Mystische Erfahrung und mystisches Wissen in den mittelenglischen Cloud-Texten 9783050056203, 9783050040110

Ein anonymer Autor hat im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts in England Schriften zur geistlichen Theologie verfaßt, f

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Mystische Erfahrung und mystisches Wissen in den mittelenglischen Cloud-Texten
 9783050056203, 9783050040110

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Karl-Heinz Steinmetz Mystische Erfahrung und mystisches Wissen in den mittelenglischen Cloudtexten

Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät

Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie Herausgegeben von Michael Schmausf, Werner Dettloff, Richard Heinzmann, Ulrich Horst Band 50

Karl-Heinz Steinmetz

Mystische Erfahrung und mystisches Wissen in den mittelenglischen Cloudtexten

Akademie Verlag

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

ISBN 3-05-004011-4 ISSN 0580-2091 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2005

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung: N. Klotz, Jettingen-Scheppach Gedruckt in Deutschland

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2002 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. An erster Stelle weiß ich mich Herrn Professor Dr. Ulrich Horst OP, meinem verehrten Lehrer, fur seine unermüdliche und aufmerksame Begleitung in tiefer Dankbarkeit verbunden. Frau Professorin Dr. Marianne Schlosser danke ich ganz herzlich für Ihre Unterstützung und die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Studie entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs „Der Erfahrungsbegriff in der europäischen Religion und Religionstheorie und sein Einfluss auf das Selbstverständnis außereuropäischer Religionen" an der Münchener Hochschule fur Philosophie SJ und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Mein aufrichtiger Dank für die Förderung geht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Persönlich danken möchte ich dem Sprecher des Kollegs, Herrn Prof. Dr. Friedo Ricken SJ, der meine Forschungen stets mit Sympathie und Interesse verfolgt hat, und allen Teilnehmern und Mitarbeitern, die durch ihre Anregung und Unterstützung zu dieser Studie beigetragen haben. Die Vorbereitung dieser Studie für den Druck wurde durch das Institut für Europäische Geschichte in Mainz maßgeblich gefördert. Für diese Hilfestellung geht mein besonderer Dank an Herrn Professor Dr. Markus Wriedt und Herrn Professor Dr. Rolf Decot von der Abteilung Europäische Religionsgeschichte. Die Drucklegung dieses Buches wurde durch einen Zuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften möglich, der ich hiermit für ihre Großzügigkeit herzlich danke. Mein aufrichtiger und besonderer Dank gilt mehreren Personen, die mit dem MartinGrabmann-Forschungsinstitut der Ludwig-Maximilians-Universität München in Verbindung stehen und auf mannigfache Weise diese Studie unterstützt haben: Herrn Lie. theol. Franz-Xaver Heibl, Herrn Lie. theol. Zoran Leskovac, Herrn Dr. theol. Stefan Podlech und Herrn Prof. Thomas Prügl, für ihre kritischen Anregungen und wertvollen Hinweise. In dankbarer Freude widme ich dieses Buch meiner Familie und meinen Freunden; ohne ihre Zuneigung hätte die Abfassung nicht gelingen können.

München im November 2004

Karl-Heinz Steinmetz

Inhalt

EINFÜHRUNG

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1. Vorüberlegung

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2. Cloud-Autor und Cloud-Gruppe

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3. Was ist „mystische Erfahrung"?

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4. Mystische Erfahrung in der Cloud-Gruppe

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TEIL A: RAHMEN DES MYSTISCHEN WISSENS

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1. Onto-trinitarische Verankerung der Mystik 1. Textarbeit zur Verankerung der mystischen Erfahrung 1. Innergöttliche Seinsformen als Ermöglichungsgrund 2. Christus als Weg 3. Einung als Ziel des Weges 4. Thomanischer Existentialismus in der Cloud-Gruppe? 2. Auswertung: Credo ut intelligam und credo ut experiar

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2. Anthropologische Bedingungen der Mystik 1. Textarbeit zu den anthropologischen Grundlagen 1. Der Mensch als imago creata 2. Die Seele als imago trinitatis 3. Horizontaler Intellekt und vertikaler Affekt 4. Die drei Blicke

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Inhalt 5. Erbsündliche Schädigung als deformatio imaginis a) Deformatio imaginis in der Cloud-Gruppe b) Englische Bußfrömmigkeit und die Cloud-Gruppe 6. Horizontale und vertikale curiositas a) Theologiegeschichtlicher Hintergrund b) Wurzel der curiositas c) Horizontale curiositas d) Vertikale curiositas e) Qualitatives Moment der curiositas f) Soziologischer Aspekt der curiositas 2. Auswertung: Contra vanam curiositatem 1. Das Problem der curiositas intellectus 2. Das Problem der curiositas imaginationis

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3. Gnadentheologische Bedingungen der Mystik 1. Textarbeit zur Gnadentheologie 1. Grunddaten der Gnadentheologie 2. Schwerpunkte der Gnadentheologie 3. Bilder der Gnadentheologie a) Allegorische Auslegung der Jakobsfamilie b) Gnadenkönig und Gnadenkrone c) Tugend und Gnade d) Auslegung der Bundeslade 2. Auswertung: Gnadentheologie der Cloud-Gruppe

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4. Form of Living 1. Maria-Martha als theologiegeschichtliche Grundkategorie 2. Textarbeit zu den Lebensformen in der Cloud-Gruppe 1. Erfahren-Sein als hermeneutischer Horizont 2. Schematisierung der Lebensformen und -stufen a) Phänomenologisches Vierer-Schema b) Vitae-PartesSchsmai c) Klassisches Maria-Martha-Schema d) Christologisches Zweier-Schema

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5. Discretio 1. Grundlagen der discretio spirituum 2. Discretio der Berufung

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Inhalt

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6. Zwischenfazit: Cloud-Gruppe und devotio anglicana 1. Devotio laicalis 2. Devotio eremitica 3. Devotio affectiva

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TEIL B: MITTE DES MYSTISCHEN WISSENS

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1. Von der Schriftoffenbarung zum Gebet 1. Textarbeit zur Gebetstheologie der Cloud-Gruppe 1. Wurzelgrund des Gebets in imago und scriptura 2. Formaler Aspekt: Stufen des Betens 3. Materialer Aspekt: Gott in Jesus Christus 4. Modaler Aspekt: Eschatologische Spannung des Gebets 2. Auswertung: Gebetstheologie der Cloud-Gruppe

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2. Vom Gebet zum kontemplativen Vollzug 1. Textarbeit zur Kontemplation in der Cloud-Gruppe 1. Grundlegung der Kontemplation 2. Feld des kontemplativen Aufstiegsvokabulars 2. Von der Onomastik zur Theorie der Kontemplation

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3. Konkrete Beschreibungsformen 1. Kontemplation ontologisch 1. Ontologische Lektion 2. Einfaltung ins eigene Sein 3. Einfaltung des göttlichen Seins 4. Überstieg ins göttliche Sein als annihilatio mystica 2. Kontemplation psychologisch 1. Mose als homo contemplativus und Sinai als axis animae 2. Mose als exemplum contemplationis 3. Innere Struktur der mystischen Wolke 4. Psychologie der mystischen Wolke: proelium mysticum und somnus mysticus 3. Kontemplation christologisch 1. Christus als principium contemplationis 2. Imitatio mystica des Christus nudus, crucißxus und ascensus

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Inhalt 4. Kontemplation eschatologisch 1. Eschatologische Einfaltung 2. Vollkommener Schmerz im purgatorium mysticum 3. Eschatologische Mathematik: momentum und athomus 5. Kontemplation sponsal

TEIL C: ZIEL DES MYSTISCHEN WISSENS

220 220 221 225 227

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1. Seelengrund, Einung und Einungserfahrung 1. Seelengrund 2. Ekstatischer Durchbruch im Seelengrund 3. Mystische Einung als cognitio superintellectualis und experientalis 1. Oculus amoris 2. Sapientia und experientia 4. Sensus spirituales - Erfahrungsaspekt der Einung 5. Einung versus Einungserfahrung 6. Suspecte felyng - Ambivalenz der Empfindungen

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2. Auswertung: Skizze zum Diskurs um die affectuositas

255

ZUSAMMENFASSUNG

263

ANHANG

271

Abkürzungsverzeichnis

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1. Cloud-Gruppe 2. Wichtige Übersetzungen von Cloud-Texten 3. Weitere Quellen 2. Literatur

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Hilfsmittel

301

Personenregister

303

Einführung

1. Vorüberlegung Ein anonymer Autor hat im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts in England Schriften zur geistlichen Theologie verfasst, für die sich in der Forschung der Arbeitstitel ,CloudGruppe' eingebürgert hat. In den sieben Werken dieser in mittelenglischer Sprache verfassten Textgruppe bringt der anonyme Autor ein mystisches Wissen zur Sprache, mit dessen Hilfe man sich in die Fähigkeit zur mystischen Einungserfahrung (nicht in die Erfahrung selbst) einüben und den Weg dorthin deuten und verstehen kann. In der folgenden Studie soll genau dieses mystische Wissen der Cloud-Gruppe mit dem zentralen Thema der mystischen Einungserfahrung erhoben und dargestellt werden. Um aber die vorliegenden Texte beiragen zu können, bedarf es eines Vorwissens. Mystisches Wissen und mystische Erfahrung können in der Cloud-Gruppe nämlich nur dann aufgespürt werden, wenn man in einer Art Vorgriff zumindest anfanghaft schon weiß, was erstens die Cloud-Gruppe und wer der anonyme Autor in etwa sind, und was zweitens unter mystischem Wissen und mystischer Einungserfahrung ungefähr zu verstehen ist. Die Reflexion auf die angedeutete Perspektive, mittels derer die Texte erschlossen werden sollen, ist im vorliegenden Falle von besonderer Wichtigkeit: Wegen der Anonymität des Autors kann nur schwer ein von den Texten unabhängiges Portrait der Person gezeichnet werden. Das Profil des Autors kann sich nur innerhalb der theologiegeschichtlichen Deutung der Texte abzeichnen; der Versuch einer Biographie könnte, wenn überhaupt, erst am Ende der Studie erfolgen. Nichts desto trotz müssen CloudGruppe und Cloud-Autor vorläufig in der Geschichte verortet werden, um den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich die theologiegeschichtliche Deutung zu bewegen hat. Ahnliches gilt auch für den Begriff des mystischen Wissens und der mystischen Erfahrung. Was sie im Detail besagen, soll die systematische und theologiegeschichtliche Deutung der Cloud-Texte selbst ergeben. Weil aber sowohl der Mystik- wie der Erfahrungsbegriff mit zu den ungeklärtesten Begriffen der aktuellen Diskussion in der Religionsphilosophie oder der Theologie- und Religionsgeschichte zu gehören scheint, ist es angeraten, zumindest eine vorläufige Begriffsbestimmung vorzunehmen. Nur so

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Einführung

erhellt, unter welchem Blickwinkel die Cloud-Gruppe in dieser Studie in Augenschein genommen wird.

2. Cloud-Autor und Cloud-Gruppe Zunächst zum Autor und zu seinem Werk: Die sieben mittelenglischen Schriften, welche die Forschung mit dem zusammenfassenden Namen ,Cloud-Gruppe' bezeichnet hat, wurden über Jahrhunderte anonym tradiert. Schon früh begann man, sich Gedanken über die Identität des anonymen Autors zu machen und ganze Forschergenerationen haben sich inzwischen quellenkritischen Studien, einer eingehenden Reflexion thematischer Schwerpunkte, der nur spärlichen persönlichen Hinweise im Werk und der Rezeptionsgeschichte gewidmet, um das Geheimnis ein wenig zu lüften. Gewiss wurden so manches Detail und anregende Hypothesen1 zu Tage gefördert; letztlich aber hat sich der Anonymus erfolgreich jeder sicheren, äußeren Identifizierung verweigert und zeigt uns lediglich sein geistiges Antlitz in den Texten2. Weil ein prosopographischer Versuch allenfalls am Ende einer Textdeutung unternommen werden kann, soll hier zumindest der in der Forschung allgemein anerkannte Ertrag skizziert werden, der als theologiegeschichtlicher Ausgangspunkt dieser Studie dienen soll3: Der anonyme Autor der mittelenglischen Cloud-Gruppe verfasste seine geistliche Weisung im Dialekt der „North-East-Midlands" im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts. Der Bildungshintergrund des Werkes macht ein umfassendes Studium, sei das nun in Oxford, Cambridge, einer Kathedral- oder Ordensschule, mehr als wahrscheinlich. Segensformeln in den Briefen legen zudem nahe, dass der Autor Priester gewesen 1

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MINNIS, Cloud of Unknowing 63 gibt eine gute Übersicht mit den betreffenden Stellenangaben: NOETINGER und McCANN halten den Cloud-Autor für einen Weltpriester; UNDERHILL für einen Mönch; GRENALGH, WHITE, LEES und WALSH für einen Kartäuser; UNDERHILL und JONES für keinen Kartäuser; HODGSON und GARDENER für einen Eremiten oder Reklusen; KNOWLES hingegen für einen Dominikaner. Zum Phänomen der Anonymität eines Autors im Mittelalter vgl. BURROW, Medieval Writers 36-46. Die wichtigsten Anhaltspunkte, die aus dem Werk und der Überlieferungsgeschichte gewonnen werden können, bieten mit Belegen und weiterführender Literatur: CLARK, Introduction 13-19; COLEMAN, English Mystics 84-86; ENGLERT, Scattering and Oneing 14-17 und 27-28; HODGSON, The Cloud IX-XII; McCANN, The Cloud IX; MINNIS, Affection and Imagination 366; NOETINGER, The Authorship·, UNDERHILL, Cloud of Unknowing VII-VIII; WALSH, The Cloud 2-9. Die Frage nach der zeitweise heftig diskutierten, mittlerweile aber überwundenen These einer Autorschaft Walter Hiltons für die Cloud-Gruppe erörtern CLARK, Comparison·, GARDNER, Walter Hilton and the Authorship·, GATTO, Controversy Reconsidered·, HODGSON, Walter Hilton and the Cloud·, RIEHLE, Problem of Walter Hilton. Eine knappe und übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Thesen mit Stellenbelegen findet sich bei ENGLERT, Scattering and Oneing, 13-17.

Einfiihrung

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ist; auf die eremitisch-kontemplative Lebensform des Autors verweist sein ganzes literarisches Schaffen. Monastische Elemente sind in der Cloud-Gruppe vorhanden, bleiben aber so unspezifisch, dass eine Zuordnung zu einer konkreten Ordensspiritualität problematisch bleibt 1 . Die vielleicht vielversprechendste und begründetste Hypothese sieht im Autor einen Kartäuser (oder hält ihn für einen Diözesaneremiten) 2 . Für die Interpretation der Cloud-Texte ist der theologiegeschichtliche Kontext ausschlaggebend: Das 14. Jahrhundert ist die Blütezeit einer Frömmigkeitstheologie, in der die klassischen Werke der monastischen und scholastischen Tradition bis zum 13. Jahrhundert neu gelesen und fur volkssprachliche Leser neu interpretiert werden. Für die Cloud-Gruppe lässt sich folgender Rezeptionshintergrund erheben 3 : Gewährsmänner der lateinischen Patristik sind dem anonymen Autor vor allem Augustinus mit Werken w i e ,De Trinitate', seinen diversen Schriftkommentaren und Briefen, sowie Gregor der Große mit .Moralia in lob' und weiteren Schriften 4 . Eine normative Größe für die Cloud-Gruppe ist aber auch der „Kirchenvater der Erfahrungstheologie", nämlich Bernhard v o n Clairvaux, mit Schriften wie ,De diligendo D e o ' , den Hohelied-Predigten und dem 5. Buch aus ,De consideratione' 5 . V o n den scholastischen Autoren werden in

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Eine eindeutige Zuordnung der Theologie der Cloud-Gruppe zu einer bestimmten Ordensspiritualität ist kaum möglich. CLARK, Monastic Elements, zeigt an ausgewählten Beispielen, dass und inwiefern die Cloud-Gruppe in der großen Tradition monastischer Theologie wurzelt. Mit diesem allgemeinen und eigentlich selbstverständlichen Ergebnis wird aber auch sichtbar, wie wenig spezifisch diese Elemente sind. Zur Identität des Autors und insbesondere zur These, dass der Autor Kartäuser von Beauval gewesen sein könnte, vgl. HODGSON, The Cloud IX-XII. Eine argumentative Stütze der BeauvalThese findet sich bei LEES, Negative Language 369—479, wo umfangreich und kompetent das vorliegende Material ausgewertet wird. In seinem übersichtlichen Aufsatz fasst KOCIJANCICPOKORN, Original Audience die Diskussion zusammen und spricht sich für Beauval aus. Ohne großes Risiko kann man mit ENGLERT, Scattering and Oneing 17 zumindest folgendes Resümee ziehen: „In conclusion, it is enough to say that the author of ,The Cloud' may have been a priest - that he was probably a solitary who had some knowledge of communal religious life. It is possible that he was a solitary ex-religious. Or a Carthusian solitary ..." Für einige wichtige Hinweise zum theologiegeschichtlichen Horizont der Cloud-Gruppe vgl. CLARK, Introduction 53-85; CLARK, Source; CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 77-109; COWAN, Nakid Entent- ENGLERT, Scattering and Oneing 17-18; HODGSON, The Cloud XLV; MINNIS, Affection and Imagination 324-325; MINNIS, Sources; PEPLER, Religious Heritage 222-223; Das Verhältnis zwischen kontinentaler und englischer Mystik diskutieren CLARK, Introduction 82-84 und RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 45-57. Sie erweisen einen Einfluss der rheinischen Dominikanermystik als unwahrscheinlich. Für Augustinus siehe CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 77-80; für Gregor 8788.

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Vgl. dazu CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 81-82. Das 5. Buch von ,De consideratione' wird von CLARK nicht aufgeführt, obwohl einige wörtliche Übernahmen in der Cloud-Gruppe nachgewiesen werden können. In P.C. (80/35-39) wurde BERNHARD VON CLAIRVAUX, cons 5, 6, 13 (Leclercq 3, 477) eingearbeitet. Zur Rezeption Bernhards in England vgl. HOLDSWORTH, Reception of St. Bernhard.

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Einfiihrung

der Cloud-Gruppe vor allem Thomas von Aquin, Bonaventura und weitere Autoren der via antiqua rezipiert; die via moderna des 14. Jahrhunderts spielt in der Cloud-Gruppe kaum eine Rolle1. Weitere Anregungen für die Abfassung einer geistlichen Theologie hat der Cloud-Autor von den beiden Viktorinern Hugo und Richard bekommen, nämlich aus dem ,Didascalicon', aus ,De Institutione Novitiorum', aus ,Benjamin minor' und .Benjamin maior' 2 . Zudem spielen die Werke ,De contemplatione' von Guigo de Ponte und die ,Scala claustralium' von Guigo II. für die Gebetstheologie des CloudAutors eine wichtige Rolle3. In den Cloud-Texten entdeckt man weiterhin eine intensive Auseinandersetzung mit den Schriften von Dionysius Pseudo-Areopagita4, an erster Stelle mit dem Brief ,De mystica theologia'. Zugang zum dionysischen Corpus hat der Cloud-Autor durch die Vercelli-Tradition der Dionysius-Auslegung, weswegen Thomas Gallus Vercellensis' Paraphrasen und Kommentare sowie Hugo von Baimas Schrift ,Viae Sion lugent' bei der Deutung der Cloud-Texte stets mitgelesen werden müssen5. Als Werk eines Autor zur Blütezeit mittelenglischer geistlicher Literatur muss die Cloud-Gruppe schließlich auch im Kontext der Frömmigkeitstheologie von Richard Rolle, Walter Hilton, Julian von Norwich, Margery Kempe und weiterer mittelenglischer Autoren interpretiert werden6; nur so kann das Spezifische der Theologie der Kontemplation des Cloud-Autors plastisch vor Augen treten. Die Cloud-Gruppe besteht aus einzelnen Schriften zur geistlichen Theologie, die sich in Brief- oder Traktatform in erster Linie an einen angesprochenen Adressaten, in zweiter Hinsicht aber auch an einen weiteren Leserkreis wenden7. Ob der Adressat, einmal 1

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Siehe CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 77 fur Anselm; 82 für Bonaventura; 93-94 für Petrus Lombardus; 94 für Richard Fishacre; 97-100 für Thomas von Aquin; 108 für Wilhelm von Auxerre. Zur Überschätzung der Rolle der via moderna für die mittelenglische Literatur vgl. die beachtenswerte Warnung von COURTENAY, Schools and Scholars 378-380. Vgl. CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 90 und 95-97. Siehe CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling '88-89. Einen kurzen Aufriss des dionysischen Stroms, der zur Cloud-Gruppe führt, zeichnet CLARK, Introduction 53-76. Umfassend und im größeren theologiegeschichtlichen Kontext zeigt LEES, Negative Language 156-193 und 360-379 die Schwerpunkte der Dionysiusrezeption in der Cloud-Gruppe auf. Vgl. CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 89-90 und 100-101; EMERY, Cloud of Unkowing 52-54. Den Einfluss vercellensischer Theologie erörtert LEES, Negative Language 188-193. MINNIS, Sources 70-73 betont nachdrücklich den unmittelbaren Einfluss vercellensischer Theologie, der nicht über Hugo von Balma laufe. Zum mittelenglischen Kontext vgl. CLARK, Introduction 86-92; CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 92-93 für Julian von Norwich; 94-95 für Richard Rolle; 102-108 für Walter Hilton. Weitere Hinweise finden sich bei CLARK, Sources 102 und 108-109; LEES, Negative Language 396-479, besonders 429-431 und 464-479; PEPLER, Religious Heritage 219-221. EMERY, Cloud of Unknowing 47-50 bespricht die literarische Form der einzelnen Opuscula: Die meisten Schriften der Cloud-Gruppe weisen deutliche Merkmale von Lehrbriefen im „intimen Sermo-Stil" auf, welcher mit der Cicero-und Seneca-Rezeption bei Tertullian, Augustinus, Hieronymus, Gregor und Wilhelm von St. Thierry in Verbindung steht, und müssen daher auf dem Hintergrund geistlicher Briefe von Paulus, Dionysius und der monastisch-eremitischen Tradition

jEinfuhrung

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als vierundzwanzigjähriger Mann angesprochen1, in allen Briefen die gleiche Person ist oder vielleicht überhaupt nur eine literarische Fiktion ist, kann nicht endgültig entschieden werden; die lebendige Zeichnung des Adressaten legt aber immerhin nahe, dass wirklich eine oder mehrere konkrete Personen anvisiert werden2. Durch eine Untersuchung der Textüberlieferung konnte zumindest der weitere Leserkreis ein wenig präzisiert werden: Neben einem kartäusischen Innenkreis, der sich besonders um die handschriftliche Verbreitung des Corpus verdient gemacht und die ersten Drucke initiiert hat, sowie einem an kontemplativer Weisung ausgesprochen interessierten Fachpublikum von Lesern aus monastischen und eremitischen Kreisen, fand die Unterweisung der Cloud-Gruppe offensichtlich auch bei einem laikalen Publikum Gehör. Das historische Zeugnis der erhaltenen Handschriften und Drucke zeigt, dass die CloudTexte nicht so sehr von einer breiten Leserschicht, sondern einem eher kleinen und ausgewählten Kreis religiös interessierter und entsprechend vorgebildeter Laien gelesen wurde, die wohl am ehesten dem niederen Adel und einem entstehenden Bürgertum entstammten und fur die Gestaltung ihres geistlichen Lebens Anregung suchten3. Zu einem solch eher auserlesenen Adressatenkreis passt auch der Umstand, dass die , Wolke des Nichtwissens', ein Haupttraktat der Cloud-Gruppe, von den Kartäusern aus der mittelenglischen Volkssprache ins Lateinische übertragen wurde4. Nicht geringere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn wir uns der Frage der Homogenität der sogenannten Cloud-Gruppe zuwenden, zu der folgende sieben Schriften gezählt werden: ,Cloud of Unknowing', ,Book of Privy Counselling', ,Epistle of Prayer',

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gedeutet werden. Schon allein wegen der formgeschichtlichen Merkmale ist an einer Verschränkung eines „intimem" und „öffentlichen" Aspektes fest zu halten, weswegen beide Momente nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Den „mystischen Intitiationsstil" betont auch KOCIJANCIC-POKORN, Original Audience 61-63. Siehe dazu Cl. (11/32): „now of foure and twenty chere age". Vgl. CLARK, Introduction 20-24; HODGSON, The Cloud L-LI; HUSSEY, Audience 113-116. Zum Leserkreis siehe ROBBINS, Articel-Review 408^109; GARDNER, Review 37-38; HUSSEY, Audience 109-122, hier besonders 113-116 und 121-122; LEES, Negative Language 369422 und KOCIJANCIC-POKORN, Original Audience. Wertvolle Informationen zum größeren sozial- und theologiegeschichtlichen Kontext bietet COURTENAY, Schools and Scholars 368380. Vgl. NUBES IGNORANDI (AC 119/1) und CALIGO IGNORANTIAE (Ms P). Zur kartäusischen Provenienz der lateinischen Versionen und der Handschriftenlage vgl. CLARK, Editing the Latin Versions 191-211 und HOGG, Latin Cloud 104-115. Im 14. Jahrhundert gibt es in England drei Sprachen, in denen Texte verfasst werden können: Latein hat die Konnotation des NormativAutoritativen, das Anglo-Normannische des Elegant-Höfischen, das Mittelenglische des DirektFasslichen. Die Übersetzung der ,Cloud of Unknowing' ins Lateinische entspricht also einer Transformation eines mystagogischen in einen klassischen Text; vgl. dazu BURROW, Medieval Writers 86 und HODGSON, Latin Cloud 104—115. Diese Transposition scheint um so schlüssiger, als die Cloud-Gruppe zwar in mittelenglischer Sprache aber gemäß des „lateinischen Textschemas" komponiert ist; siehe hierzu BLAKE, Middle English Prose 454. Zur Wirkungsgeschichte der Cloud-Texte im 16. Jahrhundert vgl. auch SARGENT, William Exmewe, Maurice Chauncey and The Cloud 17-20.

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Einfiihrung

,Treatise of Discretion of Stirrings', ,Epistle of Discretion of Spirites', ,Study of Wisdom' und ,Hid Divinity'. In keiner Handschrift werden alle Opuscula gemeinsam erwähnt; die Zuordnung lässt sich, ähnlich wie bei der Identität des anonymen Autors, nur durch Indizien rechtfertigen. Auch wenn gegen zwei Schriften bisweilen Einspruch erhoben wird, nämlich gegen , Study of Wisdom' und ,Epistle of Discrecretion of Spirites', ist festzuhalten: Die Schriften werden in den Handschriften wegen ihrer inhaltlichsystematischen Einheit und Kompatibilität einander zugeordnet. Selbst wenn ein Traktat nicht von Autor selbst, sondern aus dem weiteren Umfeld stammen sollte, so wäre zumindest die systematische Kompatibilität der einzelnen Werke nicht gefährdet1. Details der einzelnen Schriften können hier nicht besprochen werden. Es mag vorläufig genügen, die Schriften, die in dem Intervall von 1375-1400 verfasst worden sein dürften, in ihrer mutmaßlich chronologischen Reihenfolge (nach CLARK)2 und mit ihren Kernthemen kurz aufzulisten: (1) ,Epistle of Prayer': Einführung in die Gebetstheologie anhand des bernhardischen Zentralbegriffs amor castus. Als Veranschaulichung dient eine Baum-Allegorie. (2) ,Treatise of Discretion of Stirrings': Einfiihrung in die Theologie der Berufung mit einer Diskussion der Eignung und Vorbedingungen zum Vollzug der Kontemplation. Zur Veranschaulichung dient eine Kronen-Allegorie, der paulinische Topos der „Freiheit des Geistes" und die Auslegung von Hld 4, 9. (3) ,Cloud of Unknowing': Gut fassliche mystagogische Sammlung, in der die Bedingungen, der Weg und das Ziel des kontemplativen Aufstiegs umfangreich dargestellt werden. (4) ,Hid Divinity': Mittelenglische Paraphrase des pseudo-dionysischen Briefs ,De mystica theologia' unter Verwendung der lateinischen Paraphrase von Thomas Gallus Vercellensis. (5) ,Book of Privy Counselling': Elaborierte mystagogische Unterweisung für die höheren Stufen der Kontemplation, mit ausführlichen ontologischen und christologischen Reflexionen.

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Zur Diskussion der Handschriften vgl. die Angaben bei CLARK, Introduction 1-10; 100-108 und die instruktive tabellarische Übersicht bei HODGSON, The Cloud XII-XIX. Weitere Hinweise finden sich bei ENGLERT, Scattering and Oneing 29-34; McCANN, The Cloud VIII; NOETINGER, The Authorship 1456; PEPLER, Religious Heritage 223-225. Für eine systematische Deutung der Theologie der Cloud-Gruppe schätzen sowohl JOHNSTON, The Mysticism 2 - 3 wie NIEVA, Transcending God 5-8 die sieben Traktate als einen kohärenten Corpus ein, dessen systematische Kompatibilität sich durch die inhaltliche Analyse demonstrieren lasse. Siehe die sorgfältige Diskussion bei CLARK, Introduction 2-10: Aufgrund der Querverweise in den Cloud-Texten ließe sich folgende Chronologie postulieren: Cl. < P.C., Pr. < P.C., H.D. < P.C. Unterschiedliche Auffassungen bestehen bei Pr.: Nach HODGSON gilt Cl. < Pr., nach CLARK hingegen Pr. < Cl. Wir schließen uns CLARK an, weil die Argumentation von CLARK stichhaltiger erscheint.

Einfiihrung

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Die beiden anderen Schriften sind in ihrer Authentizität umstritten und ein Datierungsversuch wäre reine Spekulation: (1) ,Epistle of Discretion of Spirites': Traktat über die Unterscheidung der guten und schlechten Bewusstseinsgehalte anhand des Topos der „drei Feinde". Die Schrift ist eine volkssprachliche Relecture von zwei Predigten Bernhards. (2) »Study of Wisdom': Mittelenglische Paraphrase der zentralen Abschnitte der Schrift ,Benjamin minor' von Richard von St. Victor als Einleitung in die Theologie der Kontemplation.

3. Was ist „mystische Erfahrung"? Die eben vorgestellten Cloud-Texte werden im Rahmen der folgenden Studie unter dem Blickwinkel und mit der Annahme gelesen, sie enthielten mystisches Wissen mit dem zentralen Thema der mystischen Einungserfahrung. Hiermit stellt sich die Frage, was unter „Erfahrung" und „Mystik" oder „mystischer Erfahrung" genauer zu verstehen ist, denn der Erfahrungs- wie Mystikbegriff wird in der zeitgenössischen Diskussion ziemlich unpräzise verwendet. Weil die Herausarbeitung der mystischen Erfahrung nach dem Verständnis des Cloud-Autors geradezu das Ziel dieser Studie ist, kann nicht hier schon ein vermeintliches Ergebnis in der Form einer handlichen Definition vorweg genommen werden; es soll nur der Rahmen für die folgende Untersuchung abgesteckt werden. Erst einige Hinweise zum Erfahrungsbegriff: In der erkenntnistheoretischen Diskussion unserer Tage begegnet immer wieder der Begriff „Erfahrung". Wenngleich der Erfahrungsbegriff mit zu den ungeklärtesten Begriffen überhaupt zu gehören scheint1, so lassen sich doch zumindest zwei Aspekte der Begriffsverwendung herausstellen, die sich in den unterschiedlichen Diskussionskontexten, seien sie nun philosophischer, theologischer oder lebensweltlicher Art, durchhalten. In der oft polemischen Verwendung des Erfahrungsbegriffs scheint erstens immer wieder ein gewisser „Pathos der haptischen Unmittelbarkeit" auf. Weil ein Gegenstand oder ein Sachverhalt unmittelbar berührt wurde, gilt die in dieser (sinnlichen oder geistigen) Wahrnehmung verwurzelte und sich aus ihr entfaltende Erkenntnis als besonders gesättigt, aussagekräftig und ver-

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Nach dem bekannten Wort von GADAMER, Hermeneutik 1352. Eine knappe aber sehr hilfreiche Übersicht über das deutsche Wort beziehungsweise den Begriff „Erfahrung" bietet KÖPF, Religiöse Erfahrung 11-14 und unterscheidet vier Aspekte: Erfahrung als Vorgang mit Betonung der Subjektseite (das Erfahren), als Vorgang mit Betonung der Objektseite (das Was der Erfahrung), als Ergebnis mit Betonung der Subjektseite (das Erfahren-Sein), als Ergebnis mit Betonung der Objektseite (der Erfahrungsschatz).

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lässlich1. „Erfahrung" in diesem Sinne hat also eine fundamentale Begründungsfunktion im philosophischen Diskurs des Erkenntnisphänomens inne oder soll ganz konkret erklären, wie und warum sich bestimmte Wahrnehmung- und Erkenntnisgehalte wirkmächtig durchgesetzt haben. Zweitens begegnet immer wieder der Aspekt einer „Plausibilität der kontextuellen Objektivität" der Erfahrung: Wie die philosophische Reflexion in deutscher Sprache nahe legt, in der zwischen „Erlebnis" und „Erfahrung" unterschieden werden kann, ist die „Erfahrung" gerade dadurch ausgezeichnet und vom bloßen „Erlebnis" unterschieden, dass sie einzelne Momente so zu buchstabieren vermag, dass sie diese kontextuell lesen kann und eben nicht bei zusammenhangslosen Erlebnisfragmenten stehen bleibt2. In den Horizont einer derartigen kontextuellen Objektivität gehört dann auch der Aspekt der Wiederholbarkeit oder die Erfahrung im Sinne einer praktischen Fertigkeit und Vertrautheit durch Einübung. Diese beiden Aspekte finden sich auch in der theologischen Diskussion wieder: Durch die Verwendung der Grundkategorie „religiöse Erfahrung"3 erhofft man sich nämlich wesentliche Impulse fur die Lösung religiöser Fragen unserer Zeit. Durch die im Erfahrungsbegriff anklingende „haptische Unmittelbarkeit" und „kontextuelle Objektivität" ließen sich, gemäß dieser Auffassung, beispielsweise im interreligiösen Dialog, in der Frage der Ökumene, beim Problem der Abwendung größerer Bevölkerungsgruppen von institutionell verfasster Religion und bei anderen pastoralen Fragestellungen, oder gar für eine systematische Begründung der Theologie auf der Basis von Erfahrung, neue Lösungswege aufzeigen4. Beim Versuch, diese Hoffnung rational zu belegen, wird immer wieder auf die mittelalterliche Mystik, insbesondere auch auf die Cloud-Texte, verwiesen, denn gerade an den Zeugnissen mittelalterlicher Religiosität und Mystik glaubt man, Impulse einer Hochschätzung der ,religiösen Erfahrung" ablesen zu können. In der zeitgenössischen Diskussion begegnet freilich auch der Begriff „Mystik" nicht mit eindeutiger Sinnrichtung: Teils wird „mystisch" nicht einmal von „mythisch" sauber unterschieden, teils dient „Mystik" als unscharfer Oberbegriff dazu, jegliches religiöse Erleben und Erfahren von einem theoretisch-dogmatischen System einer beliebigen Religion abzuheben. Auf der einen Seite wird Mystik als wünschenswerte Idealform von Religiosität gefeiert, auf der anderen Seite fasst man Mystik als zu über1

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Vgl. etwa KESSLER/SCHÖPF/WILD, Erfahrung 373-386, besonders 374; oder SCHEFFCZYK, Glaube und Glaubenserfahrung 132: Erfahrung ist „im Unterschied zum rationalen Erkennen ein geistiges Erfassen der Wirklichkeit unmittelbarer Art, bei welchem der Mensch das Wirkliche ohne Dazwischenkunft von vermittelnden Instanzen in einer gewissen Direktheit berührt." Vgl. SCHAEFFLER, Fähigkeit zur Erfahrung 49-51. Weil in den Cloud-Texten von einem felyng of God (sentire Deum, cognitio experientalis Dei) die Rede ist, wird in dieser Studie der Begriff der „mystischen Erfahrung" und nicht der Begriff der „religiösen Erfahrung" im Mittelpunkt stehen. Dabei ist aber ein Beitrag zur Begriffsgeschichte und zur modernen Diskussion um den religiösen Erfahrungsbegriff durchaus mit anvisiert. Vgl. RATZINGER, Glaube und Erfahrung 359-371; RITTER, Erfahrung im theologischen Kontext 291-301; SCHILLEBEECKX, Erfahrung und Glaube.

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windende Sonder- oder Fehlform von Religion auf1. Für eine Durchsicht der CloudTexte muss also auch der Mystikbegriff zugespitzt werden: Gegen eine ungebührlich weite Begriffsverwendung wird im Rahmen dieser Arbeit der Begriff der Mystik in einer ganz spezifischen Weise verwendet. Er bezeichnet deskriptiv - also möglichst ohne normative Implikationen oder Wertungen - die in den abrahamitischen Religionen (das heißt im Judentum, Islam und Christentum) immer wieder thematisierte intensive Anwesenheitserfahrung eines Beters beim einheitlichen göttlichen Prinzip oder Einung mit ihm2. Ob ein solcher Mystikbegriff, der im Kontext des Monotheismus theologiegeschichtlich gewachsen ist, auch auf asiatische Religionen oder philosophische Problemstellungen angewandt werden kann, wie seit dem 19. Jahrhundert immer wieder postuliert worden ist, mag hier offen bleiben. Weil es im Folgenden um Texte aus dem christlichen Mittelalter geht, ist der monotheistische Mystikbegriff schon rein aus hermeneutischen Gründen der angemessene Interpretationshorizont, zumindest auf der Ebene einer ersten Reflexionsstufe. Es ist hingegen zweckdienlich, innerhalb des immer noch großen Feldes des oben eingegrenzten Mystikbegriffs Ebenen und Momente zu unterscheiden und deren Beziehung zueinander zu klären: a) „Mystische Erfahrung" oder „mystisches Ereignis" ist die erkenntnishafte und unmittelbare Präsenz des absoluten göttlichen Prinzips fur einen Beter, beziehungsweise die reflexionsfreie erkenntnishafte Anwesenheit des Beters bei diesem einheitlichen göttlichen Prinzip. Oder anders gewendet: Die mystische Präsenzerfahrung ist eine geistige Einung mit Gott, die nur dem Mystiker selbst originär gegeben ist3. Einen über diese unmittelbare Präsenzerfahrung hinausgehenden Zu1 2

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Vgl. BOUYER, Mystisch 57-75, hier besonders 57. Zu dieser Definition vgl. ENDERS, Das mystische Wissen 19-25. Die Grundlinien der Diskussion um den Mystikbegriff entfaltet McGINN, Foundations of Mysticism 265-343. Zu weiteren Aspekten des Mystikbegriffs siehe aber auch ANGENENDT, Geschichte der Religiosität 546 (mit einer kurzen Zusammenfassung zum Diskussionsstand und weiteren Literaturangaben) und SEYPPEL, Mystik als Grenzphänomen und Existential 111-153. Es liegt auf der Hand, dass das Mittelalter selbst einen solchen Mystikbegriff in seiner expliziten Form nicht gekannt hat. McGINN, Foundations of Mysticism XVI bemerkt dazu: „No Mystics (at least before the present century) believed in or practiced „mysticism". They believed in and practised Christianity". Die für diese Studie gewählte Einstiegsdefinition ist also enger als DINZELBACHER, Mystik 9, der auch das Aufgehen in „etwas, das noch hinter Gott liegt" mit einbeziehen möchte, und weiß sich der von McGINN, Foundation of Mysticism XVII bevorzugten Ausdrucksweise eines „Bewusstseins der unmittelbaren Gottesgegenwart" verpflichtet. Der Aspekt der unio kommt hingegen bei der methodologischen Vorüberlegung von ENDERS, Das mystische Wissen 19-25 besonders nachdrücklich zur Sprache, weswegen die weiteren Reflexionen teilweise auf seinen Ansatz zurückgreifen. Die von TURNER, Darkness of God 260-265 gegen McGINN vorgebrachte Kritik scheint uns nicht in allen Aspekten stichhaltig: TURNER zeigt, dass und wie der moderne Mystikbegriff „konstruiert" wurde und wie sich der Blickwinkel bisweilen zu einem „experimentalism" verengen konnte. Wenn aber TURNER behauptet, dass das apophatische Moment der Mystik nur als „absence of experience" verstanden werden könne, und nicht mit McGINN als

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gang erhält sowohl der Mystiker als auch Menschen, die keine mystische Präsenzerfahrung erlangt haben, durch „mystisches Wissen". Dieses mystische Wissen ist nämlich Reflexion auf die Präsenzerfahrung (auf die Bedingung der Möglichkeit, den Weg und die Wirkungen der oben genannten Anwesenheitserfahrung); die Anwesenheitserfahrung selbst wird insoweit thematisiert und beschrieben, als sie der Reflexion zugänglich ist und durch sie eingeholt werden kann. Weil mystisches Wissen Reflexionsgestalt hat, ist es kommunikabel. Es kann zur Sprache gebracht, erzählt und in Textform niedergeschrieben werden. Damit ist mystisches Wissen ein möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. b) Mystisches Wissen ist auf die mystische Erfahrung bezogen: Mystisches Wissen ist einmal Reflexion „über" die mystische Erfahrung, das heißt ein Geflecht systematisch-theoretischer Reflexion, das gleichsam von außen her auf das Thema der mystischen Präsenz- oder Einungserfahrung hin konvergiert. Ein anderer Aspekt des mystischen Wissens könnte aber auch ein Reflexionsversuch „aus" der mystischen Erfahrung sein, das heißt ein Reflexionsversuch von innen, der die mystische Erfahrung, nachdem sie verklungen ist, soweit als möglich auswerten, bezeugen und verantworten will. c) Das Gesamt des mystischen Wissens ist ein Reflexionsgeflecht, in dem ganz verschiedene Reflexionsmomente erhoben werden können: Die theoretische Seite des mystischen Wissens widmet sich der Begründung, die praktische Seite der mystagogischen Unterweisung und Vermittlung, die deskriptive Seite der persönlichen Bezeugung der mystischen Erfahrung 1 .

4. Mystische Erfahrung in der Cloud-Gruppe Dieser Ansatz lässt sich auf die Cloud-Texte fruchtbar anwenden: Ohne dass sich der Cloud-Autor selbst als Mystiker bezeichnet oder gar einen subjektiven Erfahrungsbericht einer erlebten Einung vorlegt, steht doch die mystische Einungserfahrung im thematischen Mittelpunkt der Cloud-Gruppe. Der Autor will den Leser über die Vollkom-

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„experience of absence" interpretiert werden dürfe, dann greift das zu kurz. Die „absence of experience" muss ja selbst nochmals eine „experience" sein; gleichsam eine „experience of the absence of experience", was in McGINNs Definition schon implizit enthalten ist und die Stärke seiner Definition ausmacht. Freilich müsste man die Bedeutungsnuancen von „experience" in dieser Formel klarer fassen, was hier nicht eigens geleistet werden kann. Etliche Studien zur Cloud-Gruppe widmen sich ausdrücklich einem dieser drei Aspekte. Das mystagogisch-praktische Moment untersucht etwa TIXIER, Mystique et Pedagogie. Die systematisch-theoretische Seite beleuchtet beispielsweise JOHNSTON, Mysticism. Die rhetorische Perspektive der Deskription mystischen Wissens untersucht hingegen CALDWELL, Rhetorics of Enthusiasm and of Restraint. Zum Problem der Typologisierung der Mystik, dem hier nicht weiter nachgegangen werden kann, siehe auch IMHOF, Typologie der Mystik 279-295.

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menheit der Kontemplation unterrichten. Ziel seiner Beschreibung sind die Präsenzerfahrung, das Einungserlebnis, das Erkennen und Empfinden Gottes selbst, das Wahrnehmen des Geschmacks der Gottheit1 (= haptische Unmittelbarkeit des mystischen Ereignisses als mystische Erfahrung im engeren Sinne). Dazu bietet der Autor objektives mystisches Wissen in Textform. Er stellt in den Cloud-Texten die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit einer mystischen Einung, er erhellt die anthropologischen Grundlagen einer postulierten Einungserfahrung und verortet sie heilsgeschichtlich. Der Cloud-Autor bietet eine knappe Einfiihrung in den christlichen Gebetsvollzug und diskutiert die Eignung und Berufung zum mystischen Weg. In einem perspektivenreichen Überblick stellt der Cloud-Autor den kontemplativen Aufstieg bis hin zur Einungserfahrung dar und formuliert Handlungsanweisungen (= kontextuelle Plausibilität des mystischen Wissens als mystische Erfahrung in einem weiteren Sinne). Die Chance des gewählten Ansatzes lässt sich vielleicht am besten im Vergleich mit anderen möglichen Interpretationsansätzen mystischer Texte verdeutlichen: Mystikdeutung, die geistliche Texte ausschließlich als „Mystographie" bestimmt, akzentuiert die literarische Ebene des mystischen Wissens sehr stark. Ihre These ist, dass ganz ähnlich wie Hagiographie nicht wirklich historische Fakten berichtet, sondern mit literarischen Mitteln das Phänomen Heiligkeit erst generiert, auch ein mystischer Text nicht so sehr vorgängige Erlebnisse beschreibt, als dass er das Phänomen Mystik erst im literarischen Werden innerhalb eines sozialgeschichtlichen Kontexts hervorbringt, also Mystographie im strikten Sinne ist2. Auf den ersten Blick scheinen diesem Deutungsansatz sogar die Cloud-Texte zu entsprechen; die Cloud-Gruppe besteht nämlich überwiegend aus einer Sammlung traditioneller Topoi der geistlichen Theologie, die in einer literarischen Collage-Technik zu Texten verwoben sind3; eigenständige und unmittelbare Beschreibungen einer persönlichen Erfahrung lassen sich nur schwer ausmachen. Genau die entgegengesetzte Position wird hingegen von manchen Mystikdeutungen im Kontext einer pluralistischen Religionsphilosophie vertreten: Sie versuchen eine hinter den

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Vgl. Cl. (1/15-17): „to be a parfite folower of Criste ... in the sovereinnest pointe of contemplatife leving"; (23/15-16): „a trewe knowyng and a felyng of God"; P.C. (81/23-24): „goostly wisdome in verrey contemplacion and heich savour of the Godheed"; (84/22-23): „ful knowing and felyng of his almichtyheed"; (97/15-17): „bothe seest the God and thi love, and nakidly felist hym also by goostly onyng to his love in the sovereyn poynte of thi spirit, as he is in hymself'; Pr. (106/9-22): „in this onheed is the marriage maad bitwix God and the soule". Diesen Ansatz haben vor allem RINGLER und PETERS für die Interpretation der kontinentalen Mystik des 13. und 14. Jahrhunderts stark gemacht. Vgl. dazu die klärenden Hinweise von McGINN, Flowering of Mysticism 27-30 mit weiterfuhrenden Literatur- und Hintergrundangaben. Die einzelnen Topoi und Theologumena sind in den beiden unverzichtbaren Kommentaren CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' und CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' nachgewiesen. TIXIER, This lovely blinde werk 134-135 arbeitet als Kompositionsprinzip heraus: geschickte Kombination zwischen „ring-composition" und „string-composition", die ohne einen äußeren apriorischen Rahmen montiert wird.

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Texten verborgene Primärerfahrung zu erschließen, die bloß sekundär in diejenigen Sprachfiguren, welche im jeweiligen religiösen und kulturellen Kontext zur Verfügung standen, eingekleidet sei1. Beide Ansätze hintergreifen nochmals das Zueinander der mystischen Erfahrung und des mystischen Wissens2: Während der mystographische Ansatz tendenziell das mystische Ereignis in die Textebene des mystischen Wissens hinein aufhebt und literatur- oder sozialgeschichtlich ableiten will, versucht die religionspluralistische Lesart tendenziell, das für sekundär gehaltene mystische Wissen in eine vorgängige, religionsphilosophisch angesetzte „reine Erfahrung" hinein aufzulösen. Der für diese theologiegeschichtliche Studie gewählte Ansatz versucht hingegen, die Ebenen der mystischen Erfahrung und des mystischen Wissens nicht ineinander aufzuheben oder zu hintergreifen, sondern in ihrer Unterscheidung, Relation und Balance zu wahren. Mit dem für diese Studie gewählten Ansatz soll nämlich versucht werden, die in der Sekundärliteratur zur Cloud-Gruppe sich mittlerweile abzeichnende Autonomisierung der Deutungsansätze zu überbrücken: Während anglistische und begriffsgeschichtliche Studien analysieren aber nur wenig deuten, konzentrieren sich „spirituelle"3 oder systematische Veröffentlichungen zur Cloud-Gruppe4 auf ausgesprochene Deutungen. Nun lässt sich fragen, ob man vor einer solchen Aufspaltung in sprach-, begriffs- und kulturgeschichtlicher Analyse einerseits und theoretisch-interpretierender Deutung und Aktualisierung andererseits kapitulieren müsse, oder ob es nicht doch eine Brücke über den „garstigen Graben" geben könnte. Die vorliegende Studie will möglichen Lösungsansätzen zu genau diesem Problem nachgehen; und zwar nicht als theoretische Reflexion, sondern durch Texterschließung. Ausgangspunkt dazu ist das mystische Wissen, das im Gesamt der Texte der Cloud-Gruppe zur Sprache gebracht und damit einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich gemacht wird. Um die Fragestellung schärfer zu fassen, lässt sich programmatisch formulieren: Das mystische Wissen der Cloud-Gruppe hat ein Materialobjekt, als dessen thematische

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Zu dieser Position scheint besonders JÄGER, Gebet des Schweigens 20-21; 24-28 und 32-36 zu tendieren. Differenzierter sind ENOMIYA-LASALLE, Zen-Meditation für Christen 165-207 und MAS SA, Kontemplative Meditation 8-11. OWEN, Experience and Dogma 148-162 zeigt auf dem Hintergrund einer Diskussion bezüglich der Mystiktheorie von KATZ, dass bei der Deutung der englischen Mystik Erfahrung und Dogma nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, wenn man die Aussageabsicht der Originaltexte treffen will. CORLESS, From Ignorance to Unknowing; EL WIN, Christian Dhyana\ LLEWELYN, Distraction·, SMART, What would have Buddaghosa have made und WATSON, Cloud of Unknowing and Vedanta verbinden die Spiritualität der Cloud-Texte mit fernöstlichen Kontemplation. In theologischer Perspektive systematisieren ENGLERT, Scattering and Oneing; JOHNSTON, Mysticism und NIEVA, This Transcending God. Einen Brückenschlag zur Philosophie Martin Heideggers versucht SIKKA, Transcendence in Death. Unter einer religionspsychologischen Perspektive deuten O'DONOGHUE, Noble Noughting; FOREMAN, Mystical Experience; ROGERS, Psychotechnological Approaches und WOHRER, Approach.

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Mitte bereits die mystische Einungserfahrung angesetzt wurde. Viele Untersuchungen beschränken sich bezüglich dieses Materialobjektes auf eine Auswahl einzelner Topoi oder Theologumena. Unter Verwendung der dabei gewonnenen, wertvollen Forschungsergebnisse scheint nun aber auch eine ausdrückliche Untersuchung des gesamten kohärenten Materialobjektes des mystischen Wissens der Cloud-Gruppe durchaus möglich und lohnend, vor allem hinsichtlich seiner Struktur. Leitfragen dazu könnten etwa sein: a)

Gibt es eine theologische Gesamtstruktur des mystischen Wissens der CloudGruppe? b) Findet sich hinter den unterschiedlichen Traktaten und mannigfachen Topoi der Cloud-Gruppe eine innere systematisch-schlüssige (oder zumindest argumentativkonsequente) Textur? c) Gibt es sozusagen zum Zentrum der mystischen Einung auch einen systematischen Rahmen, in den „ideelle Kettfäden" gespannt sind, in die wiederum die einzelnen Gedanken „eingeschossen" sind? Auf ein derartiges systematisches und inter-textuelles Netz scheint nämlich der anonyme Autor selbst hinzuweisen, wenn er über das geistliche Wirken, dem seine Weisung verpflichtet ist, schreibt: „Eben dieses Wirken ist, wenn man es nur recht versteht, die ehrfurchtsvolle Zuneigung des Herzens und die Frucht, die vom Baum gepflückt wird, wovon ich in dem kleinen ,Brief über das Gebet' an dich schrieb. Und es ist die Wolke des Nichtwissens, es ist die geheime Liebe, die der Reinheit des Geistes erwächst, es ist die Bundeslade. Es ist die Mystische Theologie von Dionysius, seine Weisheit und sein Schatz, seine lichte Dunkelheit und das unwissende Wissen."1

Mit dieser Zuordnung theologischer Topoi unterschiedlicher Werke seiner Feder bezeugt der Autor selbst, dass es eine inter-textuelle Zusammengehörigkeit der Opuscula seines Gesamtwerkes gibt. Daneben scheint auch ein intra-textuelles Geflecht zu existieren. Der Cloud-Autor betont nämlich in der , Wolke des Nichtwissens', es sei für den Leser unabdingbar, „dass er sich Zeit nehme, das Buch von Anfang bis Ende zu lesen ... Denn vielleicht ist zu Beginn oder in der Mitte vom Thema in einer Weise die Rede, die an dieser Stelle in der Luft hängt und noch nicht ganz erklärt ist; aber wenn die Aussage nicht da erklärt ist, so sicherlich bald darauf oder aber am Ende. Wenn man nämlich einen Gedankengang nur zum Teil aufnimmt, kann man dadurch leicht irregeführt werden. Damit also weder du noch alle anderen Leser diesem Irrtum verfallen, bitte ich dich um der Liebe Gottes willen: tu was ich dir sage."2

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Vgl. P.C. (87/41 - 88/3), hier in eigener Übersetzung. Vgl. RIEHLE, Die Wolke 30 auf dem Hintergrund des Originaltextes Cl. (1/22-31).

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Auf einen solchen inter- und intra-textuellen Zusammenhang innerhalb der CloudGruppe hat WHITE als Rezensent der ersten kritischen Ausgabe der Cloud-Texte schon im Jahre 1949 aufmerksam gemacht: Die Cloud-Texte glichen einem gewebten Tuch. Dabei seien in die Kette der Grundüberzeugungen des Cloud-Autors die einzelnen Theologumena der Tradition eingeschossen worden1. Umso erstaunlicher ist, dass dieser frühen Anregung von WHITE bis jetzt noch nicht ausdrücklich nachgegangen wurde - was hier aufgegriffen und nachgeholt werden soll. Auf diesem Hintergrund lässt sich der Gegenstand und die Absicht dieser Studie abschließend nochmals auf den Begriff bringen: Sie will auf der Basis der bisherigen reichen und wertvollen Befunde das mystische Wissen der Cloud-Gruppe, das heißt die Reflexion auf die mystische Erfahrung, hinsichtlich ihrer Textur sichtbar machen, und damit zeigen, dass die Cloud-Gruppe mitnichten eine zusammengestückte Sammlung theologischen Treibgutes ist. Dabei wird besonders auf das Formalobjekt des mystischen Wissens, das die Cloud-Gruppe zur Sprache bringt, zu achten sein: Das mystische Wissen der Cloud-Gruppe ist menschliches Wort in Geschichte mit theologischem Geltungsanspruch. Daher ist das mystische Wissen der Cloud-Gruppe auch nur im Methodenverbund deutbar, das heißt durch eine linguistisch-literaturgeschichtliche, soziologisch-historische und theologische Lesart2. Letztlich geht es also um die methodologische Leitidee theologiegeschichtlicher Forschung überhaupt: Eine theologiegeschichtliche Untersuchung kann nicht bei einer Sammlung und Präsentation von Einzeldaten stehen bleiben, sondern muss auf eine theologische Deutung zielen - unter Wahrung der Korrelation von Theologie und Geschichte3.

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Vgl. WHITE, Cloud of Unkowing 99-103. Einen instruktiven Überblick über verschiedene Typen der Mystikgeschichte gibt LANGER, Christliche Mystik im Mittelalter 37-47. Zur „Theologiegeschichte" des Mittelalters vgl. GRABMANN, Geschichte der scholastischen Methode. Zum Begriff der „Dogmengeschichte" siehe MÜLLER, Dogmatik 82-89; zu „Religionsgeschichte" des Mittelalters vgl. ANGENENDT, Geschichte der Religiosität 1-13.

Teil Α: Rahmen des mystischen Wissens

Mystische Erfahrung wurde bestimmt als die unmittelbare Präsenzerfahrung des göttlichen Prinzips für einen Beter. Doch damit ist das ganze Phänomen der mystischen Erfahrung noch nicht ausgeschöpft: Es gibt auch ein mystisches Wissen als Reflexion auf die oder aus der mystischen Präsenzerfahrung. Das Reflexionsgeflecht des mystischen Wissens enthält dabei unterschiedliche Aspekte: Die theoretische Seite des mystischen Wissens erhellt die Bedingung der Möglichkeit der mystischen Erfahrung. Die praktische Seite des mystischen Wissens dient hingegen der mystagogischen Anleitung, durch die sich der kontemplative Beter in die Fähigkeit zur mystischen Erfahrung einüben kann1. Im Folgenden ist zu untersuchen, wie sich das theoretische und praktische Moment des mystischen Wissens in der Cloud-Gruppe zueinander verhalten. Zwischen den beiden Momenten des intellectus fidei und der experientia besteht an sich kein unüberbrückbarer Gegensatz, denn die theoretische und praktische Seite der Theologie sind innerlich aufeinander bezogen und sollen sich ergänzen. Im 14. Jahrhundert sind freilich auch Stimmen einer Diskussion zu hören, die auf eine gravierende Spannung hinweisen: auf eine Spannung zwischen intellectus und experientia, Universität und Volksfrömmigkeit, Scholastik und Mystik, kirchlicher Karriere und eremitischem Rückzug2. Dieser Horizont muss nun grob ausgeleuchtet werden; die Position des Cloud-Autors aber lässt sich durch Textarbeit und -auswertung bestimmen.

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Die mystagogische Dimension des mystischen Wissens der Cloud-Gruppe beleuchtet in einer materialreichen, leider noch nicht veröffentlichten Studie TIXIER, Mystique et Pedagogie, deren baldige Drucklegung aber (nach Auskunft des Autors) wahrscheinlich ist. Die Grundlinien hierzu zeichnet COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 124—135. Einen besonderen Umgang mit dieser Spannung hält KNOWLES, Religious Orders 120-124 fur die differentia specifica der „englischen Mystik": Richard Rolle, Walter Hilton, der Cloud-Autor und Julian von Norwich kämen darin überein, dass sie in ihren Werken eine Relecture thomanischer, augustinischer, viktorinischer und bernhardischer Theologie entwickelten und gegen die via moderna in Anschlag brächten.

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1. Onto-trinitarische Verankerung der Mystik Schon bei der flüchtigen Lektüre der Cloud-Texte, etwa des ,Buches der mystischen Unterweisung' fällt auf, mit welchem systematischen Anspruch der Cloud-Autor auftritt: Mitten in der praktischen Gebetstheologie finden sich beeindruckende ontologische Abschnitte, die hinsichtlich ihrer Komplexität den Seinsspekulationen Meister Eckharts in Nichts nachstehen. Wenn man sich diesen schwierigen ontologischen Ausführungen zuwendet, so scheint das eigentliche Thema der Erfahrung vorübergehend aus dem Blick zu geraten. Trotzdem dürfen diese Passagen nicht übergangen werden, zumal sie in der bisherigen Interpretation der Cloud-Texte vernachlässigt wurden.

1.1 Textarbeit zur Verankerung der mystischen Erfahrung Auch einem angeblich „mystischen" Mittelalter war bekannt, dass der mystische Aufstieg und die mystische Einungserfahrung einen Sonderfall der Beziehung zwischen Gott und Mensch und eine Sonderform menschlichen Erkennens und Erfahrens darstellen. Der Mensch ist nämlich Geist in Welt. Insofern bleiben die Grundkategorien der Leiblichkeit und des In-der-Welt-Seins auch für das Glaubensleben normativ. Menschliche Sprache, Bilder, Symbole, Sakramente, Heilige Schrift, das Gesamt der Schöpfung und so fort, sind in ihrer Sinnenfalligkeit und Herkünftigkeit von Gott transparente Medien des Glaubens und der Gottesbeziehung. So muss gefragt werden: Gibt es über diese gewöhnliche Form der Gottesbeziehung hinaus tatsächlich eine unmittelbare mystische Einungserfahrung? Will man zeigen, dass und wie eine mystische Einung als erfahrungshafite Anwesenheit beim einfachen Prinzip möglich ist, so bedarf es einer vorgängigen Erhellung des seinshaften Verhältnisses zwischen diesem einfachen Prinzip und dem mystisch Geeinten, also christlich gesprochen, der Relationalität zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf. Auch im Kontext der mystischen Theologie gilt das scholastische Axiom agere sequitur esse; das heißt, erst auf dem Hintergrund einer schöpfungstheologischen und ontologischen Erhellung können der mystische Aufstieg zur Einung und die mystische Einungserfahrung als möglich erwiesen und richtig gedeutet werden. 1.1.1 Innergöttliche Seinsformen als Ermöglichungsgrund Ein solcher Aufweis der Bedingung der Möglichkeit einer Relation Schöpfer-Geschöpf geschieht in mittelalterlichen Texten oft anhand einer Lehre der rationes aeternae. Aspekte eines derartigen Theologumenons lassen sich auch innerhalb der Cloud-

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Gruppe aufspüren - an zwei relativ kompakten Orten im ,Biich der mystischen Unterweisung' 1 und anhand einzelner, über die ganze Cloud-Gruppe verstreuter Topoi: a) Alles geschöpflich Seiende, das Sein nur hat und nicht selbst ist, hat seinen Anfang beim einfachen, absoluten und göttlichen Prinzip, von dem es in einer creatio continua ständig im Sein gehalten wird2. Die Reflexion auf die Herkünftigkeit der Schöpfung muss zeigen, wie Zeitliches im Ewigen und Vielheit im Einen gründen kann, sie muss sich an exegetischen Aufgabestellungen bewähren und die Schöpfung als personalen Akt Gottes erweisen3. b) Gott als actus purus bringt die Schöpfung nicht in Form eines wankelmütigen und unmotivierten Einfalls hervor, sondern trägt in seinem selbstreflexiven innertrinitarischen Denken einen „ewigen Schöpfungsplan"4 als Bedingung der Möglichkeit von Schöpfung und jeder Relationalität von Gott und Geschöpf. c) Die Herkünftigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer kann also nicht als akzidentielle Relation gedacht werden, sondern gründet im trinitarischen Wesensvollzug Gottes selbst: Jedes Geschöpf hat seinen (onto-)logisch dem kreatürlich-zeitlichen Seinsstand vorausgehenden Anfang im trinitarischen Prinzip - als ideell-ewiger Seinsstand, als ewiges Gedachtwerden im trinitarischen Sich-selbst-Denken Gottes, als ratio aeterno'. d) Gott bringt die Schöpfung als Seine raum-zeitliche „Selbstdarstellung"6 in wesentlicher Differenz zu Sich7 in Seiner unendlichen Liebe aus dem Nichts hervor; die innertrinitarisch konstituierten rationes aeternae sind dabei Wirk- und Zielursache und damit „prinzipimmanenter Ermöglichungsgrund"8 einer jeden SchöpferGeschöpf-Relation. 1

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Vgl. P.C. (75/29 - 77/16) und (81/7-12). Die folgenden Ausführungen stützen sich in ihrer Begrifflichkeit auf die prägnante und durchsichtige Terminologie von ENDERS, Das mystische Wissen 37-42. Vgl. Cl. (44/4-5): „for in Hym is alle thing, bothe by cause and by being." Vgl. Eph 1, 4: „elegit nos in ipso (sc. Christo) ante mundi constitutione"; ferner Gen 1, 26; Weish 7, 21; Spr 8, 22; Joh 1, 3 - 4 ; Apk 1, 14; Kol 1, 15-17. Vgl. P.C. (81/9-12): „chit hath thi being ben evermore in hym withoutyn beginnyng and evir schal be withoutyn ending". Damit wird der kreatürliche Seinsstand keinesfalls entwertet. Wenngleich der Beter im Rahmen der Kontemplation Sehnsucht nach den rationes aeternae haben muss und das Bewusstsein seines kreatürlichen Seinsstandes überschreiten soll, so gilt nach Cl. (47/2-6): „desireth not to unbe, for that were develles woodnes and despite unto God. Bot hym listith rieht wel be; and he menith fill hertly thankyng to God for the worthines and the chift of his beyng, thof al that he desire unsesingly for to lakke the wetyng and the felyng of his beyng." Ähnlich lautet P.C. (89/29-30). Vgl. P.C. (76/14): „That at I am ... thou it arte" und (81/8): „that thou arte thou hast of him and he it is". Vgl. P.C. (76/3-4): „He is being bothe to himself and to alle. And in that he is only departid from alle that he is being bothe of himself and of alle." Diese glückliche Begriffsverbindung der onto-trinitarischen Reflexion findet ENDERS, Das mystische Wissen 37 bei der Deutung der geistlichen Weisung Heinrich Seuses.

