Mystische Erfahrung im literarischen Dialog: Die Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner 9783110216967, 9783110206296

The study interprets the oldest extant correspondence in German, the letters from the secular priest Heinrich von Nördli

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German Pages 496 Year 2010

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Inhalt
Einleitung
1. Eine Briefsammlung und deren Erforschung
2. Der Brief XI – eine exemplarische Analyse
3. Die Bildlichkeit in den Briefen: Traditionen und Funktionen
4. Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses
5. Die Funktionszusammenhänge der Briefe
6. Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin
7. Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs von Nördlingen
8. Die Briefsammlung im Kontext der Handschrift London, British Library, Add. 11430
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Mystische Erfahrung im literarischen Dialog: Die Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner
 9783110216967, 9783110206296

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Urban Federer Mystische Erfahrung im literarischen Dialog

Scrinium Friburgense Veröffentlichungen des Mediävistischen Instituts der Universität Freiburg Schweiz

Herausgegeben von Hugo Oscar Bizzarri · Christoph Flüeler · Marie-Claire Ge´rard-Zai Peter Kurmann · Eckart Conrad Lutz · Hans-Joachim Schmidt Jean-Michel Spieser · Tiziana Suarez-Nani

Band 25

De Gruyter

Urban Federer

Mystische Erfahrung im literarischen Dialog Die Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner

De Gruyter

Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates Freiburg/Schweiz

ISBN 978–3–11–020629–6

e-ISBN 978–3–11–021696–7 ISSN 1422–4445

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG , Berlin/New York Satz: swissedit, Zürich Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG , Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Am Anfang war es die Möglichkeit, in meinen drei Studienrichtungen Germanistik, Geschichte und Theologie gleichzeitig und interdisziplinär arbeiten zu können, die mich zur Beschäftigung mit den Briefen Heinrichs von Nördlingen anregte. Bald einmal faszinierte mich zudem die Aussicht, mittelalterliche Texte nicht nur auf ihren Inhalt hin zu lesen, sondern deren Funktionen in ihrer Zeit verstehen zu lernen. Eine Entdeckungsreise wurde für mich diese Studie dann vollends, als mich die Untersuchung der Textträger der Briefe über das Mittelalter hinaus in die Frühe Neuzeit führte. Die Abfolge der Kapitel spiegelt diese Entdeckungsreise wider: Was als Studie zu Texten des 14. Jahrhunderts und der Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Basel begann, führte mich den Weg über das 15. bis zum 18. Jahrhundert und zur zunehmenden Entdeckung der neuzeitlichen Stadt Nürnberg. Mit dieser anfänglich nicht vorhersehbaren Ausweitung meines Forschungsgegenstandes im Gepäck brachte ich diese Reise zu einem vorläufigen Ende: Im Oktober 2007 wurde die vorliegende Studie von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz als Dissertation angenommen. Die Frage, warum diese längst edierten Briefe nicht besser erforscht und ausgewertet sind, wog zu Beginn stärker als meine Abneigung dem metaphernreichen Schreibstil Heinrichs und seiner Briefpartnerin Margaretha Ebner gegenüber. Heute, eine Dekade später, lese ich diese Briefe ohne die anfänglichen Vorurteile. Ich würde darum den Schreibstil Heinrichs heute weniger ausgedehnt behandeln, sondern die Briefe noch ausführlicher der Gottesfreundeliteratur des 14. Jahrhunderts zuordnen, die heute besser erforscht ist als vor zehn Jahren. Ich verstehe meine Arbeit folglich als Anregung, sich weiterhin mit den Briefen Heinrichs von Nördlingen zu beschäftigen. Meine Vorschläge etwa, wie diese Briefe von Leserinnen und Lesern rezipiert werden konnten, ermöglichen neue Einsichten in das Andachtsschrifttum des späten Mittelalters. Auch lässt eine Rezeption meiner Erkenntnisse zu den ›Offenbarungen‹ Margaretha Ebners aufgrund der vergleichenden Lektüre mit den Briefen Heinrichs neue Impulse zur Vitenund Offenbarungsliteratur aus mittelalterlichen Frauenklöstern zu. Zudem

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Vorwort

dürfte eine weitere Suche nach Handschriften lohnend sein, die im Umfeld jener Textträger entstanden sind, welche die Briefe Heinrichs enthalten: Sie dokumentieren beeindruckende frühneuzeitliche Literaturkonzeptionen, die noch zu wenig erforscht sind. Die Freude an der vorliegenden Arbeit konnte ich mir über all die Jahre hinweg auch mit der Hilfe von Institutionen und Personen erhalten, die mich geduldig unterstützten und begleiteten. Beste Voraussetzungen für mein Thema bot mir der Dominikanerkonvent Saint-Hyacinthe in Freiburg/Schweiz, wo ich wohnen durfte. Die Bibliothek, das Wissen und die Freundschaft der dort lebenden Dominikaner waren mir eine grosse Hilfe. Freundliche Aufnahme und Einblicke in die Bestände der jeweiligen Bibliotheken erhielt ich auch im Kloster Au bei Einsiedeln, in der Abtei Engelberg, im Kloster Maria Medingen und im Stift Melk. Anregungen und weiterführende Hinweise gaben mir die Graduiertentreffen der Germanistischen Mediävistik der Universitäten Freiburg i. Br., Freiburg/Schweiz, Genf und Oxford. Unkomplizierte Unterstützung durfte ich zudem von der Stadtbibliothek Nürnberg und von der Familie Ebner von Eschenbach erfahren. Ein besonderer Dank gilt aber vor allem Eckart Conrad Lutz (Freiburg/Schweiz), der diese Untersuchung angeregt, betreut und ihr im Austausch Entscheidendes beigesteuert hat. Nie schien er ernsthaft an der Fertigstellung meines Vorhabens zu zweifeln. Burkhard Hasebrink (Freiburg i. Br.) verdanke ich das Korreferat und kritische Hinweise zu Gedankengängen, die zu wenig klar waren. Für Gespräche, Korrekturen, Hinweise und Anregungen danke ich ferner Undine Brückner (Oxford), Susanne Bürkle (Köln), Guido Muff OSB (Engelberg), Nigel F. Palmer (Oxford) und Johanna Thali (Freiburg/Schweiz und Freiburg i. Br.). Über meine Tätigkeit als Lehrer an der Stiftsschule Einsiedeln lernte ich Brigitte Blöchlinger-Baumeler (Lachen) kennen, die meine Arbeit im Winter 2009/10 las, nachdem in einer früheren Phase bereits Friedrich Schmid (Einsiedeln) und Winfried Schwab OSB (Stift Admont) Korrektur lasen. Die Arbeit findet nun freundlicherweise die Aufnahme ins ›Scrinium Friburgense‹. Dafür hat sie Wolfram Schneider-Lastin (Zürich) kompetent und mit grosser Sorgfalt gesetzt. Allen hier genannten Personen bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Nicht zuletzt war und ist es aber mein persönliches Umfeld, das mich in meiner Arbeit gefördert hat. Allen voran erwähne ich meine Äbte Georg Holzherr, der mir eine Dissertation vorschlug und zutraute, und Martin Werlen, der mir dafür immer wieder den nötigen Freiraum schaffen musste. Meinen Mitbrüdern in Einsiedeln bin ich dankbar, dass ich mich öfters für

Vorwort

7

das persönliche Arbeiten zurückziehen konnte; darüber hinaus haben mich einzelne Mitbrüder fachlich beraten. Danken möchte ich auch meiner Familie für ihre Unterstützung. Meinen Eltern und Geschwistern mit ihren Familien und meinen Mitbrüdern sei dieses Buch gewidmet. U. I. O. G. D.

Einsiedeln, am 15. Oktober 2010

Urban Federer OSB

Inhalt Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 Eine Briefsammlung und deren Erforschung

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1.1 Die Londoner Handschrift und die Edition Philipp Strauchs . 1.2 Der historisch-biographische Hintergrund der Briefe . . . . 1.3 Unterschiedliche Beurteilung der Briefe in der Forschung . . 1.3.1 Die ältere Forschung: Das Interesse an kulturhistorischen . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellentexten 1.3.2 Übertragungen ins Neuhochdeutsche . . . . . . . . 1.3.3 Heinrichs Person im Zentrum des Interesses: Richard Schultz, Manfred Weitlauff und Anette Kuhn . . 1.3.4 Neue Ansätze in der Forschung: Debra L. Stoudt, Christine Wand-Wittkowski, Michael Egerding und Ursula Peters .

2 Der Brief XI – eine exemplarische Analyse

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46 48 50 51 53 55 57 58 59 63 67 69

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3.1 Biblische Bezüge in Brief XI . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Bedeutung der Liturgie für die Briefe . . . . . . . . . . .

73 75

2.1 Der Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Einleitung (Z. 1–6) . . . . . . . . . . . 2.3.2 Der erste Abschnitt des Hauptteiles (Z. 6–33) . . 2.3.3 Der zweite Abschnitt des Hauptteiles (Z. 33–61) . 2.3.4 Der Schluss (Z. 61–75) . . . . . . . . . . . 2.4 Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin im Brief 2.4.1 Die Funktionen von jamer und liecht . . . . . 2.4.2 Von der cogitatio zur contemplatio . . . . . . 2.4.3 Zugleich Schüler und Lehrer . . . . . . . . . 2.4.4 Beidseitiges Aufeinanderbezogensein . . . . . .

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3 Die Bildlichkeit in den Briefen: Traditionen und Funktionen

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Inhalt 3.2.1 Die Liturgie als Quelle der Inspiration . . . . . . . 3.2.2 Die Nähe der Briefe zum mittelalterlichen ›Sermo‹ . . 3.2.3 Margaretha Ebner als Adressatin liturgischen Sprechens 3.3 Maria in den Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Stellung Marias im Gnadenfluss . . . . . . . . 3.3.2 Die Stilisierung Margarethas zu einer altera Maria . . 3.3.3 Mater und Sponsa Christi – Modelle der unio mystica . 3.4 Das Verhältnis von Bild und Text in den Briefen . . . . . 3.4.1 Der Austausch von Kunstwerken . . . . . . . . . 3.4.2 Marianische Bildtypen . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Brautmystische Bildlichkeit . . . . . . . . . . . 3.4.4 Eschatologische Bildlichkeit . . . . . . . . . . . 3.5 Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . .

4 Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

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. 75 . 77 . 80 . 83 . 83 . 84 . 88 . 94 . 96 . 97 . 103 . 108 . 110

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4.1 Zur Intertextualität der Briefe: ihre Einbettung in die ›geistliche Minneliteratur‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Berufung auf Autoritäten im mystischen Dialog . . . . . . 4.3 Heinrichs Umgang mit dem Werk Mechthilds von Magdeburg . . 4.3.1 Erwähnungen des ›Fliessenden Lichts‹ in den Briefen . . . 4.3.2 Der Text des Briefes XLVIII . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Übersetzung des Briefes . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Die Funktionen von Autor und Adressatin in Brief XLVIII 4.3.5 Der Einfluss des ›Fliessenden Lichts‹ auf Brief XLVIII . . 4.3.6 Der liturgische Bezugsrahmen als Rezeptionshorizont . . . 4.3.7 Mögliche Einflüsse der Übersetzertätigkeit Heinrichs auf die Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.8 Die vergleichende Lektüre als Eröffnung neuer Verstehenshorizonte . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Heinrichs Briefe und Heinrich Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ 4.4.1 Spuren einer Rezeption des ›Büchleins der Ewigen Weisheit‹ 4.4.2 Der gemeinsame Verstehenshorizont: Vom Leiden zur Verherrlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Gemeinsames Modell der imitatio Christi: Maria . . . . . 4.4.4 Innerlichkeit als gemeinsamer Weg . . . . . . . . . . 4.4.5 Der Eintritt in die Gottesminne als gemeinsames Ziel . . . 4.5 Die Visionärinnen von Helfta . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Ein Vergleich mit dem ›Liber specialis gratiae‹ . . . . . . 4.5.2 Der ›Legatus divinae pietatis‹ . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Das Ziel des kontemplativen Lebens: Die Vereinigung mit Gott

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111 114 119 119 120 122 124 130 139

. 140 . 143 144 145 . . . . . . .

146 151 155 158 160 160 165 169

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Inhalt

5 Die Funktionszusammenhänge der Briefe . . . . . . . . . . . 171 5.1 Die Briefe als ›Minne-Begehren‹ . . . . . . . . . . . . 5.2 Vom Lesen und Schreiben der Briefe . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das ›Fliessende Licht‹ als Bestandteil der lectio divina . . Ein Exkurs: Dreimal oder neunmal lesen? . . . . . . . . . 5.2.2 Die Forderung nach einer meditativen Lektüre der Briefe 5.2.3 Die mystagogischen Komponenten der Briefe Heinrichs . 5.2.4 Margarethas Darstellung in hagiographischer Funktion . 5.2.5 Die Briefe im literarischen Vergleich . . . . . . . . . 5.2.6 Der Vorgang des Lesens im Rahmen der cura monialium 5.2.7 Die Bedeutung des Schreibens im Prozess der Begnadung 5.2.8 Der andere Schreibstil Heinrichs . . . . . . . . . . 5.3 Die Lektüre der Briefe in einer eucharistischen Perspektive . . 5.4 Die Briefe und der Freundeskreis um Heinrich . . . . . . . 5.4.1 Der Brief der Margaretha zum Goldenen Ring . . . . 5.4.2 Die Briefe und die Gottesfreunde . . . . . . . . . . 5.4.3 Die Briefe und der Bedarf an mystischer Literatur . . . 5.4.4 Der Brief als konstitutives Element der Seelsorge Heinrichs

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. . . . . . . . . . . . . . . .

171 173 173 177 178 181 185 188 192 198 201 203 208 208 211 214 217

6 Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin . . . . . . . . . . . 220 6.1 Der Brief LXVII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Der Text des Briefes . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Übersetzung des Briefes . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Ein Dialog zwischen ›Weisheit‹ und ›Dienerin‹ . . . . . . 6.1.4 Der gemeinsame Verstehenshorizont: Der Aufstieg des . . . . . . . . . . . . . . . . Menschen zu Gott 6.1.5 Die mystagogische Funktion der Briefe Margarethas . . . 6.1.6 Eine gemeinsame Quelle: Mt 5, 45 . . . . . . . . . . 6.1.7 Mechthild von Magdeburg als gemeinsame Verstehenshilfe . 6.1.8 Margarethas Anlehnung an eine Deutung Heinrichs . . . . 6.1.9 Die Funktionen von Nonne und Seelsorger im mystischen Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die ›Offenbarungen‹ – ein Modell der Gottesfreundschaft . . . 6.2.1 Eine Krankheit als mystische keˆr . . . . . . . . . . . 6.2.2 Die sinnstiftende Strukturierung der Liturgie . . . . . . 6.2.3 Die positive Interpretation eigener Leiden . . . . . . . 6.2.4 Die Forderung nach einer gläubigen Lektüre . . . . . . 6.2.5 Die Funktionen von ›Schweigen‹ und ›Rufen‹ . . . . . . 6.2.6 Meditation von Geburt und Tod als Ort der Gegenwart Gottes 6.2.7 Schreiben und Lesen als Ankunft Gottes im eigenen Leben .

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220 220 222 224

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227 229 232 234 235

236 240 242 245 246 249 252 254 . 261

. . . . . . .

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Inhalt

6.3 6.4

6.5 6.6

6.2.8 Eine Deutung der ›Offenbarungen‹ vor eucharistischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Die Funktionen zweier Schreibstile . . . . . . . . . . Das ›Paternoster‹ Margarethas . . . . . . . . . . . . . . Die Anteile Margarethas und Heinrichs am mystischen Gespräch 6.4.1 Der Gebetscharakter der Briefe . . . . . . . . . . . 6.4.2 Die Eigenständigkeit Margarethas im gemeinsamen Gespräch 6.4.3 Bestätigung der eucharistischen Lektüre der Briefe . . . . 6.4.4 Einzelne Stationen eines gemeinsamen Gesprächs . . . . . 6.4.5 Die ›Offenbarungen‹ als Frucht eines Diskurses . . . . . Spuren einer redaktionellen Bearbeitung: Die konkrete Arbeit an . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Margarethas Contemplata aliis tradere: Rezeption eines kontemplativen Lebensentwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 265 . 268 . 272 276 . 277 279 . 280 . 282 . 286 . 288 . 292

7 Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs von Nördlingen Der Ruf Heinrichs als gelehrter Nonnenseelsorger . . . . . . Das Kloster Medingen im Zentrum der Briefsammlung . . . . Unterstützung Heinrichs durch Königin Agnes von Ungarn . . Der Freundeskreis Heinrichs in Basel . . . . . . . . . . . Der literarische Austausch im Freundeskreis um Heinrich . . . 7.5.1 Bücheraustausch zwischen Basel und dem Ries . . . . . 7.5.2 Das Interesse an mystischer Literatur . . . . . . . . . 7.5.3 Der Kreis der Übersetzer des ›Fliessenden Lichts‹ . . . . 7.5.4 Dominikanische Provenienz der Einsiedler Handschriften 277 und 278 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.5 Texte derselben Handschriften als Zeugen der Verbreitung von Literatur im Freundeskreis um Heinrich . . . . . . . . 7.6 Die Briefe und der Strassburger Kreis der Gottesfreunde . . . . 7.7 Die Briefe und das Bedürfnis nach Zeichen der göttlichen Gegenwart 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

295 . . . . . . . .

295 301 306 312 324 324 326 332

. 335 . 339 . 352 356

8 Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift Add. 11430 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 8.1 Die thematische Anordnung des Briefkorpus . . . . . . . . 8.1.1 Die Frage nach der Echtheit und der Einheit des Briefkorpus 8.1.2 Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift . . . . . . 8.1.3 Der Ausgangspunkt: Margarethas einzigartige Würde . . . 8.1.4 Aufruf zu innerer Einkehr . . . . . . . . . . . . . 8.1.5 Der Anteil des Menschen am göttlichen Gnadenfluss . . . 8.1.6 Über Busse und Leiden zur Erhöhung in Christus . . . .

. 363 364 . 367 . 370 . 372 . 375 . 379

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Inhalt 8.1.7 Die sakramentale Verdichtung . . . . . . . . . . . . 8.1.8 Die Demut als konstitutives Element der unio mystica . . . 8.1.9 Die lectio der Briefe in der imitatio Christi . . . . . . . 8.2 Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter . . . . . 8.2.1 Die Briefsammlung und die spätmittelalterliche Bibliothek Medingens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Die Lektüre im Geist der Ordensreform . . . . . . . . 8.2.3 Die Briefsammlung und der beginnende Kult um Margaretha 8.3 Die Londoner Sammelhandschrift Add. 11430 – ein Margaretha-Ebner-Kompendium . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Beschreibung der Handschrift . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Der Text von Add. 11430, fol. 127r-v . . . . . . . . . . 8.3.3 Das Andenken Margarethas und das Ansehen der Familie Ebner von Eschenbach . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Die Londoner Handschrift als Teil der Bibliotheca Ebneriana 8.3.5 Ergänzung zur Überlieferung der Schriften Margarethas: Die Handschrift Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 8.3.6 Gemeinsames Interesse der Familie Ebner und des Klosters Medingen an Margaretha und Christine Ebner . . . . . . 8.3.7 Die erste Drucklegung der Briefe und die Datierung der Londoner Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.8 Der Weg der Handschrift von Nürnberg nach London . . 8.3.9 Die vermutlich älteste Quelle der Briefe: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925 (1200) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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385 388 391 395

. 396 . 401 . 404 . 406 . 406 . 412 . 413 417 421 . 425 . 428 . 429 . 431

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Register Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Orte, Personen und literarische Werke . . . . . . . . . . . . . . 465 Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

Anhang: Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift Add. 11430 Abbildungen

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

Einleitung eia! mein und aller liebstz, ubersich mir disü wort, wan si erfrowen mein hertz, do ich si schraib; wan ich was trurig geweszen, bis ich dir schriben wart: do engieng es mir wol.1

Wer die Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner verstehen will, muss sie so lesen, wie sie uns heute vorliegen: als literarische Zeugnisse. Indem sich Heinrich im einleitenden Zitat für das entschuldigt, was er zuvor geschrieben hat – dein geträwes hertz und dein rainü sel [. . .] gebend mir ain hailigs bild2 –, weist er ausdrücklich auf die literarische Gestaltung seiner Worte hin. Er macht uns nicht nur auf seine Stilisierung Margarethas aufmerksam, sondern hebt zudem eine wichtige Funktion seiner Briefe hervor: Der Akt des Schreibens selbst war ihm Anlass zur Freude. Auch wenn Heinrich hier das Verfassen eines Briefs lediglich als sein subjektives Erleben auszudrücken scheint, thematisiert er dennoch, was für die vorliegende Arbeit grundlegend ist: die Bedeutung der Schriftlichkeit für seine Seelsorge. Da Margaretha dem Kloster Maria Medingen bei Dillingen als Dominikanernonne angehörte und Heinrich diesen Konvent in seiner Funktion als Priester aufsuchte, ist der Kontext, in dem die Briefe entstanden und für den sie bestimmt waren, jener der cura monialium. Für das 14. Jahrhundert ist die Bedeutung der Schriftlichkeit in der Seelsorge hinreichend belegt. Dem Dominikaner Heinrich Seuse etwa waren seine Schriften eine Hilfe, seine pastoralen Fähigkeiten zu entfalten.3 Auch 1 Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Mystik, hg. von Philipp Strauch, Freiburg i. Br./Tübingen 1882 (Nachdruck Amsterdam 1966) (im Folgenden abgekürzt mit Strauch), Brief XIV , 12–15, S. 191. 2 Ebd., Z. 2 und 10. 3 Vgl. dazu etwa die Studie Walter Blanks: Heinrich Seuses ›Vita‹. Literarische Gestaltung und pastorale Funktion seines Schrifttums, in: ZfdA 122 (1993), S. 285–311, hier v. a. S. 285 und 311. Kurt Ruh geht sogar davon aus, dass Seuse ein eher introvertierter Mensch gewesen sein muss, dessen Stärke nicht in der Predigt lag. Es ist uns jedenfalls von seinen Predigten kein Korpus erhalten »wie von seinen Pastoralbriefen«: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 3: Die

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Einleitung

die Predigten seines Mitbruders Johannes Tauler lagen nach ihrer Verschriftlichung als Lesetexte vor.4 Es ist darum naheliegend, die Briefe Heinrichs von Nördlingen, der im übrigen ein Freund Taulers war und auch Seuse schätzte, ebenfalls im Kontext seiner Seelsorgetätigkeit zu sehen. Dies unterlassen aber neuere Publikationen. Heinrichs Briefe werden vielmehr als »intime Zeugnisse einer innigen Seelenfreundschaft«5 verstanden und sind zusammen mit den fast vollständig verlorenen Briefen Margarethas vor allem als erster Briefwechsel in deutscher Sprache in die Literaturgeschichte eingegangen.6 Dagegen verstehe ich die Briefe hier als geistliche Sendschreiben, die bewusst in die Seelsorge einbezogen waren und zum Teil mystagogischen Charakter besassen.7 Auch die Erfahrungen Margarethas, die im Mittelpunkt der Briefe stehen, werden hier unter der Perspektive ihrer literarischen Umsetzung betrachet und von der Absicht her interpretiert, sie in Hinblick auf die unio mystica, die Vereinigung mit Gott, zu deuten. Die 56 Briefe Heinrichs an Margaretha stammen aus dem Zeitraum zwischen 1332 und 1350. Wenn heute gelegentlich ihre Echtheit angezweifelt wird, ist dafür die Situation ihrer Überlieferung verantwortlich: Sie sind Teil einer Handschrift aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Ich setze die Entstehung dieser Handschrift damit zwar noch später an als bisher angenommen; die Forschung datiert sie allgemein ins ausgehende 16. Jahrhun-

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Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, München 1996, S. 471. Für Kurt Ruh ist das Predigtkorpus Taulers »nicht ohne Kontrolle und Autorisierung seitens des Predigers veröffentlicht worden«: Geschichte, Bd. 3, S. 487. Johannes Janota, Orientierung durch volkssprachige Schriftlichkeit (1280/90– 1380/90) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, hg. von Joachim Heinzle. Bd. III : Vom späten Mittelalter zum Beginn der Neuzeit. Teil 1), Tübingen 2004, S. 105, S. 125. Vgl. Alois M. Haas, Deutsche Mystik (5. Kap.), in: Reimpaargedichte, Drama, Prosa, hg. von Ingeborg Glier (Geschichte der deutschen Literatur, begründet von Helmut de Boor und Richard Newald. Bd. III : Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250–1370. Teil 2), München 1987, S. 234–305, hier: S. 298. Johannes Janota, Orientierung, S. 125 f., formuliert ein bisschen allgemeiner, das Briefkorpus Heinrichs stamme »aus den Anfängen des deutschsprachigen Privatbriefes«. Zum einzigen noch erhaltenen Brief Margarethas vgl. Kap. 6.1. Johannes Janota hält in: Orientierung, S. 125, im Gegensatz dazu fest, Heinrichs Briefe seien »keine mystagogischen Lehrschreiben wie wir sie etwa von Heinrich Seuse kennen [. . .]«.

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dert.8 Über die gründliche Untersuchung der Handschrift werden hier aber neue Einsichten in die Tradierung der Briefe ermöglicht. Ihre Überlieferung beruht auf dem Traditionsbewusstsein der Nürnberger Patrizierfamilie Ebner von Eschenbach. Zusammen mit weiteren Kopien von Texten Margarethas und mit Kopien der Werke Christine Ebners ist die Handschrift Zeugnis eines vor allem literarisch fassbaren Interesses dieser Familie an ihrer Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart. Noch die erste Drucklegung der Briefe durch Johann Heumann von Teutschenbrunn im Jahre 1747 wurde von den Ebners tatkräftig unterstützt.9 Sie konnten dabei auf einen barocken Kult um die Nonnen Margaretha und Christine Ebner zurückgreifen, den ihre Familie selbst entscheidend gefördert hatte und der auch literarisch äusserst produktiv war. Dieser neuzeitlichen Überlieferung voraus ging die noch im Spätmittelalter erfolgte Vereinigung der Briefe Heinrichs (und anderer Autorinnen und Autoren) zu einer Sammlung, die aufgrund der Verehrung Margarethas initiiert worden war. Aufgrund der neuen Erkenntnisse zur Überlieferungsgeschichte dürfen die Briefe als authentisch angesehen und damit im Kontext jener »neue[n] Entwicklungen in der Literaturproduktion und -rezeption«10 verstanden werden, die die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts im süddeutschen Raum bestimmten. Diese literarhistorische Einbettung erlaubt es, die Briefe nicht mehr unter dem Aspekt der Einmaligkeit und damit isoliert zu betrachten, »sondern [sie] in ihrer Interaktion mit einem bestimmten historischen Kontext oder mit bestimmten sozialen Gebilden zu sehen.«11 Zusammen mit jenen Briefen der Sammlung, die nicht von Heinrich verfasst wurden – erwähnt seien hier die Briefe von Abt Ulrich III . von Kaisheim und ein 8 Vgl. Kap. 8.2.3. 9 Heumann liess etwa die Hälfte der Briefe drucken; vgl. Kap. 1.3.1. 10 Das Münchner Gedicht von den fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht. Nach der Handschrift der Bayerischen Staatsbibliothek Cgm 717. Edition und Kommentar, hg. von Christoph Gerhardt und Nigel F. Palmer (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 41), Berlin 2002, S. 51. Gerhardt und Palmer führen hier zusammen mit Heinrich von Nördlingen drei weitere Autoren als Vertreter des süddeutschen Raums im 14. Jh. an: den Kompilator der Hs. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 717, Michael de Leone aus Würzburg und den Strassburger Rulman Merswin. 11 Nigel F. Palmer stellt diese Überlegung allgemein zu mittelalterlicher Literatur an: Deutschsprachige Literatur im Zisterzienserorden. Versuch einer Darstellung am Beispiel der ostschwäbischen Zisterzienser- und Zisterzienserinnenliteratur im Umkreis von Kloster Kaisheim im 13. und 14. Jahrhundert, in: Zisterziensisches Schreiben im Mittelalter – Das Skriptorium der Reiner Mön-

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Brief Johannes Taulers –, gehörten sie einer reicheren volkssprachigen Briefkultur an. Da das Ziel der Briefe in der geistlichen Begleitung Margarethas und ihrer Hinführung zur unio mystica lag, können sie von dieser Absicht her in die Tradition mystischen Sprechens eingeordnet werden. Zu dieser meint Kurt Ruh: »Die ›Sprache der Mystik‹ ist die Sprache der Texte, die wir von ihrem Inhalt her als ›mystisch‹ glauben bezeichnen zu dürfen, genauer die Spezifica dieser Sprache, das was als Programm der Mystik zu bezeichnen ist.«12 Ruh geht bei der Bestimmung mystischer Rede vom »Ziel der Mystik, der unio [. . .]« aus, »in welcher Form auch immer: als Gotteserkenntnis, als Gottesschau, als Liebesvereinigung.«13 Der Begriff ›mystisch‹ wird deshalb in dieser Arbeit oft durch ›unio-zentriert‹ ersetzt.14 Er will nicht Unmittelbarkeit suggerieren, sondern auf Textphänomene hinweisen.

che. Beiträge der Internationalen Tagung im Zisterzienserstift Rein, Mai 2003, hg. von Anton Schwob und Karin Kranich-Hofbauer (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte. Bd. 71), Bern usw. 2005, S. 231–266, hier: S. 231. 12 Kurt Ruh, Überlegungen und Beobachtungen zur Sprache der Mystik, in: Brüder-Grimm-Symposion zur Historischen Wortforschung. Beiträge zu der Marburger Tagung vom Juni 1985, hg. von Reiner Hildebrandt und Ulrich Knoop (Historische Wortforschung. Bd. 1), Berlin/New York 1986, S. 24–39, hier: S. 28. Nach Susanne Köbele verfügen wir heute über »die Realität der mystischen Unio [. . .] ausschliesslich als literarische Realität«: Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache (Bibliotheca Germanica 30), Tübingen/Basel 1993, S. 24. Für Köbele ist darum gewiss, dass sich Mystik nicht auf denjenigen reduzieren lässt, der ein mystisches ›Erlebnis‹ hat; vgl. ebd., S. 26. Grundlegend für diese Sicht sind die Arbeiten Siegfried Ringlers. In: Viten- und Offenbarungsliteratur in Frauenklöstern des Mittelalters. Quellen und Studien (MTU 72), München 1980, S. 9 schreibt er dazu: »›Echtheit des Erlebens‹ ist eben wirklich nicht eine Kategorie hagiographischer Literatur.« Bei der Analyse von Texten kann es für Ringler darum »durchaus offenbleiben, ob die historische Person [. . .] tatsächlich ein Mystiker gewesen ist«: ebd., S. 353 f. Zur Sicht Ringlers vgl. zusammenfassend: Johanna Thali, Beten – Schreiben – Lesen. Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster Engelthal (Bibliotheca Germanica 42), Tübingen/Basel 2003, S. 60. 13 Vgl. Ruh, Überlegungen, S. 35. 14 Auch Susanne Köbele, Bilder, S. 30, ordnet den Begriff ›Mystik‹ Texten zu, »die die Einheit der Seele mit Gott thematisieren«, und bestimmt darum mystische Texte »als Unio-zentrierte Texte«.

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Die für die Briefe Heinrichs charakteristische Bildlichkeit ist vor diesem Bemühen um das Erlangen der unio zu verstehen. Zusammen mit den liturgisch-monastischen Bezügen der Texte war ihre Bildlichkeit nicht nur Margaretha, sondern auch ihren Mitschwestern vertraut. Darüber hinaus lasen Menschen die Briefe, die Heinrich und Margaretha freundschaftlich verbunden waren. Diese schwer eingrenzbaren Kreise, für die die Forschung den Begriff ›Gottesfreunde‹ verwendet, setzten sich aus Priestern, Ordensleuten, Beginen und Laien aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum zusammen. Ihnen allen gemeinsam war das Interesse an einer geistlichen Erneuerung, die sie besonders über das Lesen geistlicher Literatur zu erlangen hofften.15 Da der Ausdruck ›Gottesfreund‹ keine ordensähnliche Gemeinschaft, ja nicht einmal eine sich häufig treffende Gruppe Gleichgesinnter umschreibt, wird er im Folgenden nur dort benützt, wo die Forschung referiert wird, wo Heinrich ihn selbst gebraucht oder wo der Begriff im von Heinrich intendierten Sinn Verwendung findet.16 Die Briefe Heinrichs waren jedenfalls nicht Privatbriefe im heutigen Sinne, sondern von Beginn an auch für die Öffentlichkeit des Freundeskreises um Heinrich und Margaretha bestimmt und darum Teil des spätmittelalterlichen Andachtsschrifttums. Das Kloster Medingen und der Freundeskreis um Heinrich rezipierten nun aber seine Briefe nicht nur, sondern regten sie mit ihren Bedürfnissen und Anfragen auch an. Die Briefe waren darum Teil eines (nur literarisch belegten) mystischen Diskurses, dessen Ziel in der Entwicklung und Bestätigung gemeinsamer religiöser Auffassungen lag.17 Die Briefe hatten dabei 15 »›Gottesfreunde‹ – sofern dieser Begriff noch nicht eine konkrete Gruppe von Menschen meint – sind im 14. Jahrhundert Weltpriester, Ordensgeistliche, Beginen und Laien, denen eine ernstliche Besserung der Zustände am Herzen liegt, eine geistliche Erneuerung, die auf dem Weg einer mystischen Vereinigung mit Gott herbeizuführen ist«: Haas, Deutsche Mystik, S. 299 f. Der in der Forschung eingebürgerte Begriff ›Gottesfreund‹, aber auch die allgemeiner gehaltene Bezeichnung ›Freund‹ wird in dieser Arbeit als Terminus technicus verwendet und schliesst auch die zahlreichen Frauen im Umfeld Heinrichs und Margarethas ein. Zu inhaltlichen Komponenten im Diskurs unter diesen ›Freunden‹ vgl. Kap. 5.4, zu konkreten Personen vgl. Kap. 7.4. 16 Zur Verwendung des Begriffes ›Gottesfreund‹ bei Heinrich vgl. v. a. Kap. 7.4. 17 In Anschluss an Überlegungen von Jürgen Habermas bezieht Jürgen Fohrmann den Diskursbegriff auf eine Form der Kommunikation, »in der [. . .] keine (handlungsbezogenen) Informationen ausgetauscht, sondern ›problematisierte Geltungsansprüche zum Thema gemacht werden‹ [. . .] mit dem Ziel

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die spezifische Aufgabe, bereits (mündlich und/oder schriftlich) erörterte Themen oder Probleme der meditativen Lektüre und damit der persönlichen Aneignung verfügbar zu machen.18 In diesem Rahmen bot Heinrich in den Briefen einen Dialog mit Margaretha an.19 Über ihn konnten die Leserinnen und Leser der Briefe am gemeinsamen Sinnhorizont der Dialogpartner teilnehmen und sich damit auseinandersetzen.20 Allerdings wird die Rede Margarethas in den Briefen Heinrichs ausschliesslich durch den Autor vermittelt, was die Dialoge zu ›dialogisierten Monologen‹ macht.21 Als solche sollten sie die Erfahrungen der Rezipientinnen und Rezipienten für den eigenen Aufstieg auf dem Weg zu Gott vorbereiten und ihn begleiten. Der Dialog ist also Teil eines Textkonstrukts und darf nicht mit der Niederschrift des tatsächlich geführten Gesprächs zwischen Heinrich und

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einer Wiederherstellung von Einverständnis durch vernunftgeleitetes, ›herrschaftsfreies‹ Reden«: Diskurs, in: 3RL 1 (1997), S. 369–372, hier: S. 370. Für Walter Haug ist der Diskurs in seinen Strukturen determinierend, doch liege gerade darin auch dessen provozierende Kraft: Er zeige seine eigenen Grenzen auf und könne dadurch Reaktionen hervorrufen: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie. Heft 10), Berlin/ New York 2004, S. 14. Gemäss Fohrmann stellen »alle Definitionen von Diskurs [. . .] die Abfolge des Redens, der Rede oder der schriftlichen Äusserung in den Mittelpunkt«: Diskurs, S. 369. Allgemeiner formuliert Susanne Bürkle, Literatur im Kloster. Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts (Bibliotheca Germanica 38), Tübingen/Basel 1999, S. 58, Anm. 5: »Diskurs meint hier eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem angehören und institutionelle Redeweisen wie literarische Texte umgreifen.« Ernest W. B. Hess-Lüttich versteht den Dialog als »Wechselrede, Unterredung, Gespräch innerhalb von dramatischen, epischen oder lyrischen Texten«: Dialog1, in: 3RL 1 (1997), S. 350–353, hier: S. 350. Walter Haug lehnt sich an Gerhard Bauer an, wenn er sich auf dessen Unterscheidung von vier Dialogtypen bezieht und im ersten, der ›gebundenen Gesprächsform‹, den Gedankenaustausch zweier Partner sieht, »die im gleichen geistigen Raum stehen« und »trotz unterschiedlicher Standpunkte« einen »gemeinsame[n] Horizont von Werten« aufweisen: Das Gespräch mit dem unvergleichlichen Partner. Der mystische Dialog bei Mechthild von Magdeburg als Paradigma für eine personale Gesprächsstruktur, in: Das Gespräch, hg. von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 251–279, hier: S. 252. Für Peter Schmidt hat der Dialog als »dialogisierter Monolog« in der Mystik die Aufgabe, die eigentlich nicht beschreibbare Einswerdung mit dem Göttlichen darzustellen: Dialog. VII . Deutsche Literatur, in: LexMa 3 (1986), Sp. 958–960, hier: Sp. 959.

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Margaretha verwechselt werden.22 Dennoch scheint an bestimmten Stellen in Heinrichs Briefen das Ringen der Gesprächspartner mit ihren Funktionen im Dialog der Texte durch.23 Somit wird hier ›Gespräch‹ als die direkte, nicht stilisierte Kommunikation zwischen Margaretha und Heinrich verstanden.24 Die Gesprächssituation ging dem Schreiben der Briefe (und der ›Offenbarungen‹ Margarethas) voraus, begleitete es und ist im Rahmen der cura monialium zu verstehen. Die einleitenden Bemerkungen zu den Briefen Heinrichs an Margaretha machen deutlich, dass sie Teil der geistlichen Literatur des späten Mittelalters sind und darin als Sendschreiben spezifische Aufgaben zu erfüllen hatten. Das literarische Umfeld der Briefe wird in dieser Arbeit anhand prominenter Werke der mittelalterlichen Mystik beleuchtet: am häufigsten über das ›Fliessende Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg, aber auch über die Schriften Heinrich Seuses und Johannes Taulers. Zudem werden die Briefe hier im Hinblick auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas gelesen, auf die hin sie Heinrich von Nördlingen teilweise geschrieben hat. Ihren Abschluss findet die vorliegende Studie in der Lektüre der einzelnen Briefe als Teil einer Sammlung und in der Untersuchung der die Briefe tradierenden Handschrift des 18. Jahrhunderts. Dabei eröffnet die Beschäftigung mit dieser Handschrift den Zugang zu einer literarischen Konzeption, die im Dienst der Patrizierfamilie Ebner von Eschenbach stand. Auf der Suche nach literarischen Verwandtschaften der Briefsammlung konnte im Stift Melk überdies eine Handschrift ausgemacht werden, die nicht etwa eine Kopie des in dieser Arbeit untersuchten Textträgers ist, sondern als älteste Quelle der Briefe Heinrichs von Nördlingen zu gelten hat.

22 Dass die Rezipientinnen und Rezipienten mystischer Texte grundsätzlich den Eindruck gewinnen, unmittelbar am Dialog beteiligt zu sein, ihre Lektüresituation jedoch unhintergehbar ist, führt Jörg Seelhorst darauf zurück, »dass das dialogische Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Seele nicht mit der Unio identisch ist«: Autorenreferentialität und Transformation. Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse (Bibliotheca Germanica 46), Tübingen/Basel 2003, S. 72. 23 Vgl. Kap. 5, Anm. 177 und Kap. 6, Anm. 53. 24 Das Gespräch wird »verstanden als sprachliche, vorzugsweise mündliche Gemeinschaftshandlung zweier oder mehrerer Kommunikatoren in direktem oder technisch vermitteltem Kontakt und gemeinsamer Situationsgebundenheit«: Hess-Lüttich, Dialog1, S. 350.

1 Eine Briefsammlung und deren Erforschung Als mystische Texte im einleitend dargelegten Sinne interpretiert die Forschung die Briefe Heinrichs an Margaretha erst in jüngster Zeit und auch da nur bedingt. In diesem Kapitel soll der Erforschung der Briefe nachgegangen werden, um deren Erkenntnisse für die folgenden Kapitel fruchtbar zu machen. Da die Briefe nicht einzeln tradiert sind, ist es angebracht, sie zuerst in jenem Kontext vorzustellen, in dem sie überliefert wurden: als Teil einer Handschrift.

1.1 Die Londoner Handschrift und die Edition Philipp Strauchs Die Briefe Heinrichs liegen uns in der Handschrift London, British Library, Add. 11430 als Teil einer Sammlung vor,1 die den Titel ›Briefe Margaretha Ebners‹ trägt.2 Dieser Briefsammlung geht ein ebenfalls mittelalterliches Werk voran, die ›Offenbarungen‹ Margarethas,3 während die den Briefen folgenden Blätter neuzeitliche Texte enthalten. Von den Briefen Heinrichs an Margaretha sind 56 erhalten. Daneben überliefert die Sammlung auch zwei Briefe Heinrichs an weitere Nonnen des Klosters Medingen, einen Brief Johannes Taulers an die Schwestern Elsbeth Scheppach und Margaretha Ebner, fünf Briefe des Abtes Ulrich III . von Kaisheim an Margaretha, je einen Brief Margarethas zum Goldenen Ring aus Basel und eines Anonymus an Margaretha Ebner und schliesslich einen Brief von ihr selbst an Heinrich. Die Sammlung umfasst damit 67 Briefe, denen ausserdem ein Traktat eines unbekannten Autors und ein Gebet aus dem ›Fliessenden Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg beigegeben sind.4 Mit Ausnahme dieses Gebets hat Philipp Strauch 1882 die 1 Eine ausführliche Beschreibung der Hs. erfolgt in Kap. 8.3.1. 2 Vgl. Kap. 8.1.2. Zur Frage, ob die Briefe aus dem 14. Jh. oder aus späterer Zeit stammen, vgl. Kap. 8.1.1. 3 Zu den ›Offenbarungen‹ vgl. Kap. 6.2. 4 Zu diesem Traktat vgl. Kap. 7.5.5; zum Gebet Mechthilds vgl. Kap. 8.1.8.

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gesamte Briefsammlung – zusammen mit den ›Offenbarungen‹ Margarethas – ediert und dadurch der Forschung zugänglich gemacht.5 Ein kurzer Vergleich zwischen der Edition Strauchs und der Londoner Handschrift soll zeigen, wie gering die Abweichungen der Ausgabe von der Handschrift sind und dass es darum auch heute noch möglich ist, die Briefe Heinrichs nach Strauch zu zitieren. Brief XI , der in dieser Arbeit öfters als Ausgangspunkt der Überlegungen dienen wird, beginnt wie folgt:6 Add. 11430, fol. 63 v Minem liebsten vnd getruwesten in vnszerm heren yhu xp¯o enbuit ich, jr armer vnwirdiger friund alle die frucht der kreftigen vrstend vnser’s lieben here¯ JÐhu xp¯i mit frid vnd mit froüd besizen in dem hailigen geist, nach dem vnd es die selige Sel JÐhu vnd Marian vnd die lieben zwelf boten enpfunden hant, Brief XI , 1–6, Strauch, S. 184 f. Minem liebsten und getruwesten in unszerm heren Jhesu Christo enbuit ich, ir armer unwirdiger friund, alle die frucht der creftigen urstend unseres lieben heren Jhesu Christi mit frid und mit fröud besitzen in dem hailigen geist nach dem und es die selige sel Jhesu und Marian und die lieben zwelf boten enpfunden hant.

Strauch hat die Briefe allerdings nicht in der Reihenfolge ediert, wie sie in der Handschrift vorgegeben ist, sondern sie chronologisch angeordnet.7

1.2 Der historisch-biographische Hintergrund der Briefe Die chronologische Lesart der Briefe machte das Korpus für die Forschung zu einer Quelle der Biographien Heinrichs und Margarethas, aber auch für die Vita Johannes Taulers8 und für die Kenntnis der sogenannten ›Gottesfreunde‹.9 Einige historische Eckdaten, die in der heutigen Forschung allgemein anerkannt sind, sollen hier vorausgeschickt werden. 5 Zur Edition Strauchs vgl. Einleitung, Anm. 1. 6 Die Auflösungen der Abkürzungen sind bei Strauch für die ersten Briefe im Apparat angegeben. Die Interpunktion stammt z. T. vom Editor. Der Name ›Jesus‹ oder ›Jesus Christus‹ ist in der Hs. jeweils unterstrichen und als Nomen sacrum abgekürzt. Der erste Buchstabe ›M‹ wurde fein in einem freien Spatium angebracht, die zu ergänzende Initiale hingegen nicht ausgeführt. 7 Die Zählung der Briefe mit römischen Zahlen bezieht sich immer auf die Edition Strauchs und nicht auf die Hs. 8 Die Briefe Heinrichs sind z. B. bei Louise Gnädinger eine wichtige Quelle für die Lebensdarstellung Taulers: Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre, München 1993. 9 Zum Begriff ›Gottesfreund‹ vgl. Einleitung, Anm. 15, und Kap. 7.4.

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Eine Briefsammlung und deren Erforschung

Aufgrund der Untersuchungen Philipp Strauchs, die er unter Berücksichtigung der ganzen Briefsammlung und der ›Offenbarungen‹ Margarethas vornahm, kann der Beginn der Korrespondenz zwischen Heinrich und Margaretha ins Jahr 1332 gelegt werden, in dem sich die beiden kennenlernten.10 Über das Leben Heinrichs davor berichten die Briefe fast nichts.11 Wichtig in der Beziehung der beiden Briefpartner ist das Jahr 1338, das für sie einen Wendepunkt darstellte: In diesem Jahr ging Heinrich ins Exil, das bis 1348 dauerte und das er vor allem in Basel verbrachte. Anlass seines Exils waren die Streitigkeiten zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern und den avignonesischen Päpsten.12 Heinrich verfiel 1338 infolge der Frankfurter Reichstagsbeschlüsse automatisch der Reichsacht, da er sich an das vom Papst über das Reich verhängte Interdikt hielt.13 Heinrich und Margaretha waren seit diesem Jahr auf den Briefverkehr angewiesen. Während seines Aufenthalts in Basel hatte Heinrich nur viermal die Gelegenheit, Margaretha im Kloster Medingen zu besuchen. Durch seine Briefe bezeugt sind in dieser Zeit dagegen seine Reisen nach Strassburg, Köln und Aachen. Eine der wichtigsten Begebenheiten aus Heinrichs Leben wurde in den Briefen nicht festgehalten: Er unternahm im Auftrag des Bistums Basel eine 10 Gerade weil sich Strauch dabei auch auf den Vergleich mit den ›Offenbarungen‹ Margarethas stützte, dürfen die Jahresangaben zu den Briefe nicht absolut gesetzt werden. Zur Problematik der Jahresbestimmungen in den ›Offenbarungen‹ vgl. Susanne Bürkle, Die Offenbarungen der Margareta Ebner, in: Weibliche Rede – Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz, hg. von Doerte Bischoff und Martina Wagner-Egelhaaf, Freiburg i. Br. 2003, S. 79–102, hier: S. 90, Anm. 42: »Die von Strauch rekonstruierte Jahresabfolge [. . .] kann schon aufgrund der massgeblich liturgischen, nicht chronologisch fixierten Struktur des Textes keine absolute Gültigkeit beanspruchen. Hinzu kommt die offenkundig zeitliche Unbestimmtheit vieler Episoden, die [. . .] trotz punktueller Präzisierung [. . .] keine genaue Bestimmung zulassen.« 11 Vgl. Kap. 7.1. 12 Zu den folgenden geschichtlichen Angaben vgl. Manfred Weitlauff, Heinrich von Nördlingen, in: 2VL 3 (1981), Sp. 845–852, hier: Sp. 846–848. Weitlauff stützt sich auf die Untersuchungen Philipp Strauchs, die dieser seiner Edition auf den Seiten S. XXXIX−LXII vorangestellt hat. Ebenfalls auf den Erkenntnissen Strauchs baut die ausführliche Lebensbeschreibung von Richard Schultz auf: Heinrich von Nördlingen. Seine Zeit, sein Leben und seine Stellung innerhalb der Deutschen Mystik, in: Jahrbuch des Vereines für Augsburger Bistumsgeschichte 10 (1976), S. 114–164. 13 Im Gegensatz dazu stand Margaretha mit dem Konvent von Medingen auf der Seite Ludwigs des Bayern; vgl. Strauch, S. XXXVIII .

Der historisch-biographische Hintergrund der Briefe

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Reliquienfahrt nach Bamberg, die zugleich Anlass seiner einzigen urkundlichen Erwähnung ist.14 Auch seine letzten Lebensjahre können nur über andere Quellen nachgezeichnet werden: Nach dem Tode Margarethas 1351 ist für Heinrich ein längerer Aufenthalt bei Christine Ebner im Kloster Engelthal nachgewiesen,15 doch verlieren sich nach deren Tod 1356 seine Spuren. Auf die These Heinrich Gürschings, Heinrich von Nördlingen könnte noch in den späten 70er Jahren des 14. Jahrhunderts im Kloster Pillenreuth bei Nürnberg gelebt haben,16 kommt das siebte Kapitel auf der Suche nach literarhistorischen Bezügen der Briefe Heinrichs nochmals zurück.17 Margaretha wurde wohl um 1291 aus dem Donauwörther Patriziergeschlecht der Ebner geboren.18 Als Heinrich 1332 das erste Mal mit ihr zusammentraf, war sie bereits etwa 41 Jahre alt.19 Es ist heute nicht mehr auszumachen, welche Funktionen sie innerhalb des Klosters Medingen ausübte, da ihre ›Offenbarungen‹, die sie 1344 zu schreiben begann, nur auf die Krankheit eingehen, an der sie ab 1312 gelitten haben soll. Aufgrund von Heinrichs Bemerkungen: ainen guldin send wir dir ze stir an deinem bu mit groszer begird unsers hertz20 und: wir piten dich auch, das du geferlichen bawist das unser reverter [. . .]21 stellte Philipp Strauch die Frage, ob Margaretha in ihrem Kloster etwa das Amt der Baumeisterin innehatte.22 Am 14 Vgl. Kap. 7.7. 15 Vgl. Kap. 7.5.5. 16 Vgl. Heinrich Gürsching, Neue urkundliche Nachrichten über den Mystiker Heinrich von Nördlingen?, in: Festgabe für Karl Schorbaum, hg. von Heinrich Gürsching, Neustadt an der Aisch 1950, S. 42–57, hier: S. 43 f. 17 Vgl. Kap. 7.5.5. 18 Auch für die Lebensdaten Margarethas sind die Untersuchungen Strauchs grundlegend; vgl. Strauch, S. XXXI−XXXIX . Für die folgenden Angaben vgl. v. a. Manfred Weitlauff, Ebner, Margareta, in: 2VL 2 (1980), Sp. 303–306, hier: Sp. 303 f. Daneben sei auch auf die Monographie Ludwig Zoepfs aufmerksam gemacht: Die Mystikerin Margaretha Ebner (c. 1291–1351) (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 16), Leipzig/Berlin 1914 (Nachdruck Hildesheim 1974), sowie auf den ausführlichen Artikel von Manfred Weitlauff: Margareta Ebner, in: Bavaria Sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern, Bd. 3, hg. von Georg Schwaiger, Regensburg 1973, S. 231–267. 19 Für Heinrich von Nördlingen nimmt Heinrich Gürsching ein Geburtsjahr um 1310 an, womit dieser 1332 erst ungefähr 22 Jahre alt gewesen wäre; vgl. Gürsching, Urkundliche Nachrichten, S. 44. 20 Brief XLIX , 26 f., Strauch, S. 259. 21 Ebd., Z. 29 f. 22 Vgl. ebd., S. 384 ad XLIX , 30. Vgl. auch Brief L, 21 f., ebd., S. 260: und las nit,

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Eine Briefsammlung und deren Erforschung

20. Juni 1351 verstarb Margaretha und wurde im später zu einer Kapelle umgewandelten Kapitelsaal des Klosters beigesetzt. Der Medinger Konvent wird in den Briefen durch mehrere Namen konkreter fassbar, vor allem durch die Nonne und spätere Priorin Elsbeth Scheppach. Fast alle Briefe erwähnen sie, ja die Briefe XXIII und LIV haben Elsbeth gemeinsam mit Margaretha zur Adressatin,23 während Brief LXV sogar ausschliesslich an sie gerichtet ist.24 Da Elsbeth Margaretha bei der Niederschrift der ›Offenbarungen‹ als Schreiberin diente,25 sie in Brief LXIV ›Schreiberin‹ genannt wird26 und die meisten Briefe ganz selbstverständlich Grüsse an sie einschliessen, darf angenommen werden, Elsbeth habe auch die Briefe Margarethas geschrieben. Für Heinrich ist bezeugt, dass er seine Briefe nicht alle selbst schrieb.27 Zudem werden in den Briefen einige der Boten erwähnt, die für deren Überbringen verantwortlich waren.28 Schon aus diesen wenigen Bemerkungen zu den Briefen Heinrichs und Margarethas geht hervor, dass an ihrer Korrespondenz – als Verfasser, Schreiber, Übermittler – mehrere Personen beteiligt waren. Aus den noch erhaltenen Briefen wird ersichtlich, dass sie als Teil einer grösseren Korrespondenz zwischen Heinrich und Margaretha und weiteren Personen verstanden werden müssen.29 Nicht nur die Briefe Margarethas

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du danckest ir [sc. der Königin Agnes] geträwlich an deinem brief, das si innen wird, das si dir an deinen bu worden sint. Vgl. ebd., S. 206 und 268. Vgl. ebd., S. 279 f. Vgl. ebd., S. 90, 10–12 und die Anm. bei Strauch: ebd., S. 306 ad 90, 11. Vgl. auch Kap. 6.2. Vgl. Kap. 4.3. In Brief XLII , 46 f., Strauch, S. 242 etwa erwähnt er einen Herrn Heinrich, der diszen brief geschriben hat [. . .]. Vor allem Heinrichs Mutter tritt als Botin hervor; vgl. Kap. 7, Anm. 50. Auch wird für diesen Dienst mehrfach unser Churser genannt; vgl. Brief XLIX , 29, Strauch, S. 259. Die Boten gehörten meist selbst zum Freundeskreis um Heinrich und Margaretha. Sie werden auch mit dem Inhalt der von ihnen mitgebrachten Briefe bekannt gewesen sein und konnten mit Hilfe ihrer Einsicht in den dazugehörigen Kontext die Briefe mündlich ergänzen. Nach Thomas Lentes galt in der höfischen Literatur »der Bote als Stellvertreter des Senders, und über den Brief wird dieser Empfänger gegenwärtig«: Gebetbuch und Gebärde. Religiöses Ausdrucksverhalten in Gebetbüchern aus dem Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis zu Strassburg (1350–1550), Diss. Münster 1996, S. 32. Stellen, die weitere Briefe voraussetzen bzw. anfordern: Briefe XV , 32 ff.,

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sind demzufolge bis auf einen nicht mehr vorhanden. Es sind uns auch nicht alle Briefe Heinrichs erhalten, die dieser Margaretha sandte.30 Von den 54 Briefen Heinrichs an Margaretha, die Strauch datieren konnte,31 stammt die Mehrheit, nämlich 30, aus den Jahren bis 1338. Für die folgenden Jahre bis 1350 sind 24 erhalten. Über 50 % der hier behandelten Briefe wurden demnach in jenen sieben Jahren geschrieben, in denen Heinrich in Margarethas Nähe war und sie öfters besuchen konnte. Für die neun Jahre des erzwungenen Exils und die folgenden zwei Jahre weiterer Wanderschaft kann zwar eine Zunahme im Umfang einzelner Briefe festgehalten werden. Für die Jahre 1339–1350 sind aber prozentual weniger Briefe (und dies für eine längere Zeitperiode) bezeugt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Briefe der Korrespondenz nicht in die Sammlung aufgenommen wurden, deutet diese Quantität der Überlieferung doch bereits jene Interpretation an, die vor allem in Kapitel 5 vorgenommen wird: Das Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha ist von Beginn an bewusst auch auf dem literarischen Weg geführt worden.32 Die Briefe Heinrichs an Margaretha müssen demnach noch andere Funktionen erfüllt haben als jene der Überbrückung von räumlichen Distanzen und des Austauschs von Nachrichten.

Strauch, S. 193; XVI , 92, ebd., S. 197; XVII , 22 ff., ebd., S. 198; XVIII , 7 f., ebd., S. 201; XXXII , 64 f. 70 f., ebd., S. 218 f.; XXXIII , 23.97 f., ebd., S. 219 und 222; XXXVI , 11 f., ebd., S. 229; XXXIX , 25 ff., ebd., S. 235 f.; XLI , 2 f., ebd., S. 240; XLVII , 5 f., ebd., S. 253; L, 10 ff., ebd., S. 260; LIII , 9 f., ebd., S. 267; LV , 1–3, ebd., S. 268. Auch aus den ›Offenbarungen‹ Margarethas lassen sich weitere Briefe erschliessen; vgl. Margot Schmidt, Das Ries als eines der Mystik-Zentren im Mittelalter, in: Rieser Kulturtage 6/1 (1986), S. 473–493, hier: S. 476. Dazu kommen Briefe, die Heinrich mit einem Anonymus ausgetauscht hat (vgl. Kap. 5.4.4 und 7.1), mit Agnes von Ungarn (vgl. Kap. 7.3) und Christine Ebner von Engelthal (vgl. Brief XXVI , 21 f., Strauch, S. 210). Schliesslich berichtet Heinrich auch von Briefen, die er nicht selbst geschrieben, dafür aber herumgereicht hat; vgl. Brief XL , 53–57, ebd., S. 237. 30 Im Zusammenhang mit der ›Summe‹ des Thomas von Aquin etwa verweist Heinrich auf einen Brief, der uns nicht bekannt ist; vgl. Brief XLIII , 56, ebd., S. 244. 31 Die beiden nicht datierbaren Briefe lässt Strauch den anderen unter den Nummern LV und LVI folgen. 32 Vgl. Kap. 5.4.4.

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Eine Briefsammlung und deren Erforschung

1.3 Unterschiedliche Beurteilung der Briefe in der Forschung In seiner Edition strich Philipp Strauch hervor, dass es sich beim Briefkorpus der Handschrift Add. 11430 um »die älteste uns erhaltene Briefsammlung in deutscher Sprache«33 handle. Sie gebe Einblick in äussere und innere Erlebnisse des Schreibenden,34 dies etwa im Gegensatz zu den Briefen Heinrich Seuses, die Strauch »Predigten oder geistliche Ansprachen in Briefform«35 nannte. Mit Strauch wird die Bedeutung der Briefe auch in der jüngeren Forschung noch darin gesehen, dass sie »früheste Zeugnisse einer erbaulichen Korrespondenz intim-persönlichen Charakters in dt. Sprache«36 seien. Diese historische Einordnung ist aber auch schon der kleinste gemeinsame Nenner der Beurteilung, welche in der Forschung verschiedenen Vorverständnissen unterlag, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Sie reichen von der bewundernden Haltung der als Selige verehrten Nonne37 gegenüber bis hin zur vernichtenden Einschätzung der schriftstellerischen Leistung Heinrichs. Je nach Standpunkt wurden in der Forschung die unterschiedlichen Beurteilungen oft einfach übernommen und weitergegeben. Es werden in der folgenden Darstellung darum nur jene Arbeiten vorgestellt, die für die Erforschung der Briefe Erkenntnisfortschritte gebracht haben. 1.3.1 Die ältere Forschung: Das Interesse an kulturhistorischen Quellentexten Die Briefe Heinrichs müssen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Raume Nürnberg einen gewissen Bekanntheitsgrad gehabt haben, wurden sie doch als Quellen für die Geschichte dieser Region herangezo-

33 Strauch, S. LXII . 34 Vgl. ebd. 35 Ebd. Dazu auch Alois M. Haas, Schulen spätmittelalterlicher Mystik (14. und 15. Jahrhundert), in: Geschichte der christlichen Spiritualität. Bd. 2: Hochmittelalter und Reformation, hg. von Jill Raitt in Verb. mit Bernard McGinn und John Meyendorff, aus dem Amerikan. übers. von Cordula Drossel Brown, Maria Ottl und Elisabeth Tocha-Ring, Würzburg 1995, S. 154–187, hier: S. 168: »Seuses Briefe sind mystische Sendschreiben, nicht Mitteilungen privater Erkenntnisse wie in der Moderne, sie stehen im Dienst der cura animarum (Seelsorge).« 36 Weitlauff, Heinrich von Nördlingen, Sp. 848. 37 Zur Seligsprechung Margaretha Ebners vgl. Kap. 8, Anm. 262.

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gen:38 1733 etwa stellte Johann Heinrich von Falckenstein eine These zur Besetzung des Eichstätter Bischofsstuhls unter Kaiser Ludwig dem Bayern auf, indem er sich auf Heinrichs Brief XVIII berief, den er dafür auszugsweise paraphrasierte.39 Ebenfalls aus einem regionalhistorischen Interesse heraus kam es 1747 zur bereits erwähnten ersten Drucklegung einer guten Hälfte der Briefe.40 Der Rechtsgelehrte und Diplomatikpionier Johann Heumann von Teutschenbrunn veröffentlichte in diesem Jahr seine ›Opuscula‹,41 in denen er aus einer grossen Belesenheit heraus Beobachtungen zur Geschichte und Gegenwart Nürnbergs wiedergab.42 Wenn er in seinen ›Opuscula‹ eine »umfangreiche, gut getroffene Auswahl«43 der Briefe bietet,44 geschah dies in erster Linie aus Interesse an Margaretha.45 Dies kann mit Heumanns Freundschaft zum Auftraggeber der Handschrift erklärt werden.46 Heumann hatte seinem Druck offensichtlich die Handschrift Add. 11430 zugrunde gelegt, stammen doch viele der Randbemerkungen ziemlich sicher von seiner Hand.47 Die 32 Briefe, die Heumann ganz oder teilweise abdrucken liess, sind in der Edition Philipp Strauch jeweils am Rande mit einem ›H‹ und der dazugehörigen Seitenzahl gekennzeichnet. 38 Zur Ansicht, die Hs. Add. 11430 sei im 18. Jh. in Nürnberg zusammengestellt worden, vgl. Kap. 8.3. 39 Johann Heinrich von Falckenstein, Antiquitates Nordgauienses oder Nordgauische Alterthümer und Merckwürdigkeiten, ausgesucht in der Aureatensischen Kirche oder Hochfürstl. Hochstifft Eichstett . . . Erster Theil, Franckfurth/Leipzig 1733, S. 179 f. Falckenstein schreibt die Briefe dabei fälschlicherweise Heinrich Seuse zu. Zum Nachweis der Rezeption der Briefe Heinrichs bei Falckenstein vgl. Strauch, S. 340 ad XVIII , 3 ff. 40 Vgl. Einleitung, Anm. 9. 41 Iohannes Heumannus, Opuscula Quibus Varia Iuris Germanici Itemque Historica Et Philologica Argumenta Explicantur, Norimbergae 1747. 42 Vgl. Eisenhart, Heumann, Johann H. von Teutschenbrunn, in: ADB 12 (1880), S. 331 f. In seinen ›Opuscula‹ wendet sich Heumann ganz allgemein der Region Nürnbergs zu, so etwa auch dem Nürnberger Lebkuchen (›de libis dulciariis‹); vgl. ebd., S. 331. 43 Strauch, S. XIV . 44 Die Briefe befinden sich in den Opuscula auf den S. 351–404. 45 Zur Überschrift der Einleitung der Briefe vgl. Heumann, Opuscula, S. 331: »Briefe, welche an die Ehrwürdige Margareta Ebnerin, ehemals des Jungfrauen Closters zu Maria Medingen Prediger Ordens Professin geschrieben worden, nebst einigen Erläuterungen und einem Vorbericht von ihrem Leben.« Zu den Kriterien bei der Auswahl der Briefe vgl. Kap. 8.3.7. 46 Vgl. ebd. 47 Vgl. Kap. 8.3.1.

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Auf die Arbeit Johann Heumanns konnte sich aus religionsgeschichtlichem Interesse Wilhelm Preger abstützen. Er arbeitete an seiner ›Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter‹ und veröffentlichte dazu ›Vorarbeiten‹ in der ›Zeitschrift für die historische Theologie‹,48 in denen er auch Heinrich einen Abschnitt widmete.49 Indem Preger ihn darin nach Meister Eckhart und vor Johannes Tauler und Heinrich Seuse behandelte, mass er erstmals die Briefe Heinrichs von Nördlingen an den Schriften der drei Dominikaner. Dabei kam Preger zu einem negativen Urteil über sie, und sein Interesse an Heinrich blieb historischer Natur: »Heinrich von Nördlingen steht nicht unter den Mystikern der ersten Linie. Aber seine Briefe sind doch von grösster Wichtigkeit, weil sie eine Anzahl von Beziehungen auf die äusseren Verhältnisse enthalten, in welchen die Freunde der Mystik lebten, und weil sie namentlich auf Tauler und Suso einiges Licht werfen.«50 Da Preger die Handschrift Add. 11430 nicht vorlag, konnte er neben der Ausgabe von Heumann nur den handschriftlichen Nachlass Docens in der Staatsbibliothek München benützen, der Exzerpte aus 21 Briefen überliefert.51 Die entscheidende Arbeit Wilhelm Pregers für die weitere Forschung lag in seinem Versuch, die ihm bekannten Briefe chronologisch zu ordnen und mit Jahreszahlen zu versehen; er hat damit die Briefe der systematischen Erforschung unter historischen Gesichtspunkten erschlossen.52 An diese Vorarbeiten knüpfte Philipp Strauch mit seiner Edition an. Strauch war, wie Preger, nicht an der Abfolge der Briefe in der Handschrift interessiert, über die er genau im Bilde war,53 sondern an einer chrono48 Wilhelm Preger, Vorarbeiten zu einer Geschichte der deutschen Mystik im 13. und 14. Jahrhundert, in: Zs. f. d. hist. Theologie 39 (1869), S. 3–145. 49 Vgl. ebd., S. 79–109. 50 Ebd., S. 79. 51 Vgl. ebd., S. 80. Philipp Strauch spricht allerdings von »unzuverlässigen« Exzerpten Docens; vgl. Strauch, S. XXII . Sowohl Preger als auch Strauch sprechen ganz selbstverständlich von ›Docen‹, ohne genauer zu sagen, wer damit gemeint ist. Es handelt sich um den Germanisten und Philologen Bernhard Joseph Docen (1782–1828), der aus Osnabrück stammte und Kustos der Staatsbibliothek in München war. Aus seinem Nachlass sind »Materialien zu einem mittelhochdeutschen Wörterbuch und Vorarbeiten zu einer mittelalterlichen Grammatik« überliefert, zudem ist auch sein Interesse an der Mystik des 14. Jh.s bezeugt; vgl. [Wilhelm] Scherer, Docen, Bernhard Josepf D., in: ADB 5 (1877), S. 278–280, hier: S. 278 f. 52 Vgl. Preger, Vorarbeiten, S. 80. 53 Strauch hat die Hs. selbst nicht gesehen, sondern bekam über Dritte exakte Abschriften der Briefe; vgl. Strauch, S. XXII .

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logischen Anordnung, die historische Rückschlüsse zuliess. Strauch hat mit seiner Edition demgemäss nicht nur den Text der Briefe Heinrichs zur Verfügung gestellt, sondern mit seinen ausführlichen Vorbemerkungen zum Leben des Autors (und Margarethas), zum Inhalt und zur Sprache der Briefe das Bild Heinrichs in der Forschungsgeschichte wesentlich geprägt. Für die Beurteilung Heinrichs und dessen Schreibstil griff Strauch auf einen psychologisierenden Ansatz zurück: »Eine so weiche, ja weichliche Natur wie die Heinrichs wird auch in der Redeweise überschwänglich, süsslich und tändelnd sein; charakteristisch hierfür ist u. a. Heinrichs Vorliebe für Deminutiva und Composita mit minne [. . .]. Während Seuses doch gewiss phantasie- und empfindungsvolle Sprache stets durchsichtig und natürlich bleibt, spielt Heinrich mit den Worten und lässt seiner Phantasie freisten Lauf. Nicht selten müssen wir schwülstige und unschöne Bilder und Vergleiche neben anmuthigen mit in den Kauf nehmen.«54 In dieser unmittelbaren Übertragung stilistischer Eigenheiten Heinrichs auf dessen Empfindungen und Charakter deutete Strauch auch die Beziehung zwischen Heinrich und Margaretha in den Briefen: »Heinrich ordnet sich absolut der gottbegnadeten Margaretha unter«55. Er beurteilte damit den Schreibstil unter Zuhilfenahme der damals gängigen geschlechterspezifischen Differenzierung mystischer Texte: »Heinrich aber war recht eigentlich ein Frauenprediger; sein frommes kindliches Gemüth, sein liebenswürdiger, lenksamer weil wenig energischer Charakter gewannen ihm in erster Linie die Sympathien des weiblichen Geschlechtes.«56 54 Ebd., S. LXXI . Vgl. auch: Wilhelm Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, nach den Quellen untersucht und dargestellt. Bd. 2: Ältere und neuere Mystik in der ersten Hälfte des XIV . Jahrhunderts. Heinrich Suso, Leipzig 1881, S. 279: »Heinrich zeigt in seinen Briefen eine sehr weiche, empfindsame Natur. Er ist voll Gefühl, überschwänglich, und von den Gefühlen oft beherrscht bis zur Unmännlichkeit [. . .].« In diese Tradition der Beurteilung lässt sich auch Walter Muschg einreihen: Die Mystik in der Schweiz 1200–1500, Frauenfeld/Leipzig 1935, S. 292 f.: »Weibisch verweichlicht, allem offen und für alles sofort entflammt, nimmt er weltliche und geistliche Einflüsse gleich willig und wahllos auf. [. . .] Seine Mystik besteht nur noch in einer modischen Färbung der Sprache, in einer verblasenen Geschwätzigkeit, die besonders Seuses Floskeln liebt.« 55 Strauch, S. LXIX . Insbesondere frauenmystische Texte wurden von der älteren Forschung psychologisierend gedeutet; vgl. Thali, Beten, S. 51. 56 Strauch, S. LXXV . Vgl. dazu Thali, Beten, S. 49: »Bei der Beschäftigung mit der Mystik des deutschen Mittelalters bestand von Anfang an ein Interesse an geschlechtsspezifischer Differenzierung der Texte.«

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1.3.2 Übertragungen ins Neuhochdeutsche Aufbauend auf der Edition Philipp Strauchs, nach dessen Urteil die Briefe in alemannischer oder präziser in schwäbischer Schreibsprache geschrieben sind,57 kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Übertragungen eines Grossteils der Briefe ins Neuhochdeutsche. Den Beginn machte Maria David-Windstosser mit einer Auswahl aus den Briefen.58 Bekannter wurden die Übersetzungen von Wilhelm Oehl und Hieronymus Wilms, die die Briefe Heinrichs allerdings sehr unterschiedlich beurteilten. Oehl, der sie erstmals in die Tradition des mystischen Briefes in der Volkssprache stellte, betrachtete sie weiterhin unter kulturhistorischem Interesse.59 Es war sein Ziel, neben dem »individuellen Charakter« auch »die Umwelt«60 aller von ihm behandelten Briefschreiber hervorzuheben. Dabei verglich er Heinrich mit den Dominikanern Meister Eckhart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler und kam in seiner Bewertung zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Preger und Strauch.61 Ganz anders stellte Wilms in seiner Verehrung für Margaretha Heinrich als idealen Seelenführer dar.62 Aufgrund seines erbaulichen Interesses sah Wilms ihn nicht mehr in einer negativen Abhängigkeit von Margaretha, sondern als Förderer des inneren Lebens für eine grössere Gruppe von Menschen: »Diese Eigenschaften drängten ihn zu einer Tätigkeit und schufen ihm einen Arbeitskreis, auf Grund deren er als ›förderndes Glied in die Geschichte der Mystik‹ eintrat.«63 Dabei wird für Wilms die Gattung des Briefs zum idealen Mittel der Seelsorge: »Für das gegenseitige Verständnis, für die Innigkeit des Verkehrs war der Brief nützlicher und dienlicher als das gesprochene Wort; denn die verborgensten Geheimnisse 57 Vgl. Strauch, S. LXXVII . Strauch, der von der Entstehung der Hs. im Jahr 1598 ausgeht, meint zur Abschrift der Briefe, in ihnen sei »die ursprüngliche Sprachform des vierzehnten Jahrhunderts oft in die des sechzehnten umgesetzt«: ebd. 58 Vgl. Deutsche Mystiker. Bd. 5: Frauenmystik im Mittelalter, ausgew. und hg. von M[aria] David-Windstosser, Kempten/München 1919, S. 165–194. 59 Vgl. Deutsche Mystikerbriefe des Mittelalters 1100–1550, hg. von Wilhelm Oehl (Mystiker des Abendlandes), München 1931, S. 300. 60 Ebd., S. XV . 61 Vgl. ebd., S. 299: Für Oehl ist Heinrich »eine Person zweiten Ranges«. 62 Vgl. Hieronymus Wilms, Einleitung, in: Der Seligen Margareta Ebner Offenbarungen und Briefe (Dominikanisches Geistesleben 5), Vechta 1928, S. 11–49, hier: S. 35. 63 Ebd., S. 36. Wilms zitiert hier A[nton] Pummerer, Margareta Ebner. Charakterbild aus der deutschen Mystik des Mittelalters, in: Stimmen aus MariaLaach 81 (1911), S. 1–11, 132–144 und 244–257, hier: S. 6.

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der Seele lassen sich schriftlich leichter und vollständiger mitteilen als mündlich.«64 Wilms nahm, wie Oehl, die Briefe als eigene literarische Gattung wahr. Beide haben aber nicht alle Briefe übersetzt: Für die Auswahl hat ihr jeweiliges Interesse den Ausschlag gegeben.65 Bis heute fehlt eine vollständige Übersetzung der Briefe ins Neuhochdeutsche. Hingegen existiert eine Übersetzung ins Italienische (!) mit einer ausführlichen Einleitung und mit einem Kommentar zu jedem Brief.66 1.3.3 Heinrichs Person im Zentrum des Interesses: Richard Schultz, Manfred Weitlauff und Anette Kuhn Es ist das Verdienst der älteren Forschung, die Briefe Heinrichs hinsichtlich kulturhistorischer Fragestellungen überhaupt erst entdeckt und allgemein zugänglich gemacht zu haben. Dabei wurden die Schreiben – und damit auch ihr Verfasser selbst – stets im Hinblick auf die Darstellung Margarethas beurteilt,67 sei dies in positiver oder negativer Weise. Erst Richard 64 Wilms, Einleitung, Margareta Ebner, S. 37 f. 65 In jüngerer Zeit hat nur noch Louise Gnädinger Briefe Heinrichs ins Neuhochdeutsche übertragen: Deutsche Mystik, ausgew., übertr. und eingel. von L. G., Zürich 1989, S. 337–364. 66 Heinrich von Nördlingen e Margaretha Ebner, Le Lettere (1332–1350), a cura di Lucia Corsini e con una ›Premessa‹ di Donatella Bremer Buono (Medioevo Tedesco. Studi e Testi 9), Pisa 2001. Corsini gibt die Edition Strauchs reprographisch wieder und bietet in ihrem Kommentar neue Erkenntnisse, die Strauch noch nicht zur Verfügung standen. 67 Auch für jene Forschung, die sich aus religiösem Interesse der Person Margarethas näherte, waren die Briefe eine Quelle historischer Fakten. In der ersten Hälfte des 20. Jh.s wurde dagegen in wichtigen Werken zur volkssprachigen religiösen Literatur des Mittelalters auch dort, wo Margaretha Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses war, Heinrich kaum erwähnt. So geht etwa Martin Grabmann ausführlich auf Margarethas ›Offenbarungen‹ ein, erwähnt aber Heinrich nur als Übersetzer des ›Fliessenden Lichts der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg: Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik. Bd. 1, Hildesheim usw. 1984 (2. Nachdruckauflage der Ausgabe München 1926), S. 475; zu Margaretha: S. 478–484. Herbert Grundmann erwähnt Heinrich nicht: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, Berlin 1935 (Neudruck mit dem Anhang Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegungen im Mittelalter, 4., unveränderte Aufl., Darmstadt

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Schultz kam 1976 – fast hundert Jahre nach der Edition – wieder ausführlich auf Heinrich selbst zu sprechen.68 Schultz bleibt jedoch der Interpretation früherer Autoren verpflichtet: »Wie schon seine Metaphorik, weist ihn auch sein mystisches Reden überhaupt als Epigonen aus. [. . .] Heinrich von Nördlingen war kein Mystiker, und ihn als geistlichen Lehrer oder Seelenführer zu bezeichnen, hiesse entschieden seine Fähigkeiten überschätzen.«69 Bis heute bestimmend sind die Beiträge von Manfred Weitlauff. Dessen Artikel im Verfasserlexikon70 streicht ein Hauptanliegen der Briefe Heinrichs heraus, das ähnlich schon Hieronymus Wilms formuliert hatte: »Was er [sc. Heinrich] suchte und in seiner empfindsamen, zart einfühlenden, gewinnenden Art predigte, war Verinnerlichung.«71 Weitlauff sieht die Briefe erstmals nicht nur als historisch-faktische Quellen, sondern liest sie in ihrem grösseren (pastoralen) Funktionszusammenhang. In einem 1988 erschienenen Artikel kommt Weitlauff nochmals auf die Verinnerlichung als Hauptanliegen Heinrichs zurück.72 Zwar bestätigt er hier die ältere negative Beurteilung Heinrichs, argumentiert jedoch mehr literarhistorisch als psychologisch: »Gewiss, Heinrichs Sprache ist überladen mit Metaphern, ausschmückenden Epitheta, farbigen Bildern; der Einsatz zahlreicher Stilmittel wie Lautmalereien, Wortspiele etc. verleiht ihr rhythmischen Klang, lässt sie streckenweise auch gekünstelt wirken [. . .]. Dennoch kann man nicht sagen, dass Heinrichs Sprache sich nicht mehr in der literarischen Tradition des Mittelalters, wie sie auch in Predigt und geistliche Prosa Eingang fand, bewegt hätte. Für Heinrich scheint vielmehr der affektive Stil Heinrich

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1977). Walter Blank geht in seiner 1962 erschienenen Dissertation nur gerade in einem Satz im Zusammenhang mit Christine Ebner auf Heinrich ein: Die Nonnenviten des 14. Jahrhunderts. Eine Studie zur hagiographischen Literatur des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung der Visionen und Lichtphänomene, Diss. Freiburg i. Br. 1962, S. 80. Margaretha wird von Blank nicht behandelt. Vgl. Anm. 12. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 161. Vgl. Anm. 12. Weitlauff, Heinrich von Nördlingen, Sp. 850. Vgl. Manfred Weitlauff, »dein got redender munt machet mich redenlosz . . .«. Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen, in: Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, hg. von Peter Dinzelbacher und Dieter R. Bauer (Beiheft zum Archiv für Kulturgeschichte 28), Köln/Wien 1988, S. 303–352, hier: S. 325.

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Seuses in gewisser Weise Vorbild gewesen zu sein.«73 Zwar nimmt Weitlauff damit die Texte als solche ernst, doch wehrt er sich gegen eine nur literarwissenschaftliche Beurteilung: »Natürlich kann man sich an der Originalität der literarischen ›Hervorbringungen‹ einer Mystik, wie sie Margareta gelebt und beschrieben, Heinrich von Nördlingen gefördert und gepriesen hat, ›germanistisch‹ begeistern [. . .], ohne auch nur einen einzigen Gedanken an ihren Inhalt zu verschwenden«.74 Im Sinne dieser Bedenken wird es ein Anliegen meiner Arbeit sein, die Fortschreibung einer Dichotomie zwischen Inhalt und Literarizität der Briefe zu vermeiden. An Manfred Weitlauffs Arbeiten anschliessend, verfasste Anette Kuhn einen Artikel zur Beziehung zwischen Margaretha und Heinrich mit der Überschrift ›Dein Gott redender Mund macht mich sprachlos‹.75 Dass sie denselben Obertitel wählte wie Weitlauff, begründet sie so: »Vorab möchte ich mich dafür entschuldigen, dass sich meine Wahl mit derjenigen Weitlauffs deckt. Aber kein Zitat fasst die Beziehung zwischen den beiden besser zusammen als das obige.«76 Mit dieser Bemerkung ist Kuhn einer Hermeneutik verpflichtet, welche die Aussagen der Briefe als unmittelbare Umsetzung von Erfahrungen versteht. Allerdings hält Kuhn selbst dort die Grenzen einer solchen Lektüre fest, wo sie die Briefe mit den ›Offenbarungen‹ Margarethas konfrontiert: »Heinrichs Briefe zeigen gleichsam, dass das Bild der schweigenden und isolierten Nonne, das Margareta in ihren ›Offenbarungen‹ skizziert, wohl etwas überzeichnet ist.«77 Damit weist Kuhn implizit darauf hin, dass Texte an ihren eigenen Ansprüchen zu messen sind.78 Obwohl ihr kein anderes Ziel vorschwebte, als in der 73 Ebd., S. 329. 74 Ebd., S. 350. Weitlauff bezieht sich hier vor allem auf eine Arbeit Siegfried Ringlers, die zuvor zitiert wird: Die Rezeption mittelalterlicher Frauenmystik als wissenschaftliches Problem, dargestellt am Werk der Christine Ebner, in: Frauenmystik im Mittelalter. Wissenschaftliche Studientagung der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1984 in Weingarten, hg. von Peter Dinzelbacher und Dieter R. Bauer, Ostfildern bei Stuttgart 1985, S. 178–200. 75 Anette Kuhn, »Dein Gott redender Mund macht mich sprachlos«. Heinrich von Nördlingen und die Mystikerin Margareta Ebner, in: Meine in Gott geliebte Freundin, hg. von Gabriela Signori (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 4), Bielefeld 1995, S. 98–106. 76 Ebd., S. 98, Anm. 1. 77 Ebd., S. 102. 78 Diese Formulierung verwendet Thali, Beten, S. 60, wo sie sich auf die Arbeiten Siegfried Ringlers bezieht.

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Beziehung zwischen Margaretha und Heinrich das Beispiel einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern zu zeichnen, macht ihr Artikel die Grenzen einer die Texte unter dem Aspekt der Erlebnisechtheit vornehmenden Lektüre deutlich. Für die Erforschung der Briefe Heinrichs bedurfte es neuer Fragestellungen. 1.3.4 Neue Ansätze in der Forschung: Debra L. Stoudt, Christine Wand-Wittkowski, Michael Egerding und Ursula Peters Von neuen Zugängen zu den Briefen Heinrichs kann bei den Arbeiten Debra L. Stoudts gesprochen werden. Zwar macht sie sich Ansichten zu eigen, wie sie vor ihr von Strauch oder Schultz geäussert wurden: Auch sie liest Heinrichs Briefe weiterhin als unverstellte, nicht stilisierte Texte.79 Doch versucht Stoudt, diese im Kontext ihrer Zeit zu sehen, und kann darum auch Heinrich als Autor neu beurteilen.80 Stoudt setzt sich aber vor allem eingehend mit der Gattung des Briefs auseinander. In ihrer Dissertation ordnet sie die Briefe Heinrichs unter formalen Aspekten der Tradition der ars dictandi zu, während sie die Briefe Heinrich Seuses (vor allem jene aus dem ›Grossen Briefbuch‹) in die Tradition des mittelalterlichen ›Sermo‹ stellt.81 Indem Stoudt alle Briefe Heinrichs von Nördlingen in die fünf Teile der ars dictandi zu unterteilen versucht – salutatio, captatio benevolentiae, narratio, petitio, conclusio82 –, kann sie bei ihm zumindest das Bemühen nachweisen, seine Briefe als Texte zu gestalten. Während sich die ältere Forschung vor allem auf die Schlussteile mit den persönlichen Nachrichten fixierte, treten bei Stoudt die 79 Diese Beobachtung macht Thali, Beten, S. 55, allgemein bezüglich der Lektüre frauenmystischer Texte durch die ältere Forschung. 80 Debra L. Stoudt zeigt dies etwa anhand seiner Reliquienfrömmigkeit, die zu seiner Zeit nicht negativ gesehen worden sei: The Vernacular Letters of Heinrich von Nördlingen, in: Mystics Quaterly 12 (1986), S. 19–25, hier: S. 21. 81 Debra L. Stoudt, The Vernacular Letters of Heinrich von Nördlingen and Heinrich Seuse, Diss. Chapel Hill/New York 1986, S. III . Über diese formale Bestimmung reiht Stoudt die Briefe Seuses dem Typus der ›Lesepredigt‹ zu; vgl. ebd., S. 82. Mit Bezug auf die Arbeiten Stoudts meint Kurt Ruh in: Geschichte, Bd. 3, S. 471: »Dass die Pastoralbriefe sich der Predigt nähern – und dies nicht nur formal durch das Textwort –, liegt im Typus selbst begründet. [. . .] Es sind denn auch – im GrBfb – dieselben rhetorischen Elemente nachgewiesen worden, die für die Predigt konstitutiv sind.« Zur Nähe zwischen den Briefen Heinrichs von Nördlingen und dem ›Sermo‹ vgl. Kap. 3.2.2. 82 Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 63.

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anderen Briefteile gleichberechtigt hinzu, vor allem die captationes als Ausgangspunkt der theologischen bzw. mystischen Ideen und die narrationes, die diese weiterführen.83 Auch gewinnt Stoudt über ihre formale Analyse neue Einsichten in die Schreibweise: Sie hält für die einzelnen Briefteile unterschiedliche Stile fest und geht davon aus, das entspreche den Intentionen Heinrichs.84 Den ›geblümten Stil‹, der in der Forschung bis dahin als charakteristisch für Heinrich gegolten hat, weist Stoudt den Einleitungen und den Hauptteilen der Briefe zu.85 Dadurch entzieht sie die Sprechweise dort, wo sein Stil poetisch-hymnischen Charakter annimmt, der negativen Beurteilung der früheren Forschung.86 Die bewusste Verwendung einer ›rhythmischen Prosa‹ stellt Stoudt in einen spezifischen Funktionszusammenhang, den sie mit der Erfahrungsebene des Empfängerkreises gegeben sieht: »It is Nördlingen’s ability to empathize with these religious friends and his rhetorical proficiency that accord his letters their exuberant style.«87 Allerdings gibt die konkrete Anwendung der Theorie der ars dictandi auf die Briefe Heinrichs einige Schwierigkeiten auf. Die Unterteilung der Briefe durch Stoudt muss darum kritisch hinterfragt werden.88 83 Vgl. ebd., S. 98 f. Diese Neugewichtung wird auch durch die Zusammenstellung der Briefe in der Hs. Add. 11430 bestätigt, die vor allem über die Verknüpfung der Einleitungen und der Hauptteile erfolgte; vgl. Kap. 8.1. 84 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 186. 85 Vgl. ebd. Zum geblümten Stil vgl. Kap. 4.1. 86 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 23. Zur spezifischen Funktion, die Stoudt der lyrischen Sprache Heinrichs zuschreibt, vgl. Kap. 5.2.6. 87 Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 187. 88 Bei Brief XI etwa, der in den folgenden Kapiteln immer wieder als Beispieltext herangezogen werden wird, nimmt Stoudt ohne Begründung keine ›religiöse narratio‹ an; vgl. ebd., S. 276: Im Appendix C (›religiöse narratio‹) fehlt Brief XI in der Aufzählung. Dieser wird erst unter Appendix D (›persönliche narratio‹) wieder aufgeführt; vgl. ebd., S. 279. Auch bei der Bestimmung der captatio in Abgrenzung zur narratio scheint die Systematisierung für diesen Brief an ihre Grenzen zu stossen. Warum lässt Stoudt der salutatio nicht einfach die narratio folgen, der die captatio eingegliedert wird? Die bei Heinrich als Kennzeichen für die captatio in Frage kommenden Wörter, nämlich begeren und getrüwen (vgl. ebd., S. 273, Appendix B), erscheinen erst in den Zeilen 41, 42 und 54 f.; vgl. Strauch, S. 186. Den grössten Teil des Briefes deswegen als captatio zu bestimmen, scheint mir fragwürdig. Da Stoudt selbst zeigt, dass 12 der 56 Briefe bei Heinrich keine klar definierten captationes haben (vgl. The Vernacular Letters, Diss., S. 95), darf auch nach Brief XI von einem ›Ineinander‹ von narratio und captatio ausgegangen werden.

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Oft kann in den Briefen zwischen der salutatio und der captatio gar nicht unterschieden werden.89 Für die narratio muss Stoudt die Unterscheidung zwischen einer ›religious narratio‹ und einer ›personal narratio‹ einführen, um dem Umstand Rechung zu tragen, dass persönliche Nachrichten Heinrichs in einigen Briefen nicht erst im Briefschluss eingefügt werden.90 Sie geht dabei nicht so weit, diese Teile nicht mehr zur narratio und damit etwa zur conclusio zu rechnen, da sie selbst bei aller Betonung der ersten drei Briefteile von einem Vorrang persönlicher Nachrichten in den Briefen Heinrichs ausgeht.91 Darüber hinaus ist in den Briefen kaum ein bestimmter Platz für die petitiones festzulegen.92 Die conclusiones muss Stoudt deshalb auf die abschliessenden Grüsse reduzieren.93

Um Abweichungen in den Briefen von der ars dictandi zu erklären, hätte sich Stoudt auf die ergänzenden Regeln berufen können, mittels derer im Mittelalter versucht wurde, »Ausnahmen, die sich in der Briefpraxis häufig fanden, zu beschreiben und als regelrecht in das System der neuen Brieflehre einzubeziehen«.94 Aufgrund der Studien Debra L. Stoudts kann für Heinrich zwar von einer Kenntnis der Brieflehre der ars dictandi ausgegangen werden. Die konkreten Briefe zeugen aber von einem freien Umgang mit dieser Tradition.95 Eine zu deutliche Schematisierung der Briefe 89 Vgl. ebd., S. 274 f. 90 Neben der Vertauschung war im Mittelalter die Aufteilung einzelner Briefteile auch theoretisch durchaus möglich; vgl. Eckart Conrad Lutz, Rhetorica divina. Mittelhochdeutsche Prologgebete und die rhetorische Kultur des Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 82), Berlin/New York 1984, S. 40. 91 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 108. 92 Vgl. ebd., S. 121. Die der narratio ansonsten folgende petitio ist bei Heinrich meist der narratio eingegliedert. Diese Einordnung der petitio ist insofern überzeugend, als dass die Bitten normalerweise mit dem Hauptthema der Briefe verbunden sind. Stoudt sieht in der Positionierung der petitio inmitten der narratio eine der grössten Divergenzen zum traditionellen Schema der mittelalterlichen Brieflehre; vgl. ebd., S. 128. 93 Vgl. ebd., S. 123. Es schiene mir angebrachter, Informationen, die mit dem Hauptthema des Briefes nichts zu tun haben, einer erweiterten conclusio zuzurechnen. Das würde dem Rechnung tragen, was Franz-Josef Schmale in: Brief. IV . Lateinisches Mittelalter, in: LexMa 2 (1983), Sp. 652–656, hier: Sp. 653 zum mittelalterlichen Brief meint: dass deren conclusio nicht nur aus einer einfachen Schlussformel bestehen musste, sondern »auch den B.inhalt zusammenfasste, Schlussfolgerungen aus diesem zog und Wünsche für den Empfänger, u. U. auch in Bezug auf den Absender, enthielt [. . .]«. 94 Lutz, Rhetorica divina, S. 39. 95 Christine Wand-Wittkowski meint in: Briefe im Mittelalter. Der deutschsprachige Brief als weltliche und religiöse Literatur, Herten 2000, S. 32 bezüglich des Briefaufbaus der ars dictandi: »Die generelle Gültigkeit eines Dis-

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dürfte deshalb nicht sinnvoll sein, weil es Heinrich – von den noch heute von einem Brief zu erwartenden Elementen des Grusses und des Briefschlusses abgesehen – nicht darum gegangen sein kann, eine Brieflehre korrekt umzusetzen. Im Verlaufe dieser Arbeit werden darum für die Unterteilung der Briefe Begriffe vorgezogen, die grössere Einheiten zulassen: ›Einleitung‹, ›Hauptteil‹ und ›Schlussteil‹,96 wobei die ›Einleitung‹ sehr oft sogar dem ›Hauptteil‹ zugeordnet wird.97 Versucht Debra L. Stoudt die Briefe Heinrichs der ars dictandi zuzuordnen, so reiht sie Christine Wand-Wittkowski in den grösseren Kontext der deutschen religiösen Briefliteratur des Mittelalters ein und relativiert damit jene Einzigartigkeit, die ihnen die Forschung bislang zugesprochen hat.98 Dieser Briefliteratur voraus gingen nach Wand-Wittkowski die Briefe der niederländischen Mystikerin Hadewijch, »die ältesten volkssprachlichen Briefe religiösen Inhalts«.99 Den volkssprachigen Brief wiederum stellt sie in die Tradition der lateinischen Briefkultur, in der eine personenbezogene

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positionsschemas für den gesamten Bereich des deutschsprachigen Briefs darf aber [. . .] nicht überschätzt werden.« Diese Bezeichnungen orientieren sich an Weitlauff, Heinrich von Nördlingen, Sp. 849. Manfred Weitlauff unterteilt hier die Briefe in ›Exordium‹, ›Hauptteil‹ und ›Schlussteil‹. Weitlauffs Unterteilung wird auch bei Stoudt besprochen: The Vernacular Letters, Diss., S. 87 und 127 f. Diese Einteilung gibt Stoudt selbst vor, wenn sie in: The Vernacular Letters (Mystics Quaterly), S. 22, auf der inhaltlichen Ebene argumentierend meint: »The body of the letter is usually divided into two parts. The first deals with the professional relationship between Heinrich and Margaretha [. . .]. The second part focuses on such subjects as what kind of work Heinrich is doing [. . .].« Briefe in deutscher Sprache sind bereits im 13. Jh. für den Dominikanerprior Heinrich von Köln bezeugt; vgl. Grundmann, Religiöse Bewegungen, S. 220, Anm. 45. Auf das Problem fehlender Vergleichsmöglichkeiten mit den Briefen Heinrichs macht etwa Peter Dinzelbacher, Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, Paderborn 1994, S. 329 aufmerksam: »Wären uns ähnliche Korrespondenzen ausführlicher bekannt, würde uns die Gleichheit im Erleben und in der Sprache so vieler MystikerInnen besser verständlich [. . .].« Wand-Wittkowski, Briefe, S. 230. Hadewijch war Mystikerin und Dichterin der 1. Hälfte des 13. Jh.s. Vermutlich war sie noch vor der Entstehung der Beginenhöfe Führerin einer ohne feste Regeln zusammenlebenden Gemeinschaft von Beginen in Antwerpen; vgl. Hermann Vekeman, Hadewijch, in: LexMa 4 (1989), Sp. 1819 f., hier: Sp. 1819. Heinrich könnte einige ihrer Briefe theoretisch sogar gekannt haben; vgl. Kap. 7, Anm. 254.

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Eine Briefsammlung und deren Erforschung

Mitteilung religiös gleich gestimmter Menschen schon lange möglich gewesen sei.100 Christine Wand-Wittkowski sieht bei Heinrich das Kriterium für ›Privatbriefe‹ im Umstand gegeben, dass der Autor der Adressatin als Freund gegenübertrete und nicht als offiziell bestellter Beichtvater.101 Diese Auffassung wird im Verlaufe der vorliegenden Arbeit noch einige Differenzierungen erfahren, da der Briefwechsel zwischen Heinrich und Margaretha durchaus in den Kontext der cura monialium, der Seelsorge an Nonnen, gehört und damit in die seelsorgerliche Tätigkeit Heinrichs, ob dieser nun das Attribut ›offiziell‹ beigefügt wird oder nicht. Zudem waren die Briefe auch für die Freundinnen und Freunde Heinrichs bestimmt:102 Das Wort ›privat‹ hat also nur seine Berechtigung, wenn damit gemeint ist, dass in den Briefen ein personaler Bezug zwischen einem Adressaten und einer Adressatin dargestellt wird.103 Auch wenn Christine Wand-Wittkowski die Briefe Heinrichs der deutschen religiösen Briefliteratur des Mittelalters zuordnet und dadurch die Frage nach den Funktionen dieser Briefkultur stellen kann, sieht sie in ihnen die Erfahrungswelten der Korrespondenten ebenfalls oft unmittelbar zum Ausdruck kommen.104 Auch in der Beurteilung des Sprachstils macht sich Wand-Wittkowski ein Ergebnis der früheren Forschung zu eigen: »Dieser 100 Christine Wand-Wittkowski erwähnt die Briefe Elisabeths von Schönau (1129–1164), jene Hildegards von Bingen (1098–1179) und vor allem die Korrespondenz zwischen dem Nachfolger des Dominikus in der Leitung des Ordens der Predigerbrüder, Jordan von Sachsen (Ordensgeneral von 1222– 1237), und der Dominikanerin Diana von Andalo: Briefe, S. 187 f. Zu den Briefen Jordans vgl. Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland. Bd. 3: Blüte. Männer und Frauen der Neuen Mystik (1200–1350), aus dem Engl. übers. von Bernardin Schellenberger, Freiburg usw. 1999, S. 511–513. 101 Wand-Wittkowski, Briefe, S. 184. 102 Vgl. Kap. 5.4 und 7.4. 103 Vgl. Wand-Wittkowski, Briefe, S. 183: »Der personale Bezug des Briefs ergibt sich daraus, dass die religiöse Mitteilung im Rahmen eines simulierten Gesprächs zwischen Personen erfolgt [. . .]. Der personale Bezug des Briefs kann das Brief-Ich mehr hervorheben oder das Brief-Du oder die Beziehung beider zueinander oder auch ein besonderes Verhältnis zwischen Person und religiösem Briefthema (z. B. die Aktualität des Themas durch besondere Lebensumstände der Briefpartner).« 104 Vgl. ebd., S. 264. Wand-Wittkowski setzt sich damit bewusst von den Untersuchungen Ursula Peters ab, die im Folgenden noch vorgestellt werden; vgl. ebd., S. 262: »Aber nicht alles muss Stilisierung sein.« Zur Einbettung der Briefe Heinrichs in eine bestehende deutsche Briefkultur des 14. Jh.s vgl. Kap. 5.4.4.

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affektive Sprachstil ist dazu geeignet, die mystische Erlebnisfähigkeit Margarethas anzufeuern und zu steigern.«105 Wand-Wittkowski kommt darum in ihren Studien zum Schluss, Heinrich habe, was den personalen Bezug in den Briefen betrifft, die Textsortenmerkmale bis zum Äussersten ausgeschöpft. Die angesprochene Adressatin sei nicht nur beim Lesen, sondern auch im Schreibprozess Heinrichs zugegen:106 »Die Vergegenwärtigung der Adressatin führt bei Heinrich zu ekstatischen Schreiberlebnissen, in denen sich das Brief-Ich in seiner emotionalen Befindlichkeit verändert. Heinrich bringt solche Veränderungen (scheinbar) spontan zum Ausdruck und thematisiert dabei den Schreibprozess selbst.«107 Mit der Klammerbemerkung ›scheinbar‹ verweist Wand-Wittkowski darauf, dass etwa die in den Briefen immer wieder betonte Spontaneität von Heinrich zum Teil bewusst eingesetzt wurde, was auf eine Inszenierung hindeute: Es könne darum nicht überall von einem spontanen Ausdruck seines Empfindens ausgegangen werden.108 Damit spricht aber auch Wand-Wittkowski Stilisierungstendenzen in den Briefen an, die vor allem in den Arbeiten Ursula Peters herausgearbeitet wurden. Einen wesentlichen Forschungsbeitrag leistet Christine Wand-Wittkowski mit der erstmaligen Betrachtung des gesamten Briefkorpus als Teil der Londoner Handschrift Add. 11430, was die Frage nach den Funktionen der Briefsammlung und der ganzen Handschrift in den Vordergrund rückt.109 Sie kommt dabei zum Schluss, es gehe um die Darstellung der Person Margarethas und um das Andenken an die Mystikerin110. An diese Analyse wird im achten Kapitel angeknüpft werden. Die Arbeiten Stoudts und Wand-Wittkowskis, die auch die Gattungsfrage in die Untersuchung der Briefe mit einbeziehen, ermöglichen eine neue Sicht auf den Schreibstil der Briefe Heinrichs. Michael Egerding stellt ihn hingegen in die grössere Tradition mystischen Sprechens. In seinen Untersuchungen berücksichtigt er neben den Schriften Mechthilds von Magdeburg, Davids von Augsburg, Meister Eckharts, Johannes Taulers und Heinrich Seuses auch die Briefe Heinrichs und die ›Offenbarungen‹ 105 Wand-Wittkowski, Briefe, S. 256. Wand-Wittkowski bezieht sich hier auf Weitlauff, dein got redender munt, S. 331. 106 Vgl. Wand-Wittkowski, Briefe, S. 265 f. 107 Ebd., S. 329. 108 Vgl. ebd., S. 263. 109 Vgl. ebd., S. 257–260. 110 Ebd., S. 258–260.

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Margarethas. Mit der Einreihung der Briefe in diese Abfolge bekannter Autorinnen und Autoren bewertet sie Egerding ganz selbstverständlich als mystische Texte, was der früheren Forschung schwer fiel.111 Der eigentliche Untersuchungsgegenstand ist für Egerding dabei die Metapher: Er versucht zu zeigen, »wozu und wie diese Autoren Metaphern gebraucht haben: nicht nur als Schmuck der Rede, sondern deren wesentlichem Inhalt nach.«112 Für ihn besitzen die Metaphern Eigenschaften, die »sie für die Sprachwerdung der mystischen Erfahrung in besonderem Mass als geeignet erscheinen lassen«.113 Weiter gelangt Egerding zur Feststellung, die Metaphern würden inhaltlich nicht nur mystische Erlebnisse umschreiben, sondern könnten beim Lesen geradewegs zu diesen hinführen: Er räumt der Metapher eine mystagogische Potenz ein.114 In den Briefen Heinrichs macht Egerding die göttliche Zuwendung, die Heinrich in Margaretha erfahre, vor allem an der Feuer-, Licht-, Spiegel- und Fliessmetaphorik fest, über die Heinrich »Bildzusammenhänge« entwickle.115 Egerding kommt noch zu weiteren Ergebnissen, die für diese Arbeit von Bedeutung sind: Die in den Metaphern zum Ausdruck kommende Umformung des Menschen in Gott etwa sei in den Briefen Heinrichs christologisch begründet,116 eine Feststellung, die hier sowohl für die Briefe als auch für die ›Offenbarungen‹ Margarethas bestätigt werden kann. Für die späten Briefe ist allerdings eine zunehmende trinitarische Ausrichtung festzuhalten.117 Zudem meint Egerding über Heinrichs Intentionen beim Einsatz von Metaphern, ihm gehe es »vor allem um die Tatsächlichkeit der göttlichen Zuwendung, deren Realität bereits an 111 Vgl. Kap. 1.3.1. 112 Störmer-Caysa, Uta, Rez. Egerding. Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik 1997, in: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge VIII (3/1998), S. 675–677, hier: S. 675. Zur Verwendung des Ausdrucks ›Metapher‹ in der vorliegenden Arbeit vgl. die Einleitung von Kap. 3. 113 Egerding, Michael, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik. Bd. 1: Systematische Untersuchung, Paderborn usw. 1997, S. 49. Gegenüber Grete Lüers hält Egerding fest, dass die Metapher nicht das einzige Charakteristikum mystischen Sprechens sei; vgl. Hamburger, Jeffrey F., Rez. Egerding, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik 1997, in: Medium Aevum 70 (2001), S. 160–162, hier: S. 161. 114 Vgl. Störmer-Caysa, Rez. Egerding, S. 676. Zur mystagogischen Potenz der Briefe Heinrichs vgl. Kap. 5.2.3. 115 Vgl. Egerding, Die Metaphorik, S. 161. Zu den Bildfeldern in den Briefen vgl. Kap. 3, Anm. 9. 116 Vgl. Egerding, Die Metaphorik, S. 95. 117 Vgl. Kap. 4.3.5.

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Margaretha sichtbar wird und die auch fraglos weiterhin in Zukunft seiner Meinung nach an Margaretha geschehen wird, so dass er diese Erfahrung als selbstverständlichen Wunsch ihr gegenüber wiederholt äussern kann«.118 Egerding bezieht die Metaphern, mit deren Hilfe Heinrich seine Wünsche verfasst, allerdings stark auf die Erfahrungsebene der Briefpartner. So vermutet er aufgrund der vielen Beschreibungen der humilitas Heinrichs in den Briefen nicht, dass es sich dabei um Stilisierungen handeln könnte. Auch »Margarethas Selbstcharakterisierung« wird nicht hinterfragt,119 sondern mit ihrer »erfahrungsbedingten Kompetenz« in Verbindung gebracht.120 Davon abweichend sieht Ursula Peters die Beziehung zwischen Erfahrung und Texten nicht als unmittelbare Sprachwerdung mystischer Erlebnisse. Bei der Entstehung frauenmystischer Texte beispielsweise handelt es sich für Peters um ein kompliziertes »Verhältnis von religiösen Erfahrungen, persönlichen Aufzeichnungen und kollektiver Entstehung«.121 Sie deutet auch für die Briefe Heinrichs eine Entstehung an, die auf das Anliegen verschiedenster Interessenskreise antwortet.122 In ihren Arbeiten zur Frauenmystik hebt sie also vor allem die Genese dieser Texte und deren Literarizität hervor.123 Anknüpfen kann Peters an die Ansicht der neueren Forschung, die Offenbarungs- und Vitentexte seien »literarisch und ideologisch« ausgestaltet, was sich etwa im »Einsatz typenspezifischer Stilmerk-

118 Egerding, Die Metaphorik, S. 162. Die Wichtigkeit des Wunsches, wie ihn Heinrich für Margaretha in den meisten Briefen formuliert, wird in den folgenden Kapiteln noch akzentuiert werden. 119 Ebd., S. 162 f. 120 Ebd., S. 161. 121 Ursula Peters, Religiöse Erfahrungen als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts (Hermaea N. F. 56), Tübingen 1988, S. 5. Zur Kritik des Begriffs ›Frauenmystik‹ vgl. Thali, Beten, S. 87–92. 122 Peters meint in: Religiöse Erfahrungen, S. 151 in Bezug auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas (und damit indirekt auch im Hinblick auf die Briefe): »Ihre Aufzeichnungen haben damit von vornherein ihr Publikum: eine Öffentlichkeit der ›Gottesfreunde‹ [. . .].« 123 Vgl. auch ihren Artikel: Vita religiosa und spirituelles Erleben. Frauenmystik und frauenmystische Literatur im 13. und 14. Jahrhundert, in: Deutsche Literatur Vita religiosa und spirituelles Erleben. von Frauen. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hg. von Gisela BrinkerGabler, München 1988, S. 88–109.

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male der Legende«, im ausgewählten »Repertoire von Bildern und Situationskonstellationen« und in »mehrfachen Redaktionsprozessen« zeige.124 Vor diesem Hintergrund wird die Vermutung, das literarisch produktive Zusammenwirken Heinrichs und Margarethas könnte typisch sein für das Gespräch zwischen einem Beichtvater und einer begnadeten Schwester,125 von Peters mit dem Hinweis auf die »strikt text- und typenspezifische Ausgestaltung der Figuren« sowohl in den ›Offenbarungen‹ Margarethas als auch in den Briefen relativiert.126 Peters zählt die Briefe zum literarischen Kontext der ›Offenbarungen‹ und somit »zum hagiographischen Umfeld dieses Textes«,127 was zur Folge hat, dass bei der Lektüre der Briefe »mit deutlichen Stilisierungstendenzen«128 gerechnet werden muss. Was im Anschluss an die Ausführungen Ursula Peters bis heute nicht geleistet wurde, ist eine differenziertere Lektüre der Briefe Heinrichs – und auch der ›Offenbarungen‹ Margarethas –, die deren Literarizität grössere Beachtung schenkt. Die vorliegende Arbeit wird aufgrund der neueren Forschung eine Analyse ausgewählter Briefe unter gattungsspezifischen Gesichtspunkten vornehmen, welche die Briefe als mystische Texte versteht, die in das literarische Umfeld der dominikanischen Nonnen- und Vitenliteratur des 14. Jahrhunderts gehören. Der Erforschung von Traditionen mystischen Schreibens und Sprechens wird darin ebenso ein Platz eingeräumt wie der Frage nach den Funktionszusammenhängen der Briefe und der gesamten Briefsammlung innerhalb der Londoner Handschrift Add. 11430. Auch wenn damit für die einzelnen Briefe die ›Sprachwerdung 124 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 4. Bereits Siegfried Ringler hat anhand des ›Gnaden-Lebens‹ Friedrich Sunders und des Fragments der ›Gerdrut-Vita‹ den literarischen Charakter dieser Schriften herausgearbeitet und damit Perspektiven und methodische Grundlagen für die Erforschung des gesamten Bereichs der Viten- und Offenbarungsliteratur in Frauenklöstern bereitgestellt: Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 145; vgl. dazu Thali, Beten, S. 59. 125 Vgl. Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 143. Peters bezieht sich hier auf Aussagen Siegfried Ringlers zu den ›Offenbarungen‹ Margarethas, wenn sie die paradigmatische Bedeutung der ›Offenbarungen‹ und der Briefe für die frauenmystische Vitenliteratur des 14. Jh.s hinterfragt. 126 Ebd., S. 155. Zur Kritik dieser Auffassung vgl. Wand-Wittkowski, Briefe, S. 181 f. 127 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 154. 128 Ebd.

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mystischer Erfahrungen‹ nicht als unmittelbare Umsetzung religiös-ekstatischer Erlebnisse Margarethas und ihrer verehrenden Bewunderung durch Heinrich verstanden, sondern der Versuch unternommen wird, das mystische Gespräch zwischen den beiden literarisch zu fassen, müssen dabei die Lebenswelten beider nicht ausgeblendet werden. Erst die detaillierte Untersuchung der Texte vermag zu zeigen, warum und mit welchen Mitteln Stilisierungen vorgenommen wurden, die ja ihrerseits dem Diskurs jener Kreise entstammen, die an der Erfahrungswelt Margarethas und Heinrichs interessiert waren.

2 Der Brief XI – eine exemplarische Analyse Eine Analyse der Briefe unter gattungsspezifischen Gesichtspunkten, die mit Stilisierungen der Adressatin, aber auch des Autors selbst rechnet, setzt die Kenntnis der Eigenart der Texte Heinrichs, ihrer spezifischen Merkmale, voraus. Im vorliegenden Kapitel soll darum exemplarisch ein Schreiben Heinrichs vorgestellt werden. Mit Brief XI wurde ein in jeder Hinsicht unauffälliges und insofern repräsentatives Beispiel ausgewählt.

2.1 Der Text1

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Minem liebsten und getruwesten in unszerm heren Jhesu Christo enbuit ich, ir armer unwirdiger friund, alle die frucht der creftigen urstend unseres lieben heren Jhesu Christi mit frid und mit fröud besitzen in dem hailigen geist nach dem und es die selige sel Jhesu und Marian und die lieben zwelf boten enpfunden hant. den jamer, den dein reins hertz und dein minendes hertz und dein himelschü sel und dein brinender geist in got zu einem cleinen wirmenlein habint und zu einem suntlichen hinwurf aller geschepft: des wundert mich gar sere, doch usz einem diemutigen hertzen, als vil des ist, dar umb aller meist, wie das ein erhebtz hertz über allü ding, dem die höch, die leng, die brait, die düifti und die grosz gotz als empszigklich gegenwirtig ist, müg sich genaigen uf ain so gar cleins und arms, das es schribt und sprech: ›mich jamert nach dir‹. doch wen ich, das es kom von dem geträwen geber aller hoher volkomner gaub, der in einem inplick sein selbs in die reinen und in im erwelten sel zwön jamer schepft, den einen und den ersten nach im selbs und den andern nach den seinen, die er so

1 Vgl. Strauch, S. 184–187. Der Zeilenumbruch des folgenden Textes entspricht jenem der Edition Strauchs.

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vetterlichen in seinem hertzen treit und so mutterlich an sicht und zuicht uf der erd, bis si im werdent haim gefürt, und als sich sein geträwes hertz senet und jamert nach seinen lieben kinden, die er ewigklich so gar minigklich und willigklich geboren hat in dem wort der warheit. wem ditz kunt wirt von im und in im, den jamert nach der volkumenheit aller derwelten. und also verstan ich deinen jamer, den du, aller liebstz, nach mir kleinen hast, das den mer wirckt mein gebrest den dein mangel meiner gegenwirtigkeit. wann also ist der wil gotz, das wir in selber nach menschlicher natur farent lassent zu dem vatter den worten, das uns gesant werd der gantz trost des heiligen geistz, der uns hie ler alle warhait ze minen, bis wir sie dort in vollem antlutz bekenen. meins hertzen iners, rains lieb in deinem lieb Christo Jhesu, was sag ich dir oder was schrib ich dir mit worten meinsz armen, cleinen sins, das du so gar in luterer warheit funden und enpfunden und enpfangen hast, also das von der groszen des durchglestigen liechtz Jhesu Christi, deins liebz, dein zung da von nit sprechen kan, als du mir selber schribest. da von vergib mir mein vermessenheit, wan mich werlich pilich deucht, das dir geschwig mein hertz und mein mund. gar geren begert mein sel für dich, wan des bederft ich mer dan du. ein getrüwen han ich, als vil mich mein gepresten lant, zu unserm liebsten lieb Jhesu Christo, das er an dir volbring vor deinem end seinen liebsten willen, der alle sinne ubertrifft, also das du in seinem liecht schawen werdest den ursprung des liechtz und den brunen des lebens, us dem dein durstiger geist trincken und truncken werden sol, bis du in stillem fried deiner uzeren und deiner innern sinne in senftmütigkeit enpfahist das in geseit und in gepeltzit wort, das behalten mag dein sel, wan ir umbswaiff so weit worden ist in der berhaften gnad gotz, das si niemant gehuszen noch geherbergen mag wan dein ainigs lieb Jhesus Christus. Werlich, du meins hertzen geträwes hertz und meiner sel geträwe sel, des beger ich dir als vil fur mich als verre dich mein sundige sel ob ir in got sweben sicht. auch wisz, das mir dein bruder und alle die dinen vor und nun lieb sint in got und in dir, als vil des dan ist. wan usz dir vor got grünent,

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blüwent und frucht bringent alle die dinen, als die zwig tuent in irem berhaften stamen und uz ir wol getüngter wurtzeln. an deinen minenbrieff han ich ietz etwan lang geschriben begirlich und willigklich; die sient nun schir berait. so wil ich dirs dan senden mit meiner mutter, ob si mag vor kranchait. ich solt dir längst enpfolhen han einen heren von Kaiszhaim, meiner liebsten frind ainen, den irend sein augen vil jar, das er nit priester werden mag, und ist ewangelier. für den bit innerlich, wan er ain hailig leben hat, und bit für alle die, die es zu mir sprechent, das ich sie dir enpfelh. mein schuller Johannes der ist prister worden und hat mut an dem pfingistag uf seiner pfarr ze Stapfenheim mesz die ersten ze singen. bi dem wird ich sein, wil es got. für den bit. liebe Schepach, ich bin frove, das euch der Schuler wol gevelt. lant mich allweg wissen ewern willen, den tun ich geren. grüszent mir alle unsere besunder fründ. pax vobis Christi etc. etc.

2.2 Übersetzung2 Meiner Liebsten und Treuesten in unserem Herrn Jesus Christus wünsche ich, ihr geringer und unwürdiger Freund, dass sie die ganze Frucht der wirkungsmächtigen Auferstehung unseres lieben Herrn Jesus Christus mit Friede und Freude im Heiligen Geist besitzen möge, in dem Masse, wie sie auch die selige Seele Jesu und Maria und die lieben zwölf Apostel gespürt haben. Das sehnliche Verlangen, das dein reines und liebendes Herz, deine himmlische Seele und dein brennender Geist in Gott nach einem kleinen Würmlein haben, ja nach einem sündigen Auswurf aller Geschöpfe: das verwundert mich ausserordentlich, doch aus demütigem Herzen, so weit es denn wahrhaft demütig ist, und [zwar wundere ich mich] darüber am allermeisten, wie ein über alle Dinge erhobenes Herz, dem die Höhe, die Länge, die Breite, die Tiefe und die Grösse Gottes so stetig gegenwärtig sind, sich zu einem so kleinen und geringen Herzen herabzulassen vermöchte, so dass es schreibt und spreche: ›Ich sehne mich nach dir‹. 2 Die Übersetzung des Briefes greift auf die Gliederung zurück, wie sie in Kap. 2.3 vorgeschlagen wird.

Übersetzung

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Doch glaube ich, dass dies vom getreuen Geber jeder hohen vollkommenen Gabe kommt, der in einem Einblick seiner selbst in die reine und in ihm erwählte Seele zwei Verlangen hervorbringt: das eine und erste nach ihm selbst und das andere nach den Seinen, die er so väterlich in seinem Herzen trägt und auf Erden so mütterlich ansieht und an sich zieht, bis sie zu ihm heimgeführt werden, und zwar deshalb, weil sein getreues Herz seine lieben Kinder begehrt und nach ihnen verlangt, die er von Ewigkeit her immerwährend so liebend und wollend im Wort der Wahrheit geboren hat. Wem dies von ihm und in ihm zuteil wird, den verlangt nach der Vollendung aller Erwählten. Und so verstehe ich deine Sehnsucht, die du, Allerliebstes, nach mir Geringem hast, dass meine Schwachheit sie mehr bewirkt als dein Entbehren meiner Gegenwart. Denn dies ist der Wille Gottes, dass wir ihn selbst in seiner menschlichen Natur zum Vater ziehen lassen, damit uns der ganze Trost des Heiligen Geistes gesandt werde, der uns hier lehre, alle Wahrheit zu lieben, bis wir sie dort ganz unmittelbar erkennen. Meines Herzens Inneres, in deinem Geliebten Jesus Christus reine Geliebte, was soll ich dir mit den Worten meines geringen schwachen Verstandes zu dem sagen oder schreiben, was du so ganz in reiner Wahrheit erkannt, empfunden und angenommen hast, und zwar so, dass deine Zunge aufgrund der Grösse des durch und durch leuchtenden Lichtes Jesu Christi, deines Geliebten, davon nicht sprechen kann, wie du selbst mir schreibst. Darum verzeih mir meine Vermessenheit, denn es scheint mir wirklich angemessen, dass mein Herz und mein Mund dir gegenüber schweigen. Sehr gern fleht meine Seele für dich, auch wenn ich dessen mehr bedürfte als du. Ich vertraue – soviel es meine Schwachheit zulässt – fest darauf, dass unser liebster Geliebter Jesus Christus an dir noch vor deinem Tod seinen liebsten Willen vollbringe, der alles Begreifen übersteigt, so dass du in seinem Licht den Ursprung des Lichtes und den Quell des Lebens schauen werdest, aus dem dein durstiger Geist trinken und trunken werden soll, bis du in stillem Frieden deiner äusseren und deiner inneren Sinne in Sanftmut das eingesäte und eingepfropfte Wort empfangen wirst, das deine Seele aufzunehmen vermag, weil ihr Umfang in der fruchtbaren Gnade Gottes so weit geworden ist, dass sie niemand unterbringen oder beherbergen kann als dein einziger Geliebter Jesus Christus. Wahrlich, du meines Herzens treues Herz und meiner Seele treue Seele, davon wünsche ich dir soviel für mich, wie dich meine sündige Seele weit über ihr in Gott ruhen sieht. Wisse auch, dass ich deinen Bruder und all die deinen bisher und jetzt nach ganzen Kräften in Gott und in dir liebe. Denn all die Deinen grünen, blühen und

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bringen Frucht aus dir vor Gott, wie Zweige es aus ihrem fruchtbaren Stamm und aus ihrer gut gedüngten Wurzel tun. An deinen Minnebriefen habe ich jetzt ziemlich lange eifrig und bereitwillig geschrieben; diese werden nun in Kürze fertig sein. So will ich sie dir dann durch meine Mutter überbringen lassen, wenn ihre Schwäche das zulässt. Schon längst hätte ich dir einen Herrn aus (dem Kloster) Kaisheim anempfehlen müssen, einen meiner liebsten Freunde, den ein Augenleiden seit Jahren behindert, so dass er nicht Priester werden kann und heute Diakon ist. Für ihn bitte inständig, denn er führt ein heiliges Leben, und bitte auch für all jene, die mich bitten, sie dir zu empfehlen. Mein Schüler Johannes ist Priester geworden und hat die Absicht, an Pfingsten in seiner Pfarrei zu Stopfenheim die erste Messe zu singen. So Gott will, werde ich bei ihm sein. Bitte für ihn. Liebe Scheppach, ich bin froh, dass euch der Schüler gut gefällt. Lasst mich immer euren Willen wissen: den führe ich gerne aus. Grüsset mir all unsere besonderen Freunde. Der Friede Christi sei mit euch etc. etc.

