden sicherer167. Als Brandt 1974 im Zuge der Spionageaffäre um Guillaume zurücktrat, sah Kunst einen guten Teil der Verantwortung bei der DDR und ihrer obstruktiven Politik. Diese habe – so berichtete er – in den letzten Monaten alles ihr Mögliche getan, um Zweifel an der Effizienz der Umsetzung des „Grundlagenvertrages“ aufkommen zu lassen. Er verwies auf die Verdopplung der Kosten für den Grenzübertritt, die Störungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin und die Diskussionen über die Auslegung der Bestimmungen über Berlin. Die DDR, so Kunst, habe nicht nur verhindert, die Verträge mit Leben zu füllen, sondern auch in anderen Ostblockländern, vor allem in Polen, die sich anbahnenden Regelungen gestört und verhindert (Dok. 62). Für Brandt habe dies eine herbe Enttäuschung und eine große Belastung bedeutet. Mit Blick auf die kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens, aber auch Schwedens, die in den 1970er Jahren in den Parlamenten ihrer Länder politisches Gewicht erlangten, sorgte sich Kunst auch um den sogenannten Eurokommunismus, den er wie viele Intellektuelle seiner Zeit für eine ernsthafte politische Renaissance des Marxismus hielt168. In diesem Kontext konfrontierte er den Rat mit einer Reihe von politischen Fragen: Sollte 166 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 5. 4. 1973 (EZA Berlin, 742/6). 167 Zur Bewertung der Ergebnisse der KSZE-Konferenz, die mit dem Abkommen von Helsinki im August 1975 endete, vgl. Judt, Geschichte, 570 f. 168 Vgl. ebd., 562.

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man die kommunistischen Parteien Westeuropas als „trojanisches Pferd“ des Ostens verstehen und deshalb von der Regierungsbeteiligung ausschließen oder sie an der Macht beteiligen? Und wie war es zu bewerten, wenn etwa die KPI um sozial engagierte Christen warb? Schließlich galt es zu klären, was von der politischen Zusammenarbeit von Christen, Sozialisten und Kommunisten in den Demokratien Westeuropas, den Volksrepubliken der „Dritten Welt“, in den Revolutionen gegen totalitäre Regime oder im antikolonialen Befreiungskampf zu halten sei (Dok. 67, 74).

9. Weltpolitik und Moral Ohne die Klärung der Ost-West-Frage könne die Kirche in der Nord-SüdFrage „nur provinziell tätig werden“, hatte Kunst Ende Juli 1970 dem Rat erklärt (Dok. 42). Mit der staatsrechtlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik hatte sich die Ost-West-Frage zumindest soweit geklärt, dass die Aufnahme von Bundesrepublik und DDR in die UNO im Jahr 1973 möglich wurde169. Damit eröffneten sich für beide deutsche Staaten neue Handlungsfelder in der Weltpolitik170. Vor diesem Hintergrund änderte auch Kunst seine politische Perspektive. Denn wenn der deutschen Außenpolitik kein Provinzialismus mehr erlaubt war, musste auch die EKD beginnen, über den nationalen Rahmen hinaus zu sehen und zu handeln, folgerte er. Die wachsenden politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Bundesrepublik in der Welt legten nah, dass sich auch die Kirche an den übernationalen politischen Institutionen wie der UN und der EG beteiligte und ihren Mitgestaltungsanspruch anmeldete171. Bereits 1971 überlegte Kunst, ob die EKD sich über den Ökumenischen Rat der Kirchen bei der UN vertreten lassen oder eine selbstständige Vertretung anstreben wolle. Persönlich hielt er eine Repräsentanz durch den ÖRK für „provinziell“ und plädierte dafür, selbstbewusst den eigenen Anspruch auf politische Mitgestaltung geltend zu machen, wie es auch die katholische Kirche tat172. 169 Die Aufnahme der DDR und der Bundesrepublik in die UN war bislang durch die Möglichkeit des Vetos der drei Westmächte gegen die Aufnahme der DDR und das mögliche Veto der Sowjetunion gegen die Aufnahme der Bundesrepublik blockiert worden; vgl. Wolfrum, Demokratie, 300. Am 18. 9. 1973 wurden die DDR und die Bundesrepublik in die Vereinten Nationen aufgenommen. 170 Vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 275. 171 1975 schrieb Kunst im Handbuch des Staatskirchenrechts: „Die sich verstärkenden ökumenischen Bindungen, parallel mit der immer stärker werdenden politischen Einbindung der Bundesrepublik in das große Geflecht internationaler Verpflichtungen (Europäische Gemeinschaft und UNO) verlangen über gute Beziehungen zu dem Auswärtigen Amt hinaus Kontakte mit zahlreichen diplomatischen Vertretungen in Bonn“ (Kunst, § 25, 281). 172 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 15. 12. 1971 (EZA Berlin, 742/4).

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Die neuen Möglichkeiten der EKD, den nationalen Horizont zu verlassen und in der Weltpolitik mitzureden, begeisterten den Bevollmächtigten. Gleichzeitig aber empfand er die damit einhergehenden Anforderungen als durchaus problematisch. Denn nicht nur die Bundesrepublik musste sich jetzt auf der Bühne der Weltpolitik neu positionieren, sondern auch die EKD (Dok. 60). Kunst fürchtete, in Konflikte zwischen christlich-universellen Moralvorstellungen und national orientierter Staatsräson hineingezogen zu werden. Seine evangelischen Mitstreiter warnte er davor, die Außenpolitik in Zukunft nur noch unter moralischen Aspekten zu betrachten173. Die Schwierigkeiten mit der neuen Rolle als Akteur der Außenpolitik ließen nicht lange auf sich warten. Als Portugal sich Anfang der 1970er Jahre im bewaffneten Kampf um den Erhalt seiner afrikanischen Kolonien MoÅambique und Angola befand, forderte der ESG-Generalsekretär Jürgen Hilke den Rat der EKD auf, sich gegen westdeutsche Waffenlieferungen an Portugal einzusetzen (Dok. 45). Daraufhin informierte Kunst den Rat über die Position der Bundesregierung und ihres wichtigsten militärischen Bündnispartners USA. Im Auswärtigen Amt – so legte er dar – habe er erfahren, dass die Bundesregierung immer zurückhaltender mit Waffenlieferungen geworden sei, nachdem er – Kunst – ihr Anfang der 1960er Jahre erklärt habe, dass Waffenlieferungen die „miserabelste“ und „missverständlichste Form“ der Entwicklungshilfe seien. Eindeutig fiel sein Urteil über Israel aus, gegen das Kunst sowohl die Moral als auch bundesdeutsche Wirtschaftsinteressen ins Feld führte. Hatte er im Sechstagekrieg Israel gegen Ägypten, Jordanien und Syrien im Juni 1967 noch entschieden verteidigt (Dok. 32), warf er im März 1971 der bundesdeutschen Presse vor, sie habe in den vergangenen Jahren nicht nur die Kriegsverbrechen der Amerikaner in Vietnam tabuisiert, sondern auch das Verhalten Israels in der Auseinandersetzung mit seinen Nachbarn (Dok. 46). Die im Zuge des Jom Kippur-Krieges 1973 von den arabischen Staaten ausgelöste Ölpreiskrise veranlasste ihn zu der Erläuterung, die Situation erzwinge eine Verbesserung der deutsch-arabischen Beziehungen. Er beklagte, dass man weder im Bundestag noch in der Presse die Möglichkeit erörtert habe, eine Nahostpolitik zu betreiben, die mehr als bisher dem Standpunkt der Araber zuneige (Dok. 61). Ende 1974 kommentierte Kunst die Begegnung des Rates mit Bundeskanzler Helmut Schmidt, wo man den Nahost-Konflikt diskutiert hatte. Kunst betonte zwar, dass „wir Deutschen und natürlich besonders wir Christen uns immer mit besonderer Behutsamkeit zur Israelfrage“ äußerten. Damit war aber auch schon alles Positive zum Thema Israel gesagt. Ausführlich berichtete er, was er von „unseren Diplomaten“ im Auswärtigen Amt über Israel erfahren hatte. Es folgte eine Aufzählung von Terrorakten, Grenzverletzungen und Vorwürfen über den Gebrauch chemischer Waffen. Die Israelis – so erläuterte Kunst – 173 Vgl. ebd.

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würden selbst von Diplomaten, die „chemisch rein von Antisemitismus“ seien, als „Terroristen“ bezeichnet (Dok. 65)174. Wie groß seine Sympathie für die arabischen Nachbarn Israels war, zeigen auch seine Auslassungen über das Olympia-Attentat in München 1972 durch eine palästinensische Terrorgruppe, die nach einer missglückten Geiselnahme elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft ermordete. Kunst kam erst am Ende seines Berichtes auf das Attentat zu sprechen. Die Innenpolitik der Bundesrepublik, der „Grundlagenvertrag“ mit der DDR und auch der Konflikt zwischen Uganda und Tansania gingen vor. Unmittelbar nach Bekanntwerden des „Unglücks in München“, wie Kunst den Anschlag nannte, hatte er Verbindung mit dem libanesischen Botschafter aufgenommen, weil die Mitglieder der Terrorgruppe Schwarzer September Palästinenser waren, die seit der Vertreibung der PLO aus Jordanien vom Libanon aus operierten175. Zwar wies Kunst die Ratsmitglieder darauf hin, dass die libanesische Regierung vorhabe, ihre Ablehnung der Münchener Vorgänge kundzutun, gleichzeitig aber berichtete er, der Botschafter des Libanon habe um Verständnis für die Situation der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon gebeten. Sie seien arme Leute und im Unterschied zu den deutschen Vertriebenen nicht in die libanesische Gesellschaft integrierbar. Hier entsteht der Eindruck, als habe Kunst um Verständnis für die Beweggründe der palästinensischen Terroristen werben wollen. Im Januar 1971 verfiel auch der Bündnispartner USA dem moralischen Verdikt Kunsts, der inzwischen überzeugt von der ethischen Zweifelhaftigkeit des Vietnamkriegs war. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Vorgehen der USA in Vietnam allerdings seit Jahren in ganz Europa verurteilt176. Anlass seines Berichtes war die Publikation eines Interviews aus Mark Lanes „Conversations with Americans“ im „Spiegel“. Darin erzählten US-Soldaten über ihre Ausbildung zum Foltern und die Morde an der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Nach dieser Lektüre hatte Kunst den US-Botschafter aufgesucht, um ihn zur Rede zu stellen. Mit dessen Antworten war er allerdings nicht zufrieden: „Keine präzisen Antworten, angeblich nicht ausreichend informiert“, ließ Kunst den Rat wissen. Außerdem habe der Botschafter die Seriosität der Interviews in Zweifel gezogen177. Kunst machte deutlich, dass eine Kirche wie die EKD zu solchen Berichten „schwer schweigen könne“, zumal das Thema Menschenrechte mittlerweile auf internationaler Bühne von Protestanten diskutiert werde178. Damit löste sich Kunst – wenn auch spät – von seiner 174 Vgl. Leemhuis, Aktion; und Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 116. 175 Der Name der Terrorgruppe „Schwarzer September“ spielte auf den Monat der Vertreibung der PLO aus Jordanien im Jahr 1970 an. Die Terroristen von München forderten die Freilassung von 236 „politischen Gefangenen“ in israelischen Gefängnissen sowie die Freilassung Andreas Baaders und Ulrike Meinhofs; vgl. Herf, Kriege, 181–183. 176 Vgl. Judt, Geschichte, 456. 177 Vgl. ebd. 178 Vgl. ebd.

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konformen Haltung gegenüber der Bundesregierung, die ihre Kritik gegenüber den USA und ihrer Kriegführung in Vietnam aus bündnispolitischen Gründen zurückhielt. Kurz darauf berichtete Kunst erneut über Vietnam. In Anspielung auf die Bombardierungen Südvietnams mit Napalm, die über 300.000 zivile Opfer forderten, erklärte er, es sei ziemlich sicher, dass Amerika chemische Kampfmittel in einem Ausmaß angewandt habe, „wie es unentschuldbar“ sei. Der deutschen Presse warf er vor, „diese Sache“ in den zurückliegenden Jahren tabuisiert zu haben (Dok. 46)179. Auch habe er kein Verständnis mehr für eine Kirche, die zu einem verbrecherischen Krieg schweige. Zudem fürchtete Kunst, die Verbrechen des engsten militärischen Verbündeten in Vietnam könnten die Bundeswehrsoldaten demoralisieren180. 1975 geriet Kunst in ein moralisches Dilemma, das ihn zwang, sich zwischen der eingeübten Loyalität zur Bundesregierung und moralischen Forderungen des African National Congress (ANC) und der All African Conference of Churches (AACC) zu entscheiden. Im Vorfeld der 5. Vollversammlung des ÖRK in Nairobi im November und Dezember 1975 hatte John Gatu vom AACC in einem Telegramm Rat und Synode der EKD aufgefordert, die Bundesregierung und die westdeutsche Industrie zu einem Verzicht auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Südafrika beim Bau von Atomkraftwerken zu bewegen181. Durch die Beteiligung am Bau von Atomkraftwerken – so das Argument – werde das rassistische Regime in Südafrika in die Lage versetzt, auch militärisch atomar aufzurüsten und so seine Macht zu befestigen. Der ÖRK machte sich diese Perspektive zu eigen. Zudem zirkulierten die Vorwürfe gegen die Bundesregierung auf der UN-Vollversammlung, die zu diesem Zeitpunkt in New York tagte, und fanden Eingang in die UN-Resolution 3379 „Elimination of all forms of discrimination“ vom 10. November 1975. Darin wurde der UN-Sicherheitsrat aufgefordert, den betreffenden Regierungen zu verbieten, dass Institutionen, Agenturen oder Gesellschaften auf ihrem Hoheitsgebiet Südafrika mit spaltbarem Material oder Technologie belieferten und damit das rassistische Regime in die Lage versetzten, nukleare Kapazitäten zu erlangen182. Kunst kommentierte diese Vorwürfe vor dem Rat mit der Bemerkung „Behauptung von A–Z falsch“ und verteidigte die Südafrikapolitik der Bundesregierung183. Für den Ratsvorsitzenden Helmut Claß formulierte er einen im Ton harschen Entwurf eines Antwortschreibens an Gatu. Darin hieß es u. a.: 179 Vgl. Anderson, Guide, 98. 180 In diesem Zusammenhang verwies Kunst auf den Algerienkrieg, in dem Frankreich sich ebenfalls nicht um das Völkerrecht gekümmert habe; vgl. den Bericht vom 6. 7. 1972 (Dok. 52). 181 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 5. 11. 1975 (EZA Berlin, 742/10); und das Telegramm John Gatus an den Vorsitzenden des Rates der EKD vom November 1975 (EZA Berlin, 87/1939). 182 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 27. 2. 1976 (EZA Berlin, 742/11). 183 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 5. 11. 1975 (EZA Berlin, 742/10).

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„Wir haben keine Begründung für Ihre ungewöhnlich weitgehenden Vorhalte finden können. Wir müssen Ihre Vorwürfe deshalb zurückweisen und Sie bitten, sie in Zukunft nicht mehr zu wiederholen.“184 Vermutlich aus Sorge um den Ansehensverlust von Bundesrepublik und EKD im Ausland beauftragte der Rat Kunst Anfang 1976, die Haltung bei den ausländischen Botschaften zu den Vorwürfen des AACC zu erkunden. Kunst, der das Publikwerden dieser politisch sensiblen Recherche fürchtete, wandte sich nicht an die Botschaften in Bonn, sondern beschaffte sich Informationen über das Auswärtige Amt und kam zu dem Ergebnis, dass die UN-Resolution 3379 sich nicht nur gegen die Bundesrepublik richtete, sondern auch gegen die anderen westlichen Industriestaaten, die wirtschaftlich mit Südafrika kooperierten (Dok. 70). Größere Sorge bereitete ihm eine international besetzte Arbeitsgruppe, die auf Anregung des kommunistisch dominierten Weltfriedensrates von der UNO beauftragt worden war, u. a. die Kooperation der Bundesrepublik mit Südafrika zu untersuchen. Sollte diese Arbeitsgruppe zu einem ungünstigen Ergebnis für die Bundesregierung kommen, so erläuterte er dem Rat, „dürfte sich die Lage auf der nächsten Generalversammlung entscheidend verändern“ (Dok. 70). Die Bundesregierung differenzierte zwischen Außenpolitik und Handelspolitik gegenüber dem Apartheidregime (Dok. 71, 72, 75). Zwar machte sie klar, dass sie gegen Rassismus und Apartheid sei, pflegte aber weiterhin wirtschaftliche Beziehungen zu Südafrika. Dies galt auch für Namibia, das von Südafrika aus regiert wurde. Die EKD teilte diese Haltung, versuchte aber gleichzeitig, deutsche Unternehmen im südlichen Afrika in sogenannten Firmengesprächen dazu zu bringen, die arbeitsrechtliche, soziale und wirtschaftliche Lage der südafrikanischen Arbeiter zu verbessern (Dok. 71). Eine eindeutige Haltung gegenüber Südafrika erforderte die Bereitschaft, sich öffentlich von den wirtschaftspolitischen Grundentscheidungen der Bundesregierung zu distanzieren. „Selbstredend“, so erläuterte Kunst gegenüber dem Rat im Juni 1976, sei „an uns die Anfrage gerichtet, ob es bei der klassischen Unterscheidung von Außenpolitik und Handelspolitik bleiben kann“ (Dok. 72). Eine klare Antwort fand er nicht. In der Bundesregierung zeigte man sich indes alarmiert von der Möglichkeit, die EKD könne einen Investitionsstopp in Südafrika fordern. Für diesen Fall, so teilte Kunst dem Rat mit, habe Außenminister Hans-Dietrich Genscher um ein Gespräch mit dem Rat gebeten (Dok. 71). Tatsächlich tat Kunst sich schwer, seine regierungskonforme Haltung in Bezug auf Südafrika zu verändern. Hier gebe es nicht nur „unsere moralische 184 Schreiben Kunsts an Helmut Claß vom 10. 11. 1975 (EZA Berlin, 87/1939). In der Vergangenheit hatte Kunst allerdings Verständnis für „große Kreise Schwarz-Afrikas“ geäußert, die durch den Ausbau der atomaren Kapazitäten in Südafrika die Hoffnungen auf ein Ende des rassistischen Regimes gefährdet sahen; vgl. das Schreiben Kunsts an Richard Stücklen vom 19. 3. 1971 (EZA Berlin, 87/1938).

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Einrede gegen die Apartheid“, sondern „unmittelbar daneben“ wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische Interessen, mahnte er vor dem Rat. Nicht nur die Interessen der Bundesrepublik, sondern die des ganzen Westens, der mit dem Ostblock um Macht und Einfluss in den „Entwicklungsländern“ konkurriere, stünden auf dem Spiel. Außerdem erinnerte er an die Konsequenzen, die die Abschaffung der Apartheid für die 3,6 Millionen dort ansässigen Weißen haben müsse. Besorgt gab er zu bedenken: „Sie können nicht einmal wie unsere Vertriebenen 1945 in ihr Heimatland, also Holland und England“ zurück (Dok. 72). Die Entscheidung für einen rein moralischen Standpunkt gelang Kunst vor allem dann, wenn es – wie in der Endphase des Vietnamkrieges – nicht mehr möglich war, der weltweiten Kritik auszuweichen, oder wenn moralische Verurteilung und nationales Interesse – wie im Fall Israels – für ihn zusammenfielen. Das zentrale politische Thema Kunsts auf der sich neu eröffnenden Weltbühne war die Entwicklungspolitik, die in der vorangehenden Dekade von den Kirchen entdeckt und ausgebaut worden war185. Kunst hatte darauf hingewiesen, dass die Wahrnehmung einer neuen „universalen Weltverantwortung“ nicht von einzelnen Staaten ausgehen könne, da diese ihre Entwicklungspolitik immer der eigenen nationalen Außen- und Wirtschaftspolitik unterordneten. Vielmehr musste sie von internationalen Akteuren wie der UN, der Europäischen Gemeinschaft oder dem ÖRK in Genf getragen werden186. Vor diesem Hintergrund engagierte er sich gemeinsam mit den Katholiken auf den Welthandelskonferenzen in Chile und Nairobi, UNCTAD III: „Partner in der Weltwirtschaft“ (1972)187 und UNCTAD IV: „Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung“ (1976)188. In der vom Rat der EKD und Deutscher Bischofskonferenz verantworteten Erklärung zu UNCTAD III hieß es u. a., der europäische Kolonialismus habe die außereuropäischen Kulturen zerstört und sie zu billigen Rohstofflieferanten der Industrieländer gemacht. Kunst erfüllte dieser Beitrag mit „großer Genugtuung“. Damit habe die EKD gezeigt, dass sie den ÖRK nicht nur finanziell in erheblichem Maße unter-

185 Im seinem Lagebericht vom Juni 1967 vermerkte Kunst, dass ein breiter Konsens darüber bestehe, in der Entwicklungshilfe ein wesentliches Instrument des Dienstes der Kirche für den Frieden zu sehen. Deshalb seien die unablässigen Bemühungen der EKD bei der Regierung in Fragen der Entwicklungshilfe begründet gewesen; vgl. den Bericht vom 8. 6. 1967 (Dok. 32); und Kalinna, Verbindungsstellen, 190–193. 186 Vgl. die Berichte vom 16./17. 3. 1967 (Dok. 31); 8./9. 6. 1972 (Dok. 51); sowie Willems, Entwicklung, 261. 187 Dies war die gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD anlässlich der dritten Welthandelskonferenz der UN „UNCTAD III“ vom März 1972; vgl. Partner in der Weltwirtschaft. 188 Hier handelte es sich um das von der Gemeinsamen Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen (GKKE) vorgelegte Memorandum zur vierten Welthandelskonferenz „UNCTAD IV“; vgl. Kunst / Tenhumberg, Gerechtigkeit.

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stütze, sondern auch in gesellschaftspolitischen Fragen der Welt eine gewissenhaft gearbeitete geistige Reflexion vorlegen könne, erklärte er189. Der entwicklungspolitische Blick Kunsts auf die Weltwirtschaft knüpfte an die marxistisch inspirierte Dependenztheorie an und zielte auf die politische und wirtschaftliche Umgestaltung der Welt. Wollte Entwicklungspolitik mehr sein als ein „notdürftiger Lastenausgleich für eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung“, so musste sie an der Wirtschafts- und Handelspolitik mitwirken, hieß es in der „Entwicklungsdenkschrift“ der EKD-Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst von 1973190. Dem Rat sagte Kunst, die Kirche könne nicht still am Tisch sitzen, wenn es um eine neue Weltwirtschaftsordnung gehe191. Auch schlug Kunst vor, die „soziale Gerechtigkeit in der Welt“ als „Grundwert“ zu definieren. Schließlich war die Kirche von der SPD-geführten Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert worden, einen Beitrag zur inhaltlichen Ausgestaltung der Grundwerte zu leisten192.

10. Innenpolitik

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Innenpolitisch stand der Machtwechsel durch die Wahl Willy Brandts zum Kanzler einer von SPD und FDP geführten Bundesregierung im Herbst 1969 im Vordergrund. Damit wurde die seit zwei Jahrzehnten gleichsam als „Staatspartei“ regierende CDU/CSU in die Opposition verwiesen. Angekündigt hatte sich der ,Machtwechsel‘ bereits mit der Wahl des SPD-Kandidaten und Kirchenmannes Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten am 5. März 1969. Dies hatte Kunst indes nicht zu einem inhaltlich ausgreifenden Kommentar inspiriert, sondern ihn nur zu Überlegungen über den Austragungsort der Bundespräsidentenwahl in Berlin veranlasst, der von Seiten der DDR und Moskaus mit Verweis auf den 4-Mächte-Status der Stadt hart kritisiert wurde193. Auch in seinem Bericht über die historische Bundestagswahl am 28. September 1969 finden sich keine grundsätzlichen Bemerkungen zum Wahlergebnis. Vielmehr äußerte Kunst Verwunderung über diejenigen, die bis zuletzt an den Fortbestand der Großen Koalition von SPD und CDU/CSU geglaubt hatten. Umso ausführlicher berichtete er über personal- und konfessionspolitische Fragen, die mit der neuen Regierung verbunden waren (Dok. 39). Dennoch gaben Bundestagswahlen Kunst wiederholt Anlass, über den Zustand der Politik und über die eigenen politischen Akzentsetzungen zu 189 Vgl. den Bericht vom 27./28. 2. 1976 (Dok. 70). 190 Vgl. Der Entwicklungsdienst der Kirche – ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, 40. 191 Vgl. den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72). 192 Vgl. ebd. 193 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 13./14. 3. 1969 (EZA Berlin, 742/3).

Innenpolitik

Die 1970er Jahre

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reflektieren. So präsentierte er Anfang 1973 analog zur Regierungserklärung Willy Brands eine eigene Agenda, in der er die politischen Themen der EKD für die kommenden Jahre absteckte. Lesenswert ist seine Charakterisierung der Kabinette Brandt und Schmidt im Kontext des Regierungswechsels 1974 (Dok. 62, 63). Innenpolitisch war der Wahlsieg der SPD von 1969 verbunden mit einem ambitionierten Programm sozialer Reformen, die sich über den Ausbau des Bildungswesens nach dem Maßstab von Chancengleichheit und Mitbestimmung, der Reform des Bodenrechts, der Liberalisierung des Straf- und Familienrechts bis hin zur Stärkung der inneren Sicherheit erstreckten194. Wiederholt standen die Liberalisierung des Straf- und Familienrechts und das Programm der inneren Sicherheit im Fokus der Lageberichte. So berichtete Kunst am 29./30. Juli 1970 ausführlich über ein Gespräch mit Bundesjustizminister Gerhard Jahn über die Aufhebung des Pornographieverbots. Er habe – so erläuterte er – dem Minister erklärt: „Bleibt der § 184 nicht, kommen Zustände, die man nur noch mit Pornokratie bezeichnen kann“ (Dok. 43). Zusammen mit der katholischen Kirche suchte der Bevollmächtigte gegen die befürchtete Entkopplung von Recht und christlicher Moral als Mitverfasser der Ende Dezember 1970 erschienenen Schrift „Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung“ vorzugehen195. Die öffentliche Rezeption dieser Publikation fiel jedoch weithin negativ aus. Man kritisierte ihre inhaltlichen Schwächen und ihren autoritären Gestus, vor allem aber ihre allzu offensichtliche Parteinahme für die CDU/CSU-Opposition196. Kunst, dem – wie gezeigt wurde – viel daran lag, nicht als parteiisch wahrgenommen zu werden, suchte in der Sitzung des Rates Anfang 1971, den Eindruck der Parteilichkeit in dieser Schrift zu zerstreuen (Dok. 45). Im Juli 1973 zog Kunst ein Resümee, in dem er auf die mehr oder weniger erfolgreiche Durchsetzung kirchlicher Standpunkte in Bezug auf die Gesetzgebung zur Pornographie, das Familien- und Ehescheidungsrecht sowie das Hochschulrahmengesetz zu sprechen kam (Dok. 58). Darin wurde deutlich, wie eng die Kirchenrepräsentanten mit dem Bundesjustizminister zusammenarbeiteten und auf die Gesetzesvorlagen, die ihnen bereits im Entwurfsstadium zugingen, Einfluss nahmen. Nachdem Mitte Februar 1976 ein Koalitionsentwurf zur Reform des § 218 vom Bundestag verabschiedet worden war, zog Kunst ein insgesamt positives Resümee der kirchlichen Einflussnahme auf die Abgeordneten der Regierungskoalition und regte ein abschließendes Wort des Rates an (Dok. 70). An eine gemeinsame Stellungnahme mit den Katholiken, wie sie noch 1970 im 194 Vgl. Bracher, Machtwechsel, 10; und Faulenbach, Jahrzehnt, 70. 195 Das gemeinsam vom Erzbischof von München und Freising Julius Kardinal Döpfner und dem Ratsvorsitzenden der EKD Hermann Dietzfelbinger verfasste Vorwort warnte vor der Selbstzerstörung von Staat und Gesellschaft; vgl. Mantei, Abtreibung, 66, 68 f. 196 Vgl. ebd., 70–72.

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„Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung“ erfolgt war, war zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr zu denken, da die katholische Seite das neue Gesetz strikt ablehnte197. Auch das Thema der inneren Sicherheit, welches die bundesdeutsche Gesellschaft ähnlich polarisierte wie die Ost-Verträge, beschäftigte Kunst wiederholt198. Anfang der 1970er Jahre hatten sich in der Bundesrepublik zahlreiche kommunistische Splittergruppen gebildet. Zur selben Zeit trat die RAF – und mit ihr andere linke Terrorgruppen – auf den Plan, deren Ziel der bewaffnete Kampf für die Revolution war. Orientiert am Vorbild der lateinamerikanischen Stadtguerilla verübten sie aus dem Untergrund heraus Bombenanschläge auf symbolträchtige Einrichtungen des Staates sowie Terroranschläge auf prominente Persönlichkeiten aus Justiz und Wirtschaft199. Der Staat reagierte mit dem Ausbau des Sicherheitsapparats und verabschiedete am 28. Januar 1972 den sogenannten Ministerpräsidentenbeschluss, auch „Radikalenerlass“ genannt. Danach durften nur Personen in ein Beamtenverhältnis berufen werden, die Gewähr boten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten200. Bis 1972 hatte der Linksextremismus innerhalb der Bundesrepublik in den Berichten Kunsts kaum eine Rolle gespielt201. Erst im Kontext des Ministerpräsidentenbeschlusses fragte er den Rat, ob dieser „gelegentlich eine präzisere Darstellung der Aktivitäten der linksextremen Kräfte in unserem Lande“ wünsche202. Kunst wollte den Beschluss gemeinsam mit den Landeskirchen diskutieren, da es immer auch um Vikare und Pastoren ging, die Mitglieder der DKP waren und deshalb in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten konnten. Zudem diskutierte man in der Kirche die Frage, ob ein Theologe, der im Dienst der Kirche stand, überhaupt Mitglied der DKP sein könne (Dok. 57)203. Als der nordrhein-westfälische Justizminister Diether Posser einem Mitglied der DKP die Ernennungsurkunde zum Richter auf Probe ausstellte und damit eine Diskussion über die unterschiedliche Auslegung des „Radikalenerlasses“ in den Bundesländern auslöste, stellte Kunst diesen Vorgang in den Kontext der gegen die Bundesrepublik gerichteten Destabilisierungsversuche der DDR (Dok. 59). Für ihn war der Fall ein „Signal für sehr weittragende Auseinandersetzungen über den Einbau marxistischen Gedan197 Vgl. ebd., 529. 198 Vgl. Jäger, Innenpolitik, 80; und Rigoll, Staatsschutz. 199 Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze und dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968 löste sich die APO auf. In der Folgezeit zerfiel die Studentenbewegung in zahlreiche linksextreme Organisationen; vgl. Jäger, Innenpolitik, 78 f. 200 Vgl. ebd., 83 f. 201 Kunst erwähnte die Notstandsgesetzgebung und die studentischen Proteste vor allem im Zusammenhang mit den auf Demonstrationen auffällig gewordenen linken Pfarrern, der ESG und evangelischen Kriegsdienstverweigerern; vgl. die Berichte vom 2. 5. 1968 (Dok. 36) und vom 13. 6. 1968 (Dok. 37). 202 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 21. 4. 1972 (EZA Berlin, 742/5). 203 Zum Verhältnis von Evangelischer Kirche und „Radikalenerlass“ vgl. Lepp, Gefahr.

Innenpolitik

Die 1970er Jahre

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kengutes vor allem in die Schulpolitik“ (Dok. 60). Ein Jahr später warnte er, dass – sollte die DKP der aggressiven Linie Honeckers folgen – eine liberale Handhabung des „Radikalenerlasses“ unmöglich werde (Dok. 64). Nachdem Vorwürfe aus Schweden, den Niederlanden und Frankreich gegen die Anwendung des Erlasses in der Bundesrepublik laut geworden waren, mutmaßte Kunst, dass es sich hier um gesteuerte Kampagnen aus dem Osten handelte, deren Motiv „nicht allein die edle Sorge um die Beachtung der Menschenrechte“ sei (Dok. 72). 1974 wurde der Linksterrorismus zum Thema eines Lageberichtes. Auch hier gab es einen kirchlichen Bezug. Zum einen wurden wiederholt evangelische Geistliche in der Sympathisantenszene der Terroristen auffällig – ein Beispiel dafür war der Berliner Pfarrer Kornelius Burghardt, der im Zuge der Ermittlungen nach dem Mord am Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann durch die Terrorgruppe „Bewegung 2. Juni“ verhaftet wurde204. Zum anderen war die Kirche im Kontext der Diskussionen um die in Haft sitzende Baader-Meinhof-Gruppe aus dem Bundestag heraus aufgefordert worden, deren Haftbedingungen zu überprüfen (Dok. 65). Anfang 1976 kritisierte Kunst, dass die EKD der radikalen Linken insgesamt hilflos gegenüberstehe, d. h. ihren Mitgliedern kein theologisch-politisches Konzept an die Hand gab, welches sie zu einer produktiven und kritischen Auseinandersetzung mit dem Marxismus befähige (Dok. 74). Zwar könne die EKD die in den 1950er Jahren erscheinenden Marxismusstudien vorweisen, doch diese hätten keinen Widerhall bei den Pfarrern und Gemeinden gefunden. Mit Blick auf den kommenden Wahlkampf mahnte Kunst, man müsse dringend die „Vokabel Sozialismus“ klären, denn diese sei zu einer der „vielschichtigsten in unserer Zeit geworden“ (Dok. 70). In dieser Zeit widmete sich Kunst dem Thema „Innere Sicherheit“, über das er zuvor mit dem Bundesjustizminister und dem Innenminister gesprochen hatte (Dok. 69). Hier zeigte er einen durchaus differenzierten Blick auf die Linke. So warnte er nachdrücklich davor, Terrorverdächtige mit unliebsamen Elementen „in einen Topf“ zu werfen. Auch kritisierte er die sogenannten Kontaktbereichsbeamten in Westberlin, deren Tätigkeit ihn an eine „Neuauflage des NS-Blockwartsystems“ erinnerte. Schließlich kam er auf den großen Helferkreis der Terroristen zu sprechen, der sich „aus Kreisen der Intelligenz und auch der evangelischen Kirche“ speiste und von der Bundesregierung für das Fortleben des Terrorismus verantwortlich gemacht wurde. Kunst kündigte an, den Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu halten, da er dort „auch durch Erklärungen und Personalbeschreibungen einen hilfreichen Dienst tun“ könne. Der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Richard Meier sei – so fügte er hinzu – ein „ausgesprochen 204 Von Drenkmann wurde am 10. 11. 1974 ermordet. Die Verhaftung von Pfarrer Kornelius Burghardt stand im Zusammenhang mit dem Besuch von Bischof Kurt Scharf bei der in Moabit einsitzenden Ulrike Meinhof; vgl. Odin, Elend.

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guter Mann“. Im September 1976 berichtete Kunst dem Rat von einem Gespräch mit Meier. Dieser habe ihn an die Situation der Weimarer Republik erinnert und für eine „wehrhafte Demokratie“ plädiert. Zudem wusste Kunst zu berichten, dass die DKP so langweilig, bürokratisch und ideologisch verhärtet wie die SED sei und deshalb unattraktiv für westdeutsche Linke bleibe. Beliebter dagegen seien die Maoisten und der Spartakusbund (MSB), der insbesondere bei den studentischen Vertretungen ins Gewicht fiel. Schließlich wies Kunst den Rat auf die „Koalitionspolitik“ der Kommunisten hin, die erfolgreich nichtkommunistische Organisationen in der Bundesrepublik wie die Naturfreunde unterwanderten (Dok. 73). Auf weitere innenpolitisch relevante Projekte der sozialliberalen Koalition ging Kunst nur am Rande ein. So etwa, als er im Herbst 1972 dem Rat einen Themenkatalog für das Gespräch mit Politikern im Zuge seiner Bemühungen um die Versachlichung des Wahlkampfes vorstellte. Darin sollte es um Bildungspolitik, Bodenrecht und Städtebau, Betriebsverfassung und Mitbestimmung, Verteilung des Sozialproduktes, Steuerfragen und Finanzpolitik, Sozialpolitik, Strafvollzug sowie Umweltschutz gehen (Dok. 53). Im Mai 1975 stellte Kunst erneut einen Themenkatalog für den kommenden Wahlkampf vor, in dem es u. a. um die thematische Ausgestaltung der sittlichen Grundwerte ging. In diesem Kontext tauchte neben der Entwicklungspolitik auch das Thema „Gastarbeiter“ auf. „Es ist etwas herb formuliert, wenn ich sage, man hat gelegentlich den Eindruck, als seien wir dabei, eine Herrengesellschaft zu etablieren, die selbstredend ihre Sklaven braucht“, kommentierte Kunst (Dok. 67)205.

11. Am Ende der Amtszeit Bereits Ende 1974 hatte Kunst vor dem Rat erklärt, dass man sich – vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre – an einem „Abgrund von Depression“ befinde und damit einen Blick für das globale Ausmaß der 1973 einsetzenden Krise bewiesen (Dok. 65)206. Zudem machte er die Ratsmitglieder der EKD auf die „Umweltschäden“ und die „Bevölkerungsexplosion“ aufmerksam (Dok. 67). Dies zeigt, dass auch bei ihm ein Bewusstsein für das Ende des „Goldenen Zeitalters“ hoher ökonomischer Wachstumsraten, aber auch für die vom Club of Rome beschworenen „Grenzen des Wachstums“ eingesetzt hatte207. 205 Erstmalige Erwähnung findet der Begriff „Gastarbeiter“ bei Kunst im Bericht vom 28. 9. 1973 (Dok. 60); vgl. dazu Lepp, Gastarbeiter, 90–100. 206 In der westlichen Welt galten Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit lange Zeit als Tabu; vgl. Hobsbawm, Zeitalter, 503. 207 Vgl. ebd. 324 f., 503 f. Diese Phase wird auch als „Tendenzwende“ beschrieben; vgl. Bracher, Phasen, 346; und Görtemaker, Geschichte, 563–597, 572 f.; zum Protestantismus vgl. Lepp, Gefahr, 183.

Am Ende der Amtszeit

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Als Kunst im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand ging, war seine Stimmung pessimistisch. Das Hauptkennzeichen der Gegenwart – so erklärte er im September 1976 – liege in der Unsicherheit (Dok. 73, 75). Zu verstehen ist dies vor dem Hintergrund der weltweiten linken Befreiungsbewegungen, des Eurokommunismus und des Linksterrorismus dieser Jahre, die Kunsts Sorge vor einer globalen Ausbreitung des Kommunismus bestärkten. Die von ihm viele Jahre leidenschaftlich kommentierte Außenpolitik überforderte ihn zusehends und auch der moralische Ansehensverlust der USA in der westlichen Welt – ausgelöst durch den desaströsen Vietnamkrieg – machte ihm zu schaffen208. Bereits 1975 hatte Kunst auf Stimmen in der Bundesregierung hingewiesen, die eine „explosive, politische Situation“ und damit einen „Schwächeanfall Amerikas“ voraussagten209. 1976 berichtete er, Amerika werde in so hohem Maße von seiner Unterwelt beherrscht, „dass es gegenwärtig vielleicht im gleichen Grade in seiner weltpolitischen Handlungsfreiheit behindert ist, wie die Sowjetunion 1938, als Stalin die Mehrheit seiner Generäle und einen Großteil der fähigsten Parteiführer und Verwaltungsbeamten der Sowjetunion eliminiert hatte“ (Dok. 70). Was blieb waren seine Netzwerke, die ihm auch in den letzten beiden Jahrzehnten seines Ruhestandes erlaubten, weiterhin hinter den Kulissen der bundesdeutschen Politik zu wirken. Seine zahlreichen Ehrenämter, die fortgesetzte Leitung der Zentralstelle für Entwicklungshilfe oder der Vorsitz der Schiedskommission zur Überwachung der Einhaltung des Wahlkampfabkommens im Bundestagswahlkampf 1980 zeugen von dem hohen Ansehen, das er sich in den drei Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Kirchendiplomat bei der politischen Elite in Bonn erworben hatte. Auch im Ruhestand vermittelte Kunst noch zwischen parteipolitischen Fronten und betätigte sich in der von ihm übernommenen Rolle als christlicher Ratgeber der Obrigkeit, die er in seinem 1976 erschienenen Lutherbuch „Evangelischer Glaube und politische Verantwortung“ beschrieben hatte – immer mit dem Ziel, das bundesrepublikanische Staatswesen durch Kirche und Christentum institutionell und moralisch zu festigen210. Kunst starb am 6. November 1999 mit 92 Jahren in Bonn.

208 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 9./10. 4. 1976 (EZA Berlin, 742/12). 209 Vgl. den Bericht Kunsts für den Rat der EKD vom 20./21. 6. 1975 (EZA Berlin, 742/9). 210 Vgl. Kunst, Glaube.

II. Quellenbeschreibung und editorische Hinweise Die hier getroffene Auswahl der Lageberichte Hermann Kunsts orientierte sich an Fragestellungen der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung. Es wurden Texte ausgewählt, die Einsicht gewähren in die Perspektive Kunsts auf 1. die Rolle der Kirche im Staat, 2. die Rolle der katholischen Kirche als Mitstreiterin und Konkurrenz im Machtgefüge der Bundesrepublik, 3. die Parteien als Träger der politischen Macht, 4. die innerdeutschen Beziehungen zwischen Bundesrepublik und DDR und 5. die Zäsuren in der politischen Geschichte der Bundesrepublik. Zu letzteren gehören z. B. der Bau der Berliner Mauer im August 1961 oder die militärischen Konflikte wie die Suez-Krise 1956, der Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn 1967, die Bundestagswahlen von 1969 oder der Vietnamkrieg, aber auch die 1973 einsetzende Weltwirtschaftskrise und wichtige geistige Tendenzen der Zeit wie der Linksextremismus in der Bundesrepublik und Europa. Um eine möglichst große Verständlichkeit der Dokumente zu gewährleisten, erschien eine z. T. ausführliche Kommentierung der Berichte notwendig. Der historische Kontext, auf den Kunst Bezug nahm und dessen Kenntnis er bei seinen Zuhörern voraussetzten konnte, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Deshalb bedurften vor allem die Berichte der ersten Jahre, die nur in Stichworten abgefasst wurden, einer ausführlicheren Kommentierung als die Berichte in den letzten Jahren, in denen Kunst selbst detailliert auf die für ihn relevanten historischen Ereignisse eingeht. Die von Kunst genannten Personen wurden in einem Personenverzeichnis erfasst und mit Biogrammen versehen. Historische Themen, Ereignisse oder Institutionen werden durch ein Sachregister erschlossen. Die „Berichte zur Lage“ standen in der Regel am Anfang jeder Ratssitzung. Sie begannen mit einem Bericht des Ratsvorsitzenden über die Lage der Kirche, woraufhin der Bevollmächtigte Hermann Kunst in einem zweiten Teil einen aktuellen Überblick über das politische Geschehen gab. Diese Vorträge konnten auch von weiteren Referenten ergänzt werden. Ihr Ziel war es, den Ratsmitgliedern Informationen an die Hand zu geben, auf deren Grundlage sie Beschlüsse in Richtung Politik fassen konnten. Doch darüber hinaus ging es immer auch darum, den Ratsmitgliedern das Handeln der Regierung zu erklären und sie mit den komplexen Zusammenhängen aktueller politischer Vorgänge vertraut zu machen. Um dies zu gewährleisten, führte Kunst unmittelbar vor jeder Ratssitzung persönliche Gespräche mit Regierungsmitgliedern, war aber auch bemüht, über die kritischen Argumente der Opposition zu informieren (Dok. 32). Der Adressatenkreis der Berichte reichte indes über die bei den Ratssitzungen anwesenden Personen hinaus auf weitere

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kirchliche Gremien, etwa die Kirchenkonferenz oder die Kammer für öffentliche Verantwortung1. Kunst selbst bezeichnete Sprache und Stil seiner Berichte als äußerst nüchtern2. Dabei grenzte er sich bewusst von der Tradition der Bekennenden Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus ab, auf deren Tagungen es ebenfalls Berichte zur Lage gegeben hatte. Diese standen unter einem biblischen Motto, das auf den Sitzungen theologisch ausgedeutet wurde – ein Stil, der nach 1945 in der Sprache des Bruderrats der EKD sogar noch eine Steigerung erfuhr (Dok. 32) und auch in einzelnen Landeskirchen der DDR durchaus gepflegt wurde, wie die politischen Kurzberichte für die Kirchenleitungssitzungen der Kirchenprovinz Sachsen durch Propst Oskar Zuckschwerdt belegen3. Dagegen machte Kunst geltend, dass die Kirche in der Bundesrepublik keine „ecclesia pressa“, d. h. bedrängte Kirche, mehr sei, sondern eine rechtlich verankerte und anerkannte Partnerin des Staates. Schon deshalb – so meinte er – müsse ein Bericht zur politischen Lage einen anderen Inhalt und Stil haben als in der Zeit des Nationalsozialismus. „Es muß in ihm um eine sachgemäße Nüchternheit der Weltlichkeit der Welt gehen“ erklärte Kunst am 10. August 1973 in Anspielung auf die lutherische Zwei-Reiche-Lehre (Dok. 59). Das bedeutete: Wer erfolgreich seine Interessen im Staat vertreten wollte, musste die Sprache und Argumente der Politik verwenden, nicht die der Theologie (Dok. 31). Der Aufbau der Lageberichte ist vor allem in den ersten beiden Berichtsphasen durch eine klare Dreiteilung gekennzeichnet: beginnend mit einer Skizze der weltpolitischen Ereignisse, gefolgt von Darlegungen zur aktuellen Deutschlandpolitik und einem dritten Teil über innenpolitische Themen der Bundespublik. Bei dieser Abfolge ging es darum, den Rat für die hohe Relevanz weltpolitischer Ereignisse für die Bundesrepublik zu sensibilisieren (Dok. 59). Für Kunst war klar: Jedes noch so ferne weltpolitische Ereignis hatte Auswirkungen auf die Situation Deutschlands und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Wiedervereinigung (Dok. 21). Anders formuliert: Da die Teilung Deutschlands ein Produkt der der Ost-West-Konfrontation war, konnte jede Veränderung im Verhältnis der Weltmächte wichtig werden für das innerdeutsche Verhältnis und damit für das von der EKD verfolgte Anliegen der Wiedervereinigung. Mit dieser Struktur folgte Kunst dem Vorbild der Lageberichte, die der Freiburger Neuzeithistoriker Gerhard Ritter in den Jahren 1945 bis 1949 vor dem Rat der EKD gehalten hatte. In seinem ersten Bericht vom 31. Dezember 1945 begründete Ritter den Aufbau seiner Vorträge damit, dass Deutschland „bloss noch Objekt der großen Weltpolitik“ sei und deshalb umso gespannter auf das wenige zu achten habe, was über die Be1 So erhielt die Kammer für öffentliche Verantwortung am 23./24. 2. 1973 den gleichen Lagebericht wie der Rat der EKD auf seiner Sitzung vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57). 2 Vgl. Buchna, Jahrzehnt, 302. 3 Ich danke Karl-Heinz Fix für seinen Hinweis auf den nach 1945 tagenden Bruderrat der EKD sowie auf die Berichte Zuckschwerdts im Landeskirchenarchiv Magdeburg (LKA Magdeburg, Rep. N8, Nr. 6); vgl. auch Protokolle, Bd. 7, 44 f.

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ziehungen der großen Weltmächte untereinander „bis zu uns durchsickert“. „Denn davon“ – so folgerte er – „hängt unser Schicksal zuletzt ab“4. Dieser inhaltlich begründete Aufbau der Lageberichte löste sich bei Kunst in der letzten Phase seiner Berichterstattung (1970 bis 1977) zugunsten einer zunehmend ausführlicheren Kommentierung von Spezialthemen auf. Der Übersichtlichkeit halber wurden die Dokumente drei zeitlichen Phasen zugeordnet. Die erste Phase, 1951 bis 1961 (Teil A: Deutsche Teilung und Kalter Krieg), enthält insgesamt 51 Lageberichte mit 155 überwiegend handschriftlichen Seiten. Von diesen vielfach im Stichpunktstil verfassten Lageberichten werden 17 Berichte präsentiert5. Im zweiten Berichtsabschnitt, der die Jahre 1962 bis 1969 (Teil B: „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke) umfasst, sind 49 Texte überliefert. Das Volumen der Berichte wuchs auf 181 handschriftliche Seiten. Der stichpunktartige Stil wurde zunehmend durch ausformulierte und damit verständlichere Texte ersetzt. Auch mehrten sich die Berichte für „vertrauliche“ bzw. „geschlossene“ Ratssitzungen, die meist im Anschluss an die regulären Ratssitzungen stattfanden (Dok. 25, 38). Ausgewählt wurden für diesen Zeitraum insgesamt 23 Lageberichte. Im dritten Teil, 1970 bis 1977 (Teil C: Wendepunkte), wuchs die Anzahl der Lageberichte Kunsts auf 60 an, mit einem stark vergrößerten Volumen von 722 teils handschriftlichen, und seit 1973 immer mehr maschinenschriftlichen Seiten, die das Volumen der vorangehenden 20 Jahre auf mehr als das Doppelte ansteigen ließen. Der Umfang der einzelnen Berichte vergrößerte sich von durchschnittlich 3,5 Seiten in der Zeit bis 1970 auf 11 Seiten seit 1970. Möglicherweise nutzte Kunst hier die Möglichkeit des Diktats, worauf auch die zunehmende maschinenschriftliche Überlieferung hinweist. Die steigende Zahl der Lageberichte hing mit der merklich angestiegenen Anzahl der Ratssitzungen zusammen, die nun zwischen 12- und 13-mal im Jahr stattfanden, wobei der Rat der EKD in den Jahren 1973 und 1974 sogar jeweils 18mal tagte. Der Schwerpunkt der vorgelegten Auswahl liegt mit 34 Berichten in diesem letzten Berichtsabschnitt. Hier zerfallen die Lageberichte zunehmend in Spezialthemen und erinnern kaum noch an den Stichpunktstil und die Struktur der vorangehenden Berichtsjahre. Vielfach nehmen die Berichte sogar den Charakter von ausgearbeiteten Memoranden an, mit denen Kunst vermutlich eine größere Leserschaft im Auge hatte.

4 Vgl. Gerhard Ritter: „Über unsere politische Lage (Freiburg, Sylvester 31. Dezember 1945)“ (EZA Berlin, 2/272). Die weiteren fünf Berichte Ritters für den Rat der EKD finden sich ebenfalls im Evangelischen Zentralarchiv Berlin: Nr. 2 vom März 1946 (EZA Berlin, 2/800), Nr. 3 vom Juli/ August 1946 (EZA Berlin, 2/273), Nr. 4 vom April 1947 und Nr. 5 vom Januar 1948 (EZA Berlin, 2/277) sowie Nr. 6 vom April 1949 (EZA Berlin, 2/278). 5 Insgesamt tagte der Rat in dieser Berichtsphase etwa sieben bis acht Mal im Jahr. Die Berichte variieren in ihrer Länge zwischen zwei und drei handschriftlich verfassten Seiten. In dieser Zeit finden sich nur drei Seiten in Maschinenschrift.

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Da viele Berichte eine beachtliche Zahl von Themen abhandeln, die allerdings häufig nur genannt und nicht weiter ausgeführt werden, wurden sie teilweise gekürzt auf die Passagen, die eine inhaltliche Aussage oder Argumentation erkennbar werden lassen. Nicht berücksichtigt für die Auswahl wurden jene Berichte Kunsts an anderen Stellen der Tagesordnung der Ratssitzungen, die – im Gegensatz zu den Lageberichten – keinen allgemeinen Überblick zur politischen Situation lieferten, sondern einzelne aktuelle politische Themen behandelten, etwa die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, Fragen der Militärseelsorge oder des UN-Beitritts der Bundesrepublik. Jedes Dokument wurde mit dem von Kunst angegebenen Datum und Ort der Ratssitzung, auf der er seinen Lagebericht hielt oder halten wollte, versehen. Darunter finden sich die Signatur des Evangelischen Zentralarchivs Berlin und Angaben zur Überlieferungsform, die meist handschriftlich, jedoch in den letzten beiden Berichtsjahren zunehmend maschinenschriftlich erfolgte. Hinweise der Bearbeiterin in den Dokumenten finden sich in eckigen Klammern. Von Kunst selbst verwendete eckige Klammern wurden in runde Klammern umgewandelt. Klare Rechtschreib- und Grammatikfehler wurden berichtigt, kontinuierlich falsch geschriebene Eigennamen wie Ludwig Erhard, der stets als „Ehrhardt“ erscheint, wurden ebenfalls stillschweigend korrigiert. Vereinheitlicht wurden Begriffe wie NATO, GATT, UNO, UNCTAD oder SALT, die in den handschriftlichen Berichten immer wieder als Nato, Gatt, Uno, Unctad und Salt vorkommen. Uneinheitliche Schreibweisen weiterer Institutionen, Zeitschriften oder Orte wurden in der Regel beibehalten, ebenso die im Original verwendete alte Rechtschreibung sowie die uneinheitliche Schreibweise von zusammengesetzten Substantiven. Für Kunst dienten die schriftlichen „Berichte zur Lage“ vor allem als persönliche Gedächtnisstützen. So erklären sich die nur schwer leserliche Handschrift, die unzähligen Abkürzungen und Einfügungen sowie ein in den ersten Berichtsjahren vornehmlich in Stichworten und Anspielungen formulierter Textkorpus, der für heutige Leser und Leserinnen kaum verständlich ist. Daher erfolgte die Transkription der Lageberichte in zwei Schritten. In einer ersten Variante wurde das Original mit allen Abkürzungen und Unebenheiten des Textes möglichst textnah übertragen. Um den Lesefluss und das Verständnis des Textes zu gewährleisten, wurden in einem zweiten Schritt sämtliche Abkürzungen aufgelöst, d. h. Artikel, Konjunktionen, Präpositionen, Indefinitiv- und Possessivpronomen. Nachträglich von Kunst eingefügte Worte, Sätze oder Passagen sind in den Text integriert worden. Nicht identifizierbare oder fehlende Worte wurden ergänzt und in eckigen Klammern sichtbar gemacht. Unvollständige Sätze oder Stichworte ohne grammatischen Kontext wurden in Gedankenstriche gefasst. Das gewählte editorische Vorgehen erscheint verantwortbar, da dieser Auswahledition die Onlinestellung der Lageberichte mit einer „wörtlichen“

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Transkription sämtlicher Lageberichte folgen soll. Zur Veranschaulichung soll das folgende Beispiel dienen. Es zeigt 1. einen Abschnitt aus einem Lagebericht im Original (Dok. 34), 2. die „wörtliche“ Transkription dieses Lageberichts (Transkriptionsschritt 1) und 3. eine für die hier vorliegende Edition weiter bearbeitete Fassung (Transkriptionsschritt 2).

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Quellenbeschreibung und editorische Hinweise

Ausschnitt aus dem handschriftlichen Original eines Lageberichts Hermann Kunsts

Quellenbeschreibung und editorische Hinweise

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Transkriptionsschritt 1 Bericht zur Lage, Rat d. EKD 12. 10. 1967 Berlin Das Parlament erst seit d. vergang. Woche wieder zusammen. [Einschub] Wirtschafts- u. Finanzfragen [***] [Einschub Ende]. Personelle Überlegungen im Zushg mit d. ganz unguten Sit. in Berlin spielen ziemlich große Rolle, nicht zuletzt auch wegen d. geplanten Neubesetzg d. Amtes d. Staatssekr. im Bundeskanzleramt. Bei solcher Gelegenheit immer wieder deutlich, daß Generation um 50 J noch ausgelaugter [Einschub] oder im 3. Reich untauglich gemacht [Einschub Ende] zu sein scheint als die um 60. Kanzler u. Fraktionen schieben längst abgesprochene Verhdgen mit d. Kirchen vor sich her, etwa über Fragen, die noch bis 1969 im Parlament vorkommen sollen. Novellierung d. Strafgesetzbücher, Fampolitik u. mittelfristige Finanzplanung, polit. Strafrecht. Erneuerung d. Strafvollzuges. Neuregelung d. Pflegesätze für Krankenhäuser d. freien Wohlfahrtspflege. [Einschub] D. Liberalen fragen uns [wegen] Wahlrechtsordgen: wir wollten zur Gesundheit staatl. Lebens helfen. [Einschub Ende] Auch in d. Frage eines neuen Wahlrechtes stimmen weder Sachauffassungen u. Terminkalender d. zuständigen Innenmin. mit denen führender Männer in d. Koalitionsparteien überein. Seit d. Mehrheit d. Rg. im Parlament übergroß geworden ist, haben d. Parteien an Geschlossenheit u. klarer Kontur verloren, daß unsereiner nur zurückhaltend über d. Auffassungen v. Reg. u. Opposition berichten kann. [Einschub] Trotz d. Reden v. Kiesinger u. Brandt 8. 10. [Einschub Ende]. Am unklarsten ist d. Sit. in d. Dschldpolitik u. in d. atomaren Frage im Zushg mit d. Europapol. Es bleibt ein relevanter Kreis v. Männern in d. SPD, die d. ehemaligen Bestrebungen nach d. Scheitern d. MLF, sich mit dsch. Streitkräften an einer atomaren Abschreckungsmacht d. „Vereinigten Staaten v. Europa“ zu beteiligen, definitiv zu d. Akten legen u. dies durch Reg. u. Parlm. öffentlich erklären wollen. Auf d. and. Seite meinen einflußreiche Abg., vor allem in d. CDU/CSU, dies zu verschenken ohne jede Gegenleistg d. Ostens sei unverantwortlich angesichts der ohnehin äußerst geringen Verhandlgsmarge d. Reg. in d. Fragen d. Wv. u. d. Sicherheitspolitik. D zuerst genannte Gruppe hält den v. d. Reg. angebotenen Gewaltverzicht aller Staaten d. Osten, einschl. d. DDR nur dann für überzeugend u. hilfreich bei d. Ostblockstaaten, wenn damit d. Verzicht auf eine irgendwie geartete milit. Mitbeteiligg d. BR an einer gemeinsamen Atomstreitmacht verbunden ist.

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Transkriptionsschritt 2 34 Berlin, 12. Oktober 1967 EZA Berlin, 742/2, hsl. Das Parlament erst seit der vergangenen Woche wieder zusammen. Wirtschafts- und Finanzfragen [***]. Personelle Überlegungen im Zusammenhang mit der ganz unguten Situation in Berlin spielen ziemlich große Rolle, nicht zuletzt auch wegen der geplanten Neubesetzung des Amtes des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt. Bei solcher Gelegenheit immer wieder deutlich, daß Generation um 50 Jahre noch ausgelaugter oder im 3. Reich untauglich gemacht zu sein scheint als die um 60. Kanzler und Fraktionen schieben längst abgesprochene Verhandlungen mit den Kirchen vor sich her, etwa über Fragen, die noch bis 1969 im Parlament vorkommen sollen. Novellierung der Strafgesetzbücher, Familienpolitik und mittelfristige Finanzplanung, politisches Strafrecht. Erneuerung des Strafvollzuges. Neuregelung der Pflegesätze für Krankenhäuser der freien Wohlfahrtspflege. Die Liberalen fragen uns wegen Wahlrechtsordnungen: wir wollten zur Gesundheit staatlichen Lebens helfen. Auch in der Frage eines neuen Wahlrechtes stimmen weder Sachauffassungen noch Terminkalender des zuständigen Innenministeriums mit denen führender Männer in den Koalitionsparteien überein. Seit die Mehrheit der Regierung im Parlament übergroß geworden ist, haben die Parteien an Geschlossenheit und klarer Kontur verloren, daß unsereiner nur zurückhaltend über die Auffassungen von Regierung und Opposition berichten kann. Trotz der Reden von Kiesinger und Brandt 8. 10. Am unklarsten ist die Situation in der Deutschlandpolitik und in der atomaren Frage im Zusammenhang mit der Europapolitik. Es bleibt ein relevanter Kreis von Männern in der SPD, die die ehemaligen Bestrebungen nach dem Scheitern des MLF, sich mit deutschen Streitkräften an einer atomaren Abschreckungsmacht der „Vereinigten Staaten von Europa“ zu beteiligen, definitiv zu den Akten legen und dies durch Regierung und Parlament öffentlich erklären wollen. Auf der anderen Seite meinen einflußreiche Abgeordnete, vor allem in der CDU/CSU, dies zu verschenken ohne jede Gegenleistung des Ostens sei unverantwortlich angesichts der ohnehin äußerst geringen Verhandlungsmarge der Regierung in den Fragen der Wiedervereinigung und der Sicherheitspolitik. Die zuerst genannte Gruppe hält den von der Regierung angebotenen Gewaltverzicht aller Staaten des Ostens, einschließlich der DDR nur dann für überzeugend und hilfreich bei den Ostblockstaaten, wenn damit der Verzicht auf eine irgendwie geartete militärische Mitbeteiligung der Bundesrepublik an einer gemeinsamen Atomstreitmacht verbunden ist.

III. Dokumentenverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Bericht zur Lage, Tutzing, 6. September 1951 ...........................................76 Bericht zur Lage, Berlin, 5. Dezember 1952...............................................79 Bericht zur Lage, Berlin, 7. Mai 1953..........................................................83 Bericht zur Lage, Berlin, 10./11. September 1953......................................88 Bericht zur Lage, Hannover, 1. Oktober 1954............................................91 Bericht zur Lage, Hannover, 2. Februar 1955 ............................................95 Bericht zur Lage, Berlin, 7./8. Mai 1956 .....................................................98 Bericht zur Lage, Frankfurt/M., 17./18. Januar 1957...............................103 Bericht zur Lage, Hamburg, 23./24. Mai 1957 .........................................106 Bericht zur Lage, Hannover, 26./27. September 1957 .............................111 Bericht zur Lage, Berlin, 3./4. Februar 1958 ............................................114 Bericht zur Lage, Berlin, 23. April 1959....................................................116 Bericht zur Lage, Hannover, 4./5. Februar 1960 ......................................121 Bericht zur Lage, Berlin, 30. März–1. April 1960.....................................124 Bericht zur Lage, Berlin, 18./19. Mai 1961 ...............................................128 Bericht zur Lage, Berlin, 31. August/1. September 1961.........................130 Bericht zur Lage, Frankfurt/M., 12. Oktober 1961 ..................................134 Bericht zur Lage, Berlin, 8. Februar 1962.................................................138 Bericht zur Lage, Berlin, 5. April 1962......................................................142 Bericht zur Lage, Berlin 5./6. April 1962 ..................................................145 Bericht zur Lage, Berlin, 29. November 1962 ..........................................148 Bericht zur Lage, Berlin, 28. Februar 1963...............................................152 Bericht zur Lage, Berlin, 9. Mai 1963........................................................157 Bericht zur Lage, Berlin, 19. März 1964....................................................160 Bericht zur Lage, Berlin, 27. August 1964 ................................................164 Bericht zur Lage, Berlin, 4./5. Februar 1965 ............................................167 Bericht zur Lage, Berlin, 7./8. Oktober 1965............................................169 Bericht zur Lage, Berlin, 26./27. Mai 1966 ...............................................171 Bericht zur Lage, Berlin, 6./7. 10. Oktober ...............................................175 Bericht zur Lage, Berlin, 30. November 1966 ..........................................178 Bericht zur Lage, Berlin, 16./17. März 1967 .............................................180 Bericht zur Lage, Berlin, 8. Juni 1967 .......................................................183 Bericht zur Lage, Berlin, 10. August 1967 ................................................189 Bericht zur Lage, Berlin, 12. Oktober 1967 ..............................................192 Bericht zur Lage, Berlin, 14. März 1968....................................................195 Bericht zur Lage, Berlin, 2. Mai 1968........................................................197 Bericht zur Lage, Berlin, 13. Juni 1968 .....................................................201 Bericht zur Lage, Berlin, 25. September 1969 ..........................................204

74 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Dokumentenverzeichnis

Bericht zur Lage, Berlin, 23. Oktober 1969 ..............................................208 Bericht zur Lage, Berlin, 23./24. Oktober 1969........................................211 Bericht zur Lage, Hannover, 11. Februar 1970 ........................................214 Bericht zur Lage, München, 29. Juli 1970.................................................217 Bericht zur Lage, München, 29./30. Juli 1970 ..........................................221 Bericht zur Lage, Bonn, 11. November 1970............................................223 Bericht zur Lage, Hannover, 13./14. Januar 1971 ....................................226 Bericht zur Lage, Berlin, 17./18. März 1971 .............................................229 Bericht zur Lage, Berlin, 7./8. Juli 1971 ....................................................233 Bericht zur Lage, Bonn, 13./14. Oktober 1971 .........................................235 Bericht zur Lage, Berlin, 16./17. März 1972 .............................................239 Bericht zur Lage, Kirchberg, 9. Mai 1972 .................................................243 Bericht zur Lage, Mauloff, 8./9. Juni 1972 ................................................247 Bericht zur Lage, Berlin, 6. Juli 1972.........................................................254 Bericht zur Lage, Berlin, 7. Juli 1972.........................................................260 Bericht zur Lage, Hannover, 21./22. September 1972 .............................262 Bericht zur Lage, Hannover, 21./22. September 1972 .............................268 Bericht zur Lage, Berlin, 16./17. November 1972 ....................................272 Bericht zur Lage, Bonn, 15./16. Februar 1973..........................................280 Bericht zur Lage, Bonn, 1./2. Juli 1973......................................................290 Bericht zur Lage, Berlin, 10. August 1973 ................................................295 Bericht zur Lage, Hannover, 28. September 1973....................................305 Bericht zur Lage, Frankfurt/M., 7./8. Dezember 1973 ............................311 Bericht zur Lage, Berlin, 10./11. Mai 1974 ...............................................317 Bericht zur Lage, Berlin, 4./5. Juli 1974 ....................................................325 Bericht zur Lage, Stuttgart, 20./21. September 1974 ...............................328 Bericht zur Lage, Darmstadt, 13./14. Dezember 1974.............................333 Bericht zur Lage, Hannover, 28. Februar 1975 ........................................336 Bericht zur Lage, Berlin, 23. Mai 1975......................................................340 Bericht zur Lage, Nürnberg, 27. September 1975....................................352 Bericht zur Lage, Berlin, 30./31. Januar 1976...........................................356 Bericht zur Lage, Hannover, 27./28. Februar 1976 ..................................362 Bericht zur Lage, Friedewald, 13.–15. Mai 1976 ......................................372 Bericht zur Lage, Berlin, 23. Juni 1976 .....................................................380 Bericht zur Lage, Bonn, 17./18. September 1976 .....................................389 Bericht zur Lage, Hannover, 7.–9. Oktober 1976.....................................397 Bericht zur Lage, Berlin, 14./15. Januar 1977...........................................404

IV. Dokumente A. 1951 bis 1961 – Deutsche Teilung und Kalter Krieg

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1951 bis 1961 – Deutsche Teilung und Kalter Krieg

1 Tutzing, 6. September 1951 EZA Berlin, 742/1, hsl. Washington – Ottawa (Italien) – Rom (Mitte Oktober)1 Amerika: Nationalarmee – Atlantikpakt Plevenplan: Kampftruppen (Kanonenfutter). Ziel europäische Streitmacht. Wesentlichste Problem die Gleichberechtigung. Grundsätzlich allgemeine Forderung, aber differenziert im Weg. Allgemein Forderung, Besatzungsstatut durch zweiseitige Verträge zu ersetzen. SPD hält das nicht für ausreichend, Meinung, nicht möglich, in einem Lebensbereich nach dem anderen Gleichberechtigung zu erkämpfen, Montan-Union, jetzt Gewerkschaften. Alliierte wollen Kohle und Soldaten, haben sie beides, werden sie sich sehr lange bitten lassen. Auch im Blick auf Soldaten unerläßlich, daß sie nicht weniger verteidigen als etwa französische Soldaten in der gleichen Streitmacht. Kanzler: militärischer Beitrag de facto die Gleichberechtigung. Demgegenüber wird man erinnern müssen an Ruhrbehörde. Besatzungskosten, Kemritz2, Auslands[***] usw. Bildlich: Weg zur europäischen Außenpolitik, Seine wie Saar, volle Gleichberechtigung usw., Adenauer: umgehen, korrigieren von Ziel, bei europäischer Außenpolitik gibt es kein Saarproblem mehr. SPD: Meilensteine: Prüfsteine, bisherige Erfahrungen in Straßburg nicht ermutigend. Weg: Einladung an Bundesregierung, sich an europäischer Streitmacht zu beteiligen, dann Bundestag. Nichts ist geschehen, Schumacher gegen Suggestionspropaganda: alles ist entschieden3. 1 Die Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs fand vom 10. bis 14. 9. 1951 in Washington, D. C. statt. Der NATO-Ministerrat tagte vom 15. bis 20.9 1951 in Ottawa und vom 24. bis 28. 11. 1951 in Rom; vgl. Konferenzen und Verträge II, Bd. 4 A, 415; und AAPD 1951, 383, 642. 2 Kunst erinnert hier an die Fälle, in denen die alliierten Siegermächte massiv in das Recht der Bundesrepublik auf autonome Regelung ihrer inneren Angelegenheit eingegriffen hatten – so im Fall des Rechtsanwalts Hans Kemritz, der während der NS-Zeit für den deutschen militärischen Abwehrdienst gearbeitet hatte. Während seiner russischen Kriegsgefangenschaft ließ dieser sich 1945 vom sowjetischen Geheimdienst anwerben und half nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft bei der Verhaftung von westdeutschen Staatsbürgern durch die Sowjets, indem er diese in sein Ostberliner Büro lockte. Gleichzeitig arbeitete Kemritz für den US-Geheimdienst. Nachdem das Amtsgericht Frankfurt/M. Anfang November 1950 einen Haftbefehl gegen Kemritz ausgestellt hatte, teilte der amerikanische Landeskommissar für Hessen mit, dass das Verfahren an ein Besatzungsgericht abgegeben worden sei. Die Bundesregierung protestierte mit einer Note vom 29. 6. 1951 an den Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten gegen die „Eingriffe in die deutsche Rechtspflege durch amerikanische Behörden“; vgl. das Memorandum der Bundesregierung über den Fall Kemritz in: Deutscher Bundestag, WP 1, Drucksache 1/3379 vom 16. 5. 1952 (online). 3 Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher hatte sich sowohl gegen den 1950 vorgestellten SchumanPlan der Unterstellung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion unter eine

Tutzing, 6. September 1951

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Alle Fraktionen noch nicht verhandelt, nur Experten, Abgeordnete nicht informiert über Paris. Ein San Franzisko für Deutschland4. Einmütigkeit: 1. kein Pazifismus, so oder so Wehrbeitrag. Bei SPD zwar Stimmen, Verteidigungsbeitrag braucht nicht Wehrbeitrag zu sein, aber Soldaten wird es wieder geben. 2. keine Neutralitätspolitik, bei der geschichtlichen Situation Deutschlands nicht möglich5. Differenz: Bedenken wegen staatsrechtlich. Art. 4 Grundgesetz, Souveränitätsrechte, SPD Änderung des Grundgesetzes unerläßlich. Gutachten Kaufmann, Jellinek.6 Im Blick auf Jugend ernst, nicht Anschein erwecken, als würde Gesetz Nase gedreht. Dr. Arndt öffentlich: gewaltsamer Widerstand. Ohne Volk gehört zu haben, wird oft angemeldet7. Ostreaktion wenig ventiliert. Wie Paris: 250.000. Divisionen [auf] nationaler Ebene, auf Korpsebene europäische Versorgungstruppen möglichst vollständig. Eigentliche Fragen: Kommandogewalt, Combat z. Zt. verhandelt. Freiwillig, 500.000, Grenzschutz 51.000, Frontschutz noch keine Konturen,

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gemeinsame Hohe Behörde, als auch gegen den ebenfalls 1950 bekannt gewordenen Plevenplan für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft ausgesprochen. Schumacher vermutete hinter diesen Konzepten die Absicht, die Wirtschaftskraft und das militärische Menschenpotential der Deutschen unter alliierte, und das hieß für ihn französische Verfügungsgewalt, zu stellen. Er glaubte, dass beide Verträge darauf angelegt seien, aus den Deutschen Europäer zweiter Klasse zu machen; vgl. Rundfunkansprache des 1. Vorsitzenden der SPD, Dr. Kurt Schumacher, vom 18. September 1951, Europa-Archiv 7 (1951), 4407. Die Konferenz in San Francisco über einen Friedensvertrag mit Japan fand vom 4. bis 8. 9. 1951 statt. Am 8. 9. 1951 war der Friedensvertrag von 48 Staaten, u. a. von Frankreich, Großbritannien und den USA unterzeichnet worden, jedoch nicht von der Sowjetunion; vgl. AAPD 1951, 463. Grundsätzlich bejahte Schumacher die Wiederaufrüstung und Westbindung der Bundesrepublik. Doch knüpfte er die Zustimmung der SPD an die vollständige nationale, und damit auch militärische, Gleichberechtigung. Gleichzeitig forderte er die massive Verstärkung der alliierten Truppen auf deutschem Boden und die Strategie einer „offensiven Defensive“, um zu verhindern, dass Deutschland zum Kriegsschauplatz wurde; vgl. Merseburger, Deutsche, 476–486. Die Juristen Erich Kaufmann und Walter Jellinek hatten 1950 Gutachten für die Bundesregierung erstellt, aus denen hervorging, dass das Grundgesetz nicht geändert werden musste, wenn Deutschland Streitkräfte aufstellen wollte. Diese Gutachten waren allerdings umstritten; vgl. Wehr-Gutachten. Überall Körbe. In: Der Spiegel 6 (1952) Nr. 26 vom 25. 6. 1952, 6 f. Um den EVGVertrag zu verhindern, strengte die SPD um die Jahreswende 1951/52 eine vorbeugende Normenkontrollklage beim gerade gegründeten Bundesverfassungsgericht an. Damit sollte erreicht werden, dass die Verträge nur nach einer entsprechenden Grundgesetzänderung angenommen werden konnten, für die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig gewesen wäre. Die beim Bundesverfassungsgericht anhängige Klage erübrigte sich, nachdem die CDU/CSU bei den Wahlen im Oktober 1953 eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag errungen hatte; vgl. Vor 60 Jahren: Ja zum Deutschlandvertrag (online). Die SPD votierte gegen die Wiederbewaffnung und Westintegration, weil diese die deutsche Wiedervereinigung aus ihrer Sicht unmöglich machten. Verhandlungen über die Souveränität Deutschlands sollten ohne die Bindung an einen europäischen Verteidigungsbeitrag stattfinden. Die SPD argumentierte, dass die im Vertrag vorgesehene Bindungsklausel, nach der ein wiedervereinigtes Deutschland zum Westen gehören musste, den Sowjets nicht zugemutet werden könne; vgl. ebd.

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1951 bis 1961 – Deutsche Teilung und Kalter Krieg

Kader freiwillig, dann aber allgemeine Wehrpflicht, Eid, Pfarrereinsatz, Wehrmachtseelsorge, Kriegsdienstverweigerung. Gegen freiwillige Armee: die Leute, die nicht gewollt sind.

79 2 Berlin, 5. Dezember 1952 EZA Berlin, 742/1, hsl. Alles in Bonn überschattet von der Frage der Ratifizierung des Generalvertrages. Die Mehrheit ist sicher, besonders seit Bayernpartei nach harter Auseinandersetzung mit Dr. Etzel – Begegnung mit Ostzonendelegation – für Verträge stimmte1. Die Gründe pro et contra so oft ventiliert, daß keine Neuheiten mehr zu erwarten sind. Aber Aufmerksamkeit des Rates auf Bundesverfassungsgericht lenken. Eine Verlegenheit schon durch Erkrankung seines Präsidenten Höpker-Aschoff. Ziemlich sicher, knappe Mehrheit in jedem Fall. Im Effekt nicht sehr belangvoll, ob Stimmenverhältnis 13 : 11 für oder gegen wird. Die Bundesregierung noch nicht entschlossen für Maßnahmen bei ablehnendem Votum. Das eigentlich Besorgniserregende, es gilt als ausgemacht, daß die Richter stimmen werden wie die Parteien, von denen sie nominiert sind. Schon jetzt kann man Vorwurf der Ausdehnung des Parteizwanges auf die Richter hören. Wenn daraus die eine oder andere Seite die Folgerung des Rücktritts ziehen sollte, ist das Gericht handlungsunfähig. Da 34 Mehrheit des Richterwahlkollegiums notwendig, Neubildung aussichtslos. Man muß auch mit der Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rechnen, mindestens mit der Erwägung der Änderung. Ich habe in Ausführung der Beschlüsse des Rates von Tutzing 1951 und Speyer 1952 die zuständigen Minister des Inneren und der Justiz in dieser Woche darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die EKD ganz allgemein besonders aber im Blick auf die Jugend daran interessiert sei, daß bei allen Erwägungen der Respekt vor dem Recht oberster Maßstab sein müsse2. Antwort: Gericht sei 1 Am 19. 9. 1951 empfing Bundestagspräsident Hermann Ehlers eine Delegation von fünf Volkskammerabgeordneten der DDR. Der Entschluss von Ehlers, diese Delegation zu empfangen, war in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wie in der Regierung und Opposition auf große Ablehnung gestoßen. Ehlers hatte jedoch klargestellt, nicht mit der Delegation verhandeln zu wollen. Das Treffen dauerte nur 18 Minuten, in denen die DDR-Delegierten eine vorbereitete Erklärung der Volkskammer überreichten, die den Bundestag aufforderte, in Verhandlungen mit der Volkskammer über Frieden und Wiedervereinigung zu treten. Am Abend trafen sich drei Delegationsmitglieder mit Hermann Etzel von der Bayernpartei, der als der schärfste Widersacher der Westverträge im bürgerlichen Lager galt; vgl. Ost-Delegation. Weil es so herzlich war. In: Der Spiegel 6 (1952), Nr. 39 vom 24. 9. 1952, 5–8, 7. Daraufhin musste sich Etzel vor einem Schiedsgericht der Bayernpartei verantworten. Das Gericht forderte ihn auf, sich von der Neutralitätspolitik zu distanzieren und für die EVG-Verträge zu stimmen, andernfalls drohe ihm die Suspension von seinen Parteiämtern oder der Ausschluss aus der Bayernpartei. Hermann Etzel trat am 3. 12. 1952 aus der Bayernpartei und der Fraktion der Föderalistischen Union (Bayernpartei und Zentrum) aus; vgl. Personalien. Hermann Etzel. In: Der Spiegel 6 (1952), Nr. 46 vom 12. 11. 1952, 26; und Plenarprotokolle (online), WP 1, 240. Sitzung, 11100 B. 2 Im Protokoll der Ratssitzung vom 6./7. 9. 1951 findet sich kein entsprechender Beschluss. Im

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überfordert. Es handele sich in den Verträgen primär um eine politische Entscheidung. Man scheint noch mit sehr unangenehmen Schritten rechnen zu müssen. Es gelingt kaum ein Gespräch, alles dreht sich um Karlsruhe. Die Parteitage in voller Öffentlichkeit. Nur Randbemerkungen. CDU Berlin, der Kanzler hat in fast allen kritischen Punkten nachgeben müssen3. Dr. Tillmanns ist selber sehr beeindruckt von Berlin zurückgekommen. Mir gesagt: in keiner Stadt sei seine Politik so populär als in Berlin. Hinter den Kulissen in den Bundesgeschäftsstellen der Parteien spielt im Blick auf 1953 der Kampf um die Stimmen der Nazis eine Rolle4. Wuermelings Kontroverse mit der DP wegen der Frankfurter Vorgänge sehr geschadet5. These: wir wollen die Einfügung der alten Nazis, aber, wer sich so verhängnisvoll geirrt, heute nicht zur politischen Führung berufen. FDP hat sicher viele Stimmen gewonnen in Länderwahlkämpfen durch Einstellung von Nazis als Kreisgeschäftsführer (also 2. Glied), dann durch Verdächtigung der CDU als katholische Partei. Nordrhein-Westfalen: CDU gewachsen in rein katholischen Gegenden, in Evangelischen fast überall zu Gunsten der FDP schwächer geworden. FDP-Stellungnahme zur Kulturpolitik. Einladung an Kirchen zum Gespräch. Dehler in Lage sich auseinandergesetzt mit Kanzelerklärung Frings6.

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Ratsprotokoll vom 19./20. 6. 1952 heißt es: „Superintendent Kunst wurde beauftragt, dem Bundespräsidenten mündlich dafür zu danken, dass er durch Einholung eines Rechtsgutachtens in Sachen der Westverträge um die Wahrung der vollen Rechtmässigkeit bemüht gewesen ist.“ (Protokolle, Bd. 6, 257). Der 3. Bundesparteitag der CDU fand vom 17. bis 19. 10. 1952 in Berlin statt. Konrad Adenauer wurde erneut zum Ersten Vorsitzenden gewählt, Hermann Ehlers und Jakob Kaiser zu seinen Stellvertretern. Auf dem Parteitag wurde beschlossen, die ganze Kraft der Partei für die Wiedervereinigung Deutschlands und die Schaffung einer europäischen Föderation einzusetzen; vgl. 3. Bundesparteitag der CDU Berlin (online), 5 f. Die DP hatte eine Große Anfrage über die Gewährleistung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Deutschen Bundestag beantragt. Grund waren die teils gewaltsamen Störungen von Versammlungen der DP während der Landtagswahlen in Hessen durch SPD und KPD-nahe Gruppen, die sich gegen den DP-Politiker Friedrich Krebs richteten. Der ehemalige Oberbürgermeister von Frankfurt Krebs hatte bis 1937 u. a. das Amt des Kreisleiters der NSDAP inne. Bei der Wahl zur Stadtverordneten-Versammlung 1952 kandidierte er für die DP, musste jedoch das ihm zugefallene Mandat nach dem energischen Widerspruch der SPD-Fraktion niederlegen; vgl. Lerner, Krebs. Der CDU-Abgeordnete Franz-Josef Wuermeling, der aus politischen Gründen 1939 von seinem Amt in der Provinzialverwaltung Kassel suspendiert worden war, hatte es in der Bundestagsdebatte am 11. 6. 1952 als geschmack- und taktlos bezeichnet, dass ehemalige Nazis das „gepeinigte und geplagte“ deutsche Volk durch ihr Wiederauftreten provozierten. In seiner Rede hatte Wuermeling auf Art. 18 des Grundgesetzes verwiesen, in dem Vertretern eines undemokratischen Systems mit der Aberkennung der Grundrechte gedroht wird; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 1, 218. Sitzung, 9580 (A). Kunst hielt die scharfe Stellungnahme Wuermelings offenbar für falsch, da er grundsätzlich für die Integration ehemaliger Nazis in den neuen Staat eintrat. Gleichzeitig sprach er sich dagegen aus, dass ehemalige nationalsozialistische Führungskräfte wieder in leitende Positionen gelangten. Vgl. ebd., 9579C–9580B. Am 2. 11. 1952 hatte sich Bundesjustizminister Dehler auf einer Wahlkundgebung der FDP in

Berlin, 5. Dezember 1952

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Aufgesucht. Sehr zurückhaltend, Recht zur öffentlichen Äußerung anerkannt, aber keine Klerikalisierung. Unmöglich, einen Wahlkampf allein unter der Parole des Elternrechtes zu führen. Dadurch politische Auseinandersetzung unmöglich gemacht, Tod der Demokratie. Geantwortet: Einmütig gegen Säkularisierung der Kirche durch Staat und Parteien und Klerikalisierung des öffentlichen Lebens. SPD scheint selber nicht glücklich über Dortmund zu sein. Kein mitreißendes Programm7. Herrschaft der Funktionäre nach Schumachers Tod. Vereinsamung der deutschen SPD. Schon auf der Gründungsversammlung der sozialistischen Internationale in Frankfurt am Main deutlich8. In diesem Jahr Mailand noch klarer9. Folge der Uneinigkeit nur noch Empfehlungen, keine Beschlüsse. Konzession an deutsche Delegation, Beschluß, Konferenz der Großen für freie Wahlen anzustreben. Spaak: nutzloser und rein propagandistischer Appell, weil für Rußland an unannehmbare Bedingungen geknüpft10. Ollenhauer: keine Koreagespräche. Stellt sich nach gewisser Zeit heraus, Verhandlungen sinnlos, neue Lage, dann Überprüfung und neue Entscheidung. Sozialistische Internationale immerhin Erweiterung des Schumanplanes gegen deutsche SPD gefordert11.

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Lage gegen einen Wahlaufruf des Kölner Erzbischofs Kardinal Frings zu den Kommunalwahlen am 9. 11. 1952 gewandt. Es gehe nicht an – so Dehler – dass ein hoher geistiger Würdenträger die Gläubigen zur Wahl anspreche; vgl. Dehler wendet sich gegen Frings in: FAZ vom 3. 11. 1952, 2. Auf ihrem fünften Parteitag nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vom 24. bis 28. 9. 1952 in Dortmund hatte die SPD mit großer Mehrheit beschlossen, auch nach dem Tod Kurt Schumachers ihren bisherigen Kurs fortzusetzen. Dies bedeutete ein klares Nein zum Generalvertrag, weil dieser in den Augen der SPD zum einen nicht die volle Gleichberechtigung der Bundesrepublik gegenüber den Alliierten sicherte und zum anderen durch die einseitige Westbindung die deutsche Spaltung vertiefte; vgl. Das Erlebnis von Dortmund. In: Neuer Vorwärts 5 (1952), Nr. 40, 1 f. Die SPD hatte sich unter Schumacher isoliert, da sie Verhandlungen mit dem Ostblock und Vertretern der DDR ablehnte, gleichzeitig aber auch gegen die im Generalvertrag festgeschriebene Westbindung war; vgl. Erster Kongress (Neugründung) der Internationalen Sozialistischen Konferenz in Frankfurt/M. vom 30.6.–3. 7. 1951 in: AdsD50 (online). Auf dem zweiten Kongress der Internationen Sozialistischen Konferenz in Mailand vom 18. bis 21. 10. 1952 votierten die Parteien, die ausschließlich West- und Nordeuropa repräsentierten, für die Einberufung einer Viermächtekonferenz zur Wiedervereinigung Deutschlands. Gleichzeitig bekannten sie sich aber auch zum Aufbau der westlichen Verteidigung und zum Prinzip der kollektiven Sicherheit. Die Ausnahme bildeten die deutschen Sozialdemokraten, die einer gemeinsamen europäischen Verteidigung nur unter der Bedingung zustimmten, dass die Wiedervereinigung Deutschlands dadurch nicht behindert werde; vgl. 2. Kongress der Sozialistischen Internationale. In: Neuer Vorwärts 5 (1952), Nr. 43, 10. Paul-Henri Spaak spielte möglicherweise auf die Entschließung des Kongresses an, in der sich die sozialistischen Parteien zum Aufbau der westlichen Verteidigung bekannten und für eine Viermächtekonferenz plädierten, mit dem Ziel, die westlichen und östlichen Zonen Deutschlands unter einer Regierung auf der Basis freier Wahlen unter internationaler Kontrolle in ganz Deutschland wieder zu vereinigen; vgl. ebd. Die SPD lehnte den Schuman-Plan ab. Die Idee einer auf der Montanunion der Bundesrepublik

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1951 bis 1961 – Deutsche Teilung und Kalter Krieg

Gesamtdeutsche Volkspartei. Am meisten Eindruck Kommentar der Frankfurter Neuen Presse12. Volle Anerkennung der Motive, aber schon in der Notgemeinschaft Sammelbecken der Negation, Gegner Adenauers. Hinzukamen kryptokommunistische Zirkel. Heimat der politischen Heimatlosen. BHE darin von gleichem Willen beseelt. Tür offen für radikal politische Unterwanderung. Einheit der Partei im Antikomplex, auf dem sich christliche und freie Demokraten, Sozialisten und Kommunisten einen lassen. Konzept: blockfreie Politik. Wie möglich angesichts der Blockbildung in der Weltpolitik. Heinemann hat Osten aufgerufen zum Widerstand gegen Wiederaufrüstung. Erreichte er das, würde er SED-Regiment aus den Angeln heben. Vorschlag von Verhandlungen übersieht Korea und Oesterreich. Der bisherige Verlauf der Ost-westdeutschen Gespräche stellt keine gute Prognose für zukünftige Gespräche. Gerät das Gespräch, will Heinemann Friedensschluß abwarten. Dafür keine neue Partei nötig. Uns liegt auch nicht am Fernziel, sondern Nahziel: Deutsche und europäische Sicherheit. Es geht nicht mit unbewaffneter Neutralität. Getadelt wird der Mangel an Einsicht in die realpolitische Gegenwart und die sittlich bestimmenden Kräfte. Es geht nicht um Verneinung dessen, was ist, und mit der Proklamation dessen, was man hofft und wünscht. Partei kein Zentrum neuer Kräfte, sondern Ferment der weiteren Entzweiung. – Auch sonst: verschiedenste politische Zielsetzungen. Zersplitterung der eigentlich kirchlichen evangelischen Kräfte. Ausklammerung der Evangelischen aus CDU muß viele Türen für die Evangelischen im öffentlichen Raum zuschlagen. Geantwortet: wir würden natürlich nicht so operieren, daß wir zwischen allen Stühlen sitzen, aber politisches Urteil nicht primär bestimmt von der Wahrung kirchlicher Belange. […]

und Frankreichs aufbauenden neuen westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde als Erfindung des ,klerikalen und liberalen Bürgertums Westeuropas‘ bezeichnet. Man hielt den Vertrag zur Montanunion, der am 23. 7. 1952 in Kraft getreten war, für unsozial und für ein Instrument französischer Hegemoniebestrebungen; vgl. Merseburger, Deutsche, 468; und Einiges Deutschland, 3. 12 Vgl. Delvos, Partei.

83 3 Berlin, 7. Mai 1953 EZA Berlin, 742/1, hsl. Seit der letzten Ratstagung in der Politik der Bundesrepublik wesentlichstes Ereignis Amerikareise1. Die wesentlichen Ergebnisse der Beratungen sind bekannt. Auch sehr kritische Beobachter in Bonn anerkennen nicht nur den persönlichen Erfolg des Kanzlers. Was Amerika mit dieser Behandlung des Kanzlers auch meinte, wird deutlich, wenn man sich an die Kühle des Empfangs des französischen Ministerpräsidenten Mayer und Bidault 3 Wochen vorher erinnert2. Inzwischen ist ein kräftiger Reif auf den Frühling gefallen durch das Verhalten des Bundesrates in der Sache der Verträge. Mayer vor der Amerikareise dem Kanzler gesagt: weder dagegen stimmen noch sich der Stimme enthalten. Adenauer ohne Kenntnis der reservatio Eisenhower gesagt: Verträge passieren auch Bundesrat3. Situation verfahren wie nur möglich. Regierung hält nur 2 Teile des Vertragswerkes für zustimmungspflichtig durch den Bundesrat, Hauptvertragswerk kann ratifiziert werden. Bundesrat hält das ganze Werk für zustimmungspflichtig. Der Bundesrat kann zur Entscheidung durch 1 von der CDU regiertes Land gezwungen werden, aber alles hängt an der Stimme Württemberg-Baden. Unter keinen Umständen will die Regierung das Risiko eingehen, im Bundesrat die Verträge durchfallen zu lassen. Von daher die Bemühungen um neue Regierung in Niedersachsen oder Württemberg. Gegen beides lebhafte interne Opposition in der CDU. Man hält besonders die Verhandlungen in Niedersachsen für unwürdig, manche sogar für ein böses Spiel mit der Demokratie überhaupt. Der Kanzler in ernster Auseinandersetzung mit seinem Fraktionsvorstand. Abgesehen von dem Widerstand gegen diese Methode, die Verträge durchzusetzen, hält man die in Niedersachsen vorgesehene personelle Lösung für unmöglich. Politischer Wildwuchs. Etwa Steg-

1 Kunst berichtet hier über die erste Amerika-Reise Adenauers vom 1. bis 19. 4. 1953, auf der dieser zahlreiche US-amerikanische Regierungsvertreter getroffen hatte. Adenauer hatte dem amerikanischen Volk für die karitative und politische Unterstützung der Bundesrepublik nach 1945 gedankt, seine Wünsche in Bezug auf die militärische Sicherung durch die USA vorgebracht und die westlichen Alliierten aufgefordert, wegen der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten an die Sowjets heranzutreten und selbst eine liberalere Begnadigungspraxis gegenüber verurteilten deutschen Kriegsverbrechern zu praktizieren; vgl. Adenauer, Erinnerungen, Bd. 2, 573 f. 2 Adenauer war am 9. 3. 1953 nach Straßburg gereist, um dort mit dem französischen Außenminister Georges Bidault über die Saarfrage zu sprechen; vgl. AAPD 1953, Bd. I, 261. 3 Der Ministerpräsident der Landesregierung von Baden-Württemberg Reinhold Maier (FDP/ DVP), der in einer Koalition mit SPD und BHE regierte, hatte sich noch nicht entschieden, ob er im Bundesrat für oder gegen den Abschluss des EVG-Vertrages stimmen werde; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 170, 178.

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ner Ministerpräsident, Schönfelder DP – Kultusminister4. Der Bundespräsident SPD versprochen, Karlsruhe zu hören5. In der Stille lebhaftes Murren gegen solche Zusage. Aus der Regierung wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß Regierung nicht beliebig lange Verträge anhalten könne. Sie sei nach dem Grundgesetz verpflichtet, die Verträge zur Unterschrift vorzulegen. Vom Parteivorstand der SPD hörte ich in letzter Zeit weniger die bekannten Einwände gegen Einzelheiten der Verträge, aber es wurde gepocht auf die größere Verantwortung, die Verfassung zu achten. Man ist versucht, als simile zu sagen, wie wir in der EKD als Kirche weiter sind als unsere dogmatische Formulierungsgabe reicht, so ist die politische Entwicklung der Bundesrepublik durch die Ereignisse der Weltpolitik in den letzten 3 Jahren weiter als das Grundgesetz. Ziemlich sicher wird die Regierung nicht das Risiko eingehen, sich vor den Wahlen die Verträge durch den Bundesrat oder durch Karlsruhe verwerfen zu lassen. Man wird lieber mit der offenen Frage in den Wahlkampf gehen. Die Legislaturperiode des Bundestages soll nach einem Beschluß des Ältestenrates bis zum 4. 7. dauern. Am gewichtigsten war in diesen Wochen die große Eisenhowerrede6, die ziemlich sicher aus Eisenhowers Feder selber stammt. Auch die SPD sieht die Rede als hochbedeutsam an. Es ist die 1. Rede eines amerikanischen Staatsmannes seit 1945, die im vollen Wortlaut in der Sowjetpresse wiedergegeben ist, freilich mit Kommentar. In Ostzonenpresse erschien nur der Kommentar. Die Antwort der Sowjets hat sehr enttäuschend gewirkt. In Bonn im Auswärtigen Amt empfindet man den Rekurs auf das Potsdamer Abkommen als das Schlimmste, was uns passieren könnte. Von daher wird in Bonn mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß äußerstes Mißtrauen gegen die Russen 4 Die Regierung Adenauer hatte versucht, die SPD-geführte Regierung Niedersachsens zu stürzen, um eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat für die Abstimmung über den EVG-Vertrag sicherzustellen; vgl. ebd., 179. 5 Bundespräsident Theodor Heuß unterschrieb den EVG-Vertrag zunächst nicht, weil er aus Rücksicht auf die Normenkontrollklage der SPD beim Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Gerichts abwarten wollte; vgl. ebd., 178. 6 Nach dem Tod Stalins am 5. 3. 1953 präsentierte der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower eine Reihe von Vorschlägen, die das Wettrüsten mit der Sowjetunion beenden sollten. Er forderte die neue Führung der Sowjetunion auf, mit den anderen Völkern in der Abrüstungsfrage zusammenzuarbeiten. Diese sollte einen Waffenstillstand in Korea herbeiführen sowie den Staaten Osteuropas die freie Entscheidung über ihre Regierungsform gestatten. Darüber hinaus schlug Eisenhower vor, durch freie und geheime Wahlen das Ende der Teilung Europas herbeizuführen sowie ein freies und vereintes Deutschland mit einer aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangenen Regierung. Die Rede Eisenhowers vor der American Society of Newspaper Editors am 16. 4. 1953 erschien in der New York Times am 17. 4. 1953; Abdruck der deutschen Übersetzung in: Europa-Archiv 8 (1953), 5731–5734. Die Prawda druckte die Rede Eisenhowers zwar ab, kritisierte sie aber scharf wegen des von Eisenhower entwickelten Szenarios eines Atomkrieges, das man in der Sowjetunion als Drohung begriff. Auch widersprach man der Behauptung Eisenhowers, die osteuropäischen Staaten hätten nicht frei über ihre Regierungsform entscheiden können; vgl. „Eine sowjetische Stellungnahme in der Prawda vom 25. April 1953“ (ebd., 5734–5738).

Berlin, 7. Mai 1953

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am Platze sei. An keinem Punkte habe man bisher Taten des Friedens erkennen können. Korea, Österreich, Verhandlungen über Luftkorridor, Kirchenkampf. Koreas Bemühungen um Ausland, Entlastungsoffensive7. Der Kanzler kämpft erbittert gegen eine Art, die das Angebot Eisenhowers am Rande behandelt und mit Intensität auf einen russischen Luftballon achtet und dabei in der Anstrengung um die Sicherung des Westens erlahmt. Andererseits Kräfte, die auch differenzierte Politik wollen, dabei denkt man mehr an Churchill als an Frankreich, das je länger desto mehr [***] schwacher Mann am Bosporus. Der Kirchenkampf wachsende Aufmerksamkeit8. SPD noch vorgestern mir sagen lassen, bereit mit der Koalition auf jede erwünschte Hilfe zuzugehen, auch auf gemeinsame Beschlüsse des Bundestages. Anregung müßte vom Rat ausgehen. Bewußt, mit größter Sorgfalt behandelt, sonst mehr Schaden als Nutzen. Beschluß des Bundestages von 6.5.46 1/2 Millionen, Verstärkung des Interzonenhandels, Warenkredite, unmittelbare Hilfsaktion9. Vorschläge zu dem befremdlichen Nebeneinander von Friedensoffensive und Kirchenkampf10: 1. längst beschlossen, noch nicht koordiniert, wenig wahrscheinlich bei der Aufmerksamkeit der Welt. 2. wilde Leute in Pankow, die sich seit Stalins Tod nicht mehr wie bisher an der Kandare fühlten, auch abgelehnt. 3. in der Zone wachse die Aufsässigkeit wegen der Lebensmittelknappheit, 7 Durch den Wahlsieg Eisenhowers, der einen Waffenstillstand in Korea anstrebte, und den Tod Stalins kam es am 27. 7. 1953 zur Aushandlung eines Waffenstillstandes in Korea; vgl. Konferenzen und Verträge II, 4 A, 433. 8 In der ersten Jahreshälfte 1953 hatte sich die gegen die evangelische Kirche gerichtete Politik der DDR erheblich verschärft, so dass man in Kirchenkreisen in Anspielung auf den Nationalsozialismus von einem „Kirchenkampf“ sprach. Im Zentrum der kirchenfeindlichen Propaganda standen die Angriffe auf die „Junge Gemeinde“. Hinzu kamen Beschlagnahmungen diakonischer Einrichtungen, Verhaftungen kirchlicher Mitarbeiter, die Schließung der Bahnhofsmissionen und empfindliche finanzielle Einbußen, die auf den Ausfall zugesagter Staatsleistungen zurückgingen; vgl. KJ 80 (1953), 131; und Protokolle, Bd. 7, 12. 9 Eine Folge der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Verfolgung der bisher selbstständigen Bauern in der DDR war der Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung in der DDR. Alle Parteien im Deutschen Bundestag außer der KPD stimmten deshalb für den Vorschlag des Ausschusses für Gesamtdeutsche Fragen, den Betrag von 46.528.000 DM für die Lieferung von Fett, Fleisch und Kartoffeln bereitzustellen, um die Lebensmittelnot in der DDR zu lindern; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 1, 264 Sitzung, 6. 5. 1953, 12926; und Schriftlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU in: Deutscher Bundestag, WP 1, Drucksache 4303 (online). 10 Ende Mai 1953 wurde die sowjetische Kontrollkommission in Deutschland aufgelöst und Wladimir Semjonow, der als Exponent einer gemäßigteren Linie gegenüber dem Westen galt, zum Hohen Kommissar in der DDR ernannt. Die SED wurde gezwungen, ihre Politik des „verschärften Klassenkampfes“ zu revidieren und zahlreiche in diesem Kontext eingeführten Maßnahmen unverzüglich zurückzunehmen; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 189.

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Ausbeutung der Arbeitskraft, Normensteigerung. Die Funktionäre registrierten das, fragten nach dem Grund, es kann nicht liegen an ihnen selber, dem System, den Parteien, also an der Kirche. 4. Die Russen bereiten ein Gespräch vor. Asiatische Methode, das Verhandlungsobjekt möglichst kostbar zu machen. Für eine gut verwaltete Zone gibt der Amerikaner nicht viel. Aber wenn die Verelendung der Zone die Herzen der Völker bewegt, wird man bereit sein, für die Befreiung der Zone einen hohen Preis zu zahlen, vielleicht sogar Anerkennung Rotchinas11. Wird für die wahrscheinlichste Theorie gehalten. 5. wird darauf hingewiesen, daß der Russe es zum 1. Mal in seiner Geschichte abgesehen von den nicht vergleichbaren Verhältnissen im Baltikum mit der Evangelischen Kirche zu tun habe. Erlebt, daß Jugend zur Kirche steht. Paßt nicht zur Doktrin. Jetzt zeige sich die andere Seite des bolschewistischen Systems, falle eine als feindlich und rückständig angesehene Sache nicht im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung wie die Doktrin es will, werde sie mit Gewalt eingerissen. Die Kehrseite des Determinismus sei der Voluntarismus in brutalster Form. 6. gänzlich ausgeschlossen: Reaktion auf die 3. Lesung12. Zum Innenpolitischen. Die Wirtschaft beobachtet mit größter Sorgfalt die politische Entwicklung. Sie hat intensiv studiert jenen Teil der Eisenhower Rede, in der er von der Verlagerung der wirtschaftlichen Kapazität von der Rüstungsindustrie auf Friedensindustrie spricht. Man kann ja diesen Teil der Rede auch so verstehen, daß man sagt, wenn nun wirklich der Friede ausbricht und die Rüstungsindustrie abgebaut wird, gerät die Weltwirtschaft aus den Fugen, wenn Steuern gesenkt und aus Rüstungsbeihilfen nicht Friedenshilfen werden. CDU-Parteitag13. Nicht zum Programm äußern oder zur Veranstaltung im Einzelnen, Volkmar Herntrich. Ich kann nur vom Echo berichten. Evangelisch: tiefer Eindruck von Hermann Ehlers Rede14. Man fragt, seit wann hat ein evangelischer Laie in solch weiter Öffentlichkeit im politischen Raum solch ein christliches Zeugnis ablegen können. Fast noch mehr beeindruckt Ka11 Kunst spielt hier auf die Forderung der Sowjetunion nach einer 5-Mächte Konferenz über Deutschland an, an der auch Rotchina beteiligt werden sollte; vgl. ebd., 212. 12 Möglicherweise redet Kunst hier von einer Reaktion des Rates der EKD auf die 3. Lesung des am 26./27. 5. 1952 vom Bundestag verabschiedeten Generalvertrages und des Vertrages zur Gründung der EVG. Die 3. Lesung hatte am 19. 3. 1953 stattgefunden; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 1, 255. Sitzung, 12296 A–12366. 13 Der 4. Bundesparteitag der CDU fand vom 18. bis 22. 4. 1953 in Hamburg statt; vgl. 4. Bundesparteitag der CDU Hamburg (online). 14 Auf dem Hamburger Parteitag der CDU hielt Hermann Ehlers eine Grundsatzrede über die im Grundgesetz verankerten Werte von Demokratie, die Parteien und den Zusammenschluss Europas. Dabei plädierte er für die Wiederbewaffnung Westdeutschlands innerhalb eines westlichen Verteidigungsbündnisses. Die CDU definierte er als antitotalitäre, von christlichen Werten getragene Partei; vgl. Ehlers, Verantwortung.

Berlin, 7. Mai 1953

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tholiken. 1. Weder Arnold noch Lemmer Oppositionsrede gehalten. 2. Alle geistespolitischen Beiträge von Belang nur von Evangelischen, Ehlers, Tillmanns, Praetorius. Der Bundesparteitag nur wegen des Amerikabooms des Kanzlers für die Öffentlichkeit nicht vollständig deutlich gemacht, daß er ganz von Hermann Ehlers beherrscht war. Katholische Formulierung: nur darum nicht der 1. Mann, weil 1. Platz besetzt ist. Jedenfalls Ehlers und Tillmanns in weitem Abstand vor von Brentano, Arnold, Kaiser usw. Daher sorgfältig registriert in Köln, wo man ohnehin Kummer genug wegen des neuen Sterns des Vatikans in München hat. Jedenfalls, ob man politisch zu Hermann Ehlers steht oder nicht, die Kirche wird ihm in besonderer Weise in Zukunft die Bruderschaft – ich sage nicht, die Gefolgschaft, aber die Bruderschaft – gewähren müssen. […]

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4 Berlin, 10./11. September 1953 EZA Berlin, 742/1, hsl. Weltpresse erfüllende Thema Bundestagswahl. Keinen getroffen, der ein annäherndes Resultat erwartet oder befürchtet1. Nicht nur CDU-Presse, auch Männer wie Bundespräsident: Volksentscheid. Zur Diskussion standen 2 Themen: Außenpolitik und die heimliche Frage der Wiedervereinigung über das Konzept der Verträge einschließlich Europaarmee und Wirtschaftspolitik. Adenauer und Erhard populärste Figuren im Wahlkampf. Die Entscheidung ist so vollständig unzweideutig gefallen, auch für uns als Kirche ziemlich wichtig, zu sagen, welche Aufgaben uns zuwachsen. Wenn ich über Bonn berichte, manches aussprechen, was auch in Provinzblättern steht, aber für Brüder aus dem Osten wichtig. 1. Entschiedene Absage nach rechts und links – bei Kommunisten nicht erstaunlich, aber bei äußerster Rechten ein mehr als belangvolles Ereignis für die außenpolitische Situation. In Amerika immer noch viel Identifikation von Deutschen und Nazi. Insofern ein deutliches Aufatmen bei allen Auslandskorrespondenten. 2. Das leichte aber doch nicht unwichtige Abbröckeln bei DP und FDP. cf. letzte Landtagswahlen 1952, deutlich wachsende Vorsprünge von FDP im evangelischen Raum. 3. Die Antwort der Wähler auf SPD-Politik. Zuwanderung von links, Abgabe nach rechts. Offenbar vor allem Jungwähler nicht für SPD. Aber entscheidender Schlag der 17.6. Er hat sich gegen Konzeption der SPD ausgewirkt. 4. Der exzeptionelle Sieg der CDU, ich sage exzeptionell nicht nur, weil ich die organisatorische Schwäche der CDU kenne. Nicht einmal in Bonn bekannt, wieviel Mitglieder, sicher nicht ein 4[tel] von SPD. 4 Jahre Regierung und dann 50 % Stimmengewinn ist noch nicht in der Geschichte des deutschen Parlaments [***] gewesen. 1949 innere Unsicherheit im Volk, Versuch mit Christen. Resäkularisierung inzwischen, heute Sieg Adenauers. Etwas vom Mythos, den wir in klassischer Form bei Hindenburg erlebten. Für viele so etwas wie das Symbol geworden. 5. Überraschendste der tiefe Einbruch der CDU in die evangelischen Kreise. Schleswig-Holstein, alle evangelischen Wahlkreise CDU. Lübeck, Hamburg, Niedersachsen, Frankfurt Main alle 3 Mandate. Solingen, HellwigReimann. Überhaupt wer gegen wen gesiegt. Gedat in Reutlingen in SPD1 Dieser Bericht wurde auf der Kirchenkonferenz und der Tagung des Rates der EKD gehalten. Kunst analysiert im Folgenden die Ergebnisse der Bundestagswahl vom 6. 9. 1953, die einen überraschend klaren Sieg der CDU/CSU erbracht hatte. Die Zustimmungswerte für Adenauer waren von 34 % im November 1952 auf 57 % im September 1953 gestiegen; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 187.

Berlin, 10./11. September 1953

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Wahlkreis gegen Justizminister Renner. 44 Direktmandate der SPD von 242. Dieser Einbruch trotz der erheblichen und ständig wachsenden Entfremdung zwischen den Kirchen. Es gab doch nicht nur den Ochsenfurter Zwischenfall2. Offenbar nicht Persönlichkeitswahl im herkömmlichen Sinn bei Erststimmen, eine Person ist gewählt, Adenauer. Bei sehr beschränktem Überblick von Hamburg bis Württemberg gehört, FDP, GVP usw. Kandidat turmhoch über CDU-Kandidat, aber wir werden ihn doch wählen, weil wir Adenauer wählen wollen. Unter den Konsekutiva zuerst an Auswirkungen auf Außenpolitik achten. Gewicht in 2 Richtungen, Adenauer gilt als europafreudigster Mann. Bereit zur Preisgabe erheblicher Souveränitätsrechte. Eine gewichtige Untermauerung dieser Arbeit. Recht verstanden erst beim Bedenken, daß in Italien und Frankreich die Kommunisten die stärkste und 2. stärkste Partei sind. Es ist nicht nur guter Humor, wenn einem Francois-Poncet sagen kann, in der Bundesrepublik zu wenig und in Frankreich zuviel Wechsel der Regierung. Amerikaner mit der ihnen eigenen Sturheit und Unbekümmertheit in aller Form ausgesprochen, offenbar Deutschland gesündeste Teil Europas, es werde sehr schnell wieder das Übergewicht in Europa gewinnen. Von daher seit vorgestern die sehr reservierte Politik in der französischen Presse. Von daher, ehe die französische Presse sich äußern konnte, schon am Montag des Kanzlers Äußerung, stärkere Bemühungen, sich mit Frankreich zu [ar]rangieren. Interessanter: was wird aus Außenministerkonferenz Washington Juli3. Keiner der 3 wollte, Amerika wollte globale Lösung, England auf höchster Ebene Aussprache und Information, Frankreich arrangieren mit Rußland auf Kosten Deutschlands. Kaum Hoffnungen für das Zustandekommen der Konferenz. Durch die Wahl gestiegen. Ziemlich sicher ist, daß der Amerikaner recht hat, wenn er nicht glaubt an Regelung der Ostzonenfrage allein, sondern alle Satelliten mit einbeziehen will. Räumt Russe Ostzone, kommen in der Tschechei, Polen usw. die Dinge ins Rutschen. Wenn es stimmt, daß die russischen Militärs das gewichtigste Wort z. Zt. im Kreml sprechen, ist nicht anzunehmen, daß man leicht auf die Räumung der Ostzone zugeht. Ich sehe keinen überzeugenden Grund, auch nicht trotz Korea4, daß das Gefahrenmoment für 1954–55, von dem ich regelmäßig im Rat berichtete, neutralisiert wäre. An dieser Stelle bleibt das Risiko der gegenwärtigen Politik des Westens. 2 Der „Ochsenfurter Zwischenfall“ ereignete sich am 28. 6. 1953, als der Würzburger Bischof Julius Döpfner sich aus kirchenrechtlichen Gründen weigerte, gemeinsam mit dem evangelischen Dekan eine Weihezeremonie für eine Zuckerfabrik durchzuführen. Der publizistische Streit, der dem Ereignis folgte, erreichte auch die Politik. Adenauer, der um den konfessionellen Frieden im Land und die evangelische Wählerschaft der CDU/CSU bei den bevorstehenden Bundestagswahlen besorgt war, sah sich zur Vermittlung zwischen den Kirchenvertretern veranlasst; vgl. Buchna, Jahrzehnt, 359 f. 3 Die Außenministerkonferenz in Washington, D. C. fand vom 10. bis 14. 7. 1953 statt. Zu den Ergebnissen vgl. Europa-Archiv 8 (1953), 5911 f. 4 Kunst spielt hier auf das Ende des Korea-Krieges am 27. 7. 1953 an.

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In jedem Fall Wahl Auftrieb auch für EVG. Eine 2. Auswirkung in Westdeutschland Länderwahlen. Nicht nur interessant wegen manches Kummers der Landeskirchen mit ihren Landesregierungen etwa in Schulfragen, vor allem im Blick auf Zusammensetzung des Bundesrates. Konfessionspolitisch wichtiger, was geschieht bei Zusammensetzung der Regierung. Das Verhältnis der CDU bei den Wählern ist nicht mehr 1 : 2. Aber auch, welche Möglichkeiten ergeben sich für die verschiedenen Kammern unserer Kirche, besonders der für Sozialpolitik. Fast noch wichtiger, was sind wir der SPD schuldig. Wenn wir ihr je seit 1945 das sehr offene und redliche Gespräch schuldig gewesen sind, dann jetzt. Es ist nicht nur politisch interessant, daß jetzt das linke Geländer der SPD verschwunden ist und sie jetzt auch auf den bisherigen Plätzen der KPD sitzt5. Es ist in der SPD im Augenblick wie in den Gewerkschaften eine starke innere Auseinandersetzung um die Rolle von Herrn Wehner, Brandt, Heine und Eichler besorgniserregend genug. Ganz unklar, was wird, aber Äußerung von Kaisen bemerkenswert genug. „Wahlausgang nicht verwunderlich.“6 Als Aufgaben 3, die ersten 2 mit Vorrang. Thema Nr. 1 Wiedervereinigung. Innenpolitik: Auseinandersetzung mit Gewerkschaften. Vorschlag Arnold – Kaiser: Taktieren sicher nicht ausreichend, solange Föcher sozusagen Repräsentant der christlichen Gewerkschaften ist. Es geht um die Klärung dessen, was man mit den dubiosesten Vokabeln unserer Zeit mit „Miteigentum“7 bezeichnet. Schließlich wird aber auch die Kulturpolitik nicht mehr wie bisher eine Fußnote der Bundespolitik bleiben können. […] Erfreulichste: Keiner erwartet: ave thriumphator. Kanzler sofort bereit, nobel. Allgemein Betroffenheit und Spüren der Last der Verantwortung.

5 Die KPD, die bei den ersten Bundestagswahlen 5,7 % der Stimmen und damit 15 Mandate im Bundestag errungen hatte, scheiterte bei den Bundestagswahlen von 1953 an der Fünf-ProzentKlausel. Zu den Wahlergebnissen vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 475, 480. 6 Der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen gehörte zu dem SPD-Flügel, der sich – wie auch Ernst Reuter und Willy Brandt – im Gegensatz zum SPD-Vorsitzenden Schumacher, der einen strikten Oppositionskurs gegen die CDU/CSU geführte Bundesregierung vertrat – für eine Parteireform und eine kooperativere Politik gegenüber den bürgerlichen Schichten aussprach; vgl. Brandt, Partei, 5, 25 f. 7 In den Jahren vor der Bundestagswahl hatte es innerhalb der CDU Diskussionen über das Thema „Miteigentum“ gegeben. Im arbeitnehmerfreundlichen Teil der Partei verstand man dies als „Dritten Weg“ zwischen Liberalismus und Sozialismus. Zu den in Gewerkschaften, Unternehmen und Parteien diskutierten Modellen über „Miteigentum“ vgl. Huppert, Miteigentum. Zur Einordnung der Vermögenspolitik vor und nach den Bundestagswahlen 1953 vgl. Dietrich, Eigentum, 155–163, 193–195; und Zolleis, CDU, 119–122.

91 5 Hannover, 1. Oktober 1954 EZA Berlin, 742/1, hsl. […] Trotz des Gewichtes der Innenpolitik in diesen Wochen bleibt das beherrschende Ereignis der 30.8. in Paris1. Frage scheint aber garnicht zu sein, was vor allem die Art, die Diskussion unwert, die Ablehnung für das deutschfranzösische Verhältnis bedeutet, 55 Stimmen, 100 Kommunisten, Kommunisten und Gaullisten gemeinsam Marseillaise, aber welche Summe deutscher Torheiten mindestens zu dieser Ablehnung beitrug, merkwürdig schnell sind auch verklungen die unguten Dinge durch Strauß und das 1. Kommuniqu von Bühler Höhe2. Man hat im Gespräch mit deutschen Politikern und Alliierten Eindruck, als sei die außenpolitische Schlüsselfigur Mend s-France. Er regiert im Grunde ohne Veränderung in einer festen Koalition. Das Beste, was von ihm gesagt wird, ist, er ist von Haus aus Wirtschafter, sieht in der wirtschaftlichen Gesundung Frankreichs seine eigentliche Aufgabe. Deshalb habe er zuerst den Bleiklotz Indonesien [sic!] bei Seite geschafft und dabei so gut wie alles konzediert, im Grunde eine Kapitulation nur in die Form eines Vertrages gebracht3. Tunesien beruhigt durch umfassendes Nachgeben, um nun möglichst schnell an die innenpolitische Arbeit zu kommen4. Aber man weiß nicht, von wem ihm mehr mißtraut wird, von Bonn oder Amerika. Wichtiger für uns ist die Zäsur der Europapolitik. Bis jetzt in seiner Person. Sie wird repräsentiert durch de Gasperi, Schuman und Adenauer. De Gasperi †, Schuman konnte nicht einmal seine Rede in Paris am 30.8. halten, Adenauer ist übrig und seine Vision von Europa ist kaum die von Mend s-France. Offenbar 1 Am 30. 8. 1954 beschloss die französische Nationalversammlung, die Entscheidung über die EVG auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Über den Vertrag selbst wurde nicht mehr abgestimmt. Dies bedeutete das Ende des Plevenplans für eine gemeinsame europäische Verteidigung. Damit war auch der Deutschlandvertrag hinfällig geworden; vgl. Vor 65 Jahren: Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (online). 2 Im Anschluss an eine Kabinettssitzung auf der Bühlerhöhe veröffentlichte die Bundesregierung am 1. 9. 1954 eine Erklärung zur politischen Lage nach der Ablehnung des EVG-Vertrages durch Frankreich. Darin hieß es, dass nur die konsequente Fortsetzung der bisherigen Linie der deutschen Außenpolitik die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit sichern werde; vgl. Europa-Archiv 9 (1954), 6953. 3 Pierre Mend s-France war ein erklärter Gegner des französischen Kolonialismus und war mit dem Wahlversprechen angetreten, einen Waffenstillstand in Indochina zu erreichen. Am 18. 6. 1954 wurde er – noch während der Genfer Konferenz über Korea und Indochina (= Vietnam, Laos und Kambodscha) – zum französischen Ministerpräsidenten gewählt und veranlasste umgehend die Räumung Indochinas durch Frankreich. Vietnam wurde in einen nördlichen prokommunistischen Teil mit der Hauptstadt Hanoi und einen südlichen prowestlichen Teil mit der Hauptstadt Saigon geteilt; vgl. Konferenzen und Verträge, II, 4 A, 451–456. 4 Nach seinem Regierungsantritt im Juni 1954 leitete Mend s-France Verhandlungen über die vollständige Unabhängigkeit Tunesiens von Frankreich ein; vgl. 60 Jahre tunesische Unabhängigkeit (online).

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will Mend s France den Nationalstaat, ziemlich sicher geht aus seinem Taktieren in Sachen der EVG hervor, daß er Verhandlungen mit Rußland für wichtiger hält als deutsche Divisionen, mindestens fragt er nach echten Möglichkeiten. Er scheint sehr zurückhaltend gegen die amerikanische Konzeption, die militärische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation Europas unter schroffer Ablehnung der Russen will. Der Schock von Korea scheint in Frankreich nicht mehr zu bestehen. Die Amerikaner antworten auf die Frage, ob Gesamtsituation neu durchdacht werden müsse, das Entscheidende hat sich nicht geändert, der Russe. Sie zählen auf den Weg Rußlands. 1948 Tschechoslowakei bis Indonesien. 8 Tage nach Waffenstillstand in Indonesien [sic!] beginnt die Schießerei in Formosa5. These: a la longue [das] ständige Nachgeben verkehrt. Einigkeit des Westens das Problem schlechthin. Erst dann fruchtbare Verhandlungen mit Rußland möglich. Einiges zum Brüsseler Pakt von 1948. Belgien, Frankreich, England, Irland, Luxemburg, Holland. Sehr viel weiter als EVG6. Wirtschaftliche, soziale, kulturelle Zusammenarbeit und kollektive Verteidigung. Offiziell gegen „Wiederaufleben der deutschen Aggressionspolitik“ gerichtet, Sicherung gegen Rußland gemeint. Sehr schnell überholt durch NATO, zu der Amerika, Kanada, Norwegen, Dänemark, Griechenland, Türkei außer Brüsseler Paktmächten gehören. Effektive Verteidigungsbemühungen heute bei NATO. Deshalb will Bonn in die NATO. Frankreich wollte zunächst nicht, macht aber jetzt nur mäßige Schwierigkeiten. Trennung von Truppenkontrolle und Rüstungskontrolle. Mend s-France legt um so mehr Gewicht auf das Kontrollorgan, das er im Brüsseler Pakt mit Mehrheitsentscheidung einbauen möchte. Bonn will gesonderte Kontrollen nicht durch Vertrag wegen Diskriminierung, sondern freiwilliges Angebot der Beschränkung. Bonn will Kontrollorgan in NATO. Bisher Kontrollorgan in NATO nur: tut ihr genug? Heute: tut ihr nicht zuviel. Jeder konnte machen, was er wollte, nach oben keine Grenze. In der Frage der Kontrollorgane Hauptschwierigkeit, nachdem England umfassende Zusagen wegen Belassung seiner Truppen gemacht7. 5 Gemeint sind die chinesischen Bombardements auf Taiwan vom September 1954. Taiwan bzw. die „Republik China“ orientierte sich im Unterschied zum kommunistischen Rotchina an den USA; vgl. The Taiwan Straits Crises 1954–55 and 1958 (online). 6 Am 23. 10. 1954 gründete sich die Westeuropäische Union (WEU), ein militärischer Beistandspakt von Frankreich, Benelux-Staaten, Großbritannien, Italien und der Bundesrepublik. Die WEU ging aus dem Brüsseler Pakt von 1948 hervor, der ursprünglich als militärischer Beistandspakt von Frankreich, Großbritannien und den Benelux-Staaten gegen eine mögliche deutsche Aggression gegründet worden war; vgl. Konferenzen und Verträge, Bd. II, 4 A, 472. 7 Nach dem Scheitern der EVG konnte das außenpolitische Ziel Adenauers, über die politische und militärische Westorientierung die Souveränität der Bundesrepublik zu sichern, nur noch durch den NATO-Beitritt erreicht werden. Kunst schildert hier die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmerstaaten der Neun-Mächte-Konferenz in London, die vom 28.9. bis 23. 10. 1954 tagte, und auf der die Positionen Westeuropas und der USA in Bezug auf den NATO-Beitritt der Bundesrepublik austariert wurden. Die Londoner Konferenz mündete in die Pariser Verträge vom 23. 10. 1954, in denen die Wiederherstellung der Souveränität der Bundesrepublik, deren

Hannover, 1. Oktober 1954

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Deutsche Souveränität Prämisse die Aufnahme in NATO. Kein Interesse an voller Souveränität. Nach Potsdam haben 4 Mächte Staatshoheit über Gesamtdeutschland und Verantwortung für Wiedervereinigung. Daraus nicht entlassen. Mitspracherecht der Westmächte muß an diesem Punkte bleiben, auch wegen Berlin. Amerika und England sofort bereit, Mend s-France nach Zustimmung durch Parlament. Grundfrage: was will Mendes-France wirklich? Sind alle seine Entgegenkommen nur Bemühungen, aus der Isolation herauszukommen, also Taktik, um an der Kontrollfrage die Sache klar scheitern zu lassen und damit gleichzeitig Deutschland schwarzen Peter zuzuschieben? Soll Deutschland auf diese Weise isoliert werden? Sieht Mend s-France in Deutschland oder in Rußland den gefährlicheren Gegner? Es bestehen keine Anzeichen für schriftliche Geheimabsprachen zwischen Mend s-France und Molotow, aber man hält andere weniger plumpe Dinge zwischen beiden für möglich. Im sowjetischen Sicherheitsvorschlag von Berlin scheinen Mend s-France noch Möglichkeiten zu stecken. Nicht klar, ob er nicht Vakuum in Europa zwischen Amerika und Rußland eingeht für normalisiertes Verhältnis FrankreichRußland. Je nach Verlauf der Verhandlungen vielleicht massiver Schritt Rußlands möglich. Jedenfalls mit äußerster Vorsicht nach London. Wiedervereinigung Gretchenfrage. Offen ausgesprochen: Sicher ist, Rußland wird nicht erlauben, daß Amerika bis an die Oder vorrückt und Amerika nicht neutralisiertes Deutschland mit offener Gefährdung durch Rußland. Das sind die Grenzsituationen. Frage grob: jetzt nachgeben der Sowjetunion in der Deutschlandfrage oder sich einigen im Westen. Entscheidung in Bonn für Einigung des Westens, aber so, daß klar ausgesprochen wird, im Falle möglicher Wiedervereinigung Freiheit von Westverträgen. U. U. sogar Rückgängigmachung von Rüstungen. Im übrigen ist die Entscheidung über die Wiedervereinigung nicht primär deutsche Möglichkeit, sondern in jedem Fall an die Zustimmung aller Großmächte gebunden. Einen Einwand aufnehmen. SPD will jetzt Viererkonferenz. Beim Scheitern Einigung mit dem Westen. Jetzt Konferenz hält Regierung für hellen Wahnsinn. In Berlin Westen klar geschlossen, bei seiner gegenwärtigen Uneinigkeit kann Rußland nur Gewinner sein. In keinem Fall wird Molotow das runde Nein sprechen, was die SPD zur Voraussetzung macht für ihre Zustimmung zu einem westlichen Militärbeitrag. Jetzt Gleichgewicht der Kräfte. Kein Grund, warum Molotow auf Wiedervereinigung zugehen sollte. Nicht meinen, Unterschied sei nur die Reihenfolge. Der Unterschied liegt tiefer. Nicht vergessen, wie sauer und knapp auf Berliner Parteitag die SPD die Zustimmung zu Soldaten bekam. SPD glaubt: Russe gibt Zone nur frei, wenn Deutschland militärisch entmachtet bleibt und dies durch einen wirksamen Kontrollapparat sichergestellt wird. Beitritt zur NATO sowie ein modifizierter Brüsseler Pakt beschlossen wurde; vgl. Die Zeit nach 1945, 64.

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Die SPD will, wenn auch mit Klauseln, im Grunde doch diesen Preis zahlen. Sie glaubt an die Kraft der Sicherheitsgarantien der Großmächte. Der Kanzler nicht die leisesten Zweifel gelassen, unter keinen Umständen auf diese Konzeption zugehen. Es kann sehr schnell Situation sich ergeben, daß wir eine der weichen Stellen sind wie es Korea, Indonesien [sic!] usw. war. Natürlich fehlen nicht die Stimmen: 12 Divisionen ohne Belang. Sollen sie Sinn haben, dann europäisches Potential ganz ausschöpfen. Begründung jetzt: es geht nicht um die 12 Divisionen als militärisches Potential, sondern um die Darstellung der Einigkeit des Westens bei der möglichen, den Russen bedrohlichen, aber nicht praktizierten Ausschöpfung des vorhandenen Potentials. Die Regierung meint, die Gründe für und gegen die Wiederbewaffnung seit 1950 im Blick auf Wiedervereinigung nur um Nuancen verschoben. John8: vieles durch die Presse. Sehr sorgfältige Arbeit des Oberbundesanwaltes. Die Regierung: verständlich nur im außenpolitischen Spiel der Sowjetunion, ebenso wie Schmidt-Wittmack9. Druck auf Pariser Entscheidung: Folgen: die Nazis, Schmidt-Wittmack: Zu Geheimabsprachen mit Amerikanern wegen größerer deutscher Kontingente10. Frage der Zuordnung von Zivil- und kirchlichen Trägern. Die Regierung hat in diesen Tagen einstimmig die katholischen Vorschläge abgewiesen und denen der Evangelischen Kirche entsprochen. Geldstrafe bis 500 Mark, keine Gefängnisstrafe wie Bundesrat gewollt hätte. Vorrang der Zivilträger vor der kirchlichen Konfessionszugehörigkeit in die Urkunde aufgenommen. Man rechnet mit breiter Mehrheit11.

8 Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, trat am 22. 7. 1954 in die DDR über. Im DDR-Rundfunk wurde eine Erklärung Johns verlesen, in der es hieß, Deutschland sei in Gefahr durch den Kalten Krieg „auf ewig zerrissen“ zu werden. Es bedürfe einer demonstrativen Aktion, um alle Deutschen zum Einsatz für die Wiedervereinigung aufzurufen. Darüber hinaus wollte John gegen den zunehmenden Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten beim Verfassungsschutz demonstrieren. John kehrte nach 15 Monaten in die Bundesrepublik zurück und wurde dort verurteilt; vgl. Goschler, Gestapo, 141–161. 9 Auch der Bundestagsabgeordnete der CDU Karlfranz Schmidt-Wittmack flüchtete am 21. 8. 1954 in die DDR; vgl. Grau, Aufsteiger, 213. 10 John hatte von Geheimabmachungen zwischen der Bundesrepublik und den USA über die Wiederaufrüstung geredet und damit der kommunistischen Propaganda gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Argumente geliefert; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 237. 11 Auf seiner 14. Kabinettssitzung am 14. 9. 1954 hatte sich das Bundeskabinett auf einen Gesetzentwurf für ein neues Personenstandsgesetz geeinigt. Dies sollte den Vorrang der Zivilehe gegenüber der kirchlichen Eheschließung sichern. Danach musste jeder, der die kirchliche vor der standesamtlichen Trauung vornahm, mit einer Strafe von 500 DM rechnen. Auf die vom Bundesrat geforderte Gefängnisstrafe wurde verzichtet. Zur Rolle der Kirchen bei den seit 1950 diskutierten Gesetzentwürfen zum Personenstandsgesetz vgl. die 44. Kabinettssitzung vom 14. 9. 1954, Anm. 17 in: Kabinettsprotokolle (online), Bd. 7.

95 6 Hannover, 2. Februar 1955 EZA Berlin, 742/1, hsl. Vielleicht Lage durch nichts so gekennzeichnet als Karikatur, 2 Tischtennistische, der Russe spielt auf beiden Tischen1, der Amerikaner muß von einem Tisch zum anderen laufen und verfehlt jeden Ball. Die Rußlandexperten glauben, daß ein klares Zusammenspiel von Peking und Moskau z. Zt. sei. Die europäische Frage muß in ein neues Licht treten, wenn Asien wachsend amerikanische Aufmerksamkeit verlangt. In Bonn Befürchtung, die Verträge2 könnten in den Hintergrund treten für Amerika, also so, daß vor Amerika Frage steht, an welcher Stelle Hauptgewicht des Kampfes gegen Bolschewismus, Asien oder Europa. Für manchen Amerikaner spricht für Asien, daß Tschiang Kai-Schek ein vollständig entschlossener Mann ist, unbedingt mit den Amerikanern geht, Europa uneinig und lau. Dabei könnte herauskommen, daß deutsche Frage an Dringlichkeit verliert. In jedem Falle außenpolitische Lage weiterhin verschlechtert. Hinsichtlich der Frage der Verträge Regierung in einem stillen Gedränge. Kammer für politische Verantwortung3 Berlin-Brandenburg vorige Woche, Leute aus der Zone: Adenauers Politik bis jetzt richtig, aber jetzt erreicht, was erreicht werden mußte. Wenn Regierung jetzt nicht auf Vorschläge der Russen zugeht, muß der Kredit Adenauers in der Zone schwere Einbuße erleiden. Die Aufhebung des Kriegszustandes4 hat kein sehr großes Echo gefunden, von anderen Staaten seit 3 Jahren. Nur Beseitigung innerstaatlichen Rechtes gegen Deutsche als ehemalige Feindbürger. Not der Regierung, nicht zu früh den Druck aufheben und nicht zu spät ja sagen und gleichzeitig die Rückendeckung des Westens behalten. Was wirklich gefürchtet wird, zu spät ja sagen. Rußlandexperten beraten so: Asiaten verhandeln anders als Europäer, wollen sie 100 Mark zahlen, fangen sie mit 10 an. Die Europäer mit 50. Möglich aber auch, daß wegen der Rücksicht auf die Satelliten Grenze bald erreicht ist. Adenauer neigt dazu, alles nur für eine List zu halten. Allgemein rechnet man 1 An dieser Stelle finden sich im hsl. Original des Lageberichtes die Skizzen zweier im NeunzigGrad-Winkel angeordneter Rechtecke, welche vermutlich die hier angesprochenen Tischtennisplatten darstellen sollen. 2 Gemeint sind die Pariser Verträge, die u. a. den „Deutschlandvertrag“ bzw. „Generalvertrag“ umfassten, mit dem die Bundesrepublik die „volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“ erlangte. Die Verträge wurden am 27. 2. 1955 vom Deutschen Bundestag ratifiziert; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 2, 72. Sitzung, 3880D–3947. 3 Gemeint ist die Öffentlichkeitskammer der Evangelischen Kirchen Berlin-Brandenburg; vgl. Lepp, Tabu, 188. 4 Am 25. 1. 1955 erklärte der Oberste Sowjet mit einem Erlass den Kriegszustand zwischen der Sowjetunion und Deutschland für beendet; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 472.

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in den nächsten Wochen noch mit erheblichen Lockungen und massiven Drohungen. Möglichkeiten bis hin zu Kriegsgesang: Eine ziemliche Anzahl der belangvollen Abgeordneten quer durch den Bundestag meint: natürlich Amerika, Frankreich und England nicht solch ein brennendes Interesse an Wiedervereinigung wie Deutschland. Adenauers Politik geht dahin, erst des Westens ganz sicher zu sein, um nicht zwischen allen Stühlen zu sitzen. Er will jetzt noch nicht den Amerikanern usw. mit der ständigen Pocherei auf Wiedervereinigung den Alliierten auf den Wecker fallen, wie es jetzt Ollenhauer zweifelsfrei tut. Adenauer übertreibt nach der einen, Ollenhauer nach der anderen Seite. Es gibt stille aber sehr beharrliche Kräfte, die nach Wegen suchen, dem zu früh und dem zu spät zu entgehen. Diese Kreise machen übrigens den Brüdern, die die Erklärung im Dezember und Januar abgaben, den politischen Vorwurf, daß diese Erklärung zu früh kam5. Der Druck auf die Regierung sei verfrüht, ehe der Russe mit Angeboten so weit gegangen sei als in den letzten 14 Tagen6. Erklärung auf Westkirchenkonferenz verhandelt. Besonders Ereignis Kundgebung 29.1. in Paulskirche7. Die kritische Frage an den Fortgang der Unternehmung: Soll das Ganze auf eine außerparlamentarische Aktion also eine Revolution hinauslaufen oder nicht, soll es nur eine Auffangunterneh5 Während der Ersten Lesung der Pariser Verträge im Bundestag kam es zu einer Diskussion verschiedener öffentlicher Eingaben von evangelischen Gruppen an die Bundestagsabgeordneten, u. a. den Brief von „Christen, die in verantwortlicher Stellung innerhalb der evangelischen Kirche stehen“ vom 8. 12. 1954. Zu den Unterzeichnenden gehörten die Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Westfalen Heinrich Held und Ernst Wilm, der pfälzische Kirchenpräsident Hans Heinrich Stempel, Theologieprofessoren wie Helmut Gollwitzer und Direktoren von Evangelischen Akademien; Abdruck in: Stimme der Gemeinde 6 (1954), 24, 568 und KJ 81 (1954), 87 f. Zur Diskussion der Eingaben vgl. Plenarprotolle (online), WP 2, 62. Sitzung, 16. 12. 1954, 3208–3211, 3208–3211. 6 Gemeint ist die „Erklärung zur deutschen Frage“, mit der die Sowjetunion den Deutschen Bundestag gewarnt hatte, den Pariser Verträgen zuzustimmen. Mit dem Beitritt zur NATO werde die Spaltung Deutschlands unumkehrbar, hieß es von sowjetischer Seite. Alternativ bot die Sowjetunion erneut an, eine Viererkonferenz der Siegermächte abzuhalten, die „über die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage der Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen“ unter der Voraussetzung verhandeln sollte, dass der Bundestag die Ratifizierung der Pariser Verträge verweigerte. Die Bundesregierung lehnte diese Vorschläge kategorisch ab; vgl. Treusch, Vor 50 Jahren (online). 7 Auf Einladung Erich Ollenhauers (SPD), Walter Freitags (DGB), Helmut Gollwitzers und des Heidelberger Soziologieprofessors Alfred Webers wurde in der Frankfurter Paulskirche das „Deutsche Manifest“ vorgestellt und verabschiedet. An der Kundgebung, die unter dem Motto „Rettet Einheit, Freiheit, Frieden! Gegen Kommunismus und Nationalismus!“ stattfand, nahmen 1.100 Rüstungsgegner unterschiedlicher Konfessionen und politischer Richtungen teil. Das Manifest sprach sich gegen die Inkraftsetzung der Pariser Verträge und für Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands aus. Die Resonanz in der bundesdeutschen Bevölkerung blieb jedoch gering. Nur am 24. 2. 1955 demonstrierten während der zweiten Lesung der Pariser Verträge im Bundestag über 20.000 Menschen auf einer Großkundgebung des DGB in München gegen die Ratifizierung der Verträge; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 261; und Kraushaar, Chronik, 1117, 1141.

Hannover, 2. Februar 1955

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mung gegen die radikalen Kreise des DGB sein. Oder hat Reuter den mittleren Weg gemeint? „Parlament nicht befugt, Volk muß gefragt werden.“8 Dahin könnten deuten die geplanten partiellen privaten Volksbefragungen9. Man wird sich die Fragen erst ansehen müssen. Nachdrücklich bestritten, daß Alternative sei: Wiederaufrüstung oder Wiedervereinigung. Regierung nicht entschlossen, auf diesem Wege entgegen zu gehen. Begründung am Tage: 6. 9. 53 Wahl stand nicht nur unter der Frage an den Wähler, warst du mit Wirtschafts- und Finanzpolitik zufrieden. Ohne allen Zweifel stand die außenpolitische Konzeption der Regierung, damals die Europaarmee zur Frage. Die jetzige außenpolitische Fragestellung ist keinen Deut in der Substanz, nur in der Nuance anders. Immerhin gibt es jetzt die ersten kirchlichen Aufrufe, die über die Zurückhaltung der Leverkusener hinausgehen und klar zur Verweigerung des Wehrdienstes aufrufen10. Jetzt anders als nach Ratifizierung. Nach Auffassung der Regierung geht diese Werbung über Grundgesetz 4, 3 hinaus: Angriff auf Staatsgesetz. Nicht nur zusehen. Regierung wird uns fragen nach unserem Urteil. Kein Einspruch gegen Weißensee, kein Einspruch gegen seelsorgerliche Beratung. Bemerkenswert an Paulskirchenveranstaltung für uns zweierlei 1. eine echte Chance für den Kanzler bei seinen Verhandlungen. Eine Koexistenz auf der Basis des geteilten Deutschlands nicht möglich, in Frankfurt deutlich gemacht. Bejaht bei Regierung. Dabei will er natürlich nicht einsehen, daß Frankreich ratifiziert und er am Ende mit dem schwarzen Peter daliegt. 2. Großer Teil Geistlicher in Frankfurt am Main. Unter den Rednern lediglich SPD, DGB, Professor, Pastor, der 1. offizielle Laie der EKD, wenn auch nicht in dieser Eigenschaft11. Das hat es so noch nicht gegeben, nicht zu schnell negativ beurteilen, im Gesamtgefüge können sich Verschiebungen andeuten. Ollenhauer von den christlichen Grundlagen des Abendlandes. Ich müßte mich ganz täuschen über die innere Situation der SPD, wenn dies nicht bewußt etwas in der SPD signalisieren sollte, was bisher so noch nicht von Ollenhauer gesagt worden ist12. […] 8 Gemeint ist die Rede des stellvertretenden DGB-Vorsitzenden, Georg Reuter; vgl. ebd., 1117. 9 Vgl. die Ankündigung der SPD, im Auftrag der Veranstalter der Paulskirchenkundgebung in ausgewählten Wahlkreisen Volksbefragungen zum „Deutschen Manifest” durchzuführen; vgl. die Kabinettssitzung vom 2. 2. 1955 in: Kabinettprotokolle (online) 8, 1955, 69. 10 Die „Leverkusener Erklärung“ war das Ergebnis einer Tagung der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland vom 1. bis 3. 11. 1954, auf der 170 Pfarrer die Eltern von noch nicht volljährigen Söhnen dazu aufgerufen hatten, diese zur Kriegsdienstverweigerung in der zukünftigen Bundeswehr zu ermuntern; vgl. Süselbeck, Niemanden, 77 f., 236. 11 Bei der Paulskirchenkundgebung vom 29. 1. 1955 sprachen die Professoren Weber, Gollwitzer, Johannes Hessen, der Gewerkschaftler Georg Reuter, der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer sowie der GVP-Vorsitzende und Präses der EKD Gustav Heinemann, der hier von Kunst als „1. offizieller Laie der EKD“ bezeichnet wird; vgl. Rettet Einheit, Freiheit, Frieden! Gegen Kommunismus und Nationalismus!, 1. 12 Ollenhauer hatte in seiner Paulskirchenrede gesagt: „Wir leben in der Welt der Freiheitsbegriffe des Westens, wir leben in der Welt, deren Kultur- und Geistesleben durch das Christentum maßgebend bestimmt ist“ (ebd., 11).

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7 Berlin, 7./8. Mai 1956 EZA Berlin, 742/1, hsl. Die Summe internationaler Begegnungen kennzeichnen langsame, aber bemerkenswerte Wandlungen in der Weltpolitik. Man will herunter von der Hypertrophie der Militärpolitik der vergangenen Jahre. Wenn Dulles öffentlich vertritt, der Atlantikpakt solle politisch gefestigt werden, lenkt er auf Paris und Rom ein1. Der Anticharakter der beiden Blöcke steht nicht mehr an 1. Stelle. Man will herunter von der gemeinsamen Gegnerschaft, strebt nach Zusammenarbeit. Befördert wird dies Bemühen durch die ernste Krise im vorderen und mittleren Orient. Mit dieser Wandlung ist freilich auch die Möglichkeit schwerer Auseinandersetzungen im Westen gegeben, sie ist also nicht nur ein Vorteil2. Das viel kommentierte Osterinterview von Mollet hat das Auswärtige Amt nicht vollständig überrascht3. Immer hat man gewußt, daß die nationale Sorge vor einer Wiedervereinigung Deutschlands stärker ist als die Erklärung, daß der eiserne Vorhang eine Bedrohung des Weltfriedens ist. Wenn alle diplomatischen Bemühungen jetzt auf die Abrüstung konzentriert werden sollen, um dann von dieser neuen Position die Frage der Wiedervereinigung aufzugreifen, ist sicher, daß damit die Wiedervereinigung für die nächsten Jahre ein Deklamationsobjekt wird. Bei diesem Nacheinander verliert die Wiederaufrüstung Deutschlands als Handelspreis sein Interesse. Es träfe ein, was des Kanzlers Sorge immer war, die Verständigung der beiden Blöcke auf Kosten Deutschlands. Würde Mollets Vorschlag das wirkliche Programm des Westens werden, wird die de facto Anerkennung der DDR schwer zu verhindern sein. Kein Mensch überschätzt die Aplanierung, die inzwischen zwischen Bonn und Paris vokabelmäßig erreicht wurde. Hier liegt auch der wahre Grund, weshalb die Saarverhandlungen noch nicht zu einem guten Ende gekommen sind.

1 US-Außenminister John Foster Dulles hatte erklärt, dass die NATO mehr sein müsse als eine militärische Organisation. In diesem Sinne äußerte er sich am 23. 4. 1956 bei einem Essen der Nachrichtenagentur Associated Press; vgl. Europa-Archiv 11 (1956), 8894, 8930. 2 Zu den politischen Problemen, die über den Ost-West-Konflikt hinausreichten und zu denen die NATO in den Augen der USA Stellung beziehen musste, gehörten die antikolonialen Befreiungsbewegungen, die sich im Kampf gegen das britische Mandat auf Zypern oder im Krieg Frankreichs mit dem um seine Unabhängigkeit ringenden Algerien bemerkbar machten, aber auch die Konflikte im Nahen Osten zwischen Israel und den arabischen Staaten, Großbritannien und Ägypten sowie die Wiedervereinigung Deutschlands; vgl. ebd. 3 Am 2. 4. 1956 war ein Interview in der Zeitschrift „U. S. News and World Reports“ mit dem französischen Ministerpräsidenten Guy Mollet erschienen, in dem dieser die USA kritisierte und erklärte, dass die Wiedervereinigung Deutschlands wesentlich leichter im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung zu erzielen sei; vgl. Europa-Archiv 11 (1956), 8839.

Berlin, 7./8. Mai 1956

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Bonn will den Preis des Moselkanals erst ernsthaft erwägen, wenn Pineau und Mollet aus Moskau zurück sind und man etwas klarer sieht4. Eden hat offenbar bei dem Besuch von Bulganin und Chruschtschow nicht nur halbherzig das deutsche Problem erörtert. Die russischen Antworten sind vollständig unzweideutig gewesen. An keinem Punkt ein neues Licht, nur die seit der 2. Genfer Konferenz im Herbst bekannten Vorschläge. Man würdigt dies, weil England schlimme Sorgen hat. Die Finanzsorgen Englands sind eminent. Bei der Frage der Stationierungskosten geht es für England wirklich nicht nur um einen Beitrag, den man im Vorbeigehen mitnehmen kann. Es werden Schäffer von England nicht nur die bekannten Gründe vorgetragen, daß wir de facto noch keinen Beitrag zur Verteidigung des Westens leisten, wie es im vergangenen Jahr vorgesehen war. Wir werden nachdrücklich erinnert an die Opfer, die England stellvertretend im Mittleren Osten bringt. Fällt das Öl dort für den Westen aus, ist nicht nur England tödlich bedroht, auch die westdeutsche Wirtschaft müßte mindestens zeitweise eine schwere Lähmung hinnehmen. Rußland kann den Zerfall der englischen Macht im Mittleren Osten fördern und mäßigend darauf einwirken, und dies mit ziemlich bescheidenen Mitteln. Für eine Mäßigung können die Russen einen Preis verlangen. Das Ganze ist für England interessanter und lebenswichtiger als die Wiedervereinigung. In diesem Zusammenhang etwas über das Königswinter Gespräch mit der 1. Garnitur englischer und deutscher Politiker5. Die Engländer haben uns vorgehalten, die Deutschen sähen zu starr und ohne Rücksicht auf andere drängende Probleme der westlichen Welt auf ihr nationales Problem, ohne dabei einen Plan zu haben. Schlechter Wille durch Nichtzahlung der Stationierungskosten. Langsam in der Aufrüstung, mangelndes Interesse an der Verteidigung des Westens. Keine Opfer für die unterentwickelten Völker. Auch die innenpolitische Situation mache Sorgen. Klar, wiedervereinigtes Deutschland in der NATO nicht möglich. Auch nicht Wiedervereinigung ohne Verzicht auf Gebiete Oder-Neiße. Bei der Abrüstungskonferenz sind von beiden Seiten Zugeständnisse gemacht. Gescheitert ist die Konferenz an den politischen Schwierigkeiten, die in 4 Nachdem das Saarstatut am 23. 10. 1955 durch Abstimmung der Bevölkerung des Saarlandes gescheitert war, hatte die französische Regierung der Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik zugestimmt, dabei aber u. a. die Kanalisierung der Mosel zur Bedingung gemacht. Diese Maßnahme sollte der Stahlindustrie Lothringens zugutekommen. Auf deutscher Seite befürchtete man durch die Moselkanalisierung finanzielle Einbußen für die Bundesbahn sowie für die Eisenindustrie des Ruhrgebietes. Zum weiteren Verlauf vgl. Kabinettsprotokolle (online), Bd. 9, Einleitung; und Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Moselkanalisierung; Abdruck in: Plenarprotokolle (online), WP 2, 144. Sitzung, 7606D–7617D. 5 Die hochrangig besetzten Königswinter Konferenzen der 1950 gegründeten Deutsch-Englischen Gesellschaft – seit 2001 Deutsch-Britische Gesellschaft e. V. – verfolgten das Ziel, die durch den Zweiten Weltkrieg gestörten Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien zu verbessern; vgl. Deutsch-Britische Gesellschaft. Königswinter-Konferenz (online); und den Bericht vom 30.3./1. 4. 1960 (Dok. 14), Anm. 3.

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der Frage Deutschlands und dem Kontrollsystem lagen6. Von daher kommt das negative Urteil der Bonner Regierung zur Konferenz. Der Atlantikrat will keine Sensationen bringen. Die Dinge, von denen ich eingangs sprach, werden erst im Dezember nach den Wahlen in Amerika zum Zuge kommen können. Alle Sorgen deshalb auf Amerika gerichtet. Bemühungen um Information ausgebaut. Die Lage stellt sich so dar: Eisenhower wird ziemlich sicher wiedergewählt. Es gibt bei klugen Amerikanern den Tadel, er ist kein amerikanischer Präsident, der ja gerade kein repräsentatives Amt hat wie sonst Präsident in der Demokratie. Er soll handeln, etwas voranbringen, Risiken übernehmen, Fehler machen. Aber das wird seine Wiederwahl nicht hindern. Man meint zu beobachten, daß der Isolationismus still aber zäh wächst. Präventivkrieggruppe erledigt. Jetzt Frage: wie findet man sich mit den Russen ab, wie praktiziert man friedliche Koexistenz. Es ist mindestens die latente Gefahr auch in Amerika, Deutschland für den Frieden zu verkaufen, natürlich nicht verbi expressis. Ohne Zweifel suchen die Russen eine unmittelbare Verständigung mit Amerikanern. Jedenfalls betreibt die amerikanische Politik die Wiedervereinigung nicht mit der Leidenschaft wie vor Jahren die Luftbrücke nach Berlin. Die Regierung entfaltet in der Frage der Wiedervereinigung keine besondere Initiative, schlimmer ist, sie wird dazu auch nicht vom Volk genötigt, wie das vor Jahren war. Spricht man darauf die Amerikaner an, bestreiten sie nicht, dass – sagen wir 80 % des Volkes [sich] schon damit abgefunden hat, daß die Wiedervereinigung noch 20–30 Jahre Zeit hat. Sie halten einem aber entgegen, daß die amerikanische innere Lage haargenau der in Westdeutschland gleiche. Der Vorwurf geht so weit und ist so präzis, daß einem vorgehalten werden die Bonner Bauten. Sie wirkten eben doch für 20–30 Jahre gebaut. Nie hätte man gelesen, zwar jetzt notwendig, aber doch in der Anlage jetzt schon so gedacht, daß sie bei der Übersiedlung nach Berlin etwa der Universität übergeben werden könnten. Wirkliche Beschwernis: schlichte Feststellung des Kanzlers, Russen wollen nicht, wie in London sich gezeigt hat. Bleibt dahingestellt, ob 1952 echtes Angebot war, jedenfalls Preis seit 1955 höher genannt. Wir wissen nicht den Preis, noch hat der Botschafter nicht Anweisung, Gespräche zu führen. Noch keine Information über Vorstellungen und Absichten der Russen. Wir wissen nicht, wird es Rußland ausreichend sein, wenn Bodenreform: Verstaatlichung im Osten bleibt. Molotow hat zu erkennen gegeben, daß er Verstaatlichung auch im Westen will. Wir wissen nicht, welche militaristischen Organismen er gemeint hat, die aufgelöst werden sollen. Im Blick auf die geplante Synode immer wieder auch nach Urteil über uns gefragt. Am sorgfältigsten werden die kirchlichen Vorgänge offenbar von den Amerikanern beobachtet. Vorwürfe gegen uns: nur von der nationalen Seite vorgebracht. Für Amerikaner uninteressant, ob Grenze an der Oder-Neiße 6 Zum Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz, die vom 27.10. bis 16. 11. 1955 stattfand; vgl. Thoss, Blockbildung, 183–188; und Adenauer, Erinnerungen, Bd. 3, 52–59.

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oder Elbe verlaufe. Amerika sei nur moralisch interessiert und zu bewegen. Dann aber müßten wir auf die Menschenrechte für uns und alle Völker replizieren. Dieser Ton bisher vollständig vermißt. Die Kirche steuert nicht genug gegen Sattheit auf [sic!], fordere Opferbereitschaft nicht heraus. Wir bauten schöne Kirchen und Akademien, gäben wir das gleiche Geld für die Zone? Erzbischof Eidem in Schweden habe bis 46 den Bau von Kirchen in Schweden untersagt, alles Geld für Mitteleuropa. Der Einwand, daß tatsächlich die Westkirchen Millionenbeträge aufbringen, überzeugte nicht. Diese Beträge kämen im wesentlichen aus Steuermitteln und aus der Einsicht der Kirchenleitung. Der Aufruf und das beispielhafte Handeln, das Nebeneinanderstellen der Ziffern für eine eigene neue Kirche und der Beitrag der gleichen Gemeinden für den Osten fehlten. Bei den Amerikanern ein minimales Interesse an allen Vorgängen bei uns und klare Einschätzung des Gewichts der EKD für die Politik der Wiedervereinigung. Das geht bis zu Äußerungen: die stille Spaltung schreitet eminent voraus [richtig: voran], jetzt schon verschiedene Sprache. Allein die Kirche kann noch Bollwerk der gemeinsamen Sprache sein. Wehrpflichtgesetz, nicht jetzt und nicht so. Innenpolitik: Parteitage in Würzburg und Stuttgart. Die SPD sieht die Annäherung der FDP nicht nur mit Freude. Man hat Sorge wegen der Düsseldorfer, keine alten Nazis, aber handeln wie Nazis. Es sind Voluntaristen, treiben eine rein utilitaristische Politik, um an die Macht zu kommen7. Öffentlich SPD in diesen Tagen, die FDP solle aussprechen, daß ihre Außenpolitik nach einem Irrweg sich jetzt der der SPD annähere. Wollen sich nicht ihre Konzeption von der FDP stehlen lassen. Der Stuttgarter Parteitag CDU Auftrieb. Der Aufstand gegen Adenauer nur nützlich gewirkt. Gerstenmaier durch seine Rede in den Vordergrund8. Unser anderer evangelischer Vertreter von Hassel nach allgemeinem Urteil bei Schlußkundgebung beste Rede gehalten. Schröder nicht kandidiert. Zu viel Taktik. Im Ganzen Vorbereitung zum Wahlkampf im vollen Gang bis zur Frage des Termins, wobei natürlich die Frage des Zeitpunktes der 1. Gestellungsbefehle eine große Rolle spielt. Aber davon später. Aufmerksamkeit des Rates auf Gesetzentwurf zum Schutze der Landesverteidigung. § 91 bedroht mit Strafe, wenn „jemand auf Angehörige der Bundeswehr einwirkt, um die pflichtgemäße Bereitschaft zum Dienst zu untergraben.“ Unverkennbar hier wie bei Entwurf des Gesetzes über Kriegsdienstverweigerung Pate gestanden der Art und Weise, wie diese Frage diskutiert und womit gedroht ist. Ich sage dies, Anfrage von Brüdern, ob sie in die Kasernen gehen und Soldaten stellen können. Bleibt es bei uns bei den von einigen Brüdern vorgesehenen 7 Am 20. 2. 1956 war die Regierungskoalition des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold (CDU) mit der FDP durch ein von SPD und FDP getragenes konstruktives Misstrauensvotum gestürzt worden; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 309–312. 8 Vgl. die Rede Eugen Gerstenmaiers am 26. 4. 1956 auf dem 6. Bundesparteitag der CDU in Stuttgart, in der dieser die politisch-moralische Ausrichtung der CDU seit ihrer Gründung skizzierte; vgl. 6. Bundesparteitag der CDU Stuttgart (online), 30–46.

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Schritten, werden Konflikte unvermeidbar sein. Um so mehr sollte diese Sache sorgfältig von uns auf Rat und Kirchenkonferenz bedacht werden.

103 8 Frankfurt/M., 17./18. Januar 1957 EZA Berlin, 742/1, hsl. Die Rückkehr der Saar am 1.1. mit lehrreicher Nüchternheit erfolgt1. Der Ratsvorsitzende [hat] an Rang für die Frage der Wiedervereinigung erinnert. Saar bescheiden gemessen an Zone, auch vollständig andere Verhältnisse, aber wichtige Grundsätze erwogen mit Rücksicht auf Wiedervereinigung. In der Sozialgesetzgebung den französischen Verhältnissen sehr angenähert, besonders bei den Kindergeldern. Es gab zwar an der Saar keine Demontagen und keine Flüchtlinge, aber auch keine Modernisierung der Betriebe. Hoher Abbau der Kohle und eine Verpflichtung von 66 Millionen Tonnen Kohle für die nächsten 25 Jahre. Aber im Ganzen am Rande. Wie sehr ein Staat im 3. Rang merkt man an der ängstlichen Sorge, mit der alle Phasen der Großmachtpolitik beobachtet werden. Die Hauptfrage, ob amerikanische Politik in einer zwar sehr langsamen aber doch Umorientierung begriffen. Nicht vergessen den Schock, den Adenauer im vergangenen Jahr bei oder besser nach seinem Besuch in Amerika bekam. Wichtige Auskünfte von Eisenhower verschwiegen: Die deutsche Botschaft war in gar keiner Weise über die heimlichen Dinge, die vorbereitet wurden, informiert. Man befürchtet einen neuen Stil des Isolationismus, bei dem Amerika zwar noch interessiert bleibt an Europa, sprich die NATO pflegt, aber doch nicht mit der Festigkeit wie bisher, und auch so, daß am Ende sich Amerika seine letzte Entscheidung vorbehält. Amerika will nicht die antikoloniale Stimmung der Welt auf sich richten, will offenbar auch stärkere Rücksicht nehmen auf Nehru. Kaum noch erinnert wird in der Presse daran, daß in Genf immer noch ein Chinese und Amerikaner immerhin im Range eines Botschafters miteinander verhandeln und doch wohl auch seit Jahr und Tag nicht nur über die 10 in China inhaftierten Amerikaner sprechen. Auch die Einschränkungen, die Dulles zur Eisenhower Erklärung über Nahost gab, versteht man im Blick auf eine Umorientierung2. Man erwartet keine dramatischen Verhandlungen in 1 Am 23. 10. 1955 stimmte die Bevölkerung des Saarlandes in einer Volksabstimmung gegen das in den Pariser Verträgen beschlossene Saarstatut, das vorsah, dem Saargebiet bis zu einem zukünftigen Friedensvertrag einen eigenständigen europäisch-autonomen Status zuzusichern. Am 14. 12. 1956 erklärte der saarländische Landtag seinen Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes; vgl. dazu Elzer, Saar. 2 Ein Resolutionsentwurf Eisenhowers für den US-Kongress sah vor, den Präsidenten der USA zur wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit Nationen im allgemeinen Bereich des Nahen Ostens zu ermächtigen, um ihnen bei der Festigung und Verteidigung ihrer Unabhängigkeit zu helfen. Diese als „Eisenhower-Doktrin“ bezeichnete US-Politik ermächtigte den Präsidenten u. a. die Streitkräfte einzusetzen, wenn er es für notwendig hielt; vgl. den dem Kongress vorgelegten Entwurf vom 5. 1. 1957 in: Europa-Archiv 12 (1957), 9599 f. Dagegen beschrieb USAußenminister Dulles gegenüber den außenpolitischen Ausschüssen des Kongresses die „Eisenhower-Doktrin“ als den Versuch der Abschreckung eines sowjetischen Angriffs auf den

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absehbarer Zeit, aber man glaubt, daß Amerika mit Rußland und vielleicht auch China sich rangiert. Daß mehr Kontakte bestehen, als man öffentlich wahr haben will, ist dem Auswärtigen Amt sicher. Die Suezoffensive hat die NATO unterhöhlt in ihrer Substanz. An Edens Rücktritt deutlich, welcher Rang hinter amerikanischer Stellungnahme in dieser Sache steht. Rangiert sich Amerika mit Rußland über die Interessengebiete und will es wirklich in Asien herein, würde das gewiß eine Normalisierung ohne Liebe sein. Man glaubt, es würde auch dann noch ein sorgfältiges Überwachen und viel Eifersucht geben3. Entscheidend für die Sorgen um alle diese Dinge ist die Frage, ob am Ende dabei für Deutschland eine Neutralisierung im Spiel sei, natürlich mit Garantien von Ost und West. Das müßte zwangsläufig eine starke Beschränkung des deutschen Heeres bringen, selbstredend auch Kontrolle der Waffen und Ausschluß der wichtigsten modernen Waffen für die deutsche Rüstung. Käme es nach zunächst verdünnten Zonen zu so einer Art Neutralisierung, würden wir den Russen unmittelbar gegenüberstehen ohne die Gegenwart amerikanischer Truppen. Nicht zuletzt von daher wird die Malaise des langsamen Aufbaus der Bundeswehr mit Sorge gesehen4. Die Regierung meint, eine Ausgangsposition bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung mit 500.000 Soldaten sei im Blick auf den Erfolg der Verhandlungen und der zukünftigen Sicherheit besser als eine Armee von etwa 200.000 Soldaten. Umso bekümmerter ist die Regierung über die Stellungnahme der Opposition. Man meint, käme die SPD zur Regierung, habe sie schon vor den Verhandlungen alles, was man evtl. anbieten kann, hergegeben. Die SPD ihrerseits will vor allem die Lage mit Polen vorantreiben und beklagt, daß die Regierung in dieser Frage nicht aktiv wird. Innenpolitik: das heimliche Thema: die Wahl5. Kirchenkonferenz. Ich will nur 2 Personalien noch nennen: Botschafter am Hl. Stuhl. Jaenicke geht noch vor der Wahl. An den Quirinal6 kommt Klaiber. Am meisten Chancen für die Stelle scheint der Botschaftsrat am Quirinal Graf Strachwitz zu haben. Ver-

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Nahen Osten (von Kunst in wörtlicher Übersetzung häufig als „Mittlerer Osten“ bezeichnet). Dulles bestritt, dass dies eine automatische militärische Hilfsverpflichtung der USA mit sich bringe; vgl. ebd., 9621. Nach der militärischen Intervention Israels, Großbritanniens und Frankreichs in Ägypten Ende Oktober/ Anfang November 1956 mit dem Ziel, die Verstaatlichung des Suez-Kanals durch den ägyptischen Staat rückgängig zu machen und Präsident Gamal Abdel Nasser zu stürzen, verständigten sich die USA und die Sowjetunion darauf, den Angriff auf Ägypten abzuwenden. Daraufhin zog sich Israel zurück. Auch England und Frankreich brachen die Offensive ab. Das Gebiet um den Suez-Kanal wurde von UN-Truppen besetzt. Damit war deutlich geworden, dass eine Verständigung der beiden antagonistischen Machtblöcke gegen die eigenen Verbündeten möglich war; vgl. Thoss, Beitritt, 224–231; und Stöver, Krieg, 128 f. Zu den Befürchtungen einer Neutralisierung Deutschlands vgl. Thoss, Beitritt, 148; und Köhler, Adenauer, 857 f. Gemeint ist die bevorstehende Bundestagswahl am 15. 9. 1957. Zu den Ergebnissen der Wahl vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 484. Gemeint ist der Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten.

Frankfurt/M., 17./18. Januar 1957

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wunderlich genug. Katholiken können daran keine Freude haben aus 2 Gründen: ein mindestens nicht praktizierender Katholik 2. keinen Staat machen als Nachfolger von Jaenicke der mit [***] Auszeichnungen vom Papst bedacht ist. Bemühungen des Vatikans, ihn zu behalten7. Ein wirklich neuer Wind im Verteidigungsministerium. Alles drängt jetzt auf einen militärischen Oberbefehlshaber. Auswahl nicht groß. Favorit ist sicher Mende. Wir würden damit einen evangelischen Mann an der Spitze haben, aber nach meiner Kenntnis einen Evangelischen, der nur dem Namen nach zu uns gehört. Nimmt man darauf Stellung zur Kirche hinzu, nicht Anlaß zum Glück. Ich befürchte, daß alle unsere Bemühungen um das, was wir im Inneren Gefüge erreichen, nicht einen Auftrieb erhalten. Erfahrungen der Seelsorge: Offiziere im allgemeinen sehr sorgfältig ausgesucht. In Unteroffizieren nicht wenige ungute Elemente. Versorgungsjäger. Aber noch kein abschließendes Urteil möglich.

7 Seit 1951 hatte ein konfessionspolitischer Streit um die Besetzung des Botschafterpostens der Bundesrepublik beim Vatikan verhindert, dass dieser Posten besetzt wurde. Erst 1954 hatte sich Adenauer für den Diplomaten Wolfgang Jaenicke entschieden – zum Ärger der Katholiken, da Jaenicke Protestant war, aber auch zum Ärger der Protestanten, weil Jaenicke, der bereits 72 Jahre alt war, in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten würde. Gemäß der Regel einer konfessionell alternierenden Besetzung des Botschafterpostens bedeutete dies, dass der Nachfolger Jaenickes in absehbarer Zeit ein Katholik sein würde; vgl. dazu Buchna, Jahrzehnt, 483–491, 489 f.

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9 Hamburg, 23./24. Mai 1957 EZA Berlin, 742/1, hsl. Seit der letzten Ratstagung soviel ereignet, daß Nachzeichnung und das Urteil über die Vorgänge in der Regierung und bei Opposition zuviel Zeit in Anspruch nähme. Am meisten Wirbel die Atomdebatte, ausgelöst durch die 18 Physiker und A. Schweitzer1. Viele vorher das Gleiche ausgesprochen. Man wird die Wirkung nicht mit dem J\iqor der erfüllten Stunde erklären können. Ich will mich auch nicht an dem Geschäft beteiligen, von der politischen Durchleuchtung der Physiker eine Erklärung für das Votum zu finden. In Wahrheit kann keiner, der in den letzten Jahren Zeitung las, erstaunt sein, daß die Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zur Diskussion steht. Es ist seit 1954 das nachweisbare Bestreben der westlichen Welt, die riesige Verteidigungslast nicht durchzuhalten. In fast allen Völkern nimmt der Wohlfahrtsstaat immer deutlicher Gestalt an. Das kostet viel Geld. Es bleibt nicht genug für die Riesenbeträge, die notwendig wären, um Rußland mit konventionellen Waffen zu begegnen. Hinzu kam: Deutschland ließ mit seinem Rüstungsbeitrag auf sich warten. Die militärische Führung der NATO seit 1954 öfter als einmal unzweideutig erklärt: bei dieser Lage Sicherheit des NATO-Gebietes mit konventionellen Waffen nicht möglich. General Gruenther hat oft gewarnt und präzis angekündigt, bei der allgemeinen Verringerung der konventionellen Waffen kann die nukleare Rüstung nicht nur ergänzende Funktion haben, sondern muß integral angewandt werden. Es war in diesen Jahren ein circulus vitiosus: Militärs können ihren Auftrag nicht erfüllen ohne Atomwaffen, die Politiker können nicht genug konventionelle Waffen stellen, weil öffentliche Meinung die Wohlfahrt über die Sicherheit stellt. Nach der Überzeugung der NATO-Militärs inclusive der Deutschen ist Westen jetzt schon nicht mehr ohne sofortige Anwendung von Atomwaffen zu verteidigen. Der ständige Kampf in Fontainebleau geht darum, die Menschenkraft im militärischen Potential nicht noch mehr durch Atomkraft zu ersetzen. Von daher sieht sich die SPD nicht nur in Deutschland, sondern auch bei den Amerikanern und der NATO militärisch der Kritik ausgesetzt, weil sie weder allgemeine Wehrpflicht noch Atomrüstung wollen. 1 Gemeint ist das Göttinger Manifest von 18 angesehenen Atomforschern, das am 12. 4. 1957 von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und der Welt veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler – unter ihnen Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker – appellierten an die Bundesregierung, ihre Pläne zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr fallen zu lassen; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 359. Am 23. 4. 1955 strahlten Radio Oslo und 150 angeschlossene Radiostationen in 50 Staaten einen von Albert Schweitzer verfassten „Appell an die Menschheit“ aus. Darin wurde vor den medizinisch biologischen Folgen von Kernexplosionen gewarnt und zur weltweiten Aussetzung der Atomtests aufgerufen; vgl. ebd. und Jenssen, Schweitzer, A 1150.

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Als die NATO-Konferenz in Bonn war2, bei der nebenher die Zypernfrage, die 3 NATO-Mächte unmittelbar angeht, mehr Last gemacht hat als die Atomfrage, hat sie beschlossen, „mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln“ jeden Angriff abzuwehren. Das ist vollständig unzweideutig. Die Verhandlungen selber waren ziemlich schwierig. Zunächst hindern die gesetzlichen Bestimmungen in Amerika, Atomwaffen an andere, auch andere befreundete Länder auszugeben. Es war keine Einmütigkeit unter den NATO-Mächten wegen der Ausstattung aller NATO-Länder mit Atomwaffen. Spaak hat sich mit Entschiedenheit dafür ausgesprochen, der sehr angesehene norwegische Außenminister Lange mit Nachdruck dagegen. Nachdem England nicht mehr zu bestimmen war, von seinen Atombombenversuchen abzusehen, wollte Lange es dabei belassen sehen. Am meisten Sorgen machen dabei die eigenen Bemühungen einiger Staaten um Atombomben, und zwar vor allem in Frankreich, Schweden und Israel. Wahrscheinlich ist, daß auch Rußlands Stellungnahme beeinflußt ist von dem Bemühen gerade dieser 3 Staaten. Angestrebt wird eine Mittellösung zwischen atomarer Abschreckung und ausreichendem Schutz durch konventionelle Waffen. Das Bemühen der deutschen Militärs zielt darauf, auf keinen Fall jetzt eine Vorleistung des Westens in der Atomabrüstung zuzulassen, aber die gemeinsame Abrüstung mit Intensität zu betreiben. Die deutschen Militärs besagen überdies, daß die militärische Generalstabsarbeit nur militärische Auseinandersetzungen im Weltmaßstab berücksichtigen könnte. Es könnte dadurch eine Verlegenheit bei größeren Streitigkeiten, die lokal begrenzt werden können, eintreten. Schon auf der NATO-Konferenz wurde erwogen, was erst jetzt in der Presse durchsickert, daß das Scheitern der Abrüstungsverhandlungen fast zwangsläufig ist. Seit 2 Jahren war das eine Schande, daß es die Produktion von atomaren Waffen geben könnte ohne daß irgendeine internationale Kontrolle wirksam werden könnte. Hinzu kommt jetzt die Behauptung, daß es Explosionen von Wasserstoffbomben geben könnte, ohne daß es eine Möglichkeit einer zuverlässigen Registrierung wie bisher gibt. Unsere Missionen in Moskau und London haben berichtet, daß der Osten nicht auf die Vorschläge Stassens und der Westen nicht auf die Vorschläge Sorins zugehen könne. Im übrigen wird das Problem immer vielschichtiger, abgesehen davon, daß dem Gutachten der Physiker viel Hürden gegenüberstehen und nicht etwa nur in der Frage der radioaktiven Strahlungen. Nicht uninteressant, was bei den Katholiken erwogen wird. Die Bischöfe meinen, sie könnten nichts anderes sagen als was bisher der Papst geäußert hat. Nach Trinitatis Zusammenkunft geplant. Dabei werden die Unterlagen des Papsts für seine berühmte Weih-

2 Die NATO-Konferenz in Bonn fand am 2./3. 5. 1957 statt. Zu ihrer Bedeutung vgl. NATO-Konferenz. Der Purzelbaum. In: Der Spiegel 11 (1957), Nr. 19 vom 8. 5. 1957, 11–14, 11.

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nachtsansprache in dieser Sache vorgelegt werden3. Es hat damals Fragen ausgelöst, woher der Papst seine Beratungen empfing. Es war so: die italienische Luftwaffe hat auf Veranlassung der NATO Erhebungen angestellt, dabei festgestellt den Genauigkeitsgrad der Kontrollen durch Photographieren. Alles Material an Papst, von daher das breite Sachwissen und naturwissenschaftliche Ausführung des Papstes in seiner Ansprache. Die katholischen Bischöfe beabsichtigen, 2 Dinge anzusprechen: Die Verantwortung der Verantwortlichen, 2. Die Bezeugung der Gewißheit und die Kraft christlichen Glaubens in aller Angst der Gegenwart. Sie suchen also nur seelsorgerliches Wort an ihre Gemeinden. Die wesentlichen Züge der Atomdebatte im Bundestag darf ich als bekannt voraussetzen. E. Gerstenmaier ein allgemein anerkannter Höhepunkt in der Diskussion gelungen4. Seine Besorgnis war, man muß an der Skylla des atomaren Kriegs und an der Charybdis der russischen Bedrohung ohne Atomwaffen vorbeikommen. Ohne politische Chance scheint mir die Auffassung zu sein, die man bei einigen uns nahestehenden Physikern vermutet, der Westen solle mit religiösem oder ethischem Pathos wie Gandhi seine Atomversuche einstellen und konsequent seine atomare Rüstung abbauen, damit Rußland unter den moralischen Druck der ganzen Welt geriete. Ziemlich sicher wird die Antwort darauf grob formuliert lauten: man kann einen Tiger nicht dadurch beruhigen, daß das potentielle Opfer in den Hungerstreik tritt. Das Verhältnis Moskau – Bonn schwierigen Belastungen ausgesetzt. Auch die Opposition war über die russischen Noten nicht glücklich5. Die Regierung will den Eindruck vermeiden, als ob die Einschüchterungsversuche Rußlands irgendeinen Erfolg haben könnten, auf der anderen Seite möchte man die Kontakte festigen durch wirtschaftliche und konsularische Maßnahmen. Sehr gut wirkt, daß Semionow eine vollständig andere Ausgabe Diplomat als Sorin ist und das allgemeine Klima zwischen der russischen Botschaft und dem Auswärtigen Amt wesentlich gebessert ist. Sicher scheint 3 Vgl. die Weihnachtsbotschaft von Papst Pius XII. zu den internationalen Problemen der Sicherheit, der Abrüstung, der Koexistenz und des Atomwaffenverbots vom 24. 12. 1955; Abdruck in: AdG vom 24. 12. 1955, 5533 f. 4 Kunst bezieht sich auf die Bundestagsdebatte vom 10. 5. 1957, die sich an die „große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Atomwaffen“ anschloss; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 2, 209. Sitzung, 12051–12136. In dieser Debatte hatte Bundestagspräsident Gerstenmaier die Pläne der Bundesregierung zur Stationierung taktischer Atomwaffen in einer längeren Rede verteidigt; vgl. ebd., 12084–12098. 5 Am 27. 4. 1957 warnte die Sowjetunion in einer scharfen Note an die Bundesregierung vor einer Erhöhung der Kriegsgefahr, da die Bundesregierung die Absicht habe, die Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen auszurüsten und den Westmächten ihr Gebiet für die Stationierung von Kernwaffen zur Verfügung zu stellen. Zuvor hatte es einen Briefwechsel zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai Bulganin und Adenauer gegeben; vgl. das Schreiben Bulganins an Adenauer vom 5. 2. 1957, die Antwort Adenauers vom 22. 2. 1957 und das Schreiben Bulganins vom 18. 3. 1957 in: Europa-Archiv 12 (1957), 9747, 9749, 9821, 9861; und Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 474.

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der Regierung, daß Rußland z. Zt. in gar keiner Weise der Frage der Wiedervereinigung nähertreten will. Umso wichtiger erscheint der Regierung, daß sie sich nicht zwischen 2 Stühle setzt und das abgesprochene junctim zwischen Abrüstung und Wiedervereinigung aufrecht erhalten bleibt. Nur um in der Weltöffentlichkeit nicht als ein Hinderungsgrund für irgendeinen Schritt zur Abrüstung zu erscheinen, hat die Regierung erklärt, daß sie im Rahmen der NATO-Beschlüsse mit der Verständigung über die Abrüstung einverstanden sei, die Durchführung der Abrüstung müsse aber an die Regelung der deutschen Frage gebunden sein. Im Grunde macht also die Regierung nur darauf aufmerksam, daß die sogenannte „Erste Stufe“ der Abrüstung einen militärischen und6 einen politischen Aspekt hat. Eine Überschneidung beider Aspekte ist unausweichlich. Darin liegt die Wurzel für das äußerste Mißtrauen in Bonn. Betroffen versucht Rußland, nachdem seine drohenden Noten in ganz Europa nur zur Festigung der NATO beigetragen haben, von neuem die Karte zu spielen, bilaterale Verhandlungen zwischen Amerika und Rußland zu empfehlen. Das tat Molotow trotz aller damaligen Spannungen schon 1948 in einer Unterredung mit Bedell-Smith. In Genf versuchte Bulganin Eisenhower zu bewegen, Frankreich und England im Stich zu lassen. Genau das Gleiche geschah auf dem Höhepunkt der Suezkrise. Amerika kann nicht nur auf solche Vorschläge nicht einsteigen wegen seiner Verträge, es gibt zahlreiche Punkte seiner Außenpolitik wie jetzt den Mittleren Osten, wo es ohne Bündnis und Einverständnis Englands und Frankreichs gar nicht tätig werden kann. Die amerikanische Botschaft sieht alle diese Bemühungen Rußlands nur auf das Ziel gerichtet, Verwirrung in der westlichen Front zu stiften. Innenpolitik. Parteitag der CDU. Nur auf die Wahl zugeschnitten. Man kann nicht anders exegesieren [soll heißen: auslegen], auf keinen Fall Koalition mit der SPD. Alle Referate diesen Trend. Bemerkenswert, keine Rebellen wie in Stuttgart. Friedensburg bemerkenswertestes Beispiel. Nie ganz einverstanden mit der Ostpolitik. Jetzt erinnerte er daran, daß die Rettung Berlins z. Zt. der Blockade nicht zuletzt dem Schießbefehl von General Clay zu danken gewesen sei7. […] September vorgesehen Einladung des Weihbischofs von Erfurt, Fest der hl. 6 Die hier aufgelöste Abkürzung „u.“ wurde unterstrichen. 7 Vgl. die Rede des CDU-Abgeordneten Ferdinand Friedensburg auf der 2. Plenarsitzung des 7. Bundesparteitages der CDU am 13. 5. 1957. Darin wandte sich dieser gegen die Parole der Opposition „Rüstung oder Wiedervereinigung“ und plädierte für die Politik der Bundesregierung „Rüstung und Wiedervereinigung“. Als Argument diente ihm die Rettung Berlins durch die Berliner Luftbrücke während der Berlin-Blockade 1948/49: „aber wenn nicht der amerikanische General Clay den Schießbefehl an seine Jagdflugzeuge gegeben hätte, um die Luftbrücke zu schützen, wenn hinter diesem Schießbefehl nicht die gewaltige Macht der Vereinigten Staaten gestanden hätte, dann wäre der Kampf anders ausgegangen. Dann könnten weder wir hier tagen, noch könnte die Opposition ihre ,schönen‘ Ideen entwickeln“; vgl. 7. Bundesparteitag der CDU Hamburg (online), 91.

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Elisabeth. Aus jeder Diözese sollen die Bischöfe mit etwa 50 Vertretern kommen. Ein Waldgottesdienst und geistliche Spiele in Eisenach vorgesehen. Ob Genehmigung erteilt wird, fraglich8. Verhandlungen mit der Zone wegen Kohlelieferung9.