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Ausgereifte Vorgaben einer systematischen Reflexion der rationes aetemae haben unter einer je eigenen Perspektive beispielsweise Augustinus, Thomas Gallus, Bonaventura, Meister Eckhart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler erstellt. Dieses Theologumenon spielt auch in der Diskussion zwischen via moderna und devotio moderna, zwischen Mystik und Nominalismus im ausgehenden 14. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle, so etwa bei Johannes Gerson1. In der Cloud-Gruppe begegnet die Lehre eines zweifachen Seins - eines duplex esse der geschaffenen Dinge bezüglich eines kreatürlich-zeitlichen Seinsstands in Raum und Zeit und eines ideell-ewigen Seinsstands in Gott - nicht in einer breiten und ausgefalteten theologischen Reflexion, sondern in einer knappen und dichten Formel: „Obwohl du einen Anfang hattest, als du dem Sein nach geschaffen wurdest, das einst nicht war, so war dennoch dein Sein immerdar in Ihm, ohne Anfang und ewig-endelos, wie Er selbst auch ist."2

Das heißt: (Onto-)logisch vorgängig zum kreatürlichen Sein ist der ewige, das heißt anfangs- und endelose, ideell-ewige Seinsstand als Grund des kreatürlichen Seins in Gott konstituiert. Der Cloud-Autor ist mit der Formulierung seines Theologumenons verhältnismäßig vorsichtig; er behauptet nicht ausdrücklich, dieser Seinsstand wäre differenzlos Gott in Gott. Damit vermeidet er einen essentialen Zug in der Lehre der rationes aeternae, der bei Meister Eckhart hervortritt und für heftige Diskussionen gesorgt hat, und stellt damit die Weichen fur eine eher volitionale Mystik, wie sie sich bei Bonaventura oder Johannes Gerson findet3. Eine solche Lehre des esse ideale ist kein rein theoretisches Konstrukt, sondern sie hat eine praktische Bedeutung für den kontemplativen Vollzug: Wenn mystische Einung die unmittelbare Anwesenheit des Mystikers beim göttlichen Prinzip meint, dann hat der ideell-ewige Seinsstand, der als Grund des Geschöpfes in Gott konstituiert ist, eine Funktion fur das mystische Ereignis. Er ist „prinzipimmanenter Ermöglichungsgrund" nicht nur fur die Schöpfung sondern auch fur die mystische Einung. Praktische Folgerungen daraus sind: a) Mystische Einung ist kein „widernatürliches Geschehen". Weil der Beter immer schon in Gott war und immer in Ihm bleiben wird (freilich nicht als Geschöpf, sondern als ideell-ewiger Seinsstand), also in diesem Sinne mit Gott schon eins ist, kann er auf übernatürlicher, erfahrungshafter Ebene eins werden4. Die rationes αεί 2

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Vgl. OZMENT, Mysticism, Nominalism and Dissent 11-77. P.C. (81/7-12): „And thof al thou haddest a beginnyng in thi substancyal creacion, the whiche was sumtyme noucht, chit hath thi being ben evermore in hym withoutyn beginnyng and evir schal be withoutyn ending, as himself is." Vgl. OZMENT, Mysticism, Nominalism and Dissent 73-77. Das ist gleichsam das Grundmotto in P.C., wenn der Autor in P.C. (75/12) mit dem Thema der erfahrungshaften Einung einsetzt und im Verlauf immer wieder die ontologische Koinhärenz als Bedingung der Möglichkeit anklingen und durchscheinen lässt; so etwa (75/29 - 76/16); (81/712) und passim. JOHNSTON, The Mysticism 218 kommentiert dazu treffend: „God does not unite

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ternae sind dabei der innerzeitlich-erfahrungshafte (nicht endzeitlich-seinshafte) „Ort" einer mystischen Einung mit Gott1. b) Die mystische Einung kann nicht allein aus der Initiative oder den Bemühungen des Geschöpfes erwachsen, sondern wird von Gott ermöglicht. Er ist Prinzip des Anfangs, der Vermittlung und des Ziels des mystischen Wegs. Er ist der „Hauptwirkende", der gnadenhaft die Einung ermöglicht und trägt2. c) Das Ewige Wort ist die hervorgebrachte Seite der Trinität, weswegen die rationes aeternae als hervorgebrachte Ideen im Sohn mitgedacht werden und auf Seiten des Sohnes verwahrt sind. Der Sohn ist als Logos causa exemplaris der Schöpfung und als inkarnierter Logos in Leben, Kreuz, Tod und Auferstehung Grund der Neuschöpfung und Erlösung. Die Reflexion der mystischen Einung und der Aufstieg zu ihr muss daher an einer solchen christologischen Zentrierung Maß nehmen3. Als Fazit lässt sich festhalten: Im Rahmen einer Reflexion auf die rationes aeternae fragt die mittelalterliche Theologie nach den Bedingungen der Möglichkeit der mystischen Einung. Auch der Cloud-Autor hielt die transzendentale Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Einung für unverzichtbar. Selbst wenn er im Rahmen seiner volkssprachlichen Unterweisung vornehmlich nach mystagogischen Gesichtspunkten vorgeht, also eine rein theoretische Reflexion vermeidet und sich auf die praktische Seite des mystischen Wissens konzentriert4, so unterbricht er doch seine kursorische Auslegung einer Schriftstelle, um dieses wichtige Theologumenon einzuflechten5. Der

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Himself to the contemplative like a ,deus ex machina', descending into a realm which He never was before; rather does He intensify, by supernatural gifts, a union already existing in the order of nature." Der innerzeitlich-erfahrungshafte Ort der Ruhe in den rationes aeternae kann ganz unterschiedlich zur Sprache gebracht werden: Als „Sion = Schau des Friedens" in D. (149/19 - 149/34); als „mystischer Schlaf in P.C. (83/28-39) und (86/8-31). Wenn in P.C. (75/36) von „onid in him" und nicht von „with him" die Rede ist, so meint das gerade eine solche ekstatische, erfahrungshafte Anwesenheit des Beters in den rationes aeternae. Vgl. den Begriff des cheef worcher = actor principalis, der in P.C. (88/10-27) und (92/21 94/10) gnadentheologisch aufgefaltet wird. Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund und zur Deutung siehe diese Studie 95, insbesondere Anm. 3, mit weiteren Details. So erhellt, warum Jesus Christus und das Kreuz in P.C. (88/6 - 92/20) in den literarischen Mittelund Höhepunkt der theologischen Komposition von P.C. gestellt sind - ganz zu schweigen von den im ganzen Werk präsenten christologischen Theologumena, die später noch genauer zu analysieren sind. Die Priorität der Mystagogie zeigt sich vor allem in der kompositionellen Struktur der , Wolke des Nichtwissens'. Es gelingt kaum, eine systematische Struktur in diesem Werk zu entdecken und selbst die Herausarbeitung von mystagogischen Argumentationseinheiten ist mit einer beträchtlichen Unsicherheit behaftet. Zu den verschiedenen Vorschläge vgl. TIXIER, This lovely blinde werk 133-134, hier besonders Anm. 44. Der Cloud-Autor beginnt in P.C. (78/23) seine Auslegung von Spr 3, 9-10. In P.C. (80/30 - 81/6) fugt er eine Stelle aus BERNHARD VON CLAIRVAUX, cons 5, 6, 13 (Leclercq 3, 477) ein und und hängt sogleich das Thema der rationes aeternae in P.C. (81/7-12) an, um in P.C. (81/13) wieder mit der Schriftauslegung einzusetzen.

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Rahmen des mystischen Wissens

Cloud-Autor meidet dabei jegliche essentiale Konnotationen, die bei Eckhart, Heinrich Seuse und Jan Ruysbroeck zu weit reichenden theologischen Diskussionen gefuhrt haben, und lehnt sich an einen eher volitionalen Interpretationstyp an, der das esse ideale als „Grund oder Sein in Gott", nicht aber explizit als „Gott in Gott" ansetzt. Der Cloud-Autor steht damit in systematischer Hinsicht der Position von Bonaventura oder Heinrich von Gent1 nahe. Die bisherigen Deutungen der Cloud-Gruppe sind an diesem wichtigen Theologumenon oft vorübergegangen. Die Adaptionen der Cloud-Gruppe im Kontext der christlich-buddhistischen Zazen-Meditation entwickeln einen systematischen Horizont (oder setzten ihn implizit voraus), der den der Cloud-Gruppe eigenen Reflexionen nicht entspricht, ohne dass dieser Unterschied nochmals eigens bedacht und thematisiert würde 2 . Insofern beinhalten die Überlegungen der Cloud-Gruppe eine religionstheologische Provokation, die nicht vorschnell eingeebnet werden sollte. 1.1.2 Christus als Weg Die Relation zwischen dem ideell-ewigen und kreatürlich-zeitlichen Seinsstand ist als Exemplarursächlichkeit zu bestimmen: Da im innertrinitarischen Sohn die ideellewigen Seinsformen alles Geschaffenen verwahrt sind, wird in der „creatio per ipsum et in ipso" (Kol 1, 16), in der raum-zeitlichen Konstitution der Geschöpfe in einer wesensmäßigen Differenz zum göttlichen Prinzip, den Geschöpfen je nach Seinsrang eine trinitarische Struktur eingeprägt. Die trinitarische imago, das trinitarische Inbild der menschlichen Seele, ist Voraussetzung der mystischen Einung: Nur weil der Mensch als Ebenbild der Trinität Gott „angeglichen" ist, ist eine erfahrungsmäßige Anwesenheit beim dreieinen Gott denkbar. Aber nur weil Gott dem Menschen „angeglichen" ist, indem Gott sich im inkarnierten Logos selbst offenbart und zum Heilsweg macht, ist diese Einung fur den erbsündlich gefallenen Menschen tatsächlich auch möglich 3 . Der Weg über oder in Christus, der menschgewordenen Entäußerungsgestalt Gottes4, umfasst aber nicht nur die persönlich-individuelle Dimension der je eigenen Kreuzes-

1 2

3 4

Für Heinrich von Gent und seine Wirkungsgeschichte in England, insbesondere in Oxford, vgl. LAARMANN, Deus, primum cognitum 209ff und 346ff. Vgl. etwa JÄGER, Gebet des Schweigens 9-36, besonders 9-10; 24-28 und 32-36, wo anhand von Überlegungen zur Psychologie, zur Biologie, anhand einer Deutung der Wirklichkeit als coincidentia oppositorum und mittels struktureller Schemata ein Rahmen für Cloud-Texte und andere Textproben versucht wird. Vgl. Cl. (10/22-24): „For he is even mete to oure soule by mesuring of his Godheed; and oure soul even mete unto him bi worthines of oure creacion to his ymage and to his licnes." Vgl. P.C. (90/41 - 91/12) als Auslegung und Erläuterung zu Joh 10, 9-10. Zum Hintergrund siehe CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 49 (Anm. 158/25) - 50 (Anm. 161/8). Dieses klassische Theologumenon für die christologische Zentrierung des mystischen Weges begegnet mit einer gewissen „franziskanischen Färbung" etwa bei BONAVENTURA, itin 4, 2 (Quaracchi 5, 306). Für eine umfassende Diskussion siehe diese Studie 158-163 und 212-219.

Onto-trinitarische Verankerung

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nachfolge1: In Christus hat Gott unüberbietbar den Menschen Heil zugesagt. Die Kirche aber ist das Anwesendbleiben dieser Heilszusage Gottes in Raum und Zeit als corpus Christi mysticum. Der mystische Aufstieg kann also kein Sonderweg zu Gott sein, der an der Kirche vorbeifuhrt, weil gerade in der Verbindung mit Christus durch das Band der Liebe und des Glaubens alle Geschöpfe zum corpus mysticum verbunden werden2 Maria, die Engel und alle Heiligen im Himmel und auf Erden3. Der Weg der Nachfolge Christi vollzieht sich im Raum der Kirche und ist an die Sakramente, Gebote und Vorschriften der Heiligen Kirche gebunden, wie der Cloud-Autor gegen die Lollarden vorbringt4. In der Schriftoffenbarung und der Verkündigung der Kirche ertönt das Wort Gottes, im Spiegel dieses Wortes lernt man wahrhafte Selbsterkenntnis, im Brunnen der Heiligen Kirche wird man getauft, mit dem Wasser der Beichte gewaschen und dem Wasser des Gebetes erquickt5. Wenn ein dazu berufener Beter seine Glaubensbeziehung in der Kontemplation vertieft, so kann er zu einem besonderen Sohn oder zu einer besonderen Tochter Gottes werden6; das bedeutet aber weder für die mystische Einung noch fur den Vollendungszustand eine seinshafte Identifizierung mit dem Ewigen Sohn7. 1.1.3 Einung als Ziel des Weges Hat nun die Reflexion auf den ideell-ewigen Seinsstand wichtige Grundlinien schon ergeben, so ist für eine Erhellung der mystischen Einung selbst eine genauere Betrachtung der durch die Schöpfung konstituierte Differenz und Einheit zwischen Schöpfer und Geschöpf von Nöten. Das vom göttlichen Prinzip durch den freien Akt der Schöpfung hervorgebrachte geschöpfliche Sein, das nur Sein hat, aber nicht selbst ist, kann nicht entzweit vom göttlichen Sein gedacht werden; es muss nämlich als ein sich ständig geschenktes Sein in einem „nicht-entzweiten Differenzverhältnis"8 zum göttlichen Sein, der Quelle allen geschöpflichen Seins, stehen: Alles ist aus Gott, durch Gott und 1 2 3 4

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Die klassische Stelle zur Kreuzesnachfolge Mt 16, 24 wird in P.C. (88/6 - 90/26) konsequent gedeutet als Nachfolge in der Form einer kontemplativen Entäußerungsbewegung. Zur wechselseitigen Haftung der Liebe im corpus mysticum vgl. Cl. (33/26—40). Vgl. Cl. (12/7-13). Vgl. die Warnung von Cl. (57/43 - 58/15). Zur Deutung vgl. CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 194 (Anm. 104/11-12). CLARK, Cloud of Unknowing 283 betont die apologetische Gesamtausrichtung der Cloud-Gruppe, welche die „common doctrine and counsel of church" als Norm einschärft. Dieses originelle Gesamtbild der an sich traditionellen Topoi vom „Spiegel der Schrift" und vom „Wasser aus dem Brunnen der Kirche", das durch die „reinigenden Beichte" und das „erfrischende Gebet" zugänglich ist, entwickelt der Cloud-Autor in Cl. (39/37 - 40/10). Zum Motiv der familiaritas cum Deo vgl. Pr. (104/6-8). Zum größeren Kontext siehe auch RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 138-144 und in dieser Studie 91-92. Vgl. P.C. (88/11-14) als Auslegung zu Mt 16, 24 und die theologische Entfaltung des Theologumenons im weiteren Kontext von P.C. (88/10 - 90/26). Zum Begriff und zum systematischen Hintergrund vgl. ENDERS, Das mystische Wissen 91.

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Rahmen des mystischen

Wissens

in Gott, w i e der Cloud-Autor in Anlehnung an R o m 11, 36, an 1 Kor 8, 6 und vielleicht an Bernhard v o n Clairvaux einschärft 1 . In einem ungemein komplexen Abschnitt des ,Buches der mystischen Unterweisung', zu dem in anderen mittelenglischen Texten kein wirkliches Äquivalent gefunden werden kann, wird genau diese ontische Koinhärenz aufgefaltet und gedeutet: „Denn Er ist dein Sein und in Ihm bist du, was du bist, nicht nur der Ursache und dem Sein nach, sondern auch weil Er in dir deine Ursache und dein Sein ist. Darum denke über Gott in diesem Wirken, wie du über dich selbst denkst, und über dich selbst, wie über Gott, nämlich dass Er ist, wie Er ist, und du bist, wie du bist, auf dass dein Denken nicht zerstreut und unterschieden ist, sondern in Ihm geeint, Der alles ist - immer unbeschadet des Unterschieds zwischen dir und Ihm, dass Er dein Sein ist, du aber nicht Seines. Denn obschon nun alles in Ihm der Ursache und dem Sein nach ist, und Er in allem dessen Ursache und Sein ist, so ist Er doch in Sich selbst allein Seine eigene Ursache und Sein eigenes Sein. Und wie nichts ohne Ihn sein kann, so kann Er nicht ohne Sich selbst sein. Er ist Sein für Sich selbst und für alles andere. Und darin unterscheidet Er allein Sich von allem übrigen, nämlich dass Er Sein fur Sich selbst und für alles andere ist. Und da alle Dinge ihr Sein in Ihm haben und Er das Sein aller Dinge ist, ist Er einer in allem und alles in Ihm." 2 Mit dieser durchaus anspruchsvollen metaphysischen Überlegung 3 möchte unser Autor zeigen, wie Einheit, genauer ein In-eins-Sein v o n Schöpfer und Geschöpf, so gedacht werden kann, dass die wesentliche Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht durch einen In-eins-Fall verunklärt wird: Die entia sind im esse

subsistens:

a)

der Ursache nach, das heißt gemäß des esse causale,

des ideell-ewigen Seinsstan-

b)

dem Sein nach, das heißt in wesentlicher Differenz zum göttlichen Sein dennoch in

des, in dem der kreatürlich-zeitliche Seinsstand gründet. Ihm, weil außer Gott nichts ist.

1

2 3

Vgl. P.C. (84/25): „al that of hym is, by him and in hym". Der Cloud-Autor lässt sich auch anderen Orts vom letzten Buch der Schrift ,De consideratione' inspirieren. Daher dürfen wir als theologische Vertiefung wohl BERNHARD VON CLAIRVAUX, cons 5, 6, 14 (Leclercq 3, 4 7 8 ^ 7 9 ) mitlesen: „Ex quo omnia, per quem omnia, in quo omnia. Ex quo omnia, creabiliter, non seminabiliter; per quem omnia, ne alium auctorem atque alium opificem abitreris; in quo omnia, non quasi in loco, sed quasi in virtute. Ex quo omnia, tamquam uno principio, auctore omnium; per quem omnia, ne alterum inducatur principium artifex; in quo omnia, ne tertium inducatur locus; ex quo omnia, non de quo, quia non est materia Deus: efficiens causa est, non materialis." P.C. (75/31 - 76/6), hier in eigener Übersetzung. Die ontologische Reflexion wird zwar von einigen Kommentatoren als wesentlicher Bestandteil der Cloud-Gruppe angesehen. Eine eigene Diskussion des Topos findet sich allerdings sehr selten, so etwa bei JOHNSTON, The Mysticism 218-223; MYLES, This Litil Wörde ,Is' 140-168 und RISSANEN, Prayer of Being 140-145.

Onto-trinitarische Verankerung

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Das göttliche Sein ist in den entia: a) als Ursache, das heißt, insofern das Geschöpf als Abbild das ursächliche Urbild (die causa exemplaris) in seinem Seinsbestand widerspiegelt - eine Gegenwartsweise, der die anthropologische Bestimmung des Menschen als Bild Gottes Rechnung trägt. b) dem Sein nach, das heißt dadurch, dass das geschaffene Sein am göttlichen Sein partizipiert, weil es sonst nicht wäre. So kann man diese Erhellung, die Einheit und Differenz radikal zusammendenken will, wie folgt zusammenfassen: Insofern alle Dinge ihr Sein in Gott haben und Er das Sein aller Dinge ist, ist Er einer in allem und alles in Ihm. Insofern Er aber Sein für Sich und fur die entia ist, und insofern Er im Gegensatz zu allem kreatürlichen Sein in Sich selbst unterschiedslos ist, unterscheidet Er Sich in einer unaufhebbaren ontischen Differenz vom kreatürlichen Sein1. Mit dieser Erhellung ist nun auch Entscheidendes über den Weg zur und den Zustand der mystischen Einung gesagt: Insofern das Geschöpf an sich betrachtet ein Nichts ist, weil es alles, was es ist, nicht aus sich hat, sondern vielmehr als Gabe Gottes empfangt, kann die mystische Einung nur in einer „Nichtung" des Geschöpfes und in einer „Alleswerdung" Gottes bestehen2. Weil aber der Weg der mystischen Einung Nachvollzug des geschenkhaften Seinsempfangs bis hinein in die Seins-Quelle ist, wird in dieser Nichtung das Geschöpf keineswegs „vernichtet", sondern in wahrer Demut, rechter Gelassenheit und lauterer Empfänglichkeit zum wahren Abbild des Gottes in drei Personen, zur echten menschlichen Person. Die individualistische Erstarrung wird dabei zu einem personal-dialogischen Liebesvollzug umgeschmolzen3, das entzweite Bewusstsein des Beters wird als ein von Gott getrenntes Bewusstsein aufgehoben4. Oder anders gewendet: Wegen der unhintergehbaren ontischen Differenz ist die mystische Einung

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Daher formuliert H.D. (124/25-28): „withinne alle creatures, not inclusid; withouten alle creatures, not schit oute; aboven alle creatures, not borne up; binethe alle creatures, not put doun; behynde alle creatures, not put bak; before alle creatures, not driven forthe" auf dem Hintergrund von BONAVENTURA, itin 5, 8 (Quaracchi 5, 310): „Quia perfectissimum et immensum, ideo est intra omnia, non inclusum, extra omnia, non exclusum, supra omnia, non elatum, infra omnia, non prostratum." Vgl. P.C. (84/20-32). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 36 (Anm. 149/13-14), besonders die dort angeführte Auslegung von Ps 38, 6: „Et substantia mea tamquam nihilum ante te" bei WALTER HILTON, sc perfl, 37 (Bestul, Zeilen 2588-2603). Vgl. die Auslegung von Hld. 2, 16 in Pr. (106/19-22): „Dilectus meus mihi et ego illi. That is: ,My loved unto me and I to him' understond ,schal be knittyd with the goostly glewe of grace on his partye, and the lovely consent in gladnes of sperite on thi partye." So auch TUGWELL, Preface XXIII: „But this self-naughting, though it means that we must lose our consciousness of ourselves, is actually the way that we become ourselves."

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Rahmen des mystischen Wissens

kein Aufgehen im Allwesen, keine Einheit der Natur, sondern moralische Einung, nämlich Übereinstimmung des menschlichen Willens mit dem göttlichen Willen1. 1.1.4 Thomanischer Existenzialismus in der Cloud-Gruppe? Betrachtet man die metaphysische Lektion des Cloud-Autors im ,Buch der mystischen Unterweisung' 2 mit geschärfter Aufmerksamkeit, so kann man eine ganz besondere Akzentsetzung in der Ontologie des Cloud-Autors wahrnehmen: Mehrmals wird in dem Textabschnitt, der ontologische Fragestellungen streift, das Was-Sein dem Dass-Sein gegenüber gestellt3. Das scholastisch geschulte Ohr hört in den beiden Ausdrücken that himself is und what himself is das Echo der mittelalterlichen Diskussion um das Verhältnis von esse und essentia. In einer anregenden Studie hat MYLES darüber hinaus versucht, die Begrifflichkeit und Lehre der Cloud-Gruppe mit der thomanischen Ontologie, insbesondere mit der Lehre der distinctio realis zwischen esse und essentia, in Beziehung zu setzen4. Bei den nur spärlichen ontologischen Daten in der Cloud-Gruppe kann einer derartigen Zuordnung zwar nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden; die Akzentuierung des Seins als Existenz ist freilich fur die Interpretation der Cloud-Gruppe entscheidend: Als Seinsbegriff verwendet der Cloud-Autor den mittelenglischen Term beyng5 und hat damit, anders als im Lateinischen, keine Möglichkeit einer sprachlichen Differenzierung zwischen ens, esse, essentia und existentia. Wichtig ist daher, die Akzentsetzung des Cloud-Autors mit zu vollziehen: Beyng als Verbalsubstantiv meint das existentiale Anwesen eines konkret Seienden; es betont das Seinsprinzip esse und bezeichnet nur in Abhängigkeit davon das Seinsprinzip der essentia als Signatur eben dieses Seienden mit6. Eine derartige Herausstellung der Existenz muss auch beim Begriff substaunce berücksichtigt werden 7 . Auf den ersten Blick könnte man die substaunce der Cloud-Gruppe für die lateinische essentia halten; doch bei einer genaueren Analyse erhellt, dass sie strikt im Sinne der substantia prima, der hypostasis oder des suppositum aufgefasst werden muss 8 . Sie ist existentiales Anwesen 1

2 3 4 5 6

7 8

Vgl. die Auslegung von 1 Kor 6, 17 in Pr. (106/12-14) und die Definition in Cl. (51/20-23): „It is not elles bot a good and an acordyng will unto God .... Soche a good wille is the substaunce of alle perfeccion" und Cl. (17/40-41): "knit to God in spirite, and in oneheed of love and acordaunce of wile". Vgl. P.C. ( 7 5 / 2 9 - 7 7 / 1 6 ) . Vgl. etwa P.C. (76/38-39): „that himself is, not what himself is" und die genaueren Ausführungen bei MYLES, ThisLitil Wörde 'Is' 140-143. Vgl. MYLES, This Litil Wörde ,Is' 140-143; 161-162 und passim. In dem genannten „ontologischen Kapitel" begegnet der Term beyng 11-mal. Vgl. MYLES, This Litil Wörde ,Is' 147-149. Dort wird zu Recht kritisiert, dass HODGSON den Vorrang der Existenz nicht genügend herausgestellt habe. Man sollt freilich die beiden Aspekte nicht zu stark isolieren und einander entgegen setzen: Die beiden inneren unselbstständigen Seinsprinzipien (quo est) dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Vgl. P.C. (78/23 - 79/39) und P.C. (81/7-12). Vgl. MYLES, This Litil Wörde ,1s' 149-151.

Onto-trinitarische Verankerung

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aus der göttlichen Seinsquelle im Sinne einer „Erstlingsgabe", eines „nackten Seins" oder des „Wurzelgrundes des menschlichen Geistes"1. Angesichts einer derartigen Betonung des existentialen Moments ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Begrifflichkeit des essentialen und akzidentiellen Moments in der Cloud-Gruppe kaum entfaltet wird: Der Term essentia erfährt keine Übertragung ins Mittelenglische. Die washeitliche Signatur eines Seienden wird nur gelegentlich als what it is und in kynde ausgedrückt. Auch der Term accidens hat kein unmittelbares mittelenglisches Äquivalent; von den Akzidentien werden überhaupt nur Qualität und Quantität thematisch kurz gestreift2. Als Fazit darf man festhalten: Der Cloud-Autor hat bei der Abfassung seiner geistlichen Unterweisung verdeckt eine relativ elaborierte ontologische Reflexion mitlaufen. Der Cloud-Autor ist sich bewusst, dass derartige Überlegungen als Bestandteil einer volkssprachlichen Weisung durchaus Kritik hervorrufen können. Der Kreis der Kritiker ist nur schwer zu ermitteln, aber offensichtlich befurchtet der Cloud-Autor Negativreaktionen sowohl bei eventuell überforderten Lesern als auch bei theologischen Kollegen, die derartige Topoi in volkssprachliche Texte nicht einbauen würden3. Einer solchen Kritik hält der Autor die geistliche Nützlichkeit seiner leichten Lektion entgegen4. Worin besteht nun aber der nützliche Kerngedanke dieser Lektion? In der Gegenüberstellung von washeitlichem (what is, kynde) und dassheitlichem Pol {that is, beyng, substaunce, first gift, nakid beyng) spiegelt sich die scholastische Unterscheidung zwischen essentia und esse wider. Ob der Cloud-Autor damit tatsächlich die thomanische Realdistinktion rezipiert hat, kann man allenfalls vermuten. Völlig gesichert und für die Interpretation der Cloud-Gruppe entscheidender ist indes die Rezeption einer existentialistisch zugespitzten Ontologie, deren Gestalt Thomas von Aquin freilich entscheidend mitgeprägt hat: Während die aristotelische Metaphysik mit der Essenz tendenziell die Independenz der einzelnen Seienden betont, hat die christliche Rezeption der aristotelischen Metaphysik neue Akzente gesetzt. Das schöpfungstheologisch ausgerichtete Konzept einer „Priorität" der Existenz stellt die Dependenz des Geschöpfes vom Schöpfer5 und damit das Paradigma der Kommunikation zwischen Mensch und Gott in den Mittelpunkt. Trinitätstheologie, Christologie, Anthropologie und Gnadentheologie auf der einen Seite und Ontologie auf der anderen Seite müssen daher keine inkommen1 2 3

4

5

Vgl. P.C. (79/3—4): „first gift is only the beyng ofthat creature"; P.C. (79/12): „nakid being"; P.C (80/23): „first poynte of thi spirit". Vgl. MYLES, This Litil Wörde ,1s' 151-156 mit Stellenangaben und Besprechung. Vgl. Cl. (76/20-24): „whan I here sum men sey ... Clerkes and men of grete kunnyng, that my writyng to thee and to other is so harde and so heich, and so curious and so queinte, that unnethes it may be conceivid of the sotelist clerk or wittid man or womman in this liif'. Vgl. P.C. (76/29-31): „this licht werk, thorow the whiche the boistousest lewist mans soule or wommans in this liif is verely in lovely meeknes onyd to God in parfite charite" und P.C. (76/3637): „whan, chif it be witterly lokyd, it schal be founden bot a symple and a licht lesson of lewid man." Vgl. MYLES, This Litil Wörde ,1s' 143-147.

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Rahmen des mystischen Wissens

surablen Größen sein; Theologie nimmt in diesem Konzept die in der ontologischen Reflexion aufgeworfenen Fragen auf und fuhrt sie weiter. In diesem Sinne kann man die Ontologie der Cloud-Gruppe tatsächlich kaum treffender als mit der Abbreviatur „thomanischer Existentialismus" bezeichnen.

1.2 Auswertung: Credo ut intelligam und credo ut experiar Gemäß dem einhelligen Votum unterschiedlicher Erforscher der Geschichte der mittelalterlichen Religionsgeschichte ereignet sich um das Jahr 1200 eine anthropologische Wende, deren Auswirkungen sich auch auf die Theologie und das religiöse Leben erstrecken. Es kristallisieren sich zwei neue Formen heraus, mit dem biblisch grundgelegten und durch die Patristik tradierten und entfalteten depositum fidei umzugehen. So versucht die scholastische Theologie unter dem Motto credo ut intelligam den Glaubensinhalt durch eine systematische Reflexion zu ordnen, zu strukturieren und rational zu verantworten. Zur gleichen Zeit bildet sich aber auch ein neues Frömmigkeitsverständnis heraus, das unter dem Motto credo ut experiar auf die monastische Theologie des 12. Jahrhunderts zurückgreift1. Dieser „neue Mystizismus" des 13. Jahrhunderts versucht, das depositum fidei durch eigene Erfahrung aufzuschließen und der personalen Aneignung bereit zu stellen2. Im Verlauf des Jahrhunderts werden die Gehalte der monastischen Theologie durch eine Art Demokratisierung3 immer mehr zu einer Frömmigkeitstheologie umgeformt, und auf dem Hintergrund stets normativ bleibender lateinischer Texte bildet sich rasch eine geistliche oder mystische Literatur in den verschiedenen europäischen Volkssprachen heraus4. Diese beiden Momente eines credo ut intelligam und credo ut experiar mögen innerlich aufeinander bezogen sein; dass die Vermittlung der beiden Größen in der Realität tatsächlich gelingt, ist alles andere als selbstverständlich: Blickt man nämlich auf die Religionsgeschichte des Mittelalters, so sieht man, dass sich die scholastische Theologie und die auf die Monastik fußende

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2 3

4

Zur monastischen Theologie des 12. Jahrhunderts siehe LECLERCQ, L 'Amour des lettres und A propos de , La Renaissance du XIF siecle' 65-71. Zur Diskussion der Begriffe „monastische" und „scholastische" Theologie und der Möglichkeit der Begriffsverwendung für Phänomene des 13. bis 15. Jahrhunderts vgl. PODLECH, Discretio 6-21; dort eine Besprechung der einschlägigen Studien und weitere hilfreiche Literaturhinweise. McGINN, Flowering of Mysticism 1-30 skizziert den historischen Kontext und die Heraufkunft eines „New Mysticism"; ebenda weitere Literaturangaben. Zum Vorgang der „Demokratisierung" siehe STEINMETZ, Ärbol del Amor, wo gezeigt wird, wie die monastische Liebeslehre von Bernhard von Clairvaux in der ,Epistel of Prayer' des CloudAutors durch Selektion, Mystagogisierung und Montage-Technik für ein laikales Publikum aufgeschlossen wird. Siehe DINZELBACHER, Beginnings of Mysticism Experienced 111-131.

Onto-trinitarische Verankerung

37

Frömmigkeitstheologie entweder losgelöst von einander oder aber auch in einer konfliktreichen Reibung entwickeln können1. Für die mögliche Diastase zwischen dem credo ut intelligam und dem credo ut expereriar sei hier ein Beispiel aus dem 14. Jahrhundert angeführt: Richard Rolle (ca. 1300-1349). Der junge Mann beginnt seine Laufbahn mit einem Studium an der Universität von Oxford. Als ihm freilich im Gebet die brevitas vitae aufgeht, scheint ihm das Studium plötzlich nutzlos und er bricht es ab. Richard verlässt die Universität als Institution des credo ut intelligam und wird Eremit2. Auch innerlich verabschiedet sich Richard von der scholastischen Theologie: In seinen vielgelesenen Werken der Frömmigkeitstheologie, die er in seiner Eremitenzelle verfasst, spielen Topoi aus einer „scholastischen Theologie" keine allzu wichtige Rolle. Seine Schriften stehen zwar durchaus in einem anspruchsvollen theologischen Horizont, aber sie entfalten keine Schöpfungslehre und stringente Anthropologie, keine durchstrukturierte Gnadentheologie oder reflektierte Christologie; Richards Autorität als geistlicher Lehrer beruht vor allem auf den Selbstzeugnissen seiner experientia caritatis3. Ein anderes Verhältnis zwischen credo ut intelligam und credo ut experiar zeichnet sich hingegen beim Cloud-Autor ab: Wenngleich es auch dem Cloud-Autor in erster Linie um Mystagogie geht, das heißt um eine Anleitung zur Fähigkeit der mystischen Erfahrung, so scheut er doch nicht davor zurück, neben der praktischen Seite des mystischen Wissens auch deren theoretische Seite ausdrücklich zu behandeln. In der obigen Textarbeit hat sich gezeigt, dass der Cloud-Autor eine elaborierte Ontologie mitlaufen hat, aus der heraus er Argumente fur den geistlichen Weg entfaltet. Das ,Buch der mystischen Unterweisung' beginnt etwa mit einem ontologischen Abschnitt, schreitet zu Christologie fort und zieht daraus mystagogische Konsequenzen. Der Cloud-Autor versucht also, kurz gesagt, die praktische mit der theoretischen Seite zu konfrontieren und, wo möglich, zu verbinden. Die deskriptive Seite des mystischen Wissens in der Cloud-Gruppe ist hingegen kaum ausgeprägt: Nirgends berichtet der Cloud-Autor von biographischen Ereignissen, mystischen Erfahrungen oder Erlebnissen. Die Texte der Cloud-Gruppe enthalten gerade keine Erlebnis-Mystik oder Selbstzeugnisse im Sinne Richard Rolles. 1

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Vgl. etwa VANDENBROUCKE, Le Divorce entre theologie et mystique 372-389 und KÖHN, Monastisches Bildungsideal 1-37. LANGER, Christliche Mystik im Mittelalter hält diese Dialektik sogar für den hermeneutischen Schlüssel, mit dem sich die gesamte mittelalterliche Mystik religionssoziologisch rekonstruieren lasse. Die wichtigsten Daten zu Richards Biographie finden sich im OFFICIUM DE SANCTO RICARDO DE HAMPOLE (Wooley). Das reiche Material bespricht ALLEN, Writings Ascribed to Richard Rolle und COMPER, Life of Richard Rolle-, eine kurze Übersicht über Richards Leben bietet SARGENT, Richard Rolle 572-576. Theologische und biographische Informationen zur conversio a mundi ad Deum liefern SARGENT, Richard Rolle 581-582; SARGENT, Contemporary Criticism 160-162 und WATSON, Invention of Authority 15-18. Siehe WATSON, Invention of Authority 5-6; 18-27; 54-60 und 275-270. Zu den verschiedenen Richard-Rolle-Bilder in der Forschung siehe auch SHON, Richard Rolle VII-XVII.

Rahmen des mystischen

38

Wissens

Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch im literarischen Charakter der Cloud-Texte wider: Sie sind eine Relecture,

das heißt eine Neuauslegung klassischer Texte fur die

veränderte Situation im 14. Jahrhundert 1 . Und bei dieser Neuauslegung klassischer Texte zeigt sich das Bemühen des Cloud-Autors, sowohl die praktische als auch die theoretische Seite zu berücksichtigen und eine ganzheitliche mystagogische Instruktionsliteratur2 zu erstellen: Einerseits lehnt sich der Cloud-Autor an die monastische Tradition 3 an, die in Schlüsseltexten von Autoren wie Evagrius Ponticus, Johannes Cassian, Benedikt, Gregor dem Großen, Bernhard v o n Clairvaux, Guigo II. und Guigo de Ponte greifbar ist. Andererseits begegnen in der Cloud-Gruppe auch Theologumena einer eher scholastisch orientierten Theologie, beispielsweise v o n A n s e l m v o n Canterbury, Petrus Lombardus, Wilhelm v o n Auxerre, Thomas v o n Aquin und Bonaventura 4 . In der Theologie der viktorinischen Autoren Hugo, Richard und Thomas Gallus Vercellensis erblickt der Cloud-Autor offensichtlich ein Vorbild, an dem er ablesen kann, w i e im 12. Jahrhundert eruditio

und experientia

versöhnt wurden, und die ihm zur Zielvorgabe

werden kann, wie eine gelungene Frömmigkeitstheologie im 14. Jahrhundert auszuschauen habe 5 . Blickt man auf diesen Rezeptionshintergrund der Cloud-Gruppe zurück, so kann man zusammenfassend sagen: Das Verhältnis von credo ut intelligam

und cre-

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Die Relecture klassischer Texte darf nicht vorschnell als „unkreatives Plagiat" missverstanden werden. Gemäß der mittelalterlichen Literaturtheorie sind die Tätigkeit des auctor, des commentator, des compilator, des translator und des scriptor, trotz des abnehmenden Inventionsfaktors, kreative Weisen der Buchherstellung. Die Aussageabsicht des Cloud-Autors zeigt sich daher nicht, wenn man die „Neuerfindungen" des Cloud-Autors isoliert, sondern nur, wenn man untersucht, was, warum und wie der Cloud-Autor rezipiert, kompiliert und übersetzt hat, und zwischen den Zeilen liest. Siehe dazu BURROW, Medieval Writers 29-36 und das berühmte Zitat von BONAVENTURA, sent 1 prol q 4 (Quaracchi 1, 14). Zur Theorie der translatio im Mittelalter vgl. auch ELLIS, Medieval Translator.

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Der Term „Instruktionsliteratur" stammt von BLAKE, Varieties of Middle English Religious Prose 348-356, um die Schriften, in denen es um eine mystagogische Anleitung oder frömmigkeitstheologische Unterweisung geht, mittels eines prägnanten Begriffs von anderen Gattungen (wie der „historisch-legendarische Narration", den „Schriften der affektiven Stimulation", der „spirituellen Autobiographie" und der „polemischen Literatur") abzuheben. Für die „monastische Theologie" des 11. und 12. Jahrhunderts siehe die Übersicht bei EHLERS, Monastische Theologie 58-79 und HARDELEIN, Monastische Theologie 108-120. Für die Wirkungsgeschichte der bonaventurianischen Schriften in der englischen Volkssprache siehe SARGENT, Bonaventura English. Zur Rezeption der einzelnen Autoren in der Cloud-Gruppe und genauere Nachweise vgl. CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 77-109. Mit seinem Rezeptionsschwerpunkt steht der Cloud-Autor im Hauptstrom der Frömmigkeitstheologie des 14. Jahrhunderts: Er deckt sich in etwa mit dem durchschnittlichen Bestand von Kartäuserbibliotheken im späten 14. Jahrhundert, den THOMPSON, Carthusian Order 313-334 aus den spärlichen Hinweisen rekonstruiert. Den größeren Horizont der Frömmigkeitstheologie des 14. und 15. Jahrhundert fasst WASSERMANN, Dionysius der Kartäuser 1-6 prägnant zusammen. Die Popularität des „Mystizismus des 12. Jahrhunderts" im 14. und 15. Jahrhundert bespricht CONSTABLE, Popularity 3— 28 und Twelfth century spirituality 27-60.

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Onto-trinitarische Verankerung

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do ut experiar, oder die Frage nach dem intellektiven oder affektiven Grund der Theologie, ist genau der Knoten, den sich der Cloud-Autor geschürzt hat und den er für das späte 14. Jahrhundert zu lösen versucht. Damit ist aber auch der weitere Weg dieser Studie vorgezeichnet: Weil sich der Cloud-Autor mit seinem Werk selbst unter einen systematischen Geltungsanspruch stellt, ist es durchaus legitim, wenn in dieser Studie die Cloud-Texte in einer systematischen Vorgehensweise aufgeschlüsselt werden: Am Beginn muss die theoretische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der mystischen Einung gestellt werden. In einem ersten Schritt hat sich schon gezeigt, wie die mystische Erfahrung „von oben", das heißt von Gott her, ermöglicht ist. In einem zweiten Schritt muss nun gefragt werden, wie der mystische Aufstieg und die mystische Erfahrung „von unten", das heißt vom Menschen her, ermöglicht sind. Die Darstellung des mystischen Aufstiegs zur Einungserfahrung muss deswegen bei einer anthropologischen Grundlegung ansetzten, psychologische Rahmenbedingungen zeichnen und auf die Gnadentheologie eingehen. Danach kann die praktische Seite des mystischen Wissens der Cloud-Gruppe, nämlich die Theologie der Berufung und die Gebetstheologie entfaltet werden. Anhand des kontemplativen Vollzugs lässt sich schließlich die letzte Etappe des mystischen Aufstiegs darstellen und die mystische Einungserfahrung, das Zentrum des mystischen Wissens der Cloud-Gruppe, genauer bestimmen. Dieser Aufriss lässt zugleich den theologiegeschichtlichen Horizont erahnen, innerhalb dessen die Cloud-Texte zu erschließen sind: Auf dem Hintergrund einer Imago-Anthropologie und geistlichen Psychologie wird im 14. Jahrhundert in England intensiv um die Gestalt von Frömmigkeit, Theologie und um die Relevanz von Erfahrung diskutiert, was sich etwa anhand des Studienbetriebs an den Universitäten Oxford und Cambridge, anhand mittelenglischer Autoren wie Richard Rolle, Walter Hilton, Julian von Norwich und Margery Kempe zeigen lässt. Im Umfeld eines englischen Neo-Augustinismus werden Größen der Gnadentheologie, wie etwa die Erfahrbarkeit Gottes und das Problem der gratia habitualis kontrovers besprochen. Ausgelöst durch einen soziologischen Wandel hinterftagen viele mittelenglische Autoren die konkrete Gestalt der klassischen Konzepte eines aktiven und kontemplativen Lebens in einer Theologie der Berufung. Angestoßen durch Wyclif und die Bewegung der Lollarden beschäftig sich die Theologie des späten 14. Jahrhunderts in England verstärkt mit exegetischen und ekklesiologischen Fragen. Für derartige zeitgenössische Fragen darf man sich einen zumindest impliziten Beitrag des Cloud-Autors erwarten, den es im Folgenden mit aufzuspüren gilt.

Rahmen des mystischen Wissens

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2. Anthropologische Bedingungen der Mystik 2.1 Textarbeit zu den anthropologischen Grundlagen Ein Fundament christlicher Anthropologie, nicht nur im Mittelalter, ist die theologische Ausfaltung von Gen 1, 27. In dieser Schriftstelle wird der Mensch als Bild und Gleichnis Gottes gekennzeichnet - eine Bestimmung, die in der lateinischen Patristik und im lateinischen Mittelalter mit imago und similitude zur Sprache gebracht wird und in der Cloud-Gruppe als ymage und licnes begegnet1. Typisch fur den Sprachgebrauch der Cloud-Gruppe ist, dass sie die Begriffe ymage und licnes nahezu synonym verwendet, und nicht, wie seit Irenäus von Lyon in der lateinischen Tradition weit verbreitet, die beiden Aspekten auf die natürliche und gnadenhafte Ausstattung des Menschen aufteilt2. 2.1.1 Der Mensch als imago creata Zum Phänomen: Gott hat die Schöpfung durch eine Erschaffung nach Seinem Bild ins Sein gerufen und damit eine Ähnlichkeitsrelation konstituiert, zwischen Sich, dem Urbild, und den Geschöpfen, die Ihn je nach ihrem Seinsrang abbilden. Für alle Geschöpfe gilt, dass sie von Gottes Macht, Weisheit und Güte künden, weil sie in ihrem Seinsbestand die Trinität widerspiegeln - wie der Cloud-Autor in Anlehnung an die augustinische Theologie der trinitarischen Appropriationen formuliert3. Dass die Ähnlichkeitsrelation beim Menschen (und beim Engel) in einer einmaligen Weise verwirklicht ist, stellt der Cloud-Autor in einem eigenen Abschnitt zur Imago-Lehre am Beginn der , Wolke des Nichtwissens' heraus4: Weil der Mensch auf einzigartige Weise über alle andere Lebewesen hinaus mit Vernunft und freiem Willen begabt ist5, kann er Gott nicht nur passivisch widerspiegeln, wie die anderen Geschöpfe, sondern er vermag sich 1 2

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Vgl. etwa Cl. (10/24) und Cl. (42/4). Siehe dazu auch HODGSON, The C W X X X V - X X X V I . Vgl. CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 160-161 (Anm. 75/19-20) und RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 202. Zur gängigen Formel „imago in naturalibus, similitudo in in gratuitis" siehe SOLIGNAC, Image et ressemblance 1430-1431. Vgl. D. (115/29-31): , 3 y reson we mowe trace how michty, how wise, and how good he is in his creatures". Die Grundlagen einer Theologie der Appropriationen, die hinter einem solchen Satz stehen, skizziert etwa BONAVENTURA, brev 1, 6 (Quaracchi 5, 214-215): Die potentia bezieht sich appropriativ auf den Vater, die sapientia auf den Sohn, die bonitas auf den Hl. Geist. Vgl. den komplexen Abschnitt in Cl. (10/22 - 11/17), der an dieser Stelle noch nicht in allen Facetten ausgewertet werden kann. Für allgemeine systematische Grundlagen einer ImagoTheologie vgl. SCHEFFCZYK, Der Mensch als Bild Gottes. Vgl. den Abschnitt Cl. (10/29-40) und den Satz aus P.C. (77/2-3): „singulerly endowid with reson aboven alle other beestes".

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als ein aktives Bild zu betätigen. Der Mensch ist dazu berufen, sich in seiner Personalität Gott zuzuwenden, das heißt, sich mit seinem freien Willensvermögen auf Gott, den „Über-Begehrenswerten" und das „höchste Ziel menschlichen Wollens" 1 zuzustreben. Die Möglichkeit eines solchen Liebesaufstiegs zu Gott kann gerade die Bestimmung imago Dei, das heißt Bild des dreifaltigen Gottes, erhellen: Der Mensch ist gottesfahig und kann Gott erfahren, weil er durch seine Gottesebenbildlichkeit auf Gott hin geöffnet ist. Nur weil Gott aber in Jesus Christus, der authentischen Entäußerungsgestalt Gottes, dem Menschen entgegenkommt, greift die menschliche Offenheit nicht ins Leere und kann an ihr Ziel gelangen2. Auch wenn die Bestimmung imago in erster Linie an der menschlichen Seele abgelesen werden kann, beschränkt sich die Würde des Abbildes nicht ausschließlich auf die seelische Dimension. Weil die Seele mit dem Leib geeint ist, wurde der Leib als angemessener Ausdruck für das Sich-dar-Leiben der Seele geschaffen 3 . Der menschliche Leib ist wunderschön und im Gegensatz zum Körper des Tieres aufgerichtet, um die menschliche Berufung zum Liebesaufstieg zu symbolisieren4. Mit der Verwendung von ymage und licnes steht der Cloud-Autor auf der Seite einer Vielzahl mittelenglischer geistlicher Texte: Zwar bildet der Topos nicht eine Zentralkategorie der geistlichen Weisung, so dass man von einer besonders akzentuierten ImagoTheologie sprechen könnte, wie etwa bei Walter Hilton 5 ; doch die geistliche Weisung wird immerhin auf einer soliden schöpfungstheologischen Grundlegung aufgebaut. 2.1.2 Die Seele als imago trinitatis Wenn der Mensch gemäß der Offenbarung als Bild des trinitarischen Gottes zu bestimmen ist, dann müsste im menschlichen Personenkern eine trinitarische Bildstruktur zu finden sein - so folgert Augustinus. In diesem Sinne hat Augustinus in seinem 1 2

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Vgl. Cl. (10/20-21): „streche into the soverein-desirable and into the heichest wilnable thing, the whiche is God." Cl. (10/22-24). Zu dieser Stelle, insbesondere zum Begriff „mete" als „Angemessenheit" im Sinne einer Proportionalitätsanalogie vgl. CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 33 (Anm. 18/13-15). Zur Leib-Seele-Einheit vgl. P.C. (107/19-31) und Cl. (50/14-17): „And God forbede that I schuld departe that God hath couplid, the body and the spirit; for God wil be servid with body and with soule, bothe togeders, as seemly is, and rewarde man his mede in blis bothe in body and in soule." Zur systematischen Bedeutung der Leiblichkeit für die Gottesebenbildlichkeit vgl. SCHLOSSER, Cognitio et Amor 15-19. Cl. (63/20-24). Der Topos lautet bei HUGO VON Β ALMA, sion lug (SCh 409, 104): „Oportunus tarnen iste specialiter est quod corpus totaliter sit erectum et facies versa ad coelum superius, quia, secundum dispositionem adfectionum animae, necesse est esse conformitatem corporis et secundum dispositionem actionis spiritui respondentem." Weitere Angaben zum geistesgeschichtlichen Hintergrund mit Ovid, Augustinus und Isidor von Sevilla bietet CLARK, Notes on 'The Cloud of Unknowing' 203 (Anm. 113/20-24). Vgl. CLARK, Image and Likeness in Walter Hilton 204-220.

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Rahmen des mystischen Wissens

Werk ,De trinitate' im Rahmen einer psychologischen Bewusstseinsanalyse Ternare herausgearbeitet1: Das Verhältnis der drei göttlichen Personen zur einen göttlichen Wesenheit findet eine psychologische Bildentsprechung im Verhältnis der drei Seelenkräfte oder Potenzen memoria-intelligentia-voluntas zur einen Seelensubstanz2. Eine ähnliche Analyse entwickelt Augustinus für die innertrinitarischen Hervorgänge: Der Ternar mens-notitia-amor bildet die Trinität nicht durch Potenzen auf gleicher Ebene, sondern durch die Seelensubstanz selbst {mens) und mittels zweier Hervorgänge (notitia, amor) ab3. Als Fazit einer solchen trinitarischen //wago-Anthropologie könnte man formulieren: In der menschlichen Seele gibt es gemäß einer trinitarischen Bildentsprechung die drei Seelenvermögen memoria-intelligentia-voluntas, wobei die memoria dem Vater, die intelligentia dem Sohn, die voluntas dem Geist entsprechen. Betrachtet man die trinitarischen Hervorgänge aus dem Vater, so kann man sagen, die menschliche Geistbegabung als mens entfalte sich analog dazu in zwei Basispotenzen, dem intellektivkognitiven und affektiv-voluntativen Vermögen. Diese beiden Ternare (bzw. der aus beiden Gedankengängen synthetisierte Ternar) können in ihrer Bedeutung für eine mittelalterliche Anthropologie kaum überschätzt werden4, wenngleich in der scholastischen Literatur auch besondere anthropologischerkenntnistheoretische Fragen diskutiert werden, die über diese Grundlegung hinausgehen. Zahlreiche Schriften mit einer Multiplikatoren-Funktion haben dazu geführt, dass das augustinische Dreierschema als Allgemeinwissen präsent ist. Als Grundlage einer volkssprachlichen Rezeption kommen etwa der vielgelesene, handbuchartige pseudoaugustinische ,Liber de spiritu et anima' in Frage5, oder aber konkrete Texte geistlicher Weisung von Bernhard von Clairvaux, weiterer zisterziensischer Autoren, den Viktorinern, Bonaventura, Hugo von Balma oder Heinrich Seuse. Bei der Umsetzung in die Volkssprache wird die feine Nuancierung einzelner augustinischer erkenntnistheoretischer Begriffe oft vergröbert; konkurrierende Schemata werden bisweilen angeglichen und eingeebnet. Selbst Umstellungen bleiben nicht immer aus, wie ein mittelenglischer Traktat belegt, der in einer Handschriftensammlung mit Cloud-Texten zusammenge-

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Vgl. AUGUSTINUS, trin (CCL 50-50A), hier zum Beispiel 10, 11, 17 (CCL 50, 329) und 14, 8, 11 (CCL 50, 436); weitere Stellenangaben und Deutung der Theologumena bei SCHMAUS, Die psychologische Trinitätslehre 235-281. Vgl. SCHMAUS, Die psychologische Trinitätslehre 235-264. Vgl. SCHMAUS, Die psychologische Trinitätslehre 265-281. Siehe dazu BELL, Tripartite Soul 16-50; JAVELET, Image et ressemblance 1401-1451; JAVELET, Psychologie des Auteurs Spirituels; OTTO, Funktion des Bildbegriffes·, SCHLOSSER, Cognitio et Amor, SCHMAUS, Die psychologische Trinitätslehre 419. Für die englische Mystik siehe RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 198-208. Vgl. PSEUDO-AUGUSTINUS, spir an 7 (PL 40, 784); 13 (PL 40, 789) und die etwas breitere Ausführung 35 (PL 40, 805-806).

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bunden wurde1. Originell und ein gewisser kurioser Höhepunkt der Umsetzung dieses Theologumenons in den volkssprachlichen Horizont ist die Inszenierung der Personifikationen des augustinischen Ternars als mittelenglisches geistliches Theaterspiel2. Die mittelenglische Begrifflichkeit des augustinischen Ternars ist überaus vielgestaltig. Sie begegnet beispielsweise in den geistlichen Schriften von Walter Hilton, im ,Mirror of Simple Soul', bei Julian von Norwich und im schon erwähnten geistlichen Spiel ,Wisdom who is Christ'3. In der Cloud-Gruppe findet sich der Ternar als myndewitte-wille, als mynde-reson-wille oder in den beiden Basispotenzen witte-wille, resonwille und reson-ajfeccion im ganzen Werk verstreut4. Anders als in manchen mittelenglischen Schriften wird der augustinische Ternar in der Cloud-Gruppe nicht nur begrifflich verwendet, sondern als Theologumenon auch systematisch eigens aufgefaltet, wie das etwa am Anfang und am Ende der ,Wolke des Nichtwissens' geschieht5. Bei der Ausdeutung des augustinischen Ternars blendet der Autor zudem das anthropologische Viererschema, das Richard von St. Victor in seinem wirkungsgeschichtlich wichtigen ,Beniamin minor' entwickelt hat, mit ein6. Im Rahmen einer allegorischen Exegese der Jakobsfamilie deutet Richard von St. Victor Jakob als Gott, dem auf der Seite des Menschen Seelenpotenzen gegenüber stehen, nämlich Rachel als ratio, Lea als affectio, Bala als imaginatio und Silpa als sensualitas1. Durch die geschickte Kombination des augustinischen Ternars mit den Seelenpotenzen Richards ergibt sich ein Fünferschema

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In dem Traktat, den CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 67-69 abdruckt, werden die drei Seelenpotenzen, die drei theologischen Tugenden und die drei göttlichen Personen in einer von der augustinischen Tradition abweichenden Weise aufeinander bezogen. Zur Umsetzung des Ternars und des Seuseschen Horologium Sapientia als „morality play" vgl. RIEHLE, English Mysticism and Morality Play 202-211. Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 43 (Bestul, Zeile 1150): „mynde-resoun-will"; MACROPLAYS (EETS 262, 120/17): „mind, understonding, will". Zum ,Mirror' und zu Julian siehe RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 200. Zum vollständigen Ternar vgl. etwa Pr. (104/12) und Cl. (64/7-8). Zur Begriffs Verbindung „witte and wille" vgl. Cl. (9/14) und (44/8); für „reson and wille" vgl. Cl. (64/17; 31; 34); B.M (129/4); für „reson and affecioun" vgl. Cl. (9/33-34) und (25/38-39), aber auch B.M. (129/4). Die systematische Ausdeutung des Topos findet sich ansatzweise in Cl. (10/29-40) und umfangreicher in Cl. c 62-63 (64/6 - 65/18). Einige theologiegeschichtliche Hinweise zum letzteren Abschnitt bieten CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 204 (Anm. 115/1 - 115/10-12); HODGSON, The Cloud XXXV-XLI; 159 (Anm. 10/33-34); WALSH, Cloud of Unknowing 173. Das literarkritische Problem einer möglicherweise sekundären Einfügung des erkenntnistheoretischen Abschnitts in Cl. c 64 diskutieren CLARK, Introduction 11-12; HODGSON, The Cloud 172 (Anm. 64/6 - 66/28); WALSH, Cloud of Unknowing 173 (Anm. 1). Für die systematische Deutung steht allerdings wenig auf dem Spiel: Die relevanten Begriffe begegnen in der ganzen Cloud-Gruppe; sie könnten mit dem gleichen Ergebnis im Horizont der normativen lateinischen Begrifflichkeit gedeutet werden. Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 3 - 6 (PL 196, 3-5) und das mittelenglische Äquivalent in der Cloudgruppe in B.M. (129-131).

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aus drei Haupt- und zwei Nebenvermögen: mynde-witte(reson)-wille und ymaginaccioun-sensualite1. In der bisherigen Literatur zur CIoud-Gruppe werden zwar diese augustinisch-viktorinischen Topoi gewürdigt und das erkenntnistheoretische Vokabular der Cloud-Gruppe ist sogar mit den lateinischen und griechischen Äquivalenten in Beziehung gesetzt und aufgelistet worden2. Die vorliegenden Übersetzungsvorschläge zeigen hingegen, dass die Herausarbeitung der präzisen inhaltlichen Aussageabsicht dieses Theologumenons innerhalb der Cloud-Texte immer noch ein Desiderat ist3. Das scheint um so wichtiger zu sein, als das Verständnis der mystischen Einungserfahrung nach dem Konzept des Cloud-Autors wesentlich vom Verständnis der erkenntnistheoretischen Grundlagen und Begriffe abhängt. Die erwähnte Differenzierung der Geistseele des Menschen in drei Haupt- und zwei Nebenvermögen4 muss daher an dieser Stelle aufgelistet und im Detail besprochen werden. a) Mynde\ lat. memoria/mens Mynde bezeichnet in einem ersten und ausgezeichnetsten Sinne die geistige Selbstgegenwart der Seele als ein vorgängiges Bei-sich-Sein oder Sich-selbst-Haben und damit den Quellgrund für den konsistenten Bewusstseinsstrom, das gegenständliche Bewusstsein und das Gedächtnis. Analog zu den innertrinitarischen Emanationen des Sohnes und des Geistes entspringen dieser geistigen Mitte die kognitiv-intellektive und affektiv-voluntative Basispotenz, mittels derer der Mensch zum personalen Vollzug geöffnet ist. In diesem Sinne ist die mynde gleichsam das integrierende Zentrum der menschlichen Personalität, in dem in einer besonderen Weise die Transzendenzfähigkeit des Menschen situiert ist5. In einem weiteren Sinne, nämlich unter der Perspektive der memoria, ist die mynde der geistige Ort, wo sich die Zeitlichkeit des Menschen zeigt: Hier hat der Mensch 1

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Vgl. HODGSON, The Cloud XXXVII: „By including these last two the ,Cloud Author' superimposed upon St. Augutine's triad the fourfold scheme of,Benjamin Minor' cc III—VI" und NORQUIST, Glossary 32-34. Vgl. die sorgfältige Arbeit von LEES, Negative Language 201-232. Die Übertragung der mynde mit „Gemüt" in MASSA, Kontemplative Meditation 105 und RIEHLE, Die Wolke 138-139 könnte beim unbedarften Leser leicht falsche Assoziationen auslösen. Das „Urgedächtnis" bei MASSA, Wolke 127 ist ohne einen erläuternden Zusatz nur schwer verständlich. Die genauere Funktionsweise von intellektiv-kognitiver und affektiv-voluntativer Basispotenz wurde in den bisherigen Untersuchungen noch nicht eigens dargestellt. Zum Grund der Differenzierung vgl. Cl. (64/22-26), insbesondere „Not for a soule is departable, for that may not be; bot for alle thoo thinges in the whiche the worchen ben departable, and somme principal, as ben alle goostly thinges, and som secundary, as ben alle bodily thinges." Für das Verwurzeltsein von intellektiver und affektiver Potenz in der mynde vgl. etwa Cl. (64/1621). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe auch CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 204-205 (Anm. 115/1 - 115/19-20) und HODGSON, The Cloud 172 (Anm. 64/6 66/28) und XXVI-XXXVII.