2.3 Interpretation Bereits an dieser Stelle kann das wichtigste Ergebnis der folgenden Untersuchung vorweggenommen werden: Es lässt sich eine dem ganzen Brief zugrunde liegende Sinnstruktur erkennen, was darauf hindeutet, dass Heinrich ihn gezielt aufgesetzt hat. Fassen wir die Hauptgedanken zusammen, bevor einzelne Teile – Einleitung, Hauptteil und Schluss – analysiert und miteinander in Beziehung gebracht werden. In der Einleitung wünscht Heinrich Margaretha, an der geistlichen Frucht von Ostern teilhaben zu können.3 Im Hauptteil wundert er sich darüber, dass sie nach ihm, einem Wurm und sündigen Auswurf der ganzen Schöpfung, ein so grosses Verlangen verspürt. Heinrich erklärt sich dieses mit der Sehnsucht, die Gott selbst nach seiner ganzen Schöpfung hat und die er in die von ihm erwählten Seelen legt: So wie Gott sich nach dem Menschen sehnt und diesen zu sich heimführen will, so sehnt sich auch die von Gott begnadete Seele nach der Vollendung aller Erwählten, damit diese (wie die Seele selbst) zu Gott geführt werden können. Heinrich wünscht darauf Margaretha die Erfahrung der Vereinigung mit Gott, und dies nicht nur im Hinblick auf sie 3 Dieser Wunsch lässt auf die Entstehung des Briefes in der Osterzeit schliessen und bindet ihn auch inhaltlich in diese Zeit ein; vgl. Kap. 3.2.

Interpretation

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selbst, sondern auch für sich und für andere. Im Schlussteil erwähnt Heinrich Briefe Margarethas, an denen er gearbeitet hat und die er ihr nun durch seine Mutter überbringen lassen möchte. Danach ersucht er die Adressatin noch um die Fürbitte für verschiedene Personen, grüsst auch die Nonne Elsbeth Scheppach4 und beschliesst den Brief mit einer allgemeinen Friedensformel. 2.3.1 Die Einleitung (Z. 1–6) Die Einleitung besteht aus nur einem Satz und weist drei für die Briefe Heinrichs charakteristische Merkmale auf:5 die Anrede der (hier namenlosen) Empfängerin im Dativ mit dem dazugehörenden Verb enbieten (Z. 1 f.), die Nennung des Schreibers (ebenfalls ohne Namen), der sich in einer Demutsformel zurücknimmt (Z. 2), und die Erwähnung des Namens ›Christus‹ (Z. 2). Inhaltlich bezieht sich die Einleitung auf die Ereignisse von Ostern und Pfingsten: Jesus, Maria und die zwölf Apostel haben durch den Heiligen Geist Anteil an Ostern und dies in frid und fröud. Gleichsam als müsste betont werden, dass die Auferstehung von Gottvater bewirkt und dieser der Ursprung jeden Heilsereignisses ist, kommt die sel Jhesu als erste Empfängerin in den Genuss der Auferstehung.6 Danach folgen in hierarchischer Reihenfolge Maria und die zwölf Apostel. Fügt man dieser Kette (Jesus – Maria – Apostel) auch noch Margaretha an, der dieselbe Frucht ja schlussendlich gewünscht wird, so dürfte die Beifügung der ›Seele Jesu‹ bewusst als Anfang einer heilsgeschichtlichen Linie gesetzt worden sein, die Margaretha zurückbindet an Jesus und durch ihn an dessen Vater, von dem alles ausgeht – innertrinitarisch eben auch die zweite Person Gottes von der ersten – und von dem bereits zu Beginn der Kirche alle den Geist empfangen haben. Heinrich verknüpft hier in einem Satz Denkmodelle miteinander, die andere Autoren seines Jahrhunderts ausführlich beschrieben haben. Von der 4 Zu Elsbeth Scheppach vgl. Kap. 1.2. 5 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 88 f. Diese Merkmale hält Stoudt für 37 der 56 Briefe Heinrichs fest. 6 Die Beifügung der ›Seele Jesu‹ ist eine Eigentümlichkeit Heinrichs, von der weiter unten noch die Rede sein wird. Theologisch gesehen gehört Jesus eigentlich nicht in eine Reihe mit Maria und den Aposteln, da er selbst die Auferstehung ist und nicht deren Frucht empfängt; vgl. Io 11, 25: dixit ei Iesus / ego sum resurrectio et vita.

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innertrinitarischen Differenzierung spricht vor allem Meister Eckhart.7 In seinem auf Deutsch verfassten Gedicht ›Granum sinapis de divinitate pulcherrima‹ hat Eckhart die »Prozession des Sohnes aus dem Vater [. . .] und de[n] Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn [. . .] im Anschluss an den Terminus emanatio der neuplatonisch-franziskanischen Tradition der Dreifaltigkeitstheorie als uˆzflus gekennzeichnet [. . .]«.8 Dieses innergöttliche Hervorgehen in seiner Beziehung zur geschaffenen Welt und damit zum Menschen beschreibt Heinrich Seuse in seiner ›Vita‹ folgendermassen: Das höchste Gut verströmt sich in überströmender Güte in sich selbst und als Abglanz (widerblik) in die Schöpfung. Im Gegensatz zu Meister Eckhart wird bei Seuse die innertrinitarische Emanation entgiessung sin selbs genannt, während usfluss die Schöpfungsakte meint.9 In diesem Sinne gebraucht auch Heinrich von Nördlingen das Sprechen vom uszfluz. Dieses ist in anderen Briefen expliziter als in Brief XI ausgeführt, in dem nur gerade in den Zeilen 46 f. von dieser Konnotation (ursprung des liechtz und brunen des lebens) ausgegangen werden kann. Heinrich verwendet die Metaphern vom ursprung und vom brunen oft.10 In seinem Brief XII ist der Gedanke des ›Ausfliessens‹ so formuliert: 7 Vgl. Egerding, Die Metaphorik, S. 179. 8 Alois M. Haas, Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik (Dokimion 4), Freiburg/Schweiz 1979, S. 313. Für Eckhart ist die emanatio neben der creatio und der factio eine der »Formen der Hervorbringung zum Sein«: Ebd., S. 220. Zur These, der Autor des ›Granum sinapis‹ sei Meister Eckhart, vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 282–289. Nur Eckharts Umgebung schreiben hingegen das Gedicht zu: Walter Haug, Meister Eckhart und das ›Granum sinapis‹, in: Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota, hg. von Horst Brunner und Werner Williams-Krapp, Tübingen 2003, S. 73–92. 9 Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 457. Ruh bezieht sich dabei auf das Kp. LI der ›Vita‹ Heinrich Seuses; vgl. Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hg. von Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907 (Nachdruck Frankfurt a. M. 1961) (im Folgenden abgekürzt mit Seuse), S. 178, 24–179, 12. 10 Die Metapher vom Brunnen wird etwa auch im ›Gnaden-Leben‹ des Engelthaler Klosterkaplans Friedrich Sunder für die Darstellung des Gnadenflusses von Gott zum Menschen verwendet; vgl. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 271. Bei Friedrich Sunder durchdringen sich in der Metapher von Gott als vrsprung »die Vorstellung des trinitarischen Ausflusses der zweiten und dritten göttlichen Person aus dem Vater mit der Vorstellung des Gnadenflusses« (ebd., S. 270), was auch für die Einleitung von Brief XI festgehalten werden kann. Zur Verwendung der Begriffe ›Matapher‹, ›Metaphorik‹, ›Bildlichkeit‹ und ›Bild‹ in der vorliegenden Arbeit vgl. die Einleitung von Kap. 3.

Interpretation

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[. . .] ich [. . .] beger dir ausz deinen begirden alles des gutten willens barmhertzigen uszfluz, den der himelisch vatter durch sinen sun, deins hertzen ainigs lieb Jhesu Christum, in engel und in heiligen ie goszen hat mit allem dem götlichem gut, des du mir winschen bist.11

In den Briefen XI und XII kommt Jesus die spezifische Rolle zu, die Selbstmitteilung der ersten an die zweite Person Gottes an den Menschen weiterzuleiten, was vor allem durch die Fliessmetaphorik ausgedrückt wird.12 Die Einleitung des Briefes XI bindet Margaretha also aufgrund der ›Seele Jesu‹ in den Gnadenfluss ein, an dem vor ihr auch Maria und die Apostel teilhatten. Das letzte Glied dieses Flusses ist nun aber nicht Margaretha, sondern ir armer unwirdiger friund (Z. 2). Dieser kommt in der Aufzählung zwar nicht direkt in den Genuss der Auferstehungsfrucht, stellt sich aber, indem er seiner Freundin Anteil am Leben Gottes wünscht, gleichsam ans äusserste Ende des ›Ausfliessens‹ und gibt diesem eine neue Ausrichtung: Auf seinen Wunsch hin (enbieten) kann die Bewegung des Gnadenflusses in der Briefeinleitung auch als ein ›Rückfliessen‹ betrachtet werden, bei dem Gott zum Ziel des Strebens Margarethas wird, an das sie sich und ihn zurückbinden soll.13 2.3.2 Der erste Abschnitt des Hauptteiles (Z. 6–33) Wie es später noch zu zeigen gilt, lässt sich der Hauptteil des Briefes in zwei Abschnitte gliedern.14 Im ersten Teil wird Gott einerseits als geber aller gaub (Z. 16) und damit als Ursprung allen Seins dargestellt, andererseits auch als derjenige, der alles an sich zieht und so zum Zielpunkt allen Strebens wird. Dieser erste Teil kann damit als Ausdifferenzierung oder als Weiterführung der Einleitung verstanden werden: Wird dort ein Gnadenfluss in seiner absteigenden (von Gottvater ausgehenden) Bewegung 11 Z. 2–8, Strauch, S. 187. Nach Brief XXI , 11–14, ebd., S. 204 drückt Heinrich das in dieser Weise aus: [. . .] mein sel winschet dir des mineklichen segens, der von dem vatter durch seinen sun Jhesum und durch Marian usz gefloszen ist in alle erwelten engel und menschen in himel und in erd [. . .]. 12 Vgl. Egerding, Metaphorik, S. 161. Vgl. auch Kap. 1, Anm. 115. 13 In Brief XLII , 6–10, Strauch, S. 241 verbindet Heinrich explizit die Gedanken von ›Ausfluss‹ und ›Rückfluss‹: könd ich got gedancken mit im selber und mit allem dem sinem und mit allem dem, das er von minen aus gegossen hat in alle erwelte engel und menschen, das si mit richem lust wider flieszent in in und mit aller creatur geistlichem lobsang [. . .]. 14 Vgl. Kap. 2.4.1.

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dargestellt und als eine aufsteigende (Gottvater zum Ziel habende) gewünscht, geht es nun im ersten Abschnitt um deren innere Begründung.15 Weil Gott aus seinem eigenen Innern heraus sein göttliches Verlangen in die von ihm erwählte Seele eingibt – hier wird deutlich die absteigende Bewegungsrichtung der Einleitung weitergeführt –, drängt in dieser Seele das von Gott empfangene Verlangen in zwei Richtungen: Zum einen strebt sie nach Gott und damit zurück zu ihrem Ursprung (aufsteigend) und zum anderen nach den seinen (also absteigend, wenn man sich vor Augen hält, dass im Brief Margaretha im Zentrum steht, die ein Verlangen nach einem cleinen wirmenlein hat). In diesem Abschnitt wird demnach der Gedanke der Einleitung vertieft, dass Gottvater der Urheber jeder Frucht der Auferstehung ist. Sein Sohn hat innerhalb der Reihe der durch das Ausfliessen erfassten Seelen den ersten Platz inne, da sie in ihm geboren werden (Z. 24) und somit durch ihn Anteil an ihrem Ursprung haben. Die von Gott erwählte Seele, die am göttlichen Leben teilhat, kann nicht anders als sich mit derselben Sehnsucht, wie sie Gott eigen ist, nach der Vollendung aller Erwählten zu sehnen. Sie findet sich gleichsam in einer Mittlerposition (unmittelbar nach Maria und den Aposteln) zwischen dem ›Geber der Gaben‹ und den anderen Seelen, für die sie die Vollendung begehrt. Betonen die Zeilen 15–29 vor allem den Ausgang jeglichen Seins aus Gottvater, so legt der Schluss des ersten Hauptteils den Akzent auf den Aufstieg zu Gott. Es entspricht dem göttlichen Willen, dass Christus zum Vater zurückkehrt und damit dem Menschen seine körperliche Gegenwart entzieht (Z. 29–33). Damit wird dem Heiligen Geist ermöglicht, mit seiner ganzen Fülle zum Menschen zu kommen. Er lehrt diesen, auf Erden die Wahrheit zu lieben, was später in die unmittelbare Gotteserkenntnis überführt werden soll. An dieser Stelle paraphrasiert Heinrich die Evangeliumsstelle Io 16, 5–7.13,16 mit der er den Gedanken von der Aussendung des Geistes im ersten Abschnitt wieder aufnimmt. Er betont nun aber stärker den Aufstieg zu Gott, nicht nur in der Anspielung auf die Himmelfahrt 15 Über Metaphern wie zuichen uf der erd im Gegensatz zu haim füren in Z. 21 wird die Annäherung von Gott und Mensch aufgrund eines räumlichen Schemas von unten/oben entwickelt; vgl. Egerding, Metaphorik, S. 97. 16 Haec autem vobis ab initio non dixi quia vobiscum eram / at nunc vado ad eum qui me misit / et nemo ex vobis interrogat me quo vadis / sed quia haec locutus sum vobis tristitia implevit cor vestrum / sed ego veritatem dico vobis / expedit vobis ut ego vadam / si enim non abiero paracletus non veniet ad vos / si autem abiero mittam eum ad vos [. . .] cum autem venerit ille Spiritus veritatis docebit vos in omnem veritatem.

Interpretation

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Christi, sondern auch im Hinblick auf den Aufstieg des Menschen, auf den mit den Verben minen (hie) und bekenen (dort) hingewiesen wird. 2.3.3 Der zweite Abschnitt des Hauptteiles (Z. 33–61) Auch hier soll versucht werden, der Sinnstruktur nachzugehen, welche die vorausgegangenen Briefteile bereits aufgebaut haben; das wichtige Thema des ›Lichtes‹ wird später besprochen.17 In den Zeilen 42–56 steht nun nicht mehr allgemein eine erwelte sel im Zentrum, sondern namentlich Margaretha, der die Erfahrung der unio mystica gewünscht wird.18 Mit diesem Wunsch nach der unio ist die Rückkehr des Menschen zu seinem Ursprung betont – und damit endgültig sein Aufstieg zu Gott. Die beiden bis anhin behandelten Briefteile scheinen diesen dritten insofern vorbereitet zu haben, als in ihm konkret die Person Margarethas in die Bewegung von Aus- und Rückfluss eingefügt werden kann. Das ›Erkennen‹ aus den Zeilen 15–29 kann für sie nicht nur in einem zukünftigen Leben (Z. 32: dort) möglich sein, sondern soll punktuell bereits im Hier (ebd.) erfahrbar werden. Die Gnade Gottes, die diese Einigung und den daraus resultierenden Frieden der Sinne bewirkt, wird eine ›fruchtbare‹ genannt (Z. 51) und knüpft damit an die Briefeinleitung an, in der die Teilhabe an Gott als frucht der Auferstehung gilt. Dieser Briefausschnitt ist marianisch geprägt. Bei der Aufnahme des Wortes in der Seele Margarethas wird das Moment der Inkarnation in die bis jetzt österlich dominierte Heilsökonomie eingeführt. In der Weiterführung des ersten Hauptteiles beginnt sich hier zudem das mystische Erleben unmittelbar nach der Beschreibung der unio auch auf andere hin zu öffnen. Die Seele Margarethas wird zu einer Wohnung Jesu Christi, und wie Maria gebiert sie den Sohn Gottes nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Welt.19 Vorbereitet wird diese Bewegung auf andere hin im ersten Hauptteil, wo in der Seele nicht nur das Verlangen nach Gott hervorgebracht wird, sondern auch nach den ›Ihren‹, nach der volkumenheit aller derwelten. 17 Vgl. Kap. 2.4.1. 18 Die Rede von der unio mystica kann hier verwendet werden, weil die Bildlichkeit, die der Textstelle zugrunde liegt, mit Metaphern durchsetzt ist, die traditionell die unio bezeichnen; vgl. Kap. 3.3.3. 19 So heisst es z. B. im Hymnus ›Ave maris stella‹ in der vierten Strophe: Monstra te esse Matrem; / Sumat per te preces, / Qui pro nobis natus / Tulit esse tuus: Antiphonarium sacri ordinis praedicatorum. Pro diurnis horis, . . . Martini Stanislai Gillet ejusdem ordinis magistri generalis permissu editum, Romae

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Diese marianische Aufgabe Margarethas wird im zweiten Hauptteil des Briefes vor allem in den Zeilen 53–56 offenkundig. Heinrich, der sich ihre Erfahrungen ja auch im Hinblick auf sich selbst ersehnt,20 befindet sich bildlich gesprochen ›unter‹ Margaretha, die der unio teilhaftig wird, wenn er schreibt: als verre dich mein sundige sel ob ir in got sweben sicht (Z. 55 f.). Hat man sie (in der Bildvorstellung) also u n t e r Gott, zu dem sie als ihrem Ursprung zurückkehrt, und ü b e r Heinrich vor Augen, dann ergibt sich rein optisch eine Mittlerfunktion, wie sie schon in der Einleitung durch die Erwähnung ihres Namens nach Christus, Maria und den Aposteln und im ersten Hauptteil durch die Einführung der ›erwählten Seele‹, die sich gegen oben und gegen unten hin öffnet, vorbereitet wurde.21 Auch in den Zeilen 58–61 steht Margaretha eindeutig im Zentrum. Sie wird hier als Wurzel und Stamm beschrieben, aus dem heraus ›die Ihren‹ Frucht bringen können. Mit diesen Metaphern, die in der Bibel für Christus und in der Gebetstradition des Mittelalters auch für Maria verbürgt sind,22 rückt Heinrich Margaretha in die Nähe von Jesus und Maria – also in die Reihe derer, unter denen sie sich bereits in der Briefeinleitung befindet. Die Frucht der Auferstehung, die ihr in der Einleitung gewünscht und von deren Gewährung in den folgenden Abschnitten auch ausgegangen wird, ist für sie zu einem Besitz geworden, den sie weiter vermitteln kann. Der Schluss des zweiten Hauptteiles kann beim Lesen als hermeneutischer Schlüssel für die vorausgehenden Abschnitte verwendet werden. Ist bis anhin noch nicht ersichtlich geworden, warum Heinrich die einzelnen Elemente der beschriebenen Sinnstruktur überhaupt einführt und langsam miteinander zu verknüpfen beginnt, und konnte ihre Bedeutung für ihn selbst (und für ›die Ihren‹) nur gerade vage ausgemacht werden, so wird in diesen letzten Zeilen deutlich, dass er über den ganzen Brief hinweg kontinuierlich ein Gesamtbild Margarethas entwirft, wie es uns in den Zeilen 58–61 entgegentritt: Sie wird zu einer Mittlerin von Gnadenfrüchten,23 die

20 21 22 23

1933, S. 5*. »Der Vergleich der Seele mit Maria ist ein altes Motiv in der Darstellung der Gottesgeburt, wobei die Seele im Sinne der Imitatio die leibliche Mutterschaft Marias geistig erfahren soll.« Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 281. Vgl. Z. 54–56. In dieser Mittlerfunktion werden auch anderen Frauen des 14. Jh.s beschrieben; vgl. dazu Kap. 5.2.5. Vgl. Kap. 3.3.2. Der Ausdruck die frucht der kreftigen urstend lässt an den Topos der Gnadenfrucht denken, wie er etwa in den Engelthaler Klosterschriften verwendet

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ihr in der Folge des Ostergeschehens, in dessen Kontext der ganze Brief zeitlich eingebunden bleibt, und in der Erfahrung der unio zugeflossen sind. Die bisher besprochenen Briefteile müssen so gleichsam vom Schluss des Hauptteiles her gelesen werden. 2.3.4 Der Schluss (Z. 61–75) Die direkte Anrede Elsbeth Scheppachs im Schluss des Briefes (Z. 72) macht deutlich, dass Margaretha nicht die einzige Adressatin war. Und die Zeilen 58–61, in denen Margarethas Bedeutung für andere sichtbar wird, lassen in ihrer Verknüpfung mit dem Hauptteil darauf schliessen, dass deren Funktion im Brief nicht nur auf Heinrich bezogen werden darf, sondern dass hier eine Öffnung der Freundschaft Margarethas mit Heinrich auf einen Kreis von fründen (Z. 75) geschieht. Ihre Funktion in diesem Teil des Briefes liegt ganz in der Rolle als Fürbitterin. Sie findet in der Funktion als ›Stamm‹ und ›Wurzel‹ (Z. 60 f.), an denen alle ›Zweige‹ Anteil haben, ihre Bestimmung. Ihrerseits kann sie die Rolle der Fürbitterin nur wahrnehmen, weil sie in einem innigen Verhältnis zu Gott dargestellt wird und selbst Anteil an den Früchten der Auferstehung hat. Margaretha wird demnach über den ganzen Brief hinweg als ideale Fürbitterin aufgebaut und dies nicht nur für den wird; vgl. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 195 ff. ad 159. Dieser Topos beruht darauf, dass im späteren Mittelalter bei der Messe die Betonung des Darbringens den Opfergedanken theologisch verstärkte. Das dargebrachte Opfer erlaubte, in der Erwartung einer Gegengabe besondere Bitten zu stellen. Aus diesem Grunde wurde die Messe zu einem Mittel, das spezielle Früchte erbrachte; vgl. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 494. Die erhofften Wirkungen oder ›Messfrüchte‹ wurden überdies in Merklisten festgehalten; vgl. ebd., S. 497. Der in den Engelthaler Texten benützte Wortlaut des Topos kann auf eine lateinische Formel der zehn Messfrüchte zurückgeführt werden, die im 14./15. Jh. am weitesten verbreitet war und der zufolge durch die Messe Seelen aus dem Fegefeuer befreit und Sünder bekehrt werden; vgl. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 197. Bei Christine Ebner etwa wird letztlich ihr eigenes Leben zu einem Zeichen der Treue Gottes: Gott erweist anderen durch ihr Leben die Gunst der Gnadenfrüchte. Damit aber steht der Topos nicht mehr als charakteristische Bezeichnung der Frucht der Messe, »sondern des Gnadenlebens einer Person«: ebd., S. 198. Heinrichs Brief XI lässt an diese Auffassung denken. In der Einleitung wird das Bild Margarethas innerhalb des Wunsches aufgebaut, an der Frucht des Ostergeschehens teilzuhaben, die ja zugleich auch die Frucht der Messe ist. Die (Gnaden-)Frucht in Z. 2 stünde danach als Ausdruck für das Gnadenleben Margarethas. In diesem Sinne kann auch ihre Anrede als Der seligen frucht im vorausgehenden Brief X , 1 verstanden werden: Strauch, S. 183.

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Briefschreiber, sondern auch für einen weiteren Kreis genannter und ungenannter Freunde. Im Anschluss an diese Funktion der Adressatin kann Heinrich nun eine Grussliste folgen lassen. Der Brief endet mit dem Gruss des Auferstandenen an seine Jünger pax vobis (Z. 75).24 Hierbei handelt es sich um einen von Heinrich oft gebrauchten Segensgruss, der in elf anderen seiner Briefe auf Deutsch auch mit got si mit euch (dir) umschrieben wird25 und der zur Lektüre des Gesamtbriefes nichts beiträgt. Zusammenfassend kann zur Beziehung zwischen den einzelnen Teilen des Briefes XI gesagt werden: Heinrich unterlegt ihm eine Sinnstruktur. Diese wird mittels der Person Margarethas, die er in der Teilhabe an verschiedenen Momenten des christlichen Heilsgeheimnisses darstellt, aufgebaut. Er selbst sieht sich in der Rolle des Sünders und drückt immer wieder seine humilitas aus. In dieser Verbindung der eigenen Schwachheit auf der einen und der Teilhabe Margarethas an Gott in der unio auf der anderen Seite wird sie zu einer Mittlergestalt, die Heinrich (und weiteren Personen) die Gnadenfrüchte des Ostergeschehens zukommen lassen soll. Damit hebt Heinrich seine Beziehung zur Briefempfängerin auf eine neue Stufe: Nicht die Betrübnis über die Abwesenheit des Freundes, wie sie in den Zeilen 6–10 ausgedrückt wird, bindet die beiden aneinander, sondern die Liebe zu Gott und der Wunsch, Anteil an ihm zu haben.

2.4 Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin im Brief In der vorausgegangenen Textanalyse wird für Brief XI eine wohldurchdachte Gliederung erkennbar: Es lässt sich eine gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Teile und der Aufbau einer Sinnstruktur ausmachen. Noch fehlt aber deren Betrachtung im Kontext jener Briefstellen, die bis jetzt bewusst ausgeklammert worden sind. Die Aufgabe wird sein, aufbauend auf der vorangegangenen Textinterpretation, die Funktionen Heinrichs und Margarethas füreinander und für andere im Kontext des ganzen Briefes zu betrachten. Die Funktion des Autors kann dabei aus der von ihm selbst vorgenommenen Strukturierung des Briefes und aus Ich-Aussagen herausgearbeitet werden. Die Bedeutung der beiden füreinander kann in diesem 24 Io 20, 21. 25 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 124.

Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin

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Kapitel also nur vom Text her beurteilt werden, ohne dass damit bereits etwas über eine reale Beziehung zwischen Heinrich und Margaretha gesagt sein muss. 2.4.1 Die Funktionen von jamer und liecht Zu Beginn des Briefes XI verdeutlicht allein schon die Wortwahl, dass zwischen Adressatin und Briefschreiber eine Ungleichheit in der Beziehung entsteht: Margaretha wird zur ›angebeteten‹ Empfängerin des Briefes, der gegenüber sich Heinrich ausdrücklich zurücknimmt.26 Kontrastierend zu seinen Selbstbezeichnungen betont er also bereits in den ersten Zeilen des Briefes die vorzügliche Stellung, die sie ihm gegenüber innehat. Es wurde bereits gezeigt, dass diese Konstellation auch im Hauptteil des Briefes übernommen wird.27 Die nächsten Schritte in der Untersuchung von Brief XI sollen nun von der Frage nach der Art und Weise geleitet werden, wie Heinrich dieses Verhältnis in den beiden Hauptteilen des Briefes aufbaut. Erster Teil: mich jamert nach dir Nachdem Heinrich seine Beziehung zu Margaretha in der eben beschriebenen Weise dargestellt hat, drückt er seine Verwunderung aus, dass sie ein Verlangen nach ihm empfindet. Die Nonne muss in einem Brief oder bei einem seiner Besuche in Medingen ihrer Sehnsucht nach ihm Ausdruck gegeben haben, die nun im ersten Hauptteil zum Ausgangspunkt und Grundthema des Briefs wird. Aus Brief LXVII ist uns ein solches Begehren überliefert. Dort schreibt Margaretha an Heinrich: [. . .] das ich deiner gegenwertigkeit beger und ir auch notürftig wer.28 Eine entsprechende Äusserung hat demnach das Schreiben des Briefes XI evoziert. Wenigstens der erste Hauptteil kann folglich als Antwort auf eine solche Aussage verstanden werden. Auffällig ist zumindest, wie das Nomen jamer (oder die Verbform jamert) im ganzen ersten Hauptteil immer wieder Verwendung

26 Ein Verhältnis der Ungleichheit wird etwa in den Briefen Heinrich Seuses gerade umgekehrt aufgebaut, indem dieser sehr oft die Nonne Elsbeth Stagel mit min kind anspricht und damit die Rolle des Vaters und Lehrers übernimmt; vgl. Briefbüchlein VIII , Seuse, S. 384, 14. 27 Vgl. Kap. 2.3.3. 28 Brief LXVII , 50 f., Strauch, S. 282.

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findet.29 Das Verlangen Margarethas nach Heinrich gipfelt im Ausruf in Zeile 15: mich jamert nach dir. In dieser Zeile beginnt Heinrich auch, vom Ursprung der Sehnsucht Margarethas zu sprechen; er erreicht damit den eigentlichen Höhepunkt des ganzen Abschnitts. Indem er sich (und der Adressatin) über diese Herkunft Rechenschaft gibt, kann er jetzt Margarethas Sehnen nach der volkumenheit aller derwelten (Z. 25f.) verstehen. Ihr Herz wurde ja zuvor als ein mit den Geheimnissen Gottes vertrautes geschildert,30 das aus der Erfahrung des Schauens heraus nun das Geringe sucht, das selbst noch nicht an solchen Erfahrungen Anteil zu haben scheint, um dem ›Armen‹ (an dieser Stelle kann der Name Heinrichs eingesetzt werden) aufzuhelfen und ihn zu Gott zu führen. Heinrich sieht sich als einer unter all jenen, die Gott zu den seinen und erwelten rechnet und für die Margaretha die Vollkommenheit ersehnt. Damit knüpft er wieder am Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu Beginn des ersten Hauptteiles an – bei dem sehnlichen Verlangen Margarethas nach einem ›kleinen Wurm‹ – und kann ihr nun zeigen, dass sie sich eigentlich nicht so sehr aufgrund seiner (leiblichen) Abwesenheit nach ihm sehnt, sondern weil sie von der gleichen Sehnsucht, wie sie Gott eigen ist, getrieben wird und deshalb das Verlangen nach schwachen Menschen verspürt, die ihrerseits nach ihrer Vollendung in Gott verlangen.31 Margaretha kommen hier marianisch-ekklesiologische Züge zu, indem ihr Wunsch und ihre Aufgabe dargestellt werden, Seelen zu Gott zu führen. Heinrich bringt seine Ausführungen über die Sehnsucht Margarethas unter Heranziehung eines Abschnitts aus dem Johannesevangelium zum Abschluss. Er legt den Versen von der Himmelfahrt Christi, welche die Herabkunft des Heiligen Geistes überhaupt erst ermöglicht, im Kontext der vorausgehenden Verse indirekt seine eigene Beziehung zu Margaretha zugrunde: Heinrich stellt ihre Sehnsucht nach ihm so dar, dass dieses Begehren eigentlich nicht durch seine (körperliche!) Abwesenheit hervorgerufen wird, sondern durch seine Schwachheit und Unwürdigkeit. Diese bewirkten in Margaretha jenes Verlangen nach ihm, das die frucht der urstend hervorbringt, nämlich die Früchte des Heiligen Geistes, der uns hie ler alle warhait ze minen, bis wir sie dort in vollem antlutz bekenen.32 29 In den Zeilen 6, 15, 18, 22, 25 u. 26. 30 Vgl. Z. 10–15. 31 Auch wenn Heinrich in Z. 27 f. wieder von seiner Person schreibt, kann er weiterhin als Teil der ›Erwählten‹ verstanden werden. 32 Z. 31–33. Das Verlangen an sich wertet Margot Schmidt bereits als Erfüllung des religiösen Strebens: »As for Gregory of Nyssa, for Mechthild and, follow-

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Zweiter Teil: von der groszen des durchglestigen liechtz Jhesu Christi Die Zweiteilung des Hauptteiles ergibt sich aufgrund einer erneuten Äusserung Margarethas, die sie Heinrich gegenüber diesmal sicher brieflich gemacht hat und auf die er wiederum Bezug nimmt.33 Margaretha muss von einer Erfahrung berichtet haben, in deren Zusammenhang sie das Wort liecht gebraucht hat.34 Heinrich stellt diese Erfahrung nicht in Abrede, sondern versucht, sie in eigene Worte zu fassen. Zuvor beteuert er seine Unwürdigkeit und Unfähigkeit. Sich selbst schreibt er demnach eine solche Erfahrung nicht zu, weiss aber ihre Rede vom durchglestigen liecht (Z. 37) aufzunehmen, indem er in Zeile 46 auf eine Lichtmetapher des Jakobusbriefes zurückgreift (Iac 1, 17), wo es heisst: omne datum optimum et omne donum perfectum desursum est / descendens a Patre luminum.35 Die Annahme, es handle sich hier um eine Bezugnahme auf den Jakobusbrief, liegt nahe, weil sich die Rede vom in geseit wort (Z. 50) in der Bibel nur gerade in Iac 1, 21 findet: [. . .] in mansuetudine suscipite insitum verbum / quod potest salvare animas vestras. Eine ›Seele‹, die ›durch das eingesäte Wort geheiligt‹ ist, wird im Brief ja unmittelbar anschliessend in den Zeilen 51–53 ing her, for Heinrich, too, the yearning and longing alone are in themselves bliss because a human being can never go beyond longing in this life; this means that longing is both an essential element of human love of God and a driving force behind ecstasy«: An Example of Spiritual Friendship. The Correspondence between Heinrich of Nördlingen and Margaretha Ebner, aus dem Deutschen übers. von Susan Johnson, in: Maps of Flesh and Light. The Religious Experience of Medieval Women Mystics, hg. von Ulrike Wiethaus, New York 1993, S. 74–92, hier: S. 81 f. 33 Vgl. Z. 38 f.: als du mir selber schribest. 34 Heinrich gebraucht die Lichtmetaphorik sehr oft, vgl. die Briefe VI , 11–18, Strauch, S. 177 f.; IX , 10–12, ebd., S. 181; X, 3 f., ebd., S. 183; XIX , 22, ebd., S. 202; XLIII , 20–34, ebd., S. 243. Die Verwendung einer Lichtmetapher für eine Gotteserfahrung hat eine lange Tradition und ist bei allen in dieser Arbeit zitierten mittelalterlichen Autoren anzutreffen; vgl. v. a.: Mechthild von Magdeburg, Das fliessende Licht der Gottheit, nach der Einsiedler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung, hg. von Hans Neumann, Bd. 1: Text, besorgt von Gisela Vollmann-Profe, München 1990 (MTU 100) (im Folgenden abgekürzt mit FL ), V 1, 18–41, S. 152 f. u. a. von Lichtphänomenen ist in den Nonnenviten oft bei der Begegnung mit Gott in der Hostie die Rede; vgl. Be´atrice W. Acklin Zimmermann, Gott im Denken berühren. Die theologischen Implikationen der Nonnenviten, Vorwort von Ruedi Imbach (Dokimion 14), Freiburg/Schweiz 1993, S. 81–85. 35 Mit dem Ausdruck usprung des liechtz (Z. 46) ist Gottvater gemeint, der in Iac 1, 17 pater luminum genannt wird.

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beschrieben.36 Heinrich lässt sich in seinem weiteren Gedankengang also nicht mehr von der Erfahrung des Lichtes leiten, von der Margaretha geschrieben hat, sondern folgt der von ihm gewählten Bibelstelle. Zuvor aber lässt er den Ausdruck des Vertrauens bezüglich der Erfüllung des Willens Gottes an Margaretha (Z. 42–45) in eine Stelle aus dem Epheserbrief münden (Z. 45): scire etiam supereminentem scientiae charitatem Christi / ut impleamini in omnem plenitudinem Dei.37 Diese Bibelstelle erlaubt es ihm, das bis jetzt Gesagte zu überhöhen: Heinrich erhofft sich für Margaretha die Erfahrung der unio.38 Sie soll in ihrer Seele das Wort empfangen und ihrem Herrn Jesus Christus eine Herberge sein.39 Erst diese Erfahrung verhilft der Seele zu dem weiten umbswaiff (Z. 51), der den ›Geliebten Jesus Christus‹ aufzunehmen vermag. Die Sehnsucht Margarethas nach Heinrichs Anwesenheit und eine von ihr mitgeteilte Lichterfahrung werden für ihn zu den beiden Ausgangspunkten und strukturierenden Momenten seines Briefes, wobei er sich auch von den Bibelstellen leiten lässt, die er zu den vorgegebenen Themen heranzieht. In seinen Überlegungen, die er auf dieser Grundlage entwickelt, erhält Margaretha marianische Züge und Marias Funktion als Mittlerin. Heinrich auf der anderen Seite kommt die Funktion des Teilhabenden zu. Was für eine Möglichkeit der Lektüre ergab sich nun für Margaretha (und für andere) aufgrund dieses deutlichen Bestrebens, den Brief derart zu strukturieren?

36 Mit dem bei Jakobus verwendeten Verb suscipere ist das enpfangen ausgedrückt, das Margaretha in Zeile 36 zuteil wird. 37 Eph 3, 19. Auf den Abschnitt Eph 3, 14–21 greift Heinrich im Brief gleich dreimal zurück; vgl. Kap. 3.1. 38 Mit den Worten vor deinem end (Z. 44) deutet Heinrich an, dass die Erfahrung der Entrückung des Menschen in Gott bereits vor dem leiblichen Tod gemacht werden kann, wenn auch nur in einem Augenblick. Dazu meint Heinrich Seuse im ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ (im Folgenden abgekürzt mit BdeW): v Wan geswind in eime ogenblike wirt es [daz herz] verzucket, und bin denn bloz o und gelazen, etwenn gnu nah, als ob ich es nie hetti gewunnen, unz daz es aber nach herzklichem jamer wider kumt: IX , Seuse, S. 234, 6–8. 39 Heinrich bewegt sich bei diesem Gedankengang immer noch im Epheserbrief; vgl. Kap. 3, Anm. 19.

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2.4.2 Von der cogitatio zur contemplatio Heinrich grüsst zu Beginn des Briefes Margaretha als die von Gott besonders Geliebte, nimmt sich selbst dagegen in einem Unwürdigkeitstopos zurück (Z. 1 f.). Aus dieser Figurenkonstellation heraus formuliert er für sie den Wunsch der Briefeinleitung.40 Heinrichs Rolle im Heilsgeschehen, das die Einleitung aufbaut, ist demnach nicht die eines Aussenstehenden und damit Passiven, wie das die Anrede und der Unwürdigkeitstopos in den beiden ersten Zeilen vermuten lassen könnten, sondern erst auf seinen Wunsch hin wird Margaretha in das österlich-pfingstliche Geschehen hineingenommen und auf Gott als ihr Ziel hin ausgerichtet. Heinrich beginnt demnach bereits in der Einleitung, die Funktion Margarethas zu konstruieren. Schon aus den ersten Zeilen des Briefes wird also ein Widerspruch ersichtlich, der sich über den ganzen Brief hin erstreckt: Heinrich vermag, trotz seiner behaupteten Unwürdigkeit, Margaretha auf Gott hin auszurichten. Im gleichen Sinne steht die Einleitung auch in einer Spannung zu den V . 6–15. Ist in jener der eigentliche Beweggrund für das Erlangen der österlichen Frucht der Wunsch Heinrichs und damit dieser selbst, so wird er zu Beginn des Hauptteiles wieder in seiner Bedeutungslosigkeit dargestellt, die Adressatin dagegen mit einem Herzen ausgestattet,41 welches das Wesen Gottes zu erfassen vermag; darüber hinaus wird Margaretha in die Nähe von Christus und Maria gerückt. Die Feststellung, Heinrich beziehe sich hier auf die Sehnsucht Margarethas nach seiner Gegenwart, kann zwar als Ausgangspunkt für den ganzen ersten Hauptteil angesehen werden, erklärt aber nicht die der Briefstelle innewohnende Spannung. Denn auch die Zeilen 15–29, die sich auf den jamer Margarethas beziehen, kontrastieren auffallend mit der Beschreibung, die Heinrich kurz zuvor von sich selbst gibt: Sie nehmen ihren Ausgang im Teilsatz doch wen ich (Z. 15), nachdem er sich gerade noch selbst in Topoi der Bescheidenheit zurückgenommen hat (Z. 14). 40 Das mhd. Wort entbieten wird in den folgenden Überlegungen nicht nur als konventionelles Verb der Briefeinleitung angesehen, sondern mit einem tieferen Sinn versehen: Es kann mehr als einen Wunsch ausdrücken. Eine andere Übersetzung des Wortes wäre: ›darreichen‹, ›bieten‹; vgl. Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 1, Leipzig 1872, Sp. 544. Diese Übersetzung drückt noch deutlicher die aktive Rolle Heinrichs beim Evozieren der Teilhabe Margarethas an den Früchten der Auferstehung aus. 41 Da Heinrich von Nördlingen das Wort ›Herz‹ in Brief XI zehnmal verwendet, scheint es ihm sehr wichtig gewesen zu sein.

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Der Brief XI

Eine erste Deutung dieser Spannung zwischen der behaupteten Unwürdigkeit Heinrichs und seiner aktiven Rolle bei der Darstellung der Teilhabe Margarethas am göttlichen Heilsgeschehen wurde bereits gegeben: Seine Unvollkommenheit, nicht etwa seine Abwesenheit von Medingen, bewirkt in ihr diese starke Sehnsucht nach ihm.42 Was erlaubt Heinrich nun aber konkret, Margarethas Sehnsucht so zu beschreiben, als sei diese von seiner eigenen Situation der Unwürdigkeit abgehoben? Um diese Frage zu beantworten, soll hier ein Satz aus dem einzigen erhaltenen Brief Margarethas an Heinrich herangezogen werden. Darin drückt Margaretha die Spannung zwischen Heinrichs gebrest und dem Verlangen nach seiner Vollendung in Gott folgendermassen aus: nu beger ich deiner verdruckten demutigkeit, das du derhaben werdest von dem crisen in den hohen flug des adlers meines lieben heren sant Johannes uf das minende hertz meins liebs Jhesu Christi [. . .].43

Mit dieser Redeweise bedient sich Margaretha der Metapher des Vogelfluges, wie diese im Dominikanerorden durch Albert den Grossen und Thomas von Aquin bekannt war.44 Beide Theologen sahen »im Evangelisten Johannes das grosse Vorbild kontemplativ-aktiven Lebens«,45 wobei der »Höhenflug des Adlers bedeutet, dass Johannes die göttlichen Dinge durch das göttliche Licht selber beschreibt«.46 Der Evangelist Johannes steht bei beiden Theologen für die höchste Form der Vision: die intellektuelle.47 42 Vgl. Kap. 2.4.1, erster Teil. 43 Brief LXVII , 15–18, Strauch, S. 281. 44 Vgl. Martina Wehrli-Johns, Das Selbstverständnis des Predigerordens im Graduale von Katharinenthal. Ein Beitrag zur Deutung der Christus-JohannesGruppe, in: Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität, hg. von Claudia Brinker u. a., Bern usw. 1995, S. 241–271, hier: S. 245 f. Zur Bildlichkeit des an der Brust Jesu ruhenden Evangelisten Johannes vgl. Kap. 3.4.3. 45 Wehrli-Johns, Das Selbstverständnis, S. 246. 46 Ebd. 47 Jeffrey F. Hamburger konnte nachweisen, dass in der ›Vita‹ Heinrich Seuses der Adler als Symbol den Pelikan dort ablöst, wo der Übergang vom ›anfangenden Menschen‹ zum ›fortgeschrittenen‹ stattfindet. Der Adler steht darum in der ›Vita‹ nicht nur für Christus, sondern auch für Seuse oder jene, die ihm nachzueifern versuchen: Medieval Self-Fashioning. Authorship, Authority, and Autobiography in Seuse’s Exemplar, in: Christ among the medieval Dominicans. Representations of Christ in the Texts and Images of the Order of Preachers, hg. von Kent Emery and Joseph Wawrykow, Notre Dame 1998, S. 430–461, hier: S. 446.

Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin

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Die Verwendung der Metapher des Vogelfluges in der Intellekttheorie der Dominikaner Albert und Thomas knüpft an eine bestehende Tradition an. Diese ist bereits im 12. Jahrhundert in der Schule von St. Viktor zu finden und wird dort im Zusammenhang mit dem Erkenntnisaufstieg des Menschen (ascensus) und dem dabei zu vollziehenden Übergang vom Sichtbaren zum Unsichtbaren verwendet.48 Jede Stufe dieses ascensus bezeichnet eine charakteristische Erkenntnisweise. Hugo von St. Viktor unterscheidet drei Stufen des inneren Sehens: cogitatio – meditatio – contemplatio.49 Zur Bezeichnung der höchsten Erkenntnisschau steht für den Terminus contemplatio auch contuitus, die zusammenfassende Überschau, die vor allem dem Evangelisten Johannes zugeschrieben wird.50 Richard von St. Viktor veranschaulicht die Kontemplation deshalb durch die Metapher des Vogelfluges: Während sich die cogitatio (die kurze, zufällige Berührung des Gesehenen oder Erinnerten) nur kriechend fortbewegen kann und die meditatio (das beharrliche Verfolgen eines Gegenstandes) dem Gehen entspricht, ist die contemplatio durch den Flug ausgezeichnet, der schon bei Johannes Scotus auf den »Adler-Evangelisten Johannes«51 bezogen wird. Margarethas Brief zeigt, dass sie die Metapher des Adlerfluges aus der Tradition ihres Ordens gekannt hat. Ihre Äusserungen von der ›demütigen Niedrigkeit‹ Heinrichs, die sich zum hohen Flug des Adlers des Evangelisten Johannes aufschwingen soll, dürfen daher vor dem Hintergrund des Erkenntnisaufstieges gesehen werden, wie er für die Schule von St. Viktor beschrieben wurde. Wenn Margaretha um diese Vorstellung wusste, so darf dies auch von Heinrich angenommen werden. Während in Brief XI die Metapher des Fluges der contemplatio allenfalls im Verb sweben der Zeile 56 erkennbar ist, kann das die cogitatio veranschaulichende Kriechen hingegen in den Topoi der Unwürdigkeit Heinrichs ausgemacht werden.52 Deutlicher noch als in Brief XI an das ›Kriechen‹ der cogitatio anschliessend, bezeichnet er sich in Brief XLVIII als ain armes wirmlin, kriechendes leider uf der 48 Zum Folgenden vgl. Christel Meier, Malerei des Unsichtbaren. Über den Zusammenhang von Erkenntnistheorie und Bildstruktur im Mittelalter, in: Text und Bild, Bild und Text, DFG -Symposion 1988, hg. von Wolfgang Harms (Germanistische Symposien. Berichtsbände 11), Stuttgart 1990, S. 35–65, hier: S. 39–41. 49 Vgl. ebd., S. 40. 50 Vgl. ebd., S. 41. 51 Ebd., S. 40 und 44. 52 Den ›Flug‹ thematisiert Heinrich in Brief XXXVIII , 3, wenn er von einem minenden flug spricht: Strauch, S. 233.

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Der Brief XI

erden mit seinem ungenemen leib.53 Das nach Brief XI in Margaretha gelegte (göttliche) Verlangen, zu Gott zu streben und gleichzeitig andere Menschen zur Vollkommenheit zu führen, findet in Heinrich also die geeignete Voraussetzung eines ascensus. Er spricht von Margaretha als von der ihm liebsten und getruwesten in unszerm heren Jhesu Christo (Z. 1f.) in Abgrenzung zu ihm selbst, der Margaretha wohl als der unio teilhaftig geworden darstellt, sich selbst aber keinen Anteil an der Kontemplation zuschreibt. Dagegen kann er in der Beschreibung der Erfahrung der Adressatin die »ungewöhnliche Reichweite der Kontemplation zum Tiefsten und Höchsten [. . .] und ihr besonderes Fassungsvermögen«54 veranschaulichen. Die körperliche Abwesenheit Heinrichs und die aus diesem Schmerz entspringende Sehnsucht Margarethas nach ihrem unwirdigen friund ermöglicht ihr – so wenigstens in der Darstellung Heinrichs – den Aufstieg zur Gottesschau. Mit anderen Worten: Die Vorstellung des Erkenntnisaufstiegs, wie sie die Schule von St. Viktor und die dominikanische Scholastik gekannt haben, findet in der Beziehung von Autor und Adressatin eine Konkretisierung, die als Reflex dieses Erkenntnisaufstiegs aufgefasst werden kann. In der Verbindung zwischen Heinrichs Unwürdigkeit und Margarethas Überhöhung kann die cogitatio zur contemplatio streben und die unio-Erfahrung vorbereiten. Damit soll nicht behauptet werden, Margaretha hätte bei der Verwendung der Metapher des Vogelfluges oder auch beim Lesen der Briefe ihres Briefpartners die ganze Theorie des Erkenntnisaufstiegs mitbedacht. Die in Brief XI eingesetzte Stelle aus dem Johannesevangelium vom Weggang Jesu und der Herabkunft des Heiligen Geistes wird ihr im Zusammenhang des ganzen Briefes wohl einfach besagt haben, die Abwesenheit des geliebten Seelenfreundes bewirke in ihr eine verstärkte Liebe zu Gott. Margaretha muss sich in der Vorstellung wieder gefunden haben, ihr Schmerz bewirke eine grössere Liebe, weil sie selbst später in der Ausformulierung der Flugmetapher Heinrich wünscht, sein Leiden möge ihn zur 53 Z. 5, ebd., S. 256. Das Sprechen mittels der Metaphern vom Flug des Adlers und der Fortbewegung des Kriechens war im Mittelalter im Zusammenhang mit Mystik üblich. Von einem Dominikaner werden nach seinem Gespräch mit Franziskus von Assisi in Siena folgende Worte überliefert: »[. . .] die Theologie dieses Mannes [. . .] ist ein fliegender Adler; unsere Wissenschaft aber kriecht auf dem Bauche über die Erde«: Thomas von Celano, Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi, Einführung, Übersetzung, Anmerkung von Engelbert Grau (Franziskanische Quellenschriften 5), 4., neu bearb. Aufl., Werl 1988, II . Buch, Kap. 69, S. 314. 54 Meier, Malerei des Unsichtbaren, S. 44.

Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin

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Gottesschau führen.55 Dass aber zumindest Heinrich bewusst eigenes Leiden thematisiert, um Margaretha den transitus zu Gott zu ermöglichen, der ihm schlussendlich selbst wieder zugute kommen soll, zeigt folgende Stelle: [. . .] dar umb so bit ich dich mit allem flisz meins hertzen, das du dich wol gehaist in meinen liden, wan ich dirs dar umb nit geschriben han, das du dar inne menschlich betrübt werist, mer dar umb, das du dich in got erhübist mit einer neuwen begird uber mich, das ichs getragen mug, und auch uber mein feind, das sich got uber si erbarm.56

2.4.3 Zugleich Schüler und Lehrer In der Anrede des zweiten Hauptteiles – meins hertzen iners, rains lieb in deinem lieb Christo Jhesu (Z. 33 f.) – ändert sich die Perspektive insofern, als Margaretha nicht mehr dargestellt wird, wie sie mit Sehnsucht Heinrich sucht, der ihre intensive Christusbeziehung gleichsam nur sekundierend von aussen her betrachtet, sondern als eine, die nun das Innere seiner Person ausmacht. Bei dieser Neuakzentuierung der Beziehung scheint es sich auf den ersten Blick nur um das Austauschen von Formeln zu handeln. Die Differenz in der Wortwahl wird sich aber auch in den folgenden Zeilen im Verhältnis beider widerspiegeln. Trotz der erneuten Zurücknahme seiner selbst – als vil mich mein gepresten lant (Z. 43) – spricht der Briefschreiber im zweiten Hauptteil zum ersten Mal von einer eigenen Beziehung zu Christus, nämlich vom getrüwen in diesen (Z. 42), er möge an Margaretha seinen willen vollbringen (Z. 44 f.). Die unerwartete Bitte Heinrichs für Margaretha in Zeile 41 – so wie das Verhältnis zwischen den beiden bis jetzt aufgebaut wurde, müsste die Fürbitte umgekehrt erfolgen – ist insofern vorbereitet, als er ja bereits in der Briefeinleitung als jener auftritt, der für sie einen Wunsch ausspricht. Trotz aller Beteuerung der eigenen Unwürdigkeit ist sich Heinrich sicher, seine folgende Bitte für Margaretha entspreche dem Willen Gottes. So entwickeln sich auch die Zeilen 42–56 aus seinem eigenen Bitten für die Nonne heraus, auch wenn er noch kurz davor von der vermessenheit (Z. 39 f.) schreibt, etwas zu ihren Erfahrungen zu sagen. In Zeile 43 nun fügt er seine gepresten wieder ein, die ihm in den vorausgehenden Abschnitten erlaubten, Margaretha von sich selbst abzugrenzen und sie in die Sphäre Gottes zu 55 Dahinter steht allgemein die positive Wertung des Leidens, die biblischen Ursprungs ist; vgl. II Cor 1, 5–7; Eph 3, 13 u. a. 56 Brief X , 20–26, Strauch, S. 183 f.

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Der Brief XI

rücken. Liest man die Bemerkung gar geren begert mein sel für dich, wan des bederft ich mer dan du (Z. 41 f.) im Kontext der bisherigen Ausführungen, so wird deutlich, dass Heinrich seinen Wunsch für Margaretha nach einer Erfahrung der unio auch auf sich bezieht, da er an ihr teilhat, wie er es in der Anrede in den Zeilen 33 f. bereits vorwegnimmt. Heinrich bietet im Brief für Margaretha daher nicht nur den Ausgangspunkt des Aufstieges zur unio, sondern bedarf seinerseits der himmlischen Reinheit Margarethas, die bereits Anteil an der Liebe Gottes hat,57 damit sie ihn, den seine Schwachheit nach unten zieht und noch auf der Erde kriechen lässt, ebenfalls zu Gott führt. Der Trost des Heiligen Geistes (und damit die Teilhabe am göttlichen Leben), der ihr in der Einleitung gewünscht wird, kann aufgrund der bisher gemachten Überlegungen nun auch ihn erreichen. Gerade wegen seiner Schwachheit darf dieser jetzt bereits Gott lieben und auf die Gottesschau hoffen, da Margaretha ihm in ihrer Sehnsucht nach dem Schwachen zu Hilfe kommt. Die erneute Zurücknahme seiner selbst in den Zeilen 35–42 erlaubt ihm, im Sinne der Spannung zwischen eigener Schwachheit und Margarethas einzigartiger Stellung gleichsam als objektiver Betrachter von aussen für sie die Bildlichkeit der unio zu entwerfen, die er selbst nicht erfahren hat, deren Früchte er aber durch sie zu erhalten hofft. Der Autor tritt offenkundig als Fürbitter auf, in einer Funktion also, die im Brief – es sei hier vor allem auf den Schluss verwiesen – sonst eigentlich von der Adressatin erhofft wird. Das Verhältnis von Autor und Empfängerin des Briefes ist demzufolge ein wechselseitiges: Indem er ihre Erfahrungen in Worte fasst und für sie die Erfahrung einer unio erbittet, gestaltet er sie zu seiner Mittlerin und Fürbitterin, durch die er sich Zugang zu Gott erhofft. Heinrich ist also Lehrer und Seelsorger, wo er es versteht, auf die von Margaretha mitgeteilte Erfahrung einzugehen, diese in Worte zu fassen und Margaretha zu einer intensiven Gotteserfahrung zu führen. Er macht sich aber auch zu ihrem Schüler und zum Teilhabenden, wo Margaretha ihm das Heil zu vermitteln weiss.58 In diesem Zusammenhang muss das meta57 Diese Ausdrücke stammen vom Autor selbst, vgl. Z. 6 f.: dein reins hertz und dein minendes hertz und dein himelschü sel. 58 Claudia Opitz meint zu dieser Beziehung zwischen Heinrich und Margaretha in: Evatöchter und Bräute Christi. Weiblicher Lebenszusammenhang und Frauenkultur im Mittelalter, Weinheim 1990, S. 82: »Während nämlich dominikanische und franziskanische Seelenführer und Beichtväter im allgemeinen darum bemüht gewesen waren, ihren Beichttöchtern den Weg zur richtigen Lehre vorzudenken [. . .], liess sich der Seelsorger Margarethes von seiner ›geistlichen‹ Tochter faszinieren. Die Beziehung beider war weniger als Leh-

Die Beziehung zwischen Autor und Adressatin

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phorische Sprechen in Zeile 33, wo Margaretha das Innere von Heinrichs Herzen ausmacht, verstanden werden. Margaretha, deren Herz die höch, die leng, die brait, die düifti und die grosz gotz zu erkennen vermag (Z. 12 f.), erfüllt Heinrichs Herz mit ihrer Gegenwart, um diesem die Gnade(nfrüchte) zu schenken, damit es hie alle warhait minen kann, um die Wahrheit dort in vollem antlutz zu bekenen (Z. 32 f.). 2.4.4 Beidseitiges Aufeinanderbezogensein In der dritten Anrede – du meins hertzen geträwes hertz und meiner sel geträwe sel (Z. 53 f.) – ist das Verhältnis zwischen Margaretha und Heinrich wieder verändert. Stand er beim ersten Mal noch sozusagen neben (und unterhalb) der in Christus ruhenden Briefpartnerin und das zweite Mal (mit Margaretha im eigenen Inneren) der in Christus geliebten Nonne gegenüber, so wird nun bei dieser erneuten Anrede nicht mehr explizit auf ihre Beziehung mit Christus Bezug genommen: Es ist jetzt vor allem das Verhältnis zwischen Margaretha und Heinrich, das im Mittelpunkt steht.59 Diese erneute Veränderung der Relationen zwischen Christus, Margaretha und Heinrich in der Anrede nimmt den folgenden Wunsch und die Zeilen 58–61 vorweg: Margaretha wird in ihrer konkreten Funktion für Heinrich (und in der Öffnung dieser Beziehung auf andere Menschen hin) beschrieben, sie nimmt einen erhabenen Platz als Mittlerin ein, indem Heinrich sie über sich schwebend darstellt und sie direkt darum angeht, ihm Anteil an ihrer Erfahrung zu geben. Im Schlussteil erwähnt Heinrich Minnebriefe, an denen er gearbeitet hat.60 Diese Anmerkung ist für die Betrachtung des Gesamtbriefes von rer-Schülerinnen-Konstellation angelegt, sondern lebte sehr stark aus einer gegenseitigen Inspiration und Erkenntniserweiterung, war getragen von der bewundernden Anerkennung des mystischen Erlebens der Nonne durch den Geistlichen.« Diese Aussage bedarf insofern einer Differenzierung, als die ungewöhnliche Rollenaufteilung nicht psychologisierend, sondern typenspezifisch interpretiert werden muss. 59 Zwar wird unmittelbar zuvor in Zeile 53 Christus noch erwähnt, doch schliesst diese Nennung die Metapher von der ›Seele‹ als der ›Herberge Christi‹ ab. Der Wunsch, der der erneuten Anrede folgt, bezieht sich auf den ganzen Abschnitt Z. 44–53 und nicht nur auf den letzten Teilsatz. Die Beziehung zwischen Margaretha und Heinrich setzt also jene zwischen der Nonne und Christus voraus. 60 Von denselben Briefen wird in Brief XV , 32 f. gesagt: dein brif send ich dir, die han ich berait mit gutem flisz: Strauch, S. 193. Philipp Strauch meint in einer

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Der Brief XI

Bedeutung, denn demzufolge wäre die Rolle des Briefschreibers in seiner Beziehung zu Margaretha tatsächlich eine weitaus aktivere, als er dies nach Brief XI erkennen lässt. Auch die Zeilen 6–15 und 35 f. sprechen dafür, dass Heinrich in dem uns vorliegenden Brief zu Andeutungen Margarethas Stellung nimmt, und die Aussagen über seine gepresten und seine Unfähigkeit demnach nicht einfach wörtlich verstanden werden können. Heinrich bringt zum Schluss Bitten zugunsten anderer Personen vor. Diese lassen sich durch ihn bei Margaretha empfehlen, und er bittet seine Freundin auch im eigenen Namen um ihre Fürbitte für seinen schuller Johannes (Z. 69–72). Dabei können zwei Dinge festgehalten werden: Einerseits ist Margaretha einem grösseren Kreis von Personen ausserhalb des Klosters bekannt und wird um ihre Fürbitte ersucht, andererseits scheinen auch viele um die besondere Beziehung zwischen Heinrich und Margaretha zu wissen, wird Heinrich doch von verschiedener Seite um seine Empfehlung angegangen. An dieser Stelle erscheint der Verfasser als eine Art Bindeglied zwischen den Bittstellern und Margaretha. Sie nimmt nun innerhalb dieses Briefes explizit die Stellung einer ›Fürbitterin‹ ein, nachdem sie für Heinrich bereits in Zeile 55 in dieser Funktion erschien. Die Spannungen im Verhältnis von Autor und Adressatin von Brief XI lassen erkennen, dass sich die Beziehung zwischen den beiden nicht in der von Heinrich gezeichneten eigenen Abhängigkeit von Margaretha erschöpft. Auch wenn er sich im Brief immer wieder zurücknimmt und Margaretha in bildhafter Sprache über sich erhöht, korrigieren jene Stellen des Briefes, welche die einzelnen Teile einleiten und untereinander verknüpfen, das Ungleichgewicht der Beziehung zugunsten einer aktiveren Rolle Heinrichs. Das beidseitige Aufeinanderbezogensein kommt in ihrer jeweiligen Funktion füreinander zum Ausdruck, die der Brief kontinuierlich aufbaut: Beide sind aufeinander ausgerichtet und bedürfen einander gegenseitig. Der Bezugspunkt ›Christus‹ ist ihrer Beziehung gemeinsam – und kann in der letzten Anrede in Zeile 54 als Selbstverständlichkeit fallen gelassen werden.

Anmerkung zu Brief XV : »Gemeint sind [. . .] Margarethas Briefe an Heinrich, die von diesem durchgesehen, vielleicht auch mit Zusätzen begleitet wurden [. . .]«: ebd., S. 335 f. ad 31 ff. Zu diesen Minnebriefen vgl. auch Kap. 6.5.

3 Die Bildlichkeit in den Briefen: Traditionen und Funktionen Da Brief XI Margaretha an verschiedenen Stellen und mit unterschiedlichen Mitteln in der unio mystica darstellt, ist bei ihm im Sinne der Einleitung dieser Arbeit von einem mystischen Text auszugehen.1 Dabei kann das mystische Sprechen vor allem über die Bildsprache bestimmt werden. Dass die Bildlichkeit »eine zentrale sprachliche Erscheinung der mystischen Texte ist«, konnte Susanne Köbele überzeugend zeigen.2 Margaretha war mit der in Brief XI verwendeten Bildlichkeit offensichtlich vertraut, da Heinrich sie weder einführt noch erklärt. Indessen sind deren Funktionen heute nicht mehr unmittelbar zugänglich. Deshalb versucht dieses Kapitel eine Annäherung an die Traditionen mystischen Sprechens in den Briefen zu erzielen. Es kann an dieser Stelle nicht um eine theoretische Auseinandersetzung mit den dabei verwendeten Begriffen gehen. Gleichwohl soll hier einleitend kurz etwas zu deren Gebrauch gesagt werden. Die Begriffe ›Bildlichkeit‹ und ›Metaphorik‹ werden in den folgenden Ausführungen als Oberbegriffe verwendet und schliessen verschiedene Formen der bildhaften Ausdrucksweise in den Briefen ein.3 Ebenso offen wird in diesem Kapitel der Begriff ›Bild‹ gebraucht: Er meint ganz allgemein den 1 Im Sinne der Analyse in Kap. 2 werden im Folgenden sowohl Textpassagen als ›mystisch‹ charakterisiert, die über eine ›Aufstiegsmystik‹ Margaretha die Vereinigung mit Gott vor Augen führen, als auch solche, die die Suche Gottes nach dem Menschen über die ›Abstiegsmystik‹ hervorheben. Die Unterscheidung von ›Aufstiegsmystik‹ und ›Abstiegsmystik‹ nimmt Otto Langer vor in: Christliche Mystik im Mittelalter. Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts, Darmstadt 2004, S. 43–45. Er orientiert sich dabei an Hans Urs von Balthasars Unterscheidung zwischen der Gottessuche des Menschen und der Menschensuche Gottes: Zur Ortsbestimmung christlicher Mystik, in: Grundfragen der Mystik, hg. von W. Beierwaltes u. a., Einsiedeln 1974, S. 39–71, hier v. a.: S. 57. 2 Bilder, S. 9. Bilder stehen für Köbele in der Volkssprache »offener, ungedeckter und mit anderer Allusionsfähigkeit« als im Lateinischen bereit: ebd., S. 192. 3 ›Metaphorik‹ als Überbegriff für verschiedene Formen bildhafter Rede verwendet Barbara Weber, Die Funktion der Alltagswirklichkeit in der Metaphorik

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Einsatz übertragenen Sprechens,4 aber auch das Kunstwerk, das als Ausgangspunkt für sprachliche Bilder dient, von diesen in der Vorstellung erst evoziert oder in den Briefen sogar explizit als Artefakt erwähnt wird. Den Ausdruck ›Metapher‹ hingegen verwende ich für die rhetorische Figur übertragenen Sprechens in einem spezifischeren Sinn.5 Bei der Analyse der Briefe Heinrichs benütze ich diesen Begriff dort, wo ein Wort eingesetzt wird, das einen bestimmten Kontext aufruft.6 Erst das Zusammenspiel von Wort und Kontext macht demgemäss die Metapher aus,7 die somit vom verwendeten Begriff nicht einholbar ist.8 Ungeachtet der zahlreich in diesem Kapitel aufgeführten Einzelmetaphern besteht das Ziel dieses Kapitels jedoch weniger in der Bezeugung ihrer literarhistorischen Bezüge als vielmehr im Nachvollzug ihrer bewussten Zusammenstellung. Bei Heinrich erhalten Einzelmetaphern ihre eigentliche Bedeutung nämlich oft erst durch deren Einbettung in ganze Bildfelder. Den Begriff ›Bildfeld‹ definiere ich hier im Sinne Dietmar Peils als eine Gesamtheit von metaphorischen Ausdrücken »im Umkreis einer Zentralmetapher oder metaphorischen Leitvorstellung«9 und damit als wenig strukturiertes und eher offenes Gebilde. Es sind in den Briefen vor allem die zahlreichen Bildfelder im Zusammenhang mit der Feuer-, Licht-, Spiegelund Fliessmetaphorik,10 die die unio bezeichnen und damit wesenhaft den mystischen Dialog zwischen Heinrich und Margaretha prägen.

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Mechthilds von Magdeburg (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 683), Göppingen 2000, S. 5. So verwendet ihn Köbele, Bilder, S. 55, »als Modus übertragenen Sprechens, als Überschreitung des proprie-Raums«. Zur Bedeutung der Metaphern in den Briefen Heinrichs vgl. v. a. die Studien Michael Egerdings in: Kap. 1.3.4. Dass nicht nur Metaphern, sondern auch Epitheta, Oxymora, Kontradiktionen und Synekdochen die Briefe Heinrichs prägen, machen die Untersuchungen bei Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 191–199, deutlich. Ganz allgemein ist für Hendrik Birus die Metapher ein »im übertragenen Sinne gebrauchter sprachlicher Ausdruck, der mit dem Gemeinten durch eine Ähnlichkeitsbeziehung zu verbinden ist«: Metapher, in: 3RDL (2000), S. 571–576, hier: S. 571. Vgl. die Aussage Michael Egerdings, »[d]ass erst Wort und Kontext zusammen die Metapher machen«: Die Metaphorik, Bd. 1, S. 23. »Die Metapher trifft, indem sie verfehlt. Sie ist in dieser paradoxen Struktur nicht vom Begriff einholbar«: Köbele, Bilder, S. 66. Metaphernkomplex, in: 3RLW (2000), S. 576–578, hier: S. 577. In diesem Sinne verwendet den Begriff ›Bildfeld‹ auch Köbele, Bilder, S. 55. Vgl. Kap. 1, Anm. 115.

Biblische Bezüge in Brief XI

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3.1 Biblische Bezüge in Brief XI In Brief XI finden sich folgende Bibelstellen, auf die sich Heinrich bezieht: Die Selbstbezeichnung ›Würmchen‹ und ›Auswurf‹ in den Zeilen 8 und 9 geht auf ein Psalmzitat zurück, das in der Sprache der Mystik eine Tradition hat. In Psalm 21, 7 bezeichnet sich der Beter als vermis et non homo.11 Das ›erhobene Herz‹, dem in den Zeilen 12 und 13 die höch, die leng, die brait, die düifti und die grosz gotz gegenwärtig ist, entwickelt sein Erkenntnisvermögen in dieser räumlichen Anschaulichkeit aus dem Epheserbrief, in dem es heisst: ut possitis conprehendere cum omnibus sanctis / quae sit latitudo et longitudo / et sublimitas et profundum.12 In Zeile 16 wird vom geber aller gaub gesprochen. Wie bereits erwähnt, bildet den Hintergrund für diesen Ausdruck der Jakobusbrief. In diesem werden die ›Gaben‹ folgendermassen mit ›Gott‹ als ihrem Spender in Verbindung gesetzt: omne datum optimum et omne donum perfectum desursum est / descendens a Patre luminum [. . .].13 Heinrich bezieht sich nicht alleine auf diesen Bibelvers, Meister Eckhart etwa macht ihn zum Ausgangspunkt einer ganzen Predigt.14 Drei weitere Bezüge zur Bibel wurden ebenfalls bereits im zweiten Kapitel nachgewiesen. Mit der Paraphrasierung von Johannes 16, 5–14 in den Zeilen 29–33 zeigt Heinrich, dass Jesu Abwesenheit von dieser Welt das Kommen des Tröster-Geistes ermöglicht, der uns hie ler alle warhait ze minen, bis wir sie dort in vollem antlutz bekenen (Z. 31–33).15 Ausserdem 11 Auch Heinrich Seuse bezieht sich im 13. Kap. seiner ›Vita‹ mit der gleichen Verbindung der Ausdrücke ›Wurm‹ und ›Auswurf‹ auf Psalm 21: [. . .] wie er och waz worden ein wurm und ein hinwerf aller menschen: Seuse, S. 35, 12 f. 12 Vgl. Eph 3, 18. Heinrich legt auch in den Briefen XXIX , 9 f., Strauch, S. 213 und XXXVI , 4 f., ebd., S. 229 seinen Gedanken diesen Bibelvers zugrunde. In der Tradition der Mystik wird er oft verwendet, was bereits die Schrift ›De consideratione ad Eugenium papam‹ Bernhards von Clairvaux zeigt: Kap. XIV , 30, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke lateinisch/deutsch. Bd. I, hg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1990, S. 824. 13 Iac 1, 17. Vgl. Kap. 2, Anm. 35. 14 Vgl. Meister Eckhart, Die deutschen Werke I−III + V , hg. und übers. von Josef Quint, Stuttgart 1958–1976 (im Folgenden abgekürzt mit DW ), hier: DW I , S. 60–74. 15 Zur Wendung bis wir sie dort in vollem antlutz bekenen vgl. die Homilie 87 Haimos von Auxerre zur gleichen Evangeliumsstelle: [. . .] in futura vita perfectius Spiritus sanctus intelligere faciet, quia, sicut ait Apostolus: »Nunc videmus per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem (1 Cor.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

greift er in Zeile 45 mit dem Ausdruck der alle sinne ubertrifft wiederum auf den Epheserbrief zurück und in Zeile 46 (ursprung des liechtz) ein weiteres Mal auf den Jakobusbrief.16 Auch der Wunsch, Margaretha möge vom Brunnen des Lebens trincken und davon truncken werden (Z. 47 f.), schöpft in seiner Wortwahl aus der Bibel. So heisst es in Psalm 35, 9: [. ..] torrente deliciarum tuarum potabis eos, und im Hohenlied 5, 1: veni in hortum meum soror mea, sponsa / [. . .] bibi vinum meum cum lacte meo / comedite amici bibite et inebriamini carissimi. Margaretha soll den Zeilen 51–53 gemäss in ihrer Seele das Wort empfangen und ihrem Herrn Jesus Christus eine Herberge sein, und zwar Christus, der in Anknüpfung an Iac 1, 21 als das in geseit wort (Z. 50) bezeichnet wird.17 Bei gehuszen und geherbergen (Z. 52) ist nicht nur auf die Stelle im Prolog des Johannesevangeliums zu verweisen,18 sondern wiederum auf den Epheserbrief: habitare Christum per fidem in cordibus vestris / in caritate radicati et fundati.19 Schliesslich wird Margaretha im Brief in den Zeilen 59–61 mit einem berhaften stam und einer wurtzel verglichen, aus denen die Ihrigen vor got grünent, blüwent und frucht bringent wie Zweige (Z. 58 f.). Heinrich bezieht sich dabei auf eine Stelle aus dem Römerbrief. Dort wird die Abhängigkeit der ›Zweige‹ von der ›Wurzel‹ deutlich, wenn es heisst: [. . .] si radix sancta et rami / quod si aliqui ex ramis fracti sunt / tu autem cum oleaster esses insertus es in illis / et socius radicis et pinguidinis olivae factus es / noli gloriari adversus ramos / quod si gloriaris / non tu radicem portas sed radix te.20

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XIII)«: PL 118, 519 D. Dass das Wort paraclitus in Io 16, 7 nicht nur ›Beistand‹, sondern – wie in Brief XI – auch ›Tröster‹ heissen kann, erklärt Haimo von Auxerre in seiner Predigt zu Io 16, 5–14: Bene autem Spiritus paracletus nominatur, paraÂklhtos enim Graece, Latine consolator sive advocatus dicitur: ebd., S. 518 A. Ebenso bei Haimo findet sich eine Parallelstelle zu Heinrichs Ausdruck nach menschlicher natur: Manet ergo cum discipulis per divinitatem, et vadit ad Patrem per humanitatem: ebd., S. 516 C/D. – Heinrich knüpft auch in anderen Briefen an die Redeweise von facie ad faciem an, so z. B. in Brief XXI , 22–24, Strauch, S. 204: da soltu an sehen lieblichen das lieblich antlitz gotz, wie sich das in dich und dich in sich getrucket hat. Zu den beiden Bibelstellen Eph 3, 19 und Iac 1, 17 vgl. Kap. 2.4.1. Zu Iac 1, 21 vgl. ebd. Io 1, 14: Et Verbum caro factum est et habitavit in nobis. Eph 3, 17. Rm 11, 16–18.

Die Bedeutung der Liturgie für die Briefe

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Es lassen sich für Brief XI also gleich mehrere Bezüge zu einzelnen Büchern der Bibel feststellen. Während Anklänge an die Psalmen, das Hohelied oder den Römerbrief assoziativ wirken, sind Verbindungen zu Epheserbrief, Jakobusbrief und Johannesevangelium mehrfach zu beobachten. Welche Kriterien lassen sich dabei für die Auswahl dieser Bibelstellen ausmachen?

3.2 Die Bedeutung der Liturgie für die Briefe In der Einleitung des Briefes XI wird der Bezug zum Osterfestkreis deutlich.21 Philipp Strauch geht von einer Entstehungszeit zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten aus, also zwischen dem 5. und 15. Mai, falls der Brief wirklich im Jahre 1334 geschrieben wurde.22 Mit urstend in Zeile 3 kann aber nur Ostern (im Jahre 1334 am 27. März), nicht Christi Himmelfahrt, wie Strauch übersetzt, gemeint sein; letztere gibt Heinrich mit uffart gotz wieder.23 Das auffällig wiederholte Zurückgreifen auf Iac 1, 17– 21 und die Paraphrasierung von Io 16, 5–14 in Verbindung mit dem Hinweis auf die Osterzeit legen die Vermutung nahe, Heinrich lasse sich in Brief XI von der Liturgie inspirieren, genauer von jener des vierten Sonntags nach Ostern, dem die Schriftlesungen Iac 1, 17–21 und Io 16, 5–14 zugrunde gelegt waren.24 3.2.1 Die Liturgie als Quelle der Inspiration Die liturgischen Lesungen dürfen nun aber nicht einfach als Quelle verstanden werden, aus denen er gleichsam immer dann Zitate einstreut, wenn sie passend erscheinen. Die Liturgie bildet vielmehr die Folie, auf der die Sinnstruktur des Briefes entwickelt wird. Heinrich bringt in Brief XI nämlich die Verwunderung über die Sehnsucht Margarethas nach ihm in 21 Vgl. Kap. 2, Anm. 3. 22 Vgl. Strauch, S. 331, Vorbemerkung. 23 Brief XLV , 31, ebd., S. 250. Das Pfingstfest kann zudem nicht nur aus der Zeile 70 von Brief XI erschlossen werden, sondern auch aus den Zeilen 4–6, wo Maria und die zwölf Jünger als Empfänger des Hl. Geistes (und seiner Gaben) dargestellt werden; vgl. Act 1, 14 u. 2, 1 ff. 24 Vgl. Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 115 (›Missale Teutonicum‹ von 1381), S. 439a–440b. Der ebenfalls zweimal paraphrasierte Abschnitt Eph 3, 14–21 lässt sich in vielen mystischen Texten finden; dessen Verwendung kennt also eine Tradition.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Zusammenhang mit Iac 1, 17–21 und entwickelt seine Erklärung aus dieser Schriftstelle.25 Aus Vers 17 entlehnt er den Gedanken vom ›getreuen Geber jeder hohen vollkommenen Gabe‹ (Brief XI , 16) und interpretiert in Verknüpfung mit der Sehnsucht Margarethas dieses Verlangen als eine ›Gabe von oben‹: Heinrich bindet die Äusserungen Margarethas über die liturgische Bezugnahme an Gott zurück. Diese Gabe aber steigt (so der Jakobusbrief) von Gott her hinunter (descendens). Mit dem Partizip des Jakobusbriefes ist also auch die Abstiegsbewegung gegeben, die Heinrich vermutlich darum bereits in der Briefeinleitung einführt. Danach greift er erst in Zeile 24 wieder auf die Sonntagsperikope zurück, nämlich auf den ersten Teilsatz aus Vers 18: voluntarie genuit nos verbo veritatis.26 Wenn Heinrich in den Zeilen 26–29 seines Briefes folgert, dieses göttliche Verlangen komme Margaretha aufgrund seiner Hilflosigkeit zu, kann das vom Tagesevangelium her verstanden werden, das die körperliche Abwesenheit (Christi) zu einer unabdingbaren Voraussetzung für das Kommen des Heiligen Geistes macht. Somit inspirieren die beiden liturgischen Lesungen die Einleitung und den ganzen ersten Hauptteil des Briefes. In Vers 17 der Jakobusbrief-Perikope wird der Ausdruck pater luminum genannt, den Heinrich in Zeile 46 – also im zweiten Hauptteil des Briefes – mit der ab Zeile 37 eingeführten Lichtmetapher verbindet, die Margaretha brieflich angeregt hat.27 Vom Gedankengang der Perikope beeinflusst, fügt Heinrich in Zeile 50 des Briefes auch das ›gesäte Wort‹ aus dem Jakobusbrief ein, das ›in Sanftmut‹ empfangen werden soll – und gibt so den Ausdruck in mansuetudine suscipite insitum verbum aus Vers 21 des Bibeltextes wieder. Diesen Vers des liturgischen Textes benutzt Heinrich vermutlich, weil er vorher auf die Verse 17 und 18 zurückgegriffen, die Perikope seinen Gedankengang demnach bereits zu inspirieren begonnen hat.28 25 Heinrich lehnt sich aber nicht an die ganze Perikope an, sondern nur an einzelne Teile daraus – ein Vorgehen, das für den ›Sermo‹ bezeichnend war; vgl. Kap. 3.2.2. 26 Auffallend ist hier, dass dem mit willigklich übersetzten voluntarie das Adverb minigklich (Z. 23) vorausgeht, das in der Vorlage nicht steht. Zu dieser für Heinrich typischen Beifügung vgl. vor allem Kap. 4.3.5. 27 Vgl. Kap. 2.4.1. Heinrich übersetzt den Ausdruck pater luminum allerdings mit ursprung des liechtz (Z. 46), wohl um die Abwärtsbewegung des Gnadenflusses von Gott zu Margaretha zu verdeutlichen. 28 Die Verse 19 und 20 aus dem Jakobusbrief dürften Heinrich insofern nicht beeinflusst haben, als sie sich mit dem, was er auf die Äusserungen Margarethas antworten möchte, nicht in Verbindung bringen lassen; diese Verse for-

Die Bedeutung der Liturgie für die Briefe

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3.2.2 Die Nähe der Briefe zum mittelalterlichen ›Sermo‹ Die Liturgie bietet auch in weiteren Briefen Heinrichs den Hintergrund, auf dem er sein Sprechen entwickeln und von dem er annehmen konnte, es sei Margaretha bekannt. Damit kommt Heinrich in Brief XI seiner Arbeit als Prediger nahe: Er legt Teile der von der Liturgie vorgegebenen Lesungen auf den Erfahrungshorizont seiner Leserin hin aus. Die Anknüpfung des Schreibens an die Vorbereitung oder das Vortragen einer Predigt kann für Brief XI nur vermutet werden.29 Für die Briefe XVII und XLIX hingegen findet dieser Vorgang eine konkrete Ausformulierung. In Brief XVII heisst es: ains vil mir da ein, da von ich auch gebrediget het an dem mentag nach Judica, und ist deins schribers wort an dem evangelio, do Jhesus an dem letzten tag der groszen hochzeit schri und sprach: ›wen dürst, der kom zu mir und trinck‹.30

Beim Verfassen von Brief XVII fühlt sich Heinrich also an einen Gedanken erinnert, den er bereits in einer Predigt verwendet hat. Das zugrunde liegende Johannesevangelium sagt von Jesus: clamabat dicens.31 Heinrich könnte bereits einen beträchtlichen Teil dieser Predigt dem ›Rufen‹ selbst und nicht etwa dem Inhalt dieses Rufens gewidmet haben. Jedenfalls dern zu richtigem Hören auf und richten sich gegen die Bereitschaft zum Zorn. 29 Meister Eckhart und Johannes Tauler haben den Lesungen des 4. Sonntags nach Ostern je eine Predigt gewidmet; vgl. Eckhart, Predigt 4, in: DW I , S. 60–74 und Tauler, Predigt 16, in: Die Predigten Taulers. Aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Strassburger Handschriften, hg. von Ferdinand Vetter (Deutsche Texte des Mittelalters XI ), Berlin 1910 (im Folgenden abgekürzt mit Tauler), S. 71– 75. Der Einfluss der Predigten Haimos von Auxerre und seiner exegetischen Werke (früher fälschlicherweise Haimo von Halberstadt zugeschrieben; vgl. Raymund Kottje, Haimo v. Halberstadt, in: 3LThK 4 (1995), Sp. 1151) auf deutsche Predigten des Mittelalters – zu Parallelen zwischen Haimo und Brief XI vgl. Anm. 15 – kann aus der Häufigkeit ermessen werden, mit der er damals herangezogen wurde; vgl. etwa: Altdeutsche Predigten, hg. von Anton E. Schönbach. Bd. 2, Graz 1888, S. 326; Bd. 3, Graz 1891, S. 446. So ist eine uns noch erhaltene Predigt zum 4. Sonntag nach Ostern (vgl. Altdeutsche Predigten, Bd. 2, S. 97–100) nach der Vorlage einer Predigt Haimos zum gleichen Sonntag bearbeitet worden; vgl. ebd., S. 253 ad 97, 18. Auch Heinrich könnte bei der Predigtvorbereitung durch Haimo (oder eine Haimo-Bearbeitung) beeinflusst worden sein. 30 Z. 39–43, Strauch, S. 198. 31 Io 7, 37.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

versucht er für den Rest des Briefes, Margaretha in seine Gedanken über das clamare einzubetten. Erst in Zeile 64 wird deutlich, dass Heinrich auch in diesem Brief eine Äusserung Margarethas vor Augen hat und diese in ein von der Bibel und seiner Predigt inspirierte Textpassage stellt.32 Er knüpft dazu nicht bei der seit der Patristik bekannten Form der ›Homilie‹ an, »der Wort-für-Wort-Erklärung des durch die Liturgie vorgegebenen Bibeltextes«.33 Die Briefe Heinrichs stehen vielmehr der Themenpredigt, dem ›Sermo‹, nahe.34 Dieser bezieht sich auf ein ›Incipit‹ – in der Regel eine Bibelstelle –, wobei innerhalb der Predigt auch noch andere Bibelstellen hinzugezogen werden können.35 Heinrich lässt seine Briefe zwar nicht mit einem Incipit beginnen, sondern stellt in den Einleitungen zuerst einen Gruss an Margaretha voran. Er geht in den Hauptteilen dann oft entweder von einer liturgisch vorgegebenen Perikope aus und verknüpft deren Hauptthema oder ein Wort daraus mit einem dem Brief zugrunde gelegten Gedanken, oder er wählt selbst biblische Texte aus, deren Aussage (oder einzelne Wörter) ihm als günstiger Ausgangspunkt für seine Gedanken erscheinen.36 Bei der Abfassung von Brief XLIX ist Heinrich mitten in Predigtvorbereitungen und kann die daraus entstehenden Gedanken auch gerade für Margaretha verwenden: usz dem hailigen ewangeli, das ich zehant predigen solt, winsch ich dir ze wircken in müsigkeit nit das essen das verdirbt, mer das blibend ist in ewigs leben, das allein ze gebe hat des menschen kind, dein here Jhesus, der das essen selber ist, den got sein vatter versigelt hat in seinem hertzen [. . .].37 32 Zur Bedeutung des ›Rufens‹ in den ›Offenbarungen‹ Margarethas vgl. Kap. 6.2.5. 33 Gnädinger, Johannes Tauler, S. 106. 34 Für Brief XI konnte das bereits gezeigt werden; vgl. Anm. 25. 35 Vgl. J[ean] Longe`re, Predigt. A. Ursprünge und Recht, in: LexMa 7 (1995), Sp. 171–174, hier: Sp. 171. 36 In Brief XI finden sich beide Vorgehensweisen. Diese zwei Arten der Verwendung von Schriftzitaten in den Briefen erinnert an die zwei Methoden des ›Sermo‹, wie sie im 12. und 13. Jh. üblich waren: »[. . .] either (1) the preacher took a selected passage of Scripture, and used its subject matter as a springboard or topic for discourse; or (2) he took a lengthy passage, perhaps from the lectio for that Sunday or feastday, and commented upon its symbolic meaning, a word or phrase at a time«: Richard H. Rouse und Mary A. Rouse, Statim invenire. Schools, Preachers, and New Attitudes to the Page, in: Renaissance and Renewal in the twelfth century, edited by Robert. L. Benson and Giles Constable, Oxford 1985, S. 201–225, hier: S. 217. 37 Z. 7–13, Strauch, S. 258 f.

Die Bedeutung der Liturgie für die Briefe

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Bei diesen Zeilen handelt es sich um eine wörtliche Übersetzung des Verses Io 6, 27,38 der im Brief als Wunsch für Margaretha formuliert ist und mit den Zusätzen dein here Jhesus und in seinem hertzen und durch die Aussage, Jesus selbst sei diese Speise,39 ergänzt wird. Aufschlussreich ist die Briefstelle auch insofern, als sie zeigt, wie Heinrich Bibelverse assoziativ miteinander verknüpft. An die Vorstellung, der Vater habe den Sohn in seinem Herzen eingeschlossen (oder besser: ›versiegelt‹40), schliesst Heinrich unmittelbar die Bildlichkeit der Apokalypse des Johannes an (Z. 14–19),41 aus der er sich die Metapher von Christus als dem Lamm entlehnt, das die Siegel – im Gedankengang Heinrichs: die zweite göttliche Person im Herzen des Vaters – für andere zu öffnen weiss. Von der Vorstellung, Christus sei imstande, sich in die Seele der Menschen einzugiessen, kehrt Heinrich zu Margaretha zurück – ihr war der Wunsch ja zugesprochen –, in deren Seele Christi Gegenwart nun für andere eingeschlossen wird. Die Beschäftigung mit den Briefen XI , XVII und XLIX bestätigt und vervollständigt die Überlegungen, die Kurt Ruh zur Nähe der Gattungen ›Predigt‹ und ›Brief‹ gemacht hat. In Ergänzung zur Aussage, die Predigt sei die Grundform und der Höhepunkt der deutschen Dominikanermystik, meint er: »Was aber die Frauenmystik betrifft, die die Predigt ausschliesst, so stellt sich der Brief als die der Predigt nächstverwandte Kommunikationsform ein. Die Hadewijchschen Briefe haben ausgesprochenen Predigtcharakter [. . .].«42 Von den Briefen Heinrichs her bedarf die Aussage einer Erweiterung: Sie erfordern eine Bestimmung der Gattung des volkssprachigen Briefes im 14. Jahrhundert, die nicht auf Frauen und die damit gegebene Ausschliessung der Predigt eingegrenzt werden kann. Gerade im Falle des Predigers Heinrich muss sie auf einen männlichen Autor hin geöffnet werden und die Nähe zur wirklich gehaltenen Predigt einschliessen.43 Heinrichs Predigtweise dürfte in der Tradition des ›Sermo‹ gestanden 38 operamini non cibum qui perit / sed qui permanet in vitam aeternam / quem Filius hominis vobis dabit / hunc enim Pater signavit Deus. 39 Vgl. Io 6, 35. 48. 51. 40 Die Siegelmetaphorik, die auf Ct 8, 6 zurückgeht, steht z. B. im ›St. Trudperter Hohenlied‹ für die unio mystica, die in einem »ersten Schritt auf Maria, im zweiten auf die Seele bezogen« wird: Marzena Go´recka, Das Bild Mariens in der Deutschen Mystik des Mittelalters (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700. Bd. 298), Bern usw. 1999, S. 348. »Die Siegelmetapher fungiert auch als Bild für die Erschaffung des Menschen nach dem Bilde Gottes«: ebd. 41 Vgl. Apc 5, 4 ff. 42 Ruh, Überlegungen, S. 37 f. 43 Zur Kritik des Begriffs ›Frauenmystik‹ vgl. Thali, Beten, S. 65–80. Thali weist

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Die Bildlichkeit in den Briefen

haben; auf jeden Fall legt er in seinen Briefen liturgische Lesungen im Sinne einer Themenpredigt aus. 3.2.3 Margaretha Ebner als Adressatin liturgischen Sprechens Auch wenn Heinrich in zwei Briefen deutlich auf seine Predigttätigkeit Bezug nimmt, wird das Briefkorpus weniger durch diesen Kontext an sich bestimmt, als vielmehr durch die Liturgie im weiteren Sinne: Sie bildet für seine Predigten und für seine Briefe die gemeinsame Grundlage. Heinrich greift oft auf das von der Liturgie strukturierte Jahr zurück, so etwa, wenn er am Tag eines Heiligen diesen erwähnt: des musze vorbot sein Maria und Sanctus Matheus, des tag ich dir schrib,44 oder ein liturgisches Fest den Charakter eines Briefes prägt: ich winsch dir ze stüir zu diser heiligen zit ain unschuldigs leben.45 Besonders deutlich lässt sich eine Briefstelle mit der Liturgie in Verbindung bringen, in der es heisst: [. . .] da es sinen unbeginlichen begin in dem tag seiner craft enphaht in den claren schmügen der heiligen vor Lucifer und uber aller liechtrager schinender clarheit, als der wiszag spricht etc.46 Heinrich paraphrasiert hier die ›Communio‹ der ersten Weihnachtsmesse, die auf Psalm 109, 3 (der wiszag) zurückgeht: In splendoribus sanctorum, ex vtero ante luciferum genui te.47 Wie bereits dargelegt, setzt Heinrich viele Bibelstellen, die ihm aus der Liturgie des Jahreskreises oder aus der persönlichen Schriftlesung bekannt waren, assoziativ ein, etwa wenn er eine Stelle aus dem Johannesevangelium einfügt, obwohl das Tagesevangelium nach Lukas gelesen wurde und dieses ein anderes Thema hatte: hertzlichs lieb meins in dem hertzlichen leiden Jhesu Christi, her, was er gesprochen hab: ›es kumbt die nacht in der nieman

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darauf hin, dass dieser Begriff die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Texte weiblicher Autorschaft lenke und dabei den Blick auf andere Traditionszusammenhänge verstelle, die für die dominikanische Nonnenliteratur prägender seien, so die Einbettung dieser Texte in die Tradition der hagiographischen Literatur; vgl. ebd., S. 91. Brief XXXV , 53 f., Strauch, S. 228. Brief XLVI , 9 f., ebd., S. 251. Strauch datiert diesen Brief um das Fest ›Mariä Himmelfahrt‹; vgl. ebd., S. 379, Vorbemerkung. Brief LVI , 29–32, ebd., S. 270. Diese Worte lassen sich aufgrund einer Anmerkung Heinrichs auf das Weihnachtsfest zurückführen; vgl. Z. 16, ebd., S. 269: vor wihenachten. Auch die Briefe II und IX sind Weihnachtsbriefe. Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 118 (Missale Franciscanum, 1. Hälfte 14. Jh.), fol. 10rb. Der Ordo Missae von Codex 118 (fol. 130rb–143vb) folgt der Tradition der römischen Kirche.

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gewircken mag‹,48 oder auch, wenn er keinen Bezug mehr auf konkrete liturgische Anlässe nimmt: als ob er sprech zu dir als kung Asswerung sprach zu Hester.49 Aus dem Rahmen der Briefsammlung fällt in verschiedener Hinsicht Brief XXVIII .50 Geschrieben wurde er kurz vor dem beginnenden Exil im Jahre 1338 und kann als Klagebrief bezeichnet werden, da in ihm nicht Margaretha, sondern Heinrichs eigene Leiden infolge der drohenden Verbannung im Mittelpunkt stehen.51 Seine Klagen sind aber nicht einfach eine Aneinanderreihung subjektiver Umschreibungen der Verzweiflung. Auffallend ist das Verknüpfen verschiedenster Psalmverse zu einer Klage über mehrere Zeilen hinweg.52 Überhaupt ist das Buch der Psalmen das meist zitierte der Bibel in der ganzen Briefsammlung. Hier zeigt sich der Einfluss des Brevier-Betens auf die Briefe Heinrichs und damit wieder die Bedeutung liturgischen Sprechens. Die literarische Leistung Heinrichs besteht nun aber nicht in erster Linie im Zurückgreifen auf die liturgische Sprache und Bildlichkeit an sich, sondern in deren Verbindung mit den Äusserungen Margarethas. Diese schreibt von Erfahrungen, über die sie nicht zu sprechen verstehe.53 Heinrich versucht, 48 Brief LII , 37–39, Strauch, S. 265. Vgl. Io 9, 4: venit nox quando nemo potest operari. Beim Tagesevangelium (vgl. Brief LII , 67, Strauch, S. 266) handelte es sich wahrscheinlich um Lk 8, 4–15 des Sonntages ›Sexagesima‹; vgl. Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 115, S. 127b–129a. 49 Brief XXXIII , 35 f., Strauch, S. 220; vgl. auch Brief LI , 46–50, ebd., S. 262. 50 Ebd., S. 212 f. 51 Vgl. ebd., S. 352, Vorbemerkung. 52 Es sind die von Strauch am Rande des Briefes vermerkten Stellen Ps 37, 10 ff., Ps 6, 8, Ps 53, 3 und Ps 68, 2 ff. 53 Vgl. Brief XI , 38, Strauch, S. 186. Bei der Unfähigkeit, von mystischen Erfahrungen zu schreiben, handelt es sich freilich um einen der geläufigsten literarischen Topoi, der etwa bei Mechthild von Magdeburg so erscheint: Ir wellent, das ich fu´rbas schribe, und ich enmag. Die wunne, die ere [. . .] die sint ob mir also gros, das ich stum wurde vu´rbas me ze sprechende, das ich bekenne: FL , VI 41, 3–5, S. 250. Der Grund dieses Topos liegt in der bereits bei Bernhard von Clairvaux vertretenen Meinung, jede Liebesbeziehung mit Gott sei einmalig und damit den Augen und Ohren anderer entzogen; vgl. Margot Schmidt, Einleitung und Anmerkungen, in: Mechthild von Magdeburg. Das fliessende Licht der Gottheit, 2., neu bearb. Übersetzung mit Einführung und Kommentar (Mystik in Geschichte und Gegenwart. Abt. 1, Bd. 11), Stuttgart 1995, S. IX−XLVIII und 343–403, hier: S. 360, Anm. 68. Bekannt ist der Topos der Unfähigkeit des Dichters, das Lob einer anderen Person würdig zu singen, v. a.

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ihre Andeutungen in Worte zu fassen und tut dies, indem er vor allem von der Liturgie ausgeht. Er bedient sich dabei nicht etwa des theologischen Sprechens,54 sondern knüpft an eine Sprechweise an, die auch Margaretha als spezifischer Kontext der Predigtunterweisung bekannt war und die auf ihrer Vertrautheit mit liturgischem Nachdenken und Meditieren aufbaut.55 Das bezeugen etwa folgende Zeilen: die haillig epistel, die wier leszent nun von Marien, die in ir person gesprochen ist, die hebt sich also an: ›der herr hat mich besessen am anfang siner weg, e daz er ichtzit gemachet von angeng‹. ditz wort mag ich mit gottes und Marien urlaub sprechen von dir [. . .].56

Heinrich empfiehlt Margaretha und ihren Mitschwestern prinzipiell, die Liturgie täglich zu verinnerlichen und für sich selbst auszulegen: leszent epistolam und evangelium und lectiones de matutinis alle tag einst, des bit ich euch, und betutent es, es hilft euch wol.57 Diese Vorgehensweise zeigt, wie Heinrich als Seelsorger einer ihm verbundenen Person zu begegnen versucht:58 Er geht auf die Denkvorstellungen ein, die der Nonne aus dem liturgischen Alltag bekannt sein mussten, stellt dieses Sprechen aber in neue Zusammenhänge und durchdringt es mit seinem eigenen Wissen. Damit setzt er ihre schwer mitteilbaren Gotteserfahrungen in eine klassische Bildlichkeit um. In diesem Sinne beruft sich Heinrich in Brief XVI »auf eine Eingebung Margarethas an dem hochen tag do man Rorate in der messe sang«59 und verbindet sie mit dem Hauptgedanken der Liturgie des vierten Adventssonntags:60 doch mit dem urlob gotz nim ich mir ain ursach ze reden mit dir usz dem inval, der dir beschah nu nechst an dem hochen tag, do man Rorate in der messe sang,

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im Minnesang und in der Mariendichtung. So heisst es etwa in einem Hymnus aus dem 12. Jh.: Te, Maria, certa via / Vitae, quae non deficit, / Ut te laudem, tuam laudem / Nemo loqui sufficit: Peter Kesting, Maria-frouwe. Über den Einfluss der Marienverehrung auf den Minnesang bis Walther von der Vogelweide, München 1964, S. 28. Zur theologischen Bildung Heinrichs vgl. Kap. 7.5.1. Liturgie ist Gebet und damit selbst schon Sprachgeschehen. Brief XIX , 5–9, Strauch, S. 202. Brief XVI , 97 f., ebd., S. 197. Zu den seelsorglichen Aspekten der Briefe Heinrichs vgl. Kap. 5.2.7. Strauch, S. 337, Vorbemerkung. Nach Philipp Strauch ist der Brief sicher nach dem Fest ›Annunciatio Mariae‹ (25. März) geschrieben worden; vgl. ebd., ad 4. Vgl. dazu den Introitus der Messe: Rorate caeli de´super et nubes pluant justum aperiatur terra et germinet Salvatorem: Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 118, fol. 3va. Dieser Introitus konnte auch am 25. März gesungen werden.

Maria in den Briefen

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und getruwe den milten flussen und den richen uszgussen der barmhertzigkeit gotz, in der uns der ewigen minen an lachenter grusz uf erd gesant ist in das rein hertz Marien.61

Mystisches Sprechen ist bei Heinrich in einem grossen Umfang liturgisches Sprechen: Die Liturgie dient ihm immer wieder als Bildquelle und inspiriert sein Denken.

3.3 Maria in den Briefen Um Äusserungen Margarethas in neue Zusammenhänge zu stellen, bedient sich Heinrich nun aber noch anderer Quellen als der Liturgie und der Bibel, wie die Beschäftigung mit Brief XI ja bereits gezeigt hat. Sowohl von der Einleitung als auch vom Hauptteil her konnte eine stark marianische Komponente ausgemacht werden, ja Maria ist in der Briefsammlung überhaupt häufig greifbar. Teils ist sie namentlich genannt, teils wird in den Briefen auf ihre geläufigen Funktionen Bezug genommen. Im Folgenden soll zuerst der Frage nachgegangen werden, wie und wozu Maria in das mystische Sprechen der Texte eingeführt wird. Erst später sollen konkrete Bildquellen erläutert werden, auf die Heinrich für die marianisch geprägten Briefstellen zurückgreifen konnte. 3.3.1 Die Stellung Marias im Gnadenfluss Maria wird in Brief XI nur gerade in der Einleitung mit Namen genannt. Im dargestellten Gnadenfluss steht sie in einer Reihe nach Christus und vor den zwölf Aposteln. Dass diese Veranschaulichung der Gnadenvermittlung bei Heinrich auch durchaus ohne Maria entfaltet werden kann, wurde bereits gezeigt.62 Ansonsten betonen viele Briefe die Bedeutung Marias für den 61 Brief XVI , 20–26, Strauch, S. 194. 62 Vgl. Kap. 2, Anm. 11, dort anhand von Brief XII . Auch in Brief XLII werden als Ziel des Gnadenflusses – und als Ausgangspunkt des Rückflusses – nur Engel und Menschen, nicht aber Maria erwähnt; vgl. Z. 6–10, Strauch, S. 241. Brief XII betont den Charakter der Schriften Margarethas als Offenbarung Christi, während Brief XLII von der Offenbarung der Ehre Gottes in Margaretha als seiner liebenden Braut spricht. Dass Maria in diesen Briefen kein Platz eingeräumt wird, könnte also für Brief XII mit dessen unmittelbarem Rückbezug auf Christus erklärt werden, der Margarethas Schriften (ohne die Vermittlung Marias) gleichsam legitimiert, während in Brief XLII das nach der

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Vermittlungsprozess der Gnade durch ihre Nennung.63 Dabei nimmt dort, wo ein Gnadenfluss als Emanationsprozess dargestellt wird, der Gottvater als Ursprung und Margaretha zum Ziel hat, Maria die Position gleich nach Christus ein, was ihre Wichtigkeit im Heilsgeschehen unterstreicht.64 Margaretha erlangt folglich die Gnadenfrüchte meist durch Maria, in deren Nähe sie die Briefe immer wieder und auf unterschiedliche Weise rücken. Was im zweiten Kapitel für Brief XI in mehreren Arbeitsschritten nachgewiesen werden musste,65 stellt Brief XIX explizit dar: eine Analogie zwischen Maria und Margaretha. Zuerst wird von der Epistel der Tagesmesse gesagt: die wier leszent nun von Marien,66 um danach einen Satz daraus nicht nur auf Maria, sondern auch auf Margaretha auszulegen: ditz wort mag ich mit gottes und Marien urlaub sprechen von dir [. . .].67 3.3.2 Die Stilisierung Margarethas zu einer altera Maria Marias Gegenwart im Gnadenfluss lässt sie vor allem als Vermittlerin von Gnaden erscheinen. Indem sie Margaretha auf den Empfang dieser Gnaden vorbereitet, macht sie diese sich gleich: hie müsze dir geoffnet werden die verborgenhait des gotlichen weszens als vil, bis dein hertz und alle dein begird gotz vol werdint; die musz dir, lieb, schier geschehen, des getrü ich got und der junckfrawen und der mutter gotz: die musz dein sel und deinen geist hi zu diszer gnad beraiten, als si berait ward ze enpfahen ir kint [. . .].68

Folglich kann Heinrich Margaretha in den Briefen auch selbst in der Funktion einer Gnadenmittlerin beschreiben. Dafür knüpft er bewusst an Maria an, entweder indem er diese Beziehung explizit herstellt, wenn er Margaretha selige nachvolgerin69 Mariens oder meiner frawen liebstü

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Brautmystik konstruierte Verhältnis zwischen Christus und Margaretha der Gottesmutter nicht bedarf. Vgl. die Briefe XXXV , 15–52, Strauch, S. 226–228 und XIX , 1–5, ebd., S. 202. Für die Briefe Heinrichs kann allgemein festgehalten werden, dass er bei der Verwendung des Auf- und Abstiegsmodells den Gedanken des Abstiegs oft auf die Einleitung der Briefe beschränkt, also auf jenen Teil, in dem er seine Überlegungen vorbereitet, während der Gedanke des Aufstiegs meist den Hauptteil charakterisiert; vgl. Egerding, Metaphorik, S. 97. Vgl. v. a. Kap. 2.3.3. Z. 5 f., Strauch, S. 202. Ebd., Z. 8 f. Brief III , 26–32, ebd., S. 172. Brief XXI , 1 f., ebd., S. 204. Die Verwendung des Lexems ›Nachfolgende‹

Maria in den Briefen

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tochter70 nennt, oder wenn er ihr auf ihre Äusserungen oder Anfragen hin Maria als Vorbild und Hilfe hinstellt: dar zu beger ich dir des mutterlichen hertzens Marien hilf, das da verwundet ward und auch wol geheilt ward.71 Gerade in Parallelisierung zur Mutterschaft Marias – dein mutter Maria72 – kommt Margaretha (im Hinblick auf Heinrich) die gleiche Anrede wie Maria zu: mein liebe muter Margreten.73 Deshalb kann Heinrich Christus auch als Margarethas Kind bezeichnen: Dir aller liebsten früind meins hertzen in deinem suszen kind Jhesu Christo.74 Vor allem bei der erhofften Weitergabe von Gnaden wird die Nonne in ihrer mütterlichen (marianischen) Rolle dargestellt. Heinrich beschreibt sie als ›Margaretha lactans‹, wenn er ihr wünscht: [. . .] das du uns usz deinen mutterlichen vollen megdlichen brusten weiszlich und freintlich gesögen kanst,75 und anderswo: [. . .] da dein kusche brüst vol und ubervol werden sullen, das du nit allein mein, deins unwirdigen knechtz, mer aller der cristenheit wol seugendiü amin werden solt.76 Der Aspekt der Mutterschaft Margarethas wird vor allem im Bezug zum Weihnachtsfestkreis greifbar, also dann, wenn die Liturgie diese Betrachtungsweise für Maria in den Vordergrund stellt.77 In diesen Briefen ist hinsichtlich Margarethas die Rede vom liebst[en] kindlin Jhesus78 und von der geburt ihres liebs,79 oder, wenn Maria selbst auch erwähnt wird, von der frucht ewer sel, das ist das ewig wort Marien.80 Hier wird demnach ganz selbstverständlich die Wiederholung der Geburt Christi in der Seele Margarethas vorausgesetzt und die Vertrautheit mit dem Bildtypus von der Mutter Gottes und dem kleinen Jesuskind für die Umschreibung der

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verweist »auf die Imitatio Mariae in ihrer Exemplarität als Braut«: Go´recka, Das Bild, S. 344. Brief VII , 9, Strauch, S. 179. Brief XXXVI , 64–66, ebd., S. 231. An anderen Stellen überträgt er marianische Attribute und Metaphern auf Margaretha, ohne Maria zusätzlich einzuführen. Brief XXXV , 40, ebd., S. 227. Brief LIII , 3, ebd., S. 267. Vgl. auch Brief I , 10 f., ebd., S. 169: ich danck dir aller warhaften träu, die du mir so mutterlich erzaigest alzeit. Brief XLIII , 1 f., ebd., S. 242. Brief XLII , 25–27, ebd., S. 241. Brief XLVI , 33–36, ebd., S. 251. Zum Bildtypus der ›Maria lactans‹ vgl. Kap. 3.4.2. Vgl. die marianische Antiphon Alma redemptoris mater, die in der Adventsund Weihnachtszeit gesungen wurde. Brief IX , 2 f., Strauch, S. 181. Ebd., Z. 7 f. Brief LVI , 25, ebd., S. 270.

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Beziehung Margarethas zu Christus genutzt.81 Auch die Vorstellung, Maria habe ihren Sohn ohne Schmerzen geboren, findet in einem Brief ihren Niederschlag in Bezug auf Margaretha.82 Nicht nur die Mutterschaft Marias wird in den Briefen auf Margaretha übertragen, sondern auch deren Rolle als Fürbitterin. Von Maria heisst es: Maria, hilf uns ditz erwerben! 83 oder: [. . .] und dar zu ze hilf rüeff ich an die gewaltigen mutter gotz und alle hailligen.84 Da Heinrich Margaretha ebenso wie Maria als Gnadenmittlerin eingeführt hat, ist es nur konsequent, die Nonne wie die Gottesmutter um Fürbitte zu ersuchen: ich bit dich, das du mich wol mit im [sc. Jesus] verrichtest;85 pit für mich, ich mag nit mer.86 Maria kann ihrem Sohn gegenüber die Funktion einer Fürbitterin übernehmen, weil sie selbst in dessen Herrlichkeit aufgenommen und zu seiner Seite thronend geglaubt wurde.87 Auch diese Vollendung Marias findet ihren Niederschlag in der Beschreibung Margarethas, hier zudem verbunden mit der Bildvorstellung der Johannes-Minne: da stastu in erwirdigem adel überhaben allen himeln, und schweben di in hoher glori, und sitzen di in reichem gesidel, und ruwen di in der schosz, und schlaffen di uf der brust, und waiden di in dem geträwen hertzen unsers lieben herren Jhesu Christi.88

Heinrich lässt Margaretha nicht nur neben Christus in der Herrlichkeit Platz nehmen, sondern schreibt ihr auch die Mitregentschaft Marias zu, womit er sie erst recht zur Fürbitterin stilisiert: 81 Zum Bildtypus, der der Bildlichkeit Marias mit dem Jesuskind zugrunde liegt, vgl. Kap. 3.4.2. 82 Vgl. Brief XVI , 43–47, Strauch, S. 195. In der Zeit der Patristik war es Epiphanius, der meinte, die Geburt Jesu unterscheide sich von den übrigen »durch die Schmerzfreiheit und durch die Besonderheit, dass Jesus der J[ungfräulichkeit] keinen Abbruch tut«: Anton Ziegenaus, Jungfräulichkeit. II . Dogmatik, in: MarL 3 (1991), S. 469–481, hier: S. 473. 83 Brief IV , 56, Strauch, S. 175. 84 Brief XXXVII , 17 f., ebd., S. 232. 85 Brief VII , 42 f., ebd., S. 180. 86 Brief VIII , 12 f., ebd., S. 180 f. 87 Zum theologischen Konzept der Verherrlichung und Erhöhung Marias zur Himmelskönigin vgl. etwa: Go´recka, Das Bild, S. 512 ff. Zur bildlichen Darstellung der Erhöhung und Krönung Marias vgl. Kap. 3.4.2. 88 Brief XXI , 27–31, Strauch, S. 204 f. Das Sprechen vom sweben wird ja auch in Brief XI als Metapher aufgenommen: als verre dich mein sundige sel ob ir in got sweben sicht: Z. 55 f., ebd., S. 186.

Maria in den Briefen

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und dar um, du erhöchtu in dem volk, seider dir von der minden barmhertzigkeit dines lieben bruders und auch dines gewaltigen künigs Christi Jhesum geben ist mit im zu rengniren, der [. . .] dir nun langest freien gewalt geben hat in himel, erden und fegfür –: bitte in [. . .].89

Margaretha kommen in den Briefen also vor allem drei sonst von Maria besetzte Funktionen zu, die sich untereinander ergänzen: Sie wird in ihrer Rolle als Mutter dargestellt, die sie sowohl Christus als auch anderen gegenüber einnimmt. Aus dieser innigen Beziehung zu Christus heraus ist sie Vermittlerin von Gnaden, und sie ist zugleich Fürbitterin vor Gott.90 Darüber hinaus schreibt Heinrich Margaretha das auch für Maria nicht gewöhnliche Attribut geträwe sundentragerin der welt91 zu und stilisiert sie zur salvatrix: [. . .] das es [sc. ihr Minnen] uns pillich weisen sol in den brunen der minen, usz dem so warlich fläuist ir bach in dich und durch dich in uns und in alle menschen, bis si mit groszem gewinen wider fluset in ir aigens urspring.92

Vor dem Hintergrund der bis hierhin festgehaltenen Funktionen Margarethas, die sich auf Maria zurückführen lassen, soll noch einmal auf Brief XI eingegangen werden. In ihm weist ja nicht nur die Einleitung eine marianische Komponente auf. Die Seele als der zur Empfängnis Christi bereite Ort, der zur Wohnung Gottes wird,93 wurde bereits in Verbindung mit der Mutterschaft Marias gedeutet.94 Dort, wo Heinrich Margaretha als Wurzel 89 Brief XXXIII , 67–75, ebd., S. 221. Während Irenäus von Lyon von Maria noch von der ›Ursache unseres Heiles‹ spricht, sind von Anselm von Canterbury hymnische Lobpreisungen auf die Gottesmutter überliefert wie redemptrix, salvatrix, reconciliatrix, ›Mutter der Wiederherstellung aller‹, ›Mutter der Rechtfertigung‹, ›Tor des Lebens‹ und ›Tür des Heiles‹. Die pseudo-albertinische Schrift ›De Laudibus sanctae Mariae‹ spricht Maria Anteil an der Rettung der Menschen zu und auch Birgitta von Schweden behauptete »ohne Einschränkungen Marias Anteil an der objektiven Erlösung«: J[osef] Finkenzeller, Miterlöserin, in: MarL 4 (1992), S. 484–486, hier: S. 484. 90 Bei Paulus Diaconus wird Maria zum erstenmal mediatrix genannt, sie ist als Fürsprecherin der Sünder Mittlerin zwischen Gott und den Menschen; vgl. Gerhard L. Müller, Mittlerin der Gnade (mediatrix). I. Katholische Theologie, in: MarL 4 (1992), S. 487–491, hier: S. 488. 91 Brief XL , 30 f. Strauch, S. 237. 92 Brief XXIV , 13–15, ebd., S. 207. Zum marianischen Attribut salvatrix vgl. Anm. 89. 93 Vgl. Brief XI , 48–53, Strauch, S. 186. Das hier verwendete Verb geherbergen steht etwa bei Mechthild von Magdeburg metaphorisch für die Vereinigung Marias mit Gott; vgl. Go´recka, Das Bild, S. 352 zu herberge. 94 Vgl. Kap. 2.3.3.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

und Stamm und damit als Mittlerin von Gnadenfrüchten beschreibt, stilisiert er sie zur Gnadenmittlerin.95 Dahinter steht die Vorstellung von Maria als einem Lebensbaum, dessen Frucht Christus ist.96 Diese Bildvorstellung wird gemäss Brief XI für Margaretha insofern erweitert, als andere aus ihr als Gnadenspenderin ›blühen‹ können.97 Zwei Fragen schliessen sich an diese Beobachtungen zu Brief XI an: Finden sich noch weitere marianische Elemente im Text dieses Briefes und warum ist es Heinrich ein so grosses Anliegen, seine literarische Darstellung Margarethas marianisch zu besetzen? Bereits festgehalten werden kann an dieser Stelle nämlich das deutliche Bemühen des Autors, die Nonne als eine altera Maria aufzubauen. 3.3.3 Mater und Sponsa Christi – Modelle der unio mystica In der Einleitung von Brief XI verwendet Heinrich die Anreden liebste und getruweste, mit denen er Margaretha in grösster Selbstverständlichkeit auch in weiteren Briefen anspricht, wenngleich in unterschiedlichen Wortverbindungen.98 In anderen Briefen nennt er sie geminte swester, gemachel, turteltaube und fründin Christi;99 diese Anreden reiht er oft aneinander: 95 Vgl. Brief XI , 58–61, Strauch, S. 186. 96 Bekannt war diese Vorstellung vor allem aus dem liturgischen und paraliturgischen Beten, vgl. etwa in einem Gruss-Psalter des 14 Jh.s: Ave, virgo, vite lignum, / quod perenni laude dignum, Salvo voto, quod vovisti, / mundo fructum attulisti (G[e´rard] G. Meersseman, Der Hymnos Akathistos im Abendland. Bd. 2: Gruss-Psalter, Gruss-Orationen, Gaude-Andachten und Litaneien (Spicilegium Friburgense 3), Freiburg/Schweiz 1960, S. 17), in einem weiteren Gruss-Psalter des gleichen Jh.s: Ave, lignum excelsum glorie, / secus aquas plantatum gratie, Cuius nunquam defluxit folium, / qui virgo gessisti filium (ebd.), einem Gruss-Psalter von Pontigny aus dem 12. Jh.: Ave, porta paradysi, / Lignum vite quod amisi. Per te michi jam dulcescit / Et salutis fructus crescit (ebd., S. 79) und in einer Gruss-Oration des 13. Jh.s: Ave, lignum vite complantatum rivis aquarum, virgo benedicta, cuius fructo salutifero nostra finem habet fames maledicta (ebd., S. 164). 97 In Brief XVI , 43–47, Strauch, S. 195 bringt Heinrich das gleiche Bild in ähnlichen Worten ausdrücklich mit Maria als Lebensbaum und Christus als ihrer Frucht in Verbindung: dar umb tu uf das ertrich deins hertzen und gebir dir und uns den behalter, der usz dir grunen und pluwen sol und neu frucht bringen und gar senftigklich und stillenklichen gebern sol in vollem lust, in gantzem frid, in gnadenricher ruwe on smertzen, als Marien geschen ist. 98 Vgl. Brief I , 1, ebd., S. 169: Dir miner geträuen in unszerm herren; Brief XIX , 1, ebd., S. 202: Dir minem aller liebstem fründ; u. a. 99 Vgl. z. B. Brief XXXIII , 4 f., ebd., S. 219.