8 Erfurt war der Sitz des Fuldaer Weihbischofs Joseph Freusberg. Am 21./22. 9. 1957 fand eine Wallfahrt zum 750. Geburtsjahr der Heiligen Elisabeth von Thüringen in Erfurt statt. An der Veranstaltung nahmen zwischen 60.000 und 80.000 Wallfahrer teil. Die DDR-Behörden hatten im Vorfeld die Teilnahme für Westdeutsche massiv erschwert; vgl. Pilvousek, Elisabethwallfahrt, 596. 9 Anfang 1957 einigten sich die DDR-Führung und Vertreter der EKD auf den sogenannten Kirchlichen Hilfsplan I. Der Plan sah vor, dass die EKD Rohstoffe von der Bundesrepublik, z. B. Kohle, kaufte und diese an die DDR lieferte, um im Gegenzug Zahlungen der DDR an die evangelischen Landeskirchen in der DDR zu erwirken. Dieses sogenannte Transfergeschäft brachte Vorteile für beide Seiten: Erleichterung der akuten Rohstoffknappheit der DDR und Behebung der akuten Finanznot der östlichen evangelischen Landeskirchen. Die Bundesregierung unterstütze das Geschäft 1957 mit 12 Millionen DM, 1959 trug sie bereits 50 % der Transferleistungen; vgl. Boyens, Gegner, 385, 390; sowie die Berichte vom 30.3. bis 1. 4. 1960 (Dok. 14), Anm. 8; 27. 8. 1964 (Dok. 25), Anm. 6; und 21./22. 9. 1972 (Dok. 55), Anm. 2.

111 10 Hannover, 26./27. September 1957 EZA Berlin, 742/1, hsl. Das große Ereignis Bundestagswahl 15.9. Meinungsforschungsinstitut sehr genaue Voraussage, keiner hat mit einem solchen Sieg der CDU gerechnet1. Bezeichnend: 8 Tage vor der Wahl über 22 % unentschlossen. Sehr viele Familien verschieden votiert. Nie solche Verlegenheit vor einer Wahl getroffen. Vollständige Auswertung liegt noch nicht vor. Unbestritten Einbruch CDU in Arbeiterschaft, wobei möglicherweise Rolle gespielt Flüsterpropaganda, etwa: weniger Aufträge von Ausland beim Sieg der SPD, Sozialisierung aller Betriebe drohe. Entscheidender wird etwas anderes sein. Man versteht den Ausgang der Wahl wohl nur im Zusammenhang mit dem Verlangen nach Sicherheit. Es ist ein Grundstrom in unserem Volke angesprochen worden mit dem: keine Experimente. Erstaunlich schwach hat die Parole der SPD gegen die allgemeine Wehrpflicht gewirkt, soweit man bisher bei der Überprüfung der Wahlergebnisse bei der Jugend hat feststellen können. Auch die Warnung vor dem Atomkanzler scheint das Gegenteil bewirkt zu haben. Viele gemeint: bei der Gefahr der Gegenwart so stark wie möglich. Sicher hat die Erinnerung an Ungarn mitgewirkt2. Adenauer verstanden, Eindruck der gebotenen Härte zu erwecken. Wie überhaupt Adenauer als Figur viel bedeutet hat. Am peinlichsten war dabei für viele der Zoll an die Massenpsychologie. Ganz allgemein haben natürlich auch die Früchte der Wirtschaftspolitik und die Rentenreform ihre Wirkung getan. So bleibt respektabel, daß die SPD um die Jahreswende, als die Rentenreform schwere Auseinandersetzungen in der Regierung auslöste, nicht den Zwiespalt geschürt hat, um die Verabschiedung der Rentenreform vor den Wahlen zu verhindern, „trotzdem“ klar war, auf das Konto der CDU bei der Masse. Bei allen Parteien hat sich ausgewirkt, nur begrenzte Gegensätze bei den Parteien. Am Kräftigsten möglich gewesen und entwickelt in Außenpolitik. Es kann in Wahrheit ja auch nicht von unseren klar profilierten Weltanschauungen gesprochen werden. Immerhin waren die 2 großen Parteien noch eigener Konturen fähig. Der Spielraum für die kleineren Parteien war kümmerlich. Bei der SPD sind Überlegungen im Gange, welche Konsekutiva zu ziehen sind. Dabei sicher ein Mangel, daß die Presse es fer1 Bei den Bundestagswahlen am 15. 9. 1957 hatte die CDU/CSU mit 50,2 % der Stimmen die absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag gewonnen. Die SPD kam auf 31,8 % und hatte damit insgesamt 2 % der Stimmen gegenüber der letzten Wahl dazugewonnen, was u. a. auf die guten Wahlergebnisse in Hamburg und Bremen zurückzuführen war. In der SPD nahm man das Wahlergebnis dennoch als Debakel wahr; vgl. Taschenatlas Wahlen, 38; und SeebacherBrandt, Ollenhauer, 302. 2 Kunst erinnert hier an den Volksaufstand in Ungarn (23. 10. 1956 bis 11. 11. 1956), der von der Sowjetunion militärisch niedergeschlagen wurde; vgl. Vor 65 Jahren: Ungarischer Volksaufstand (online).

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tigbringt, aus vertraulichen Sitzungen Kenntnis zu bekommen. Das kann die Lage nur verhärten. SPD-Stammwähler verloren, aber sicher nicht unbedeutende Gewinne bei der Intelligenz und im Bürgertum überhaupt. Besonders eindrucksvoll der Sieg in Hamburg3. Für uns als Evangelische Kirche beachtlich, daß der Trend der Evangelischen zur CDU keine Einbußen, sondern erhebliche Verstärkung erfahren hat. In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Bremen in den evangelischen Kreisen kräftiger Zuwachs der CDU. In Wahlkreisen, in denen CDU relativ oder absolut Verluste hatte, sind fast alle ausschließlich vollkommen katholisch. Der Stimmenzuwachs der CDU geht vor allem auf evangelische Wähler zurück. Wichtiger, wie diesmal Stimmen laut geworden. Protokolle von Pfarrkonferenzen. Immer hat es auch in der Kirche Förderungen verschiedener Parteien gegeben, wenn auch meistens mit etwas schlechtem Gewissen und deshalb möglichst verborgen. Davon diesmal keine Rede. Ich wüßte nicht, daß je Evangelische Pastoren sich so offen zu bestimmten Parteien auch öffentlich bekannten und mit Stellungnahmen in den Wahlkampf eingriffen wie diesmal4. Zur Evangelischen Verantwortung gibt es jetzt auch ein sozialdemokratisches Seitenstück. Diese neue Art hat zu ziemlich vielen Kontroversen geführt im Juli und August. Das in dieser Zeit erlebte läßt mich erinnern an den Beschluß der Synode von Espelkamp, also immerhin vor 21/2 Jahren!5 Kammer noch nicht unter Raiser zusammengetreten. Ohnehin wird Rat darauf zu sprechen kommen, weil im Wahlkampf wieder Unterschriftensammlung auf Tagesordnung kam. In dem Maße als die Predigtnot wächst und die priesterlichen Kräfte verarmen, gewinnt Politik

3 Die sich abzeichnende Akzeptanz der SPD im bürgerlichen Lager, die Kunst hier für Hamburg andeutet, wurde von der Partei selbst erst nach dieser Bundestagswahl konsequent angestrebt. Mit der Vorbereitung eines neuen Grundsatzprogramms, dem 1959 beschlossenen „Godesberger Programm“, leitete die SPD den Wandel von der Arbeiterpartei mit marxistischen Wurzeln zu einer sozialreformerischen Volkspartei ein; vgl. Heimann, Ollenhauer, 249 f., 255; und Hering, Kirchen, 246 f. 4 Vgl. die „Entschließung der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg“, die gegen das „C“ in der CDU protestierte. In einer Erklärung von vier Pfarrern und acht Gemeindemitgliedern aus der württembergischen Landeskirche vom 1. 7. 1957 hieß es: „Damit allen Menschen klar werde, daß die Kirche mit der mißbräuchlichen Verwendung des Namens ihres Herrn zu Partei- und Wahlzwecken nichts zu tun habe, sind wir als Glieder der Kirche entschlossen, der CDU bei der nächsten Bundestagswahl unsere Stimme zu versagen und diese Partei abzulehnen, solange sie nicht gewillt ist, das Wort ,christlich‘ aus ihrem Parteinamen zu streichen“. In: KJ 84 (1957), 62. 5 Das „Wort der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Verantwortung der Kirche in der gegenwärtigen politischen Lage“ vom 11. 3. 1955 ging auf die politische Zerstrittenheit über die militärische Aufrüstung der Bundesrepublik innerhalb der EKD ein und warnte davor, politische Haltungen mit Berufung auf das Wort Gottes zu legitimieren. In Anspielung auf die Äußerungen zahlreicher Pfarrer – vor allem aus den Reihen bruderrätlicher Kreise – hieß es: „Wir bitten aber in allem Ernst die Pfarrer als Diener des göttlichen Wortes, bei solchem Tun ihr Amt zu bedenken und nicht durch Vermischung göttlicher und menschlicher Rede falsches Ärgernis zu geben“. In: Kundgebungen, Bd. 1, 201 f.

Hannover, 26./27. September 1957

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Macht unter uns. Moralisieren wenig angebracht, Diffamierung im Wahlkampf nicht wie 1953 cf. Menschenverachtung bei Wahl im totalen Staat. Zur Regierungsbildung. Koalition mit DP. FDP für alle Fälle im Wahlkampf geschont, aber keine Neigung jetzt. E. Gerstenmaier – Wahlnacht: sehr übelgenommen. Am meisten verdacht: wenn FDP Zünglein an der Waage, wäre 1. Koalitionsforderung auf einen neuen Bundeskanzler gegangen. Sicher FDP nicht homogen, Koalition Gefahr der Spaltung. Am schmerzlichsten FDP: weder CDU noch Opposition haben sie nötig6. Wichtig, Kanzler denkt offenbar an seine Nachfolge. Am ehesten bietet sich Erhard an. Verdienstvoll, bekannt im In- und Ausland, Kredit bei Unternehmern und Arbeitern, kann gegen Eigensucht hart sein. Aber Adenauer will ihn nicht als Nachfolger. Seine Gründe sind: kein Europäer, nicht geduldig genug. Bis gemeinsamer Markt funktioniert bzw. die größten Nationalismen überwunden sind, 15 Jahre. So lange wartet Erhard nicht. Da er durch die Kraft der deutschen Wirtschaft und Währung am längsten Hebel sitzt, kann ein Nein von ihm am härtesten die Bemühungen um Europa treffen. Außerdem traut ihm Adenauer nicht genug sammelnde Kraft zu. Er fürchtet, Erhard wird mit dem spannungsreichen Kabinett nicht fertig. Er will ihn zum Vizekanzler machen, nicht zuletzt wegen seines evangelischen Gesangbuches. Seine Hoffnung richtet sich auf Etzel, Vizepräsident der Montan Union. Im 1. deutschen Bundestag, dann Luxemburg. Er ist evangelisch und erfüllt damit die Voraussetzung, die man für besonders wichtig ansieht in der Führung der CDU. Freilich katholische Frau mit katholischer Kindererziehung. Ohne Zweifel guter Mann. Europaminister zunächst gedacht. Auf entschiedensten Widerstand von Erhard und Brentano. Möglicherweise ins Kabinett mit Delegation der Zuständigkeiten von Erhard und Brentano. Es geht um die Chance für Etzel7. Gerne für Auskünfte für Einzelfragen, nur etwas noch über Gesamtdeutschen Minister. Wichtig, aus der Verkümmerung heraus. Verhältnis zum Auswärtigen Amt und Finanzministerium. Voten ohne Abstimmung mit Gesamtdeutschem Minister. Wenn ein Minister noch entwicklungsfähig dann dieser. Wir Interesse, weil ein törichter Minister unseren Gemeinden viel Kummer schaffen kann, ein guter Minister könnte etwas bedeuten. 2 Leute geeignet, Osterloh und Krone. Ernst Lemmer. Adenauer will evangelischen Minister. Lemmer will nicht, wird aber wohl müssen. Nicht empfehlen, sich dafür zu exponieren. […]

6 1956 war es zum Koalitionsbruch seitens der FDP mit der Regierung Adenauers gekommen. Zu den Hintergründen vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 303–312. 7 Franz Etzel wurde nach den Wahlen 1957 zum Bundesminister der Finanzen berufen; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 23.

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11 Berlin, 3./4. Februar 1958 EZA Berlin, 742/1, hsl. Seit der letzten Ratstagung Bonner Politik nur von Außenpolitik bewegt. Pariser Konferenz schwer begreifliche Mißverständnisse ausgelöst. In Kanzlers Mund so: Dulles Vorschlag: erneute Abrüstungsverhandlungen, Adenauer widersprochen, nach Scheitern in London und in New York nicht sinnvoll und attraktiv, dieselbe Sache das 3. Mal vorzuschlagen. Deshalb aus der Propaganda in die Geheimdiplomatie. Von einem Kurswechsel konnte ernsthaft keinen Augenblick geredet werden. Die Mißverständnisse indes ungut gewirkt, so ungut bei Eisenhower, daß sich Geburtstagsglückwunsch für Adenauer um 6 Tage verspätete und er dann auch nur von vergangener guter Gemeinschaft sprach. Die außenpolitische Debatte am 23.1. wird so sorgfältig zur Kenntnis genommen sein, daß ich mich der Darstellung enthalten kann1. [***] Abend gab es ohnehin keinen höheren Grad von Novität als wenn einem gereiften Humanisten die Glocke von Schiller ausdekliniert ist. Ich will nur auf Grund der von mir beobachteten Situation einige Glossen machen. Die Rundfunkrede des Kanzlers vor ordentlicher Debatte, die praktisch eben doch die Vorwegnahme der Regierungserklärung war, die [***] im Rundfunk hat eine breite Unzufriedenheit ausgelöst, und man kann nur wünschen, daß an dieser Unzufriedenheit der Herr Bundestagspräsident teilnimmt und etwas tut. Nach der mehr braven als aufregenden Debatte war die Sensation die Reden der beiden ehemaligen Minister im Kabinett Adenauer Dr. Dehler und Dr. Heineman. Zu Dr. Dehlers Rede nur eine Bemerkung machen: 1957 keine Einmütigkeit in FDP über Koalition. Profilierte Köpfe für Koalition Absicht: nach 1 Jahr eintreten nach ruhiger Opposition. Dies ist nun wohl definitiv aus. Vollständig anders die Rede von Dr. Heinemann: D. Lilje anders beurteilt als Dr. Schwarzhaupt in Christ und Welt. Es kann in diesem Kreis nicht die Aufgabe sein, die Rede zu analysieren, die berühmte Note vom 10.3.52 in dem zu prüfen, was Dr. Heinemann daraus zitierte und was er nicht zitierte, für unser Registrieren scheinen mir 2 Dinge wichtig: 1. noch nie hat die CDU eine ähnliche parlamentarische Schlappe hinnehmen müssen. Zu den Interna: Unrecht, daß man Krone vorschickte. Lauterer Charakter, aber keine Debatte. Schröder wollte nicht, Gerstenmaier präsidierte, aber Zeichen, daß von der CDU-Fraktion die Debatte miserabel vorbereitet war. Man wußte, daß Dr. Heinemann reden würde. Man konnte sich an 5 Fingern abzählen mindestens 2 seiner Geschosse. Wichtiger ist, daß CDU unter den evangelischen Abgeordneten offenbar nur sehr bescheidene Pferde besitzt, es war keiner in der Lage, sofort so zu antworten, wie es notwendig war und für einen Kundigen 1 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Plenarprotokolle (online), WP 3, 9. Sitzung, Rede Dehlers: 384D–399D; Rede Heinemanns: 401B–406D; und Greschat, Protestantismus, 75.

Berlin, 3./4. Februar 1958

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wohl auch nicht überschwer. Das Erregendste aber war, dass CDU auf ihr Selbstverständnis als eine Partei von Christen gestellt, nicht in der Lage war, sofort überzeugend und kraftvoll zu antworten. Es wäre nicht gut, wenn wir diese offene Wunde still vernarben ließen. Denn wie immer man zur CDU steht, wir sind als Kirche in irgendeiner Weise mit diesem Namen mit in Anspruch genommen. Es scheint, als ob die Rede von Dr. Heinemann für die CDU Wirkung haben wird, wie die Sputniks für Amerika, man wird Anstrengungen machen, daß dies kein 2. Mal passiert. Soviel scheint jetzt schon festzustehen, daß die Stellungnahme von D. Lilje wesentlich nachdrücklicher wirkt als die Rede von Dr. Heinemann. Gegen ihn konnte man zur Beruhigung des Volkes noch sagen: 1. die typische Art des Apostaten, das ist bei D. Lilje nicht möglich. Aus der Flut der Zuschriften und Anreden scheint mir sich abzuzeichnen, daß dieser Vorgang auch im kirchlichen Raum mehr als eine andere Parlamentsdebatte zur Diskussion kommen wird. Am heftigsten aufgenommen: Christus nicht gegen Karl Marx gestorben2. Man sagt: Christus auch nicht gegen Adolf Hitler gestorben, die Frage des politischen Verhaltens damit nicht klar gezeichnet. […]

2 Vgl. die Rede Heinemanns in: Plenarprotokolle (online), WP 3, 9. Sitzung, 404 A.

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12 Berlin, 23. April 1959 EZA Berlin, 742/1, hsl. Beherrschende Ereignisse das Ausscheiden Dulles1 und die Übernahme der Bundespräsidentenkandidatur Adenauer2. Ausfall von Dulles nach wie vor beklagt, einzigartig für seine Aufgabe vorbereitet, seine Entschlußkraft, unbeugsame moralische Festigkeit, Kenntnis und Verhandlungsgeschick haben ihn zur Schlüsselfigur des Westens durch Jahre gemacht. Keine Sorge, daß Grundzüge amerikanischer Politik sich wandeln, aber die Anwendung der Grundzüge kann sich wandeln. Man fürchtet den Mangel an Sorgfalt und Festigkeit in den Nuancen. Adenauers Entschluß die große Überraschung. Oft versucht, schließlich indigniert als Zumutung empfunden, am sauersten sicher, auf den politischen Kampf verzichten zu müssen. Sicher keine Resignation bei ihm, wohl Freistellung von vielerlei, jedes Gesetz fast bringt Besuche von Interessenverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Kriegsopfer, Rentner, vielerlei: hoher Verschleiß an Kraft. Am sorgfältigsten überlegt die außenpolitische Auswirkung. Überzeugung, seinen bisherigen Einfluß in der auswärtigen Politik sichern zu können. Dies braucht nur dann Schwierigkeiten mit dem Grundgesetz zu geben, wenn der neue Kanzler sich wehren sollte. Man wird aber davon ausgehen müssen, daß der neue Kanzler auf keinen Fall sehr schnell eine vergleichbar dominierende Stellung wie Adenauer bisher haben wird. Was Adenauer in Zukunft gesprächsweise mit dem Kanzler und Außenminister äußern wird, mag im Effekt nicht weit von den Weisungen entfernt bleiben. Nicht erkennbar relevante Kräfte in der CDU, die außenpolitische Konzeption ändern wollen. Wer die Bonner Verhältnisse kennt, wird die staatsrechtlichen Untersuchungen über die Stellung des Bundespräsidenten nach dem Grundgesetz, die jetzt breit die Presse beherrschen, nicht allzu ernst nehmen. Die Regierung ist im übrigen auf den Kredit Adenauers mindestens im Ausland angewiesen. Frage der Nachfolge. Erhard unbestrittener Favorit in Presse und Fraktion. Er erfüllt Grundvoraussetzung, er kann Wahlen gewinnen. Ziemlich sicher ist, daß Adenauer lieber Etzel nähme. Für ihn sind in Frankreich die Türen offener als für Erhard, und für Erhard in England offener als für Etzel. Adenauer hält das europäische Konzept mit der Freundschaft mit Frankreich für entscheidend. Er mißtraut in dieser Sache Erhard, mag auch nicht dessen rein un1 Der amerikanische Außenminister John Foster Dulles war am 15. 4. 1959 krankheitsbedingt zurückgetreten und kurze Zeit später gestorben; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 395. 2 Im Kontext der Diskussionen um die Nachfolge von Bundespräsident Theodor Heuß hatte Adenauer am 7. 4. 1959 überraschend erklärt, seine Kanzlerschaft zu beenden und selbst für das Bundespräsidentenamt zu kandidieren. Am 5. 6. 1959 zog er allerdings seine Kandidatur zurück. Zu den Hintergründen und folgenden Ausführungen vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 177–190; und Baring, Außenpolitik, 19 f.

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ternehmerische Art ohne Sinn für die Pingeligkeit der Administration. Sorge besteht auch, wie Erhard das Kabinett leiten wird. Schwierigkeiten können in der Außenpolitik dadurch kommen, daß bisher Wirtschaft und Handelspolitik klar im Dienste der großen Politik standen. Wenn man bedenkt, daß Bundesrepublik 3. größte Exportland der Welt ist, bekommt Frage Gewicht, ob Erhard den Hebel herumwerfen wird und nun wie Adenauer bisher der Kontrapunkt des Wirtschaftsministeriums werden wird. Aber Erhard will, und an ihm ist ziemlich sicher nicht vorbeizukommen. Etzel hat größere herrscherliche Qualitäten. Er hat nicht verzichtet, will aber um seinetwillen keinen Streit. Gesundheitlich nicht in den besten Jahren, aber z. Zt. nicht behindert. Entscheidung noch vor sich herschieben je nach Entwicklung der Verhältnisse. Regierungsumbildung wahrscheinlich sehr bescheiden, wenn überhaupt. Entscheidend Brentano wird bleiben. Nicht anzunehmen, daß er durch Gerstenmaier ersetzt wird. Kaum neue Koalition mit FDP. Parteitaktisch glaubt man, FDP absteigender Ast, aber wichtiger. FDP andere außenpolitische Konzeption als CDU. In der gegenwärtigen Lage will man keine Risiken durch Uneinigkeit in der Koalition. Im übrigen Bedingung Adenauers, wahllose Fortsetzung der bisherigen Politik. Jedenfalls nichts weniger bei Adenauer und der Führung der CDU eine Rolle, als was DDR-Presse und Rundfunk sagen: ein in seiner Politik gescheiterter Mann verläßt die Kommandobrücke. Selten Adenauer so vollständig überzeugt von der Richtigkeit seines Weges als heute. Außenpolitisch langsam die Konturen klarer. Wachsende Übereinstimmung im Westen in der Beurteilung: was wollen die Russen3? Das Einfachste vielleicht das Richtigste: sie wollen eine Änderung des status von Berlin ohne sonst irgendetwas zu ändern. Berlin ist nicht nur Schaufenster des Westens, es ist auch das sichtbare Symbol des Versagens der DDR. Chruschtschow – ich referiere uns und Alliierte – will Westen zum Opfer des status quo nötigen. Er hat den 17.6., Ungarn nicht vergessen, täuscht sich ziemlich sicher auch nicht vollständig über die bisherige Erfolglosigkeit der kommunistischen Politik in DDR. Der Westen in Berlin ist eine wirksame Provokation für die Ostvölker. Solange Westen in Berlin, klar, daß Westen den Zustand wie er jetzt ist, nicht hinnimmt – vielleicht anerkennt, nicht anerkannt. Chruschtschow will die Legalisierung des status quo, also Teilung Europas, die alleinige Zuständigkeit Rußlands für Osteuropa – außerdem Anerkennung der DDR und dies alles ohne Gegenleistung. Selten Westen so einig als in der Ablehnung dieser russischen Bemühungen. Sicher ist Berlin für uns national gesehen von außerordentlichem Belang, aber hier muß mehr international als national gedacht werden. Fiele Berlin, wäre dies eine Bresche in eine 12-jährige Politik des Westens. Man darf sich nicht täuschen, es gibt in Europa Kräfte genug, die 3 Die nachfolgenden Reflexionen Kunsts stehen im Kontext der zweiten Berlin-Krise, die auf das Berlin-Ultimatum des sowjetischen Regierungschefs Nikita Chruschtschows am 27. 11. 1958 folgte und bis in den Spätherbst 1963 anhielt; vgl. Wettig, Berlin-Krise, 1–6.

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Osteuropa abschreiben möchten. Deshalb wird Brandt von den führenden Politikern des Westens so gefeiert, weil er glaubwürdig dartut, daß in Berlin die Freiheit des Westens verteidigt wird. Ohne Zweifel aber sanft Wandlungen bei uns und im Westen. Als vollständig sicher gilt, daß Rußland jetzt keine Wiedervereinigung will. Verschiedenes Urteil, ob überhaupt Rußland Wiedervereinigung je gewollt hat, aber müßig, als sicher gilt bei der Regierung in Bonn, bei Regierung und Opposition in England, in Amerika und auch in Frankreich, weder Austritt aus NATO, noch Austritt aus den europäischen Verbindungen noch Neutralisierung gibt uns Wiedervereinigung mit freien Wahlen. Wiedervereinigung nur, wenn 2/3 kalkulierbar Gewißheit besteht, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in 5–10 Jahren kommunistisch ist. Das Arbeitsziel von Regierung und Opposition in Bonn war bisher Wiedervereinigung, die Arbeitshypothesen waren verschieden. Adenauer: (sehr gekürzt) man muß stark genug sein, um Rußland die Aussichtslosigkeit seiner Politik zu zeigen, um dann zu Verhandlungen zu kommen. SPD: man muß schwach genug sein, daß Rußland keine militärischen, wirtschaftlichen, politischen Sorgen unserethalben haben muß. Spätestens seit Besuch Carlo Schmids und Erlers in Moskau: es gibt kein politisches Geschäft mit den Russen über die Wiedervereinigung. Regierung und Opposition sind zum Wandel ihrer Arbeitshypothesen gezwungen4. In der Regierung wächst Erkenntnis, wer NATO und Europakonzeption nicht preisgeben will, braucht nicht zu verhandeln. Das ist kein Preis. Wie kann Verbesserung der Position erreicht werden? Disengagement muß sein. Dabei erscheint Rapacki-Plan nicht diskutierbar, weil Verminderung der Sicherheit ohne Chance der Wiedervereinigung. Um disengagement kreisen alle Gedanken, ob und unter welchen Bedingungen, ob und in welchen Grenzen5. Dabei stellen sich nach westlicher Auffassung 2 Bedingungen: 1. nicht weniger Sicherheit für die freie Welt, 2. eine gewisse Verbesserung der Chancen für die Wiedervereinigung. Dabei ist allgemein Überzeugung, bei Erörterung der Wiedervereinigung nicht freie Wahlen am Anfang, aber auch nicht ohne freie Wahlen. Indes: disengagememt, was ist das? Mit großartiger Souveränität wird darüber mindestens in Bonn diskutiert unter Absehung der damit verbun4 Zwischen dem 11. und 17. 3. 1959 hielten sich Carlo Schmid und Fritz Erler zu einem Besuch in der Sowjetunion auf, um sich dort vor dem Hintergrund der Berlin-Krise über die politischen Vorstellungen des Kremls zu informieren und die außenpolitischen Konzepte der SPD zu erläutern. Schmid und Erler resümierten: „Es wurde klarer, daß seit 1949 unverrückbare Realitäten entstanden waren, die jede Wahrscheinlichkeit ausschlossen, in absehbarer Zeit auf internationalen oder nationalen Wegen zur Wiedervereinigung Deutschlands zu gelangen“; vgl. Schmid, Erinnerungen, 647, 655. 5 Der polnische Außenminister Adam Rapacki hatte am 2. 10. 1957 der UNO-Vollversammlung 1957 einen „Disengagement-Plan“ für Mittel- und Osteuropa vorgelegt. Der Plan umfasste zunächst die beiden deutschen Teilstaaten und Polen und war als Vorstufe für eine mittelfristige euroregionale Entmilitarisierung – insbesondere eine atomwaffenfreie Zone – angelegt. Langfristig sollte er zu einer länderübergreifenden Neutralisierung Europas führen; vgl. Gehler, Neutralität, 124–126.

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denen militärpolitischen und militärtechnischen Fragen. (Fontainebleau 3 Tage) Aber lassen wir das, wichtiger wie soll disengagement aussehen. Konkrete Pläne ausgearbeitet, noch keine Einigkeit im Westen, nicht äußern. Im Ganzen temperierte Hoffnungen auf Gelingen eines Schrittes nach vorn. Wort über die ziemlich überflüssige Auseinandersetzung mit England Mac Millan will herausfinden, gibt es etwas, was mildert ohne Sicherheit zu gefährden. Er rechnet maximal mit sehr kleinen Schritten, in jedem Fall rechnet er damit, daß Spannungen bleiben. Er will aber trotzdem Berlin zum Anlaß zum Verhandeln nehmen. Über Wiedervereinigung zu reden hält er für Phantasie, Wiedervereinigung nur ein Orientierungspunkt. Auch Labour sucht Milderung, glaubt nicht an Lösung, dabei wird wahrscheinlich Labourregierung weiter gehen als Konservative, aber auch Labour will westliche Truppen in Berlin lassen. England prüft einen Vorschlag, ganz Berlin unter UNO-Kontrolle zu bringen mit Truppen der Westmächte und Truppen einer großen neutralen Macht, vielleicht Indien. Bis jetzt keine Chancen, Amerika nach wie vor: UNO ausgezeichnet für Friedensverhältnisse nicht für Konflikte. Im Ganzen wird sich der Westen bemühen, im Entscheidenden fest und klar zu sein, im technischen aber großzügig und flexibel. Ob und wie weit der Westen in allen diesen Überlegungen die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat, ob vor allem Chruschtschow sich leisten kann und wird, sagen wir auf eine Reihe von Gipfelkonferenzen, wobei keine spektakulären Erfolge zeitigt, zuzugehen, muß man abwarten. Nichts über Deutschlandplan der SPD. Im Osten auch publiziert. Th. Heuß, unbegreiflich, vor 2 Länderwahlen6. Indes darin getäuscht. Nicht die von der CDU erhofften Einbußen, freilich auch keine Wählermassen neu gewonnen. Überzeugung: man kommt über die 1. Phase nicht heraus, und sie bekommt man nur durch die mit dieser 1. Phase verbundenen Vorgabe. Natürlich auch die Frage, ob Ost und West so verschieden, daß keine Kommunikation möglich ist. Bei den Botschaften Achselzucken, sie glauben alle nicht an Pläne, nur an kleine Schritte7. 6 Der am 18. 3. 1959 von einer Kommission unter Federführung des stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Herbert Wehner vorgelegte „Deutschlandplan der SPD“ sah ein „langsames Zusammenrücken“ gesellschaftlicher und politischer Institutionen von DDR und Bundesrepublik vor, mit der Perspektive eines „Zusammenwachsens“ beider Teile Deutschlands zu einem neutralen Staat. Dieser sollte sich in eine europäische, militärisch neutrale Entspannungszone – bestehend aus den deutschen Teilstaaten, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn – einfügen. Wehner gab diesen Plan allerdings nach nur einem Jahr auf und ersetzte ihn durch ein außenpolitisches Programm, das auf der Anerkennung der Westbindung beruhte. Kunst spielt hier vermutlich auf einen negativen Kommentar von Theodor Heuß zum „Deutschlandplan der SPD“ an, der von der bundesdeutschen Öffentlichkeit mehrheitlich abgelehnt wurde; vgl. Schmid, Erinnerungen, 664, 666. 7 In einer ersten Phase sah der „Deutschlandplan“ eine gesamtdeutsche Konferenz vor, die aus Beauftragten beider deutschen Regierungen bestand und gesamtdeutsche Institutionen zur Beförderung der wirtschaftlichen und justiziellen Zusammenarbeit schaffen sollte. Die zweite Phase sah einen von beiden Teilen Deutschlands zu wählenden gemeinsamen Parlamentarischen

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Mir scheint unter den gegenwärtigen Umständen das Vordringlichste zu prüfen, unter welchen Bedingungen ist Rußland bereit, in eine Humanisierung der Verhältnisse in der DDR einzuwilligen. Damit wird das Problem der Wiedervereinigung nicht gelöst, aber es müßte den Russen klar zu machen sein, daß es keine guten Gründe dafür gibt, daß DDR seine Bürger schlechter behandelt als der Kreml die seinen. Das Ulbrichtsystem paßt nicht mehr in das New York der Russen.

Rat vor, der Gesetze über Verkehrswege, Post- und Fernmeldewesen sowie zur Wirtschaft erlassen konnte. In einer dritten Phase sollte der gesamtdeutsche Parlamentarische Rat Gesetze zum Steuersystem, Finanzausgleich, Zoll- und Währungsunion vorbereiten. Dieser sollte befugt sein, mit einer Zweidrittel Mehrheit ein Gesetz zur Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung zu erlassen; vgl. Deutschland-Plan der SPD. In: Der Spiegel 13 (1959), Nr. 16 vom 15. 4. 1959, 38; vgl. auch den Bericht vom 30.3.–1. 4. 1960 (Dok. 14).

121 13 Hannover, 4./5. Februar 1960 EZA Berlin, 742/1, hsl. Diesmal notwendig Bemerkungen zur Innenpolitik. Außerordentliche Unruhe durch antisemitische Vorgänge. Keiner wird sich wundern, daß die gleichen Dinge in zahlreichen Ländern passierten, bei uns aber besonders heftig notiert werden. Dieselben Engländer, die bei uns die dunkelsten Dinge erkennen wollten, registrierten z. T. nur am Rande die gleichen Dinge im eigenen Lande. Gesamte Öffentlichkeit bei uns auf das Heftigste reagiert. Daß Dufhues am 1. Weihnachtstag gleich 3 x im Fernsehen sich äußerte, dramatisierte die Dinge. Nicht heftig genug reagieren aber Urteile der Gerichte z. T. so, Sack schlagen Esel meinen. Wichtigste Aufgabe Analyse. Die Flegeltheorie stimmt sicher z. T., aber nicht allein. Auseinandersetzung Schröder-Strauß. Fußnote: charakteristisch die verschiedene frömmigkeitliche Prägung. Schröder wollte nur gerichtssichere Aussagen machen, Strauß ein wenig großzügiger. Minister kein Grundbuchrichter. Der Nachrichtendienst bemerkenswertes Material. Sicher ist in Ostberlin seit langem Strategie geplant, Bundesrepublik an dieser Stelle madig zu machen, aber einen wirklichen Nachweis gibt es bisher nicht. Vielleicht Prozeß in Köln am 5.2. mehr Klarheit. Sicher ist auch, daß es in Kairo eine Zentrale für solche Unternehmungen gibt. Das Mitspiel dieser Organisation noch nicht so klar, daß Urteil möglich ist. Ohne jeden Zweifel aber hat der Osten in meisterhafter Weise die Sache im Ausland propagandistisch verkauft. Der Schaden ist viel größer, als Zeitungen melden. Auswärtiges Amt überschüttet mit Depeschen aus der Welt. Neue Sorgfalt in der Beobachtung der DRP1. 1 Am Heiligen Abend 1959 schmierten zwei Mitglieder der DRP Hakenkreuze und antisemitische Hetzparolen an die Außenmauer der erst kürzlich wiedererrichteten Kölner Synagoge. Im folgenden Monat kam es zu etwa 500 Nachahmungstaten auf jüdische Gotteshäuser und Gräber, die allerdings zu einem großen Teil aus der DDR gesteuert waren. Die Welle antisemitischer Vorfälle in der Bundesrepublik sorgte weltweit für Empörung. Im Ausland wertete man sie als Beleg für ein Wiederaufleben des Judenhasses. Die antisemitischen Ausschreitungen standen im historischen Kontext des Ulmer Einsatzgruppenprozesses (1958), des Eichmannprozesses (1961) und des Auschwitzprozesses (1963–1965). In der Folge dieser Verfahren wurden Nazi-Verbrechen in der Bundesrepublik breit rezipiert. Die Debatte wurde zusätzlich durch gezielte Kampagnen der SED gegen ehemalige Nationalsozialisten in hohen Staatsämtern wie Hans Globke und Theodor Oberländer angeheizt; vgl. Lemke, Kampagnen, 160–162; Maxwill, Hakenkreuze (online); Ohne Hintermänner. In: Der Spiegel 14 (1960), Nr. 9 vom 24. 2. 1960, 18 f.; und Haffner, Gespenst, 158. Der Rat der EKD erwartete eine Stellungnahme zu den antisemitischen Vorfällen seitens der Synode der EKD, die vom 21. bis 26. 2. 1960 parallel in Ost- und Westberlin tagte; vgl. das Protokoll der 44. Sitzung des Rates der EKD am 4./5. 2. 1960 (EZA Berlin, 2/1803). Die Synode bat den Rat „zu veranlassen, dass die nach ihrer Meinung tiefliegenden Ursachen dieser Vorgänge gründlich erforscht, die vielschichtige Frage nach dem Verhältnis von ,Kirche und Israel‘ noch eingehender bearbeitet und das Ergebnis für die Gemeinden fruchtbar gemacht wird“ in: Weber, Synode; vgl. den Bericht vom 18./19. 5. 1961 (Dok. 15).

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Ich will in diesem Zusammenhang mich nicht äußern über die Versäumnisse von Eltern und Schule, auch dabei ist nicht zuletzt im Blick auf die Schulen sehr übertrieben worden. Es ist nicht wahr, daß im Normalfall im Geschichtsunterricht über die letzten 30 Jahre geschwiegen wird. Die jüngsten Erhebungen in einigen Ländern zeigen ein vollständig anderes Bild. Wichtiger ist folgendes: der Vorgang ist ein Geschenk allerersten Ranges für den Osten. Die Regierungen des Westens sind nicht mit Begeisterung aber entschlossen in Berlin engagiert. Sie täuschen sich nicht, wie gefährlich Berlin werden kann, wie schnell man über Berlin am Rande des Abgrundes stehen kann. Die Völker wissen und ahnen es auch und sind mindestens mißvergnügt. Für sie ist es großartiges Alibi, wenn nun herauskommen sollte, die Deutschen sind umgewandelt. Die Propaganda des Ostens bezweckt, über die Presse und damit über das Volk Druck auf die Regierungen ausüben zu lassen. Die Bundesrepublik soll als Sündenbock isoliert werden. Die Gipfelkonferenz soll eingebettet werden in eine antideutsche Stimmung der Völker2. Es ist bezeichnend, daß die Russen ihre Propaganda abstellen nicht auf antisemitische, sondern faschistische Umtriebe in der Bundesrepublik. In Sachen Antisemitismus haben sie selber eine solch ausgedehnte Praxis, daß sie diese Vokabel gerne vermeiden. In diesem Zusammenhang gehört der Kampf gegen Oberländer. Was gegen ihn vorgebracht, seit langem bekannt. 1950 unter Hoegner Staatssekretär. 1953 große Schwierigkeiten, BHE bestand auf ihm. Erstaunlich, daß westdeutsche Presse zum Osten nicht sagt, welche bewährten Nazis dort in höchsten Staatsstellen sitzen, sondern allgemeine Mißstimmung gegen ihn, er soll gehen3. Natürlich geht es dem Osten nicht um Oberländer, deswegen denkt die Regierung auch nicht daran, in diesem Augenblick nachzugeben4. Zur Person wird man sagen dürfen: Typ einer Mischung von Jugendbewegung und Freikorpsführer. Ohne Tadel, aber heutzutage nicht gefragt. CDU nicht glücklich über seinen Eintritt. Er gehörte mehr in eine Unruhepartei wie BHE. Aber ich 2 Gemeint ist die bevorstehende Pariser Gipfelkonferenz am 16./17. 5. 1960, an der die Staatschefs der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs teilnahmen und bei der es um Entspannungsbemühungen im Kalten Krieg gehen sollte; vgl. Konferenzen und Verträge Bd. II, 4B, 57–60. 3 Am 29. 1. 1960 hatte Gerd Bucerius, CDU-Mitglied und Herausgeber der „Zeit“, dafür plädiert, Theodor Oberländer wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit vom Amt als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte zu entbinden; vgl. Bucerius, Gerede (online). 4 Tatsächlich steuerte die DDR seit 1959 eine Kampagne gegen Oberländer, an deren Ende ein Schauprozess (20. bis 29. 4. 1960) vor dem Obersten Gerichtshof der DDR stand, der mit der Verurteilung Oberländers in Abwesenheit zu lebenslanger Haft endete. Hier warf man Oberländer vor, dass die von ihm kommandierte deutsch-ukrainische Freiwilligeneinheit „Nachtigall“ Anfang Juli 1941 den Mord an 38 polnischen Professoren und mehreren Tausend Juden in Lemberg zu verantworten hatte. Zwar konnten diese Vorwürfe nicht bewiesen werden, doch nun forderte man auch in der CDU Oberländers Rücktritt, der nach heftigen Debatten Anfang Mai 1960 erfolgte; vgl. Wachs, Oberländer, 10–20.

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muß nun sagen: ein Mann, der ohne Attitüde mit Bewußtsein ein evangelischer Mann sein will. Er hält sich wirklich + Familie zu [***] und Tisch. Er meint das auch in seinem Ministerium. Ich kenne kein Ministerium, in dem dem Einzelschicksal mit solcher Hingabe und Eifer nachgegangen wird als im Vertriebenenministerium. In Oberländers Mund ist der lebendige Mensch keine Deklamation. Ob es weise war, ihn zum Minister zu machen, ist eine andere Sache. Aber in diesen Wochen oft dem Seufzen begegnet, ob es einer Synode oder Kirchenführer nicht gegeben sein könnte, zu der ganzen Frage der Vergangenheit in der Gegenwart ein lösendes Wort zu sagen. Kein Streit besteht irgendwo über die Aufrollung der kriminellen Dinge, im Gegenteil. Aber ich denke etwa an einen Fall wie Manteuffel, auch an das Schicksal von Speer usw. In dieser unguten Atmosphäre geschieht die Bemühung der deutschen Außenpolitik. Silvester hat Chruschtschow die 3 westlichen Botschafter empfangen, ihnen seine alten Thesen über Berlin und Deutschland gesagt. Er hat es an groben Drohungen nicht fehlen lassen. 4 Mächtestatus ist erledigt. Wenn ihr wollt, könnt ihr den Krieg haben. Für Deutschland, Frankreich, England usw. sind folgende Vertreter vorgesehen usw. Nirgendwo hat Chruschtschow bisher eine Stelle bezeichnet, an der er einzulenken bereit ist5. Unter allen Umständen will Adenauer das originäre Recht des Besatzungsstatutes für Berlin erhalten. Darin einig mit Brandt, wohl auch SPD. Eine ganz andere echte Frage ist, ob man dem Neutralisierungsstreben irgendeine Chance geben soll. Die Amerikaner haben sich im vergangenen Jahr in Godesberg unzweideutig geäußert: wir gehen. In der Regierung nicht die leiseste Neigung. Abwarten außenpolitische Debatte 10.2.6 Der Kanzler denkt kühl von der näheren Verbindung von Berlin mit der Bundesrepublik, wenn damit ein neuer Rechtsstatus verbunden ist. Er befürchtet, daß eine Veränderung des Rechtsstatus Berlin auch die rechtliche Lage im Blick auf die Wiedervereinigung mindern könnte. Er fürchtet weiter eine veränderte Rechtslage in den Grenzfragen. So sicher kein Mann von Belang im Ernst an neue Grenzen glaubt, so genau glaubt man zu wissen, daß Polen vor allem mehr an dem Ja der Bundesregierung als dem der DDR liegt. Am kühlsten denken in all diesen Punkten nach wie vor die Engländer nach dem Motto Recht hin Recht her, es kann so nicht weitergehen wie bisher. Um so bedeutsamer sieht der Kanzler seine Reise nach Amerika vor der Gipfelkonferenz7 an. Im ganzen ist die psychologische Kriegsführung das Thema Nr. 1 und darauf verstehen sich totalitäre Staaten besser als Demokratien. […] 5 Der amerikanische, britische und französische Botschafter in Moskau hatten Chruschtschow die Einladung zur Gipfelkonferenz in Paris überbracht, die am 16./17. 5. 1960 stattfand, die aber gleich zu Beginn infolge der Affäre um einen amerikanischen Spionageflug über der Sowjetunion scheiterte; vgl. Buh! In: Der Spiegel 14 (1960), Nr. 22 vom 25. 5. 1960, 15–19. 6 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 3, 99. Sitzung, 5380 A–5418B. 7 Der Staatsbesuch Adenauers in den USA fand vom 12. bis 22. 3. 1960 statt; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 396.

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14 Berlin, 30. März–1. April 1960 EZA Berlin, 742/1, hsl. Außer dem Gebet füreinander können wir nichts mehr tun in der Kommunikation ohne Rücksichtnahme auf eine politische Welt in Deutschland, die einen immer mehr an das Klima zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten erinnert. Uns betrifft dies im kirchlichen Dienst und Brot für die Welt bis zum Austausch theologischer Fachliteratur. Dies ist der legitime Grund, daß eine gesamtkirchliche Leitung mit Sorgfalt die politische Situation beobachten muß, wahrhaftig nicht aus politischer Leidenschaft, sondern weil vom Gang der Ereignisse schwerwiegende innerkirchliche Entscheidungen abhängen werden. Die grobe Schätzung ist, daß die großen Entscheidungen über Deutschland in den nächsten 18 Monaten fallen. Die letzte Nr. der „Zeit“ vom 25.3. Artikel von Allemann „Bittere Deutschlandbilanz“1. Einstieg bei dem Deutschland Programm der SPD vom März 59. H. Wehner ausgesprochen, daß der Plan der stufenweisen Wiedervereinigung offenbar nicht realisierbar2. In keinem ruhigen Gespräch darüber Triumph. Am Tage, daß alle Wiedervereinigungspläne gescheitert sind. Smirnow ein übriges getan durch Besprechung mit Parteiführern. Wenn er sagt, Wiedervereinigung nur, wenn Bundesrepublik so friedliebend und demokratisch wie DDR, heißt dies, Wiedervereinigung nur bei Übernahme des politischen Systems durch Bundesrepublik. Allemann sagt, tiefster Grund für Unnachgiebigkeit der Russen ist, weil nicht der Westen, sondern der Osten in die Position der Stärke eingerückt ist. Dies alles machte Zusammenfassung aller Kräfte in der Bundesrepublik in der Außenpolitik nötig. Angesichts der bevorstehenden Wahlen wird kaum damit zu rechnen sein. Indes zeigt sich mehr Gemeinsamkeit als je zuvor in der Praxis. Geht es um die Freiheit Berlins oder die Humanisierung der Verhältnisse in der Zone, ist keinerlei Gegensatz. Auch bei deutsch-englischem Gespräch am Wochenende zeigte sich andere Situation als in Vorjahren. Bisher Verschiedenheit der Meinungen quer durch England und 1 Im Folgenden gibt Kunst wesentliche Inhalte eines Artikels von Fritz Ren e Allemann wieder, der – nachdem Herbert Wehner das Ende des „Deutschlandplanes der SPD“ verkündet hatte – urteilte, dies sei nicht nur als Scheitern eines Wiedervereinigungsplanes der SPD zu bewerten, sondern bedeute das Scheitern aller bisherigen Wiedervereinigungskonzeptionen. Grund sei die neue starke Rolle der Sowjetunion. Sie mache sowohl Konzepte der CDU, die die Wiedervereinigung aus einer Position der Stärke heraus anstrebe, als auch der SPD, die die Wiedervereinigung durch Zugeständnisse erreichen wolle, unrealistisch. Unmerklich habe sich eine außenpolitische „Einheitsfront“ der Resignation bei CDU und SPD gebildet. Allemann stellte in Aussicht, dass diese Situation zu einer Verständigung von CDU und SPD über eine gemeinsame Position innerhalb eines „eingeengten“ Spielraumes führen könne; vgl. Allemann, Deutschlandbilanz. 2 Vgl. den Bericht vom 23. 4. 1959 (Dok. 12), Anm. 6 und 7.

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Deutschland, diesmal größere Gemeinsamkeit bei Deutschen und Engländern3. Die Vorbereitungen für den Gipfel mit hoher Intensität4. Ob die vielen klugen Dossiers, die die westlichen Diplomaten jetzt ausarbeiten, Belang haben werden, mindestens zweifelhaft. Die russische Position läßt eine Summe von Varianten auch gewichtiger Art zu bei ihrem Vorschlag Berlin: Freie Stadt und Friedensvertrag. Bundesrepublik meint, in jedem Fall Rechtsstatus auf diese Weise gemindert. England will dies Risiko laufen. In jedem Fall steigt es umfassender als bisher in den Handel mit der DDR ein. De Gaulle ist am klarsten an der Seite Bonns. Bei aller Freundschaft will Eisenhower mindestens die Chance neuer Vereinbarungen haben. Es ist nicht die Besorgnis, daß Herter schwach wird, aber Eisenhower. Vor dem Bemühen um diese Verhandlungschance muß man das Kommuniqu zwischen Eisenhower und Adenauer verstehen5. Eisenhower will gewiß in Übereinstimmung mit Adenauer handeln, aber nicht von vornherein in aussichtsloser Position. Von daher aber muß man auch die Frage der Volksabstimmung von Berlin begreifen. Sie ist zwar ein Frühstückseinfall von Adenauer, aber ein nach dem Kommuniqu sorgfältig gezielter. Kommt die Abstimmung am 8.5. tatsächlich, ist kein Zweifel, daß damit für Eisenhower so etwas wie eine gebundene Marschrichtung vorliegt. Jeder weiß, wie sich Berlin entscheiden wird6. Liegt solch ein Ergebnis der Volksabstimmung vor, können die Verbündeten Berlins nicht 8 Tage später darüber hinweggehen. Man rechnet nicht mit einer Diskrepanz des Westens am Ende der Verhandlungen. Tritt Eisenhower schließlich auf die Seite Ade-

3 Das Deutsch-Englische Gespräch fand vom 25. bis 27. 3. 1960 in Königswinter statt. Dabei kamen allerdings tiefgreifende Differenzen in der Deutschland-, Sicherheits- und Europapolitik wie auch in der Wirtschaftspolitik zum Vorschein. Aus Sicht der Briten hielt die Bundesrepublik zu stark an der Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Linie fest, beharrte auf der fragwürdigen Hallstein-Doktrin, widersetzte sich der militärischen Entspannung in Mitteleuropa und hielt an den harten Aufnahmebedingungen für den Eintritt Großbritanniens in die EWG fest; vgl. Uhlig, Deutsch-Englische Gesellschaft, 40; und den Bericht vom 7./8. 5. 1956 (Dok. 7), Anm. 5. 4 Vgl. den Bericht vom 4./5. 2. 1960 (Dok. 13), Anm. 5. 5 Gemeint ist vermutlich das gemeinsame Kommuniqu Adenauers und Eisenhowers, das anlässlich des Besuchs Eisenhowers in Bonn am 26./27. 8. 1959 herausgegeben worden war. Darin hatte man die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit innerhalb des atlantischen Bündnisses als einen Eckpfeiler der Außenpolitik beider Länder bezeichnet, jedoch nicht mehr – wie noch in den vorangehenden Kommuniqu s – von völliger Übereinstimmung beider Länder gesprochen. Auch hatte man auf die Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen verzichtet. Zu den Hintergründen vgl. Niemand jubelt so gut. In: Der Spiegel 13 (1959), Nr. 36 vom 2. 9. 1959, 15–17, 17. 6 Adenauer hatte dem Westberliner Bürgermeister Willy Brandt vorgeschlagen, die Westberliner sollten vor der geplanten Gipfel-Konferenz im Mai ihre Wünsche zum Status Westberlins kundtun. Brandt erklärte sich einverstanden, unter der Bedingung, dass die Alliierten ihre Zustimmung zu einer Volksabstimmung über Berlin geben würden, was diese jedoch nicht taten; vgl. Volksabstimmung. Treppeneinfall. In: Der Spiegel 14 (1960), Nr. 16 vom 13. 4. 1960, 19–21, 19.

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nauers und de Gaulles, wird Macmillan keinen Alleingang machen7. Immerhin ist der Ausgang noch ein wenig offen. Es möchte aber auch sein, daß Deutschland langsam aus seiner Position als Weltproblem Nr. 1 verschwindet, vor allem, wenn die Abrüstungsverhandlungen zu wirklichen Erfolgen führen. Die Frage, ob Chruschtschow tatsächlich einen Friedensvertrag mit der DDR abschließt, wird verschieden beurteilt. Das Auswärtige Amt glaubt nicht recht daran, andere Leute von Sachkenntnis und Gewicht in der Regierung sind überzeugt, daß es geschieht, vor allem deshalb, weil dabei Rußland nichts zusagt, nur gewinnt. Für uns gewinnen diese Dinge unmittelbares Gewicht sowohl für die Sache des Kirchentages wie für die Lage um unsere Gliedkirchen. Ostberlin steuert sicher z. Zt. in der Landwirtschaft den harten Kurs nicht ohne Zustimmung von Moskau. Noch ist Pankow aber nicht entschieden, die Hilfen für die Kirchen in der DDR durch uns weiter zu drosseln8. Bruder Niesel hatte in Hannover9 gefragt, ob sich die Lage darin nicht verbessert habe. Ich hatte gehofft, bis heute positives sagen zu können. Um Einblick zu geben in die Art der Verhandlungen und Grund meiner Hoffnung: DDR brauchte Rohstoffe bzw. bestimmten Stahl für ein Werk, das allein dem Export dient. Bei dem enormen Gewicht, daß DDR ihrer Außenhandelspolitik zumißt, mußte sie alles tun, den Stahl zu bekommen. Das gleiche galt für Kautschuk, der z. Zt. in der ganzen Welt nicht zu haben ist. Der DDR gelangen schließlich nur Abschlüsse mit Lieferfristen ab 1.10.61. Das hätte sehr unangenehme Folgen gehabt. Durch besondere Beziehungen konnten wir eintreten im Februar Lieferungen im März, Rest April. Das hat mir viel Wohlwollen und günstige Verhandlungschance gegeben. Im Augenblick die Frage, ob die politische Führung der DDR diese Hilfe diskontiert mit Entgegenkommen bei weiteren Vertragsabschlüssen. Die wirtschaftliche Führung will, Frage, ob sie sich gegen das Politbüro durchsetzen kann. Man wird an dieser Entscheidung in den nächsten Tagen oder Wochen einiges ablesen können für die geplante Kirchenpolitik überhaupt. Also: Bis jetzt nicht mehr als in Frankfurt gesagt10. Aber gegenwärtige Situation nicht ohne Hoffnung, aber keinerlei Gewißheit. Anlaß zu einer Bemerkung, die Hilfen und gestern abgesprochenen Bemühungen sind zeitlich bei kleinerem Betrieb nicht zu bewältigen. Vor allem: 7 Der britische Premierminister MacMillan hatte im Vorfeld der Pariser Gipfelkonferenz angedeutet, er könne sich eine „peripheral alliance“ vorstellen, sollte der Einigungsprozess in Westeuropa weitergeführt werden. Dies bedeutete, dass er die Sowjetunion als möglichen Bündnispartner betrachtete; vgl. Köhler, Adenauer, 1064. 8 Im Folgenden erläutert Kunst Einzelheiten der von ihm gesteuerten Transfergeschäfte zur Finanzierung der östlichen Gliedkirchen der EKD (Kirchengeschäft A); vgl. die Berichte vom 23./ 24. 5. 1957 (Dok. 9), Anm. 9; vom 27. 8. 1964 (Dok. 25), Anm. 6; und vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 55), Anm. 2. 9 Im Protokoll der Ratssitzung ist eine entsprechende Anfrage Niesels nicht schriftlich vermerkt; vgl. das Protokoll der 44. Sitzung des Rates am 4./5. 2. 1960 (EZA Berlin, 2/1803). 10 Gemeint ist vermutlich die 42. Sitzung des Rates der EKD am 5./6. 11. 1959 in Frankfurt/M. (EZA Berlin, 2/1802).

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nicht nur Amt als Bevollmächtigter kommt zu kurz, auch Leitung der Militärseelsorge. Sehr ungern würde ich in absehbarer Zeit bitten, mich vom Amt des Militärbischofs zu entbinden. Ich steige ungern aus Pionierarbeit aus, möchte, daß die Arbeit erst ihren festen Platz in der EKD hat – und innerlich einen klaren Weg und Selbstbewußtsein hat. Natürlich möglich, daß Arbeit für Gliedkirchen im Osten sehr schnell ausläuft, was ich nicht glaube. Dann keine Schwierigkeit für die Kumulation der Ämter. Sollte sich aber die Last steigern, müßte ich um Neuordnung meiner Arbeit bitten. Die Verhandlungen mit dem Ausland sind so unsinnig zeitraubend, daß auch bei Absage aller Reisen, die nicht zwingend sind, die Arbeit nicht mehr zu leisten ist. Haben 2 Sätze, aber tagelanges Bemühen. Sie fordert auch in den meisten Sparten ein solches Maß an Sorgfalt und Umsicht, daß man die Risiken nicht laufen darf, die bei solch differenzierten Unternehmungen zwangsläufig sind. […]

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15 Berlin, 18./19. Mai 1961 EZA Berlin, 742/1, hsl. […] Einstieg suchen bei Eichmann Prozeß1. Synode ein Wort nicht angenommen, aber dankbar begrüßt2. Prozeß nicht jene dominierende Stellung bekommen, weil die Zeitungen die 1. Seiten für andere Dinge brauchten. Kuba, vor allem Algerienputsch, der Vorstoß der Menschen in den Weltraum in Rußland und Amerika, Laos, die Abrüstungskonferenz in Genf, die Frage der Bewaffnung der NATO-Streitkräfte, das in Aussicht genommene Treffen von Kennedy und Chruschtschow. Parteien, Regierung, Rundfunk, Fernsehen, Presse nicht nur relativ einmütig im Votum, unbeirrt im Trend im Blick auf dieses Stück deutscher Vergangenheit. Noch niemals in diesen 12 Jahren einen solchen Unterschied zwischen dem offiziellen Deutschland und der Bevölkerung gemerkt. Schmierereien Weihnachten 1959, die damals die Welt erregten, lächerlich und harmlos gegen das, was nicht in den Zeitungen steht3. In einem Kreis von 180 examensreifen Juristen lesen 2–3 noch Berichte über Eichmann, Jugendgruppen Empörung in Schulklassen muß Behandlung des Prozesses abgebrochen werden, Zuschriften, heftige Reaktionen auf Predigten – Handwerker – usw., in Amerika Welle von Antisemitismus, bei uns zum 1. x wieder echter Antisemitismus, nicht breit, aber eben doch vorhanden. Man muß dabei freilich in Rechnung stellen, schlechte Zeiten für Radikalinskis rechts und links. Es geht allen wirtschaftlich zu gut. Eine ganz andere Frage, was passiert in der ersten echten Krise. Wie ist das möglich? Dumme Äußerungen: in jedem Deutschen steckt ein Eichmann. Die schreckliche grundsätzliche Art der Deutschen, ist Menschenraub von Flad4 ein Verbrechen, dann auch von Eichmann. Daß dies nur formal ein Argument ist, sehen bisweilen nicht einmal Universitätsprofessoren. Die zunächst verfügte Behinderung von Zeugen spielt eine Rolle, die eigene Gesetzgebung für den Fall Eichmann, die Aufrollung der ganzen Geschichte der Judenverfolgungen, – jede Änderung durch das Gericht, (Sache 1 Die Festnahme Eichmanns in Buenos Aires durch den israelischen Geheimdienst Mossad verdankte sich nicht zuletzt einem Hinweis über den Aufenthaltsort Eichmanns, den Kunst im Herbst 1959 an den Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer weitergab, welcher daraufhin umgehend den Mossad informierte; vgl. Stangeneth / Winkler, Eichmann, 12. Der Eichmannprozess fand vom 11.4. bis 15. 12. 1961 vor einem Jerusalemer Bezirksgericht statt und endete mit der Verurteilung Eichmanns zum Tod durch den Strang; vgl. 50 Jahre EichmannProzess (online). 2 Vgl. das Wort der Synode der EKD im Vorfeld des Eichmannprozesses in: KJ 88 (1961), 43. 3 Vgl. den Bericht zum 4./5. 2. 1960 (Dok. 13), Anm. 1. 4 Gemeint ist der Böttinger Theologiestudent Joseph Flad, der 1754 von Werbern für die Preußische Armee Friedrichs II. in Ulm entführt und getötet wurde. Kunst spielt hier auf die von deutscher Seite häufig geltend gemachte Unrechtmäßigkeit der Entführung Eichmanns durch den Mossad an; vgl. Petershagen, Preußenkönig.

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auf Eichmann abstellen) oder jetzt freies Geleit für Zeugen als Eingeständnis des schlechten Gewissens der Israelis. Dabei Israel sich der Bundesrepublik gegenüber vorbildlich verhalten. Vor dem Prozeß wissen lassen, die Bemühungen von Kaul nicht zu dulden5. Aber mir scheint, noch nicht die rechte Erklärung. Hinzunehmen die letzten Jahre mit der Kette von Prozessen aus der Nazizeit. Weiter die Unruhe, die von Ludwigsburg und Frankfurt ausgeht6. Es ist, als ob sich das Volk wehrt, es kann nicht mehr täglich diese Beschreibungen und Bilder der fürchterlichsten Scheußlichkeiten ertragen. Im einzelnen nachgegangen, vollständig unbegreiflich, wie Menschen jahrelang ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft gehalten werden. 1 Fall berichten, 20jähriger Danziger Ausschwitz. 2. Lager, Partisanen. Dauernd weg gemeldet. 1944 gelungen. Verhaftet, jetzt gegen Kaution frei. Ein entschiedener Christ mit seiner Frau in seiner Gemeinde. Kam an mit Brüchen nach seiner Entlassung, Stöße, fürchterlich. Natürlich waren alle Schreiber davon ausgegangen, er sei Antisemit, er sei Nazi ja gewesen. Kein Einzelfall. Ich habe Sorge, das Schlimmste sei in dieser Situation neue Kundgebung von uns. Schon vor 1 Jahr Bruder Stempel mir seine Sorgen vorgetragen. Er empfahl aber nur bescheidene Schritte, die getan wurden und Nachahmung fanden. Aber an der Zeit, diese Sache jetzt aufzugreifen, Bruder Stempel sollte Vortrag halten, vielleicht kleine Kommission an die Arbeit setzen und dann prüfen, was wir tun können. Wir sollten nicht zuviel Zeit verlieren, die Gewissen werden nicht wacher, sondern stumpfer und verstockter7. Die Liebe Christi kennt noch etwas anderes als im Predigen die Sünde vorhalten. Wir werden die Vergangenheit nicht bewältigen, wenn wir nicht die Gegenwart für die Jugend bewältigen. […]

5 Der DDR-Anwalt Friedrich Karl Kaul beobachtete im Auftrag seiner Regierung den EichmannProzess. Wiederholt beschuldigte er die Bundesrepublik öffentlich „Altnazis“ zu decken. Wegen der Befürchtung, dass Kaul westdeutsche Politiker und Beamte aufgrund ihrer NS-Vergangenheit diskreditieren könnte, brachen Mitarbeiter des BND am 29. 6. 1961 in dessen Jerusalemer Hotelzimmer ein und stahlen mögliches Belastungsmaterial; vgl. Wiegrefe, Aktenklau (online). 6 Gemeint sind die in Folge des Ulmer Einsatzgruppenprozesses 1958 gegründete Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg sowie der vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer vorbereitete Auschwitzprozess vor dem Landgericht Frankfurt am Main; vgl. dazu Wojak, Bauer, 319–326. 7 Vgl. den Bericht vom 9. 5. 1963 (Dok. 23).

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16 Berlin, 31. August/1. September 1961 EZA Berlin, 742/1, hsl. Lange Unterbrechung in Ratstagungen erlauben keinen Überblick ohne zu viel Zeit in Anspruch zu nehmen. Aber Notwendigkeit der Information durch Abwesenheit unseres Berichts aus dem Osten geringer. Ohne Zweifel die Fluchtbewegung Juli–August geplante Maßnahmen beschleunigt1. Vorbereitungen noch nicht vollständig deutlich bis hin zum Mangel an Stacheldraht. Termin kam überraschend. Kein Kundiger konnte überrascht sein über die nach der Volksmeinung zu geringen Maßnahmen. Die Möglichkeiten zu Gegenmaßnahmen sind genau so bescheiden wie der Spielraum für Verhandlungen. Rußland hat keinen Zweifel gelassen, kein Fall um einzugreifen. Entsendung der Truppen hat natürlich keinerlei militärische Effizienz, Demonstration der Entschlossenheit. Das Positivste vielleicht, Kennedy und Johnson haben sich nicht mehr nur allgemein, sondern nun konkreter äußern müssen2. Es ist kaum denkbar, daß Amerika nicht zu seinem Wort für Berlin steht, die Einbuße an Kreditwürdigkeit der Regierung Kennedys wäre außenund innenpolitisch wahrscheinlich ruinös. Kanzler Meinung: Anfang der Schikanen und Spannungen. Möglich, aber nicht sicher. Dafür spricht, Rußland im letzten halben Jahr außerordentliche Erfolge, und Erfolge machen selten Menschen bescheiden. Es ist möglich, daß Friedensvertrag noch vor dem Parteikongreß im Oktober in Moskau kommt. Aber das müßte als Verzicht auf Verhandlungen überhaupt angesehen werden. Immerhin durch jetzige Maßnahmen schon mindestens die Hälfte der Ziele des Friedensvertrages erreicht. Insofern politisch ausgezeichnet von Osten gespielt. Ein rascher Abschluß des Vertrages schüfe eine rechtliche Kodifizierung der DDR von Gewicht. Wahrscheinlich gäbe es dann auch einige Staaten, die die DDR diplomatisch anerkennen würden, die bisher sich nur in Bonn vertreten ließen. Das würde nur bedeuten können, daß der kalte Krieg eisiger würde. Kaum erwähnt ist bisher in der Presse, worin nächst den menschlichen Tragödien der schwerste Schlag für Westberlin liegt. Fast 60.000 Arbeitskräfte der Grenzgänger sind ausgefallen. Darunter waren zahlreiche Spitzenkräfte der Facharbeiter. Besonders schwer wohl der Schlag für die Bauindustrie in 1 Kunst redet hier über die Abriegelung Westberlins am 13. 8. 1961. Damit reagierte die DDR u. a. auf die dramatisch gestiegene Zahl von Flüchtlingen, die bis dahin ohne Hindernis aus der DDR in den Westteil Berlins gelangen konnten. Allein im Jahr 1960 flüchteten 200.000 DDR-Bürger in die Bundesrepublik. Gründe für die Fluchtwelle waren das Berlin-Ultimatum Chruschtschows, die schlechte wirtschaftliche Situation der DDR sowie die Zwangskollektivierungen in der Landwirtschaft; vgl. Lepp, Tabu, 286–288. 2 Möglicherweise bezieht sich Kunst auf die Protestnote der USA an die Sowjetregierung gegen die Sperrung der Sektorengrenze von Berlin am 16. 8. 1961; Abdruck in: Europa-Archiv 16 (1961), D531.

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Berlin. Die Flüchtlinge wollen nicht in Berlin bleiben. Sie drängen nach Westdeutschland. Dabei wirkt mit das Siegesbewußtsein, von dem das östliche Funktionärscorps erfüllt ist. Ständig wiederkehrend etwa vor Ärzten: ihre geflohenen Kollegen alle wiedersehen in einer für sie sehr, sehr peinlichen Situation. Wirtschaft will helfen. Das ist sicher nicht genug. Mehr noch fürchtet der Kanzler die These Moskaus: Alliierte sollen in einer freien Stadt Berlin bleiben. Von Tag zu Tag ist deutlicher geworden, was der Osten unter einer freien Stadt versteht3. Der Stoß richtet sich auf die enge Verbundenheit Westberlins mit der Bundesrepublik. Eine freie Stadt hätte eine eigene Währung, Gesetzgebung, wäre außerhalb der lebendigen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik und dies inmitten einer lückenlosen kommunistisch militanten Umgebung. Der Sog des Ostens müßte hoch in Anschlag gebracht werden. Das Interessante ist nicht, wie sieht eine Freie Stadt Berlin 1961, sondern in 3 oder 10 Jahren aus. Darüber kann es kaum eine Täuschung geben. Sicher will Rußland seinen Besitzstand konsolidieren, ebenso sicher sieht Rußland eine Freie Stadt Berlin als Saat auf Hoffnung an. Deshalb ist die Überzeugung der Bundesregierung, daß der Verzicht des Westens auf das originäre Recht der Besatzungsmacht in Berlin der sichere Anfang vom Ende der Freiheit Berlins ist. Es muß Klarheit darüber sein, daß der Katalog der Schikanen des Ostens noch nicht erschöpft ist. Niemand wird schießen können, wenn die Autobahnen von Helmstedt nach Berlin für reparaturbedürftig behauptet und die Zufahrten für eine gewisse Zeit gesperrt werden. Oder, es ist vollkommen legal, wenn die Grenzkontrollen penibler werden, also jeder LKW ausgeparkt werden muß usw. Es sind noch sehr viele Behinderungen möglich. In der Freundschaft der Alliierten von 1945 hat man an vieles nicht gedacht, was jetzt leicht als Saumseligkeit anzuprangern ist. Es geht um Verhandlungen. Die Meinung des Westens zunächst: wir erklären nur öffentlich unsere Bereitschaft, tun aber nicht den 1. Schritt. Ob das geändert wird, hängt nicht zuletzt an Frankreich, das auch Verhandlungen will, aber vorher wissen möchte, ob Verhandlungen bei der Lage der Dinge einen Erfolg haben können. Smirnow hat dem Kanzler gesagt: über alles kann gesprochen werden, auch über den Stacheldraht in Berlin. Keine Einladung, keine Drohung4. Man rechnet auf keinen Fall mit Verhandlungen vor den 3 Damit spielt Kunst auf die Vorgänge unmittelbar nach der Abriegelung Westberlins an, als westlichen MiIitär- und Amtspersonen der Zutritt zum östlichen Sektor durch DDR-Volkspolizei verweigert wurde, was einer Verletzung des Viermächtestatus Berlins gleichkam. Zudem erschossen DDR-Volkspolizisten wiederholt Flüchtende. Zwischen dem 13. 8. 1961 und dem 11. 6. 1962 belief sich die Zahl der Todesopfer auf 32. Hinzu kamen Schikanen für die Westberliner, die den Ostsektor betreten wollten; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 149 f.; und Wettig, Berlin-Krise, 196. Im Folgenden erläutert Kunst die Gründe, warum Adenauer und die westlichen Alliierten die Forderung Chruschtschows von 1958 nach einer „entmilitarisierten freien Stadt Berlin“ ablehnten. 4 Die Unterredung zwischen Adenauer und dem sowjetischen Botschafter Andrei Smirnow am

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Wahlen. Auf jeden Fall werden nach den Wahlen auch größere Forderungen kommen. Nicht nur Geld, sondern Erhöhung des militärischen Potentials. Gelingt Werbung nicht, muß längere Dienstzeit kommen5. Man muß wissen, daß Amerika seine Rüstungsproduktion auf hohen Touren laufen läßt. Es gibt eine Gruppe Militärs in Amerika, die nachdrücklich auf die Aufhebung des Atomversuchsstops bestehen. Noch sieht es nicht aus, als wolle Kennedy nachgeben. Es ist noch eine bescheidene Hoffnung auf die Genfer Verhandlungen gesetzt. Am belangvollsten die Frage nach der amerikanischen Militärpolitik. Artikel von A. Weinstein in FAZ vom 30.8. trifft genau die entscheidende Frage6. Frage der möglichen Gegenmaßnahmen. Psychologische Kriegsführung in der Welt. Unangenehm, aber 17.6. und Ungarn waren schlimmer. Wirtschaftliche Maßnahmen. Sicher empfindlicher Schlag für DDR, aber innerhalb der wirtschaftlichen Maßnahmen einer Kommandowirtschaft im Ostblock nicht überschätzen. Sicher umgekehrt Repressalien ergriffen, die vor allem das schwächste Glied Berlin treffen würden. Embargo also im Plan als vorletzte Stufe. Nicht zu schnell nach ihr greifen. Die eigentliche Frage ist der Luftkorridor. Dabei auch für uns die entscheidende Frage in der Beratung der Gewissen unserer Brüder. Was soll geschehen, wenn zivile Flugzeuge zur Zwischenlandung in Magdeburg gezwungen werden? Sicher dann militärischer Geleitschutz. Aber dann: Schießbefehl. Ohne Zweifel letzte Verantwortung bei Amerika. Aber Befehl wird nicht erteilt ohne Konsultation des zunächst Betroffenen. Es geht nicht um die Kontrollbeamten, ob Russe oder Volkspolizist. Besprechung unter uns nötig. […] Kenntnis von einem Vorgang, der die Militärseelsorge angeht. Studentenpfarrer in Koblenz Marquardt ohne irgendeine Nachricht an seine Gastgeber Brief an Ratsvorsitzenden und an Freunde7. Er ist eine Mischung von Halbwahrem, Verleumdungen, von solcher Bösartigkeit in der Gesinnung, daß ein 16. 8. 1961 hatte das Ziel verfolgt, die Situation auf nationaler und internationaler Ebene zu deeskalieren; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 145. 5 Gemeint sind die Bundestagswahlen vom 17. 9. 1961. Die Wehrpflichtzeit in der Bundesrepublik wurde infolge des Mauerbaus von 12 auf 18 Monate verlängert; vgl. die 4. Kabinettssitzung vom 5. 12. 1961; und Kabinettsprotokolle (online), Bd. 14. 6 Der Militärexperte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Adelbert Weinstein, hatte in einem Artikel vom 30. 8. 1961 den Westen davor gewarnt, die „Atomschwelle“, d. h. die Bereitschaft für den Einsatz von atomaren Waffen in Europa zu hoch zu hängen. Er sah die atomare Abschreckung durch die Amerikaner entwertet, weil diese in seinen Augen immer weiter von ihrer bedingungslosen Bereitschaft, Atomwaffen einzusetzen, abrückten; vgl. Weinstein, Abschreckung. 7 Der Westberliner Studentenpfarrer Friedrich Wilhelm Marquardt hatte in einem Schreiben u. a. an den Ratsvorsitzenden Kurt Scharf insinuiert, die Militärseelsorge in der Bundesrepublik werde bewusst in den Dienst der psychologischen Kriegsführung gestellt. Der Vorwurf traf Kunst in seiner Rolle als Militärbischof, weil Marquardt damit eine Kontinuität der Militärseelsorge der Bundesrepublik zur Wehrmachtseelsorge des NS-Regimes herstellte; vgl. Schreiben Kunsts an Elisabeth Schwarzhaupt vom 5. 11. 1961 (ACDP Sankt Augustin, I-048–012/1).

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Gespräch von vornherein keine echte Chance hatte. Ein ausführlicher Briefwechsel dann auch zu nichts geführt. Scharf ausführlich gesprochen. Er wollte Verbreitung verhindern. Zu spät. Mit der Art, wie mit Briefen in den letzten Jahren sehr oft umgegangen wird, sofort hektographiert weitergegeben. Diese wiederum z. Zt. auch weiterhektographiert. Darunter auch Villigst. Aus der Ostzone Briefe – 7. August – zurück. Adressat verstorben usw. Nicht in Villigst angefertigt, nicht verschickt, gefälschter Stempel: Evangelisches Studienwerk Villigst. Verdacht auf Eberhard Klages. Erhebungen. Noch nicht abgeschlossen. Information. Konsekutive: bisher verschiedenste Gruppen von Pfarrern, vor allem Bruderschaften Möglichkeit, sich zu informieren und zu diskutieren. Dabei offiziell von der Voraussetzung ausgegangen, daß ihnen bei Pfarrern eine diskrete Behandlung ihrer Äußerungen begegnete. Nach dieser Sache natürlich nicht mehr möglich. Ich prüfe, ob ich nicht Gespräche in offiziellem Kreise untersagen muß. Erfahrung im Rheinland.

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17 Frankfurt/M., 12. Oktober 1961 EZA 742/1 Berlin, hsl. Die Regierungsbildung und die Außenpolitik streiten um die Schlagzeilen und regieren das Klima in Bonn. Die Lage ist noch bis zur vorigen Woche von der Regierung angesehen worden, als stünde Krieg und Frieden 50 : 50. Man meint, seit einigen Tagen etwas Hoffnung auf erfolgreiche Verhandlungen haben zu dürfen. Die Lage des Westens ist miserabel genug. Italien bleibt innenpolitisch eine Hypothek. Frankreich ist am Rande einer Staatskrise. Die Labourparty hat Beschlüsse gefaßt, die helles Entsetzen ausgelöst haben. England ist ohnehin für die Pläne der Bundesregierung das schwächste Glied in der Kette der NATO. Die Depeschen aus Washington haben bis jetzt auch noch nicht jene Klarheit, die sie zum Plan von Herrn Dulles hatten: Immer wieder wird von den 3 Dingen gesprochen, die auf keinen Fall preisgegeben werden können, die Freiheit der Westberliner, der freie Zugang nach Berlin und die Anwesenheit alliierter Truppen in Berlin. Alle 3 Konditionen sind aber nicht mehr als eine Überschrift, die sehr mannigfach in dem nachfolgenden Aufsatz behandelt werden können. Die Amerikaner haben gesagt, sie rechneten den Luftverkehr auch zu den sogenannten vitalen Fragen. Soll aber die Mauer in Berlin fallen, muß für Ulbrichts Meinung vorher sichergestellt sein, daß der Luftweg kein Fluchtweg mehr ist. Es wird eine wirkliche Härte von Bonn in den Verhandlungen sein müssen, wenn Alliierte sich entschieden dafür verkämpfen sollen, daß gegenwärtiger Zustand bleibt. In der Agententheorie wird nach wie vor eine Möglichkeit des Entgegenkommens gesehen. Noch ist nicht ausgestanden, ob Berlin ausschließlich von Truppen der Alliierten oder mit oder allein durch UNO-Truppen besetzt sein soll. Natürlich will die Bundesregierung, daß Alliierte bleiben. Brandt hat in Amerika eine exzellente Rede getan und ebenso gescheit wie entschieden die kritischen Punkte genannt1. Zu Berlin nur: Die Nervosität ist größer, als in den Zeitungen steht. Es gibt Beobachtungen auf dem Kapitalmarkt und in der Industrie, die eindrucksvoll genug sind dafür, wie von vielen die Lage beurteilt wird. Natürlich gibt es auch viele, die Vorsichtsmaßnahmen treffen im Kauf von Ausweichgrundstücken im Westen usw., wobei Bayern als besonders bevorzugt gilt. Die Regierung prüft mit dem Berliner Senat, wie man für Berlin Präferenzen schaffen kann. Berlin soll so attraktiv wie nur möglich gemacht werden. Bezeichnend genug 1 Der Regierende Bürgermeister von Berlin Brandt hatte am 6. 10. 1961 in New York vor der demoralisierenden Wirkung einer direkten oder indirekten Preisgabe Berlins gewarnt. Grundbedingung der Berlinpolitik des Westens – so Brandt – sei das Recht auf freien Zugang für die Alliierten und die deutsche Zivilbevölkerung sowie die Erhaltung der Freiheit und Lebensfähigkeit Westberlins; vgl. Europa-Archiv 16 (1961), Z228.

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geschieht dies Bemühen nicht mit dem Anflug eines nationalen Appells, sondern mit Geld. Man denkt z. B., man könne junge Ehepaare durch das Angebot guter und billiger Wohnungen nach Berlin holen usw. Alle übrige Kraft wird auf die Regierungsbildung verwandt2. Es möchte auch für unsere Aspekte nicht gleichgültig sein, in einigen Wochen die Wahlanalysen zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind nicht durch besonders qualifizierte evangelische Abgeordnete aus der Wahl hervorgegangen. Für mich erkennbar ist aber auch nur sehr wenig von evangelischer Seite passiert, um Leute zum Zuge zu bringen. Spektakel bleibt Berlin. Immerhin haben wir etwa in der Sozialpolitik nicht nur eigensüchtige Interessen. Schon die bisherige evangelische Vertretung war jammervoll genug. Ich möchte meinen, daß der Rat im nächsten Jahre prüfen sollte, ob er nicht das Gespräch mit den Parteien, das wir lange Jahre hindurch unbefangen und mit erkennbaren Folgen führten, wieder aufnehmen will. Wie sich unsere Zurückhaltung auswirkt, wird am sinnfälligsten in der CDU. Die Katholiken haben einige für den katholischen Verstand hervorragende neue Leute, etwa Prof. Süsterhenn. Aber auch Güde wird nicht auf der letzten Bank sitzen. Wir sitzen schon in der Verlegenheit beim Fraktionsvorsitzenden. Absprache 1953 Cillien. Jetzt nur gleichberechtigte Stellvertreter. Nicht evangelische Belange vertreten lassen, aber es sollten evangelische Horizonte präsent sein. Nicht nur Synodalerklärung, sondern Anwälte in der mühseligen Kleinarbeit. Kanzler Berater: Krone, Globke, Pferdmenges. Das ist nicht ausreichend. Jetzt schon verdächtig viel die Rede, Lübke nicht wieder wählen, unter allen Umständen in 2 Jahren evangelischer Mann. Es gibt keine Vertretung bei uns, die an dieser Stelle politische Initiative von Belang entfaltet. Nicht nur wehren gegen kranke Inanspruchnahmen der EKD, unsere Laien mobilisieren, daß sie mitmachen. Also die Impulse von 1945 in dieser Richtung aufnehmen. Prozentsatz der evangelischen Abgeordneten [der] CDU abgesunken, weil Wahlbezirke, die bisher als sicher galten, ausfielen. Die FDP natürlich überwiegend evangelisch, aber Zeiten von Wellhausen längst vorbei. SPD noch kein Überblick, keine Unterlagen offiziell zu bekommen. Fast die gleiche Zahl von Pastoren wie CDU. Die Koalition wird so gut wie sicher auf CDU und FDP hinauslaufen. Es gab nicht geringe Kräfte, die lieber mit SPD koaliert hätten. Einmal Mißtrauen gegen die in ihren Konzeptionen jedenfalls nicht einheitliche FDP. Also Befürchtung eines unsicheren Partners. Wichtiger: die kommenden außenpolitischen Entscheidungen möglichst breit abzustützen. Es ist zwar nicht sicher, daß Oder-Neiße-Frage jetzt entschieden wird. Weder Rußland noch Ulbricht haben daran großes Interesse, allein Polen. Die beiden anderen möchten nicht ungern Wunde offen halten, um Polen fester an seine Schutzzonen zu binden. Sicher kann eine auf die Grenzen zielende Erklärung keine Partei allein abgeben. Es gibt heute schon Stimmen, eine erzwungene Garantieerklärung für Oder-Neiße-Linie könne [keine] sittliche Bindung bedeuten, sondern müsse 2 Die Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag hatten am 17. 9. 1961 stattgefunden.

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angesehen werden wie die Unterschrift unter den Versailler Vertrag. Aber auch sozialpolitisch hätten nicht wenige lieber mit der SPD als FDP koaliert. Schon Kartellgesetz Erhard sich nur halb durchgesetzt. Kommt die Koalition FDP, wird sicher die Pression auf weitere Schwächung des Kartellgesetzes die Folge sein. Das Aktiengesetz steht vor der Verabschiedung. Unsere Soziale Kammer wird sicher die Finger darauf legen, daß die Ballung wirtschaftlicher Macht das für unsere Vorstellungen erlaubte Maß schon überschritten hat. In dieser Koalition hätten wir die Verordnung über Sonntagsarbeit bei Eisen und Stahl nie durchgesetzt. Die Großindustrie ist jetzt schon bemüht, rechtzeitig die etwaigen Einsprüche der Kirchen zu neutralisieren. Gescheitert sind die internen Gespräche in der CDU über eine Koalition mit der SPD vor allem am Einspruch der Evangelischen. Die Abgeordneten aus dem Norden: Kampf nur gegen SPD geführt. Unglaubwürdig. Befürchtet auch Mehrheit der SPD im Bundesrat und den Immobilismus solcher Regierung. Ein Allparteienkabinett wollte man nicht, weil noch kein nationaler Notstand. Nur bei unmittelbarer Kriegsgefahr. Auch E. Gerstenmaier dieser Meinung. Bezeichnenderweise will die FDP Finanz- Schatz-, Innen- und Verkehrsministerium haben. Dies aber ist wie die Personalien überhaupt noch nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen. In jedem Fall hat die Industrie bedeutsame Möglichkeiten mehr als bisher. Es möchte sich empfehlen, daß unsere Sozialkammer nicht nur sehr schnell tätig wird, sondern sich vor allem entweder exzellenter Gutachter bedient oder relevante Unterkommissionen an die Arbeit setzt. Nur eine konkrete Frage wegen des Innenministeriums. Bisher immer evangelisch geleitet. Frage, ob wir darauf mit Festigkeit bestehen sollen. Mende will es haben, katholisch. Innenministerium das von Evangelischen besetzte Haus. Interessant vor allem für uns Kulturabteilung. Aber in der Sache gewichtiger könnte nach dieser Richtung das geplante Wissenschaftsministerium werden, wenn es dazu kommt. Eine Absprache, daß Innenministerium evangelisch besetzt werden soll, vergleichbar der Absprache über den Botschafter am Vatikan gibt es nicht. Eher: Tableau bedenken. Innen-, Außen-, Verteidigung, Justiz katholisch, Wirtschaft und Finanzen evangelisch ginge wohl nur schwer.

B. 1962 bis 1969 – „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke

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1962 bis 1969 – „Friedliche Koexistenz“ der Blöcke

18 Berlin, 8. Februar 1962 EZA 742/1 Berlin, hsl. Im Dezember Ratsmitgliedern Memorandum Weizsäcker, Raiser usw.1 In der vergangenen Woche Begegnungen mit den Parteien getrennt nach Fraktionen. CDU erschien sehr gut besetzt, fast alle evangelischen Minister. Natürlich als besonders an ihre Adresse gerichtet empfunden. Nur ein Teil diskutiert, Sozialpolitik und Außenpolitik. Am schärfsten Sachdiskussion um außenpolitische Thesen. Beteiligt von Merkatz, Friedensburg, Böhm, Präsident Krüger. Zwischen ihnen die bekannten verschiedenen Akzente. Seebohm konnte nicht kommen, sonst zweifelsfrei zu sehr schweren Auseinandersetzungen. Einspruch wegen Satzes Oder-Neiße-Linie. Wird er publiziert, sind heftige Angriffe der Vertriebenenverbände sicher. FDP ebenfalls etwa 25 Leute. Starke junge Mannschaft. Ausgezeichnet präpariert. Alle uns ärgerlichen Dinge vermieden. Ein wirklicher politischer Wille. Schwierigkeit der Koalition. Weizsäcker Votum: ist das wirklich die FDP, ihre Klage, falsch dargestellt, richtig. Offenkundig will sich FDP um evangelische Minister besondere Mühe geben. SPD mußte ausfallen. Zusagen erstaunlich gering, aber doch Leute wie Wehner, Erler. Krankheit und Reisen hinderten in letzter Stunde das Gespräch. Nächste Woche. Schwierigkeiten innerhalb der Partei begegnet. Die Außenund Militärpolitik. Fortsetzung des Gesprächs mit CDU zeigt besonders, wie schwer das Sachgespräch allein schon aus Terminfragen ist, aber auch wie tief 1 Im Herbst 1961 hatten acht angesehene evangelisch-liberaldemokratische Persönlichkeiten der Bundesrepublik unter dem Titel „Mehr Wahrheit in der Politik!“ eine Denkschrift verfasst, die unter dem Namen „Tübinger Memorandum“ bekannt wurde. Darin warfen sie den Führungskräften aller Parteien vor, wesentliche politische Realitäten gegenüber der Bevölkerung zu verschleiern und dringend gebotene Entscheidungen zu verschleppen. Sie forderten eine aktive Außenpolitik, die an der Verteidigung Westberlins und der Wiedervereinigung Deutschlands im europäischen Kontext festhielt. Gleichzeitig rieten sie, auf die Rückgewinnung der Gebiete östlich von Oder und Neiße zu verzichten, um das Verhältnis zwischen Ost und West zu beruhigen und zu normalisieren. Darüber hinaus fanden sich die Forderungen, auf Atomwaffen zu verzichten, sinnvolle Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz zu ergreifen sowie eine überzeugende Sozialpolitik und eine tiefgreifende Schulreform in Angriff zu nehmen. Das Memorandum wurde durch Indiskretion publik und am 24. 2. 1962 in verschiedenen Tageszeitungen veröffentlicht. Heute gilt die Denkschrift als wichtiger politischer Impuls aus der Gesellschaft, der die Weichenstellung für die Neue Ostpolitik vorbereitete und im Vorfeld der 1965 publizierten „Ostdenkschrift“ der EKD verortet werden kann; vgl. Greschat, Wahrheit, 491 f., 513; Abdruck des Memorandums in: KJ 89 (1962), 75–78. Kunst hatte Anfang August 1961 den Unterzeichnern des Memorandums von der geplanten Veröffentlichung abgeraten und empfohlen, den Text nur als Gesprächsunterlage mit evangelischen Abgeordneten aus allen Parteien zu verwenden. Zuvor hatte er das Memorandum, dessen Thesen zur Oder-Neiße-Linie er zu diesem Zeitpunkt nicht billigte, im Auftrag der Unterzeichner dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten übergeben; vgl. das Schreiben des Evangelischen Militärbischofs der Bundeswehr, Kunst „Meine Brüder!“ vom 27. 3. 1962 (EZA Berlin, 742/240).

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das Mißtrauen zwischen den evangelischen Laien in den Parteien und denen draußen. […] […] Die Militärpolitik ist in ein neues Stadium getreten. Viel beachtet Schmückle in Christ und Welt2, gleichzeitig Weinstein in Frankfurter Allgemeine3. Schwer zu glauben, Vorstoß von Einzelgängern, aber noch nicht deutlich genug, um ein Urteil wagen zu können. Ziemlich beachtet Votum Dr. Nolde in New York. 3.2. Zitat4. In Amerika steht hinter der Prüfung, ob atomare Versuche aufgenommen werden sollen, simple Überlegung. Es geht um möglichst saubere Atombomben. Die bisherigen verseuchen die Landschaft so sehr, daß kämpfende Truppe nicht nachstoßen kann. Amerika und Rußland haben Bomben entwickelt, bei denen nach 24 Stunden das Gebiet strahlungsfrei ist, die Truppe also vorstoßen kann. Diese Bomben haben Russen vergangenes Jahr getestet. Eine will Amerika in diesem Jahr testen. Sehr roh dargelegt, aber der Kern ist entscheidend. Schon an Auseinandersetzung in Koalition deutlich, wie schwierig Außenpolitik ist. Aus den bisherigen Gesprächen: Rußland gibt nicht nach. Der Westen prüft, ob er überhaupt noch etwas mehr als bisher anbieten kann, wenn man keine Radikallösung in Berlin machen darf. Rußland weiß, daß es in stärkerer Position in Berlin als der Westen ist. Es könnte die russische Absicht sein, Berlin schmoren zu lassen, weil bei den bisherigen Verhältnissen die Zeit für Rußland zu arbeiten scheint. Kennedy ist überdies innen- und wirtschaftspolitisch sehr engagiert. In Washington wird oft z. Zt. mehr über Liberalisierungs- und Wirtschaftspolitik als über Außenpolitik diskutiert. Jedenfalls hat die Außenpolitik nicht mehr den alles beherrschenden Rang wie unter Dulles. Schlagzeilen über Diadochenkämpfe im Kreml sehr beachtet5. Die Diplomaten glauben nicht daran, finden auch keine überzeugenden Anzeichen. Sie meinen, es sei ein Zögern z. Zt. in der russischen Politik. Es gäbe ernste Sorgen in der russischen Landwirtschaft. Es sei möglich, daß Überlegungen in der Regierungsspitze für die künftige Politik angestellt würden, aber das müsse nicht heißen, daß Politik sich ändert. Amerikaner meinen: Berlinfrage würde offenbar z. Zt. auf kleiner Flamme warm gehalten, möglicherweise aber nur für einige Wochen. Es passieren überall kleine Dinge, die nicht zufällig zusam2 Der Leiter der Presseabteilung im Verteidigungsministerium Gerd Schmückle hatte sich in seinem Artikel vom 26. 1. 1962 in der evangelischen Wochenzeitung „Christ und Welt“ für eine lückenlose Abschreckung mittels Atombewaffnung der Bundeswehr ausgesprochen. Schmückle legte dar, dass gerade die Vernichtungsdrohung eines möglichen Atomkrieges den Krieg als Mittel der Politik delegitimiere und dass die Atombewaffnung deshalb dem Frieden diene; vgl. Schmückle, Veränderungen; und Reichenberger, Krieg, 269. 3 Vgl. den Bericht vom 31.8./1. 9. 1961 (Dok. 16), Anm. 6. 4 Vermutlich verweist Kunst hier auf eine Rede des Direktors der Ständigen Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (CCIA), Frederick Nolde, vor der 16. ordentlichen Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen; vgl. Beer, Abschnitt. 5 Vgl. Mosely, Machtkampf.

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mentreffen, Reise Brüder Kennedy, geplante Besuche Salingers, Empfang von Schwiegersohn von Chruschtschow im Weißen Haus, und dies 2 x in ungewöhnlicher Länge mit Einladung zu Tisch. Delegation zu Roosevelts 80. Geburtstag, Kranz, Botschaft an Witwe, nichts mit Konvention zu tun. Tauwetter? Überall sind Gespräche der russischen Botschafter mit Amerikanern. Bonn 1 Direktor von Time und von Life, Party, zu der normalerweise maximal ein Kulturattach geht, Smirnow 40 Minuten mit diesem Zeitungsmann gesprochen. Amerika will wissen, ob ernsthafte Verhandlungen möglich sind. Voraussetzung: Rußland will sich arrangieren. Vielleicht sind diese Wochen auch nur Atempause. In jedem Fall will Kennedy alle Möglichkeiten, zu einem Ausgleich zu kommen, ausschöpfen. Er will Kongreß und Volk feien vor harten Maßnahmen, es geht auf keine Weise anders. Dabei zucken alle Amerikaner die Achseln, fragt man sie, ob sie glauben, daß bei Verhandlungen irgendetwas herauskommt. Ein besonderer Ton liegt bei Amerika jetzt auf der konventionellen Bewaffnung. Man hat Sorge wegen möglicher Unternehmungen der östlichen Satelliten, ohne daß sich Rußland unmittelbar engagiert. Was immer an Verwicklungen kommen mag, Amerikaner möchten, daß Rußland immer sofort unzweideutig vor der Weltöffentlichkeit beteiligt ist. Man will also kein 2. Korea. Amerika hat also Sorge vor dem, was man marxistisch „Befreiungskriege“ heißt. Ohne das Engagement von Rußland glaubt kein Mensch, daß Amerika wegen kleiner Dinge den Atomkrieg auslöst. Deshalb muß nach Amerikas Auffassung die konventionelle Rüstung seiner Verbündeten so stark sein, daß sich die russischen Satelliten nicht die leiseste Chance bei einer Unternehmung ohne Rußland ausrechnen können. Die sowjetische Politik hat seit 1957 beinahe ausschließlich zur Stärkung des Westens beigetragen. Die Erhöhung des Wehretats im Westen bis hin zur Verlängerung der Dienstzeit in der Bundeswehr, die ja vom ganzen Parlament getragen wird, vor allem die wirtschaftliche Integration des Westens mit Ausstrahlungen bis nach Finnland, alles nur möglich durch die harte Politik Rußlands. Vielleicht muß man von daher auch das vieldiskutierte Memorandum vom 27.12. begreifen6. Man begreift es freilich nur, wenn man hinzunimmt die übrigen Papiere an Amerika usw. Eine gänzlich gegensätzliche Argumentation. Viel mißverstanden in Bonn. Satz über die politischen Beziehungen zwischen Westberlin und Bundesregierung. Richtig verstanden nur mit dem nachfolgenden Satz, der klarmacht, daß die politischen Beziehungen gemeint sind, die sich ergeben nach Errichtung des Status einer freien Stadt Berlin, nicht etwa die gegenwärtigen politischen Beziehungen. In diesem Zusammenhang auch interessant, Prawda bisher: Atomkrieg vernichtet Westen, Rußland bleibt. Jetzt Artikel: beide werden vernichtet. Das galt bisher klar als Häresie. Natürlich könnte dies alles auch signalisieren, Russen wollen 6 Das sowjetische Memorandum zur Deutschland-Frage vom 27. 12. 1961 forderte u. a. direkte Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Regierung der DDR über die Sicherung der Zufahrtswege von und nach Westberlin; vgl. Europa-Archiv 17 (1962), Z17.

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klein anfangen, nicht alles auf einmal lösen, erst einmal mit Deutschland und Amerika klar kommen. Zone: Brandstiftungen Leipzig, Halle, Dresden, Cottbus, Magdeburg, nicht nur aus kriminellen Gründen7. Selbstmordziffern 23.12.–31.12.61 Ostberlin 427, Westberlin 208. […]

7 Nach dem 13. 8. 1961 häuften sich auf dem Gebiet der DDR Brandstiftungen mit politischem Hintergrund. Die Täter waren vielfach Jugendliche; vgl. Freiburg, Kriminalität, 142–146, 145. 8 Die DDR hatte mit etwa 6.000 Suizidtoten im Jahr eine der höchsten Selbstmordraten der Welt. Anfang der 1960er Jahre stieg die Selbstmordrate weiter um 10 % an, möglicherweise befördert durch die Zwangskollektivierungen und den Mauerbau. In der Welt-Selbstmordstatistik von 1959 belegte die DDR (mit Ostberlin) mit 28,4 Selbstmordtoten auf 100.000 EinwohnerInnen allerdings nur Platz 2 hinter Westberlin mit einer Quote von 35,5 im selben Jahr. Seit 1963 hielt die DDR-Führung ihre Selbstmordstatistiken unter Verschluss; vgl. Selbstmorde. In: Der Spiegel 16 (1962), Nr. 4 vom 24. 1. 1962, 14; und Grashoff, Depression.

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19 Berlin, 5. April 19621 EZA 742/1 Berlin, hsl. Wer die Art theologischer und kirchlicher Diskussion in der Oekumene und besonders bei uns vor Augen kann nur betroffen über die Art der Vorbereitung des Konzils2. Mit besonderer Strenge die Intentionen gegen diplomatische Vertretungen. Aber auch Sekretariat in Rom: deutlich an der Staffelung der Gesprächspartner. Sekretariat Bea tagt in strenger Klausur tagelang außerhalb Italiens. Bruder Schlink bekommt redliche Berichte durch Bea, nicht Konzilspapiere selber. Schon dies ist außergewöhnlich. Ziemlich sicher wird Bruder Schlink in Kürze der bestinformierte Nichtkatholik überhaupt sein. Alle Sekretariate nur bis Konzilsbeginn, ausschließlich Bea. Wahrscheinlich auch über Konzil hinaus. Bea greift aus allen Berichten heraus, leitet Sekretariat Gutachten zu. Streng vertraulich: negative Beurteilung des Spiegelinterviews von Schmaus, nicht der Meinung des Sekretariats Bea3. Mit 2 Konzilsentscheidungen gerechnet4. Besondere Aufmerksamkeit von Theologen: ob weitere ekklesiologische Definitionen zu erwarten seien5. 1 Der Titel dieses Lageberichts lautet „Bericht über Erfahrungen Prof. Schlink in Rom.“ 2 Am 11. 10. 1962 begann das II. Vatikanische Konzil, das am 8. 12. 1965 endete. Der Heidelberger Dogmatikprofessor und Direktor des dortigen Ökumenischen Instituts Edmund Schlink wurde durch Beschluss des Rates der EKD und der Kirchenkonferenz am 9./10. 1. 1962 zum Beobachter der EKD für die Zeit der Vorbereitung des Konzils ernannt; vgl. das Protokoll über die Sitzung der Kirchenkonferenz am 9./10. 1. 1962; und Protokoll der 8. Sitzung des Rates der EKD am 10. 1. 1962 (EZA Berlin, 2/1806). Schlink hatte während der Konzilsvorbereitungen keinerlei schriftliche Vorlagen erhalten, sondern musste sich mit mündlichen Informationen begnügen; vgl. die Berichte Schlinks an Kunst und Scharf vom 16.3. und 30. 3. 1962 (EZA Berlin, 81/2264); zur zentralen Rolle Kunsts beim Einsatz Schlinks als Beobachter des Zweiten Vatikanischen Konzils vgl. Hopf, Osservatore Romano, 78 81, 131, 357 359; zum Zweiten Vatikanischen Konzil allgemein vgl. Wittstadt, Kirche; und Wenzel, Geschichte. 3 Der Münchner Dogmatik-Professor Michael Schmaus war Mitglied der Theologischen Kommission, die in Rom das II. Vatikanische Konzil vorbereitete. In einem Spiegel-Interview über „Mischehen“ zwischen katholischen und evangelischen Ehepartnern hatte Schmaus geäußert, dass die evangelische Kirche aus katholischer Sicht nicht gleichberechtigt neben der katholischen Kirche stehe. Zudem werde eine nicht katholisch geschlossene Ehe von katholischer Seite als ungültig betrachtet, was die Exkommunikation des katholischen Ehepartners zur Folge habe. Auf die Widersprüchlichkeiten in der Behandlung von sogenannten Mischehen durch die katholische Kirche hingewiesen, erklärte Schmaus, dass vom Konzil eine Reduktion der Kirchenstrafen zu erwarten sei; vgl. Jeder Vierte freit die falsche Braut. Spiegel-Gespräch mit dem Päpstlichen Hausprälaten Professor Dr. Michael Schmaus über die Misch-Ehe. In: Der Spiegel 16 (1962), Nr. 10 vom 7. 3. 1962, 54–68, 55, 63. 4 Der Ratsvorsitzende der EKD Hermann Dietzfelbinger äußerte im Vorfeld des Konzils, man erwarte von evangelischer Seite eine Überprüfung von Taufe, Mission und Mischehenpraxis; vgl. KJ 89 (1962), 18. 5 Die EKD fürchtete, das Konzil könne ein neues ekklesiologisches Dogma über die Wesensbe-

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Noch nichts zu sagen, aber vorbereitet ist etwas, bzw. noch in der Arbeit. Unklar: welche Stellung Zentralkommission einnehmen wird, die das Sieb ist. Wegen der Missionspraxis ist nichts vorbereitet, Beschwernisse von beiden Seiten angemeldet6. Einladungen in größerer Breite erwartet an nichtkatholische Kirchen. Teilnahme an allen Sitzungen des Konzils, nicht an Arbeiten der speziellen Deputationen. Verhandlungen über Einladungen von orthodoxen Kirchen mit oekumenischem Patriarchen in Konstantinopel. Einladungen nur, wenn Zusage der Annahme gegeben ist. Entsprechend Verhandlungen mit Athenagoras und Canterbury. Verhandlungen mit Genf und Frage der Einzelpersönlichkeiten7. Theologisch ungewöhnlich belangvoll sind die Absichten von Bea im Blick auf Auslegung des Tridentinums und der Wortverkündigung. Nicht viel Klarheit in der Bischofsfrage und Definitionen über die Laien8. Bea offenbar zurückhaltend in seiner Einschätzung gesprochen. Klärung der Begriffe von Oekumenizität im evangelischen und römischen Verständnis, die Frage des oekumenischen Gebetsoktav und die Frage der oekumenischen Zusammenarbeit bis hin zu den theologischen Gesprächen und die communicatio in sacros. Unklar, ob Bea eigene Gutachten erstattet oder nur Sorge trägt, daß in allen Kommissionen oekumenische Gesichtspunkte beachtet werden9. Presse: in Deutschland bedrückend kümmerlich, nichts kapiert, Frankfurter Allgemeine 3 Zeilen. Rheinischer Merkur ausführlich und sachlich. KNAVorspann objektiv falsch: Vertreter der EKD beim Konzil. Chefredakteur: Fehler durch Agentur beim Vatikan. Mit Chefredakteur wegen Richtigstellung gesprochen. Breitere Ausführlichkeit in der italienischen Presse. Sachlich und gut, besonders wenn man allgemeine Unkenntnis der deutschen konfessionellen Verhältnisse bis in den Vatikan hinein im Ansatz bringt. Eine für uns seltsame Überschätzung der „Sammlung“,10 deren Namen sicher keine 25 % unserer Pastoren kennen. Alle registrieren: Schlink kein Philokatholik. Eingehen auf das Zusammenwirken aller Christen in der Nazizeit11. Wahrscheinlich zum 1. x etwas gesagt über Verfassung und Wesen der EKD. Der

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stimmung der katholischen Kirche beschließen und damit den interkonfessionellen Dialog in Zukunft erschweren; vgl. den ersten Bericht über die „Vorbereitungen zum 2. Vatikanischen Konzil“ im Schreiben Schlinks an Scharf vom 16. 3. 1962 (EZA Berlin, 81/2264). Ebd. Ebd. Die Reformkatholiken wünschten sich eine Aufwertung des Bischofsamtes und des Laienapostolates gegenüber dem Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils; vgl. das Schreiben Schlinks an Scharf vom 30. 3. 1962 (EZA Berlin, 81/2264). Vgl. ebd.; und Burkard, Bea. Gemeint ist vermutlich die Zeitschrift „Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung“, die von 1945 bis 1960 erschien. Sie wurde 1961 unter dem Namen „Neue Sammlung. Göttinger Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft“ fortgesetzt; vgl. Matthes, Pädagogik, 87. Vgl. den ersten Bericht über die „Vorbereitungen zum 2. Vatikanischen Konzil“ in den Schreiben Edmund Schlinks an Kurt Scharf vom 16.3. und 30. 3. 1962 (EZA Berlin, 81/2264).

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Papst hat Bea mitteilen lassen, Entsendung von Schlink sei eine Ermutigung für ihn. Besondere Gegensätze natürlich in der theologischen Kommission, besonders beklagt Fehlen von Rahner, den Schlink für bedeutendsten katholischen Dogmatiker im deutschen Sprachraum hält. Offenkundig dominieren die konservativen Kräfte unter Ottaviani und dem Jesuiten Tromp. Der Kampf geht um eine neue professio fidei, bei der selbstredend die Frage ist, ob überhaupt, – noch nicht reif – oder positive explicatur oder mit Anathema versehen12. Der oekumenische Flügel auf das Höchste interessiert an Beobachtern, die schon durch ihre Anwesenheit den integralen Flügel hindern. Natürlich konkurrieren Bemühen um Rücksichtnahme auf Oekumene mit der Sorge um Relativierung der Wahrheit im katholischen Verstand13. Offenkundig gut beraten, daß wir Schlink wählten. Er beherrscht nicht nur die Breite der oekumenischen Diskussion, die Genauigkeit seines Denkens der Sache im hohen Maße förderlich. Nicht nur wegen der Information oder aus zweitrangigen konfessionspolitischen Überlegungen wichtig, daß wir Entsendung beschlossen, offenbar vertritt er wie ein guter Bote die Gewißheit und das Sendungsbewußtsein der evangelischen Christenheit.

12 Die alte und neue „professio fidei“ verlangte von jedem Mitglied des Konzils einen Eid, der das Apostolische Glaubensbekenntnis, die „professio tridentina“, d. h. die tridentinische Eidesformel des Glaubensbekenntnisses und den Antimodernisteneid enthielt; vgl. das Schreiben Edmund Schlinks an Kurt Scharf vom 30. 3. 1962 (ebd.). 13 Augustin Bea und Alfredo Ottaviani galten als Protagonisten zweier diametral entgegengesetzter theologischer Ansätze im Umgang mit der Ökumene. Während Bea, der 1959 zum Sekretär des „sanctum officium“, der Theologischen Kommission des Konzils, ernannt worden war, für einen Reformkurs eintrat, stand Ottaviani für einen konservativen katholischen Integralismus; vgl. Burkard, Bea, 48 f.

145 20 Berlin, 5./6. April 1962 EZA 742/1 Berlin, hsl. Beistandsleistung bei Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Ratsauftrag1: mit Beckmann und Scheuner. Verhandlungen mit Verteidigungsministerium. Dissensus: Beckmann und Scheuner bereit, auf Erlaß des Ministeriums zuzugehen mit Erlaubnis für Vertretung bei Gremien, nicht bei Gerichten. Scheuner: nur für Pfarrer. Abgelehnt. Verhandlungen mit Parteien. CDU nicht überzeugt, die gleichen Gründe, die wir aus der innerkirchlichen Diskussion kennen. Unseren Wünschen entsprochen. Formulierung wörtlich von uns übernommen, abgestimmt mit Kirchenkanzlei. Alle Personen müssen beauftragt werden. Nicht verhehlen, ungern die Pression ausgeübt, aber die konfessionspolitische öffentliche Diskussion ist so übel und gefährlich, daß mir die Lösung wie geschehen notwendig erschien2. In diesem Zusammenhang nur anmerken, was für einen Bärendienst wir uns ziemlich sicher mit der öffentlichen Erörterung des politischen Einflusses der evangelischen und katholischen Kirche tun. Es ist notorisch nicht wahr, als wenn wir Evangelischen nur noch Rückzugsgefechte gegen die siegreich voranstürmenden Katholiken leisteten. Es gibt an einigen Orten unerträgliche Verhältnisse; bei jeder Nachprüfung gerüttelt Maß an Versagen und Schuld bei den Evangelischen. Wir müssen weiter sehen, daß wir wegen unserer verschiedenartigen Meinungen nicht in der Lage sind, uns öffentlich zu exponieren. Ein Musterbeispiel dafür das Jugendhilfegesetz und Sozialhilfegesetz. Wir unterschätzen gern die Parteien wegen ihrer geringen Mitgliederzahl. Man bringt heute nichts mehr nach vorne ohne oder gegen die Parteien. Fernsehrat Mainz. Natürlich können wir uns nicht mit einer Partei identifizieren, aber lehnen wir auch ab, in einer bei den Parteien kontroversen Frage, die uns angeht, zu votieren, darf sich keiner wundern, wenn der katholische Einfluß präpondiert. Mindestens sorgfältig beobachten sollte der Rat den Weg der Parteien, z. Zt. besonders der CDU. Es wird in ihr im nächsten Jahr sicher schwere Auseinandersetzungen geben gerade wegen der konfessionellen 1 Vor dem Hintergrund der Gesetzesnovelle zum Wehrpflichtgesetz war Kunst in der vorangehenden Ratssitzung beauftragt worden, bei den Parteien im Bundestag zu sondieren, ob diese bereit seien, dem Antrag der SPD zu folgen, der vorsah, dass Kriegsdienstverweigerern durch einen Gemeindepfarrer oder eine von der Landeskirche eingerichtete Dienststelle Beistand vor den staatlichen Ausschüssen gewährt werde. Hintergrund dieses Auftrags waren die Schwierigkeiten der evangelischen Landeskirchen in der DDR mit den Bestimmungen des dortigen Wehrpflichtgesetzes; vgl. das Protokoll der 9. Sitzung des Rates der EKD am 8./9. 2. 1962 in Berlin (EZA Berlin, 2/1806). 2 Kunst berichtete dem Rat, dass die Frage der Kriegsdienstverweigerung mittlerweile unter seiner Mitwirkung und der Mitwirkung der Kirchenkanzlei in Hannover gesetzlich geregelt worden sei; vgl. das Protokoll der 10. Sitzung des Rates der EKD am 5./6. 4. 1962 (ebd.).

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Dinge. Es wäre möglich, daß abgesehen von unserem persönlichen Engagement für eine Partei eine Grundfrage von eminentem Gewicht auf uns zukäme. Das Tübinger Memorandum3. Rat jeweils informiert. Indiskretion. Bis vor Tagen nicht gewußt, durch wen. Es scheint so, aus dem Auswärtigen Amt, natürlich nicht vom Minister. Ob Veröffentlichung Gewinn, verschiedene Meinung. Im Ganzen erträgliche Diskussion. Heftigster Einspruch von Vertriebenenverbänden. Viele neigen dazu, Verbände als lebendig nur in ihren Funktionären anzusehen. Nicht nuanciert genug. Unterzeichner jeder zwischen 500–1000 Briefen. In der überwiegenden Mehrheit ein böser nationalistischer Grundklang. Dabei aber offenbar keine gesteuerte Briefaktion. Der Grundvorhalt war: Unaufrichtigkeit und Konzeptionslosigkeit. Unterzeichner wollen Stellung nehmen in der „Zeit“, Bismarck diese Woche, dann zu kulturpolitischen Fragen Picht und Becker4. Am heftigsten diskutiert Oder-Neiße. Bisher Tabu in den Parteien. Mißverstanden: gemeint war die Rücksicht auf den Westen. Er soll engagiert werden. Nur möglich mit Berlin und Wiedervereinigung. Unmöglich [***] Grenzen 1937. Bisher Politik des Augenzwinkerns der Minister. Aber Meinung der 8: Minister bestimmen nicht allein öffentliche Meinung eines Volkes. Beabsichtigen: den öffentlichen Wirbel vorübergehen lassen und nach Ostern gezielte Besprechung mit den Parteien zu beginnen. Mein Beitrag, wenn nötig, in der Diskussion darzulegen. Der Rat sollte prüfen, ob er es bei der Verlautbarung der Kirchenkanzlei, private Arbeit, lassen will5. Normalerweise dies empfehlen. Aber bei solcher Sache auch registrieren Reaktion des Ostens. Sehe ich recht, zuerst kühl, aber dann nachdrücklich aufgenommen. Natürlich ist sich Pankow klar, 8 sind keine Kommunisten, auch der 1. Teil mit der Bezeugung des Respektes vor der ausgewiesenen Leistung der Regierung übergangen, aber im Teil über Außen- und Rüstungspolitik Dinge gefunden, die dem Osten nützlich in der Propaganda zu sein scheinen. Es gibt die Aufforderung an den Ratsvorsitzenden zur Stellungnahme6. Es gibt vor allem Brüder, die sich von einem zustimmenden Votum eine neue Lage auch im Gespräch über seine Rückkehr versprechen. Auf keinen Fall können wir die Frage der Ausweisung auf sich beruhen lassen7. Arkandisziplin gegenüber 3 Vgl. den Bericht vom 8. 2. 1962 (Dok. 18), Anm. 1. Nach dem Bericht Kunsts über die Reaktionen auf das an die Öffentlichkeit gelangte „Tübinger Memorandum“ beschloss der Rat, sich nicht offiziell dazu zu äußern. Vielmehr sollte es dem Ratsvorsitzenden überlassen bleiben, „etwa im Rahmen eines Osterartikels“ für die Meinungsfreiheit evangelischer Persönlichkeiten einzutreten und diese vor Verunglimpfung in Schutz zu nehmen; vgl. das Protokoll der 10. Sitzung des Rates der EKD am 5./6. 4. 1962 (EZA Berlin, 2/1806). 4 Vgl. Bismarck, Bonn. 5 Eine Verlautbarung der Kirchenkanzlei sollte dem Missverständnis entgegentreten, das Tübinger Memorandum sei im Auftrag oder mit Beteiligung amtlicher Stellen der EKD verfasst worden; Abdruck in: KJ 89 (1962), 74. 6 Vgl. die Erklärung des Rates der EKD vom 10. 5. 1962 (ebd., 82). 7 Am 31. 8. 1961 wurde dem Ratsvorsitzenden Kurt Scharf die Rückreise zu seinem Dienstsitz in Ostberlin verweigert und der DDR-Ausweis entzogen. Die DDR warf Scharf vor, Leiter einer

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Bonn. Sicher, Kreml wünscht keine Zuspitzung in der Kirchenfrage. Überlegt, ob Nutzen von Begegnung mit Smirnow. Frage: in eigener Initiative oder Ratsauftrag, natürlich diskret. Es sind mehr als 7 Monate8. […]

„friedensfeindlichen“ und „illegalen“ Organisation zu sein. Die Ausweisung Scharfs wurde seitens der EKD als schwerwiegender Angriff gegen die Ost-West-Einheit der EKD verstanden; vgl. Lepp, Tabu, 380 f. 8 Möglicherweise spielt Kunst hier auf eine Begegnung mit dem sowjetischen Botschafter Andrei Smirnow auf der 17. Generalversammlung der UNO im November 1962 an.

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21 Berlin, 29. November 1962 EZA 742/1 Berlin, hsl. Die Gefahren für den Frieden der Welt am 28. Oktober sicher ihren Höhepunkt gehabt1. Was immer Chruschtschow zu dem Kubaabenteuer bewogen haben mag, er hat eine schwere Niederlage hinnehmen müssen, wenn auch nicht so schlimm, wie man nach unserer Presse annehmen müßte. Kennedy ist von seinen Beratern nachdrücklich gedrängt worden, in Kuba reinen Tisch zu machen. Er hat einen anderen Weg gesucht mit Rücksicht darauf, daß er an mehreren Stellen der Welt den Russen gegenübersteht. Nicht überall Situation für ihn so günstig wie in Kuba. Es schien ihm geraten, den Versuch zu machen, für künftige Fälle ein Modell zu schaffen. Er hat seinen Anspruch durchgesetzt, aber die Demütigung Rußlands in engsten Grenzen gehalten. Rußland hat erreicht, daß es mit der Monroedoktrin2 aus ist. Der 2. Gewinn ist das Angebot Kennedys, auf Invasion in Kuba zu verzichten, wenn internationale Kontrolle Kubas angenommen wird. Beides ist viel. Noch nicht zu erkennen, was Vorgang für Abrüstung, besonders für Einstellung der Atomtests bedeutet. Kennzeichnend, wie heftig in Washington empfunden wird, daß der russische Außenminister Gromyko den amerikanischen Präsidenten ins Angesicht belogen hat. Natürlich weiß jeder Diplomat, welches Gewicht die Lüge in der Politik überhaupt hat, aber wenn der Friede der Welt in dieser Zeit auf dem Spiele steht, ist der genannte Vorgang von weiterwirkender Bedeutung. Es ist ein Mißtrauen neuer Art geweckt. Gromyko hat sicher im Auftrag seiner Regierung gelogen. Die Frage ist: wessen hat man sich in Zukunft von Wert auf höchster Ebene von Rußland zu versehen? Öffentlich wenig diskutiert aber doch nachhaltig als schwierig empfunden, daß in solcher Situation wie Kuba Verbündete wohl informiert aber nicht konsultiert werden können. Bei der Haftung der Verbündeten und den Risiken ziemliche Belastung der Allianz3. Parallel die Aggression Chinas. Offenbar sind die Spannungen MoskauPeking nach wie vor heftig. Bei der Entscheidung spielte nicht nur die 1 Am 28. 10. 1962 hatte das Einlenken Chruschtschows die Kubakrise beendet. Chruschtschow erklärte sich bereit, die auf Kuba stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen abzuziehen. Im Gegenzug verzichteten die USA auf eine Invasion in Kuba und zogen ihre Raketen aus der Türkei ab; vgl. Botschaft Chruschtschows an Kennedy bez[üglich] der Kuba-Frage und Antwort Kennedys auf die Botschaft Chruschtschows in: Europa-Archiv 17 (1962), D588-D591 f. 2 Die 1823 vom amerikanischen Präsidenten James Monroe formulierte Doktrin verbot die Einmischung der Europäer auf dem amerikanischen Kontinent und galt als das Ende der Kolonisierung Amerikas durch europäische Mächte. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt veränderte 1904/05 die Monroe-Doktrin dahingehend, dass sich zwar die Europäer aus Angelegenheiten des amerikanischen Kontinents heraushalten sollten, dass die USA aber weiterhin den Anspruch erhoben, z. B. in Südamerika Polizeikontrolle auszuüben; vgl. Jentzsch, Roosevelt (online). 3 Zur Kuba-Krise vgl. Steininger, Kubakrise.

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Grenzfrage eine Rolle. Peking viel in Rüstung investiert. Indien in den friedlichen Aufbau. Die Gefahr, daß Indien wirtschaftlich China den Rang abläuft in Asien. Dabei für China besonders verdrießlich die heimliche Zangenpolitik Moskaus. Moskau hat seine Hilfen für Indien nicht nur aus altruistischen Gründen gewährt. Es kann Moskau nur daran liegen, daß China in Indien einen starken Nachbarn hat. Nun wird Indien gezwungen sein, ganz andere Beträge als bisher in die Rüstung zu investieren und damit seinen wirtschaftlichen Aufbau zu verlangsamen. Das überraschend großzügige Friedensangebot Chinas ist nicht ganz so groß wie es aussieht. Auch wenn die Truppen 12 Meilen hinter die Ausgangsposition zurückgehen, behält China Ladakh, an dem ihm offenkundig viel liegt4. Belangvollste für uns, Zusammenbruch der Konzeption Nehrus und die Konsequenzen für die blockfreien Staaten. Aber auch die möglichen Folgen des Zerwürfnisses Moskau : Peking. Alle weltpolitischen Ereignisse lösen Fragen und Hoffnungen für die Zone aus. Peking nach wie vor auf Lenin-Stalin-Kurs; wenn Nowotny gehen muß, ist in Moskaus Herrschaftsbereich Ulbricht der letzte Stalinist. Zur Berlinfrage: Meinung der Amerikaner: tiefster Punkt in der Weltpolitik seit Kuba überwunden. Von vornherein bei Amerikanern Berlin mit im Kalkül. In der 1. Rede Kennedys erscheint Berlin ausdrücklich, um Rußland zu testieren: Amerika ist in Kuba und Berlin unmittelbar engagiert. Sollte es zu Verhandlungen über Berlin kommen, will Amerika klar seinen Einstieg suchen bei seinem originären Recht als Besatzungsmacht. Möglicherweise wird die Frage, die Kontrolle der Zufahrtswege unter Einschluß der Bundesregierung und DDR zu internationalisieren, noch einmal nachdrücklich hochgebracht werden. Gut, an diesem Punkt Einmütigkeit Brandt-Adenauer. Jedenfalls gilt die Lage Berlins z. Zt. nicht als gefährlich. Amerika glücklich über neue Zuversicht der Berliner seit Kuba. Intensiv wird im Interzonenhandel verhandelt, aber streng sekretiert. Auf diese Weise Hoffnung für Erleichterung für Weihnachten noch gewisses Recht, wenn Ulbricht auch Vorschläge der Regierung als ausreichend ansieht. […] Alles überschattet von der Spiegelaffaire5. Nicht ausbreiten, aber eklektisch einige Dinge nennen. Seit 1955 vorstellig wegen politischem Stil, nicht geglaubt, ungenaue Befolgung des Knigge, sondern Frage, ob sich in diesem Stil nicht eine innere Verfassung darstellt, die wir unter allen Umständen perhorreszieren müssen. Bisher nur bescheidenen und in jedem Fall nur punktuellen Erfolg. Grund sicher auch in den bedeutenden außenpolitischen und wirtschaftlichen Erfolgen. Der Pragmatismus so eingefressen, daß bei der bisherigen Mannschaft 4 Kunst reflektiert hier über den chinesisch-indischen Grenzkrieg vom 20.10. bis 20. 11. 1962. Chinesische Soldaten waren auf indisches Staatsgebiet vorgedrungen und hatten nach ihrem Sieg über die indischen Streitkräfte am 21. 11. 1962 einen Waffenstillstand erzwungen; vgl. Berding, Grenzkrieg, 14–17. 5 Zur Spiegel-Affäre vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 261–273; und Bönisch / Wiegrefe, Abgrund.

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wenig Hoffnung besteht, eine echte Besinnung zu erreichen. Ob Dufhues Hilfe, noch nicht zu übersehen. Sicher 8 Tage keine Proportion zwischen Affekten der Presse für Spiegel und dem Vorwurf des Landesverrates. Sache nicht gerecht, wenn man nicht distanziert beobachtet. In Deutschland nach 1945 jene Männer zum großen Teil in Regierung, die unter Hitler Hochverrat und auch gelegentlich Landesverrat als sittliche Pflicht ansahen. Soldatenzeitung-Oster. Was immer als schandvolles Verbrechen galt, nach 1945 geehrt. Gespräch Bonhoeffer mit Chichester6. In unserem Vaterland z. Zt. im Osten zahlreiche Männer im Zuchthaus, die ebenfalls, was Ulbricht von seinem Ort mit Recht als Landesverrat ansieht, verübten. Auf diesem Hintergrund die seelische Verfassung unseres Volkes begreifen, daß Maßstäbe noch nicht wieder alte Farbe und Strenge haben. Überhaupt nicht zu begreifen sind manche der sogenannten Randerscheinungen, wenn man nicht annimmt, daß uns das Wichtigste in dieser Landesverratssache noch nicht bekannt ist. In dem das Verfahren auslösenden Artikel waren einige Dinge, die mindestens vermuten lassen, daß es nicht nur um den inkriminierten Artikel geht. Auch das Durchsehen der Druckfahnen ist gänzlich unbegreiflich, wenn nicht Bundesanwaltschaft Anlaß zur Vermutung hatte, es solle ein sorgfältig gehütetes Staatsgeheimnis veröffentlicht werden. Wer die Anwaltschaft und Gericht in Karlsruhe kennt, kann die Behandlung der bisher vom Spiegel angestrengten Prozesse von Gericht, Sprechterminen, Haftentlassungsanträgen usw. garnicht anders begreifen, als daß es nicht nur um den Artikel und den Informanten geht. Eine andere Frage die Behandlung der Sache durch die Regierung. Man muß doch wohl sagen, Krise ohne Not. Nicht nur mannigfache Unzulänglichkeit und nicht zu entschuldigendes Verhalten einzelner Männer, das Besorgnis erregende die mangelnde kraftvolle Führung. Selbst wenn grobe Mißgriffe vorgekommen wären, saß Regierung nicht am schwachen Hebel. Ganz unbegreiflich, daß sie sich auf die Beantwortung der 18 Fragen einließ. Vom Tische wischen und eigene Regierungserklärung abgeben. So schon in der Methode der Antwort von der Opposition bestimmt7. Sie hat nicht getan, was Strauß im bayerischen Wahlkampf praktizierte, daß Angriff die beste 6 Kunst erinnert hier an die Gespräche Dietrich Bonhoeffers mit dem Bischof von Chichester George Bell in Sigtuna und Stockholm am 31.5. und 1. 6. 1942, in denen Bonhoeffer Bell in die Pläne des militärischen Widerstandes in Deutschland einweihte und diesen bat, die britische Regierung zur Kooperation mit den Verschwörern nach dem Sturz Hitlers zu bewegen; vgl. Bethge, Bonhoeffer, 855–859. 7 Im Deutschen Bundestag hatte es in der Folge der spektakulären Polizeiaktion gegen Rudolf Augstein und Conrad Ahlers vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wegen des dringenden Verdachts des Landesverrats eine dreitägige Fragestunde (7. bis 9. 11. 1962) gegeben. Die SPDFraktion hatte 18 Dringlichkeitsanfragen eingereicht, die schließlich zum Rücktritt von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und zu einer Kabinettskrise der Adenauer-Regierung führten; vgl. Schütterle, Vor 50 Jahren (online).

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Verteidigung ist. Ziemlich sicher hat Gerstenmaier Lage am besten durchschaut, aber sich nicht durchgesetzt. Immerhin, auch die SPD hat im bayerischen Wahlkampf auf das sorgfältigste vermieden, als Spiegelpartei zu erscheinen. Signalisiert Not überhaupt: auf diesem Hintergrund Spiegel soll [***] nicht halten. Schlimm ist die noch nicht ausgestandene Geschichte mit den beiden Staatssekretären Strauß und Hopf. Beide aus der preußischen Kirche. Offizielle Version von vornherein unglaubwürdig. Nicht gelungen, rechtzeitig von der Torheit des Verschweigens zu überzeugen. Für die Staatssekretäre war ihr wortloses Fortgehen eine Frage der Staatsraison8. Unbegreiflich, daß weder SPD noch FDP an diesem Punkte am heftigsten einhakten. Auch wenn es dogmatisch richtig wäre, daß jedem Menschen alles zuzutrauen ist, so gibt es doch Dinge, die ein hohes Maß von Unwahrscheinlichkeit haben. Regierungsbildung bis zum Nürnberger Beschluß am 19.11.9 Hoffnung, Strauß nimmt Atomministerium. Wohl auch bereit. Jetzt alles unklar. Ich sage nicht, Ausgang der Bayernwahlen ein nationales Unglück, sicher aber Regierungsbildung ungewöhnlich erschwert10. Strauß gibt Schlenker zu, aber in der Substanz seiner Entscheidungen von der Richtigkeit überzeugt. Sicher verdient er nicht, als einziger Sündenbock dazustehen, aber auch bei denen, die ihn noch vor 2 Jahren als einen der nächsten Kanzleranwärter hielten, jedenfalls 1965–66, heute ein entschiedenes Nein. Mein Gespräch mit ihm noch nicht intensiv genug, um ein abschließendes Votum haben zu dürfen, aber er macht einem das Gutes von ihm reden sehr schwer. Auch nicht geändert durch Urteil, daß Strauß gescheitester Verteidigungsminister der NATO ist. […]

8 Die Staatssekretäre Volkmar Hopf und Walter Strauß wurden im Zuge der Spiegel-Affäre im Herbst 1962 gemaßregelt, weil sie den Justizminister nicht vorher über die Aktion gegen die Spiegel-Redaktion informiert hatten und traten von ihren Ämtern zurück; vgl. dazu Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 262–272, 271. 9 Der FDP-Bundesvorstand hatte im Kontext der Spiegel-Affäre bei seiner Sitzung am 19. 11. 1962 beschlossen, die Mitarbeit der FDP in der CDU/CSU-geführten Bundesregierung zu beenden; vgl. ebd., 272. 10 Bei den Landtagswahlen in Bayern am 25. 11. 1962 hatte die CSU die absolute Mehrheit errungen; vgl. ebd.

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22 Berlin, 28. Februar 1963 EZA Berlin, 742/2, hsl. Die alles überlagernden Ereignisse: 14. und 21. Januar de Gaulle am 14. in Pressekonferenz die schwersten Angriffe gegen Amerika und England gerichtet1. Es ist, als sei in Frankreich gänzlich vergessen, daß diese beiden Mächte allein Frankreich vor der vollständigen Niederlage in 2 Kriegen dieses Jahrhunderts bewahrten. Besonders erstaunlich ist der Vertrag, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es z. Zt. zwischen Deutschland und Frankreich nur wenige Dinge gibt, in denen beide Länder nicht kontrovers sind. Militärpolitisch: Frankreich ist praktisch seit Jahren aus der NATO ausgeschieden. 1 /3 Divisionen unterstellt. Wir machen eine Division nach der anderen einsatzfähig und unterstellen alsbald. Klar haben wir eine andere Konzeption in der Rüstungspolitik. Unsere Strategie steht und fällt mit dem atomaren Schirm und den taktischen Atomwaffen der Amerikaner. Die Bundesregierung weiß, daß kein französischer Schuß wegen Berlin oder der Bundesrepublik fällt. Selbst die force de frappe kommt, woraus kein französischer General oder Politiker einen Hehl macht, ausschließlich zum Einsatz, wenn 1 russischer Soldat französischen Boden betritt. Wirtschaftspolitisch ist der Bundestag in schönster Einmütigkeit gegen die französische EWG-Konzeption. Selbst im bildungspolitischen Teil des Vertrages insistierten die Franzosen bis zum Schluß der Verhandlungen, daß in jeder deutschen Schule französisch die erste Fremdsprache sein müsse. Die Vision von de Gaulle von einem europäischen Europa kann nicht zweifelhaft sein. Er meint ein Europa unter der Hegemonie Frankreichs. Unzweideutig ist seine Aussage, daß England nicht zu Europa gehört. Er hat Europa umschrieben vom Kanal bis zum Ural. Dabei ist der Ural heute nichts anderes als ein geographischer keinesfalls ein politischer Begriff. Die Empörung Amerikas ist nüchternen, nachdenklichen ernsten Fragen gewichen. Kennedy ist sicher kein herzlicher Freund der Deutschen. Nicht zuerst wegen seiner französischen und polnischen Verwandtschaft oder wegen seines abgeschossenen Bruders. 1938 Radtour durch Deutschland in München Judenpogrom erlebt, was sein inneres Bild von Deutschland geprägt 1 Am 14. 1. 1963 erklärte der französische Staatspräsident Charles de Gaulle auf einer Pressekonferenz seine Entschlossenheit zum Aufbau einer nationalen Atomstreitmacht. Gleichzeitig kündigte er sein Veto gegen den EWG-Beitritt Großbritanniens an, was in den politischen Kreisen der Bundesrepublik und den USAwie ein Schock wirkte. Adenauer hielt sich am 21./22. 1. 1963 zu einem Staatsbesuch in Paris auf. Dort unterschrieben er und de Gaulle den „Elys e-Vertrag“ über die deutsch-französische Zusammenarbeit, d. h. die Zusammenarbeit der beiden Länder auf dem Gebiet der Außenpolitik, der Verteidigung, der Erziehung und der Jugend. Diese Beziehungen sollten durch regelmäßige Treffen auf Regierungs- und Ministerebene institutionalisiert werden; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 288, 291; und Hölscher, Krisenmanagement, 9 f.

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hat. Er gilt als ein Mann der Mitte, des Kompromisses. Er ist nicht dem starken Drängen seiner Ratgeber gefolgt, in Kuba zuzuschlagen. Seit der Beendigung der Kubakrise ist es um Berlin beruhigter geworden. Kennedy ist zunächst enttäuscht, weil wir in dieser Situation nach seiner Meinung ihm innenpolitische Schwierigkeiten geschafft haben. Von der Aufnahme Englands in die EWG konnte er sich eine Entspannung für die amerikanische Wirtschaft versprechen. Er meint, er habe durch seine Behandlung der Kubafrage uns eine Atempause in Berlin verschafft. Statt des Dankes ist die Folge ein heftiger Familienstreit in Europa. Daraus kann Rußland nur Nutzen ziehen. Dabei drängen die Russen die Amerikaner, daß Verhandlungen über Berlin geführt werden. Der Stand ist so, daß die Amerikaner nicht eher in konkrete Verhandlungen eintreten wollen, ehe Russen nicht Voraussetzungen anerkennen, also die originären Rechte Amerikas in Berlin. Der amerikanische Standpunkt ist, Sowjets haben nicht die Zeit des Aufenthaltes der Amerikaner in Berlin zu befristen. Amerika entscheidet, wie lange es hier bleibt. Erkennen Russen die von den Amerikanern vertretene Rechtsauffassung an, will Amerika mit sich reden lassen, ob es also etwa auch neben den amerikanischen noch UNOTruppen geben soll usw. Amerika will von uns keine Beteuerungen und Eide, aber es will unzweideutige Antworten. Es sagt: im Vertrag kommt Berlin vor. Keine Macht hat sich in Berlin so engagiert wie Amerika. Warum sind uns die auf Berlin bezüglichen Texte nicht vor dem Abschluß zur Kenntnis gebracht? Oder der ursprüngliche Vertragstext enthält eine NATO-Klausel. Sie ist gestrichen. Was soll es heißen, daß in einem Vertrag zweier NATO-Mächte zwar die Militärpolitik aber nicht die NATO vorkommt? Oder Frankreich will, daß wir Rüstungskäufe vorzüglich in Frankreich tätigen. Soll das heißen, daß die deutschen Rüstungskäufe in Amerika eingeschränkt werden sollen? Oder de Gaulle meint, Amerika könne nicht auf alle Zeit in Europa 400.000 Soldaten unterhalten. Hinzukommt, daß Amerika weiß, daß de Gaulle kein Vertrauen in die Vertragstreue der Amerikaner hat. Will Deutschland Frankreich helfen, Amerikaner schon möglichst bald aus Europa herauszukomplimentieren? Oder, wir Deutschen haben in den letzten Jahren bestanden auf der sogenannten Vorausstrategie, d. h. daß die Bundesregierung alsbald nach einem Angriff verteidigt wird. Frankreich hat sich immer dagegen gewehrt. Glaubt die Bundesregierung, daß Frankreich auf Grund eines bilateralen Vertrages tut, was es in der NATO verweigert hat? Nimmt die Bundesregierung das Angebot de Gaulles ernst, eine französische Division nach Bayern zu legen? Glaubt sie, daß de Gaulle nicht gewußt hat, was sich sofort herausstellte, daß Bayern diese Division garnicht unterbringen kann, weil es bis an den Rand voll liegt von amerikanischen und deutschen Divisionen? Oder, wie beurteilt die Bundesregierung Bemühungen de Gaulles um Spanien, wo bisher nur die Amerikaner sitzen, um die Schweiz, um Dänemark? Oder die Angebote de Gaulles an Luxemburg, um die sogenannten Beneluxstaaten zu entzweien?

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Regiert hier nicht ein Europakonzept, das noch niemals vom deutschen Bundestag geplant wurde? Nebenher: die deutschen Pressemeldungen, Carstens sei auf Wunsch der Amerikaner nach Washington geflogen, ist sicher falsch. Unser Botschafter Knappstein hat es auf Anordnung Schröders im NATO-Departement angeboten. Nach einer Bemerkung Kurt Schumachers gehört Psychologie ins Feuilleton. Aber anmerken doch die ein wenig süffisante Bemerkung der Amerikaner: auch solch eigenständiger, großer Alter wie Adenauer brauche offenbar einen starken Freund. Zu Lebzeiten J. F. Dulles sei es dieser gewesen und Adenauer sei mit ihm durch Dick und Dünn gegangen. An seine Stelle sei offenbar de Gaulle getreten. Wichtiger ist die Sorge, warum de Gaulle den Vertrag mit uns gemacht hat, obwohl er weiß, kein potentieller Nachfolger Adenauers im Herbst wird bereit sein, alle Nuancen Adenauers im deutschfranzösischen Verhältnis zu übernehmen. Die Amerikaner meinen, de Gaulle habe Adenauer in Wahrheit längst abgeschrieben, er wolle aber den Nachfolger binden. Er habe mit dem Vertrag die Möglichkeit, dem Nachfolger vorzuhalten, daß er gegen die Buchstaben oder den Geist des Vertrages handle. Er rechnet damit, daß seine Reise durch Deutschland 1962 sich auszahlt so, daß kein Bundeskanzler gegen die französisch-deutsche Freundschaft sein kann, so wenig ein anständiger Mensch gegen Gott, die Familie, die Liebe sein kann. Selbst wenn aber der Vertrag eine Korrektur erfahren sollte, sind bis dahin ziemlich viele Waggons über die neugestellte Weiche gefahren. Ein unmittelbarer Erfolg ist, daß der Lauf der Dinge zum Sturz Mac Millans beigetragen hat. Kommt die Labour Party an die Regierung, kann sie mindestens nicht drängen, in die EWG aufgenommen zu werden. Es ist wohl sicher, daß die Bundesregierung vom Zusammentreffen der Termine des Vertragsabschlusses und der dezidierten Absage de Gaulles an England überrascht wurde. Allein schon das Selbstbewußtsein der Amerikaner hindert, zu glauben, daß Adenauer de Gaulle umstimmen könnte, nachdem Kennedy es nicht vermochte. Aber wir sind deswegen bei den Amerikanern nicht exkulpiert. Sie sagen, de Gaulle Meinungen über uns, die NATO und Europa sind uns nicht neu. Aber ihr Deutschen habt als stärkste Kontinentalmacht in einer der kritischsten Situationen de Gaulle Schützenhilfe gewährt. Frankreich konnte die Aufnahme Englands in die EWG hindern, aber Deutschland hat den Vertrag am 21. [sic!] unterschrieben, obwohl es die Pressekonferenz de Gaulles vom 14. kannte. Hätte Staatsregierung die Unterschrift herausgeschoben, wäre der Eindruck vermieden, daß wir Komplizen von de Gaulle sind. Das Schlimmste an der Unternehmung ist, daß diese ja historisch wirklich belangvolle Verbrüderung begleitet ist von dem neu erwachten Mißtrauen in der Welt, besonders in Amerika und England, ob wir im Grunde nicht doch ein unzuverlässiger Vertragspartner sind2. 2 Die Unterzeichnung des „Elys e -Vertrages“ am 22. 1. 1963 – eine Woche nachdem de Gaulle sein

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Bei dem Gewicht, das wir der atomaren Frage in den vergangenen Jahren widmeten, [könnte es] nützlich sein, etwas genauer vorführen zu lassen, was eigentlich die neue amerikanische Konzeption von der multilateralen Atomstreitmacht bedeutet3. Für heute nur: Fontainebleau hält von der force de frappe militärisch so gut wie nichts4. Die übereinstimmende These ist: von den geplanten 50 Mirageflugzeugen kommt maximal 1 ins Ziel. Es gibt heute Raketen, die sich in Sekunden auf den Schwanz des Flugzeuges setzen und es vernichten. Sicher kann keines der Flugzeuge bis Moskau und zurück fliegen, weil der Sprit nicht reicht. Es kommen also überhaupt nur zum Tode entschlossene Piloten in Frage. Aus der Außenpolitik bemerkenswert, daß Bemühungen um Handelsmission in Warschau und Budapest diskret weiterlaufen. Leider hat sich unser Verhältnis zu Jugoslawien erneut verschlechtert. Im Wirtschaftsministerium registriert man ohne Freude den neuen, ein wenig ausgeweiteten Handelsvertrag mit Rußland. Überhaupt liegt Erhard nicht zuletzt aus handfesten Gründen gegen die Drosselung der EWG. Es scheint so, als hätten wir alle ziemlich großen Konzessionen an Frankreich in der Frage der landwirtschaftlichen Produkte umsonst gemacht. Die wirtschaftliche Expansion Frankreichs ist ohnehin unverkennbar. Während bei uns die Stahlindustrie z. T. in gekürzten Schichten arbeitet, wird französischer Stahl an der Ruhr verkauft. Zur Zone: natürlich hat man gewußt, daß der neuernannte Minister Bartsch SS-Mann war, aber man hat es mit ihm riskiert, weil man zwingend qualifizierte technische Kräfte braucht. Die jetzt stattfindenden Umorganisationen mit Verlagerung der Leitungsbefugnis sollen Leute wie Bartsch aus dem unmittelbaren Schußfeld bringen. Im übrigen hat der Parteitag im Januar gezeigt, daß Ulbricht, ausgezeichnet assistiert von jüngeren Kräften, fest im Sattel sitzt. Der mächtigste Mann ist wohl Honecker, dem die nackte Macht der Waffen, des Sicherheitsdienstes usw. untersteht. Daneben zeichnet sich das 3Gespann Matern, Verner, Hager ab. Aber das sind Dinge, die keinen Bestand zu haben brauchen. Die wirtschaftliche Kalamität ist eminent, aber ernsthaft kann natürlich nicht damit gerechnet werden, daß dies das System zu Fall bringt. Die Zone leistet sich immer noch Dinge gegen jeden wirtschaftlichen Verstand. Sie kauft Stahl und Zellulose in England. Dies muß im ZusamVeto gegen den britischen EWG-Beitritt eingelegt hatte – hatte den Eindruck entstehen lassen, Adenauer unterstütze das französische Veto; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 3, 291. 3 Der US-amerikanische Vorschlag einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) von 1963, die u. a. eine Flotte von atomar bewaffneten Kriegsschiffen unter einem gemeinsamen NATO-Kommando vorsah, hätte auch nicht-nuklearen Mächten wie der Bundesrepublik Mitsprache über den Gebrauch von Atomwaffen gestattet; vgl. Hildebrandt, Erhard, 108–111; sowie die Berichte vom 4./5. 2. 1965 (Dok. 26); 7./8. 10. 1965 (Dok. 27); und 12. 10. 1967 (Dok. 34). 4 Fontainebleau war der Sitz des NATO-Hauptquartiers der Allied Forces Central Europe (AFCENT). Hier geht es um den am 14. 1. 1963 von de Gaulle verkündeten Anspruch Frankreichs, eine eigene nationale Atomstreitmacht aufzubauen; vgl. Hildebrandt, Erhard, 108–111.

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menhang mit dem Bemühen des Ostblocks um England gesehen werden. Wer anders als der Osten sollte England seine Schiffe abkaufen! Innenpolitik. Das große Diskussionsthema: Kanzlernachfolge. Man fragt sich, ob nicht an der Behandlung dieses in einer Demokratie doch nicht übermäßig belangvollen Vorgangs, [sichtbar wird,] in welchem Maße wir eigentlich schon wieder autoritär denken. Erhard starke Einbußen wegen Kempski Interview5. Aufs Kreuz gelegt. Bisher Erhard-Krone. Adenauer will Krone. Beide eine Zeitlang ein sehr erkaltetes Verhältnis, weil Krone den entschlossenen Kampf Adenauers gegen Erhard nicht billigte. Mehr und mehr fragt man sich auch bei den Freunden Erhards, ob Adenauer am Ende nicht doch recht gehabt habe in seiner Diagnose über Erhard. Besorgnis: Erhard könnte Strauß mitbringen. Es zeichnet sich ab: Schröder, von Brentano, von Hassel. Von Brentano will wieder Außenminister werden. Gerstenmaier daneben. Vielleicht Bundespräsident? Lübke will nicht mehr, es sei denn: Situation oder Adenauer wollte es werden. Schröder will noch Erhard. Frage nicht mehr: Wahlen gewinnen mit Lokomotive Erhard, sondern der qualifizierteste Mann. Gespräch 8 Tübinger mit SPD-Parteivorstand. Kulturpolitik6.

5 Ludwig Erhard hatte in einem Interview gegenüber dem Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Hans Ulrich Kempski offen die Außenpolitik Adenauers kritisiert. Das Interview erschien am 5. 2. 1963; vgl. Erhard, Veto. 6 Das Gespräch der acht Unterzeichner des Tübinger Memorandums mit der SPD fand am 14. 2. 1962 statt; vgl. Greschat, Wahrheit, 506.

157 23 Berlin, 9. Mai 1963 EZA 742/2 Berlin, hsl. Wort des Rates1. Keine ausreichende Publizität, nicht in Dokumentation der Frankfurter Allgemeinen. Organisation bei Publikationen wichtiger als wir annahmen. Wir brüsten uns zuviel der Substanz. Aber auch beste Ware muß verkauft werden. Sehr gute Aufnahme bei Lübke, legt er Briefen bei. Adenauer an alle Botschafter, noch nachgefordert. Z. T. sehr dankbare Urteile aus dem Ausland. Katholische Kirche. Frings: 1 + 2 wörtlich zu übernehmen bereit. Im 3. Teil 2 Bemerkungen: Lage im 3. Reich nicht ausreichend bedacht und gewürdigt. Ein Volk nicht überfordern, täten es im Osten ja auch nicht. Ein Satz über die Märtyrer fehlt. Bereit, selber Stellung zu nehmen. Regina martyrum. Nacharbeit notwendig, Kreis von 20 Professoren, von denen es keiner kannte2. […] Schon im vergangenen Jahr bemerkt, daß möglicherweise Änderungen des Staatskirchenrechtes vor uns stehen. Aufgekommen im Zusammenhang mit der Frage der großen Koalition. Im Gespräch zwischen katholischer Kirche und SPD relevant. Es sollen die Dinge, die im Parlamentarischen Rat nach Meinung der katholischen Kirche falsch gelaufen sind, eine Änderung erfahren. Gedacht ist etwa an die Frage des Elternrechtes. Normalerweise Smend bitten, Sache Aufmerksamkeit zu widmen. Es sieht z. Zt. sicher nicht nach großer Koalition aus, aber nach 14 Jahren Grundgesetz prüfen, wie sich Verfassungsbestimmungen ausgewirkt haben, könnte von Nutzen sein. Aus der allgemeinen Politik Wahl von Erhard belangvoll3. Gegen ihn kein konfessionelles Argument, aber um so kräftiger Adenauers Votum: ungeeignet. Da sich Rheinischer Merkur, Süddeutsche Post usw. zum Anwalt dieser These machen, muß man mit konfessionspolitischen Auseinandersetzungen rechnen. Eine wirkliche Hilfe für Erhard war natürlich der Erfolg seiner Vermittlung beim Streik von I. G. Metall und der Aussperrung4. Erhard will 1 Gemeint ist das Wort des Rates der EKD zu den NS-Verbrecherprozessen vom 13. 3. 1963 in: Kundgebungen 2, 128–132. 2 Am 5. 5. 1963 wurde die „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933–1945 Maria Regina Martyrum“ in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte Plötzensee und des dortigen evangelischen Gemeindezentrums geweiht; vgl. Gedächtniskirche Maria Regina Martyrium (online). 3 Am 23. 4. 1963 hatte die CDU/CSU-Fraktion Ludwig Erhard gegen den Willen Adenauers zum nächsten Kanzlerkandidaten nominiert; vgl. Die Fischer Chronik Deutschland, 319. 4 Die Gewerkschaft IG Metall bestreikte vor dem Hintergrund ihrer Forderungen nach einer achtprozentigen Lohnsteigerung am 29. 4. 1963 einen Teil der metallverarbeitenden Werke in Baden-Württemberg. Im Gegenzug sperrten 800 Unternehmer ihre Arbeiter ab dem 1.5. aus. Ludwig Erhard lud daraufhin die Spitzen von IG-Metall und Metall-Arbeitgeberverband zu einem Vermittlungsgespräch ein; vgl. Millionen im Mai. In: Der Spiegel 17 (1963), Nr. 19 vom 8. 5. 1963, 19–22, 19.

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sich den Fragen der Innenpolitik zuwenden. Wir müßten rechtzeitig prüfen, ob und wie wir das Gespräch mit ihm führen wollen. Alles überlagert vom Ausgang der Wahl in Italien5. In amerikanischer Botschaft: wie eine Atombombe gewirkt. Kommunisten mehr als 1 Million Stimmen gewonnen zu Lasten der Christ Demokraten. Fanfani hat seinen schwersten Rückschlag erlitten. Die Öffnung der Mitte nach links hat nicht die erwartete Folge gehabt. Die Kommunisten sollten isoliert werden, in Wahrheit ist ihnen geholfen. Kommunisten und Sozialisten haben zum 1. x mehr als die Christ Demokraten. Für uns ist in der Beobachtung wichtig, daß die sogenannten christlichen Parteien im wachsenden Maße in Europa Rückschläge hinnehmen müssen. Liegt das nur an lokalen Ereignissen, etwa dem Zank um die Nachfolge bei uns, die Korruptheit der Administration in Italien, oder ist hier eine politische Welt auf dem Abmarsch vor der gänzlichen Säkularisation in der Politik oder vor einem Neuerstarken des Sozialismus? Oder sollte dahinter nichts anderes stecken als das Urteil des Wählers über das, was er als gute Politik ansieht? In jedem Fall hat Italien jenen Kräften Aufschwung gegeben, die jeder Aufweichung der Fronten zwischen Ost und West mit Härte widerstanden, also Adenauer, Ottaviani. Natürlich ist der Zorn auf den Papst groß, er gilt als der Hauptverantwortliche durch seine Politik und nicht zuletzt wegen seines Empfangs von Herrn Adschubei6. Noch nicht zu sehen, wie sich die Kräfte sanieren, Schwierigkeiten bis zu dem Besuch von Kennedy in Italien im Juni7. […] Für uns ist sicher am belangvollsten, was sich in Polen im Verhältnis von Staat und Kirche tut. Sicher wird in der Stille mehr über einen neuen modus verhandelt als öffentlich bekannt. Dabei ist unverkennbar, daß Polen sich mit der Kirche arrangieren will. Das wäre nicht möglich, wenn entschlossener Widerstand in Moskau wäre. Natürlich wollen Kommunisten nicht Christen werden, aber Frage, ob sie die Spannung Staat und Kirche als Störfaktor nicht friedlich ausräumen wollen8. Sicher keine unmittelbar be-

5 Die Parlamentswahlen in Italien am 28. 4. 1963 hatten mit einem Sieg der Democrazia Cristiana (38,28 %) geendet. Allerdings lag die kommunistische Partei Italiens (PCI) mit 25,26 % auf dem zweiten Platz; vgl. Parlamentswahlen (online). 6 Alexeij Iwanowitsch Adschubej war zugleich Schwiegersohn und wichtigster Berater von Nikita Chruschtschow sowie Chefredakteur der vom Präsidium des Obersten Sowjets herausgegebenen Tageszeitung „Iswestija“. Am 7. 3. 1963 empfing Papst Johannes XXIII. Adschubej und dessen Frau zu einer Privataudienz; vgl. Strothmann, Papst (online). 7 John F. Kennedy besuchte vom 23.6. bis 2. 7. 1963 Deutschland, Irland, Großbritannien und Italien. In Italien hielt er sich am 1./2. 7. 1963 auf; vgl. Europa-Archiv 18 (1963), Z 162. 8 Mit dem Regierungsantritt Władysław Gomułkas 1956 erreichte die Tauwetterperiode zwischen Kirche und Staat in Polen ihren Höhepunkt. Bald darauf kam es aber zu neuen Konflikten, die hauptsächlich auf den persönlichen Gegensatz zwischen dem Primas der katholischen Kirche in Polen und Gomułka zurückgingen. Die polnische Regierung erlaubte dennoch die Teilnahme von 25 polnischen Bischöfen am Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom; vgl. Wiaderny, Kirche, 12 f., 94; und Siedlarz, Kirche, 108, 126.

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vorstehenden dramatischen Entscheidungen, aber unsere Frage, ob dies alles auch eine Bedeutung haben könnte für die Kirchenpolitik in der Zone. Im übrigen lebt alles unter wirtschaftspolitischen Sorgen. Am ernstesten sind für uns die Landwirtschaftsfragen in Brüssel. Mokiert über den Hühnchenbrief von Kennedy an Adenauer9. Aber die Ziffern sind eindrucksvoll. 20 % der amerikanischen landwirtschaftlichen Exporte gehen an den gemeinsamen Markt, und zwar fast alles an Deutschland. Von 180 Millionen Pfund Geflügel nahmen wir 152 Millionen Pfund bis März 1962 104,5 Millionen, seit neuer Politik im gemeinsamen Markt bis März 1963 heruntergegangen auf 46,9 Millionen Pfund. Deshalb muß Kennedy aus seinem Besuch einen Erfolg machen, zumal die Partie in Laos sehr schlecht steht und Kuba für die inneramerikanische Politik nach wie vor ein politischer Fußball 1. Ranges ist. […]

9 Der amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte am 8. 6. 1962 an Bundeskanzler Adenauer geschrieben, dass sich die Verordnung des Rats der EWG über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation vom 4. 4. 1962 nachteilig auf die Volkswirtschaft der USA auswirken würde. Die Erzeuger von Geflügel in den USA betrachteten diese Bestimmungen als nicht vereinbar mit den Liberalisierungsgrundsätzen des GATT. Im sogenannten Hähnchenkrieg beschlossen die Agrarminister der EWG am 30. 5. 1963 eine Erhöhung der Einfuhrabgaben für gefrorenes amerikanisches Geflügel mit dem Zweck, die europäische Landwirtschaft zu schützen; vgl. Adenauer, Briefe 1961–1963, Nr. 92, 121, 419 f.

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24 Berlin, 19. März 1964 EZA Berlin, 742/2, hsl. Unter allen politischen Fragen keine so bewegt wie Passierscheinfrage. […] Durch die stark angenäherten außenpolitischen Vorstellungen der Parteien im Bundestag ist oft verdeckt, daß es in allen Deutschlandfragen mindestens 2 sehr starke Akzente gibt. Die Einen wollen Milderung der gegenwärtigen Situation auch um hohe, vielleicht sogar sehr hohe Preise. Die Anderen machen auf das Wesen des Gegners aufmerksam und sehen es als Anfang des Verrates an der Aufgabe der Wiedervereinigung an, wenn wir irgendwo politisch nachgeben. Unbestritten ist nur die Hierarchie der sittlichen Werte, die Freiheit Berlins hat den Vorrang vor allen menschlichen Hilfen wie der Passierscheinfrage. Ich möchte denen nicht zustimmen, die die 2. Gruppe die kältesten der kalten Krieger nennen. Man mag von ihren Gründen nicht überzeugt sein, aber die Sorge ist echt. Ohne Zweifel sind auch bedenkliche Dinge vorgekommen, von denen beide Seiten nicht sprechen. Die Postbeamten waren Leute des Staatssicherheitsdienstes und Vopos. Auf der anderen Seite ist die Flucht von 30–60 Leuten in Kofferräumen und mit falschen Pässen vorgekommen (die höheren Zahlen „mehrere Hundert“ stimmen nicht). Es sind den überbeanspruchten östlichen Beamten auch einige Dinge aus der Hand gerollt. Es ist z. B. kurze Zeit vorgekommen, daß Wagen bis Frankfurt/ Oder gefahren sind. Der von Anfang an in Bonn vorhandene Widerspruch wurde lautstark durch das Interview von von Schnitzler in der Revue1, worin er die These von Konsularbeamten vertrat. Er hat damit seiner Regierung einen Bärendienst getan. Ostberlin wollte auf der beschrittenen Bahn fortfahren, von Schnitzlers Äußerungen mußten alle schlafenden Hunde wecken und die Wachen zum Bellen veranlassen. Wie grob das Gespräch geführt wird in der Öffentlichkeit, erkennt man daraus, daß keine Rolle spielte, daß seit Jahren zahlreiche Ostberliner Beamte mit solideren Zuständigkeiten in Westberlin tätig sind, etwa bei der S-Bahn und auf den Wasserstraßen. Eine große Rolle spielt die sogenannte Aufwertung der DDR, die befürchtete Automatik der Anerkennung. Die Staatsrechtler in Bonn halten diese Fragen für äußerst belangvoll und halten sie unablässig der Regierung vor. Man kann aber auch meinen, daß die Automatik der Anerkennung als Formulierung mindestens sehr übertreibt. Ob ein Staat einen anderen anerkennt und mit ihm diplo1 Der Moderator der Sendungen „Schwarzer Kanal“ und „Treffpunkt Berlin“ im DDR-Fernsehen, Karl-Eduard von Schnitzler, hatte der bundesdeutschen Zeitschrift „Revue“ ein Interview gegeben, das am 12. 1. 1964 erschienen war. Darin hatte von Schnitzler den Mauerbau mit dem Hinweis verteidigt, die Deutschen eigneten sich nicht zu eigenen Entscheidungen, man müsse sie zu ihrem Glück zwingen. Der Abdruck des Interviews hatte bundesweit für Empörung gesorgt, da die „Revue“ Schnitzlers Äußerungen unwidersprochen übernommen hatte; vgl. Entlarvend – für wen? In: Revue vom 12. 1. 1964, H. 2.

Berlin, 19. März 1964

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matische Beziehungen aufnimmt, ist doch wohl keine Frage der Automatik, sondern ein Akt des Willens, einer Entscheidung. Viele Dinge haben in diesen Wochen zusammengewirkt. Das Gespräch zu komplizieren, bis hin zu der fatalen Auskunft von de Gaulle, die Anerkennung Pekings sei Realismus, er habe sich auf den Boden der Tatsachen gestellt2. Im Ganzen ist wohl sicher, daß Moskau an dem Passierscheinabkommen ziemlich kräftig beteiligt war. Schon das Wirrwarr der letzten Regelungen wegen Unterbrechung der Reise für 72 Stunden in der Zone machte deutlich, wie kontrovers die Auffassungen in Berlin selber sind. Als das Positivste sieht Ulbricht an, er sei mit seiner 3 Staatentheorie einen Schritt nach vorne gekommen3. Er nimmt in Kauf, daß der Wind sich gegen ihn kehren und es zu Emotionsausbrüchen in der Zone kommen kann. Aber ihm war dieser Schritt wichtig, um etwas gegen die Ohrfeigen zu tun, die er durch Schröder mit seinem Handelsabkommen in den Ostblockstaaten erlitt4. Trotz nachdrücklichsten Bemühungen haben alle diese Staaten die Formulierung vom Währungsgebiet DM hingenommen, die die Zugehörigkeit Berlins zur Bundesregierung meint. Nach wie vor ist das Interesse des Ostens an der Passierscheinfrage groß. Es gibt auch noch Verhandlungsmöglichkeiten. Sie beziehen sich vordringlich auf Genehmigung bei besonders schweren Familienereignissen. Auch die Passierscheinfrage selbst ist noch nicht erledigt. Es wäre etwa möglich, die Anträge von Westberliner Postbeamten entgegennehmen zu lassen, während sich die ostzonalen Beamten im Hintergrund hielten. Die Lieblingsvorstellung von Bonn, es solle der Verkehr so in Berlin gehandhabt werden wie zwischen Bundesrepublik und Zone, also mit Anträgen, die die normale Post befördert, hätten wegen der riesigen Menge nicht zu dem Weihnachtsergebnis geführt. Rußlands Interesse ist wohl, wie auch sonst wie beim Atomteststop und dem heißen Draht Moskau-Washington kleine Schritte zur Entspannung zu tun. Die Mauer paßt nicht in die Entspannung. Sie ist das z. Zt. größte Plakat des Stalinismus. Das für Ulbricht blamabelste auch in der Weltöffentlichkeit ist, daß er nicht erlauben kann, daß die Ostberliner auf Passierschein nach Westberlin kommen. Noch deutlicher kann man kaum machen, daß sein Staat ein Gefängnis ist. Cypern hat Bundesregierung Tage schwerster Sorge gemacht. Wenigstens sagen, woher der Widerstand bei von Hassel in Bundeswehr kam. Immer hat 2 Am 27. 1. 1964 nahm Frankreich als erstes westliches Land diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China auf, das zu diesem Zeitpunkt international noch weitgehend isoliert war; vgl. Europa-Archiv 19 (1964), Z32. 3 1958 hatte Chruschtschow im Zuge seines Berlin-Ultimatums die Drei-Staaten-Theorie formuliert. Darunter verstand er die Aufteilung Deutschlands in Bundesrepublik, DDR und einer entmilitarisierten Freien Stadt Berlin. Die Drei-Staaten-Theorie fand jedoch keine Anerkennung bei den westlichen Alliierten; vgl. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, 80 f. 4 Vermutlich spricht Kunst hier von der Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik und Bulgarien über den Waren- und Zahlungsverkehr am 6. 3. 1964 sowie die beiderseitige Einrichtung von Handelsvertretungen; vgl. AAPD 1964, Bd. I, 298.

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Regierung erklärt, Soldaten ausschließlich für Verteidigung. Jeder Unteroffizier jedem Soldaten gesagt: Verteidigung. In Cypern nicht angegriffen. Der moralische Schade nicht abzusehen5. Vorschlag: Bundestag soll ausdrücklich für diesen Fall Regierung und Offiziere aus dem Wort entlassen. Wichtiger: Engländer sollten Teile der Rheinarmee abziehen. Wir hätten dann Reserven einberufen müssen. Die Erregung wäre groß gewesen. Reserven einzurufen gilt als Mobilmachung. Die ganze Südostflanke der NATO ist unsicher geworden. Hinzukommt der Plan von Makarios, die Russen ins Spiel zu bringen. Selbst die Antikommunisten auf Cypern haben die Anrufung der Russen verlangt, wobei sie natürlich gewußt haben, was dies für eine Pression vor allem für die Türken bedeutet, in Nikosia sind Verhandlungen über ein Luftabkommen mit den Russen geführt worden, auch über militärische Hilfeleistungen. Die Sowjets sind umso mehr interessiert, seit ihnen der Stützpunkt Albanien im Mittelmeer genommen ist. Zum 1. x gelungen, in der Kulturpolitik mindestens eine breite Diskussion in Gang zu bringen. Schon das Tübinger Memorandum hatte kräftig an der Glocke geschlagen, aber ohne durchschlagenden Erfolg. Seither große Mühe daran gewandt, den Topf am Kochen zu halten. Die 4 Artikel von Dr. Picht haben den Durchbruch gebracht6. Es ist ziemlich sicher, daß Kulturpolitik zum 1. x 1965 bei einer Bundestagswahl eine Rolle spielen wird7. Selbst die Familienpolitik wird von diesem Vorstoß profitieren. Es muß den Eltern der Vorwand genommen werden, sie brauchten das Verdienst der Kinder, um die jüngeren Geschwister durchzubringen. Es ist uns viel zu wenig bewußt, welche Stellung wohl nicht die EKD, aber evangelische Männer in der Kulturpolitik haben. Raiser als Vorsitzender des Wissenschaftsrates, Vorsitzender des Verwaltungsrates war Edo Osterloh, auch sein Vertreter. Wissenschaftsminister Lenz, sein Staatssekretär, fast sein ganzes Ministerium, Hellmut Becker – Erwachsenenbildung. Der Ausschuß für Erziehung und Bildung, Mehrheit der Intendanten, darunter von Bismarck und Heß. Seit dem Stoß von K. Barth 5 Kunst spricht hier über den ersten geplanten Out-of-Area-Einsatz der Bundeswehr im Zuge des „Zypernkonflikts“ zwischen den beiden NATO-Staaten Griechenland und der Türkei. Die Bundesregierung hatte bereits zugestimmt, Soldaten im Rahmen einer Präventions-Truppe nach Zypern zu entsenden. Dies hatte sowohl in der bundesdeutschen Öffentlichkeit als auch in der Regierung selbst zu äußerst kontroversen Diskussionen geführt. Schließlich scheiterten die Pläne am zypriotischen Präsidenten Markarios, der eine deutsche Beteiligung an der NATO-Friedenstruppe ablehnte; vgl. Troche, Zypernkonflikt, 185–190. 6 Gemeint ist die viel rezipierte Artikelserie Georg Pichts in der evangelischen Wochenschrift „Christ und Welt“ im Februar 1964 unter dem Titel „Die deutsche Bildungskatastrophe“; Abdruck in: Picht, Bildungskatastrophe, 16–97. 7 Kunst hatte bereits in einem Hintergrundgespräch mit Ludwig Erhard Pichts Beitrag über die „Krise der Kulturpolitik und die Aufgabe der Kirche“, der 1963 in den Lutherischen Monatsheften erschienen war, zum Thema gemacht, woraufhin Erhard einzelne Formulierungen daraus in seine erste Regierungserklärung aufnahm. Dies betraf vor allem die Aussage, die Bildungsfrage sei für das 20. Jahrhundert von ähnlich zentraler Bedeutung wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert; vgl. Picht, Krise; und Reichelt, Gemeinwesen.

Berlin, 19. März 1964

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gegen den Kulturprotestantismus übt unsere Kirche eine wahre Arkandisziplin in kulturpolitischen Fragen. Umso bemerkenswerter ist folgender Vorgang: die Bonner Fakultät, die ja fast ausschließlich von Barth und Bultmann herkommt, hat G. Picht zu einer Diskussion eingeladen. Dabei soll es nicht um Pichts Diagnose und Vorschläge gehen, sondern um die Frage, was die theologische Antwort zum Verhältnis von Kirche und Kultur sei8. Es wäre ein wirklicher Gewinn, wenn diese Dinge bei uns in Gang kämen. Die katholische Kirche hat die Aufsätze von Picht erstaunlich dankbar aufgenommen. Sie hat sie zur Grundlage eigener Diskussionen bei weiter Zustimmung gemacht. Wir sollten prüfen, ob wir nicht mindestens eine Information für die Landeskirchen schaffen sollten. Es ist unmöglich, den ganzen Bereich von Erziehung und Bildung, geschweige die Kulturpolitik auf seine Fundamente zu prüfen und Initiativen zu suchen, ohne sorgfältige Information. Ich weiß nicht, ob Kirchenkanzlei in Hannover zusätzlich diese Arbeit leisten kann. Dilettantisch darf sie nicht getan werden. Bei uns arbeiten die Studiengemeinschaft in Heidelberg und das Comeniusstift. Stärker als bisher sollte sich Hannover als Partner für die beiden Institutionen wissen und vor allem auch den katholischen Raum beobachten. Es gibt belangvolle Kräfte in der katholischen Kirche, die sich von den von uns veranlaßten Diskussionen zu anstrengender Arbeit haben anregen lassen. Wir sollten nicht immer nur säen und zurückhaltend in der Gestaltung sein9. 4 Kriegsgefangene in Holland10. Bei Besuch von Erhard vorgebracht im Auswärtigen Amt. Regierung will, aber Parlament und Öffentlichkeit Schwierigkeiten. 1965 20 Jahre Zuchthaus. Hoffnung schon vorher auf Begnadigung. Die letzten Bemühungen vor einigen Monaten haben dahin geführt, 3 westliche Alliierte sind einig, Spandau aufzulösen. Frage, ob Sowjets mitmachen.

8 Der protestantische Intellektuelle Georg Picht und seine Mitstreiter – unter ihnen Carl-Friedrich von Weizsäcker, Ludwig Raiser, Klaus von Bismarck, Werner Heß und Hellmut Becker – übten mit ihren Schriften, etwa den „Heidelberger Thesen“ oder dem „Tübinger Memorandum“, seit Anfang der 1960er Jahre öffentlichen Einfluss aus; vgl. ebd., 292 f. 9 Picht trat für die Abkehr des deutschen Bildungsbürgers vom unpolitischen Idealismus zugunsten eines politischen Engagements in der Gesellschaft ein; vgl. ebd., 296; und Lepp, Think Tank. 10 Zum Einsatz für die im niederländischen Breda einsitzenden deutschen Kriegsverbrecher vgl. die Berichte vom 7./8. 7. 1971 (Dok. 47), Anm. 2; vom 16./17. 3. 1972 (Dok. 49), Anm. 6; und vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6. Zum Einsatz für den in Spandau einsitzenden Rudolf Heß vgl. die Berichte vom 30. 11. 1966 (Dok. 30), Anm. 2; vom 1./2. 7. 1973 (Dok. 58), Anm. 15; und vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6–9.

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25 Berlin, 27. August 19641 EZA Berlin, 742/2, hsl. Wahrscheinlich mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen, daß unsere gefangenen Brüder und Schwestern aus dem Gefängnis und Zuchthaus entlassen wurden2. Nur noch Ausweisung Scharf3. Auch sonst zahlreiche noch schwebende Verfahren abgeschlossen durch Einstellung der Verfahren. Natürlich kann Kirche nicht nur für ihre Amtsträger oder ihr besonders nahe verbundenen Glieder eintreten. Von vornherein bestand Plan, einen möglichst großen anderen Kreis einzubeziehen, Leute vom 17. 6. 1953, vor allem Fluchthelfer, nicht alle bekannt, aber 140–160. Auch die Katholiken hatten einige ihr besonders verbundenen Leute und schwebende Verfahren gegen einzelne Priester, vor allem wegen Fluchtbeihilfe. Nachdem 3 Listen von uns erledigt waren, eine große Liste mit etwa 800 Namen. Als Verhandlungsbeauftragte 2 Anwälte in Ost und West-Berlin. Dabei gebunden an den vom Osten benannten Ostanwalt – nicht Kaul. Mitgeholfen, unmittelbar bei den Kirchenleuten beteiligt von Wedel, nicht als Westanwalt. Bis Ende dieser Woche hoffen wir 400 frei zu haben. Die Transporte laufen auf die Minute. In spätestens 14 Tagen soll Aktion beendet sein. Selbstredend mußten Gegenleistungen erbracht werden. Wir haben natürlich in Bundesrepublik nicht genug Gefangene, für den Osten interessante Leute. Wir überstellen 3 unwichtige Figuren und 1 Bedeutsamere – Hof 4. Wegen des letzteren passierte eine wirkliche Panne, die zu ziemlich weittragenden Entschlüssen führen mußte. Auf ein Haar wäre die gesamte Unternehmung geplatzt. Natürlich Leistungen zu erbringen. Alle für uns wichtigen Brüder und Schwestern mit freien Mitteln von uns, kein Pfennig des Staates5. Bei der außerordentlichen Summe für Wirtschaftsleistungen konnten wir natürlich nicht antreten6, Staat, katholische 1 Dieser Lagebericht ist überschrieben mit „Vertrauliche Sitzung d. Rates“. 2 Am 14. 8. 1964 hatten im Kontext des „Häftlingsfreikaufs“ die Entlassungen von Häftlingen aus der DDR von der sogenannten Kirchenliste IIIa begonnen. Diese enthielt insgesamt 966 Namen. Im Unterschied zu den vorangehenden Häftlingsfreikäufen (Kirchenlisten I–III) wurde die hier beschriebene Aktion jedoch nicht mehr von der EKD, sondern von der Bundesrepublik verantwortet und bezahlt; vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 89–93. 3 Vgl. den Bericht vom 5./6. 4. 1962 (Dok. 20), Anm. 7. 4 Gemeint ist der Schriftsteller und Direktor des „Verlags der Nation“, Günter Hof , der 1963 auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse wegen Spionageverdachts für die DDR festgenommen worden war. Hof wurde im Rahmen eines Agentenaustausches am 24. 8. 1964 freigelassen; vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 76, 95. 5 Dies betraf den kirchlich verantworteten Häftlingsfreikauf der EKD mit den Kirchenlisten I–III. Diese beinhalteten den Freikauf von insgesamt 58 Häftlingen aus der DDR. Die Freilassungen begannen im Juni 1964 und kosteten die EKD insgesamt 1,33 Millionen DM; vgl. ebd., 90 f. 6 Damit sind vermutlich die 45 Millionen DM gemeint, die die EKD jährlich für das „Kirchengeschäft A“ ausgab. Die 1957 getroffene Vereinbarung von EKD und Bundesregierung mit dem

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Kirche, private Spender. Warenverträge durch Geißel, ausschließlich Summe genannt, für die er Waren aushandelte. Alle Gelder, also Abwicklung laufen durch ein Sonderkonto unter meinem Namen7. Ich berichte: gern werden Sie an Dank und Freude teilnehmen. Aus der Nähe den ersten Omnibus gesehen, mußte schlucken. Ruckartig versanken die Strapazen, der Ärger und die Ängste. Es war und ist die Angelegenheit nicht leicht. Aber entscheidend: im Wort bei Zone: nichts darf bekannt werden. Beinahe unmöglich. Wird heute etwas bekannt, ist die Sache aus für die restlichen 400. Springer und Spiegel wissen sehr viel, einige Journalisten haben Wind bekommen. Also möglich, daß die Sache bekannt wird8. Nach Rücksprache mit Ratsvorsitzenden der Meinung, Sie im Groben zu informieren. Ausdrücklich bitte ich nicht, nachträglich so etwas wie eine Genehmigung auszusprechen. Ich würde es sogar für zwingend halten, daß der Rat in dieser Sache nicht die geringste Haftung übernimmt, sondern die Freiheit behält, seinen Bevollmächtigten in Bonn auch öffentlich zu desavouieren. Freilich, auch keine überflüssigen Sachen. Wenn es sein muß, kann alles auf den Tisch gelegt werden, die Listen, die gestrichenen Namen, die Wirtschaftsverträge, die Nachweise über die Geldquellen. Geschrieben worden freilich ist fast nichts. Ich hielt es nur für unmöglich, bei solcher riskanten Sache dem Rat gar nichts zu sagen. Z. B. Beuster auf den Listen. Nach Recht nicht nur der DDR rite zum Tode verurteilt wegen Spionage9. 4 Tage vor Hinrichtungstermin begnadigt, nachdem Bundesregierung 3 gewichtige Leute gleicher Art übergeben hatte. Dies ohne mich. Als Begnadigter ist er von mir mit auf die Liste genommen worden. Wichtig, jeder hat das Recht gehabt, sich in den Osten oder Westen entlassen zu lassen. DDR-Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel sah vor, dass die EKD über das Diakonische Werk Rohstoffe wie Kohle, Eisen und Stahl im Westen kaufte und in die DDR lieferte, welche im Gegenzug 10 Millionen DM-Ost auf ein Konto der Kirche im Ostteil Deutschlands gutschreiben ließ. Die Bezahlung der in der DDR dringend benötigten Rohstoffe wurde indes fast zur Hälfte vom Gesamtdeutschen Ministerium getragen; vgl. ebd., 89; und Boyens, Gegner, 380–385. Zur genaueren Aufteilung des Geldes für kirchliche Belange in der DDR vgl. den Bericht Kunsts zum „Kirchlichen Hilfsplan“ vom 16. 2. 1965 mit den anliegenden Aufschlüsselungen für die Jahre 1965, 1966 und 1967 (EZA, 742/2); sowie die Berichte vom 23./24. 5. 1957 (Dok. 9), Anm. 9; und vom 30.3.–1. 4. 1960 (Dok. 14), Anm. 8. 7 Zu den Anfängen des „Kirchengeschäftes B“, dem Freikauf von Häftlingen der DDR, der so wie das „Kirchengeschäft A“ über das Diakonische Werk abgewickelt wurde, vgl. Boyens, Gegner, 395 f. 8 Tatsächlich gelangten erste Berichte über die Freilassung der Häftlinge und den Agentenaustausch am Tag der Ratssitzung an die Öffentlichkeit und führten bis in den Herbst hinein zu öffentlichen Debatten, die den Fortgang der Verhandlungen mit der DDR gefährdeten. In der Folge wurden die Verhandlungen ausschließlich über die beiden Kirchen geführt. Dabei hielt sich die Bundesregierung im Hintergrund, finanzierte jedoch weiterhin die Aktionen; vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 101–103. 9 Über den in der DDR zum Tode verurteilten V–Mann des BND, Heinz Beuster, der am 27. 8. 1964 im Rahmen des Agentenaustausches aus der Haft entlassen wurde, jedoch freiwillig in der DDR blieb vgl. Pötzl, Spione, 161; und Heidenreich, DDR-Spionage, 520.

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Natürlich Mehrheit in den Westen, aber auch erstaunlich viele Akademiker wollten in Zone bleiben. In jedem Falle muß ich damit rechnen, daß eine vollständige Diskretion bei Ihnen, – Sie sind offizielle Leute – bleibt. Sie muß auch bleiben nach der Abwicklung der Sache. Die Zone hat das ganze Geschäft mit geradezu spießbürgerlicher Akkuratesse abgewickelt wie in der Nacht vom 19.–20.6.41 noch die Waggons von Tallinn nach Deutschland gelaufen sind10. Mein Hauptgrund ist: ich will versuchen, noch einige andere Humana sofort im Anschluß zu regeln, die in der Not ganz sicher nicht geringer sind als die der Gefangenen. Die Sache ist von vornherein aussichtslos, wenn irgendwo eine ungute Publizität entsteht.

10 Vermutlich nimmt Kunst hier Bezug auf die „Umsiedlung“ von sogenannten Volksdeutschen aus dem zu diesem Zeitpunkt unter sowjetischer Herrschaft stehenden Estland ins Deutsche Reich. Die „Umsiedlungen“ waren vertraglich im „Nicht-Angriffs-Pakt“ zwischen der Sowjetunion und Deutschland im August 1939 festgelegt worden und wurden bis kurz vor dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion – und damit auch auf das Baltikum – am 22. 6. 1941 durchgeführt; vgl. Umsiedlung (online).

167 26 Berlin, 4./5. Februar 1965 EZA Berlin, 742/2, hsl. […] Die Deutschlandpolitik in schwere Bedrängnis geraten. Berichtet über die Gründe, die Regierung zurückhaltend sein lassen in der Frage der diplomatischen Anerkennung Israels. Schon angedeutet, der dunkelste Punkt die Waffenlieferungen an Israel, über deren Ausmaß auch Regierung heute noch schweigt. Ein Teil des Zornes gegen Schröder hier seinen Grund. Auf das bestimmteste Forderung Israels abgelehnt. Darauf sich Israel an Amerika gewandt. 2 x McGhee bei Schröder vorstellig geworden. Auf Frage: warum hilft Amerika nicht: mit Rücksicht auf arabische Staaten. Schröder hat beide Mal entschieden abgelehnt. Dann Amerika solchen Druck auf Regierung, daß geliefert werden mußte, wenn auch mit umfassender Tarnung, die natürlich nur noch bei der umfassenden Spionage eine kurze Zeit halten wird. Natürlich Hohnlachen in der Regierung bei der amerikanischen Darstellung vom Wochenende: Amerika habe gewußt und Zustimmung gegeben. Überlegung in Regierung war Sonnabend: Lieferungen abbrechen oder auslaufen lassen, um Nasser zu beruhigen, wobei ja klar ist, wer jeweils für einen der beiden Standpunkte war (Schröder Abbruch). Überholt. Nur Versionen, warum Nasser Ulbricht eingeladen hat. Sicher spielt wohl ein massiver Druck von Rußland die entscheidende Rolle. Die wirtschaftliche Lage Ägyptens ist so miserabel, daß er zwingend auf die außerordentliche Hilfe Rußlands angewiesen ist. Angenommen wird, daß Ulbricht bei dem letzten Treffen in Warschau heftig Klage geführt hat, daß sich die neuen Handelsbeziehungen der übrigen Satelliten zur Bundesrepublik, Frankreich, England usw. als Isolierung gegen die DDR auswirkten. Darauf sollen die Russen etwas besonderes für ihn getan und eben ihm die Einladung Nassers verschafft haben. Ich sehe nicht, daß sich dies anders als eine Verhärtung auswirken kann, daß die Entschlossenheit also, mit Ägypten zu brechen, groß ist. Konsekution noch nicht zu übersehen. Erhard – Ostblock: Thema soll nicht Versöhnung, sondern Waffenlieferungen sein1. MLF ohne Chance. Nur sehen, die Gründe, die mit ihr gemeint waren, sind nicht erledigt. Sie werden in der politischen Diskussion bleiben. Es zeichnet sich noch keine Lösung ab, der englische Vorschlag wird mit Sicherheit von der Bundesregierung nicht angenommen werden. Es geht um den Proporz an der Beteiligung der atomaren Macht. Nach wie vor besteht Einmütigkeit in der Regierung, kein Finger am Abzugshahn, aber die Frage der Sicherheit wird 1 Zu den innenpolitischen Spannungen um bundesdeutsche Waffenlieferungen an Israel und die damit verbundene Furcht, Ägypten könne deshalb die DDR diplomatisch anerkennen vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 114.