Anthropologische

Bedingungen

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Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; hier kann der Mensch zurückgreifen und sich erinnern, vorausschauen und planen, oder sich seine Gegenwart reflexiv zu Bewusstsein bringen. Hier ist der Mensch derjenige, der er in seiner konkreten Zeitlichkeit ist 1 . In einem letzten und ganz anschaulichen Sinne ist die mynde das menschliche Aktualbewusstsein 2 , das heißt der geistige Ort, an dem die konkreten Gehalte des theoretischen und praktischen Bewusstseins konstituiert sind 3 . In der Cloud-Gruppe ist diese letzte Bedeutungsnuance der mynde

als Aktualbewusstsein zentral 4 . Das Aktualbe-

wusstsein ist der geistige Ort des Gebetes, der Meditation und der Kontemplation 5 ; die „Region", in welcher der Mensch mit seinen Bewusstsein umgehen und arbeiten kann 6 . Hinsichtlich einer theologiegeschichtlichen Bewertung der Begriffsverwendung von mynde in der Cloud-Gruppe ist festzuhalten: A l s Personalitätszentrum eignet der mynde/mens

eine besondere Gottesunmittelbarkeit, w i e in einem breiten Traditionsstrom -

bei Augustinus, im ,Liber de spiritu et anima', bei Wilhelm v o n St. Thierry, bei Achard v o n St. Victor und bei Bonaventura - betont wird 7 . A u c h in der Cloud-Gruppe kommt die mynde als transzendenzfahiges Personalitätszentrum zur Sprache. D e m Cloud-Autor 1

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An diesem Ort wird dem Menschen Zeit gegeben, auf die er mit dem Verstand und mit seinem Willensvermögen Acht haben muss, vgl. Cl. (10/1 - 13/22); hier hat der Mensch „mynde of wrechidnes", vgl. Cl. (24/5-6), und „mynde of joies of heven", vgl. Cl. (21/27-28). HODGSON, The Cloud XXXVI-XXVII kommentiert: „It not only knows itself as existent, but also contains the past and the present, the memory of concrete things and sensations as well as abstract ideas, likewise the tenets of faith, and the results of the investigation of reason and the experiences of emotions." Vgl. vor allem P.C. (75/19): „worching mynde". Siehe aber auch die Begriffsverbindungen P.C. (75/29): „thi mirour and thi mynde hole"; Cl. (15/10): „biyng to mynde"; Cl. (18/29): „is in the mynde"; Cl. (25/40): „specyal mynde" und der gängige Ausdruck „mynde of..." für gegenständliches Bewusstsein, der in der ganzen Cloud-Gruppe Verwendung findet. Zur theoretischen Bewusstseinsdimension vgl. Cl. (13/40-41): „thynking and mynde of a creature"; zur praktischen Bewusstseinsdimension vgl. Cl. (66/37): „thou feiist thi mynde" und Cl. (55/20) mit „mynde" als „herte". In der ,Wolke des Nichtwissens' begegnet etwa der Begriff mynde 45-mal. Nur in cc 63-66 wird mynde als psychologisches Organ behandelt, an allen übrigen Stellen, also rund 40-mal, erscheint mynde als Aktualbewusstsein in der Form „mynde of..." Vgl. etwa Cl. (13/40-41): „mynde of creature"; Cl. (14/3): „God in thi mynde"; Cl. (15/7): „mynde of His passion"; Cl. (19/18): „mynde of seinte and goostly thinge"; Cl. (19/29): „mynde of aungel". Der Mensch kann sein Aktualbewusstsein konzentrieren, vgl. Cl. (25/40): „specyal mynde"; er kann es lenken, vgl. Cl. (62/20): „directe thi mynde upward"; es kann sogar besetzt sein, vgl. Cl. (8/30): „mynde ocupied". Vgl. besonders BONAVENTURA, itin 1, 4 (Quaracchi 5, 297): „Secundum hunc triplicem progressum mens nostra tres habet aspectus principales. Unus est ad corporalia exteriora, secundum quem vocatur animalitas seu sensualitas; alius intra se et in se, secundum quem dicitur spiritus; tertius supra se, secundum quem dicitur mens." und PSEUDO-AUGUSTINUS, spir an 11 (PL 40, 786): „mentem dicimus, quae ita facta est ad imaginem Dei, ut nulla interposita natura ab ipsa veritate formetur: Mens enim ex eo dicta est quod emineat in anima." Zum erwähnten theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. EMERY, Cloud of Unknowing 58-59 und 62-65.

Rahmen des mystischen Wissens

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liegt aber in Anlehnung an Dionysius Pseudo-Areopagita besonders am Herzen, heraus zu stellen, dass sich die eigentliche ekstatische Gotteserfahrung oberhalb der mynde1 in der „höchsten Spitze des Geistes" oder dem „tiefsten Grund des Geistes" ereignet 2 . Die mynde ist also höchstens Bedingung der Möglichkeit, nicht aber eigentliches „Organ" einer ekstatischen Gottesbegegnung. Auf diesem Hintergrund einer gewissen Limitierung der mynde darf man vielleicht auch die Begriffsverwendung des Cloud-Autors sehen: Die mynde begegnet in der Cloud-Gruppe selten im Sinne eines geistlichen Höchstleistungsorgans sondern meist im Sinne des konkreten Aktualbewusstseins 3 . b) Wittelunderstondyng/reson;

lat.

intelligentialintellectuslratio

Mit diesen Begriffen umschreibt der Cloud-Autor in einem ersten und weitesten Sinne das ganze, in sich durchaus differenzierte Phänomen der kognitiv-theoretischen Bewusstseinsdimension: Das theoretische Bewusstsein ist ein Ort des inneren GelichtetSeins 4 an dem ein Erkenntnisgegenstand zur Gegebenheit kommen kann. Die intellektiv-kognitive Basispotenz ist gleichsam ein inneres Auge 5 , mit dem ein Seiendes geistig erfasst wird und sich dabei erschließt. Der Blick dieser Basispotenz wendet sich dem Seienden in seiner Erkennbarkeit, das heißt als ein ens ut cognoscibile zu. Der mittelenglische Begriff reson als Äquivalent fur ratio meint einerseits dasjenige Organ der intellektiv-kognitiven Dimension, welches sich vornehmlich diskursiv, abstraktiv und reflexiv betätigt, also den denkenden Verstand des Menschen. In Anlehnung an Richard von St. Victor kann reson andererseits auch die intellektiv-kognitive Basispotenz in ihrer Gesamtheit meinen, ohne die diskursive Komponente eigens zu betonen 6 . Witte und understondyng als Äquivalente für intellectus bzw. intelligentia7 stehen für dasjenige Vermögen der intellektiven Basispotenz, welches die reson übertrifft, weil es nicht so sehr im diskursiv-logischen Durchgang oder mittels reflexiver Arbeit erkennt, 1 2 3

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Vgl. etwa P.C. (85/21) und H.D. (125/1-2): „aboven mynde". Vgl. Cl. (41/12-13): „the hichest and the souvereyntest pointe of the spirit" und (41/24-25): „the depnes of spirit". EMERY, Cloud of Unknowing 58-59 und 62-65 betont zwar die augustinische Tradition der Gottesunmittelbarkeit der mens und ihren Einfluss auf die Cloud-Gruppe, berücksichtigt aber kaum den ebenfalls vorhandenen pseudo-dionysischen Zug zur Limitierung der mens. Vgl. Cl. (9/33): „by licht of understonding in thi reson" und Cl. (25/38): „bi licht of understondyng in hir reson". Vgl. Cl. (13/42): „iche of thi soule"; (39/38): „the iche of thi soule is thi reson"; und den umfangreichere Abschnitt von D. (115/29 - 116/6). Zur reson als niedrigeres, diskursives Vermögen vgl. H.D. (123/8-13), wo die reson gleich einer Magd ihrer Herrin, der schauenden Vernunft („beholdyng" oder „understondyng"), unterworfen ist. Zur reson als gesamte intellektiv-kognitive Basispotenz vgl. die Begriffsverbindung „reson and wille" in Cl. (64/17; 31; 34) und in B.M (129/1-11). Reson für intelligentia findet sich freilich auch bei Walter Hilton. Vgl. die entsprechenden Stichwörter im Glossar von HODGSON, The Cloud 225-226.

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sondern als schauend-begreifende Vernunft einen Gegenstand betrachtet, mit einem einfachen Schaublick {simplex intuitus) erfasst und sich einprägt1. Es wäre zweckdienlich, in deutschen Übersetzungen von Cloud-Texten zu einer einheitlichen Sprachregelung zu gelangen. Im Rahmen dieser Studie wird an die kantische Erkenntnisterminologie angeknüpft und reson konsequent als „Verstand", witte/understondyng als „Vernunft" übersetzt2. Eine von witte/intellectus abweichende Konnotation will der Plural wittes oder die Begriffsverbindung goostly wittes zum Ausdruck bringen: Die beiden Terme bezeichnen nicht den eben genannten einheitlichen Schaublick des Intellekts, sondern die intellektiv-kognitive Basispotenz, insofern sie im sukzessiven Durchgang durch Einzelmomente zur Erkenntnis gelangt. Man kann bei diesen goostly wittes, den inneren, geistigen Sinnen (im Unterschied zu den leiblichen Sinnen), an verschiedene Anknüpfungspunkte denken: Thomas von Aquin kennt etwa vier sensus inferiores (sensus communis, vis imaginativa, vis cogitativa, memoria sensitiväf. Vielleicht am nächsten an den Cloud-Texten sind die pluralen, kognitiven Gehalten, die Richard von St. Victor in seinem ,Beniamin minor' der intellektiven Potenz zuschreibt4, während Walter Hilton, im Unterschied zum Cloud-Autor, alle drei Seelenvermögen den goostly wittes zuschlägt5. Für die Begriffsverwendung der Cloud-Gruppe bleibt auf alle Fälle der fragmentierte, plurale, aspekthafte, ja zerstreute Charakter der goostly wittes festzuhalten. Wesentlich ist dabei die Abweisung eines möglichen Missverständnisses: Die goostly wittes sind ein Teilbereich der intellektiv-kognitiven Basispotenz6 und dürfen nicht mit den sensus spirituales, den geistlichen Sinnen der augustinisch-franziskanischen Tradition, identifiziert oder verwechselt werden7. Im Deutschen bietet es sich daher an, die goostly wittes immer mit „inneren Sinnen" zu übersetzen, während der deutsche Aus1

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Vgl. HODGSON, The Cloud XXXVIII: „Understanding denotes an .inner sight', a grasp of some inherent siginificance, e.g. through true meditation on the Scriptures the intelligence is illumined by grace with understanding." Die höchste Möglichkeit der schauenden Vernunft als understondyng ist die Schau der rationes aeternae, wobei sie den Bereich und die Akte des denkenden Verstandes übersteigt, vgl. H.D. (123/10-13). MASSA, Wolke, 128 überträgt reson mit „Verstand"; RIEHLE, Die Wolke 140 hingegen mit „Vernunft". Vgl. SERTILLANGES, Thomas von Aquin 584-594 mit Stellenangaben und Besprechung. Vgl. B.M. (129/5-6): „Of reson springeth rieht counselles and goostly wittes" und RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 3 (PL 196, 3): „ex illa spirituales sensus". Vgl. WALTER HILTON, sc perfl, 31 (Bestul, Zeilen 2123-2125): „on withoute of the fy ve bodili wittes, anothir withinne of the goostli wittes, the whiche aren propirli the myehtis of the soule, mynde, reson and wille." Vgl. P.C. (120/11): „thi goostly wittes, the whiche ben clepid thin understandable worchinges". LEES, Negative Language, 216 zeigt, dass in der De-Mystica-theologia-Paraphrase der lateinische Begriff intelligibilia vom Cloud-Autor mit „mow be knowen by thi goostly wittes" übertragen wird. Siehe HODGSON, The Cloud, 156 (Anm. 6/41) und BALTHASAR, Herrlichkeit 3,1,2 443 (insbesondere Anm. 3).

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druck „geistliche Sinne", wider die scheinbare Entsprechung mit dem Mittelenglischen, den sensus spirituales vorbehalten werden soll1. Eine mögliche Alternative wäre indes die Übertragung als „geistige Sinne", im Unterschied zu den „geistlichen Sinnen" der sensus spirituales - eine Differenz, die hernach noch diskutiert werden muss. Richtet man abschließend das Augenmerk auf die konkrete Begriffsverwendung von understondyng, witte und (goostly) Wittes in der Cloud-Gruppe, so fallt auf: JJnderstondyng wird nur an ziemlich wenigen Stellen im Sinne des intellectus verwendet, während dieser Begriff im ,Mirror of Simple Soul' oder im geistlichen Spiel , Wisdom who is Christ' sogar innerhalb des augustinischen Ternars erscheint2; in der Cloud-Gruppe hat understondyng oft nur die Bedeutung „Verständnis"3. Witte begegnet in der CloudGruppe kaum in seiner Reinform4, sondern tritt fast ausschließlich in pejorativen Begriffsverbindungen mit der Fehlhaltung der eitlen Neugierde, der coriouste, oder aber im Plural als (goostly) wittes auf. Dieser charakteristische Befund ist später eingehend zu diskutieren5. c) Wille/affeccioun/herte; lat. voluntas!affectus Mit diesen Begriffen umschreibt der Cloud-Autor in einem ersten und weitesten Sinne den ganzen Bereich der praktischen Bewusstseinsdimension: Das praktische Bewusstsein ist der Ort des menschlichen Geistes, an dem sich das Sein bezüglich seiner Werthaftigkeit erschließt, das heißt als ein ens ut appetibile. Die affektiv-voluntative Basispotenz wendet sich dieser Werthaftigkeit des Seienden zu, um es empfmdendwertschätzend zu berühren. Wille und das synonym verwendete herte6 als Äquivalent für voluntas/affectus ist einmal die Freiheitsbegabung des Menschen selbst, das heißt das intentionale Vermö1

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Vielleicht sollte man auch im modernen Englisch den Begriff spiritual senses, den CLARK, Notes on 'The Book of Privy Counselling' 25 (Anm. 144/20) verwendet, besser durch inner senses ersetzen. Vgl. MARGARETA PORETE VERSIO ANGLIC A, mirr (Doiron, 3 3 5/29-31): „memoire-undirstondinge-wille"; MACRO-PLAY (EETS 262,120/17): „mind-understanding-will". „Understondyng" als intellectus begegnet beispielsweise in Cl. (25/38) und H.D. (123/12). Die häufigere Konnotation „Interpretation", „Verständnis" und „Auffassung" findet sich etwa in D. (111/10). In der ,Wolke' begegnet witte in einem neutralen Sinne eigentlich nur in der Begriffsverbindung „witte and wille" wie etwa in Cl. (9/14) und (44/8). Selten ist auch das sprachlich verwandte, substantivierte Partizip Aktiv „wetyng", das sich beispielsweise in Cl. (19/14; 23) findet. Zur vielschichtigen Begriffsverwendung von witte siehe auch CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 21 Anm. 16/5). „Coriouste of witte" begegnet in der ,Wolke' zwölfmal, so etwa in Cl. (47/19); (47/24) und (47/39). „Wittes" als Plural findet sich beispielsweise in Cl. (12/39^t0). Vgl. Cl. (20/11): „the goostly herte, that is to sey the wile". Zum herte siehe CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 2 (Anm. 1/2); zur mystagogischen Dimension TIXIER, Mystique et Pedagogie 96-98.

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gen der Geistseele, einen freien Akt des Strebens auf einen Gegenstand hin (oder eine Fluchtbewegung von einem Objekt weg) zu setzen. Der Wille in diesem Sinne ist also ein Strebeorgan, das eine aktuale Strebebewegung (affectus ut motus) hervorbringt1. Eine solche Strebebewegung ist freilich im lebensweltlichen Vollzug nicht als nackter Akt gegeben, sondern vollzieht sich im Horizont der menschlichen Emotionalität. In einem solchen zweiten Sinne ist wille, herte oder affeccioun ein Empfindungsorgan, durch das sich die im Strebeakt immer mitgegebene Empfindungsqualitäten (affectus ut sensus) erschließen2. Eine solche Differenzierung ist unter anderem für eine deutsche Übertragung wichtig: Den schwierigen Begriff der affeccioun als Potenz müsste man aufgrund der obigen Überlegung ziemlich schwerfällig als „Strebe- und Empfindungsvermögen (des menschlichen Personalitätszentrums)" übertragen; als Akt wäre die affeccioun also eine „Herzensregung oder -strebung" beziehungsweise „Empfindungsqualität eines Strebeaktes". Der flüssigen Lesbarkeit wegen wird man sich je nach Kontext fur „Herzensregung" oder „Empfindung" entscheiden. Die Übersetzung des Empfindungsaspektes mit dem im Deutschen noch unspezifischeren Wort „Gefühl" ist allerdings nicht zu empfehlen3. Richten sich die intellektiv-kognitive und affektiv-voluntative Basispotenz auf körperliche Gegenstände, die sich außerhalb der Seele und vom Seinsrang her unter ihr befinden4, so benötigen die beiden Hauptpotenzen zwei Nebenpotenzen, die ihnen durch die ,»Fenster und Türen der fünf Sinne"5 die sinnenfällige Welt zutragen6.

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Einige Belege für unterschiedliche Begriffsverbindungen von Strebeorgan und Strebeakt: Cl. (9/31): „wille and entent". Cl. (9/2); (10/15); (10/25-26): „wille and desire". Cl. (10/13-14); (11/6); (34/10); (39/11-12): „wille and steryng". Cl. (1/4): „herte and entent". Cl. (7/38); (49/56); (51/3): „herte and desire". Cl. (9/12); (15/25-26); (39/11-12); (51/3): „herte and steryng". Zum Empfindungsorgan und Empfindungsakt vgl. Cl. (18/10); (19/2); (25/38); (33/21): „affecioun and felyng". „Feie" und „felyng" als Einzelbegriffe sind in der Cloud-Gruppe inflationär, allein in der ,Wolke' begegnet es rund 150-mal. RIEHLE, Die Wolke, 146 übersetzt etwa Cl. (68/23): „Wonderfuly is a mans affeccion varied in goostly felyng of this noucht" mit „Auf wunderliche Weise ändert sich das Gefühl des Menschen bei der geistigen Erfahrung dieses Nichts". Präziser wäre jedoch: „Auf wundersame Weise ändert sich die Empfindungsqualität der menschlichen Herzensregung bei der geistlichen Wahrnehmung dieses Nichts". Vgl. Cl. (63/36-64/14). Vgl. D. (113/25); Cl. (9/6-7); (50/22); (51/7) und P.C. (95/3-4) mit Wendungen wie „bi windowes of thi bodily wittes" oder „the windowes and the dore". Siehe dazu auch die prägnante Formulierung bei AUGUSTINUS, in psalm 147, 10 (CCL 40, 2146): „Per quinque enim ianuas intrat aliquid per corpus ad animam" und die Angaben bei CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 18-19 (Anm. 15/19); HODGSON, The Cloud 157 (Anm. 9/6-7). Vgl. B.M. (129/17-20). „And insomoche ben thees maydens needful to theire ladies that withouten hem alle this woreld mycht serve hem of noucht. For whi of all these outward bodeli thinges, withouten ymaginacioun reson may not knowe, and withouten sensualite affeccioun may not feie."

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d) Ymagynacioun; lat. imaginatio Weil der Mensch Geist in Welt ist, kann die intellektiv-kognitive Basispotenz für gewöhnlich nur innerhalb einer Bildstruktur tätig werden. Die ymaginacioun ist die zu dieser Potenz gehörende Einbildungskraft, die entweder einen sinnlich gegebenen Gegenstand „einbildet" und ihn der Vernunft zur geistigen Wesenserkenntnis vorstellt oder aber nicht aktuierte Erkenntnisgegenstände des Gedächtnisses verbildlicht, damit sie aktual zu Bewusstsein kommen können1. Interessant ist aber auch hier ein genauerer Blick auf den Kontext der Begriffsverwendung: Nur in einem knappen erkenntnistheoretischen Abschnitt, der von Richard von St. Victor inspiriert ist, wird die Einbildungskraft einigermaßen sachlich beschrieben. Im Gesamt der Cloud-Gruppe kommen die positiven Funktionen der imaginatio, die in der geistlichen Theologie Richards eine große Rolle spielen, kaum zur Sprache2. Ähnlich wie beim Begriff witte(s) überwiegen bei Weitem pejorative und polemische Begriffsverbindungen, meist in Verbindung mit der eitlen Neugierde coriouste3. e) Sensualite\ lat. sensualitas Auch die affektiv-voluntative Basispotenz ist nicht ohne eine sinnliche Komponente denkbar. Die sensualite ist die zum Strebe- und Empfindungsvermögen gehörende sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, deren Wirkbereich durch die fünf körperlichen Sinne abgesteckt wird. Sie richtet sich nach außen auf sinnlich gegebene Gegenstände und nach innen, um die Befindlichkeit des Leibes empfindend wahrzunehmen. Dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen erschließt sich sinnliche Werthaftigkeit nach den Kriterien „angenehm" und „unangenehm". Es ist damit wesentlich auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet4. Als Fazit lässt sich festhalten: Der Cloud-Autor skizziert in Anlehnung an die traditionellen Topoi der augustinisch-viktorinischen Erkenntnislehre, die auch in anderen mittelenglischen Schriften als gängige Topoi begegnen (so bei Walter Hilton, Richard Rolle, Margery Kempe, Julian von Norwich, im ,Mirror of Simple Soul' und in Wisdom who is Christ'), eine Imago-Anthropologie. Für die Cloud-Gruppe sind allerdings folgende Besonderheiten auszumachen: Unter mynde versteht der Cloud-Autor bisweilen das integrierende Zentrum menschlicher Personalität, in den meistens Fällen aber

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Vgl. Cl. (65/20-22): „Imagynacion is a micht thorow the wiche we portray alle ymages of absent and present thinges. And bothe it, and the thing that it worcheth in, ben contened in the mynde" oder B.M. (129/17-20). Siehe dazu auch HODGSON, The CloudXXXVIII. Siehe dazu MINNIS, Sources 67-70 mit Stellenangaben und Diskussion. Vgl. etwa Cl. (12/40-41): „ymaginacion travayle in coriouste"; Cl. (13/14-15): „ymagin with coriouste of witte"; Cl. (52/32): „corious and ymaginatyve wittes" und Cl. (66/1): „with coriouste of ymaginacion". Vgl. Cl. (66/3-15) und B.M. (129/17-20).

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lediglich das konkrete Aktualbewusstsein. Dem Personalitätszentrum entspringt einerseits die intellektiv-kognitive Basispotenz. Organe dieser Potenz sind die vorstellende Einbildungskraft (ymaginacioun), der denkende Verstand (reson) und die schauende Vernunft (witte, understondyng). Interessant ist hierbei, dass ymaginacion und witte relativ häufig, dann aber in polemischen Wendungen, meist mit coriouste, dem Begriff für die eitle Neugierde, vorkommen 1 . Dem Personalitätszentrum entspringt andererseits die affektiv-voluntative Basispotenz. Organe dieses Vermögens sind die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit (sensualite), das intentionale Strebevermögen (wille, herte) und ein wertfühlendes Empfindungsvermögen (affeccioun, wille, herte). Herte und wille, die Strebequalitäten entent und steryng, die Empfindungsqualitäten felyng und affecioun gehören zu den am häufigsten verwendeten erkenntnistheoretischen Ausdrücken in der Cloud-Gruppe 2 . Will man die mystische Erfahrung nach der Konzeption der Cloud-Gruppe darstellen, so ist es aus hermeneutischen Gründen am sichersten, von genau dieser in der Cloud-Gruppe benutzten und zugespitzten /mago-Anthropologie auszugehen. 2.1.3 Horizontaler Intellekt und vertikaler Affekt Um einigen Besonderheiten des erkenntnistheoretischen Vokabulars in der CloudGruppe, die sich in der obigen Besprechung der psychologischen Organe myndewitte(reson)-wille-ymaginaccion-sensualite schon abgezeichnet haben, weiter auf die Spur kommen und sie theologiegeschichtlich einordnen zu können, muss nun die Funktionsweise der beiden Basispotenzen noch genauer in den Blick genommen werden: Erkennen als unio cognitionis ist ein geistiges Berühren eines Seienden, bei dem es sich erschließt. Die „Teilnahme" am Gegenstand geschieht sensitiv-imaginativ (ymagynacioun), abstraktiv-diskursiv (reson) oder im schauend-begreifenden geistigen Kontakt (witte/understonding). Der Akt des intellektiven Kenntnisnehmens kann als ein Bestimmen, Begreifen, Erhellen, Ausleuchten und Ausloten des sich erschließenden

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Eine selbst durchgeführte überblickartige Wortfeldstatistik für die ,Wolke' ergibt in etwa folgende Werte: Außerhalb der deskriptiven Kapitel Cl. c 62-66 begegnet ymaginacioun 14-mal, jedes Mal in einer „polemischen" Begriffsverwendung, davon 7-mal in einer Begriffsverbindung mit coriouste. Außerhalb der deskriptiven Kapitel Cl. c 62-66 tritt reson 12-mal auf, fast immer in sachlichen und „unpolemischen" Zusammenhängen. Witte findet sich in der ,Wolke' 28-mal; 16mal in einer „polemischen" Begriffsverwendung, davon 13-mal in einer Begriffsverbindung mit coriouste. Understanding begegnet insgesamt nur 3-mal im Sinne eines Bereichs der intellektiven Potenz. Bei einer Auszählung ergeben sich für die ,Wolke' in etwa folgende Werte: Sensualite begegnet in der ,Wolke' nur innerhalb der „deskriptiven" Kapitel von Cl. c 62-66. Wille begegnet 35-mal, herte 39-mal, affecioun 7-mal; der Akt entent 14-mal, steryng 60-mal. Felyng findet sich in der ,Wolke' rund 150-mal. Den größeren Horizont einer „mittelalterlichen Kultur des Herzens", der hinter einem solchen onomastischen Befund steht, beleuchtet ANGENENDT, Geschichte der Religiosität 248-251 und bietet weitere Literaturhinweise.

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Gegenstandes gekennzeichnet werden. Der innere Blick erfasst sozusagen die Form und Struktur eines Gegenstandes und prägt sie sich begreifend ein

(comprehensiof.

Im Mittelenglischen ist für den begreifenden intellectus ein breites Wortfeld mit „komprehensivem Vokabular" vorhanden: kunne = erkennen; knowe = wissen; understonde = verstehen; gete = erfassen; holde = wissend haben, behalten, begreifen; witte = wissen, verstehen; trace = ausloten, durchmessen; thinke = denken, bedenken; comprehende = begreifend erfassen; etc.2 Der Besitz des Erkenntnisgegenstandes ist kein reales Haben; er besagt keine wirkliche Einverleibung oder reales Vollziehen des Gegenstandes, sondern meint vielmehr, dass man ein Bewusstsein von ihm hat - gleichsam seine Form wissend besitzt 3 . Der unio cognitionis ist dabei immer eine gewisse Distanz zu eigen, w e s w e g e n das Sich-Erschließen eines Erkenntnisgegenstandes und der geistige Besitz auch fast beiläufig geschehen können, ohne das Herz des Menschen tiefer zu formen. Die unio amoris hingegen vollzieht sich in der Bewegung auf das Objekt des Strebens hin. Durch die Überwindung der Distanz zum Gegenstand wird bei der affectio eine größere Angleichung und intimere Berührung als beim Erkenntnisprozess erreicht. Das bewusste Wollen aktiviert als vis motiva das geistige Herz; es prägt und formt damit die menschliche Seele viel nachdrücklicher als ein Erkenntnisakt. Das Haben des erstrebten Gegenstandes (bzw. das Gehabt-Werden von ihm) zeigt sich hierbei vor allem in einer intentionalen Mithabe und zunehmenden Aufeinander-zu-Gestaltung. Oder kurz: Der affectus ut motus bewegt sich durch einen intentionalen Strebeakt auf das Objekt zu, dem affectus ut sensus geht dabei die Werthaftigkeit des Objektes empfmdend-verkostend auf. Auch den Akten der affektiv-voluntativen Potenz entspricht im Mittelenglischen ein umfangreiches Wortfeld: Strebeakte der Willensbegabung sind entent = intentionaler Strebeakt, desiryng = verlangendes Ausgreifen, steryng = Willensimpuls oder Willenregung. Dazugehörige Verben sind wille = wollen; wante = wollen; love = lieben; longe = ersehnen; liste = ersehnen, erstreben; schete = anzielen; hite = berühren, treffen; chese = wählen; taste = erschmecken; etc. Die im Strebeakt mitkonstituierte Empfindungsqualität wird in der Cloud-Gruppe oft mit den gleichen Begriffen ausgedrückt, am häufigsten freilich mit der Vokabel fele/felyng . Bis-

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Zur Lehre der species impresso als „clere beholding ... preented in the reson" vgl. Cl. (16/24—25) und die Anmerkung bei CLARK, Notes on 'The Cloud of Unknowing' 69 (Anm. 30/3-5). Vgl. D. (115/9): „thoucht, getyn, trasid"; (115/17-18): „trasing, sekyng, getyn, lerned"; P.C. (84/34): „resonable trasing"; Cl. (10/28): „comprehende"; (14/23): „getyn and holden". Zu den einzelnen Begriffen siehe auch das Glossar von HODGSON, The Cloud 203-228; zur Deutung XXXVII-XXXVIII. Vgl. H.D. (120/22-23): „al thing that may be knowen by the propre fourme in thi knowing". Vgl. für entent: Cl. (1/4); (9/31). Für desire·. Cl. (7/38); (9/2); (10/15); (10/25-26); (49/5-6); (51/3). Für steryng: Cl. (9/12); (10/13-14); (11/6); (15/25-26); (34/10); (39/11-12); (39/11-12); (51/3). Zum Empfindungsakt affecioun andfelyng: Cl. (18/10); (19/2); (25/38); (33/21). Feie und felyng als Einzelbegriffe sind in der Cloud-Gruppe inflationär, allein in der , Wolke' begegnen sie rund 150-mal. Zu den einzelnen Termen, insbesondere zu den Verben, siehe auch das Glossar von HODGSON, The Cloud 203-228, zur Deutung XXXVIII-XXXIX.

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weilen spielt die Cloud-Gruppe auch auf traditionelle Schemata zur Systematisierung von Strebeakten und deren Empfindungsqualitäten an1.

Trotz der aufgezeigten Unterscheidbarkeit laufen die beiden Basispotenzen im lebendigen Vollzug nicht isoliert nebeneinander her, sondern stehen in einem dialogischen Verhältnis2: Die Vernunft kann sich nicht nur spekulativ auf das Erkennbare überhaupt, sondern als praktische Vernunft auf dessen Werthaftigkeit beziehen. Der intellectus practicus legt also dem affektiv-voluntativen Vermögen ein Werturteil vor, aufgrund dessen die voluntative Potenz wählt und auf das sich der Strebeakt stützt3. Als Fazit lässt sich festhalten: Die intellektiv-kognitive Basispotenz wendet sich der Erkennbarkeit des Seienden zu. Sie bringt den Erkenntnisakt hervor, der gleichsam wie ein Blick aus der Distanz die Fülle des Seienden geistig berühren will, um es sich wissend-begreifend einzuprägen. Die affektiv-voluntative Potenz wendet sich der Werthaftigkeit des Seienden zu. Sie bringt einen Strebeakt hervor, um das Seiende zu erlangen und sich mittels des Empfindungsvermögens mit dessen Werthaftigkeit zu vermählen. Trotz einer solchen Unterscheidbarkeit sind die beiden Potenzen nicht voneinander zu trennen: Wollen setzt Erkenntnis voraus, Wollen beeinflusst Erkennen. Beide Potenzen sind - etwa durch den intellectus practicus - wechselseitig miteinander verschränkt. Als imago Dei bezieht sich der Menschen mit seinen beiden Potenzen nicht nur auf welthafte Gegenstände, sondern ist gerade auch auf Gott ausgerichtet4. Auffallend ist aber die Akzentsetzung der Cloud-Gruppe, wenn sie die erkenntnistheoretischen Grundlagen einer möglichen Gotteserfahrung darstellt: Die intellektiv-kognitive Basispotenz kommt in den Cloud-Texten fast nur als begrifflich-konstruierendes, begreifendes und kaum als schauendes Vermögen zur Sprache. Die Cloud-Gruppe kennt, anders als etwa Walter Hiltons, keine explizite Differenzierung in eine ratio inferior und ratio superior, die mit der ganzen Geistseele auch der intellektiven Potenz eine gewisse Zweidimensionalität verleihen würde; im Unterschied zu anderen mittelenglischen Autoren kommt der Begriff understanding verhältnismäßig selten vor. Das funfgliedri-

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Zu den sieben Grundaffekten vgl. B.M. (131/5) und HODGSON, The Cloud XXXIX; 196 (Anm. 131/5). Siehe hierzu etwa auch die Verhältnisbestimmung und Verschränkung der beiden Potenzen, die LANGER, Affekt und Ratio 136-150 und LECLERCQ, Desiderio e intelletto 4 7 - 5 5 besprechen. Vgl. Cl. (65/1-19). Vgl. Cl. (10/31-40) und das Summarium der Gotteserkenntnis bei HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 409, 206): „Notandum quod duplex est modus apprehendendi, secundum duplicem naturalem potentiam pertingendi ad Deum. Nam quaelibet anima habet potentiam intellegendi, et haec est potentia intellectus, et potentia amandi, quae adfectus dicitur; quibus Deum apprehendit, qui est summa Veritas et summa bonitas: Unde intellectu apprehendimus veritatem, adfectu adtingimus bonitatem." Vgl. WALTER HILTON, sc per/2, 13 (Bestul, Zeilen 658-633): „For thou schalt undirstonde that a soule hath two parties. The toon is called the sensualite ... That tothir partie is callid reson, and that is departid on two - the overe partie and the nethere partie." Siehe dazu auch RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 200-201.

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ge Aufstiegsschema der intellektiv-kognitiven Basispotenz - sensus-imaginatio-ratiointellectus-mtelligentia - , das Richard und Hugo von St. Victor in ihrer geistlichen Theologie zur Beschreibung der Komplexität und Mehrdimensionalität dieser Potenz verwenden1, wird vom anonymen Cloud-Autor gerade nicht übernommen, was in Anbetracht der sonstigen Rezeption viktorinischer Theologie durchaus denkbar gewesen wäre. Man kann also sagen, dass der Cloud-Autor die intellektiv-kognitive Basispotenz bewusst eindimensional konzipiert, wodurch der Kontrast zwischen einer gewissen Horizontalität des intellectus und einer Vertikalität des affectus besonders scharf hervortritt. Daher wird in der mystischen Theorie der Cloud-Gruppe dem affektivvoluntativen Vermögen bei der noch darzustellenden Gotteserfahrung aufgrund seiner dynamischen Zielgerichtetheit und Fähigkeit zur Distanzüberwindung sicherlich eine ganz besondere Rolle zukommen2. Insofern das kognitiv-intellektive Vermögen zur natürlichen Grundausstattung des Menschen gehört und in einem dialogischen Verhältnis zur affektiv-voluntativen Potenz steht, lässt sich vermuten, dass auch der kognitive Aspekt (nicht aber zwangsläufig der intellektive Anteil) eine konstitutive Funktion innehaben muss. 2.1.4 Die drei Blicke Person-Sein bedeutet, nicht nur das zu sein, was man eben so ist, sondern auch, wie und wozu man sich verhält. Die Befähigung eines solchen personalen Sich-Vollziehens liegt in der intellektiven und affektiven Basispotenz begründet, durch die dem Menschen die Welt erschlossen ist. Je nach der Art der Bezüge dieser Potenzen können verschiedene Felder differenziert werden: In drei verschiedenen Perspektiven kann sich die eine Geistbegabung des Menschen entweder hinunter auf sinnlich gegebene Erkenntnisgegenstände, hinein in sich selbst oder hinauf zu Gott richten. Dieses Schema eines dreifachen Blickes ad extra, ad intra und ad supra begegnet in der Cloud-Gruppe an zahlreichen Stellen3. Dahinter steht die augustinische Tradition der drei Seelenaugen, die besonders durch viktorinische und bonaventurianische Texte verbreitet wurde, und versucht, die erwähnte Dreidimensionalität der menschlichen Lebenswelt bildhaft zu beschreiben: Der oculus carnis ist Organ für die Außenwelt, der oculus rationis Organ

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Vgl. HUGO VON ST. VICTOR, misc 1, 15 (PL 177, 485): „Quinque sunt progressiones cognitionis: prima est in sensu, secunda in imaginatione, tertia in ratione, quarta in intellectu, quinta in intelligentia." Zur mittelalterlichen Theologiegeschichte des affectus vgl auch CHATILLON, Cordis Affectus 2288-2300. Den affectus bei Bernhard von Clairvaux beleuchtet KÖPF, Religiöse Erfahrung 136-143. Für den affectus bei Hugo von Balma siehe RUELLO, Statut et Röle 1-46. Die Priorität des affectus in der mystischen Theorie der Cloud-Gruppe stellt STROLLO, Primacy of Love 7 3 6 758 heraus. Vgl. Cl. (17/34-41); (29/19 - 30/29); (63/36 - 64/14); (66/29 - 67/28).

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für die Innenwelt und der oculus contemplationis Organ, um sich Gott kontemplativ zuzuwenden1. Man könnte denken, dass die vorgestellte Dreidimensionalität die Nichtrezeption der ratio inferior und ratio superior in der Cloud-Gruppe kompensieren könnte und die intellektive Potenz dadurch doch noch eine gewisse vertikale Komplexität erhalte. Interessant ist aber auch in diesem Zusammenhang die Akzentverschiebung des CloudAutors bei der Rezeption dieses traditionellen Theologumenons: Erstens übernimmt der Cloud-Autor das Schema der drei Perspektiven oder Ebenen, ohne auf ein „Auge" zu verweisen. Man kann sagen, dass der Autor zwar an der Dreidimensionalität, nicht aber an deren visuellen Charakter interessiert ist. Eine weitere Limitierung des geistigvisuellen Bereichs fallt zudem beim Vergleich mit eventuellen Vorlagen auf: In der geistlichen Weisung von Bonaventura werden die drei Blicke zur Systematisierung des gesamten geistlichen Weges genutzt. Allen drei Augen werden im Rahmen eines Aufstiegsschemas eine Funktion innerhalb des geistlichen Weges zugewiesen2. Anders der Cloud-Autor: Er stellt den Temar in den Kontext einer Theologie der Berufung. Die drei Ebenen sind die drei BeWährungsfelder des christlichen Glaubenslebens: Die Ebene ad extra ist das Feld der Weltzuwendung und der tätigen Weltgestaltung. Die Ebene ad intra ist der gewöhnliche Bereich des allgemeinen Glaubenslebens, das in Selbstbesinnung, Glaubensunterweisung und Bibelmeditation Ausdruck findet; sie kann allenfalls als Vorbereitung zur Kontemplation gelten. Allein die Ebene ad supra entspricht dem eigentlichen geistlichen Wirken, zu dem die Cloud-Gruppe anleiten will, während die Ebenen ad extra ganz und die Ebene ad intra zumindest größtenteils außerhalb dieses Bereiches liegen3. Man darf auch hier von einer Limitierungstendenz des CloudAutors sprechen, die zu einer gewissen Eindimensionalität und Beschränktheit der intellektiven Basispotenz führt. Aus diesem Grund kann der Cloud-Autor, wie hernach noch zu zeigen ist, den eigentlichen Kern der contemplatio aus dem Bereich der intellectuals operationes herausschälen.

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Vgl. die Kurzformel bei RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 55 (PL 196, 40): „Extra nos corporalia, intra nos spiritualia, supra nos divina" oder die sytematische Entfaltung BONAVENTURA, brev 2, 12 (Quaracchi 5, 230): „Propter quam triplicem visionem triplicem homo accepit oculum, sicut dicit Hugo de sancto Victore, scilicet carnis, rationis et contemplationis: oculum carnis, quo videret mundum et ea quae sunt in mundo; oculum rationis, quo videret animum et ea quae sunt in animo; oculum contemplationis, quo videret Deum et ea quae sunt in Deo; et sie oculo carnis videret homo ea quae sunt extra se, oculo rationis ea quae sunt intra se, et oculo contemplationis ea quae sunt supra se." Für den Verweis auf Hugo siehe HUGO VON ST. VICTOR, sacr 1, 10, 2 (PL 176, 329-330).

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Vgl. BONAVENTURA, itin 1, 4 (Quaracchi 5, 297). Vgl. Cl. (17/34-41) und (29/19 - 30/29). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund dieser Stellen vgl. auch EMERY, Cloud of Unkowing 54-56.

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2.1.5 Erbsündliche Schädigung als deformatio imaginis In einem ersten Schritt kam der Mensch und Gott unter Ausklammerung der Heilsgeschichte gleichsam in einer Beschreibung der dramatis personae vor dem eigentlichen Theaterstück zur Darstellung. Diese Abstraktion ist problematisch, weil es für die theologische Reflexion keinen Standpunkt außerhalb der Heilsgeschichte geben kann; wenngleich diese Grundlegung notwendig war, kann die Anthropologie des CloudAutors erst durch die Berücksichtigung der heilsgeschichtlichen Bedingungen verständlich werden. a) Deformatio imaginis in der Cloud-Gruppe Imago-Sein bedeutet, als imago tätig zu sein, das heißt, sich mit seinem Erkennen und Lieben dem göttlichen Urbild zuzuwenden und dadurch seinen Bildcharakter aktiv zu vollziehen. Der Akt der Ursünde ist eine (unter der Versuchung des Widersachers) aus dem Hochmut erwachsene, willentliche Aufkündigung eben dieses Vollzugs, der nicht eine dem Menschen nur mögliche und irgendwie äußerliche Bestimmung, sondern Wesensvollzug der imago ist1. Eine solche Willensentscheidung des Menschen, die einen Widerspruch zu Gottes Schöpfungsplan und Selbstwiderspruch darstellt, kann nicht ohne Folgen bleiben. Was der Mensch in der willentlichen Abkehr von Gott aufgab, gehörte nicht ihm, so dass er es nach seinem Willen rechtens aufgeben konnte. Aus der Annihilation der Sünde resultiert nicht ein Nichts, sondern weniger als Nichts2. Es fehlt, was der Mensch Gott schuldet und deshalb nicht fehlen dürfte. Die Wirkungen dieses Sündenfalls sind gravierend, wie der Cloud-Autor in ganz unterschiedlichen Kontexten in der Cloud-Gruppe verdeutlicht3: Die erbsündliche Schädigung hat einmal eine kosmologische Dimension. Der Kosmos ist an sich kreatürliche Selbstdarstellung Gottes und war als Vollzugsraum des menschlichen Imago-Seins bestimmt. Durch den Sündefall ist der Mensch aus dieser Ordnung herausgefallen. Die Schöpfung hat ihre Durchsichtigkeit auf Gott eingebüßt und die einzelnen Geschöpfe richten sich jetzt gegen den Menschen4. 1

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Vgl. Cl. (11/9-12): „For this is the werk, as thou schalt here after, in the whiche man schuld have contynowed chif he never had synned, and to the whiche worching man was maad and alle thing for man" und eine mögliche lateinische Vorgabe bei HUGO VON ST. VICTOR, arc Noe prol (PL 176, 619-620). Vgl. Cl. (67/17-18 ): „wilfully with synne madest thiself wors then noucht". Vgl. Cl. (10/15-21); (19/30 - 21/12); (35/9-31); (37/34-^1); (39/37 - 40/10); (43/20-36); (64/15 - 66/28). Vgl. Cl. (35/23-31): „bot in pyne of the original sinne it schal evermore see and feie that somme of alle the creatures that ever God maad ... wilen evermore prees in mynde bitwix him and God. And this is the richtwise dome of God, that man, when he had souvereynte and lordschip of alle creatures, forthi that he wilfully maad him underloute to the steryng of his soiettes, levyng the biddyng of God and his maker, that rieht so after whan he wolde fulfille the bidding of God, he see and fele that alle the creatures that schuld be bineeth him proudly prees aboven him".

Anthropologische Bedingungen

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Weil der Sündenfall aber ein Willensentscheid war, an dem alle psychologischen Basispotenzen mitgewirkt haben, ist die erbsündliche Beschädigung vor allem an der psychologisch-erkenntnistheoretischen Ausstattung des Menschen ablesbar. Der CloudAutor hat seine Imago-Anthropologie anhand des Ternars von Augustinus und einiger Topoi aus Richard von St. Victors ,Beniamin minor' erstellt. Auch für die konkrete Darstellung der habituellen Schädigung der menschlichen Seelenpotenzen stützt er sich wieder auf augustinisch-viktorinische Vorlagen1: Die intellektiv-kognitive und affektivvoluntative Basispotenz sind schwach und kraftlos geworden, weil sie durch den Sündenfall die besondere Gegenwärtigkeit Gottes verwirkt haben. Der intellectus ist durch die Erbsünde so verblendet, dass er insbesondere die Aufgaben der praktischen Vernunft nicht mehr zuverlässig erfüllen kann2. Der affectus als Strebeorgan lässt sich in seiner Wahl täuschen, hat die Herrschaft über die einzelnen Herzensregungen und Willensimpulse verloren3. Die Zerrüttung lässt sich auch an den Nebenpotenzen feststellen: Die imaginatio ist durch den Sündenfall gegenüber der Vernunft, ihrer Herrin, rebellisch geworden und formt unkontrollierbare Bilder und Wahnvorstellungen. Auf dem Hintergrund der Theologie von Richard von St. Victor kann man die Einbildungskraft als eine „notorische Schwätzerin" bezeichnen4. Die sensualitas wendet sich mit ihren unstillbaren Begierden gegen das Willensvermögen und lässt sich nicht mehr leiten. Mit Richard von St. Victor darf man die Krankheit der sinnlichen Strebekraft als „erbsündlich bedingte Trunksucht" diagnostizieren5. Doch nicht nur die psychologische Ausstattung, auch die leibliche Dimension ist durch den Sündefall beschädigt worden6. Der ganze Mensch, in allen leiblichen und seelischen Aspekten, hat die seinem Wesen gemäße Ausdrucks- und Vollzugsgestalt durch eine Deformation verloren7. Die Folge des Sündefalls lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Der Mensch ist in seinem Selbst erkrankt8. Der augustinische Term für einen solchen in sich selbst verkrümmten und verkrüppelten Menschen lautet homo incurvatus\ er wird in der mittelenglischen 1

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Für die viktorinische Vorlage vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 3-6 (PL 196, 3-5). Für die bonaventurianische Analyse der deformierten imago siehe SCHLOSSER, Cognitio et Amor 84-98. Vgl. Cl. (65/5-6): „Bot now it is so blendid with the original synne that it may not kon worche this werk bot chif it be illumined by grace". Vgl. Cl. 64 (65/15-17): „For ofttymes, bicause of infeccion of the original synne, it savoreth a thing for good that is fill yvel". Vgl. Cl. (65/26-31): „it will never sese, sleping or waking, for to portray diverse unordeynd ymages of bodely creatures; or elles sum fantasye, the whiche is noucht elles bot a bodely conseyte of a goostly thing, or elles a goostly conseyte of a bodily thing. And this is evermore feynid and fals and anexte unto errour" und B.M. (129/21-26). Vgl. Cl. (66/25-28): ,,wil it wrechidly and wantounly welter, as a swine in the myre, in the welthe of this woreld and in the foule flessche so mochel, that alle oure levyng schal be more beestly and fleschly then outher manly or goostly" und B.M. (129/26 - 130/10). Vgl. Cl. ( 4 4 / 1 5 - 4 5 / 1 9 ) und P.C. (83/32-33). Vgl. B.M. (144/4): „disfygurid with the derknes of synne". Vgl. P.C. (77/27-28): „thi seek self as thou arte".

58

Rahmen des mystischen Wissens

Instruktionsliteratur als crokid man breit rezipiert und findet sich auch in der CloudGruppe1. Die vorgestellte Schadensanalyse ist keinesfalls eine bloße Bestandsaufnahme. Die Ursünde ist Prototyp jeder konkreten Aktualsünde. Nur wer die Struktur der Ursünde verstanden hat, kann auch seine konkreten Tatsünden und die in seinem Herzen aufsteigenden Sündenregungen einordnen und ist ihnen nicht mehr schutzlos ausgeliefert2. Um diese Gebrochenheit anschaulich zu machen, bedient sich der Cloud-Autor traditioneller Theologumena aus der Bußpastoral: In der Cloud-Gruppe findet sich etwa das Schema der sieben Wurzelsünden, das zwar nicht allzu breit entfaltet wird, aber immerhin die monastische und scholastische Lehre getreu wiedergibt: Der Mensch kann in seinem personalen Selbstvollzug fliehen, was er nicht fliehen soll. Weigert sich der Mensch Enttäuschungen anzunehmen als das, was sie sind, nämlich als das Aufdecken von Täuschungen, so entsteht Zorn. Wird das Gut eines anderen Menschen nicht als dessen Gut akzeptiert, so entsteht Neid. Wird der Anruf eines Wertes, ihn zu verwirklichen, ertötet, so verliert das Leben seine fruchtbare Spannung und verkümmert zur Trägheit. Der Mensch kann aber auch erstreben, was er nicht erstreben soll. Bemächtigt sich der Mensch seiner Begabung, die Geschenk und Aufgabe ist, als Besitz, so verfallt er dem Stolz. Erstrebt er Güter der Schöpfung über seine wahren Bedürfnisse hinaus, so ist das Habgier beziehungsweise Unmäßigkeit. Isoliert er die geschlechtliche Lust aus dem Gesamtkontext der christlichen Liebe, so ist das Unkeuschheit3. Ein anderes Theologumenon ist aus einer Predigt von Bernhard von Clairvaux entlehnt: Der gefallene Mensch wird von drei destruktiven Geistwesen, dem Satan, dem Geist der Welt und dem Geist des Fleisches, belagert. Diese drei Feinde wollen ihn in seine erbsündliche Krankheit einspinnen und seine gnadenhafte Gesundung verhindern4. Neben solchen eher komplexen Gedanken begegnen in der Cloud-Gruppe auch zahlreiche traditionelle Einzelterme der augustinischen, gregorianischen, bernhardischen oder viktorinischen Tradition, die in der gesamten mittelenglischen Frömmigkeitslitera-

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Vgl. Cl. (22/2): „crokid" und Cl. (63/24): „crokid goostly". Zum augustinischen pravus und curvatus siehe AUGUSTINUS, in psalm 9, 15 (CCL 38, 66; 247-248; 505). Bei WALTER HILTON, sc perfl, 28 (Bestul, Zeilen 1809-1814) wird die Verkrümmung am Bild eines krummen Astes erläutert. Siehe dazu auch CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 103-104 (Anm. 39/16). Vgl. Cl. (37/37-39): „For oute of this original synne wil alday sprynge newe and fresche sterynges of synne; the whiche thee behovith alday to smyte doun, and besy to schere awey with a scharpe double-eggid dreedful swerde of discrecion." Vgl. Cl. (20/13-36) und den scholastischen Hintergrund bei BONAVENTURA, brev 3, 9 (Quaracchi 5, 237-238) und THOMAS VON AQUIN, STh I-IIq 84 a 4 (Ed. Paul., 914-915). Vgl. Sp. (147/1 - 153/33) als Paraphrase zu BERNHARD VON CLAIRVAUX, serm de div 23 und 24 (Leclercq 6/1, 178-186). Zur Theologie der drei Feinde, zum augustinisch-bernhardischviktorinischen Hintergrund und die Verbreitung des Theologumenons nach dem 4. Laterankonzil vgl. WENZEL, Three Enemies 47-66.

Anthropologische

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Bedingungen

tur rezipiert werden: Die Sünde ist „Morast" und „Misthaufen" 1 , sie besitzt eine „im Boden gründende Wurzel" 2 , sie entspricht einem „entstellenden Fleck im Gesicht ( i m a go)"3, peccati

b)

sie ist „Sündenrost" 4 und „Sündenkloß" 5 . Selbst der Sündenzunder, der

fomes

der scholastischen Theologie, findet in der Cloud-Gruppe Erwähnung 6 .

Englische Bußfrömmigkeit und die Cloud-Gruppe

Das 4. Laterankonzil v o n 1215 ist ein wichtiger Schlüsselpunkt für die volkssprachliche Rezeption einer Bußtheologie, zu welcher die vorgeführte destructio

imaginis

zu zählen

ist. Wenn alle Gläubigen, das heißt Frauen und Männer jeder Gesellschaftsschicht, verpflichtet sind, mindestens einmal im Jahr das Sakrament der Beichte zu empfangen, dann müssen auch die Paradigmen einer Beicht- und Bußtheologie - also Tugend- und Lasterschemata, der Topos der drei Feinde, Beichtspiegel und Anweisung zur Selbstbeobachtung - einem breiteren Kirchenvolk in lingua

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oder sub lingua

ei

nota

zugänglich gemacht werden 7 . A b der Mitte des 13. Jahrhunderts hat sich im Gefolge

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Vgl. Cl. (25/28-29): „foule stynkyng fen and donghille of hir synnes" und P.C. (77/11-12): „foule stinking wreche by synne". Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. Ps. 113, 7: „et de stercore erigens pauperem" und GREGOR DER GROSSE, mor 3, 19, 34-35 (CCL 143, 137138). Der Topos begegnet auch bei WALTER HILTON, ep adquemdam (AC 124, 254/105). Vgl. Cl. (35/14—15): „the rote and grounde of synne". Auf biblischem Substrat fußend (etwa 1 Tim 6, 10) diskutiert die monastische und scholastische Theologie über die superbia und cupiditas als Sündenwurzel. Auf Mittelenglisch begegnet der Topos der Sündenwurzel beispielsweise bei WALTER HILTON, sc perf\, 42 (Bestul, Zeilen 1104-1147). Zum theologischen Hintergrund siehe auch CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 101 (Anm. 38/15-16). Vgl. Cl. (40/5-6): „foule spot is on his visage". Vgl. P.C. (92/7-8): „grete rust of boistous bodelynes" und Cl. (24/10): „rust of oure synne". Zur lateinischen rubigo siehe GREGOR DER GROSSE, in ev 2, 25, 2 (PL 76, 1191); in cant 5 (CCL 144, 8) und HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 408, 176): „a rubiginis peccatorum", (SCh 408, 212): „rubigine consumpta", (SCh 409, 268): „peccatorum rubiginem". Mittelenglische Belege finden sich etwa in ANCRENE WISSE (EETS 249, 95): „ruhe of sinne" und bei WALTER HILTON, sc perfl, 28 (Bestul, Zeile 1814): „rüste of unclennese". Vergleiche CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 113 (Anm. 43/16). Siehe Cl. (40/30-31); (40/31-32); (43/29-30); (44/10-11); (45/34-35); (46/39-40); (69/5-6): „synne a lumpe". CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing', 154 (Anm. 73/15-16) verweist auf die Äquivalente „massa" und „moles" in den lateinischen Rückübersetzungen. Man darf daher diesen Topos verbinden mit AUGUSTINUS, ench 27 (CCL 46, 64): „massa damnata" und GREGOR DEM GROSSE, mor 31, 27, 53 (CCL 143, 1588): „moles"; BERNHARD VON CLAIRVAUX, cant 36, 4, 5 (Leclercq 2, 7): „moles". WALTER HILTON, sc perfl, 52 (Bestul, Zeilen 1476-1498) kennt einen ähnlichen Topos, faltet ihn aber zu einer elaborierten Sündenlehre auf. Vgl. Cl. (37/37-38). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 94 (Anm. 35/22). Vgl. BARRAT, Works of Religious Instruction 413-432; MILOSH, Scale of Perfection 140-168; PANTIN, English Church in the Fourteenth Century 220-245; PFANDER, Medieval Manuals

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Rahmen des mystischen Wissens

der konziliaren Reformbewegung in England eine blühende volkssprachliche Textlandschaft entwickelt, in der Theologumena aus dem erwähnten Traditionsbestand transportiert werden 1 . Ein gewisses Echo kann man davon in der Cloud-Gruppe durchaus vernehmen. Bei aller möglichen Anlehnung an eine solche Tradition darf jedoch nicht übersehen werden, wie stark sich der Cloud-Autor in seiner geistlichen Unterweisung von eventuellen Vorlagen absetzt. Die Kenntnis der Bußtheologie und der regelmäßige Empfang des Beichtsakramentes werden vom Cloud-Autor als selbstverständlich vorausgesetzt und nur thematisch gestreift 2 . Die Cloud-Texte entwickeln keine eigentlichen Bußbetrachtungen: Weil nach Ps 1 1 3 , 7 Gott den Armen aus dem Schmutz erhoben hat, darf der reuige Sünder nach einer gewissen Zeit der Buße und Reinigung die Betrachtung der Sünde hinter sich lassen. Zwar muss sich der Beter der Tatsache der Sündhaftigkeit immer bewusst bleiben, aber den im Leben begangenen Einzelsünden soll er keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenken 3 ; das Beweinen der eigenen Sünden ist allenfalls ein Anfangsschritt des Gebetslebens 4 . Auch Laster werden in der Cloud-Gruppe nicht breit aufgefaltet und besprochen, sondern nur summarisch abgehandelt; sie werden zu einem Sündenkloß, synne α lumpe, eingefaltet, von dem sich der Beter weg drücken muss 5 . Mit dieser Limitierung der Bußtheologie hat Cloud-Gruppe innerhalb der volkssprachlichen geistlichen Weisung 6 eine gewisse Sonderstellung inne: Der volkssprachliche Autor Heinrich von Lancaster verfasst um 1354 eine Schrift, in der er die Sprache des militärischen Kampfes einsetzt und zum ritterlichen Angriff gegen die Sünden auf-

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243-245; ROBERTSON, Cultural Tradition 162-185; TUGWELL, Ways of Imperfection 152154; TUM A, English Mystics 19-25. Berühmtestes Beispiel einer elaborierten volkssprachlichen Lasterlehre ist DAN MICHAEL VON NORTHGATE, ayenbite (EETS 23). Die Verbreitung der drei Feinde untersucht WENZEL, Three Enemies 47-66. Die sieben Todsünden in der englischen Literatur beleuchtet BLOOMFIELD, Seven Deadly Sins. Weitere volkssprachliche Titel der Instruktionsliteratur, wie etwa ,The Book of Tribulation', .Remedies against Temptations', ,Book of Vices and Virtues', ,Myrour to Lewde Men and Wymmen' und ,Lityl Tretys', und deren Ausgaben werden bei BARRAT, Works of Religious Instructions 413-432 besprochen. Siehe Cl. (40/7-8): „than is this welle Holy Chirche, and this water confession" und P.C. (77/1921): „so that thou have beforetymes, as I suppose thou hast, ben lawefuly amendid of alle thi sinnes in special and in general, after the trewe counseil of Holi Chirche; for elles schalt thou never ne none other by my consent be so bolde to take apon chow this werk." Das Thema des Beichtsakramentes begegnet auch mehrmals in Sp. (151-153). Vgl. Cl. (24/33 - 26/6) und P.C. (77/9-15). Die Weisung knüpft an Ps 113, 7: „et de stercore erigens pauperem" an und hält sich an die systematischen Vorgaben von GREGOR DEM GROSSE, mor 3, 19, 34-35 (CCL 143, 137-138). Vgl. Cl. ( 1 6 / 1 4 - 1 7 / 1 0 ) . Vgl. Cl. (43/21-30): „fille thi spirit with the goostly bemenyng of this worde ,synne', and withoutyn any specyal beholdyng unto any kynde of synne, wether it be venial or deedly: pryde, wrathe or envy, covetyse, slewth, glotenie or lecherye ... And fele synne a lumpe, thou wost never what, bot none other thing than thiself." Ein knappes Portrait zeichnet MURSELL, English Spirituality 177-178.

Anthropologische Bedingungen

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fordert1. Geoffrey Chaucers ,Canterbury Tales' vermitteln volkssprachlichen Adressaten eine ausgefaltete Lasterlehre2. Auch eremitische Texten wie ,Ancrene Wisse' geben einer Bußtheologie mit Lasterschemata, Versuchungen und den dazu gehörigen geistlichen Heilmitteln breiten Raum3. Es verwundert nicht, dass eine vergleichbare Bußtheologie auch in den Texten der Frömmigkeitstheologie des späten 14. Jahrhunderts verhandelt wird. Walter Hilton übernimmt etwa wesentliche Elemente der traditionellen Bußtheologie mit Schemata von Lastern, Versuchungen und Heilmittel in das erste Buch seiner ,Scale of Perfection' 4 . Die katechetische Unterweisung findet auch in Bildern, Kunstwerken und geistlichen Theaterspielen mannigfachen Ausdruck5. Was aber könnte der Grund sein, dass der Cloud-Autor derartige Theologumena der Bußtheologie beiseite lässt und eine vergleichsweise schlanke Bußtheologie bevorzugt? Für einen Antwortversuch muss man genauer auf die konkrete Gestalt der zeitgenössischen Bußfrömmigkeit blicken: Das ,Book of Margery Kempe', eine hagiographische Lebensbeschreibung der Margery Kempe, einer Ehefrau und Mutter aus Kings Lynn, die von 1373-1438 lebt und sich nach der Geburt ihrer Kinder zu einem Leben der castitas entschließt, ist ein aufschlussreiches Zeugnis für die laikale Frömmigkeitspraxis des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts6. Die fromme Frau fuhrt ein Leben der devotio, in dem die Bußtheologie eine überaus große Rolle spielt. Ein zentrales Element Margerys Spiritualität ist die Haltung der contritio und compunctio über die Sünden, welche sie ihrem Schöpfer gegenüber begangen hat. Margery bedenkt immer wieder die Fehlhaltungen ihres ganzen Lebens, die ihr Gott während ihrer Betrachtungen vor Augen stellt und bewusst macht7. Sie hat eine ständige mynde of wykydnes8, und aus dieser Sündenmeditation speist sich zumindest teilweise ihre spektakuläre Tränengabe9. Margery muss zeit ihres Lebens über eigene und fremde Sünden heftig wei1 2 3 4

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Siehe HEINRICH VON LANCASTER, liv seyntz med (ANTS 2, 65-66). Vgl. GEOFFREY CHAUCER, cant tal Gruppe 1, parson's tale (Wells-Cole, 512-595). Dieser Themenkomplex wird in immerhin drei der insgesamt acht partes in ANCRENE WISSE 4 - 6 (EETS 249) breit entfaltet. Zur Übernahme von Passagen aus William Fletes ,De Remediis contra Temptaciones' in der ,Scale of Perfection' von Walter Hilton siehe CLARK, Late Fourteenth-Century Cambridge Theology 3; zur Struktur der ,Scale' vgl. SARGENT, Organisation 231-261. Siehe dazu DUFFY, Stripping of the Altars 63-68 und für den größeren Kontext KATZENELLENBOGEN, Allegories of the Vices and Virtues. Zur Biographie von Margery Kempe vgl. BHATTACHARIJ, Earthquake 9-23 und WINDEATT, Book of Margery Kempe 22-30 mit weiteren Angaben. Vgl. etwa BOOK OF MARGERY KEMPE 3 (Staley, 26/246-247): „to have fill plentyows and habundawnt teerys of hy devocyon with greet sobbyngys" und (Staley, 27/291-294): „contrycion and gret compunccyon wyth plentyows teerys and many boystows sobbyngys for hir synnes and for hir unkyndnesse ageyns hir maker. She bethowt hir fro hir chyldhod for hir unkyndnes as ower Lord wold put it in hir mende ful many a tyme." Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 85 (Staley, 196/4935): „mynde of thi wykkydnes". Vgl. BHATTACHARIJ, Earthquake, 39-50. Den theologiegeschichtlichen Hintergrund beleuchtet McENTIRE, Doctrine of Compunction 77-90.