Maria in den Briefen

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Der friundin, der tuben, der gar schonen gemaheln unsers lieben herren Jhesu Christi, der edlen gime in dem furspang, das Jhesus Christus uf seinem getruwen hertzen treit und es minigklichen seinem vatter in freuden der ewigen hochzeit zaigt [. . .].100

Diese teilweise stereotyp wirkenden Anreden lassen sich auf die marianische Dichtung zurückführen,101 die diese wiederum der mariologischen Hoheliedexegese entnimmt.102 Der Einfluss des Hohenliedes und der Tradition seiner mystischen Auslegung ist in den Briefen Heinrichs eine grundlegende Komponente. Nur vereinzelt aber erfolgt bei ihm der Rückbezug auf das Hohelied gezielt: [. . .] in ires herren trautbette das ist in der sichern kamer sines hertzen rawend ist, die umbstond die sechzig starcken und behuttent mit fleiss, das ieman weck oder erschreck die diemüttigen und die hochvertigen gemacheln des öbersten Salamonis.103

100 Brief VI , 1–5, ebd., S. 177. 101 Vgl. dazu Kesting, Maria-frouwe, S. 21. Vgl. auch den lateinischen Gruss in: Brief VIII , 17 f., Strauch, S. 181: Margaretha, Margaretha, soror et sponsa Christi Jhesu, pax tibi etc. 102 Vgl. Kesting, Maria-frouwe, S. 30–39. Grundlegend zur Geschichte der Hoheliedexegese im Mittelalter ist weiterhin Friedrich Ohly, Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200 (Schriften der wiss. Gesellsch. an der Johann Wolfgang Goethe-Univ. Frankfurt a. M., geisteswissenschaftl. Reihe 1), Wiesbaden 1958. Die Hoheliedexegese wurde das erste Mal bei Rupert von Deutz dem Gesichtspunkt der Menschwerdung Christi untergeordnet (vgl. ebd., S. 125), sein Kommentar wurde dadurch »zur ersten mariologischen Hoheliedauslegung auf deutschem Boden« (ebd., S. 136). Für Bernhard von Clairvaux, der einen grossen Einfluss auf die Frömmigkeit des hohen und späten Mittelalters hatte, weist Ohly darauf hin, dieser habe Maria nicht in seinen sermones in Cantica, sondern in drei Predigten zu Marienfesten mit dem Hoheliedtext in Verbindung gebracht (ebd., S. 150). Eine gute Zusammenfassung zum Ursprung der mariologischen Deutung des Hohenliedes im Mittelalter bietet Thali, Beten, S. 2–4. 103 Brief XXXV , 4–6, Strauch, S. 226. Heinrich paraphrasiert hier Ct 3, 7: en lectulum Salomonis sexaginta fortes ambiunt ex fortissimis Israhel. Bereits Rupert von Deutz deutet »das Bett Salomos auf den Schoss der Maria [. . .]. Die sexaginta fortes bezeichnen so die ganze Ahnenreihe von Abraham bis Maria, die den Stamm Abrahams und so die Wurzel Jesse verteidigt haben bis zur Geburt der Maria, die das Bett des wahren Salomo ist«: vgl. Karin Lerchner, Lectulus floridus, Zur Bedeutung des Bettes in Literatur und Handschriftenillustration des Mittelalters (Pictura et poesis 6), Köln usw. 1993, S. 187.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Vielmehr wird in vielen Briefen Margaretha von der Einleitung an bevorzugt in einem Verhältnis zu Christus dargestellt, das von der Beziehung zwischen Braut und Bräutigam im Hohenlied geprägt ist, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen. In der sinnlichen Sprache des Hohenliedes ist hinter den erwähnten Attributen, die Margaretha zukommen, Maria in ihrer bräutlichen Rolle zugegen. Sie tritt zu Christus nicht in erster Linie als Mutter, sondern als Liebende in Beziehung.104 Darum wird Margaretha mit Vorliebe immer wieder gemahel gotz105 genannt. Briefstellen, die die Mutterschaft Margarethas hervorstreichen und in diesem Kapitel bereits aufgeführt wurden, bekommen mit der Einbettung in die Tradition der Hoheliedkommentare eine neue Prägung: Margarethas Beziehung zu ihrem ›Kind Jesus‹ ist in erster Linie eine bräutliche, die Übertragung der Geburt Christi aus Maria auf Margaretha interessiert Heinrich als intensivste Möglichkeit der Umschreibung einer Gottesbeziehung.106 Heinrich stilisiert das ›Minnebett‹ zum ›Geburtsbett‹ und damit zum Ort der unio, wenn er Margaretha wünscht, sie solle den ewigen ursprung so vernemen, als sich da das ewig wort usz gesprochen hat und wol erschreit in der geminten sel Jhesu Christi, in dem trutbett seiner erwelten mutter Maria.107 Die Braut Maria ist somit das höchste Vorbild für jegliche nach der unio mystica strebende Seele. Durch die Verbindung dieser Modellfunktion Mariens mit der Person Margarethas rückt Heinrich letztere in den Briefen immer wieder in die Sphäre der unio.

104 Rupert von Deutz begründete in seinem Hoheliedkommentar eine Richtung der Bibelexegese, »die sich nicht mehr auf die Autorität der Väter beruft, sondern von der persönlichen Erfahrung getragen wird«: Thali, Beten, S. 2. Thali bezieht sich hier auf Ohly, Hohelied-Studien, S. 120, 130–132. Die bei Rupert vorgenommene Deutung der sponsa als Seele anstelle der Ecclesia bewirkte »eine Verlagerung der kirchlichen Heilsgeschichte in den Bereich der Seele«: Thali, Beten, S. 3. In der Tradition des St. Trudperter Hohenliedes wurde Maria für die dominikanische Mystik des 14. Jh.s zum Modell für die unio, aber auch zum Vorbild für die Leidensbetrachtung; vgl. ebd., S. 4. 105 Brief III , 12, Strauch, S. 172. 106 Johanna Thali meint zur Bedeutung der Figur Mariens in der Tradition der Hoheliedkommentare: »Die dominikanische Mystik des 14. Jahrhunderts gründet in dieser Tradition einer persönlichen Gotteserfahrung, wenn Maria insbesondere in der Weihnachtszeit zum Modell für unio-Erfahrungen wird [. . .]«: Beten, S. 4. 107 Brief V , 22–26, Strauch, S. 176. Zur Nähe von ›Minnebett‹ und ›Geburtsbett‹ vgl. die folgende Anm.

Maria in den Briefen

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Auch die Metaphorik der ›Lactatio‹ muss mit der Brautschaft Marias in Verbindung gebracht,108 das Sprechen von den ›Mutterbrüsten‹ und von der ›säugenden Magd‹ in dieser Tradition gesehen werden.109 Dies kommt vor allem dort zum Ausdruck, wo Heinrich die ›Lactatio‹ mit der Weinmetaphorik aus dem Hohenlied verbindet110 und damit Mutterschafts- und Brautmotive zusammenbringt, um Margarethas Funktion als Gnadenmittlerin zu beschreiben, die ihr aus der unio mit Christus zukommt. Wir müssen zurückbleiben, sagt Heinrich, da du mit deinem kunigklichen lieb Jhesu minigklichen solt in gan in die weincelle, da dein kusche brüst vol und ubervol werden sullen, das du nit allein mein, deins unwirdigen knechtz, mer aller der cristenheit wol seugendiü amin werden solt.111

Die marianisch geprägte Darstellung Margarethas in der unio unterliegt also nicht einem Selbstzweck, sondern hat die Weitergabe von Gnaden an andere zum Ziel. Insofern bestätigt die Untersuchung der unio-zentrierten Metaphorik die im zweiten Kapitel vorgenommene Analyse von Brief XI : Ohne explizit an der Weinmetaphorik oder an der ›Lactatio‹ anzuknüpfen, ist es darin die Metapher von der Trunkenheit, welche die unio umschreibt. Heinrich hegt das feste Vertrauen, Margaretha könne im Lichte Christi den Lebensbrunnen schauen, aus dem ihr durstiger geist trincken und truncken werden sol.112 Die Trunkenheit ist über die Briefe Heinrichs hinaus eine »beliebte Bildvorstellung für den Zustand der Entwerdung in der unio mystica«.113 Die Metapher vom ›Tau‹,114 die ursprünglich für die Empfängnis Christi durch den Heiligen Geist verwendet wurde, um schliesslich mystische 108 Diese Verbindung von Brautmystik und der Rede von der Gottesgeburt ist auch beim Engelthaler Klosterkaplan Friedrich Sunder ausgeprägt, bei dem das Minnebett des Hohenliedes »zum Geburtsbett stilisiert wird, in dem sich die Lactatio vollzieht«: Go´recka, Das Bild, S. 415. Zur biblischen Grundlage der ›Lactatio‹ vgl. Anm. 159. 109 Hier sei v. a. auf die Bedeutung Bernhards von Clairvaux hingewiesen; vgl. Kap. 4.2. Vgl. dazu Ct 4, 5: duo ubera tua sicut duo hinuli capreae gemelli qui pascuntur in liliis; 7, 3: duo ubera tua sicut duo hinuli gemelli capreae. 110 Vgl. Ct 2, 4: introduxit me in cellam vinariam ordinavit in me caritatem. 111 Brief XLVI , 32–36, Strauch, S. 251. 112 Z. 47 f., ebd., S. 186. 113 Grete Lüers, Die Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg, München 1926, S. 268. 114 Vgl. Ct 5, 2: quia caput meum plenum est rore et cincinni mei guttis noctium.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Erfahrungen auszudrücken,115 zielt ebenfalls auf die Darstellung Margarethas in der unio. Heinrich wünscht ihr: mein träwe, die mir got geben hat von gnaden, was sol mein durres hertz deinem durchgoszem hertzen in dem tawe, das die himel gefloszet hant in dich, schriben oder sagen wan das allein, des ich beger über dich, das dich got erlucht in deinem innern menschen und dich in seinem liecht weisz in sich selben [. . .].116

Als sponsa Christi wird Margaretha auch über die in diesem Zitat verwendete Lichtmetaphorik und über die Metapher des ›Kusses‹ aufgebaut. Die Vereinigung mit Gott wird Margaretha gemäss Brief XI folgendermassen gewünscht: [. . .] also das du in seinem liecht schawen werdest den ursprung des liechtz.117 Die aus dem Hohenlied stammende Metapher des ›Kusses‹118 wird unmittelbar auf Maria zurückgeführt und in einen Gruss an Margaretha eingearbeitet: Der verzogener und verr verwiseter gemaheln unsers lieben heren Jhesu Christi, der träwe ich werlichen unwirdig bin, enbuit ir armer geträwer des minigkliches grusz frucht, den nu Gabriel Marien bracht hat, und des erhochten und got ergebenen hertzen Marien rainigkeit und plugkeit mit dem minenklichen kusz, in dem veraint sind das ewig wort und die sel deins liebs Jhesu Christi [. . .].119

Hier weist das metaphorische Sprechen der Briefe Heinrichs eine grosse Nähe zum Weihnachtsgeschehen auf.120 Der in die Briefeinleitung eingebettete Gruss des Erzengels Gabriel an Maria steht als Grundform für die liebende Hinwendung des Göttlichen zur minnenden Seele.121 Der Kuss wird als Frucht dieses Grusses begriffen, der im Brief nicht nur Maria zukommt, sondern eben auch Margaretha gewünscht wird. Dass nach Heinrichs Vorstellung Margarethas Eintritt in die unio vor allem über die imitatio Mariae führt, kann demnach vor allem an Weihnachts115 116 117 118

Vgl. Go´recka, Das Bild, S. 349. Brief V , 9–15, Strauch, S. 176. Z. 45 f., ebd., S. 186. Vgl. Ct 1, 1: Osculetur me osculo oris sui; 8, 1: ut inveniam te foris et deosculer et iam me nemo despiciat. 119 Brief XVI , 1–7, Strauch, S. 194. 120 In Brief XVI könnte diese Nähe mit der Zeit der Abfassung nach dem Fest ›Annunciatio Beatae Mariae Virg.‹ gegeben sein; vgl. ebd., S. 337, Vorbemerkung. 121 Vgl. Go´recka, Das Bild, S. 355.

Maria in den Briefen

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briefen anschaulich gezeigt werden. Heinrich zitiert in Brief XXXVIII eine unbekannte Quelle, in der das Jesuskind folgende Begehren ausspricht: ›gib mir dein sel ze einer wiegen, dein hertz ze einem kussin, dein plut ze einem bad, dein hut ze einer deckin und alle deinü glider zeinem lebenden opfer allem minen liden‹.122 Die imitatio Mariae wird hier als zentrale Erlebensform der unio eingesetzt.123 In der Nachfolge Marias kann jede Seele geistig nachvollziehen, was Maria leiblich erfahren hat.124 Heinrich stilisiert über die hier besprochenen Metaphern Margaretha zur Braut Christi, die ihrerseits aus dieser Verbindung heraus Erfahrungen der liebenden Nähe Gottes an andere zu vermitteln versteht. Zu diesem Zweck lässt Heinrich zahlreiche Bildfelder entstehen, in denen der Einzelmetapher oft keine grosse Bedeutung mehr zukommt, die aber Margaretha die Möglichkeit geben, sich im Zustand der Braut-Bräutigam-Beziehung wieder zu finden.125 Aus diesen Bildfeldern wird der Gedanke des Leidens herausgehalten. Heinrich gibt dem Gedanken der Inkarnation der compassio Mariae gegenüber den Vorrang, da sonst die Darstellungen Margarethas ihrer Funktion der idealisierten Brautschaft Christi beraubt würden.126 Er steht darin der Tradition der Dominikaner nahe, die als Antwort auf die teilweise autonom blühende Marienfrömmigkeit des Hochmittelalters zwei 122 Z. 47–50, Strauch, S. 234. 123 Vgl. Go´recka, Das Bild, S. 401. Aufgrund der Untersuchungen von Mutterschaftsmotiven in den Schriften des Dominikanerinnenklosters Engelthal und in den ›Offenbarungen‹ Margaretha Ebners kommt auch Rosemary Hale zum Schluss, die Bildlichkeit der Mutterschaft sei genauso wie die der Brautschaft eine Möglichkeit, die Erfahrung der unio darzustellen: Imitatio Mariae. Motherhood Motifs in Devotional Memoirs, in: Medieval German Literature. Proceedings from the 23rd International Congress on Medieval Studies Kalamazoo 1988, hg. von Albrecht Classen (GAG 507), Göppingen 1989, S. 129–145, hier: S. 144 f. Gerade die Vergegenwärtigung des Gebärens oder des Stillens des Jesuskindes seien Möglichkeiten, auf persönliche Weise mit dem Göttlichen vereinigt zu werden, die imitatio Mariae sei ein Weg zu dieser Erfahrung, die (wie bei Maria) aufgrund der bewahrten Jungfräulichkeit möglich werde; vgl. ebd., S. 142. Vgl. dazu auch Thali, Beten, S. 70 f. 124 Vgl. Go´recka, Das Bild, S. 367. Für Hans Belting ist »Marienmystik [. . .] ein Weg der Nachfolge Mariens mit dem Ziel der Verähnlichung«: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, S. 464. 125 Zum Vorgehen des assoziativen Zusammenführens von Metaphern vgl. auch Kap. 5.2.6. 126 Zur hagiographischen Funktion Margarethas in den Briefen vgl. Kap. 5.2.4.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

dogmatisch fundierte Aspekte – Mariens immerwährende Jungfräulichkeit und ihre physische Mutterschaft – ins Zentrum der Betrachtung stellten,127 im Unterschied zur scholastischen Mariologie der Franziskaner, deren zentraler Gedanke das Mitleiden Marias unter dem Kreuz war.128 Die marianische Bildlichkeit in den Briefen Heinrichs hat auch Einfluss auf die literarische Gestaltung der Beziehung zwischen ihm und Margaretha: Die für Brief XI bereits festgehaltene Betonung der eigenen Unwürdigkeit, der gegenüber die Erhabenheit Margarethas umso grösser erscheint,129 kann als Reflex der Mariendichtung verstanden werden.130 Die marianische Prägung der Beziehung zwischen beiden hebt diese von den realen Gegebenheiten des Lebens ab und macht die Spannung zwischen ihrer Erhöhung und Heinrichs Erniedrigung zum Teil eines Konstrukts, auf dessen Funktion noch einmal zurückgekommen wird.131

3.4 Das Verhältnis von Bild und Text in den Briefen Die klassische Bildlichkeit, in die Heinrich Margaretha und deren Aussagen stellt, kann meist mit mehreren Quellen in Verbindung gebracht werden, hat doch Heinrich etwa biblisch-liturgische Versatzstücke bereits in ihrer marianischen Auslegung vorgefunden. Gerade die in Kapitel 3.3 beschrie-

127 Vgl. Go´recka, Das Bild, S. 88. 128 Vgl. ebd., S. 90. Dieser Tradition scheinen dafür die ›Offenbarungen‹ Margaretha Ebners näher zu stehen; vgl. Kap. 6.2.6. 129 Vgl. Kap. 2.4.2. 130 Vgl. den Hymnus ›Quem terra pontus aethera‹ des Venantius Fortunatus in Vers 341: quid sumus aut fuimus? Quos merserat Eva profundo, / de limo in caelum nos facis ire sinu: Kesting, Maria-frouwe, S. 21; zur ›Erhabenheit Marias‹ und der ›Sündhaftigkeit des Menschen‹ vgl. ein Gebet, das Hildegard von Bingen zugeschrieben wird und (an Maria gerichtet) das Weihnachtsgeschehen meditiert: Mater integerrima, mater castissima, mater benedicta et super omnes benedicta, mater sanctificata et super omnes sanctificata, mater sine exemplo [. . .] qui me in peccatis conceptum et in peccatis natum et in peccatis hucusque miserabiliter cognosco conversatum, et benignum filium tuum pro me interpelles: Or. 13, S. 104, in: Beten mit Bild und Wort. Der Meditationszyklus der Hildegard von Bingen nach der Handschrift für den St. Galler Abt Ulrich Rösch. Bd. 1, hg. von Peter Ochsenbein, ZollikonZürich 1996, S. 51. 131 Vgl. Kap. 5.2.

Das Verhältnis von Bild und Text

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benen marianischen Formen der Darstellung Margarethas lassen überdies an Werke der bildenden Kunst denken, was die Texte generell dem grösseren Horizont einer »Kultur des Visuellen«132 zuordnet, wie sie für das Spätmittelalter charakteristisch war. Vor diesem Hintergrund müssen die Briefe Heinrichs verstanden werden: Sie erfordern die Fähigkeit, in dem Geschriebenen mehr zu sehen als nur den Text.133 Jeffrey F. Hamburger belegt für Miniaturen aus dem Kloster St. Walburg in Eichstätt, dass diese Nonnenmalereien zu einer Kultur gehörten, »in which sight had come to complement contemplation as an accepted avenue of insight and access to the divine«.134 Bei dieser positiven Wertung des Visuellen kann es nicht darum gehen, nunmehr die Bildlichkeit eines Textes in Abhängigkeit von konkreten Bildern zu begreifen. Vielmehr konnte Hamburger anhand von Vergleichen zwischen Texten mystischen Inhalts und Miniaturen zeigen, dass sich sowohl Kunstwerke wie auch Texte gemeinsam auf eine Bildlichkeit beziehen, »rooted in Scripture and the liturgy, assimilated to experience through prolonged meditation and recitation and available to artists and mystics alike«.135 Für Hamburger ist es der grössere Kontext der cura monialium, in den die gemeinsame Bildlichkeit von Text und Kunstwerk einzuordnen ist: »In this process of devotional discipline, objects such as the drawings from St. Walburg played an indispensable role, controlling as well as liberating the religious imagination. The larger, if not altogether determining, context was provided by the cura monialium, or the pastoral care of nuns.«136 Einerseits können in den Briefen Reflexe von Kunstwerken gefunden werden, die Margaretha und Heinrich gleichermassen zugänglich waren. Aufgrund der Briefe und der ›Offenbarungen‹ Margarethas kann aber andererseits gezeigt werden, dass die in den Texten benutzte Bildlich132 Indem sich Felix Heinzer auf die Arbeiten Jeffrey Hamburgers bezieht, bestimmt er die »Kultur des Visuellen [. . .] als fundamentale Kategorie der Spiritualität des späten Mittelalters«: Imaginierte Passion – Vision im Spannungsfeld zwischen liturgischer Matrix und religiöser Erfahrung bei Elisabeth von Schönau, in: Nova de veteribus. Mittel- und neulateinische Studien für Paul Gerhard Schmidt, hg. von Andreas Bihrer und Elisabeth Stein, München/Leipzig 2004, S. 463–475, hier: S. 465. 133 Vgl. Jeffrey F. Hamburger, Nuns as Artists. The Visual Culture of a Medieval Convent (California studies in the history of art 37), Berkeley usw. 1997, S. 217. 134 Ebd. 135 Jeffrey F. Hamburger, The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany, New York 1998, S. 119. 136 Hamburger, Nuns as Artists, S. 218.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

keit ihrerseits einen Einfluss auf den Erwerb von Kunstwerken hatte, die im Werk Margarethas eine grosse Rolle spielen.137 Diese Wechselwirkung zwischen der Bildlichkeit der Texte und Werken der bildenden Kunst stellt freilich im Rahmen der cura monialium des 13. und 14. Jahrhunderts durchaus keinen Einzelfall dar: »Die deutschen Mystiker der Zeit sind meist Prediger, die sich ganz der Aufgabe widmen, das geistliche Leben der Nonnen mit neuartigen Texten zu steuern und darin auch die emotionalen Bedürfnisse einzubeziehen. [. . .] Dieser spezifische Aktionsraum der Mystik, in dem eine eigene Literaturgattung entsteht, hat gerade die Bildwerke hervorgebracht, an denen die mystischen Tendenzen in Erscheinung treten.«138 3.4.1 Der Austausch von Kunstwerken Für die Briefe Heinrichs an Margaretha kann die Wichtigkeit von Kunstwerken vor allem über deren Schlussteile belegt werden. In ihnen nimmt Heinrich explizit auf Werke der bildenden Kunst Bezug, die er und Margaretha beim Absenden bzw. beim Empfang vor sich hatten. So erwähnt er einmal zwai gar zartü bild von allabaster139 und bemerkt in einem späteren Brief erneut diese zwai bild.140 Anderswo schreibt er von einem gemeld,141 das noch nicht fertig sei, und sendet Margaretha sogar zwei Briefe wol gemalet.142 Daneben erwähnt Heinrich Gegenstände wie disz tefelin, die tafel oder ihre diffelle,143 ein crutzlein,144 ein kleinet145 und wiederum ein Kruzifix, bei dem er die Beschaffenheit von augstein angibt.146 Diese Hinweise zeugen von der Selbstverständlichkeit, mit der Kunstwerke zum Austausch zwischen Heinrich und Margaretha gehörten.

137 138 139 140 141 142

143 144 145 146

Vgl. Kap. 6.2.6. Belting, Bild und Kult, S. 463. Briefe XXIX , 29, Strauch, S. 214. Brief XXX , 17, ebd., S. 215. Brief XIII , 74, ebd., S. 190. Brief XIV , 45, ebd., S. 192. Christine Wand-Wittkowski schlägt (mit Bezug auf Philipp Strauch) vor, unter ›gemalten Briefen‹ Gebete, Traktate oder Betrachtungen zu verstehen, die mit Miniaturen und kleinen Bildern ausgeschmückt waren: Briefe, S. 37. Briefe XL , 104 und 115 f., Strauch, S. 239 und XLII , 45, ebd., S. 242. Brief XL , 104, ebd., S. 239. Brief XLI , 32, ebd., S. 240. Brief L, 23, ebd., S. 260.

Das Verhältnis von Bild und Text

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Die Briefstelle: ich send dir das lieb teglachen und das bauch mitt dein gebett, da mit ich was danoch nit gewesen bei dem maler,147 zeigt, dass Heinrich und Margaretha bei der Ausstattung eines Buches zusammenwirken konnten. Dass die Nonne sich in ihren Andachten durchaus solcher bebilderter Bücher bediente, ist der folgenden Stelle aus ihren ›Offenbarungen‹ zu entnehmen: als ich gieng, so het ich ain criucz an mir. dar zuo het ich ain büechlin, da was auch ain herre an dem criucz. daz schob ich haimlich in den buosen also offenz, und wa ich gieng, so drukt ich es an min hercz mit grosser fräude und mit unmessiger gnaud. und as ich dann schlauffen wolt, so nam ich den herren, den an dem büechlin, und let in under min antlücz.148

Margaretha konnte über die Heinrich und ihr bekannte Bildlichkeit – in der Schilderung der ›Offenbarungen‹ – frei verfügen, sei es über Bildtypen in ihrer (gemeinsamen) Vorstellung: Mir wart auch ze der selbe zit diu minnend sel so inderlichen geben, als man sie malet,149 sei es über die Vergegenwärtigung einer konkreten bildlichen Darstellung: do sach ich ain schon gemalet tafelen und da was niht an, denn daz diu minnent sel lag und siechet. da war mir uz der barmherziket gotz geben, daz es min sel wer.150 Heinrich seinerseits konnte in seinen Ausführungen davon ausgehen, dass Margaretha die Bildlichkeit versteht, auf die er Bezug nimmt, besonders dann, wenn die Briefe effektiv Andachtsbildern als Begleitschreiben beigegeben wurden.151 3.4.2 Marianische Bildtypen Die augenfälligste Bildlichkeit, die Heinrich in seinen Briefen zur stilisierten Darstellung Margarethas verwendet, wurde bereits besprochen: die marianische. Über Andachtsbilder war den Medinger Nonnen sicher der Bildtypus der Madonna mit dem Kind vertraut.152 Darauf weist die kurze Bemerkung Heinrichs hin, eine der Figuren aus Alabaster, die er Margaretha nach Medingen schickte, stelle Maria mit irem kind 153 dar. 147 148 149 150 151

Brief XIX , 31–33, ebd., S. 203. Ebd., S. 20, 25 – 21, 3. Ebd., S. 23, 1 f. Ebd., S. 110, 5 f. Als Beispiel kann hier Brief VI , 10–22, ebd., S. 177 f. gelten. Zur Funktion einiger Briefe als Begleitschreiben vgl. Kap. 5.2.1. 152 Vgl. Kap. 3.4.2. 153 Brief XXIX , 30, Strauch, S. 214.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Dieser Bildtypus war in Medingen wahrscheinlich mehrfach als Kunstwerk vorhanden.154 Er könnte sogar eine zentrale Stellung in der Kirche eingenommen haben, wird deren Patronat doch schon in der päpstlichen Bulle von 1246 zur Gründung des Klosters in der Umschreibung Ecclesia Sce Dei Genitricis et Virginis Marie de Medingen Augustensis dioecesis155 genannt. Maria wird vermutlich als Skulptur auf dem Hochaltar oder im Psallierchor der Nonnen, mindestens aber auf einem Seitenaltar dargestellt gewesen sein,156 wie dies für den Konvent der Zisterzienserinnen von Wienhausen verbürgt ist.157

Auch den bereits erwähnten Bildtypus der ›Maria lactans‹158 dürften die Nonnen als Kunstwerk gekannt haben. Das Motiv der stillenden Mutter beeinflusste die darstellende Kunst des Mittelalters nachhaltig.159 In Brief II verbindet Heinrich diesen Bildtypus mit einer Szene der Beschneidung Christi, die der Liturgie der Weihnachtsoktav zuzuordnen ist: 154 Für die Klosterzellen der Dominikaner sind Marienbilder (und auch Kruzifixe) bereits im 13. Jh. bezeugt; vgl. Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter, Berlin 1981, S. 205. 155 Canisia Jedelhauser, Geschichte des Klosters und der Hofmark MariaMedingen von den Anfängen im 13. Jahrhundert bis 1606 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 34), Vechta/Leipzig 1936, S. 113. Maria war die Patronin des ganzen Dominikanerordens; vgl. Thali, Beten, S. 98. 156 Im Dominikanerinnenkloster Katharinental bei Diessenhofen dienten Madonnen entweder auf Nebenaltären oder an anderen Stellen des Klosterbereichs dem privaten Gebet; vgl. Belting, Bild und Kult, S. 463. 157 Vgl. Hamburger, The Visual, S. 72, Figure 1.21. Für die Annahme, eine solche Figur könnte sich in Medingen auf dem Hochaltar befunden haben, spricht die Tradition des Ortes. In der heutigen barocken Kirche von Medingen ist eine spätgotische Madonna mit dem Jesuskind auf dem Arm aus den Jahren um 1460 die zentrale Figur des Hochaltars; vgl. Adelgart Gartenmeier, Klosterkirche Maria Medingen (Schnell, Kunstführer Nr. 509), 5., völlig neu bearb. Aufl., Regensburg 1994, S. 5. 158 Nicht nur in den schon zitierten Briefen XLII und XLVI (vgl. Anm. 75 f.), sondern auch in Brief LI , 6 f., Strauch, S. 261 muss diese Bildlichkeit mitbedacht werden. 159 Als biblische Grundlage dieses Bildes darf Ct 8, 1 angesehen werden: quis mihi det te fratrem meum sugentem ubera matris meae [. . .]. Ausführlich geht Marzena Go´recka in: Das Bild, S. 412–417 auf den Bildtypus der Maria lactans ein, auf S. 413 auch auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas. Eine Miniatur zur ›Legenda aurea‹ des Dominikaners Jacobus de Voragine aus einer Hs. des 15. Jh.s kennt sogar die Vereinigung dreier Bildtypen: Die Weihnachtsszene, die Maria lactans und das Baden des Christuskindes durch Maria; vgl. Jacques le Goff, Un moyen aˆge en images, Paris 2000, S. 66, Abb. 57.

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mit dem send ich dir ein hailiges maienbad, das uns von im geben ist in diesen acht tagen: das ist die küsch megdlich milch, die es gesogen hat, die kindliche treher, die es geweinet hat, und das gar zitig milchvarbes blut, das es vergossen hat.160

Weniger körperhaft wird die Hinwendung des Göttlichen zu Margaretha in den Briefen über die Bildlichkeit des Engels Gabriel und seines Grusses an Maria evoziert. Darstellungen der Verkündigungsszene waren aufgrund ihrer Stellung als »Fundament und Bedingung für das ganze christliche Heilsgeschehen« seit dem 5./6. Jahrhundert häufig.161 Zu den Bildelementen der ›Annunciatio Mariae‹, die für das Spätmittelalter neben den herkömmlichen (Maria und Engel) als die typischsten angesehen werden können, gehören etwa das im Gemach Mariens stehende Bett – das Minnebett der Brautmystik – und der ein Glasfenster durchdringende Lichtstrahl als Allegorie der Jungfräulichkeit Marias.162 Ebenfalls zur Verkündigungsszene gehören der (Lebens-)Brunnen, der in der späteren Entwicklung durch eine Vase ersetzt, und das Lebensbaummotiv, das im 14. Jahrhundert durch Blumen wiedergegeben wurde.163 Vom Brautbett Marias wird in diesem Kapitel noch die Rede sein. Von einer Vase spricht Heinrich explizit in Verbindung mit der Verkündigungsszene: In Brief IV hat der Heilige Geist durch den Engel Gabriel den Gruss in das rain vas und die aller liebsten und gelütersten sel Marien gesant,164 was Heinrich auch Margaretha wünscht. Darum kann er anderswo Margaretha crsitallin vasz nennen.165 Sich 160 Brief II , 14–18, Strauch, S. 171. Die Bezeichnung ›Mai‹ bezieht sich entweder auf die Freude des Sommers, die bei den Minnesängern in Opposition zur Langeweile des Winters gesetzt wurde, oder spielt auf den Monat Mai als Marienmonat an; vgl. Corsini, Kommentar, S. 313 f. Die liturgische Grundlage dieser Briefstelle bildet das Tagesevangelium der Messe zum Fest der Beschneidung Lc 2, 21; vgl. Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 115, S. 71b. Der Wunsch des ›Bades‹ weist auf jene realistische Ausschmückung des Marienlebens und der Kindheit Jesu hin, die sich im Spätmittelalter in Abbildungen wie jener der Madonna mit dem Kind im Bad ausdrückte; vgl. Elisabeth Vavra, Bildmotiv und Frauenmystik – Funktion und Rezeption, in: Frauenmystik im Mittelalter [wie Kap. 1, Anm. 74], S. 201–230, hier: S. 215. 161 Irmgard Corell, Verkündigung an Maria. IV . Kunstgeschichte, in: MarL 6 (1994), S. 608–610, hier: S. 608. Vgl. dazu die Textstelle bei Anm. 119. 162 Vgl. Emminghaus, J[ohannes], Verkündigung an Maria, in: LCI 4 (1972), Sp. 422–437, hier: Sp. 432. Die deutschen Darstellungen stehen teils unter flämischem, teils unter französischem Einfluss; vgl. Corell, Verkündigung, S. 609. 163 Vgl. ebd. 164 Z. 10 f., Strauch, S. 173. 165 Brief XLIII , 21, ebd., S. 243. In der Tradition mystischen Sprechens steht der Kristall für den verklärten Leib Mariens im Himmel, später auch als Metapher für die im Sakrament der Eucharistie vollzogene unio; vgl. Go´recka, Das

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selbst stellt er hingegen mit dem gleichen Nomen vasz als würdeloses Gefäss dar, das der Güte Gottes, die ihm durch Margaretha zukommt, bedarf: so ich gedenck innerlich an die usz flissende guite gotz in dich und durch dich von seiner parmhertziger minen in mich unbereitz und ungesmachs vasz [. . .].166 Margaretha kann in dieser Beschreibung den Gnadenstrom an Heinrich weiterleiten und wird damit als Lebensbrunnen dargestellt oder in der Terminologie, die sonst für Maria gebräuchlich war: als fons aquae vivae.167 Den Lichtstrahl, der in Szenen der Verkündigung als Kennzeichnung der Jungfräulichkeit Marias ein Glasfenster durchdringt, verbindet Heinrich mit einem Glas, das er real vor sich hat und Margaretha zusendet:168 ein Beispiel dafür, wie sich die ihm in unterschiedlichen Formen zur Verfügung stehende Bildlichkeit durchdringen konnte.

Um Margaretha als Fürbitterin zu veranschaulichen, knüpft Heinrich in seinen Briefen an figürlichen oder gemalten Darstellungen von Tod, Himmelfahrt und Krönung Marias an.169 Deswegen müssen diese Schilderungen auch für Margaretha verständlich gewesen sein. Eine Miniatur, die sich in einer um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert illustrierten Handschrift der ›Sainte Abbaye‹ findet, stellt die Verherrlichung Mariens durch ihre Krönung dar, die Christus vornimmt.170 Besonders auch das spätmittelalterliche Retabel verzichtete auf die Darstellung der Aufnahme Marias in den Himmel und begnügte sich zur Veranschaulichung der Verherrlichung allein mit ihrer Krönung.171

Mit demselben Ziel, in Margaretha eine ideale Fürbitterin zu zeigen, nimmt Heinrich auf die Wurzel Jesse und Maria als deren Zweig Bezug:

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Bild, S. 377. Zur Bedeutung des Kristalls bei Gertrud von Helfta vgl. Hamburger, The Visual, S. 118. Brief XLIII , 9–12, Strauch, S. 243. Corell, Verkündigung, S. 609. Diese Funktion kommt Margaretha ja auch gemäss Brief XI zu. Dort wird sie den brunen des lebens schauen, aus dem ihr durstiger Geist ›trunken‹ werden soll; vgl. Z. 47 f., Strauch, S. 186. Und an diese marianisch geprägte Funktion Margarethas anschliessend, meint Heinrich: des beger ich dir als vil für mich: Z. 54 f., ebd., S. 186. Vgl. Brief VI , 10–32, ebd., S. 177 f. Vgl. Kap. 3.3.2. Vgl. auch die Briefe XLVI . 4–6, Strauch, S. 250 f. und LI , 102 f., ebd., S. 264. Die Bildlichkeit Marias als Himmelskönigin brachte die bekannte Antiphon ›Salve Regina‹ auch in der Liturgie immer wieder ins Bewusstsein. Vgl. Hamburger, The Visual, S. 132, Abb. 2.11. Vgl. Peter Kurmann und Eckart Conrad Lutz, Marienkrönungen in Text und Bild, in: Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Internationales Symposium, Roscrea 1994, hg. von Timothy R. Jackson, Nigel F. Palmer und Almut Suerbaum, Tübingen 1996, S. 23–54, hier: S. 24.

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Der ausz erwelten jungfrawen in unszerm herren Jhesum Christo enbäut ir unwirdiger armer frünt in got der edeln blumen aller lustlichsten schmack, den uns die gertruthe von Jesse getragen, geboren und geben hat und der so minniglich blüende ist in allen rainen hertzen und so genugsamlichen fruchtpar worden ist in allen tugentlichen ubungen.172

Auf dem Hintergrund der mittelalterlichen Ikonographie der Wurzel Jesse, in der die Jungfrau selten fehlt, ja in der sie oft eine Schlüsselstellung einnimmt,173 muss Brief XI verstanden werden, wenn es darin heisst: wan usz dir vor got grünent, blüwent und frucht bringent alle die dinen, als die zwig tuent in irem berhaften stamen und uz ir wol getüngter wurtzeln.174 Heinrich verzichtet hier auf die Nennung der Wurzel Jesse, geht also mit der Tradition frei um: Da Margaretha im Text bereits zu einer mit Gott vereinten Figur aufgebaut wurde, kann sie selbst als Wurzel und Stamm beschrieben werden, an dem Zweige blühen.175 Die Bezüge, die Heinrich in seinen Briefen zu verschiedenen marianischen Bildtypen schafft, evozierten in der Erinnerung Margarethas Aspekte der Braut- und Mutterschaft Marias, des Modells der unio mystica. Diesem Anliegen diente vor allem auch die Darstellung der körperlichen Nähe Marias zum Christkind, die in Nonnenklöstern immer wieder Gegenstand der Andachtskunst war und auch hinter den folgenden Zeilen gesehen werden darf:176 172 Brief XXV , Z. 1–7, ebd., S. 208. Die Anrede ›Jungfrau‹ an sich lässt nicht nur an die Jungfrau Maria denken, wie sie vom Engel Gabriel besucht wird oder das göttliche Kind trägt, sondern auch an die Nonne als Jungfrau in der Nachfolge Marias. Eine Miniatur aus dem Kloster St. Walburg in Eichstätt (15. Jh.) zeigt eine Jungfrauenweihe, die durch das Jesuskind auf dem Schoss seiner Mutter vorgenommen wird; vgl. Hamburger, Nuns as Artists, S. 57, Fig. 41. 173 Vgl. Anita Guerreau-Jalabert, L’Arbre de Jesse´ et l’ordre chre´tien de la parente´, in: Marie. Le culte de la Vierge dans la socie´te´ me´die´vale. Etudes re´unies par Dominique Iogna-Prat, Eric Palazzo et Daniel Russo, Pre´face de Georges Duby, Paris 1996, S. 137–170, hier: S. 162 f. Über das Vorbild der Braut aus dem Hohenlied, die den Bräutigam in die Weinberge einlädt (Ct 7, 13), wird Maria zur jungfräulichen Rebe, die aus dem Stamm Jesse hervorgeht und der die Edeltraube Christus entwächst; vgl. Silke Egbers und Ulrike Liebl, Weinrebenmadonna, in: MarL 6 (1994), S. 701 f., hier: S. 701. 174 Z. 58–61, Strauch, S. 186. 175 Zum Bildtypus Marias als Wurzel und Stamm in liturgischen Gebeten vgl. Anm. 96. 176 Eine besondere Sensibilität für die Menschheit Christi (Geburt, Krippe, Pas-

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nu müez die geträu mutter Maria ir kint in winden und legen in die crippe deins andechtigen hertzens, in dem ir kindlin lachen und wainen und ergrellen müez usz der suszen stüme seins ewigen wortz in dein sel, als er ie getan hat und noch ton will.177

Die Erwähnung des Herzens Margarethas, das in diesem Wunsch mit einer dem Jesuskind dienenden Krippe verglichen wird, kann mit konkret existierenden Wiegen des 14. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden. Die Andachtsform des sogenannten ›Kindelwiegens‹178 und die dazugehörende Pflege des Christuskindes sind nicht zuletzt für Margaretha selbst bezeugt: Über ihre ›Offenbarungen‹ kann eine Beziehung zwischen dieser sionsweg, Kreuz und Blut Christi) war bereits in der christlichen Antike vorhanden, z. B. bei Origenes und Ambrosius, was später die Frömmigkeit des 12. Jh.s prägte; vgl. Georg Holzherr, Beten mit Bild und Wort, in: Beten mit Bild und Wort [wie Anm. 130], S. 31–42, hier: S. 39, Anm. 11. Der Vita des Franz von Assisi zufolge, die von Thomas von Celano verfasst wurde, verehrte der Heilige imagines des Christkindes, sprach mit ihnen und küsste sie; vgl. Johannes Tripps, Das handelnde Bildwerk in der Gotik. Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik, 2. Aufl., Berlin 2000, S. 73. Literarisch festgehalten ist die Verehrung von Jesuskindfiguren demnach zuerst für einen Mann. Im Schrifttum von Helfta geschah diese Verehrung noch in einer geistigen Weise; vgl. Kap. 4.5. Die süddeutschen Mitglieder des Dominikanerordens kamen mit diesem franziskanischen Gedankengut über die Schriften des Kartäuserpriors Ludolf von Sachsen in Berührung (vgl. Tripps, Das handelnde Bildwerk, S. 77), der im 14. Jh. in Mainz seine ›Vita Christi‹ verfasste, die sich unter anderem auf das ›Lignum vitae‹ Bonaventuras sowie auf den ›Stimulus amoris maior‹ und die ›Meditationes vitae Christi‹ PseudoBonaventuras stützte; vgl. Walter Baier und Kurt Ruh, Ludolf von Sachsen, in: VL 5 (1985), Sp. 967–977, hier: Sp. 969 und 972. Caroline Walker Bynum sieht in den Körperpraktiken von spätmittelalterlichen Frauen eine Reaktion auf die zunehmende Klerikalisierung der Kirche: vgl. Fragmentierung und erlösung. Geschlecht und Körper im Glauben des Mittelalters, Frankfurt a. M. 1996, S. 126. 177 Brief IX , 34–38, Strauch, S. 182. 178 Zum ›Kindelwiegen‹ vgl. Go´recka, Das Bild, S. 422 f., bes. Anm. 155. Eine bedeutende Darstellung einer aus Köln stammenden Christkindwiege aus den Jahren 1340–1350 findet sich in: Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille?, Bernisches Historisches Museum und Muse´e de l’Œuvre Notre-Dame Strassburg, Katalog zur Ausstellung, hg. von Ce´cile Dupeux u. a., Zürich 2000, S. 221, Kat.Nr. 74; zu einer Darstellung aus dem 15. Jh. vgl. Spiegel der Seligkeit. Privates Bild und Frömmigkeit im Spätmittelalter. Ausstellungskatalog des Germanischen Nationalmuseums, hg. von G. Ulrich Grossmann, Nürnberg 2000, S. 174, Kat. Nr. 10.

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Bildlichkeit und einer Wiege hergestellt werden, die sich in ihrem Besitz befand.179 3.4.3 Brautmystische Bildlichkeit Ebenfalls die körperliche Nähe zu Christus evoziert Heinrich dort, wo er vom bereits zitierten trutbett seiner erwelten mutter Maria180 und von ihres herren trautbette181 schreibt. Im Mittelalter wurde auch ausserhalb seiner Briefe Mariens Schoss mit dem blühenden Bett Salomons aus dem Hohenlied identifiziert, Maria selbst überdies als lectus Dei beschrieben.182 Die bildende Kunst des Spätmittelalters schuf dafür den Bildtypus der Gottesmutter im Wochenbett.183 Dass das ›Brautbett‹ Marias die Bildlichkeit des Hohenliedes mit jener des Marienlebens zusammenführt, liegt in der Konsequenz dessen, was in Kapitel 3.3.3 gesagt wurde: Hinter den marianischen Formen der Darstellung Margarethas in den Briefen ist immer auch die bräutliche Nähe zu Christus gegeben. Ähnlich wird in einer von Jeffrey F. Hamburger untersuchten Miniatur aus dem Kloster St. Walburg in Eichstätt, die in der Sekundärliteratur den Titel ›Das Herz als Haus‹ trägt,184 marianische und brautmystische Bildlichkeit zusammengeführt. Eingebettet zwischen Gottvater und Sohn kommt in der Miniatur der Seele die Position der Jungfrau Maria zu, die von der Trinität in den Himmel aufgenommen wird.185 Ein Schriftband weist darauf hin, dass der Mensch in der Vereinigung mit Gott in das Bild Christi verwandelt wird. Es ist denn auch Christus, der die Seele wie eine Braut umarmt und ihr den kuss des frids gibt.186 Selbst wenn die Briefe Heinrichs mehr als ein Jahrhundert vor dieser Miniatur entstanden sind, lassen sich doch viele Gemeinsamkeiten festhalten, die eine beide 179 Vgl. Kap. 6.2.6. Ein Reflex dieser Beschäftigung mit dem Jesuskind existiert auch in den bereits zitierten Zeilen 47–50 aus Brief XXXVIII (vgl. Anm. 122). Die Bedeutung des Festes der Beschneidung Christi findet hier wieder ihren Niederschlag. 180 Vgl. Anm. 107. 181 Vgl. Anm. 103. 182 Vgl. Lerchner, Lectulus, S. 56 f. 183 Vgl. eine Abbildung dazu in: Go´recka, Das Bild, S. 391. 184 Vgl. Hamburger, Nuns as Artists, S. 141, Fig. 85 und Spiegel der Seligkeit, S. 201, Kat.Nr. 35. Zur Brautmystik in den Briefen vgl. auch Kap. 4.5.1. 185 Vgl. Karin Tebbe, Das Herz als Haus, in: Spiegel der Seligkeit [wie Anm. 178], S. 200 f., hier: S. 201. 186 Vgl. ebd.

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verbindende Tradition des Gebrauchs von Bildlichkeit in Text und darstellender Kunst deutlich machen. Ausgehend vom Titel dieses Teilkapitels fallen mit Blick auf die Verbildlichung bräutlicher Innigkeit zwischen der Seele und Gott in der Miniatur die vielen Bezugnahmen in den Briefen auf Margaretha als Braut und Freundin Christi auf.187 Zur bildlichen Ausgestaltung dieser Minne-Beziehung kann vor allem die Darstellung des Kusses gezählt werden188 oder das Sprechen vom umbfahen.189 Heinrich kombiniert etwa da, wo er die Vorstellung von der Gottesfreundschaft umreisst, solche Metaphern: [. . .] ie enger das minenbet ist ie neher der umbfang get ie susser smecket das wessenlich mundküssen [. . .].190 Das innige Umfangen Christi durch die Seele in der Miniatur erfährt zudem auch in den Briefen eine Verknüpfung mit der marianischen Bildlichkeit. Im folgenden Zitat kommt der Wunsch zum Ausdruck, das Christkind ans eigene Herz drücken zu können: [. . .] do es [das neugeborene Kind] sein mutter diszer sel in dem geist an iren armen gab und si es kuszet und in ir hertz trucket [. . .].191 Dahinter steht die Verbindung zweier Bildtypen: der Mutter Maria mit dem Jesuskind und des Apostels Johannes, der am Herzen Christi ruht. Dieser zweite Bildtypus ist im alemannischen Raum in den Nonnenklöstern des Dominikanerordens geläufig.192 Auch die Metapher des Herzens selbst setzt Heinrich oft ein, um Margarethas bräutliche Innigkeit in ihrem Verhältnis zu Christus beschreiben zu können. So stellt er, ähnlich wie in der Miniatur ›Das Herz als Haus‹, das Herz Margarethas als Ort der Einkehr Christi dar: es ist als Jhesus dein minendes hertz und alle dein sinne im selber so gar gefreit hat, das Jhesus allain dar innen stat,193 oder das Herz Christi als Ort der Vereinigung zwischen Gott und der Seele: [. . .] in dem geträwen hertzen Jhesu Christi [. . .].194

Die Metaphern, die sich im Briefkorpus Heinrichs an verschiedenen Stellen finden, fügen Miniaturen zu einem einzigen Bild zusammen. Ähnlich dürfte Margaretha beim Lesen der Briefe weniger die einzelnen Metaphern als 187 Vgl. die Briefe VI , 1, Strauch, S. 177; VIII , 17, ebd., S. 181; XVI , 1, ebd., S. 194; XXXIII , 4 f., ebd., S. 219; XLV , 21, ebd., S. 250. 188 Vgl. die Briefe IV , 37, ebd., S. 174; VI , 34, ebd., S. 178; XVI , 6, ebd., S. 194. 189 Brief XLVI , 20, ebd., S. 251. 190 Brief XLVI , 53 f., ebd., S. 252. Zur Auseinandersetzung Heinrichs mit der Idee der Gottesfreundschaft vgl. Kap. 7.4. 191 Brief XLIV , 5 f., Strauch, S. 247. 192 Vgl. dazu auch Kap. 6.1.5 und 6.2.8. Auf den Apostel Johannes wird in den Briefen nur einmal explizit Bezug genommen: Margaretha soll Fürbitte einlegen bei Jesus, der [sie] auch so zartlich als sinen geminten jünger Johannem in siner schoss gebrüetet hat: Brief XXXIII , 71–73, Strauch, S. 221. Ansonsten wird der Apostel in seiner Funktion als Schreiber Margarethas aufgeführt; vgl. Kap. 6, Anm. 165. 193 Z. 30–32, Strauch, S. 224. 194 Brief XXXIV , 5, ebd., S. 223.

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vielmehr die dahinter stehenden Bildzusammenhänge als ganze gesehen haben. Zugleich muss ihr der von Heinrich beschriebene Zugang zur liebenden Vereinigung mit Gott im eigenen Herzen bekannt gewesen sein, wenn er ihr einen Platz in den Wundmalen Jesu zuweist: Der wol nistenden turtteltauben in den minenden, bluewenden, berinden wunden irs liebs Jhesu [. . .].195 Die Darstellung Margarethas, [. . .] die so wol gehauszet hat in ires liebes wunden, die in ires herren trautbette das ist in der sichern kamer sines hertzen rawend ist [. . .],196 erinnert an eine andere Miniatur aus St. Walburg, die den Titel ›Die Seele im Herzen des Gekreuzigten‹ trägt. Das übergrosse Herz des Gekreuzigten ermöglicht einen Blick in sein Inneres, in dem eine Seele (als Nonne gekleidet) mit Christus zusammen in liebendem Gebärdenspiel zu sehen ist.197 Die Seele gelangt über eine Tugendleiter in das Herz des Erlösers, deren oberste Sprosse die Liebe ist. Am Herzen ist ein Siegel angebracht. Diese Metapher wird in der Miniatur nochmals aufgenommen, wenn Christus der Seele im Innern des Herzens ein Siegel überreicht.198 Auch der Passionstraktat ›Pone me ut signaculum‹ eines in St. Walburg geschriebenen Codex des 15. Jahrhunderts verwendet diese Metapher. In ihm steht das Siegel für die sich in der Eucharistie verschenkende Liebe Christi.199 Vergleichbar verwendet die Metapher auch Heinrich, wenn er Margaretha zu verstehen gibt: [. . .] dar an hencket man in das insiegel des heiligen fronlichnams Christi [. . .],200 oder wenn er ihr 195 Brief XXXIV , 1 f., ebd., S. 223; vgl. auch Brief XXXV , 4, ebd., S. 226. 196 Brief XXXV , 3–5, ebd., S. 226. Ob sich der Brief hier auf das BdeW Heinrich Seuses bezieht? Dort heisst es in den ›Hundert Betrachtungen‹: Alle mine gebresten werden in dinen wunden verheilet: Seuse, S. 315, 30 f. Zur Miniatur ›Die Seele im Herzen des Gekreuzigten‹ vgl. Spiegel der Seligkeit, S. 106, Abb. 9. Zur folgenden Darstellung vgl. Maria Magdalena Zunker, Spätmittelalterliche Nonnenmalereien aus der Abtei St. Walburg. Versuche einer Deutung, in: Spiegel der Seligkeit [wie Anm. 178], S. 97–116, hier: S. 109–112 und Kat.Nr. 36, S. 202 ff. 197 Gegen die Deutung Jeffrey F. Hamburgers, es handle sich bei dieser Miniatur auch um das Einwohnen Christi im Herzen der Seele (vgl. Hamburger, Nuns as artists, S. 116), spricht der Wortlaut der zum Bild gehörenden Spruchbänder, die deutlich machen, »dass es das Herz Christi ist, in das die Seele gezogen werden möchte«: Zunker, Spätmittelalterliche Nonnenmalereien, S. 109. 198 Zur Verwendung dieser Metapher bei Heinrich vgl. Anm. 201. 199 Vgl. Zunker, Spätmittelalterliche Nonnenmalereien, S. 111. Dieser Traktat ist in dem Ende des 15. Jh.s geschriebenen Cod. St. Walb. germ. 4 überliefert; vgl. ebd. 200 Brief XVII , 99 f., Strauch, S. 200.

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wünscht, die unvergängliche Speise zu begehren, die nur ihr here Jhesus geben kann, der das essen selber ist, den got sein vatter versigelt hat in seinem hertzen [. . .].201 Während die Miniatur ›Die Seele im Herzen des Gekreuzigten‹ den Weg zur Vereinigung mit Christus in der Kreuzesnachfolge thematisiert,202 vergleicht der Schluss des Traktates ›Pone me‹ diese biblisch geforderte Christusnachfolge mit einer Schifffahrt: Diß mein leiden sol das schifflein sein auff dem Du in diisem wuettenden mer solt schiffen pis an Das gestat der seligkait vnd mein kreucz sol auch Dein wallstrecken sein hie in dissem ellend daran Du wallen solt in das vaterlandt vnd denn will ich dein gekreuczigter lieb haber dein gemachel vnd das pettlen sein, dar ynn du ewigklich mit grossen frewden rwen solt vnd mich deinen liebhaber lieben on mittel [. . .].203

Mit ähnlichen Worten wünscht Heinrich Margaretha und all jenen, die ihr freundschaftlich verbunden sind, das sie auf dem schiffe des hailligen crütz und auf dem wag sins hailligen bluttes wider fliessend in dem gelait des hailligen gaistes durch Christum und Mariam in das lustlich land der vetterlichen pfaltze und das du gesetzet werdest in das gesidel, dins liebes geträues hertze, dar innen du sechest das miniglich urspung des ewigen lebens in seinem aigen brunen.204

Die Metaphorik in den Briefen lässt sich also gleich mehrfach mit den Miniaturen aus St. Walburg in Verbindung bringen, was auf Text und Bild 201 Brief XLIX , 11–13, ebd., S. 259. Ebenfalls verwendet wird diese Metapher in den Briefen VI , 34 und 38, ebd., S. 178 und VII , 24 und 31, ebd., S., 179 f. 202 Vgl. Zunker, Spätmittelalterliche Nonnenmalereien, S. 112. Die Kreuzesnachfolge in ihrer brautmystischen Darstellungsweise ist in den Briefen etwa dort gegeben, wo Heinrich Margaretha ein stetigs hinziehen (Brief XLVI , 12, Strauch, S. 251) wünscht. Dahinter steht eine Vorstellung der Kreuzesnachfolge, wie sie sich auch im Bildtypus der ›Kreuztragenden Minne‹ manifestiert. Auf einem grösseren Bild des Einsiedler Codex 710 etwa trägt eine als Jungfrau dargestellte Seele ein Kreuz auf der Schulter und wird von Christus mit einem Strick gezogen; vgl. Romuald Banz, Christus und die Minnende Seele. Zwei spätmittelhochdeutsche mystische Gedichte. Untersuchungen und Texte (Germanische Abhandlungen 29), Breslau 1908, Tafel III . Wie das 6. Kap. noch zeigen wird, geht auch Margaretha den Weg der Kreuzesnachfolge. Verwandt ist die ›Kreuztragende Minne‹ mit dem Bildzyklus ›Christus und die minnende Seele‹; vgl. Anm. 205. 203 Zunker, Spätmittelalterliche Nonnenmalereien, S. 111. 204 Brief XXV , 14–21, Strauch, S. 208.

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gemeinsame brautmystische Bildvorstellungen hinweist, die noch im 15. Jahrhundert aktuell waren. Zeitlich liegt der Verwendung der brautmystischen Bildlichkeit, wie sie Heinrich in seinen Briefen einsetzt, der Bildzyklus ›Christus und die minnende Seele‹ näher: Ein Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert zeigt uns in fünf Bildreihen 20 Szenen, die eine Seele – mit ihrem offenen Haar als Jungfrau dargestellt – im vertrauten Umgang mit Christus in zahlreichen Lebenssituationen auf dem Weg zur unio darstellen. Die einzelnen Bilder waren »jeweils mit einem aus zwei Reimverspaaren bestehenden Dialog zwischen Christus und seiner Geliebten, der minnenden Seele, ausgestattet [.. .]«.205 Die Parallele zwischen diesem Bildzyklus und den Briefen ist insofern interessant,206 als Romuald Banz meint: »Die erste ausdrückliche Erwähnung eines Bildes der ›Minnenden Seele‹ finde ich in Margarethe Ebners Offenbarungen.«207 Damit müssen Bildvorstellungen, wie sie dem 205 Werner Williams-Krapp, Bilderbogen-Mystik. Zu ›Christus und die minnende Seele‹. Mit Edition der Mainzer Überlieferung, in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Kurt Ruh zum 75. Geburtstag, hg. von Konrad Kunze u. a., Tübingen 1989, S. 350–364, hier: S. 350, zur Abbildung: S. 354. Zur Darstellung gelangte im 14. Jh. auf einem Bilderbogen »der mystische Aufstieg zur unio auf dem bekannten Weg der via purgativa, illuminativa und unitiva. [. . .] Es ist daher anzunehmen, dass der Bilderbogen als eine für die Klosterzelle bestimmte, einprägsame Erinnerung an die Stufen der via mystica für bereits mit der Materie vertraute Schwestern gedacht war«: ebd., S. 350. 206 Im Bildzyklus finden sich nicht nur Veranschaulichungen der unio zwischen Seele und Christus, die auf Darstellungen der Christus-Johannes-Minne und der Marienkrönungen zurückgehen und für die Briefe bereits beschrieben wurden. Es existieren darin auch Darstellungen des ›Durchschiessens‹ Christi durch die Seele mit einem Pfeil sowie des ›Gebunden- und Gefangenhaltens‹ Christi durch die Seele oder eine Szene, in der Christus der Seele auf Instrumenten zum Tanz aufspielt. Vgl. dazu Heinrichs Metaphern vom Durchschiessen, Verwunden und Jagen (Briefe XVI , 38, Strauch, S. 195; XX , 11 f.; ebd., S. 203; XXXIV , 7, ebd., S. 223; XXXVIII , 28, ebd., S. 234. Zu jagen: Brief LVI , 3, ebd., S. 269), vom An- oder Festbinden (Brief XVII , 32–34, ebd., S. 198. An dieser Stelle wird auch das der Metapher des ›Bindens‹ zugrundeliegende biblische Bild, die Passion Christi, erkennbar; vgl. dazu Kap. 6, Anm. 118) und vom Tanzen nach der suszen pfifen [. . .] Christi (Brief XLVIII , 40 f., ebd., S. 257. Strauch verweist in seiner Anmerkung zu dieser Stelle auf die Nähe zur Bildlichkeit des Totentanzes, die Heinrich etwa vom Kloster Klingental her gekannt hat; vgl. ebd., S. 383 ad 37 ff.). 207 Banz, Christus, S. 225. Zur Belegstelle in den ›Offenbarungen‹ vgl.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

Bildzyklus zugrunde liegen, in einer frühen Form Bestandteil des mystischen Diskurses im Freundeskreis um Heinrich und Margaretha gewesen sein.208 3.4.4 Eschatologische Bildlichkeit Heinrichs Vorliebe für die Kombination verschiedenster Metaphern in der Stilisierung Margarethas zeigt sich auch dort, wo er sie in den Bildhorizont der Apokalypse stellt. In Brief XXXV nimmt er sich in Demut zurück, wenn er aus Ehrfurcht nicht mehr zu Margaretha aufzublicken wagt, da die fier und zwainzig alten auf ire antlütz fallen für den thron, da der alt der tag sitzet in grünender jugent mit siner ausz erwelten fründin.209 Das Hochzeitsmahl der Jungfrauen wird in einen eucharistischen Bedeutungshorizont gesetzt, wo sich Heinrich in einem Gruss an die Apokalypse anlehnt: Der geladen junckfrawen uf den tisch der ewigen wirtschaft, da sich das unschuldig lamp selber gibt [. . .].210 Die Erwähnung des ›Lammes Gottes‹ aus der Apokalypse kommt in den Briefen häufig vor und ist endzeitlich konnotiert. Dementsprechend wünscht Heinrich Margaretha, sie möge die gantzen träu gotz in warhait enpfahen [. . .] und in diemutiger danckperkeit den ewigen eren gotz wider geben mit gewinne und mit engelschem lobgesang mit den seligen jubiliren vor dem sitzenden in dem tron, das ist das erstanden lamp.211

In Verbindung dieses Wunsches mit der Bezeichnung Margarethas als eines wol beregniten befloszen wurtzgarten212 kommt es hier zu einem Beieinander der Vorstellungen der Endzeit und des Paradiesgartens. Letzteren zeichnet eine idyllische Lieblichkeit im Sinne des ›locus amoenus‹ aus, blumige

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Anm. 149. Zur Nähe des von Banz edierten und untersuchten Textes ›Die minnende Seele‹ zu den Briefen Heinrichs vgl. Kap. 4.1. Für Jeffrey F. Hamburger ist es unwahrscheinlich, dass für Margaretha von einer reich illustrierten Hs. dieses Bildtypus ausgegangen werden kann. Vielmehr dürfte sich Margaretha auf eine bemalte Holztafel oder auf Fresken beziehen; vgl. Jeffrey F. Hamburger, The Rothschild Canticles. Art and Mysticism in Flanders and the Rhineland circa 1300, New Haven/London 1990, S. 87. Z. 12–15, Strauch, S. 226. Zur Bibelstelle Apc 4, 10: procident viginti quattuor seniores ante sedentem in throno / et adorabunt viventem in saecula saeculorum. Brief VII , 1 f., Strauch, S. 179. Brief XLIII , 3–9, ebd., S. 242 f. Ebd., Z. 22 f., S. 243.

Das Verhältnis von Bild und Text

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Wiesen, der Baum und das Wasser des Lebens, das oft einem Brunnen entspringt.213 Die Schilderung des Paradieses in der Vermengung mit Bildern aus der Schau der Apokalypse, wie sie bei Heinrich geschieht, war nicht unüblich. Als berühmtestes Beispiel dafür kann das Haupttableau des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Genter Altars Jan van Eycks gelten, wo nicht nur die Lieblichkeit des Paradiesgartens die endzeitliche Darstellung prägt, sondern ausser dem Brunnen des Lebens auch das Lamm, der Altar und der Kelch der Eucharistie, die Scharen der Heiligen und der Lobgesang der Engel abgebildet sind.214 Wenn auch nicht in allen Details, so lässt die folgende Anrede Margarethas doch an die Vermischung mehrerer dieser endzeitbezogenen Bildvorstellungen denken, wie sie auch der Genter Altar kennt – an jene der Apokalypse, der Eucharistie, des Hohenliedes und des Paradiesgartens: In der alle creatur ze frid komen sint, wan si mit got vereiniget ist [. . .]. usz dem hailigen ewangeli, das ich zehant predigen solt, winsch ich dir ze wircken in müsigkeit nit das essen das verdirbt, mer das bliebend ist in ewigs leben, das allein ze geben hat des menschen kind, dein here Jhesus, der das essen selber ist, den got sein vatter versigelt hat in seinem hertzen, dar nach die werd mutter Maria in irem megtlichem leib und Johannes, dein und gotz schriber: in dem taugenbuch wainet er gar sere, das niemant funden ward, der das versigelt buch mocht auf slieszen. da ward er erfreut von dem getöten lamp, das gewalt het genomen von seinem vatter sich selber entschliessen und ein gieszen in dein sel und sich selbs dar inen versiglen. dar umb kanstu selber etwan das innerlich geschriben ist in dir nit geleszen. nun beger ich mit allen hailigen, das dir dein einigs lieb entschiesz und das doch das insiegel nit brech sich selber in deinem hertzen, dar us du uns ze schencken habist das lebend wasser, springend in das ewig leben. amen.215

213 Vgl. F[riederika] Tschochner, Paradies, in: LexMa 5 (1993), Sp. 87 f., hier: Sp. 87. Bei Heinrich dürfte auch Brief XXXIV , 37 f. den Paradiesgarten evozieren: Er dankt Margaretha: [. . .] in deinem lieb Jhesu Christo dem zarten, in des würtzgarten sein roszen dir erlaubet sint [. . .]: Strauch, S. 224. In Bezug zu Brief XI sei darauf hingewiesen, dass der Autor darin den brunen des lebens erwähnt: Z. 47, ebd., S. 186. 214 Vgl. Tschochner, Paradies, S. 87. Eine eingehende Besprechung des Genter Altars bietet Dirk de Vos, Flämische Meister. Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hans Memling, Köln 2002, S. 35–52. 215 Brief XLIX , 1–24, Strauch, S. 258 f.

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Die Bildlichkeit in den Briefen

3.5 Schlussbemerkungen In diesem zuletzt zitierten Beispiel wird noch einmal deutlich, dass Heinrich verschiedenste Bildvorstellungen zur Veranschaulichung der unio mystica assoziativ miteinander verbindet. Margaretha dürfte über diese an Texte, Bilder und liturgische Bezüge erinnert worden sein, die beim Lesen wieder bildhaft präsent wurden und ihr bekannte und neue Wege der Gotteserfahrungen eröffnen konnten. Über das ganze Briefkorpus hinweg ist dabei vor allem der starke Bezug der Briefe zur Liturgie auffällig. Sie ist einerseits Ausgangspunkt und Richtschnur der Überlegungen Heinrichs – durch das Heranziehen liturgischer Lesungen, des Messpropriums oder über das Einsetzen eucharistisch geprägter Bildlichkeit –, andererseits kommt es in ihr selbst zu einer Verdichtung der Bildlichkeit der Briefe: Die Einigung mit Gott, die sowohl die marianische als auch die brautmystische und von der Endzeit geprägte Bildlichkeit immer neu zu evozieren versuchen, fand für Margaretha in der Liturgie – und dort vor allem in der Feier der Eucharistie – den Ort ihres dichtesten Vollzugs. Die eucharistische Bildlichkeit und deren Bedeutung waren Margaretha aus dem klösterlichen Alltag vertraut und konnten darum in den Briefen ohne weitere Erklärungen eingesetzt werden, um ihr auf die unio bezogene Bildfelder vor Augen zu führen. Auch der Umgang Margarethas mit Werken der darstellenden Kunst muss in diesem Kontext vermutet werden: Mögen die verschiedenen Bildtypen Marias, der Brautmystik oder des Paradiesgartens uns heute von der biblisch-liturgischen Realität entfernt scheinen, Margaretha konnte sie in ihrer eucharistischen Dimension verstehen. Doch auch ohne den direkten Bezug zur Eucharistie müssen die Briefe Heinrichs als unio-zentrierte und damit als mystische Texte gelesen werden: Sie geben Margaretha die Züge der liebenden Braut Christi, die – wie Maria – aus ihrer grossen Nähe zum himmlischen Bräutigam heraus anderen Menschen Teilhabe an den von ihr empfangenen Gnaden geben kann. Demnach muss die Darstellung Margarethas in der unio mystica als konstitutiv für das Gespräch zwischen ihr und Heinrich gelten.

4 Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses Zur cura monialium im 14. Jahrhundert gehörte auch die Verbreitung und Lektüre mystischer, meist deutschsprachiger Literatur. Am Beispiel des Passionstraktats ›Pone me ut signaculum‹ aus dem Kloster St. Walburg konnte gezeigt werden, dass noch im 15. Jahrhundert einem geistlichen Text in der Volkssprache die Bildlichkeit eigen war, die schon das unio-zentrierte Sprechen in den Briefen Heinrichs prägt. Jene literarische Tradition, in der Traktat und Briefe stehen, kann sogar selbst als Quelle für einen Grossteil der im dritten Kapitel besprochenen Bildvorstellungen gelten.1 In diesem Kapitel wird darum die in den Briefen rezipierte Literatur untersucht. Dabei wird besonders die Frage leitend sein, was die Kenntnis dieser Literatur zum Verständnis des Dialogs zwischen Heinrich und Margaretha in den Briefen beiträgt. Grundsätzlich kann hier bereits vorweggenommen werden: Auch die verschiedenen Schriften bekannter und unbekannter Autoritäten des geistlichen Lebens dienten Heinrich als Quelle der Inspiration bei seinem Bemühen, die geistlichen Konturen Margarethas immer neu zu entwickeln und darzustellen.

4.1 Zur Intertextualität der Briefe: ihre Einbettung in die ›geistliche Minneliteratur‹ Um die literarische Tradition, in der die Briefe stehen, fassen zu können, soll hier zuerst ein Vergleich mit vier Werken vorgenommen werden, die Heinrich und Margaretha aufgrund ihrer Entstehungszeit theoretisch gekannt haben können. Der für Heinrich charakteristische Stil zeichnete zu seiner Zeit nämlich nicht nur seine Briefe aus.2 Dem um 1300 verfassten 1 Allgemein hält Jeffrey F. Hamburger für die cura monialium fest: »Through its vast vernacular apparatus, embracing sermons, tracts, prayer manuals, and the liturgy, nuns were versed in a fixed body of texts, much of whose imagery they would have committed to memory«: Nuns as Artists, S. 218. 2 Zur Besprechung der Stilmerkmale der Einleitungen und Hauptteile der Briefe bei Debra L. Stoudt vgl. Anm. 7. und Kap. 1.3.4.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Werk ›Die Lilie‹ beispielsweise ist ebenfalls eine ›empfindsame‹ Sprache eigen.3 Dabei fällt vor allem der häufige Gebrauch von Komposita mit minne auf:4 Der gefühlsbetonte Stil der ›Lilie‹ »entspricht den zahlreichen Metaphern aus der Liebesmystik und wird durch den häufigen Gebrauch von gefühlsträchtigen Epitheta (z. B. suze, minnenclich, minnesam)«5 bekräftigt, was auch von den Briefen Heinrichs gesagt werden kann.6 Heinrichs mystische Sprache lässt sich nicht nur als ›empfindsam‹, sondern ebenso als ›geblümt‹ charakterisieren.7 Die ›geblümte Rede‹ fand sowohl im Minnesang als auch in der Mariendichtung Verwendung. Als Hauptwerk des ›Lobblümens‹8 gilt das Marienpreisgedicht ›Die goldene Schmiede‹ Konrads von Würzburg,9 mit dem die Briefe auch die marianisch geprägte Bildlichkeit gemeinsam haben. In die Tradition der ›geblümten Rede‹ gehört ferner ein Werk, das in der Forschung üblicherweise ›Rede von den fünfzehn Graden‹ und von Kurt 3 Zum Attribut ›empfindsam‹ in der Beurteilung der Briefe Heinrichs vgl. Kap. 1, Anm. 54 und 71. 4 Vgl. Hans Neumann, ›Die Lilie‹, in: 2VL 5 (1985), Sp. 828–831, hier: Sp. 828 f. 5 Neumann, Die Lilie, Sp. 829. 6 Zu einigen Komposita mit minne in den Briefen vgl. Anm. 119. 7 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 179 f. Debra L. Stoudt zählt als typische Merkmale dieses Stils »composita, word plays in the form of repetition, rhyme, the figura etymologica, analogy, allegory, metonymy, epithets, and accumulatio« auf: ebd., S. 179. 8 Nach Gert Hübner kommt der technische »mit rhetorischen Figuren ausgestattete« Gebrauch der geblümten Rede dort mit der »untechnische[n] metaphorische[n]« Verwendung des Begriffs zusammen, wo »die in Frage stehende Rede eine laudative ist«: Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der »Geblümten Rede«, (Bibliotheca Germanica 41), Tübingen/Basel 2000, S. 442. Hübner schlägt darum vor, aufgrund seiner Untersuchungen »den problematischen Stilbegriff« blüemen zu vermeiden »und in Anlehnung an den historischen Sprachgebrauch vom ›geblümten Lobpreis‹ oder vom ›Lobblümen‹ zu reden«: ebd., S. 5. 9 Vgl. Horst Brunner, Konrad von Würzburg, in: 2VL 5 (1985), Sp. 272–304, hier: Sp. 285. Konrad dürfte sich vermutlich in den 1260er Jahren in Basel niedergelassen haben, wo er wahrscheinlich den Auftrag für die ›Goldene Schmiede‹ erhielt; vgl. ebd., Sp. 274 und 276. Die Preziosität des geblümten Stils ist schon dort gegeben, wo Konrad die Aufgabe des Marienlobdichters umschreibt: er muoz der künste meienris / tragen in der brüste sin, / swer diner wirde schäpelin / sol blüemen unde flehten, / daz er mit rœselehten / sprüchen ez floriere, / und allenthalben ziere / mit violinen worten [. . .]: Die Goldene Schmiede des Konrad von Würzburg, 2., unveränd. Aufl., hg. von Edward Schröder, Darmstadt 1969, V. 60–67.

Zur Intertextualität der Briefe

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Ruh ›Das Buch der Minne‹ genannt wird.10 Es stammt vom gleichen unbekannten Verfasser wie die ›Lilie‹. Gegliedert ist es in die Einwohnung Gottes (Christi) in der Seele und in die 15 Grade der Gottesliebe.11 An den Stil Heinrichs erinnern die Reimgebete, die emotional gehalten sind und den Text immer wieder unterbrechen.12 Kurt Ruh meint zur Sprache des ›Buches der Minne‹: »Die Prosa geht vielfach in poetische Formen, Reimprosa, schlichte Versfolgen, Alliterationen über, [. . .] wenn es gilt, die Hörer oder Leser in den dargestellten Prozess einzubinden. Die Prosa selbst verrät eine gute rhetorische Schulung, oft nähert sie sich der geblümten Rede.«13 Darüber hinaus lässt die vergleichende Lektüre der Briefe und des ›Buches der Minne‹ eine beiden gemeinsame Tradition erkennen: die des Hohenliedes und seiner Kommentare.14 Diese Tradition verbindet die Briefe auch mit einer Versdichtung aus dem 14. Jahrhundert, die das Streben der minnenden Seele nach der unio mit Gott zum Inhalt hat und ›Bartschs minnende Seele‹ genannt wird.15 Angeführt wird sie hier, weil sie mit der im letzten Kapitel erwähnten ›Bilderbogenmystik‹ verwandt ist.16 ›Bartschs minnende Seele‹ hat mit den Briefen 10 Vgl. Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit, München 1993, S. 233–244; zur Begründung dieser abweichenden Bezeichnung vgl. ebd., S. 234. 11 Vgl. ebd., S. 235. Volker Honemann spricht vom »in 15 Stufen erfolgenden Aufstieg der Seele zu Christus«: ›Rede von den fünfzehn Graden‹, in: 2VL 7 (1989), Sp. 1061–1065, hier: Sp. 1061. 12 Vgl. z. B. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 238: »Nun, Jesus, einzigartiger Freund, / Komme in meines Herzens Grund, / küsse mich auf meiner Seele Mund / tausendmal in einer Stund. / O würde ich doch von deiner Liebe gesund!« 13 Ebd., S. 242. 14 Für das ›Buch der Minne‹ vgl. ebd., S. 233 f. Auch dieses Werk verwendet für die Darstellung der unio mystica die Metapher vom ›ungemischten Wein‹, der ›trunken‹ macht; vgl. ebd., S. 238. Ähnlich wie in den Briefen Heinrichs wird im ›Buch der Minne‹ die Seele ›Freundin‹, ›Liebste‹, ›Schwester‹, ›Taube‹, ›Braut‹ genannt, und ihr werden die Prädikate ›schön‹ und ›rein‹ gegeben; vgl. ebd., S. 239. Das Sprechen vom verwundeten Herzen, vom Umfangen des Geliebten und vom seligen Schlaf (bei Heinrich durch das Minnebett angedeutet) zeigt ebenfalls Parallelen zu den Briefen; vgl. ebd., S. 241. 15 Vgl. Hellmut Rosenfeld, Christus und die minnende Seele, in: 2VL 1 (1978), Sp. 1235–1237, hier: Sp. 1236. Zur Textausgabe vgl. Die minnende Seele, in: Die Erlösung. Mit einer Auswahl geistlicher Dichtungen, hg. von Karl Bartsch (Bibl. d. ges. dt. Nat.-lit. 37), Quedlinburg/Leipzig 1858, Nr. XI , S. 216–224. In: Williams-Krapp, Bilderbogen-Mystik, S. 350 wird diese Versdichtung mit ›BMS ‹ abgekürzt. 16 Vgl. Kap. 3.4.3.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

ferner den poetischen Stil gemeinsam. Auf der metaphorischen Ebene sind die Entsprechungen zwischen Briefen und Versdichtung allerdings eher gering.17 Die Briefe Heinrichs können also mit geistlichen Dichtungen verglichen werden, deren Prosa einen stark lyrischen Charakter besitzt und sich vor allem durch ihren Minnegehalt auszeichnet. Mit den Werken dieser Tradition teilen sie darüber hinaus ihre unio-Vorstellungen.18 Das Zusammenkommen der drei Elemente – das stilistische, der Minnegehalt und das unio-zentrierte Sprechen – ordnet die Briefe Heinrichs einer Tradition zu, die hier als ›geistliche Minneliteratur‹ bezeichnet wird, eine Charakterisierung, die durch die Ausführungen zu jener Literatur bekräftigt wird, die Heinrich in seinen Briefen explizit nennt.

4.2 Die Berufung auf Autoritäten im mystischen Dialog Über die Verwandtschaft der Briefe Heinrichs mit Werken der ›geistlichen Minneliteratur‹ ist auch die Berührung mit dem Hohenlied und seinen Kommentaren gegeben. Für die mittelalterliche Tradition brautmystischen Sprechens steht vor allem der Name Bernhards von Clairvaux. Er wird in den ›Offenbarungen‹ Margarethas tatsächlich mehrmals erwähnt,19 was zeigt, dass der Diskurs im Freundeskreis um Heinrich und Margaretha auch Zeugnisse der lateinischen Literatur einbezog.20 Heinrich verweist aller17 Ähnlichkeiten für die Darstellung der unio finden sich vor allem in der Bildlichkeit des Beilagers und der Krönung. Näher steht darin den Briefen eine umfangreichere Dichtung, die ebenfalls ›Minnende Seele‹ genannt wird, aber wohl erst im 15. Jh. geschrieben wurde; vgl. Rosenfeld, Christus und die minnende Seele, Sp. 1236 f. Zur Textausgabe vgl. Christus und die Minnende Seele [wie Kap. 3, Anm. 202], S. 259–363. Die Entsprechungen zeigen sich v. a. in den Metaphern des Durchschiessens und Verwundens des Herzens; vgl. ebd., S. 325, 1318–1321 und Anmerkungen. 18 Einzig ›Die Lilie‹ kennt keine unio-Vorstellungen; vgl. Neumann, Die Lilie, Sp. 828. Sie kann insofern nicht ›mystisch‹ genannt werden. 19 Vgl. Strauch, S. 21, 26–22, 2; 104, 11 ff.; 134, 17. 20 Die Rezeption Bernhards »in Form von mhd., mnd. und mndl. Übertragungen und Bearbeitungen seiner echten und unechten Schriften ist bislang nur in Ansätzen gesichtet oder systematisch erfasst worden«: Werner Höver, Bernhard von Clairvaux, in: 2VL 1 (1978), Sp. 754–762, hier: Sp. 755. Aus dem 13. Jh. ist bekannt, dass der Wiener Begine Agnes Blannbekin von ihrem

Die Berufung auf Autoritäten im mystischen Dialog

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dings nie explizit auf Bernhard. Parallelen auf der Ebene metaphorischen Sprechens sind zwar auszumachen, doch müssen diese nicht zwingend mit Bernhard in Verbindung gebracht werden. Wo etwa Heinrich Margaretha gegenüber meint: wir müszent, und ist das werlich billich, meinhalb hie vor stan, [. . .] da dein kusche brüst vol und ubervol werden sullen, das du nit allein mein, deins unwirdigen knechtz, mer aller der cristenheit wol seugendiü amin werden solt,21

heisst es in ähnlicher Weise bei Bernhard in einer Predigt über das Hohelied: Quod et probat ex eius uberum repletione. [. . .] Persistentibus autem repente infunditur gratia, pinguescit pectus, replet viscera pietatis inundatio; et si sit qui premat, lac conceptae dulcedinis ubertim fundere non tardabunt.22

Was hier für den Vergleich mit Bernhard gilt, muss auch wegweisend für die nächsten Schritte dieses Kapitels sein: Nicht das Aufzeigen der Abhängigkeit von einer Quelle soll im Vordergrund stehen, sondern das bessere Erfassen der Traditionen mystischen Sprechens, denen die Briefe verpflichtet sind. In einigen Briefen hingegen argumentiert Heinrich ausdrücklich unter Heranziehung anderer Autorinnen und Autoren. Wenn er in einem Brief an die Priorin Elsbeth Scheppach den Kirchenlehrer Augustinus zitiert: ›In kainen dingen entpfint ich mir got als vil zornig sein wan an dem, das ich nit würdig was ain ruder ze ziehen am schiffe, und hat mich gemacht ze ainem schiffemeister und leiter‹,23 dann stellt er ihr in ihrer neuen Leitungsaufgabe einen bekannten Lehrmeister zur Seite.24 Augustinus wird im Briefkorpus

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Beichtvater Bernhards Hoheliedpredigten vorgelesen wurden: Tripps, Das handelnde Bildwerk, S. 78. Brief XLVI , 31–36, Strauch, S. 251. Sermo 9, 7, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke latein/deutsch, hg. von Gerhard B. Winkler. Bd. 5: Sermones super Cantica Canticorum / Predigten über das Hohelied I−XXXVIII , Innsbruck 1994, S. 140, 19–26. »Das tut sich auch kund im Anschwellen ihrer Brüste. [. . .] Wenn wir aber darin verharren, ergiesst sich plötzlich Gnade über uns, das Herz schwillt, und ein Strom der Liebe füllt die Brust; und wenn jemand da ist, der sie drückt, wird sie unverzüglich von der Milch der empfangenen Süsse überquellen«: ebd., S. 141. Dieser Bezug wird hergestellt bei McGinn, Die Mystik, S. 536, Anm. 188. Brief LXV , 4–7, Strauch, S. 279. Heinrich reagierte hier auf Worte der Priorin: ewere wort, in den ir so

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

sonst nur noch einmal zitiert,25 während sich zwei weitere Briefe auf Gregor den Grossen berufen.26 Das Zitieren von Worten berühmter Theologen könnte ein Hinweis darauf sein, dass Heinrich dafür auf Kompilationen zurückgegriffen hat.27 Das Verfahren, das Heinrich in diesen Briefstellen anwendet – nämlich den eigenen Gedanken jene anerkannter Autoritäten hinzuzufügen – war Margaretha und Elsbeth grundsätzlich von Predigten her bekannt. Heinrich zitiert die beiden Kirchenlehrer allerdings erst in späten Briefen und führt darüber hinaus in den uns erhaltenen Briefen keine weiteren Schriftsteller von kirchlicher Autorität an.28 Eine Ausnahme bildet eine Berufung auf Hildegard von Bingen. Über schreckliche Ereignisse in der näheren Zukunft sagt er: Diese werden beschwerlich sein,

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diemutigklich ewer gebresten bekennent und verjehent, der bin ich frou, und ewer unwirdigung in dem ampte, der bin ich auch frou [. . .]: ebd., Z. 1–4. Heinrich zitiert dafür Augustinus, Ep. 21, 1 (PL 33, 88); vgl. Strauch, S. 401 ad 4 ff. Vgl. Brief LI , 24–26, ebd., S. 261. Strauch gibt dazu keine Quelle an. Vgl. Briefe XLVII , 9–11, ebd., S. 253 f. und XLVIII , 35–37, ebd., S. 257. Während Strauch, S. 381 ad 8 ff. für Brief XLVII die 25. Homilia in Evang. Johannis 20, 1 ff. als Parallele belegt, kann für Brief XLVIII keine Quelle ausgemacht werden. Im Fall der Briefe LI und XLVIII muss für die herangezogenen Autoritäten von Pseudo-Augustinus bzw. Pseudo-Gregor ausgegangen werden. Die Pseudepigraphie ist charakteristisch für den mittelalterlichen Literaturbetrieb. Falsche Zuschreibungen konnten im Mittelalter durch Missverständnisse, aber auch absichtlich zustande kommen; vgl. G[ünter] Bernt, Pseudepigraphie, in: LexMa 7 (1995), Sp. 305 f., hier: Sp. 305. Seit dem 13. Jh. wurden immer häufiger jene Werke mit dem Titel ›Compilatio‹ bezeichnet, die durch Zitieren, Exzerpieren und neues Zusammenschreiben vorhandener Textbestände Material zusammentrugen, das dann neu geordnet und gegliedert als Hilfe für die Predigt verwendet werden konnte; vgl. Hilmar Kallweit, Kompilation, in: 3RL 2 (2000), S. 317–321, hier: S. 317 und 319. Für das 14. Jh. sind alphabetische Verzeichnisse (tabulae) zu Werken Gregors des Grossen, Anselms von Canterbury, Isidors von Sevilla, Augustins von Hippo und Bernhards von Clairvaux bekannt; vgl. Malcolm B. Parkes, The influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio on the Development of the Book, in: Medieval Learning and Literature. Essays presented to Richard William Hunt, edited by J[onathan] J. G. Alexander and M[argaret] T. Gibson, Oxford 1976, S. 115–141, hier: S. 131 f. Philipp Strauch datiert die Briefe wie folgt: LXV ins Jahr 1345 (vgl. Strauch, S. 400 f., Vorbemerkung), XLVII und XLVIII in das Jahr 1346 (vgl. ebd., S. 381, Vorbemerkung und S. 382, Vorbemerkung) und LI auf Ende 1347 oder Anfang 1348 (vgl. ebd., S. 385, Vorbemerkung).

Die Berufung auf Autoritäten im mystischen Dialog

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als ich euch auch geschriben hab von den gewerten prophecien sant Hildegart, da sis meinet, das ain gotzfriund den andern vorhin gewarnen sol, wie man sich in den kunftigen plaugen sunder verderben halten sule.29

Gerne beruft sich Heinrich hingegen auf nicht näher genannte Personen – er nennt sie einfach ›Gottesfreunde‹30 –, die für ihn von ausreichender Autorität sind, um ihre Ausführungen in seinen Briefen auf die gleiche Art und Weise aufzunehmen wie jene der beiden genannten Kirchenlehrer. So zieht Heinrich eine ihm mitgeteilte Audition als Modell für eine Gotteserfahrung Margarethas heran: mir hat kurtzlich geseit ain fraind gotz in ainem closter, das im an einem uffertag unsers heren, do er stund in einem wunder der manigveltiger uszbruch der gnad gotz usz seinen friunden, also geantwurt wart ze funf malen under andern schonen worten ie voller ie stiller. do gedacht ich an dich und getrü deinem getruwen lieb Jhesu Christo [. . .],31

und auch sonst beruft er sich auf ungenannte Personen, um deren Lebenssituationen mit jener von Margaretha in Beziehung zu bringen: nun frag ich dich, als ainem hailligen gotteskint zu gesprochen wart, da es auch was in ainer gaistlichen traurigkeit: wer mag dem gedrewen, den got mit im selber will erfröen?32 Auch drei von Strauch als Zitate gekennzeichnete Passagen werden nicht einer bestimmten Person zugeordnet: Die im letzten Kapitel bereits zitierten Zeilen, in denen der menschliche Körper mit einer Wiege verglichen wird, spricht ein andechtigs kint.33 Das einzige Zitat der Briefe in lateinischer Sprache trägt eine meinendu sel mit Worten vor, die sie vor nie gehört het: ›Salve paterni cordis medulla dulcissima, languentis anime mee sagina et refectio beatissima. tibi offero cordis et anime mee medullam in eternam laudem et gloriam‹ etc.,34 und auch einem Zitat in Brief XLVIII , das ain grosz gotzfründ spricht,35 folgt keine Quellenangabe.

29 Brief LIII , 9–13, ebd., S. 267. Der Text, auf den sich Heinrich bezieht, ist in den Schriften Hildegards nicht zu belegen; vgl. ebd., S. 390 ad 10. 30 Der Begriff ›Gottesfreund‹ schliesst in dieser Arbeit auch die zahlreichen Frauen im Umfeld Heinrichs und Margarethas ein. Zum Terminus ›Gottesfreund‹ in den Briefen vgl. Kap. 7.4. 31 Brief XIII , 50–55, Strauch, S. 189. 32 Brief XXXIII , 62–66, ebd., S. 221. 33 Brief XXXVIII , 46, ebd., S. 234. Zum Zitat selbst vgl. Kap. 3, Anm. 122. 34 Brief XLIV , 3.7–10, Strauch, S. 247. 35 Brief XLVIII , 44, ebd., S. 257.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Von den zehn Textstellen, in denen sich Heinrich auf die Aussagen anderer stützt, gehen demzufolge fünf auf namentlich genannte Autoritäten zurück. Die anderen Personen, deren Erfahrungen Heinrich heranzieht, dürften Margaretha (und ihre Mitschwestern) allerdings über die Boten der Briefe oder über jene Literatur, die die Briefe begleiteten, ebenfalls bekannt gewesen sein.36 Deren Aussagen nimmt Heinrich zur Hand, um auf die Anfragen und Berichte Margarethas (oder Elsbeths) zu reagieren: Das, was sie berichten, kann sich an allen Menschen bewahrheiten, die den Weg der Gottesfreundschaft beschreiten.37 In den angeführten Beispielen sieht er eine Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung beschrieben, die er Margaretha vor Augen führen will. Jene Briefstellen, die auf eine bekannte oder unbekannte Autorität zurückgeführt werden können, dürfen in ihrer Gesamtheit aber nicht überbewertet werden: Bei zehn wiedergegebenen Äusserungen in 58 Briefen kommt ihnen rein numerisch keine grosse Bedeutung zu.38 Dafür können sie etwas darüber sagen, unter welchem Gesichtspunkt Heinrich andere Texte – seien es Kompilationen oder mystische Schriften – oder mündliche Berichte auf ihre Verwendbarkeit für die Briefe hin wahrnahm: Er wählte die Zitate im Hinblick auf die Lebensumstände seiner Adressatinnen aus.39 Wie im letzten Kapitel über die Bildlichkeit in den Briefen können über die erwähnten Zitate und Paraphrasen Verstehenshorizonte festgelegt werden, die auch Margaretha und Elsbeth eigen waren und auf die Heinrich deshalb zurückgreifen konnte: Am Beispiel des Umgangs mit dem Zitat (Pseudo-)Hildegards von Bingen wird deutlich, dass Heinrich und die Medinger Nonnen schon länger über die Schriften dieser Autorin im Gespräch waren.40

36 Dies lässt sich am Beispiel des ›Fliessenden Lichts der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg zeigen; vgl. Kap. 5.2.1. 37 Heinrich bedient sich hier einer Vorgehensweise des ›Sermo‹; vgl. Kap. 3.2.2. 38 Es fällt auf, dass diese Zitate und Paraphrasen, mit Ausnahme von Brief XIII , für den Strauch 1334 als Entstehungsjahr vermutet (vgl. Strauch, S. 331 ad XI , Vorbemerkung), nur in Briefen vorkommen, die bereits im Basler Exil und danach verfasst wurden und darum zu den späteren Briefen gezählt werden dürfen. Da uns aber nicht alle Briefe überliefert sind, können Folgerungen daraus nur mit Vorsicht gezogen werden. 39 Das gilt in gleicher Weise von Worten, die ihm mündlich überliefert wurden, wie das Beispiel aus Brief XIII zeigt; vgl. Anm. 31. 40 Vgl. Anm. 29.

Heinrichs Umgang mit dem Werk Mechthilds von Magdeburg

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4.3 Heinrichs Umgang mit dem Werk Mechthilds von Magdeburg Bei der Suche nach jener Literatur, die Eingang in den Dialog der Briefe fand, hat die Forschung vor allem auf die Schriften Mechthilds von Magdeburg und Heinrich Seuses hingewiesen. Da eines der vorhin angeführten Zitate von Mechthild stammt und sie zudem fast ein Jahrhundert vor Seuse lebte, soll ihr Werk als Ausgangspunkt für die nachfolgenden Untersuchungen dienen. 4.3.1 Erwähnungen des ›Fliessenden Lichts‹ in den Briefen In der folgenden Briefstelle bezieht sich Heinrich auf ›Das Fliessende Licht‹ Mechthilds,41 mit dem er sich in der Zeit seines Basler Exils (1339–1347) beschäftigte und an dessen Übertragung aus dem Niederdeutschen ins Alemannische er – sicher von 1343 an – massgeblich beteiligt war:42 Ich send euch ain buch das haisst Das liecht der gothait. dar zu zwinget mich das lebend liecht der hitzigen mine Christi, wan es mir das lustigistz tützsch ist und das innerlichst rürend minenschosz, das ich in tützscher sprach ie gelas.43

Heinrich erwähnt das ›Fliessende Licht‹ noch ein zweites Mal – vielleicht aber auch dessen lateinische Übersetzung –, wenn er Margaretha bittet: send mir auch Lucem divinitatis das buch, sei es euch worden von Keiszheim und habent irs genugt.44 Zudem finden sich in den Briefen Anmerkungen, Zitate, einzelne Wörter und Metaphern, die sich auf das ›Fliessende Licht‹ zurückführen lassen und die Richard Schultz übersichtlich angeordnet hat. Es handelt sich um die Zeilen 38–60 aus Brief XLVI , um die Zeilen 9–18, 20–23 41 Zu Textausgabe und Abkürzung ›FL ‹ vgl. Kap. 2, Anm. 34. Mechthild von Magdeburg lebte um 1207–1282. Um 1230 flüchtete sie aus ihrem Elternhaus nach Magdeburg in ein Beginenhaus. Sie war häufig krank und wurde aufgrund der Aufzeichnungen ihrer Visionen, die sie um 1250 auf Geheiss ihres Beichtvaters, des Dominikaners Heinrich von Halle, begann, mehrfach angefeindet. Um 1270 trat sie in das Zisterzienserinnenkloster Helfta ein, wo sie das siebte und letzte Buch des ›Fliessenden Lichts‹ verfasste; vgl. Hans Neumann, Mechthild von Magdeburg, in: 2VL 6 (1987), Sp. 260–270, hier: Sp. 260 f. 42 Zur Entstehungszeit der alemannischen Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ vgl. Kap. 7.5.3. 43 Brief XLIII , 117–121, Strauch, S. 246. 44 Brief XLIV , 52 f., ebd., S. 248. Zur Annahme, es handle sich hier um zwei verschiedene Hss., vgl. Kap. 7.5.2.

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und 49–54 aus Brief XLVIII sowie um die Begriffe goume der seˆle, ougen der seˆle, munt der seˆle, ascherkuchen und der oberst babst.45 Anhand von Brief XLVIII soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise und warum Heinrich das ›Fliessende Licht‹ rezipiert hat. Ausgewählt wurde er, weil Margaretha auf ihn in ihrem einzig erhaltenen Brief antwortet.46 Für die Briefe XLVIII und LXVII darf also von einem wirklichen Briefwechsel ausgegangen werden, der zur Frage nach dem mystischen Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha neue Aspekte beisteuern wird.47 Der ausführliche Einbezug eines weiteren Briefes Heinrichs ist insofern auch sinnvoll, als bisher nur Brief XI näher untersucht wurde. 4.3.2 Der Text des Briefes XLVIII 48

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Deim lieblichen antlüz, das von brunst der mine geklert ist und von liecht der gnad wider lichten ist in das gebrech der hailigen driveltigkeit, da es gantz und schon das bild seins lieben bilders enpfangen hat in dem wollust gotz – dich gruszet ain armes wirmlin, krichendes leider uf der erden mit seinem ungenemen leib, der mit seiner schedlicher schwärhait mit im züicht und mindert die gaub gotz. ich wünsch dir, das disz meinenkoszen an dir uf das höst gotz ere volbracht werd. here, himelscher vatter, wan ich aller menschen unwirdigister usz deinem hertzen geflossen bin geistlich und ich, du mein hertzlieb Jhesus, geborn bin usz deiner sitten fleischlich und ich, here got und mensch, mit ewer baider geist gereiniget bin meinigklich: dar umb mit der gunst deiner meinender barmherzigkeit sprich ich, das du, himelscher vatter, bist mein hertz und du, mein here

45 Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 158. Das längste Mechthild-Exzerpt im Briefkorpus (vgl. FL , V 35, S. 196–198) ist, ohne von den Briefen Heinrichs abgehoben zu werden, diesen angehängt und bildet damit den Abschluss der Sammlung (vgl. London, British Library, Add. 11430, fol. 71r-v). In der Edition Strauchs wurde dieses Exzerpt nicht abgedruckt; vgl. Strauch, S. 407. Zu diesem Gebet vgl. Kap. 8.1.8. 46 Ihr Brief trägt in der Ausgabe von Philipp Strauch die Nummer LXVII ; vgl. Strauch, S. 401, Vorbemerkung und ebd., S. 402 ad 58 ff. 47 Zu Brief LXVII vgl. Kap. 6.1. 48 Vgl. Strauch, S. 256–258. Der Zeilenumbruch des folgenden Textes entspricht jenem der Edition Strauchs.

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Jhesu Christe, bist mein leib und du, here hailiger geist, bist mein leben gebender attem und du, hailigü triveltigkeit, bist mein einige zuflucht und mein ewige trü. dem antwürt got in der innerheit des erhebten geist in gnad: ›du bist ein gruntvestigung meins gotlichen fluszes, du bist ain er meigdlicher bestandung, du bist ain blum der hochen wünne, du bist ain vegtinne der tüfel, du bist ain spiegel der inwendigen anschawung.‹ diz wart geben einer hoch gezogner sel in got. nun muez ich aber ain wenig wunders nemen an der unmessigen güte gotz, die dir von mir das gibt zu verstan, das ich nit bekennen noch enpfind an mir. ditz liesz ich wol gut sein, wer ichs nit ain sach mit meinem ungehorsamen leben. wan ich bekenn, das ich nit bekenne die gnad gotz, die got dir und andern gotzfründen durch mich gibt, als du sprichest, und dar umb musz ich mich billich furchten, das der inner gume meins hertzen so unenpfencklich ist des lieplichen wircken gotz. o we! ich gedenck etwann an die tuifen gericht gotz, der durch Judas prediget und zeichen tet, da von die andern in ir ewig seligkeit gezogen wurden und er der nie enbeisz. Gregorius sprichs von im selber, das er ain canel si, durch den got die andern durstigen schenckt. es pfifet auch manger gar wol, das dem hörer suszer ist den dem pfiffer und die andern tantzent mer dar nach dan er selber: pit hie fur mich, das ich den tantz eins warhaften lebens trett nach der suszen pfifen deins liebs Jhesu Christi. das du dich ergeben hast hie ze sein durch die lieb deins liebs, des bin ich fro, wan die antwurt, die dir dar über geben ist, die antwurt meinem hertzen; und in ditz glich wart ain grosz gotzfründ gezogen, das er durch die ere gotz und durch sein lob nit allein bliben wolt in dem fleisch, mer er begert beraubt werden aller haimlicheit gotz und der minnen inner enpfindung, also das im got zu sprach nach groszer fremdung, in der er sich ritterlich gehalten het: ›günne mir, mein träwes lieb, das ich die hitze meiner gothait, die begerung meiner menschait und den lust des hailigen geistes in dir und mit dir hab‹. hie antwurtet der minlos geist von minen und sprach also: ›ja, mein here, das erlaub ich dir also beschaidenlich, das dir allein wol da mit si und nit mir‹. sich, wie

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tief sie sich gelassen kunden, die der diemütiger minender träwe gotz inan worden sind! Ich bin gesund nach meiner weisz, das ich nit ze klagen han wan nur ab mir: manigen siechtagen an sel und an lieb mach ich mir selber von meinem wunderlichen leben, das ungeordineter arbait vol ist und dar in vil leidens vellet. hilf mir mit der craft gotz tragen. deinen beibrieff und das messer han ich gesant ze Cöln unserm getruwen in got. ich bin auch gar ser betrübet von Cöln und wirt teglich. o we! günsz und schenck deins lutertrancks in mein betrübtes leben. Schepach, euch grüszet mein here Jhesus Christus usz allem dem, das er ist und haut an im selber und in allem seinen gewalt. kundent irs verstan, so hetint ir im als viel ze antwurten, das ir bezwungenlich im und seinem grusz müstint genug sein. des büten in für mich und sagent es unsern geträwen kindern. ich hör als nit umb sant Angnes vinger als ich begert hab etc. 4.3.3 Übersetzung des Briefes49

Deinem lieblichen Antlitz, das vom Feuer der Liebe verklärt ist und vom Licht der Gnade in den Glanz der heiligen Dreifaltigkeit zurückstrahlt, wo es das Bild seines lieben Bildners zum Vergnügen Gottes ganz und vollkommen empfangen hat – dich grüsst ein armer Wurm, der leider auf der Erde dahin kriechen muss mit seinem widerwärtigen Leib, der ihn mit seiner schädlichen Schwere begleitet und die Gabe Gottes mindert. Ich wünsche dir, dass dieser Liebesdialog an dir zur höchsten Ehre Gottes erfüllt werden möge. Herr, himmlischer Vater, da ich, der Unwürdigste aller Menschen, [doch] geistlich aus deinem Herzen geflossen bin und ich, [o] du mein herzallerliebster Jesus, dem Fleisch nach aus deiner Seite geboren bin, und ich, Herr, Gott und Mensch, in Liebe durch euer beider Geist gereinigt worden bin: Darum spreche ich mit der Erlaubnis deiner liebenden Barmherzigkeit, dass du, himmlischer Vater, mein Herz bist, und du, mein Herr Jesus Christus, mein Leib bist, und du, Herr Heiliger Geist, mein lebenspendender Atem bist, und du heilige Dreifaltigkeit, meine einzige Zuflucht und meine ewige 49 Bei der Übersetzung des Briefes wurde auf die Gliederung zurückgegriffen, wie sie in Kap. 4.3.4 vorgeschlagen wird.

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Treue. Darauf antwortet Gott gnädig in der Innerlichkeit des [zu ihm] erhobenen Geistes: »Du bist ein Fundament meines göttlichen Flusses, du bist eine Ehre jungfräulicher Standhaftigkeit, du bist eine Blume des hohen Glücks, du bist eine Herrin der Teufel, du bist ein Spiegel der inneren Anschauung [Gottes].« Diese Antwort wurde einer in Gott entrückten Seele zuteil. Nun muss ich mich aber nicht wenig wundern über die unermessliche Güte Gottes, die dir das durch mich zu verstehen gibt, was ich selbst weder kenne noch an mir verspüre. Das liesse ich wohl gut sein, würde ich es nicht durch mein ungehorsames Leben [selbst] verursachen. Denn ich muss eingestehen, dass ich die Gnade Gottes [selbst] nicht kenne, die Gott dir und anderen Gottesfreunden durch mich gibt, wie du sagst, und darum muss ich mich zu Recht fürchten, dass der innere Gaumen meines Herzens dem liebenden Wirken Gottes gegenüber so unempfindlich ist. O weh! Ich denke zuweilen an das unergründliche Gericht Gottes, der durch Judas predigte und Zeichen tat, wodurch die anderen zu ihrer ewigen Seligkeit hingezogen wurden, während er ihrer nie teilhaftig wurde. Gregor sagt von sich selbst, dass er eine Röhre sei, durch die Gott den anderen Durstigen ausschenkt. Es pfeift auch mancher sehr schön, wobei es dem Hörer angenehmer ist als dem Pfeifer, und die anderen mehr danach tanzen als er selbst: Bitte hier für mich, dass ich ein wahrhaftes Leben tanze nach der süssen Pfeife deines Geliebten Jesus Christus. Ich bin froh, dass du dich darin ergeben hast, um der Liebe deines Geliebten willen zu leben. Aber die Antwort, die dir darüber zuteil geworden ist, die vertraue meinem Herzen an. Und auf dieselbe Weise wurde ein grosser Gottesfreund gezogen, so dass er um der Ehre Gottes und seines Ruhmes willen nicht bloss am Leben bleiben wollte, sondern darüber hinaus begehrte, allen vertrauten Umgangs mit Gott und der inneren Empfindung seiner Liebe beraubt zu werden, so dass Gott nach grosser Entfremdung, in der er sich ritterlich gehalten hatte, sagte: »Gönne mir, mein treues Geliebtes, dass ich die Hitze meines Gottseins, das Verlangen meines Menschseins und das Vergnügen des Heiligen Geistes in dir erfahre und mit dir teile.« Hier antwortete der aller Liebe beraubte Geist aus Liebe und sprach so: »Ja, mein Herr, das erlaube ich dir mit der Bedingung, dass allein dir dabei wohl sei und nicht mir.« Siehe, wie tief jene sich fallen lassen konnten, die der demütigen liebenden Treue Gottes innegeworden sind! Ich bin auf meine Weise gesund, so dass ich über nichts zu klagen habe, ausser über mich selbst: Viele Krankheiten an Seele und Leib verursache ich selbst durch meinen sonderbaren Lebenswandel, der voll ungeordneter Anstrengungen ist und in den viel Leid einbricht. Hilf mir, [ihn] mit der Kraft

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Gottes zu ertragen. Deinen Begleitbrief und das Messer habe ich unserem Getreuen in Gott nach Köln gesandt. Ich bin auch sehr betrübt über die Nachrichten aus Köln und werde es noch täglich. O weh! Giess und schenke von deinem lauteren Trank aus in mein betrübtes Leben. Scheppach, euch grüsst mein Herr Jesus Christus aus all dem heraus, was er ist und an sich hat und in all seiner Macht besitzt. Könntet ihr es verstehen, so hättet ihr ihm so viel zu antworten, dass ihr notwendig an ihm und seiner Zuwendung Genügen haben müsstet. Erbittet das für mich bei ihm und erzählt es unseren getreuen Kindern. Ich höre [immer] noch nichts vom Finger der heiligen Agnes, wie ich es [doch] gewünscht habe etc. 4.3.4 Die Funktionen von Autor und Adressatin in Brief XLVIII Im Folgenden wird auch für den vorliegenden Brief – wie bereits für Brief XI – die Frage nach den Funktionen von Autor und Adressatin richtungsweisend sein. Heinrich wendet sich am Anfang als armes wirmlin und dazu als ein krichendes leider uf der erden mit seinem ungenemen leib (Z. 5 f.) an Margaretha, die hier thematisch ganz in die Erschaffung des Menschen durch die Dreifaltigkeit (oder besser, mit Bezug auf Z. 10: in dessen Ausfluss aus der Dreifaltigkeit) hineingenommen wird. Den Hauptteil eröffnet ein Minnedialog: Die Dreifaltigkeit wird von einer ›in Gott entrückten Seele‹ angesprochen,50 die sich die Angleichung an das Herz des Vaters, an den Leib des Sohnes und an den Atem des Geistes wünscht. Auf diese Anrufung folgt ein durch Philipp Strauch als Zitat gekennzeichnetes Lob Gottes auf die Seele. Heinrich wundert sich darauf über die Güte Gottes, die das alles durch ihn Margaretha vermittelt. Und diese Spannung bleibt auch das Grundthema bis Zeile 41: Er selbst erkennt und verspürt die Gnade nicht, die Gott durch ihn Margaretha und anderen Gottesfreunden gibt. In einem weiteren Abschnitt drückt Heinrich seine Freude darüber aus, dass Margaretha sich darein ergeben kann, aus Liebe zu Christus zu leben. Hier fügt er ein Zitat eines Gottesfreundes ein, das Margaretha ein Beispiel gibt, wie andere Menschen sich in Gottes Wirken ergeben haben.

50 Vgl. Z. 23 f. Das Pronomen diz in Z. 23 könnte das vorausgehende (von Strauch als solches gekennzeichnete) Zitat meinen (Z. 20–23). Hier wird es aber auf das meinenkoszen in Z. 8 und damit auf den ganzen Dialog Z. 9–23 bezogen, der eine Einheit bildet, wie später noch gezeigt wird.

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Heinrich schliesst den Brief mit der Bemerkung, die Betrübnisse seines Lebens hätten ihre Wurzel in seiner Lebensführung, die ihm viel Leid bringe und für die er sich von Margaretha die Fürbitte um Kraft erhofft. Nach der Erwähnung eines Begleitbriefes und eines Messers, die er nach Köln gesandt hat, fügt Heinrich eine Bemerkung zu den dortigen Betrübnis erregenden Ereignissen an, bevor er die Nonne Scheppach grüsst. Nach einem erneuten Ersuchen um Fürbitte für sich selbst schliesst der Brief mit der Bemerkung, er habe noch nichts über die Reliquie der heiligen Agnes gehört. Einleitung (Z. 1–9) Das Verhältnis zwischen Heinrich und Margaretha, die auch in diesem Brief namentlich nicht genannt werden, wird wieder so aufgebaut, wie es uns bereits aus Brief XI bekannt ist. Der Kontext des Briefes ist jedoch ein anderer, und damit ändern sich auch die Prädikate, die Margaretha zukommen: Ihr Gesicht, welches das Licht der Dreifaltigkeit widerspiegelt, wird als ›vom Feuer der Liebe verklärt‹ beschrieben. Die hier verwendeten Selbstbezeichnungen Heinrichs stehen dazu – deutlicher noch als in Brief XI – in auffälligem Kontrast: Margaretha hat bereits an der Gnade Gottes teil, während Heinrich noch ganz irdischen Kräften unterliegt, die ihn nach unten ziehen und damit weg von der Sphäre Gottes, in der sie sich befindet. Aus seiner Haltung der humilitas heraus und damit aus einer Differenz zu Margarethas Position, die bereits für Brief XI beschrieben wurde und in den Briefen Heinrichs eine Grundkonstante zu sein scheint, wünscht Heinrich nun, das in seinem Brief beschriebene Verhältnis der Seele zu Gott möge sich an Margaretha erfüllen.51 Erster Hauptteil (Z. 9–41) Heinrich fügt darauf in seinen Brief einen längeren Dialog mit Gott aus dem ›Fliessenden Licht‹ ein, von dem er erst in den Zeilen 23 f. sagt, er sei einer ›in Gott entrückten Seele‹ (nämlich Mechthild) offenbart worden. Diese weiss und bekennt, dass sie geistlich aus dem Herzen des Vaters entstammt, dem Fleische nach aus der Seite Jesu geboren wurde und mit dem Geist die Reinigung empfing. Darum sei der Vater ihr Herz, Christus ihr Leib, der 51 Zur Darstellung der Unwürdigkeit des betenden Menschen gegenüber der Erhabenheit der Angerufenen in der Mariendichtung vgl. Kap. 3.3.3.

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Geist ihr lebenspendender Atem und die ganze Dreifaltigkeit ihre Zuflucht und Liebe. Gleichsam als Bestätigung dafür lobt Gott seinerseits die Seele und beschreibt sie als Fundament seines göttlichen Heilshandelns und als Vorbild für andere. In diesem Abschnitt kann für die ›Seele‹ der Name Margarethas eingesetzt werden. Heinrich rückt diese ja zu Beginn des Briefs in die Sphäre der Dreifaltigkeit und wünscht ihr danach gleichsam als Einleitung zum ganzen Brief, das disz meinenkoszen an dir uf das höst gotz ere volbracht werd, womit er explizit die Aussagen des Briefs mit Margaretha in Verbindung bringt. Damit greift Heinrich wieder auf die gleiche Vorgehensweise zurück wie in Brief XI : Trotz (oder vielmehr: aufgrund) der behaupteten eigenen Unwürdigkeit entwirft er Bilder der Vereinigung mit Gott, in die er Margaretha einfügen kann. In der Einleitung von Brief XLVIII stellt er sie in trinitarischer Vereinigung dar, um danach im ersten Hauptteil genauer aufzuzeigen, auf welche Weise sie Anteil am dreifaltigen Gott hat. Mit der Antwort Gottes auf den Lobpreis der Seele ist auch die Funktion Margarethas an dieser Stelle festgehalten: Sie bietet Gott die Voraussetzung einer erneuten Inkarnation, sie ist ein Vorbild des Ordenslebens, sie vermag das Böse zu beherrschen und ist das Beispiel eines Menschen, der in der Kontemplation Gott in seinem innersten Geheimnis schauen kann. Die Person Margarethas steht also ganz im Dienste Gottes und wird zu einem Vorbild für andere; wie in Brief XI wird sie als Medium des Gnadenflusses beschrieben. Diese Stellung zwischen Gott und den Menschen kommt einer Mittlerposition gleich, die Darstellung Margarethas jener einer Mittlerin.52 Margaretha vermittelt nun aber nicht mehr die ›Frucht‹ der Gnade, wie das in Brief XI der Fall ist, sondern lässt Heinrich (und auch andere Leserinnen und Leser des Briefes) ihre Vereinigung mit dem dreifaltigen Gott nachvollziehen. In den Zeilen 24–26 liegt das Gewicht vor allem auf der Funktion Heinrichs für Margaretha und andere Freundinnen und Freunde. Er wundert sich darüber, dass Gott ihr (und anderen) durch ihn Erkenntnis schenkt, die er selbst weder zu bemerken noch zu empfinden vermag. Diese Gegebenheit könnte er hinnehmen, wenn er durch sein ›ungehorsames Leben‹ nicht selbst Schuld daran trüge. Die Vergleiche und Zitate, die er zur Unterstützung seiner Reflexion aneinanderzufügen beginnt, müssen in diesem Kontext auf Heinrich selbst bezogen werden. So hegt er die Angst, wie Judas als Instrument Gottes zum Seelenheil anderer gebraucht zu werden, 52 Vgl. Kap. 3.3.2 und 3.3.3.

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selbst aber vor dem Gericht wegen seiner Unempfänglichkeit für die Gnade Gottes nicht bestehen zu können. Auch zitiert Heinrich Gregor den Grossen, er selbst sei nur ein Rohr, durch das hindurch das Wasser anderen zukommen kann. Schliesslich vergleicht er sich mit einem Spielmann, dem das Hören seiner Musik und das Tanzen nach seiner Pfeife weniger Freude bereitet als seinen Zuhörern. Als Ausgangspunkt dieser Gedankengänge darf nicht nur die Spannung angenommen werden, die der Briefschreiber in der Einleitung zwischen der Erhabenheit Margarethas und seiner eigenen Nichtigkeit aufbaut. Auch die als Topos zu verstehende Aussage, als Werkzeug der Heilsvermittlung an dem vermittelten Gut selbst nicht teilzuhaben (wie das dann an den Beispielen des Apostels Judas, an der Wasserröhre und der Pfeife ausgeführt wird), ist für den ersten Hauptteil nicht alleiniges strukturierendes Element. Wie in Brief XI kommt Margaretha hier ebenfalls die Funktion zu, die Überlegungen Heinrichs evoziert zu haben. In Zeile 30 führt er den Nebensatz als du sprichest an und bezieht sich dabei auf eine Bemerkung Margarethas, Heinrich habe ihr und anderen Gottesfreunden Gnaden vermittelt. Heinrich nimmt damit ein Wort Margarethas auf, das sie entweder gesagt oder geschrieben haben muss. Er entwickelt demnach seine Gedanken zu einer Gnadenerfahrung Margarethas, die sie auf seine Vermittlung zurückführt. Heinrich beschreibt sich dieser Gnade gegenüber zwar als zu klein, gibt Margaretha aber ein neues Beispiel einer Offenbarung, die einer hoch gezogner sel in got (Z. 23 f.) zuteil wurde. Gleichzeitig bezieht er sich auf die Aussage, durch seine Antwort komme Margaretha die Erkenntnis Gottes zu, und setzt diese in Spannung zu seiner eigenen Nichtigkeit. Den ersten Hauptteil schliesst ein Wunsch um Fürbitte ab (Z. 39–41). Margaretha wurde ja schon vorher in der Rolle der Mittlerin beschrieben. Versteht man die Metapher des Tanzes in ihrer mystischen Konnotation,53 so besagt der letzte Abschnitt, die Nonne solle für Heinrich die Fertigkeit erbitten, nach der Pfeife Christi zu tanzen und damit am Leben Gottes teilzuhaben; sie selbst wurde ja bereits zu jener aufgebaut, die am innertrinitarischen Leben teilhat. Der erste Hauptteil dieses Briefes stellt Autor und Adressatin in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit – oder positiv formuliert: im Zustand des Aufeinander-Angewiesenseins – dar. Zwei Arten der Vermittlung von Gnade folgen sich: Margaretha wird als Vorbild gottförmigen Lebens 53 Vgl. dazu die Bildlichkeit der ›minnenden Seele‹ in Kap. 3.4.3.

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geschildert, die darum auch Fürbitte leisten kann, Heinrich als Mittler von Erkenntnis und Erfahrung. Im Sinne der in der Briefeinleitung gegebenen Darstellungen der zu Gott erhobenen Margaretha und des unwürdigen Heinrich wird ihre Mittlertätigkeit positiv bewertet, während er seine eigene Fähigkeit dazu in Zweifel zieht. Zweiter Hauptteil (Z. 41–56) Für den zweiten Hauptteil darf davon ausgegangen werden, Heinrich habe auch diesen als Reaktion auf Mitteilungen Margarethas gestaltet. Heinrich äussert seine Genugtuung über ihre Einwilligung, hie zu leben. Margaretha könnte von einem Gnadenerlebnis berichtet haben, das es ihr schwer machte, noch weiter ein normales Leben zu führen, oder einfach von ihrem Wunsch, dauernd bei ihrem ›Bräutigam‹ zu sein. Es könnte aber auch eine Äusserung Margarethas zugrunde liegen, wegen eines Leidens lieber nicht mehr leben zu wollen; in diesem Falle hätte sie sich dem Brief gemäss zuletzt doch in das Leiden geschickt.54 Hinter der Aussage Margarethas, ›hier‹ zu bleiben, dürfte ein auf die Bibel zurückgehender Topos stehen, der das Verbleiben auf der Erde trotz des grossen Wunsches nach dem Leben bei Gott akzeptiert. Paulus sagt im Brief an die Philipper: mihi enim vivere Christus est et mori lucrum / quod si vivere in carne hic mihi fructus operis est / et quid eligam ignoro / coartor autem e duobus / desiderium habens dissolvi et cum Christo esse / multo magis melius / permanere autem in carne magis nesessarium est propter vos / et hoc confidens scio quia manebo et permanebo omnibus vobis / ad profectum vestrum et gaudium fidei / ut gratulatio vestra abundet in Christo Iesu in me / per meum adventum iterum ad vos.55

54 Anlass zu dieser Aussage konnte – negativ betrachtet – die Schwere des Leidens sein, die ein normales Leben unmöglich machte, oder (und) – positiv bewertet – das Leiden als intensivierendes Moment auf dem Weg zu Gott. 55 Phil 1, 21–26: »Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn. Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit. Was soll ich wählen? Ich weiss es nicht. Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wie viel besser wäre das! Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe. Im Vertrauen darauf weiss ich, dass ich bleiben und bei euch allen ausharren werde, um euch im Glauben zu fördern und zu erfreuen, damit ihr euch in Christus Jesus um so mehr meiner rühmen könnt, wenn ich wieder zu euch komme.« Diesen Topos verwendet z. B. auch Mechthild von Magdeburg, FL , VI 26, 2–10, S. 234. Vgl. dazu auch Kap. 6, Anm. 280.