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angemeldet bleiben. Unmittelbar verbunden ist das Problem, das politisch mindestens so wichtig ist wie das der Sicherheit, nämlich der Rang, den die Bundesrepublik unter den Nationen haben soll. Immer wieder gemerkt, wie teuer die Regierung die gegenwärtigen Abhängigkeitsverhältnisse bezahlen muß. Ohne die 4 Großmächte gibt es keine Lösung der deutschen Frage. Man kann sagen: 2 Weltmächte, Mächte im 2. Rang Frankreich und England. Bundesrepublik will nicht im 4. Rang sein, weil es [sic!] befürchtet, daß es [sic!] dann in zahlreichen Bereichen so etwas wie eine weisungsgebundene Macht wird. Aus der letzten Zeit: Embargo bei Lieferung der [***] nach Rußland, Chinahandel, Getreidepreis, in den nächsten 6 Wochen die Regelung des übrigen landwirtschaftlichen Sektors. Muß Bundesrepublik auf die Dauer, vor allem in Krisenzeiten außen- und wirtschaftspolitisch in verheerende Lage bringen. Deshalb mindestens 3. Rang. Außenpolitik heute weltpolitisch so mit der Militärpolitik gekoppelt, daß Bundesrepublik mindestens an der Beratung über die atomaren Waffen, nicht an der Entscheidung über den Einsatz beteiligt sein will. Natürlich kann Regierung dies nicht offen sagen2.

2 Zum MLF vgl. den Bericht vom 28. 2. 1963 (Dok. 22), Anm. 3.

169 27 Berlin, 7./8. Oktober 1965 EZA Berlin, 742/2, hsl. Alle, die Ausgang der Bundestagswahl richtig vorausgesagt haben, traf man erst nach der Wahl1. Sicher ist wohl, daß in ziemlicher Breite die Intelligenz SPD gewählt hat. Ich betreibe keine Wahlanalyse, nur hat außer Erhard kein Mensch in der Führung der CDU mit solchem Ergebnis gerechnet. Die Leistungen der Regierung von 61–65 waren nicht von einer Weise, daß man auch nur schon mit der Erhaltung der bisherigen Mandatszahl rechnen konnte. Die ständigen Auseinandersetzungen sachlicher und persönlicher Art, dazu in einer menschlich unangenehmen Weise, die mangelnde Kraft, die anstehenden Sozialreformen durchzusetzen, vor allem der Ausfall einer erkennbaren Führungskraft ließen neben vielen anderen Dingen erwarten, daß die CDU mindestens keinen Sieg erringen würde. Von dieser Diagnose her hatten Führungskräfte der CDU längst vor der Wahl die Weichen gestellt, um Erhard abzulösen. Je näher die Wahl kam, desto größer wurde der Kreis der Anhänger einer großen Koalition. Von daher muß [man] den Brief des Bundespräsidenten an die Parteiführer für die Wahlnacht verstehen. Er war der Anführer gegen Erhard. Der Souverän hat erstaunlich gezielt gewählt. CDU kann nicht allein, auch SPD und FDP nicht gemeinsam, große Koalition war offenkundig gegen den Wählerwillen, bleibt nur der bisherige Zustand. Weil Plan gegen Erhard nicht geriet, richtete sich der Stoß sofort nach der Wahl mit voller Kraft gegen Schröder. Es sind dezidiert gegen ihn Lübke, Adenauer, Strauß, Gerstenmaier, Guttenberg. Die Gründe sind mannigfach. Es ist sehr schwer, etwa Lübkes Einwände anders als emotionelle Reaktionen zu begreifen. 2 Stunden mit ihm. Einziger wirklicher Grund: er will die Depeschen der Botschafter haben. Sein Kandidat ist Kiesinger. Mein Beitrag: nach der Pressekonferenz Westrick gesprochen. Kiesinger: er habe ein Konzept, stimmen Kanzler und Koalition zu, sei er bereit, die Regierung zu übernehmen. Er könne nicht, wenn nur Personen ausgewechselt werden sollten, politisch programmatische Neuformierung der Außenpolitik. Ich: EKD hat immer höchstes Interesse an Außenpolitik genommen, muß es wegen der Zone, das Recht nie bestritten, von Regierung und den Parteien nicht. Uns können auch Akzente nicht gleichgültig sein etwa im Blick auf aktive Ostpolitik und auch Europapolitik. Kanzler uns immer gesagt: Schröders Außenpolitik sei die seinige. Aufklärung erbeten. Westrick jede Änderung bestritten. Dann, deutlich abgesetzt, informiert. Wir greifen nicht in das Recht des Kanzlers ein, das Kabinett zu bilden. Aber Botschafter muß informieren. Die eingegangenen Proteste weitergege1 Die von Ludwig Erhard geführte Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP hatte die Bundestagswahlen am 19. 9. 1965 klar für sich entschieden; vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 142 f., 474.

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ben, ausdrücklich gesagt, ich identifiziere mich nicht mit allem, aber weitersagen. [***] Wiedergutmachungsfragen etwa in Holland. Ich tue dies auch bei der Sozialpolitik. Unabhängig davon bleibt offizielle Stellungnahme der Kirche. Gerstenmaier: ich hätte die Mottenkiste des überholten Proporzdenkens vorgezeigt. Norddeutschland hätte nicht aus evangelischem Bewußtsein CDU gewählt, sondern eine gänzlich saekularisierte Landschaft habe sich für die nach ihrer Meinung bessere Politik entschieden. Ich: warum diese Gesichtspunkte denn nicht auch bei der Kandidatenaufstellung eine Rolle gespielt hätten. Die CDU-Fraktion sei zwar gewachsen, aber die evangelischen Abgeordneten seien 5 weniger. Sicher ist doch, daß der Wählerwille irgendwo seine Repräsentanz finden müsse, bei den Abgeordneten und der Regierung. Es komme darauf an, welcher Kreis von einer Partei angesprochen werde. Es sei doch keine SPD-Regierung denkbar ohne kräftige Beteiligung von Männern aus den Gewerkschaften. Das Eindrucksvollste war das Gespräch mit Adenauer: Unser Verhältnis zu Frankreich sei zerbrochen, wir stünden ohne Freunde in der Welt. Amerika und Rußland hätten sich arrangiert. Rußland nähme auf Amerika Rücksicht in Vietnam, der Preis sei die Erhaltung des status quo in Deutschland. Frankreich suche Verbindung mit Polen und Rußland nähme uns auf klassische Weise in die Zange. Frankreich, England und Rußland wollten uns gemeinsam von der politischen Waffe wie dem MLF fernhalten. Natürlich erkenne uns Frankreich nicht als gleichberechtigt an, aber wir seien so sehr auf Frankreich angewiesen, daß wir dies eine geraume Zeit hinnehmen müßten. Ich lasse bei Seite die Sachdiskussion um seine Behauptungen, die ja so sicher nicht stimmen. Wie groß das Dilemma Rußlands in Asien ist, wurde ja schlagartig deutlich an seiner Parteinahme für Indien und dies im Gleichklang mit Amerika. Einrede: Erhard müsse dann weg. Ja, geht nicht. Was verspricht sich Adenauer von neuem Außenminister? Es geht doch um Sachfragen. Herr Schröder paßt ihm deshalb nicht, weil er Gleichberechtigung will. Adenauer: wenig Chance für einen neuen Mann, aber: de Gaulle ist nachtragend. Adenauer weiter: die holländische Königin nahm Luns als Außenminister, der mit dem größten Handelspartner nichts im Sinn hat. Ich denke, Schröder wird bleiben. Aber Widerstand Lübke wegen Unterschrift. Seine Meinung: Heuß hat Grundgesetz nicht ausgeschöpft. Politisch muß Einfluß des Präsidenten stärker sein. Chance der Juristen, ihm die Sache auszureden2. Wir einige Interessen: vor allem Außenpolitik, Bildungspolitik, Prioritäten feststellen. Justiz: politisches Strafrecht novellieren. Sollte auch Strafgesetzbuchnovellierung zu Ende gebracht werden, entsprechender Minister, aber kein Fanatiker. Nicht sehr abstellen auf Einzeldinge wie Familienpolitik, vielleicht wieder allgemein: eine Frau ins Kabinett. Alles noch im Fluß. Blank? Schwarzhaupt? Mende nicht mehr gesamtdeutscher Minister. […] 2 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern einer Großen Koalition von CDU/CSU und SPD nach den Bundestagswahlen am 19. 9. 1965 vgl. ebd., 142–153.

171 28 Berlin, 26./27. Mai 1966 EZA Berlin, 742/2, hsl. Keine Partei hat sich mit unserer Denkschrift zur Vertriebenenfrage1 solche Mühe gemacht wie die SPD. Ihnen ist die ausführliche Stellungnahme, die Anfang Mai einstimmig von der Bundestagsfraktion beschlossen wurde, bekannt2. Sie nimmt nicht nur die Aufrufe, die Gemeinschaft zwischen Einheimischen und Vertriebenen zu fördern, auf, sie votiert vor allem klar in der Frage der Versöhnung mit dem polnischen Volk. Bei den heftigen Auseinandersetzungen, die es wegen der Denkschrift auch in der SPD gab, kann man nur Respekt vor den Führungskräften dieser Partei haben, die diesen Beschluß durchgesetzt haben. Den Dank nicht versäumen. Die Friedensnote von März hat kein hoffnungsvoll stimmendes Echo gefunden, aber man sollte ihren Wert für die innerdeutsche Diskussion nicht unterschätzen. Sie bleibt eine Absage an die Starrheit der Fronten und muß mit den mühseligen Schritten zum Osten hin verstanden werden. Schröder sieht die Stunde noch nicht gekommen, um auch nur schon in der Regierung zu erörtern, wie weit man bei einer umfassenden Friedensregelung gehen könnte. Er meint, solange sich nicht äußern zu sollen, als keinerlei Chance für das Junktim zwischen Neuregelung der Grenzen, Rüstungs- und Bündnispolitik, Entschädigungen und der Wiedervereinigung gegeben ist3. Friedensnote in den Hintergrund durch Diskussion um Briefwechsel zwischen SED und SPD4. Es besteht bei zahlreichen Männern der Regierung und vor allem bei den Diplomaten Übereinstimmung in der Meinung, daß der 1 Vgl. Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn. 2 Die SPD-Fraktion hatte auf ihrer Sitzung am 3. 5. 1966 beschlossen, Punkt 1–6 der „Schriftlichen Unterlage für die Bundestagsfraktion über das Ergebnis der Diskussion im Arbeitskreis betr. die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ vom 26. 4. 1966 zu veröffentlichen. Am 4. 5. 1966 war diese Stellungnahme der Presse übergeben worden; vgl. Fraktionssitzung vom 3. 5. 1966, 868; und Dokumente zur Deutschlandpolitik IV. Reihe, Bd. 1/2, 637 f. 3 Dieser Abschnitt bezieht sich auf die „Friedensnote“ der Regierung Erhard, die am 25. 3. 1966 allen Staaten überreicht wurde, mit denen Bonn diplomatische Beziehungen unterhielt. Darüber hinaus richtete sich die Friedensnote auch an die Ostblockstaaten mit Ausnahme der DDR und der arabischen Staaten. In ihrer Note erklärte die Bundesregierung, dem Sicherheitsbedürfnis der ostmittel- und südosteuropäischen Staaten durch Vereinbarungen über einen Gewaltverzicht und über die Nichtverbreitung von Atomwaffen Rechnung tragen zu wollen. Auch deutete sie ihre Bereitschaft für eine Regelung der strittigen Grenzfragen mit der Tschechoslowakei an; vgl. Hildebrand, Bd. 4, Erhard, 188 f. 4 Der SPD-Parteivorstand hatte am 18. 3. 1966 auf einen offenen Brief der SED an die SPD-Delegierten des im Juni 1966 stattfindenden Parteitages in Dortmund geantwortet. Dies führte zu einem gemeinsamen Kommuniqu von SPD und SED über die Gestaltung eines Redneraustausches, der allerdings am 29. 6. 1966 von der SED abgesagt wurde; vgl. ebd., 197.

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Vorschlag zu dieser Diskussion vom Kreml ausgegangen ist. Diese Überzeugung stützt sich vor allem darauf, was die Regierungen meinen beobachtet zu haben bei den zahlreichen Besuchen von russischen Regierungsmitgliedern im Ausland. Immer ist in den mannigfachen Gesprächen die Mauer vorgekommen, die Unmöglichkeit, zu einer dauerhaften Friedensregelung zu kommen ohne die Bereinigung der deutschen Frage. Man sieht es als ein Vorteil für die Russen an, wenn sie antworten können, sie sprechen schon miteinander. Umgekehrt ist es die Besorgnis der Regierung, unsere Botschafter könnten in Zukunft schwerer die deutsche Frage vor allem bei den jungen Völkern erläutern können. „So schlimm kann es doch nicht sein.“ Sicher hat sich die SPD im eigenen Kreis nicht leicht getan, aber sie hat die Auseinandersetzung, sehe ich recht, gänzlich intra muros halten können. Vollständig anders ist Reaktion bei der CDU. Entschieden dagegen Adenauer, Gerstenmaier. Schade größer als möglicher Gewinn. Sprecht mit Moskau. Erhard emotional dagegen. Gradl: muß sein, aber zurückhaltend wie Benda. Schröder von Anfang an mit Entschiedenheit dafür unter dem Gesichtspunkt klarer Konfrontation, die ihm bei Wehner, besonders aber bei Erler klar verbürgt zu sein scheint. Ich meinte, im Sinne des Rates zu handeln, wenn ich klar für die Sache eintrat. Traut man der Sache der Freiheit und des Rechts, muß jede verständige Chance zur Werbung genutzt werden. Außerdem: sollen wirklich die Fronten aufgelockert werden, was alle vorgeben zu wollen, muß dies in Zukunft von ganz anderen Risiken begleitet sein. Vor allem: wir müssen bei unserer Entscheidung, Bevölkerung der Zone bei uns haben, bleiben. Mindestens liegt in diesem Redneraustausch eine Chance, in der Zone eine Grundwelle in Bewegung zu setzen. Aus der Zone: es kann in einer Gruppe am Alexanderplatz über den Schießbefehl diskutiert werden. Noch vor 3 Monaten: 2 Jahre Zuchthaus. In Fürstenwalde großer Baubetrieb, gekürzte SPD-Rede am schwarzen Brett, am nächsten Morgen vervollständigte Rede. Leute gefaßt. Generalstaatsanwalt hat Haftbefehl abgelehnt. Ziel nicht neuer 17. Juni. Aber auch im Westen wird mehr zur politischen Klarheit und Willensbildung beigetragen als durch ein Jahr staatsbürgerliche Erziehung. Die Themen bieten sich an. Man wird vom Osten die These erwarten müssen, daß erst die sozialistische Gesellschaft den Frieden ermöglichen und verwirklichen kann. Wahrscheinlich werden sie den Protest gegen die Notstandsgesetzgebung vorbringen, zumal sie damit die SPD nach der letzten Bundestagung des DGB in Verlegenheit bringen können. Aber sicher wird die SPD zur Antwort einige Sätze aus dem permanenten Notstandsrecht der DDR vorlesen. Am schwierigsten möchte die Frage sein, was es mit dem Streben nach dem Mitbesitz oder der Mitverantwortung für atomare Waffen in Bundesrepublik auf sich hat5. 5 Kunst erörtert hier die von der SPD seit 1966 betriebenen Kontaktgespräche von SPD und SED, mit der die SPD – unter dem Einfluss des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Brandt – ihre Bereitschaft für eine „mobile Deutschlandpolitik“ demonstrierte. Mit den Konzessionen an die

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Wenig beachtet 2 Widerstände. Im Westen einige tausend Männer und Frauen, die in den Zuchthäusern der Zone gesessen haben. Von ihnen kommen reihenweise die heftigsten Fragen. Sie berichten, was sie als Märtyrer für die Freiheit in 18 Jahren Zuchthaus in der Zone erlitten. Die gleichen Männer, die dafür die Verantwortung trugen, säßen am Verhandlungstisch mit diesen Verbrechern. Dies sei eine sittliche Aufwertung, die wichtiger sei als eine diplomatische. Was immer die Westdeutschen sagten, es säßen die Vertreter der deutschen Arbeiterschaft, der größten deutschen Partei pari passu am Tisch mit diesen Verbrechern. Der andere Widerspruch kommt von einer vollständig anderen Seite. Wir seien damit in der Bundesrepublik beschäftigt, mehr als 700 Prozesse gegen Helfershelfer Hitlers abrollen zu lassen. Wir forschten mit wissenschaftlicher Akribie und wie mit Spürhunden nach Schuldigen. Gleichzeitig erlaubten wir, daß Leute, die ohne jeden Zweifel die unmittelbare Verantwortung für den Schießbefehl und für alle Greuel in den letzten 20 Jahren in den Zuchthäusern trugen, als freie Männer über alle deutschen Sender die Theorie der Knechtschaft vertreten könnten. Es ist nicht einfach, in diesem ganzen Dschungel der echten und Scheinargumente die richtige Hierarchie der ethischen Werte zu finden. Die alles z. Zt. beherrschende Frage ist Frankreich6. Die Informationen der Frankfurter Allgemeinen etwa recht genau. Will man recht verstehen, sehen, daß Schröder und Barzel das in der Regierungsführung wahrnehmen, was Erhard fehlt. Auch die entschiedensten Gegner von Schröder in der Regierung bestreiten nicht, daß Schröder im Kabinett die dominierende Rolle spielt, auch in den Fragen der Innenpolitik, etwa der Notstandsgesetzgebung, die besten Argumente hat und von politischer Kraft ist. Von Anfang an 2 Gruppen: die einen wollten eine politische Lösung mit Frankreich, also Verhandlungen ohne Notenwechsel, die anderen insistierten auf Rechtsfragen. Über sie herrscht keine Einmütigkeit. Schröder hat sich sozusagen rechts und links abgesichert und traut den Bataillonen für seine Politik bei Kühlmann-Stumm und Erler. Ohne Zweifel der härteste Part bei seinen politischen Freunden. Seit Wochen mit größerer Sorgfalt als im Herbst vorigen Jahres seine Ablösung vorbereitet. Noch liegt die Entscheidung darüber bei Erhard. Schröder hat sich der amerikanischen und englischen Unterstützung für seine Politik versichert. Ein wirklicher Wandel seit etwa 14 Tagen durch Amerikaner. McCloy bei seinem Besuch noch gesagt: was kümmert ihr euch um Frankreich? Dean Acheson ist noch weitergegangen, und die echte Beteiligung der Bundesregierung an den atomaren Waffen für richtig gehalten. Jetzt gibt Amerika zu erkennen, besser, wenn de Gaulle und Erhard miteinander sprechen. Man kann natürlich auch annehmen, daß Schröder durch seine Entscheidungen bisher nur eine starke Ausgangsstellung wollte. Aber ich kann nach einem DDR beabsichtigte man, ein geordnetes Nebeneinander und eine Atmosphäre der Entspannung zu erreichen; vgl. ebd., 196 f. 6 Im März 1966 war Frankreich aus der NATO ausgetreten; vgl. ebd., 173.

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langen Gespräch mit ihm in der vergangenen Woche nicht glauben, daß er sein bisheriges Taktieren nur methodisch gemeint hat. Die Positionen sind etwa: Frankreich wird immer das Schlechteste für die Deutschen tun. Es wird nur das Schlechte unterlassen, an dem wir es hindern, es zu tun. Auch die andere Gruppe sagt: es ist furchtbar, was de Gaulle jetzt tut. Aber wir müssen über ihn hinaus denken und handeln. Diese bisherige Verteidigungspolitik läßt sich nicht halten ohne Frankreich. Tatsächlich sind wir nur auf dem Papier in einigen Fragen mit Frankreich gleichberechtigt. Auf keinen Fall dürfen wir uns dem Vorschlag Ball fügen, der Deutschland zur Speerspitze gegen Frankreich machen will. Die Franzosen müssen bleiben. Wie immer die rechtlichen Regelungen sein werden, für die französischen Truppen auf deutschem Boden gilt das Gleiche wie von den amerikanischen. Die französische militärische Präsenz in Deutschland heißt im Verteidigungsfall das sofortige Engagement Frankreichs, ob integriert oder nicht. In jedem Fall Lage für Schröder schwierig. Aber er ist sicher nicht bereit, sofort zu kapitulieren. Er verweist darauf, daß er durch Festigkeit und zähe Geduld Frankreich am Ende auch wieder an den Verhandlungstisch der EWG gebracht hat. Wahrscheinlich ist aber in der Frage der französischen Truppen auf deutschem Boden für uns wichtiger als für Frankreich: Weißbuch der Regierung. Bemühung der Regierung und Verbündeten um Einheit Deutschlands 1945–1966. […]

175 29 Berlin, 6./7. Oktober 1966 EZA Berlin, 742/2, hsl. Von Belang in diesen Wochen die Auseinandersetzungen in der Bundeswehr. Man begreift sie nicht ohne Erinnerung an die vergangenen 10 Jahre. Gewollt hat niemand die Bundeswehr. Alle lieber wie bis 1956 mehr als 40 % des Etats für Besatzungsmacht gezahlt als eigene Armee. Entsprechend war die Wehrverfassung, retrospektiv wie vieles nach 1945. Die Gestalt von Seeckt eine große Rolle. Tiefes Mißtrauen gegen Soldaten überhaupt. Der Einfluß der Zivilisten nach Meinung der Soldaten zu groß, von den Personalien bis Einfluß auf Verwaltung. Besonders ausgewirkt auf strategische Überlegungen und Rüstungspolitik. Z. B. Senkrechtstarter mit Frankreich entwickelt. Am klarsten unter Strauß, von Hassel wesentlich entgegenkommender. […] Die Vorgänge Kanzler deshalb so unangenehm, weil er allgemein in großen Schwierigkeiten fast bishin zum Abschiedsgesuch von Westrick. Es ist schwer zu beschreiben, welch ein Maß von Wirbel in diesen Wochen in Bonn war. Es ist nicht mein Eindruck, daß es vor allem Richtungskämpfe sind, die die CDU so selbstmörderisch handeln ließ. Jeder hat 1963 in der CDU-Fraktion gewußt, daß Erhard einen anderen Regierungsstil hat als Adenauer. Es hat sich seither nichts am Persönlichkeitsbild Erhards herausgestellt, was man 1963 nicht wußte. Man hat alles im Blick auf die Wahlen 1965 getan, um ihn zum Kanzler zu machen, und an dem Tage, an dem er es wurde, begann man, ihn madig zu machen und zu versuchen, ihn aus dem Amt zu bringen. Trotz des Beschlusses der CDU-Fraktion: er bleibt Kanzler, sieht ihn die Mehrheit als sinkendes Schiff1. Es gibt nicht wenige Katholiken, die meinen: sein Nachfolger muß evangelisch sein. Nach einem in der Welt anerkannten Katholiken als Kanzler darf der evangelische Nachfolger nicht als ein gescheiterter, unzulänglich empfundener Mann gehen. Dies würde in evangelischer Bevölkerung sicher die Meinung erzeugen: die Katholiken haben den evangelischen Erhard zur Strecke gebracht. Die CDU ist gehemmt auch, weil sie Erhard im März noch zum Parteivorsitzenden gemacht hat. Die heftigsten Widersacher gegen ihn sind Katholiken. Am schwierigsten ist die offene Feindschaft zwischen Schröder und Gerstenmaier. Ich halte das, was Gerstenmaier zu seinem Interview gesagt hat, er strebe das Kanzleramt nicht an, für richtig. Sicher ist aber wohl auch, daß er sich bei einer Berufung nicht versagen würde. Für sicher halte ich auch, daß Adenauer nicht einen Augenblick seinen Vorschlag für Gerstenmaier ernst gemeint hat. Er will nur Erhard und Schröder beseitigen. Jedenfalls ist Erhards stärkstes Pferd z. Zt. die Zerstrittenheit der po1 Am 2. 11. 1966 erklärte sich Bundeskanzler Erhard auf Druck der CDU/CSU-Fraktion zum Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers bereit. Am 30. 11. 1966 trat er zurück; vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 226–231.

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tentiellen Nachfolger. Ob man unter solchen Umständen noch belangvolle politische Entscheidungen erwarten kann, ist wenig wahrscheinlich. Die eigentliche Entscheidung wird wohl erst im nächsten Jahr fallen. Am schlimmsten muß sich das auswirken in der Deutschlandpolitik. Ob es durch einen Beitrag der Bundesregierung eine neue Chance geben kann, ist sicher zweifelhaft. Aber die gegenwärtige Praxis ist von einer Art, daß ich nicht glauben kann, daß die Zeit für uns arbeitet. Es muß z. B. wahrscheinlich sehr schnell entschieden werden, welche Wirtschafts- und Kreditpolitik wir mit der Zone betreiben wollen. Der schwerste Hemmschuh dafür war bis jetzt Westrick. Im Grunde hatte er eine Meinung über den Kommunismus, wie er bei uns bis 1955 handelsüblich war. Es war beinahe aussichtslos, ihn durch Darstellung der Verhältnisse in der Zone, wie sie jetzt sind, zu einer Konsequenz zu nötigen. Ob dies in Zukunft im Palais Schaumburg anders wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Erhard spricht auch am liebsten und mit innerer Überzeugung von der Zone unter kriminellen Kategorien. Das ist ebenso richtig wie falsch. Ziemlich sicher hält er die Investition von Geld für subversive Kräfte in der Zone für richtiger angelegt als in Krediten, um die Regierung der DDR die sie seit Monaten drückenden Schulden der Russen vom Halse zu schaffen. In diesem Zusammenhang Passierscheinfragen, begrenzte Wiederöffnung der Stelle für Härtefragen. Daß die Zone für fast alle sehr überraschend tätig wurde und an Brandt schrieb, ist wohl nur daraus zu erklären, daß in keinem Fall allein auf der Schiene Kohl-Korber gearbeitet wird. Ob sich heute die Delegationen bei dem äußerst geringen Verhandlungsspielraum einigen, ist noch nicht sicher. Im Grunde will die Bundesrepublik nur eine Vokabel ändern, ein „die“ in „unsere“ verändern. Die Regierung vermutet als Grund für das Einlenken der DDR in diesem Augenblick ein doppeltes: 1. es wäre denkbar, daß der neue russische Botschafter in Bonn Zarapkin seiner Regierung gesagt hat, der terminliche Zusammenfall von der Schließung der Stelle für Härtefälle und sein Amtsantritt bedeute für ihn ein miserables Entr e. Man vermutet außerdem, daß die russische Regierung Ulbricht gesagt hat, sein Antrag, von der UNO durch die Entsendung eines Botschafters behandelt zu werden wie die Bundesrepublik, werde bei vielen Staaten dadurch blockiert, daß die Bundesrepublik darauf hinweisen könne, daß Kinder in Westberlin nicht einmal ihre sterbende Mutter in Ostberlin besuchen könnten. U. N., je nach Ausgang der Verhandlungen heute, morgen ein Wort im Kommuniqu . Ich selber z. Zt. fast nur gute Erfahrungen mit Bemühungen um politische Häftlinge, Familienzusammenführung und Herausgabe von Kindern. Hoffentlich passiert nicht noch ein Unglück mit der Presse und dem Fernsehen2. Die Amerikareise von Erhard ist in aller Breite diskutiert. Sicher war die Regierung nicht glücklich über die Härte der Amerikaner. Man sieht den Erfolg darin, daß man den Amerikanern klar gemacht hat: müssen wir schon 2 Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 176–185.

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den Vertrag bis 30.6.67 erfüllen, kommt keine Neuauflage dieses Vertrages3. Sollten die Amerikaner daraus die Konsequenz ziehen, einen Teil der Truppen abzuziehen, müßte natürlich für Ersatz gesorgt werden. Bis jetzt ist nicht zu sehen, wie das geschehen soll. Das Aufstellen neuer deutscher Divisionen ist nach vielen Seiten ein schwer vorstellbarer Vorgang. Gänzlich unbestritten ist in der Bundesrepublik, daß die Sicherheitspolitik auch heute noch eine starke militärische Komponente hat. Nachfolger W. Wissing – Weihbischof Tenhumberg. Auch bei Katholiken spielen Landschaften eine Rolle. Forster sollte beides machen: Sekretär der Bischofskonferenz und Bonn. Am entschiedenen Einspruch der anderen Bischöfe gescheitert. Keine Bajuwarisierung der katholischen Kirche. Außerdem Forster bei CSU persona minus grata. Klar gegen Strauß. Öffnung der katholischen Kirche nach links. 1. Gespräch mit SPD war in seiner Akademie4.

3 Das Devisenausgleichsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA verpflichtete die Bundesrepublik zu einem finanziellen Ausgleich für die Belastungen der USA und Großbritanniens, die sich aus der Stationierung ihrer Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ergaben. Die Bemühungen Erhards bei seinem USA-Besuch im September 1966, finanzielle Konzessionen für die Bundesrepublik zu erreichen, um die Höhe der Zahlungsverpflichtungen zu senken, scheiterten und trugen zu seinem Sturz wenige Wochen später bei; vgl. Rosenbach, Preis, 710. 4 Vom 10. bis 12. 1. 1958 hatte der Gründungsdirektor der Katholischen Akademie in Bayern Karl Forster eine breit rezipierte und umstrittene Tagung zum Thema „Christentum und Sozialismus“ durchgeführt. Dort hatten namhafte katholische Theologen und Sozialethiker mit führenden Sozialdemokraten diskutiert; vgl. Buchna, Jahrzehnt, 408.

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30 Berlin, 30. November 1966 EZA Berlin, 742/2, hsl. Die Regierungskrise wird nur verständlich, wenn man an 2 Dinge erinnert: Erhard übernahm jene Hypotheken seines Vorgängers, die zu seinem Sturze führten. Subventionspolitik seit 1957 und Finanzpolitik. 2. Ein ziemlich großer Teil der führenden CDU-Männer haben 1963 gewußt, daß Erhard spezielle Gabe zum Kanzler fehlt. Mit Rücksicht auf Wahl 1965 trotzdem. Das hat sich nicht ausgezahlt. Vor der Wahl 1965 Vorbereitungen zum Sturz von Erhard getroffen. Wegen Wahlsieg mußte er von neuem gewonnen werden, aber Topfiguren nicht in das Kabinett. Ablösung 1967 so gut wie ausgemachte Sache. Beschleunigung durch massiven Einfluß der Presse, vor allem Springer. Die Kritik hatte sich selbständig gemacht. Die Regierung konnte machen, was sie wollte. Ständig dem Tadel ausgesetzt. […] Bemühungen um Neubildung in aller Ausführlichkeit in Presse behandelt. Süden sehr geschickt operiert. Bei entsprechender Formierung etwa im Rheinland und Westfalen auch Lösung Schröder möglich gewesen. SPD sehr schwer getan wegen Strauß, gerne FDP. Auch entschiedenste Befürworter schließlich gesagt: unmöglich. CDU zu stark. Unzuverlässigkeit einzelner Abgeordneter in den Ausschüssen. SPD sieht FDP nicht mehr als entwicklungsfähige, sondern sterbende Partei an. Strauß nicht wegen Spiegelaffäre abgelehnt, sondern wegen der Befürchtung seines Umgangs mit der Verwaltung der Macht. Heinemann sehr schwer gefallen, in ein Kabinett mit Strauß zu gehen. Strauß soll ins Kabinett. Hoffnung auf Beschäftigungstherapie. Geht er nicht in das Kabinett, wird er draußen nicht die Politik der Regierung propagieren, sondern eigene Gedanken. Außenpolitik wird bleiben. Wahlrecht, Staatsministerium. Deutschlandpolitik vielleicht Modifikationen, ein entschiedener Kreis: nicht Amerikaner entlasten, daß die Haftung bei uns bleibt. Regierung hat echte und große Möglichkeiten, auch ausreichend tüchtige und profilierte Figuren. Für SED tiefe Enttäuschung. Kiesinger und Strauß unter Beschuß bringen. Umso ärgerlicher im Ausland wegen des tiefen Mißtrauens ob der Wahlsiege der NPD1. Über NPD viel Richtiges publiziert, noch keine ausreichende Analyse. Die Figuren in den Parlamenten ausgesprochenes Mittelmaß und darunter. Aber die Hintermänner von Relevanz. Beachtlich Führung des Wahlkampfes. Nur andere Vokabeln als die, die wir von Weimar kennen. Statt Systemparteien – Lizenzparteien, was noch infamer ist. Grundgesetz-Zwang wie in Versailles, Propagierung eines starken Mannes über: wir brauchen einen Mann wie de 1 Im Folgenden versucht Kunst eine Analyse der Wahlerfolge der 1964 gegründeten NPD, die im November 1966 in die Landtage von Hessen und Bayern eingezogen war; vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 371.

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Gaulle. Föderalismus, was in Preußen Oberpräsident mit wenigen Beamten machte, heute Ministerpräsident mit Kabinett, Parlamente glossiert wie in Weimar die Quatschbude. Kulturpolitik. Wird ein Soldat oder Zöllner von Bayern nach Kiel versetzt, Katastrophe für Kinder. Auch radikale Anreden fanden Gehör. Aber dies alles rechtfertigt nicht Neonazipartei. Mindestens noch ganz andere Gruppen. Wahlrechtsüberlegungen auch damit zu tun. Radikalen Flügel ausschalten. Auch durch Bemühungen um Stabilisierung. VW entläßt 8.000 Leute, wahrscheinlich auch Mercedes. Keine Krise der Demokratie. Gnadengesuch für R. Heß. Kardinal Döpfner bereit, gemeinsam Text zu unterschreiben. Briefe sollen nicht überbracht, sondern mit Post geschickt werden. Kein Aufwand. Auswärtiges Amt und Justizministerium informiert und einverstanden2. Schweigemarsch 31.10.66 Bonn. Zentralausschuß Februar3, Genfbrief an Johnson von Juli4, 3 Adressen am 31.10. an Rußland, Amerika und Bundesregierung. Vergleich die 3 Stellungnahmen. Einige Pfarrer im Talar. Stellungnahme der Landeskirchen5. […]

2 Nach dem Bericht Kunsts wurde Walter Hammer vom Rat der EKD beauftragt, einen Entwurf für den Brief an die Gewahrsamsmächte mit den Katholiken abzustimmen. Beide Kirchen baten um Begnadigung von Rudolf Heß aus humanitären Gründen und wiesen darauf hin, dass dieser „heute politisch ungefährlich sei“; vgl. das Protokoll der 45. Sitzung des Rates der EKD vom 30.11. bis 2. 12. 1966 (EZA Berlin, 2/1814); sowie die Berichte vom 19. 3. 1964 (Dok. 24), Anm. 10; 1./ 2. 7. 1973 (Dok. 58), Anm. 15; und 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6. 3 Die 19. Tagung des Zentralausschusses des ÖRK fand vom 8. bis 17. 2. 1966 in Genf statt und verabschiedete eine Erklärung über Vietnam; Abdruck in: KJ 93 (1966), 56–58. 4 Möglicherweise ist hier ein Brief im Kontext der World Conference on Church and Society in Genf vom 12. bis 16. 7. 1966 gemeint. 5 Am 31. 10. 1966 demonstrierten 250 protestantische Pfarrer aus dem gesamten Bundesgebiet in Bonn unter der Parole „Wer den Vietnam-Krieg unterstützt, verrät das Evangelium der Liebe“ für die Beendigung des Vietnamkrieges; vgl. 31. Oktober (online). Der Rat der EKD beschloss, seinen Vorsitzenden zu beauftragen, in einem Schreiben an die westdeutschen Landeskirchen auf den Missbrauch der Amtstracht im Kontext dieser und anderer Demonstrationen hinzuweisen; vgl. das Protokoll der 45. Sitzung des Rates der EKD vom 30.11. bis 2. 12. 1966 (EZA Berlin, 2/ 1814).

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31 Berlin, 16./17. März 1967 EZA Berlin, 742/2, hsl., […] Die Flensburger Vorgänge1. Seit 1945 gewandelte Stellungnahmen. Geändertes Gesicht des Volkstrauertages, freilich im Ganzen etwa KZ Umgebrachte, Juden unbetonter genannt werden wie Soldaten, im Bombenkrieg der Heimat und auf den Trecks Umgekommene. Schleswig-Holstein Kirchenleitung zuerst gefordert. Mit Wester und Hübner gesprochen, baten: nichts Ratsvorsitzender, ich aber sollte in Panorama sagen, wie wir es heute in der Bundeswehr halten. Eine Reihe von Landeskirchen haben schon Richtlinien seit Anfang der 50-er Jahre. Sicher verdienstlich, wenn Kirchenkanzlei das Material sammeln und Auffassungen der Kirchenleitung publikationsreif machen würde. Die Sache selber ressortiert selbstredend bei den Landeskirchen, aber daß eine öffentliche Verantwortung der EKD in dieser Sache gegeben ist, scheint mir sicher. Das Problem ist theologisch nicht vielschichtig, aber emotionell für Volkskirche von hohem Belang. G. Heinemann: pro, an Fall Dehn erinnert2. Hübner: gefundenes Fressen für Notgemeinschaft und vor allem NPD, 1–2 % mehr Stimmen3. Kräftiges Echo die Forderung von Scharf, Kirchensteuererhebung ohne staatliche Hilfe zur Frage, welche Gruppe im Rat seinem Vorschlag widerstehe und aus welchen Gründen. Ob diese Gruppe die Lutheraner seien – Katholiken! Viel wichtiger aber ist, daß seit langem Erwägungen im Gange sind, ob es bei dem Privileg der Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer bleiben könne. Bundesfinanzministerium beziffert die Einbuße des Staates auf jährlich mindestens 800 Millionen. Angelegenheit sollte im Januar von Finanzminister 1 Am 27. 2. 1967 hatten drei Pastoren der Flensburger St.-Marien-Kirche sowie der St.-JohannesKirche, gestützt auf Mehrheitsbeschlüsse ihrer Gemeindevorstände, beschlossen, alle soldatischen Gedenkstätten in den Seitenkapellen ihrer Kirchen zu entfernen und fünf Thesen unter dem Titel „Gefallenenehrungen haben in Kirchen keinen Platz!“ öffentlich gemacht. Dies hatte zu einer starken Polarisierung von Unterstützern und Gegnern der Thesen – letztere kamen vor allem aus den Reihen der Soldaten- und Traditionsverbände – geführt. Material zu den unterschiedlichen Positionen im „Flensburger Pastorenstreit“ in: EZA Berlin, 686/8759 und 2/3565; vgl. auch Steinerner Trost. In: Der Spiegel 21 (1967), Nr. 13 vom 19. 3. 1967, 70–72; und Linck, Anfänge II, 97–22. 2 Der evangelische Theologe Günther Dehn hatte 1928 in einem Vortrag die christliche Verherrlichung des Soldatentodes und die Errichtung von Gefallenen-Denkmälern in Kirchen kritisiert, da dies ausblende, dass der gefallene Soldat auch selbst hatte töten wollen. Vor diesem Hintergrund wurde der bereits eingeleitete Ruf Dehns von der Universität Heidelberg zurückgenommen. Danach erhielt Dehn den Lehrstuhl für Praktische Theologie in Halle, wurde aber nach Studentenprotesten an der Ausübung der Lehre gehindert. 1933 wurde Dehn aus dem Staatsdienst entlassen; vgl. Grüttner, Gewaltpolitik, 186; und Fix, Universitätstheologie, 218 228. 3 Gemeint ist die 1966 gegründete Notgemeinschaft evangelischer Deutscher e. V., eine konservative evangelische Laienorganisation, die der EKD vorwarf, sich zunehmend auf die Seite der politischen Linken zu stellen; vgl. Huber, Kirche, 404–406.

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auf Drängen seines Hauses vorgebracht werden. Verhindert durch Darlegung, wofür Kirchensteuermittel verwandt werden. Aber die Frage kommt früher oder später sicher auf uns zu. Rechtzeitig auf Auseinandersetzung vorbereiten. Verbindung mit Finanzbeirat, Hannover hat mich mit gutem Material versehen, für das Erste dadurch zurückgestellt. Aber Sorge tragen, daß wir nicht überrollt werden, wenn die Sache hochgespielt wird. Ziemlich breite Aufmerksamkeit die zahlreichen Stellungnahmen des Justizministeriums [zum] Gotteslästerungsparagraphen, gegen geplante Verschärfung in der Novelle zum Strafgesetzbuch: strafbar, wenn eine Äußerung geeignet ist, Ärgernis zu erregen, also nicht nur, wenn Ärgernis genommen wurde. Außerdem will er an dieser Stelle keine Privilegierung der Kirchen. Alle Weltanschauungsgemeinschaften verdienten gleichermaßen staatlichen Schutz. Er will aber im Gegensatz zu Beckmann den Gotteslästerungsparagraphen nicht vollständig fallen lassen. Eine andere Sache: er wünscht, daß Ehebruch nicht mehr strafbar sei. In kaum nennbarer Weise bisher in Anspruch genommen, und dann auch mehr aus Rache denn aus verletztem sittlichem Bewußtsein. Die Praxis der Gerichte mache deutlich wie die Richter selber die Bestimmung ansähen, wenn etwa eine Strafe von 35,– Mark verhängt wurde. Alles noch Absichten, in der Regierung selber noch nicht diskutiert. Im übrigen nur mit höchstem Respekt von der Tatkraft des Justizministers sprechen. Mindestens eine Reihe von wichtigen Novellierungen, vor allem im politischen Strafrecht, werden nach vorne kommen. Unehelichenrecht Ratsbeschluß Januar4. Drängen auf andere Sicht. Proteste des katholischen Laienbundes wegen Eherecht. Union auf die Probe gestellt. Eine wichtige Aufgabe im Gespräch mit Finanzminister und Haushaltsausschuß das Setzen von Prioritäten. Wir nur an einigen Stellen legitimiert mitzureden. Etwa Entwicklungshilfe, weil dies ohne jeden Zweifel eines der wichtigen Instrumente für die Erhaltung und Festigung des Friedens ist. cf. Genf Kapitalhilfe beantragt: 635 Millionen, gekürzt um 180 Millionen, technische Hilfe 132 Millionen, gekürzt um 7,5 Millionen. Kirchentitel 56 Millionen, gekürzt um 1,5 Millionen […] Der Schulstreit erneut zum Bewußtsein gebracht, daß das Staatskirchenrecht noch nicht ausgereift ist. Es wirken verschiedene Kräfte zusammen, um zu Grundgesetzänderungen zu kommen. Die SPD will Frieden mit der katholischen Kirche. Sie will eine Entideologisierung der Politik überhaupt. Die Kirchen sollen nach wie vor weiten Raum haben, jedenfalls Raum, daß die geschichtlich gewachsenen Werke in der Diakonie usw. nicht behindert werden. Unbestritten ist auch das, was wir nach 1945 das Wächteramt der Kirche nannten5. Aber Politik sollte ausschließlich mit politischen Argumenten gemacht werden. Carlo Schmid im Gespräch: er wolle Versuch mit Ländern in dieser Richtung machen. Katholiken sind bereit, wollen aber, daß der Staat 4 Vgl. das Protokoll der 46. Ratssitzung vom 19./20. 1. 1967 (EZA Berlin, 2/1814). 5 Vgl. dazu Oelke, Begeisterung, 304 f.

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sich ihr Entgegenkommen etwas kosten läßt, daß also am Ende nicht eine Entchristlichung bei der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens herauskommt. Vorbereitend eine kleine gemeinsame Kommission von Staatsrechtlern, zunächst denke ich nur an 1–2 Tagungen, um Fragenkreis zu erörtern, erst dann sollte das formelle Gespräch beginnen. Erst dann könnte wohl auch erst der Rat in konkrete Überlegungen eintreten. Frage des Einverständnisses, ob wir uns überhaupt auf so etwas einlassen wollen. 2. wen soll ich bitten6. […]

6 Vgl. den Bericht vom 8. 6. 1967 (Dok. 32), Anm. 9.

183 32 Berlin, 8. Juni 1967 EZA Berlin, 742/2, hsl. Am Anfang der Arbeit eines neuen Rates über Absicht des Berichtes1. Er geht von der besonderen Verantwortung aus: vertritt die Kirche nach außen. Ein umfassender Bereich. Ein Ausschnitt, der sich auf Bundestag, Regierung, Bundesrat, Bundespräsident, diplomatisches Korps, Zentralen der Parteien und gelegentlich Zentralen der Gruppen bezieht. In der Zeit der Bekennenden Kirche Stil solcher Berichte, wie ich sie besonders bei F. von Bodelschwingh erlebte: unter ein biblisches Wort gerückt, also ein deutendes Wort, aktuelle Darstellung von Last, Bedrängnis und Hoffnung der Gemeinde. Gott in der Zeit. In meinen Berichten etwas anderes, bescheideneres gemeint, Informationen für den Rat, daß er prüft, ob und was er tun will. Nicht jeder Bericht erfordert einen oder mehrere Beschlüsse des Rates. Dinge, die der Rat durch Jahre begleitet, wobei es für ihn darauf ankommt, eine gewissenhafte Interpretation der Vorhaben der Regierung und der Argumente der Opposition zu bekommen. Immer versucht, unmittelbar vor Ratstagung einige Regierungsmitglieder usw. zu hören, um zuverlässig informieren zu können. Bei besonders wichtigen Fragen legt Regierung selber Wert darauf, dass Absichten und Argumente dem Rat zur Kenntnis gebracht werden. Das geschieht nie schriftlich, immer nur in mündlicher Beratung des Rates. Die Palette der Gegenstände ist bunt, weil die Verzahnung von Kirche und Staat immer noch intensiv ist. Sie reicht von dem Beschluß über das Motiv der jährlichen Sonderfreimarke bis zur Notstandsgesetzgebung. An 2 Bereichen unablässig hochinteressiert: Deutschlandfrage und Rüstungspolitik im Blick auf atomare Waffen. Fast in jedem Bericht. Bei der häufig großen Fülle der Ereignisse und der knappen Zeit von 20–454 kann Darstellung fast immer nur grob konturiert sein. In der Deutschlandfrage hat Rat immer seine Verantwortung für Gliedkirchen in der DDR, aber auch für den Frieden gemeint. Nicht nur versucht, Löcher durch die Mauer zur Hilfe zu finden, auch aktiv beteiligt an dem Bemühen um schmale Verbindungswege, Passierscheinverhandlungen, Stelle für Härtefälle, Travel-Boardbemühungen um Modifizierung des Travel Board nachdrücklich im vergangenen Jahr2. In sie Scharf sich selber eingeschaltet, bis jetzt ohne Erfolg. In diesen Wochen eine neue Aktion für Änderung be1 Der jeweils für sechs Jahre gewählte Rat der EKD hatte seine neue Amtsperiode mit der Ratssitzung am 16./17. 3. 1967 begonnen (Protokoll der Ratssitzung in: EZA Berlin, 2/1768). 2 Das Allied Travel Office war eine Behörde der drei westlichen Besatzungsmächte, die befristete Reisedokumente („Temporary Travel Documentes“) für jene DDR-Bürger ausstellte, die beabsichtigten, in Staaten zu reisen, die der DDR die völkerrechtliche Anerkennung verweigerten; vgl. dazu Hoff, Großbritannien, 18 f.

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gonnen. Sie hat ein ungleich höheres Maß an Offenheit im Auswärtigen Amt gefunden als bisher. Die Widerstände sind aber noch heftig. Noch nicht abzusehen, wer sich durchsetzen wird. Belangvoller sind die Bemühungen um eine Entkrampfung der Deutschlandpolitik. Eine Sache, in der der Rat mit unverdrossener Zähigkeit seit Jahren tätig war. Von besonderem Gewicht war der 7. SED-Parteitag in Berlin3. Es war ein im vergangenen Jahr noch nicht vorstellbarer Schritt, daß nicht nur SPD, sondern Bundesregierung sich in aller Form an die Delegierten des Parteitages wandten4. Ganz sicher war dieser Schritt der SED mehr als unangenehm, aber die Antwort hat auch deutlich gemacht, wie außerordentlich sich die Verhältnisse in der DDR seit dem Bau der Mauer gewandelt und zwar gefestigt haben. Wie entschieden die Partei der proklamierten Verbindung von Sozialismus und technischer Revolution Rechnung trägt, wurde vor allem an den Neuberufungen in das Politbüro und die Leitungsgremien deutlich. Aber dem Parteitag war auch ebensoviel Stolz im Blick auf die erreichten Leistungen wie Gelassenheit eigen. Von daher Antwort von Stoph verstehen. Natürlich ist eine Reihe von Abgeordneten in Bonn überhaupt nicht überzeugt von dem neuen Kurs, aber die Warnungen haben keine besondere Lautstärke. Wer die verflossenen Jahre miterlebt hat, steht fast fassungslos vor dieser Veränderung der Landschaft. Regierung will sich nicht provozieren lassen, nicht: auf groben Klotz grober Keil. Viel Mühe an Formulierung der Antwort verwandt. Entscheidung über Inhalt und Form heute im Kabinett. Kanzler will Stoph als Ministerpräsident anreden, wenn daraus kein Beitrag für Anerkennung ausgerechnet werden kann. Bundesrepublik ist zu weitem Entgegenkommen bereit, bis hin zur kräftigen Nuancierung des Alleinvertretungsanspruches, etwa DDR vertritt Deutschland in den Ostblockstaaten, aber dies natürlich nicht notifiziert. DDR ist offiziell verhärtet allein auf die Frage der diplomatischen Anerkennung. Das braucht nicht zu bedeuten, daß sich [nicht] kleinere Schritte tun lassen. Die Bundesrepublik will auf keinen Fall die Anerkennung der beiden deutschen Staaten. Eine der Schwierigkeiten bei der Regelung der Postgebühren. Post immer hinter Weltpostverein verschanzt, wollte verhindern, daß Post zwischen DDR und Bundesrepublik wie Auslandspost behandelt würde5. Nicht ventiliert der schwer bestreitbare Rechts3 Der VII. Parteitag der SED fand vom 17. bis 22. 4. 1967 in Berlin statt; vgl. SED-Führungsgremien (online). 4 Am 12. 4. 1967 überreichte der SPD-Vorstand die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kurt Kiesinger mit einem Begleitschreiben an den tagenden VII. Parteitag der SED. Die Regierungserklärung sah einen Maßnahmenkatalog „zur Erleichterung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland“ vor. Daraufhin entspann sich der erste offizielle deutsch-deutsche Notenwechsel, der allerdings im September 1967 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten abbrach; vgl. Deutsch-deutscher und Berlin-Konflikt im Übergang 1961–1969 (online); und SED-Parteitag. Schaum gebremst. In: Der Spiegel 21 (1967), Nr. 18 vom 23. 4. 1967, 50. 5 Seit 1967 forderte die DDR unter Bezugnahme auf den Weltpostverein von der Bundesrepublik Nachzahlungen für Paketsendungen in Milliardenhöhe, da sie darauf bestand, die Bundesrepublik und die DDR als getrennte Staaten zu behandeln. Die Bundesrepublik verwies dagegen u. a.

Berlin, 8. Juni 1967

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anspruch auf höhere Beteiligung der DDR an Postgebühren. Natürlich gibt es Möglichkeiten. Es gibt noch eine Reihe anderer Fragen, in denen ich noch wesentlich unmittelbarer tätig geworden bin, Familienzusammenführung, Kinderrückführung und andere z. T. sehr viel schwierigere Dinge. Der Rat hat die unablässige Begleitung und Beratung der Regierung und auch eigenes Tätigwerden bisher nicht nur stillschweigend hingenommen oder gar erlitten, sondern einstimmig und entschieden für solche Tätigkeit ermutigt, wiewohl ihm nur ein bescheidener Teil offen dargelegt werden konnte. Es möchte sich empfehlen, zu dieser Sache ein kurzes Votum abzugeben. 2 Dinge von Gewicht wird sich der Rat wegen der Zeitknappheit nicht vortragen lassen können, Notstandsgesetzgebung und Nonproliferationsvertrag. Über beides hat Kammer für öffentliche Verantwortung vergangene Woche verhandelt6. Staatssekretär Benda sich der Diskussion gestellt. Im 1. Durchgang in Bundesregierung genehmigt. Im Oktober in die Ausschüsse des Bundestages. Es sollen Hearings veranstaltet werden, in denen die Gewerkschaften usw. zu Worte kommen. Auch sogenannte Schubladengesetze sollen im Parlament beschlossen werden7. Frage, ob und in welcher Weise sich Kirche unmittelbar oder nur mittelbar einschalten will. Belangvoller wahrscheinlich Nonproliferation. Botschafter Schnippenkötter in Kammer Auffassung der Regierung vertreten in Anwesenheit Howe, der Einleitung gab. Informationen nicht viel Neues, aber Überblick über schwer überschaubare Landschaft. Von Genf sagte er, es geschehe dort viel, aber nicht am Konferenztisch. Er meinte: nicht Vertrag um jeden Preis. Es entstehe, käme es nicht zum Vertrag, keine Katastrophe, eine These, der Mitglieder der Kammer mit Nachdruck widersprachen. Schnippenkötter: entscheidend sei die nukleare Abrüstung, man soll die Option für den Vertrag nicht ohne Preis hergeben. Vorträge von Weizsäcker und Häfele. Der Rat sollte prüfen, ob er im Augenblick darüber sprechen will. Die Frage Europas nur relativ wenig verhandelt. Verstand ich recht, 2 Dinge als Richtschnur gemeint: 1. Politiker sollten Europa nicht nur unter merkantilen Gesichtspunkten formieren. 2. die konfessionspolitische Überlegung: wenn schon Prag und Budapest und Warschau nicht in dem sich integrierenden Europa, dann auch nicht nur die vorwiegend katholischen Länder, vor allem Skandinavien und auch England. Der Abschluß der Kennedy-Runde hat mindestens ein auch für uns wichtiges Ergebnis gebracht8. Immer breiter wird auf Verträge und Protokolle des Weltpostvereins, in denen DDR und Bundesrepublik als Einheit behandelt wurden; vgl. Postalische Einheit. In: Der Spiegel 22 (1968), Nr. 27 vom 10. 6. 1968, 36. 6 Vgl. das Protokoll über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 2./3. 6. 1967 (EZA Berlin, 2/1364, Bl. 118–124). 7 Als Schubladengesetze werden hier die bis dahin unbekannten Gesetzentwürfe bezeichnet, die am 24. 6. 1968 im Rahmen der Notstandsgesetzgebung („17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“) beschlossen wurden. 8 Die „Kennedy-Runde“ war ein Verfahren zur Zollsenkung im Rahmen der GATT-Verhandlungen 1964 bis 1967.

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anerkannt, Entwicklungshilfe gehört auch und wesentlich zum Instrumentarium des Dienstes für den Frieden, den die Kirche tut. Von daher sind auch die unablässigen Bemühungen unserer Kirche bei der Regierung in Fragen der Entwicklungshilfe begründet gewesen. Bei der Kennedyrunde ist herausgekommen, daß der Westen nun jährlich 4,5 Millionen Tonnen Getreide für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen wird, ein Vorgang, der in der Presse ein erstaunlich geringes Echo gefunden hat. Im März Rat berichtet von Angebot der Bundesrepublik, das Staatskirchenrecht neu zu formulieren9. In meinem Hause im Mai zunächst Scheuner, Herzog, Ruppel, Konrad Müller, Hammer, nachmittags Tenhumberg und Mikat. Erstaunlich die Einmütigkeit bis in die Formulierungen. Allgemein Art. 13710 so klassisch formuliert, daß keiner sich an eine Neuformulierung traute. Konkreta: etwas deutlicher die Frage der Privatschulen herauszuarbeiten, und das Rundfunkrecht. Dabei 2 Dinge: unzureichender Einfluß auf Kirchenabteilung bei Rundfunk und Fernsehen, 2. Möglichkeiten eigener kirchlicher Sender. Herzog will prüfen. Neue Prüfung in Aussicht genommen, jetzt kein Beschluß nötig. Alles in den letzten 10 Tagen im Hintergrund angesichts der Gefahren im Nahen Osten11. Nach den schrecklichen Erfahrungen mit Vietnam um so entschiedener die Bemühungen in dieser Krise. Sie hat ja auch Bedeutung für unsere Gemeinden und Pfarrer im Nahen Osten und nicht zuletzt für die großen Unternehmungen der Mission und der Entwicklungshilfe, ich denke nur schon an die Schnellerschen Anstalten. Schwierigkeiten von Anfang an, Initiatoren Gründe und Ziele der geplanten Auseinandersetzungen zu erkennen. Beinahe noch schwieriger die Gewißheit, daß hier nicht eine der Parteien alles Recht auf ihrer Seite hatte. Die deutsche Presse hat nie berichtet, daß 95 % der Grenzüberfälle nach dem Urteil der UNO-Kommission auf israelisches Konto gehen. Ägypten hat ständig auf Gefährdung durch Verletzlichkeit des Assuandammes hingewiesen. Ist er fertig, genügt 1 Rakete in 9 Im Frühjahr 1967 war im Bundesministerium des Innern ein Planungsstab beauftragt worden, der sich grundsätzlich mit Fragen der Innenpolitik, darunter auch dem Verhältnis von Kirche und Staat, beschäftigen sollte. Anlass war die Einweihungsfeier des neuen Dienstgebäudes des Katholischen Büros in Bonn, bei der sich Kardinal Döpfner und Bundesminister Lücke „unter Bezugnahme auf die Situation auf dem Schulgebiet“ darauf verständigt hatten, das Verhältnis von Kirche und Staat neu zu überdenken. Die innerkirchlichen Arbeitskreise zum Staatskirchenrecht, darunter auch der von Kunst geleitete „interkonfessionelle Gesprächskreis“ von Staatsrechtlern, wurden aufgefordert, dem Planungsstab Ergebnisse ihrer Überlegungen vorzulegen; vgl. das Schreiben von Otto Dibelius jr. an die Kirchenkanzlei vom 23. 11. 1967 (EZA Berlin, 2/972); und den Bericht vom 16./17. 3. 1967 (Dok. 31). 10 Gemeint ist Artikel 137 GG, der gemäß Artikel 140 GG neben weiteren Artikeln des Grundgesetzes (136, 138, 139, 141) aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen wurde und den rechtlichen Status der Religionsgesellschaften in der Bundesrepublik regelte; vgl. Grundgesetz, 75 f. 11 Im Folgenden berichtet Kunst über den Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien, der vom 5. bis 10. 6. 1967 geführt wurde und mit einem Sieg Israels endete; vgl. Steininger, Sechstagekrieg (online).

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oberster Stufe und Ägypten gibt es nicht mehr (Möhnetalsperre). Gute Regelung nur durch umfassende Verhandlungen aller Beteiligten durch die UNO möglich. Dieser Vorschlag erschien aussichtslos angesichts der plötzlich erschreckend offenbar gewordenen Schwäche der UNO. So entschieden die Meisten von Anfang an auf Seiten Israels standen, waren gewichtige kritische Stimmen da, als es sich um die Fragen der Hilfen für Israel handelte. Erinnerung an die Lieferung von Panzern und die Folgen durch den Abbruch der Beziehungen für die arabischen Staaten. Nasser konnte wohl nur annehmen, daß Amerika erlauben würde, daß Israel von der Landkarte verschwindet. Wollte er nur das widerspenstige Jordanien in die Knie zwingen? Wollte er die immer wieder angemeldete Forderung für Entschädigung für das „den Arabern geraubte Land der Israeli?“ Suchen die Russen über die Nahostkrise ein Arrangement mit den Amerikanern über Vietnam? Es gab in Bonn viele Erwägungen, aber keine begründete Gewißheit, um die Vorgänge beurteilen zu können. Nicht durch die Fülle der Überlegungen führen, herausgreifen, was für diesen Kreis wichtig ist. Erster Bericht vor 8 Tagen von unserer Botschaft: begann: in den Synagogen wird der 83. Psalm gebetet. Bericht und die umfassende, entschiedene Tätigkeit des israelischen Botschafters Ben-Nathan nicht ohne nachhaltigen Eindruck auf Kabinett. 20.000 Gasmasken. Wenig gut amtiert, von Schröder auf das bestimmteste abgelehnt. Seine Depots enthalten der NATO unterstehendes Kriegsmaterial. Ausweg über zivilen Luftschutz: Lücke. Was Israel braucht ist vor allem Geld. Nation unter den Waffen, wie wenn wir 7 Millionen Soldaten hätten, also mehr 6,5 Millionen aus der Wirtschaft ziehen müssen. Schon aus finanziellen Erwägungen stand für Israel fest, daß es nicht länger als bis diese Woche warten könne, um Entscheidungen zu erzwingen. Nicht nur, aber auch auf Bitte des israelischen Botschafters in mannigfacher Weise tätig geworden, vor allem in Verhandlungen mit der Bundesregierung. Weiter mit Stuttgart. Hatte sich vorbereitet, Angebot Lager von evakuierten Kindern, Kranken und Alten zu versorgen in Gießen, Griechenland, Italien. Am Montag von israelischer Botschaft auf das bestimmteste abgelehnt! Nicht wie 1940 englische Kinder nach Kanada. Die Besonderheit: dies ganze Land siegt oder geht unter. Dann eben auch mit den Kindern und Alten. Hilfswilligen gegenüber auch zurückhaltend. Deutsch-israelische Gesellschaft als Rechtsträger, tätig geworden. Was im wachsenden Maße geschehen, bekannt, Gottesdienst Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin mit Katholiken und Juden. Ben Nathan um Votum M. Niemöller als Leninfriedenspreisträger gebeten vor 8 Tagen. Picasso, Sartre schon sich geäußert. Wollte prüfen, noch mehrfach angerufen. Seine Auffassung: es geht nicht nur gegen Israel, sondern farbige Welt immer klarer gegen weißen Mann. Deshalb Araber auch Hilfe von Indien usw. Beste wäre: Israelis einzuladen, nach Deutschland zu kommen. Wir Israelis vertrieben, dadurch Amerika und England gezwungen, Arabern Land wegzunehmen. Man könne nicht nur gegen Araber Stellung nehmen. [Am] 5.6.: Mochalski usw. seien in London,

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wollten 7.[6.] vor amerikanischer und russischer Botschaft demonstrieren, Niemöller wußte noch nicht, ob er teilnehmen solle12. […] Nicht unerwähnt darf bleiben die besonders schmerzliche Stellungnahme der DDR. Kein Ostblockstaat außer Rußland so hart reagiert wie DDR, nicht einmal Polen. Auf Vorhalt: Nasser habe Feudalstaat gestürzt, habe zwar noch [keinen] sozialistischen Staat, sei aber auf dem Wege, wiewohl kommunistische Parteien verboten seien. Man kann nicht Auschwitz Mahnmale errichten und dann so reden. Verlegenheit: sehr schmerzlich, daß Votum gegen Juden gerichtet gewesen sei. Sie hätten selber noch Juden in hervorragenden Stellungen, Außenminister Winzer. Frage des Systems. Israel sei kapitalistisch, imperialistisch verbündet13. Kein Wort zu konkreten Dingen. Schwerer Schlag für die Russen. Appell für den Frieden. Solidarisierung mit den Juden. Frage: was tun, gliedert sich: 1. Wollen wir bei Regierung vorstellig werden. 2. Anrede an unsere Gemeinden, Aufruf zum Gebet. Spendenaktion. Ben Nathan enttäuscht [über] 5.6., wie gering Echo auf Hilfeaufruf, wenig Engagement. 3. öffentlich äußern. In 14 Tagen Kirchentag mit Thema Frieden. Was habt ihr getan, als Friede nicht nur für Israel bedroht war, sondern Weltfriede gefährdet war. Kammer am 3.6. beraten, Eppler und Kiep wollten Entwurf machen. Mir schien vor dem Ausbruch: tastet mir meinen Augapfel nicht an, die besondere Stellung in der Heilsgeschichte, gleichviel ob die Mehrheit das überhaupt nicht oder nur mißversteht. W. Bauer: Mißachtung des internationalen Rechtes. Betroffen von der Ohnmacht der UNO. Gegen den Willen des Völkermordes [sic!]. Wille zur Ausrottung Israels offen seit Jahren von Arabern bekundet. Wir, die wir mit der gleichen Schuld beladen sind und noch darunter leiden, warnen. Klar sein, daß deutsche Worte in Weltöffentlichkeit in dieser Sache keinen hohen Kurswert haben, es sei denn jemand, der Namen wie Martin Niemöller hat. Nachdenklich muß uns machen, daß weder die UNO noch die 2 Siegermächte in der Lage waren, die Krise zu meistern, wiewohl alle im Wort waren. Die UNO-Feuerwehr zog ab, als das Haus begann zu brennen. Die Siegermächte nahmen sich trotz ihrer vertraglichen Bindungen viel Zeit. Israel scheint die Krise durch Einsatz seiner militärischen Kraft im Krieg zu lösen. […] 12 Zur Haltung der sogenannten Linksprotestanten zum israelisch-arabischen Konflikt vgl. „Der israelisch-arabische Konflikt“. 1. Die Erklärung des Arbeitsausschusses der Christlichen Friedenskonferenz zur Situation im Nahen Osten. Zagorsk, im Juli 1967. Darin wurde u. a. der Rückzug der israelischen Truppen hinter die Grenzen vom 4. Juni 1967 gefordert sowie die Beendigung der „unmenschlichen Vertreibung der Araber aus den besetzten Gebieten“; Abdruck in: Junge Kirche. Protestantische Monatshefte 28 (1967), 453 f., 454. 13 Nach dem Sechstagekrieg brachen alle osteuropäischen Staaten bis auf Rumänien die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. Die Ostblockstaaten verurteilten den Zionismus als großbürgerliche, faschistische Ideologie und unterstützten die offen antisemitische Propaganda in der arabischen Welt; vgl. Voigt, Verhältnis (online).

189 33 Berlin, 10. August 1967 EZA Berlin, 742/2, hsl. Zur Deutschlandfrage: Eine besondere Rolle der sogenannten Humana. Politische Häftlinge, Fluchthelfer, vor allem Jugendliche. Besondere Last Familienzusammenführung, Verlobte, Eheleute, bei denen ein Teil vor der Mauer noch in die Bundesrepublik ging. Kinder, über 3.000, über diese Bemühungen in vertraulichen Sitzungen des Rates Bericht erstattet. Seit Bildung der großen Koalition drüben alles wesentlich schwerer geworden. Nie Verhandlungen so mühselig und gelegentlich aussichtslos wie in diesem Jahr. Eine Chance, diese Dinge wie etwa im Interzonenhandel durch Regierungsvertreter behandeln lassen, heute unmöglicher denn je. Am 22.6. Besuch Dietzfelbinger bei Kiesinger. Erläuterte, aus welchen Gründen EKD an Deutschlandfrage interessiert. Dabei eine Rolle gespielt Äußerung Kiesinger vor Vorstand der Fraktion: Sorge um neue Denkschrift. Selbstredend nicht hineinreden, aber Regierung wisse, welche Rolle Kirche in Überlegungen der DDR-Regierung spiele. Habe sich nach verläßlichen Nachrichten auch in Karlsbad gezeigt1. Rechnung auf Kräfte, die für den Gewaltverzicht im Westen eintreten. Dietzfelbinger: Dienst der Kammern erläutert. Kirche achtet auf die Gründe der Regierung, sie muß aber Freiheit haben, sich zu äußern. In diesem Zusammenhang Beiträge von Benda und Schnippenkötter in Kammer für öffentliche Verantwortung besprochen, ohne daß es zu einer konkreten Vorstellung gekommen wäre. Kiesinger sich zu Deutschlandpolitik geäußert: keine sensationellen Entwicklungen zu erwarten, aber keine Verschärfung von uns aus betreiben. DDR beim Wort nehmen. Deshalb auch Brief Stoph beantwortet2. Er wolle jede Möglichkeit ausnutzen zum Ausloten, er glaube, daß in den nächsten 1–2 Jahren noch keine wesentlichen Fortschritte zu erzielen seien. Rußland müsse von der Festigkeit der deutschen Politik überzeugt werden, die ja keine Politik der Stärke sein wolle. Nach wie vor also stehen sich die prinzipiell verschiedenen Konzeptionen gegenüber: Rußland hat immer gesagt, erst Anerkennung der Oder-NeißeLinie, keine atomaren Trägerwaffen, Entspannungszonen, Anerkennung der DDR, dann Verhandlungen Bundesrepublik: nein, über alles läßt sich reden, 1 Vom 24. bis 26. 6. 1967 fand im tschechoslowakischen Karlsbad (Karlovy Vary) eine Konferenz von Vertretern aus 24 kommunistischen Parteien statt. Hauptthema war die Sicherheit in Europa in Verbindung mit der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR; vgl. Niedhart, Vorhang, 248; und Anm. 5 in diesem Bericht. 2 Vgl. das Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR Stoph an Bundeskanzler Kiesinger vom 10. 5. 1967; Abdruck in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, V. Reihe, Bd. 1/1, 1115–1117. Kiesinger beantwortete das Schreiben Stophs am 13. 6. 1967; Abdruck in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, V. Reihe, Bd. 1/2, 1277–1279.

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aber eben nur in Verhandlungen, in denen auch Bundesrepublik Forderungen hat. Es ist nicht einfach, die Konzeption Wehners klar zu definieren. Er sieht etwa auch in Begegnung Kiesinger-Stoph keine Schwierigkeit, kein echtes Problem. Vielleicht tut dies Kiesinger auch nicht im Unterschied zu einer starken Gruppe in der CDU, die meint, wesentlich weitreichendere Folgen als Briefwechsel. In der Substanz sind eine Summe Fragen, die die Regierung vor Kiesinger schon beschäftigt haben, keinen Schritt weiter. Ich denke etwa an die Fragen des Sportes, denen nach wie vor taktisch ausgewichen wird. Es stagnierten auch die Postfragen, wiewohl sie Eilbedürftigkeit haben. In der CDU meinen eine Reihe von Leuten, Wehner meine im Grunde den modifizierten Deutschlandplan3. Er formuliere zwar als Dialektiker ständig neu, meine aber nach wie vor die alte Sache und steuere auf eine Konföderation mit der DDR zu. So sei Wehner zwar der kräftigste Garant der SPD für die Koalition, aber gleichzeitig ihre größte Gefahr. Denn die innenpolitischen Fragen bishin zur Finanzreform seien nur begrenzte Hypotheken für die Koalition, die wirklichen Schwierigkeiten seien bei der Deutschland- und Verteidigungsbzw. Sicherheitspolitik. In diesem Zusammenhang Bemerkung über Ostpolitik überhaupt. Das Interessanteste der Verhandlungen in der Tschechei4. Sicher hat sie weitergehen wollen, als sie tat. Massivem Druck der DDR und wohl auch Rußlands gewichen, aber nicht vollständig5. Das Entscheidende ist, auch in Prag ist deutlich geworden, wie sich in Ostblockstaaten die eigenen politischen Interessen in den Vordergrund schieben und diese Interessen stärker sind als die Bindungen an die DDR. Ostregierungen in letzten Monaten sehr oft zusammen, und doch setzen sich eigenstaatliche Interessen durch. Darin zeichnet sich eine mögliche Entwicklung ab, die weder Moskau noch Ostberlin angenehm sein kann. Bundesrepublik kann aber wirkliche Fortschritte nur mit Moskau erreichen. Deshalb werden besondere Anstrengungen im Blick auf Moskau für nötig gehalten. Die Frage des Nonproliferationsvertrages eigener Punkt der Tagesordnung6. Aber nicht nur unter außenpolitischen Aspekten auch für die Innen3 Vgl. den Bericht vom 23. 4. 1959 (Dok. 12), Anm. 7. 4 Vgl. Anm. 1 in diesem Bericht. 5 Auf der Karlsbader Konferenz hatten sich die Vertreter der kommunistischen Parteien Osteuropas die Forderung der Ulbricht-Doktrin nach Aufnahme „normaler Beziehungen“ zwischen beiden deutschen Staaten, die an die staatsrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik gebunden war, zu eigen gemacht; vgl. Fischer Chronik Deutschland, 407; und den Bericht vom 29. 7. 1970 (Dok. 42), Anm. 3. 6 Der Nonproliferationsvertrag bzw. Atomwaffensperrvertrag war eines der wichtigsten politischen Themen im Jahr 1967. Seit Mitte 1966 verhandelten die USA und die Sowjetunion über einen gemeinsamen Vertragsentwurf zur Nichtverbreitung von Atomwaffen. Die Bundesregierung kritisierte, dass sie nur informell über die Verhandlungen durch die amerikanische Botschaft unterrichtet wurde und machte Bedenken gegen die Kontrollmechanismen geltend; vgl. Kabinettsprotokolle (online), Bd. 20, Einleitung. Das Protokoll der 8. Sitzung des Rates der

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politik wird in den nächsten Wochen wichtig die Frage der vollen Neuformierung der Verteidigungspolitik sein. Im Ganzen: nach wie vor Akzent bei SPD auf Entspannung, bei CDU auf Sicherheit. Wir besonders interessiert bisher an der atomaren Frage. Sie hängt auf das engste zusammen mit der Verteidigungspolitik. Nur thesenartig daran erinnern, was in den Diskussionen durcheinandergegangen ist. 1. Für die Verteidigungskonzeption ist nicht die Bundesregierung, sondern allein die NATO zuständig, zumal alle unsere militärischen Verbände im Unterschied zu den anderen Alliierten voll integriert sind. Die neue Konzeption im NATO-Rat erst im Mai beschlossen. Irreführung der öffentlichen Meinung7. Wir können entspannungspolitisch nicht so tun, als könnten wir 6 Wochen später eigene neue Konzeption beschließen. 2. Es gibt eine breite Auffassung: es wird den großen Krieg nicht geben. Deshalb brauchen wir nicht mehr ein großes Potential an Truppen. Big Lift genügt8. Strategisch werden wir von Amerikanern aus verteidigt, deshalb brauchen wir auch keine taktischen atomaren Waffen mehr. Wir sollten auf konventionelle Waffen umrüsten (FDP). Dagegen entschiedener Widerstand Heusinger, Krone, Heck usw. 3. Auffassung des Militärs: keine Chance für Infanterie angesichts der Übermacht der Landstreitkräfte des Ostens ohne Deckung durch taktische atomare Waffen. 4. Wenig Nutzen, Frage der atomaren Trägerwaffen isoliert zu diskutieren. Sie bezeichnen nur einen Sektor aus dem Gesamtkomplex der Verteidigungs- wie der Außenpolitik. Rüsten wir nun allein auf konventionelle Waffen, ist dies ein Ausdruck für eine neue Politik – dann keine Abschreckungspolitik mehr. Die Folge muß sein, daß sich unser Verhältnis zu de Gaulle, im NATO-Bündnis und in Europa wandelt. Wir werden ohne Trägerwaffen noch abhängiger von de Gaulle. Der Staat darf sich seiner Machtmittel nicht ohne Gegenleistung entäußern. Morgen steht zur Entscheidung an: wo soll eingespart werden. Sehr starke Kräfte sagen: Verminderung unserer militärischen Kraft wird die Verminderung der Hilfe der Alliierten zur Folge haben. Militärs: solle die Stärke der Truppenzahl erhalten bleiben, ist Bundeswehr bei der rasendschnellen technischen Entwicklung in kurzer Zeit unmodern. Das muß auch demoralisierend auf die Truppe wirken. Erinnerung an Frankreich 1959, hohe Truppenkontingente bei veralteter Rüstung. Kiesinger hat noch nicht entschieden, sicher möchte er Kontingente nur ungern vermindern. […] EKD am 10./11. 8. 1967 vermerkt keinen eigenen Tagesordnungspunkt zum Nonproliferationsvertrag (EZA Berlin, 2/1815). 7 Am 9. 5. 1967 beschlossen die Verteidigungsminister der NATO in Paris ein neues Verteidigungskonzept, welches das Prinzip der „massiven Vergeltung mit Nuklearschlag“ durch die Strategie einer „flexiblen Antwort“ ersetzte; vgl. Schönner, Zeitleiste, 1652. 8 „Big Lift“ meint eine US-amerikanische Militärübung im Oktober 1963, die in den USA stationierte, aber für Europa vorgesehene Einheiten von den USA nach Europa transportierte. Dies führte zu Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, Teile der in Deutschland stationierten amerikanischen Truppen wieder nach Amerika zu verlegen; vgl. AAPD 1967, Bd. I, 181 f.

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34 Berlin, 12. Oktober 1967 EZA Berlin, 742/2, hsl. Das Parlament erst seit der vergangenen Woche wieder zusammen. Wirtschafts- und Finanzfragen [***]. Personelle Überlegungen im Zusammenhang mit der ganz unguten Situation in Berlin spielen ziemlich große Rolle, nicht zuletzt auch wegen der geplanten Neubesetzung des Amtes des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt. Bei solcher Gelegenheit immer wieder deutlich, daß Generation um 50 Jahre noch ausgelaugter oder im 3. Reich untauglich gemacht zu sein scheint als die um 60. Kanzler und Fraktionen schieben längst abgesprochene Verhandlungen mit den Kirchen vor sich her, etwa über Fragen, die noch bis 1969 im Parlament vorkommen sollen. Novellierung der Strafgesetzbücher, Familienpolitik und mittelfristige Finanzplanung, politisches Strafrecht. Erneuerung des Strafvollzuges. Neuregelung der Pflegesätze für Krankenhäuser der freien Wohlfahrtspflege. Die Liberalen fragen uns wegen Wahlrechtsordnungen: wir wollten zur Gesundheit staatlichen Lebens helfen. Auch in der Frage eines neuen Wahlrechtes stimmen weder Sachauffassungen noch Terminkalender des zuständigen Innenministeriums mit denen führender Männer in den Koalitionsparteien überein. Seit die Mehrheit der Regierung im Parlament übergroß geworden ist, haben die Parteien an Geschlossenheit und klarer Kontur verloren, daß unsereiner nur zurückhaltend über die Auffassungen von Regierung und Opposition berichten kann. Trotz der Reden von Kiesinger und Brandt [am] 8.10. Am unklarsten ist die Situation in der Deutschlandpolitik und in der atomaren Frage im Zusammenhang mit der Europapolitik. Es bleibt ein relevanter Kreis von Männern in der SPD, die die ehemaligen Bestrebungen nach dem Scheitern des MLF, sich mit deutschen Streitkräften an einer atomaren Abschreckungsmacht der „Vereinigten Staaten von Europa“ zu beteiligen, definitiv zu den Akten legen und dies durch Regierung und Parlament öffentlich erklären wollen. Auf der anderen Seite meinen einflußreiche Abgeordnete, vor allem in der CDU/CSU, dies zu verschenken ohne jede Gegenleistung des Ostens sei unverantwortlich angesichts der ohnehin äußerst geringen Verhandlungsmarge der Regierung in den Fragen der Wiedervereinigung und der Sicherheitspolitik. Die zuerst genannte Gruppe hält den von der Regierung angebotenen Gewaltverzicht aller Staaten des Ostens, einschließlich der DDR nur dann für überzeugend und hilfreich bei den Ostblockstaaten, wenn damit der Verzicht auf eine irgendwie geartete militärische Mitbeteiligung der Bundesrepublik an einer gemeinsamen Atomstreitmacht verbunden ist. In diesen Zusammenhang gehört die gegenwärtige deutsche Ostpolitik. Die Regierung ist einig in der Entschlossenheit, die DDR staatsrechtlich nicht so anzuerkennen, daß die DDR dadurch für uns Ausland mit allen daran hän-

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genden Konsequenzen wird. Sie will auch die Oder-Neiße-Grenze nur in einem Friedensvertrag anerkennen, auf keinen Fall wohl als Vorwegleistung ohne Gegenleistung des Ostens. Natürlich sind diese Fragen in den zuständigen Ministerien als Generalstabsarbeit durchdacht worden, aber es zeichnet sich keine Änderung der Auffassungen ab. Wie gering die Chance der Regierung ist, mit der DDR in Verhandlungen über ein geordnetes Nebeneinander zu kommen, hat der neue Stophbrief gezeigt1. Er kennt im Grunde nur einen Verhandlungsgegenstand: die völkerrechtliche Anerkennung und diese auch nicht etwa schrittweise, sondern sofort, ohne Bedingungen und ohne Gegenleistung. Es erscheint der Regierung zweifelhaft, ob die DDR an Austausch mit Botschafter von uns interessiert ist, sie will wohl vor allem den Botschafteraustausch mit allen anderen Staaten. Sicher ist wohl die Wahl des Zeitpunktes des Briefes von Gewicht: 1. nach dem Vertrag der DDR mit Sofia, der verschärfte Formulierungen gegen Bundesrepublik enthält, 2. nach dem Besuch von de Gaulle in Polen, den die DDR als förderlich für ihre Ziele empfunden hat, 3. unmittelbar vor Rückkehr von Zarapkin, um die Ablehnung der Bonner Vorschläge, die Zarapkin vor seinem Urlaub nach Moskau mitgenommen hatte, als ein Zeichen der Übereinstimmung von Moskau und Ostberlin zu demonstrieren. Der Ton des Briefes ist wesentlich schärfer als der im vorhergehenden Brief. Durch den Vertragsentwurf soll die Bundesrepublik in Verzug gesetzt werden. Alle Gesprächsansätze sind eliminiert. Das politische Ziel des Briefes scheint zu sein, entweder die politische Kapitulationserklärung der Regierung zu erreichen oder die Zerstörung der Koalition durch Auseinandermanövrieren ihrer Partner. Ziemlich sicher wird keines von beiden passieren, aber man darf sich nicht täuschen über das Maß der Resignation und Ungeduld in der Bundesrepublik. An vielen Ecken regen sich Stimmen, die sagen, früher oder später müssen wir doch die staatsrechtliche Anerkennung aussprechen. Vielleicht können wir jetzt noch etwas dafür einhandeln und vor allem einen Beitrag für die Befriedung Europas leisten. Im Ganzen aber wird man sagen müssen, die DDR will nicht nur die Bundesrepublik in die Ecke manövrieren, sie versteht sich in immer klarerer Kontur als Erfüllung des deutschen staatlichen Schicksals und widersteht deshalb auch zwangsläufig übergreifenden Gebilden wie der EKD. […] In zunehmendem Maße merke ich die intensive Arbeit der Notgemeinschaft. Vor allem Schrift: Politik in der Kirche2. Nicht nur die Kreise, die der Denkschrift widersprachen. Es ist die Schrift ausgesprochen wirksam verfaßt. Im Kontext muß man die Auseinandersetzungen um die Frage der Nation, das 1 Vgl. den Bericht vom 10. 8. 1967 (Dok. 33), Anm. 2. Der Vorsitzende des DDR-Ministerrates Stoph hatte am 18. 9. 1967 einen weiteren Brief an Kiesinger geschrieben, den dieser am 28. 9. 1967 beantwortete; Abdruck in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, V. Reihe, Bd. 1/2, 1668–1670, 1733. 2 Gemeint ist die 1967 erschienene Publikation der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher „Politik in der Kirche. Schwarmgeisterei oder fremde Machtpolitik“; vgl. Politik in der Kirche.

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Nationalbewußtsein und des Nationalgefühles hinzunehmen. Notgemeinschaft, besser: die, die auf sie hören, nicht nur Sammelbecken der Unzufriedenen, derer, die nichts hinzugelernt haben. Mißverständnisse nicht zuletzt dadurch erweckt, daß die Zeitungen in einseitiger Weise Stellungnahmen von Kirchenmännern veröffentlichten. Brief der Notgemeinschaft an Industrie3. Zur rechten Zeit einige Leute an die Arbeit setzen. Diese Sache der Notgemeinschaft mußte kommen. Notgemeinschaft nicht allein – von Studnitz „Rettet die Bundeswehr“. Immerhin noch im Redaktionsstab von Christ und Welt. Die Artikel, die Christ und Welt nicht bringt, dient er der Welt am Sonntag an. Dies ist wirklich schlimm. In dem Abschnitt Militärseelsorge meint er, redlicherweise müßte EKD Militärseelsorgevertrag kündigen, weil sie keiner bündigen Äußerung über den Dienst der Soldaten fähig sei. Das Herz schlage auf der Seite der Kriegsdienstverweigerer. Die evangelische Kirche marschiere Seite an Seite mit der heimatlosen Linken. Sie ließe keine Gelegenheit aus, um sich an den Kundgebungen gegen den Selbstbehauptungswillen der freien Welt zu beteiligen. Arbeit der Militärseelsorge kommt garnicht vor, aber der Rat an den Staat: kündigt die Kirche nicht, sollte er es tun. Schlußsatz: die Bundeswehr wird nicht zu sich selbst finden, solange auf jedem Kasernenhof trojanische Pferde stehen4. Angelegenheit Gerstenmaier. Stuttgart braucht uns nicht zu beschäftigen. Man muß betroffen sein beim Durchblättern der Akte. Kein Bürger hätte sich diese Sache gefallen lassen, aber wer ein Amt wie Gerstenmaier trägt, muß sich andere Maßstäbe gefallen lassen. Aus der Welt. Ehrenerklärung des Ehrenrates der CDU – Uns muß bewegen die Sache Vierherrenwald. Es geht um kirchliches Eigentum. Wir dürfen nicht durch Schweigen Eindruck erwecken, als hätten wir selber mindestens ein ungutes Gefühl. E. Gerstenmaier unser Beamter, Synodaler, ein Mann, der sich durch Gründung des Hilfswerkes ein hohes Verdienst erworben, Vorsitzender der Siedlungsarbeit unserer Kirche. Anlaß bei Augstein klar. Gerstenmaier soll kein Bundespräsident werden. Autorität des Hilfswerkes reicht offenbar nicht aus. Prüfen, ob 3er Kommission in Stuttgart die Dinge prüft und in das Kommuniqu der nächsten Ratstagung die Stellungnahme aufgenommen wird5. 20.–21. November Rat in Bonn. Mit Parteien gesprochen. 3 Stunden für jede Partei. Nicht Regierung, Kiesinger in Indien. Thematik: Deutschlandfrage, Ostpolitik, Nonproliferation, Entwicklungshilfe, Bericht von unserer Timidität der Regierung gegenüber anderen Regierungen. Amerika sehr viel profilierter in Spanien. Mühevoll: Regierung zu bewegen für Abgewogenes. 3 Vgl. dazu Apfel und Rute. In: Der Spiegel 21 (1967), Nr. 48 vom 20. 11. 1967, 74. 4 Vgl. Studnitz, Bundeswehr, 122. 5 Zu den im „Spiegel“ erhobenen Vorwürfen gegen Eugen Gerstenmaier vgl. den Artikel Fleckchen Erde. In: Der Spiegel 21 (1967), Nr. 31 vom 24. 7. 1967, 30–32. Darin wurde Gerstenmaier Steuerhinterziehung und Devisenvergehen im Zusammenhang mit der Schenkung des Jagdgutes „Vierherrenwald“ an die Evangelische Kirche vorgeworfen.

195 35 Berlin, 14. März 1968 EZA Berlin, 742/2, hsl. Studie zur Friedensfrage1. Sofort nach Ratstagung bei Kiesinger. Wenig glücklich. Er verstand ein wenig, was wir wollen, fragte aber nach politischem Nutzen im gegenwärtigen Augenblick. Er empfand Darlegungen nicht als hilfreich, weil sie sich nicht äußerten zu der gegenwärtigen Situation, wie sie ist, sondern mehr Bekenntnisse und Wünschenswertes enthielten. Er empfand auch als Mangel, daß die Kräfteverhältnisse der Welt, innerhalb derer die Deutschlandfrage ein Teilproblem ist, gewürdigt seien. Hallsteindoktrin nicht nur formal, unsere Politik bindet die anderen Völker. Abgeordnete in der vergangenen Woche in Berlin. Sehr viele andere Sorgen. Bis jetzt nicht viel mehr herausgekommen als erste Stellungnahmen. Im Ganzen der Eindruck bisher: jede Kirche hat ihren Bensberger Kreis2. Am besten ist, die Sache herunterzuspielen und eine stille Beerdigung zu halten. Sicher ist, daß dies für eine Reihe von einflußreichen Leuten nicht nur eine Vermutung von mir ist. Aber er begriff, daß es auch keinen Gewinn bringen könne, wenn die Regierung sich kraß ablehnend zu dem Papier verhielte. Frage des Bundespräsidenten. Wenigstens die Frage aufwerfen, ob wir garnichts in der Sache tun sollen. Wir sind sehr viel mehr als katholische Kirche in all den Jahren in das politische Engagement gegangen in den verschiedensten Bereichen. Darf uns diese Sache gleichgültig sein? Die wahre Not ist nicht, daß der Präsident nicht reden kann, sondern daß seine Arterienverkalkung schnell vorangeschritten ist. Das läßt auch den Ertrag aller redlichen Bemühungen um ihn ohne bemerkenswerte Erfolge sein. Offenbar keine guten Freunde, auch wenig Mut, mit ihm zu sprechen. Vorbringen, weil ich in der nächsten Woche mit ihm zusammen bin und die Krise um ihn das Thema sein soll.

1 Die Studie der Kammer für öffentliche Verantwortung über „Friedensaufgaben der Deutschen“ wurde am 1. 3. 1968 veröffentlicht. Kunst hatte sie am selben Tag mit einem Begleitschreiben an den Bundeskanzler gesandt; Abdruck in: KJ 95 (1968), 115–123; zur Genese und Rezeption der Studie vgl. Lepp, Tabu, 600–654. 2 Der „Bensberger Kreis“ war eine Gruppe von linken katholischen Wissenschaftlern und Publizisten um Eugen Kogon und Walter Dirks, die sich mit dem „Bensberger Memorandum“ vom März 1968 zur Frage des Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen äußerte und Standpunkte vertrat, die auch in der „Ostdenkschrift“ der EKD vom Oktober 1965 zu finden waren. So plädierte man für die Anerkennung einer kollektiven Haftung der Deutschen für den Zweiten Weltkrieg, die Akzeptanz der nach 1945 geschaffenen politischen Tatsachen und für die Anerkennung der Gebietsabtrennungen hinter der Oder-Neiße-Linie; vgl. Greschat, Protestantismus, 127.

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Nonproliferationspapier. Heute Debatte3. Berichtet über die Lage vor 14 Tagen. Memorandum der Regierung an Genf4. Die Dinge laufen also noch. International bemerkenswert Stellungnahme der Europäischen Kommission, Regierung klare Auslegung verlangt und Erhaltung von Euratom. Nicht heute veröffentlichen, mitten in die politische Arena herein. Bemühungen der Regierung abwarten und erst dann votieren. Schwierigkeit: nicht alle Tage ein Papier zu politischen Fragen. Im Augenblick müßten wir dezidiert auf [die] Seite der SPD treten. Es wird unterschrieben, aber Regierung hat viel mit ihrer Zurückhaltung erreicht5. […]

3 Vgl. die Bundestagsdebatte über den Atomwaffensperrvertrag in: Plenarprotokolle (online), WP 5, 160. Sitzung, 8288B–8289D. 4 Die Bundesregierung drängte die Nuklearmächte in einem Memorandum vom 6. 3. 1968 ihrerseits für die Nichtverbreitung von Kernwaffen einzutreten; vgl. das Memorandum der deutschen Bundesregierung an die Delegationen des 18-Mächte-Abrüstungsausschusses vom 6. 3. 1968 zum vorliegenden Entwurf für einen Kernwaffen-Sperrvertrag in: Europa-Archiv 23 (1968), D220–D223; und Morsey, Bundesrepublik, 103. 5 Die seit dem Antritt der Großen Koalition nachdrücklich von den USA eingeforderte Unterschrift der Bundesrepublik unter den Atomwaffensperrvertrag, der die atomare Koexistenz mit der Sowjetunion priorisierte, wurde zunächst von Seiten der CDU mehrheitlich abgelehnt und von der SPD befürwortet; vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 310 f.

197 36 Berlin, 2. Mai 1968 EZA Berlin, 742/2, hsl. […] Begegnung mit den Parteien Anfang April1. Einer der wichtigsten Punkte: Nonproliferationsvertrag. Eindrucksvoll vor allem das ethische Urteil der großen Parteien: CDU wies auf die machtpolitische Motivation hin, die Amoralität des Vertrages. SPD [auf die] grandiose Vergewaltigung durch 2 Supermächte. Große könnten machen, was sie wollen. Keine Illusionen: für den Frieden trüge der Vertrag nichts aus, vielleicht für das Bewußtsein der Völker. Große verpflichten sich zu nichts. Knebelungsvertrag. Abgewogen und informierend Stellungnahme durch Schnippenkötter2. Breiten Raum nahm Frage nach der Unruhe der Studenten ein. Erstaunlich die große Offenheit. Am meisten Zustimmung fand die Diagnose: Jugend komme sich blockiert vor. Nichts ginge voran, Europa gemessen an den 50 [er] Jahren ohne Fortschritt und ohne Glanz, Ostpolitik nur Verhärtung gebracht, der Ausfall der echten, starken Opposition im Parlament, Undurchlässigkeit der Autoritäten, Manipulation von Parteien und Parlament durch kleine Kliquen. Erstaunlich unbetont die Einrede, daß die Leistungen beim Wiederaufbau respektabel sind. Welche Strapazen und Tüchtigkeiten erforderlich waren, an dem Buch von Eckardt3 mindestens für einige Bereiche deutlich. Brief des Ratsvorsitzenden an die Fraktionen zum 30.4.4 Berliner Vorgänge seit Gründonnerstag5. Vorgestern Sondersitzung des Parlamentes. Litt unter Zeitdruck wegen SPD, kulturpolitische Fragen zurückgestellt bis nächste Woche. Bemühung bei allen um Nuancierungen, keine Pauschalurteile über Studenten, nüchternes Insistieren auf Schwierigkeiten bei Reformen in der praktischen Arbeit. Viele mögen Eindruck gehabt haben, keine der Sache angemessene Debatte. Reden von H. Schmidt und R. Barzel als gut empfunden6. Beide zum 1. x mit Nachdruck daran erinnert, welcher Weg hinter der Generation liegt, die Wieder1 Kunst berichtet hier über den Besuch des Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger bei den drei Bundestagsfraktionen in Bonn; vgl. das Protokoll der 14. Sitzung des Rates der EKD am 2./3. 5. 1968 in Berlin (EZA Berlin, 2/1817). 2 Zum Atomwaffensperrvertrag vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 310 f.; und Kopf nach unten. In: Der Spiegel 22 (1968), Nr. 12 vom 18. 3. 1968, 32 f. 3 Vgl. Felix von Eckardt: Ein unordentliches Leben. Düsseldorf / Wien 1967. 4 Vgl. KJ 95 (1968), 132. Anlass des Schreibens Dietzfelbingers an die drei Bundestagsfraktionen war der „Bericht der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation“ vom 30. 4. 1968, an den sich eine große Bundestagsdebatte anschloss; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 5, 169. Sitzung, 8989C–9050D. 5 Am 11. 4. 1968 – Gründonnerstag – war Rudi Dutschke angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Daraufhin kam es zu schweren Straßenschlachten zwischen studentischen Demonstranten und der Polizei; vgl. Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 381. 6 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 5, 169. Sitzung, 9008 A, 9045 A-9048C, 9018D, 9047C.

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aufbau verantwortet. Dabei betonte und in den letzten Wochen praktizierte Offenheit im Gespräch mit Studenten. Vielleicht nicht konkret genug. Schwache Stellungnahme von Opposition, konkreter nachbohren. Abflachen des 2. Teiles der Diskussion. Auch Auseinandersetzungen zwischen Schmidt – Krone, die wenig mit Sache zu tun hatten. Einiges Veröffentlichte liegt jetzt vor, Beiträge von Dutschke usw. Nicht herausgekommen sind die vollen innenund außenpolitischen Konsekutiva, die eintreten müssen, wenn der Weg der Karwoche nicht prinzipiell geändert wird. In Frankreich spricht man schon wieder von der „Kollektivhysterie der Deutschen“. Die heimliche Last vieler Verantwortlichen ist umso größer, als es in diesem Lande nie so viel Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten gab wie jetzt. Ohne öffentliches Aufsehen wollen Bundespolitiker die Kultusminister drängen, in der Hochschulreform entschiedene Schritte zu tun. Dabei täuscht man sich nicht, daß allein mit Änderung der Hochschulpolitik nicht genug ausgerichtet wird. Eine andere Frage ist, ob der Rat der Meinung ist, daß die Ordnung unseres Staates nicht schlecht ist, die Not vielmehr in der Gesellschaft, in ihrer Reformwilligkeit und Reformfähigkeit liegt, d. h. daß dieser Staat Kräfte braucht, die ihm auf dem Wege der Gesetzgebung nicht zu vermitteln sind. Der Rat wird in seinem Kommuniqu sicher etwas zu dieser Frage der gegenwärtigen Innenpolitik sagen wollen. Mir schiene dies nicht nur im Blick auf die Öffentlichkeit, sondern auch zur Orientierung unserer Brüder, Studentenpfarrer usw. nötig. Man sagt mir, schon vergangene Woche hätten sich 500 Leute für die große Demonstration am 11.5. in Bonn angesagt. Keine Bürgschaft. In jedem Fall hat es mißverständliche Aussagen über die Frage der Gewalt gegeben. Ich halte es für zwingend, daß der Rat sich dazu äußert. Brief Dietzfelbinger hat erinnert an Pflicht, für rechtsstaatliche Ordnung zu sorgen. An dieser Stelle sollte ein klares Wort gegen jede Gewalt und zwar im Blick auf Personen und Sachen stehen. Ich weiß, das Problem der Gewalt liegt in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich. Deshalb empfehle ich, sich deutlich auf die Situation in Deutschland zu beziehen. Ich meine, bei der Verfassung und auch der Verfassungswirklichkeit in diesem Lande kann auch Anwendung von Gewalt gegen Sachen sittlich nicht legitimiert werden. Selbstredend hat dies auch das Parlament und die Regierung gesagt. Aber wir dürfen nicht Eindruck entstehen lassen: die reden für die Erhaltung des Establishments. Natürlich muß gleichzeitig nachdrücklich Wille geweckt und Mut gemacht werden zu Reformen. Aber Warnung vor Gewalt darf nicht fehlen. Eine Volkskirche, die in solch umfassender Kooperation mit dem Staat lebt wie wir, kann in einer Frage von solcher ethischen Qualität nicht gut schweigen7. In diesen Zusammenhang gehört der Ausgang der Wahl in Baden-Württemberg. Dies ist Schwaben! Besonders schwierig, daß Landesvorsitzender der 7 Vgl. das Pressekommuniqu , das der Rat nach dieser Sitzung herausgab; Abdruck in: KJ 95 (1968), 128 f.

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NPD Gutmann ist8. Durch Gerichtsurteil steht fest, daß man ihn ungestraft öffentlich einen Verbrecher nennen kann. Das Selbstbewußtsein bei vielen Deutschen inzwischen so gefestigt, daß sie sich täuschen, wie wir lebensnotwendig auf das Vertrauen im Ausland angewiesen sind, und [wie] relativ bescheiden dies Kapital ist. Die Parteien werden sich große Mühe geben, den Eindruck zu vermitteln, daß sie selber in der Lage sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ziemlich sicher kann man sagen, daß der vergangene Sonntag die Eröffnung des Bundestagswahlkampfes 1969 ist. Eine belangvolle Frage ist, ob es sich in Baden-Württemberg am Sonntag von neuem herausgestellt hat, daß wir Evangelischen in besonderer Weise anfällig für nationalistische9 Parolen sind. Odin in Frankfurter Allgemeinen: noch anders als bisher Sache anfassen10. In dem Gespräch mit den Fraktionen kam auch vor im Zusammenhang die Diskussion um die Jugend die Frage nach unserer Stellungnahme zu dem gegenwärtigen Verhalten der Bundeswehr. Wir nicht eingegangen auf Frage. Ereignisse eingetreten, die unsere Überlegungen fordern. Keine Partei oder Gruppe vergleichbares in Sachen der Kriegsdienstverweigerung geleistet wie unsere Kirche. Der Ratschlag von 1955 hat die Gesetzgebung bis in die Nuance bestimmt11. Auch in der Praxis der nachfolgenden Jahre viel geraten. Schwierig war immer: jeder mußte sich eines kritischen Urteils über die Kriegsdienstverweigerung enthalten, besonders in der Bundeswehr, umgekehrt Soldaten von der Kriegsdienstverweigerung wegen ihres Soldatseins heftig angegriffen. Einrede auch: in unserer Kirche wird Werbung für Kriegsdienstverweigerung durch die Beratungsstellen getrieben. Seit Jahren bleiben aber Kriegsdienstverweigerer nicht sozusagen bei ihrem Thema, sondern greifen andere politische Fragen wie Notstandsgesetzgebung auf. Diese Entwicklung hat der Gesetzgeber sicher nicht gemeint. Vorgänge: Kriegsdienstverweigerer-Gruppen sich abends an in die Kasernen heimkehrende Soldaten mit Flugblattaktionen gewandt, die sozusagen Abwerbung 8 Die NPD erhielt bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg am 28. 4. 1968 fast 10 % der Wählerstimmen und verbuchte damit ihren größten Wahlerfolg in der Geschichte des Landtages von Baden-Württemberg; vgl. dazu Strothmann, NPD. 9 Ursprünglich „nationalsozialistische“, nachträglich von Kunst in „nationalistische“ geändert. 10 Der für die evangelische Kirche zuständige Redakteur der „FAZ“, Karl-Alfred Odin, hatte zwei Tage nach den Wahlen in Baden-Württemberg kritisiert, dass es überwiegend Protestanten waren, die der NPD zu ihren Stimmengewinnen im Landtag verholfen hatten. „Unbelehrbarkeit und Anfälligkeit für nationalistisches Geschwätz wirken unter Protestanten verhängnisvoller als unter Katholiken“, hieß es in dem von Kunst zitierten Artikel. Die evangelische Kirche habe sich zwar um die politische Haltung in ihrem Kirchenvolk bemüht, doch das habe nicht ausgereicht. Neben kirchlicher Hilfe in wirtschaftlich unterentwickelten Übersee-Staaten müsse es eine Entwicklungshilfe geben, die mit langfristigen Selbsterziehungsprogrammen für ein intaktes Verhältnis der Protestanten zur Politik sorge. Odin kam zu dem Schluss: „Zehn bis dreizehn Prozent Stimmen für die radikale Rechte in evangelischen Gebieten – die Zahl ist zu groß, als daß man weiter ohne Sorgen hinter dem Ofen sitzen bleiben dürfte“; vgl. Odin, Sorgen. 11 Gemeint ist der Ratschlag des Rates der EKD zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer vom 16. 12. 1955; Abdruck in: Kundgebungen 1, 207–209.

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betrieben. Ersatzdienstlager in einem Fall neben einer Kaserne. Rote Fahnen entrollt, über den Zaun gerufen. In einem Fall Posten entwaffnet, Täter nicht gefaßt. In einer Kaserne eigene Flugblattaktion, noch nicht abgeklärt. Sicher scheint zu sein, daß Kriegsdienstverweigerer nicht von ihrem Recht von der Einberufung Gebrauch gemacht, sondern in die Kasernen gingen, Schwierigkeiten machten, gezielt ihren Antrag stellten. Je 2 Mann an 2 Geschützen vor dem Scharfschießen, daß Sache ausfallen mußte. Kriegsdienstverweigerer vor die Kasernen gezogen und Diskussionen verlangt. Der normale Kommandeur vor solchen Dingen hilflos. Wahrscheinlich auch vielen Diskussionen garnicht gewachsen, weil sie in anderer Welt erzogen sind. Das Gleiche wie bei zahlreichen Pastoren, die solchen Diskussionen sicher auch nicht gewachsen wären. Bisher jeden Militär-Pfarrer angewiesen, für in der Truppe sich meldende Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung zu stehen. Nur gelegentlich Schwierigkeiten. De Maizi re vor 2 Jahren Erlaß auf unsere Bitte herausgebracht, der diese Sache regelt. Der Mann blieb bis zum endgültigen Urteil von jedem militärischen Dienst freigestellt. Die Reaktion auf die neuen Methoden der Kriegsdienstverweigerer ist heftig. Mir ist zweifelhaft, ob Erlaß durchgehalten werden kann. In Hamburg sollen potentielle Kriegsdienstverweigerer auf die Prüfungsverfahren mit allen möglicherweise vorkommenden Fragen eingeübt worden sein. Ich meine, uns kann nichts an einer unguten Behandlung von Gewissensfragen liegen, weder bei den Kriegsdienstverweigerern noch bei den Prüfungsämtern. Auf der Jahrestagung der Militärpfarrer vergangene Woche auf das bestimmteste unseren Standort beschrieben: wo immer das Gewissen angemeldet wird, ob auch in krauser oder manipulierter Form, hat der Pfarrer zur Stelle zu sein. Etwas ganz anderes ist, was die Truppe tun wird. Aber ich meine, an der Spitze kann uns auch dies nicht gleichgültig sein. Deshalb neue Präzision unserer Meinung. Die Kriegsdienstverweigerer tun nicht nur sich selber einen Bärendienst mit ihren neuen Methoden. Diese Sache kann zu mehr als zu Verhärtungen führen. Im Ganzen muß man daran erinnern, daß die bewaffnete Macht eines Staates unter allen Gruppen der Gesellschaft ein besonders empfindliches Instrument ist. Wir dürfen uns nicht täuschen über das Ausmaß der Gefahr in Zentraleuropa. Die Truppen liegen in einer ziemlich hohen Alarmstufe. In ihr unmöglich, daß sie plötzlich in politischen Unternehmungen wie die der Studenten hereingezogen werden. […]

201 37 Berlin, 13. Juni 1968 EZA Berlin, 742/2, hsl. Nicht oft in 6 Wochen so viele weitreichende Ereignisse wie seit der letzten Ratstagung. Wegen Ostdenkschrift mußten wir uns Analyse im Ostblock zuwenden. Es sieht so aus, als würden sehr viele Regierungen in der Welt genötigt, sich den Fragen nationaler Innenpolitik in ganz anderer Weise als bisher zuzuwenden. Die Nachkriegszeit hat mit ihren außerordentlichen Machtumschichtungen die Außenpolitik in eine alles dominierende Stellung gebracht. 1945 hat nicht nur das Ende der größten kontinentalen Macht in Europa als Weltmacht gebracht. Die Entkolonialisierung, der für alle Lebensbereiche steile Aufstieg der Bedeutung der Technik, die Ausbalancierung der Kräfteverhältnisse, die Notwendigkeit vollständig neuer Sicherheitsbemühungen, die ständig wachsende Internationalisierung der Wirtschaft usw. haben höchste außenpolitische Betätigungen zwingend gemacht. Offenbar sind dabei innenpolitisch relevante Dinge zu kurz gekommen. Dies gilt nicht nur von der Bundesrepublik, es ist in Frankreich, Amerika, Polen und möglicherweise auch in der DDR und in Rußland nicht anders. Wie schwer die Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen ist, haben wir in der Frage der Notstandsgesetzgebung gemerkt. Nur in sehr begrenztem Umfang ist es gelungen, das Gespräch zu versachlichen, also von den zur Diskussion stehenden Entwürfen zu sprechen und nicht von denen vor 10 Jahren. Votum Heinemann. Wir haben dies auch bei Demonstration von Pastoren in Bonn erlebt. Gesprochen mit den Leuten, die mit Pfarrern diskutieren. Dabei herausgekommen, wie viele lediglich Parolen mit übernommen haben, ohne die Vorlage der Regierung zu kennen. Dies und das Marschieren im Talar hat nicht nur Verärgerung ausgelöst, sondern dem Ansehen der Kirche einen schweren Schaden zugefügt1. Die Mitglieder der Regierung wie zahlreiche Abgeordnete haben eine präzise Erklärung verlangt zu Schildern wie: Notstandsgesetze = Nazigesetze. Unter denen, die für die Gesetze stimmten von den Abgeordneten, viele, die schwere Diffamierung empfanden und mit Bitterkeit reagierten. A. Arndt. Immer wieder gefragt bei Verhandlungen, ob solche Vorgänge nicht zwangsläufig eine größere Distanz zwischen Staat und Kirche erzwängen, zumal kein Fall bekannt geworden sei, daß eine Kirchenleitung disziplinar tätig geworden sei. Vollständig anderes Verständnis von Amt, anderes Verständnis von Evangelium. Wie bei marxistischem Überbau Amt führen. Aber der Vorwurf der Schwäche richtet sich auch gegen die Staatsorgane, am wenigsten gegen die Polizei. Offenbar erlauben die 1 Am 8. 5. 1968 hatten u. a. 500 Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter auf einer der zahlreichen Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze das Transparent „1933 Ermächtigungsgesetz – 1968 NS-Verfassung“ gezeigt; vgl. Greschat, Protestantismus, 109.

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Landesjustizministerien ihren Staatsanwaltschaften nur zögernd, Verfahren zu eröffnen. Ein Vorgang in Berlin: das Bundeshaus wurde besetzt, nachdem Türen mit Brecheisen geöffnet wurden. Bevor ausreichende Verbarrikadierung möglich war, Polizei Haus geräumt. Krautwig Polizei gefragt, ob Personalien festgestellt worden seien. Nein, mehr als 5.000 Personen von der Staatsanwaltschaft in diesen Monaten genannt. Es geschähe nichts. Es sei die reinste Klassenjustiz. Während der normale Bürger wegen Bagatellsachen bestraft würde mit allen bösen Folgen des Vorbestraftsein, würden Nötigung, Landfriedensbruch usw. nicht ernsthaft verfolgt. Ich sage dies, weil die NPD aus diesen Vorgängen kein geringes Kapital schlägt. Selten hat es eine Partei in unserem Lande so leicht gehabt wie z. Zt. die NPD. Um so wichtiger wird die weitere Verfolgung der Absichten des Rates im Mai sein. Sie zielten auf eine Entwicklung des Demonstrationsrechtes. Die Gespräche mit Justiz- und Innenminister, die mir [der] Rat aufgetragen, haben begonnen. Daß Demonstration mindestens für befristete Zeit andere Bürger einschränkt, ist unvermeidlich. Das Recht auf Demonstration gilt aber als so wichtig, daß die Gemeinschaft Einbußen hinnehmen muß. Die Schwierigkeit beginnt bei der Gewalt gegen Sachen. Die Überlegungen bei der Regierung sind noch nicht weit, man wäre aber wohl nur dankbar, wenn wir uns bei der Untersuchung dieses Teiles der politischen Ethik nachdrücklich beteiligen würden. In diesen Zusammenhang gehört der Auftrag des Rates an Beckmann und mich, uns um die Tätigkeiten der Kriegsdienstverweigerer zu kümmern. Gespräch mit Generalinspekteur. Im guten Einvernehmen geführt. Beckmann aufmerksam gemacht, daß diese Dinge nicht von kirchlichen Organen betrieben würden. Flugblatt, Bericht über Demonstrationen vor allem in Hessen, dort Schwierigkeiten vor nahezu allen Kasernen. Eindruck, daß unsere Beratungsstellen Werbung betreiben. Urteil des Bundesgerichtshofes, der Weiterleistung des Dienstes will, bis Anerkennung ausgesprochen ist. […] Zu wenig wird bedacht, daß kein innenpolitischer Weg bei uns betrachtet werden kann isoliert von der prekären Lage der Bundesrepublik, besonders durch Berlin. Die Unruhen in Berlin haben z. B. sicher die Investitionsfreudigkeit der Industrie gelähmt. Bei der Prüfung der Diagnose hat dann auch in der Wirtschaft eine Rolle gespielt, daß sich der SDS auch gegen das bürokratische Herrschaftssystem der DDR gewandt hat. Eine echte und umfassende Solidarisierung von SED und SDS hätte eine geradezu gefährliche Lage für Westberlin heraufbeschwören können. In Ostberlin gelten die Rückschläge der SPD als Folge ihres Eintritts in die Koalition. Die SPD müsse unter allen Umständen auf die linke Position zurück. Es könne sehr schnell eine Lage in Europa eintreten, daß alle Sozialisten die Neuordnung in die Hand nehmen müßten. Das gelte für Frankreich ebenso wie für Italien. Die SPD käme aber in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht einmal für ein Zweckbündnis in Frage. Inzwischen versucht die SED, über die KPD in den anderen Ländern die Animosität gegen die Bundesrepublik unter Verweis auf die NPD anzuheizen. In diesen Zusammenhang gehören die Schwierigkeiten, die die DDR vorges-

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tern durch den Visazwang und die höheren Straßen- und Kanalgebühren gemacht hat. Begonnen hatten diese Dinge mit der Sperrung der Zufahrtsstraßen für NPD und Staatsbeamte. Das Wichtigste daran ist, daß Rußland diese Maßnahmen als in den Zuständigkeitsbereich der DDR fallend anerkannt hat. Auch in allen anderen Bereichen wird die Vereisung immer schlimmer. Die Bundesrepublik ist z. B. bereit, die Rückvergütung für die Mineralölsteuer zu bezahlen. 120 Millionen, DDR nicht bereit, Geld anzunehmen mit den im Interzonenhandel geltenden Unterschriften. Auch bei der Regulierung der Leistungen für die Post ist kein Dissensus über die Notwendigkeit der Zahlungen, sondern über die Rechtsbegründungen. Bei aller wirtschaftlichen Stabilisierung in der DDR seit der Mauer ist sie noch lange nicht wirtschaftlich über den Berg. Aber sie läßt ihre politische Linie nicht durch wirtschaftliche Überlegungen tangieren. Die Not liegt darin, daß die DDR die neue deutsche Ostpolitik garnicht anders als gegen sie gerichtet ansehen kann. Jeder Schritt, der uns gerät, bedeutet eine Verschlechterung für die Absichten die DDR. Es ist deshalb keinerlei Anlaß zu glauben, daß sich in den nächsten 1–2 Jahren eine Verminderung der Spannungen und der Feindseligkeit abzeichnen kann. Bei unseren Überlegungen für den Weg der EKD in Ost und West wird dies ziemlich sicher von konkretem Belang sein. Noch gelingt es, wenigstens die unmittelbar kirchlichen Kooperationen aus dem Schußfeld zu halten. Alles Andere ist schon getroffen. Aber darüber wird an anderer Stelle der Ratstagung noch zu reden sein. Dies nur als Hintergrund. Rechtzeitig genug daran erinnern, daß auf uns von neuem die Verjährungsfrage für Mord zukommt. Für unser Gespräch über den Dienst der Kirche in der Politik ist dies fast wie ein Modell. Wir können kaum sagen: eine politische Ermessensfrage. Diese Frage der politischen Ethik hat unmittelbar zu tun mit einer Reihe von Äußerungen der Kirche, angefangen von 1945, nämlich mit dem Urteil über die Konsekutiva des Weges unseres Volkes in der nationalsozialistischen Zeit. Sie hat aber auch Belang für unser oekumenisches Gespräch. Schon jetzt sagen einem oekumenische Freunde aus England und Amerika, wenn es in zahlreichen Staaten keine Verjährung von Mord gibt, hättet ihr besonderen Anlaß, dies auch bei euch durchzusetzen. Noch schieben die Fraktionen die Sache vor sich her. Wir werden aber sicher gefragt werden und sollten jetzt prüfen, ob wir eine unserer Kammern um ein Votum bitten sollten. Heinemann drängt sehr2. […]

2 Vgl. Deutscher Bundestag. Historische Debatten (4).

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38 Berlin, 25. September 1969 EZA Berlin, 742/3, hsl. Bisher hat sich das kritische politische Denken in unserer Kirche vor allem der atomaren Frage zugewandt. Nur gelegentlich ist an die B- und C-Waffen erinnert worden. Durch den Unglücksfall in Okinawa ist öffentlich bekannt geworden, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik auch entsprechende Waffenvorräte eingelagert sind1. Im Ganzen hat die Presse erstaunlich gelassen reagiert, ist auch nach den Erklärungen der Bundesrepublik nicht beim Thema geblieben. DDR hat zunächst kräftig Alarm geschlagen, ist aber stiller geworden, seither ihr vor allem durch die Feststellungen des schweizerischen Geheimdienstes vorgehalten werden konnte, in welch hohem Maße die gleichen Waffen im Gebiet der DDR stationiert sind. Polen hat auf der Abrüstungskonferenz in Genf, unterstützt von der Tschechei das Verbot der B- und C-Waffen gefordert. Die Diskussion ist noch im Gang2. Der Sprecher der Bundesregierung hat sich recht allgemein geäußert. 1. es lagerten nur „begrenzte Mengen“. Diese Auskunft stimmt sicher, weil 5 Tonnen ebenso wie 50.000 Tonnen in jedem Fall eine „begrenzte Menge“ sind. 2. es sei nicht daran gedacht, diese Waffen im Verteidigungsfall als erste einzusetzen; wenn überhaupt, dann nur im Vergeltungsschlag. Aber da die Waffenlager den Amerikanern gehören, wird man daran erinnern dürfen, daß Amerika sie als erste und bisher einzige Macht eingesetzt hat. Jedenfalls ist dieser Vorhalt, soweit ich sehe, bisher unwidersprochen geblieben. Ich will keine Zweifel an den redlichen Absichten der Bundesregierung wecken, nur ist nach den Erfahrungen der Geschichte in solchen Dingen Kontrolle besser als Vertrauen. 3. Es gibt Arbeiten in der deutschen Wissenschaft, die sich mit Untersuchungen über Entgiftung und Frühwarnungsgeräten befassen und dafür über minimale Testsubstanzen verfügen. Ein wenig biedermännisch wirkt zu dem Vorgang die Auskunft der Bundesregierung, diese Wissenschaftler seien verpflichtet, Strafanträge zu stellen, wenn sie den begründeten Verdacht hätten, ihre Forschungsarbeiten dienten der Entwicklung von B- und C-Waffen. Nichts ermutigt nach den Erfahrungen vor und nach 1945, die 1 Durch einen Unfall in einem Waffendepot der US-Armee auf der japanischen Insel Okinawa war bekannt geworden, dass dort biologische und chemische Waffen lagerten. Dies hatte zu weltweiten Protesten geführt. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse geriet auch die Lagerung von Bund C-Waffen durch die US-Streitkräfte in der Bundesrepublik in den Fokus der öffentlichen Kritik; vgl. AAPD 1969, Bd. I, 921. 2 Vgl. Bundesregierung für das weltweite Verbot von B- und C-Waffen. Konstruktive deutsche Mitwirkung – Zurückweisung kommunistischer Anschuldigungen. In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 111 vom 2. 9. 1969, 948; und Konstruktiver deutscher Beitrag zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Memorandum der Bundesregierung zum Verbot der Herstellung und Anwendung von B- und C-Waffen (ebd., 994).

Berlin, 25. September 1969

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Wissenschaftler und die Justiz die eigentliche Verantwortung in dieser Sache zu übernehmen. Man sieht auch nicht, welche Gutachter eigentlich die notwendigerweise unkundigen deutschen Gerichte beraten sollten. Es könnten doch wohl nur internationale Sachverständigengremien Anspruch auf Unparteilichkeit erheben. Noch mißtrauischer muß es machen, wenn die Bundesregierung erklärt, die bei uns eingelagerten Kampfstoffe seien nicht für unsere deutschen Trägerwaffen bestimmt. In Vietnam werden jedenfalls diese Waffen mit den gleichen Geschützen verschossen, über die auch wir verfügen. Man kann auch bei Flugzeugen Geräte benutzen, die man für das Versprühen von Mitteln zum Pflanzenschutz braucht. Nur ein Spezialgerät, mit dessen Hilfe Vietkongs in Höhlen ausgeräuchert werden, haben wir nicht. Nicht unbeachtet bleiben darf der weltpolitische Aspekt dieser Sache. Die B- und C-Waffen haben zweifelsfrei auch Gewicht für den sowjetisch-chinesischen Konflikt. Werden Thailand, Laos und Formosa ausreichend B- und C- Waffen zur Verfügung gestellt, muß China dies als zusätzliche Bedrohung empfinden. Die Schweden haben am 5.8. in Genf Antrag gestellt, alle B- und C-Waffen zu verhüten3. Offenbar zögern die Amerikaner, weil sie sich von diesen Waffen viel versprechen, wiewohl sonst der militärische Wert umstritten ist. Es scheint so, als ob die Grenzen zwischen tödlichen und nicht tödlichen B- und C-Waffen schwer zu ziehen seien. Vielleicht könnte darin eine internationale Kontrolle eine Hilfe sein, daß nur nachweisbar unschädliche Dosierungen verwandt werden. Wenn es auch nur z. T. stimmt, was BBC, das schwedische Fernsehen und die letzte Pugwashkonferenz gesagt haben, muß man sagen, daß in dieser Sache in der westlichen Welt mehr verschwiegen und verschleiert als gesagt wird, und wir in der Bundesrepublik schweigen. Das Pentagon will offenbar auf keinen Fall auf chemische Waffen verzichten. England hat diesem Wunsch dadurch Rechnung getragen, daß es in Genf einen Antrag einbrachte, in dem nur von biologischen Waffen die Rede ist. Rußland hat sehr scharf darauf reagiert. Aber wenn schon England sich nicht traut, dem Pentagon die Stirn zu bieten, was soll dann die Bundesrepublik tun, die noch ganz anders als England auf Amerika angewiesen ist? Immerhin ist die Meinung von Brandt über diese Sache offenbar sehr kühl. Er hat nur die Auffassung des Verteidigungsministers referiert, daß die B- und C-Waffen bei dem entsprechenden Potential des Ostens zum Instrumentarium der Abschreckung gehören, dann aber gemeint, diese Situation brauche nicht für alle Zeit unverändert zu bleiben. Aber z. Zt. sei wohl im gefährdetsten Gebiet der NATO die Lagerung der entsprechenden Waffen ein sinnvolles Element der allgemeinen Abschreckung des Bündnisses. Der Osten, der für die chemische Kriegsführung 3 Die schwedische Delegationsleiterin hatte am 5. 8. 1969 auf der Konferenz der 18 Mächte Abrüstungskommission (ENDC, unbenannt am 26. 8. 1969 in CCD) in Genf vorgeschlagen, ein Verbot aller chemischen und biologischen Waffen gleichzeitig anzusteuern; vgl. Simonitsch, Verbot, 546.

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organisiert, ausgebildet und ausgerüstet sei, müsse wissen, daß die Allianz zum Gegenschlag in der Lage sei. Stoltenberg hat daraufhin seine Bedenken gegen die Zustimmung zum schwedischen Antrag vorgebracht. Möglicherweise also kommt es in dieser Sache zu einem Konflikt in der Koalition wie beim Sperrvertrag […] Wir müssen damit rechnen, daß die Frage der B- und C-Waffen auch für die innerkirchliche Diskussion Bedeutung gewinnt. Ich bitte deshalb zu prüfen, ob der Rat nicht in sein Kommuniqu eine kurze Passage aufnimmt: er habe sich berichten lassen und Auftrag gegeben, den Fragenkreis im Gespräch mit der Bundesregierung näher zu klären4. Der Rat behielte sich vor, bei der nächsten Begegnung mit der künftigen Bundesregierung die Angelegenheit vorzubringen. Für dieses Gespräch, was m. E. spätestens für März–April 1970 vorgesehen werden sollte, müßte geprüft werden, ob wir nicht anregen sollten, ganz Europa von B- und C-Waffen frei zu machen. Natürlich brauchte man dann ein ost-westeuropäisches Kontrollsystem. Sicher wird dabei die chemische Industrie große Sorgen wegen einer etwaigen Spionage durch die Kontrolleure haben. Man könnte aber, wenn sich die Kontrollfrage befriedigend lösen ließe, geltend machen, daß man durch solche Regelung die These von der angestrebten gesamteuropäischen Friedensordnung glaubwürdiger machte. Über die Dinge um die Wahl brauche ich nichts zu sagen. Ausreichend Material von der Kirchenkanzlei. Vielleicht noch aufmerksam machen auf ganzseitige Anzeige der FDP: wir sind für den Staat, wir sind für die Kirche, aber gegen staatliche Kirchensteuern5. Nicht gefehlt an Versuchen, eine Parteinahme der EKD zu erreichen. Bemühungen, gemeinsame Erklärung der Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Landwirtschaft, Handwerk usw. vor allem gegen Rechtsextremismus herauszubringen. Schwierig war dabei, daß Döpfner ablehnte wegen der Königsteiner Erklärung der Bischofskonferenz von August6. Jetzt auf Fuldaer Bischofskonferenz von neuem geäußert. Es muß mißverständlich sein, wenn wir vollständig schweigen, bisher haben sich nur einige Landeskirchen geäußert, was aber nur geringes publizistisches Echo fand. Prüfen, ob wir heute Morgen einen ersten Teil des Kommuniqu s veröffentlichen, also keine solemne Erklärung, und aussprechen, welche Sorgen uns im Blick auf alle extremistischen Parteien und den Anarchismus bewegen. Ob man einen Satz voranstellen sollte, der sich für den freiheitlichen Rechtsstaat ausspricht, müßte erwogen werden. Man brauchte sich dann nicht zu den vorhandenen demokratischen Parteien äußern und 4 Der Rat der EKD nahm diesen Vorschlag nicht auf, sondern gab nur eine Erklärung zur Bundestagswahl und zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ab; vgl. das Protokoll der 25. Ratssitzung am 25./26. 9. 1969 (EZA Berlin, 2/8312). 5 Vgl. den Wortlaut der Anzeige auf dem FDP-Wahlkampfplakat (ebd.); und den vor den Bundestagswahlen am 28. 9. 1969 vorgelegten Entwurf der FDP „Praktische Politik für Deutschland“, in dem Verhandlungen mit den Kirchen gefordert wurden, die die organisatorische Unabhängigkeit von Kirche und Staat sichern sollten, in: EZA Berlin, 87/657. 6 Vgl. die Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz.

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könnte den Eindruck eines pauschalen, unkritischen Urteils über die Parteien vermeiden7. Als einen Gewinn wird man ansehen können, daß bis jetzt wenigstens der Atomwaffensperrvertrag nicht in die Mitte der Diskussionen gerückt worden ist. Der Rat hatte beschlossen, daß er, wäre es geschehen, noch vor der Wahl das Wort dazu nehmen würde. Soweit ich die Lage übersehen konnte, bestand dafür kein ausreichender Anlaß. Wegen der außerordentlichen Belastung der Tagesordnung nur diese beiden Punkte.

7 Vgl. den Aufruf des Rates der EKD an die Öffentlichkeit vom 25. 9. 1969. Darin mahnte der Rat an, die demokratische Staatsform zu stärken, er warnte vor der Verführung durch radikale Parolen und rief die politisch Verantwortlichen zu Toleranz und gegenseitiger Achtung auf; vgl. KJ 96 (1969), 102.

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39 Berlin, 23. Oktober 1969 EZA Berlin, 742/3, hsl. 2 Tage vor der Wahl zusammen1. Meine Bemerkung: möglicherweise haben wir schon Montag Mittag eine Regierung. Das einzig Erstaunliche, daß CDU offenbar nicht ernsthaft genug mit der SPD-FDP Koalition gerechnet hatte2. Wegmarke: Wahl Heinemann3. Überraschung für FDP-Wahlkampf. Vorbereitet auf Kampf gegen große Koalition. Je mehr sie zerbrach, desto falscher angelegt war der Kampf. Umso zielstrebiger Koalition mit SPD angesteuert. Kiesinger wohl bis zum Schluß noch mit großer Koalition gerechnet. Aber alles hat Presse so detailliert berichtet und kommentiert, wenig sagen. Mit der neuen Aufgabe fertig werden ist für die CDU mindestens so schwer wie für die beiden anderen Parteien. Der Spannungsbogen in der CDU war immer sehr groß, Pohle (Mitgesellschafter von Flick4) und Katzer, Kulturpolitik von Altmeier, Bayern und Stoltenberg und Mikat. Gleichgültig war die konfessionelle Frage nie. Generationenfrage stärker als in anderen Parteien. Niemand kann an einem Auseinanderbrechen liegen. Je besser die Regeneration gelingt, desto besser für unser Gemeinwesen. Fraglich ist, ob es ausreichend echte große Fragen gibt, um belangvolle Alternativen entwickeln zu können. Es wäre sicher nicht gut, wenn die CDU eine Profilierung gegen die SPD etwa beim Atomwaffensperrvertrag suchte und fände. Angenommen wäre er auch, wenn CDU geblieben wäre. Ob sie jetzt zustimmen wird, noch keineswegs sicher. Personalpolitisch war SPD von größter Entschlossenheit. Bisher reine Formalie, daß Staatssekretäre und Ministerialdirektoren politische Beamte sind. Gingen sie im Ausnahmefall vor der Zeit, bekamen sie eine große leitende Verantwortung in einem Werk, auf das Regierung entscheidenden Einfluß hatte. Zum 1. x anders. Sogar geprüft am 29.9., ob Beamtenrecht geändert werden solle, um Kreis der politischen Beamten zu vergrößern. Inzwischen darum stiller. Die alte Sache: So viele tüchtige Leute gibt es garnicht. Besonders schmerzlich gemerkt bei Wissenschaftsministerium. Von den meisten Ministern kann man keine grundstürzend neuen Dinge erwarten, von wenigen kann etwas politisch Faszinierendes ausgehen. Eine Ausnahme macht der Wissenschaftsminister. Darin steckt die Auseinandersetzung um neue Grenzen bei der letzten eigentlichen Bastion der Länder: der Kulturpolitik. Dies Ministerium muß Beiträge für eine für die Existenz dieses Landes unerläßlich 1 Vgl. den Bericht am 25. 9. 1969 (Dok. 38). 2 Kunst kommentiert im Folgenden den Ausgang der Bundestagswahlen am 28. 9. 1969. Die neue Koalition von SPD und FDP ermöglichte es der SPD erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik, den Bundeskanzler zu stellen; vgl. dazu Hildebrand, Erhard, Bd. 4, 393–404. 3 Gemeint ist die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten am 5. 3. 1969; vgl. dazu Baring, Machtwechsel, 120–123. 4 Gemeint ist der „Flick-Konzern“ des deutschen Unternehmers Friedrich Flick.

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notwendige Grundlagenforschung und für die Hochschulpolitik leisten. Um so schwerer für SPD, dafür keinen ausreichend qualifizierten eigenen Mann anbieten zu können. Damit geht Wissenschaftspolitik aus der Hand eines Lutheraners Schleswig-Holsteinischer Prägung in die Hand eines Reformierten Bentheimer Art über5. Er stammt aus Schüttorf. Man sagt ihm nach: diese Komponente bis heute kräftig. So berichtete „Bild“ denn auch von ihm: daß er weder eine Lieblingsspeise oder ein Lieblingsspiel und auch keine kleinen Sünden habe. Lohmar erstaunlich schlecht behandelt6. Nicht einmal in das Gespräch gebracht. Einrede gegen Leussink auch von Forschungsgemeinschaft und Rektorenkonferenz: im Wissenschaftsrat zu wenig geleistet. Er hätte Explosion der Studentenziffern rechtzeitig erkennen müssen. Dafür sei der Wissenschaftsrat da. Einrede der führenden Männer im Ministerium: Professor immer gut, aber nur für die ersten Monate. Gebraucht würde ein Mann, der in der Regierungspartei eine solide Hausmacht hat und in der Lage ist, die Schlacht im Parlament zu schlagen. Davon keine Ahnung. Kann man nicht Parlament als Minister hantieren, wenig Chance für große Schritte nach vorn. Kanzler nur in Grenzen hilfreich, weil er zuviel hat. Brandt sich durchgesetzt, auch bezeichnenderweise gegen Vorschlag von Dohnanyi. Sicher hat bei der Auswahl der Minister die konfessionelle Frage zum 1. x überhaupt keine Rolle gespielt. Dabei ist dann, wie es bei dem Charakter und der Geschichte der beiden beteiligten Parteien leicht erklärbar ist, eine im wesentlichen evangelische Regierung, besser: Regierung aus Gliedern unserer Kirche herausgekommen. Nur Arendt kein Glied einer Kirche. Frau Strobel wahrscheinlich evangelisch. Dies kann für unsere katholischen Brüder nicht leicht sein. Die kritischen Fragen an den Episkopat im Blick auf die letzten 70 Jahre und die Zeit nach 1945 bekommen Auftrieb. Das Recht der Rede vom geistigen Nachholbedarf oder der geistigen Rückständigkeit und Unterentwicklung wird für viele geradezu plakatiert. Um so behutsamer sollten wir in öffentlichen Äußerungen sein. So weit ist die katholische Christenheit in Deutschland noch nicht oekumenisch, daß sie nicht die fast vollständige Ausschaltung aus den führenden Ämtern des Staates mit Betroffenheit registrierte. Die nach dem Protokoll höchsten 6 Ämter, wovon Bundesratspräsident wegen des jährlichen Wechsels nicht zählt in diesem Zusammenhang: von 5 Ämtern 1 katholisch besetzt, Präsident des Bundesverfassungsgerichts Gebhard Müller. Sonst alle Schlüsselstellungen, die weit überwiegenden klassischen Ressorts der Regierung von Gliedern unserer Kirche verwaltet. So war es noch nie seit 1949. Bisher ein gesundes balanciertes Verhältnis. Weniger Frauen im Parlament, aber Frau Geisendörfer. Nur 1 Frau als Ministerin, dafür mehrere Frauen als parlamentarische Staatssekretäre. Eine 5 Gemeint sind Gerhard Stoltenberg (CDU), der bis 1969 Bundesminister für wissenschaftliche Forschung war, sowie dessen Amtsnachfolger im ersten Kabinett Brandt, der parteilose Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Hans Leussink. 6 Gemeint ist der SPD-Bildungspolitiker Ulrich Lohmar.

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Schwierigkeit mit der FDP wegen der Anzeige über die staatliche Kirchensteuer und der Reaktion von Kirchenkanzlei und Rat unmittelbar vor der Wahl. Frau Funke in aller Form sich bei mir beschwert. Selber wohl nur halbglücklich, aber gedrängt. Erwartet, daß wir vor Stellungnahme mit FDP gesprochen. Erinnert: ich sowohl nach Erscheinen des 1. Entwurfes mit ihr und Genscher, aber auch andere Abgeordnete der FDP gesprochen. Außerdem in Kammer für öffentliche Verantwortung ein Lagebericht vorgebracht. Meinung unzweideutig: keine gute Sache. Vorgeschlagen: offizielles Gespräch. 17. November Vertriebenengespräch, Ratsvorsitzender ohnehin in Bonn. Wer soll außerdem teilnehmen? […]

211 40 Berlin, 23./24. Oktober 19691 EZA Berlin, 742/3, hsl. 3.5.69 Rat usw. zugeleitet Arbeitsbericht2. Geschichte: Dezember 68 Schröder, Hengsbach und ich Gespräch über Grundsatzfragen, einen Tag. Eine der Fragen, neue Gestalt der Kriegsdienstverweigerung. Aktionen vorangegangen, Flugblätter: zersetzt die Bundeswehr. Empfehlung: sich einziehen zu lassen, erst in der Truppe sich als Kriegsdienstverweigerer melden. Ausführliche Anweisungen: welche Argumente, wie sich äußern. Erklärte Ziele: die Änderung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse durch Revolution. Eines der Instrumente Verunsicherung der Bundeswehr. Nicht von christlicher Motivation, auch nicht Avantgarde der Verweigerer, denen bisher unsere Fürsprache galt. Immer mit Beckmann einig: nicht, was wir meinen. Angekündigt heißer Sommer. 1.7. Einzugstermin der Abiturienten. Was sollte angesichts dieser Sache geschehen? Kommission eingesetzt, die für die Beratungen unter uns 3 ein Arbeitspapier erstellen sollte. Schon im Gespräch deutlich angemeldet, was EKD vertritt. Voller Respekt vor Gewissensentscheidung, keine Diskriminierung nach beiden Seiten. Dienst für den Frieden mit und ohne Waffen, im Ersatzdienst oder als Entwicklungshelfer. Selbstredend aber Gewissensgründe, nicht Kriegsdienstverweigerung als Instrument zur Zersetzung der Truppe. Kommission 3x getagt. Auch jene Vertreter des Ministeriums, mit denen wir bisher in dieser Sache gut zusammenarbeiteten, gerügt. Die Kommandeure drängten auf schnelle und entschiedene Lösungen. Es gab Kommandeure, die weder mit dem, was vor den Toren der Kasernen, noch in den Kasernen fertig wurden. Es ging ihnen wie vielen Rektoren der Universitäten […] Die Schwierigkeit jetzt ähnlich wie bei Vertriebenendenkschrift, bei der der 1. Teil vollständig in der öffentlichen Diskussion unterging und nur die Frage der Oder-Neiße-Linie aufgespießt wurde. […] Allen deutlich, sehr vorläufige Überlegungen. Von neuem angreifen, wenn neues Parlament Chance zur 1 Der hier vorliegende Bericht über das Gutachten zur Kriegsdienstverweigerung bildete Teil c) dieses Lageberichts. 2 Das Schreiben Kunsts an die Mitglieder des Rates der EKD und weiterer kirchlicher Dienststellen vom 3. 5. 1969, das dem Schreiben beiliegende Gutachten einer eigens von Kunst, dem katholischen Militärbischof und dem Verteidigungsminister eingesetzten Kommission vom 1. 4. 1969 sowie eine Sammlung öffentlicher Reaktionen auf dieses Gutachten finden sich in: EZA Berlin, 161/224. Das Protokoll der Ratssitzung vermerkt: „Am 3. Mai leitete Kunst den Kirchenleitungen […] ein Arbeitspapier zu […]. Konkreter Anlass, die Sachfragen erneut aufzugreifen, waren Aktionen zur Zersetzung der Bundeswehr, deren Verunsicherung nach Meinung der Initiatoren solcher Aktionen die Revolutionierung der Gesellschaft entscheidend fördern würde. Das ist nicht die Art von Kriegsdienstverweigerung, für die die Kirche in Fürbitte und Fürsprache eintritt“. Das Gutachten der Kommission war an die Öffentlichkeit gelangt und hatte zu massiven Angriffen auf den evangelischen Militärbischof Kunst geführt; vgl. das Protokoll der 33. Ratssitzung am 23./24. 10. 1969 (EZA Berlin, 2/8313).

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echten Verhandlung gibt. Auf keinen Fall gab oder gibt es neue Tendenzen in der Behandlung der Frage in der Militärseelsorge. […] Wer gezielte Indiskretion beging, weiß ich nicht. Konzertierte Aktion: Kölnischer Stadtanzeiger, dessen Chefredakteur zu den sogenannten Linkskatholiken gehört und Rundschreiben Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer. Erster Satz: Schäufele geschrieben: unwahr und wider besseres Wissen. Zeit: Thron und Altar, Spiegel in gewohnter Manier3. Nicht sehr zum Zuge gekommen angesichts der politischen Ereignisse dieser Woche, aber es wird noch Aufsätze geben. Evangelische Jugend Hannover meinen Rücktritt verlangt. Selbstredend weiß ich dies nur aus epd, kein Gespräch. Mt 16 + 18 wird ja kaum noch praktiziert: erst die sündigenden Brüder sprechen, Älteste, Gemein […] Kommuniqu ! Zur Sachfrage: wie sonst: Schwierigkeit, wie soll Gewissensberatung in weltlichen Dingen konkret passieren? Erfahrung mit Denkschriften. Wir in der Verlegenheit, daß wir Gewissenslast nicht nur bei Kriegsdienstverweigerern, sondern vor allem bei dem Führungsstab und den Kommandeuren fanden. Führung hat das Mandat für die äußere Sicherheit des Landes. 20 % des Gesamtetats. Aber nicht nur Rang der Sicherheit, die allein uns ja alle diese Diskussionen erlaubt, sondern auch Rang der Bundeswehr innerhalb der deutschen Außenpolitik. Generalinspekteur immer wieder bei mir gewesen. Kann ich dabei nu r die Kriegsdienstverweigerung anmelden? Es ist etwas Unterschiedliches: zu reflektieren wie das Arbeitspapier oder ein Gewissen verantwortlich beraten. Ich habe mir allen Tadel leicht gefallen lassen, weil ich in wenigen Dingen ein so gutes Gewissen habe wie in dieser Sache. Mit unzweideutiger Klarheit ist der Grundsatz durchgehalten: für den Frieden mit und ohne Waffen4. Keine Diskriminierung. Klar Stellung gegen Mißbrauch. Dies Letztere ist wichtig nicht, um die Kampfkraft der Truppe zu erhalten, sondern weil die Kirche ein elementares Interesse daran haben muß, daß kein Mißbrauch der Berufung auf das Gewissen passiert und damit ja gleichzeitig die echten Gewissensentscheidungen unter Verdacht geraten. Zu dem Arbeitspapier selber: ganz unbegreiflich Vorhalt: Verteidigung der CDU-Politik. Ich kenne kein Papier, das so entschieden die Absage an wichtigen Stellen vollzieht wie der 1. Teil. Ich hoffe, Sie haben sich alle [das] Papier noch einmal vorlegen lassen. Ziemlich viel will ich auch jetzt noch vertreten. An 1. Teil haben unsere Leute gearbeitet, Schwierigkeiten bei den übrigen Teilen. Um des 1. Teiles willen vor allem weitergeleitet. Spiegelt Erfahrungen wider, die wir in Jahren machten.

3 Vgl. Militärseelsorge. Ein gewisses Halt. In: Der Spiegel 23 (1969), Nr. 43 vom 20. 10. 1969, 62. 4 In der dem Protokoll der Ratssitzung beiliegenden Ratserklärung heißt es: „Wehrdienstleistung und Kriegsdienstverweigerung gehören gleichermaßen in den Zusammenhang einer Auseinandersetzung über Wege zur Friedenssicherung“; vgl. das Protokoll der 33. Ratssitzung am 23./ 24. 10. 1969 (EZA Berlin, 2/8313).

C. 1970 bis 1977 – Wendepunkte

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41 Hannover, 11. Februar 1970 EZA Berlin, 742/3, hsl. Regierung unter der Devise „innerstaatliche Reformen“ angetreten. Tatsächlich Hochschulreform, Novellierung Strafgesetzbuch, Amnestie, Neuformierung des Föderalismus u. a. eine Rolle. Aber in diesen Wochen überschatten die außenpolitischen Fragen alles. Wahrscheinlich hat die Regierung mehr als guten Grund, systematisch diese Dinge herunterzuspielen. Es ist gänzlich ungewiß, ob überhaupt irgendetwas bei allen Aktivitäten herauskommt. Schon die Regierung Kiesinger hatte sich sehr große Mühe gegeben, mit dem Angebot des Gewaltverzichtes die Dinge des Verhältnisses zum Osten in Bewegung zu bringen. Sie erinnern sich, daß Moskau gegen die Abrede der absoluten Diskretion abrupt durch Veröffentlichung die Verhandlungen abbrach. Im Ostblock selber sind die Kontroversen von einer Art, daß nicht alles auf die Moskauer Karte gesetzt werden kann. Die Meinungen sind in Bonn nuanciert. Wehner: Moskau der Doyen für den Ostblock, der sehr viele Rücksichten nehmen muß auf die Verbündeten. Ehmke: sieht Moskau einen relevanten Vorteil, wird es zugreifen und Ostberlin nicht erlauben, sich noch viel zu sperren. Die Opposition registriert: bedeutende Vorleistungen: Anerkennung 2er Staaten und Unterschrift unter Atomwaffensperrvertrag neben kleineren Dingen ohne jede Gegenleistung, obwohl der Osten in seiner Propaganda im Sommer und Herbst beides für äußerst belangvoll erklärt hatte1. [***] Man darf sich nicht täuschen, was international das Scheitern der Verhandlungen bedeuten würde. Eine Regierung mit solch schwacher Mehrheit kann nach einem Scheitern auf absehbare Zeit nicht neue Schritte unternehmen, zumal Verhandlungsmarge ohnehin minimal ist. Will Rußland in Wahrheit eine neue Kapitulation wie 1945, wird sich die Regierung versagen müssen. Von daher muß man die kühle Zurückhaltung von Amerika, England und Frankreich sehen. Sie sind offiziell mit den Verhandlungen einverstanden. Kommt es aber zum Scheitern der Verhandlungen, soll es ein Scheitern der Bonner Regierung sein. Man muß achten auf das Angebot der 3 Mächte an Rußland, über Berlin zu verhandeln. Es ist nicht so, als ob Bonn diese Sorge ein wenig gelassener ansehe. Im Gegenteil. Die Lage Berlins ist miserabel, vor allem rechtlich. Die Militärs haben 1945 bei den Abreden erhebliche Rolle gespielt. Militärs sind für andere Dinge als die gewissenhafte, weitschauende Arbeit der Diplomaten und Politiker ausgebildet. Die Höhe der Preise, zu denen wir in Moskau bereit sind, hängt im eminenten Maße mit dem zusammen, was wir zur Sicherung Berlins bekommen. Beinahe das beste Pferd 1 Der am 1. 7. 1968 von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnete Atomwaffensperrvertrag war am 28. 11. 1969 auch von der Bundesrepublik unterzeichnet worden und trat am 5. 3. 1970 in Kraft.

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im deutschen Stall bleibt seine wirtschaftliche Kraft. Wir sind jetzt schon in Jugoslawien und sogar in Ungarn der bedeutendste Handelspartner. Die Lage im Ostblock in wirtschaftlicher Hinsicht ist von einer Weise, daß man sich dort von der Kooperation mit uns wirklich viel versprechen kann. Aber die Abhängigkeit ist nicht so, daß der Osten deshalb zu politischen Konsequenzen gezwungen werden könnte. Auch das Riesenröhrengeschäft mit einem Kredit von 1,2 Milliarden braucht nicht mehr als Unterhaltungsmusik bei den politischen Verhandlungen sein2. Von keinem Mitglied der Regierung hörte ich in den letzten 8 Tagen eine andere Auffassung. Viel Sorge macht die komplexe Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR. Die Regierungserklärung vom Januar war in einigen Passagen überraschend genug3. Die Erklärungen zur Deutschlandpolitik waren nicht zurückhaltender, z. T. nicht einmal behutsamer als die vorangegangene Regierungserklärung. Solche Dinge pflegen immer an mehrere Adressen gerichtet zu sein. Selbstredend wollte der Kanzler vor den geplanten Verhandlungen in Moskau und Warschau die radikale Einrede einer solch starken Opposition vermeiden. Schwieriger ist es dafür vor allem in der DDR, aber auch in den Ostblockstaaten. Wahrscheinlich wird man zum Verständnis dessen, was der Kanzler meint, das Spiegel-Interview von Wehner hinzunehmen müssen4. Frage der Anerkennung für ihn keine Dogmatik, abhängig von der politischen Situation, den Bedingungen usw. Nur völkerrechtliche Anerkennung ist seiner Meinung nach zu wenig, breite Verbindung angestrebt. Schwierigkeiten innenpolitisch am Tage, aber auch bei Verbündeten. DDR: Brandt hat recht: Wiedervereinigung z. Zt. nicht von zu sprechen. Rebus sic stantibus? heißt Wiedervereinigung: einer will den anderen schlucken. Das ist Krieg. Strauß recht: mittlere Funktionärsebene. Überlegungen für Miteinander, Grundfragen unter 1. Sekretär Einigkeit. Ziemlich viele Aspekte, etwa Österreich, das enge Verzahnung mit uns nicht DDR gewähren will. DDR wird insistieren: wodurch SPD besser als CDU? Fakten, Drittländer, also z. B. Kongo, vielleicht auch Indien. Sie sagen: kann die Regierung nicht anerkennen, soll sie es lassen, aber sie soll keinen Wind machen mit neuer Ostpolitik. Nichts ist neu. Anerkennung des Staates keine Vorleistung. Nachvollzug, wie es sonst im Westen niemand ansieht. […]. Was ist dann neu bei SPD? Oder: Egon Franke, anerkannt in seiner proletarischen Struktur, aber Minister für innerdeutsche 2 Gemeint ist das deutsch-sowjetische Röhren-Erdgasgeschäft. Es beinhaltete u. a. die Lieferung von rund 1,2 Millionen Tonnen Großrohren für Gasleitungen an die Sowjetunion durch die westdeutsche Mannesmannröhren-Werke GmbH (1970 bis 1972). Im Gegenzug verpflichtete sich die Sowjetunion, ab Oktober 1973 über einen Zeitraum von 20 Jahren rund 52 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Bundesrepublik zu liefern; vgl. Salto am Trapez. In: Der Spiegel 24 (1970), Nr. 7 vom 9. 2. 1970, 34. 3 Vgl. die Regierungserklärung Brandts; Abdruck in: Plenarprotokolle (online), WP 6, 22. Sitzung, 839B–847D. 4 Vgl. „Es gibt kein Scheitern“. Ein Gespräch mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner. In: Der Spiegel 24 (1970), Nr. 5 vom 26. 1. 1970, 24–27.

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Fragen: Taktlosigkeit und Beleidigung. Was soll das Vokabular: Fürsorge, menschliche Erleichterungen? Wie sah Leben der Landarbeiter und Arbeiter in Ostpreußen, Thüringen, Chemnitz usw. aus? Wer hat Erleichterungen gebracht? Wer Fürsorgerecht der Bundesrepublik übertragen? […]

217 42 München, 29. Juli 1970 EZA Berlin, 743/3, hsl. Durch die vorgestern begonnenen Gespräche Scheel-Gromyko sind einige schlimme Wochen in Bonn zu einem vorläufigen Ende gekommen1. Die Müdigkeit nach der Strapaze der letzten 9 Monate bei allen groß. Entsprechend waren Nervosität und Gereiztheit. Die Regierung tut sich aus einer Summe von Gründen schwer, nicht so sehr in der Koalition, sondern in der Schwierigkeit zwischen den profilierten Gestalten. Daß es Kontroversen zwischen dem Finanz- und Wirtschaftsminister gibt, pflegt im allgemeinen nur ein Gewinn für die Bürger zu sein, daß Konjunktur und Stabilität im Gleichgewicht bleiben. Aber diesmal war es eine erhebliche Last für die Regierung insgesamt bei aller Solidarität in der SPD gibt es Spannungen über das normale Maß Führungskraft von Brandt. Die Nachricht, daß Wehner immer umstrittener in seiner eigenen Partei wird, kann ich mindestens für die Fraktion nicht bestätigen. Sein Rat in den Ostfragen ist fast unersetzlich, aber sein Gesundheitszustand ist nicht gut. Besondere Erregungen haben die Veröffentlichungen der Bahrpapiere und des sogenannten Gromykopapiers gebracht2. Mindestens einige Minister sprachen von einer Atmosphäre des Landesverrates. Aber SPD hat 1968 selber energisch darauf gedrängt, bei der Novellierung des politischen Strafrechtes die Strafbestimmungen für Landesverrat so eng wie möglich zu halten. Natürlich schwere Belastung für eine Regierung Erfahrung mit dem Gromykopapier. Es handelt sich um Notizen, die Gromyko Bahr während der 2. Verhandlungsrunde über den Tisch gereicht hat. In keinem Fall also russisches Ausgangspapier. Sie sind nicht in Bonn, sondern in der Botschaft in Moskau. Hier ist nur über sie berichtet. Unerklärlich, woher die zutreffenden wörtlichen Zitate stammen. Geht man davon aus, daß unsere Botschaft in Moskau dicht ist, kann man sich nur denken, daß der Osten, die DDR das Papier der Presse zugespielt hat. Ich sage dies nur, um die Atmosphäre zu kennzeichnen. Worum es in den Verhandlungen geht, ist breit in der Presse diskutiert. Es läßt sich schwer sagen, ob lediglich die Akzente zwischen Brandt und Scheel in der Berlinfrage unterschiedlich sind. Mehrfach Brandt: Fortschritte in der Berlinfrage würden genügen, um den geplanten Vertrag abzuschließen. Scheel 1 Am 26. 7. 1970 hatten die offiziellen Verhandlungen über den deutsch-sowjetischen Vertrag zwischen dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko und Bundesaußenminister Walter Scheel in Moskau begonnen; vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 179–190, 412. 2 Zehn Leitsätze des „Bahr-Papiers“, auf die sich Gromyko und Staatssekretär Egon Bahr während ihrer Gespräche von Januar bis Mai 1970 am 20. 5. 1970 geeinigt hatten, wurden durch Indiskretion vorzeitig der Presse zugespielt. Am 12. 6. 1970 veröffentlichte die „Bild“ Auszüge des Papiers, am 8. 7. 1970 erschien der vollständige Text in der Illustrierten „Quick“; vgl. AAPD 1970, Bd. II, 1060; und Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 182–186.

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hat den Inhalt der notwendigen Fortschritte deutlicher bezeichnet. Er hat ohne Vorbehalte im öffentlichen und persönlichen Gespräch gesagt, es müsse eine das Parlament befriedigende Regelung der Sicherheitsfrage Westberlins erreicht werden, also die Sicherheit der Verbindungen Berlins mit der Bundesrepublik und die Vertretung Berlins durch die Bundesrepublik. Der Kanzler sah schon Fortschritte bei den alliierten Berlinverhandlungen als ausreichend für die Vertragsvorlage an. Die Opposition hat eine Reihe von Anfragen, unter denen die nach dem Interventionsrecht Rußlands deshalb Gewicht hat, weil nach Abs. 4 des Bahrpapiers die bisherigen Abkommen unberührt bleiben. Das ist dann aber nicht nur der Deutschlandvertrag, sondern auch das Potsdamer Abkommen. Die Opposition – es gibt in ihr differenzierte Meinungen, von Guttenberg und Marx sind nicht die repräsentativen Sprecher – hat mir gesagt, in Wahrheit seien die Karlsbader Beschlüsse von April 1967 der Inhalt der Bahrpapiere und der gegenwärtigen Ostpolitik der Regierung3. Es gebe nur eine Retusche. Etwa sei zwar die völkerrechtliche Anerkennung der DDR als Vokabel vermieden, der Inhalt einer völkerrechtlichen Anerkennung aber deutlich nach jeder Seite hin ausgesprochen. Es ist die Meinung, daß die Regierung sich längst im Zugzwang befindet. Eine Weltmacht investiere nicht ein solches Maß an Prestige wie in den langen Verhandlungen zwischen ihrem Außenminister und einem Staatssekretär eines 3. klassigen Landes, um auf einen Abbruch der Verhandlungen nicht heftig reagieren zu müssen. Die Opposition geht davon aus, daß sie die Annahme eines ihr unerträglich erscheinenden Vertrages verhindern kann und sei es über den Bundesrat. […] Die Fragen der Opposition heißen also: 1. wird der Gewaltverzicht seitens der Sowjetunion ausnahmslos, wird er fugenlos sein? 2. Bleibt die deutsche Politik in der friedlichen Verfolgung ihrer legitimen nationalen Ziele frei? Die Fragen beziehen sich also auf die Klarstellung, was uneingeschränkte Achtung territorialer Integrität in den heutigen Grenzen, und was Unverletzlichkeit der Grenzen aller Staaten in Europa heißt. Die Schwierigkeit liegt nicht nur [an] dem Verbund der Verhandlungen in Moskau, Warschau und Ostberlin, sondern vor allem darin, daß es [sich] im harten Kern bei der Frage, ob Vertrag oder nicht, um Berlin handelt, für das Bonn keine Zuständigkeit hat. Sollte es zu einem Scheitern der Verhandlungen kommen, würden der Regierung sicher die heftigsten Vorhalte über die Methode ihres Verhandelns, über ihre unbegreifliche und unverständige Eile gemacht werden, ein Vorhalt, der auch in der internationalen Presse breit vorgekommen ist. Wie empfindlich die Opposition ist, wird an folgendem Vorgang deutlich. 3 Die Ostblockstaaten hatten in den sogenannten Karlsbader Beschlüssen (24. bis 26. 4. 1967) die Normalisierung ihrer Beziehungen mit der Bundesrepublik von der Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik und deren Verzicht auf Atomwaffen abhängig gemacht. Die Bundesregierung strebte daraufhin einen Austausch von Gewaltverzichtserklärungen mit der Sowjetunion an; vgl. den Bericht vom 10. 8. 1967 (Dok. 33) Anm. 1 und 5; und Kabinettsprotokolle (online), Bd. 21, Einleitung.

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Heck war im Auftrag des Präsidiums der CDU bei mir und legte mir den Beschluß der EKU West in Spandau vor. 3b. Die Sätze erscheinen so selbstverständlich, daß man sich zunächst über das Faktum der Einrede wundert. Aber Heck machte aufmerksam auf die Situation, in der der Beschluß publiziert wurde. Man könne dies nur als eine klare Zustimmung zur gegenwärtigen Ostpolitik der Regierung verstehen. Sie sei eine von Gott gesetzte Aufgabe. Wenn man aber metaphysische Kategorien bemühe, sei jeder diffamiert oder doch in seinem Christenstand in Zweifel gezogen, der sich zwar nicht gegen die Grundintention der Versöhnung wende, aber lebhafte politische Fragen an Methode und Teile der Verhandlungsinhalte habe. Kontrovers sei überhaupt nicht der Wille und auch die Opferbereitschaft für den Frieden, sondern der Weg, auf dem es zu einem echten und dauerhaften Frieden komme. Die Erklärung mache sich die Mühsal um den Frieden, wie sie in der Politik geleistet werden muß, zu leicht. Es sei doch schon die Frage, ob Jaspers Definition richtig sei, daß ein Friede nicht Friede sei, wenn er nicht auf Freiheit und Wahrheit beruhe4. Bitte um ein Gespräch, wobei die Erklärung nur Ausgangspunkt sein sollte, um aber im Gespräch größere Klarheit in der Sachfrage von Kirche und Politik zu bekommen5. Im Ganzen gibt es Stimmen auch im Kabinett, die im persönlichen Gespräch nicht bestreiten, daß die Regierung sich in einer echten Krisensituation befinde. Präzis heißt dies, es ist nicht sicher, daß die Regierung in den nächsten 6 Monaten über die Hürden kommt. Nicht nur die Auseinandersetzungen über die Ostpolitik können sehr hart werden. Unbestritten ist auch, daß in der Wirtschaftspolitik schwere Fehler gemacht sind. Auf keinen Fall könnte es wohl, wenn diese Regierung scheitert, zu einer normalen Regierungsneubildung kommen. Ich denke dabei nicht an die personellen Verlegenheiten in der CDU/CSU. Aber die Widerstände gegen die neue Regierung würden eminent sein. Sicher wäre eine Reihe von führenden Männern der SPD nicht zu halten. Die Gewerkschaften würden sich anders verhalten als z. Zt. Die jungen Sozialisten würden vehementer die These vertreten, diese Gesellschaft ist offenkundig in der gegenwärtigen Struktur nicht zu reformieren. Es ist in 4 Vgl. die Dankesrede von Karl Jaspers „Wahrheit, Freiheit, Friede“ für den Erhalt des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1958. Darin erklärte Jaspers, 1. Kein äußerer Friede sei ohne den inneren Frieden möglich, 2. Friede sei allein durch Freiheit möglich und 3. Freiheit sei allein durch Wahrheit möglich; vgl. Friedenspreis (online). 5 Vgl. den „Beschluß der Synode betr. die Arbeit des Theologischen Ausschusses, Wege zur Kirchengemeinschaft und den politischen Auftrag der Kirche. Vom 16. Juni 1970.“ In dem Beschluss „III. Zum politischen Auftrag der Kirche“ hieß es, man halte es in der besonderen Lage der evangelischen Christen in Deutschland, die in unterschiedlichen Staatsordnungen und Gesellschaftssystemen lebten, für die von Gott geforderte Aufgabe, für den Abbau von Spannungen einzutreten. Zuletzt warnte man davor, Wunschvorstellungen aufrechtzuerhalten und zu erwecken, die nicht zu verwirklichen seien. Alle mit der Deutschlandpolitik zusammenhängenden Fragen müssten der Notwendigkeit untergeordnet werden, den Frieden in Europa zu erhalten und zu festigen; vgl. KJ 97 (1970), 133.

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der Tat so, daß beinahe alle SPD-Abgeordneten einem berichten, daß genau dies die kritische Frage bei den Jusos sei, mit der sie sich unablässig herumzuschlagen hätten. – Bei dem hohen Engagement der Christenheit in der Entwicklungspolitik will [ich] nur noch eine Bemerkung zur Frage der Ostpolitik machen. Bei allen meinen Gesprächen über diese Sache wurde mir deutlich, kommt die Ost-Westfrage nicht klar, werden wir in der Nord-Süd Frage nur provinziell tätig werden können. Wirkliche und beispielhafte Schritte nach vorne ohnehin nicht leicht, aber kaum vor einer Klärung der Ost-Westfrage. […] Minister Leber von SPD für das Gespräch mit der katholischen Kirche, Eppler für uns bestimmt. Er hat mich aufgesucht. Ich habe ihm gesagt, andere Methode als bei der CDU. Dort in den verflossenen Jahren in regelmäßigen Abständen Gespräche zwischen Fraktionsvorstand, Tenhumberg und mir. Begrüßt. Tatsächlich ist mancher Sand im Getriebe. Wir haben es zum 1. x in der Regierung, bei Staatssekretären und Ministerialdirigenten mit Agnostikern zu tun, auch mit betonter Distanz und Kühle, auch im Einzelfall mit einer Art, die die Kirche wie eine lästige quantit negligable ansieht. Man weiß nie genau, worin das in der vita der Betreffenden seinen Sitz hat. Aber dabei kann Eppler zum Sachgespräch helfen. Für uns sehr viel leichter als für die Katholiken. Nicht nur, weil wir seit 1945 ein vollständig anderes Verhältnis zur SPD als die Katholiken haben. Wir haben in Bonn auch immer prinzipiell anders als die Katholiken agiert. Wir haben nie um gesamtpolitische Positionen oder solche in der Gesetzgebung, die für uns nützlich gewesen wären, gekämpft. Sicher aber ist, daß wir möglicherweise in der Sozialgesetzgebung sorgfältig aufpassen müssen, daß vor allem die diakonische Arbeit unserer Kirche keinen Schaden leidet. Es betrifft nicht die Zuständigkeit des Rates, aber in diesem Zusammenhang doch die Vorgänge in der Bundesrepublik nennen, durch die Bruder Müller nicht mehr Mitglied des Rundfunkrates ist. Ohne Zweifel hängt dies mit der parteipolitischen Situation im Norden zusammen. Die Mitglieder des Rundfunkrates sollten klarer an die Weisungen der Parteien gebunden werden. Uns braucht nicht die Einrede zu beschäftigen, daß mehr Parlamentarier im Rundfunkrat sind, als der Staatsvertrag erlaubt6. Wir werden im wachsenden Maße den Versuch, die Kirche aus ähnlichen Gremien zu drängen erleben. Die Anfänge liegen lange zurück. Erinnern an Bildungsrat. […]

6 Vgl. Grundlagen (online).

221 43 München, 29./30. Juli 1970 EZA Berlin, 743/3, msl. Neufassung des § 184 StGB1. Besprechung mit Minister Jahn am 14.7. Der § 184 ist überdimensioniert, er wird nicht angewandt. Es ist die prinzipielle Frage, ob man dem Bürger nicht die freie Entscheidung lassen muß, was er kaufen will. Kriminalpolitisch ist die Situation nicht in den Griff zu bekommen. Ich habe unsere Meinung unter Anführung von Beispielen dargestellt. Bleibt der § 184 nicht, kommen Zustände, die man nur noch mit Pornokratie bezeichnen kann. Unter Hinweis auf Presse- und Meinungsfreiheit, auf Kunstvorbehalt und Mündigkeit des Menschen wird jetzt schon geradezu ein Terror ausgeübt. Sicher sei die Mehrheit der Bevölkerung gegen die gegenwärtigen Verhältnisse, aber es sei eine schweigende Menge. Am meisten besorgt sei ich im Blick auf die Massenmedien. In kaum einem vergleichbaren Lande sei die Entschlossenheit zum Mißbrauch der Massenmedien im Sinne einer sittlichen Libertinage so groß wie bei uns in der Bundesrepublik. Unter diesen Umständen müßten wir uns bei den vom Bundesjustizministerium angebotenen beiden Alternativen für die zweite entscheiden. Der Minister wollte sich in den Einzelheiten noch nicht festlegen, sagte auch, ihm seien die beiden Alternativen nicht ausreichend bekannt. Als ich ihm den Text übergab, schien er wenig Freude an der zweiten Alternative zu haben. Der Ertrag des Gespräches war: 1. Jugendliche müssen selbstverständlich vor einer Pornokratie bewahrt werden. Unklar sei freilich, wie groß die Schädlichkeit der pornographischen Schriften für die Jugend sei. Er wolle Forschungsaufträge herausgeben, sei sich aber klar, daß die Gutachten erst vorgelegt werden könnten, wenn die geplante Gesetzgebung schon abgeschlossen sei. Es gäbe aber relevante Stimmen, die behaupteten, man könne Jugendlichen das ganze Zimmer mit Pornographie ausschmücken, und sie nehmen nicht den geringsten sittlichen Schaden dadurch. Man könne für die Beurteilung offenbar nicht auf die Erfahrung der eigenen Jugend zurückgreifen. 1 Die aktuelle Fassung des Paragrafen 184 StGB stellte jede Art der Verbreitung pornographischer Inhalte unter Strafe. Danach hatte jeder, der „unzüchtige“ Schriften, Tonträger oder Abbildungen verbreitete, mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 1000 DM zu rechnen. Strafrechtliche Konsequenzen drohten auch, wenn „unzüchtiges“ Material an Personen unter 16 Jahren verkauft wurde, wenn Gegenstände für „unzüchtigen“ Gebrauch ausgestellt, angekündigt oder angepriesen wurden. Letzteres betraf auch Gegenstände oder Verfahren zur Empfängnisverhütung oder Verhütung von Geschlechtskrankheiten. Darüber hinaus wurden öffentliche Ankündigungen mit dem Ziel, „unzüchtigen“ Verkehr herbeizuführen unter Strafe gestellt; vgl. § 184 StGB (online).

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2. Es sollten Leute auch nicht dadurch belästigt werden, daß ihnen Angebote von Pornographie unaufgefordert ins Haus geschickt würden. Es sollte die Möglichkeit bestehen, Beleidigungsklage zu erheben. Praktisch würde dies wenig bedeuten, weil die meisten Absender von pornographischer Reklame im Ausland sitzen, also mit einer Beleidigungsklage nicht erreicht werden können. Es gäbe für diese Sache aber kein denkbares Gesetz, das eine Chance habe. 3. Besonders und mit dem Ziel der Ablehnung müßte geprüft werden, das Ausstellen, Anschlagen und Vorführen von Pornographie. 4. Besonders nachdrücklich meldete sich die Forderung an, daß eine Strafbestimmung bezüglich der Brutalität geschaffen werden müsse. Dem gab der Minister Beifall. Er meinte, man solle sich in seinem Hause sorgfältige Mühe geben zur Klärung des Begriffes „Pornographie“ zu kommen. Um der Einrede des Kunstvorbehaltes begegnen zu können, müsse der Begriff der Pornographie eingeengt werden. Sobald er mit seinem Hause zu einer gewissen Klarheit gekommen sei, würde er von neuem das Gespräch mit den Kirchen suchen. Ich habe den Minister gebeten, zu prüfen, ob diese Sache nicht etwas mit dem Schutz der Familie nach dem Grundgesetz zu tun habe. Besonders verwiesen habe ich auf die Gefahren durch das Fernsehen. Die Reeperbahn in Hamburg sei nicht die Bundesrepublik. Möglicherweise müsse es in solch einer Vergnügungsstätte eine weiträumigere Auslegung des geltenden Strafrechtes geben. Unter allen Umständen aber müsse verhindert werden, daß die Pornographie durch das Fernsehen in das Haus aller Bürger getragen wird.

223 44 Bonn, 11. November 1970 EZA Berlin, 743/3, hsl. Eine ziemlich große Belastung erleidet die Ostpolitik der Regierung dadurch, daß 3 Dinge in der deutschen Öffentlichkeit, auch bei der Presse und den Kommentatoren nicht ausreichend gewürdigt werden. 1. der Verhandlungspartner in Moskau trieb nie eilige Diplomatie. Es ist nicht seine Weise, möglicherweise überflüssige Risiken zu laufen. Er ist und muß um so behutsamer sein, als es sich zwar um eine zweiseitige Verhandlung handelt, er aber auf seine Verbündeten im Warschauer Pakt erhebliche Rücksichten nehmen muß. 2. der Moskauer Vertrag wird weder von den Russen noch von Amerikanern als ein isolierter Vorgang angesehen. Der Vertrag steht im großen Rahmen der Entspannungsbemühungen und der Fragen um die europäische Sicherheitskonferenz. Für Amerika wird bei seinen Entscheidungen über die Berlinfrage von höchster Wichtigkeit sein, wie sich Rußland bei den SALTVerhandlungen in Helsinki und im israelisch-arabischen Konflikt verhält. 3. die deutsche Öffentlichkeit unterschätzt das Maß der Verhärtung und des Mißtrauens in allen die Dinge des Ostens und besonders die DDR betreffenden Fragen. Selbst wenn die ideologischen Gegensätzlichkeiten nicht so hart wären wie sie sind, kann nicht erwartet werden, daß schon nach knapp einem Jahr zwischen uns und der DDR Möglichkeiten bestehen wie etwa zwischen Jugoslawien und Rumänien und uns. Ganz abgesehen von der gänzlich verschiedenen Interessenlage der Bundesrepublik und der DDR hat sich in 25 Jahren so viel zwischen uns aufgestaut, daß über den Fortschritt oder Stillstand der Verhandlungen nicht mit den Maßstäben gesprochen werden kann, wie wir sie mit Recht anwenden, wenn etwa von Verhandlungen mit Holland über die Abgrenzung von Hoheitsgebieten in der Nordsee die Rede ist. Um so schädlicher ist bei der Urteilsbildung über die Vorgänge der vergangenen 4 Wochen, daß bisher gänzlich abwegige Hoffnungen geweckt wurden. Dies wurde weniger durch den Besuch von Gromyko in Frankfurt bewirkt1 als vielmehr durch den Besuch von 2 Beauftragten der DDR unmittelbar vorher in Bonn2 und eine freundliche Bemerkung im Kommuniqu 1 Der sowjetische Außenminister Gromyko hatte sich am 30. 10. 1970 mit Außenminister Scheel zu einem informellen Meinungsaustausch in Kronberg bei Frankfurt getroffen. Im Mittelpunkt der Gespräche standen europäische Sicherheitsfragen, insbesondere das Berlin-Problem, die bevorstehenden deutsch-polnischen Verhandlungen sowie der innerdeutsche Dialog. Die Viermächteverhandlungen über Berlin hatten am 26. 3. 1970 begonnen; vgl. Europa-Archiv 25 (1970), Z229. 2 Der Stellvertretende Leiter des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Herbert Bertsch, und dessen Mitarbeiter Rolf Muth führten am 29. 10. 1970 ein Gespräch mit Bundeskanzler Brandt, um die Interessen der DDR in die Viermächteverhandlungen über Berlin einzubringen; vgl. AAPD 1970, Bd. III, 1863–1865, 1886.

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nach dem letzten Gespräch der 4 Botschafter. Der Beschluß der Entsendung der 2 Beauftragten muß sehr kurzfristig im ZK und dies sicher auf Veranlassung der Russen gefaßt worden sein. Dies wurde dadurch offenbar, daß sich in den fraglichen Tagen Hager, also der Chefideologe mit mehreren anderen ZKMitgliedern in Paris aufhielt. Er gab eine Pressekonferenz und äußerte sich über die Möglichkeiten des weiteren Gespräches zwischen Ostberlin und Bonn in einer Weise, daß er nicht gewußt haben kann, daß die Beauftragten schon unterwegs waren. Unsere Presse hat dann gesprochen von der Beendigung der Denkpause und von den Inhalten der neuen Verhandlungen zwischen Bonn und Ostberlin. Dies wiederum hat eine klare Zurückweisung des „Neuen Deutschland“ durch eine Rede Ulbrichts provoziert. In Wahrheit hatten die Beauftragten gerade nicht die Aufgabe, die Denkpause zu beenden und in Aussicht zu stellen, daß jetzt über einen der 20 Punkte der Regierung verhandelt werden solle3. Sie wollten mit uns lediglich über die Frage der Zufahrtswege sprechen. Streng hat Ostberlin seine Politik durchgehalten, die auf völkerrechtliche Anerkennung und auf Anerkennung Westberlins als selbstständige politische Einheit zielt. Es will also über den Transitverkehr mit Bonn und Berlin verhandeln. Einer der schwierigsten Punkte ist, wer Westberlin außenpolitisch vertritt. DDR: auf keinen Fall Bonn. DDR spricht von Reisen von Westberlin in die DDR, nicht nach Ostberlin. Ostberlin ist die Hauptstadt der DDR. Die Rechte der Alliierten in Ostberlin werden nachdrücklich bestritten, wiewohl selbstredend die Regierung weiß, daß Moskau eine andere Auffassung vertritt. Regierung der DDR ist auch der Meinung, daß sie allein, nicht die 4 Großmächte über die Zufahrtswege zu verhandeln habe. Es könne sich maximal darum handeln, einen zwischen Ostberlin und Bonn, und Ostberlin und Westberlin ausgehandelten Vertrag der 4 Großmächte zu notifizieren. Auf keinen Fall könne auch Westberlin in den Ostblockstaaten durch Bonn vertreten werden. Ulbricht hat eigene Forderungen an die 4 Mächte, die wahrscheinlich teilweise mit denen der Sowjets übereinstimmen. In dem Interview von Ulbricht vom 8.11. ist die entscheidende Aussage: 3a. Die „Tätigkeit anderer Staaten“, die eingestellt werden muß, bevor es zu Verhandlungen kommt, ist die der Bundesrepublik4. Der Stoß richtet sich also zunächst gegen die Bundespräsenz der Bundesrepublik in Berlin. Ausgegangen wird davon, daß Berlin schon völkerrechtlich einen Status einer besonderen politischen Einheit habe. Nicht als überzogen belächeln, lange genug getäuscht über das, was DDR meint. Daneben muß man das Kernstück aus den Verhandlungen mit Moskau stellen: die Anerkennung der Realitäten durch die Bundesrepublik könne es nur mit der gleichzeitigen Anerkennung der Rea3 Vgl. das 20-Punkte Programm Brandts anlässlich des Besuches des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR Stoph in Kassel am 21. 5. 1970 in: Kabinettsprotokolle (online), Bd. 23, Einleitung; und Bericht vom 13./14. 10. 1971 (Dok. 48), Anm. 5. 4 Vgl. das Fernsehgespräch Walter Ulbrichts mit zwei SED-Parteisekretären in: Neues Deutschland vom 9. 11. 1970, 3 f.

Bonn, 11. November 1970

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litäten in Westberlin geben. Selbstredend sind die Absichten der DDR überzogen. Sie wird auch auf die Dauer prüfen müssen, ob sie nicht ihre Möglichkeiten im Blick auf die anderen Ostblockstaaten überzieht und sich isoliert. Aber noch ist es nicht soweit. Auch bei den Verhandlungen der 4 Botschafter ist im harten Kern noch garnichts herausgefunden5. Man habe, dies gilt als Fortschritt, festgestellt, daß der Status Berlins nicht formulierbar ist. In der Frage der Zufahrtswege wird Bonn ziemlich sicher nicht einem Vertrag über die Zufahrtswege zustimmen, bei dem die 4 Mächte nicht klar in der Haftung bleiben. Die Gründe dafür sind am Tage. Das Kommuniqu lautet: 3b. Für die Regierung ist schwer durchsichtig, welche Rolle eigentlich der russische Botschafter Pjotr Abrassimow spielt. Er gilt als jemand, der auf der Seite der DDR und gegen die Kräfte im Kreml steht, die den Moskauer Vertrag verantworten, wenngleich dies eben auch nicht mehr als eine kaum verifizierbare Vermutung ist.

5 Die Viermächteverhandlungen zwischen den Botschaftern der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion über den Status von Berlin hatten am 26. 3. 1970 begonnen. Am 23. 9. 1970 legte die Sowjetunion ein Kommuniqu zur Regelung der Berlin-Frage vor, das allerdings von den westlichen Alliierten und der Bundesrepublik unterschiedlich bewertet wurde; vgl. AAPD 1970, Bd. II, 1638 f.

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45 Hannover, 13./14. Januar 1971 EZA Berlin, 742/4, hsl. […] Der Spiegel hat im Dezember eine umfassende Vorinformation über ein in Amerika erscheinendes Buch über Vietnam gegeben1. Zum Anlaß zum Gespräch in der amerikanischen Botschaft genommen. Im Mittelpunkt des Gespräches nicht der Vietnamkrieg, sondern die Behauptungen über die amerikanische Ausbildung für den Guerillakrieg. Gesagt: Meldet sich die Christenheit wie etwa 1970 in Evian und Nairobi2 zur Frage der Menschenrechte, kann eine Kirche wie die EKD angesichts solcher Berichte schwer schweigen. Keine präzisen Antworten, angeblich nicht ausreichend informiert. Vor allem sei die Seriosität der Berichte in dem Buch sehr zweifelhaft. Aber um Antworten bemüht. Brief Hilke an den Rat vom 27.11.70. Ratsbeschluß: ich solle Vorhalte prüfen3. Besonders schwierig war es, auch schon wegen der vielen Feiertage, ausreichende Auskünfte bezüglich der Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Portugal zu bekommen. Das Verteidigungsministerium bestritt seine Verantwortung in dieser Sache. Es meldete dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium, welche Waffen nicht mehr benötigt würden. Geprüft würde lediglich, ob Geheimhaltebestimmungen ausreichend beachtet würden. Von Wichtigkeit sei auch die Endverbleibsklausel, mit der die Amerikaner einige Waffenlieferungen versähen. Stünde sie im Vertrag, dürften die Waffen nicht weitergegeben werden. Das Auswärtige Amt, das die politische Verantwortung für die Weitergabe von Waffen trägt, hat zunächst auf die Komplexität der ganzen Angelegenheit hingewiesen. In den jungen Staaten sei, wenn Entwicklungshilfe überhaupt Sinn haben solle, eine Stabilisierung der politischen Verhältnisse unerläßlich. Dies ginge nicht ohne eine ausgebildete Polizei. Die Bundesrepublik habe noch Anfang der 60er Jahre auf die dringende Bitte der Regierungen der 3. 1 Gemeint ist das 1970 erschienene Buch von Mark Lane mit Interviews von 32 ehemaligen Soldaten der US-Armee, die am Vietnamkrieg teilgenommen hatten, „Conversations with Americans: Vietnam Veteran’s Shocking Testimony of atrocities and massacres during the war“. Der „Spiegel“ hatte einige Interviews aus dem Buch im Dezember 1970 vorab abgedruckt; vgl. „Drei Köpfe rollten auf mein Bett“. Amerikanische Soldaten berichten über amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam. In: Der Spiegel 24 (1970), Nr. 50 vom 7. 12. 1970, 130–151. 2 Zur Tagung des Lutherischen Weltbundes in Evian 1970 vgl. Evian 1970; zur Gründung des Reformierten Weltbundes in Nairobi im selben Jahr vgl. Nairobi. 3 Der ESG-Generalsekretär Jürgen Hilke hatte in seinem Schreiben den Rat der EKD aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass westdeutsche Waffen nicht weiter an den NATO-Partner Portugal geliefert würden, damit Portugal diese nicht im Kampf gegen die nationalen Befreiungsbewegungen in MoÅambique und Angola einsetzen könne; vgl. Widmann, Wandel, 318 f.