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Rahmen des mystischen Wissens

nen und bricht häufig in ein loud and violent sobbing aus. Dieses Weinen über die Sünde wird ihr von Jesus als Gebetsübung aufgetragen: Es ist ein „Bußkleid des Herzens"1 und Christus selbst unterrichtet den wahren Frommen in dieser Form der contritio2. Margery versucht, ihr Weinen über die Sünden auch theologisch zu untermauern und zu rechtfertigen: Die Anerkennung durch die Eremitin Julian von Norwich und der Verweis auf die Schriften des Eremitenvaters Hieronymus werden im ,Book of Margery Kempe' herangezogen, um den Wert dieses donum lacrymarum, eines durch den Einfluss der göttlichen Gnade hervorgerufenen Weinens, sicher zu stellen3. Margery könnte sich zudem an die Bußtheologie Walter Hiltons in seiner , Scale of Perfection' anlehnen4. Und dennoch hat sich gerade an dieser Bußpraxis Margerys ein lebhafter Streit entzündet. Die abundaunce of contrition, die sich bei der Büßerin zeit ihres Lebens in Aufsehen erregenden Wein-Attacken Luft macht, hat zu einer massiven Kritik geführt5. Etliche Menschen aus dem Umfeld Margerys halten sie für eine fals ypocryte, eine Heuchlerin, die mit ihrer übertriebenen Bußpraxis, ihrer Reue und ihren Weinkrämpfen nur Selbstbestätigung und Ansehen ernten wolle6. Weil Margery zudem ein weißes Bußgewand trägt, interessiert sich schon bald die kirchliche und staatliche Autorität für sie, in der Befürchtung, es könne sich bei Margery um eine heretic, eine vom Gesetz verbotene Flagellantin handeln7. Zwischen der Bußtheologie der Cloud-Gruppe und der Bußpraxis von Margery Kempe lässt sich zwar keine unmittelbare Berührung nachweisen. Und doch gibt uns das ,Book of Margery Kempe' einen wertvollen Einblick in die volkstümliche Bußfrömmigkeit des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts, von der sich der Cloud-Autor offensichtlich absetzten will. Er hat kein Interesse an einer breit entfalteten Sündenmeditation mit Weinen, sondern zielt in seiner mystischen Unterweisung auf die nackte Kontemplation des göttlichen Seins. An einem Punkt stimmt der CloudAutor freilich mit der Volksfrömmigkeit signifikant überein: Das Sakrament der Beichte, das sacrament of schrift, hat für den Cloud-Autor wie für viele andere Verfasser von Texten der Frömmigkeitstheologie eine unverzichtbare Funktion für den geistlichen Weg inne und wird als einziges Sakrament ausdrücklich hervorgehoben8. Diese Betonung kann man auf verschiedene Weise erklären: Weil das 4. Laterankonzil verbindlich 1

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Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 5 (Staley, 31/376-378): „And, dowtyr, thu hast an hayr upon thi bakke. I wyl thu do it away, and I schal give the an hayr in thin hert that schal lyke me mych bettyr than alle hayres in the world." Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 64 (Staley, 153-154). Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 18 (Staley, 52/926 - 56/1044). Zum theologischen Hintergrund des donum lacrymarum vgl. auch ADNES, Lärmes. Vgl. BHATTACHARIJ, Earthquake 44-^5. Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 72 (Staley, 166/4080 -167/4127). Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 3 (Staley, 28/297): „many men seyd she was a fals ypocryte and wept for the world for socowr and for wordly good." Vgl. WINDEATT, Book of Margery Kempe 318-319 (Anm. 48/6). Siehe CI. (40/7-8); P.C. (77/19-21) und Sp. (151-153).

Anthropologische Bedingungen

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vorschrieb, das Sakrament der Beichte mindestens einmal pro Jahr zu empfangen, wurde die Beicht- und Bußtheologie ein Hauptthema der volkssprachlichen Instruktionsliteratur1. Einen großen Aufschwung erfährt die Beichte aber im Gefolge der großen Pestwelle von 1348/1349 und wird insbesondere innerhalb einer Ars-moriendi-hitexabx breiter behandelt. Die Betonung des Sakraments der Beichte in der Cloud-Gruppe dürfte aber, neben solchen Anregungen, auch mit einer Frontstellung gegen Wyclif und die Lollarden zusammenhängen. Der Cloud-Autor scheint mit seiner Hochschätzung der Beichte dieses Sakrament vor den Angriffen und der Ablehnung Wyclifs und der Lollarden in Schutz nehmen zu wollen2. Neben solchen Themen liegt freilich dem Cloud-Autor eine bisher noch kaum erwähnte Störung der intellektiv-kognitiven Basispotenz ganz besonders am Herzen, der nun das Augenmerk gelten muss: In einem erstaunlich breiten und durchgängigen Wortfeld werden die Erkenntnisorgane witte und ymaginaccioun immer wieder mit der coriouste, der „eitlen Neugierde", verknüpft. Diese Begriffsverbindung wird zudem mit pejorativen Ausdrücken wie Hochmut (proude), Täuschungsbild {fantasie), Missverständnis (errour, fals opyniori), Narretei (feynid foly), Verblendung (blindnes), Unsachgemäßheit (boldnes) und Anmaßung (presumcion) illustriert3. 2.1.6 Horizontale und vertikale curiositas Die erbsündliche Schädigung der intellektiv-kognitiven Basispotenz (mit den Organen witte und ymaginaccioun) begegnet in der Cloud-Gruppe in der Form eines relativ komplexen Theologumenons, das oben kurz angerissen wurde. In diesem Kontext fällt immer wieder der Zentralbegriff coriouste (lat. curiositas). Die Position des CloudAutors wird nur klar, wenn die wichtigsten Konnotationen durch Textarbeit erhoben und in eine Begriffsgeschichte der curiositas eingeordnet werden. Angesichts der Fülle von Aspekten, die fur eine Begriffsgeschichte zu berücksichtigen wären, versteht es sich von selbst, dass hier allenfalls eine Skizze geboten werden kann. a) Theologiegeschichtlicher Hintergrund Einen ersten Zugang zum Phänomen eröffnet die Onomastik des lateinischen Begriffes der curiositas. Curiositas meint eine Fehlform des menschlichen Bescheid-WissenWollens. Tertullian etwa erkennt zwar eine iusta curiositas als das notwendige Interesse an Wissen und Bildung an, verurteilt aber die exzessive Neugierde als den eigentlichen Grund der Häresie. Die übermäßige curiositas richtet sich nämlich entweder von Außen gegen den Glauben, indem sie sinnlose Plagiate der wahren Weisheit erstellen

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Siehe BARRAT, Works of Religious Instructions 4 1 3 ^ 3 2 . Zum apologetischen Charakter der Cloud-Gruppe vgl. CLARK, Cloud of Unknowing 283. Vgl. etwa Cl. (16/32-33); (17/1-2); (18/21-23); (47/27); (50/31-32); (53/20); (53/37-38); P.C. (82/11-19); (83/6-9); (86/32-33).

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will, wo man an der Offenbarung Maß nehmen müsste; oder sie überschreitet innerhalb der Theologie die Grenzen des Wortes Gottes, weil sie dort auf falsche Weise Bescheid wissen möchte, wo die Demut des Glauben gefordert wäre1. Auch Augustinus grenzt sich unter dem Stichwort der curiositas von den Wahrheitsansprüchen der heidnischen Denker ab. Augustinus stand schon allein aufgrund eigener Erfahrung die Diastase zwischen dem Wissen der heidnischen Philosophie und der christlichen Weisheit vor Augen und diagnostiziert die Wurzel der vana curiositas als superbia2. Diese Fehlhaltung der ungebührlichen Neugierde behandelt Augustinus etwa auch in der Exegese der Versuchungsgeschichte Jesu: Der Versuchung zum Tempelsprung entspricht die concupiscentia oculorum. In ihr will der Mensch von der Zinne der Augen in das eitle Wissen der niederen Welt hinabspringen3. Die vana curiositas bei Augustinus darf aber nicht als plumpe Wissenschaftsfeindlichkeit missverstanden werden; die Neugier wird erst dadurch zur vana curiositas, der Versuch wird erst dadurch zur Versuchung, dass man mit Gott experimentieren will4. Innerhalb der monastischen Tradition greift man gerne auf solche augustinische Paradigmen, insbesondere auf die Begriffspaare sapientia-humilitas und scientia-superbia oder auf die Formel concupiscentia oculorum zurück. Curiositas ist also auch in der monastischen Theologie das Interesse am Ungehörigen. Die Stoßrichtung des Theologumenons richtet sich im monastischen Horizont freilich nicht so sehr gegen die heidnische Philosophie als gegen den Bereich, der außerhalb der durch die monastischen Gelübde eingefassten Welt liegt5. Bernhard von Clairvaux etwa zählt die curiositas zum ersten Grad der Hochmut, wie man auch an seiner Lehre der drei Blicke sehen kann: Die circumspectio ist ein horizontales Sich-Verzetteln im Bereich der alia, der für den Mönch unnützen und schädlichen Gegenstände. Supraspectio ist der diabolische Überstiegsversuch, in den Bereich der supra einzudringen, obwohl diese geistige Welt nur dem demütigen Glauben, nicht aber einem hochmütigen rationalistischen Bemächtigungsversuch offen steht. Den beiden Fehlformen steht als dritter Blick die perspectio gegenüber. Dieser für den Mönch wesentliche Blick auf die propria bringt Selbsterkenntnis und Glaubenseinsicht hervor6. Schon bei Bernhard und verstärkt seit Hugo von St. Victor wird die curiositas auch auf methodologische Fragen angewandt und findet ab dem 13. Jahrhundert Eingang in

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Vgl. BÖS, Curiositas 85-90; OBERMAN, Contra vcmam curiositate 13-14. Die wichtigsten augustinischen Stellen bespricht BÖS, Curiositas 99-100, hier besonders 100 (Anm. 31). Vgl. AUGUSTINUS, ver rel 38 (CCL 32, 233-234). Besprechung bei BÖS, Curiositas 101-103. Vgl. OBERMAN, Contra vanam curiositatem 19-22 und das Gesamtportrait der augustinischen Position bei BÖS, Curiositas 91-129, hier besonders 100 (Aran. 32). Vgl. BÖS, Curiositas 150-167; CABASSUT, Curiosite 2655-2566; OBERMAN, Contra vanam curiositatem 23. Vgl. BERNHARD VON CLAIRVAUX, grad hum 10, 28-38 (Leclercq 3, 3 8 ^ 7 ) . Zur Zusammenfassung und Deutung vgl. OBERMAN, Contra vanam curiositatem 23-24.

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die universitäre Scholastik. Im scholastischen Diskurs wird unter dem Stichwort der curiositas die Frage nach dem Wissenschaftscharakter der Theologie und dem intellektiven oder affektiven Grund verhandelt, oder aber um den hermeneutischen Schlüssel der Theologie gerungen, ohne den man an der Schöpfungs- und Erlösungsordnung vorbei forschen würde 1 . Thomas von Aquin geht es besonders darum, die rationale, systematische und wissenschaftliche Reflexion und Durchdringung des Glaubensinhaltes vor dem unberechtigten Vorwurf der curiositas in Schutz zu nehmen 2 . Im 14. Jahrhundert spielt die Vokabel curiositas in der Diskussion der via moderna eine wichtige Rolle und richtet sich gegen eine theologische Reflexion, die in den Augen der Kritiker in die potentia absoluta Gottes einzudringen sucht 3 . In Anlehnung an diese knappe Begriffsgeschichte und an die drei bernhardischen Blicke darf man ein Fazit ziehen: Curiositas meint die aus der erbsündlichen Schädigung entspringende ungebührliche Neugierde, in der sich die intellektive Potenz erstens in einer falschen horizontalen Dynamik verzettelt, zweitens in einer vertikalen Dynamik hochmütig-vermessen übersteigt und drittens in qualitativer Fehleinstellung nicht zur gebotenen „Sehschärfe" kommt 4 . Mit diesem Raster kann nun auch das Begriffsfeld der Cloud-Gruppe und deren theologiegeschichtlicher Hintergrund aufgeschlüsselt werden. b) Wurzel der curiositas Die eitle Neugierde ist gleichsam eine Vergegenwärtigung der Ursünde. Bernhard von Clairvaux stellt heraus, dass die curiositas der erste Grad der Hochmut, der Wurzel des Sündenfalls, ist5. Auf dem biblischen Hintergrund von 1 Kor 8, 1 kann man daher die eitle Neugierde auch ganz anschaulich illustrieren: Sie ist die Haltung des „mit Stolz und Hochmut aufgeblähten Intellektes". Dieser Topos gehört zum traditionellen Bestand der lateinischsprachigen geistlichen Weisung und begegnet auch in mittelengli1 2

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Vgl. DETTLOFF, Heilsweisheit und Weltweisheit 619-634; OBERMAN, Contra vanam curiositatem 25-38. Siehe hierzu THOMAS VON AQUIN, STH II-II q 167 (Ed. Paul., 1734-1736) auf dem theologischen Hintergrund von q 162 (Ed. Paul., 1715-1723). Zum theologischen Kontext vgl. BLANCHARD, Studiosite et curiosite. Zum größeren Horizont siehe auch BÖS, Curiositas 176-225 und HONNEFELDER, Weisheit durch den Weg der Wissenschaft 65-77. Vgl. COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 125-131; Theology and Theologians 1-34. Einen horizontalen und vertikalen Aspekt der curiositas erwähnt auch OBERMAN, Contra vanam curiositatem 9 in der Einleitung seines Artikels: An den Anfang einer Skizze einer Begriffsgeschichte könnte man zwei prägnante Sätze stellen, das ,Dictum paulinicum': „Quae sursum sunt quaerite" und das ,Dictum socraticum': „Quae supra nos, nihil ad nos". Während das .Dictum paulinicum' davor warnt, sich horizontal zu verzetteln und zugleich Christus aus den Augen zu verlieren, mahnt das ,Dictum socraticum' anzuerkennen, dass es eine unzugängliche Wirklichkeit gibt, in die der Mensch nicht eigenmächtig einbrechen kann und darf. Vgl. BERNHARD VON CLAIRVAUX, grad hum 10, 28-30 (Leclercq 3, 38—40): „Primus itaque superbiae gradus est curiositas".

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sehen Texten. So betonen beispielsweise Walter Hilton1 und zahlreiche Stellen der Cloud-Gruppe2, worin die Wurzel der coriouste liegt: Witte, goostly wittes und imaginaccioun als Organe der intellektiv-kognitiven Basispotenz sind mit Hochmut und Stolz aufgebläht - sie sind swollen with pride. Solch ein eitles Wissen des stolzen Intellekts wird in der „Schule des Teufels" gepflegt, während man in der „Gottesschule" demütiges Glaubenswissen erlernen könnte. Wenn der Cloud-Autor die Begriffe scola Dei von Benedikt von Nursia oder die scola caritatis/pietatis/devotionis der Zisterzienser und Viktoriner in die Cloud-Gruppe aufnimmt und seinen geistlichen Unterricht genau an den Ort dieser Frömmigkeitsschule verlegt, dann wird klar: Für eine geistliche Unterweisung erwartet sich der Cloud-Autor offensichtlich sehr viel von einer Relecture und Neuauslegung der monastischen Theologie der Zisterzienser und der frühscholastischen Viktoriner, und eher weniger von einer subtilen scholastischen Theologie3. c) Horizontale curiositas Richtet man nun das Augenmerk auf die konkreten Krankheitssymptome der zerrütteten intellektiven Potenz, so entdeckt man eine horizontale Dynamik der curiositas. Damit sich dem Menschen ein Erkenntnisgegenstand richtig erschließen kann, müssten einerseits die kontrollierte Einbildungskraft dem inneren Auge ein angemessenes Sinnenbild vorstellen und andererseits der Intellekt sich konzentrieren, um den Gegenstand in seiner Tiefe auszuloten und nachzuvollziehen. Das gilt schon bei einfachen kreatürlichen Gegenständen, noch mehr aber im Bereich der geistlichen Theologie. Wenn die Erbsünde diese Fähigkeit der intellektiven Potenz zerrüttet hat, dann wird klar, was Gregor der Große mit der Vokabel spargere, einem horizontalen Aufsplittern der intellektiven Potenz, sagen möchte: Er will zur Sprache bringen, wie unvereinbar ein sich horizontal zerstreuender Intellekt schon allein mit der geforderten Selbsterkenntnis, geschweige denn mit der mystischen Gotteserkenntnis, ist4. Auch Richard von St. Victor kennt ein zerfließendes spargere, durch das der Beter sich selbst und Gott als Ziel der Meditation

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Vgl. WALTER HILTON, scperf 1, 4 (Bestul, Zeilen 78-90). Vgl. etwa Cl. (12/34-35); (16/32); (17/1-2); (47/17-19); (47/27); (47/38-39); (50/31-32). Vgl. Cl. (16/34—35): „when it is swollen with pride and with coriouste of moche clergie and letterid conning as in Clerkes, and maketh hem prees for to be holden not meek scolers and maysters of devinite or of devocion, bot proude scolers of the devel and maysters of vanite and of falsheed"; (47/21): "scole of devocion"; Cl. (48/1-2): „fals knowyng in the feendes scole ... trewe knowing in Gods scole"; P.C. (110/20): „in the scole of God, by experience of many temptaciouns" Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe: Scola Dei bei BENEDIKT VON NURSIA, RB prol 45 (Holzherr, 30) mit Kommentierung von HOLZHERR, Benediktsregel 48; schola Dei bei HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 408, 128); oder die scola caritatis der Zisterzienser, die GILSON, Mystik des Heiligen Bernhards 98-129 mit Stellenangaben diskutiert.

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Vgl. GREGOR DER GROSSE, in Ez 2, 5, 8 (CCL 142, 281): „Mens nostra si in carnalibus imaginibus fiierit sparsa, nequaquam vel se vel animae naturam considerare sufficit"

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und Kontemplation in einer distractio verfehlt1. Der Cloud-Autor überträgt derartige lateinische Vorgabe eines Zerfließens, Zersplitterns und Abgleitens des kranken Intellekts mit den Termen scattering und departyng1. Auch eine weitere Konnotation hat der Cloud-Autor von Richard von St. Victor übernommen: Die inneren Sinne, die von ihrer in der Schöpfung grundgelegten Ausrichtung auf Gott durch den Sündenfall abgedriftet sind, beginnen nur allzu leicht, horizontal und nutzlos herumzustreunen3. In der CloudGruppe, insbesondere im ,Buch der mystischen Unterweisung', wird der richardische Topos vaga mente discurrere mit der Vokabel curious sechyng, einem „unnützen Herumstöbern", auf den mittelenglischen Begriff gebracht4. Von diesem zentralen Gedanken der horizontalen curiositas her fällt nun auch Licht auf andere Theologumena der Cloud-Gruppe: Um ein solches Zerfasern der intellektiven Potenz auszudrücken, benutzt der Cloud-Autor den Plural (goostly) wittes anstelle des Singulars witte5. Aufgrund der erbsündlich angeheizten horizontalen Dynamik versuchen die zerfasernden wittes und die aufdringliche imaginacioun den Beter während der Kontemplation in ein für die einheitliche Ausrichtung auf Gott völlig unangemessenes Frage-und-Antwort-Spiel einer disputatio de sophismatibus zu verwickeln6. Statt die kontemplative Stille zu wahren, beginnen die wilden Sinne und die Einbildungskraft zu lärmen7. Sie falten tausend Aspekte des Gottesbegriffes auf8, sie wollen eine

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Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 83 (PL 196, 59): „Mens igitur, quae adhuc per varia desideria spargitur, quae variis cogitationibus hue illucque distrahitur ... Quae nondum potest seipsam in unum colligere, quae needum novit ad semetipsam intrare, quando poterit ad ea quae supra seipsam sunt contemplatione ascendere?" Das Verfehlen von Selbst und Gott beschreibt P.C. (83/14—15): „in scatering and departyng of thee and of thi mynde bothe from thee and thi God". Weitere Fundstellen sind etwa CI. (15/12): „scatterid"; P.C. (75/30-31): „departyng and scateryng of mynde"; (75/35-36): „ne scaterid ne departid, but onid"; (78/18-19): „scateryng from the perfeccion of onheed"; (78/35-37): „thi sieht be not scaterid". Für sprachgeschichtliche Hinweise vgl. CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 65-66 (Anm. 27/12). ENGLERT, Scattering and Oneing untersucht das scatteryng in einer umfangreichen Studie; LLEWELYN, Distraction schlägt den Bogen zum Buddhismus. Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 16 (PL 196, 11): „sine utilitate, absque omni deliberatione ... vaga mente discurrere." Vgl. P.C. (75/23-28); (76/7-8); (78/31-32); (83/5-7): „corious sechinges". Vgl. dazu HODGSON, The Cloud 156 (Anm. 6/41) und BALTHASAR, Herrlichkeit 3,1,2 443, insbesondere Anm. 3. Vgl. Cl. (14/31 - 17/4): Während des kontemplativen Sitzens nähert sich ein Gedanke und eröffnet mit der Quästion „Was ist der Gott, den du suchst?". Die nachfolgende theologische Entfaltung der Gotteslehre ist zwar an sich ein wertvolles Nachdenken, das die Frömmigkeit durchaus erwecken und nähren kann. Weil sich eine solche disputatio aber andererseits leicht zur curiositas fortspinnen kann, ist das Frage-und-Antwort-Spiel der Kontemplation völlig abträglich. Vgl. P.C. (83/24); (86/13-15). Die Verknüpfung von Lärm und Versuchungen begegnet auch bei WALTER HILTON, sc perfl, 40 (Bestul, Zeilen 2885-2890). Vgl. Cl. (80/30 - 81/6). Der Cloud-Autor hat diese Stelle wörtlich aus BERNHARD VON CLAIRVAUX, cons 5, 6, 13 (Leclercq 3, 477) geschöpft, was HODGSON, The Cloud 177-178

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philosophische Anthropologie erstellen1 oder aber eine überreiche Bilderlandschaft zeichnen2. Auf dem Hintergrund der Exodus-Geschichte kann die Vorliebe von imaginatio und intellectus für Quantität statt Qualität ganz anschaulich dargestellt werden: Die intellektiv-imaginative Potenz strebt zurück zu den überreichen Fleischtöpfen Ägypten, um sich dort gierig zu sättigen, anstatt fastend der „Süße Gottes" entgegen zu gehen3. d) Vertikale curiositas Neben einer horizontalen curiositas kennt die Cloud-Gruppe einen vertikalen Aspekt der eitlen Neugierde, der sowohl an imaginatio wie intellectus abgelesen werden kann. Zuerst zur Einbildungskraft: Der Mensch ist Geist in Welt. Als Vermittlungsinstanz zwischen den leiblichen Sinneseindrücken und der geistigen Ebene von Intellekt und Willensvermögen fungieren die beiden Nebenvermögen imaginatio und sensualitas. Die Einbildungskraft ist das Organ, das ein Sinnenbild {phantasma) erstellt und dem Intellekt zur Wesenserkenntnis vorstellt oder beim Denkvorgang geistigen Gehalten eine anschauliche Bildstruktur unterlegt4. Wenn der Cloud-Autor den mittelenglischen Begriff fantasie verwendet, dann meint er freilich nicht das neutrale phantasma als vermittelndes Sinnenbild. Fantasie im Sinne der Cloud-Gruppe ist eine Fehlleistung der Einbildungskraft, wodurch beim Übergang zwischen den Sinnen und dem Geist eine Verwechslung stattfindet: Im trügerischen Fantasiebild wird ein geistiger Gegenstand auf körperliche Weise oder ein leiblicher Gegenstand auf geistige Weise missverstanden. Das Fantasiebild zerstört einen geistigen Erkenntnisgehalt, indem es ihn fälschlicherweise auf die körperliche Ebene hinab zieht, oder verfremdet ein leibliches Mo-

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(Anm. 80/35) und CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 19-23; 81-82 entgangen ist. Vgl. P.C. (78/40 - 79/39), wo der Cloud-Autor zeigt, wie der Beter nicht die washeitliche Fülle seiner Person spekulativ entfalten soll, sondern sich kontemplativ in seine einheitliche existenzielle Mitte hinein sammeln darf. Vgl. die „eingebildete Himmelsvision" in Cl. (58/26 - 59/7). Vgl. vor allem P.C. (78/1-10); P.C. (80/17): „to go back in fedyng of thy wittes" und (98/32): „Late hem faste awhile, I preie thee, from here kyndely delite in here kunnyng; for, as it is wel seide, a man kyndely desireth for to kunne; bot certes he may not taast of goostly felyng in God bot only by grace, have he never so moche kunnyng of clergie ne of kynde." Für weitere Stellen zum Bildkreis „Ernährung" siehe CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 14—16 (Anm. 15/8); 210 (Anm. 121/19-20). Vgl. Cl. (65/20-21): „thorow the whiche we portray alle ymages of absent and present thinges. ... ymaginacion so obedient unto reson - to the whiche it is as it were servaunt" und RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 5 (PL 196, 5): „Discurrit ergo imaginatio utpote ancilla inter dominam et servum, inter rationem et sensum." Ähnlich formuliert auch WALTER HILTON, sc perf 2, 31 (Bestul, Zeilen 2151-2152): „For the undirstondynge is ladi, and ymaginacion is a maiden, servande to the undirstondynge whanne nede is."

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ment, indem es dieses auf falsche Weise spiritualisiert1. Auch in anderen Texten der lateinischen oder mittelenglischen Instruktionsliteratur, etwa bei Hugo von Balma und Walter Hilton, begegnet eine starke Akzentuierung des pejorativen Momentes der Fantasie2. Der Cloud-Autor hat die mögliche positive Konnotation zu Gunsten der pejorativen fast ganz ausgeschaltet3. Der vertikale Defekt einer „fantastischen Einbildung", durch den die Ebenen des menschlichen Personalitätsvollzugs verwischt werden, ist ihm eine Wurzel weitreichender Störungen4, die hier nur kurz gestreift werden können: Fasst der Beter etwa Gehalte, Anweisungen und Bestimmungen der geistlichen Unterweisung zu imaginativ-körperlich auf, so produziert sich ein Reich der puren Fantasie, das kein Fundament in der Wirklichkeit hat. Er missversteht das Prinzip der sprachlichen Referenz, erdichtet sich Himmelsfantasien, verdreht sein Hirn, strengt sich unnatürlich an und sitzt schließlich erfundenen Erkenntnisgehalten auf, die weder geistigen noch körperlichen Wert haben5. Fasst der Beter hingegen körperliche Gehalte geistig auf, so zerstört er die Integrität der Schöpfungsordnung: Die Ebene der Leiblichkeit ist keine zu überwindende Größe, die in den Geist hinein aufgehoben werden soll, sondern muss in ihrer Integrität gewahrt bleiben. Die Offenbarung (und einzelne Offenbarungen) sind zwar durchaus symbolisch gemeint und müssen durch eine geistliche Deutung aufgeschlossen werden, wozu freilich eine Spiritualisierung durch Entmythologisierung nicht taugt. Darüber hinaus ist eine an Personen wahrnehmbare Geistigkeit und das Auftreten von mystischen Phänomenen kein untrügliches Zeichen von Frömmigkeit,

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Vgl. Cl. (65/28-31): „fantasye, the whiche is noucht elles bot a bodily conseyte of a goostly thing, or elles a goostly conseyte of a bodily thing. And this is evermore feynid and fals, and anexte unto errour." Auf diesen oft vernachlässigten Schlüsselsatz, der theologisch wie literaturtheoretisch ausgedeutet werden kann, hat als erster BURROW, Phantasy and Language 183-298 das Augenmerk gelenkt. Vgl. HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 409, 24): „ex communicatione camis corruptee phantasiis est admixtus"; (SCh 409, 140): „fantastica deceptione" und (SCh 409, 224-226). Siehe WALTER HILTON, sc perfl, 42 (Bestul, Zeile 3234): „feynynge or fantasie"; 2, 44 (Bestul, Zeilen 3419-3420): „no feynynge in it ne fantasie, ne pryde ne ypocrisie" Vgl. Cl. (18/21-23); (47/17-19); (49/15-16); (50/35-37); (54/35); P.C. (82/11-19); (83/6-9); (97/20-22). Siehe dazu auch BURROW, Fantasy and Language 284-285; CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 49-51 (Anm. 22/15-19) und ROGERS, Psychotechnological Approaches 143-160, hier besonders 149. Vgl. Cl. (52/30-32): „And be wel ware that thou conseve not bodily that is seyde goostly. For trewely I telle thee that bodily and fleschely conseytes of hem that han corious and ymaginatyve wittys ben cause of moche errour." Zum sprachlichen Missverständnis siehe Cl. (52/27 - 53/27); (60/32-39); (63/28-35). Zur Himmelsfantasie vgl. Cl. (58/26 - 59/7); zum verdrehten Hirn Cl. (53/28 - 54/7). Zu den negativen Folgen siehe Cl. (12/42 - 13/1): „feine a maner of worching the whiche is neither bodily ne goostly", (53/24): „achens kynde"; (69/29): „achens the cours of kynde" und Cl. (47/27); (50/4); (50/32): „streynyng". Deutungen und Hintergründe bei BURROW, Fantasy and Language 184188.

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sondern allzu oft ein Symptom psychosomatischer Störungen1. Wenngleich hier die einzelnen Aspekte noch nicht genauer besprochen werden können, so lässt sich doch ein Fazit ziehen: Mögliche positive Funktion der imaginatio und fantasia, die beispielsweise bei Richard von St. Victor2, bei Walter Hilton3, bei Julian von Norwich und Margery Kempe4 durchaus berücksichtig werden, bleiben in der Cloud-Gruppe fast völlig ausgeblendet5. Der Cloud-Autor zeichnet stattdessen das Portrait einer problembeladenen Einbildungskraft, die während des geistlichen Aufstiegs zusammen mit ihren Fantasieprodukten stillgelegt werden muss6. Nun zur vertikalen curiositas des Verstandes- und Vernunftvermögens: Nach dem Konzept der Cloud-Gruppe ist Gott an Sich, und soweit es an Ihm liegt auch für das Geschöpf, reine Erkennbarkeit. Die dem Geschöpf als Ebenbild Gottes unter noch zu klärenden Bedingungen mögliche Gotteserfahrung ist daher ein echtes Erkennen, das ein kognitives wie affektives Moment beinhaltet: Gott kann erkannt und empfunden werden, in einer trewe knowyng and feling of God as he is1. Diese erste positive Auskunft einer möglichen Gotteserfahrung bedarf allerdings einer Ergänzung, die in die entgegengesetzte Richtung zu weisen scheint: Die intellektiv-kognitive Potenz erkennt, indem sie die Form eines Gegenstandes nachvollzieht und sich wissend einprägt. Genau in diesem Sinne ist aber Gott für den Menschen unerkennbar, wenn es nicht um ein vermitteltes Wissen über Gott, sondern um eine unmittelbare Berührung in der mystischen Einung geht. Gott ist ein unendlicher Erkenntnisgegenstand, der vom endlichen 1

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Zur Leib-Seele-Integrität siehe Cl. (50/9-17). Zur Entmythologisierung vgl. Cl. (59/19 - 61/12). Zur Pseudo-Spiritualität und Pseudomystik vgl. Cl. (47/13 - 48/14) und (54/8 - 55/23). Deutung und Hintergründe bei BURROW, Fantasy and Language 288-291 Vgl. EBNER, Erkenntnislehre Richards 105-120. Obwohl als Gesamtdeutung überholt, bietet Ebner eine hilfreiche Zusammenfassung des Formal- und Material Objektes der contemplatio von .Benjamin maior'. Die ersten drei der sechs Kontemplationsstufen beinhalten eine Funktion der Einbildungskraft: in imaginatione secundum imaginationem, in imaginatione secundum rationem, und in ratione secundum imaginationem. WALTER HILTON, scperf\, 35 (Bestul, Zeilen 898-934) und 2, 30 (Bestul, Zeilen 1932-2093) zeigt, wie die Kontemplation von einer niederen imaginativen Stufe zu einer höheren, zunehmend überimaginativen Stufe aufsteigen kann. Vgl. dazu auch MINNIS, Affection and Imagination 5051. Diese Toleranz Walters gegenüber der imaginationes und phantasmata, die auch mit seinem Anti-Lollarden-Traktat ,De tolerandis imaginibus' in Zusammenhang steht, besprechen CLARK, Defence 1-25 und MINNIS, Cloud of Unknowing 70-72. BHATTACHARIJ, Earthquake 84-98 beleuchtet die imaginative Visualisation in der Meditationspraxis Margerys und geht dabei auf den theologiegeschichtlichen Hintergrund ein. MINNIS, Affection and Imagination 342 resümiert: „The positive aspect of Richard's theory of imagination ... has altogether been ignored." Siehe dazu auch RENEVEY, See by Ensaumple 229-233 und MINNIS, Sources 68-70. Vgl. Cl. (12/36); (18/27); (14/38 - 15/1); (24/3); (34/15); (36/28); (45/22-23); Sp. (148/14); P.C. (78/31-32); (82/3^1); (83/7). Siehe Cl. (23/15-16). Ähnliche Ausdrücke etwa P.C. (84/22): „with the fill knowing and felyng of his almichtyheed, his unwetyn wisdom and his glorious goodnes"; P.C. (97/23): „This sieht and felyng of God, thus in hymself as he is".

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Intellekt nicht umschrieben, umgriffen und erkennend eingeprägt werden kann. Gott ist im Sinne des komprehensiv-konzeptionellen Erkennens der intellektiven Potenz unerkennbar1. Gott kann mit reson, understondyng oder witte nicht erfasst, begriffen, eingesehen und ausgelotet werden2. Als Kurzformel könnte man sagen: Gott kann in der mystischen Einung zwar mit dem affectus berührt (apprehensio), nicht aber mit dem intellectus begrifflich umfasst werden (comprehensiof. Diese Theorie der intellektiven Unerkennbarkeit Gottes in der mystischen Einung hat der Cloud-Autor einer ganz besonderen Deutungsrichtung von Texten des Dionysius Pseudo-Areopagita übernommen: Thomas Gallus Vercellensis hat die dionysische Unerkennbarkeit Gottes als intellektive Unerkennbarkeit Gottes interpretiert. Das theologische Diktum, dass Gott mit dem intellectus unbegreifbar ist und eine mystische Gotteserfahrung besonders im affectus situiert sein muss, hat Schule gemacht. Man kann mit einer gewissen Vorsicht von einer Tradition der „Vercelli-Interpretation"4 der dionysischen Theologie sprechen. Zu dieser Interpretationsrichtung lassen sich im 13. Jahrhundert Hugo von Balma und indirekt vielleicht auch Bonaventura5 zählen. Kein Wunder also, dass alle drei Autoren - Thomas Gallus Vercellensis, Hugo von Balma und Bonaventura - dem Cloud-Autor in der Frage der Erkennbarkeit beziehungsweise Unerkennbarkeit Gottes als Gewährsmänner gelten. Diese Art der Dionysius-Rezeption, nämlich die Vercelli-Tradition, kann hier noch nicht in Einzelheiten dargestellt wer-

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Vgl. Cl. (14/22-23): „For whi he may wel be loved, bot not thoucht. By love may he be getyn and holden; bot by thoucht neither" auf dem Hintergrund von THOMAS GALLUS, com in Is (VSp 47, 157/9-10): „quasi ergo totum Dei affectu suscipitur, et ab intellectu excluditur." Vgl. D. (115/8-11): „He may not be knowen by reson. He may not be thoucht, getyn, ne trasid, by understanding. Bot he may be loved and chosen with the trewe, lovely wille of thin herte." Die wichtigsten Stellen zur inkomprehensiblen Apprehensibilität Gottes finden sich in Cl. (10/27-28); (10/32^10); (14/20-23); (18/18); (69/38 - 79/4); D. (115/14-33). Für die VercelliPosition könnte man anfuhren THOMAS GALLUS, extr myst theol 2 (Corp. Dion., 710/579): „per mentis excessum superintellectualiter cognoscere Deum per intellectualis cognitionis remotionem" und (Corp. Dion., 711/582): „per unionem ad ipsam cognoscamus divinam incomprehensibilitatem". Zur systematischen Relevanz des Theologumenons „Deus est incomprehensibilis intellectu sed apprehensibilis affectu" in der Theologie Bonaventuras siehe SCHLOSSER, Lux inacessibilis 20-27. „Vercelli-Tradition" wird im Rahmen dieser Studie in Anlehnung an den „Vercellinco-Begriff' verwendet, den Vinzenz von Aggsbach geprägt hat; siehe dazu VÖLKER, Kontemplation und Ekstase 253. Mit HOGG, Hugh of Balma 63-80 könnte man Thomas Gallus als den Vater, Hugo von Balma hingegen als den Multiplikator der Vercelli-Tradition bezeichnen. Zur Wirkungsgeschichte Hugo von Baimas siehe GUINAN, Influence of Hugh of Balma-, zur Erkenntnistheorie vgl. MARTIN, Die Wege nach Sion trauern 41-59 und RUELLO, Statut e Role, 1-80. TURNER, Darkness of God 187-194 zeigt in einem sehr übersichtlichen Abschnitt, wie bei Thomas Gallus die dionysische Dialektik uminterpretiert wird. Ein in Details überholtes, aber als knappe Übersicht immer noch hilfreiches Portrait zeichnet VÖLKER, Kontemplation und Ekstase 231-235 für Hugo, 236 für Bonaventura.

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Rahmen des mystischen

Wissens

den 1 . Wichtig für die Cloud-Gruppe ist hingegen der Zentralgedanke der VercelliTradition, der hier nochmals in anderer Form angeführt sei: Gott mag in der Einung erkannt werden (cognitio); ein v o m intellectus

erstelltes Begreifen oder diskursives

Erfassen Gottes (cogitatio) kann die mystische Gotteserfahrung dabei keinesfalls sein 2 . Dieser Gedanke erklärt auch, warum der Cloud-Autor in seiner volkssprachlichen Weisung bei den Organen reson,

witte

und understondyng

eine mögliche vertikale

Neugierde befürchtet: A u f den höheren Stufen der Kontemplation muss der Intellekt, der Gott gerade nicht begreifen und erfassen kann, auf seine Vorrangstellung verzichten und der Gottesliebe den Vortritt lassen 3 . Wollte der Intellekt in vertikaler

curiositas

voranstürmen, so würde er sich mit dem „Speer der Anmaßung" g e g e n Gott richten. Er würde nicht an Seiner Ehre Maß nehmen, sondern vielmehr versuchen, Ihn herabzuziehen 4 . U m eine solche eitle Neugierde abzutun, muss der kontemplative Beter die „Werkzeuge der diskursiven Vernunft" und die „Tafeln der Schulweisheit" aus den Händen legen s . Ein anderes Bild ist auf dem Hintergrund von Richard v o n St. Victor zu verstehen, der die Geburt Benjamins aus seiner Mutter Rachel auslegt als die Geburt der Kontemplation aus der Vernunft: Würde die Vernunft nach der Verleihung der

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Zu den theologischen Entwürfen von Thomas Gallus und Hugo von Balma siehe die Darstellungen bei IVANKA, Intelligentia oder Principalis Affectio 147-160; VÖLKER, Kontemplation und Ekstase 218-263; WALSH, Sapientia Christianorum 99; 255-258 und RUH, Geschichte der Mystik 3 64-76; 96-101. Für den Einfluss vercellensischer und hugonischer Theologie auf die Cloud-Gruppe vgl. CLARK, Introduction 60-73; CLARK, Sources 83-109; HODGSON, The Cloud XLIC; XLIX; McCANN, The Cloud XXVII-XXX; MINNIS, Sources 83-109; WALSH, Nuage 506. Die vermittelte Übernahme vercellensischer Theologie über Hugo von Balma betonen KNOWLES, Mystical Tradition 75; LEES, Negative Language 334; WALSH, The Cloud 1923; WALSH, Cloud of Unknowing 175-176. Anders interpretiert MINNIS, Affection and Imagination 327; 336-337 (besonders Aran 54) und MINNIS, Cloud of Unknowing 63-69. MINNIS favorisiert mit Nachdruck eine unmittelbare Ablehnung an Thomas Gallus, ohne eine Vermittlungsfunktion Hugos.

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Siehe etwa HUGO VON BALMA, sion lug (Sch 408, 258): „omnis ab ipsa sapientia in sua consurrectione cogitatio vel meditatio abscindetur, quia cogitatio ibi non est, nisi ut per ipsam adfectio accendatur." Vgl. Pr. (115/31): „Bot ever whan reson defaileth, than list love live and lerne for to plei; for bi love we may fynde him, fele him, and hit him even in himself." Daher ist ein Ablegen der intellektiv-imaginativen Gehalte gefordert, etwa ein „bere down", „trode down" und „put back", wie in Cl. (12/36); (18/27); (14/38 - 15/1); (24/3); (34/15); (36/28); (45/22-23); Sp. (148/14); P.C. (78/31-32); (82/3^t); (83/7) betont wird. Vgl. P.C. (85/25): „Beeth ware, it is good, and setteth not the poynte of choure presumptuous spere at the micht, the wite and the wille of oure Lorde stifly in that that in chow is, and for blyndnes and lackyng of experience, as che wolde bere hym down whyn che wene best to holde him up." Vgl. P.C. (85/30-37): Wenn Handwerker und Schulkinder der Alten Kirche ohne Werkzeug und Schultafeln zum Martyrium schritten, dann muss auch der kontemplative Beter bereit sein, auf seine Vemunftwerkzeuge und sein Schulwissen zu verzichten. Siehe zu dieser Deutung auch McCANN, The Cloud 117.

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gnadendhaften, ekstatischen Kontemplation versuchen, während und innerhalb des kontemplativen Vollzugs in die Unerkennbarkeit Gottes einzudringen, so gliche sie einer Rabenmutter, die ihr Neugeborenes, nämlich die Kontemplation, diskursiv zerstückeln würde1. e) Qualitatives Moment der curiositas Die erbsündliche Schädigung des Intellekts hat gleichsam die Klarheit des Blicks und die Sehschärfe beeinträchtigt. Aus diesem Grund wird verständlich, warum der CloudAutor dem zur curiositas neigenden Intellekt negative Qualitäten zuschreibt: Der Verstand und die Einbildungskraft sind verzerrt (queinte), verfälscht (fals, feynid), schmutzig und getrübt {foule, unclene), fleischlich und roh (fleschly, bold), erblindet (blinde), ohne Unterscheidungskraft (undiscretely) oder überscharf verfeinert {sottilf. Diese „Fehleinstellungen" des erbsündlichen Intellekts hat der Cloud-Autor auf dem Hintergrund normativer lateinischer Begriffe der augustinischen, gregorianischen, bernhardischen und viktorinischen Tradition entworfen; eine Besprechung und Ableitung von Einzeltermen kann hier nicht geboten werden und würde auch wenig neue Erkenntnisse bringen. Wie sehr aber der in qualitativer curiositas verfremdete Blick hinter dem Ideal des Erkennens zurückbleibt, soll ein abschließendes Bild verdeutlichen: In der qualitativen Fehleinstellung der curiositas erschließt sich dem Intellekt gerade soviel, wie man beim fahlen Mondlicht in einer trüben Winternacht zu sehen bekommt, während sich wahres Erkennen gleichsam im klaren Licht der Sonne an einem Sommermittag ereignen müsste3. Es könnte sich hierbei lediglich um ein kräftiges Bild aus der Erfahrungswelt volkssprachlicher Leser handeln; aufgrund des Reflexionsniveaus, mit dem wir beim Cloud-Autor stets rechnen müssen, darf man freilich auch an den Unterschied zwischen der welthaften Erkenntnis der cognitio vespertina in materia und der mystischen Erkenntnis der cognitio meridiana in arte aeterno denken, den Augustinus aus dem Schöpfungsbericht ausgelegt hat und der in lateinischen Texten mystischer Weisung begegnet4.

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Vgl. P.C. (84/33 - 86/7) und B.M. (143-145). Für „queinte" vgl. Cl. (12/31-35). Für „fals, feynid" siehe Cl. (12/31-35); (50/35-37); (82/1119); (83/6-9); (97/20-22). Für „foule" und „unclene" vgl. Cl. (18/18-23); P.C. (75/25); (76/8-9); (83/9). Für „fleschly, wordely, bolde" siehe Cl. (17/1-2); (47/18-19); (47/38-39); (50/31-32); (53/12-13); (53/20). Für „blinde" vgl. Cl. (53/12-13). Für „undiscretely" siehe Cl. (53/37-38) und fur ein pejoratives „sottil" vgl. P.C. (86/32-33). Vgl. P.C. (82/14-19). Zum Hintergrund des Erkenntnislichts vgl. KOCH, Lichtsymbolik des Mittelalters 27-67. Vgl. etwa BONAVENTURA, itin 1, 3 (Quaracchi 5, 297).

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f) Soziologischer Aspekt der curiositas Die curiositas ist zwar das Ergebnis einer erbsündlichen Schädigung der intellektiven Basispotenz. Dennoch darf die eitle Neugierde nicht vorschnell subjektivistisch verengt werden und als bloß individuelle Fehlhaltung abgetan werden. In der Cloud-Gruppe begegnet sie als Größe, die bestimmten Personengruppen im Rahmen bestimmter soziologischer Formationen zugeteilt wird. Schon im Prolog offenbart der Cloud-Autor, dass die curiositas sowohl den gebildeten Theologen wie den einfachen Laien befallen kann 1 . Wenden wir uns zuerst der theologischen Bildung und ihrem möglichen Verhältnis zur curiositas zu: Der Cloud-Autor gibt zu, dass intellektive Wissensgehalte an sich wertvoll und erstrebenswert sind; er scheint also kein Vertreter eines plumpen AntiIntellektualismus zu sein 2 . Wenn aber in der Cloud-Gruppe mehrmals Clerkes, das heißt scholastisch Gebildete, begegnen, die mit der curiositas behaftet sind 3 , dann will der Cloud-Autor das Augenmerk darauf richten, dass man nicht nur den inneren Wert intellektiver Wissensgehalte, sondern auch deren lebensweltliche Einbettung beachten muss 4 : Theologisch Gebildete verfallen dann der eitlen Neugierde, wenn sie ihr intellektives Wissen zur stolzen Selbstbestätigung missbrauchen und es nicht auf das Ziel der demütigen Gottesliebe ausrichten 5 . Der Cloud-Autor kritisiert besonders ein öffentliches, hochmütiges Zur-Schau-Stellen intellektiver Fertigkeiten, wodurch der innere Wert von Wissensgehalten nicht zum Tragen kommen kann 6 . Doch nicht nur der äußere Gebrauch von Wissensgehalten kann diese in curiositas verwandeln: Gottesliebe und mystische Einung sind Höchstformen der Gottesbeziehung. Verglichen damit ist theologische Bildung überhaupt nur ein Mittel zum Zweck. Lässt sie sich nicht in die Zielsetzung der Weisheit einordnen, so ist sie als eitle und schädliche curiositas oder subtilitas entlarvt 7 . Sogar bei der Kritik, die gegen Teilaspekte seiner geistlichen Weisung

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Siehe Cl. (2/5): „lettred or lewed men". Vgl. Cl. (16/24-27): „good in kynde, for whi it is a beme of the licnes of God". Auch NIEVA, This Transcending God 128-130 und NORQUIST, Glossary 32 sprechen sich zu Recht gegen die Verwendung des Termes „Anti-Intellektualismus" aus. Weiter geht hingegen COLEMAN, English Mystics 105 mit seiner Interpretation und hält den Cloud-Autor gar für einen „lover of the scholarly life". Vgl. Cl. (16/32-33); (22/6); (70/10-13); P.C. (76/21). Vgl. Cl. (16/26-27): „Bot the use therof may be bothe good and ivel as in Clerkes." Vgl. Cl. (16/28-35): „Good when it is openid bi grace for to see thi wrechidnes ... Bot then is the use ivel, when it is swollen with pride and coriouste of moche clergie and letterly conning as in Clerkes, and make hem prees for to be holden not meek scolers". Vgl. Cl. (79/10-13): „For somtyme men thoucht it meeknes to sey noucht of theire owne hedes, bot chif thei afermid it by Scripture and doctours wordes; and now it is tumid into corioustee and schewyng of kunnyng." Cl. (22/26) formuliert auf dem Hintergrund von 1 Kor 13, 19: „Another is the over-aboundaunt love and the worthines of God in himself; in beholdyng of the whiche alle kynde quakith, alle Clerkes ben foles".

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vorgebracht wurde, scheint dem Cloud-Autor die curiositas theologisch Gebildeter am Werke zu sein1. Zur theologiegeschichtlichen Relevanz dieses Theologumenon ist festzuhalten: Der Cloud-Autor hat ihm vorgegebene Topoi einer soziologischen curiositas aufgegriffen und für die aktuelle Situation des späten 14. Jahrhunderts ausgelegt. Thomas Gallus und Hugo von Balma haben etwa betont, dass die heidnischen Philosophen zu Unrecht den intellectus als das höchste Vermögen aufgefasst haben2. Hugo von Balma hat darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht allein um die heidnischen Philosophen der Vorzeit geht; auch scholastische Theologen der Gegenwart könnten bisweilen in der Gefahr stehen, den intellectus für das höchste menschliche Vermögen zu halten und die Gottesliebe und Weisheit, die sich aus dem affectus speist, zu vernachlässigen 3 . In einer solchen Tradition steht der Vorbehalt gegen die Clerkes, der in der Cloud-Gruppe vorgebracht wird. Der Cloud-Autor hat freilich nicht nur die Clerkes, die scholastisch Gebildeten, im Auge, wenn er von der curiositas spricht: Während sich die curiositas bei Gebildeten als Bildungsstolz äußert, legen auch Menschen ohne eine derartige Bildung einen nicht minder schlimmen Stolz an den Tag. Ihre curiositas entspringt einem Geltungsbedürfnis und zeigt sich in der Sucht nach Selbstbestätigung4. Die curiositas scheint sich bei den ungebildeten Leuten mehr auf die imaginatio und weniger auf den intellectus zu beziehen. Der Cloud-Autor sieht Ungebildete und Laien aufgrund ihrer stolzen Fantasie besonders in der Gefahr, in Schwärmerei (ypocrasie) und Häresie (heresy) abzugleiten.

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Vgl. P.C. (76/21-37). CLARK, Introduction 91-92 kann sich vorstellen, dass an dieser Stelle ein Hinweis auf eine theologische Diskussion vorliegt, in deren Verlauf sowohl Walter Hilton wie der Cloud-Autor ihre theologischen Positionen präzisieren mussten. Vgl. HUGO VON BALMA, sion lug prol (SCh 408, 124-142) oder das griffige Dionysius-Zitat in 146: „In hoc libro alium et incomperabiliter profundiorum modum cognoscendi Deum tradidit superintellectualem et supersubstantialem, quem ideo gentilis philosophus non apprehendit, quia non quaesivit, nec esse putavit, nec vim secundum quam diffunditur in anima deprehendit. Putavit enim summam vim cognitivam inesse intellectui, cum sit alia, quae non minus excedit intellectum quam intellectum rationem, vel ratio imaginationem, scilicet principalis adfectio; et ipsa est scintilla synderesis, quae sola Spiritui Sancto est unibilis". Das Zitat hat Hugo aus THOMAS GALLUS, expl myst theol (Thery, 14/1-13) übernommen. Siehe dazu die polemischen „Einsprengsel" im Prolog bei HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 408, 124—128). HOGG, Hugh of Balma 63-80 bespricht den Hintergrund, hier besonders 80 mit der hugonischen confutatio doctorum scholasticorum et speculativorum. Einige Hinweise bieten RUH, Geschichte der Mystik 3 93 und VÖLKER, Kontemplation und Ekstase 232. Den größeren Kontext beleuchtet RUELLO, Statut et Röle 1-46, hier besonders 42^43. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie in der Franziskanertheologie untersucht DETTLOFF, Heilsweisheit und Weltweisheit 619-634. Vgl. Cl. (16/32-33): „with pride and with coriouste of moche clergie and letterly conning as in Clerkes" und Cl. (16/35 - 17/4): „in other men or wommen ... it is swollen with proude and corious skyles of wordely thinges and fleschly conceites, in covetyng of wordly worschipes and havyng of richesses and veyne plesaunce and flateryng of other."

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Der anonyme Autor dürfte hier, zusammen mit Walter Hilton, bei dem Topoi in vergleichbarer Gestalt begegnen, auf die Lollarden oder auf andere „schwärmerische" Kreise Bezug nehmen - eine Vermutung, die im Kontext der Gebetstheologie nochmals aufgegriffen und weiter nachverfolgt werden muss1.

2.2 Auswertung: Contra vanam curiositatem Curiositas ist die Folge einer erbsündlichen Schädigung der intellektiven Basispotenz. Sie zeigt sich in einer horizontalen, vertikalen und qualitativen Zerrüttung der Erkenntnispotenz. Die eitle Neugierde betrifft dabei gleichermaßen intellectus und imaginatio und bezieht sich in religionssoziologischer Hinsicht sowohl auf den Bereich der gebildeten Scholastik als auch auf die volkssprachliche Frömmigkeitstheologie. Die curiositas ist nämlich einerseits das falsche Denken des geschädigten intellectus im Bereich der scholastischen Theologie, andererseits aber auch das falsche bildhafte Vorstellen der ungezügelten imaginatio im Rahmen von geistlichen Übungen einer meditativen Frömmigkeitstheologie. Mit dem intellectus (als dem Prinzip der Scholastik) und der imaginatio (als dem Prinzip der Meditationstheologie) soll nun die englische Theologiegeschichte des 14. Jahrhunderts auf das Problem der curiositas befragt und die Cloud-Gruppe darin verortet werden. 2.2.1 Das Problem der curiositas intellectus Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wird eine Diskussion vernehmbar, die auf einen Umformungsprozess im Bereich von Bildung und Studium verweist, in dessen Verlauf sich auch die Gestalt von Theologie und Frömmigkeit in England deutlich verändern. Angeführt seien hier nur einige wenige Stimmen des Disputes, in dem die für unser Thema so interessanten Begriffe curiositas und subtilitas fallen: Benedikt XII. hat sich in den Jahren 1335-1339 intensiv um eine Studienreform bemüht, indem er die alten Orden in das universitäre Bildungssystem auf eine neue Weise mit einbeziehen wollte2. 1344 mahnt Klemens VI. an, die Theologie wieder stärker aus den biblischen Fundamenten heraus zu entwickeln und damit die curiositas zu vermeiden3. Die Notwendigkeit einer Bildungsreform scheint gerade auch in England als dringlich empfunden worden zu sein. Die Theologen Thomas Bradwardine und Richard 1

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Vgl. Cl. (27/23-24); (47/42-43); (56/34 - 57/4), (58/7-8). Ähnlich Topoi behandelt WALTER HILTON, lecc (AC 124/2, 215-243). Zum weiteren Kontext siehe auch CLARK, Introduction 47-52 und CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 118 (Anm. 49/16-17); 172 (Anm. 86/16); 192 (Anm. 102/7-17); 194 (Anm. 104/11-12). Zu den Reformversuchen Benedikts vgl. BOEHM, Förderer der Ordensstudien und LECLERCQ, Monastic and Scholastic Theology 182-184. Vgl. CHARTULARIUM UNIVERSITATIS PARISIENSIS (Denifle/Chatelain 2, 588): „ubi plane nulla vanitatis et curiositatis noxia reperitur."

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Fitzralph erinnern sich etwa kritisch an ihre eigene Ausbildung und betonen die Notwendigkeit, theologische Spekulation wieder vermehrt biblisch-geistlich auszurichten, um dadurch der curiositas zu entrinnen1. Doch auch eine subtilitas scheint in die Kritik geraten zu sein: „Zugespitzte Sätze" (sophismata) und mathematische Paradigmen sind zwar in der Methodik der Theologie und Philosophie des 14. Jahrhunderts durchaus anerkannt; als aber das in England um 1328 entwickelte Instrumentarium um 1340 auch in Paris an beträchtlichem Einfluss gewinnt, mahnen kritische Stimmen, über die subtilitas anglicana die geforderte theologische Synthese von scholastischer Methode und biblisch-geistlicher Ausrichtung nicht vollends aus den Augen zu verlieren - eine Kritik, die gerade angesichts des Ausfalls von qualitätsvollen Bibelkommentaren in England ein breiteres Echo fand 2 . So schwierig es sein mag, die genaue Stoßrichtung der einzelnen Argumente in der hier gebotenen Kürze zu rekonstruieren, so unmissverständlich ist der einheitliche Ton einer kritischen Anfrage an die zeitgenössische Scholastik. An dieser Stelle kann die Gestalt einer solchen scholastischen Theologie und ihre Kritik unter der Perspektive von curiositas und subtilitas nicht umfassend nachgezeichnet werden; weil aber die Cloud-Gruppe in den Horizont einer ganz bestimmten Frömmigkeitstheologie gehört, für deren Verständnis der theologiegeschichtliche Hintergrund von einiger Bedeutung ist, seien zumindest die Hauptpunkte hervorgehoben. Der Vorwurf der curiositas oder subtilitas hat einmal eine Außenperspektive und bezieht sich auf die Art und Weise des Studiums im Allgemeinen und des Theologiestudiums im Besonderen: Aufgrund eines großen Bedarfs an gebildeten geistlichen Fachkräften hat sich in England schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein ausgeklügeltes Patronatssystem und im Studienalltag ein ausgesprochenes Karrierebewusstsein ausgeprägt3. Viele Studenten interessieren sich für die studia lucrativa, das heißt für die Schlüsselqualifikationen einer erfolgreichen Karriere. Neben dem Studium des Rechts und der Medizin ist auch das Theologiestudium eine Möglichkeit, sich für höhere Posten und Ämter vorzubereiten. Die meisten Absolventen treten unmittelbar nach dem Studienabschluss sogleich in die Ämterlaufbahn ein, während eine universitäre Laufbahn vergleichsweise wenig anziehend ist. Aus diesem Grund können sich in England kaum stabile Lehrstühle und einheitliche theologische Lehrrichtungen ausbilden. Die starke Konzentration auf eine problemorientierte Ausbildung lässt in Oxford nur schwer geschlossene Systeme entstehen und fuhrt schon um 1320 zu einem deutlichen

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Vgl. COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 129-131; OBERMAN, Archbishop Thomas Bradwardine 14-15; Ρ ANTIN, English Church in the Fourteenth Century 122-123. Zum größeren historischen Kontext siehe auch COURTENAY, Schools and Scholars 368-374. Vgl. COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 131; MURDOCH, Mathesis in philosophiam 215-254; MURDOCH, Subtilitates Anglicanae 51-68. Zum Ausfall englischer Bibelkommentare bis 1370 siehe COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 126-129 und COURTENAY, Schools and Scholars, insbesondere 250-306; 327-355. Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 118-131.

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Ausklang festgefügter theologischer oder philosophischer Schulen1. Mehr als auf dem Kontinent verfallt deshalb in England die Summenliteratur. In der Entstehung verkürzter Sentenzenkommentare und neuer unscholastischer Gattungen spiegelt sich eine gewisse Diskussionslust wider, die etwa auch durch die Beliebtheit der disputatio de sophismatibus bezeugt wird. In turnierartigen Diskussionen kann der englische geistliche Nachwuchs öffentlich seine rhetorischen und sprachlogischen Fähigkeiten bei der Lösung zugespitzter Probleme, der sogenannten sophismata, demonstrieren2. Eine solche Beschäftigung mit Subtilitäten unter einem forciert rhetorisch-sprachlogischen Blickwinkel ist im eigenen Land keinesfalls unumstritten und wird auch in Paris kontrovers diskutiert. Der eigentliche Kritikpunkt bildet dabei nicht die Disputationspraxis an sich, sondern eher deren wachsender Stellenwert auf Kosten einer fundierten Ausbildung in den Sentenzen und der Heiligen Schrift, worauf unter anderem der drastische Rückgang von Schriftkommentaren vom Beginn des Jahrhunderts bis zu Wyclif und die Vernachlässigung pastoraltheologischer Fragestellungen hinweist3. Vor diesem Hintergrund ist es wohl mehr als ein Topos, wenn der Cloud-Autor beklagt, dass manchen Theologen das Wort der Heiligen Schrift und der Kirchenväter weniger gilt als die Zurschaustellung ihrer subtilen und kuriosen Fertigkeiten4. Der Vorwurf der curiositas hat andererseits auch eine Innenperspektive und bezieht sich auf den methodischen Ansatz der zeitgenössischen scholastischen Theologie: Trotz aller Schwierigkeiten einer generalisierenden Betrachtung scheint es zumindest ansatzweise möglich, Grundkonstanten der Theologie des 14. Jahrhunderts für England herauszuarbeiten, die in der Forschung meist mit den problembeladenen, gleichwohl unverzichtbaren Begriffen „Nominalismus" oder via moderna bezeichnet werden5. Nach den Verurteilungen von 1277 in Paris hatte eine metaphysisch orientierte Theologie, die sich stark auf die aristotelische Tradition berief, einen eher schweren Stand; eine „Theologie der franziskanischen Alternative" hingegen konnte leicht führende Stellung gewinnen6. Auf einem solchen Hintergrund ist nämlich das Echo des theologischen

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Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 178-192. Zum Wechsel von einer lehrzentrierten zur karrierezentrierten Ausbildung vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 23—45. Zum Verfall der Summenliteratur und Heraufkunft neuer theologischer Gattungen vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 251-255; zu Umstellungen im Studienplan, die zu einer Abwertung der Exegese und einem Aufschwung der Quodlibetales fuhren 45; zum Rückgang der englischen Bibelkommentare 250-306; 327-355. Für weitere Aspekte siehe auch COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 126-129. Vgl. Cl. (70/10-13): „For somtyme men thoucht it meeknes to sey noucht of theire owne hedes, bot chif thei afermid it by Scripture and doctours wordes; and now it is turnid into corioustee and schewing of kunnyng" und CHARTRAND-BURKE, Anti-Intellectual Rhethoric 115-136. Die verschiedenen theologiegeschichtlichen Deutungsmodelle, Ergebnisse und offene Fragen der Nominalismusforschung fasst COURTENAY, Nominalism and Religion 26-59 zusammen. Vgl. OBERMAN, Dawn of Reformation 5-8. Zur Vorgeschichte siehe auch KÖHN, Monastisches Bildungsideal 1-37.