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Im Anschluss an die Äusserung seiner Genugtuung bittet Heinrich um die Antwort Gottes, die Margaretha veranlasst hat, sich mit der Tatsache, auf Erden zu verbleiben, abzufinden. Er scheint sich zwar für diese zu interessieren – die antwurt meinem hertzen (Z. 43 f.) –, gibt Margaretha aber durch das Einfügen eines Zitates aus dem ›Fliessenden Licht‹ selbst eine Antwort Gottes. Er verdankt sie einem Gottesfreund (eigentlich einer Frau: Mechthild von Magdeburg), der sich in der gleichen Lage wie Margaretha befunden hat. Heinrich stellt ihr so ein Beispiel vor Augen, das eine Möglichkeit zur Identifikation bietet und damit zeigt, wie ihre Situation bestanden werden kann. Die Absicht, die Aussage Mechthilds auch auf andere Menschen zu beziehen, spricht Heinrich aus, wenn er an deren Diktum den Satz anhängt: sich, wie tief sie sich gelassen kunden, die der diemütiger minender träwe gotz inan worden sind (Z. 54–57). Obwohl es Heinrich im ersten Hauptteil noch als erstaunlich bezeichnet hat, dass Margaretha unter seiner eigenen Vermittlung Einsichten in Gottes Geheimnisse gewährt werden, fügt er nun ganz selbstverständlich dieses Beispiel an. Er tauscht hier demnach (wie in Brief XI ) wieder die Rollen, indem er Margaretha mit der zitierten Vorlage eine Hilfe bietet, nachdem er ihre Feststellung, Gott schenke ihr durch seine Vermittlung Gnade, in den Zeilen 29 f. ja bereits festgehalten hat. Schlussteil (Z. 57–71) Im Schlussteil kommt Heinrich auf seine Gebrechen zu sprechen, die er negativ bewertet. Er bezeichnet sein Leiden als siechtage an sel und an lieb (Z. 58 f.) und führt diese auf seinen ungesunden Lebenswandel zurück. Diese negative Bewertung seiner Lebensumstände nimmt die in der Einleitung aufgebaute Beziehung zwischen Margaretha und Heinrich wieder auf. Margaretha wird aufgrund ihres Lebens in der Abgeschiedenheit der Klausur dem dreifaltigen Gott ähnlicher gemacht. Heinrichs Leiden dagegen entspringt seiner Unbeständigkeit und der Unruhe des (weltlichen) Alltags, dessen ›Schwere‹ ihn nach unten zieht. Demgemäss wird das gottbegnadete Leben Margarethas eindeutig positiver bewertet als die gottferne und ›ungehorsame‹ Lebensform Heinrichs. Sie kann Erfahrungen machen, die er entbehren muss. Heinrich bedarf in seiner Situation darum der Hilfe Margarethas, um die er sie in den Zeilen 61 und 64 f. auch wirklich angeht. In Brief XLVIII ist noch von einem Begleitbrief Margarethas die Rede, den Heinrich zusammen mit einem Messer nach Köln weiterleitet, sowie

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von einer Reliquie der heiligen Agnes.56 Beide Bemerkungen greift das siebte Kapitel wieder auf.57 4.3.5 Der Einfluss des ›Fliessenden Lichts‹ auf Brief XLVIII Für das bereits von Philipp Strauch identifizierte Zitat aus dem ›Fliessenden Licht‹ Mechthilds in den Zeilen 20–23 ist das kurze Kapitel 7 aus Buch V des ›Fliessenden Lichts‹ vollumfänglich übernommen worden.58 Aber auch das vorausgehende Kapitel 6 wird in den Zeilen 9–18 des Briefes fast wörtlich wiedergegeben.59 Dem Ausdruck der inner gume meins hertzen in Zeile 31 liegt Mechthilds Ausdruck guome miner sele zugrunde,60 und der grosz 56 Im 14. Jh. konnte »ein am Gürtel getragenes, kleines, meist reich verziertes Messer« zur Kleidung einer Ordensfrau gehören: Ruth Meyer, Das ›St. Katharinentaler Schwesternbuch‹. Untersuchung, Edition, Kommentar (MTU 104), Tübingen 1995, S. 276 f. Die Erwähnung der Reliquie der hl. Agnes ist für Philipp Strauch der Grund zur Annahme, bei Brief LXVII handle es sich um eine Antwort Margarethas auf Brief XLVIII : Strauch, S. 382 ad XLVII , 75 f. und ebd., S. 402 ad LXVII , 58 ff. Zur Verehrung der hl. Agnes vgl. Kap. 7.3 und 7.7. 57 Zu den Funktionen von Geschenken und Reliquien im Freundeskreis um Heinrich vgl. v. a. Kap. 7.7. 58 Vgl. Strauch, S. 382 ad 20 ff. In der für diese Arbeit benutzten Ausgabe handelt es sich um die Stelle: FL , V 7, 2–4, S. 161. Zur Zitierweise Heinrichs in Abweichung vom Text der Einsiedler Hs. vgl. Hans Neumann, Problemata Mechtildiana, in: ZfdA 82 (1948/9), S. 143–172, hier: S. 156 und 160. 59 Die Rezeption dieses Mechthild-Exzerptes bei Heinrich hielt bereits Hubert Stierling fest: Studien zu Mechthild von Magdeburg, Nürnberg 1907, S. 3. Auch Hans Neumann hat diese Parallele festgehalten; vgl. FL , S. XVII ad L. 60 Vgl. Strauch, S. 382 f. ad 31; FL , IV 12, 71, S. 125 und ebd., V 35, 36, S. 197. Margot Schmidt meint zum Ausdruck vom ›inneren Gaumen‹: »Die metaphorische Rede vom ›Gaumen der Seele‹ verwendet Mechthild [. . .] sinnbildlich für das geistliche Empfindungsvermögen, das Verkosten, um die ungewöhnlichen Erfahrungen der Gottesliebe zu veranschaulichen. Diese Bildrede greift Heinrich von Nördlingen auf, um seine Unempfindlichkeit für den Wohlgeschmack Gottes zu kennzeichnen. Deswegen fühlt er sich aufgrund ihrer inneren Erfahrungen zu Margaretha Ebner hingezogen, die ihm deswegen ein Weg zu Gott ist«: Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 376, Anm. 149. Obwohl dieser Aussage im Grundsatz zugestimmt werden kann, ist die anschliessende Schlussfolgerung betreffend Heinrichs Beziehung zu Margaretha voreilig: Gerade das Sprechen vom ›Gaumen des Herzens‹ zeigt, dass Heinrich hier ein Versatzstück aus der ihm fassbaren Tradition verwendet. Zudem baut er dieses Sprechen in einen Topos der Unfähigkeit zur Teilhabe an der vermittelten Gnade ein, der Heinrichs humilitas unterstreicht. Auch die

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gotzfründ in Zeile 44 ist wiederum von Mechthild: Die Zeilen 49–52 und 53f. lehnen sich an Zeilen aus dem 12. Kapitel des vierten Buches ihres Werkes an.61 Wird Brief XLVIII aufgrund dieser Entsprechungen auf dem Hintergrund der engen Anlehnung an das ›Fliessende Licht‹ gelesen, fallen noch weitere Parallelen auf.62 Heinrich beschreibt in den Zeilen 45–49 mit eigenen Worten für den gotzfründ, was bei Mechthild die Situation der Braut Gottes bestimmt. Auch der Einschub in den Zeilen 52 f. weitet nur aus, was bei Mechthild die beiden Reden Gottes mit der Braut verbindet.63 Ebenso kann die Überleitung zur Antwort Gottes in den Zeilen 18 f. auf Mechthild zurückgeführt werden, wenn der Titel von Kapitel 7 des Buches V als Erwiderung auf das vorausgehende Kapitel 6 verstanden wird. Ferner sind die Zeilen 1–4, 32–35 und 64 f. eine Anlehnung an das ›Fliessende Licht‹, was es noch zu zeigen gilt. Wird nun versucht, den Anteil des ›Fliessenden Lichts‹ im Brief quantitativ zu bestimmen – dazu werden eigentliche Zitate und sinngemässe Bezugnahmen auf den Text gleichwertig behandelt –, so lässt sich Folgendes festhalten: Von den 71 Zeilen des Briefes der Edition von Philipp Strauch können etwa 33 auf das ›Fliessende Licht‹ zurückgeführt werden, was fast die Hälfte ausmacht. Daneben beruft sich Heinrich in zwei Zeilen auf Gregor den Grossen und in vier weiteren vielleicht auf einen bereits existierenden Vergleich mit einem Spielmann, der die Pfeife bläst. Insgesamt geht also mehr als die Hälfte des Briefes auf verschiedene Vorlagen zurück, wobei Mechthilds ›Fliessendem Licht‹ die grösste Bedeutung zukommt. Brief XLVIII ist ein Beispiel für das kompilatorische Zusammenfügen verschiedener Quellen in den Briefen Heinrichs. Auf diese quantitativen Feststellungen darf aber der Einfluss Mechthilds nicht reduziert werden. Viel wichtiger ist die Frage, was genau und nach welchen Kriterien Heinrich aus seiner Vorlage auswählt. Die Auswahl lässt keine Systematik erkennen. Heinrich greift auf verschiedene Stellen aus den ›Erfahrungen‹ Margarethas sind nur soweit fassbar, als sie (von Heinrich formulierter!) Text sind; darum sollte auf der Ebene der Textanalyse nichts über eine ›fassbare‹ Beziehung zwischen Autor und Adressatin gesagt werden. 61 Auch diese Entsprechung hat Hubert Stierling bereits als solche erkannt: Studien, S. 3; bei Hans Neumann: FL , S. XVII ad L. 62 Die folgenden Parallelen wurden weder von Stierling noch von Neumann wahrgenommen, da es sich bei diesen Stellen mehr um Paraphrasierungen als um eigentliche Zitate handelt. 63 Vgl. FL , IV 12, 81, S. 126.

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Büchern II , III , IV , V und VI zurück, wobei ihn nur gerade bei IV 12, V 6 und V 7 die Kapitel als ganze interessieren. Die Zeilen 9–18 des Briefes rezipieren das Kapitel 6 aus Buch V .64 Mit Ausnahme kleinerer Abweichungen fallen bei der Übernahme vor allem Beifügungen auf, die in der Vorlage nicht zu finden sind.65 So nennt er Christus in Zeile 11 hertzlieb, und in Zeile 13 wird die Seele vom Geist meinigklich gereinigt. Die Seele nennt sich bei Heinrich nicht mehr armer betruebter mensche wie bei Mechthild,66 sondern spricht in Zeile 14 mit der gunst deiner meinender barmherzigkeit. Weiter ist in Zeile 17 der Geist ein leben gebender Atem und demzufolge in seiner Funktion spezifischer als in der Vorlage, wo nur von atem die Rede ist.67 In Zeile 18 wird der Dreifaltigkeit die Eigenschaft der trü zugesprochen, während bei Mechthild ruowe steht.68 Die Zeilen 18 f. des Briefes können nur inhaltlich auf das ›Fliessende Licht‹ zurückgeführt werden, und zwar auf die Titel der Kapitel 6 und 7 aus Buch V . Diese sind aufeinander abgestimmt und weisen auf einen trinitarischen Bezugsrahmen hin. So ist das sechste Kapitel mit Wie die sele lobet die heligen drivaltekeit69 überschrieben und das siebte mit Wie got widerlobet die sele.70 In Brief XLVIII heisst es dazu: dem antwürt got in der innerheit des erhepten geist in gnad (Z. 18 f.). Dafür handelt es sich bei den Zeilen 20–23 wieder um ein eigentliches Zitat.71 Bei den Abweichungen zwischen Vorlage und Brief fallen erneut stilistische Unterschiede auf, die hier nicht weiter aufgeführt werden.72 Aussagekräftiger sind die Zitate der Zeilen 49–52 und 53 f. des Briefes XLVIII , deren Abweichungen vom ›Fliessenden Licht‹ Hans Neu64 Vgl. ebd., V 6, S. 160. 65 Eine detaillierte Auflistung der Unterschiede zwischen den Briefen und der Einsiedler Hs. wird im kritischen Apparat zu den Kap. 6 und 7 des Buches V gegeben; vgl. ebd., S. 160 f. 66 Vgl. ebd., Z. 9, S. 160. 67 Ebd., Z. 11. 68 Ebd., Z. 12. 69 Ebd., Z. 1, S. 160. 70 Ebd., Z. 1, S. 161. 71 Vgl. Anm. 58. 72 Vgl. dazu Mechthild von Magdeburg, Das fliessende Licht der Gottheit, nach der Einsiedler Handschrift im kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung. Bd. II : Untersuchungen, hg. von Hans Neumann, ergänzt und zum Druck eingerichtet von Gisela Vollmann-Profe, München 1993 (MTU 101) (im Folgenden abgekürzt mit Neumann II ), S. 87 ad V 6, 9: »Die Varianten in Heinrichs Brief sind (ausser fluszes unten Kapitel 7, 2) stilistische Änderungen, die dem rhetorischen Aufputz seiner geistlichen Diktion dienen.« Die Einsiedler Hs. schreibt in Kap. 7, 2 fleisches (FL , S. 161, im Apparat ad 7, 2), die

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mann in seinem Apparat angibt.73 Aufgrund ihrer Kürze soll hier die Vorlage ganz wiedergegeben werden: o

e

Do sprach u´nser herre zu ir: »Gonne mir des, das ich die hitze miner gotheit, die e e gerunge miner monscheit und den lust mines heiligen geistes mit dir kulen o mu´ge.« Da zu antwu´rte si: »Ja herre, also bescheidenliche, das dir, herre, alleine da mitte wol si und nit mir.«74

Änderungen der Vorlage gegenüber, die für diese Analyse interessant sein können, sind die Beifügungen Heinrichs mein träwes lieb in Zeile 49, der minlos geist von minen in Zeile 52,75 das erlaub ich dir in Zeile 53 und die Änderung in dir und mit dir hab in Zeile 51 f. für mit dir kuelen mu´ge.76 Wie für die Zeilen 9–18 fällt auch hier wieder sein Bemühen auf, die Wörter mine, trüw und lieb (in verschiedenen Ableitungen) in seinen Text einzufügen sowie eine Beziehung der Innigkeit zwischen der Seele und Gott darzustellen. Im Anschluss an die bis jetzt festgehaltenen Änderungen kann eine erste Schlussfolgerung gezogen werden: Heinrich fügt in den von ihm übernommenen Abschnitten aus dem ›Fliessenden Licht‹ Wörter ein, die mit minne oder lieb gebildet sind, während er Gott die Prädikate barmherzigkeit und trü beigibt. Solche Änderungen können etwas über seine Absichten sagen, die er Brief XLVIII zugrunde gelegt hat. Er hat mit der Bezeichnung meinenkoszen in Zeile 8 ja bereits ein Programm gegeben, in das er die Zitate Mechthilds einbezieht.77 Um sie nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich dieser Terminologie anzugleichen, fügt er den Zitaten einzelne Wörter hinzu: Der dreifaltige Gott, an dem Margaretha in diesem Brief teilhat, ist ein ›barmherziger‹ und ›treuer‹, er ist ›herzenslieb‹ und wirkt in Minne. Damit bestätigen die Untersuchungen zu Brief XLVIII die früheren Bemerkungen, die Briefe Heinrichs gehörten in die Tradition der ›geistlichen Minneliteratur‹.78

73 74 75 76 77 78

Londoner Hs. Add. 11430 fluszes (Brief XLVIII , 20, Strauch, S. 256). Hans Neumann korrigiert in seiner Edition zu flusses (FL , V 7, 2, S. 161). Ebd., S. 126, im Apparat. Ebd., IV 12, 79–82, S. 126. Zur Paraphrase in den Zeilen 52 f., die eine Überleitung zwischen den beiden Zitaten bildet, vgl. Anm. 63. FL , IV 12, 81, S. 126. Susanne Köbele bezeichnet die Minnepartnerschaft mit Gott als das übergreifende Thema des Werkes Mechthilds: Bilder, S. 76. Vgl. Kap. 4.1, v. a. die ›empfindsamen‹ Beiwörter der ›Lilie‹ in Anm. 5.

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Von allen Kapiteln aus dem ›Fliessenden Licht‹ ist in Brief XLVIII am meisten Kapitel 12 des Buches IV rezipiert worden. Nicht nur für die Zeilen 49–54 hat Heinrich darauf zurückgegriffen, sondern auch für weitere Stellen.79 Die Vereinigung zwischen Gott und Braut, wie sie bereits der Titel dieses Kapitels ankündigt (Wie die brut, die vereinet ist mit gotte, verwirfet aller creaturen trost sunder alleine gottes, und wie si sinket von der pine80), wird in den Zeilen 45–49 (wenn auch in sehr freien Worten) vergleichbar dargestellt.81 Den Zeilen 79–82 des Kapitels 12 im ›Fliessenden Licht‹ geht das Begehren der Braut (oft auch ›Seele‹ genannt) voraus,82 sich von allen Kreaturen loszulösen, die sie nicht über die Trennung von Gott zu trösten vermögen. In dieser (von ihr selbst gesuchten) Trennung von Gott wird die Treue der Braut geprüft, wird sie von Unglauben angefochten, so dass Gott sie nur noch an seine für sie vollbrachten Heilstaten erinnern kann. Schliesslich kommt die vroemedunge gottes83 und hüllt die Seele ein, von der sie bejahend begrüsst wird. Doch auch die vroemedunge, die nicht mit den Kreaturen zusammen Gott loben will, kehrt darauf der Seele den Rücken. Diese freut sich über die Verachtung und lobet unmesseklich u´nsern herren (Z. 75). Die Herrlichkeit Gottes kann sich darauf wunderbar an der Seele vollziehen, weil ihr die Entfremdung von ihm sogar noch lieber ist denne er selber (Z. 77). In dieser Situation also will Gott die Seele trösten und trachtet nach der Vereinigung mit ihr. Darauf folgen die Zeilen, die Heinrich in seinem Brief in den Zeilen 49–54 als Zitate mit den oben beschriebenen Änderungen aufführt. Wenn auch in anderen Verbindungen, stammt das in den Zeilen 45–49 verwendete Vokabular von Mechthild. Die Bemerkung Heinrichs zum Gottesfreund, das er durch die ere gotz und durch sein lob nit allein bliben wolt in dem fleisch (Z. 45 f.), findet so in der Vorlage aber keine Entsprechung. Heinrich geht im zweiten Hauptteil vom Nebensatz das du dich ergeben hast hie ze sein durch die lieb deins liebs (Z. 41 f.) aus. Wenn Heinrich Teile dieses Kapitels 12 aus dem ›Fliessenden Licht‹ mit der Aussage Margarethas verbindet, sie habe sich darin ergeben, (hier) zu leben, nimmt Heinrich bewusst eine Interpretation vor. Es ist nicht unerheblich, welches Beispiel er Margaretha zusendet. Bereits der Vorspann zur Paraphrase besitzt deuo

79 Bereits wurde in Anm. 60 die Metapher gume miner sele mit Kap. 12 in Verbindung gebracht. 80 FL , IV 12, 1 f., S. 123. 81 Zur Vorlage vgl. ebd., IV 12, S. 123–126. 82 Diese liegen den Zeilen 49–54 aus Brief XLVIII zugrunde; vgl. Anm. 61. 83 FL , IV 12, 64, S. 125.

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tenden Charakter. In Zeile 44 gibt Heinrich als Grund für deren Wahl an, der Gottesfreund sei in ditz glich gezogen worden. Damit drückt er implizit aus, er verstehe die Erfahrung Margarethas und könne sie darum in Parallele zu anderen Menschen setzen. Aus Heinrichs Sicht wollte der gotzfründ Mechthild nicht nur der Ehre und des Ruhmes Gottes wegen auf Erden bleiben, sondern mehr noch um der Entfremdung von Gott willen: mer er begert beraubt werden aller haimlichkeit gotz und der minnen inner empfindung (Z. 46 f.). Damit wird hier Margaretha eine Mechthild vor Augen gestellt, die in ihrem Leben das Leiden bewusst gesucht hat;84 es darf darum davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Äusserung Margarethas, auf die sich Heinrich im zweiten Hauptteil bezieht, ebenfalls um ein Leiden gehandelt hat.85 Dem Gottesfreund gegenüber drückt (der dreifaltige) Gott in Brief XLVIII sein Begehren nach der Vereinigung mit dessen Seele aus. Dadurch wird diese in ihrem Zustand der Entfremdung plötzlich wieder von Liebe erfüllt. Sie gewährt Gott den Wunsch, weil es ihr um sein Wohlbefinden geht, obschon sie die Entfremdung ja bewusst gesucht hat. Dies tat sie freilich unter der Bedingung, dass Gott allein wol da mit si und nicht ihr selbst (Z. 54). Die Vereinigung der Seele mit Gott kann daher als Belohnung für den Menschen verstanden werden, der das Leiden sucht und es ritterlich (Z. 49) erduldet. Ein hermeneutischer Schlüssel für Heinrichs Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ bezüglich Brief XLVIII liegt damit in seinem Anliegen, mit den Worten Mechthilds auf Äusserungen Margarethas zu reagieren. Auf den Darstellungswillen Heinrichs kann auch das Heranziehen des Apostels Judas (Z. 32–35) zurückgeführt werden. Heinrich greift dabei auf Kapitel 8 84 Strauch, S. 287 f. ad 2, 20 f.: »Das grösste Lob für den Menschen besteht darin, dass er in diesem Leben ein leidender Mensch sei. Als solcher ist er (dem leidenden) Christus ähnlich und je länger diese Leidenszeit auf Erden, um so glücklicher das Leben, weil ihm nach dem Tode der höchste Lohn verheissen ist. Leiden macht, wie Seuse sagt, aus einem irdischen Menschen einen himmlischen Menschen.« Zu dieser letztgenannten Aussage Heinrich Seuses vgl. Anm. 157. 85 Strauch, S. 383 ad XLVIII , 42: »Es ist für das folgende daran zu erinnern, dass Margaretha Ebner damals besonders leidend war.« Nach Anette Kuhn gestaltet sich in Margarethas ›Offenbarungen‹ der richtige Umgang mit der Krankheit zum zentralen Thema: »Körperliches Leiden und spirituelle Eingebungen sind eng miteinander verknüpft. Denn beides, Krankheit und Abkehr von allen liplichen dingen, versteht sie als Weg der Reinigung und Läuterung sowie gleichsam als Gnadenbeweis Gottes«: Dein Gott redender Mund, S. 99.

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des Buches III aus dem ›Fliessenden Licht‹ zurück, das unter der Überschrift: Von siben dingen, die alle priestere soellent haben86 steht. Hier ist der ursprüngliche Kontext besonders interessant, da das Kapitel von einem Priester handelt, der sich auf die Messe vorbereitet – in Brief XLVIII bringt Heinrich Judas mit sich selbst als Priester in Verbindung. Der Priester war in der Messe »der eigentlich Feiernde und Opfernde« und galt darum »als Mittler zwischen Gott und den Menschen«.87 Auch bei Mechthild geht es in Kapitel 8 um den Priester in seiner Funktion als Mittler, und dies im konkreten Zusammenhang mit der Feier der Eucharistie:88 Der Priester, der sich eine Schuld zukommen liess, gibt den Gläubigen zwar das Himmelsbrot, fährt aber wie Judas zur Hölle: Ist er aber schuldig an im selben, so essent minu´ kint das himmelbrot und Judas vert zuo der helle.89 Heinrich kann diesen Vergleich gut in seinen Gedankenablauf einbauen, da er sich selbst als Priester darstellen möchte, der anderen Gnaden vermittelt, selbst aber keinen Anteil daran hat. Bei ihm ist es allerdings nicht die Hölle, die ihn zittern macht, sondern das ›tiefe Gericht Gottes‹. Auch empfangen bei ihm die Gläubigen nicht das eucharistische Brot, sondern er spricht von der ›ewigen Seligkeit‹, in die andere durch ihn gezogen werden. Diese Passage hat bei Heinrich also einen stark forensischen Charakter. Sie könnte ein Ausgangspunkt dafür sein, die Briefe Heinrichs auf ihre Enderwartung und auf die Bilder des Jüngsten Gerichtes hin zu untersuchen.90 Dass die Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ hinsichtlich Brief XLVIII durch den Darstellungswillen Heinrichs geleitet wird, zeigt sich auch in der Schilderung der eigentlichen Bestimmung Margarethas. Auf Mechthild zurückführen lässt sich nämlich bereits die Briefeinleitung, wo sich Heinrich (und zwar nur hier) am Buch VI orientiert, genauer an dessen 39. Kapitel: Von dem gegenblike gottes schines an u´nser vrowen und von ir gewalt.91 In 86 87 88 89 90

FL , Z. 1, S. 85. Angenendt, Geschichte, S. 495. Zum eucharistischen Bedeutungshorizont der Briefe vgl. z. B. Kap. 4.4.4. FL , III 8, 7–9, S. 85. Vgl. dazu Gnädinger, Johannes Tauler, S. 48: »Heinrich von Nördlingen stellte sich durch das Einsetzen der apokalyptischen Plagen ein besonderes, anscheinend auch im Kreise um Rulman Merswin und Tauler interessierendes Problem, nämlich, ob man sich unter Gottesfreunden gegenseitig warnen solle, damit man dem Unglück entkomme. Heinrich beruft sich in einem Brief an Margaretha Ebner aus dem Jahre 1349 auf die prophetischen Offenbarungen der heiligen Hildegard von Bingen, wonach die Gottesfreunde um die Errettung aus dem Verderben füreinander besorgt sein sollten.« 91 FL , Z. 1 f., S. 248.

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der Einleitung des Briefes heisst es vom Antlitz Margarethas, es sei von liecht der gnad wider lichten [. . .] in das gebrech der hailigen driveltigkeit (Z. 2f.).92 Ähnlich wird bei Mechthild von Maria gesagt: Mit unspreclicher gruosse rueret er ir herze, das si schinet und lu´htet, also das der hohe gegenblik der heligen drivaltekeit vor u´nser frovwen antlize entstet.93 Die Nähe der Briefstelle zur Passage bei Mechthild ist unverkennbar. Was in Brief XLVIII von Margaretha in ihrer Beziehung zur Dreifaltigkeit ausgesagt ist, steht bei Mechthild in einem marianischen Kontext. Margot Schmidt meint in der Einleitung zu ihrer Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹: »Das Urbild trinitarisch-mystischer Vereinigung in vollendeter Weise sieht Mechthild in Maria. [. . .] Bei der Verkündigung an Maria ›tritt die ganze Heilige Dreifaltigkeit in sie ein‹ (V 23), und zwar so, ›dass der erhabene Widerschein der Heiligen Dreifaltigkeit vor dem Antlitze Unserer Frau erglänzt‹ (VI 39). Als Urliebende mit trinitarischer Struktur ist Maria das Vorbild jeder gottliebenden Seele.«94 Bei den ersten drei Zeilen in Brief XLVIII kann demnach von einem marianischen Versatzstück gesprochen werden, das Heinrich – wie auch die Zeilen 9–18 – unter trinitarischem Gesichtspunkt einführt. Ähnlich verhält es sich mit der letzten Stelle im Brief, die auf Mechthild zurückgeführt werden kann. Die Zeilen 64 f. (günsz und schenck deins lutertrancks in mein betrübtes leben) sind eine Anlehnung an Kapitel 24 aus Buch II des ›Fliessenden Lichts‹, das bei Mechthild unter der Überschrift Wie sich die minnende sele gesellet gotte und sinen userwelten lieben und sol gelich sin allen heligen. Wie der tu´fel und du´ sele sprechent zesamne95 steht. Bei Mechthild wird für die Begegnung der liebenden Seele mit Gott in der Entrückung die Metaphorik eines ›Hauses‹ eingesetzt, wo der Vater der Gastwirt ist, Jesus der Kelch (Becher), der Geist der Wein, die ganze Dreifaltigkeit der volle Kelch und die Minne die Kellermeisterin. Die Seele wünscht sich nun, von der Minne in das Haus eingelassen zu werden. Bis dahin aber will sie noch mit Freuden Galle trinken.96 »In konzentriertester und zugleich individueller Weise versinnbildet sie [sc. Mechthild] in tiefer Symbolik in Abwandlung der bekannten Weinmetaphorik sowohl die innertrinitarische als auch die sich nach aussen hin kundtuende göttliche

92 Zum Ausdruck gebrech vgl. Strauch, S. 382 ad 2, wo er eine Entsprechung aus einem anderen Werk angibt, dessen Autor nicht bekannt ist. 93 FL , VI 39, 5–7, S. 249. 94 Schmidt, Einleitung, Mechthild von Magdeburg, S. XXXIII . 95 FL , II 24, 1–3, S. 58. 96 Vgl. ebd., Z. 19–23, S. 59.

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Liebe.«97 Damit stehen auch die Zeilen 64 f. wieder im trinitarischen Kontext. Im Unterschied zur Vorlage, wo die Minne die Kellermeisterin ist, soll bei Heinrich nun aber Margaretha den Trank in sein Leben giessen. Im Brief erhält der Trank bereits jene positive Wirkung, die bei Mechthild der Seele erst in jenem wunderbaren ›Haus‹ zuteil werden wird, während sie zuvor noch Galle zu trinken wünscht. Margaretha hingegen schenkt bereits den ›Wein der Dreifaltigkeit‹, wie er ihr nur in der unio zukommen kann. Das Gottesbild Mechthilds von Magdeburg ist trinitarisch geprägt.98 Sie versucht, ihre Gotteserfahrungen in Bezug zur Trinität zu beleuchten,99 stellt aber gleichzeitig die Beziehung zwischen der Seele und dem dreifaltigen Gott in der Bildlichkeit der Brautmystik dar. Das Vorbild jeder gottliebenden Seele ist für Mechthild Maria, deren Liebe ebenfalls in einem trinitarischen Kontext dargestellt wird. Indem Heinrich einzelne Metaphern oder ganze Textstellen aus dem ›Fliessenden Licht‹ in Brief XLVIII als seine Antwort an Margaretha übernimmt, wird dieser auch thematisch durch die Vorlage bestimmt. Während bei Heinrich die Anreicherung der Briefe mit marianischen Versatzstücken auch in Brief XI festgestellt werden kann, ist die Dominanz der trinitarischen Ausrichtung in Brief XLVIII – mindestens im Vergleich zu Brief XI – neu und durch den Gebrauch des ›Fliessenden Lichts‹ zu erklären. Bei Mechthild wird Maria im Widerschein der Trinität geschildert. Ihr Wirken lässt sich aus dieser Konstellation erklären: In dem gegeblikke mag u´nser vrovwe wol gebieten.100 Wenn Maria mit Tugenden geschmückt und mit aller Würde gekrönt in Gott zurückfliesst,101 dann deshalb, weil sie schon in ihrem Leben mit Gott vereint war: v

Wie u´nser vrowe gebruchet der heligen drivaltekeit und wie sich got in ir vereinet ob allen lutern menschen, das ist unsprechlich. Mere: also vil alse si hie v vereinet ware, also vil gebruchet dort u´nser vrowe und also vil gu´sset u´nser herre 102 ob allen heligen in si.

Dieser Schluss darf auch für die Darstellung Margarethas in Brief XLVIII gezogen werden: Deren Ziel der visio beatifica findet ihre Voraussetzung in der unio mystica. Der Einfluss Mechthilds auf Brief XLVIII ist durch die 97 Schmidt, Einleitung, Mechthild von Magdeburg, S. XXIV . o 98 Vgl. ebd., S. XXXI . Vgl. dazu auch FL , II 26, 10 f., S. 68: Das buch ist drivaltig und bezeichent alleine mich. 99 Vgl. etwa Anm. 69. 100 FL , VI 39, 9, S. 249. 101 Vgl. ebd., Z. 15 f. 102 Ebd., Z. 18–21.

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Übernahme ganzer Textpassagen aus dem ›Fliessenden Licht‹ demnach thematisch und sprachlich gegeben. Diese Passagen erfuhren im neuen Kontext aber eine Umformung. Einerseits wurden sie sprachlich dem Programm des meinenkoszens angepasst, andererseits erhalten sie im Brief eine neue Bestimmung: Es ist nun Margaretha, die mit dem Leben der Dreifaltigkeit durchdrungen ist und die aus diesem Leben schöpfen kann. An ihm hätte auch Heinrich gerne Anteil, doch ist er gebunden an einen Leib, der mit seiner schedlicher schwärhait mit im züicht und mindert die gaub gotz (Z. 6f.). Heinrich wünscht sich in Zeile 64 f. darum von Margaretha (in den Worten Mechthilds) den ›Wein‹ aus dem brunnen der fliessenden drivaltegkeit.103 4.3.6 Der liturgische Bezugsrahmen als Rezeptionshorizont Der Titel von Mechthilds Kapitel 22 aus Buch I lautet: Von Sante Marien botschaft und wie ein tugent der andern volget und wie du´ sele im jubilus der drivaltekeit wart gemachot und wie Sante Maria alle heligen hat gesoeget unde noch soeget.104 Heinrich übernimmt daraus die Zeilen 7–34 in seinen Brief XLVI .105 Die beiden Passagen bei Mechthild und bei Heinrich unterscheiden sich nur in der oft abweichenden Wortstellung, nicht aber in der Wortwahl. Was könnte Heinrich veranlasst haben, gerade diese Stelle zu kopieren? Die drei Themen des Kapitels 22 sind bereits mit dem Titel gegeben: die Trinität, Maria und die Bedeutung der Gottesmutter für andere. Maria wird als Braut der Dreifaltigkeit beschrieben (Z. 48: brut der heligen drivaltekeit), die aus der göttlichen Vereinigung heraus die Kirche zu säugen vermag. Es ist also auch bei der Rezeption dieses Teils aus dem ›Fliessenden Licht‹ wieder Maria, die Heinrich interessiert und die Margaretha als Typus einer auf die unio ausgerichteten Person vor Augen gestellt wird. Geändert hat sich im Vergleich zu früheren Briefen der Bezugsrahmen der unio: War bis jetzt ausschliesslich Christus als Bräutigam das Ziel der Vereinigung, so wird es in Brief XLVI die Trinität. Nicht übernommen hingegen hat Heinrich den Anfang des Kapitels 22, der die Verkündigung an Maria in den Metaphern des ›Taus‹ und der ›Blume‹ darstellt. Die Frage: »Wa von bist du gemachet, sele, das du so hohe stigest u´ber alle creaturen, und mengest dich in die heligen drivaltekeit unde belibest doch 103 Ebd., I 2, 2 f., S. 7. 104 Ebd., Z. 1–3, S. 16. 105 Vgl. ebd., S. 16 f. und Brief XLVI , 37–60, Strauch, S. 251 f.

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gantz in dir selber?«106 aus dem ›Fliessenden Licht‹ bringt Heinrich im Anschluss an seine Mechthild-Exzerpte Margaretha gleichsam als Feststellung nahe: hier innen und des glich tunt vor uns usz die groszen gotzfrund des innern menschen geistlich himelfart.107 Heinrich war es wichtig, Margaretha ain geistlich himelfart108 zu wünschen, was sich aus dem Kontext des Briefs erklären lässt: Dieser ist um das Fest unser frawen himelfart geschrieben worden.109 Damit kann eine Grundkomponente der Briefe Heinrichs erneut hervorgehoben werden: Auch hier dient der liturgische Bezugsrahmen als Quelle der Inspiration. Die Liturgie ist für Brief XLVI als Rezeptionshorizont anzusehen, vor dem Heinrich Passagen aus dem ›Fliessenden Licht‹ auswählt und Margaretha in die imitatio Mariae stellt. Dass dabei der ursprüngliche Kontext der ausgewählten Exzerpte das Sprechen in den Briefen prägt, zeigt bereits Brief XLVIII . 4.3.7 Mögliche Einflüsse der Übersetzertätigkeit Heinrichs auf die Briefe Warum aber hat etwa die reiche Lichtmetaphorik des Kapitels 3 aus Buch II des ›Fliessenden Lichts‹ bei Heinrich keine Aufnahme gefunden,110 obwohl er sonst viel auf sie zurückgreift?111 Auch für das (längere) Kapitel 23 aus Buch V ist festzuhalten, dass Heinrich nicht daraus schöpft, obschon es von der Geburt Christi aus Maria und von der Beziehung zwischen Mutter und Kind handelt.112 Damit lässt sich für das Verhältnis des ›Fliessenden Lichts‹ zu den Briefen eine selektive Wahrnehmung Heinrichs festhalten: Gerade weil er sich nicht an das 23. Kapitel anlehnt, kann für die Bezüge seiner Briefe zum ›Fliessenden Licht‹ von einer Vorliebe für jene marianische Bildlichkeit ausgegangen werden, welche die Gottesmutter in der Verherrlichung zeigt – und diese ist trinitarisch geprägt. Die Öffnung des Gottesbildes in den Briefen Heinrichs auf die Dreifaltigkeit hin kann nun aber nicht erst für Brief XLVI , sondern bereits ab Brief XXXVI festgehalten werden.113 Da Heinrich in der Zeit des Basler Exils 106 107 108 109 110

FL , I 22, 37–39, S. 18. Brief XLVI , 60 f., Strauch, S. 252. Z. 4, ebd., S. 250. Z. 66 f., ebd., S. 252. Vgl. FL , S. 39–41. Um so mehr würde sich die Bezugnahme nahe legen, da dieses Kapitel von der drivaltekeit und von Sante Marien handelt: ebd., Z. 2 f. 111 Vgl. z. B. Kap. 2.4.1. 112 Vgl. FL , S. 174–181. Zum Mutter-Kind-Motiv in den Briefen vgl. Kap. 3.4.2. 113 Nur in Brief XVI , 27, Strauch, S. 194 wird der Ausdruck triveltigkeit bereits

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auch die Beschäftigung mit dem ›Fliessenden Licht‹ aufgenommen hat, stellt sich hier die Frage, ob nicht gerade die Rezeption Mechthilds das Sprechen von Gott in den Briefen trinitarisch geprägt, die Beschäftigung mit dem ›Fliessenden Licht‹ also schon in den ersten Jahren des Exils eingesetzt hat.114 Würde dies zutreffen, müssten aber noch andere Einflüsse des ›Fliessenden Lichts‹ in den frühen Briefen des Basler Exils nachgewiesen werden können. Dieser Frage soll im Folgenden über eine knappe Gegenüberstellung der beiden Werke nachgegangen werden. Heinrich beginnt tatsächlich in seinen Briefen aus Basel häufiger neue Metaphern zu verwenden oder andere mit neuer Intensität einzusetzen, die mehr oder weniger mit dem ›Fliessenden Licht‹ in Verbindung zu bringen sind. Im Hinblick auf das ›Fliessende Licht‹ findet etwa das metaphorische Sprechen von der ader nur gerade in einem späteren Brief eine Entsprechung.115 Das Verb jagen kommt mit einer Ausnahme in den späteren Briefen vor, so auch das Verb e o sogen und das Nomen grus.116 Nur in Briefen nach 1339 kommen die Verben nisten, tanzen, smeken, wiegen und wunden vor,117 sowie die Nomina balsam, ere, hitze, keyser, kussin, turteltube und zug.118 Dazu finden sich in den Briefen ab dem

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früher verwendet. Sonst spielt in den früheren Briefen die Dreifaltigkeit nur im Zusammenhang mit dem Gnadenfluss eine Rolle; vgl. Kap. 3.3.1. Die in den Briefen angestrebte Transformation des Menschen in Gott heinein wird christologisch begründet; vgl. Kap. 1, Anm. 116. Das »Wirklichwerden des Hl. Geistes stellt für Heinrich dagegen kein Bildthema dar. Dieses ist der Hl. Geist nur in seiner Funktion, Gottvater als Raum für die Geburt seines Sohnes zu dienen«: Egerding, Metaphorik, S. 209. Zur Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ vgl. Kap. 7.5.3. Philipp Strauch vermutet für Brief XXXVI 1340 als das Jahr der Entstehung; vgl. Strauch, S. 364, Vorbemerkung. Zur Zeit der Abfassung von Brief XXXIX im Jahre 1344 muss nach den Angaben Heinrichs die Übersetzungsarbeit schon im Gange gewesen sein; vgl. ebd., S. 366, Vorbemerkung. Vgl. Brief XLIV , 23, ebd., S. 248, FL , I 2, 35, S. 8. e Zu jagen vgl. ab Brief XLIII , FL , I 3, 5, S. 9; zu sogen: ab Brief XLII , FL , I 22, o 3, S. 16; zu grus: ab Brief XXXVIII , FL , I 14, 2, S. 14. Zu den Ausnahmen: e Briefe XIII , 20, Strauch, S. 188 (jagen), IV , 40, ebd., 174 (sogen) und XVI , 3, o ebd., S. 194 (grus). Zu nisten vgl. nur in Brief XXXIV , 1, Strauch, S. 223, FL , I 14, 4, S. 14; zu tanzen: nur in Brief XLVIII , 39, Strauch, S. 257, FL , I 44, 31, S. 28; zu smeken: ab Brief XXXVIII , FL , I 44, 61, S. 30; zu wiegen: als Nomen wiege existierend in Brief XXXVIII , 48, Strauch, S. 234, FL , I 44, 63, S. 30; zu wunden: ab Brief XXXIV , FL , I 3, 5, S. 9. Zu balsam: balsamsmack in Brief XLIV , 24, Strauch, S. 248, FL , I 16, 2, S. 14;

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Basler Exil viele Komposita mit minne, die das ›Fliessende Licht‹ ebenfalls häufig verwendet.119 Während die erwähnten Belege aber nicht unbedingt mit Mechthild in Verbindung gebracht werden müssen, könnten andere schon eher auf Entsprechungen im ›Fliessenden Licht‹ zurückgeführt werden, so z. B. der hohe bao v best, eschekuchen und ougen der selen;120 die erste und die dritte Metapher verwendet Heinrich in seinen ersten Briefen aus Basel.

Eine anschaulichere Parallele weisen die Briefe zu jenen Stellen auf, wo Mechthild zu Gott sagt: Herre, din wunder hat mich verwunden, din gnade hat mich verdruket. O du hoher stein, du bist so wol durgraben, in dir mag nieman nisten denne tuben und nahtegalen!121 und Gott zu ihr spricht: du bist min turteltube an diner su´fzunge.122 Ähnlich grüsst Heinrich Margaretha: Der wol nistenden turtteltauben in den minenden, bluewenden, berinden wunden irs liebs Jhesu, in den si mit seuftzen singet, das es so hoch erclinget [. . .].123 Diese Einleitung eines frühen Briefs aus Heinrichs Exil in Basel, die im Kapitel 3.4.3 unter die ›brautmystische Bildlichkeit‹ eingereiht wurde, könnte durch Mechthild inspiriert worden sein. Auch die lyrischen, mit Reimen durchsetzten Briefstellen könnten auf das ›Fliessende Licht‹

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zu ere: ab Brief XLII , FL , I 19, 3, S. 15; zu keyser: nur in Brief XLV , 22, Strauch, S. 250, FL , I 12, 2, S. 14; zu kussin: nur in Brief XXXVIII , 48, Strauch, S. 234, FL , I 19, 2, S. 15 (legerku´ssin); zu turteltube: ab Brief XXXIII , FL , I 34, 2, S. 24; zu zug: in Brief XLIV , 4, Strauch, S. 247 und LI , 48, ebd., S. 262, FL , I 29, 16, S. 23. Philipp Strauch gibt zum auffälligen Ausdruck kaiser für Gottvater in seinen Anmerkungen allerdings auch eine Parallelstelle in der ›Goldenen Schmiede‹ Konrads von Würzburg an: Strauch, S. 379 ad 22. e Vgl. etwa: minnen vol, minnen gere, minnen lust, minnen vulen, minnen tot, o minnen vliessen, minnen ruwen. FL , I 30, 2–8, S. 23. Auch wenn Heinrich das Wort minne in seinen verschiedenen Formen und Abwandlungen in allen Briefen gebraucht, fällt doch eine plötzliche Häufung ab Brief XXXIII auf. Zu der hohe babest für ›Gott‹ vgl. Brief XXXIII , 25, Strauch, S. 220 und FL , o VI 2, 13, S. 207; zu eschekuchen: Brief LI , 54, Strauch, S. 262, FL , II 25, 63, v S. 64; zu ougen der selen: Brief XXXVI , 51, Strauch, S. 231 (das inner aug), FL , VI 29, 3 f., S. 236. Ebd., I 14, 3–5, S. 14. Ebd., I 34, 2, S. 24. Das metaphorische Sprechen von der ›seufzenden Taube‹ kann auf eine Auslegung Bernhards von Clairvaux des Hohenlieds zurückgeführt werden; vgl. Schmidt, Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 352 ad 29. Brief XXXIV , 1 f., Strauch, S. 223; vgl. auch Kap. 3, Anm. 195. Der Gebrauch der Bezeichnung turtteltaube setzt mit dem zweiten Brief aus dem Basler Exil ein; vgl. Anm. 118.

Heinrichs Umgang mit dem Werk Mechthilds von Magdeburg

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zurückgeführt werden.124 Im ersten Jahr des Basler Exils beginnt Heinrich nämlich, in Versen mit Endreimen zu dichten.125 Diese Versbildungen sind stilistisch und inhaltlich eher dürftig geraten und hinterlassen den Eindruck, wir hätten es hier mit poetischen Versuchen zu tun – möglicherweise im Hinblick auf die Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ ins Alemannische. Auch die mystische Darstellungsform des Dialogs, welche die Gestalt des ›Fliessenden Lichts‹ wesentlich bestimmt,126 nimmt Heinrich in den frühen Briefen aus dem Exil auf, indem er in ihnen plötzlich Christus selbst (und nicht wie üblich Margaretha) anzusprechen beginnt.127 Eine frühe Beeinflussung der Briefe durch das ›Fliessende Licht‹ in Basel ist demnach durchaus möglich, aber aufgrund der genannten Parallelen nicht zwingend gegeben. Heinrich wird das ›Fliessende Licht‹ jedenfalls nicht immer so bewusst herangezogen haben wie für die Briefe XLVI und XLVIII , sondern konnte aufgrund seiner profunden, auf der Übersetzungsarbeit basierenden Kenntnisse assoziativ darauf zurückgreifen. Sicher ist also nur, dass Heinrich im Basler Exil schon früh mit neuer mystischer Literatur in Verbindung gekommen ist, deren Inhalt und Sprechweisen die Briefe beeinflusst haben. 4.3.8 Die vergleichende Lektüre als Eröffnung neuer Verstehenshorizonte Die Entsprechungen zwischen den Briefen und dem ›Fliessenden Licht‹ liegen vor allem in der Minnethematik und in ihrer unio-Zentrierung mittels marianischer und brautmystischer Bildlichkeit. Erstere ist in den Briefen Heinrichs – mindestens sprachlich – noch deutlicher akzentuiert als im ›Fliessenden Licht‹. Auch wenn er sich über das Werk Mechthilds sehr lobend äusserte und an dessen Übersetzung ins Alemannische mitarbeitete, darf der Einfluss dieser Schrift auf die Briefe nicht überschätzt werden: Der Fortgang dieses Kapitels wird zeigen, dass Heinrich gleichzeitig noch auf andere Werke zurückgriff. Um den Minne-Charakter seiner Briefe 124 Zu den poetischen Passagen bei Mechthild (mit Textbeispielen) vgl. Haas, Sermo mysticus, S. 128–135. 125 Vgl. besonders Brief XXXIV , 3 f., 6–9, 23–26, 31 f., 37 f. und 42–45, Strauch, S. 223 f., dessen Einleitung bereits zitiert wurde; vgl. Anm. 123. Vgl. dazu auch Brief XXXVIII , 24–35, Strauch, S. 234. 126 Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 258: »Der Dialog steht als die Mechthild gemässeste Darstellungsform gleichsam überall bereit.« 127 Vgl. Briefe XXXV , 15–52, Strauch, S. 226–228 und XLII , 17–21, ebd., S. 241.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

herauszuarbeiten, konnte er aus einem grösseren Fundus an mystischer Literatur schöpfen – sie wird hier ›geistliche Minneliteratur‹ genannt –, der auch Margaretha bekannt war. Der Vergleich mit dem ›Fliessenden Licht‹ darf darum die Sicht auf die Briefe Heinrichs nicht einengen, sondern soll sie auf Verstehenshorizonte hin öffnen, die erst in der Gegenüberstellung ersichtlich werden. Dies verdeutlicht exemplarisch Mechthild, die zu Christus sagt: Ich wil dich an min bettelin legen. Das bettelin ist alles pine. [. . .] Du solt mir, herre, min hu´ffe legen. Das wangeku´sse das ist min herzeleit [. . .]. Dis bettes dekki ist min gerunge, da mitte ich bin gebunden.128

Heinrich wird sich in Brief XXXVIII kaum an Mechthilds Textstelle angelehnt haben,129 da bei ihm das Christkind die Seele zur Ruhestatt fordert, im ›Fliessenden Licht‹ hingegen die Seele die Aufnahme Gottes anbietet. Wichtig in diesem Vergleich ist der Kontext des metaphorischen Sprechens von der Wiege im jeweiligen Werk. Bei Mechthild ist es jener der Eucharistie: Wie ein mensche sin herze sol besehen, eb das er ze gottes tische ge.130 Da in Brief XXXVIII die Bettmetaphorik mit der Erwähnung von Weihnachten – oder besser: der Inkarnation Gottes in der Seele – eingeleitet wird,131 kann auch bei Heinrich die Aufnahme Christi im für ihn offenen Menschen auf einem eucharistischen Hintergrund gelesen werden.

4.4 Heinrichs Briefe und Heinrich Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ Um auf Äusserungen und Erfahrungen Margarethas zu antworten, griff Heinrich von Nördlingen in seinen Briefen auch auf das Werk Heinrich Seuses zurück. Der Einfluss dieses dominikanischen Autors auf die Briefe ist allerdings nicht so deutlich, wie dies für das ›Fliessende Licht‹ gezeigt werden konnte. Es gilt darum zuerst, nach der Rezeption Seuses in den Briefen zu suchen.

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FL , VII 21, 31–36, S. 274. Zum Zitat aus Brief XXXVIII vgl. Kap. 3, Anm. 122. FL , VII 21, 1, S. 273. Vgl. Brief XXXVIII , 45 f., Strauch, S. 234.

Heinrichs Briefe und Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹

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4.4.1 Spuren einer Rezeption des ›Büchleins der Ewigen Weisheit‹ Richard Schultz hat die Briefstellen gesammelt, für die Philipp Strauch in seinen Anmerkungen Parallelen bei Seuse aufführt.132 Dabei scheint es aber zu einer Verkürzung dessen gekommen zu sein, was ursprünglich intendiert war: Während Strauch Seuse meist nur als einen möglichen Zeugen angibt, kam es bei der Sammlung dieser Belegstellen durch Schultz zu einer Betonung von Seuses Einfluss auf die Briefe, der so nicht gegeben ist. Die Parallelen lassen sich bei genauerer Prüfung genauso gut auf andere Autorinnen und Autoren oder auf einen Seuse und den Briefen ähnlichen Schreibstil zurückführen.133 Zum Teil sind die aufgeführten Übereinstimmungen aber schon bei Strauch selbst vorschnell hergestellt worden.134 Auch die Forschung behauptete meistens nur, der Stil Seuses hätte für die Briefsammlung eine Vorbildfunktion gehabt.135 Trotzdem dürfte nicht nur Seuses Stil eingewirkt haben. Eine einzige Belegstelle deutet auf eine Rezeption Seuses hin, die bei Philipp Strauch als solche erkannt, von Richard 132 Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 158, Anm. 147. Bei der ersten Briefstelle, die Schultz erwähnt, muss es sich um ein Versehen handeln, denn es lässt sich dafür bei Seuse kein Beleg finden. Für den Ausdruck ›das inerst marck seiner ewigen barmhertzigkeit und seiner minen‹ in Brief III , 25 f., Strauch, S. 172 gibt Philipp Strauch nicht etwa eine Vergleichsstelle bei Seuse an, sondern ein Gebet aus einer Hs. des 15. Jh.s: Strauch, S. 324 ad 25. Die Stelle in dieser Hs. lautet: [. . .] Vnd beger das das lebende marg dines got vereinten minnrichen hertzen vertrib [. . .]: Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften, gesammelt und zur Herausgabe vorbereitet von Wilhelm Wackernagel, Basel 1876 (Nachdruck Hildesheim 1964), S. 246, 103 f. 133 Zu Brief IV , 54–56, Strauch, S. 174 f. gibt Strauch noch andere Parallelen an: ebd., S. 325 ad 55, und auch für Brief XXXIII , 56, ebd., S. 220 wird Seuse neben Christine Ebner nur als Vergleich für das im Brief benützte Wort verseinten herangezogen: ebd., S. 360 ad 56. Der Beleg, den Strauch, ebd., S. 330 ad 44 zu Brief X , 44 anbringt, ist ein stilistischer und kein inhaltlicher. 134 Der Ausdruck kuchenbueblin in Brief XXXV , 9, ebd., S. 226 kann zwar mit Seuses Bezeichnung havendirne verglichen werden (vgl. ebd., S. 362 ad 9), doch drückt dieser Begriff im ›Briefbüchlein‹ Seuses nicht die bei Heinrich von Nördlingen beabsichtigte eigene humilitas aus, sondern erscheint in einem negativen Beispiel zur wahren Brautschaft Gottes; vgl. Brief IV , Seuse, S. 372, 23–25 und Grosses Briefbuch, XVIII , ebd., S. 461, 25–27. Auch die Stelle in Brief XLVIII , 40 f., Strauch, S. 257 (vgl. Kap. 3, Anm. 222), lässt an eine konkrete Bildlichkeit denken, die kaum von ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ (abgekürzt mit BdeW), VII , Seuse, S. 225, 1–3 beeinflusst ist. 135 Zu den Aussagen Walter Muschgs und Manfred Weitlauffs vgl. Kap. 1, Anm. 54 und 73.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Schultz aber übersehen wurde. Es handelt sich dabei um die Zeilen 35–37 aus Brief XXXV : nun han ich nit, so kann ich nit, so bin ich nit, wo mit mag ich min gelten dir?,136 die auf das Kapitel XVIII des BdeW zurückgehen, wo es heisst: Herr, nu bin ich nu´t, so enmag ich nu´t, so enkan ich nit. Owe herr, wie sol ich dir gedanken?137 Aus diesem frühen Brief des Basler Exils geht damit hervor, dass er dort mindestens assoziativ auf das Werk Seuses zurückgreifen konnte. Konkret lehnt er sich an das BdeW an, das (oder seine lateinische Version, das ›Horologium Sapientiae‹) er ja auch ausdrücklich erwähnt.138 Da es zudem von Margaretha in ihrem einzig erhaltenen Brief rezipiert wird,139 soll im Folgenden eine Lektüre des BdeW versucht werden, die sich auf einige für die Briefe wichtige Themen beschränkt. Eine Rezeption des BdeW bei Heinrich, die auf eigentliche Zitate fast vollständig verzichtet, muss in gemeinsamen Anliegen und Fragestellungen gesucht werden.140 4.4.2 Der gemeinsame Verstehenshorizont: Vom Leiden zur Verherrlichung Bei der vergleichenden Lektüre fallen zunächst die Unterschiede auf. Die Briefe sind kürzere Schreiben und enthalten mehrere Teile unterschiedlichen Charakters.141 Sie richten sich ausserdem an eine konkrete Adressatin – bezieht man die Anreden Elsbeth Scheppachs mit ein, sind es mehrere – und sind Teil eines Dialogs, der auf der Ebene des Textes notgedrungen durch die Perspektive des Absenders bestimmt ist. Inhaltlich binden die Briefe Margaretha in mystische Sprechweisen der Gottesminne ein: Die Briefe sind darum – vor allem in den Hauptteilen – von einer Grundstimmung der Liebe und der Seligkeit geprägt und streben nach der unio mystica. Demgegenüber geht es beim BdeW um eine lere,142 die inhaltlich von der betrahtung unsers herren marter und wie man sol lernen inrlich leben und 136 137 138 139 140

Strauch, S. 227. Seuse, S. 273, 18–20. Vgl. Kap. 7.5.2. Vgl. Kap. 6.1.3. Die ersten erhaltenen Briefe Heinrichs sind nicht wesentlich später als das BdeW geschrieben worden. Zur Datierung des BdeW vgl. Kap. 7, Anm. 198. 141 Im Bezug auf Seuses Werk können in den Briefen nur die Einleitung und der Hauptteil, nicht aber deren Schluss von Interesse sein. e 142 Prolog des Exemplars, Seuse, S. 3, 19: Daz ander buchli ist ein gemeinu´ lere [. . .]. »Das BdeW ist kein erbaulicher Traktat mit herzbewegender Wirkung. Es ist eine Lehre [. . .]«: Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 435. Ruh sieht in diesem Buch insofern keine erbauliche Schrift, als es ein theologisches Konzept auf-

Heinrichs Briefe und Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹

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selklich sterben und des gelich handelt,143 wie es der Prolog zum Exemplar ausdrückt. Die Lehre des Buches nimmt demnach das Thema des Leidens zum Ausgangspunkt.144 Das BdeW kennzeichnet einen anschaulichen Dialog, der zwar fiktiv und in sich abgeschlossen ist, doch Raum lässt für verschiedenartige Fragen und Antworten. Er wird als Kunstmittel herangezogen, um vor allem das Thema der geistlichen Vermählung als Geschehen zu vergegenwärtigen.145 Auf die Bitte des Dieners, der Herr möge sich besser zu erkennen geben, um wirklich geliebt werden zu können, antwortet die Ewige Weisheit schon zu Beginn, dass der Rückfluss aller Wesen zum Ursprung den Weg durch die niedersten in die höchsten Wesen nehmen müsse, so wie der Ausfluss durch die edelsten in die geringsten gehe. Und die Weisheit fügt an: [. . .] wilt du mich schowen in miner ungewordenen gotheit, so solt du mich hie lernen erkennen und minnen in miner gelitnen menscheit, wan daz ist der schnellest weg ze ewiger selikeit.146 In diesem Dialog kann sich die literarische Rolle des Dieners in wechselnden Gestalten zeigen: Er tritt als sündiger, vollkommener oder liebender Mensch auf.147 Heinrich von Nördlingen indessen stellt sich in den Hauptteilen seiner Briefe immer als unwürdigen Sünder dar. Da das BdeW eine Lehre von der Betrachtung des Leidens Christi ist, soll an dieser Stelle für die Gegenüberstellung mit den Briefen zuerst die

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weist und das Mitleid ablehnt: Die imitatio tritt an die Stelle der compassio: ebd., S. 440. Unter ›Lehre‹ darf aber nicht im modernen Sinne die Weitergabe von etwas Abstraktem verstanden werden, denn sie gilt bei Seuse dem konkreten Menschen und enthält auch autobiographische Notizen; vgl. Heinrich Stirnimann, Mystik und Metaphorik. Zu Seuses Dialog, in: Das »einig Ein«. Studien zu Theorie und Sprache der deutschen Mystik, hg. von Alois M. Haas u. Heinrich Stirnimann (Dokimion 6), Freiburg/Schweiz 1980, S. 209–280, hier: S. 225 und 218. Prolog des Exemplars, Seuse, S. 3, 19 – 4, 1. Für Paul Michel spricht das BdeW das Leiden auf zwei Ebenen an: Einerseits ist es für ihn ein Trostbuch, das menschliches Leid zu lindern sucht, andererseits versteht er es als Meditationsbuch, das helfen will, sich in die Passion Christi zu versenken: Heinrich Seuse als Diener des göttlichen Wortes. Persuasive Strategien bei der Verwendung von Bibelstellen im Dienste seiner pastoralen Aufgaben, in: Das »einig Ein« [wie Anm. 142], S. 281–367, hier: S. 330. Vgl. Haas, Sermo mysticus, S. 298. Heinrich Stirnimann gibt als hauptsächliche Quellen die Dialoge biblischer Schriften (Hiob, das Hohelied und die Psalmen) an: Mystik, S. 220. Kap. I , Seuse, S. 203, 8–10. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 436.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

grundlegende Funktion des Leidens bei Heinrich Seuse herausgegriffen werden. Beim Versuch, die Briefe Heinrichs von Nördlingen vom BdeW her zu betrachten, erstaunt gerade das fast vollständige Ausklammern des Leidens in ihnen. Doch konnte bereits für Brief XI gezeigt werden, dass Heinrich im ersten Hauptteil auf die Sehnsucht Margarethas nach seiner Anwesenheit antwortet – und damit auf ihr Leiden.148 In diesem Brief will sich Heinrich also nicht grundsätzlich mit dem Thema des Leidens auseinandersetzen, sondern auf eine konkrete Situation reagieren und sie in einen neuen Zusammenhang stellen. In dieser Vorgehensweise können die Briefe durchaus mit dem BdeW verglichen werden, wie das folgende Beispiel zeigt. Eine offenkundige Parallele zwischen den beiden Werken liegt nämlich in der gemeinsamen Bezugnahme auf das 16. Kapitel des Johannesevangeliums vor, dessen Bedeutung für die Briefe bereits aufgezeigt wurde.149 Das BdeW paraphrasiert diese Stelle ebenfalls. Auf die Aussage des Dieners hin: Herr, es tuot we, liep sich von liebe ze scheidenne,150 meint die Ewige Weisheit in Bezug auf die Jünger Christi: Und doch so muoste in min liplichu´ gegenwu´rtikeit enzogen werden, e daz su´ des geistes enphenklich weren.151 Und die Weisheit fügt hinzu: Waz sol da menschlich bisin hindernu´s geben! 152 Später kommt die Weisheit nochmals auf diesen Sachverhalt zurück. Nun aber charakterisiert sie damit das ›Spiel der Minne‹: Alle die wile liep bi liebe ist, so enweis liep nit, wie liep liep ist; swenn aber liep von liep gescheidet, so enphindet erst liep, wie lieb lieb waz.153 In diesem Sinne weist auch Heinrich von Nördlingen anhand der räumlichen Trennung Margaretha beispielhaft 148 Vgl. Kap. 2.4.1. Im Zusammenhang mit den ›Offenbarungen‹ Margarethas wird darüber hinaus ersichtlich, wie stark das Leiden den Dialog zwischen der Medinger Nonne und ihrem Seelenführer bestimmt; vgl. z. B. Kap. 6.2.3. 149 Vgl. Kap. 2.4.2. Im Gegensatz zu dieser Übereinstimmung bezüglich des gleichen biblischen Textes soll auf die unterschiedliche Ausdrucksweise der Klage aufmerksam gemacht werden. Bereits erwähnt wurde Brief XXVIII , der sich vor allem auf die Psalmen abstützt; vgl. Kap. 3.2.3. Auch im BdeW geht der Autor von Bibelversen aus, so z. B. von Psalm 17, 5 f.: circumdederunt me gemitus mortis: Kap. XXI , Seuse, S. 280, 10. Doch bleibt es bei diesem einen Vers, den Seuse danach noch paraphrasiert, um ihm mehrere Zeilen subjektiv gehaltener Klage folgen zu lassen. Was die Verbalisierung eigenen Leidens betrifft, greift Heinrich von Nördlingen in diesem Vergleich eher auf die objektive Sprache der Bibel (und der Liturgie) zurück als Heinrich Seuse. 150 Kap. VI , ebd., S. 220, 33. 151 Ebd., S. 221, 25–27. 152 Ebd., Z. 27. 153 Kap. IX , ebd., S. 234, 13–15.

Heinrichs Briefe und Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹

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auf das Wesen des Leidens hin, ohne es explizit zu nennen: Es ist Voraussetzung und Weg zur Einigung mit Gott. Dort, wo Heinrich das Leiden dennoch konkret einführt, beleuchtet er es ebenfalls aus der Perspektive der Gottesminne. So muss er bei einem Besuch in Medingen eine Veränderung an Margaretha festgestellt haben, die ihn zu folgender Aussage bewegt: [. . .] doch han ich gedacht, das dieser wunderbarlich wechsel und wandel, der an dir geschehen ist, ein zeichen sei des himelschen lebens, da alles truren, wie götlich das wer, ein end hat, und fröud und frid ir eigen rich hant. also ist dir von innerm lust liden unlidenlichen worden und lidestu doch deinen geminten geren.154

Die Darstellungen der liebenden Einigung mit Gott, welche die Briefe Heinrichs prägen, können auf dem Hintergrund des Leidens als dessen Ziel verstanden werden. Umgekehrt wird das Leiden seinerseits durch den finalen Charakter der verwendeten Bildlichkeit erhellt oder mit den Worten der Ewigen Weisheit: Dise anblik ist dir allein gezoeiget, daz du dar einen geswinden ker kunnest tuon in allem dinem lidenne, – sih, so kanst du niemer erzagen, – und vergissest alles dins leides [. . .].155 Auch das BdeW stellt demnach das Leiden in den Kontext des Minnegeschehens: Teti liden nit we, so hiesse es nit liden. Es ist nu´t pinlichers denn liden, und ist nu´t vroelichers denn gelitten han. Liden ist ein kurzes leid und ein langes liep.156 Konkret auf den leidenden Menschen bezogen heisst das: Liden machet mir den menschen minneklich, wan der lidende mensch ist mir o anlich. Liden ist ein verborgen gut, daz nieman vergelten kann [. . .]. Es machet uzzer einem irdenschen menschen einen himelschen menschen.157

Im Prolog des BdeW wird gesagt, dem Diener sei aus dem Nachsinnen über das Leiden ein Liebesspiel mit der Weisheit erwachsen, und zwar allein mit betrahtunge in dem lieht der heiligen schrift.158 Die Antworten, die das BdeW gibt, entstammen entweder dem Evangelium oder von grossen Lehrern.159 Auch formuliert Seuse, die im Buch geschilderten Gesichte hätten sich nicht in liplicher wise zugetragen, sondern seien allein ein usgeleitu´ 154 Brief XXXVII , 9–14, Strauch, S. 232. 155 Kap. XII , Seuse S. 246, 33 – 247, 3. Im hier zitierten Ausschnitt wird von der geswinden ker gesprochen. Die Briefe sprechen hinsichtlich Margarethas nie von der ker, da sie ja immer im Zustand der unio beschrieben wird. 156 Kap. XIII , ebd., S. 249, 22–25. 157 Ebd., S. 250, 25 – 251, 3. 158 Ebd., S. 197, 13–16. 159 Vgl. ebd., Z. 17–19.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

bischaft.160 Ebenso betrachtet auch Heinrich von Nördlingen die Anfragen und Leiden Margarethas immer wieder im Licht des Evangeliums (und allgemein der biblischen Bücher) und versucht unter Heranziehung verschiedenster Quellen, Margaretha in einem ›Liebesspiel‹ mit Gott darzustellen. Sind folglich die Hauptteile der Briefe, die meistens ganz um Margaretha kreisen, in gleichnishafter Weise zu verstehen und haben daher Beispielcharakter – für sie selbst und für andere? Die Untersuchungen zu den Briefen XI und XLVIII zumindest weisen in diese Richtung. Die Briefe Heinrichs und das BdeW kommen sich sowohl sprachlich als auch inhaltlich über ihren Minnegehalt nahe und werden hier darum beide zur Tradtion der ›geistlichen Minneliteratur‹ gezählt. Dies lässt sich etwa über den Ausdruck minnezeichen begründen, den Heinrich Seuse öfters verwendet. Diese Liebeszeichen bedeuten die fünf Wundmale Christi, charakterisieren aber auch (gleichsam als Zeichen der Bestätigung) den in der Leidensnachfolge stehenden Menschen. Dementsprechend bittet der Diener die Ewige Weisheit: Und dar umbe, min eingu´ vroede, so wise mich, wie ich dinu´ minnezeichen an allen minem libe getrage, in miner gehu´gde ze allen ziten habe [. . .],161 und die Ewige Weisheit antwortet ihm: Du solt dich und daz dine mir vrilich geben und niemer wieder nemen [. . .]: so sint din hende warlich an min kru´z genegelt [. . .].162 Heinrich von Nördlingen verwendet das Wort minnezeichen nur in Brief XXXIII , um Margarethas Leiden als gottgefälliges Liebeszeichen zu deuten: auch das binden, das dinen gesegenten gelidern geschechen ist, das schetz ich gar ain grosz minenzaichen, in der dich din lieb wunderlich beweiszet hat nach dinen minnenden begirden. in was minne er für dich erhangen und gebunden sei, baide an die sul und an das haillig creutz, das din sel basz verstat – als werlichen billich ist – dan ich.163

Hier erfahren Margarethas Leiden eine Deutung durch Heinrich,164 die jener des BdeW nahekommt. Der Ausdruck minnezeichen hat Heinrich sicher auch als Kompositum mit minne entsprochen, konnte doch bereits 160 Ebd., 22 f. 161 Kap. V , ebd., S. 215, 11–13. In der ›Vita‹ wird der Ausdruck auch für den ›Namen Jesu‹ gebraucht, den sich der Diener in die Brust einritzt; vgl. Kap. IV , ebd., 16, 1. 162 BdeW, V, ebd., S. 215, 17–20. 163 Z. 90–96, Strauch, S. 222. Der relative Anschluss in der macht deutlich, dass im Kompositum minenzaichen vor allem das erste Wortglied betont wird. 164 Vgl. auch Kap. 6.2.3.

Heinrichs Briefe und Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹

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gezeigt werden, dass er seine Quellen unter anderem aufgrund des minneGedankens auswählte oder diesem sprachlich anzugleichen versuchte.165 Auch Heinrich Seuse kennt den häufigen Gebrauch der Wörter minne, minnen und minneklich, sowie der Komposita minnezug, minnewort und minnespil.166 Auf diese Weise kann noch deutlicher eingegrenzt werden, wo sich die beiden Werke vor allem berühren: Die Briefe kommen dem BdeW dort nahe, wo dieses nicht das Leiden oder das Kreuz selbst, sondern die Minne zum Thema hat, in die das Leiden eingebettet ist. 4.4.3 Gemeinsames Modell der imitatio Christi: Maria Ein auf dem Weg der Betrachtung des Leidens Christi zum Ziel gelangter Mensch erhält bei Heinrich Seuse Prädikate wie ›himmlischer Mensch‹ oder ›kundiger Meister‹: Sich, emzigu´ betrahtunge mins minneklichen lidennes machet us einem einveltigen menschen einen hohen ku´nstrichen meister.167 Als ›himmlische Frau‹ wird ja auch Margaretha in den Briefen Heinrichs von Nördlingen immer wieder beschrieben und dies bewusst unter Einbeziehung marianischer Bildlichkeit.168 Dafür lassen sich ebenfalls aufschlussreiche Parallelen im BdeW finden. Der Gottesmutter kommt in diesem Werk ein besonderer Platz und darum auch der Lobpreis zu. Hier ist besonders auf das Kapitel XVI hinzuweisen, das den Titel Von dem wirdigen lobe der reinen ku´nigen von himelrich169 trägt. Maria wird darin mit ausnehmenden Worten geehrt,170 sie ist Trost der Betenden und Fürbitterin, wie dies in den Briefen von Margaretha gesagt wird.171 165 Vgl. Kap. 4.3.5. 166 Kap. VII , Seuse, S. 223, 1.12 und 225, 1. Der Titel dieses Kapitels lautet: Wie minnekliche got ist: ebd., S. 223, 2. 167 Kap. XIV , ebd., S. 256, 16–18. 168 Vgl. Kap. 3.3.2. 169 Seuse S. 262, 16. Bezeichnenderweise gibt es zwischen dem Kapitel XVII und den Briefen keine grösseren Parallelen. Jenes Kapitel handelt zwar auch von Maria, schildert aber die Gottesmutter in der Perspektive des Leidens: ebd., S. 268, 5. 170 Vgl. Kap. XVI , ebd., S. 263, 8–22. Der erste Satz dieser Stelle paraphrasiert die Antiphon ›Salve Regina‹, die auch in Zeile 23 wieder aufgenommen wird. 171 Vgl. Kap. XVI , ebd., S. 263, 31; vgl. auch Kap. 3.3.2. Weitere Parallelen zwischen Kap. XVI und den Briefen ergeben sich etwa über die Bildlichkeit vom Spiegel des ewigen sunnen glastes (vgl. Brief VI , 10–18, Strauch, S. 177 f., e Seuse, S. 263, 12) oder über das Sprechen vom hort der grundlosen gotlichen erbarmherzkeit: ebd., S. 263, 13, Brief XXXVIII , 30 f., Strauch, S. 234.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

In Brief XXXIII greift Heinrich auf das Buch Ester zurück, um sich auf die Kraft dieser Königin als Fürbitterin zu beziehen.172 Der Verkehr zwischen Ester und König Artaxerxes wird im Brief auf den Umgang Margarethas mit Gott übertragen. Weiter wird Esters Onkel Mordechai mit Christus in Beziehung gebracht. Auf folgende Weise führt Heinrich den Vergleich ein: Margaretha dürfe sich Gott ohne Furcht nähern. Dieser zeige sich ihr so liebend, als ob er sprech zu dir als kung Asswerung sprach zu Hester.173 Der König küsste und umfieng die Königin, nachdem Ester vor Furcht in Ohnmacht gefallen war. dise vorcht gefiel dem künig,174 kommentiert Heinrich die Passage. In den Zeilen 44–48 übersetzt er einen Ausschnitt aus dem Buch Ester, der mit dem Ausruf endet: ›beger was du wilt‹.175 Margaretha kann dem Brief gemäss für Heinrich bei Gott Fürbitte leisten, wie dies Ester bei König Artaxerxes vergönnt war. Heinrich drückt das aus mit dem Teilsatz die edel Hester, die als vil gesprochen ist als ain erhochte in dem volk, die mir gar aigenlich die minniglichen Margareten betütten ist und ir gleichen.176 Nachdem Heinrich noch den Galgen Mordechais mit dem Kreuz Christi verglichen hat, durch das Margaretha gelehrt wird, ihren Herrn nicht mehr zu fürchten, sondern zu lieben, kann er sie nun anhalten: bitte in, du liebe Hester, das er mit dir esse [. . .].177 Heinrich Seuse geht im Kapitel XVI des BdeW auf gleiche Weise vor, um die Kraft der Fürbitte Marias nachzuweisen.178 Mit der teilweisen Wiedergabe und Paraphrasierung des Buches Ester steht Heinrich von Nördlingen demnach in einer breiteren Tradition mystischen Sprechens über die Beziehung von Gott und Seele.179 Der Kontext dieser Bibelstelle im BdeW dürfte auch bei Heinrich gegeben sein, wenn dieser über die Figur der Ester Margaretha mit eindeutig marianischen Funktionen ausstattet.

Heinrichs Vorliebe für marianische Bildlichkeit muss mit ein Grund für die vielen Parallelen zwischen den Briefen und dem Kapitel XII des BdeW sein, das die Überschrift Von unmessiger vroede des himelrichs trägt.180 Nicht nur das Paradies, wie es die Ewige Weisheit schildert, lässt an die Briefe Heinrichs denken:181 172 173 174 175 176 177 178

Vgl. dazu auch Kap. 3.2.3. Z. 35 f., Strauch, S. 220. Ebd., Z. 41. Ebd., Z. 47 f. Ebd., Z. 48–50. Z. 75 f., ebd., S. 221. Bei Seuse kommt Ester diese Vollmacht allerdings wegen ihrer Schönheit zu (vgl. BdeW, XVI , Seuse, S. 266, 11–24), in Brief XXXIII ist es die Furcht der Königin, welche die Grösse des Königs herausfordert. 179 Auch Johannes Tauler greift in seinen Predigten dreimal auf die Geschichte der Königin Ester zurück, ohne damit allerdings die Fürbittgewalt einer bestimmten Person aufzuzeigen; vgl. z. B. Predigt 38, Tauler, S. 153, 3–15. 180 Seuse, S. 240, 16. 181 Vgl. Kap. 3.4.4.

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Nu lug selber uf die schonen himelschen heide [. . .]. Nu lug umb dich die unzallichen mengi, wie su´ uz dem lebenden usklingenden brunnen trinkent nach o aller ire herzen girde. Luge, wie su´ den lutren klaren spiegel der blozen gotheit an sterent, in dem in ellu´ ding kund und offenbar sint,182

sondern auch die Darstellung Marias, die über allem schwebt und sich auf ihren Geliebten neigt:183 o

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Verstil dich noch vu´rbaz und lug, wie du´ suz kunigin dez himelschen landes, die e du so herzklich minnest, mit wirdikeit und vroden obswebet allem himelschem o v her, geneiget von zartheit uf ir geminten, umgeben mit dien blumen der rosen 184 und dien lylien convallium.

Sowohl das obsweben Marias als auch ihre Körperhaltung Christus gegenüber – geneiget von zartheit uf ir geminten – erinnert an die als intim geschilderte Beziehung zwischen Margaretha und ihrem Geliebten.185 Werden die Beschreibung des herlichen hofes, in dem daz himelsch her wonet,186 und die Rede vom ingang in die wilden dazu genommen,187 sowie die Tatsache, dass dieses Eintreten in die wuesti und in das abgru´nde188 Gottes dort geschieht, wo sich die Seele im ufgang (und usgang) mit der blossen Gottheit vereinigt,189 so fällt die Übereinstimmung mit der Einleitung von Brief XLVI auf: Dem wol geminten kind gotz [. . .] enbüit ain groszer sünder und ain unwirdiger priester ain geistlich himelfart in allen fröuden mit himelscher geschellschaft von der wüesti diser welt, mit Marien geneigt uf das süsz hertz irs kindes, zeflieszend in aller wollust, wol enpfangen von allem himelschen hof, lieblich ein gefürt in die fröd deins heren, wunderlich gezieret den eren der heiligen driveltigkeit.190 182 Kapitel XII , Seuse, S. 242, 10–19. Im Apparat zum Ausdruck lebender usklingender brunne verweist Karl Bihlmeyer auf das Mittelbild des Genter Altares Jan van Eycks, worauf auch für die Briefe Heinrich von Nördlingen schon hingewiesen wurde; vgl. Kap. 3.4.4. 183 Vgl. Kap. 3.4.2 und 3.4.3. 184 Seuse, S. 243, 1–5. 185 In Kap. 3, Anm. 191 ist der Geliebte allerdings das Jesuskind. 186 Vgl. Seuse, S. 242, 3. 187 Ebd., S. 245, 10 f. Zum Nachweis des Wortes ›Wüste‹ bei anderen Autorinnen und Autoren vgl. Strauch, S. 301 f. ad 76, 18 f. 188 Vgl. Seuse, S. 245, 11. 189 Zu usgang und ufgang vgl. ebd., Z. 10; zur Vereinigung der Seele mit Gott vgl. ebd., Z. 5. 190 Z. 1–9, Strauch, S. 250 f. Auch hier meint himelfart nicht nur das in der Liturgie vergegenwärtigte Ereignis der Aufnahme Mariens in den Himmel. Es wird geistlich genannt. Damit wird mit Hilfe marianischer Bildlichkeit die

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Festgehalten wird hier diese Entsprechung, weil Brief XLVI als Kronzeuge für die Rezeption des ›Fliessenden Lichts‹ Mechthilds gilt.191 Das lässt vermuten, Heinrich hätte während der intensiven Beschäftigung mit Mechthild noch auf weitere Schriften zurückgegriffen. Das kann bedeuten, dass Heinrich verschiedene Werke gleichzeitig gelesen und für sein Gespräch mit Margaretha als bedeutsam beurteilt oder sich beim Lesen des ›Fliessenden Lichts‹ auch an das BdeW Seuses (oder ein anderes seiner Werke) erinnert hat, über dessen Inhalt er (nach meditativer und darum wiederholter Lektüre) frei verfügte. Der Vergleich zwischen der Bedeutung Marias im BdeW und jener Margarethas in den Briefen erlaubt auch folgende Feststellung: So wie Margaretha ihre erhabene Stellung erst in Abgrenzung zur Unwürdigkeit Heinrichs erhält, kommt im BdeW Maria ihre Würde explizit in Abgrenzung von der sündhaften Menschheit zu.192 Bei Seuse ist Maria zudem unmittelbar am Passionsgeschehen ihres Sohnes beteiligt und wird dadurch zum Modell des Menschen, der Gott auf dem Weg des Leidens nachfolgt.193 Damit kann über das Einsetzen marianischer Bildlichkeit im BdeW – wie auch für die Briefe Heinrichs – gesagt werden, es sei im Kontext der imitatio Mariae zu lesen. Aus den Vergleichen zwischen den Briefen Heinrichs von Nördlingen und dem BdeW Heinrich Seuses wurde trotz der skizzierten Unterschiede, die hauptsächlich auf die Gattungsverschiedenheit zurückgehen, ersichtlich, dass sich beide Autoren in wesentlichen Anliegen und Themen entsprechen. Die aufgeführten Übereinstimmungen in der marianischen Bildlichkeit weisen auf einen gemeinsamen Verstehenshorizont der vollkommenen imitatio Christi hin, die in Maria für jeden Menschen exemplarisch vorgegeben ist – in den Briefen vor allem für und über Margaretha.

unio mystica bezeichnet. Eine Parallele zum Ausdruck der wollust findet sich gerade anschliessend in Kap. XIII des BdeW, Seuse, S. 248, 16. 191 Vgl. Anm. 45. 192 Vgl. dazu Kap. XVI , Seuse, S. 264, 2–10. 193 Vgl. Michel, Heinrich Seuse, S. 355.

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4.4.4 Innerlichkeit als gemeinsamer Weg In Kapitel XVIII des BdeW findet sich die Vorlage für das bereits angeführte einzige Seuse-Zitat in den Briefen. Spätestens hier muss also von einer tatsächlichen Rezeption ausgegangen werden.194 Der Kontext des Kapitels ist gegeben mit der Frage des Dieners nach dem Befinden der ›edlen Seele‹ Christi zu der Zeit, als er am Kreuz hing.195 Den Ausdruck inner mensch, den Seuse hier verwendet, gebraucht auch Heinrich von Nördlingen öfters.196 Ansonsten scheint das Kapitel in den Briefen nicht weiter reflektiert worden zu sein.197 Indessen könnte das Thema des ›inneren Menschen‹ bei Heinrich einen Satz aus diesem Kapitel in Erinnerung gerufen haben. Das Interesse an der Innerlichkeit möchte auch Kapitel XXIII aus dem BdeW evozieren, dessen Überschrift lautet: Wie man got minneklich enphahen sol.198 Wie schon im Titel angedeutet, ist das Kapitel vom Thema der Minne geprägt. Wenn davon die Rede ist, Seuses Stil sei ein Vorbild für jenen der Briefe Heinrichs, so trifft das vor allem für dieses Kapitel zu. Darin antwortet die Ewige Weisheit dem Diener: Si sol mir singen des gesanges von Syon, daz ist ein inbru´nstiges minnen mit einem grundlosen lobenne; denne wil ich si umbvahen, und si sol sich uf min o v herze neigen. Werde ir da ein stilles ruwen, ein bloszes schowen, ein ungewone lichs niessen, ein vorsmak ewiger suzikeit und ein enphinden ewiger selikeit [. . .].199 194 Zum Zitat in Brief XXXV und in der Vorlage vgl. Anm. 136 f. 195 Vgl. Seuse, S. 272, 7 f. 196 Vgl. Briefe V , 14, Strauch, S. 176; XXIX , 5, ebd., S. 213 und LII , 22 f., ebd., S. 265. Sowohl hier als auch in Brief LXVI , 16, ebd., S. 280 muss das Sprechen vom ›inneren Menschen‹ in seiner Ergänzung zum ›äusseren Menschen‹ gelesen werden, wie das auch die Ewige Weisheit in Kap. XVIII des BdeW, Seuse, S. 272, 16 tut. v 197 Eine Ausnahme kann im Teilsatz in einem schowenne und niessenne der blozen gotheit als adellich, als si nu ist (ebd., S. 272, 14 f.) gesehen werden, dessen Wörter in den Briefen ebenso zugegen sind, dort aber nicht mehr, um Christus zu beschreiben, sondern für die Darstellung Margarethas in der unio; vgl. Briefe XXXVI , 61, Strauch, S. 231; XLVII , 5, ebd., S. 253. Zum Adjektiv bloz: Brief XLVII , 4, ebd., S. 253; zum Adjektiv adellich: Brief XXXVI , 34, ebd., 230. 198 Seuse, S. 290, 10. Für Alois M. Haas geht es im BdeW »um Anleitungen dafür, wie ein am Inneren orientiertes Leben gefüllt werden soll«: Seuse lesen, in: Mystik, hg. von Christoph Cormeau (ZfdPh 113. Sonderheft), Berlin 1994, S. 245–272, hier: S. 255. 199 Seuse, S. 297, 5–9.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Wir haben es hier mit der Tendenz Seuses zu tun, »Metaphern weiterzuspinnen oder zu amplifizieren, und die so entstandene ›metaphora continuata‹ zu vertexten«.200 Bei Heinrich von Nördlingen sind diese Aneinanderreihungen noch ausgeprägter: ich winsch dir ze stüir zu diser heiligen zit [. . .] ain minenden geist, [. . .] ein wises schawen [. . .] ein früintlichs enpfahen, [. . .] ein zartlichs niessen, [. . .] ein parmhertzigs umbfahen [. . .].201 Hier wurde erneut aus Brief XLVI zitiert, für dessen Einleitung bereits die Nähe zum Sprechen Heinrich Seuses betont wurde, der aber auch eine Bedeutung für die Rezeption des ›Fliessenden Lichts‹ hat.202 Wenn auch die Übereinstimmungen im Vokabular hinzugenommen werden,203 treten die Beziehungen des Kapitels XXIII aus dem BdeW zu den Briefen XLV , XLVI und XLVII hervor. Auch thematisch lassen sich Entsprechungen festhalten. Auf die Frage der Ewigen Weisheit: waz ist daz, daz under allen minneklichen dingen einem minnenden herzen von sinem geminten aller minneklichest ist?204 antwortet der Diener: sin geminter selb selber und sin minneklichu´ gegenwu´rtkeit.205 Auch Heinrich von Nördlingen schreibt Margaretha, seine Abwesenheit ermögliche ihr die Gegenwart Gottes.206 Die liebende Gegenwart Gottes nun sieht Seuse im Sakrament der Eucharistie gegeben, dem eigentlichen Thema des Kapitels XXIII . Einerseits erklärt die Ewige Weisheit explizit, wie es um die Präsenz Christi im eucharistischen Brot steht,207 andererseits können die Metaphern dieses Kapitels schon vom Titel her eucharistisch gedeutet werden. Heinrich von Nördlingen seinerseits gibt keine Theorien der Realpräsenz Christi in der Eucharistie – das dürfte 200 Michel, Heinrich Seuse, S. 293. Zum assoziativen Vorgehen bei Seuse vgl. ebd., S. 290 f. 201 Brief XLVI , 9–20, Strauch, S. 251. 202 Vgl. Anm. 45. 203 Der vorhin bei Seuse zitierte, sonst aber selten verwendete Ausdruck vorsmak (vgl. Anm. 196; Seuse gebraucht ihn nur noch einmal; vgl. Grosses Briefbuch, XXII , Seuse, S. 472, 15) findet bei Heinrich von Nördlingen in der gleichen Wortkonstellation wie bei Seuse Verwendung: Er spricht vom vorsmack aller himlischen siessigkeit: Brief XLVII , 23 f., Strauch, S. 254. Die im Kapitel XXIII des BdeW gleich zweimal verwendete Bezeichnung keiser für Gott wird (ausschliesslich) in Brief XLV eingesetzt, wo Christus als der ›Sohn des ewigen Kaisers‹ bezeichnet wird: Z. 22, ebd., S. 250, im BdeW: Seuse, S. 296, 12 und 15. 204 Ebd., S. 291, 4 f. 205 Ebd., Z. 7 f. 206 Vgl. etwa Kap. 2.4.1. 207 Vgl. Seuse, S. 291, 19–23.

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nicht den Funktionen seiner Briefe entsprechen –, sondern verwendet eine Bildlichkeit mit stark eucharistischen Bezügen, um die Vereinigung zwischen Margaretha und ihrem Geliebten darzustellen.208 Der Vergleich mit dem BdeW weist somit auf einen eucharistischen Bedeutungshorizont vieler Briefstellen hin, wie er bereits im letzten Kapitel angedeutet wurde.209 Nicht die Eucharistie als liturgische Feier, sondern die unio mystica unter Heranziehung eucharistisch geprägter Bildlichkeit steht für Heinrich im Zentrum des Interesses. Dafür fordert er von Margaretha (und Elsbeth Scheppach) die notwendige Innerlichkeit – ein Anliegen, das auch das BdeW prägt.210 In den ›Hundert Betrachtungen‹ gibt Seuse sogar klare Angaben zur Vorbereitung der inneren Andacht: Swer begert, kurzlich, eigenlich und begirlich kunnen betrachten [. . .], der sol dis hundert betrahtunge [. . .] usnan lernen und andechtklich mit hundert venjen, o oder wie es im aller best vuget, alle tag u´bergan, und ze ieder venje ein Pater noster sprechen, oder ein Salve regina oder aber ein Ave Maria, da es u´nser e vrowen an gehort.211

Bei den ›Hundert Betrachtungen‹ handelt es sich um Vergegenwärtigungen des Leidens Christi. Gerade weil sie vom Gebet begleitet werden,212 sind sie von einer meditativen Grundhaltung geprägt: Sie laden zum persönlichen Nachvollzug ein.213 Schon die Überschrift zu den ›Hundert Betrachtungen‹ fordert, dass man su´ alle tag mit andacht sprechen sol.214 In dieser Forderung finden sich Übereinstimmungen mit den Briefen Heinrichs, so 208 Vgl. Kap. 3.4.3 und 3.4.4. 209 Zur eucharistischen Deutung einiger Briefstellen vgl. Kap. 3.4. Zwar gebraucht Heinrich in vier Briefen den Terminus sacrament, doch stellt er ihn dort, wo er ihn verwendet, nicht ins Zentrum seines Interesses: Briefe XIV , 31, Strauch, S. 191 (auf diesen Brief muss zurückgekommen werden, da er in dieser Reihe ein Ausnahme bildet; vgl. Kap. 6.4.5); XVII , 21, Strauch, S. 198; XXXV , 42 f., ebd., S. 227 und XL , 15, ebd., S. 236. 210 Vgl. etwa Kap. XXIV , Seuse, S. 306, 15–17. Aus der Stelle Kap. XIX , ebd., S. 276, 16–19 leitet Paul Michel die Vermutung ab, das Begehren, betrachten zu können, sei selbst das Ziel des Verlangens jedes Menschen, der Gott (wie Maria) nachfolgt: Heinrich Seuse, S. 355. 211 Seuse, S. 314, 11–19. 212 Vgl. dazu auch BdeW, Prolog, ebd., S. 198, 6–8: [. . .] vil stat hie in lerewise, daz ein vliziger mensche im selben us kiesen sol ze andehtigen gebeten. 213 Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 436. »Die Nachfolge als solche ist der Heilsweg zur ewigen Seligkeit«: ebd., S. 438. 214 Seuse, S. 314, 10.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

etwa in jenem an die Priorin Elsbeth Scheppach: disz vindent ir in der inren andacht ewers teglichen inkers ze gott.215 Der gleichen Priorin lässt er ausrichten: ich beger der geminten priorin ains innern warnemens ir selbs und aller der sach, die ir got enpfolhen hat, teglichs, als si morgens ze kricht solt stan und red und rechnung got gethon solt: das machit got furchtendi [. . .].216

Und wenn Heinrich an Margaretha schreibt: und dar zu ist euch nichtz bessers und nutzers, wan das ir teglich ze minsten ainüst euch von allen dingen kerint in euch selber und gangint in dem gelait des reichen verdinends unsers lieben heren Jhesu Christi [. . .],217

so empfiehlt er ihr die tägliche Betrachtung – und damit die Innerlichkeit –, wie dies das BdeW tut.218 4.4.5 Der Eintritt in die Gottesminne als gemeinsames Ziel Aufgrund eines Zitats und von Paraphrasen, aber auch auf der Ebene des Stils und einzelner Metaphern darf ein Einfluss des BdeW auf die Briefe Heinrichs angenommen werden. Diese Feststellung ist insofern wichtig, als sie das BdeW als Bestandteil der Lektüre und des Gesprächshorizonts Heinrichs und Margarethas belegt und etwas über die Anliegen des mystischen Dialogs in den Briefen sagt. Es konnte gezeigt werden, dass die Briefe dem BdeW besonders dort nahe kommen, wo nicht die Passion in den Vordergrund gestellt wird, sondern die Freude der Vollendung (vor allem am Beispiel Marias) und das Sakrament der Eucharistie. Zudem beschreiben das BdeW und die Briefe ein gemeinsames Ziel: den Eintritt in den Raum der göttlichen Minne. Dies besagt etwa der folgende Satz, der als hermeneutischer Schlüssel für das BdeW verstanden werden kann: Dis buechlin, daz da heisset der Ewigen Wisheit buechli, dez sin ist, die goetlichen minne, du´ in disem jungsten zite beginnet in mengem herzen erloeschen, in etlichen wider enzu´nden.219 Um dieses Ziel zu erreichen, empfehlen Hein215 216 217 218

Brief LXV , 17 f., Strauch, S. 279. Brief LI , 90–93, ebd., S. 263. Brief XLIII , 75–78, ebd., S. 245. Vgl. Weitlauff, dein got redender munt, S. 325: »Was er suchte und auf seine Art predigte [. . .] war Innerlichkeit.« Wie Margaretha ihre Betrachtungen vornehmen soll, lässt sich am ehesten den Bemerkungen entnehmen, die Heinrich zum Lesen des ›Fliessenden Lichts‹ macht; vgl. Kap. 5.2. 219 BdeW, Register, Seuse S. 324, 3–5.

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rich Seuse und Heinrich von Nördlingen ihren Leserinnen die Innerlichkeit in der täglichen Betrachtung.220 Sie unterlegen ihren Anliegen die stärkste Bildlichkeit, die ihnen für das innerliche Einswerden zwischen Gott und dem Menschen zur Verfügung stand: die eucharistische. In der Figur Marias ist diese unio modellhaft verwirklicht. Ihre Rolle konnte in diesem Kapitel neben dem Thema der Minne – oder vielmehr: mit diesem aufs Engste verbunden – als jenes Kriterium herausgearbeitet werden, das für Heinrich bei der Wahl seiner Quellen bestimmend war. Im Unterschied zum BdeW wird die marianische Bildlichkeit in den Briefen aber dem Bild einer konkreten Leserin – Margaretha – unterlegt, die damit selbst exemplarisch den verinnerlichten Menschen in der Gottesminne verkörpert. Heinrich von Nördlingen verfasst seine Briefe als Antworten auf die Erfahrungen und Anfragen Margarethas. In der Gegenüberstellung mit dem BdeW, in dem das Leiden als sinngebende Voraussetzung für den Eintritt in die göttliche Minne zuerst eingeführt und erklärt wird, kann für die Briefe klarer akzentuiert werden, in welchem Masse sie Deutung der Leiden Margarethas sind. Was die Bezugnahme auf das Leiden betrifft, unterscheiden sich das BdeW und die Briefe demnach nicht in der Sinngebung, sondern in der Vorgehensweise.221 Den Briefen sind die Reflexionen über das Leiden bereits vorausgegangen und auch Margaretha vertraut, so etwa aus der Lektüre geistlicher Literatur in der Art des BdeW und im 220 Auch beim BdeW dürften vor allem Nonnen die primären Rezipientinnen gewesen sein. 221 Auffallend bei der Gegenüberstellung der beiden Schriften ist, dass Kapitel XIII des BdeW und das Schlussgebet aus Kapitel XXIII , die in der Rezeptionsgeschichte eine besondere Stellung einnehmen, offenbar auf Heinrichs Briefe keinen Einfluss gehabt haben. Seuses BdeW gehörte im 14. und 15. Jh. zu den verbreitetsten Werken; vgl. Alois M. Haas und Kurt Ruh, Seuse, Heinrich OP , in: 2VL 8 (1992), Sp. 1109–1129, hier: Sp. 1122. Es ist zusätzlich zu seiner Streuung als Bestandteil des ›Exemplars‹ in mindestens 232 Hs. überliefert, wozu noch eine unübersehbare Menge an Einzelüberlieferungen des Gebets aus dem Kapitel XXIII und der ›Hundert Betrachtungen‹ kommt. Einzelne Sätze aus dem Kapitel XIII wurden in Kompilationen zum Thema Leiden integriert; vgl. Rüdiger Blumrich, Die Überlieferung der deutschen Schriften Seuses. Ein Forschungsbericht, in: Heinrich Seuses Philosophia spiritualis. Quellen, Konzept, Formen und Rezeption. Tagung Eichstätt 2.– 4. Oktober 1991, hg. von Rüdiger Blumrich und Philipp Kaiser (Wissensliteratur im Mittelalter 17), Wiesbaden 1994, S. 189–201, hier: S. 193. Gerade in Bezug auf das fehlende Interesse Heinrichs an Kapitel XIII kann nochmals gezeigt werden, dass in den Briefen der expliziten Thematisierung des Leidens keine Bedeutung beigemessen wird.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

persönlichen Austausch – beides im Rahmen der cura monialium, dem bestimmenden Kontext des die Briefe begleitenden Diskurses.

4.5 Die Visionärinnen von Helfta Bei der Bestimmung der gekennzeichneten Zitate von Autoritäten in den Briefen Heinrichs von Nördlingen sind mit einer Ausnahme alle gegenwärtig verifizierbaren Quellen herangezogen worden.222 Das letzte noch zu untersuchende Zitat verweist uns auf den ›Liber specialis gratiae‹ Mechthilds von Hackeborn.223 4.5.1 Ein Vergleich mit dem ›Liber specialis gratiae‹ Dieses Zitat, das Heinrich in Brief XLIV einer ›liebenden Seele‹ zuschreibt, gibt er als einziges lateinisch wieder.224 Es ist Kapitel I , 5 des ›Liber‹ entnommen.225 Nachdem Kapitel 1 desselben Buches von der Verkündigung des Engels an Maria ausgegangen ist und die Kapitel 2–4 an der Liturgie des 222 Vgl. Kap. 4.2. 223 Mechthild trat 1241 siebenjährig in das Zisterzienserinnenkloster Helfta ein, das ihre ältere Schwester Gertrud ab 1251 als Äbtissin führte. Mechthild genoss eine gute Ausbildung, wurde Leiterin der zur Abtei gehörenden Schule und Kantorin des Klosters. Als 1261 die fünfjährige Gertrud (später die Grosse genannt) eintrat, wurde Mechthild deren Lehrerin und Vertraute. Während etwa acht Jahren war Mechthild bettlägerig, bevor sie am 18. November 1298/99 starb. In dieser Zeit ihrer Krankheit vertraute sie ihrer Schülerin Gertrud und einer weiteren Schwester ihre Visionen an. Die beiden Mitschwestern schrieben Mechthilds Berichte auf und stellten sie zu einem Werk, zum ›Liber‹, zusammen, wobei nur dessen ersten fünf Bücher auf Mechthild zurückgehen, die Autorschaft der Bücher VI und VII hingegen alleine in die Verantwortung der beiden Schreiberinnen gehört; vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 299–301 und 304. 224 Zum Zitat vgl. Anm. 34. 225 Zur Textausgabe: Revelationes Getrudianae ac Mechthildianae. Bd. II : Sanctae Mechthildis virginis ordinis Sancti Benedicti Liber Specialis Gratiae, Opus ad codicum fidem nunc primum integre editum Solesmensium O. S. B. monachorum cura et opera, Paris 1877, S. 1–421 (im Folgenden abgekürzt mit Liber), hier: S. 14–21. Die Solesmer Ausgabe orientiert sich an einer Hs. aus Wolfenbüttel; vgl. Liber, S. VIII f. Entgegen der Ansicht von Alois M. Haas geht Kurt Ruh von einer Erstaufzeichnung in lateinischer Sprache aus: Geschichte, Bd. 2, S. 301. Als Übersetzung wird verwendet: Das Buch der geistlichen Gnaden. Aufzeichnungen aus dem beschaulichen Leben der gottseli-

Die Visionärinnen von Helfta

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Advents anknüpfen, nimmt Kapitel 5 Bezug auf das Weihnachtsfest. Es versucht nicht, das Weihnachtsgeschehen als historisches Ereignis, sondern als geistige Vereinigung wiederzugeben, in die Mechthild über das Mittel der Betrachtung einbezogen wird. Durch das dreimalige Küssen des Kindes wird Maria im Verlaufe des Kapitels mit der Dreifaltigkeit in einer Art vereinigt, quantum unquam homini possibile fuit uniri Deo sine personali unione.226 Mechthild selbst deutet dieses Geschehen als ein geistiges. Sie sieht die Geburt Christi auf einem Berg sich ereignen, von dem es danach heisst: Per hunc montem spiritualis habitus praefigurabatur, qui durus et asper in hoc saeculo videtur, quem Christus cum matre sua primi ostenderunt, hominibusque exemplum verae Religionis tradiderunt.227 Als Mechthild (es ist hier von der ›Seele‹ die Rede) das Begehren verspürt, das Kind ebenfalls küssen zu können, übergibt es ihr die Gottesmutter, und die Seele empfängt es mit Worten, »die sie vormals nie gedacht hat«228: »Salve, paterni cordis medulla dulcissima, languentis animae meae sagina et refectio beatissima. Tibi offero cordis et animae meae medullam in aeternam laudem et gloriam.«229 In Heinrichs Brief XLIV ist der Kontext nicht Weihnachten, sondern die Fastenzeit,230 weshalb er das Zitat zuerst in seinen neuen liturgischen Rahmen einführen muss: Dem lieben [. . .] entbeut ir unwirdiger freund in got einen andechtigen grusz, den ain meinendu sel an dem wihennachttag in ainem himelschen zug dem neugebornen kind gab. do es sein mutter diszer sel in dem geist an iren armen

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gen Jungfrau Mechtildis von Helfeda (Reliquien aus dem Mittelalter III /2), Regensburg 1857 (im Folgenden abgekürzt mit Gnadenbuch). Liber, I 5, S. 15. Ebd. Gnadenbuch, S. 20: »Durch den steinigen Berg aber wird vorgebildet das geistliche Leben, das da scharf und hart in dieser Welt bedünket, jenes Leben, welches Christus mit seiner Mutter am ersten gezeigt und den Menschen darin ein Beispiel wahrer Geistlichkeit gegeben hat.« Ebd. Liber, I 5, S. 16. Gnadenbuch, S. 20: »Sei gegrüsset du Mark des väterlichen Herzens, allerliebste Fülle und selige Erquickung meiner schwachen Seele! Ich opfere dir das Mark meines Herzens und meiner Seele zu einem ewigen Lobe und ewiger Ehre.« Liber, I 5 als Quelle für das Zitat in Brief XLIV hat bereits M. Zieger ausfindig gemacht und dabei Heinrichs Vorlage in die Nähe der St. Galler Hs. (zu dieser Hs. vgl. Liber, S. IX f.) gestellt; vgl. Margot Schmidt, Mechthild von Hackeborn, in: 2VL 6 (1987), Sp. 251–260, hier: Sp. 253. Philipp Strauch datiert diesen Brief in die Fastenzeit 1346: Strauch, S. 376, Vorbemerkung.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

gab und si es kuszet und in ir hertz trucket, do sprach si ze latin disze wort, die sie vor nie gehört het: ›Salve [. . .].231

Wenn Heinrich danach schreibt, das ›Mark des väterlichen Herzens‹ sei der Sohn, der hailsam, stercken und von inner süszigkeit smackhaft ist,232 dann folgt er auch hier seiner Vorlage, in der Mechthild eingegeben wird, Christus sei die medulla paterni cordis und als solche confortativa, sanativa und dulcedo suavissima.233 Anschliessend baut Heinrich seine eigentlichen Beweggründe für die Übernahme dieses Zitates ein, wenn er fragt, wer besser verwunden und heilen könne als die tiefen durchgründend minende griffe234 und wer besser jene Kraft nehmen und geben könne, die nicht nur Widerwärtigkeiten auszuhalten, sondern Gottes Liebe zu tragen weiss.235 Damit interpretiert Heinrich Erfahrungen Margarethas als heilsamen ›Griff der Minne‹ und als Liebeserweis, den sie in der Kraft Christi ertragen kann.236 Heinrich erweitert dafür den ›Liber‹, in dem es heisst, der Vater habe uns seinen Sohn als »Kraft« und »allerlieblichste Süssigkeit« zum Trost gegeben,237 indem er trost, lust, freud, spil, kurtzwil und aller wüne zarthait aufzählt, die aus dem suszen marck der ader und des hertzen Jhesu Christi fliessen können.238 Margaretha schöpft dem Brief gemäss von der innersten Kraft Gottes, wenn sie in der Läuterung ihrer Leiden durch den Griff der Minne ihr Innerstes Gott darbringt. Heinrich begreift Mechthilds Ausspruch vom ›Opfer des Markes ihres Herzens und ihrer Seele‹239 als das iner opfer des geistlichen marcks Margarethas, in dem diese ausserhalb Gottes nichts mehr ist noch hat.240 Er hat sich damit vom ursprünglichen Kontext des Zitates bei Mechthild entfernt, bei der die Freude über die Christusbegegnung in der Weihnachtsnacht bestimmend ist, ohne aber den weihnachtlichen Kontext ganz zu verlassen: dar umb bistu im gotlich als er dir menschlich worden ist [. . .].241

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Z. 1–7, ebd., S. 247. Hierauf folgt das Zitat. Vgl. Z. 12 f., Strauch, S. 247. Liber, I 5, S. 16. Z. 15, Strauch, S. 247. Vgl. Z. 16–20, ebd., S. 247 f. Zum ›Minnegriff‹ in den ›Offenbarungen‹ Margarethas vgl. Kap. 6.2.5. Vgl. Liber, I 5, S. 16, hier in der Übersetzung von: Gnadenbuch, S. 21. Z. 21–23, Strauch, S. 248. Vgl. Anm. 34. Vgl. Z. 29 f., Strauch, S. 248. Ebd., Z. 28 f.

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Heinrich gibt der Rede vom ›Mark‹ bei Mechthild – offenbar angeregt vom Verb offere – auch eine eucharistische Dimension: [. . .] das du im mit im und in im usz deinen und seinen liebsten uf treist in sein lob und in sein ere, als die vor geschriben sel sprach etc.242 Hier weist sich Heinrich als Priester aus, der einen Teil der Schlussdoxologie des eucharistischen Hochgebetes zitiert und Margaretha dadurch mit priesterlichen Funktionen ausstattet: Sie soll ihr Opfer und jenes anderer Personen Gott wie der Priester in der Feier der Messe darbringen.243 Es stellt sich nun mit der Bestimmung dieses Zitates die Frage, inwieweit die von Heinrich herangezogene Quelle auch sonst noch einen Einfluss auf die Briefsammlung hat.244 Nach einem ersten Einblick in den ›Liber‹ – und nur darauf soll sich die Lektüre im Hinblick auf die Briefe beschränken – fallen zunächst strukturelle Elemente auf, die in den Briefen (und vor allem in Margarethas ›Offenbarungen‹) gefunden werden: Fast alle Mitteilungen Mechthilds sind in den Rahmen der Liturgie eingebunden, die Darstellungsweisen ihrer Erfahrungen entspringen dem kirchlichen Offizium,245 so wie ja auch Heinrich oft die Liturgie zum Ausgangspunkt seiner Briefe macht. Ferner ist vor allem auf die brautmystische Natur des ›Liber‹ hinzuweisen,246 der vom vertrauten Umgang mit Christus berichtet.247 Prädikate, die 242 Ebd., Z. 30 ff. 243 Die Doxologie lautet: per ipsum et cum ipso et in ipso, est tibi deo patri omipotenti, in unitate spiritus sancti omnis honor et gloria. Per omnia secula seculorum: Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 118, fol. 140ra-b. Die Begriffe laus und gloria, die Heinrich bei Mechthild vorgefunden hat, erhalten im Brief unvermittelt die Bedeutung von honor und gloria der genannten Doxologie. 244 Siegfried Ringler meint in Bezug auf die Engelthaler Gnadenviten, diese müssten mit den mystischen Schriften von Helfta in einem inhaltlichen und sprachlichen Zusammenhang betrachtet werden: Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 225 f. u. 373. Werden in Brief XLIV nicht nur das Zitat, sondern auch die Paraphrasierungen und Anlehnungen an den ›Liber‹ mitberücksichtigt, kann Brief XLIV in seiner Grundaussage auf den ›Liber‹ zurückgeführt werden. Rein numerisch gerechnet ist dessen Einfluss auf die Briefe Heinrichs damit grösser als jener des BdeW. 245 Vgl. Margot Schmidt, Elemente der Schau bei Mechthild von Magdeburg und Mechthild von Hackeborn. Zur Bedeutung der geistlichen Sinne, in: Frauenmystik im Mittelalter [wie Kap. 1, Anm. 74], S. 123–146, hier: S. 146. Zur Liturgie als strukturierendem Element in den ›Offenbarungen‹ Margarethas vgl. Kap. 6.2.2. 246 McGinn, Die Mystik, S. 473. 247 Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 303. Zu einer unio-Erfahrung mit der ganzen

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auf die marianisch geprägte Auslegung des Hohenliedes zurückgehen und die im dritten Kapitel dieser Arbeit bereits bestimmt wurden,248 finden sich im ›Liber‹: »Ego tecum manebo, quasi pater cum filio [. . .]. Secundo ero tecum quasi amicus cum amico [. . .]. Tertio tecum ero sicut sponsus cum sponsa, inter quos nulla potest esse divisio, nisi infirmitate disjungantur. [. . .] Quarto, tecum manebo, velut socius cum socio.«249

Der ›Liber‹ stellt die Braut dar, wie sie mit ihrem Bräutigam auf demselben Lager liegt und diesen mit ihren Armen umfängt250 oder wie sie sich an die Brust ihres geliebten Herrn lehnt.251 Verbunden wird diese Brautmystik mit einer ›Wundenmystik‹, wo die leidende Seele durch die Herzenswunde ins göttliche Herz eintreten und dort mit ihrem Liebhaber auf dem Bett der Schmerzen liegen darf.252 Mechthilds Ehrfurcht vor der Menschheit Jesu zeigt sich aber nicht nur in der für Helfta sehr wichtigen Verehrung des Herzens Christi,253 sondern auch in der imitatio Mariae et sanctorum.254 Ganz im Gegensatz zu Heinrichs Briefen ist im ›Liber‹ jedoch eine intellektuelle Distanz und ein Hang zum Didaktischen zu spüren, die

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Dreifaltigkeit kommt es im Liber, I 24 nur einmal: Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 309. Hingegen wird Christus nie ohne Beziehung zur ganzen Dreifaltigkeit eingeführt: »Es gehört zum personalen Zug dieser Mystik, dass sie die Gestalt Christi nicht isoliert in den Blick bekommt, sondern diese integriert in die Schau der göttlichen Dreifaltigkeit«: Alois M. Haas, Mechthild von Hackeborn. Eine Form zisterziensischer Frauenfrömmigkeit, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit. Ergänzungsband, hg. von Kaspar Elm, Köln 1982, S. 221–239, hier: S. 225. Vgl. Kap. 3.4.3. Liber, I 19, S. 68. Gnadenbuch, S. 114 f.: »Ich will bei dir bleiben, vornächst wie ein Vater bei seinem Sohne. [. . .] Zum Andern will ich bei dir sein, wie ein Freund bei seinem Freunde. [. . .] Zum Dritten werde ich bei dir sein – wie ein Bräutigam ist bei seiner Braut. Zwischen diesen mag keine Absonderung sein, es sei denn, sie würden geschieden durch Krankheit. [. . .] Zum Vierten werde ich bei dir bleiben, wie ein Genosse bei seinem Genossen.« Vgl. Liber, II 32, S. 177. Vgl. ebd., II 35, S. 182. Vgl. Haas, Mechthild von Hackeborn, S. 228. Zur Metaphorik der Wunden Christi in den Briefen vgl. Kap. 3.4.3. Mechthilds Beschreibung erinnert an die bereits besprochene Bildlichkeit vom ›Herzen als Haus‹; vgl. ebd. Zu den Analogien zwischen dem ›Liber‹ und der Miniatur aus St. Walburga vgl. Hamburger, Nuns as Artists, S. 169 f. Vgl. auch Anm. 264. Vgl. Haas, Mechthild von Hackeborn, S. 225. Zu Mechthilds andächtiger Beziehung zu Maria vgl. Liber, II 23, S. 165 f.

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»keine erotische Ausstrahlung aufkommen« lassen.255 Die Ähnlichkeiten zwischen den Briefen und dem ›Liber‹ betreffen vor allem dessen beide ersten Bücher, was angesichts der Themen verständlich ist: Das erste handelt von Betrachtungen aus dem Festkreis des Kirchenjahres und das zweite vom persönlichen Umgang Mechthilds mit ihrem göttlichen Bräutigam, von Themen also, die auch Heinrich interessierten.256 Im Hinblick auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas müsste in diesem Vergleich der Liturgie als strukturierendem Rahmen noch mehr Gewicht gegeben werden. Ein Vergleich mit den Werken Margarethas drängte sich auch auf, weil sie den ›Liber‹ paraphrasiert, dieses Werk im mystischen Diskurs des Freundeskreises um Margaretha und Heinrich also wirklich seinen Platz hatte.257 4.5.2 Der ›Legatus divinae pietatis‹ Das Schrifttum von Helfta umfasst neben dem ›Liber‹ Mechthilds auch die ›Offenbarungen‹ und die ›Exercitia spiritualia‹ Gertruds der Grossen. Die Werke dieser Visionärin wurden eigentlich erst mit einer Druckausgabe aus dem 16. Jahrhundert grösseren Kreisen bekannt, dann aber sehr berühmt. Aus dem 14. Jahrhundert ist keine Handschrift, aus dem 15. Jahrhundert sind nur gerade deren acht in lateinischer Sprache erhalten.258 Ist es bei 255 Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 307. 256 Die Bücher III und IV bieten Anleitungen zur Gottesverehrung und Tugendübungen, das fünfte Buch berichtet über das Jenseits, das sechste spricht über die Äbtissin Gertrud und das siebte über Mechthild selbst; vgl. Haas, Mechthild von Hackeborn, S. 224. Schon rein thematisch kann zwischen diesen Büchern und den Briefen keine Verbindung hergestellt werden. 257 Vgl. Strauch, S. 319 ad 164, 18 ff. Strauch verweist auf die Parallele zwischen dem ›Paternoster‹ Margarethas, wo es heisst: und hilf uns, min herre, daz wir von lutern minne sterben und daz uns geben werd uss der minne, diu dich durch unser minne tött an dem hailigen criucz, an der wil so wir wenen daz wir in dem leben sien, daz wir denn in den ewigen fräuden sien bi dir (ebd., S. 164, 18–22), und folgender Stelle aus Mechthilds ›Liber‹: Vera enim vita homini in Cruce, donata est quando ego vita animae morte amoris in Cruce moriens, animam in peccatis mortuam vivificavi et in me aeternaliter vivere donavi: I 16, S. 48. 258 Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 319. Ins Deutsche wurde das Werk wahrscheinlich zu Beginn des 15. Jh.s übersetzt, ist aber in dieser Form wesentlich kürzer als das lateinische Original; vgl. Gertrud von Helfta, ein botte der götlichen miltekeit, hg. von Otmar Wieland (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige. Ergänzungsband 22), Ottobeuren 1973, S. 1.

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dieser (nach heutiger Kenntnis) geringen Verbreitung möglich, dass Heinrich Gertruds ›Offenbarungen‹ kennengelernt hat? Heinrich hätte immerhin in einem Kloster des Zisterzienserordens nicht nur mit dem ›Liber‹ Mechthilds, sondern durchaus auch mit dem Werk Gertruds in Berührung kommen können.259 Wenigstens ihre ›Offenbarungen‹ mit dem Titel ›Legatus divinae pietatis‹ sollen im Hinblick auf die Briefe Heinrichs ebenfalls kurz betrachtet werden,260 weil sie zusammen mit dem ›Liber‹ »das erste umfängliche Zeugnis einer auf die meditativ-ekstatische Begegnung mit dem leidenden und verklärten Christus ausgerichteten, in der Verehrung des Herzens Jesu verdichteten Brautmystik« darstellen.261 Unter dem Aspekt des brautmystischen Umgangs mit Christus wurden hier die Briefe ja bereits vorgestellt.262 So beginnt Heinrich seinen Brief XXXV wie folgt: Das ich reden sull [. . .] mit der die wol geleuttert ist in dem miniglichen blut ires gemacheln, die so wol gehauszet hat in ires liebes wunden, die in ires herren trautbette das ist in der sichern kamer sines hertzen rawend ist [. . .].263

Hier wird das Herz Christi als gemeinsames Brautgemach Margarethas und ihres Herrn beschrieben. Obwohl die christliche Mystik schon immer das Herz Jesu als Quelle der Erlösung und als Zugangsort zu Gott verstanden hat, kann es als eine Eigenart der Nonnen von Helfta gelten, so anschaulich 259 Zu den Beziehungen Heinrichs zum Zisterzienserorden vgl. v. a. Kap. 7.1. 260 Der ›Legatus divinae pietatis‹ ist in fünf Bücher aufgeteilt, wobei nur das zweite Buch von Gertrud selbst verfasst ist; vgl. Klaus Grubmüller, Gertrud von Helfta, in: 2VL 3 (1981), Sp. 7–10, hier: Sp. 8. Folgende Ausgabe wird benutzt: Gertrude d’Helfta, Œuvres spirituelles, Bd. II−IV : Le He´raut. Introduction, texte critique, traduction et notes par Pierre Doye`re et Jean-Marie Cle´ment/Les Moniales de Wisques/Bernard de Vregille (SC 139, 143, 255), Paris 1968/1978 (im Folgenden abgekürzt mit Legatus). Die Übersetzung wird zitiert aus: Gertrud die Grosse von Helfta, Gesandter der göttlichen Liebe [Legatus Divinae Pietatis], ungekürzte Übersetzung von Johanna Lanczkowski (Sammlung Weltliteratur, Reihe: Mittellateinische Literatur), Heidelberg 1989 (im Folgenden abgekürzt mit Gesandter). 261 Grubmüller, Gertrud von Helfta, Sp. 8. 262 Vgl. Kap. 3.4.3. Kurt Ruh meint zwar, das nuptiale Element fehle bei Gertrud weitgehend, und sie kenne auch keinen ›privaten‹ Umgang mit dem geliebten Jesus: Geschichte, Bd. 2, S. 331 f. Ruh bezieht sich in seiner Untersuchung dabei fast ausschliesslich auf das zweite Buch des ›Legatus‹, in dem er als einzigem »die geistige Physiognomie Gertruds« gegeben sieht: ebd., S. 320. Für eine mögliche Rezeption in den Briefen muss das Werk aber so genommen werden, wie es verbreitet wurde: in seiner Gesamtheit von fünf Büchern. 263 Z. 1–5, Strauch, S. 226. Vgl. auch Kap. 3, Anm. 103, 181 und 196.

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von ihm gesprochen zu haben. Die mystische Vereinigung ist bei ihnen ein Verschmelzen des Menschenherzens mit dem Herzen Jesu.264 Es ist zwar vor allem Mechthild, die das göttliche Herz als Haus bezeichnet, in dem die Braut, wie dies im dritten Kapitel bereits ausgeführt wurde, sicher und bequem wohnen kann.265 Was den vertrauten Umgang und die innige Vereinigung Margarethas mit Christus in der Einleitung von Brief XXXV betrifft, ist aber mehr auf den ›Legatus‹ zu verweisen, der für das Zusammensein zwischen Gertrud und ihrem Herrn ein ähnliche Bildlichkeit verwendet: Et his dictis, accepit eam inter amplexus suos Dominus, ac supra pectus suum quasi quemdam quietissimum thalamum reclinavit.266 Diese liebenden Umgangsformen stellt der ›Legatus‹ vorzugsweise auch in der Beziehung zwischen der Mutter Maria und ihrem Kind dar: [. . .] immaculata mater tua immaculatis manibus suis porrexit mihi te virginalem parvulum, amabilem infantulum, quasi totis conatibus in amplexus meos nitentem. Et ego [. . .] suscepi te tenerum puerulum delicatis brachiis tuis collum meum stringentem.267

Damit ist bei Gertrud – wie für Margaretha in den Briefen Heinrichs – die Nachfolge Marias besonders aufgrund der Bildlichkeit von Weihnachten gegeben.268 Eine Beziehung zwischen Maria und den ihr nachfolgenden Nonnen entwickelt der ›Legatus‹ etwa über die Liturgie dieses Festes: In fine vero responsorii illius [. . .] procedens Virgo Maria [. . .], primo accessit ad superiorem dextri chori, circumponensque brachium suum dextrum humero ejus et suaviter eam constringens, impressit animae ejus generosum infantulum [. . .]. Sicque procedens per totum chorum ad conventum, consimili modo puerum amabilem et delicatum singularum animabus per blandum impressit amplexum. Omnibus vero puerum illum tenerrimum in ulnis animae tenentibus, quaedam videbantur caput illius cautissime et satis commodose velut molli cussino superpositum sustentare.269 264 Vgl. McGinn, Die Mystik, S. 473 f. 265 Vgl. ebd., S. 488 f. Zur Bildlichkeit ›Das Herz als Haus‹ vgl. Kap. 3.4.3. 266 Legatus, IV 35, 4, 6–8, S. 294. Gesandter, S. 313: »Bei diesen Worten nahm der Herr sie in seinen Arm, und er lehnte sie zurück über seine Brust wie über ein sanftes, ruhiges Brautbett.« 267 Legatus, II 16, 4, 8–13, S. 294. Gesandter, S. 38: »Da reichte Deine reine Mutter mit ihren reinen Händen Dich, das reine, jungfräuliche, kleine, liebenswerte Kind mir dar, sie drückte Dich in meine Arme. Und ich [. . .] nahm Dich liebstes Kind an mich, und Du legtest Deine kleinen zarten Arme um meinen Hals.« 268 Für die Briefe Heinrichs vgl. Kap. 3.3.2 und 3.3.3. 269 Legatus, IV 3, 6, 1–13, S. 52 und 54. Gesandter, S. 223: »Am Ende jenes

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In der Nachfolge Marias also wird das Herz Gertruds zum Ort, wo sich das Weihnachtsgeschehen wiederholen kann: Die sacratissimae Nativitatis tuae accepi te tenerum puerulum de praesepio pannis involutum, praecordiis meis impressum [. . .].270 Mit der innigen Beziehung zu Christus wird im ›Legatus‹ noch ein anderes Thema verknüpft: jenes der Befähigung zur Fürbitte. Auch Margaretha kommt in den Briefen dieses Vermögen aus eben der Verbindung mit Christus zu. Heinrich greift dafür in Brief XXXIII auf das Buch Ester zurück,271 das der ›Legatus‹ ebenfalls zitiert, um Gertruds Fürbitte-Gewalt aufzuzeigen. Im ›Legatus‹ heisst es: Ad quod Dominus tale illi blanditatis dedit responsum: »Tu es illa amabilis Hester, quae incredibili pulchritudine oculis meis es gratiosa: pete ergo quod vis, et dabitur tibi.«272 Im Anschluss an dieses Zitat erhält Gertrud im ›Legatus‹ die Macht, für die ihr Anvertrauten und für Wohltäter zu beten. Darauf steht der König auf, umfängt sie und küsst sie auf die Stirn273 – so wie diese Begegnung zwischen Königin und König auch bei Heinrich erzählt wird. In der lehrhaften Darstellung des BdeW Heinrich Seuses dagegen wird Ester explizit mit Maria gleichgesetzt.274

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Responsoriums [. . .] trat die Jungfrau Maria [. . .] zu der zuoberst sitzenden Schwester des rechten Chores. Sie schlang ihren rechten Arm um deren Schulter, zog sie sanft an sich, und dann drückte sie deren Seele das liebliche zarte Kindlein ein [. . .]. Und dann schritt sie weiter, und so legte sie einer jeden einzelnen ihr liebliches Kind in zarter Umarmung in die Seele. Und als alle den zarten Knaben in den Armen ihrer Seele hielten, schienen einige das Köpfchen sehr behutsam durch weiche Kissen zu stützen.« Legatus, II 16, 1, 1–3, S. 290. Gesandter, S. 36: »Am Tag Deiner heiligen Geburt empfing ich Dich, Du zartes kleines Kind aus der Krippe in Windeln gewickelt, in meinem Herzen [. . .].« Vgl. Kap. 4.4.3. Legatus, IV 35, 5, 6–9, S. 294. Gesandter, S. 314: »Da gab er [der Herr] voller Zärtlichkeit zur Antwort: ›Du bist jene liebliche Esther, deren unglaubliche Schönheit meinen Augen angenehm ist. Bitte, um was du willst, es wird dir gegeben.‹« Wie das BdeW erklärt also auch der ›Legatus‹ den Einfluss Esters auf den König mit ihrer Schönheit; vgl. Anm. 178. Vgl. Legatus, IV 35, 5, 11–13, S. 294. Vgl. BdeW, XVI , Seuse, S. 266, 17–24.