Hannover, 13./14. Januar 1971

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Welt in einzelnen Fällen sehr kleine Detachements von 14–16 Soldaten zur Ausbildung zur Verfügung gestellt. Meine mehrfachen Vorstellungen Anfang der 60er Jahre seien im Kabinett vorgebracht worden mit meinem Argument, daß auch diese Art militärischer Hilfe die miserabelste und vor allem die für Deutschland mißverständlichste Form der Entwicklungshilfe sei. Man sei dann auch immer zurückhaltender geworden. Präsident Kaunda Sambia habe im Auftrag der Allafrikanischen Konferenz 1970 in Bonn einen Besuch gemacht und gegen Waffenlieferungen protestiert. Der Kanzler habe ihn um Beweismaterial unter der Zusage, dies sofort zu prüfen und Mißstände abzustellen, gebeten. Es sei bisher nicht vorgelegt worden4. Bei einem Gespräch in der amerikanischen Botschaft über diese Sache wurde gesagt: Amerika habe die Frage der Waffenlieferungen an Portugal vor allem 1962–1965 als ernstes Problem empfunden. Es sei im zivilen Bereich, aber auch in der Wirtschaft zum Boykott gegen Lieferungen aus Portugal gekommen. Es seien vor allem Kassen wie auch Banken boykottiert worden. Die amerikanische Regierung habe die Kritik an ihren Waffenlieferungen zwar für übertrieben, aber im Kern als berechtigt anerkannt. Deshalb sei die amerikanische Regierung zurückhaltender in ihren Lieferungen geworden. Portugal habe dies dadurch beantwortet, daß es seine Kolonien zu Provinzen gemacht habe. Dadurch sei Angola usw. jetzt portugiesisches Staatsgebiet und habe Anrecht auf Waffenlieferungen wie alle NATO-Staaten. Das gleiche Problem gab es in Frankreich gegenüber Algerien und den Überseedepartements. Alle Regierungen innerhalb [sic!] tun sich in solchen Situationen schwer. Ein besonders schwieriger Fall ist Griechenland. Seit dem Vordringen Moskaus in das Mittelmeer hat Griechenland eine strategisch wichtige Rolle 1. Ranges gewonnen. Der Vorgang der Flugzeuglieferungen durch die Bundesrepublik. „Das Gesetz des Staates und …“5 Wilkens über Echo. Wir bemüht: 1. keine Schützenhilfe für die Opposition, kein Kampfpapier gegen die Regierung. Autoren sprechen zu Dingen, zu denen Regierung sich noch nicht geäußert hat. cf. § 218. Adressat auch Thesen, die auf dem Juristenkongreß vertreten worden sind, oder Frauenaktion 1970 mit Slogan: mein Bauch gehört mir6. Wir setzen uns mit Ansichten auseinander, die zu vertreten die Bundesregierung nie die Absicht hatte. Bitte, Rat möchte bei Interpretation diesen 4 Am 15./16. 10. 1970 hatte eine Delegation der OAU unter Leitung des sambischen Präsidenten Kenneth David Kaunda die Bundesregierung in Bonn besucht. Die Delegation reiste im Auftrag der Gipfelkonferenz der OAU sowie der Konferenz der blockfreien Staaten in Lusaka, die im September 1970 getagt hatten; vgl. die Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Brandt und Kaunda am 15. 10. 1970 in: AAPD 1970, Bd. III, 1765–1769. 5 Vgl. Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung. 6 Gemeint ist die Frankfurter „Frauenaktion 70“, eine seit 1969 bestehende Frauengruppe, die sich aus Mitgliedern der Humanistischen Union und eines Arbeitskreises der Frankfurter Volkshochschule gebildet hatte. Sie forderte unter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ eine ersatzlose Streichung des § 218; vgl. Notz, Frauenbewegungen, 39 f.

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Gesichtspunkt deutlich machen. 2. wir sollten das Gespräch so führen, daß Regierung nicht unter Pression eines Flügels der Abgeordneten gebracht wird: ihr kuscht vor der Kirche. Ich halte dies für die gefährlichste Klippe bei der Auseinandersetzung mit der Regierung. 3. ich warne vor dem Vorschlag durch uns, die Sache solle in die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Wir stehen zu der Denkschrift von 19697, sehen die heute bestehenden Schwierigkeiten, wollen neue Lösung, nur eben eine bessere, als Regierung bisher in den Entwürfen vorgelegt hat. Gespräch am 22.12. mit Jahn und Mitarbeiter. Wilkens kann berichten. Für Februar Begegnung unserer Kommission mit SPD-Arbeitskreis vorgesehen.

7 Vgl. die 1969 erschienene Denkschrift der EKD „Zur Reform des Ehescheidungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland“.

229 46 Berlin, 17./18. März 1971 EZA Berlin, 742/4, hsl. […] Aber so belangvoll das Bemühen um Oekonomie im gesamten Ostblock ist, oberste Priorität hat selbstredend nach wie vor die Außenpolitik, d. h. konkret auch der Plan der Sicherheitskonferenz. Im Kommuniqu der Bukarester Konferenz ist die Rede von „Kreisen, die nicht an einer weiteren Entspannung in Europa interessiert sind“, und alle möglichen Vorbedingungen für das Zustandekommen der Konferenz vorbrächten1. Das zielt klar auf die Berlinfragen. Sehe ich recht, verbirgt man sich bei uns oft, welchen Rang Berlin für die DDR haben muß. Für Ostberlin war Westberlin Jahrzehnte hindurch Quelle von Ärger, Schaden, Störung, Devisenschiebung, Wegschleppen von Kunstschätzen, Abwerbung, Beunruhigung. Durch nichts wurde die gesamte Propaganda der DDR so negativ beeinflußt wie durch Rundfunk und Fernsehen. Schwer beschreibbar die Emotionen und der Haß wegen der bisherigen Erfahrungen mit Berlin. Sie konnte nicht wie in den anderen sozialistischen Ländern Bewußtseinswandlung durchsetzen, sondern nur erzwingen. Das Handikap in der Außenpolitik durch Skandal der notwendigen Mauer, ob wir garnicht begriffen „[***] an der Mauer“ Propaganda in der ganzen Welt. Westberlin behält durch seine Freiheit und den westlichen Reichtum seine Faszinanz für viele in der DDR. Die DDR will nicht nur die Ratifizierung der Verträge, weil dadurch die Folgen des Krieges und die definitive Spaltung der Nation nach ihrer Auffassung festgeschrieben werden, es [sic!] will unter allen Umständen den Unruheherd zur Ruhe bringen. Ostberlin weiß, es bekommt jetzt sicher nicht die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, es will sich eine für sie befriedigende Berlinregelung etwas kosten lassen, aber es will die Anerkennung der Souveränitätsrechte für die Zugangswege nach Berlin. Es will eine vertragliche Transitregelung annehmen, aber eben eine vertragliche, die das Transiteinberufungs- oder Einschränkungsrecht der DDR impliziert. Es könnte also sofort zu Konfliktsituationen kommen, wenn die DDR Sicherheitsinteressen anmeldet. Bis jetzt lehnen nicht nur die DDR, sondern auch die Warschauer Paktstaaten jedes Mitspracherecht der Bundesrepublik und fast jede Einmischungsbefugnis, wie es bisher die 3 Westmächte besitzen, ab. Es wird eine, „Wohlverhaltenspflicht“ von der selbständigen politischen Einheit Westberlin verlangt, eine Formulierung, die mannigfach auslegbar ist. Bundespräsenz in Berlin usw. sind wichtige Fragen, der harte Kern sind die Zufahrtswege und die außenpolitische Vertretung von Westberlin: Dies schließt nicht die große Betroffenheit der Opposition über die Äu1 Gemeint ist das Kommuniqu der Außenministerkonferenz der Warschauer-Pakt-Staaten in Bukarest vom 18./19. 2. 1971; Abdruck des Kommuniqu s in: Europa-Archiv 26 (1971), 124–126.

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ßerungen des Kanzlers über die Bundespräsenz aus. Im Bulletin am 9.3. ein Unterthema genannt2. Als Themen lediglich: 1. Zusammengehörigkeit von Westberlin und Bundesrepublik, 2. Zugangswege 3. Besuche der Westberliner in Ostberlin und Umgebung. Aus der Zusammengehörigkeit ergäbe sich auch eine administrative Verzahnung, sie sei die eigentliche Bundespräsenz. Es müsse die Möglichkeit für die Beauftragten bestehen, an Ort und Stelle sich zu informieren und dies mit den Berliner Stellen zu behandeln. Dies ist die zurückhaltendste Formulierung der Bundespräsenz, die es je gab. Sie ist schwebend formuliert, kann also auch wenigstens in etwa im Sinne der Opposition ausgelegt werden. Für Ostberlin sicher auch von höchster Bedeutung die Zufahrtswege, aber um nichts wird Ostberlin so zäh kämpfen wie für eine für sie befriedigende Berlinlösung. Sie fühlen sich so geschädigt durch das, was sie bisher durch Berlin erlebten, daß sie die Regelung der Berlinfrage in ihrem Sinne für unabdingbar halten. Wieweit Rußland dem entsprechen wird, steht dahin. Von daher muß man verstehen, daß die von Bundesrepublik erstrebte „innerdeutsche Entkrampfung“ nicht nur am Rande steht, sondern von der DDR weder gewollt wird noch von ihrer Interessenlage aus gewollt werden kann, jedenfalls nach ihrer Meinung. Deshalb das Insistieren von Ulbricht und Honecker auf „Abgrenzung“. Große Enttäuschung bei der Regierung. Aber achtet man auf das Interesse, was der gesamte Ostblock an der Ratifizierung der Verträge hat, scheint es mindestens möglich, daß es im Herbst zu einer Regelung der Berlinfrage kommt, die Moskau, DDR, 3 Alliierte, Bundesrepublik und Berliner Senat als befriedigend ansehen3. Die Regierung würde dann alsbald die Ratifizierungsverfahren in Gang setzen. Es muß damit gerechnet werden, daß es dann zu überaus harten politischen Auseinandersetzungen im Bundestag kommen wird, weil die Opposition keine reelle Chance sieht, daß eine evtl. Berlinlösung befriedigend sein könne. Eine wichtige Rolle wird dabei die These spielen, daß der gesamte Osten die Verträge als definitive rechtliche Festschreibung der Teilung der Nation ansehen und vertreten wird. Ich sehe wenig Grund, damit zu rechnen, daß die CDU/ CSU die Verträge tolerieren oder gar annehmen würde. Die Opposition wird 2 Kunst gibt im Folgenden eine Passage aus einem Interview wieder, das Brandt am 7. 3. 1971 dem Südwestfunk gegeben hatte. Brandt hatte auf die Frage, in welchem Grad die Bundespräsenz in Berlin zu einer ernstzunehmenden Belastung für die laufenden Viermächte-Gespräche werden könne, geantwortet, er halte die Bundespräsenz in Berlin nicht für ein eigenes Thema, sondern für „ein wichtiges Unterthema“; vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 34 vom 9. 3. 1971, 345 f. 3 Gemeint ist das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin oder „Berlin-Abkommen“, in dem die Sowjets u. a. den ungehinderten Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin garantierten. In dem am 3. 9. 1971 von den vier Botschaftern der Siegermächte unterschriebenen Abkommen akzeptierte Moskau die Zugehörigkeit Westberlins zum Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik. Im Gegenzug sagte Bonn zu, seine politische Präsenz in Berlin zu reduzieren; Abdruck in: Europa-Archiv 26 (1971), D443–D459; vgl. den Bericht vom 11. 11. 1970 (Dok. 44), Anm. 5.

Berlin, 17./18. März 1971

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eine große Anstrengung machen, daß sie nicht das Bild von gespaltenen Gruppen in einer Lebensfrage der Nation macht. Es besteht Anlaß zu der Vermutung, daß sie geschlossen das Vertragswerk verwerfen wird. Es handelt sich in dieser Sache um eine solche Kardinalfrage auch für die Anlage der künftigen Außenpolitik der Opposition, daß sie auf eine mindestens fast einstimmige Ablehnung Bedacht nehmen muß4. Ich empfehle im Blick auf die Novembersynode dem Rat die Prüfung, ob er im September oder Oktober noch einmal das Gespräch mit der Regierung und der Opposition suchen will. Nach dem ungewöhnlichen Engagement von Rat und Synode in der Deutschlandfrage seit 25 Jahren halte ich es fast für ausgeschlossen, der Synode überzeugend klar zu machen, warum der Rat in den Monaten der Entscheidung eine Arkandisziplin geübt hat. Kommt es im Herbst noch nicht zur Ratifizierung, ließe sich die vorgeschlagene Begegnung ertragreich für das Fragen der Inneren Reformen nutzen. […] Erwähnen die Reaktion auf die Synode, wie sie sich bei meinen Frühstücken mit den Abgeordneten spiegelte. Mir selber eine große Hilfe, daß alle 3 x die Unternehmung geriet mit je 30 Abgeordneten. Fast keine Gelegenheiten in Bonn mehr für diese Art des Miteinanders. So hart ist die Polarisierung. Bemerkenswert auch, daß jedesmal ziemlich vollständig die führenden Männer der Fraktionsführungen und die parlamentarischen Staatssekretäre kamen. Gewisse Erschwerung, daß wir bis heute nicht haben alle Evangelischen unter den Abgeordneten feststellen können. Wahrscheinlich werde ich dem Rat in der nächsten Sitzung über eine bestimmte Sache in Vietnam berichten müssen. Es ist ziemlich sicher so, daß von Amerika chemische Kampfmittel in einem Ausmaß angewandt wurden, wie es unentschuldbar und von weittragenden Folgen für die Vietnamesen ist. Die deutsche Presse hat in den verflossenen Jahren diese Sache ebenso tabuisiert wie das Verhalten Israels in der Auseinandersetzung mit seinen Nachbarn. Die Unterlagen aber reichen im Augenblick noch nicht zu einer ausreichenden Information für den Rat aus. Frage an den Nationalrat der amerikanischen Kirchen. Frage des Rates nach Hermann Seibold. Bis 1945 in einer wichtigen Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes. Der Denazifizierung entgangen durch 3-jährige Mitarbeit in der Kuratie. Seit er dort ausschied, verbürgt sich A. Dannenmann für seine Integrität: Seine Tüchtigkeit auch im Entwicklungsdienst unbestritten! Zweifelsfrei sicher ist, daß Seibold nicht, auch nicht über dritte für BND gearbeitet hat. Es konnte selbstredend nicht sicher ausgeschlossen werden, daß er in Guinea für einen anderen Nachrichtendienst gearbeitet hat. Die Behauptung ist aber nicht mehr als eine Vermutung, über

4 Die Ostverträge, d. h. der Moskauer und der Warschauer Vertrag, wurden am 17. 5. 1972 vom Bundestag ratifiziert; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 6, 187. Sitzung, 10931 A–10945B; vgl. den Bericht vom 8./9. Juni 1972 (Dok. 51), Anm. 2.

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deren wahrscheinliche Richtigkeit man verschiedener Meinung sein kann. Auch der Tod von Seibold ist noch nicht erwiesen5. […]

5 Hermann Seibold war unter ungeklärten Umständen in einer Gefängniszelle in Conakry (Guinea) gestorben. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Leiter der Hauptabteilung II 123 (weltanschauliche Gegner) im Reichssicherheitshauptamt hatte als Entwicklungshelfer in Guinea ein christliches Jugenddorf geleitet; vgl. Macht nichts. In: Der Spiegel 25 (1971) Nr. 3 vom 11. 1. 1971, 65 f., 66.

233 47 Berlin, 7./8. Juli 1971 EZA Berlin, 742/4, hsl. […] An der Begegnung mit dem Bund der Vertriebenen unter der Leitung von Dr. Czaja haben vom Rat Frau Dr. Scharffenorth und Prof. Heckel teilgenommen. Sie könnten, ist es erwünscht, aus eigener Kenntnis berichten. Wichtig war die nachdrückliche Erinnerung an das Gewicht der Außenpolitik für jedes Land und die daran geknüpfte Bitte um ein Höchstmaß an Behutsamkeit bei Äußerungen der Kirche zu Fragen, die einen außenpolitischen Bezug haben. Konkret wurde die Reise der hessen-nassauischen Kirchendelegation nach Polen genannt, über die der Rat ohnehin sprechen müßte. Sicher ist das Parkett zwischen Polen und der Bundesrepublik z. Zt. besonders empfindlich. Es ist mir nicht bekannt, ob Kirchenpräsident Hild für sein Gespräch mit dem stellvertretenden polnischen Außenminister noch andere Unterlagen als Pressenachrichten hatte. Ich hätte es für zwingend gehalten, daß er sich für solch ein Gespräch der Information unmittelbar durch das Auswärtige Amt bedient hätte. Die polnische Regierung hat den Besuch von Hild so verstanden, daß die EKD sich in besonderer Weise für die baldige Ratifizierung des Warschauer Vertrages einsetzen werde. So notwendig und fruchtbar die Begegnung von Kirchen in der Oekumene ist, muß geprüft werden, ob die über die unmittelbare kirchliche Begegnung hinausgehende Kontaktaufnahme mit politischen Instanzen nicht mindestens mit dem Rat abgestimmt werden sollte1. Zur Frage der deutschen Kriegsverurteilten in Holland habe ich Kontakt mit der Bundesregierung aufgenommen. Die Bundesregierung beabsichtigt, von sich aus den Staatsbesuch der holländischen Königin zum Anlaß einer neuen Intervention bei der holländischen Regierung zu nehmen. Sie verspricht sich davon noch nicht die Lösung, aber doch einen Fortschritt. Die Bundesrepublik meint, nur das Königshaus zusammen mit der Regierung wird den Widerstand der zahlenmäßig kleinen, aber einflußreichen holländischen Kreise brechen können, die ein Interesse an der Erhaltung der die beiden Länder belastenden Hypothek haben. Die Königin soll sich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Die Bundesregierung bittet den Rat, in diesen Monaten auf alle öffentlichen Appelle zugunsten der Verurteilten an die Adresse der Bundesrepublik oder der holländischen Regierung oder gar der Königin selbst zu verzichten2. 1 Im November 1971 reiste eine Delegation unter der Leitung des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Helmut Hild, der öffentlich für die Ostpolitik Brandts eintrat, nach Polen; vgl. Dickhoff, Hild, 190 f. 2 Vor dem Hintergrund des Staatsbesuches der niederländischen Königin Juliana am 26. 10. 1971 in Bonn verwandten sich Mitglieder der Bundesregierung in Vier-Augen-Gesprächen für die Be-

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Von großer Bedeutung für uns wird die künftige Steuerpolitik sein. Ein wirklicher Erfolg ist das wesentlich verbesserte Kindergeld. Die Steuerkommission der SPD hat selbstredend auch über die Frage der Kirchensteuer beraten. Dabei ist das Einzugsverfahren unbestritten geblieben. Man muß nicht annehmen, daß im Herbst bei den Koalitionsverhandlungen die FDP auf Änderung des Abzugsverfahrens bestehen wird3. Anders sieht es mit der Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer aus. Die Vermögenssteuer soll in Zukunft nicht mehr von der Einkommenssteuer absetzbar sein. Aber dies verlangt nicht, für die Kirchensteuer das Gleiche gelten zu lassen. Vermögenssteuer muß auf Grund eines staatlichen Gesetzes bezahlt werden. Kirchensteuer braucht niemand zu zahlen. Sie sollen behandelt werden wie Spenden. Es ist aber zweifelhaft, ob sich die Kommission mit ihrem Vorschlag auf dem Parteitag durchsetzen wird. Bei einer Ablehnung wird ein Kompromißvorschlag eingebracht werden, der bei 70 % der Kirchensteuerzahler keine Veränderung bringen würde, aber vor allem bei den Großverdienern. Sie würden nur noch die Hälfte der bisherigen Vergünstigung haben. Ein Parteitagsbeschluß braucht die Regierung und die Fraktion nicht zu binden, aber ganz leicht würde sich die Fraktion der SPD selbstredend nicht tun. Regierung und Ausschuß für Steuerfragen der SPD sind bis jetzt entschlossen, bei dem status quo zu bleiben4. Kommt es zu der Kompromißlösung, schätzt man die Mindereinnahmen der Kirchen auf 200 Millionen. […]

gnadigung der drei ehemaligen SS-Männer Joseph Kotalla, Ferdinand aus der Fünten und Franz Fischer, die im niederländischen Breda ihre lebenslangen Haftstrafen verbüßten; vgl. Bohr, Kriegsverbrecherlobby, 13, 246; sowie die Berichte vom 19. 3. 1964 (Dok. 24), Anm. 10; 16./17. 3. 1972 (Dok. 49), Anm. 6; und Bericht vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6–9. 3 Der Umgang mit der Kirchensteuer stand durch die geplante große Steuerreform der sozialliberalen Koalition auf der politischen Tagesordnung. Die FDP hatte im Wahlkampf 1969 gefordert, die staatliche Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Abgabesystem zu ersetzen. Jedoch wiederholte sie diese Forderung nach der Wahl nicht mehr, da ihr Koalitionspartner SPD jegliche Regierungsinitiative in diese Richtung ablehnte. Brandt und Wehner vertraten die Meinung, die Kirchensteuer sei nicht Sache der Parteien, sondern der Kirchen selbst; vgl. „Dokumentation zu Problemen der Kirchensteuer“. Juristische Dokumentation der Wissenschaftlichen Abteilung des Bundestages vom 2. 12. 1969 (EZA Berlin, 87/1079). 4 Der außerordentliche Parteitag der SPD lehnte auf Empfehlung der Steuerkommission der SPD verschiedene Anträge von SPD-Ortsvereinen ab, die darauf abzielten, die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer als Sonderausgaben aufzuheben; vgl. den Berichtsauszug über den außerordentlichen Parteitag der SPD vom 18. bis 20. 11. 1971 in Bonn (EZA Berlin, 87/469).

235 48 Bonn, 13./14. Oktober 1971 EZA Berlin, 742/4, hsl. Gruß Heinemann. Vorbereitung der Gespräche mit Regierung und Parteien. Alles vorbereitet. Schwierig ist die Behandlung der Außenpolitik. Zunächst Information der Lage. 2 Dinge: Aktuelle Stunde 23.9.1 und Saarbrücker Parteitag der CDU mit Rede Barzels2. Beide haben Chancen einer außenpolitischen Zusammenarbeit nicht vollständig eliminiert. CDU: Kampf gegen die Verträge, aber nach Regierungswechsel Sorge um ein neues Vertragswerk, das nicht dort aufhöre, wo Probleme beginnen. Barzel wie Schröder wollen Verträge mit Moskau, Warschau, Ostberlin und Prag, bejahen auch Begegnung mit Breschnew, sie wollen lediglich deutlicher den deutschen Anspruch auf Selbstbestimmung für die ganze Nation und die Wahrung ihrer Menschenrechte akzentuieren. Barzel ist also auf den Wink Wehners’ „wir sind doch gezwungen, weiter miteinander zu reden, auch nach dem Parteitag“ eingegangen. Die Warnung vor einer totalen Konfrontation war Schröder sicher aus der Seele gesprochen. Ein Interview von Kiesinger im General-Anzeiger am 1.10. weist in eine ähnliche Richtung3. Auch der angesehene Dr. Gradl will vor allem, daß die Regierung öffentlich der immer weiter im Westen um sich greifenden Meinung widerspricht, die Deutschen begännen sich mit der Teilung abzufinden. Wenn überhaupt über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR nachgedacht würde, käme unter keinen Umständen in Frage, daß die gewaltsame Absperrung eine Basis für einen deutschen Eintritt in die UNO sein könne. Unmittelbar darauf am 25.9. ließ Scheel mitteilen, daß ein Eintritt beider deutscher Staaten in die UNO erst verwirklicht werden könne, wenn ein modus vivendi zwischen ihnen gefunden sei4. Die Regierung 1 In der „Aktuellen Stunde“ des Deutschen Bundestages, die auf Antrag der Opposition stattfand, warf der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Rainer Barzel der Bundesregierung u. a. vor, sich in ihrer Ost- und Deutschlandpolitik „an der Opportunität der Macht mehr als an den Menschenrechten“ zu orientieren; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 6, 135. Sitzung, 7922C–7936D. 2 Vgl. 19. Bundesparteitag der CDU Saarbrücken (online), 222–227. 3 Vgl. Bell, Zwanzig Jahre. 4 Die innerdeutschen Verhandlungen, deren Ziel es war, eine Reihe von Einzelheiten zur praktischen Durchführung des Viermächte-Rahmenabkommens auszuhandeln, hatten am 6. 9. 1971 begonnen. Die Verhandlungen von Berliner Senat und Bundesregierung mit der Regierung der DDR verfolgten das Ziel, möglichst großzügige Besuchsregelungen für die Westberliner zu erreichen und die Versuche der DDR, Westberlin zu einer selbständigen politischen Einheit zu machen, abzuwehren; vgl. Mahnke, Vier-Mächte-Abkommen, 710. Außenminister Scheel hatte bereits in einem Interview am 13. 8. 1971 erklärt, eine UNO-Mitgliedschaft beider deutscher Staaten werde erst möglich, wenn ein gewisser Entspannungsgrad in deren Verhältnis erreicht sei. Die Berlin-Regelung gebe der DDR die Gelegenheit zu zeigen, ob sie sich in Zukunft auch im Verhältnis zur Bundesrepublik konstruktiv verhalten wolle; vgl. „Entspannung durch Sicherung

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verlangte eine weitergehende Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten, die es ermöglicht, daß sie in die UNO eintreten können. Wenn die Regierung jetzt keine neue Grundsatzerklärung wie in Kassel abgibt, scheint sie Rücksicht nehmen zu wollen auf die DDR, die im Begriff ist, Zugeständnisse zu machen, die ihr sicher schwerfallen5. Über die Frage der Opportunität mag es Streit geben, aber daraus muß nicht die totale Konfrontation in der Außenpolitik erwachsen. Selbst Höcherl hat davor gewarnt, weil einmal die Weimarer Republik daran zu Grunde gegangen sei. Wir sollten also m. E. in unseren Gesprächen nicht von der Diagnose ausgehen, wir stünden in einer totalen Konfrontation. Die Verhandlungen mit der DDR. Bei den den Postverkehr betreffenden Verhandlungen gibt es Fortschritte, die bemerkenswert sind6. Wie nebenbei ist damit auch ein Herabspielen der Frage der „Bindungen“ und „Verbindungen“ zwischen Bundesrepublik und Berlin herausgekommen. Von den von Ulbricht geforderten 1,8 Milliarden Postgebühren für 1948–1968 sind 250 Millionen übriggeblieben. Weil damit auch die Forderungen an Westberlin abgegolten sind, hat die DDR auch unausgesprochen der Bundesrepublik zuerkannt, daß Bonn für Westberlin mit der DDR verhandeln kann. Damit dürfte auch vom Tisch sein, die Frage des Durchgangsverkehrs von und nach Berlin nur mit dem Berliner Senat verhandeln zu wollen. Ob damit die Tür zu einem Generalvertrag einen Spalt geöffnet ist, oder ob der Akzent bei Honecker bei der Mitte September noch geforderten „völligen und endgültigen Abgrenzung“ den Vorrang behält, kann niemand sagen. Es sieht so aus, als ob Brandt mit Breschnew viel konkreter über die Honeckersche Abgrenzungstheorie gesprochen hat, als er aus naheliegenden Gründen öffentlich zugegeben hat. Oreandatreffen und die Westalliierten. V. Weizsäcker in der Aktuellen Stunde festgestellt, daß es weder gemeinsame Kommunikationen noch Beschlüsse, ja nicht einmal Informationen der Verbündeten über diese Reise

der Lage in und um Berlin“. Interview des Bundesaußenministers. In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 119 vom 13. 8. 1971, 1289. Die Bundesregierung machte das Gelingen ihrer „Politik der Priorität des deutschen modus vivendi“ zur Bedingung ihrer Ablehnung bzw. Zustimmung zum Beitritt der DDR in einzelne internationale Organisationen, so auch der UN; vgl. Vorlage des Ministerialdirektors Berndt von Staden an den Bundesminister des Auswärtigen Scheel vom 25. 9. 1971. In: Dokumente zur Deutschlandpolitik, VI. Reihe, Bd.2/1, Dok. 95, 388 f. 5 Kunst berichtet hier über den Besuch Brandts in Erfurt am 19. 3. 1970 und den Gegenbesuch Stophs am 21. 5. 1970 in Kassel, bei dem Brandt Stoph ein 20-Punkte Programm über eine geregelte gegenseitige Annäherung von DDR und Bundesrepublik vorgelegt hatte; vgl. dazu Boysen, Haus, 30–32; und den Bericht vom 11. 11. 1970 (Dok. 44), Anm. 3. 6 Am 30. 9. 1971 fanden in Ostberlin zwischen Vertretern der Ministerien für Post- und Fernmeldewesen beider deutscher Staaten zum wiederholten Male Verhandlungen über die Frage von postalischen Ausgleichszahlungen der Bundesrepublik an die DDR sowie über Verbesserungen im innerdeutschen Post- und Fernmeldeverkehr statt; vgl. Europa-Archiv 26 (1971), Z205.

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gab7. Auch das Auswärtige Amt war nicht informiert noch konsultiert8. Von daher begreifen, daß beinahe alle deutschen Korrespondenten aus allen Zentren in Paris, London, usw. von betroffenem Schweigen der amtlichen Stellen und offener Kritik der Zeitungen gesprochen. Nun waren Information und Konsultation zwischen Verbündeten immer schon schwer definierbare Begriffe, aber sicher gibt es heute auch im Kanzleramt Männer, die für sich meinen, daß eine Unterlassung bedenklicher Art passiert ist. V. Weizsäcker auch darauf verwiesen, daß die Allianzzentrale der NATO in Brüssel nach ihren Beschlüssen in Lissabon im Sommer allen Anlaß hatte, sich zu wundern9. Im Klartext merkt man schneller, wie heftig die Reaktion bei den Verbündeten war. Man konnte sie etwa an der Warnung von Pompidou, der für Ende Oktober zu Besuch in Moskau angemeldet war, ablesen, die Ostpolitik als ein „Radrennen“ aufzufassen. Ein Brief von Brandt hat diese Sache nicht ausräumen können. Pompidou hatte wohl mehr als einen Brief, etwa den Besuch von Bahr erwartet10. Die Amerikaner konnten angesichts ihrer eigenen hemdsärmeligen Methode bei der Information der Verbündeten über die geplante Reise Nixons nach Peking nicht gut feierlich werden. Die Ausweisung der 105 Russen aus England muß nicht und, soweit ich sehe, ist nicht als eine Warnung an Brandt unmittelbar nach seiner Krimreise gedacht gewesen. Douglas-Home hatte allen Anlaß verärgert zu sein, nachdem ihm Gromyko auf 2 Briefe in dieser Sache nicht geantwortet hatte11. Aus der DDR eine Reihe von besorgten Äußerungen unserer Brüder, darunter 2 in herausgehobener Stellung, ob wir uns ausreichend über die Reaktionen des Krimbesuches in der DDR klar seien. Breschnew sei der Hauptverantwortliche für die Prager Okkupation und nun der deutsche Kanzler im intim freundschaftlichen Zusammensein mit Breschnew. Ob das Andenken an den Völkerrechtsbruch so schnell vergessen sei. Gegen ihn habe sich s. Zt. sogar Schönherr öffentlich gewandt. Sicher ist, daß dieser Aspekt des spektakulären Treffens bei den Tschechen, Polen, Ungarn und Jugoslawen als recht bemerkenswert angesehen worden ist. Doch dies Opfer im Interesse einer innerdeutschen und innereuropäischen Entspannung zu bringen, war der Kanzler aufgrund einer wohlüberlegten, langfristigen Konzeption bereit. Ob wir ihm im Plenum des Gespräches darauf anreden sollten, scheint mir wenig gut. Man muß diese Dinge nur wissen, um manche Hintergründe der öffentlichen Diskussion zu begreifen. 7 Zum Gipfeltreffen zwischen Brandt und dem Generalsekretär des ZK der KPdSU Leonid Breschnew in Oreanda am Schwarzen Meer vom 16. bis 18. 9. 1971 vgl. Niedhart, Vorhang, 121–128. 8 Vgl. „Aktuelle Stunde“ in: Plenarprotokolle (online), WP 6, 135. Sitzung, 7922C–7936D. 9 Vgl. das Kommuniqu der Ministerratstagung der NATO vom 3./4. 6. 1971 in: Europa-Archiv 26 (1971), D359–D354. 10 Vgl. dazu Wilkens, Nachbar. 11 Zur spektakulären Ausweisung von 105 sowjetischen Agenten durch die britische Regierung vgl. Spione raus. In: Der Spiegel 25 (1971), Nr. 41 vom 4. 10. 1971, 118–122.

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Interessant genug wären auch die innenpolitischen Aspekte im Blick auf DKP, die die Krimreise interpretiert hat als Eingeständnis des Kanzlers, daß er sich an die Sowjetunion anlehnen müsse, um gegen den „rechtsextremistischen Block“ der CDU/CSU und gegen die Vertriebenen aufkommen zu können. Aber das führt heute zu weit wie auch Überlegungen der SPD, was 1973 passieren soll, wenn die FDP unter der 5 %-Klausel bleibt, die SPD nicht die absolute Mehrheit bekommt und die DKP ins Parlament einzieht. Auf diesen gesamten Fragenkomplex wollte Barzel mit seiner Frage an Brandt aufmerksam machen, als er Brandt unterstellte, er habe, als er Breschnew auf die Frage, ob die DKP in der Bundesrepublik „legal“ sei, eine bejahende Antwort gab, eine „Existenzgarantie für die DKP“ gegeben. […]

239 49 Berlin, 16./17. 3. 1972 EZA Berlin, 742/5, hsl. Immer drängender Frage: was sagt die Kirche. In der Politik besteht diese Erwartung nicht1. In der letzten Ratstagung Überblick über die Ostpolitik im Streit der Argumente von Regierung und Opposition. Ich kann keine nennenswerten neuen Argumente seit der großen Bundestagsdebatte erkennen2. Es möchte aber nützlich sein, über den Spiegel des Ratifizierungsstreites im Ausland zu informieren. In Washington, Paris, London hat angesichts der Möglichkeit, daß Verträge am 3.–4.5. keine Mehrheit finden, interne Diskussion über den Berlin-Viermächtestatus eingesetzt. Es gibt Verständnis für die Opposition und Respekt vor einer freien Entscheidung, aber es kann keinen Zweifel geben, daß Nixon und Pompidou Brandt Mehrheit wünschen. Frankreich möchte sein günstiges Verhältnis zur UdSSR nicht durch einen neuen Berlin-Konflikt belastet sehen. Es befürchtet, daß ein Scheitern der Ostverträge die gesamte europäische Planung der letzten Jahre in Frage stellen könnte. Es handelt sich nicht nur um die Ost-Westentspannung, sondern ebenso sehr um die Stabilisierung des freien, auf Amerikas währungspolitische Gesundung angewiesenen Westeuropas. Nixon wäre wohl überfordert, wenn er neben der Abwicklung des Vietnamkonfliktes auch eine neue Ost-Westkonfrontation durchstehen müßte. Er wird seinen Moskaubesuch im Mai für mindestens so wichtig wie den in Peking ansehen. Das 1. SALT Abkommen wird wahrscheinlich unterzeichnet werden. Andere werden wahrscheinlich folgen. Nicht ungezielt wird Rogers am 6.3. [richtig: 8.3.] in seinem Bericht über die amerikanische Außenpolitik 1971 das Berliner Viermächteabkommen die wichtigste, die USA angehende Vereinbarung in Europa genannt haben3. Der CDUAbgeordnete Birrenbach hat bei seiner Erkundigungsreise nach Paris die Meinung gehört, Bahr und Scheel hätten im August 70 „mit mehr Geduld und Festigkeit ein besseres Ergebnis erzielen können“, nun aber müsse der ganze Westen an die Weiterführung des Entspannungsprozesses gegenüber dem Osten denken. Man hat Birrenbach auch gesagt, die deutsch-französische Freundschaft würde durch das Scheitern der Verträge nicht tangiert werden. 1 Der folgende Bericht beschreibt die politische Unruhe im Vorfeld der Ratifizierung der Ostverträge durch den Bundestag, die am 17. 5. 1972 erfolgte. 2 Kunst spielt hier auf die 22-stündige Bundesdebatte über die Ostverträge vom 23.2. bis 25. 2. 1972 an, die sich über 3 Tage hinzog; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 6, 171. Sitzung, 9739D–9820B; 172. Sitzung vom 24. 2. 1972, 9833D–9935 A; und 173. Sitzung, 9941C–10003C. 3 In seinem Jahresbericht an den Kongress hatte der amerikanische Außenminister William Pierce Rogers u. a. gesagt: „Certainly it is our wish to contribute to a new climate in which all the nations of Europe can collaborate peacefully and purposefully. The Berlin agreement is the touchstone for such progress.“ (Department of State Bulletin, Bd. 66, 1972, 464).

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Ein Diplomat formulierte es mir so, man bewundere Brandt im Westen nicht als Entspannungspolitiker, man unterstütze ihn aber aus übergeordnetem westlichem Interesse. Das entschlossene Nein der Opposition hat offenbar sowohl in Moskau wie Ostberlin Besorgnisse erweckt. Deshalb hat Falin dem Auswärtigen Amt in aller Form einen Zeitungsartikel der Prawda und einen Brief übergeben, aus denen hervorgeht, daß in der Grenz-Frage es nicht zweierlei Interpretation in Moskau und Bonn gebe4. Mit Sicherheit wird die Regierung um weitere Schritte bemüht sein, um die Einreden der Opposition so weit wie möglich zu entkräften. Ich konnte nicht die Vermutung verifizieren, der Leiter der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt von Staden sei am 11.3. nach Washington geflogen, um Amerikaner zu der öffentlichen Erinnerung zu veranlassen, daß es die Amerika vertraglich obliegende Pflicht sei, für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu sorgen. Sehr schwierig wird es sein, Rußland zu der Aussage zu bewegen, der Moskauer Vertrag beeinträchtige nicht das Recht auf Selbstbestimmung. Dann stünde Moskau mit seiner Deutschlandpolitik wieder bei Adenauer. Bei der gestrigen Diskussion in der Kirchenkanzlei hat Hübner als Inhalt eines möglichen Votums des Rates zur Ostpolitik die Forderung nach der Bekanntgabe der Verhandlungsprotokolle von Bahr genannt5. Bis jetzt hat die Regierung nicht einmal den Mitgliedern des Außenpolitischen Ausschusses, die unter besonderer Schweigepflicht stehen, einen vollen Einblick gewährt. Mir ist zweifelhaft, ob der Rat dem Vorschlag von Hübner folgen darf. Es muß zwar Nervosität bei einer Sache von solchem Belang auslösen, wenn nicht einmal die Esoteriker der deutschen Außenpolitik vollständig informiert werden. Aber Diplomatie kann nicht in allen Einzelheiten auf dem Marktplatz passieren. Auch der Rat hält vertrauliche Sitzungen. Am 9.3. hat der amerikanische Außenminister erklärt, man halte es noch für verfrüht, über die Möglichkeit einer „Auffanglösung“ zu sprechen. In jedem Fall blieben die Garantien für Berlin bestehen, auch wenn die Ostverträge und damit das Berliner Viermächteabkommen vorerst keine Gültigkeit erlangten. Sicher aber gibt es Überlegungen und Vorbereitungen für eine Auffangsituation und einer dann möglichen Berlinkrise. Im Ganzen wird man sagen können, daß die gesamte Außenpolitik im Westen in allen Ländern, soweit man es aus Gesprächen zu erkennen vermag, von der Ratifizierung der Verträge ausgeht, mindestens ausgegangen ist. Man kann schwer ein sicheres Urteil darüber gewinnen, welches die Konsekutiva der Verwerfung der Verträge sein würden. Aber an der Erregung, die in Holland die Absicht der Entlassung der 3 Bredahäftlinge ausgelöst hat, kann man ablesen, wie die Meinung in den uns verbündeten Ländern nach wie vor aussieht, und daß es 4 Vgl. die Information der sowjetischen Führung an die Bundesregierung o. D. in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, VI. Reihe, Bd. 2/1, Dok. 133, 505–507. 5 Zu den Bahrpapieren vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 182–186.

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mindestens möglich erscheint, daß Deutschland durch das Scheitern der Verträge als der Störenfried der allgemein begehrten Entspannung dastehen würde6. Man kann natürlich darauf hinweisen, daß de Gaulle der gleiche Vorhalt des Störenfriedes keine Stunde in seinen Entscheidungen tangiert hat. Aber Emotionen gehören nicht immer nur ins Feuilleton. Regierung sieht Folgen eines Scheiterns in den düstersten Farben. Bei Männern wie Eppler glaubwürdig seine Meinung. Sie prognostizieren eine schwere Isolierung der Bundesrepublik. Wir würden Jahre gebrauchen, um den verlorenen Kredit wiederzugewinnen. Die Bahr-Kohl Verhandlungen betreffen nach wie vor im wesentlichen Verkehrsfragen. Von Verhandlungen über einen Generalvertrag kann noch keine Rede sein. Bis jetzt scheint es auch noch keinen Druck von Moskau auf Ost-Berlin zu geben, sich für einen Generalvertrag auf Grund der 20 Punkte zu erwärmen. Honecker hat in Leipzig am 10.3. keine Andeutung in dieser Richtung gemacht. Sprach er von der Möglichkeit „gutnachbarlicher Beziehungen“, wird man dies im Zusammenhang seiner Rede lesen müssen. Sie entsprach bis in die Einzelheiten den lange bekannten Passagen offiziöser Verlautbarungen und parteiamtlicher Artikel. Nach dem oben genannten Schritt von Falin verzichte ich auf eine Analyse der Prawda-Artikel der letzten Wochen und der Rede des Deutschlandexperten Valentin Bereschkow am 2.3. in Westberlin. Erlauben Sie mir nur noch eine allgemeine Bemerkung zur gegenwärtigen Situation in Bonn. Der Eindruck, den der Spiegel in seiner letzten Nummer wiedergibt, ist, soweit ich sehe, nicht vollständig falsch7. Distanziert man sich einen Augenblick von den Niederungen, die freilich wesenhaft zum Leben und deshalb auch zur Politik gehören, und achtet auf den Rang, den die Frage der Ost-West Regelung zweifelsfrei für alle Parteien im Parlament hat, kann einem die Situation in Bonn gelegentlich gespenstisch vorkommen. Eine Frage von solcher Bedeutung und dann die Bedeutung, die ein oder 2 Abgeordnete haben. Dies geht an die Grenze des Erträglichen bei allen Beteiligten. Es ist richtig, wenn G. Schröder sagt, ein Desaster der Verträge sei ausschließlich ein Desaster der Regierung. Nur ist es ebenso richtig, daß die Regierung das Mandat hat, für das ganze Volk zu handeln und jedes Desaster einer Regierung vom ganzen Volk bezahlt werden muß. Auflösung des Parlamentes? Keine Partei kann daran Interesse haben. Ich meinerseits sehe nach wie vor eine reelle Chance, daß die Verträge ratifiziert werden. Weil die Richtung der Ostpolitik vom ganzen Parlament bejaht wird, sehe ich auch die hauchdünne Mehrheit nicht 6 Zur Diskussion über die Freilassung der „Drei von Breda“, bei denen es sich um NS-Verbrecher handelte, die für die Ermordung von 100.000 niederländischen Juden verantwortlich waren und seit 27 Jahren in niederländischer Haft saßen; vgl. „Leiden als Haftgrund Diskussion über die Drei von Breda“ in: Niederlande-Wissen (online); sowie die Berichte vom 19. 3. 1964 (Dok. 24), Anm. 10; vom 7./8. 7. 1971 (Dok. 47), Anm. 2; und vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6–9. 7 Vgl. den Artikel „Nun gut, wenn’s dann sein muss“. In: Der Spiegel 26 (1972), Nr. 12 vom 13. 3. 1972, 21–28.

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als einen Skandal an. Der Satz „Mehrheit ist Mehrheit“ braucht auch in diesem außerordentlichen Fall nicht schlimm zu sein. Meine Verlegenheit besteht vor allem darin, ob ich dem Rat empfehlen soll, das Wort zu ergreifen. Ich habe auch das gestrige Gespräch nicht als hilfreich ansehen können. Möglicherweise könnte in der gegenwärtigen Situation ein gutes Wort für unser Volk nur von einem Einzelnen, nicht vom Gremium des Rates gesagt werden8. – Abstimmung freigeben (Bitte Simon). Mit Bestimmtheit von den Fraktionen entsprochen. […]

8 Vgl. die Erklärung des Rates der EKD „zur gegenwärtigen Auseinandersetzung über die Ostverträge“ vom 20. 3. 1972 in: KJ 99 (1972), 123.

243 50 Kirchberg, 9. Mai 1972 EZA Berlin, 742/5, hsl. Es ist eine etwas freudlose Aufgabe, sich an einem solch schicksalsträchtigen Tag wie dem 9.5. über die politische Lage zu äußern, wenn man nicht weiß, ob zur gleichen Stunde am Ort der Tat die Entscheidung fällt, daß der Bericht nichts anderes als Historie zum Inhalt hat1. Nach dem Scheitern des Mißtrauensvotums und der Ablehnung des Haushalts des Kanzlers empfand jeder, wie gewagt das Experiment ist, die Ostverträge wie vorgesehen unverändert zur Abstimmung vorzulegen2. Ihnen allen ist bekannt, in welcher Intensität die Hauptverantwortlichen die Gespräche aufnahmen. Die Regierung stimmte der kurzfristigen Vertagung der parlamentarischen Verhandlungen zu. Sie gab auch der Forderung der Opposition auf Einsichtnahme der Protokolle nach. Sie erklärte sich zu einer Erklärung bereit, in der positiv zu den Forderungen der Opposition im Blick auf die EWG, das Selbstbestimmungsrecht und die Abweisung des Moskauer Vertrages als Ersatzfriedensvertrag Stellung genommen werden sollte. Das Ingangsetzen der Gespräche war leichter, als das Mißtrauen abzubauen. Es war ein ziemlich mühseliges Unternehmen, die SPD zu dem Glauben zu bewegen, daß es Barzel nicht um ein taktisches Spiel, sondern um das Finden eines modus, die Verträge durchzubringen ging. Tatsächlich gab es bei der CDU bei dem Mißtrauensvotum 2 Gruppen. Die Eine wollte auf diese Weise die Ablehnung der Verträge erreichen. Die andere Gruppe wollte die Verträge retten. Von Weizsäcker, Gradl, Kraske, LeislerKiep, Geisendörfer. Inzwischen haben 3 interfraktionelle Verhandlungskommissionen gearbeitet. Eine besondere Expertenkommission untersucht auf Anregung der CDU, ob und auf welche Weise die Sowjets veranlaßt werden können, eine gemeinsame Entschließung nicht nur schweigend hinzunehmen, sondern sie zumindest „bestätigend zur Kenntnis zu nehmen“. Für die Erklärung bot sich die Bezugnahme auf die Erklärung der Regierung vom 11. November 71 vor dem Bundestag an3. Zitat. Darauf meldete Falin Bedenken an und verwies auf die Erklärung von Gromyko vor dem obersten Sowjet. Ehmke versuchte der Opposition klar zu machen, daß die Erklärung vom 1 Am 9. 5. 1972 einigte sich eine Redaktionskommission bestehend aus Angehörigen aller Bundestagsfraktionen auf den Entwurf einer Gemeinsamen Entschließung zu den Ostverträgen, die den vier Siegermächten zugeleitet wurde. Zuvor hatte die Sowjetunion die Gemeinsame Entschließung als offizielles Dokument der Bundesrepublik und als zusätzliches Mittel der Vertragsauslegung anerkannt; vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 211. 2 Das Misstrauensvotum gegen die Bundesregierung war am 27. 4. 1972 gescheitert; vgl. Jäger, Innenpolitik, 67–77, 71 f. 3 Vgl. die Erklärung von Bundesaußenminister Scheel auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Deutschland- und Außenpolitik vom 11. 11. 1971 in: Deutscher Bundestag, WP 6, Drucksache VI/2828 (online).

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11. November vor allem im Blick auf die innenpolitische Situation formuliert sei. Dies konnte selbstredend deshalb niemanden überzeugen, weil es sich um eine offizielle Erklärung der Regierung vor dem Parlament handelte. Die Opposition erinnerte an ihre Einrede, daß man dem Frieden auf die Dauer mehr schade als nütze, wenn man bei einem Vertrag von solcher Tragweite von vornherein auf beiden Seiten eine unterschiedliche Auslegung des Vertrages habe. Schon im Wahlkampf von Baden-Württemberg hatte Brandt erwogen, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, aber es dürfe keine „17. Juni-Rede“ sein. Die alten Illusionen, die gesamtdeutschen Lippenbekenntnisse seien keine tragfähige Basis. Ihm schwebte eine Erklärung vor, die die Sowjets schweigend hinnehmen könnten, die aber in Zukunft alle Regierungen, auch die sozialdemokratisch geführten in ihrer Ostpolitik verpflichten sollte. Gestern ist unablässig verhandelt worden. Bei der Diagnose der Lage gestern Morgen mußte die CDU davon ausgehen, daß 20–25 % der Abgeordneten und auch Wähler fest entschlossen sind, die Verträge aus den bekannten Gründen abzulehnen. Diese 20–25 % würden sicher bei einer irgendwie gearteten Zustimmung der CDU sagen, die Partei sei umgefallen. Barzel will selbstredend eine Lösung, die die Partei in ihrer Geschlossenheit erhält. Dies ist nicht nur ein parteitaktisches Interesse. Gestern Morgen drohte die CSU, sich bei Annahme der Verträge bundesweit zu organisieren. Zoglmann wollte eine neue Partei gründen. Der SPD-Abgeordnete Müller wollte eine Sammlung der SPD-Abgeordneten, die schon ausgetreten sind, weiterentwickeln. Die SPD muß aber ein gesamtstaatliches Interesse daran haben, daß die CDU nicht zerfällt, und umgekehrt muß die CDU ein gesamtstaatliches Interesse an einer gesunden, im Inneren nicht verunsicherten SPD haben. In der vergangenen Nacht wurde eine Kommission von Ehmke, Genscher, Strauß und Marx eingesetzt, die das Papier endgültig formulieren sollte. Heute Morgen trafen sich Brandt, Barzel, Scheel und Falin. Es bestand Anlaß zur Hoffnung, daß es zu einer gemeinsamen Lösung kommt. Nachdem sich die CDU soweit, wie sie es getan, eingelassen hat, wird man annehmen dürfen, daß die Verträge in jedem Fall ratifiziert werden. Über das Wie werden heute Mittag die Fraktionen entscheiden. Es wäre schon viel, wenn die CDU die Verträge widerspruchslos hinnähme und der Bundesrat sie passieren ließe. Der CDU liegt vor allem an der Deutlichkeit des gemeinsamen Textes. Es besteht Anlaß zur Annahme, daß Rußland den Eingang des Schreibens bestätigen wird, wenn die Erklärung der Regierung vom 11.11. nicht zitiert, sondern neu formuliert wird. Ich würde etwas versäumen, wenn ich nicht sagte, daß einige Männer in der Regierung und in der Opposition sich über jedes Maß für die Regelung verkämpft haben. Zu den Leuten an erster Stelle muß man Dr. von Weizsäcker [nennen], der ziemlich viel in seiner Fraktion hat hinnehmen müssen, um einen gewissen Durchbruch zu erreichen. Über die Auseinandersetzung der Verträge darf selbstredend nicht die übergreifende Aufgabe, daß dies Land regiert werden muß, außer Acht ge-

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lassen werden. Selbst die Freigabe der Abstimmung für die Abgeordneten der CDU oder der Verzicht auf die Einrede des Bundesrates haben keinen Sinn, wenn die gegenwärtige Konfrontation bleibt. Die Frage der Neuwahlen kann keine Partei ausschließlich unter dem Ausrechnen der eigenen Wahlchancen prüfen. Ich lasse bei Seite die Schwierigkeiten, die sich bei der Bitte des Kanzlers um Auflösung des Parlamentes ergaben. Man muß nicht nur an die Chance der 21 Tage für die Opposition, die bevorstehenden Ferien und die Olympiade denken, man muß fragen, welche innenpolitischen Konsequenzen eine Wahl in der gegenwärtigen Atmosphäre haben kann. Wir könnten international als unzuverlässig und fast nicht regierbar wie Italien erscheinen, wiewohl objektiv für solch ein Urteil kaum Grund vorhanden ist. Angesichts solcher Überlegungen ist in der vergangenen Woche geprüft worden, wie die Regierungsarbeit weiter geleistet werden soll, ganz gleich, wie die Abstimmung über die Verträge ausläuft. Sollte es bei den Verträgen zu einer einverständlichen Regelung kommen, denken die Parteiführer an die Bildung eines erweiterten Kontaktausschusses, in dem 3 Vertreter jeder Partei das künftige Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR beraten. Sie würden also gemeinsam den geplanten Grundvertrag, der mit Abstand zum eigentlichen Kern der Arbeit gehört, behandeln. Brandt hofft, dann auch die Parteien auch auf eine gemeinsame Europapolitik festlegen zu können. Am liebsten möchte auch Schiller die Finanzpolitik von Bund und Ländern und die deutsche Haltung zur internationalen Währungspolitik auf gemeinsamer überparteilicher Linie entwickeln. Genscher spricht von interfraktioneller Zusammenarbeit in Fragen der inneren Sicherheit. Im Bundeskanzleramt überlegt man überparteiliche Vorarbeiten über die weitere Behandlung des Bundeshaushaltes. Man spricht also immer weniger von Konfrontation und immer mehr von Kooperation. Dies schließt nicht aus die Pressionen auf die Verantwortlichen von vielen Seiten, von den Gewerkschaften auf den Kanzler und von den Vertriebenen auf Barzel. (Aber alles hängt zunächst von der Regelung der Verträge ab. Am Wochenende beurteilte Wehner die Chance für ein gemeinsames Papier als „ganz minimal“. Barzel: die Entwürfe seien „bisher noch nicht befriedigend“. Eine Äußerung von Strauß fand Beachtung, weil über die CSU hinaus: „Die Regierung wird mit den Verträgen nicht sehr froh werden, wenn sie angenommen werden. Wir werden auch nicht froh sein können, wenn sie scheitern.“) Auch wenn die Zeit des Burgfriedens und der interfraktionellen Zusammenarbeit nur kurz sein sollte, hat sie doch an 2 Punkten eine Klimaverbesserung gebracht: Die Regierung wird der Opposition nicht mehr abstreiten, daß durch ihr Insistieren der Sowjetunion substantielle Nachbesserungen zugemutet werden konnten. Der Kanzler ist bereit, dies auch in der Parlamentsdiskussion auszusprechen. 2. ist durch die Einsichtnahme eines Vertreters der CDU in die Protokolle eine Erleichterung erreicht worden. Dies wird nicht ausschließen, daß es auch in der Zukunft noch zu gegenseitigen, harten Vorhaltungen über den Vertrag in der Öffentlichkeit kommen wird.

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Nicht vollständig kann ich übergehen die Spiegelung der Auseinandersetzung in der Bundeswehr. Heusinger hatte sich öffentlich beunruhigt gezeigt, daß der Bundeswehr eine realistische Einstellung zum Gegner fehle. Die „Krasnaja Swesda“ hat darauf am 5.5. sehr scharf reagiert. Unter einer 4spaltigen Schlagzeile schrieb sie von „Predigern gefährlicher Traditionen“ und behauptete, diese konstruierten ein Feindbild, das nichts anderes sei als eine „rücksichtslose Fälschung, die von revanchistischen Desinformatoren und militanten Antikommunisten zusammengesudelt“ worden sei. Vertreter der Bonner Generalität sollten zugegeben haben, daß sich die Wendung der deutschen Außenpolitik „zum Realismus“ in den Methoden der politischen Erziehung der Bundeswehr noch nicht widerspiegle. Es ist selbstredend, daß die Meinung, die Ostverträge seien Werkzeuge „des“ Friedens und „der“ Entspannung und ihre Kritiker „kalte Krieger“, nicht nur die Generalität, sondern jeden Truppenführer vor eine neue Aufgabe stellt. Auch die Militärseelsorge wird in dieser Sache einen eigenen Beitrag zu leisten haben. Er wird auch von ihr erwartet. […]

247 51 Mauloff, 8./9. Juni 19721 EZA Berlin, 742/5, hsl. Die Schlußabstimmung über die Ostverträge im Bundestag hat keinen Applaus ausgelöst2. Gerade weil die Verträge in unserer Kirche nicht nur Ratserklärungen, sondern auch gegensätzliche Stellungnahmen Einzelner und Gruppen auslösten, und partiell im Wahlkampf Baden-Württemberg Gruppen von Christen unter Berufung auf den Gehorsam Christi und die Bewährung des Glaubens für die Verträge stritten, lohnte sich die Nachzeichnung der Genesis der Verträge, um zu einem gewogeneren Urteil und zu einer Versachlichung zu kommen. Aber dies würde unseren zeitlichen Rahmen sprengen. Ich will nur einen der Gründe für die ungewöhnliche verwirrende Situation bei der Schlußabstimmung nennen. Die Regierung hat bei ihren Verhandlungen geglaubt, sie könne von einer zwar knappen, aber sicheren Mehrheit in der Koalition ausgehen. Sie hat deshalb der Opposition nur so viel Einsicht und Mitspracherecht gegeben, wie sie es für erforderlich hielt. Wiewohl es sich um eine Weichenstellung der deutschen Außenpolitik von großer Tragweite handelte. Auf diese Weise war es für die Opposition verhältnismäßig leicht, sich negativ festzulegen. Man wird fragen dürfen, ob dies zwar erklärlich, aber nicht gut war. Ein wirklich intensives Gespräch zwischen Regierung und Opposition begann erst, nachdem die Mehrheit der Koalition unsicher zu werden begann. Es konnte dann zwar in den letzten Wochen noch eine Reihe von Dingen geklärt und verbessert werden, aber eines konnte offenbar die Opposition nicht mehr, ihrer Wählerschaft ausreichend erklären, warum sie eine Zustimmung jetzt für möglich hielt. Es kam zu einer schweren Kontroverse zwischen Barzel und Strauß. Der Kompromiß ist bekannt. So unbefriedigend und beinahe für alle tief enttäuschend dieser Ausgang war, sollte nicht bagatellisiert werden das Bemühen der Fraktionen, ihre Einheit zu bewahren. Dies ist nicht nur von Wichtigkeit für die Durchsetzungskraft im Parlament, sie hat eine weitausstrahlende Bedeutung für die Ortsgruppen im ganzen Land. Selbst bei Strauß hat die Begegnung mit der Verwirrung seiner heimatlichen Parteifreunde seinen Meinungswechsel wesentlich mitbestimmt. Ich komme darauf im anderen Zusammenhang noch einmal zurück. Niemand kann ein Interesse daran haben, daß eine der beiden großen Parteien zerbricht. Die Meinungen darüber, ob es in der Sache besser und der CDU 1 Dieser Bericht sollte auf der Ratssitzung und auf der anschließenden Kirchenkonferenz am 9. 6. 1972 gehalten werden. Das Ratsprotokoll vom 7./8. 6. 1972 gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass Kunst den Lagebericht vorgetragen hat (EZA Berlin, 2/8345). 2 Die Schlussabstimmung im Deutschen Bundestag über die Ostverträge hatte am 17. 5. 1972 stattgefunden; zur Bundestagsdebatte und den namentlichen Abstimmungsergebnissen vgl. Plenarprotokolle (online), WP 6, 187. Sitzung, 10931 A–10945B; vgl. den Bericht vom 17./ 18. 3. 1971 (Dok. 46), Anm. 4.

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nicht schädlich gewesen wäre, hätte sie uneinheitlich abgestimmt, sind hart kontrovers, wie das zum Wesen von Meinungen gehört3. […] Unsere Frage hat noch einen Aspekt, der Nachdenklichkeit in Staat und Kirche herauszufordern scheint. Ich finde ihn am klarsten formuliert in einem Leitartikel von Hans Heigert in der Süddeutschen Zeitung „Verträge der Nation“ (CSU-Mann)4. Er stellt den 17.5.72 neben den 8.5.45 und 5.5.55, an dem Bundesrepublik souveräner Staat wurde. Er hält den Vorgang vom 17. 5. für einen einmaligen in der Geschichte unseres Landes wie in der Gegenwart der Welt ringsum: das Parlament habe ohne revolutionäre Konvulsionen oder gar Bürgerkrieg eine Epoche seines Weges zugunsten einer freieren Zukunft besiegelt. Sein Tadel richtet sich dagegen, daß die angesehensten CDU-Politiker, die vor der Abstimmung um der Nation willen zu den Verträgen Ja gesagt hätten, sich „in die Enthaltung fortgestohlen“ hätten. Er charakterisiert dann die Erfolge durch die Verträge, 1. die größere Bewegungsmöglichkeit für alle Deutschen, 2. die Stabilisierung Berlins, 3. „die Selbstbefreiung“ der Bundesrepublik, die wegen ihrer ungelösten nationalen Fragen schwere internationale Nachteile habe tragen müssen, die sie mehr und mehr in eine Sackgasse zu führen drohten, 4. die europäische Einigung. Es sei eine politische Einigung in Europa so lange unmöglich gewesen, solange sich die Bundesrepublik als Provisorium verstand. Die Ostverträge seien in Wahrheit auch Westverträge. Heigert hält die Stimmenthaltung der Union für eine Niederlage der Partei, und zwar für eine moralische. Es sei besser gewesen, uneinheitlich zu votieren. Heigert sagt es nicht, aber andere sprechen es in Bonn klar aus, wobei ich natürlich Hinterbänkler zitiere: die Union habe sich verhalten wie die Rechte nach 1918. Gemeinsam habe man den Krieg geführt, und es nachher den Anderen überlassen, die Kapitulation und den Vertrag von Versailles zu unterschreiben. Im harten Kern habe sich das Recht des Selbstbewußtseins der SPD bestätigt: das Bürgertum reite die Nation ins Unglück und die SPD müsse angesichts der Folgen des Unglücks antreten und den Kopf hinhalten, während sich das Bürgertum aus den Folgen bei Seite mogele, um dann sagen zu können: die Anderen haben verzichtet, verraten und unterschrieben. Noch einmal, Heigert sagt dies nicht, aber sicher hat sein Artikel diese Auffassungen in der SPD provoziert und gefestigt. Wahrscheinlich muß man diesen Vorhalt in Zukunft mindestens bei den noch anstehenden Diskussionen wissen. Man wird dabei in Rechnung stellen müssen, daß die Opposition die Chance besaß, die Verträge scheitern zu lassen. Sie hat sich im Parlament und im Bundesrat so verhalten, daß sie mit Ausnahme der 10 und 17 Neinstimmer nicht sagen kann, sie sei gegen die Ratifizierung der Verträge gewesen5. Taktisch wären 3 Im Original fehlen die Seiten 3–5. 4 Vgl. Heigert, Verträge. 5 Gemeint sind die 10 Nein-Stimmen gegen den Moskauer Vertrag und 17 Nein-Stimmen gegen den Warschauer Vertrag; vgl. den Bericht vom 17./18. 3. 1971 (Dok. 46).

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ohne die Stimmenenthaltung der Opposition die Verträge gescheitert. Sie hat die umfassende Zustimmung der Repräsentanz des Volkes verhindert, aber sie ist ohne allen Zweifel in die Haftung für die Verträge gegangen. Es ist am Tage, welche moralischen Aspekte für die Regierung und vor allem für viele Bürger bei diesen Verträgen eine dominierende Rolle spielten. Aber eine Kirche wird wahrscheinlich auch Respekt haben müssen vor einer unterschiedlichen Deutung einer geschichtlichen Stunde. Mir scheint nicht immer in den Stimmen aus unseren Kirchen ausreichend gewürdigt zu sein, wie nüchtern die Sphäre der harten gelegentlich mindestens brutalen Außenpolitik ist. Aber man wird zur Erklärung der Stellungnahmen der CDU/CSU deutlich sehen müssen, daß es nicht eine aus der Hektik der Tage vom 15.–17.5. gewachsene Meinung war, daß die Partei vor der Spaltung stand. Die Abgeordneten, die entschlossen für das Ja waren, hatten die Sorge, es könnten bei uns italienische Verhältnisse durch das Zerbrechen der großen Parteien rechts und links entstehen. Die gegensätzlichen Erklärungen der Parteiführer Barzel und Strauß waren getragen von erheblichen Kräften von Wählern und vor allem Delegierten. Es wird für die innere Gesundung der CDU/CSU von großer Wichtigkeit sein, daß sie die aufgebrochenen Fragen nicht unerledigt vor sich herschiebt. Dies wäre um so gefährlicher, als die kritischen Fragen sich sofort neu stellen werden bei dem sogenannten Grundvertrag. Die zum Ja entschlossenen CDU-Abgeordneten haben also insofern sich durchgesetzt, daß ihr Ziel erreicht wurde, die Verträge im Parlament anzunehmen und die Gefahr der Organklage auszuräumen. Sie haben gemeint, unter solchen Umständen die Einheit der Partei als eine auch staatspolitisch notwendige Aufgabe ansehen zu können. Sie waren der Meinung, daß dieser Aspekt wesentlich zu einem ethisch fundierten Urteil gehört. Nur am Rande will ich das Verwundern anmerken, daß die katholische Kirche vollständig zu diesem Vorgang der Ostverträge geschwiegen hat. Dabei war sie schon im Blick auf Polen in einer besonderen Qualität der Verantwortung6. Sicher kann dies keine dogmatischen Gründe haben, denn sie äußert sich ja unablässig viel konkreter als wir zu Fragen der Gesetzgebung. Man kann auch nicht sagen, bei ihnen handelt es sich um innenpolitische Fragen. Der Papst spricht oft zu weltpolitischen Situationen. Er hat sogar spektakulär der UNO einen Besuch gemacht und vor der Vollversammlung gesprochen. Der deutsche Episkopat hat auch dann noch geschwiegen, als der Osservatore Romano sich klar für die Ratifizierung aussprach. Ich enthalte mich der Reflexion der möglichen Gründe für das Verhalten des deutschen Episkopates. In

6 Der im Dezember 1970 abgeschlossene Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Polen war für die polnische Regierung die Voraussetzung dafür, dass Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Polen über die Rückgabe des Kircheneigentums in den Oder-Neiße-Gebieten beginnen konnten; vgl. Stokłosa, Polen, 328.

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keinem Fall kann ja die einsame Stimme des Bensberger Kreises als repräsentativ für den deutschen Katholizismus angesehen werden7. […] Die schwierigste Frage unseres Landes ist z. Zt. nicht die Außenpolitik. Die Regierung hat keine Mehrheit mehr. Sie hat am 29.5. durch Ahlers auf das bestimmteste erklären lassen, sie sei gewillt, notfalls bis zum Herbst 1973 im Amt zu bleiben. Deshalb fordere der Kanzler keine Neuwahlen. Er wolle sich die Mehrheiten suchen, wo sie für die jeweiligen Gesetzesvorhaben zu finden seien. Weil diese Erklärung nach sorgfältiger Beratung zwischen SPD und FDP abgegeben wurde, kann man davon ausgehen, daß der Kanzler nicht an Rücktritt denkt. Es ist ziemlich sicher, daß zu diesem Entschluß diskrete Ermunterungen der 9 westlichen Botschafter beigetragen haben. Weder Nixon noch Frankreich und England wünschen nach dem einigermaßen befriedigenden Ausgang des Gipfeltreffens in Moskau und der ausdrücklichen Einwilligung der USA in den Beginn der diplomatischen Vorgespräche für eine Europäische Sicherheitskonferenz eine Regierungskrise in Bonn (Die Regierung verlangt nicht mehr wie noch in den Gesprächen bei der Abstimmung über die Verträge im Blick auf Neuwahlen, daß die CDU auf ein konstruktives Mißtrauen vor dem Abschluß von überparteilichen Vereinbarungen über Neuwahlen verzichtet. D. h. die CDU kann, wenn sie es für nützlich hält, jederzeit versuchen, die Regierung zu stürzen). Die Regierung hält es freilich für besser, aus der gegenwärtigen Situation durch eine „faire Lösung für Neuwahlen“ herauszusteuern. Aber das Weiterregieren mit wechselnden Mehrheiten schreckt Brandt nicht. Nicht nur die westlichen Regierungen scheinen den Kanzler ermutigt zu haben, in seinem Amt zu bleiben. Es gibt begründeten Anlaß zu vermuten, daß ein Gleiches auch durch den Osten geschah. Möglicherweise spielt dabei auch die Einladung von Brandt an Breschnew eine Rolle. Zum Zustandekommen der Europäischen Sicherheitskonferenz ist es wahrscheinlich hilfreich, wenn die Vorbereitung nicht ausschließlich auf der Ebene der Botschafter betrieben wird. Dies könnte bei der sehr großen Zahl von 34 Teilnehmern und der großen Unterschiedlichkeit der Interessenlage ein sehr langwieriger und zeitraubender Prozeß sein. Nimmt man hinzu, daß Rogers die bevorstehende Inkraftsetzung des Viermächteabkommens über Berlin als „geeigneten Wegbereiter“ für die Sicherheitskonferenz genannt hat, liegt die Annahme nahe, daß den 4 Mächten das Verbleiben von Brandt wichtig ist. Die Situation in Bonn ist z. Zt. vor allem dadurch gekennzeichnet, daß nicht nur keine Mehrheitsregierung vorhanden ist, sondern in allen 3 Parteien erhebliche innerparteiliche Gegensätze die Arbeit erschweren. Das Verhältnis der Gruppen in der CDU ist durch die Spannungen belastet, die sich bei der Beratung der Verträge ergaben. Wir kennen in unserem Lande erst seit 1945 Omnibusparteien. Sie bedürfen unablässig einer innerparteilichen Abstimmung und Herstellung von Kompromissen, wie dies in den Weimarer Parteien 7 Zum Bensberger Kreis vgl. den Bericht vom 14. 3. 1968 (Dok. 35), Anm. 2.

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fast nie nötig war. Es ist nicht verwunderlich, wenn die neue Formierung der Opposition Zeit, am besten zunächst Ferien braucht. Gefährlich ist auch die Lage in der SPD. Die Schwierigkeiten der CDU sind vor allem personeller Art, es geht um die Glaubwürdigkeit der führenden Männer. Bei ihr geht es um die Partei, Parteiziele und Regierungsentscheidungen. Vor allem das sprunghafte Ansteigen der Ausgaben bei Bund, Ländern und Gemeinden wird nicht nur in der Opposition als alarmierend empfunden. In dieser Sache waren die FDP-Abgeordneten Kienbaum ebenso wie Schiller Opposition8. Er hat den Kanzler und seine Partei dadurch überrascht, daß er drastische Etatkürzungen von 2,5 Millionen und durch zusätzliche Steuererhöhungen eine ausgeglichene Finanzplanung bis 1976 verlangte. Diese Attacke aus dem eigenen Kabinett traf den Kanzler in einem für ihn außen- und innenpolitisch denkbar ungünstigen Augenblick. Nicht nur der Kanzler, auch die Haushaltsexperten der SPD waren betroffen, zusätzlich, weil sie von Schillers Absichten aus der Presse erfuhren. Es gab einen unerfreulichen Briefwechsel zwischen Brandt und Schiller, in dem Brandt Schillers Vorschläge unausgegoren nannte (Am 6.6. wird es darüber zu Verhandlungen in Partei- und Fraktionsvorstand der SPD kommen). Der Vorhalt ist, Schiller hätte spätestens im März die Finanzexperten seiner Partei informieren können. Ziemlich sicher tat er es auch nicht mit Rücksicht auf den Wahlkampf in Baden-Württemberg. Strauß hat die Publikation als „das 1. offizielle Eingeständnis der 2 12-jährigen katastrophalen Mißwirtschaft der Regierung Brandt“ bezeichnet. Jedenfalls sind die Auseinandersetzungen im Kabinett heftig. Schiller hat zwar kaum Freunde in der Fraktion und im Kabinett, aber die Regierung hat durch die Berufung eines 34-jährigen Regierungsrates als Staatssekretär für die Steuerreform gezeigt, daß ihr Reservoir an Finanz- und Wirtschaftsexperten bescheiden ist. Einigen sich Kanzler und Fraktion der SPD mit ihrem unbequemen Finanz- und Wirtschaftsminister, werden voraussichtlich die Reformprogramme von 1969, soweit sie viel Geld kosten, den Schaden haben. Die Reformprogramme werden aber nach der Ratifizierung der Ostverträge anders als bisher das öffentliche Interesse erregen. Es beginnt der Vergleich zwischen der Regierungserklärung und dem, was erreicht ist. Einer der Kernpunkte war die Steuerreform. Sogar der „Vorwärts“ schreibt schon, daß es um die Steuerreform schlecht steht. Die FDP hat sich von den Steuerplänen distanziert. Sie befürchtet eine zu hohe Belastung der breiten Mittelschichten. Flach: der Grundirrtum der SPD bestehe darin, daß sie Gesellschaftspolitik über die Steuerpolitik betreiben wolle. In keinem Fall besteht eine Gewähr, die Steuerreform in dieser Legislaturperiode noch durchzubringen, zumal die Regierung, abgesehen vom Streit im eigenen Lager, auf die Zustimmung der Opposition angewiesen ist. Der Kanzler hat im Parlament am 26.4. sich ausführlich zu den bisherigen 8 Vgl. Manches runterschlucken. In: Der Spiegel, 26 (1972), Nr. 15 vom 3. 4. 1972, 23.

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Leistungen geäußert9. Er nannte den Umweltschutz, wobei er den Beitrag der Opposition ausdrücklich anerkannte, das Städtebauförderungsgesetz, das Mietrecht, den Ausbau der sozialen Sicherheit durch Dynamisierung der Kriegsopferrenten, die Abschaffung der Krankenversicherungsbeiträge für Rentner, das 624-Mark-Gesetz10 und einige andere Dinge. Man wird aber sagen müssen, daß einige sehr weitreichende Reformpläne von 1965 keinerlei Chance der Verwirklichung in dieser Legislaturperiode haben. Ich denke an Bildungsplanung, Bildungsurlaub, Hausfrauenrente usw. Die UNCTAD III Konferenz in Santiago de Chile, 5 Wochen, um 11/2 Tage verlängert. Aktivitäten der EKD und Katholiken. Ausgezeichnetes und anerkanntes Papier vorgelegt11. Von der Bundesregierung hoch gewürdigt, auch in Brüssel. Der Ertrag der Konferenz steht im krassen Gegensatz zur Größe der Unternehmung. Nach Umfang und Zeitdauer die größte internationale Konferenz seit 20 Jahren. Zum wichtigsten Ergebnis gehört, daß den Entwicklungsländern künftig ein Mitspracherecht in den Beratungen des Internationalen Währungsfonds und im GATT zugebilligt wird. Ein Mitentscheidungsrecht, wie es die Entwicklungsländer gefordert hatten, bekamen sie nicht. Die Entwicklungsländer haben nachdrücklich darauf hingewiesen, welcher Schade ihnen durch die vorjährige Währungskrise und das rücksichtslose Verhalten der Amerikaner entstand. Die Industriestaaten anerkannten die Nachteile, gewährten aber keine Entschädigungen. Gleichwohl kam es nach den Berichten der Teilnehmer nicht zu der polemischen Schärfe wie 1968 in Neu-Dehli. China blieb betont zurückhaltend, wahrscheinlich weil es bei den Armen keine falschen Hoffnungen wecken wollte. Auch der Ostblock bot keine spektakulären Eigenleistungen an. Bei der Frage der Rohstoffmärkte, Preisstabilisierungsvorschlägen und Präferenzen kam es zu Empfehlungen. Eppler, der trotz unbestreitbar besserer fachlicher Kompetenz die Führung der deutschen Delegation zunächst Schiller überlassen mußte, hat Vorschläge für eine Reform der UNCTAD gemacht. Er will den Weltkonferenzen künftig Spezialtreffen der Industrienationen und Entwicklungsländer vorschalten. Jetzt kämen die Delegationen mit fester Marschroute und verhielten sich nach Abgabe ihrer Grundsatzerklärung nicht mehr flexibel. Der Initiator der Konferenz Raffll klagte über den „totalen Mangel“ an „kühnen 9 Vgl. den Redebeitrag Brandts zur Aussprache über die Haushaltsberatung; Abdruck in: Plenarprotokolle (online), WP 6, 182. Sitzung, 10639D–10652 A. 10 Am 4. 6. 1970 hatte der Bundestag das Dritte Vermögensbildungsgesetz für Arbeitnehmer verabschiedet. Damit wurden vermögenswirksame Leistungen bis zu 624 DM im Jahr begünstigt; vgl. Fischer Chronik Deutschland, 460. 11 Das „UNCTAD-Papier“ ist eine im März 1972 herausgegebene Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD mit dem Titel „Partner in der Weltwirtschaft“. Verfasser waren die Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AGKED) und die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Frieden (KAEF). Anlass der Erklärung war die 3. Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD III), die vom 13.4. bis 21. 5. 1972 in Santiago de Chile stattfand; vgl. KJ 99 (1972), 207–211; und Schwarz, Pflicht, 90.

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Initiativen.“ Die UNO hat sich daraufhin veranlaßt gesehen, noch einmal an der Alarmglocke zu schlagen. In einem Bericht vom 23.5. des Ausschußes der UNO für Entwicklungsplanung heißt es, viele Entwicklungsländer trieben einer wirtschaftlichen Katastrophe entgegen, wenn nicht endlich etwas geschehe. Arbeitslosigkeit und Elend gehen nicht zurück. Sie würden in allen Entwicklungsländern noch zunehmen. Die von einigen Ländern angenommenen Programme zur beschleunigten Entwicklung seien sogar gefährlich. Dies deckt sich mit der Kritik Epplers Anfang 1972. Nach dem UNO-Ausschußbericht werden die Entwicklungsländer solange immer ärmer, bis es gelingt, durch Abkommen über die Stabilisierung der Rohstoffpreise und über Vorzugszölle ihre Lage zu verbessern. Die gegenwärtig gewährte Auslandshilfe sei zu kostspielig. Ich habe nicht den Eindruck, als wollten in Kürze die Industrieländer ihrer weltweiten Verantwortung gerecht werden. Vielleicht können sie es auch angesichts der inneren Verfassung ihrer Völker nicht, jedenfalls solange nicht, als das wirtschaftliche Wachstum, die Wachstumsrate für die Völker und für die Einzelnen als die nationale Aufgabe und die Lebenserfüllung angesehen werden.

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52 Berlin, 6. Juli 1972 EZA Berlin, 742/5, hsl., msl. […] Alle Parteien sagen einen rigorosen Wahlkampf voraus. Wahrscheinlich wird der Rat jedenfalls jetzt noch nicht die Absicht haben, sich an die Parteien und die Öffentlichkeit zu wenden. Aber es könnte der Überlegung wert sein, ob sich der Rat an die Amtsträger der Kirche wenden will – oder Auftrag an Kammer, für Synode ein Wort vorzubereiten, in dem auch ausgesprochen wird, was wir für politisch möglich und tragbar und was er für zerstörend ansieht. Wir kennen nach Weimar, Recht, Parteien auf ihre Verantwortung anzureden. Ich sollte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß bei dem Besuch Brandts bei Döpfner in der vergangenen Woche die Frage des Eingriffs der katholischen Kirche in den Wahlkampf eine Rolle gespielt haben soll. Döpfner soll keine Zusage haben machen wollen oder können. Man kann nur mit Sorge sehen, wie miserabel das Verhältnis von katholischer Kirche und Regierung geworden ist. Man kann nur schwer glauben, daß etwa die Behandlung, der sich der Kanzler in der vergangenen Woche bei dem Empfang des Nuntius ausgesetzt sah, ein zufälliges Mißgeschick war. Sicher aber werden sich die katholischen Bischöfe angesichts ihrer kritisch gewordenen Gemeinden nicht mehr Hirtenbriefe zur Wahl wie in den 50er Jahren erlauben können. Ich weiß nicht, ob der Rat die Regelung des Hl. Stuhls im Blick auf die Bistümer im ehemals deutschen Gebiet in Polen diskutieren möchte. Sie kam ohne Konsultation der deutschen und polnischen Bischöfe. Der Nuntius hat den Kardinälen Döpfner und Bengsch lediglich mitgeteilt, an welchem Tag der Hl. Stuhl die Regelung publizieren würde. Der Hl. Stuhl hat sich damit für die Warschauer Auslegung des Vertrages entschieden und die Erklärung des Bundestages zum Vertrag nur wie eine salvatorische Klausel gewertet1. Als ich vor 14 Tagen der Kammer für öffentliche Verantwortung einen Lagebericht erstattete, erwähnte ich kurz die Vietnamfrage. Die Kammer war der Meinung, ich solle möglichst bald die Sache dem Rat im Zusammenhang vortragen. Die Dankeskundgebung, die Brandt aus Anlaß der 25. Jahrestagung der Verkündung des Marschallplanes in der Harvard Universität in Boston veranstaltete, fiel zeitlich fast genau mit der scharfen Kritik [zusammen], die der schwedische Ministerpräsident Palme gegen die Kriegsführungsmethoden der USA am 1. Tage der Generaldebatte der Umweltkonferenz der UNO in Stockholm übte2. Das Amerika George Marshalls, das den verdienstvollen, 1 Vgl. Stokłosa, Polen, 328 f. 2 Brandt hatte am 5. 6. 1972 zum 25. Jahrestag der Verkündigung des Marshall-Planes an der Harvard-University gesprochen und dabei die Einrichtung einer Deutschen Marshall-Gedächt-

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historisch überaus gewichtigen Anstoß zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas 1947 gab, sah sich in Stockholm an den Pranger gestellt, angeklagt einer unerhörten Umweltverwüstung durch Flächenbombardements, durch Pflanzenvernichtungsmittel und den sogenannten „Pazifizierungsmaßnahmen“3. 2 sozialdemokratische Regierungschefs in Europa wandten sich – also am gleichen Tage – an die Adresse Amerikas, aber die Inhalte ihrer Anreden waren gegensätzlich bis auf den Grund. Der Eine überbrachte als Dank für eine Tat, die fraglos eine eindrucksvolle moralische Komponente hatte, eine hohe, auf gemeinsame, zukunftsträchtige Forschung gerichtete Stiftung4, der Andere sprach von der schrecklichen Mißachtung völkerrechtlicher Vorschriften und menschenrechtlicher Prinzipien. Der Vorgang erinnert an einen schweren inneren Schaden in unserem Lande, ich meine die Behandlung des Vietnamkrieges. Daß die Bundesrepublik bei ihrer starken Abhängigkeit in der Sicherheitspolitik von Amerika sich nicht mit öffentlicher Kritik am Vietnamkrieg zu Wort melden konnte, begreift man leicht. Aber man kann auch nicht sagen, daß die sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen, also auch die Kirchen der Bundesrepublik zugearbeitet hätten, daß die Regierung im diplomatischen Gespräch hätte darauf hinweisen können, unter welchem Druck sie in der öffentlichen Meinung stehe. Selbst die deutsche Presse hat in den verflossenen Jahren nicht einmal nachgedruckt, was die amerikanischen Zeitungen publizierten. Als Prof. Ellsberg die Pentagon Papiere der „New York Times“ zuspielte, konnte dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Geheimnisverrates angesehen werden5. Spätestens seit diesen Papieren aber ist eine Haftung unseres Landes unbestreitbar geworden. Wir sind in der militärischen Allianz mit Amerika. Mit Ausnahme weniger Einheiten ist die gesamte Bundeswehr voll in die NATO integriert und untersteht ihrem Kommando. Es kann uns überhaupt nicht gleichgültig sein, welche ethischen Grundprinzipien bei dem mächtigsten Staat der Allianz, der immer den Oberbefehlshaber stellt, bei militärischen Operationen nicht nur für möglich gehalten, sondern unablässig praktiziert werden. Es handelt sich ja gerade nicht um Exzesse, die in einem Krieg nie zu verhindern sein werden. Was in Vietnam geschah, passierte auf Grund von nisstiftung in den USA bekannt gegeben. Dafür sollte die Bundesregierung innerhalb von 15 Jahren einen Fonds von 150 Millionen DM zur Verfügung stellen; vgl. Europa-Archiv 27 (1972), Z138. 3 Die erste Konferenz der Vereinten Nationen über die menschliche Umwelt fand vom 5.6. bis 16. 6. 1972 in Stockholm statt. Zur Generaldebatte und zur Kritik des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme an der Kriegführung der USA in Vietnam vgl. Skupnik, Konferenz, 111. 4 Gemeint ist „The German Marshall Fund of the United States (GMF)“; vgl. Anm. 2 in diesem Bericht. 5 Daniel Ellsberg, ein Mitarbeiter des Pentagon, hatte geheime Papiere der US-Regierung zum Vietnamkrieg öffentlich gemacht. Am 13. 6. 1971 publizierte die New York Times erste Auszüge aus den sogenannten Pentagon-Papieren; vgl. dazu Maeck, Krieg (online).

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Befehlen des Pentagon. Wessen hätten sich eigentlich unsere Divisionen im Verteidigungsfall von den amerikanischen Oberbefehlshabern zu versehen? Durch die Tabuisierung der Kriegsmethoden Amerikas kann sehr leicht eine stille Demoralisierung des Ethos der Soldaten geschehen. Man muß dies um so ernster nehmen, als Vietnam kein ferner Einzelfall ist. Frankreich hat den Krieg in Algerien ganz sicher z. T. nicht unter größerer Berücksichtigung des Völkerrechts geführt. Wenn ich mir die Inhalte des lebenskundlichen Unterrichts und der Rüstzeiten in der Militärseelsorge ansehe und sie vergleiche mit dem, was seit Jahren Tag für Tag von unseren großen Verbündeten geschieht, komme ich mir vor, wie wenn ich im Stil eines Dorfbürgermeisters in der Lüneburger Heide Hamburg regieren wollte. Natürlich habe ich die Sache in der Generalität und Vertretern der NATO vorgebracht. Am empfindlichsten haben die Engländer reagiert, wenn auch ohne erkennbaren Erfolg. Der Rat hat sich mehrfach schon vor Jahren mit dem Problem Vietnam befaßt und sich an die amerikanischen Kirchen gewandt6. Im Blick auf den Ratsbericht vor der Synode sollte erwogen werden, ob nicht im Zusammenhang der Umweltkonferenz der UNO in Stockholm das Problem Vietnam aufgegriffen werden sollte. In Stockholm hat auf einem Biochemie-Forum Prof. J. B. Neilands von Berkeley gesagt, [dass] eine Konferenz der UNO über Umweltschutz, die sich nicht bemühen würde, die Herstellung und die Anwendung von CB-Waffen und modernen Methoden der umweltgefährdenden Kriegsführung zu prüfen, eine bewußte Irreführung bedeuten würde. Liest man die Berichte von Stockholm mit den sie stützenden wissenschaftlichen Begründungen, muß man sagen, daß sie ganz unzulänglich in der deutschen Presse dargestellt und auch von der Bundesregierung nur knapp gewürdigt wurden. Ich möchte einige Fakten nennen. Schon 1961 hat die chemische Kriegsführung in Indochina mit Herbiziden, also Pflanzengiften, begonnen. Dies wurde jahrelang geheim gehalten, bis es 1967 zum 1. öffentlichen Protest kam. Von November 1961 bis zum Höhepunkt der Herbizid-Kampagne 1966 und ihrem vorläufigen Ende Mai 71 sind 64 Millionen Liter amerikanische Herbizide auf 1,9 ha Millionen Wald und Nutzforsten ausgestreut worden. An Erntevernichtungsmitteln wurden 8 Millionen Liter auf 0,3 Millionen ha landwirtschaftlich genutzter Fläche ausgestreut. Ungefähr 15 % der Wälder Südvietnams sind 1 x und ca. 4 % mehrfach entlaubt worden. In den einmal geschädigten Gebieten wird die Erholung schätzungsweise 10 Jahre in Anspruch nehmen, in den mehrmals geschädigten mehrere Jahrzehnte. Es wurde die Jahresnahrung von ca. 900.000 Vietnamesen, besonders der Bergbevölkerung vernichtet. Die Untersuchung über die gesundheitlichen Schäden ist 6 Vgl. den Aufruf zur Hilfe für Vietnam vom Januar 1966, der vom Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Julius Kardinal Döpfner, und vom Ratsvorsitzenden der EKD, Kurt Scharf, sowie von den Präsidenten des Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes unterschrieben war; Abdruck in: KJ 93 (1966), 168; vgl. auch das Schreiben des Rates der EKD an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD vom 17. 2. 1967 in: KJ 94, (1967), 129 f.; und das Kommuniqu des Rates über Vietnam vom 14./15. 3. 1968 in: KJ 95 (1968), 105 f.

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noch nicht abgeschlossen, auch nicht die über die Erbschäden. Experten sagen mir, daß es außer aller Frage wäre, daß die von der US-Regierung und ihren Streitkräften angewandten Kampfmethoden völker- und menschenrechtswidrig seien. Auch das Ausmaß des Bombenkrieges ist uns nicht ausreichend bekannt. Durch mehr als 26 Millionen Bombenkrater in Nord- und Südvietnam wird die landwirtschaftliche und verkehrstechnische Nutzung auf unabsehbare Zeit gemindert. Allein von 1965–71 wurden 2 Milliarden kg Bombenlast abgeworfen, also das Doppelte, was die US-Streitkräfte während des 2. Weltkrieges auf sämtlichen Kriegsschauplätzen verbraucht haben. Ebenso bedrückend ist, daß eine Reihe von neuen Waffen in Vietnam erprobt werden. Ich nenne nur die 6.800 kg schwere BLU-82/B „Commando Vault“, die angeblich Landeplätze für Hubschrauber schaffen soll7. Sie hinterlassen keinen Krater, fegen aber ein Areal von 50 ha im Umkreis leer. Weder Mensch noch Tier überlebt in diesem Gebiet eine solche Explosion. Dies ist nicht die einzige neu erprobte Waffe. Nur etwa 5–8 % der amerikanischen Bombeneinsätze richten sich gegen militärische Ziele. Die übrigen gelten den Wäldern, Feldern und der Landbevölkerung. Hinzu kommen die Wetterexperimente, um das Wetter auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad unerträglich zu machen. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat erklärt, es werde diese Berichte weder bestätigen noch dementieren. Ich sage dies alles zur Härtung der Eingangs zitierten These, daß eine UN-Weltkonferenz, die diese Probleme ausklammern wollte, ein Schwindel wäre. Seit langem hält uns die DDR-Regierung vor, daß wir dies alles genau wüßten, aber nicht einmal die von uns so hochgerühmte freie Presse unterrichte die deutsche Bevölkerung, noch gar die Regierung verliere ein Wort darüber. Ich habe die Sachfrage nur kurz in der letzten Kammertagung für öffentliche Verantwortung gestreift. Minister Eppler meinte, die Regierung könne bei ihren Abhängigkeiten von Amerika sich öffentlich nicht äußern, hielt es aber für richtig, daß die Regierung öffentlich angeredet wird, daß sie im Gespräch von Regierung zu Regierung vorstellig werden kann. Meine Frage ist, ob der Rat dem Vorsitzenden empfehlen will, einen Passus über die Vietnamfrage in den Ratsbericht aufzunehmen8. Natürlich müßte dies so ge7 Kunst beschreibt hier eine von den US-Streitkräften im Vietnamkrieg erstmals 1970 eingesetzte Fliegerbombe. 8 Das Protokoll der 67. Sitzung des Rates der EKD vom 6./7. 7. 1972 vermerkt im Anschluss des Berichtes von Kunst über die Lage in Vietnam fünf Ratsbeschlüsse. Danach sollte der Rat 1. noch vor der Synode im Herbst 1972 in Bezug auf den Bombenkrieg der USA in Vietnam, der auf der Stockholmer Umweltschutz-Konferenz als „Milieumord“ bezeichnet worden war, tätig werden, 2. sollte Kunst den Bundeskanzler auf „die wachsende Besorgnis der EKD angesichts der verheerenden Wirkungen des Bombenkrieges in Vietnam“ vorbereiten, 3. wollte man die Synode von diesem Schritt in Kenntnis setzen, 4. sollten die Kirchen der USA über diese Aktion informiert werden, 5. sollte ein Kommuniqu des Rates deutlich machen, dass dieser sich mit der Situation in Vietnam befasst hatte (EZA Berlin, 2/8346).

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schehen, daß die einzige Reaktion nicht der Vorhalt ist, daß die Kirche sich melde, nachdem die Jugend dies seit Jahren ohne Unterstützung der Kirche getan habe und das Ende des Krieges zu erwarten sei. Die Frage ist, welches Ziel man ansteuern will. Ich hielte für möglich, sich sowohl auf die Stockholmer Umweltkonferenz wie auf die Situation der Soldaten zu beziehen. Man könnte einsetzen mit der Hoffnung, daß die Bemühungen um eine Befriedung Vietnams endlich zum Zuge kommen. Im Rückblick dürfe nicht verschwiegen werden, daß schwere Verletzungen des Völkerrechtes vorgekommen seien. Auch wenn wir nach 1945 eindrucksvolle Beispiele der moralischen Kraft des amerikanischen Volkes wie etwa im Marshallplan erlebt hätten, könne man an den Vorhaltungen, die Amerikanern in Stockholm im Blick auf den Umweltschutz gemacht worden seien, nicht vorübergehen. Hinzu käme, daß unsere Soldaten ihren Dienst in einer Allianz leisteten, in der Amerika die führende Macht sei. Es müsse Bedacht darauf genommen werden, daß die sittliche Ertüchtigung der Soldaten in der Allianz in der strengen Beachtung des Völkerrechtes und der Menschenrechte so gewissenhaft wie möglich wahrgenommen werde. Dies könnte die Synode zum Anlaß nehmen, den Rat zu bitten, Vorstellungen sowohl bei der Regierung wie bei der Führung der Armee zu erheben. Sollte es dazu kommen, daß der Rat sich den Vorschlägen von Georg Picht über den Umweltschutz öffnet, müßte sicher eine besondere Rolle der Konventionsentwurf der UNO über kriegsbedingte Umweltzerstörung spielen. Es ist jetzt schon so, daß die in Indochina erprobten Milieumordmethoden in Afrika durch Portugal nachgeahmt werden. Unter der Führung Schwedens werden Indien und China in dieser Sache tätig werden. Afrikanische Staaten werden sich anschließen. Auch die DDR beabsichtigt, sich in dieser Sache nachdrücklich zu Wort zu melden. Um so erstaunlicher war es, daß Brandt in seinem Vortrag in Lindau am 26.6.72 auf der Tagung der Nobelpreisträger über „Umwelt als internationale Aufgabe“ das Problem der kriegsbedingten Umweltzerstörung mit keinem Wort erwähnte, wiewohl er sicher den im Mai im schwedischen Reichstag einstimmig gefaßten Beschluß und auch die einschlägige Diskussion der Umweltkonferenz der UNO in Stockholm kannte9. Das Umweltschutzprogramm, das Genscher vorgelegt hat, erwähnt auch mit keinem Wort die in Stockholm der Weltöffentlichkeit vorgeführten „Milieumord“-Fälle. Es gibt auch handfeste wirtschaftliche Interessen, die für Zurückhaltung in dieser Sache bei uns sorgen. Mindestens ein Teil der erregten Linken will die Zweideutigkeit in einer Reihe von öffentlichen Bereichen nicht hinnehmen. Es gibt echte Gewissensvorhalte in der radikalen Jugend. In der Propaganda der DDR in der Bundeswehr spielen diese Dinge seit den letzten Monaten die entscheidende Rolle. Die Informationen der DDR stammen durchweg aus Skandinavien. Spricht man schon von Ethik, ist man versucht, auch auf die Stimmen des XXII. Kongresses der sozialistischen In9 Zur Stockholmer Konferenz der UN über die Umwelt des Menschen vom 5. bis 16. 6. 1972 vgl. Europa-Archiv 27 (1972), D437–D450; und Brandt, Umweltschutz.

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ternationale im Juni in Wien zu achten, aber dies würde in unserem Zusammenhang zu weit führen10. Wenn die Bundesregierung sehr zurückhaltend in Äußerungen ist, die antiamerikanisch wirken könnten, wenn in Wien die deutschen, die oesterreichischen und israelischen Sozialisten sich energisch den Delegationen aus Schweden, Finnland, Frankreich, Italien und einem Teil der Engländer, die eine harte Verurteilung der amerikanischen Vietnampolitik wollten, widersetzen, hängt das auch damit zusammen, daß die Bundesregierung in den Verhandlungen um den Grundvertrag mit der DDR nicht weiterkommt und die Hilfe der Nixon-Regierung dringend braucht. Es gibt z. Zt. keinen Druck aus Moskau auf die DDR, die in den Verhandlungen Bahr-Kohl die Auffassung vertritt, sie habe alle unsere Wünsche erfüllt, wir aber hinderten überall, die Aufnahme in die Weltgesundheitsorganisation, die Teilnahme an der Umweltkonferenz usw. Die DDR sieht wenig Anlaß zum Einlenken. Die Europäische Sicherheitskonferenz kommt in jedem Fall. Amerika scheint sozusagen in die Vollen gehen zu wollen. Frankreich, bisher der stärkste Befürworter, ist jetzt eher zurückhaltend. Die DDR wird auf jeden Fall vollberechtigt als Partner am Tisch sitzen neben Amerika, Frankreich usw. Helmut Schmidt hat auf der Tagung der SPD-Führungsgremien am 25.6. in Berlin noch einmal die 4 Grundsätze formuliert, die ihren Niederschlag in dem Grundvertrag finden müssen. Es sind die 4 Mächteverantwortung für ganz Deutschland, beide Staaten Teile einer Nation, keine Botschafter, nur Bevollmächtigte, vertragliche Regelung wie zwischen unabhängigen Staaten. Aber Kohl hat klipp und klar gesagt, daß die DDR dafür nicht bereit ist. Unser stärkster Hebelarm bleibt die Frage der Aufnahme beider Staaten in die UNO. Wir werden nicht die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und einer Reihe von Staaten hindern können, aber zur Aufnahme in die UNO kommt es bis jetzt nicht ohne unsere Zustimmung. Kohl hat darauf geantwortet, die DDR habe 23 Jahre ohne die UNO leben können. Müsse sie jetzt noch 2 Jahre warten, ginge sie daran nicht kaputt. Auf keinen Fall sei ihr die schnelle Aufnahme in die UNO den von uns gewünschten Grundvertrag wert. Umso nachhaltiger wird die Bundesrepublik bei den Amerikanern vorstellig, es möchte seinen Einfluß in Moskau geltend machen. Um so weniger ist die Bundesrepublik zu bewegen, irgend etwas zu tun, was von den Amerikanern als lästig oder unerwünscht angesehen werden kann. […]

10 Zum Kongress der Sozialistischen Internationale in Wien vom 26. bis 29. 6. 1972 vgl. EuropaArchiv 27 (1972), Z150.

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53 Berlin, 7. Juli 19721 EZA Berlin, 742/5, hsl. Auch wenn man kühl denkt über die z. T. düsteren Ankündigungen von führenden Parteimännern über den bevorstehenden Wahlkampf, darf man sich nichts von freundlichen Wörtern versprechen. Es stehen für die nächsten Jahre so wesentliche Dinge auf der politischen Tagesordnung, es werden so bedeutsame Weichen gestellt, daß der Kampf um die Verwaltung der Macht hart sein muß. Unter den anstehenden Aufgaben gibt es zahlreiche, deren Lösung den Kirchen nicht gleichgültig sein kann. Ich rechne damit, daß die katholische Kirche sich bei der kommenden Wahl nicht so zurückhaltend wie 1969 verhalten wird. Dies braucht sicher kein Grund zu sein, daß wir uns zu Wort melden. Aber wir könnten nach den Erfahrungen bei der Behandlung der Ostverträge ein Interesse haben, sozusagen innerkirchlich Spielregeln zu entwickeln. Ich frage aber, können wir die Intentionen, die wir bei Denkschriften und Studien hatten, in einer neuen Gestalt aufnehmen. Evangelisch heißt angesichts der Wahlen wohl zuerst, daß wir keinerlei Zuarbeit für eine der 3 Parteien leisten. Ich lasse die Frage nach der äußersten Rechten und Linken bei Seite. Wir werden auch nicht retrospektiv einige Probleme aufgreifen wollen und wie Kardinal Höffner sagen: Christen können keinen Abgeordneten wählen, der für die Fristenlösung ist. Evangelisch heißt aber in der Politik sicher, nicht nur sich gegen Böswilligkeit, Lüge, Entstellung und Verleumdung wenden, sondern vor allem auf Sachlichkeit zu dringen. Meine Überlegung zielt darauf, was man konkret zur Versachlichung tun könnte. Verbal ist selbstredend jeder für Sachlichkeit. Ich denke, ich tue den Parteien kein Unrecht, wenn ich sage, daß mindestens ein Teil des Wahlkampfes im Stil einer Waschmittelwerbung betrieben wurde. Ich habe Anlaß zu glauben, daß nach allen bisherigen Erfahrungen die Parteien nicht an 1. Stelle die Frage ventilieren, wie sie möglichst sachlich den Wahlkampf führen könnten. Es müßte sich ein überparteiliches Gremium dafür einsetzen, daß der Wahlkampf in seinem Stil den Grundprinzipien einer mündigen Demokratie entspricht. Es müßte eine Art „Wahl-Initiative 1972“ geschaffen werden, also eine vorübergehende Organisation aus Repräsentanten des öffentlichen Lebens, der Parteien, der Verbände und der Kirchen sowie namhafte Einzelpersönlichkeiten (z. B. C. Fr. von Weizsäcker und Prof. Eschenburg). Mit einem kleinen Mitarbeiterstab, vielleicht in Anlehnung an die Aktion Gemeinsinn, müßten die Parteien in konkreter Weise auf ihr Wahlprogramm angesprochen und Informationen zu den einzelnen Sach1 Der Lagebericht ist überschrieben mit „Beitrag zur Frage der Stellungnahme des Rates der EKD zur Bundestagswahl“.

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fragen publiziert werden. Nur eine überparteiliche Initiative der Staatsbürger selbst, die selbstredend personell belangvoll sein muß, wird die Parteien nötigen, sich in den Grenzen der politischen Vernunft und der demokratischen Toleranz zu bewegen. Wichtig ist dabei, daß die Parteien aufgefordert werden, zu Einzelfragen Stellung zu nehmen. Dafür ist erforderlich, daß hervorragende Sachkenner einzelner Gebiete eine Art Fragenkatalog zusammenstellen, der sich an den gegebenen Problemen orientiert. Als Beispiel nenne ich für die Wirtschaftspolitik und die Wirtschaftsordnung Männer wie Prof. Giersch oder Prof. Kloten (beide ehemalige Vorsitzende im Sachverständigenrat). Ohne Vollständigkeit nenne ich weitere Gebiete, für die entsprechende Sachkenner die Fragestellungen erarbeiten müßten, die den Parteien vorgelegt werden. Dabei kann man natürlich auch auf schon vorhandene Stellungnahmen der Parteien zurückgreifen2. – – – – – – – – –

Grundsatzfragen der politischen Ordnung, Bildungspolitik und Hochschulwesen, Bodenrecht und Städtebau, Betriebsverfassung und Mitbestimmung einschließlich Vermögensbildung, Verteilung des Sozialproduktes, Steuerfragen und Finanzpolitik, Sozialpolitik, insbesondere Fragen der Rentengestaltung, Strafrechtsreform, § 218, Strafvollzug Aufgaben der Entwicklungshilfe Aufgaben des Umweltschutzes.

In allen diesen Bereichen geht es nicht um unverbindliche allgemeine Zielsetzungen, sondern um Angaben konkreter Programme für die nächste Legislaturperiode. Nur auf diese Weise ergeben sich dann auch Alternativen, so daß der Wähler eine Wahlentscheidung auf Grund von Sachorientierungen treffen kann. Bei solchem Vorgehen würde sich auch zeigen, ob und welche Reformen von den Parteien angestrebt werden. Man müßte auch erkennen können, ob die Parteien bereit sind, diese Reformen unter Beachtung der freiheitlichen Grundrechte unseres Staates durchzuführen. Kommt es nicht zu einer Versachlichung der Wahlentscheidung, bleibt die große Gefahr, daß diese Wahlen durch ständig zunehmende Polarisierung zur politischen Verunsicherung und Selbstzerstörung unseres Staatswesens beitragen.

2 Im Anschluss an diesen Bericht beschloss der Rat, dass die EKD sich mit der Aufforderung zur Versachlichung des Wahlkampfes an die Parteien wenden solle. Kunst wurde beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzuberufen, deren Aufgabe es war, einen Fragenkatalog zu den anstehenden innen-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Problemen zu erstellen. Damit wollte man die Parteien motivieren, ernsthaft auf die an sie herangetragenen Fragen zu antworten; vgl. das Protokoll der 67. Ratssitzung vom 6./7. 7. 1972 (EZA Berlin, 2/8346).

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54 Hannover, 21./22. September 1972 EZA Berlin, 742/5, hsl., msl. Das die politische Landschaft prägende Ereignis ist selbstredend die gestern gestellte Vertrauensfrage des Kanzlers und die daraus folgenden Aktivitäten zur Vorbereitung der Bundestagswahl1. Bei einem anderen Top wird über die Aktionen zu sprechen sein, die jetzt schon im Blick auf die Wahl bei einigen Gruppen in unserer Kirche angelaufen sind. Wahrscheinlich werden die 3 bevorstehenden Parteitage eine besondere Bedeutung haben. Die Parteitagsbeschlüsse werden in jede Regierungserklärung, wer auch immer sie abgibt, einfließen müssen. Deshalb sind seit Monaten Grundsatz- und mit speziellen Fragen beauftragte Kommissionen in allen Parteien an der Arbeit. Der Umfang der bisher vorliegenden Papiere ist von einer Weise, daß man nicht annehmen kann, daß wenigstens die Vorsitzenden der Parteien sie alle gelesen, geschweige denn durchgearbeitet haben. Sehe ich recht, gibt es eine Summe von Problemen, bei denen die Unterschiede zwischen den Parteien nicht radikal sind. Z. B. haben die Sozialdemokraten eine umfassende Stellungnahme zum Bodenrecht vorgelegt. In der CDU ist die Meinungsbildung über das neue Bodenrecht noch nicht abgeschlossen. Aber mir scheint wahrscheinlich, daß auch sie die Veräußerungsgewinne erfassen will. Besondere Schwierigkeiten bereitet überhaupt, aber in der Frage des Bodenrechtes zusätzlich die Landwirtschaft. Niemand kommt daran vorbei, daß es nicht nur in der Eifel und in Wittgenstein, sondern auch in anderen Gebieten in wachsendem Maße versteppte Flächen gibt. Offenbar gibt es in einer sozialen Marktwirtschaft auch Bereiche, die aus übergeordneten Gesichtspunkten unter allen Umständen der Subvention bedürfen. Dies gilt nicht nur von der Landwirtschaft, sondern etwa auch von der Energieversorgung. Die Ruhrkohle kann keine kostendeckenden Preise bringen, wer immer regiert, aber sie muß durchgehalten werden, um nicht ausschließlich in Krisenzeiten auf ausländisches Öl angewiesen zu sein. Sehr schwierig steht es für die Parteien in Sachen des Steuerrechtes und der Währungspolitik. Es ist ebenso richtig wie falsch, wenn man sagt, die Staatsfinanzen sind in Ordnung. In der Tat gilt dies für den Bund. Die Verschuldung ist mit 1,5 % bescheiden. Aber zu den Staatsfinanzen gehören eben auch die Länder und Kommunen, und sie sind in großer Unordnung. Dies hat mit der Bundespolitik insofern zu tun, als eine Summe von Bundesgesetzen Länder und Kommunen in Anspruch nehmen. Man wird auch über das in der 1 Brandt hatte vor dem Hintergrund seiner umstrittenen Ostpolitik am 20. 9. 1972 die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt. Dahinter stand die Absicht, diese zu verlieren, damit Neuwahlen stattfinden konnten; vgl. Vor 40 Jahren: Willy Brandt Stellt die Vertrauensfrage (online).

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SPD hart umstrittene, publikumswirksame Problem, bis zu welcher Höhe man Großverdiener besteuern soll, kühl denken müssen. Es gibt zu wenig reiche Leute in unserem Lande, daß deren höhere Besteuerung nennenswert im Bundesetat zu Buch schlagen würde. Regierung und Opposition müssen für die Ordnung der Staatsfinanzen die Ausgaben einschränken und vor allem an die Mehrwertsteuer heran. Selbstredend beißt sich dies sofort mit einem Programm zur Förderung der Familie, die in den Lebenshaltungskosten am härtesten getroffen wird. Dies verbindet sich mit der Frage der Inflation. Wahrscheinlich stimmt es und wird auch von den Kennern in der CDU nicht bestritten, daß die gegenwärtige Inflation etwa zu 3,1 % vom Ausland importiert wird. Zu diesem Problemkreis gehört auch, daß für die Inflation nicht nur der Bund, sondern mindestens ebenso auch die Länder und Kommunen verantwortlich sind – und nirgendwo scheinen die Kommunen aus naheliegenden Gründen bereit zu sein, keine Schulen, Turnhallen, Theater usw. zu bauen. Weil aber Währungs- und Wirtschaftspolitik nur unter internationalen Aspekten verstanden und beurteilt werden kann und es nahezu elitäre Gruppen sind, die für diese Sache ausreichenden Sachverstand mitbringen, haben es die Parteien sehr schwer, ausreichend fachlich und nuanciert den Gegenstand im Wahlkampf vorzubringen. Möglicherweise liegen die Dinge am schwierigsten in der Bildungspolitik, vor allem für die CDU, die wenn auch nicht nur – doch besonders – mit den Bayern sich schwer tut. Es gibt Bemühungen, den Bundeshaushalt dadurch durchsichtig zu machen und gleichzeitig die Rangelei der Ministerien um ihre Ansätze auszuschalten, daß man Prozentsätze am Gesamtaufkommen für die verschiedenen öffentlichen Aufgaben festsetzt. Der Akzent wird bei der CDU darauf liegen, daß der Staat in Ordnung zu bringen sei durch Rückgewinnung der Stabilität. Es ist an ein Schwerpunktprogramm gedacht, in dem es um die Fragen von Staat und Gesellschaft, Vermögensbildung, Familienlastenausgleich, Reformen im rechtlichen Bereich, Ausbau Europas, berufliche und Erwachsenenbildung, Freizeitgestaltung, also Gemeinwohl in sozialen Diensten geht. Dabei würde wahrscheinlich das Städtebauförderungsgesetz geringere Priorität als bei der SPD haben, und dies aus der Meinung, daß der Staat nicht alles – und das noch zur gleichen Zeit – machen kann. Eine wenig erfreuliche Polarisierung wird sicher durch Personalisierung eintreten: also Brandt-Schmidt, Barzel-Strauß. Dies wird nicht viel gemildert werden durch die Herausstellung von Schröder und Katzer unmittelbar neben Barzel. Auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Wahlkampf so zu führen, daß die gemeinsame Plattform nicht verlassen wird, meint die CDU, der Wahlkampf sei diesmal prinzipiell anders als 1969. Damals sei gestritten worden über die besten Wege zu den gleichen Zielen. Heute seien die Ziele umstritten. Es wird dann erinnert an Worte wie das von Schmidt: Stabilität, was ist das?, und vor allem an Schillers Bemerkung auf dem letzten SPD-Parteitag: die wollen eine andere Republik. Selbstredend wird auch die Außenpolitik vorkommen. Was darin geraten

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ist, wird teilweise auch die Opposition für sich in Anspruch nehmen. Am wichtigsten scheint mir in diesem Zusammenhang der sogenannte Grundvertrag und die Europäische Sicherheitskonferenz zu sein2. Die Opposition glaubt, es sei in dieser Sache, Dinge der sogenannten menschlichen Erleichterungen durchzusetzen, auf die [ich] in anderem Zusammenhang zurückkommen möchte. Eine herausragende Rolle wird der Regelung der Staatsangehörigkeit zukommen. Nach dem Grundgesetz haben alle Bürger der DDR die West-Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes. Dies muß die Grundvertragsverhandlungen außerordentlich belasten, weil es sich um einen Gegenstand handelt, der im Kern so hart ist, daß man auch mit hoher Formulierungskunst an die Grenzen kommt. Die CDU will die Staatlichkeit der DDR anerkennen und verlangt dafür die Humanisierung der Verhältnisse in der DDR. Ich möchte etwas darüber sagen, wie sich der Grundvertrag im Urteil der DDR darstellt. Sie sagt, die 4-Mächteverantwortung kann nicht Gegenstand des Vertrages sein. Die Bundesrepublik verlangt dies, um die Blöße, die schwachen Stellen im Selbstverständnis der DDR in den Vertrag zu bringen. Die Rede von den menschlichen Erleichterungen sieht die DDR wie eine internationale Diskriminierung an, weil die Voraussetzung dieser unserer Forderung ist, daß es bis jetzt unmenschliche Verhältnisse in der DDR gibt. Gerade Honecker aber sei in der Breite an der Arbeit von Sozialprogrammen. Er habe letzthin von der Notwendigkeit der Freiheit für Künstler gesprochen und bemühe sich um Entschärfung der Frage, ob es in der DDR Klassenkampf geben müsse, also zwischen der Arbeiterklasse und der arrivierten Intelligenz. Die DDR will sich also, wie sie sagt, nicht ihre Prinzipien durch das Verlangen nach menschlichen Erleichterungen herunterreißen lassen. Der Vorrang habe eben die Frage: was hilft zuerst den einfachen Menschen? Die DDR will nicht, daß ihre Bevölkerung diese ihre Sozialarbeit als Frucht der Bemühungen der Bundesrepublik um die Menschen ansieht. Sie möchte, daß wir ihr bei der Bewußtseinsbildung behilflich sind, wie es dadurch geschah, daß wir nicht mehr im Rundfunk und Fernsehen von der Ostzone sprechen. Die DDR will sich auch nicht den Vorhalt machen lassen, sie wolle den Grundvertrag als Teilungsvertrag. Sie will uns weit entgegengehen, etwa in der Frage der Familienzusammenführung, aber nicht öffentlich oder gar im Vertragswege. Sie

2 Der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR wurde am 21. 12. 1972 unterzeichnet. Er sah vor, gutnachbarliche Beziehungen zu pflegen, Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen, keine internationale Vertretung des anderen Staates vorzunehmen und die Hoheitsgewalt auf das eigene Staatsgebiet zu beschränken. Zudem klärte der Vertrag humanitäre Fragen. Am Sitz der jeweils anderen Regierung wurden Ständige Vertretungen eingerichtet. Am 28. 11. 1972 begann in Helsinki die Vorbereitungstagung für die geplante KSZE-Konferenz; vgl. Fischer Chronik Deutschland, 499; vgl. auch die Berichte vom 16./17. 11. 1972 (Dok. 56), Anm. 1; vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 15; sowie die Dokumente 50 bis 52.

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will zu menschlichen Erleichterungen in dem Maße bereit sein, als Diskriminierung aufhört. Die DDR ist sich klar darüber, daß sie nach dem Beitritt zur UNO auch vor der Weltöffentlichkeit nach kritischen Dingen in ihrem Lande gefragt werden kann. Sie hat auch deshalb auf der Krimkonferenz der 1. Sekretäre im August zugestimmt, daß die gesamte Politik des Ostblocks der Aufgabe der Entspannung untergeordnet werden soll, selbstredend Entspannung, wie sie Moskau versteht3. Die 1. Sekretäre sind der Meinung, daß die Entspannungspolitik leichter mit einer Regierung Brandt als mit einer Regierung Barzel ist. Deshalb soll möglichst bald nach dem Grundvertrag auch der Austausch diplomatischer Vertretungen zwischen Bonn und Prag erfolgen. Die Verhandlungen über den Grundvertrag befinden sich im Stadium der Expertengespräche. Die DDR will sich offenbar nur vorsichtig und stufenweise auf mehr Reiseerlaubnis für arbeitsfähige Bürger einlassen. Der Zustrom von Flüchtlingen über die Tschechei, die Ostsee und sogar in Einzelfällen über die Türkei hat noch nicht nachgelassen. Es wird in der DDR mit der Fluchtneigung von Intellektuellen und Facharbeitern nach wie vor gerechnet. Zum Glück hat es bei der Olympiade keinerlei Abwerbung von Sportlern und vor allem von den hochqualifizierten Trainern gegeben, was der Regierung der DDR viel Sorge gemacht hat. Ausdrücklich gebeten, die Regierung zu bedrängen, Flucht zu verhindern, um Verhandlungen nicht zu erschweren. Die Bundesrepublik will sich bei den Verhandlungen über den Grundvertrag ausreichend Zeit nehmen. Weil aber diese Verhandlung in der Weltöffentlichkeit immer mehr in den Hintergrund zu Gunsten der Sicherheitskonferenz tritt, muß die Regierung davon ausgehen, daß sie nicht mehr viel Zeit hat, bis die Lawine der diplomatischen Anerkennung der DDR beginnt. Was dann nicht im Grundvertrag geregelt ist, wird sich kaum noch nachholen lassen. Die Bundesregierung scheint bereit zu sein, an den Vorbesprechungen für die Sicherheitskonferenz im November in Helsinki auch teilzunehmen, wenn bis dahin der Grundvertrag nicht abgeschlossen ist. Uganda (cf. Gespräch Ratsvorsitzender – Brandt) Um das Fazit vorwegzunehmen: Es handelt sich nicht um Invasion tansanianischer Truppen, sondern um ugandische Flüchtlinge, die in Tansania bewaffnet worden sind. Ausgang der Auseinandersetzung noch offen4. Gestrige Telefonberichte des Botschafters, der Kampala selbst nicht verlassen kann, da die Stadt durch Truppen abgesperrt ist: Es hat einige Ver3 Gemeint ist das Treffen der Ersten Sekretäre und Generalsekretäre der kommunistischen Arbeiterparteien der Staaten des Warschauer Paktes, das am 31. 7. 1972 auf der Krim stattfand; vgl. AAPD 1972, 993; sowie die Berichte vom 16./17. 11. 1972 (Dok. 56), Anm. 2; und vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm.8. 4 Am 17. 9. 1972 waren Guerillatruppen aus Tansania in Uganda eingefallen. Der ugandische Diktator Idi Amin hatte die Angriffe nicht nur abgewehrt, sondern darüber hinaus Städte in Tansania bombardieren lassen. Im Oktober 1972 hatte er einen Frieden mit Tansania erwirkt; vgl. Strothmann, General (online); und Mohr, Uganda (online).

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haftungen von Weißen gegeben, aber es sind die meisten auch wohl schon wieder entlassen. Die Lage ist weiterhin gespannt, aber nicht mehr so nervös wie am Sonntag. Die Truppen haben die Lage von Kampala in der Hand. Nach US-Berichten haben sich einige Stämme im Süden des Landes den bewaffneten Flüchtlingen angeschlossen. Der Tribalismus spielte in Uganda immer eine große Rolle. Besonders ist hier der Stamm der Acholi zu nennen. Nach US-Berichten gehen die Kämpfe etwa 150 km im Süden der Hauptstadt weiter. Hintergrund[:] Amin kam im Januar 1971 zur Macht. Zunächst hatte er Erfolge, dann ging aber sein Einfluß ständig zurück. Anfang dieses Jahres verschlechterte sich seine Lage so sehr, daß er sich mit den Arabern verband und die Israelis aus dem Lande warf in der Hoffnung, von den Arabern Hilfe zu bekommen. Die haben bisher aber nur eine Moschee gebaut und keinen Pfennig geschickt. Seitdem geht es wirtschaftlich rapide bergab und die Verwaltung ist desorganisiert. Amin steckt alles Geld in die Armee. Die Ausweisung der Asiaten ist im Lande sehr populär und ist wohl nichts anderes als ein Mittel Amins, sich selbst noch an der Macht zu halten5. Es leben noch circa 9.000 weiße Engländer im Lande. Bisher gaben die Engländer rund 4 Millionen Pfund Budget-Hilfe. 6 Bereitschaft der Bundesregierung, 1.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Am 5.9. sofort nach Bekanntwerden des Unglücks in München Verbindung mit Botschafter Libanon aufgenommen7. Maronit8. Beschrieb Situation seines Landes 30 % Christen 50 % Moslems. Das Gleichgewicht der religiösen Kräfte zu halten, sei für die Regierung schwer und eine unablässige Aufgabe. Er war sofort bereit, eine Erklärung abzugeben, daß er und seine Regierung die Vorgänge in München beklage und solche Aktionen ablehne. Er hat sich mit seiner Regierung in Verbindung gesetzt, um sie zur Einflußnahme auf die Leitung der El Fatah zu bewegen. Er bat um Verständnis für die Situation der palästinensischen Flüchtlinge. Es sei kein Vergleich mit den deutschen Vertriebenen möglich. Sie seien aus einem hochentwickelten Land in einen 5 Ugandas Präsident Idi Amin hatte Anfang August 1972 die Ausweisung von 80.000 Asiaten angeordnet. Diese Maßnahme richtete sich vor allem gegen indischstämmige, britische Staatsbürger des Commonwealth in Uganda, die dort eine wirtschaftlich einflussreiche Gruppe repräsentierten; vgl. Ugandas Präsident weist Asiaten aus (online). 6 Ab hier hsl. Text. 7 Gemeint ist das Olympia-Attentat vom 5. 9. 1972 durch die zur PLO gehörende Terrororganisation Schwarzer September, bei dem insgesamt 17 Menschen, darunter elf israelische Geiseln – Sportler und Betreuer des israelischen Olympiateams – starben. Zum Hergang vgl. Oberloskamp, Olympia-Attentat, 323–327; Bohr / Frohn / Latsch / Neumann / Wiegrefe, Katastrophe; zum Hintergrund vgl. Herf, Kriege, 181–211. 8 Maroniten sind eine christliche Kirche im Libanon, die den römischen Papst als ihr Oberhaupt anerkennt. Neben Sunniten und Schiiten bilden sie die größte Glaubensgemeinschaft im Libanon. Zu Geschichte und Selbstverständnis der Maroniten im Libanon vgl. Hage, Christentum, 395–398.

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hochentwickelten Landesteil gekommen. Die palästinensischen Flüchtlinge seien [als] arme Leute in sehr unterentwickelte Länder wie Syrien und Jordanien gekommen. Der Libanon sei nicht so unterentwickelt wie die beiden anderen Länder, hätte aber spezifische Probleme. Bei 3 Millionen Bewohnern gefährdeten 300.000 muselmanische Flüchtlinge das Gleichgewicht des Landes. Deshalb könne der Libanon seine Flüchtlinge nicht integrieren. Der Botschafter bot an, Verbindungen zwischen uns und allen Persönlichkeiten im Libanon, mit denen wir es wünschten, herzustellen. Er wolle gelegentlich auch der katholischen Kirche dies Angebot machen. Geantwortet: schon oft in den letzten Jahren von Nutzen gewesen, neben den offiziellen staatlichen Beziehungen andere zwischen wichtigen Gruppen der Gesellschaft zu haben. Ich wolle Angelegenheit verfolgen und mit ihm Kontakt halten. Seit 1967 ist er der 1. Botschafter des Libanon wieder in Bonn. Mir scheint es prüfenswert, ob und auf welchen Wegen der Rat auf das Angebot zugehen sollte. Seit der Gründung des syrischen Waisenhauses9 hat unsere Kirche eine spezifische Nähe zu den arabischen Ländern. Wir würden also nicht auf ungewöhnlichem Neuland wandern.

9 Zur Geschichte des 1860 von Johann Ludwig Schneller gegründeten Syrischen Waisenhauses, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Schneller-Schule im libanesischen Khirbet Kanafar (1952) und im jordanischen Amman (1966) fortgeführt wurde, vgl. Löffler, Metamorphose, 105.

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55 Hannover, 21./22. September 19721 EZA Berlin, 742/5, msl., hsl. In meinem Amt als Bevollmächtigter des Rates habe ich seit etwa 15 Jahren Hilfen der verschiedensten Art für Personen und kirchliche Einrichtungen in der DDR vermitteln oder bewilligen können2. Der Umfang dieser Maßnahmen hat sich erfreulicherweise ständig ausweiten lassen. Zur Zeit werden regelmäßig etwa 110–120 Millionen Mark an Beihilfen jährlich ihren Empfängern zugeführt. Diese Summe schwankt etwas – allein 1971 waren es z. B. Hilfsmaßnahmen von etwa 150 Millionen Mark – und die mir zur Verfügung stehenden Beträge sind auch zeitweilig noch erheblich höher, weil oft mehrere Monate hindurch Hilfsmaßnahmen zweier Rechnungsjahre parallel laufen müssen. Nach Art und Umfang können folgende Hilfen unterschieden werden: I.

sogenannte Transferbeihilfen – das sind Beihilfen, deren Gegenwert in DM-Ost teils beschränkt, teils unbeschränkt ausgezahlt werden kann – II. Beihilfen in der Währung der Deutschen Bundesbank, die überwiegend der Vermittlung von Sachwerten durch den Postversand oder durch dritte Stellen dienen – III. Hilfen zur Familienzusammenführung oder zur Häftlingshilfe. Zur Gruppe der Transferbeihilfen gehören von Anfang an die Mittel, die den Kirchen in der DDR als sogenannte Betriebsmittel für den jeweiligen Haushalt zur Verfügung gestellt werden können, sowie kleinere Summen zu Gunsten überregionaler Zusammenschlüsse, wie der VELKD bzw. EKU. Hier sind ferner zu erwähnen die beträchtlichen Mittel, die für das Diakonische Werk in der DDR bzw. für den Bruderdienst bestimmt sind und schließlich namhafte Beträge, die Jahr um Jahr für die Kirchliche Landwirtschaft und für eine ganze Reihe anderer, jeweils präzis festgesetzter Verwendungszwecke bestimmt sind. Insgesamt werden auf diese Weise regelmäßig etwa 44-45 Millionen Mark jährlich frei verfügbar in DM-Ost an Kirchen und kirchliche Einrichtungen ausgezahlt. Zusätzlich hierzu können jährlich etwa 10-11 Millionen Mark an „beschränkt konvertierbarer“ Valutamark bereitgestellt werden. Es handelt sich hier um Guthaben in DM-Ost, die nur zum Einkauf bestimmter Waren aus der DDR-Produktion verwendet werden können, die – weil sie meist in den Export 1 Der Bericht ist überschrieben mit „Vertrauliche Ratstagung“. 2 Im Folgenden berichtet Kunst über das „Kirchengeschäft A“, das von 1957 bis 1990 durch das Diakonische Werk abgewickelt wurde; vgl. Boyens, Gegner, 379–395; sowie die Berichte vom 23./ 24. 5. 1957 (Dok. 9), Anm. 9; vom 30.3.–1. 4. 1960 (Dok. 14), Anm. 8; und vom 27. 8. 1964 (Dok. 25), Anm. 6.

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gehen oder sonstigen Bezugsbeschränkungen unterliegen – auf andere Weise nicht oder nicht ausreichend beschafft werden könnten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang: Landmaschinen, Futtermittel für die kirchliche Landwirtschaft, Fertighäuser, Baumaterial der verschiedensten Art, Personenkraftwagen bestimmter Fabrikate, Medikamente, Buchungsautomaten für Rentämter3 usw. Die unseren Kirchen in der DDR im Transferbereich in DM-Ost zufließenden, frei oder beschränkt verfügbaren Beträge sind die Gegenwerte von Warenlieferungen an Wirtschaftsstellen der DDR. Die Aufträge für diese Lieferungen werden nach entsprechenden Verhandlungen mit den zuständigen Behörden in der DDR und unseren Bundesministerien in meinem Auftrage an einen beschränkten Kreis vertrauenswürdiger Firmen vergeben und mit den für Hilfszwecke bereitstehenden kirchlichen Mitteln oder Bundesmitteln bezahlt. Das Erstaunliche ist, daß dieses System nun schon seit 15 Jahren mit einem jährlichen Volumen von 50-55 Millionen Mark praktisch reibungslos funktioniert hat. Sicher ist, dass dieses nicht möglich gewesen wäre, wenn uns in den vergangenen Jahren nicht von allen Bundesregierungen weitgehend entgegengekommen wäre, sowohl in der Frage des Zahlungsverkehrs als auch der Ausfuhr- oder Transitgenehmigung der von der DDR gewünschten Waren. Außerhalb des Transfers und in der Währung der Deutschen Bundesbank werden in meinem Bereich weitere Beihilfen im Werte von etwa 8 Millionen Mark jährlich bewilligt. Bei diesen Hilfsmaßnahmen werden – wie erwähnt – überwiegend Sachwerte beschafft und an Personen oder kirchliche Einrichtungen weitergeleitet. Der Katalog der auf diese Weise finanzierten Hilfen ist so groß und vielfältig, daß hier nur Beispiele genannt werden können. Gefördert werden z. B.: – – – – – – – – – –

Literaturversand jeglicher Form, Beschaffung von Düngemitteln für die kirchliche Landwirtschaft, Lieferung landwirtschaftlicher Maschinen und Ersatzteile, Lieferung von Industriewaren verschiedenster Art (Waschmaschinen, Vervielfältiger, Boiler u. a.), Lieferung von Personenkraftwagen, Finanzierung von Kuren und Erholungsaufenthalten, Paketversand mit Lebensmitteln und hochwertigen Bedarfsgütern, Beschaffung von Benzingutscheinen, Betreuung von Seeleuten aus der DDR in deutschen Heimen im Ausland und vieles andere mehr.

Relativ wenig kann naturgemäß gesagt werden zu dem Komplex der Familienzusammenführung und der Häftlingshilfe4. Worum es hier geht, also die 3 Damit sind die landeskirchlichen Finanzverwaltungen gemeint. 4 Gemeint ist das „Kirchengeschäft B“, das seit 1960 nach dem Muster des „Kirchengeschäftes A“

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Zusammenführung getrennter Familien auf dem Boden der Bundesrepublik oder die Entlassung und Überstellung von Häftlingen, ist nach verschiedenen Presseveröffentlichungen in den vergangenen Jahren nicht so verborgen geblieben, wie es im Interesse der Sache wünschenswert gewesen wäre5. Bei der Ausreise dieser Personen wird im Grunde genommen das von der DDR seit Jahren praktiziert, was im Zusammenhang mit der Ausreise jüdischer Bürger aus der UdSSR jetzt weithin in der Welt bekannt geworden ist6. Die Mittel für diesen Zweck – jährlich etwa in einer Größenordnung von rund 50 Millionen Mark – werden ausschließlich von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Dies war nicht immer so7. Die Hilfe der Kirche wurde aus humanitären Gründen wegen des Fehlens zureichender Verbindungen zwischen den beiden deutschen Staaten beansprucht und gegeben. Die Abwicklung erfolgt auch hier über Warenlieferungen – allerdings streng separat und über andere Bankverbindungen bei der Abwicklung der Zahlungen. Für die hier geschilderten 3 Gruppen von Hilfsmaßnahmen im Bereich meines Amtes werden – wie eingangs erwähnt – jährlich insgesamt etwa 110120 Millionen Mark aus kirchlichen und aus öffentlichen Mitteln teils separat, teils zugleich und teils gemeinsam für den gleichen Zweck aufgewendet. Der hiermit verbundene Verwaltungsaufwand ist naturgemäß verschieden groß je nach Beteiligung auch anderer kirchlicher Stellen. Immerhin läuft aber nicht nur der gesamte Finanzaufwand, sondern auch ein beträchtlicher Teil des notwendigen Verwaltungsaufwandes einschließlich der Bearbeitung von mehr als 50 jährlichen Einzelbeihilfen allein durch meine Dienststelle in Bonn. Angesichts dieses Sachverhaltes wird man daher zweifellos von einem befriedigenden Verhältnis zwischen dem angestrebten Zweck und dem hierzu erforderlichen und tatsächlich entstandenem bisherigen Aufwand sprechen können8. Geliefert sind in Positionen von je 5-10 Millionen Wolle, Industriediamanten, Öl aus dem Iran, Nichteisenmetalle Rhodium und Palladium,

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vorangetrieben wurde. 1964 übernahm die Bundesregierung die Verantwortung und Finanzierung der Häftlingsfreikäufe und Familienzusammenführungen, während die Abwicklung weiterhin in kirchlicher Hand lag; vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 93; Rittberger-Klas, Kirchenpartnerschaften, 61; und den Bericht vom 27. 8. 1964 (Dok. 25), Anm. 2, 4, 5. Vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 101 f. 1972 emigrierten 35.000 Juden aus der Sowjetunion nach Israel. Laut einem Dekret des Obersten Sowjets vom 3. 8. 1972 mussten die Auswanderer der Staatskasse die Kosten für ihre Ausbildung erstatten. Das Argument der sowjetischen Staatsführung, die Investitionen des Staates in die Ausbildung der auswanderungswilligen Fachkräfte gingen der Produktion verloren, entsprach der Argumentation der DDR-Führung gegenüber der Bundesrepublik im Kontext des „Kirchengeschäftes B“; vgl. „Entscheidet Euch“. In: Der Spiegel 27 (1973), Nr. 22 vom 28. 5. 1973, 92–97, 96; und Armborst, Ablösung. Die Finanzierung des „Kirchengeschäfts B“ umfasste seit 1960 die Häftlingsfreikäufe und Familienzusammenführungen; vgl. Wölbern, Häftlingsfreikauf, 93; Rittberger-Klas, Kirchenpartnerschaften, 65; sowie den Bericht vom 27. 8. 1964 (Dok. 25), Anm. 2, 4, 5. Ab hier hsl. Text.

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Stahlhärter, Walzwerkerzeugnisse, Rohbaumwolle, Genußmittel, Kakao und Kaffee, aber auch Embargowaren wie etwa bestimmte Kupferdrähte usw. Kooperation mit Bundesregierung. Die Bundesregierung hat unterschiedliche Schwierigkeiten gemacht. Immer gut Minister, Kanzler und Botschafter. Bei der CDU Schwierigkeiten mit Staatssekretär, der aus Partnerschaft Auftragsdienst machen wollte und große Last wegen der Finanzierung machte. Geld hat bei gegenwärtiger Regierung überhaupt keine Schwierigkeiten gemacht. Aber innerdeutscher Minister Franke hat die kirchliche Einflußnahme radikal zu beschneiden gesucht. Während Auswahl der Häftlinge und Familien früher ausschließlich bei mir geschah, bekomme ich jetzt nur die, die ich nenne. Lediglich Abwicklung der Geschäfte durch mein Haus. Ziemlich sicher möchte mich Franke – die Katholiken sind überhaupt nicht mehr beteiligt – vollständig ausschalten. Dies stößt bis jetzt auf radikalen Widerstand der DDR. Dies hat 2 Gründe: 1. die guten Erfahrungen seit 15 Jahren, vor allem auch in Krisenzeiten, 2. die Sorge um Publizität. DDR erlebt jetzt an dem Verkauf von Juden, welche Aufmerksamkeit solch ein Vorgang in der Weltöffentlichkeit hat. Die Regierung der Bundesrepublik muß in kritischer Situation öffentlich Rede und Antwort stehen, die Kirche braucht es nicht. Möglicherweise spielt auch eine Rolle das mit dem Gesamtunternehmen verbundene politische Gespräch, das der DDR in der gegenwärtigen Situation nicht unwichtig ist. Von besonderem Belang scheint mir die Frage der Familienzusammenführung zu werden. Die DDR ist bisher in den Kategorien sehr streng gewesen. Sie wird in Zukunft aber hinter den Kategorien etwa der Familienzusammenführung aus Polen nicht zurückbleiben können. Auch dann möchte die DDR bis jetzt noch prinzipiell bei der bisherigen Regelung bleiben. Man wird abwarten müssen, aber über eine Gesamtgrößenordnung von 200-250 Millionen ginge ich ungern hinaus aus einer Summe von Gründen. Darüber würde ich in jedem Fall aber den Rat rechtzeitig konsultieren. Bis jetzt für 1972 rechne ich mit etwa 1.000 Häftlingen und 1.000 Familienzusammenführungen.

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56 Berlin, 16./17. November 1972 EZA Berlin, 742/5, hsl. Neben der Herauslösung Amerikas aus dem Krieg in Vietnam beansprucht der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR mit allen Zusatzbriefen und Vermerken das besondere Interesse des Rates. Der 8.XI.1 war ein Tag, der auch einlud, sich die Fülle der Anstrengungen des Rates und auch der Synode, die auf eine Wiedervereinigung zielten, zu erinnern. Es gibt kaum eine Gestalt der Einwirkungsmöglichkeit, die nicht vom Rat in diesen 27 Jahren versucht worden wäre. Der Rat wird an dieser Station der Geschichte des Handelns Gottes in unserem Volk eine Stellungnahme zu dem Einschnitt des Miteinanders der Staaten in unserer Nation nicht suchen können ohne die Frage, wie Gott auf unserer Kirche Reden, Handeln und Gebete geantwortet hat. Wie immer unser politisches Urteil über die deutsche Ostpolitik der letzten 3 Jahre sein mag – Keiner von uns wird dies politische Urteil ohne Inanspruchnahme geistlicher Kategorien sich bilden oder aussprechen dürfen. Fast alle Unterlagen für den 8. November sind jedem von uns bekannt. Sie haben in der Weltpresse, vor allem in Europa eine breite Kommentierung erfahren. Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, den historischen Stellenwert des Grundvertrages für die deutsche Geschichte zu bestimmen. Keiner von uns wird ausschließlich auf die Absichtserklärungen für ein künftiges Nebeneinander und die eingetretenen menschlichen Erleichterungen achten, wie wohl unsereiner auf Grund der Erfahrungen der letzten 11 Jahre sie nicht zu bagatellisieren die Absicht haben kann. Es handelt sich bei den Familienzusammenführungen, der Heiratsermöglichung von Brautpaaren und der Rückgabe von Kindern an ihre Eltern zum großen Teil um Vorgänge, deren Schmerz und Last man sich am besten vergegenwärtigt, wenn man sie sich als Vorgänge in der eigenen Familie vorstellt. Wer je die Bräute oder Eltern vor sich sitzen hatte, denen man gelegentlich in 5 Jahren weder durch Geld noch persönlichen Einsatz helfen konnte, wird sich nicht nur dafür interessieren, was dieser Teil der Absprachen an barem Geld gekostet hat. Nicht ohne Eindruck ist, daß selbst angesichts eines Ereignisses wie dem Grundvertrag fast keine politisch relevante Stimme zu hören ist, die darauf aufmerksam ist [sic!], daß die Russen nicht auf den Straßen des modernen Tourismus an die Elbe gekommen sind. Aber lassen wir die geschichtliche und 1 Am 8. 11. 1972 verständigten sich Egon Bahr für die Bundesrepublik und Michael Kohl für die DDR über den Text zum „Grundlagenvertrag“. Am 21. 12. 1972 wurde der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR offiziell unterzeichnet; vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 214–224, 222; vgl. auch die Berichte vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 56), Anm. 1; vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 15; sowie die Dokumente 50 bis 52.

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menschliche Dimension bei Seite und wenden uns der Ausgangspositionen der beiden deutschen Staaten nach dem Moskauer Vertrag zu, merkt man deutlich die Preise für den Kompromiß. Die DDR begehrte nicht zuerst von anderen Völkern, sondern von uns die völkerrechtliche Anerkennung. Sie war für sie die Schlüsselfrage. Sie wollte den Status des Auslandes uns gegenüber. Sie wollte den Austausch von Botschaftern, die Anerkennung von 2 Staatsangehörigkeiten, die Durchsetzung der These von der „selbstständigen politischen Einheit West-Berlin“. Die DDR verlangte Außenhandelsabkommen, mindestens das Verschweigen, wenn nicht Aufhebung der 4-Mächte-Rechte für ganz Deutschland. Die von ihr geforderte Abgrenzung, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, steht nicht nur nicht im Vertrag. In ihm ist von „gutnachbarlichen Beziehungen“ die Rede. Bekommen hat die DDR die Anerkennung der Gleichberechtigung in der internationalen Politik. Sie wird also sehr bald z. B. aufgenommen werden in die zahlreichen Unterorganisationen der UNO, in denen wir bisher allein Deutschland vertraten. Um das Gewicht dieses Schrittes für die DDR zu erkennen, muß man sich an den Rang erinnern, den die bisherige Regelung für das Selbstbewußtsein der DDR bedeutete. Sie fand sich international diffamiert und gedemütigt. Dies zu erleiden ist schon für einen sehr frommen einzelnen Christenmenschen nicht leicht. Ein Staat empfindet solche Sache in einer anderen Dimension. Die deutsche Politik und die deutsche Diplomatie werden einen ziemlich schwierigen Lernprozeß durchmachen müssen, um mit der neuen Lage, daß nun auch die DDR ein Mitgarant des status quo und mitverantwortlich für die Teilung unseres Landes ist. International kann die Folge nur sein, daß sich die Völker an die Teilung Deutschlands ebenso gewöhnen, wie sie es mit der Verselbständigung und Wiederherstellung Oesterreichs als Staat taten. Ohne Zweifel ist für die Bundesrepublik der teuerste Preis die Schwäche der Betonung der Einheit der Nation. Es ist nur zu einer Dokumentation der gegensätzlichen Auffassungen gekommen. Man begreift, daß viele Mitbürger dies nur als ein Feigenblatt, um nicht in offenen Konflikt mit der Präambel vom Grundgesetz zu kommen, beurteilen. Vielleicht aber darf man mit Recht darauf aufmerksam machen, daß Rechtsformulierungen zwar von außerordentlicher Bedeutung im Zusammenleben der Staaten sind, selten aber die Geschichte gestaltende Kraft haben. Ob es je, auch in einem Gesamteuropa zu einer Wiedervereinigung der Nation kommt, hängt sicher nicht zuerst von Rechtsvorbehalten ab, sondern vor allem von der Kraft und der Entschiedenheit des politischen Willens in beiden Teilen der Nation. Unsere Generation, die wir den Grundvertrag vor allem zu verantworten haben, kann weder in der Bundesrepublik noch in der DDR ein gegründetes Urteil über das Verhalten unserer Söhne und Enkel in dieser Sache haben. Fast wie ein Fremdkörper wirkt im Vertrag angesichts der Bemühungen seit 1945 die Verpflichtung zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes (Die fast vollständige Abwesenheit der politisch bedeutenden Figuren der Bonner Politik in diesen Wochen hat noch keine ausreichenden Gespräche über diese

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Sache erlaubt). Erinnert man sich an die internationalen Auseinandersetzungen über die Deutschland-Frage in den 50er Jahren unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht, erscheint es mehr als befremdlich, daß im Vertrag zwar die Vokabel Selbstbestimmungsrecht, aber eben nicht die Vokabel Nation vorkommt. Dies ist um so verwunderlicher, als mindestens in den 50er Jahren das Wort Nation nicht in nationalistischer Verzerrung gemeint war. Auf keinen Fall kann bagatellisiert werden, was durch den Grundvertrag erreicht worden ist. Es ist auch möglich, daß Bahr recht hat, daß in einiger Zeit sich herausstellen könnte, daß der Grundvertrag der Anfang vom Ende des Schießbefehls ist. Ich empfinde auch kein überzeugendes Argument in der Feststellung, daß der Grundvertrag einschließlich der Humana das Simpelste im Umgang zwischen zivilisierten Völkern sei. Dies stimmt sicher etwa für die Verhältnisse in der westlichen Welt. Aber es übersieht die Härte der Konfrontation, die Schroffheit des bisherigen Gegeneinanders zwischen der DDR und uns. Daß Familienzusammenführung und Hergabe von Kindern an die Eltern ein Ereignis ist, signalisiert, wie bis jetzt das Verhältnis zueinander war. Man wird auch beachten müssen, daß der Grundvertrag zwischen 2 besiegten Staaten geschlossen ist. Es ist ja seltsam genug, daß es sich bei den Verhandlungsabsichten der Bundesrepublik als hilfreich herausstellte, daß beide Staaten nicht ganz souverän sind. So war das stärkste Argument Bahrs gegen die Forderung der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch Bonn, daß er darauf verweisen konnte, daß die Besiegten nicht über die Rechte des Siegers verfügen. Wessen werden wir uns im Blick auf die Absichtserklärungen der DDR zu versehen haben? Es gibt bei uns ziemlich viele Leute, die meinen, daß Kommunisten leicht wesentliche moralische Kategorien in bis an das Kriminelle reichende Weise bei Seite schieben, etwa im Umgang mit den Menschenrechten, wie sie in der UNO-Satzung formuliert sind. Sie sind auch überzeugt, daß der russische Kommunismus höchstens zu 50 % Ideologie, im übrigen nackter Imperialismus sei. Man wird zugeben müssen, daß die Sowjets in den vergangenen 55 Jahren [zu] Handlungen gegen eigene Bürger und andere Völker fähig waren, die mindestens ausreichend Anlaß zum Mißtrauen, nicht nur zur Vorsicht gaben. Aber nicht nur für die Christen, sondern allgemein ist unerläßlich, zunächst einmal die Konzeption der Anderen zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich halte das gegenwärtige Verhalten der DDR nur für erklärbar, wenn ich annehme, daß sie mit deutscher Gründlichkeit zu der Konzeption steht, die Breschnew bei der Zusammenkunft der 1. Sekretäre und Regierungschefs des Ostblocks im August 1972 auf der Krim vertreten hat2. Bei der durch unsere knappe Zeit gebotenen Simplifizierung sage ich: im Grund hat Breschnew nur 2 Thesen vertreten. 1. Unter allen Umständen muß in den nächsten 20–30 [Jahren] die atomare Bedrohung ausgeschaltet werden. Dies 2 Vgl. dazu die Berichte vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 54), Anm. 3; und vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 8; und B k s, Entspannung, 55.

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ist die Prämisse des Überlebens aller Völker. Dies heißt: für die Perspektive von Breschnew ist die Zukunft nicht Krieg. 2. Diese Aufgabe kann nur gemeistert werden, wenn die konkurrierenden ideologischen Systeme ein Höchstmaß an Entspannungsarbeit mobilisieren. Diese Entspannung müßte a. in allen Lebensbereichen, nicht nur im militärischen geleistet werden. b. Sie wird vor allem große und schmerzhafte Zugeständnisse verlangen. Natürlich kann man sagen: noch gerissener kann man mit biedermännischer Miene praktisch die Aufteilung der Welt unter die beiden Siegermächte zu Lasten der mittleren und kleineren Mächte kaum betreiben. Auch wenn ich den Rang des Verruchten in der Geschichte nicht gering ansehe, brauche ich mich in diesem Zusammenhang nicht auf diese These einzulassen. Ich rede vom Movens der Regierung der DDR. Ich habe Anlaß zu glauben, daß die Regierung der DDR die genannte Krimkonferenz für eine entscheidende Weiche für ihre gegenwärtige Politik ansieht. Sie scheint klar entschlossen zu sein, ihre Absichtserklärungen einschließlich der Frage der Beteiligung Berlins zu erfüllen, natürlich nicht gerade unter großzügiger Ausgießung eines Füllhorns, aber redlich in der Bemühung um Ausgleich gegensätzlicher Interessen. Sie wird sicher eher noch stärker als bisher auf Anzeichen von Überheblichkeit und der Attitude des großen Bruders reagieren. Sie will dies ausdrücklich nicht aus dem Empfinden nationaler Zusammengehörigkeit, sondern in der Behandlung der Entspannungspolitik der Krimkonferenz. Dies alles schließt nicht aus, sondern hat geradezu die Prämisse, daß der ideologische Kampf mit Entschlossenheit nach Breschnew mit zunehmender Härte weitergeführt wird. Darüber hat auf der Krimkonferenz, jedenfalls nach Aussagen der beteiligten DDR-Akteure, vollständige Einmütigkeit geherrscht. Dies wird bestätigt durch eine Analyse der Presse und Aktionen im Ostblock, deren Darlegung den begrenzten Raum meines Berichtes sprengen würde (Ich habe aber vorgestern diese Analyse in Ostberlin ausführlich vorgetragen. Sie ist mir uneingeschränkt bestätigt worden. Sie umfaßte immerhin abgesehen von den Unterlagen 35 Schreibmaschinenseiten). Bezeichnend für diese Strategie ist, daß am Tage der Unterzeichnung des Grundvertrages am 8.11. im „Neuen Deutschland“ ein Aufsatz von Prof. Paff veröffentlicht wurde, der zwar nur das sagt, was die SED seit 3 Jahren vertritt, aber nun doch nicht nur wegen des Datums interessant ist. In ihm heißt es: „in Wirklichkeit wendet sich die Sozialdemokratie mit dem ,demokratischen Sozialismus‘ gegen die Grundlagen des Sozialismus – gegen die politische Herrschaft der Arbeiterklasse, gegen das sozialistische Eigentum, gegen die marxistische leninistische Partei der Arbeiterklasse.“ Die Theorie vom demokratischen Sozialismus sei als eine „bürgerliche Gesellschaftskonzeption zusammengezimmert“ worden. Dies ändert nichts an der unzweideutigen Stellungnahme des Ostblocks, vor allem der DDR für die Regierung Brandt3. Selbstredend sind der Grundvertrag und begleitende Humana von der Regierung der DDR als gezielte Maßnahme für 3 Vgl. Paff, Sozialismus (online).

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den Bundestagswahlkampf gemeint4. Die Spannung über den Ausgang der Wahl ist bei den führenden SED Leuten sicher nicht geringer als bei uns. Wenn man aber etwa auf das Werben der Russen bei der Obristen-Regierung in Athen achtet, kann kein Zweifel sein, daß die Sowjets bei einem Sieg der CDU lediglich daran interessiert sein werden, ob sie mit einer Regierung Barzel in der bisherigen Richtung der Entspannungspolitik Übereinstimmung finden. Die Stellungnahme der Sowjets für die Regierung Brandt ist von der Sorge bestimmt, ob eine Regierung Barzel nicht vor allem eine zum Westen gewandte Politik betreiben und in der Ostpolitik mindestens kühler gestimmt sein wird als die Regierung Brandt. So entschieden im Ostblock gegen jede Gestalt von Sozialdemokratismus im eigenen Lager gekämpft wird, empfindet ein Teil der Kommunisten die Sozialdemokratie in der Außenpolitik sich näher verwandt als die CDU und deshalb angenehmer. Aber von allen Bereichen der Politik ist wahrscheinlich Außenpolitik jener Bereich, der am wenigsten mit noch etwas anderem als Interessen zu tun hat. Ich weiß nicht, ob der Rat diskutieren will, ob er etwas zum Grundvertrag sagen will. Die Regierung der DDR vermerkt es nachdrücklicher als unsere eigene Regierung. Die Regierung der DDR sagt: seit Jahrzehnten hat sich die Bemühung der EKD auf Normalisierung, Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten gerichtet. Der Grundvertrag bedeutet einen Einschnitt von außerordentlicher Tragweite in diesem Bemühen. Hinzukommt, daß die Regierung der Bundesrepublik uns in der Tat in den verflossenen Jahren unschätzbare Dienste in unseren verschiedenen kirchlichen Bemühungen geleistet haben, daß es beinahe als undankbar erscheint, wenn wir den Vorgang ohne jede Bemerkung lassen. Aber unmittelbar neben dieser Anrede steht, daß wir uns 3 Tage vor einer Bundestagswahl befinden. Auch eine behutsame Würdigung des Grundvertrages hat fast keine Chance, so gehört zu werden, daß sie nicht wie unmittelbare Wahlhilfe für die Regierung wirkt. Normalerweise wäre das Ganze mindestens ein Anlaß, daß der Ratsvorsitzende dem Kanzler einen Brief schreibt, aber es wird auch niemand behaupten wollen, der gegenwärtige Augenblick sei normal. Wollte man die Frage nach dem Grundvertrag in den notwendigen internationalen Kontext stellen, müßten jetzt Ausführungen über die Europäische Sicherheitskonferenz und vor allem die Entwicklung der Verhältnisse zwischen Rußland und Amerika gemacht werden. Sie sind im wirtschaftlichen Bereich ziemlich bemerkenswert, aber Interesse des Rates? Am Vorabend der amerikanischen Präsidentenwahl hat Rogers auf einem Empfang des russischen Botschafters Dobrynin in Washington gesagt: „die amerikanisch sowjetischen Beziehungen sind exzellent.“ Im Bereich von Wissenschaft und Technik gibt es auch Vorgänge, die mindestens genutzt sein müssen, wenn man in Zukunft über die Ost-Westpolitik sprechen will. Das nächste Mal? 4 Am 19. 11. 1972 fanden Bundestagswahlen statt, in denen die Regierungskoalition von SPD und FDP eine Mehrheit erlangte.

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Ich übergehe die Vietnamfrage und die Bemühungen um die ausgewiesenen Asiaten in Uganda5. Es gibt aber noch 2 Dinge, die der Erörterung bedürfen. Es ist von großer Wichtigkeit zu klären, was im Berlin-Vertrag heißt, daß aus religiösen Gründen die Einreise in die DDR gestattet wird. Es muß auch klargestellt werden, wie es mit den schwarzen Listen für Bundesbürger im Blick auf uns gehalten werden soll. Ende August hatten die Vertreter der DDR zugesagt, es sollten Kirchenleute nicht mehr gehindert werden, nach Ostberlin zu gehen. Dies gab Widerstände in der Regierung der DDR. Nach sehr mühseligen Verhandlungen gelang es zunächst, für einige von uns den unbehinderten Zugang zu erreichen. In einer erneuten Verhandlung vorgestern ging es um die Auslegung der Formulierung „religiöse Gründe“. Ich habe dringend gewarnt, eine Aufzählung der Erlaubnisgründe vorzunehmen. Sonst kommt man unweigerlich in die gleichen Schwierigkeiten, die die DDR-Kirchen mit der Verordnung über die Anmeldepflicht von kirchlichen Veranstaltungen haben. Ich habe gestern aber die neuerliche Zusage bekommen, daß in Zukunft alle Vertreter der Kirche in die DDR einreisen können mit einer Ausnahme, Scharf. Natürlich muß darauf bestanden werden, daß dies geändert wird. Es kann sein, daß die Bereinigung der schwarzen Listen eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, aber mündlich ist die Zusage erfolgt. Die einzige Bedingung war, daß die Kirchenvertreter nicht versuchen, Einfluß auf die Gesetzgebung der Kirchen in der DDR zu nehmen und die Selbständigkeit der Kirchen in der DDR zu schmälern. Zugesagt, entsprechenden Beschluß des Rates herbeizuführen und ihn den Landeskirchen zur Verhandlung zuzuleiten. Als eine Grundlage des Miteinanders wurde mir eine Äußerung von Schönherr übergeben. Sie sei von einem Inhalt, dem auch das Politbüro zustimme. Die Erlaubnis würde also beinhalten, daß auch Ratsmitglieder, auch der Vorsitzende wieder nach Ostberlin gehen kann. Auf keinen Fall soll versucht werden, gemeinsame Beschlüsse von Gremien in der Bundesrepublik und der DDR herbeizuführen, also etwa zur Europäischen Sicherheitskonferenz. Ich sage ausdrücklich, daß mir die genannte Zusage erst gestern Abend mündlich übermittelt worden ist, ich habe sie noch nicht schriftlich. Aber sicher ist, daß sie gestern im Politbüro die Zustimmung gefunden hat. Freilich ist mir auch übermittelt worden, wie empfindlich man in der DDR reagiert auf alles, was publizistisch für die DDR unangenehm ist. Es ist in diesem Kreise wohl allgemein bekannt, daß in den verflossenen 11 Jahren die Fragen der Familienzusammenführung, die Herausgabe der Kinder geflohener Eltern und Entlassung politischer Häftlinge über mein Amt als Bevollmächtigter abgewickelt worden sind. Bei Transaktionen von solcher Größenordnung ist es in einer solch offenen Demokratie wie der Unseren unmöglich, solchen Vorgang vor der Presse geheim zu halten. Schon die Entlassenen schweigen nicht. Selbstredend hat es im Zusammenhang des 5 Vgl. den Bericht vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 54), Anm. 5.

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Grundvertrages intensive und umfassende Verhandlungen in dieser Sache gegeben. Es war ausgemacht, daß auf dem Weg einer Amnestie bis Weihnachten 3.200 politische Häftlinge herausgegeben werden sollten. Vom 8.–14.11. sind 630 Häftlinge überstellt worden. Nur wer die Modalitäten dieser Unternehmung kennt, begreift, wenn ich sage, dies ist ein abenteuerlicher Vorgang. Überstellt werden sollten 308 Kinder. Die bei uns in der Presse genannte Ziffer von 1.200 Kindern ist nachweisbar falsch. Insgesamt handelt es sich etwa um 700 Kinder. Genehmigt wurden auch 800 Familienzusammenführungen, von denen bis jetzt höchstens 50 durgeführt sind. Gestern Nachmittag ist durch einen Beschluß des Politbüros der gesamte Vorgang gestoppt worden. Alle schon festgelegten Transporte von politischen Gefangenen und Familien sind gestern Nachmittag abgesagt worden. Nur die Kindertransporte sind noch in der Schwebe. Während wir hier tagen, werden also z. B. 180 Häftlinge, die für heute Morgen zum Transport vorgesehen waren, in ihren Zellen bleiben müssen. Die Gründe dafür sind zwiefach. Das Entscheidende ist, daß in der Presse die Entlassungsaktion außerordentlich hochgespielt worden ist bis hin zu die DDR auf das äußerste diskriminierende Unwahrheiten. Die 19,2 Millionen, die als Bezahlung für die Kinder genannt worden sind, sind in Wahrheit ein Teil eines Betrages von 68 Millionen Mündelgeldern, die auf einem Westsonderkonto für Kinder liegen, die in der DDR sind und für die die rechtliche Unterhaltspflicht bei Bürgern der Bundesrepublik liegt. Es handelt sich dabei um einen normalen Rechtsvorgang. Anders liegen die Dinge bei den Häftlingen und Familienzusammenführungen. Der Vorgang, 7 Tage vor der Wahl, ist so spektakulär, daß der innerdeutsche Minister gestern sofort eine Erklärung abgab. Man kann nur hoffen, daß vor dem Wahltag nicht die volle Wahrheit an den Tag kommt. Dies ändert nichts daran, daß hier geschlagene Menschen Opfer des Wahlkampfes wurden. Tatsache ist, daß Barzel als gesamtdeutscher Minister 1961 als Erster zum Menschenhandel bereit war und ihn politisch und finanziell durchgesetzt hat6. Die CDU hat immer für den wichtigsten Teil des Grundvertrages erklärt, daß für die Menschen in der DDR Erleichterungen geschaffen werden müßten. Die Regierung hat ihr den Wind aus den Segeln nehmen wollen und beispielsweise diese, man kann nur sagen alberne Erklärung veröffentlicht, es würde 25 Brautpaaren, bei denen Hans in der Bundesrepublik und Grete in der DDR wohnen, die Ausreise gegen Heiraten in der Bundesrepublik erlaubt werden. In Wahrheit gab es dies in der Vergangenheit unter der Regierung Adenauer, Erhard, Kiesinger und Brandt Jahr für Jahr gelegentlich mit sehr großen Schwierigkeiten, aber im Schnitt doch 800–1.000 Mal. Der Bundesminister für die innerdeutschen Angelegenheiten Franke hat es für richtig gehalten, den jeweiligen Angehörigen telegraphisch 6 Gemeint ist das Jahr 1963, als sich Rainer Barzel während seiner Amtszeit als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen nach einem Gespräch mit Axel Springer entschloss, die Verantwortung für die Häftlingsfreikaufaktionen zu übernehmen; vgl. Barzel, Es ist noch nicht zu spät, 34.

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mitzuteilen, daß die Entlassung und Überstellung passieren wird. Die Angehörigen haben die Telegramme an ihre Angehörigen in der DDR geschickt. Sie sind mit ihnen bei den Behörden vorstellig geworden. Sie sind auch an den Grenzübergängen bei den Kommandanten am Kontrollpunkt erschienen und wollten wissen, wann sie ihre Angehörigen in Empfang nehmen könnten. Ein Landrat mit Festrede, Rundfunk und Fernsehen haben die ersten Transporte in Empfang genommen. Dies ist eine Behandlung der Dinge, auf die eine Regierung wahrscheinlich garnicht anders antworten konnte, als die DDR es jetzt getan hat. Der Rat erinnert sich, daß ich bisher nur in vertraulichen Sitzungen und auch in ihnen mit erheblicher Zurückhaltung über diese Dinge berichtet habe. Unablässig hat es in den verflossenen Jahren der größten Mühe bedurft, die Presse zum Schweigen zu bewegen. Um so schlimmer ist diese Frucht des Wahlkampfes. Selbstverständlich wird alles geschehen, um ab 20. November eine günstige Regelung zu erreichen. Nur wird eine Hypothek bleiben. Auch in Zukunft wird es noch ziemlich lange nötig sein, Familienzusammenführungen usw. zu betreiben. Die DDR wird sich dafür nur bereit finden, wenn eine hinlängliche Diskretion gesichert ist.

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57 Bonn, 15./16. Februar 19731 EZA Berlin, 742/6, hsl. Zum 1. x in mehr als 23 Jahren erstelle ich einen Bericht, bei dessen Abfassung ich deutlich merkte, wie bescheiden bis jetzt mein Überblick über die Personen ist, die in herausragende Ämter berufen wurden2. Im Kabinett hat keine durchgreifende Veränderung stattgefunden. Dennoch sind die Ressorts noch nicht alle klar verteilt. Es gibt Schwierigkeiten bei Dingen, an denen wir unmittelbar interessiert sind, wie die der Entwicklungshilfe. Wichtiger ist die große Zahl neuer Beamteter und parlamentarischer Staatssekretäre, auch eine Reihe von neuen Ministerialdirektoren, also politischen Beamten. Sicher ist heute schon, daß ein Teil der Arbeit der Umstellung und der Konzentration bedarf, wenn es in meinem Amt bei der zahlenmäßig sehr bescheidenen personellen Besetzung bleibt. Gegen alle Gewohnheit will ich, um e i n e Schwierigkeit anzudeuten, die konfessionelle Zugehörigkeit der Minister und Staatssekretäre nennen, wobei das Bemerkenswerte ist, daß selbst unsereiner, der ziemlich viele Leute kennt, bis heute noch nicht hat herausbringen können, wohin eine Reihe von Staatssekretären konfessionell gehören. Von den Ministern sind 12 evangelisch, 3 katholisch, 2 aus der Kirche ausgetreten, 1 unbekannt. Von den beamteten Staatssekretären 9 evangelisch, 3 katholisch, 4 ausgetreten, 5 unbekannt. Von den parlamentarischen Staatssekretären 12 evangelisch, 7 ausgetreten. Für die katholische Betrachtung kommt hinzu, daß alle 5 protokollarisch höchsten Ämter vom Bundespräsidenten bis zum Präsidenten des Bundesrechnungshofes evangelisch besetzt sind. Es ist am Tage, daß diese Zusammensetzung der Regierung für die EKD auch eine Verantwortung besonderer Art bedeutet. Der allgemeine Eindruck ist, daß bisher nur weniges schon fest im Griff ist. Das gilt für die Ministerien, die Fraktionen, das Plenum und vor allem auch die Ausschüsse. Wäre nicht die Währungskrise gekommen, hätten die Journalisten wenig Stoff zur Berichterstattung. Bisher war selbstredend das Wichtigste die Regierungserklärung3. Die unterschied sich deutlich von der von 1969. Es wurde zwar wieder eine ziemlich große Zahl von Dingen genannt, die erstrebenswert sind, aber im Ganzen war die Regierungserklärung zurückhaltender als die von 1969. Das Meiste war, besonders bei den schwierigen Fragen, etwa die Mitbestimmung, allgemein gehalten, was seinen Grund darin hat, daß 1 Dieser Bericht sollte – laut Vermerk Kunsts – am 23./24. 2. 1973 auch vor der Kammer für öffentliche Verantwortung gehalten werden. 2 Der folgende Bericht bezieht sich auf die Regierungserklärung Brandts vom 18. 1. 1973, der nach dem Wahlsieg der SPD bei den Bundestagswahlen am 19. 11. 1972 in seinem Amt als Bundeskanzler bestätigt worden war. 3 Vgl. die Regierungserklärung Brandts in: Plenarprotokolle (online), WP 7, 7. Sitzung, 121B–134B.

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die Koalition über eine Reihe von Sachfragen noch keine Einmütigkeit oder besser einen Kompromiß fand. Diese Art der Regierungserklärung mußte der Opposition ihre Stellungnahme erschweren. Die Regierungserklärung verfügte nicht über eine Präzision und Griffigkeit, daß der Opposition alsbald bündige Alternativen möglich gewesen wären. Freilich wurde auch deutlich, daß es übrigens nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen westlichen Ländern immer schwieriger wird, deutliche Gegenpositionen zwischen Regierung und Opposition zu beziehen. Dies liegt nicht nur daran, daß für große Reformen keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Sachzwänge sind außerordentlich. Hinzukommt, daß die wachsenden internationalen Verflechtungen den Spielraum nationaler Politik im wachsenden Maße einengen. Die Diskussion über die Regierungserklärung lief im Ganzen in urbanen Umgangsformen. Für uns war interessant die kurze Diskussion zwischen von Weizsäcker und Eppler4. Die „Zeit“ hat zu dem Vorgang einen kurzen, aber deutlichen Beitrag unter dem Titel „Laienprediger“ gebracht5. Man kann über diese Auseinandersetzung nicht glücklich sein. So sollten Brüder, die beide Synodale und beide Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung sind, wenigstens im Plenum nicht miteinander umgehen. Der Rat sollte vielleicht prüfen, ob er zur Vermeidung solcher Vorgänge eine helfende Hand bieten kann. Die Kirchen kommen 2 x in der Regierungserklärung vor. Zunächst: „ich bin besonders dankbar, daß die Kirchen sich hier (sozialpolitisch) helfend bewähren; gerade in dieser Arbeit geben sie ein Beispiel. Die sozialen Einrichtungen der karitativen Organisationen und der freien Wohlfahrtspflege sollen vom Staat nicht angetastet werden; denn die Gemeinschaft braucht sie.“6 Wie dies gute Wort konkret etwa im Jugend- und Familienministerium Beachtung finden wird, muß man abwarten. Man wird dies Wort auch so verstehen dürfen, daß die Diakonie nicht unguten staatlichen oder kommunalen Dirigismus ausgeliefert werden soll. Bulletin 19.2. [richtig: 19.1.] 73 pag 567. Ich meine, man solle an den 1. Teil der Aussage nicht viel herumdoktern. Ich habe Anlaß zu glauben, daß der Kanzler gemeint hat, was er sagte, dies um so mehr, als dieser Abschnitt nicht im ursprünglichen Konzept stand, sondern von ihm selber eingefügt wurde. 4 In der hier von Kunst angesprochenen Bundestagsdebatte hatte Erhard Eppler (SPD) Richard von Weizsäcker (CDU) vorgeworfen, Macht- und Interessenpolitik wichtiger zu finden als eine moralische Begründung der Entspannungspolitik; vgl. ebd., 9. Sitzung, 246C. 5 Vgl. Zundel, Laienprediger (online). 6 Vgl. die Regierungserklärung Brandts in: Plenarprotokolle (online), WP 7, 7. Sitzung, 131 A. 7 In der Regierungserklärung hieß es über die Kirchen: „Wir betrachten sie nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft und wollen ihren Repräsentanten darum auch nicht als Vertretern bloßer Gruppeninteressen begegnen. Wir meinen im Gegenteil, daß die Kirchen in ihrer notwendigen geistlichen Wirkung um so stärker sind, je unabhängiger sie sich von überkommenen sozialen oder parteilichen Bindungen machen. Im Zeichen deutlicher Freiheit wünschen wir die Partnerschaft“; Abdruck auch in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 6 vom 19. 1. 1973, 45–58, 56.

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Aber weder die Herren Wehner, Leber und Vogel haben mir sagen können, was und wen der Kanzler im Klartext mit den „überkommenen sozialen und parteilichen Bindungen“ gemeint hat. Ziemlich sicher ist mit den „parteilichen Bindungen“ die katholische Kirche jedenfalls mehr gemeint gewesen als wir. Aber was sind „die überkommenen sozialen Bindungen“? Gelten wir Evangelischen im Urteil des Kanzlers als zu unternehmerfreundlich? Die katholische Kirche meint, daß man ihr dies nun seit rerum novarum nun ganz sicher nicht mehr vorhalten könne. Es würde zu weit führen, eine gewissenhafte Analyse der Regierungserklärung und der anschließenden Diskussion zu geben, wiewohl etwa das, was von Kanzler und der Opposition etwa über den Begriff der Leistung (Leistung selbstredend nicht isoliert, sondern im größeren Zusammenhang) gesagt wurde, für mein Urteil mindestens für unsere Kammer für soziale Ordnung eine kräftige Denkanregung sein sollte. Sicher wird die Frage der Leistung in der künftigen gesellschaftspolitischen Diskussion hohe Bedeutung zufallen. In diesem Zusammenhang will ich an einige Publikationen erinnern, die im Zusammenhang mit der Regierungserklärung als Folie mitbedacht werden müssen. Ich denke an die Stellungnahme der Jungdemokraten zur Kirchenfrage, aber auch an den Artikel aus der „Zeit“ vom 19.1. „Die Kirchen als Ärgernis“8, und den Artikel aus dem „Stern“ vom 8.2., der groß aufgemacht darlegt, daß der „Geldregen auf den beiden deutschen Kirchen“ in Europa ohne Beispiel sei9. Das Papier der Jungdemokraten ist bekannt wie auch die Stellungnahme der VELKD. Wenig glücklich war ich über die Äußerung von Dekan Bürckstümmer in Regensburg, man müsse bei der nächsten Wahl an diese Stellungnahme denken10. Immerhin, die Jungdemokraten sind nur zu 50 % Mitglieder der FDP. Es gibt unter ihnen viele Schüler. Wichtig ist, daß es in diesem Papier einige Dinge gibt, die uns im Gespräch mit der FDP vertraut sind. Bemerkenswert ist die Stellungnahme von Frau Funcke und Flach, die vom Präsidium der FDP ausdrücklich gebilligt wurden. Überhaupt ist die Antwort in der FDP bisher überwiegend negativ. Ich warne vor allem, was einen Solidarisierungsprozeß in der FDP bewirken könnte. Möller hat Gespräch zwischen VELKD und FDP vorgeschlagen. Ich meine, dies Gespräch sollte vor allem mit dem Rat geführt werden. FDP hat Möller geantwortet, prinzipiell ja, aber ist es gut, das Gespräch mit Lutheranern, Reformierten und Unierten nebeneinander zu führen? Ich meine, der Rat sollte diese Sache an

8 Vgl. Seh., Kirche (online). 9 Vgl. Zander, Gott. 10 Die Deutschen Jungdemokraten, die Jugendorganisation der FDP, hatten auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Duisburg am 28. 1. 1973 ein „Streitpapier“ mit dem Titel „Liberalismus und Christentum“ verabschiedet, das 17 Thesen zur Trennung von Staat und Kirche enthielt und auch auf dem Landesparteitag der FDP NRW Ende März 1973 eingebracht wurde; vgl. Esch, Kirche, 151; und die Berichte vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 17; sowie vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 3.

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sich ziehen11. Der Rat muß wohl auch prüfen, ob er in der gegenwärtigen Situation in der Defensive bleiben will oder ob er etwa in anderen Fragen des Bildungsurlaubs usw. nach vorn stoßen und seine Bereitschaft zur Mitarbeit erklären sollte. Aber dies setzte eine sorgfältige Diskussion voraus, mit der der Rat heute wohl überfordert wäre. Er könnte aber die Kammer für öffentliche Verantwortung bitten, sich bei seiner nächsten Sitzung in der nächsten Woche in dieser Richtung Gedanken zu machen. Von aktueller Bedeutung ist die Behandlung des § 218, für die ich ein Votum des Rates nötig habe. Wahrscheinlich kann z. Zt. noch niemand sagen, wie die Stimmen in den 3 Fraktionen im Blick auf die Fristenlösung oder den Indikationskatalog sind. Ziemlich einheitlich votiert die FDP für die Fristenlösung. Unterschiedlich ist die Meinung in der SPD, aber mir scheint, daß vor allem die neuen Abgeordneten die Absicht haben, sich an dem Parteitagsbeschluß der SPD von 1972 zu orientieren. Die CDU/CSU scheint mir auch kein monolithischer Block gegen die Fristenlösung zu sein, aber die Sache ist in der Fraktion noch nicht annähernd ausreichend ausdiskutiert. Ein Vorgang besonderer Art ist, daß die Regierung keinen neuen Regierungsvorschlag einbringen wird. Sie würde ihn auch so oder so nicht einmütig vertreten können. Nun soll das Parlament initiativ werden. Sicher kommt auch ein Gesetzesvorschlag für die Fristenlösung. Es ist die Frage, ob man sich Mühe um einen Gegenentwurf machen sollte. Freilich würde dabei ein starkes Handicap sein, daß die Katholiken nach wie vor die schwersten Bedenken gegen den von Jahn vorgeschlagenen Indikationskatalog haben. Ich fürchte, der Rat kann die Diskussion unter Verweis auf seine bisherigen Stellungnahmen nicht einfach laufen lassen, um nach dem Beschluß über die Novellierung noch einmal das Wort zu nehmen. Nicht unterschätzt werden darf die Wirkung der überraschenden Entscheidung des obersten amerikanischen Gerichtes. Sie hat nicht nur in der Presse, sondern auch im Parlament Aufsehen erregt. Die Frage ist, wie wesentlich der Rat die Entscheidung über eine Grundfrage der sittlichen Ordnung in unserem Lande ansieht, ob er also für eine kategorische Stellungnahme ist, oder für eine gewisse Annäherung, ob er meint, es handele sich im gewissen Umfang um eine Ermessensentscheidung. Ist das Maximum des Erreichbaren, daß die Frage in das Ermessen des Gewissens eines jeden einzelnen Abgeordneten gestellt wird? Aus einem Brief von Bruder Lohse erkenne ich, daß die Landeskirchen vom Rat ein Votum erwarten. Bruder Lohse fragt, ob die Landeskirchen sich jetzt an die Abgeordneten in ihrem Bereich wenden und mit ihnen das Gespräch suchen sollten. Ich meine, auf keinen Fall sollte 11 Kunst wurde in dieser Sitzung gebeten, die Thesen der Jungdemokraten mit Lieselotte Funcke zu besprechen, die dem FDP-Bundesvorstand angehörte und zugleich Mitglied der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung war. Die Kammer für öffentliche Verantwortung wurde beauftragt, diesen Fragenbereich zu beraten und die Besprechung mit der FDP und anderen politischen Kräften vorzubereiten; vgl. das Protokoll der 75. Sitzung des Rates der EKD am 15./16. 2. 1973. Das Gespräch zwischen Ratsmitgliedern und FDP-Abgeordneten fand am 16. 5. 1973 statt (EZA Berlin, 87/658).

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von uns der strafrechtliche Aspekt des Schwangerschaftsabbruches in den Vordergrund gerückt werden. Wichtiger wäre das Drängen darauf, daß Verhältnisse beim Wohnungsbau, das Kindergeld, die Stellung der Frau vor und nach der Geburt usw. geschaffen werden, daß möglichst wenig Frauen und Mädchen von einer möglichen Freiheit Gebrauch machen. Es müßte geprüft werden, ob die Kirchen dabei nur verbal Vorstellungen machen können oder Angebote belangvoller und auch publikumswirksamer Hilfe möglich sind12. Die Kirchen werden sicher ihre Aufmerksamkeit darauf richten, ob die Kindergelder in den Steuerberechnungssystemen und Steuertarifen eine Neuregelung erfahren. Die evangelische Kirche wird überhaupt das Feld der Familienpolitik in Zukunft besser bestellen müssen als bisher. Ziemlich oft war in den verflossenen Jahren die katholische Kirche in dieser Frage ein stärkerer Motor als wir. Wichtig wird auch sein, was im Einzelnen der geplante Abbau der Subventionspolitik für die Kirchen bedeuten wird. Ich will daran erinnern, daß vor allem in den 50er Jahren die Kirchen ziemlich viele Dinge auch und gerade im Ausland tun konnten, die dem Staat damals noch verwehrt waren, an denen er aber lebhaftes Interesse nahm. So wurden mit Zustimmung aller Parteien Aktivitäten entfaltet, die auch heute noch belangvoll sind und florieren, aber die zum Teil vom Staat in hohem Maße finanziert werden. Trotz des hohen Kirchensteueraufkommens halte ich es für ausgeschlossen, daß die EKD diese Dinge aus ihrem Etat übernimmt. Wahrscheinlich wird für sie viel davon abhängen, ob es bei dem bisherigen Klima zwischen Parlament, Regierung und den Kirchen bleibt oder ob es unter den jungen Abgeordneten relevante Bemühungen geben wird, im Verhältnis von Staat und Kirche auf größere Distanz zu gehen. […] Osswald hat am 16.2. eine Überprüfung der sogenannten Radikalen-Vereinbarung der Ministerpräsidenten gefordert, eine Sache, die auch in unserer Kirche bei den Studenten kräftigen Widerhall gefunden hat. In Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein und im Bund gibt es überhaupt noch keine Durchführungsbestimmungen für den schon mehr als 1 Jahr alten Beschluß. Hamburg hat den für meinen Verstand vernünftigsten Weg beschritten und im Dezember das Hanseatische Verfassungsgericht angerufen, um eindeutige Richtlinien für die Behandlung von Mitgliedern extremer Parteien zu erhalten. Die Jusos haben sich an den Kanzler gewandt. Unsere Landeskirchen sind an der gemeinsamen Klärung der Frage, wie Vikare und Pastoren, die Mitglieder der DKP sind, behandelt werden sollen. Dabei besteht Klarheit, daß die Vereinbarung der Ministerpräsidenten vom 28.1.72 keine Richtlinie für die Kirche sein kann13. 12 Vgl. die Erklärung des Rates vom 17. 3. 1972 in: KJ 99 (1972), 149. 13 Am 28. 1. 1972 verabschiedeten die Regierungschefs von Bund und Ländern „Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen“. Der Beschluss – auch „Radikalenerlass“, „Extremisten-Beschluss“ oder „Ministerpräsidentenbeschluss“ genannt – verfolgte

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Aber so wichtig und interessant das Gespräch über die Regierungserklärung ist, das politische Thema ist nach meiner Beobachtung ein vollständig anderes – und zwar bei den verschiedenartigsten Kreisen. Zur Diskussion steht der künftige Weg der Parteien. Dabei findet die Führungsfrage in der CDU eine weit geringere Aufmerksamkeit als der nächste Parteitag der SPD. Die Frankfurter Allgemeine, die man doch wohl zu den seriösesten Zeitungen unseres Landes rechnen darf, und die sicher nicht die gleiche Leitlinie wie die Springerpresse hat, brachte am 21.2. [sic!] eine Nr. heraus, die mit den vielen Nachrichten aus den Bezirksverbänden der SPD fast wie ein einziger Bürgerschreck wirkte, Seite für Seite. Wehner im Interview mit Frankfurter Allgemeinen: der SPD droht durch Flügelbildung die Selbstzerstörung. Was immer es mit dem Leverkusener Kreis und dem Fritz-Erler-Kreis auf sich haben mag, die Vorgänge können nicht bagatellisiert werden14. Ich denke, unsere Kammer wird mindestens im Spätherbst eine nüchterne Analyse der politischen Landschaft versuchen müssen, die geeignet sein könnte, sie Rat und Kirchenkonferenz als Vortrag anzubieten. Wie stellt sich z. Zt. das Verhältnis zwischen der DDR und uns dar? Ich gehe davon aus, daß der Stand die gesetzgeberischen Verhandlungen um die Verträge und den Grundvertrag jedem von uns präsent ist15. Es gibt immer noch Stimmen in der CDU/CSU, besonders bei den Vertriebenen, die prüfen, ob man den Grundvertrag nicht nach Karlsruhe bringen soll. Dies wird so gut wie sicher nicht geschehen. Für uns ist wichtiger, die Situation in der DDR – und die Reaktion der Bundesrepublik – zu beobachten. Meinung der Bundesrepublik: Sicher gibt es Anzeichen von Unsicherheit und Angst in der Führung der DDR. Wenn man bedenkt, wie in der DDR Bewußtseinsbildung für vergleichsweise bescheidene Dinge durch Jahre hindurch geplant und bis in die einzelnen Betriebszellen und Häuser organisiert wird, muß man sagen, die Neuregelung des Verhältnisses zwischen DDR und uns ist sehr schnell gekommen. Die inzwischen erfolgten Massenbesuche haben unkontrolliert für eine Fülle von Einzelnen und Gruppen bisher unbekannte Informationen das Ziel, politische Extremisten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Dies geschah vor dem Hintergrund des linksextremen Terrors in der Bundesrepublik, aber auch im Kontext der Reform- und Ostpolitik der SPD, die eine Abgrenzung zum Kommunismus und zur extremen Linken notwendig zu machen schien. Bei der studentischen Linken löste der Beschluss erhebliche Proteste aus; vgl. Jäger, Innenpolitik, 83–86; vgl. auch die Berichte vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 12; vom 28. 9. 1973 (Dok. 60), Anm. 13; sowie die Dokumente 64 und 72. 14 Nach den für die SPD erfolgreichen Wahlen 1972 verstärkte sich die Polarisierung innerhalb der Partei. Der linksorientierte Flügel organisierte sich u. a. im „Leverkusener Kreis“, daraufhin formierte sich die Parteirechte mit Bezug auf den 1967 verstorbenen SPD-Politiker Fritz Erler; vgl. Faulenbach, Jahrzehnt, 301–314, 309 f. 15 Gemeint ist das Gesetz zum Vertrag vom 21. 12. 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. 6. 1973 (BGBl Teil II, Nr. 25 vom 9. 6. 1973, 421–424); vgl. auch die Berichte vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 54), Anm. 2; vom 16./17. 11. 1972 (Dok. 56), Anm. 1; sowie die Dokumente 50 bis 52.