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Entwurfes von Duns Scotus, die Rezeption und gleichzeitige Kritik scotistischer Theologie bei William von Ockam und der spätere Aufschwung einer „nominalistischen Theologie" in England zu verstehen1. Kennzeichen dieser theologischen Richtung ist das Interesse an einer radikalen Deontologisierung: Theologie soll nicht mehr auf metaphysischen Fundamenten aufruhen, sondern sich aus einer Deutung des metahistorischen Willens Gottes entfalten. Die Umstellung von Metaphysik zur Metahistorie geschieht vor allem durch eine Pacfam-Theologie, die den Willen Gottes ergründen möchte - etwa unter dem Einsatz der bekannten dialektischen Schere von potentia Dei absoluta und potentia Dei ordinater2. Damit wird aber auch das bisher einigermaßen geschlossene Feld der Wissenschaft in einzelne Aspekte aufgebrochen und es beginnt sich auszudifferenzieren3. Theologie darf sich nicht mehr auf Metaphysik und Philosophie stützen, sondern muss den göttlichen Willen eruieren4. Naturphilosophie ist nicht länger mit einer Schöpfungstheologie verbunden, sondern entwickelt sich zu einer eigenständigen Beschäftigung mit kontingenten Naturabläufen mittels Beobachtung und Mathematik5. Sprachphilosophie dient nicht mehr in erster Linie dazu, ontologische Zusammenhänge unmittelbar einsichtig zu machen, sondern konzentriert sich darauf, in einer funktionalen Analyse Referenz und Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken zu erhellen6. Vereinfacht könnte man sagen, die Theologie entlasse eine eigenständige logica moderna und physica nova aus ihrem Dienst und verliere zunehmend ihr ganzheitliches Gepräge. Aber auch innerhalb der Theologie beginnen sich einzelne Methodiken ausdifferenzieren. Insbesondere das exegetisch-textwissenschaftliche, das theoretisch-scholastische und das praktisch-mystische Moment der Theologie treten auseinander und stehen dadurch in einem beträchtlichen Spannungsverhältnis zueinander7. Vor

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Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 216-218; 250-306. Eine gute Übersicht bietet auch COURTENAY, Theology and Theologians 1-34. Siehe OBERMAN, Dawn of Reformation 5 - 8 und COURTENAY, Nominalism and Religion 3 7 43. Vgl. dazu LEFF, Medieval Thought 258-261 und LEFF, Dissolution 32-117. Die verschiedenen Aspekte und Deutungsansätze diskutiert TUMA, English Mystics 16-18. Konstanten des 14. Jahrhunderts seien eine Entkoppelung von Vernunft und Glaube, eine Betonung der dialektischen und appropriativen Vernunft bei gleichzeitiger Limitierung der demonstrativen und spekulativen Vernunft, und die Erstellung von tangential-partikulären statt integral-ganzheitlichen Denkstrukturen. Zur schriftzentrierten Pactum-Theologie vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 210-216; 255-258 und COURTENAY, Nominalism and Religion 58. Zur physica nova und den fünf Hauptagenten des Merton-Colleges, nämlich Thomas Bradwardine, Richard Kilvington, William Heytesbury, John Dumbleton und Richard Swineshead siehe die Darstellung und die weiterfuhrenden Hinweise bei COURTENAY, Schools and Scholars 2 4 0 249. Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 219-240. COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 130 spricht von einem „Auseinanderklaffen zwischend der religiösen Botschaft der Heiligen Schrift und der demgegenüber gleichgültigen, ja manchmal sogar gegensätzlichen Aneignung und Sprache des Hörsaals". Eine Spannung aber

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der Negativfolie der curiositas fordern die oben angeführten Stimmen eine Reform der Theologie - als Versöhnung von Theorie und Praxis, als gegenseitige Durchdringung von Scholastik und Mystik1. Vor diesem Hintergrund ist die Verwendung des Begriffes der curiositas und die Herausarbeitung der Grenzen des intellectus in der Cloud-Gruppe zu sehen: Der CloudAutor versucht, sich von einer intellektualistisch verengten Scholastik abzusetzen und mit einem ethisch aufgeladenen Wissenschaftsbegriff eine ganzheitliche Frömmigkeitsund Erfahrungstheologie zu erstellen2. Er unternimmt eine Relecture der lateinischen Patristik, insbesondere von Augustinus und Gregor dem Großen, der monastischen Tradition, der Texte Bernhards und weiterer Zisterzienser, der viktorinischen Vorscholastik, der Vercelli-Tradition der Auslegung dionysischer Texte und der als klassisch geltenden thomanischen und bonaventurianischen Schriften. An diesen Entwürfen ist für den Cloud-Autor, wie für viele Theologen des 14. Jahrhundert, vor allem Eines faszinierend: Sie liegen methodisch noch vor einer Ausdifferenzierung in eine theoretische Scholastik und praktische Mystik oder halten zumindest systematische Theologie und Gebetstheologie füreinander offen 3 . Um aber einer derartigen Frömmigkeits- oder Erfahrungstheologie Platz zu schaffen und von einer wertlosen scholastischen „Karriere-Theologie" scharf abzugrenzen, beleuchtet der Cloud-Autor die Grenzen des intellectus als Prinzip der magistralen Scholastik besonders grell: In der ImagoAnthropologie zeigt er die „Eindimensionalität" der intellektiven Potenz; in der heilsgeschichtlichen Betrachtung weist er auf, wie leicht sie zur curiositas neigt. Gerade durch die Rezeption der Vercelli-Tradition der Dionysiusauslegung wird die Unerkennbarkeit Gottes für intellektive, komprehensiv-konzeptionelle Erkenntnisbemühungen fast überdeutlich herausgestellt. Der Cloud-Autor möchte mit dieser Weisung verhindern, dass der Schüler der Kontemplation der curiositas erliegt und in die „Schule des Teufels" abdriftet - sei das nun eine tatsächliche, äußere Schule oder aber eine falsche innere Haltung im kontemplativen Vollzug.

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keinen Bruch zwischen Spiritualität, Sakramenten, hierarchischen und institutionellen Momenten sieht LEFF, Dissolution 118-144 am Werke. Die Spannung der unterschiedlichen kulturellen Aspekten des 14. Jahrhunderts beleuchtet auch LERNER, Age of Adversitiy. Zum Versuch eines Brückenschlags zwischen via moderna und devotio moderna, der von verschiedenen Autoren unternommen wurde vgl. OZMENT, Mysticism, Nominalism and Dissent. Eine erhellende Übersicht über die unterschiedlichen theologiegeschichtlichen Deutungsansätzen von Dress, Oberman und Ozment bietet COURTENAY, Spiritualität und Spätscholastik 132— 134. Zum Brückenschlag zwischen theoretischem und praktischem Wissenschaftsideal bei Dionysius dem Kartäuser vgl. PODLECH, Discretio, 55-62. Vgl. dazu CHARTRAND-BURKE, Anti-Intellectual Rhethoric 115-136; zum größeren Hintergrund siehe aber auch HALLINGER, Bildungswesen und Bildungsethos 285-293 und PODLECH, Discretio 28-33. Siehe dazu CONSTABLE, Popularity 3-28; CONSTABLE, Twelfth century spirituality 27-60; HÄRDELEIN, Monastische Theologie 108-120 und WASSERMANN, Dionysius der Kartäuser 1-6 mit weiteren wertvollen Hinweisen und reichen Literaturangaben.

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2.2.2 Das Problem der curiositas imaginationis Der Cloud-Autor hat aber nicht nur die curiositas des intellectus sondern auch die curiositas der imaginatio behandelt und setzt sich damit von vielen klassischen Konzepten der Unterweisung zum kontemplativen Gebet ab. Um diese Stoßrichtung zu Gesicht zu bekommen, muss hier kurz die Heraufkunfit der volkssprachlichen Literatur nachgezeichnet werden: Geburtsstunde einer breiteren mittelenglischen geistlichen Literatur ist das 4. Laterankonzil von 1215, wie schon beim Thema der englischen Bußpastoral kurz erwähnt. Der springende Punkt für einen Aufschwung geistlicher Schriften sind dabei die Konzilsbeschlüsse, die das Minimalprogramm des christlichen Glaubens definieren. Wenn alle Gläubigen verpflichtet werden, mindesten einmal im Jahr das Sakrament der Beichte und der Eucharistie zu empfangen, so sind Weichen für eine neue Pastoraltheologie gestellt. Frauen und Männer aller Gesellschaftsschichten müssen in den definierten Grundkenntnissen des christlichen Glaubens unterwiesen werden. Credo, Paternoster, Ave Maria, Zehn Gebote, Tugend- und Lasterschemata und diverse Beichtspiegel sind dem breiten Kirchenvolk in lingua materna bekannt zu machen1. Die Konzilsbeschlüsse werden in England von den Bischöfen konsequent umgesetzt und schon in Kürze entwickelt sich eine blühende Textlandschaft2: Lateinische und mittelenglische Instruktionsliteratur gibt den Seelsorgern pastoraltheologische Hilfestellung. Mittelenglische Informationsliteratur wendet sich direkt an eine gebildete Laienleserschaft3. Aufbauend auf eine solche volkssprachliche Unterweisung wenden sich dann auch volkssprachliche Eremiten- und Reklusenregeln an Laien, um ihnen die nötigen Kenntnisse für ein anachoretisches Leben zu vermitteln4. Des Weiteren entsteht durch die Anregung franziskanischer Theologie eine reiche volkssprachliche Dichtung5. Selbstverständlich hat es in England auch vor 1250 Ansätze zur volkssprachlichen Literatur gegeben; der beschriebene Aufschwung setzt allerdings erst nach der konziliaren Reform ein und erreicht im 14. und 15. Jahrhundert einen vorläufigen Höhepunkt6. Die erste Generation von volkssprachlichen Texten besteht aus einer verhältnismäßig konsistenten und klar strukturierten katechetischen Instruktionsliteratur; derartige Texte übertragen lateinische Vorlagen in die Volkssprache, paraphrasieren, straffen und ver-

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Vgl. BARRAT, Works of Religious Instruction 413-432; BOYLE, Fourth Lateran Council and Manuals 30-43; DEANSLEY, Vernacular Books 349-358; HORRALL, Carthusian Commonplace Book 214-227; KEISER, Nocht how lang 145-159; SARGENT, Minor Devotional Writings 147-175; TUGWELL, Ways of Imperfection 152-169. Siehe GIBBS/LANG, Bishops and Reform 94-110. Vgl. BLAKE, Varieties 348-356; TUMA, English Mystics 19-25; PANTIN, English Church 189-262, DUFFY, Stripping of the Altar 53-63. Siehe WARREN, Anchorites 101-109; 294-298. Vgl. BENNETT, Poetry of Passion·, BROWN, Religious Lyrics·, GRAY, Themes and Imagery in Religious Lyric·, TUGWELL, Ways of Imperfection 154. Siehe hierzu auch DUFFY, Stripping of the Altars 53-87, hier besonders das Kapitel "The Impact of Literacy: Lay Didactic and Devotional Collections" 68-77.

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einfachen den theologischen Gehalt und machen ihn so für laikale Leser zugänglich1. Seit der Mitte des 14. Jahrhundert und während des ganzen 15. Jahrhunderts entsteht eine neue literarische Gattung, die den Buchmarkt zu dominieren beginnt: die Kompilation, eine handbuchartige Zusammenstellung unterschiedlicher Texte und Traditionen unter einer einheitlichen Leitidee. Die englischen Kompilationen könnte man etwa als geistliche Sammelbände mit dem Ideal einer Frömmigkeits- oder Erfahrungstheologie bezeichnen. Sie vereinen vereinfachte und verkürzte Aufstiegsschemata unterschiedlichster Provenienz mit einer bunten Topologie des geistlichen Lebens, mit Gebeten, Visionen und Legenden zu einem Sammelband, um in einer ganz besonderen Weise das Interesse und den Geschmack - um nicht zu sagen die curiositas - der Leserschaft anzusprechen2. Gegen eine derartige curiositas imaginationis während des Leseprozesses mystischer Texte richtet sich nun der Cloud-Autor: Er hat Sorge, dass seine Werke nicht mehr im kontextuellen Zusammenhang, sondern nur noch in kompilatorischen Auszügen gelesen werden3. Er verwehrt sich scharf dagegen, dass seine Texte als interessante Lesemystik missverstanden werden, und schärft ein, dass sie als ernst gemeinte geistliche Weisung für dazu befähigte Menschen aufzufassen sind4. Schließlich weist der Cloud-Autor darauf hin, wie die Einbildungskraft nur allzu leicht eine Art Pseudo-Mystik produzieren kann: Der Leser muss die Prinzipien der sprachlichen Referenz, der symbolischen und metaphorischen Ausdrücke verstanden haben. Wird die in Texten mystischen Wissens entfaltete Topologie des geistlichen Aufstiegs nämlich ohne tiefere Einsicht gelesen und falsch imaginiert, so ergeben sich kuriose Fantasiegebilde und eine Induktion psychosomatischer Empfindungsstörungen5. Der Cloud-Autor blendet vielleicht gerade deshalb imaginative Aufstiegsschemata6 mit einzelnen Meditationspunkten konsequent aus. Er stellt der Imagination des Beters keine Meditation der Schöpfungsleiter, keine Betrachtung der Wunden Christi7, keine Engelshierarchien oder Ähnliches zur Verfu-

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Vgl. SARGENT, Minor Devotional Writing 149-155. Diese Gruppe besteht aus einer genauen oder kompilatorischen Umsetzungen ganzer normativer Textbestände in den volkssprachlichen Horizont. SARGENT, Minor Devotional Writings 155-161 zeigt, dass die compilatio nicht mit der gleichnamigen Sammlung von sententiae doctorum in Verbindung steht, sondern sich aus den mystagogischen Florilegien herleitet. Die früheren lateinischen Kompilation werden in England schon bald von mittelenglischen und anglo-normannischen Kompilationen überflügelt, in welchen die einzelnen Topoi und Theologumena adressatenzentriert montiert und geschickt in einen einheitlichen Rahmen eingepasst sind. Für ein Beispiel vgl. etwa HIRSCH, Prayer and Meditation 55-66. Siehe Cl. (73/3-8): „And chif thou schalt late any soche men see it, than I preie thee that thou bid hem take hem tyme to loke it al over". Vgl. Cl. (72/25 - 73/17); P.C. (75/1-11). Siehe Cl. c 45-53 (47-55); c 55-61 (56-63). Zu den gebräuchlichsten Aufstiegsschemata siehe KÖPF, Aufstiegsschemata, 35-37. Zum Zusammenhang Bild-Kontemplation vgl. BLASUCCI, Image et Contemplation 1472-1490. Zur Wundenmeditation vgl. DUFFY, Stripping of the Altars 238-248.

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gung - ganz im Unterschied zu klassischen Meditationsanleitungen von Richard von St. Victor, Thomas Gallus Vercellensis, Hugo von Balma oder Bonaventura und der volkssprachlichen Meditationstheologie. Mit seiner bemerkenswerten Limitierung der imaginatio setzt sich der Cloud-Autor von einer Hauptströmung der englischen Frömmigkeitstheologie im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert ab: Der Cloud-Autor hat zwar seine Vorbehalte zweifellos nicht gegen die mulier pia Margery Kempe formuliert. Dennoch ist das ,Book of Margery Kempe', die hagiographische Lebensbeschreibung einer Frau, die als Laie ein frommes Leben im Sinne der castitas, contritio und devotio aufnimmt, ein wertvolles volkssprachliches Zeugnis für die laikale Frömmigkeitspraxis, die dem Cloud-Autor vor Augen stehen könnte: Eine wichtige Grundlage für Margerys geistliches Leben sind Bücher, die der illiteraten Frau vorgelesen werden. Sie erwirbt sich dadurch Kenntnisse in der Heiligen Schrift, in den einschlägigen exegetischen Kommentaren und in books ofhiche contemplacioun. Margery werden offensichtlich die ,Revelationes' der Birgitta von Schweden, Hiltons ,Scale of Perfection', Richard Rolles ,Incendium Amoris', der pseudo-bonaventurianische ,Stimulus Amoris' und die ,Meditationes Vitae Christi' vorgetragen1. Unter Anregung dieser Bücher und weiterer äußerer Imaginationshilfen erlangt Margery meditativ-imaginative Schauungen2: Genährt durch Schriftbetrachtungen sieht Margery in Visionen die Mütter Anna, Elisabeth und Maria mit den Kindern Maria, Johannes der Täufer und Jesus3. Auf einer Jerusalemwallfahrt löst der Besuch der Heiligen Stätten umfangreiche Passionsvisionen aus, und findet im donum lacrymarum und in heftigen Wein-Attacken Ausdruck4. Wohl unter Anregung von Heiligenviten erfährt Margery eine „mystische Vermählung"5. Die Karfreitagsliturgie, die Eucharistie, Vesperbilder und weitere Imaginationshilfen unterstützen umfangreiche imaginative Schauungen der vita Christi von Gründonnerstag bis Ostern6. Im ,Book of Margery K e m p e ' sind imaginatio,

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compassio,

affectio, meditatio,

contemplatio,

visio,

Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 17 (Staley, 51/899-901): „sehe herd nevyr boke, neythyr Hyltons boke, ne Bridis boke, ne Stimulus Amorys, ne Incendium Amoris, ne non other that evyr sehe herd redyn that spak so hyly of lofe of God but that sehe felt as hyly in werkyng in hir sowie"; 58 (Staley, 141/3390-3392): „many a good boke of hy contemplacyon and other bokys, as the Bybyl with doctowrys therupon, Seynt Brydys boke, Hyltons boke, Boneventur, Stimulus Amoris, Incendium Amoris, and swech other"; 62 (Staley, 150/3634 - 151/3654); BHATTACHARIJ, Earthquake 44-46; WINDEATT, Book of Margery Kempe 15-22. Vgl. hierzu das Urteil von DUFFY, Stripping of the Altars 237: „her visionary experieneees, which seem in places little more than litteral-minded paraphrases of the relevant sections of the 'Meditationes Vitae Christi' or of Richard Rolle's almost equally influential 'Meditations on the Passion', works read to her by the spiritual directors Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 6 - 7 (Staley, 32-34). Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 28-29 (Staley, 47-80) und BHATTACHARIJ, Earthquake 42-43. Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 35-36 (Staley, 91-95). Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 73-82 (Staley, 167-189).

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revelatio und conversatio Teilaspekte, in denen die Gottesbeziehung der frommen Frau konkrete Gestalt finden kann1. Schon bald muss sich Margery freilich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, ihre Tränengabe, ihre Schauungen und Empfindungen seien nicht echt, sondern geistliche Täuschungen, Symptome einer psychischen Störung oder von außen induzierte Einbildungen2. Margery ist sich selbst durchaus der Gefahr bewusst, dass eine fehlgeleitete imaginatio die leibliche und geistliche Ebene verwischen könnte3. Margerys Frömmigkeit kann hier nicht weiter diskutiert und bewertet werden4; sie soll hier auch keinesfalls mit der Kritik des Cloud-Autors immittelbar in Verbindung gebracht werden. Dennoch kann man im ,Book of Margery Kempe' ein Zeugnis einer laikalen Frömmigkeitspraxis erblicken, in der die imaginatio eine zentrale Rolle innehat5 und die zu kontroversen Diskussionen führte. Der Cloud-Autor setzt sich von einer imaginativen Meditationspraxis, wie sie beispielsweise bei Margery Kempe begegnet, nachdrücklich ab, und versucht, das eigentliche Zentrum der contemplatio von der imaginatio abzukoppeln. Die Kritik des Cloud-Autors an der imaginativen Visualisation sollte man nicht im Sinne eines Ikonoklasmus deuten, sondern vielmehr als eine kritische Gegenreaktion zur ungeheueren Weitung der imaginatio verstehen, die sich im 14. und 15. Jahrhundert ereignet: Der Fokus der imaginatio weitet sich erstens in Bezug auf die Themen. Immer mehr biblische oder hagiographische Komplexe werden in die Visualisationstechniken mit einbezogen. Die imaginatio weitet sich zweitens auch in Bezug auf die verwendeten Medien. Die unterschiedlichen Visualisationen werden in einer immer größer werdenden Zahl von Ausdrucksformen umgesetzt, wie etwa auf Glasfenster, in der Wandmalerei, in der Dichtung, Musik, Buchmalerei und so fort. Drittens weitet sich der Fokus der imaginatio bezüglich des Adressatenkreises. Eine wachsende Zahl von Gläubigen nimmt an der bildhaft-imaginativen Spiritualität teil und richtet das Leben

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Vgl. BHATTACHARJI, Earthquake 94-98 für die Visionen; 99-114 für die mystischen Unterredungen. Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 18 (Staley, 54/994-1000): „Other whech had no knowlach of hir maner of governawns ... seyd ful evyl of hir and causyd hir to have mech enmyte and mech dysese, mor than sehe schuld have ellys had, had her evyl langage be ben. Nevyrthelesse the ankyr of the Frer Prechowrys in Lenn, whech was prinicpal gostly fadyr to this creatur as it is wretyn beforn, toke it on charge of hys sowie that hir felyngys wer good and sekyr and that ther was no disseyt in hem." Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 89 (Staley, 206/5233-5240): „Sumtyme sehe was in gret hevynes for hir felyngys, whan sehe knew not how thei schulde ben undirstondyn ... For sumtyme that sehe undirstod bodily it was to ben undirstondyn gostly ... and that drede made hir fill meke for sehe had no joye in the felyng tyl sehe knew be experiens whethyr it was trewe or not." Wichtige Grundlinien bieten etwa BHATTACHARIJ, Earthquake; BECKWITH, A very material mysticism 34-57; DICKMAN, Margery Kempe 156-172; FRIES, Margery Kempe 217-236; HIRSCH, Revelations of Margery Kempe. Zur Rolle von Stunden- und Gebetsbücher, zum Teil mit Illustrationen auf die laikale Gebetspraxis und Frömmigkeit vgl. auch DUFFY, Stripping of the Altars 210-232.

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danach aus1. Unter dem Stichwort der curiositas imaginationis möchte nun der CloudAutor darauf hinweisen, dass derartige imaginative Visualisationen nicht nur Chancen bieten, sondern auch Gefahren in sich tragen: Imaginationen können bisweilen zu einer Trivialisierung des Deus semper maior fuhren2. Und durch ihre „Faszinationskraft" können sie zudem ein Hindernis für den kontemplativen Aufstieg darstellen: Wenn das geistliche Auge an den kreatürlichen „Einbildungen" hängen bleibt, anstatt in der Kontemplation alles los zu lassen, was nicht Gott ist, dann wird das eigentliche Ziel der Kontemplation verfehlt. Auf dem Hintergrund dieses skizzierten theologiegeschichtlichen Horizonts darf man ein Fazit zur Valenz der polemischen Begriffe curiositas und subtilitas in der CloudGruppe wagen: Der Cloud-Autor benutzt die Begriffe curiositas (coriouste), um den Stellenwert der Erkenntnisorgane intellectus (witte/reson) und imaginatio (ymaginaccioun) beim mystischen Aufstieg zur Einungserfahrung deutlich zu limitieren. Mit der Limitierung des intellectus möchte sich der Cloud-Autor einerseits von einer verengten Scholastik abgrenzen, weil sie ihm für die pastoraltheologische Situation im späten 14. Jahrhundert als ungenügend erscheint3. Mit der Limitierung der imaginatio versucht der Cloud-Autor andererseits, einem überbordenden Eklektizismus der Meditationstheologie und einem Bilderüberschwang der Volksfrömmigkeit zu entgehen. Der Cloud-Autor will vor allem die Inkommensurabilität menschlicher Wissensbemühungen und der von Gott geschenkten kontemplativen Weisheit herausstellen: Die kontemplative Weisheit wird von Gott eingegossen und hat nichts mit der Eigentätigkeit der imaginacioun, der fantasie und der naturele wittes zu tun, wie der Cloud-Autor mit Berufung auf Hugo von Balma einschärft4. Dieses Konzept des Cloud-Autors wirft freilich ein Problem auf, denn man könnte dem Cloud-Autor den Vorwurf machen, er habe bei der systematischen Darstellung einer solchen Inkommensurabilität einen Selbstwiderspruch begangen oder eine Selbst1

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Siehe dazu MURSELL, English Spirituality 192-195 mit Stellenbelegen und Ausfaltung. Ein knappes Portrait neuer Frömmigkeitsformen im 14. Jahrhundert zeichnet auch SWANSON, Church and Society 280-299, und betont, dass die Verhältnisse in England mit der kontinentalen Frömmigkeitspraxis deckungsgleich seien, weswegen man keine isolierte und eigenständige devotio anglicana postulieren dürfe. Der Cloud-Autior steht mit seiner Kritik offensichtlich nicht allein. TUGWELL, Ways of Imperfection 154—157 entdeckt auch im ,Piers Plowman', in ,Pearl' und in weiteren volkssprachlichen Texten eine Apologie des Deus semper maior. Zum Profil einer „monastischen Theologie", die der Cloud-Autor durch eine Relecture für die pastorale Situation des 14. Jahrhunderts fruchtbar machen will vgl. HÄRDELEIN, Monastische Theologie 108-120. Zur kartäusischen Abwendung von einer auf Systematik reduzierten Theologie hin zu einer mystagogischen Theologie siehe auch ACHTEN, Kartäuser und Frömmigkeitsbewegungen 121-122. Vgl. P.C. (82/13-14): „fer fro any fantasie, inpossible to be streinid or to falle under the worching of naturele wittes" als unmittelbare Anlehnung an HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 409, 140): „Et ista est verissima et certitudinalis cognitio, ab omni errore et opinione et fantastica deceptione penitus elongata."

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aufhebung eingebaut: Die Theologie des Cloud-Autors kann der Einbildungskraft fast nur pejorative Momente abgewinnen und doch geschieht die Limitierung der Einbildungskraft gerade anhand der ausgeprägten Einbildungskraft des Cloud-Autors, für welche die Cloud-Gruppe mit ihren kreativen Bildern ein beeindruckendes Beispiel abgibt1. Ähnliches gilt für den Intellekt: Die Cloud-Gruppe betont die Vorläufigkeit der intellektiven Erkenntnis in Bezug auf das Ziel der mystischen Einung und doch geschieht die Limitierung des Intellekts gerade anhand der ausgeprägten intellektuellen Begabung des Cloud-Autors, für welche die Cloud-Gruppe mit ihren anspruchsvollen Theologumena ein beredtes Zeugnis ablegt. Gemäß dieser Perspektive wäre die Taktik des Cloud-Autors eine imaginative Dekonstruktion der Imagination und eine intellektive Selbstaushebelung des Intellekts; die Cloud-Texte würden sich in einem Retorsionsverfahren wider sich selbst richten und sich selbst aufheben, um dem Unsagbaren Platz zu machen und seien darin ein Vorläufer der Theorie der Postmoderne - so zumindest die Deutung mancher Interpreten2. Schaut man aber auf die eingangs getroffene Unterscheidung zwischen mystischem Wissen und mystischer Erfahrung zurück, so muss die Position des Cloud-Autors differenzierter gesehen werden: Der anonyme Autor hat Bilderlosigkeit und Überintellektivität nur in Hinblick auf die mystische Einungserfahrung angesetzt, was mit einer positiven Funktion der Einbildungskraft und des Intellekts auf einer niedrigeren Ebene des mystischen Wissens zumindest nicht im Widerspruch steht3. Wenngleich kein Widerspruch besteht, so baut sich zweifellos eine „dialektische Spannung" auf, die der Cloud-Autor nutzt, um die Differenz von mystischem Wissen und mystischer Einung besonders deutlich herauszustellen, was auf eine ganz ähnliche Weise übrigens auch Dionysius Pseudo-Areopagita getan hat4. Ob sich daraus freilich ein „postmodernes" dialektisches Retorsionsverfahren ableiten lässt, das

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Siehe MINNIS, Affection and Imagination 342: „Despite the anonymous author's constant dismissals of the imagination, he employs figurative language throughout his treatise." Eine Diskussion des Themas bietet BURROW, Fantasy and Language 283-298. BURROW zeigt, dass der Cloud-Autor eine theologische Fachsprache im Sinne der positio-negatio-supereminentia nur sehr sparsam einsetzt und alles in allem eine imaginative, direkte Sprache mit hoher „idiomatischer" und „umgangssprachlicher" Färbung verwendet. Zur „postmoderne Rezeption" der Cloud-Texte vgl. KOCIJANCIC-POKORN, Late TwentiethCentury Audience 78-90 und TAYLOR, The Cloud Texts and Some Aspects of Modern Theory 143-153. Zur englischen Mystik insgesamt vgl. PARK, Selfhood and gostly menyng und JENKINS, Paradox of the mystical text. Siehe hierzu RENEVEY, See by Ensaumple 225-243, besonders die Zusammenfassung 242-243. RENEVEY hält die imaginative Sprache der Cloud-Texte nicht nur für ein mystagogisches Mittel, das der Cloud-Autor allein zur Belehrung der ungebildeten Laienleserschaft einsetze, sondern bescheinigt dem Autor „pleasure in using images ... used in abundance, and with notable felicity". Vgl. MINNIS, Affection and Imagination 342-350 und BURROW, Fantasy and Language 2 9 1 296. Die „leibhaftige" Sprache wird gerade durch ihre „idiomatische Sättigung" in ihrer „Leibhaftigkeit" offen gelegt und vor einer falschen Spiritualisierung geschützt. Zur Entmythologisierungsproblematik siehe auch ROVANG, Demythologizing Methaphor 120-130.

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den Text aufhebt, darf man bezweifeln. Die theoretisch nicht völlig aufgearbeitete Dialektik des Cloud-Autors mag einem rein systematischen Blickwinkel gewiss nicht als angemessene Lösung genügen1; unter einem rhetorischen Blickwinkel und angesichts einer polemischen Frontstellung der Cloud-Texte gegen eine intellektualistische Scholastik und imaginative Frömmigkeitstheologie wird zumindest eine stringente Argumentationsstrategie sichtbar2. Vielleicht steckt aber hinter den polemischen Interessen des Cloud-Autors letztlich doch noch ein systematisches Anliegen, nämlich die „Zumutung" logisch unverträgliche Aspekte in ihrer realen Koexistenz offen zu legen, auch dann, wenn ihre dialektische Aufhebung vom Menschen nicht mehr „exekutiert" und „vorgeführt" werden kann.

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TUGWELL, Ways of Imperfection 170-186, betont ganz zu Recht die Asymmetrien der mystischen Theorien der Cloud-Gruppe, in der unterschiedliche theologische Aspekte, wie etwa Schöpfungstheologie und Gebetstheologie, nicht harmonisch ausbalanciert sind. Zur polemischen Frontstellung vgl. auch CHARTRAND-BURKE, Anti-Intellectual Rhethoric 115-136.

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3. Gnadentheologische Bedingungen der Mystik 3.1 Textarbeit zur Gnadentheologie Ansatzpunkt einer Gnadentheologie ist die Kommunikationsgemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Gott und Mensch sind nicht Kommunikationspartner auf gleicher Ebene, sondern zwischen dem ewigen Gott und dem geschöpflichen Menschen besteht ein unendlicher Unterschied. Darüber hinaus hat der Mensch im Sündenfall freiwillig die von Gott getragene Kommunikationsgemeinschaft aufgekündigt. Damit unter diesen Bedingungen eine Kommunikation überhaupt zu Stande kommen kann, muss Sich Gott dem Menschen schenken (gratia increata) und in dieser Zuwendung zum Menschen die Bedingungen der Möglichkeit, dass der Mensch Ihn aufnehmen und Ihm entsprechen kann, im Menschen erschaffen {gratia creata). Diese Kompromissformel zur Einwohnung Gottes mittels der gratia creata wurde als Antwort auf die von Petrus Lombardus in 1 Sent d 17 aufgeworfene Problemstellung gefunden1. In der früh- und hochscholastischen Theologie hat man auf solche Vorgaben aufbauend eine systematisch ausgereifte und terminologisch differenzierte Gnadentheologie erstellt. Schwerpunkte dieses theologischen Bemühens sind vor allem die heilsgeschichtliche Herleitung und Einordnung der Gnade, die Systematisierung der Gnadengaben als gratia gratis data und gratia gratum faciens, die Entwicklung des Begriffs der gratia habitualis und der Aufweis, wie die menschliche Freiheit mit der göttlichen Gnade koexistieren kann. In der Spätscholastik des 13. und 14. Jahrhunderts tauchen neue Akzente in der Gnadentheologie auf: Im Rahmen einer Pactum-Theologie versucht man zu zeigen, wie Gottes Freiheit gegenüber der gratia creata bestimmt werden kann („nihil creatum formaliter est a Deo acceptandum"). Mittels sprachlogischer Analyse dringt man weit in die Prädestinationsproblematik ein und formuliert paradoxe insolubilia, um die Reichweite theologischer Argumente zu prüfen2. Auf dem Hintergrund einer physica nova und einer mathesis in theologiam interessiert man sich nun auch für den quantitativen Aspekt von Gnade, da heißt für deren Zuwachs oder Abnahme in der Zeit3. Anhand des berühmten und in mehreren Richtungen interpretierbaren Satzes „facientibus quod in se est Deus non denegat gratiam"4 wird erneut das Problem des Pelagianismus kontrovers

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Vgl. AUER, Entwicklung der Gnadenlehre 1 86-123; LANDGRAF, Dogmengeschichte 1 220237. Siehe COURTENAY, Schools and Scholars 258-262; 282-303. Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 282-294. Zur früh- und hochmittelalterlichen Entwicklung vgl. LANDGRAF, Dogmengeschichte 1 1, 238302, besonders 249-264.

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besprochen. Inmitten dieser gnadentheologischen Diskussionen entwickelt sich gerade in England um die Jahrhundertmitte eine gewisse Augustinus-Renaissance1. Um fur die erwähnten Fragestellungen einen tragfähigen Unterbau zu haben, beschäftigen sich nicht wenige Theologen mit augustinischen Schlüsseltexten zur Gnadenlehre und daneben erneut mit den klassischen Konzepten von Thomas von Aquin und Bonaventura. Im Folgenden ist zu untersuchen, welche Akzente und Schwerpunkte in der Gnadentheologie der Cloud-Autor setzt, und an welche Vorgaben er sich angelehnt haben könnte. 3.1.1 Grunddaten der Gnadentheologie In der Cloud-Gruppe finden sich einmal eine Fülle von mittelenglischen Äquivalenten normativer lateinischer Fachterme zur Systematisierung der gratia creata, die im 13. Jahrhundert unter anderem von Thomas von Aquin und Bonaventura ausgearbeitet wurden: Die geschaffene Gnadenwirkung kann eine eher aktuale Einwirkung Gottes auf die menschlichen Seelenkräfte sein. Im Sinne einer solchen gratia actualis/excitans ist ein Gedanke des intellectus ein Werkzeug der Gnade oder bewegt eine Gnadenregung (steryng) den affectus des Menschen2. Die gratia praeveniens {grace going before) geht jeder Antwort des Menschen voraus, um diese erst zu ermöglichen3. Die gratia cooperans {grace as gide) trägt und stützt die Antwort und Hinkehr des Menschen zu Gott; sie ist gleichsam Wegführer, damit der Mensch zu seinem überzeitlichen Ziel gelangen kann4. In der gratia operans {worching grace) ergreift Gott den sich hingebenden Menschen ganz und gar, ohne dass der Mensch aktiv mitwirken würde, und zieht ihn zu Sich5. Die geschaffene Gnadenwirkung kann als gratia habitualis {grace in custom and continuel worchyng) eine eher bleibende Beschaffenheit der Seele sein, die ihr habituell einwohnt und worin die Neuschöpfung, Umgestaltung und GottfÖrmigkeit

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Vgl. COURTENAY, Schools and Scholars 307-324. Vgl. Pr. (107/15-18): „For wite thou rieht wel that iche a thoucht that stereth thee to the good ... is bot an instrument of grace" und CI. prol (2/8-9): ,,bi inward stering after the prive sperit of God". Siehe auch AUGUSTINUS, pecc mer 2, 18, 31 (CSEL 60, 102): „quod vero ad Deum nos convertimus, nisi ipso excitante atque adiuvante non possumus", WALTER HILTON, sc perf 2, 20 (Bestul, Zeilen 1020-1021): „therefore it is resonable that aftir He stireth and techeth, so a man folwe and wirke" und mehre Wendungen in 2, 35 (Bestul, Zeilen 2420-2488). Vgl. P.C. (98/25-26): „by the helpe of grace goyng before". Vgl. P.C. (82/38-39): „then schalt thou go tristely groundid in grace, the gide of thi goostly wey" Vgl. Cl. (34/10-11): „wroucht... not by himself bot by the hande of Almichty God" und die ähnlichen Stellen von Cl. (34/36-39); (39/1-2); (39/2-3); (39/11-13); (45/21); (51/17-18); P.C. (88/21-23); (93/5-23); (93/34-39). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe AUGUSTINUS, grat et lib 17, 33 (PL 44, 901) und THOMAS VON AQUIN, STh I-II q 111 a 2 (Ed. Paul., 1064—1065) mit der Unterscheidung zwischen gratia cooperans und gratia operans. Weitere Hinweise bei CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 131 (Anm. 61/18-21).

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ihren eigentlichen Ausdruck findet1. Diese dem Menschen habituell einwohnende Gnade manifestiert sich in erster Linie als gratia communis, das heißt in den theologischen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe, oder aber durch andere Tugenden, deren Schemata gleich anschließend beleuchtet werden müssen. Ein in der gratia gratum faciens stehender Mensch kann an der Erlösung der Welt mitarbeiten und Verdienste sammeln2. Darüber hinaus kann Gott dem Menschen auch die gratia specialis (specyal worching of grace) der Kontemplation oder mystischen Einung schenken, in der die Gottesgegenwart einen besonders tiefen, erfahrungshaften Charakter erreicht3. Neben einer solchen breiten Anlehnung an einzelne gnadentheologische Begriffe der magistralen Scholastik finden sich in der Cloud-Gruppe auch komplexere Theologumena, wie zum Beispiel die reformatio gratiae: Augustinus hat die Erbsünde als Deformation bestimmt und konnte auf dem Hintergrund von Rom 12, 2: „Nolite conformari huic saeculo, sed reformamini in novitate sensus vestri" von einer Reformation des Menschen durch das Einfließen der Gnade sprechen4. Wie viele andere mittelenglische Autoren - etwa Walter Hilton5 - hat auch der Cloud-Autor den Topos der reformaccioun by grace in seiner geistlichen Weisung verwendet, um auszudrücken, dass durch das Einfließen der Gnade der Mensch wieder in Stand gesetzt wird, sich auf Gott mit dem intellectus erkennend und mit dem affectus liebend zu beziehen6. Zur Illustration der reformatio bedient er sich weiterer Bilder: Die durch die Gnade wieder in Form gebrachte imago gleicht einem Gesicht, dessen Schmutzfleck abgewaschen wurde7. Die

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Vgl. Pr. (106/27): „take good kepe of that worching that is made in thi soule that tyme and shape thee inasmoche as thou maist thorou grace" und D. (117/27-28): „thou maist by grace kepe it in custom and in contynuel worching". Siehe CI. (33/35-38): „and whoso wile be a partite dissiple of oure Lordes, him behovith streyne up his spirite in the werk goostly for the salvacion of alle his brethren and sistren in kynde, as oure Lorde did his body on the cros." Vgl. P.C. (94/15): „a more specyal worching of grace" Vgl. AUGUSTINUS, trin 7,6, 12 (CCL 50,267); 14, 16, 22 (CCL 50, 451). Vgl. WALTER HILTON, scperf 1, 45 (Bestul, Zeile 1285): „that oure soule myght be reformed, as it were". Der Topos begegnet in ausführlicher Reflexion bei WALTER HILTON, sc perfl, 31 (Bestul, Zeilen 2094-2153) und im ganzen zweiten Buch der ,Scale'. Er wird dort zum berühmten Theologumenon der reformacion in faith und reformation in felyng ausgebaut, was so in der Cloud-Gruppe nicht vorkommt. Siehe dazu CLARK, Augustine, Anselm and Walter Hilton 102— 126. Vgl. Cl. (10/17-18): „reformid by grace"; (10/26): „reformyng grace"; Β .Μ. (144/4): „reformeth in us his ymage that has ben dysfigurid". Zur Metaphorik der reformatio siehe RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 204-208. Die darin enthaltene „prospektive Erlösungslehre" betont NORQUIST, Glossary 34. Vgl. Cl. (40/5-7): „wheraneintes the foule spot is on his visage ... he rennith to the welle to wasche hym."

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imago ist wie ein Blatt Papier, dessen verdorbener Text durch die Gnade ausgelöscht wird, damit das blütenreine Blatt neu beschrieben werden kann1. Ein anderes Theologumenon ist die familiaritas cum Deo: In der Begnadung schenkt Sich Gott dem Menschen {gratia increata), indem Er im Menschen die Bedingungen der Möglichkeit, dass der Mensch Ihn aufnehmen und Ihm entsprechen kann, im Menschen erschafft {gratia creata). Dadurch wird eine Kommunikationsgemeinschaft zwischen Gott und Mensch möglich, welche die lateinische Tradition als familiaritas cum Deo bezeichnet. Das Theologumenon wurzelt zwar im biblischen Substrat, ist in seiner ausdrücklichen Form aber erst von Gregor dem Großen in die theologische Sprache eingeführt worden. In der englischen Frömmigkeitsliteratur wird dieses Theologumenon mit Rückgriff auf eine germanische Wurzel als homelines bzw. homelihed übertragen und begegnet bei Walter Hilton, bei Julian von Norwich, Margery Kempe und in der Cloud-Gruppe; das Lehnwort familiarite ist hingegen vor dem 15. Jahrhundert unüblich und kaum belegt2. In der Cloud-Gruppe lässt sich der Ausdruck homely with God nur dreimal aufspüren3, aber für die Rezeption der familiaritas in der Cloud-Gruppe dürfen weitere Topoi nicht unberücksichtigt bleiben, die Einzelaspekte auffalten: Der Beter ist Gottes Kind, das Ihm mit reiner Liebe anhangt4. Der Vater spielt mit Seinem Kind in einem ludus amoris, bei dem Er es küsst und herzt. Wenn das Kind aber wegen der Furcht vor wilden Tieren weinen muss, dann trocknet der Vater liebevoll die Augen5. Dieser Topos des ludus amoris mit Herzen, Küssen, Schutz und Trost findet sich auch bei anderen englischen Autoren, etwa in ,Ancrene Wisse', in ,The Chastising of God's children' und bei Jakobus von Mailand6. Vergleicht man die Cloud-Texte mit

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Vgl. Sp. (152/26-27): „For fast after confession a soule is, as it were, a clene paper leef for abilnes that it hath to receive what that men will write therupon." Das Bild könnte vom Autor selbst geprägt worden sein. Ein vergleichbares Bild bei HUGO VON Β ALMA, sion lug (SCh 408, 126128) bezieht sich nämlich gerade nicht auf die purgatio: „Ista divinis illuminationibus et distillationibus caelestibus scribitur in corde; illa (scientia) vero penna anseris er atramento scribitur in pelle." Vgl. etwa WALTER HILTON, sc perf2, 25 (Bestul, Zeile 3408) und JULIAN VON NORWICH, rev LT! (Crampton, Zeile 276). Für weitere Belege siehe RIEHLE, Studien zur englischen Mystik, 138-144. Vgl. Cl. (70/27), (73/39-41) und B.M. (133/2-3). Vgl. Cl. (104/7-8): „And than schalt thou be clepid Goddes owne childe, loving him with a chast love for himself and not for his goodes." Vgl. Cl. (48/36-37) und (37/20-21). Den ludus amoris in der Cloud-Gruppe besprechen eigens ENGLERT, Of Another Mind 3-12 und TIXIER, Good Gamesumli Pley 235-253. Der ludus amoris mit der Mutter anstelle des Vaters findet sich in ANCRENE WISSE (EETS 249, 118-120) und in CHASTISING (Bazire/Colledge, 98): „he pleieth with us as a modir with hir child ... biclippynge hir child and kissynge, and wipeth awei the teens". Den Schutz der Umarmung bei Furcht kennt auch JAKOBUS VON MAILAND, stim amor 6 (Bibliotheca Franciscana Ascetica 4, 28): „More bonae matris facis, Ο Domine, quae filium a se elongatum desiderans amplexari, per aliquod horribile sibi timorem inducit et expandens brachia filium recipit fugientem."

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anderen Texten der englischen Frömmigkeitstheologie, so springen vor allem die Knappheit und Schlichtheit des Familiaritas-Motivs der Cloud-Gruppe ins Auge. Bei Margery Kempe wird die familiaritas breit ausgemalt: Die Trinität nimmt in der Seele Platz, wozu ihr drei verschiedenfarbige Seelenkissen bereit stehen1. In Anlehnung an die Hohelied-Allegorese wird das Familiaritas-Motiv noch weiter vorangetrieben: Die Seele pflegt mit Gott ein Liebesgespräch (daliaunce)2, dessen erotische Note sich verstärken lässt, bis hin zu dem Bild, die sponsa und der sponsus lägen gemeinsam in einem Bett3. Von einem solch allzu vertraulichen Umgang will der Cloud-Autor nichts wissen und mahnt an, Gott nie allzu vertraulich zu begegnen und dabei Seine göttliche Souveränität und Autorität zu vergessen4. Eine ganz ähnlich Vorsicht lässt übrigens auch Julian von Norwich walten, wenn sie den Begriff homelines zwar oft verwendet, dann aber doch vor einer over-homelines warnt, die durch vornehme Zurückhaltung, durch curtesy, unbedingt vermieden werden müsse. Man darf zusammenfassen: Im Gegensatz zu manchen Autoren der Frömmigkeitstheologie verwendet der Cloud-Autor das Familiaritas-Motiv mit einer großen Zurückhaltung5. Die homelines wird nicht so sehr in der Meditation erreicht, sondern ist der Kontemplation vorbehalten. Erotische Konnotationen werden konsequent ausgeblendet und Seitenthemen wie das Commerciw/w-Motiv spielen keine nennenswerte Rolle6. Ein weiteres Theologumenon der Cloud-Gruppe, aus dem Einzelbilder ausgefaltet werden, bezieht sich auf den Christus medicus. In der Patristik, bei Augustinus, Bernhard, den Viktorinern, Bonaventura und unzähligen anderen Autoren wurden Soteriologie und Gnadenlehre konsequent als medicina animarum7 ausgestaltet: Wenn die Erbsünde einer Krankheit gleicht, dann darf Christus als Arzt und das in Kreuz und Auferstehung hervortretende Heilsgeschehen der Erlösung als Heiltherapie aufgefasst werden. Christus als Arzt spendet dabei dem erbsündlich Erkrankten durch die Sakramente und im Gebet eine heilende Gnade. Einzelne Bilder einer solchen Christus/Meifcws-Theologie begegnen sowohl in der scholastischen Reflexion als auch in der geistlichen Instruktionsliteratur. Die Stärke der Christus-medicus-Theologie ist, dass sie Christologie, Soteriologie, Gnadentheologie, Sakramenten- und Gebetstheologie auf 1 2 3 4 5

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Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 86 (Staley, 198/5006 - 199/5026). Vgl. dazu RIEHLE, Studien zur englischen Mystik, 146-147 und BHATTACHARIJ, Earthquake 99-114. Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 36 (Staley, 94/2097-2102). Vgl. Cl. (73/39-41): „for he schal not take over-homely therapon and wene that it be in grete party in his owne power, to have it when him list and as him list." HUIZINGA, Herbst der Mittelalters 217 weist darauf hin, dass in manchen Strömungen der spätmittelalterlichen Frömmigkeit der Abstand zwischen dem Irdischen und dem Heiligen stark eingeebnet wird. Diesen von Huizinga herausgearbeiteten Zug könnte man durchaus anhand des ,Bookes of Margery Kempe' illustrieren. Der Cloud-Autor steht dazu in einer gewissen Opposition. Vgl. dazu RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 144-147. Siehe HERZOG, Christus medicus 414-434.

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eine anschauliche Weise miteinander verbindet; verständlich, dass sie ein beliebter Bestandteil katechetischer und mystagogischer Unterweisungen ist und auch in der mittelenglischen Frömmigkeitstheologie aufgespürt werden kann - bei Walter Hilton, bei Julian von Norwich, Margery Kempe und in der Cloud-Gruppe. Im ,Buch der mystischen Unterweisung' findet sich beispielsweise eine Auslegung der Perikope der blutflüssigen Frau1: Wenn die kranke Frau durch eine Berührung des Saums des Gewandes Christi ihre Gesundheit wiedererlangte, wie Mt 9, 21 berichtet, dann darf auch der von Sünden kranke Beter auf den heilenden Gott hoffen. Wenn er sich nämlich in der Kontemplation rückhaltlos auf Gott ausrichtet, dann soll er sein krankes Selbst mit der Gottespräsenz wie mit einem Heilpflaster, einem piastre, bedecken, um durch eine äußerliche Anwendung zu gesunden 2 . Wenn er sich der göttlichen Gnade wirklich öffnet, so empfängt er zusätzlich ein Heilmittel (triacle) zur innerlichen Anwendung, nämlich ein Gift-Antidot gegen die Restkonkupiszenz 3 . An einer anderen Stelle wird zur Wasseranwendung geraten: Der Schmutz aktualer Sünden kann mit dem Wasser der Beichte aus dem Brunnen der Kirche abgewaschen werden; für die Restkonkupiszenz genügt das erfrischende Wasser des Gebetes aus dem Brunnen Gottes4. Für die ausgemergelte und ausgehungerte imago hat der heilende Gott eine gnadenhafte Speise zur Stärkung bereitet5. Aber nicht nur die geistige imago sondern auch das Fleisch wird durch die Gnade wiederbelebt 6 . Auf einer etwas anderen Bildebene verwendet der Cloud-Autor Topoi mit ähnlicher Aussageabsicht: Interpretiert man die erbsündlich geschädigte Seele als Garten, so ist das Fließen der Gnade Bewässerung für den vertrockneten Bo-

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Vgl. P.C. (77/27-42). Vgl. AUGUSTINUS, in psalm 90, 2, 6 (CCL 39, 1272); BERNHARD VON CLAIRVAUX, cant 18, 3, 5 (Leclercq 1, 106-107). Ein christologisch illustriertes Pendant begegnet bei WALTER HILTON, firm cred (AC 124/2, 276/562-566): „Summum igitur remedium contra fluctuacionem tenebrose consciencie est recordacio frequens pascionis Christi. Quid enim tarn efficax emplastrum ad curandam omnia vulnera cordis, necnon ad purgandam mentis tue aciem, quam Christi vulnerum meditacio?" Vgl. P.C. (77/35): „triacle". Siehe WALTER HILTON, mixed life (ERS 92/15, 52/617): „for it is triacle maad of venym for to distroie venym" und WILLIAM LANGLAND, piers plowman ClText (Pearsall, 1/146-148): „love is triacle of hevene". Vgl. CI. (40/7-10): „Chif the spot be any special synne, than is this welle Holy Chirche, and this water confession; with the circumstaunces. Chif it be bot a blynde rote and a steryng of synne, than is this welle mercyful God, and this water preyer, with the circumstaunces". Für das Abwäschen in der Beichte siehe ANCRENE WISSE (EETS 249, 155/6-8) und SUMMA VIRTUTUM 1 (Wenzel, 71/357-358). Hinweise auch bei CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 153 (Anm. 72/16). Vgl. P.C. (76/10): „fed with touching of grace". Weitere Stellen im Sinne eines positiven, gnadenhaften „fedyng" finden sich in Cl. (8/32); (11/7-8); (14/7-8); (16/7-8). Vgl. die Auslegung von „universi carni sanitas est" aus Spr 3, 13-14 in P.C. (83/31-39).

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den1, während die noch saftigen Unkrautwurzeln der Restkonkupiszenz durch die gnadenhafte Caritas austrocknen 2 . 3.1.2 Schwerpunkte der Gnadentheologie In einem Kapitel der ,Wolke des Nichtwissens' 3 und in einem längeren Abschnitt des ,Buches der mystischen Unterweisung' 4 findet sich eine ausführlichere Reflexion eines ganz besonderen Aspektes der gnadenhaften Kommunikationsgemeinschaft zwischen Gott und Mensch, der in der Theologiegeschichte immer wieder kontrovers verhandelt wurde: Im Dialog zwischen Gott und Mensch trifft die ungeschaffene, ewige Freiheit Gottes auf die geschaffene Freiheit des Menschen. So stellt sich das Problem, welche Aspekte welchem Pol zugeschrieben werden sollen, und die Frage, wie der Mensch zugleich ein eigenspontanes Subjekt und hinnehmendes Objekt einer Begnadung sein kann. Der Cloud-Autor entwickelt selbstverständlich keine umfassende Theologie des concursus divinus, der Prädestination oder der Vorsehung, sondern konzentriert sich auf den Anwendungsfall innerhalb des Gebetsvollzuges: Der Cloud-Autor greift dazu auf das johanneische Diktum „Sine me nihil potestis facere" zurück und zitiert damit eine Stelle, aus der so verschiedene Autoren wie Augustinus, Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von Auxerre, Richard Fishacre, Bonaventura und Thomas von Aquin gnadentheologische Folgerungen gezogen haben 5 . Um die grundlegende Rückführbarkeit jedes Geschehens auf Gott mit der Tatsache der kreatürlichen Freiheit auszugleichen, entfaltet der Cloud-Autor den biblischen Satz mittels einer Distinktion: Das Wollen Gottes kann auf drei Weisen wirksam werden. Gott kann zulassen (sufferyng), zustimmen (consentyng) und wirken (worchyng). Die göttliche Bejahung in Form eines sufferyng (=acceptatio generalis) bezieht sich auf jegliches

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Vgl. Cl. (48/24): „wetyng of grace" als Äquivalent für „humor gratiae". Siehe auch WALTER HILTON, sc perf2, 12 (Bestul, Zeile 617): „Iicour of grace" und GUIGO DE PONTE, contempt 3, 7 (AC 72, 196/5): „infusionem Sancti Spiritus rore caelestis". Weitere Hinweise finden sich bei CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 174 (Anm. 87/14). Vgl. Cl. (35/14-15): „For in this werk a soule drieth up in it the rote and the grounde of sinne that wil alweis leve in it after confession, be it never so besy" und die ähnlich lautende Stelle von Cl. (21/18). Ein ähnlicher Topos begegnet beispielsweise bei WALTER HILTON, sc perf 1, 42 (Bestul, Zeilen 1104-1147). Zum theologischen Hintergrund siehe auch CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 101 (Anm. 38/15-16). Vgl. Cl. ( 3 8 / 5 - 3 9 / 2 1 ) . Vgl. P.C. (92/39 - 94/10). Vgl. AUGUSTINUS, spir et lit 25, 42 (CSEL 60, 196); 29, 50 (CSEL 60, 207); 30, 52 (CSEL 60, 209); ep pelag 2, 8, 18 (CSEL 60, 480-481); 4, 6, 14 (CSEL 60, 534). BERNHARD VON CLAIRVAUX, grat et lib 1, 1 (Leclercq 3, 166). WILHELM VON AUXERRE, sum aur lib 4 tr 8 c 4 (Spie. Bon. 19, 207). RICHARD FISHACRE, sent 2 d 26 (Ms B, 136r). BONAVENTURA, sent 2 d 28 a 2 q 3 (Quaracchi 2, 688-690), THOMAS VON AQUIN, STh / - / / q 109 a 6 (Ed. Paul., 1055). Siehe dazu CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 52-53 (Anm. 162/910).

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Geschehen in Raum und Zeit; die göttliche Bejahung in der Form eines sufferyng and consentyng (-aceptatio specialis) bezieht sich auf alle aktiven Vollzüge des Menschen, die gerechtfertigt sind; die göttliche Bejahung in Form eines principaly steryng and worchyng bezieht sich hingegen auf den kontemplativen Vollzug. In ihm aktuiert der Beter seine Eigenspontaneität als radikale Hingabe und Übereignung, wodurch Gott ihn ganz ergreifen kann (we only but sufferyng and consentyng)1. Gleichsam als Resümee dieser Reflexion gebraucht der Cloud-Autor die Vokabel cheef-worcher1 als Äquivalent des scholastischen Terms actor principalis, der bei Wilhelm von Auxerre, Thomas Gallus Vercellensis, Thomas von Aquin und Thomas Bradwardine begegnet3. Mit diesem Begriff soll unter anderem zur Sprache kommen, dass Gott als actor principalis nicht nur eine gewöhnlich gratia cooperans verleihen kann, mit welcher der Mensch mitarbeiten soll, sondern auch die ganz besondere gratia operans der Kontemplation, in welcher der sich übereignende Beter von Gott ganz ergriffen wird4. Auf dieser Linie liegt auch die Unterscheidung einer zweifachen Berufung: Zur Erlösung berufen (clepid to salvacioun) ist jeder Mensch, zur Vollkommenheit berufen (clepid to perfecciouri) nur der, dem Gott die gratia operans der Kontemplation verleiht5. Aus diesem zentralen Argument folgert der Cloud-Autor weitere theologische Teilaspekte: Die Kontemplation ist keine Technik, die der Mensch nach seinem Belieben erwerben und anwenden könnte, sondern eine Gnadengabe6. Die Kontemplation ist sine medio1. Sie kann nicht im eigentlichen Sinne verdient werden und die dispositio zur Kontemplation wird in der Gnadengabe der Kontemplation selbst mitgestiftet8. Als

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Vgl. P.C. (93/24 - 94/3). Vgl. Pr. (105/36-37): „cheef worcher"; P.C. (88/22) „cheef sterer and worcher". Vgl. WILHELM VON AUXERRE, sum aur lib 2 tr 13 c 1 (Spie. Bon. 17/2, 472); lib 4 tr 8 c 4 (Spie. Bon. 19, 207). THOMAS GALLUS, expl div nom 4, 9 (Ms V, 51v). THOMAS VON AQUIN, STh 1-11 q 111 a 2 ad 3 (Ed. Paul., 1065). THOMAS BRADWARDINE, causa dei 1, 39 (Savile, 343). Siehe dazu CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 45 (Anm. 88/2123). Vgl. Cl. (34/10-11); (34/36-39); (39/1-2); (39/2-3); (39/11-13); (45/21); (51/17-18); P.C. (88/21-23); (93/5-23); (93/34-39). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe AUGUSTINUS, grat et lib 17, 33 (PL 44, 901) und THOMAS VON AQUIN, STh 1-11 q 111 a 2 (Ed. Paul, 1064-1065) mit der Unterscheidung zwischen gratia cooperans und gratia operans. Weitere Hinweise bei CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 131 (Anm. 61/18-21). Vgl. P.C. (92/19-20; 34-37). Vgl. Cl. (38/9-11; 18-19; 21). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. auch WALTER HILTON, sc perfl, 20 (Bestul, Zeilen 992-1093) und CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 144-147. Vgl. Cl. (34/17-19): „the steryng of love - that is the werk of only God" ; (39/11-13): „it is only God that sterith thi wyl and thi desyre; pleynly by hymself, withouten mene outher on his party or in thin" und die Wendung P.C. (88/22). Vgl. Cl. (38/27-39).

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Abbreviatur des mystischen Lebens könnte man sagen, Gott wirke, der Beter erleide1. Oder im Bild gesprochen: Gott ist Zimmermann, der Beter Baum; Gott ist Hausherr, der Beter Haus 2 . Dadurch wird freilich die kreatürliche Freiheit nicht aufgehoben: Wenngleich der Beter die Kontemplation nicht nach seinem Willen erwerben kann, so kann er sie nach seinem Willen zerstören und verlieren3. Wenngleich in der gratia operans allein Gott wirkt, so wird die Spontaneität des menschlichen Willens nicht ausgehebelt, weil radikale Selbsthingabe und Übereignung an Gott nochmals Akte des freien Willensvermögens sind4. 3.1.3 Bilder der Gnadentheologie In der obigen Untersuchung der Terminologie und Topologie der Gnadentheologie der Cloud-Gruppe haben sich Schwerpunkte abgezeichnet, nämlich die Theologumena der reformatio, der familiaritas oder der sanatio und die Bestimmung Gottes als actor principalis. Daneben hat der Cloud-Autor auch größere Bildkomplexe aus der patristischen, früh- und hochmittelalterlichen Theologie entlehnt, um den volkssprachlichen Lesern theologische Gehalte anschaulich zu präsentieren. Wenngleich hier keine vollständige Aufstellung geboten werden kann, so soll doch zumindest exemplarisch gezeigt werden, auf welche Weise sich die Relecture lateinischer Vorgaben in der Cloud-Gruppe vollzieht. a) Allegorische Auslegung der Jakobsfamilie Richard von St. Victor hat seinen umfangreichen Traktat ,Beniamin minor' als Hinfuhrung zur Kontemplation konzipiert. Er möchte darstellen, wie das Einfließen der Gnade in die menschliche Seele Tugendfrüchte hervorbringt, die in ihrem progressiven Charakter einen Gebetsweg bilden. Seine Tugend-Psychologie entwickelt er durch eine allegorische Auslegung der alttestamentlichen Jakobsgeschichte: Wie die Ehefrauen Lea und Rachel und die Mägde Silpa und Bala durch Jakob immer wieder guter Hoffnung sind und Kinder gebären, so bringen auch die Hauptpotenzen affectio und ratio

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Vgl. Cl. (39/2-3): „thou bi the suffrer ... and lat it alone" ; P.C. (88/23): „bot the consenter and suffrer"; (92/41): „consentyng and suffryng"; (93/37): „suffring and consenting". Siehe dazu auch WALTER HILTON, sc per/2, 35 (Bestul, Zeilen 2451-2452): „thanne is the soule more suffiynge than doynge". Vgl. Cl. (39/4-5): „Be thou bot the tre, and lat it be the wricht; be thou bot the hous, and lat it be the hosbonde wonyng therin". Zum Bild des Hauses vgl. BERNHARD VON CLAIRVAUX, cant 46, 8 (Leclercq 2, 60/13): „domus spiritualis". Vgl. etwa Pr. (106/14-17): „And in this oonheed ist he mariage maad bitwix God and the soule, the whiche schal never be broken ... bot by a deedly sinne." Vgl. P.C. (88/22-25): „thou only ... bot the consenter and suffrer: savyng that this consent and this suffring schal be, in the tyme of this werk, actuely disposid and ablid to this werk in purete of spirit"; zur Interpretation siehe auch WILL, Passivity 63-70.