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4.5.3 Das Ziel des kontemplativen Lebens: Die Vereinigung mit Gott Mit Ausnahme eines Zitates aus dem ›Liber‹ konnte kein direkter Einfluss der Schriften Mechthilds oder Gertruds auf die Briefe Heinrichs festgestellt werden. Dafür sind die verschiedenen Werke mit einer ähnlichen Bildlichkeit durchsetzt und die darin im Zentrum stehenden Nonnen – Mechthild, Gertrud und Margaretha – mit analogen Funktionen ausgestattet: Sie stehen alle in der Nachfolge Marias als liebender Braut und Mutter, erhalten dadurch selbst exemplarischen Charakter und können Fürbitte für andere leisten. Die ›Offenbarungen‹ der beiden Visionärinnen aus Helfta lassen sich mit den Briefen auch aufgrund ihrer Strukturierung über die Liturgie in Verbindung bringen. Dazu kommt, dass die Darstellung der Gottesliebe bei beiden Helftaer Nonnen ein dialogisches Geschehen und stark lyrisch geprägt ist;275 die lyrische Komponente in den Briefen Heinrichs wurde bis jetzt vor allem mit Mechthild von Magdeburg in Verbindung gebracht.276 Auch die Dreifaltigkeit als das göttliche Gegenüber des Menschen in den späteren Briefen Heinrichs kann aufgrund der Beschäftigung mit dem ›Liber‹ nicht mehr allein mit der Beeinflussung durch das ›Fliessende Licht‹ begründet werden. Dem BdeW Heinrich Seuses wiederum kommt die Helftaer Literatur im Verständnis des Leidens nahe, das im ›Liber‹ als Liebeserweis Gottes angesehen wird. Diese Beispiele genügen, um zu zeigen, dass Heinrich, Margaretha und ihrem Freundeskreis für den die Briefe einschliessenden Diskurs verschiedenen literarischen Quellen mystischen Inhalts nahestanden, die sich alle als ›geistliche Minneliteratur‹ bezeichnen lassen. In ihnen stehen ähnliche Themen im Mittelpunkt: der Sinn des Leidens, die echte Gottesminne und das Ziel religiös-beschaulichen Lebens, die Vereinigung mit Gott. Der wichtigste hermeneutische Schlüssel für einen Vergleich zwischen den Briefen Heinrichs und den Werken aus Helfta dürfte wie bei der Gegenüberstellung mit dem ›Fliessenden Licht‹ und dem BdeW die Figur Marias sein: Auch Margaretha wird über die marianische

275 Vgl. v. a. die hymnischen Worte Tu animae meae vita, die in Legatus, III 65, 20–71, S. 264 und 266 in neun Strophen zu je sechs Zeilen und in Reimform aufgeführt sind (Ausnahme: die vierte Strophe hat nur vier Zeilen). Unter anderem heisst es darin (hier in der Übersetzung: Gesandter, S. 171): »Du bist [. . .] die Süsse allen Wohlgeschmackes [. . .] süss ist das Glück Deiner vertrauten Umarmung. [. . .] Du überströmender Abgrund der Gottheit. Erhabenster König der Könige, strahlendster Kaiser [. . .]. Du zärtlichster Schmeichler, glühendster Liebhaber, süssester Bräutigam, keuschester Eiferer [. . .].« 276 Vgl. Kap. 4.3.7.

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Die Briefe im Kontext eines literarischen Diskurses

Bildlichkeit in den Briefen in die imitatio Mariae und auf diese Weise in die unio mystica gestellt. Fast scheint, dass die beiden Zisterzienserinnen Mechthild und Gertrud – zusammen mit der späteren Mitschwester Mechthild von Magdeburg – am Beginn einer Tradition des die unio intendierenden brautmystischen Schreibens stehen, die Heinrich persönlich vertrat und vermittelte. Die Frage, auf welche Weise und wie umfassend er diese Tradition aus den Schriften der Helftaer Nonnen selbst kennengelernt hat, muss dahingestellt bleiben. Das Zitat aus dem ›Liber‹ zeugt auf jeden Fall von einer Beschäftigung Heinrichs mit diesem Werk. Es ist neben dem ›Fliessenden Licht‹ und dem BdeW eine weitere literarische Quelle, die für den Diskurs im Freundeskreis um Heinrich und Margaretha explizit herangezogen wurde.

5 Die Funktionszusammenhänge der Briefe Im bewussten oder assoziativen Zurückgreifen auf unterschiedlichste Quellen der Inspiration, die in den beiden vorausgegangenen Kapiteln beschrieben wurden, spiegelt sich neben dem Bestreben Heinrichs, auf Anfragen Margarethas zu antworten, sein Interesse an verschiedenartigen Modellen ihrer Darstellung als begnadete Nonne und Mittlerin. Wenn die Veranschaulichung Margarethas in der unio mystica konstitutiv für den mystischen Dialog in den Briefen ist,1 dann stellt sich auch die Frage nach der Rezeption dieser Stilisierungen. Welche Art der Lektüre setzten sie voraus – oder anders gefragt: Welche Funktionen erfüllten die Briefe für jene, die sie lasen?

5.1 Die Briefe als ›Minne-Begehren‹ Wenn Heinrich den Inhalt des ›Fliessenden Lichts‹ Mechthilds von Magdeburg mit innerlichst rürend minenschosz umschreibt,2 bewegt er sich in dem für ihn typischen Sprachgebrauch der ›geistlichen Minneliteratur‹.3 Ihm ist einerseits die Sprache Anlass gewesen, das Werk Mechthilds zu rezipieren, andererseits dessen Inhalt.4 Der gleiche Sachverhalt dürfte bezüglich jenes anonymen Werks vorliegen, das Heinrich das buch von dem süszen namen und von der richen minen Jhesu5 nennt. Auch für die Wahl dieses Buches wird das Thema der Minne ein wichtiges Kriterium gewesen sein. Darf bei dieser in fast allen Briefen dominierenden Rolle der minne von einer eigentlichen Minne-Lehre für Margaretha ausgegangen werden?6 Die 1 2 3 4 5 6

Vgl. Kap. 3.5. Vgl. Kap. 4, Anm. 43. Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Kap. 4, Anm. 43. Brief XXXV , 91 f., Strauch, S. 229. Zu diesem Werk vgl. Kap. 7.5.1. Im Zusammenhang mit den Briefen Hadewijchs ist von ihrer ›Minne-Lehre‹ die Rede; vgl. Anm. 158.

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

Bezeichnung ›Lehre‹ etwa im Sinne Heinrich Seuses könnte auf die vorliegenden Briefe wohl nur mit Vorsicht angewendet werden;7 es soll darauf verzichtet werden. Die Briefe Heinrichs von Nördlingen setzen sich nicht in gleichem Masse systematisch mit einem Thema auseinander, wie dies im ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ der Fall ist. Wohl lassen einzelne Stellen die Absicht erkennen, für Margaretha ein Problem methodisch zu erörtern,8 doch beschränken sich solche Ansätze auf einzelne Briefe. Es soll hier darum statt von einer ›Lehre‹ vielmehr von ›Begehren‹9 gesprochen werden, das Heinrich mit unterschiedlichen Mitteln in seine Briefe einfliessen lässt. Dass den Darstellungen Margarethas auf der Ebene der Texte jeweils ein Wunsch Heinrichs vorausgeht, zeigte bereits das zweite Kapitel.10 In Brief XLVIII ist das Objekt dieses Wunsches die Erfüllung des meinenkoszen an Margaretha.11 Der Begriff minnekosen ist vor allem für das Werk Heinrich Seuses kennzeichnend: kosen ist das mittelhochdeutsche Wort für den Dialog,12 der im ›Exemplar‹ Seuses weniger ein Lehrgespräch meint, als vielmehr auch Spuren von Autobiographischem und damit von Erfahrenem einschliesst.13 Das bei Seuse mehrfach bezeugte Wort minnekosen bedeutet »ein lebendiges Sprechen, ein Mitteilen von Person zu Person, von Gefühlen und Regungen durchzogen«.14 Heinrich von Nördlingen 7 Zum BdeW vgl. Kap. 4.4.2. Ursula Peters spricht für die ›Vita‹ Heinrich Seuses von »einer auf Lebensberichten basierenden Lehre«: Religiöse Erfahrungen, S. 141. 8 Dies kann in Kap. 6.4.5 anhand der Verbindung der Themen ›Minne‹ und ›Eucharistie‹ in Brief XIV gezeigt werden. 9 Heinrich selbst verwendet das Verb ›begehren‹; vgl. Brief XI , 54 f., Strauch, S. 186. 10 Vgl. Kap. 2.4. Christine Wand-Wittkowski, Briefe, S. 25, Anm. 22 hält fest, die einfache enbieten-Formel ohne Namensnennung erscheine im 14. und 15. Jh. kontinuierlich, besonders Heinrich von Nördlingen benutze sie regelmässig. Hier werden für die Briefe Heinrichs diese (und äquivalente) Ausdrücke des Begehrens allerdings nicht als beliebig auswechselbare Stilmittel verstanden, sondern als in ihrer mystischen Komponente bewusst eingesetzte Verben. Ob sich das auch für andere religiöse Briefe des 14. und 15. Jh. sagen lässt, müsste für den Einzelfall je neu bestimmt werden. 11 Vgl. Anm. 20. 12 Stirnimann, Mystik und Metaphorik, S. 221: »Kosen mit der Ewig Wisheit ist der treffendste Ausdruck für das susonische dialogein.« 13 Vgl. ebd. In Brief XLVIII steht das Nomen meinenkoszen zusammenfassend für die Einleitung. Die Semantik dieses Nomens umfasst dort auch die unio und dürfte sich damit weiter erstrecken als bei Heinrich Seuse. 14 Stirnimann, Mystik und Metaphorik, S. 221. In Anm. 63 gibt Stirnimann fol-

Vom Lesen und Schreiben der Briefe

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begehrt für Margaretha mit dem meinenkoszen in Brief XLVIII die Erfüllung einer personalen Vereinigung mit Gott, indem er von ihren Erfahrungen des Leidens ausgeht.15 Seine Briefe haben folglich einen Bezug zum realen Leben seiner Briefpartnerin, dem er in seinen ›Minne-Begehren‹ eine Finalität gibt, die Margaretha aus einem gemeinsam erarbeiteten Vorwissen heraus verständlich gewesen sein muss.16

5.2 Vom Lesen und Schreiben der Briefe Da fast alle Briefe Heinrichs zuerst einmal an Margaretha gerichtet sind, lautet die primäre Frage, wie diese die ›Minne-Begehren‹ in den Briefen hat lesen und mit ihren Erfahrungen in Verbindung bringen können. Später soll die Untersuchung des Rezeptionsvorgangs auch auf einen grösseren Leserkreis hin geöffnet werden. 5.2.1 Das ›Fliessende Licht‹ als Bestandteil der lectio divina Mit Brief XXXV zusammen sandte Heinrich den Schwestern von Medingen ein Buch, von dem er ihnen anscheinend erzählt hatte und das die Nonnen schriftlich mit der Bemerkung anforderten, sie würden es andächtig lesen wollen: das buch von dem süszen namen und von der richen minen Jhesu das leszend geren und mit andacht, als ir mir vor geschriben hant und das ich euch nun send, so euch das werd.17 Brief XXXV muss aufgrund dieses Zitates als Begleitschreiben betrachtet werden, das mit einem Buch und weiteren Gegenständen zusammen nach Medingen gesandt wurde.18 Dasselbe gilt auch hinsichtlich des Briefes XLIII .19 Mehr als in Brief XXXV

15 16 17 18 19

gende Stellen an, die dieses Wort enthalten: Vita, III , Seuse, S. 12, 10; Vita, IV , ebd., S. 16, 33; BdeW, IX , ebd., S. 230, 27. Ebenso erwähnt Stirnimann: Horologium Sapientiae, I 8: amoris colloquia, hier zitiert nach der Ausgabe von Pius Künzle, Heinrich Seuses Horologium Sapientiae. Erste Kritische Ausgabe unter Benützung der Vorarbeiten von Dominikus Planzer (Spicilegium Friburgense 23), Freiburg/Schweiz 1977, S. 441, 5. Dem soll noch die Stelle beigefügt werden: BdeW, XV , Seuse, S. 259, 8. Vgl. Kap. 4, Anm. 85. Zu Darstellungen der unio in ihrer Finalität für Margarethas Leiden vgl. Kap. 5.4.2. Brief XXXV , 91–93, Strauch, S. 229. Zu den Gegenständen vgl. ebd., Z. 94: driu messerlach send ich dir [. . .]. Vgl. Kap. 4, Anm. 43.

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

wird in ihm ersichtlich, dass er – zumindest im Schlussteil – als komplementär zu einem versiegelten Exemplar des ›Fliessenden Lichts‹ gedacht war, besitzt er doch eine erklärende Funktion für dessen Lektüre. Die Frage, wie Margaretha die Briefe Heinrichs hat verstehen können – oder wie Heinrich selbst seine Briefe verstanden haben wollte –, soll im Folgenden über das Verhältnis einzelner Briefe zum ›Fliessenden Licht‹ und über die Untersuchungen zu Brief XI in den Kapiteln 2 und 3 erarbeitet werden. Ein Hinweis für das richtige Leseverständnis findet sich in der bereits angeführten Briefstelle: ich wünsch dir, das disz meinenkoszen an dir uf das höst gotz ere volbracht werd.20 Indem Heinrich dieses ›Minne-Begehren‹ an den Beginn des Briefes XLVIII anschliesst, der Margaretha in Worten des ›Fliessenden Lichts‹ im Licht der Dreifaltigkeit darstellt, gibt er ihr zu verstehen, wie sie diese Einleitung zu begreifen hat: als Veranschaulichung eines personalen und liebenden Austauschs zwischen Gott und ihr selbst. Darauf lässt Heinrich unmittelbar die zweite Passage aus Mechthilds ›Fliessendem Licht‹ folgen.21 Der Wunsch, diese Minnebeziehung möge sich an Margaretha erfüllen, ist also als eine Art Scharnier zwischen der Briefeinleitung und dem Rest des Hauptteils zu verstehen und hat eine hermeneutische Funktion für die Lektüre der Mechthild-Exzerpte: Heinrich gibt Margaretha mit seinen Zitaten Beispiele eines meinenkoszen, das sich an ihr erfüllen soll. Wenn Heinrich in Bezug auf die Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ in Brief XLIII empfiehlt: uberlesent es dri stund, es stat dran ix,22 nimmt er damit explizit Bezug auf seine Vorlage. In der deutschen Übersetzung zum lateinischen Vorbericht wird dort empfohlen: Das solt du gelovblich, diemueteklich und andehteklich nu´nstunt u´berlesen.23 Der Vorbericht fordert also ein wiederholtes Lesen des Werkes und damit eine Lektüre, die nach dem tieferen Sinn sucht. Die Zahl Neun für die Anzahl der Lesevorgänge wird kaum zufällig gewählt worden sein, handelt es sich bei ihr doch um eine vollkommene, heilige Zahl (drei mal drei).24 Auf diese Weise wird das mehrmalige Lesen meditativ. Heinrich ergänzt seine Vorlage zudem durch 20 21 22 23 24

Brief XLVIII , 7–9, Strauch, S. 256. Vgl. Kap. 4, Anm. 59. Brief XLIII , 138 f., Strauch, S. 247. FL , Vorbericht, 41 f., S. 2. Zum lateinischen Vorbericht vgl. Anm. 38. »Mit der Zahl neun wird die äusserste Erhöhung ihres Buches erreicht, indem man es in das Ursprungs- und Wesensgeheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit stellt«: Schmidt, Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 344, Anm. 8.

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Schritte, die der eigentlichen Lektüre vorausgehen und so auch deren Charakter bestimmen: lesent es begirlich mit ainem innern gemerck ewers hertzen und ee irs an vahint ze lesent, so beger ich und gebüit euch in dem heiligen geist, das ir im vii Veni sancte Spiritus mit vii venien vor dem altar sprechent und unserm heren und seiner megdlichen mutter Maria auch vii paternoster und Ave Maria sprechent auch mit vii venien, und der junckfroulicher himelscher orgelkunigin, durch die got ditz himelschs gesang hat usz gesprochen, und allen heiligen mit ir auch vii paternoster und Ave Maria mit vii venien sprechint.25

Das Geschriebene soll nicht einfach mit Augen und Mund gelesen, sondern meditiert werden.26 Sowohl die Bemerkung, dies solle mit einem innern gemerck ewers hertzen geschehen, als auch die von Heinrich geforderte Gebetshaltung, die diese lectio begleitet, sprechen dem Akt des Lesens den Charakter der religiösen Betrachtung zu: Die lectio wird als meditatio gefordert, der die oratio vorausgehen muss. Werden diese Schritte aus Brief XLIII nun durch den Wunsch Heinrichs aus Brief XLVIII ergänzt, die Worte aus dem ›Fliessenden Licht‹ sollen sich an Margaretha erfüllen, kommt im Leseverständnis Heinrichs auch noch die Verwirklichung des Gelesenen (operatio) dazu. Einer Lektüre aber, die beim Lesen ansetzt, sich zur Meditation entwickelt, vom Gebet begleitet und getragen wird und eine Verwirklichung im Leben fordert, folgt bei einem fortschreitenden Menschen die contemplatio.27 Auf diese Weise stellt Heinrich die Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ ganz selbstverständlich in den Rahmen der lectio divina, der klösterlichen Betrachtung, welche die Meditation einschliesst. Durch das meditative Lesen kann Margaretha schon während der Lektüre Anteil an dem im ›Fliessenden Licht‹ enthaltenen Heil haben und damit zur Kontemplation als einer neuen Erkenntnisstufe gelangen. Diese Art der Lektüre setzt voraus, dass das ›Fliessende Licht‹ selbst als Träger des Heils betrachtet und wie die Heilige Schrift meditiert werden kann. Nigel F. Palmer hat diesen Anspruch für Mechthilds Werk in der Gegenüberstellung des ›Fliessenden Lichts‹ mit dessen lateinischer 25 Brief XLIII , 122–131, Strauch, S. 246. 26 Zur Definition der Meditation bei Hugo von St. Viktor vgl. Anm. 46. Die Abfolge einer ganzen Anzahl von Gebeten, die von Gebetshaltungen begleitet werden, beschreibt ähnlich auch Heinrich Seuse in seiner ›Vita‹ für seine privaten Andachten: Kap. XIII , Seuse, S. 34–37. 27 Zu den hier verwendeten Begriffen vgl. Kap. 5.2.2. Auch im ›Legatus‹ Gertruds der Grossen werden »die traditionellen monastischen Übungen der lectio, meditatio und contemplatio empfohlen«: McGinn, Die Mystik, S. 477.

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Übersetzung, den ›Revelationes‹, nachgewiesen.28 Im ›Fliessenden Licht‹ kommt nach Palmer Mechthild die Funktion eines Instrumentes Gottes zu.29 Als Charakteristika ihres Werkes, das Eberhard Nellmann als Selbstoffenbarung Gottes kennzeichnet,30 bezeichnet Palmer den »eschatologische[n] Aspekt«, die »Prophetie im Sinne der Aufdeckung göttlicher Geheimnisse und die Trinität als [. . .] eigentliche Ursache und Materie«.31 Heinrich bestätigt diesen Offenbarungscharakter des ›Fliessenden Lichts‹ – eines »Produkt[s] der an den Menschen gerichteten Gnade Gottes«32 – durch seine Leseanweisungen in Brief XLIII : ich man euch als des gutz, das got in im selber ist und in diszem buch bewiszt hat.33 Er hinterfragt also das Werk nicht, sondern empfiehlt es zur betrachtenden Lektüre. Die Autorität, die Heinrich dem ›Fliessenden Licht‹ attestiert, zeigt sich auch in der Aufforderung, wie die Medinger Nonnen mit dem Buch umgehen sollen, das er ihnen zukommen lässt: und ee brechent das versigelt buch nit uf, ee ir desse gebet tuwend.34 Schon der physische Akt des Öffnens erhält durch die Aufforderung Heinrichs eine spirituelle Bedeutung, das Lesen des Buches ist demnach schon von Beginn weg eine rituelle Tätigkeit.35 In der Konsequenz dieses Umganges mit einem Exemplar des ›Fliessenden Lichts‹ erstaunt es nicht, dass Helen Webster dieses Buch als eine 28 Vgl. Nigel F. Palmer, Das Buch als Bedeutungsträger bei Mechthild von Magdeburg, in: Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion, hg. von Wolfgang Harms und Klaus Speckenbach, Tübingen 1992, S. 217–235, hier v. a.: S. 218 und 226. 29 Vgl. ebd., S. 227. o 30 Vgl. Eberhard Nellmann, Dis buch . . . bezeichent alleine mich. Zum Prolog von Mechthilds ›Fliessendem Licht der Gottheit‹, in: Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp zum 70. Geburtstag, hg. von Rüdiger Schnell, Bern/Stuttgart 1989, S. 200–205, hier: S. 202. 31 Palmer, Das Buch, S. 234. 32 Ebd., S. 233. In diesem Sinne konnte Mechthilds Werk – wie die Bibel – nicht nur als Text, sondern auch als Rede Gottes verstanden werden, die »hörend vernommen werden wollte«: Lentes, Gebetbuch, S. 28. Im Rohan-Stundenbuch (um 1420) wurde die Idee von der Gegenwart Gottes in diesem Buch bildlich umgesetzt: Das Jesuskind liegt im Buch und spricht mit der betenden Maria; vgl. ebd., S. 28 und 703, Abb. 9. 33 Z. 121 f., Strauch, S. 246. 34 Ebd., Z. 131 f. 35 Vgl. Helen Webster, German Mysticism in Fourteenth-Century Basel. Gender and Genre in Einsiedeln Stiftsbibliothek MS 277, Diss. Oxford 2005, S. 178.

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Art Talisman für die Rezipientinnen ansieht;36 Christa Ortmann nennt es ein »Kultbuch«.37 Ein Exkurs: Dreimal oder neunmal lesen? [. . .] de multis inauditis, que intelliges, si cum credulitate, humilitate et devotione novies perlegeris librum istum.38

Diese Bemerkung des lateinischen Vorberichts des Einsiedler Codex 277,39 auf welche Weise das ›Fliessende Licht‹ gewinnbringend gelesen werden kann, wird als letzter Satz auch in der unmittelbar folgenden deutschen Übersetzung wiedergegeben.40 Dabei fällt auf, dass Heinrich in Brief XLIII seine Vorlage korrigiert, indem er die empfohlene Anzahl der Lesevorgänge von neun auf drei verringert. Die Zahl drei – an und für sich schon für die Dreifaltigkeit stehend – könnte für ihn symbolischen und damit programmatischen Charakter gehabt haben.41 Zudem hat sich diese Empfehlung bei den Nonnen wohl realistischer durchführen lassen, was sich als Ausdruck einer praxisnahen Pastoral Heinrichs deuten liesse. Philipp Strauch hat es aber für wahrscheinlich gehalten, dass die deutsche Übersetzung des lateinischen Vorberichts Mechthilds von Heinrich selbst ergänzt worden sei.42 Auch der Satz: Alle, die dis buoch wellen vernemen, die soellent es ze nu´n malen lesen43 aus dem Prolog zum ersten Buch des ›Fliessenden Lichts‹ dürfte nach Hans Neumann im Umkreis Heinrichs hinzugefügt worden sein.44 Warum aber sollte Heinrich eine Anweisung solcher Wichtigkeit – sie 36 Vgl. ebd., S. 179. 37 Christa Ortmann, Das Buch der Minne. Methodischer Versuch zur deutschlateinischen Gegebenheit des ›Fliessenden Lichts der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg, in: Grundlagen des Verstehens mittelalterlichen Literatur: Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, hg. von Gerhard Hahn und Hedda Ragotzky, Stuttgart 1992, S. 158–186, hier: S. 162. 38 FL , Vorbericht, 30 f., S. 2. 39 Zu diesem Codex, der als einziger die vollständige alemannische Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ enthält, vgl. Kap. 7.5.4. 40 Vgl. Anm. 23. 41 Zum trinitätsbezogenen Gottesbild in den späteren Briefen vgl. Kap. 4.3.5. 42 Vgl. Philipp Strauch, Kleine Beiträge zur Geschichte der deutschen Mystik, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 27 (N. F. 15) 1883, S. 368–381, hier: S. 371, Anm. 2; vgl. auch Palmer, das Buch, S. 222, Anm. 17. 43 FL , I Prol., 5 f., S. 4. 44 Vgl. Hans Neumann, Beiträge zur Textgeschichte des ›Fliessenden Lichts der Gottheit‹ und zur Lebensgeschichte Mechthilds von Magdeburg (Nachrichten

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wird im Einsiedler Codex innerhalb weniger Seiten gleich dreimal angebracht! – ausgerechnet in einem seiner Briefe relativieren, der auf die Lektüre des Werkes Mechthilds hinführt, wenn er doch selbst für die ursprüngliche Anweisung verantwortlich sein soll? Wahrscheinlich wurde die Übersetzung des lateinischen Vorberichts und die Zufügung im Prolog von Buch I eben wirklich erst im Umkreis, und nicht von Heinrich selbst angebracht. Dieser Exkurs darf als Hinweis darauf verstanden werden, dass Heinrich ein Initiator oder sogar nur ein Mitarbeiter, nicht aber alleiniger Hauptverantwortlicher der Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ gewesen ist.45 5.2.2 Die Forderung nach einer meditativen Lektüre der Briefe Ergänzend zu den Überlegungen zum meditativen Lesen im Kontext der lectio divina soll hier auf das Leseverständnis zurückgegriffen werden, wie es in Kapitel 2.4.2 für Brief XI herausgearbeitet wurde. Der Brief hat die Intention, Margaretha mittels biblischer Texte, die ihr aus der Liturgie bekannt waren, ihre eigene Lebenssituation betrachten zu lassen und sie dadurch zur Kontemplation zu führen. Um diese Aussage in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, soll hier auf eine Lesetheorie zurückgegriffen werden, die das Mittelalter unter anderem durch die bereits erwähnte Schule von Sankt Viktor gekannt hat.46 Hugo von St. Viktor erörtert seine Gedanken zum Lesen in seinem Buch ›Didascalicon, de studio legendi‹.47 d. Akad. d. Wiss. in Göttingen. Phil.-hist. Kl. Jg.1954, Nr. 3), Göttingen 1954, S. 27–80, hier: S. 34; ebenso bei Palmer, Das Buch, S. 232 f., Anm. 51. Dieser Satz fehlt in den ›Revelationes‹, der lateinischen Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹. 45 Zum Kreis jener, die für diese Übersetzung vermutlich verantwortlich waren, vgl. Kap. 7.5.3. 46 Vgl. Kap. 2.4.2. Der richtige lesende Umgang mit der (Heiligen) Schrift lässt sich in den Einleitungen der Psalterkommentare von Hieronymus über Augustinus, Cassiodor, Isidor von Sevilla bis zu Haimo von Auxerre und Gerhoch von Reichersberg verfolgen; vgl. Eckart Conrad Lutz, lesen – unmüezec wesen. Überlegungen zu lese- und erkenntnistheoretischen Implikationen von Gottfrieds Schreiben, in: Der ›Tristan‹ Gottfrieds von Strassburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hg. von Christoph Huber und Victor Millet, Tübingen 2002, S. 295–315, S. 299, bes. Anm. 17. 47 Folgende Ausgabe liegt diesem Kapitel zugrunde: Hugo von St. Viktor, Didascalicon. De studio legendi, übers. u. eingel. von Thilo Offergeld (Fontes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe 27), Freiburg i. Br. usw. 1997 (im Folgenden abgekürzt mit Didascalicon).

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Als Zielpublikum hat er darin in einem ersten Teil den lectorem artium und im zweiten Teil den lectorem divinum vor Augen.48 Jegliches Studium (doctrina) nimmt für Hugo seinen Anfang im Lesen (lectio),49 findet seine Vollendung aber in der Meditation (meditatio), durch die der Mensch zum Wissen und zur höchsten Beglückung gelangt.50 Den Lesern geistlicher Schriften rät Hugo, vor allem jene Bücher der Heiligen Schrift zu lesen, qui huius mundi contemptum suadent, et animum ad amorem conditoris sui accendunt.51 Denn wer auch immer mit der geistlichen Lektüre beginnt, sollte nichts ohne Grund anstreben, sondern wissen, welche Frucht diese bringen kann.52 Für den fortgeschrittenen Leser soll es nämlich nicht um eine Anhäufung von Wissen gehen, sondern um die Ausrichtung der Aufmerksamkeit »auf die praktisch-moralische Komponente, auf die Vervollkommnung [seines] Handelns«.53 Die lectio ist dabei der erste Schritt auf diesem Weg, die meditatio der zweite. Ihnen folgen zwei weitere Stufen: das Gebet (oratio) und das Handeln (operatio).54 »Auf ihnen erhebt sich die contemplatio, die schon hier einen Vorgeschmack des künftigen Lohnes des guten Handelns (boni operis) gibt.«55 An dieser Stelle berühren sich die Überlegungen Hugos mit dem Leseverständnis Heinrichs in Brief XI . Während die lectio Sache des Anfängers ist – in Brief XI stellt sich Heinrich als Anfänger im geistlichen Leben dar –, wird die contemplatio dem Vollkommenen zugerechnet – in den Briefen Heinrichs kommt diese Rolle Margaretha zu.56 Das Empor48 Vgl. ebd., S. 108, 2 f. 49 Vgl. ebd., III 10, S. 246, 5 f. Der Terminus lectio wird in der hier verwendeten Ausgabe oft auch mit ›Studieren‹ übersetzt, ›Studium‹ aber mit doctrina wiedergegeben. 50 Vgl. ebd., Z. 6 f. und 14–16. Die Meditation definiert Hugo in: ebd., III 10, S. 244, 16–18, wie folgt: Meditatio est cogitatio frequens cum consilio, quae causam et originem, modum et utilitatem uniuscuiusque rei prudenter investigat. Ebd., S. 107, Anm. 2: »Meditatio ist Hugos Begriff für den Prozess, in dem das Gelesene innerlich verarbeitet wird.« Ähnlich meint Isidor von Sevilla in Bezug auf die Heilige Schrift in: Sententiarum libri tres (PL 83, 679 B): Quae enim nescimus, lectione discimus; quae autem didicimus, meditationibus conservamus. 51 Didascalicon, V 7, S. 338, 12–14. 52 Vgl. ebd., V 6, S. 336, 20–23. Als die beiden wesentlichen Früchte des Studiums geistlicher Schriften werden hier Wissen und Sittlichkeit genannt. 53 Ebd., S. 57 (in der Übersetzung der Einleitung). 54 Vgl. ebd., V 9, S. 348, 17 f. 55 Vgl. Lutz, lesen, S. 301 zu Didascalicon, V 9, S. 348, 18–20. 56 Vgl. ebd., S. 350, 3–5.

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steigen von der lectio über die meditatio, die oratio und die operatio zur contemplatio ist also zugleich ein Voranschreiten auf dem Weg der Vollkommenheit. Margaretha erhält in Brief XI in der Darstellung der unio einen Vorgeschmack künftigen Glücks, die operatio drückt sich in der Verwirklichung des Gelesenen an ihr aus, aber auch in ihrer Fürbitte und in der Vermittlung von Gnade für andere. Die humilitas als eine der sittlichen Qualitäten, die bei Hugo neben natürlichen Fähigkeiten als Voraussetzung für lectio und meditatio gilt,57 ist bei der Lektüre von Brief XI in den Topoi der Unwürdigkeit Heinrichs gegeben.58 Darf ein solches Leseverständnis nun auf Brief XI angewandt werden, der ja nur teilweise auf die Bibel zurückgeführt werden kann? Für Hugo von St. Viktor muss jedenfalls auch beim Leser ›der Wissenschaften‹ das Lesen zur Meditation fortschreiten.59 Bereits Isidor von Sevilla setzt »für die libri gentilium die Verbindung von legere und meditari« voraus; bei ihm ist »Lesen – als Verfahren – immer meditierendes Lesen«.60 Zudem geht es Hugo selbst im Hinblick auf den lector divinus nicht nur um das Lesen der Bibel. Durch das Beispiel der Heiligen und ihrer Lehren, insofern diese der sittlichen Unterweisung dienen, kann der Leser ebenfalls entdecken, durch welche Verdienste der Gerechtigkeit der Mensch zu den ewigen Freuden gelangt.61 Und er geht noch weiter: Es gibt für Hugo eine grosse Anzahl kleinerer Werke, a religiosis viris et sapientibus diversis temporibus conscripta, quae licet auctoritate universalis ecclesiae probata non sint, tamen quidem a fide catholica non discrepant et nonnulla etiam utilia docent, inter divina computantur eloquia [. . .].62 57 Vgl. Lutz, lesen, S. 300 zu Didascalicon, III 6 und III 11 ff., v. a. III 13, S. 250–258. 58 Vgl. Kap. 2.4. 59 Vgl. Anm. 50. 60 Lutz, lesen, S. 299. Das Vorbild meditierenden Lesens im Mittelalter war Maria. Die in Kap. 3.4.2 besprochene Darstellungen der Verkündigungsszene zeigen Maria zumeist, wie sie den Psalter liest, und veranschaulichen so den Leseakt als einen Akt »heilsgeschichtlich bedeutsamer Meditation«: Alois M. Haas, Seuse lesen, S. 248. 61 Vgl. Didascalicon, V 7, S. 338, 23 – 340, 1. 62 Ebd., IV 1, S. 272, 3–7. Ebd., S. 273: »[. . .], die von frommen und weisen Männern zu verschiedenen Zeiten geschrieben worden sind und die, wenn sie auch von der Autorität der allgemeinen Kirche nicht anerkannt worden sind, dennoch unter die heiligen Worte gerechnet werden; denn sie weichen nicht vom katholischen Glauben ab und enthalten zahlreiche nützliche Lehren.«

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Anhand der Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ wurde bereits gezeigt, dass Heinrich in Bezug auf das Lesen einem Verständnis verpflichtet war, für das hier das ›Didascalicon‹ herangezogen wurde. Was nun seine Briefe anbelangt, beziehen sie sich ja meist auf liturgische Texte oder sind oft als Hinführung zu mystischen Schriften zu verstehen. Die instructio morum, die Hugo von St. Viktor als ein Ziel geistlicher Lektüre angibt,63 betrifft darum auch die Briefe Heinrichs, insofern sie Margaretha mit der Bibel, der Liturgie oder mystischen Werken in Beziehung bringen und damit einen Vorgeschmack der ewigen Seligkeit geben können. Dieses Verständnis vom Lesen der Briefe führt also über das Erfassen des reinen Literalsinns hinaus. Für Margaretha musste beim meditativen Lesen die Möglichkeit der Freisetzung dessen bestanden haben, was in den Briefen beschrieben ist.64 5.2.3 Die mystagogischen Komponenten der Briefe Heinrichs Wenn Margaretha Abschnitte aus dem ›Fliessenden Licht‹ in an sie gerichteten Briefen vorfand, hat sie diese bestimmt als Teile ihrer Betrachtung (oder der gemeinschaftlichen Lesung im Konvent) wieder erkannt und auch in dieser Haltung gelesen. Das gilt auch von den anderen mystischen Schriften, die im vierten Kapitel besprochen wurden, sowie in besonderem Masse von biblisch-liturgischen Texten. Heinrich arbeitet in den Briefen XLVI und XLVIII nun aber Margaretha selbst in die Zusammenstellung dieser Texte ein und begibt sich damit auf der literarischen Ebene in den gleichen Prozess, in dem sich Margaretha beim Lesen geistlicher Literatur befindet: Er stellt ihre konkrete Lebenserfahrung in den Kontext dieser ›göttlichen Schrift‹.65 Heinrich führt Margaretha damit exemplarisch vor Augen, wie 63 Vgl. Didascalicon, V 6, S. 338, 3. 64 Felix Heinzer stellt sich die Frage, ob die mittelalterliche, am Psalter geschulte Lektüre nicht generell über den Literalsinn hinausführte: Über das Wort hinaus lesen? Der Psalter als Erstlesebuch und die Folgen für das mittelalterliche Verhältnis zum Text, in: Text und Text in lateinischer und volkssprachiger Überlieferung des Mittelalters. Freiburger Kolloquium 2004, hg. von Eckart Conrad Lutz, Wolfgang Haubrichs und Klaus Ridder (Wolfram-Studien 19), Berlin 2006, S. 147–168, hier: S. 151. Für den Bereich des Literarischen bedeute dieses Über-das-Wort-hinaus-Lesen aber nicht gleich auch eine »Spiritualisierung«, sondern »beim Wort selbst zu bleiben, den ›Hintersinn‹ – und wenn man so will: die Transzendenz des Textes – in diesem selbst zu suchen«: ebd., S. 167. 65 Vgl. Kap. 3.2, das zeigte, wie Heinrich die Liturgie auf den Erfahrungshorizont Margarethas hin auslegt.

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etwa das Werk Mechthilds gewinnbringend gelesen werden kann: Durch die neue, von Heinrich vorgenommene Zusammenstellung der Exzerpte können diese von Margaretha speziell auf ihre konkret erfahrenen Situationen und Fragen hin betrachtet werden, von denen sie ihm jeweils schriftlich oder mündlich berichtet hat. Insofern müssen die Worte Michael Egerdings noch weitergedacht werden, wenn dieser meint: »Margaretha, auf Anregung Heinrichs seit 1344 selbst mit der Niederschrift ihrer inneren Erfahrungen befasst, erhielt durch die Lektüre von Mechthilds Buch wie auch der an sie gerichteten Briefe Heinrichs, in denen dieser seine Sicht von Margarethas Erfahrungen als mystische Erfahrungen entwickelt, die Möglichkeit, Deutemuster für ihr eigenes geistliches Leben zu finden.«66 Wenn Margaretha die Briefe XLVI und XLVIII las, fand sie darin nicht nur Deutemuster vor, sondern trat mit ihrem göttlichen Partner in den gleichen Dialog ein, den sie bei der meditierenden Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ aufnahm. Was sich änderte, war der spezifische Kontext des Lesevorgangs: Bei der Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ trat sie unmittelbar in den Raum der Offenbarungen ein – auch wenn Brief XLIII zeigt, dass dies ebenfalls unter der Anleitung Heinrichs geschah –, während ihr im Brief dieses Eintreten vorgeführt wurde. Damit kann von der Lektüre der Briefe her auch etwas über jene des ›Fliessenden Lichts‹ gesagt werden: Ähnlich wie Heinrich in seinen Briefen Margaretha in das meinenkoszen des ›Fliessenden Lichts‹ hineinnehmen möchte, dürfte sie auch in der persönlichen oder gemeinschaftlichen Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ dessen Inhalt für sich fruchtbar gemacht haben. Den Briefen kommt damit die Funktion einer Leseanweisung im Rahmen der cura monialium Heinrichs zu.67 Dabei greift der Begriff ›Leseanweisung‹ allerdings zu kurz, soll Margaretha bei der Lektüre der Briefe doch bereits in den Prozess des kosens, auf den die Briefe hinführen wollen, hineingenommen werden.68 Diese Hinführung, welche die unio mystica zum Ziel hat, besitzt mystagogischen Charakter. Alois M. Haas zitiert die Ausführungen von Irene Behn, wenn er die Mystagogie als »die praktische Auswertung der mystischen Erfahrungen für die Leitung mystischer Seelen bis zur Gotteinigung« versteht.69 Hier soll der Begriff ›Mystagogie‹ unter 66 Egerding, Metaphorik, S. 57. 67 In Kap. 3.4 und 4.4.5 wurde die cura monialium bereits als spezifischer Kontext der Briefe hervorgehoben. 68 Für Michael Egerding geht es Heinrich bei der Darstellung der göttlichen Einwirkung auf Margaretha um die »Tatsächlichkeit der göttlichen Zuwendung, deren Realität bereits a Margaretha sichtbar wird«: Metaphorik, S. 162. 69 Alois M. Haas, Die Problematik von Sprache und Erfahrung in der deutschen

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Einbezug zweier Differenzierungen in dem von Haas gebrauchten Sinn verwendet werden: ›Erfahrung‹ ist in den Briefen nur literarisch fassbar; in der Einleitung war in diesem Zusammenhang von der ›Sprache der Mystik‹ die Rede.70 Weiter wollen die Briefe Heinrichs mehr als »zur Erfahrung anregen, stimulieren und auffordern«.71 Als mystagogische Texte besitzen die Briefe das Potenzial, im Vorgang des Lesens literarisch gefasste Erfahrungen zu vergegenwärtigen.72 Lesen konnte für Margaretha damit zu einem existenziellen Akt werden, der den Text »vitalisiert, experimentiert und existentialisiert« und so das Gelesene »richtig einverleibt«.73 Dabei kam vor allem den von Heinrich zahlreich eingesetzten Metaphern eine grosse Bedeutung zu, die von Margaretha bei der Lektüre auf das intendierte Ziel hin – die »Minnepartnerschaft mit Gott«74 – weitergedeutet werden mussten. Wird der Begriff der Mystagogie in dem eben dargelegten Sinn verwendet, können alle Briefstellen, die Margaretha in das minnekosen mit Gott hineinnehmen wollen, mit einem Begriff Irene Behns als ›Mystographie‹ bezeichnet werden.75

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Mystik, in: Werner Beierwaltes, Hans Urs von Balthasar u. Alois M. Haas, Grundfragen der Mystik (Kriterien 33), Einsiedeln 1974, S. 75–104, hier: S. 78, Anm. 6 und Irene Behn, Spanische Mystik. Darstellung und Deutung, Düsseldorf 1957, S. 8. Für Haas steht im Zentrum der Briefe Heinrichs allerdings ein »persönlich-intimer Gedankenaustausch« und »weniger eine mystagogische Belehrung, wie sie für die frühere mystische Briefliteratur, zuhöchst natürlich für Seuses ›Briefbuch‹, kennzeichnend war«: Deutsche Mystik, S. 299. Vgl. Einleitung, Anm. 12. Vgl. Haas, Die Problematik, S. 78. Nach Kurt Ruh läge die Funktion der Briefe Heinrichs also weniger im bildlichen und theoretischen Übersetzen der mystischen Metasprache, als vielmehr in der Hinführung zur (von Meister Eckhart geforderten) ›Wahrheit‹: Überlegungen, S. 38. Michael Egerding räumt vor allem der Metapher eine mystagogische Potenz ein; vgl. Kap. 1.3.4. Haas, Seuse lesen, S. 271. Für Köbele, Bilder, S. 76 ist die ›Minnepartnerschaft mit Gott‹ das Hauptthema des ›Fliessenden Lichts der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg. Behn, Spanische Mystik, S. 8. Der mystagogische Charakter ganzer Briefteile könnte auch anhand des Verbs vorspilen aufgezeigt werden, das Heinrich in Brief XLVI , 23, Strauch, S. 251 auf ein sich über mehrere Zeilen erstreckendes Asyndeton mystischer Metaphern folgen lässt, die als Bildfeld die unio bezeichnen. vorspilen meint hier zunächst ein einfaches ›Vorstellen‹, aus dem sich aber etwas auf ein Endziel hin entwickelt. In Brief XLII , 6, ebd., S. 241 besagt das Verb zudem das innerliche Einwirken, aus dem jemandem etwas erwachsen kann – was in diesem Kapitel mystagogisch genannt wird. In Brief XLII ,

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Es soll hier aber nicht behauptet werden, die Briefe Heinrichs im Allgemeinen hätten mystagogischen Charakter für Margaretha gehabt und sie zur Kontemplation führen wollen. Dies trifft nämlich nicht für alle im gleichen Masse und im gleichen Umfang zu. Während einige Briefe fast nur aus persönlichen Mitteilungen und Bitten bestehen und darum keinen Anspruch erheben, Ausgangspunkt für meditatives Lesen zu sein,76 beschränkt sich in anderen Briefen diese Funktion auf die Einleitung.77 Nur wo der Schluss, der oft einzig aus persönlichen Nachrichten besteht, nicht überliefert ist, kann ein Brief in seiner ganzen Länge zum betrachtenden Lesen hinführen.78 Diese Feststellungen zeigen einmal mehr die verschiedenen Funktionen der einzelnen Textteile auf: Die hier angestellten Untersuchungen beschränken sich auf die Einleitung und den Hauptteil. Die Briefe in ihrer Gesamtheit als Betrachtungsbriefe zu bezeichnen, hätte auch insofern keinen Sinn, als das hiesse, sie isoliert zu sehen und damit zu überschätzen: Eine beträchtliche Anzahl finden ihre eigentliche Funktion nicht in sich selbst, sondern in der Beschäftigung mit geistlichen Texten, sei es mit biblisch-liturgischen Perikopen, sei es mit mystischen Schriften. Im Zusammenhang mit dem mystagogischen Charakter der Briefe XLVI und XLVIII soll hier noch einer Frage nachgegangen werden: Wie kann eigentlich Heinrich Margaretha in einen Dialog hineinstellen, der gar nicht der ihrige ist? Dazu soll noch einmal nach dem Selbstverständnis des ›Fliessenden Lichts‹ gefragt werden, wie Heinrich es begreift und in seine Briefe überträgt. Walter Haug legt in einer Studie zum mystischen Dialog bei Mechthild von Magdeburg dar, dass diese ihre mystischen Erfahrungen nicht nur für sich schriftlich festgehalten hat, sondern zugleich auch mit Blick auf die Leser und Leserinnen. Anhand des Prologs kann Haug zeigen, dass Mechthild sich als Vermittlerin von Offenbarungen versteht, was 1–20, ebd., S. 213 f. zeigt sich in der Verwendung des Verbs vorspilen zudem eine lustvolle Komponente, die das Vertraute und Verspielte im Zusammensein zwischen Jesus und Margaretha hervorhebt. Indessen weist auch bei dieser spielerischen Art der Verwendung von vorspilen das Adjektiv innerlich auf einen verinnerlichten Vorgang hin. 76 Während die Briefe LV und LVI fast keine persönliche Nachrichten enthalten, sind etwa die Briefe XXXII oder XL Fundgruben für zeitgeschichtliche Angaben: Sie bestehen fast ausschliesslich aus persönlichen Nachrichten, was das mystische Sprechen in den Hintergrund treten lässt. 77 So in den Briefen VIII , 1–8, Strauch, S. 180 und XXX , 1–9, ebd., S. 215. 78 Vgl. Brief LVI , ebd., S. 269 f. Das Fehlen eines Schlussteils in den Briefen LV und LVI macht es denn auch unmöglich, sie zu datieren.

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zwangsläufig zu einer Stilisierung des mystischen Vorganges bei der Niederschrift führe.79 Weiter meint Haug, dass das Wiedergeben von vergangenen Erfahrungen immer auch eine Reaktion auf diese Erfahrungen ist: »Dabei aber öffnet sich über die Rekapitulation der mystischen Erfahrung die Perspektive auf ein neues Eintreten in die Begegnung. Und gerade darin steckt weiterhin jenes Moment, das als Appell an den potentiellen Leser weitergegeben werden kann: das Sprechen zielt auf eine Reaktualisierung des mystischen Aktes, der Text bietet sich als Weg zur unio an, oder genauer: der Text problematisiert mit die Möglichkeit, die erinnernde Darstellung als Medium zur Reaktualisierung der unio einzusetzen.«80 Margaretha kann über die Lektüre des ›Fliessenden Lichts‹ in den Dialog zwischen Gott und Mechthild und damit in einen mystischen Prozess eintreten,81 weil die Bücher Mechthilds bereits daraufhin angelegt sind. Dies vermag Margaretha auch beim Lesen der Briefe, welche die MechthildExzerpte oder biblische Referenzen enthalten, dort allerdings unter der unmittelbaren Anleitung Heinrichs. Der Eintritt Margarethas in diesen vom Minne-Dialog beherrschten literarischen Raum geschieht dabei aus ihrer konkreten Lebenssituation heraus, die ihrerseits durch Erfahrungen geprägt ist. Diese können in den Briefen ebenfalls reaktualisiert werden, über Stilisierungen ihrer eigenen Person, die ihr zwar von Heinrich vorgegeben sind, die aber aus einem gemeinsam erworbenen Vorverständnis stammen müssen. 5.2.4 Margarethas Darstellung in hagiographischer Funktion Für die Untersuchung von Brief XI konnte festgehalten werden, dass er nicht allein an Margaretha, sondern zugleich an Elsbeth Scheppach gerichtet ist.82 Es drängt sich hier die Frage auf, wie wohl Letztere – und mit ihr der Konvent von Medingen – die Einleitung und den Hauptteil des Briefes gelesen haben mag, wenn darin ihre Mitschwester Margaretha in einem minnekosen mit Christus dargestellt und zur Gnadenmittlerin stilisiert wird. 79 Vgl. Haug, Das Gespräch, S. 258. 80 Ebd. 81 Walter Haug spricht vom Verhältnis von Niederschrift und Lektüre, das sich »zwischen der einstigen Erfahrung und dem Wiedereintreten in den mystischen Prozess« ausspannt: ebd., S. 268. 82 Vgl. Kap. 2.3.4. Auch in anderen Briefen wird Scheppach als weitere Adressatin erwähnt; vgl. z. B. Brief XXXV , 88 f., Strauch, S. 229. Zu Elsbeth Scheppach vgl. Kap. 1.2.

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Heinrich gibt in seinen Briefen Hinweise auf die Funktion Margarethas für jene, welche die Briefe lesen, etwa wenn er sie in Brief XIV mittels eines sich über mehrere Zeilen erstreckenden Polysyndetons darstellt83 und darauf von den einzelnen Gliedern dieser Aneinanderreihung sagt: [. . .] die gebend mir ain hailigs bild, ainen claren spigel, ainen wol getribenen weg zu aller gotlicher warhait, künde ich allein wol folgen. eia!84 Was meint Heinrich, wenn er das Wort bilde an den Anfang seiner Erläuterung stellt? Während er in den Schlussteilen der Briefe auf das Wort ›Bild‹ meist im Sinn eines konkreten Gegenstandes zurückgreift,85 wird der Begriff in den Hauptteilen semantisch breiter verwendet. Heinrich verwendet das Wort bilde immer als feststehendes Nomen, mit der Ausnahme des Nomen agentis bildner und der Ableitung überbilden.86 Darüber hinaus erstreckt sich die Semantik des Nomens bilde in den Hauptteilen fast nie auf das gemalte oder geformte Bild (pictura). In den meisten Fällen gebrauchen die Briefe bilde in der Bedeutung von ›Beispiel‹ (imago, exemplar) und dies fast immer in Bezug auf Margaretha: Sie ist ›lebendiges Bild‹ und ›Exemplum Christi‹.87 Daneben ist es Christus, der als imago Dei ›Vorbild‹ ist.88 Weiter sprechen die Hauptteile der Briefe auch vom göttlichen Bild, das dem Menschen in die Natur eingedrückt ist89 oder das sich auf Margaretha 83 Z. 4–7, Strauch, S. 191: [. . .] dein geträwes hertz und dein rainü sel und dein brinder geist und dein kuschü lieb und dein diemütiger wandel und dein warhaftz leben und dein plügs antlütz [. . .]. In diese Aufzählung müssen zudem auch die Zeilen 8–10 miteinbezogen werden. 84 Ebd., 10–12. 85 Vgl. Kap. 3.4. 86 Vgl. Brief VII , 32–35, Strauch, S. 180: das [. . .] der uszer wandel Jhesu Christi deinen wandel also überbildet hat [. . .]. 87 Vgl. in den Briefen III , 4 f., ebd., S. 171; VII , 12, ebd., S. 179; XIII , 9 f., ebd., S. 188; XIV , 10, ebd., S. 191; XVII , 5, ebd., 197. Brief LXV , 13, ebd., 279 betrifft die Priorin von Medingen, Elsbeth Scheppach. Die im Haupttext verwendete Terminologie geht zurück auf Stirnimann, Mystik, S. 235. Für Stirnimann reicht im Werk Heinrich Seuses das semantische Feld des Wortes bilde vom ›gemalten Bild‹ (pictura) über ›Gesicht/Erscheinung‹, ›Vorbild‹ oder ›Symbol‹ (imago, exemplar), ›Metapher‹ (figura) bis zu ›Grundwort‹, was gerne als ›Leitbild‹ des Autors bezeichnet wird. Als das eigentliche Leitbild Seuses gibt Stirnimann die gelazenheit an: vgl. ebd., S. 238. Auch die morphologischen Varianten bilden, bilder, bildgebend, bildlich, bildlos, bildrich, bildunge und die Komposita u´berbilden, verbilden sind bei Heinrich Seuse oft anzutreffen; vgl. das Glossar bei Seuse, S. 565, 606 und 614. 88 Vgl. Brief XL , 113 f., Strauch, S. 239 (hier allerdings im Schlussteil des Briefs). 89 Vgl. die Briefe V , 30, ebd., S. 177 und VI , 24 f., ebd., 178.

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neigt.90 Schliesslich wird der Begriff bilde eingesetzt, um einen Seelenteil zu bezeichnen, der von Gott (dem Bildner) empfangen wird oder zu Gott zurück strebt.91 Wenn Heinrich seine eigenen Sätze mit die gebend mir ain hailigs bild begründet, fühlt er sich von der Darstellung Margarethas auf dem Weg zu Gott angeregt, obwohl (oder gerade indem) er sich danach sofort wieder in der Beteuerung der eigenen Demut zurücknimmt. Über das Polysyndeton entwirft er ein lustvolles Bildfeld um Margaretha, das ihr und anderen ein ›Vorbild‹ (imago) gottgefälliger Tugenden gibt, dem es zu folgen gilt. Damit kommt diese Briefstelle dem bereits erwähnten Postulat des ›Didascalicon‹ Hugos von St. Viktor nahe: Qui virtutum notitiam et formam vivendi in sacro quaerit eloquio, hos libros magis legere debet qui huius mundi contemptum suadent, et animum ad amorem conditoris sui accendunt, rectumque vivendi tramitem docent, qualiterque virtutes acquiri et vitia declinari possint, ostendunt.92

Bei dieser Gegenüberstellung mit dem ›Didascalicon‹ soll Heinrich nicht unterschoben werden, er erhebe seinen eigenen Briefwechsel zu ›Heiligen Schriften‹. Seine Briefe werden nur insofern Träger von Heil, als einzelne ihrer Teile Margaretha in ihrer Vereinigung mit Gott zeigen und dadurch Heinrichs Geist – um die Wortwahl Hugos wieder aufzunehmen – »mit der Liebe zu seinem Schöpfer entflammen«. Für Heinrich selbst ist eine solche Wirkung jenen Worten gemäss gegeben, die dem bereits erwähnten Polysyndeton folgen und die zu Beginn dieser Arbeit zitiert wurden: mein und aller liebstz, ubersich mir disü wort, wan si erfrowen mein hertz, do ich si schraib; wan ich was trurig geweszen, bis ich dir schriben wart: do engieng es mir wol.93 Die Vermittlung von Heil hat demnach wesentlich etwas mit dem Akt des Lesens, aber auch mit jenem des Schreibens zu tun.94 Bemerkenswert ist hier, dass Heinrich mit dem Teilsatz ubersich mir 90 Brief XXXVIII , 32 f., ebd., S. 234. 91 Vgl. die Briefe XLVIII , 3 f., ebd., S. 256 und XXIX , 14 f., ebd., S. 213. 92 Didascalicon, V 7, S. 338, 11–15; vgl. auch Anm. 51. Didascalicon, S. 339: »Wer in der Heiligen Schrift die Kenntnis der Tugenden und eine Lebensregel sucht, der sollte vor allem diejenigen Bücher lesen, die zur Abkehr von dieser Welt raten und die den Geist mit der Liebe zu seinem Schöpfer entflammen, Bücher, die den rechten Lebensweg finden lehren und die zeigen, wie Tugenden erworben und Laster abgewehrt werden können.« 93 Brief XIV , 12–15, Strauch, S. 191. Vgl. dazu Einleitung, Anm. 1. 94 Vgl. dazu auch Kap. 6.2.7. Für Alois M. Haas ist mittelalterliches Lesen allgemein »gelungene und immer wieder gelingende Heilsgeschichte«, da sich die Geschichte des Christentums auf der »Erzählung von der Menschwerdung

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disü wort indirekt andeutet, das von ihm entworfene Bildfeld würde die Realität der Erfahrungen Margarethas übersteigen. Indem er sich dafür entschuldigt, verweist er auf die literarische Gestaltung der vorangegangenen Briefstelle.95 Schon bei der Niederschrift – und sicher auch beim nochmaligen Durchlesen – hatten demnach diese Briefpassagen, die Margaretha in ihrem minnekosen mit Gott darstellen, eine erste Funktion: Heinrich zu erfreuen und ihm einen Vorgeschmack der endgültigen Seligkeit zu geben. Und das dürfte grundsätzlich eine Funktion gewesen sein, die allen Leserinnen und Lesern – allen voran der Medinger Nonne und späteren Priorin Elsbeth Scheppach – vom Betrachten der Darstellung Margarethas im liebenden Austausch mit ihrem göttlichen Bräutigam her zukommen konnte: die Vergegenwärtigung von Trost und Freude und damit das Voranschreiten auf dem eigenen Weg zu Gott. Auf diese Weise kommt den Briefen eine weiter reichende Funktion zu als nur Antworten und Weisungen an Margaretha zu sein: Vor allem über die marianisch-brautmystische Bildlichkeit sind die Begehren nach der Erfüllung der Minnepartnerschaft mit Gott an ihr einer hagiographischen Konzeption unterworfen, in der Margaretha für weitere Leserinnen und Leser ein wol lebend bild und ein exempel Christi wurde.96 5.2.5 Die Briefe im literarischen Vergleich Diese hagiographische Darstellung der Gottesbeziehung Margarethas war zur Zeit ihrer Entstehung nicht unüblich. Sie gilt etwa auch für Mechthild von Magdeburg und Heinrich Seuse, deren Bedeutung für die Briefe Heinrichs bereits hinreichend dargestellt worden ist.97 Für das ›Fliessende Licht‹ Mechthilds konnte schon aufgezeigt werden, dass Heinrich Teile dieses Werkes und vor allem dessen Autorin – ain grosz gotzfründ – in seine Briefe als Exemplum für Margaretha einführt.98 Dass beim ›Fliessenden Licht‹ nicht erst durch dessen Übernahme in die Briefe Heinrichs von einer »programmatischen Stilisierung und hagiographischen

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Gottes« begründe und letztlich eine Wiederholung und Erweiterung dieser Grunderzählung sei: Seuse lesen, S. 248. Dass Heinrich etwa Brief XI gezielt literarisch aufgesetzt hat, konnte in Kap. 2.3 gezeigt werden. Vgl. Brief III , 4 f., Strauch, S. 171. Zur exemplarischen Rolle Margarethas in der Gegenüberstellung zum BdeW Heinrichs Seuses vgl. Kap. 4.4. Vgl. Kap. 5.2.3.

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Konkretisierung«99 für ein Publikum ausgegangen werden kann, hat Ursula Peters festgehalten. Für Peters sind die biographischen Anspielungen »deutlich auf die sanctitas einer mulier religiosa und damit auf ein hagiographisches Konzept von Begnadung ausgerichtet«.100 Walter Haug bemerkt, gerade das Wissen Mechthilds, Vermittlerin von Offenbarungen Gottes zu sein, führe bei der Niederschrift zwangsläufig zu einer Stilisierung des mystischen Vorgangs.101 Und Nigel F. Palmer spricht vom Selbstverständnis Mechthilds als einem Instrument Gottes mit ekklesiologischem Bezug: Das ›Fliessende Licht‹ werde für andere zum Instrument der göttlichen Verkündigung.102 Noch mehr zum Verständnis der besonderen Funktion Margarethas in den Briefen Heinrichs kann ein Vergleich mit Heinrich Seuses ›Exemplar‹ beitragen, das ja bereits in seiner Bezeichnung den Anspruch auf exemplarischen Charakter erhebt. In diesem Zusammenhang wird vor allem immer wieder auf die spezielle Rolle der ›Vita‹, des ersten Teils des ›Exemplars‹, aufmerksam gemacht.103 Mit der Bezeichnung ›der Su´se‹ für die ›Vita‹ (Hie vahet an daz erste tail dizz buoches, daz da haisset der Su´se104) identifiziere sich der Autor – so Jeffrey F. Hamburger – mit dem Text.105 99 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 58. 100 Ebd., S. 64. Nach Burkhard Hasebrink »liesse sich das ›Fliessende Licht‹ insgesamt auch als Selbstlegendarisierung begreifen, insofern man von der Autorschaft Mechthilds ausgeht und diese Autorschaft nicht als dominikanische Inszenierung auffasst«: Sprechen vom Anderen her. ›Heterologie‹ mystischer Rede als epistemischer Fluchtpunkt mittelalterlicher Literarizität, in: Germanistik in/und/für Europa. Faszination – Wissen. Texte des Münchener Germanistentages 2004, hg. von Konrad Ehlich im Auftr. des Vorstands des Deutschen Germanistenverbands, Bielefeld 2006, S. 391–399, hier: S. 392. 101 Vgl. Haug, Das Gespräch, S. 258. 102 Vgl. Palmer, Das Buch, S. 227–229. 103 Nach Walter Blank ist der literarische Typus der ›Vita‹ Heinrich Seuses »das autobiographische Modell als Spiegel des mystischen Weges«: Heinrich Seuses ›Vita‹, S. 288. 104 Vita, Prol., Seuse, S. 7, 1. 105 Vgl. Hamburger, Medieval Self-Fashioning, S. 430. Eine Identifikation mit dem Text ist schon in den deutschen Schriften Meister Eckharts gegeben, auch wenn dieser kein autobiographisches Konzept der Darstellung verwendet. Für Eckhart lässt sich die Wahrheit nur von dem verstehen, der ihr gleich geworden ist: »Der Sprechende, der Predigermönch Eckhart selber, spricht aus dieser Einheit mit der Wahrheit heraus. Eine solche Redeform, die den Redenden als einen exemplarischen Fall dessen, was er sagt, präsentiert, führt dann zu einer mystischen Sondersprache, wenn das Thema die Einheit des

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Indem Seuse seine Leserinnen anweise, ihr Leben dieser Schrift gemäss auszurichten, verweise er sie letztlich auf das eigentliche Exemplum, auf Christus, das hinter den Erfahrungen Seuses stehe. Die Leserinnen sollen Seuse nachahmen, wie er selbst Christus nachahme:106 »Seuse’s Life is itself an image in which the author invites his readers to recognize their Creator, the exemplar of all images.«107 Indem sich Seuse an Formen der Hagiographie anlehne, identifiziere er sich – ähnlich dem Apostel Paulus im 1. Korintherbrief – mit einer Mittlergestalt, durch die die Leserinnen und Leser Christus erkennen können.108 Weiter führt Hamburger einen Gedanken aus, der für Heinrich von Nördlingen bereits eingeführt wurde und der sowohl den Vorgang des Lesens als auch jenen des Schreibens betrifft: »[. . .] reading, writing and transcription serve as instruments of initiation through which his disciples can assimilate themselves to Christ«.109 Seuse ist beim Lesen der ›Vita‹ also in dem Sinne bilde, wie das auch für Margaretha in den Hauptteilen der Briefe Heinrichs dargelegt wurde: ein exemplum Christi. In seiner ›Vita‹ nimmt Heinrich Seuse noch andere Stilisierungen vor, so zum Beispiel jene seiner Mutter, die bei der Betrachtung eines Bildes Marias diese und durch sie Christus imitiert.110 Wenn Seuse sich im Text seine Mutter als guot bild vor Augen stellt und sich damit mit deren Exempla – Maria und Christus – verbindet,111 kann sich auch die Leserin der ›Vita‹ in diese Reihe Christus/Maria – Mutter – Seuse stellen.112 Ebenso wird in den Briefen Heinrichs durch die konstitutive Stilisierung Margarethas zum marianischen Typus ihr selbst und weiteren Leserinnen in ihrer Suche nach der unio mit Gott in Maria ein ideales Vorbild vor Augen geführt, an das sie als Jungfrauen und Bräute Christi zurückgebunden werden.113 In der ›Vita‹ lässt sich diese marianische Komponente für Heinrich Seuse selbst fest-

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Menschen mit Gott ist: Der Sprechende begreift sich dann als Zeuge der Einheit, zu welcher er andere bekehren möchte«: Haas, Schulen, S. 161. Vgl. Hamburger, Medieval Self-Fashioning, S. 430. Ebd., S. 449. Vgl. ebd., S. 431. Hamburger verweist dabei auf die Aussagen in 1 Cor 4, 16: rogo ergo vos / imitatores mei estote und 1 Cor 11, 1: imitatores mei estote sicut et ego Christi. Hamburger, Medieval Self-Fashioning, S. 431. Vgl. ebd., S. 433. Vgl. ebd., S. 434. Diese Reihe erinnert an die Darstellung des Gnadenflusses, wie er anhand der Einleitung von Brief XI Heinrichs von Nördlingen beschrieben wurde; vgl. Kap. 2.3.1. Zur Funktion Marias in den Briefen vgl. Kap. 3.3.

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machen,114 der die geschlechtstypische Bildlichkeit ja wohl gerade auf seine Leserinnen hin überwindet. Überdies wird in der ›Vita‹ die Nonne Elsbeth Stagel in der Funktion der idealen Rezipientin geschildert; sie ist ein Beispiel dafür, wie eine Leserin das Werk Seuses aufnehmen kann. In der Konstellation Heinrich Seuse – Elsbeth Stagel ist in der ›Vita‹ demnach noch eine weitere Komponente gegeben, die für die Funktionen von Autor und Adressatin in den Briefen Heinrichs von Nördlingen eine Bedeutung haben kann: jene des exemplarischen Dialogs.115 Auch die hagiographisch gezeichnete Funktion Margarethas in Abgrenzung zu Heinrich lässt eine Leserin der Briefe in den Dialog eintreten, der die unio mit Gott zum Ziel hat. Auf der Ebene des Textes anerkennt Heinrich das Exemplum Margaretha als idealer Rezipient durch die Zurücknahme seiner selbst. Über ihre Erfahrungen weiss er sich auf Christus hingewiesen. Einer Nonne (oder einem weiteren Personenkreis), die sich beim Lesen auf diesen Dialog zwischen der begnadeten Margaretha und dem von ihr empfangenden Seelenführer einlässt, wird Heinrich als Exemplum vor Augen geführt, wie er durch Margaretha das Heilshandeln Gottes zu begreifen versucht. Mit diesem idealen Rezipienten vor Augen kann sie sich in einen ähnlichen Prozess begeben. Durch Margarethas Darstellung im liebenden kosen mit Gott und als Vermittlerin von Gnaden konnten Heinrich selbst, Elsbeth Scheppach und weitere Kreise um Heinrich und Margaretha beim Lesen göttliche Zuwendung begehren. Dies kann auch für die Schriften vieler anderer, literarisch fassbarer Nonnen des 14. Jahrhunderts,116 aber auch für jene von Männern 114 Auf einem der ›Vita‹ beigefügten Bild wird der Diener – Seuse selbst ist als Dominikaner erkennbar – als ›sedes sapientiae‹ dargestellt: auf seinem Schoss umarmen sich die Seele des Dieners und die Weisheit; vgl. Seuse, S. 19. 115 Vgl. Hamburger, Medieval Self-Fashioning, S. 444. Die Darstellungsform des Dialogs spielt auch im ›Fliessenden Licht‹ eine wichtige Rolle; vgl. Kap. 4.3.7. Im Zusammenhang mit den Briefen war in der Einleitung von einem ›dialogisierten Monolog‹ die Rede: Anm. 21. 116 In einen Vergleich zur Darstellung Margarethas in den Briefen gehören auch die Schriften Christine Ebners und Adelheid Langmanns, da Christine ebenfalls mit Heinrich in Verbindung stand und Adelheid freundschaftliche Beziehungen zum Kloster Kaisheim pflegte. Zu Christine vgl. Siegfried Ringler, Ebner, Christine, in: 2VL 2 (1980), Sp. 297–302, hier: Sp. 297 und 299; zu Adelheid vgl. McGinn, Die Mystik, S. 546. In ihren jeweiligen Schriften dürften die beiden Engelthaler Nonnen mit ähnlichen Funktionen wie Margaretha in den Briefen Heinrichs ausgestattet sein. So meint Thali, Beten,

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wie dem Engelthaler Klosterkaplan Friedrich Sunder festgehalten werden. So wie die ›Vita‹ Heinrich Seuses den Autor selbst als Leitbild für andere anbietet,117 übernimmt Sunder in seiner Gnadenvita die Funktion eines Exemplums dafür, »dass die Teilhabe am göttlichen Gnadenfluss möglich ist«.118 Indem Sunder seine mystischen Erfahrungen mitteile, so Johanna Thali, könne dieser den Weg weisen, auf dem auch andere für die Gnade seiner Erfahrungen offen werden.119 In diesem Sinne wird auch Margaretha in den Briefen Heinrichs zu einer ›heilsgeschichtlichen Existenz‹ stilisiert.120 5.2.6 Der Vorgang des Lesens im Rahmen der cura monialium Die ersten Leserinnen der Briefe Heinrichs waren neben Margaretha und Elsbeth deren Medinger Mitschwestern, denen sie ebenfalls als Unterweisung zur Andacht dienten. Die Stelle und dar zu ist euch nichtz bessers und nutzers, wan das ir teglich ze minsten ainüst euch von allen dingen kerint in euch selber und gangint in dem gelait des reichen verdinends unsers lieben heren Jhesu Christi121

korrigiert freilich beiläufig das Bild von Nonnen, die sich stets meditierend der Andacht widmen. Hier scheint etwas vom realen Alltag des Medinger Konventes auf, in dem die Zeit für die persönliche Andacht neben Chorgebet und Arbeit nicht uneingeschränkt zur Verfügung stand oder nicht immer produktiv genutzt wurde. Die Briefe erinnerten die Nonnen an ihre eigentliche Berufung. Auch konnten die Dominikanerinnen nicht alles gleichermassen erfassen, was Heinrich ihnen zur lectio zukommen liess. Darum

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S. 205 zu Adelheid: »Als Ordensfrau wird Adelheid aufgrund ihres Gebets ihrerseits zur Mittlerin göttlicher Gnaden und hat damit teil am Erlösungswerk.« Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 422. Thali, Beten, S. 158. Diese Aussage lässt an die Einbindung Margarethas in den Gnadenfluss der Einleitung von Brief XI denken. Johanna Thali spricht von der Teilhabe am Gnadenfluss durch eine andächtige Lektüre des ›Gnaden-Lebens‹ Friedrich Sunders: vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 159. Thali bezieht sich hier auf die Aussage Siegfried Ringlers, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 353, es sei die Funktion des Textes, »mystische Lehre als ein ›Leben‹ zur Darstellung« zu bringen. Den Ausdruck ›heilsgeschichtliche Existenz‹ verwendet Michael Egerding für Mechthild von Magdeburg: Metaphorik, S. 69, bes. Anm. 1, wo er sich für seine Konzeption auf Kurt Ruh beruft. Brief XLIII , 75–78, Strauch, S. 245. Vgl. auch Kap. 4, Anm. 217.

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ist seine schriftliche Hinführung zu meditativem Lesen geistlicher Literatur nicht von einer gewissen verstandesmässigen Disziplinierung zu trennen. Eine Passage macht deutlich, dass Margaretha nahe stehende Menschen, die ihrerseits mit Heinrich befreundet waren und in die er Vertrauen haben konnte, ihr bei der Deutung eines Textes halfen. In Bezug auf die biblische Geschichte der Königin Ester schreibt Heinrich: die [unszer liebe kind und unser schuler] haisz dir die histori all lesen und betiten, wan ich getrau got, das sie dir in gaistlicher verstäntnusse wol ze hülf kum in dem hailligen gaist.122 Die Andacht einer Nonne darf darum nicht idealisiert und als ein zur Ekstase tendierendes Geschehen interpretiert werden. Auch bei der Lektüre der Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ schloss das Lesen zuerst einmal das Arbeiten am Text mit ein: Nachdem Heinrich in Brief XLIII mahnt, die Mechthild-Lektüre mit Gebeten zu beginnen, fährt er fort: dar nach vahent an ze lesend sitlichen und nit ze vil und wolchiü wort ir nit verstandint, die zeichend und schribentz mir, so betützsch ichs euch, wan es ward uns gar in fremdem tützsch gelichen.123 Für den Vorgang des Lesens, der hier geschildert wird, wurden die Medinger Nonnen aufgefordert, sich mit Schreibzeug auszurüsten und den Text (wohl gemeinsam) Seite für Seite durchzugehen, um allfällige Unsicherheiten schriftlich festzuhalten und sie Heinrich mitzuteilen. Dieser Akt des Lesens kann als Studium bezeichnet werden, das ein theologisch gebildeter Kleriker anregte und begleitete. Brief XLIII kommt demnach auch die Funktion einer Hilfe beim Arbeiten an einem Text zu. Dabei soll nun kein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis der Nonnen vom Seelsorger postuliert werden. Wenn Heinrich in Brief XI Margarethas Anfragen und Erfahrungen in den Kontext biblischer Texte stellt,124 konnte er ihnen damit zwar als theologisch versierter und mit der Pastoral vertrauter Priester das geben, wozu sie als Nonnen nur ansatzweise Zugang hatten: die Anbindung ihrer Erfahrungen an das grössere Ganze des tradierten Denkens über die Heilsgeschichte. Die Dominikanerinnen dürfen darum aber nicht in der Passivität von indoctae und illiteratae gesehen werden,125 denn das hiesse, die Entstehung der Briefe nicht dem wechsel122 123 124 125

Brief XXXIII , 38–41, Strauch, S. 220. Z. 134–137, ebd., S. 246 f. Vgl. Kap. 2.4.1. Mittelalterliche Autorinnen verfügen z. T. über »beträchtliche philosophische und theologische Kenntnisse [. . .] und zeigen sich mit der Tradition grundsätzlich vertraut. Nebst dem Rückgriff auf eine dem eigenen Lebenshintergrund entlehnte Begriffs- und Bilderwelt machen diese Autorinnen zuweilen auch Gebrauch von der scholastischen Terminologie«: Be´atrice W. Acklin

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seitigen Gespräch im Rahmen der cura monialium zuzuordnen. Zudem würden diese damit unabhängig von den Briefen und ›Offenbarungen‹ Margarethas gelesen,126 in denen sie als Autorin (wohl zusammen mit ihren Mitschwestern) durchaus Eigenständigkeit zeigt. Inhalt und Form der Briefe Heinrichs lassen sich auf einen Diskurs zurückführen, der Margarethas persönliche Gotteserfahrung in den Mittelpunkt stellt und den Medinger Konvent darum aktiv einschliessen musste.127 Margaretha kommt dabei ja meist die Rolle zu, mit Anfragen die Briefe evoziert zu haben. Zudem zeigen gerade ihre ›Offenbarungen‹, dass sie nicht bei den Stilisierungen ihrer Person in den Briefen stehen geblieben ist, sondern diese in Relation zu ihrer eigenen Darstellungsweise gesehen hat.128 Die Art der Lektüre durch die Medinger Nonnen kann aber nicht einfach auf ein Studium reduziert werden: Der Vorgang des Lesens selbst muss den meditativen Charakter der Briefe entscheidend unterstützt oder sogar evoziert haben. Wenn Heinrich Metaphern assoziativ aneinanderreiht und damit ganze Bildfelder entstehen lässt, in die er Margaretha einbaut, nimmt er einen »Verlust des Referenzbezuges und eine Minimalisierung des Kontextes der einzelnen Bilder«129 in Kauf, gewinnt dadurch aber (im Zusammen-

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Zimmermann, Einleitung, in: Denkmodelle von Frauen im Mittelalter, hg. von B. A. Z. (Dokimion 15), Freiburg/Schweiz 1994, S. 9–17, S. 11. Zum eigenständigen Arbeiten Margarethas vgl. auch Kap. 6.4.2. Für Otto Langer waren die Nonnen am Diskurs über neue Formen der Gotteserfahrung mit ihren dominikanischen Seelenführern (konkret bei Langer: mit Meister Eckhart) aktiv beteiligt. In der »kontrastive[n] Interpretation von Nonnenviten und Predigten« liessen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Seelsorger und Nonnen sichtbar machen: Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit (MTU 91), München/Zürich 1987, S. 18. Hier zeigt sich deutlich, wie die Briefe und die Lebenswelten von Autor und Adressatin aufeinander bezogen sind. Wie in Kap. 1.3.3 auf die Bedenken Manfred Weitlauffs hin dargelegt wurde, soll es in dieser Arbeit nicht zu einer Dichotomie zwischen der inhaltlichen Ebene und der Literarizität der Briefe kommen. In den ›Offenbarungen‹ wird Margaretha zur leidenden Nonne stilisiert; vgl. Kap. 6.2.1. In Kap. 6 wird deutlich, dass auch die ›Offenbarungen‹ aus dem Diskurs zwischen Heinrich, den Medinger Nonnen und deren Freundeskreisen entsprangen. Egerding, Metaphorik, S. 170. Diese Aussage macht Michael Egerding zum ›Fliessenden Licht‹.

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spiel mit Stilmitteln wie der Alliteration, dem Reim oder in einigen Fällen der Versbildung) eine poetische Sprache, die sich für das Vorlesen der Briefe besonders eignete.130 Bereits Debra L. Stoudt hat auf die Tatsache des lauten Vorlesens hingewiesen. Die dabei zum Tragen kommende Melodie der Sprache, so Stoudt präzisierend, habe sich durch die Verbindung der Bilder über die Ähnlichkeit der Wortstruktur ergeben können.131 Stoudt weist vor allem dem Stilmittel der Alliteration die Funktion zu, die einzelnen Metaphern auf der Ebene des Hörens in eine Beziehung zueinander zu setzen, damit sie danach auch auf der semantischen Ebene aufeinander bezogen werden können.132 Hier sollen die Überlegungen Stoudts noch einen Schritt weitergedacht werden, indem der Sprache sogar ein Anteil am Prozess der Begnadung der Leserinnen und Leser zugesprochen wird. Ob die Briefe nun privat oder vor anderen laut gelesen wurden: Durch ihre rhythmische und zugleich bildreiche Sprache trugen sie zum meditativen Charakter des der monastischen lectio verpflichteten Lesens bei. Sie erleichterten so einen unmittelbareren Zugang zum Minne-Dialog zwischen Margaretha und dem göttlichen Bräutigam. Die poetische, für moderne Ohren oft süsslich klingende Sprechweise fand auf der Ebene der Bildlichkeit eine Entsprechung in den sich oft wiederholenden Metaphern etwa des Fliessens, der Vereinigung und der Minne und besass darum in sich schon das Potential, beim (hörenden) Lesen in die Meditation und auf diese Weise in den Raum der angestrebten Gnaden einzutreten. Damit wird für die Briefe Heinrichs der gleiche Rezeptionsvorgang vermutet, den Kurt Ruh für das ›Buch der Minne‹ annimmt: Der lyrische Charakter der Prosa bindet die Leser in den dargestellten Prozess ein.133 Insofern kann die Aussage Heinrichs: ubersich mir 130 Im Mittelalter hiess ›lesen‹ gemeinhin, die Worte mit den Lippen zu formen und wenigstens mit leiser Stimme zu sprechen. Auf diese Weise konnten die Sätze gehört werden, welche die Augen sahen; vgl. Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1963, S. 85. 131 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 214. Für die deutsche Literatur vor 1300 hat Dennis Howard Green auf die mündliche Dimension des Lesens hingewiesen. Texte konnten von anderen vorgelesen oder für sich selbst laut gelesen werden. Green zitiert aus dem geistlichen Werk ›Geistlicher Herzen Baungart‹, um am Beispiel einer Nonne beide Aspekte des Lesens zu belegen: [. . .] die du hörst von sinen worten sagen, und die du lisest mit dinem munde: Medieval Listening and Reading. The primary reception of German literature 800–1300, Cambridge 1994, S. 148. 132 Vgl. Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 215. 133 Vgl. Kap. 4.1. Für Hans-Georg Gadamer gilt das auch für das stille Lesen:

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disü wort, wan si erfrowen mein hertz, do ich si schraib; wan ich was trurig geweszen, bis ich dir schriben wart: do engieng es mir wol 134 auf den Akt des Schreibens selbst bezogen werden – er wird dabei das Geschriebene laut gelesen haben –,135 der für Heinrich gleichzeitig eine erquickende und erhebende Funktion hatte. Dass Heinrich der mystischen Rede eine musikalische Dimension einräumte, die zuerst für die Ohren bestimmt war,136 zeigt seine Bemerkung zu Mechthild von Magdeburg, die er himelsche orgelkunigin137 nennt und deren ›Fliessendes Licht‹ er als ditz himelschs gesang138 bezeichnet. Die lyrischen Komponenten eines Werkes wie des ›Fliessenden Lichts‹ dürften darum bei dessen Rezeption für Heinrich eine bedeutendere Rolle gespielt haben als bisher angenommen.139 Die Musikalität der Sprechweise hat vermutlich auch für die Rezeption der Schriften Heinrich Seuses eine Rolle

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»Betonung, rhythmische Gliederung und dergl. gehören auch dem stillsten Lesen an. Das Bedeutungshafte und sein Verständnis ist offenbar mit dem Sprachlich-Leibhaften so eng verbunden, dass Verstehen immer ein inneres Sprechen enthält«: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Gesammelte Werke. Bd. 1), Tübingen 1990, S. 165 f. Brief XIV , 13–15, Strauch, S. 191. Briefe wurden im Mittelalter nicht nur beim Diktieren laut vorgelesen, sondern auch beim direkten Aufzeichnen durch den Autor; vgl. Green, Medieval Listening, S. 148. Da Heinrich nachweislich Briefe auch diktierte (vgl. Kap. 1.2), ist die Mündlichkeit schon bei deren Entstehung gegeben. Dem Ohr kommt im Mittelalter bei der Begnadung durch Gott eine wichtige Funktion zu, was sich vor allem in der Vorstellung von der Empfängnis Christi zeigt. Walther von der Vogelweide etwa sagt von Maria: Er [sc. Der Engel Gabriel] sprach zuo ir: ›aˆveˆ‹, daz minneklıˆch grüezen, / durch ir oˆren enpfienc si den vil süezen,/ der ie aˆn anegenge was und muoz aˆn ende sıˆn: Buch I 12a. Fürstenspiegelton III , 5–7, in: W.v. V ., Leich, Lieder, Sangsprüche, 14., völlig neu bearb. Aufl. der Ausgabe Karl Lachmanns, mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996, S. 70. Ein Reflex dieser Auffassung, das göttliche Wort müsse über das Ohr in Maria Fleisch angenommen haben, kann auch bei Mechthild von Magdeburg gefunden werden. Im ›Fliessenden Licht‹ neigt o Maria im Moment der Empfängnis dem Engel Gabriel ihr Ohr zu: Do stunt si mit grosser zuht und neigete ir oren und rihte uf ir sinne: Kap. V 23, 22 f., S. 175. Brief XLIII , 128 f., Strauch, S. 246. Ähnlich bewunderte Elisabeth von Schönau Hildegard von Bingen als »Orgel des Hl. Geistes«: Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 65. Brief XLIII , 129, Strauch, S. 246. Vgl. auch die Aussage in: Anm. 32, die Rede Gottes sei für das Hören bestimmt gewesen. Zur lyrischen Tradition mystischen Sprechens vgl. Kap. 4.1.

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gespielt.140 Insofern muss Manfred Weitlauffs Ansicht relativiert werden, der meint, Heinrich von Nördlingen habe »die Bildhaftigkeit der übernommenen Symbolik noch übersteigert« und seine Briefe seien »sichtlich auf affektive Wirkung angelegt«, die das Ziel verfolgten, »Magaretas Phantasie und Erlebnisfähigkeit immerfort zu erregen, in ihr immer noch tiefere mystische Schau zu erzeugen«.141 Eine solche Deutung beruht auf einer modernen Art des Lesens und lässt zugunsten der unmittelbaren Erfahrungsebene die literarhistorische Einbettung der Briefe in das Andachtsschrifttum des Mittelalters ausser Acht. Die Briefe entstanden aus dem seelsorgerlichen Gespräch zwischen Kleriker und Nonne(n) und setzten den lyrischen Charakter der Prosa bewusst als Stilmittel ein, um die Leserinnen in die dargestellten ›Minne-Begehren‹ einzubinden. Das auf unmittelbare Erfahrung gerichtete laute Lesen und das intellektuelle Erfassen der Briefe dürften nicht die einzigen Momente gewesen sein, die deren Rezeption zu einem ganzheitlichen, das heisst Geist, Seele und Körper einbeziehenden Ereignis gemacht haben. Bereits wurde auf die Funktion der Briefe verwiesen, der Andacht zu dienen, zumindest als Hinleitung zum Meditieren geistlicher Texte. Im Vorwort zum BdeW fordert Heinrich Seuse die Verbindung der Betrachtungen mit bestimmten körperlichen Übungen.142 Michael Egerding spricht von der Aufgabe eines lebendigen Umgangs mit der schriftlichen Fixierung des göttlichen Handelns und – im Falle Seuses – von einer leiblichen Realisierung der göttlichen Zuwendung über die Bezugnahme auf die Leiden Christi.143 Eine solche Gebetshaltung darf auch im Umfeld der Briefe angenommen werden, was für den Umgang mit dem ›Fliessenden Licht‹ bereits gezeigt wurde.144 Das mit Venien – einer Prostration mit ausgestreckten Armen – verbundene Beten hatte im Dominikanerorden eine Tradition, die bis auf den Ordensgründer Dominikus zurückgeführt wurde.145 Die Briefe Heinrichs könnten zur Einübung 140 Vgl. Heinrich Stirnimann, Unio – Communio. Dimensionen mystischer Erfahrung. 2. Teil (Dokimion 19), Freiburg/Schweiz 1996, S. 175: »Das Reizvolle – ja man möchte fast sagen: das Geniale – in des Konstanzers Sprechweise liegt vor allem in deren Musikalität [. . .].« 141 Weitlauff, dein got redender munt, S. 331. 142 Vgl. Egerding, Metaphorik, S. 153 zu BdeW, Prolog, Seuse, 196, 8–12. 143 Vgl. Egerding, Metaphorik, S. 153. 144 Vgl. Kap. 5.2.1. 145 Bekannt waren im Orden besonders ›die neun Gebetsweisen des Dominikus‹, die von einem Dominikaner des 13. Jh.s stammen und den Ordensvater in

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(auszugsweise) selbst Gegenstand der klösterlichen Andacht gewesen und bei den Dominikanerinnen von Medingen von bestimmten Gebetshaltungen begleitet worden sein. Mindestens aber führte die Lektüre der Briefe deren Rezipientinnen zur Betrachtung mystischer Schriften und liturgischer Lesungen, die durch Studium, Gebet und körperliche Übungen mitbestimmt war. Margaretha selbst, die ihren ›Offenbarungen‹ gemäss unter Einbezug von Kruzifixen und eines Jesuskindes ihre Andachten verrichtet,146 wird dabei ganz in der Nachfolge ihres Ordensvaters Dominikus dargestellt. 5.2.7 Die Bedeutung des Schreibens im Prozess der Begnadung Einige Male wurde im Zusammenhang mit dem Vorgang des Lesens auch jener des Schreibens erwähnt, der am Prozess der Heilsvermittlung der Briefe ebenfalls teilhat und dem darum ein eigener Abschnitt gewidmet sein soll. Was bedeutet für Heinrich das Schreiben? Er weiss um die Gnade, die anderen Menschen aufgrund seiner Vermittlung zukommt,147 und er wünscht sich, an dem, wofür die von ihm gewählte Metaphorik steht, selbst Anteil zu haben.148 Zudem berichtet er auch von Tröstungen und Freuden, die ihm zukommen, während er die Briefe schreibt: des sint gezuig die süszen lustlichen und inner treher, die er mir gab, do ich dir disz ungeordint brifflin schreib mit ungeret an der vorigen nacht nach der xi m. megd tag zem bad, da wir wol habint den lib gebadet.149

Zu einer tieferen Bedeutung des Schreibprozesses, der bei der Vermittlung göttlichen Heils jenem des (betrachtenden) Lesens nahekommt, nimmt Heinrich aber nirgends explizit Stellung. Anders Margaretha, die sich aus-

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verschiedenen Arten des Betens (Meditation, Anbetung, Fürbitte usw.) zeigen; vgl. Peter Dyckhoff, Mit Leib und Seele beten. Die neun Gebetsweisen des Dominikus, Freiburg i. Br. usw. 2003, S. 11. Bei Dyckhoff können alle Farbminiaturen aus der ältesten erhaltenen Hs., Cod. Rossianus 3 der Vatikanischen Bibliothek, eingesehen werden. Deutlich wird in diesen Miniaturen das Bestreben sichtbar, das Gebet des Dominikus unter Einbezug des Körpers darzustellen. Vgl. Kap. 6.2.6. Vgl. Brief XLVIII , 29 f., Strauch, S. 257. Vgl. Kap. 2.4.4. Brief XXXIX , 14–17, Strauch, S. 235. Wie beim Lesen der Briefe (vgl. Anm. 127) dürfte Heinrich auch beim Schreiben die Worte mindestens mit den Lippen geformt haben.

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drücklich dazu äussert.150 In ihren ›Offenbarungen‹ ist nach Ursula Peters das »Schreiben [. . .] in den Prozess der Begnadung einbezogen, zumindest von besonderen Gnadenerlebnissen begleitet. [. . .] Margarethe betont ausdrücklich, dass sie im Akt des Schreibens noch einmal die vergangenen Gnadenerlebnisse erfahre und zwar so heftig, dass sie dies alles kaum in der richtigen Reihenfolge habe niederschreiben können. Das Schreiben ist hier Movens der Rekapitulation spiritueller Erfahrungen und zugleich verstärkendes Medium der Begnadung«.151 Wie es im nächsten Kapitel noch zu zeigen gilt, darf davon ausgegangen werden, das Nachdenken über die Funktionen der ›Offenbarungen‹ Margarethas sei nicht nur auf deren persönlichen Erfahrungshorizont zurückzuführen, sondern Bestandteil des Diskurses um sie und Heinrich gewesen. Es kann darum davon ausgegangen werden, dass auch Heinrich die Auffassung teilte, dem Schreibprozess komme ein Anteil an der Begnadung durch Gott zu. Ein weiteres Mal soll das ›Fliessende Licht‹ zum Vergleich herangezogen werden.152 Mechthild von Magdeburg widmet in ihrem Werk ein ganzes Kapitel möglichen Kopisten ihres Buches.153 Hierüber hält Nigel F. Palmer fest, Mechthild bete in diesem Kapitel für jeden denkbaren Schreiber, der nach ihrem Ableben das Buch ihrer Offenbarungen abschreiben werde.154 Mechthilds Bitte um die Gnade als Lohn für diese Schreiber wird ihr daraufhin von Gott in der Form himmlischen Lohnes auch bestätigt.155 Heinrich muss beim Kopieren einzelner Passagen des Werkes diese Verheissung des göttlichen Lohnes mitbedacht haben – und hat vielleicht auch deswegen Mechthilds Werk so getreu wiedergegeben, während er andere Schriften meist nur paraphrasiert.

150 Vgl. dazu Kap. 6.2.7. 151 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 146. 152 Zum Einfluss des ›Fliessenden Lichts‹ auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas vgl. Kap. 6.2.9. 153 Vgl. FL , II 26, S. 68–70. 154 Vgl. Palmer, Das Buch, S. 225. Palmer bezieht sich hier auf die Stelle FL , II 26, 34 f., S. 69: [. . .] ich su´fzen und gere und bitte fu´r dine schribere, die das o buch na mir haben geschriben, das du in o˘ch wellist die gnade ze lone geben [. . .]. Diese Stelle ist allerdings nicht unumstritten. Palmer nimmt als ursprüngliche Lesart dinen schriber an und übersetzt: »Herr, ich seufze und bitte für jeden Schreiber, der sich zu Deinem Werkzeug macht und dieses Buch nach meinem Hinscheiden [na mir] abschreiben wird«: Das Buch, S. 225. 155 Vgl. ebd., zu FL , II 26, 37–41, S. 69.

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Dass für das Mittelalter ganz allgemein davon ausgegangen werden kann, dem Vorgang des Schreibens geistlicher Texte sei Anteil an göttlicher Gnade zugedacht worden, zeigt sich schon beim spätantiken Schriftsteller Cassiodor, der die Aufgabe der Schreiber lobt, weil sie mit der Tinte und dem Anfertigen eines Textes den Teufel angreifen.156 Positiv ausgedrückt heisst das, dass durch das Schreiben nicht nur Ruhm, sondern auch das Seelenheil gewonnen werden kann.157 Die Überlegungen Cassiodors können zwar nur beschränkt auf Heinrich angewandt werden, weil wir es bei ihm nicht nur mit einem Schreiber, sondern auch mit einem Autor zu tun haben. Als Autor seiner Briefe nimmt Heinrich jene Position ein, die ihm als Seelsorger zukam, wenn er Margaretha in Medingen aufsuchte: Er begleitete sie, unterwies sie und ermunterte sie auf dem Weg ihres geistlichen Lebens. Da die Briefe demnach in den Kontext der priesterlichen Funktionen Heinrichs gehören, durfte er sich auch durch deren Abfassung himmlischen Lohn erhoffen, war Heinrich doch um das Seelenheil Margarethas und anderer Personen bemüht. Damit wird, was das Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha betrifft, die Gattung des Briefs weniger zum Mittel der Überbrückung räumlicher Distanz als vielmehr zum idealen Medium der Seelsorge.158 Es soll darum bereits hier die These formuliert werden, das 156 Vgl. Magni Aurelii Cassiodori Opera Omnia (PL 70, 1144 D – 1145 B). 157 Vgl. Paul Gerhard Schmidt, Probleme der Schreiber – Der Schreiber als Problem (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. 31/5), Stuttgart 1994, S. 179. Wo mittelalterliche Texte mit der Verheissung von Heil verknüpft sind, ist beim Kopieren auch die Forderung nach der Bewahrung des Wortlauts gegeben; vgl. Klaus Grubmüller, Verändern und Bewahren. Zum Bewusstsein vom Text im deutschen Mittelalter, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450, hg. von Ursula Peters (Germanistische Symposien Berichtsbände 23), Stuttgart/Weimar 2001, S. 8–33, hier: S. 13. Grubmüller konnte für die 1254 entstandene ostmitteldeutsche Bibeldichtung ›Judith‹ zeigen, dass ein genaues Abschreiben »zur notwendigen Voraussetzung für die Bewahrung der geistlichen Potenz des Gedichts« und zum »Akt der Heilsgewinnung« wird; das korrekte Abschreiben werde damit »selbst zum Dienst an Gott«: ebd., S. 14. 158 Für Hieronymus Wilms war die Gattung des Briefs das ideale Mittel der Seelsorge; vgl. Kap. 1.3.2. Nach Paul Mommaers und Frank Willaert wird in der Forschung auch für die niederländische Begine Hadewijch, die bereits hundert Jahre vor Heinrich Briefe in der Volkssprache verfasste, die Wahl der Gattung ›Brief‹ nicht auf deren räumliche Trennung von ihren Freundinnen zurückgeführt: Mystisches Erlebnis und Sprachliche Vermittlung in den Briefen Hadewijchs, in: Religiöse Frauenbewegung [wie Kap. 1, Anm. 72], S. 117–

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mystische Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha sei schon vor ihrer räumlichen Trennung bewusst auch auf dem literarischen Weg geführt worden und dieser Weg sei für ihren geistlichen Austausch konstitutiv gewesen. 5.2.8 Der andere Schreibstil Heinrichs Nun trifft das Attribut ›mystisch‹ ja nicht für alle Briefe Heinrichs im gleichen Masse zu: Es sei dafür auf die bereits vorgenommene Differenzierung innerhalb jener Briefe hingewiesen, die Margaretha zur alleinigen Adressatin haben.159 In den Briefen XXIII , LXV und teilweise in LXVI fehlt die mystische Bildlichkeit, die im dritten Kapitel für die Einleitungen und Hauptteile herausgearbeitet wurde, sogar gänzlich:160 Der erste Brief ist zugleich an Margaretha und Elsbeth Scheppach gerichtet, der zweite nur an Elsbeth, die inzwischen zur Priorin gewählt worden war, und der dritte an die Nonne von Hochstetten. Die Anrede Frau der priorin161 in Brief LXV , in dem Heinrich die Priorin Scheppach in ihrem Amt zu stärken versucht und ihr dazu die innere Andacht empfiehlt, ist im Vergleich zu den Attributen, die sonst Margaretha zugeschrieben werden, von Nüchternheit geprägt. Der Brief hat die Förderung der rechten humilitas zum Ziel.162 In Brief LXVI , der an die Nonne von Hochstetten gerichtet ist, greift Heinrich auf die Liturgie zurück und stellt der Adressatin eine Heilige als Vorbild hin – der Brief ist nach dem Fest der heiligen Maria Magdalena vom 22. Juli verfasst. Heinrich möchte anhand des Lebens Christi die Nonne in laiten in das ewig leben, Maria Magdalena soll ihr zeiner waren bekerung von allen dingen in got verhelfen.163 Dieses Ziel könnte so auch in einem Brief an

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151, hier: S. 124. Schon beim Schreiben habe die Autorin an die Veröffentlichung der Briefe gedacht, um »verschiedene Aspekte ihrer Minnelehre einem breiteren Kreis Gleichgesinnter bekanntzumachen« und »ihr persönliches Minneleben als Zeugnis und Vorbild zur Sprache zu bringen«: ebd., S. 125 und 136. Zu Hadewijch vgl. Kap. 1, Anm. 99. Vgl. Kap. 5.2.3. In die Untersuchungen werden nun auch jene Briefe einbezogen, die in der Londoner Hs. Add. 11430 den Briefen Heinrichs an Margaretha (und ihrem einzigen erhaltenen Brief an ihn) beigefügt wurden. Es handelt sich um die Briefe LVII−LXVI , Strauch, S. 270–280. Zur Einordnung dieser Briefe in der Hs. vgl. Kap. 8.1.2. Z. 1, Strauch, S. 279. Zu den Anreden in den beiden anderen Briefen vgl. Briefe XXIII , 1 f., ebd., S. 206 und LXVI , 1, ebd., S. 280. Vgl. Kap. 4.2. Brief LXVI , 3.6, Strauch, S. 280. Mit dieser Nonne ›von Hochstetten‹ könnte

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Margaretha stehen – und dies ebenfalls unter Einbezug des liturgischen Sprechens –, doch zeichnet Brief LXVI , verglichen mit den Briefen an Margaretha, ein ähnlich nüchterner Stil aus wie der Brief an die Priorin Scheppach. Benutzte Heinrich demnach einen unterschiedlichen Stil, wenn er an andere Personen als an Margaretha schrieb? Dieser Annahme kann Brief XXIII entgegengehalten werden, der gleichzeitig an Margaretha und an Elsbeth gerichtet ist und im Grunde einzig aus persönlichen Nachrichten, aus dem Wunsch, in Medingen sein zu können und aus den Grüssen der ›auserwählten Freunde Gottes‹ besteht.164 Da aber in Brief LIV – obwohl ebenfalls an Margaretha und Elsbeth gerichtet – durchaus auf eine Metaphorik zurückgegriffen wird, die in ihrer Zusammenstellung zu Bildfeldern die unio bezeichnet,165 kann das Fehlen mystischer Bildlichkeit in Brief XXIII nicht nur mit dem Vorhandensein einer weiteren Adressatin begründet werden.166 Vielmehr scheint es auf einem unterschiedlichen Funktionszusammenhang der Briefe zu beruhen, der auch in den Briefen an Margaretha nicht immer derselbe war. Auffallend im Vergleich mit den anderen Briefen ist in den Briefen LXV und LXVI , dass in ihnen kaum ein stilistischer Unterschied zwischen Briefeinleitung, Hauptteil und Schlussteil ausgemacht werden kann:167 Der sie auszeichnende Stil kennzeichnet in den Briefen an Margaretha meist nur den Schlussteil, jenen Abschnitt also, in dem Heinrich sich in persönlichen Worten an die Medinger Schwestern wendet und auf alltägliche Dinge zu sprechen kommt. Da er nun einzelnen Nonnen ganz in diesem (nüchternen) Stil schreibt, darf angenommen werden, dass es die Einleitungen und Hauptteile an Margaretha waren, die in den Briefen Heinrichs eine Besonderheit darstellten und ein eigenes Ziel verfolgten. Damit muss aber das

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einerseits Katharina von Hochstetten gemeint sein, die vermutlich die verwitwete Tante Margarethas war und dem Konvent schon angehörte, als diese eintrat, oder Elsbeth, wahrscheinlich Katharinas Tochter, die für die Jahre 1364–1370 als Priorin bezeugt ist; vgl. Weitlauff, dein got redender munt, S. 306. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Katharina, Elsbeth und Margaretha nimmt Weitlauff für gegeben hin, sie können aber nicht sicher erhärtet werden. Vielleicht wird Elsbeth von Heinrich in den Briefen VIII , 16, Strauch, S. 181 und XXI , 40, ebd., S. 205 als Novizin gegrüsst. Vgl. Z. 19, ebd., S. 206. Vgl. ebd., S. 268. Elsbeth Scheppach wird ja in vielen Briefen direkt angesprochen, ohne dass sich damit etwas am Inhalt änderte, so etwa in Brief XI ; vgl. Kap. 2.3.4. In Brief LXVI fehlt ein eigentlicher Schlussteil.

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gängige Bild vom Schreibstil Heinrichs korrigiert werden:168 Das metaphernreiche Sprechen in seiner poetischen Ausprägung war für ihn höchstwahrscheinlich nicht die Regel. Das soll nicht heissen, Heinrich habe diesen Stil nicht auch anderswo verwendet.169 Die Unterschiede, die im Vergleich zwischen den Briefen LXV und LXVI und jenen an Margaretha festgehalten werden können – vor allem der Verzicht auf den ausladenden Gebrauch von Metaphern anderen Medinger Nonnen gegenüber –, bestätigen früher festgehaltene Funktionen der Briefe Heinrichs an Margaretha: Ihre hagiographische Gestaltung bietet Nähe, ja sogar eine Möglichkeit zur Identifikation.170

5.3 Die Lektüre der Briefe in einer eucharistischen Perspektive In den Briefen Heinrichs an Margaretha wird seine eigene Aufgabe als Seelsorger kaum einmal positiv beurteilt, da er sich meist in Formulierungen der humilitas zurücknimmt.171 Dabei wurde schon mehrmals darauf hingewiesen, dass diese Darstellungsweise in den Briefen wesentlich zur Stilisierung Margarethas gehört.172 Bereits festgehalten wurde, Heinrich sei sich 168 Vgl. etwa die Aussage Strauchs in: Kap. 1, Anm. 54. 169 Da Heinrich auch die Nonne Christine Ebner von Engelthal begleitet hat, von der ebenfalls ›Offenbarungen‹ erhalten sind und mit der er ebenso in Briefkontakt stand, kann angenommen werden, er habe ihr in ähnlicher Weise wie an Margaretha Ebner geschrieben. 170 Vgl. Kap. 5.2.5. 171 In Brief XI bezeichnet sich Heinrich der Nonne gegenüber als armer unwirdiger friund: Z. 2, Strauch, S. 185, eine Formulierung, die er in den Briefen an Elsbeth Scheppach und an die Nonne von Hochstetten nicht verwendet; zu diesen Briefen vgl. ebd., S. 279 f. Johannes Tauler und Abt Ulrich von Kaisheim, deren Anreden Margarethas förmlicher gehalten sind als jene Heinrichs, lassen ebenfalls keine Unwürdigkeitsformeln folgen; vgl. ebd., S. 270–275. Nur gerade Margaretha zum Goldenen Ring kann sich Margaretha Ebner gegenüber armes unwirdiges kind nennen, nachdem sie diese zuvor als ihre mutter bezeichnet hat: Brief LXIII , 3, ebd., S. 275; zum Brief Margarethas zum Goldenen Ring vgl. Kap. 5.4.1. In 40 der insgesamt 56 Briefe, die Heinrich an Margaretha Ebner sandte, wendet er sich mit einer Unwürdigkeitsformel an sie. Die Briefe, in denen dieser Topos der Unwürdigkeit in der Anrede nicht vorkommt, sind die folgenden: II , XII , XVIII , XX , XXIII , XXIV , XXX , XXXVII−XXXIX , XLV , L, LII−LV . 172 Der Topos der Unwürdigkeit, ein Merkmal des sermo humilis, ist bei vielen religiösen Schriftstellern und Schriftstellerinnen bezeugt. Im ›Gnaden-Leben‹

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im Grunde bewusst, dass seine Worte andere mit der Gnade Gottes in Berührung bringen.173 Nicht nur in der Feier der Sakramente kam Margaretha demnach über die Vermittlung Heinrichs Gnade zu, sondern auch in seinen Worten. Obwohl in den Briefen explizit kaum angeführt, ist seine eigentliche Aufgabe jene des Seelsorgers. So kann Heinrich Margaretha gegenüber feststellen: got danck euch [. . .] der grosen begird, die ir zu got uber mich hant,174 oder sich beklagen: so du aber mich bittest, das ich dir helf und dein leben richt, ach!175 Die konkreten Lebenswelten Heinrichs und Margarethas, aus denen heraus diese Briefe entstanden sind, werden in solchen Sätzen darstellungstypisch nur gebrochen fassbar. An wenigen Stellen wird das Ringen Margarethas um ihre Funktion deutlich.176 Gleichsam ex negativo wird bei Heinrich Margarethas Überforderung durch die ihr zugeschriebene Rolle bekundet: aber das du mich bitest, das ich dich nimer haisz Jhesu fur mich nennen, des tun ich nit, wan aller meiner craft begert, das als dein geschrei für mich und für alle die sach, die mir in got enpfolhen sint, uf tringe in got.177

Gleichzeitig weist diese Passage darauf hin, dass die Stilisierungen in den Briefen durchaus Bezug zur Realität hatten, scheint doch Margaretha von Heinrich wirklich als Fürbitterin angegangen worden zu sein, zu der sie etwa in Brief XI aufgebaut wird.178 Auch wenn die Realität in den Briefen nur punktuell und gebrochen gegenwärtig ist, lässt Heinrich doch durchblicken, dass seine Briefe auf das konkrete Leben hin geschrieben sind.

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Friedrich Sunders z. B. wird für den Klosterkaplan der Kontrast zwischen dem eigenen Ungenügen und der Barmherzigkeit Gottes mit den Worten min .. vil groß su´nde bewusst gemacht; vgl. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 308 ad 1658 f. Auch beim Sprachgebrauch in den Briefen muss im Hintergrund Heinrichs Sündenbewusstsein mitgedacht werden, an dem das Heilshandeln Gottes kontrastiert wird. Die bei Heinrich intendierte Haltung der eigenen Unwürdigkeit, der gegenüber die Erhabenheit Margarethas um so grösser erscheint, findet sich vor allem in der Mariendichtung; vgl. Kap. 3.3.3. Vgl. Kap. 4.3.4. Dazu auch Brief LV , 1 f., Strauch, S. 268: Die heiligen grosze wort, die du mir zu zellest in deinen briefen, die erschreckent mich. Brief XVI , 86–88, ebd., S. 196. Brief XVII , 31 f., ebd., S. 198. Indirekt verweist etwa das Zitat bei Anm. 93 auf dieses Ringen. Brief LI , 76–79, Strauch, S. 263. Diese Bitte Margarethas kann ihrerseits literarisch in den Ausdruck eigener Demut eingebunden gewesen sein und muss darum mit Vorsicht ausgelegt werden; vgl. dazu auch die Ausführungen zu ihrem Brief in Kap. 6.1. Vgl. Kap. 2.3.4.

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Noch in seinen späteren Briefen, von denen abgeleitet werden könnte, sie widerspiegelten die zunehmende Abhängigkeit Heinrichs von Margaretha,179 heisst es: ich musz dir remen dins hertzlichen liebs minnende träu, in der er so manig hertz schust und beriert durch mich in sich.180 Dort, wo Heinrich Margaretha um ihren Rat fragt, lässt er das Selbstverständnis eines anerkannten Seelsorgers durchblicken: hie zu beger ich aber ewers getruwen rates, ob ditz also ze thun si in dem willen gotz oder nicht, wan was ich den leuten riete da hie mit ze thon, da solten sie mir geren volgen.181 Allgemein in den Briefen ist es jedoch Margaretha selbst, die über Aussagen wie: ich bit dich, das du mich wol mit im verrichtest182 zur Seelsorgerin stilisiert wird. Dabei kommt es zu einem bewussten Rollentausch, wie ihn Ursula Peters ähnlich für die Beziehung zwischen Maria von Oignies und Jakob von Vitry festgehalten hat: Im ›Supplementum‹ zur ›Vita‹ Maries werde der Tausch als hagiographisches Thema eingeführt, in dem der Geistliche als passives Sprachrohr der Inkluse erscheint.183 In den Briefen Heinrichs erfolgt die Stilisierung Margarethas zu einer mulier sancta über die ausgearbeitete Figurenkonstellation. Diesem literarischen Faktum muss nicht widersprechen, dass in den späteren Briefen der Rollentausch ausgeprägter ist als in den früheren. Es mehren sich Aussprüche wie: dein got redender munt machet mich redenlosz.184 Über mehrere Jahre hinweg hatte Heinrich Margaretha hagiographisch aufgebaut. Aufgrund der zunehmend schwierigeren äusseren Lebensumstände Heinrichs und seines 179 Anette Kuhn etwa bezieht sich auf Brief XLVI , 28 f., Strauch, S. 251: wes bedarfftu noch mein?, um Heinrichs Zweifel an dessen ursprünglichen Stellung als Vermittler Gottes Margaretha gegenüber aufzuzeigen: Dein Gott redender Mund, S. 106. 180 Brief LII , 41–43, Strauch, S. 265. Debra L. Stoudt hält fest, dass für die Annahme, Heinrichs Beziehung zu Margaretha ändere sich über das Briefkorpus hinweg, keine Nachweise gefunden werden können: The Vernacular Letters, Diss., S. 192. Vgl. dazu Stilisierungen früherer Briefe: hilf mir tragen mein birdin: Brief XXIV , 25, Strauch, S. 207; wie gar ain sichern zugang mit vollem getruwen meins hertzen ich hab durch dich in in: Brief XXXIX , 12 f., ebd., S. 235; bit dein gewaltigz lieb Jhesu Christum, das er sich über mich erbarm [. . .] und das er dich bewisz, was ich ton söll und was ich beleiben sül: Brief XXVIII , 36–39, ebd., S. 213. 181 Brief LIII , 23–26, ebd., S. 267. 182 Brief VII , 42 f., ebd., S. 180. 183 Vgl. Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 111 f. 184 Brief XLI , 6, Strauch, S. 240.

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Freundeskreises185 bot sich eine vermehrte Zufluchtnahme zu erhebenden und tröstenden Worten über das begnadet dargestellte Leben einer in der Klausur wohnenden Nonne an, deren Erfahrung in den Briefen ja nie in Abrede gestellt, sondern literarisch immer neu gefasst wird. Zum Rollentausch in den Briefen gehört wesentlich die Ausstattung Margarethas mit priesterlichen Funktionen. Dass das Sprechen Heinrichs von seinen priesterlichen Aufgaben her bestimmt war, darf eigentlich nicht weiter erstaunen. Er verwendet für Margarethas Beschreibungen ein Vokabular, das beiden von der Messe her vertraut war und ihr Denken wesentlich bestimmt hat.186 Die der Feier der Eucharistie entnommene Bildlichkeit, deren Bedeutung für die Briefe bereits mehrmals herausgestrichen wurde,187 wird bei Heinrich von Nördlingen in den Dienst des brautmystischen Verhältnisses Margarethas mit dem himmlischen Bräutigam gestellt. Auch für die konkrete Umschreibung der Funktion Margarethas verwendete Heinrich ein von der Messe her geprägtes Vokabular: [ich] beger mit aller heiligen hilf und mit aller sacrament kraft in die frie miltigkeit deines hertzens, der in seiner eigenen ewigen minen seinen gaben stat in uns machet, das er mich und alle, die er mir enpfolhen hat, durch dich spiesz und trost mit im selber, als er dich durch sein freind gespist und getrost hat mit im selber und in im selber und noch tut und aber tun wil.188

Die Aufgabe Margarethas, Gnade zu vermitteln, wird deutlich in Parallelisierung zu Heinrichs eigener Aufgabe festgesetzt. Der Priester wird dabei zum Kommunionempfänger. Wenn er Margaretha anderswo als seugendiü amin189 bezeichnet, kann dies komplementär zur marianischen Funktion auch vor einem eucharistischen Hintergrund verstanden werden. Das gilt auch für die dazu gehörende weincelle190 als Brautgemach im Moment der Kommunion, durch die Margaretha erst die Möglichkeit erwächst – ähnlich 185 Zur Pestepidemie und den grossen Erdbeben des 14. Jh.s vgl. Kap. 7.7. 186 Be´atrice W. Acklin Zimmermann spricht von der Eucharistie als zentraler theologischer Denkfigur: Gott, S. 64. Vgl. dazu Brief LI , 11–18, Strauch, S. 261: ich beger [. . .] das er mich in seiner ewigen minen verweszi und das lebend brod und den suszen zipperwein, das er selber ist, durch aller seiner erwelten geminten früind willen dir geben wölle in aller miltigkeit [. . .], bis das du sein also satt und truncken werdist [. . .]. 187 Vgl. Kap. 3.4.4, 4.3.8 und 4.4.4. 188 Brief XL , 15–21, Strauch, S. 236. Zu beachten ist hier, dass Heinrich sich im Zusammenhang mit seiner priesterlichen Funktion selbst ›Freund‹ nennt, sich also keine Formulierung der humilitas zulegt. 189 Brief XLVI , 36, ebd., S. 251. 190 Ebd., Z. 33, vgl. auch Kap. 3, Anm. 111. In Brief XLII , 32 f., Strauch, S. 242

Die Lektüre der Briefe in einer eucharistischen Perspektive

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der Feier des Sakramentes –, die Erinnerung an Christus zu beleben und auch andere zu einer persönlichen Christusbeziehung zu führen: Analog zum Geschehen der Messe wird in Margaretha die Gegenwart Christi garantiert. Anschaulich lässt Heinrich darum Margaretha geistig nachvollziehen, was der Priester am Altar bewirkt: dar umb bistu im gotlich als er dir menschlich worden ist, und das wen ich sein das iner opfer alles deins gestlichen marcks, das du im mit im und in im usz deinen und seinen liebsten uf treist in sein lob und in sein ere [. . .].191

Der Aufgabe Margarethas in den Briefen kommt damit eine eucharistische Dimension zu. Die Stilisierungen Margarethas bei Heinrich sind als ›Minne-Begehren‹ ausgearbeitet. Sie sollen die Nonne geistig zu jener unio führen, die ihr in der Kommunion sakramental bezeichnet wird. Die Lektüre der Briefe kommt daher einer geistlichen Kommunion nahe. Thomas von Aquin fügte der bloss sakramentalen (unwürdigen) und der sakramental-geistlichen Kommunion die geistliche Kommunion (manducatio spiritualis sacramenti) als Ausnahmefall hinzu, die »den Glauben und das Verlangen nach dem Sakrament voraussetzt und die Wirkung des Sakramentes (res sacramenti) vermittelt«.192 Heinrich Seuse erachtet im BdeW den sakramentalen und den geistlichen Kommunionmodus sogar als gleichwertig. Johannes Tauler geht noch einen Schritt weiter, wenn er meint, »dass unter gewissen Umständen die geistliche Kommunion der eucharistischen gar vorzuziehen wäre«.193 Die unio-zentrierten Briefstellen können insofern mit der geistlichen Kommunion in Verbindung gebracht werden, als das ›Begehren‹ in diesem Fall eine notwendige und mit dem Glauben zusammen ausreichende wird das Bild des ›Weinkellers‹ explizit auf das Herz Christi hin ausgelegt, die Bedeutung der Eucharistie als ein inneres Geschehen veranschaulicht. 191 Brief XLIV , 28–32, ebd., S. 248. 192 Acklin Zimmermann, Gott, S. 92, Anm. 116. 193 Ebd., S. 96, Anm. 124. Zu Seuse vgl. BdeW, XXIII , Seuse, S. 302, 16–20: D e r d i e n e r : Zarter herr, hat aber der mensche u´t vu´rbaz, der dich liplich und geistlich enphahet, denn der dich allein geistlich nu´sset? E n t w u´ r t d e r E w i g e n W i s h e i t : Weder hat der mensch me, der mich und min gnade hat, oder der min gnade allein hat?; zu Tauler vgl. Predigt 33, Tauler, S. 126, 4–9: Die vierden die nement diz sacramente geistlichent, sunder sacramente; daz sint o o gute luterre hertzen die dis heilgen sacramentes begerent und in nu´t also zu der zit werden enmag; die enpfohent die genade des sacramentes villiht me denne die es sacramentlichen enpfohent, darnoch das ir begerunge und ir meinunge ist.