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gebracht. Die selbstredend Fragen und Diskussion ausgelöst haben. Gleichzeitig gibt es in den Spitzengremien Auseinandersetzungen. Hager und Winzer haben noch vor 3 Monaten prinzipielle Erklärungen über den sozialistischen Staat abgegeben. Plötzlich gibt es wieder die nationale Frage. Immer hat die DDR auf das heftigste bestritten, daß für sie auch der 4 Mächte-Status gilt. Nun stellt sich in breiter Öffentlichkeit heraus, daß sogar der russische Verbündete gemeinsam mit den Westalliierten am 4-Mächte-Status festhält. Aus dem Kreis der Funktionäre auf der mittleren Ebene kommen Einreden und Kritik an der Neuregelung. Sie befürchten, daß das gesellschaftspolitische Leben verunsichert und am Ende der Staat zerstört wird. Hinzukommt jetzt noch der kleine Grenzverkehr, der an der empfindlichsten Stelle Verunsicherungen schaffen kann. Man muß bedenken, die Zonenranddörfer gehören zu den totesten Ecken der DDR überhaupt. Plötzlich soll in ihnen eine Begegnung von höherer Intensität und Regelmäßigkeit mit Leuten aus der Bundesrepublik möglich werden. Einen für uns schwer begreifbaren Schock hat allein schon die Erwägung, die russischen Truppenkontingente könnten verdünnt werden, ausgelöst. Die Phantasie der DDR ist in solchen Dingen wesentlich lebhafter als bei uns, wenngleich der Abzug der amerikanischen Truppen oder ihre wesentliche numerische Beschränkung auch der Albdruck in West-Europa ist. Genug, es ist in der DDR zuviel zusammengekommen, was in der Massierung Sorge auslöst. So gibt es große Schwierigkeiten. Daraus folgt zunächst, daß die restriktiven Maßnahmen in der DDR ständig härter geworden sind. Nach Auffassung der Bundesrepublik geschieht jetzt schon eine Ausführung der Verträge, die mindestens an einigen Stellen hart an der Grenze der Vertragsuntreue liegt. Man merkt auch am Zögern bei Entscheidungen bescheidener Art, wie schwer sich die Führung der DDR z. Zt. tut. Die Folge daraus ist, daß 1973 viel Ärger bringen wird. Es gibt jetzt schon ausgesprochene Schikanen und unterschiedliche Auslegung der Vertragstexte. Die Frage für die Regierung ist, wie sie jeweils reagieren soll. Bis jetzt hat sie in keinem Fall nach außen erkennbar hart geantwortet. In der Regierungserklärung findet sich nur eine halblaute Bemerkung zur Abgrenzungspolitik. Der Kanzler hat von „bürgerkriegsähnlichen Spannungen“, aber nicht von den jetzt installierten automatischen Tötungsanlagen gesprochen16. Die provozierende Sprache der „Neuen Zeit“ und der führenden Männer in der DDR bleibt ohne Antwort. Ist die Bundesrepublik zu nachgiebig, zumal sie damit rechnen muß, daß ihr Verhalten alle gegen die Verträge gerichteten Kräfte

16 Anfang der 1970er Jahre hatte die DDR-Führung damit begonnen, an der Grenze zu Westberlin Sperranlagen mit der Splittermine SM-70 zu installieren. Flüchtlinge, die versuchten die Grenze zum Westen zu überwinden, lösten durch die Berührung mit elektrischen Drähten eine Minenexplosion aus, die tödlich für sie enden konnte. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurden weitere Abschnitte an der Grenze zur Bundesrepublik mit diesen Sperranlagen ausgebaut; vgl. dazu Thoss, Untergang, 159–270, 260 f.; und den Bericht vom 13.–15. 5. 1976 (Dok. 71).

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solidarisieren muß? Die DDR gewährt den kritischen Stimmen in Bundesrepublik Schützenhilfe. Selbstredend weiß die Regierung, daß es populär wäre, sich mit Entschiedenheit zu äußern. Sie muß nur auch bedenken, daß sie dadurch die ablehnenden Kräfte in der DDR stärkt. Die Regierung rechnet damit, daß die gegenwärtige Phase mindestens 1–2 Jahre dauert. Es gibt aber auch Stimmen von führenden SPD-Männern, die mit ganz anderen Zeiträumen bis zur Normalisierung rechnen. Die Regierung geht davon aus, daß die DDR nüchtern auch die Vorteile eines guten Miteinanders zu würdigen weiß. Die DDR hat das lange erstrebte Ziel breiter völkerrechtlicher Anerkennung erreicht. Aber nach diesem Frühling kommt die sehr schwierige Verhandlung mit den fremden Staaten, nicht nur wegen deren Ansprüchen. Zwischen den Staaten ist nicht die Anerkennung wichtig, sondern gute oder schlechte Beziehungen. Die Bundesregierung rechnet damit, daß die DDR hoch zu schätzen weiß, daß sie das Etiquette des Anormalen verliert. Sie hat ein Eigeninteresse, weiter zu normalisieren. Vor allem muß DDR Interesse haben, einen von der ganzen Welt beachteten Vertrag exzellent auszuführen. Es werden durch die neuen Botschafter nicht Freunde vertreten sein, Botschafter sind Beobachter. Die Erfüllung der Verträge mit uns und vor allem auch die Art, in der es geschieht, werden den fremden Staaten signalisieren, ob es sich lohnt, mit der DDR Verträge zu schließen oder wessen man sich bei solcher Unternehmung zu versehen hat. Die Opposition wird prüfen müssen, ob sie die Zurückhaltung der Bundesrepublik ständig hochspielen will. Sie könnte damit der Regierung sicher große Schwierigkeiten bereiten. Ich halte es für möglich, eine hilfreiche Regel für die Behandlung dieser Sache zwischen den Fraktionen abzusprechen. Die Opposition wird dies aber wohl nur tun, wenn die Regierung im Volk das Bewußtsein z. B. vom Unrecht des Schießbefehls nicht einschläfert. Wird der Ärger zum Dauergegenstand der parlamentarischen Diskussion, könnte dies zur Institutionalisierung eines neuen Spaltpilzes in der Frage der Nation werden. Selbstredend denkt die Regierung nicht daran, durch ihr Verhalten die DDR zu immer dreisteren Schikanen zu ermuntern. Sie wird nicht die Absicht haben, Leistungen zu erbringen für schlechte Behandlung. Die Opposition wird, sehe ich es recht, darauf bestehen, daß ausreichend die gegenwärtige innere Situation in unserem Lande im Unterschied zu der in der DDR beachtet wird. Von einer Wohlstandsgesellschaft kann man wahrscheinlich nur mäßige nationale und moralische Anstrengungen erwarten. Wenn das so ist, ist natürlich die Gefahr nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß die Bundesrepublik in einen Sog des Ostens gerät. Im Urteil der Regierung der DDR sieht die Lage so aus: nach anfänglichen Illusionen in bestimmten Personenkreisen über den Reiseverkehr hat eine realistischere Betrachtungsweise Platz gegriffen. Die Welle der Besucher schwillt nicht an. Es ist richtig, daß an einigen Orten der Kreis der Geheimnisträger übertrieben ausgeweitet wurde. Die geheime Parteiorder ist: schon

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aus Mangel an ausreichender Kontrollmöglichkeit den Kreis der Geheimnisträger enger, dafür aber strenger als bisher zu erfassen. Außerdem sollen Reiseerlaubnisse für Besuche in den Westen nicht nur an Leute erteilt werden, vor denen man kaum eine Propaganda für die DDR erwarten kann, sondern auch an Leute, die mit Selbstbewußtsein für ihren Staat in der Bundesrepublik eintreten. Der kleine Grenzverkehr der noch nicht begonnen hat, ist in der Tat Anlaß zu großer Sorge. Man will die Regelung so treffen, daß man den Gang der Dinge in der Hand behält. Man will zunächst die Erfahrungen abwarten. Die Regierung der DDR ist sich im klaren, daß sie ihre bisherige Politik der Abkapselung nicht durchhalten kann. Die Zeichen der Zeit stehen auf stärkerer Kommunikation der Völker untereinander. Der Weg zielt international auf Offenheit. Auf die Dauer ist auch für die DDR die relative Öffnung der Grenzen unerläßlich. Ermutigend ist, wie viel Kritik Besucher aus der DDR an den Verhältnissen in der Bundesrepublik mitbringen. Die Lebensgewohnheiten unterscheiden sich, es wird geklagt über die Straßenschwierigkeiten, die Verpestung der Luft und die Kriminalität. Aber dies reicht nicht aus, jetzt schon eine größere Freiheit zu erlauben. Das Entscheidende sei die Stärkung des Staatsbewußtseins der DDR-Bürger. Sie läßt sich nach Meinung der Regierung der DDR nur erreichen durch ein attraktives Sozialprogramm etwa im Wohnungsbau, Erlaubnis von Bau von Eigenheimen, Handel, Konsumgüterindustrie, Sozialleistungen usw. Kauf von Wohnungen. Die Regierung der DDR glaubt sich nicht zu täuschen über das Maß der Schwierigkeiten, die durch die Anerkennungswelle ausgelöst werden. Es müssen Presseleute akkreditiert, Reiseerlaubnisse für fast alle Gebiete in der DDR erteilt werden usw. Dies wird eine Situation schaffen, die nicht einmal im groben kontrolliert werden kann wie bisher die Vorgänge in der DDR. Man könne nur bei der Presse eingreifen bei nachweisbar falscher, verleumderischer Berichterstattung. Dazu sei man entschlossen, ebenso zu strenger Prüfung, ob Grundvertrag nicht von uns mißbraucht wurde. Es säßen z. Zt. 20 Leute in Haft, die in plombierten Kontainern versucht hätten, Menschen aus der DDR zu schmuggeln. Die DDR habe auch nicht die Absicht, sich von der Bundesrepublik so umarmen zu lassen, daß sie daran stürbe. Die Wirkung von W. Brandt als Person sei groß, aber dies sei nicht vergleichbar mit dem Sog, den 1959 die Bundesrepublik vor allem auf die Jugend ausgeübt habe. Die Regierung der DDR rechnet damit, daß die Bundesrepublik die nationale Frage in wachsendem Maße in den Mittelpunkt stellen wird. Dies sei der DDR verständlich, aber sehr unangenehm. Dagegen müsse die Politik der Abgrenzung betrieben werden. Immerhin sei der größte Teil der Bürger der DDR in diesem sozialistischen Staat groß geworden, aber dies sei nicht ausreichend gegenüber der Gefahr der, wie man es dort nennt, nationalen Masche. Deshalb käme auch das, was wir unter menschlichen Erleichterungen verstünden, zu früh. Aus dem gleichen Grunde seien ihnen die Forderungen des Westens in Helsinki eine schwere Belastung. Der Regierung sei sich klar, daß die großen Brocken noch vor ihr lägen. Wenn in 6–7 Jahren ihr Sozialprogramm durch-

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geführt sei, seien größere Erleichterungen denkbar. Der Prozeß, sich selbst und die Bevölkerung an das internationale Klima zu gewöhnen, werde noch große Schwierigkeiten bringen. Die These ist: je mehr und je entschiedener die Gegensätzlichkeit im Prinzipiellen durchgehalten und respektiert würde, desto mehr Normalisierung kann es geben. Militärpolitisch sei die DDR an ernsthafter Entspannung interessiert. Die innere Situation des Landes verlange ein solches Höchstmaß an Anstrengungen, daß man für andere Dinge weder ausreichend Zeit noch Kraft habe. Sorgen bereiten auch die von den ausländischen Staaten geforderten Wiedergutmachungen. Man rechnet mit aussichtsreichen Verhandlungen mit dem Vatikan. Man sieht eine Chance darin, daß die DDR nicht wie andere Ostblockstaaten Forderungen bezüglich der Zahl, Abgrenzung der Diözesen und Besetzung der Bischofsstühle stellen wird. Sie hat nur eine Forderung, daß der Vatikan nicht verlangt, daß das Reichskonkordat auch rechtliche Gültigkeit für die DDR wie für die Bundesrepublik habe. Verzichte der Vatikan darauf, sei dies eine starke politische und moralische, international belangvolle Stützung der These der DDR, daß sie nicht Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches sei. (8 Millionen in der DDR eingereist, 3 Millionen ausgereist, 100.000 nicht berücksichtigt. Frage, auf welche der Ziffern man den Akzent legt.)

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58 Bonn, 1./2. Juli 1973 EZA Berlin, 742/6, hsl. […] Aus der Innenpolitik möchte ich einige Dinge, die entweder in der Diskussion des Rates bisher [nicht] vorkamen oder neu sind, nur thematisch nennen. Der Rat hat sich in den vergangenen Jahren die Arbeit am 4. Gesetz zur Reform des Strafrechtes nur vortragen lassen, aber keine öffentliche Erklärung abgegeben1. Es handelt sich in dem am 7.6. verabschiedeten Gesetz auch um die Frage der Pornographie2. Im Zusammenwirken mit Wilkens, aber auch Echternach ziemlich viele Verhandlungen mit Abgeordneten, Regierungsmitgliedern, vor allem Jahn geführt. Im Hearing des Bundestages ist Prof. Trillhaas im November 70 gehört worden3. Sicher will das Gesetz die Jugendlichen vor Pornographie bewahren. Es muß bezweifelt werden, daß dieses Ziel erreicht wird. Eine Reihe von Vorstellungen, die ich mit meinem katholischen Kollegen erhob, sind berücksichtigt. Vor allem ist die Forderung nach einer Strafbestimmung bezüglich der Darstellung von Brutalität erfüllt. Verherrlichung von Gewalt und Aufstachelung zum Rassenhaß sind unter Strafe gestellt. Auch die Forderung, im Rundfunk und Fernsehen pornographische Darstellungen zu verbieten, ist erfüllt. Dagegen ist das Verbot der öffentlichen Filmvorführung pornographischer Produkte gegen Entgelt gestrichen worden. Vielleicht läßt sich über den Bundesrat erreichen, daß dieser Forderung der Opposition Rechnung getragen wird. Die Regelung des Elternprivilegs wird wahrscheinlich noch zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Ein Jugendlagerleiter darf straflos 14–16-Jährigen Gelegenheit zu geschlechtlicher Betätigung verschaffen, wenn er die Einwilligung der zur Sorge Berechtigten, also der Eltern oder des Vormunds, hat. Diesen § aus dem Gesetz wieder herauszubringen, wird sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein4. Die Reform des Ehe- und Familienrechtes ist im Ganzen zufriedenstellender verlaufen5. Die vom Rat in der Denkschrift von 1969 und in seiner Erklärung von 1970 vorgetragenen Grundsätze haben in wesentlichen Punkten Beachtung gefunden6. Bei der streitigen Scheidung nach 3-jähriger Frist ist es 1 Vgl. den Bericht vom 29./30. 7. 1970 (Dok. 43). 2 Vgl. 4. Gesetz zur Reform des Strafrechtes vom 23. 11. 1973 in: BGBl, Teil I, Nr. 98 vom 27. 11. 1973, 1725–1735. 3 Die öffentliche Anhörung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts fand vom 23. bis 25. 11. 1970 statt (Ausschussdrucksache VI/36); vgl. Deutscher Bundestag, WP 6, Drucksache VI/3521 (online); vgl. Trillhaas, Neufassung. 4 Vgl. Borowsky, Koalition (online). 5 Am 28. 3. 1973 nahm das Bundeskabinett einen verbesserten Entwurf zum Ehe- und Familienrecht an, über den der Bundestag am 8. 6. 1973 in erster Lesung beriet. 6 Zur Reform des Ehescheidungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland (1969) vgl. KJ 96

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nicht gelungen, eine 5-jährige Frist zu erreichen. Dagegen ist die sogenannte Härteklausel, die sehr hart umstritten war, aufgenommen worden. Der § 1568 [BGB] lautet: „Die Ehe soll nicht geschieden werden, wenn der Antraggegner die Scheidung ablehnt und außergewöhnliche Umstände geltend macht, nach denen die Scheidung für ihn eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers geboten erscheint, obwohl sie gescheitert ist. Wirtschaftliche Umstände bleiben außer Betracht.“ Der Ausschluß der materiellen Härteklausel ist sicher ein für uns unzureichendes Eheverständnis. Unser besonderes Interesse muß wie von Anfang an der Regelung des Unterhalts und der Versorgung des sozial schwächeren Teiles gelten. Ich verfüge noch nicht über den neuen Gesetzentwurf des Hochschulrahmengesetzes. Nach Auskunft des Ministers sind jene Dinge, die wir im Blick auf die Stellung unserer Institutionen schon vor 2 Jahren durchgesetzt haben, unverändert übernommen worden. Angeblich soll auch die Tendenz des neuen Entwurfs gegenüber den früheren Entwürfen unseren seiner Zeit dargelegten grundsätzlichen Überzeugungen näher kommen. Wir werden an einer Reihe von Stellen betroffen sein, daß Verhandlungen mit dem Ministerium nötig sein werden. Das Beschwerliche ist auch hier der neue Stil der Regierung seit 1969, für die Diskussion mit ihr vor dem Einbringen in das Kabinett nur eine sehr kurze Zeit einzuräumen. Ende Juli soll ein Hearing stattfinden, schon am 22.8. soll das Gesetz in das Wissenschaftskabinett, am 5.9. ins Kabinett, Anfang Oktober 1. Durchgang im Bundesrat. Erst nach genauer Kenntnis des Entwurfes wird zu prüfen sein, ob die vom Rat gebildete ad hoc Kommission noch einmal zusammentreten sollte7. Nach wie vor bildet eine der größten Belastungen die Novellierung des § 218. Selbstredend wird laufend das Gespräch darüber mit den Fraktionen geführt. Soll die Fristenregelung verhindert werden, wie beide Kirchen wollen, müssen noch außerordentliche Anstrengungen gemacht werden. Jedenfalls sollten wir in der Verhandlung mit der katholischen Kirche noch nicht resignieren. Wichtig am Hirtenwort der katholischen Bischöfe vom 25.4.73 ist der Satz, daß unter Umständen hingenommen werde könne, „daß der Gesetzgeber, wenn anders bei den gegebenen parlamentarischen Verhältnissen eine Lösung nicht gefunden werden kann, in schweren Konfliktfällen bei einer Verletzung dieses Rechtes auf Strafverfolgung verzichtet“, selbst wenn auch in solch schweren Fällen eine Abtreibung sittlich nicht erlaubt ist8. Aber dies (1969), 126–135; und Erklärung des Rates der EKD zur Reform des Ehescheidungsrechts vom 12. 11. 1970; Abdruck in: KJ 97 (1970), 165 f. 7 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, 7. WP, Drucksache 7/1328 in: Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes (online); und Hoymann, Streit. 8 Vgl. „Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe zum Schutz des ungeborenen Lebens“ vom 25. 4. 1973; Abdruck in: Wilkens, § 218, 175–182; und „Erwägungen zum evangelischen Eheverständnis“; Abdruck in: KJ 97 (1970), 163–165. Zu den Aktionen der katholischen Bischöfe in diesem Kontext vgl. Mantei, Abtreibung, 231–234.

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Zugeständnis wird uns in den Verhandlungen nichts nützen, wenn wir nicht konkret sagen, was mit den schweren Konfliktfällen gemeint ist. Die Zustimmung bei Vergewaltigung und bei schwerer Schädigung des Kindes ist nicht einmal bei der CDU ausreichend. Es muß etwas hinzukommen, was in die Richtung zielt, daß auch schwere soziale Notlage Berücksichtigung finden kann. Sollte der Rat noch einmal eine Bemühung mit der katholischen Kirche durch eine kleine Kommission wollen, müßten 2 Dinge hinzukommen: 1. Die garnicht hoch genug zu veranschlagende Regelung der Beratung und Begutachtung und 2. die präzisen Forderungen für die sogenannten flankierenden Maßnahmen, die ja in Wahrheit die einzige reelle Chance haben, die gewollte Verringerung der Schwangerschaftsabbrüche zu erreichen. Bei diesem Teil der Verhandlungen muß selbstredend das diakonische Werk die entscheidende Arbeit leisten. Aber es wird eine Frage an den Rat sein, ob er wie die katholischen Bischöfe von vorneherein großzügig Mittel zur Verfügung zu stellen sucht. Je besser unsere eigenen Angebote für die flankierenden Maßnahmen sind, desto stärker wird unsere Position in den Verhandlungen mit der Regierung und den Fraktionen sein. Bruder Thimme hat in diesen Tagen nach einem Gespräch mit Tenhumberg sich an mich gewandt und nachdrücklich für eine neue Verhandlung mit der katholischen Kirche plädiert9. Den Bildungsgesamtplan will ich nur nennen. Er wird auch für uns eine außerordentliche Bedeutung haben. Er ist am 15.6. vom Kabinett verabschiedet worden10. Der Plan muß zunächst von den zuständigen Gremien in unserer Kirche studiert und diskutiert werden, ehe der Rat um ein Votum gebeten wird. Der Plan hat Bedeutung bis hin zur Frage, ob Raum und Zeit für unsere Jugendarbeit bleiben. Hat der Rat Zeit und den Wunsch, könnte in einer der nächsten Sitzungen der Plan in seinen Grundzügen vorgetragen werden. In diesem Zusammenhang will ich aufmerksam machen auf eine Erklärung des Kultusministeriums „für Stellung des Schülers in der Schule“ vom 25. 5., veröffentlicht im Bulletin von 8.6.7311. An ihr wird auch deutlich, wie stark 9 In seinem Schreiben an Kunst vom 25. 6. 1973 hatte der westfälische Präses Hans Thimme Kunst darüber informiert, dass der katholische Bischof Heinrich Tenhumberg die Meinung vertrat, „bei klarer moralischer Grundhaltung einen staatlichen Kompromiß zu tolerieren, der in Rechnung stelle, daß nicht alles, was in den Intimbereich gehöre, justitiabel sei.“ Tenhumberg plädierte für eine gemeinsame Stellungnahme der katholischen Bischofskonferenz und des Rates der EKD. Diese könne als „Orientierungshilfe für interne Hearings mit Bonner Spitzenpolitikern benutzt werden“ (EZA Berlin, 87/755). 10 Das Bundeskabinett stimmte am 13. 6. 1973 der Kabinettsvorlage des Bundesministers für Bildung Klaus von Dohnanyi zu; vgl. Beschlussfassung über Bildungsgesamtplan und Bildungsbudget für die Sitzung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung am 15. Juni 1973; und die 20. Kabinettssitzung vom 13. 6. 1973 in: Kabinettsprotokolle (online), Bd. 26. 11 „Zur Stellung des Schülers in der Schule“. Erklärung der Kultusministerkonferenz. Beschluss vom 25. 5. 1973; Abdruck in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 70 vom 8. 6. 1973, 694–700.

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verschieden die Akzente des Kultusministeriums von denen des Bildungsrates sind. Für das künftige Gespräch zwischen Rat und Regierung wird es wahrscheinlich wichtig sein, daß alle Ratsmitglieder das Interview, das Wissenschaftsminister von Dohnanyi am 4.4.73 KNA gab. Aus ihm ist deutlich zu erkennen, wie kühl er über die religiöse Beeinflussung der Kinder denkt, auch z. B. über die kirchliche Trägerschaft von Kindergärten12. Ratsbeschluß Dr. Reitz in Parteizentrale der SPD13. Starkes Befremden des Rates. 1. Juni Arbeit übernommen. Besuch bei mir gemacht. Entschuldigt wegen seines Manuskriptes über die Militärseelsorge für den „Spiegel“14. Zwar zahlreiche Informationen gehabt, aber nicht ausreichend. Heidelberg studiert, Amerika, Tillich, Vikariat in Hessen, Rat Hild, zum Fernsehen zu gehen. Seine Frau ordinierte Pastorin, im Dienst. Er schließt nicht aus, später in ein Gemeindepfarramt zu gehen, möchte aber gerne journalistisch tätig sein. Nach mehr als einer Seite positiv enttäuscht. Er möchte am liebsten Zusammenarbeit mit meinem Amt institutionalisieren. Dies geht nicht, aber erneutes Gespräch. Eppler: Aufgabe: wann, wo, wer mit wem worüber in der EKD reden soll. Die Vorstellung des Präsidiums der SPD ist: nicht vor allem Begegnungen mit Kirche im allgemeinen Rundgespräch, sondern jeweils konkrete Fragen anfassen etwa Bildungsplan oder das Verhältnis von Kräften der freien Ge12 Von Dohnanyi hatte in einem Interview mit der KNA erklärt, dass er private, d. h. auch kirchliche Initiativen für Schulen oder Kindergärten schätze, dass aber die Verantwortung für das Bildungswesen und damit auch für die Kindergärten beim Staat liegen müsse. Auch in den Kindergärten gehe es bereits um eine „offene Begegnung mit der Welt“. Erst diese mache im Erwachsenenalter eine selbständige Entscheidung für eine Konfession möglich. Dafür aber seien Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft nicht notwendig; vgl. Waschbüsch, Begegnung, 2 f. 13 Der auf der Ratssitzung am 1./2. 7. 1973 gefasste Beschluss über Rüdiger Reitz lautete: „Der stellvertretende Vorsitzende [Helmut Hild, D. P.] schildert den beruflichen und menschlichen Werdegang von Rüdiger Reitz. Er teilt das von dem Bevollmächtigten über Reitz abgegebene Urteil. Auf Vorschlag aus dem Kreise der Ratsmitglieder übernimmt es der Bevollmächtigte, bei den anderen Parteien anzuregen, daß diese ebenfalls Sachbearbeiter für kirchliche Fragen einsetzen“ (Protokoll in: EZA Berlin, 87/658). 14 Kunst hatte sich im Auftrag des Rates ein Urteil über den neuen Kirchenreferenten beim Parteivorstand der SPD Rüdiger Reitz gebildet. Anlass für den Auftrag war ein von Reitz verantworteter äußerst negativer Artikel im „Spiegel“ über den neuen evangelischen Militärbischof Sigo Lehming; vgl. Lieber Bruder. In: Der Spiegel 27 (1973), Nr. 17 vom 23. 4. 1973, 92. Der Spiegel hatte das Originalmanuskript zur Verfügung gestellt, aus dem „nach Überzeugung des Rates“ hervorging, dass dieses „noch schlimmer“ als der Artikel selbst sei; vgl. Auszug aus der Niederschrift über die 78. Sitzung des Rates der EKD am 10./11. 5. 1973 in München, TOP 2: Bericht zur Lage (EZA Berlin, 2/8354). Kunst wurde beauftragt, in einem Gespräch mit Eppler, dem Beauftragten der SPD für die Kontakte zur Evangelischen Kirche, auf die „schwerwiegenden Bedenken des Rates“ gegenüber Reitz hinzuweisen. Auch die Ratsmitglieder sollten ihre Kontaktmöglichkeiten zur SPD nutzen um „auf die Problematik des Herrn Reitz“ aufmerksam zu machen (ebd). Kunst gelangte schließlich zu dem Urteil, Reitz könne ein loyaler Partner der Kirche werden; vgl. den Auszug aus der Niederschrift über die 4. Sitzung des Rates der EKD am 1./2. 7. 1973 in Bonn, TOP 2: Bericht zur Lage (EZA Berlin, 2/8357); und das Schreiben von Erwin Wilkens an Kunst vom 29. 5. 1973 (EZA Berlin, 87/655).

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sellschaft und der öffentlichen Hand. Dies ist sicher eine der aktuellsten und wichtigsten Fragen in der Gegenwart. SPD will die jeweiligen Ressortminister, Staatssekretäre und Abgeordneten schicken, wir nach Wahl, von jeder Seite höchstens 10. Dies hieße: einzelne Ratsmitglieder können sich an solchem Sachgespräch beteiligen, aber dies ist etwas anderes als Begegnung von Rat und SPD. Nach Möglichkeit 1. Gespräch schon im September, was ich für ausgeschlossen halte schon im Blick auf Vorbereitung der Sachfragen bei uns. […] Bemühungen um Heß trotz Succurs des Auswärtigen Amtes gescheitert. Erneute Bemühungen nötig: 1974 wird Heß 80 Jahre15.

15 Kunst stand seit 1966 im Zentrum der Bemühungen des Rates der EKD, eine Begnadigung für den in Spandau einsitzenden Rudolf Heß zu erreichen. Dazu gehörten Gespräche mit dem Bundeskanzleramt, der „Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Heß e. V.“, mit Vertretern der westlichen Alliierten, dem Bundesaußenminister und dem russischen Botschafter sowie Gespräche mit dem Sohn von Heß; vgl. die Auflistung sämtlicher Bemühungen Kunsts um die Begnadigung von Rudolf Heß zwischen 1966 bis 1973 in: EZA Berlin, 87/1277. Alle Anstrengungen für eine Begnadigung von Heß scheiterten jedoch am Widerstand der Sowjetunion; vgl. die Berichte vom 19. 3. 1964 (Dok. 24), Anm. 10; vom 30. 11. 1966 (Dok. 30), Anm.2; und vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 6.

295 59 Berlin, 10. August 1973 EZA Berlin, 742/6, hsl. Der Rat hat mich in seiner letzten Sitzung gebeten, einige Bemerkungen zu der Absicht des regelmäßigen Top 2 zu machen. Seit 1933 erschien der Bericht zur Lage auf der Tagesordnung fast jeder Pfarrkonferenz. Jeden Bekenntnisgottesdienst wartete man es in der Predigt ab, daß das Evangelium aktuell und nicht als allgemeine Wahrheit angesehen wurde. Erstatteten vor Pfarrern oder großen Versammlungen die führenden Männer der Bekennenden Kirche einen konkreten Bericht zur Lage, geschah es immer in der Auslegung eines göttlichen Wortes. Weil wir im Blick auf den Staat heute keine ecclesia pressa, sondern in staatsrechtlich gesicherter, von den Organen des Staates öffentlich bis in die jüngste Zeit anerkannter Position und Partner sind, muß ein Bericht zur politischen Lage heute einen anderen Inhalt und Methode haben. Es muß in ihm um eine sachgemäße Nüchternheit der Weltlichkeit der Welt gehen. Er will informieren, um zur Bewährung des öffentlichen Mandates der Kirche zu helfen. Der herkömmliche Ratsbericht ist deutlich in 2 Teile geschieden. Der Ratsvorsitzende behandelte im wesentlichen die jeweilige innerkirchliche und oekumenische Situation, hatte also einen geistlichen und im besten Sinne kirchenpolitischen Akzent. Der 2. Teil des Berichts unterrichtete nicht nur über die die Kirche unmittelbar betreffenden Gesetzesvorhaben. Z. Zt. wird an einer Reihe von innenpolitischen Fragen die Verzahnung von Innen- und Außenpolitik deutlich. Man kann nicht Beschlüsse zur Frage der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen unter Absehung der Sicherheitspolitik, also einem eminent außenpolitischen Aspekt behandeln wollen. Man würde sonst nicht die Solidarität zum Staat, die ein partnerschaftliches Verhältnis verlangt, bewähren. Hinzukommt, daß die EKD in einer Summe über die nationalen Grenzen hinausgehenden Gremien wesentliche Verantwortungen wahrnimmt. Ich nenne nur den Oekumenischen Rat der Kirchen mit seinen z. T. unmittelbar in die saekulare Politik hineinreichenden Programmen und die Europäische Konferenz der Kirchen, die bisher über wesentlich mehr politische Fragen diskutiert hat als über theologische Probleme wie etwa das Verhältnis von Römer 7 zu Römer 8. Will der Rat diese Mandate nicht nur durch Alleingänger wahrnehmen lassen, sondern an ihrer Aufgabe teilnehmen, kann er es nur, wenn er sich möglichst präzis etwa über die Helsinkikonferenz informiert und die gegensätzlichen Standpunkte kennt. Vor allem aber hat der Rat seine Verpflichtung im Miteinander mit den früheren Gliedkirchen der EKD in der DDR dadurch wahrgenommen, daß er in Sachen der Deutschlandpolitik unablässig tätig wurde. Einen Rang eigener Art hatten

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die Entspannungsbemühungen, der Kampf um den Frieden im Blick auf die Rüstungspolitik, also vorzüglich die atomare Frage. Ich wende mich der Neuformierung der Entspannungspolitik zu. Die europäische Ost-Westentspannung bedeutet nicht ohne weiteres eine Entschärfung weltweiter Gegensätze. Dies von vornherein feststehende Faktum trat nach der Ratifizierung der Ost-Verträge deutlicher in das Blickfeld. Amerika drängte zu konkreten Maßnahmen, als Kissinger am 27.4.73 [richtig: 23. 4. 1973] eine „neue Atlantikcharta“ anregte1. Scheel suchte am 13.7. [richtig: 12.7.] zu klären, wie sich die USA in etwa das Verfahren und den Inhalt einer atlantischen Atlanticcharta dachten2. Der Planungschef im Auswärtigen Amt Brunner nannte es wünschenswert, ein „Neues Testament des Atlantikpaktes“ auszuarbeiten. Im Prinzip war damit unter etwas weniger auffallendem Etikett die amerikanische Anregung von Bonn aufgegriffen worden. Es wird nun aus Anlaß der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO im Herbst wahrscheinlich Brandt in einer grundlegenden außenpolitischen Rede die Ost-Westentspannung in den Rahmen der internationalen Politik aus deutscher Sicht einzuordnen suchen. Dieser Prozeß wird sich vollziehen im Zuge a. einer kritischen, wenn auch freundschaftlich zu führenden Auseinandersetzung Amerika – Westeuropa b. einer Ausbalancierung des Machtgleichgewichts zwischen den beiden Siegermächten in den SALT II Verhandlungen, wie auch in den MBFR Gesprächen in Wien und bei den Helsinki nachfolgenden Kommissionsverhandlungen in Genf3. c. im Zuge einer Konkretisierung der Position Frankreichs sowohl innerhalb der EG, wie im europäischen Ost-Westverhältnis. Frankreich hat seine europäischen und internationalen Prinzipien im Sommer 1973 deutlicher formuliert als je zuvor seit dem Ausscheiden de Gaulles. Es wünscht eine reformierte Weltwährungsordnung und deutet an, daß es sich nur dann auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet mit dem Westen voll solidarisieren will, wenn die USA diesem Begehren nachkommen. Bei den GATTFragen, also bei der Behandlung der Liberalisierung des Welthandels wird es im September in Tokio zu harten Auseinandersetzungen kommen4. Eine 1 Vgl. die Rede des Beraters des Präsidenten der USA für Fragen der nationalen Sicherheit, Henry Kissinger, am 23. 4. 1973 im Waldorf-Astoria-Hotel zum „Jahr Europas“ in: Europa-Archiv 28 (1973), Teil 2, D220–D225. 2 Bundesaußenminister Scheel führte am 12. 7. 1973 Gespräche mit US-amerikanischen Regierungsvertretern in Washington, D. C.; vgl. AAPD 1973, Bd. II, 1125, 1143. 3 Die Verhandlungen über die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen und damit zusammenhängende Maßnahmen in Europa (MBFR) in Wien begannen am 30. 10. 1973. Zu den unterschiedlichen Positionen von NATO-Staaten und den Staaten des Warschauer Paktes vgl. Europa-Archiv 28 (1973), Z240. 4 Die Tokio-Runde war die 6. im Rahmen des GATT erfolgte Zollrunde (1973–1979) von 99 Ländern, darunter alle westlichen Industrienationen, fünf Staatshandelsländer und 70 Entwick-

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weltweite Entspannung kann wohl erst dann zustande kommen, wenn die unter a c aufgezählten Probleme gelöst sind, und es inzwischen nicht zu kriegerischen Konflikten in Fernost oder im Orient kommt. Die Helsinkikonferenz. Sie brachte eine Summe von Grundsatzerklärungen der Außenminister5. Im Salon der Botschafter war in allen Fällen vermieden worden, in die Materie selbst einzudringen. Die Botschafter hatten nur eine Bestandsaufnahme der wichtigsten Verhandlungsthemen vorgenommen und sich über die Kategorisierung in großen Zügen geeinigt. Man wird nicht sagen können, daß die Minister genau gesagt haben, was sie nun eigentlich meinen. Es war schon bezeichnend, in welcher Auswahl selbst Zeitungen wie die FAZ Auszüge aus den Reden gebracht haben. Die ungewöhnlich wichtigen Reden der französischen und englischen Außenminister habe ich mir mühselig genug beschaffen müssen. Ich mag Ihnen ein Zitat aus der Rede des französischen Ministers Jobert nicht vorenthalten: „wenn ich zusammenfassen sollte, was die KSZE ist und dabei nicht lügen wollte, dann würde ich mit einfachen Worten zu sagen versuchen, daß 32 europäische Länder zusammengekommen sind, um sich hier in Helsinki zu treffen, um miteinander zu sprechen; etwas, was bis dahin nicht zu ihren Gepflogenheiten gehörte. Ich würde auch sagen, daß die Vorbereitung, die diesem Treffen vorangegangen ist, das muß jeder wissen, ein großes Geschwätz war, in dessen Verlauf jedes Land das Beste und das Schlechteste, Begeisterung und Klugheit, Narrheit und Bewegungsfreiheit, Weitblick und Leidenschaftlichkeit, Verworrenheit von Diplomaten und Spitzfindigkeit von Juristen beigetragen hat, ebenso wie mit den vielen Stunden langen Begegnungen und so vielen Papieren, daß nur noch die Spezialisten erklären können, – falls sie noch Lust und Fähigkeiten dazu haben – wo der Faden läuft, der zu Sicherheit und Zusammenarbeit führt.“ Diese seine kühle Auffassung hat sich, wie ich höre, auch nach seinem Besuch am 27.7. bei Gromyko in Moskau und Breschnew auf der Krim nicht geändert. Offenkundig steht Douglas-Home der Skepsis seines französischen Kollegen nahe. Er erklärte, die im September beginnende 2. Phase werde der Test sein, „ob die kommunistischen Staaten wirklich mehr Gedankenfreiheit und mehr Kontakt zwischen den Völkern zulassen können. Wir wissen das noch nicht“. Die bundesdeutsche Beurteilung ist zurückhaltender. Die recht entschiedene Rede von Scheel darf ich als bekannt voraussetzen6. Die große Presse in [der] Bundesrepublik hat ziemlich viele negative Beurteilungen der

lungsländer. Sie führte zum Abbau von Industriezöllen und Handelshemmnissen und damit zu einer Liberalisierung des Welthandels; vgl. Tokio-Runde (online). 5 Vom 3. bis 7. 7. 1973 trafen sich in Helsinki die Außenminister von 33 europäischen Staaten, der USA und Kanadas und beschlossen, dass die Beratungen zur KSZE-Konferenz am 18. 9. 1973 in Genf beginnen sollten; vgl. Europa-Archiv 28 (1973), Z166; Wettig, Ostpolitik, 41; und den Bericht vom 28. 9. 1973 (Dok. 60). 6 Vgl. Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, 833–837.

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Zukunft der Konferenz abgegeben. Helsinki war nur Präliminarie. Dies scheint auch die Meinung des Auswärtigen Amtes zu sein7. Jobert hat für die Kommissionsarbeit in Genf die Losung ausgegeben: „Sicherheit ist Gedankenfreiheit, Handlungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit.“ D. h. die härteste Auseinandersetzung wird um den „Korb III“, der auch uns unmittelbar betrifft, stattfinden, der die Themen Ideen- und Gedankenfreiheit, verbesserte menschliche Kontakte usw. enthält. Nach den ersten Informationen über die Tagung der 1. Sekretäre des Ostblocks auf der Krim in der vorletzten Woche ist genau dies auch der Hauptpunkt der Verhandlungen gewesen8. Der von den Russen im August 72 vorgelegte Konventionsentwurf würde bedeuten, daß die sozialistischen Länder das Recht bekommen, künftig die Rundfunksendungen von BBC, Radio Liberty und Free Europe einer Vorzensur zu unterwerfen. Fernsehdirektsendungen künftiger Erdsatelliten wollen die sozialistischen Länder „um des Friedens willen“ vor der Sendung sehen und das Recht haben, „die Sendungen, die die Staaten als unerwünscht ansehen“ zu verhindern. Man muß bedenken, was dies allein schon für alle Geistesschaffenden in Osteuropa bedeuten müßte. In der sowjetischen und osteuropäischen Presse sind die Forderungen Frankreichs, Englands und der Bundesrepublik nach mehr „menschlichen Kontakten“, „Sozialismus mit einem menschlichen Gesicht“ verschwiegen worden. Der Osten empfindet sie offenbar als existenzgefährdend. Man muß die Grundmaxime der russischen Politik sehen: Das militärische Übergewicht soll Stabilitätsmängel im Sowjetsystem und in den Ostblockländern ausgleichen. Die These von Bahr in Tutzing 1963 „Wandel durch Annäherung“ wird wie eine offene Kriegsbedrohung empfunden. Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß bei der Konferenz eine Liberalisierung des Ostens herauskommt. Die Frage ist, ob und wie weit der Westen seine so einmütig erhobene Forderung nach freier Bewegung durchhalten wird. Im Klartext heißt dies, ob der Westen das Scheitern der Konferenz u. U. in Kauf nehmen will, bzw. ob er glaubt stark genug zu sein, dies Risiko schon vor den eigenen Völkern laufen zu können. Natürlich scheut mindestens ein Teil der Regierungen, vor allem die der Bundesrepublik, vor den Völkern deutlich zu machen, daß ihre Grundthese für die neue OstWestpolitik falsch war, daß die Sicherheit in Europa nicht größer und der Frieden nicht sicherer geworden ist. Zur Gesamtbeurteilung muß man noch sagen: die Russen wollen ihre Vorstellungen einer paneuropäischen Koexistenz im Westen heimisch machen und die Westeuropäer an die Zusammenarbeit mit Moskau gewöhnen. Rußland möchte im Westen die Unbefangenheit wecken, mit ihm umzugehen wie 7 Über die hier zum Ausdruck kommende Skepsis Kunsts gegenüber der KSZE vgl. Kunter, Kirchen, 114 f. 8 Gemeint ist das Treffen der Vorsitzenden der kommunistischen und Arbeiterparteien der Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts und der Mongolei am 30./31. 7. 1973 auf der Krim; vgl. auch die Berichte vom 21./22. 9. 1972 (Dok. 54), Anm. 3; und vom 16./17. 11. 1972 (Dok. 56), Anm. 2.

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Holland mit Belgien und Deutschland mit Frankreich. Das Ungleichgewicht der militärischen und politischen Kräfte zwischen Rußland und Westeuropa soll bei der Zusammenarbeit sozusagen vor der Tür bleiben. Niemand wehrt sich so heftig gegen diese unrealistische, man möchte fast sagen bis in die Wurzeln unpolitische Betrachtungsweise wie Frankreich. Frankreich fürchtet, Westeuropa und ein schwächer werdendes Amerika könnten erpreßbar werden. Würde das Gleichgewicht der Kräfte schwinden, könnte aus Entspannung sehr schnell Anpassung werden müssen. Freilich, Frankreich tut sich sehr schwer, die einzig gemäße Antwort durch die Stärkung Europas zu geben. Der „politische Eintopf“ ist ihm von Grund auf zuwider. Das de Gaullesche Europa der Vaterländer entspricht nicht zuerst einer politischen Konzeption, sondern dem tief eingewurzelten Selbstverständnis Frankreichs. Hinzukommt, daß man das französische Mißtrauen gegen die „vaterlandslosen Technokraten“ in Brüssel nicht nur als eine schamlose Verleumdung bezeichnen kann. Nicht zuletzt muß man die geringschätzige Taxe der amerikanischen Diplomatie nennen. Durch mehr als 2 Jahrzehnte habe ich mir die französischen Diplomaten anhören müssen, sie begriffen nicht, wie die deutsche Politik ausschließlich auf Amerika abstelle und alles andere dagegen in das 2. Glied rücke, wo doch jeder wisse, daß die Amerikaner in der Außenpolitik und Diplomatie Amateure seien. Natürlich steckt in diesem Urteil auch das Trauma Frankreichs von Indochina, von Dien Bien Phu, als Eisenhower Frankreich in Indochina im Stich ließ9. Sachgemäß müßte sich an diese Ausführungen ein Bericht über den Stand der Abrüstungsverhandlungen in MBFR in Wien und wohl auch SALT II schließen. Dafür reicht wahrscheinlich die Zeit nicht. Ich kann nach der Prüfung der Äußerungen der Beteiligten und der entsprechenden Zeitungsmeldungen und Zeitschriftenanalysen nur das Saldo meiner Beobachtungen nennen. Im Laufe des Julis haben sich die Erfolgschancen der MBFR erheblich verdüstert. Die Verhandlungen werden, soll es wirklich zu einer ausbalancierten Abrüstung kommen, noch Jahre dauern. Möglicherweise entschließen sich die Russen zu den sogenannten „vertrauenschaffenden Maßnahmen“ wie Austausch von Manöverbeobachtern und regelmäßige, vorherige Unterrichtung über größere Truppenverschiebungen. Sie werden es aber wahrscheinlich nur dann tun, wenn sie es im Blick auf den Erfolg der Kommissionsverhandlungen in Genf der EKSF [= KSZE] für zwingend halten. Ich übergehe auch die komplizierten internationalen Verhandlungen über Wirtschafts-, Finanz- und Währungsfragen, wiewohl sie unmittelbar zu tun haben mit der z. Zt. schwierigsten innenpolitischen Frage in unserem Lande. 9 Am 7. 5. 1954 kapitulierten die französischen Truppen in Dien Bien Phu vor den kommunistischen Viet Minh. Die US-Truppen hatten die Franzosen nicht unterstützt, aus Furcht, in den Augen der Welt zu sehr mit der französischen Kolonialmacht in Vietnam identifiziert zu werden. Nach der Niederlage in Dien Bien Phu zog sich Frankreich aus Indochina zurück. Dies bedeutete das Ende der französischen Kolonialherrschaft in dieser Region; vgl. Frey, Geschichte, 36; sowie die Berichte vom 28. 9. 1973 (Dok. 60), Anm. 8; und vom 23. 5. 1975 (Dok. 67), Anm. 8.

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Mir scheint es aber notwendig, auf 2 Reden aufmerksam zu machen, die von Bahr und Eppler, die die Herren im Juli in Tutzing hielten10. Eppler hat sich in einer nachdenkenswerten Weise zur Frage der Lebensqualität geäußert und dabei implizit Fragen der Denkschrift unserer Sozialkammer zur sozialen Sicherheit aufgenommen. Bahr nahm mit Skepsis und Optimismus sein Thema von 1963 Wandel durch Annäherung auf. Er sagte etwa: „Es ist Koexistenz auf deutsch. Dabei wird diese Koexistenz auf deutsch schrecklich schwierig.“ Es könne Jahre dauern, bis sich die Nachfolgeabkommen zum Grundvertrag eingespielt hätten. Rückfälle seien nicht auszuschließen. Im Zuge der Normalisierung müsse sich der Zustand an der Grenze ändern, doch das neue Verhältnis schließe keine ideologische Koexistenz ein. Um dennoch die Transformation von Konflikt zur Kooperation zu vollziehen, müsse man den schmalen Weg der menschlichen Erleichterungen in solchen Schritten gehen, daß sich daraus nicht die Gefahr eines Umschlages ergebe. Insoweit bestehe auch kein Interesse an einer „Destabilisierung der DDR“. Die „Einmaligkeit“ des innerdeutschen Verhältnisses sei aber durch die Ostverträge vor dem Eintritt der beiden Staaten in die UNO und vor Beginn der Helsinkikonferenz geklärt worden. Eine Reihe von Äußerungen Bahrs waren schwebend formuliert. Seine eigenen Meinungen in diesen Dingen sind ziemlich sicher wesentlich konturierter. Bezeichnenderweise hat er sich mit keinem Worte dazu geäußert, was die Bundesrepublik nach Inkrafttreten der Verträge tun sollte, um die deutsche Frage „offen zu halten.“ Wenn man die Bahrrede und das Urteil von Karlsruhe vom 31.7. hintereinander liest, merkt man sehr viel mehr als verschiedene Akzente11. Bahr hat sich auch nicht mit der naheliegenden, in Helsinki viel erörterten Frage, befaßt, wie sich der Westen verhalten soll, wenn der Ostblock keine der in Teil 3 des Verhandlungspaketes geforderten Maßnahmen für den freieren Austausch von Menschen, Ideen und Informationen zuläßt. Die Selbstbestimmung des deutschen Volkes und der Völker Osteuropas, die der Öffentlichkeit als die wichtigste Folge eines Wandels durch Annäherung vorgeschwebt hatte, wurde nicht erwähnt. Daraus wird man schließen müssen, daß nach Bahrs Meinung die „Koexistenz auf deutsch“ so schwierig ist, daß man aus Sorge um den zitierten „Umschlag“ am besten bis auf weiteres darüber schweigt. Umso bedrängender werden für ihn bei seinen künftigen Verhandlungen die z. T. ins Einzelne gehenden Bestimmungen des Karlsruher Urteils sein. Ich könnte mir denken, 10 Bahr hatte u. a. vor dem Politischen Klub der Evangelischen Akademie Tutzing erklärt, durch die Entspannungspolitik seien jahrelang umstrittene Punkte geklärt worden, z. B. habe die Sowjetunion nicht nur im Berlin-Abkommen die zeitlich unbegrenzte Präsenz der drei Westmächte in Berlin, sondern auch die USA als Teilnehmer an der europäischen Sicherheitskonferenz akzeptiert; vgl. „Zeittafel vom 1. bis zum 15. Juli 1973“. In: Europa-Archiv 28 (1973), Z159. 11 Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vereinbarkeit des „Grundlagenvertrages“ mit dem Grundgesetz festgestellt. Damit war die Normenkontrollklage der Bayerischen Staatsregierung gescheitert; vgl. das Urteil vom 31. 7. 1973 in: BVerfGe 36,1 (online).

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daß im Zusammenhang mit der Götz-Affäre in Düsseldorf12 und den Verhandlungen über den Radikalenerlaß der Ministerpräsidenten Herr Bahr gefragt wird, warum er vor einer „Destabilisierung der DDR“ gewarnt hat und nicht gleichzeitig sich distanzierte von dem breiten Bemühen der DDR um Destabilisierung in der Bundesrepublik. So behutsam und an keiner Stelle provozierend die Rede Bahrs war, hat sie doch in Moskau und in der DDR wegen der Ausführungen „der Koexistenz auf deutsch“ heftige Einrede erfahren. Genau an dieser Empfindlichkeit kann man die Richtigkeit von Bahrs These von „fürchterlich schwer“ ablesen. Alsbald nach der Rede Bahrs hat sich Markowski, der Leiter der Abteilung für Internationale Verbindungen im ZK der SED in der Ostberliner „Deutschen Außenpolitik“ geäußert. Er sagt, die Politik der friedlichen Koexistenz sei ein wirksames Instrument des internationalen Klassenkampfes. Sie entspreche ganz den Interessen des Sozialismus. Sie bedeute im Sinne Lenins die Fortführung des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus „auf a l l e n Gebieten, ausgenommen die militärische Form des Klassenkampfes.“ Sie erleichtere den kommunistischen Parteien „die Herstellung der Aktionseinheit mit anderen revolutionären und antiimperialistischen Kräften.“13 Ich versage mir, auch noch die außerordentlich präzise und offene Rede des russischen Chefideologen Suslow vom 15. 7. [richtig: 13.7.] in Moskau zu zitieren14. Die Regierung wird prüfen müssen, in welcher Weise sie dieser unzweideutigen Absage an ihr Konzept Wandel durch Annäherung antworten will. Konkret heißt dies z. B., es wird breite Beachtung finden, ob der Kanzler bei seiner Rede vor der UNO dem Urteil von Karlsruhe15 auch dadurch Rechnung trägt, daß er einen Satz über 12 Der nordrhein-westfälische Justizminister Diether Posser hatte Volker Götz, einem Mitglied der DKP, die Ernennungsurkunde zum Richter auf Probe ausgestellt, was zum Konflikt mit dem Innenministerium des Landes führte und darüber hinaus weitere Diskussionen über die unterschiedliche Auslegung des „Extremistenerlasses“ in den Bundesländern auslöste; vgl. „Ich riskiere doch nicht Brandts Fall“. Spiegel-Interview mit Ministerpräsident Heinz Kühn über den Koalitionsstreit in Nordrhein-Westfalen. In: Der Spiegel 27 (1973), Nr. 32 vom 6. 8. 1973, 22–24; und die Berichte vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 13; vom 10. 8. 1973 (Dok. 60), Anm. 13; sowie die Dokumente 64 und 72. 13 Zudem suchte Paul Markowski die von westdeutscher Seite ausgehende Politik des „Brückenschlages“ in die sozialistische Staatengemeinschaft als Versuch darzustellen, eine Erosion des Sozialismus zu bewirken, so wie es bereits in der Tschechoslowakei 1968 geschehen sei; vgl. Markowski, Außenpolitik, 788. Die vom Institut für Internationale Beziehungen herausgegebene Monatszeitschrift „Deutsche Außenpolitik“ erschien von 1956 bis 1983. 14 Rede von Michael Andrewitsch Suslow am 13. 7. 1973 auf der Festsitzung zum 70. Jahrestag des zweiten Kongresses der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) in Moskau. Suslow betonte, dass der ideologische Kampf zwischen den Staaten mit unterschiedlicher sozialer Ordnung bestehen bleibe und dass es in diesem Kampf keine friedliche Koexistenz zwischen Sozialismus und Kapitalismus geben könne; vgl. Europa-Archiv 28 (1973), Z163; und „Der II. Parteitag der SDAPR und seine welthistorische Bedeutung“. Rede des Genossen Michael Suslow, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der KPDSU. In: Neues Deutschland 28 (1972), Nr. 192 vom 14. 7. 1973, 3–5, 4. 15 Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vgl. Anm. 11 in diesem Bericht.

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das Offenhalten der deutschen Frage der Wiedervereinigung aussprechen wird. Mindestens genannt werden muß in diesem Zusammenhang der Wandel des Jugendfestivals in Ostberlin gegenüber Sofia 1968. Z. B. die Einrede des Westens und Chinas gegen den Sowjetimperialismus kamen mit keinem Wort mehr vor. […] Der Bundespräsident hat Gespräch gesucht und mich unterrichtet über die Absicht, den 17. Juni als Feiertag fallen zu lassen, dafür aber den 24.5. als Datum des Inkrafttretens des Grundgesetzes 1949 zum Nationalfeiertag zu machen. Dies soll noch mit Gültigkeit für 1974 geschehen, also das 25-jährige Jubiläum des Grundgesetzes soll zum Anlaß genommen werden. Die Frage des Bundespräsidenten zielt darauf, ob bei dieser Gelegenheit nicht das gesamte Feiertagsrecht bundeseinheitlich geregelt werden könnte. Es ist nicht zu erwarten, daß die zuständigen Länderregierungen eine Initiative in dieser Richtung entfalten. Anders wäre es, würden die Kirchen in einem gemeinsamen Schreiben bei der Konferenz der Innen- und Kultusminister vorstellig. In der Tat sind die Anlässe und Zahl der gesetzlichen Feiertage sehr unterschiedlich. Es gibt 1 Land mit 15 Feiertagen (Bayern), 2 Länder mit 13 (BadenWürttemberg und Saarland), 2 mit 12 Feiertagen (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen), Hessen mit 11, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin, also die überwiegend evangelischen Länder mit 10 Feiertagen. Käme es zu solcher Verhandlung, müßte sicher auch noch einmal über den Volkstrauertag nachgedacht werden. In 8 Tagen Volkstrauertag, Bußund Bettag und Ewigkeitssonntag ist bei aller Unterschiedlichkeit zu viel eines Grundtenors. Mir scheint die Sache z. Zt. ohne Chance zu sein, es sei denn, die Kirchen überprüften ihre Strategie für die nächsten 10 Jahre. Wollen wir uns eines nach dem anderen unter dem Druck der öffentlichen Meinung nehmen lassen oder eine Art Vorwärtsstrategie entfalten, wie es s. Zt. der Loccumer Vertrag tat16. Ich nenne nur von den anstehenden Dingen die Kreuze in den Gerichtssälen. Bin ich recht informiert, schwebt in dieser Sache z. Zt. eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Es gibt Staatsrechtslehrer, die keine Glieder unserer Kirche sind, die die Meinung vertreten, die Kreuze in den Gerichtssälen seien klar verfassungswidrig. Natürlich kämen bei einer Arbeit, die den Namen Vorwärtsstrategie verdiente, eine Summe von viel wesentlicheren Dingen auch zur Sprache. Bis hin zu Finanzierung der Militärseelsorge durch den Staat. In diesem Zusammenhang will ich eine Information von Frau Funcke weitergeben. Die leitenden Gremien der FDP prüfen, ob sie die Einrede der Jungdemokraten über das Verhältnis von Kirche und Staat auf Sparflamme

16 Vgl. den Vertrag der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen mit dem Lande Niedersachsen vom 19. März 1955 (online). Dieser Vertrag war der erste Staatskirchenvertrag nach 1945 und nahm eine Modellfunktion für die Staat-Kirche-Beziehungen in der Bundesrepublik ein; vgl. Huber, Vertrag (online).

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kochen oder offen auf dem Parteitag austragen sollen17. Sie haben sich für das Letztere entschieden. Dies läßt es geraten erscheinen, daß eine Vorlage verbreitet wird, die Grundlage für die Gespräche der Landeskirchen mit den Delegierten des FDP-Parteitages und für eine Stellungnahme des Rates sein könnte. Weil es eine Grundströmung in unserem Lande gibt, die den Gedanken der Jungdemokraten entgegen kommt, werden die Massenmedien sich ziemlich sicher ausführlich mit den Vorschlägen befassen. Dafür sollten wir gerüstet sein18. Einige Bemerkungen zu dem Besuch der Frelimodelegation auf Einladung der SPD19. Von der Parteizentrale wurde uns mitgeteilt, Frelimo möchten auch Vertreter der Kirche wegen Hilfsaktionen sprechen. Gleichzeitig hat sich Reitz an eine Fülle von kirchlich katholischen und evangelischen Organisationen gewandt und um Teilnahme an einem Gespräch gebeten. Ich selber hätte mich nur sehr schwer freimachen können, hielt es aber in Abstimmung mit meinem katholischen Kollegen für besser, wir beteiligten uns nicht, sondern überließen das Gespräch den zuständigen Experten des diakonischen Werkes, Brot für die Welt, Misereor usw. Ich habe nur für den Fall, daß es zu einem prinzipiellen Gespräch käme, um die Vertretung der Thesen der Kammer für öffentliche Verantwortung über die Gewalt gebeten20. Von uns haben teilge17 Zu dem Anfang Januar 1973 verabschiedeten Streitpapier der Jungdemokraten „Liberalismus und Christentum“ vgl. den Bericht vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 10 und 11. Der daraufhin gebildete Sonderausschuss der FDP publizierte am 23. 8. 1973 das Grundsatzpapier „Freie Kirche im freien Staat – Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat“, das sich eng an der Thesenreihe der Jungdemokraten orientierte; Abdruck beider Texte in: KJ 100 (1973), 114–117. Der Rat der EKD beschäftigte sich in der Sitzung vom 28./29. 9. 1973 mit dem sogenannten Kirchenpapier der FDP und begrüßte in diesem Zusammenhang die Einladung des FDP-Vorstandes zur Erörterung des Papiers; vgl. das Pressekommuniqu des Rates der EKD (ebd., 118). Der Parteitag der FDP fand vom 12. bis 14. 11. 1973 in Wiesbaden statt. Dort wurde allerdings nicht über das Kirchenpapier entschieden, sondern zur weiteren Diskussion innerhalb der Gliederungen der Partei geraten; vgl. Esch, Kirche, 326–329; und den Bericht vom 20./21. 9. 1974 (Dok. 64), Anm. 3. 18 Eine solche Vorlage konnte nicht ermittelt werden. Das Gespräch zwischen Vertretern der EKDund FDP-Repräsentanten fand am 23. 4. 1974 statt. Der Kirchenjurist Klaus Schlaich verteilte seine schriftlich fixierte Rede zur Einleitung des Gesprächs an die Kirchenrepräsentanten. Kunst hatte Schlaich zuvor von den Vorstellungen des Rates über den Inhalt der Einleitung informiert; vgl. das Schreiben Kunsts vom 18. 4. 1974 an den Ratsvorsitzenden Helmut Claß (EZA Berlin, 87/658). 19 Der Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Beziehungen beim Vorstand der SPD, HansJürgen Wischnewski, hatte vom 2. bis 8. 8. 1973 eine Delegation der „Frelimo“, einer linken, antikolonialistischen Kampforganisation in MoÅambique zu einem Gespräch mit SPD-Vertretern eingeladen. In ihrem Kommuniqu vom 8. 8. 1973 sprach sich die SPD u. a. für die „vollständige Befreiung des Volkes von MoÅambique vom portugiesischen Kolonialismus“ aus, wandte sich gegen jede Form der Waffenlieferungen an Portugal und erklärte Kolonialismus als unvereinbar mit den Prinzipien der NATO; vgl. das „Kommuniqu über den Besuch der FRELIMO-Delegation“ in: SPD. Pressemitteilungen und Informationen, Nr. 237/73 vom 8. 8. 1973. 20 Vgl. „Gewalt und Gewaltanwendung in der Gesellschaft. Eine theologische Thesenreiche zu sozialen Konflikten“ der Kammer für öffentliche Verantwortung. Der Rat hatte in seiner Sitzung vom 5./6. 4. 1973 einer Veröffentlichung dieser Thesen, die im Kontext der Diskussionen über

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nommen Hahn, Behringhausen, Zillessen und mehr aus Versehen Krause von der VELKD. Die Beteiligten haben kein Vorgespräch mit mir geführt. Das Kommuniqu ist etwas mißverständlich abgefaßt. Die Presse hat auf Grund einer dpa-Meldung über den Vorgang unter dem Titel berichtet: Kirchen sagen Öffentlichkeitsarbeit für die Frelimo zu. Dies hat selbstredend zu einer Reihe von Mißverständnissen und kritischen Rückfragen geführt. In Wahrheit haben sich unsere Brüder nur für eine faire Öffentlichkeitsarbeit über die Situation in Mozambique ausgesprochen. […]

das Anti-Rassismus-Programm des ÖRK entstanden waren, zugestimmt; vgl. Schreiben der Kirchenkanzlei an die Leitungen der Gliedkirchen und die Mitglieder der Kammer für öffentliche Verantwortung vom 18. 4. 1973 (EZA Berlin, 87/1087); Abdruck in: KJ 100 (1973), 83–85; und Anti-Rassismus Programm der Ökumene.

305 60 Hannover, 28. September 1973 EZA Berlin, 742/6, hsl., msl. Das herausragende Ereignis dieser Wochen war die Aufnahme beider deutschen Staaten in die UNO1. Jeder von uns, der noch die Stuttgarter Erklärung von 1945 vor unseren Gemeinden vertreten hat, wird sich nachdenklich der verflossenen 28 Jahre erinnert haben. Wir konnten das Ereignis nicht nur mit Freude begrüßen, vor aller Welt wurde trotz der Rede von Minister Scheel der Eindruck erweckt, als sei die Teilung unseres Landes definitiv festgeschrieben. Furchtbar kann für uns werden, daß es für die deutsche Politik nun definitiv mit dem provinziellen Horizont aus ist. Wir werden in den strittigen Fragen der Weltpolitik öffentlich Stellung beziehen müssen. Dies wird nicht nur in den Auseinandersetzungen zwischen Israel und den arabischen Staaten Schwierigkeiten schaffen. Man kann nur hoffen, daß wir Christen die neue Dimension deutscher Außenpolitik mit Nüchternheit ansehen und nicht meinen, nun wären wir auf jener Plattform, auf der man spektakulär vor allem in jenen Dingen tätig werden könnte, die für unser Urteil moralischer Anfrage unterliegen. Die DDR hat es in dieser Sache durch ihre kräftige, prinzipielle Verzahnung mit der sowjetischen Politik wesentlich einfacher. Der Kanzler hat am 26.9. als 1. deutscher Kanzler eine bemerkenswerte Rede vor der UNO gehalten2. Er hat nicht nur die allgemeinen Grundsätze, von denen die deutsche UN-Politik geleitet wird, dargelegt. Er hat den deutschlandpolitischen Vorbehalt, den schon Scheel ausgesprochen hatte, wiederholt. Er hat die deutsche Einheitsforderung in seine Ausführungen über Gewaltverzicht, internationale Solidarität und Selbstbestimmungsrecht eingebettet. Er ging über Scheels Rede dadurch hinaus, daß er die Todesopfer der deutschen Teilung erwähnt hat. Besonders fiel auf, daß er den Sturz Allendes verurteilte: „So geht es nicht.“ Man wird daraus schließen dürfen, daß Brandt mit der SPD sich innerhalb der Sozialistischen Internationale für eine stärkere Kontrolle von solchen Umsturzbewegungen einsetzen wird, die durch multinationale Konzerne begünstigt werden. Deutlich sprach sich Brandt auch gegen Neokolonialismus und Rassismus aus. Dies entspricht der amtlichen Bonner Außenpolitik, die jetzt auch humanitäre Hilfe für afrikanische Befreiungsbewegungen nicht mehr ausschließt. Für uns ist im Jahr der Menschenrechte auch von Gewicht, daß Brandt die Forderung auf Erweiterung des Völkerrechtes und fortdauernde Geltung der Menschenrechte vorgebracht hat. Er hat die von Scheel in einem Interview befürwortete Einsetzung eines 1 Am 18. 9. 1973 waren die Bundesrepublik Deutschland und die DDR von der 28. Vollversammlung der UN als Mitglieder aufgenommen worden; vgl. Fischer Chronik Deutschland, 515. 2 Rede Brandts vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 26. 9. 1973; vgl. Rede von Willy Brandt (online).

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UN-Hochkommissars für Menschenrechte nicht wiederholt. Er mag dies unterlassen haben wegen des geringen Echos, das die gleiche Forderung auf der Tagung der UN-Menschenrechtskommission in Teheran 1968 fand, als sie der damalige Justizminister Heinemann vertrat. Ich nutze aber die Gelegenheit, den Rat um die Prüfung zu bitten, ob er den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember ohne ein Wort oder eine Aktion vorübergehen lassen will3. Unser Hauptaugenmerk wird in den nächsten Monaten auf Genf gerichtet sein müssen. Am 18.9. haben die Verhandlungen in nüchterner, geschäftsmäßiger Atmosphäre begonnen4. Am 19.9. hat Breschnew in Sofia in einer Rede für den ganzen Ostblock ausgesprochen, es müsse vor allem in Genf eine Einigung über die Fragen der Sicherheit erzielt werden. Die vom Westen als vordringlich bezeichneten Probleme der freien Kommunikation von Menschen, Ideen und Informationen hat Breschnew als „künstlich in den Vordergrund gerückte Nebenfragen“ abqualifiziert. Eine effektive Lösung der humanitären Probleme sei nur möglich, wenn die Gefahr eines Krieges beseitigt sei. Es dürfe in Genf kein „diplomatischer Warenaustausch“ durchgeführt werden. Genau gegen diese Auffassung haben sich [die] meisten westalliierten und neutralen Delegationen in Helsinki vehementer gewehrt. Sie wollten die menschlichen Kontakte und den freien Ideenaustausch nicht als zweitrangig angesehen haben. Man könnte die Rede von Breschnew gelassener lesen, wenn nicht die gesamte sowjetische und ostalliierte Presse seit Wochen unterstriche, daß Entspannung nichts zu tun hätte mit Abschwächung des ideologischen Kampfes zwischen Ost und West. Ehre und Würde eines Sowjetbürgers sei unvereinbar mit versöhnlerischer Einstellung zu Ansichten und Sitten, die der sowjetischen Öffentlichkeit feind seien. Man versuche die sozialistische Lebensweise anzuschwärzen, wobei man sich der Dienste einiger Abtrünniger bediene. Selbstredend zielt dies auf Sacharow und Solschenizyn und andere Intellektuelle. Ihre Stellungnahmen und ihre Behauptung, die Widerrufserklärungen von Jakir und Krasin seien unter Druck erfolgt, haben sicher das Konferenzklima in Genf erschwert. Es gibt zweifelsfrei ausgezeichnete Gründe, sich öffentlich mit Sacharow zu solidarisieren und ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Im Blick auf Genf darf man sich aber nicht täuschen, daß die Kremlführung im Blick auf den sogenannten demokratischen Sozialismus heute sicher nicht anders denkt als vor 5 Jahren in der Tschechei. Vor allem die französische und englische Diplomatie macht dagegen darauf aufmerksam, daß ein Mehr an Sicherheit ein Mehr an Zusammenarbeit verlange. Dies erzwinge einen freieren Austausch von Ideen und Informationen. Es sieht so aus, als ob die Verhandlungen in Genf zunächst sehr zähflüssig sein werden. Es wird Nervenkrieg geben, weil Breschnew an einem möglichst 3 Am 10. 12. 1973 veröffentlichte der Rat der EKD eine Erklärung zum 25. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte durch die Vollversammlung der UN; Abdruck in: KJ 100 (1973), 72–74. 4 Gemeint ist der Beginn der KSZE-Konferenz; vgl. den Bericht vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 5.

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schnellen Erfolg im Blick auf seine innenpolitische Situation liegen muß. Die Sowjetunion will die Festigung ihrer Stellung im Ostblock durch multilaterale Bestätigung des territorialen und politischen status quo und Nutzung des wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Potentials des Westens zur Aufholung des sowjetischen Entwicklungsrückstandes. Der Westen hat nur ein temperiertes Interesse am Expandieren seiner Wirtschaft. Vor allem die Bundesrepublik kann ihre Stabilisierungsbemühungen mit Erfolg nur durchsetzen, wenn die Wirtschaft nicht zu Gunsten des Handels mit Rußland bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geht. Eindrucksvoll bleiben die Argumente von Sacharow und sein Verlangen an Amerika, keine Politik zu betreiben, die auf den Verrat an Tausenden von Menschen hinausläuft. Kissinger hat ihm eine klare Absage erteilt. Die Bundesrepublik hat im Kern nicht anders reagiert. Brandt hat gesagt: „Ich wäre auch für eine Entspannung zwischen Ost und West, wenn Stalin noch erster Mann in Moskau wäre.“ Natürlich hat er sich damals die kritische Frage eingehandelt, ob man eine Entspannung gutheißen könne, die einer Rückkehr zu den Methoden Stalins im Ostblock Vorschub leistet. Es ist immer wieder sehr schwer, für das Handeln des verantwortlichen Politikers die richtige Hierarchie der ethischen Werte zu finden. Eine besondere Aufmerksamkeit hat es erregt, daß der Kanzler nicht am 6.9. nach Prag gereist und das Protokoll über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen unterschrieben hat5. Das Auswärtige Amt hat sich nachdrücklich dagegen gewehrt, die Berlinfrage auszuklammern. Es ist der Auffassung, daß es nur dadurch erreicht hat, daß Gromyko sich für Anfang November mit Scheel zu Konsultationen über Berlin verabredet hat. Die innerdeutschen Verhandlungen sind voll von Meinungsverschiedenheiten. Sie sind öffentlich vor allem an den gescheiterten Gesprächen über den innerdeutschen Sportverkehr bekannt geworden. In diesem Zusammenhang muß ich das Karlsruher Urteil zu den Ostverträgen erwähnen6. Es ist außerordentlich in das Einzelne gehend und bindet die Politik der Regierung in wahrscheinlich sehr beschwerlicher Weise. Bahr hatte vor dem Prozeß gesagt, es sei „beinahe lächerlich“. Die Regierung hat in Karlsruhe rechtlich gewonnen, aber es scheint so, als ob sie politisch den 5 Die Bundesregierung hatte den für den 6. 9. 1973 geplanten Besuch Brandts in Prag von einer befriedigenden Übereinkunft in der Frage der vollen konsularischen Betreuung Westberlins durch die künftige Vertretung der Bundesrepublik in Prag abhängig gemacht; vgl. Europa-Archiv 28 (1973), Z185. Da die Regierung der Tschechoslowakei diesen Vorschlag nicht positiv beantwortete, wurde die geplante Reise des Bundeskanzlers nach Prag verschoben. Die Bundesregierung erklärte, dennoch ihre Bemühungen um einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen fortsetzen zu wollen; vgl. ebd., Z194. 6 Die bayerische Staatsregierung hatte am 28. 5. 1973 ein Normenkontrollverfahren gegen den „Grundlagenvertrag“ eingereicht. Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. 7. 1973 vgl. den Bericht vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 11.

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Prozeß verloren habe. Die DDR-Presse hat mit größter Heftigkeit reagiert. Sie hat Bundesrepublik, Bundesverfassungsgericht und SPD-Präsidium pausenlos mit schlimmem Vokabular angegriffen, „Dreckschleuder“, „Gestank“, „Verseuchung“ usw. Es würde zu weit führen, wollte ich mich mit der gebotenen Sorgfalt zu den Vorgängen in Chile äußern7. Potter hat sich sehr schnell zu Wort gemeldet. Die SPD hat Wischnewski und Brück nach Chile entsandt. Beide sind in den Sachfragen orientiert, weil sie seit langem mit den Problemen von Chile als Entwicklungsland vertraut sind. Sie sind noch nicht zurück. Abgesehen davon, was das Kirchliche Außenamt zu dieser Sache beitragen könnte, müßte man wohl den Bericht des Abgeordneten abwarten, ehe man prüft, ob und was wir tun können. Wirklich schlimm scheint es nach wie vor in der Behandlung von Gefangenen in Vietnam auszusehen. Dr. Thimme hat sich im Namen seiner Kirchenleitung an mich gewandt. Es ist kein Trost, daß die gleiche Sache bei den Vietcong nicht besser aussieht8. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesrepublik sind außerordentlich gering. Die amerikanische Regierung versucht unter dem anhaltenden Druck der öffentlichen Meinung in den USA ständig darauf hinzuwirken, daß die Zustände sich bessern. Wenig Sinn hat es, sich in aller Form an die Bundesregierung zu wenden, die ohnehin unserer Meinung ist. Die Barriere ist das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Das Äußerste, was bisher geschehen ist, geschah in der Begegnung zwischen dem Bundespräsidenten und Präsident Thieu. Ein wichtiger Adressat für Vorstellungen ist die katholische Kirche. Sie stützt das Regime weitgehend und ist wohl auch nicht ohne Einfluß. Ich möchte meinen, der Rat sollte diese Sache mindestens fragend in das nächste Kontaktgespräch einbringen. Prüfen könnte man auch eine Vorstellung bei dem amerikanischen Botschafter in Bonn. Dafür wäre mir freilich ein ausdrücklicher Beschluß des Rates willkommen. Keinen Zweck hat es, sich an Präsident Thieu zu wenden. Er kümmert sich notorisch nicht um diese Dinge. Als Adressat von unmittelbaren Vorstellungen käme nur der Ministerpräsident und Justizminister in Saigon in Frage. Keinen Sinn hat es, sich an Gefängnisdirektoren zu wenden, wie eine westfälische Kreissynode vorgeschla-

7 Am 11. 9. 1973 wurde der chilenische Staatschef Salvador Allende durch einen Militärputsch gestürzt und getötet. Die daraufhin installierte Militärdiktatur unter Augusto Pinochet endete 1989; vgl. Angell, Chile, 847 887, 868. 8 Mit dem am 27. 1. 1973 in Paris geschlossenen „Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam“ war für die USA der Vietnamkrieg beendet. Sie zogen sich im Laufe der folgenden Monate aus Südvietnam zurück. Für die Vietnamesen ging der Krieg hingegen mit unverminderter Härte weiter. Er endete erst mit der bedingungslosen Kapitulation Südvietnams vor dem kommunistischen Nordvietnam am 30. 4. 1975; vgl. Frey, Geschichte, 208–214, 211; Steininger, Vietnamkrieg, 44 f.; sowie die Berichte vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 9; und 23. 5. 1975 (Dok. 67), Anm. 8.

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gen hat. Sie sind lediglich ausführende Organe. Selbstredend wäre auch eine Anrede an Genf zur Stärkung der laufenden Bemühungen möglich. Innenpolitisch wird die Auseinandersetzung mit der DKP immer gewichtiger. Der Fall Götz ist nur ein Signal für sehr weittragende Auseinandersetzungen über den Einbau marxistischen Gedankengutes vor allem in die Schulpolitik9. Am meisten diskutiert werden die Reformpläne der Kultusministerien in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Es ist sicher ein Schade, daß wir noch nicht in der Lage sind, uns auf Grund von Vorlagen der Bildungskammer relevant am öffentlichen Gespräch zu beteiligen10. […] Im Jahre 1958 ist mit dem damaligen Postminister Stücklen eine Vereinbarung getroffen worden, nach der jede der beiden Großkirchen in jedem Jahr das Motiv für eine Sonderbriefmarke bestimmen kann. Außerdem bekommt im Wechsel von 2 Jahren der Kirchentag bzw. der Katholikentag eine Sondermarke11. Offenkundig in Unkenntnis dieser Begründung hat mir das Postministerium mitgeteilt, daß nunmehr ein Programmbeirat über sämtliche eingehenden Vorschläge entscheiden würde. Für das Postministerium ist eine Verlegenheit dadurch entstanden, daß von ursprünglich 20–30 Vorschlägen im Jahr mittlerweile über 200 Vorschläge jährlich eingehen. Es wird also immer schwieriger, eine gerechte Auswahl zu treffen. Jährlich stehen 35 Sondermarken zur Verfügung. Von ihnen sind von vornherein 11 nicht disponibel, die 2 Europa-Marken, 4 Jugendmarken und die 5 Wohlfahrtsmarken. Durch die 3 Marken für die Kirchen verringerte sich das Kontingent, das frei verfügbar war, auf 21. Die große Zahl der Vorschläge ist eine Stelle ständigen Ärgers im Ministerium. Ich hielt es für ausgeschlossen, die Außerkraftsetzung unserer Vereinbarung von 1958 widerspruchslos hinzunehmen. So gewiß es nicht gleichgültig ist, ob eine christliche Wochenzeitung an den Kiosken angeboten wird, so gewiß hat bei einer Großkirche es auch einen gewissen Rang, daß sie ein durch Vereinbarung gesichertes Vorschlagsrecht für ein Sondermarkenmotiv hat. Ich habe eine neue Vereinbarung geschlossen. Es wird jährlich eine Marke für ein von uns vorgeschlagenes und eine Marke für ein von der katholischen Kirche vorgeschlagenes Motiv geben. Die Bundespost wird die bei ihr von 3. Stelle direkt eingehenden Anträge auf Ausgabe von Marken zu kirchlichen Anlässen im Oktober jeden Jahres uns zur Prüfung zuleiten mit der Bitte zu entscheiden, ob die Evangelische Kirche einen dieser Vorschläge als eigenen Antrag unterstützt oder einen anderen Anlaß gewürdigt wissen will. Dies kann 9 Vgl. den Bericht vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 12. 10 Zwischen 1970 und 1979 war keine Bildungskammer der EKD eingesetzt, da diese sich 1970 aufgrund interner Differenzen sowie Differenzen zwischen Kammermitgliedern und Rat aufgelöst hatte; vgl. Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend (online). 11 Vgl. Pöpping, Forschung, 244.

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entfallen, wenn wir schon vorher einen eigenen Vorschlag für eine Sondermarken-Ausgabe eingereicht haben. Die Marke für den Kirchen- bzw. den Katholikentag entfällt. Es ist aber dem Rat unbenommen, in dem Jahr, in dem ein Kirchentag stattfindet, den Vorschlag des Kirchentages als einen eigenen zu übernehmen. In den vergangenen Jahren hat die Auswahl eines Motivs oft zu Schwierigkeiten geführt. Man macht sich schwer eine Vorstellung davon, wieviele Philatelisten es in der ganzen Welt gibt. Unsere Vorschläge haben besonders lebhafte Kritik erfahren. Wir wollten zum Beispiel aus Anlaß der 125. Wiederkehr der Rede Wicherns in Wittenberg eine Marke herausbringen. Dafür hat das Diakonische Werk das Kronenkreuz als Motiv vorgeschlagen. Dies ist auf erbitterten Widerstand des Kunstbeirates der Bundespost gestoßen. Selbstredend kann sich der Minister über die Einrede des Kunstbeirates hinwegsetzen, er tut es aber nur ungerne. Wir können also die Durchsetzung unseres Vorschlages erzwingen, es fragt sich nur, ob dies weise ist. Denke ich an die gegenwärtigen Aufgaben der Diakonie, würde es mich beispielsweise überzeugen, eine Marke herauszubringen, die auf unsere Verantwortung für die Gastarbeiter hinweist. Ich sehe nur noch nicht, wie das Motiv auf der Marke aussehen könnte. 12 Unmittelbar vor den Beratungen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten über den Extremistenerlaß am 20.9. sollen 565 Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter aus Hessen bei dem Kanzler vorstellig geworden sein und den Erlaß als einen Verstoß „in seiner Konsequenz gegen elementare Menschenrechte“ und als „weder mit dem Buchstaben noch dem Geist des Grundgesetzes vereinbar“ bezeichnet haben. Wiewohl es sich um einen offenen Brief handeln soll, ist er mir nicht bekannt geworden. Ich weiß nicht, ob der Rat Vorstellungen und wenn ja: welche er bei der Regierung erheben will13.

12 Der folgende letzte Absatz wurde hsl. verfasst. 13 Vgl. die Berichte vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 13; vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 12; sowie die Dokumente 64 und 72.

311 61 Frankfurt/M., 7./8. Dezember 1973 EZA Berlin, 742/6, hsl., msl. Das die gesamte Politik z. Zt. beherrschende Thema ist die Energiekrise1. Beinahe das Schwierigste ist, daß es offenbar nirgendwo verläßliche Unterlagen gibt. Ständig widersprüchliche Aussagen der Regierung bis in die letzten Tage. Die andere Verlegenheit ist, daß niemand in der Lage ist, gesicherte Auskünfte über die wahren Absichten der Ölländer, über den Grad der Einigkeit der Araber und über die beabsichtigten Preiserhöhungen zu geben. Spüren kann man nur eine gewisse Nervosität in der ganzen Bevölkerung. Es wird breit gehamstert und zwar vor allem Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker und Öl. In einigen Großstädten gibt es diese Waren nur noch in einigen Geschäften. Nachweisbar gibt es auch Hortungen von Benzin und Öl in bemerkenswertem Umfang. Ich habe gesprochen nicht nur mit Regierungsstellen, sondern auch mit Vorstandsmitgliedern großer Banken, Mineralölgesellschaften und der chemischen Industrie. Keine Diagnose für die nächsten Monate möglich. Der Kanzler ist in diesen Tagen in die großen Werke wie Badische-Anilin2 und Saarbrücken gegangen. Auch daran kann man ablesen, wie ernst die Regierung die Lage beurteilt3. Von ziemlich großer Bedeutung war die Bundestagssitzung am 29.11.4 In ihr bekam die Öffentlichkeit die erste, der Bedeutung der Krise angemessene – und für sie voll verständliche – Vorwarnung. Spätestens seit August war der Regierung nach Aussage des Wirtschaftsministeriums bewußt, daß die Gefährdung der Mineralölversorgung nicht nur eine abstrakte Möglichkeit war. Aber erst Mitte November wurde ein interministerieller Ausschuß für „Rohstoff- und Energiefragen“ gebildet. Es sieht so aus, daß Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, Produktions- und Umsatzrückgänge ölabhängiger Unternehmen sich mehren und Stagflation, also Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Preisanstieg im Jahre 1974 die gesamtwirtschaftliche Lage bestimmen werden. Dabei muß man darauf hinweisen, daß man seit langer Zeit von den führenden 1 Im Folgenden berichtet Kunst über Reaktionen auf die von den arabischen Staaten erzeugte Ölpreiskrise, die im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg (6.–25. 10. 1973) nach dem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel stand; vgl. Link, Außen- und Deutschlandpolitik, 259 f.; und Wolfrum, Demokratie, 335–337. 2 Gemeint ist die Badische Anilin- & Soda-Fabrik „BASF“. 3 Bundeskanzler Brandt war Anfang Dezember 1973 unter dem Motto „Der Kanzler informiert sich bei den Bürgern“ durch Rheinlandpfalz und das Saarland gereist. In Ludwigshafen sprach er vor 20.000 Belegschaftsmitgliedern der BASF, in Saarbrücken sprach er vor der Belegschaft der Saarbergwerke AG. Ziel seiner Reden war es u. a., die Arbeiter auf die drohende Wirtschaftskrise einzustellen; vgl. Heye, Popularitätstest; und Brandt: Allgemeine Steuersenkung gegenwärtig nicht möglich. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 281 vom 5. 12. 1973, 2. 4 Vgl. die Erklärung der Bundesregierung zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik; Abdruck in: Plenarprotokolle (online), WP 7, 67. Sitzung, 3908B–3975 A.

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Männern der Wirtschaft hören konnte, das Jahr 1974 würde das schwerste nach der Währungsreform werden, dies, als von Energiekrise noch keine Rede war. Der Kanzler hat am 29.11. gesagt, es sei nicht unwahrscheinlich, daß die wirtschaftlichen Wachstumsraten 1974 statt der von den Sachverständigen vermuteten Plus 3 Punkte auf gegen Null sinken werden. Dann ist das ein in seinem Munde weittragender Satz, daß nicht jeder in dieser Lage seinen Arbeitsplatz behalten könne, aber es werde angestrebt werden, daß jeder einen Arbeitsplatz haben wird. 1932 wäre diese Ankündigung mit einer Welle der Dankbarkeit aufgenommen worden. Heute werden die Millionen von Arbeitern in der hochdotierten Chemie- und Autoproduktion dies nicht hinzunehmen gedenken. Auf die Bemerkung des Kanzlers, daß Lohnsteigerungen von 10 oder gar 15 % sich vernünftigerweise nicht darstellen ließen, haben die Gewerkschaften sofort mit heftiger Ablehnung reagiert. Mindestens sind die Gewerkschaften schwer verstimmt über die unzureichende Informationspolitik der Regierung. Den gleichen Tadel sprach für die Unternehmer Wolff von Amerongen aus. Der Vizepräsident der Bundesbank Emminger sagte in Fulda am 2.12., es wäre ein großer Irrtum, meinte man, man könne sich der nun bevorstehenden Minderung des Lebensstandards in der Bundesrepublik durch Erhöhung der Löhne und Gehälter entziehen. Der Vorstandsvorsitzende von Bayer-Leverkusen, unser Synodaler Prof. Hansen traf für die chemische Industrie die beklemmende Voraussage: 5 Jahre kann es uns dreckig gehen. Der Arbeitsminister Arendt hat verfügt, daß die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften außerhalb der EWG-Länder zu stoppen sei. Käme es zu einer Arbeitslosenquote von 2 %, wären die Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit bald verbraucht, [so] daß die Bundesrepublik mit Darlehen einspringen müßte. Ob die internationalen Ölkonzerne die Lage vernebeln, um ungerechtfertigte Sondergewinne zu erzielen, gibt es inzwischen eine weltweite Diskussion. Die von den Jusos verlangte Verstaatlichung der deutschen Ölkonzerne ist aus der Diskussion auf Grund der Bemerkung des Finanzministers verschwunden, daß durch Verstaatlichung nicht garantiert würde, daß die internationalen Muttergesellschaften dann ihre Töchter in unserem Lande noch hinreichend versorgten. Selbstredend ist die Bundesrepublik auf Ausweichmöglichkeiten bedacht. Dabei verspricht am meisten die begünstigte Kapitalbeteiligung im Iran. Auch die Kernenergie soll entwickelt und das Geschäft mit den Sowjets über Erdgas forciert werden. Dies alles kann freilich die Situation erst langfristig entspannen. Die Situation erzwingt also eine Besserung der deutsch-arabischen Beziehungen. Aber weder im Bundestag noch in der Presse ist die Kernfrage erörtert worden, ob es möglich wäre, durch eine deutsche Nahostpolitik, die mehr als bisher dem Standpunkt der Araber zuneigt und folglich die israelische Position kritisiert, eine bessere Belieferung zu erreichen. Die deutsche

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Öffentlichkeit wurde auch nicht darüber informiert, warum die EG-Mitglieder Frankreich und England vom Ölembargo alsbald ausgenommen wurden, die Bundesrepublik aber nicht. Es wurde auch nicht ausreichend bekannt, daß die arabischen Ölländer eine Kontrolle über die Nichtbelieferung von Holland durch die EG verlangten, als Brandt Pompidou zur Solidarität der EG gegenüber Holland zu überreden suchte. Der Kanzler hat zwar im Parlament gesagt: „mein dringlicher Appell an die Solidarität der Europäer ist nicht ohne ein positives Echo geblieben.“ Er sagte nicht, daß diese Solidarität sich lediglich auf die Zusammenarbeit bei der wissenschaftlichen Erforschung neuer Energiequellen beziehen sollte sowie auf die Bestandsaufnahme durch das neu zu gründende EG-Informationszentrum für Energiepolitik. Jedenfalls scheint der saudiarabische Außenminister am 2.12. in Bonn vor einer deutschen Initiative zugunsten Hollands in ernsten Worten gewarnt zu haben5. Mitte Dezember werden die arabischen Erdölminister in Bonn erwartet. Man rechnet damit, daß sie ihre in Paris abgegebene Erklärung wiederholen werden, „daß wir unter den Umständen einer EG-Solidaritätsreaktion für die Niederlande keinen Grund mehr hätten, Öl in jene Länder zu liefern, die gegenwärtig Öl erhalten“. (Am Rande will ich bemerken, daß man im Gespräch mit den Arabern vorsichtig mit der Vokabel Erpressung umgehen muß. Auch die Bundesrepublik hat gegenüber Rußland 15 Jahre eine Reihe von wirtschaftlichen Waffen angewandt, ich erinnere nur an das verbotene Röhrengeschäft)6. Es wird der deutschen Öffentlichkeit z. Zt. die Auffassung suggeriert, eine Besserung der deutsch-arabischen Beziehungen lasse sich einfach durch langfristige wirtschaftliche Kooperation erzielen. Dabei wird die deutsche Haltung zum Nahostkonflikt ausgeklammert. Sie ist aber der Kern. Fast alle arabischen Länder sind an der Durchführung langfristiger Projekte deutscharabischer Zusammenarbeit interessiert, auch Saudi-Arabien, aber erst nach Beilegung der Ölkrise und nach erfolgreichem Ablauf der Genfer Friedenskonferenz7. Diese soll nach arabischer Vorstellung den vollen Rückzug der Israelis aus allen besetzten Gebieten und die Anerkennung der Rechte der Palästinenser bringen. Dafür hat sich Bonn nicht so klar eingesetzt wie England und Frankreich. Wahrscheinlich wird dies die Bundesrepublik auch nicht tun, bevor sich Amerika ausgesprochen hat. Ich habe die wirtschaftliche Lage nicht nur so sorgfältig behandelt, weil sie das Thema des Bürgers nicht viel weniger als der Regierung ist. Ich möchte auf 5 Der saudi-arabische Außenminister hielt sich am 3. 12. 1973 zu einem Gespräch mit Bundesaußenminister Scheel in Bonn auf; vgl. AAPD 1973, Bd. II, 1428. 6 Vgl. den Bericht vom 11. 2. 1970 (Dok. 41), Anm. 2. 7 Gemeint ist Friedenskonferenz der UN für den Nahen Osten vom 21./22. 12. 1973 in Genf, die auf Initiative des amerikanischen Außenministers Henry Kissinger unter Beteiligung der USA, der Sowjetunion und den Außenministern von Ägypten, Jordanien und Israel stattfand. Die Konferenz sollte Verhandlungen über die Umsetzung der UN-Resolution 338 zur Beendigung des Jom-Kippur-Krieges einleiten; vgl. dazu Europa-Archiv 29 (1974), Z23–Z24; und Quandt, Peace, 138 141.

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diesem Hintergrund etwas zur Israelfrage sagen. Die Kammer für öffentliche Verantwortung hat sich ihr ausführlich gestellt. Sie hat einen israelischen Zionisten Dr. Bloch, der z. Zt. eine Gastdozentur an der Kirchlichen Hochschule in Berlin hat, empfangen. Er war von Bruder Scharf und einem Kreis Göttinger Professoren empfohlen. Auch Lohse hatte auf eine Stellungnahme der Göttinger Professoren aufmerksam gemacht. Ich fasse zusammen, wie sich mir die Diskussion darstellt8. 9 Die Isolierung Israels in der gesamten Weltöffentlichkeit hat eher zu- als abgenommen. Die innenpolitischen Spannungen im Land sind groß, können sich aber angesichts der Bedrohung des Staates von außen nicht entladen. Es wird damit gerechnet, daß die bevorstehenden Wahlen einen Rechtsruck bringen. Dies wird die Situation der Regierung zusätzlich erschweren. Minister Eppler konnte an der letzten Kammertagung nicht teilnehmen, weil er von seiner großen Reise nach Indien und Ägypten eben zurückgekehrt war. Er war aber an einem Abend unter uns und berichtete über seine Eindrücke. Er hat die Überzeugung aus dem Gespräch mit seinen ägyptischen Gesprächspartnern mitgebracht, daß sie auf eine Friedenslösung mit Israel zugehen wollen. Fraglich ist es, wie es mit der Erfüllung der Vorbedingung ausgehen wird, daß Israel seine Truppen auf den Standort vom 22. Oktober zurückziehen soll10. Die Einrede von Frau Meir, daß sich diese Grenzen nicht mehr feststellen ließen, wird allgemein nur als eine Ausrede angesehen. Es ist also noch nicht vollständig sicher, ob es zu der geplanten Friedenskonferenz am 18. Dezember in Genf kommen wird11. Dr. Bloch hat uns gesagt, die Zionisten hätten sich nie täuschen lassen über den Vernichtungswillen der Araber. Israel ist den Arabern, die jahrhundertelang Palästina innegehabt haben, aufgezwungen worden. Die Araber mußten Israel als in jeder Hinsicht fremd empfinden. Israel wollte von seinem Gründungsprinzip kein Staat wie alle anderen Staaten im Nahen Osten sein. Es beanspruchte Raum für das Heimatrecht der Judenschaft der Welt. Es unterhielt nach dem Westen spezifische Beziehungen und verstand sich als Heimat für die gesamte Diaspora der Juden, also etwa auch für die 2 Millionen Juden in Rußland. Der Haß der Araber von Anfang an blieb frisch durch die Schmach 8 Die Kammer für öffentliche Verantwortung hatte auf ihrer Sitzung am 23./24. 11. 1973 über aktuelle Fragen zum Nahost-Konflikt gesprochen. Anlass war der Besuch des Dozenten für jüdische Religionsphilosophie und christliche Theologie an der Ben-Gurion-Universität Be‘er Sheva Jochanan Bloch; vgl. das Protokoll der Kammersitzung vom 23./24. 11. 1973 (EZA Berlin, 2/8554). 9 Ab hier msl. Text. 10 Am 22. 10. 1973 hatte die UN in ihrer Resolution 338 Israel, Ägypten und Syrien zum Waffenstillstand und zum Ende des Jom-Kippur-Krieges aufgerufen und dabei auch die Rückgabe der von Israel im Sechstagekrieg eroberten Gebiete gefordert. Der Waffenstillstand erfolgte, da Israel zu diesem Zeitpunkt die angreifenden Staaten Syrien und Ägypten bereits zurückgeschlagen hatte. Wortlaut der UN-Resolution 338 in: Europa-Archiv 29 (1974), D313; vgl. auch AAPD 1973, Bd. III, 1634. 11 Gemeint ist die Genfer Nahostkonferenz vom 21./22. 12. 1973; vgl. Anm. 7 in diesem Bericht.

Frankfurt/M., 7./8. Dezember 1973

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einer Reihe von militärischen Niederlagen. Dr. Bloch sagte, das Neue bestünde ausschließlich darin, daß die Araber die Vernichtung Israels auf Raten wollten. Abgesehen davon könnte Israel unter keinen Umständen darauf verzichten, daß das Einwanderungsrecht nicht eingeschränkt wird. Israel brauche die 1967 eroberten Gebiete nicht nur aus militärischen, sicherheitspolitischen Gründen, sondern auch als Siedlungsraum für die Einwanderer. Abgesehen davon sei eine Kardinalforderung der Araber, daß „Israel sich in seiner Umgebung eingliedert und ein12 normaler Bestandteil des Vorderen Orients zu sein habe.“ Dies bedeute, daß zwar nicht das Ende des Staates Israel verlangt würde, wohl aber das Ende des zionistischen Charakters dieses Staates. Es würde also keine nennenswerten Einwanderungen mehr geben, die bisherigen Verhältnisse zur jüdischen Diaspora müßten aufhören. Israel würde eine religiöse Minderheit wie etwa die Kurden sein. Für die Zionisten steht in Genf nicht zur Diskussion, ob sie in ihren bisherigen Grenzen von 1967 von ihren Nachbarn anerkannt leben können, sondern Charakter und Zukunft dieses Staates Israel überhaupt. Dr. Bloch meinte, bleibe es bei der bisherigen Einstellung der Weltöffentlichkeit, sei ein neuer Krieg unerläßlich notwendig. Von einem durch Amerika und Sowjetrußland garantierten Friedensschluß versprach er sich keine Lösung. Es sei am Tage, was man von den Zusagen der Großmächte halten könne. Aus jüngster Zeit erinnerte er nur an die Art und Weise, wie Amerika Nationalchina von heute auf morgen habe fallen lassen. Käme es noch einmal zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Israel und den Arabern, würde dies selbstverständlich ein Vernichtungskrieg werden. Niemand könne ausschließen, daß durch das Engagement der beiden Weltmächte aus diesem Konflikt ein 3. Weltkrieg würde. 13 Die Frage von Dr. Bloch war, ob der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland oder mindestens einige profilierte Figuren unserer Kirche bereit seien, öffentlich eine Position für Israel zu beziehen. Er meinte, die gesamten christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaften drückten sich an dem eigentlichen politischen Kern vorbei, wenn sie meinten, dies sei die Stunde für humanitäre Aktionen in Israel und in den arabischen Staaten. Ihm schwebt vor, daß sich eine repräsentative Konferenz in Deutschland zusammenfindet, die Einfluß zu nehmen versucht auf die Politik der Bundesregierung. Offiziell verhält sich die Bundesregierung neutral. Der Kanzler hat aber ausgesprochen, daß Herz und Gewissen nicht neutral sein könnten. Kühn ist alsbald nach Israel geflogen. Er und auch Wehner, auch noch einige andere Leute in der SPD hatten den Eindruck aufkommen lassen, die EG-Entschließung würde von ihnen nicht ernstlich unterstützt14. Aber sie haben diesen 12 An dieser Stelle findet sich ein hsl. Randkommentar mit den Worten „Dr. Spiegels Andeutung“. 13 Es folgt eine hsl. Randanstreichung mit der Bemerkung „Vorschlag einer Erklärung“. 14 Am 6. 11. 1973 beschlossen die Außenminister der neun EG-Mitgliedstaaten eine Erklärung zum Nahost-Konflikt, die weithin als pro-arabisch gedeutet wurde. Darin wurde Israel aufgefordert, die territoriale Besetzung der arabischen Gebiete zu beenden und die legitimen Rechte der Palästinenser zu berücksichtigen; Abdruck in: AAPD 1973, Bd. III, 1777 f.; und Europa-Archiv

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Eindruck nicht durchhalten können angesichts der Folgen des Ölboykotts. Nach dem, was ich im ersten Teil meiner Ausführungen gesagt habe, kann ich nicht glauben, daß die Bundesregierung von dem, was sie unter neutral versteht, herunter gehen wird. Möglicherweise wird sie eher unter arabischen Pressionen noch etwas mehr nachgeben müssen. Die Kammer war der Meinung, der Rat möchte mindestens in das Kommuniqu dieser Sitzung eine Stellungnahme aufnehmen15. Man könnte seine Genugtuung über den ersten Schritt, nämlich die Rückgabe der Kriegsgefangenen Ausdruck geben. Das Kernstück der Aussage sollte die Betonung der Existenznotwendigkeit und der Existenzbedingung Israels ohne Wenn und Aber sein. Existenzbedingung würde im Klartext heißen, daß der UNO-Beschluß von 1967 nur die Ausgangsposition für die Verhandlungen in Genf sein würde. Eine spezielle Schwierigkeit wird sich freilich für den Rat dadurch ergeben, daß er auch sich der uns in der Ökumene verbundenen Kirchen in Palästina erinnern muß. Sie haben sich in der Vergangenheit mehrfach dadurch beschwert gefühlt, in welcher Weise wir uns für Israel exponiert haben. Weniger bedrängen brauchte uns, daß wir eine von der Bundesregierung abweichende Stellung einnehmen. In der gegenwärtigen Situation können wir, halten wir es für zwingend, mehr sagen als die Regierung. Jedenfalls scheinen mir die beiden in der Kammer genannten Vokabeln den politischen Kern der Frage zutreffend anzusprechen.

29 (1974), D29 f.; vgl. dazu „Wir dürfen uns nicht knieweich zeigen“. In: Der Spiegel 27 (1973), Nr. 46 vom 12. 11. 1973, 25–28. 15 Vgl. Kommuniqu über die Sitzung des Rates der EKD am 7./8. 12.1973 (Auszug); Abdruck in: KJ 100 (1973), 109.

317 62 Berlin, 10./11. Mai 1974 EZA Berlin, 742/7, hsl., msl. Brandt hat nach der Enttarnung von Guillaume gesagt, es gäbe Situationen, in denen einem nichts erspart bliebe1. Im Blick auf die Gesamtlage wird man mindestens sagen müssen, daß es z. Zt. in erregender Fülle nicht allgemein, sondern in uns unmittelbar angehenden Ländern schwer abzuschätzende Unsicherheiten gibt. Der italienische Schatzkanzler Colombo, der außerordentliches internationales Ansehen in seinem Fach genießt, hat die Maßnahmen seiner Regierung zur Errichtung einer neuen Zollmauer mit einem wirtschaftlichen Offenbarungseid in Brüssel erläutert. Der Schritt Italiens hat in Dänemark alsbald Schule gemacht. Die Kenner in Brüssel sagen mir, ein wirtschaftlicher Offenbarungseid sei auch durch Frankreich und England fällig. Beide Regierungen aber könnten sich dies im Augenblick noch nicht leisten, es käme aber auf die EG zu. Sehen wir von der Summe der Minderheitsregierungen und ihren Schwächen ab, haben wir am 19.5. in Frankreich eine Wahl von weittragender Bedeutung vor uns. Sie könnte eine erhebliche Änderung der gesamten Sicherheitspolitik Europas zur Folge haben. Würde das schmale Handtuch der Bundesrepublik eines verbündeten Hinterlandes entbehren müssen, würde es noch nicht eine Einladung des Ostens zur militärischen Intervention werden, aber sicher würde es wohl sorgfältiger auf die politischen Wünsche des Ostens, vor allem Rußlands achten müssen. Die besorgniserregende Situation in der EG habe ich schon in der letzten Ratstagung beschrieben. Sie hat sich seither eher verschlechtert als verbessert. Portugal, das der westlichen Welt aus sicherheitspolitischen Gründen immer besonders interessant war und zwar nicht nur wegen der Lage des Mutterlandes, sondern noch mehr wegen der Seewege Westafrikas entlang, hat eine weite Zustimmung bei der Veränderung seines Regimes erfahren. Es ist sehr ungewiß, ob nach mehr als 40 Jahren Diktatur ausreichend geübte Kräfte für den Aufbau einer Demokratie zur Verfügung stehen, oder ob nicht bald die Junta die Zügel erneut anziehen muß. Über Griechenland ist besonders zu sprechen. Der Nahe Osten wird ziemlich sicher ein Sorgenkind bleiben, was für uns nicht nur wegen des Öles ungut ist. So wenig Moskau an einem neuen Aufflammen des Krieges liegen kann, würde ein wirklicher Friede auch mit Syrien eine unmittelbare Einbuße an Einfluß Rußlands im Nahen Osten bedeuten. Ich übergehe die sich immer mehr zuspitzende wirtschaftliche Notlage Indiens, auch die Frage, wie lange das Regime der alten Männer in China noch halten mag, – wesentlicher ist die innere Lage Amerikas, also nicht nur 1 Willy Brandt trat am Abend des 6. 5. 1974 als Bundeskanzler zurück. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Günter Guillaume, der Referent Brandts im Kanzleramt, ein vom MfS eingeschleuster Agent der DDR war; vgl. dazu Jäger, Innenpolitik, 117–126.

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der größten Weltmacht, sondern unseres mit weitem Abstand bedeutendsten Verbündeten. Es muß Rückwirkungen auf die Weltpolitik u n d auch auf uns haben, wenn es nicht zu den geplanten Begegnungen zwischen Nixon und Breschnew im Juni-Juli kommt, wenn dann etwa die SALT II Verhandlungen in Wien gänzlich versanden und mit ihnen die internationale Abrüstungspolitik. Rußland könnte auch nicht ohne Reaktion ein Scheitern der Genfer Konferenz für Sicherheit und Frieden hinnehmen. Dabei ist seit Monaten die Lage so, daß nur eine energische Unterstützung der russischen Vorstellungen durch die Bundesrepublik in Genf einen wirklichen Wandel der Verhandlungen bewirken könnte. Die Bundesrepublik könnte dies nur, wenn sie dem, was sie immer als das Entscheidende an der Entspannungspolitik bezeichnet hat, nämlich die Neuregelung der Humana im Korb 3 praktisch eine Absage erteilte2. Man beurteilt die Abdankung des Kanzlers nur provinziell, sieht man sie nicht auf diesem internationalen Hintergrund. Man mag noch so kühl über die Eile und die Methoden, mit denen 1970–71 die Ostverhandlungen betrieben wurden, urteilen, unbestreitbar ist, daß ohne diesen Beitrag der Bundesrepublik die Weltpolitik der letzten Jahre nicht möglich gewesen wäre. Diesen Aspekt verdeutlicht man sich am besten an den Planungen für die terminlich aufeinander abgestimmten Verhandlungen: Brandt – Breschnew im Juni und anschließend Nixon – Breschnew. Brandt wollte die Berlinregelungen einhandeln, die ein neues Tempo für die Ostpolitik bringen sollten. Ich sage nichts gegen die ungewöhnlichen politischen Talente von Helmut Schmidt, wenn ich die Frage aufwerfe, ob er bei Breschnew das Gleiche wie Brandt durchzusetzen vermag. Möglich ist es selbstredend, in der Politik geht es um Interessen und nicht um Feuilleton. Der Rücktritt Brandts ist national und international, in der gesamten Presse und in den Massenmedien so ausführlich durchleuchtet und verhandelt worden, daß ich mir ersparen kann, die aufgeworfenen Fragen und Standpunkte zu referieren. Ich will nur einige Bemerkungen machen, um das Koordinatensystem zu beleuchten, in dem ich den Vorgang sehe. Ohne Zweifel haben für den Entschluß Brandts auch noch andere Gründe eine Rolle gespielt als die Enttarnung eines Spions in seiner unmittelbaren Nähe. Das vergangene Jahr hat dem Kanzler schwere Rückschläge gebracht. Die Angriffe Herbert Wehners in Moskau haben ihn schwer getroffen3. Das Gleiche gilt von der 2 Gemeint sind die noch laufenden Verhandlungen der KSZE-Konferenz; vgl. die Berichte vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 5 und 7; und vom 28. 9. 1973 (Dok. 60), Anm. 4. Der sogenannte Korb 3, in dem sich die Teilnehmerstaaten zur Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichteten, galt in Bezug auf den Ostblock als problematisch, da sich die Sowjetunion ihre eigene Interpretation der Menschenrechte vorbehielt und sich nach Unterzeichnung der Helsinki-Akte nicht um die Einhaltung der individuellen Menschenrechte innerhalb ihres Einflussbereiches kümmerte; vgl. Kershaw, Achterbahn, 434. 3 Der SPD-Fraktionsführer Herbert Wehner hatte auf einer Moskaureise im September 1973 Willy Brandt die Qualifikation als Bundeskanzler und Parteichef abgesprochen; vgl. dazu „Was der Regierung fehlt, ist ein Kopf“. In: Der Spiegel 27 (1973) vom 8. 10. 1973, Nr. 41, 25–34.

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Nichtachtung Klunckers bei den ÖTV-Tarifverhandlungen, nachdem der Kanzler etwas Ungewöhnliches getan hatte, nämlich sich gegenüber den Gewerkschaften 2 x präzis öffentlich zu äußern4. Der Verlust seines Ansehens bei der Publikumsbefragung von 53 % auf 33 % in wenigen Monaten signalisierte eine geschwächte Position mindestens im Inland. Die 5 letzten Landes- und Kommunalwahlen bewiesen das Tief, in dem sich der Kanzler mit seiner Partei z. Zt. befindet. Dazu hat die innerparteiliche Diskussion und sogar hier und da Zerrissenheit erheblich beigetragen. H. Schmidt hat gesprochen von der Verunsicherung der SPD-Wähler. Er wisse nicht mehr, wen und was er wähle, wenn er SPD wähle. Dies geht nicht nur auf das Konto der Jusos. Als der Parteivorsitzende in Übereinstimmung mit seinem Vorstand und Präsidium die bekannten Richtlinien herausgab, dauerte es keine Woche, bis ihnen in aller Offenheit ein solch mächtiger Regionalverband wie der in Südhessen widersprach, und er blieb damit nicht allein. Schwer begreiflich nach den ersten Wahlniederlagen waren auch die Auseinandersetzungen zwischen Partei und Jusos in Nordrhein-Westfalen, die schließlich nur durch ein Machtwort des Regierungspräsidenten Bäumer vertagt werden konnten. Ob die Opposition ihr Konto im politischen Streit überzogen hat, ist eine Sonderfrage. Auf keinen Fall aber stimmt die Behauptung von Frau Wieczorek-Zeul von Dienstag Abend, daß die Hetzkampagne des Kapitalismus den Kanzler zur Strecke gebracht habe. Man braucht die Dinge nicht aus einer gewissen Nähe miterlebt zu haben, um die These abzulehnen, hier habe sich die Geschichte von Siegfried und Hagen Tronje5 wiederholt. Dies alles war gewiß nicht angenehm, aber auch in der Kumulierung nicht von einem Rang, daß ein Regierungschef damit nicht fertig werden müßte und könnte6. Politisch wirklich wichtig war für mein Urteil etwas anderes. Selbstredend empfindet Brandt seine von ihm verantwortete Ostpolitik als seine herausragende geschichtliche Leistung für dieses Land. Die Einrede der Opposition bezog sich am wenigsten auf den Warschauer Vertrag. Um so heftiger waren die Fragen nicht nur nach der gebotenen Ruhe und Zähigkeit bei den Moskauer und Ostberliner Verhandlungen, sondern auch nach der Effizienz der Verträge für eine Politik, die man mit Recht eine Entspannungspolitik nennen kann. Die DDR hat in den letzten Monaten alles ihr Mögliche getan, diese Frage nach der Effizienz als nur zu berechtigt zu beantworten. Es kam die Erhöhung bzw. Verdopplung der Kosten für den Grenzübertritt. Es kamen die Störungen auf den Zufahrtswegen nach Berlin. Es gab die Diskussion über die 4 Die Gewerkschaft ÖTV hatte unter ihrem Vorsitzenden Heinz Kluncker mit einem dreitägigen Streik im Februar 1974 eine 11-prozentige Tariferhöhung erstritten, was die Bundesregierung für überzogen hielt. Laut „Spiegel“ hatte dies bei Brandt zu Rücktrittsüberlegungen geführt; vgl. Willy Brandt: „Ihr laßt mich alle allein“. In: Der Spiegel 28 (1974), Nr. 8 vom 18. 2. 1974, 19–23. 5 Hier handelt es sich um Figuren aus der Nibelungensage. 6 Zu weiteren Gründen für den Rücktritt Brandts vom Amt des Bundeskanzlers vgl. Faulenbach, Jahrzehnt, 398–409.

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Auslegung der Bestimmungen über Berlin. An den spektakulären Absagen bei den Verhandlungen Bonns mit Prag wurde der Druck der DDR von den Tschechen nicht einmal dementiert. Schikanen mancherlei Art kamen hinzu. Die Erfolge, etwa die Einbeziehung Berlins in die Abmachungen über den Sport konnten nicht als ein bemerkenswerter Ausgleich angesehen werden. Ständig hatte der Kanzler gesagt, es gälte die Verträge mit Leben zu erfüllen. Erst dadurch würden die Verträge ihre Berechtigung erweisen. Die DDR hat, aus begreiflichen Gründen, gerade dies, die Verträge mit Leben zu erfüllen, nicht nur verhindert, sie hat auch in anderen Ostblockländern, vor allem in Polen, alles ihr Mögliche getan, die sich anbahnenden Regelungen zu stören und zu verhindern. Der Kanzler hat dies sicher nicht als ein Scheitern seiner bisherigen Ostpolitik angesehen, aber sie waren ihm gewiß eine herbe Enttäuschung. Daß der Bundespräsident mit seiner Äußerung über die anhaltende Gefährdung Westberlins nicht nur recht hat, sondern er dies jetzt schon, so kurz nach den Verträgen meinte sagen zu müssen, signalisiert nur zusätzlich, welcher Belastung sich der Kanzler ausgesetzt sah. War dies alles so, daß die Sache Guillaume nur der Tropfen war, der das Faß zum Überlaufen brachte? Mir scheint zunächst sicher, der Fall Guillaume ist nicht der einzige Grund, der den Rücktritt des Kanzlers bewirkte. Ich denke, H. Vetter täuscht sich, wenn er die Meinung vertrat, Brandt habe sich nach den politischen Spielregeln Englands verhalten. Selbstredend tritt der Kanzler der 2. stärksten Wirtschaftsmacht der Welt nicht wegen eines auch über das Übliche hinausgehenden Spionagefalles zurück. Aber reichen die genannten Gründe einschließlich Guillaume als Erklärung aus? Ich kann dies politisch nur auf das bestimmteste verneinen. Sehe ich recht, gibt es 3 Erklärungsmöglichkeiten. 1. Brandt ist von anderer psychischer Verfassung als Nixon. Auch ein bedeutender und nüchterner Mann kann in Situationen geraten, in denen er grau mit schwarz verwechselt, oder er befürchtet, die Kräfte könnten nicht mehr reichen. Brandt hat eine dünne Haut, ist sogar in wachsendem Maße einsamer und empfindlicher geworden. Seine Erkrankung 1972–1973 hat er sicher auch nicht nur als Episode empfunden. Auf keinen Fall kann man diese Erklärung von der Hand weisen. Sie hat sogar ziemlich viel für sich. 2. Die Presse behauptet teilweise: Brandt wisse, daß er jetzt erpreßbar geworden sei. So etwas ist auf zwei Ebenen möglich: a im privaten, b im dienstlichen, zu a wird der Rat sich sicher nicht äußern wollen. Weil ein ziemlich großer Teil der führenden Politiker einen auch durch die Zeitverhältnisse erzwungenen nicht normalen, gut bürgerlichen, modernen Lebensweg hinter sich hat, Scheidungen und andere Dinge erlebt hat, bieten sie gelegentlich breite Angriffsflächen. Das Musterbeispiel ist H. Wehner auch ohne eine Scheidung7. Dies schließe ich bei Brandt aus, auch in Kenntnis der 7 An dieser Stelle findet sich folgende hsl. Randanmerkung: „Der Vorhalt: Abfindung einer Freundin aus unbekannten Geldquellen. Nicht nur Noblesse, äußerste Zurückhaltung. Rolle des BND noch nicht durchschaubar.“

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ihm im Blick auf seine Verhaltensweisen bis 1950 gelegentlich gemachten Vorhalte. Das sind Dinge, deren Diskussion er weder im Inland noch im Osten zu fürchten hätte. b. hat Guillaume Kenntnisse aus dem dienstlichen Bereich, die auszupacken für Brandt gefährlich wären? Dies scheu ich mich zu beurteilen. Zweifelsfrei hat Guillaume mehr gewußt als bisher amtlich zugegeben worden ist. Das Kanzleramt ist kein Koloß wie das Auswärtige Amt oder das Verteidigungsministerium. Man ist sich in ihm näher. Hat man zueinander Vertrauen, erfährt man immer sehr viel mehr als die Geheimnisstufe, in der man sich befindet, erlaubt. Verschwiegenheit ist eher eine weibliche als eine männliche Tugend. Geschwätzigkeit und Wichtigtuerei sind die Eitelkeit der Männer. Der Kanzler hat vorgestern Abend zu dieser Sache eine Erklärung abgegeben, in der er sagt, bei seinem Rücktritt sei mitentscheidend gewesen, daß er sich für die auf unser Verhältnis zur DDR und zum Warschauer Pakt bezüglichen Teile unserer Politik zeitweilig nicht mehr unbefangen genug gefühlt habe8. Dieser Satz ist wohl der politisch wichtigste Teil seiner Erklärung. Er weiß, daß ein erheblicher Teil der Erwartungen im Ostblock unmittelbar und sogar wesenhaft mit seiner Person verknüpft sind. Werden also Erwartungen im Osten, vor allem in Rußland, in Zukunft enttäuscht werden, müssen sich die Ostblockstaaten bei jenem Verbündeten bedanken, der ihm die Unbefangenheit genommen hat. Aber dieser Satz kann auch heißen, daß man Brandts Privatleben durchforschte, um ihn unter Vorhalt schwieriger Dinge politisch unter politische Pressionen zu bringen. Die neueste Information aus Pullach ist, daß die DDR die Enttarnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt betrieben habe. Ich komme gleich noch einmal auf diesen Aspekt im anderen Zusammenhang zurück. 3. Die DDR hat systematisch den Sturz Brandts betrieben. Dagegen spricht zunächst, daß die Regierung der DDR vor der Wahl 1972 nicht nur diskret, sondern offen durch Reiseerlaubnisse usw. Brandt gestützt hat. Dagegen spricht auch die Rücksichtnahme auf Moskau. Ich habe Anlaß zu glauben, daß Moskau über die Spionagegeschichte und ihren Ausgang alles andere als glücklich ist. Sie kann darin nur, ich sage nur eine Störung ihrer Politik sehen. Auch Breschnew braucht Erfolge. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß es in der DDR mindestens im 2. und 3. Glied zu personellen Veränderungen kommt. Dies schließt nicht aus, daß es in [der] DDR auch einflußreiche Leute gibt, die allein schon wegen der Ausstrahlungskraft Brandts für die Bevölkerung der DDR jetzt keine Träne vergießen. Bei solcher Beurteilung des Vorgangs kann es Sie nicht wundern, daß ich 8 Gemeint ist Brandts Erklärung zu seinem Rücktritt als Bundeskanzler in einer Rundfunkansprache vom 8. 5. 1974. Ausschnitte in: Erklärung von Willy Brandt zu seinem Rücktritt als Bundeskanzler (online).

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ohne Glücksempfinden die öffentliche Behandlung der Angelegenheit in unserem Lande empfinde, so selbstverständlich sie wahrscheinlich in einer Demokratie ist. Ich will aber an das besonnene Wort des Generalbundesanwaltes erinnern. Er hat empfohlen, den Gang der Ermittlungen abzuwarten. Gestanden hat Guillaume nach meiner Information bisher nur Angaben zu seiner Person. Er sei Offizier der NVA. Bleibt er bei seiner Taktik der Verteidigung, liegt die Beweislast im Gerichtsverfahren bei der Staatanwaltschaft. Man wird abwarten müssen, was dabei konkret herauskommt. Bis jetzt ist nach m. K. nicht einmal ein Funkgerät sichergestellt worden. Vor Gericht sehen nicht selten die Dinge anders als in den Erörterungen und Spekulationen der Presse aus. Vollständig abwegig und emotional ist die Verschwörung darauf, auf keinen Fall wird Guillaume ausgetauscht. Er muß seine Strafe voll verbüßen. Zunächst muß man daran erinnern, daß Spionage nicht nur von der DDR bei uns passiert, sondern selbstredend auch umgekehrt von uns. Wieviel Millionen wir dafür ausgeben, kann man im Bundesetat wenigstens teilweise nachlesen. Es ist keine Ziffer für das Protokoll, aber für das Urteil des Rates ist es doch wichtig zu erfahren, daß wir in den letzten 10 Jahren mehr als 12.000 politische Häftlinge, einschließlich Familienangehöriger dieser Häftlinge mehr als 20.000 Personen bekamen. Selbstredend waren diese Leute nicht alle Agenten des BND. Aber es waren nun auch nicht 20 oder 50 aus unserem Spionagedienst, von denen eine große Anzahl zu hohen Zuchthausstrafen, lebenslänglich und mehrere zum Tode verurteilt waren. Immerhin gehörte zu ihnen auch eine Sekretärin aus dem Vorzimmer des Ministerpräsidenten Grotewohl. Selbstredend wird die DDR jetzt diese unsere Agenten so gut wie ausnahmslos horten. Stellt sich heraus, daß es keinen Austausch mehr gibt, wird unser BND sehr schnell Nachwuchssorgen haben. Noch eine Bemerkung möchte ich in diesem Zusammenhang machen. Guillaume ist nun wirklich nicht die einzige herausragende Figur unter den Spionen, die bei uns tätig waren. Ich will nicht nur an die Bundestagsabgeordneten erinnern, sondern etwa an einen Mann wie Felfe, der im Kanzleramt als Beamter saß und im Referat des BND, der ja dem Kanzleramt unmittelbar untersteht, arbeitete. Auch die Forderung nach dem Rücktritt von H. Ehmke konnte nicht gut überzeugend gestellt werden ohne gleichzeitige Anfrage an das Innenministerium, dem der Verfassungsschutz untersteht. Für uns ist die Schuldfrage in dieser Sache kaum relevant, aber man muß doch daran erinnern, daß es vorgekommen ist, daß der Präsident des Verfassungsschutzamtes John mit vielen Akten plötzlich [im] Osten war. Ob nun entführt oder nicht, in jedem Fall ist er nach meiner Erinnerung öffentlich im DDR-Fernsehen aufgetreten. Auch wenn er wirklich entführt wurde, muß man die Frage stellen dürfen, ob der Verfassungsschutz jene Sorgfalt hat walten lassen, die solch spektakulären Vorgang ausschloß9. 9 Zum Fall Otto John vgl. Goschler / Wala, Gestapo, 141–160; und den Bericht vom 1. 10. 1954 (Dok. 5), Anm. 8 und 10.

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Bei der 1. Verlautbarung über den Rücktritt Brandts mußte man den Eindruck haben, daß es sich um einen einsamen Entschluß gehandelt habe. Selbstverständlich hat er ihn ausführlich mit seinen Ratgebern erörtert. Schon der Spiegel vom 6.5., also des Tages des Rücktritts ventilierte die Frage, ob nicht Brandt gehen müsse10. Ich kann über diese Sache nicht mehr sagen, als in den Zeitungen stand. Aber es müßte sehr seltsam sein, wenn ein politisch so begabter und nüchterner Kopf wie H. Wehner nicht auch geprüft hätte, ob ein Wechsel von Brandt zu Schmidt in diesem Augenblick nicht neue, reelle Chancen für 1976 eröffnet. Es nimmt einem Mann nichts von seinem Anspruch auf hohen Respekt und mindert auch nicht seinen geschichtlichen Rang, wenn eine Situation eintritt, die ein anderer wahrscheinlich besser meistert. […] 11 Vor drei Wochen war Mohamad Tawfik Oweida, Secretary General, Supreme Council for Islamic Affairs, Kairo, einige Tage in Bonn. Er ist sozusagen der Potter des Islams. Er wurde von der ägyptischen Botschaft und dem Auswärtigen Amt betreut. Er hat Kardinal Höffner und mir einen längeren Besuch gemacht. Er sagte, er reise durch die Welt, sei auch in Amerika und Kanada gewesen und suche Verbindung mit allen Religionsgemeinschaften. So unterschiedlich unsere Glaubensauffassungen seien, seien wir doch alle einig in dem Glauben an Gott. Die wirkliche Gefährdung der Welt käme vom Atheismus. Angesichts dieser Bedrohung müßten alle Gottgläubigen zusammenstehen. Es müßten nicht nur die gegenseitigen Verfolgungen aufhören, auch in den Regierungen müsse der Widerstand gegen den Atheisten mobilisiert werden. In den islamischen Staaten sei dies allgemeine Überzeugung. Der Islam sei in diesen Ländern nicht das Gegenüber oder der Partner zu den Regierungen, profilierte Vertreter des Islam säßen in den Regierungen. Auf meine Frage, wie ich die umfassende politische Zusammenarbeit zwischen islamischen Staaten und Rußland verstehen solle, sagte er, Ägypten habe beispielhaft und ausreichend der Welt klargemacht, daß es gute politische Beziehungen zu allen Staaten in der Welt unterhalten möchte. Die islamischen Staaten hätten Moskau nie einen Zweifel darüber gelassen, daß sie kommunistische, also atheistische Parteien in ihrem Land nicht erlauben würden. Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die Verhältnisse in Europa auch gegenüber Rußland anders lägen als in den islamischen Staaten. Dies schlösse nicht aus, daß auch die gegenwärtige Regierung der Bundesrepublik nicht uninteressiert etwa an den Bedrängnissen der Christen in Rußland sei. Bei klarer Scheidung vom Atheismus suchten wir dennoch Wege, einen Beitrag für die Entspannung mit dem Ziel eines umfassenden Friedens zu leisten. Er schien dies zu verstehen, meinte aber, daß alle Gottgläubigen militanter als 10 Vgl. Affäre Guillaume: Suche nach dem Schuldigen. In: Der Spiegel 28 (1974) Nr. 19 vom 6. 5. 1974, 17–31. 11 Die folgenden Abschnitte bis zum Ende des Berichts wurden msl. verfasst.

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bisher dem Atheismus widerstehen müßten, von ihm käme eben die eigentliche Bedrohung der Welt. Ich habe ihm gesagt, die unmittelbare Zuständigkeit für Gespräche mit anderen Religionsgemeinschaften läge bei uns beim Kirchlichen Außenamt. Wir würden aber von dort kaum tätig werden, es sei denn über den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Er sprach eine Einladung nach Ägypten aus und bat, das oberste Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland von seinem Besuch zu verständigen.

325 63 Berlin, 4./5. Juli 1974 EZA Berlin, 742/7, hsl. Innenpolitik. Wir neigen dazu, dem Amt des Bundespräsidenten nur eine im wesentlichen repräsentative Rolle zuzutrauen, wobei sich viele verbergen, daß Repräsentation mindestens eine Reihe von mittelbaren und unmittelbaren Wirkungsmöglichkeiten hat. Erst in den letzten Monaten ist deutlich geworden, was durch die geistig belangvolle, zähe und bescheidene Arbeit von G. Heinemann bewirkt worden ist. Bei seiner Verbundenheit mit uns durch ein halbes Jahrhundert konnten wir nicht nur in der Distanz darauf achten, welche Gestalt ein evangelischer Christ in der Politik dem Glauben an Jesus Christus geben würde. Man mußte sich freuen, wieviel Zuneigung bei den Abschiedsbesuchen der letzten Wochen spontan offenbar wurde. Ich weiß nicht, ob Sie die 4 Reden am 1. 7. bei der Amtsübergabe gehört oder genau gelesen haben1. Es kann kein Zweifel sein, daß die Rede von G. Heinemann im Rang an der 1. Stelle stand. Der neue Präsident Scheel nannte die Kirche mit einer gewissen Beiläufigkeit, als er sich zur Frage der Toleranz äußerte. Ich kann noch nicht sagen, in welcher Weise und in welchem Umfang er sich die Begegnung mit den Kirchen denkt. Er selbst ist Glied unserer Kirche, seine 2. Frau und auch die Kinder aus dieser Ehe sind katholisch. Sein Staatssekretär Frank ist nach dem Kriege konvertiert und katholisch geworden, was freilich eine nahe und vertrauensvolle Kooperation mit ihm nie ausgeschlossen hat. Ich sollte zu G. Heinemann noch sagen, daß ihn 2 Dinge, die ihm nicht gerieten, bekümmert haben: es ist ihm nicht gelungen, ein offenes, unbefangenes Verhältnis zur CDU und auch nicht zur katholischen Kirche zu bekommen. Gegen Ende seiner Amtstätigkeit ist es mit der CDU besser geworden, mit der katholischen Kirche durch seine Unterschrift unter das Gesetz über die Fristenregelung schlechter. Bei der Amtsübergabe am 1.7. hat sich die katholische Kirche nicht einmal durch einen Prälaten vertreten lassen. Es kam niemand. Hierhin gehört ein 2. Am 23.7. wird G. Heinemann seinen 75. Geburtstag feiern. Der Rat hatte in Aussicht genommen, ihm an diesem Tage DM 25.000 für die Hilda-Heinemann-Stiftung zu schenken. Ich sollte die Verhandlungen mit den Katholiken führen, mit dem Ziel, sie zu einem gleichen Schritt zu bewegen. Sie waren bereit, den gleichen Betrag zu stiften, freilich ohne Zweckbestimmung für die Hilda-Heinemann-Stiftung. Die katholische Kirche ist der Meinung, es sei nicht gut, wenn jede Ehefrau eines Bundespräsidenten eine Stiftung gründet. Am 30.6. hat mir mein katholischer Kollege Wöste mitgeteilt, daß seine Kirche sich nach der Unterschrift von Heinemann 1 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 7, 112. Sitzung, 7619 A–7621D (Rede Annemarie Rengers), 7621D–7623C (Rede Gustav Heinemanns), 7623D–7627 A (Rede Walter Scheels), 7627 A–7628 (Rede Hans Filbingers).

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unter das Fristenregelungsgesetz nicht mehr in der Lage sehe, ihm irgendetwas zu schenken. Sie befürchte eine Empörung darüber in den katholischen Gemeinden. Aus Anlaß des Geburtstages wird der Kanzler für einen kleineren Personenkreis ein Mittagessen geben, Brandt als Parteivorsitzender einen Empfang in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Ratsvorsitzende hat in Aussicht genommen, persönlich die Grüße der EKD auf dem Empfang zu übermitteln. Auf keinen Fall kommt der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Möglicherweise aber wird Prälat Wöste der Einladung folgen. Ich will um des Zusammenhanges willen eine andere, sehr wichtige Frage behandeln. Als die Bundesregierung 1970 im Blick auf die Contergankinder auf die Initiative vom Bundespräsidenten sie, die Kirchen, einlud, sich an der Gründung einer National-Stiftung für das behinderte Kind zu beteiligen, ergab sich in der 1. Verhandlung mit den Katholiken, daß sie eine über die Größenordnung der Beteiligung von mir gänzlich abweichende Meinung hatten. Ich hatte 100,–, höchstens 250.000,– DM vorgeschlagen, die Katholiken wollten wenigstens 5 Millionen. Der Rat hat sich der Auffassung der Katholiken angeschlossen und spricht in seinem Beschluß von etwa 5 Millionen Kirchen[***]. Durch die durch Jahre gehenden Schwierigkeiten mit den Anwälten der Contergangeschädigten kam es erst verspätet zur Gründung der National-Stiftung durch Gesetz. Beide Kirchen aber haben schon im April 1970 eine Beteiligung von zunächst 5 Millionen der Bundesrepublik schriftlich zugesagt2. Unsere Synode hat für 1974 2,5 Millionen beschlossen und für 1975 den gleichen Betrag in Aussicht genommen vorbehaltlich einer Absprache über eine angemessene Beteiligung evangelischer Einrichtungen bei den Ausschüttungen und entsprechender Vertretung im Kuratorium. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beschluß des Bundestages über die Fristenregelung hat die katholische Kirche ihre in Aussicht gestellte Beteiligung an der Stiftung schriftlich zurückgezogen3. Bruder Schober hat den Beschluß des Rates ebenso wie sein katholischer Kollege von Anfang an für falsch gehalten. Hat aber hingenommen, daß der Rat bei seinem Beschluß nicht nur an den Einzelvorgang dachte, sondern sein gesamtes partnerschaftliches Verhältnis zum Staat im Visier hatte. Dies Argument hatte zwar für den Rat nicht die erste Priorität, aber es war mehr als eine zusätzliche Erwägung. Im Beschluß ist die Rede von „medizinischen, gesellschaftspolitischen und kirchenpolitischen Gründen“4. Ich meinerseits könnte nur nachdrücklich empfehlen, sich in allen genannten Fällen den katholischen Entscheidungen nicht anzuschließen, was 2 Vgl. das Protokoll der 38. Ratssitzung vom 20. bis 23. 4. 1970. Die Bundesregierung beabsichtigte 200 Millionen DM für die Stiftung aufzubringen (EZA Berlin, 2/8318). 3 Am 25. 4. 1974 hatte der Bundestag den von SPD und FDP eingebrachten fünften Entwurf zur Reform des § 218 diskutiert, den er am folgenden Tag verabschiedete. Danach hatte jede Frau das Recht, während der ersten drei Monate ihrer Schwangerschaft im Zuge der „Fristenregelung“ abzutreiben; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 7, 95, Sitzung, 6331B–6440 A; und 96. Sitzung, 6470 A–6501D. 4 Vgl. das Protokoll der 38. Ratssitzung vom 20. bis 23. 4. 1970 (EZA Berlin, 2/8318).

Berlin, 4./5. Juli 1974

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übrigens die Katholiken auch nicht erwarten. Sie sehen, daß wir ein etwas anderes Selbstverständnis gegenüber dem Staat und deshalb auch eine etwas andere Kirchenpolitik haben als sie. Gerade weil ich mit erheblichen Auseinandersetzgen mit der Regierung, z. B. in der Frage des Jugendhilfegesetzes rechne, sollten wir unser Verhältnis zum Staat nicht mit vermeidbaren Hypotheken belasten. Die Regierung hat ihre ersten 100 Tage noch nicht hinter sich gebracht, aber ich möchte wenige Bemerkungen zu den bisher gemachten Beobachtungen machen. In meinem 1. Ratsbericht nach der Regierungsumbildung hatte ich schon gesagt, daß das neue Programm sich auch durch die Auswahl der neuen Minister und Staatssekretäre darstelle5. Fast alle Minister, deren Stärke auch in der umfassend reflektierenden Intelligenz bestand, sind abberufen worden, soweit sie zur SPD gehörten. Es blieb aus diesem Kreis nur E. Eppler. Weil er als neuer Landesvorsitzender den Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg führen soll, konnte er dort nicht als abgehalfterter Bundesminister präsentiert werden. Man mußte aber damit rechnen, daß der Kanzler sich mit ihm und umgekehrt schwer tun würde. Nun ist es sehr schnell zu einem Sachkonflikt gekommen. Er könnte eine willkommene Gelegenheit bieten, daß Eppler aus dem Kabinett ausscheidet, und dabei alle Beteiligten das Gesicht wahren. Die FDP-Minister haben wenig an Einfluß eingebüßt. Genscher hat schnell durch Tüchtigkeit, immensen Fleiß und Stehkraft auch als Außenminister Statur gewonnen. Friderichs operiert nach wie vor nicht ohne Fortune. Ertl ist ziemlich unangefochten. Meinungsunterschiede gibt es nur im Blick darauf, ob Maihofer als Innenminister wie sein Vorgänger reüssieren wird. Matthöfer als neuer Forschungsminister erweist sich als ein Mann von Tüchtigkeit und erheblicher Intelligenz. Im Ganzen wird man sagen können, das neue Kabinett hat nicht mehr eine solch hohe Anzahl von Leuten herausragender, vorsichtshalber sage ich: reflektierender Intelligenz wie das bisherige, aber es ist, wenn ich es einmal so sagen darf, cleverer geworden. Noch nicht sagen läßt sich, ob es der Regierung gelingt, die Tarifverhandlungen im Herbst in den von ihr für unerläßlich gehaltenen Grenzen zu halten. Aber der Kanzler wird sicher im Gespräch mit den Gewerkschaften anders agieren als sein Vorgänger. Ich vermag nicht ausreichend zu übersehen, ob es dem Kanzler gelingen wird, seine Partei für die Inhalte und den Stil seiner Regierung zu gewinnen. Von seiner Verfassung her scheint er mir wie etwa Schröder und Gerstenmaier die Partei als ein Mittel zum Zweck anzusehen, aber in seinem politischen Handeln mehr vom Staat als von der Partei her zu denken. Dies ist freilich in der CDU leichter als in der SPD, was jeder sofort begreift, der einmal Parteitage der beiden großen Parteien miterlebt hat. […]

5 Am 16. 5. 1974 wurde Helmut Schmidt vom Deutschen Bundestag zum Nachfolger Brandts gewählt; vgl. den Bericht vom 10./11. 5. 1974 (Dok. 62); und Faulenbach, Jahrzehnt, 405–409, 428–435.

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64 Stuttgart, 20./21. September 1974 EZA Berlin, 742/7, hsl. […] Für ein Treffen Honecker-Schmidt hat die Bundesrepublik insofern die Weichen gestellt, als sie verlauten ließ, sie verspräche sich nicht viel davon, vor der UN-Vollversammlung am 17.9. einen offiziellen Protest gegen die Verletzung individueller Menschenrechte durch die DDR an der Mauer usw. vorzubringen. Sie verwies darauf, daß es in der Welt nur eine Minderheit von Staaten gibt, in denen Verletzung von individuellen Menschenrechten nicht vorkommt. Eine Reihe von UN-Mitgliedern hat sogar wie die DDR Maßnahmen gesetzlich verankert, die in anderen Ländern als Verletzung der Menschenrechte gelten. Die Bundesrepublik will also in dieser Sache nur mit den Mitteln stiller Diplomatie arbeiten (Man wird aus alledem schließen dürfen, daß die sogenannten Folgeverträge in den nächsten Monaten zügiger als bisher vorankommen werden.) Schmidts pragmatische Linie zur Ostpolitik hat sich gegenüber seinen Partnern im Osten überraschend durchgesetzt, freilich gleichzeitig auch die alten Besorgnisse vor allem Frankreichs von neuem geweckt. Schwierigkeiten gibt es nur in Polen. Es will sich mit der angebotenen 1 Milliarde nicht zufriedengeben. Gierek sieht in der Präambel des Warschauer Vertrages, wo Polen ausdrücklich als 1. Opfer des Weltkrieges bezeichnet wird, eine Handhabe, auf bedeutendere Entschädigungen durch die Bundesrepublik zu drängen1. […] Die auch unter uns häufig diskutierte Radikalenfrage ist durch eine Rede Honeckers vor dem 12. Plenum des ZK am 4.7. in eine neue Phase geraten. Muß die DKP seinen Richtlinien folgen, wird sie wesentlich aggressiver in ihrer Kritik an der Bundesrepublik werden müssen. Aus einer defensiven müßte eine offensive Abgrenzung werden. Dies muß Verlegenheiten für Lehrer, Beamte und Betriebsratsmitglieder in der DKP schaffen. Die DKP hat es bisher abgelehnt, sich nach dem Vorbild der Kommunisten in Italien auf eine bedingt freiheitliche Linie festzulegen. Wenn sie darin keinen Kurswechsel vollzieht, wird sie eine relativ liberale Handhabung des Radikalenerlasses, wie sie Minister Maihofer gern sähe, mit der Zeit unmöglich machen. Ich muß noch berichten über das Gespräch zwischen FDP-Kommission und der vom Rat bestellten Expertenkommission am 4.9. Teilnehmer: Funcke, Ronneburger und Studienrat Ruprecht (Bayern) und Wilkens, von Campenhausen und mir. 7 Stunden. Das Ganze fand in einer guten fachlichen Atmosphäre statt. Die Kirchenkanzlei hat unter dem 9. 9. die Gliedkirchen und den Rat über den Inhalt der Verhandlungen informiert2. Das Gespräch war of1 Vgl. dazu Szatkowski, CDU/CSU, 60 f. 2 Dem Gespräch zwischen EKD- und FDP-Repräsentanten am 4. 9. 1974 war bereits ein Gespräch zwischen EKD-Vertretern und dem Parteipräsidium der FDP am 23. 4. 1974 vorausgegangen, in

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fenbar fruchtbarer, als wir es am Ende für möglich gehalten haben. Wem wir uns gegenüber sehen, will ich nur an 2 Punkten verdeutlichen. Bei der Frage des Religionsunterrichts stellte sich heraus, daß jeder der 3 Vertreter der FDP, von denen ja jeder in besonderer Weise unserer Kirche verbunden ist, eine eigene, weit vom Anderen abweichende Meinung vertrat. Wir konnten nur fragen, was angesichts solcher Unterschiedlichkeit auf einem Bundesparteitag bei solcher schwierigen und dabei außerordentlich belangvollen Materie herauskommen könne. Eine andere breit diskutierte Frage zielte auf die Fakultäten. Frau Funcke machte uns ihre Vorstellungen an einem Modell deutlich: ein Ordinarius für systematische Theologie tritt aus Glaubensgründen [oder] aus anderen Gründen etwa wegen der Kirchensteuerpraxis der Kirche aus ihr aus. Er soll dann in der Fakultät mit allen bisherigen Rechten bleiben, also nicht nur Dogmatik und Ethik lehren, er soll Dekan werden und vor allem im Prüfungsamt bleiben können3. Das für die Vorlage bei dem Bundesparteitag ausgearbeitete Papier formuliert das Ziel positiv: es soll die Unabhängigkeit von Kirche und Staat gesichert werden. Es soll der Raum freigehalten werden, in dem Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ihre Aufgaben nach ihrem eigenen Selbstverständnis erfüllen können. Es werden 13 Thesen bzw. Forderungen aufgestellt, im Vorspann aber gesagt, daß ein Teil dieser Forderungen zu seiner Verwirklichung verständiger Übergänge oder angemessener Zeitspannen bedürfe. Ich nenne nur einiges. In 2 wird sowohl der Status der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts wie die Anwendung des Vereinsrechtes auf die Organisation der Kirchen abgelehnt. Gefordert wird die Entwicklung eines neuen Verbandsrechtes. Der Rekurs auf die Taufe ist entfallen. Es heißt jetzt in 3: … … Kirchensteuerfragen: 5…. also erhebliche Abmilderung der bisherigen Fassungen. 7. Staatsverträge. 8. Staatsleistungen. 9. zielt auf das geltende Jugendhilfe- und Sozialrecht. 10. Religionsunterricht „nach der Verfassungslage“ ordentliches Lehrfach. Alternativ: Religionskundeunterricht. 11. Militärseelsorge usw. in die Verantwortung der Kirche zurück. 12. Wehrpflicht auch für Geistliche und Theologiestudenten. 13. Vertretung der Kirchen in öffentlichen Gremien. Fakultätenfrage ersatzlos gestrichen. Man wird sagen müssen, daß die Metamorphose des Papiers seit seiner 1. Vorlage auf der Bundeskonferenz der Jungdemokraten im Januar 73 erheblich ist. Man wird aber gleichzeitig darauf aufmerksam machen müssen, daß das Vorgetragene lediglich ein Antrag des Parteivorstandes für den Parteitag ist. Es ist noch nicht zu übersehen, wie die Endfassung lauten wird. Wahrdem die Thesen der FDP zum Verhältnis von Kirche und Staat diskutiert worden waren; vgl. das Protokoll der 16. Sitzung des Rates der EKD vom 10./11. 5. 1974 (EZA Berlin, 87/658). 3 Vgl. dazu den Bericht vom 15./16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 10 und 11, 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 17. Der 25. Bundesparteitag der FDP in Hamburg beschloss am 1. 10. 1974 das Thesenpapier „Freie Kirche im freien Staat“. Die 13 Thesen des „Kirchenpapiers“ finden sich bei Esch, Kirche, Anhang 5, 580–585; vgl. dazu die Erklärung des Rates der EKD zu den Thesen der FDP „Freie Kirche im Freien Staat“ vom 19. 10. 1974 in: KJ 101 (1974), 67 f.

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scheinlich wird man jetzt nur Vorüberlegungen anstellen können, ob und wie man auf das Papier antworten will. Milder wird es auf dem Parteitag kaum werden. Dennoch müßte man jetzt wohl schon prüfen, ob wir durch Erklärungen und Empfehlungen zur breiten Diskussion in den Gruppen der Gemeinden für eine möglichst weite Publikation der Forderungen sorgen oder den Stellenwert des Papiers bescheidener taxieren sollten. Sagen möchte ich noch, daß sich Frau Funcke der Schwierigkeit, daß sie die Vorsitzende der innerparteilichen Kommissionen für das Papier war, voll bewußt ist. Ziemlich sicher hat sie dabei ausgleichender als bei den Gesprächen mit uns gewirkt. Sie hat mir gesagt, nie wäre eine Reduzierung des Papiers, wie es jetzt geschehen ist, möglich gewesen, hätte der Rat nicht eine solch zurückhaltende Stellung in den verflossenen Monaten eingenommen. Um so leichter sei es möglich gewesen, unsere Argumente etwa in der Fakultätenfrage und bei dem Problem des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach zum Tragen zu bringen. […] Am Montag 23.9. wird es zu einer Begegnung zwischen dem neuen Entwicklungsminister Bahr und den Männern kommen, die im wesentlichen die kirchlichen Aktivitäten unserer Kirche im Entwicklungsdienst verantworten. Thimme, Weeber. In der letzten Sitzung gebeten, das Problemfeld in Südvietnam besonders zu beobachten. Leitung des Entwicklungshilfeministeriums vollständig geändert, Minister, 2 Staatssekretäre, Ministerialdirektor. Auf diese Weise habe ich erst nach einem Kabinettsbeschluß erfahren, daß ein 40 Millionen Kredit an die Regierung in Südvietnam gegeben wurde, ohne daß dabei auch nur schon im Gespräch mit dem Botschafter von Südvietnam die Frage der politischen Gefangenen direkt oder indirekt angesprochen worden ist. Selbstredend kann sich die Bundesrepublik nicht in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates mischen. cf. Parlamentsdebatte von 24.1.74. Moersch4. Offiziell hat die Familienzusammenführung aus Polen mit dem Warschauer Pakt [richtig: Vertrag] nichts zu tun. Jedermann weiß, daß es sich um ein Junktim gehandelt hat5. Unbefangen haben die Amerikaner in aller Öffentlichkeit im Parlament gesagt: nicht eher wirtschaftliche Erleichterungen im Handel mit

4 Die Frage aus der SPD-Fraktion an die Bundesregierung bezog sich auf einen gemeinsamen Bericht des Internationalen Komitees zur Befreiung der politischen Gefangenen in Südvietnam und der italienischen Sektion von Pax Christi über die Lage der etwa 200.000 politischen Gefangenen in Südvietnam vom September 1973. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, zu sagen, ob sie Schritte unternehmen wolle, die das „Schicksal der aus politischen Gründen gefangen gehaltenen Menschen“ erleichterten. Für die Bundesregierung antwortete der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen Karl Moersch (FDP). Dieser berief sich auf das völkerrechtliche Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 7, 4823D–4824C. 5 Familienzusammenführungen und finanzielle Leistungen wurden nicht offiziell, aber faktisch als Junktim seitens der polnischen Regierung behandelt; vgl. dazu Szatkowski, CDU/CSU, 56–58.

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den Sowjets ohne größere Freiheit für die Auswanderung von Juden. Bei Gespräch Bahr vorbringen. Wilm wird Ihnen allen seinen letzten Bericht über die Kriegsverurteilten in Holland und Italien zugleitet haben6. Er hat ihn ziemlich breit gestreut, auch bei den Katholiken. Bei der extrem großen Empfindlichkeit der Holländer an dieser Stelle hielt ich es für richtig, den Brief dem Außenminister sofort zuzuleiten. Bruder Wilm hat ein Mandat des Rates. Greift er in solcher Entschiedenheit die Regierung einer uns befreundeten Macht an, wird der Rat sich nicht desinteressiert zeigen können. Ich vermute, daß der Rat keinen Tadel gegen das Handeln von Bruder Wilm vorbringen, eher im Gegenteil Bruder Wilm unterstützen will. Das ein wenig Schwierige daran ist, daß Kotalla praktisch Katholik ist, Fischer auch katholisch ist, bei aus der Fünten sind die Ehefrau, Kinder und Enkel katholisch, Kappler in Italien ist auch konvertierter Katholik7. Bruder Wilm hat daran gedacht, die Menschenrechtskommission in Straßburg anzurufen. Abgesehen davon, daß dies nur die Betroffenen, nicht Dritte für sie tun könnten, verspreche ich mir davon nichts. Ich meinte, der Rat sollte sich zunächst an den Nationalen Christenrat (oder wie immer er heißt) in Holland wenden und dies möglicherweise auch publizieren. Ich habe mit den Katholiken gesprochen, sie sind zu einem gemeinsamen Schritt mit uns bereit. Wollen wir uns lediglich an die uns in der Oekumene verbundenen Kirchen wenden, sind sie bereit, sich gleichzeitig an die katholische Bischofskonferenz in Holland zu wenden. Ich gehe davon aus, daß Ihnen der Brief von Bruder Wilm an die holländische Regierung von Dezember 73 be6 Vgl. den 9-seitigen vertraulichen Bericht Wilms „über die Besuche bei den drei deutschen Kriegsverurteilten in Breda und Scheveningen am 17. und 18. Oktober 1974“ vom 5. 11. 1974. Wilm berichtete auch über den in Berlin-Spandau einsitzenden Rudolf Heß, den im polnischen Barczewo einsitzenden ehemaligen Gauleiter Erich Koch sowie den in der italienischen Seefestung Gaeta einsitzenden Herbert Kappler. In einem Schreiben an den Rat der EKD plädierte Wilm für eine deutliche Stellungnahme der Kirchen in Deutschland und den Niederlanden zugunsten der Freilassung dieser „zerbrochenen Gefangenen“. Der Rat mahnte indes zur Zurückhaltung, „um die ,schlafenden Hunde‘ nicht aufs Neue zu wecken.“ (EZA Berlin, 87/1279). Zum Wirken Wilms, der 1970 zum „Beauftragten des Rates der EKD für die Seelsorge an den deutschen Kriegsverurteilten“ ernannt worden war, vgl. Bohr, Kriegsverbrecherlobby, 267–271. 7 Zu den in den Niederlanden und Italien einsitzenden deutschen Kriegsverbrechern vgl. die Berichte vom 19. 3. 1964 (Dok. 24), Anm. 10; 7./8. 7. 1971 (Dok. 47), Anm. 2; und 16./17. 3. 1972 (Dok. 49), Anm. 6. In der vorangehenden Ratssitzung vom 30./31. 8. 1974 war aufgrund des Berichts von Kunst über das Schreiben Wilms an die Regierung der Niederlande beschlossen worden, möglichst bald ein Gespräch mit Wilm zu führen. Da einige Ratsmitglieder darauf hinwiesen, dass der Widerstand gegen die Freilassung der drei Häftlinge in Breda im Wesentlichen von der jüdischen Gemeinde in den Niederlanden ausging, beschloss man, über den nationalen Christenrat der Niederlande das Gespräch mit der jüdischen Gemeinde zu suchen; vgl. „Auszug aus der Niederschrift über die 19. Sitzung des Rates der EKD am 30./31. August 1974 in Hannover“ (EZA Berlin, 87/1279). Zu den Bemühungen des Rates um die Freilassung Kapplers aus italienischer Haft vgl. das Schreiben des Ratsvorsitzenden an den italienischen Ministerpräsidenten vom 11. 11. 1972, das allerdings unbeantwortet blieb; vgl. das Schreiben Kunsts an Wilm vom 24. 8. 1974 (EZA Berlin, 87/1278).

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kannt ist8. Er hat ihn nach einigen Monaten, nachdem die holländische Regierung seine Eingabe nicht beantwortet hatte, im Sonntagsblatt und Christ und Welt publiziert9. […]

8 Vgl. das 11-seitige Schreiben Wilms an den niederländischen Ministerpräsidenten Joop den Uyl vom 17. 12. 1973 (EZA Berlin, 87/1279). 9 Vgl. Wilm, Schuldigen; und Bohr, Kriegsverbrecherlobby, 269.

333 65 Darmstadt, 13./14. Dezember 1974 EZA Berlin, 742/7, hsl. Bei der Begegnung zwischen dem Rat und dem Kanzler ist der Nahostkonflikt zur Sprache gekommen. Der Kanzler sagte ein wenig unwirsch, weder er noch der Außenminister hätten die Rede von Wechmars vor der Vollversammlung der UN vorher gelesen. Dies ändert nichts daran, daß von Wechmar kein Wort zu seiner Rede beigesteuert hat. Sie ist im Auswärtigen Amt formuliert worden1. Das Auswärtige Amt kann belegen, daß jeder Satz durch gelegentliche Äußerungen von dem Kanzler und Außenminister gedeckt ist. Neu war nach der Meinung des Auswärtigen Amtes lediglich die Zusammenfassung der bisher bei verschiedenen Anlässen gemachten Äußerungen. Die Kammer für öffentliche Verantwortung hat sich einen ganzen Abend mit dem Nahostproblem beschäftigt. Nur vorsichtig erinnerten einige Stimmen daran, daß die Israelis es ihren Freunden in den letzten Jahren schwer gemacht hätten, ihre Politik zu verstehen und zu vertreten. Selbstredend werden wir Deutsche und natürlich besonders wir Christen [uns] immer mit besonderer Behutsamkeit zur Israelfrage äußern. Für unsere Diplomaten sieht dies anders aus. Sie werden nicht nur in den arabischen Staaten konfrontiert mit Fakten aus der Geschichte des Staates Israel, die in allen Massenmedien der Bundesrepublik nach wie vor im hohen Maße tabuisiert sind. In den 50er Jahren verhielten sich die durch die UNO festgestellten Verletzungen der Grenzen usw. durch Araber und Israelis in einer Relation von 1 : 8. Gänzlich unbestritten sind eine Summe von Terrorakten der Israelis, angefangen vom Massaker von Deir Yasin am 9.4.48, dem 280 Araber zum Opfer fielen, davon die Hälfte Frauen und Kinder2. Unbestritten ist auch die Anwendung von Napalm durch die Israelis. Die Araber machen gerne darauf aufmerksam, daß es bei ihnen nie Antisemitismus wie in den europäischen Ländern gegeben habe. Sie haben in den verflossenen Jahrzehnten sich ständig gegen unsere Formulierung von den „arabischen Flüchtlingen“ gewehrt. Es handele sich nicht um Flüchtlinge, sondern um das palästinensische Volk. Es hätte in den jetzigen Gebieten Israels 13 Jahrhunderte als Teil der arabischen Welt gelebt. In den verflossenen Jahren habe ich mehrfach dem Rat die Frage arabischer Botschafter berichtet, wieso wir von ihnen das Eintreten für die Wiedervereinigung Deutschlands erwarteten, während wir gleichzeitig das Volk, das ihnen ihre Heimat geraubt 1 In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am 19. 11. 1974 hatte der Ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der UN, Rüdiger Freiherr von Wechmar, u. a. die Forderung der Palästinenser nach nationaler Selbstbestimmung unterstützt und Israel aufgefordert, die seit 1967 besetzten Gebiete zu räumen; Abdruck der Rede in: United Nations, Records, 969 f.; vgl. dazu EuropaArchiv 29 (1974), Z286; und Büttner / Hüseler, Beziehungen, 140. 2 Vgl. Ortag, Kultur, 143; und Reines Gewissen. In: Der Spiegel 33(1979), Nr. 46 vom 12. 11. 1979, 186–188.

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habe, mit allen uns möglichen Mitteln förderten. Kenner der Verhältnisse haben sich angesichts der Terrorakte der Palästinenser in den letzten Jahren nicht gewundert, daß in den Lagern nationalistischer Haß fruchtbaren Boden fand. Diese Dinge darf man nicht vollständig bei Seite lassen, wenn die Israelis sagen, sie wollten sich mit Terroristen nicht an einen Verhandlungstisch setzen. Auch Diplomaten, die chemisch rein von Antisemitismus sind, sagen: die Frage ist falsch gestellt. Es handelt sich darum, ob Terroristen sich mit Terroristen an einen Tisch setzen wollen3. Vielleicht kann es zu einer Lösung des Problems kommen, daß die Palästinenser eine Exilregierung bilden, daß Israel auf diese Weise sein Gesicht wahren könnte. Aber man kann heute kaum schon sagen, welche Wirkungen der Besuch Kissingers im Nahen Osten und der Besuch Breschnews Mitte Januar am gleichen Ort haben werden. Die Besuche des Kanzlers in London, Washington und Paris hatten viel mit der gefährlichen Situation der Weltwirtschaft zu tun. Der schwedische Nobelpreisträger Prof. Gunnar Myrdal, der zur Entgegennahme seines Preises von Amerika kam, hat in Schweden gesagt: „es bestehen alle Voraussetzungen dafür, daß die Welt in eine Wirtschaftsdepression hineingerät, die noch schlimmer ist als die der 30er Jahre“. Er sähe keine Anzeichen dafür, daß die Industrieländer oder die Entwicklungsländer ernstliche Anstrengungen machten, dies Problem in den Griff zu bekommen. Die meisten Faktoren, die 1929/30 die Weltdepression ausgelöst hätten, wirkten heute zwar nicht, aber andere Verursacher seien am Werke. Das Unheil habe begonnen mit dem internationalen Preisanstieg Ende der 60er Jahre. Im Vorjahr sei die Ölkrise hinzugekommen. Wie das Ganze einmal ausgehen solle, beruhe darauf „wie wir Menschen nun handeln“. Unsere unmittelbare Aufgabe sei es, einem Teil der Menschheit zu helfen, die im Begriff sei, in den ärmsten Ländern zu verhungern4. Die Bemühungen Fords bei der Inflationsbekämpfung haben bisher keinen durchschlagenden Erfolg gehabt. Man verspricht sich etwas davon, daß Rockefeller dies Arbeitsgebiet übernimmt. Aber er ist immer noch nicht als Vizepräsident bestätigt5. Niemand in Europa hat so eindringlich an die Amerikaner appelliert als der Kanzler, die Führung im Kampf gegen Inflation und Währungschaos zu übernehmen. Bei seinem Besuch in Washington hatte er nicht nur Genscher und Diplomaten bei sich, sondern auch – ein ungewöhnlicher Vorgang – deutsche Unternehmer und Gewerkschaftler. Es ist ein enges deutsch-amerikanisches Zusammenwirken vereinbart worden, aber der Kanzler hat darauf aufmerksam gemacht, daß die amerikanische Regierung sich z. Zt. in einem vielfältigen Entscheidungsprozeß befinde, der erst in einigen Wochen abgeschlossen sei. In dieser Woche fallen bei uns erste Entscheidungen über Antiinflationsmaßnahmen und über Konjunktursteuerung. 3 Vgl. dazu Leemhuis, Aktion. 4 Vgl. Gunnar Myrdal: Prize Lecture. Lecture to the memory of Alfred Nobel, 17. 3. 1975 (online). 5 Nelson Rockefeller wurde am 19. 12. 1974 von Gerald Ford zum Vizepräsidenten der USA berufen.

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Bei allen diesen Erwägungen wird der Nahostkonflikt nicht vergessen. Käme es zu einer neuen Nahostkrise, könnte damit ein neues Ölembargo verbunden sein. Dies müßte nach der Meinung von Schmidt zu einem „Abgrund von Depression“ führen. Innerhalb der EG wird nach der Auffassung Brüssels die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5–4 Millionen in den nächsten Monaten geschätzt. Innenpolitisch merkt man immer deutlicher das Herannahen der Wahlen. Jede Partei hat ihre spezielle Last. Am meisten beobachtet ist natürlich die Hauptregierungspartei. Der Fall Wienand wirkt nachhaltig vor allem in den Ortsvereinen6. Der „Vorwärts“ schrieb zu seinem Abgang eine für die Verhältnisse der SPD böse Glosse, die selbstredend deshalb auffiel, weil Wienand genannt und Wehner gemeint war. Noch ist nicht sicher, ob Porzner der Nachfolger Wienands wird. Aber ich will nicht näher auf diese Dinge eingehen, so politisch wichtig sie sich wahrscheinlich im nächsten Jahr ausweisen werden. Wie ernst aber insgesamt die Beurteilung der Lage ist, wurde an einer Äußerung Kühns deutlich, daß die Bundesrepublik unregierbar werden könnte, wenn die SPD an der Regierungsverantwortung nicht mehr beteiligt sei. Im privaten Gespräch ist mir dies schon öfter begegnet. Kühn hat es jetzt öffentlich ausgesprochen. Dies muß nicht eine Diskriminierung der Opposition sein, es kann ein Urteil über die Labilität unseres Volkes in einer Krisensituation sein. Sollte es, wie ein Teil der Opposition es verstanden hat, ein Ausdruck der Meinung sein, Demokratie ist nur echte Demokratie, wenn sie sozialistisch ist, wäre dies natürlich schlimm. Demokratie ist kein Formalbegriff. […] Anfrage Prof. C. C. Schweitzer wegen Kommission der Kirchen, die Haftbedingungen für Angehörige der Baader-Meinhof-Vereinigung überprüfen soll7. Wir sind nicht die Gouvernante des Staates, aber selbstredend zu jedem Dienst für das Gemeinwohl bereit. Kirchen nicht allein, sondern etwa auch Präsident des Roten Kreuzes, vielleicht auch Präsident der Ärztevereinigung usw. 6 Der Geschäftsführer der SPD-Fraktion Karl Wienand musste 1974 nach zahlreichen Affären – darunter unversteuerte Beraterhonorare für eine marode Fluglinie sowie der Vorwurf, einen CDU-Abgeordneten im Kontext des gescheiterten konstruktiven Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler Brandt am 27. 4. 1972 bestochen zu haben – aus dem Bundestag ausscheiden. Zur Wienand-Affäre vgl. „Es sieht schlecht aus um Wienand“. In: Der Spiegel, 28 (1974), Nr. 35 vom 26. 8. 1974, 19–26; und Wambach, Barzel, 540–544. 7 Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carl-Christoph Schweitzer hatte in einer Anfrage an die Bundesregierung eine Kommission der Kirchen vorgeschlagen, um die Haftbedingungen für Angehörige der RAF zu überprüfen. Eine solche Kommission habe eine unangefochtenere Autorität in der Öffentlichkeit als „gewisse Philosophen“, erläuterte Schweitzer in Anspielung auf Jean Paul Sartre. Letzterer hatte am 4. 12. 1974 Andreas Baader, der sich seit vier Wochen im Hungerstreik befand, in Stammheim besucht und die dortigen Haftbedingungen als „menschenrechtswidrig“ kritisiert. Die Anfrage Schweitzers wurde am 13. 12. 1974 von der Bundesregierung dahingehend beantwortet, dass Besuche kirchlicher Stellen bei den Gefangenen der RAF ohnehin möglich seien und dass einer Dokumentation der Haftbedingungen durch die Kirche von Seiten der Bundesregierung nichts im Wege stehe; vgl. Plenarprotokolle (online), WP 7, 9469B–C.; und Kebir, Gewalt, 279.

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66 Hannover, 28. Februar 1975 EZA Berlin, 742/8, msl. mit hsl. Ergänzungen […] Erinnere ich mich recht, hat der Rat nur dreimal Parteiprogrammen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Dem Ahlener-Programm der CDU vom Februar 1947, dem Godesberger-Programm der SPD von 1959 und dem Kirchenpapier der FDP von 1974. Am 1. 2. 1975 hat der Vorstand der SPD einen Entwurf eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens für die Jahre 1975–1985 vorgelegt1. Der Parteivorsitzende Brandt hat mir das Papier alsbald in aller Form zugeleitet und uns wie die katholische Kirche gebeten, uns an der Diskussion darüber zu beteiligen2. Ein vergleichbarer Vorgang ist bis jetzt nicht vorgekommen, er ist auch mit dem Gespräch zwischen dem Rat und dem Parteivorstand der FDP bezüglich des Kirchenpapiers, bei dem wir ja sozusagen das Objekt der Verhandlungen waren, nicht zu vergleichen3. Der Rat wird prüfen müssen, ob und wie er sich auf die an ihn ergangene Bitte einlassen will. Ich habe keinen Anlaß zu glauben, daß die SPD die Bitte an uns vor allem aus taktischen Erwägungen gerichtet hat, um uns für die SPD zu engagieren. Der Kern der Anfrage zielt wohl auf unsere Reaktion auf das, was in dem Papier Grundwerte genannt werden. Die SPD hat eine eigene Grundwertekommission, die ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen hat. Sie wird sich vor allem mit dem Allgemeinen Teil des Orientierungsrahmens befassen. Eine Volkskirche kann auf Grund ihres Sendungsauftrags m. E. gar nicht vorbeigehen an einer Diskussion über sittliche Grundfragen, wenn sie von einer für das öffentliche Leben unseres Landes solch belangvollen Gruppe wie der SPD provoziert wird. Am Rande will ich bemerken, daß der Bundesparteitag der SPD über den Entwurf in den gleichen Tagen und am gleichen Orte verhandeln wird, während die Synode der EKD über die Fragen der Volkskirche berät. Die Substanz des Briefes des Parteivorsitzenden Brandt an mich hat er in fünf Bemerkungen ausgesprochen. 1. Mit dem Allgemeinen Teil des Orientierungsrahmen ‘85 wird sich auch noch die Grundwertekommission befassen. Etwaige Änderungen werden sich erst nach Abschluß des Antragsverfahrens zum nächsten Parteitag im November ergeben. 2. Das Godesberger Programm hat ausdrücklich die christliche Ethik als eine der Wurzeln des demokratischen Sozialismus bezeichnet. Damit ist die Mitarbeit in der Sozialdemokratischen Partei aus Anstößen des christli1 Vgl. Ökonomisch-politischer Rahmen für die Jahre 1975–1985 (online). 2 Schreiben Brandts an Kunst vom 5. 2. 1975 (EZA Berlin, 87/2314). 3 Am 21./22. 2. 1974 hatte ein Gespräch zwischen dem Rat der EKD und der FDP-Führung stattgefunden; vgl. Auszug aus dem Protokoll der 9. Sitzung des Rates der EKD am 7./8. 12. 1973 (EZA Berlin, 87/651).

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chen Glaubens und der christlichen Tradition heraus anerkannt worden, ohne daß die entschiedene Absage an jede Form einer Weltanschauungspartei abgeschwächt wäre. 3. Dazu verweise ich besonders auf Teilziffer 1.2 des Orientierungsrahmens, wo es heißt: „Deshalb sehen wir Sozialdemokraten in den Kirchen und religiösen Gruppen nicht nur willkommene Partner des staatlichen oder sozialen Handelns, sondern wir erhoffen uns von ihnen Unterstützung im Kampf um eine menschlichere Gesellschaft.“ 4. Wenn die Sozialdemokraten die Kirchen zum Mitdiskutieren einladen, so erwarten wir vor allem auch einen Dialog mit den Bemühungen der Theologie der Kirchen, aus Aussagen des christlichen Glaubens Präzisierungen für das individual- und sozialethische Handeln abzuleiten. 5. Ich könnte mir vorstellen, daß der Beitrag der christlichen Tradition unter seit 1959 veränderten gesellschaftlichen Bedingungen eine Reihe von Aussagen im Allgemeinen Teil des Orientierungsrahmens mit kritischen Anmerkungen versehen könnte, ohne daß ich hier der Arbeit der Grundwertekommission vorgreifen möchte. Es würde den Rahmen meines Berichtes sprengen, versuchte ich eine gewissenhafte Analyse des Papiers. Für ziemlich viele Vorschläge des zweiten Teiles des Entwurfes brächte ich ohnehin keinen ausreichenden Sachverstand mit. Er umfaßt die Programmatik über die sozialen Beziehungen von der Gesundheitssicherung über Raumordnung und Umweltschutz, Wirtschaftsstruktur und öffentlichen Dienst und Staatsorganisation bis zur Frage der Demokratie, Parlament, Regierung und Parteien und Wissenschaft und Technologie. Für die praktizierte Politik wird dieser ökonomisch-gesellschaftspolitische Teil sicher den Schwerpunkt bilden. Für den Allgemeinen Teil muß man wissen, daß er in allen Landesparteien der SPD in einer jeweils eigenen Kommission verhandelt wird, also Breitenwirkung hat. Man wird sagen müssen, daß in ihm mindestens Ansätze für ein für die Kirchen mögliches, neues Gespräch mit der SPD sind. Ich denke zunächst natürlich an die Anthropologie. Die SPD krankte, wie mir scheint, in ihrer Programmatik immer an der Überschätzung des Menschen und des in der Welt Machbaren. Nicht zuletzt daran ist die in der Regierungserklärung von 1969 angekündigte Reformpolitik in einer Reihe von Bereichen gescheitert. Hinzu kam ein gewisser Perfektionismus in der Sozialpolitik. In dem neuen Entwurf kommen nicht nur die Vokabeln Irrtum und Beweis, die Absage an die Utopie eines Paradieses auf Erden vor, es ist auch der marxistische Determinismus in der Frage der Macht der Verhältnisse in Frage gestellt, er wird durch die Vokabel Verantwortung zu korrigieren gesucht. In Gesprächen mit führenden Männern des Programms kommt auch die Dimension der Geschichte in einer, sehe ich recht, neuen Weise vor; aber auch wenn man die Vernunft coram Deo und coram hominibus deutlich unterscheidet, ist mir zweifelhaft, ob man wie der Entwurf so günstig über die Vernunft und den

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Appell an die Einsicht für das solidare Zusammenleben der Menschen denken kann. In jedem Fall scheint mir bei einer Reihe von an der Arbeit beteiligten Leuten, auch bei dem Parteivorsitzenden selber, mit dem ich in der vergangenen Woche ein langes Gespräch über das Papier hatte, eine bemerkenswerte Bereitschaft des Hörens für unsere möglichen Einsprüche vorhanden zu sein. Es gibt auch noch eine Reihe von anderen Einstiegspunkten, etwa die Frage, was der Entwurf unter Freiheit versteht, oder: ob das Papier offen genug ist, wenn es sich um die Definition des Demokratischen Sozialismus handelt. Ich denke dabei etwa an die von Helmut Gollwitzer vertretene These: ein Christ kann nur Sozialist sein4. Ich meine, der Demokratische Sozialismus ist ein politisches Programm, er kann aber nicht aus dem Glauben deduziert werden. Mir scheint auch etwa ein Werturteil im Entwurf aus einer Verengung, ich sage noch nicht, aus einem ideologischen Verständnis der Demokratie zu kommen: 2.3.1. „Die Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nach den Interessen der Mehrheit ist nach dem Kriege bis zum Ende der 60er Jahre nur zögernd oder gar nicht in Angriff genommen worden.“ Mir ist auch zweifelhaft, ob die Situation des Arbeitnehmers noch so ist, wie sie im Entwurf beschrieben wird. Eine Kernfrage wird sicher sein, welchen Stellenwert der Leistungswille bekommen wird. Es gibt Passagen über das Primäreinkommen, die einen fragen lassen, ob man mit ihnen nicht in Wahrheit auf die Anreize zum Leistungswillen verzichtet. Mit allem bisher Gesagten plane ich nicht eine reelle Einführung in den gesamten Entwurf. Ich habe nur jene Dinge genannt, die in den bisherigen Gesprächen zwischen der SPD und mir eine Rolle gespielt haben. Ich möchte aber noch eine Überlegung aussprechen. Der in dem Papier der SPD ventilierte Fragenkatalog beschäftigt selbstredend alle Parteien. Wie immer der Rat sich in der Beantwortung der Bitte um Mitdiskussion entscheiden mag, – es ist mir die Frage, ob nicht mindestens im Vorfeld der Parteien ein kleiner bei uns und in den Parteien einflußreicher Kreis einen Tag an eine gemeinsame Denkarbeit wenden sollte. Dies könnten 5–7 Leute sein, die mindestens eines zustande bringen könnten, daß bei den Parteidiskussionen wenigstens einer ist, der sich dem theologischen Verständnis und der Begründung des anderen in den Grundfragen reflektierend und argumentierend gestellt hat. Die opinio communis in unserem Lande dachte bisher kühl über Parteiprogramme. Dies muß nicht so bleiben. Der Bildungsstand des Bürgers von heute, mindestens seine Diskussionsfähigkeit ist allein schon durch den Einfluß von Rundfunk und Fernsehen mit dem vor 30 Jahren nicht zu vergleichen. Die Wahlversammlungen der letzten Jahre haben mindestens teilweise schon einen mit den 50er Jahren nicht zu vergleichenden Charakter gehabt. Aber auch abgesehen davon werden die Kirchen in jedem Fall die geistigen Wandlungen in 4 Vgl. dazu die bereits 1972 von Helmut Gollwitzer vertretene These in: Gollwitzer, Christ, 18; vgl. dazu Lepp, Gollwitzer, 228.

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den Parteien sorgfältig beobachten und begleiten müssen. Es gibt eben keinen theologischen Satz, der politisch unschuldig ist, und es gibt auch keinen politischen Satz, der theologisch unschuldig ist. […]

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67 Berlin, 23. Mai 19751 EZA Berlin, 742/8, msl. mit hsl. Ergänzungen […] In dem immer komplizierter werdenden Geflecht der Weltpolitik ist es schwer, in einer Beschreibung der Lage zu begründeten Aussagen zu kommen. Die Fülle der Ereignisse ist so groß und vor allem so kompliziert, daß man bei einer Bemühung um Vollständigkeit nur Überschriften aufzählen könnte. Ich beschränke mich deshalb in unserem Kreise darauf, an einigen konkreten Fragen deutlich zu machen, daß der deutschen Außenpolitik kein Provinzialismus mehr erlaubt ist und sie sich in internationalen Aufgaben engagieren muß. Sprechen wir Christen in der Bundesrepublik mit der Regierung über das Zentralthema der Weltpolitik, die Entspannung, dürfen wir nicht nur auf die NATO und den Warschauer Pakt achten. Führten die Regierung und die Parteien dies Thema in die für Herbst geplanten Gespräche ein, müßte unser Teilnehmerkreis mindestens die Horizonte der Zusammenhänge und Abhängigkeiten kennen. Seit Mitte April hat der Außenminister Genscher in Nahostfragen eine lebhafte Reise- und Vermittlungstätigkeit entfaltet. Dies wird mit der Bemühung zusammenhängen, den französisch-amerikanischen Differenzen schon vor dem Brüsseler NATO-Gipfel die Schärfe zu nehmen. Kissingers mißglückte Pendeldiplomatie zwischen Arabern und Israelis ist gewissermaßen von Genscher so unauffällig wie möglich fortgesetzt worden. Bonn will Kissinger eine neue Schlappe ersparen, ohne dabei doch Paris zu verärgern2. […] Die Bundesregierung hat auch in Griechenland und in der Türkei sich energisch und wie es scheint erfolgreich bemüht, die Verstimmung zwischen Kissinger und den beiden kleineren NATO-Partnern zu vermindern3. Es ist gelungen, Ankara durch die Zusicherung der Lieferung von Ersatzteilen aus Deutschland mit dem über die Türken verhängten amerikanischen Waffenembargo einigermaßen zu versöhnen. Eine besondere Verantwortung hat in allen diesen Verhandlungen unser Botschafter in Athen Oncken getragen. Dies auch in der Frage Zyperns und in der Behandlung der am Zypern-Putsch beteiligten griechischen Offiziere. Der Bundesregierung geht es darum, vieles, was an der Mittelmeerpolitik der USA und folglich der NATO im Sommer 1974 in Unordnung geraten war, vor dem NATO-Gipfeltreffen wieder zu heilen. Dies 1 Kunst hielt diesen Bericht vor dem Rat und der Kirchenkonferenz. 2 Nachdem seine Vermittlungsbemühungen gescheitert waren, hatte der amerikanische Außenminister Kissinger seine Nahostreise nach Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien in der Nacht zum 23. 3. 1975 abgebrochen; vgl. dazu AAPD 1975, Bd. I, 306. Zur NATO-Ratstagung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs am 29./30. 5. 1975 in Brüssel vgl. ebd., 649–661. 3 Im Juli 1974 war die türkische Armee in Zypern einmarschiert, nachdem Griechenland – das seit 1959 neben der Türkei und Großbritannien als Garantiemacht Zyperns fungierte – ein brutales Marionettenregime auf Zypern installiert hatte; vgl. dazu Brenner, Operation.

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wäre selbstredend nicht ein Alleinverdienst von Bonn, aber daß die deutschen NATO-Partner monatelang auf der Linie der Versöhnung zwischen den Amerikanern und den verärgerten Griechen und Türken gearbeitet haben, ist unverkennbar. Am 8. Mai wurde in Bonn bekannt, daß Genscher nun auch die Absicht hat, durch eine Reise nach Südostasien im Herbst die amerikanischen Bemühungen zur Stabilisierung der westlichen Position in Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien und auf den Philippinen zu unterstützen. Gedacht ist an ein gemeinsames Auftreten der EG zur Förderung des Integrationsprozesses in diesen Ländern. Bonns humanitäre Bemühungen für alle vom IndochinaKrieg betroffenen Gebiete sollen fortgesetzt werden. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Saigon, Hanoi, Kambodscha und so weiter ist vorgesehen, falls Initiativen dazu von den dortigen Regierungen ausgehen. Das amtliche Bonn setzt auf ein Verbleiben von Außenminister Kissinger auf seinem Posten, zumindest bis zum Präsidentenwechsel von 19764. Dies dürfte auch im Interesse der komplizierten amerikanisch-sowjetischen Bemühungen um einen SALT-Erfolg liegen5. Das Auswärtige Amt meint, daß Moskau sich nicht minder als Bonn auf ein weiteres Jahr mit Kissinger einrichte. Der Kreml halte ihn, gerade in seiner gegenwärtigen Bedrängnis, für den weitaus bequemsten Verhandlungspartner in sowjetisch-amerikanischen Koexistenzund Entspannungsfragen6. Nur wenn Kissinger sich auf einer Genfer NahostKonferenz zu sehr für die Position Israels engagiere, könne darin ein Wandel eintreten7. Die NATO-Demonstration in Brüssel und der Fortgang der KSZEVerhandlungen rangieren für die Weltentspannungs-Chancen erst in zweiter Linie. Ob Kissinger gewillt ist, Israel und seine Wortführer in Amerika zum Nachgeben zu bewegen, das ist, ungeachtet der NATO-Gipfelkonferenz, die entscheidende Frage. Wenn auch der Krieg in Vietnam beendet ist, wird dies kaum der Anfang einer Beruhigung in Südostasien sein. Über sehr viele Reaktionen kann man noch kein Urteil haben, also etwa darüber, welchen Rang Peking und Moskau bei der künftigen Entwicklung spielen werden, oder ob die südostasiatischen Staaten eine Anlehnung an eine der Weltmächte suchen oder ein gemeinsames Bündnis der kleineren und mittelgroßen Staaten anstreben, daß dadurch in Zukunft mit einer multipolaren Weltstrategie ge4 Kissinger blieb auch nach dem Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon am 9. 8. 1974 unter dem neuen US-Präsidenten Gerald Ford bis zum Ende von dessen Amtszeit 1977 Außenminister der USA. 5 Die USA und die Sowjetunion hatten seit dem 25. 9. 1973 über SALT II verhandelt. Am 18. 6. 1979 wurden die SALT II–Verträge unterzeichnet. Zu deren Charakterisierung vgl. Görtemaker, Entspannung (online). 6 Das Vietnam-Debakel und der Rücktritt Nixons hatten das moralische und politische Ansehen der USA in der Welt empfindlich geschwächt; vgl. Görtemaker, Krise (online). 7 Die erste Friedenskonferenz für den Nahen Osten auf Außenministerebene fand am 21. 12. 1973 unter dem Vorsitz der USA und der Sowjetunion in Genf statt. Dort beschloss man eine Fortsetzung der Verhandlungen auf Botschafterebene; vgl. dazu AAPD 1975, Bd. I, 129.