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und die Nebenpotenzen sensualitas und imaginatio in der personal-dialogischen Beziehung zu Gott Gnadenkinder, das heißt geordnete Affekte und Gedanken hervor1. Dieser originelle Traktat zur geistlichen Psychologie wurde in die mittelenglische Volkssprache übertragen und dabei gestrafft und vereinfacht2. In vielen Handschriften erscheint die volkssprachliche Paraphrase als integraler Bestandteil der Cloud-Gruppe; dennoch muss offen bleiben, ob sie tatsächlich der Feder des Cloud-Autors entstammt. HODGSON hat die stilistische und theologische Kompatibilität des Traktates mit der übrigen Cloud-Gruppe betont, während ELLIS mit großem Einfühlungsvermögen gerade die Unterschiede und Diskrepanzen herausgearbeitet hat - eine Diskussion die hier unentschieden bleiben darf3. Denn selbst wenn der Traktat nur sekundär zur Cloud-Gruppe gehören sollte, so ist doch ,Beniamin minor' in der ganzen Cloud-Gruppe gegenwärtig: Das anthropologische Schema ratio-affectio-imaginatio-sensualitas wird in der , Wolke des Nichtwissens' rezipiert4 und der Gebetsaufstieg im ,Brief über das Gebet' ist auf dem Hintergrund des Tugendschemas von ,Beniamin minor' komponiert5. Schon allein aus diesem Grund ist an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die Gnadenkinder gerechtfertigt: Durch das Einfließen der Gnade bringt die affectio die Tugenden der Gottesfurcht, des Reueschmerzes, der Hoffnung auf Vergebung und der Gottesliebe hervor. Die imaginatio gebiert eine Schau der ewigen Bestrafung und eine Schau der Glückseligkeit. Die sensualitas bringt Enthaltsamkeit und Geduld hervor. Der affectio entspringen innere Süße, vollkommener Sündehass und geordnete Abneigung gegen ein erneutes Sündigen. Der ratio erwachsen schließlich Unterscheidungsgabe und ekstatische Kontemplation6. Von besonderem Interesse sind in unserem Zusammenhang die Art und Weise, wie die mittelenglische Paraphrase die lateinische Vorlage von Richard von St. Victor abändert: Die mittelenglische Beniamin-minor-Paraphrase besticht vor allem durch ihre Kürze und gesteigerte innere Dramatik. Richard von St. Victor faltet in seinem lateinischen Text eine einfühlsame Tugendpsychologie breit auf und schreitet die einzelnen Punkte in einem geruhsamen Rundgang ab. Die mittelenglische Paraphrase konzentriert sich hingegen auf prägnante Skizzen der einzelnen Tugenden und schreitet rasch vorwärts zur alles umfassenden discretio, die der ekstatischen Kontemplation in reiner Gottesliebe Platz macht. Durch die geschickte Raffung wird der Charakter dieser Schrift als bloße Vorbereitung auf die Kontemplation gesteigert. Eine weitere Straffung

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Siehe RICHARD VON ST. VICTOR, ben min (PL 196; 1-64). Vgl. B.M. (129-145). Siehe HODGSON, The Cloud 1944, LXXIX; HODGSON, The Cloud XIV; ELLIS, Authors 193221 und CLARK, Introduction 9-10. Siehe dazu Cl. (64/15 - 66/28). In Pr. (101/1 - 103/2) wird auf die richardischen Tugendsöhne angespielt und Ruben als „drede of God", Simeon als „sorow of synne", Levi als „hope of forchevenes" und Juda als „love of good God" gestreift. Vgl. B.M. (129/1-131/13).

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erfahren die Tugendgaben im ,Brief über das Gebet': Die zwölf Tugenden werden zu einer „Meditation der Gottesfurcht" und zu einer „Meditation der Hoffnung" verdichtet. Die beiden Aspekte werden in einer Allegorie als Gebetsbaum gedeutet, der hernach bei der Besprechung der Gebetstheologie genauer dargestellt wird1. Als Fazit darf man festhalten: Der Cloud-Autor hat sich mehrmals an den Traktat ,Beniamin minor' von Richard von St. Victor angelehnt und Theologumena oder Topoi in seine Instruktionsliteratur übernommen - ob er die mittelenglische Paraphrase nun verfasst hat oder nicht. Auffallend ist der Versuch, das Tugendschema Richards zu verdichten und zu straffen. Der Cloud-Autor hat offensichtlich kein Interesse an einer breiten Tugend-Psychologie, sondern behandelt sie als bloßen Vorlauf zur Kontemplation, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Verfassern der mittelenglischen Frömmigkeitstheologie, die Tugend- und Aufstiegsschemata einen breiteren Stellenwert einräumen. b) Gnadenkönig und die Gnadenkrone Der Mensch ist Bild Gottes. Er ist ein Bild des trinitarischen Gottes vermöge seiner drei Seelenpotenzen memoria-intellectus-affectus. Durch das Einfließen der Gnade wird das durch die Schöpfung grundgelegte Schöpfungsbild (imago creatä), das erbsündlich erkrankt ist {imago deformata) wiederhergestellt und geheilt (imago reformata). Die gängige theologische Lehre versucht zu zeigen, wie die gnadenhaft erneuerte imago aussieht: Der memoria erwächst die Tugend der Hoffnung, dem intellectus die Tugend des Glaubens und dem affectus die Tugend der Liebe. Dieses Schema der drei Theologischen Tugenden und ihre Zuordnung zu den drei Seelenpotenzen begegnet in lateinischen und volkssprachlichen Texten, so etwa bei Bonaventura und in einem Traktat, der in einer Handschrift mit Cloud-Texten zusammengebunden ist2. Der klassische Ternar wird aber gerade vom Cloud-Autor nicht rezipiert; offensichtlich ist er nicht so sehr am allgemeinen Tugendenleben des Christen interessiert, als vielmehr an Schemata, die auf ganz spezielle Fragestellungen der Kontemplation eingehen. Zum Bild des „Gnadenkönigs": Kontemplation ist ein Blick auf Gott. Wer aber die Augen zu Gott erheben will, um Ihn kennen zu lernen, der muss vorher sich selbst kennen gelernt haben3. Um diese Selbsterkenntnis anschaulich zu machen, bedient sich der Cloud-Autor des Bildes eines Gnadenkönigs4: Wenn der Mensch sich selbst kennt, dann muss er nicht mehr vor der Wahrheit seiner Person fliehen und krampfhaft versu-

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Vgl. Pr. (101/1 - 103/2), gleichsam als Zusammenfassung von B.M. (131/13 - 133/29). Siehe BONAVENTURA, itin 4, 3 (Quaracchi 5, 306-307), brev 5, 4 (Quaracchi 5, 256-257) und den Text aus Ms Cambridge UL Kk VI 26 mit dem Incipit ,How mans sawle is made to the ymage and the liknes of the holy trinite', den CLARK, Notes on ,The Book of Privy Counselling' 6 7 69 abdruckt. Vgl. D. (110/15-36); von der Aussage her ähnlich ist B.M. (142/16-36). Vgl. D. (110/33-111/16).

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chen, seine Selbsttäuschungen aufrecht zu erhalten. Er kann sich ertragen, ist mit sich versöhnt und sitzt ruhig in sich selbst. Wegen dieser Selbstsouveränität darf er in Anlehnung an Spr 20, 8: „Rex qui sedet in solio iudicii dissipat omne malo intuito suo" oder auf dem Hintergrund von Isidor von Sevilla, der rex von recte agere herleitet1, als ein König bezeichnet werden. Der Mensch ist ein „König der Selbsterkenntnis", weil er das Reich seiner Gedanken und Herzensregungen, das heißt die Gehalte seines theoretischen wie praktischen Bewusstseins in leiblichen und geistigen Belangen unter Kontrolle halten kann. Er vermag sich selbst in dreifacher Hinsicht zu lenken: Mit Kraft (michtly), mit Weisheit (wisely) und mit Güte (goodly)2. Ein ganz ähnliches Bild findet sich übrigens auch in der volkssprachlichen Schrift ,Abbey of Holy Ghost' 3 . Mit Hilfe dieser drei Bestimmungen der augustinischen Theologie der Appropriationen - die Macht korrespondiert dem Vater, die Weisheit dem Sohn, die Güte dem Geist - will der Cloud-Autor zeigen, worin ein solcher Selbstbesitz letztlich nur wurzeln kann: in der Gnade des trinitarischen Gottes4. Von einem solch begnadeten Menschen spricht nämlich auch die Schrift in Jak 1,12: „Beatus vir qui suffert temptacionem, quoniam probatus fuerit accipiet coronam vite, quam repromisit Deus diligentibus se". Der Cloud-Autor legt daraus das Bild der „Krone des Gnadenlebens" aus5. Die königliche Tugendkrone aus drei habituellen Gnadengaben entfaltet der Cloud-Autor mittels einer beeindruckenden Allegorie: Eine Krone besteht aus einem Goldreif, der den „umgreifenden" Gnadenhabitus der Weisheit (sapientia) symbolisiert, mit dem alles geistliche Wirken zu einer runden Sache zusammengeschlossen werden kann 6 . Dieser Reif ist mit Edelsteinen besetzt, die nach mittelalterlicher Auffassung ein in ihnen liegendes Licht ausstrahlen. Dadurch soll der Gnadenhabitus der Unterscheidungsgabe (discretio) bezeichnet werden, durch den wir wohlberaten sind, in uns die Geister unterscheiden können und auch unseren Nächsten Rat spenden dürfen 7 . Schließlich wird die Krone von lilienförmigen Aufsätzen geziert, die mit ihren drei Blütenblättern die Vollkommenheit der Tugenden bezeichnet, nämlich die dreifältige Caritas, die Nächsten-, Selbst- und Gottesliebe vereint. Der aufstrebende Mittelspross des Lilientürmchens spiegelt dabei den ekstatischen Charakter der reinen Gottesliebe wider, mit dem der Kontemplative oberhalb seines intellectus in die

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Siehe ISIDOR VON SEVILLA, etym 1, 29, 3 (BAC 434, 322). Vgl. D. (110/33-36): „thorow the whiche knowing he sitteth quietly in hymself, as a king crouned in his rewme, michtly, wisely, and goodly governyng himself and alle his thouhtes and steringes, bothe in body and in soule." Vgl. ABBEY OF HOLY GHOST (Blake, 93/124-130): „a mychtful kyng ...sette in hys rewme thre men that schulden ... stabeln ... the reume ... that is charyte, wysdom and mekenesse, there is pees, reste and lykyng in sowie." Zur Theologie der Appropriationen vgl. BONAVENTURA, brev 1, 6 (Quaracchi 5, 214—215). Vgl. D. (110/37-112/8). Siehe D. (11/23-24). Vgl. D. (111/24-26).

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Spitze der Seele oder den Seelengrund gelangen kann1. Die Tugend der praktischen Weisheit kann man in der memoria, die Unterscheidungsgabe im intellectus und die gnadenhafte Liebe in der voluntas verorten - womit der Cloud-Autor einen ganz eigenständigen Ternar auf dem Hintergrund augustinischer Paradigmen formuliert hat. c) Tugend und Gnade In der lateinischen und volkssprachlichen Instruktionsliteratur werden dem Leser Tugendschemata vorgeführt, um ihm zu zeigen, wie sich das Einfließen der Gnade und die menschliche Mitwirkung in einem reichen Tugendleben entfalten kann. In einer ramificatio gratiae zeigt etwa Bonaventura, wie sich das Gnadenleben in Kardinaltugenden, den theologischen Tugenden, Seligpreisungen, Gaben des Heiligen Geistes und geistlichen Sinnen auslegt2. Hugo von St. Victor hat einen umfangreichen Tugendbaum erstellt, der oft kopiert wurde3. Lateinische und mittelenglische Tugendspiegel unterschiedlichster Autoren wollen dem Leser den geglückten menschlichen Selbstvollzug als lebbares Ideal vor Augen stellen4. Derartige Tugendschemata können ansatzweise in der Cloud-Gruppe erhoben werden. Im ,Traktat zu Unterscheidung der Geister' findet sich beispielsweise ein Siebener-Schema (Keuschheit, Nüchternheit, Weltverachtung, Armut, Geduld, Demut und Liebe)5. Dennoch scheinen derartige Tugendschemata keine allzu große Bedeutung für das mystische Wissen der Cloud-Gruppe zu besitzen. Wichtiger ist dem Autor offensichtlich, anhand des Tugendenbegriffes und zweier Tugenden, nämlich Demut und Liebe, den eigentlichen gnadenhaften Kern offen zu legen: Ausgangspunkt ist die Tugend als eine geordnete affektive Regung {ordernde and mesurid qffeccion), die sich auf Gott um seiner selbst willen ausrichtet (unto God for himself), wie der Cloud-Autor in Anlehnung an Richard von St. Victor festhält6. Die Analyse wird in mehreren Kapiteln in der ,Wolke des Nichtwissens" sorgfältig vorangetrieben7. Der Cloud-Autor untersucht die Haltung der Demut anhand der Definition, die er von Bernhard von Clairvaux übernimmt, nämlich „Demut als aufrichtige 1

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Siehe D. (111/ 26-33): „The toretes of the floure-de-lices chevyn two side braunches spreding, on the rieht side, another to the left, and on even up above the heed; and by perfeccioun of the vertewe, the whiche is charite, we cheven two side braunches of love, the whiche ben spreding oute, to the rieht side to oure freendes, and to the left side to oure enemyes, and one even up unto God, aboven mans understondyng, the whiche is the heed of the soule." Vgl. BONAVENTURA, itin 4, 1-8 (Quaracchi 5, 306-308); brev 5, 4-6 (Quaracchi 5, 256-260). Siehe HUGO VON ST. VICTOR, arc Noe 3,1-15 (PL 176, 647-664);/™c/ (PL 176, 997-1010). Vgl. etwa Schriften wie SPECULUM CHRISTIANI (EETS 182); BOOK OF VICES AND VIRTUES (EETS 217); EDMUND VON ABINGDON, spec relig und spec eccl. Siehe Sp. (153/13-13): „of chastite, of sobirnes, of dispising of the woreld, of wilful povert, of pacience, or meeknes, and of charite" Vgl. CI. (22/3-4): „Vertewe is not elles bot an ordeinde and a mesurid affeccion, pleinly directe unto God for himself." Siehe dazu auch RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 7 (PL 196, 6): „Nihil aliud est viruts quam animi affectus ordinatus et moderatus." Vgl. CI. (22/3 - 26/6).

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Erkenntnis und Erfahrung des eigenen Selbst"1. Der Mensch kann diese Demut erreichen, wenn er seines erbsündlich gebrochene Zustandes und seiner Erbärmlichkeit innewird2. Nun waren aber auch Christus und die Gottesmutter demütig; die obige Bestimmung der Demut muss unvollkommen und vorläufig sein (inparfite), weil sie so nicht auf Christus und Maria angewandt werden kann. Die Auslegung der Marthaepisode zeigt, wie vollkommene Demut (parfite) erst erreicht wird, wenn Demut in die wahre Gottesliebe hineinmündet und das natürliche Tugendsubstrat von der Caritas, die wesenhaft mit der gratia gratum faciens verbunden ist, durchformt wird. Dieser Zweiteilung in eine vorläufige und vollkommene Demut orientiert sich an Bernhard von Clairvaux und begegnet in ganz ähnlicher Weise bei Walter Hilton3. Auch den Aufstieg der Liebe von der natürlichen Stufe der Zuneigung bis zur gnadenhaften Caritas und deren Höchstform des amor castus hat der Cloud-Autor von Bernhard von Clairvaux übernommen 4 . Diese Darlegung will unser Autor stellvertretend fur alle anderen Tugenden verstanden wissen5. Elaborierte und vollständige Tugendschemata spielen also in der Cloud-Gruppe keine Rolle. Der Cloud-Autor erwähnt sie zwar, um dem volkssprachlichen Leser zu zeigen, wie sich Gnade konkret manifestiert. Er streift dabei die Theologumena nur im Vorübergehen, weil er offensichtlich damit rechnet, dass sie dem Leser aus der katechetischen Instruktionsliteratur längst bekannt sind. Statt einer quantitativen Entfaltung einzelner Tugenden konzentriert er sich auf eine qualitative Untersuchung: Der CloudAutor möchte vor allem zeigen, wie menschliche Tugenden, die oft noch mit verschiedenen Sekundärmotiven verbunden sind, gereinigt werden und in die warumlose, reine Gottesliebe hinein überstiegen werden können.

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Vgl. Cl. (22/18-19) als Übertragung von BERNHARD VON CLAIRVAUX, grad hum 1 , 2 (Leclercq 3, 17). Zum größeren Kontext vgl. CANICE, Humility und CARLSON, Virtue of Humility. Siehe Cl. (22/21-24): „the filthe, the wrecchidnes, and the freelte of man, into the whiche he is fallen by synne, and the whiche algates him behoveth to fele in sum partye". Vgl. Cl. (22/20ff) auf dem Hintergrund von BERNHARD VON CLAIRVAUX, ep 393, 3 (Leclercq 8, 367): „Humilitas enim duos habet pedes, considerationem divinae potentiae et propriae infirmitates"; ähnlich GILBERT VON HOYLAND, cant 15, 7 (PL 148, 78): „Infirmiores in vanitate sua humiliantur, perfectiores in veritate Dei." Das Thema wird auch besprochen bei WALTER HILTON, sc perf 1, 68 (Bestul, Zeilen 1918-1959); sc perf 2, 21 (Bestul, Zeilen 10941219) und sc perf 2, 37 (Bestul, Zeile 2564-2676). Vgl. Cl. (32/14 - 34/2) auf dem Hintergrund von AUGUSTINUS, doctr Chr 3, 10, 16 (CCL 80, 89): „Caritatem voco motum animi ad fruendum Deo propter ipsum, et se atque proximo propter Deum"; BERNHARD VON CLAIRVAUX, dil 1, 1 (Leclercq 3, 119): „Causa diligendi Deum, Deus est; modus, sine modum diligere". Weitere Hinweise bei CLARK, Note on , The Cloud of Unknowing' 126-129; Sources 91-92. Siehe Cl. (32/15-19).

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d) Auslegung der Bundeslade Ein weiteres Bild der Gnadentheologie hat der Cloud-Autor von Richard von St. Victor übernommen: Die Bundeslade, die unterschiedliche Kultgegenstände enthält, ist alttestamentliche figura für die Gnade der Kontemplation. Wie die Bundeslade die Schätze des Tempels in sich enthält, so umfasst die kontemplative Liebesregung alle Tugenden 1 . Für die Gnadentheologie wichtiger sind freilich die alttestamentlichen Personen, die mit der Bundeslade in Verbindung stehen: In einem ersten Schema beleuchtet der Cloud-Autor die beiden Personen Mose und Aaron, um zu zeigen, dass es zwei Typen von Kontemplierenden gibt, die mit der Gnadentheologie zusammenhängen: Mose musste die Mühen des Sinaiaufstiegs auf sich nehmen, um die Gottesoffenbarung und den Bauplan der Bundeslade zu erlangen. Dem entspricht ein erster Typ eines Kontemplativen, der sich lange Zeit geistlichen Übungen widmen muss, um erst spät und nur sehr selten die höchste Stufe der Kontemplation, nämlich die ekstatische Einungserfahrung, zu erreichen. Aaron als Tempelpriester konnte hingegen ohne größere Mühen immer wieder in das Innerste des Tempels treten. Dem entspricht ein zweiter Typ eines Kontemplativen, der von der Gnade der Kontemplation auf eine so tiefe Weise durchdrungen ist, dass er in die Kontemplation fast zu jeder Zeit spielend leicht eintreten kann 2 . In einem zweiten Schema konzentriert sich der Cloud-Autor auf die Vermittlungsweisen der Gabe der Kontemplation und auf das Wachstum in dieser Gnadengabe: Mose mühte sich sehr während des Sinaiaufstiegs; doch am Gipfel musste er noch viele Tage warten, um zu erfahren, dass man sich die Gnade der Kontemplation nicht durch Mühen verdienen kann, sondern sie einem nur nach Gottes Willen verliehen wird. Dem entspricht ein Aufstieg in der Kontemplation durch Gnade allein. Bezeleel empfing von Mose den Bauplan der Bundeslade und fertigte sie an. Dem entspricht ein Aufstieg in der Kontemplation durch eigene Kunstfertigkeit zusammen mit der Gnade. Aaron hingegen bekam die von Bezeleel angefertigte Bundeslade anvertraut. Dem entspricht ein Aufstieg in der Kontemplation, bei dem die göttliche Gnade und eine äußere „Anvertrauung" zusammenwirken 3 .

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Vgl. Cl. (70/34 - 71/3): „For whi this grace of contemplacion is figurid bi the Arke of the Testament in the Olde Law ... And wel is this grace and this werk licinid to the arke. For rieht as in that arke were contenid alle the juelles and the relikis of the temple, rieht so in this lityl love put ben contenid alle the vertewes of mans soule, the whiche is the goostly temple of God" auf dem Hintergrund von RICHARD VON ST. VICTOR, ben mai 1, 1-2 (PL 196, 65). Zur affektiven Uminterpretation der richardischen Stelle in der ,Cloud' vgl. MINNIS, Cloud of Unknowing 67. Vgl. Cl. (70/16 - 71/18) auf dem Hintergrund von RICHARD VON ST. VICTOR, ben mai 4, 22 (PL 196, 165). Siehe Cl. (71/34 - 72/14) auf dem Hintergrund von RICHARD VON ST. VICTOR, ben mai 5, 1 (PL 196, 167-169).

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Zusammenfassend kann man also sagen: Die Gabe der Kontemplation und der mystische Aufstieg sind zugänglich durch Gnade allein, durch ein Zusammenwirken von Eigentätigkeit und gnadenhafter Erhebung, oder durch ein Zusammenwirken von mystagogischer Unterweisung und gnadenhafter Erhebung1. Der springende Punkt dieser gnadentheologischen Überlegung ist, dass der Cloud-Autor sich selbst mit Bezeleel identifiziert, während er dem Leser der ,Wolke des Nichtwissens' die Rolle Aarons zuweist. Der Cloud-Autor beansprucht also, durch eigene Erfahrung und Gnade gleichsam eine geistliche Bundeslade verfertigt zu haben, die er dem Leser mittels seiner Schriften mystischen Wissens aushändigen möchte, damit der Adressat davon Gebrauch macht, wenn Gott ihm die Gnadengabe der Kontemplation verleiht. Der Cloud-Autor hat damit seine eigene mystagogische Funktion als geistlicher Autor und die Rezeption der mystischen Instruktionsliteratur seitens der Adressaten mit in die Gnadentheologie eingeordnet und sie so systematisch untermauert und abgesichert2. 3.2 Auswertung: Gnadentheologie der Cloud-Gruppe Der Cloud-Autor hat sich bei der Abfassung seiner volkssprachlichen Texte an die lateinische Fachterminologie der Hochscholastik angelehnt, die etwa bei Thomas von Aquin und Bonaventura in normativer Gestalt begegnet. Zur Veranschaulichung der Begnadung des Menschen bedient er sich zudem der traditionellen Topoi aus der augustinischen, gregorianischen, bernhardischen, viktorinischen und bonaventurianischen Tradition und baut die reformatio/recreatio, die familiaritas cum Deo und die sanatio in seine Weisung mit ein. Solche Topoi sind ein typisches Zubehör der volkssprachlichen Instruktionsliteratur; in der Cloud-Gruppe fallt hingegen auf, mit welcher Vorsicht und Sparsamkeit sie der Autor einsetzt. Sie begegnen in einer schlichten und knappen Gestalt und sind im Vergleich zu anderen Werken der englischen Frömmigkeitstheologie metaphorisch kaum entfaltet. Besonders bemerkenswert ist die Verwendung des Terms actor principalis in der Cloud-Gruppe: Der Term ist an sich eher im scholastischen Disput beheimatet als in der geistlichen Literatur. Mit der Rezeption dieser scholastischen Vokabel möchte der Cloud-Autor herausstellen, dass der mystische Aufstieg nicht pelagianisierend als ,,Psychotechnik" missverstanden werden darf. Der Cloud argumentiert so leidenschaftlich, dass er glaubt, sich am Ende seiner Ausführungen fur seine nicht locker lassende und

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Vgl. Cl. (71/20-33). Siehe Cl. (72/16-24) mit dem Schlüsselsatz: „I bere ... the ofice of Bezeleel... thou maist worche chif thou wilt be Aaron". Zur mystagogischen und literaturtheoretischen Funktion der Personen Aaron und Bezeleel vgl. TIXIER, Mystique et Pedagogie 161-163. Zum Verhältnis von directeur und dirige zueinander und ihre Funktion im mystagogischen Prozess vgl. TIXIER, Mystique et Pedagogie 791-794. Den Leseprozess der Cloud-Texte beleuchtet TIXIER, This lovely blinde werk 126-137.

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zugespitzte Argumentation entschuldigen zu müssen1. Offensichtlich liegt dem Autor ganz besonders am Herzen einzuschärfen, dass die Kontemplation keine Methode ist, durch die der Mensch von sich aus zu Gott aufsteigen kann, um die Gegenwart Gottes zu erfahren, sondern vielmehr eine von Gott nach Seinem Willen verliehene Gnadengabe, durch die Er den Beter zu Sich zieht und Sich erfahren lässt. Die in der CloudGruppe rezipierten größeren Bildkomplexe spiegeln diese Akzentsetzung wider: Dem Aspekt der sanatio, der familiaritas cum Deo und der reformatio/recreatio entsprechen die anschaulichen Allegorien der Jakobsfamilie, des Gebetsbaumes, des Gnadenkönigs und der Gnadenkrone. Aber auch dem antipelagianischen Zug des Terms actor principalis entsprechen anschauliche Bilder: In der Auslegung der Bundeslade soll das Ineinandergreifen von göttlicher und menschlicher Freiheit illustriert und zugleich die göttliche Souveränität herausgestellt werden. Angesichts dieser Betonung der Souveränität Gottes ist es nur folgerichtig, wenn der Cloud-Autor asketischen Übungen auf dem kontemplativen Aufstiegsweg nur eine sehr untergeordnete Bedeutung einräumt2. Alles in allem scheint die Gnadentheologie der Cloud-Gruppe verhältnismäßig traditionell zu sein. Daher hat man in der bisherigen Forschung den systematischen Gesamtduktus der Gnadentheologie der Cloud-Gruppe schon mehrmals mit der thomanischen Gnadenlehre in Verbindung gebracht3. Dagegen ist wenig einzuwenden; die Gnadentheologie der Cloud-Gruppe ist von den Gnadenkonzepten der via moderna weit entfernt und lässt sich tatsächlich am besten auf dem Hintergrund der Gnadentheologie der Hochscholastik interpretieren. Dadurch stellt sich aber die Frage, wie eine eventuelle Rezeption thomanischer Theologie erfolgt sein könnte. KNOWLES vermutet etwa, dass sich in der Gnadenlehre der Cloud-Gruppe eine Brücke zum Rheinland zeige4. Für diese These lassen sich freilich nur sehr schwer aussagekräftige Belege beibringen. Auf dem Hintergrund der neueren theologiegeschichtlichen Ergebnisse scheint eine sparsamere Erklärung möglich, die sich auf nähere Quellen beschränkt: CLARK hat gezeigt, dass sich beispielsweise an der Universität von Cambridge ein Zentrum einer pastoraltheologisch ausgerichteten Theologie herausgebildet hat, deren Vertreter, etwa die Karmeliter, sich intensiv um eine Relecture und Aktualisierung früh- und hochscholastischer Texte bemüht haben. Der theologische Hintergrund der Instruktionsliteratur Walter Hiltons scheint von solchen Entwicklungen in Cambridge abhängig zu sein. In 1

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Vgl. dazu den Abschnitt von P.C. (94/4-9): „Lo! Here many wordes and lityl sentence. Nevertheless, alle this have I seide to late thee wite in whiche thinges thou schalt use the werk of thi wittes, and in whiche noucht, and how that God is with thee in ο werk and how in another. And chit, paraventure, in this knowing thow maist eschewe disceytes, in the whiche thou michtest have fallen ne had this be schewid. And therefore, sith it is seide, late it be". Siehe dazuD. (114/1-29); (118/1-14) und Sp. (149/35 - 150/21). Siehe WALSH, Nuage 504 und KNOWLES, English Mystical Tradition 95-96. Vgl. KNOWLES, English Mystical Tradition 71 (Anm. 11); 76 und 95-96. Diese Position geht zurück auf einen Vorschlag von HUGHES, Pastors and Visionaries 349-350, der aus theologischen Gründen im anonymen Cloud-Autor einen Dominikaner aus Cambridge erblicken möchte, wodurch eine Verbindung zum Kontinent denkbar wäre.

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einer ganz ähnlichen Weise könnte auch der Cloud-Autor angeregt worden sein1. Man sollte freilich über einen möglichen thomanischen Einfluss nicht andere Anregungen völlig ausschließen; auch die Gnadenkonzepte anderer Autoren des 13. Jahrhunderts, insbesondere Bonaventuras2, kommen durchaus in Frage. Ab der Mitte des 14. Jahrhundert haben zudem Theologen aus Oxford versucht, einem semipelagianischen Zug mancher nominalistischer Gnadekonzepte eine Neuauslegung augustinischer Texte entgegenzusetzen, wofür Thomas Bradwardines Traktat ,De causa Dei' ein berühmtes Zeugnis ist3. Wenn der Cloud-Autor die Souveränität Gottes nachdrücklich herausstellt und den amor castus als den wesentlichen Kern von Askese- und Demutsübungen, Tugendschemata und Meditationstechniken herausschält, dann könnte dieser antipelagianische Zug von derartigen Diskussionen4 vielleicht mitinspiriert worden sein.

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CLARK, Late Fourteenth-Century Cambridge Theology 1-16, hier besonders 10-11, analysiert diese pastoraltheologisch ausgerichtete Strömung. Die Relecture von Augustinus und Anselm sowie ihr Einfluss auf die Theologie der reformatio bei Walter Hilton beleuchtet CLARK, Augustine, Anselm and Walter Hilton 102-106. Zur Bedeutung der Karmeliter in der Pastoraltheologie des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts siehe insbesondere BERGSTRÖM-ALLEN, Heremitam et ordinis carmelitarum. Zur Wirkungsgeschichte Bonaventuras in England vgl. SARGENT, Bonaventura English. Siehe dazu THOMAS BRADWARDINE, causa Der, COURTENAY, Schools and Scholars 3 0 7 324; LEFF, Bradwardine and the Pelagians', OBERMAN, Dawn of reformation 8-12. Die Frage der Erwählung und Prädestination bei Richard Rolle steht zwar nicht unmittelbar mit der Cloud-Gruppe in Zusammenhang, aber zeigt, wie virulent die von Augustinus zugespitzte Gnadentheologie für die Mystagogie des 14. Jahrhunderts werden konnte. Siehe hierzu SHON, Richard Rolle, hier besonders XXVII-XXXI.

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4. Form of living Christliches Leben ist imitatio des Lebens Christi oder wird an normativen biblischen Gestalten abgelesen. Wenn die Heilige Schrift das Leben und die Weisungen Jesu Christi entfaltet, das Leben der Apostel, der Urgemeinde, der Erzväter, Könige und Propheten des alten Bundes beschreibt, so fundiert und normiert sie Lebensformen. Man könnte sagen, die christliche Offenbarung habe eine quietive Funktion, weil sie traditionelle, apriorische und stabile Lebensformen und Rollenerwartungen vorgibt. Dieses quietive Moment der christlichen Offenbarung steht aber mit einem entgegengesetzten Moment in einer dialektischen Spannung: Das Leben Christi gilt in seiner Fülle als unausschöpfbar. Kein Gläubiger kann in seinem Leben alle Aspekte des Lebens und der Weisung Christi oder alle in der Heiligen Schrift vorgestellten Lebensvollzüge umsetzten, sondern lediglich den ihm zugedachten Teilaspekt übernehmen. Dieser aufgegebene Teilaspekt ist aber nur im persönlichen Dialog des Gläubigen mit Gott zu erschließen. Die christliche Idee der persönlichen Berufung bewirkt eine bemerkenswerte Freisetzung des Subjektes von vorgegebenen Lebensformen; die christliche Offenbarung wirkt in diesem Sinne inzentiv1. So verdanken sich beispielsweise der religiöse Aufbruch und die Bildung neuer Ordensgemeinschaften im 12. und 13. Jahrhundert oder die Entstehung einer Frömmigkeitstheologie und das Selbstbewusstsein der Laien im 14. Jahrhundert - neben anderen, etwa wirtschaftlichen Faktoren - auch der Idee einer individuellen Berufung. Diese Vorüberlegung zur Dialektik der Berufung ist wichtig, wenn wir die CloudTexte auf die Frage der form of living hin untersuchen. Einerseits finden sich in den Cloud-Texte eine Fülle von quietiven Schemata; das ganze Bild aber ergibt sich nur, wenn auch das Thema der persönlichen Berufung und deren inzentiver Charakter mit berücksichtigt wird. Mit dieser dialektischen Denkfigur in seinen Texten versucht der Cloud-Autor im Diskurs der Lebensformen im 14. Jahrhundert eine Antwort zu geben. Die Theologie der vita contemplativa, die der Cloud-Autor in seinen Schriften entfaltet, muss daher im Horizont der Sozialgeschichte Englands im 14. Jahrhundert gelesen werden. Sie muss als Bestandteil eines Prozesses erfasst und interpretiert werden, in dem theologische Aspekte gesellschaftliche Strukturen legitimeren, normieren und kritisieren, aber auch soziologische Aspekte auf theologische Aspekte rückwirken, sie verstärken oder außer Kraft setzen. Dazu legt sich folgende Vorgehensweise nahe: Zuerst soll anhand der Maria-MarthaPerikope ein Zugang zum Thema und zur Theologiegeschichte der form of living ge1

Zur „persönlichen Berufung" siehe ANGENENDT, Geschichte der Religiosität 553-557 mit weiterfuhren den Literaturangaben. Für die Begriffen „quietiv" und „inzentiv" vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis 68-70.

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sucht werden. Durch Textarbeit sind dann die Theologumena der individuellen Berufung und der normativen Lebensformen zu erheben. Am Schluss muss der Befund innerhalb der Frömmigkeitsgeschichte Englands im späten 14. Jahrhundert verortet werden.

4.1 Maria-Martha als theologiegeschichtliche Grundkategorie Das klassische biblische Theologumenon, mit dem die patristische und mittelalterliche Theologie für eine Grundlegung religiöser Lebensformen arbeitet, ist die MarthaMaria- Perikope aus Lk 10, 38-42 bzw. Joh 12, 1-8 und deren alttestamentliche Präfiguration in den beiden Gestalten Lea und Rachel aus Gen 291. Die Fülle von theologischen Deutungen, die im Laufe der Theologiegeschichte entwickelt wurden, kann hier nicht vorgestellt werden. Es sollen allein die Aspekte zur Sprache kommen, die für das Verständnis der ausführlichen Diskussion der Martha-Maria-Perikope in der CloudGruppe hilfreich sind: Viele frühe Exegeten arbeiten das unterschiedliche Profil von Martha und Maria aus der biblischen Perikope heraus, ohne daraus feste Lebensformen zu konstruieren, sondern denken eher an Vollzüge, die schwerpunktmäßig und sogar abwechselnd das Leben des Christen prägen können, wie etwa bei Johannes Chrysostomos2. Ein wirkungsgeschichtlich wichtiger Schritt ist hingegen die Verknüpfung der Person Marthas und Marias mit den beiden Größen von praxis und theoria bei Origenes, was schließlich zu den lateinischen Termen vita activa und vita contemplativa geführt hat3. Zwar schließen sich bei Origenes beide Aspekte nicht gegenseitig aus, aber die Höherbewertung der Kontemplation vor der Aktion tritt klar zu Tage und auch die Verknüpfung der Typoi mit konkreten und stabilen Lebensständen ist schon anvisiert4. Dieses Theologumenon von Origenes macht besonders bei Autoren Schule, die sich fur das eremitische und monastische Leben interessieren: Hieronymus behandelt das Thema ausfuhrlich in seinen Briefen5. Johannes Cassian greift es gleich zweimal in seinen ,Conlationes' auf: Maria steht für die theoria oder die via celestis, während Martha die vita actualis oder via terrestris symbolisiert6. Ambrosius von Mailand be-

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Die Auslegung von Lk 10, 38-42 in den ersten vier Jahrhunderten beleuchtet CS ANY, Optima Pars. Wichtige Aspekte der Theologiegeschichte mit Beispielen, Deutungen und Literaturangaben bieten CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha; SOLIGNAC/DONNET, Marthe et Marie; SOLIGNAC, Vie Active, Vie contemplative, Vie Mixte. Vgl. CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha 15 und SOLIGNAC/DONNET, Marthe et Marie 667. Die Auslegung von Origenes ist nur in einem Fragment erhalten: ORIGENES, frag 72 (FC 42, 458-460). Vgl. CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha 15-16 und VILLER/RAHNER, Aszese und Mystik 78. Siehe HIERONYMUS, ep 22, 24 (BAC 219, 181-183). Vgl. JOHANNES CASSIAN, conl 1, 8 (SCh 42, 85-87) und conl 23, 3 (SCh 54, 141-142).

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nutzt vergleichbare Vokabeln; Maria steht bei ihm für die intentio visionis, Martha hingegen für die actuosa devotio\ Die Höhersteilling Marias muss freilich zu keinem Gegensatz der beiden Frauen fuhren, wie Ambrosius einschärft: Maria hat nur eine melior pars nicht aber die optima pars gewählt. Beide Lebensformen sind wertvoll, können sich überlappen und bauen zudem aufeinander auf2. Einer solchen wechselseitigen Bezogenheit wollen Augustinus und Gregor der Große Rechnung tragen. Unter dem Titel eines genus ex utroque compositum oder einer vita mixta versuchen sie die kontemplative und aktive Lebensform zu verbinden, weil die aktive Seelsorge immer mit der Kontemplation verknüpft bleiben muss und auch den Gläubigen auf der Stufe des aktiven Lebens nicht jegliche Befähigung zur Kontemplation von vorneherein gänzlich abgesprochen werden kann3. Das gängige Schema, das die geistlichen Vollzüge in einen soziologischen ordo einzubauen versucht und sich im Laufe des Frühmittelalters ausbildet, lautet: Der Eremit und der Mönch leben die vita contemplativa, der Bischof und die Weltpriester die vita mixta, während die Laien gewöhnlich in der vita activa stehen4. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts werden allerdings zunehmend Anfragen an dieses Schema vorgebracht: Durch die Heraufkunft der Mendikanten, aufgrund eines neuen Selbstbewusstseins des Weltklerus und in einer Zeit der Ausbildung einer spezifisch laikalen Spiritualität entspricht das alte Ordoschema nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Es muss neu verhandelt und modifiziert werden5. So versucht beispielsweise Thomas von Aquin in seiner ,Summa', theologische Vorgaben der Tradition mit den Erfordernissen der Zeit durch eine eindrucksvolle Differenzierung zum Ausgleich zu bringen6. Der wohl radikalste Versuch einer Neuinterpretation ist die Umkehrung der beiden Größen bei Meister Eckhart, wodurch die klassische Höherwertigkeit der vita contemplativa gegenüber der vita activa vollkommen ausgehebelt wird7.

4.2 Textarbeit zu den Lebensformen in der Cloud-Gruppe In den eben vorgeführten theologischen Blitzlichtern zeichnen sich drei Spannungsfelder ab, die in einer jeden Theologie der Lebensformen behandelt werden müssen und

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Siehe AMBROSIUS VON MAILAND, in Luc 1, 8, 9 (SCh 45, 50-61). Vgl. CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha 17-18. Zur vita mixta, den genaueren Hintergründen bei Augustinus und Gregor siehe CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha 18-22; SOLIGNAC, Vie Active, Vie Contemplative, Vie Mixte 611-613, McGINN, Growth of Mysticism 74-79. Siehe dazu etwa WALTER HILTON, mixed life (ERS 92/15, 12/122-125); (ERS 92/15, 12/132 13/137) und (ERS 92/15, 14/144-148). Vgl. dazu auch WATSON, Invention of Authority 9-14. Vgl. dazu HAAS, Beurteilung der Vita contemplative und activa 100-101. Siehe THOMAS VON AQUIN, STh II-II qq 179-189 (Ed. Paul., 1779-1862). Vgl. HAAS, Beurteilung der Vita contemplative und activa 102-108; für die umfassendere Diskussion siehe auch ΜΙΕΤΉ, Einheit von vita activa und vita contemplativa.

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auch den Cloud-Autor beschäftigen: Aktion und Kontemplation können einerseits als innere geistige Vollzüge, andererseits aber auch als stabile Lebensformen innerhalb eines gesellschaftlichen Ordnungsgefüges verstanden werden; die beiden Momente müssen geklärt und einander zugeordnet werden. Eine weitere Anfrage birgt die Vokabel vita contemplativa in sich: Während die Gestalt der vita activa verhältnismäßig einfach einleuchtet, bedarf ein konkretes Konzept der vita contemplativa in erhöhtem Maße einer inhaltlichen Füllung, die ganz unterschiedlich ausfallen kann: der Akzent kann auf ganz verschiedenen Gebets-, Meditations- und Kontemplationsformen liegen1. Ein abschließender Spannungsbogen zeigt sich in der Zuordnung von persönlicher Berufung oder individuellen Bedürfnissen und allgemeinen theoretischen Konzepten. Das 14. Jahrhundert mit seinen soziologischen Transformationsprozessen hat das Spannungsfeld einer Theologie der Lebensformen noch verstärkt: In England ist nach dem Ausklingen der Pestwelle von 1348 ein immenser Stadtzuzug zu verzeichnen. In diesem Klima entstehen neue soziologische Strukturen; unterschiedliche Gesellschaftssegmente differenzieren sich aus, die mit den Ständeschemata des Hochmittelalters nicht mehr beschrieben und bewältigt werden können. Verschärft durch die Steuerlast des Hundertjährigen Krieges entladen sich soziale Spannungen auch in gewaltsamen Konflikten und Aufständen2. Dieser hier nur kurz angerissene soziologische Umschichtungsprozess hat auch auf das Profil religiöser Lebensentwürfe einen entscheidenden Einfluss: Der Ort des Mönchtums und des eremitischen Lebens ist in einem veränderten gesellschaftlichen Horizont neu zu bestimmen3. Sich ausdifferenzierende Gruppen artikulieren religiöse Bedürfnisse, auf die überkommene Lebenskonzepte nicht sofort eine passende Antwort finden können. Wenngleich man sich vom Cloud-Autor keinen theoretischen Traktat zu den christlichen Lebensständen erwarten darf, so ist dennoch davon auszugehen, dass die Cloud-Gruppe in ihrem mystischen Wissen, insbesondere innerhalb der praktischen Anleitung zum mystischen Weg, auf derartige Problemstellungen einer Theologie der Lebensformen eingeht. 4.2.1 Erfahren-Sein als hermeneutischer Horizont Der Mensch ist ein mit Sprache begabtes, auf Gemeinschaft bezogenes Wesen, das zum Leben Nahrung braucht. Für gewöhnlich bilden daher sprachliche Kommunikation 1 2

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Siehe WATSON, Invention of Authority 9. Zur Sozialgeschichte Englands im späten Mittelalter mit reichen weiterführenden Hinweisen vgl. SWANSON, Church and Society 1-251; zur Laienspiritualität 274-275; zur Frömmigkeit allgemein 275-299; zur „Nonkonformität" 309-329; zum Lollardentum 329-347. Ein knappes Portrait bietet LAMBERT, Häresie im Mittelalter 225-236 und OBERMAN, Shape of Late Medieval Thought 4—25, hier besonders 6-11. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pest vgl. BULST, Schwarzer Tod 45-6 und COURTENAY, Effect of the Black Death 696-714. Zum Wat-TylerAufstand von 1381 siehe FRYDE, Great Revolt. Einige Hinweise zur Diskussion um die religiöse Lebensformen im Umfeld von Fitzralph, Wyclif, Langland und Chaucer bietet KNOWLES, Religious Orders in England 2, 90-114.

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(,speking), Gemeinschaft (dwelling in companye) und normale Ernährung (comoun dietyng) selbstverständliche Rahmenbedingungen auch für ein geistliches Leben. Neben einem solchen, gewöhnlichen Lebensvollzug (comoun) hat sich nun in der Geschichte der christlichen Spiritualität aber auch ein besonderer Lebensstil der vertieften religiösen Übung (singulere) herausgebildet, der andere Rahmenbedingungen kennt, nämlich Schweigen {silence), zurückgezogenes Leben (only-wonyng by thiself) und ein besonderes Fasten {singulere fastyng), die als äußere Symptome des kontemplativen, monastischen und eremitischen Weges gelten können. Ein solches aszetisches Leben mit Einsamkeit, Stille und Fasten wird vom durchschnittlichen Gläubigen, besonders unter eschatologischer Perspektive, als die höherwertige Lebensform angesehen1. Die beiden griffigen Ternare scheint der Cloud-Autor auf dem Hintergrund der monastischen und eremitischen Theologie geschmiedet zu haben. Der Cloud-Autor hat seinen ,Traktat zur Unterscheidung der Regungen' vor allem dazu verfasst, um zu zeigen, dass eine Sichtweise, die diese äußeren Vollzüge nur oberflächlich wahrnimmt, ohne sie auf ihre Wurzel zu befragen, in der Gefahr steht, in die Irre zu führen2. Die Argumentation des Traktates verläuft in fünf Schritten, die hier einzeln ausgewertet werden müssen: Mit den beiden Ternaren von Kommunikation, Gemeinschaftsleben und Nahrungsaufnahme bzw. Schweigen, Zurückgezogenheit und Fasten will der Cloud-Autor überblickartig die aktive und kontemplative Seite eines Lebens der Gotteshingabe, der vita devotionis3, zur Sprache bringen. Die einzelnen Akte der Ternare sind in sich indifferente Hilfsmittel und können je nach Kontext mehr oder weniger angebracht oder unangebracht sein. Sie sind zwar wichtige Mittel, damit die innere dialogische Beziehung zu Gott wachsen kann, beziehen sich dabei aber doch nur auf den äußeren Menschen4. Jede Art von Auswahl, Begrenzung, einseitige Vertiefung oder Zuspitzung dieser Aspekte des Frömmigkeitslebens bedarf der besonderen Begründung. Vor allem dürfen die Vollzugsformen mit einem erhöhten aszetischen Anspruch nur dann ergriffen werden, wenn eine gnadenhafte Berufung vorliegt. Der Cloud-Autor hält also kurz gesagt ein vorschnell übernommenes Leben des Schweigens, der Zurückgezogenheit und des Fastens ohne eine hinreichend geprüfte und abgeklärte Berufungsregung für ein bedenkliches und gefahrenträchtiges Unternehmen5. 1 2

Vgl. D. (109/1-12). Der systematische Grundzug des Briefes spiegelt den theologischen Gehalt von BERNHARD VON CLAIRVAUX, ep 11 (Leclercq 7, 52-60) wider. Bernhard versucht in diesem Brief zu zeigen, dass im monastischen und eremitischen Asketismus die asketischen Tugenden in pervertierte Haltungen der Selbstbestätigung umkippen können und daher im amor castus verankert werden müssen; vgl. hierzu WINKLER, Bernhard und die Kartäuser 5-19. Ohne dass hier eine unmittelbare Anlehnung an diesen Brief behauptet werden soll, liegt zumindest die geistige Verwandtschaft einer „Relativierung des Asketismus" auf der Hand.

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Vgl. D. (109/17): „werk of devocioun". Vgl. D. (114/16-21): „For thou hast it bi kynd and statute of thin utter man ... any of hem schuld be speedful and helply to thee in noresching of the hevenly grace worching withinne in thi soule." Zum ganzen Abschnitt vgl. D. (109/13 - 110/1).

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Wenn ein aszetisch vertieftes, kontemplatives Leben nur aufgrund einer gnadenhaften Berufung übernommen werden darf, so könnte man sich eine handliche „Berufungsformel" erhoffen, durch die sich die gnadenhafte Berufung mit Sicherheit ermitteln ließe. Dass es ein derartiges äußerlich-allgemeingültige Berufungsschema nicht gibt, möchte der Cloud-Autor anhand 1 Kor 12, 11 „Nemo novit que sunt hominis nisi spiritus hominis, qui in ipso est" bekräftigen: Berufung ist ein personales Geschehen in dem sich Gott und Mensch dialogisch gegenüberstehen; von Dritten kann dieses Kommunikationsgeschehen der Berufung nie völlig eingesehen werden. Die Berufung richtet sich immer an eine konkrete Person mit ihrer je konkreten Lebensgeschichte, Fähigkeiten und Gefährdungen. Bedingung der Möglichkeit, die eigene Berufung zu vernehmen, ist daher rückhaltslose Selbsterkenntnis. Selbsterkenntnis meint in diesem Kontext der Berufung ein Reflexivwerden der eigenen Lebenspraxis und -geschichte. Sie führt schließlich zu einem durch längere Zeit hindurch erworbenen Erfahren-Sein im Umgang mit sich selbst - zu einer parfite knowing of himself by experience'. Dieser Aspekt der Eigenverantwortung kann nie an ein allgemeines Berufungsschema delegiert werden. Nur die reflexiv gewordene Lebensgeschichte kann der hermeneutische Horizont sein, in dem die eigene Berufung gelesen und gelebt werden kann2. Bemerkenswert ist im vorliegenden Kontext die Verwendung des Terms experience. In manchen Werken der lateinischen Frömmigkeitsliteratur ist der Begriffsumfang von experientia stark begrenzt und wird ausschließlich zur Beschreibung der mystischen Einungserfahrung als cognitio experientalis oder als gnadenhafites Verkosten der Gottesgegenwart mittels der geistlichen Sinne angewandt. Der Cloud-Autor setzt hingegen den Erfahrungsbegriff schon auf einer viel niedrigeren Ebene an, verknüpft ihn mit dem Theologumenon der Selbsterkenntnis und folgt mit seinem Konzept einer langen monastischen Tradition: Ausgehend vom delphischen gnothi sauton hat ein christlicher Sokratismus die Forderung zur Selbsterkenntnis in einem christlich-biblischen Horizont ausgelegt und immer wieder aktualisiert3. In der eremitischen und monastischen Theologie der Patristik wird etwa die Selbsterkenntnis nicht als „intellektualistische Selbstreflexion" konzipiert, sondern in einen größeren geistlichen Erfahrungskontext eingebettet - mit Schriftlesung, Gebetsunterweisung, geistlicher Begleitung und monastisch-eremitischer Praxis4. Für die lateinische Frömmigkeitsliteratur ist neben patristischen Grundtexten vor allem auch die Erfahrungstheologie und -terminologie von Bernhard von Clairvaux,

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Vgl. D. (110/18-21): „parfite knowing of himself and of inward disposicioun ... by experience of many temptaciouns and by many fallynges and risinges". Zum ganzen Abschnitt vgl. D. (110/5-36). Vgl. den geistesgeschichtlichen Überblick bei GILSON, Geist der mittelalterlichen Philosophie 235-256. Für eine Einfuhrung ins Thema mit reichen Literaturangaben vgl. HAAS, Nim din selbes war 1 14. Für das Thema der Selbsterkenntnis bei Augustinus vgl. GRABMANN, Grundgedanken des Heiligen Augustinus 23-24.

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Guigo II. und Hugo von Balma normativ geworden1. Auf eine Anlehnung des CloudAutors an das monastische Erfahrungskonzept der Zisterzienser beziehungsweise Bernhards weist auch ein Topos im ,Traktat zur Unterscheidung der Regungen' hin: Wenn der Cloud-Autor die Selbsterkenntnis bezüglich der Frage der Berufung in der „Schule Gottes" verortet, dann spielt er zumindest sprachlich auf die benediktinische und zisterziensische schola Dei an2. Auffällig ist aber die kreative Relecture monastischer Theologie für ein volkssprachliches Publikum: Die Selbsterkenntnis in der Schule Gottes findet gerade nicht in der Mönchszelle statt, sondern wird aufs Wasser verlegt: Auf dem Hintergrund von Mt 8, 23-27; 14, 22-23 und exegetischer Vorlagen bei Augustinus3 darf man den Lebensweg als eine Schiffsreise zum sicheren Hafen deuten: Ein kleines Lebens-Boot muss auf dem Weg zum sicheren Hafen immer erst durch einige Wellen, Fluten und Stürme des Lebens hindurch, um dann und wann auch günstige Winde, stille See und mildes Wetter genießen zu dürfen. Besonders in den Widerwärtigkeiten, Versuchungen und Bedrängnissen des Lebens - der Autor rechnet mit so manchem Fallen und Wieder-Aufsteh-Versuchen - begegnet der Mensch sich selbst4. Auch Walter Hilton nutzt diese Perikope der Bootsfahrt zur Illustration seiner geistlichen Weisung5. In der Cloud-Gruppe sticht an dieser Stelle wiederum die Verknüpfung des Topos der wahren Selbsterkenntnis im geistlichen Kampf mit dem Erfahrungsbegriff ins Auge: Selbsterkenntnis kommt zu Stande durch proef oder experience6. Nur durch ein solches lebensgeschichtliches Mit-sich-Erfahren-Sein oder Selbst-Erfahren gelangt der Mensch schließlich zur Ruhe des „Landes der Sicherheit" oder des „Hafens des Heils", wie der Cloud-Autor, vielleicht in Anschluss an Richard von St. Victor7, formuliert. Der Cloud-Autor zitiert Jer 9, 21 „mors intrat per fenestras", um nochmals besonders nachdrücklich die personale und existentielle Wurzel der Berufung einzuschärfen: Es 1

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Für Guigo II vgl. MIQUEL, Vocabulaire Latin 246-247. Für Bernhard siehe KÖPF, Erfahrung 111; Wesen und Funktion 150-165 und Religiöse Erfahrung. Für Hugo von Balma siehe MIQUEL, Vocabulaire Latin 248-251. Vgl. D. (110/20). Zur benediktinischen schola Dei vgl. BENEDIKT VON NURSIA, RB prol 45 (Holzherr, 30) mit Anmerkungen von HOLZHERR, Benediktsregel 48. Zur zisterziensischen schola caritatis vgl. GILSON, Mystik des Heiligen Bernhard 98-129. Vgl. beispielsweise AUGUSTINUS, in psalm 34, 1, 3 (CCL 38, 301-302): „Navis tua, cor tuum; Iesus in navi, fides in corde" und doct Chr 1 , 1 0 (CCL 32, 12): „Quam purgationem quasi ambulationem quandam et quasi navigationem ad patriam esse arbitremur." Vgl. D. (110/15-36). Vgl. WALTER HILTON, sc perfl, 49 (Bestul, Zeilen 1421-1442). Vgl. D. (112/30): „thorow grace and the experience of this goostly bataile". Ganz ähnlich lautet auch B.M. (142/16-28): „And thus after many fallynges and faylynges, and schäme folowyng, a man lerneth by the proef that ther is nothing betyr than to be rewlyd after counsel, the whiche is the rediest getyng of discrecioun." Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 38 (PL 196, 27): „Haec est ilia vera beata terra, mentis videlicet stabilitas tranquilla, quando mens in seipsa tota colligitur, et uno aeternitatis desiderio immobiliter figitur" und HODGSON, The Cloud 185 (Anm. 110/31-34).

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gibt keine quasi-empirische Erfahrungswissenschaft des Phänomens Berufung, welche das Gewicht der personalen Verantwortung übernehmen könnte. Die geistliche Lebensform kann gerade nicht von anderen Personen abgeschaut oder aus Büchern angelesen werden - sie wäre sonst nur „nachgeäfft", wie der Autor in Anlehnung an die lateinische etymologische Eigenschaftsallegorese des Tieres „Affe" bei Isidor von Sevilla formuliert1. Eine nachgeäffte Berufung ist eine durch die Fenster der Sinne nur abgeschaute oder bloß angelesene vermeintliche Berufung und bringt den geistlichen Tod2. Der äußerlichen Nachäffung von Abgeschautem oder Angelesenem wird die innere, gnadenhafte Berufungsregung entgegengesetzt, die by experience empfunden wird3. Auch in diesem Abschnitt ist der Term der experience wieder von der monastischen Erfahrungstheologie im Sinne Bernhards inspiriert. Warum eine nachgeäffte Berufung den geistlichen Tod bringt, zeigt der Cloud-Autor anhand 2 Kor 3, 17 „Ubi spiritus Domini ibi libertas": Die oben angeführten Ternare des Frömmigkeitslebens von Reden-Gemeinschaft-Essen beziehungsweise SchweigenEinsamkeit-Fasten sind lediglich ein medium quo, ein Hilfsmittel, wodurch der Weg zu Gott gegangen werden kann. Ziel des menschlichen Verlangens sind nicht irgendwelche Lebensformen oder Frömmigkeitsaspekte, sondern ausschließlich die Anwesenheit bei Gott. So wertvoll Fasten, Schweigen und ein Leben in Zurückgezogenheit oder aber Essen, Reden und Gemeinschaft auch immer sein mögen - sie beziehen sich doch immer nur auf die Verfasstheit des äußeren Menschen (statute of thin utter man)\ sie müssen so gewählt werden, dass sie dem himmlischen Gnadenleben des inneren Menschen (hevenly grace worching withinne) zuträglich und entsprechend sind, wie der Autor auf dem Hintergrund der paulinischen Theologie festhält4. Gerade deshalb muss man sich ihnen gegenüber eine gewisse letzte Freiheit bewahren. Wenngleich der anonyme Autor damit nicht die Lebensformen in die völlige Beliebigkeit stellen will, so zeigt sich hier doch sein ausgeprägtes Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit des Subjektes, das selbst wählen und gestalten darf, und seine Nüchternheit gegenüber allzu formalisierten Lebensentwürfen. Der wahre Kontemplative wählt zusammen mit Maria das unum necessarium und die optima pars - und das ist nicht etwa die kontemplative Lebensform, sondern die auf die Gottesgegenwart zielende Gottesliebe. Will man seiner Berufung gewahr werden, so muss man daher zuerst alle Gegensatzpaare der äußeren Le1

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Grundlage für das Wortfeld „Affe-nachäffen-affig" in den europäischen Volkssprachen ist die etymologisch verankerte Eigenschaftsallegorese dieses Tieres im Lateinischen, die etwa bei ISIDOR VON SEVILLA, etym 12, 2, 30 (BAC 434, 74-76) klassischen Ausdruck gefunden hat. Vgl. hierzu den Schlüsselsatz: „Alii ,simias' Latino vocato arbitrantur, eo quod multa in eis ,similitudo' rationis humanae sentitur". Vgl. D. (113/1-29). Vgl. D. (113/13-15). Zur mittelalterlichen Ausdeutung von 1 Kor 15, 47; 2 Kor 4, 16 und Eph 3, 16 siehe auch ANGENENDT, Geschichte der Religiosität 254—257, mit weiteren Literaturangaben. Zur allgemeinen Religionsgeschichte des „inneren Menschen" vgl. ASSMANN, Erfindung des inneren Menschen.

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bensform, wie Schweigen-Reden, Fasten-Essen, Einsamkeit-Gemeinschaft und so fort, beiseite legen, und suchen, was zwischen den Gegensatzpaaren als ihr Grund und ihre Mitte verborgen liegt: Gott. Nur für Ihn darf nämlich letztlich geschwiegen oder geredet, gefastet oder gegessen, einsam oder gemeinschaftlich gelebt werden. Oder anders gewendet: Verwurzelt man sich in Gott, so kann man die Gegensatzpaare zugleich vollziehen: man redet schweigend, schweigt redend, isst fastend, fastet essend1. Der Wunsch zu einer vorschnellen Bindung an bestimmte Frömmigkeitsübungen, etwa durch ein Privatgelübde, erwächst hingegen einer schädlichen Einflüsterung des Mittagsdämons2. Mit dem paulinischen Begriff der „Freiheit des Geistes" hat der anonyme Autor seinen Vorbehalt gegenüber veräußerlichten und allzu formalisierten Lebensformen zur Sprache gebracht. Um zu zeigen, dass er sich damit nicht gegen die überlieferten christlichen Lebensformen richtet, lässt er Paulus, der die Freiheit des Geistes aufgebracht hat, mit 1 Kor 7, 20 und Eph 4, 1 ergänzen: „Videte vocacionem vestram, et in ea vocacione qua vocati estis, state". Der Autor will also, dass nach einer Zeit der Entscheidung in innerer und äußerer Freiheit die Berufung schließlich leibhaftigen Ausdruck findet - wie immer das auch konkret aussehen mag3. Wenngleich der Cloud-Autors mit seinem Freiheitsbegriff einen besonderen Akzent setzt, so weist doch nichts darauf hin, dass seine Auffassung mit dem kirchlichenrechtlichen Amtsverständnis oder mit einem Gelübde des Religiosentums unvereinbar wäre4. Am Ende dieser Durchsicht des ersten Drittels des ,Traktats der Unterscheidung der Regungen' darf man ein Fazit ziehen: Der Cloud-Autor verankert seine Theologie der Lebensformen im Kerngedanken der personalen Freiheit und widerspricht so einer veräußerlichten oder „nachäffenden" Übernahme traditioneller Kriterien. Er schafft damit einen Freiraum fur das Interesse volkssprachlicher Leser aus dem niederen Adel und dem gehobenen Bürgertum an geistlicher Unterweisung. Der Cloud-Autor kann sich an die im 13. Jahrhundert entstandene Neuverhandlung traditioneller Lebensentwürfe um so leichter anlehnen, als in England bis zu Wyclif und den Lollarden häretische Strömungen, wie sie auf dem Kontinent im Umfeld laikaler Spiritualität auftreten, praktisch unbekannt sind. Wenn man auf den britischen Inseln von kontinentalen Häresien Notiz nimmt, so bezieht man sie in den meisten Fällen auf das Lollardentum, weil

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Vgl. D. (114/30-116/6). Vgl. dazu D. (114/1-15). Zum Mittagsdämon siehe VANDENBROUCKE, Demon 189-212, hier besonders 193-194. Siehe D. (116/7-14). Stärker interpretiert RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 38: Die Freiheitsauffassung des Cloud-Autors stünde „in einem Gegensatz ... zu einem durch Gelübde fest umgrenzten Leben der Religiösen." Gewiss kann sich der Cloud-Autor den kontemplativen Vollzug auch in einem Leben ohne Gelübde vorstellen und hat damit eine klare „Option für die Laien" getroffen. Damit ist aber unseres Erachtens noch kein Gegensatz zum Religiosentum gegeben.