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

Voraussetzung für das Erlangen von Gnaden ist. Auch bei der Lektüre der Briefe ist das Verlangen nach der unio mystica eine Voraussetzung für deren effektives Erlangen – und dies über die Stilisierungen Margarethas für alle Leserinnen und Leser. Dass diese Lesart der Briefe (und auch der ›Offenbarungen‹ Margarethas) unter eucharistischer Perspektive in den grossen geistlichen und geistigen Verunsicherungen des 14. Jahrhunderts auch einen konkreten geschichtlichen Hintergrund hatte, wird im siebten Kapitel erhellt werden.194

5.4 Die Briefe und der Freundeskreis um Heinrich Der literarische Dialog zwischen Margaretha und Heinrich in den Briefen konnte auch von Elsbeth Scheppach und dem ganzen Konvent von Medingen für ihren eigenen Weg zu Gott gewinnbringend gelesen werden. Eingeschränkt kann auch für Kreise ausserhalb des Klosters davon ausgegangen werden, dass sie am mystischen Diskurs im Umkreis Heinrichs partizipieren konnten, vor allem wenn der rege Bücheraustausch in dessen Umfeld in Betracht gezogen wird.195 Wie haben die Medinger Nonnen und jene, die in der Forschung immer ›Gottesfreunde‹ genannt werden, den Dialog zwischen Heinrich und Margaretha rezipiert?196 5.4.1 Der Brief der Margaretha zum Goldenen Ring In die Überlegungen zu den Funktionszusammenhängen der Briefe Heinrichs soll hier der Brief Margarethas zum Goldenen Ring eingebracht werden.197 In ihm – er trägt bei Philipp Strauch die Nummer LXIII 198 – schreibt sie, Margaretha Ebner sei ihr mit groszer begird und minnen geben [. . .] von unserm lieben vatter und getrüwen frund in got, heren Heinrich von Nord194 In Kap. 7.7 werden diese Aussagen durch die analogen Funktionen von Briefen und Reliquien ergänzt. 195 Zu diesem Austausch vgl. Kap. 7.5. Der Meinung Margot Schmidts, An Example, S. 74, diese Öffnung auf einen grösseren Kreis von Rezipienten habe ursprünglich nicht den Intentionen Heinrichs entsprochen, kann demnach nicht Folge geleistet werden. 196 Zum Begriff ›Gottesfreund‹ vgl. Einleitung, Anm. 15. Zu konkreten ›Freunden‹ um Heinrich vgl. Kap. 7.4 und 7.6. 197 Zu Margaretha zum Goldenen Ring vgl. Kap. 7.4. 198 Strauch, S. 275 f.

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lingen (Z. 5–7). Damit ist gesagt, dass die Bekanntschaft zwischen den beiden Frauen auf die Initiative Heinrichs zurückzuführen ist, den Margaretha zum Goldenen Ring als geistliche Autorität anerkennt. So wie ihr Heinrich vatter ist, so wendet sie sich an Margaretha Ebner als ihre mutter, der sie in ›kindlicher Treue‹ anhängt (Z. 4f.). Anlass für das Schreiben ist der Weggang Heinrichs von Basel (Z. 9).199 Margaretha zum Goldenen Ring und andere Personen vermissen seine Lehre und seinen Rat, vor allem aber auch seine Funktion als Vorbild (Z. 11–15). In dieser Situation bedarf sie einer gotlichen kraft (Z. 17) und bittet darum Margaretha Ebners minendes hertz (Z. 19), ihr lieb Jhesu Christo (Z. 20) solle ihr wiser und lerer (Z. 21) sein. Margaretha zum Goldnen Ring stellt die Medinger Nonne in der Mutterrolle (Mariens) dar, welche die Menschen zu Gott führen kann (Z. 22 f.). Mit der Bibelstelle Io 16, 5–14 gibt sie die Zusage Gottes wieder, trotz der leiblichen Trennung mit seiner Treue und Liebe bei den Menschen zu bleiben (Z. 24–26). Trost und Freude bezieht Margaretha zum Goldenen Ring auch aus der Tatsache, dass Margaretha Ebner sie – auf die Initiative Heinrichs hin – in ihr Herz geschlossen hat (Z. 30–34). Darauf anempfiehlt sie der Medinger Nonne ihre Mutter (Z. 36) und auch ihren geistlichen Vater,200 der diesen Brief schreibt und der noch Grüsse und Klagen über den Verlust Heinrichs anfügt (Z. 38–43). Am Schluss beschreibt der Brief die Trennung Heinrichs von Margarethas geistlichem Vater als ein Sterben, das nur aufgrund der Liebe beider zu Gott erträglich gewesen sei und in ihnen die Überzeugung hinterlassen habe, geistlich nicht getrennt werden zu können (Z. 43–48). Margaretha zum Goldenen Ring wendet sich in ihrem Brief an Margaretha Ebner, von der sie annimmt, dass sie in einer besonderen Nähe zu Christus stehe und dass ihr darum persönliche Anliegen zur Fürbitte anvertraut werden können. Sie sieht sich Margaretha Ebner gegnüber ferner als Kind einer geistlichen Mutter, die ihr Leben an Christus auszurichten vermag; in diesem Zusammenhang sei vor allem auf die Zeilen 22 f. aufmerksam gemacht, die marianisch besetzt sind.201 Zudem ist in der Hoffnung auf eine ›göttliche Kraft‹ eines der Ziele formuliert, um derentwillen die Adressatin um Fürbitte angegangen werden kann. Margaretha zum Goldenen Ring geht in ihrem Brief demgemäss ganz selbstverständlich von 199 Vgl. ebd., S. 399, Vorbemerkung. 200 Strauch meint in: ebd., S. 399 ad 38 diesen geistlichen Vater mit Heinrich von Rumersheim gleichsetzen zu können, was aber nicht möglich ist; vgl. Kap. 7.4. 201 bis ein getrüwe mutter und verwis mich und die sinen gegen deinen got [. . .].

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

denjenigen Funktionen Margaretha Ebners aus, die für die Briefe Heinrichs schon hervorgehoben wurden. Überdies finden sich noch weitere Parallelen zu den Briefen Heinrichs. Da wäre zuerst einmal das darin verwendete Vokabular. Dabei ist weniger der stereotype Gebrauch von früind und getruwe mutter in der Einleitung gemeint, als vielmehr ihr Vorgehen, sich an das minende hertz Margarethas zu wenden und Christus deren lieb zu nennen.202 Im Brief finden also sowohl die Darstellungen Margarethas in brautmystischer Vereinigung als auch das Bestreben Heinrichs, das Herz als Ort der Gotteseinigung zu bestimmen und damit die Innerlichkeit zu intendieren, eine Entsprechung.203 Eine überzeugende Parallele zu den Briefen Heinrichs ist aber vor allem auf der Ebene der Argumentation zu finden: Margaretha zum Goldenen Ring bedient sich der Bibelverse Io 16, 5–14, um in ihrem Schmerz über die Trennung von Heinrich die Versicherung der Gegenwart Gottes auszudrücken, und interpretiert damit ein unabwendbares Leiden als Gottes Willen. Diese Argumentationsweise wurde für Heinrich bereits hinreichend ausgeführt.204 Dazu kommt, dass auch Margaretha Ebner in Brief LXVII mit der gleichen Bibelstelle argumentiert.205 Das Zurückgreifen auf diese Evangeliumsstelle war demnach ein fester Bestandteil im Diskurs im Umkreis Heinrichs, an dem auch Margaretha zum Goldenen Ring teilhatte. Wie Heinrich stellt Margaretha zum Goldenen Ring Margaretha Ebner in der Funktion einer altera Maria dar, die den Weg zur persönlichen Christusbegegnung vorgibt. Margaretha wird in dieser Rolle aber nicht mit einer Heiligen verglichen, sondern vielmehr als begnadete Nonne eingeführt, die ihre Freundinnen und Freunde ins Herz schliesst und für sie betet.206 Im Brief kommt es demnach zu keiner Überhöhung Margarethas, wie dies die marianische Stilisierung bei Heinrich vermuten lassen könnte. Brief LXIII bestätigt damit eine These dieser Arbeit: Die Darstellungen Margarethas in 202 Vgl. Kap. 3.4.3. 203 Zur brautmystischen Bildlichkeit in den Briefen und der Verwendung der Metapher des Herzens vgl. Kap. 3.4.3 und 4.5.2. 204 Vgl. Kap. 2.3.2 und 4.4.2. 205 Vgl. Kap. 6.1.8. Auch der Abschluss von Brief LXIII nimmt diese Deutung nochmals auf. 206 Die Einleitung von Brief LXIII etwa ist durchaus herzlich und in Bewunderung für Margaretha gehalten, verzichtet aber auf die Metaphorik, die uns aus den Briefen Heinrichs bekannt ist und die Margaretha hagiographisch aufbaut.

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den Briefen Heinrichs sind zuerst literarisch zu verstehen und als solche in ihrem jeweiligen Funktionszusammenhang zu begreifen. Margaretha zum Goldenen Ring verwechselt Heinrichs Stilisierungen in seinen Briefen jedenfalls nicht mit der konkreten Person Margaretha Ebner, sondern rezipiert die von ihm bewusst gesetzten mystischen Briefteile in ihrer intendierten Funktion.207 Heinrich seinerseits hatte – so derselbe Brief – in Basel und anderswo für viele Menschen Vorbildcharakter und war ein geschätzter Seelenführer. Der vorliegende Brief ist also eine deutliche – diesmal textfremde – Korrektur zu den Selbstaussagen Heinrichs. Er wird bei Margaretha zum Goldenen Ring ausserdem als jener eingeführt, der Margaretha Ebner seine Freundinnen und Freunde anempfiehlt: Durch ihn lernte sie Menschen kennen, die teilweise mit ihr in Briefkontakt standen oder mit ihr Geschenke austauschten. Die Briefe Heinrichs hatten damit auch die Funktion, seinem Freundeskreis in Margaretha Ebner ein geistliches Zentrum zu geben: »Heinrich von Nördlingen figuriert in seinen Briefen an Margarethe Ebner als enger Vertrauter der Medinger Nonne« und »zugleich als eine Art Sprachrohr der ›Gottesfreunde‹«.208 5.4.2 Die Briefe und die Gottesfreunde Die eben zitierte Aussage zur Funktion Heinrichs in den Briefen wäre irreführend, würde sie von einer konkreten Gemeinschaft von Gottesfreunden ausgehen. Eine solche ist in den Briefen nämlich nicht bezeugt.209 Auch für die Dominikaner Heinrich Seuse und Johannes Tauler konnte Regina D. Schiewer aufzeigen, dass in ihren Schriften »jeder Hinweis auf eine

207 In Kap. 6.1.8 wird deutlich, dass der Einbezug der Perikope Io 16, 5–14 im Umkreis Heinrichs auf seine Initiative zurückgeht. Dieser Rezeptionsvorgang darf auch hinter weiteren Entsprechungen zwischen dem Brief Margarethas zum Goldenen Ring und den Briefen Heinrichs vermutet werden. 208 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 151. Für die Begine Hadewijch kann der Brief als die literarische Gattung der Freundschaft schlechthin bezeichnet werden; vgl. Mommaers/Willaert, Mystisches Erlebnis, S. 125. Desgleichen bezeichnet Gabriela Signori die Gattung des Briefs als »genuines Freundschaftsmedium«, auch wenn dieses im Gegensatz zur modernen Briefvorstellung die Öffentlichkeit grundsätzlich mit eingeschlossen habe: Freundschaften zwischen den Geschlechtern. Eine Skizze, in: Meine in Gott geliebte Freundin [wie Kap. 1, Anm. 75], S. 9–15, hier: S. 10 und 14. 209 Vgl. dazu Kap. 7.4.

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Gemeinschaft oder einen Zirkel von ›Gottesfreunden‹« fehlt.210 In den Briefen Heinrichs von Nördlingen steht nicht eine Gruppe von Menschen, sondern die Gottesfreundschaft selbst im Vordergrund,211 die im Vorbild Margaretha Ebner literarisch umgesetzt wird und sich beim meditativen Lesen den Gottesfreunden eröffnen soll. ›Gottesfreunde‹ sind für Heinrich Menschen, die mit dem Weg zur unio mystica Erfahrungen gemacht haben und um deren Vertiefung bemüht sind.212 Zur Erreichung der unio gehört für Heinrich wesentlich die Lektüre mystischer Werke, die Gottesfreunde häufig aus eigener Erfahrung heraus auszulegen vermögen.213 Der Begriff ›Gottesfreund‹ ist dabei »kein klassifizierendes Merkmal, das einen Menschen einer einmal erreichten geistigen Stufe zuteilt. Vielmehr lädt das Sprechen von der Gottesfreundschaft gerade die Gottesfreunde ein, sich immer neu auf den Prozess einzulassen, [. . .] [sich] von Gott auf dem Weg der Rückkehr zu ihm umformen zu lassen.«214 Viele der Ideale, die Gottesfreunde miteinander verbanden, dürften wesentlich auf den Diskurs mit Heinrich zurückzuführen sein und bildeten den allen gemeinsamen Verstehenshorizont der rechten ›Gottesminne‹. Hier war Margaretha Vorbild – nach Auskunft Margarethas zum Goldenen Ring aber auch Heinrich selbst.215 Der literarische Dialog zwischen Margaretha Ebner und Heinrich zeigt anschaulich, dass der Gnadenfluss jeden Gottesfreund erreichen konnte. In der Briefkorrespondenz zwischen Heinrich und Margaretha hatten Nonnen und Menschen ausserhalb eines Klosters ein konkretes Anschauungsbeispiel und konnten am literarischen Diskurs über 210 Regina D. Schiewer, ›Vos amici Dei estis‹. Die ›Gottesfreunde‹ des 14. Jahrhunderts bei Seuse, Tauler, und in den ›Engelberger Predigten‹: Religiöse Elite, Verein oder Literaturzirkel?, in: Oxford German Studies 36,2 (2007), Amicitia: Friendship in Medieval Culture. Papers in Honour of Nigel F. Palmer, hg. von Almut Suerbaum und Annette Volfing, S. 227–246, hier: S. 245. 211 Biblisch belegt ist der Begriff ›Gottesfreund‹ in: Jac 2, 23: et amicus Dei appellatus est, und in: Jo 15, 14: Vos amici mei estis. 212 Der Terminus ›Gottesfreund‹ schliesst auch die zahlreichen Frauen im Umfeld Heinrichs und Margarethas ein; vgl. Einleitung, Anm. 15. 213 Vgl. Urban Federer, Die Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner. Literatur im Dienste der Gottesfreundschaft, in: The Gottesfreunde and the textual culture of vernacular mysticism in the Rhineland and the Low Countries (1300–1550) [in Vorbereitung], S. 7. 214 Ebd., S. 13. 215 Margaretha Ebner wird diese Funktion Heinrichs bestätigen; vgl. Kap. 6.1.

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Themen teilnehmen, die in verschiedenem Mass alle betrafen, Ordensleute, Kleriker, Beginen und Laien.216 Gerade die geographische Separation der Freundinnen und Freunde Heinrichs aufgrund der damaligen weltpolitischen Lage war für diese Kreise eine bestimmende Begebenheit, mussten doch neben ihm etwa auch die Dominikaner von Strassburg ins Exil gehen.217 Der schon in den Briefen Heinrichs an Margaretha die räumliche Trennung intendierende Einbezug der Bibelverse Io 16, 5–14 konnte also auch von anderen verstanden werden, wenn sie sich von Seelenführern wie Johannes Tauler oder Heinrich lösen mussten. Die räumliche Trennung war aber nicht das einzige Leiden, das Gottesfreunde positiv zu werten versuchten. Die Bedrohungen des 14. Jahrhunderts, neben der Pest vor allem die geistige Verunsicherung infolge des Interdikts und der damit einhergehende Mangel an seelsorgerlicher Betreuung,218 mussten als Trennung von Sicherheiten erlebt worden sein. Der Ruf nach Innerlichkeit219 – nach der ›inneren Andacht‹ –, wie sie Heinrich fordert, darf als eine Antwort auf diese Situation verstanden werden: Ein Gottesfreund soll sich von der Welt abkehren und in seiner Sehnsucht Gott zuwenden. Im Dialog zwischen dem unwürdigen Briefschreiber und der begnadeten Nonne hatten andere Leserinnen und Leser ein Beispiel, wie der Mensch in seiner leidenden Existenz die Anschauung Gottes erlangen kann. Die Leiden Margarethas waren ihnen dabei über Heinrich, aber auch aus ihren ›Offenbarungen‹ gegenwärtig. So wussten sie das Ringen, das Margaretha in das Gespräch mit Heinrich einbrachte, für sich selbst zu nutzen: Dem Freundeskreis um Heinrich entsprang aus dem Lesen dieser Schriften selbst Trost und Zuversicht, und er konnte sich davon sogar Anteil am Heilshandeln Gottes erhoffen.220 Die Funktion, die Margaretha im Kontext des Leidens in ihren ›Offenbarungen‹ und komplementär dazu in ihrer Korrespondenz mit Heinrich einnahm, konnte den Leserinnen und Lesern zeigen, »dass Krankheiten [. . .] als 216 Für Johanna Thali ging dieser literarisch fassbare Diskurs allgemein über die Klostergemeinschaften und deren Seelsorger hinaus: »Vielmehr ist dieser Diskurs über neue Formen der Frömmigkeit, welche die persönliche Gotteserfahrung in den Mittelpunkt stellen, in die religiösen Strömungen des süddeutschen Raumes eingebunden, die neben Angehörigen verschiedener Orden auch breite Kreise der weltlichen Geistlichkeit und Laien unterschiedlicher sozialer Schichten erfassen«: Beten, S. 44. 217 Vgl. Kap. 7.5.3. 218 Vgl. v. a. Kap. 7.7. 219 Vgl. dazu Kap. 4.4.4. 220 Vgl. dazu die Bemerkungen zum ›Gnaden-Leben‹ Friedrich Sunders in Kap. 5.2.5.

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

Leidensnachfolge Christi ihren Sinn haben«.221 Aufgrund der grossen Nähe Margarethas zu Gott, die ihr über ihre Leiden zuteil wurde, wird sie über das Medium der Briefe zum Instrument Gottes aufgebaut und erscheint – dies vor allem im Hinblick auf ihre ›Offenbarungen‹ – literarisch als prophetissa, als göttlich inspirierte Frau, die in den grossen Bedrängnissen der Zeit dem Freundeskreis Heinrichs von Gott als sicheres Zeichen gegeben ist.222 Die Briefe Heinrichs stellen dadurch die persönliche Gotteserfahrung einer konkret existierenden Person in den Mittelpunkt:223 Über die von Heinrich vorgenommenen Stilisierungen erhält Margaretha im Hinblick auf die Rezeption durch Menschen ausserhalb des Klosters ekklesiologischen und eschatologischen Charakter. Die Briefe bauen eine Glaubensgemeinschaft auf und versuchen dieser in einer unsicheren Gegenwart Sicherheit zu geben.224 Als Ideale echter Gottesfreundschaft treten dabei vor allem der rechte Umgang mit Trennung und Leiden und ein gemeinsames Interesse an Literatur hervor, die zur Verinnerlichung und Anschauung Gottes führt. 5.4.3 Die Briefe und der Bedarf an mystischer Literatur Die Frauenklöster des heutigen süddeutschen und schweizerischen Raumes befanden sich im Zentrum einer Bewegung literarisch interessierter Kleriker und Laien. Diesen standen darum die im vierten Kapitel besprochenen mystischen Werke und auch die im dritten Kapitel herausgearbeitete mystische Bildlichkeit – in eingeschränktem Masse – ebenfalls zur Verfügung. Damit sind die Briefe Heinrichs nicht nur Bestandteil der cura monialium, sondern immer auch der cura animarum unter seinen Freundinnen und Freunden.225 Die Klöster dürften einen stabilisierenden Einfluss auf diese Kreise, mit denen sie verkehrten, gehabt haben. Margaretha war dabei nicht die einzige Nonne, der in diesem Kontext eine heilsgeschichtliche Funktion zukam.226 Wie an ihrem Beispiel ersichtlich wird, erhofften sich Kleriker 221 Thali, Beten, S. 157. Johanna Thali macht diese Aussage zur Funktion des ›Gnaden-Lebens‹ Friedrich Sunders. 222 Nigel F. Palmer verwendet den Ausdruck prophetissa für Mechthild von Magdeburg: Das Buch, S. 227. 223 Vgl. die Aussage von Johanna Thali in Anm. 216. 224 Zur Enderwartung im Kreis um Heinrich vgl. Kap. 4.3.5. Zur Visionärin als Instrument Gottes in ihrem ekklesiologischen Bezug am Beispiel Mechthilds von Magdeburg vgl. Palmer, Das Buch, S. 226–229. 225 Konkreter zu diesem Freundeskreis vgl. Kap. 7.4. Ihm sind auch viele Nonnen zuzuordnen. 226 Vgl. Thali, Beten, S. 205: Die Nonne Adelheid Langmann wird »aufgrund

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und Laien von Nonnen Fürbitte und die Vermittlung von Gnaden. Die Nonnen in den Klöstern schrieben für diese darüber hinaus auch Bücher ab,227 verfassten Briefe,228 verfertigten Bilder und Wandbehänge und fassten Reliquien ein.229 Die Freundinnen und Freunde um Heinrich standen einander auch durch die gegenseitige Fürbitte bei und tauschten wie Heinrich – so der Brief Margarethas zum Goldenen Ring – mit Medingen Geschenke aus.230 Unter diesen Geschenken wurde vor allem von den Reliquien eine ähnliche Konkretisierung der Heilsgewissheit erhofft wie von der literarischen Tätigkeit begnadeter Nonnen.231 Margaretha kam dabei unter anderem die Aufgabe zu, die Echtheit einer Reliquie zu prüfen,232 was die besonderen Gaben unterstreicht, die ihr zugesprochen wurden.233 An diese Bedürfnisse des Freundeskreises um Heinrich lässt sich eine Frage anknüpfen: Könnte der Briefwechsel zwischen Heinrich und Margaretha die Suche seiner Leserinnen und Leser nach Innerlichkeit und Halt in religiösen Belangen nicht nur evoziert und begleitet haben, sondern von diesen Anliegen umgekehrt erst eigentlich hervorgebracht worden sein? Anders gefragt: Könnten es nicht gerade die Rezipientinnen und Rezipienten der Briefe gewesen sein, denen der literarische Dialog zwischen Nonne und Seelenführer ein Anliegen war? Dann wären nicht allein die

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ihres Gebets [. . .] zur Mittlerin göttlicher Gnaden und hat damit teil am Erlösungswerk«. Zur literarischen Tätigkeit von Frauenklöstern vgl. v. a. Kap. 7.5.5. Vgl. Kap. 7, Anm. 34. Kurt Ruh versteht den Brief »als die der Predigt nächstverwandte Kommunikationsform« und damit als geeignet für die Frauenmystik, »die die Predigt ausschliesst«: Überlegungen, S. 37 f. Jeffrey F. Hamburger hält fest, dass der Austausch von Bildern ebenfalls Teil der cura monialium gewesen sei. Sie hätten als Anleitung und zur spirituellen Führung der Nonnen gedient, aber auch als Zeichen von Wertschätzung und Zuneigung zwischen Nonnen und ihren geistlichen Ratgebern: The visual, S. 279. Zur Bedeutung der Reliquien für Heinrich und mit ihm befreundete Menschen vgl. Kap. 7.7. Mit Bezug auf Brief XL , 103–117, Strauch, S. 239 meint Jeffrey F. Hamburger: »Heinrich’s words indicate that the exchange of gifts served a function similar to that of circulating necrologies, securing the prayers of a circle of spiritual friends extending beyond the confines of a single community«: The visual, S. 308. »Heinrich had an obsessive, if not unusual, interest in relics [. . .]«: ebd., S. 309. Vgl. Brief XLIV , 37 f., Strauch, S. 248. Für das Kloster Unterlinden zu Kolmar hält Jeffrey F. Hamburger fest: »Women could assume the aura of holy images or lend it to them in turn«: The visual, S. 309. Zum vertrauten Umgang Margarethas mit den Heiligen und ihren Reliquien vgl. Kap. 7.7.

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

›Offenbarungen‹ Margarethas, sondern auch der Briefwechsel als Antwort auf den Wunsch eines grösseren Publikums zu verstehen.234 Für die ›Offenbarungen‹ Margarethas hat Ursula Peters nämlich bereits festgehalten: »Ihre Aufzeichnungen haben damit von vornherein ihr Publikum: eine Öffentlichkeit der ›Gottesfreunde‹, die – über persönliche Beziehungen, Briefe und nicht zuletzt auch die schriftlichen Berichte der begnadeten Medinger Schwester – an ihrem Leben der von Gott gesandten Leiden und Gnaden regen Anteil nehmen. Diesem öffentlichen Charakter des Textes im Bereich seiner Rezeption entspricht eine Öffentlichkeit der Entstehung im Kloster.«235 Im Anschluss an die Bestimmung der Briefe Heinrich Seuses können die Briefe Heinrichs von Nördlingen als geistliche Sendschreiben gedeutet werden, die nicht Privates im modernen Sinne ausdrücken, sondern im Dienst der cura animarum an ihm befreundeten Menschen stehen.236 Als Sendschreiben dürften die Briefe zuerst dem Kloster Medingen selbst innerhalb der cura monialium zur geistlichen Erbauung gedient haben.237 Dabei hatte Medingen neben einem spirituellen Interesse gewiss auch ein politisch-wirtschaftliches: Das Bekanntwerden dieser Briefe konnte mit den ›Offenbarungen‹ Margarethas zusammen dazu beitragen, die begnadete Mitschwester – und damit die Gemeinschaft selbst – über die Klausurgrenzen hinweg ins Bewusstsein zu bringen und auf diese Weise einflussreiche Leute für die Sache des Klosters zu gewinnen.238 Dieser These kommt 234 Dass dies auch für die ganze Briefsammlung gilt, zeigt Kap. 8.1.9. 235 Peters, Religiöse Erfahrungen, S. 151; vgl. auch Thali, Beten, S. 41. 236 Nigel F. Palmer macht auf vier lateinische Briefe des 13. Jh.s aufmerksam, die auf eine »Vorgeschichte« des geistlichen Sendbriefs im ostschwäbischen Raum hinweisen: Deutschsprachige Literatur, S. 255–258. Zu den Briefen Heinrich Seuses vgl. Kap. 1, Anm. 35, zum Begriff ›privat‹ vgl. ebd., Anm. 103. Dass Briefe im Spätmittelalter immer auch einem weiteren Personenkreis zur Verfügung gestellt und vorgelesen wurden, zeigt etwa: Simon Teuscher, Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500. Überlegungen zu ihren zeitgenössischen Funktionen und zu Möglichkeiten ihrer historischen Auswertung, in: Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisie`me Cycle Romand 1994, hg. von Eckart Conrad Lutz (Scrinium Friburgense 8), Freiburg/Schweiz 1997, S. 359–385, hier: S. 367. 237 Die Vitae der Schwestern von Adelhausen bei Freiburg i. Br. bezeugen, dass sich eine Priorin für ihre geistlichen Ansprachen auf Briefe stützen konnte und solche sogar vorlas; vgl. Heribert Christian Scheeben, Über die Predigtweise der deutschen Mystiker (1961), wieder in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, hg. von Kurt Ruh (Wege der Forschung 23), Darmstadt 1964, S. 100–112, hier: S. 105. 238 Für die Literatur des Dominikanerinnenklosters Engelthal geht Johanna Thali

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entgegen, dass im Todesjahr Margarethas und in der folgenden Zeit mit ihr wahrscheinlich verwandte Nonnen die Geschicke des Klosters wesentlich bestimmten: 1351 amtete als Priorin Agnes die Münzmeisterin, die vermutlich eine Schwägerin Margarethas war239, und von 1364–1370 Elsbeth von Hochstetten, möglicherweise Margarethas Cousine.240 Auch dürfte sich im Konvent nach dem Tode Margarethas eine weitere Margaretha Ebner aufgehalten haben, eine Nichte der im Ruf der Heiligkeit Verstorbenen.241 Die Lektüre der Briefe durch andere Personenkreise als Margaretha Ebner selbst – die Nonnen von Maria Medingen, die Freundinnen und Freunde Heinrichs und die Familie Margarethas – war demnach von Anfang an möglich und sogar intendiert. 5.4.4 Der Brief als konstitutives Element der Seelsorge Heinrichs Unter der Nummer LXIV in der Ausgabe von Philipp Strauch überliefert uns die Londoner Handschrift Add. 11430 auch den Brief eines ›Anonymus‹ an Margaretha und den Konvent von Medingen (Z. 13–15).242 Dieser Brief wurde sehr wahrscheinlich noch vor dem ersten Zusammentreffen Heinrichs mit Margaretha oder allenfalls in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft geschrieben. Er richtet unser Interesse demnach auf die Anfänge des mystischen Gesprächs zwischen Heinrich und Margaretha und kann dazu wertvolle Hinweise liefern. In der Einleitung von Brief LXIV wird Margaretha in der vollen Gemeinschaft mit Gott dargestellt: Die Einleitung ist der Funktion unterworfen, das Dargestellte bei der Adressatin innerlich enpfinden (Z. 7) und enpfahen (Z. 8) zu lassen.243 Darin und im Wunsch, an Margaretha möge sich das vollkommene bild aller tugend vollbringen, dem der Konvent zu folgen

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davon aus, diese könnte neben den erbaulichen Funktionen »im Hinblick auf die materielle Absicherung des Klosters zugleich der Darstellung der Auserwähltheit der Gemeinschaft als Ort göttlichen Gnadenwirkens dienen, indem sie seine Attraktivität steigert als Grablege und für die Stiftung von Seelmessen oder als Ort, wo man die Töchter hingibt oder den Lebensabend als Pfründner verbringt«: Beten, S. 312. Vgl. Weitlauff, dein got redender munt, S. 306. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Strauch, S. 277 f. Zur Frage, wer der Autor des Briefs sein könnte, vgl. Kap. 7.1. Die Funktionen der bei Heinrich gebräuchlichen Verben enbieten und begeren werden in Brief LXIV oft von Hilfs- oder Modalverben übernommen:

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Die Funktionszusammenhänge der Briefe

habe (Z. 14–16), zeigt sich die Verwandtschaft mit den Briefen Heinrichs. Hier wird zudem explizit festgehalten, was für Heinrich aus verschiedenen Briefen erschlossen werden musste: Brief LXIV hatte neben Margaretha als ersten Kreis von Rezipientinnen deren Konvent im Auge, für den sie als Vorbild hingestellt wurde. Weiter wird auch in diesem Brief selbstverständlich Elsbeth Scheppach angesprochen, hier sogar noch in ihrer Funktion als Schreiberin: Scheppach, was man mir zu schriben hab, das schribent mir geren durch got.244 Es darf daher angenommen werden, dass Scheppach wirklich die Schreiberin der Briefe Margarethas war – und vermutlich mit dieser zusammen gar Autorin. Brief LXIV gemäss hatte Margaretha zudem schon vor ihrer Bekanntschaft mit Heinrich einen gewissen Bekanntheitsgrad ausserhalb ihres Klosters erlangt. Mehr noch, der anonyme Autor dürfte Margaretha und Heinrich erst miteinander bekannt gemacht haben: soltüstu ungeren sterben, ich enphilh dir den maister von Norlingen mit gantzem ernst, wan sin brief, die er mir geschriben hat, die hant mich gevangen, und ich han im usz lust meins hertzen gar vil geschriben.245

Der Autor hat demnach um die schwere Krankheit Margarethas gewusst, diese darf sogar als eigentlicher Anlass für ein Zusammentreffen zwischen Margaretha und Heinrich gelten. Brief LXIV vermag folglich vieles, was in den vorangegangenen Kapiteln gesagt wurde, zu ergänzen, aber auch zu relativieren. Die exklusive Beziehung zwischen Heinrich und Margaretha, die uns ihre Briefe und die ›Offenbarungen‹ Margarethas zeichnen, muss mindestens auf jenen Seelsorger hin geöffnet werden, der Brief LXIV schrieb: Margaretha hatte mit ihm vor und vielleicht noch gleichzeitig mit Heinrich Briefverkehr. Heinrichs Korrespondenz kann damit einer bestehenden Briefkultur in deutscher Sprache zugeordnet werden, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vor allem im Umkreis von Klöstern, aber auch in Städten wie Basel und Strassburg gepflegt wurde.246 So ist etwa für Christine Ebner bekannt, dass sie bereits 1324 mit dem Dominikaner Konrad von Füssen eine Korrespondenz in ihrer Muttersprache gepflegt hatte.247 Christine pflegte aber auch mit Johannes Tauler und mit Heinrich

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die heilig drivaltigkeit tu dich enpfinden (Z. 7), die ewig gothait tu dich ewicklichen schawen (Z. 8 f.), hier zu müsz dich stüren (Z. 10). Z. 39 f., Strauch, S. 278. Z. 26–30, ebd., S. 277 f. Heinrichs Beziehungen zu Strassburg werden in Kap. 7.6 behandelt. Vgl. Thali, Beten, S. 42.

Die Briefe und der Freundeskreis um Heinrich

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selbst einen Briefwechsel,248 Margaretha Ebner ebenfalls mit Tauler und mit Abt Ulrich III . von Kaisheim und Prior Ulrich derselben Abtei mit Adelheid Langmann von Engelthal.249 Diese Briefkultur war nach Inhalt, Sprache und Form vergleichbar. Heinrich war Teil dieser literarisch produktiven Kreise und dürfte über sie seine freundschaftlichen Beziehungen zu den Nonnen von Medingen gefunden haben. Heinrichs Ansehen in seinem Freundeskreis war vor allem auch in seinen Briefen begründet. Der literarische Einfluss Heinrichs auf den Autor von Brief LXIV wird in den zitierten Zeilen 26–30 durch das Partizip gevangen festgehalten, das die erhebende Funktion der Briefe Heinrichs bestätigt, die in diesem Kapitel für Margaretha und weitere Leserinnen und Leser nur vermutet werden konnte.250 Nicht nur die Person Heinrichs, sondern offensichtlich gerade dessen Briefe stehen darum im Vordergrund der Empfehlung des anonymen Autors an Margaretha, den ›Meister‹ zu treffen. Obwohl aus Brief LXIV nicht hervorgeht, sein Autor sei von Heinrich geographisch getrennt worden, hat er selbst auf die Briefe Heinrichs hin einen regen Briefwechsel mit diesem aufgenommen. Heinrichs Briefe müssen folglich als konstitutiv für seine cura animarum gelten – und dies schon vor dem im Jahre 1332 einsetzenden Briefwechsel mit Margaretha. Im mystischen Diskurs zwischen Heinrich und seinem Freundeskreis war die Literarizität ihrer Briefe demnach ein wesentlicher Bestandteil.

248 Zum Briefwechsel zwischen Christine und Tauler vgl. McGinn, Die Mystik, S. 544, zu jenem mit Heinrich vgl. Kap. 1, Anm. 29. 249 Die Identifizierung des Priors von Kaisheim mit Abt Ulrich III . in: Strauch, S. 392 ad LVIII , Vorbemerkung, findet für Nigel F. Palmer in der Klostergeschichte Kaisheims keine Begründung: Sowohl von 1332–1340 als auch 1348 sind Prioren mit dem Namen ›Ulrich‹ bezeugt: Deutschsprachige Literatur, S. 251. Wie Brief XXV , 40 f., Strauch, S. 209 entnommen werden kann, wandte sich auch die Äbtissin von Niederschönenfeld mit einem Brief an Margaretha (oder an Heinrich, der ihn Margaretha zum Lesen gab?). 250 Zur Intention der Briefe, die Leser und Leserinnen in das beschriebene minnekosen mit Gott hineinzunehmen, vgl. Kap. 5.2.3.

6 Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin Ausgehend von einigen ausgewählten Briefen wurde in den vorausgegangenen Kapiteln beispielhaft vor Augen geführt, wie Heinrich von Nördlingen als Seelsorger mit der Nonne Margaretha Ebner über deren Anfragen und Erfahrungen ins Gespräch kam. Der Anteil Margarethas an diesem Gespräch konnte dabei nur über die stilisierten Dialoge in den Briefen Heinrichs ermittelt werden. Darum wird nun Margarethas einziger Brief in die Überlegungen zum Gespräch unter den Briefpartnern einbezogen, ebenso ihre ›Offenbarungen‹ und ihr ›Paternoster‹, denn die Briefe Heinrichs gehören, wie schon Ursula Peters betont hat, zum literarischen Kontext der ›Offenbarungen‹.1

6.1 Der Brief LXVII 2 Weil es sich beim Brief Margarethas um eine Antwort auf Brief XLVIII handelt,3 werden alle Fragen, die mit Margarethas Brief zusammenhängen, in Bezug auf Brief XLVIII und auf das ganze Briefkorpus Heinrichs hin gestellt. 6.1.1 Der Text des Briefes Den die ewig wiszhait mineklich umbfangen hat und von inerem lust suszegklich gezogen hat in das war liecht seiner hailigen gothait, in der er dich verklert hat ze einer gezierd seiner ewigen ere nach dem willen seines gotlichen 1 Vgl. Kap. 1.3.4. 2 Vgl. Strauch, S. 281–283. Der Zeilenumbruch des folgenden Textes entspricht jenem der Edition Strauchs. Debra L. Stoudt vermutet, dieser Brief sei erhalten geblieben, da er nie abgeschickt wurde; vgl. The production and preservation of letters by fourteenth-century Dominican nuns, in: Mediaeval studies 53 (1991), S. 318–325. 3 Vgl. Kap. 4.3.1.

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gefallens , wan er dein sel warlich besessen hat , die er im zem einem paradiese erwelt hat, ze seiner ewigen ru ; – da wirt si lustlich . . . . usz der wirckenden craft der zarten gotheit und in rechter clarhet derlucht und dein hertz minecklich in inbrinstiger minen enzundet, die nun gewaltigklich an dir richszet mit wirckender kraft seiner ingotheit , als es in der warhait usz allem deinen leben lücht , usz deinen worten in rechter warhait, die ain warü gezügschaft sind der ere gotes, und usz deinen wercken in volkumender demutigkait: – ain getrüwe nachfolgerin der menschait Jhesu Christi. nu beger ich deiner verdruckten demutigkeit, das du derhaben werdest von dem crisen in den hohen flug des adlers meines lieben heren sant Johannes uf das minende hertz meins liebs Jhesu Christi, uf dem du warlich ruwest und minenklich getrenckt werdest mit seiner gnad und durchgossen werdest mit seiner inern suszigkait, das du da verlieszest das unbekenen der enpfindung der genad gotes und das dir da geben werd die enpfindung des indern lustes gotes, des ich und alle die enpfunden hant, die es in der genad gotes von dir gesucht hant und die me dan ich, die die genad unsers heren me derlücht hat den mich. wan mein here wol waist, das ich mich ie bekant han ze unwirdig und ze klein zu dem volkumen lucht, das mir usz dir gelucht hat. nu beger ich von der wirckenden kraft, die alü ding geordnet und gericht hat und dem lucht der sunnen die aigenschaft geben hat, das si leucht uber gut und uber die besen – der selb wisze ordner, der das volkommen liecht in der warhait in dich goszen hat, das da milteklichen usz dir fluszet allen den , den du dich von minen in gutigkeit gist – : nu musz die war sunne dich selber an ir eren und musz erluchten alle getunkelten sinnen, die ze der gnad unszers heren nit berait sint und sunderlich den, die die genad unszers heren widerwertigklich enpfahent von den, die si sunderlich an dir eren und fürdern solten. da beger ich dir zu das starck, gewaltig vermugen gotes wider alle widerwertigkeit, die an dir wider das liecht der warhait geschweht wirt ; das wir gar unleidlich von dir ist, weren es nit die minenwerck unsers lieben heren, da mit er sein aller liebst friundt gezogen hat. Wan er dir sin gab volkomenlich

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geben hat in allem sinen wircken an dir, dar in er im sucht sein ewig ere. ich beger dir, meinem warhaften friund in got, den er mir von minen und von barmhertzigkeit geben hat, das du wol mugest und das die genad unsers heren stercklichen an dir wircke, das dein feur nit anders si den susze genad und dein craft sin inbrünstigü minne. nu waist mein here Jhesu Christo wol, der die luter warhait ist, das ich deiner gegenwertigkeit beger und ir auch notürftig wer. nu hast du gesprochen, so du bi mir bist gewesen, das unser here Jhesus Christus ze seinen jungern sprach : ›euch ist nütz, das ich von euch far‹. des han ich von dir enpfunden, das ich allweg trost und gotlich kraft usz dir enpfind. ich lasz dich wissen, das ich dick gar kranck bin und unkunde krancket han, da ich dir nit von geschriben mag noch kan etc. umb das hailigtum sant Angneszen da han ich selber begird zu und han auch wol dar zu, wan das ich dein da mit baiten wil, wan ich alle mein begird geren mit deinem ratt und mit deiner ler volbringen etc. 6.1.2 Übersetzung des Briefes4

Den die ewige Weisheit liebend umfangen und aus innerer Lust auf süsse Weise in das wahre Licht seiner heiligen Gottheit gezogen hat, in der er dich zu einer Zierde seiner ewigen Ehre nach dem Willen seines göttlichen Gefallens verklärt hat, weil er deine Seele, die er sich zum Paradies erwählt hat, zu seiner ewigen Ruhestatt wahrlich in Besitz genommen hat; – da wird sie in Lust bereitender Weise . . . aufgrund der wirkenden Kraft der liebevollen Gottheit und in vollkommener Klarheit erleuchtet und [da wird] dein Herz auf liebevolle Weise durch inbrünstige Liebe entzündet, die nun gewaltig in dir herrscht mit der wirkenden Kraft seiner Gottheit, wie es tatsächlich aus deiner ganzen Lebensweise ersichtlich wird, und insbesondere aus deinen Worten, die ein wahres Zeugnis der Ehre Gottes sind, und aus deinem Handeln aus vollkommener Demut heraus: – eine getreue Nachfolgerin Jesu Christi als Mensch. 4 Dieser Brief wurde bereits übersetzt in: Deutsche Mystikerbriefe, S. 336 f. und in: Der Seligen Margareta Ebner Offenbarungen, S. 243–246. Die Einteilung der Übersetzung wurde so vorgenommen, wie sie in den folgenden Teilkapiteln vorausgesetzt wird.

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Nun wünsche ich dir als einem, den seine Demut niederdrückt, dass du vom Kriechen zum hohen Flug des Adlers meines lieben Herren, des heiligen Johannes, hinauf zum liebenden Herzen meines Geliebten Jesus Christus erhoben werdest, an dem du wahrlich ruhst und [von dem du] liebend mit seiner Gnade getränkt und mit seiner inneren Süssigkeit durchgossen werdest, damit du da die Unkenntnis der Empfindung der Gnade Gottes verlieren mögest und damit dir da die Empfindung der Lust Gottes in dir gegeben werde, die ich und all jene empfunden haben, die dies in der Gnade Gottes von dir erbeten haben und [zwar] jene mehr als ich, welche die Gnade unseres Herrn mehr erleuchtet hat als mich. Denn mein Herr weiss wohl, dass ich mich immer als zu unwürdig und zu klein für das vollkommene Licht bekannt habe, das mir aus dir geleuchtet hat. Jetzt wünsche ich mir von der wirkenden Kraft, die alle Dinge geordnet und gerichtet und dem Licht der Sonne die Eigenschaft gegeben hat, über Guten und Bösen zu leuchten – derselbe weise Ordnungsstifter, der dir das vollkommene Licht wahrhaftig eingegossen hat, das da verschwenderisch all denen aus dir zufliesst, denen du dich aus Liebe gütig hingibst – : nun soll die wahre Sonne selbst dir Wirkung verschaffen und soll alle dunkel gewordenen Erkenntnisvermögen erleuchten, die für die Aufnahme der Gnade unseres Herrn nicht vorbereitet sind, und insbesondere denen [ihren Verstand erleuchten], die die Gnade unseres Herrn widerstrebend empfangen von denen, die sie besonders deinetwegen unterstützen und fördern sollten. Dazu wünsche ich dir die starke, gewaltige Kraft Gottes gegen alles dem Licht der Wahrheit Widerstreben, das durch dich abgeschwächt wird; derartiges Widerstreben schmerzte mich bei dir, handelte es sich nicht um die Liebeswerke unseres lieben Herrn, mit denen er seinen allerliebsten Freund [zu sich] gezogen hat. Denn er hat dir seine Gabe vollkommen in all seinem Wirken in dir zuteilwerden lassen, über das er sich selbst seine ewige Ehre sucht. Ich wünsche dir, meinem wahrhaften Freund in Gott, den er mir aus Liebe und Barmherzigkeit gegeben hat, dass du Kraft habest und dass die Gnade unseres Herrn kraftvoll in dir wirke, damit dein Feuer nichts anderes als süsse Gnade sei und seine inbrünstige Liebe deine Kraft. Nun weiss mein Herr Jesus Christus, der die reine Wahrheit ist, genau, dass ich mir deine Gegenwart ersehne und ihrer auch sehr bedürfte. Nun hast du gesagt, als du bei mir gewesen bist, dass unser Herr Jesus Christus zu seinen Jüngern sprach: »Es ist gut für euch, dass ich von euch gehe.« Dasselbe habe ich in Bezug auf dich wahrgenommen, dass ich überall Zuversicht und göttliche Kraft aus dir erfahre. Ich lasse dich wissen, dass ich oft sehr krank bin und eine unbekannte Krankheit habe, über die ich dir

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nichts zu schreiben vermag noch weiss etc. Was die Reliquie der hl. Agnes betrifft, so habe ich selbst Verlangen danach und habe auch alles Nötige dazu, möchte aber noch auf dich warten, weil ich alle meine Wünsche gerne nach deinem Rat und nach deiner Unterweisung ausführe etc. 6.1.3 Ein Dialog zwischen ›Weisheit‹ und ›Dienerin‹ In ihrem Gruss beschreibt Margaretha Heinrich als einen von Gottes Weisheit ganz in Besitz genommenen und begnadeten Menschen, dessen Leben und Worte Ausdruck dieser Gottverbundenheit sind; selbst nennt sich Margaretha schlicht eine ›Nachfolgerin der Menschheit Christi‹. Auf diesen Gruss hin wünscht sie Heinrich, zum Flug des Adlers erhoben zu werden und am Herzen Christi ruhen zu können, damit ihm selbst jene innere Empfindung Gottes gegeben werde, die sie und andere bei ihm gesucht und durch ihn gefunden haben. An diesen Wunsch anschliessend beschreibt sich Margaretha als zu unwürdig und zu klein für die Gnade, die ihr durch Heinrich zuteil wird. Sie wünscht ihm, Gott möge durch ihn jene Sinne erleuchten, die für die Gnade Gottes nicht bereit sind. Die Widrigkeiten, die ihm in seinem Leben begegnen, würden sie, so Margaretha weiter, schmerzen, könnte sie darin nicht ein Liebeswerk Christi an ihm sehen. Im Schlussteil des Briefes schreibt sie von der Sehnsucht nach seiner Gegenwart, beruft sich dann aber auf eine Aussage Heinrichs, der ihr gesagt habe, auch für die Jünger Jesu sei es gut gewesen, dass dieser von ihnen gegangen sei. Der Brief schliesst mit einer Bemerkung zu ihren häufigen Krankheiten, die sie nicht genauer beschreibt, und mit der Feststellung, sie werde betreffs der Reliquie der hl. Agnes nichts unternehmen, ohne seinen Rat gehört zu haben. Margarethas Brief ist nicht leicht zusammenzufassen, weil er weniger strukturiert ist als die Briefe Heinrichs.5 Die Einleitung, die sich über die ersten 15 Zeilen erstreckt, setzt sich aus verschiedenartigen Metaphern zusammen, die formelhaft und locker zusammengehängt wirken. Dabei ist die dominierende Metapher jene der Weisheit, die den Adressaten mineklich umbfangen hat (Z. 1).6 Auch in den weiteren Zeilen der Einleitung werden die 5 Margaretha ist wohl als Autorin des Briefes anzusehen, hat ihn aber vermutlich nicht selbst geschrieben. Als Schreiberin (aller Briefe Margarethas) kann Elsbeth Scheppach angenommen werden; vgl. Kap. 1.2 und Kap. 5.4.4. 6 In der Tradition der Mystik ist es meist Maria, die als mit der ewigen Weisheit vereinigt dargestellt wird; vgl. Margot Schmidt, Mystik. 1. Lateinische und deutsche Mystik, in: MarL 4 (1992), S. 564–569, hier: S. 564.

Der Brief LXVII

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Funktionen, die Margaretha der Weisheit in Bezug auf Heinrich zuschreibt, alle im Perfekt ausgedrückt und damit als eine in der Gegenwart bereits vollendete Gegebenheit hingestellt.7 Bedeutsam ist das Prädikat ewig, das der ›Weisheit‹ vorangestellt wird. Die allegorische Rede von der ›Ewigen Weisheit‹ lässt an Heinrich Seuses ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ denken. Tatsächlich gibt es zwischen dem Werk Seuses und dem Gruss des vorliegenden Briefs einige Parallelen, die hier aufgeführt werden, ohne dass damit ein eigentlicher Kommentar zur Einleitung des Briefs intendiert ist. Der Briefbeginn Den die ewig wiszhait mineklich umbfangen hat (Z. 1) erinnert an Kapitel I des BdeW, das die Überschrift trägt: Wie etlichu´ menschen von got unwissentlich werdent gezogen.8 Darin antwortet die Ewige Weisheit dem Diener auf die Frage, was es sei, das so heimlich in ihm spiele: Erkennest du es nit? Es hat dich doch minneklich umbevangen.9 Auch die Zeilen 2f. des Briefes (von inerem lust suszegklich gezogen [. . .] in das war liecht seiner hailigen gothait) klingen an Seuse an, wo der Diener den Apostel Paulus als edels lieht under allem himelschen gestirne preist, der als hohe werd gezogen und als tief in gefueret in die verborgnen tovgni der blozen gotheit.10 Eine Seele, die durlu´htet waz [. . .] mit dez ewigen wortes blozheit,11 wird im BdeW Bernhard von Clairvaux zugesprochen; Margaretha spricht von der Seele, die usz der wirckenden craft der zarten gotheit in rechter clarhet derlucht (Z. 7 f.) wurde. Während Seuse das Wort gezierde im ganzen ›Exemplar‹ verwendet12 – bei Margaretha in der Zeile 4 –, ist es wieder das BdeW, in dem sich Parallelen zu den Begriffen paradies (Z.6), lustlich (Z. 7) und nachfolgerin der menschait Jhesu Christi (Z. 14 f.)13 finden: Die Weisheit stellt darin einerseits den Vergleich mit einem GewürzGarten an, der ein himelsches paradis war, in dem got lustlich waz ze wonene, der aber zu einem Unkrautgarten geworden ist,14 andererseits mit 7 Dagegen drückt Heinrich in der Einleitung des Briefes XI die Teilhabe an der frucht der urstend als Wunsch aus, wie er auch in Brief XLVIII seiner Adressatin wünscht, dass sein Minnebrief an ihr uf das höst gotz ere volbracht werd. Zur Funktion des Wunsches in den Briefen vgl. Kap. 5.1. 8 Seuse, S. 200, 13. Bedeutungsvoll an dieser Parallele ist, dass bereits der Titel auf die Situation bezogen werden kann, die Margaretha beschreiben will. 9 Ebd., S. 201, 19 f. 10 Kap. XIV , ebd., S. 254, 11–13. 11 Ebd., Z. 18. 12 Vgl. ebd., S. 580 im Glossar. 13 In den ›Offenbarungen‹ Margarethas spricht Gott über Heinrich: er ist [. . .] ain sicherre nachvolger miner hailigen menschet: Strauch, S. 76, 8–10. 14 Kap. VI , Seuse, S. 222, 6–10.

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der Seele des Menschen: Min wonunge ist in der reinen sele als in eime paradys aller wollust.15 Auch hält der Diener der Weisheit gegenüber fest, dass ihr ein liepliches nahvolgen ihres senftmuetigen lebennes und ihres minnerichen lidens lieb ist, worauf der Diener meint, er wolle nun seinen Fleiss me legen uf ein minnekliches nahvolgen als auf ein weinendes Klagen.16 Dem Leben und Leiden der Weisheit (und damit Christi) nachzufolgen, entspricht auch in Brief LXVII die Betrachtung der menschait Gottes. Damit soll nicht gesagt sein, Margaretha greife auf bestimmte Stellen in Seuses BdeW zurück. Vielmehr scheint sich Margaretha in der Briefeinleitung assoziativ auf das BdeW zu beziehen, ein Vorgehen, das in den Kapiteln 3 und 4 als Charakteristikum für Heinrichs Briefe beschrieben wurde. Es können noch weitere Parallelen zwischen dem Brief Margarethas und dem BdeW Heinrich Seuses festgehalten werden, die weiterhelfen, das mystische Sprechen in Brief LXVII zu bestimmen. Im dialogischen Aufbau des BdeW kommt Seuse als dem ›Diener der Weisheit‹ die Rolle des Fragenden zu, der von der ›Weisheit‹, die dem Diener immer wieder in der ganz konkreten Gestalt Christi erscheint, in die Betrachtung der Geheimnisse Gottes (vor allem des Leidens Christi) eingeführt wird.17 Ein ähnliches Verhältnis wie jenes zwischen der lehrenden Weisheit und dem empfangenden Diener wird nun auch in der Einleitung von Brief LXVII aufgebaut. Heinrich wird darin als von der Weisheit bereits umbfangen (Z. 1) dargestellt, während Margaretha sich noch in die Nachfolge des menschlichen Lebens (und damit vor allem des Leidens) Christi einzuüben versucht (Z. 14 f.). Die Allegorie der ›Weisheit‹ lässt sich gut in dieses Verhältnis zwischen Heinrich und Margaretha in der Briefeinleitung einbauen, weil Margaretha den Umstand herausstreichen will, dass Heinrichs Seele in rechter clarhet derlucht (Z. 8) und sein Herz in minen enzundet (Z. 9) ist und Gottes Liebe und Kraft nun aus seinem leben lücht (Z. 11), und zwar aus seinen worten (Z. 12) wie auch aus seinen wercken (Z. 13). Margaretha ist daran gelegen aufzuzeigen, dass sie über Heinrichs Worte und Taten (also aus seinem ganzen Leben) Gottes Weisheit erfahren kann. In der Einleitung des Briefs werden damit bereits die Zeilen 25–28 vorweggenommen, in denen sich Margaretha in Aussagen der eigenen Unwürdigkeit zurück15 Kap. XIII , ebd., S. 248, 15 f. 16 Kap. III , ebd., S. 208, 31 – 209, 2. In Brief XXI , 1 f., Strauch, S. 204 nennt Heinrich von Nördlingen Margaretha Marien selige nachvolgerin von irdischen zu dem himelischen; vgl. auch Kap. 3, Anm. 69. 17 Zu Aufbau und Inhalt des BdeW vgl. Kap. 4.4.2.

Der Brief LXVII

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nimmt. Damit ergeben sich im Aufbau ihrer Beziehung zu Heinrich Parallelen zur (umgekehrten) Figurenkonstellation der Briefe XI und XLVIII . Doch auch auf dem Hintergrund des BdeW lässt sich zwischen Margaretha und Heinrich ein Unterschied in den Funktionen nachweisen: Heinrich wird in der Rolle des (Weisheits-)Lehrers dargestellt, während Margaretha die Funktion der Schülerin (in Anlehnung an die Terminologie Seuses: der Dienerin) zukommt.18 Es lassen sich vor allem auch inhaltliche Elemente zwischen Brief LXVII und dem BdeW finden, welche die Frage zu beantworten helfen, warum Margaretha auf die Allegorie der ›Weisheit‹ zurückgreift und sie an den Anfang ihres Briefes stellt. In Brief XLVIII , auf den Brief LXVII ja antwortet, meint Heinrich: wan ich bekenn, das ich nit bekenne die gnad gotz, die got dir und andern gotzfründen durch mich gibt, als du sprichest [. . .].19 Auch in diesen Zeilen wird – hier aus der Sicht Heinrichs – Margarethas Meinung festgehalten, sie (und andere) erfahre durch seine Vermittlung Gottes Gnade. Margaretha nimmt in ihrem Brief diese Funktion Heinrichs wieder auf, obwohl er selbst in Brief XLVIII sein Erstaunen darüber ausdrückt. Mit dem Einsetzen der Allegorie der ›Weisheit‹ bekräftigt Margaretha – dies in Anknüpfung an die von Heinrich geäusserten Zweifel – ihre Ansichten über seine einzigartige Funktion für sie: Er nimmt in diesem Brief jene Stellung ein, welche die ›Weisheit‹ im BdeW dem Diener gegenüber innehat. Es ist darum verständlich, dass sich Margaretha beim Verfassen ihres Briefs an Seuses Werk erinnert hat, als sie ihr Verhältnis zu Heinrich bildhaft auszudrücken versuchte. 6.1.4 Der gemeinsame Verstehenshorizont: Der Aufstieg des Menschen zu Gott Der Hauptteil des Briefs umfasst die Zeilen 15–49. Im Gegensatz zu den Hauptteilen der Briefe XI und XLVIII kreisen Margarethas Gedanken hier nur um ein Thema: Margaretha antwortet auf die Verwunderung und die Zweifel Heinrichs und sucht sie zu entkräften. Deutlich drückt sie das in den Zeilen 20–24 aus. Interessanter ist im Kontext dieser Arbeit die Frage, mit welchen Mitteln sie ihre Antwort entwickelt. In Brief XLVIII nennt sich Heinrich Margaretha gegenüber ain armes wirmlin, krichendes leider uf der erden mit seinem ungenemen leib, der mit seiner schedlicher schwärhait 18 Vgl. Kap. 2.4.3. 19 Vgl. Kap. 4.3.2.

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mit im züicht und mindert die gaub gotz.20 Diese deutliche Zurücknahme seiner selbst begründet er später mit der Ansicht, an der Gnade Gottes, von der andere sagen, er würde sie ihnen vermitteln, selbst nicht teilzuhaben. Margaretha nimmt in ihrem Brief den von ihm beschriebenen Zweifel wieder auf, indem sie diesen in eigene Worte fasst: Sie spricht von seiner verdruckten demutigkeit (Z. 15).21 Ausserdem übernimmt sie den von Heinrich verwendeten Ausdruck crisen, des ›Kriechens‹ (Z. 16).22 Auf diese beiden Bilder lässt sie nun die Metapher des Vogelfluges folgen, wie sie im zweiten Kapitel bereits beschrieben wurde.23 So wie sie die Flugmetapher den oben wiedergegebenen Ausdrücken der humilitas anfügt, muss sie sich des Nutzens dieser Metapher bewusst gewesen sein: Beim ›Aufstieg‹ geht der Stufe der contemplatio (im Modus des ›Fluges‹ dargestellt) als erste Stufe die cogitatio (auf dem Boden kriechend) voraus.24 Das Einfügen dieser Metapher erlaubt es Margaretha, die Demut Heinrichs so zu bewerten, dass diese zum Ausgangspunkt auf dem Weg zur Kontemplation werden kann. Mit dieser günstigen Bewertung der Demutsformeln in Kontrast zum Flug des Adlers weist Margaretha implizit darauf hin, dass sie die Beteuerungen der humilitas in Heinrichs Briefen in eben diesem Kontext verstanden hat. Nicht zufällig nimmt sie von Heinrich gerade die Rede vom crisen auf und begert seiner verdruckten demutigkeit den (mittels der Metapher ausgedrückten) Aufstieg zur Kontemplation.25 Margaretha versucht demnach in Brief LXVII auf die Zweifel Heinrichs einzugehen, indem sie auf einen (mit der Metapher des Adlerfluges evozierten) Verstehenshorizont zurückgreift, den sie auch in Heinrichs Briefen 20 Brief XLVIII , 5–7, Strauch, S. 256. 21 Die Demut ist hier nicht negativ zu bewerten. Zur Funktion der Demut in den Briefen Heinrichs vgl. Kap. 7.5.5. 22 Vgl. Brief XLVIII , 5, Strauch, S. 256: Heinrich benützt hier das Partizip krichend. 23 Vgl. Kap. 2.4.2. In den Briefen Heinrichs verweisen nur die verwendeten Wörter in ihrem Kontrast zueinander auf den als Vogelflug dargestellten Erkenntnisaufstieg des Menschen: krichend, schedliche schwärhait (XLVIII , 5–7) – uf das höst gotz ere volbracht werd (XI , 8 f.); usz einem diemutigen hertzen (XI , 10) – erhebtz hertz (XI , 11). 24 Margaretha hat die Lehre vom Erkenntnisaufstieg vielleicht nicht in der Theorie gekannt, sondern nur in der von ihr benutzten Metapher; vgl. dazu Kap. 2.4.2. Allerdings besassen mittelalterliche Autorinnen z. T. beträchtliche theologische und philosophische Kenntnisse; vgl. Kap. 5, Anm. 125. 25 Für Johannes Tauler bewirken das Bemühen um Demut und eigene Kleinheit Gott gegenüber den Drang, sich in Gott zu verlieren und aufzugeben; vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, S. 255 f.

Der Brief LXVII

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angedeutet findet. Umgekehrt setzt Heinrich in seinen Briefen das Wissen vom Erkenntnisaufstieg des Menschen zu Gott als Vorverständnis voraus und muss darum nicht mehr explizit darauf zurückgreifen. Die Selbstverständlichkeit, mit der beide Briefpartner auf ein gemeinsames Vorverständnis zurückgreifen, erklärt, warum Margaretha sich in ihrem Brief nur gerade auf Heinrichs Zweifel bezieht und diese in einen neuen Kontext einzubetten versucht, ohne auf jene Stellen von Brief XLVIII zurückzukommen, die sie selbst in der Einigung mit der Dreifaltigkeit darstellen. In ihrem Brief deutet nämlich nichts darauf hin, dass Margaretha sich an der Stilisierung ihrer Person durch Heinrich gestört und sie als nicht mit der Wirklichkeit zu vereinbaren betrachtet hätte:26 Sie hat diese Briefstellen demzufolge durchaus als ›Minnebegehren‹ Heinrichs verstanden und über den Kontext des Erkenntnisaufstiegs zu Gott als für sich gewinnbringend lesen können. Auch die Nennung Christi in Zeile 18 deutet in diese Richtung: Wenn Margaretha von Christus spricht, nennt sie ihn mein lieb und verwendet damit ein Attribut der Brautmystik, das Heinrich in seinen Briefen wiederholt für Margaretha gebraucht und an dem sie sich nicht zu stören scheint.27 Diese Übernahme einer brautmystischen Bezeichnung für sich selbst verstösst nicht gegen die Regeln der humilitas, sondern beruht auf dem beiden gemeinsamen Verstehenshorizont.28 6.1.5 Die mystagogische Funktion der Briefe Margarethas Kann hier nun der Schluss gezogen werden, Heinrich habe um Margarethas Kenntnis des Erkenntnisaufstiegs gewusst, weil er sie selbst (mündlich oder/und schriftlich) darüber belehrt habe? Dann wäre er auch als der eigentliche Vermittler der Metapher vom Vogelflug anzunehmen. Zumindest aus den Briefen Heinrichs kann eine solche Annahme nicht bestätigt werden. Heinrich braucht die Metapher des ›Fluges‹ in seinen Briefen nur gerade dort, wo er sagt: Der ich und die mir in got enpfolhen send, der geb got einen diemutigen druck under sich, einen andechtigen zuck usz ir selber und einen minenden flug uber sich selber und alle creatur in ir einigs lieb Jhesu Christum!29

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Vgl. im Gegensatz dazu Kap. 5, Anm. 177. Vgl. z. B. Brief XI , 33, Strauch, S. 185. Zu diesem gemeinsamen Vorverständnis der Briefe vgl. etwa Kap. 4.4.2. Brief XXXVIII , 1–4, Strauch, S. 233.

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Er spricht an dieser Stelle wohl vom ›Minneflug‹, gibt aber keine Hinweise auf die Metapher des Vogelfluges.30 Die Annahme, Margaretha könnte ihre Kenntnisse von Heinrich besitzen, wird ihr auch insofern nicht gerecht, als sie bereits in der Briefeinleitung auf eine Metaphorik zurückgreift, die Heinrich in seinen noch vorhandenen Briefen nicht verwendet.31 Margaretha konnte diese Metapher sowohl über die Vermittlung einer Predigt oder der seelsorgerlichen Begleitung, als auch in ihrer privaten Betrachtung oder über die Lesung in der Gemeinschaft kennengelernt haben. Mechthild von Magdeburg verbindet die Metapher des ›Fluges‹ für den Aufstieg bereits mit dem Symbol des Adlers,32 Johannes Tauler verwendet die Metapher in einer Predigt,33 und eine süddeutsche Nonne gibt sie zu Beginn des 14. Jahrhunderts in einer Zusammenfassung einer Predigt Dietrichs von Freiberg wieder: Der hohe meister Diderich / Der wil uns machen froh, / Er sprachet luterlichen / Al in principio. / Des adelares fluke / Wil er uns machen kunt. / Dy sele wil er versenken / in den grunt ane grunt. / Scheidet abe.34

Mit der Metapher des Adlerfluges verknüpft Margaretha in den Zeilen 17–19 ihres Briefes eine Bildlichkeit, die auf die Darstellung des an der Brust Jesu ruhenden Apostels Johannes zurückgeht.35 Dieses Vorgehen ist nicht 30 Grete Lüers setzt diese Textstelle bei Heinrich in Verbindung mit der verbalen Metapher des vliegens. Diese bezeichne »analog denen des sweben, swimmen, den dynamischen Akt innerhalb der unio mystica«. Grundgelegt sei diese Metapher in der Allegorie der Seele als Taube im Hohenlied und in den Psalmen: Sprache der deutschen Mystik, S. 287 und 289. 31 Heinrich zieht das metaphorische Sprechen vom ›Fliessen‹ und ›Ausfliessen‹ vor; vgl. dazu Kap. 3.3.1. Er spricht mehr von ›Wahrheit‹ als von ›Weisheit‹. 32 FL , I 38, 7 f., S. 26: si [die Seele] kumet geswungen als ein are usser der tieffi in e die hohin. Ausführlich auf die Metapher des ›Vogelfluges‹ geht Mechthild im 61. Kap. des 7. Buches ein: ebd., Z. 2–11, S. 305. 33 Predigt 69, Tauler, S. 378, 7 f.: Diser are das ist der mensche der mit allen sinen e kreften innewendig uf flu´get in die hohi [. . .]. 34 Gnädinger, Johannes Tauler, S. 28. Zum Gebrauch dieser Metapher bei Albert dem Grossen und Thomas von Aquin und ihrer Rezeption im Predigerorden vgl. Kap. 2.4.2. In der literarischen Tätigkeit der Dominikaner von Konstanz und Zürich wird deutlich, dass darin das Thema der göttlichen Minne am Beispiel der beiden Johannes abgehandelt wurde. Dabei trat zwar die brautmystische Komponente in den Hintergrund. Sie wurde »aber im Sponsa-Motiv des an der Brust des Herrn ruhenden Evangelisten wieder aufgenommen«: Hans-Jochen Schiewer, Die beiden Sankt Johannsen, ein dominikanischer Johannes-Libellus und das literarische Leben im Bodenseeraum um 1300, in: Oxford German Studies 22 (1993), S. 21–54, hier: S. 47. 35 Zur Bildlichkeit des Apostels Johannes, der am Herzen Christi ruht, vgl. Kap. 3.4.3.

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etwa aussergewöhnlich, wird doch schon früh die contemplatio über die Metapher des Fluges auf den ›Adler-Evangelisten Johannes‹ bezogen.36 Margaretha fügt die Kombination dieser Bilder in ihren Gedankengang ein, damit Heinrich auf das Herz Christi derhaben (Z. 15–18) und minenklich getrenckt werde mit der Gnade Gottes (Z. 19 f.). Sie konstatiert diesen Zustand bei Heinrich nicht – im Gegensatz zur Briefeinleitung –, sondern begert (Z. 15) ihn für Heinrich. Damit wird hier das gleiche hermeneutische Prinzip angewendet, das uns in den Briefen Heinrichs begegnet, wenn er die von ihm zusammengestellten Bildfelder mit Minem liebsten [. . .] enbuit ich (XI , 1 f.), begert mein sel für dich (XI , 41), des beger ich (XI , 54 f.) und ich wünsch dir (XLVIII , 7 f.) einleitet. Margarethas Brief darf demnach auf dem Hintergrund eines ähnlichen Leseverständnisses, wie dieses für Heinrichs Briefe in den Kapiteln 5.2.2 und 5.2.4 herausgearbeitet wurde, verstanden werden: Bereits bei der Lektüre ihres Briefes konnten Heinrich Trost und Friede zukommen. Die mystagogische Funktion von Brief LXVII , Heinrich beim Lesen über die Bildfelder des Briefes auf eine neue Erkenntnisstufe steigen zu lassen und (unabhängig von der Lehre des Erkenntnisaufstiegs ausgedrückt) mit Liebe zu Gott zu erfüllen, muss vor allem auch für weitere Leserinnen und Leser gegolten haben, weil diese den Brief ja nur beschränkt in seinen konkreten Kontext einzuordnen wussten und darum die Bildlichkeit als solche auf sich wirken lassen konnten. Es bestünde auch die Möglichkeit, dass die Lektüre von Brief LXVII schon zu Lebzeiten von Heinrich und Margaretha komplementär zu Brief XLVIII gedacht war.37 Auf jeden Fall konnten Margarethas ›Minnebegehren‹ – auch losgelöst von jeglicher konkreten Veranlassung – wie ihre ›Offenbarungen‹ andere Menschen zur Betrachtung der Liebe Gottes führen.38

36 Vgl. Kap. 2.4.2. Schmidt, Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 403, Anm. 318a: »Der Adler ist am häufigsten das Symbol des Evangelisten Johannes.« In der Engelthaler Literatur ist das Bild für die Vorbildsfunktion Johannes’ »im Hinblick auf die unio der Seele mit Gott [. . .] die Szene beim Abendmahl, bei der Johannes an der Brust des Herrn ruht (Io 13, 23–26), die in der bildenden Kunst im Motiv der Christus-Johannes-Minne zum Andachtsbild gerinnt«: Thali, Beten, S. 298. Zur Verehrung des Evangelisten Johannes in St. Katharinental vgl. Anm. 213. 37 Der Briefwechsel zwischen Heinrich und Margaretha entstand vermutlich aufgrund des Bedürfnisses eines grösseren Publikums; vgl. Kap. 5.4.3. 38 Auf die Frage, inwieweit der Briefwechsel zwischen Margaretha und Heinrich die ›Offenbarungen‹ vorbereiten, wird in den Kap. 6.4–6 eingegangen.

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6.1.6 Eine gemeinsame Quelle: Mt 5, 45 In der Einleitung zu Brief XLVIII grüsst Heinrich (in Anlehnung an das ›Fliessende Licht‹) Margarethas ›Antlitz‹, das von liecht der gnad wider lichten ist in das gebrech der hailigen driveltigkeit.39 Wie verhält sich Margaretha in ihrem Brief diesem gnadenhaften Licht gegenüber? Ab Zeile 24 beginnt sie sich hinsichtlich der Gnade Gottes in einem Topos der Demut zurückzunehmen. Sie sagt in diesen Zeilen nicht, sie sei von der Gnade überhaupt nicht erleuchtet worden – Margarethas Selbsterniedrigung geht also nicht so weit wie jene Heinrichs in seinen Briefen. Allerdings hält sie fest, andere seien me derlücht (Z. 25) worden als sie. Margaretha übernimmt hier zwar das Reden vom Licht aus Brief XLVIII , fügt aber an, sie habe sich diesem Licht gegenüber, das ihr durch Heinrich leuchtet, ie [. . .] ze unwirdig und ze klein bekannt (Z. 26 f.). Sie nimmt damit in ihrer Bekundung der eigenen Demut immer noch Bezug auf Heinrichs Erstaunen über seine Mittlerrolle für die Gnade Gottes. Diese versucht Margaretha demnach hervorzuheben. Dafür stellt sie ihre eigene Gnadenerfahrung in Bescheidenheit zurück. Margarethas Erklärung ihrer eigenen humilitas muss aber nicht nur in Bezug auf Heinrichs Brief gesehen werden, sondern hat auch eine textimmanente Funktion. Gleich im Anschluss an Zeile 27 hebt sie erneut mit den Worten nu beger ich an (Z. 28),40 worauf sie Mt 5, 45 paraphrasiert: [. . .] ut sitis filii Patris vestri qui in caelis est / qui solem suum oriri facit super bonos et malos / et pluit super iustos et iniustos. Margaretha macht sich hier die gleiche Vorgehensweise zu eigen, die uns aus den Untersuchungen der Briefe XI und XLVIII bekannt ist: Ausgehend von ihrer eigenen Unwürdigkeit wünscht sie Heinrich in biblisch geprägter Bildlichkeit die Gnade Gottes, in die er durch die Lektüre des Briefes ›aufsteigen‹ soll.41 Was Margaretha zu Beginn des Hauptteiles in der Metapher des Vogelfluges ihrem Brief noch explizit als Leseanweisung mitgegeben hat – Heinrich solle sich vom Kriechen seiner Demut zum Flug des Adlers erheben –, versucht sie nun an dieser Stelle ohne jeden weiteren Kommentar umzusetzen. Den biblischen Vergleich der Sonne, die über Guten und Bösen 39 Brief XLVIII , 2 f., Strauch, S. 256. 40 Mit der darauf folgenden Bezeichnung wirckende kraft nimmt Margaretha Z. 10 wieder auf. Sie versucht demnach an verschiedenen Stellen (so auch über die Rückbezüge auf die Lichtmetaphern), das, was in der Briefeinleitung vorbereitet wurde, im Hauptteil zu entfalten. 41 Zur Grundlage dieses Verständnisses vgl. Kap. 5.2.2.

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leuchtet, setzt Margaretha in der Folge so ein, dass mit den besen (Z. 31) die getunkelten sinne (Z. 35) angesprochen werden, die ze der gnad unszers heren nit berait sint (Z. 35 f.). Da als die ›Guten‹ vermutlich jene zu bezeichnen sind, denen Heinrich sich von minen in gutigkeit gibt (Z. 33 f.), erhält er in dieser Gegenüberstellung einen beim Evangelisten Matthäus Gottvater vorbehaltenen Platz: Er ist es, der das Licht an andere weitergibt (Z. 32 f.). Der Priester Heinrich wird folglich auf dem Hintergrund der Demutshaltung Margarethas zu einer Mittlergestalt aufgebaut, die aber – und damit wird die Parallele zum Handeln Gottes abgeschwächt – selbst von Gott das Licht bekommt (Z. 31 f.): Heinrichs Bedenken bezüglich seiner eigenen Funktion werden im Wunsch aufgenommen, die war sunne (Z. 34) möge seine Sinne erleuchten. Die gleiche Bibelstelle setzt Heinrich in Brief XLIII um.42 Dort werden Margaretha, die erlucht cristallin vasz (Z. 21), und Heinrich als blinder (Z. 22), der das Licht also gar nicht sehen kann, voneinander geschieden. Heinrich nimmt die Unterscheidung zwischen Margaretha und sich selbst so vor, wie auch die Bibelstelle in ihrem ursprünglichen Kontext zwischen zwei unterschiedlichen Menschen(gruppen) scheidet – Heinrich will sich letztlich natürlich nicht als ›böse‹ bezeichnen, sondern kann auf diese Weise vor der Erhabenheit seiner Adressatin zurücktreten. Margaretha nun grenzt das Erkenntnisvermögen jener voneinander ab, die durch Heinrich Anteil am Licht bekommen können, und stellt ihn als ›Lichtspender‹ darüber. Damit will sie Heinrich offensichtlich der Sorge entheben, von der von ihm vermittelten Gnade selbst gar nicht berührt zu werden. Vielmehr werden jene, die dieser Gnade widerstreben, anstatt von ihm das Licht der Wahrheit zu empfangen (Z. 36–38), in der Verbindung von biblischem Sprechen und dem Selbstzweifel Heinrichs dafür verantwortlich gemacht, dass dieser an seiner Gnadenvermittlung überhaupt zweifelt.43 Die ganze Textstelle (Z. 28–45) ist in ihrer Konstruktion – falls sie nicht auf eine mangelhafte Überlieferung zurückzuführen ist – nicht ganz einfach, und die Umsetzung des biblischen Vergleichs wirkt nicht völlig überzeugend. Es scheint, als sei Margaretha um eine Bildlichkeit bemüht gewesen, die mit den bereits vorher eingeführten Begriffen liecht (Z. 2), derlucht (Z. 8), enzundet (Z. 9), derlücht (Z. 25) und lucht, das mir usz dir gelucht hat (Z. 27 f.) in Verbindung gebracht werden konnte und sich gleichzeitig auf die Lichtmetaphern in Brief XLVIII bezieht. Sie setzt die Stelle aus dem 42 Z. 18–20, Strauch, S. 243. 43 Zu Anfeindungen Heinrichs vgl. Kap. 7.4.

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Matthäusevangelium weniger abgestimmt in ihren Brief ein, als Heinrich dies in seinem Brief zu tun vermag. Zudem hat Heinrich diese Bibelstelle selbst – sofern Philipp Strauchs Datierungen stimmen44 – Margaretha gegenüber bereits früher verwendet. Sie nimmt hier also eine Rede auf, die von Heinrich in das gemeinsame Gespräch eingeführt worden ist. Die Frage, ob die Bibelstelle, wie sie in Brief LXVII verwendet wird, auf seine Vermittlung zurückgeht, wird allerdings nirgends beantwortet. Sicher ist nur, dass Mt 5, 45 im Diskurs, der die Briefe hervorbrachte, wiederholt eine Rolle gespielt hat. 6.1.7 Mechthild von Magdeburg als gemeinsame Verstehenshilfe Nachdem Margaretha bereits in den Zeilen 15 und 28 ihre Wünsche für Heinrich mit nu beger ich eingeleitet hat, nimmt sie dieses Vorgehen auch in den Zeilen 38 f. (da beger ich dir) und 45 (ich beger dir) wieder auf. Während Heinrich in seinen Briefen mit Synonymen arbeitet und mit diesen jeweils eine neue Sinneinheit vorbereitet, verwendet Margaretha stets das gleiche Verb und unterteilt den Hauptteil ihres Briefes nicht, was ihn langatmig erscheinen lässt. Das Objekt ihres Wunsches für Heinrich ist Gottes Kraft jedem Widerstreben gegenüber. Margaretha begehrt dies, indem sie mit dem Adjektiv gewaltig (Z. 39) und den Nomen liecht und warhait (Z. 40) am Vokabular der Einleitung anknüpft. Mit diesem Wunsch kommt Margaretha zur eigentlichen Absicht ihrer Aussagen: Sie gibt nun Heinrich zu verstehen, dass seine im Brief XLVIII geäusserten Zweifel eigentlich eine Folge des Liebeswerks Christi seien, mit dem dieser sein aller liebst friundt gezogen hat (Z. 42 f.). Auffällig an dieser Argumentation ist das verwendete Vokabular. Heinrich leitet in Brief XLVIII mit den Worten: und in ditz glich wart ain grosz gotzfründ gezogen,45 ja ein Mechthild-Zitat ein, mit Hilfe dessen das Leiden Margarethas als Vorbereitung auf eine Einigung mit dem dreifaltigen Gott gedeutet wird. Margaretha lehnt sich an dieses auf Mechthild zurückgehende Sprechen an. Ihr Argument, ein bei einem (Gottes-)›Freund‹ auftretendes Leiden sei von Gott gewirkt und damit als dessen minenwerck zu verstehen, nimmt die Argumentation Heinrichs auf.46 44 Für Brief XLIII gibt Strauch die Jahreszahl 1345 an: Strauch, S. 373, Vorbemerkung, für Brief LXVII 1346: ebd., S. 401, Vorbemerkung. 45 Z. 44, ebd., S. 257. 46 Zum Zusammenhang zwischen Leiden und Gottesminne vgl. Kap. 4.4.2. In Brief XXVIII , 22–25, Strauch, S. 212 z. B., einem Klagebrief, den Heinrich zu Beginn seines Exils geschrieben hat, ist es die ›ewige Weisheit‹, welche die

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Mit der Feststellung, Gott suche in seinem Wirken an Heinrich seine eigene Ehre (Z. 45), schliesst Margaretha den Hauptgedanken ab. Die Rede von der ewig ere hat Margaretha bereits in Zeile 4 eingeführt. In den Zeilen 45–49, in denen sie inhaltlich nichts Neues mehr bringt, greift sie die Begriffe wircken (Z. 48), susz (Z. 49), craft (Z. 49) und inbrünstigü minne (Z. 49) wieder auf, die sie in der Briefeinleitung in den Zeilen 2 (suszegklich), 7 (wirckende craft), 9 (inbrinstige mine) und 10 (wirckende kraft) – z. T. in anderen Wortverbindungen – eingeführt hat. Deutlich ist auch hier das Bestreben spürbar, die im Briefeingang entwickelte Metaphorik des von der Weisheit in die Gotteserfahrung geführten Heinrich zu entfalten. 6.1.8 Margarethas Anlehnung an eine Deutung Heinrichs Im Schlussteil äussert Margaretha, ganz im Gegensatz zu den Briefen Heinrichs, keine petitiones. Auch wird hier nicht Bezug auf einen gemeinsamen Freundeskreis genommen,47 und es werden keine weiteren Personen gegrüsst. Der Briefschluss ist indes von grossem Interesse, weil hier Margaretha explizit ein Wort Heinrichs rezipiert. Mehrmals wurde schon auf die Aussage Margarethas aufmerksam gemacht, sie bedürfe der Gegenwart Heinrichs.48 Sie bezieht sich dafür ausdrücklich auf eine Darlegung Heinrichs anlässlich eines Besuches: nu hast du gesprochen, so du bi mir bist gewesen, das unser here Jhesus Christus ze seinen jungern sprach: ›euch ist nütz, das ich von euch far‹ (Z. 52–54). Was im letzten Kapitel noch allgemein für den Freundeskreis um Heinrich festgehalten werden konnte, darf für Brief LXVII auf ihn selbst zurückgeführt werden: Der Einbezug der Perikope Io 16, 5–14 bei räumlichen Trennungen und schmerzlichen geistlichen Erfahrungen, um diese Leiden als Gottes Wille und Möglichkeit seiner Gegenwart zu interpretieren, geht auf seine Initiative zurück.49 Margaretha stellt mit Hilfe dieser Perikope fest, dass sie auch in der Abwesenheit ihres Seelenfreundes von diesem ›Trost‹ und ›göttliche Kraft‹ bezieht: Sie will – auch in Bezug auf alltägliche Dinge50 – alles mit [s]einem ratt und

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Leiden Heinrichs bewirkt und ihn damit nach ihrem Willen leben lässt: das wircket doch als dein geswind nider slagendi warhait und dein ewige uns an uns wol minendi weiszhait, die allein in uns als das vernichten kan, das mit dir nit wil leben und in irem willen nit wil bestan. Vgl. Brief XI , 75, ebd., S. 187. Vgl. etwa Kap. 2.4.2 zu Brief XI . Zur Verwendung der Perikope Io 16, 5–14 vgl. Kap. 5.4.2. Unter ›alltägliche Dinge‹ wird hier auch die Reliquie der hl. Agnes gezählt, die

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mit [s]einer ler volbringen (Z. 61). Damit hat Margaretha im Briefschluss deutlich gemacht, warum sie Heinrich von Beginn an als von der wiszhait mineklich umbfangen (Z. 1) sieht: Für sie sind seine Worte von göttlicher Weisheit. 6.1.9 Die Funktionen von Nonne und Seelsorger im mystischen Dialog Wie bauen Heinrich und Margaretha ihre Briefe auf, worin bestehen Gemeinsamkeiten und welches sind die Unterschiede in ihrer Art zu schreiben? Um diese Fragen zu beantworten, sollen hier kurz einige Überlegungen zum Dialog in den Briefen XLVIII und LXVII rekapituliert werden. Ausgangspunkt dieses Briefwechsels sind die Aussagen Margarethas gewesen, ihr werde durch Heinrich die Gnade Gottes zuteil und sie habe sich in ihre Krankheit ergeben können. Heinrich stellt ihr daraufhin Selbstmitteilungen Gottes vor Augen, die ursprünglich an Mechthild von Magdeburg gerichtet waren, um Margaretha diese Nähe zu Gott neu meditieren zu lassen. Heinrich kommt damit die Funktion zu, von Margaretha geäusserte Erfahrungen in eine ›klassische‹, das heisst von ihm vorgefundene Bildlichkeit der unio zu fassen. Er selbst hat nach eigenen Angaben weder an der durch ihn vermittelten Gnade noch an der Erfahrung Margarethas teil. Auf diese Unempfänglichkeit führt er seine Angst vor dem Gericht Gottes zurück und gibt der Verwunderung darüber Ausdruck, dass andere aufgrund seiner Unterweisung trotzdem Anteil an der Gnade Gottes haben. Heinrich weiss also, dass Gott sich seiner bedient und seine Äusserungen bei Margaretha und anderen eine (Gnaden-)Wirkung haben. Heinrich versucht, die Erfahrungen Margarethas – mit Worten Mechthilds – neu zu fassen und ihnen eine Finalität zu geben. Die Funktionen von Autor und Adressatin in diesem mystischen Dialog werden so entwickelt, dass in der Begegnung mit dem Kleriker Heinrich Margarethas Erfahrungen eine gelehrte Deutung erfahren, die er selbst aber als unbedeutend und als ihren Erfahrungen gegenüber inadäquat betrachtet. Margarethas Brief Margaretha einfassen sollte und auf die sich Heinrich in Brief XLVIII bezieht; vgl. Kap. 4, Anm. 56. In schriftlicher Form hat Heinrich diese Perikope in den Briefen XI , 29–33, Strauch, S. 185 (Vgl. Kap. 3.2. – Ob Heinrich dort, ausgehend von den Sonntagslesungen, das erste Mal auf diese Perikope zurückgriff und sie dann später wieder verwendete, weil sie ihm für seine Anliegen nützlich schien?) und XV , 6–8, Strauch, S. 192, in gleicher Weise eingesetzt.

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bestätigt diese wechselseitigen Funktionen, wie sie Heinrich beschrieben hat, ergänzt und korrigiert sie aber auch. In Margarethas Antwort auf Heinrichs Brief wird deutlich dessen Mittlerfunktion für sie herausgestrichen, und sie versucht, seine diesbezüglichen Zweifel zu zerstreuen. Dabei legt Margaretha das Gewicht ganz auf die von Heinrich vermittelte Erkenntnis: Sie stellt ihn in der Rolle des Lehrers dar, von dem sie in der Funktion einer Schülerin Erkenntnis bezieht. Sie möchte darum auch nichts ohne seinen Rat und seine Lehre tun. Ihm aber wünscht sie die Gotteserfahrung, von der er sich getrennt sieht. Dagegen zeichnet Margaretha von sich selbst das Bild einer Nonne, die der Gegenwart des Seelsorgers bedarf. Brief LXVII demonstriert damit, dass sich Margaretha trotz aller Beteuerung der eigenen Abhängigkeit von Heinrich durchaus auszudrücken weiss und sich der klassischen Bildlichkeit zu bedienen versteht, wenn auch nicht in Bezug auf ihre eigenen Erfahrungen – auch diese Darstellung könnte allerdings der Tendenz zur Stilisierung unterworfen sein51 –, so doch als Antwort auf die behaupteten Zweifel Heinrichs. Margaretha setzt zu Beginn ihres Briefes nicht nur ein ihr vertrautes Sprechen ein, das Heinrich in dieser Ausführlichkeit in seinen Briefen nirgends verwendet, sondern versucht dieses in der Folge auch im Brief zu entfalten, indem sie immer wieder auf das Vokabular der Einleitung zurückgreift. Durch das Einfügen der Metapher des Vogelfluges zeigt Margaretha, dass sie (wie Heinrich) der Auffassung ist, die Realität des Menschseins, die durch Leiden und Sünde bestimmt und auf die Gnade Gottes angewiesen ist, bereite den Aufstieg des Menschen zu Gott vor. Das Leiden sei darum positiv zu bewerten. Sie empfiehlt dazu die Demut als Ausgangspunkt für die rechte Gottesminne, eine Interpretation, die auch Heinrich vornimmt.52 Indem Margaretha Metaphern, die sich an Heinrich Seuses BdeW anlehnen, in ihren Brief einfügt, anerkennt sie ein Leseverständnis mystischer Schriften, wie es uns über die Briefe Heinrichs bekannt ist: Das bildreiche Sprechen eines mystischen Werkes wie des BdeW kann auch für die eigene Erfahrungswelt und jene anderer interpretatorisch eingesetzt werden und im meditativen Lesen zur Kontemplation der göttlichen Wirklichkeit führen. In diesem Verständnis kommt Margaretha jenem Heinrichs gleich. Sie bestätigt damit, dass sie auch seine Briefe dementsprechend verstanden hat. In der Vorgehensweise unterscheiden sich die beiden Briefautoren demzufolge nur unwesentlich. Aus der Gegenüberstellung mit den Briefen 51 In Z. 57 f. z. B. gibt sie vor, nicht von ihrer Krankheit schreiben zu können. 52 Vgl. Brief XLVIII , 54–56, Strauch, S. 258.

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Heinrichs wird ersichtlich, dass die Argumentation in Margarethas Brief stark an jene Heinrichs erinnert und das metaphorische Sprechen, das sie in ihrem Brief verwendet, mindestens teilweise auf seine Vermittlung zurückgeht. Das Einfügen dieser Metaphern führt in Brief LXVII zwar zu Bruchstellen zwischen einzelnen Bildfeldern und ihrem neuen Kontext, was zeigt, dass Margaretha mit dieser Technik nicht die gleiche Erfahrung wie Heinrich besass. Doch ist über den Darstellungswillen in beiden Briefen deutlich deren komplementäre Funktion zu spüren. Margaretha drückt mit der erneuten Verwendung der von Heinrich eingesetzten Bildlichkeit ihre Überzeugung aus, diese entspreche ihren Erfahrungen und sei darüber hinaus auch für andere gültig. So wie Heinrich in seinen Briefen Margarethas Funktion im begnadeten Beispiel kontemplativen Lebens und in der Fürbitte sieht und sie um Teilhabe an ihren Erfahrungen ersucht, liegt seine Funktion in ihrem Brief auf der Ebene des begnadeten Seelenführers. Margaretha muss Heinrich in ihrem Brief deshalb auch nicht um Fürbitte angehen, weil das nicht zu seiner Funktion gehört, sondern kann ihn in seiner Aufgabe stützen. Sie hofft, die von ihr verwendete mystische Sprechweise könnte in ihm beim betrachtenden Lesen die beschriebenen Erfahrungen erst wirklich hervorrufen und ihm Trost und Freude spenden. In Brief LXVII nimmt Margaretha also jene Funktion ein, die ihr auch in den Briefen Heinrichs zukommt: Ihre Worte spenden Trost und zeigen einen Weg auf, das Leiden auf Gott hin auszurichten.53 Margaretha führt ihre eigene Begnadung nirgends auf eine unio-Erfahrung zurück. Diese Zurücknahme der eigenen Person kann aus der Zielsetzung ihres Briefes heraus verständlich werden: Er ist darauf angelegt, Heinrichs Zweifel zu entkräften und positiv zu deuten. Margarethas Antwortschreiben bleibt demnach nicht bei den von Heinrich in seinem Brief beschriebenen Zweifeln stehen, wie auch er ihre Erfahrungen in den Kontext der göttlichen Gnade zu stellen versucht und dafür ihre Leiden einer teleologischen Sichtweise unterstellt. Nur mit Vorsicht sollte darum dieser Briefwechsel zwischen Heinrich und Margaretha auf ihre tatsächliche Erfahrungswelt hin gedeutet werden; zu sehr ist die Art, ihre Briefe zu schreiben, von der Absicht bestimmt, die Lebenswahrnehmung der oder des anderen im Licht der göttlichen Wirklichkeit mit neuem Sinn zu füllen. Margarethas Funktion liegt dabei auf der Seite der begnadeten Trostspenderin, während Heinrich zum von Gott 53 Nur in den Zeilen 41 f. von Brief XLVIII scheint durch, dass Margaretha darum ringen musste, ihre Krankheit anzunehmen. Auch in ihrem Brief haben wir es also mit Stilisierungen zu tun.

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auserwählten Seelsorger aufgebaut wird.54 Von diesen Stilisierungen konnten aber letztlich auch andere einen Nutzen haben. Gerade der von Margaretha mit einer klassischen Bildlichkeit versetzte Brief LXVII kann aufgrund der Autorität, die ihr in Heinrichs Briefen gegeben wird, für die Medinger Nonnen und den Freundeskreis Heinrichs zu einem ›Offenbarungstext‹ werden.55 Leider fehlen weitere Briefe Margarethas, um neue Elemente dieses mystischen Dialogs zwischen ihr und Heinrich genauer zu bestimmen. Den bis jetzt ausgeführten Überlegungen muss angefügt werden, dass Brief LXVII nicht einfach als typisches Beispiel für alle Briefe Margarethas gelten kann. Aus Bemerkungen Heinrichs in seinen Briefen wissen wir von Briefen Margarethas, in denen ganz konkrete Anfragen zu ihrem geistlichen Leben formuliert waren. Von Brief LXVII konnte immerhin gezeigt werden, dass Margaretha ebenfalls das mystische Sprechen einzusetzen wusste, was auf ein gemeinsames Lese- und Schreibverständnis schliessen lässt. Damit ist auch von Margaretha her die Wichtigkeit der Literarizität im Diskurs zwischen Heinrich, Margaretha, dem Konvent von Medingen und ihrem Freundeskreis gegeben. Auch wenn in der Realität Margaretha ihre Briefe – und auch ihre ›Offenbarungen‹ – nicht alleine verfasst haben dürfte, sondern mit Elsbeth Scheppach und vielleicht auch mit weiteren Mitschwestern zusammen, erweist sie sich auf der Ebene des Textes als ideale und darum vorbildhafte Dialogpartnerin.

54 Peters, Erfahrungen, S. 155: »Dass tatsächlich diese typenspezifische Konkretisierung des Beichtvater-Themas nicht nur auf den Spezialfall Heinrich von Nördlingen und Margarethe Ebner beschränkt bleibt, zeigt auch die Engelthaler Literatur, vor allem das Textkorpus der Christine Ebner [. . .].« Zur literarhistorischen Einbettung der Briefe in das Andachtsschrifttum des Mittelalters vgl. Kap. 5.2.6. 55 Heinrich bittet Margaretha immer wieder um Briefe ihrerseits, weil er für sich (und für andere) davon Mitteilungen Gottes erhofft; vgl. Brief XXXII , 69–73, Strauch, S. 219: es begert auch unszer lieber vatter der Tauler und ander gotzfüind, das du uns in der gemein etwas schribest, was dir dein lieb Jhesus geb und sunderlichen von dem weszen der cristenhait und seiner fruind, die dar under vil lident. hie zu tu, was dir got gebiet; Brief XLI , 2–4, ebd., S. 240: ich hab enpfangen mit fröd mines hertzen din brief und ander din geschrift, die uns got durch dich geoffenbaret hat [. . .]. Hier werden die Briefe komplementär zu Margarethas ›Offenbarungen‹ erwähnt.

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6.2 Die ›Offenbarungen‹ – ein Modell der Gottesfreundschaft Die ›Offenbarungen‹ Margarethas in die Überlegungen zum Gespräch zwischen ihr und Heinrich mit einzubeziehen, ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden: Einerseits fehlen dazu grössere neuere Studien,56 andererseits wird mit diesen eine literarische Gattung in die Untersuchungen eingeführt, die eine andere Zielsetzung verfolgt als die Briefe. Die Absicht der anschliessenden Lektüre kann darum nicht eine eigenständige sein – dafür bedürfte es einer eigenen Arbeit über die ›Offenbarungen‹ –, sie hat vielmehr weiterhin den Diskurs vor Augen, den uns die Beschäftigung mit den Briefen eröffnet hat. Der Text Margarethas wird dazu im Folgenden zuerst auf seine bewusste Strukturierung und Stilisierung hin gelesen, wie das von Ursula Peters bereits vorgezeichnet wurde, um ihn dann mit den Briefen Heinrichs zu vergleichen. Die ›Offenbarungen‹ berichten vom Gnadenleben Margarethas in den Jahren 1312 bis 1348, während sie sich über die zwanzig vorausgegangenen Jahre ihres Lebens ausschweigen.57 Im Zentrum steht Margarethas Krankheitsgeschichte,58 die 1312 ihren Anfang nimmt und nach Ludwig Zoepf in drei Zeitabschnitte eingeteilt werden kann:59 Ein erster berichtet aus den Jahren 1312–1344 und umfasst in der Ausgabe Philipp Strauchs die Seiten 1–73, der kürzere Mittelteil, in dem nur über das Jahr 1344 berichtet wird, die Seiten 73–91, der dritte Teil schliesslich hat die Jahre 1345–1348 zum Gegenstand und nimmt die Seiten 91–161 ein. 56 Folgende Aufsätze und Artikel werden hier berücksichtigt: Susanne Bürkle, Die Offenbarungen; Leonard P. Hindsley, Monastic Conversion. The Case of Margaret Ebner, in: Varieties of Religious Conversion in the Middle Ages, hg. von James Muldoon, Gainesville 1997, S. 31–46; Bernard McGinn, Die Mystik, S. 534–543; Ursula Peters, Religiöse Erfahrungen; Manfred Weitlauff, dein got redender munt; ders., Margareta Ebner. Die einzige ausführliche Monographie zu den ›Offenbarungen‹ stammt aus dem Jahr 1914: Ludwig Zoepf, Die Mystikerin Margaretha Ebner. 57 In der Einleitung zur Briefsammlung heisst es in der Hs. London, British Library, Add. 11430: Anno dn˜i MCCCXii jar hat got mit ir angefangen zuo wircken sine my¨nne werck [. . .]: fol. 49r. 58 Auch andere Mystikerinnen berichten von längeren Krankheiten, so etwa Mechthild von Hackeborn (vgl. Kap. 4.5.1) oder Agnes Blannbekin; vgl. Leben und Offenbarungen der Wiener Begine Agnes Blannbekin († 1315), Edition und Übersetzung von Peter Dinzelbacher und Renate Vogeler (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 419), Göppingen 1994, S. 7. 59 Vgl. Zoepf, Die Mystikerin, S. 28 f. Auf die Charakterisierung der einzelnen Teile durch Zoepf wird nicht weiter eingegangen.

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In den Briefen Heinrichs erscheint er selbst als Initiator der ›Offenbarungen‹.60 Heinrich äussert sich zu deren Entstehungsgeschichte, wenn er – vermutlich um den 2. Februar 1345 herum – schreibt: ich beger auch, als ich dich gebeten han, das du mir in dem willen gotz die wandlung, die got mit dir gethan hat, ordenlichen schribest, und wolt uns got ichtz mer durch dich geben, des beraub uns nit, die wil wir so gar ain geträwe helferin und schriberin haben an unserm lieben kind in got Elszbet Schepach.61

Heinrich bezieht sich hier auf Brief XXXIX , in dem er bereits um einen Bericht über ihre wandlung gebeten hat.62 Den ›Offenbarungen‹ gemäss muss Margaretha nach dem Eintreffen des ersten und vor der Ankunft des zweiten Briefes zu schreiben begonnen haben und zwar im Advent 1344.63 Zudem kennen wir durch Heinrichs Angaben auch die Schreiberin – und wohl auch ›Mitautorin‹ – der Aufzeichnungen: Elsbeth Scheppach.64 Bereits in seinem nächsten Brief aus dem Jahr 1345 drückt Heinrich seine Freude über das Erhalten eines Teiles der ›Offenbarungen‹ und eines Briefes aus und mahnt gleichzeitig zum Weiterschreiben.65 Und noch im selben Jahr 60 Auch die Einleitung zur Briefsammlung, wie sie in der Hs. London, British Library, Add. 11430 überliefert ist, lässt Heinrich als Initiator erkennen; vgl. Kap. 8.1.2. 61 Brief XL , 57–63, Strauch, S. 237 f. Als Abfassungsdatum des Briefs gibt Strauch die Zeit vor dem 8. Februar an; vgl. ebd., S. 236 unter der Überschrift. Wenn hier die Zeit nach dem 2. Februar vorgeschlagen wird, dann aufgrund der Briefeinleitung, die sich an Lk 2, 24 orientiert, einem Vers, der Bestandteil des Festevangeliums vom 2. Februar (In Festo Purificationis Beatae Mariae Virginis) war; vgl. Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 115, S. 673a–674a. 62 Vgl. Z. 25–27, Strauch, S. 235 f.: schrib mir sunderlich von der lieblichen und pinlicher schidung, die ich nu von dir tett, und auch von der wandlung, als ich dich bat. Unter wandlung versteht Heinrich in den Briefen XXXIX und XL Margarethas Gnadenleben. 63 Ebd., S. 83, 27 – 84, 1: Item ich wart gebeten von dem warhaften friund gotez, [. . .] daz ich ime scribe, waz mir got gebe. Ebd., S. 84, 9: [. . .] ich fieng ez an in der zit des advencz [. . .]. Auch Agnes Blannbekin lässt die tagebuchartige Reihenfolge ihrer Visionen dem Kirchenjahr entsprechend mit dem Advent beginnen: Leben und Offenbarungen, S. 9. 64 Vgl. Anm. 61. 65 Brief XLI , 2–4, Strauch, S. 240: ich hab enpfangen mit fröd mines hertzen din brief und ander din geschrift, die uns got durch dich geoffenbaret hat, zu Straszburg [. . .]. Ebd., Z. 10–15: und dar umb bitt ich dich in gott, als ich vor geton hab, was dir got ze sprechen geb, das du vileicht vor vergeszen habest oder on das noch nit geschriben habest, das du es mit fleisz schreibest und zesamen samnest bisz and das end, und halt es alles haimlich als du an gefangen hast, wann das will ich auch mit dir thain.

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

bedankt er sich erneut für eine Sendung von Aufzeichnungen und bittet von neuem um weitere Teile.66 1347 oder 1348 schliesslich kann ein letzter Bezug zu den ›Offenbarungen‹ vermutet werden.67 Damit ist die Entstehungsgeschichte der ›Offenbarungen‹, die Margaretha 1348 abschloss, bereits skizziert. 6.2.1 Eine Krankheit als mystische keˆr und den wetagen het ich biz in daz trit jar [. . .].68 Diese Bemerkung zum Auftreten einer Krankheit leitet den ersten Zeitraum von drei Jahren ein, der insofern wichtig ist, als Margaretha in dieser Phase – so die ›Offenbarungen‹ – entscheidende Erkenntnisse über diese Krankheit gewinnt: Im ersten Jahr begreift sie die Unmöglichkeit, von menschlicher Arznei geheilt werden zu können,69 erlebt sie zum ersten Mal eine Fastenzeit und Karwoche, in der sie nicht sprechen kann – also het ez mir die zungen gevangen70 –, und erhält von einer Mitschwester den Rat: ich sölt mich got ergeben und beten wann ich möhte; wan grosser siechtag um got ze liden, daz wär der lengesten leben ains daz uf ertrich wer.71 Mit diesem ersten Jahr ihrer Krankheitsgeschichte sind bereits zwei Grundthemen der ›Offenbarungen‹ gegeben, auf die später noch eingegangen werden muss: das ›Schweigen‹ (swige) und die auf Gott gegründete Ergebenheit Margarethas in ihre Krankheit. Vom zweiten Jahr berichten die ›Offenbarungen‹, wie Margaretha das ›innere Leiden‹ genommen wird und sie darum – mit Hilfe des Gebets – gerne leidet, während sie im dritten Jahr als völlig gelähmt und damit völlig passiv dargestellt wird.72 Die Beschreibung dieser ersten drei Jahre steht im Kontrast zur Charakterisierung der vorausgehenden zwanzig. Da Margaretha von sich sagt, sie habe sich damals selbst nicht wahrgenommen – wie aber ich vor lebte wol zwainczig jar, daz kan ich niht geschriben, wan ich min selbs niht war nam, 66 Brief XLIII , 35–37, ebd., S. 243: Ich danck dir in got und durch dich umb die geschrift, die du mir gesant hast und noch furbas senden solt, als lang und als vil dirs got gibt [. . .]. Zur Jahresangabe vgl. ebd., S. 373, Vorbemerkung. 67 Brief LI , 97 f., ebd., S. 264: Umb das püchlein, als du waist, bit ich dich, wa es geschriben si. Zu den Jahresangaben vgl. ebd., S. 385, Vorbemerkung. 68 Ebd., S. 2, 6 f. 69 Vgl. ebd., Z. 10–12. 70 Ebd., Z. 14. 71 Ebd., Z. 19–21. 72 Vgl. ebd., S. 3, 6–23.

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wan daz ich wol waisse, daz mich got in siner vätterlichen triwe und huot het alle zit73 –, kann demnach für die drei ersten Jahre ihrer Krankheit von einer zunehmenden Selbstwahrnehmung ausgegangen werden. Margaretha steht mit dem Sprechen von der rechten Selbsterkenntnis in einer Tradition, in der ihrem Orden eine bedeutende Rolle zukommt. [. . .] nim wol dıˆn selbes war.74 Der Dominikaner Meister Eckhart gibt diesen Ratschlag demjenigen, »der Christus, der vierzig Tage gefastet hat, darin nachfolgen will. Gerade das, wozu man am meisten Hang hat, soll man lassen [. . .]«.75 Indem sich Eckharts Schüler und Margarethas Freund Johannes Tauler gegen eine rein veräusserlichte Beichtpraxis richtet, sieht auch er in der Selbsterkenntnis eine Notwendigkeit.76 Wird Margarethas Bemerkung zur Selbsterkenntnis im Licht der Standpunkte ihres Ordens gesehen, so eröffnet sich ihr ab 1312 mit beginnender innerer Selbstwahrnehmung eine Zeit der näheren (weil nicht mehr nur äusseren) Nachfolge Christi, in der sie wie dieser von allem lassen kann, was von Gott als dem eigentlichen Ziel des christlichen Lebens ablenkt. Da Margaretha diese Erkenntnis in einer Krankheit zukommt, soll Johannes Tauler zitiert werden: O wie wenig lu´te hant dise edel tugent daz su´ sich kunnent gelossen und geliden und haltent sich fu´r daz su´ sint, und lident ire krangheit, ire gevengnisse und bekorunge bitze su´ der herre selber gesunt machet.77

Für Tauler gehören Schwachheit und Krankheit also zur Natur des Menschen, die es für die Gnade Gottes vorzubereiten gilt: »Die Gesundung dieses Zustands geschieht gnadenhaft [. . .] durch den Herrn unter der Voraussetzung, dass man Gelassenheit, Geduld und – als aktivste der drei Tugenden – Selbsterkenntnis besitzt.«78 Bei Tauler kann das ›Erkenne dich selbst‹ letztlich den Worten ›Erkenne deine Nichtigkeit‹ gleichgesetzt werden, dem Versuch, dem eigenen Nichts auf den Grund zu gehen.79 Damit werden Krankheit und eigene Nichtigkeit zu Voraussetzungen für die Vereinigung mit Gott – ein Gedanke, der so ja auch für die Briefe Heinrichs 73 Ebd., S. 1, 13–17. 74 Meister Eckhart, DW V , S. 254, 6. 75 Alois M. Haas, nim din selbes war. Studien zur Lehre von der Selbsterkenntnis bei Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse (Dokimion 3), Freiburg/Schweiz 1971, S. 21. 76 Vgl. ebd. zu Predigt 58, Tauler, S. 275, 9–27. 77 Predigt 8, ebd., S. 39, 8–11. 78 Haas, nim din selbes war, S. 87 f. 79 Vgl. ebd., S. 121 f.

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gilt.80 Die Darstellung ihrer Krankheit, über die ihr in den ›Offenbarungen‹ Selbsterkenntnis zukommt, kann vor diesem Hintergrund als eine literarische Umsetzung dessen verstanden werden, was bei Johannes Tauler im Rahmen einer Predigt als Aufforderung formuliert ist.81 Die ersten drei Jahre der Krankheit Margarethas werden in den ›Offenbarungen‹ als eine eigentliche Bekehrung dargestellt, die aufgrund ihrer Stilisierung nicht so sehr die Beschreibung erfahrener Schmerzen anstrebt,82 sondern vielmehr das Ziel dieser conversio (oder mhd.: keˆr) vor Augen hat: die Vereinigung mit Gott in der imitatio Christi.83 Margarethas conversio wird damit zu einer ›mystischen keˆr‹ stilisiert. Da auch die Briefe Heinrichs Margaretha die imitatio Christi nahelegen,84 darf darin ein wichtiger Aspekt im Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha gesehen werden.85

80 Zum Leiden als Voraussetzung für die Gnade vgl. v. a. Kap. 5.4.2. 81 Aufgrund der Freundschaft zwischen Margaretha Ebner und Johannes Tauler (vgl. Kap. 7.2) könnte eine Lektüre auf dem Hintergrund der Lehre Taulers von der rechten Selbsterkenntnis und von der gnadenhaften Heilung durch Gott neue Einsichten in die ›Offenbarungen‹ bringen. 82 Otto Langer hält für die Vita Mechthilds von Stans fest: »Tiefster Schmerz bedeutet tiefste Liebe, der Schmerz ist Index der Nähe Gottes [. . .]«: Mystische Erfahrung, S. 153. 83 Leonard P. Hindsley konnte zeigen, wie die innere Bekehrung bereits in den ›Constitutiones‹ von 1259, die der Ordensmeister Humbert von Romans (ein Zeitgenosse Alberts des Grossen) für die Schwestern des Dominikanerordens verfasst hat, mit dem äusseren Befolgen monastischer Ideale in Verbindung gebracht worden war und damit zur Zeit Margarethas zur Tradition des Lebens der Nonnen im Predigerorden gehörte: Ihr äusseres strenges Leben habe auf das Hervorbringen eines inneren Wandels gezielt: Monastic Conversion, S. 32. Diese Bemerkung ist insofern wichtig, als Margaretha sehr oft die Unterscheidung zwischen dem ›inneren‹ und ›äusseren‹ Menschen macht, dabei aber nicht die Askese in der Vordergrund stellt, sondern das gnadenhafte Handeln Gottes. Für die ›Offenbarungen‹ aufschlussreich ist auch folgende Aussage: »Each of these activities prescribed by the Rule and Constitutions – silence, reading, and psalmody – will reappear in mystical guise: binding silence (gebundene swigen), uncontrollable speaking (rede), and loud outcries (lute ruefen)«: ebd. Zur Rede vom ›inneren‹ und ›äusseren Menschen‹ in den Briefen vgl. Kap. 4, Anm. 196. 84 Vgl. Kap. 4.4.3. 85 Zur Bedeutung der imitatio Christi in den Briefen Heinrichs vgl. ebd.

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6.2.2 Die sinnstiftende Strukturierung der Liturgie Margarethas Krankheit bricht vor vaznaht86 1312 und damit etwa zwei Wochen nach Beginn der Vorfastenzeit aus.87 Der Anfang ihrer keˆr kann darum als Vorbereitung für ihre christusgleiche Passion in der Fastenzeit angesehen werden. Deutlich setzt sie die Zahl ›Drei‹ (drei Jahre) an den Beginn ihrer Leiden und nimmt damit auf die drei Tage der Grabesruhe Christi Bezug. Im ersten Jahr unterlegt Margaretha ihrem Kranksein die Strukturierung durch Fastenzeit und Karwoche sogar explizit: [. . .] und ward ie siecher und siecher und sunderlichen alle vasten und die jungsten wochen so was min wetag aller gröst.88 Auch ihre für das zweite Jahr bereits beschriebene Ergebenheit in das Leiden und die Lähmung ihres Körpers im dritten Jahr, die ihr einen todesähnlichen Zustand bringt, macht Margaretha Christus ähnlich.

Die impliziten Verweise auf liturgisch vergegenwärtigte Momente der Passion Christi werden vor allem noch von Aussagen zu jenen Jahren verdeutlicht, die den drei ersten folgen: Margaretha hat eigentliche Schweissausbrüche – hier wird auf das ausserordentliche Schwitzen Christi am Ölberg angespielt89 –, sie wird von niemandem mehr geliebt – und ist damit wie Christus von allen verlassen90 – und liegt in ihrem Bett, als [sie] tod wär.91 Bereits der Beginn der ›Offenbarungen‹ Margarethas ist darum als Versuch 86 Strauch, S. 1, 10. Die Fastnacht wird in Schwesternbüchern und Gnadenviten oft als Zeitpunkt für Gnadengeschehen gewählt; vgl. Christine Wand-Wittkowski, Mystik und Distanz. Zu religiösen Erzählungen Rulman Merswins, in: Mediaevistik 13 (2000), S. 117–134, hier: S. 121, bes. Anm. 19. 87 Die Vorfastenzeit umfasste die Zeit zwischen Dominica in Septuagesima und Feria quarta Cinerum. 88 Strauch, S. 2, 11 f. 89 Vgl. ebd., Z. 18–21. Zur Bibelstelle vgl. Lc 22, 44: et factus est sudor eius sicut guttae sanguinis decurrentis in terram. 90 Vgl. Strauch, S. 4, 7 f. Zur Bibelstelle vgl. Mt 26, 56: [. . .] tunc discipuli omnes relicto eo fugerunt. Die Antworten aus dem ›Fliessenden Licht‹ Mechthilds von Magdeburg, die Margaretha in Brief XLVIII zukommen, da e die vromedunge gottes sie heimsucht, fügt Heinrich vielleicht gerade deswegen ein, um Margaretha diese christusähnliche Verlassenheit meditieren zu lassen. 91 Strauch, S. 3, 16. Martin Grabmann bringt den mystischen Weg Margarethas mit dem dreifachen Weg Heinrich Seuses in Verbindung: Mittelalterliches Geistesleben, S. 480; vgl. dazu Vita, IL , Seuse, S. 168, 9 f.: Ein gelassener o mensch muss entbildet werden von der creatur, gebildet werden mit Cristo, und u´berbildet in der gotheit.

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zu werten, ihre Krankheitsgeschichte von der liturgisch gefeierten Passion Christi her zu verstehen.92 6.2.3 Die positive Interpretation eigener Leiden Nicht nur der Verlauf der Krankheit Margarethas wird in den ›Offenbarungen‹ zeitlich immer so festgesetzt, dass diese heilsgeschichtlich gedeutet werden muss. Auch der Aufbau des ganzen Werkes ist diesem Gestaltungswillen unterworfen. Dass Margaretha im Advent zu schreiben beginnt, deutet bereits auf eine derartige Sinngebung hin, denn der Advent lässt das liturgische Gedenken an die Erlösung durch Christus im Kirchenjahr beginnen und ist zudem im engeren Sinne eine Vorbereitungszeit für Weihnachten.93 Die Frage ist nun, ob (im erinnernden Niederschreiben) nicht auch das Jahr des Schreibbeginns selbst dem Prinzip der liturgischen Gestaltung unterworfen wurde. 1344 steht Margaretha nämlich im 32. Jahr ihrer Krankheit. Da aber mit dem Advent bereits das neue liturgische Jahr beginnt – und Margaretha denkt in ihrem Werk nur in der liturgischen Zeiteinheit –, steht sie am Beginn des 33. Jahres ihrer Krankheit. Der Tradition gemäss entspricht die Zahl 33 dem Alter Christi, in dem er seine Passion und seinen Tod erlitten hat.94 Darum kann selbst die Niederschrift 92 Be´atrice W. Acklin Zimmermann spricht im Zusammenhang mit den von ihr behandelten Nonnenviten von den Bildern der Passion Christi, die »von der Folie eigener Leidenserfahrungen« überlagert seien: Gott, S. 119. Auch von Agnes Blannbekin ist bekannt, dass ihre Aufzeichnungen inhaltlich eine Angleichung an das liturgische Jahr erfahren; vgl. Anm. 63. Das Kirchenjahr ist ausserdem im ›Gnaden-Leben‹ Friedrich Sunders das bestimmende Kriterium für deren Anordnung; vgl. Thali, Beten, S. 123, Anm. 31. Zur Bedeutung der Liturgie im Schrifttum von Helfta vgl. Kap. 4.5. 93 Der 1. Adventssonntag als Beginn des Kirchenjahres ist seit dem 10. Jh. belegt. Daneben konnte im Mittelalter das Jahr aber auch an Weihnachten, an Mariä Verkündigung oder an Ostern anfangen; vgl. B[enedikt] Kranemann, Kirchenjahr, in: LexMa 5 (1991), Sp. 1176 f., hier: Sp. 1176. 94 Margaretha macht sich in den ›Offenbarungen‹ ausdrücklich Gedanken zum Alter Christi, so etwa in: Strauch, S. 80, 16–18: mir wart gelesen, wie lang unser herre uf ertrich wer, daz was xii tusent tag iiii hundert und xii tag, oder: Ebd., S. 81, 16 f.: [. . .] dar nach durch unser minne wonet driu und xxx jar uf ertrich in ainem so warhaften leben. Zur Zahl 12 412 vgl. ebd., S. 304 ad 80, 17 f.: »Die 12 412 Tage sind 365 × 34+2. 34 Jahre ergeben sich für die Lebenszeit Christi, wenn man zu den 33 1/4 Jahren – die Zeit von Weihnachen bis Ostern auf drei Monate angesetzt – die neun Monate von der Empfängnis bis zur Geburt hinzurechnet.« Besonders häufig ist die Zahl 34 in der Vita Luitgarts von

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der ›Offenbarungen‹ und in der Folge deren Lektüre im Geist der imitatio Christi verstanden werden.95 Anhand von Margarethas zweiter Schrift, des ›Paternosters‹,96 kann gezeigt werden, dass sie die Zahl 33 auch ausserhalb ihrer ›Offenbarungen‹ bewusst eingesetzt hat. Die imitatio Christi meditiert sie im ›Paternoster‹, indem sie sich Christus gegenüber äussert: min nehster weg müez uns, min herr, zuo dir sin in dem weg der rehten warhait daz war lieht dins lutern lebens driu und drizzig jar uf ertrich, diniu diemüetigen werk, din senftmüetiger wandel, din creftigez liden, din minnender tod, diniu warhaften wort.97 Margaretha und Heinrich dürfte diese Zahlensymbolik auch über ihre Lesegewohnheiten vertraut gewesen sein. Die Handschrift 2929 der National- und Universitätsbibliothek Strassburg, die aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt und das ›Exemplar‹ Heinrich Seuses enthält, verteilt den Text gleichmässig auf meist 33 Zeilen pro Seite.98 Auch in der alemannischen Abschrift des ›Fliessenden Lichts‹ im Einsiedler Codex 277 sind die Texte auf 32 bzw. 33 Zeilen pro Seite verteilt.99 Die Seiten des Codex 384 aus dem Kloster Zwettl, der aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt und einen Teil der ›Vita et Revelationes‹ der Wiener Begine Agnes Blannbekin enthält, sind ebenfalls jeweils mit 33 Zeilen beschrieben.100 Damit sind für das 14. Jahrhundert drei Textzeugnisse gegeben, bei denen bereits der Schriftspiegel (und dadurch auch der Vorgang des Lesens) in die Vergegenwärtigung der Passion Christi hineinzuführen versucht.

Auch inhaltlich wird das Leiden Christi zur Folie, auf die Margarethas Leben gelegt wird.101 Die Krankheit ersetzt ihr über weite Strecken

95 96 97 98 99 100 101

Wittichen eingesetzt. Explizit sagt Christus zu Luitgart: du *olt ain hu*ß o buwen und *olt xxxiiij men*chen zu dir nemen jn aller der mainung, als ich xxxiiij jar uff ertrich was: Irmtraud Just, Die Vita Luitgarts von Wittichen. Text des Donaueschinger Codex 118. Mit Einleitung, Kommentar und frömmigkeitsgeschichtlicher Einordnung (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700. Bd. 31), Bern u. a. 2000, S. 84. Zur Bedeutung des Schreibaktes bei Margaretha – in Ergänzung zu dem bereits in Kap. 5.2.7 zum Schreiben der Briefe Heinrichs Gesagten – und zur Nähe der Zeiten des Advents und der Passion vgl. Kap. 6.2.6 und 6.2.7. Zu diesem Werk vgl. Kap. 6.3. Strauch, S. 165, 20–25. Vgl. Seuse, S. 4*. Dies dürfte auch für weitere Kopien aus dem 14. Jh. der Fall gewesen sein, da es sich beim ›Exemplar‹ um »eine Ausgabe letzter Hand, 1362/63 zusammengestellt« handelt: Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1114. Vgl. Neumann II , S. 176. Die Kopie des ›Fliessenden Lichts‹, die in Medingen zur Abschrift vorlag, könnte, da sie wie der Einsiedler Codex 277 aus Basel stammte (vgl. Kap. 7.5), ebenfalls diesem Prinzip gefolgt sein. Vgl. Agnes Blannbekin, Leben und Offenbarungen, S. 18. Zur Bedeutung der Liturgie in Brief XI , auf der Heinrich die Sinnstruktur entwickelt, vgl. Kap. 3.2.1.