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rechnet werden müßte. Eindrucksvoll bleibt die Behandlung, die sowohl Moskau wie Peking Amerika in der letzten Phase des Krieges in Vietnam haben erfahren lassen. Erst Anfang Mai ist bekannt geworden, daß die Sowjetregierung eine wichtige Vermittlerrolle bei den 10-tägigen Geheimverhandlungen gespielt hat, die die USA mit Nordvietnam im Interesse einer möglichst reibungslosen Evakuierung Saigons durch die Amerikaner geführt haben. Die Sowjetische Botschaft in Washington reichte über Moskau amerikanische Vorschläge über eine „politische“ Lösung des Konfliktes und über den Abtransport besonders „gefährdeter“ Südvietnamesen nach Hanoi weiter8. Kissinger hat das bestätigt mit den Worten: „ich glaube, wir haben von der Sowjetunion bei den Evakuierungsanstrengungen einige Hilfe erhalten.“ Kissinger fügte hinzu, bevor man ein Werturteil über dies Verhalten abgebe, solle man zunächst einmal die ausgetauschten Botschaften analysieren. Die Öffentlichkeit kann sich daran vorerst nicht beteiligen, denn der Wortlaut ist noch nicht bekannt. Politische Schlüsse lassen sich aber insofern bereits ziehen, als man weiß, daß die Nordvietnamesen und der Vietkong nach Erhalt der von den Sowjets übermittelten Botschaft völlig überraschend eine 6-tägige Kampfruhe anordneten. Erst als die Amerikaner keine Eile mit der Beendigung der Evakuierungsaktion zeigten, zwang man sie demonstrativ zu überraschendem Abzug. In der sowjetischen Presse ist dieses Zwischenspiel überhaupt nicht erwähnt worden. Sie enthielt sich aber auffällig jeder scharfen Kritik des amerikanischen Verhaltens in der Schlußphase des VietnamAbenteuers. Der Sieg der Vietnamesen wurde in den bekannten „Losungen zum 1. Mai“, die in der Sowjetunion immer die aktuellen Weltgeschehnisse in kommunistischem Sinn würdigen, überhaupt nicht erwähnt. Auch über die zahlreichen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die Kriegsverbrechen im Rahmen der Pazifizierungsaktion wurde kein Wort verloren. Man begnügte sich mit der Bemerkung, die Niederlage Saigons sei unausweichlich gewesen. Die Prawda traf lediglich die Feststellung: „Die ganze fortschrittliche Menschheit unterstützt die legitimen Interessen des Vietnamesischen Volkes.“ Im Zusammenhang damit heißt es, das Wladiwostoker Abkommen zwischen Breschnew und Ford über die Begrenzung strategischer Angriffswaffen sei von großer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen9. In Bezug auf die Hindernisse, die sich der Entwicklung dieser Beziehung noch entgegenstellen, ist ausschließlich auf das Scheitern des amerikanisch-sowjetischen Handelsvertrages verwiesen worden. Es scheint so, daß für die sowjetische Führung die Entspannung und die gute Beziehung zu den USA gegenwärtig wichtiger sind als alles andere. Amerikanische 8 Zur Geheimdiplomatie Kissingers mit den kommunistischen Machthabern in Nordvietnam vgl. Frey, Geschichte, 209; vgl. auch die Berichte vom 10. 8. 1973 (Dok. 59), Anm. 9; und vom 28. 9. 1973 (Dok. 60), Anm. 8. 9 Bei den amerikanisch-sowjetischen Abmachungen vom 24. 11. 1974 ging es um die Begrenzung strategischer Offensivwaffen. Die gemeinsame Erklärung von Ford und Breschnew bildete die Grundlage für den SALT II–Vertrag; vgl. Wladiwostok-Erklärung (online).

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Empfindlichkeiten sind in allen sowjetischen Massenmedien geschont worden. Dahinter wird sich verbergen die Rücksichtnahme auf die laufenden SALT-Verhandlungen in Genf und der sowjetische Wunsch, dem Abschluß der KSZE-Konferenz in Helsinki keine neuen Hindernisse zu bereiten. Man wird aber auch in diesem Zusammenhang alsbald wieder auf den Nahost-Konflikt verweisen müssen. Ägypten und Syrien scheinen über von den Sowjets gelieferte weittragende Raketen zu verfügen, das Gleiche gilt für Israel durch Amerika. Die Sowjets haben wohl ein Signal dadurch setzen wollen, daß sie Arafat bei seinem letzten Besuch in Moskau Anfang Mai zwar die Rückgabe sämtlicher israelisch besetzter Gebiete seit 1967 zugesichert haben, wie auch die Teilnahme der PLO an einer Genfer Nahost-Konferenz, gleichzeitig aber die Errichtung eines PLO-Büros in Moskau nicht zugelassen haben. Moskau meint also, es habe Ford und Kissinger angezeigt, daß es den Weg zu einer gemeinsamen Nahost-Garantie der beiden Supermächte offengelassen habe. Es biete einem selbständigen Staat Israel neben einem ebenfalls souveränen Staat Palästina aus Westjordanien und dem Gaza-Streifen. Jetzt liege es an den USA, Israel diese Lösung mit sanfter Gewalt aufzuzwingen. Die Gruppe der EG-Länder neigt übrigens der sowjetischen Nahost-Konzeption zu. Als der israelische Ministerpräsident Rabin im Deutschen Fernsehen am 8. Mai anregte, Bonn solle sich von der gemeinsamen EG-Resolution vom 6. November 1973 wieder distanzieren, wurde dies durch Genscher in einem Interview vom 10. Mai ausdrücklich abgelehnt10. Genscher hat dem syrischen Außenminister, der am 11. Mai in Bonn war, dargelegt, daß trotz der engen deutsch-israelischen Kontakte der letzten Wochen die „klare sachliche“ EG-Stellungnahme vom November 1973 nicht aufgegeben werde11. Die Frage an Ford und Kissinger ist also, ob sie gegen die starke Israel-Lobby in Amerika und vor einem Wahljahr Israel zu einem Friedensschluß mit den Arabern nach Maßgabe der UN- und EG-Entschließungen zwingen wollen, also zum Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalems gegen eine doppelte Garantie seiner Sicherheit durch Amerikaner und Sowjets. Dies wäre freilich auch für die USA ein großes Opfer, denn sie sehen es nur ungerne, daß sich die Vormacht des Ostens damit in aller Form am Mittelmeer als Ordnungswächter installiert. Geschehe dies, müßte sich außerdem die amerikanische Außenpolitik auf eine Bedeutungssteigerung der UN einlassen. Nur die Vereinten 10 Zur Erklärung der europäischen Staaten vgl. den Bericht vom 7./8. 12. 1973 (Dok. 61). In dem hier erwähnten Interview vom 9. 5. 1975 antwortete Bundesaußenminister Genscher auf die Frage, ob er die Notwendigkeit sehe, im Interesse der ausgewogenen deutschen Nahost-Politik bestimmte Positionen im Verhältnis zu Israel zu überprüfen: „Unsere Nahost-Politik bedarf keiner Änderung“. Dazu gehöre auch, „unseren arabischen und israelischen Freunden zu sagen, daß wir nur eine Konfliktregelung für aussichtsreich halten, die den Grundsätzen der europäischen Erklärung vom 6. Dezember 1973 [richtig: 6. November] entspricht“; zitiert nach AAPD 1975, Bd. I, 502. 11 Vgl. „Gespräch des Bundesministers Genscher mit dem syrischen Außenminister Khaddam“ (ebd., Dok. 112, 499–504).

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Nationen bieten den völkerrechtlich gegebenen Rahmen für eine NahostGarantie der beiden Großmächte. Die UNO aber ist wegen ihrer kompakten Mehrheit mittlerer und kleinerer Staaten der Dritten Welt für die USA ein auf allen Kontinenten unbequemes Gremium. Dies alles ist wahrscheinlich gemeint, wenn in Washington jetzt von der Notwendigkeit einer „Neubewertung“ großer Teile der amerikanischen Außenpolitik gesprochen wird. Im Bundeskanzleramt sind eine Reihe von Äußerungen führender Abgeordneter und Senatoren in Amerika sorgfältig geprüft worden, also etwa der Verzicht des Fraktionsführers Mansfield, in diesem Jahre seinen seit 1966 regelmäßig vorgelegten Antrag über Truppenverminderung in Europa einzubringen. Senator Nunn hat auf seinen Antrag auf Kürzung der amerikanischen Streitkräfte in Südkorea verzichtet. Der demokratische Fraktionsführer O’ Neill hat seinen Antrag auf Gesamtkürzung der amerikanischen Streitkräfte um 100.000 Mann in Europa zurückgezogen. Der Bundeskanzler hat die Absicht, hierauf aufbauend in Brüssel auf der NATO-Konferenz nun auch sein eigenes Hauptanliegen wieder vorzubringen, den Wunsch, daß der Westen sich in diesem Sommer mit den aktuellen Weltwirtschafts- und Weltwährungsproblemen befaßt. Wollen sich die USA zusammen mit ihren Verbündeten, Westeuropa und Japan auf ein neues stabiles politisches System in einer multipolaren Welt einstellen, müssen sie eindrucksvolle Ideen und glaubhafte strategisch-politische Konstruktionen miteinander verbinden. Die New York Times hat Anfang Mai mit folgenden Sätzen die Verlegenheit der amerikanischen Regierung beschrieben: „Sowjetische Waffen in Indochina und Syrien, Sowjetische Diplomatie im Nahen Osten und Sowjetisch orientierte Kommunistische Parteien in Portugal und Italien haben insgesamt zu einer Entstabilisierung der Weltsituation von Saigon bis Jerusalem beigetragen. Die Wiener Gespräche zwischen NATO und Warschauer Pakt über einen beiderseitigen Truppenabbau haben sich festgefahren, das Gleiche gilt für die sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen zur Begrenzung unterirdischer Atomversuche. Der Zusammenbruch Kambodschas und Südvietnams hat die Spannungen zumindest für die Vereinigten Staaten in ein Trauma verwandelt. Unter diesen Umständen ist es schwierig, sich positive Ergebnisse eines Treffens zwischen Breschnew und Ford vorzustellen.“12 Die Mitteilung des Bonner Auswärtigen Amtes vom 12. Mai, daß Kissinger am 20. und 21. Mai Berlin besuchen wird, hat in der DDR-Vertretung in der Bundesrepublik Unruhe ausgelöst. Man ist befremdet, daß der amerikanische Außenminister in West-Berlin von einem Bundesminister begleitet sein wird, da nach östlicher Lesart die Bundesrepublik „weder in West-Berlin Regierungsbefugnisse ausübt, noch die Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik beanspruchen darf“. Auch daß Kissinger die Absicht hat, vor dem 12 Zu der hier beschriebenen Situation des Westens, dessen strategische Position gegenüber dem Ostblock sich seit dem Ende des Vietnam-Krieges zusehends verschlechterte vgl. Lindner, Weltkommunismus, 554.

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Abgeordnetenhaus in West-Berlin eine Ansprache zu halten, liegt nicht im Sinne der DDR-Berlin-Politik. Dies alles braucht nicht besorgniserregend sein. Nach dem Vietnamdebakel wird Amerika in diesem Augenblick der Weltöffentlichkeit in großer Klarheit deutlich machen, daß es unzweideutig zu seinen Verpflichtungen in Berlin steht. Im übrigen wird auch hier wegen des russischen Bemühens um einen baldigen KSZE-Abschluß in Helsinki Rücksicht genommen werden. Dies ist alles um so wichtiger, als die Aussparung des Berlin-Problems im vorgesehenen KSZE-Programm einer der besonders schwachen Punkte der Verhandlungen in Genf ist. Es werden nur die bestehenden Staatsgrenzen gefestigt. Ihre Unverletzlichkeit soll die Bestimmung garantieren: „die Teilnehmerstaaten betrachten alle beiderseitigen Grenzen wie auch die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich. Deshalb werden sie sich jetzt und künftig jeder Anschläge auf diese Grenzen enthalten. Sie werden sich dementsprechend auch jeder Forderung oder Handlungen enthalten, die auf die Eroberung und Usurpation eines Teiles oder des gesamten Territoriums irgendeines Teilnehmerstaates gerichtet sind“. Diese PrinzipienErklärung deckt die Sicherheitsbedürfnisse West-Berlins nicht ab. Es ist ja nach östlicher Vertragsauslegung kein „Staat“, sondern nur ein „politisches Gebilde“. Die Probleme von Korb 3 mit dem freieren Austausch von Menschen, Ideen und Informationen sind auf dem Papier befriedigend gelöst. Die Ostblockstaaten haben sich aber eine Hintertür offengelassen durch ihr Beharren darauf, daß die innere Gesetzgebung der Teilnehmerstaaten allein darüber entscheidet, was in dieser Hinsicht zulässig und was verboten ist. Nach meiner Kenntnis herrscht bei den westlichen und neutralen Staaten kein Zweifel darüber, daß jeder Ostblockstaat bei dem geringsten Anzeichen des Auflebens von Liberalisierungstendenzen die ideologische „Abgrenzung“ genauso so unnachsichtig vervollständigt werden [richtig: verfolgen wird] wird, wie die DDR es trotz des Grundlagenvertrages tut. Aus diesem Grund will der Westen auch nicht dem sowjetischen Verlangen nachgeben, die künftige Nachrichtenausstrahlung von Fernsehsatelliten einer Sowjetzensur zu unterstellen oder die Sendungen von Radio Liberty oder Radio Free Europe zu unterlassen. Die CDU meint, die Bundesregierung solle vor Beginn der Abschluß-Gipfelkonferenz in Helsinki noch einmal öffentlich klarstellen, daß die deutsche Option der Wiedervereinigung und die Europäische Option des politischen Zusammenschlusses von dem KSZE-Ergebnis nicht berührt werden. Vorher dürfe das Schlußdokument von der Bundesregierung und auch ihrer NATO-Verbündeten nicht unterzeichnet werden. Die Amerikaner hätten nichts dagegen, nur hat Kissinger die sowjetische Unterstützung bei der Entschärfung des Nahost-Konfliktes so bitter nötig, daß er kaum an Deklarationen interessiert sein kann, die geeignet sind, seine Position gegenüber Gromyko und Breschnew zu verschlechtern. Er hat denn auch vorsorglich schon in zwei Reden am 13. Mai davor gewarnt, die bisherigen Fortschritte in der Entspannungspolitik zwischen den Supermächten durch Auseinandersetzungen

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in Randgebieten zu untergraben. Er hat bei dieser Gelegenheit auch die Erzielung eines stabilen politischen und militärischen Gleichgewichtes in Europa erwähnt und sich dagegen verwahrt, daß Schwierigkeiten, wie sie zum Beispiel der NATO in Portugal erwachsen, immer gleich auf das Schuldkonto der Sowjets geschrieben würden. […] Portugal13 Die aus den Wahlen am 25. April hervorgegangene verfassunggebende Versammlung wird am 2. Juli ihre erste Sitzung halten. Die Entwicklung in Portugal wird nicht nur von den NATO-Ländern, sondern international mit größtem Interesse beobachtet. Die Militärs haben die Versammlung auf eine mannigfache Weise in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Vor allem soll die Versammlung genötigt werden, ihre neue Verfassung einstimmig vorzulegen. Bei solcher Einengung kann man nicht auf ein demokratisches Konzept hoffen. Wichtiger wird sein, welche Kräfte in der Militärregierung sich durchsetzen werden. Ein Teil ist sicher kommunistisch gesonnen. Ein anderer sozialistisch, den Rest nennt Willy Brandt Natursozialisten. Möglicherweise hat das für die Sozialisten erstaunlich gute Wahlergebnis auch Rückwirkungen auf das innere Gefüge der Militärregierung. Die Diagnosen der Politiker sind ganz unterschiedlich. Die langfristige Taxe darüber, ob Portugal wenigstens in Grundfragen in Zukunft demokratisch regiert werden wird, schwankt zwischen 25–60 %. Man darf bei der Beurteilung der Verhältnisse in Portugal nicht unterschätzen, daß etwa die Hälfte der Bewohner noch Analphabeten sind. Portugal ist unter dem Stand zahlreicher Entwicklungsländer. Dies hat seinen Grund nicht nur darin, daß das Land von 1926–1974 durch eine Diktatur regiert wurde. Das Land wollte seine Kolonien durchhalten. Dies hatte zur Folge, daß die Hälfte des Etats für die Armee ausgegeben werden mußte. Von daher muß man auch den Rang begreifen, den die Armee heute im Lande hat. Wahrscheinlich muß man auch sehr differenziert mit dem Etikett kommunistisch umgehen. Überall in der Welt regt sich der Nationalismus. Die Befreiungsbewegungen laufen zu einem großen Teil unter der Flagge kommunistisch. Das war in Algerien, Mozambique, Vietnam und Kambodscha so. Der Westen ist selbstverständlich an der Entwicklung in Portugal zunächst unter sicherheitspolitischen Aspekten interessiert. Portugal hat den Willen, in der NATO zu bleiben, durch Sprecher „Bewegung der Streitkräfte“ wiederholt und eindringlich bekräftigt. Die Bundesregierung ist deshalb ebenso wie Frankreich sehr entschieden gegen „chilenische Entwicklungen“. Aber alle Prognosen werden vor allem bedenken müssen, daß Portugal Ende dieses oder 13 Am 25. 4. 1974 hatte das linksgerichtete Militär gegen die autoritäre Diktatur in Portugal geputscht. Hintergrund war vor allem der ausweglose Krieg Portugals um den Erhalt seiner Kolonien. Kunst berichtet hier über die unklaren Machtverhältnisse in Portugal nach der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung am 25. 4. 1975; vgl. dazu Reis, Revolution.

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Anfang nächsten Jahres in eine außerordentliche Wirtschaftskrise geraten wird. Bisher haben sich die Militärs bei der Neuordnung des Landes auch und gerade in Fragen der Wirtschaft verhalten, als handele es sich um die Aufstellung einer neuen Division. Sicher ist, daß die beiden großen Blöcke intensiv in Portugal an der Arbeit sind. Willy Brandt hat öffentlich keinen Zweifel darüber gelassen, daß die deutsche Sozialdemokratie alles tun wird, um ihre Genossen in Portugal zu unterstützen. Unter allen Umständen soll verhütet werden, daß die Militärregierung etwa durch Kapitalentzug nach links abgetrieben wird. Daher will sich Bonn in der EG für die Errichtung einer portugiesischen Entwicklungsbank einsetzen und für die Finanzierung von Bewässerungsanlagen. Man hofft, amerikanische Finanzinstitute mit der Zeit für eine Beteiligung zu gewinnen. Um zu verhindern, daß in Portugal beunruhigte Bank- und Konzern-Interessenten die „kommunistische Gefahr“ zu groß herausstellen, betont die Bundesregierung in Gesprächen nachdrücklich, daß die Militärs und die linksgerichtete Provisorische Koalitionsregierung keineswegs nach dem Diktat des Weltkommunismus handele. Man ist auch überzeugt davon, daß Rußland in Portugal nicht die Konfrontation mit der NATO sucht. Jedenfalls ist die Bundesregierung bemüht, Portugal so weit wie irgend möglich zur Seite zu sein. Die Regierung in Lissabon diskontiert dies dadurch, daß der neue portugiesische Außenminister seinen ersten Auslandsbesuch in Bonn gemacht hat. Während der Brüsseler Tagung hat auch eine Begegnung zwischen Ford und dem portugiesischen Regierungschef GonÅalves stattgefunden. Ford hat nachher öffentlich gesagt, er habe mit GonÅalves „sehr freimütig“ über die nachteiligen Auswirkungen eines bedeutsamen kommunistischen Einflusses auf Lissabon gesprochen. GonÅalves hat dies mit einer öffentlichen Erklärung gekontert und gesagt, Portugal sei „kein trojanisches Pferd in der NATO“. Wahrscheinlich ist Ford über die deutsche Haltung in der Portugalfrage enttäuscht gewesen. Er befürchtet wohl, daß wir die kommunistische Gefahr unterschätzen. Die Amerikaner haben nicht vergessen, wie nach 1945 die Russen mit den Friedensverträgen mit den Ostblockstaaten umgegangen sind. Es gibt jedenfalls eine Reihe Amerikaner, die es für vollständig ausgeschlossen halten, daß die Kommunisten irgendwo in der Welt, wo sie es verhindern können, bejahen, daß ein kommunistisches Staatswesen etwa im Sinne von Dubcˇek aufgebaut wird. In Gesprächen sagen einem die Amerikaner, sie seien zwar überzeugt davon, daß sowohl der Kanzler wie sein Außenminister sich in dieser Sache keinen Täuschungen hingeben, aber es offenkundig nicht für publikumswirksam ansähen, dies vor der deutschen Öffentlichkeit auszusprechen. Soviel ich über die Frage Portugals in den letzten Monaten gelesen und gesprochen habe, riskiere ich kein Urteil. Ich fürchte, man kann nicht einmal eine halbwegs sichere Prognose darüber treffen, welche Konsekutiva in Portugal ergriffen werden, wenn die Wirtschaftskrise das Land an die Grenze führt. Den Anfang erleben die Portugiesen jetzt schon durch Rationierungen.

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Die Würzburger Synode sollte in meinem Lagebericht nicht unerwähnt bleiben. Von besonderer Bedeutung ist für uns die Verabschiedung des Papiers über „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit“14. Bei der Schlußabstimmung haben 212 Synodale mit Ja, 14 mit Nein gestimmt, 6 haben sich enthalten. Es hat sich also eine erstaunlich große Mehrheit für dieses Papier ergeben. Das darf aber nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen. Die Synode hat offenkundig einen erheblichen Lernprozeß in der Behandlung dieses Papiers durchgemacht. Es hat größere Auseinandersetzungen gegeben, als im Papier erkennbar werden. Einige Spannungen sind im Text geblieben. Entstanden ist das Papier auch im Gespräch mit anderen Kirchen. Es waren von uns beteiligt die Bischöfe Harms und Heintze, von den Methodisten Bischof Sommer, von den Alt-Katholiken Professor Küppers, von den Orthodoxen Bischof Augustinos. Es gibt in diesem Papier auch Unterschiede zu den Beschlüssen des 2. Vatikanischen Konzils. Eine große Rolle hat das Verhältnis von Einheit und Vielheit und die Geschichtlichkeit der Glaubensaussagen gespielt. Diese Fragen sind erst langsam entfaltet worden. In der Lehre von der Rechtfertigung ist man bei unseren katholischen Brüdern der Meinung, daß in der Tiefe Wittenberg und Trient übereinstimmen. Im Vatikanischen Konzil ist vieles prinzipiell ausgesprochen worden, das Synoden-Papier über die pastorale Zusammenarbeit hat konkrete Bezüge. Eine Rolle hat gespielt, welchen Stellenwert die Erfahrungen vor Gott haben. Bei einigen gab es keine Kritik gegenüber Erfahrungen, die wir schon miteinander gemacht haben. Andere haben gesagt, Erfahrungen sind nicht absolut, sie gelten immer nur hic et nunc. An die Stelle des Rechtes sind pastorale Bemühungen getreten. Es hat sogar eine Bitte an den Heiligen Stuhl gegeben. Meine katholischen Brüder sagen mir, dies sei während des Vatikanums noch undenkbar gewesen. Im übrigen sei bei diesem Papier nicht nur an die Evangelische Kirche, sondern auch an alle in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen vertretenen Kirchen gedacht worden. Hinweisen will ich auf den Artikel 7, 55. Er ist von einigen Leuten fast als revolutionär empfunden worden15. Faktisch hat es diese Rücksichtnahme wenigstens in einigen Bereichen schon in den verflossenen Jahrzehnten gegeben.

14 Kunst bezieht sich hier auf die Gemeinsame Synode der katholischen Bistümer in der Bundesrepublik (1971 bis 1975), die u. a. eine umfassende Erklärung zur Ökumene beschlossen hatte; vgl. Gemeinsame Synode, 765–802; und die Stellungnahme der EKD zum Beschluß der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit“ in: KJ 102 (1975), 137 f. 15 In Punkt 7.55 des Beschlusses zur Ökumene heißt es u. a.: „Wenn die genannten Maßnahmen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführt werden, ist das Ehehindernis der Konfessionsverschiedenheit entbehrlich […] Die Synode bittet deshalb den Papst um die Aufhebung des Ehehindernisses der Konfessverschiedenheit im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (Gemeinsame Synode, 796).

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Die Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft fehlt in dem Synodalbeschluß ganz. Dies hat seinen Grund darin, daß diese Frage eingegangen ist in das Papier über den Gottesdienst. Es wird erst im November verabschiedet werden. Es soll vorher in der Arbeitsgemeinschaft und in regionalen Konferenzen diskutiert werden. Am liebsten suche man auch noch das Gespräch mit der Europäischen Kirchenkonferenz. Aber die KEK sei ein sehr schwieriges Gebilde. In der DDR und vor allem in Polen ist das Verhältnis der Katholischen und der Reformatorischen Kirchen zueinander wesentlich anders als in der Bundesrepublik. Eine Bemerkung sollte ich in diesem Zusammenhang machen über den anstehenden Besuch von Erzbischof Casaroli in Ost-Berlin in diesen Tagen. Vorbereitet wird dieser Besuch seit Abschluß des Polen-Vertrages. Er ist nur ein Teil der gegenwärtigen Ost-Politik des Heiligen Stuhls. Selbstverständlich wird sie nicht primär durch Erzbischof Casaroli betrieben. Unzweifelhaft ist es die Politik des gegenwärtigen Papstes. Man wird daran erinnern müssen, daß seit Pius XII. kein Papst mehr ein gutes Wort über die sogenannten christlichen Parteien gesagt hat. Es ist eine sehr wichtige Frage, ob die Diagnose des Papstes über die westliche Welt stimmt. Man muß den Eindruck haben, daß er sehr kühl über den Westen denkt, ihn wahrscheinlich sittlich für morbide hält. Er meint wohl, im Westen ein geringeres Maß an Vitalität und innerer Gesundheit bei den Völkern zu beobachten als bei den Völkern des Ostens. Natürlich rechnet er nicht mit einer großen Missionschance im Osten. Aber er möchte den dortigen katholischen Kirchen jede ihm mögliche Hilfe gewähren. Bemerkenswert genug ist, wie dilatorisch der Papst die Einreden der deutschen Katholiken hinnimmt. Als im vergangenen Jahr ein Kardinal zum ad limina-Besuch in Rom war und dabei auch Casaroli besuchte, trug er ihm die Besorgnisse in unserem Lande vor. Darauf hat Casaroli lediglich gesagt: „Dies ist mir bekannt.“ Auf eine Diskussion hat er sich nicht eingelassen. In wenigen Wochen werden die Parteien beginnen, ihre Strategien für den Bundestagswahlkampf 1976 festzulegen. Selbstredend werden die Bundesparteitage der CDU und der SPD im Juni und November noch Sachaussagen machen. Dies wird nichts ändern an der Entschlossenheit aller Parteien, den Wahlkampf mit einem Maximum von Heftigkeit zu führen. Nun ist selbstverständlich ein Wahlkampf für einen an den Geboten Gottes orientierten Bürger nie von erbaulichem Charakter, aber wir müssen nicht nur in Rat und Kirchenkonferenz, auch die Werke müssen prüfen, ob und welchen Beitrag sie leisten wollen und können. Das Ziel kann wohl nur in dem Bemühen um Versachlichung der Auseinandersetzungen bestehen. Der Rat hat die Absicht, im Herbst noch einmal mit allen Präsidien der Parteien ein Gespräch zu führen, natürlich mit jeder Partei allein. Dabei soll nicht nur der politische Horizont in Allgemeinheiten abgeschritten werden. Der Rat plant, den Parteien einen präzisen Katalog von Fragen vorzulegen. Ob die Parteien bereit sein werden, auf diese Fragen schriftlich zu antworten, kann man heute noch

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nicht sagen. In jedem Fall wird ein Protokoll über die Gespräche geführt werden16. Der Rat geht davon aus, daß auch die Landeskirchen ein waches Auge haben müssen, und zwar nicht nur aus der Sorge, daß keine groben Grenzüberschreitungen durch Amtsträger während des Wahlkampfes passieren. Möglicherweise ist es für die Landeskirchen hilfreich, sorgfältig über den Ertrag der geplanten Gespräche informiert zu werden. Den genannten Fragenkatalog zu erstellen ist nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten. Eine Kernfrage wird die der Wirtschaft sein. Damit hängen Finanz- und Währungsprobleme zusammen. Selbstredend hat der Rat die Möglichkeit, sich durch Fachleute von Belang beraten zu lassen. Trotzdem wird er sich hüten, diese Dinge zum Gespräch zu bringen. Nur wenige der Ratsmitglieder wären in der Lage, eine solche Diskussion zu bestreiten. Sicher wird der Rat die Bildungsfrage nicht nur allgemein anschneiden. Ich könnte mir denken, daß die Frage nach den Bildungsinhalten aufgeworfen werden wird, auch die Frage, ob der Staat bzw. die Parteien die Absicht haben, die freien Initiativen zu stärken. Läßt sich der Rat auf die Reformpläne ein, wird er von den Parteien wissen wollen, wie die Priorität der Bildungsfrage im Gesamtkonzept sein soll und welche Mittel dafür bereitgestellt werden. Wichtiger wird sein, von den Parteien zu erfahren, in welchem Verhältnis sie ihre Reformpläne zu den Verfassungen der Länder sehen. Der Artikel 7 der nordrhein-westfälischen Verfassung spricht vom Inhalt und Ziel der Bildung, in dem er von der Ehrfurcht vor Gott, der Erziehung zur Menschenwürde und sozialem Helfen spricht. Ist nicht die geistige Grundlage in den Schulen verändert, wenn die Emanzipation in den Mittelpunkt gerückt wird? Ein anderer Bereich, der vom Rat angesprochen werden sollte, ist die Sozialpolitik. Vielleicht spricht man am besten über diese Sache unter dem Thema „Selbstverantwortung in der Sozialpolitik.“ Dies würde nicht nur die Frage nach dem Stellenwert der freien Kräfte in der Gesellschaft zum Inhalt haben. Es ginge unter diesem Thema auch um die Situation der Familie, die Grenzen der Daseinsvorsorge und das soziale Sicherungssystem. Ein anderer Fragenkreis könnte sich auf die Sicherung der Zukunft beziehen. An dieser Stelle müßte gesprochen werden nicht nur über die Entwicklungshilfe, sondern auch über die Rolle des Staates im Blick auf die sittlichen Grundwerte im Volk. Möglicherweise gehört hierhin auch die Frage der Gastarbeiter. Es ist etwas herb formuliert, wenn ich sage, man hat gelegentlich den Eindruck, als seien wir dabei, eine Herrengesellschaft zu etablieren, die selbstredend ihre Sklaven braucht. Wahrscheinlich wird man den Einzelfragen eine etwas umfassendere Präambel voranstellen müssen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als gäbe es eine Reihe von relevanten Fragen für uns nicht, also etwa die Bevölkerungsexplosion und die Umweltschäden. Haben wir die geistige Kraft, sollte 16 Vgl. das 20-seitige Protokoll über die Gespräche des Rates der EKD mit den Präsidien der im Bundestag vertretenen Parteien im Januar des Wahljahres 1976 in: EZA Berlin, 87/2308.

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die Präambel eine Situationsanalyse enthalten. Selbstredend müßte sie den Eindruck des Miesmachens vermeiden. Das Beste wäre natürlich, wenn es uns wie bei der Ost-Denkschrift 1965 geriete, die Tabus, die es in allen Parteien gibt, zu durchbrechen. Aber mir ist nicht sicher, daß uns dies bei der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit geraten kann. Ich meine mit allem diesen nur eine Information. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob der Rat sich auf das, was ich bisher genannt habe, überhaupt einlassen oder etwas vollständig anderes will. Ich wollte nur ein wenig konkretisieren, was nach meiner Meinung für ziemlich viele Werke im Blick auf 1976 Bedeutung haben wird. Wir haben nicht die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die eine oder andere Partei die Wahl gewinnt. Aber wir haben eine Mithaftung für die Sachlichkeit der politischen Auseinandersetzungen.

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68 Nürnberg, 27. September 19751 EZA Berlin, 742/10, msl. mit hsl. Ergänzungen Südafrika Über den Besuch der von der VELKD eingeladenen kirchlichen Delegation wird an anderer Stelle der Tagesordnung ausführlich berichtet werden2. Von einem gewissen Nutzen mag gewesen sein, daß ein Teil der Delegation bei mir in Bonn war. Nach einem gemeinsamen Abendessen kam es zu einem ausführlichen Gespräch mit Vertretern des Auswärtigen Amtes und Staatssekretär Kollatz. Offenkundig empfanden es unsere Brüder aus Südafrika als hilfreich, daß sie vor den Ohren der Vertreter der Regierung ihre Sorgen sehr offen aussprechen konnten. Die Beamten des Auswärtigen Amtes haben den Vorgang für so wichtig angesehen, daß sie dem Außenminister darüber berichtet haben. Ihn interessierte diese Sache umsomehr, als er vorher ein Gespräch mit dem südafrikanischen Botschafter Muller gehabt hatte3. Bei dem Gewicht, das unsere Kirche in den vergangenen Jahren der südafrikanischen Frage zugewandt hat, möchte ich zu diesem Besuch einige Bemerkungen machen. Herr Muller war von Herrn Genscher nicht eingeladen worden. Er hatte sich erkundigt, ob er bei der Einweihung des neuen Botschaftsgebäudes der süd1 Dieser Bericht wurde vor dem Rat der EKD und der Kirchenkonferenz gehalten. 2 Auf Einladung der EKD besuchte eine Delegation der FELCSA bestehend aus acht kirchenleitenden Persönlichkeiten Südafrikas und Namibias vom 6. bis 25. 9. 1975 die Bundesrepublik. Vier Delegierte sprachen am 16.9. im Hause Kunsts vor einem Kreis leitender Beamter aus dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit über die jüngsten Verhaftungen und die finanzielle Auszehrung kirchlicher Organisationen in ihren Ländern. Sie bezeichneten die Apartheid als Frucht der christlichen Mission und beklagten, dass es weder von Seiten der Bundesregierung noch seitens der EKD energische Proteste gegen das Apartheidregime gebe. Die EKD wurde aufgefordert, die farbigen Kirchen tatkräftig zu fördern, da die Auseinandersetzung nicht zwischen „Weißen und Schwarzen“, sondern zwischen „weißen und schwarzen Christen“ stattfinde. Darüber hinaus forderte man von der EKD, nachdrücklich auf die südafrikanische Regierung einzuwirken, „auch in Form eines Wirtschaftsboykotts“; vgl. Rudolf Orlt: „Besuch aus Südafrika“ (EZA Berlin, 87/1612). Der letzten Forderung wollte man in der EKD jedoch nicht nachkommen. In der Stellungnahme Bischof Alfred Petersens, der dem Ratsausschuss für das Südliche Afrika (ständige Südafrika-Kommission) vorstand, hieß es u. a., dass sich ausländische Investitionen vorteilhaft auf alle Bevölkerungsgruppen auswirkten, „besonders auch auf die schwarzen Gruppen“. Außerdem bleibe der ethische Auftrag der Kirche bestehen, die Industrie zu sozialen und menschlichen Besserungen zu drängen – trotz aller wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit der Investitionen; vgl. das Protokoll der 35. Sitzung des Rates der EKD vom 26./27. 9. 1975 in Nürnberg (EZA Berlin, 2/8390); sowie die Entschließung des Rates der EKD zu Verhaftungen von Mitgliedern unserer Partnerkirchen in Südwestafrika/ Namibia und in der Republik Südafrika vom 26. 9. 1975 in: Kundgebungen 3, 234; vgl. dazu die Berichte vom 13.–15. 5. 1976 (Dok. 71), Anm. 13; und vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 17. 3 Bundesaußenminister Genscher empfing am 22. 6. 1976 den Außenminister der Republik Südafrika Hilgard Muller zu einer Aussprache; vgl. die Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 24. 6. 1976 (EZA Berlin, 87/1612).

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afrikanischen Republik Gelegenheit haben könne, den Außenminister zu sprechen. Die Protestaktionen und Protestschreiben gegen dieses Gespräch sind erheblich schwächer und weniger zahlreich gewesen, als man vermutet hatte. Ursprünglich waren 2–3 Stunden für die Unterredung vorgesehen, dann aber geriet es wegen der Haushaltsdiskussionen unter nicht gewollten Zeitdruck. Abgesehen von einem Essen haben Genscher und Muller nur 80 Minuten miteinander gesprochen, von denen wegen der Übersetzung 40 Minuten abzustreichen sind. In dieser kurzen Zeit konnte nicht viel gesagt werden. Unser Außenminister konzentrierte sich auf ein Thema, das er zwar nicht erfunden hat, aber mit besonderer Intensität und Häufigkeit anschneidet: die Endphase der Entkolonialisierung. Es ist also im wesentlichen von Namibia und Rhodesien gesprochen worden. Die inneren Probleme der südafrikanischen Republik sind nicht vorgekommen. Jedoch hat Herr Genscher unseren überall vertretenen Standpunkt, daß die Bundesregierung prinzipiell gegen Apartheid ist, deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Hinblick auf Namibia hat Genscher Muller gesagt, daß wir voll hinter den UN-Beschlüssen stehen, und daß er es für falsch hielte, in dieser Angelegenheit auf Zeitgewinn zu spielen. Muller zeigte sich völlig unnachgiebig in seiner Haltung und brachte zum Ausdruck, daß die Überzeugung seiner Regierung sei, daß man für die künftige Entwicklung Zeit brauche. Man müsse sich erst an den Umgang und an das Zusammenleben miteinander gewöhnen. Die Gespräche mit einigen afrikanischen Staatsmännern haben offenbar alte Hoffnungen auf einen Wirtschaftsverbund Südliches Afrika wieder gestärkt. In diesem Optimismus sehen sich die Südafrikaner vor allen Dingen auch durch die Spannungen im afrikanischen Nationalrat (ANC) bestärkt. Durch diese Spaltung im ANC steht zur Zeit kein rechter Gesprächspartner für Vorster zur Verfügung. Muller hat bei aller Unnachgiebigkeit aber auch zu verstehen gegeben, daß Vorster aus innenpolitischen Gründen sich nicht so frei bewegen könne, wie er es möchte. Das kurze Gespräch hat nichts Neues erbracht. Das Positive liegt wohl darin, daß Muller den an sich bekannten Standpunkt der Bundesrepublik auf diese Weise noch einmal durch den Außenminister persönlich hat zur Kenntnis nehmen können und hören mußte, daß die Stellung der Bundesregierung in dieser Frage im Grunde sich von der anderer westlicher Regierungen nicht unterscheidet. Um die Schwierigkeiten für die Bundesrepublik in dieser Sache zu erkennen, muß man sich immer wieder an einige Daten erinnern. Seit 1974 ist die Bundesrepublik der größte Lieferant Südafrikas geworden. Die deutschen Investitionen haben im letzten Jahrzehnt um das 20-fache zugenommen. Südafrika produziert 70 % des Goldes in der westlichen Welt; an Platin verfügt es über die Hälfte und an Diamanten über 40 % des Weltaufkommens. Im Blick auf den Diamantenbedarf der Industrie ist die letzte Ziffer von besonderem Gewicht. Hinzu kommt, daß Südafrika dank seiner Lage an der großen Oelroute zwischen Westeuropa und dem Persischen Golf strategisch eine

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Schlüsselposition einnimmt. Natürlich hat Herr Muller nicht versäumt, Herrn Genscher auf diese Dinge aufmerksam zu machen. Ziemlich sicher haben unsere Brüder in der südafrikanischen Delegation mit ihrer Klage über die Deutsche Botschaft in Pretoria Recht. Unser Botschafter hat es noch in diesen Wochen für möglich gehalten, öffentlich zu sagen: „Die Freundschaft zwischen unseren Völkern in den Stürmen der Geschichte wird immer fester und unverbrüchlich bleiben.“ Ich denke, es wird sehr bald die Möglichkeit bestehen, mit dem Außenminister den gesamten Fragenkreis zu besprechen. […] Das Sparprogramm der Bundesregierung Am 22. August ließ die Bundesregierung Erklärungen zur Finanzlage des Bundes abgeben, daß drastische Maßnahmen in der Finanzpolitik des Bundes notwendig seien. Das Sparprogramm wurde vom Kabinett am 10. September verabschiedet und der Öffentlichkeit vorgelegt. Es fehlen 40 Milliarden in den Kassen des Bundes. Er muß sich 1975 um diesen Betrag verschulden. Dabei stand es um die Verschuldung aller Gebietskörperschaften im Bundesgebiet schon ohnehin bedenklich. Sie betrug Ende 1972 circa 155 Milliarden DM. Bis Ende dieses Jahres rechnet man, daß dieser Betrag auf etwa 250 Milliarden angewachsen sein wird. Die Schwierigkeiten waren bei weitem nicht so neu, wie sie der deutschen Öffentlichkeit erschienen. Die seriöse deutsche Wirtschaftspresse hat seit Herbst 1971 zu warnen begonnen. Für sie war das Alarmzeichen der Rücktritt des damaligen SPD-Finanzministers Alex Möller. Als Karl Schiller im Sommer 1972 in Unfrieden aus dem Amt schied, sprach man schon von einem möglichen Bankrott. Doch Schmidt als Finanzminister und später als Bundeskanzler wurde ein rechtzeitiges, nüchternes Einlenken zugetraut. Nachdem die CSU auf ihrem Parteitag in München der Bundesregierung ein totales Versagen ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik vorgeworfen hat, wird diese Sache mit Sicherheit eines der zentralen Themen des bevorstehenden Bundeswahlkampfes sein. Dies schafft eine Situation, wie sie es noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik gegeben hat. Kommt es zu einem einjährigen Wahlkampf in Permanenz, der in dem Vorwurf des dauernden Betruges am Wähler gipfelt, muß dies zu einer Vertrauenskrise im Bewußtsein der Bürger führen. Sicher ist, daß die Regierung sich mit ihren Wirtschaftsprognosen vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland geirrt hat. Dies aber ist etwas vollständig anderes, wie wenn der Nachweis geführt werden könnte, daß der Bürger aus Vorsatz getäuscht wurde. Man wird annehmen dürfen, daß diese Sache Gegenstand eines ausführlichen Gespräches zwischen Herrn Schmidt und Herrn Kohl sein wird. Beide werden sich darüber klar werden müssen, ob die Agitation so weit gehen darf, das Staatsvertrauen des Bürgers in Frage zu stellen oder sein Vertrauen an den Parlamentarismus zu unterspülen. Angesichts der mannigfachen Gründe für die labile Situation in unserem Lande

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wird man nichts unversucht lassen dürfen, mitzuhelfen, daß aus einer in der Sache harten Auseinandersetzung nicht eine deutliche Demagogie wird. […] Seit 1969 spielt das, was man in den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik den „konfessionellen Proporz“ nannte, so gut wie überhaupt keine Rolle mehr. Aber wir sollten wenigstens wissen, daß unsere katholischen Brüder sich in ziemlich vielen Lebensbereichen beschwert wissen. Sie fühlen sich in den Führungspositionen unterrepräsentiert. Sie sind nüchtern genug zu sehen, daß engagierte Katholiken bisher selten Mitglieder der SPD oder der FDP wurden. So können sie keine Einrede dagegen haben, wenn von den 16 Mitgliedern des Bundeskabinetts 8 evangelisch, 5 katholisch und der Status der übrigen 3 unbekannt ist. Sehr viel schwieriger sind die konfessionellen Verhältnisse bei der Bundeswehr und dem Auswärtigen Amt geblieben. Von den bisher 5 Generalinspekteuren war einer katholisch. Bei den Inspekteuren der Armee, überhaupt in der Generalität liegen die Dinge nicht wesentlich anders. Unter der CDU-Regierung wurde darauf gehalten, daß die Bewerber im diplomatischen Dienst jeweils zu 50 % evangelisch und zu 50 % katholisch waren. Dies hat sich seit 1969 wesentlich zu Gunsten der evangelischen verschoben. Das Verhältnis ist jetzt unter den Attach s 1 : 2. Von den 5 protokollarisch höchsten Ämtern in unserem Lande ist keines mit einem Katholiken besetzt. Besondere Beachtung hat selbstredend die neue Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes bekommen. Unter den 3 von der CDU benannten waren 1 katholisch und 2 evangelisch. Die 3 von der SPD vorgeschlagenen Herren sind evangelisch. In den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts sind von den je 8 Richtern je 2 katholisch. Von den 110 Bundesrichtern sind 72 evangelisch, 38 katholisch. Wir werden in den nächsten 10 Jahren damit rechnen müssen, daß es [mehr] die Kirche unmittelbar angehende Prozesse in Karlsruhe geben wird wie bisher. Dabei kann es für keine Kirche gleichgültig sein, ob unter den Richtern wenigstens einige sind, die die Verhältnisse in der Kirche aus eigener Verbundenheit kennen. Besonders schwierig liegen die Dinge in der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Immerhin gehören zum Lande Nordrhein-Westfalen die Erzdiözesen Köln und Paderborn und die Diözese Münster. Alle drei verfügen nach jeder Seite hin über ein respektables Potential an geistlicher Kraft und kirchlichen Aktivitäten. Es kann nicht gut sein, wenn im ganzen Kabinett von Nordrhein-Westfalen nicht ein einziger Katholik sitzt. Es ist kein vollbefriedigendes Gegenargument, wenn man sagt: hätte die CDU die Wahl gewonnen, hätte es im Kabinett NRW nur 1 evangelischen Minister gegeben. Wir werden sicher in dieser Sache keine Aktivitäten zu entfalten wünschen, aber wir sollten wissen, wie diese Sache in unserem Lande zur Zeit aussieht.

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69 Berlin, 30./31. Januar 1976 EZA Berlin, 742/11, msl. mit längeren hsl. Ergänzungen […] Der Rat hatte mich in seiner letzten Sitzung gebeten, mich in meinem heutigen Bericht insbesondere den Fragen der inneren Sicherheit und des Terrorismus zuzuwenden und um solide Auskünfte bemüht zu sein1. Die Sache selber ist im Gespräch mit den Parteien schon vorgekommen. Ich möchte zunächst eine Situationsbeschreibung geben. Schon im vergangenen Jahr hat sich das Parlament zweimal ausführlich mit dem ganzen Fragenkreis beschäftigt – heftig im März, ruhiger, aber auch ohne neue Argumente im Juni. Am 16. Januar dieses Jahres fanden die gegen den Terrorismus gerichteten Strafrechtsänderungsentwürfe in der ersten Lesung eine einstimmige Zustimmung trotz abweichender Meinungen in Einzelheiten in allen Parteien2. Maihofer erklärte die Erfolge bei der bisherigen Bekämpfung des Terrorismus für „außerordentlich ermutigend“. Allein im Jahre 1975 seien 139 politisch motivierte Gewalttäter festgenommen worden. Von ihnen befänden sich noch 97 in Untersuchungs- oder Strafhaft. Die Bundesjustiz- und Innenminister Vogel und Maihofer halten auch fernerhin schärfere Gesetzgebungsmassnahmen auf diesem Sektor für notwendig. 23 gefährliche Terroristen werden noch gesucht. Maihofer erklärte, es gebe keinen Grund für die Annahme, dass die politisch motivierten Gewalttäter den bewaffneten Kampf für ihre Ziele aufgeben wollten. Er habe wegen der außerordentlichen Durchlässigkeit der Landesgrenzen in Europa Gespräche mit dem französischen Innenminister Poniatowski aufgenommen. Sie hätten zu Absprachen geführt, die in der Geschichte der Kriminalpolizei bisher ohne Beispiel wären. Er wolle den gleichen Fragenkomplex mit dem britischen Innenminister Jenkins durchsprechen. Vogel verwies auf seine Bemühung um den Abschluss einer europäischen Konvention gegen den Terrorismus, über die gegenwärtig in einem Ausschuss des Europarates beraten wird. Dergleichen ist notwendig, weil Interpol sich nach seinem Statut nicht mit politischer Kriminalität befassen soll und keine Klarheit darüber besteht, welche Fälle als politische und welche als normale Kriminalität einzustufen sind. Im Bundestag erhoben sich keine Einwände. Man hofft, wenigstens die EG-Länder zunächst einmal zu einem Abkommen bewegen zu können. Maihofer erklärte, es gäbe Hinweise für neue, umfangreiche Aufbauarbeiten in der Basis. Die Bedrohung durch einen internationalisierten Terrorismus komme hinzu. Auch das Auswärtige Amt rechnet

1 Vgl. das Protokoll der 41. Sitzung des Rates der EKD am 19./20. 12. 1975 (EZA Berlin, 2/8394); zu den folgenden Darlegungen Kunsts vgl. Rigoll, Staatsschutz. 2 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 7, 213. Sitzung, 14718D–14764D.

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damit, dass wir noch auf ziemlich viele Jahre hinaus mit einem internationalen Terrorismus rechnen müssen. In der Bundesrepublik geht es jetzt um die Neuschaffung eines Strafbestandes, der speziell auf terroristische Vereinigungen abzielt. Man will keine Kaderschmieden mehr dulden, weder auf nationaler noch auf internationaler Basis. Bisher besteht im Strafgesetzbuch lediglich der Begriff „kriminelle Vereinigung“, der auch auf Zusammenschlüsse nichtterroristischer Gruppen, zum Beispiel Hehler und Rauschgiftringe anwendbar ist und eigentlich ihretwegen geschaffen wurde. Künftig wird dies voraussichtlich präzisiert werden. Die ursprüngliche Fassung der Gesetzesvorlage, die auch von einer Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion befürwortet wurde, wollte ohne viel zu differenzieren jede Befürwortung von Gewalt generell unter Strafe gestellt sehen. Nach lebhaften Auseinandersetzungen wird nun jene Gewalt-Befürwortung noch unter Strafe gestellt werden, die sich gegen den Bestand der Bundesrepublik und ihrer Verfassung richtet. Wie heftig die Diskussion vor allem auch in der SPD-Fraktion war, erkennt man daraus, dass sich der „Vorwärts“ nicht scheute, der Parteiführung die Mahnung, „den Rechtsstaat ernster zu nehmen“, in ihrem eigenen Organ vorzuhalten. Wörtlich hieß es dann weiter: „Heute interessiert nur noch die Frage, wie solch eine Vorlage überhaupt die Schubladen eines sozialdemokratisch geführten Justizministeriums verlassen konnte.“ Vogel antwortete darauf im Parlament: „Wer, auch nur verbal, an dieser Grundübereinkunft der Gewaltlosigkeit im politischen Kampf rüttelt, stellt einen der größten Fortschritte unserer politischen Kultur in Frage“.3 Als freilich ein Oppositionssprecher die Abänderung des Gewalt-Befürwortungsgesetzes als ein Zeichen des Kurses der „Anpassung und Feigheit gegenüber Linksradikalen, Kommunisten und Neo-Marxisten“ bezeichnete, warf Vogel der Opposition „maßlose Übertreibung“ vor4. Im Hintergrund der Auseinandersetzung spukt noch die unerfreuliche Erinnerung an den von der SPD im Rahmen der Notstandsgesetzgebung formulierten Entwurf über eine „Vorbeugehaft“, von dem gesagt werden konnte, er gleiche dem im letzten Jahr der Weimarer Republik erlassenen vorbeugenden Schutzhaftgesetz, das zum Sprungbrett wurde für Hitlers Konzentrationslagerpraxis. Die sogenannten Kanalarbeiter in der SPD-Bundestagsfraktion haben eigensinnig am Prinzip der vorbeugenden Inhaftierung festgehalten, bis Heinemann als Justizminister mit einer einzigen, juristisch hieb- und stichfesten Gegenerklärung die Sache vom Tisch gebracht hat5. Der Kölner Staatsrechtslehrer Stern hat empfohlen, eine für die Verwaltung verbindliche Liste verfassungsfeindlicher Organisationen aufzustellen, damit 3 Ebd., 14742 B/C. 4 Ebd., 14743 A. 5 Als „Kanalarbeiter“ bezeichnete man eine dem rechten Parteiflügel der SPD zugehörige Gruppe von Bundestagsabgeordneten, deren einflussreichster Repräsentant Egon Franke war; vgl. dazu Faulenbach, Jahrzehnt, 304 f.

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sich politisch tätige, kritische, aber nicht revolutionär ausgerichtete jüngere Leute danach richten könnten. Dies könne sowohl für die praktische Anwendung des Radikalen-Erlasses wichtig sein wie auch für die Ermessensfrage, was nun eigentlich als Gewaltbefürwortung gelten darf und was nicht. Eine derartige Liste hat bereits 1950 der damalige Innenminister Heinemann aufgestellt. Sie ist niemals reell weitergeschrieben worden. Nun hat der Verbandspräsident der deutschen Lehrerschaft Christians erneut eine für heute gültige Liste verlangt. Sie soll auch öffentlich zugänglich sein. Eine entsprechende Aufstellung von Richtlinien, aus denen zu entnehmen ist, welche Äußerungen in Wort und Schrift als „Gewaltbefürwortung“ zu werten sind, läge auf der gleichen Linie. Diese Vorschläge werden seit Jahren im Innenministerium diskutiert. Der Grund des Zögerns ist leicht erklärbar. Die Liste wäre nicht ohne Risiko. Selbstredend kann man einige Vereinigungen nennen, die zweifelsfrei verfassungsfeindlich sind. Aber es gibt eine große Anzahl von Organisationen, die im Randbereich des Verfassungsfeindlichen arbeiten. Werden sie genannt, gibt es heftige Auseinandersetzungen, bei denen u. U. Geheimmaterial vorgelegt werden muß. Werden sie nicht auf die Liste genommen, muß man mit der Sturheit der Behörden rechnen: wer nicht ausdrücklich als verfassungsfeindlich genannt ist, kann passieren. Die Zahl der Betroffenen macht nicht 1 % der Stellenbewerber aus. Von ihnen rechnen die Meisten von vorneherein nicht damit, angenommen zu werden. Sie schlagen auch selten Lärm. Aber die verfassungsfeindlichen Organisationen bemühen sich bei solchen Fällen aus der Ablehnung propagandistisch Kapital zu schlagen. Bei dem Verweis auf Regelungen vor allem in Frankreich und Italien wird nie gesagt, daß es dort ein gänzlich anderes Beamtenrecht gibt als bei uns. Es gibt dort nicht das fast uneingeschränkt auf Lebenszeit berufen wie bei uns. Vorerst herrscht Rechtsunsicherheit, die auch gezielte Panikmacher begünstigen kann. Es darf nicht so kommen, dass die Vorkehrungen gegen echte Terrorgruppen vom Schlag der RAF oder der „Bewegung 2. Juni“ zur Kriminalisierung aller „Linken“, der Jusos oder auch von Demonstranten gegen Fahrpreiserhöhungen, Mietwucher und Umweltgefährdung führen. Auch schriftliche Untersuchungen darüber, ob die Handhabung des Radikalen-Erlasses vom 28. Januar 1972 im Einzelfall korrekt ist, müssen erlaubt bleiben. Ich möchte einige Bemerkungen zur Stärke der Polizei, des Bundeskriminalamtes und so weiter machen. Grundsätzlich meine ich, dass die Staatsgewalt in Bund und Ländern sich einige Liberalität und Elastizität angesichts des kräftigen Ausbaues der Polizei und der Überwachungsorgane Jugendlichen gegenüber leisten kann. Dies gilt besonders für Überlegungen zum Demonstrations-Strafrecht. Die Opposition tritt für eine drastische Verschärfung ein. Sie möchte, dass sich Demonstrationsteilnehmer bereits strafbar machen, wenn sie sich einer unfriedlichen Demonstration anschließen oder sich nicht von ihr entfernen, sobald Ausschreitungen erkennbar werden.

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Wahrscheinlich hat es uns alle bei dem Gespräch mit dem Parteipräsidium der CDU erfreut, von Bruder Hahn zu hören, dass für ihn das Material des Bundesverfassungsschutzes, sofern es aus Bildern von Teilnahme an Demonstrationen Jugendsünden und so weiter besteht, nicht den geringsten Einfluss auf die Entscheidung hat. Die finanzielle und materielle Ausrüstung des Sicherheitsapparates seit den Studentenunruhen und der Bewilligung der Notstandsgesetze 1968 ist sehr großzügig behandelt worden. Der Etat des Bundesgrenzschutzes (er kann unter Umständen weit unterhalb der Notstandsgrenze, auch bei Demonstrationen lokalen Charakters eingesetzt werden) stieg zwischen 1969 und 1975 von 314 auf 750 Millionen. Seine Ausstattung mit Sperrgerätschaften, Wasserwerfern und Tränengaspistolen ist imponierend. Das Bundeskriminalamt, zuerst im Gründungsjahr 1950 als reine Koordinationsinstanz gedacht, verfügt mit seiner Sicherungsgruppe nun auch über eine eigene politische Polizei, mit eigenem Dienstsitz, eigenen Karteien und eigenem Beschaffungswesen. Ein Großteil des Etats des Bundeskriminalamtes, der zwischen 1969 und 1975 um das 6-fache auf rund 137 Millionen angehoben wurde, kommt der Sicherungsgruppe zugute. Von dieser Summe gehen 7,2 Millionen an die Abteilung T (Terrorismus), die im Mai 1975 eingerichtet wurde. Sie ist mit 181 Dienstposten recht großzügig ausgestattet. Der Stellenplan des Verfassungsschutzes vergrößerte sich zwischen 1969 und 1975 um 50 %. Seine Kompetenzen erstrecken sich nunmehr auf alle sicherheitsgefährdenden Elemente, also auch auf die Überwachung politisch verdächtiger Ausländer. Ich übergehe den im April 1975 erstmals praktizierten „Bundesfahndungstag“, bei dem 183.000 Personen überprüft wurden. Dies mag als Warnung nützlich gewesen sein, man muss aber im Auge behalten, dass die Ostpropaganda alles tut, unser Land als Polizeistaat zu verdächtigen. In letzter Zeit ist noch eine Spezialeinheit der Polizei geschaffen worden, die „mobilen Einsatzkommandos“, deren Angehörige als Scharfschützen und Nahkämpfer ausgebildet sind. Zu ihrer Ergänzung hat der Bundesgrenzschutz nun auch eine Antiterrorgruppe aufgestellt. Sie firmiert unter dem Namen „Grenzschutztruppe 9“ [richtig: Grenzschutzgruppe] und erhält neben einem intensiven Schiesstraining auch eine Luftlandeausbildung. Mir ist von einem Missbrauch dieser Einrichtung nichts bekannt geworden, aber die Polizeigewerkschaft hat mehrfach gewarnt, die kriegsmässige Bewaffnung der Bereitschaftsgruppen nicht zu übertreiben. Schwierigkeiten gab es wegen der Beimischung von Tränengas für den Wasserwerfer. In Frankfurt soll auch die „chemische Keule“ eingesetzt worden sein, obwohl es sich nur um Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen handelte. Es gibt also mindestens latenten Konfliktstoff. Die Arbeit der Sicherheitsorgane ist auch modernisiert worden durch die Anschaffung umfangreicher Nachrichtensysteme. Dazu kommt das neu errichtete Ausländerzentralregister. Auch dies soll sich als stabilisierender Faktor auswirken. Es kann eventuelle Tendenzen, unter die Gastarbeiter und ausländischen Studenten anarchistische Elemente einzumischen, von vornherein ab-

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dämmen. Man wird nur immer darauf achten müssen, dass dieser perfektionierte Apparat so geleitet werden muss, dass keine Vertrauenskrise zwischen fortschrittlich eingestellten Jugendlichen oder Opfern der Jugendarbeitslosigkeit und dem Sicherheitsapparat eintreten. Fehler hat es zweifelsfrei gegeben aus Anlass der Fahndungsmaßnahmen in der Nacht vom 4. zum 5. März 1975 in Berlin, also kurz nach der Freilassung des entführten CDU-Politikers Lorenz. Es war der bislang größte Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte. Vor allem muss natürlich darauf gehalten werden, dass des Terrors Verdächtige nicht mit unliebsamen Elementen in einen Topf geworfen werden. Es gibt einige Dinge, die einen in diesem ganzen Bereich nur mit geringer Freude erfüllen können. Vor allem in West-Berlin gibt es sogenannte Kontaktbereichsbeamte. Ich habe nicht präzise verifizieren können, ob es ein Netz von Hilfsspitzeln von Hauswarten, Gastwirten usw. gibt, um „verdächtige Personen“ mit „sonderbarem Verhalten“ zu überwachen. Man fühlt sich ein wenig an eine Neuauflage des NS-Blockwartsystems erinnert. Ende 1977 sollen angeblich 722 Kontaktbereichsbeamte tätig werden. Nun muss man selbstredend immer wieder daran denken, dass Westberlin durch die Nähe des Ostens wie keine andere Stadt der Gefahr der Unterwanderung unterliegt. Es muss nur alles, was in dieser Sache für zwingend nötig gehalten wird, in einer Weise passieren, dass nicht ein Klima genereller Unsicherheit und gegenseitiger Verdächtigung entsteht. Eine andere wirklich sehr unerfreuliche Sache ist die „Nachrichtendienstliche Unterwelt“, die uns aus dem Ausland importiert wird. Sie ist von einer Art und hat einen Umfang angenommen, dass im Innenministerium Überlegungen angestellt werden, wie man ihm begegnen kann. Die „Werksspionage“ ist in der ganzen Welt der Brauch, kann also in meinen Darlegungen außer Ansatz bleiben. Wichtiger ist das beunruhigende Anwachsen der Jugendarbeitslosigkeit, das der Kaderbildung umstürzlerischer Organisationen leicht als Ansatzpunkt dienen könnte. Die rheinische Landessynode hat dieser Frage ihre Aufmerksamkeit gewidmet und einen Fachausschuss eingesetzt, der konkrete Lösungsvorschläge im Blick auf die Lehrplätze machen soll. Man muss nur dabei bedenken, dass das eigentliche Problem nicht die Beschaffung von Lehrlingsstellen und zusätzlichen Ausbildungsmöglichkeiten ist, das Beschwerlichste ist, nach der Lehre und nach der Berufsausbildung Arbeitsplätze zu finden. Es wäre seltsam, wenn die DDR diese Sache unbeobachtet ließe und nicht Versuche machte, arbeitslosen Jugendlichen in der Bundesrepublik Lehrstätten bei sich anzubieten, dies natürlich mit entsprechender Zielsetzung. Die Bundesregierung ist der Meinung, dass das Elend mit den Terroristen in unserem Lande längst erledigt sei, hätten die Terroristen nicht einen großen Helferkreis. Er soll vor allem aus Kreisen der Intelligenz und auch der evangelischen Kirche bestehen6. Ich kann nur Verbindung halten mit der Zentrale des Bundesverfassungsschutzes. Dort kann ich auch durch Erklärungen und 6 Vgl. dazu Lepp, Gefahr. 183 f.

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Personalbeschreibungen einen hilfreichen Dienst tun. Der neue Präsident ist für mein Urteil ein ausgesprochen guter Mann. Es wird sich aber empfehlen, dass unsere Landeskirchen sich jeweils beim Verfassungsschutz zu Wort melden, wenn in ihrem Bereich durch die Landesämter ungute Dinge getan werden. Die Regierung ist etwas unglücklich über das Karlsruher Urteil, in dem dem Verfassungsschutz die Aufgabe zugewiesen wird, zu „sammeln und bewerten“. Die Regierung ist der Meinung, dass der Verfassungsschutz nur in bescheidenem Maße zu bewerten habe. Bewerten stehe in der Verantwortung des jeweilig zuständigen Ministers. Die Regierung beklagt, dass viel zu selten vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestelltes Material von den Ministern mit dem Vermerk „wertlos“ zurückgegeben wird. Für die Zentrale hat die gegenwärtige Regierung die Besorgnis, dass bei den unteren Chargen noch zu viel Leute sitzen, die ihre Maßstäbe aus der Zeit des Kalten Krieges haben. Diesen Männern sei sehr schwer klarzumachen, dass Kommunismus und Sozialismus nicht Zwillingsbrüder seien, sondern maximal in einer sehr weitläufigen Verwandtschaft gemeinsam genannt werden könnten. Nach meinen eigenen Erfahrungen kann ich diese Auffassung nicht mit Heftigkeit dementieren. In jedem Fall rechnet die Bundesregierung mit einer starken die Innere Sicherheit unseres Landes gefährdenden Unterwanderung. Aus Ostberlin kann jeder unkontrolliert bei uns einreisen. Man geht davon aus, daß auch unter den Umsiedlern aus dem Osten dubiose Elemente sein werden. Man muß sich nur darüber klar sein, daß alle polizeilichen Maßnahmen große Grenzen haben. Das Wirksamste in der Abwehr passiert durch die innere Gesundheit der Demokratie, also der Gemeinschaft der Bürger. [….]

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70 Hannover 27./28. Februar 1976 EZA Berlin, 742/11, msl. mit hsl. Ergänzungen Nach den heftigen Auseinandersetzungen über die Novellierung des § 218 kreiste die Diskussion in Regierung und Parlament besonders nach den Ereignissen in Hannover vor allem um die Frage der Polen-Verträge1. Ohne eine Absicht im Blick auf den Termin fand unmittelbar vor der Verhandlung im Parlament eine Begegnung zwischen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und dem Polnischen Institut für Internationale Politik in Bonn statt. Die Polnische Delegation war sehr gut bestückt. Sie stand unter der Leitung von Botschafter Professor Dr. Dobrosielski, der früher Botschafter in London und dann der Vertreter Polens in Genf bei den Verhandlungen über die Helsinki-Akte war. In der etwa 20-köpfigen Delegation waren auch der Chefredakteur der Wochenschrift „Polityka“ Rakowski, Abgeordnete, Professoren, hohe Beamte des Auswärtigen Amtes, auch Bischof Narzyn´ski. Eine Schwierigkeit lag darin, dass während des Besuches die führenden Gremien der CDU/CSU unablässig tagten, so dass die Opposition nur unzulänglich vertreten war. Für die Katholiken kam lediglich ein Laie, der Pax et Justitia vertrat. Es war mehr als am Rande des Peinlichen, wie wir als Evangelische Kirche in Deutschland mit einem Maximum von Dankbarkeit von Polen bedacht wurden, die kritische Rückfrage an die Katholiken sich aber unmittelbar anschloss. Das Wichtigste an der Unternehmung war wahrscheinlich, dass sich eine breite Möglichkeit zum Gespräch mit den führenden Männern der polnischen Delegation ergab. Mit ihnen konnte schon vor der Polen-Debatte im Parlament die Frage ventiliert werden, ob und in welcher Weise die polnische Regierung den Vorstellungen der Opposition Rechnung tragen könnte. Diese Chance ist selbstredend so nachhaltig wie nur möglich ausgenutzt worden. Eine exzeptionelle Schwierigkeit lag schon 1970 und liegt auch heute wieder in der Verzahnung von außenpolitischen Fragen mit der innenpolitischen Situation der betroffenen Völker. Die damalige Bundesregierung sah sich vom Sturz bedroht, wenn sie weitergegangen wäre, als sie es tat. Aus einer Reihe von 1 Am 19. 2. 1976 waren die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 9. 10. 1975 im Deutschen Bundestag u. a. mit den Stimmen der CDU ratifiziert worden. Neben dem Abkommen über Renten und Unfallversicherung enthielten sie eine Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen, ein Abkommen über die Gewährung eines Finanzkredits an Polen, ein Protokoll zur Ausreise Deutschstämmiger aus Polen sowie ein langfristiges Programm für die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit beider Länder; vgl. die zweite und dritte Lesung des Rentenund Unfallversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen in: Plenarprotokolle (online), WP 7, 224. Sitzung, 15531C–15631D; vgl. dazu Szatkowski, CDU/CSU, 53 f.

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Gründen befindet sich Gierek zur Zeit in einer außerordentlich bedränglichen Situation in seinem Lande, zumal die Wahlen zum Parlament am 17. März bevorstehen. Für ihn kommt hinzu, dass er mit Pressionen sowohl von OstBerlin wie auch von Moskau rechnen muss, wenn er jetzt den Wünschen der Opposition ausreichend weit entgegengeht. Besonders schwierig für Rumänien und Tschechoslowakei. Nach meiner Kenntnis finden alle Beteiligten in der Bundesrepublik den Tadel der Opposition im Blick auf die begrenzte Zahl derer, denen die Ausreise bewilligt werden soll, als berechtigt. Die Frage ist nur, ob der Bundeskanzler in Helsinki im Gespräch mit Gierek mehr hätte durchsetzen können. Es hat [richtig: gab] und gibt in der CDU heftige Auseinandersetzungen, ob man die Verträge passieren lassen soll. Bei den genannten Gesprächen mit der polnischen Delegation haben die Vertreter der Sozialdemokratie erklärt, sie würden bei einem Scheitern des Rentenabkommens im Bundesrat auf verfassungsrechtlichem Wege die Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates in Zweifel ziehen. Ich glaube nicht, dass man diese Drohung zu ernst nehmen muss. Wichtiger ist die Bemerkung von Ministerpräsident Röder, er habe die Befürchtung, ein Scheitern der Polenvereinbarung könnte zu einer „Gefährdung des Ansehens der deutschen Regierung und damit der Bundesrepublik Deutschland führen“. Wörtlich sagte er: „Ich halte es für durchaus möglich, dass man sich auch in der Außenpolitik auf der Grundlinie seiner Partei bewegen kann, ohne bei einer Einzelentscheidung bei der Mehrheit sein zu müssen.“ Auch der neue niedersächsische Ministerpräsident Albrecht hat die Meinung vertreten, das Vertragswerk könne bleiben wie es ist, wenn die polnische Regierung bereit sei, ausreichende Erklärungen zur Aussiedlerfrage zu geben. Tatsächlich werden seit der vergangenen Woche verhandlungsähnliche Gespräche mit den Polen geführt. Der polnische Delegationsführer Dobrosielski hat mehrfach gesagt, erhalten bleiben müssten nur die Kriterien für die Aussiedlung, die in Helsinki festgesetzt worden seien. Im übrigen möchte Polen die strittige Frage der Aussiedlung so schnell wie möglich zwischen den beiden Völkern ausräumen. Es sollte keinem, auf den die Kriterien von Helsinki zutreffen, die Ausreise verwehrt werden. Dobrosielski gilt als ein persönlicher Freund von Gierek. Er hat die genannte Erklärung nach Rückfragen in Warschau wiederholt. Es besteht mindestens eine gewisse Hoffnung, dass der Forderung der Opposition entsprochen wird. Auf einen Minoritätenschutz will sich Polen unter keinen Umständen einlassen. Dobrosielski sagte, diese Sache sei wie ein Trauma in der polnischen Bevölkerung. Niemand konnte erwarten, dass sich die Parlamentsdebatte als hilfreich in der Sache erweisen würde2. Unsere Denkschrift ist sowohl von Dr. Metzger wie von Willy Brandt zitiert worden. Koschnick hat den vollen Wortlaut der

2 Vgl. Anm. 1 in diesem Bericht.

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Synodalerklärung von Freiburg vorgetragen und sich zu eigen gemacht.3 Bruder von Weizsäcker hat für jene Abgeordnete in der CDU/CSU gesprochen, die dem Vertrag zugestimmt haben. Seine Anrede richtete sich vor allem an den Kanzler. Aus der Rede von Weizsäcker: „Die Vertragsverhandlungen mit Polen im Jahre 1970 hatten humanitäre polnische Gegenleistungen eben nicht in dem Umfang erbracht, wie die Regierung Brandt sie öffentlich angekündigt hatte.“ „Das hat hierzulande eine tiefe Enttäuschung ausgelöst. Aber dafür war nicht in erster Linie Polen verantwortlich zu machen, sondern es war, nach allem, was sich heute feststellen lässt, unsere eigene Regierung, welche keine inhaltlich ausreichenden verbindlichen Verabredungen erzielt hatte.“4 Sehe ich recht, war abgesehen von einer Reihe von Entgleisungen, die selbstredend in Polen eine andere Auswirkung haben werden als bei uns, das mit weitem Abstand schwierigste, dass der Kanzler sich auf ein Gespräch bezogen hat, das unter der Zusage der Vertraulichkeit zwischen ihm und den Herren Kohl und Genscher geführt worden ist, bevor Genscher die Verträge in Warschau unterzeichnete. In den verflossenen 26 Jahren hat es solche Gespräche zwischen dem Regierungschef und dem Führer der Opposition selbst während schwerster Auseinandersetzungen in Wahlkämpfen immer gegeben, wenn es sich um Grundfragen der deutschen Außenpolitik handelte. Schmidt hat Kohl durch diesen Vorgang seiner eigenen Partei in das Zwielicht gerückt. Dies ist ganz sicher ein weittragender Vorgang. Ob und wie er reparabel ist, ist noch nicht abzusehen. Kohl hat in seiner eigenen Partei ein sehr mühsames Jahr hinter sich. Er hat Punkt für Punkt der Schwierigkeiten auszuräumen getrachtet. Er hat dabei die Frage der Polen-Verträge vor sich her geschoben. Ob dies richtig oder falsch war, ist eine Frage für sich. Wichtig ist aber auch, dass der Bundeskanzler offenkundig die Innenpolitik bzw. den Bundeswahlkampf im Visier gehabt hat, als er darauf insistierte, die Opposition sozusagen zum Offenbarungseid zu zwingen. Es wäre möglich gewesen, aus dem Abkommen zur Regelung der Beziehungen auf dem Gebiet der Renten und Unfallversicherung die Artikel 11 bis 14 herauszulassen5. Sie verstanden sich ohnehin von selbst. Aber alle diese Dinge sind ausreichend in der Presse gewürdigt worden, so dass ich meinen Bericht über die Polen-Frage abbrechen kann. Ich möchte die Beurteilung, die ich dieser Sache sowohl in der Kirchenkonferenz wie im Rat bisher gegeben habe, aufrechterhalten. Es wird ein ziemlich großer außenpolitischer Schaden für unser Land entstehen, wenn die Polen-Verträge abgelehnt werden. Man wird nicht sagen können: wenn Verträge scheitern, muss von neuem verhandelt werden. Bisweilen haben ge3 Vgl. „Entschließung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Versöhnung mit Polen“ vom 5. 11. 1975 in: Freiburg/Breisgau 1975, 488. 4 Vgl. Anm. 1 in diesem Bericht. 5 Das Gesetz zur Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen wurde am 12. 3. 1976 vom Deutschen Bundestag ratifiziert; vgl. BGBl, Teil II, Nr. 15 vom 16. 3. 1976, 393–395.

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scheiterte Verträge eine weiterreichende Bedeutung als angenommene. Es gibt nach wie vor Gründe, die mich annehmen lassen, dass am Ende ein Weg gefunden wird, um die Annahme der Verträge zu sichern. Weil es eine unmittelbare Bedeutung auch für die politische Landschaft in Deutschland hat, bemerke ich, dass alle NATO-Regierungen sich in Bezug auf die Führung der USA verunsichert fühlen. Keiner aber hat sich erlaubt, dies angesichts des anlaufenden Präsidentschafts-Wahlkampfes und der großen Schwierigkeiten Kissingers öffentlich zu sagen. In einer Fußnote will ich nur bemerken, dass die deutsche Presse ungewöhnlich zurückhaltend sich äußert zu einer Summe von Skandalen, die in Amerika breit diskutiert werden. Es gibt eine Studie der bekannten Rand-Corporation in Kalifornien über die lawinenartig angewachsene Kriminalität in Amerika. Daneben steht ein viel diskutiertes Buch von Thomas Plate: „Verbrechen macht sich bezahlt“6. Ich will daraus keine Ziffern zitieren. Der Saldo beider Untersuchungen ist, dass sich die Frage stellt, ob Amerika in so hohem Maße von seiner Unterwelt beherrscht wird, dass es gegenwärtig vielleicht im gleichen Grade in seiner weltpolitischen Handlungsfreiheit behindert ist wie die Sowjetunion 1938, als Stalin die Mehrheit seiner Generäle und einen Großteil der fähigsten Parteiführer und Verwaltungsbeamten der Sowjetunion eliminiert hatte. Ich halte diese Frage für wesentlich überzogen, aber man darf ja weder die WatergateAffaire herunterspielen noch meinen, die bei Lockheed aufgedeckte internationale Korruption sei der einzige dunkle Punkt in der Großindustrie. Auch darüber, was unter den Militärdiktaturen in Südamerika geschieht, kann man sich nur im geringen Maße durch die großen Zeitungen unseres Landes unterrichten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ ist an dieser Stelle wesentlich unbefangener. Aber ich bleibe bei meinem Thema, der westeuropäischen Reaktion auf die Vorgänge in Amerika seit dem Watergateskandal. Am weitesten hat sich Giscard d’Estaing vorgewagt, als er am Vorabend seines Treffens mit dem Bundeskanzler sagte, „Europa nimmt nicht teil (an der internationalen Politik), und niemand scheint für möglich zu halten, dass es teilnehmen könnte. Die Frage ist, ob Europa will und fähig ist, sich diese Vollmacht der Entscheidung zu geben.“ Ich kann dies nur so verstehen, dass Giscard in behutsamer Form auf den Schwächeanfall der USA hindeuten wollte und auf die Möglichkeit, ihn durch ein geschlosseneres Auftreten der Westeuropäer möglichst bald zu beendigen. Tatsächlich passiert die gesamte Politik im Nahosten fast ohne Beteiligung Europas. Die Amerikaner haben offenkundig nicht einmal mit den Europäern darüber zu sprechen gewagt, ob man in Angola die Dinge laufen lassen sollte, wie es geschehen ist. Aber ziemlich sicher kann „Europa nicht handlungsfähig werden, wenn seine größten Mitgliedsstaaten außerdem weiter sein wollen, was sie bisher von sich behaupten und doch nicht sind: selbständig und unabhängig.“ Im Klartext heißt dies: 6 Gemeint ist die 1975 erschienene Publikation des US-amerikanischen Journalisten Tom Plate „Crime pays!“; vgl. Plate, Crime.

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„Eine dauerhafte Schwäche Europas in den außen- und sicherheitspolitischen Massnahmen und dies gegenüber wachsender Gefahr. Man wird annehmen dürfen, dass Schmidt und Giscard über diesen europäischen Aspekt in ihrem 7-stündigen Gespräch ausführlich gesprochen haben. Beide haben es aber für richtig gehalten, darüber der Öffentlichkeit nichts zu sagen. Alles, was nach dem offiziellen Kommuniqu erreicht wurde, hätte auch durch Telefongespräche bewirkt werden können7. Eine der größten Schwierigkeiten in allen Bereichen der europäischen Politik ist selbstredend die innere Situation der Länder um das Mittelmeerbecken. Italien ist schon auf der Kommunal- und Regionalebene nicht mehr zu regieren ohne die Mitbeteiligung der Kommunisten. Die gegenwärtige italienische Regierung gilt als die schwächste seit 1945. Aber am meisten beachtet worden sind in den vergangenen Wochen die Entwicklungen in Frankreich. Auf dem 22. Parteitag der französischen Kommunisten wurde der „Diktatur des Proletariats“ eine Absage erteilt. Weil ich nicht weiß, ob Ihnen allen die gesamte Rede vorgelegen hat, erlauben Sie mir, aus ihr zu zitieren: „Wenn die Diktatur des Proletariats in dem neuen Entwurf nicht verwendet wird, um die politische Herrschaft in einem sozialistischen Frankreich zu bezeichnen, für welches wir kämpfen, dann geschieht das, weil sie der Wirklichkeit unserer Politik nicht entspricht, der Wirklichkeit dessen, was wir dem Lande vorschlagen. … Die Herrschaft, welche die sozialistische Verwandlung der Gesellschaft durchführt, wird die Herrschaft der Arbeiterklasse und den anderen Kategorien der Werktätigen sein, sowohl der körperlich Arbeitenden wie der Intellektuellen aus Stadt und Land, das heißt der großen Mehrheit des Volkes. Diese Herrschaft bildet sich und handelt auf der Grundlage des allgemeinen freien Wahlrechts. Sie hat zur Aufgabe, die soweit als möglich voranzutreibende Demokratisierung des gesamten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens des Landes zu verwirklichen. Sie hat zur Aufgabe, die demokratischen Entscheidungen des Volkes zu respektieren und für ihre Respektierung zu sorgen. Im Gegensatz dazu ruft Diktatur automatisch die faschistischen Regime Hitlers, Mussolinis, Salazars und Francos in Erinnerung, das heißt, die Verneinung der Demokratie selbst. Das wollen wir nicht.“ Zum Begriff des Proletariats führte Marchais aus: „Proletariat ruft heute das Bild des Kerns, des Herzens der Arbeiterklasse hervor. Wenn dessen Rolle auch wesentlich ist, stellt sie doch nicht die Gesamtheit derselben und noch viel weniger die Gesamtheit der Arbeiter dar. Aus deren Ausstrahlung, wie wir das sehen, erwächst die sozialistische Herrschaft. Daraus ergibt sich, dass man nicht als Diktatur des Proletariats bezeichnen kann, was wir den Arbeitern, 7 Am 12./13. 2. 1976 hatten in Nizza deutsch-französische Regierungskonsultationen stattgefunden. Neben Staatspräsident Giscard d’Estaing nahmen Bundeskanzler Schmidt sowie die Außen-, Wirtschafts- und Finanzminister beider Länder teil. Zu den Hauptthemen der Gespräche gehörten Währungsfragen, die Wirtschaftslage, Angola, Zypern, Naher Osten sowie Fragen der EG. Die beiden Regierungschefs bekundeten die Absicht, bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammenzuarbeiten; vgl. Europa-Archiv 31 (1976), Z40.

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unserem Volk vorschlagen. Worauf berufen wir uns also, um unsere Haltung in dieser Frage zu definieren? Wir berufen uns auf die Grundsätze des wissenschaftlichen Sozialismus, wie er von Marx, Engels und Lenin ausgearbeitet worden ist. Es handelt sich in erster Linie um die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, eine führende politische Rolle im Kampf für die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft zu spielen.“ Marchais sprach freilich auch von der „unverbrüchlichen Freundschaft“ zur Sowjetunion. Er distanzierte sich von „gewissen Vorkommnissen der Repression“ in der Sowjetunion. Er sagte aber nicht, dass die von ihm gemeinten Erscheinungen „systemimmanent“ seien, er versteht den jetzt noch herrschenden Terror offenkundig als einen Ausklang der Auswüchse des „Personenkultes“ unter Stalin. Jedenfalls sagte er dem „Antisowjetismus“ schärfsten Kampf an8. Heftig haben darauf reagiert die DDR, Rumänien und die Tschechoslowakei. Die Prawda hat sich damit begnügt, einen Artikel aus dem „Neuen Deutschland“ nachzudrucken. Immerhin gibt es nach den Feststellungen von „Amnesty International“ vom 17. November 1975 immer noch mindestens 10.000 politische Gefangene in sogenannten Besserungslagern. Die entscheidende Frage ist natürlich in der Diskussion, in der Regierung wie unter Parlamentariern, wie man die Absage an die Diktatur des Proletariats verstehen darf. Es gibt relevante Kenner, die die Stellungnahme von Marchais für entscheidend ansehen. Sie meinen, die Sowjetische Regierung befinde sich im Zustand der Erstarrung. Im Osten habe sie die Mongolen, im Westen eine neue Gestalt des Kommunismus. In ihrem eigenen Herrschaftsbereich könne sie Aufstände wie in Ost-Berlin, Ungarn und in der Tschechoslowakei mit ihren Panzern erledigen. Aber in Frankreich oder Italien könne sie sich mit ihren Waffen eben nicht unwiderleglich machen. Diese Beurteiler meinen auch, dass eine kommunistische Regierung in Italien sowie Frankreich niemals die Chance hätte, so zu regieren, wie es in Russland und in der DDR passiert. Man würde langfristig gesehen es nach dieser Auffassung mit einer neuen Gestalt des kommunistischen Sozialismus in West-Europa zu tun haben. Andere Beurteiler halten diese Auffassung für den ersten Schritt zur definitiven Kapitulation des Westens überhaupt. Besonders sind die Amerikaner dieser Meinung. Deshalb haben sie auch den christlichen Demokraten in Italien auf mannigfache Weise erhebliche Hilfen gewährt. In dieser Situation spielt offenkundig bei den Amerikanern eine Rolle, was Willy Brandt mit seinen sogenannten „Informationskontakten“ zu kommunistischen Parteien im europäischen Raum gemeint hat. Es gibt Stimmen, die befürchten, dies sei eine gezielte Ouvertüre einer Kampagne für ein sozialistisches Europa, das nur 8 Vom 4. bis 8. 2. 1976 fand der XXII. Parteitag der KPF in Saint-Ouen statt. Generalsekretär Georges Marchais forderte u. a. die Aufgabe des Prinzips der „Diktatur des Proletariats“; vgl. ebd., Z40.

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in Kooperation mit einzelnen kommunistischen Parteien geschaffen werden könne. Ich halte die Beobachtung der geistigen Auseinandersetzungen innerhalb des Kommunismus selber nicht nur für belangvoll, man muss um sie wissen, wenn man an den kommenden Bundestagswahlkampf denkt. In ihm wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Thema „Freiheit und Sozialismus“ eine erhebliche Rolle spielen. Das Recht zu dieser Diskussion halte ich für legitim. Fraglos gibt es auch in unserem Lande Tendenzen, die nicht nur „Volksfrontregierung“ meinen. Ich hielte es aber für abenteuerlich, die Sozialdemokratie zu verdächtigen, dass sie Überlegungen in dieser Richtung hat. Man wird deshalb darauf dringen müssen, dass jeder im Wahlkampf deutlich sagt, wovon er redet, wenn er die Vokabel Sozialismus gebraucht. Selbstverständlich versteht sich der Bundeskanzler als Sozialist. Dies hat ihn nicht gehindert, sich in sehr scharfer Weise von den Vorstellungen von Herrn Mitterand abzugrenzen. Ziemlich sicher würden die Staatsführer in Afrika alle von sich sagen, dass sie Sozialisten sind. Dies hindert mindestens einige nicht daran, sich wie Leute aus dem Frühkapitalismus zu gebärden. Die Vokabel Sozialismus ist zu einer der vielschichtigsten in unserer Zeit geworden. Die Frage im Bundestagswahlkampf wird nicht sein, ob es in Zukunft eine Demontage der bisher gesetzlich geregelten sozialen Leistungen geben soll. Es geht auch nicht nur um die Frage der Beschneidung von Auswüchsen. Es geht um die Frage, welche Beschränkungen wir alle auf uns nehmen müssen, wenn wir eine gewisse Stabilität der Weltwirtschaft im Visier haben. Aus besonderem Anlass möchte ich auf die Arbeit unserer Entwicklungsdienste aufmerksam machen. Es hat sich als fruchtbar herausgestellt, dass wir für alle Entwicklungsdienste eine Arbeitsgemeinschaft gebildet haben. Effizienter ist unsere Arbeit dadurch geworden, dass es seit Jahren eine Gemeinsame Konferenz aller Kirchlichen Entwicklungsdienste mit den Katholiken gibt9. Es findet dadurch nicht nur eine bessere Koordination unserer Aktivitäten statt, der Horizont hat sich in einer Weise geweitet, dass wir schon vor 4 Jahren riskieren konnten, zur Dritten Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD III) einen Beitrag zu leisten. Das Memorandum wurde begleitet von einer ziemlich umfassenden Stellungnahme des Rates und der deutschen Bischofskonferenz10. Im vergangenen Jahr sind die Vorarbeiten geleistet worden für eine Stellungnahme zu der im Mai bevorstehenden 4. UNCTAD-Konferenz in Nairobi. Nach meiner Kenntnis werden auch diesmal die beiden Großkirchen in Deutschland die einzigen Kirchen der Welt sein, die versuchen, einen umfassenden Sachbeitrag für die Diskussion zu leisten. Die Verantwortung für das Papier wird von den beiden Vorsitzenden der Gemeinsamen Konferenz, also von Bischof Tenhumberg und 9 Gemeint ist die Gemeinsame Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen (GKKE). 10 Zur gemeinsamen Denkschrift zur UNCTAD III vgl. den Bericht vom 8./9. 6. 1972 (Dok. 51), Anm. 11.

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mir übernommen. Diesmal hat der Rat und der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz nur zustimmend von dem Vorgang Kenntnis genommen, also die Sachbeiträge und die begleitende Mantelnote an die Bundesregierung und so weiter nicht unmittelbar auf seine Verantwortung genommen. Dies schien uns sachgemäßer, vor allem weniger verwirrend für unsere Gemeinden zu sein. Das Memorandum ist am 10. Februar der Bundesregierung übergeben und am 11. Februar in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Das „Deutsche Sonntagsblatt“ hat diese Sache für so wichtig gehalten, dass sie die Ausarbeitung vollständig übernommen und dokumentiert hat11. Die Aufnahme dieses Papiers in der Presse und in den Massenmedien ist bisher erstaunlich gut. Wir wissen, dass auch die zuständigen Ministerien sorgfältig auf unser Votum achten. Das Bundeskabinett wird in der zweiten Hälfte des April die Leitlinien für das Verhalten der deutschen Delegation festlegen. Vorher werden noch eine Reihe von Einzeldiskussionen mit den Verantwortlichen geführt werden. Selbstredend sind auch Genf und Brüssel in aller Form unterrichtet worden. Entsprechend verfahren die Katholiken gegenüber Rom. Wir glauben, im Nachgang zu den Beschlüssen der Weltkirchenkonferenz in Nairobi einen bemerkenswerten Beitrag für die Fragen der Weltwirtschaft geleistet zu haben. Es ist nicht mein, sondern der Katholiken Votum, dass es im Wesentlichen evangelische Fachexperten gewesen sind, die sich für diesen Dienst zur Verfügung gestellt haben. Selbstredend war unsere Kammer für Entwicklungsdienst unmittelbar beteiligt und hat das ganze Memorandum sorgfältig durchreflektiert. Am schwierigsten war der Abschnitt über die Rüstungsfragen. Wir hätten gerne diese Frage ausgelassen, weil es von der Sache her sehr schwer war, allein schon die notwendigen Informationen zu bekommen, um eines Urteils fähig zu sein. Wir meinten aber, dass wir unter keinen Umständen diesen Aspekt aus unseren Überlegungen streichen sollten. Nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ hat Bruder Linnenbrink von uns an dieser Sache das größte Verdienst. Ich denke, es wird nicht nur unseren Delegierten der Weltkirchenkonferenz in Nairobi, sondern uns allen eine Genugtuung sein, dass wir nicht nur erhebliche finanzielle Beiträge für den ökumenischen Rat leisten, sondern auch in den großen gesellschaftspolitischen Fragen der Welt eine gewissenhaft gearbeitete geistige Reflexion vorlegen konnten. Die Zeit erlaubt nicht, sich ausführlich zur gegenwärtigen Rüstungspolitik in der Welt zu äußern. Was auf diesem Gebiet passiert, ist besorgniserregend genug. Angesichts der Rezession sind einer Reihe von Ländern die bisherigen moralischen Bremsen bei der Frage des Waffenexportes unwichtiger geworden als die Sicherung der Arbeitsplätze. Es gibt auch in der Bundesrepublik Erwägungen, den bisherigen restriktiven Kurs beim Waffenexport zu lockern. Bisher hat der Rat immer vertreten lassen, dass bei aller Anerkennung dafür, dass auch die Länder der Dritten Welt Sicherheitspolitik treiben müssen, für 11 Vgl. den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 19 und 20.

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uns Deutsche Rüstungsmaterial der fragwürdigste Gegenstand für Entwicklungspolitik ist. Die Grenzen werden aber schon dadurch fließend, dass im wachsenden Maße die in der NATO zusammengeschlossenen Länder neue Waffen in Kooperation bauen, und es dadurch dahin kommen kann, dass etwa Frankreich solche Waffen in Spannungsgebiete liefert, für die die Bundesregierung keine Exportlizenzen erteilt. Der Rat wird von einzelnen Gruppen und wissenschaftlichen Instituten, aber auch von zahlreichen Einzelpersonen immer nachdrücklicher bedrängt, diesem ganzen Fragenkreis ein höheres Mass an Aufmerksamkeit zuzuwenden. In diesen Zusammenhang gehört natürlich auch die Frage, welchen Rang die für den friedlichen Gebrauch benutzten Kernkraftwerke für die Entwicklung atomarer Waffen in den Empfängerländern haben. Die Auffassungen der Fachgelehrten sind in dieser Sache kontrovers. So gewiss der Rat gerade diesem Fragenkreis nach wie vor seine Aufmerksamkeit widmet, halte ich es für ausgeschlossen, dass wir allein schon finanziell in der Lage sind, ein ausreichendes Instrumentarium zu schaffen, das uns Grundlagen für eine Stellungnahme erarbeiten könnte. Abgesehen davon kann man den ganzen Fragenkreis für mein Urteil nur unter internationalen Horizonten angehen. Ob Genf eine nicht nur ideologiefreie, sondern vor allem seriöse solide Arbeit in dieser Sache leisten könnte, vermag ich bei den beschränkten Mitteln des ökumenischen Rates auch nicht zu glauben. Wollen wir aber wirklich in dieser Sache einen Vorstoß, darf er nicht dilettantisch sein. Im übrigen ist mir zwar sicher, dass wir als Evangelische Kirche in Deutschland an der atomaren Frage weiterarbeiten müssen, aber ich fürchte, wir übernehmen uns und überschreiten auch wahrscheinlich die uns gesetzten Grenzen, wenn wir uns den rüstungspolitischen Fragen intensiv zuwenden würden. Das Parlament hat die Reform des § 218 nach mehr als 20-jähriger Arbeit abgeschlossen. Das neue Gesetz ist Ihnen bekannt. Sie haben auch die ersten Stellungnahmen des Herrn Ratsvorsitzenden und der Katholiken. Sie unterscheiden sich bei weitgehender Einmütigkeit sehr deutlich voneinander und dies nicht nur im Stil und in der Tonlage. Der Herr Ratsvorsitzende hat sogar ein gutes Wort an jene Abgeordnete aufgenommen, die sich innerhalb der Regierungskoalition in eindrucksvoller Weise darum bemüht haben, unseren Vorstellungen vollständig entgegenzukommen12. Mindestens ist gelungen, eine Reihe von Abgeordneten aus der SPD in dieser Sache und damit natürlich auch gegenüber der Kirche nachdenklich zu machen. Ziemlich schlimme Äußerungen [wie] noch vor 3 Jahren sind nicht mehr vorgekommen. Die Ratsdelegation hatte noch am 9. Februar einmal einen Gedankenaustausch mit der Delegation der SPD. Es waren durch eine gemeinsame Stellungnahme meines Kollegen Prälat Wöste und mir noch einmal die Verhandlungen innerhalb der Regierungskoalition aufgenommen worden. Es ist auch einiges 12 Vgl. die „Erklärung des Vorsitzenden des Rates der EKD zur abermaligen Neufassung der Strafbestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch“ in: KJ 103/104 (1976/77), 163 f.

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erreicht. Darüber wurden wir bei unserem Zusammensein informiert. Ich denke, es ist nicht nötig, Ihnen die Einzelheiten des Gesprächsganges vorzuführen, aber von einem gewissen Belang war die Erklärung von Dr. Metzger zu Beginn. Es bezeichnete die meist sehr ausgewogenen Stellungnahmen der EKD zu dem gesamten Fragenkomplex als sehr hilfreich. Er und seine Freunde seien zwar in der Fraktion häufig in der Minderheit gewesen, gelegentlich hätten sie aber auch Mehrheiten gewonnen. Er hob besonders hervor, dass bei aller Gegensätzlichkeit die Mehrheit der Fraktion die Argumente der Minderheit immer ernst genommen hätte und stets bereit gewesen sei, Rücksicht auf sie zu nehmen. Letztlich freilich müssten in der Fraktion auch Sachen von großem Gewicht mit Mehrheitsentscheidung fallen. Die am 28. Januar getroffene Endfassung sei das Maximum der Gemeinsamkeit gewesen. Die Frage stellt sich nun, ob der Rat noch eine Erklärung zu diesem Fragenkomplex abgeben soll13. Wichtiger wird sein, darüber zu beraten, wie das Diakonische Werk in die Lage versetzt werden kann, den nun auf uns zukommenden Verantwortungen der Beratung und der Hilfe zu genügen.

13 Diese Erklärung erfolgte im „Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland anläßlich des Inkrafttretens der neuen strafrechtlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch“. Sie wurde am 15. 7. 1976 veröffentlicht; vgl. ebd., 164–166; und Mantei, Abtreibung, 537.

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71 Friedewald, 13.–15. Mai 19761 EZA Berlin, 742/12, msl. mit hsl. Ergänzungen Angesichts der Notwendigkeit, unsere Begegnung mit dem AACC in Arnoldshain sorgfältig zu diskutieren, schien es mir angezeigt, dem Dialog zwischen Amerika und der Sowjetunion im Blick auf Afrika nachzugehen2. Mitte März brachen die USA die laufenden Verhandlungen mit den Sowjets in den drei Komplexen: Energiefragen, Städtebau und wirtschaftliche Kooperation ab und vertagten die Gespräche über den Einkauf von 10 Millionen Tonnen sowjetischen Oels jährlich. Dies wurde als ein warnendes Signal verstanden. Inzwischen haben sowohl Moskau wie Washington ihre Position in der Afrika-Frage präzisiert3. Kissinger stellte am 23. April [richtig: 22.] in einer ausführlichen Rede auf einer Pressekonferenz vor Antritt seiner Afrika-Reise klar, dass Amerika gegenüber der anderen Supermacht eine „zweigleisige Politik“ zu führen beabsichtigt4. Die USA seien entschlossen, etwaigen weiteren Vorstößen der Sowjets in Übersee entgegen zu wirken. Dabei bliebe die Wahl der Mittel offen. Die USA hielten die im Angola-Konflikt zu Tage getretenen neuen Formen sowjetischer Weltmacht-Darstellung für unverantwortlich und sähen darin eine ernsthafte Gefährdung des Entspannungsprozesses. Andererseits bestehe die prinzipielle Notwendigkeit eines friedlichen Machtausgleiches unbestreitbar weiter. Washington werde sich also auch in Zukunft um neue entspannende Verträge bemühen. Die SALT II-Gespräche würden fortgesetzt. „Ich würde die Möglichkeit eines zweiten SALT-Abkommens in diesem Jahr nicht ausschließen.“ Kissinger ließ also die Chance eines nicht allzu fernen günstigen Abschlusses der Verhandlungen offen. Die russische Antwort gab Juri Andropow, der Mitglied des Politbüros und 1 Der Bericht ist überschrieben mit „Klausurtagung des Rates der EKD“. 2 Im Mai hatte ein zweitägiges Gespräch zwischen EKD-Vertretern und der AACC stattgefunden. Dabei vertrat die EKD-Delegation den Standpunkt, dass die Weitergabe nuklearer Technologie der Bundesrepublik an Südafrika nur friedlichen Zwecken diene; vgl. Widmann, Wandel, 426. 3 Die amerikanische Regierung hatte Maßnahmen eingeleitet, um ihr Missfallen gegenüber der sowjetischen Angola-Politik auszudrücken. Danach sollte die bisherige Entspannungspolitik mit der Sowjetunion nicht unverändert fortgesetzt werden. Dies betraf besonders Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. So wurde die für das Frühjahr 1976 geplante Tagung der Gemischten Kommission für Energiefragen auf den Herbst verschoben. Weitere Vertagungen sollten folgen. Auch wurden die Gespräche über sowjetische Ölverkäufe an die USA abgebrochen; vgl. dazu AAPD 1976, Bd. I, 381. 4 Der amerikanische Außenminister Kissinger besuchte vom 24.4. bis 7. 5. 1976 Kenia, Tansania, Sambia, Zaire, Liberia und den Senegal. Den Abschluss seiner Reise bildete die Teilnahme an der UNCTAD IV-Konferenz in Nairobi; vgl. ebd., 506, Anm. 7; Secretary Kissingers’ News Conference of April 22. Press release 186 in: The Department of State Bulletin 74 (1976), Nr. 1925 vom 17. 5. 1976, 617–619, hier 617 f.; American Relations 1976, 50, 51; und Anyakoha: Relations.

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Vorsitzender des Komitees für Staatssicherheit ist. Auch sein Bescheid lässt sich auf die Formel Zweigleisigkeit bringen. Andropow sprach in Gegenwart von Breschnew und anderen PolitbüroMitgliedern und 6.000 Zuschauern aus Anlass des 106. Geburtstages von Lenin5. Seine Formulierungen müssen als im höchsten Grade verbindlich und offiziell zu bewerten sein. Er sagte, die Außenpolitik der Sowjetunion sei „Klassenpolitik“. Wenn die Partei auch eine konsequente Friedenspolitik treibe, bleibe sie doch gleichzeitig fest auf dem Boden des proletarischen Internationalismus und der Solidarität mit dem Kampf der Völker um Freiheit und sozialen Fortschritt. Andropow bemühte sich, diese faktische Zweigleisigkeit nicht allzu sehr herauszuarbeiten. Er sagte: „Darin besteht keinerlei Gegensatz. Wir erwarten nicht, dass im Zeichen der Entspannung die monopolistische Bourgeoisie und die ihren Willen ausführenden Regierungen auf die Seite des revolutionären Kampfes des Proletariates oder des nationalen Befreiungskampfes unterdrückter Völker treten.“ Solche Forderungen richte die Sowjetunion nicht an den Westen. Man solle aber auch von der Sowjetunion nicht verlangen, dass sie von ihrer Solidarität mit denjenigen Abstand nehme, die gegen Ausbeutung und Kolonialjoch kämpfen. Diese über alle Fernsehsender der Sowjetunion und des Ostblocks ausgestrahlte Rede enthielt auch die Versicherung, dass die Sowjetunion sich nicht in die Angelegenheiten anderer Völker einmischen wolle. Sie habe nicht vor, die Revolution zu exportieren. Eine Revolution sei das Ergebnis innerer Entwicklungen und könne nicht auf Bestellung oder Vereinbarung in einem fremden Lande entstehen. Jedes Volk bestimme selbst sein Schicksal. Aber wenn ein unterdrücktes Volk den Weg des Kampfes wähle, wenn es gezwungen sei, mit den Kolonisatoren zu kämpfen oder Angriffe ausländischer Interventen und gedungener Mörder abzuwehren, so sei die „Sympathie“ der Sowjetunion auch weiterhin auf seiner Seite. An das Wort Sympathie haben sich die Analysen dieser Rede gehalten. Die Sowjetunion hat sich nicht verpflichtet, automatisch militärisch einzugreifen, – etwa, wenn die USA die zeitweise angedrohte militärische Intervention gegen Kuba einleiten würde oder wenn in Jugoslawien nach dem Ableben Titos Unruhen ausbrächen. Sie hat aber auch andererseits keine Garantie dafür ausgesprochen, dass sie sich im Fall eines ernstzunehmenden bewaffneten Konfliktes in diesen ihren äußeren Interessenzonen jeglicher militärischen Einmischung enthalten werde. Zur Entspannungspolitik sagte er, es gehe darum, die Grenzen der friedlichen Koexistenz auszuweiten. „Die Partei setzt sich jetzt nicht mehr das Ziel, eine friedliche Atempause herbeizuführen, sondern einen dauerhaften gerechten Frieden zu schaffen.“ Was die ideologische Auseinandersetzung an5 Vgl. Leninismus – die Wissenschaft und Kunst revolutionären Schöpfertums. Ansprache von Juri Andropow, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU, auf der Festveranstaltung zum 106. Geburtstag von Wladimir Iljitsch Lenin in Moskau. In: Neues Deutschland 31 (1976), Nr. 97 vom 23. 4. 1976, 3 f.

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betrifft, so könne sie freilich niemand abschaffen, ebensowenig wie den Klassenkampf. Die Prinzipien der friedlichen Koexistenz erforderten jedoch, dass nicht unter dem Anschein des Ideenkampfes eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Anderen versucht werde. Gerade hier stoße man freilich auf ein ziemlich merkwürdiges Bild. „Die selben Kräfte, die selben Politiker, welche den Kommunisten vorwerfen, sie störten die Entspannung, in dem sie auf dem Kampf der Ideen bestünden, nehmen absolut nicht Abstand vom ideologischen Kampf gegen den Sozialismus. Wir stoßen dabei ständig auf Versuche, die Propaganda in Formen zu führen, wie sie während der Periode des Kalten Krieges üppig blühten und heute in der Periode der Entspannung unbedingt fallengelassen werden sollten.“ Im Atomzeitalter gäbe es nun einmal keine Alternative zur friedlichen Koexistenz. Eine Verzögerung des Entspannungsprozesses und mehr noch ein Zurückrutschen, wenn auch nur zeitweilig, könnte teuer zu stehen kommen, weil daraus nicht nur zwecklose materielle Vergeudung, sondern auch eine gefährliche Zuspitzung der internationalen Lage resultieren müsste. Aus diesem Passus der Rede Andropows muss geschlossen werden, dass, ungeachtet aller Doppelgleisigkeit, die Moskauer Supermacht doch nicht auf Kollisionskurs zu gehen gedenkt. Konkrete Drohungen und alarmierende Warnungen fehlten völlig, wiewohl er natürlich in gewohnter Weise mit der imperialistischen Reaktion, den Faschisten, Kolonialherren und auch der maoistischen Führung in China abrechnete. Einige Experten in Bonn haben in persönlichen Gesprächen die Meinung ausgesprochen, die beiden programmatischen Reden Kissingers und Andropows seien zuvor auf vertraulichem Wege aufeinander abgestimmt worden. Die Annahme hat manches für sich, lässt sich aber selbstredend nicht beweisen. Innenpolitische Gründe müssen es sowohl der Regierung Ford wie der Sowjetunion geraten erscheinen lassen, jetzt einen besonders vorsichtigen außenpolitischen Kurs zu steuern. Der Kreml scheint nicht geneigt zu sein, sich nach dem Westen hin und besonders gegenüber den USA in neue Abenteuer einzulassen, zumal in China große Ungewissheiten herrschen. Kissinger hatte in seiner zitierten Rede eingeräumt, dass es in einem Wahljahr zu einer Verlangsamung neuer politischer Initiativen der Vereinigten Staaten kommen werde. Aus anderen Gründen scheint auch dem Kreml eine Verlangsamung zur Zeit geboten zu sein. Fast gleichzeitig haben die Bundesregierung und die DDR zu erkennen gegeben, dass sie gegenwärtig nichts Gutes vom Hochspielen akuter innerdeutscher Konflikte erwarten. Der Bundespräsident und der Kanzler begaben sich nach West-Berlin, wo gerade eine emotionsgeladene Diskussion über die Frage der Errichtung einer „Deutschen Nationalstiftung“ mit Sitz in Berlin aufzuflammen drohte. Der Kanzler ließ erklären, dass zunächst noch einmal die Meinung der VierMächte eingeholt werden sollte. Während Schütz und die Mitglieder der SPDFraktion Berlin als alleinigen Sitz reklamieren und darauf hinweisen, dass es

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sich ja nach den bisherigen Plänen ohnehin nur um einen sehr kleinen Apparat handeln werde, haben Schmidt und mit ihm die Bonner Regierung keinen Hehl daraus gemacht, dass in der Standortfrage und auch wohl bezüglich anderer Probleme noch Meinungsunterschiede bestünden. Der Kanzler hat sich darüber hinweggesetzt, dass eine einstimmige Empfehlung der Kultusminister-Konferenz bereits vorliegt, Berlin zum Standort der Nationalstiftung zu machen. Er konnte damit dem Osten signalisieren, dass er persönlich bereit ist, neuen vermeidbaren Berlin-Konflikten aus dem Wege zu gehen. Eine Entscheidung soll nun auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 13. Mai fallen6. Ärger gab es auch wegen einer in Berlin geplanten Ausstellung, die zeigen sollte, wie, entgegen den Beschlüssen der Sicherheitskonferenz, die Menschenrechte im kommunistischen Bereich ständig verletzt werden. Die Idee hatte der Vorsitzende des innerdeutschen Bundestagsausschusses Olaf von Wrangel befürwortet. Ihre Verwirklichung könnte, nach der öffentlichen Vorführung der Selbstschussanlagen SM-707 in der Bundesrepublik, bei der Führung der DDR viel böses Blut machen. Daneben hält auch die Polemik Moskauer Massenmedien gegen die unzulässige Zugehörigkeit West-Berlins zur EG die Gemüter in Atem. Während offenbar der Kanzler vor forschem Auftreten in dieser Sache warnte, hielt der Berliner Senat an seiner Position fest. Jede Einrichtung der Europäischen Gemeinschaft sei befugt, ihren Sitz in Berlin zu nehmen. Radio Moskau hatte zuvor gesagt, anlässlich der Einrichtung des Europäischen Zentrums für Berufsbildung in der Stadt, niemand habe etwas gegen normale Beziehungen West-Berlins zu Ländern der EG und niemand beabsichtige, den West-Berlinern „von außen eine politische und soziale Ordnung aufzuzwingen“, doch das Verlangen des Westberliner Bürgermeisters Oxfort, die Zugehörigkeit der Stadt ausdrücklich durch Errichtung dieser und anderer EG-Institutionen in ihren Mauern demonstrieren zu dürfen, bedeutet den Versuch „auf einem Umweg, unter Ausnutzung der EG den Rechtsstatus von Berlin zu ändern.“ Das Endziel der EG bestehe bekanntlich in der politischen Integration aller ihrer Teilnehmer. „Wenn sich West-Berlin an einer derartigen Integration beteiligen würde, so würde es über die Europäische Gemeinschaft in das staatliche System der Bundesrepublik einbezogen werden.“ Juristisch gesehen wird es schwierig sein, Radio Moskau gültige Argumente entgegenzuhalten. Die EG ist zwar noch kein Staat und wird vielleicht niemals einer werden, aber das Ziel der politischen Integration 6 Der Regierende Bürgermeister von Westberlin Klaus Schütz hatte am 23. 4. 1976 vor dem Berliner Abgeordnetenhaus behauptet, Bundeskanzler Schmidt habe ihm versichert, dass die Stiftung ihren Sitz in Westberlin haben werde. Dies wurde jedoch von Regierungssprecher Klaus Bölling dementiert; vgl. AAPD 1976, Bd. I, 742. Die Deutsche Nationalstiftung wurde schließlich erst 1993 mit Sitz in Hamburg gegründet; vgl. Deutsche Nationalstiftung (online). Zu den Zielen der Deutschen Nationalstiftung vgl. Deutscher Bundestag, WP 7, Drucksache 7/3704 vom 28. 5. 1975 (online). 7 Vgl. dazu den Bericht vom 15/16. 2. 1973 (Dok. 57), Anm. 16.

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ist ein Staaten-Bund. Die gewünschte Direktwahl zum Europa-Parlament gilt als erster Schritt in diese Richtung, sollten die West-Berliner den Anspruch erheben, daran teilzunehmen, so wäre die Konfliktsituation da. Anlässlich des Besuches des Staatspräsidenten von Tansania Nyerere in der vergangenen Woche war selbstredend das beherrschende Thema aller Gespräche, auch der Tischreden, der künftige Weg Afrikas. Genscher erklärte, Bonn unterstütze die Forderung nach einer schwarzen Mehrheits-Regierung in Rhodesien, aber es erwarte gleichzeitig, dass die weißen Minderheitenrechte dort garantiert würden. Namibia solle möglichst rasch seine Unabhängigkeit erhalten. Die Rassentrennung in der Republik Südafrika sei baldmöglichst zu beseitigen8. Alle diese Postulate der deutschen Afrika-Politik decken sich mit jenen, die der amerikanische Außenminister Kissinger unmittelbar zuvor bei seiner ersten Afrika-Reise verkündet hatte. Mehrfach sagte er in seinen Vorträgen, die USA bereiteten ein neues 10-Punkte-Programm ihrer Afrika-Politik vor. Nachdrücklich unterstrich er, dass die USA in Rhodesien den Übergang der Macht an die schwarze Bevölkerungsmehrheit befürworteten, freilich nicht um den Preis eines Krieges oder blutiger Guerilla-Kämpfe. Kissinger trat auch für die Selbständigkeit Namibias ein und für eine Modifizierung der in Südafrika geltenden Rassengesetze. Eine amerikanische Militärhilfe für die schwarz-afrikanischen Nationalisten schloss er ausdrücklich aus. Es decken sich also die Grundzüge der amerikanischen und der deutschen Afrika-Politik. Genscher hatte dies dem südafrikanischen Botschafter in Bonn in einem Gespräch zuvor klar gemacht. Er hatte gesagt, die amerikanischen und west-europäischen Auffassungen zur Südafrika-Politik seien voll identisch. Weniger offen ist man in der Bewertung der Tatsache, dass diese amerikanisch-europäische Übereinstimmung sehr jung ist. Kissinger hat Südafrika, wie mehrere Kabinettsmitglieder in Pretoria vor Pressevertretern mitteilten, seinerzeit zur militärischen Intervention in Angola unter der Hand ermuntert. Er soll dabei erklärt haben, die USA würden von Zaire aus diesen südafrikanischen Einmarsch in den Süden Angolas „in geeigneter Form“ unterstützen. Als dann der Kongress in Washington sich weigerte, die für diese, auch von Präsident Ford befürwortete, indirekte amerikanische Aktion in Angola notwendigen Gelder zu bewilligen, war Kissinger außerstande, sein vertrauliches Versprechen einzulösen. In Pretoria ist nach seiner Afrika-Reise sein Ansehen auf einen Tiefpunkt gesunken. Die Enttäuschung der weißen Südafrikaner dürfte sich noch verschlimmert haben, als sie erleben mussten, dass Kissinger sich bei dem erwähnten Vortrag in Lusaka nicht nur für eine schwarze Mehrheitsregierung in Rhodesien und für die Milderung oder Aufhebung der Apartheidgesetze in Südafrika aussprach, sondern es auch versäumte, gleichzeitig zu verlangen, dass dann den 8 Vgl. das Gespräch zwischen Bundesaußenminister Genscher und dem Präsidenten Julius Nyerere auf Schloss Gymnich am 4. 5. 1976. In: AAPD 1976, Bd. I, 580–584.

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Weißen ein ausreichender Minderheitenschutz gewährt werde9. Genscher hat dies Letztere in seiner Tischrede beim Empfang für den Außenminister von Tansania ausdrücklich miterwähnt10. Es scheint überhaupt, dass Genscher eine relativ gute Position in Schwarz- wie in Weiß-Afrika hat. Er hat schon bei seiner Rundreise im Juli 1975 in vier Afrikanischen Staaten alle jene Zugeständnisse an die schwarzen Regierungen befürwortet, die nun auch Kissinger vertritt. Genscher führte in Lusaka auch ein Gespräch mit einem Vertreter der Namibischen Befreiungsbewegung SWAPO11. Nun ist es so, dass Gromyko in London bei seinem letzten Besuch versichert hat, für ihn seien Rhodesien und Namibia „nur geographische Begriffe“. Das hat Gromyko auch dem Sinn nach der französischen Regierung bei seinem Besuch Anfang Mai in Paris erklärt. In England und in Frankreich wird angenommen, dass diese Gromyko-Erklärung eine direkte sowjetische Einmischung in rhodesische und namibische Wirren ausschließt. Was aber wird, wenn Kuba, das seine nach Angola entsandten 15.000 Mann noch nicht zurückgezogen hat, neue „freiwillige“ Militärhelfer nach Rhodesien und ins südliche Afrika entsendet? In einem Artikel der Prawda vom 26. April gab es einen Kommentar, in dem ein neuer bewaffneter Konflikt im südlichen Afrika als unvermeidbar hingestellt wird. Nach Meinung der Prawda hat sich die Lage nach dem Ende des portugiesischen Kolonialreiches derart krass verändert, dass die Taktik der endlosen Verfassungsgespräche überlebt sei. Jetzt gehe es in Rhodesien um eine „bedingungslose Übertragung der Macht auf die afrikanische Mehrheit“. Die Sowjets sind also nicht für die gleichzeitige Verkündung von Bestimmungen über einen Minderheitenschutz der Weißen. Sicher wird die südafrikanische Frage bei dem Frühjahrstreffen der NATO am 22. Mai in Oslo eine erhebliche Rolle spielen12. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Jan Smith den Versuch gemacht hat, sich durch die Einreihung von schwarzen Ministern in sein Kabinett mit einigen schwarzen Staatssekretären ein günstigeres Image zu schaffen. Diese Geste ist überall auf Ablehnung gestoßen. Besonders in London, wo man bis vor kurzem noch auf Smith amtlich einzuwirken suchte, wurde sie kompromißlos abgelehnt. Seit seinem Rückzug aus Süd-Angola enthält sich Südafrika aller Kommentare zu der Entwicklung in Rhodesien. Es 9 Vgl. Vortrag Henry Kissingers am 27. 4. 1976 in Lusaka im Wortlaut (gekürzt) in: Europa-Archiv 31 (1976), D315–D322. 10 Zum Staatsbesuch des Staatspräsidenten von Tansania, Nyerere, in der Bundesrepublik Deutschland vgl. AAPD, Bd. I, 580–584. 11 Genscher besuchte vom 30.6. bis 2. 7. 1975 Liberia, vom 2. bis 4. 7. 1975 Ghana, vom 4. bis 5.7. Sambia und vom 5. bis 7. 7. 1975 Malawi; vgl. dazu die Aufzeichnung des Ministerialdirigenten Walter Jesser vom 25. 7. 1975 in: AAPD 1975, Bd. I, 1021–1031. 12 Die NATO-Ministerratstagung fand am 20./21. 5. 1976 in Oslo statt; vgl. dazu den Runderlass des Ministerialdirektors van Well vom 24. 5. 1976 in: AAPD 1976, Bd. I, 684–691; und Europa-Archiv 31, (1976), Z114. Der sowjetische Außenminister Gromyko besuchte vom 22. bis 25. 3. 1976 Großbritannien. Zur Lage im südlichen Afrika erklärte dieser, die Sowjetunion habe nichts damit zu tun; vgl. Europa-Archiv 31 (1976), Z71.

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scheut sich auch, die Beschlagnahme von südafrikanischem Eigentum in MoÅambique öffentlich zu verurteilen. Dagegen will es Südafrika nicht hinnehmen, wenn von west-machtlicher Seite politischer oder wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird, um eine Auflockerung der Rassengesetzgebung zu erreichen. Die Bundesregierung ist der Meinung, die Verhängung eines Investitionsstopps für Süd-Afrika sei ein schwerer politischer Fehler. Zunächst habe die Bundesregierung gar keine Möglichkeit dafür. Aber sie begebe sich dadurch auch jener Einflussmöglichkeiten, die sie zweifelsfrei zur Zeit besäße. Niemand könne bestreiten, dass seit 1968 eine erhebliche Besserung der bis dahin bestehenden Verhältnisse erreicht worden sei. Mindestens eben so wichtig ist aber für die Bundesregierung, dass es zwar keine amtliche, aber eine faktische Abstimmung vor allem zwischen Amerika, England, Frankreich und der Bundesrepublik gibt, eine gemeinsame Politik im Blick auf Südafrika zu betreiben. Es ist die Überzeugung von Genscher, dass es eine schwere Schädigung für die Bemühungen um eine friedliche politische Lösung in Süd-Afrika bedeuten würde, wenn einer der genannten Staaten einen Alleingang betriebe. Er hat mich gebeten, dem Rat ein Gespräch anzubieten, wenn der Rat die Absicht haben sollte, sich öffentlich für einen Investitionsstopp für Süd-Afrika einzusetzen13. Im März ist eine der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachte Studie im Auswärtigen Amt in Bonn über die sowjetischen Zielsetzungen in Afrika angefertigt worden. Ich hatte keine Möglichkeit, in Gesprächen mit Sachkennern aus allen Parteien die Studie kritisch zu reflektieren. Bietet sich dafür in den nächsten Wochen die Chance, wäre es früh genug, darüber in der nächsten Ratstagung zu berichten. Bemerken sollte ich noch, dass der Präsident der Elfenbeinküste Felix Houphou p-Boigeny bei einem Staatsbesuch Anfang Mai in Paris den Westen in besonders eindringlicher Form vor einer Kapitulation in Afrika gewarnt hat. Er scheint zu befürchten, dass Europa und die USA Afrika durch ihre Tatenlosigkeit immer mehr den Sowjets überlassen könnten. Das plötzlich erwachte Interesse der USA hält er weder für überzeugend noch für beruhigend. Er glaubt, Washington lasse sich in erster Linie von kurzsichtigen innenpolitischen Erwägungen leiten. Derartige Gedanken sollen auch im Mittelpunkt einer am 10. und 11. Mai in Paris stattfindenden FranzösischAfrikanischen Konferenz stehen, bei der sich an die 20 französisch-sprachige 13 Die Forderung, die EKD möge für einen Investitionsstopp bundesdeutscher Unternehmen in Südafrika eintreten, war zum ersten Mal 1972 auf der Sitzung des Zentralausschusses des ÖRK erhoben und öffentlich diskutiert worden. Die EKD war dieser Forderung zunächst nicht nachgekommen und hatte stattdessen seit August 1972 Gespräche mit Vertretern bundesdeutscher Firmen, die in Südafrika investierten, sowie mit dem DGB geführt. Damit wollte sie erreichen, dass die Firmen ihr Investitionsverhalten in Südafrika zugunsten einer Verbesserung der arbeitsrechtlichen, sozialen und wirtschaftliche Lage der farbigen Arbeiter veränderten. Im August 1975 hatte die EKD jedoch diese Gespräche wegen mangelnder Ergebnisse beendet; vgl. Willems, Entwicklung, 262; und den Bericht vom 27. 9. 1975 (Dok. 68), Anm. 2.

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Länder Afrikas durch ihre Staats- und Regierungschefs vertreten lassen. Man wird damit rechnen können, dass Frankreich die Ergebnisse in der schon genannten NATO-Ministerkonferenz am 22. Mai in Oslo auswerten will14. Eine Bemerkung möchte ich noch machen im Blick auf die Bonner AfrikaPolitik. Die offizielle Lesart bei dem Besuch von Nyerere in Bonn war: in der Republik Südafrika muss die Rassentrennung abgebaut werden. Damit ließ die deutsche Politik die Frage offen, ob die Rassentrennung total und sofort beseitigt werden soll. Diese Lücke ist beabsichtigt. Erst wenn die USA sich auf die von Kissinger in Lusaka angekündigte 10-Punkte-Politik festgelegt haben, die auch von allen NATO-Mitgliedern übernommen werden soll, wird die Lücke ausgefüllt werden. Die Verhandlungen von UNCTAD IV dauern noch an15. Man kann noch kein Urteil über den möglichen Ertrag haben. Die offizielle Lesart in Bonn und Brüssel ist: es wird begrenzte, doch unbezweifelbare Schritte geben. Wenigstens registrieren sollte ich die Schwierigkeiten, die der Kanzler zur Zeit mit Paris und Rom wegen eines Fernseh-Interviews über eine eventuelle Regierungsbeteiligung der Kommunisten in Italien und Frankreich hat. Er hat nicht nur durch die Opposition temperamentvolle Erwiderungen erfahren. Auch Paris und Rom haben unzweideutig reagiert. Ich weiß nicht, ob die These stimmt, dass der Kanzler die Absicht hatte, auf dem Umweg mit dem Verweis auf den Ertrag christlich-demokratischer und konservativer Politik in Italien und Frankreich auf die Ungeeignetheit der CDU zur Regierung hinzuweisen. Er selber sagt, er habe die Absicht gehabt, zum Frieden zu raten. Er habe Kissingers dunkle Andeutungen, die NATO müsse umgestaltet werden, wenn in Italien die Kommunisten an der Regierung beteiligt würden, abzuschwächen versucht16.

14 Vgl. Anm. 12 in diesem Bericht. Das französisch-afrikanische Gipfeltreffen fand vom 10. bis 12. 5. 1976 in Paris statt. Dort beschloss man einen Hilfsfond für Afrika, an dem neben Frankreich auch andere westliche Industrieländer teilnehmen sollten; vgl. AAPD 1976, Bd. I, 676. 15 Die Vierte Welthandelskonferenz UNCTAD IV fand vom 5. bis 28. 5. 1976 in Nairobi statt; vgl. Prill, UNCTAD IV, 152; vgl. auch den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 19 und 20. 16 Schmidt hatte in einem Fernsehinterview am 15. 4. 1976 die italienische Democrazia Cristiana, die portugiesischen und spanischen Diktatoren Salazar und Franco sowie den französischen Gaullismus für die rückständigen Verhältnisse und den sichtbaren Erfolg der kommunistischen Parteien in ihren Ländern verantwortlich gemacht; vgl. Angst vor den häßlichen Deutschen. In: Der Spiegel 30 (1976), Nr. 18 vom 26. 4. 1976, 25–27.

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72 Berlin, 23. Juni 19761 EZA Berlin, 742/12, msl. mit längeren hsl. Ergänzungen Es hat in den vergangenen Wochen eine Summe von sehr wichtigen Ereignissen gegeben, auf die sorgfältig zu achten notwendig ist, wenn man einen gesunden Überblick über die gegenwärtige politische Lage begehrt. Einige Dinge will ich wenigstens nennen, auch wenn keine Zeit vorhanden ist, sie in einer sorgfältigen Analyse auszuloten. Besonders interessiert werden wir als Evangelische Kirche in Deutschland an dem Besuch des Ersten Sekretärs von Polen Herrn Gierek gewesen sein. Es war das erste Mal in der Geschichte, daß der erste Mann in Polen bei uns in Deutschland einen Staatsbesuch gemacht hat. Ich möchte Ihnen empfehlen, die Reden des Kanzlers und Herrn Giereks im Bulletin der Regierung nachzulesen, die sie bei dem Essen, das die Bundesregierung gab, gehalten haben2. Die Rede des Kanzlers hatte nicht nur Substanz und war brillant formuliert, offenkundig war ihm und seinem Hörerkreis bewußt, daß er sich in diesem Augenblick in einer Situation befand, wie etwa Gustav Heinemann bei seinem Staatsbesuch in Holland. Die Antwort von Herrn Gierek war betont zurückhaltend, fast monoton vorgetragen. Seine Begleiter machten keinen Hehl daraus, daß er bei dieser Gelegenheit ein Maximum an Rücksicht nehmen mußte auf Moskau und vor allem auch auf die DDR. Dies hinderte ihn nicht, das Gewicht unserer bilateralen Beziehungen zu würdigen, die Moskau und Ost-Berlin schon deshalb verdächtig sind, weil Polen herkömmlich eine besonders gute Beziehung zu einer anderen westeuropäischen Macht, nämlich zu Frankreich hat. Es war bezeichnend, daß auch die Begleitung von Herrn Gierek die Gespräche am Rande und bei Tisch in eben so viel verhaltener und behutsamer Freundlichkeit wie Offenheit führte. Ich will den Ertrag des Staatsbesuches nicht darstellen und auswerten, möchte mich nur eines Auftrags entledigen. Herr Gierek hat mir bei seiner Begrüßung in einer kleinen Ansprache den Dank der polnischen Nation für das hohe Engagement der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgesprochen und mich gebeten, dem Rat und den Bischöfen seinen hohen Respekt und seinen Dank zu übermitteln. Auch in seiner Tischrede hat er unter denen, denen er für die Unterstützung bei der vertraglichen Normalisierung zwischen seinem und unserem Land 1 Dieser Bericht wurde vor dem Rat der EKD und der Kirchenkonferenz gehalten. 2 Vgl. „Besuch des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Vom 8. bis 12. Juni 1976“. Tischrede Bundeskanzler Helmut Schmidts bei einem Abendessen zu Ehren der polnischen Gäste am 9. 6. 1976 in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 70 vom 12. 6. 1976, 661–663; Tischrede des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Edward Gierek (ebd., 663–666); vgl. dazu: „Das war rundherum gut“. In: Der Spiegel 30 (1976), Nr. 25 vom 14. 6. 1976, 21–23.

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dankte, ausdrücklich die evangelische Kirche genannt3. Dies ist bisher niemals bei vergleichbarer Gelegenheit geschehen. Für meinen katholischen Kollegen war selbstredend der ganze Vorgang nicht ohne Peinlichkeit. […] Von einer gewissen Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang, daß Gierek in Gesprächen mit Schmidt und Genscher die Möglichkeiten abklären wollte, die Helsinki-Ergebnisse weiterzuentwickeln. Am 8. Juni hatte der außenpolitische „Chefdenker“ von Gierek und Deutschlandexperte Ryszard Frelek schon vor einer Gruppe von deutschen Journalisten Erwägungen der Polen dargelegt. Europa solle eine Art „Regional-UNO“ werden. Diese Idee steht natürlich im Gegensatz zu rein westlichen Zusammenschlüssen wie der EG und der NATO. Daher hat Frelek seine deutschen Hörer ausdrücklich davor gewarnt, nur durch das „bilaterale Prisma“ zu blicken. Letztes Ziel der von Polen verfolgten Konzeption soll die Auflösung der NATO und des Warschauer Paktsystems sein. Vorher möchte Polen neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Förderung von Großprojekten kulturelle Kontakte, Wissenschaftlertreffen, Jugendbesuche und multinationale europäische Initiativen in Umweltschutzfragen usw. vereinbaren. Das Ganze kann in gewisser Weise als Aktualisierung des ehemaligen „Rapacki-Planes“ zur Neutralisierung Mitteleuropas gelten und soll in die beiderseitigen Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen eingebettet werden4. Neu sind die Gedanken von Gierek nicht. Ebenso wie einst der Rapacki-Plan sind sie in Moskau zuvor in allen Einzelheiten ausgearbeitet worden und bilden somit ein Detail der Gesamtpolitik des Ostblocks in Europa. Mit dem Vorschlag eines möglichst engen Ost-Westeuropäischen Geflechtes der Beziehungen auf allen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten ist Gromyko Ende April in Paris aufgetreten. Er sprach dabei zwar nicht von der Auflösung der Militärblöcke als Endziel und von ihrer Ersetzung durch eine europäische „Regional-UNO“, aber er trat ein für eine Serie gesamteuropäischer Konferenzen über Milieuschutz, Transport- und Energiefragen und ließ durchblicken, daß damit am besten die unerfreulichen Stimmungen, die z. B. beim Besuch Giscards im Herbst 1975 in Moskau aufgekommen seien, ausgelöscht werden könnten. Die Bundesregierung ließ ihre Bereitschaft erklären, eine „kontinuierliche Entspannungspolitik“ fortzusetzen. Eine weitere Erklärung bekräftigte die Absicht Bonns, sich mit Großprojekten der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in der Kohlenchemie und der Kupferproduktion zu befassen und auch ein Kulturabkommen abzuschließen, sofern es die deutscherseits gewünschte Berlinklausel enthält5. Daraus ist nicht zu schließen, daß irgendjemand in der 3 Tischrede des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Edward Gierek in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 70 vom 12. 6. 1976, 663–666, 664. 4 Zum Rapacki-Plan vgl. den Bericht vom 23. 4. 1959 (Dok. 12), Anm. 5. 5 Vgl. das Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit in: Bulletin des Presse- und Informati-

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Regierung auf ein neutralisiertes Europa im Sinne des früheren RapackiPlanes zugehen möchte. Dies hat nicht ausgeschlossen, daß sich die Bundesregierung, die Koalitionsparteien und auch die Opposition durchaus positiv [äußerten] zu Giereks schon bei seinem Eintreffen in Hamburg abgegebener Erklärung, es solle „eine neue Phase“ in den Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik eingeleitet werden. Der eigentliche Grund dafür wird freilich niemals öffentlich genannt. Er könnte darin liegen, daß die Polen ziemlich sicher mit dem sogenannten Eurokommunismus mehr im Sinne haben als etwa die DDR. Die nächste Sache, die ich registrieren möchte, ist die internationale Auseinandersetzung über den sogenannten Ministerpräsidenten-Erlaß6. Schon vor einem Jahr habe ich in einem meiner Berichte auf die breite Diskussion dieser Sache in Schweden hingewiesen7. Aus der Presse haben Sie entnommen, welchen Angriffen sich die Bundesrepublik in dieser Sache durch Frankreich und vor allem auch die Niederlande ausgesetzt sieht. Die Sozialdemokraten nehmen sich mit besonderer Intensität dieser Vorwürfe im Kreise der Sozialistischen Internationale an8. Es gibt auch seit geraumer Zeit eine Internationale der christlichen Demokraten und der Konservativen, auch der liberalen Parteien in Europa. Man möchte nur wünschen, daß in diesen Gremien gleiche Aktivitäten entfaltet werden, wenngleich es nicht diese Kreise im Ausland sind, die uns Vorhaltungen machen. Der Rat hat in seinen Gesprächen mit den Parteipräsidien im Januar diese Sache vorgebracht9. Geantwortet haben darauf vor allem von der CDU der Kultusminister Hahn und von der SPD der Wissenschaftsminister Rau. Mir scheint vordringlich zu sein, daß wir darüber das Gespräch nicht nur mit der Bundes- und den Landesregierungen, sondern vor allem auch mit den Verfassungsschutzämtern des Bundes und der Länder suchen und auch einzelnen Fällen nachgehen. Es sollte uns dabei nicht stören, daß bei den Kampagnen im Ausland in dieser Sache die Motivation nicht allein die edle Sorge um die Beachtung der Menschenrechte regiert. Inzwischen hat in Karlsruhe ein Kongress stattgefunden, auf dem die Frage der Berufsverbote diskutiert wurde. Fast die ganze deutsche Presse hat sich über den Kongress ausgeschwiegen. Behauptet worden ist dort, daß es nicht

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onsamtes der Bundesregierung, Nr. 70 vom 12. 6. 1976, 673 f.; und Abkommen über die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet (ebd., 675 f.). Vgl. Rigoll, Staatsschutz, 340–371. Ein entsprechender Hinweis lässt sich in den Lageberichten aus dem Jahr 1975 nicht finden. Zur Kritik von Seiten der französischen Sozialisten sowie Teilen der schwedischen und belgischen Öffentlichkeit vgl. Faulenbach, Jahrzehnt, 358. 1976 kündigte die sozialliberale Koalition den Erlass einseitig auf. Brandt betrachtete ihn als gescheitert und erklärte in einem Interview, dass er sich „damals geirrt“ habe; vgl. ebd. Vgl. das 20-seitige „Protokoll über die Gespräche des Rates der EKD mit Mitgliedern der Präsidien der im Bundestag vertretenen Parteien am 21./22. 1. 1976 in Bonn“ mit Teilnehmerlisten aus den Präsidien von CDU, SPD und FDP. Die Ausführungen der EKD-Vertreter zum „Radikalenerlass“ finden sich unter TOP I.3. (EZA Berlin, 87/2308).

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nur 235 Fälle von Berufsverboten bisher gegeben habe, wie die Bundesregierung behauptet, sondern ungefähr 3.000. Etwa 300 Lokalkomitees der Karlsruher Organisation sammeln weiteres Material. Die Karlsruher Hauptrednerin, die Dozentin Ingrid Kurz hat die Aufmerksamkeit auf ein bisher ungenanntes Phänomen gerichtet. Sie sagte, es existiere eine große Anzahl von Anwärtern auf den öffentlichen Dienst, die, aus Angst, ihre Chancen ganz zu verlieren, ihren Fall verschwiegen, weil sie befürchteten, sie bekämen dann auch keinen privaten Arbeitsplatz mehr, wenn sie von sich reden machten10. Der frühere Chef des Bundesverfassungsamtes Nollau bestreitet das Argument, daß das geteilte Deutschland eine verschärfte Radikalenbekämpfung erfordere. Er schreibt: „Die Teilung hat dem deutschen Volk Gelegenheit verschafft, in der DDR die Praxis eines kommunistischen Regimes kennenzulernen.“11 Deshalb könnten wir uns hier mehr Toleranz leisten, als unsere Gesetze heute gewähren. Er meint, daß der öffentliche Dienst nicht nennenswert unterwandert sei. Auf 2.300 Bedienstete entfiel ein Linksextremist. Man wird in diesem Zusammenhang hinweisen müssen auf eine Äußerung des Bundeskanzlers in einem Ro-Ro-Ro-Taschenbuch: „Deutschland 1976 – zwei Sozialdemokraten im Gespräch“. Er meint, für die Fernhaltung von Extremisten vom öffentlichen Dienst reichten das Grundgesetz und die Beamtengesetze von Bund und Ländern aus. Von Versuchen, auf diesem Gebiet durch Erlasse oder Verabredungen zu weitgehenden Regelungen zu kommen, halte er nichts12. Er würde am liebsten alle diese Erlasse und Gesetzgebungsversuche in die Akten abgeheftet sehen. Viele erblicken in diesem Votum die Zusicherung, daß nach einem Sieg der Koalition am 3. Oktober alsbald entsprechend verfahren werden würde. Die Entwicklung der Dinge in Südamerika mit der ständig zunehmenden Zahl von Militärregierungen hat für uns nicht nur Belang im Blick auf die Notwendigkeit, unsere Landesregierungen bewegen zu müssen, politische Häftlinge aufzunehmen. Noch habe ich nicht zu erkennen vermocht, was der bekannte Beschluß von Nairobi in Sachen des Militarismus in der Substanz meint13. Einer Bemerkung von Bruder Potter bei seinem Besuch in Bonn muß ich entnehmen, daß dieser Beschluß zwar auch etwas zu tun hat mit dem Rüstungswettlauf und dem Waffenhandel, aber keine prinzipielle Einrede gegen die Verteidigungspolitik ist, sondern vor allem Südamerika im Visier

10 Die DKP-nahe Initiative aus Hamburg „Weg mit den Berufsverboten“ hatte am 29. 5. 1976 eine „Internationale Konferenz gegen Berufsverbote in der BRD“ in Karlsruhe abgehalten; vgl. dazu Rigoll, Staatsschutz, 381 ff. Vielen Dank an Michael Koltan vom Archiv Soziale Bewegungen in Freiburg für diesen und weitere Hinweise. 11 Im Spiegel-Essay Günther Nollaus hieß es allerdings nicht „dem deutschen Volk“, sondern nur „dem Volk“; vgl. Nollau, Intoleranz, 63. 12 Vgl. Willy Brandt, Helmut Schmidt, 47 f. 13 Vgl. den auf der Fünften Vollversammlung des ÖRK (23.11. bis 10. 12. 1975) in Nairobi gefassten Beschluss in: Krüger / Müller-Römheld, Nairobi, 190–193.

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hat14. Selbstredend ist in Südamerika ebenso wie in Südafrika an uns die Anfrage gerichtet, ob es bei der klassischen Unterscheidung von Außenpolitik und Handelspolitik bleiben kann. Die Bundesregierung hat nur einmal eine unmittelbare Pression ausgeübt. Dies geschah in Chile. Sie hat einen völkerrechtlichen Vertrag in Sachen der Kapitalhilfe nicht erfüllt, bevor Chile in einigen humanitären Fragen nicht nachgegeben hat15. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß die SPD in vielen Ländern der Welt, auch in Südamerika, neue Aktivitäten entfaltet. Vor drei Wochen ist der Parteivorsitzende Brandt mit einer Delegation in Caracas gewesen und hat dort Gespräche mit ganz unterschiedlichen sozialistischen Parteien geführt, mit Sozialisten, die in Regierungen, in der Opposition und im Untergrund sind. 16 Wichtiger als alles dies war seit Monaten die Südafrikafrage. Nicht nur die Bildung einer eigenen Südafrikakommission durch den Rat17 hat schon seit Langem deutlich gemacht, welchen Belang der Rat der Gesamtfrage zumißt. Der Rat hat nach den bekannten Vorgängen mit der alt-preußischen Kirchenkonferenz während der letzten Synode und auf der Weltkirchenkonferenz nicht nur das recht mühsame Gespräch mit den Afrikanern am 11.–12.5. in Arnoldshain geführt, es gab ein kontinuierliches Gespräch mit der Bundesregierung und den Fraktionen, nicht zuletzt in der Vorbereitung dieser Woche. Bei der Zuspitzung der Lage durch die Vorgänge in Soweto hat der Ratsvorsitzende sich alsbald an den Südafrikanischen Kirchenrat gewandt. Es gab auch Vorstellungen bei der Bundesregierung. Die Formulierung unserer Afrikapolitik ist unzweideutig. Man muß abwarten, was sie in der Substanz wert ist. Es gibt in Sachen Südafrika nicht nur unsere moralische Einrede gegen die Apartheidpolitik, sondern unmittelbar daneben stehen wirtschaftspolitische – und sicherheitspolitische Interessen einschließlich von Rohstoffragen von ungewöhnlichen Ausmaßen nicht nur unseres Landes, sondern des ganzen Westens auf dem Spiele und Vorster wird nicht versäumen, dies seinen Gesprächspartnern nachdrücklich in die Erinnerung zu rufen. Fast von niemandem wird diskutiert, welche Konsekutiva die Abschaffung der Apartheid für die 3,6 Millionen Weißen haben muß. Sie können nicht einmal wie unsere Vertriebenen 1945 in ihr Heimatland, also Holland und England.

14 Philip Potter, der Generalsekretär des ÖRK, hatte sich am 2. 6. 1976 in Bonn zu einem Gespräch mit Bundeskanzler Schmidt getroffen; vgl. die Notiz aus dem Referat 213 an den Bundeskanzler vom 23. 11. 1976 (AdsD Bonn, 1/HSAA007336). 15 Vgl. den Bericht vom 28. 9. 1973 (Dok. 60), Anm. 7. 16 Ab hier hsl. Text. 17 Vor dem Hintergrund der wachsenden sozialen und kirchlichen Spannungen im Kontext der Apartheidpolitik hatte der Rat der EKD im Dezember 1973 eine ständige Südafrika-Kommission berufen, deren Aufgabe es war, alle für die EKD wesentlichen Informationen über Südafrika zu verarbeiten und die erforderlichen Aktivitäten zu koordinieren; vgl. Kassel 1974, 54; und den Bericht vom 27. 9. 1975 (Dok. 68), Anm. 2.

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UNCTAD IV Ich erinnere an die umfassende Ausarbeitung, die die gemeinsame Konferenz der evangelischen und katholischen Kirche vorgelegt hat. Sie ist in diesen Tagen mit zusätzlichen Referaten und Dokumenten als Buch erschienen19. Man wird sagen dürfen, daß wir mit unserer Arbeit ziemlich viel erreicht haben. Immerhin haben weder die Bundestagsfraktionen und auch nicht die Regierung etwas Vergleichbares vorlegen können. Bei den Beratungen des Kabinettes und auch des Bundestagsausschusses für Entwicklungspolitik lagen nur zwei Dokumente vor, das unsrige und das des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik in Berlin. Bei dem Vergleich unseres Papiers mit den Beschlüssen in Nairobi wird man sagen können, daß beide ziemlich nahe beieinander liegen20. Als besonders schlimm hat sich in Nairobi herausgestellt, daß es keine Konzeption und entsprechende Vorschläge der westlichen Industrienationen gab. Nicht einmal Europa war in der Lage, mit einem Munde zu sprechen. Auf diese Weise waren die Bundesrepublik und Amerika drei Wochen hindurch fast isoliert. In der Schlußphase hat es dann eine anerkannte, konstruktive Zusammenarbeit gegeben. […] Ich trage Ihnen dies alles nicht deshalb vor, weil es sich um eine der zahlreichen interessanten Fragen der gegenwärtigen Politik handelt. Wir sind zunächst dadurch unmittelbar betroffen, daß wir umfassende entwicklungspolitische Dienste aufgebaut haben. Hinzu kommt, daß die uns in der Ökumene verbundenen Kirchen uns nicht erlauben werden, an jenen Fragen, die um die neue Weltwirtschaftsordnung kreisen, still am Tisch zu sitzen. Mir ist dies besonders eindrücklich gewesen bei den Verhandlungen, die vor 14 Tagen der Generalsekretär Potter in Bonn mit Mitgliedern der Regierung geführt hat. Fast 11/2 Stunden hat er sich mit dem Bundeskanzler und auch mit Prof. Biedenkopf im wesentlichen über eben diese Fragen auseinandergesetzt. Wichtig erscheint mir, welchen ethischen Stellenwert wir den in der UNCTAD anstehenden Entscheidungen zumessen wollen. Es gibt ziemlich viele Grundwerte, zu denen unsere Kirche in den verflossenen Jahrzehnten das Wort genommen hat. Ich nenne nur den Frieden, Normalisierung der Verhältnisse zwischen den Völkern, 18 Ab hier msl. Text. 19 Vgl. das Memorandum der GKKE „Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung“, das anlässlich der 4. Welthandelskonferenz (UNCTAD IV) veröffentlicht wurde und sich an die Bundesregierung, den Bundestag, die politischen Parteien sowie an eine breite Öffentlichkeit richtete; Abdruck in: Kunst / Tenhumberg, Gerechtigkeit, 3–28; vgl. auch den Bericht vom 13.–15. 5. 1976 (Dok. 71), Anm. 15. 20 In ihrem gemeinsamen Memorandum bekannten sich EKD und katholische Kirche zu ihrer Rolle als „Anwalt der Armen dieser Erde“ und mahnten die politischen Entscheidungsträger, die Entwicklungshilfe nicht wegen konjunkturbedingter Haushaltsschwierigkeiten einzuschränken. Darüber hinaus entwickelten sie Grundsätze einer neuen und gerechteren internationalen Wirtschaftsordnung und nahmen u. a. Stellung zu Fragen des Welthandels, der Rohstoffpolitik, der Entwicklungshilfe, der Agrarpolitik und des Technologietransfers; vgl. Kunst / Tenhumberg, Gerechtigkeit, VIII.

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die Gewissensfrage im Blick auf den Kriegsdienstverweigerer, die rechte Zuordnung von Mann und Frau in der Gleichberechtigung, den Schwangerschaftsabbruch, Ehe und Familie. Unsere Kirche hat bis in die Formulierung der Gesetze unseres Landes hinein eine unverwechselbare Handschrift gehabt. Handelt es sich bei dem, was man heutzutage soziale Gerechtigkeit in der Welt nennt auch um eine Art Grundwert? Können wir dann bei der Bewußtseinsbildung, die nach der Beendigung der Zuwachsrate in unserem Lande eine hohe Rolle spielen wird, beiseite stehen oder einen arabeskenhaften Beitrag für ausreichend ansehen? Angetreten sind wir 1945 mit der Zusage, daß wir den Frauen und Männern, die die politische Verantwortung in unserem Volke tragen, zur Seite sein wollten. Christen können diesen Dienst nicht nur verbal meinen können. In den Entwicklungsdiensten unserer Kirche planen wir, uns der Aufgabe zu stellen. Mir scheint ein erstes wichtiges Ziel zu sein, daß wir nach der Bundestagswahl in Kooperation mit der katholischen Kirche in der Lage sein müßten, gegründet mit der neuen Bundesregierung darüber zu sprechen, was Inhalt ihrer Aussagen im Blick auf die Entwicklungspolitik in der Regierungserklärung sein sollte. In unseren Gesprächen mit den Parteien vor der Bundestagswahl sollten wir nie die Bitte versäumen, sich in Fragen der Wirtschaftspolitik nicht in einer Weise festzulegen, daß man nach der Wahl nicht zu einem realistischen Konsensus kommen kann. […] 21 Ich könnte hinzufügen, wie sich der Regierung der DDR die innerdeutschen Beziehungen z. Zt. darstellen. Sie meint, selbst in der schwierig bleibenden Berlin-Frage seien wir unter Brandt weiter gewesen als heute. Sie bestreitet nicht, daß einige von ihr gemachte Schwierigkeiten etwa beim deutschen Sängerfest oder die Behandlung des Grenzübertritts von 2 Bundesgrenzschutzbeamten nicht weise gewesen sei, wobei die letztere als Antwort auf unsere Behandlung des Falles Weinhold bedacht gewesen sei22. Die Empörung der führenden Männer, vor allem der älteren Mitglieder des Politbüros hat ihren Grund in dem Empfinden, wir behandelten die DDR nach wie vor trotz Mitgliedschaft in der UNO und Partner der Helsinkiakte als eine halbkriminelle, der Verletzung der Menschenrechte und Verachtung der Menschenwürde überführte Gemeinschaft. Unablässig würde die Regierung der DDR von der deutschen Presse belehrt, was sie zu tun und zu lassen habe. Im Fall Weinhold 21 Ab hier hsl. Text. 22 Nach dem Abschluss der KSZE-Konferenz und der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki am 1. 8. 1975, in der sich die unterzeichnenden Staaten zur Einhaltung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ verpflichtet hatten, war es in der DDR zu einer drastischen Zunahme von Ausreise- und Familienzusammenführungsanträgen gekommen. Dies hatte zu verstärkten Maßnahmen des SED-Regimes gegen Fluchtversuche und Fluchthilfe geführt; vgl. dazu Dokumente zur Deutschlandpolitik, VI. Reihe, Bd. 4, Einführung, IX–XX, hier XIVf., XVIIIf. Der NVA-Soldat Werner Weinhold hatte am 19. 12. 1975 bei seiner Flucht aus der DDR zwei Grenzsoldaten der DDR erschossen. Daraufhin war er vom Landgericht Essen wegen Totschlags angeklagt und zunächst freigelassen worden; vgl. Nawrocki, Notwehr (online); und den Bericht vom 17./18. 9. 1976 (Dok. 73), Anm. 12.

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hätten der Tod von 2 DDR-Soldaten und der Schmerz [von] deren Angehörigen fast garkeine Rolle gespielt, wohl aber eine unmenschliche Auslegung des Notwehrrechtes eines kriminellen Deserteurs. Nicht nur für den eigenen Hausgebrauch, sondern für die internationale Presse sei die These vertreten worden, Weinhold habe in der DDR „keinen fairen Prozeß“ zu erwarten. Bei keinem unserer Nachbarländer riskierten wir etwas ähnliches. Selbstredend hätten sie nicht damit gerechnet, Weinhold ausgeliefert zu bekommen. Das Schlimme aber sei der unablässige Versuch der Bundesrepublik, weltweit die DDR zu diskriminieren. Mit welcher Selbstverständlichkeit und Dreistigkeit dies geschehe, habe man etwa an der Anfrage an die Innenminister im Bundestag erkennen können, wie es überhaupt habe passieren können, daß 2 Grenzschutzbeamte von den DDR-Soldaten hätten überrumpelt werden können. Offenkundig dächte die Bundesregierung garnicht daran, die DDR als gleichberechtigt, ganz zu schweigen von gleichwertig, anzusehen. Ob wir glaubten, daß diese Art der Behandlung der Menschen dem Bewußtsein von einer nationalen Zusammengehörigkeit dienlich sein könne. Auch jene Bürger der DDR, die gegen das dortige System seien, empfänden unsere großkotzige Art als beleidigend. Unmittelbar daneben stehe der exzeptionelle Rang der DDR inmitten der sozialistischen Ostblockstaaten. Nicht nur in der lebenswichtigen, industrialisierten Landwirtschaft rangieren Polen, sondern auch Sowjetrußland weit hinter der DDR. Die sozialen Errungenschaften suchten in allen sozialistischen Ländern ihresgleichen. Sie müßten wachsend Rücksichten nehmen auf die Rückwirkungen in den Ostblockstaaten auf die sozialen Maßnahmen in der DDR. Weil die sozialistischen Staaten einen immensen Nachholbedarf in der Produktion und Versorgung ihrer Bevölkerung hätten, wirke sich politisch verheerend aus, was aus der Helsinkiakte geworden sei. Der Osten habe dem Korb 3 nur zugestimmt, weil er sich einen entscheidenden Schritt nach vorne von Korb 1, also der Abrüstung, versprochen habe. Die Verteidigungslasten seien unerträglich geworden, vor allem wenn es zu einer neuen Umrüstung durch elektronisch gesteuerte Waffen in den nächsten Jahren kommen würde. Nichts sei so notwendig als militärische Entspannung. Davon sprächen wir überhaupt nicht, bzw. trieben darin keine aktive Politik. Wir trommelten ausschließlich auf dem Korb 3 herum, als ob die uns auf den Nägeln brennenden Probleme in ganz Europa dadurch gelöst werden könnten, wenn jedem Bürger im Erzgebirge und im Thüringer Wald der Spiegel geliefert würde. Im Saldo: Statt Entspannung habe das 1. Jahr nach Helsinki eine Art des Miteinanders bekommen, das an den Kalten Krieg erinnere. Die DDR habe ihre Politik unzweideutig auf dem Parteitag im Mai definiert23. 1. Die DDR habe keinerlei weltpolitische Ambitionen. Sie werde sich 23 Der IX. Parteitag der SED hatte vom 18. bis 22. 5. 1976 in Ostberlin stattgefunden; vgl. EuropaArchiv 31 (1976), Z106 f.

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deshalb auch nicht engagieren, aus Finanzgründen auch garnicht engagieren können für die UNCTAD-Pläne. 2. Alle Kraft würde dem sozialpolitischen Programm mit Schwerpunkt des Wohnungsbauprogrammes zugewandt. Bis 1980 solle die Wohnungsnot gelöst werden. 3. Außenpolitisch ginge es um die Arbeitsteilung mit Rußland in allen oekonomischen Fragen, einschließlich des Rohstoffproblems. 4. Für die nächsten 10 Jahre rangiere die Europafrage an der 1. Stelle. Die Helsinkiakte müsse durch zahlreiche Abkommen aktualisiert werden. Sie erkennen die gleichen Zielsetzungen an dieser Stelle wie bei Gierek.

389 73 Bonn, 17./18. September 1976 EZA Berlin, 742/13, msl. mit hsl. Ergänzungen Bei den Begegnungen des Rates mit den Parteipräsidien im Januar hat der Rat gesagt, er plane keinen Aufruf zur Wahl. Er müsse sich aber vorbehalten, öffentlich Stellung zu beziehen für den Fall, dass der Wahlkampf eine besorgniserregende Entwicklung nehme. Der Rat hat auch das Gespräch mit einzelnen der führenden Frauen und Männer der Parteien angeboten. Willy Brandt hat sich in der vergangenen Woche brieflich an mich gewandt und mir seine am 5. September in Segeberg gehaltene Rede zugeleitet1. Er verweist mich besonders auf einen Passus: „Vielleicht ist es der Prüfung wert, ob sich nicht auch die EKD als ganze solche, inzwischen auch aus anderen Landeskirchen vorliegende besorgte Stimmen zur Art der politischen Auseinandersetzungen im Wahlkampf zu eigen machen sollte“2. Es kann hier nicht um eine parteipolitische Vereinnahmung der Kirche gehen, wohl aber darum, dass sie ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft auf dem Hintergrund der Denkschrift „Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen“ aus dem Jahre 1970 noch einmal überdenken sollte3. Zumal, wenn die politische Auseinandersetzung auf Kosten der demokratischen Substanz zu gehen droht. In dieser Denkschrift lasen wir: „Es gibt für das gebotene Reden der Kirchen ein zu Früh und ein zu Spät, und es gibt auch eine Komplizenschaft des Schweigens“. Im Klartext ist dies wohl eine Bitte um Prüfung, ob der Rat nicht in der augenblicklichen Situation eine Erklärung zum Wahlkampf abgeben soll. Herr Brandt hatte mir den Besuch von Herrn Koschnick in Aussicht gestellt. Er sollte mir im einzelnen den Vorschlag von Herrn Brandt erläutern. Zu diesem Gespräch ist es nicht gekommen, weil Herr Koschnick an dem in Aussicht genommenen Termin plötzlich verhindert war. Aus den Zeitungen geht deutlich genug hervor, wie der Wahlkampf vor allem seit den letzten 8 Tagen läuft. Mir scheint die auch publizistisch vertretene Auffassung, in Wahrheit sei der Bürger lediglich Zeuge eines von zwei Werbeagenturen geführten Kampfes, nur begrenzt richtig zu sein. Wichtiger ist der Eindruck, es fehlt ein eigentliches Wahlkampfthema, wie wir es 1953, 1957 und auch 1972 hatten. Für den Wahlkampf nützlich kann man wohl nur über die Außenpolitik sprechen vor Leuten, die über Sachverstand verfügen und des differenzierten Denkens fähig sind. Im Umgang mit der DDR mag es unterschiedliche Modi des Agierens und Reagierens geben können. Dies än1 Vgl. Brandt, Stilfragen. 2 Auf die Frage Kunsts, ob der Rat der EKD in der „augenblicklichen Situation“ öffentlich zum Wahlkampf Stellung nehmen solle, beschloss dieser darauf zu verzichten; vgl. das Protokoll der 49. Sitzung des Rates der EKD am 17./18. 9. 1976 in Bonn (EZA Berlin, 2/8404). 3 Vgl. KJ 97 (1970), 117–132.

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dert nichts daran, dass auch eine CDU-Regierung in ihrer Wirtschafts- und Handelspolitik gegenüber der DDR nicht viel anders verfahren kann als die Bundesregierung. Bemerkenswert ist, mit welcher Beharrlichkeit die Parteien der Regierungskoalition auf die Novellierung des § 218 und des Ehescheidungsrechtes verweisen. Sie gehen offenbar von der Überzeugung aus, dass die Frauen zwischen 25 und 45 Jahren ihnen diese neuen Lösungen mit dem Stimmzettel diskontieren werden. Die CDU hat schon bei den Landtagswahlen, und zwar sowohl in dem evangelischen Schleswig-Holstein wie im katholischen Saargebiet erfahren, dass ihr Achten auf das Votum der Kirchen in diesen Fragen ihnen erhebliche Einbußen bereitet hat. Erlauben Sie mir nur zwei Bemerkungen: 1. Sie erinnern sich an den Fragenkatalog, den wir im Januar den Parteien schriftlich vorlegten4. Einer der Beiträge handelte von den sozialpolitischen Antinomien. In ihm war auf Grund der von der Regierung publizierten Unterlagen und der bundesstatistischen Jahrbücher hochgerechnet, was bis 1980 die sozialen Sach- und Dienstleistungen kosten werden. Es kamen dabei die einzelnen Sparten des Gesundheitswesens, Altershilfe, Familienpolitik, Rentenwesens, Arbeitslosigkeit und so weiter vor. Jedes Mal waren präzise Fragen nach den Lösungsabsichten und finanziellen Lösungsmöglichkeiten gestellt. Sie erinnern sich, wie heftig die SPD auf diesen Beitrag reagierte. Die CDU hat zwar nichts dazu gesagt, mich aber wissen lassen, dass sie mit diesen unseren Fragen genauso wenig etwas im Sinne habe wie die SPD. Im Klartext heißt dies, dass die Parteien offenkundig die Absicht haben, dem Bürger die Antwort, die Konzeption für die Aufgaben der nächsten Jahre zu verweigern. Eindrucksvoll genug ist ja, was wir vor einigen Wochen in der Diskussion um die Rentenversorgung erlebten. Es kam zu einer außerordentlich heftigen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition. Es schien so, als ob der Arbeits- und Sozialminister Arendt als ein schwer angeschlagener Mann in den Wahlkampf gehen würde, was für die Regierung um so schwieriger gewesen wäre, weil man sich von ihm in dem für die Bundestagswahl wahrscheinlich entscheidendsten Lande Nordrhein-Westfalen einen durchschlagenden Erfolg versprach. Nahezu abrupt hat die ganze Diskussion um die bevorstehenden Riesendefizite der Rentenversorgung aufgehört. Die großen Zeitungen bringen noch in ihrem Wirtschaftsteil gelegentlich eine kurze Notiz. Aber die beiden großen Parteien wetteifern in der Versicherung, dass alles geschehen wird, um die Rentenversorgung nicht nur sicherzustellen, sondern sich auch in ganz anderer Weise als bisher um die Alten zu kümmern. Für mein Auge kommen auch die Sanierung des Gesundheitswesens, die zwingenden Steuererhöhungen, die Strategie der künftigen 4 Vgl. den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 9. Zum Thema „Fragenkatalog“ zwecks Versachlichung des Wahlkampfes vgl. die Berichte vom 7. 7. 1972 (Dok. 53); und vom 23. 5. 1975 (Dok. 67).

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Finanzpolitik, die ja für alle Reformvorhaben entscheidend sein wird, nicht vor. Selbstredend wissen alle Parteien, dass Reformpolitik in den nächsten Jahren in viel höherem Maße, als [es] in der Vergangenheit geschah, auf die Finanzpolitik Rücksicht nehmen muss. Nirgendwo ist für mein Ohr bisher etwa die zwingend notwendige Novellierung des Jugendhilfegesetzes vorgekommen. Sie wird etwa 800 Millionen kosten. Wir müssen an diesem Gesetz ein hohes Interesse nehmen, weil es unseren Dienst in allen Gemeinden angeht5. 2. Es wird dem Bürger auch verweigert die Darlegung jener weltpolitischen Verantwortungen, die eine Folge für alle Bürger haben müssen und gebieterisch Einschränkungen bei uns verlangen. Ich denke zum Beispiel an die Konsekutiva von UNCTAD IV einschließlich der Weltwirtschaftslage6. Die Aussagen zu den Konsekutiva von UNCTAD IV sind schon bei den Mitgliedern der Regierung im persönlichen Gespräch kontrovers genug. Einer sagt mir, es sei alles wirklich noch offen, wenn man im März zu den in Aussicht genommenen Verhandlungen zusammentritt. Ein anderer Minister sagt, wir haben die weiterführenden Gespräche von UNCTAD IV in Nairobi nur mit Rücksicht auf die Wahl bis März verschoben. Selbstverständlich müssen wir dann Regelungen zustimmen, die wir in Nairobi abgelehnt haben. Wie immer es sei, offenkundig können sogar die Kirchen nur einen sehr bescheidenen oder gar keinen Betrag für die Versachlichung eines Wahlkampfes leisten. Die übereinstimmende Meinung, auch die der demoskopischen Institute scheint zu sein, dass der Ausgang der Wahl vollständig offen ist. Es gibt in Bonn eine verbreitete Meinung, dass die von Wahl zu Wahl wichtiger gewordenen Wechselwähler sich längst entschieden haben. Bei den 2–3 % der Leute, die den Ausschlag geben, könne man nicht davon ausgehen, dass sie mit besonderer Sorgfalt ihre Entscheidung reflektierten. Auf diese Weise sei die Entscheidung am 3. Oktober eine beinahe etwas zufällige, aber keine politische Entscheidung. Wenigstens keine politische Entscheidung gemessen an den Verantwortungen, die auf das neue Parlament zukommen. Ich bringe diese Dinge nur vor in der Erinnerung an die Absichtserklärung des Rates im Januar, vor der Wahl noch einmal zu prüfen, ob er öffentlich das Wort nehmen solle. Entschließt sich der Rat zu einer Erklärung, dürfte sie wohl nicht nur die Ermahnung zum Wohlverhalten zum Inhalt haben. Sie müsste auch etwas dazu sagen, was wir im Blick auf den bisherigen Verlauf des

5 Seit 1973 wurde die Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts sowie die Reform des Jugendwohlfahrtrechts von 1961 diskutiert. Seit 1974 traf sich eine Sachverständigenkommission des Rates der EKD zu Fragen des Jugendhilferechts, um die Beteiligung der EKD an den Reformbemühungen der Regierung zu gewährleisten (Dokumente in: EZA Berlin, 87/1755 und 742/247). 6 Vgl. die Berichte vom 13.–15. 5. 1976 (Dok. 71); und vom 23. 6. 1976 (Dok. 72).

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Wahlkampfes begrüssen und was wir als Gegenstand der Auseinandersetzungen vermissen. Das Letztere ist für meinen Verstand ziemlich viel7. Mehrfach, auch in der letzten Ratssitzung, stand die Überprüfung der Leute, die in den öffentlichen Dienst wollen, durch den Bundesverfassungsschutz zur Diskussion. Ich wurde gebeten, mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes den gesamten Fragenkreis zu besprechen, dabei hat sich herausgestellt, dass jene Vorgänge, die die Öffentlichkeit zum Teil erregt haben und noch erregen, primär die Landesämter für Verfassungsschutz angehen, nicht die Zentrale. Der Bundesverfassungsschutz ist von Amts wegen ausschließlich zuständig für die Sicherheitsprüfung der Mitglieder im öffentlichen Dienst des Bundes. Er führt im Jahr etwa 30.000 Untersuchungen durch. Dabei handelt es sich nicht zuerst um die Einstellung von Beamten und Angestellten, sondern um die Prüfung, wem Verschlusssachen der verschiedenen Grade anvertraut werden können. Nach meiner eigenen Erfahrung versieht der Bund eine außerordentliche Fülle von Vorgängen mit dem Geheimstempel. Es erregt schon kein Aufsehen mehr, wenn man einen ziemlich großen Teil dieser Dinge auch in den großen seriösen Zeitungen als normale Nachrichten findet. Dr. Meier hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ein wichtiger prinzipieller Grundsatz für die Väter des Grundgesetzes eine entscheidende Rolle gespielt habe. Man habe nach den Erfahrungen mit der Weimarer Republik eine wehrhafte Demokratie gewollt. Dies kommt nicht etwa nur im Parteien-Gesetz, in der Möglichkeit, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten, sondern vor allem natürlich auch im Beamtengesetz zur Geltung. Es verlange, dass der Beamte jederzeit für eine freiheitliche demokratische Ordnung eintreten müsse. Es sei ein Irrtum zu meinen, dass der bekannte Ministerpräsidentenerlass von 1972 durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aufgehoben sei, wie es der Sprecher der Bundesregierung behauptete8. Der Erlass habe in seinem ersten Teil lediglich wiederholt, was im Beamtengesetz stehe. Dies sei nach wie vor geltendes Recht. Das Karlsruher Urteil habe lediglich festgestellt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei nicht ausreichend für die Ablehnung eines Bewerbers sei. Die Landesämter trieben ihre Arbeit in einer unterschiedlichen Weise. Der Bundesverfassungsschutz bekomme keine Kenntnis von den Fällen der Länder. Vor allem habe der Bundesverfassungsschutz keine Entscheidungskraft. Im übrigen seien die Beamten des Verfassungsschutzes auch in den Ländern so verschreckt, dass sie, soweit er es übersehen könne, mit einer wachsenden Behutsamkeit ihre Arbeit täten. Er empfehle nachdrücklich, was uns ja auch 7 Der Rat veröffentlichte kein eigenes Wort zum Bundestagswahlkampf. Kunst hatte eine umfangreiche Ausarbeitung mit dem Titel „Fragen zur Bundestagswahl 1976“ vorbereitet. Darüber hinaus hatte die Kirchenkanzlei der EKD fünf „Grundsätze für den Bundestagswahlkampf“ aufgestellt und am 9. 3. 1976 an die Leitungen der Gliedkirchen verschickt; vgl. KJ 103/104 (1976/ 77), 116. 8 Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in: BVerfGE 39, 334 (online); und „Wirkt mit“ in: Der Spiegel 30 (1976), Nr. 41 vom 4. 10. 1976, 52.

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schon der Kultusminister von Baden-Württemberg im Gespräch mit der CDU gesagt hat, das Gespräch mit den Landesämtern für Verfassungsschutz zu suchen. Es möchte sich empfehlen, dies auf der nächsten Kirchenkonferenz den Landeskirchen nahe zu legen. Von Interesse mag noch sein, was Dr. Meier mir im Blick auf die linksextremen Organisationen darstellte. Er sagte, die DKP wisse sich auf das Strengste geschieden von den kommunistischen Parteien in Frankreich und Italien. Die DKP sei genauso bürokratisch und ideologisch verhärtet wie die SED. Sie wirke deshalb langweilig und übe auch nur eine geringe Anziehungskraft aus. Wichtiger seien die drei maoistischen Gruppen. Zulauf hätten nach wie vor die linksextremistischen Vereinigungen. Am Bemerkenswertesten sei der Spartakusbund. Er habe allein auf den Universitäten 4.500 sehr aktive Mitglieder. In den Vertretungen der Studentenschaft seien nach wie vor 40 % Vertreter der verschiedenen linksextremistischen Gruppen. Eine besondere Rolle spiele die Koalitionspolitik der Kommunisten. Die Naturfreunde zum Beispiel seien von ihrer Gründung her eine sozialdemokratische Organisation gewesen. Sie sei von den Kommunisten unterwandert worden, [so] dass das Management jetzt vollständig in kommunistischer Hand sei. Die Führung der Sozialdemokratischen Partei habe davon nichts gewusst. Sie habe zugesagt, energische Schritte bei ihren Freunden unter den Naturfreunden zu unternehmen. Bei einem Bericht zur politischen Lage ist man immer wieder versucht, als das Hauptkennzeichen der Gegenwart die Unsicherheit zu nennen. Sie ist in diesen Wochen und Monaten besonders groß. Dies gilt nicht nur für die Frage der künftigen Entwicklung in China und in Jugoslawien, auch nicht nur für Südafrika, von dem man nicht zutreffend spricht, wenn man nicht den gesamten afrikanischen Kontext hinzunimmt, es geht auch ein hohes Mass von Unsicherheit aus von der Unklarheit darüber, wie in der Bundesrepublik und in Amerika die bevorstehenden Wahlen ausgehen. Sehe ich recht, ist auch die innere Situation in der DDR zur Zeit in einer besonderen Weise von Unsicherheit gezeichnet. Dies hängt einmal zusammen mit der Frage, wer nach dem 3. Oktober der Gesprächspartner für die Regierung der DDR in der Bundesrepublik sein wird9. Selbstredend ist man für jeden der beiden Fälle an der Arbeit für das künftige Konzept. Diese Sache hat für die DDR eine besondere Bedeutung, weil sie einen gewissen Unmut in der Bevölkerung feststellt. Der außerordentliche große Zustrom von Besuchern aus der Bundesrepublik bereitet ebensoviel Sorge wie der Einfluss von Rundfunk und Fernsehen. Das besonders Beschwerliche für die DDR-Staatsführung ist selbstredend, dass es bei den Besuchen aus der Bundesrepublik nicht nur die Nähe verwandtschaftlicher Beziehungen und dadurch ein hohes Mass von Offenheit in den Gesprächen gibt, sondern vor allem bei niemandem eine 9 Gemeint sind die bevorstehenden Bundestagswahlen am 3. 10. 1976; vgl. den Bericht vom 7. bis 9. 10. 1976 (Dok. 74).

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Sprach-Barriere besteht. Jeder kann mit jedem mühelos differenziert diskutieren. Dies muss den Staatssicherheitsorganen große Sorgen bereiten. Bei totalitären Regimen darf man sich bei seinen Diagnosen nicht unter die Sterndeuter begeben, aber man wird sagen können, dass es im Politbüro unterschiedliche Interessenlagen gibt. Die Leute, die für die Wirtschaft verantwortlich sind, müssen Sinn für pragmatisches Handeln und dadurch auch für eine gewisse Offenheit gegenüber der Bundesrepublik haben. Der Verteidigungsminister muss aber auf der Klarheit des Feindbildes bestehen. Der Vertreter des Staatssicherheitsdienstes muss Bedenken haben, die Möglichkeiten des Miteinanders der Bürger in der DDR und der Bundesrepublik zu erweitern. Ich kann nicht glauben, dass es in den nächsten Jahren, nicht nur in den nächsten Monaten nur kleine Schritte nach vorne für einen gemeinsamen Weg geben kann. Wir werden bei allen Gesprächen mit der Bundesregierung, sie mag gestellt werden von wem auch immer, über unser Verhältnis zur DDR die besonderen Verlegenheiten eben gerade der DDR bedenken müssen. Die Russen, Polen und die Tschechen können mindestens in einigen Bereichen aus einer Reihe von Gründen wesentlich unbefangener sein als die Regierung der DDR. Für die Unsicherheit in der Staatsführung der DDR spricht dieser ganz seltsame Vorgang, dass auf dem SED-Parteitag im Mai kein Wort gefallen ist über die sozialen Erleichterungen, die die Regierung kurze Zeit nach dem Parteitag verfügt hat10. Normalerweise hätte dies zu den eindrucksvollen Ergebnissen des Parteitags gehören müssen. Es scheinen sich mindestens einige der auf dem Parteitag vertretenen Funktionäre seltsam vorgekommen zu sein, dass ihnen nicht die Ehre angetan wurde, dass sie die Frucht der Arbeit der Partei öffentlich vorzeigen konnten. Man kann nur vermuten, dass die Regierung der DDR sich zum Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der Bevölkerung gezwungen sah aus der Furcht, es könnte zu Schwierigkeiten wie in Polen kommen11. Die zahlreichen Grenzzwischenfälle sind von beiden Regierungen so schnell wie möglich heruntergespielt worden. Ich mag eine mich beschwerende Beobachtung nicht unterdrücken. Der Fall Weinhold hat eine zeitlang die deutsche Publizistik in hohem Maße beschäftigt. Man musste bei der Zeitungslektüre den Eindruck haben, dass es in der Beurteilung des Falles ohne Rücksicht bleiben konnte, dass Weinhold immerhin zwei junge Soldaten 10 Vgl. den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 23. 11 Kunst spielt hier auf den Volksaufstand in Polen an, der Ende Juni 1976 im Zuge der Proteste gegen drastische Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel und des brutalen Vorgehens der Polizei in den Arbeiterstädten Radom und Ursus mit spontanen Streiks und Demonstrationen begonnen hatte; vgl. die mehrteilige Spiegelserie: „Nieder mit der käuflichen Partei“. Dokumente über den polnischen Volksaufstand im Juni 1976 (Erster Teil) in: Der Spiegel, 30 (1976), Nr. 47 vom 15. 11. 1976, 175–185; „Ohrfeigen für den Parteisekretär“. Dokumente über den polnischen Volksaufstand im Juni 1976 (Zweiter Teil) in: ebd., Nr. 48 vom 22. 11. 1976, 161–166; und „Die Gewerkschaften haben versagt“. Dokumente über den polnischen Volksaufstand im Juni 1976 (Dritter Teil) in: ebd., Nr. 49 vom 29. 11. 1976, 162–174.

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erschossen hat, die ja nun auch ihrerseits nichts anderes getan haben, als ihre Pflicht, wie sie jeder Beamte des Bundesgrenzschutzes tut. Dies ist in jedem Falle seltsam, besonders aber angesichts unserer These, dass es sich bei den Bürgern der DDR um Deutsche handelt12. Eine gewisse Rolle in der öffentlichen Diskussion hat auch die Frage gespielt, ob die Bundesregierung wirtschaftliche Sanktionen ergreifen solle, wenn auch in Zukunft wieder an der Grenze geschossen wird. Ich halte es für im höchsten Maße unwahrscheinlich, dass irgendeine Bundesregierung dies als ein mögliches Instrument ihrer Politik gegenüber der DDR ansehen wird. Für das bescheidenste Argument halte ich die Äußerung des Wirtschaftsministers, dass durch solche Sanktionen die Arbeitsplätze vor allem im Ruhrgebiet und für mittelgroße Unternehmer gefährdet werden könnten. Wichtiger ist, dass die DDR über einen ganzen Katalog von möglichen Repressionen verfügt. Mir scheint auch sich erst dann ein größerer politischer Spielraum für humanitäre Erleichterungen zwischen der DDR und uns zu ergeben, wenn die wirtschaftliche Konsolidierung der DDR erhebliche Fortschritte gemacht hat. Besondere Schwierigkeiten bei den Verhandlungen bestehen zur Zeit vor allem bei dem Rechtshilfe-Vertrag, auch bei unserer Forderung, den öffentlichen Verkauf westdeutscher Zeitungen in der DDR zuzulassen. Der Hinweis, dass [sich] ja ohnehin 4/5 der DDR-Bevölkerung allabendlich vom Westdeutschen Fernsehen informieren lassen, hat nichts gefruchtet. Vorerst muss es genügen, dass die DDR ihren den Transitverkehr überwachenden Organen offenbar den Wink gegeben hat, keine schärferen Maßstäbe anzulegen. Besonders wird nicht gefragt werden, aus welchen Gründen ein Reisender nach West-Berlin fährt. Das wäre auch klar gegen das Transitabkommen. Insofern ist und bleibt das Verhalten am 13. August der Zurückweisung von Autos und Omnibussen eine Vertragsverletzung. Wahrscheinlich aber wird die Bundesregierung ihrerseits in Zukunft als provozierend wirkende Demonstrationsfahrten nicht mehr begünstigen13. Festhalten möchte ich eine Bemerkung des Bundeskanzlers, es brauche über die Entsendung West-Berliner Abgeordneter ins Europa-Parlament nicht zu einem ernsthaften Berlin-Konflikt kommen. Dass Berlin im Europa-Parlament vertreten sein müsste, war bisher in der Bundesregierung wie auch im Berliner Senat gänzlich unbestritten. Der Kanzler machte diese Bemerkung, nachdem eine sowjetische Stellungnahme vom 3. August behauptet hatte, sowohl eine direkte wie auch eine indirekte Beteiligung West-Berlins an den Wahlen zum Europäischen Parlament wäre eine grobe Verletzung des Vier-

12 Zum Fall Weinhold vgl. den Bericht vom 23. 6. 1976 (Dok. 72), Anm. 22. 13 Am 13. 8. 1976 verhinderten DDR-Behörden, dass Angehörige der Jungen Union anlässlich des 15. Jahrestages des Mauerbaus eine Sternfahrt über die Transitstrecken nach Westberlin durchführen konnten; vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik, VI. Reihe, Bd. 4, Einführung, XVIII.

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mächte-Abkommens von 197114. Man hat daraufhin erwidert, wenigstens eine indirekte Teilnahme durch Entsendung von Repräsentanten des West-Berliner-Abgeordnetenhauses müsse gemäß der beiderseitigen geduldeten Praxis vieler Jahre doch als vertragskonform anerkannt werden. Die Sowjets blieben aber in ihrer Antwort darauf bei ihrer These. Wahrscheinlich rechnet der Kanzler damit, dass er Ende 1976 oder Anfang 1977 mit Breschnew persönlich zusammentrifft und er bei dieser Gelegenheit ein Einvernehmen in dieser Sache erreicht. Die Befürchtung der Opposition ist, dass dann der Osten seinen Wunsch nach Neuverhandlungen über den ganzen Komplex Berlin aussprechen wird. Auch das Auswärtige Amt hat diese Befürchtung. Deshalb hat der Außenminister noch einmal eine „Neu-Interpretation des Berlin-Abkommens“ ausdrücklich abgelehnt. Selbstredend wissen die Russen, dass das 1978 zu wählende Europa-Parlament über keinerlei ins Gewicht fallende parlamentarische Rechte verfügen wird, und dass der Weg einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EG-Staaten noch durch zahlreiche Barrieren von Frankreich, Großbritannien und so weiter verbaut ist. Aber offenbar verliert der Osten sein Ziel nicht aus dem Auge, aus West-Berlin ein „besonderes Gebilde“ zu machen. Käme es etwa in Straßburg zur Ausarbeitung eines Europäischen Verfassungs-Entwurfes und beschlösse man dann, die EG-Völker darüber in einem gemeinsamen Volksentscheid abstimmen zu lassen, wäre West-Berlin ohnehin ein östliches Veto gegen seine Teilnahme sicher. Herr Falin hat in einem Interview am 7. September gesagt, West-Berlin solle nicht zum kranken Kind Europas werden15. Dies kann sehr viel oder auch sehr wenig besagen. Deshalb hat auch die Bundesregierung gegenüber Äußerungen von Honecker in Leipzig und Falin in Bonn nur Zurückhaltung gezeigt16. Dies geschah selbstredend auch deshalb, um die Deutschlandpolitik nach Möglichkeit aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Ziemlich sicher hat daran auch die Opposition Interesse. Es scheint im Westen die übereinstimmende Meinung zu sein, dass Berlin zur Zeit in gar keiner Weise gefährdet ist. Aber es ist mindestens im Kalkül, dass bei einer für die Sowjets vorteilhaften Umwälzung in China sich diese Situation West-Berlins ändern könnte. Darüber braucht man heute noch nicht nachzudenken, aber man muss immer wieder sich daran erinnern lassen, wie unerlässlich die Sorge um Berlin sein muss. Diese Pflicht gilt selbstverständlich auch für uns als Kirche.