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es in England weder im 13. noch im 14. Jahrhundert ein nennenswertes, der Häresie verdächtiges Beghinen- oder Begardentum gibt1. Der Cloud-Autor kann also die „Freiheit des Geistes" herausstellen, ohne ein „freigeistiges" Missverständnis zu befürchten2. Der Cloud-Autor richtet sich aber nicht nur gegen erstarrte und veräußerlichte Lebensentwürfe der Tradition sondern vor allem auch gegen zeitgenössische Moden der Lebensgestaltung: Die religiöse Laienbewegung konnte für eine lange Zeit keinen adäquaten institutionellen Ausdruck finden, weil es England kaum ein Beghinentum oder eine Drittordensbewegung gab3. Deshalb ist das Eremiten- und Anachoretentum, das hernach noch genauer besprochen werden muss, ein wichtiger Ort des laikalen Interesses. Einerseits erhoffen sich etliche Laien, innerhalb der eremitischen Lebensform einen institutionell und vor allem auch finanziell abgesicherten Rahmen für ihre Sehnsucht nach religiöser Vertiefung zu finden. Andererseits garantiert gerade die „spektakuläre" Lebensform des anachoretischen Lebens Wertschätzung und Ansehen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Eremiten sind beim Volk beliebt, sie werden um Rat angegangen und bekommen Bestätigung4. Nicht ohne Grund wehrt sich daher der Cloud-Autor mit seinem „Verbot der Nachäffung" gegen eine bloß oberflächliche und gleichsam modische Attraktivität gerade dieses Lebensstandes. Als Warnung vor einem unbedachtsamen Anschluss an die eremitische Bewegung fuhrt der Autor einen gescheiterten Einsiedler als warnendes Beispiel an: Dieser habe zwar voller Elan das eremitische Leben begonnen, es dann aber doch wieder aufgeben müssen. Er vollzog es über einen längeren Zeitraum nur nachäffend, um schließlich einzusehen, dass das Eremitentum gar

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LERNER, Heresy of the Free Spirit 195 bringt nahezu zwingende Belege für die schlechte Informationslage in England bezüglich der „freigeistigen Häresie": In Johann Baconthorpes Sentenzenkommentar wird die päpstliche Invektive „Ad nostrum" gegen Beghinen/Begharden fälschlicher Weise mit den „errores Berengariorum" in Verbindung gebracht, weil man von den kontinentalen Verhältnissen in England offensichtlich keine Ahnung hat. Auch Ruysbroecks Kritik eines falschen, freigeistigen Mystizismus in seiner ,Geistliche Hochzeit" wird in der englischen Übersetzung von 1382 auf die Lollarden bezogen, weil in England das Lollardentum das eigentliche Problem darstellt. Vgl. dazu BAZIRE/COLLEDGE, Chastising 35; 130-145; 277 und SWANSON, Church and Society 309-312.

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RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 41-43 vermutet eine konstruktive Auseinadersetzung mit der „freigeistigen Ketzerei". Allerdings kann CLARK, Notes on , The Book of Privy Counselling' 93 nur zwei entfernte thematische Parallelen mit Marguerite Porete ausmachen. Zum Themenkomplex des „Freien Geistes" vgl. GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen 355-438; LAMBERT, Häresie im Mittelalter 187-196; LERNER, Heresy of the Free Spirit', RUH, Geschichte der Mystik 2, 338-371. CLARK, Later Fourteenth-Century Cambridge Theology 5 - 6 und CLARK, Walter Hilton and Liberty of Spirit 61-78 zeigen die gegen Ende des Jahrhunderts anwachsende Sensibilität für die „falsche Freiheit" und die Reaktion Walter Hiltons darauf.

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Vgl. SWANSON, Church and Society 274-275 und WARREN, Anchorites 21-22. Siehe D. (109/10-12): „For ofttymes now thees dayes, thei ben demid for most holy ... that most aren in silence, in singulere fastyng, and in only dwellyng."

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nicht seiner eigentlichen Berufung entspreche1. Der Cloud-Autor weiß um die modische Versuchung einer solchen „ostentativen Lebensform" deshalb so gut Bescheid, weil sowohl der gescheiterte Eremit als auch der Adressat des ,Briefs zu Unterscheidung der Regungen" zu seinen geistlichen Schülern zählen. Er sieht also sowohl die äußere Frömmigkeitslandschaft in England als auch die inneren, geistlichen Auswirkungen auf Anfänger der vita contemplativa. 4.2.2 Schematisierung der Lebensformen und -stufen Um der Gefahr einer „ostentativen Frömmigkeit" entgegenzuwirken, isoliert der CloudAutor das Phänomen der Berufung von bloß äußerlichen Bezügen, und stellt es in einen existentiell-hermeneutischen Horizont. Darauf deutet nämlich die Verwendung des Begriffes experience hin, der in einem knappen Abschnitt im ,Brief zur Unterscheidung der Regungen' als eine Art Schlüsselbegriff fungiert. Wichtig ist vielleicht, abschließend nochmals die Sinnrichtung dieses Erfahrungsbegriffes festzuhalten: Für den Cloud-Autor und die eremitisch-monastische Tradition ist das Mit-sich-selbst-ErfahrenSein der hermeneutische Horizont, innerhalb dessen die je eigene Berufung und der Wille Gottes für eine konkrete Person lesbar und lebbar wird. Wenngleich sich die gelungene Entscheidung nur in diesem hermeneutischen Horizont der experience entfalten kann, so ist sie doch kein selbstgenügsames Prinzip, aus dem die Berufung einfach hergeleitet werden könnte2. Die Wahl der Lebensform ist immer auch an ein normatives, in der Offenbarung wurzelndes kriteriologisches Schema gebunden. a) Phänomenologisches Vierer-Schema In den beiden Eingangskapiteln der ,Wolke des Nichtwissens' stellt der Cloud-Autor dem Adressaten eine progressive vierteilige Reihung aus einer „gewöhnlichen" (commouri), „besonderen" {special), „einzigartigen" (synguler) und „vollkommenen" iparfite) Stufe vor. Als Fachbegriff für Stufe benutzt der Cloud-Autor „Grad" (degree), „Form" (fourme) und „Stand" (state)3. Die Interpretation dieses Schemas ist mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet: Einerseits lassen sich zumindest drei der Stufen,

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Vgl. D: (113/5-13): „a goostly brother of thine and of myne, that was now late in choure contrey, touchid with the same steringes of fill streite silence, of fill singulere fastynges, and of fill onlydwellyng, on ape maner, as he graunted unto me after longe comounyng with me and when he had proved hymself and his steringes. For, as he seyde, he had seen a man in oure cuntre, the whiche man, as it is wel knowen, is evermore in grete silence". Auch NORQUIST, Glossary 25 betont den nicht-normativen Charakter der experience in der Cloud-Gruppe, berücksichtig aber nur die experiental-haptische und nicht die hermeneutischen Dimension des Erfahrungsbegriffes. Vgl. Cl. (7/28 - 9/10). Siehe dazu CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 10 (Anm. 13/10-11).

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die sich der Begrifflichkeit des mittelalterlichen OrJo-Schemas (status, gradus, forma)1 bedienen, mit einer gewissen Plausibilität konkreten Lebensständen des kirchlichen Sozialgefuges zuordnen: dem Laienstand, der Mitgliedschaft in einer geistlichen Gemeinschaft und dem eremitischen Lebensstand2. Daraus hat man herzuleiten versucht, der Cloud-Autor wäre Kartäuser gewesen und hätte für einen kartäusischen redditus als Adressat seine Schrift ,Wolke des Nichtwissens' verfasst3. Andererseits entwickelt der Autor seine Systematik mittels eines Aufweises aus der Lebensgeschichte, die im Horizont der Heilsgeschichte gespiegelt wird: Gott hat den Menschen in Seiner unendlichen Liebe erschaffen und, als er in Adam verloren war, mit Seinem kostbaren Blut erkauft; Gott kann zu Recht als „eifersüchtiger Liebhaber" bezeichnet werden, das heißt als ein Gott, der sich um den Menschen bis zum Äußersten bemüht. Diesen heilsgeschichtlichen Daten eines Engagements Gottes entspricht ein Gezogen-Werden von Stufe zu Stufe: Auf der „gewöhnlichen Stufe" bleibt man von Gott entfernt, da sich alles vornehmlich im Bannkreis der weltlichen Freunde und Freuden abspielt. Doch mit dem Strick der Sehnsucht fuhrt Gott zur „speziellen Lebensform", die sich ausdrücklich dem Streben nach einem geistlichen Leben und der Nachfolge widmet. Auf der Stufe der „einzigartigen Lebensform" zieht Gott einen Menschen fort von der Welt in eine rückhaltslose Hinwendung zu ihm. Mit den „Füßen der Liebe" kann man schließlich unmittelbar zu Gott gelangen und erreicht dadurch die „vollkommene (nicht vollendete) Lebensform"4. Der viergliedrige Aufstieg wird also anhand einer Phänomenologie der Liebe entwickelt; die Grade sind einzelne Intensitätsstufen der Gottesliebe - was auch die Begrifflichkeit nahe legt, die an die Liebeslehre von Richard von St. Victor gemahnt5. Dieser nicht eindeutige Charakter der Kategorien, der zwischen innerer Haltung und äußerer Lebensform oszilliert, ermöglicht die unterschiedliche Lesart der Cloud-Texte: Selbst wenn der Cloud-Autor seine Texte an konkrete Adressaten gerichtet hat, die im Umkreis der Kartäuser beheimatet sein könnten, so sind die Texte doch auch für einen weiteren Leserkreis, die richtige disposicioun vorausgesetzt, durchaus geeignet6.

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Siehe CONSTABLE, Orders of Society, für die Begriffe 251-266, für die Geschichte der Gesellschaftsstrukturen 251-360. Der Cloud-Autor setzt in Cl. (8/15-16) „synguleer" mit „solitari forme and maner" gleich. Vgl. EMERY, Cloud of Unknowing 50-52; CLARK, Introduction 20-22 und HODGSON, The Cloud 157 (Anm. 7/34—8/17). Besonders interessant ist die bei Hodgson zitierte Glossierung von Richard Methley: „specialis clericorum vel religiosorum, singularis solitariorum, scilicet heremitarum, anachoritarum, vel precipue cartusiensium", die zur These einer kartäusischen Autorschaft der Cloud-Gruppe Anlass gegeben hat. Zur Eliminierung von Textbestandteilen in einigen Handschriften, die von lollardischen Kreisen wegen ihres Vorbehaltes gegen den Religiosenstand herrühren könnten, vgl. HODGSON, The Cloud 156 (Anm. 7/24-25). Vgl. Cl. ( 7 / 2 8 - 9 / 1 0 ) . Vgl. CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 10-11 (Anm. 13/10-11) und HODGSON, The Cloud 157 (Anm. 7/34 - 8/17). Vgl. P.C. (75/1-11).

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Vitae-Partes-Schema

Ein erster Fundort eines ausgedehnten und detailreichen Berufungsschemas findet sich im achten Kapitel der ,Wolke des Nichtwissens'. Das Theologumenon wird dort nicht anhand der Maria-Martha-Perikope exegetisch ausgelegt, sondern eher spekulativstrukturell entfaltet. Die einzelnen Momente müssen hier kurz nachgezeichnet werden1. Als Einleitung ins Thema dient das klassische Theologumenon der vita activa und vita contemplativa als kirchliche Lebensweisen2. Es findet sich in normativer Gestalt bei Augustinus und Gregor dem Großen und gehört zum Grundbestand unzähliger Texte der lateinischen und volkssprachlichen Frömmigkeitsliteratur3; bei Walter Hilton begegnet es etwa in einer nahezu wörtlichen Parallele zur Cloud-Gruppe4. Das aktive Leben beginnt und endet auf Erden, während das kontemplative Leben zwar auf Erden beginnt, aber kein Ende kennt, wie der Cloud-Autor mit Gregor betont5. Für alle Autoren einer geistlichen Instruktionsliteratur, die eine ausdifferenziertere gesellschaftliche Wirklichkeit im Blick haben und sich an volkssprachliche Adressaten wenden, reicht freilich eine solche grobe Unterteilung in zwei vitae nicht hin. Um eine komplexere Wirklichkeit fassen zu können und um einzelne progressive Aufstiegsmomente innerhalb dieses Schemas der duae vitae beschreiben zu können, tragen viele Autoren in die duae vitae weitere partes ein. Richard Rolle unterscheidet etwa zwischen der vita activa und der vita contemplativa, differenziert die vita contemplativa wiederum in einen niedrigeren und höheren Teil und gelangt so zu einer Dreierstruktur6. Walter Hilton unterscheidet zwei Lebensformen (liif), differenziert sie in Teile {parties), unterdifferenziert sie weiter in Grade (degrees) und gelangt so zu einer feingliedrigen Fünferstruktur7. Etwa in der Mitte liegt die Position des CloudAutors: Er unterteilt die beiden Lebensformen in einen je niedrigeren und höheren Teil und gelangt so vorläufig zu vier Teilen. In einem zweiten Schritt lässt er beide Lebens-

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Vgl. Cl. ( 1 7 / 5 - 1 8 / 4 ) . Vgl. Cl. (17/9-10): „ther ben two maner of lives in Holy Chirche. The tone is active liif, and the tother is contemplative liif." Vgl. GREGOR DER GROSSE, in Ez 2, 2, 7 - 8 (CCL 142, 229-230). CLARK, Notes on ,The Cloud of Unknowing' 74 (Anm. 31/3ff) hält BEDA VENERABILIS, hom 1-9 (CCL 122, 64-65) für einen wichtigen Multiplikator des gregorianischen Theologumenons in England. Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 1 (Bestul, Zeilen 1-25). Zur Hintergrund der vita activa, mixta und contemplativa bei Walter siehe HUSSEY, Walter Hilton - Traditionalist? 1-16. Vgl. Cl. (17/20-22) und GREGOR DER GROSSE, in Ez 2, 2, 9 (CCL 142, 231): „Activa etenim vita cum corpore deficit... Cum praesenti ergo saeculo vita auferetur activa, contemplativa autem hie incipitur, ut in patria perficiatur" Vgl. RICHARD ROLLE, form of living 12 (EETS 293, 24/849-865). Zu Richards Position innerhalb der Frage der Lebensformen vgl. HUSSEY, Walter Hilton - Traditionalist? 5 und besonders WATSON, Invention of Authority 9-18. Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 2 - 9 (Bestul, Zeilen 26-197). Zu Walters Konzept siehe CLARK, Action and Contemplation in Walter Hilton 258-274 und HUSSEY, Walter Hilton Traditionalist? 7-11.

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formen überlappen, identifiziert den höheren Teil des aktiven Lebens mit dem niedrigeren Teil des kontemplativen Lebens, und erreicht damit eine Dreierstruktur1. Der Cloud-Autor entfaltet die einzelnen Stufen seines Dreierschemas mit einer knappen und dichten Terminologie2: Die niedrigere Stufe des aktiven Lebens besteht aus den Werken der Barmherzigkeit und hilfsbereiten Liebe3. Ganz ähnlich, nur etwas ausfuhrlicher zeichnen übrigens auch Richard Rolle und Walter Hilton diese Stufe4. Die Zwischenstufe, auf der sich der höhere Teil des aktiven Lebens und der niedrigere Teil des kontemplativen Lebens überlappen, besteht aus aufmerksamen Meditationen und Betrachtungen. Der Cloud-Autor gibt dazu Beispiele an: Dem Betrachtungsgegenstand der eigenen Gebrochenheit entspricht die Haltung von Schmerz und Reue; des Leidenswegs Christi die Haltung des Mitfühlen und Mitleidens; den Gnadengeschenken Gottes hingegen die Haltung von Dank und Lobpreis5. Ganz ähnlich drückt sich wiederum Richard Rolle aus6, während Walter Hilton diese Stufe in weitere Grade ausdifferenziert7. Wirkliche Unterschiede und deutlich voneinander abgesetzte Konzepte ergeben sich in der Cloud-Gruppe, bei Richard Rolle und Walter Hilton bezüglich der Bestimmung des höheren Teils des kontemplativen Lebens. Nach der Konzeption der ,Wolke des Nichtwissens' ist die höchste Stufe der Kontemplation „eine Liebesregung zu und eine blinde Aufmerksamkeit auf das nackte Sein Gottes". Der Ort dieser Kontemplation ist „die Dunkelheit der Wolke des Nichtwissens"8. Wenngleich diese Bestimmungen der Kontemplation hier noch nicht genauer erklärt und gedeutet werden kann, so fällt doch die Anlehnung des Cloud-Autors and die Vercelli-Theologie auf: Eine von Thomas Gallus Vercellensis initiierte theologische Interpretationsrichtung der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita betont, dass Gott beim mystischen Aufstieg zwar mit dem affectus berührt (apprehensio), nicht aber mit dem intellectus begrifflich umfasst (comprehensio) werden kann. Auf einem solchen Hintergrund hat der Cloud1 2 3 4 5

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Vgl. Cl. (17/10-18). Siehe hierzu auch die Schemata von NORQUIST, Glossary 4 3 ^ 4 . Vgl. Cl.( 17/24-33). Vgl. Cl. (17/24—25): „good and honeste bodily Werkes of mercy and charite" Vgl. RICHARD ROLLE, form of living 12 (EETS 293, 24/849-853) und WALTER HILTON, sc perf\, 2 (Bestul, Zeilen 26—41). Vgl. Cl. (17/25-30): „good and goostly meditacions, and besy beholdynges ... unto mans owne wrechidnes with sorow and contricion, unto the Passion of Christ ... with pite and compassion, and unto the wonderful chiftes ... with thankyng and preising". Vgl. RICHARD ROLLE, form of living 12 (EETS 293, 24/861-865): „meditacion of haly wrytyng ... gude thochtes and swete ... and in lovyng of God in psalmes and ympnes or in prayer". Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 5 - 7 (Bestul, Zeilen 91-144): „The secunde partie of contemplacion lieth principali in affeccioun, withoute undirstondynge of gosteli thynges ... The lowere degre of this feelynge, men whiche aren actif may have bi grace whanne thei be visited of oure Lord ... But the highere degre of this partie may not be had ne halden, but of thoo that aren in grete reest of bodi and soule, the which bi grace of Jhesu Crist and longe travaile bodili and goostli felen rest of herte and clennesse in conscience". Vgl. Cl. (17/32-33): „hongeth al holy in this derknes and in this cloude of unknowyng, with a lovyng steryng and a blinde beholdyng unto the nakid beyng of God himself only."

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Autor seine Bestimmung der Kontemplation gezeichnet - im Sinne einer Aufstiegsbewegung, in welcher die intellectuales operationes überstiegen werden. Ganz andere Akzente setzen Richard Rolle und Walter Hilton: Auch fur Richard Rolle besteht die Kontemplation wesentlich aus Gottesliebe. Anders als in der Cloud-Gruppe wird aber dem Erfahrungsaspekt einer in die Sinnenhaftkeit überfließenden geistlichen Süße und Freude innerhalb dieser kontemplativen Liebe eine große Bedeutung eingeräumt1. Bei Walter Hilton ist die Kontemplation, bei aller Wichtigkeit der Gottesliebe, nicht so stark mit dem ajfectus verknüpft, sondern beinhaltet ausdrücklich eine ausbalancierte Zuordnung von intellektiven und affektiven Aspekten2. In einer Kurzformel könnte man sagen: Bei Richard Rolle wird die Kontemplation bernhardisch-experiental, bei Walter Hilton augustinisch, in der Cloud-Gruppe hingegen vercelli-dionysisch aufgefasst. Nun kennt das traditionelle Schema nur duae vitae. Um seine Dreiteilung gegenüber dem Zweierschema argumentativ abzusichern, schlägt der Cloud-Autor die Brücke zur Anthropologie und verknüpft die drei Stufen mit dem Extra-intra-supra-Schema der augustinisch-dionysischen Tradition. In Anlehnung an diese anthropologische Grundlegung kann sich der christliche Glaube dreifach vollziehen: durch ein aktives Handeln und Gestalten für Christus als wahres Außer-sich-Sein in der Welt; in meditativer Selbstbesinnung vor dem Spiegel des Lebens Christi als wahres In-sich-Sein; oder in einer kontemplativen Selbsthingabe an Gott als wahres Über-sich-Sein3. c) Klassisches Maria-Martha-Schema Was im achten Kapitel der ,Wolke des Nichtwissens' als abstraktes Schema entfaltet ist, wird in den Kapiteln 17 bis 23 aus der Maria-Martha-Perikope ausgelegt4. Mit Verweis auf Lk 10, 38^12 und in ständiger Anlehnung an die normativen Grundtexte von Augustinus und Gregor dem Großen5 geht der Cloud-Autor die Perikope heran: Die beiden Schwestern Martha und Maria sind auf eine unterschiedliche Weise auf Jesus bezogen. Während Martha um das leibliche Wohl Jesu besorgt ist, sitzt Maria still vor

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Vgl. RICHARD ROLLE, form of living 12 (EETS 293, 24/865 - 25/874): „a wonderful joy of Goddes luf, the whilk joy es lovyng of God, that may nocht be talde; and that wonderful lovyng es in the saule, and for abundance of joy and swettenes is ascendes intil the mouth, swa the hert and the tonge acordes in ane, and body and sawle joyes in God lyvand." Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 8 (Bestul, Zeilen 146-148): „lieth bothe in cognicion and in affeccion: that is for to seie, in knowyng and in perfight lovynge of God". Vgl. CI. (17/34-41). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund siehe RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 55 (PL 196, 40): „Extra nos corporalia, intra nos spiritualia, supra nos divina."; HUGO VON ST. VICTOR, sacr 1, 10, 2 (PL 176, 329-330) und BONAVENTURA, brev 2, 12 (Quaracchi 5, 230); itin 1, 4 (Quaracchi 5, 297). Vgl. Cl. (26/7-32/13). Für Nachweise siehe CLARK, Notes on , The Cloud of Unknowing' 72-81.

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Seinen Füßen und lauscht Ihm1. Die beiden Schwestern haben eine prototypische Bedeutung für die kirchlichen Lebensformen: Martha steht für das aktive, Maria für das kontemplative Leben2. Während Martha sich an Jesus wendet, um Ihn als Richter gegen ihre Schwester Maria anzurufen, entpuppt sich Jesus zugleich als Anwalt Marias3, wie sich an Seiner Antwort zeigen lässt: Mit „Martha, Martha" nennt Jesus die eine Schwester zweimal beim Ihrem Namen, um Sein Wohlwollen auszudrücken und sie zur Aufmerksamkeit zu ermuntern. Mit „thou arte ful besy..." lobt Er Marthas Betriebsamkeit und anerkennt den Wert ihres aktiven Handelns. Mit „bot ο thing is nessessary" schränkt er diesen Wert ein: Für den Menschen wirklich notwendig ist, Gott um Seiner selbst willen zu lieben. Das nämlich ist der Teil, der nicht genommen werden wird, „the best party, the whiche schuld never be taken"4. Aus dieser analysierenden Bestandsaufnahme der Worte Jesu lassen sich theologische Schlüsse ziehen: Unbeschadet des Wertes des tätigen Glaubens kann die vita activa nicht schon an sich die bestmögliche Verwirklichung der menschlichen Beziehung zu Gott sein. Im Vollendungszustand gibt es keine Notwendigkeit zu Werken der Barmherzigkeit mehr; ein möglicher Wert der vita activa kann nicht in der Aktivität als solcher liegen, sondern muss sich einer vorgängigen Gottesliebe verdanken, insofern die vita activa Ausdruck eben dieser Gottesliebe ist, wie der Cloud-Autor mit Augustinus und Gregor festhält5. Not ist daher, dass Gott allein und um Seiner selbst willen geliebt und gepriesen werde, vor jeder anderen leiblichen oder geistigen Arbeit, die der Mensch zu tun vermag. Der vollkommene Dienst Gottes, das unum necessarium, besteht zuvorderst in der reinen Gottesliebe, die dann freilich wegen der raum-zeitlichen Konstitution der menschlichen Natur in der vita activa einen unvollkommenen, weil auf den Pilgerstand beschränkten, Ausdruck finden kann, aber nicht muss6. Weil sich die vita contemplativa direkt der reinen Gottesliebe zuwendet, und nur insofern sie diese Liebesregung auch tatsächlich zur ihrer Mitte macht, ist sie im eschatologischen Vorgriff über die Begrenzung der Welt schon hinaus und aufgrund dieser Entschränktheit vollkommene (freilich noch nicht vollendete) Ausdrucksgestalt der 1

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Vgl. Cl. (26/8-10): „In the Gospel of Seinte Luke it is wretyn that when oure Lorde was in the hous of Martha hire sistre, al the tyme that Martha maad hir besy aboute the dichtyng of his mete, Mary hir sister sat at his feet." Vgl. Cl. (26/36 - 27/3). Vgl. Cl. (28/30-38) mit den Schlüsselbegriffen „domesman" und „advocet". Vgl. Cl. ( 2 8 / 3 0 - 2 9 / 1 8 ) . Vgl. Cl. (30/10-21), besonders den zentralen Satz: „chit thei eende with this liif ... For than, as now, schal none mowe hungre ne thirst, ne diche for colde, ne be seeke, ne housles, ne in prison, ne chit nede beryelles" Zum lateinischen Hintergrund vgl. GREGOR DER GROSSE, in Ez 2, 2, 9 (CCL 142, 231): „Activa etenim vita cum corpore deficit. Quis enim in aeterna patria panem esurient porrigat, ubi nemo esurit? Quis potum tribuat sitienti, ubi nemo sitit? Quis mortuum sepeliat, ubi nemo moritur?" Vgl. Cl. (29/5-14).

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reinen Gottesliebe. Aufgrund dieser Entschränktheit und des Vorgriffs ist sie mit der himmlischen Liebe realidentisch und damit der beste Teil, der nicht genommen werden wird - die optima pars, quae non aufereturx. Die beiden Schwestern Martha und Maria sind, trotzt ihrer so unterschiedlichen Art, geschwisterlich miteinander verbunden. Wenn Martha für das aktive und Maria fur das kontemplative Leben stehen, dann können die beiden Lebensformen nicht nebeneinander herlaufen, sondern müssen irgendwie in einer dritten Stufe miteinander verbunden sein2. Darauf verweist nämlich auch schon die Rede Jesus: Die reine Gottesliebe ist der „beste Teil". Wenn in dieser sprachlichen Formel der Superlativ verwendet wird, dann muss es neben dem Positiv „gut" zwangsläufig auch den Komparativ „besser" geben, woraus ein Dreierschema resultiert3. Der Cloud-Autor lehnt in diesem Zusammenhang ein Schema aus drei Lebensformen strikt ab4 und hält ganz im Unterschied zu Walter Hilton, der den Ternar vita activa - vita mixta - vita contemplativa aufstellt5, an den traditionellen zwei Lebensformen fest. Auf der Ebene der partes kann man hingegen, wie schon bei der Besprechung des achten Kapitels der ,Wolke des Nichtwissens' vorgeführt, problemlos zu drei Gliedern gelangen - ausgehend von den zwei Lebensformen durch Differenzierung zu vorläufigen vier Teilen, durch Überlappung der beiden Mittelglieder schließlich zu drei Teilen6. Der Cloud-Autor hat sein Dreierschema unter anderem anhand einer geistreichen Auslegung aus dem Term optima pars abgeleitet; daraus kann man aber auch eine Folgerung für die theologischen Vorlagen des CloudAutors ziehen: Auf dem Hintergrund unterschiedlicher Bibelversionen benutzt Gregor der Große stets den Term optima pars, während bei Augustinus die melior pars begegnet. Der Cloud-Autor müsste daher seine Theologumena und Topoi der Martha-MariaAuslegung eher aus Gregor als aus Augustinus geschöpft haben7.

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Vgl. Cl. (29/8-18), besonders den Schlusssatz: „For whi that parfite steryng of love that byginneth here is even in noumbre with that that schal last withouten ende in the blis of haven; for al is bot one." Siehe dazu auch HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 408, 226): „quae est simplex et unica, quae in amore viventibus incipit in praesenti vitae; quia amor ille, quo sponsus in vita ista diligitur, idem est numero cum illo quo in aeternitate gloriae beatificatori omnium unietur" und RICHARD VON ST. VICTOR, ben mai 1, 1 (PL 196, 65): „Haec est pars quae electis et perfectis numquam auferetur". Vgl. Cl. (29/39-30/1). Vgl. Cl. (29/19-29). Vgl. Cl. (29/23-27): „Thre lyves ben they not, for Holy Chirche makith no mynde bot of two actyve liif and contemplatyve liif ". Siehe WALTER HILTON, mixed life (ERS 92/15, 11/119-121): „three maner of lyvynge. Oon is actif. Another is contemplatiyf. The thredde is maad of bothe, and that is medeled". Vgl. Cl. (29/30-32): „Bot thof al ther be bot two lyves, nevertheles chit in thees two lyves ben thre partyes, ich one betir then other" und Cl. (29/38ff): „for this is the secound degree of actyve liif and the first of contemplatyve liif'. Siehe hierzu auch die graphischen Schemata bei NORQUIST, Glossary 43-44. Vgl. CLARK, Note on 'The Cloud of Unknowing Ί 21 (Anm. 52/20-21).

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Die inhaltliche Füllung der drei Teile an dieser Stelle unterscheidet sich kaum von den schon analysierten Vorgaben des achten Kapitels der ,Wolke des Nichtwissens'1: Die erste Stufe des aktiven Lebens nimmt Maß an Marthas besines und widmet sich den Werken der tätigen Nächstenliebe, besonders in der Form der sieben Werke der Barmherzigkeit. Auch die zweite Stufe, auf der sich der höhere Aspekt des aktiven Lebens mit dem niedrigeren Aspekt des kontemplativen Lebens überlappen, entspricht einem besines, nämlich einer meditativen Ausrichtung auf Christi Leib, Seine Stimme und Seine Worte gemäß Seiner menschlichen Natur; der Meditierende muss im Gebet den meditativen Blick auf die eigene Sündhaftigkeit, die Passion Christi und die Himmlische Seligkeit richten2. Auf der höchsten Stufe der Kontemplation zielt der Beter „mit der ganzen Liebe des Herzens auf die erhabene Weisheit der göttlichen Natur Christi, die in die dunklen Worte Seiner menschlichen Natur verhüllt ist"3. Diese Formel hat der Cloud-Autor durch eine geschickte Umbettung eines Satzes von Richard von St. Victor gewonnen4: Auf dem Hintergrund der Vercelli-Theologie, für die Gott im kontemplativen Aufstieg zwar durch den affectus berührt (apprehensio), nicht aber mit dem intellects umfasst (comprehensio) werden kann, hat der Cloud-Autor den richardischen Satz mit dem Topos der kontemplativen Gottesliebe (beholdyng with the love of herte) ausgedeutet und den Aspekt der intellektiven Unerkennbarkeit Gottes besonders deutlich herausgestellt. Im Sinne einer solchen vercelli-dionysischen Inkomprehensibilität Gottes wagt der Cloud-Autor auch eine definitorische Formel: Kontemplation ist „mystische Liebe, die sich in der dunklen Wolke des Nichtwissens auf Gott selbst richtet"5. Das theologische Konzept, das hinter dieser Bestimmung steht, wird hernach noch genauer zu beschreiben und zu deuten sein. In der Martha-Maria-Perikope muss Jesus als Richter und Advokat im Konflikt zwischen den beiden Frauengestalten, sprich Lebensformen, vermitteln6 - ein augustinischgregorianischer Topos, der auch in der volkstümlichen mittelenglischen Legendenliteratur behandelt wird7. Der Cloud-Autor faltet in den Kapiteln 18-19 und 22-23 der , Wolke des Nichtwissens' den Topos des Christus advocatus auf und wendet ihn auf 1 2 3 4 5 6

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Vgl. Cl. (29/32 - 30/29) vor dem Hintergrund von Cl. (17/8-11). Vgl. Cl. (29/32 - 30/4); (26/10-15). Vgl. Cl. (26/15-17): „to the sovereynest wisdom of his Godhees lappid in the derk wordes of his Manheed: theder beheeld sehe with als the love of hir herte." Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, ben mai 1, 1 (PL 196, 65): „Summam ... Dei sapientiam in carne latitantem quam oculis carnis videre non poterat audiendo intelligebat." Vgl. Cl. (30/ 5-6): „The thrid partye of thees two lyves hangeth in this derk cloude of unknowyng, with many a prive love put to God by himself." Vgl. Cl. (28/30-35). Zum lateinischen Hintergrund siehe etwa AUGUSTINUS, serm 104, 1, 1, 1 (PL 38, 616): „Dominus autem pro Maria respondit Marthae, et ipse eius factus est advocatus, qui iudex fuerat interpellatus." Vgl. OSBERN BOKENHAM, legendys (EETS 206, 152/5556-5560): „But cryst, wych iuge was interpellat, as seyith seynt Austyn in a sermoun. Anoon be-came Maryis advocat, and a-geynys hyr sustrys acusacyoun, he fonde a resonable excusacyoun."

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zeitgenössische Probleme in der Theologie der Lebensformen des ausgehenden 14. Jahrhunderts an. Der Textumfang und der leicht ironische Ton dieses Abschnitts der ,Wolke des Nichtwissens' zeigen, dass in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts offensichtlich eine massive Kritik am kontemplativen oder eremitischen Leben vorgetragen wird. In einigen volkssprachlichen Schriften wird der Verdacht vorgetragen, so manche bewunderungswürdigen Eremiten pflögen eine publikumswirksame „Scheinheiligkeit", um sich gesellschaftliche Vorteile zu verschaffen1. Auch der mulier devota Margery Kempe wird um die Wende zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert vorgeworfen, ihre spektakuläre Tränengabe, die sie mit violent sobbing in der Öffentlichkeit auslebt, diene in Wahrheit nur der Selbstbestätigung2. Die Lollarden setzen noch radikaler an: Im Gefolge Wyclifs versuchen sie aufzuweisen, dass die zönobitische, eremitische und kontemplative Lebensform an sich völlig unbiblisch wären; in ihren Kreisen entsteht etwa ein polemischer Traktat gegen die vita contemplativeι3. Doch zurück zur Apologie des Cloud-Autors: Schon die biblische Martha hatte für ihre Schwester Maria wenig Verständnis und beschwerte sich bei Jesus über sie. Immerhin hat Martha ihre Klage noch einigermaßen vorsichtig vorgetragen und war zudem durch ihre Unwissenheit bezüglich der Vollkommenheit der Kontemplation entschuldigt, weswegen der Tadel Jesu verhältnismäßig milde und höflich ausfallen konnte4. Diese Beschwerde Marthas kehrt in den Augen des Cloud-Autors bei etlichen Zeitgenossen wieder, die gegenüber der kontemplativen und eremitischen Lebensform ihrer Ablehnung deutlichen Ausdruck verleihen. Wenngleich auch sie durch ihre Unwissenheit teilweise entschuldigt sind, so beklagt der anonyme Autor, dass bei ihrem Einspruch die Grenzen der Höflichkeit regelmäßig überschritten wird5: Ein erster unhöflicher Vorwurf gegen die eremitische oder explizit kontemplative Lebensform argumentiert aus dem Wesen der Lebensform: Das soziale Mit-Sein und Für-Sein gehört nicht nur irgendwie zum Menschsein, sondern ist eine wesentliche

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Vgl. JOHN MIRK, festival (EETS 96, 231/10-13): „lyve thus perfytly, chet ben ther covetowse that sayn ... that thay do no good, but playen hom" und PERFECTION OF SONS (Bazire/Colledge, 240/30 - 241/3). Zu diesen Stellen und ihrer Deutung im geschichtlichen Kontext siehe STEELE, Spirituality for Lay-Folk 160-164. Zu größerem theologiegeschichtlichen Kontext mit den Stimmen von Fitzralph, Wyclif, Langland und Chaucer vgl. KNOWLES, Religious Orders 2 90-114. Für die Diskussion um die eremitische Praxis Richard Rolles vgl. SHON, Richard Rolle 3-5 und WATSON, Invention of Authority 44. Siehe BHATTACHARIJ, Earthquake 39-50. Vgl. die lollardische Kampfschrift FEIGNED CONTEMPLATIVE LIFE (Sisam, 119-122). Wyclif hat seine These des unum corpus Christi, in dem es keinen Papst, keine Kardinäle, Regularkanoniker, Mendikanten, Mönche und Eremiten geben darf, in den Schriften ,De fundatione sectarum' und ,De quattuor sectae novellis' vorgetragen; vgl. dazu KNOWLES, Religious Orders 2 98-108. Vgl. Cl. (27/30 - 28/3). Die höfische Haltung der curtesy beleuchten RIEHLE, Studien zur englischen Mystik 82-84. Vgl. Cl. (27/4-29), besonders die Wendung: „with a grete pleynyng spirite" und (31/16 - 32/4).

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Grundkategorie menschlicher Existenz. Zieht sich nun ein Mensch zu einem kontemplativen Leben zurück und schränkt dadurch seine sozialen Kontakte auf ein Minimum ein, so scheint er sich dieser sozialen Verantwortung und vor allem auch der sozialen Kontrolle zu entziehen1. Der Cloud-Autor stimmt diesem Vorwurf ein Stück weit zu. Ohne die richtige geistliche Anleitung kann ein Kontemplativer in der Tat seine kirchliche Einbettung vergessen und zu einem „Kontemplativen des Teufels", zu einem Heuchler und Häretiker werden2. Für das späte 14. Jahrhundert gibt es Beispiele, welche die Stoßrichtung der Topoi vielleicht ein wenig illustrieren können: Unterschiedliche häretische Bewegung haben gerade in so manchem Eremiten eine getreue Gefolgsperson gefunden, die von der kirchlichen Autorität kaum aufgespürt und nur schwer gemaßregelt werden konnte. Auch der „Schwärmerei" verdächtige Gruppen scheinen, zumindest in den Augen ihrer zeitgenössischen Kritiker, ihren Erfolg einem Rückhalt im Eremitentum mit verdankt zu haben3. Wenngleich der Cloud-Autor die Kritik für nicht völlig unberechtigt hält, so ist er doch mit der Form der Kritik keineswegs einverstanden: Sie besteht aus erfunden Schauergeschichten, die nur von gefallenen aber nie von geglückten eremitischen Existenzen berichten, und nur Gefahrdungen hervorheben ohne auf bestehende Chancen hinzuweisen4. Ein zweiter unhöflicher Vorwurf bezieht sich auf die Frage des Geldes5: Kontemplativ lebende Menschen, insbesondere Eremiten, sind zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zu einem großen Teil von der gesellschaftlichen Unterstützung abhängig und deshalb im Mittelalter innerhalb eines ausgeklügelten Patronatssystems abgesichert6. Gegen ein sarkastisches Sprichwort7 und gegen die herzlose Zitierung einer kirchenrechtlichen Bestimmung, mit der sich offensichtlich so mancher Patron aus der Verantwortung stehlen will8, richtet sich die Gegenkritik des Cloud-Autors: Christus hat als 1 2 3 4

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Vgl. Cl. (27/4-16). Vgl. Cl. (27/19-29). Siehe dazu CLAY, Hermits and Anchorites 146-166; DAVIS, Rule of Saint Paul 203-214; SWANSON, Church and Society 271-274; 329-347; WARREN, Anchorites 79-81. Vgl. Cl. (27/16-18): „And as fast thei will reken up many fals tales, and many sothe also, of fallyng of men and wommen that han choven hem soche liif before; and never a good tale of hem that stonden." Vgl. Cl. ( 3 1 / 1 6 - 3 2 / 4 ) . Vgl. WARREN, Anchorites, 41-52; fur das königliche Patronat 127-185; für das adelige Patronat 186-221; fur das laikale Patronat 22-267; fur die Unterstützung durch Kleriker 265-279. Vgl. Cl (31/35-36): „God sendeth the kow, bot not by the hörne" als Teil des lateinischen Sprichwortes „Ipse laborato, non dicas, dat Deus aurum; dat Deus omne bonum, sed non per cornua taurum"; vgl. dazu WALTHER, Sprichwörter 2 569 (Nr. 12836). Siehe Cl. (31/32-36): „And this I sey in confusion of theire errour, that seyn that it is not leveful men to sette hem to serve God in contemplatyve liif, bot chif thei ben sekir bifore of theire bodily nessessaryes". Zur kirchenrechtlich geforderten finanziellen Absicherungen von Eremiten vgl. CLAY, Hermits and Anchorites 103 und WARREN, Anchorites 41-52. Die finanzielle Absicherung ist der zweite der fünf Examenspunkte, die der Bischof vor einer Inklusion zu prüfen hat; vgl. dazu WARREN, Anchorites 53-67.

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Richter und Anwalt ein Votum für die eremitisch-kontemplative Lebensform abgelegt und sowohl die Gesellschaft als auch den Eremiten in die Pflicht genommen. Wegen der unsichtbaren Fruchtbarkeit des Eremitenstandes für die Kirche soll die Gesellschaft den für das anachoretische Leben hinreichend befähigten Eremiten beim notwendigsten Lebensunterhalt unterstützen. Der Eremit muss seinerseits mit Gottes Hilfe bereit sein, mit dem Notwendigsten auszukommen, und darf sich nicht ein Zuviel an äußerer Unterstützung erwarten 1 . Der Cloud-Autor hat damit eine deutliche Apologie für die eremitisch-kontemplative Lebensform formuliert. Diese Stellungnahme darf der Kontemplative nun aber gerade nicht für einen hitzigen Streit mit den Kritikern der Kontemplation einsetzten. Der kontemplative Beter muss sich nämlich ganz der Kontemplation widmen. Er hat gar keine Zeit zum Disput und soll seine Sache getrost in die Hände seines Anwalts Jesu legen. Seine Gegner darf er höchstens mit seinem guten Beispiel zu überwinden suchen 2 . d) Christologisches Zweier-Schema Ein weiteres Schema hat der Cloud-Autor aus Joh 9, 9-10 ausgelegt, einer Stelle die sich auch in Bonaventuras ,Itinerarium' und bei Walter Hilton findet 3 . Ausgangspunkt der Argumentation ist die Bestimmung Jesu als Türe: Christus ist die Türe zum Schafstall, durch die man ein- und ausgehen kann. Gemäß dieser zwei Bewegungsrichtungen des Hinausgehens und Eintretens darf man in einer geistlichen Auslegung Christus eine zweifache Funktion für das Gebetsleben zusprechen: Er ist sowohl eine Türe der Hingabe im Gebet (dore of devotion) als auch der Zugang zur Kontemplation {entre of contemplation)4. Wendet sich der Beter nämlich nach außen, so richtet er sich in der meditatio oder devotio auf die humanitas Christi. Wendet er sich aber nach innen, so richtet er sich in der contemplatio auf die deitas Christi aus. Die beiden Vollzüge, die Meditation der Menschlichen Natur Christi und die Kontemplation der Göttlichen Natur Christi, können darüber hinaus aber auch mit zwei Berufungen verknüpft werden: Jeder Mensch hat eine Berufung zur Erlösung (clepyng to salvation) und muss sich daher zumindest glaubend auf die humanitas Christi beziehen, durch die er glaubend Gott in Jesus Christus erlangen kann. Die ausdrückliche direkte kontemplative Hinwendung zur unsichtbaren deitas Christi ist hingegen nur dem aufgegeben, der eine Berufung zur Vollkommenheit (clepyng to perfection) hat 5 . Die beiden Berufungen, die clepyng to salvation und die clepyng to perfeccioun, kön-

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Vgl. Cl. (31/36-41). Vgl. Cl. (26/28-35); (28/22-29). Siehe BONAVENTURA, itin prol 3 (Quaracchi 5, 295); 4, 2 (Quaracchi 5, 306) und WALTER HILTON, sc perf 1, 91 (Bestul, Zeilen 2583-2609). Vgl. P.C. (92/1-2): „Criste, the dore of devocion and the trewest entre of contemplacion that may be in this liif." Siehe P.C. (92/21-37).

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nen nicht vollständig mit der vita activa und der vita contemplativa synchronisiert werden, obschon es Verbindungen gibt. Die beiden Berufungen werden vom Cloud-Autor in erster Linie als innere Größen des Gebetsvollzuges konzipiert: Die Berufung zur Vollkommenheit kann nicht einfach von außen her konstruiert werden, denn sie wird auf geheime Weise vom Heiligen Geist im Inneren gelehrt1. Die Berufung zur Vollkommenheit hängt von einer besondern Befähigung (disposition) ab2, die nur durch geistliche Unterweisung (counseil) und wahrhaftige Selbsterforschung (conscience) herausgefunden und überprüft werden kann3. Und schließlich: Diese Berufung scheint nicht ein fur alle mal festgelegt zu sein. Der Beter muss nach evidenten Zeichen dieser Berufung suchen (evidence, token, proeff\ wenn er aber im Moment noch nicht zur Vollkommenheit berufen ist, so soll er weiter meditieren, im Bewusstsein, dass es keinesfalls ausgeschlossen ist, dass sich diese Berufung noch ausbilden wird5.

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Vgl. P.C. (92/9-10): „clepid by the prive teching of the spirit". Vgl. P.C. (92/4): „in that disposicion only". Siehe P.C. (92/8-9): „his counseil and his conscience to witnes". Vgl. P.C. (92/13-20); (94/11 - 96/4). Siehe P.C. (92/30-33): „And chif thou be not chit clepid, prey meekly to God that he clepe the whan his wille is. Bot teche him not what he schal do. Late hym alone. Hi is michty, witty and willy inowch to do the best for thee and alle that hym loveth."

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5. Discretio Überblickt man das Gesamt der Lehre der Lebensformen der Cloud-Gruppe, so fällt auf, wie komplex und vielschichtig der Cloud-Autor argumentiert. Durch Dissoziation von innerer und äußerer Form, durch Komplexitätssteigerung der Kriterien und einzelner Aspekte hat der Cloud-Autor einen Freiraum fur die individuelle Entscheidung des Menschen inmitten der unterschiedlichen Schemata geschaffen, ohne die traditionellen Paradigmen zu destruieren 1 . Der Preis dafür ist freilich, dass sich die Lehre der Berufung und Lebensstände in der Cloud-Gruppe nicht mehr zu einem geschlossenen und handlichen Konzept runden lässt. Dadurch steht der Cloud-Autor unter Zugzwang anders als etwa Bonaventura oder Thomas - eine „konkrete" Lehre der discretio spirituum, das heißt ein praktisch-erfahrungshaftes Orientierungskonzept und eine Einordnung von „Berufungsphänomenen" zu erstellen, denen im Folgenden die Aufmerksamkeit gelten muss.

5.1 Grundlagen der discretio spirituum Blickt man in die Theologiegeschichte, so zeigt sich, dass Religionskritik nicht erst in der Neuzeit von außen an das Christentum herangetragen wurde, sondern sich innerhalb des christlichen Glaubens selbst ausgebildet hat. Gerade im Bereich der Frömmigkeit ergibt sich nämlich die Notwendigkeit, das subjektive religiöse Erleben von einen normativen Rahmen her auf seine objektive Gültigkeit zu überprüfen. In diesem Sinne verwendet Paulus in 1 Kor 12, 10 die griechische Vokabel der diakrisis, der Fähigkeit des kritischen Unterscheidens, die vom Heiligen Geist verliehen wird. Die griechische diakrisis oder die lateinische discretio haben drei Bedeutungsebenen: Sie sind zuerst einmal die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Aspekten unterscheiden zu können, dem Richtigen und Falschen, dem Guten und Bösen. Sie meinen dann aber auch den Akt des richtigen Entscheidens und Wählens des fur eine Person jetzt Richtigen. Schließlich beziehen sich die Vokabeln auf die Fähigkeit des Maßhaltens, des Beschreitens des königlichen Mittelwegs, nachdem man sich für das Richtige entschieden hat 2 .

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Vgl. hierzu auch CLARK, Cloud of Unknowing 274-276; EMERY, Cloud of Unknowing 57-58 und NIEVA, This Transcending God 112. TAYLOR, Cloud Texts and Some Aspects of Modern Theory 143-153, hier besonders 145-146, zieht indes weitergehendere Folgerungen: Der Cloud Autor dekontruiere binäre und darauf aufbauende hierarchische Strukturen um einen „liminalen Freiheits-Zwischenraum" aufzuschließen. Vgl. BÖCKMANN, Discretio 362-363.

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Eine umfassende Theologiegeschichte zur discretio kann hier nicht geboten werden1; einige Schlaglichter müssen genügen: In der eremitischen Theologie der Wüstenväter spielt die Lehre der discretio eine herausragende Rolle. Ausgehend von Bibelstellen wie 2 Kor 11,14 und 1 Kor 12, 10 werden verschiedene Aspekte der discretio als Gnadengabe entfaltet: Die discretio ist ein gnadenhaft geschenkter Blick, mit dem der Beter sich und andere aus der Perspektive Gottes betrachten kann. Sie ist ein Auge, welches das geistliche Leben hell macht. Sie ist ein Akt der Demut, denn in der discretio bricht der Beter seinen Eigenwillen, indem er der Spur der Altväter folgt, sich in unter die Führung eines geistlichen Vaters stellt, die geistliche Wachsamkeit (nepsis) pflegt und sich um Herzensreinheit (munditia cordis) bemüht2. In der westlichen Theologie haben Johannes Cassian und Benedikt von Nursia normative Texte zur Lehre der discretio verfasst: Cassian hat seine umfangreiche ,Conlatio 2' diesem wichtigen Thema gewidmet3. In der ,Regula Benedicti' begegnet die Formel, die Unterscheidung sei die Mutter der Tugenden, discretio mater virtutum4. Darüber hinaus ist die discretio aber auch ein wesentliches Strukturprinzip der ganzen Benediktsregel: Die discretio ist die Suche nach Gottes Willen sowohl für die Gemeinschaft als auch für den Einzelnen. Sie berücksichtigt die experientia als magistra5. Sie erarbeitet sich eine breite Informationsbasis, wägt sorgfaltig ab (tractare, probare) und begleitet schließlich die getroffenen Entscheidungen und deren Durchführung mit ihrem aufmerksamen Blick6. Auch das Mittelalter kennt normative Texte, auf die sich verschiedene Autoren fur die Weisung zur discretio spirituum immer wieder rückbeziehen: Bernhard von Clairvaux hat in den ,Sermones de Diversis 23-24' die verschiedenen Quellen und Qualitäten von Bewusstseinsgehalten festgehalten7. Richard von St. Victor hat in seinem Benjamin minor' die discretio spirituum in eine Tugendpsychologie eingebaut8. David von Augsburg hat schließlich in seinem ,De exterioris et interioris hominis compositione' 1

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Wichtige Rahmendaten bieten CABASSUT, Discretion 1311-1330; DÜRIG, Discretio 12301235; GUILLET, Discernment des esprit 1222-1247; VANDENBROUCKE, Discernement des Esprits 1254-1266 und SWITEK, Discretio spirituum 36-76. Einen knappen Aufriss zeichnet PODLECH, Discretio 137-149. Vgl. BÖCKMANN, Discretio 363-364; SWITEK, Discretio Spirituum 41-52. Siehe JOHANNES CASSIAN, conl 2 (SCh 42, 109-137) und SWITEK, Discretio Spirituum 5 2 53. Vgl. BENEDIKT VON NURSIA, RB 64, 19 (Holzherr, 298); Kommentierung bei HOLZHERR, Benediktsregel 304-305. Für den größeren Zusammenhang vgl. BUSCH, Discretio est mater virtutum. Siehe BENEDIKT VON NURSIA, RB 1 , 6 (Holzherr, 56); Kommentierung bei HOLZHERR, Benediktsregel 61-62; 356. Vgl. BÖCKMANN, Discretio 366-373. BERNHARD VON CLAIRVAUX, serm de div 23, 24 (Leclercq 6/1, 179-183). Zum Gesamtkontext der bernhardischen Theologie der discretio vgl. BENKE, Unterscheidung der Geister. Siehe RICHARD VON ST. VICTOR, ben min 66-71 (PL 196, 47-51); aber auch stat int hom 1, 26-30 (PL 196, 1135-1138).

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eine Unterweisung für Novizen des geistlichen Lebens verfasst, in der die discretio eine zentrale Funktion innehat1. In der scholastischen Theologie wird das Thema der Unterscheidung hingegen nur am Rande gestreift 2 . Im Spätmittelalter steigert sich die Bedeutung der discretio spirituum wieder und schwingt sich sogar bis zu einer „Hochkonjunktur der Unterscheidung der Geister" 3 auf. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts entsteht eine neuartige Frömmigkeitstheologie, innerhalb derer Anleitungen zur discretio in den Mittelpunkt des mystagogischen Interesses rücken: Heinrich von Friemar untersucht in seiner Schrift ,De quattuor instictibus' die möglichen Quellen von Bewusstseinsgehalten. Heinrich von Langenstein entfaltet komplexe Symptomlisten und Handlungsanweisungen. Johannes Gerson entwickelt eine Theologie der discretio, deren Gehalt man mit dem lateinischen Merkvers „Tu quis, quid, quare, cui, qualiter, unde require" zusammen fassen darf. Mit Hilfe dieser Kriterien versucht Gerson Visionen, Offenbarungen, Herzensregungen und sich darauf berufenden Einzelpersonen oder Gemeinschaften zu untersuchen und zu bewerten 4 . Eine Zusammenfassung der verschiedenen Momente der discretio erstellt schließlich Dionysius der Kartäuser 5 . Auch in der mittelenglischen Frömmigkeitstheologie spielt die Lehre der discretio eine nicht zu unterschätzende Rolle: In Walter Hiltons ,Scale' wird dem Kontemplativen gezeigt, wie er sein Gebet, die Gotteshingabe, Essen, Trinken, Schlafen und seine Bußübungen mit discretio vollziehen kann6. In einem anderen Abschnitt entwickelt Walter eine Kriteriologie, wie geistliche Empfindungen während der Meditation zu bewerten sind: Ziehen sie von Gott weg, so sind sie eine geistliche Täuschung; intensivieren sie hingegen die Gottesbeziehung, so sind sie eine Stärkung des kontemplativen Aufstiegs 7 . Bei Julian von Norwich wird die discretio als gängige Vokabel verwendet und, obwohl sie darin offensichtlich große Kenntnisse besitzt8, nicht weiter entfaltet. Die mittelenglische Schrift ,Discrescion of Spirites' ist eine Kompilation von zwei Predigten Bernhards; sie kann nicht mit letzer Sicherheit dem Cloud-Autor zugeschrieben werden, würde aber sprachlich, stilistisch und von der theologischen Aussage her durchaus in den Rahmen der Cloud-Gruppe passen. Die Schrift versucht zu zeigen, wie der Satan zusammen mit dem Geist der Welt und dem Geist des Fleisches Empfindungsgehalte in das Wahrnehmungsbewusstsein des Beters einschleusen will, um dem Beter die Freude am Gebet und an der Kontemplation zu vergällen. Durch Unterschei-

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Siehe dazu die Zusammenfassung von SCHLOSSER, Lucerna in caliginoso loco 267-274. Vgl. SWITEK, Discretio spirituum, 60 und DINGJAN, Prudentia bij S. Thomas 280-301. So lautet eine Kapitelüberschrift bei WEISSMAYER, Blick in einen fernen Spiegel 111. Siehe WEISSMAYER, Blick in einen fernen Spiegel 113-122 und SWITEK, Discretio Spirituum 62-61.

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Vgl. dazu PODLECH, Discretio 137-313. Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 22 (Bestul, Zeilen 576-611). Siehe WALTER HILTON, sc per 1,11 (Bestul, Zeilen 223-271). Zu Julian als geistliche Begleiterin siehe YOSHIKAWA, Discretio spirituum in time 119-132.

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dung und das Sakrament der Buße kann sich der Beter aber reinigen und den Sündenneigungen widerstehen. Auch wenn der Beter weiterhin von den Feinden belagert wird, so kommt ihm doch das Heer der Engel zur Hilfe. Schließlich kann er zum Gottesberg Sion aufsteigen, nämlich zum Frieden der kontemplativen Gottesschau1. Die mittelenglische Paraphrase des ,Benjamin maior' von Richard von St. Victor unter dem Titel ,Study of Wisdom' stammt nicht mit Sicherheit aus der Feder des CloudAutors, doch auch sie fügt sich gut in die Mystagogie der Cloud-Gruppe. Hier sei die in ihr enthaltene Lehre zur Unterscheidung kurz zusammen gefasst2: Die discretio ist eine Höchstform der Tugenden, die alle anderen Tugenden in sich integriert. Die discretio kann diese lenken, vertiefen und bewahren3. Die Mutter der discretio ist die Vernunft, ihr Vater aber Gott; das heißt, sie entwickelt sich dadurch, dass die natürliche Unterscheidungsgabe der praktischen Vernunft durch die Gnade zur geistlichen Unterscheidungsgabe erhoben wird4. Die discretio hat innere Momente, die aufeinander aufbauen: Die discretio ist einmal rückhaltlose Selbsterkenntnis, welche um die eigenen Hauptschwächen, Hauptsünden und die Heilmittel weiß. Die discretio ist darüber hinaus innerlich auf die geistliche Begleitung durch einen erfahrenen geistlichen Führer angelegt5. Die discretio zieht schließlich einen Teil ihrer Kraft aus der Scham über die begangenen Sünden, und motiviert den Beter, seinen schmutzigen Seelenspiegel zu reinigen6. Die discretio wird dadurch zur Brücke zwischen Selbst- und Gotteserkenntnis. Die traditionellen Topoi der discretio spirituum finden sich auch zahlreich in der ,Wolke des Nichtwissens': Dass die Sünden mit dem Schwert der discretio abgeschnitten7 und die äußeren Askeseübungen mit discretio gestaltet werden müssen1, versteht

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Vgl. Sp. (147/1 - 153/33) auf dem Hintergrund von BERNHARD VON CLAIRVAUX, serm de div 23-24 (Leclercq 6/1, 178-186). Für die Entsprechungen und Abweichungen des mittelenglischen und lateinischen Textes siehe HODGSON, The Cloud 200-202. Vgl. B.M. ( 1 4 1 / 3 0 - 144/10). Siehe B.M. (141/31-34): „Thus it semith that the vertewe of discrecioun nedith to be had, with the whiche alle other mowen be governyd. For withouten it, alle vertewes ben tornid to vices." Vgl. B.M. (142/24): „of reson spryngeth rieht counselles, the whiche is verrey discrecioun". Siehe B.M. (141/27-30): „This Joseph schal not only knowe what synne we ben moste sterid to, bot also he schal knowe the weyknes of oure kynde. And after that either asketh, so schal we do remedye and seek counsel at wyser then we, and do after hem. Elles be we not Joseph, Jacob sone, borne of Rachel." Vgl. (143/17-20): „And wite it wel that he that desireth to se God, hym behoveth to dense his soule, the whiche is as a mirour in the whiche alle thing is cleerly seen when it is clene. And when the mirour is foule, then maist thou see nothing cleerly therin. And rieht so it is of thi soule." Siehe CI. (37/39-40): „be besy to schere awey with a scharpe double-eggid dreedful swerde of discrecion" auf dem Hintergrund von Eph 6, 17 und Heb 4, 12. Ein „Schwert des Gebets" findet sich auch bei WALTER HILTON, scperfl, 89 (Bestul, Zeile 2559).

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sich von selbst. Aber auch die Einbildungskraft ist mit discretio zu lenken2, weil sie sonst zur curiositas entarten könnte. Damit geistliche Empfindungen für den kontemplativen Aufstieg nützlich werden und dem Kontemplativen nicht zum Schaden gereichen, bedürfen sie der Unterscheidung mit discretio, handle es sich um geistliche Traurigkeit bezüglich der eigenen Sünden3 oder um geistliche Süße4. Besonders originell ist die allegorische Deutung der Gestalt des Teufels5 im 55. Kapitel der ,Wolke des Nichtwissens': Von Nigromantie-Kundigen hat der Cloud in Erfahrung bringen können, dass der Teufel nur ein einziges Nasenloch ohne eine Nasenscheidewand habe. Durch das Fehlen der Scheidewand in der „geistlichen Nase"6 werde symbolisiert, dass der Widersacher kein Quäntchen Unterscheidungsgabe besitze7. Daraus könne man auch den mystagogischen Umkehrschluss ziehen, dass die Nichtbeachtung der Forderung nach discretio den Beter der schlimmen Gefahr aussetze, nur allzu leicht ins Gefolge des Teufels abzudriften: Regelt der Beter seinen intellectus oder seine imgaginatio nicht mit discretio, so verfallt er einem hochmütigen Stolz, der ihn vom engen Pfad zum Himmel abbringt und auf der sanften Straße in Richtung Hölle marschieren lässt8. Die lebendige Zeichnung des Abschnitts verweist auf die Sensibilität des Cloud-Autors für die kulturellen Entwicklungen in seinem Umfeld: Er weiß offensichtlich um den großen Aufschwung der Magie und Nigromantie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bei einem Publikum von Klerikern, Adeligen und reichen Bürgern9. Diese Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft dürfte der Cloud-Autor vermutlich als Beichtvater von Pönitenten gewonnen haben. Der Beichtstuhl ist gleichsam ein Spiegel, in dem auch ein eremitisch lebender Seelsorger wie der Cloud-Autor sehen kann, was sich außerhalb seiner kontemplativen Zelle abspielt.