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Disziplin und Askese und lässt dadurch ihre Bekehrung und ihr Leben als ein gnadenhaftes Geschehen erscheinen.102 Überhaupt zeichnen sich die ›Offenbarungen‹ durch das Fehlen von solchen äusseren Bussübungen aus, wie sie etwa für den ›anfangenden Menschen‹ in der ›Vita‹ Heinrich Seuses bezeichnend sind. Seuse beschreibt sein Leben vor seiner Bekehrung als eines der Busse und der Abtötung, während der Wendepunkt in seinem Leben – die ›Fusstuchszene‹ in Kapitel 21 der ›Vita‹ – zum geduldigen Ertragen des von Gott gesandten Leids führt.103 Dieser Durchbruch, bei dem es für Seuse darum geht, daz su´ [der sin und o der mut des Menschen] neiswi umb sich selber nu´t wu´ssen, denn sich und ellu´ ding ze nemene in ire ersten ursprunge,104 geschieht auch bei Margaretha »aufgrund der Loslösung vom eigenen Selbst und von allem Geschaffenen«.105

Für beide, Margaretha und Seuse, ist es die Mittlerschaft Christi, durch die der Mensch zu Gott gelangt.106 In den ›Offenbarungen‹ übernimmt die Krankheit die Funktion, den Durchbruch zu Gott über die Angleichung an das Leiden Christi vorzubereiten. Da dabei jegliche Form von Selbstkasteiung ausgeblendet wird, verwundert die positive Grundstimmung des Werkes nicht, zu der Manfred Weitlauff (trotz aller Bedenken gegenüber ›befremdlichen‹ Aussagen der ›Offenbarungen‹107) bemerkt: »Es ist des weiteren bemerkenswert und geradezu atypisch für ihre Zeit, dass Margareta nie von Versuchungen des Teufels oder – im Umgang mit ihren selen – von den Schrecken des Fegfeuers [. . .] spricht, auch nie von der Strafgerechtigkeit Gottes [. . .]. Stets ist nur die Rede von Gottes Liebe, Güte, Barmherzigkeit, von denen sie sich und alle, die ihr lieb waren oder für deren Seelenheil sie betete und opferte, umschlossen und getragen wusste. Nicht weniger bemerkenswert ist die geistige Freiheit, zu der diese schlichte [. . .] 102 Strauch, S. 5, 13–16: und haun grosser üebung mit disciplinen und mit andern grossen dingen niht gehebt wan als ez mir got von siner güet gab mit grossem siechtagen. 103 Vgl. Haas, nim din selbes war, S. 203. 104 Vita, XXXII , Seuse, 94, 12–14. 105 Haas, nim din selbes war, S. 175, dort für Heinrich Seuse formuliert. Manfred Weitlauff spricht in diesem Zusammenhang vom laˆzen Meister Eckharts: Margareta Ebner, S. 244. 106 Vgl. Haas, nim din selbes war, S. 179. Dazu Vita, XLVI , Seuse, S. 155, 18 f.: [. . .] dur daz spiegelich leben Cristi, der der sicherst weg ist. Vgl. auch o Kap. XIII , ebd., S. 34, 11 f.: Du must den durpruch nemen dur min gelitnen o menscheit, solt du warlich komen zu miner blossen gotheit. 107 Weitlauff, Margareta Ebner, S. 263, stellt hier seine positive Wertung und seine Bedenken gegenüber den ›Offenbarungen‹ nebeneinander.

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Nonne nach Ausweis ihrer Aufzeichnungen fand und in der sie sich durch nichts und niemanden beirren liess.«108 Die Stationen der Passion Christi werden als eigentliche gnadenbringende Momente für Margaretha angesehen, wenn sie schreibt: do unterwand ich mich do paternoster und manunge in diu minnewerk unsers herren, und da mit was mir gar wol und überwant vil kranchait da mit.109 Margaretha nennt hier die Passion minnewerk, die ihr die Krankheit zu überwinden helfen110 – und kommt damit der positiven Deutung Heinrichs nahe, der die Leiden Margarethas als minenzaichen charakterisiert und dadurch mit den Wundmalen Christi als den sichtbaren Zeichen von dessen heilbringendem Leiden in Beziehung setzt.111 Im Sinne Johannes Taulers wird demnach in den ›Offenbarungen‹ Margarethas Bekehrung über ihre Krankheit und deren Anbindung an die Passion Christi positiv als eine gnadenhafte Begebenheit dargestellt. 6.2.4 Die Forderung nach einer gläubigen Lektüre Margarethas Sprechen ist also wie jenes in den Briefen Heinrichs vor allem liturgisch bestimmt. Die liturgische Strukturierung des Leidensweges deutet eine Interpretation an, bei der das primäre Ziel der ›Offenbarungen‹ nicht die Gesundung Margarethas ist, sondern ihre Angleichung an den leidenden Christus in dessen Rückkehr zum Vater. In diese Struktur des Wechsels von bewusstem Leiden und gnadenhaften Erfahrungen betten die ›Offenbarungen‹ biographisch bedingte Ereignisse ein – so etwa das Exil bei der Mutter,112 das Eintreffen der Reichsinsignien im Konvent113 oder den Tod zweier geliebter Mitschwestern114 – und geben diesen Begebenheiten ihren 108 Weitlauff, dein got redender munt, S. 347–349. In dieser positiven Grundstimmung kommen die ›Offenbarungen‹ den Briefen Heinrichs von Nördlingen nahe, was bei ihm von den Intentionen der Briefe her erklärt wurde; vgl. Kap. 5.4.2. 109 Strauch, S. 4, 18–20. 110 Zutreffend hat Manfred Weitlauff bemerkt, Margaretha lerne ihre Krankheit »als ihren Weg der Reinigung und Läuterung zu begreifen«: dein got redender munt, S. 315. Dieser Prozess darf allerdings nicht als ein psychologisch begründeter, sondern muss in seiner Einbeziehung in das Erlösungswerk Christi als gnadenhaft dargestellter verstanden werden. 111 Vgl. Kap. 4.4.2. Zur Interpretation der Selbstzweifel Heinrichs als einem Liebeswerk Christi vgl. Kap. 6.1.7. 112 Vgl. Strauch, S. 7, 4 – 8, 1. 113 Vgl. ebd., S. 8, 6–21. 114 Vgl. ebd., S. 11, 12 und 23, 18.

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Sinn von der liturgischen Grundstruktur her:115 Margaretha kann über die liturgische Anbindung der dargestellten Erfahrungen an den darin gefeierten Heilsgeheimnissen persönlich teilhaben.116

Die biblische Metapher für die Vereinigung mit dem Vater muss nach der Passion und dem Tod Christi folgerichtig jene von Ostern sein. Deutlich wird das hinsichtlich der Krankheitsgeschichte Margarethas da, wo sie in der Osternacht 1340 einen grossen Schmerz empfindet, weil sie hört, wie bei der Passion geflucht (oder geschworen?) wird.117 Dieser Schmerz beginnt sich in lautem Rufen und Schreien auszudrücken, was ihre Glieder so befällt, dass sie plötzlich gebunden und gefangen mit der swige ist.118 Zwar kann sie danach mit der Hilfe Christi für zwei Tage in ›süsser Gnade‹ verbringen,119 schreibt dann aber: ich lig ouch gewonlichen dar nach dri tage oder me,120 eine deutliche Anspielung auf die dreitägige Grabesruhe Christi. Erst während des ›Glorias‹ der Ostermesse (allerdings des folgenden Jahres 115 Wenn Ursula Peters meint, die »dem heilsgeschichtlichen Kreislauf des Kirchenjahrs nacherlebten Krankheits- und Gnadenberichte« seien von solchen Einzelstücken unterbrochen (Religiöse Erfahrung, S. 144 f.), stimmt das von der Empfindung bei der Lektüre her. Doch muss hier das Bemühen Margarethas hervorgehoben werden, diese Episoden in den Kontext ihrer persönlich erfahrenen Heilsgeschichte zu stellen und damit literarisch einzubetten. 116 Ähnlich spricht Kurt Köster für die frühesten Berichte im ›Liber Visionum‹ Elisabeths von Schönau von Zeugnissen »ekstatischen Miterlebens des kirchlichen Jahreslaufs in engem Anschluss an die klösterliche Liturgie«: Elisabeth von Schönau, in: 2VL 2 (1980), Sp. 489–494, hier: Sp. 490. Diesen Gedanken übernimmt auch: Heinzer, Imaginierte Passion, S. 464. 117 Vgl. Strauch, S. 54, 6 f. Margaretha scheint in der Osternacht Stimmen zu vernehmen, die bei der Passion Christi fluchen bzw. schwören. Von der Bibel, aber auch vom Text der ›Offenbarungen‹ selbst her wäre es einleuchtender, wenn Margaretha an dieser Stelle vom Karfreitag sprechen würde. Mit hailig abent ze naht muss aber die Nacht vom Karsamstag auf den Ostersonntag gemeint sein; vgl. auch ebd., S. 56, 10. Ausserdem wurde in der chronologischen Abfolge der Karfreitag bereits genannt; vgl. ebd., S. 53, 11. Zur Schwierigkeit, die ›Offenbarungen‹ chronologisch einzuteilen vgl. Kap. 1., Anm. 10. Da seit dem Frühmittelalter die Ostervigil auf den Nachmittag, im Spätmittelalter sogar auf den Vormittag verlegt wurde, musste seit dem Hochmittelalter in der Osternacht ein eigener Gottesdienst gehalten werden, der ›elevatio crucis‹ oder volkstümlich ›Auferstehung(sfeier)‹ genannt wurde; vgl. Reinhard Messner, Einführung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn usw. 2000, S. 332 f. 118 Vgl. Strauch, S. 54, 12 f. 119 Vgl. ebd., Z. 27. 120 Ebd., S. 55, 2 f.

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1341) spürt Margaretha eine grosse Gnade: eine Kraft, die sie von der Krankheit heilt.121 Eine Gnadenerfahrung, von der Margaretha sagt, sie habe sie vom Auferstandenen selbst erhalten, wird von ihr so interpretiert, dass ihre körperliche Gesundung und die österliche Heilsgewissheit bewusst miteinander verbunden werden: nu wart mir da von der getriwen helf Jhesu Cristi geben: ich heti mit im geliten, ich sölt nu mit im frölich erstan.122 Margaretha erfährt demnach in ihrer Krankheitsgeschichte, »was die Liturgie im Zeichen vergegenwärtigt«,123 nämlich die Grabesruhe und die Auferstehung Christi am Karsamstag. Eine Mitschwester, die hinzukommt, kann nicht fassen, dass Margaretha wieder gesund sein soll, und spricht darum: ›ich han dich in as grossem wetagen zwo wochen gesehen, daz ich ez nit gelauben mag, ich sehe ez denne mit den augen‹.124 Die Mitschwester wird hier in der Rolle des ungläubigen Apostels Thomas dargestellt.125 Sie bestätigt damit einerseits das österliche Heilshandeln an Margaretha und ist andererseits ein Beispiel dafür, wie deren Krankheitsgeschichte gelesen werden soll: mit gläubigem Herzen, das hinter dem sichtbaren Wechsel von Erkrankung und Gesundung die Gnade Gottes erkennt, mit einer Lesehaltung also, die auch für die Briefe Heinrichs angenommen wurde.126 121 Vgl. ebd., S. 56, 9–17. Da während der ganzen Fastenzeit – mit Ausnahme grosser Feste und des Gründonnerstags – das ›Gloria‹ nicht mehr gesungen wurde, kann dieser Gesang neben dem Singen des österlichen ›Alleluja‹ als liturgisches Moment der Auferstehung Christi gedeutet werden. Noch mehr als bei Margaretha sind im ›Liber Visionum‹ Elisabeths von Schönau liturgische Gesänge »Ausgangspunkt für die visionäre Schau, die als religiöse Erfahrung auch in ihrer weiteren Entfaltung formal und inhaltlich von dieser liturgischen Matrix geprägt bleibt«: Heinzer, Imaginierte Passion, S. 470. 122 Strauch, S. 56, 17–19. In der Einleitung von Brief XI wünscht Heinrich Margaretha, in frid und fröud Anteil an Ostern zu haben; vgl. Kap. 2.3.1. 123 Felix Heinzer macht diese Aussage im Zusammenhang mit dem ›Liber Visionum‹ Elisabeths von Schönau. Mit dem ›Zeichen‹ ist dort der Einzug Christi in Jerusalem gemeint, »den die ausgesprochen mimetisch strukturierte Palmprozession ›nachbildet‹«: Imaginierte Passion, S. 466. 124 Strauch, S. 56, 25–27. 125 Dem Apostel Thomas, der bei der ersten Erscheinung des Auferstandenen vor seinen Jüngern nicht dabei war und darum nur glauben will, wenn er Jesus sehen kann, sagt Jesus: quia vidisti me credidisti / beati qui non viderunt et crediderunt: Io 20, 29. 126 Zu ›Glauben‹ und ›Verlangen‹ – in Parallele zur ›geistlichen Kommunion‹ – als den Voraussetzungen für das Erlangen von Gnade bei der Lektüre der Briefe vgl. Kap. 5.3.

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6.2.5 Die Funktionen von ›Schweigen‹ und ›Rufen‹ Die bereits mehrmals erwähnte Gewohnheit Margarethas zu schweigen, erstreckt sich meist über die Zeiten von der Nacht des Donnerstag bis zum Sonntag – eine wöchentliche Erinnerung an die Passion vom Hohen Donnerstag bis Ostern –, sowie über den ganzen Advent und die ganze Fastenzeit hinweg.127 Die ›Offenbarungen‹ sind geprägt durch den Wechsel »zwischen Zeiten ›gebundenen Schweigens‹ (gebunde swige) und unbedingten Sprechenmüssens, sei es, indem sie ständig den Namen Jesu ausspricht (rede) oder wortlos ›laut hinausschreit‹ (luten rüefe)«.128 Dieser Wechsel von swige und rede ist für die Darstellung der Christuserfahrung Margarethas charakteristisch.129 Da Margarethas Verstummen und lautes Rufen über die liturgische Einbindung wiedergegeben wird, können kaum Rückschlüsse auf eine dem Phänomen von Schweigen und Sprechen zugrunde liegende Krankheit gezogen werden. Vielmehr sagt diese bewusste Strukturierung etwas über die Absicht des gesamten Textes aus. Margarethas Gewohnheit zu schweigen muss zuerst einmal als ein von der Tradition vorgegebenes asketisches Instrumentarium verstanden werden, das vor allem für die Fastenzeit gefordert war und zu grösserer Innerlichkeit führen sollte.130 So hat es Margaretha auch verstanden, wenn sie von sich sagt: Do man nun ze der zit alleluia het gelet, do vieng ich an mit der grösten fräud ze swigen und sunderlich die vaznaht was ich in grozzen gnauden.131 An diese allgemeine Regel des Schweigens unmittelbar anknüpfend, beschreibt sie eine mystische Erfahrung: Manfred Weitlauff sieht die unio mystica im ›Minnegriff‹ der Fastenzeit des Jahres 1335 erfüllt.132 Wie in der Gegenüberstellung mit dem ›Liber specialis gratiae‹ Mechthilds von Hackeborn gezeigt werden konnte, führt Heinrich in Brief XLIV den Griff der Minne als heilsamen Liebeserweis Gottes ein, der Margaretha ermöglicht, Widerwärtigkeiten auszuhalten und Gottes Liebe zu tragen.133 Der ›Minnegriff‹ hinterlässt in 127 128 129 130 131 132

Vgl. Strauch, S. 19, 10–12. McGinn, Die Mystik, S. 540. Vgl. ebd. Vgl. Anm. 83. Strauch, S. 27, 6–8. Vgl. Weitlauff, Margareta Ebner, S. 249; in den ›Offenbarungen‹: Strauch, S. 27, 6 – 28, 19. Je nach Beurteilung der Funktion des Traumes in den ›Offenbarungen‹ kann die erste unio-Erfahrung auch früher angesetzt werden. 133 Vgl. Kap. 4.5.1. In den ›Offenbarungen‹ kommen Margarethas Herz aufgrund der luten rüefe oft starke Stösse zu, die zu einer Herzensverwundung füh-

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Margaretha eine solche Süssigkeit, dass sie sagt: mich duht, ez möht min sel von minem lib geschaiden sin.134 Diese Erfahrung führt bei Margaretha zu einem ununterbrochenen inneren Wiederholen des Namens Jesu, was ihr verunmöglicht, mit anderen zu sprechen.135 Der ›Minnegriff‹ ist demnach »eine Annäherung an den leidenden und agonierenden Korpus Christi« durch Gott selbst, der Margaretha »ihr menschliches Herz nimmt und ihr statt dessen den Namen Jesu implantiert und damit dessen Präsenz in einer Art Logosgeburt evoziert [. . .]«.136 Was als Regel für jede Nonne galt – sich in den Zeiten des Advents und der Fastenzeit des vielen Sprechens zu enthalten –,137 das erfährt bei Margaretha zusätzlich einer Verinnerlichung und wird bei ihr zum Anlass für die Vereinigung mit Gott. In den ›Offenbarungen‹ werden demnach zwei Qualitäten des Schweigens untereinander geschieden: das rein äusserliche Schweigen, dem sich Margaretha zu bestimmten Zeiten aktiv unterzieht, und das gnadenhafte Verstummen, das ihr von Christus geschenkt wird und das zu einem inneren (oft tonlosen) Sprechen führt. Schreien und Rufen werden schliesslich als minnenzaichen sins lidens138 ausgelegt, wie ja auch Heinrich das Leiden Margarethas als gottgefällige Liebeszeichen deutet.139 Durch diesen Vergleich mit den Stigmata kommt den akustischen Äusserungsformen der Charakter einer Bestätigung der Vereinigung mit Gott zu.140 Margaretha wird im Text als Beispiel einer Nonne dargestellt, bei der die äussere Lebensgestaltung (hier:

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ren. Vgl. dazu Bernard McGinn: »Auf diese Weise ist Margaretha eine der Kronzeuginnen der mystischen transverberatio cordis, die auch von anderen Mystikerinnen aus der Zeit des Spätmittelalters und auch noch danach bekannt ist«: Die Mystik, S. 542. Strauch, S. 27, 17 f. Vgl. ebd., Z. 18–27. Bürkle, Die Offenbarungen, S. 95. Das Bestreben, unnützes Sprechen zu unterlassen und dieses von der ›guten Rede‹ zu unterscheiden, zeigt sich in den ›Offenbarungen‹ auch dort deutlich, wo Margaretha das Reden von Jesus von der ›müssigen Rede‹ unterscheidet, die sie nicht schätzt: so waiss daz min herre wol, daz mir älliu rede (aun diu) urdrüzzig ist ze hörn und ze reden, und so ez mir kumpt ze müessiger rede, daz ich dar umb grozz lait und unmuot han: Strauch, S. 72, 12–15. Ebd., S. 64, 10. Vgl. Kap. 4.4.2. »Gebundenes Schweigen und laute Schreie waren Formen der Teilnahme an der Passion, und mit beiden ging eine physisch schmerzhafte Verwundung ihres Herzens einher«: McGinn, Die Mystik, S. 542. Zur Deutung der minnezaichen als Wundmale Christi vgl. Anm. 111.

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die positive Bewertung ihrer Krankheit und die Disziplin des Schweigens) einen inneren Wandel bewirkt.141 6.2.6 Meditation von Geburt und Tod als Ort der Gegenwart Gottes Für die Darstellung der auch bei Heinrich geforderten Innerlichkeit wird in den ›Offenbarungen‹ der Körper Margarethas über deren Krankheit positiv bewertet und zugleich zeichenhaft-spirituell verstanden.142 Der bewusste Einbezug der Körperlichkeit zeigt sich etwa in Margarethas Betrachtungen des Gekreuzigten. Margaretha schreibt von einem Kreuz, das sie an ihr Herz drückt,143 von einem, das sie bei sich trug,144 von einem gemalten Kreuz in einem büechlin, das sie aufgeschlagen auf dem Busen trägt oder beim Schlafen unter ihrem Gesicht aufschlägt,145 und von einem Anhänger.146 Weiter legt sie sich auf ein grosses Kreuz147 und berichtet von einem Kreuz des Chores, das sie ebenso ans Herz drücken möchte.148

Die Darstellungen von äusserlichen Formen der Kreuzesnachfolge sind im Text eingebunden in eine Beschreibung, die Innerlichkeit anstrebt. Der eigentliche Gnadenerweis Christi kommt Margaretha nämlich nicht bei Übungen mit Kruzifixen zu, sondern im Schlaf, in dem sie sich vor dem Chorkreuz beten sieht. Dem Kruzifix wird im Text eine wichtige Funktion zugesprochen: Ihm wohnt die Bedeutung eines Andachtsgegenstandes inne, der die unio mit Christus evoziert. Christus neigt sich dazu im Traum vom Kreuz herab, lässt Margaretha seine Seitenwunde küssen und tränkt sie mit seinem Blut.149 Die hier besprochene Stelle ist insofern aufschlussreich, als Margaretha gleich anschliessend explizit darauf verweist, woher sie diese Bildlichkeit nimmt: ich het grozzen lust und begird, daz ich den kus enphieng mit minem herren sant Bernhart und umvangen würde mit der 141 Zur Disziplin des Schweigens vgl. Anm. 83. 142 Susanne Bürkle spricht davon, dass in den ›Offenbarungen‹ »der literal konkret-physische Körper als Sitz der Krankheit [. . .] zeichenhaft-spirituell überschrieben« wird: Die Offenbarungen, S. 94. Zur Forderung der Briefe Heinrichs nach Innerlichkeit vgl. Kap. 4.4.4. 143 Vgl. Strauch, S. 20, 18–25. 144 Vgl. ebd., Z. 25 f. 145 Vgl. Kap. 3.4.1. 146 Vgl. Strauch, S. 21, 3 f. 147 Vgl. ebd., Z. 5–7. 148 Vgl. ebd., Z. 7–12. 149 Vgl. ebd., Z. 14–21.

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minne siner arme, und daz er mir ain grif in daz hertz tät.150 Margaretha verknüpft das Betrachten eines Kruzifixes mit einer von der Tradition her gegebenen Bildlichkeit der unio mystica. Damit haben die einzelnen Kreuze, die Margaretha die leidende Gegenwart Christi näher bringen, wohl allgemein jenes Ziel, das im Traum exemplarisch vorgeführt wird: sie über die Passion ihres Herrn zu stärken und die innere Einkehr bei Gott auszulösen.151 Das Ziel ihrer Kreuzesandachten erfüllt sich zunächst zwar nur im Traum,152 hat aber doch ganz konkrete Wirkungen auf ihren Körper, die nicht mehr an die Bildgegenstände geknüpft sind: [. . .] und enphieng ich da als grozze creftig gnaud und süezkait, diu an mir lang wert.153 do wart mir der grif als crefteclichen, daz ich ez wachent und schlauffent vil zit enphant.154 Wird Margarethas Verlangen nach der konkret-gegenständlichen Gegenwart des Gekreuzigten erneut auf dem Hintergrund der Predigten Johannes Taulers gelesen,155 so kommt den Ausführungen in den ›Offenbarungen‹ der Charakter einer Aufforderung zur Nachfolge Christi zu, wie sie an ihrem Körper beispielhaft umgesetzt wird. Bei Tauler, der in einer Predigt dazu 150 Ebd., S. 21, 25 – 22, 22. Zu Bernhards Einfluss auf die Briefe Heinrichs vgl. v. a. Kap. 4.2. 151 Zur Beurteilung der Rolle von Andachtsgegenständen in den ›Offenbarungen‹ vgl. Kap. 3.4.1. Es könnte missverständlich sein, bei der Bedeutung der Andachtsgegenstände (bes. der Kruzifixe) die »leibhaftige Erfahrung der physischen Gegenwart Christi mittels [. . .] sakrale[r] Bilde[r]« zu betonen: McGinn, Die Mystik, S. 539. Die ›Offenbarungen‹ zielen auf die verinnerlichte Gegenwart Christi. 152 Was im Traum eine bildreiche Erfüllung erfährt, belassen die ›Offenbarungen‹ sonst auf der Ebene des Begehrens. Später im Text kommt es dann aber auch am Tag (also ausserhalb des Schlafes) zur Erfahrung der Einigung mit Gott. Die Bedeutung des Schlafes, in dem Margaretha oft eine unio-Erfahrung zuteil wird, müsste für die ›Offenbarungen‹ ausführlicher untersucht werden. Bernhard von Clairvaux, dessen Werke Margaretha gekannt und mehrmals zitiert hat (vgl. Kap. 4.2), stellt in seinen Hoheliedpredigten den Zustand der Ekstase in der Kontemplation als Schlaf der Seele dar, bei Rudolf von Biberach erscheint die Verbindung der Seele mit Gott unter dem Bild des ›süssen Schlafes‹ (vgl. Schmidt, Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 347, Anm. 13) und Mechthild von Magdeburg verwendet diese Metapher in der Tradition der Hoheliedauslegung für »eine besonders innige Verbindung mit Gott hin bis zur Entrückung [. . .]«: ebd., S. XXIII . 153 Strauch, S. 21, 21 f. 154 Ebd., S. 22, 5–7. 155 Zu weiteren Parallelen mit den Predigten Taulers vgl. etwa Kap. 6.2.1.

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auffordert, um die keˆr zu bitten,156 sind die anschaulich beschriebenen Verlangen Margarethas nach der Kreuzesmystik als Forderung gegeben: o

Ein mensche sol in allem sinem tunde sich erbilden von minnen in das wirdige kru´tz und in den gekru´zigotten Christum. Solt du sloffen, so leg dich uf das kru´ze und gedenke und begere das der minnenriche schos din bette si und das e susse herze das das din orku´ssin si und das die minneklichen arme das die din teckin sin.157

Der bewusste Einbezug des Körpers Margarethas zeigt sich auch in ihrem Verlangen nach den Wundmalen Christi, das ebenfalls in die liturgische Fastenzeit eingebunden und damit auf Ostern hin ausgerichtet ist. Sie wünscht sich aber nicht nur die Wundmale des Gekreuzigten, sondern sucht bewusst auch den dadurch verursachten körperlichen Schmerz, also die erfahrbare Wirkung der äusseren Zeichen.158 Margaretha berichtet nicht, ob sich dieser Wunsch erfüllt habe. Der Text legt die Betonung nicht so sehr auf die Realisierung ihres Begehrens – das will nicht heissen, Margaretha habe sich die Wundmale nicht gewünscht! –, sondern vielmehr auf das Begehren selbst, was in Bezug auf die unio-Darstellungen Margarethas ja auch für die Briefe Heinrichs gilt.159 Direkt an ihr Verlangen anschliessend, meint Margaretha: und des beger ich noch, daz lid an minem lib niendert si, ez würd versert mit dem liden mins herren Jhesu Cristi.160 156 Predigt 47, Tauler, S. 210, 9 f. Für Tauler ist die keˆr »die Umkehr, die Wendung zum richtigen Weg« und der »Weg der Nachfolge«: Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 495. 157 Predigt 47, Tauler, S. 211, 11–15. Auch Dominikus, der Ordensvater Margarethas, wurde dargestellt, wie er seine Gebete und Betrachtungen vor einem Kruzifix verrichtete; vgl. Dyckhoff, Mit Leib, S. 25, 34, 45, 54, 66, 79, 90 und 104. Margarethas Interesse an Kruzifixen, die ihr teilweise von Heinrich vermittelt wurden (vgl. Kap. 3.4.1), kann so auch als Versuch interpretiert werden, sie in der Nachfolge ihres Ordensvaters als gute Dominikanerin zu stilisieren. 158 Vgl. Strauch, S. 19, 18–21. 159 Margaretha schreibt diese Erfahrungen rückblickend nieder. Der Akt des Schreibens, aber auch jener des Lesens bestimmen die Gestaltung des Textes, wobei dem Wunsch eine grosse Bedeutung zukommt. Zur Bedeutung des ›Begehrens‹ in den Briefen Heinrichs vgl. Kap. 5.1. 160 Strauch, S. 19, 22 f. Margaretha ist nicht die einzige Mystikerin, die das Verlangen nach den Stigmata empfindet. Gertrud von Helfta nimmt eines Tages innerliche Wundmale wahr, die sie zuvor vom Herrn erbeten hat. Die äusserlich nicht sichtbaren Stigmata werden bei Gertrud trotzdem als gegeben hingestellt, positiv gewertet und als eine Frucht ihres Gebetes betrachtet; vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 326 f. zu Legatus, II 4, 3, 1–8, S. 244; auch von

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Auch die Betrachtung der Kindheit Jesu bezieht die Körperlichkeit positiv mit ein, um Margaretha auf dem Weg der Nachfolge Christi voranschreiten zu lassen. Die ganze Mittelpartie der ›Offenbarungen‹ umfasst ausschliesslich das Jahr 1344, das Jahr des Beginns der Niederschrift.161 Für diesen Teil des Werkes kann eine zunehmende Präferenz weihnachtlich geprägter Bildlichkeit festgehalten werden. Hans Wentzel nimmt an, das Christkind spiele bei Margaretha erst ab 1344 eine Rolle, weil ihr 1344 aus Wien eine Wiege mit dem dazugehörenden Christuskind zum Geschenk gemacht wurde.162 Nach den bisherigen Ausführungen zu den ›Offenbarungen‹ kann das Auftreten eines neuen Andachtsbildes aber nicht isoliert als einziger Grund dafür in Frage kommen, dass gerade ab 1344 weihnachtliche Motive in den Vordergrund gerückt werden. Auch scheint Heinrich sich bereits vor 1344 auf konkret existierende Wiegen zu beziehen.163 Ausserdem hätte Margaretha die neue, von der weihnachtlichen Bildlichkeit geprägte Sprechweise ja auch noch in den ersten Teil einbauen oder den Mittelteil schon früher dementsprechend gestalten können, was aber anscheinend nicht in ihr Konzept passte.164 Sie nimmt erst bei der Beschreibung besonderer Formen der Gegenwart Christi auf den Beginn der Abfassung der ›Offenbarungen‹ im

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Katharina von Siena wird berichtet, sie habe Stigmata getragen, die bis zu ihrem Tod unsichtbar blieben; vgl. Christof Dahm, Katharina von Siena, in: BBKL 3 (1992), Sp. 1225–1229, hier: Sp. 1226. Gemäss dieser Tradition darf vermutet werden, auch bei Margaretha stünden die sichtbaren Wundmale nicht im Vordergrund ihrer Begehren, sondern deren Gnadenwirkungen. Ursula Peters hält in ihrem Beitrag zu den ›Offenbarungen‹ fest, der Mittelpartie komme »mit ihren abgegrenzten Einzelabschnitten des Typs ›Item ich han auch gewonhait‹ (S. 81, 27) bzw. ›Item ich begert aines tagez‹ (S. 78, 3)« eine Sonderstellung im chronologischen Bericht zu, da diese »ohne feste Einbindung punktuelle Informationen über Margarethes Klosteralltag und ihre speziellen spirituellen Erfahrungen bieten«: Religiöse Erfahrung, S. 145. Vgl. Hans Wentzel, Eine Wiener Christkindwiege in München und das Jesuskind der Margaretha Ebner, in: Pantheon 18 (1960), S. 276–283, hier: S. 277. In den ›Offenbarungen‹: An sant Stephans tag gab mir min herre ain minneklich gaube minen begirden, daz mir wart gesendet von Wiene ain minneklichez bilde, daz was ain Jhesus in ainer wiegen, und dem dienten vier guldin engel: Strauch, S. 90, 22–25. Zu Wentzels Annahme, das Kunstwerk habe die Phantasie Margarethas beeinflusst, so wie Andachtsbilder in der deutschen Mystik allgemein Visionen anregten (vgl. Wentzel, Eine Wiener Christkindwiege, S. 277), vgl. die Ausführungen zu den Krippendarstellungen und zum ›Kindelwiegen‹ in Kap. 3.4.2. Vgl. Kap. 3.3.3 und 3.4.2. Nachdem das Weihnachtsthema eingeführt ist (vgl. Strauch, S. 77, 23 – 78, 2), knüpft Margaretha zunächst gar nicht mehr weiter daran an.

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Advent 1344 Bezug.165 Margaretha stellt den Vorgang des Schreibens so dar, dass dieser für sie selbst zum Ort der gegenwertiket gotes wird. Und weil der Schreibakt seinen Anfang im Advent, der Vorbereitungszeit auf Weihnachten, nimmt, beginnt Margaretha erst hier, ihn mit dem metaphorischen Sprechen von der Wiege und vom Jesuskind zu verbinden. Hat Margaretha zuerst in der Erinnerung festgehalten, ihr sei zur (liturgischen) Zeit der Geburt Christi eine besondere Gnade widerfahren, die in ihren Gliedern zu spüren war,166 kommt ihr jetzt umgekehrt beim Schreiben die Gnade des Verlangens nach der Kindheit Jesu zu.167 Es kommen demnach gleich drei Faktoren zusammen, die das Sprechen von der Kindheit Jesu einbetten: die von der Liturgie vorgegebene Strukturierung, das darin integrierte Beschreiben der Gegenwart Gottes und die Bezugnahme auf einen Andachtsgegenstand (die Wiege). Die weihnachtliche Bildlichkeit wäre im ersten Teil nicht angebracht gewesen – dort wurde Margarethas Krankheit in der Spannung von Passion und Auferstehung Christi beschrieben –, sondern findet seine Berechtigung erst im Mittelteil, der allgemeiner die Gegenwart Gottes im Gnadenleben Margarethas und im Schreibakt darstellt und auch auf andere Menschen hin öffnet. Das Vorbild einer mustergültigen Betrachtung der Wiege und des Jesuskindes ist in den ›Offenbarungen‹ – wie auch in den Briefen Heinrichs168 – 165 Die Gegenwart Gottes zeigt sich für Margaretha dabei besonders auch im ›wahrhaften Freund Gottes‹ und im ›Schreiber Johannes‹, der an der Brust Jesu ruht und darum für Margaretha zum Garanten dafür wird, selbst aus der Wahrheit heraus schreiben zu können; vgl. ebd., S. 83, 27 – 84, 11 und S. 74, 18 f. Heinrich nennt in Brief XLIX Johannes Evangelista ganz selbstverständlich Margarethas ›Schreiber‹; vgl. Kap. 3.4.4. Auch Margaretha bezeichnet den Apostel als ihren Schreiber, wenn ihr während der Nacht von einer verstorbenen Schwester gesagt wird: ›den hat dir din schriber sant Johannes ewangelist gesant‹: Strauch, S. 25, 20 f. Zur Tradition des ›Schreibers Johannes‹ vgl. die Anmerkung von Strauch, S. 292 ad 22, 8. 166 Vgl. ebd., S. 84, 19–24. 167 Vgl. das Zitat, wie es bei Ursula Peters wiedergegeben wird: Anm. 179. Dieses Anknüpfen an der Kindheit des Herrn wird vorbereitet, indem zuvor zwei Feste der Weihnachtsoktav – jenes des Evangelisten Johannes (27. Dezember) und jenes der unschuldigen Kinder (28. Dezember) – als liturgischer Rahmen für weitere Gnadenerlebnisse eingeführt werden; vgl. Strauch, S. 84 f. Auch das Fest des hl. Johannes ist seinerseits wieder durch redaktionelle Bemerkungen zum Schreiben der ›Offenbarungen‹ vorbereitet, in denen Johannes als ›Schreiber‹ Margarethas bezeichnet wird; vgl. ebd., S. 84, 5–8. 168 Vgl. Kap. 3.4.2.

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Maria. Auf Margarethas Feststellung, ez wer niemen wirdiger denn sin [Jesu] zertiu muoter,169 antwortet ihr der Herr: ›wer den willen mins vaters tuot, der ist min vater und min muoter.‹170 Durch diese Aneignung der Bibelstelle Mt 12, 50 stellen die ›Offenbarungen‹ Margaretha ganz in die Nachfolge Marias. Dies drückt sich vor allem in jenem Abschnitt aus, in dem Margaretha das Jesuskind an ihre Brust nimmt, um es zu stillen wie unser liebiu frowe.171 Das Ziel dieser als körperlich verstandenen imitatio Mariae umschreibt sie im zweiten Teil als Weg zur unio, der über die Menschheit Christi führt. Wie bei der Andacht vor einem Kruzifix das Verlangen über die konkreten Andachtsgegenstände hinausgeht, bleibt auch hier das Verlangen nach der Kindheit Jesu nicht an die konkrete Wiege und das Christkind gebunden – dies wird hier einschränkend zur Auffassung betont, dass solche Beschreibungen in den ›Offenbarungen‹ nur als Reflex eines realen Nachvollzuges zu begreifen seien:172 aber min begirde und min lust ist in dem säugen, daz ich uz siner lutern menschet gerainiget werde und mit siner inbrünstiger minne uz im enzündet werde und ich mit siner gegenwertket und mit siner süezzen genade durchgossen werde, daz ich da mit gezogen werde in daz war niezzen sines götlichen wesens mit allen minneden selen, die in der warhet gelebt hant.173

Margarethas Aufzeichnungen werden gleichwohl nicht so sehr von der Versenkung in die Kindheit Jesu bestimmt, sondern finden ihr Ziel immer wieder in der Betrachtung der Leiden Christi.174 Ihr Begehren richtet sich etwa am Oktavtag von Weihnachten, der Beschneidung Christi, ganz 169 Strauch, S. 86, 26. 170 Ebd., S. 87, 1 f. In der Vorlage Mt 12, 50 steht eigentlich nicht pater, sondern frater. 171 Strauch, S. 86, 12 f. Vgl. auch Vavra, Bildmotiv und Frauenmystik, S. 206. 172 Vgl. etwa Dinzelbacher, Christliche Mystik, S. 327: »Diese Handlung ist nicht symbolisch, sondern das Säugen des wirklichen Christkindes – es führt unmittelbar zur Vereinigung [. . .]«. Auch wenn hinter diesen Darstellungen ein leibliches Nachvollziehen in der klösterlichen Betrachtung stehen kann, so wird dieses von Margaretha beim Schreiben in ihr Bestreben eingereiht, auch ohne die Hilfe von konkreten Bildern zur unio zu gelangen. Ob hier Gedanken literarisch umgesetzt werden, wie sie die ›Vita‹ Heinrich Seuses folgendermassen ausdrückt: [. . .] daz man bild mit bilden us tribe [. . .]?: Kap. LIII , Seuse S. 191, 9. 173 Strauch, S. 87, 15–21. 174 Dies zeigt sich auch darin, dass Margaretha ein grosses Kruzifix an ihr Herz drückt, kaum hat sie dasselbe vom Jesuskind erzählt; vgl. ebd., Z. 19–26. Zeichen der grössten Christusgleichheit bleiben für Margaretha die Wundmale Christi. Zum Drücken des Kreuzes an ihr Herz meint sie: [. . .] und

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konkret auf Jesu aller süezzesten besnidunge, daz ich dar uz niezzen sölt sin aller creftigostes minnenwallendez hailigez bluot.175 Hier wird deutlich, dass Margaretha eher ein Interesse an der Passion Christi hat als am Kleinkind Jesus.176 Diese Feststellung wird bestätigt, wenn Margaretha kurz darauf beim Beten des Vaterunsers das Verlangen verspürt, Christus an ihr Herz zu drücken und dabei die Kindheit Jesu plötzlich in dessen Passion übergehen lässt: so wirt mir denne der lust und diu genade verwandelot von der kinthet in daz hailig liden mins geminten herren und wirt mir da geben [. . .].177 Auch über die weihnachtlich bestimmte Bildlichkeit steht Margaretha – wie in Heinrichs Briefen – dem Bräutigam Christus näher als dem Kleinkind Jesus.178 Der vertraute Umgang der mariengleichen Nonne mit dem Jesuskind vermag aber anschaulicher als die Darstellung ihrer Angleichung an die Passion Christi die Nähe der Gegenwart Gottes in ihrem Leben aufzuzeigen. Das Jahr des Beginns der Niederschrift – und damit diese selbst – erhält für Margaretha in Parallele zum Weihnachtsgeschehen den Charakter einer ›Geburt‹ zu einem neuen Leben in Christus. In beiden Fällen – im Zusammensein mit dem göttlichen Kind oder in der Nachfolge des leidenden Herrn – sucht Margaretha die Gegenwart Gottes in der Nachfolge der Menschheit Christi erfahrbar zu machen. Über das medita-

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druck doch as vast, daz mir totmal werdent an minem herzen und an minem libe: ebd., Z. 24–26. Ebd., S. 87, 24–26. Zur Bildlichkeit der Beschneidung in den Briefen vgl. Kap. 3.4.2. Katharina von Siena deutete die Wunde der Beschneidung als Vorläuferin der Lanzenwunde, die Wiener Begine Agnes Blannbekin weinte darüber, dass Jesus schon als kleines Kind sein Blut vergiessen musste; vgl. Tripps, Das handelnde Bildwerk, S. 79. Auch Bruno Quast, drücken und schriben. Passionsmystische Frömmigkeit in den Offenbarungen der Margarethe Ebner, in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen, hg. von Manuel Braun und Cornelia Herberichs, München 2005, S. 293–305, hier: S. 303 meint dazu: »Über das Blut des beschnittenen Gliedes [. . .] stellt Margarethe Ebner überdies einen Konnex zwischen Schreiben, Krippe und Kalvarienberg her.« Die Leiden des Jesuskindes waren damals über die sogenannten ›Seelgerät St. Bernhards‹ weit verbreitet; vgl. ebd., S. 304. Strauch, S. 88, 13–15. Zur Bevorzugung brautmystischer Bildlichkeit in den Briefen Heinrichs vgl. Kap. 3.4.3. In Kap. 3.3.3 wurde für die Briefe festgehalten, Margaretha trete zu Christus nicht in erster Linie als Mutter, sondern als Liebende in Beziehung. Nach Susanne Köbele setzt bereits Mechthild von Magdeburg für die »Darstellung des Inkarnationsgeschehens die sinnliche, aus dem Hohenlied entbundene Bildsprache« ein und bindet so »die Inkarnation an die Unio«: Bilder, S. 77.

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tive Lesen der ›Offenbarungen‹ konnten so Geburt und Tod für die Leserinnen und Leser zu Metaphern des ›Durchbruchs‹ zur Gnade Gottes werden. 6.2.7 Schreiben und Lesen als Ankunft Gottes im eigenen Leben Der Beginn der Aufzeichnungen selbst war im spirituellen Leben Margarethas zugleich auch ein Einschnitt. Dies stellt Ursula Peters fest, indem sie sich auf hier bereits zitierte Stellen aus den ›Offenbarungen‹ bezieht: »Denn der Akt des Schreibens wird programmatisch mit einer charakteristischen Steigerung der Gnadenerlebnisse verbunden: seit dem Beginn ihrer Aufzeichnungen im Advent habe sie eine ganz besondere Sehnsucht nach der ›kinthet unsers herren‹ (S. 87, 23) und nach ›siner aller süezzesten besnidunge‹ (S. 87, 24) empfunden. Und: ›do ich daz büechelin enmitten scraib, do viel mir der aller gröst lust in in die kinthait unsers herren mit der aller süezzesten genade‹ (S. 86, 15 f.).«179 Wenn nun der Akt des Schreibens der ›Offenbarungen‹ so dargestellt wird, dass er mit einer wiederholten Begnadung Margarethas einhergeht, kann dies – analog zu den Aussagen über die Briefe Heinrichs180 – nicht auch auf den Akt des Lesens zutreffen? Wie Margaretha bei der Niederschrift ihrer ›Offenbarungen‹ wieder in den Prozess der Begnadung eintrat, dürften sich anhand der stilisierten Berichte auch ihre Mitschwestern und Personen ausserhalb des Klosters auf den gleichen Weg begeben haben, um ebenfalls einen Durchbruch zur Gnade Gottes zu erleben. Im dritten Teil der ›Offenbarungen‹ wird für die Leserinnen und Leser eine Geburt in diese Gnade hinein anschaulich nachvollziehbar. Nachdem im Mittelteil die Bildlichkeit von Weihnachten eingeführt wurde, wird diese auch im dritten Teil eingesetzt, bleibt dort aber mit jener der Passion verbunden;181 beide werden parallel zueinander zum Ziel 179 Peters, Religiöse Erfahrung, S. 146. Zur ausführlicheren Wiedergabe dieser Gedanken von Ursula Peters vgl. Kap. 5, Anm. 144. Vgl. dazu Strauch, S. 114, 1–5: item allez daz ich gescriben han, daz wart mir as gegenwertig, so man ez von mir und zu mir scriben wolt, mit sölcher inner genade als ze der zit, do ez mir geben wart, und mit so vil richen sinnen und worten, daz ich ainz kum vor dem andern gescriben moht. 180 Vgl. Kap. 5.2.6. 181 Eine derartige Verknüpfung von Passions- und Weihnachtsmystik findet sich schon bei Wilhelm von St-Thierry, dem Freund und Biographen Bernhards von Clairvaux. Er äussert sich folgendermassen zum Wert der bildhaften Betrachtung und Verehrung Christi in seiner Menschheit: »Weil ich wie ein Anfänger die sinnenhafte Vorstellungswelt (imaginatio) noch nicht hinter mir

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der unio mystica geführt. So wird ein körperlicher, krampfartiger Anfall Margarethas von ihr als geistige Schwangerschaft mit darauf folgender Geburt verstanden, bei der sie von ihren Mitschwestern gestützt werden muss.182 Diese imitatio Mariae ereignet sich nicht etwa an Weihnachten, sondern, wie schon Manfred Weitlauff festgehalten hat,183 in der Fastenzeit. Die ersten Symptome der Geburt werden darum direkt mit dem Sterben verglichen: und die rüef mit luter stime ›owe‹ und ›owe‹ die sint as groz, daz man si über al in dem closter und uf dem hof hörn mag, und möht sunst in aigener craft as lut nit gescrien, ob man mich halt töten welt.184 Die eigentzu lassen vermag, wirst du [Gott] es wohlwollend annehmen, wenn ich die Vorstellungskraft des geistigen Kerns meiner Person (mens) an dem einübe, was an dir, [Gott], demütig ist: ich werde mich über die Krippe des Neugeborenen beugen und dich in deiner heiligen Kindheit anbeten. Wenn du am Kreuz hängst, werde ich den Fuss des Kreuzes liebkosen. Wenn du auferstehst, werde ich deine Füsse festhalten und küssen, die Hand an die Stelle deiner Nägel legen und ausrufen: Mein Herr und mein Gott. [. . .] Wir stellen uns die Gestalt deines Leidens vor, damit auch unsere leiblichen Augen dich schauen, nicht um die bildliche Darstellung anzubeten, sondern um im Bild der Passion dir in Wahrheit anhangen zu können«: Guillelmi abbatis sancti Theoderici meditativae orationes, meditatio 10: Incarnationis et passionis Christi consideratio (PL 180, 235 D – 236 A), hier in der Übers. von: Holzherr, Beten mit Bild und Wort, S. 32 f. Eine grosse Nähe von Krippe und Kreuz wird auch Franz von Assisi zugeschrieben, der einerseits die Wundmale des Herrn empfing, andererseits ein Wegbereiter für die Betrachtung von Krippendarstellungen war; vgl. Tripps, Das handelnde Bildwerk, S. 73. Zwar – so berichtet Thomas von Celano – verwendete Franz noch keine Jesusfigur in der Krippe, doch habe einer im Umkreis des Heiligen eine so grosse Verehrung der Weihnachtsdarstellung gegenüber gehabt, dass ihm die Vision zukam, er sähe den Heiland darin liegen; vgl. ebd. 182 Vgl. Go´recka, Das Bild Mariens, S. 411: »Mag solches Erleben auch den modernen Leser verwundern und befremden, so war doch für den mittelalterlichen Menschen nichts Anstössiges daran. Sie empfingen die körperlichen Begnadigungen wie ihre Leidensheimsuchungen aus Gottes Hand und nahmen es dankbar an.« Literarisch gesehen steht diese Stelle der ›Offenbarungen‹ in einer Tradition, die durch Bernhard von Clairvaux begründet wurde. Nicht nur das Anschwellen der Brüste (vgl. Kap. 4, Anm. 22), sondern auch passive Empfängnis und Schwangerschaft werden von Bernhard als Vergleich mystischer Erfahrung herangezogen; vgl. Tripps, Das handelnde Bildwerk, S. 78. Auch Agnes Blannbekin wird der Einwohnung Gottes in ihrer Seele teilhaftig, was sich bei ihr körperlich manifestiert: Zu Weihnachten schwellen ihr Leib und Adern an, und es scheint, als habe sie den Knaben Jesus in ihrem Inneren: Leben und Offenbarungen, S. 13. 183 Vgl. Weitlauff, dein got redender munt, S. 345, Anm. 209. 184 Strauch, S. 119, 26 – 120, 4. Von Mechthild von Hackeborn wird berichtet, sie

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liche Gottesgeburt findet darauf – in realistischer Beschreibung – im Herzen Margarethas statt: und die [die rüef] komen mir biz naht ze siben malen, und von den starken stössen, die mir so gar ungestüemklichen in daz herze koment, so müezzent mich creftiklichen dri frawen haben, ainiu under dem herzen zer lingen siten und diu ander hinderwertige da engegen auch an der selben siten, und die sprechent, daz sie müezzent gen ainander mit aller craft druken, und denne enphindent sie under irn henden, as sich etwaz lebendigez um ker inwendik und niendert anderswa. und diu drit frawe hebt mir etwen daz haupt.185

Diese Geburt findet ihr Ziel in einer lengen rede mit einem süezzen lust in dem süezzen namen Jhesus Cristus. Margaretha kann sich wieder selbständig aufrichten und ihre Stimme in Freude gebrauchen.186 Damit ist ein erster Durchbruch im geistlichen Leben erreicht, aus dem Advent ist gleichsam Weihnachten geworden. Der Durchbruch auf der Ebene der Passion ist im dritten Teil noch stärker als vorher von der liturgisch gefeierten Passionsgeschichte geprägt, da Margarethas Erfahrungen darin noch mehr an bestimmte Tage der Fastenzeit geknüpft sind: »In den Kartagen des Jahres 1347, zwölf Jahre nach dem ersten Erleben der »unio mystica«, erreichte Margareta endlich die Höhe Golgothas nach einem die ganze Fastenzeit dauernden Aufstieg in stetig anschwellendem Leiden, unter dem sich der Körper krümmte, [. . .] im plötzlichen Entschwinden ihres Vertrauens auf Gottes Barmherzigkeit.«187 Ihren Leiden unterlegt Margaretha zu Beginn die Zeiten vom habe in einer Zeit des Gefühls absoluter Verlassenheit so laut geschrieen, dass dies im ganzen Haus vernommen wurde; vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 305. 185 Strauch, S. 120, 4–13. Auch Susanne Bürkle bringt diese Szene mit der Passion Christi in Verbindung: »Auf einer ersten Ebene ist hier allein die Geburt des Logos im Innern als konkret körperliches Gebären des wahrhaft ›lebendigen‹ Wortes Christi und dessen Manifestation nach Aussen als res und vox narrativ inszeniert. Erst über die analoge Symptomatik der Stösse ins Herz, die ihr wie Christus am Kreuz zugeschrieben werden [. . .], kommt eine zweite Ebene in den Blick, auf der sich die Schmerzen und Leiden des Gebärens als Zeichen für die Leiden Christi lesen lassen«: Die Offenbarungen, S. 97 f. 186 Vgl. Strauch, S. 120, 23 – 121, 2. Die Namensnennung Jesu war Bestandteil des Tagesevangeliums des Festes der Beschneidung des Herrn; vgl. Einsiedeln, Stiftsbibl., Cod. 115, S. 71b. 187 Weitlauff, dein got redender munt, S. 340. Margaretha kann im Jahr 1347 schon auf 35 Jahre zurückblicken (1312–1347), über die sie geschrieben hat. Werden die ersten drei Jahre abgezogen, die in diesem Kapitel als ihre keˆr bezeichnet wurden (1312–1314), erlangt die Nonne das von Manfred Weit-

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Sonntag Iudica bis zum darauf folgenden Freitag und von diesem Freitag bis zum Sonntag Domine ne longe.188 Am Palmsonntag empfängt Margaretha zu der Stunde, als das Leiden des Herrn seinen Anfang nahm und er Blut zu schwitzen begann, einen ›Schuss‹ in ihr Herz, was mit einem grossen Schmerz verbunden ist.189 Am Karfreitag endlich erfährt Margaretha in ihren Händen einen inneren Schmerz und ein Durchstechen ihres Kopfes und wäre bereit zu sterben, sollte dies der Wille ihres Herrn sein.190 Sie hat hier also zu jener inneren Bereitschaft gefunden, auf die Heinrich in Brief XLVIII vermutlich anspielt und hinter der ein auf Paulus zurückgehender Topos steht: Margaretha würde gerne für Christus sterben, erkennt aber auch im Weiterleben einen Sinn.191 Folgerichtig kann sie sich darum der hailigen urstende erfreuen192 und steht während der Osteroktav sogar vor den Vigilien auf, da sie sich fragt, ob ez wer diu stunde siner urstende.193 Sie spürt in ihrem Mund – in eucharistischer Beschreibung – nun eine Süsse, as ob mir ain süezzer zuker in minem munde wer,194 und empfängt aus dem Namen Jesu, den sie in sich trägt, süezzen smeke.195 Die ›Offenbarungen‹ münden aber nicht etwa in einer Beschreibung des Ostergeschehens, sondern enden am 28. November, dem Tag des hl. Andreas.196 Dieser Tag konnte, da er in die Zeit vor oder unmittelbar nach dem Adventsbeginn fiel, als letztes Fest des alten oder als erstes Fest des neuen Kirchenjahres gefeiert werden. Margaretha schreibt dabei erneut von der grossen Gnade des Advents197 und knüpft so wieder an jene Zeit an, in der sie zu schreiben begonnen hat. Die Darstellung der Ankunft (adventus) Gottes im eigenen Herzen, wie sie Margaretha über diesen literarisch-

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lauff genannte Erreichen der ›Höhe Golgotas‹ im 32. Jahr ihres Gnadenlebens. Ob dies erneut als Hinführung auf das 33. Lebensjahr Christi verstanden werden kann, ist zumindest zu bedenken. Immerhin erlauben diese Überlegungen die Frage, ob nicht auch das Jahr 1312 und damit der Beginn der Krankheit der stilisierten Darstellung unterworfen wurde. Vgl. Strauch, S. 127, 17 – 128, 2. Die Sonntage wurden nach dem Introitus der Messe benannt. Iudica steht für den fünften Sonntag der Fastenzeit, auch Passionssonntag genannt, Domine ne longe für den Palmsonntag. Vgl. ebd., S. 131, 16–22. Vgl. ebd., S. 132, 13 – 133, 18. Vgl. Kap. 4.3.4. Vgl. Strauch, S. 137, 4 f. Ebd., Z. 24 f. Ebd., S. 138, 18 f. Vgl. ebd., S. 140, 5–7. Vgl. ebd., S. 160, 16. Vgl. ebd., Z. 19–21.

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liturgischen Rahmen in ihren Aufzeichnungen erfährt, dürfte am Ende dieses Werkes auch dem Wunsch der Leserinnen und Leser entsprochen haben. 6.2.8 Eine Deutung der ›Offenbarungen‹ vor eucharistischem Hintergrund Die Beschreibung der Sehnsucht nach der Ankunft Christi im eigenen Leben wird in den ›Offenbarungen‹ schon früh in Beziehung zur Eucharistie gesetzt. Für die ersten drei Jahre ihrer Krankheit betont Margaretha, daz [ihr] erster gang was alleweg von dem siechus zuo der messe.198 Sie beklagt neben anderen Unvermögen ihr Verhältnis zum fronlichnam unsers herren: [. . .] daz ich die minne und die begird dar zuo niht het als ich solt, und als wolberait nit wär, wan ich in enphahen solt: da schuldiget ich mich an, daz wer da von, daz ich mich nicht crefteclich züge von allen liplichen dingen.199

Margaretha formuliert hier negativ, was positiv als Forderung im Hinblick auf den rechten Kommunionempfang verstanden werden darf: eine liebende Gesinnung, welche die Begegnung mit dem Herrn im Sakrament ersehnt und dafür von äusseren Dingen lassen muss. Dabei erfüllt Margaretha gleichwohl eine andere Bedingung für den würdigen Eucharistieempfang: Sie klagt sich ihres Ungenügens an. Implizit dringt sie hier auf ein dem Kommunizieren des Altarsakramentes vorangehendes Sündenbekenntnis, ohne aber etwa direkt die Beichte zu verlangen.200 Margaretha entspricht dabei den Forderungen ihres Ordensbruders Johannes Tauler. Warnend meint dieser in einer Predigt: o

wem sin su´nde nu´t leit ensint und sich nu´t will huten, der wirt in der worheit e schuldig an dem lichamen unsers herren, und sich selber nu´t geprufet enhant: dar 201 umbe sint ir vil krank und vil slaffig. 198 Ebd., S. 4, 21 f. 199 Ebd., S. 5, 4–8. 200 Be´atrice W. Acklin Zimmermann macht im Zusammenhang mit dem Engelthaler Schwesternbuch auf die Ehrfurcht aufmerksam, welche die Nonnen für den Kommunionempfang durch eine vorbereitende Zeit der Läuterung und der Busse erlangen: Gott, S. 69, Anm. 45. Zur in der Schultheologie kontrovers diskutierten Frage nach dem der Kommunion vorausgehenden Sündenbekenntnis vgl. ebd., S. 70, Anm. 46. 201 Predigt 60c, Tauler, S. 297, 4–6; vgl. dazu Acklin Zimmermann, Gott, S. 71, Anm. 48. Im BdeW heisst es auffordernd: Du solt mich enphahen wirdeklich e und solt mich niessen demutklich und solt mich behalten ernstlich [. . .]; geist-

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Wie Tauler hier, so bringt auch Margaretha auf den ersten Seiten ihrer ›Offenbarungen‹ die Selbstprüfung mit der Krankheit in Verbindung,202 wenn auch in positiver Umkehrung seiner Gedanken: Bei ihr erwirkt die Krankheit die Selbstprüfung. Deshalb bedeuten diese ersten Jahre der beginnenden Selbsterkenntnis für Margaretha auch den Beginn einer Gesundung in der Nachfolge Christi. Die Krankheit steht bei Margaretha demnach für das sündige Dasein des Menschen, aus dem bei rechter Selbstwahrnehmung die (sakramentale) Gnade zum Leben Gottes zu führen vermag. Der Versuch Margarethas, von dieser ersten Zeit der neuen Selbstwahrnehmung an (vor allem in der Advents- und Fastenzeit) zu schweigen, kann darum nicht nur als eine Vorbereitung im Hinblick auf Weihnachten und Ostern,203 sondern auch als Handeln vor einem eucharistischen Hintergrund verstanden werden.204 Bereits im ersten Teil der ›Offenbarungen‹ berichtet Margaretha von Gnaden beim Kommunizieren.205 Doch auch beim blossen Verweilen vor dem o

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licher hunger und gegenwu´rtiger andacht sol dich zu mir triben me denne gewonheit: Kap. XXIII , Seuse, S. 296, 22–26; vgl. dazu Acklin Zimmermann, Gott, S. 70, Anm. 48. Vgl. Kap. 6.2.1. Vgl. Kap. 6.2.5. Unter Verwendung des Kontrastpaars rede und swige berichtet Margaretha von der Gnade des Kommunionempfangs. Einmal habe sie ausnahmsweise an einem Samstag kommuniziert, worauf sich am Sonntag die gebunden swige wie an den anderen Tagen eingestellt hat; vgl. Strauch, S. 113, 4–8. Ihre rede deutet sie als Gnade aus dem Kommunionempfang, der normalerweise auf den Sonntag fällt. Die rede kann sich aber auch als Gnadenfrucht der ›geistlichen Kommunion‹ einstellen; vgl. ebd., Z. 15–22. Zum Vergleich sei hier auf das Schwesternbuch von St. Katharinental verwiesen, wo von einer Kantorin berichtet wird, sie habe an dem Tag des Kommunionempfangs kein Wort gesprochen; vgl. Acklin Zimmermann, Gott, S. 71. Vgl. Strauch, S. 9, 8 f. Margaretha äussert sich mehrmals zur Häufigkeit ihres Kommunionempfangs: nu enphieng ich auch ze der zit von got, wenne ich unsern herren enphieng, und so gros hozit warn as phingsten und unser frowen tag, aller grossen hailigen tag, mins herren sancti Johans tage – – und sunderlich all advent und den hailigen tag ze wihennahten und die selben hozit alle han ich gross genad und unmessig süessiket und götlichen trost: ebd., S. 36, 13–19. Anderswo spricht sie davon, jeden Sonntag zu kommunizieren (vgl. ebd., S. 113, 5), und für die Zeit während eines Besuches ihres Freundes bezeugt sie den täglichen Empfang des Sakramentes; vgl. ebd., S. 139, 10–22. Diese Häufigkeit ist eingebettet in die Zeit nach ihrem Erlebnis vom Karfreitag 1347 und gehört zur stilisierten Darstellung ihrer ›österlichen Gnaden‹.

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Tabernakel empfängt Margaretha göttliche Gnaden. So bemerkt sie zum Aufenthalt der Reichsinsignien in ihrem Kloster: Nun kum ez ze ainer zit da zuo, daz man daz hochwirdig hailgtum des riches fuort für unser closter. do gewan ich grozz begird, daz ich ez sehen solt. daz nam ich mir, daz es mir von got zuo gesprochen wurd: ›ez ist ain clainmüetikait an dir, gank an den sarch in den kor, da vindest du minen hailigen fonlichnam als warlich as in dem himel oder an kainer stat.‹206

Aus der Begierde nach dem Erblicken der Insignien erwächst Margaretha nach dieser Audition das Verlangen, sich immer öfters zum Tabernakel zu begeben, wo sie jeweils grosse Lust und Gnade erlangt.207 Es wurde bereits auf die Bedeutung des ›Begehrens‹ hingewiesen,208 das – gerade bei der geistlichen Kommunion – eine notwendige, aber auch ausreichende Voraussetzung für das Erlangen von Gnaden ist.209 Wie schon in Kapitel 6.2.4 anhand der Funktion des Apostels Thomas anschaulich gezeigt werden konnte, waren Glaube und Verlangen hinreichende Voraussetzungen, um Anteil an den in den ›Offenbarungen‹ beschriebenen Gnaden210 – ob beim Schreiben oder beim Lesen – zu erhalten. Die Grundhaltung der rechten Sehnsucht während des Lesevorgangs muss ein wichtiges Moment im Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha gewesen sein.211 Sowohl in den Briefen als auch in den ›Offenbarungen‹ wird zur Darstellung dieser wesentlichen Voraussetzung mit eucharistischen Bezügen gearbeitet; so hat auch Margarethas wiederholtes Begehren, wie der Evangelist Johannes an der Brust Christi ruhen zu können und aus ihr zu trinken,212 eine 206 Ebd., S. 8, 6–12. 207 Vgl. ebd., Z. 12–15. 208 Hier sei auch auf die Bemerkungen zum ›Begehren‹ nach den Wundmalen Christi aufmerksam gemacht; vgl. Kap. 6.2.6. 209 Zur geistlichen Kommunion vgl. Kap. 5.3. Die Voraussetzungen für die geistliche Art der Kommunion – der Glaube und das Verlangen – sind bei Margaretha explizit gegeben; vgl. Strauch, S. 62, 5–21. 210 Konkret kommen Margaretha über ihre Angleichung an die Passion Christi süezzer smak im Mund, süezzeket und rede zu; vgl. ebd., S. 122, 24–26. Dazu Acklin Zimmermann, Gott, S. 100, Anm. 133: »Wird die unio im Zusammenhang mit der Eucharistie in den Nonnenviten unterschiedlich mit ›gegenwurtikeit‹, ›genad‹ und ›sussikeit‹ beschrieben, so weist Langer [. . .] im weiteren darauf hin, dass der Begriff ›sussikeit‹ neben der Geruchs- und Geschmacksempfindung vor allem die Gnadenwirkung und den Gnadenzustand bezeichne, und oftmals in Konnotation mit ›genad‹ erscheine [. . .].« 211 Zur Funktion des ›Begehrens‹ in den Briefen vgl. Kap. 5.1. 212 Vgl. Strauch, S. 33, 14–21. Zum Motiv des Lieblingsjüngers Johannes, der an der Brust Jesus liegt, vgl. Kap. 6.1.5.

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eucharistische Dimension.213 Wie in den ›Offenbarungen‹ dem öfters erwähnten Apostel Johannes die Funktion zukommt, als Vertrauter Jesu eine Identifikationsfigur für das Streben nach der Nähe Gottes zu sein,214 übernimmt nun auch Margaretha aufgrund der Stilisierung ihres vertrauten Umgangs mit dem ›Herrenleib‹ für die Leserinnen und Leser diese Rolle: Im dritten Teil erhält sie darum die Funktion einer Fürbitterin für andere Menschen und für Verstorbene.215 6.2.9 Die Funktionen zweier Schreibstile Im ersten Teil der ›Offenbarungen‹ fällt vor allem das Stilmittel der Repetition auf. Die Häufigkeit, mit der Margaretha ihre Gebrechen in den liturgischen Ablauf von Fastenzeit und Ostern stellt,216 entsprach ganz dem Geist der Liturgie, die über die jährliche (und wöchentliche) Wiederholung von Festen, Texten und Gesängen die Feiernden in das christliche Heilsmysterium hineinzunehmen bestrebt war. Darum fällt am Ende des ersten Teils ein Abschnitt auf, der sowohl auf stilistischer wie auch auf inhaltlicher Ebene eine Sonderstellung einnimmt.217 Margaretha berichtet von einer Audition, die ihr von Christus zukam: ›du bist der warhait ain begrifferin, miner süessen genad ain enphinderin, mines götlichen lustes ain versuecherin und miner minne ain minnerin. ich bin ain 213 Vgl. Kap. 3.4.3. Die Nähe der Bildlichkeit des an der Brust des Herrn ruhenden Johannes zur Eucharistie zeigt sich etwa in der Chronik des Dominikanerinnenklosters St. Katharinental bei Diessenhofen, wonach sich eine (heute noch erhaltene) Christus-Johannes-Skulptur im östlichen Psallierchor der Klosterkirche beim dortigen Altar befunden haben soll; vgl. Petra Zimmer, Die Funktion und Ausstattung des Altares auf der Nonnenempore. Beispiele zum Bildgebrauch in Frauenklöstern aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, Köln 1990, S. 92. Diese Positionierung legt die Vermutung nahe, »daß auch das Thema der Eucharistie in der Ikonographie der Christus-JohannesGruppen berücksichtigt wurde«: ebd., S. 119. Die Skulptur dürfte demnach als Aufforderung verstanden worden sein, über das Geheimnis der Eucharistie zu meditieren. In der Sequenz zum 27. Dezember aus dem Graduale desselben Klosters von 1312 wird der Evangelist im letzten Vers gebeten, das Geheimnis der Eucharistie darzulegen; vgl. ebd., S. 104 und 109. 214 Vgl. Thali, Beten, S. 301. 215 Vgl. z. B. Strauch, S. 98, 17–21. 216 Ursula Peters spricht von einem Text, der »gelegentlich den Eindruck eines tagebuchartigen Protokolls einer langjährigen Krankheit« macht: Religiöse Erfahrung, S. 144. 217 Vgl. Strauch, S. 69 f.

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gemahel diner sel, daz ist mir ain lust ze miner ere. ich han ain mineklichez werck in dir, daz ist mir ain süesses spil. des zwinget mich din minne, daz ich mich lauz finden, daz ez der sel as genuoch ist, daz es der lip nit liden will. din süezzer lust mich findet, din inderiu begirde mich zwinget, din brinnediu minn mich bindet, din luteriu warhet mich behaltet, din ungestüemiu lieb mich bewart. ich wil dich frölich enphahen und minneklich umvahen in daz ainige aine, daz ich bin. daz ist miner güetkait nit ze vil. da wil ich dir geben den minnen kus, der diner sel ist ain lust, ain süesses inners berüeren, ein minnekliches zuofüegen.‹218

Die hier verwendete Bildlichkeit, aber auch die Dialogform (wenngleich hier nur Christus spricht) erinnern stark an das Gedicht ›Bartschs minnende Seele‹ und an Abschnitte aus dem ›Fliessenden Licht‹ Mechthilds von Magdeburg.219 Zudem klingen Passagen aus den Briefen Heinrichs an, die in dieser Arbeit bereits diskutiert wurden.220 Ludwig Zoepf meint zu dieser Stelle: Diese ›Offenbarungen‹, worin Margaretha in der letzten Hälfte des Jahres 1343 ihre bisherigen mystischen Erfahrungen gleichsam zusammenfassend wiedergibt in der üblichen typischen Ausdrucksweise, aber mit dem unverkennbaren Bemühen, das individuelle Erlebnis durch die äussere Form hindurch zu retten, lässt die seelische Struktur der Nonne klar erkennen: Margarethas höchstes Verlangen geht nach der Vereinigung mit Gott und Erkenntnis der Wahrheit [. . .]. Vergegenwärtigt man sich die durch das Hohe Lied beeinflusste Ausdrucksweise – auch Heinrichs Briefe kommen in Betracht, so wird man in dieser ›Offenbarung‹ nichts von Überschwang finden, und ein Urteil, wie es Pfister fällt: »Die liebestrunkene, zur Zeit der zuletzt erwähnten ›Offenbarung‹ 53jährige Jungfrau trug somit recht sinnliche Begierden nach ihrem himmlischen Gatten«, dürfte mehr der Theorie wie der Wirklichkeit entsprechen.221

Diese Gedanken Zoepfs sollen hier aufgegriffen und weitergedacht werden. Am Ende einer eher nüchternen, tagebuchartigen Schilderung ihres Krankheitsverlaufes ändert Margaretha plötzlich den Stil – dieser wird lyrisch und bildhaft, es sind sogar Ansätze zur Reimbildung zu beobachten. Zudem stellt sie nicht mehr ihre Leiden ins Zentrum des Interesses, sondern formuliert deren Ziel: die Einigung mit Gott, die hier in der Bildlichkeit der Brautmystik wiedergegeben wird. Mit dem Wechsel des Schreibstils wird in 218 Ebd., S. 69, 16 – 70, 3. 219 Zum Gedicht ›Bartschs minnende Seele‹ vgl. Kap. 4.1. 220 Vgl. v. a. Brief XLVIII , 20–23, Strauch, S. 256 f. Da es sich bei dieser Briefstelle um ein Zitat Mechthilds von Magdeburg handelt (vgl. Kap. 4, Anm. 45), kann von einem konkreten Einfluss des ›Fliessenden Lichts‹ auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas gesprochen werden – zumindest was den Stil betrifft. 221 Zoepf, Die Mystikerin, S. 77.

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den ›Offenbarungen‹ der Sprechweise als solcher eine sich nach dem Inhalt richtende Funktion zugesprochen. Beim lauten (Vor-)Lesen der ›Offenbarungen‹ dürften diese Unterschiede schon als sprachlich-formale wahrgenommen worden sein. Der Krankheitsgeschichte Margarethas kommt ein eher ruhiger, meditativer Charakter zu, während die Rede Christi an seine Geliebte auf eine feierlich-erhebende Wirkung abzielt – und darin in ihrer Funktion an die Hauptteile in den Briefen Heinrichs erinnert. Der Einsatz der beiden Schreibstile unterstützt so das eigentliche Anliegen der ›Offenbarungen‹: Nur im unablässigen Prozess des (passiven, darum gnadenhaften) Sich-angleichen-Lassens an den leidenden Christus wird der Mensch zu Gott zurückgeführt, in der Meditation der Leiden Christi öffnet sich der Weg zur Freude Gottes. Auch in der Mittelpartie macht sich Margaretha jenen Schreibstil zu eigen, der im ersten Teil die unio-zentrierte Stelle auszeichnet. Im Gegensatz zum ersten Teil der ›Offenbarungen‹ werden im Mittelteil Gnadenerfahrungen, die Margaretha zukommen, als komplexes Geschehen von Vermittlung und Rezeption dargestellt. Margaretha wird auf eine Gnadenerfahrung und die anschliessende Furcht hin, sie könnte die Sinne verlieren, mit folgenden Worten getröstet: ›ich bin nit ain berauber der sinne, ich bin ain derliuhter der sinne‹.222 Danach folgen in lyrischem und bildhaftem Stil ›Worte Gottes‹, die Heinrich als den getriwen warhaften lerer unsers herren betreffen, den ich all zit beger, daz in got in siner väterlichen phlege habe.223 Margaretha führt diese Aussage als Wunsch in zwei Abschnitten aus, die hier nur auszugsweise wiedergegeben werden: ›er ist ain warer lust miner hailigen gothait und ain sicherre nachvolger miner hailigen menschet. [. . .] ich wil in ziehen in daz wild ain miner hailigen gothet, in der er sich selber von minnen in mir verliesen sol, und wil in senken in den hailigen spiegel miner hailigen gothait, da er min götlich ere clarlich schawen sol, in daz bild, da sin sele clarlich uz geflossen ist, und wil an im volbringen, daz da gescriben stat, daz die nidern derhöcht sont werden. da von lust es mich gen im von siner grossen diemütket.‹224

222 Strauch, S. 76, 4 f. 223 Ebd., Z. 6–8. Im Text ist der ›Freund‹ textspezifisch stilisiert, so dass seine Identität nicht von Belang ist. Der Vergleich mit den Briefen sowie der grössere Kontext der Hs. London, British Library, Add. 11430 bzw. deren Vorlage M in Medingen (vgl. Kap. 8.1) legen die Identifizierung dieses Freundes mit Heinrich von Nördlingen nahe. Auch in Brief LXVII wird Heinrich schlicht friund genannt; vgl. Kap. 6.1. 224 Strauch, S. 76, 8–25.

Die ›Offenbarungen‹ – ein Modell der Gottesfreundschaft

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Warum aber fügt Margaretha diese Verheissung gerade an dieser Stelle ein, wo sie den von Gott geminten fruint225 doch sonst nur aus Anlass seiner Besuche im Kloster Medingen erwähnt? Eine Antwort darauf kann der an die Worte ich bin nit ain berauber der sinne, ich bin ain derliuhter der sinne anschliessende Satz geben: mir ist daz geben under minan begirden von dem getriwen warhaften lerer unsers herren.226 Der ›Freund Gottes‹ hat Margaretha demnach eine Interpretation ihrer Erfahrungen in Form einer Antwort Gottes vermittelt, die sie für entscheidend angesehen und die sie veranlasst hat, auf die beschriebene Mittlerrolle dieses ›Freundes‹ die hymnisch anmutenden Worte folgen zu lassen.227 Der metaphernreiche Stil der göttlichen Worte im Mittelteil muss demnach auf die Rolle des ›Freundes‹ bezogen werden und hat jene Funktion, die für die Hauptteile der Briefe Heinrichs bereits herausgearbeitet wurde: Er soll beim Lesen über die Darstellung des ›Freundes‹ (in den Briefen anhand Margarethas) bei anderen Menschen die intendierte Begnadung unterstützen. Im Mittelteil, der die Begnadung beim Schreib- und Lesevorgang thematisiert, kann der Prozess der Vermittlung göttlicher Worte durch den ›Freund‹ festgehalten und diesem ›Freund‹ seine Bestimmung erbeten werden, während für das Aufrollen der Krankheitsgeschichte Margarethas anhand der Leiden Christi im ersten Teil der repetitiv-nüchterne, meditative Stil eingesetzt wird. So, wie in den Briefen Heinrichs Margaretha zur begnadeten Nonne aufgebaut wird, kommt Heinrich in ihrem einzigen Brief die Rolle des begnadeten Seelsorgers zu. In den ›Offenbarungen‹ scheinen beide Darstellungsweisen Eingang gefunden zu haben: Margarethas stilisiertes Leben wird Ausgangspunkt für eine meditative Lektüre, die zur Kontemplation der göttlichen Wirklichkeit führen soll. Über die Darstellung des begnadeten ›Freundes‹ werden die Leserinnen und Leser auch auf der Ebene des Stils dieser Bestimmung zugeführt. 225 Ebd., S. 72, 16 f. Schon im ersten Teil der ›Offenbarungen‹ hat der von Margaretha verehrte Lehrer seine klar definierte, typenspezifische Funktion – nämlich jene des Trostspenders und des Vermittlers von Gnaden (vor allem beim Spenden des Altarsakramentes), die bei Margaretha nach der Trennung von ihm andauern; vgl. ebd., Z. 16–19. 226 Ebd., S. 76, 6. 227 Dass Margaretha die Worte ›ich bin nit ain berauber der sinne, ich bin ain derliuhter der sinne‹ wichtig gewesen sind, zeigt deren erneute Verwendung am Ende des Werkes, wo von der Gegenwart Gottes gesagt wird: Min herr, din durchclariu wol gecziertiu menschait Jhesus Cristus diu müez min indrestiu craft sin und ain rainung als mins lebens und ain durchliuhter aller miner sinne zuo der bechantnüz der rehten lutern warhait: ebd., S. 165, 17–20.

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

Die Annahme, Margaretha verarbeite im Mittelteil Einsichten, die ihr über den ›Freund‹ zugekommen sind, hat auch Konsequenzen für den ersten Teil der ›Offenbarungen‹. Dort gibt Margaretha im Zusammenhang mit dem ersten ›Minnegriff‹228 eine Antwort wieder, mit der sie von der ›Gegenwart Gottes‹ getröstet wird: ›ich bin niht ain berober der sinne, ich bin ain erliuhter der sinne.‹229 Wenn ihr nun im Mittelteil die gleiche Antwort gegeben wird – mit einem expliziten Bezug auf das erstmalige Zitieren dieses Satzes: so wirt mir aber geantwurt as vor230 –, kann auch für den ersten Teil angenommen werden, der ›Freund‹ und ›Lehrer‹ habe Margaretha Einsichten vermittelt, die sie als Antworten Gottes auf ihre konkrete Lebenssituation hin deuten konnte.231 Diese Einsicht in die Entstehung der ›Offenbarungen‹ bestätigt die Funktion Heinrichs für Margaretha in ihrem Brief als Mittler göttlicher Weisheit.232

6.3 Das ›Paternoster‹ Margarethas Margaretha wird in den Briefen Heinrichs immer wieder in den Kontext des liturgischen und paraliturgischen Betens gestellt und darüber zur idealen Nonne stilisiert,233 so dass angenommen werden darf, das Gebet habe im Diskurs, der den Briefwechsel hervorgebracht hat, eine wichtige Rolle gespielt. Tatsächlich stellt sich Margaretha in den ›Offenbarungen‹ von Beginn an gerne in der Haltung des Gebets dar. Vom zweiten Jahr ihrer Krankheit berichtet sie etwa, wie sie mit dessen Hilfe gerne leide,234 und sie spricht von Gebeten, die sie unter Tränen verrichte.235 Daneben erwähnt sie bekannte Texte wie das ›Paternoster‹, das ›Ave Maria‹ und das ›Credo‹, die Antiphon ›Regina coeli‹, die Hymnen ›Te deum‹, ›Vexilla regis‹ und ›Veni creator‹ und die Psalmen ›De profundis‹ und ›Miserere‹.236 Besonders im Mittelteil der 228 229 230 231 232 233 234 235 236

Vgl. Anm. 132. Strauch, S. 28, 5 f. Ebd., S. 76, 4. Dass das Thema des ›Minnegriffs‹ tatsächlich Bestandteil des mystischen Diskurses zwischen Heinrich und Margaretha war, konnte bereits gezeigt werden; vgl. Kap. 4.5.1. Vgl. Kap. 6.1. Vgl. etwa die Kap. 3.2, 4.4 und 5.2. Vgl. Strauch, 3, 6–9. Vgl. ebd., S. 11, 19–26. Zu ›Paternoster‹ und ›Ave Maria‹ vgl. ebd., S. 94, 24 – 95, 1; zu ›Credo‹: ebd., S. 65, 7; zu ›Regina coeli‹: ebd., S. 96, 16; zu ›Te deum‹: ebd., S. 61, 11 f.; zu

Das ›Paternoster‹ Margarethas

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›Offenbarungen‹ werden die Leserinnen und Leser mit Inhalten ihres Gebetslebens vertraut gemacht. Eine wichtige Stellung nimmt dabei das ›Anima Christi sanctifica me‹ ein.237 Es war für die Anbetung während der Elevatio Hostiae gedacht und wurde von Margaretha auch ausserhalb der Messe gebetet. Margaretha begehrt dabei us sinem hailigen liden ainer craft, in der wir widerstan mugen allem übel in gedanken, in worten und in werken [. . .].238 Auch im Gebet also hatte Margaretha darum eine bild- und sinnspendende Quelle zur Verfügung, die ihre Krankheit mit der Passion Christi zu verbinden vermochte. Ausführlich geht Margaretha in den ›Offenbarungen‹ dort auf die gesuchte Nähe zum Gebet ein, wo sie auf das ›Paternoster‹ zu sprechen kommt.239 Wenn sie Gnadenerfahrungen festhält und diese mit den Worten begründet: daz wirt mir ze verstan geben, daz daz der wille gotes si [.. .],240 um gleich darauf wieder zu betonen, beim Beten des ›Paternosters‹ würden ihr Gnaden geschenkt,241 so können die eben zitierten Worte auf dessen Bitte fiat voluntas tua zurückgeführt werden. Margaretha paraphrasiert also narrativ, was in einem (lateinischen) Gebet konzis vorgegeben ist: Sie gibt ihr zukommende Gnadenerweise aufgrund bereits vorhandener Texte wieder. Doch nicht nur einzelne Stellen der ›Offenbarungen‹ weisen eine Nähe zu Gebetstexten auf. Dem Werk selbst kommt aufgrund der zahlreichen Wiederholungen und der liturgischen Strukturierung, aber auch

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›Vexilla regis‹: ebd., S. 46, 13; zu ›Veni creator‹: ebd., S. 69, 5 f.; zu ›De profundis‹: ebd., S. 127, 11 f.; zu ›Miserere‹: ebd., S. 83, 3. In der ›Vita‹ Heinrich Seuses ist es das ›Salve Regina‹, das als Ausgangspunkt einer Betrachtung dient: Kap. XIII , Seuse, S. 36, 20 – 37, 21. Zu ›Paternoster‹, ›Salve Regina‹ und ›Ave Maria‹ vgl. Kap. 4, Anm. 211. Zur ausführlichen Besprechung dieses Gebets vgl. Kap. 7.2. Strauch, S. 80, 25–27. Auf das im Altarsakrament wirkmächtige Leiden Christi, das von Gebrechen befreien kann, verweist das Sprechen vom ›Widerstehen‹ in ›Gedanken, Worten und Werken‹. Diese Worte sind dem ›Confiteor‹ der Messe angeglichen, das Margaretha (und ihren Mitschwestern) zur Vorbereitung auf die Eucharistie diente: quia peccaui nimis cogitatione, verbo, et opere. Vgl. McGinn, Die Mystik, S. 541, Anm. 207 (in einer Anmerkung des Übersetzers): »Bei den Dominikanern und Zisterziensern waren diejenigen, die wegen Krankheit oder irgendwelchen Verpflichtungen nicht am Chorgebet teilnehmen konnten, aufgefordert, statt dessen für jede Hore eine bestimmte Anzahl Vaterunser zu beten.« Zur Nähe zwischen Margarethas ›Paternoster‹ und dem ›Liber‹ Mechthilds von Hackeborn vgl. Kap. 4, Anm. 257. Strauch, S. 74, 3 f. Ebd., Z. 3–7: daz wirt mir ze verstan geben [. . .] under minen paternoster [. . .].

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

über das Einsetzen verschiedener Schreibstile Gebetscharakter zu: Die ›Offenbarungen‹ nehmen die Leserinnen und Leser im Sinne des repetitiven Lesens und Betens, der ruminatio der Mönchstradition,242 in die Betrachtung der Menschwerdung und der Passion Christi hinein und ermöglichen ihnen in dieser repetitiven Dynamik den Aufstieg zu Gott.243 Margaretha dient dabei als Exempel idealen Betens. Das Gebet nimmt bei Margaretha auch insofern eine besondere Stellung ein, als den ›Offenbarungen‹ ein selbständiger Text folgt,244 der in der Medinger Handschrift M die Überschrift trägt: Hie hebet sich an der Ebnerin Pater Noster.245 In ihren ›Offenbarungen‹ wird Margaretha, wenn sie sich auf das ›Paternoster‹ bezieht, vermutlich das liturgische Gebet und nicht den sich über mehrere Seiten hin erstreckenden Text meinen. Dieser ist nicht für die Liturgie gedacht, sondern kann vielmehr als eine in Gebetsform gebrachte Zusammenfassung der Anliegen Margarethas verstanden werden:246 Das ›Paternoster‹ verdichtet in einem von den ›Offenbarungen‹ ver242 Der Vorgang der lectio und der meditatio wurde auch mit dem Wort ruminatio (Wiederkäuen) erklärt. Durch das wiederholte ›Kauen‹ des göttlichen Wortes sollte der Mönch dem Ziel näher kommen, ohne Unterlass zu beten; vgl. Leclercq, Wissenschaft, S. 85. Die Annahme, Margaretha intendiere eine Betrachtung ihrer ›Offenbarungen‹ im Sinne der ruminatio, findet einen Anhaltspunkt in der Strukturierung durch die Liturgie, die einerseits thematisch Anhaltspunkte für die Betrachtung vermittelt, und andererseits gerade in ihrer ständigen Wiederkehr in die christlichen Heilsmysterien einführen will. 243 Die Entfaltung des Sprechens über die Liebe im ›Fliessenden Licht‹ Mechthilds von Magdeburg ist für Burkhard Hasebrink »auf Repetition angewiesen [. . .]. In der linearen Abfolge sprachlicher Verknüpfung bildet diese Wiederholung ein Fortschreiten, das [. . .] eine Dynamik der Iteration in Gang setzt, deren Entfaltung zu einem konstitutiven Merkmal des Textes wird«. Hasebrink kann darum von einer »repetitiven Dynamik« des Textes sprechen: ein einic ein. Zur Darstellung der Liebeseinheit in mittelhochdeutscher Literatur, in: PBB 124 (2002), S. 442–465, hier: S. 448 f. 244 Vgl. Strauch, S. 161–166. 245 Medinger Hs. M, fol. 98v. Vgl. auch die Hs. London, British Library, Add. 11430, fol. 47r. Zum ›Paternoster‹ in der Hs. M vgl. Bürkle, Die Offenbarungen, S. 91, Anm. 48 und S. 92, bes. Anm. 52. Zur Hs. M als Vorlage der Londoner Hs. Add. 11430 vgl. Kap. 8.1. 246 Manfred Weitlauff nennt das ›Paternoster‹ »eine Art Paraphrase über das Vaterunser« und betont (entgegen den Ansichten Philipp Strauchs): »[E]s wäre wohl besser als besonderes Opusculum anzusprechen«: Ebner, Margaretha, Sp. 304.

Das ›Paternoster‹ Margarethas

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schiedenen Sprechen deren Inhalt,247 indem das liturgische ›Paternoster‹ und Betrachtungen der Geheimnisse des Lebens Jesu miteinander verbunden werden. Das Gebet richtet sich zu Beginn an Gottvater, von dem Liebe und Barmherzigkeit vom Himmel auf die Erde fliessen.248 Damit wird in den Gedanken Pater noster qui es in coelis [. . .] adveniat regnum tuum, fiat volutas tua sicut in caelo et in terra der Emanationsprozess der göttlichen Liebe eingeführt. Die Rückkehr zum Ursprung ist das eigentliche Ziel des Gebets: Ich bitt dich, min herre, daz du uns in diner lutern minne gebest ain sicher verainung in daz indrest guot daz du got selber bist;249 auch in diesem Werk ist demnach das Sprechen unio-zentriert. Um zur unio zu gelangen, bittet Margaretha um jene Hilfe, die Christus den Menschen in seinem Leben gegeben habe in all seinen minnenwerken,250 um seiner sichtbaren und unsichtbaren Gegenwart mit einer süssen Berührung innezuwerden,251 damit des Menschen lust nienan sie wann in [s]inem hailigen liden und in [s]inen hailigen sacramenten [. . .].252 Im Kontext dieser Ausrichtung auf die imitatio Christi erbittet Margaretha im weiteren Verlauf ihres ›Paternosters‹, die Schmerzen des Herzens Christi sollten als minnenzaichen253 in das menschliche Herz eingedrückt werden. Hier wird demnach der ›Minnegriff‹ begehrt und nicht mehr wie in den ›Offenbarungen‹ als Erfahrung geschildert. Und Margaretha fügt an: Gib uns, min herr, ainen indern süezzen lust uz ainem rainen herczen nach diser lebenden spis dins hailigen lichnams und ainen minnenden turst [. . .]254 (vgl.: panem nostrum quotidianum da nobis hodie), womit sie die Passion und das Sakrament der Eucharistie in eine unmittelbare Beziehung zueinander bringt. Darauf fleht Margaretha auch um würdige Priester, um das Ausbleiben von Schaden angesichts der Gnade (!) der aktuellen Leiden der Christenheit und um die 247 248 249 250 251 252

Zum Stil des ›Paternosters‹ vgl. Kap. 6.4.1. Vgl. Strauch, S. 161, 8–10. Ebd., S. 162, 3–5. Ebd., Z. 7. Vgl. ebd., Z. 7–9. Ebd., Z. 10–12. Vgl. auch ebd., S. 165, 1–3: [. . .] durch die creftigen helf, die du uns in diner hailigen menschait und in dinem hailigen creftigen liden geben haust [. . .]; ebd., S. 166, 19–21: uz der überflüzzigen craft dins hailigen lidens uns gebe werde din grundlos erbarmherczikait [. . .]. An einigen Stellen im ›Paternoster‹ kann von einer eigentlichen Übernahme mehrerer Versatzstücke aus den ›Offenbarungen‹ gesprochen werden. 253 Ebd., S. 163, 19. 254 Ebd., Z. 22–24.

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

Gunst, ohne Schuld vor Gottes Angesicht erscheinen zu können (et dimitte nobis debita nostra).255 Auch die Bitte sed libera nos a malo wird aufgenommen und durch eine Präzisierung ergänzt: [. . .] und uns mit dir benemest alz übel. waz ist übel? min herre, swaz du aller nit bist.256 Am Ende des ›Paternosters‹ kommt Margaretha nochmals auf den Emanationsprozess aus Gottvater zu sprechen, verwendet dafür nun aber eine weihnachtliche Metaphorik – uz vater herczen daz ewig wort von minne durch uns beschlozzen in ainer jungfrawen lip in ain lutriu rainkait257 – und kann darum eine Bitte an Maria anschliessen.258 Margarethas ›Paternoster‹ – auch dieses Gebet dürfte ein Gemeinschaftswerk mehrerer Schwestern gewesen sein – öffnet das in den ›Offenbarungen‹ Niedergeschriebene betend auf einen weiteren Kreis von Menschen hin, die darin eine Anleitung finden, gegenwärtiges Leiden in ihr Gespräch mit Gott einzubringen. Margaretha versteht sich als Teil eines Kollektivs, das sie immer wieder mit dem Pronomen ›wir‹ (noster – nobis) einfliessen lässt – daz wir nauch allem dinem willen gezogen werden259 (fiat voluntas tua) –, für das im Verlaufe des Texts schliesslich uzz erwelte friunde260 eingesetzt wird. Für diese besonderen ›Freunde‹ wird demnach das Ziel der Vereinigung Gottes und der Seele erbeten,261 in ihnen soll das Bild der heiligen Dreifaltigkeit aufscheinen.262

6.4 Die Anteile Margarethas und Heinrichs am mystischen Gespräch Die ›Offenbarungen‹ Margarethas geben verschiedene Themen vor, die sie mit den Briefen Heinrichs gemeinsam haben. In erster Linie teilen sie ein 255 Vgl. ebd., S. 163, 30 – 164, 10. Wenn es in der folgenden Auflistung von Bitten heisst, [. . .] und daz unser sel nach disem ellend kainer truorkait nimmer enphinden [. . .] (ebd., S. 164, 23–25), dann lehnt sich diese Sprechweise an die Worte in hac lacrimarum valle und post hoc exsilium aus dem ›Salve Regina‹ an. 256 Ebd., S. 165, 7 f. 257 Ebd., S. 166, 2–4. 258 Vgl. ebd., Z. 4–8. 259 Ebd., S. 162, 28 f. 260 Vgl. ebd., S. 163, 6 f. 261 Ebd., Z. 10 f.: [. . .] waz ain rainiu verainung sie zwischen din und ainer dürftigen sel [. . .]. 262 Vgl. ebd., Z. 14–16.

Die Anteile Margarethas und Heinrichs am mystischen Gespräch

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Leseverständnis, das zur Meditation führen und den Leserinnen und Lesern Anteil an dem darin dargestellten Heil geben soll. Damit muss auch von den ›Offenbarungen‹ her ›Mystik‹ wesentlich von ihrer literarischen Komponente her begriffen werden. Ihre richtige Rezeption setzt sowohl die Lesehaltung der Sehnsucht nach der Rückkehr in Gott voraus als auch die Demut oder das Erkennen der eigenen Nichtigkeit. Das dialogische Moment dieser Mystik ist ebenfalls beiden literarischen Gattungen gemeinsam: Über die Lektüre der Briefe und der ›Offenbarungen‹ werden eigene und gesellschaftliche Leiden aufgegriffen und als Gnadenerweise gesehen, die ihr Ziel in der Vereinigung mit Gott finden. Dafür greifen beide, Heinrich und Margaretha, vor allem auf die Liturgie (und das Gebet im Allgemeinen) zurück, auf deren Hintergrund nicht nur das bildliche Sprechen entwickelt, sondern eine Wirkmächtigkeit angestrebt wird, die beim betrachtenden Lesen in die typenspezifisch visualisierte Heilsgeschichte einführen soll. Die Briefe Heinrichs nehmen dabei aber nicht den gleichen Stellenwert ein wie die ›Offenbarungen‹, die als ein in sich geschlossenes Werk konzipiert wurden, sondern sind Erzeugnisse situativen Schreibens, das auf die Fragen und Erfahrungen Margarethas, auf geschichtliche Umstände und nicht zuletzt auch auf Fragen und Ängste seines Freundeskreises Bezug nimmt. Die Briefe besitzen demnach begleitenden Charakter im Dienste der cura animarum, sind aber gleichzeitig auch Ausdruck des Wunsches nach göttlicher Zuwendung und Sicherheit, desselben Verlangens also, das die Abfassung der ›Offenbarungen‹ veranlasst haben dürfte. 6.4.1 Der Gebetscharakter der Briefe Beim vergleichenden Lesen der Schriften Margarethas und Heinrichs fallen zuerst die Gemeinsamkeiten zwischen dem ›Paternoster‹ und den Briefen im Schreibstil,263 in der Häufung von Metaphern, in Ansätzen zur Reimbildung und in der Verwendung des Vokabulars auf.264 Darüber hinaus 263 Vgl. etwa Ansätze zur Reimbildung im ›Paternoster‹: ebd., S. 163, 1 f. 18. Margarethas Brief wird hier nicht in den stilistischen Vergleich einbezogen. Er ist in seiner Schreibweise dem ›Paternoster‹ auf jeden Fall ähnlicher als den ›Offenbarungen‹. 264 Die Fliessmetapher, die in den Briefen Heinrichs sehr dominant ist, wird im ›Paternoster‹ sowohl zu Beginn als auch gegen Ende hin verwendet; vgl. ebd., S. 161, 10 und 166, 1 f. Wenn Margaretha von ain sicher verainung in daz indrest guot das du got selber bist (ebd., S. 162, 4 f.) redet, erinnert das an Heinrichs Sprechen vom aller innersten gut (Brief XIII , 1, ebd., S. 188) und

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

finden sich inhaltliche Parallelen: Sowohl das Thema des Gnadenstroms als auch jenes der Einpflanzung der Minne in die Seele (oder in das Herz) des Menschen werden als Emanationsprozess dargestellt, die Rückkehr zum Vater als Vereinigung mit Gott, die über eucharistische Bezüge konkretisiert wird. Diese unio beschreiben beide, das ›Paternoster‹ und die Briefe, unter anderem als das Aufscheinen der Dreifaltigkeit in der Seele, und beide sehen in Maria ein Modell für die Aufnahme Christi im Menschen. Zudem sprechen beide explizit von anderen Menschen als ›Freunden‹. Deren Leiden werden jeweils als Gnade interpretiert und als notwendiger Durchgang zur Anschauung Gottes verstanden.265 Die Gegenüberstellung des ›Paternosters‹ mit den Briefen erlaubt daher einen neuen Zugang zur Beurteilung der Funktion der Briefe (genauer: deren Hauptteile): Sie stehen diesem Gebet viel näher als den ›Offenbarungen‹. Die Briefe haben wie das ›Paternoster‹ einen erhebenden Charakter. Viele von ihnen könnten beinahe als Gebete bezeichnet werden, wären sie nicht an eine Adressatin gerichtet, die zwar als vom Göttlichen umfangen von seinem häufigen Gebrauch des Verbs verainen; vgl. in den Briefen X , XVI , XXI , XXX , XLV , XLIX , LII . Weiter findet Heinrichs spiegel des luttern gottlichen weszens, in dem das Antlitz der Seele in dem antlutz gotz leuchtet (Brief IV , 32–34, Strauch, S. 174), in Margarethas Worten eine Parallele: dem lieht des spiegels dins götlichen antlücz (ebd., S. 162, 24). Neben Schlüsselbegriffen wie minnenwerk, minnenzaichen und uzz erwelt friund, die beide, Heinrich und Margaretha, verwenden, gibt es noch weitere Entsprechungen: Ähnlich wie Heinrich von minendurst (Brief XVII , 102, ebd., S. 200), von der grundloszen barmhertzigkeit Jhesu Christi (ebd., Z. 106 f.) und von der güt gotz spricht, die Margaretha umbevahen muss (Brief XXXVIII , 20, ebd., S. 233), und diu luter clarheit gotz (ebd., S. 234, 25) erwähnt, verwendet das ›Paternoster‹ die Rede vom minnenden turst (ebd., S. 163, 24), vom lutern minne sterben (ebd., S. 164, 19) und spricht von der grundlosen erbarmherczikait (ebd., Z. 12 f.), vom umvangen mit diner lutern warhait (ebd., Z. 13 f.) oder von der aller lutersten clarhait (ebd., Z. 30). Ferner ist beiden Autoren gemeinsam: kus dins ewigen frides (ebd., S. 165, 9; Brief VI , 34, ebd., S. 178), durchliuhter aller miner sinne (ebd., S. 165, 19 f.; Brief LIII , 33 f., ebd., S. 268), ain ewiges niessen (ebd., S. 165, 28; Brief XXI , 10, ebd., S. 204), urspring des lebenden brunnen (ebd., S. 166, 1; Brief XI , 46 f., ebd., S. 186) und das zuonemen ian allen dinen gnauden (ebd., S. 166, 28 f.; Brief XXIV , 2, ebd., S. 206). 265 Mit den ›Offenbarungen‹ hat das ›Paternoster‹ dafür folgende Themen gemeinsam, die von den Briefen nicht aufgegriffen werden: das Loslassen von allen äusseren Dingen als unbedingte Voraussetzung für die Gnade, das explizite Betonen des ›Leidens‹ und die Hervorhebung der 33 Lebensjahre Christi.

Die Anteile Margarethas und Heinrichs am mystischen Gespräch

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dargestellt, aber doch deutlich davon geschieden wird. Gemeinsam sind dem Gebet und den Briefen der Wunsch nach Erfüllung des Beschriebenen und die Sprechweise, die im Sinn der vorausgegangenen Kapitel als ›mystisch‹ bezeichnet werden kann. 6.4.2 Die Eigenständigkeit Margarethas im gemeinsamen Gespräch Während aufgrund der Gegenüberstellung von ›Paternoster‹ und Briefen ein Diskurs im Umfeld Margarethas und Heinrichs über gemeinsame Inhalte und über die Funktion ihrer Texte vorausgesetzt werden kann, ist in Bezug auf die ›Offenbarungen‹ ein solcher Diskurs weniger augenfällig. Margaretha führt ihre ›Offenbarungen‹ mit folgenden Worten ein: In dem süezzen namen unsers herren Jhesu Cristi und in sinem warhaften leben und in sinen minneclichen worten, die er durch unser ewiges hail volbraht hat uf ertrich, und in sinen hailigen minnewerken, die er so barmhertzeclich durch uns gewürchet hat, in starker minne durch unser hail volbraht hat: diu müesse mit inner güet vollekumer genaude volbringen daz angevange werk.266

Sie stellt darin die Menschheit Jesu (besonders sein Leiden) als Heil bringend in den Vordergrund und gibt auf diese Weise ihrer Schrift einen programmatischen Rahmen.267 Heinrich dagegen betont die Menschheit Christi nur gerade einmal – und dies in einem Zitat Mechthilds von Magdeburg.268 Das Bestreben des Menschen, sich dem Lebens- und Leidensweg Christi anzugleichen, ist in den Briefen aber trotzdem gegenwärtig, wenn Heinrich – ohne das Vokabular der ›Offenbarungen‹ zu verwenden – das Gewicht auf die Stilisierung Margarethas zur perfekten Nachfolgerin Christi und Marias legt, durch die sie zur unio mit Gott gelangt. Sowohl die Briefe als auch die ›Offenbarungen‹ behandeln die gleichen Themen, stellen sie aber gattungsspezifisch verschieden dar: Während Margaretha in der imitatio Christi den Weg des gottsuchenden Menschen beschreibt und ihn 266 Strauch, S. 1, 1–7. 267 In ihrem Brief an Heinrich nennt Margaretha dessen Seele ›Nachfolgerin der Menschheit Christi‹, und in den ›Offenbarungen‹ verwendet Christus für den ›besonderen Freund‹ dasselbe Vokabular; vgl. Anm. 13. Der besondere ›Freund‹ ist Modell für das, was Margaretha sich selbst wünscht: diu inngüetig menschait unsers herren Jesu Cristi, diu müez an mir volbringen sin ewig er. Strauch, S. 23, 12–14. Auch von Ofim Frickin schreibt Heinrich: ich beger auch, das ir sendet nach der geträwen nachfolgerin unsers heren Jhesu Christi der Frickin [. . .]: Kap. 7, Anm. 34. 268 Vgl. Brief XXVII , 4, Strauch, 210.

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Margaretha Ebner als Gesprächspartnerin

an ihrem eigenen Leben exemplarisch vorführt, gibt Heinrich über Darstellungen der imitatio Mariae einen Ausblick auf die grösstmögliche Gottverbundenheit im Leben seiner Freundinnen und Freunde. Beispiel für die unio mystica ist ihm Margaretha. Bei der konkreten Umsetzung der Rückkehr des Menschen zu Gott steht Margaretha Heinrich Seuse näher als den Briefen Heinrichs von Nördlingen,269 vor allem was den für sie so zentralen Begriff des ›Namens Jesu‹ betrifft, dessen Bedeutung auch für die ›Vita‹ Seuses evident ist.270 Damit wäre eine weitere Beziehung Margarethas zu dessen Schriften festgehalten, nachdem das Verbindende zwischen dem BdeW und Brief LXVII bereits nachgewiesen werden konnte.271 Es wäre also falsch, den Einfluss Heinrichs von Nördlingen auf die ›Offenbarungen‹ zu stark zu gewichten.272 Wie in Brief LXVII ist Margaretha (und Elsbeth Scheppach) auch in den ›Offenbarungen‹ durchaus in der Lage, Gedanken in das gemeinsame Gespräch einzubringen, die Heinrich in den uns erhaltenen Briefen nicht teilt.273 6.4.3 Bestätigung der eucharistischen Lektüre der Briefe do wart min hertz durchgozzen mit ainem als starken lieht [. . .].274 Was in Brief XI nur der Antwort Heinrichs entnommen werden konnte,275 bestä269 Vgl. Kap. 6.1. Zur Beziehung der ›Offenbarungen‹ zum Denken Johannes Taulers vgl. Kap. 6.2. 270 Zum Namen-Jesu-Motiv in der ›Vita‹ vgl. v. a. Reinhard Senn, Die Echtheit der Vita Heinrich Seuses (Sprache und Dichtung 45), Bern 1930, S. 119–127. Seuse gravierte sich beim Herzen das ›IHS ‹ ein und Elsbeth Stagel fertigte Tüchlein mit diesem Monogramm an, die er an sein Herz drückte, bevor sie an andere verteilt wurden; vgl. Vita, IV , Seuse, S. 41, 9–11 und Kp. XLV , ebd., S. 154, 3 – 155, 4; zu Elsbeth Stagel vgl. Kap. 5.2.5. Während die Briefe Heinrichs von Nördlingen selten auf den Namen Jesu Bezug nehmen (vgl. etwa Brief II , 19, Strauch, S. 171), sagt Margaretha von sich selbst aus: aber diu rede fieng alle zit an mit dem namen Jhesu Cristi: ebd., S. 42, 25 f. Diese Bildsprache »geht auf Bernhard von Clairvaux zurück, der in der 15. Predigt zum Hohelied das biblische Bild von der Einprägung des Siegels ins Herz (Hl 8.6) mit dem Namen Jesu [. . .] verbindet«: Quast, drücken, S. 295. 271 Vgl. Kap. 6.1.3. 272 Marzena Go´recka spricht sogar von Heinrich als dem Verfasser der ›Offenbarungen‹: Das Bild Mariens, S. 351. 273 Auch das BdeW könnte Margarehta auf die Initiative Heinrichs hin gelesen haben; vgl. Kap. 7.5.2. 274 Strauch, S. 12, 13 f. 275 Vgl. Kap. 2.4.1.

Die Anteile Margarethas und Heinrichs am mystischen Gespräch

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tigen die ›Offenbarungen‹: Margaretha hält Erfahrungen fest, die sie mittels der Metapher des Lichts beschreibt. Für sie ist dieses Licht nicht etwas äusserlich Sichtbares, sondern in ihrem Innern gegeben: nun enphing ich da von der innern güet gottes groszze gaub, daz was daz lieht der warhait der götlichen verstantnüz.276 Margaretha erwähnt das Licht vor allem im Zusammenhang mit der Eucharistie. Nachdem sie auf die Empfindung der Gegenwart Gottes zu sprechen gekommen ist, bemerkt sie: Ze der zit sache ich ain lieht an der mitichen ze naht, daz erluht unsern cor allen mit sinem schin.277 Darauf empfängt sie eine Gnade, die ihrem Konvent in gleicher Weise für die Kommunion am Tag (oder für die Teilnahme an der Messe?) angekündigt wird. Der Konvent bleibt in den ›Offenbarungen‹ stilisiert und anonym im Hintergrund. Nur an einigen wenigen Stellen klingt dessen Funktion an: wan min herr wol waiz, daz ich gern bi minem covent bin, wan si mir kain irrung sint.278 Diese Aussage hält Margaretha innerhalb einer Stilisierung ihrer eigenen Person zur idealen Nonne fest, die in der Klausur die Abgeschiedenheit von der Welt sucht und schon gerne in den ewigen Freuden bei ihrem Herrn wäre.279 Ihre Offenheit sowohl dem Leben auf der Erde als auch dem frühzeitigen Scheiden aus dem Leben gegenüber kann als für ihre Mitschwestern vorbildhaft begriffen werden.280 Dabei äussert Margaretha explizit den Wunsch: [. . .] und wenn ich nime leben sölt, daz ich denne bi minem covent wer.281 Das Kloster ist der Ort, wo sich Leben und Sterben in einem positiven Sinne kaum voneinander unterscheiden, da beides für Christus geschieht.

Margaretha geht schliesslich gewissermassen zur Bestätigung dieser Gnade ihrer geistlichen Kommunion nochmals auf das Licht ein: do sah ich ainen rink ains snewissen liehtes, daz enphieng ich in grozzer fröd der gegenwertikait gotes.282 Diese Lichterscheinung dürfte hier »zur Illustrierung der Anwesenheit Gottes in der Hostie eingebaut«283 worden sein. Ähnlich sieht Margaretha ein anderes Mal, bevor sie die Kommunion empfangen soll, den 276 Strauch, S. 28, 7 f. 277 Ebd., S. 43, 23 f. 278 Ebd., S. 77, 8 f. Der Freund und Seelsorger, der Margaretha ermuntert, ihre Erfahrungen niederzuschreiben, und als Instrument Gottes auftritt, erhält in den ›Offenbarungen‹ keinen Namen und wird auf seine Funktionen für Margaretha festgelegt. 279 Vgl. ebd., Z. 3–17. 280 Diese Aussage beruht auf einem Topos, der auf Paulus zurückgeht und für die Briefe Heinrichs bereits festgehalten wurde; vgl. Kap. 4, Anm. 55. 281 Strauch, S. 77, 7 f. 282 Ebd., S. 44, 2 f. 283 Acklin Zimmermann, Gott, S. 82. Be´atrice W. Acklin Zimmermann bezieht sich in ihren Beobachtungen unter anderem auf Aussagen des Weiler Schwes-

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nackten Leib eines Mannes, der ganz durchglestig war und in dem sie den Herrenleib erkennt.284 Da, wo in den Briefen Heinrichs vom durchglestigen Licht die Rede ist,285 kann deshalb wohl ebenfalls von einem eucharistischen Kontext ausgegangen werden. Damit legen auch die ›Offenbarungen‹ eine eucharistische Lektüre der Briefe Heinrichs nahe.286 6.4.4 Einzelne Stationen eines gemeinsamen Gesprächs Anhand eines der wichtigsten Themen der ›Offenbarungen‹ können im Vergleich mit den Briefen einige Stationen im Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha aufgezeigt werden. Charakteristisch für Margarethas Werk ist die Spannung zwischen ›Schweigen‹ und ›Sprechen‹ (oder ›Rufen‹).287 Schon in Brief II – also vor der Zeit, in der Heinrich die ›Offenbarungen‹ anforderte –, beginnt er, das Thema von ›Schweigen‹ und ›Sprechen‹ zu erörtern, das das Gespräch zwischen ihm und Margaretha demnach von Beginn an geprägt hat. Heinrich bezieht sich wahrscheinlich auf eine Übung des Schweigens, die Margaretha mit einer Betrachtung der Kindheit Jesu verbindet, wenn er schreibt: geträwestu träu meinü, mich belanget sere ze wiszen, wie din hertz in deiner gotruwiger stille und in deinem heiligen swigen in diesem swigendem kint vernewert sie, wann ich gedenck mir, das es dir gar nottürftig were, das du dein uzer red durch des schwigund kindlins gelassen habist den worten, das dein wol redendu sel und dein lut singender geist und dein hoch begerndes hertz mit dem ewigen wort in kraft des hailigen geistz sich erhöcht [. . .].288

In Brief V nimmt die Intitulatio das Thema des Schweigens wieder auf: Der wol swiginder und doch lut schriender und wol singender in den oren gotz [. . .].289 Hier zielt das, was in Brief II noch einer Frage und einer Aufforderung gleichkam, beim betrachtenden Lesen als Stilisierung Margarethas (gemäss der Funktion der Briefeinleitung) auf eine erhebende Wirkung ab.

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ternbuches, das Lichtspekulationen von Johannes Tauler auf den eucharistischen Vorgang überträgt: ebd., S. 84. Vgl. Strauch, S. 50, 5–13. Zu durchglestig in Brief XI , 37 vgl. Kap. 2.4.1. Zur eucharistischen Deutung der Briefe vgl. v. a. Kap. 5.3. Vgl. dazu Kap. 6.2.5. Z. 3–11, Strauch, S. 170 f. In Brief IV soll die Stille Margarethas Seele dazu verhelfen, dass Gott in ihr Herz den minigklichen hal seins ewigen wortz sprechen könne: Z. 20, ebd., S. 173. Z. 1 f., ebd., S. 176.

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Es darf davon ausgegangen werden, dass Heinrich hier auf einen Diskurs über das rechte Schweigen zurückgreift, den er mit Margaretha und anderen Nonnen führte, und zeigt, wie das behandelte Thema seiner Vorstellung nach in Gott sein Ziel finden kann.290 Damit ist aber das Gespräch über die Spannung von ›Schweigen‹ und ›Sprechen‹ noch nicht zu Ende. In Brief XVII führt Heinrich anhand der Bibelstelle Io 7, 37 im Anschluss an eine von ihm gehaltene Predigt Margaretha in seine eigenen Gedankengänge über das ›Schreien‹ ein:291 bei dem schrei verstan ich einen minenbrinden ernst seiner fur komender begird, in der er [. . .] gerüfet hat seinen in im erwelten kinden, bis er ainen widergal funden hat, uszgenomenlich in deiner wider schrienden sel, nach aller der wis als sein stime lütende ist in dich.292

Gott legt demnach das ›Schreien‹ – ähnlich wie in Brief XI das ›Verlangen‹293 – ins Innere seiner Erwählten, unter denen Margaretha besonders hervorgehoben ist. Weiter schreibt Heinrich: die wil er schwigender reuft, die wil antwurstu im schwigende; nu er lut rüefend ist, nu must du im lut antworden.294 Margarethas Schweigen und Rufen entsprechen also einem inneren Antrieb, den Gott in sie gelegt hat: Ihre Reaktionen sind eine adäquate Antwort auf diesen inneren göttlichen Anruf. Dass hinter Margarethas ›Schweigen‹ und ›Rufen‹ gleichwohl eine für sie schmerzhafte Erfahrung stand, ist aus demselben Brief XVII erkennbar: o liebstü träu minü, la dich nit verdrieszen seiner wunderlichen weisz: er kann verderben und verderren das inerst mark der sel und des gebains, bis usz allem deinen vermügen gezogen wirt in in alle dein kraft, die du von natur und von gnaden gelaisten machest.295

Sofort bindet Heinrich diese Worte aber wieder in seinen eigenen Gedankengang ein: so die sein minender schrai usz dir geschrien hat und es als in sein minendes hertz und sein geschwinden minenden sel verdewet hat, das du in überwunderlicher weisz mer in im dan in dir selben bist, so er dan wil von gnaden und nit von 290 Wie in Brief XI und den meisten anderen Briefen ist auch in Brief V die Einleitung als Wunsch formuliert: [. . .] enbüt ir unwirdiger fründ [. . .]: Z. 4 f., ebd., S. 176. 291 Zu dieser Predigt vgl. Kap. 3.2.2. 292 Vgl. Brief XVII , 43–49, Strauch, S. 198 f. 293 Zur Funktion des ›Verlangens‹ in Brief XI vgl. Kap. 2.4.1. 294 Vgl. Brief XVII , 74 f., Strauch, S. 199. 295 Z. 84–88, ebd., S. 200.

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recht, so formiert er die aller lieblichistü wort in dich und spricht: ›ich enpfinde in meinem hertzen deins durstz, kum zu mir und trinck [. . .]‹.296

Das Rufen Margarethas wird als Ruf einer Liebenden dargestellt, die bereits eins mit ihrem Geliebten ist und weiter nach der unio dürstet. In dieser brautmystischen Interpretation kann darum auch eine Stelle aus Brief XLIX , die sich auf den ersten Blick nicht auf die Problematik ›Schweigen‹ und ›Reden‹ bezieht, dahin gelesen werden: Der wol nistenden turtteltauben in den minenden, bluewenden, berinden wunden irs liebs Jhesu, in den si mit seuftzen singet, das es so hoch erclinget in dem geträwen hertzen Jhesu Christi [. . .].297 In Brief XLIX schliesslich nennt er das Ziel eines Lebens, das sich in der Dialektik scheinbarer Widersprüche bewegt, des innern menschen geistlich himelfart.298 Dazu findet Margaretha nach Heinrich nur über das bewusste äussere Lassen: In der alle creatur ze frid komen sint, wan si mit got vereiniget ist, dar umb si pillich schwigen sol in menchlicher sprach, das si innerlich gemercken und verantwurten kund der himelischen sprach – der enbüit ir eigenen cleiner priester ain ussers vasten und ain inners essen, ein ussers mangeln und ain inners haben, ein ussers truren und ain inners frewen in deinem ainigen lieb Jhesu Christo.299

In diesen Zeilen wird das Kontrastpaar swige – rede bereits als Ausdruck eines geglückten Lebens aufgrund äusserer Disziplin verstanden. Und so beginnt ja Margaretha auch ihre Offenbarungen: mit dem Bericht ihrer mystischen keˆr, die im Lassen des äusseren das Ziel des inneren Lebens erlangt.300 Diesem Vergleich mit den ›Offenbarungen‹ ist zu entnehmen, dass Heinrich in seinen Briefen vor allem grundsätzliche Fragen erörtert und diese einer finalen Perspektive untergeordnet, dagegen weniger Einfluss auf die kon296 Ebd., Z. 88–95. 297 Z. 1–5, ebd., S. 223; vgl. auch Kap. 4, Anm. 123. In dieser Textpassage wird der Versuch fassbar, Margarethas Sprechen von den Stigmata aufzunehmen. Ihr Begehren nach den Wundmalen Christi erhält in Heinrichs Brief eine brautmystische Komponente. 298 Vgl. Kap. 4, Anm. 107. 299 Brief XLIX , 1–7, Strauch, S. 258. In den ›Offenbarungen‹ bezieht sich Margaretha mit folgenden Worten auf Heinrich: der kom über mich und sah mich in den banden ligen, und duht in gros, daz ich as gar aun alle menschlich spise lag, und het mirz gern anders geordent; do was ez mir von got also geben: ebd., S. 60, 3–6. 300 Vgl. Kap. 6.2.1.

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krete Ausgestaltung der Schrift Margarethas genommen hat. Denn in der endgültigen Fassung ihrer ›Offenbarungen‹ wird das hier besprochene Thema von ›Schweigen‹ und ›Sprechen‹ nirgends so wiedergegeben, wie das in den Briefen der Fall ist. Margaretha hat Heinrichs Überlegungen zu ihren Erfahrungen zwar in den Grundzügen übernommen, sie aber anders erarbeitet: Diese werden, über die Struktur des liturgischen Jahres, erzählend behandelt.301 In den Briefen Heinrichs hingegen wird das Kontrastpaar swige – rede selbstverständlicher Bestandteil der darin vorgenommenen Stilisierungen: mit sweigendem mund rett mit dir mein hertz in manger lei weisz und wort und sunderlich in diszer not, in der ich nun bin,302 oder: dein got redender munt machet mich redenlosz.303 Diese Stilisierungen sollen Margaretha und weiteren Leserinnen beim Lesen der Briefe helfen, das zu behandelnde Thema im Lichte Gottes zu meditieren. Die Besprechung des Kontrastpaares swige – rede wäre unvollständig ohne die Beobachtung, dass auch Einflüsse Margarethas auf Heinrich festgehalten werden können. Sie rückt in ihren ›Offenbarungen‹ ›Schweigen‹ und ›Reden‹ in den Kontext der Gefangennahme Christi.304 Wenn die erhaltenen Briefe Heinrichs explizit nicht auf diese biblische Episode Bezug nehmen, er aber nach einem Besuch bei Margaretha meint: als ich bei dir gefangen was, das ich nit getorst gereden mit dir, also bin ich auch gevangen in dem schriben [. . .],305 dann kann davon ausgegangen werden, dass es hier Heinrich ist, der Margarethas Sprechweise übernimmt. In Brief XLVI zitiert er zudem einen Auszug aus dem ›Fliessenden Licht‹, in dem auch das Kontrastpaar swigen – rüffen erscheint,306 um ihr zu zeigen, dass das Leben im Paradox eine in der geistlichen Existenz wichtige Komponente ist. Heinrich hat sich also in der Wahl seiner Lektüre wirklich vom Gespräch mit Margaretha leiten lassen. Margarethas Einfluss auf die Briefe Heinrichs ist demnach bereits von ihren Anfragen her gegeben: Er überdenkt ihre Worte,

301 Die liturgische Einbindung des Gnadenlebens Margarethas könnte mindestens teilweise ebenfalls auf Heinrichs Vermittlung zurückgeführt werden; vgl. etwa Kap. 6.5. 302 Brief LII , 9–11, Strauch, S. 264 f. 303 Vgl. Kap. 5, Anm. 184. 304 Vgl. Anm. 117. 305 Brief XXXVII , 7–9, Strauch, S. 232. 306 Vgl. Z. 50 f., ebd., S. 252. Zu möglichen Gründen der Wahl des ›Fliessenden Lichts‹ als Lektüre für Margaretha vgl. Kap. 5.1.