14 Zur Note des sowjetischen Außenministeriums an Frankreich, Großbritannien und die USAvgl. Europa-Archiv 31 (1976), Z 157 f. 15 Vgl. Bell, Falin, 11. 16 Am 5. 9. 1976 hatte sich der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, bei der Eröffnung der Leipziger Messe u. a. für die Weiterentwicklung der Handelsbeziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausgesprochen; vgl. Europa-Archiv 31 (1976), Z 165.

397 74 Hannover, 7.–9. Oktober 1976 EZA Berlin, 742/13, msl. Es wäre seltsam, wollte man 5 Tage nach der Bundestagswahl einen Bericht zur politischen Lage geben ohne einige Bemerkungen zu diesem Vorgang zu machen1. Aber aus Mangel an Politik haben die Massenmedien Woche um Woche den Verlauf des Wahlkampfes so ausführlich mit Berichten, Analysen und Leitartikeln bedacht, dass wahrscheinlich niemand von ihnen eines Nachhilfeunterrichtes bei dem Bemühen um Kriterien für sein eigenes Urteil bedarf. Es waren das Ausblenden der konkreten Verantwortungen für die nächsten 4 Jahre und auch das Wahlergebnis selber ohne Überraschungseffekt. Ohne ein Wahlthema von der Art wie etwa 1953, 1957 und 1972 eine absolute Mehrheit zu erreichen, ist bei der gegenwärtigen Situation unseres Volkes kaum denkbar. Dies gilt auch bei 900.000 Arbeitslosen, solange die Arbeitslosen-Unterstützung und die übrigen Sozialleistungen in der bisherigen Weise geregelt sind. Eindrucksvoll genug war, wie schnell das Rentendefizit bei allen Parteien aus der Diskussion verschwand, dass das gesamte Gesundheitswesen in seinem unter vielen Aspekten besorgniserregenden Zustand und die Grenzen der sozialen Sicherung ebensowenig wie die Entwicklungshilfe und manche anderen Dinge als reelle, publikumswirksame Themen angesehen wurden. Aber es sind nun auch keine pauschalen Urteile über den Wahlkampf erlaubt. Es hat eine Summe von Abgeordneten gegeben, die sich etwa der Diskussion über die Bildungspolitik und nicht nur über sie vorbildlich gestellt haben. Die entscheidende Frage ist, wie in den nächsten 4 Jahren regiert werden kann. Es stehen ja nicht nur Steuer- und Sozialpolitik auf der Tagesordnung, wenn diese auch hohen Vorrang haben werden. Noch ist zum Beispiel nicht abzusehen, wie die Regierung sich bei ihren kontroversen Auffassungen im März bei den Fortsetzungsverhandlungen über UNCTAD IV verhalten wird2. Es gibt im übrigen nicht nur die sehr starke Opposition, die Mehrheit der Opposition im Bundesrat und eine ziemlich schwache Mehrheit im Parlament. Niemand kann davon ausgehen, dass die Theorie-Diskussion nicht sehr bald wieder aufflammt und die Flügelgruppen in den Parteien das Stillhalteabkommen während des Wahlkampfes zu prolongieren gedenken. In den nächsten 4 Jahren können viele heute noch nicht erkennbare Themen auf die Tagesordnung kommen, für die die Regierung der Opposition bedarf. Dabei rechne ich etwa die jetzt aufgekommene Frage der Überstellung von Guil1 Am 3. 10. 1976 hatten die Wahlen zum 8. Bundestag der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden. Zu den Ergebnissen vgl. Bracher / Jäger / Link, Republik, 466. 2 Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD IV) fand vom 7.3. bis 3. 4. 1977 in Genf statt; vgl. Prill, UNCTAD, 54.

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laume in der Substanz zu den Harmlosigkeiten, fast der Erwähnung nicht wert. Man kann nur hoffen, dass die beiden Spitzenpolitiker, der Kanzler und sein Stellvertreter, die ja beide behutsam mit ihrer Gesundheit umgehen müssen, über ausreichend Gesundheit und Frische verfügen. Die Vorarbeiten für die Regierungserklärung sind im Gange, weil der Kanzler plant, noch vor Weihnachten seine Regierungserklärung abzugeben. Ich entspreche einer im vergangenen Jahr an mich gerichteten Bitte der Kirchenkonferenz, mich zur Frage von Kirche und Europa in meinem Bericht zuzuwenden. Inzwischen gibt es eine Reihe neuer Vorgänge, die es nahelegen, die Europäische Frage sorgfältig zu beobachten. Ich denke dabei vor allem an den Rang des sogenannten Euro-Kommunismus. Ich versuche die Szene zu beschreiben. Es sind noch nicht alle parlamentarischen Hürden genommen, aber es scheint 1978 zur unmittelbaren Wahl der Völker der EWG zu einem Europäischen Parlament zu kommen3. Die Zuständigkeiten dieses Parlamentes werden bescheiden sein. Aber allein schon die sich ihm zuwendende Publizität wird einer breiteren Öffentlichkeit die Lage Europas bewusst machen4. Ich vermisse in unserer Publizistik eine ausreichende Würdigung des Migrationsproblems. Es gibt jetzt schon Assoziierungs-Abkommen mit Griechenland, der Türkei, den Nordafrikanischen Staaten, vor allem mit denen, die früher französische Kolonien waren, Portugal. Spanien will in die Europäischen Gemeinschaften. Das Problem der Wanderarbeiter wächst ständig und bedarf immer differenzierterer Entscheidungen. Durch die Wahlen werden auch die Parteien in ihren Zentralen nicht nur ein neues Referat bekommen. Es wird Europäische Parteipolitik geben. Im Juli 1976 wurde die „Europäische Volkspartei“, eine Föderation der ChristlichDemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft unter dem Belgischen Ministerpräsidenten Leo Tindemans gegründet. Die Partei ist „offen für alle, die ihre politischen Grundauffassungen teilen und ihr politisches Programm annehmen“. Diese Formulierung zielt auf die konservativen Parteien, vor allem in England und Dänemark, aber nicht allein auf sie. Die Sozialisten haben noch keine eigene Partei gegründet. Ein Versuch von Sicco Mansholt 1974, eine Europäische Sozialistische Partei zu gründen, ist gescheitert. Die bisherigen Aktivitäten geschehen unter dem Dach der Sozialistischen Internationale. Die Kooperation war gelegentlich schwierig dadurch, dass die Parteiführer zugleich Regierungschefs ihrer Länder waren und auf diese Weise nationales Interesse und internationale Solidarität in Konflikt gerieten. Von Gewicht ist, dass wir jetzt drei weit bekannte, in Regierungs3 Das Europäische Parlament hatte am 14. 1. 1975 einen Vertrag zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments angenommen; vgl. EuropaArchiv 30 (1975), D148–D152. 4 Die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament fanden vom 7. bis 10. 6. 1979 statt; vgl. Bach, Direktwahlen (online).

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geschäften erfahrene, aus dem Amt geschiedene Sozialisten haben, Willy Brandt, Olof Palme und Harald Wilson. Dass mindestens Brandt und Palme die Absicht haben, über ihre Länderverantwortungen hinaus international tätig zu werden, ist sicher. Welche Bedeutung der „Bund der Sozialistischen Parteien in der EG“ angesichts der stärkeren Einbindung in die Sozialistische Internationale haben wird, ist noch nicht zu sehen. Die Liberalen haben im April 1976 einen Anfang des Zusammenschlusses mit der „Föderation der Liberalen Parteien in der EG“ gemacht. Die FDP hat auf ihrem Mainzer Parteitag ein Europa-Papier beschlossen, dass sich in den Sachaussagen in ziemlich großer Nähe zu den Beschlüssen der CDU bewegt. Bei der Bemühung um internationale Zusammenarbeit stellt sich bei allen Parteien heraus, dass etwa politisch-sozialistisch in Holland, Frankreich und Italien etwas anderes ist als in Deutschland. Das Gleiche gilt für die Liberalen. Sehe ich recht, sind die deutschen Liberalen die einzigen, die mit den Sozialisten bei uns koalieren. Sonst stehen sie wesentlich kräftiger rechts. Am belangvollsten aber waren die unterschiedlichen Meinungen sowohl der christlichen Demokraten wie der Sozialdemokraten bei uns im Blick auf den Linkssozialismus. In beiden Fällen geht es um die Frage der Koalition mit den Kommunisten, die von den einen für notwendig gehalten, von den anderen bekämpft werden. Ob die Christlich-Demokratischen Parteien in Europa sich auf dem Fundament ihres Menschenbildes und ihrer in der christlichen Ethik wurzelnden Sozialethik leichter zusammen werten [sic!] als die Sozialisten, ist für mich noch nicht übersehbar. Die Zeit erlaubt mir nicht die Beschreibung der gesamten Landschaft der Parteien in den EG-Staaten, vor allem im Blick auf die Gaullisten und die Konservativen in England und Frankreich. Die „Europäische Union christlicher Demokraten“ unter der Leitung von Herrn von Hassel zielte auf eine Zusammenfassung aller Kräfte der Mitte abgesehen von Parteinamen. Die Konzeption ist bis jetzt nur teilweise durchgesetzt. Die genannte „Europäische Volkspartei“ scheint mit der Europäischen Union nichts im Sinne zu haben. Zu diesen Bemühungen muss man die gegenwärtige neue Regionalpolitik der EG für Europa hinzunehmen. Die Landschaften der EG sind außerordentlich unterschiedlich. Es gibt weite rein landwirtschaftliche Gebiete und hochindustrialisierte Ballungsräume. Die Kulturkreise die dadurch [geprägt wurden] und die durch die Geschichte geprägten Bevölkerungsgruppen sind sehr unterschiedlich. Gemessen an bettelarmen Regionen wie etwa in Süditalien gibt es andere mit geradezu schäumendem Reichtum. Das Ziel der Europäischen Regionalpolitik richtet sich auf eine Verringerung des Entwicklungsstandes der einzelnen Regionen. Für diese Bemühungen sind in den verflossenen Jahren bis 1974 Mittel als Darlehen und Zuschüsse von mehr als 25 Milliarden zur Verfügung gestellt worden. Von diesen Mitteln bekam Italien 40 %, England 28 %, Frankreich 15 %, Deutschland 6,4 %. Diese Neuregelung hat weittragende Konsequenzen, in Italien gibt es zum Beispiel jetzt 21 relativ selbständige Regionen. Der gleiche Vorgang bahnt sich in Frankreich, auch in

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anderen Ländern an. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass die Regionen in wachsendem Maße unmittelbar mit Brüssel verhandeln, selbstredend innerhalb der Verträge. Aber dabei kommt eine Stärkung der EG und der Regionen zu Lasten der Nationalen Regierungen heraus. Selbstredend trage ich Ihnen diese Informationen nicht vor, weil sie politisch interessant sind. Ich verfolge zwei Absichten. Die eine richtet sich auf die Frage nach dem sogenannten Euro-Kommunismus. Ich erinnere mich deutlich an die scharfen Vorhalte, die man den Kirchenregimenten nach 1933 deshalb machte, dass sie im Unterschied zu den Katholiken sich viel zu wenig der Frage nach dem Wesen totalitärer Staaten zugewandt und die entsprechend geistige Aufarbeitung und Anleitung für die Pfarrer und die Gemeinden bereitgestellt hätten. Man wird sagen müssen, dass die EKD in den 50er Jahren die wissenschaftlich bedeutendste Arbeit in der Auseinandersetzung mit dem Marxismus durch die Marxismusstudien geleistet hat5. Sie haben aber keinen ausreichenden Widerhall bei den Brüdern und Gemeinden gefunden, [so] dass wir der neuen Linken 1967 ziemlich hilflos gegenüberstanden. Die Auseinandersetzung mit dem Euro-Kommunismus geht jetzt die Verwalter der öffentlichen Macht unmittelbar an. Verhältnismässig unbeachtet blieb, dass Schweden sich fast seit 7 Jahren von der SPD nur unter Abstützung auf die kommunistische Fraktion im Reichstag regieren liess. In Italien haben die Bürger zu 30 %, in Frankreich zu 20 % kommunistisch gewählt. Der Sozialismus von Soares in Portugal ist sicher nicht der gleiche wie der der deutschen Sozialdemokraten. Im gegenwärtigen Europa-Parlament sind nur die italienischen Kommunisten vertreten. Kommt es zu unmittelbaren Volkswahlen 1978 für ein Europa-Parlament, wird sich dies erheblich wandeln. Nun kann man mit Sicherheit sagen, dies Parlament wird nicht sehr, wenn überhaupt je eine belangvolle Zuständigkeit bekommen etwa in der Außen- oder Verteidigungspolitik. Aber die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass Parlamente zäh um Vergrößerung ihres Einflusses zu kämpfen pflegen. In jedem Fall müssen wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft im Gespräch mit der Regierung nicht nur innenpolitische Fragen hören werden. Die Beurteilung der gesamten geistig-politischen Landschaft in Europa angesichts des benachbarten Ostens wird diskutiert werden müssen. Sind wir dafür gerüstet? Oder geht es über die Aufgabe einer Volkskirche hinaus? Es gibt deutlich zwei Stellungnahmen in der politischen Welt. Einmal: beim Euro-Kommunismus ist höchstes Misstrauen geboten. Er ist wahrscheinlich ein Trojanisches Pferd. Eindrucksvoll waren mir die Stellungnahmen der Regierung der DDR. Vor der Konferenz der Ersten Sekretäre im Juni sagten mir die führenden Leute: Die Diktatur des Proletariats und der Klassenkampf haben für den Kommunismus den gleichen Rang wie für die Christen die Lehre von der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Vor 14 Tagen haben sie 5 Vgl. die Marxismusstudien, eine Schriftenreihe der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien; vgl. dazu Bruns, Marxismus.

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mir gesagt: es bleibt zwar bei unserer prinzipiellen Auffassung, aber sollen die Genossen in Italien und Frankreich doch versuchen, wie weit sie auf ihrem Wege kommen. Eine der wichtigen Fragen ist natürlich, ob eine kommunistische Partei wie jede andere demokratische Partei eine Abwahl hinnehmen würde. Im Kern vertritt diese Auffassung das principiis obsta. Die andere Meinung ist: wir haben uns in Deutschland zu jeder Zeit merkwürdig schwer mit dem Sozialismus in jeder Gestalt getan. Ist es demokratisch richtig, eine Partei, die ein Drittel der Wähler hinter sich hat, auf die Dauer von der Verwaltung der Macht auszuschließen? Ist der historische Kompromiss nicht weise? Muss man nicht ganz besonders in Italien auch ausreichend würdigen, dass sich dort zeigt, dass jede zulange ausgeübte politische Macht korrumpiert wird? Sind wir in der Substanz unserer Demokratien so schwach, dass wir nicht verkraften können, wenn in einer Regierung etwa 4 kommunistische Minister sind? Tatsächlich wird eine Reihe von Regionen in Italien längst kommunistisch regiert. Ist es nicht besser, rechtzeitig genug die Kommunisten an der Macht zu beteiligen, als sie in der Opposition ständig wachsen zu lassen, bis sie wie der Nationalsozialismus in der Lage sind, auf legale Weise die Herrschaft zu übernehmen? Es würde zu weit führen, wollte ich jetzt den Weg der italienischen und französischen Kommunisten in ihrem Verhältnis zur EG seit 1959 nachzeichnen, so sicher man dies bei einem Sachgespräch vor Augen haben müsste. Herausheben aber möchte ich, dass die KPI deutlich in ihren Bemühungen auf die engagierten Christen zielt. Als nur ein Beispiel nenne ich eine Konferenz aus dem Januar 1974, an der Kommunisten aus 20 kapitalistischen Ländern teilnahmen6. In ihrer Erklärung heißt es: „Die Tatsache, dass Christen sich in Anbetracht der Krise der heutigen Gesellschaft in wachsendem Maße Fragen stellen, führt viele von ihnen dazu, die Ungerechtigkeit dieser Gesellschaft zu beurteilen und zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass man sie tiefgreifend umgestalten muss. Ihre Besorgnisse reichen bis in die Kirchen hinein. Die Anziehungskraft des Sozialismus wächst unter den christlichen Arbeitern und in einigen anderen Organisationen. Die kommunistischen Parteien verfolgen mit Aufmerksamkeit diese Entwicklung und Annäherungen, die sich zwischen den Arbeitern, ob sie nun gläubig sind oder nicht, vollziehen. Sie sprechen sich für übereinstimmende und einheitliche Aktionen mit den repräsentativen Kräften der Volksmassen und der christlichen Bewegung aus.“ Das zweite, worauf ich verweisen wollte, sind die vergangenen und vor uns liegenden Diskussionen um den Euro-Kommunismus zwischen den Kirchenvertretern. Das Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung hat im September eine Tagung veranstaltet unter dem Thema: Marxismus und

6 Die Konferenz der kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder Europas fand vom 26. bis 28. 1. 1974 in Brüssel statt; vgl. dazu Seliger, Kominform.

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Christentum7. Anlass war das Memorandum des Bensberger Kreises unter der Frage: Anti-Sozialismus aus Tradition?8 Es ist in diesem Seminar vor allem um eine innerkatholische Auseinandersetzung gegangen. Wichtiger für uns ist, dass die Paulus-Gesellschaft 1977 einen Europa-Kongress plant. Man will ein Forum des Dialogs, „um Menschen gegensätzlicher Ideen und Positionen durch Analyse und Dialog über den eigenen Horizont hinaus zur Kommunikation zu bringen“. Geplant ist eine Theorie-Diskussion, um die Divergenz und Konvergenz der Glaubens- und Wertsysteme, die in unserem Jahrhundert Gesellschaft und Wirtschaft beherrschen, festzustellen9. Dazu soll es neben einer Europa-Kommission eine Praxis-Kommission geben, von der es heißt: die Experimente politischer Zusammenarbeit, die Christen, Sozialisten, Kommunisten heute in verschiedenen Ländern versuchen, in kommunistischen Staaten beim Aufbau des Sozialismus, in Volksfront-Regierungen, in bürgerlichen Demokratien, in Volksrepubliken in der Dritten Welt, in Revolutionen gegen totalitäre Regime, im Kampf für nationale Freiheit und Unabhängigkeit, in der Arbeit der Internationalen Gewerkschaftsbewegung. Besonderes Interesse an diesem Kongress hat die KPI angemeldet. Es sollen schon eine Reihe von katholischen Professoren wie auch Persönlichkeiten des ökumenischen Rates in Genf zugesagt haben. Die Einladung soll breit gestreut werden für Pax Christi, Justitia et pax Christliche Friedenskonferenz, Jugendverbände und so weiter. Ob und was aus diesen Unternehmen wird, mag dahin gestellt bleiben. Meine Frage ist, sind diese Vorgänge neben dem politischen Kontext in Europa nicht [von] einer Art, dass man sie mindestens sorgfältig beobachten muss. Das ökumenische Zentrum in Brüssel ist zu schwach besetzt, um den erforderlichen Dienst leisten zu können. Aber es könnte sein, dass diese geistige Auseinandersetzung wichtiger wäre als eine pragmatische Regelung eines Gesetzes in Verhandlungen mit dem Parlament. Ich bringe diese Sache in der Kirchenkonferenz vor mit der Frage, ob die Kirchenkonferenz diesen ganzen Fragenkreis für so wichtig hält, dass sie dem Rat empfiehlt, ihm eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die neugefassten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind seit dem 21. Juni in Kraft getreten. Der Bund hat in dieser Sache keinerlei Gesetzes7 Das Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst (ab 1963 für politische Bildung) mit Sitz in Köln wurde durch einen Erlass des Innenministeriums vom 28. 11. 1957 ins Leben gerufen, mit dem Ziel „durch Studientagungen zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem internationalen Kommunismus“ beizutragen; vgl. Erlass über die Errichtung des Ostkollegs der Bundeszentrale für Heimatdienst (online). 8 Vgl. Bensberger Kreis, Antisozialismus. Zum Bensberger Kreis vgl. den Bericht vom 14. 3. 1968 (Dok. 35), Anm. 2. 9 Der Europa-Kongress der linkskatholischen Paulus-Gesellschaft mit dem Titel „Europa von morgen“ fand vom 6. bis 10. 9. 1977 in Salzburg statt. Teilnehmer waren 300 Theologen und Wissenschaftler, darunter Linkskatholiken, Kommunisten und Befreiungstheologen aus Westund Südeuropa, Argentinien, Kanada, den USA und Ungarn.

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kompetenz mehr. Das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat sich zwar um eine einheitliche Regelung durch die Länder bemüht. So sehr sich alle Beteiligten über die Notwendigkeit möglichst gleichartiger Regelungen in den Ländern einig waren, sind die Richtlinien unterschiedlich ausgefallen. In den meisten Ländern sind die Richtlinien und Runderlasse vorläufiger Natur. Dies gilt für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein sowie das Saarland. Entwürfe liegen in Berlin und Bremen vor. Eine Dauerregelung scheint bislang nur Hamburg erlassen zu haben. Ich möchte noch einmal erinnern an den in der Substanz und Formulierung für mein Urteil ausgezeichneten Beschluss des Rates vom 10. Juli 197610. Er hat eine ziemlich breite Beachtung beim Bund und auch bei den Ländern gefunden11. Es ist aber offenkundig noch nicht gelungen, unseren Beschluss sozusagen in die Gesetzessprache zu übersetzen. Es wird aber wichtig sein, dass die Landeskirchen in dieser Sache im laufenden Gespräch mit ihren Landesregierungen bleiben, damit unsere Stellungnahme wenigstens in den endgültigen Regelungen Berücksichtigung und Eingang findet.

10 Vgl. den Bericht vom 27./28. 2. 1976 (Dok. 70), Anm. 12 und 13. 11 Vgl. dazu Mantei, Abtreibung, 538–540.

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75 Berlin, 14./15. Januar 1977 EZA 742/14, msl. mit hsl. Ergänzungen Nach der Bundestagswahl haben die Auseinandersetzungen zwischen der CDU und CSU das Publikum und die Presse in ausreichender und interessanter Weise beschäftigt, daß die vertraulich geführten Koalitionsverhandlungen nicht unter der täglich bohrenden Befragung der Öffentlichkeit standen. Diese Situation hat sich nach der Regierungserklärung am 16. Dezember radikal verändert1. Sie war nicht nur durch die Gliederung in 94 Punkte im Stil ein Novum, sie wurde allgemein mehr als eine schwebende Situationsbeschreibung verstanden, als die Artikulierung dessen, was die Regierung konkret in den einzelnen Bereichen will. Ich nenne nur die Ankündigung, daß man die Politik stetiger Reformen festhalten wolle, aber offen ließ, welche Reformen gemeint und welches die Inhalte sein sollen. Auch der Appell an alle Bürger und alle Gruppen unseres Landes, bei der Bewältigung der anstehenden Fragen behilflich zu sein, konnte mangels Präzision der Pläne der Regierung keine Diskussion und zufassenden Willen bewirken. Die Regierungserklärung hat allenfalls Signale in viele Richtungen gesetzt, Signale, die – ohne die Regierung im Einzelnen festzulegen – von den Empfängern unterschiedlich gedeutet werden könnten. Ich versuche zunächst, einige wichtige Problemkreise herauszugreifen. Ich nenne zuerst die Anrede des Kanzlers an die Kirchen. Er hat den besonderen Rang der Kirchen in unserer pluralen Gesellschaft ausdrücklich und ohne jede Einschränkung anerkannt. Er hat versichert, daß die Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Kirchen – in Wahrung der gegenseitigen Eigenständigkeit – stets bereit sei und darüber hinaus die Bedeutung des Dialogs von Staat und Kirchen herausgestellt. Die Schlußsätze möchte ich zitieren: „Das öffentliche Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften vermag, wird es von ihren Angehörigen getragen, ethische Grundüberzeugungen und Werthaltungen in der Gesellschaft lebendig zu erhalten und zu entwickeln. Damit leisten Kirchen und Religionsgemeinschaften einen wesentlichen Beitrag zur Auseinandersetzung um die Grundwerte, gerade auch in einer pluralen Gesellschaft.“2 Täuscht mich meine Erinnerung nicht, ist dies das erste Mal, daß in einer Regierungserklärung ausdrücklich auf die Grundwerte in dieser Form abgehoben wird. Darin spiegelt sich, daß die Regierung offenkundig die Bevölkerung in einer sich rapide wandelnden ethischen und moralischen Vorstellung sieht. Sie bittet, daß die Kirchen stabilisierend wirken zur Aufrechterhaltung und lebendigen Gestaltung von Grundwerten. In der 1 Vgl. die Regierungserklärung Schmidts am 16. 12. 1976 in: Plenarprotokolle (online), WP 8, 5. Sitzung, 31 A–52D, hier: 43D–44 A. 2 Ebd. 44 A.

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Tat, erinnert man sich daran, was die Väter des Grundgesetzes meinten, als sie z. B. von Familie und Ehe sprachen, und vergleicht man dies, wie in diesen beiden Bereichen heute die Auffassungen sind, liegt die bis an die Wurzeln reichende Wandlung der Auffassungen am Tage. Ich möchte meinen, daß dies eine Sache ist, der der Rat durch seine Kammern in den nächsten Jahren seine besondere Aufmerksamkeit widmen müßte. Auffällig mag erscheinen, daß der Kanzler unter der Nummer 61 gleich zweimal von der „Weltanschaulichen Neutralität“ sprach und im gleichen Artikel den „Dialog und die Zusammenarbeit mit den Kirchen“ nannte mit der Bemerkung „in Wahrung der gegenseitigen Eigenständigkeit“. Es war die Frage, ob diese Betonung auf Veranlassung der FDP geschehen sei. Ich möchte meinen, man muß den Abschnitt im Zusammenhang lesen und darf dabei die positiven Aussagen angesichts der prinzipiell selbstverständlich vorhandenen weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht bagatellisieren. Für möglich halte ich aber, daß der Adressat für diese Bemerkungen die katholische Kirche ist. Es gibt in der Bundesregierung und in den zugehörigen Bundestagsfraktionen in Erinnerung an eine Reihe von Verlautbarungen der katholischen Kirche nicht nur Verärgerung, sondern auch eine solide Verbitterung. Mir scheint, der Bundeskanzler wollte diesen Kreisen in den Bundestagsfraktionen eine Freundlichkeit erweisen. Einen breiten Raum nahm selbstredend die Wirtschaftspolitik ein. Von niemandem kann die ungewöhnliche Staatsverschuldung von etwa 280 Milliarden DM in ihren Auswirkungen auf die gesamte Finanzpolitik unseres Landes gering angesehen werden. Der Kanzler hat deutlich gemacht, daß die Verlegenheiten aus der Rezession in der Weltwirtschaft und vor allem durch die drastische Ölpreiserhöhung von 1974 bewirkt wurden. Aber die schwierigste Not bereitet selbstredend das Arbeitslosenproblem. Mir ist in diesen Tagen eine Information zugegangen, daß das verarbeitende Gewerbe bis 1980 500.000 Arbeitsplätze verlieren wird, der Staat bis zu diesem Zeitpunkt neue 500.000 Arbeitsplätze schaffen wird, daß die deutsche Wirtschaft aber bis 1985 eine Million Arbeitsplätze absolut verlieren wird. In den nächsten 5–6 Jahren sollen etwa 800.000 qualifizierte Facharbeiter ihren derzeitigen Arbeitsplatz einbüßen. Dies gilt vorwiegend für die Elektro-Metallindustrie. Sie müssen auf neue Arbeitsplätze umgeschult werden. Für uns ist von hohem Interesse, was die Regierungserklärung über die Entwicklungspolitik gesagt hat. Sie bekennt sich zwar ausdrücklich zur Notwendigkeit der Erhöhung der Entwicklungshilfe, vor allem zu Gunsten der am meisten zurückgebliebenen Länder. Mir hat aber in diesen Tagen der Finanzminister erklärt, daß er in seinem Haushaltsansatz über die bisherigen Beträge nicht hinaus gehen könne. Wir sind in den sogenannten Verpflichtungsermächtigungen zur Zeit mit ca. 13 Milliarden im Wort. Bei diesen Verpflichtungsermächtigungen handelt es sich um Beträge, die jederzeit abgerufen werden können und bei denen die Regierung durch Verträge verpflichtet ist, die erbetenen Zahlungen zu leisten. Diese Sache geht uns in

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unseren Zentralstellen unmittelbar an3. Wir hatten 1975 noch eine Bindungsermächtigung für die beiden Zentralstellen von 105.000 Millionen. 1976 wurde sie drastisch auf 70 Millionen gekürzt. Sie soll im Jahre 1977 auf 83 Millionen erhöht werden. Bleibt es bei dieser Regelung, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die bisherige langfristige Strategie in unseren Zentralstellen durchzuhalten. Es nutzt uns nichts, wenn die Haushaltsbeträge von Jahr zu Jahr wachsen. Es ist den beiden Zentralstellen unmöglich, 110 Millionen für die Projekte eines Jahres zum Abfluß zu bringen. Mit Sicherheit wird es über diese Frage noch zu erheblichen Auseinandersetzungen in den nächsten Monaten sowohl mit dem Parlament wie mit der Regierung kommen. Nennen will ich auch die Ankündigung, die Bundesregierung beabsichtige einen Bericht über die strukturellen Mängel des Bildungssystems vorzulegen, um gleichzeitig damit Vorschläge für eine Änderung von Bildungskompetenzen zu Gunsten einheitlicher Lernbedingungen zu machen. Dies kann nur auf eine weitere Einschränkung der Zuständigkeiten der Länder hinaus laufen. Erstmalig wird in einer Regierungserklärung auf die zunehmende Kinderfeindlichkeit in unserem Lande eingegangen. Im Zusammenhang mit der Familienpolitik hat der Kanzler davon gesprochen, daß das Recht der elterlichen Sorge im Interesse der Kinder neuzufassen sei. Dies ist eine Sache, die sofort eine besondere Aufmerksamkeit unserer Kirche erfordert. Ich erinnere daran, daß ein entsprechender Gesetzesentwurf in der vorigen Legislaturperiode die Hürden des Parlamentes nicht hat nehmen können. Ich kenne noch nicht die neuen Initiativen. Ich rechne aber damit, daß unsere Vorstellungen in einem neuen Gesetz beachtet werden, daß also das Elternrecht stärker als im letzten Entwurf gesichert wird. In diesem Zusammenhang will ich erwähnen, daß auch das Verlöbnisrecht, das Aufgebotsrecht und das Ehegesetz geändert werden sollen. Bis jetzt sieht es freilich so aus, als plane der Justizminister lediglich eine sinnvolle Abänderung von Vorschriften, die in der Praxis keine Rolle mehr spielen, also etwa die Wartezeit nach Auflösung oder Nichtigerklärung einer früheren Ehe, Ehefähigkeitszeugnis für Ausländer und so weiter. Vorgesehen ist auch eine Reform des Jugendhilferechtes. Die alte Gesetzesvorlage war am Widerstand der Länder gescheitert, die durch zusätzliche Kosten belastet worden wären. Auf die Ausführungen des Kanzlers zur Gesundheitspolitik wird mit Sicherheit unser Diakonisches Werk mit Sorgfalt achten, [so] daß ich mich darüber nicht im Einzelnen zu äußern brauche. Die Regierungserklärung hat bei einer Reihe von Kreisen, auch bei der parteilich nicht gebundenen Presse keine günstige Aufnahme gefunden. Der Führer der Opposition nannte sie ein „Dokument der Ratlosigkeit“. Der Kanzler habe sich weitgehend auf eine Zustandsbeschreibung beschränkt. Es 3 Kunst bezieht sich hier auf die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe e. V. und auf die gleichnamige Katholische Zentralstelle. Beide Stellen wurden seit ihrer Gründung 1962 größtenteils vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit finanziert; vgl. Brot für die Welt (online).

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wurde in der Öffentlichkeit kaum widersprochen, als Kohl bemängelte: „Sie, Herr Bundeskanzler, verharmlosen die Lage. Sie nennen keine Lösungen, zeigen keine Perspektiven“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, „daß die SPD nur wenig Programmatisches in die Regierungserklärung hat einbringen können, sei ein Ergebnis ihrer eigenen Unsicherheit über den künftigen Weg.“ An keiner Stelle trage die Regierungserklärung eine ausgeprägt sozialdemokratische Handschrift. Die der Koalition nahe „Frankfurter Rundschau“ urteilte: „es gibt praktisch kein Projekt, das unverwechselbar den sozialliberalen Stempel trägt. Ein gesichtsloses, konjunkturarmes Programm also, mit dem sich vor allem Sozialdemokraten nur schwer identifizieren können.“ Besonders belastend war selbstredend die Behandlung der Rentenfrage. Die Regierung lief das Risiko, sich vorhalten lassen zu müssen, sie habe im Wahlkampf die Unwahrheit gesagt. Es kam alsbald zu lebhaften Auseinandersetzungen sowohl in den Koalitionsfraktionen wie bei den Gewerkschaften. Immerhin ein Mann von Rang wie Erhard Eppler sagte, er rechne mit der Lernfähigkeit des Kanzlers. FDP-Sozialexperte Schmidt-Kempten4 nannte die Pläne zur Rentensanierung „Flickschusterei“. Als beschwerlich mußte der Bundeskanzler empfinden, daß harte Proteste aus den Ortsvereinen und den Regionalverbänden seiner Partei kamen. Man mußte bisweilen den Eindruck haben, daß die Regierungskoalition in der Renten- und Krankenversicherungsfrage vor einer Zerreißprobe steht. Der zweite Teil der Parlamentsdebatte über die Regierungserklärung wird möglicherweise einige Klarheiten schaffen, die der Regierung erlauben, ihre Arbeit alsbald zu beginnen5. Auf kritische Einrede ist auch die Behandlung der strategischen und rüstungspolitischen Probleme in der Regierungserklärung getreten. Die forcierte Aufrüstung der Sowjetunion wurde nur kurz gestreift. Es fehlte ein nachdrücklicher Appell an die Adresse Moskaus und des Ostblocks, seine Aufrüstung zu zügeln. Wahrscheinlich hat der Kanzler darauf verzichtet, weil er Breschnew bei dem bevorstehenden Besuch in Bonn nicht verärgern wollte6. Auch die mitmenschlichen Probleme in der DDR werden in der Regierungserklärung nur behutsam angesprochen. Immerhin hat der Kanzler in dem Punkt 92 [richtig: 90] korrekt die überparteilich bejahten Prinzipien der Deutschlandpolitik wiedergegeben7. Er wiederholt auch das Bekenntnis zum Ziel, die deutsche Einheit in freier Selbstbestimmung wiederzuerlangen. Im übrigen hat sich die Regierung nicht versagt, in maßvoller Form anzumerken: „uns schmerzt die Grenze, die mitten 4 Gemeint ist Hansheinrich Schmidt, der für die FDP den Wahlbezirk Kempten im Deutschen Bundestag vertrat. 5 Vgl. die Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung in: Plenarprotokolle (online), WP 8, 7. Sitzung, 127B–225C. 6 Der Generalsekretär des ZK der KPdSU Breschnew besuchte am 5. 5. 1978 die Bundesregierung in Bonn; vgl. dazu die Aufzeichnungen der Gespräche Schmidts mit Breschnew in: AAPD 1978, Bd. I, 642–663. 7 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 8, 5. Sitzung, 51B.

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durch Deutschland geht, die die Menschen trennt, an der immer wieder auf die Menschen geschossen wird. Wir haben unsere Meinung nie verschwiegen. Das Vorgehen der DDR an der Grenze durch Deutschland ist ohne Beispiel in Europa.“8 Die KSZE-Folgekonferenz in Belgrad wird in der Regierungserklärung nicht erwähnt. Dies mag seinen Grund darin haben, daß in den letzten Monaten die Dissidenten in der Sowjetunion wie in der Emigration recht nachdrücklich die Forderung ausgesprochen haben, der Westen müsse in Belgrad darauf bestehen, daß die Zusicherung des Helsinkier Schlußdokumentes in Bezug auf mehr Freiheit der Meinungen und des ost-westlichen Ideenaustausches auch wirklich beachtet würden. Wahrscheinlich erklärt sich die Zurückhaltung des Bundeskanzlers in dieser Sache dadurch, daß in Belgrad diplomatische KSZE-Vorgespräche bereits begonnen haben. Möglicherweise wollte der Kanzler auch eine vorläufige Abstinenz angesichts der Unruhen unter den Dissidenten im Ostblock üben. Sacharow und das Komitee zum Schutz der Menschenrechte in der Sowjetunion, in Polen das „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ und die Gemeinschaft der „Charta 77“ in der Tschechoslowakei erkennbar zu unterstützen und eine Art Feuerschutz zu gewähren, scheint dem Kanzler nicht geraten erschienen zu sein. Es ist beachtet worden, daß zur gleichen Zeit der aus sowjetischer Haft in den Westen entlassene sowjetische Systemkritiker Bukowski die gesamte westöstliche Entspannungspolitik als „mörderisch“ bezeichnet hat9. Jedenfalls bewegt sich die Regierungserklärung auf einer Linie des Abwartens und der Zurückhaltung. Mir selber scheint angesichts der Gesamtlage noch nicht sicher, daß der vorgesehene Termin für die Belgrader KSZE-Folgekonferenz eingehalten wird. Es könnte sein, daß Regierungen im Westen wie im Osten es für politisch klüger halten, die Konferenz auf den Herbst oder gar auf das nächste Jahr zu verschieben10. Bei der Gesamtbeurteilung der Regierungserklärung wird man zusätzlich bedenken müssen, daß sie verfaßt werden mußte in einer Zeit, in der nur eine geringe Klarheit darüber bestand, welche Politik der neue amerikanische Präsident in Zukunft zu betreiben trachtet. Man wird sich auch darin erinnern müssen, daß die außerordentlichen Vorgänge in China die russische Regierung nachdrücklich bewegen müssen. Es scheint so, daß Carter eine Außenpolitik im Zeichen des Trilateralismus machen will. Er scheint ein besonderes enges Zusammenwirken der drei Hauptkräfte Amerika-Westeuropa-Japan im Visier zu haben. Nimmt man hinzu, daß der neue amerikanische Außenminister zunächst Peking aufsuchen will, ist schon angedeutet, daß die USA 8 Vgl. ebd., 50D. 9 Zum Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Dissidenten des Ostblocks vgl. Peter, Bundesrepublik, 220–223. 10 Das erste Folgetreffen der KSZE fand vom 4. 10. 1977 bis 9. 3. 1978 in Belgrad statt; vgl. ebd., 203–318.

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China gegenüber der Sowjetunion eine möglichst starke Stellung einzuräumen gewillt ist, damit nicht etwa Maos Erben den Annäherungsversuchen Moskaus zu bereitwillig nachgeben. Ich mache alle diese Bemerkungen lediglich, um ein wenig die Auffassung zu substantiieren, daß das Jahr 1977 mit sehr vielen Unsicherheiten beginnt und deshalb gefährlich werden kann. Im Blick auf den Tagesordnungspunkt Südafrika will ich den Punkt 83 [richtig: 81]11 der Regierungserklärung nicht unerwähnt lassen. In ihm wird die bisherige Haltung der Bundesregierung gegenüber Südafrika erneut bestätigt. Es wird jede Art von Rassismus und Kolonialismus abgelehnt. „Auch das südliche Afrika muß sein Schicksal selbst bestimmen. Die Herrschaft der Mehrheit muß bald verwirklicht werden. Gleichzeitig muß der Schutz der Minderheit gesichert werden.“ Aber es scheint nur so, als halte sich die Regierung damit streng an die politische Linie der schwarz-afrikanischen Staaten und der unterdrückten Schwarzafrikaner im südlichen Afrika. Das ist nicht der Fall. Die Regierungserklärung enthält keinerlei Hinweis darauf, daß die Bundesregierung ihre bisherige Praxis aufgeben und auf eine Unterstützung Südafrikas durch westdeutsche Investitionen verzichten will. Dies aber ist die wichtigste Seite der Angelegenheit. Bisher hat die Regierung keine Anstrengung gemacht, die enorme Unterstützung, die westdeutsche Wirtschaftskreise dem Regime in Südafrika (und Rhodesien) liefern, zu unterbinden. Bisher hat sich die Regierung, brachte man diesen Umstand zu Sprache, stets darauf zurückgezogen, man dürfe die wirtschaftlichen und politischen Dinge nicht miteinander vermengen. Gegen diese Auffassung haben sich besonders die sogenannten Afrikanischen Frontstaaten rund um Rhodesien besonders lautstark zu Wort gemeldet. Es scheint so, daß die Bundesrepublik genau wie eine Reihe anderer westeuropäischer Staaten und Amerika darauf abstellen, zuerst den Rhodesien-Konflikt zu lösen und die Befreiung Namibias zu erreichen. Möglicherweise glauben diese Regierungen, es könne ein Zustand der de facto-Allianz mit Südafrika aufrechterhalten bleiben. Dem Westen wird die Offenhaltung der Seewege um das Kap und damit die Versorgung des Westens mit Oel von vorrangiger Bedeutung sein. Über alle diese Zusammenhänge schweigt sich die Regierungserklärung aus. Sie deutet auch nicht die Absicht an, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu nutzen, um Handelsvereinbarungen zu erreichen, die gewisse Vorteile oder Begünstigungen zur Verbesserung in der Lage der schwarzen Bevölkerung einschließen. Es wird auch nicht gesagt, daß man die Absicht habe, den Staaten ringsum Südafrika herum eine besondere Entwicklungshilfe zu gewähren, um diese Nachbarstaaten zu konsolidieren, damit sie einen stärkeren politischen und moralischen Druck auf Südafrika ausüben könnten. Ich denke, der Rat sollte prüfen, ob er meinen Nachfolger beauftragen will, die genannten Aspekte in die Gespräche mit den Parteien, der Regierung und auch der Wirtschaft einzuführen. 11 Vgl. Plenarprotokolle (online), WP 8, 5. Sitzung, 49 A.

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Abschließend möchte ich nur noch einige Bemerkungen machen. Ich hatte gesagt, zum ersten Mal habe sich der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mit der Frage der Grundwerte befaßt. Seit der Kanzler im vergangenen Jahr vor der Katholischen Akademie in Hamburg zu dieser Sache das Wort genommen hat, gibt es eine umfassende Arbeit in einer Reihe von Kreisen in der katholischen Kirche12. Ich würde es für gut halten, wenn der Rat prüfte, ob und wie wir uns in die Diskussion einschalten sollen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß unsere katholischen Brüder das Thema in das Kontaktgespräch miteinführen werden. Ich bin auch schon von katholischen Bischöfen gefragt worden, ob wir die Diskussion in dieser Sache mit den Parteien und der deutschen Öffentlichkeit den Katholiken überlassen wollten. Ich will jetzt nicht in die Problematik der Vokabel Grundwerte einsteigen, meine aber, daß die Kammer für öffentliche Verantwortung an der Gesamtdiskussion nicht vorbeigehen sollte. Von einer anderen Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und der Bundesregierung hat die deutsche Öffentlichkeit in einer ziemlichen Breite Kenntnis genommen. Es handelt sich um die Auslegung der Novellierung des § 218 im Blick auf die Krankenhausträger13. Die Katholiken haben erreicht, daß der Bundesjustizminister in aller Form hat zugestehen müssen, daß die konfessionellen Krankenhausträger die Freiheit der Gewissensentscheidung für sich in Anspruch nehmen dürfen. Wir waren nicht unmittelbar an diesem Briefwechsel zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und der Bundesregierung beteiligt. Ich erinnere an den Beschluß der Synode in Braunschweig, der mindestens der doppelten Auslegung fähig ist14. Vielleicht empfiehlt sich, das Diakonische Werk, aber auch die Kirchenkanzlei zu bitten, dem gesamten Vorgang ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es war mir nicht vollständig sicher, daß die FDP bei den Koalitionsverhandlungen wenigstens einige Dinge ihres Kirchenpapiers nicht in die Verhandlungen einführen würden. In dieser Sache haben sich Frau Funcke und Herr Genscher durchgesetzt. Aber die Kommission „Gesellschaftliche Großorganisation“, kurz Verbände-Kommission des FDP-Bundesvorstandes ge12 Im Kontext der Abtreibungsdebatte hatte Schmidt am 23. 5. 1976 auf einer Tagung der Katholischen Akademie Hamburg zum Thema „Grundwerte in Staat und Gesellschaft“ einen Vortrag gehalten, in dem er zwischen Grundrechten und Grundwerten unterschied. Danach hatten alle Bürger und Bürgerinnen einen staatlich verbrieften Anspruch auf ihre Grundrechte, wogegen es über die Grundwerte im Staat keine Einigkeit gebe, da dieser zur Neutralität verpflichtet sei. Der Erhalt der Grundwerte falle letztlich in den Zuständigkeitsbereich der gesellschaftlichen Kräfte, die u. a. von den Kirchen repräsentiert würden. Schmidt löste damit die sogenannte Grundwertedebatte aus; vgl. dazu Mantei, Abtreibung, 531. 13 Vgl. ebd., 544–546. 14 Die Kundgebung der fünften Synode der EKD zum § 218 aus dem Jahr 1976 wies zwar einerseits darauf hin, dass der Christ nicht von seiner Verantwortung vor Gott befreit sei, bloß weil ein Gesetz des Staates etwas für straffrei erkläre, andererseits wurde erklärt, dass auch die Verweigerung eines Schwangerschaftsabbruchs schuldig machen könne; vgl. Braunschweig 1976, 473 f.

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nannt, hat jetzt einen Entwurf für ein Verbandsgesetz fertiggestellt. Er ist in Auszügen in der 0-Nummer der neuen FDP-Zeitung für Baden-Württemberg „Südwest Liberal“ abgedruckt worden15. Es werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ausdrücklich in den Geltungsbereich des geplanten Gesetzes einbezogen. Der Vorsitzende der Kommission Bangemann hat darauf hingewiesen, daß dieser Entwurf eine der wichtigsten Grundlagen für die Programmarbeit der Freien Demokraten werden könne. Die Initiatoren des Gesetzes wollen solche Verbände in den Geltungsbereich des Gesetzes einbeziehen, die folgende Merkmale erfüllen: Schlüsselstellung im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich; beständig hohe Mitgliederzahlen; beträchtliche finanzielle Mittel; hoher Organisationsgrad; institutionelle Verankerung im öffentlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß. Die innere Ordnung der Verbände soll den demokratischen Grundsätzen entsprechend sein. Im Entwurf werden Parteien und Religionsgemeinschaften vom Gesetz ausgenommen. Diese Bestimmung kann nur einen geringen Trost bedeuten. Tatsächlich erfüllen die Religionsgemeinschaften alle Merkmale in herausragender Weise, die ich eben genannt habe. Ich würde es für gut ansehen, wenn der Rat die Kirchenkanzlei beauftragte, den gesamten Vorgang sorgfältig zu verfolgen. Zur Zeit sehe ich keine unmittelbare Gefahr des Gesetzentwurfes für uns. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß sich die Gewerkschaften gegen das Gesetz heftig sträuben werden. Ich kann auch nicht annehmen, daß die SPD sich für diese Vorschläge erwärmen wird. Aber wir haben eben auch erlebt, daß je nach politischer Situation weittragende Vorgänge sehr schnell auf ungute Geleise kommen können. Ich habe keine Möglichkeit gehabt, mit Verfassungsjuristen die Frage zu prüfen, ob es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, wenn Parteien und Religionsgemeinschaften, wiewohl sie in besonderer Weise die Merkmale des Gesetzes erfüllen, eine Sonderbehandlung erfahren. Schließlich möchte ich daran erinnern, daß eine Zahl von mehreren 100 Pastoren und Laien in Württemberg sich gegen den Wahlslogan der CDU/CSU „Freiheit statt – oder Sozialismus“ gewandt hat16. Auf Veranlassung des Herrn Ratsvorsitzenden ist es zu einem Gespräch zwischen 4 Dekanen aus Württemberg und Vertretern der CDU/CSU am 20. Dezember in meinem Dienstgebäude gekommen. Außer Bruder von Weizsäcker nahmen Professor Biedenkopf, Dr. Philipp von Bismarck, Professor Herzog, Dr. Dollinger auf Seiten der CDU/CSU teil. Das Gespräch zeichnete sich durch Niveau und auch eine gute Atmosphäre aus. Zunächst trug Dekan Simpfendörfer, als Sprecher des Kreises, eine Reihe von Fragen im Blick auf den Wahlslogan vor. Darauf ist ihm in einer präzisen und umfassenden Weise von Professor Biedenkopf geantwortet worden. Schmerzlicherweise war es aber nicht zu erreichen, daß das 15 Vgl. Startfrei für Verbände-Papier. In: südwest liberal, Liberale Zeitung für Baden-Württemberg 1 (1977) vom 5. 1. 1977, 1. 16 Vgl. Nach der Niederlage wohin mit Kohl? In: Der Spiegel 30 (1976), Nr. 22 vom 24. 5. 1976, 25 f.

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Gespräch zunächst einmal bei diesen Sachfragen blieb, um zu einer Klärung wenigstens der einen oder anderen Sache zu kommen. Ich mußte den Eindruck haben, daß keine der beiden Seiten die Sache sich leicht gemacht hat, sondern bereit war, auf Argumente zu hören. Die Vertreter der CDU haben sich nicht für den Wahlslogan verkämpft, eher im Gegenteil. Aber sie haben erläutert, was im Kern gemeint sei, nämlich die Frage, ob und in welcher Weise die Freiheit durch den Sozialismus bedroht sei. Leider waren die 4 Stunden viel zu kurz, um zu einem Ergebnis zu kommen. Es wurde angeregt, das Gespräch fortzusetzen. Die Vertreter der CDU haben nachdrücklich darum gebeten. Nun haben mir die Württembergischen Brüder mitgeteilt, sie hätten den Eindruck gewonnen, daß die CDU/CSU bei ihrem Slogan auch in Zukunft bleiben wolle. Sie seien deshalb genötigt, sich jetzt an die Öffentlichkeit zu wenden. Sollte es wirklich dazu kommen, würde daraus nicht viel mehr werden können als ein Schlagabtausch ohne ein reelles geistiges Voreinanderaushalten der Argumente. Darüber hinaus könnte die Folgewirkung sein, daß die Parteien in Zukunft noch eine geringere Bereitschaft haben würden, auf solche, für mein Urteil unerläßliche Gespräche zuzugehen.

V. Abkürzungen AA/A. A. AACC AAPD ABC AdG AFCENT AGKED AMF ANC ANF Antifa ao. Prof. APO ARD BArch BASF BBC BDC BdV BGB BGBl BGH BHE BK BM BMB BMG BMV BMWI BMZ BND BOL BP

Auswärtiges Amt All Africa Conference of Churches Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland American Broadcasting Company Keesings’s Archiv der Gegenwart Allied Forces Central Europe Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst American Machine Foundry African National Congress Atlantic Nuclear Force Antifaschistische Aktion außerordentlicher Professor Außerparlamentarische Opposition Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Bundesarchiv Badische Anilin- & Sodafabrik British Broadcasting Company Berlin Document Center Bund der Vertriebenen Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bekennende Kirche Bundesminister / Bundesministerium Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1969–1991) Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (1949–1969) Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Wirtschaft Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Bundesnachrichtendienst Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayernpartei

414 BPA BStU BVerfGE BVP CB-Waffen CCD CCIA CDA CDP CDU cf. [confer] CIA ˇ SSR C CSU CVCE CVJM/YMCA

D. DC DDP DDR DEKT Df DFU DGB DKP DM Dok. DP dpa Dr. e. h. Dr. h. c. Dr. iur. utr. Dr. sc. DRP DStP DU

Abkürzungen

Bundespresseamt Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehem. DDR / seit 2021 Stasi-UnterlagenArchiv Bundesverfassungsgericht Bayerische Volkspartei Chemische und bakteriologische Waffen Conference of the Committee on Disarmament Commission of the Churches on International Affairs Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Christlich-Demokratische Partei Christlich Demokratische Partei Deutschlands vergleiche Central Intelligence Agency ˇ eskoslovensk socialistick republika [TschechoslowakiC sche Sozialistische Republik] Christlich-Soziale Union Centre Virtuel de la Connaissance sur L’ Europe Christlicher Verein Junger Männer (ab 1985 Christlicher Verein Junger Menschen)/Young Men’s Christian Association Dr. theol. / Dr. theol. h. c. Deutsche Christen Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutscher Evangelischer Kirchentag Düsseldorf Deutsche Friedens-Union Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Kommunistische Partei Deutsche Mark Dokument Deutsche Partei Deutsche Presse Agentur Doktor Ehren halber Doctor honoris causa Doctor iuris utriusque Doctor scientiarum naturalium Deutsche Reichspartei Deutsche Staatspartei Deutsche Union

Abkürzungen

DÜ DVP EAK EG EGKS EKD EKHN EKKI EKSF [= KSZE] EKU ENA ENDC ENO EOK epd EPZ ESG ESGiD EVG EU EWG EZE FAZ FDGB FDJ FDP FELCSA

415

Dienste in Übersee, Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kirchen in Deutschland e. V. Deutsche Volkspartei Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Europäische Konferenz für Sicherheit und Frieden [= Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa] Evangelische Kirche der Union Evangelischer Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik Eighteen Nations Disarmament Committee Evangelischer Nachrichtendienst Ost Evangelischer Oberkirchenrat Evangelischer Pressedienst Europäische Politische Zusammenarbeit Evangelische Studentengemeinde Evangelische Studentengemeinde in Deutschland Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe e. V.

FH FRAP FreLiMo FU FU Berlin FVP

Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Deutschlands Federation of Evangelical Lutheran Churches in Southern Africa Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e. V. Fachhochschule Frente Revolucionario Antifascista y Patriota Frente de Libertażo de MoÅambique Föderalistische Union Freie Universität Berlin Freie Volkspartei

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

FEST

416 GB/BHE

Abkürzungen

Gg/GG GKKE GVP

Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Grundgesetz Gemeinsame Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen Gesamtdeutsche Volkspartei

HAW HDv hsl. HU

Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Heeresdienstverordnung handschriftlich Humboldt-Universität zu Berlin

i. E. IFSH

im Erscheinen Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg im Generalstab Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Institut für Weltwirtschaft Inoffizieller Mitarbeiter Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR im Ruhestand

i. G. IGBCE IfW IM IPW i. R. JU Jusos

Junge Union Jungsozialisten [Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten und Jungsozialistinnen in der SPD]

KAB KAEF KEK KiHo KK KGB

Katholische Arbeitnehmerbewegung Katholischer Arbeitskreis für Entwicklung und Frieden Konferenz Europäischer Kirchen Kirchliche Hochschule Kirchenkanzlei Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti (1954–1991 sowjetischer In- und Auslandsgeheimdienst) Kirchliches Jahrbuch Katholische Nachrichtenagentur Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Frankreichs Kommunistische Partei Italiens ˇ eskoslovenska [Kommunistische Komunistick strana C Partei der Tschechoslowakei] Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit Konzentrationslager

KJ KNA Komintern KP KPD KPdSU KPF KPI ˇ KSC KSZE KZ

Abkürzungen

417

KZE

Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe e. V.

LDP LWB

Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Lutherischer Weltbund

m. K. MBFR MBL MdB MdEP MdL MdPR MdR MfS MLF MP MSB

meiner Kenntnis Mutual Balanced Forces Reduction Mitglied des Bayerischen Landtags Mitglied des Bundestags Mitglied des Europäischen Parlaments Mitglied des Landtages Mitglied des Parlamentarischen Rates Mitglied des Reichstags Ministerium für Staatssicherheit Multilateral Force Ministerpräsident Marxistischer Studentenbund Spartakus

NATO NDR NEK NKFD NPD NRW NSDAP NT NVA NWDR

North Atlantic Treaty Organization Norddeutscher Rundfunk Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche Nationalkomitee Freies Deutschland Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nordrhein-Westfalen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neues Testament Nationale Volksarmee Nordwestdeutscher Rundfunk

OAU OB OEEC ÖRK (WCC)

ÖTV OKR OLG OVG

Organization of African Unity Oberbürgermeister Organization for European Economic Co-Operation Ökumenischer Rat der Kirchen (World Council of Churches) Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Oberkirchenrat Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

PAC PCI PCF PDS PH

Pan Africanist Congress Partito Comunista Italiano Parti communiste franÅais Partei des Demokratischen Sozialismus Pädagogische Hochschule

418

Abkürzungen

PLO PPI Pr PT PVAP

Palestine Liberation Organization Partito Popolare Italiano Prälat Praktische Theologie Polnische Vereinigte Arbeiterpartei

RAF RDA RGW RI RIAS RSHA RUB

Rote-Armee-Fraktion Rassemblement D mocratique Africain Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe R publicains ind pentants Rundfunk im amerikanischen Sektor Reichssicherheitshauptamt Ruhr-Universität Bochum

SACEUR SALT SAP SBZ SD SDAPR SDP SDS SED SFB SHAPE Sodepax SoPaDe SPC SPD SS ST Stellv./stellv. StGB SU SWAPO

Supreme Allied Commander Europe Strategic Arms Limitation Talks Sozialistische Arbeiterpartei Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands Social Democratic Party Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sender Freies Berlin Supreme Headquarters Allied Powers Europe Soci t , D veloppement, Paix Sozialistische Partei Deutschlands Special Political and Decolonization Committee Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Systematische Theologie Stellvertreter, stellvertretender Strafgesetzbuch Sowjetunion South-West Africa People’s Organisation

TU

Technische Universität

UAEU UDSR UdSSR UN/U. N. /UNO UNCTAD

United Arab Emirates University Union d mocratique et socialiste de la R sistance Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United Nations Conference on Trade and Development

Abkürzungen

UNESCO

419

UP USA USPD u. U.

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Press United States of America Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands unter Umständen

VELKD VGH VLR Vopos VW

Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands Volksgerichtshof Vortragender Legationsrat Volkspolizisten Volkswagen

WDR WEU WP WSCF WSI

Westdeutscher Rundfunk Köln Westeuropäische Union Wahlperiode World Student Christian Federation Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut

ZDF ZK

Zweites Deutsches Fernsehen Zentralkomitee

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen Archiv für Christlich-Demokratische Politik Sankt Augustin (ACDP Sankt Augustin) Bestand I – 048: Schwarzhaupt, Elisabeth 012/1

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn (AdsD Bonn) Bestand Helmut Schmidt 1/HSAA007336

Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg (BArch)

Bestand PERS 6: Personalunterlagen von Angehörigen der Reichswehr und der Wehrmacht 6/85287

Evangelisches Zentralarchiv Berlin (EZA Berlin)

Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD (1929.01–1996.04) 272, 273, 277, 278, 433, 800, 972, 1364, 1768, 1802, 1803, 1806, 1814, 1815, 1817, 3565, 8312, 8313, 8318, 8345–8347, 8354, 8357, 8361, 8390, 8394, 8404, 8554 Bestand 81: Büro des Vorsitzenden des Rates der EKD (1945–1985) 2264 Bestand 87: Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland (1945.11–1999) 469, 587, 650, 651, 655, 657, 658, 699, 755, 826, 1079, 1087, 1277, 1278, 1279, 1612, 1755, 1938, 1939, 2308, 2314 Bestand 161: Referent der EKD für Fragen der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (1968.07–2000) 224 Bestand 686: Nachlass Helmut Gollwitzer (1908–1993) 8759 Bestand 742: Nachlass Hermann Kunst (1907–1999) 1–8, 10–14, 240, 247

Landeskirchenarchiv Magdeburg (LKA Magdeburg) Bestand Oskar Zuckschwerdt Rep. N8, Nr. 6

422

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Internetquellen

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Deutsche Nationalstiftung. . Deutscher Bundestag, WP 1, Drucksache 1/3379 vom 16. 5. 1952. . –: WP 1, Drucksache 4303. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen (8. Ausschuss) . –: WP 6, Drucksache VI/2828 vom 11. 11. 1971. < . –: WP 6, Drucksache VI 3521. Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts. . –: WP 7, Drucksache 7/3704 vom 28. 5. 1975. . Deutscher Bundestag. Historische Debatten (4): Verjährung von NS-Verbrechen. . Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes. . Erklärung von Willy Brandt zu seinem Rücktritt als Bundeskanzler. . Erlass über die Errichtung des Ostkollegs der Bundeszentrale für Heimatdienst. 28. November 1957. Bundeszentrale für politische Bildung. Spezial. Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung. . „Evangelischer Arbeitskreis (EAK)“. Konrad Adenauer Stiftung. Geschichte der CDU. . Friedenspreis. . Gedächtniskirche Maria Regina Martyrium. . Grundlagen. . Gunnar Myrdal: Prize Lecture. Lecture to the memory of Alfred Nobel, 17. 3. 1975. . 50 Jahre Eichmann-Prozess. Bundeszentrale für politische Bildung. Politik. Hintergrund aktuell. . 60 Jahre tunesische Unabhängigkeit. Bundeszentrale für politische Bildung. Politik. Hintergrund aktuell. .

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Kabinettsprotokolle. Das Bundesarchiv. Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“ online. . Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend. . Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz. Wort der deutschen Bischöfe zur seelsorgerlichen Lage nach dem Erscheinen der Enzyklika humanae vitae 30. 8. 1968. . Niederlande-Wissen. . Ökonomisch-politischer Rahmen für die Jahre 1975–1985. Friedrich-Ebert-Stiftung. Dokumente. . 31. Oktober. . § 184 StGB. . Parlamentswahlen. . Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages, WP 1–WP 8. . Rede von Willy Brandt. . SED-Führungsgremien. . The Taiwan Straits Crises 1954–55 and 1958. State Department USA, Office of the Historian: Milestones 1953–1960. . Tokio-Runde. . Ugandas Präsident weist Asiaten aus. . Umsiedlung. . Vertrag der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen mit dem Lande Niedersachsen vom 19. März 1955. . Vor 60 Jahren: Ja zum Deutschlandvertrag. Deutscher Bundestag. Dokumente. . Vor 65 Jahren: Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. . Vor 65 Jahren: Ungarischer Volksaufstand. .

Internetquellen

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Vor 40 Jahren: Willy Brandt stellt die Vertrauensfrage. In: Bundeszentrale für politische Bildung. Politik. Hintergrund aktuell. . Wladiwostok-Erklärung. .

VII. Personenregister/Biographische Angaben Das Personenregister enthält die im Text und in den Anmerkungen erwähnten historischen Personen. Ohne Biogramm genannt werden die Personen, die bereits im „Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949. Zusammengestellt und bearb. von Hannelore Braun und Gertraud Grünzinger (AKIZ A 12). Göttingen 2006“ aufgeführt sind. Abrassimow, Pjotr Andrejewitsch, Diplomat 225 geb. 16. 5. 1912 Boguschewsk (Weißrussland), gest. 16. 2. 2009 Moskau, 1950–58 Mitglied des Obersten Sowjets, 1957–61 Botschafter Warschau, 1961–86 Mitglied des ZK der KPdSU, 1962–71 Botschafter Ostberlin, 1971–73 Paris, 1972/73 zugleich Madagaskar, 1975–83 erneut Ostberlin, 1985/86 Tokio. Acheson, Dean Gooderham, Jurist und Politiker 173 geb. 11. 4. 1893 Middletown (Connecticut), gest. 12. 10. 1971 Sandy Spring (Maryland), 1949–53 Außenminister der USA. Adenauer, Konrad, Dr. h. c. mult., Jurist, Politiker 17, 19–21, 37–41, 76, 80, 82–85, 88–92, 94–96, 100 f., 103–106, 108, 111, 113 f., 116–118, 123, 125 f., 131 f., 149–152, 154–159, 161, 169 f., 172, 175, 240, 278 geb. 5. 1. 1876 Köln, gest. 19. 4. 1976 Rhöndorf, 1948/49 Präsident des Parlamentarischen Rates, 1950–66 Bundesvorsitzender der CDU, 1949–63 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, 1951–55 Bundesaußenminister. Adschubei, Alexei Iwanowitsch, Publizist, Politiker 158 geb. 10. 1. 1924 Samarkand, gest. 19. 3. 1993 Moskau, 1957–59 Chefredakteur der „Prawda“, 1959–64 der „Iswestija“, 1961–64 Mitglied des ZK der KPdSU. Ahlers, Conrad, Journalist, Politiker 150, 250 geb. 8. 11. 1922 Hamburg, gest. 18. 12. 1980 Bonn, ab 1947 Redakteur u. a. bei „Sonntagsblatt“, „Welt“, „Frankfurter Rundschau“, „Stern“, 1962 Stellv. Chefredakteur des „Spiegel“, zuletzt Intendant der „Deutschen Welle“, 1966 Stellv. Leiter des Bundespresseamtes, 1969 Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1972–80 MdB (SPD). Albrecht, Ernst, Dr. rer. pol., Ökonom, Politiker 363 geb. 29. 6. 1930 Heidelberg, gest. 13. 12. 2014 Burgdorf, 1967–70 Generaldirektor für Wettbewerb bei den Europäischen Gemeinschaften, 1971–76 Finanzdirektor der H. Bahlsen Keksfabrik KG Hannover, 1976–90 MP Niedersachsen, 1979–90 Stellv. Vorsitzender der CDU Deutschlands. Allemann, Fritz Ren , Journalist, Publizist 124 geb. 12. 3. 1910 Basel, gest. 29. 10. 1996 Kleinrinderfeld, 1960–77 Deutschland-Redaktor der Schweizer Zeitung „Die Tat“, 1960–64 Mitherausgeber von „Der Monat“.

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Personenregister/Biographische Angaben

Altmeier, Peter, Politiker 208 geb. 12. 8. 1899 Saarbrücken, gest. 28. 8. 1977 Koblenz, 1947–69 MP Rheinland-Pfalz, 1948–67 Minister für Wirtschaft und Verkehr ebd., 1949–51 Innenminister ebd. Amerongen, Otto Wolff von, Industrieller 312 geb. 6. 8. 1918 Köln, gest. 8. 3. 2007 ebd., ab 1940 Haupterbe und Teilhaber des WolffKonzerns, 1969–88 Präsident des deutschen Industrie- und Handelstages. Amin, Idi Dada, General, Diktator 265 f. geb. zwischen 1925 und 1928 West Nile (Uganda), gest. 16. 8. 2003 Dschidda (SaudiArabien), 1964–71 kommandierender General der ugandischen Armee, 1971 Anführer des Militärputsches gegen Präsident Milton Obote, 1971–79 Diktator von Uganda, 1979 entmachtet durch Truppen aus Tansania und ugandischer Exilarmee. Andropow, Jurij Wladimirowitsch, Politiker 372–374 geb. 15. 6. 1914 Nagutskaja (Nordkaukasus), gest. 9. 2. 1984 Moskau, 1954–57 Botschafter der SU in Ungarn, 1950–62 Deputierter des Obersten Sowjets, 1961 Mitglied des ZK der KPdSU, 1962 Sekretär ebd., 1967–82 Chef des KGB, 1982–84 Generalsekretär des ZK der KPdSU, 1983 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets. Arafat, Jassir, Politiker 343 geb. 24. 8. 1929 Kairo (Ägypten), gest. 11. 11. 2004 Clamart (Frankreich), 1957 Mitbegründer der Terrororganisation zur Befreiung Palästinas, „el Fatah“, ab 1968 deren Vorsitzender, ab 1969 Vorsitzender der PLO, 1994 Friedensnobelpreis, 1996–2004 erster Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete. Arendt, Walter, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 209, 312, 390 geb. 17. 1. 1925 Heessen, gest. 7. 3. 2005 Bornheim, 1961–69 MdEP, 1961–80 MdB (SPD), 1964–69 Vorsitzender der IGBCE, 1967–69 Präsident des internationalen Bergarbeiterverbandes, 1969–76 BM für Arbeit und Sozialordnung, 1977–80 Stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag. Arndt, Adolf, Dr. jur., Jurist, Politiker 77, 201 geb. 12. 3. 1904 Königsberg, gest. 13. 2. 1974 Kassel, bis 1933 Landrichter Berlin, 1933–44 Rechtsanwalt ebd., 1944 als „Halbjude“ für „wehrunwürdig“ befunden und zu einem Bau-Bataillon eingezogen, 1945 Oberstaatsanwalt Marburg/Lahn, 1945–49 Ministerialrat im Hessischen Justizministerium, 1948/49 Vorsitzender des Rechtsausschusses im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, 1949–63 MdB (SPD), 1963/64 Senator für Kunst und Wissenschaft Berlin. Arnold, Karl, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 87, 90, 101 geb. 21. 3. 1901 Herrlishöfen, gest. 29.6. 1958 Düsseldorf, 1944 verhaftet im Kontext des 20. Juli 1944, 1945/46 Mitbegründer der CDU und OB Düsseldorf, 1946 Stellv. MP NRW, 1946–58 MdL (CDU) NRW, 1947–56 MP NRW, 1956 Rücktritt vom Amt des MP nach Misstrauensvotum von SPD, FDP und Zentrum, 1957/58 MdB (CDU). Athenagoras, Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche 143 geb. 25. 3. 1886 Mokorou, gest. 7. 7. 1972 Istanbul, 1924–30 Bischof von Korfu und Paxos, 1930–48 Erzbischof der griechisch-orthodoxen Kirche in ganz Nord- und Südamerika, 1948–72 Patriarch von Konstantinopel. Augstein, Rudolf, Dr. h. c. mult., Journalist, Publizist, Verleger 150, 194 geb. 5. 11. 1923 Hannover, gest. 7. 11. 2002 Hamburg, ab 1947 Herausgeber und Chefredakteur von „Der Spiegel“, 1972/73 MdB (FDP).

Personenregister/Biographische Angaben

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Augustinos, Andreas Kantiotis, Bischof der griechisch-orthodoxen Kirche 348 geb. 20. 4. 1907 Piso Livadi, Paros, gest. 28. 8. 2010 Florina, 1947–50 Militärpfarrer und Prediger bei der griechischen Armee, 1951 erster Prediger der Metropolie Athen, 1967 Bischof von Florina, Prespa und Eordaia. Bäumer, Hans Otto, Jurist, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 319 geb. 26. 12. 1926 Velbert, gest. 24. 11. 1998 Düsseldorf, 1962–67 MdL (SPD) NRW, 1967–75 Regierungspräsident der Bezirksregierung Düsseldorf, 1975–85 MdL (SPD) NRW, 1978/79 Stellv. Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von NRW. Bahr, Egon, Journalist, Politiker 41, 47, 51, 217, 237, 239–241, 259, 272, 274, 298, 300 f., 307, 330 f. geb. 18. 2. 1922 Treffurt, gest. 19. 8. 2015 Berlin, 1950–60 Kommentator beim US-Sender RIAS Berlin, 1953/54 dessen Chefredakteur, 1960–66 Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, 1966 Sonderbotschafter beim AA, 1967 Leiter des Planungsstabes ebd., 1969 Staatssekretär beim Bundeskanzleramt, Bundesbevollmächtigter für Berlin, 1972–90 MdB (SPD), 1972 BM für besondere Aufgaben, 1974 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1984–94 Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg. Ball, Georg Wildman, Dr. of laws h. c., Politiker 95, 174 geb. 21. 12. 1909 Des Moines (Iowa), gest. 26. 5. 1994 New York City, 1961 Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, 1961–66 Stellv. von Außenminister Dean Rusk, 1968 US-Botschafter bei der UN. Bangemann, Martin, Dr. jur. Dr. h. c., Jurist, Politiker 411 geb. 15. 11. 1934 Wanzleben, gest. 28. 6. 2022 Saint-Vincent-la Chatre, 1972–80 MdB (FDP), 1973–83 MdEP, 1974/75 Generalsekretär der FDP, 1975–79 Stellv. Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, 1984–88 BM für Wirtschaft, 1989–99 Vizepräsident der Kommission der EU. Barth, Karl Dr. theol. h. c. mult., Theologe 162 f. geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 ebd. [Personenlexikon, 27] Bartsch, Karl-Heinz, Dr. agr., Agrarwissenschaftler, Politiker 155 geb. 25. 11. 1923 Löblau, gest. 19. 7. 2003 Halle, 1961–1963 Direktor des Instituts für Tierzüchtung und Haustiergenetik an der HU-Berlin, 1962/63 Stellv. Minister für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft der DDR, 1963 Mitglied des ZK der SED, wegen verschwiegener Mitgliedschaft in der Waffen-SS Ausschluss aus dem ZK und der SED sowie Enthebung aus dem Amt des Stellv. Ministers. Barzel, Rainer, Dr. jur., Jurist, Politiker 29 f., 173, 197, 235, 238, 243–245, 247, 249, 263, 265, 276, 278, 335 geb. 20. 6. 1924 Braunsberg, gest. 26. 8. 2006 München, 1957–87 MdB (CDU), 1962/63 BM für gesamtdeutsche Fragen, 1964–73 Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion, 1971–73 CDU-Vorsitzender, 1982/83 BM für innerdeutsche Beziehungen, 1983/84 Präsident des Deutschen Bundestages. Bauer, Fritz, Dr. jur., Jurist geb. 16. 7. 1903 Stuttgart, gest. 30. 6. 1968 Frankfurt/M., 1933 Entlassung aus dem Richteramt, 1936 Emigration nach Dänemark, 1943 Flucht nach Schweden, aktiv bei der Sopade Stockholm, 1950–56 Generalstaatsanwalt beim OLG Braunschweig, ab 1954

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Personenregister/Biographische Angaben

Mitherausgeber der SPD-Zeitschrift Die Neue Gesellschaft, ab 1956 Hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt/M. Bauer, Walter, Dr. rer. pol., Unternehmer 42, 128 f. geb. 6. 11. 1902 Heilbronn, gest. 1. 11. 1968 Fulda, 1938–68 selbständiger Unternehmer, 1946–68 Mitglied der EKD-Synode, 1948 Mitglied der Kirchenversammlung Eisenach und Stellv. Delegierter der EKD auf der Weltkirchenkonferenz Amsterdam, 1949–51 und 1956/57 Mitglied des Verwaltungsrates des Hilfswerks der EKD, 1957–68 der Diakonischen Konferenz und des Diakonischen Rates der EKD. Bea, Augustin, Kurienkardinal 142–144 geb. 28. 5. 1881 Riedböhringen, gest. 16. 11. 1968 Rom, Kurienkardinal, Leiter des „Sekretariats für die Einheit der Christen“ in der römischen Kurie. Becker, Hellmut, Dr. jur. h. c., Jurist, Politiker 146, 162 f. geb. 17. 5. 1913 Hamburg, gest. 16. 12. 1993 Berlin, 1947–49 Verteidiger in den Nürnberger Prozessen, 1956–74 Präsident des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, 1962 Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Berlin, 1963 Honorarprof. für Soziologie des Bildungswesens an der FU Berlin, 1966–75 Mitglied des Deutschen Bildungsrates. Beckmann, Joachim, Dr. phil. Lic. theol. D., Theologe 145, 181, 202, 211 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf [Personenlexikon, 31] Behringhausen 304 Bell, George Kennedy Allen, Theologe 150, 160, 235, 396 geb. 4. 2. 1883 Hayling Island Hampshire, gest. 3. 10. 1958 Canterbury, 1914 Privatsekretär des Erzbischofs von Canterbury und Sonderreferent für internationale und interkonfessionelle Beziehungen, 1925 Dompropst von Canterbury, 1925 Mitinitiator des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum Stockholm, 1929–57 Bischof von Chichester, 1948–55 Vorsitzender des Zentralausschusses des ÖRK. Benda, Ernst, Dr. jur. h. c., Jurist und Politiker 172, 185, 189 geb. 15. 1. 1925 Berlin, gest. 2. 3. 2009 Karlsruhe, 1955–57 Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin (CDU), ab 1957 MdB (CDU), 1967 Parl. Staatssekretär, 1968/69 Bundesinnenminister, 1971–83 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ab 1978 Honorarprof. für Rechtswissenschaft Trier, ab 1984 o. Prof. Freiburg, 1994/95 Präsident des Ev. Kirchentages. Bengsch, Alfred, Dr. theol., Theologe 254 geb. 10. 9. 1921 Berlin-Schöneberg, gest. 13. 12. 1979 Ostberlin, 1959 Weihbischof in Berlin mit Sitz in Ost-Berlin, 1961 Bischof von Berlin, 1962 Erzbischof, 1962–65 Teilnahme am II. Vatikanischen Konzil, 1967 Kardinalpriester im römischen Kardinalkollegium, 1976 Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz. Ben-Nathan, Asher, Diplomat 187 geb. 15. 2. 1921 Wien, gest. 17. 6. 2014 Tel Aviv-Jaffa, 1938 Emigration nach Palästina, 1957–63 leitende Positionen im israelischen Verteidigungsministerium, 1965–70 erster Botschafter Israels in der Bundesrepublik Deutschland, 1970–75 Frankreich, Vorsitzender der Israelisch-Deutschen Gesellschaft. Bereschkow, Walentin Michaelowitsch, Diplomat, Journalist 241 geb. 2. 7. 1916 Petrograd, gest. 21. 11. 1998 Claremont (Kalifornien), 1940 sowjetischer Diplomat Berlin, 1941–45 Dolmetscher Stalins, danach Arbeit als Journalist und Autor,

Personenregister/Biographische Angaben

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in den 1970er Jahren Erster Botschaftssekretär der sowjetischen Botschaft Washington, D. C., 1983 Rückkehr nach Moskau, 1991 Lehre am Occidental College Los Angeles. Bertsch, Herbert, Prof. Dr. phil., Journalist, Politiker 223 geb. 21. 7. 1929 Lyck, 1951–54 Redakteur der „Sächsischen Zeitung“ Dresden, 1955 Dozent am Journalistischen Institut Leipzig, 1956–58 Gründungsredakteur der Zeitschrift „Deutsche Außenpolitik“, 1960–65 Leiter der Abteilung Forschung und Stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Zeitgeschichte Ostberlin, 1966–69 Stellv. Leiter des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, ab 1971 Hauptabteilungsleiter im Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) Ostberlin, ab 1981–90 Prof. für Außenpolitik und Internationale Beziehungen am IPW, nach dessen Auflösung 1990 i. R. Beuster, Heinz, V–Mann des BND 165 geb. 1928, Oberleutnant der Volkspolizei der DDR Bernburg an der Saale, 1961 wegen Spionage für den BND zum Tode verurteilt, 1962 Umwandlung der Todesstrafe in eine 15jährige Freiheitsstrafe, 1964 vor dem Hintergrund des Agentenaustausches zusammen mit seiner Frau aus der Haft entlassen, jedoch freiwilliger Verbleib in Bernburg, 1989 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Bidault, Georges, Politiker 83 geb. 5. 10. 1899 Moulins, gest. 27. 1. 1983 Cambo-les-Bains, 1944–46 Außenminister der Provisorischen Regierung Frankreichs, 1946 Präsident ebd., 1947/48 und 1953/54 Außenminister Frankreich, 1949/50 MP ebd., 1950/51 Vizeministerpräsident ebd., 1960 aktiv im militärischen Widerstand gegen die französische Dekolonisationspolitik in Algerien, 1962 Aufhebung seiner Immunität durch die Nationalversammlung, 1962–68 Exil Brasilien und Belgien, 1968 Amnestie und Rückkehr nach Frankreich. Biedenkopf, Kurt, Dr. jur., Dr. h. c. mult., Jurist, Hochschullehrer, Politiker 385, 411 geb. 28. 1. 1930 Ludwigshafen am Rhein, gest. 12. 8. 2021 Dresden, 1964–70 Prof. für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der RUB Bochum, 1967–69 Rektor ebd., 1971–73 Geschäftsführer der Henkel GmbH Düsseldorf, 1973–77 Generalsekretär der CDU, 1976–80, 1987–90 MdB (CDU), 1980–88 MdL (CDU) NRW, 1990–2004 MdL (CDU) Sachsen, 1990 Gastprof. für Wirtschaftspolitik Leipzig, 1990–2002 MP Sachsen. Birrenbach, Kurt, Dr. jur., Jurist, Politiker 239 geb. 2. 7. 1907 Arnsberg, gest. 26. 12. 1987 Düsseldorf, 1951–54 Stellv. Geschäftsführer der Deutschen Stahlunion Düsseldorf, 1955–81 Mitglied im Aufsichtsrat der AugustThyssen-Hütte AG, 1962–73 Vorsitzender ebd., 1957–76 MdB (CDU), 1957–61 Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, ab 1958 des Europäischen Parlaments, 1965 Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel, 1973–81 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Bismarck, Klaus von, Dr. theol. h. c., Journalist 146, 162 geb. 6. 3. 1912 Jarchlin, gest. 22. 5. 1997 Hamburg, 1950–55 Mitglied des Präsidiums des DEKT, 1961 Mitunterzeichner des Tübinger Memorandums. 1977–79 Präsident des DEKT, 1961–76 Intendant des WDR, 1977–89 Präsident des Goethe Instituts München. Bismarck, Philipp von, Dr. rer. pol., Politiker 411 19. 8. 1913 Jarchlin, gest. 20. 7. 2006 Obernholz, ab 1960 ordentliches Mitglied der KaliChemie Hannover, 1968–78 Beisitzer im Bundesvorstand des EAK, 1969–79 MdB

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Personenregister/Biographische Angaben

(CDU), ab 1970 Vorsitzender des Wirtschaftsrates der CDU, Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft, 1978–89 MdEP. Blank, Theodor, Politiker 17, 170 geb. 19. 9. 1905 Elz, gest. 14. 5. 1972 Bonn, 1945 Mitbegründer des DGB und der CDU in Westfalen, 1947–49 MdL (CDU) NRW, 1949–72 MdB (CDU), 1950 Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen („Amt Blank“), 1955/56 Bundesverteidigungsminister, 1957–65 BM für Arbeit und Soziales. Bloch, Jochanan (Joachim), Rechtsanwalt, Philosoph 314 f. geb. 17. 3. 1919 Berlin, gest. 26. 2. 1979 Thailand, 1933 Emigration nach Palästina, 1943 46 Rechtsanwalt Tel-Aviv, 1956 61 Philosophiestudium Heidelberg und Westberlin, 1957/58 Mitbegründer der „Deutsch-Israelischen Studiengruppen“ an der FU und KiHo Berlin, ab 1961 Dozent für Sozialwissenschaften Beer-Sheva (Israel), ab 1969 Prof. für jüdische Geistesgeschichte ebd. Bodelschwingh, Friedrich von (der Jüngere), Dr. theol. h. c., Theologe 183 geb. 14. 8. 1877 Bethel, gest. 4. 1. 1946 ebd. [Personenlexikon, 39] Böhler, Wilhelm Johannes, Kirchendiplomat 17, 25 f. geb. 18. 11. 1891 Winterich, gest. 25. 7. 1958 Köln, 1920 Generalsekretär der Katholischen Schulorganisation Deutschlands, 1935 Pfarrer in Essen, 1938 „Schutzhaft“, 1945 Domkapitular des Erzbistums Köln, 1948 Päpstlicher Hausprälat, 1951–58 Leiter des Katholischen Büros, 1952 Apostolischer Protonotar. Böhm, Franz, Dr. jur., Dr. rer. pol. h. c. und LL. D. h. c., Jurist, Hochschullehrer, Politiker 138 geb. 16. 2. 1895 Konstanz, gest. 26. 9. 1977 Rockenberg, 1945/46 Kultusminister Hessen, o. Prof. Frankfurt/M., 1952 Leiter der deutschen Delegation bei den Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel und den jüdischen Verbänden, 1953–65 MdB (CDU). Bölling, Klaus, Journalist, Politiker, Publizist 375 geb. 29. 8. 1928 Potsdam, gest. 1. 11. 2014 Berlin, Redakteur beim „Tagesspiegel“, RIAS, SFB, Korrespondent bei ARD und WDR, Chefredakteur beim NDR, 1969–73 AmerikaKorrespondent beim Deutschen Fernsehen, Studioleitung Washington, D. C., 1974–80 und 1982 Regierungssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1981/82 Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR, danach tätig als Publizist. Bonhoeffer, Dietrich, Lic. theol., Theologe 150 geb. 4. 2. 1906 Breslau, gest. 9. 4. 1945 (hingerichtet) KZ Flossenbürg [Personenlexikon, 41] Brandt, Willy, Journalist, Politiker 17, 22–25, 31, 33 f., 41, 47–51, 58 f., 71 f., 90, 111, 118, 123, 125, 134, 149, 172, 176, 192, 205, 209, 215, 217, 223 f., 227, 230, 233 f., 236–240, 244 f., 250–252, 254, 258, 262 f., 265, 275 f., 278, 280 f., 288, 296, 301, 305, 307, 311, 313, 317–321, 323, 326 f., 335 f., 346 f., 363 f., 367, 382–384, 386, 389, 399 geb. 18. 12. 1913 Lübeck (als Herbert Ernst Karl Frahm), gest. 8. 10. 1992 Unkel, 1933 Emigration nach Norwegen, 1940 Flucht nach Schweden, Kontakte zu Widerstandsgruppen in Deutschland, 1945 Korrespondent für skandinavische Zeitungen in Deutschland, 1949–57, 1961, 1969–92 MdB (SPD), 1951–66 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, 1955–57 dessen Präsident, 1957–66 Regierender Bürgermeister von

Personenregister/Biographische Angaben

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Berlin, 1964–87 SPD-Vorsitzender, 1966–69 BM des Auswärtigen, 1969–74 Bundeskanzler, 1971 Friedensnobelpreis, 1976–92 Präsident der Sozialistischen Internationale. Brentano Di Tremezzo, Heinrich von, Dr. jur., Jurist, Politiker 87, 113, 117, 156 geb. 20. 6. 1904 Offenbach, gest. 14. 11. 1964 Darmstadt, Mitbegründer der CDU Hessen, 1946–49 MdL (CDU) Hessen, 1947–49 Fraktionsvorsitzender ebd., 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–64 MdB (CDU), 1949–55, 1961–64 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1950–55 Vizepräsident der Beratenden Versammlung des Europarates, 1952–55 Mitglied der Gemeinsamen Versammlung Montanunion, 1955–61 BM des Auswärtigen. Breschnew, Leonid, Politiker 51, 235–238, 250, 274 f., 297, 306, 318, 321, 334, 342, 344 f., 373, 396, 407 geb. 19. 12. 1906 Dnjeprodsershinsk, gest. 10. 11. 1982 Moskau, 1952–82 Mitglied des ZK der KPdSU, 1953/54 Chef der Politverwaltung des Kriegsmarineministeriums der SU, 1954 Deputierter des Obersten Sowjets der SU, 1964–82 Generalsekretär der KPdSU, 1977–82 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets. Brück, Alwin, Journalist, Politiker 308 geb. 23. 9. 1931 Holz, gest. 14. 2. 2020 Heusweiler, 1951–65 u. a. Stellv. Chefredakteur bei der „Saarbrücker Allgemeinen Zeitung“, ab 1960 im SPD-Landesvorstand Saarland, 1960–73 Gemeinderatsmitglied Holz, 1965–90 MdB (SPD), 1974–82 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Brunner, Guido, Dr. jur., Diplomat, Politiker 22, 296 geb. 27. 5. 1930 Madrid, gest. 2. 12. 1997 ebd., ab 1955 diplomatisch tätig im Auswärtigen Dienst, Liverpool, Madrid und bei der UN New York, 1970 Pressesprecher des AA, 1973/74 Leitung der Delegation der Bundesrepublik bei der KSZE, 1974–80 EG-Kommissar für Wissenschaft, Bildung und Technologie, ab 1977 auch Energie, 1980/81 MdB (FDP), 1981 Bürgermeister und Senator für Wirtschaft und Verkehr Berlin, 1982 Botschafter Madrid, ab 1992 Geschäftsmann ebd. Bucerius, Gerd, Dr. jur., Jurist, Verleger, Politiker 122 geb. 19. 5. 1906 Hamm, 29. 9. 1995 Hamburg, Richter Kiel und Flensburg, Rechtsanwalt Hamburg, 1946 Mitglied der Bürgerschaft und Bausenator Hamburg, Mitbegründer und seitdem Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, ab 1949 Anteilseigner der Illustrierten „Der Stern“, 1948/49 Mitglied des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1949–62 MdB (CDU), 1952–57 Bundesbeauftragter für die Förderung der Berliner Wirtschaft. Bürckstümmer, Hermann Wilhelm, Pfarrer 282 geb. 23. 7. 1911 Binzwangen, gest. 8. 12. 1985, 1940 Pfarrer Mühldorf, 1945 Pfarrer beim Landesverein für Innere Mission Nürnberg, 1947 Brüderpfarrer der Diakonenanstalt Rummelsberg, 1953–67 Rektor ebd., ab 1957 Präsident der Inneren Mission in Bayern, 1967–79 OKR, Kreisdekan und Regionalbischof im Kirchenkreis Regensburg, Mitglied der Bischofskonferenz der VELKD. Bukowski, Wladimir Konstatinowitsch, Politiker, Dissident 408 geb. 30. 12. 1942 Blebei, gest. 27. 10. 2019 Cambridge, 1963–66 zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt Leningrad, 1967–70 Lagerhaft, 1972–76 Verurteilung und erneute Haft, 1976 nach Gefangenenaustausch Aussiedlung nach

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Personenregister/Biographische Angaben

Großbritannien, 2008 Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen der Russischen Föderation. Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch, Politiker 99, 108 f. geb. 11. 6. 1895 Nizhny Novgorod, gest. 24. 2. 1975 Moskau, ab 1937 Mitglied des ZK der KPdSU, 1944–46 stellv. Verteidigungsminister und Mitglied des Verteidigungskomitees, 1947–49 und 1952–55 erster Stellv., dann Vorsitzender des Ministerrates sowie Verteidigungsminister der SU, 1948–58 Mitglied des Politbüros, ab 1952 des Präsidiums des ZK der KPdSU, 1955–58 MP, 1958 Präsident der Staatsbank, 1961 Ausschluss aus dem ZK der KPdSU. Bultmann, Rudolf, Lic. theol. Dr. theol. h. c. mult., Theologe 163 geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede, gest. 30. 7. 1976 Marburg [Personenlexikon, 48] Burghardt, Kornelius, Theologe 61 geb. 17. 10. 1944 Eschwege, 1974 nach dem 2. Theologischen Examen bei der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin) nicht übernommen, Verhaftung im Zusammenhang mit dem Mord an dem Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann, 1975/76 Hilfsprediger bei den Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, 1976–78 Fraternal Minister in der Church of England, 1978 fristlos entlassen, 1979/80 unbekannt verzogen, 1994 Gabarone (Botswana). Campenhausen, Axel Freiherr von, Dr. jur., Dr. theol. h. c., Dr. jur. utr. h. c., Hochschullehrer 328 geb. 23. 1. 1943 Göttingen, 1969–79 Prof. für öffentliches Recht und Kirchenrecht München, 1969–2008 Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland Göttingen. Canterbury (s. Ramsey, Arthur Michael) 143 Carstens, Karl, Dr. jur., Universitätsprofessor, Politiker 154 geb. 14. 12. 1914 Bremen, gest. 30. 5. 1992 Meckenheim, 1949–54 Bevollmächtigter Bremens beim Bund, 1952 Privatdozent für Staats- und Völkerrecht Köln, 1960 o. Prof. ebd., 1954/55 Leiter der Politischen Abteilung des AA Bonn, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik beim Europarat, 1972–79 MdB (CDU), 1973–76 Fraktionsvorsitzender der CDU im Deutschen Bundestag, 1976–79 Präsident des Deutschen Bundestages, 1979–84 Bundespräsident. Carter, James Earl Jr. (Jimmy), Marineoffizier, Erdnussfarmer, US-Präsident 408 geb. 1. 10. 1924 Plains (Georgia), 1962–66 Sitz im Senat von Georgia, 1970–75 Gouverneur ebd., 1977–81 Präsident USA, später internationaler Krisenmanager, 2002 Friedensnobelpreis. Casaroli, Agostino, Kirchendiplomat 349 geb. 24. 11. 1914 Castel Giovanni/Piacenza, gest. 9. 6. 1998 Rom, 1967 Präfekt der Hl. Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten der Kirche (ab 1968 Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche) Vatikan, Bischofsweihe und Titularbischof von Karthago, 1979 Kardinalstaatssekretär, 1985 Kardinalbischof von Porto und Santa Rufina. Chian Kai-Shek (auch Tschiang Kai-Schek), Politiker 95 geb. 31. 10. 1887 Jiang Zhonzheng, gest. 5. 4. 1975 Taipeh, 1925 Führer der Kuomintang (Nationale Volkspartei Chinas), 1927–49 Gegenspieler Mao Zedongs im Chinesischen Bürgerkrieg, 1949–75 Präsident der „Republik China“ (Taiwan).

Personenregister/Biographische Angaben

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Chichester (s. Bell, George Kennedy Allen) 150 Christians, Clemens, Verbandsfunktionär 358 geb. 11. 10. 1923 Paderborn, gest. 5. 8. 1998 Hamm, 1966–70 Vorsitzender des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen, 1969–84 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1970–87 Schulleiter des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Hamm. Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch, Politiker 99, 117, 119, 123, 126, 128, 130 f., 140, 148, 158, 161 geb. 17. 4. 1894 Kalinowlca, gest. 11. 9. 1971 Moskau, 1939–64 Mitglied des Politbüros der KPdSU, 1949 Sekretär des ZK der KPdSU, 1953–64 Erster Sekretär des ZK der KPdSU, 1958–64 MP der Sowjetunion. Churchill, Winston, Politiker 85 geb. 30. 11. 1874 Woodstock, gest. 24. 1. 1965 London, 1906 Unterstaatssekretär für die Kolonien, 1908–10 Handelsminister, 1915 Offizier, 1916 Abgeordneter im Parlament, 1917/18 Munitionsminister, 1918–21 Kriegs- und Luftfahrtminister, 1921/22 Kolonialminister, 1940–45 Premier- und Verteidigungsminister, 1951–55 erneut Premierminister. Cillien, Adolf, Theologe, Politiker 135 geb. 23. 4. 1893 Volksberg, gest. 29.4. 1960 Hannover [Personenlexikon, 51] Class, Helmut, ev. Landesbischof und Ratsvorsitzender 17, 23, 55 f., 303 geb. 1. 7. 1913 Geislingen-Altenstadt, gest. 4. 11. 1998 Nagold-Prondorf, 1939–48 Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft, 1948/49 Jugendpfarrer Heilbronn, 1949/50 Landesjugendpfarrer Württemberg, 1959–67 Leitender Pfarrer der Ev. DiakonieSchwesternschaft Herrenberg, 1968/69 Prälat Stuttgart, 1969–79 Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg, 1972–79 Ratsvorsitzender der EKD. Clay, Lucius Dubignon, General 109 geb. 23. 4. 1898 Marietta (Georgia), gest. 16. 4. 1978 Chatham (Massachusetts), 1947–49 Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland und Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa, 1950–62 Tätigkeiten in der Privatwirtschaft, 1961/62 persönlicher Sonderbeauftragter von Präsident Kennedy für Berlin-Fragen. Colombo, Emilio Ricardo, Politiker 317 geb. 11. 4. 1920 Potenza, gest. 24. 6. 2013 Rom, in den 1950er Jahren zahlreiche Ministerämter, 1970–72 italienischer Regierungschef, anschließend weitere Ministerämter, 1977–79 Präsident des Europäischen Parlaments. Czaja, Helmut Herbert, Dr., Politiker 233 geb. 5. 11. 1914 Teschen, gest. 18. 4. 1997 Stuttgart, 1946 Mitgründer der Union der Heimatvertriebenen in der CDU, 1952 deren Vorsitzender, 1947–53 Stadtrat Stuttgart (CDU), ab 1948 Mitglied des ZK der deutschen Katholiken, 1953–90 MdB (CDU), ab 1964 Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Oberschlesier, 1969–95 deren Sprecher, 1970–94 Präsident des Bundes der Vertriebenen. Dannenmann, Arnold, Pfarrer 231 geb. 4. 1. 1907 Faurndau, gest. 1. 3. 1993 Murnau [Personenlexikon, 55] Dehler, Thomas Dr. jur., Jurist, Politiker 33, 80 f., 114 geb. 14. 12. 1897 Lichtenfels, gest. 21. 7. 1967 Streitberg, 1945–47 Generalstaatsanwalt

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Personenregister/Biographische Angaben

Bamberg, 1946 Mitglied der Verfassungsgebenden Landesversammlung Bayern (FDP), 1946/47 Generalankläger am Kassationshof beim bayerischen Ministerium für politische Befreiung, 1946–49 MdL (FDP) Bayern, 1946–56 Vorsitzender der FDP Bayern, 1947–49 Präsident des OLG Bamberg, 1948/49 MdPR, 1949–67 MdB (FDP), 1949–53 BM der Justiz, 1953–57 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, 1954–57 Bundesvorsitzender der FDP, 1960–67 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Dehn, Günther Carl, Prof. Dr. theol. h. c., Theologe, Hochschullehrer 180 geb. 18. 4. 1882 Schwerin, gest. 17. 3. 1970 Bonn, 1907–31 Pfarrer Berlin, 1931 o. Prof. für Praktische Theologie Halle, 1933 Amtsenthebung, danach theologischer Referent der BK, 1937–41 Lehre an der KiHo Berlin, 1941/42 Gestapo-Haft, 1946–54 o. Prof. für Praktische Theologie Bonn. De Mazi re, Ulrich, General 200 geb. 24. 2. 1912 Stade, gest. 26. 8. 2006 Bonn, 1930–45 Berufssoldat, 1945–47 Gefangenschaft, 1947–51 Ausbildung als Buch- und Musikalienhändler, 1951–72 tätig für die „Dienststelle Blank“, ab 1955 für das Bundesverteidigungsministerium, 1960–62 Leiter der Schule für Innere Führung Koblenz, 1962–64 Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg, 1964–66 Inspekteur des Heeres, 1966–72 Generalinspekteur der Bundeswehr. Dibelius, Otto, Dr. phil. Lic. theol. D., Theologe 17 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 ebd. [Personenlexikon, 58] Dibelius, Otto jr., Jurist 186 geb. 26. 8. 1908 Crossen, gest. 7. 7. 1994 Bonn, 1933 Gerichtsreferendar, 1937–45 Verwaltungsbeamter bei der Kriegsmarine, 1945 Kriegsgefangenschaft, danach Sachbearbeiter im Ev. Hilfswerk Westfalen, ab 1947 beim Hilfswerk für die Deutschen aus Ostpreußen, 1948 juristischer Hilfsreferent der Kirchenkanzlei der EKD, 1950–74 OKR ebd. Dietzfelbinger, Hermann, Dr. theol. h. c. D.D., Theologe 17, 28, 59, 142, 189, 197 f. geb. 14. 7. 1908 Ermershausen, gest. 14. 11. 1984 München, 1953 Rektor Diakonissenanstalt Neuendettelsau, 1955–75 bayerischer Landesbischof, 1967–73 Vorsitzender des Rates der EKD. Dirks, Walter, Publizist, Journalist 195 geb. 8. 1. 1901 Hörde, gest. 30. 5. 1991 Wittnau, 1928–33 Redakteur der Zeitschrift des Friedensbundes der Deutschen Katholiken, „Friedenskämpfer“, 1933 mehrwöchige Schutzhaft, 1934–43 Redakteur der „Frankfurter Zeitung“, 1946 Gründer (mit Eugen Kogon) der Monatsschrift „Frankfurter Hefte“, 1953–56 tätig am Institut für Sozialforschung Frankfurt/M., Herausgeber (mit Theodor W. Adorno) der „Frankfurter Beiträge zur Soziologie“, 1956–66 Leiter der Hauptabteilung Kultur beim WDR. Dobrosielski, Marian, Dr. phil., Hochschullehrer, Philosoph, Diplomat 362 f. geb. 25. 3. 1923 Czernowitz, gest. 1. 2. 2022, 1958–64 Botschaftsrat an der polnischen Botschaft Washington, D. C., 1966–69 und 1975 Prof. für Philosophie Warschau, 1969–72 polnischer Botschafter London, 1972–80 Direktor des Polnischen Instituts für Auswärtige Angelegenheiten, 1973–75 Leiter der Polnischen Delegation bei der KSZE, sowie 1977/78 der Belgrader Nachfolgekonferenz. Dobrynin, Anatolij Fedorowitsch, Diplomat 276 geb. 16. 11. 1919 Krasnaia Gorka, gest. 6. 4. 2010 Moskau, 1952–55 Botschaftsrat der

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sowjetischen Botschaft Washington, D. C., 1955–59 tätig im Außenministerium der SU, 1957–60 tätig beim Sekretariat der UN, 1960–62 Leiter der Amerika-Abteilung im Außenministerium der SU, 1962–86 Botschafter der SU Washington, D. C., 1966–71 Kandidat, ab 1971 Mitglied des ZK der KPdSU, 1986 Leiter der Internationalen Abteilung ebd. und Berater Gorbatschows. Döpfner, Julius, Dr. theol., D. mult., Theologe, Bischof 27 f., 59, 89, 179, 186, 206, 254, 256 geb. 26. 8. 1913 Hausen, gest. 24. 7. 1976 München, 1948–57 Bischof von Würzburg, 1957–61 Bischof von Berlin, ab 1958 Kardinal, 1961–76 Erzbischof von München und Freising, ab 1961 Vorsitzender der Bayerischen, ab 1965 der Fuldaer Bischofskonferenz. Dohnanyi, Klaus von, Dr. jur., Jurist, Politiker 209, 292 f. geb. 23. 6. 1928 Hamburg, 1960–68 Geschäftsführender Gesellschafter beim Marktforschungsinstitut Infratest, 1968/69 Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1969–72 parlamentarischer Staatssekretär ebd., 1972–74 BM ebd., 1969–81 MdB (SPD), 1976–81 Staatsminister im AA, 1981–88 Erster Bürgermeister Hamburg, 1982–88 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, danach Tätigkeit als Publizist und in der Industrie. Dollinger, Werner, Dr. rer. pol., Unternehmer, Politiker 411 geb. 10. 10. 1918 Neustadt/Aisch, gest. 3. 1. 2008 ebd., Mitbegründer der CSU, 1946–64 Stadtrat in Neustadt/Aisch, 1953–90 MdB (CSU), 1956–58 Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, 1957–61 Stellv., 1961/62 Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, 1964–87 Stellv. CSU-Vorsitzender, 1962–66 Bundesschatzminister, 1966 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1966–69 BM für das Post- und Fernmeldewesen, 1971–91 Mitglied der Synode der EKD, 1975–93 Landesvorsitzender des EAK Bayern der CSU und Stellv. Bundesvorsitzender des EAK, 1982–87 BM für Verkehr. Douglas-Home, Alexander Frederick (Alec), Baron Home of the Hirsel, Politiker 237, 297 geb. 2. 7. 1903 Mayfair/London, gest. 9. 10. 1995 Berwickshire, 1957–60 Führer des Oberhauses, 1960–63 Außenminister, 1963/64 Premierminister, 1963–65 Vorsitzender der Konservativen Partei, 1970–74 Außenminister. Drenkmann, Günter von, Jurist 61 geb. 9. 11. 1910 Berlin, gest. (ermordet) 10. 11. 1974 ebd., nach 1945 Justiziar beim Berliner Rundfunk, Mitwirkung in zahlreichen Wiedergutmachungsprozessen, 1947–67 Richter am Kammergericht Berlin, 1967–74 Kammergerichtspräsident ebd., 1974 Ermordung durch die Terrorgruppe 2. Juni. Dubcˇek, Alexander, Dr. h. c. mult., Politiker 347 geb. 27. 11. 1921 Uhrovec, gest. 7. 11. 1992 Bratislava, 1958 ZK-Mitglied der Slowakischen KP, Kandidat des Politbüros der Partei, Parteichef von Bratislava, ZK Mitglied ˇ Prag, 1968 Erster Sekretär des ZK der KSC ˇ , verantwortlich für liberale Reder KSC formen im Sozialismus, entmachtet nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes, 1970–86 Aufseher eines Fuhrparks Bratislava, 1989 Rehabilitierung, Präsident des Bundesparlamentes, 1992 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei der Slowakei. Dufhues, Josef Hermann, Jurist, Politiker 121, 150 geb. 11. 4. 1908 Castrop-Rauxel, gest. 26. 3. 1971 Rheinhausen, 1945/46 Richter am Landgericht Bochum, Rechtsanwalt ebd., ab 1951 Notar, 1946/47 und 1950–71 MdL (CDU) NRW, 1948/49 Stellv. MdPR, 1946–50 Mitbegründer und Vorsitzender der JU

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Westfalen, 1949/50 deren Bundesvorsitzender, 1955–71 WDR-Verwaltungsratsvorsitzender, 1958–62 Innenminister NRW, 1959–70 Vorsitzender des CDU-Landesverbands Westfalen, 1962–66 Geschäftsführender Vorsitzender der CDU, 1966 Präsident des Landtages NRW, 1967–69 Vorsitzender des CDU-Präsidiums ebd. Dulles, John Foster, Politiker 98, 103 f., 114, 116, 134, 139, 154 geb. 25. 2. 1888 Washington, D. C., gest. 24. 5. 1959 ebd., 1918/19 Mitglied der USFriedensdelegation in Paris und der Reparationsdelegation, 1945–50 US-Delegierter bei der Gründung der Vereinten Nationen (UN), 1948 Chef der US-Delegation bei der UN-Versammlung in Paris, 1950/51 Chef- Unterhändler beim Friedensschluss mit Japan, 1950–52 Berater von US-Außenminister Dean G. Acheson, 1952–59 Außenminister. Dutschke, Rudi, Dr. phil., Studentenführer 60, 197 f. geb. 7. 3. 1940 Schönefeld bei Luckenwalde, gest. 24. 12. 1979 Aarhus (Dänemark), 1961 Übersiedlung nach Westberlin, 1962/63 Mitgründer der „Subversiven Aktion“ Westberlin, 1964 Eintritt in den SDS, ab 1965 Westberliner Landesbeirat ebd., 1968 Opfer eines Attentats (Kopfschuss) Westberlin, Übersiedlung nach England, 1969 Ausweisung und Übersiedlung nach Irland, Rückkehr nach England, 1970/71 erneute Ausweisung, Übersiedlung nach Aarhus und Soziologiedozent ebd., 1972 Rückkehr in die Bundesrepublik, 1977/78 Gastprofessor Groningen (Niederlande). Echternach, Horst, D. theol., Dr. jur., Dr. rer. pol., Theologe, Jurist 290 geb. 10. 10. 1934 Stettin, 1965–70 Pastor Hamburg, OKR im Sozialreferat der Bonner Außenstelle der Kirchenkanzlei der EKD, Referent für Theologie und öffentliche Verantwortung im Kirchenamt der EKD. Eden, Robert Anthony, Earl of Avon, Politiker 99, 104 geb. 12. 6. 1897 Windlestone, gest. 14. 1. 1977 Salisbury, 1935–55 mit Unterbrechungen Kriegsminister Großbritannien, 1955–57 Premierminister ebd., ab 1961 Mitglied des Oberhauses ebd. Ehlers, Hermann, Dr. jur., Politiker 20, 79 f., 86 f. geb. 1. 10. 1904 Berlin, gest. 29. 10. 1954 Oldenburg [Personenlexikon, 67] Ehmke, Horst, Dr. jur., Prof., Politiker 214, 243 f., 322 geb. 4. 2. 1927 Danzig, gest. 12. 3. 2017 Bonn, 1961 o. Prof. für Öffentliches Recht Freiburg/Br., 1967–69 Staatssekretär im Bundesjustizministerium, 1969–72 Leiter des Bundeskanzleramtes, 1969–94 MdB (SPD), 1972 BM für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen, 1977–91 Stellv. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Eichler, Willi, Journalist, Politiker 90 geb. 7. 1. 1896 Berlin, gest. 17. 10. 1971 Bonn, 1946 Rückkehr aus der Emigration nach Deutschland, Chefredakteur der „Rheinischen Zeitung“ und von „Geist und Tat“, 1946–68 im Parteivorstand der SPD, 1947/48 MdL (SPD) NRW, 1948/49 Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrates, 1949–53 MdB (SPD), 1950–54 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Eichmann, Karl Adolf, verurteilter Kriegsverbrecher 9, 42, 128 f. geb. 19. 3. 1906 Solingen, gest. (hingerichtet) 1. 6. 1962 Ramlah (Israel), ab 1934 Arbeit in Abteilung IV B4a im RSHA, 1939/40 Referent für Umsiedlungsfragen in Polen, 1941 Referent für Umsiedlungsfragen in den besetzten Ostgebieten, SS-Obersturmbann-

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führer, Leiter der Abteilung IV B3a im RSHA und Steuerung aller Judendeportationen aus den besetzten europäischen Gebieten in die NS-Vernichtungslager, nach 1945 Flucht nach Argentinien, 1960 Ergreifung durch den israelischen Geheimdienst in Buenos Aires, 1961/62 Prozess vor dem Bezirksgericht Jerusalem. Eidem, Erling, Prof. Dr. theol., Theologe 101 geb. 23. 4. 1889 Gothenburg, gest. 14. 4. 1972 Vänersborg, 1928 Prof. für Neues Testament Lund, 1931 Erzbischof Uppsala, 1945 Präsident des Lutherischen Weltkonvents, 1948–50 einer der Präsidenten des ÖRK. Eisenhower, Dwight D., General, Präsident 39, 83–86, 100, 103, 109, 114, 125, 299 geb. 14. 10. 1890 Denison (Texas), gest. 28. 3. 1969 Washington, D. C., 1941 Brigadegeneral, 1942–45 Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Truppen in Europa, 1945 nach Kriegsende Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen im besiegten Deutschland und Mitglied des Alliierten Kontrollrates, 1949 Militärberater, 1950–52 Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte, 1953–61 Präsident der USA. Elisabeth von Thüringen, auch Elisabeth von Ungarn, katholische Heilige 110 geb. 1207, Slowakei oder Ungarn, gest. 17. 11. 1231 Marburg, u. a. Patronin von Thüringen und Hessen sowie des Bistums Erfurt. Ellsberg, Daniel, Ph. D., Prof., Ökonom, Friedensaktivist 255 geb. 7. 4. 1931 Chicago (Illinois), 1954–57 tätig beim US-Marine Corps, ab 1959 Mitglied der RAND-Corporation, Berater des US-Verteidigungsministeriums, übergibt 1971 die geheimen Pentagon-Papiere an die „New York Times“ und 17 weitere Tageszeitungen, als Spion angeklagt und 1973 freigesprochen. Emminger, Otmar, Dr. oec. publ., Ökonom 312 geb. 2. 3. 1911 Augsburg, gest. 3. 8. 1986 Manila, 1947 Oberregierungsrat im bayerischen Wirtschaftsministerium, 1949 Leiter der Wirtschaftsabteilung der deutschen Delegation beim Europäischen Wirtschaftsrat Paris, 1958–77 Vizepräsident des Währungsausschusses der EWG, 1969–77 Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, 1977–79 Präsident ebd. Engels, Friedrich, Unternehmer, Philosoph 367 geb. 28. 11. 1820 Barmen, gest. 5. 8. 1895 London, 1848 zusammen mit Karl Marx Verfasser des Kommunistischen Manifestes, 1848/49 aktiv beteiligt an der Märzrevolution, 1893 Ehrenvorsitzender der Zweiten Internationale, 1885 und 1893 posthume Veröffentlichung von Band 2 und 3 des „Kapitals“ von Karl Marx. Eppler, Erhard, Dr. phil., Politiker 30, 32, 188, 220, 241, 252 f., 257, 281, 293, 300, 314, 327, 407 geb. 9. 12. 1926 Ulm, gest. 19. 10. 2019 Schwäbisch-Hall, 1952–56 Mitglied der GVP, 1956 Übertritt zur SPD, 1968–74 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1970–91 Mitglied des Bundesvorstandes der SPD, 1961–76 MdB (SPD), Beauftragter der SPD für Kontakte zur Evangelischen Kirche, 1976–82 MdL (SPD) Baden-Württemberg, 1980–82 Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion ebd., 1981–83, 1989–91 Präsident des DEKT. Erhard, Ludwig, Ökonom, Politiker 17, 21, 29, 31, 44, 54, 68, 88, 113, 116 f., 136, 155–157, 162 f., 167, 169–173, 175–178, 196 f., 208, 278 geb. 4. 2. 1897 Fürth, gest. 5. 5. 1977 Bonn, 1928–42 Mitarbeiter „Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware“ Nürnberg, 1945/46 Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, 1948 Direktor für Wirtschaft des Vereinigten Wirt-

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schaftsgebiets, 1949–63 BM für Wirtschaft, 1963–66 Bundeskanzler, 1966/67 Bundesvorsitzender der CDU (ab 1967 Ehrenvorsitzender). Erler, Fritz, Politiker 118, 138, 172 f., 285 geb. 14. 7. 1913 Berlin, gest. 22. 2. 1967 Pforzheim, 1946 Leiter der Entnazifizierungskommission und Mitglied der Beratenden Landesversammlung für WürttembergHohenzollern, 1947 Landrat Tuttlingen, 1949–67 MdB (SPD), 1950 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates, 1953–57 Stellv. Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Verteidigung, ab 1957 Stellv., ab 1964 Vorsitzender der SPDBundestagsfraktion. Ertl, Josef, Dr. h. c., Politiker 327 geb. 7. 3. 1925 Schleißheim, gest. 16. 11. 2000 Murnau, 1952–56 Mitglied im Kreistag München-Land, 1959 Leiter der Alm- und Landwirtschaftsschule Miesbach, Direktor des Miesbacher Landwirtschaftsamts, 1960 Oberlandwirtschaftsrat, 1966–70 Mitglied im Kreistag Miesbach, 1961–87 MdB (FDP), 1968/69 Stellv. Vorsitzender der Bundestagsfraktion der FDP, 1969–83 BM für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Eschenburg, Theodor, Dr. phil., Dr. h. c., Politologe, Jurist 260 geb. 24. 10. 1904 Kiel, gest. 10. 7. 1999 Tübingen, 1947–51 Stellv. des Innenministers von Württemberg-Hohenzollern, 1951 Staatsrat und Honorarprof. für Politikwissenschaft Tübingen, 1952 o. Prof. für Politikwissenschaft ebd., Gründungsdirektor des Instituts für Politikwissenschaft ebd., 1957–70 Kolumnist der „Zeit“, 1961–63 Rektor der Universität Tübingen, 1967 Richter am Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg. Etzel, Franz, Jurist, Politiker 21, 113, 116 f. geb. 12. 8. 1902 Wesel, gest. 9. 5. 1970 Düsseldorf, 1949–53, 1957–65 MdB (CDU), 1950 Vorsitzender des CDU-Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik, 1952–57 1. Vizepräsident der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1957–61 Bundesfinanzminister. Etzel, Hermann, Jurist, Schriftsteller, Politiker 79 geb. 21. 6. 1882 Eisenfelden, gest. 14. 4. 1978 Bamberg, 1946 Landrat Bamberg, 1949–52 Stellv. Landesvorsitzender der BP, 1949–53 MdB (BP, FU, danach fraktionslos). Falin, Walentin Michailowitsch, Dr., Diplomat, Politiker 240 f., 243 f., 396 geb. 3. 4. 1926 Leningrad, gest. 22. 2. 2018 Moskau, 1971–78 sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik, 1983 Politischer Kommentator der Tageszeitung „Iswestija“, 1986 Leiter der Nachrichtenagentur „Nowosti“, 1989 Mitglied des ZK der KPdSU, 1990/91 Sekretär ebd. und Vorsitzender der Kommission für Probleme der internationalen Politik ebd., 1992–2000 Mitarbeiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, 2000 Dozent am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Fanfani, Amintore, Politiker 158 geb. 6. 2. 1908 Pieve Santo Stefano, gest. 20. 11. 1999 Rom, 1947–51 Arbeitsminister Italiens, 1951–53 Landwirtschaftsminister ebd., 1953/54, 1987/88 Innenminister ebd., 1954–59, 1973–75 Parteisekretär der Democrazia Cristiana, 1954, 1958/59, 1960–63, 1982/83, 1987 MP Italien, 1965, 1966–68 Außenminister ebd., 1965/66 Präsident der UNO-Generalversammlung, 1968–73, 1976–82, 1985–87 Senatspräsident Italien, 1988/ 89 Haushaltsminister ebd.

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Felfe, Heinz, Prof. Dr. jur., horch., Agent 322 geb. 18. 3. 1918 Dresden, gest. 8. 5. 2008 Berlin, 1940 V–Mann im SD des Reichsführers SS, 1943/44 Referatsleiter im RSHA, SS-Obersturmführer, 1946–49 tätig für den britischen Geheimdienst, ab 1949 für den sowjetischen Geheimdienst, 1949–51 Mitarbeit im BMG, 1951–61 tätig für die Organisation Gehlen (ab 1956 BND), 1958–61 Leiter des Referates „Gegenspionage Sowjetunion“ ebd., 1961 Enttarnung und Verhaftung als Agent des KGB, 1963–69 Verurteilung Haftstrafe wegen Landesverrats, 1969 im Zuge eines Agentenaustausches vorzeitig entlassen, ab 1970 Dozent an der Sektion Kriminalistik der HU Berlin, 1978–91 o. Prof. für Kriminalistik ebd. Filbinger, Hans Karl, Dr. jur., Jurist, Politiker 325 geb. 15. 9. 1913 Mannheim, gest. 1. 4. 2007 Freiburg/Br., 1960–80 MdL (CDU) BadenWürttemberg, 1960–64 BM für Inneres und für Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten, 1966–78 MP Baden-Württemberg, 1978 Rücktritt vom Amt des MP wegen seiner Todesurteile als Kriegsgerichtsrat bei der Wehrmacht im Jahr 1943, 1973/74 Bundesratspräsident, 1973–79 Stellv. Bundesvorsitzender der CDU. Fischer, Franz, verurteilter Kriegsverbrecher 21, 157, 190, 234, 252, 264, 305, 331 geb. 10. 12. 1901 Bigge, gest. 19. 9. 1989 Olsberg, 1949 in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt, 1950 Todesurteil wegen Mitwirkung an der Deportation von ca. 13.000 Juden in das Durchgangslager Westerbork und die Überstellung der Juden in die Vernichtungslager sowie wegen Misshandlungen von Juden und Zivilisten, 1951 Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft, Verlagerung nach Breda, 1989 Haftentlassung. Flach, Karl-Hermann, Journalist, Politiker 251, 282 geb. 17. 10. 1929 Königsberg, gest. 25. 8. 1973 Frankfurt/M., 1948 Redakteur der „Norddeutschen Zeitung“ Schwerin, 1949 im Landesvorstand der LDP Mecklenburg, 1959–61 Bundesgeschäftsführer der FDP, 1964–71 Stellv. Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, 1971–73 Generalsekretär der FDP, 1972/73 MdB (FDP). Flick, Friedrich, Dr. rer. pol. h. c., Dr. Ing. e. h., Industrieller, verurteilter Kriegsverbrecher 208 geb. 10. 7. 1883 Ernstdorf-Kreuztal, gest. 20. 7. 1972 Konstanz, 1947 als Kriegsverbrecher in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1950 vorzeitig aus der Haft entlassen, nach Entflechtung des Flick-Konzerns erneuter Aufbau des Familienunternehmens zur Holding „Verwaltungsgesellschaft für Industrielle Unternehmen Friedrich-FlickGmbH Düsseldorf. Föcher, Matthias, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 90 geb. 7. 11. 1886 Köln, gest. 9. 11. 1967 Farchant, 1910–33 Tätigkeit im christlichen Metallarbeiterverband, 1946/47 Mitglied des 1. und 2. Ernannten Landtages von NRW (CDU), 1947 Stellv. Vorsitzender des DGB in der britischen Zone, 1949–56 Stellv. Vorsitzender des DGB. Ford, Gerald Rudolph Ford Jr., Politiker 334, 341–344, 347, 374, 376 geb. 14. 7. 1913 Omaha (Nebraska), gest. 26. 12. 2006 Rancho Mirage (Kalifornien), 1949–73 Mitglied des Repräsentantenhauses für die Republikanische Partei, 1973 Vizepräsident der USA, 1974–77 US-Präsident. Forster, Karl, Prof., Dr. theol., Theologe, Hochschullehrer 177 geb. 21. 1. 1928 Arnberg, gest. 23. 11. 1981 Augsburg, 1957–67 Erster Direktor der Ka-

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tholischen Akademie in Bayern, 1967–71 Erster Ständiger Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, 1969–76 Sekretär der Gemeinsamen Synode der Bistümer, ab 1971 o. Prof. für Pastoraltheologie Augsburg, 1977–79 Dekan der Theologischen Fakultät ebd. Franco, Francisco, General, Diktator 366, 379 geb. 17. 12. 1892 El Ferrol, gest. 20. 11. 1975 Madrid, 1935 General der spanischen Armee, 1936 an der Spitze eines Militärputsches, der den Spanischen Bürgerkrieg auslöste, 1939–73 spanischer Staatschef, 1947 Selbsternennung zum „Regenten auf Lebenszeit“. Francois-Poncet, Andr , Dr. phil., Diplomat, Politiker 89 geb. 13. 6. 1887 Provins, gest. 8. 1. 1978 Paris, 1932–38 französischer Botschafter in Deutschland, 1938–40 in Italien, 1940–43 Mitglied des französischen Nationalrates, 1943–44 Internierung durch die Deutschen, 1949–55 Hoher Kommissar Frankreichs in der Bundesrepublik und Französischer Botschafter, 1955–1960 Präsident des französischen Rates der Europäischen Bewegung. Frank, Paul, Dr. pol., Diplomat 50, 271, 278, 325 geb. 4. 7. 1918 Hilzingen, gest. 16. 4. 2011 Allschwill, 1947–50 Sekretär des Internationalen Instituts für Sozialwissenschaft und Politik an der Universität Fribourg, 1949 Generalsekretär ebd., 1950–74 unterschiedliche Stationen im AA, 1970–74 Staatssekretär, 1974–79 Chef des Bundespräsidialamtes, 1981/82 Koordinator für die DeutschFranzösische Zusammenarbeit. Franke, Egon, Politiker 50, 215, 357 geb. 11. 4. 1913 Hannover, gest. 26. 4. 1995 ebd., 1933, 1935 Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat, 1943–45 Strafdivision und Gefangenschaft, 1945 Mitbegründer der SPD Hannover, 1945–47 Mitglied des Stadtrates ebd., 1946/47 Mitglied des Hannoverschen Landtags, 1947–51 MdL (SPD) Niedersachsen, 1951–87 MdB (SPD), 1964–73 Mitglied des Präsidiums der SPD, 1969–82 BM für innerdeutsche Beziehungen, 1982 Vizekanzler. Freitag, Walter, Politiker, Gewerkschaftsfunktionär 96 geb. 14. 8. 1889 Remscheid, gest. 7. 6. 1958 Herdecke, 1946–50 MdL (SPD) NRW, 1946–52 Vorsitzender der IG Metall, 1949–53 MdB (SPD), 1952 Mitglied im Beratenden Ausschuss der Montan-Union, 1952–56 Vorsitzender des DGB, ab 1950 zusammen mit Hans Brümmer, Vorsitzender der IG-Metall. Frelek, Ryszard, Diplomat, Politiker, Publizist 381 geb. 30. 5. 1929 Parys w, gest. 21. 10. 2007, 1969–71 Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten, 1971–81 Mitglied des ZK der PVAP, 1971–77 Leiter der Auslandsabteilung ebd., 1975–80 Sekretär ebd., 1972–80 Mitglied des Parlaments (PVAP), 1980/81 Ständiger Vertreter Polens bei der UN, 1981–88 Teilzeitprofessor an der Akademie für Sozialwissenschaften Warschau, 1988 Botschaftsrat an der polnischen Botschaft Athen, 2004–07 Rektor der Hochschule Torun´. Freusberg, Joseph, Theologe 110 geb. 18. 10. 1881 Olpe, gest. 10. 4. 1964 Erfurt, 1945 Mitglied der Beratenden Landesversammlung für Thüringen, ab 1946 Generalvikar der Diözese Fulda mit Sitz in Erfurt, 1953 Ernennung zum Titularbischof von Hadrianopolis in Epiro, 1953–62 Weihbischof im Bistum Fulda mit Sitz in Erfurt.

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Friderichs, Hans, Dr. rer. pol., Politiker 327 geb. 16. 10. 1931 Wittlich, 1964–69 Bundesgeschäftsführer der FDP, 1965–69 MdB (FDP), 1969–72 Staatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Umweltschutz Rheinland-Pfalz, 1972–77 BM für Wirtschaft, 1976/77 MdB (FDP), 1977–85 Mitglied des Vorstandes der Dresdner Bank. Friedensburg, Ferdinand, Dr. rer. nat., Politiker 109, 138 geb. 17. 11. 1886 Schweidnitz, gest. 11. 3. 1972 Westberlin, 1945 Mitbegründer der CDU, 1945–68 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin, 1946–48 1. Stellv. OB Groß-Berlins, 1948 OB ebd., 1946/47 geschäftsführender Vorsitzender des CDU-Vorstandes in der SBZ, 1948–51 Bürgermeister von Westberlin, 1950–52 Abgeordneter im Abgeordnetenhaus von Westberlin, 1952–65 MdB (CDU), 1958–65 MdEP. Friedrich II., auch Friedrich der Große, Markgraf von Brandenburg und König von Preußen 128 geb. 24. 1. 1712 Berlin, gest. 17. 8. 1786 Potsdam. Frings, Joseph, Dr. theol., Theologe 26, 31, 80 f., 157 geb. 6. 2. 1887 Neuss/Rhein, gest. 17. 12. 1978 Köln, 1937 Synodalrichter und Regens des Priesterseminars Bensberg, 1942–67 Erzbischof von Köln, 1945–65 Vorsitzender der Fuldaer bzw. Deutschen Bischofskonferenz, 1946 Ernennung zum Kardinal. Fünten, Ferdinand Hugo aus der, verurteilter Kriegsverbrecher 21, 234, 331 geb. 17. 12. 1909 Mülheim/Ruhr, gest. 19. 4. 1989 Duisburg, SS-Hauptsturmführer, während des Zweiten Weltkrieges Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Den Haag, 1950 in den Niederlanden zum Tode verurteilt, 1951 Umwandlung des Urteils in eine lebenslange Haftstrafe, 1989 aus der Haft entlassen. Funcke, Lieselotte, Politikerin 282 f., 302, 328–330, 410 geb. 20. 7. 1918 Hagen, gest. 1. 8. 2012 ebd., 1947–51 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Jungdemokraten, ab 1947 Mitglied des FDP-Landesvorstandes NRW, 1964–84 Mitglied des FDP-Bundesvorstandes, 1977–82 stellv. FDP-Bundesvorsitzende, 1950–61 MdL (FDP) NRW, 1979–80 BM für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr NRW, 1981–91 Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, 1961–79 MdB (FDP), 1969–79 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Gasperi, Alcide de, Politiker 91 geb. 3. 4. 1881 Pieve Tesino, gest. 19. 8. 1954 Borgo Valsugana, 1942 Mitbegründer der Democrazia Cristiana als Nachfolgeorganisation des PPI, ab 1944 Außenminister im Allparteienkabinett, 1945–53 MP Italiens, 1951 Außenminister ebd., 1952 Mitbegründer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), ab Mai 1954 Präsident der Parlamentarischen Versammlung der EGKS. Gatu, John Gachango, Dr., Theologe 55 geb. 3. 3. 1925 Kiambu, gest. 11. 5. 2017, Vorsitzender des Leitungsausschusses des AACC, 1971 Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche Ostafrikas, Mitglied des ZK und des Exekutivkomitees des ÖRK. Gaulle, Charles de, General, Politiker 125 f., 152–155, 161, 170, 173 f., 179, 191, 193, 241, 296 geb. 22. 11. 1890 Lille, gest. 9. 11. 1970 Colombey-les-Deux- glises, 1942 Mitbegründer und ab November 1943 Präsident des „Comit franÅais de Lib ration Nationale“, 1944

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Chef der provisorischen Regierung Frankreichs, 1945/46 und ab 1958 MP ebd., 1959–69 Staatspräsident. Gedat, Gustav-Adolf, Dr. jur. h. c., Politiker 88 geb. 10. 3. 1903 Potsdam, gest. 6. 7. 1971 Bad Liebenzell, 1945–52 Generalsekretär des CVJM, Stellv. Vorsitzender des evangelikalen Christlichen Jugenddorfwerkes in Deutschland und Geschäftsführender Präsident des deutschen Zweiges der „Christen in Verantwortung“, Vizepräsident des International Council for Christian Leadership Washington, D. C., 1953–65 MdB (CDU). Geisendörfer, Ingeborg, geb. Schaudig, Politikerin 209, 243 geb. 30. 5. 1907 Dillingen, gest. 25. 6. 2006 Würzburg, 1949–52 tätig für den Ev. Presseverband Bayern, im Bundesvorstand des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, Stellv. Landesvorsitzende der Frauen-Union der CSU und des EAK Bayern der CSU, im Bundesvorstand des EAK, 1953–72 MdB (CSU), 1970 Berufung in die Strafrechtskommission der EKD. Geissel, Ludwig, Verbandsfunktionär 165 geb. 25. 8. 1916 Alzey, gest. 20. 11. 2000 Stuttgart, 1950 Leiter der Außenstelle des Hilfswerks der EKD Hamburg, 1957–72 Direktor des Diakonischen Werkes der EKD, Stuttgart, 1972–82 Vizepräsident ebd., 1958 Bevollmächtigter der Westdeutschen Landeskirchen bei der Regierung der DDR, maßgeblich beteiligt am „Kirchengeschäft A und B“, 1962 Vorstandsmitglied der Ev. Zentralstelle für Entwicklungshilfe. Genscher, Hans-Dietrich, Dr. h. c., Politiker 56, 210, 244 f., 258, 327, 334, 340 f., 343, 352–354, 364, 376–378, 381, 410 geb. 21. 3. 1927 Reideburg, gest. 31. 3. 2016 Wachtberg, 1965–98 MdB (FDP), 1968–74 Stellv. FDP-Bundesvorsitzender, 1969–74 BM des Innern, 1974–92 Bundesaußenminister und Vizekanzler, 1974–85 Bundesvorsitzender der FDP, 1984/85 Präsident des NATO-Rates und Präsident des Ministerrates der WEU. Gerstenmaier, Eugen, Dr. theol. D., Politiker 101, 108, 113 f., 117, 136, 151, 156, 169 f., 172, 175, 194, 327 geb. 25. 8. 1906 Kirchheim/Teck, gest. 13. 3. 1986 Oberwinter [Personenlexikon, 87] Gierek, Edward, Politiker 328, 363, 380–382, 388 geb. 6. 1. 1913 Porabka, gest. 29. 7. 2001 Cieszyn, 1945 Vorsitzender der polnischen Sektion der belgischen KP, 1946 Vorsitzender des Nationalrats der Polen in Belgien, ab 1954 Mitglied des ZK der PVAP, 1970–80 Erster Sekretär ebd., 1980/81 Ausschluss aus dem ZK und Parteiausschluss, 1981/82 Internierung. Giersch, Herbert, Dr. rer. pol., Dr. h. c. mult., Ökonom 261 geb. 11. 5. 1921 Reichenbach, gest. 22. 7. 2010 Saarbrücken, 1951–55 Privatdozent Münster, 1953/54 Abteilungsleiter bei der Handels- und Finanzdirektion der OEEC, 1955 o. Prof. für Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaftslehre Saarbrücken, 1963–70 zunächst Mitglied, dann Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates beim BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1969–89 o. Prof. für Volkswirtschaftslehre und Präsident des IfW Kiel. Giscard d’Estaing, Val ry, Dr., Politiker 365 f. geb. 2. 2. 1926 Koblenz, gest. 2. 12. 2020 Authon, 1956–89 mit Unterbrechungen Abgeordneter der Französischen Nationalversammlung, 1962–66 und 1969–74 Finanzminister Frankreich, 1974–1981 Präsident ebd., danach Engagement in der Regionalpo-

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litik, 1989–93 Mitglied des Europäischen Parlaments (EP und EVP), 2001 Präsident des „EU-Reformkonvents“. Globke, Hans, Dr. jur., Jurist, Ministerialbeamter 121, 135 geb. 10. 9. 1898 Düsseldorf, gest. 13. 2. 1973 Bad Godesberg, 1929 Regierungsrat im Preußischen Innenministerium, 1934–45 Ministerialrat und Referent für Staatsangehörigkeitsfragen im Reichsinnenministerium, 1936 Publikation eines Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen, nach 1945 Vizepräsident des Landesrechnungshofes NRW, 1949 Ministerialdirigent im Bundeskanzleramt, 1950 Ministerialdirektor ebd., 1953–63 Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes. Götz, Volker, Rechtsanwalt 301, 309 geb. 24. 3. 1945, 1973 Ernennung zum Richter auf Probe durch den Justizminister von NRW, nach Protesten von FDP, Deutschem Richterbund und Anwaltskammer wurde in Anwendung des „Radikalenerlasses“ wegen seiner Mitgliedschaft in der DKP die Ernennung rückgängig gemacht. Gollwitzer, Helmut, Dr. theol. h. c., Theologe 39, 96 f., 338 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim, gest. 17. 10. 1993 Berlin [Personenlexikon, 90] GonÅalves, Vasco, General, Politiker 347 geb. 3. 5. 1921 Lissabon, gest. 12. 6. 2005 Almancil, 1974 beteiligt am Militärputsch gegen die rechtsgerichtete Diktatur in Portugal, 1973 Oberst, 1974 Leiter des Revolutionsrates der Streitkräfte und führender Militär in der Portugiesischen Revolution, 1974/75 Premierminister verschiedener provisorischer Regierungen, 1975 Versetzung in den Ruhestand wegen seiner Nähe zur Portugiesischen Kommunistischen Partei. Gradl, Johann Baptist, Dr. rer. pol., Volkswirt, Verleger, Politiker 172, 235, 243 geb. 25. 3. 1904 Berlin, gest. 2. 7. 1988 ebd., 1945 Mitbegründer der CDU Berlin, 1947 Verleger der Zeitung „Der Tag“, 1954 Gründungsmitglied des „Kuratoriums Unteilbares Deutschland“, 1973–87 dessen Vorsitzender, 1957–80 MdB (CDU), 1965/66 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1970–87 Vorsitzender der ExilCDU. Gromyko, Andrei Andrejewitsch, Diplomat, Politiker 148, 217, 223, 237, 243, 297, 307, 345, 377, 381 geb. 18. 7. 1909 Starije, gest. 2. 7. 1989 Moskau, ab 1939 diplomatischer Dienst und Teilnehmer der alliierten Kriegskonferenzen von Teheran (1943) und Potsdam (1945), 1957–85 Außenminister der SU, 1985–88 Vorsitzender des Obersten Sowjets der SU. Grotewohl, Otto, Politiker 322 geb. 11. 3. 1894 Braunschweig, gest. 21. 9. 1964 Ostberlin, 1914–18 Kriegsdienst, 1918/ 19 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates Braunschweig, 1920–26 MdL (USPD, ab 1922 SPD) Braunschweig, 1921/22 Minister für Inneres und Volksbildung ebd., 1923/24 Minister für Justiz ebd., 1925–33 MdR (SPD), Präsident der Landesversicherungsanstalt Braunschweig, 1938–40 mehrfache Inhaftierung, 1946–54 gemeinsam mit Wilhelm Pieck Vorsitzender der SED, ab 1949 Mitglied des ZK und des Politbüros der SED, 1949–64 MP der DDR, ab 1960 auch stellv. Vorsitzender des Staatsrates. Gruenther, Alfred Maximilian, General 106 geb. 3. 3. 1899 Platte Center (Nebraska), gest. 30. 5. 1983 Washington, D. C., 1943/44 Stabschef der 5. US-Armee in Italien, 1944/45 enger Mitarbeiter des Oberbefehlshabers der US-amerikanischen Truppen in Europa Dwight D. Eisenhower, 1945 Oberbe-

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fehlshaber der US-Truppen in Österreich, 1950–53 Stabschef im NATO-Oberkommando Europa, 1953–56 Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, 1957–64 Präsident des amerikanischen Roten Kreuzes. Güde, Max, Jurist, Politiker 135 geb. 6. 1. 1902 Donaueschingen, gest. 29. 1. 1984 Werl, 1945–50 Oberstaatsanwalt Konstanz, 1950–55 Bundesanwalt, 1955/56 Senatspräsident, 1956–61 Generalbundesanwalt beim BGH, 1961–69 MdB (CDU). Guillaume, Günter, Dr. jur. h. c., Agent 51, 317, 320–323, 398 geb. 1. 2. 1927 Berlin, gest. 10. 4. 1995 Petershagen/Eggersdorf (als Günter Bröhl), ab 1954 als IM beim MfS der DDR, 1956 fingierte Flucht in die Bundesrepublik, ab 1964 hauptamtlicher Parteifunktionär der SPD, 1968 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt/M., 1972–74 persönlicher Referent von Bundeskanzler Willy Brandt, 1975 Verurteilung wegen Landesverrats zu 13 Jahren Haft, 1981 im Zuge eines Agentenaustausches Rückkehr in die DDR. Gutmann, Wilhelm, Politiker 199 geb. 9. 6. 1900 Basel, gest. 16. 2. 1976 Karlsruhe, 1935–45 Bürgermeister von Tiengen, 1947 Verurteilung wegen seiner Rolle in den Novemberpogromen 1938, 1965–68 Vorsitzender des Landesverbandes der NPD Baden-Württemberg, 1967 Geschäftsführender Bundesvorsitzender der NPD, 1968–72 MdL (NPD) Baden-Württemberg, 1968 Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag ebd. Guttenberg, Karl Theodor Freiherr von und zu, Politiker 169, 218 geb. 23. 5. 1921 Weisendorf, gest. 4. 10. 1972 Schloss Guttenberg bei Stadtsteinach, 1945 Mitbegründer der CSU und Mitglied des Landesausschusses Oberfranken, 1946–72 Vorsitzender des CSU-Kreisverbandes Stadtsteinach, 1948–52 und 1962–72 Kreisrat Stadtsteinach, 1952–57 Landrat ebd., 1957–72 MdB (CSU), 1961–72 Mitglied des CSULandesvorstandes, 1967–69 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler. Häfele, Wolf, Prof. Dr. rer. nat., Dr. h. c., Physiker 185 geb. 15. 4. 1927 Freiburg/Br., gest. 5. 6. 2013 Essen, 1956–73 tätig im Kernforschungszentrum Karlsruhe, 1960–72 Projektleiter für den Schnellen Brüter ebd., 1964–76 Honorarprof. für Reaktortechnik Karlsruhe, 1967–72 Berater der Bundesregierung in Fragen der internationalen Kontrolle spaltfähigen Materials, 1973–80 Leiter des Projektes Energie-Systeme am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse Laxenburg bei Wien, 1974–80 Stellv. Direktor ebd., ab 1976 Honorarprof. für Energietechnik Wien, 1981–90 Vorstandsvorsitzender der Kernforschungsanlage Jülich e. V., 1992–96 Wissenschaftlicher Direktor des Forschungszentrums Rossendorf und Direktor ebd. Hager, Kurt, Dr. rer. nat. h. c., Politiker 155, 224, 286 geb. 24. 7. 1912 Bietigheim, gest. 18. 9. 1998 Berlin, 1946 Rückkehr aus dem Exil nach Deutschland, 1947/48 Stellv. Chefredakteur des „Vorwärts. Berliner Volksblatt“, 1949 o. Prof. für Philosophie Berlin, 1950 Kandidat, 1954 Mitglied, ab 1955 Sekretär des ZK der SED, ab 1963 Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Leiter der Ideologischen Kommission ebd., 1958 Abgeordneter der Volkskammer, 1976–89 Mitglied des Staatsrats, 1978–89 Mitglied des Nationalen Verteidigungsrats der DDR, 1989 Ausschluss aus dem Politbüro des ZK der SED und dem Staatsrat, 1990 Ausschluss aus der SED-PDS.

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Hahn, Hans-Otto, Dr. h. c., Verbandsfunktionär 304 geb. 18. 2. 1936 Erbach, gest. 3. 11. 2003 Stuttgart, 1966 Stipendienreferent in der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD, ab 1969 Direktor des Bereichs Ökumenische Diakonie ebd., Vizepräsident ebd., 1969–99 Direktor der Aktion „Brot für die Welt“, Mitbegründer des internationalen ökumenischen Netzwerkes Action by Churches Together. Hahn, Wilhelm, Prof. Dr. Dr. h. c. mult., Theologe, Politiker 359, 382 geb. 14. 5. 1909 Dorpat, gest. 9. 12. 1996 Heidelberg, 1950–64 o. Prof. (PT) Heidelberg, 1958–60 Rektor der Universität ebd., 1962–64 MdB (CDU), 1962–79 im Bundesvorstand des EAK, 1964–78 Kultusminister Baden-Württemberg, 1968–80 MdL (CDU) ebd., 1972–78 Stellv. des MP ebd. Hallstein, Walter, Prof., Dr. jur., Jurist, Politiker 125, 195 geb. 17. 11. 1901 Mainz, gest. 29. 3. 1982 Stuttgart, 1941–45 o. Prof. für Bürgerliches Recht Frankfurt/M., zugleich Direktor des Institutes für Rechtsvergleichung, 1950 Staatssekretär für außenpolitische Aufgaben im Bundeskanzleramt, Beobachter beim Ministerrat der Europäischen Versammlung in Rom, 1951 Staatssekretär im AA und Verhandlungsführer der deutschen Pleven-Plan-Delegation, 1958–67 erster Präsident der EWG-Kommission Brüssel, 1968–74 Präsident der Europäischen Bewegung, 1969–72 MdB (CDU). Hammer, Walter, Kirchenjurist 43, 179, 186 geb. 5. 8. 1924 Bremen, gest. 13. 10. 2000 ebd., 1958–66 Finanzreferent der EKU, 1964–66 nebenamtliche Leitung der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD, 1966–89 Präsident der Kirchenkanzlei (ab 1983 Kirchenamt) der EKD. Hansen, Kurt, Chemiker, Industriemanager 312 geb. 11. 1. 1910 Yokohama (Japan), gest. 26. 1. 2002 Leverkusen, 1945 Internierung wegen Kriegsverbrechen, 1961–74 Vorstandsvorsitzender der Bayer-AG, ab 1966 im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, 1970/71 Präsident des Verbandes der chemischen Industrie. Harms, Hans-Heinrich, Dr. theol., Theologe, Bischof 348 geb. 4. 7. 1914 Schambeck, gest. 13. 4. 2006 Oldenburg, 1950–52 OKR im Kirchlichen Außenamt der EKD Frankfurt/M., 1952–60 Referent beim ÖRK Genf, 1960–67 Hauptpastor St. Michaelis Hamburg, 1967–85 Bischof der Ev.-Luth. Kirche Oldenburg, 1973–85 Mitglied des Rates der EKD. Hassel, Kai-Uwe von, Politiker 17, 101, 156, 161, 175, 399 geb. 21. 4. 1913 Gare (heute Tansania), gest. 8. 5. 1997 Aachen, 1950–65 MdL (CDU) Schleswig-Holstein, 1953/54, 1965–80 MdB (CDU), 1954–63 MP Schleswig-Holstein., Präsident des Bundesrates, 1955–64 Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein, 1956–69 Stellv. Bundesvorsitzender der CDU, 1963–66 BM der Verteidigung, 1966–69 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1969–72 Präsident, 1972–76 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, 1976 Vizepräsident der Parlamentarischen Vertretung des Europarates, 1977–80 Präsident der Parlamentarischen Vertretung der WEU, 1979–84 MdEP. Heck, Bruno, Dr. phil., Politiker 23, 191, 219 geb. 20. 1. 1917 Aalen, gest. 16. 9. 1989 Blaubeuren, 1950–52 Regierungsrat im Kultusministerium Württemberg-Hohenzollern, 1952–58 Bundesgeschäftsführer der CDU,

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1957–76 MdB (CDU), 1962–68 BM für Familien- und Jugendfragen (ab 1963 für Familie und Jugend), 1966–71 Generalsekretär der CDU. Heckel, Martin, Prof. Dr. jur., Dr. h. c., Kirchenjurist 233 geb. 22. 5. 1929 Bonn, 1960–97 o. Prof. für öffentliches Recht und Kirchenrecht, Verfassungsgeschichte Tübingen, 1961–77 Mitglied der württembergischen Landessynode, 1970–73 Mitglied des Rates und der Synode der EKD, 1976–97 Präsident des Schiedsgerichtshofs der EKD. Heigert, Hans, Dr. phil., Journalist 49, 248 geb. 21. 3. 1925 Mainz, gest. 17. 11. 2007 München, 1956–60 Leiter des Jugendfunks beim Bayerischen Rundfunk, 1961–69 Chefredakteur beim Bayerischen Fernsehen, 1969 leitender Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, 1984–89 Senior Editor ebd., 1989–93 Präsident des Goethe-Instituts. Heine, Fritz, Politiker, Verlagsmanager 90 geb. 6. 12. 1904 Hannover, gest. 5. 5. 2002 Zülpich, 1933–36 Koordinator der sozialdemokratischen Widerstandsaktivitäten, 1941 Mitglied des Exil-Parteivorstands der SPD in Großbritannien, 1942 tätig im Political Intelligence Department ebd., 1946–58 Vorstandsmitglied, ab 1958 geschäftsführender Parteivorstand der SPD, 1958–74 Geschäftsführer der Konzentration GmbH. Heinemann, Gustav, Politiker 21, 30, 35, 58, 82, 97, 114 f., 178, 180, 201, 203, 208, 235, 306, 325, 357 f., 380 geb. 23. 7. 1899 Schwelm, gest. 7. 7. 1976 Essen [Personenlexikon, 105] Heintze, Gerhard, Dr. theol., Theologe, Bischof 348 geb. 14. 11. 1912 Wehre, gest. 14. 12. 2006 Stuttgart, 1946–50 Missionsinspektor Hermannsburg, 1950–57 Studiendirektor des Predigerseminars Erichsburg, später Hildesheim, 1957–61 Superintendent ebd., 1961–65 Landessuperintendent des Sprengels Hildesheim, 1965–82 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig. Heisenberg, Werner Karl, Prof. Dr. rer. nat., Physiker 106 geb. 5. 12. 1901 Würzburg, gest. 1. 2. 1976 München, 1932 Nobelpreis der Physik, 1942–45 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik Berlin, o. Prof. Berlin, 1945/ 46 Internierung in England, 1946–57 Leiter des Max-Planck-Instituts für Physik Göttingen, o. Prof. ebd., 1957 Unterzeichnung der Göttinger Erklärung der 18 Atomwissenschaftler, die auf die Gefahren der Atomwaffen verweist und gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen eintritt, 1958–70 o. Prof. München und Leiter des Max-Planck-Instituts ebd. Held, Heinrich, Theologe 96 geb. 25. 9. 1897 St. Johann, gest. 19. 9. 1957 Düsseldorf [Personenlexikon, 106] Hellwig, Fritz, Dr. phil., Dr. habil., Volkswirt, Politiker 88 geb. 3. 8. 1912 Saarbrücken, gest. 22. 7. 2017 Bonn, 1947 Stellv. Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Deutschen Saarbundes, 1951–59 Geschäftsführender Direktor des Deutschen Industrieinstituts Köln, 1953–59 MdB (CDU), 1953–67 im Bundesvorstand der CDU, 1959 MdEP, 1959–67 Mitglied der Hohen Behörde der EGKS, ab 1967–70 Vizepräsident der Europäischen Gemeinschaften Brüssel.

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Hengsbach, Franz, Dr. theol., Theologe, Bischof 211 geb. 10. 9. 1910 Velmede, gest. 24. 6. 1991 Essen, 1947 Berufung ins ZK zur Vorbereitung der Katholikentage, 1948–58 Leiter des Erzbischöflichen Seelsorgeamtes Paderborn, 1952/53 Generalsekretär des ZK der deutschen Katholiken, 1953–57 Weihbischof von Paderborn, 1957–91 erster Bischof des neugegründeten Bistums Essen, 1961–78 Katholischer Militärbischof, ab 1988 Kardinal und Mitglied der päpstlichen Kongregation für die Glaubensverbreitung. Herntrich, Volkmar, Theologe 86 geb. 8. 12. 1908 Flensburg, gest. (verunglückt) 14. 9. 1958 Lietzow [Personenlexikon, 109] Herter, Christian, Politiker 125 geb. 28. 3. 1895 Paris, gest. 30. 12. 1966 Washington, D. C., 1942–53 Angehöriger des USRepräsentantenhauses für die Republikanische Partei, 1953–56 Gouverneur von Massachusetts, 1957–59 Vizeaußenminister der USA, 1959–61 Außenminister der USA, 1959 US-Verhandlungsführer bei der Genfer Außenministerkonferenz. Herzog, Roman, Prof., Dr. jur., Jurist, Hochschullehrer, Politiker 186, 411 geb. 5. 4. 1934 Landshut, gest. 10. 1. 2017 Bad Mergentheim, 1965–69 o. Prof. für Staatsrecht Berlin, 1969–72 o. Prof. für Staatslehre und Politik Speyer, 1973–78 Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz Bonn, 1973–91 Mitglied der EKD-Synode, 1978–80 Minister für Kultur und Sport Baden-Württemberg, 1978–83 Bundesvorsitzender des EAK, 1979–83 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, 1980–83 MdL (CDU) Baden-Württemberg, 1987–94 Präsident des BVerfGE. Hess, Rudolf, Kriegsverbrecher 15, 162, 179, 294, 331 geb. 26. 4. 1894 Alexandria (Ägypten), gest. (Selbstmord) 17. 8. 1987 Berlin-Spandau, 1932 SS-Gruppenführer, ab 1933 SS-Obergruppenführer und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, 1933–41 „Stellv. des Führers“, 1939–41 Mitglied des Ministerrates für Reichsverteidigung, 1941 Flug nach Glasgow zwecks Anbahnung von Friedensverhandlungen mit Großbritannien, Entlassung von allen Parteiämtern, Internierung in London, 1946 Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen „Planung eines Angriffskrieges“, 1946–87 Haft Berlin-Spandau. Hess, Werner, Pfarrer, Intendant in öffentlich-rechtlichen Funk- und Fernsehanstalten 162 f. geb. 13. 10. 1914 Frankfurt/M., gest. 11. 4. 2003 München, 1939–60 Pfarrer, 1949–60 Film- und Fernsehbeauftragter der EKD, 1948–62 Mitglied des Rundfunkrates des Hessischen Rundfunks, 1960–62 Fernseh-Programmdirektor ebd., 1962–81 Intendant ebd., 1965–66 und 1976–77 Vorsitzender der ARD, 1968–77 Vizepräsident der Union der Europäischen Rundfunkanstalten. Hessen, Johannes, Dr. theol., Dr. phil. habil., Theologe und Philosoph 97 geb. 14. 9. 1889 Lobberich, gest. 28. 8. 1971 Bad Honnef, 1920–65 a.o. Prof. für Philosophie Köln, 1933 Entzug der venia legendi, Gegner des NATO-Beitritts der Bundesrepublik und der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, 1956 Gründungsherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, 1969 Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten. Heusinger, Adolf, General 191, 246 geb. 4. 8. 1897 Holzminden, gest. 30. 11. 1982 Köln, 1955–64 maßgeblich am Aufbau der Bundeswehr beteiligt, 1957–61 erster Generalinspekteur der Bundeswehr.

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Heuss, Theodor, Dr. rer. pol., Dr. h. c. mult., Journalist, Politiker 84, 116, 119, 170 geb. 31. 1. 1884 Brackenheim, gest. 12. 12. 1963 Stuttgart, 1918 Begründer der DDP, 1920–33 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik Berlin, 1924–28, 1930–33 MdR (DDP), 1933 Journalist und freier Schriftsteller, 1945 Herausgeber der „RheinNeckar-Zeitung“, 1945/46 Kultminister Württemberg-Baden, 1946–49 Mitbegründer der FDP u. MdL (FDP) Württemberg-Baden, 1947–63 Prof. an der TH Stuttgart, 1948/ 49 Bundesvorsitzender der FDP, 1949 MdB (FDP), Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, 1949–59 Bundespräsident. Heye, Hellmuth Guido, Vizeadmiral, Publizist, Politiker 37, 311 geb. 9. 8. 1895 Beckingen, gest. 10. 11. 1970 Mittelheim, ab 1944 Kommandierender General und Vizeadmiral der Marine, 1945/46 britische Kriegsgefangenschaft, danach Autor von Büchern zur Schifffahrt und deutschen Seekriegsgeschichte, Erstellung von militärpolitischen Gutachten für die historische Abteilung der US-Marine, 1953–61 MdB (CDU), 1956–58 Präsident des Deutschen Marinebundes, 1961–64 Wehrbeauftragter des Bundestages, Rücktritt nach Veröffentlichung eines bundeswehrkritischen Artikels. Hild, Helmut, Dr. theol. h. c., Pfarrer, Kirchenpräsident 233, 293 geb. 23. 5. 1921 Weinbach, gest. 11. 9. 1999 Darmstadt, 1951–57 Pfarrverweser und später Pfarrer Westerburg, 1957–60 Pfarrer Frankfurt/M., 1960–64 erster hauptamtlicher Öffentlichkeitspfarrer der EKHN, 1964 Vorsitzender des Frankfurter Evangelischen Gemeindeverbandes, 1969–85 Kirchenpräsident der EKHN, 1973–85 Stellv. Vorsitzender des Rates der EKD. Hilke, Jürgen, Pfarrer 53, 226 geb. 1936, 1959/60 Hochschulreferent der ESGiD Bonn, 1968–73 Generalsekretär der ESG, 1973–78 Direktor der Kommunikationsabteilung des ÖRK Genf. Hindenburg, Paul von, General 88 geb. 2. 10. 1847 Posen, gest. 2. 8. 1934 Neudeck, 1914 Oberbefehlshaber der 8. Armee, später Oberkommando über alle deutschen Truppen der Ostfront, 1916–18 Übernahme (zusammen mit Erich Ludendorff) der obersten Heeresleitung, ab 1919 militärischer Ruhestand, 1925–34 Reichspräsident. Hitler, Adolf, „Führer“ der NSDAP, Politiker 14, 115, 150, 173, 357, 366 geb. 20. 4. 1889 Braunau/Inn (Österreich), gest. (Selbstmord) 30. 4. 1945 Berlin, 1933–45 deutscher Reichskanzler. Höcherl, Hermann, Jurist, Politiker 236 geb. 31. 3. 1912 Brennberg, gest. 18. 5. 1989 Regensburg, 1948/49 Rechtsanwalt Regensburg, 1950/51 Staatsanwalt Deggendorf, 1951–53 Amtsgerichtsrat Regensburg, 1953–76 MdB (CSU), 1957–61 Vorsitzender der Landesgruppe der CSU, 1961–65 BM des Innern, 1965–69 BM für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1969–72 Stellv. Vorsitzender der Landesgruppe der CSU. Höffner, Joseph, Prof. Dr. phil., Dr. rer. pol., Dr. theol., Theologe, Bischof 260, 323 geb. 24. 12. 1906 Horhausen, gest. 16. 10. 1987 Köln, 1945–51 Prof. der Theologie Trier, 1951 o. Prof. für Christliche Sozialwissenschaften Münster, Aufbau des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster, 1962–69 Bischof von Münster, 1969 Erzbischof von Köln, Ernennung zum Kardinal, 1976–87 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Personenregister/Biographische Angaben

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Hoegner, Wilhelm, Dr. jur., Jurist, Politiker 122 geb. 23. 9. 1887 München, gest. 5. 3. 1980 ebd., 1920–25 III. Staatsanwalt München, 1924–33 MdL (SPD) Bayern, 1925–29 Richter beim Amtsgericht München, 1929–33 II. Staatsanwalt ebd., 1930–33 MdR (SPD), 1933 Landgerichtsrat München, Entlassung aus dem bayerischen Staatsdienst und Flucht nach Österreich, 1934–45 Exil Schweiz, 1945/46 MP Bayern, 1945–47 Justizminister ebd., 1946/47 Stellv. MP ebd., 1947 Senatspräsident am OLG München, 1946–70 MdL (SPD) Bayern, 1948 Staatsrat und Generalstaatsanwalt beim Bayerischen Obersten Landesgericht, 1950–54 Innenminister und Stellv. MP Bayern, 1954–57 MP ebd., 1961/62 MdB (SPD). Höpker-Aschoff, Hermann, Jurist, Politiker 79 geb. 31. 1. 1883 Herford, gest. 15. 1. 1954 Karlsruhe, 1948 Mitglied des Parteivorstands der FDP, 1949–51 MdB (FDP), 1951–54 Präsident des BVerfGE und Vorsitzender des Ersten Senats. Hof , Günter, Schriftsteller, Verleger 164 geb. 17. 3. 1914 Berlin, gest. 27. 12. 1988 Königs-Wusterhausen, Schriftsteller und Direktor des „Verlags der Nation“, 1963 Festnahme wegen Spionageverdachts für die DDR, 1963 Freilassung im Rahmen des Agentenaustausches mit der Bundesrepublik. Honecker, Erich, Politiker 61, 155, 230, 236, 241, 264, 328, 396 geb. 25. 8. 1912 Neunkirchen, gest. 29. 5. 1994 Santiago de Chile, 1933–37 Widerstandstätigkeit gegen den Nationalsozialismus im Auftrag der KPD, 1937–45 Verurteilung durch den VGH und Zuchthausstrafe in Brandenburg, 1946–55 Mitbegründer und erster Vorsitzender der FDJ, ab 1958 Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, 1971–76 Erster Sekretär des ZK der SED, ab 1976 Generalsekretär ebd., 1976–89 Vorsitzender des Staatsrats, 1989 Rücktritt von allen Ämtern, 1990–93 nach Parteiausschluss Ermittlungsverfahren und U-Haft, Flucht nach Moskau, Rückkehr nach Berlin sowie erneute U-Haft, 1993 Ausreise nach Chile. Hopf, Volkmar, Jurist, Ministerialbeamter 142, 151 geb. 11. 5. 1906 Allenstein, gest. 22. 3. 1997 Wiesbaden, 1951 Tätigkeit im Bundesministerium des Innern, Ministerialdirigent ebd., 1955 tätig im Bundesministerium für Verteidigung, 1956 Ministerialdirektor ebd., 1959–64 Staatssekretär ebd., ab 1962 beurlaubt im Kontext der „Spiegel-Affäre“, 1964–71 Präsident des Bundesrechnungshofes, ab 1965 Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Houphou t-Boigny, F lix, Arzt, Politiker 378 geb. 18. 10. 1905 Yamoussoukro (Elfenbeinküste), gest. 7. 12. 1993 ebd., ab 1946 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und Vorsitzender der RDA, 1956–59 als Minister in unterschiedlichen Kabinetten der IV. und V. Republik, 1960–93 Premierminister und erster Staatspräsident der Elfenbeinküste. Howe, Ernst Günther, Dr. rer. nat., Mathematiker, Physiker 185 geb. 16. 8. 1908 Hamburg, gest. 28. 7. 1968 Heidelberg, 1958–68 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Physik/Theologie) und Mitglied der Marxismus-Kommission bei der FEST Heidelberg, 1961 Mitinitiator und -Verfasser des „Tübinger Memorandums“, 1967 Ernennung zum Honorarprof. durch die evangelische theologische Fakultät der Universität Heidelberg. Hübner, Christoph Friedrich Wilhelm, Pfarrer, Bischof 180, 240 geb. 25. 6. 1911 Bangalore (Indien), gest. 6. 6. 1991 Kiel, 1950–62 OKR und theologischer Referent im Lutherischen Kirchenamt der VELKD Hannover, 1956–81 Mitglied der

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Personenregister/Biographische Angaben

Synode der EKD, 1964–67 Bevollmächtigter für das Evangelische Hilfswerk und Vorsitzender des Landesverbandes der Inneren Mission Schleswig-Holstein, 1964–77 Bischof für den Sprengel Holstein, 1967–76 Vorsitzender der Kirchenleitung ebd., 1977–81 Bischof für den Sprengel Holstein-Lübeck, 1978/79 Vorsitzender der Kirchenleitung der NEK. Jaenicke, Wolfgang, Jurist, Diplomat, Politiker 104 f. geb. 17. 10. 1881 Breslau, gest. 5. 4. 1968 Lenggries, 1919–28 Regierungspräsident Breslau, Reichskommissar bei der Durchführung des Friedensvertrages in Posen und Schlesien, 1930–33 Potsdam, 1930–32 MdR (Deutsche Staatspartei), 1933–36 im Auftrag des Völkerbundes Berater der chinesischen Nationalregierung, 1945–47 Staatskommissar, 1947–50 Staatssekretär für das Flüchtlingswesen in Bayern, 1952–54 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Pakistan, 1954–58 Botschafter beim Heiligen Stuhl (Vatikan). Jahn, Gerhard, Jurist, Politiker 59, 221, 228, 283, 290 geb. 10. 9. 1927 Kassel, gest. 20. 10. 1998 Marburg, 1956–78 Stadtverordneter Marburg, 1957–90 MdB (SPD), in dieser Zeit wiederholt Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, 1967–69 Parlamentarischer Staatssekretär im AA, 1969–74 BM der Justiz, 1975–77, 1979–82 Vertreter der Bundesrepublik in der Menschenrechtskommission der UNO. Jakir, Pjotr, Dissident, Historiker 306 geb. 20. 1. 1923 Kiew, gest. 14. 11. 1982 Moskau, 1937–52 Internierung in unterschiedlichen sowjetischen Straflagern, 1955–72 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der SU, 1972–74 Verbannung, 1974 Begnadigung. Jaspers, Karl, Dr. med., Prof. Dr. phil., Dr. s lettres h. c., Psychiater, Philosoph, Hochschullehrer 219 geb. 23. 2. 1883 Oldenburg, gest. 26. 2. 1969 Basel, 1922–37 o. Prof. für Philosophie Heidelberg, 1937 zwangsweise Versetzung in den Ruhestand, 1943 Publikationsverbot, 1948 o. Prof. für Philosophie Basel. Jellinek, Walter, Prof. Dr. jur., Jurist 77 geb. 12. 7. 1885 Wien, gest. 9. 6. 1955 Heidelberg, 1919–29 o. Prof. für öffentliches Recht Kiel, 1929–35 Heidelberg, 1939–45 Zwangsemeritierung, 1945–47 o. Prof. für öffentliches Recht Heidelberg, 1947–55 Richter am Württembergisch-Badischen Staats- und Verwaltungsgerichtshof Stuttgart. Jenkins, Roy Harris, Baron Jenkins of Hillhead, Journalist, Politiker 356 geb. 11. 11. 1920 Abersychan, gest. 5. 1. 2003 East Hendred, 1948–77 Mitglied des Unterhauses (Labourpartei), 1965–67 und 1974–76 Innenminister, 1967–70 Schatzkanzler, 1977–81 Präsident der EG-Kommission, 1981 Mitbegründer SDP, 1982–87 Mitglied des Unterhauses (SDP), 1987–97 Mitglied des Oberhauses (Liberal Democrats). Jesser, Walter, Dr. jur., Diplomat 377 geb. 15. 6. 1919 Stuttgart, gest. 28. 12. 1993 Bonn-Bad Godesberg, 1969–72 Leiter des Deutschen Stabes in der italienischen Botschaft Kairo, 1972–78 Ministerialdirigent, Leiter der Unterabteilung 31, Politische Abteilung des AA Bonn, 1978–84 Botschafter der Bundesrepublik in Marokko. Jobert, Michel, Politiker 297 f. geb. 11. 9. 1921 Mekn s (Marokko), gest. 25. 5. 2002 Paris, 1963–68 zunächst Stellv.

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Direktor, dann Direktor des Büros des französischen Premierministers, 1969–73 Generalsekretär ebd., 1973–74 Außenminister der V. Republik, 1981–83 Minister für Außenhandel. Johannes XXIII., Papst 158 geb. 25. 11. 1881 Sotto il Monte als Angelo Guiseppe Roncalli, gest. 3. 6. 1963 Vatikanstadt, katholischer Militärgeistlicher im Ersten Weltkrieg, 1925–34 Titular-Erzbischof und Apostolischer Visitator Bulgarien, 1934–37 Apostolischer Delegat für die Türkei, 1937–44 für Griechenland, 1945–53 Apostolischer Nuntius Paris, ab 1951 Ständiger Beobachter des Vatikans bei der UNESCO, 1953–58 Kardinal und Patriarch von Venedig und Aquileja, 1958–63 Papst. John, Otto, Dr. jur., Jurist, Verfassungsschutzpräsident 55, 94, 158 f., 322 geb. 19. 3. 1909 Marburg, gest. 26. 3. 1997 Innsbruck, 1937–44 Mitarbeiter beim Syndikus der Deutschen Luft Hansa AG, 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 Flucht nach Großbritannien, 1944–48 tätig im Foreign Office, 1948–50 Rechtsanwalt London, 1950 Rückkehr nach Deutschland, kommissarischer Leiter und 1951–54 erster Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 1954 Übertritt nach Ostberlin unter ungeklärten Umständen, 1955 Rückkehr in die Bundesrepublik, 1956–58 Verurteilung und Haftstrafe wegen Landesverrats, 1958 vorzeitige Haftentlassung und Übersiedlung nach Österreich. Johnson, Lyndon B., Politiker 130, 179 geb. 27. 8. 1908 Stonewall (Texas), gest. 22. 1. 1973 ebd., 1937–49 Abgeordneter für die Demokratische Partei im US-Repräsentantenhaus, 1949–61 Senator für Texas, 1961–63 Vizepräsident, 1963–69 Präsident der USA. Juliana, Königin 233 geb. 30. 4. 1909 Den Haag, gest. 20. 3. 2004 Soestdijk, 1940–45 Exil in Großbritannien und Kanada, 1948–80 Königin der Niederlande, 1980 Abdankung zugunsten ihrer Tochter Beatrix von Oranien-Nassau. Kaisen, Wilhelm, Politiker 90 geb. 22. 5. 1887 Hamburg, gest. 19. 12. 1979 Bremen, 1920–28, 1933 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (SPD), 1933–45 Landwirt Bremen, 1945–65 Präsident der Bürgerschaft ebd., Bürgermeister ebd. Kaiser, Jakob, Politiker 80, 87, 90 geb. 8. 2. 1888 Hammelburg, gest. 7. 5. 1961 Berlin, 1924–33 Landesgeschäftsführer der Christlichen Gewerkschaften für Westdeutschland, 1933 MdR (Zentrum), Verhaftung wegen Hoch- und Landesverrats, später Teilnahme am Widerstand des 20. Juli 1944, 1945 Mitbegründer der CDU Berlin und 1. Vorsitzender der CDU der sowjetischen Besatzungszone und Berlins, 1947 Amtsenthebung durch die sowjetische Verwaltung, 1948 Stadtverordneter Berlin und Berliner Vertreter im Parlamentarischen Rat, 1949–57 MdB (CDU) und BM für gesamtdeutsche Fragen. Kalinna, Hermann, Pfarrer 17, 24, 57 geb. 26. 6. 1929 Düsseldorf, gest. 28. 3. 2018 Bonn Bad-Godesberg, 1962–66 Pfarrer Bad Godesberg, 1966–94 OKR Bonn, 1977–94 Stellv. des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesregierung, ab 1977 Vorsitzender des Hauptausschusses „Hörfunk und Fernsehen“ im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, 1981–85 Vorsitzender des Programmausschusses des Deutschlandfunks.

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Personenregister/Biographische Angaben

Kappler, Herbert, Kriegsverbrecher 21, 331 geb. 23. 9. 1907 Stuttgart, gest. 9. 2. 1978 Soltau, 1943–45 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Rom, 1948 in Italien u. a. wegen Mordes in 335 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt, 1976 Haftverschonung und Flucht nach Deutschland. Katzer, Hans, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 208, 263 geb. 31. 1. 1919 Köln, gest. 18. 7. 1996 ebd., 1945 Mitbegründer der CDU, 1945–49 tätig beim Arbeitsamt Köln, 1950–57 Stadtrat ebd., 1950–77 Hauptgeschäftsführer, ab 1963 Vorsitzender der Sozialausschüsse der CDA, 1957–80 MdB (CDU), 1965–69 BM für Arbeit und Sozialordnung, 1969–80 Stellv. Fraktionsvorsitzender und Stellv. Bundesvorsitzender der CDU. Kaufmann, Erich, Prof. Dr. jur., Jurist, Hochschullehrer 77 geb. 21. 9. 1880 Demmin, gest. 5. 11. 1972 Karlsruhe, 1913 o. Prof. für Staats- und Völkerrecht Kiel, 1913–17 Königsberg, 1917–20 Berlin, 1920–1924 Bonn, 1927–34 Berlin, Entlassung aus dem Amt aus rassistischen Gründen, 1940 Emigration, untergetaucht in den Niederlanden, 1946–50 o. Prof. München, Direktor des Instituts für Völkerrecht, 1950–58 Berater des AA und des Bundeskanzlers. Kaul, Friedrich Karl, Dr. jur. Jurist, Autor 129, 164 geb. 21. 2. 1906 Posen, gest. 16. 4. 1981 Ostberlin, 1945 nach Emigration Rückkehr nach Deutschland (Ostberlin), Justiziar beim Berliner Rundfunk, Strafverteidiger an westund ostdeutschen Gerichten, 1960 Ernennung zum Prof., 1963–70 Nebenkläger in zahlreichen Prozessen gegen NS-Täter, 1972–81 Moderator der DDR-Fernsehsendung „Fragen Sie Professor Kaul“, ab 1977 Organisation der Kooperation der DDR-Staatssicherheit mit Anwälten von RAF-Terroristen. Kaunda, Kenneth David, Politiker 227 geb. 28. 4. 1924 Lubwa bei Chinsali, gest. 17. 6. 2021 Lusaka, ab 1952 gewählter Sekretär des ANC, danach Generalsekretär ebd., 1959/60 Haft, 1960 Präsident der United National Independence Party (UNIP), 1964–91 erster Präsident von Sambia. Kempski, Hans Ulrich, Journalist 156 geb. 3. 8. 1922 Dramburg, gest. 30. 12. 2007 München, 1949 Chefreporter der „Süddeutschen Zeitung“, 1970–87 Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion ebd., danach Sonderkorrespondent ebd. Kemritz, Hans, Dr. jur., Jurist, Agent 76 geb. 19. 8. 1888 Berlin, 1914–19 Assessor beim Amtsgericht Berlin-Mitte, 1917/18 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, ab 1919 Rechtsanwalt Charlottenburg und Berlin, im Zweiten Weltkrieg Major bei der Abwehr des Stellv. Generalkommandos III Berlin, ab 1945 tätig für den sowjetischen Geheimdienst, gleichzeitig für den US-Geheimdienst, 1945–47 Rechtsanwalt Ostberlin, 1947 Bad Homburg, 1950 verhaftet wegen Mitwirkung an der Verhaftung von Deutschen durch die sowjetische Besatzungsmacht, 1951 Einstellung des Verfahrens. Kennedy, John Fitzgerald, Politiker 128, 130, 132, 139 f., 148 f., 152–154, 158 f., 185 geb. 29. 5. 1917 Brookline (Massachusetts), gest. (ermordet) 22. 11. 1963 Dallas (Texas), 1941–45 Marineoffizier, 1947 Abgeordneter der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, 1953–61 Senator des Staates Massachusetts, 1961–63 Präsident der USA. Kienbaum, Gerhard, Politiker 251 geb. 12. 10. 1919 Barmen, gest. 24. 2. 1998 Köln, nach 1945 Aufbau der Unternehmensberatung Kienbaum, 1954–62, 1966–69 MdL (FDP) NRW, 1962–66 Minister für

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Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr NRW, 1966–72 MdB (FDP), 1975 Wechsel zur CDU. Kiep, Walther Leisler, Dr. h. c., Politiker 188, 243 geb. 5. 1. 1926 Hamburg, gest. 9. 5. 2016 Kronberg, 1948–55 tätig für die Insurance Company of North America, zuletzt als Hauptbevollmächtigter für Deutschland, ab 1955 tätig für die Gradmann- und Haller-Gruppe, 1965–76 und 1980–82 MdB (CDU), 1967–76 Mitglied des Präsidiums der CDU Hessen, Landesschatzmeister ebd., 1971–92 Mitglied des Bundespräsidiums der CDU und Bundeschatzmeister ebd., 1976–80 Minister der Finanzen in Niedersachsen. Kiesinger, Kurt Georg, Dr. h. c. mult., Jurist, Politiker 17, 31, 71 f., 169, 178, 184, 189–195, 208, 214, 235, 278 geb. 6. 4. 1904 Ebingen, gest. 9. 3. 1988 Tübingen, 1940–45 tätig für die Rundfunkpolitische Abteilung des AA, ab 1943 Stellv. Abteilungsleiter ebd., 1948–51 Geschäftsführer des CDU-Landesverbands Württemberg-Hohenzollern, 1949–59, 1969–80 MdB (CDU), 1956–58 MdEP, 1958–66 MP Baden-Württemberg, 1960–66 MdL (CDU) BadenWürttemberg, 1963–66 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit, 1966–69 Bundeskanzler, 1967–71 Bundesvorsitzender der CDU. Kissinger, Henry, Politiker 296, 307, 313, 334, 340–345, 365, 372, 374, 376 f., 379 geb. 27. 5. 1923 Fürth, 1969–1975 Leiter des Nationalen Sicherheitsrates der USA, 1973–77 Außenminister ebd., 1977–81 Direktor des Council on Foreign Relations. Klages, Eberhard, Theologe, Journalist 133 geb. 19. 3. 1930 Berlin, 1952 Mitbegründer der GVP, 1961–65 Abgeordneter der Stadtbezirksversammlung Prenzlauer Berg (CDU), 1962/63 Freier Mitarbeiter bei der „Neuen Zeit“, 1963–78 Leiter der Abteilung Kirchenfragen ebd., ab 1978 Chefredakteur ebd., 1966 Mitglied des Kreisvorstandes der CDU Berlin-Treptow, ab 1968 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Kirchenfragen beim Hauptvorstand der CDU. Klaiber, Manfred, Dr. jur., Diplomat 104 geb. 8. 6. 1903 Grafenberg, gest. 16. 7. 1981 Stuttgart, 1942–44 beim Bevollmächtigten des AA beim Militärbefehlshaber in Serbien, Belgrad, 1944 Dienststelle des AA, Wien, 1944/45 beim Sonderbevollmächtigten des AA für den Südosten, 1947 Tätigkeit im Württemberg-Badischen Staatsministerium, 1949–57 Chef des Bundespräsidialamtes, ab 1954 Staatssekretär ebd., 1957–63 Botschafter der Bundesrepublik Rom, 1963–68 Paris, 1968/69 Koordinator für deutsch-französische Zusammenarbeit. Kloten, Norbert, Prof. Dr. oec. publ., Wirtschaftswissenschaftler 261 geb. 12. 3. 1926 Sinzig, gest. 5. 4. 2006 Tübingen, 1960–76 o. Prof. für Volkswirtschaft in Tübingen, 1976–92 Präsident der Landeszentralbank Baden-Württemberg. Kluncker, Heinz, Gewerkschaftsfunktionär 319 geb. 20. 2. 1925 Barmen, gest. 21. 4. 2005 Stuttgart, 1946–49 Parteisekretär der SPD Wuppertal, 1952–61 Volontär und Sachbearbeiter in der Hauptverwaltung der ÖTV Stuttgart, 1958 Bundesarbeitersekretär der Gewerkschaft, 1961–64 Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der ÖTV, 1964–82 Vorsitzender ebd., 1971–73 Vizepräsident der Internationale der öffentlichen Dienste, 1973–82 Präsident ebd. Knappstein, Karl Heinrich, Journalist, Diplomat 154 geb. 15. 4. 1906 Bochum, gest. 6. 5. 1989 Bad Homburg, 1945–48 Ministerialdirektor im Ministerium für politische Befreiung Hessen, 1948–50 Pressechef des Verwaltungsrates

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Personenregister/Biographische Angaben

des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1950/51 tätig am deutschen Generalkonsulat New York, 1951–56 Generalkonsul Chicago, 1956–58 Botschafter der Bundesrepublik Madrid, 1958–60 Stellv. Staatssekretär im AA, 1960–62 Beobachter der Bundesrepublik bei den UN, 1962–69 Botschafter der Bundesrepublik in den USA. Koch, Erich, Politiker 13 f., 162, 331 geb. 19. 6. 1896 Elberfeld, gest. 12. 11. 1986 Staatsgefängnis Barcezwo (Polen), 1928–45 Gauleiter von Ostpreußen und Oberpräsident ebd., 1930–45 MdR (NSDAP), 1941–44 Reichskommissar der Ukraine, 1949 Auslieferung an Polen, 1959 dort zum Tod verurteilt, ab 1960 Umwandlung des Urteils in eine lebenslange Haftstrafe. Kogon, Eugen, Dr. phil., Publizist, Politikwissenschaftler 195 geb. 2. 2. 1903 München, gest. 24. 12. 1987 Falkenstein, 1927–37 Redakteur der katholischen Wochenzeitung „Schönere Zukunft“, 1933–38 zwei Mal inhaftiert wegen antinationalsozialistischer Agitation, 1938 Internierung im KZ Buchenwald, ab 1946 (mit Walter Dirks) Herausgeber der Monatsschrift „Frankfurter Hefte“, 1951–68 Prof. der politischen Wissenschaften Darmstadt, 1963/64 und 1968 Leitung der Fernsehmagazine „Panorama“ und „Perspektive“. Kohl, Helmut, Dr. phil., Dr. h. c. mult., Politiker 354, 364, 407, 411 geb. 3. 4. 1930 Ludwigshafen/Rhein, gest. 16. 6. 2017 ebd., 1959–76 MdL (CDU) Rheinland-Pfalz, 1966–74 Landesvorsitzender der CDU ebd., 1969–76 MP ebd., 1973–98 Bundesvorsitzender der CDU, 1976–2002 MdB (CDU), 1982–98 Bundeskanzler. Kohl, Michael, Dr. jur., Diplomat 176, 241, 259, 272, 354, 364, 407, 411 geb. 28. 9. 1929 Sondershausen, gest. 4. 7. 1981 Ostberlin, 1961–65 Abteilungsleiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, 1965–68 Staatssekretär beim MinisterRat für West-Berlin-Fragen, ab 1965 Verhandlungsführer der DDR bei den Passierscheingesprächen mit dem Senat von West-Berlin, 1968–73 Staatssekretär für westdeutsche Fragen, 1974–78 Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik, 1978–81 Stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten. Kollatz, Udo Walter, Dr. rer. pol., Dr. jur., Jurist 352 geb. 1. 3. 1931 Königsberg, 1965 Regierungsdirektor in der Hessischen Staatskanzlei und Ministerialdirigent ebd., ab 1967 Stellv. des Staatssekretärs im Hessischen Kultusministerium, 1970 Ministerialdirektor, 1974–78 Staatssekretär (SPD) im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, danach Rechtsanwalt Bonn, Honorarprof. Darmstadt, Beratertätigkeit für international agierende Verbände. Korber, Horst, Jurist, Verwaltungsbeamter 176 geb. 16. 3. 1927 Stadtroda, gest. 2. 7. 1981 Westberlin, 1954/55 Richter am Landgericht Berlin, 1955–67 in der Senatskanzlei Berlin, 1967 Senatsdirektor für Justiz ebd., 1967–71 Senator für Familie, Jugend und Sport ebd., 1971–75 Senator für Justiz Berlin, 1975–77 für Arbeit und Soziales ebd., 1977–79 für Bundesangelegenheiten ebd., 1971–79 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (SPD), 1980/81 MdB (SPD). Koschnick, Hans, Dr. h. c., Politiker 363, 389 geb. 2. 4. 1929 Bremen, gest. 21. 4. 2016 ebd., 1967–85 Bürgermeister Bremen, 1971/72, 1981/82 Präsident des Bundesrates, 1971–77 Präsident des Deutschen Städtetages, 1975–79 Stellv. SPD-Vorsitzender, 1987–94 MdB (SPD), 1994–96 EU-Administrator für Mostar in Bosnien und Herzegowina, 1996 Rücktritt vom Amt nach zwei gescheiterten Anschlagsversuchen auf ihn, 1996–98 Berater der EU-Kommission.