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Vgl. Cl. (44/17-21): „thou schalt have discrecion, as in etyng and in drynknyng, and in slepyng, ad in kepyng of thi body fro outrageous colde or hete, and in longe preiing of redyng, or in comounyng in speche with thin even-Crysten." Vgl. Cl. (53/7-38): „thei travayle theire ymaginacion so indiscreetely". Siehe Cl. (46/18): „Bot in this sorow nedeth thee to have discrecion on this maner." Vgl. Cl. (50/27-51/15). Vgl. GREGOR DER GROSSE, mor 33, 9, 17 - 34, 23, 56 (CCL 143, 1687-1773). Siehe GREGOR DER GROSSE, mor 31, 44, 85 (CCL 143, 1609): „quid per nasum, nisi provida sanctorum discretio designatur?" Vgl. Cl. (57/5-41). Siehe Cl. (57/42 - 58/21). Den Aspekt des Bösen in der Theologie der Cloud-Texte untersucht TLXIER, Le mal et la lutte contre le mal 68-109. Zum Hintergrund der Nigromantie vgl. die Angaben bei CLARK, Notes on , The book of Privy Counselling' 193 (Anm. 103/4).

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5.2 Discretio der Berufung In vielen Schriften der Frömmigkeitstheologie spielt die allgemeine Lehre der discretio spirituum eine wichtige Rolle; viel seltener wird hingegen die discretio der Berufung 1 eigens behandelt. In der mittelenglischen geistlichen Literatur finden sich vor allem zwei Schriften, in denen dieser Frage eingehender nachgegangen wird. Die erste Schrift ist die geistliche Biographie , B o o k Q f Margery Kempe', in der die Lebensform der Margery Kempe im Mittelpunkt steht: Margery hat nach einer spektakulären Bekehrung ein intensiviertes Leben der devotio übernommen, und in ihrem sozialen Umfeld war ihre maner of living allzu ungewöhnlich, als dass sie einer äußeren Überprüfung entgehen konnte. So befragt sie etwa ein Eremit nach ihrer geistlichen Lebensgeschichte und bestätigt ihr am Ende ihre Berufung 2 . Zudem unterredet sie sich selbst mit einem Doktor der Theologie und mit der berühmten Eremitin Julian von Norwich ausfuhrlich, und beide bewerten schließlich ihre Lebensweise: Sie erachten Margerys Lebenskontext für stimmig, finden bei ihr Zeichen der Demut und Früchte eines geistlichen Lebens. Das eigentliche Kriterium der discretio ist die Caritas: Der Heilige Geist ist Caritas. Eine Person, die sich auf Gott beruft, muss folglich eindeutige Zeichen der Nächsten- und Gottesliebe aufvveisen, weil sich die Caritas nicht selbst widersprechen kann 3 . Einige englische Bischöfe, Weltgeistliche, Mendikanten und vor allem gewöhnliche Leute aus Margerys Umfeld scheinen dem Autor des ,Book of Margery Kempe' hingegen nicht allzu viel von der discretio zu verstehen: Sie verdächtigen Margery zu Unrecht der Heuchelei oder Ketzerei, können ihr letztlich aber nichts anhaben 4 . Mit einer solchen Außenperspektive der discretio zur Bewertung von Lebensformen scheint nun der Cloud-Autor besonders schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Er beschreibt mehrmals in der ,Wolke des Nichtwissens', wie sich Laien, die keine kirchenrechtliche Autorität und keine geeignete Ausbildung zur Bewertung von Lebensformen besitzen, anmaßen, andere Mensch zu beurteilen, geistlich zu beraten und zu fuhren. Hinter dieser „Anmaßung" steht nicht die Fähigkeit zur discretio, sondern falscher Eifer, Anmaßung, Hochmut und curiositas5. Bei Walter Hilton finden sich parallele Textabschnitte 6 . Diese Kritik des Cloud-Autors und Walter Hiltons richtet sich offensichtlich gegen eine Art Wettrennen in einer „ostentativen Frömmigkeit": Menschen legen vorschnell Privatgelübde ab7. Selbsternannte Führergestalten propagieren 1 2 3 4 5 6 7

Wertvolle Hinweise für die Alte Kirche bietet VOGÜE, Criteres du discernement des vocations 109-126. Vgl. BOOK OF MARGERY KEMPE 5 (Staley, 31/395 - 32/401). Siehe BOOK OF MARGERY KEMPE 18 (Staley, 52/926 - 56/1044) und YOSHIKAWA, Discretio spirituum in Time 119-132. Vgl. BHATTACHARIJ, Earthquake 67-83. Siehe dazu Cl. (36/12-21) und (56/33 - 57/4). Vgl. WALTER HILTON, sc perf 1, 16 (Bestul, Zeilen 355-407) in Anschluss an VITAE PATRUM 5, 9, 5 (PL 73, 910). Vgl. D. (114/23-24). „that che binde chow by any crokid avowe to any soche singulertees".

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eine spektakuläre singuleer holines mit Aufsehen erregenden, einseitigen Askeseübungen und beginnen Anfanger und Interessenten des geistlichen Wegs zu beurteilen und zu maßregeln. Diese Pseudo-Discretio ist nicht nur nutzlos, sondern ausgesprochen schädlich: Hinter ihr steckt der Mittagsdämon, der einfache Seelen mit den Pfeilen der falschen Propheten unter Beschuss nimmt, und als Weisheit erscheinen lässt, was in Wirklichkeit größter Unfug ist1. Wegen der Anonymität der Cloud-Gruppe lässt sich diese Kritik nicht mit Sicherheit auf eine bestimmte Gruppe (etwa auf die Lollarden) beziehen - wie sich hernach aber noch zeigen wird, ist so eine Zuschreibung zur Interpretation nicht unbedingt notwendig, denn die Kritik des Cloud-Autors trifft einen allgemeinen Grundzug der devotio anglicana im späten 14. Jahrhundert. Der Cloud-Autor setzt anders an: Der Ausgangspunkt der discretio ist für ihn die radikale Selbsterkenntnis, ein parfite knowing of himself by experience2, was oben schon ausfuhrlich besprochen wurde. Für den Cloud-Autor und die monastische Tradition ist das Mit-sich-selbst-Erfahren-Sein der notwendige hermeneutische Horizont, innerhalb dessen die je eigene Berufung und der Wille Gottes für eine konkrete Person lesbar und lebbar werden. Über diesen allgemeinen Horizont hinaus erwähnt der Cloud-Autor nun aber auch ganz spezielle Zeichen, die er auf dem Hintergrund der lateinischen Tradition, vielleicht in Anlehnung an Bernhard von Clairvaux und Hugo von Balma, proef evidence oder token nennt3. Derartige Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage der Berufung lassen sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen gewinnen (two kyndes of evidence): a) Einen inneren Anhaltspunkt (evydence withinne) gewährt das Wahrnehmungsbewusstsein beim Beten. Dem Beter erschließen sich in der meditativen Ausrichtung auf Gott schaubare Gehalte (a maner of goostly sieht), welche die Herzensstrebung zu Gott begleiten. Stellt sich in den täglichen geistlichen Übungen ein wachsendes Gottverlangen (growyng desire) ein, und zugleich mitgegebene Gehalte der eigenen Sündhaftigkeit und des Leidens Christi, die den Geist nähren, so ist das wachsende Gottverlangen ein Zeichen der gratia communis (comoun grace), welche die Meditation stärken und befördern will, und noch kein Zeichen der gratia specialis (special grace), die in die Kontemplation hineinführt4. 1 2 3

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Siehe D. (114/114/16-29) und Sp. (149/35 - 150/21). Vgl. D. (110/18-21): „parfite knowing of himself and of inward disposicioun ... by experience of many temptaciouns and by many fallynges and risinges". Für proef \gl. etwa CI. (11/37) und Pr. (102/29-30). Für evidence siehe P.C. (94/20ff) und fur token vgl. P.C. (97/30ff). Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. die Wendungen bei BERNHARD VON CLAIRVAUX, cant 56, 1 (Leclercq 2, 115/11): „sentire experimenta"; ep 146, 6 (Leclercq 7, 348/11): „sentire experimento"; ep 30 (Leclercq 7, 84/12): experiendo persentire"; und die Ausdrücke bei HUGO VON BALMA, sion lug (SCh 408, 136): „pereipiat experimentaliter"; sion lug (SCh 408, 204): „per experimenta cognosco"; sion lug (SCh 408, 216): „experimentaliter cognoscendo". Siehe P.C. (94/26-42). Zur Interpretation dieses Abschnittes vgl. CLARK, Notes 55-56 (Anm. 165/4-11).

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b)

Ganz auf dieser Linie liegt auch der äußere Anhaltspunkt (evydence withoutyn), der über die Sinne vermittelt wird: Liest das Auge oder hört das Ohr von der Kontemplation, so wird sich eine geistige Freude einstellen, weil von der Vollkommenheit die Rede ist. Verklingt diese Regung bald nach dem Lesen oder Hören wieder, so ist das ein Zeichen, dass der Beter noch eifrig meditieren soll. Bleibt die Freudenregung an der Kontemplation aber in den täglichen geistlichen Übungen gegenwärtig und begleitet sie alle täglichen Handlungen, so übersteigt sie den Bereich der gratia communis der Meditation und will als spezielle Regung zur Kontemplation geleiten1. Stimmen nun beide Regungen überein - das heißt, findet die innere Regung keine Nahrung an der Meditation und will zur Kontemplation fuhren, verklingt die von außen angestoßene Freudenregung nicht und durchformt das ganze Leben - so darf man das für eine Berufung zur Kontemplation halten. Die Regung des Gottesverlangens fließt gleichsam über und reißt den Beter geradezu in die Kontemplation hinein2. Der Beter kann letztlich gar nicht umhin, diese Einladung Gottes zur Kontemplation zu realisieren: Die Freudenregung lenkt den Beter mit discretio zur Kontemplation {governe thee discretly), unterrichtet ihn über seine mystische Begabung (teching thee mistely) und motiviert ihn mit Sanftheit {stire thee softely). Zögert der Beter freilich allzu lange, die Einladung Gottes anzunehmen, dann kann die Berufungsregung den Beter auch etwas heftiger angehen (smite thee sore), um sein Herz gleichsam ein wenig „nötigen"3. Die Beschreibung dieses Bescheidwissens-um-die-eigene-Berufung wird freilich durch ein Bild ergänzt, um eventuelle Fehlinterpretationen abzuweisen4: Die überquellende affektive Regung des Gottverlangens, die eine neuartige Glut der Kontemplation (newe fervour) und eine spürbare Gotteserfahrung {sensible felyng) hervorbringen kann, wird keinesfalls ständig erhalten bleiben. Auf einen Schlag kann sie abbrechen und den Beter nackt zurücklassen. Der Kontemplative hat dadurch die Nahrung der ehemaligen, schon aufgegebenen Meditationen verloren und ist zugleich der neuen kontemplativen Erfahrung beraubt; er ist sozusagen zwischen zwei Stühlen auf den Boden gefallen. Zur Erklärung dieser Verlassenheitserfahrung stützt sich der Autor auf das Bild einer Bootsfahrt, wobei er sich auf die biblische Perikope Mt 8, 23-27 und die klassische Exegese stützt: Der Einstieg in die Kontemplation darf mit einer Überfahrt im Boot auf einer geistigen See verglichen werden, auf welcher der Beter von der Leibhaftigkeit zur Geisthaftigkeit hinübersegelt. Wie auf jeder Bootsfahrt wird es dabei Windstöße geben, die das Boot hin- und her beuteln. Auf der biblisch bezeugten Bootsfahrt, auf der sich die Jünger im Boot verlassen wähnten, obwohl Christus ihnen immer zugewandt blieb, hätten sich die Jünger nicht furchten brauchen. Auch auf der geistlichen Bootsfahrt von der Meditation zur Kontemplation braucht der Beter keine Angst vor den Windstößen 1 2 3 4

Vgl. P.C. (95/1-18) und Cl. (73/29-35). Siehe P.C. (95/19-36). Vgl. Pr. (117/23-39) und parallel dazu Cl. (74/6-18). Siehe P.C. (95/37 - 97/13) und mit ähnlicher Aussageabsicht Cl. (73/36 - 74/7).

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haben1. Jesus entzieht zwar die sinnenhafte Süße {sensible swetnes), die glühenden Empfindungen (fervent felynges) und das flammende Sehnen (flaumyng desires) der anfanghaften Kontemplation. Damit ist der Beter vorübergehend der Zeichen der Gnade (tokenes of grace) beraubt, aber eben nicht der Gnade selbst {grace in itself), die so rein, erhaben und geistig ist, dass sie nicht empfunden werden kann2. Christus kommt und geht, Er gewährt die geistliche Empfindung der kontemplativen Gotteserfahrung und entzieht sie wieder. Das geschieht aber aus zwei Gründen: Durch die Verlassenheitserfahrung soll zum einen die Geduld des Beters geprüft werden {prove) und zum anderen der Eigenwille des Beters geschmeidig gemacht werden (worche). Die Mitte der Kontemplation ist nämlich die reine Liebe des amor castus, die gerade darin besteht, dass der Beter über den Entzug der spürbaren Gotteserfahrung (sensible felyng) nach Gottes Willen genau so froh ist, wie über das lebenslange Andauern dieser Erfahrung. Das „Geschmeidigmachen des Willens", wenn in der Kontemplation die spürbare Gottesgegenwart immer wieder entzogen und gewährt wird, verdeutlicht der anonyme Autor mit einem überaus humorvollen Bild: Der feine, modische Lederhandschuhe wird viel geknetet und gewalkt, damit er ganz weich die Hand umschmiegt; der menschliche Wille wird gewalkt und geknetet, damit er sich schließlich ganz dem göttlichen Willen übereignet3. Auch eremitisch lebende Personen wie der Cloud-Autor haben offensichtlich einen tiefen Einblick, was die Gesellschaft des 14. Jahrhundert umtreibt. Während der Cloud-Autor von den geistlichen Nöten wohl im Beichtstuhl zu hören bekommt, dürfte er über die modischen Lederhandschuhe aus Rouen vielleicht von durchreisenden Gästen erfahren haben. Vor der theologiegeschichtlichen Auswertung darf man nochmals ein knappes Zwischenfazit zum Thema der Berufung (clepyng), der Erfahrung (experience) und der Unterscheidungsgabe (discrecion) ziehen: Der Cloud-Autor entfaltet in seiner Theologie der Berufung einen hermeneutischen Horizont, innerhalb dessen die je eigene Berufung und der Wille Gottes für eine konkrete Person lesbar und lebbar werden. Dieser Horizont umfasst vielfaltige Momente: Natürlich-erlerntes Wissen ist mit gnadenhafter Erleuchtung gepaart; persönliche Bedürfnisse werden mit den normativen Gehalte der Offenbarung konfrontiert; die gesamte Lebensgeschichte spielt genauso ein Rolle wie 1

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Das Bild der Bootsfahrt verwendet der Cloud-Autor auch in D. (110/5-36). Für den theologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. etwa AUGUSTINUS, doct Chr 1,10 (CCL 32, 12): „Quam purgationem quasi ambulationem quandam et quasi navigationem ad patriam esse arbitremur." Vgl. P.C (96/24 - 97/2). Dass das Spüren der Gnade nicht unabdingbar zum Besitz der Gnade gehört, ist theologisches Allgemeingut und begegnet etwa bei THOMAS VON AQUIN, STh /-// q 112 a 5 (Ed. Paul., 1070-1071). Ganz ähnlich unterscheidet BONAVENTURA, sent 3 d 29 q 6 (Quaracchi 3, 651) zwischen dem affectus motus des Strebeakts des Willens und der Zugabe eines spürbaren affectus passio, wie SCHLOSSER, Cognitio et amor 156-160 mit weiteren Angaben zeigt und theologisch ausdeutet. Vgl. P.C. (96/20): „roon glove". Siehe zu dieser Deutung auch CLARK, Notes 60 (Anm. 168/89) und COLEMAN, English Mystics 104.

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klar abgegrenzte Einzelsymptome; Argumente der Tradition finden Berücksichtigung zusammen mit zeitgenössischen Erfordernissen 1 . Nur in einem solchen Horizont kann nämlich die Berufung durch ein experimentales und konjekturales Wissen verantwortet werden. Mit dieser Lehre der Berufung aber versucht der Cloud-Autor aber auf die Hauptströmungen, um nicht zu sagen Moden der devotio anglicana oder der Diskussion der form of living eine Antwort zu finden 2 - ein Feld, das nun zumindest kurz ausgeleuchtet werden muss, wodurch sich auch ein Zwischenfazit zur Cloud-Gruppe ziehen lässt.

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Vgl. P.C. (97/30 - 98/7) und Cl. (73/25-35). Zu Recht bemerkt TUGWELL, Ways of Imperfection 180 die spannungsreiche Lehre der Berufung in der Cloud-Gruppe. Sie erklärt sich aus ihrem polemisch-rhetorischen Charakter.

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6. Zwischenfazit: Cloud-Gruppe und devotio anglicana Das 14. Jahrhundert ist durch einen enormen soziologischen Wandel gekennzeichnet, bei dem äußere und innere Momente ineinander greifen. Einzelheiten des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels können hier nicht besprochen werden 1 . Im Folgenden geht es nur um die frömmigkeitsgeschichtliche Innenseite dieses angedeuteten soziologischen Wandels, nämlich um das neuartige Profil der devotio anglicana, das sich inmitten des Umschichtungsprozesses herausbildet. Der Übersichtlichkeit wegen soll das hier mit drei Schlaglichtern geschehen: Unter dem Motto devotio laicalis muss kurz der Rahmen der laikalen Frömmigkeit gezeichnet werden. Unter dem Titel devotio eremitica ist der englische Eremitismus zu besprechen. Mit der Abbreviatur devotio affectiva soll ein charakteristischer Zug der englischen Frömmigkeitstheologie im 14. Jahrhundert herausgegriffen und eine Brücke von der Theologie der Berufung zur Theologie des Gebets geschlagen werden.

6.1 Devotio laicalis Zuerst zum Aufschwung einer Spiritualität, die man als devotio laicalis2 bezeichnen könnte: Spätestens seit der Mitte des 14. Jahrhundert avancieren die Laien in den entwickelteren Städten Englands zu wesentlichen Kulturträgern, und die Emanzipation der Laien findet auch ein Echo in der Spiritualität3. In der Patristik, im frühen und hohen Mittelalter war Mystik überwiegend auf einen monastisch-eremitischen Personenkreis eingeschränkt. Im 14. Jahrhundert entsteht aber ein wachsender Druck von Personen mit einem laikalen Hintergrund, die an der mystischen Unterweisung und am mystischen Wissen teilhaben möchten. Dazu muss freilich das mystische Wissen für die neue Situation im 14. Jahrhundert umgesetzt und umgestaltet werden. Bei den Zeugnissen eines solchen Transfers sind vor allem zwei Momente zu beobachten: Einerseits wird

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Einen gute Zusammenfassung bietet OBERMAN, Shape of Late Medieval Thought 4—25. Zur Problematik des Begriffes Laie vgl. SCHREINER, Laienfrömmigkeit 1-41: Die dualistische Aufspaltung in Laie und Kleriker hat eine rhetorische Ordnungsfunktion innerhalb der mittelalterlichen Staatslehre und Ekklesiologie, die nicht unbedingt die tatsächlichen sozialen Verhältnisse adäquat beschreibt. Für den englischen Horizont der Laienfrömmigkeit siehe die Studie von STEELE, Spirituality for Lay-Folk. Vgl. dazu etwa die umfassende und materialreiche Darstellung von DUFFY, Stripping of the Altars, die Übersicht von RÜSSEL, Vernacular Instruction 98-119, oder aber eine Detailstudie wie MERTES, Houshold as religious community, hier besonders 123-139.

Auswertung: Form of living und devotio anglicana

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die Mystik „entklostert"1. Unter dem Motto „De cella in mundum" werden mystische Texte daraufhin überprüft, ob sie eine Weisung enthalten, die auch von entsprechend vorgebildeten Laien befolgt werden können, und auf dieses neue Bedürfnis hin ausgelegt2. Andererseits entsteht auch eine „Mystik der Aktion", bei der die Tätigkeiten des aktiven Lebens aufgewertet und als ein Einstieg ins mystische Leben aufgefasst werden3. Diese Grunddynamik lässt sich erstens aus der Außenperspektive mit Beispielen illustrieren: Guigos ,Scala claustralium' zum Beispiel wurde im 12. Jahrhundert als eine monastische Anleitung entworfen. Im 14. und 15. Jahrhundert fuhrt aber der Hunger nach einer volkssprachlichen mystischen Weisung in England dazu, dass die ursprünglich exklusiv-lateinischen Schriften zu inklusiv-mittelenglischen Versionen übertragen werden4, die sich nicht mehr nur an „Klosterleute" sondern auch an „andere GottesLiebende" wenden5. Eine derartige Relecture ist keineswegs auf England beschränkt: In ganz Europa werden augustinische, pseudo-augustinische, bernhardische, pseudobernhardische, viktorinische und unzählige weiter Texte ins Deutsche, Französische, Englische, Flämische, Italienische und Tschechische übersetzt. In der Form von Speculum-, Rosetum- oder Pratum-Kompilationen werden Kernstellen dieser Schriften gleichsam ausgesät und gehen in das geistliche Standardwissen einer größeren Leserschaft über6. Voraussetzung einer solchen „Entklosterung" der Mystik im Sinne eines de cella in mundum ist natürlich auch das Entstehen eines Buchmarktes: Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts setzen sich technische Neuerungen und ein wirtschaftliches Vertriebssystem so weit durch, dass man von einem Anlauf einer gewissen Buchproduktion sprechen kann7, wenngleich Bücher immer noch teueres Luxusgut bleiben8. Mit zu den

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Zur Entklosterung beispielsweise des Stundengebets und dessen Transposition in den laikalen Horizont siehe DUFFY, Stripping of the Altars 210-232. Unterschiedliche Aspekte dieser Dynamik besprechen STEELE, Spirituality for Lay-Folk 201; CONSTABLE, Popularity of Twelfth-Century Spiritual Writers 3-28; GILLESPIE, Cura Pastoralis in Deserto 161-181; HUSSEY, Audience 109-122; KEISER, Nocht how lang 145-159; SWANSON, Church and Society 284-286. Für die „populistische" Wirkung der Texte Richard Rolles vgl. WATSON, Rolle as Elitist 132-133. Für die volkssprachliche Relevanz der Schriften Bonaventuras siehe SARGENT, Bonaventura English. Eine knappe Skizze zum Gesamtprofil der englischen Mystik des 14. Jahrhunderts zeichnet WATSON, Anachoretic Devotion 134—137. Siehe die Zusammenfassung von STEELE, Spirituality for Lay-Folk 200. Vgl. KEISER, Nocht how lang 145-159. Siehe GUIGO II. VERSIO ANGLICA, ladd (EETS 231, 100/6-7): „ladder of cloysteres and of othere Goddis lovers". Vgl. etwa CONSTABLE, Popularity of Twelfth-Century Spiritual Writers 3-28. Siehe BURROW, Medieval Writers 24-55; GILLESPIE, Vernacular Books of Religion 317-344; WATSON, Invention of Authority 7-9. DEANSLEY, Vernacular Books 349-358 warnt zu Recht vor überzogenen Vorstellungen: Buchbesitz ist im 14. Jahrhundert immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Die Frömmigkeitsliteratur steht an erster Stelle; freilich sind dabei mittelenglische Texte nicht führend und werden von lateinischen und anglonormannischen Schriften bei Weitem übertroffen.

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Hauptträgern der Frömmigkeitsliteratur gehört der Kartäuserorden1: Schon seit seiner Entstehung gab es im Orden eine cura pastoralis, welche die Priestereremiten im Oberen Haus für die Laienbrüder im Unteren Haus ausübten. So bedeutete es keinen wirklichen Bruch mit der Ordensgewohnheit, als man von der cura pastoralis in deserto zur cura pastoralis ex deserto übergeht, im größeren Umfang in den kartäusischen Häusern Kompilationen erstellt und diese einer interessierten Laienleserschaft zukommen lässt2. Wie weit sich die Frömmigkeitsliteratur verbreiten kann, zeigt ein aufschlussreiches Beispiel: Am Ende des 14. Jahrhunderts zirkuliert ein Urexemplar des ,Speculum Inclusorum' in verschiedenen Kartäuserklöstern und davon werden volkssprachliche Versionen gezogen. Von den zahlreichen Kopien findet sich schließlich sogar ein Buch im Besitz eines Armenhauses. Offensichtlich interessieren sich selbst illiterate Insassen eines Armenhauses für derartige Texte und lassen sie sich vorlesen und erklären3. Träger der Frömmigkeitstheologie sind freilich nicht ausschließlich die Kartäuser. In England ist besonders die Tätigkeit des Karmeliter-Ordens fruchtbar und erreicht eine größere Breitenwirkung: Karmeliter übernehmen etwa die geistliche Betreuung von Laien und Diözesaneremiten; sie erstellen Schlüsselwerke der englischen Frömmigkeitstheologie und verbreiten sie; gerade sie richten sich gegen die heterodoxe Aufbruchsbewegung Wyclifs und der Lollarden4. Das neue Profil der Frömmigkeit wird zweitens aus der Innenperspektive der Texte ersichtlich: In nahezu allen Texten der Frömmigkeitstheologie findet sich eine erstaunliche Offenheit, einen neuen Adressatenkreis zur devotio, meditatio und contemplatio zuzulassen und zu integrieren. Die Autoren Dan Michael von Northgate, William von Nassington und der anonyme Autor der ,Abbey of the Holy Ghost' wenden sich bei1

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Über die Bibliotheken der Kartäuser und einige Kartäuser-Autoren informiert THOMPSON, Carthusian Order 316-334 und 335-353. Die „kartäusische Bücherpredigt" bespricht GILLESPIE, Cura Pastoralis in Deserto 172-175. Die kartäusischen Gründungen in England beleuchtet KNOWLES/HADCOCK, Medieval Religious Houses 133-136; ihren beginnenden kulturellen Einfluss in England COWDREY, Carthusian Impact 35-48. Die Rolle der Kartäuser für die Frömmigkeitstheologie untersuchen ACHTEN, Kartäuser und Frömmigkeitsbewegungen 118131; SARGENT, Transmission by the English Carthusians 225-240 und HOGG, Mount Grace Charterhouse 1—43. Den geschichtlichen Gesamthorizont leuchtet aus GILLESPIE, Cura Pastoralis in Deserto 161— 181. HORRALL, Carthusian Commonplace Book 214—227 konzentriert sich auf die Handschrift .Westminster Cathedral Diocesan Archives Ms Η 38' mit den vier Opuscula ,Four tokens of Salvation', ,Perils of Idleness', ,Cloud of Unkowing', ,Handlyng Synne' und ,Fervor Amoris' und zeigt einige Mechanismen des Buchmarktes anhand dieses kartäusischen „Commonplace-Book" auf. Die Verbreitung der Werke Richard Rolles durch die Kartäuser untersucht DOYLE, Movement of Works of Richard Rolle 109-120. Vgl. GILLESPIE, Cura Pastoralis in Deserto 177 (Anm. 177) für das erwähnte Beispiel und 175-181 für den größeren Kontext. Zur Partizipation am Heiligen ist freilich nicht einmal die Lektüre und das Verstehen des Textes ausschlaggebend; schon allein der Besitz eines Heiligen Buches vermittelt segensreiche virtus·, vgl. hierzu DUFFY, Stripping of the Altars 217-218. Genauere Informationen hierzu bei BERGSTRÖM-ALLEN, Heremitam et ordinis carmelitarum.

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spielsweise an laikale Leser, die durch Kinder und Heirat verpflichtet sind, nur wenig Bildung besitzen oder aus finanziellen Gründen nicht in den geistlichen Stand wechseln können1. In vielen Schriften begegnet auch ein gewisser Optimismus, dass ein Leser, der auf der Stufe der aktiven Martha beginnt, schon bald zur kontemplativen Maria werden könne2. Sogar ein abwechselndes Vollziehen von aktiven und kontemplativen Vollzügen wird gut geheißen oder zumindest nicht getadelt3. Zudem findet sich in vielen Schriften der geistlichen Instruktionsliteratur eine auffallende Komplexitätssteigerung. Für die Autoren, die eine ausdifferenzierte gesellschaftliche Wirklichkeit im Blick haben und sich an volkssprachliche Adressaten wenden, reicht eine solche grobe Zweiteilung in die beiden vitae nicht hin. Sie tragen vielmehr weitere partes in die duae vitae ein, wie etwa Walter Hilton in seiner ,Scale'. Ein derart differenziertes Schema der Lebensstände oder Gebetsvollzüge dient dazu, das Gefalle von kontemplativen und aktivem Leben oder die Spannung zwischen idealem und realem Leser, die in den Texten immer wieder problematisiert wird, abzugleichen und einen progressiven Aufstiegsweg vorzugeben4. Den wohl aufregendsten Versuch, die Spannung zwischen dem kontemplativen und aktiven Leben oder zwischen dem idealen und realen Leser zu mindern, findet man in Walter Hiltons Schrift ,Epistle on Mixed Live', einer Schrift, in welcher der Autor das Profil der vita mixta, mittelenglisch medled life, herausarbeitet5: Ausgangspunkt ist die traditionelle Lehre der vita mixta, die auf Augustinus und Gregor den Großen zurückgeht. Beide Autoren wollten darauf hinweisen, dass auch Personen, die sich nicht unmittelbar in einer vita contemplativa befinden, dennoch zur contemplatio befähigt sein können, und sie haben den Term der vita mixta als ein genus ex utroque compositum in

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Siehe DAN MICHAEL VON NORTHGATE, ayenbite (EETS 23, 262): „al for lewede men, vor vader, and vor moder and vor other ken"; WILLIAM VON NASSINGTON, spec vit (Ms A, lv): „al for lewed men namely, that can no manner of clergy". Die ABBEY OF HOLY GHOST (Blake, 89/3-8) wendet sich an Laien: „that many wolde ben in religioun but they mowe nowt for poverte or for awe or for drede of her kyn or for bond of maryage ... to that mow not been in bodylyche relygyon mow been in gostly." Als Alternative wird in (Blake, 89/9-11) zum Eintritt ins Seelenkloster geraten: „Where may thus abbey and this relygyoun best been ifounden? Sertus, never so weel no so semely as in a place that is clepid concyence." Vgl. BOOK OF VICES A N D VIRTUES (EETS 217, 220/32): „the first is weie and comynge into the secunde" und (EETS 217, 35/25-26): „he that perfytely desyrith to be Marie muste fyrst be Martha". Diese Flexibilität unter der Norm der utilitas sieht STEELE, Spirituality for Lay-Folk 150 in Werken wie ,Rule of Christian Religion', ,Book of Vices and Virtues', ,Manner of Good Living' und ,Disce Mori' grundgelegt. Eine ähnliche Ansicht vertritt der Cloud-Autor in D. (109/22 110/1) und ( 1 1 4 / 3 0 - 115/13). Die wichtige Unterscheidung zwischen einem idealen Adressaten und einem realen Adressaten arbeitet HUSSEY, Audience, 109-122 heraus, siehe besonders das Fazit 121-122. Siehe WALTER HILTON, mixed life (ERS 92/15). Die vita mixta bei Walter Hilton bespricht HUSSEY, Walter Hilton-Traditionalist? 1-16.

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die theologische Diskussion eingeführt 1 . Der Term und das Ideal der vita mixta können von ganz verschiedenen Personengruppen fur sich reklamiert werden: Schon bei Gregor wird diese Lebensform dem Bischof zugeschrieben, und auch Walter widmet der vita mixta des Bischofs in seiner Schrift ein Kapitel2. Die vita mixta kann aber ebenso gut den Weltgeistlichen und Mendikanten zugesprochen werden: Bei der Forderung um eine ausreichende pastorale Ausbildung der Geistlichen greift man immer wieder auf das Ideal der vita mixta zurück 3 . Und um sich vom Vorwurf des Gyrovagentums abzusetzen, nutzen die Mendikanten den Term vita mixta gerne, um ihr Ideal contemplata aliis tradere argumentativ abzusichern. Unter der Rücksicht der Ewigkeit mag die vita contemplativa tatsächlich besser sein. Unter der Rücksicht, wie die Menschen den Weg zur Ewigkeit gehen können, sei ein in der vita mixta vollzogenes contemplata aliis tradere hingegen vorzuziehen. Der Kern des gemischten Lebens bestehe nämlich im docere und praedicare und entspreche damit genau dem Leben, das Jesus Christus gelebt habe 4 . In diesem Sinne ist es völlig unverfänglich, wenn Walter Hilton in seiner Schrift die vita mixta den verschiedenen Seelsorgern der Kirche zuschreibt5. Dann jedoch fährt Walter fort, dass man die vita mixta auch laikalen Personen (temporal men) zuschreiben dürfe, die eine gewisse Autorität (sovereynte) besäßen, wie zum Beispiel Adelige {lordschipef. Man kann also zusammenfassend sagen, dass in der Geschichte des Terms der vita mixta eine gewisse Demokratisierung zu beobachten ist: Der Akzent gleitet langsam vom Bischof über die Prälaten und Mendikanten zu den laikalen Kreisen7. Doch damit ist die Akzentverlagerung noch nicht abgeschlossen: Walters Schrift ,Epistle on Mixed Life' hat eine Multiplikatorenfunktion inne und lässt den Term medled life am Ende des 14. Jahrhunderts zum geflügelten Wort bei einer Laienleserschaft werden 8 . Gleichzeitig wird damit aber auch das Ende dieses Terms eingeläutet: Als die

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Vgl. etwa AUGUSTINUS, civ Dei 19, 2 - 3 (CCL 48, 660-664); 19, 19 (CCL 48, 686-687) und GREGOR DER GROSSE, in Ez 2, 4, 6 (CCL 142, 262-263). Genauere Hinweise zur vita mixta bei Augustinus und Gregor bieten CONSTABLE, Interpretation of Mary and Martha 18-22; SOLIGNAC, Vie Active, Vie Contemplative, Vie Mixte 611-613. Siehe WALTER HILTON, mixed life 6 (ERS 92/15, 19/196 - 20/213). Die differenzierte Position von Gregor dem Großen beleuchtet McGINN, Growth of Mysticism 74-79. Zur „Alternative der 3. Vita" im 13. Jahrhundert vgl. WATSON, Invention of Authority 11-13. Ansätze der v/ta-mixta-Problematik im 14. Jahrhundert fasst zusammen HUSSEY, Walter Hilton - Traditionalist? 13. Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh II-II q 179-189 (Ed. Paul., 1779-1862); III q 40 (Ed. Paul., 2063-2067). WALTER HILTON, mixed life (ERS 29/15, 14/144-145): „longith speciali to men of holi chirche, as to prelates and to othire curates". WALTER HILTON, mixed life (ERS 29/15, 15/154-156): „Also it longeth generali to sum temporal men the whiche have sovereynte with moche avere of wordli goodis, and haven also as it were lordschipe over othere men". Siehe dazu auch CATTO, Religion and the English Nobility 43-55. Siehe zum Thema etwa auch CAREY, Laypeople and the Pursuit of the Mixed Life 361-381. Siehe dazu STEELE, Spirituality for Lay-Folk 155-160.

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Lollarden auftreten und Rückhalt in der laikalen Frömmigkeitsbewegung finden, als die Schriften Richard Rolles für die laikale Gebetstheologie ausgenutzt werden, als sich Personen wie Margery Kempe ihre ganz persönliche maner of living zurechtlegen oder neue kollektive Frömmigkeitsformen entstehen, wird die Vokabel medled life wieder fallen gelassen. Das Konzept der vita mixta scheint letztlich doch nicht theologisch ausreichend fundiert zu sein und riecht zudem nach Häresie (heresy and hypocrasief. Walter Hilton getraut sich von den three maner of lyvynge zu sprechen2; der CloudAutor lehnt hingegen den Begriff medled life kategorisch ab. Auch bei ihm gibt es eine Zwischenstufe zwischen der vita activa und der vita contamplativa\ diese Zwischenstufe aber dürfe man gerade nicht als vita bezeichnen, denn die Heilige Kirche kenne nur zwei Lebensformen, die two lyves3. Die Position des Cloud-Autors kann vor diesem Hintergrund nochmals prägnant zusammengefasst werden: Der Cloud-Autor ist nicht gegen eine gewisse Demokratisierung der Mystik. Darauf verweist schon allein die Verwendung der Volkssprache. Für den Cloud-Autor sind auch Laien, wenn sie die nötigen Vorbedingungen erfüllen, zur Kontemplation durchaus befähigt. Aus diesem Grund betont der anonyme Autor, dass die optima pars nicht die vita contemplativa selbst ist, sondern sich auf die reine Liebe des amor castus bezieht. Aus dieser Dissoziation zwischen äußerer Form und innerer Haltung resultiert der große Freiraum, den der Cloud-Autor dem einzelnen Beter zugesteht. Gleichzeitig scheint der Cloud-Autor einer Demokratisierung aber auch zu widersprechen: Er lehnt den Term der vita mixta ab und will von einer für die Laien vereinfachten Kontemplation nichts wissen. Er macht nicht den kleinsten Abstrich bei der Zielvorgabe seiner mystagogischen Unterweisung und verlangt auch von Menschen, die nicht in einer strikten vita contemplativa leben, sie müssten sich um die höchste Vollkommenheit der Kontemplation, die auf Erden erreicht werden könne, bemühen, um sich zu Recht zu seinen Lesern zählen zu dürfen. Der Cloud-Autor will nämlich nicht von jedem Leser gelesen werden: Sicherlich gibt es immer eine gewisse Spannung zwischen einem idealen und einen realen Leser. Aber wenn der reale Leser nicht ein Mindestmaß an Anforderungen erfüllt, dann möchte der Cloud-Autor lieber gar nicht gelesen werden. In diesem Sinne gibt es in der Cloud-Gruppe einen gewissen „elitisti-

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Vgl. WATSON, Invention of Authority 13-14; fur den unlösbaren Problemknoten der vita mixta schon bei Richard Rolle 15-18. BHATTACHARIJ, Earthquake 67-83 zeigt, wie Margerys maner of living angesichts des lollardischen Oldcastle-Aufstandes von 1414 sofort Verdächtigungen auf sich zieht und mehrere Überprüfungen auf den Plan ruft. Für die spätmittelalterliche Frömmigkeit siehe SWANSON, Church and Society 275-299; für die kollektiven und individuellen Aspekte der Frömmigkeit besonders 280-286; für die Nonkonformität 309-329. Siehe WALTER HILTON, mixed life (ERS 92/15, 11/119-121): „three maner of lyvynge. Oon is actif. Another is contemplatiyf. The thredde is maad of bothe, and that is medeled". Zur Deutung siehe auch CLARK, Action and Contemplation in Walter Hilton 258-274. Vgl. CI. (29/23-27): „Thre lyves ben they not, for Holy Chirche makith no mynde bot of two ".

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sehen Zug". Will man die Position des Autors in einem Motto zusammenfassen, so darf man vielleicht sagen: Demokratisierung ja, Vulgarisierung nein.

6.2 Devotio eremitica Auf den ersten Blick mögen eine devotio laicalis und eine devotio eremitica wenig miteinander zu tun haben. Schaut man freilich genauer auf die Situation im 14. Jahrhundert in England, so werden die vielen Querverbindungen sichtbar, die zwischen den beiden Größen bestehen 1 . Aus Gründen, die hier nicht genauer untersucht werden können, kann sich in England nicht im gleichen Maße wie auf dem Kontinent eine Drittordenbewegung und ein Beghinentum etablieren2. Das Interesse etlicher Laien, die ein vertieftes Leben der devotio übernehmen wollen und einen äußeren strukturellen Rahmen suchen, konzentriert sich daher gerade auf die eremitische Lebensform. Hier kann keine Theorie und Geschichte des eremitischen Lebens 3 geboten, sondern nur ein knapper religionssoziologischer Rahmen entworfen werden: Wenn der Eremit seine Lebensform der solitudo übernimmt, dann begibt er sich nicht in die völlige Isolation oder stirbt den sozialen Tod, sondern er nimmt vielmehr eine genau umschriebene Funktionsstelle in der christlichen Gesellschaft ein. Man hat in diesem Zusammenhang von einer „Virtus-Kommunikation" innerhalb eines gemeinsamen Wertehorizonts gesprochen4. Nach mittelalterlicher Vorstellung kommunizieren nämlich der Eremit und seine Mitchristen auf geistliche Weise innerhalb des corpus mysticum. Sie sind füreinander haftbar und in einer Art geistlicher Arbeitsteilung füreinander fruchtbar. Zwischen dem Eremit und der Gesellschaft besteht daher eine Art wechselseitiger Vertrag: Der Eremit erfüllt seine geistlichen Pflichten und wird dafür in einem ausgeklügelten Patronatssystem finanziell und sozial abgesichert5. Dieser Rahmen muss nun mit einige Daten zum spätmittelalterlichen Eremitentum in England ausgefüllt werden: Aussagekräftige Belege sind für die Zeit vor dem 14. Jahrhundert nicht lückenlos erhalten, aber erlauben immerhin ein Bild in groben Zügen. Für 1

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RIEHLE, Eremitische Mystik 310 bringt den Einfluss der vita anachoretica auf die Frömmigkeitstheologie auf folgende Formel: „Rückblickend lässt sich generell über die anachoretische Mystik sagen, dass gerade ihr besonderes Charakteristikum, die Unbedingtheit und Intensität ihrer affektiven Devotion, auf die mystische Laienbewegung befruchtend gewirkt hat." Vgl. SWANSON, Church and Society 274-275 und WARREN, Anchorites 21-22. Die wichtigsten Aspekte für England beleuchten drei wichtige Eremiten-Studien: CLAY, Hermites and Anchorites', DARWIN, Medieval Recluse; WARREN, Anchorites. Siehe WARREN, Anchorites 280-290. Selbst die Reklusion führt nicht zur sozialen Isolation der Eremiten: Zwar werden die Sozialkontakte quantitativ drastisch eingeschränkt aber dadurch zugleich qualitativ intensiviert. Die Reklusion verleiht dem Anachoreten nämlich sanetitas, welche dieser bei geistlichen Funktionen und sogar als politische Einflussnahme aktuieren kann. Siehe dazu etwa die entsprechenden Abschnitte bei CLAY, Hermites and Anchorites 1-84; 128-145; 146-166 und WARREN, Anchorites 110-113. Vgl. WARREN, Anchorites 15-18.

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England sticht einmal die hohe Zahl von Eremiten ins Auge, wenn man sie mit dem kontinentalen Eremitentum vergleicht1. Die Eremiten sind durch die Gelder von geistlichen oder weltlichen Patrone abgesichert. Das rechtlich verbriefte Stiftsgeld oder das nur gewohnheitsrechtlich gedeckte Korrodialgeld kommt einerseits von Patronen wie dem König, dem Adel, den Städten, Zünften oder einzelnen Kaufleuten. Kirchliche Stifter sind andererseits Bischöfe, Klöster und Pfarreien2. Die engagiertesten Patrone für Eremiten im 14. Jahrhundert scheinen Städte gewesen zu sein3. Durch den Aufschwung des Eremitentums und die drückende Steuerlast im Hundertjährigen Krieg treten freilich auch Engpässe bei der Finanzierung der Eremitengelder auf. Am unsichersten sind Korrodialstipendien, die rechtlich nicht eingeklagt werden können und deren Ausfall einem Eremiten unmittelbar die Lebensgrundlage entzieht4. Doch nun zum genaueren Profil des eremitischen Lebens in England: Obschon die lateinischen Begriffe eremita und anachoreta als Synonyme gelten dürfen, hat sich in England eine eigentümliche Zweiteilung der eremitischen Lebensform herauskristallisiert. Der hermite lebt eine Lebensform mit einem beträchtlichen Freiraum in der konkreten Ausgestaltung, während der anchorite ein streng regulierter Inkluse ist5. Schaut man auf die Statistik der erhaltenen Belege, so fallt auf, dass in der Gruppe der hermites mehr Männer, in der Gruppe der anchorites hingegen mehr Frauen vertreten sind6. Die Phänomenologie des Lebens eines hermite ist besonders reich: Er lebt auf einer Insel oder im Wald; als Behausung wählt er sich ein eremitagium, eine Höhle, Hütte oder einen Turm. Bisweilen versieht er einen Dienst als Leuchtturm-, Straßen- oder Brückenwärter7. Grundsätzlich ist das Leben eines hermites rechtlich nur wenig reglementiert8. Ein hermite bedarf zwar kirchenrechtlich gesehen der Approbation durch einen Bischof, doch in der Realität scheint es auch mit dieser Minimalforderung immer wieder ernsthafte Schwierigkeiten gegeben zu haben9. 1389 erlässt das Parlament unter König Richard II sogar ein Anti-Vaganten-Statut, gemäß dessen ein Eremit seine Approbationspapiere immer mit sich führen muss, um sich als echter Eremit ausweisen zu

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Siehe CLAY, Hermits and Anchorites 203-263 und WARREN, Anchorites 15-52; 291-293; 299-312. Siehe WARREN, Anchorites 41-52; 127-279. Vgl. WARREN, Anchorites 29-41. Zur Unterscheidung zwischen Korrodial- und Stiftszelle vgl. WARREN, Anchorites 41-52. Siehe CLAY, Hermites and Anchorites X V - X X und WARREN, Anchorites 7-8. Vgl. WARREN, Anchorites 22-29. Das sollte freilich nicht vorschnell zu einer „Theorie der Gender-Konstruktion" Anlass geben. Die hohen Zahlen der weiblichen Anachoreten sind in erster Linie Ausdruck dafür, dass Männer das anachoretische Leben auch in einem Kartäuserkloster oder Karmeliterkonvent leben können, was den Frauen nicht im gleichen Maße möglich ist. Siehe CLAY, Hermites and Anchorites 1-84. Die wichtigsten sechs englische Eremitenregeln des 14. bis 16. Jahrhunderts weist CLAY, Hermites and Anchorites 85-90 nach; neuere Angaben zu Ausgaben und Literatur bei WARREN, Anchorites 294-298. Siehe CLAY, Hermites and Anchorites X V - X X und WARREN, Anchorites 53-91.

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können1. Wie sich am „Wandern" mancher Eremiten heftige Kritik entzünden konnte, zeigen die Beispiele Richard Rolle und William Swinderby: Ein Eremit ist zwar nicht zwangsläufig zur stabilitas loci verpflichtet und gerade auf den britischen Inseln ist eine eremitische peregrinatio pro Christo nie ganz ausgestorben; im 14. Jahrhundert scheint freilich das Verständnis dafür stark zu schwinden2. Ein Grund für die Vorbehalte gegen die „wandernden Eremiten" ist sicher auch, dass sich unter ihnen so manches schwarze Schaf befindet. Mehrmals werden Eremiten bezeugt, die ihrem Stand untreu geworden sind und sogar heimlich geheiratet haben3. In manchen Schriftzeugnissen sind auch Fälle von Hochstaplern erwähnt, die mit einer geschickten Eremitenverkleidung die Privilegien und das Ansehen des Eremitenstandes ausnützen wollen4. Schließlich scheinen aufgrund des starken Zustroms von Laien zum Eremitenstand viele Kandidaten in punkto Ausbildung Wünsche offengelassen zu haben; nicht alle waren in der Lage, auch nur ihre Gebetspflichten anständig zu erfüllen5. Wenngleich man mit Verallgemeinerungen derartiger literarischer Zeugnisse vorsichtig sein muss, so kann man sich doch gut vorstellen, dass nach der Pestwelle, den sozialen Konflikten im Umfeld des Hundertjährigen Krieges und des Papstschismas auch im Eremitentum gewisse Verflachungserscheinungen aufgetreten sind. Die in strenger Reklusion lebenden anchorites können sich eines größeren Ansehens erfreuen. Ihre strikte Beobachtung der stabilitas loci im reclusorium und ihre strenge Regelobservanz wird vielfach bewundert6. Doch auch gegen sie ist Kritik laut geworden: Anchorites sind beim Volk hoch angesehen. Sie betätigten sich als geistliche Berater, als Propheten und haben in ihrer Autorität manchmal sogar Einfluss auf politische Entscheidungen7. Besondere Probleme ergeben sich, als die Lollarden Rückhalt bei den 1 2

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Vgl. STATUTES OF THE REALM 2, Richard II, 7 (58/12). Stellenangabe und Besprechung bei DAVIS, Rule of Saint Paul 206-208. Richard Rolle muss sich bezüglich seines eremitischen Wanderns immer wieder rechtfertigen und argumentiert, dass das Wesen des eremitischen Lebens in der stabilitas cordis liege und daher eine vorübergehende Aufhebung der stabilitas loci keine Beeinträchtigung mit sich bringe - so etwa in RICHARD ROLLE, judica me (ERS 92/14, 1-3) und incend amor (Deanesly, 175/25-29). Zum eremitischen Wandern vgl. auch CLAY, Hermites and Anchorites 89-90 und SWANSON, Church and Society 271-274. Vgl. CLAY, Hermites and Anchorites 89-90. Vgl. WILLIAM LANGLAND, piers plowman C2-Text 1 (Skeat, 6/53-57): „Grete lobies and longe, that loth were to swynke, clothede hem in copies, to be knowe fro othere, and made hem-selves eremytes hure eise to have." CLAY, Hermites and Anchorites 89-90; DAVIS, Rule of Saint Paul 206-208; JONES, Langland and Hermites; SWANSON, Church and Society 271-274. Vgl. CLAY, Hermites and Anchorites 76-77. WARREN, Anchorites 22-29; 71 weist daraufhin, dass vor allem laikale Frauen, die keinen Anschluss an monastische Kreise fanden, nahezu ohne Vorbereitung zum anachoretischen Leben gelangen. Für die wichtigsten Regeln siehe CLAY, Hermites and Anchorites 90-100 und WARREN, Anchorites 102-103; 294—298; für das Profil der in den Regeln niedergelegten eremtischen Aszetik vgl. besonders 92-124. Vgl. CLAY, Hermites and Anchorites 128-145.

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anchorites finden. Die reklusierten anchorites können sich nämlich besonders erfolgreich einer kirchenrechtlichen Maßregelung entziehen, wenn sie überhaupt von den Behörden aufgespürt werden1. Dieses knappe Portrait zur englischen devotio eremitica musste gezeichnet werden, weil sich in der Cloud-Gruppe einige Hinweise zu den angesprochenen Punkten finden: Wenn der Cloud-Autor eine Anleitung zur Kontemplation vorlegt, dann befindet er sich zwangsläufig im Kontext der devotio eremitica und muss sich mit kritischen Anfragen auseinander setzen. In der ,Wolke des Nichtwissens' kommt etwa das Problem der Finanzierung von Eremiten kurz zur Sprache. Der Cloud-Autor mahnt an, die wechselseitige Haftung im corpus mysticum nicht zu vergessen. Einerseits darf der Eremit nicht mehr als das Notwendigste erhoffen; andererseits wird auch der zahlungskräftige Patron in die Pflicht genommen. Das ,Buch zur Unterscheidung der Regungen' streift hingegen das Thema der modischen Attraktivität des Eremitentums. Der Cloud-Autor wehrt sich mit seinem „Verbot der Nachäffung" gegen einen bloß modischen Anschluss an diesen Lebensstand und führt einen gescheiterten Einsiedler, den er wohl geistlich betreut hat, als warnendes Beispiel an. Dieser Eremit hat seinen Lebensstand wieder aufgeben müssen, als er einsah, dass er das Eremitentum nur nachgeäfft hatte. Der CloudAutor befürchtet, dass auch der Adressat des Briefes oder weitere Leser seiner Schrift unüberlegt auf die devotio eremitica aufspringen könnten. Schließlich erwähnt der Cloud-Autor die Gefahr, ein Eremit könnte seine Freiheit missbrauchen und ein „Kontemplativer des Teufels" werden, womit vielleicht auf das Problem der Lollarden angespielt wird2. Auch wenn der Cloud-Autor solche möglichen Gefahren und Probleme des eremitischen Lebens klar sieht, so geht es ihm letztlich um eine Apologie der vita solitaria. Der Cloud-Autor lebt nämlich selbst eremitisch (vielleicht als Kartäuser) und richtet seine Kritik gegen die Vulgarisierung der vita solitaria zu einer verkümmerten devotio eremitica.

6.3 Devotio affectiv a Dass die devotio eine Herzensangelegenheit ist, kann man als ein Allgemeingut der christlichen Gebetsanleitung bezeichnen. Doch auch eine solch grundlegende Anschauung hat ihre Geschichte: Anselm von Canterbury hat in einer vor ihm unbekannten Weise schriftliche Meditationen ausgearbeitet, an denen man exemplarisch studieren kann, was im Herzen eines Meditierenden vor sich geht. Bernhard von Clairvaux entwickelt etwa zur gleichen Zeit eine ausgebreitete Liebeslehre, in der vorgeführt wird,

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Beispiele und Hinweise bei CLAY, Hermites Anchorites 7 9 - 8 1 ; 102.

and Anchorites

8 9 - 9 0 ; 146-166 und WARREN,

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So interpretiert auch COLEMAN, English Mystics 101: „He is just as harsh in his treatment of heretics ... he is probably referring to the Lollards, and to their supporters, the anti-clerical nobility."

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wie sich der Beter von der Liebe zum Sinnenfälligen, dem amor carnalis, über die Zwischenstufe des amor spiritualis zur reinen Gottesliebe des amor castus emporschwingen und die Gehalte der Offenbarung mittels experientia sich persönlich aneignen kann1. Einen weiteren Impuls zu einer affektiven Spiritualität hat Franziskus, der verus imitator Christi, gegeben. Nicht die litterae sondern Krippe, Kreuz und Altar stehen im Mittelpunkt des Glaubens und müssen verinnerlicht werden. Bonaventura hat schließlich normative Texte erstellt, damit auch andere Menschen dem amor ecstaticus, den Franzikus' zum Gekreuzigten pflegte, nacheifern können2. Derartige Impulse zu einer affektbetonten Spiritualität haben in England ihre Wirkung nicht verfehlt3. Die Heraufkunft der Frömmigkeitstheologie und religiösen Dichtung in der Volkssprache ist ein schlagender Beweis dafür. Die theologiegeschichtliche Forschung hat den Paradigmenwechsel offen gelegt, der zur Herausbildung der schon skizzierten Frömmigkeitstheologie geführt hat4: Vor 1300 dominieren in den Texten der geistlichen Unterweisung ein praktisch-konkreter Regelcharakter und eine eremitischmonastische Aszetik. Die Theologie der Passion und des Martyriums wird breit entfaltet, während Aufstiegsschemata oder eine Ausrichtung auf die unio mystica praktisch nicht vorhanden sind. Im 14. Jahrhundert kristallisiert sich dann aber immer mehr ein „neuer Affektualismus" heraus. Diese devotio affectiva ist geprägt von einer Spiritualität der Innerlichkeit, von Aufgstiegsschemata, von konkreten Meditationsanleitungen und von einer Betonung des affectus5. Obwohl auch die Instruktionsliteratur vor 1300 eine Lehre der geistlichen Sinnlichkeit kennt6, darf man doch zusammenfassend von einem Paradigmenwechsel sprechen, nämlich von einer aszetischen zu einer affektiven Spiritualität7. Diese „Wende zur neuen Affektivität" lässt sich auch in den Texten der devotio eremitica ausmachen: Von 1300 ab setzt sich in Zeugnissen des eremitischen Lebens ein neuartiges Vokabular durch8. Das berühmteste Beispiel dafür dürften wohl 1 2

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Siehe dazu LOUTH, Bernard and Affective Mysticism 2-10. Die Traditionsstränge affektiver Theologie, der in die mittelenglische Frömmigkeitstheologie münden, skizzieren ATKINSON, Mystics and Pilgrim 129-156; CONSTABLE, Popularity 3-28; DINZELBACHER, Beginnings of Mysticism Experienced 111-131; GILLESPIE, Mystic's Foot 199-230 und SALTER, Nicholas Love 55-118; TUGWELL, Ways of Imperfection 154; 162-165; WATSON, Invention of Authority 18-20. Vgl. hierzu auch die Portraits, die RIEHLE, Eremitische Mystik 300-312 von Aelred, dem Mönch von Farne und Richard Rolle zeichnet. Siehe WATSON, Anachoretic Devotion 132-153. Vgl. WATSON, Anachoretic Devotion 137-145 für die anachoretische Frömmigkeit; 134-137 für die Mystik des 14. Jahrhunderts; 145-147 für eine übersichtliche Zusammenfassung. WATSON, Anachoretic Devotion 146 spricht von einem eigentümlichen „affektiven Sensualismus", der für die weibliche Anachoretik konstitutiv sei. Siehe dazu WARREN, Old Forms with New Meanings 209-221. Einen Korrekturversuch, der die Gültigkeit von Warrens Ergebnis letztlich nicht beeinträchtigt, formuliert RIEHLE, Eremitische Mystik 311 (Anm. 8). Vgl. WARREN, Anchorites 113-122: In der alten eremitischen Aszetik dient die äußere Regel der äußeren Eindämmung und Kontrolle, damit amor spiritualis und quies spiritualis überhaupt

Auswertung: Form of living und devotio anglicana

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die Texte Richard Rolles sein. In seinen Schriften arbeitet Richard Rolle den affectus, die experientia caritatis und die sensus spirituales als Referenzpunkte des ganzen geistlichen Lebens heraus. Von diesem Referenzpunkt her kann nun aber auch die Popularität von Richards Schriften erklärt werden: Die sensationes spirituales wirken als Katalysator. Sie ermöglichen auch anderen laikalen Personen, geistliche Empfindungen zu entdecken und zu deuten1. Damit ist aber das Feld der form of living endgültig überschritten, denn das „affektive Beten" kann nur innerhalb einer Theologie des Gebets verhandelt werden. Dazu muss die gesamte Gebetstheologie des Cloud-Autors vor dem Hintergrund des 14. Jahrhunderts gesichtet und theologiegeschichtlich ausgewertet werden. Auf die devotio affectiva und die unterschiedlichen Positionen von Richard Rolle und dem Cloud-Autor ist dabei gegen Ende nochmals ausführlich zurück zu kommen.

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erst entstehen können. Die innere Regel widmet sich dem Kampf gegen die Versuchungen, der purgatio und der Pflege des amor castus. Eine Beschreibung mystischer Vollzüge gibt es in den älteren Regeln hingegen nicht. Erst ab 1300 kann sich verhältnismäßig langsam der „neue Mystizismus" durchsetzen. Zur Breitenwirkung der rolleischen Schriften vgl. WATSON, Richard Rolle as Elitist; zur „demokratischen Kraft" affektbetonter Spiritualität allgemein siehe SCHREINER, Laienfrömmigkeit 42-56.

TEIL Β: Mitte des mystischen Wissens

1. Von der Schriftoffenbarung zum Gebet 1.1 Textarbeit zur Gebetstheologie der Cloud-Gruppe Weil der Menschen als imago Trinitatis erschaffen wurde, kann er dem trinitarischen Gott begegnen und Ihn als anwesend und gegenwärtig erfahren. Die heilsgeschichtliche Betrachtung hat aber gezeigt, dass der erbsündlich gebrochene Mensch für die Rückkehrbewegung zu Gott konstitutiv auf die Initiative Gottes verwiesen ist. Die Zuwendung Gottes erfolgt gemäß der raum-zeitlichen Bedingtheit des Menschen in einer sich entfaltenden Heilsgeschichte, deren unüberbietbare Fülle Jesus Christus darstellt, das Ewige Wort, das Mensch geworden ist. Dieser Zuspruch Gottes in Seinem Sohn Jesus Christus liegt aber in einer geistgewirkten, objektivierten Form, nämlich der Heiligen Schrift, in den Händen der Kirche vor. Daher gilt: Gott in Jesus Christus, der in der Kirche und in der Heiligen Schrift gegenwärtig ist, bildet den formalen, materialen und modalen Konstitutionsgrund des Gebets und der mystischen Rückkehrbewegung des Beters zu Gott. Diese Grundbestimmung spiegelt sich in der Gebetslehre der CloudGruppe wieder, wie nun durch Textarbeit zu zeigen ist. 1.1.1 Wurzelgrund des Gebets in imago und scriptura An ganz unterschiedlichen Stellen im Gesamtwerk finden sich „Kurzformeln des Gebets": Imago zu sein bedeutet, als imago tätig zu sein, das heißt, sich mit dem qffectus und intellectus Gott zuzuwenden, Ihm entgegen zu gehen und Ihn zu lieben und zu erkennen. Dieses explizite Sich-auf-Gott-Beziehen ist Gebet, wofür in der ganzen Cloud-Gruppe immer wieder der Begriff entent, lateinisch intentio, Verwendung findet1.

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Vgl. beispielsweise Cl. (1/4): „entent of myn herte; (1/14-15): „hole entent"; (9/31): „nakid entent"; (15/29): „naked entent directe unto God"; (15/30): „entent lappid and foulden"; (20/6-7): „grounding and the rotyng of choure entent in God".

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Mitte des mystischen Wissens

Die intentio ist ein traditioneller Grundbegriff, der in unzähligen Vorlagen begegnet: Schlüsseltexte der Intentio-Lehre sind unter anderem der Hohelied-Kommentar von Origenes, die ,Conlationes' von Johannes Cassian, die ,Moralia in Hiob' von Gregor dem Großen, die Hohelied-Predigten und das Werk ,De diligendo Deo' von Bernhard von Clairvaux1. Rudolf von Biberach hat in seiner Schrift ,De Septem itineribus' alle relevanten Stellen der Theologiegeschichte zu einem eigenen Kapitel der recta intentio gebündelt2, und auch in Schriften wie dem pseudo-bernhardischen Traktat ,De vitis mystica' gehört die recta intentio zum gängigen Vokabular3. Ein wirkungsgeschichtlich wichtiger Ansatzpunkt ist zudem die ,Scala claustralium' von Guigo II., die im späten Mittelalter oft als pseudo-bernhardischer Text rezipiert wird, und gerade auch fur die mittelenglische Mystik bedeutsam ist4. Die guigonische intentio ist in die CloudGruppe als entent eingegangen5; bei Walter Hilton lässt sich hingegen das mittelenglische Äquivalent entencioun erheben, das in der , Scale of Perfection' eine wichtige Rolle spielt6. Zum theologischen Gehalt in der Cloud-Gruppe ist festzuhalten: Schon im Prolog der , Wolke des Nichtwissens' begegnet man dem Begriff entent. Der Cloud-Autor zitiert ein Gebet aus einer Heilig-Geist-Messe, um die in der imago sitzende transzendentale Verwiesenheit des Menschen auf Gott als Beginn des Gebetes zu erweisen: Der Mensch ist als imago erschaffen worden und dadurch Gottes fähig; er ist in seinem Personalitätszentrum auf Gott hin geöffnet, hat also ein open herte. Die Strebebewegung dieses offenen Herzens auf Gott hin ist Gebet. Diese entent of herte kann durch die Gnade Gottes gereinigt werden und so zur vollkommenen Liebe (parfite love) heranreifen7. Auch am Anfang des ,Buchs der mystischen Unterweisung' setzt der CloudAutor bei einer entent streching into Go