Personenregister/Biographische Angaben

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Kotalla, Joseph Johann, verurteilter Kriegsverbrecher 21, 234, 331 geb. 14. 7. 1908 Bismarckhütte, gest. 31. 7. 1979 Haftanstalt Breda (Niederlande), 1942 Schutzhaftlagerführer und Stellv. Kommandant des Durchgangslagers Amersfoort, 1949 in den Niederlanden zum Tode verurteilt, 1951 Umwandlung des Urteils in eine lebenslange Haftstrafe. Krasin, Victor, Wirtschaftswissenschaftler, Dissident 306 geb. 4. 8. 1920 Kiew, gest. 3. 9. 2017 Nahariya (Israel), 1949–66 wiederholte Haftstrafen wegen seines Engagements gegen Menschenrechtsverletzungen in der SU, 1966–68 Wissenschaftler am Central Economics and Mathematics Institute Moskau, nach Entlassung erneute Inhaftierung, 1975–91 Emigration in die USA, ab 1981 USStaatsbürger, tätig als Journalist, 1991–2003 Übersiedlung nach Moskau, 2003 Rückkehr in die USA. Kraske, Konrad, Dr. phil., Politiker 243 geb. 5. 6. 1926 Berlin, gest. 16. 11. 2016 Freiburg/Br., 1951/52 Pressereferent bei der Dienststelle Blank, 1954–58 Stellv. Bundesgeschäftsführer der CDU, 1958–70 Bundesgeschäftsführer ebd., 1971–73 Generalsekretär ebd., 1965–80 MdB (CDU), 1962–2002 Mitglied des Fernsehrates des ZDF, ab 1992 dessen Vorsitzender. Krause, Christian, Theologe 304 geb. 6. 1. 1940 Dallgow-Döberitz, 1969/70 Forschungssekretär beim LWB, ab 1972 Oberkirchenrat im Lutherischen Kirchenamt der VELKD und des LWB, 1985 94 Generalsekretär des DEKT, 1994 2002 Landesbischof der Ev.-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 1997 2003 Präsident des LWB. Krautwig, Carl, Dr. jur., Jurist 202 geb. 5. 11. 1904 Köln, gest. 18. 12. 1981 ebd., 1942–45 Heeresrichter, 1945–48 Oberverwaltungsdirektor bei der Stadt Köln, 1948–49 Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, 1949–63 tätig u. a. als Abteilungsleiter im BMWI, 1964–68 Staatssekretär im BMG, 1965–69 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland in Berlin. Krebs, Fritz, Dr. jur., Jurist, Politiker 80 geb. 9. 5. 1894 Germersheim, gest. 6. 5. 1961 Bad Homburg, 1933–45 Kreisleiter der NSDAP Frankfurt/M. und OB ebd., ab 1952 Landesvorsitzender der DP Hessen, Mitglied der Frankfurter Stadtverordneten-Versammlung, nach Protesten Rücktritt vom Amt, ab 1953 tätig als Rechtsanwalt. Krone, Heinrich, Dr. phil., Politiker 113 f., 135, 156, 191, 198 geb. 1. 12. 1895 Hessisch Oldendorf, gest. 15. 8. 1989 Bonn, 1925–33 MdR (Zentrum), 1933–45 Handelsvertreter, 1944 Verhaftung im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli, 1945 Mitgründer der CDU in Berlin, 1949–69 MdB (CDU), 1955–61 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1958–62 Stellv. Vorsitzender der CDU, 1961–66 BM für besondere Aufgaben bzw. für Angelegenheiten des Bundesverteidigungsrates, 1962–66 Mitglied des Präsidiums der CDU. Krüger, Hans, Politiker 138, 383 geb. 6. 7. 1902 Neustettin, gest. 3. 11. 1971 Bonn, 1954–58 Stellv. Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen NRW, 1952–57 Abgeordneter des Kreistages von Olpe, 1957–65 MdB (CDU), 1958–64 Präsident des BdV, 1963/64 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1964 Rücktritt vom Amt als Minister und BdVPräsident aufgrund von Berichten über seine Rolle im Nationalsozialismus.

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Personenregister/Biographische Angaben

Kühlmann-Stumm, Knut Freiherr von, Politiker 173 geb. 17. 10. 1916 München, gest. 19. 1. 1977 Bad Soden-Salmünster, 1953 Vorsitzender des Kreisverbandes Schlüchtern der FDP, 1956–58 Landesschatzmeister der FDP Hessen, 1960–76 MdB (FDP, ab 1972 CDU), 1963–68 Fraktionsvorsitzender der FDP im Deutschen Bundestag. Kühn, Heinz, Politiker 301, 315, 335 geb. 18. 2. 1912 Domstadt, gest. 12. 3. 1992 Köln, 1953–63 MdB (SPD), bis 1963 Vorsitzender der sozialistischen Fraktion der Beratenden Versammlung des Europarates und der WEU, 1962 Vorsitzender des SPD-Bezirks Mittelrhein, 1966 MP NRW, 1973–78 Stellv. Parteivorsitzender der SPD, 1978–80 Ausländer-Beauftragter der Bundesregierung. Küppers, Werner, Prof. Dr. theol., Theologe 348 geb. 1. 11. 1905 Königsberg, gest. 22. 6. 1980 Tübingen, 1933 a.o. Prof. für alttestamentliche Exegese Bern, 1940 ao. Prof. für systematische Theologie Bern, 1947–71 ao. Prof. für altkatholische systematische Theologie Bonn, 1949–71 Direktor des Alt-Katholischen Seminars Bonn und Regens des bischöflichen Seminars, 1958 Diätendozent Bonn, 1964 Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat und Prof. ebd. Kunst, Elisabeth, geb. Quade, Ehefrau von Hermann Kunst 13 geb. 5. 2. 1905 Bocholt, gest. 2. 2. 1977 Bonn, 1932 Heirat mit Hermann Kunst. Kurz, Ingrid, Hochschullehrerin 50, 55, 317, 383 Dozentin für Sozialpädagogik an der FH Hamburg, Prof. an der HAW ebd., 1976 Mitglied des Direktoriums der DFU, Mitglied des Arbeitsausschusses der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“. Lange, Halvard Manthey, Politiker, Journalist 107, 130, 384 geb. 16. 9. 1902 Kristiana, gest. 19. 5. 1970, 1932–34 Mitglied des Stadtrates von Oslo, Mitglied des Zentralvorstandes der Arbeiterpartei Norwegens, 1936–38 Dozent für Geschichte an der Universität Oslo, 1940–45 Inhaftierung, 1942–45 Lagerhaft KZ Sachsenhausen, 1946–65 (mit kurzer Unterbrechung 1963) norwegischer Außenminister, 1950–69 Mitglied des Parlamentes (Arbeiterpartei). Leber, Georg, Gewerkschaftsfunktionär, Politiker 17, 32, 220, 282 geb. 7. 10. 1920 Obertiefenbach, gest. 21. 8. 2012 Schönau am Königssee, 1955–57 Stellv. Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, 1957–66 Erster Vorsitzender ebd., 1957–83 MdB (SPD), 1958–59 MdEP, 1961–86 Mitglied des Vorstandes der SPD, 1966–72 BM für Verkehr, ab 1969 BM für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, 1972–78 BM der Verteidigung, 1979–83 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Lehming, Sigo, Dr. theol., Pfarrer, Militärbischof 37, 293 geb. 6. 11. 1927 Berlin, gest. 12. 5. 2021 Pinneberg, 1956–58 Studieninspektor des Predigerseminars Preetz, 1958–66 Pfarrer Quickborn, 1967 Probst des Kirchenkreises Pinneberg, Synodaler der Landeskirche, Mitglied der Generalsynode der VELKD und stellv. Mitglied in deren Kirchenleitung, 1972–85 evangelischer Militärbischof. Lemmer, Ernst, Journalist, Politiker 87, 113 geb. 28. 4. 1898, gest. 18. 8. 1970, 1924–33 MdR (DDP/DStP), danach Auslandskorrespondent für verschiedene ausländische Zeitungen, 1946–49 MdL (CDU) Brandenburg, 1951–69 Mitglied des Berliner Abgeordneten Hauses (CDU), 1952–70 MdB (CDU), 1956/57 Bundespostminister, 1957–62 BM für gesamtdeutsche Fragen, 1961–70

Personenregister/Biographische Angaben

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Vorsitzender der Exil-CDU, 1964/65 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1965–69 Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers für Berlin. Lenin, Wladimir Iljitsch, Politiker 42, 44, 149, 301, 367, 373 geb. 10. 7. 1870 Simbirsk, gest. 21. 1. 1924 Gorki bei Moskau, Revolutionär, Politiker, Regierungschef und Gründer der SU. Lenz, Hans, Politiker 162 geb. 12. 7. 1907 Trossingen, gest. 28. 8. 1968 Rottweil, 1947–50 stellv. Direktor des Staatlichen Hochschulinstituts für Musikerziehung Trossingen, 1950–61 Verwaltungsdirektor der Hohner-Stiftung ebd., 1953–67 MdB (FDP), 1960–64 Stellv. Bundesvorsitzender der FDP, 1961/62 Bundesschatzminister, 1962–65 BM für wissenschaftliche Forschung. Leussink, Hans, Prof. Dr.-Ing., Bauingenieur, Hochschullehrer, Politiker 209 geb. 2. 2. 1912 Schüttorf, gest. 16. 2. 2008 Karlsruhe, 1946–54 selbstständiger Ingenieur Essen, 1954 o. Prof. an der TU Karlsruhe, 1958–61 Rektor ebd., 1960–62 Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, ab 1963 Mitglied und 1965–69 Vorsitzender des Wissenschaftsrats, 1969–72 BM für Bildung und Wissenschaft, 1967–69, 1972–98 Mitglied im Verwaltungsrat der Friedrich Krupp GmbH, 1968/69, 1972–99 Mitglied des Aufsichtsrates ebd. Lilje, Hanns, Theologe 114 f. geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 ebd. [Personenlexikon, 157 f.] Linnenbrink, Günter, Dr. theol., Theologe, Pfarrer 369 geb. 16. 11. 1934 Bochum, 1962 67 Mitarbeiter des Deutschen Ev. Missionsrates, Hamburg, zuständig für Lateinamerika und das südliche Afrika sowie für Fragen der ökumenischen Diakonie, 1969 76 im Auftrag des Rates der EKD Aufbau des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, 1979 99 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst der EKD, 1976 99 Sprengelbischof der Ev.-Lutherischen Landeskirche Hannover, ab 1999 deren theologischer Vizepräsident. Lohmar, Ulrich, Prof. Dr. sc. pol., Publizist, Hochschullehrer, Politiker 209 geb. 30. 4. 1928 Engelskirchen, gest. 28. 11. 1991 Bonn, 1952–55 Vorsitzender des SDS, 1954–68 Chefredakteur „Die Neue Gesellschaft“, 1967–69 der Bielefelder Tageszeitung „Neue Westfälische“, 1957–76 MdB (SPD), 1969–71 o. Prof. für Politische Wissenschaft Duisburg, ab 1971 Paderborn. Lohse, Eduard, Prof. Dr. theol., Dr. h. c. mult., Theologe, Hochschullehrer 283, 314 geb. 19. 2. 1924 Hamburg, gest. 23. 6. 2015 Göttingen, 1956–64 o. Prof. (NT) Kiel, 1964–71 Göttingen, 1970/71 Rektor ebd., 1970–88 Landesbischof Hannover, 1979–85 Vorsitzender des Rates der EKD. Lorenz, Peter, Jurist, Politiker 360 geb. 22. 12. 1922 Berlin, gest. 6. 12. 1987 ebd., 1954–80 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (CDU), 1967–75 Vizepräsident, 1975–80 Präsident ebd., 1975 Spitzenkandidat der CDU für das Amt des Bürgermeisters von Berlin, Entführung durch die Terrorgruppe Bewegung 2. Juni, Freilassung nach Erfüllung der Forderungen der Terroristen durch die Bundesregierung, 1976/77, 1980–87 MdB (CDU). Lübke, Heinrich, Politiker 135, 156 f., 169 f. geb. 14. 10. 1894 Enkhausen, gest. 6. 4. 1972 Bonn, 1939–45 Vermessungsingenieur und Bauleiter, 1944 stellv. Leiter der „Baugruppe Schlempp“, 1946 Mitglied des Beratenden

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Personenregister/Biographische Angaben

Westfälischen Provinzialrats in Münster, 1946–54 MdL (CDU) NRW, 1947–52 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten NRW, 1949/50, 1953–59 MdB (CDU), 1953–59 BM für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1959–69 Bundespräsident. Lücke, Paul, Politiker 186 f., 379 geb. 13. 11. 1914 Schöneborn, gest. 10. 8. 1976 Erlangen, 1945 Mitbegründer der CDU im Oberbergischen Kreis, 1947–49 Amtsdirektor Engelskirchen, 1949–72 MdB (CDU), 1954–65 Präsident des Deutschen Gemeindetages, 1957–65 BM für Wohnungsbau, ab 1961 für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, 1965–68 BM des Innern, 1969–76 Leiter der Deutschen Wohnungsgesellschaft Köln. Luns, Joseph, Diplomat, Politiker 170 geb. 28. 8. 1911 Rotterdam, gest. 17. 6. 2002 Brüssel, 1949–52 Erster Ständiger Vertreter der Niederlande bei der UN New York, 1952 Minister ohne Geschäftsbereich, 1952–71 Außenminister Niederlande, 1971–84 NATO-Generalsekretär. Macmillan, Harold, Sir, Earl of Stockton, Politiker 126 geb. 10. 2. 1894 Chelsea, London, gest. 29. 12. 1986 Birch Grove, Horsted Keynes, 1931–64 Mitglied des britischen Unterhauses (Konservative Partei), 1942 Parlamentarischer Unterstaatssekretär im Kolonialministerium, 1942–45 Vertreter der britischen Regierung im alliierten Hauptquartier Nordwestafrika, 1943/44 britischer diplomatischer Vertreter beim Französischen Nationalkomitee de Gaulles Algier, 1945 Luftfahrtminister, 1951–54 Minister für Wohnungsbau, 1954/55 Verteidigungsminister, 1955 Außenminister, 1955–57 Schatzkanzler, 1957–63 Premierminister und Vorsitzender der Konservativen Partei. Maier, Reinhold, Dr. jur., Politiker 83 geb. 16. 10. 1889 Schorndorf, gest. 19. 8. 1971 Stuttgart, 1930–33 Wirtschaftsminister in Württemberg, 1932/33 MdL ebd., MdR (Deutsche Staatspartei), 1945–52 MP von Württemberg-Baden, 1952/53 Baden-Württemberg, 1953 Justizminister ebd., 1953–56, 1957–59 MdB (FDP). Maihofer, Werner, Dr. jur., Dr. h. c., Jurist, Hochschullehrer, Politiker 327 f., 356 geb. 20. 10. 1918 Konstanz, gest. 6. 10. 2009 Homburg, 1955 69 o. Prof. für Strafrecht, Strafprozessrecht und Sozialphilosophie Saarbrücken, ab 1970 Bielefeld, 1972 MdB (FDP), 1972–74 BM für besondere Aufgaben, 1974–78 BM des Innern, 1978 nach der Ermordung Hanns Martin Schleyers durch die RAF Rücktritt vom Amt des Innenministers. Makarios III, Geistlicher, Politiker 162 geb. 13. 8. 1913 Pano Pangia, gest. 3. 8. 1977 Nikosia, 1948 Bischof von Kition, 1950–77 Erzbischof von Zypern, zugleich politischer Repräsentant der griechischen Zyprier, 1956/57 Verbannung auf die Seychellen, danach politischer Führer im Kampf gegen die britische Herrschaft auf Zypern, 1959–74 Präsident von Zypern, 1974 Flucht nach Putsch der zyprischen Nationalgarde und Rückkehr im selben Jahr, 1974–77 Präsident von Zypern. Mansfield, Michael („Mike“) Joseph, Hochschullehrer, Politiker 344 geb. 16. 3. 1903 New York, gest. 5. 10. 2001 Washington, D. C., 1922–31 Bergmann, Bergwerksingenieur, 1933–42 Prof. für Geschichte und politische Wissenschaften Montana, 1943–52 demokratischer Abgeordneter für Montana im US-Repräsentantenhaus, 1952–76 Senator von Montana, 1961–77 Fraktionsvorsitzender der Demokratischen Partei im Senat der USA, 1977–88 US-Botschafter in Japan.

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Mansholt, Sicco Leendert, Politiker 398 geb. 13. 9. 1908 Ulrum, gest. 29. 6. 1995 Wapserveen, während des Zweiten Weltkrieges im Widerstand gegen das NS-Besatzungsregime, 1945 Bürgermeister von Wieringermeer, 1945–58 Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelversorgung in verschiedenen Regierungen der Niederlande, 1958–67 Vizepräsident der EWG-Kommission, 1967–72 der Kommission der EG, 1972 Interims-Präsident der Kommission der EG. Manteuffel, Hasso von, General, Politiker 123 geb. 14. 1. 1897 Potsdam, gest. 24. 9. 1978 Reith (Österreich), 1916–45 Berufsoffizier, 1941–1945 an der Ostfront, im Tunesienkrieg und an der Westfront, zuletzt Oberbefehlshaber der 3. Panzer-Armee, 1945–47 Kriegsgefangenschaft, 1947–52 Stadtrat Neuß, 1953–57 MdB (FDP, ab 1957 FVP, DP), 1959 Verurteilung wegen Totschlags an einem Soldaten im Jahr 1944, 1961 nach vier Monaten Haft begnadigt. Mao Zdong / Mao Tse Tung, Politiker 409 geb. 26. 12. 1893 Shaoshan, gest. 9. 9. 1976 Peking, 1921 Mitbegründer der KP Chinas, Vorsitzender und Staatsoberhaupt der Volksrepublik China, 1959 Rücktritt vom Amt des Staatsoberhauptes. Marchais, George, Politiker 366 f. geb. 7. 6. 1920 La Hoguette, gest. 16. 11. 1997 Paris, 1970–72 Stellv. Generalsekretär, 1972–94 Generalsekretär der PCF, 1973–97 Abgeordneter der Französischen Nationalversammlung (PCF), 1984–89 MdEP. Markowski, Paul, Politiker 301 geb. 1. 6. 1929 Magdeburg, gest. 6. 3. 1978 (Hubschrauberabsturz) Libyen, 1956–61 Sektorleiter in der Abteilung Außenpolitik und Internationale Verbindungen beim ZK der SED, 1964 Stellv. Abteilungsleiter, ab 1966 Abteilungsleiter für Internationale Verbindungen des ZK der SED, ab 1971 Mitglied des ZK der SED und Mitglied der Außenpolitischen Kommission des Politbüros. Marquardt, Friedrich Wilhelm, Prof. Dr. theol., Theologe, Hochschullehrer 132 geb. 2. 12. 1928 Eberswalde, gest. 25. 5. 2002 Berlin, 1955 57 Pfarrer Euskirchen und Langenfeld-Immigrath, ab 1957 Studentenpfarrer Westberlin, ab 1963 wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin, 1968 71 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“ beim DEKT, 1972 Prof. (ST) Berlin, 1976 97 o. Prof. ebd. Marshall, George Catlett, Jr., General, Politiker 254 f. geb. 31. 12. 1880 Uniontown (Pennsylvania), gest. 16. 10. 1959 Washington, D. C., 1939–45 Generalstabschef der US-Streitkräfte, 1945–47 Sonderbotschafter in China, 1947–49 Außenminister und Initiator des Hilfsprogramms für Europa („MarshallPlan“), 1950/51 Verteidigungsminister. Marx, Karl, Journalist, Philosoph, Nationalökonom 115, 367 geb. 5. 5. 1818 Trier, gest. 14. 3. 1883 London, 1842–45 Herausgeber und Redakteur unterschiedlicher Zeitungen und Zeitschriften, 1845 Ausweisung aus Paris, danach staatenlos, Umzug nach Brüssel, 1848 zusammen mit Friedrich Engels Publikation des „Manifestes der Kommunistischen Partei“, 1848/49 Rückkehr nach Köln, 1849 Ausweisung aus Deutschland, Umzug nach London, ab 1850 Arbeit für unterschiedliche, internationale Zeitungen, 1864, Mitbegründer der Ersten Internationalen, 1867 Publikation von „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie“.

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Personenregister/Biographische Angaben

Marx, Werner, Dr. phil., Journalist, Politiker 218, 244 geb. 15. 11. 1924 Edenkoben, gest. 12. 7. 1985 Bonn, 1958 Regierungsrat im Referat für psychologische Kriegsführung im BMV, 1959 Pressereferent im rheinland-pfälzischen Kultusministerium, ab 1960 im Führungsstab der Bundeswehr, 1965–72 MdL (CDU) Rheinland-Pfalz, 1972–85 MdB (CDU). Matern, Hermann, Politiker 155 geb. 17. 6. 1893 Burg, gest. 24. 1. 1971 Berlin, 1932/33 MdL (KPD) Preußen, 1933 Verhaftung, 1934 nach Flucht aus dem Gefängnis Emigration in die Tschechoslowakische Republik, 1935/36 Paris, 1937–40 Norwegen, 1941–45 Übersiedlung in die SU, Arbeit an der Kominternschule, 1943 Mitbegründer des NKFD, 1944 Leitung der AntifaSchule für deutsche Kriegsgefangene, 1946–48 Vorsitzender des Landesverbandes Groß-Berlin der SED, 1946–50 Mitglied des Zentralsekretariats des Parteivorstandes der SED, ab 1950 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, 1948 Mitglied des Deutschen Volksrats, ab 1949 Abgeordneter der Volkskammer, 1950–54 Vizepräsident ebd., ab 1954 Stellv. des Präsidenten der Volkskammer. Matthöfer, Hans, Politiker 327 geb. 25. 9. 1925 Bochum, gest. 14. 11. 2009 Berlin, 1953–57 tätig in der Abteilung Wirtschaft beim Vorstand der IG Metall, 1957–61 bei der OEEC Paris und Washington, D. C., 1961–72 Leiter der Abteilung Bildungswesen der IG Metall, 1961–87 MdB (SPD), 1972–74 Parlamentarischer Staatssekretär im BMZ, 1974–78 BM für Forschung und Technologie, 1978–82 BM der Finanzen, 1982 BM für das Post- und Fernmeldewesen, 1973–84 Mitglied des Parteivorstandes der SPD. Mayer, Ren , Politiker 83 geb. 4. 5. 1895 Paris, gest. 13. 12. 1972 ebd., 1943/44 Kommissar für Verkehr und Handelsmarine im französischen Nationalen Befreiungskomitee, 1944/45 Minister für Verkehr und öffentliche Arbeiten, 1945/46 Hoher Kommissar für deutsche und österreichische Angelegenheiten, 1946–56 Abgeordneter der Nationalversammlung (Radikalsozialistische Partei), 1947/48, 1951/52 Wirtschafts- und Finanzminister, 1948 Verteidigungsminister, 1949–52 Justizminister, 1953 MP, 1955–57 Präsident der Hohen Behörde der EGKS. McCloy, John Jay, Dr.-Ing. h. c., Jurist, Politiker 173 geb. 31. 3. 1895 Philadelphia (Pennsylvania), gest. 11. 3. 1989 Stamford (Connecticut), 1945 47 Leiter der Civil Affairs Division im Kriegsministerium der USA, 1947 49 Präsident der Weltbank, 1949 52 Militärgouverneur und Hoher Kommissar der USA Frankfurt/M. (ab 1951 Bonn). McGhee, George Crews, Dr., Diplomat 167 geb. 10. 3. 1912 Waco (Texas), gest. 4. 7. 2005 Leesburg (Virginia), 1946–48 Sonderbeauftragter für Wirtschaftsfragen im US-Außenministerium, 1949–51 Abteilungsleiter für Nah-Ost, Afrika und Südasien ebd., 1951–53 US-Botschafter in der Türkei, 1953–58 Tätigkeit in der Privatwirtschaft, 1958–61 Berater des Nationalen Sicherheitsrates der USA, ab 1961 Vorsitzender des Planungsrates im Außenministerium, 1961–63 Unterstaatssekretär für politische Angelegenheiten ebd., 1963–68 US-Botschafter in Bonn. Meier, Richard, Dr. jur., Jurist 61 f., 392 f. geb. 6. 1. 1928 München, gest. 19. 6. 2015 Kaufbeuren, 1954 57 Staatsanwalt Wuppertal, ab 1957 70 tätig beim Bundesamt für Verfassungsschutz, 1964 Leitung der Abteilung

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IV „Spionageabwehr“ ebd., 1970 75 tätig beim BND, 1975 83 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 1983 Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Meir (Myerson), Golda, geb. Mabowitsch, Politikerin 314 geb. 3. 5. 1898 Kiew, gest. 8. 12. 1978 Jerusalem, 1906 Auswanderung in die USA, 1921 Einwanderung nach Palästina, 1930 53 Missionen für die „Jewish Agency“ und die „World Zionist Organization“ nach Europa und die USA, 1948/49 Botschafterin Israels in der SU, 1949 74 Abgeordnete der Arbeitspartei in der israelischen Knesset, 1949 56 Ministerin für Arbeit und soziale Sicherheit in Israel, 1956 65 Außenministerin ebd., 1969 74 MP ebd. Meinhof, Ulrike Marie, Journalistin, Mitglied der Terrorgruppe RAF 54, 61, 335 geb. 7. 10. 1934 Oldenburg, gest. (Selbstmord) 9. 5. 1976 Stuttgart-Stammheim, 1959 64 Redakteurin der „Konkret“, 1960 64 zusammen mit Klaus Rainer Röhl deren Leiterin, 1968 70 freie Journalistin und Lehrbeauftragte der FU Berlin, 1970 Mitbegründerin der RAF, 1972 76 Haft. Mende, Erich, Dr. jur., Politiker 105, 136, 170 geb. 28. 10. 1916 Groß-Strehlitz, gest. 6. 5. 1998 Bonn, 1936 Eintritt in die Wehrmacht, 1939–45 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg als Berufsoffizier, 1949–80 MdB (FDP, ab 1970 CDU), 1949–53 parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, 1953–57 Stellv. Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, 1957–63 deren Vorsitzender, 1960–68 Bundesvorsitzender der FDP, 1963–66 BM für gesamtdeutsche Fragen und Vizekanzler. Mendes-France, Pierre, Politiker 91–93 geb. 11. 01. 1907 Paris, gest. 18. 10. 1982 ebd., 1932–40, 1945–58, 1967/68 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung (bis 1958 Radikalsozialist, 1958–60 „Union des Forces D mocratiques”, ab 1960 „Parti Socialiste Unifi ”), 1935–58 Bürgermeister von Louvier, 1947–58 Gouverneur des Internationalen Währungsfonds und Stellv. Gouverneur der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, 1954/55 MP und Außenminister, 1956 Staatsminister in der Regierung Guy Mollet, 1956 Aufgabe aller Partei- und Regierungsämter, ab 1968 Journalist und Publizist. Merkatz, Hans-Joachim von, Dr. jur., Jurist, Politiker 138 geb. 7. 7. 1905 Stargard, gest. 25. 2. 1982 Bonn, 1946 49 Mitarbeiter der Niedersächsischen Landespartei/Dt. Partei (DP), 1949 69 MdB (DP, ab 1960 CDU), 1953 55 Vorsitzender der Bundestagsfraktion der DP, 1955 62 BM für Angelegenheiten des Bundesrats, 1956/57 Bundesjustizminister, 1960/61 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, ab 1966 Honorarprof. Bonn. Metzger, Ludwig, Jurist, Politiker 363, 371 geb. 18. 3. 1902 Darmstadt, gest. 13. 1. 1993 ebd., ab 1929 Vorsitzender des Bundes religiöser Sozialisten, 1936 Haft, ab 1938 Mitglied der BK, 1945–51 OB Darmstadt, 1946–54 MdL (SPD) Hessen, 1951–53 Minister für Erziehung und Volksbildung Hessen, 1953–69 MdB (SPD), 1957–70 MdEP, 1966–70 dessen Vizepräsident. Mikat, Paul, Dr. jur., Dr. h. c. mult., Jurist, Politiker, Hochschullehrer 186, 208 geb. 10. 12. 1924 Scherfede, gest. 24. 9. 2011 Düsseldorf, 1957 65 o. Prof. (Deutsches Recht, Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Kirchenrecht) Würzburg, 1965 90 Bochum, 1966 69 MdL (CDU) NRW, 1969 87 MdB (CDU), 1962 66 Kultusminister NRW. Mitterand, FranÅois, Politiker 368 geb. 26. 10. 1916 Jarnac bei Cognac, gest. 8. 1. 1996 Paris, ab 1942 im Lager der R sis-

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tance gegen die deutsche Besetzung Frankreichs, 1945–57 Minister in elf Regierungen der Vierten Republik, u. a. 1954/55 Innenminister, 1956/57 Justizminister, 1959–81 Bürgermeister von Ch teau-Chinon, ab 1959 Rechtsanwalt und Journalist, ab 1971 Erster Sekretär der Sozialistischen Partei, 1981–95 Staatspräsident. Mochalski, Herbert, Pfarrer 187 geb. 28. 2. 1910 Görlitz, gest. 27. 12. 1992 Hannover [Personenlexikon, 176] Möller, Alexander („Alex“), Politiker 282, 354 geb. 26. 4. 1903 Dortmund, gest. 2. 10. 1985 Karlsruhe, 1928–33 MdL (SPD) Preußen, ab 1933 u. a. tätig für die Karlsruher Lebensversicherungs-AG, 1943 Prokurist und Abteilungsleiter ebd., 1944 Stellv. Vorstandsmitglied ebd., 1945–69 Vorsitzender des Vorstands ebd., 1946–69 MdL (SPD) Württemberg-Baden, ab 1952 Baden-Württemberg, 1950–61 Fraktionsvorsitzender ebd., 1961–76 MdB (SPD), 1962–66 Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg, 1969–71 BM der Finanzen. Moersch, Karl, Journalist, Politiker 330 geb. 11. 3. 1926 Calw, gest. 12. 7. 2017 Ludwigsburg, 1948–54 Redakteur bei der „Rheinpfalz“, 1954–61 Redakteur beim „Deutschen Forschungsdienst“ und bei „Die Gegenwart“, 1947 Mitbegründer der DVP, 1961–64 Leiter der FDP-Presseabteilung, 1964–76 MdB (FDP), 1970–74 Parlamentarischer Staatssekretär beim BM des Auswärtigen, 1971–74 Landesvorsitzender der FDP/DVP Baden-Württemberg, ab 1974–76 Staatsminister im AA, ab 1977 freier Journalist und Autor. Mollet, Guy, Politiker 98 f. geb. 31. 12. 1905 Flers, gest. 3. 10. 1975 Paris, ab 1946 Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung (PCF), 1946–69 Generalsekretär der PCF, 1946/47, 1950/51 Staatsminister, 1951, 1958 Stellv. MP, 1956/57 MP, 1958/59 Staatsminister in der Regierung de Gaulle. Molotow (ursprünglich Skrjabin), Wjatscheslaw Michailowitsch, Politiker 93, 100, 109 geb. 9. 3. 1890 Kukarka, gest. 8. 11. 1986 Moskau, 1916 Flucht aus der Verbannung nach Petrograd, Eintritt in das russische Büro des ZK der Bolschewiki, 1917–20 Leitender Funktionär der Bolschewiki, 1921–52 Mitglied des Politbüros der KPdSU, 1921–57 Mitglied des ZK der KPdSU, 1930–41 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, 1939–49, 1953–56 Volkskommissar des Äußeren und Außenminister, 1957 Botschafter der SU in der Mongolei, 1960 Vertreter der SU bei der Internationalen Atomenergiekommission. Müller, Eberhard, Theologe, Pfarrer 220 geb. 22. 8. 1906 Stuttgart, gest. 11. 1. 1989 Heidelberg [Personenlexikon, 178] Müller, Gebhard, Dr. jur., Jurist, Politiker 23, 209 geb. 17. 4. 1900 Füramoos, gest. 7. 8. 1990 Stuttgart, 1939–45 Amts- und Landgerichtsrat Stuttgart, 1945 Oberstaatsanwalt ebd., 1946–48 Justizministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern, 1947–55 Landesvorsitzender der CDU in Württemberg-Hohenzollern, 1947–52 MdL (CDU) Württemberg-Hohenzollern, dort 1947/48 Fraktionsvorsitzender, 1948–52 Staatspräsident sowie Finanzminister und Justizminister des Landes Württemberg-Hohenzollern, 1952–59 MdL (CDU) Baden-Württemberg, dort 1953 Fraktionsvorsitzender der CDU, 1953 MdB (CDU), 1953–58 MP des Landes Baden-Württemberg, 1959–71 Präsident des BVerfGE.

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Müller, Günther, Dr. phil., Politiker 244 geb. 27. 9. 1934 Passau, gest. 27. 2. 1997 Bonn, 1965–72 MdB (SPD), 1967 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, 1972 Gründung der Wählergruppe „Soziale Demokraten 72“, Wechsel zur CSU, 1972–94 MdB (CSU), 1988/89, 1992/93 MdEP. Müller, Konrad, Dr. jur., Jurist, Politiker 186 geb. 26. 1. 1912 Dambeck, gest. 6. 6. 1979 Marburg, 1948–50 Referent beim Kirchenrechtlichen Institut der EKD, 1950–54 Beamter in der niedersächsischen Ministerialverwaltung, 1959 Staatssekretär im Kultusministerium Niedersachsens, ab 1966 Vorstand der Werner-Reimers-Stiftung Bad Homburg vor der Höhe, Honorarprof. für Bildungspolitik Hannover. Muller, Hilgard, Dr. jur., Politiker 352–354 geb. 4. 5. 1914 Potchefstroom, gest. 10. 7. 1985 Pretoria, 1951–57 Stadtrat Pretoria, 1953–55 Bürgermeister ebd., 1958 Mitglied des südafrikanischen Parlaments (Nasionale Party), 1961 Hochkommissar, danach Botschafter Südafrikas in London, 1963 Mitglied der südafrikanischen Delegation bei der UN, 1964–77 Außenminister Südafrikas. Mussolini, Benito, Diktator 366 geb. 29. 7. 1883 Dovia di Predappio, gest. (erschossen) 28. 4. 1945 Giuliano di Mezzegra (Italien), 1922–43 MP des Königreichs Italien, ab 1925 Diktator an der Spitze des faschistischen Regimes ebd., 1943 Absetzung und Verhaftung, Befreiung durch deutsche Fallschirmtruppen, ruft eine faschistische Gegenregierung in Italien aus („Republik von Sal “), 1945 Gefangennahme und Hinrichtung durch italienische Widerstandskämpfer. Muth, Rolf, Journalist, Politiker 223 geb. 31. 1. 1929 Gräfinau-Angstedt, ab 1946 verschiedene Funktionen bei FDJ und FDGB, 1949/50 Bergarbeiter, danach tätig für die Landespolizeibehörde Thüringen, 1951/52 hauptamtliche Tätigkeit bei der FDJ, 1952–55 freiwillige Dienstzeit bei der Kasernierten Volkspolizei, 1955–58 verschiedene Parteifunktionen beim „Freien Wort“ Suhl, 1959–67 Journalistenausbildung und Arbeit als Redakteur, 1967 Mitarbeiter des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Abt. Journalistenbetreuung, 1967–90 Mitarbeiter und Sektorleiter im DDR-Außenministerium. Myrdal, Karl Gunnar, Hochschullehrer, Politiker 334 geb. 6. 12. 1898 Gustafs, gest. 17. 5. 1987 Stockholm, 1933–50 Professor für Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaften Stockholm, 1934–38, 1944–47 Mitglied der ersten Kammer des schwedischen Reichstags (Sozialdemokratische Arbeiterpartei), 1947–57 Leiter der Europäischen Wirtschaftskommission der UN, 1960–67 Prof. für Internationale Wirtschaftspolitik Stockholm, 1966–73 Präsident des Stockholmer Internationalen Instituts für Friedensforschung, 1974 (zusammen mit Friedrich Hayek) Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. ´ ski, Janusz, Theologe, Bischof 362 Narzyn geb. 14. 3. 1928 Warschau, gest. 14. 3. 2020 ebd., 1949–93 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Evangelische Theologie Warschau bzw. der Christlich-Theologischen Akademie ebd., 1975–91 Bischof der Ev.-Augsburgischen Kirche in Polen, 1983–86 Präsident des Polnischen Ökumenischen Rates.

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Personenregister/Biographische Angaben

Nasser, Gamal Abdel, Politiker 104, 167, 187 f. geb. 15. 1. 1918 Beni Mor, gest. 28. 9. 1970 Kairo, 1948/49 Teilnahme am 1. israelischarabischen Krieg, 1952 Beteiligung am Sturz von König Faruk I. von Ägypten, 1953 Stellv. MP und Innenminister von Ägypten, 1954 70 ägyptischer Minister- und Staatspräsident, 1958 61 Präsident der Vereinigten Arabischen Republik. Nehru, Jawaharlal (Pandit), Politiker 103, 149 geb. 14. 11. 1889 Allahabad, gest. 27. 5. 1964 Neu-Delhi, 1912 Anwalt, 1915 Mitglied der gegen die britische Kolonialherrschaft gerichteten „Ungehorsamsbewegung“ Mahatma Gandhis, ab 1919 im Indischen Nationalkongress, 1923–25, 1927–29 Generalsekretär ebd., 1929–36 Präsident ebd., 1942–45 Haft, 1946 im Auftrag der britischen Kolonialmacht Chef einer Interimsregierung, 1947–64 erster MP Indiens. Neilands, John („Joe“) Brian, Ph. D., Hochschullehrer 256 geb. 11. 9. 1921, gest. 23. 10. 2008, 1951–93 Professor für Biochemie Berkeley (Kalifornien). Niemöller, Martin, DD. mult., Theologe, Marineoffizier 14, 20, 30, 35, 187 f. geb. 14. 1. 1892 Lippstadt, gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden [Personenlexikon, 185] Niesel, Wilhelm, Theologe 126 geb. 7. 1. 1903 Berlin, gest. 13. 3. 1988 Frankfurt [Personenlexikon, 186] Nixon, Richard Milhous, Politiker 237, 239, 250, 259, 318, 320, 341 geb. 9. 1. 1913 Yorba Linda (Kalifornien), gest. 22. 4. 1994 New York City, 1937–42 Rechtsanwalt, 1942 Staatsanwalt, 1943 Eintritt in die US-Kriegsmarine, zuletzt Fregattenkapitän, 1947–50 Abgeordneter im Repräsentantenhaus (Republikaner), 1953 Senator (Kalifornien), 1953–61 Vizepräsident Eisenhowers, 1961–67 Rechtsanwalt, 1969–74 Präsident der USA, 1974 Rücktritt infolge der „Watergate-Affäre“. Nolde, Otto Frederick, Dr. theol., Theologe 139 geb. 30. 6. 1899 Philadelphia (Pennsylvania), gest. 17. 6. 1972 ebd., 1923–28 Pfarrer an der Grace Lutheran Church Wyndmoor, ab 1943 Professor am „Lutheran Theological Seminary“ Philadelphia, 1946–69 Direktor der ÖRK-Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten, 1948 Mitarbeit am Artikel 18 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UN. Nollau, Günther, Dr. jur., Jurist 383 geb. 4. 6. 1911 Leipzig, gest. 7. 11. 1991 München, 1941–44 Rechtsanwalt Dresden und Krakau, 1963–67 leitender Regierungsdirektor im Bundesamt für Verfassungsschutz Köln, 1967–70 Vizepräsident ebd., 1970–72 Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium, 1972–75 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Novotny´, Anton n, Politiker 44 geb. 10. 12. 1904 Letnˇany, gest. 28. 1. 1975 Prag, 1941–45 Inhaftierung als Kommunist im ˇ , 1957–68 Präsident der C ˇ SSR, 1968 KZ Mauthausen, ab 1946 Mitglied des ZK der KSC im Zuge des „Prager Frühlings“ Ausschluss aus dem ZK der Kommunistischen Partei. Nunn, Samuel („Sam“) Augustus, Politiker, Jurist, Geschäftsmann 344 geb. 8. 9. 1938 Macon (Georgia), 1968–72 Abgeordneter im Repräsentantenhaus von Georgia, 1972–97 Senator der USA. Nyerere, Julius Kambarage, Politiker 376 f., 379 geb. 13. 4. 1922 Butiama, gest. 14. 10. 1999 London, 1945–49 Lehrer an einer Missions-

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schule in der britischen ostafrikanischen Kolonie Tanganjika, 1949–52 Studium in Edinburgh und Rückkehr nach Afrika, ab 1953 Präsident der Tanganjika African Association, 1954–90 Vorsitzender der Tanganjika African National Union, ab 1977 Vorsitzender Partei Chama Cha Mapinduzi, 1960 Chefminister unter britischer Oberhoheit, 1961 Premierminister von Tanganjika im Britischen Commonwealth, 1962–85 Präsident der Republik, ab 1964 der Vereinigten Republik Tansania. Oberländer, Theodor, Dr. agr., Politiker 41, 121–123 geb. 1. 5. 1905 Meiningen, gest. 4. 5. 1998 Bonn, 1934 o. Prof. Danzig, 1937 Königsberg, tätig im Amt Ausland Abwehr, Mitdirektor des Staatswissenschaftlichen Seminars an der Universität Greifswald, 1940 o. Professor Prag, 1943 Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften Prag, 1950 Staatssekretär für Flüchtlingsfragen Bayern, 1950–53 MdL (BHE) ebd., 1953–61, 1963–65 MdB (GB/BHE, Gruppe Kraft/Oberländer, ab 1956 CDU), 1953–60 BM für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1954/ 55 Vorsitzender des GB/BHE, 1959/60 Rücktritt vom Amt des BM. Odin, Karl-Alfred, Journalist 61, 199 geb. 1922 Leipzig, gest. 13. 2. 1992, 1953–1961 Leiter der Redaktion des epd Hessen, 1961–89 Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit Schwerpunkt „evangelische Kirche“, ab 1989 Leiter der Lehrredaktion. Ollenhauer, Erich, Politiker 30, 81, 96 f., 111 f. geb. 27. 3. 1901 Magdeburg, gest. 14. 12. 1963 Bonn, 1922 Sekretär der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, 1928 Vorsitzender, 1933 Emigration nach Prag, Mitbegründer der SoPaDe, 1937 in Frankreich, 1940 Lissabon, 1941 London, 1946 Rückkehr nach Deutschland, Stellv. Parteivorsitzender der SPD, 1949 MdB (SPD), 1952 Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD. Oncken, Dirk, Dr. phil., Diplomat 340 geb. 2. 6. 1919 Heidelberg, gest. 2015, 1952–70 tätig im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik, zuletzt als Gesandter und Vertreter des Botschafters der Bundesrepublik in Washington, D. C., 1970 Ministerialdirigent und Leiter des Planungsstabes im AA, Ministerialdirektor ebd., 1972–77 Botschafter in Griechenland, 1977–79 Indien, 1979–84 Türkei. O’ Neill, Thomas Phillip, Politiker 344 geb. 9. 12. 1912 Cambridge (Massachusetts), gest. 5. 1. 1994 Boston (Massachusetts), 1932–52 Mitglied des Repräsentantenhauses von Massachusetts, 1953–87 Mitglied des Repräsentantenhauses (Demokratische Partei), 1977–87 dessen Sprecher. Osswald, Albert, Politiker 284 geb. 16. 5. 1919 Gießen, gest. 15. 8. 1996 Schwangau, ab 1949 Stadtverordneter Gießen, 1954–57 Bürgermeister und Stadtkämmerer Gießen, 1957–63 OB ebd., 1954–78 MdL (SPD) Hessen, 1963/64 Minister für Wirtschaft und Verkehr Hessen, 1964–69 Finanzminister Hessen, 1969–76 MP von Hessen, 1969–77 Landesvorsitzender der SPD Hessen, 1975/76 Präsident des Deutschen Bundesrates. Oster, Hans Paul, Generalmajor der Wehrmacht 146, 150 geb. 9. 8. 1887 Dresden, gest. (gehängt) 9. 4. 1945 KZ Flossenbürg, 1914–18 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1923–32 tätig als Truppen- und Stabsoffizier, 1932–35 Arbeit beim militärischen Abwehrdienst Berlin, 1935–43 Stabsoffizier ebd., Generalmajor, 1938 Mitwirkung an Staatsstreichplanung, 1944 Verhaftung im Zusammenhang des

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Attentats vom 20. Juli 1944, 1945 von einem SS-Standgericht zum Tode verurteilt und am selben Tag hingerichtet. Osterloh, Edo, Pfarrer, Politiker 113, 162 geb. 2. 4. 1909 Rotenham (Oldenburg), gest. (Selbstmord) 26. 2. 1964 Kiel [Personenlexikon, 190] Ottaviani, Alfredo, Theologe, Bischof 144, 158 geb. 29. 10. 1890 Rom, gest. 3. 8. 1979 Vatikan, 1953 Ernennung zum Kardinal, ab 1960 Leitung der theologischen Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzils, 1962 Ernennung zum Erzbischof, 1962–65 Präsident der Theologischen Kommission des Zweiten Vatikanischen Konzils. Oxfort, Hermann, Jurist, Politiker 375 geb. 27. 10. 1928 Erfurt, gest. 8. 8. 2003 Berlin, 1963–81, 1985–89 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin (FDP), 1969–71, 1989/90 Landesvorsitzender der Berliner FDP, 1969–74 Mitglied der Bundesversammlung, 1975/76 Bürgermeister und Justizsenator Berlin, 1983–85 Justizsenator Berlin. Paff, Werner, Prof. Dr. sc. phil, Hochschullehrer 275 geb. 24. 5. 1927 Berlin, ab 1951 Lehrer an der Hochschule der Gewerkschaften, Lehrtätigkeit am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, 1967 Prof. für Geschichte der Arbeiterbewegung am Institut für Imperialismusforschung, ab 1971 Direktor ebd. Palme, Olof, Politiker 254 f., 399 geb. 30. 1. 1927 Stockholm, gest. (ermordet) 28. 2. 1986 ebd., 1963–65 Minister für besondere Aufgaben, 1965–67 Verkehrsminister, 1967–69 Minister für Erziehung und Kultur, 1969–86 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens, 1969–76, 1982–86 schwedischer MP. Petersen, Alfred, Theologe 352 geb. 13. 11. 1909 Altona, gest. 11. 5. 2004 Schleswig, 1958 Probst Husum, 1961 71 Mitglied der VELKD-Kirchenleitung, 1967 78 Bischof für den Sprengel Schleswig, 1973 78 Mitglied des Rates der EKD. Pferdmenges, Robert, Dr. h. c., Bankier, Politiker 135 geb. 27. 3. 1880 Mönchengladbach, gest. 28. 9. 1962 Köln, 1931 54 Gesellschafter und Geschäftsleitung der Privatbank Sal. Oppenheim jr. & Cie., 1951 60 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, 1947 MdL (CDU) NRW, 1947 49 Vertreter der CDU im Wirtschaftsrat der Bizone, 1950 62 MdB (CDU), ab 1951 im Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1961/62 Alterspräsident des Deutschen Bundestages. Picasso, Pablo, Maler, Graphiker, Bildhauer 187 geb. 25. 10. 1881 M laga (Spanien), gest. 8. 4. 1973 Mougins (Frankreich). Picht, Georg, Dr. phil., Philosoph, Theologe, Pädagoge, Hochschullehrer 26 f., 146, 162 f., 258 geb. 9. 7. 1913 Straßburg, gest. 7. 8. 1982 Hinterzarten, 1946 Leiter der Internatsschule Birklehof Hinterzarten, 1958 82 Leiter der FEST, 1965 78 o. Prof. für Religionsphilosophie Heidelberg. Pineau, Christian, Politiker 99 geb. 14. 10. 1904 Chaumont, gest. 5. 4. 1995 Paris, während des Zweiten Weltkrieges tätig in der Resistance, 1943 Verhaftung und Haft im KZ Buchenwald, 1945–58 Abgeordneter der Nationalversammlung, 1956–58 Außenminister Frankreich.

Personenregister/Biographische Angaben

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Pius XII., Dr. phil., Dr. theol., Dr. jur., Papst 108, 349 geb. 2. 3. 1876 Rom als Eugenio Pacelli, gest. 9. 10. 1958 Castel Gandolfo, 1909–14 Prof. an der Diplomaten-Akademie des Vatikans, 1917–20 Apostolischer Nuntius München, 1920–29 Erster Nuntius des Vatikans für das Deutsche Reich zunächst München, dann Berlin, 1930 Kardinalstaatssekretär, 1939–58 Papst. Plate, Thomas Gordon, Journalist, Hochschullehrer 365 geb. 17. 5. 1944 New York City, gest. 23. 5. 2023, als Journalist u. a. bei „Newsday“, „New York Magazine“, Los Angeles Herald Examiner“ „Time magazine“ und „Los Angeles Times“, Gastprofessuren u. a. an UAEU und LMU München. Pleven, Ren , Politiker 76 f., 91 geb. 15. 4. 1901 Rennes, gest. 13. 1. 1993 Paris, 1941 Mitglied des Comit FranÅaise de la Lib ration Nationale, 1944 Kolonialminister der provisorischen Regierung, 1944–46 Finanzminister, 1945 zugleich Wirtschaftsminister, 1946–73 Abgeordneter der Nationalversammlung (UDSR), 1949/50, 1952–54 Verteidigungsminister, 1950–52 mit Unterbrechungen französischer MP, 1958 Außenminister, 1969–73 Justizminister. Pohle, Wolfgang, Dr. jur., Jurist, Unternehmer, Politiker 208 geb. 28. 11. 1903 Erfurt, gest. 27. 8. 1971 München, 1940 Eintritt in die Leitung der Mannesmann-Röhren-Werke, 1945 Generalbevollmächtigter ebd., Verteidiger Friedrich Flicks im Nürnberger Prozess, 1949–53 Mitglied des Landesvorstandes der CDU Rheinland, 1952 erneut Generalbevollmächtigter Mannesmann-Röhren-Werke, ab 1955 Mitglied des Vorstandes ebd., 1953–57, 1965–69 MdB (CDU), 1959–64 Generalbevollmächtigter der Friedrich Flick KG, ab 1965 persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter ebd. Pompidou, Georges, Politiker 237, 239, 313 geb. 5. 7. 1911 Montboudif, gest. 2. 4. 1974 Paris, 1944–46 nach der Befreiung von Paris Mitglied des persönlichen Stabs von General de Gaulle, 1946–54 Inhaber verschiedener Ämter im Staatsrat, 1954–56 tätig in der Privatwirtschaft, 1956–62 Generaldirektor der Rothschild-Bank, 1958/59 Kabinettsdirektor de Gaulles, 1959–62 Mitglied des Verfassungsrates, 1962–68 französischer Premierminister, 1969–74 Präsident der Republik. Poniatowski, Michel Casimir, Politiker 356 geb. 16. 5. 1922 Paris, gest. 15. 2. 2002 Le Rouret, 1956–58 Finanzattach an der französischen Botschaft in Washington, D. C., 1958–62 Kabinettsdirektor in unterschiedlichen Regierungen Frankreichs, 1962–65 Projektleiter beim Minister für Finanzen und Wirtschaft, 1963–67 Leiter der Abteilung Versicherung ebd., 1967–73 Mitglied der Nationalversammlung (RI), 1971–91 Bürgermeister von L’Isle-Adam, 1973/74 Minister für öffentliche Gesundheit und soziale Sicherheit, 1974–77 Staatsminister und Innenminister, 1979–89 MdEP, 1989–95 Mitglied des Senats. Porzner, Konrad, Politiker 335 geb. 4. 2. 1935 Larrieden, gest. 1. 12. 2021 Roth, 1960–63 Stadtrat Ansbach, 1962–81 MdB (SPD), 1972–74 Parlamentarischer Staatssekretär (SPD) beim BM der Finanzen, 1975–81, 1983–87 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, 1981 Senator für Finanzen Berlin, 1981/82 Staatssekretär im BMZ, 1983–90 MdB (SPD), 1990–96 Präsident des BND. Posser, Diether, Dr. jur., Jurist, Politiker 30, 60, 301 geb. 9. 3. 1922 Essen, gest. 9. 1. 2010 ebd., 1952–68 Rechtsanwalt und Notar Essen, 1952 Mitbegründer der GVP, 1953 deren Generalsekretär, 1957 Wechsel zur SPD, 1966–88

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Personenregister/Biographische Angaben

MdL (SPD) NRW, 1968–72 Minister für Bundesangelegenheiten des Landes NRW, 1972–78 Justizminister ebd., 1978 88 Finanzminister ebd. Potter, Philip Alford, Dr. h. c. mult., Theologe 308, 323, 383–385 geb. 19. 8. 1921, Rosea (Dominica), gest. 31. 3. 2015 Lübeck, 1950 methodistischer Superintendent Haiti, 1954 61 Leiter des ÖRK-Jugendreferates, 1960 68 Vorsitzender des WSCF, 1961 66 Sekretär der Methodistischen Missionsgemeinschaft London, Leiter der Abteilung für Weltmission und Evangelisation des ÖRK, 1972–84 Generalsekretär des ÖRK. Praetorius, Gisela, geb. Illing, Pädagogin, Politikerin 87 geb. 20. 1. 1902 Posen, gest. 3. 2. 1981, 1924–29 Gewerbeoberlehrerin für hauswirtschaftliche Berufsschulen Wuppertal-Elberfeld, 1950–54, 1958–62 MdL (CDU) NRW, 1953–57 MdB (CDU). Quade, Gustav August Rudolf, Pfarrer 13 geb. 20. 4. 1864 Menden, gest. 5. 8. 1924 Bocholt, 1890–1922 evangelischer Pfarrer in Bocholt, Schwiegervater von Hermann Kunst. Quade, Gustav, Pfarrer 13 geb. 11. 7. 1892 Bocholt, gest. 31. 3. 1979 Bocholt, 1914–18 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1921–61 Pfarrer Bocholt, Schwager von Hermann Kunst. Rabin, Jitzchak, Politiker 343 geb. 1. 3. 1922 Jerusalem, gest. (ermordet) 4. 11. 1995 Tel Aviv, 1964–68 Generalstabschef der israelischen Armee, 1968–73 Botschafter in den USA, 1974–77, 1992–95 MP Israel, 1994 ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis. Rahner, Karl SJ, Prof. Dr. theol., Dr. h. c. mult., Theologe 144 geb. 5. 3. 1904 Freiburg/Br., gest. 30. 3. 1984 Innsbruck, 1949–64 o. Prof. für Dogmatik und Dogmengeschichte Innsbruck, ab 1961 Theologe des Zweiten Vatikanischen Konzils, 1964–67 o. Prof. für Christliche Weltanschauung München, 1967–71 Dogmatik und Dogmengeschichte Münster, ab 1971 Honorarprof. für Grenzfragen von Theologie und Philosophie München. Raiser, Ludwig, Jurist, Hochschullehrer 112, 138, 162 f. geb. 27. 10. 1904 Stuttgart, gest. 13. 6. 1980 Tübingen [Personenlexikon, 201] Rakowski, Miezcisław, Dr. phil., Journalist, Politiker 362 geb. 1. 12. 1926 Kowalewko, gest. 8. 11. 2008 Warschau, 1958–82 Chefredakteur der Wochenzeitung „Polityka“, 1972–89 Abgeordneter der Sejm, ab 1981 Stellv. MP Polens, ab 1988/89 MP, 1989/90 Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, danach Journalist. Ramsey, Arthur Michael, Theologe 143 geb. 14. 11. 1904 Cambridge, gest. 23. 4. 1988 Oxford, 1942 Bischof von Durham, 1956 Erzbischof von York, 1961–74 von Canterbury, ab 1974 Baron Ramsey of Canterbury. Ranke, Hansjürg (Hans Georg), Jurist 16 geb. 9. 6. 1904 Arosa (Schweiz), gest. 3. 2. 1987 Westberlin [Personenlexikon, 202] Rau, Johannes, Politiker 30, 39, 82, 86, 88, 115, 163, 181, 197, 275, 292, 314, 329, 367, 382, 405 geb. 16. 1. 1931 Wuppertal, gest. 27. 1. 2006 Berlin, 1948–99 MdL (SPD) NRW, 1964–78 im Stadtrat von Wuppertal, 1969/70 OB ebd., 1970–78 Minister für Wissenschaft in

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NRW, 1977–98 SPD-Landesvorsitzender ebd., 1978–98 MP ebd., 1999–2004 Bundespräsident. Reimann, Max, Politiker 88 geb. 31. 10. 1898 Elbing, gest. 18. 1. 1977 Düsseldorf, 1934 Emigration als Kommunist, 1942 Haft Dortmund, anschließend bis 1945 KZ Sachsenhausen, 1945 1. Sekretär des KPD-Bezirks Ruhrgebiet, 1946/47 und 1950–54 MdL (KPD) NRW, 1947–49 Mitglied des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, ab 1948 Vorsitzender der westdeutschen KPD, 1948/49 des Parlamentarischen Rats, 1949–53 MdB (KPD) und Fraktionsvorsitzender der KPD, 1956–68 Aufenthalt in der DDR und 1. Sekretär des ZK der in der Bundesrepublik ab 1956 illegalen KPD, 1968 Rückkehr in die Bundesrepublik, 1971–77 Ehrenvorsitzender der DKP. Reitz, Rüdiger, Dr. theol., Theologe, Journalist 32, 293, 303 geb. 31. 5. 1938 Berlin-Lichterfelde, gest. 13. 6. 2016, 1965 im „Ehrenamt“ ordiniert, Volontariat beim ZDF, anschließend „fester freier Mitarbeiter“ im Bereich „Kirche und Leben“ ebd., 1973–99 Evangelischer Kirchenreferent beim SPD-Parteivorstand Bonn, ab 1990 Gründung und Leitung der Begräbnisgenossenschaft „Begleitung“ Köln. Renger, Annemarie, geb. Wildung, Politikerin 325 geb. 7. 10. 1919 Leipzig, gest. 3. 3. 2008 Remagen, 1945–52 Privatsekretärin und engste Vertraute Kurt Schumachers, 1953–90 MdB (SPD), 1959–66 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der EU, 1962–73 Mitglied des SPD-Parteivorstandes, 1966–76 Vizepräsidentin des Internationalen Rates Sozialdemokratischer Frauen in der Sozialistischen Internationale, 1969–72 parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, 1972–76 Bundestagspräsidentin, 1976–90 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Renner, Viktor, Jurist, Politiker 89 geb. 31. 12. 1899 Mönchweiler, gest. 21. 4. 1969 Tübingen, 1945/46 OB Tübingen, Landrat des Kreises Tübingen, 1946–52 Innenminister in Württemberg-Hohenzollern, MdL (SPD) ebd., 1952/53 Justizminister (SPD) Baden-Württemberg, 1952–64 MdL (SPD) Baden-Württemberg, 1956–60 Innenminister ebd. Reuter, Ernst, Politiker 90 geb. 29. 7. 1889 Apenrade, gest. 29. 9. 1953 Westberlin, 1931–33 OB Magdeburg, 1932/ 33 MdR (SPD), 1933/34 Haft im KZ, 1935–45 Emigration, Berater bei der Türkischen Regierung, 1946 Stadtverordneter Berlin, 1947–51 OB Berlin, ab 1948 Westberlin, 1948/ 49 Berliner Vertreter im Parlamentarischen Rat, 1951–53 Regierender Bürgermeister von Westberlin, 1949–53 Präsident des Deutschen Städtetages. Reuter, Georg, Gewerkschaftsfunktionär 97 geb. 24. 6. 1902 Essen, gest. 28. 1. 1969 Bad Salzuflen, 1923–27 Geschäftsführer des Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter Gelsenkirchen, 1927–33 in dessen Zentralverwaltung Berlin, ab 1929 Vorstandssekretär, dann Vorstandsmitglied beim Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs ebd., 1933–45 entlassen und mehrfach verhaftet, 1946 Generalsekretär der Bayerischen Gewerkschaften, 1947–49 Angehöriger des Zwei-Zonen-Wirtschaftsrates Frankfurt/M., 1949–59 Stellv.Vorsitzender des DGB. Ritter, Gerhard, Prof. Dr. phil., Dr. theol. h. c., Dr. jur. h. c., Historiker, Hochschullehrer 15, 66 f. geb. 6. 4. 1888 Bad Sooden, gest. 1. 7. 1967 Freiburg/Br., 1921–24 PD für neuere Ge-

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schichte Heidelberg, 1924 o. Prof. Hamburg, 1925–56 Freiburg/Br., Mitglied der BK, 1944/45 im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 (Freiburger Widerstandskreis) verhaftet und Verfahren vor dem VGH. Rockefeller, Nelson Aldrich, Politiker 334 geb. 8. 7. 1908 Bar Harbor (Maine), gest. 26. 1. 1979 New York City, 1959–73 Gouverneur von New York, 1974–77 Vizepräsident der USA. Röder, Franz-Josef, Dr. phil., Lehrer, Politiker 363 geb. 22. 7. 1909 Merzig, gest. 26. 6. 1979 Saarbrücken, 1937–45 Auslandsschuldienst, 1946/47 Leiter des Sprachendienstes und Chefdolmetscher in der Generaldirektion der Südwestdeutschen Eisenbahnen in Speyer, ab 1948 im höheren Schuldienst im Saargebiet, 1955–79 MdL (CDU) Saarland, 1957 MdB (CDU), 1957–65 Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung des Saarlandes, 1959–79 MP des Saarlandes, 1959–73 Landesvorsitzender der CDU. Rogers, William Pierce, Politiker, Jurist 239, 250, 276 geb. 23. 6. 1913 Norfolk (New York), gest. 2. 1. 2001 Bethesda (Maryland), 1938–42 Jurist in der Justizverwaltung New York, 1942–45 Kriegsdienst, anschließend erneut Jurist in der Justizverwaltung New York, Berater des amerikanischen Senats, 1950–53 Teilhaber einer Anwaltskanzlei, 1953–57 Stellv. Justizminister USA, 1957–61 Justizminister ebd., 1969–73 Außenminister ebd. Ronneburger, Uwe, Politiker 328 geb. 23. 11. 1920 Kiel, gest. 1. 10. 2007 Tetenbüll, ab 1948 selbstständiger Landwirt, 1970–83 Landesvorsitzender der schleswig-holsteinischen FDP, 1976–82 Stellv. Bundesvorsitzender der FDP, 1975–80 MdL (FDP) Schleswig-Holstein, 1972–75, 1980–90 MdB (FDP). Roosevelt, Franklin Delano, Politiker 140, 148 geb. 30. 1. 1882 Hyde Park (New York), gest. 12. 4. 1945 Warm Springs (Georgia), 1929–32 Gouverneur von New York, 1933–45 Präsident der USA. Ruppel, Erich, Dr. jur., Jurist 186 geb. 25. 1. 1903 Wuppertal-Elberfeld, gest. 7. 7. 1975 Hannover [Personenlexikon, 211] Ruprecht, Otto Paulus, Pfarrer 328 geb. 23. 7. 1898 Heidelberg, 1917/18 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1927–33 Pfarrer Krassolzheim, 1933–36 Studienrat für Religionsunterricht an der Oberrealschule Hof, 1936 nach Konflikten mit der NSDAP auf eigenen Antrag beurlaubt, ab 1936 Leiter des Ev. Gemeinschaftsbrüderhauses Preußisch Bahnau bei Heiligenbeil. Sacharow, Andrei Dimitrijewitsch, Dr., Physiker, Dissident 306 f., 408 geb. 21. 5. 1921 Moskau, gest. 14. 12. 1989 ebd., 1942–47 Ingenieur in einer Militärfabrik Uljanowsk, 1948–68 Mitarbeit am sowjetischen Kernwaffenprogramm am Institut für Physik der Akademie der Wissenschaften Moskau, ab Mitte der 1950er Jahre Kritiker der biologischen Folgen von Atomexplosionen, ab 1967 Kampf für Demokratisierung und Menschenrechte in der Sowjetunion, 1975 Friedensnobelpreis, 1980–86 Verhaftung und Verbannung nach Gorki, 1988/89 Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Memorial“, Präsidiumsmitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, 1989 Mitglied im Kongress der Volksdeputierten. Salazar, Ant nio de Oliveira, Hochschullehrer, Politiker 366, 379 geb. 28. 4. 1889 Vimieiro, gest. 27. 7. 1970 Lissabon, 1914–28 Professor für National-

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ökonomie Coimbra, unterbrochen durch Mitgliedschaft im portugiesischen Parlament (katholisches Zentrum), 1928–32 Finanzminister in der 1926 installierten Militärdiktatur Portugals, 1932–68 MP einer von ihm geprägten Diktatur ebd. Salinger, Pierre, Journalist, Politiker 140 geb. 14. 6. 1925 San Francisco (Kalifornien), gest. 16. 10. 2004 Cavaillon (Frankreich), 1946–55 Redakteur beim „San Francisco Chronicle“, 1955/56 beim „Collier’s Magazine“, 1957–59 Mitarbeiter Robert F. Kennedys, 1959–61 Pressesprecher von US-Senator, ab 1960 US-Präsident John F. Kennedy, 1963/64 Pressesprecher von US-Präsident Lyndon B. Johnson, 1964 US-Senator, danach Korrespondent für das französische Nachrichtenmagazin „L’Express“, 1977 Bürochef des US-Fernsehsenders ABC Paris, danach Chefkorrespondent von ABC News London. Sartre, Jean-Paul, Philosoph, Schriftsteller 187, 335 geb. 21. 6. 1905 Paris, gest. 15. 4. 1980 ebd., 1931–44 Gymnasiallehrer Paris, 1940/41 Kriegsgefangenschaft Deutschland, danach Beteiligung an der R sistance, ab 1945 Herausgeber der Zeitschrift „Les temps modernes“, engagiert gegen die Kriege Frankreichs in Algerien und Vietnam, Unterstützung der Studentenbewegung, 1964 Ablehnung des Nobelpreises für Literatur. Scharf, Kurt, Theologe, Bischof 17, 27, 61, 132 f., 142–144, 146 f., 164, 180, 183, 256, 277, 314 geb. 21. 10. 1902 Landsberg/Warthe, gest. 28. 3. 1990 Berlin [Personenlexikon, 215] Scharffenorth, Gerta, geb. von Mutius, Dr. phil., Politologin 233 geb. 8. 1. 1912 Stuttgart, gest. 4. 12. 2014 Heidelberg, 1962–66 Leiterin des Evangelischen Gemeindedienstes Heidelberg, 1966–74 wissenschaftliche Mitarbeiterin der FEST mit den Arbeitsschwerpunkten Medizin und Ethik, 1970–73 erstes weibliches Mitglied im Rat der EKD. Schäffer, Fritz, Politiker 99 geb. 12. 5. 1888 München, gest. 29. 5. 1967 Berchtesgaden, 1920 tätig im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 1920–33 MdL Bayern (BVP), 1929–33 Vorsitzender der BVP, 1931–33 Staatsrat und Leiter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, 1945 Mitbegründer der CSU, 1945 Bayerischer MP, 1949–61 MdB (CSU), 1949–57 BM der Finanzen, 1957–61 BM der Justiz. Schäufele, Hermann Josef, Dr. theol., Dr. phil., Theologe 212 geb. 14. 11. 1906 Stebbach, gest. 26. 6. 1977 Langenegg (Österreich), ab 1955 Titularbischof von Leptis Magna und Weihbischof Freiburg, 1958–77 Erzbischof ebd. und Metropolit der Oberrheinischen Kirchenprovinz, 1962–65 Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil. Scheel, Walter, Politiker 21, 217, 223, 235 f., 239, 243 f., 296 f., 305, 307, 313, 325 geb. 8. 7. 1919 Höhscheid, gest. 24. 8. 2016 Bad Krozingen, 1945–53 Tätigkeit bei den Stahlwerken Solingen, zuletzt als Prokurist und Geschäftsführer, 1950–53 MdL (FDP) NRW, 1953–61 selbstständiger Wirtschaftsberater, 1958 Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts „Intermarket“ und der Finanzfirma „Interfinanz“, 1953–74 MdB (FDP), 1956–61 MdEP, 1961–66 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1967–69 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, 1968–74 Bundesvorsitzender der FDP, 1969–74 BM des Auswärtigen und Stellv. des Bundeskanzlers, 1974–79 Bundespräsident.

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Personenregister/Biographische Angaben

Scheuner, Ulrich, Jurist 145, 186 geb. 4. 1. 1990 Stuttgart, gest. 4. 6. 1959 Bonn [Personenlexikon, 215] Schiller, Karl, Prof. Dr., Hochschullehrer, Politiker 114, 245, 251 f., 263, 354 geb. 24. 4. 1911 Breslau, gest. 26. 12. 1994 Hamburg, ab 1936 Leiter der Forschungsgruppe Marktordnung und Außenwirtschaft beim Institut für Weltwirtschaft Kiel, 1944 o. Prof. Rostock, 1945/46 Leiter der Hamburger Außenstelle des Instituts für Weltwirtschaft, wissenschaftlicher Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, ab 1949 beim BMWi, 1948–53 Senator für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, 1949–57 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft (SPD), 1966–71 BM für Wirtschaft, 1971/72 für Wirtschaft und Finanzen. Schlaich, Klaus, Prof. Dr. jur., Hochschullehrer 303 geb. 1. 5. 1937 Stetten, gest. 23. 10. 2005 Sankt Augustin, 1972–97 o. Prof. für Öffentliches Recht und Kirchenrecht Bonn. Schlink, Edmund, Theologe, Hochschullehrer 142–144 geb. 6. 3. 1903 Darmstadt, gest. 20. 5. 1984 Heidelberg, 1962 65 offizieller Berichterstatter der EKD beim Zweiten Vatikanischen Konzil [Personenlexikon, 218] Schmaus, Michael, Prof. Dr. theol., Theologe 142 geb. 17. 7. 1897 Oberbaar, gest. 8. 12. 1993 Gauting, 1929–33 o. Prof. für Dogmatik Prag, 1933–46 Münster, 1946–65 München. Schmid, Carlo (Karl), Dr. jur., Politiker 21, 40, 44, 118 f., 181 geb. 3. 12. 1896 Perpignan (Frankreich), gest. 11. 12. 1979 Bad Honnef, 1945/46 Vorsitzender des Staatssekretariats und Landesdirektor für Justiz sowie für Kultus, Erziehung und Kunst in Württemberg-Hohenzollern, 1946/47 Präsident des Staatssekretariats und Staatssekretär für Justiz ebd., 1947–50 Stellv. Staatspräsident und Justizminister, 1947–72 Mitglied des SPD-Vorstandes, 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rats, 1949–72 MdB (SPD), 1949–66, 1966–69 BM für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, 1969–72 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, 1953–67 o. Prof. für Politische Wissenschaften Frankfurt/M., 1963–66 Präsident der Versammlung der WEU. Schmidt, Hansheinrich, Politiker 407 geb. 6. 9. 1922 Leipzig, gest. 12. 3. 1994 Grünwald, 1958–70 Stellv. Vorsitzender des FDPBezirksverbandes Schwaben, ab 1970 Vorsitzender ebd., 1961–83 MdB (FDP), ab 1964 im Landesvorstand der FDP Bayern. Schmidt, Helmut, Politiker 17, 23, 26, 33 f., 53, 59, 197 f., 259, 263, 318 f., 323, 327 f., 335, 354, 364, 366, 375, 379–381, 384, 404, 407, 410 geb. 23. 12. 1918 Hamburg, gest. 10. 11. 2015 ebd., 1949–53 beim Senat Hamburg, Referent bei der Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Referent, dann Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung, ab 1952 Dezernent für Verkehr ebd., 1953–62 MdB (SPD), 1958–61 MdEP, 1961–65 Innensenator Hamburg, 1965–87 MdB (SPD), 1969–72 BM der Verteidigung, 1972 BM für Wirtschaft und Finanzen, 1972–74 BM der Finanzen, 1974–82 Bundeskanzler, ab 1983 Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“. Schmidt-Wittmack, Karlfranz, Agent, Politiker 94 geb. 27. 7. 1914 Charlottenburg, gest. 23. 10. 1987 Ostberlin, 1946–48 Vorsitzender der JU Hamburg, 1948–54 tätig für den Außenpolitischen Nachrichtendienst der DDR,

Personenregister/Biographische Angaben

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1949–53 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft (CDU), 1953/54 MdB (CDU), 1954 Übersiedlung in die DDR und Ausschluss aus der CDU (West), 1955–76 Vizepräsident der Kammer für Außenhandel der DDR. Schmückle, Gerhard („Gerd“), General, Politiker, Journalist 139 geb. 1. 12. 1917 Bad Cannstatt, gest. 28. 5. 2013 München, 1936–45 Berufssoldat, 1945–53 Landwirt, 1952–56 Journalist, 1957–62 Pressereferent im BM der Verteidigung, 1963/64 beim NATO-Defence College Paris, 1964–68 Militärischer Berater Brüssel, 1968–70 Stellv. Kommandeur der 12. Panzerdivision Veitshöchheim, 1970–73 Stellv. Chef der Operationsabteilung beim NATO-Oberkommando Casteau, 1973/74 Stellv. Kommandierender General beim I. Korps Münster, 1974–77 Direktor des Internationalen Militärstabs der NATO Brüssel, 1978–80 Stellv. Oberster Befehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, ab 1980 freier Journalist. Schneller, Johann Ludwig, Missionar, Pädagoge 267 geb. 15. 1. 1820 Erfingen, gest. 18. 10. 1896 Jerusalem, 1847 Hausvater der Missionsanstalt St. Chrischona bei Basel, 1854 Leiter einer Delegation nach Jerusalem zur Vorbereitung einer Abessinien-Mission, 1860 Gründer des Syrischen Waisenhauses Jerusalem. Schnippenkötter, Swidbert, Diplomat 185, 189, 197 geb. 9. 8. 1915 Recklinghausen, gest. 30. 12. 1972 Freiburg/Br., nach 1945 persönlicher Referent Walter Hallsteins im AA, Mitarbeiter des Botschafters Wilhelm Grewe in Washington, D. C., 1963 Stellv. Leiter des Planungsstabes im AA, 1965 Vortragender Legationsrat Erster Klasse für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle, 1969–72 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der UN Genf. Schnitzler, Karl-Eduard von, Journalist 160 geb. 28. 4. 1918 Dahlem, gest. 20. 9. 2001 Zeuthen, 1946/47 Leiter der politischen Abteilung und stellv. Intendant des von ihm mitbegründeten Nordwestdeutschen Rundfunks, 1947 nach Entlassung Übersiedlung in die SBZ, Mitarbeiter des Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders, 1952 Leiter der Kommentatorengruppe des Staatlichen Rundfunkkomitees, Chefkommentator des Fernsehens der DDR, 1960–89 Autor und Moderator der Sendung „Der schwarze Kanal“. Schober, Theodor, Prof. Dr. Dr. h. c., Pfarrer, Politiker 326 geb. 10. 8. 1918 Zirndorf, gest. 26. 7. 2010 Loßburg, 1955–63 Rektor des Diakonissenmutterhauses Neuendettelsau, 1963–84 Präsident des Diakonischen Werks der EKD Stuttgart, 1980/81 Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, 1979–88 Präsident des Internationalen Verbandes für Innere Mission und Diakonie, 1984–91 „Beauftragter der EKD für die Seelsorge deutscher Kriegsverurteilter in ausländischem Gewahrsam“. Schönfelder, Werner, Theologe, Politiker 84 geb. 3. 3. 1908 Peine, gest. 22. 8. 1982 Bad Nenndorf, 1947–70 MdL (DP und CDU) Niedersachsen, 1949–51 Vorsitzender der DP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, 1951–55 Vorsitzender der gemeinsamen Fraktion aus DP und CDU, 1955–59 Stellv. Vorsitzender der DP/CDU-Fraktion, 1959–62 Vorsitzender der DP-Fraktion, 1962–67 Stellv. Vorsitzender der CDU-Fraktion. Schönherr, Albrecht, Dr. theol. h. c., Theologe 237, 277 geb. 11. 9. 1911 Katscher, gest. 9. 3. 2009 Potsdam, 1936–38 Pfarrer Greifswald, 1938–40 Gemeindepfarrer Brüssow, ab 1947 Pfarrer und Superintendent Brandenburg/Havel,

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Personenregister/Biographische Angaben

1951–62 Direktor des Predigerseminars Brandenburg, 1963 Generalsuperintendent des Sprengels Eberswalde, 1961–81 Vorsitzender der Konferenz der Ev. Kirchenleitung, ab 1969 des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, 1967–72 Verwalter des Bischofsamtes der Ev. Kirchen in Berlin-Brandenburg für den Ostteil Berlins und Brandenburg, 1972–81 Bischof der Region Ost der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg. Schröder, Gerhard, Dr. jur., Jurist, Politiker 17, 29, 31, 37 f., 101, 114, 121, 154, 156, 161, 167, 169–175, 178, 187, 211, 235, 241, 263, 327 geb. 11. 9. 1910 Saarbrücken, gest. 31. 12. 1989 Kampen, 1947 53 Rechtsanwalt und Abteilungsleiter bei der „North German Iron and Steel Control“ (ab 1949: Stahltreuhändervereinigung), 1949–80 MdB (CDU), 1953 61 BM des Innern, 1955 78 Vorsitzender des EAK, 1961 66 BM des Auswärtigen, 1966–69 BM der Verteidigung, 1967–73 Stellv. Bundesvorsitzender der CDU. Schütz, Klaus, Politiker, Diplomat 374 f. geb. 17. 9. 1926 Heidelberg, gest. 29. 11. 2012 Berlin, 1968–77 Landesvorsitzender der Berliner SPD, 1970–77 Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, 1954–57, 1963–77 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (SPD), 1957–62 MdB (SPD), 1962–66 Senator für Bundesangelegenheiten und für das Post- und Fernmeldewesen von Berlin, Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund, 1966/67 Staatssekretär im AA, 1967–77 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1967/68 Bundesratspräsident, 1977–81 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, 1981–87 Intendant der „Deutschen Welle“ Köln, 1987–93 Direktor der Landesanstalt für Rundfunk in NRW. Schumacher, Kurt, Dr. jur., Politiker 76 f., 81, 90, 154 geb. 13. 10. 1895 Culm, gest. 20. 8. 1952 Bonn, 1930–33 MdR (SPD), 1932 Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands im Reichstag, 1933–44 Inhaftierung in den Konzentrationslagern Heuberg, Kuhberg, Dachau, Flossenbürg und Neuengamme, 1946 Parteivorsitzender der SPD, 1949–52 MdB (SPD), gleichzeitig Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Schuman, Robert, Politiker 80 f., 91 geb. 29. 6. 1886 Clausen (Luxemburg), gest. 4. 9. 1963 Scy-Chazelles (Frankreich), 1945 Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung, 1946 Finanzminister Frankreich, 1947/48 MP ebd., 1948–52 Außenminister ebd., 1955 Justizminister ebd., 1958–60 Präsident des Europäischen Parlaments. Schwarzhaupt, Elisabeth, Juristin, Politikerin 114, 132, 170 geb. 7. 1. 1901 Frankfurt/M., gest. 29. 10. 1986 ebd. [Personenlexikon, 233] Schweitzer, Albert, Theologe, Hochschullehrer, Arzt, Schriftsteller 106 geb. 14. 1. 1875 Kaysersberg (Frankreich), gest. 4. 9. 1965 Lambar n (Gabun) [Personenlexikon, 233] Schweitzer, Carl-Christoph, Dr. phil., Hochschullehrer, Politiker 335 geb. 3. 10. 1924 Potsdam, gest. 4. 7. 2017 Bonn, 1972–76, 1980, MdB (SPD), 1951–61 Referent der Bundeszentrale für politische Bildung, 1961–63 im persönlichen Stab von Bundespräsident Heinrich Lübke, 1963–69 o. Prof. für Politikwissenschaft an der PH, später FU Berlin, 1969–90 Bonn PH/Universität Bonn, Honorarprof. für Internationale Politik Köln, 1967/68, 1977, 1979, 1982/83 Gastprof. Durham, Oxford, Tokio, Toronto. Seebohm, Hans-Christoph, Dr. Ing., Politiker 138 geb. 4. 8. 1903 Emanuelssegen, gest. 17. 9. 1967 Bonn, 1933 46 leitende Funktionen im

Personenregister/Biographische Angaben

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Bergbau und in der Industrie, 1946 48 Minister für Aufbau und Arbeit, ab 1947 für Aufbau, Arbeit und Gesundheitswesen Niedersachsen, 1946 51 MdL (DP) Niedersachsen, 1947 63 Präsident der Industrie- und Handelskammer Braunschweig, 1948/ 49 Mitglied des Parlamentarischen Rates (DP), 1949 66 BM für Verkehr, 1949 67 MdB (DP, ab 1960 CDU), 1959 67 Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Seeckt, Hans von, Generaloberst 175 geb. 22. 4. 1866 Schleswig, gest. 27. 12. 1936 Berlin, Chef des Generalstabes mehrerer Heeresverbände im Ersten Weltkrieg, 1920–26 Chef der Heeresleitung, 1930–32 MdR (DVP), 1933–35 Militärberater von General Chiang Kai-Shek in der Republik China, 1936 Chef des Infanterie Regiments 67 der Wehrmacht. Seibold, Hermann, SS-Offizier, Entwicklungshelfer 231 f. geb. 6. 12. 1911 Tübingen, gest. (unter ungeklärten Umständen) 19. 1. 1971 Conakry (Guinea) Semjonow, Wladimir Semjonowitsch, Diplomat, Politiker 85 geb. 16. 2. 1911 Inokowka, gest. 18. 12. 1992 Köln, 1946–49 Politischer Berater der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, 1949–53 Politischer Berater der Sowjetischen Kontrollkommission ebd., 1953 Leiter der III. Europäischen Abteilung im Außenministerium, Hochkommissar für Deutschland, Botschafter in der DDR, 1955–78 Stellv. sowjetischer Außenminister, 1969–78 Leiter der sowjetischen Delegation bei den SALT I–Verhandlungen, 1978–86 sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik. Simon, Helmut, Dr. jur., Dr. theol. h. c., Jurist 242 geb. 1. 1. 1922 Waldbröl, gest. 26. 9. 2013, 1953–58 Richter am Landgericht Düsseldorf, 1958–60 wissenschaftlicher Mitarbeiter am BGH Karlsruhe, 1960–65 Richter am OLG Düsseldorf, 1965–70 Richter am BGH Karlsruhe, 1970–87 Richter am BVerfGE ebd., 1977, 1989 Präsident des DEKT, 1993–2000 Präsident der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e. V.“. Simpfendörfer, Gerhard, Pfarrer 411 geb. 17. 12. 1924 Korntal, gest. 18. 9. 2019 Wüstenrot, 1949 Vikar Stuttgart, 1950 Repetent Tübingen, 1954–59 Pfarrer Calw, 1959–64 Studentenpfarrer Stuttgart, 1964–70 Pfarrer Belsenberg, ab 1966 beauftragt mit dem Religionsunterricht in Künzelsau, 1970–88 Dekan Heilbronn. Smirnow, Andrei Andrejewitsch, Diplomat 124, 131, 140, 147 geb. 15. 10. 1905 Moskau, gest. 26. 2. 1982, 1937–41 Botschaftsrat der SU Berlin, 1941–43 Botschafter der SU Teheran, 1943 49 Mitglied der sowjetischen Delegationen auf den alliierten Konferenzen von Teheran (1943), London (1947) und Paris (1949), 1949 56 leitende Tätigkeit im sowjetischen Außenministerium, 1956 Botschafter der SU Wien, 1956–66 Bonn, 1966–69 Ankara, 1969 Stellv. Außenminister der SU. Smith, Ian, Politiker 377 geb. 8. 4. 1919 Selukwe, gest. 20. 11. 2007 Kapstadt, 1962–64 Finanzminister Südrhodesien, 1964–79 Premierminister und Verteidigungsminister Rhodesien, 1980 nach Ende der britischen Kolonialherrschaft Oppositionsführer in Simbabwe, 1987 Rückzug aus der Politik, 2005 Emigration nach Südafrika. Smith, Walter Bedell, General, Politiker 109, 377 geb. 5. 10. 1895 Indianapolis (Indiana), gest. 9. 8. 1961 Washington, D. C., Stabschef unter Dwight D. Eisenhower im Zweiten Weltkrieg, Ende der 1950er Jahre Stellv. Leiter

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Personenregister/Biographische Angaben

der AMF Atomics, 1946–49 US-Botschafter in der Sowjetunion, 1950–53 CIA-Direktor, 1953/54 Stellv. von US-Außenminister John Foster Dulles. Solschenizyn, Alexander Issajewitsch, Schriftsteller, Dissident 306 geb. 11. 12. 1918 Kislowodsk, gest. 3. 8. 2008 Moskau, 1945–52 Haft in sowjetischen Arbeitslagern (Gulag), 1953–57 Verbannung nach Kasachstan, 1974 Verhaftung und Ausweisung aus der SU, 1974–76 Exil in der Bundesrepublik und der Schweiz, 1976–94 USA, 1990 Rehabilitation in der SU, 1994 Rückkehr nach Russland. Soares, M rio, Dr., Politiker 400 geb. 7. 12. 1924 Lissabon, gest. 7. 1. 2017 ebd., in den 1960er Jahren 12 Verhaftungen als Gegner der portugiesischen Diktatur, 1970–74 Exil zunächst in Rom, dann in Paris, dort Lehre an der Sorbonne, 1973 Gründer der sozialistischen Partei Portugals Bad Münstereifel, 1974/75 Außenminister Portugals, 1976–78, 1983–85 Premierminister ebd., 1986–96 Präsident ebd., 1999–2004 MdEP. Sommer, Jakob Karl Ernst, Dr. phil., Theologe 43, 46, 211, 214, 237, 296, 340, 344, 348, 354 geb. 2. 12. 1911 Mamuret-ul-Asis (Türkei), gest. 7. 11. 1981 Frankfurt/M., 1935 Gymnasiallehrer Montabaur, 1936 Laienprediger der Methodistenkirche, ab 1950 Dozent für Katechetik, Kirchengeschichte, Philosophie, Psychologie und Pädagogik am Predigerseminar der Methodistenkirche Frankfurt/M., 1953 Direktor des Seminars ebd., 1968–77 Bischof der evangelisch-methodistischen Kirche. Sorin, Valerian Alexandrowitsch, Diplomat 107 f. geb. 1. 1. 1902 Nowotscherkassk, gest. 14. 1. 1986 Moskau, ab 1941 im Außenministerium der SU, 1945–47 Botschafter in Prag, 1947–55, 1956/57 Stellv. Außenminister der SU, 1952/53, 1955/56 Botschafter der SU in der Bundesrepublik, 1960–62 Ständiger Vertreter der SU im Sicherheitsrat der UN, 1965–71 Botschafter der SU in Frankreich, 1961–71 Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU. Spaak, Paul Henri, Politiker 81, 107 geb. 25. 1. 1899 Schaerbeek, gest. 31. 7. 1972 Brain-l’Alleud, 1932–56, 1961–66 Abgeordneter des belgischen Repräsentantenhauses (Belgische Sozialistische Partei), 1935 Minister für Post und Verkehr Belgien, 1936–45 (1940–45 in der Exilregierung London), 1946–49, 1954–57, 1961–66 belgischer Außenminister, 1938/39, 1946, 1947–49 belgischer MP, 1945–46, 1961–66 Stellv. MP, 1949–51 Präsident der Beratenden Versammlung des Europarates, 1950–55 Leiter des Internationalen Rates der Europäischen Bewegung, 1952–54 Präsident der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, 1957–61 Generalsekretär der NATO. Speer, Albert, Architekt, Politiker, Kriegsverbrecher 123 geb. 19. 3. 1905 Mannheim, gest. 1. 9. 1981 London, ab 1933 Vertrauter Hitlers, 1937 Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und andere deutsche Städte, 1942–45 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Generalinspekteur für das Straßenwesen sowie für Wasser und Energie, 1946 Verurteilung als Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, 1946–66 Haft Berlin-Spandau. Springer, Axel Cäsar, Journalist, Verleger 165, 178, 278, 285 geb. 2. 5. 1912 Altona, gest. 22. 9. 1985 Westberlin, 1937–41 Chef vom Dienst und stellvertretender Chefredakteur der „Altonaer Nachrichten“, ab 1945 Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverleger u. a. von „Hör zu“ (1946), des „Hamburger Abendblatts” (1948), der „Bild“-Zeitung (1952), der „Welt“, der „Welt am Sonntag“ (1953), von „BZ“ und „Berliner Morgenpost“ (1960) sowie „Funk Uhr“ (1967).

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Staden, Berndt von, Diplomat 236, 240 geb. 24. 6. 1919 Rostock, gest. 17. 10. 2014 Ludwigsburg, 1953–55 tätig bei der Botschaft der Bundesrepublik in Brüssel, 1958–63 tätig bei der EWG ebd., 1963–68 Washington, D. C., 1970–73 Direktor der politischen Abteilung des AA Bonn, 1973–79 Deutscher Botschafter in Washington, D. C., 1979–81 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, 1981–83 Staatssekretär im AA, 1982–86 Koordinator der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit, 1985, 1988, 1990 Prof. of Diplomacy Washington, D. C. Stalin, Josef, Diktator 39, 44, 63, 84 f., 149, 307, 365, 367 geb. 21. 12. 1879 Gori, gest. 5. 3. 1953 bei Moskau, 1917 Volkskommissar für Nationalitätenfragen, 1919 Mitglied des Polit- und des Organisationsbüros, 1928 Führer der KPdSU und der Sowjetunion, 1941 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. Stassen, Harold E., Jurist, Politiker 107 geb. 13. 4. 1907 West St. Paul (Minnesota), gest. 4. 3. 2001 Bloomington ebd., 1938–41 Gouverneur des US-Bundesstaates Minnesota, 1941–45 Marineoffizier, 1948, 1952, 1964, 1968 Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, 1953–56 Berater von Präsident Eisenhower, 1953 Direktor des Amtes für gegenseitige Sicherheit (Mutual Security Agency), 1953–55 des Amtes für Auslandsvorhaben (Foreign Operations Administration), 1955–58 Leiter der US-Delegation bei der UNO-Abrüstungskommission, ab 1958 tätig als Anwalt. Stegner, Artur, Chemiker, Unternehmer, Politiker 84 geb. 10. 6. 1907 Kattowitz, gest. 5. 8. 1986 Bad Reichenhall, ab 1946 Mitglied des Stadtrates und des Kreistages von Holzminden, 1951 MdL (FDP) Niedersachsen, 1949–57 MdB (bis 1954 FDP, ab 1957 GB/BHE). Stempel, Hans Heinrich, Dr. h. c. mult., Pfarrer 96, 129, 133, 407 geb. 8. 7. 1894 Steinwenden, gest. 2. 11. 1970 Landau, 1923–26 Pfarrer Oppau, 1926–34 Direktor des Predigerseminars Landau, 1934 Entlassung durch die DC, 1934–46 Pfarrer Landau, 1946 Vorsitzender des Landeskirchenrates der Pfalz und Präses der vorläufigen Kirchenregierung, 1948–64 Kirchenpräsident der pfälzischen Landeskirche, Beauftragter des Rates für die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen in westlichem Gewahrsam. Stern, Klaus, Prof. Dr. jur., Dr. Dr. h. c. mult., Jurist 87, 282, 357 geb. 11. 1. 1932 Nürnberg, gest. 5. 1. 2023 bei Köln, 1962 o. Prof. für Staatsrecht und Politik an der FU Berlin, 1966 o. Prof. für Öffentliches Recht, Verwaltungslehre sowie Allgemeine Rechtslehre an der Universität Köln, 1968 Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre ebd., 1968 Direktor des Instituts für Rundfunkrecht ebd., 1971–73 Rektor der Universität Köln, 1973–75 Prorektor ebd., 1971/72 Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz NRW, 1976–2000 Richter am Verfassungsgerichtshof ebd. Stoltenberg, Gerhard, Dr. phil., Politiker 206, 208 f. geb. 29. 9. 1928 Kiel, gest. 23. 11. 2001 Bonn-Bad Godesberg, 1954–57 MdL (CDU) Schleswig-Holstein, 1957–71 und 1983–98 MdB (CDU), 1965–69 BM für wissenschaftliche Forschung, 1969–71 Leiter der Stabsabteilung Wirtschaftspolitik bei der Friedrich Krupp GmbH Essen, 1971–82 MP Schleswig-Holstein, 1971–89 Landesvorsitzender der CDU ebd., 1982–89 BM der Finanzen, 1989–92 der Verteidigung, 1992–95 Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit.

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Personenregister/Biographische Angaben

Stoph, Willi, Politiker 184, 189 f., 193, 224, 236 geb. 9. 7. 1914 Berlin, gest. 13. 4. 1999 ebd., 1950–89 Mitglied, 1950–53 Sekretär des ZK der SED, 1953–89 Mitglied des Politbüros, 1950–89 Abgeordneter der Volkskammer, 1952–55 Minister des Innern, 1954–62 Stellv. Vorsitzender des Ministerrats, 1956–60 Minister für Nationale Verteidigung, 1962–64 Stellv., 1964–73, 1976–83 Vorsitzender des Ministerrats, 1964–73, 1976–89 Stellv., 1973–76 Vorsitzender des Staatsrats, 1989 vom ZK der SED aus der Partei ausgeschlossen. Strachwitz, Rudolf Graf, Dr. rer. pol., Diplomat 104 geb. 3. 1. 1896 Groß-Reichenau, gest. 13. 8. 1969 Berchtesgaden, 1925–44 im Auswärtigen Dienst, 1944/45 Soldat, 1948–52 Prof. für Wirtschaftspolitik und Verwaltungswissenschaften an der Universität Mendoza (Argentinien), 1952–56 Botschaftsrat Rom, 1956/57 Leiter des Referates für China im AA, 1957–61 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Vatikan. Strauss, Franz Josef, Dr. h. c. mult., Politiker 17, 91, 121, 150 f., 156, 169, 175, 177 f., 215, 244 f., 247, 249, 251, 263 geb. 6. 9. 1915 München, gest. 3. 10. 1988 Regensburg, 1946–49 Landrat von Schongau, 1948/49 im Frankfurter Wirtschaftsrat der Bizone, 1949–52 Generalsekretär der CSU, 1949–78 MdB (CSU), 1949–53 Geschäftsführender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, 1953–57 deren Vorsitzender, 1953–55 BM für besondere Aufgaben, 1955/56 BM für Atomfragen, 1956–62 BM für Verteidigung, 1961–88 CSU-Vorsitzender, 1966–1969 BM der Finanzen, 1978–88 bayerischer MP. Strauss, Walter, Dr. jur., Jurist, Diplomat, Politiker 151 geb. 15. 6. 1900 Berlin, gest. 1. 1. 1976 Unterwösen, 1945 Gründungsmitglied der CDU Berlin, 1946 Staatssekretär für Bundesangelegenheiten in der hessischen Landesregierung, 1947 Stellv. Direktor der Verwaltung für Wirtschaft und Leiter des Parlamentarischen Rates, 1949–63 Staatssekretär im Bundesjustizministerium, ab 1962 beurlaubt im Kontext der „Spiegel-Affäre“, 1963–70 Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, zuletzt Ständiger Vertreter beim Büro der Vereinten Nationen in Genf. Strobel, Käte, Politikerin 209 geb. 23. 7. 1907 Nürnberg, gest. 26. 3. 1996 ebd., 1945–47 kaufmännische Tätigkeit, daneben Mitarbeit beim Aufbau der Frauenarbeit der SPD Frankens, ab 1947 deren Vorsitzende, 1958–71 Mitglied des Parteivorstandes der SPD, 1966–70 Mitglied des Präsidiums der SPD, 1949–72 MdB (SPD), 1966–69 BM für Gesundheitswesen, 1969–72 BM für Jugend, Familie und Gesundheit, 1958–67 MdEP, 1962–64 dessen Vizepräsidentin, 1972–78 Mitglied des Stadtrates von Nürnberg, 1981–89 Vorsitzende des SPD-Seniorenrates. Studnitz, Hans Georg von, Journalist, Publizist 36 f., 194 geb. 31. 8. 1907 Potsdam, gest. 16. 7. 1993 Rimsting, 1940–45 Pressereferent im AA, Arbeit für den SD in den besetzten Niederlanden, ab 1945 ständiger Mitarbeiter von „Die Zeit“, „Christ und Welt“, „Flensburger Tagblatt“, 1949/50 Chefredakteur der „Hamburger Allgemeinen Zeitung“, 1950 Mitherausgeber der Monatsschrift „Außenpolitik“, 1953–55 Bonner Korrespondent des „Hamburger Anzeigers“, 1955–61 Pressesprecher der Deutschen Lufthansa, ab 1961 Leiter des Ressorts Außenpolitik und Stellv. Chefredakteur der Wochenzeitung „Christ und Welt“.

Personenregister/Biographische Angaben

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Süsterhenn, Adolf, Dr. jur., Jurist, Politiker 135 geb. 31. 5. 1905 Köln, gest. 24. 11. 1974 Koblenz, 1931/32 Richter Köln und Trier, 1932–46 Rechtsanwalt Köln und Unkel, bis 1933 Mitglied des Kölner Stadtrats (Zentrum), 1946–51 MdL (CDP/CDU) Rheinland-Pfalz, 1946–51 Justizminister ebd., 1947–51 Kultusminister ebd., 1948/49 MdPR, 1951–61 Präsident des OVG und des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz, 1954–74 Mitglied der Europäischen Kommission für Menschenrechte, 1961–69 MdB (CDU). Suslow, Michael Andrejewitsch, Politiker 301 geb. 21. 11. 1902 Schachowskoje, gest. 25. 1. 1982 Moskau, 1947–82 Sekretär des ZK der KPdSU, 1949/50 Chefredakteur der Tageszeitung „Prawda“, 1955–82 Mitglied des Politbüros der Sowjetunion. Tawfik Oweida, Mohamed, Secretary General, Supreme Council for Islamic Affairs, Kairo 323 Tenhumberg, Heinrich, Theologe 17, 31, 57, 177, 186, 220, 292, 368, 385 geb. 4. 6. 1915 Lünten, gest. 16. 9. 1979 Münster, 1940–42 Kaplan Marl, 1942–45 Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1945–47 Vikar Freckenhorst, 1947–54 Domvikar und Referent für Landseelsorge im Generalvikariat, 1952 Übernahme der Funktion eines Geistlichen Beirates des Diözesankomitees der Katholiken, 1954 Domkapitular, 1958 Titularbischof von Tuburnica und Weihbischof in Münster, ab 1965 Vorsitzender des Generalpräsidiums des Internationalen Schönstattwerks, 1966–69 Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe (Katholisches Büro) Bonn, 1969–79 Bischof von Münster. Thieu, Nguyen van, Politiker 308 geb. 5. 4. 1923 Phan Rang, gest. 19. 9. 2001 Newton (Massachusetts), 1957–59 Kommandant der südvietnamesischen Militärakademie, 1960 Kommandant der 1. Infanteriedivision Südvietnam, 1962–65 der 5. Infanteriedivision ebd., 1964/65 Vizeministerpräsident von Südvietnam, 1967–75 Staatspräsident ebd. Thimme, Hans, D. Dr. theol., Theologe 292, 308, 330 geb. 6. 6. 1909 Fallersleben, gest. 1. 4. 2006 Münster, 1945 Leiter der Pfarrerausbildung der westfälischen Landeskirche, ab 1949 nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung ebd., ab 1957 OKR und hauptamtliches Mitglied ebd., Vizepräsident ebd., 1969–77 Präses ebd., 1972 75 Vorsitzender des Rates der EKU, 1973 79 Mitglied des Rates der EKD. Tillich, Paul, Dr. theol., Dr. h. c. mult., Theologe, Hochschullehrer 293 geb. 20. 8. 1886 Starzeddel, gest. 22. 10. 1965 Chicago (Illinois), 1914–18 Feldgeistlicher an der Westfront, 1919 PD Berlin, 1924 ao. Prof. Marburg, 1925–29 o. Prof. für Religionswissenschaften und Sozialphilosophie Dresden, 1927–29 Honorarprof. (ST) Leipzig, 1929–33 o. Prof. für Philosophie und Soziologie Frankfurt/M., Entlassung aus dem Staatsdienst und Emigration in die USA, 1933–55 Columbia University New York und am Theological Seminary, hier ab 1940 Prof. für philosophische Theologie, 1955–62 Prof. an der Harvard University Cambridge (Massachusetts), 1962–65 University of Chicago. Tillmanns, Robert, Dr.rer.pol., Politiker 80, 87 geb. 5. 4. 1896 Barmen, gest. 12. 11. 1955 Berlin [Personenlexikon, 259]

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Personenregister/Biographische Angaben

Tindemans, Leo, Politiker 398 geb. 16. 4. 1922 Zwijndrecht, gest. 26. 12. 2014 Edegem, 1965–73 Bürgermeister von Edegem, 1968–72 Minister für die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften, 1972/73 Minister für Landwirtschaft und Kleinunternehmen, 1973/74 Vizepremierminister von Belgien, 1974–78 Premierminister ebd., 1979–81, 1989–99 MdEP, 1981–89 belgischer Außenminister. Tito, Josip Broz, Politiker 373 geb. 7. 5. 1892 Kumrovec, gest. 4. 5. 1980 Ljubljana, ab 1920 Aufbau der jugoslawischen KP und Gewerkschaften, 1934 Mitglied des ZK und des Politbüros, 1937 Zentralsekretär der KP Jugoslawiens, ab 1941 Führer der kommunistisch orientierten Partisanenorganisationen, 1945–53 MP, 1953–80 Staatspräsident von Jugoslawien. Trettner, Heinz, General 37 geb. 19. 9. 1907 Minden, gest. 18. 9. 2006 Mönchengladbach, 1925–45 Berufssoldat, 1945–48 Kriegsgefangenschaft, 1948 Tätigkeit beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln, 1948–51 in der Privatwirtschaft, 1951–55 Referent in der Hauptgeschäftsstelle des Verbandes Deutscher Soldaten Bonn, 1956–66 Eintritt in die Bundeswehr, dort u. a. 1964–66 Generalinspekteur, 1966 Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Trillhaas, Wolfgang, Dr. phil., Lic. theol., D. theol., Theologe, Hochschullehrer 290 geb. 31. 10. 1903 Nürnberg, gest. 24. 4. 1995 Göttingen [Personenlexikon, 261] Tromp, Sebastian Kornelius Petrus SJ, Theologe 144 geb. 16. 3. 1889 Beek-Ubbergen, gest. 8. 2. 1975 Rom, 1929–65 Professor für Fundamentaltheologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana Rom, 1962–65 Mitglied der Theologischen Kommission des Zweiten Vatikanischen Konzils, ab 1963 Sekretär der Vorbereitungskommission ebd. Tschiang Kai-Schek (siehe Chian Kai-Shek) 95 Ulbricht, Walter, Politiker 44, 134 f., 149 f., 155, 161, 167, 176, 224, 230, 236 geb. 30. 6. 1893 Leipzig, gest. 1. 8. 1973 Groß Dölln, 1935–38 Leitende Tätigkeit in den Exilorganisationen der KPD Paris, Prag, Moskau, 1938 43 Vertreter des ZK der KPD beim EKKI Moskau, 1943 45 Mitglied des NKFD und Leiter von dessen operativen Abteilung, 1946 50 Stellv. Vorsitzender der SED, 1946 51 Abgeordneter des Landtags von Sachsen-Anhalt, 1950 Generalsekretär des ZK der SED, 1953 71 Erster Sekretär ebd., 1955 60 Erster Stellv. des Vorsitzenden des Ministerrats, 1960 71 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrats, 1960 73 Vorsitzender des Staatsrates der DDR. Uyl, Joop den, Politiker 332 geb. 9. 8. 1919 Hilversum, gest. 24. 12. 1987 Amsterdam, 1953–65 Stadtratsmitglied von Amsterdam, 1962–65 Beigeordneter der Stadt Amsterdam, 1965/66 niederländischer Wirtschaftsminister, 1973–77 MP der Niederlande. Verner, Waldemar, Marineadmiral, Politiker 155 geb. 27. 8. 1914 Chemnitz, gest. 15. 2. 1982 Berlin, 1933 KZ-Haft wegen illegaler Tätigkeit für die KPD, 1934 erneute Anklage wegen Hochverrats, Illegalität, 1935–38 Exil SU, 1938–45 Dänemark, 1946/47 SED-Kreissekretär Hagenow, 1947–49 Stralsund, 1947–50 Mitglied der Landesleitung der SED, 1950–55 Generalinspekteur und Chef der Seepolizei und Seestreitkräfte, 1957–59 Chef der Seestreitkräfte der NVA, 1959–79 Stellv. des Ministers und Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA, 1961 Admiral.

Personenregister/Biographische Angaben

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Vetter, Heinz Oskar, Gewerkschafter, Politiker 320 geb. 21. 10. 1917 Bochum, gest. 18. 10. 1990 Mülheim an der Ruhr, ab 1960 im Vorstand der IG Bergbau und Energie, 1964 deren zweiter Vorsitzender, 1969–82 Vorsitzender des DGB, 1971–85 Mitglied der EKD-Synode, 1974–79 Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes, 1979–89 MdEP. Vogel, Hans-Jochen, Dr., Politiker 282, 356 f. geb. 3. 2. 1926 Göttingen, gest. 26. 7. 2020 München, 1958–60 hauptberuflicher Stadtrat München, 1960–72 OB ebd., ab 1970 im Bundesvorstand der SPD, 1971–77 Landesvorsitzender der SPD Bayern, 1972–81, 1983–94 MdB (SPD), 1972–74 BM für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, 1974–81 BM der Justiz, 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1981–83 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (SPD), 1983 Kanzlerkandidat der SPD, 1983–91 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, 1987–91 Vorsitzender der SPD. Vorster, Balthazar Johannes, Politiker 353, 384 geb. 13. 12. 1915 Jamestown, gest. 10. 9. 1983 Kapstadt, 1961–66 Justizminister der Republik Südafrika, 1966–78 deren MP, 1978/79 deren Staatspräsident, 1979 Rücktritt infolge des „Muldergate Scandals“. Weber, Alfred, Prof. Dr. phil., Nationalökonom, Soziologe, Kulturphilosoph 96 f. geb. 30. 7. 1868 Erfurt, gest. 2. 5. 1958 Heidelberg, 1904–07 o. Prof. für Nationalökonomie Prag, 1907–33 o. Prof. für Nationalökonomie und Soziologie Heidelberg, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, an dem er von 1914–16 als Frontkämpfer teilnahm, 1918 Mitbegründer der DDP und deren Vorsitzender, 1933 freiwillig emeritiert aus politischen Gründen, 1945 Mitbegründer und Herausgeber der Monatsschrift „Die Wandlung“. Wechmar, Rüdiger Freiherr von, Journalist, Diplomat 333 geb. 15. 11. 1923 Berlin, gest. 17. 10. 2007 München, 1946/47 Redakteur für Außenpolitik bei der dpa Hamburg, 1947/48 Redakteur der United Press Association (UP) Frankfurt/M., 1949–58 Leiter des Bonner Büros von UP, 1958–63 Presseattach am Generalkonsulat New York, 1963–68 beim ZDF, 1968/69 Leiter des Deutschen Informationsbüros New York, 1969–74 beim BPA Bonn, 1973/74 Chef des BPA ebd., 1974–81 Botschafter und Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den UN New York, 1977/78 Präsident des Weltsicherheitsrates, 1980/81 Präsident der 35. Generalversammlung der UN, 1981–83 Botschafter in Italien, 1983–88 Botschafter in Großbritannien, 1989–94 MdEP. Wedel, Reymar von, Jurist 164 geb. 15. 4. 1926, gest. 15. 1. 2023 Kleinmachnow, 1954–69 juristisches Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche in Brandenburg, 1957–69 Konsistorialrat Berlin, ab 1961 persönlicher Referent von Bischof Kurt Scharf, ab 1970 freier Anwalt, Justiziar und Synodaler der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg. Weeber, Rudolf, Dr. jur., D. theol. h. c., Jurist 330 geb. 25. 2. 1906 Esslingen am Neckar, gest. 28. 11. 1988 Aich, 1935–49 Justiziar beim EOK Stuttgart, 1949–73 Direktor ebd. und juristischer Stellv. des Landesbischofs, 1967–73 Mitglied des Rates der EKD, 1973–77 Vorsitzender des Ev. Presseverbandes für Deutschland und Vorstand des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik, zahlreiche Ämter im Entwicklungsdienst der EKD.

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Personenregister/Biographische Angaben

Wehner, Herbert, Politiker 31, 90, 119, 124, 138, 172, 190, 214 f., 217, 234 f., 245, 282, 285, 315, 318, 320, 323, 335 geb. 11. 7. 1906 Dresden, gest. 19. 1. 1990 Bonn, 1930/31 MdL (KPD) Sachsen, illegale Tätigkeit für die KPD, ab 1935 Emigration und Mitglied des ZK der Exil-KPD und der Komintern, 1937–41 Moskau, 1942–44 dort Inhaftierung und Verurteilung, Haftstrafe, Ausschluss aus der KPD, 1944–46 tätig als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter Schweden, 1949–83 MdB (SPD), 1952–58 MdEP, 1958–73 stellv. Parteivorsitzender der SPD, 1966–69 BM für gesamtdeutsche Fragen, 1969–83 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Weinhold, Werner, Grenzdurchbrecher 386 f., 394 f. geb. 8. 8. 1949 Dresden, 1966–75 viermal wegen Diebstahl und anderer Delikte rechtskräftig verurteilt, 1975 Flucht und gewaltsamer Grenzdurchbruch von der DDR zur Bundesrepublik Veilsdorf, dabei erschoss er zwei DDR-Grenzsoldaten, 1976 zunächst Freispruch vor dem Landgericht Essen, 1978 in Hagen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, 1982 vorzeitige Entlassung aus der Haft, 2005 Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Weinstein, Adelbert, Offizier, Journalist, Publizist 132, 139 geb. 17. 1. 1916 Halle, gest. 12. 1. 2003 Wiesbaden, vor 1945 Berufsoffizier, zuletzt Major i. G., ab 1949 Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dort militärpolitischer Redakteur. Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von, Prof. Dr. rer. nat., Physiker, Philosoph 106, 138, 163, 185, 260 geb. 28. 6. 1912 Kiel, gest. 28. 4. 2007 Söcking, 1936–42 Wissenschaftlicher Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik Berlin, 1942–44 Prof. für theoretische Physik Straßburg, 1946–57 Leiter der Abteilung des Max-Planck-Instituts für Physik Göttingen, Honorarprofessor an der Universität Göttingen, 1957–69 Prof. für Philosophie Hamburg, Mitverfasser des „Göttinger Manifests“ gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr, 1961 Mitinitiator des „Tübinger Memorandums“, 1970–80 (gemeinsam mit Jürgen Habermas) Leitung des Max-Planck-Instituts in Starnberg zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Weizsäcker, Richard Karl Freiherr von, Dr. jur., Dr. h. c. mult., Jurist, Politiker 236 f., 243 f., 281, 364, 411 geb. 15. 4. 1920 Stuttgart, gest. 31. 1. 2015 Berlin, 1947 49 Hilfsverteidiger seines Vaters Ernst von Weizsäcker in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, 1950 67 verschiedene Positionen in der Privatwirtschaft, 1964 70 und 1979 81 Präsident des DEKT, 1966 84 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, 1968 75 Mitglied des ZK des ÖRK, 1969 81 MdB (CDU), 1969 84 Mitglied in der Synode und im Rat der EKD, 1979 84 Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin (CDU), 1981 84 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1984 94 Bundespräsident. Well, Günther van, Diplomat 34, 121, 128, 287, 312, 377 geb. 15. 10. 1922 Osterath, gest. 14. 8. 1993 Bonn, 1954–59 Dienststelle des Ständigen Beobachters der Bundesrepublik bei den UN, 1959–63 Zentrale des AA, 1963–67 an der Botschaft Tokio, 1967–81 Zentrale des AA, dort 1977–81 Staatssekretär, 1981–84 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den UN New York, 1984–87 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington, D. C.

Personenregister/Biographische Angaben

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Wellhausen, Hans, Dr. jur., Industrieller, Politiker 135 geb. 19. 9. 1894 Bad Münder, gest. 3. 9. 1964 Rummelsberg, 1923 Regierungsrat Bremen, 1931–59 Vorstandsmitglied und Direktor der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG, 1949–57 MdB (FDP, ab 1956 CSU), 1952–59 Präsident des Verwaltungsrats der Deutschen Bundesbahn. Wendel, Joseph, Dr. phil., Dr. theol., Theologe 26 geb. 27. 5. 1901 Blieskastel, gest. 31. 12. 1960 München, 1943 Bischof von Speyer, 1953 Erzbischof von München und Freising und Kardinal, 1956–60 erster Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr. Wester, Reinhard, Theologe 180 geb. 2. 6. 1902 Elberfeld, gest. 16. 6. 1975 Eutin [Personenlexikon, 274] Westrick, Ludger, Dr. jur., Unternehmer, Politiker 169, 175 f. geb. 23. 10. 1894 Münster, gest. 31. 7. 1990 Bonn, 1921–33 Tätigkeit in der Holzindustrie, nach Gründung der Vereinigten Stahlwerke AG Prokurist bei der Stahlunion-Export GmbH, ab 1933 bei der Vereinigten Aluminium-Werke AG, ab 1939 deren Vorstandsvorsitzender, ab 1945 gleichzeitig Vorstandsmitglied bei der Vereinigten Industrie-Unternehmen AG, ab 1947 deren Zentraltreuhänder, 1948–51 Finanzdirektor der Deutschen Kohlenbergbauleitung, 1951–63 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, 1963/64 Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, 1964–66 BM für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Weyer, Willi, Jurist, Politiker, Verbandsfunktionär 34 geb. 16. 2. 1917 Hagen, gest. 25. 8. 1987 Juist, 1948–54 Stadtverordneter und Stellv. OB Hagen, 1950–54, 1958–75 MdL (FDP) NRW, 1953/54 MdB (FDP), 1954–56 Minister für Wiederaufbau von NRW, 1956–58 Stellv. MP und Finanzminister ebd., 1956–72 Landesvorsitzender der FDP NRW, 1962–75 Stellv. MP und Innenminister von NRW, 1974–86 Präsident des Deutschen Sportbundes. Wichern, Johann Hinrich, Theologe, Sozialpädagoge 310 geb. 21. 4. 1808 Hamburg, gest. 7. 4. 1881 ebd., 1833 Gründung des „Rauhen Hauses“ Hamburg-Horn, 1857 Eintritt in den Staatsdienst zur Reform des Strafvollzuges. Wieczorek-Zeul, Heidemarie, Politikerin 319 geb. 21. 11. 1942 Frankfurt/M., 1965–78 mit Unterbrechungen Lehrerin Rüsselsheim, 1968–77 Stadtverordnete (SPD) ebd., 1972–74 Kreistagsabgeordnete Groß-Gerau, 1974–77 Bundesvorsitzende der Jusos, 1979–87 MdEP (Sozialistische Fraktion), 1987–2013 MdB (SPD), 1998–2009 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wienand, Karl, Politiker, Agent 335 geb. 15. 12. 1926 Lindenpütz, gest. 10. 10. 2011 Trier, 1952–67 Bürgermeister und Gemeindedirektor in Rosbach, 1953–74 MdB (SPD), 1967–74 Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer, 1996 Verurteilung zu einer Haft- und Geldstrafe wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für die DDR ab 1970, 1999 amnestiert. Wilkens, Erwin, Dr. theol. h. c., Pfarrer 42, 227 f., 237, 290 f., 293, 328 geb. 11. 7. 1914 Lingen, gest. 28. 1. 2000 Gehrden, 1951 64 theologischer Referent im Lutherischen Kirchenamt der VELKD Hannover, 1964 74 OKR in der Kirchenkanzlei der EKD ebd., 1974 80 Vizepräsident der Kirchenkanzlei der EKD.

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Personenregister/Biographische Angaben

Wilm, Ernst, Theologe, Präses 14, 96, 331 f. geb. 27. 8. 1901 Reinswalde, gest. 1. 3. 1989 Lübbecke [Personenlexikon, 276] Wilson, Harold (ab 1976 Sir James Harold Baron Wilson of Rievaulx), Politiker 399 geb. 11. 3. 1916 Huddersfield, gest. 24. 5. 1995 London, 1938–40 Dozent für Wirtschaftswissenschaften Oxford, 1940–45 Tätigkeit in verschiedenen Ministerien, 1945–83 Labour-Abgeordneter im britischen Unterhaus, 1947–51 Handelsminister, 1952–76 Mitglied des Parteivorstandes der Labour Party, 1963–76 deren Vorsitzender, 1964–70 und 1974–76 britischer Premierminister. Winzer, Otto, Politiker 188, 286 geb. 3. 4. 1902 Berlin, gest. 3. 3. 1975 ebd., 1933/34 Politischer Leiter der Revolutionären Gewerkschaftsopposition Berlin-Brandenburg, 1934 Emigration nach Paris, 1935–45 Moskau, 1941–43 Mitglied des NKFD, 1945/46 Stadtrat für Volksbildung im Magistrat von Berlin, 1947 gleichberechtigter Leiter der Hauptabteilung Kultur und Erziehung des Zentralsekretariats der SED, Mitglied des Parteivorstands bzw. des Zentralkomitees der SED, 1949–56 Staatssekretär und Chef der Privatkanzlei des Präsidenten der DDR, ab 1950 Abgeordneter der Volkskammer, 1956–65 Stellv. Außenminister, 1959–65 Staatssekretär, 1965–75 Minister für Auswärtige Angelegenheiten. Wischnewski, Hans-Jürgen, Politiker 303, 308 geb. 24. 7. 1922 Allenstein, gest. 24. 2. 2005 Köln, 1957–90 MdB (SPD), 1961–65 MdEP (Sozialistische Fraktion), 1966–68 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1968–72 Bundesgeschäftsführer der SPD, 1970–85 Mitglied des Parteivorstandes der SPD, 1974–76 und 1982 Parlamentarischer Staatssekretär bzw. ab 1974 Staatsminister im AA, 1976–79 und 1982 Staatsminister im Bundeskanzleramt und Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin. Wissing, Wilhelm, Theologe 17, 177 geb. 31. 1. 1916 Köckelwick, gest. 12. 11. 1996 Coesfeld, 1949 Diözesanseelsorger der Mannesjugend im Bistum Münster, 1953 Bundeskurat der katholischen Landjugend, 1958–66 Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe (Katholisches Büro) Bonn, 1970–85 Präsident des Päpstlichen Werkes der Glaubensverbreitung Aachen, 1985–90 Leiter des „Opus vocationis“ zur Förderung von Priestern und Ordensleuten in der Dritten Welt. Wöste, Wilhelm, Theologe 17, 325 f., 370 geb. 3. 10. 1911 Löningen, gest. 15. 9. 1993 Münster, 1950–69 Präses der KAB Münster und Köln, 1969–1976 Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe (Katholisches Büro) Bonn, 1977–86 Weihbischof von Münster und Titularbischof von Thignica. Wrangel, Olaf Baron von, Journalist, Politiker 375 geb. 20. 7. 1928 Reval, gest. 29. 9. 2009, 1955 Parlamentskorrespondent des NWDR Bonn, ab 1956 Leiter des NDR-Studios ebd., 1961–65 Chefredakteur NDR, 1965–82 MdB (CDU), 1982–88 Hörfunkdirektor beim NDR. Wuermeling, Franz-Josef, Dr. rer. pol., Politiker 80 geb. 8. 11. 1900 Charlottenburg, gest. 7. 3. 1986 Münster, 1926–31 tätig im Preußischen Ministerium des Innern, 1931–38 Landesrat im Provinzialverband Kassel, Finanzdezernent, später Brandversicherungsdezernent, 1939 aus politischen Gründen entlassen, 1940–47 Tätigkeit in der Basalt-Industrie, 1945 Bürgermeister von Linz/Rhein, 1946–51 MdL (CDU) Rheinland-Pfalz, 1947–49 Staatssekretär im Ministerium des

Personenregister/Biographische Angaben

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Innern des Landes Rheinland-Pfalz, 1949–69 MdB (CDU), 1949/50 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt beauftragt, 1953–62 BM für Familienfragen (ab 1957 für Familien- und Jugendfragen). Zarapkin, Semjon Konstantinowitsch, Diplomat 176, 193 geb. 4. 6. 1906 Mykolajew, gest. 17. 9. 1984 Moskau, 1937–47 tätig im Außenministerium der SU, 1947–49 Geschäftsträger an der Botschaft in Washington, D. C., 1949–54 stellv. Gesandter im UN-Sicherheitsrat, 1954–64 Leiter der Abteilung „Internationale Organisation“ im sowjetischen Außenministerium, 1961–66 Leiter der sowjetischen Delegation bei der Genfer Abrüstungskonferenz, 1964–66 Berater des sowjetischen Außenministers, 1966–71 sowjetischer Botschafter in Bonn. Zillessen, Horst, Prof. Dr. rer. pol., Hochschullehrer, Verbandsfunktionär 304 geb. 1938, 1970–80 Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, 1972/73 Vorsitzender des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen Umweltschutz, 1976–80 Stellv. Vorsitzender der Deutschen Umweltaktion, 1980–86 Präsident der Universität Oldenburg, 1987–2001 Prof. für Umweltpolitik und Umweltplanung ebd., 1992–2007 wissenschaftlicher Leiter und geschäftsführender Gesellschafter des „Mediator – Zentrum für Konfliktmanagement und -forschung GmbH“ ebd. Zoglmann, Siegfried, Politiker 244 geb. 17. 8. 1913 Neumark, gest. 20. 10. 2007 Bonn-Bad Godesberg, ab 1935 Leiter der Auslandspressestelle der Reichsjugendführung der NSDAP, 1939 Abteilungsleiter beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 1939–45 Kriegsdienst, 1951 verlegerische und journalistische Tätigkeit u. a. als Chefredakteur der Wochenzeitungen „Fortschritt“, „Die Deutsche Zukunft“ und „Deutsche Allgemeine Zeitung“, 1954–58 MdL (FDP) NRW, 1957–76 MdB (FDP, ab 1972 CDU/CSU), 1969 Mitgründer der NationalLiberalen Aktion, 1971–74 Bundesvorsitzender der Deutschen Union, 1976–88 Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bayern. Zuckschwerdt, Oskar, Pfarrer 66 geb. 19. 6. 1883 Gandersheim, gest. 26. 10. 1965 Göttingen, 1945–49 Superintendent des Kirchenkreises Magdeburg, in die Vorläufige Geistliche Leitung der Kirchenprovinz Sachsen berufen, 1946–58 Propst des Sprengels Magdeburg und Ständiger Stellv. des Bischofs der Kirchenprovinz Sachsen.

VIII.

Institutionen-, Orts- und Sachregister

Abendmahlsgemeinschaft 349 Abrüstung 98, 107–109, 148, 185, 204, 299, 387 Acholi 266 – Ägypten 40, 53, 98, 104, 167, 186 f., 311, 313 f., 323 f., 340, 343 Afrika 56, 258, 353, 368, 372, 376–379, 409 Akademien, Evangelische 41, 101, 300 Akademien, Katholische 177, 410 Aktion Gemeinsinn 260 Albanien 162 Algerien / Algerienkrieg 55, 98, 227, 256, 346 Algerienputsch 128 Allied Forces Central Europe (AFCENT) 155 Allied Travel Board / Allied Travel Office 183 Alliierte 15, 38, 48, 76 f., 81, 83, 91, 96, 117, 125, 131, 134, 161, 163, 191, 218, 224 f., 230, 236, 286, 294, 306 Altpreußische Union (APU) 18 Amerika, s. USA Amman 267 Amnestie 214, 278 Amnesty International 367 Angola 53, 226 f., 365 f., 372, 376 f. Ankara 340 Antikommunisten 162, 246 Antimodernisteneid 144 Antisemitismus 41, 54, 121 f., 128, 188, 333 f. Apartheid 56 f., 352 f., 376, 384 APO 46, 60 Arabische Staaten (auch: Araber) 44, 53 f., 65, 98, 124, 171, 223, 187 f., 266 f., 305, 311 316, 333, 340, 343

Arbeiterklasse 264, 275, 366 f. Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen 348 Arbeitskreis Entwicklung und Frieden 28 Arbeitslosigkeit 253, 311, 390 Ärmelkanal (auch: Kanal) 152 Arnoldshain 372, 384 Asien 95, 104, 149, 170 Assuanstaudamm 186 Atheismus 323 f. Athen 276, 340 Atomdebatte 106, 108 Atomkraft (auch: Kernenergie) 106 Atomkraftwerke 55 Atomkrieg 42, 84, 139 f. Atomstreitmacht 45, 71 f., 152, 155, 192 Atomtests (auch: Atomwaffenversuche) 106, 148 Atomwaffen 106–108, 132, 138, 152, 155, 171, 190, 218 Atomwaffensperrvertrag, s. Nonproliferationsvertrag Auschwitz 188 – Auschwitzprozess 26, 41, 121, 129 Außenhandelsabkommen 273 Außenministerkonferenz 40, 89, 100, 229 Außenpolitik 37 f., 45, 53, 56, 63, 76, 88 f., 101, 109, 111, 114, 116 f., 124 f., 134, 138 f., 152, 155 f., 168–170, 178, 191, 201, 229, 231, 233, 235 f., 239 f., 243, 249 f., 263, 276, 295, 299, 301, 305, 343 f., 363, 373, 384, 389, 408 Ausländerzentralregister 359 Aussiedlerfrage 363 Baader-Meinhof-Gruppe 61, 335 Baden-Württemberg 46, 83, 157, 198 f., 244, 247, 251, 302, 327, 393, 403, 411

506

Institutionen-, Orts- und Sachregister

Badische Anilin- & Soda-Fabrik / BASF 311 Bahnhofsmissionen 85 Bahr-Papier 217 Barczewo 331 Bayern 112, 134, 151, 153, 177–179, 208, 263, 302, 328, 403 Bayernpartei 79 BBC 205, 298 Befreiungsbewegungen 63, 98, 226, 305, 346 Befreiungstheologen 402 Bekennende Kirche 13 f., 30, 66, 184, 295 Belgrad 408 Benelux-Staaten 92 Bensberger Kreis 195, 250, 402 Bensberger Memorandum 195 Berkeley 256 Berlin 5, 13, 32, 41 f., 47 f., 51, 58, 61, 65, 68, 71–74, 76, 80, 93, 95, 100, 109, 117–119, 121–124, 126, 130–132, 134 f., 138–141, 145 f., 149, 152 f., 160 f., 164, 172, 176, 184, 187, 190, 192 f., 195, 197, 202, 214, 217 f., 223–225, 229 f., 235 f., 239 f., 248, 250, 259, 273, 275, 277, 284, 286, 300–302, 307, 314, 319 f., 331, 344 f., 349, 360 f., 363, 367, 374–376, 380 f., 385–387, 395 f., 403 – Berlin-Abkommen 230, 300, 396 – Berlinfrage 139, 149, 217, 223, 229 f., 307 – Berlin-Ultimatum (auch: BerlinKrise) 117 f., 130 f., 161 Berufsverbote, s. Ministerpräsidentenbeschluss Besatzung (auch: Besatzungsmächte, Besatzungspolitik, Besatzungsstatut) 15, 35, 38, 76, 131, 149, 175, 183 – Betriebsverfassung 62, 261 Bevölkerungsexplosion 62, 350 Bewegung 2. Juni 61, 358 BHE 82 f., 122 Biafra 28 Big Lift 191 Bildung 29, 45, 162 f., 189, 209, 245, 292, 309, 350, 384, 401 f.

– Bildungskatastrophe 162 – Bildungsplanung 252, 292 – Bildungspolitik 26, 32, 47, 62, 170, 209, 261, 263, 397 – Bildungsrat 220, 293 – Bildungssystem 406 – Bildungsurlaub 252, 283 Bistümer 254, 348 Bocholt 13 Bodenrecht 59, 62, 261 f. Bodenreform 100 Bolschewismus 95 Bombenkrieg 47, 180, 257 Bonn 9, 11, 15–17, 19, 22, 25 f., 32, 38 f., 46, 52, 56, 63, 74, 79, 83 f., 88, 91–93, 95, 98–100, 107–109, 114, 116, 118, 125, 130, 134, 140, 146 f., 160 f., 163, 165, 171, 175–177, 179, 184, 186 f., 193 f., 197 f., 201, 210, 214, 217 f., 220, 223–225, 227, 230 f., 233–236, 240 f., 246, 248, 250, 265, 267, 270, 273 f., 292 f., 296, 305, 308, 313, 320, 323, 340 f., 343 f., 347, 352, 362, 374–376, 378 f., 381–385, 389, 391, 396, 407 Bosporus 85 Boston 254 Bremen 111 f., 302, 403 Brot für die Welt 124, 303, 406 Bruderrat / Bruderräte 13 f., 20, 30, 35, 39, 66, 112 Bruderschaft 87, 97, 112, 133 Brüssel 26, 92, 159, 237, 252, 299, 317, 335, 340 f., 344, 347, 369, 379, 400–402 Brüsseler Pakt 92 f. Budapest 155, 185 Bühler Höhe 91 Bukarester Konferenz 229 Bulgarien 161 B- und C-Waffen 204–206 Bund der Vertriebenen 233 Bundesamt für Verfassungsschutz 41, 61, 94 Bundesanstalt für Arbeit 312 Bundesanwaltschaft 150 Bundesfahndungstag 359 Bundesgerichtshof 202 Bundesgrenzschutz 359, 395

Institutionen-, Orts- und Sachregister Bundeshaus 202 Bundeshaushalt 245, 263 Bundeskanzler (auch: Kanzler) 17, 21–23, 31 f., 34, 37, 41, 47 f., 53, 58, 71 f., 76, 80, 83, 85, 87, 89 f., 94, 97 f., 100, 111, 113 f., 116, 123, 130 f., 135, 138, 151, 154, 156 f., 159, 169, 175, 178, 184, 189, 192, 195, 208 f., 215, 218, 223, 227, 230, 237 f., 243, 245, 250 f., 254, 257, 262, 271, 276, 280 282, 284, 286, 294, 301, 305, 307, 310 313, 315, 317–322, 326 f., 333 335, 344, 347, 354, 363–366, 368, 374 f., 379 f., 383–385, 395 f., 398, 404 408, 410 Bundeskriminalamt 358 f. Bundesländer (auch: Länder) 60, 80, 90, 119, 122, 181, 202, 208, 245, 262 f., 284, 292, 301 f., 350, 358, 382 f., 392, 403, 406 Bundesministerien / Bundesminister – der Finanzen 113, 136 – der Justiz 33, 59 61, 79 f., 89, 136, 151, 179, 181, 221, 306, 308, 356 f., 406, 410 – des Auswärtigen (auch: Auswärtiges Amt) 22, 52 f., 56, 84, 98, 104, 108, 113, 121, 126, 136, 146, 163, 179, 183, 202, 226, 233, 236 f., 240, 294, 296, 298, 307, 321, 323, 330, 333, 341, 344, 352, 355 f., 362, 378, 396 – des Innern / Innenministerium 61, 72, 136, 192, 202, 301, 322, 327, 356, 358, 360, 387, 402 – für Atomfragen 151 – für Bildung / für Bildung und Wissenschaft 209 – für das Post- und Fernmeldewesen 18, 309 – für Entwicklungshilfe / Entwicklungsministerium 330 – für gesamtdeutsche Fragen / BMG für innerdeutsche Angelegenheiten 43, 50, 113, 165, 170, 215 f., 271, 278 – für Jugend und Familie 281 – für Verteidigung 17, 105, 136, 139, 145, 150 f., 191, 205, 211, 226, 321, 394

507

– für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 41, 122 f. – für Wirtschaft 117, 136, 155, 226, 311 – für wirtschaftliche Zusammenarbeit 32, 352, 406 Bundesnachrichtendienst / BND 129, 165, 231, 320, 322 Bundespost 18, 184, 234, 309 f. Bundespräsident 21 f., 58, 80, 84, 88, 116, 138, 156, 169, 183, 194 f., 208, 280, 302, 308, 320, 325 f., 374 Bundesrat 17, 83 f., 90, 94, 136, 183, 218, 244 f., 248, 290 f., 363, 397 Bundesrechnungshof 280 Bundesregierung 9, 15 f., 23 f., 28, 31, 37, 43–45, 50 f., 53, 55 f., 58, 61, 63, 76 f., 79, 83, 90 f., 96, 106, 108–110, 123, 131, 134, 140, 149, 151–154, 161 f., 164 f., 167, 171, 173, 176, 179, 184 f., 187, 190 f., 196 f., 204–206, 218, 227 f., 230, 233, 235 f., 240, 243, 252, 255 f., 259, 265 f., 269–271, 281, 287, 290–292, 307 f., 311, 315 f., 319, 326, 330, 335, 340, 345–347, 352–354, 360–362, 369 f., 374, 378, 380–387, 390, 392, 394–396, 404–410 – Bundesrichter 355 Bundesstiftung für das Behinderte Kind 25 Bundestag – Bundestagsabgeordnete (auch: Abgeordnete) 15, 17, 20, 33, 46, 49, 59, 72, 77, 80, 94, 96, 109, 114, 135 f., 138, 170, 178, 183, 185, 192, 195, 201, 210, 220, 228, 231, 239, 241, 244 f., 249, 251, 260, 283 f., 290, 294, 308, 332, 335, 344, 357, 362, 364, 370, 395, 397 – Bundestagsausschuss 181, 185, 240, 280, 375, 385 – Bundestagsdebatte 10, 49, 80, 108, 196 f., 239, 247, 281 – Bundestagspräsident 79, 108, 114 – Bundestagswahl 20, 25, 30, 38, 58, 63, 65, 88–90, 104, 111 f., 132, 162, 169 f., 199, 206, 208, 260, 262, 276, 280, 349, 368, 386, 390, 392 f., 397, 404 Bundesverfassungsgericht (auch: Karlsru-

508

Institutionen-, Orts- und Sachregister

he) 22 f., 77, 79 f., 84, 150, 209, 285, 300 302, 307 f., 355, 361, 392 Bundeswehr 9, 14, 22, 35–37, 45, 97, 101, 104, 106, 108, 138–140, 161 f., 175, 180, 191, 194, 199, 211 f., 246, 255, 258, 355 Buß- und Bettag 302 Caracas 384 Caritas 27, 256 CCIA 139 CDU 19 f., 23 f., 29, 31 f., 36, 38, 48 f., 58 f., 71 f., 77, 80, 82 f., 85 f., 88–90, 94, 101, 109, 111–117, 119, 122, 124, 135 f., 138, 145, 151, 157, 169 f., 172, 175, 178, 190–192, 194, 196 f., 208 f., 212, 215, 219 f., 230, 235, 238 f., 243–245, 247–251, 262–264, 271, 276, 278, 281, 283, 285, 292, 325, 327 f., 330, 335 f., 345, 349, 355, 359 f., 362–364, 379, 382, 390, 393, 399, 404, 411 f. – Ahlener Programm 336 – Evangelischer Arbeitskreis der CDU / CSU 20, 29 Chancengleichheit 59 Charta 77 408 Chemnitz 216 Chile 57, 308, 384 China (auch: Peking oder Rotchina) 44, 86, 92, 95, 103 f., 148 f., 161, 168, 205, 237, 239, 252, 302, 317, 341 f., 374, 393, 396, 408 f. Christliche Friedenskonferenz 188, 402 Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaften 315 Christ und Welt 36, 114, 139, 162, 194, 332 Club of Rome 62 Comeniusstift 163 Conakry 232 Contergangeschädigte (auch: Contergankinder) 326 Cottbus 141 Dänemark 92, 153, 317, 398 Darmstadt 74 DDR (auch: Zone / Ostzone) 9, 17, 19, 31, 37, 40–44, 47 f., 50–52, 54, 58, 60, 65 f., 71 f., 79, 81, 84 86, 89, 93 95, 98, 103,

110, 117, 119–126, 129–133, 140 f., 145 f., 149, 155, 159–161, 164 167, 169, 171–173, 176, 183–185, 188–190, 192 f., 201–204, 206, 215, 217 f., 223–225, 229 f., 235–237, 245, 257–259, 264 f., 268–279, 285–289, 295, 300 f., 305, 308, 317, 319–322, 328, 344 f., 349, 360, 367, 374 f., 380, 382 f., 386 f., 389 f., 393–396, 400, 407 f. Deir Yasin 333 Democrazia Cristiana 158, 379 Demokratie 9, 19, 31, 36, 48 f., 52, 62, 81, 83, 86, 100, 123, 156, 179, 260, 277, 311, 317, 322, 335, 337 f., 361, 366, 392, 401 f. Denkschrift / Denkschriften der EKD 23, 28, 31, 34, 58, 138, 171, 189, 193, 195, 201, 211 f., 228, 260, 290, 300, 351, 363, 368, 389 Deutsche Außenpolitik 301 Deutsche Bischofskonferenz (auch: Fuldaer Bischofskonferenz) 27 f., 57, 177, 206, 252, 256, 292, 326, 331, 348, 368 f., 410 Deutsche Christen 13 f. Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik 27, 362 Deutsch-Englische Gesellschaft 99, 125 Deutscher Evangelischer Kirchentag 126, 188, 309 f. Deutsches Reich 289 Deutsches Sängerfest 386 Deutsch-israelische Gesellschaft 187 Deutschlandpolitik 10, 41, 47 f., 52, 66, 72, 167, 171 f., 176, 178, 184, 189, 192, 215, 217, 219, 235, 240, 243, 272, 295, 311, 386, 395 f., 407 Deutschlandvertrag (auch: Generalvertrag) 38, 77, 79, 81, 86, 91, 95, 218 Devisenausgleichsabkommen 177 Diakonie (auch: Diakonisches Werk) 27, 43, 165, 181, 256, 268, 281, 292, 303, 310, 371, 406, 410 Dien Bien Phu 299 Die Zeit 22, 37, 93, 139, 142, 153, 176, 209, 245, 299, 369, 399 Diplomatisches Korps 183 Dissidenten 408

Institutionen-, Orts- und Sachregister DKP 48, 60, 62, 238, 284, 309, 328, 393 Dortmund 81, 171 DP 80, 84, 88, 113 Drei-Staaten-Theorie 161 „Drei von Breda“ 241 Dresden 141 Dritte Welt / 3. Welt 45, 369 DRP 121 Duisburg 282 Düsseldorf 101, 197, 301 EG / Europäische Gemeinschaft 26, 38, 52, 57, 296, 313, 315, 317, 335, 341, 343, 347, 356, 375, 381, 396, 398–401 Ehe (auch: Ehepaare, Ehepartner, Eheleute) 21, 135, 142, 180, 291, 325, 386, 405 f. – Eherecht / Ehescheidungsrecht 17, 59, 181, 290 f., 390, 406 Eichmannprozess 41, 121, 128 Eifel 262 Einsatzgruppenprozess / Ulmer Einsatzgruppenprozess 41, 121, 129 Eisenach 110 EKU 23, 268 Elbe 101, 272 Elternprivileg 290 Elternrecht 81, 157, 406 Elys e-Vertrag 152 Emanzipation 350 Endverbleibsklausel 226 Energiekrise 311 f. Energiepolitik 311, 313 England 57, 89, 92 f., 96, 99, 104, 107, 109, 116, 118 f., 123–125, 134, 152–156, 167 f., 170, 185, 187, 203, 205, 214, 237, 250, 298, 313, 317, 320, 377 f., 384, 398 f. Entchristlichung / Entkonfessionalisierung 182 Entkolonialisierung 201, 353 Entspannungspolitik 39, 240, 265, 275 f., 281, 296, 300, 318 f., 345, 372 f., 381, 408 Entwicklungsdienst 46, 58, 231, 252, 330, 368 f., 386 Entwicklungshilfe 45, 53, 57, 63, 181, 186, 194, 199, 226 f., 261, 280, 350, 385, 397, 405 f., 409

509

Entwicklungsländer 57, 252 f., 334, 346 Entwicklungspolitik 10, 28, 45, 57 f., 62, 220, 370, 385 f., 405 Episkopat 27, 209, 249 Erdgas 215, 312 Erfurt 109 f., 236 Erklärung der Menschenrechte 306 Ersatzdienstlager 200 Europa 19 f., 26, 38 f., 51, 54, 65, 71, 77, 84, 86, 89, 91–93, 95, 98, 103, 108 f., 113, 117 f., 130, 132, 134, 140, 148, 152–154, 158, 161, 185, 189, 191, 193, 196 f., 201 f., 206, 218 f., 223, 229 f., 237, 239, 248, 255, 258 f., 263, 272, 282, 286, 296–301, 307, 309, 313–315, 317, 323, 333 f., 344–346, 356, 365–367, 377 f., 381 f., 385, 387, 396, 398–400, 402, 408 – Euratom 196 – Europa-Parlament 376, 395 f., 400 – Europarat 356 – EVG 77, 79, 83 f., 86, 90 92 – EWG 125, 152 155, 159, 174, 243, 312, 398 Europäische Konferenz der Kirchen 295 Evangelische Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst 28 Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer 212 Evangelische Jugend Hannover 212 Evangelischer Pressedienst (auch: epd) 16, 212 Evangelisches Studienwerk Villigst 133 Evangelische Studentengemeinde / ESG 226 Evian 226 Ewigkeitssonntag 302 Fahrpreiserhöhungen 358 f. Familienlastenausgleich 263 Familienpolitik 72, 162, 170, 192, 284, 390, 406 Familienzusammenführung 43, 47, 50, 176, 185, 189, 264, 268–272, 274, 277–279, 330 FDP 18, 20, 22, 24, 31, 33 f., 37, 58, 80, 83, 88 f., 99, 101, 113 f., 117, 135 f., 138, 151,

510

Institutionen-, Orts- und Sachregister

169, 178, 191, 206, 208, 210, 234, 238, 250 f., 276, 282 f., 302 f., 326 330, 336, 355, 382, 399, 405, 407, 410 f. Feiertage 226, 302 Feiertagsrecht 302 Fernsehen 121, 128, 160, 176, 186, 205, 222, 229, 264, 279, 290, 293, 322, 338, 343, 393, 395 – Fernsehrat 145 – Fernsehrecht 18, 27 Finanzpolitik 62, 97, 178, 245, 261, 354, 391, 405 Finanzreform 190 Finnland 140, 259 Flensburg 46, 180 Flick / Flick-Konzern 208 Fluchthelfer 164, 189 Föderalismus 179, 214 Föderalistische Union 79 Fontainebleau 106, 119, 155 Force de frappe 152, 155 Formosa 92, 205 Frankfurt am Main 41, 73 f., 76, 80–82, 88, 96 f., 126, 128 f., 139, 164, 223, 227, 359 Frankfurt an der Oder 160 Frankfurter Allgemeine Zeitung / FAZ 106, 132, 139, 143, 157, 173, 199, 285, 297 – Frankfurter Rundschau 407 Frankfurter Volkshochschule 227 Frankreich 14, 38, 40, 49, 51, 55, 61, 76 f., 82, 85, 89, 91–93, 96–98, 104, 107, 109, 116, 118, 122 f., 131, 134, 152–155, 161, 167 f., 170, 173–175, 191, 198, 201 f., 214, 225, 227, 239, 250, 256, 259, 296, 298 f., 313, 317, 328, 346, 358, 366 f., 370, 377–380, 382, 393, 396, 399–401 Frauenaktion 227 Freie Wohlfahrtspflege 71 f., 192, 281 Freizeitgestaltung 263 Frelimodelegation 303 „Friedensaufgaben der Deutschen“ / Studie zur Friedensfrage 195 Friedensnobelpreis 306 Friedensnote (1966) 171

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 219 Friedensvertrag 77, 103, 125 f., 130, 193 Friedewald 74 Friedliche Koexistenz 42, 67, 100, 137, 301, 373 f. Friedrich-Ebert-Stiftung 326 Fulda 110, 206, 312 Fürstenwalde 172 Gaeta 21, 331 Gastarbeiter 10, 62, 310, 350, 359 GATT 68, 159, 185, 252, 296 Gaza-Streifen 343 Gefallenendenkmäler / Gefallenenehrungen (auch: Flensburger Vorgänge) 46, 180 Gefängnisseelsorge 18 Gemeinden 46, 61, 101, 108, 113, 121, 186, 188, 251, 254, 305, 326, 330, 369, 391, 400 Generalbundesanwalt 322 Generationenfrage 208 Genf 31, 40 f., 57, 91, 99 f., 103, 109, 128, 132, 143, 179, 181, 185, 196, 204 f., 296–299, 306, 309, 313–316, 318, 324, 341, 343, 345, 362, 369 f., 397, 402 Gesetze 10, 79, 101, 120, 201, 234, 290, 383, 386, 402, 411 – § 184 StGB 221 – § 218 StGB (auch: Fristenregelungsgesetz) 25, 59, 227, 261, 283, 291, 325 f., 362, 370, 390, 410 – Aktiengesetz 136 – Beamtengesetz 383, 392 – Ehegesetz 406 – Gesetzentwurf zum Schutze der Landesverteidigung 101 – Gesetz zur Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen 364 – Hochschulrahmengesetz 59, 291 – Jugendhilfegesetz 145, 327, 391 – Kartellgesetz 136 – Notstandsgesetze 46, 60, 172 f., 183, 185, 199, 201, 357, 359 – Schubladengesetze 185

Institutionen-, Orts- und Sachregister – – – –

Schutzhaftgesetz 357 Städtebauförderungsgesetz 252, 263 Verbandsgesetz 411 Wehrgesetz / Wehrpflichtgesetz 101, 145 Gesundheitspolitik 406 Gesundheitswesen 390, 397 – Krankenhäuser 18, 32, 71 f., 192 – Krankenhausträger 410 – Krankenversicherungsbeiträge 252 Gewaltlosigkeit 357 Gewaltverzicht 47, 71 f., 171, 189, 192, 214, 218, 305 Gewerkschaften 76, 90, 116, 170, 185, 206, 219, 245, 312, 319, 327, 394, 407, 411 – Christliche Gewerkschaften 90 – DGB 96 f., 172, 378 – IG Metall 157 – ÖTV 319, 417 – Polizeigewerkschaft 359 Gießen 187 Gleichberechtigung (auch: Emanzipation) 38, 76 f., 81, 170, 273, 386 Gnadengesuch 179 Godesberg 30, 123, 336 Gotteslästerungsparagraph 181 Göttinger Manifest 106 Grenzschutzgruppe 9 (auch: GSG 9) 359 Griechenland 92, 162, 187, 227, 317, 340, 398 Große Koalition 10, 31, 58, 157, 169 f., 189, 196, 208 Grundgesetz 20, 26, 31, 36, 60, 77, 80, 84, 86, 97, 103, 116, 157, 170, 178, 185 f., 222, 264, 273, 300, 302, 310, 383, 392, 405 Grundlagenvertrag (auch: Grundvertrag) 23, 47, 50 f., 54, 272, 300, 307, 345 Grundwerte 33, 58, 62, 336, 350, 385, 404, 410 Guinea 231 f. GVP 30, 82, 89, 97 Häftlingsfreikäufe, s. Transfergeschäfte Häftlingshilfe 268 f. Hage 14, 266, 319 Halle 141, 180

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Hallstein-Doktrin 125 Hamburg 30, 73, 86, 88 f., 111 f., 200, 222, 256, 284, 302, 329, 375, 382 f., 403, 410 Handelspolitik 56, 58, 117, 384, 390 Hannover 13, 73 f., 126, 145, 163, 181, 212, 331, 362 Hanoi 91, 341 f. Hausfrauenrente 252 Heidelberg 35, 96, 142, 163, 180, 293 Heiliger Stuhl, s. Vatikan Helmstedt 131 Helsinki 51, 223, 264 f., 288, 296–298, 300, 306, 343, 345, 363, 381, 386 f., 408 Herbizid-Kampagne 256 Herford 13–16 Hessen 76, 80, 112, 178, 202, 233, 284, 293, 302, 309 f., 403 Hilda-Heinemann-Stiftung 325 Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Heß e. V. 294 Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe zum Schutz des ungeborenen Lebens 291 Holland, s. Niederlande Holocaust 42 Humana 166, 189, 274 f., 318 Humanisierung 40, 120, 124, 264 Humanistische Union 227 Indien 119, 149, 170, 187, 194, 215, 258, 314, 317 Indochina 91, 256, 258, 299, 341, 344 Indonesien 91 f., 94, 341 Industriestaaten (auch: Industrieländer / Industrienationen) 45, 56 f., 252 f., 296, 334, 379, 385 Inflation 263, 334 Innenpolitik 54, 58, 60, 90 f., 101, 104, 109, 121, 156, 158, 173, 186, 191, 198, 201, 243, 285, 290, 317, 325, 364 Innere Sicherheit 59–61, 245, 356, 361 Interpol 356 Interzonenhandel 85, 149, 189, 203 Iran 270, 312 Irland 92, 158 Islam / Islamische Staaten 323 Israel 40, 44 f., 53 f., 57, 65, 68, 98, 104,

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Institutionen-, Orts- und Sachregister

107, 121, 124, 129, 167, 186–188, 231, 270, 305, 311, 313–316, 333 f., 340 f., 343 Iswestija 158 Italien 15, 21, 44, 51, 76, 89, 92, 134, 142, 158, 187, 202, 245, 259, 317, 328, 331, 344, 358, 366 f., 379, 393, 399–401 Japan 77, 344, 408 Jom-Kippur-Krieg 311, 313 f. Jordanien 53 f., 186 f., 267, 313, 340 Juden 47, 122, 180, 187 f., 241, 270 f., 314, 331 Judenpogrom 152 Jüdische Gemeinde (Niederlande) 331 Jugenddorf 232 Jugoslawien 155, 215, 223, 237, 373, 393 Jungdemokraten 34, 282 f., 302 f., 329 Junge Gemeinde 85 Junge Union 395 17. Juni 1953 172, 244, 302 Jusos 219 f., 284, 312, 319, 358 Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche 187 Kalifornien 365 Kalter Krieg 10, 37, 41 f., 67, 75, 94, 122, 160, 361, 374, 387 Kambodscha 91, 341, 344, 346 Kammern der EKD 90, 189, 203, 254, 405 Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst 58, 369 – Kammer für Koordination der Entwicklungspolitik 28 – Kammer für Kulturpolitik und Bildungsfragen (auch: Bildungskammer) 309 – Kammer für öffentliche Verantwortung 15, 26, 66, 185, 189, 195, 210, 254, 280 f., 283, 303 f., 314, 333, 410 – Kammer für soziale Ordnung (auch: Sozialkammer) 28, 136, 282, 300 Kampala 265 f. Kanada 92, 187, 297, 323, 402 Karlsbad 189, 218 Karlsbader Konferenz 190 Karlsruhe, s. Bundesverfassungsgericht Kassel 80, 224, 236, 384 Katholiken 18–23, 25–28, 50, 57, 59, 87,

105, 107, 135, 145, 157, 164, 175, 177, 179–181, 187, 199, 220, 252, 271, 283, 325–327, 331, 348 f., 355, 362, 368–370, 400, 410 Katholische Kirche 17, 21, 23, 26–28, 31 f., 52, 59, 65, 142 f., 145, 157 f., 163, 165, 177, 181, 195, 220, 249, 254, 260, 267, 282, 284, 291 f., 308 f., 325 f., 336, 349, 385 f., 405, 410 Khirbet Kanafar 267 Kiel 179 Kinderfeindlichkeit 406 Kindergeld 234, 284 Kinderrückführung 185 Kirchberg 74 Kirchenkampf 85 Kirchenkanzlei der EKD 392 Kirchenkonferenz 66, 88, 102, 104, 142, 247, 285, 340, 349, 352, 364, 380, 384, 393, 398, 402 Kirchenpolitik 126, 159, 327 Kirchensteuer 18, 32, 34, 180 f., 206, 210, 234, 284, 329 Kirche und Raumordnung (katholischer Arbeitskreis) 28 Kirchliche Hochschulen 314 Klerikalisierung 33, 81 KNA 143, 293 Koalitionsverhandlungen 234, 404, 410 Koblenz 132 Kollektivierungen (auch: Zwangskollektivierungen) 85, 130, 141 Köln 26, 81, 87, 121, 355, 357, 402 Kölnischer Stadtanzeiger 212 Kolonialismus 52, 57, 91, 98, 103, 201, 299, 303, 305, 353, 373 f., 377, 409 Kommission für Entwicklungspolitik 28 Kommunen 262 f. Kommunismus 39, 51, 63, 96 f., 176, 274, 285, 361, 367 f., 398, 400–402 – Eurokommunismus 51, 63, 382 – Weltkommunismus 344, 347 Kommunisten 52, 62, 82, 88 f., 91, 146, 158, 274, 276, 328, 347, 357, 366, 374, 379, 393, 399–402 Kommunistische Parteien 51 f., 158, 188–190, 301, 344, 367 f., 379, 393, 401

Institutionen-, Orts- und Sachregister Konfessionalismus 19 Kongo 215 Königsteiner Erklärung der deutschen Bischofskonferenz (1968) 206 Königswinter Konferenzen 99 Konjunktursteuerung 334 Konstantinopel 143 Kontaktbereichsbeamte 61, 360 Korea / Korea-Krieg 81 f., 84 f., 89, 91 f., 94, 140, 344 Krasnaja Swesda 246 Kreml 89, 118, 120, 139, 147, 172, 225, 341, 374 Kriegsdienstverweigerer / Kriegsdienstverweigerung 36, 60, 78, 97, 101, 145, 194, 199 f., 202, 211 f., 295, 386 Kriegsgefangene (deutsche) 15, 83, 163, 316 Kriegsopferrenten 252 Kriegspfarrer 14 Kriegsverbrechen 53, 226, 342 Kriegsverbrecher (auch: „Kriegsverurteilte“) 15, 21, 83, 163, 233, 331 Krim 237 f., 265, 274 f., 297 f. Kriminalpolizei 356 Kronberg 223 KSZE 51, 264, 297 299, 306, 318, 341, 343, 345, 386, 408 Kuba 128, 148 f., 153, 159, 373, 377 Kubakrise 148, 153 Kulturpolitik 26, 80, 90, 156, 162 f., 179, 208 Kulturprotestantismus 163 Kultusminister 84, 198, 292 f., 302, 309, 375, 382, 393 KZ (auch: Konzentrationslager) 14, 47, 180, 357 Labour Party 154 Ladakh 149 Lage 80 Landesämter für Verfassungsschutz 392 f. Landeskirchen, evangelische 32, 60, 66, 90, 110, 145, 163, 179 f., 206, 277, 283 f., 302 f., 350, 361, 389, 393, 403

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Landtag / Landtage 46, 80, 88, 103, 151, 178, 199, 327, 390 Landwirtschaft 85, 126, 130, 139, 159, 206, 262, 268 f., 387 Laos 91, 128, 159, 205 Leipzig 141, 241, 396 Leistungswille 33, 338 Lemberg 122 Libanon 54, 266 f. Lindau 258 Linke 18, 26, 34, 36, 39, 46, 60–63, 90, 180, 194 f., 202, 258, 260, 285, 303, 358, 400 Linksextremismus / Linksextremisten 60, 65, 285, 383, 393 Linkskatholiken 212, 402 Linksprotestanten 188 Lissabon 237, 347 Loccumer Vertrag 302 Lockheed-Affäre 365 London 38, 92 f., 100, 107, 114, 187, 237, 239, 334, 362, 377 Lothringen 99 Lübeck 88 Ludwigsburg 129 Luftbrücke 100, 109 Luftkorridor 85, 132 Lutheraner 9 f., 180, 209, 282 Lutherische Monatshefte 162 Lutherischer Weltbund 226 Luthertum 13 Luxemburg 92, 113, 153 Magdeburg 66, 132, 141 Mailand 81 Mainz 145, 399 Malaysia 341 Maoisten 62 Marburg 13 Mariengemeinde (Stiftberg) 13 Maroniten 266 Marshall-Gedächtnisstiftung 254 f. Marshall-Plan 254 f., 258 Marxismus 30, 51, 61, 400 f. Massenmedien 221, 303, 318, 333, 343, 369, 375, 397 Mauer / Mauerbau / Berliner Mauer 42,

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Institutionen-, Orts- und Sachregister

47, 65, 132, 134, 141, 160 f., 172, 183 f., 189, 203, 229, 328, 395 Mauloff 74 MBFR 296, 299 Mennighüffen 13 Menschenrechte 54, 61, 101, 226, 235, 258, 274, 305 f., 310, 318, 328, 375, 382, 386 Mietrecht 252 Milieumord 257 f. Militärdiktatur 308, 365 Militärpfarrer 200 Militärpolitik 98, 132, 138 f., 153, 168 Militärputsch 308 Militärregierungen 383 Militärseelsorge 35–37, 68, 127, 132, 194, 212, 246, 256, 293, 302, 329 Ministerpräsidentenbeschluss (auch: „Radikalenerlass“ oder „Extremistenbeschluss“) 60 f., 284 f., 301, 310, 328, 382 f., 392 Ministerrat der DDR 189, 223 f. Mirageflugzeuge 155 Misereor 303 Misstrauensvotum 49, 101, 243, 335 Mitbestimmung 10, 59, 62, 261, 280 Miteigentum 90 Mitteleuropa 40, 101, 125, 381 Mittelmeer 162, 227, 343 MLF 71 f., 155, 167 f., 170, 192 Möhnetalsperre 187 Mongolen 367 Monroe-Doktrin 148 Montanunion (auch: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) 38, 81 f. Mozambique 304, 346 Moselkanal 99 Moskauer Vertrag 48, 223, 225, 240, 243, 248, 273 Moskau, s. Sowjetunion Moslems 266 Mossad 9, 42, 128 MSB (auch: Spartakusbund) 92, 393 München 5, 54, 59, 74, 87, 96, 152, 266, 293, 354

Mündelgelder 278 Münster 13, 355 Nagold-Affäre 37 Naher Osten (auch: Mittlerer Osten) 98, 103 f., 186, 188, 313 f., 317, 334, 341, 344, 366 Nairobi 28, 55, 57, 226, 368 f., 372, 379, 383, 385, 391 Namibia 56, 352 f., 376 f., 409 Napalm 55, 333 Nationaler Christenrat der Niederlande 331 Nationalismus 39, 96 f., 346 Nationalrat der amerikanischen Kirchen 231 Nationalsozialismus / Nazis 14, 26, 30, 41, 46, 66, 80, 85, 88, 94, 101, 121 f., 129, 143, 179, 199, 201, 203, 231, 401 National-Stiftung für das behinderte Kind 326 Nationalversammlung (Frankreich) 38, 91, 120 NATO 37 f., 68, 76, 92 f., 98 f., 103 f., 106 f., 109, 118, 128, 134, 151 155, 162, 173, 187, 191, 205, 226 f., 237, 255 f., 296, 303, 340 f., 344 347, 365, 370, 377, 379, 381 Naturfreunde 62, 393 Neues Deutschland 224, 301, 373 Neue Zürcher Zeitung 365 Neun-Mächte-Konferenz 38, 92 Neutralitätspolitik 38, 77, 79 New York 55, 114, 120, 134, 139, 305 New York Times 84, 255, 344 Niederlande 15, 21, 61, 313, 331, 382 Niedersachsen 83 f., 88, 112, 302, 403 Nikosia 162 Nizza 366 Nonproliferationsvertrag 31, 185, 190 f., 194, 196 f., 207 f., 214 Nordrhein-Westfalen 80, 112, 301 f., 309, 319, 354 f., 390, 403 Nordsee 223 Nord-Süd-Frage 52 Normenkontrollklage 77, 84, 300 Norwegen 92 Notgemeinschaften der Evakuierten 14

Institutionen-, Orts- und Sachregister Notgemeinschaft evangelischer Deutscher e. V 82, 179 f., 193 f. NPD 46, 178, 180, 199, 202 f. NSDAP 14, 46, 80 Nürnberg 74, 151, 352 Nuklearmächte 196 Nuntius / Nuntiatur 15, 254 NVA 322, 386 Ochsenfurter Zwischenfall 89 Oder-Neiße / Oder-Neiße Gebiet / OderNeiße Grenze 27, 99 f., 125, 135, 138, 146, 189, 193, 195, 211, 249 Okinawa 45, 204 Ökumene 144, 304, 316, 348, 385 Ökumenischer Patriarch 143 Ölembargo 313, 335 Ölkonzerne 312 Ölpreiskrise 53, 311 Olympia-Attentat 54, 266 Oreanda 237 Organklage 249 ÖRK 28, 45, 52, 55, 57, 179, 304, 370, 378, 383 f., 402 Orthodoxe Kirche 143 Osservatore Romano 142, 249 Ostblock 10, 41, 48, 51, 57, 81, 132, 156, 167, 201, 214 f., 229 f., 252, 265, 274–276, 298, 300, 306 f., 318, 321, 344, 373, 381, 407 f. Österreich 85, 215 Osteuropa 47, 84, 117 f., 190, 298, 300 Ost-Jerusalem 343 Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst 402 Ostpolitik 23, 27, 47 f., 50 f., 109, 138, 169, 190, 192, 194, 197, 203, 215, 218–220, 223, 233, 237, 239–241, 244, 262, 272, 276, 285, 318–320, 328 Ostpreußen 216 Ostpropaganda 359 Ostverträge 23, 27, 47–50, 231, 239 f., 242 f., 246–249, 251, 260, 296, 300, 307 Ost-West-Konflikt 10, 43, 51, 98 Ottawa 76 Ottersberg 13

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Paderborn 355 Palais Schaumburg, s. Bundeskanzleramt Palästina 314, 316, 343 Pankow 85, 126, 146 Panorama 180 Papst 105, 107 f., 144, 158, 249, 266, 348 f. Paris 40, 77, 91, 94, 98, 114, 122 f., 126, 152, 191, 224, 237, 239, 308, 313, 334, 340, 377–379, 381 Pariser Verträge 38 f., 92, 95 f., 103 Parlamentarischer Rat 20, 157 Parlamentarismus 354 Passierscheinabkommen 43, 161 Passierscheinfrage 160 f., 176 Paulskirche / Paulskirchenkundgebung 30, 39, 96 f. Paulus-Gesellschaft 402 Pax Christi 330, 402 Pax et Justitia 362 Peking 44, 95, 148 f., 161, 237, 239, 341 f., 408 Pendeldiplomatie 340 Pentagon 205, 255 f. Persischer Golf 353 Personenkult 367 Philippinen 341 Pietismus 13 Plevenplan 76 f., 91 PLO 54, 266, 343 Polen 14, 24, 27, 40, 44, 51, 89, 104, 118 f., 123, 135, 158, 170, 188, 193, 195, 201, 204, 233, 237, 249, 254, 271, 320, 328, 330, 349, 362, 387 Politische Häftlinge 176, 189, 277 f., 322, 383 Polizei 197, 201 f., 226, 358 f., 394 Pornographie 59, 221 f., 290 Portugal 53, 226 f., 258, 303, 317, 344, 346 f., 398, 400 Potsdamer Abkommen / Potsdam 84, 93, 218 Prag 47, 185, 190, 235, 237, 307, 320 Prawda 84, 140, 240 f., 342, 367, 377 Pretoria 354, 376 Pugwashkonferenz 205 Pullach 321

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Institutionen-, Orts- und Sachregister

Radio Free Europe / Radio Liberty 298, 345 Radom 394 RAF 60, 335, 358 Rand-Corporation 365 Rapacki-Plan 40, 118, 381 Rassismus 56, 304 f., 409 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland / Rat der EKD – Beauftragter des Rates der EKD für die Seelsorge an den deutschen Kriegsverurteilten 331 – Kommuniqu des Rates 194, 198, 206, 212, 256 f., 303, 316 – Ratsausschuss für das Südliche Afrika 352 – Ratschlag 199 – Ratserklärung 212, 247 – Sachverständigenkommission zu Fragen des Jugendhilferechts 391 – Wort des Rates 26, 59, 157, 371 Rechtsextremismus 206 Reeperbahn 222 Reformierte 209, 226, 282 – Reformpolitik 29, 33, 337, 391 Regierungserklärung 23 f., 29, 33, 59, 114, 150, 162, 184, 215, 251, 262, 280–282, 285 f., 337, 386, 398, 404–410 Regina martyrum 157 Reichskonkordat 289 Reichssicherheitshauptamt 231 f. Reiseverkehr 287 Religionsunterricht / Religionskundeunterricht 18, 329 f. Renten 27, 362, 364, 407 Revolution 52, 60, 96, 184, 211, 346, 373, 402 Revue 160 Rheinarmee 162 Rheinischer Merkur 143, 157 Rheinland 96 f., 133, 178 Rheinland-Pfalz 302, 403 Rhodesien 353, 376 f., 409 Röhren-Erdgasgeschäft / Riesenröhrengeschäft 215, 313 Rom 18, 76, 98, 142, 158, 349, 369, 379 Ruhr 155

Ruhrbehörde 76 Ruhrkohle 262 Rumänien 188, 223, 363, 367 Rundfunk 18, 27, 94, 114, 117, 128, 186, 229, 264, 279, 290, 338, 393 Rüstungspolitik 146, 152, 175, 183, 296, 369 Rüstungswettlauf 40, 383 Rüstzeiten 256 Saarbrücken 235, 311 Saarland (auch: Saar) 76, 83, 98 f., 103, 235, 302, 311, 354, 390, 403 Saigon 91, 308, 341 f., 344 Saint-Ouen 367 Säkularisierung 19, 33, 81 SALT-Verhandlungen / -Verträge 68, 223, 239, 296, 299, 318, 341 f., 372 Salzburg 402 Sammlung 143, 211, 244 Sanctum officium 144 San Francisco 77 Santiago de Chile 28, 252 Saudi-Arabien 313, 340 Schiedsstelle 25 Schießbefehl 109, 132, 172 f., 274, 287 Schiiten 266 Schleswig-Holstein 88, 180, 284, 302, 390, 403 Schnellersche Anstalten 186 Schulen 18, 122, 152, 186, 263, 267, 292 f., 350 Schuman-Plan 76, 81 Schüttorf 209 Schwangerschaftsabbruch 284, 370 f., 386, 402, 410 Schwarzer September 54, 266 Schweden 51, 61, 101, 107, 205, 258 f., 334, 382, 400 Schweiz 153 SDS 202 Sechstagekrieg 53, 65, 186, 188, 314 SED 62, 82, 85, 121, 171 f., 178, 184, 202, 224, 275 f., 386 f., 393 f., 396 – Politbüro 126, 184, 277 f., 301, 372 f., 386, 394 Segeberg 389

Institutionen-, Orts- und Sachregister Seine 76 Selbstbestimmungsrecht 243, 273 f., 305 Sicherheitspolitik (auch: Verteidigungspolitik) 35, 71 f., 77, 174, 177, 190 192, 255, 295, 317, 369, 383, 396, 400 Siedlungsarbeit 194 Siegermächte 40, 48, 76, 96, 188, 230, 243, 275, 296 Singapur 341 Skandinavien 185, 258 Sodepax 28 Sofia 193, 302, 306 Solingen 88 Sonntagsblatt 332, 369 Sowjetunion (auch: Moskau / Russland / UdSSR) 18, 39 f., 42, 44, 47, 52, 58, 63, 77, 81, 84, 86, 89, 92–96, 99 f., 104, 106 109, 111, 117 f., 120, 122–124, 126, 128, 130 f., 135, 139 f., 148 f., 153, 155, 158, 161, 166 168, 170, 172, 179, 188 190, 193, 196, 201, 203, 205, 214 f., 218, 223–225, 227, 230, 235, 238 f., 240 f., 243 245, 259, 265, 270, 273, 276, 294, 298 301, 307, 313 315, 317 f., 321, 323, 341 347, 343, 363, 365, 367, 372–375, 377, 380 f., 387 f., 407–409 – Komitee zum Schutz der Menschenrechte 408 – Oberster Sowjet 158, 243, 270 – Sowjetimperialismus 302 – Sowjetische Kontrollkommission 85 Sozialdemokratismus 276 Soziale Gerechtigkeit 17, 28, 30, 57 f., 385 f. Soziale Sicherheit 252, 300 Sozialismus 42, 44, 61, 90, 158, 177, 184, 275, 298, 301, 306, 336, 338, 361, 367 f., 374, 400–402, 411 f. Sozialisten 52, 82, 158, 202, 219, 259, 346, 368, 382, 384, 398 f., 402 Sozialistische Internationale 81, 259, 305, 382, 398 f. Sozialpolitik 62, 90, 135, 138, 170, 261, 337, 350, 397 Sozialrecht 329

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Sozialreformen 169 Spandau 15, 32, 45, 163, 219, 294, 331 Spanien 51, 153, 194, 398 SPD 20, 22 25, 29 33, 36, 38, 40 f., 49, 58 f., 72, 76 f., 80 f., 83 85, 88, 90, 93, 96 f., 101, 104, 106, 108 f., 111 f., 118 120, 123 f., 135 f., 138, 145, 150 f., 156 f., 169 172, 177 f., 181, 184, 190 192, 196 f., 202, 208 f., 215, 217, 219 f., 228, 234, 238, 243 f., 248, 250 f., 259, 263, 276, 280 f., 283, 285, 287, 293 f., 303, 305, 308, 315, 318 f., 326 f., 330, 335 338, 349, 354 f., 357, 370, 374, 382, 384, 390, 400, 407, 411 – Deutschlandplan 31, 40, 119, 124, 190 – Fritz-Erler-Kreis 285 – Godesberger Programm 30, 112, 336 – Kanalarbeiter 357 – Leverkusener Erklärung 97 – Leverkusener Kreis 285 – „Orientierungsrahmen“ 33, 336 f. Speyer 79 Der Spiegel 47, 54, 142, 149 151, 165, 178, 194, 215, 226, 241, 293, 301, 319, 323, 383, 387, 394 Spionage 165, 167, 206, 322 Springer (Verlag) 165, 178, 278 Sputnik 115 Staatsangehörigkeit 264, 273 Staatskirchenrecht 18, 52, 157, 181, 186 Staatsleistungen 85, 329 Staatssicherheitsdienst 160, 394 Staatsvertrauen 354 Städtebau 62, 261, 372 Stalinismus 161 Ständige Vertretungen 264 Stelle für Härtefragen 176 Steuern 86, 374 Stockholm 150, 254–258 Strafrechtsreform 17, 27, 47, 71 f., 170, 181, 192, 217, 261, 290 Strafvollzug 62, 71 f., 192, 261 Straßburg 76, 83, 331, 396 Studenten 197 f., 200, 284, 359 – Studentenbewegung 60 – Studentenpfarrer 36, 132, 198 Stuttgart 74, 101, 109, 187, 194

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Institutionen-, Orts- und Sachregister

Stuttgarter Erklärung 305 Subventionspolitik 178, 284 Südafrika 55 f., 352 f., 372, 376–379, 384, 393, 409 Südamerika 148, 365, 383 f. Süddeutsche Post 157 Südhessen 319 Südkorea 344 Südostasien 341 Südwestfunk 230 Suez-Krise 39, 65 Summepiskopat 22 Sunniten 266 Supermächte 39 f., 197, 343, 345 Synoden der EKD 32, 42, 45, 55, 100, 112, 121, 123, 128, 219, 231, 254, 256 258, 272, 326, 336, 384, 410 Syrien 53, 186, 267, 311, 314, 317, 340, 343 f. Syrisches Waisenhaus 267 Tag der Menschenrechte 306 Taiwan 92 Tallinn 166 Tansania 54, 265, 372, 376 f. Teheran 306 Terrorismus / Terroristen 54, 61, 63, 334, 356 f., 359 f., 366 Thailand 205, 341 Theologenausbildung 18 Theologiestudenten 329 Thüringen 216 Tokio 296 Tokio-Runde 296 Totalitarismus 26 Transfergeschäfte (auch: Kirchengeschäft A, Kirchengeschäft B) 43, 50, 110, 126, 164 f., 176, 185, 189, 264, 268 272, 274, 277 279, 386 Transitabkommen (auch: Transitregelung) 395 Transitverkehr 224, 230, 395 Tridentinum 143 Trient 348 Tschechoslowakei (auch: Tschechei) 40, 89, 92, 119, 171, 189 f., 204, 237, 265, 301, 306 f., 320, 363, 367, 394, 408

Tübinger Memorandum 138, 146, 156, 162 f. Tunesien 91 Türkei 92, 148, 162, 265, 340, 398 Tutzing 41, 73, 79, 298, 300 Uganda 54, 265 f., 277 Ulbricht-Doktrin 190 Ulm 41, 121, 128 f. Umweltschutz / Umweltzerstörung 62, 252, 254 258, 337, 350 Ungarn 111, 117, 119, 132, 215, 237, 367, 402 Unierte evangelische Kirchen 282 Universitäten (auch: Hochschulen) 18, 100, 180, 198, 211, 214, 254, 314, 393 UNO / UN / Vereinte Nationen 28, 40, 52, 55 57, 68, 118 f., 134, 139, 147, 153, 176, 186 188, 235, 249, 252 259, 265, 273 f., 296, 300 f., 305 f., 313 f., 316, 328, 333, 343 f., 353, 368, 381, 386 – UNCTAD III-Konferenz (auch: Welthandelskonferenz, Santiago, Chile 1972) 28, 57, 68, 252, 368 – UNCTAD IV-Konferenz (auch: Welthandelskonferenz, Nairobi, Kenia 1976) 28, 57, 68, 368, 372, 379, 385 f., 388, 391, 397 f. – Uppsala 28, 45 – Ural 152 Ursus 394 USA 39 f., 42, 45, 49, 53–55, 63, 76 f., 83 f., 86–89, 91 96, 98, 100 f., 103 f., 106 f., 109, 115 f., 118 f., 122 f., 125, 128, 130, 132, 134, 139 141, 148 f., 152 155, 158 f., 167, 170, 173 f., 176 179, 187 f., 190 f., 194, 196, 201, 203 205, 214, 223, 225 227, 231, 237, 239 f., 250, 252, 254 259, 272, 276, 283, 286, 293, 296 f., 299 f., 307 f., 313, 315, 317, 323, 330, 334, 340–345, 347, 365, 367, 372–374, 376, 378 f., 385, 393, 396, 402, 408 f. Valutamark 268 Vatikan (auch: Heiliger Stuhl) 27, 87, 104 f., 136, 143, 249, 254, 289 Vereinigte Staaten von Europa 72, 192

Institutionen-, Orts- und Sachregister Vereinte Nationen, s. UNO Verfassungsschutz, s. Bundesamt für Verfassungsschutz / Landesämter für Verfassungsschutz Vergeltungsschlag 204 Verjährungsfrage 203 Vermögensbildung 10, 261, 263 Vernichtungskrieg 315 Versachlichung des Wahlkampfes 62, 261, 390 Verschuldung 262, 354 Verstaatlichung 100, 104, 312 Verteidigungsfall 174, 204, 256 Vertrauensfrage 262 Vertriebene 54, 57, 171, 238, 245, 266, 285, 384 Vierherrenwald 194 Viermächteabkommen 47, 239 f., 250 Viermächtekonferenz 81 Viermächtestatus 131, 239 Vietnam (auch: Vietnamkrieg) 27, 45, 53–55, 57, 63, 65, 91, 170, 179, 186 f., 205, 226, 231, 239, 254–259, 272, 277, 299, 308, 330, 341 f., 344, 346 Visazwang 203 Völkerrecht 55, 256, 258, 305, 342 Volksabstimmung 103, 125 Volksaufstand 111, 394 Volksbefragung 97 Volksfrontregierung 368 Volkskirche 22, 180, 198, 336, 400 Volkspädagogik 45 Volkstrauertag 47, 180, 302 Vorbeugehaft 357 Vorwärts 81, 251, 335, 357 Waffenhandel 383 Waffenlieferungen 45, 53, 167, 226 f., 303 Wahlrecht 71 f., 178, 192, 366 Währungskrise 252, 280 Währungspolitik 245, 262 Währungsreform 312 Warschau 47, 49, 155, 167, 185, 215, 218, 229, 235, 254, 363 f., 381 Warschauer Pakt 223, 265, 296, 298, 321, 330, 340, 344

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Warschauer Vertrag 27, 231, 233, 248 f., 319, 328 Washington, D. C. 39, 76, 89, 134, 139, 148, 154, 161, 239 f., 276, 296, 334, 342, 344, 372, 376, 378 Wasserstoffbombe 107 Watergate-Affäre / Watergate-Skandal 365 Wehrbeitrag 77 Wehrmacht 37 – Wehrmachtseelsorge 78, 132 Wehrpflicht, allgemeine 36, 78, 106, 111, 329 Weimar / Weimarer Republik 9, 31, 46, 62, 178 f., 186, 236, 250, 254, 357, 392 Weltanschauungsgemeinschaften 181 Weltdepression 334 Weltfrieden 98 Weltfriedensrat 56 Weltkrieg 10, 13 f., 19 f., 30, 41 f., 47, 49, 81, 99, 195, 257, 267, 315, 328 Weltpolitik 39 f., 52 f., 66, 82, 84, 98, 149, 305, 318, 340 Weltpostverein 184 f. Weltwährungsordnung 296 Weltwirtschaft 10, 45, 57 f., 86, 252, 334, 344, 368 f., 405 Westalliierte 38, 236, 286, 306 Westdeutsche 15, 35, 37, 53, 55, 62, 76, 82, 99, 110, 122, 129, 173, 179, 215, 226, 301, 395, 409 Westeuropa 52, 82, 92, 126, 239, 296, 299, 344, 353, 408 Westeuropäische Union (WEU) 38, 92 Westfalen 14, 96, 178 Westjordanien 343 Wetterexperimente 257 Wiederbewaffnung (auch: Wiederaufrüstung) 35, 38 f., 77, 82, 86, 94, 97 f. Wiedergutmachung 289 Wiedervereinigung 19, 31, 38–40, 42, 44, 66, 72, 77, 79–81, 88, 90 f., 93 f., 96–101, 103 f., 109, 118–120, 123 f., 138, 146, 160, 171, 192, 215, 272 f., 302, 333, 345 Wien 197, 259, 296, 299, 318, 344 Wienand-Affäre 335 Wiesbaden 303

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Institutionen-, Orts- und Sachregister

Wirtschaftspolitik 10, 57, 88, 111, 125, 139, 219, 261, 263, 386, 405 Wissenschaftsrat 162, 209 Wittenberg 310, 348 Wittgenstein 262 Wladiwostoker Abkommen / Wladiwostok-Erklärung 342 Wohlfahrtsstaat 106 Wohlstandsgesellschaft 51, 287 Wohnungsbau 284, 288 Wohnungsnot 388 Württemberg 83, 89, 112, 411 Württemberg-Baden 83 Würzburg 89, 101, 348 Würzburger Synode 348

Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen 129 Zentraleuropa 200 Zentralstellen für Entwicklungshilfe e. V. 45, 63, 406 f. Zentrum / Zentrumspartei 79 Zionismus / Zionisten 188, 314 Zone / Ostzone, s. DDR Zufahrtswege (auch: Zugangswege nach Berlin) 51, 140, 149, 224 f., 229 f., 319 Zwei-Reiche-Lehre 66 Zweites (II.) Vatikanisches Konzil (auch: Vatikanum) 142–144, 158, 348 Zypern 98, 162, 340, 366