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sucht Literatur zu den entsprechenden Themen und setzt seine Antworten in den Briefen literarisch um.307 6.4.5 Die ›Offenbarungen‹ als Frucht eines Diskurses Als Bestandteil der cura monialium nahmen die Briefe mindestens zu Beginn der Bekanntschaft Heinrichs und Margarethas eine subsidiäre Rolle zu den persönlichen Zusammentreffen in Medingen ein: In den Briefen wurden Themen des gemeinsamen Gesprächs bewusst schriftlich erörtert, um so der mündlichen Auseinandersetzung eine betrachtende Vertiefung folgen zu lassen. Darüber hinaus fand über die Briefe auch eine Öffnung der besprochenen Themen auf den Konvent von Medingen und auf den Freundeskreis um Heinrich hin statt. In den ›Offenbarungen‹ wird dieser Diskurs indessen oft nur noch in einer narrativen Umsetzung greifbar. So wird der schon mehrmals besprochene Einbezug der Bibelstelle Io 16, 5–14 nicht eigens eingeführt; sie geht in der eigenen Rede auf:308 sunderlichen an sant Dionisien tag do gab er mir unsern herren und schiet sich von mir. Nu enphant ich des tages grosser sunderlicher genade, und do ich da zuo mir selber com, do was er von mir geschaiden, aber ich begert im, daz sich got von siner sel und von sinem herzen nimmer geschaide.309

Mit dem Weggang Heinrichs empfängt Margaretha eine grosse Gnade,310 ganz wie im Evangelium nach dem Weggang Jesu der Heilige Geist zu 307 Das kann am Beispiel einer Urkunde verifiziert werden, die Margaretha einmal im Schlaf erhält und an der vier guldiniu insigel hängen; vgl. Strauch, S. 18, 25. Bereits Philipp Strauch setzt diese Stelle in Verbindung mit den Briefen VI und VII : ebd., S. 327 ad VII , 24. Den Briefen gemäss hat Margaretha zuerst ihre eigene Erfahrung gedeutet und Heinrich diese Auslegung dann schriftlich übermittelt. Das einzige, was er Margarethas Deutung beifügt, ist eine Verknüpfung ihrer Gnadenerfahrung mit den in den ›Offenbarungen‹ wichtigen Themen von rede und nachfolge; vgl. Brief VII , 29–37, ebd., S. 180. Im grösseren Kontext der Nachfolge Christi steht der Empfang der Urkunde (im Schlaf) schlussendlich auch in den ›Offenbarungen‹. Heinrich drängte Margaretha demnach nicht etwa sein eigenes Deutungsmuster auf, sondern brachte ihre Aussagen nur in einen neuen Zusammenhang. 308 Zu dieser Bibelstelle vgl. z. B. Kap. 5.4.2. Eine ähnliche Bedeutung in diesem Diskurs hat auch die Bibelstelle Phil 1, 21–26; vgl. Anm. 280, Kap. 4, Anm. 55 und die lateinischen Einschübe in: Strauch, S. 133, 16–18. 309 Ebd., S. 72, 22 – 73, 3. 310 Heinrich kommt in diesem Werk demnach wirklich jene Rolle zu, um die der Briefwechsel ringt: Er vermittelt auch in seiner Abwesenheit Gnaden; vgl. Kap. 6.1.

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seinen Jüngern kommt. Im Gegensatz zu ihrem Brief ringt sie hier nicht um eine positive Deutung der leiblichen Trennung von ihrem Seelenführer – und muss sich darum auch nicht explizit auf die Passage aus dem Johannesevangelium beziehen: Im ›Modellpaar‹ Margaretha und Heinrich wird anderen Menschen der Gedanke an eine notwendige Trennung von Liebgewonnenem für ein fruchtbares geistliches Leben beispielhaft veranschaulicht.311 Anhand der Briefe kann aber auch gezeigt werden, dass Margaretha Heinrich um Deutungen gebeten hat, die in die ›Offenbarungen‹ konkret aufgenommen wurden. In Brief XIV schliesst er eine Ausführung folgendermassen ab: das sint die wort, der du begertast.312 Jene Worte, um die Margaretha gebeten hat, sind in den vorausgehenden Zeilen festgehalten. Heinrich empfiehlt seine Adressatin in die Minne, in der dein aller liebtz lieb Jesus ewigklich geboren ist usz seinem vetterlichen hertzen; [. . .] in die minen, in der dein lieb komen ist, uszgenomenlich in Marien sel und lieb; in die lieb oder minen, in der dein lieb mensch worden ist und seinem vatter gehorsam gewesen ist bis in den tod; in die minen, in der dein lieb komen ist und immer mer kumt in aller priester hend [. . .]; in die minen, in der dein lieb ie komen ist oder immer mer kumt von angent der welt bis an das end in alle gelaubige, rainü, minenden hertzen und sel in dem hailigen sacrament und in allen gnaden, als er sich den seinen ie geoffenbart hat.313

In den ›Offenbarungen‹ integriert Margaretha diese Worte in eine Betrachtung der Gegenwart Gottes und führt dabei anhand von sechs Punkten aus, wie Gott dem Menschen seine Anwesenheit geschenkt hat. Aufschlussreich für die Beurteilung der ›Offenbarungen‹ sind sowohl die Kürzungen als auch die Ergänzungen, die Margaretha vornimmt. Sie beschränkt sich auf das göttliche Wirken im Leben Christi und der Menschen, während Heinrich seine Minne-Reihe in der Zeit vor der Erschaffung der Welt beginnen und bis an das Ende der Zeiten fortlaufen lässt. Dafür ergänzt Margaretha einen ihrer sechs Punkte mit der für sie typischen Angabe der Jahre des irdischen Lebens Christi, das Margaretha demnach in den Vordergrund rücken will. In diesem Sinne kann sie die Antwort Heinrichs, die in Brief XIV Margarethas Leben jenem ihres ›Geliebten‹ anzugleichen sucht, in ihr Werk integrieren. 311 In Brief XXXIX , der kurz vor dem Beginn der Niederschrift der ›Offenbarungen‹ geschrieben wurde, bittet Heinrich: [. . .] schrib mir sunderlich von der lieblichen und pinlicher schidung, die ich nu von dir tett, und auch von der wandlung, als ich dich bat: Z. 25–27, Strauch, S. 235 f. 312 Brief XIV , 41 f., ebd., S. 192. 313 Z. 16–32, ebd., S. 191. Die ganze Stelle, die als Antwort auf Margarethas Anfrage zu begreifen ist, umfasst die Zeilen 15–41, ebd., S. 191 f.

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In den ›Offenbarungen‹ finden sich damit Gedanken Heinrichs wieder, die umgearbeitet und dem neuen Kontext angepasst wurden. Da Brief XIV wahrscheinlich aus dem Jahre 1334 stammt,314 wurde er ziemlich sicher lange vor der Niederschrift der ›Offenbarungen‹ verfasst. Diese dürften darum aus einem schon länger währenden Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha heraus entstanden sein, das sich darin in der Krankheitsgeschichte Margarethas manifestiert.

6.5 Spuren einer redaktionellen Bearbeitung: Die konkrete Arbeit an Schriften Margarethas Die Lektüre von Brief XI zeigte, dass Heinrich an Briefen Margarethas gearbeitet hat: an deinen minenbrieff han ich ietz etwan lang geschriben begirlich und willigklich; die sient nun schir berait.315 Da Margaretha diese ›Minnebriefe‹ erst mit Brief XV zusammen erreichten,316 mussten sie bei der Abfassung von Brief XIV noch bei Heinrich gewesen sein. Wenn Heinrich in den oben behandelten Zeilen 15–41 dieses Briefes von der liebenden Gegenwart Gottes im Leben eines (die unio anstrebenden) Menschen schreibt, bezieht er sich dabei wahrscheinlich auf den Inhalt der ›Minnebriefe‹. Aufgrund der mit diesen Briefzeilen korrespondierenden Abschnitte aus den ›Offenbarungen‹ kann nämlich angenommen werden, bei der Bezeichnung minenbrieff sei nicht von einer allgemeinen Konnotation des Begriffs ›Minne‹ auszugehen, sondern vom Anknüpfen an die häufige Verwendung des Wortes minne in Margarethas Briefen. Heinrich muss diese schreibend durchgesehen und mit Zusätzen versehen haben, um sich danach in Brief XIV auf eigene Weise zum minne-Thema zu äussern, das von Margaretha vorgegeben war. Auch für die ›Offenbarungen‹, die Margaretha Heinrich ja in einzelnen Abschnitten zusandte,317 kann angenommen werden, er habe sie auf diese Weise durchgearbeitet. Aufschluss darüber können die wenigen lateinischen Sätze oder Ausdrücke in diesem Werk geben. Während sie in einigen Fällen organisch in den übrigen Text integriert wirken,318 fallen sie an anderen 314 Vgl. ebd., S. 331 ad XI , Vorbemerkung. Der Brief dürfte nicht später als 1335 geschrieben worden sein; vgl. ebd. 315 Z. 61–63, ebd., S. 186; vgl. auch Kap. 2, Anm. 60. 316 Vgl. ebd. 317 Vgl. die Einleitung zu Kap. 6.2. 318 Vgl. Strauch, S. 6, 14–16: [. . .] do wart mir in ainem traume zuo gesprochen in

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Stellen durch eine mehr oder weniger mangelhafte Eingliederung auf.319 Bei diesen nicht oder schlecht integrierten lateinischen Einschüben, die nur im dritten Teil der ›Offenbarungen‹ auftreten,320 handelt es sich meist um Bibelzitate oder um solche aus dem Offizium. Fünf Textstellen können genauere Hinweise auf die Funktion dieser lateinischen Einschübe geben. Bei der ersten heisst es: und kum nach der metin as ain fruint (nota, daz was an dem samstag).321 Hier wurde der Text redigiert und zwar nicht, um die Aussage in einen liturgischen Zusammenhang zu bringen, sondern um sie chronologisch richtig einzuordnen, was anscheinend vergessen worden war.322 Nicht vergessen, sondern nachträglich erklärend hinzugefügt wurde ein lateinischer Ausdruck in den Worten: und dar nach do ich entschlief, do waht mich daz minneklich liden mins herren mit ainem geswinden schucz (sagitta acuta) siner minnstral in min herze mit ainem grozzen smerzen.323 Dadurch wurde eine Erfahrung Margarethas an biblisches Sprechen

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ainem licht der vers ›Adorabundt eum omnes reges, omnes gentes servient ei‹. Weitere Stellen: ebd., S. 31, 4; S. 87, 15; S. 99, 25 f. Vgl. ebd., S. 121, 6 f. und S. 123, 1 f. In letzterer Stelle gehen die zwei Wörter hic nota voraus, worauf es heisst: ›De ore prudentis procedit mel‹ etc. et iterum ›Favus distillans‹ etc. Inhaltlich beziehen sich diese Worte auf smak in dem munde des vorausgehenden Abschnitts (ebd., S. 122, 24); sie werden nicht weiter vorbereitet oder wieder aufgenommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Zitat hic nota: ›Heli heili lamah‹ etc. ›Laboravi clamans, rauce facte‹ etc. (ebd., S. 124, 2 f.), dem eine Erklärung in Latein folgt (zur ganzen Stelle vgl. Anm. 328). Strauch schreibt dazu: »Worte des Redactors HvN«: ebd., S. 312 ad 124, 3 ff. In: ebd., S. 125, 27 steht nur nota. Danach folgt eine Anmerkung in deutscher Sprache (vgl. Anm. 321). In: Strauch, S. 131, 4 f. 18 berichtet Margaretha von ›inneren Worten‹, die sie spricht und die niemand hören oder verstehen kann; vgl. ebd., Z. 1 f. Nachdem der Text auf die ›Süsse‹ dieser Stimme in ihrem Munde aufmerksam macht, ohne diese Worte genauer zu umschreiben (vgl. ebd., Z. 2 f.), heisst es gleich anschliessend: nota: ›ego vox clamantis in deserto‹ etc. iterum ›fac me audire vocem tuam, vox tua dulcis‹ etc.: ebd., Z. 4 f. Auch hier sind die lateinischen Anfänge der Bibelstellen nicht in den Fortgang des Textes integriert. Zu weiteren Stellen vgl. ebd., S. 133, 16.17 f.; S. 134, 16 f.; S. 137, 11.16. In der Hs. London, British Library, Add. 11430 sind alle lateinischen Ausdrücke unterstrichen; vgl. Kap. 8.3.1. Strauch, S. 125, 26 f. Für den vorausgehenden Abschnitt vgl. ebd., S. 124, 11: Dar nach an dem fritag von metin biz complet [. . .]; für den nächst folgenden Zeitabschnitt: ebd., S. 127, 17 f.: Und disiu groz unmessig not in pitterm smerzen wert an mir den suntag Judica [. . .]. Ebd., S. 131, 16–19.

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zurückgebunden.324 Wie schon Philipp Strauch vermutet hat, dürfte es sich dabei um redaktionelle Zufügungen Heinrichs handeln.325 Dieser hat den Text wahrscheinlich glossiert, das heisst Gedanken niedergeschrieben, die ihm beim Durchlesen einfielen,326 sowie ja auch die Medinger Nonnen bei ihrer gemeinsamen Lektüre schriftlich festhalten sollten, was sie später als Fragen oder Bemerkungen in das Gespräch mit Heinrich einbringen wollten.327 Für diesen als Verfasser dieser lateinischen und deutschen Zusätze sprechen vor allem zwei längere, lateinische Bemerkungen: hic nota: ›Heli heli lamah‹ etc. ›Laboravi clamans, rauce facte‹ etc. experientiam horum in Cristo pro modulo suo experta est sicut aliquis hominum nunc viventium et tunc petivit gemens et flens hec verba ex profunda humilitate scribi.328

Und im Anschluss an die Worte und ist mir kain stunde as verdrossen as ob dem essen steht: Augustinus ad alimentum sicut ad tormentum ivit et Bernardus similiter.329 Gewiss war nur der Kleriker Heinrich zu diesen Sätzen fähig. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Gedächtnisstützen, die er sich für die mündliche Unterredung mit Margaretha und ihren Mitschwestern angelegt hat.330 Diese Annahme wird durch folgende Briefstelle ge324 Vgl. Prv 25, 18: iaculum et gladius et sagitta acuta homo qui loquitur contra proximum suum testimonium falsum; Ps 44, 6: sagittae tuae acutae. 325 Vgl. Anm. 318. Vgl. dazu auch: Der Seligen Margareta Ebner Offenbarungen, S. 25. 326 Manfred Weitlauffs Ansicht, Heinrich habe korrigierende, wohl nur das Stilistische betreffende Eingriffe angebracht, unterschätzt demnach dessen Aufgabe beim Redigieren der ›Offenbarungen‹: Margareta Ebner, S. 242. 327 Vgl. Kap. 5.2.6. 328 Strauch, S. 124, 2–5: »Hier merke: ›Eli, Eli, lamah‹ etc. ›Ich habe mich abgemüht mit Rufen, (Worte) einer, die heiser geworden ist.‹ etc. Sie hat die Erfahrung jener (Menschen), (die sie) in Christus (gemacht haben), nach ihrer eigenen Art erfahren, wie irgendeiner der jetzt lebenden Menschen, und hat dann unter Stöhnen und Weinen gewünscht, dass diese Worte aus tiefster Demut geschrieben werden.« Ich danke P. Dr. Alois Kurmann für die Übersetzungshilfe. Ob die schwierige Satzkonstruktion auf eine mangelhafte Überlieferung zurückgeht? In der Hs. London, British Library, Add. 11430 ist auch dieser Kommentar unterstrichen: fol. 37r. Eine Unterscheidung zwischen Bibelversen und redaktionellen Einschüben wurde demnach nicht gemacht – oder konnte nicht gemacht werden. 329 Strauch, S. 134, 15–17 und Add. 11430, fol. 39v (dort wieder unterstrichen): »Augustinus begab sich zum Essen wie zur Folter; ähnlich auch Bernhard.« 330 Warum hätte Heinrich auf einem Dokument, das er wie die ›Minnebriefe‹ sicherlich wieder nach Maria Medingen zurückgesandt hat, lateinische Glossen anbringen sollen, wenn sie nicht auch ihm selbst weiterhin zur Verfügung

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stützt, die Heinrich nach dem ersten Eintreffen eines Teils der ›Offenbarungen‹ schrieb: ich getar auch weder dar zu oder dar von gelegen weder in latein noch in tüchtz bis das ich es mit dir überlesz und es ausz dinem mund und ausz dinem hertzen in newer warhait verstand.331 Heinrich hat sich demnach bevorzugt in Latein ausgedrückt.332 Seine lateinischen Bemerkungen hatten das Ziel, Margarethas Erfahrungen literarisch zu stilisieren und an die Tradition mystischen Sprechens anzubinden. Wahrscheinlich hat Heinrich den ganzen Text der ›Offenbarungen‹ mit seinen Notizen versehen, wie er das auch für Margarethas Briefe getan hat. Da die Teile ihrer Aufzeichnungen einzeln bei ihm zur Einsicht eingetroffen sind, kann für den ersten Teil und die Mittelpartie angenommen werden, in ihnen seien die angebrachten Anmerkungen Heinrichs entweder eingearbeitet oder auf das Gespräch mit den Nonnen hin fallen gelassen worden.333 Nur im dritten Teil (und auch dort nur über 17 Seiten der Ausgabe von Philipp Strauch standen? Oder hat Heinrich annehmen können, die lateinischen Bemerkungen, ja ganze Sätze in lateinischer Sprache würden von Margaretha oder sonst einer Schwester im Kloster verstanden? Der Zusatz hic nota (›merke hier‹) könnte ihm und den Nonnen in diesem Falle gleichermassen als Merkhilfe gedient haben. Von den Chorschwestern kann angenommen werden, sie hätten die Psalmen lateinisch gekannt und auch teilweise lateinische Gebete für die Privatandacht benützt; vgl. Peter Ochsenbein, Latein und Deutsch im Alltag oberrheinischer Dominikanerinnenklöster des Spätmittelalters, in: Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500. Regensburger Colloquium 1988, hg. von Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer, Tübingen 1992, S. 42–51, hier: S. 49. Für das Frauenkloster in Engelberg ist aber für das 13. und 14. Jh. bezeugt, dass die meisten Schwestern »die lateinischen Anweisungen nicht vollumfänglich verstehen« konnten, weswegen die wichtigsten ins Deutsche übersetzt wurden; vgl. Peter Ochsenbein, Lateinische Liturgie im Spiegel deutscher Texte oder von der Schwierigkeit vieler St. Andreas-Frauen im Umgang mit der Kirchensprache im Mittelalter, in: Bewegung in der Beständigkeit. Zu Geschichte und Wirken der Benediktinerinnen von St. Andreas/Sarnen Obwalden, hg. von Rolf De Kegel im Auftr. des Benediktinerinnenklosters St. Andreas/Sarnen Obwalden, Alpnach 2000, S. 121–130, hier: S. 122. Es ist auch für die Schwestern in Medingen zumindest nicht davon auszugehen, dass sie das Latein als Kommunikationsmittel verwendet haben; vgl. Kap. 7.5.2. 331 Brief XLI , 15–18, Strauch, S. 240. 332 Zu lateinischen Sätzen in den Briefen vgl. Kap. 3, Anm. 101 und Kap. 4, Anm. 34. 333 Ob im Verlaufe dieser Gespräche auch über eine Straffung des doch eher langatmigen Werkes gesprochen wurde? Zumindest hat Margaretha zu viele Wiederholungen als überflüssig angesehen: [. . .] as ich ez vor gescriben han und betiutet; dar umb kürcz ich ez nu: Strauch, S. 127, 22 f.

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hinweg) befinden sich diese in den Text nicht integrierten Glossen, die wohl als Grundlage für Übersetzungen und Paraphrasen gedacht waren.334 Bei der Endredaktion der ›Offenbarungen‹ wird für einen bestimmten (ursprünglich wahrscheinlich separat gesandten) Abschnitt des dritten Teiles eine Nachlässigkeit unterlaufen sein. Schon die Medinger Handschrift M aus dem Jahre 1353 integriert die Glossen des dritten Teils in den Text, die ursprünglich vermutlich zwischen den Linien oder am Seitenrand standen.

6.6 Contemplata aliis tradere: Rezeption eines kontemplativen Lebensentwurfes Die längste lateinische Passage der ›Offenbarungen‹335 setzt Margarethas Beten jenem ihres Herrn gleich und erhellt ihr Leiden mit Worten aus der Passion Christi. Die Angleichung von Margarethas Leben an das irdische Leben Christi war eine zentrale Komponente im Gespräch zwischen Margaretha und Heinrich, ja die Frage nach dem Sinn des Leidens hat grundsätzlich den mystischen Diskurs bestimmt, der im Freundeskreis um Heinrich geführt wurde. Das Ziel des Priesters war es – davon zeugen die Briefe an Margaretha –, die Leiden ihm nahestehender Menschen als Durchgang auf dem Weg der Rückkehr zu Gott darzustellen. Die Briefe vermittelten dabei einem Gottesfreund Einsichten in einzelne Stationen der cura monialium Heinrichs im Kloster Medingen und die Möglichkeit, diese Einblicke auf das eigene Leben hin zu meditieren. Das ›Mystische‹ an diesem literarisch gefassten Dialog zwischen Margaretha und Heinrich ist die menschliche Bestimmung, mit dem Göttlichen eins zu werden. Der Aufstieg zu Gott war für die Medinger Nonnen und für den Freundeskreis um Heinrich in der Nachfolge der Menschheit Christi gegeben, die Heinrich im Erleiden der Krankheit Margarethas vorbildlich verwirklicht sah und die er deshalb in den ›Offenbarungen‹ literarisch veranschaulicht haben wollte. Die ›Offenbarungen‹ Margarethas und der früher einsetzende Briefwechsel mit ihr gaben aber nicht nur ein Exempel gottgefälligen Leidens. Vielmehr wurden die Leserinnen und Leser konkret in den Prozess der Begnadung Margarethas hineingenommen: Das Lesen dieses kontemplativen Lebens334 In den ›Offenbarungen‹ werden Bibelstellen sonst vorwiegend in Deutsch wiedergegeben oder sogar nur paraphrasiert: Ebd., S. 33, 15 f.; S. 59, 16 f.; S. 76, 23 f.; S. 87, 1 f.; S. 116, 3 f.; S. 144, 21–25; S. 149, 25 – 150, 1. 335 Vgl. Anm. 328.

Rezeption eines kontemplativen Lebensentwurfes

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entwurfes war für sie Teil einer eigenen Erneuerung, der Ort der Umsetzung dieser mystischen Texte der konkrete Alltag. Da die Krankheitsgeschichte Margarethas in einen liturgischen und damit heilsgeschichtlichen Rahmen eingebettet ist, will deren meditative Lektüre in eben diese religiös bedingte Wirklichkeit führen: Die Leserinnen und Leser waren aufgefordert, sich wie Margaretha über die eigene Selbsterkenntnis von der Welt weg zu Gott hinzuwenden und immer neu den Weg der conversio in der Nachfolge Christi zu beschreiten. Dies dürfte in der Realität geheissen haben, die eigene Sündhaftigkeit einzugestehen336 und sich über das Lesen mystischer Literatur und die (geistliche) Kommunion Gott zuzuwenden. Dabei sollte Margarethas stilisiertes Leben zunächst ihren Mitschwestern das Ideal einer in der Abgeschiedenheit der Klausur und im Gebet verharrenden Nonne nahebringen.337 Zugleich gab der literarische Entwurf Margarethas in den unsicheren Zeiten des Interdikts dem Freundeskreis um Heinrich die Heilsgewissheit, dass die Gottesbegegnung für sie auch ausserhalb der Sakramente möglich sei. Denn Margaretha lebte in ihrer Krankheit lange Zeit getrennt vom Herrenleib und musste allein aus der Sehnsucht nach diesem leben. Das Verlangen nach einem Leben in Gott hielt in seiner literarischen Konkretisierung der ›Offenbarungen‹ – und der Briefe Margarethas und Heinrichs338 – ein Netz an Freundschaften zusammen, das im Alltag Sicherheit erfahren und die Fürbitte Margarethas erhoffen liess. In diesem Freundeskreis kam Margaretha – literarisch und real – eine besondere Rolle zu, ihr stilisiertes Leben wurde gleichsam zum Modell der rechten Gottesfreundschaft.339 Die Anstösse zu den ›Offenbarungen‹ (wie auch zu den 336 Die ›Offenbarungen‹ können auch unter dem Blickwinkel der Beichte oder der Busse gelesen werden. Durch die Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit, das Loslassen von verkehrten Bindungen an die Welt und mit Hilfe der Gnaden, die dem Kreuzestod Christi entspringen, erfährt Margaretha im Rahmen der Fastenzeit wahre Umkehr und die Heilsgnade von Ostern. Hugo von Trimberg, der in seinem Werk ›Der Renner‹ die Heilsgeschichte vom Sündenfall her erzählt, gibt als Heilmittel für bussfertige Menschen neben Fasten, Gebeten und Almosen die Begriffstriade Reue, Beichte und Busse an; vgl. Günther Schweikle, Hugo von Trimberg, in: 2VL 4 (1983), Sp. 268–282, hier: Sp. 272. 337 Im Vergleich mit dem BdeW wurde in Kap. 4.4.4 von der Innerlichkeit als einem Ziel der Briefe gesprochen. Zur Funktion Margarethas als Exemplum in den Briefen Heinrichs vgl. Kap. 5.2.5. Zur Funktion des Konvents in den ›Offenbarungen‹ vgl. Kap. 6.4.3. 338 Zu den Funktionen der Briefe, Heinrichs Freundeskreis untereinander zusammenzuhalten und ihnen Sicherheit zu geben, vgl. Kap. 5.4.2. 339 Vgl. auch ebd.

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Briefen) dürften daher tatsächlich vom Kloster Medingen und vom Freundeskreis um Heinrich ausgegangen sein:340 Ihnen wurde über den literarischen Weg ein kontemplativer Lebensentwurf vermittelt. Damit hat Heinrich zusammen mit Margaretha und ihren Mitschwestern exemplarisch eine Lebensregel umgesetzt, die Thomas von Aquin ein Jahrhundert früher im Medikantenstreit prägte: Contemplata aliis tradere.341

340 Zur Annahme, die Briefe und die ›Offenbarungen‹ seien als Antwort auf den Wunsch eines grösseren Publikums zu verstehen, vgl. ebd. 341 Vgl. Wehrli-Johns, Das Selbstverständnis des Predigerordens, S. 244 f. Der Predigerorden und die Franziskaner mussten dafür kämpfen, als Ordensleute nicht nur den Mönchen zugeordnet, sondern auch als Prediger akzeptiert zu werden. Thomas verteidigte das Ideal dieser vita mixta. Ursprünglich wurde unter der Fülle der Kontemplation das Studium der praktischen und spekulativen Theologie verstanden, welche die Voraussetzung für Predigt und Instruktion über die Mysterien des Glaubens und die Vollkommenheit des christlichen Lebens schufen, was vorweg Aufgabe des Bischofs war; vgl. ebd., S. 243 f.

7 Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs von Nördlingen Indem der schriftliche Dialog der Briefe Heinrichs an Margaretha in den letzten Kapiteln auf den Diskurs mit dem Konvent von Medingen und dem Freundeskreis Heinrichs hin geöffnet wurde, konnten jene Lebenswelten einbezogen werden, in denen diese Briefe und die ›Offenbarungen‹ Margarethas entstanden sind und für die sie bestimmt waren. Diese Lebenswelten lassen sich über die persönlich gehaltenen Briefteile konkreter erschliessen.1 In ihnen wird ein literarischer Austausch fassbar, der den Freundeskreis Heinrichs wesentlich aufbaute und zusammenhielt und in denen eben dieser Freundeskreis deutlichere Konturen annimmt. Anhand der Lebensstationen Heinrichs zwischen 1332–1350 wird in diesem Kapitel versucht, die Briefe auf deren gesellschaftliche Relevanz hin zu erschliessen. Auch wenn hier vieles thesenhaft bleibt, kann folgende Untersuchung dennoch Einsichten in das literarische Leben im Umfeld Heinrichs von Nördlingen geben.

7.1 Der Ruf Heinrichs als gelehrter Nonnenseelsorger In der Forschung wurde immer wieder auf das weit gespannte Beziehungsnetz Heinrichs hingewiesen.2 Da Heinrich kein Ordensmann war, wird er meist einfach ›Weltpriester‹ genannt,3 und seine vielen Reisen trugen ihm das Prädikat ›Wanderprediger‹ ein.4 Damit ist aber noch nichts Konkretes über seine Arbeit gesagt. Es soll darum zunächst die Frage gestellt 1 Die persönlichen Nachrichten wurden in dieser Arbeit aufgrund der Neubewertung der Briefe durch Debra L. Stoudt bis jetzt möglichst ausgeklammert, um das Augenmerk auf die Hauptteile der Briefe zu lenken; vgl. Kap. 1.3.4. Persönliche Nachrichten müssen in den Briefen dessen ungeachtet nicht notwendig im Schlussteil stehen; vgl. ebd. 2 Vgl. in einer neueren Arbeit: Thali, Beten, S. 40, Anm. 103. 3 Vgl. bereits bei Strauch, S. XXXIX . 4 Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 133.

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werden, in welcher Funktion und wozu Heinrich überhaupt soviel unterwegs war. In den Briefen Heinrichs fallen vor allem dessen Beziehungen zur Zisterzienserabtei Kaisheim auf. Neben Abt Ulrich II . Zoller von Kaisheim5 wird besonders dessen Nachfolger Ulrich III . Niblung erwähnt, der Heinrich meister Hainrich6 nennt und der mit diesem zusammen Margaretha in Medingen besuchte. Heinrich stand daneben in Verbindung mit zwei weiteren Brüdern dieser Abtei: pruder Ulrich grüszent mir us geträwem hertzen und sprechent zu im, das er mir schrib, wie er all ding müg, als er mir gelobt hat.7 Ausser diesem Bruder Ulrich wird ein Bruder Konrad genannt, dem die Briefe eine grosse Verbundenheit mit Heinrich attestieren: aber enpfilh ich dir pruder Conraht, und la dir enpfolhen sein das er dir in got enpfelh, wan er ist meins hertzen insigel von jugent geweszen.8 Für den anonymen Autor von Brief LXIV , der in Kapitel 5.4.4 in die Überlegungen zu den Briefen Heinrichs einbezogen wurde, geht Philipp Strauch von einem 5 Vgl. Brief XXIII , 5, Strauch, S. 206. Abt Ulrich II . leitete die Abtei von 1321– 1340; vgl. Birgitt Maier, Kloster Kaisheim. Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Zisterzienserabtei von der Gründung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte. Reihe 1: Studien zur Geschichte des Bayerischen Schwabens. Bd. 25), Augsburg 1999, S. 140 f. 6 Brief LXII , 12 f., Strauch, S. 274. Abt Ulrich III . war Abt von 1340–1360; vgl. Maier, Kaisheim, S. 140 f. Seine Amtsübernahme ist nicht leicht festzulegen, da er den gleichen Vornamen wie sein Vorgänger trug und die damaligen Urkunden nur die Vornamen angeben; vgl. ebd., S. 140. Von Abt Ulrich III . sind uns die Briefe LVIII−LXII an Margaretha erhalten; vgl. Strauch, S. 271–275. Zu diesen Briefen vgl. Kap. 8.1.6. 7 Brief III , 41–43, Strauch, S. 173. Heinrich grüsst diesen Bruder auch noch viele Jahre später in Brief XLIV , 67, ebd., S. 249; er dürfte darum nicht mit Abt Ulrich III . identisch sein. 1348 amtete in Kaisheim als Prior »Ulrich gen. Hofmair«, der zuvor Subprior war: Maier, Kaisheim, S. 150. 8 Brief XXXVII , 32–34, Strauch, S. 233. Weitere Nennungen Konrads: pruder Chonrat und ich komen von gschicht am samstag gen Norlingen: Brief XXIV , 21 f., ebd., S. 207. Dieser Konrad könnte zudem der Überbringer von Brief XXXVII gewesen sein: ich enphilh dir an meiner stat in got meinen hertzenlieben pruder in got, der dir diesen brief antwürt: Brief XXXVII , 21–23, ebd., S. 232. Konrad wird zudem auch in Brief XXXVIII , 37–39, ebd., S. 234 erwähnt. In Brief XLV wird den Schwestern von Medingen der Rat desselben Bruders empfohlen: Z. 27 f., ebd., S. 250. Urkundlich wird in Kaisheim 1340 der Konverse Conrad von Lierheim als Propst genannt, 1356 ein Chunrat im selben Amt für die Propstei Ries, von 1332–1340 Prior Konrad und 1340 der Zellerar Conrad der Glett; vgl. Maier, Kaisheim, S. 148, 150 und 151.

Der Ruf Heinrichs als gelehrter Nonnenseelsorger

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Priester aus, der zu den Schwestern im Verhältnis eines Beichtvaters gestanden habe9 und wahrscheinlich Mitglied der Abtei Kaisheim gewesen sei.10 Wenn es sich wirklich um einen Kaisheimer Bruder handelt, dann vielleicht um Bruder Ulrich, für den in Brief III eine Briefkorrespondenz mit Heinrich erwähnt wird, wie sie Brief LXIV voraussetzt. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass im 14. Jahrhundert Zisterzienser die Seelsorge bei Dominikanerinnen übernommen haben. Eher dürfte Brief LXIV ein Hinweis auf einen weiteren Weltpriester sein, der in Medingen die Funktion eines Kaplans, Frühmessers oder Beichtvaters innehatte und über den Heinrich auf Margaretha aufmerksam gemacht wurde.

Heinrichs Verbundenheit mit den Zisterziensermönchen schlägt sich vermutlich auch in seinen zahlreichen Besuchen von Frauenklöstern in der näheren und weiteren Umgebung von Kaisheim nieder, die er immer im Zusammenhang mit ihm dort bekannten Personen erwähnt.11 Angeführt werden in seinen Briefen, neben den Konventen der Dominikanerinnen zu Medingen und Engelthal,12 die Zisterzienserinnenklöster Zimmern,13 Niederschönenfeld14 und Oberschönenfeld,15 die Klause in Höchstädt16 und das 9 Brief LXIV , 13, Strauch, S. 277: Disen brief haben wir dir und unsern kindern in eins geschriben [. . .]. 10 Vgl. ebd., S. 399 f., Vorbemerkung. Der Autor kann nicht dem Dominikanerorden angehört haben, da er vom selgeret ewers vatters sant Dominicus spricht: Brief LXIV , 16 f., ebd., S. 277. 11 In Zimmern trifft Heinrich Ellin von Crewelsheim (vgl. ebd., S. 337 ad XVI , 63) und pflegt mit den dort lebenden drei Töchtern der Nördlingerin Ofim Frickin gute Beziehungen (vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 134). In der unweit von Medingen gelegenen Klause Höchstädt kennt er die Klausnerin Anna (vgl. Anm. 16), in der Abtei Niederschönenfeld bittet er zwei Nonnen um Hilfe bei der Übernahme der Pfarrei von Fessenheim (vgl. Strauch, S. 347 f. ad XXV , 26), er steht in Beziehung zu Christine Ebner im Kloster Engelthal (vgl. ebd., S. 351 ad XXVI , 21), kennt die Benediktinerin Irmel in Hohenwart (vgl. Anm. 17) und berichtet von einem Konrad, der Geld von Medingen aus nach Oberschönenfeld bringen soll (vgl. Anm. 15). 12 Zur Erwähnung Christines von Engelthal vgl. Brief XXVI , 21, Strauch, S. 210. 13 Brief XVI , 63 f., ebd., S. 196: [. . .] die sant mir got zu ze Zimmern. 14 Brief III , 36 f., ebd., S. 172: mir hat auch Irmel nitzt geseit von Schönenvelt. Brief XXV , 24, ebd., S. 208: ich was nun am donerstag und am freitag ze Schönenfeld. 15 Brief LXV , 23–25, ebd., S. 280: das euch Conrath von v gulden sag, die gen Obernschonenvelt hörent, das gelobent im. 16 Brief XXIV , 30 f., ebd., S. 207: Ein tischlach gab mir Anne, der closznerin schwester ze Hochsteten. »In Höchstädt [. . .] war ein Frauenkloster zur Klause, welches, wahrscheinlich aus einem alten Beguinenhause hervorgegangen, später die Regel des h. Augustin befolgte. Über die Zeit vor dem 16. Jahrhundert fehlen uns Nachrichten«: ebd., S. 346 f., ad XXIV , 30 f.

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Benediktinerinnenkloster Hohenwart.17 Aufgrund der Erwähnung dieser Klöster kann gesagt werden, Heinrich habe in seiner Heimat zuerst hauptsächlich zu Mitgliedern der Mönchsorden (Benediktiner und Zisterzienser) engere Beziehungen gepflegt,18 auch wenn in seinen Briefen mehr von Dominikanerinnen die Rede ist: In einigen Zisterzienserinnenklöstern nahm er im Auftrag der Äbte von Kaisheim anscheinend die Aufgabe eines Klosterkaplans wahr.19 Die erwähnten Zisterzienserinnenklöster wurden der »Paternität von Kaisheim« unterstellt: Zimmern östlich von Nördlingen 1245, Niederschönenfeld östlich von Donauwörth um 1240/41 und Oberschönenfeld südwestlich von Augsburg ca. 1247/48.20 »Für alle Klöster ist aus den Urkunden zu erkennen, dass ein recht enges Verhältnis zu Kaisheim bestanden hat.«21 Möglicherweise hatten die Äbte von Kaisheim Heinrich auch die Zisterzienserinnenklöster Kirchheim am Ries in der Nähe von Nördlingen und St. Agnes in Lauingen unweit von Medingen zur seelsorgerischen Betreuung empfohlen.22

17 Brief LI , 88–90, ebd., S. 263: gib durch got und durch mein bet Irmeln von Hohenart deiner alten röck ainen. »Seit der zweiten Hälfte des 11. Jhs. bis in den Anfang des unserigen bestand das Benedictinernonnenkloster Hohenwart [. . .]«: ebd., S. 388, ad LI , 89. 18 Diese Feststellung hat sich wahrscheinlich in seiner Auswahl mystischer Literatur niedergeschlagen, etwa für das ›Fliessende Licht‹ und den ›Liber specialis gratiae‹, die beide aus dem Zisterzienserinnenkloster Helfta stammten. 19 Die cura monialium in einem Zisterzienserinnenkloster wurde häufig durch Weltpriester ausgeübt, die vom »Weisungsabt« dazu autorisiert wurden: Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 234 f. Auch für den Dominikanerorden wird davon ausgegangen, die Seelsorge in einigen Konventen sei an ordensfremde Priester, an Klosterkapläne, delegiert worden; vgl. Bürkle, Literatur, S. 91. Bürkle führt auf der gleichen Seite aus, dass Klosterkapläne ursprünglich als Entlastung, dann aber bald »als Ersatz für Ordensbrüder fungierten«. Wenn Marie-Luise Ehrenschwendtner meint, Heinrich sei nicht als Klosterkaplan aufgetreten, dürfte sie bei dieser Bezeichnung an einen ständig im Kloster ansässigen Weltpriester gedacht haben: Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert (Contubernium 60), Stuttgart 2004, S. 247. Heinrich wird hier gleichwohl als ›Klosterkaplan‹ bezeichnet, weil er regelmässig in Klöstern im Dienst der cura monialium unterwegs war. 20 Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 242. 21 Ebd. 22 Vgl. Arnold Schromm, Die Bibliothek des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Kirchheim am Ries. Buchpflege und geistiges Leben in einem schwäbischen Frauenstift (Studia Augustana 9), Tübingen 1998, S. 73.

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Das Beispiel der Abtei Niederschönenfeld zeigt, dass Heinrich Zugang zum Sprechzimmer des Klosters hatte und mehrere der Nonnen persönlich kannte, was diese Begegnungen aus dem Rahmen der gewöhnlichen Beichtseelsorge heraushebt: da ward ich lieblich enpfangen von dinen lieb, und hond mir gelobt baid swester, das sie mich fürder wellen mit gantzen träwen an miner kirchen ze Fessenhein, die mir verlichen ist [. . .].23 Gemäss der Angabe von dinen lieb, die sich auf Margaretha bezieht, bestanden über die Ordensgrenzen hinaus freundschaftliche Beziehungen unter den Klöstern. So liess Heinrich von der Klause in Höchstädt Margaretha eine Tischdecke zukommen, für eine Benediktinerin aus Hohenwart bat er um einen Rock Margarethas und für das Kloster Oberschönenfeld tätigte er Geldgeschäfte, von denen er Margaretha berichtete.24 Da die Briefe für einige der genannten Klöster einen regen literarischen Austausch bezeugen, der von Heinrich massgeblich gefördert wurde, darf angenommen werden, er habe sich in allen Klöstern für die dort vorhandene ›geistliche Minneliteratur‹ interessiert und diese den Nonnen auch vermittelt. Die Nonnenklöster wurden nicht immer von den gelehrtesten Predigern aufgesucht und waren schon darum auf geistliche Literatur angewiesen.25 Vor allem Lesepredigten gehörten »zur bevorzugten Lektüre der Nonnen während der collatio und Tischlesung«.26 Was hier für die cura monialium über ›literarische Predigten‹ gesagt wird, kann aufgrund der vorausgegangenen Kapitel auch allgemeiner ausgedrückt werden: Die Seelsorge an Nonnen war nicht unwesentlich eine literarische Angelegenheit.27 Das setzte voraus, dass die Seelsorger um geeignete Literatur wussten und auch in deren Besitz gelangen konnten. Das »unruhige Wander23 Brief XXV , 25–28, Strauch, S. 208 f. Als weiteres Beispiel kann die Erwähnung der Zisterzienserin Ellin von Crewelsheim aus Zimmern dienen, deren Leiden Margaretha beispielhaft vor Augen geführt wird; vgl. Brief XVI , 63–78, ebd., S. 196 und Kap. 8.1.5. 24 Vgl. Anm. 15–17. 25 Vgl. Bürkle, Literatur, S. 87. Ebd., S. 94 f.: »[. . .] es ist vielmehr anzunehmen, dass bei den Landklöstern [. . .] die reguläre pastorale Betreuung nicht ausschliesslich, aber weitgehend den oft aus der näheren Umgebung stammenden weltgeistlichen Kaplänen überlassen wurde.« 26 Ebd., S. 89. 27 Vgl. Scheeben, Über die Predigtweise, S. 108. Scheeben stellt dort allgemein die Frage, ob die Mystik des 14. Jh.s nicht »im wesentlichen eine literarische Angelegenheit und weniger praktische Mystik im theologischen Sinne« sei. Vgl. dazu auch Bürkle, Literatur, S. 89, Anm. 114.

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leben«28 Heinrichs war für seine Suche nach geeigneter Literatur eine vorteilhafte Voraussetzung. Eine Ausnahmeerscheinung war Heinrich viel eher hinsichtlich seiner Bildung und seiner seelsorgerlichen Talente.29 Er schrieb wahrscheinlich bevorzugt lateinisch, nahm Übersetzungen vor, beschäftigte sich mit anspruchsvoller theologischer Literatur und konnte einige Männer seine Schüler nennen; auch bezeugen ihn seine eigenen Briefe als guten Prediger.30 Wie weit Heinrich dafür in Kaisheim geschätzt war, zeigt ein Brief aus dem Jahre 1338: [.. .] do sant mir mein here der apt von Kaiszhem sein brief, das ich nit liesz, ich kem an dem mitwochen zu im ze Kaishem [. . .]. ich wen, es si umb ein kirchen; doch waisz ichs nit für war.31 Nach seiner Rückkehr von Kaisheim schreibt Heinrich Margaretha, Abt Ulrich II . habe ihm die Pfarrei Fessenheim angeboten, »wo das Kloster Kaisheim seit 1328 über das Patronatsrecht verfügte«.32 Nicht der Streit, der danach um diese Pfarrei entbrannte und weswegen Heinrich nach Niederschönenfeld reiste, soll hier Gegenstand des Interesses sein,33 sondern die Tatsache, dass der Abt von 28 Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 136. 29 Vgl. Kap. 7.5.1. 30 Die lateinischen Glossen in den ›Offenbarungen‹ Margarethas stammen vermutlich von Heinrich; vgl. Kap. 6.5. Zur Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ ins Alemannische vgl. Kap. 7.5.3, zum Werk des Thomas von Aquin in den Briefen Heinrichs Kap. 7.5.1. In Brief X schreibt Heinrich von seinem ›Schüler Johannes‹; vgl. Kap. 2.1. Es ist dabei nicht auszumachen, ob dieser sein Privatschüler war, dem er eventuell Latein beizubringen hatte, oder ob Heinrich Lehrer einer Schule war, etwa in Nördlingen. Von Schülern spricht er u. a. auch in den Briefen XXXIII , 38 und 113 f., Strauch, S. 220 und 222 und XXXVII , 27 f., ebd., S. 232. Da Heinrich, als er Brief XXXVII schrieb, bereits Kaplan zu St. Peter war (vgl. Kap. 7.4), könnte er Lehrer an der dortigen Stiftsschule gewesen sein. Zu Heinrichs Beliebtheit als Prediger vgl. ebd. 31 Brief XXIII , 4–10, Strauch, S. 206. 32 Vgl. Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 246. Zur Briefstelle vgl. Anm. 23. Kaisheim erhielt das Patronatsrecht von den Grafen Ludwig VIII . und Friedrich II . von Öttingen, die beide Anhänger Kaiser Ludwigs des Bayern waren; vgl. Georg Grupp, Aus dem religiösen Leben des Rieses im Mittelalter. Teil 1, in: JbHVNördlingen 7 (1918/19), S. 6–24, hier: S. 16. 33 Die Grafen von Öttingen sahen für Fessenheim anscheinend einen anderen Pfarrer vor, was zu Spannungen mit Kaisheim führen musste. Noch Jahre später schrieb Abt Ulrich III . von Kaisheim an Margaretha über Streitigkeiten mit denen von Öttingen: ich lasz euch auch wissen, das unsz von unsers closter wegen vil stösz und schaden ist an gangen [. . .] besunder von den von Ottingen. die hant sich gar veintlichen und schadlichen gen unsz gestellete: Brief

Das Kloster Medingen im Zentrum der Briefsammlung

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Kaisheim ihn zum rector ecclesiae von Fessenheim vorsah, ihm also diese Pfründe verschaffen und so seine Anerkennung ausdrücken wollte. Heinrich war in Kaisheim und in dessen Umfeld aufgrund seiner vielseitigen Begabungen angesehen, was ihm später auch Einlass in dominikanische Konvente verschaffte.34

7.2 Das Kloster Medingen im Zentrum der Briefsammlung Im Mittelpunkt der Briefe Heinrichs steht Margaretha Ebner und mit ihr das Kloster Maria Medingen, das 1246 vom Grafen Hartmann von Dillingen und Kyburg gegründet wurde und vermutlich unter dem Einfluss der Predigerbrüder von Augsburg in einem heute nicht mehr bekannten Jahr zum Dominikanerorden kam.35 1309 wurde das Kloster der Schirmvogtei des Bischofs von Augsburg entzogen und von König Heinrich VII . unter den Schutz des Reiches gestellt; Ludwig der Bayer erneuerte im Jahre 1330 dieses Privileg.36 Die Seelsorge in Medingen oblag den Dominikanern: »Predigerbrüder sollen den Schwestern Beichte hören und ihnen die Sakramente LIX , 4–8, Strauch, S. 272. Heinrich erhoffte sich wohl beim Besuch der beiden Nonnen (vermutlich der beiden »Gräfinnen Elisabeth und Anna von Graisbach«) Unterstützung: Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 137; vgl. dazu auch Anm. 11. Zum archivarischen Nachweis dieser Nonnen vgl. Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 247, Anm. 38. Der Streit um Fessenheim legte sich erst 1345: Es ist auch mein widersach bei mir ze Baszel geweszen und hat mir diemutigklich mein kirchen uf geben und die brief dar uber und vert mit dem von Otingen gen Avion und begert gnaden: Brief XL , 97–100, Strauch, S. 239. Als Kirchherr von Fessenheim wird ab 1337 Johannes von Ehingen genannt; vgl. Maier, Kaisheim, S. 278 f. 34 »Jedenfalls scheint er bereits im Ruf eines Nonnenseelsorgers von aussergewöhnlicher Spiritualität und Einfühlsamkeit gestanden zu haben, als er [. . .] nach Maria Medingen kam«: Weitlauff, Heinrich von Nördlingen, Sp. 846. Eine Verbindung zwischen Kaisheim und Medingen könnte Brief LXIV gemäss über die von Heinrich viel gewürdigte Ofim (Eufemia) Frickin gegeben sein, deren drei Töchter in dem unter Kaisheim stehenden Kloster Zimmern lebten (vgl. Anm. 11). Der unbekannte Autor von Brief LXIV schreibt: ich beger auch, das ir sendet nach der geträwen nachfolgerin unsers heren Jhesu Christi der Frickin, und was si mir wolt schriben, das schriben mir: Z. 34–36, Strauch, S. 278. Die Medinger Schwestern scheinen demnach für die Frickin Briefe geschrieben zu haben. Es wäre möglich, dass Heinrich Ofim Frickin über Margaretha kennenlernte. Weiter zu Ofim Frickin vgl. Kap. 7.7. 35 Vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 10. 36 Vgl. ebd., S. 19.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

reichen. Damit die Patres aber nicht ›stettigs‹ in einem Kloster zu bleiben genötigt sind und der Mangel an einem Priester vermieden werde, sollen ›etliche gelerte und verstendige Capellani‹ für den Fall der Not beauftragt werden.«37 Wie für die Klöster der Zisterzienserinnen dürfte Heinrich auch für die Dominikanerinnen von Medingen ein solcher ›gelehrter‹ und ›verständiger‹ Kaplan gewesen sein, der den Nonnen in der cura monialium zur Seite stand. Die enge Beziehung Heinrichs zur Kommunität von Medingen zeigt sich vor allem in seiner vertrauten Beziehung mit einzelnen Nonnen. Diese stammten – wie all ihre Mitschwestern – aus den höheren Kreisen der Gesellschaft.38 Neben Margaretha Ebner erwähnt Heinrich in seinen Briefen Margaretha von Augsburg,39 der er Gebete zusendet und die wohl Priorin war,40 die Nonnen Scharenstetten,41 (Elsbeth?) von Hochstetten42 und vor allem immer wieder Elsbeth Scheppach, die 1338 das Amt einer Schaffnerin und seit 1345 jenes der Priorin bekleidete.43 Der einzige Brief, der uns von Johannes Tauler überliefert ist, richtet sich zugleich an Elsbeth und Margaretha.44 Das könnte damit erklärt werden, dass die Priorin erwartungsgemäss Ansprechpartnerin für Aussenstehende war, zumal Tauler dem Kloster Käse als Vorfastenspeise zukommen liess.45 Doch Abt Ulrich III . von Kaisheim, der wie Tauler Margaretha in Medingen aufsuchte und Elsbeth gekannt haben muss,46 erwähnt diese ebenso wenig wie der Brief Margarethas zum 37 Ebd., S. 77. Maria Medingen wurde zunächst von Augsburger, später von Ulmer Dominikanern betreut; vgl. Bürkle, Literatur, S. 95. 38 Vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 79. Jedelhauser zählt hier »Grafen-, Beamten(Ministerialen-) oder angesehene Patrizierfamilien« auf. »Jede Eintretende musste soviel Vermögen mitbringen, dass ihr Lebensunterhalt davon bestritten werden konnte [. . .]«: ebd., S. 80. 39 Vgl. Anm. 60 und 61 und Brief XX , 13, Strauch, S. 203. 40 Vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 97. 41 Zur Nonne Scharenstetten vgl. Strauch, S. 321 ad I , 40. 42 Zur Nonne von Hochstetten vgl. Kap. 5.2.8. 43 Vgl. Strauch, S. 321 ad I , 40. Die Schaffnerin war für den Wirtschaftsbetrieb zuständig und tätigte die Einkäufe und Ausgaben des Klosters; vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 82. 44 Vgl. Brief LVII , 1 f., Strauch, S. 270 f. 45 Vgl. ebd., Z. 9–12. 46 Vgl. Kap. 7.1. Beziehungen zwischen Margaretha und dem Kloster Kaisheim waren über ihre mutmassliche Tante und Mitschwester, Katharina von Hochstetten, gegeben, die mit ihren Kindern zusammen einen Hof an das Kloster Kaisheim verkaufte, wobei Hartmann Ebner, der möglicherweise der Bruder Margarethas war, als Bürge fungierte; vgl. Strauch, S. 328 f. ad IX , 52.

Das Kloster Medingen im Zentrum der Briefsammlung

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Goldenen Ring.47 Da Tauler in einem regen Austausch mit Heinrich und Margaretha stand und wahrscheinlich von ihrem Briefwechsel und sogar von der Entstehung der ›Offenbarungen‹ Margarethas wusste, könnte sich in der Adressierung seines Briefes auch das Wissen spiegeln, in Margaretha und Elsbeth ein literarisch produktives Schwesternpaar anzusprechen.48

Margarethas Briefwechsel mit Heinrich ist schon seit Beginn ihrer Bekanntschaft 1332 nachweisbar,49 doch wird sie erst in Brief XX auf dem Hintergrund einer längeren Abwesenheit Heinrichs ausdrücklich darum angegangen, regelmässig zu schreiben.50 Der Grund für Heinrichs Abwesenheit war eine Reise, die er 1335 nach Avignon zur päpstlichen Kurie unternahm.51 Wie bereits mehrfach erwähnt, setzte der Briefwechsel folglich nicht aufgrund der räumlichen Distanz ein, sondern hatte schon von Beginn an seinen spezifischen Platz im Gespräch zwischen Heinrich und Margaretha.52 Über die Stationen der Reise Heinrichs nach Avignon ist fast nichts bekannt. Strauch meint, Heinrich sei auf seinem Rückweg über Besanc¸on oder Lausanne und danach den Rhein abwärts gezogen.53 Nachrichten geben die Briefe nur über Aufenthalte in Neuhofen bei Speyer54 und in Schwäbisch Gmünd.55 Ziel seiner Rückreise war Margaretha in Medingen.56 47 Zum Brief Margarethas zum Goldenen Ring vgl. Kap. 5.4.1. 48 Zur gemeinsamen literarischen Tätigkeit Margarethas und Elsbeths vgl. Kap. 5.4.4 und 6.2 (Einleitung). 49 Folgende Briefstellen zeugen von Briefen Margarethas in dieser ersten Zeit der Bekanntschaft: Briefe IV , 66, Strauch, S. 175; VII , 37 f., ebd., S. 180; XI , 61, ebd., S. 186; XII , 2 f., ebd., S. 187; XIV , 41 f., ebd., S. 192; XV , 32, ebd., S. 193; XVII , 22–27, ebd., S. 198; XVIII , 7, ebd., S. 201. 50 Z. 1–3, ebd., S. 203: du solt mir alle zeit, wan du boten hast, schrieben wie du mügist und was dir got erlaub. Aus Brief XX wissen wir, dass zu dieser Zeit die Auswahl der Briefboten von der Mutter Heinrichs abhing, die anscheinend immer darüber informiert war, wo sich ihr Sohn gerade aufhielt; vgl. Z. 3–5, ebd., S. 203:[. . .] und gib das meiner mutter ze Nordlingen, die weisz wol wa ich bin, und die sendet mirs wa ich danne bin. 51 Dies kann einer Bemerkung Margarethas entnommen werden: do het ich nieman, wan der friunt unsers herren, der mir von siner güet geben was zem creftigen trost, der was ze Aviaun: ebd., S. 42, 17–19. 52 Vgl. v. a. auch Kap. 5.4.4. 53 Vgl. Strauch, S. 342 ad XXI , Vorbemerkung. Hätte Heinrich die Route über die heutige Schweiz gewählt, könnte er dann nicht bereits erste Beziehungen zu Königin Agnes von Ungarn geknüpft haben? Zu den Besuchen Heinrichs bei Agnes vgl. Kap. 7.3. 54 Vgl. Brief XXI , 35 f., Strauch, S. 205. 55 Vgl. ebd., Brief XXII , 7. 56 Brief XXII , ebd., Z. 6 f.: ich wer geren zem ersten zu dir komen.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

Der Anlass seines einjährigen Aufenthaltes in Avignon hat sich bisher nicht bestimmen lassen. Philipp Strauch vermutete dahinter die politischen Streitigkeiten zwischen Papst Johannes XXII . und Kaiser Ludwig dem Bayern.57 Im Hinblick auf Heinrichs spätere, wichtige Aufgabe, für das Bistum Basel Reliquien aus Bamberg zu überführen,58 liesse sich denken, dass er schon früher bedeutende Aufträge übernommen hatte und vorerst eine vermittelnde Haltung zwischen Papst und Kaiser einnahm, ja vielleicht sogar in Ludwigs Dienst stand. Kaiser Ludwig war nämlich auf Personen angewiesen, die nicht mit dem grossen Kirchenbann belegt waren und mit denen die Kurie darum verhandelte.59 Noch vor der langen Reise nach Avignon sprechen die Briefe das erste Mal von Literatur, die Heinrich dem Medinger Konvent zukommen liess. Konkret handelte es sich um ein Gebet: ich sant auch nun nechst bi dem oblaci den brief mit dem gebet von unsers heren fronlichnam Margretha von Augspurg. wollent ir, so lassent si dizen brief horen.60 Dazu heisst es im nächsten Brief weiter: send mir den brief, da das gebet de corpore Christi an stat, den ich Margaretha von Ausburg sant. und ir, liebe Schepach in Christo, corrigirent mir die gebet und sendent mirs. ich send euch auch ain kurtz und ain gar gutz gebetlin de corpore Christi. das mügent ir heften an ewers corsz tür, das es mein frawen leszen wen si wellen.61 57 Vgl. ebd., S. XLI . Strauch bezieht sich für seine Ausführungen auf eine Stelle in den ›Offenbarungen‹: nu geschach daz von dem willen gotes von der entrichtunge der cristenhet, daz er mir genomen wart: ebd., S. 45, 16–18. 58 Vgl. Kap. 7.7. 59 Vgl. Alois Schütz, Der Kampf Ludwigs des Bayern gegen Papst Johannes XXII . und die Rolle der Gelehrten am Münchner Hof, in: Wittelsbach und Bayern. Bd. I /1: Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I . zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1180–1350, hg. von Hubert Glaser, München/Zürich 1980, S. 388–397, hier: S. 395. Während der kleine Kirchenbann den Ausschluss von den Sakramenten nach sich zog, schloss der grosse Kirchenbann nicht nur den damit Belegten aus der Gemeinschaft der Gläubigen – und damit aus dem öffentlichen Leben – aus, sondern traf darüber hinaus auch jene, »die mit einem solchermassen Gebannten ungeachtet Umgang pflegten und sich damit des Vergehens der ›communicatio cum excommunicatis‹ schuldig machten«: ebd., S. 394. 60 Brief XVII , 118–121, Strauch, S. 201. 61 Brief XVIII , 7–12, ebd., S. 201 f. Zur Funktion des Gebets in den ›Offenbarungen‹ Margarethas vgl. Kap. 6.3. Ob diese Gebete in Medingen lateinisch gebetet wurden, wie es der Titel de corpore Christi suggeriert? »Dominika-

Das Kloster Medingen im Zentrum der Briefsammlung

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Heinrich sandte den Nonnen also mehrere Gebete für die Verehrung des Altarsakramentes, von denen wenigstens eines zur Förderung der Andacht sogar an der Türe zum Nonnenchor befestigt werden sollte. Deren Inhalt wird von den Briefen zwar nicht überliefert, doch ist uns aus den ›Offenbarungen‹ Margarethas das für denselben Gebrauch bestimmte ›Anima Christi sanctifica me‹ bekannt.62 Der Text dieses Gebetes lautet in einer Version aus dem 14. Jahrhundert:63 O anima Christi, sanctifica me, Corpus Christi, salve me, Sanguis Christi, inebria me, Aqua lateris Christi, lava me, Passio Christi, conforta me, O bone Iesu, exaudi me, Et ne permittas me separari a te. Ab hoste maligno defende me, In hora mortis voca me Et pone me iuxta te, Ut cum angelis tuis laudem te In sæcula sæculorum. Amen.

Das ›Anima Christi‹ findet sich in Gebetbüchern des 14. bis 16. Jahrhunderts häufig.64 Muss die Verfasserschaft auch weiterhin ungeklärt bleiben, kann gleichwohl dessen Entstehungszeit im 14. Jahrhundert als sicher gelten. Alle Quellen, die sich auf dieses Gebet beziehen, bringen das ›Anima Christi‹ mit dem Pontifikat Johannes XXII . (1316–1334) in Verbindung, der (wahrscheinlich 1330) einen Ablass für die Verrichtung dieses Gebetes verlieh.65 Wird nun die Tatsache berücksichtigt, dass die Erwähnung in den ›Offenbarungen‹ mutmasslich der älteste Beleg für dieses Gebet ist,66 könnte es Heinrich Margaretha vermittelt haben. Als er 1335 nach Avignon reiste,

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nerinnen der ersten Generation haben wohl ganz selten vorformulierte deutsche Gebete rezitiert. Ihre Gebete der privaten Andacht dürften noch fast durchgängig lateinisch gewesen sein [. . .]«: Ochsenbein, Latein, S. 49. Vgl. Kap. 6.3. In zwei Codices, die das ›Anima Christi‹ enthalten, wird zur Benutzung des Gebets angegeben: »Alia oratio in eleuatione corporis domini; Or. ad eleuationem corporis Christi«; vgl. Andre´ Wilmart, Auteurs spirituels et textes de´vots du Moyen Age latin. Etudes d’histoire litte´raire, Paris 1932, S. 367 f., Anm. 6. Guido M. Dreves, Wer hat das Anima Christi verfasst?, in: Stimmen aus Maria-Laach 54 (1898), S. 493–504, hier: S. 502 f. Vgl. ebd., S. 496. Vgl. ebd., S. 499. Vgl. Strauch, S. 305 ad 80, 24. Eine sehr frühe Erwähnung dieses Gebets ist im

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

war zwar bereits Benedikt XII . (1334–1342) regierender Papst. Doch unabhängig davon könnte Heinrichs Aufenthalt am päpstlichen Hof für ihn eine Möglichkeit gewesen sein, sich mit geistlichem Schriftgut für seine Frauenkonvente und andere Personenkreise einzudecken. Das ›Anima Christi‹ hätte allerdings auch über Predigerbrüder aus Avignon nach Süddeutschland gelangen können. Eine Bemerkung in Brief LXIV bezeugt zumindest einen literarischen Austausch zwischen Avignon und dem anonymen Briefautor: ich send im [Heinrich] einen cursz von der sel unsers heren, den prachten die prediger von Avion. den schriben ab. das seh ich geren das in der convent hab.67 Auf jeden Fall hatten Margaretha und ihr Konvent mit dem ›Anima Christi‹ ein damals sehr aktuelles Gebet in der Hand: Die Nonnen waren in ihrem Gebetsleben demnach gewissermassen auf dem neuesten Stand.

7.3 Unterstützung Heinrichs durch Königin Agnes von Ungarn Heinrich stand noch mitten in den Streitigkeiten um die Pfarrei Fessenheim, als Kaiser Ludwig am 6. August 1338 ein Gesetz erliess, das all jene unter die Strafe der Friedlosigkeit stellte, welche die damals geltende päpstliche Exkommunikation und das Interdikt nicht missachteten und die Gottesdienste nicht wieder aufzunehmen gedachten.68 Zwar reiste Heinrich in der Fessenheimer Angelegenheit im Herbst 1338 noch nach Augsburg, um vom dortigen Bischof Heinrich von Schönegg angehört zu werden.69 Doch ging der (im Gegensatz zu den Medinger Nonnen) papsttreue Heinrich trotz der Fürsprache verschiedenster einflussreicher Leute und auf den Rat Christine Ebners von Engelthal hin kurz darauf bis 1347 ins Exil.70 Heinrichs erste Station war Konstanz, aber auch dort stand der Rat auf Seiten des Kaisers, und die Dominikaner, die dessen Erlasse nicht befolgten, waren bereits ausgewiesen worden.71 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung Heinrichs: ich fand pruder Diethalm noch den Suszen nit ze

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Cod. 155 der Stiftsbibliothek Engelberg (Nr. 97) nachgewiesen, der nach 1350 geschrieben wurde; vgl. Ochsenbein, Lateinische Liturgie, S. 125 f. Z. 31–34, Strauch, S. 278. Vgl. dazu auch Ehrenschwendtner, Die Bildung, S. 226. Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 137. Vgl. ebd., S. 137 f. Vgl. Brief XXVI , 18–27, Strauch, S. 210. Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 138 f.

Unterstützung Heinrichs durch Königin Agnes von Ungarn

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Kostentz.72 Ihm wäre es also ein Anliegen gewesen, Heinrich Seuse in Konstanz zu treffen, wahrscheinlich weil er ihn persönlich kannte und auch an seinen Schriften interessiert war.73 Mit einem Brief Burkhards von Ellerbach ausgestattet, suchte Heinrich von Nördlingen darauf Königin Agnes von Ungarn in Königsfelden auf.74 Das Kloster Königsfelden, ein klarissisch-franziskanisches Doppelkloster, diente der Familie Habsburg in der Nähe ihres Stammsitzes als Grablege.75 Anlass zur Gründung dieser doch eher unüblichen Niederlassung eines Bettelordens ausserhalb einer Stadt war die Ermordung König Albrechts von Habsburg im Jahre 1308. Seine Gattin Elisabeth gründete Königsfelden zum Gedächtnis an ihren verstorbenen Ehegatten. Die Tochter Albrechts und Elisabeths, die seit 1301 verwitwete Königin Agnes von Ungarn, floh wegen der politisch unsicheren Lage aus Ungarn nach Wien, bis sie von ihrer Mutter mit der Aufsicht über das Kloster Königsfelden beauftragt wurde, wo sie sich ab 1318 endgültig niederliess. Agnes verfolgte hier im alemannischen Westen in einer politisch instabilen Zeit die Interessen des Hauses Habsburg bis zu ihrem Tod 1364. Sie erlangte als Schiedsrichterin eine besondere Bedeutung, und obwohl sie kein offizielles Amt innehatte, war sie aufgrund ihrer Persönlichkeit ein wichtiger Machtfaktor.76

Es ist aus den Briefen nicht ersichtlich, was Heinrich von seinem ersten Besuch in Königsfelden erhoffte. Vielleicht erbat er sich von Agnes einen Aufenthaltsort in Basel, wo diese »Haus und Hof besass«.77 Heinrich ging die Königin sicher um finanzielle Unterstützung seiner Freundinnen und 72 Brief XXXI , 21 f., Strauch, S. 216. 73 Das BdeW entstand wahrscheinlich bereits zwischen 1328 und 1330, das ›Büchlein der Wahrheit‹ zwischen 1327 und 1329; vgl. Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1114. Auf das Interesse Heinrichs von Nördlingen an Seuses Werk wurde in dieser Arbeit schon einige Male hingewiesen. 74 Zu den Besuchen bei Agnes von Ungarn vgl. die Briefe XXXI , 11–14, Strauch, S. 216 und XXXII , 7–9, ebd., S. 217. Zu Burkhard von Ellerbach vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 139. 75 Die folgenden historischen Angaben stammen aus: Susan Marti, Königin Agnes und ihre Geschenke – Zeugnisse, Zuschreibungen und Legenden, in: Kunst + Architektur in der Schweiz 47 (1996), S. 169–180, hier: S. 169 f. 76 Vgl. Alois Niederstätter, Habsburg und die Eidgenossenschaft im Spätmittelalter. Zum Forschungsstand über eine ›Erbfeindschaft‹, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 116 (1998), S. 1–21, hier: S. 7. 77 Rudolf Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel. Bd. 1, Basel 1907, S. 258. Agnes war die Schwägerin Ludwigs VI . von Öttingen. Im Gegensatz zu seinen Neffen Ludwig und Friedrich (vgl. Anm. 32) gehörte dieser der Gegenpartei Kaiser Ludwigs an; seine Gemahlin Guta wurde 1329 in Königsfelden bestattet; vgl. Grupp, Religiöses Leben, S. 17.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

Freunde an.78 Eine ganze Reihe kirchlicher Einrichtungen im südwestdeutschen und österreichischen Raum profitierte durch Schenkungen und Stiftungen vom Vermögen der Königin, wobei sie vor allem Frauen- und Doppelklöster bevorzugt zu haben scheint.79 1346 – und damit einige Jahre nach seinem ersten Besuch von 1338 – kann Heinrich Margaretha von einem Geschenk schreiben, das ihm die Königin für Medingen versprach: Ich was neulich bei meiner frawen der küngin und rett von dir und von der gräffin und auch von dem convent. da sprach sie, sie wölt mir senden ze Basel etwas und iren brief dar mit.80 Neben der Tatsache, dass Heinrich nicht erwähnen muss, um welche Königin es sich handelt, und auch der Ton dieser Zeilen Vertrautheit mit Agnes ausdrückt, erfahren wir beiläufig, dass die Königin dem exilierten Priester einen Brief oder eine Schenkungsurkunde in Aussicht gestellt hat. Heinrich hat von Agnes tatsächlich Geld erhalten, da er von Ofim Frickin sagen kann: si sol dir geben zehen guldin, die hat dir gesant mein frau die küngin und begert gröszlich mit allem ernst, das du und auch der convent gemeinklich fur si bitest. und las nit, du danckest ir geträwlich an deinem brief, das si innen wird, das si dir an deinen bu worden sint.81

Heinrich und Agnes könnten sich über finanzielle Fragen hinaus aber auch über den Erwerb von Reliquien ausgetauscht haben. Agnes schätzte Reliquien und Reliquiare hoch und verschenkte solche auch mehrfach.82 Wie 78 Berthold von Bombach berichtet von einem Weltpriester, der sich bei Agnes (brieflich) um finanzielle Unterstützung für das Frauenkloster Wittichen einsetzte und sie auch erhielt: Just, Die Vita Luitgarts, S. 137. 79 Vgl. Marti, Königin Agnes, S. 170. 80 Brief XLVII , 61–64, Strauch, S. 255. Zur Datierung des Briefes vgl. ebd., S. 381 ad Vorbemerkung. 81 Brief L, 18–22, ebd., S. 260. Zu Ofim Frickin vgl. Anm. 34. Da hier der Geldbetrag, den Agnes dem Kloster Medingen zukommen liess, mit zehn Gulden angegeben wird, muss die folgende Briefstelle, die von nur gerade einem Gulden als Geschenk spricht, nicht auch noch mit der gleich anschliessend genannten Königin in Verbindung gebracht werden: ainen guldin send wir dir ze stir an deinem bu mit groszer begird unsers hertz. was ich geschriben hab der künigin, das lis an dem andern brief: Brief XLIX , 26–28, Strauch, S. 259. Für Agnes, die beispielsweise 1325 anlässlich der Kirchweihe und der Profess von 139 Nonnen im Kloster Engelberg sämtliche Kosten für die Festlichkeiten übernommen hatte (vgl. Marti, Königin Agnes, S. 176), wäre ein Gulden als Geschenk nicht gerade ehrenhaft gewesen. 82 Vgl. ebd., S. 171.

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aufgrund der heute noch existierenden Kunstgegenstände aus Königsfelden belegbar und auch einer Chronik dieses Klosters zu entnehmen ist, hatte Agnes eine besondere Vorliebe für ihre Namenspatronin, die hl. Agnes.83 Auf diesem Hintergrund ist die Tatsache bemerkenswert, dass sich Heinrich gerade vom Jahr 1346 an, in dem er Margaretha ein Geschenk der Königin sendet, um Reliquien der hl. Agnes bemüht und diese in der Zisterzienserinnenabtei Burtscheid bei Aachen auch bekommt: nun bitt ich dich flisziglich, das du sunderlich sant Angneszen hailigtum erlich in machest, wann es mir in groszer minne geben ward ze Burtschain in ainem grawen kloster, lit bei Auch [. . .].84 Es stellt sich die Frage, ob er die Reliquie nicht aufgrund der Vermittlung der Königin Agnes erhalten hat. Schon lange war Aachen im römischen Reich ein Wallfahrtsort ersten Ranges.85 Von Herzog Albrecht II . von Österreich, dem Bruder der Königin, ist für das Jahr 1337 eine Wallfahrt nach Aachen bezeugt. Er erflehte dort zusammen mit seiner Frau Nachkommenschaft.86 Es wäre darum denkbar, dass das Haus Habsburg und damit auch Agnes von Ungarn Beziehungen pflegte, die eine Vermittlung von Reliquien der hl. Agnes aus der Region Aachen ermöglichte. Wahrscheinlicher ist aber, dass Heinrich die Reliquie im Auftrag der Königin besorgte.87 Allenfalls könnte Heinrich über Agnes auch in den Besitz von Andachtsgegenständen und mystischer Literatur gekommen sein. Agnes ist die einzige in den Briefen erwähnte Person mit Beziehungen zu Wien. Von dort 83 Vgl. ebd., S. 177. 84 Brief XLIV , 40–43, Strauch, S. 248. Vgl. auch Brief XLVII , 75 f., ebd., S. 256: unser hailtum und sunder sant Agnesen finger la dier befolchen sin etc. Zu dieser Reliquie vgl. auch die Briefe XLVIII , 70 f., ebd., S. 258 und LXVII , 58 f., ebd., S. 282 f.; vgl. auch Kap. 4.3.4 und 6.1.8. Die Briefe XLVII , XLIX und L, in denen die Königin Agnes erwähnt wird, wurden in den Jahren 1346 und 1347 verfasst; vgl. Strauch, S. 381 ad XLVII , Vorbemerkung; ebd., S. 383 ad XLIX , Vorbemerkung und ebd., S. 384 ad L, Vorbemerkung. Heinrichs Bemühungen um Reliquien der hl. Agnes ging ein Besuch in Königsfelden voraus; vgl. Anm. 80. 85 1242 und 1322 wurden die dort aufbewahrten Reliquien für die Öffentlichkeit aufgestellt und damit die Wallfahrt nach Aachen eigentlich begründet. Die Reliquien werden wie folgt bezeichnet: ein Kleid Marias, die Windeln Jesu, das Lendentuch Christi und das Enthauptungstuch des hl. Johannes des Täufers, sowie drei kleinere Reliquien: der Ledergürtel Christi, der Stoffgürtel Mariens, ein Stück vom Strick der Geisselsäule; vgl. W[olfgang] Brückner, Aachenfahrt, in: LexMa 1 (1980), Sp. 3 f., hier: Sp. 4. 86 Vgl. Marti, Königin Agnes, S. 179, Anm. 10. 87 Vgl. Kap. 7.7.

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erreichte Margaretha 1344 eine Krippe mit Jesuskind, wohl nach einem Gespräch mit Heinrich über die imitatio Mariae als Weg zur unio.88 Agnes förderte die sakrale Kunst. Die Königin hatte wohl wesentlichen Anteil am Bau der Kirche Königsfelden und der Schaffung des dortigen Fensterzyklus.89 Ausserdem sind zwei Antependien und ein Pluviale erhalten, deren Erwerb auf Agnes zurückgeführt wird. Darüber hinaus ist ein Gewand auf uns gekommen, das die Tradition als Teil des Hochzeitskleides der Königin Agnes bezeichnet. Es handelt sich hierbei um ein rotes Gewand, das das sogenannte ›Sarner Jesuskind‹ im Kloster der Benediktinerinnen St. Andreas trägt.90 Dieses Jesuskind stammt womöglich aus der Zeit um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert und ersetzte vermutlich ein früheres Kultbild.91 Die Frage, ob das Prunkkleid tatsächlich von Agnes stammt, kann nicht beantwortet werden; sicherlich müsste es in der Zwischenzeit mehrmals umgearbeitet worden sein. Die Legende, Agnes habe dem Jesuskind ihr Hochzeitsgewand geschenkt, entspricht zumindest der Königsfelder Chronik, in der von der Königin das Bild einer ›Braut Christi‹ in der Nachfolge der hl. Agnes vermittelt wird, die aus Liebe zum Jesuskind armen Kindern geholfen habe.92 Eines der beiden Antependien, das für einen fronaltar in Königsfelden bestimmt war, gehörte zu den Schenkungen des bereits erwähnten Herzogs Albrecht II ., des Bruders der Königin Agnes, der seinen Wohnsitz in Wien hatte und das kostbare Tuch auch dort in Auftrag gab.93 Über die Verbindung der Königin zu Wien und über den nachweislichen Transfer von dortigen Kunstgegenständen in den alemannischen Raum wäre es theoretisch möglich, dass Agnes durch Heinrich Margaretha eine Wiege mit Jesuskind aus Wien zukommen liess.94 Immerhin wird Agnes in der Tradition des Frauenklosters St. Andreas mit 88 Zur imitatio Mariae als Weg zur unio vgl. Kap. 6.2.6. 89 Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 309. 90 Zu diesem Kleid und dem ›Sarner Jesuskind‹ vgl. Marti, Königin Agnes, S. 176 f. Die Abtei St. Andreas war im 17. Jh. von Engelberg nach Sarnen verlegt worden. Agnes hatte das Doppelkloster Engelberg bis zu ihrem Tode nachweislich unterstützt, insbesondere das Frauenkloster; vgl. ebd. 91 »[. . .] die besondere Verehrung des Jesuskindes [. . .] dürfte in ihren Anfängen ins frühe 14. Jh. zurückreichen«: Gall Heer, Benediktinerinnen – EngelbergSarnen, in: Helvetia Sacra III /1. Teil III (1986), S. 1733– 1759, hier: S. 1735. Adolf Reinle datiert das Sarner Jesuskind um 1360; vgl. Die Kunst der Innerschweiz von 1200 bis 1450. Ein Überblick, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft. Bd. 1: Verfassung, Kirche, Kunst, Olten 1990, S. 283–371, hier: S. 311. 92 Vgl. Marti, Königin Agnes, S. 177 f. 93 Vgl. Susan Marti, Andachtsbilder von Ordensleuten und Privatpersonen. Stundengebet. Kat. 110: Antependium aus Königsfelden mit sieben Szenen aus dem Leben Christi, in: Bildersturm [wie Kap. 3, Anm. 178], S. 258 f., hier: S. 258. 94 Zu dieser Wiege vgl. Kap. 6, Anm. 162. Andeutungsweise wird diese Frage auch bei Adolf Reinle und Guido Muff aufgeworfen. Reinle bringt das Kultbild aus dem Kloster Medingen indirekt mit dem Sarner Jesuskind in Bezie-

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der Verehrung einer Kultfigur des Jesuskindes in Verbindung gebracht. Auch hat die Königin für eine Professfeier dieses Klosters, das sich damals noch in Engelberg befand, die Kosten übernommen.95

Über die Beziehungen der Königin zu Wien gäbe es auch die Möglichkeit, zwischen den ›Offenbarungen‹ Margarethas und den ›Vita et Revelationes‹ der Wiener Begine Agnes Blannbekin eine punktuelle literarische Verwandtschaft zu erklären. Diese müsste sonst angesichts der Entstehungsorte der einzelnen Werke als unwahrscheinlich gelten.96 Nachweislich war die Königin auch an Literatur mystischen Inhalts interessiert: Adressatin des ›Liber benedictus‹ Meister Eckharts ist für die Forschung Agnes von Ungarn.97 Dem Kloster Engelberg könnte sie eine ›Speculum-humanae-salvationis-Handschrift‹ geschenkt haben.98 Wahrscheinlich war Königsfelden noch im Besitz weiterer Werke dieser Art, und Heinrich hatte vermutlich auch Einsicht in die dortige Bibliothek. Der Frage, ob Heinrich dabei auch auf die ›Vita et Revelationes‹ der Wiener Begine Agnes Blannbekin hätte stossen können, kann hier aufgrund der spärlichen Überreste der Klosterbibliothek nicht weiter nachgegangen werden.99

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hung, wenn er Heinrich als Margarethas Beichtvater einführt und dann meint: »Direkte oder indirekte Beziehungen [sc. Heinrichs] zum Engelberger Frauenkonvent könnten durchaus möglich gewesen sein«: Die Kunst der Innerschweiz, S. 313. Muff bemerkt dazu: »Die Medinger Jesuskindfigur ist rund 20 Jahre älter als jene von Engelberg. Nur nebenbei sei bemerkt, dass Margarethas Seelenfreund Heinrich von Nördlingen wiederholt Königin Agnes in Königsfelden besuchte [. . .]«: Guido Muff und Ursula Benz, »Lasst uns das Kindelein kleiden . . . lasst uns das Kindelein zieren«. Textiles Arbeiten im Kloster St. Andreas, in: Bewegung in der Beständigkeit [wie Kap. 6, Anm. 330], S. 141– 156, hier: S. 148. Gemeinsam ist den Klöstern Medingen und Engelberg nicht nur die frühe Verehrung eines Jesuskindes, sondern auch das frühe Auftreten des Gebetes ›Anima Christi‹; vgl. Anm. 66. Vgl. Anm. 81. Zu einzelnen Parallelen zwischen den beiden Werken vgl. Kap. 6, Anm. 58, 63, 92, 100, 176 und 182. Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 309–311. Ruh datiert die Entstehung der Schrift um das Jahr 1318. Die Zweifel Ruhs an der gängigen Meinung, Meister Eckhart habe dieses Werk für Agnes geschrieben, und seine Vermutung, die Königin sei eher über den Bischof von Strassburg (einem Feind Eckharts) in den Besitz einer Kopie des ›Liber benedictus‹ gekommen (vgl. ebd., S. 322 f.), ändert an der Feststellung nichts, Agnes sei im Besitz dieses Textes gewesen. Vgl. Marti, Königin Agnes, S. 180, Anm. 33. Zur Klosterbibliothek Königsfelden vgl. Georg Boner, Klarissenkloster Königsfelden, in: Helvetia Sacra V /1 (1978), S. 561–576, hier: S. 566.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

7.4 Der Freundeskreis Heinrichs in Basel Nach seinem Besuch in Königsfelden ist Heinrich 1339 in Basel anzutreffen, das zwar grösstenteils kaiserlich gesinnt war, wo aber das Interdikt gleichwohl beachtet wurde und der Klerus darum unbehelligt blieb.100 Ein wichtiger Grund für das Aufsuchen dieser Stadt muss die dortige Anwesenheit des Strassburger Dominikaners Johannes Tauler gewesen sein, von dem Heinrich schreibt: dar nach kam ich gen Baszel zu meinem und auch deinem lieben getruwen vatter dem Tauler, der mit mir bi dir was, und der half mir mit ganzen träwen, als vil er mocht.101 Die Beziehung Heinrichs und Margarethas zu Tauler ging demnach auf die Zeit vor dem Exil zurück. Heinrich konnte zuerst länger bei Tauler und damit wohl im Predigerkloster bleiben, bevor er ans Spital von Basel kam, wo er eine intensive Predigttätigkeit aufnahm, jeden Tag die Messe feierte und die Beichte hörte.102 Von dieser Zeit zeichnen die Briefe ein Bild Heinrichs, das geprägt ist von unermüdlicher Arbeit und grossem Erfolg, so dass ihm Pfarreien, Kapellen, Pfründen und Eintritte in diverse Orden angeboten wurden.103 100 Zur politischen Haltung Basels im Streit zwischen Papst und Kaiser vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 139 f. 101 Brief XXXII , 9–12, Strauch, S. 217. Die Dominikaner wurden 1339 von Strassburg ausgewiesen, nachdem sie den Gläubigen die Messe verweigert hatten. Tauler scheint die Stadt schon 1338 verlassen zu haben; vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 479 f. 102 Brief XXXII , 12–17, Strauch, S. 217: da was ich lang, das ich nit ein wesen fant nach meinem willen. dar nach, do es got wolt, da gab man mir herberg in dem spital ze Basel. da han ich gewalt ze predigen und han alle tag geprediget und etwan zwai malen an dem tag sider man alleluja hin let [. . .]. Ebd., Z. 26 f.: so sprich ich auch alle tag messe. Ebd., Z. 29 f.: das best volck, das in Basil ist, das pichtet mir geren, mocht ichs nür gehören. Heinrich durfte demnach allen seelsorgerlichen Pflichten nachkommen – mit Ausnahme der Kommunionspendung; vgl. ebd., S. 357 ad XXXII , 32. Ab 1265 existierte in Basel ein Bürgerspital, dessen Seelsorge von einem Leutpriester und von Kaplänen ausgeübt wurde; vgl. Franc¸ois Maurer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt. Bd. 5: Die Kirchen, Klöster und Kapellen. Teil 3: St. Peter bis Ulrichskirche (Die Kunstdenkmäler der Schweiz 52), Basel 1966, S. 443. Als Patrozinium dieses Spitals ist für 1389 jenes der vier Evangelisten bezeugt, später hiess es ›Heiliggeistspital‹ und ab der Mitte des 15. Jh.s ›Spital der heiligen Dreifaltigkeit‹; vgl. Rudolf Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel. Bd. 2/II , Basel 1916, S. 931. 103 Vgl. Brief XXXII , 34–36, Strauch, S. 217. Heinrich berichtet aber auch von Anfeindungen ihm gegenüber seitens des Klerus; vgl. Brief XXXIV , 85–88, ebd., S. 225.

Der Freundeskreis Heinrichs in Basel

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Beiläufig erwähnt Heinrich, er verkehre bei den ›Deutschen Herren‹, die ihn gerne bei sich gehabt hätten: daz den Tüschen heren ze Basel da han ich ainen herentisch, und die tetten mir waz si mochten, das si mich bi in gehaben solten.104 Schliesslich bekam er eine Kaplaneipfründe am Stift St. Peter und stand damit im Dienst der ›besten Pfarrei von Basel‹: wen ichs wol gefugen mocht, so kem ich geren; so bin ich nit mein selbs, ich bin einsz gantzen capitels und der besten pfarr die ze Basel ist, die lant mich nit geren von in.105 Die Erwähnung Johannes Taulers und Burkhards von Ellerbach, der Heinrich mit einem Brief für Agnes von Ungarn versah,106 weist auf ein grösseres Beziehungsnetz Heinrichs hin, das ihm im Exil nicht einfach abhanden kam oder von ihm neu aufgebaut werden musste, sondern ihn im Gegenteil nach Konstanz und Königsfelden brachte und sein Einleben in Basel ermöglichte. Gerade diese vielfältige Einflussnahme auf seinen weiteren Werdegang belegt deutlich, aus welchen Schichten Heinrichs Freundeskreis stammte: Er bestand aus Familien des Adels und des gehobenen Bürgertums. Als Heinrich in Basel ankam, waren es ähnliche Kreise wie in seiner Heimat, die ihn aufnahmen. Heinrichs gute Beziehung zur Basler Oberschicht spiegelt sich etwa in den Worten: die besten heren und burger ze Basel, die erwurbent mir fiertzig tag antlosz geben an den predigen, das ich dar umb nit west.107 Auch die folgenden Zeilen sind nicht ohne Stolz geschrieben: ein neues chorreklin kauftent mir erber frawen. die 104 Vgl. Brief XXXII , 27–29, ebd., S. 217. Das Haus der Deutschherren lag auf der Rheinseite der Rittergasse; vgl. C[asimir] H[ermann] Baer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt. Bd. 3: Die Kirchen, Klöster und Kapellen. Teil 1: St. Alban bis Kartause (Die Kunstdenkmäler der Schweiz 12), Basel 1941, S. 318, und damit unweit des Spitals. 105 Brief XXXV , 58–61, Strauch, S. 228; vgl. auch Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 141. Folgende Offiziale des Stifts aus dieser Zeit sind bekannt: die Pröpste Burchardus Vicedominus (Vitztum) (1311–1341) und Rudolf von Gebwiler (1342–1358), und der Dekan Werner z. Spiegel (Speculi, Spiegler); vgl. Guy P. Marchal, St. Peter in Basel, in: Helvetia Sacra II /2 (1977), S. 131– 150, hier: S. 136 und 149. Am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jh.s wurden in St. Peter die Zahl der Altäre und damit der Kapläne erhöht, die den Altardienst versahen, Beichte hörten, Kranke besuchten, den Totenkult zelebrierten und zur Zeit Heinrichs auch am Chorgottesdienst teilnahmen; vgl. Maurer, Die Kunstdenkmäler, S. 16. Vielleicht war Heinrich auch Lehrer an der dortigen Stiftsschule; vgl. Anm. 30. 106 Vgl. Kap. 7.3. 107 Vgl. Brief XXXII , 30–33, Strauch, S. 217. Vgl. ebd., S. 357 ad XXXII , 32: »antlosz geben Ablass geben.«

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warhait, mir brachten die besten churszner ze Basel ain gut chorhuben, das ich dar umb nit west, und schanckten mirsz mit begirden.108

Namentlich nennen die Briefe für die Zeit des Basler Exils einen Ritter von Pfaffenheim und einen Ritter von Landsberg, wobei beim Letzteren vor allem seine wunderliche, gotluchtendü Frau hervorgehoben wird.109 Heinrich zählt die von Landsberg nochmals zusammen mit dem Ehepaar Merswin auf.110 Weil Heinrich das Geschlecht von Landsberg, das aus der Strassburger Gegend stammte,111 im Kontext seiner Strassburger Aufenthalte wieder nennt, muss er zur Zeit der ersten Nennung bereits Verbindungen zum Elsass gehabt haben.112 Das Attribut gotluchtend für die Frau von Landsberg weist darauf hin, dass Heinrich auch in Basel vor allem die Freundschaft mit geistlich interessierten Menschen suchte. Dies belegt sein erster Brief aus Basel, in dem er zusammen mit Tauler und ander gotzfrüind Margaretha um schriftliche Einsichten in den göttlichen Willen bittet.113 Demnach wusste der Basler Freundeskreis, zu dem auch Tauler selbst gerechnet wurde, um Margaretha im Kloster Medingen und ging sie um Briefe und um ihre ›Offenbarungen‹ an. Heinrich benützt erst ab seinem Exil in Basel öfter die Bezeichnung ›Gottesfreund‹;114 dies vermutlich aufgrund seiner hier vermehrten Beschäftigung mit mystischer Literatur und wegen seiner grösseren räumlichen Nähe zu Johannes Tauler.115 Schon vorher bezeichnet er andere Menschen als ›Freunde‹, wenn diese mit ihm ein geistliches Interesse teilen. Er versieht dabei diese Freunde mit den unterschiedlichsten religiös konnotierten 108 Vgl. Z. 43–46, ebd., S. 218. Die Schneider und Kürschner hatten den Altar ihrer Bruderschaft in diesem Spital; vgl. Maurer, Die Kunstdenkmäler, S. 443. 109 Vgl. Brief XLV , 8–10, Strauch, S. 249. 110 Vgl. Anm. 327. 111 Vgl. Strauch, S. 379 ad XLV , 10. 112 Auch die Erwähnung des Klosters Unterlinden in Colmar (vgl. Anm. 124) bestätigt diese Vermutung. 113 Vgl. Brief XXXII , 69–73, Strauch, S. 219. Zum Gebrauch der Bezeichnung ›Gottesfreund‹ in dieser Arbeit vgl. Einleitung, Anm. 15. Zur Autorität, mit der Heinrich einzelne Gottesfreunde in seinen Briefen ausstattet, vgl. Kap. 4.2. 114 Diesem Abschnitt sind die Gedanken aus Federer, Die Briefe, S. 4 und 12 f. zugrundegelegt. 115 Von Gottesfreunden schreibt Heinrich vor seinem Basler Exil nur in den Briefen XIII , 50, Strauch, S. 189 und XXIII , 19, ebd., S. 206. Zur Wichtigkeit des Gottesfreund-Gedankens bei Johannes Tauler vgl. Kap. 7.6.

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Attributen wie frunde unsers heren, 116 fründ in got117 oder kind in got.118 Auch wenn Heinrich die Bezeichnung ›Gottesfreund‹ spezifischer verwendet als den allgemeineren Terminus ›Freund‹ – ›Gottesfreund‹ ist ihm, wer eine Kompetenz in der Vertrautheit mit Gott besass, auf die er sich in seinen Briefen berufen konnte –, war ihm die Sehnsucht nach der Freundschaft mit Gott als der grösstmöglichen Gottesnähe schon vor seinem Basler Exil ein Anliegen. In der Nonne Margaretha Ebner gibt er dafür ein Beispiel. Es ist daher im Folgenden nicht notwendig, das konkrete Umfeld Heinrichs auf den Begriff ›Gottesfreund‹ hin zu erforschen, waren doch Freundinnen und Freunde Heinrichs durchgängig an der Freundschaft mit Gott interessiert. Auf der Suche nach seinen Basler Freundinnen und Freunden soll hier zuerst das Umfeld seiner Tätigkeiten genauer betrachtet werden. Dabei lassen sich für sein Wirken am Spital keine konkreten Personen ausmachen. Von seinen ersten Predigten und seiner Zuhörerschaft am Spital berichtet Heinrich: und da kumt das best volck, das in Basel ist von armen gotzkindern und von reichen, von manen und von frawen, von pfefen, münchen, prudern, burgern, chorheren, edlen und gemainen luten [. . .].119 Auch jene Personen, die bei Heinrich beichten, charakterisiert der Brief mit: das best volck, das in Basil ist.120 Diese allgemeinen Bezeichnungen drücken nicht viel mehr als die Anwesenheit aller Schichten der Stadt und die beachtliche Anzahl der Hörer aus.

Ergiebiger wird die Suche nach konkreten Freundinnen und Freunden über Heinrichs Beziehungen zum Basler Predigerkloster. Er hat wie in seiner Heimat auch in Basel vor allem über seine Freundschaft zu einem Männerkloster Nonnen und Laien betreut. Mehr als im Ries sind darum die Bekannten Heinrichs in Basel im Umkreis des Dominikanerordens zu suchen, über den er bis nach Colmar, Strassburg und Köln in Verbindung stand.121 In Basel selbst gab es zwei Nonnenklöster dieses Ordens: Klingental und St. Maria Magdalena an den Steinen.122

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Brief LIII , 7, Strauch, S. 267. Brief XLV , 27, ebd., S. 250. Brief XLII , 49, ebd., S. 242. Brief XXXII , 18–21, Strauch, S. 217. Zu Heinrichs Tätigkeit in der Beichtseelsorge vgl. Anm. 102. Vgl. v. a. Kap. 7.6. Vgl. Bernhard Neidiger, Dominikaner – Basel, in: Helvetia Sacra IV /5. Teil I (1999), S. 188–284, hier: S. 191. Im Falle Klingentals war das Interesse der Brüder an der cura monialium aber nie besonders gross; vgl. Anm. 268.

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Das ehemalige Reuerinnenkloster an den Steinen wird in den Briefen Heinrichs zwar nicht erwähnt, doch lag es nicht weit vom Spital entfernt, dem ersten Wirkungsfeld Heinrichs in Basel. Angesichts der vielfältigen Beziehungen zu den Schwestern des Predigerordens wäre die Bekanntschaft Heinrichs mit St. Maria Magdalena durchaus möglich gewesen. Indes wird das Kloster Klingental in den Briefen ausdrücklich genannt. Es stand über Heinrich in Verbindung mit Margaretha, der er schreibt: dich grüssent auch mit andechtigen hertzen und mit grossen begirden die ersamen frawen von Klingental, die dir aber ir brief und ire kleinet sendent und begerend das du got für sie bittest etc.123 Geschenke erhält Margaretha auch aus dem Kloster Unterlinden zu Colmar: die hailigen schwester von Colmar ze Underlinden ewers ordens sendent dir mit begird disz tefelin und das crutzlein da mit; das ist heiliger lüit gewesen. für die bit geträulich, als sie dir getrawend.124

Mit einzelnen Dominikanerinnen pflegte Heinrich wie in seiner Heimat eine persönliche Beziehung. Eine Nonne von Klingental nennt er mit Namen: Mir sendet die von Valchenstein deins orden ze Clingental ze Basel ain zaichen irer minen mit diemütigem ernst irs hertzen und begert, das du got für sie und irü kind und für sie und für alle ir sach bitest getrulich. des beger ich mit ir getrülich, wan si unszer groszer frund ist.125

Philipp Strauch meint, bezüglich der Bezeichnung für sie und irü kind müsse nicht davon ausgegangen werden, dass hier von der Priorin von Klingental die Rede sei.126 Tatsächlich ist 1336 keine Nonne von Falkenstein, sondern Heilwig von Atzenbach als Priorin bezeugt, deren beide Schwestern Anna und Adelheid den Beginenstand ergriffen und deren Bruder, Johannes von Atzenbach, Predigerbruder in Basel war.127

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Brief XLI , 30–33, Strauch, S. 240. Brief XL , 103–106, ebd., S. 239. Brief XLV , 1–5, ebd., S. 249. Vgl. ebd., S. 378 ad XLV , 1. Richard Schultz hingegen spricht ganz selbstverständlich von der Priorin von Klingental: Heinrich von Nördlingen, S. 142. 127 Brigitte Degler-Spengler und Dorothea A. Christ, Dominikanerinnen – Basel, Klingental, in: Helvetia Sacra IV /5. Teil II (1999), S. 530–583, hier: S. 576. Als nächste Priorin wird 1354 Verena Münch angegeben; vgl. ebd., S. 577. Zu Johannes von Atzenbach vgl. Kap. 7.5.3. Anna und Adelheid werden 1341 als Konversschwestern bezeichnet; vgl. Georg Boner, Das Predigerkloster in Basel von der Gründung bis zur Klosterreform 1233–1429. Teil II , in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Bd. 34, Basel 1935, S. 107– 259, hier: S. 174.

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Ein Mitglied einer Familie von Falkenstein (Valkenstein) begegnet uns 1327 aus Anlass einer Jahrzeitstiftung im Predigerkloster. Margaretha Kellerin, die Witwe Wernhers zer Sunnen, überliess ihr Haus ›ze Rehtenberg‹ beim Kreuztor den Dominikanern auf ihren Tod sowie auf jenen ihrer Tochter hin, damit darin unter der Leitung ihres Sohnes (und nach dessen Tod des Predigerklosters) eine Samnung von zwölf Beginen errichtet werde. Margarethas Kinder waren Anna von Falkenstein und der Predigerbruder Johann zer Sunnen.128 Ob Anna später in Klingental eingetreten ist und ob sie es ist, die in Brief XLV von Heinrich erwähnt wird?

Heinrich hat wohl auch bei der Betreuung der Beginen und Begarden mitgeholfen, die der Leitung des Predigerklosters unterstellt waren. Dürften einige der Bekannten Heinrichs unter ihnen zu suchen sein, haben andere – etwa Margaretha zum Goldenen Ring – erst über ihre Beziehung zu Heinrich zum Beginenstand gefunden.129 Die Beginenbewegung bestimmte das religiöse Leben der Stadt Basel nachhaltig, wird deren grosse Mitgliederzahl in Betracht gezogen: Für das Jahr 1400 werden bei einer Stadtbevölkerung von weniger als 10 000 Einwohnern um 350–400 (in ›Samnungen‹ zusammengeschlossene oder allein lebende) Beginen geschätzt.130 Von den 23 Samnungen Basels wurden 15 von den Franziskanern und 7 von den Dominikanern betreut.131 Die Beginenbewegung stand den Franziskanern also näher als den Predigern. Nach einer ersten Welle der Verfolgung der Beginen in Basel von 1318/1321 nahmen viele dieser Frauen die dritte Regel des hl. Franziskus an, die ihnen Schutz gewährte.132 Beginen, die sich den Predigern angeschlossen haben, besassen im Gegensatz zu den Franziskaner-Terziarinnen keine päpstlich approbierte Regel, ihre Beziehungen zu den Brüdern waren darum eher persönlicher Natur und auch lockerer als bei den Franziskanern.133 Von den Begarden, der männlichen Variante der Beginen, ist nur bekannt, dass ihre Zahl weit geringer als jene der Beginen war und sie meist nicht aus der Stadt selbst stammten. Um 128 Vgl. Georg Boner, Das Predigerkloster in Basel von der Gründung bis zur Klosterreform 1233–1429. Teil I , in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Bd. 33, Basel 1934, S. 195–303, hier: S. 239 und ders., Das Predigerkloster, Teil II , S. 133 f. 129 Auch für die Zeit vor dem Exil überliefern uns Heinrichs Briefe dessen Bestreben, Frauen zu einem gemeinsamen religiösen Leben zu führen: durch alle träu bit ich dich, das du got ze förderst und auch alle die frawen, der hertz got dar zu naiget, bitten wellist mit gantzem flisz, das si ain gemains leben an fahen wellent doch uf ain ander jar, müg es nit ee geschehen: Brief XX , 5–9, Strauch, S. 203. 130 Vgl. Veronika Feller-Vest, Kanton Basel-Stadt, in: Helvetia Sacra IX /2 (1995), S. 193–241, hier: S. 194. 131 Vgl. ebd., S. 195. 132 Vgl. ebd. 133 Vgl. ebd., S. 197 f.

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1302 dürfte es sich um 80 Begarden gehandelt haben, in der Mitte des 14. Jahrhunderts sind zwei Brüdergemeinschaften in der Nähe des Predigerklosters nachgewiesen.134

Margaretha zum Goldenen Ring ist neben Johannes Tauler, Burkhard von Ellerbach, der Frau von Landsberg und der Nonne von Falkenstein demnach eine weitere namentlich bekannte Freundin Heinrichs. Sie war die Tochter des reichen Kaufmanns Nikolaus zum Goldenen Ring. Zusammen mit ihrer Schwester Katharina darf sie als Vertreterin der vornehmen Kreise unter den Stiftern und Gönnern der Prediger in Basel gelten.135 Heinrich erwähnt Margaretha 1345 zum ersten Mal, also erst sechs Jahre nach seinem Eintreffen in Basel.136 Im gleichen Jahr führt er sie in einem weiteren Brief auf,137 ebenso 1346 oder 1347.138 Margarethas Beziehung zum Predigerkloster ist urkundlich fassbar: 1381 fielen den Dominikanern insgesamt 224 fl. an Zinsen durch die grosse Vergabung ihres eigenen Mitbruders Johannes zum Goldenen Ring zu.139 Es handelt sich dabei um Jahrzeitzinse, die dem Kloster von den Städten Isny, Lindau, Biberach, Winterthur, Freiburg im Uechtland, Bern, Basel, vom Dominikanerinnenkloster Töss und von einer Privatperson zukamen, deren Gläubiger Johannes war. All diese Zinse hatte einst die Mutter des Johannes, Katharina zum Goldenen Ring, gekauft. Auch für die Jahrzeit Margarethas zum Goldenen Ring, der Schwester Katharinas, erhielten die Prediger Zinse.140

Zum Kloster Klingental kann ebenfalls eine Beziehung Margarethas nachgewiesen werden, wo sie ihre Jahrzeit stiftete.141 Am 12. Januar 1376 bestätigte Margaretha dem Predigerkloster ihre bisherigen Vergabungen und 134 135 136 137 138

Vgl. ebd., S. 200. Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 177. Vgl. Anm. 153. Brief XLII , 47 f., Strauch, S. 242: unser Gred zum guldin ring. Brief XLV , 6, ebd., S. 249: Margaretha zem guldig ring. Zur Datierung dieses Briefs vgl. ebd., S. 378, Vorbemerkung. 139 Zum Folgenden vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil I , S. 259. 140 Vgl. ebd., S. 260. 141 Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 149. Mindestens im Falle der Familie zum Goldenen Ring deckten sich demnach die Gönnerkreise Klingentals und des Predigerklosters. Da Margaretha dem Domkapitel einen gestohlenen Splitter des hl. Kreuzes wieder verschaffte, erhielt sie auch im Münster die feierliche Begehung ihres Anniversars; vgl. Margot Schmidt, Einführung, in: Rudolf von Biberach, Die siben strassen zu got. Die hochalemannische Übertragung nach der Handschrift Einsiedeln 278, hg. u. eingel. von M. S. (Spicilegium Bonaventurianum 6), Florenz 1969, S. 4*–271*, hier: S. 63*.

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schenkte ihm »all ihr liegendes und fahrendes Gut, das sie bis dahin noch nicht vermacht hatte«142 und wählte dort ihre Grablege.143 Die letzte Nachricht über Margaretha findet sich 1381, als ihr Neffe Johannes testamentarisch letzte Verfügungen über sein reiches Erbe traf.144 Dabei bedachte er auch Margaretha: Sie erhielt von ihrem Neffen eine Geldsumme sowie Gold und Silber für fromme Zwecke und dazu dessen Brevier zugesprochen.145 Der Umstand, dass Margaretha 1381 ›Deo devota‹ genannt wird146 und sie 1376 ihr ganzes Vermögen den Dominikanern in Basel vermacht hat, deutet auf ihren Eintritt in den Beginenstand hin.147 Es werden auch mehrere Männer in den Briefen erwähnt, die (neben Johannes Tauler und Burkhard von Ellerbach) zu den Freunden Heinrichs gehört haben könnten, etwa ein Hans Schuster, der als Bote für die Briefe nach Medingen fungiert und von Heinrich das Prädikat ›Schüler‹ erhält.148 Heinrich könnte diesen Hans Schuster schon vor dem Exil in Basel gekannt und dessen Botendienste (auch jene seines Bruders) über längere Zeit hinweg in Anspruch genommen haben.149 Sicher in Basel – und dies wahrscheinlich im Umfeld des Predigerordens – hat Heinrich einen ›Herrn Heinrich‹ kennengelernt, den er in Brief XL das erste Mal erwähnt und seinen ›grossen Freund‹ nennt.150 Eine nähere Bestimmung dieses Freundes ist allerdings schwierig. 142 Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 178. 143 Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 63*. 144 Vgl. ebd., S. 64*. Johannes zum Goldenen Ring vermachte seinem Konvent unter anderem ein Haus gegenüber dem Predigerkirchhof; vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil I , S. 240. 1383 bedachte er eines der beiden Basler Begardenhäuser mit einer Schenkung; vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 191. 145 Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 63*. 146 Vgl. ebd., S. 64*. 147 Auch die Beziehung zu den Waldschwestern in der Au bei Einsiedeln (vgl. Kap. 7.5.4) kann als Indiz dafür gelten, Margaretha sei selbst eine Begine geworden. Helen Webster, German Mysticism, S. 86 f. meint jedoch, dass nicht sicher bestimmt werden kann, ob Margaretha eine Begine wurde oder ob sie sich für eine Frau im Laienstand einfach über das übliche Mass hinaus religiös engagierte. 148 Brief XXXII , 23 f., Strauch, S. 217; vgl. Anm. 30. 149 Brief XXVIII , 40 f., ebd., S. 213. Dieser Brief gehört nicht zu den Briefen aus dem Basler Exil. 150 Z. 100 f., ebd., S. 239: mein mutter und mein groszer freind here Heinrich und Margret, unser liebs kind in got. Auch in Brief XLII wird her Hainrich, der diszen brief geschriben hat (Z. 46 f., ebd., S. 242) genannt, in Brief XLIV unser

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Philipp Strauch glaubt ihn mit Heinrich von Rumersheim gleichsetzen zu können, der nach dem Weggang Heinrichs von Nördlingen von Basel als Beichtvater der Margaretha zum Goldenen Ring in Erscheinung tritt.151 Dies ist aber höchst unwahrscheinlich, da Heinrich von Rumersheim, der von 1377–1425 als Chorherr von St. Peter fassbar ist, erst 1434 starb und darum Heinrich von Nördlingen nicht mehr gekannt haben kann: Seine Verbindung zu Margaretha muss in spätere Jahre fallen.152

Ob der Freund ›Herr Heinrich‹ mit dem in Brief XLV erwähnten Heinrich von Rheinfelden identisch ist?153 Ausserhalb der Briefe ist nur gerade für das Predigerkloster ein Heinrich von Rheinfelden bezeugt, der in Basel eingetreten, aber nach auswärtigen Studien erst seit 1405 dort als Magister der Theologie nachweisbar ist; dessen Todesjahr 1433 lässt ihn als Bekannten Heinrichs von Nördlingen nicht in Frage kommen.154 Richard Schultz

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lieber pruder here Hainrich (Z. 65, ebd., S. 249) und in Brief XLVI erneut here Heinrich (Z. 88, ebd., S. 253). Vgl. ebd., S. 370 f. ad XL , 101. Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 62* f. Brief XL , in dem ›Herr Heinrich‹ erstmals erwähnt wird, wird von Strauch ins Jahr 1345 datiert (vgl. Strauch, S. 367, Vorbemerkung) und wäre demzufolge 89 Jahre vor dem Tod Heinrichs von Rumersheim verfasst worden. Vgl. Z. 7 f., ebd., S. 249: her Heinrich von Rinvelden. Philipp Strauch möchte den Freund ›Herr Heinrich‹ von Heinrich von Rheinfelden deutlich unterschieden wissen, weil Heinrich von Nördlingen letzteren in Brief XLV einführe, »als hätte er noch nicht von ihm an Margaretha geschrieben«: ebd., S. 371 ad XL , 101. Diese an und für sich richtige Feststellung kann angesichts der weiteren Anreden von Brief XLV aber auch wieder relativiert werden. In ihr führt Heinrich die Klingentaler Nonne von Falkenstein ebenfalls sehr formell ein (vgl. Anm. 125), und er spricht Margaretha zum Goldenen Ring mit vollem Namen Margaretha zem guldig ring (Brief XLV , 6, Strauch, S. 249) an. Da Heinrich in Brief XL eine Grussliste mit mein groszer freind here Heinrich und Margret, unser liebs kind in got beginnt (vgl. Anm. 150), und Brief XLV später Heinrich von Rheinfelden und Margaretha zum Goldenen Ring noch einmal zusammen (wieder sehr förmlich) vorstellt, könnte es sich allenfalls doch um ein und denselben Heinrich handeln, der Heinrich von Nördlingen besonders nahe stand, ihm sogar als Schreiber diente – und zu dem in Brief XLV das Attribut von Rinvelden gehört. Vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 269 f. Immerhin kann für das Geschlecht der von Rheinfelden auch für die Zeit vor 1405 eine enge Beziehung zum Predigerorden festgehalten werden. Für das 13. Jh. sind Gertrud und Sophie von Rheinfelden als Nonnen von Unterlinden in Colmar bezeugt (vgl. Strauch, S. 378 ad XLV , 7 f.) und 1313 stirbt die Nonne Itha von Rheinfelden im Kloster St. Maria Magdalena an den Steinen; vgl. Petra Zimmer, Dominikanerinnen – Basel, St. Maria Magdalena an den Steinen, in: Helvetia Sacra IV /5. Teil II (1999), S. 584–609, hier: S. 587.

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geht davon aus, der in den Briefen erwähnte Heinrich von Rheinfelden sei »ebenfalls Kaplan von St. Peter und Vertrauter Heinrichs« gewesen.155 Zwar befindet sich Heinrich von Nördlingen seinen Briefen gemäss zur Zeit der Niederschrift von Brief XLV wirklich als Kaplan zu St. Peter, doch lässt sich für einen Heinrich von Rheinfelden nichts dergleichen ausmachen. Der ›grosse Freund‹ Heinrichs dürfte jedenfalls Kleriker gewesen sein, nicht nur weil er schreiben konnte, sondern auch aufgrund der Vertrautheit mit Heinrich von Nördlingen, der ihn ›Bruder‹ nennt und ihn als geistesverwandt aufführt.156 Am ehesten könnte er mit dem damaligen geistlichen Vater Margarethas zum Goldenen Ring identifiziert werden, den sie als Schreiber ihres Briefes an Margaretha Ebner und als fast untrennbaren Freund Heinrichs ausgibt.157 Für die Zeit der Abfassung von Brief XL kann als bedeutender Kleriker in Basel mit dem Namen Heinrich nur Henricus de Sursee, von 1345–1366 Offizial des Bistums,158 ausgemacht werden, und unter den Prioren des Predigerklosters ist für das Jahr 1326 Henricus de Reinckein (bis 1333 wird kein Nachfolger aufgeführt) bezeugt.159 Für beide lässt sich nicht bestimmen, ob sie mit dem in Brief XLV genannten ›Herr Heinrich‹ identisch sind. Dieser liesse sich vielleicht trotzdem mit dem in den Briefen genannten Heinrich von Rheinfelden identifizieren. Die meisten Basler Predigerbrüder in der Zeit zwischen 1290–1370 »trugen Herkunftsnamen nach Orten vor allem des Elsass’, aber auch des rechtsrheinischen Gebiets«.160 Es fällt darum zuerst nicht auf, wenn für das Jahr 1362 als Subprior des Predigerklosters Heinricus de Wis aufgeführt wird, der 1349, 1350, 1351 und 1370 auch als Prokurator bezeugt ist.161 Erst die Bemerkung, dieser Heinrich von Wies stamme vielleicht aus der Rheinfelder Familie,162 macht es möglich, diesen mit Heinrich von Rheinfelden – und vielleicht auch mit dem grossen Freund ›Herrn Heinrich‹ – gleichzusetzen. Diese Vermutung würde sich mit der Tatsache treffen, dass Heinrich von Nördlingen seinen Namensvetter relativ spät, nämlich erst ab 1345 nennt. Heinrich von Wies muss damals noch sehr jung gewesen sein, ist er doch erst 1349 zum ersten Mal für den Basler Konvent bezeugt.163 155 156 157 158 159 160 161 162 163

Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 142. Vgl. Anm. 150. Vgl. Kap. 5.4.1. Vgl. Wolfgang D. Wackernagel, IIIa. Das Basler Generalvikariat und Offizialat bis zur Reformation. B. Das Offizialat, in: Helvetia Sacra I /1 (1972), S. 241–255, hier: S. 247. Vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 237 f. Ebd., S. 192. Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 228, bes. Anm. 5. Vgl. ebd. Wird davon ausgegangen, das Geburtsjahr Heinrichs von Nördlingen sei um 1310 anzusetzen (vgl. Kap.1, Anm.19), wäre er 1345 etwa 35 Jahre alt gewesen.

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Trotz der explizit erwähnten Freundschaft mit dem Kleriker Heinrich und mit Johannes Tauler sind es auch in Basel vor allem Frauen, denen Heinrich von Nördlingen eine tiefe Gottesbeziehung und eine grosse Freundschaft mit ihm selbst attestiert.164 So hebt ein später Brief für eine weitere Frau deren grosse Freundschaft hervor: uns ist ein grosser und geträwer fründ tod ze Basel, die hiesz Anna; der gedenkent fleissiglich durch got. von der senden wier dir und Kristina von Engeltal und Irmeln von Hochenart einen guldin.165 Diese Anna wird keine Nonne gewesen sein, sonst hätte Heinrich wohl den Namen des Klosters und nicht jenen der Stadt angegeben. Viel mehr kann über sie nicht in Erfahrung gebracht werden, als dass sie vor oder um die Jahre 1348/49 herum starb.166 Neben den bereits erwähnten Anna von Falkenstein und Anna von Atzenbach kämen in dieser Zeit noch Anna Schuler, Frau des Heinrich Schuler, eines Bürgers von Basel, in Betracht, die mit ihrem Mann zusammen 1340 in ihrem Haus eine Samnung für 31 arme Schwestern einrichtete und deren Leitung den Dominikanern übergab.167 Urkundlich sind zudem am 7. Januar 1345 die Basler Dominikaner Peter von Biel und Johann von Altkirch als Testamentvollstrecker der Baslerin Anna von Nollingen erwähnt.168

Während die Eheleute von Landsberg und Margaretha zum Goldenen Ring im kirchlichen Sinne Laien waren, müssen die meisten der aufgezählten Freundinnen und Freunde Ordensgemeinschaften oder Stiften zugerechnet werden. Sie konnten sich entweder aus Gründen der Klausur nicht ungehindert treffen oder weil sie in ihrem Gebetsleben an ihre Chorpflichten und damit an ihr Haus gebunden waren, was nicht zuletzt für Heinrich selbst galt.169 Wenn Heinrich einige seiner Freundinnen und Freunde spezifischer ›Gottesfreunde‹ nannte, dann konnte er darum gar keine Gemeinschaft oder soziale Zirkel meinen.170 Dafür scheint er eine Glaubensgemein164 Auch in seiner Heimat begleitete Heinrich Frauen, die ein gemeinsames Leben führen wollten; vgl. Anm. 129. 165 Brief LII , 60–63, Strauch, S. 266. 166 Zur Datierung von Brief LII vgl. ebd., S. 388 f., Vorbemerkung. 167 Vgl. Feller-Vest, Kanton Basel-Stadt, S. 230. Auch bei Anna Schuler lässt sich demnach eine Verknüpfung von Patriziat, Beginentum und Predigerkloster festhalten. Zu Anna von Falkenstein und Anna von Atzenbach vgl. Anm. 127 f. 168 Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 175. 169 Vgl. Anm. 105. 170 Dazu auch Helen Webster, German Mysticism, S. 315: »The state of beeing a ›gotzfru´nd‹ is an ideal elite within mainstream Christianity, but does not depend on membership of a community« und Peter Dinzelbacher, Christli-

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schaft gefördert zu haben, die ihr Beziehungsnetz vor allem auf dem literarischen Weg – und hier spielt die Gattung des Briefs eine wichtige Rolle – aufbaute, über den der geistliche Austausch stattfand. Heinrich war ein eifriger Freund all jener aus der Oberschicht, die sich über die (oft dürftige) geistliche Betreuung der Klöster und Pfarreien hinaus – vor allem in dieser Zeit des Interdikts – um eine intensivere Suche nach Gott bemühten und dies mit Hilfe der Literatur und des Anhörens von Predigten zu erreichen suchten. Auch die literarische Komponente des geistlichen Austauschs verweist auf die führenden Schichten der Gesellschaft und hier erneut vor allem auf den Klerus und die Klöster, was der Vorstellung einer beginnenden Demokratisierung der Mystik nicht widersprechen, doch diese wenigstens auf der sozialen Ebene relativieren muss: Heinrichs Freundinnen und Freunde konnten zumindest lesen, oft auch schreiben oder hatten (wie in einem Nonnenkloster) die Möglichkeit, sich mystische Literatur vorlesen zu lassen. Treffend dürfte Kurt Ruh den Freundeskreis um Heinrich beschrieben haben: »Die Mystik ist gesellschaftlich geworden – jedenfalls hat sie eine gesellschaftliche Komponente: die elitäre Basler Gesellschaft – und damit auch ›literarisch‹. Man liess mystische Texte abschreiben und verbreiten.«171 Hinzuzufügen bleibt dem, dass der Basler Freundeskreis Heinrichs nicht als auf diese Stadt beschränkt gedacht werden darf: Er war offen für Beziehungen zum Elsass oder zum Ries und hatte über Heinrich in der Nonne Margaretha Ebner in Medingen ein geistliches Zentrum ausserhalb des eigenen geographischen Gebietes.

che Mystik, S. 331: »[Die Gottesfreunde] waren aber nicht besonders organisiert, auch nicht in ihren Anschauungen sektiererisch, obgleich die Bezeichnung ›amici Dei‹ auch von Waldensern und Begarden gebraucht wurde – wie auch von anerkannten Heiligen!« Anders meint Bernard Gorceix, Amis de Dieu en Allemagne au sie`cle de Maıˆtre Eckhart, Paris 1984, S. 82: »Heinrich de Nördlingen est a` Baˆle le chef d’une ve´ritable communaute´ [. . .].« Auch Bernard McGinn, Die Mystik, S. 537 schreibt dem Begriff ›Gottesfreund‹ in Heinrichs Briefen eine spezifischere soziale Bedeutung zu: »Er diente zur Kennzeichnung von bestimmten Zirkeln, die sich trafen, einander austauschten, miteinander beteten und brieflich über ihre Sehnsucht nach dem liebenden Einswerden mit Gott korrespondierten. Die Bewegung dieser ›Gottesfreunde‹ war noch formloser als die der frühen Beginen, stellte indes einen wichtigen Faktor bei [der] Demokratisierung der Mystik dar [. . .]«. 171 Vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 2, S. 252. Zu inhaltlichen Komponenten im Diskurs unter den Freundinnen und Freunden Heinrichs vgl. Kap. 5.4.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

7.5 Der literarische Austausch im Freundeskreis um Heinrich Auf dem Hintergrund dieses literarischen Interesses der Basler Bekannten Heinrichs erstaunt die Tatsache nicht, dass die in Kapitel 4 behandelten Werke Mechthilds von Magdeburg, Heinrich Seuses und Mechthilds von Hackeborn in jenen Briefen eine Erwähnung finden, die aus Heinrichs Basler Exil stammen. Die folgenden Untersuchungen lassen diese Bücher als Teil eines weiten Netzes an literarischen Beziehungen erkennen,172 das nicht nur ein reges Interesse an mystischer Literatur, sondern auch eine ansehnliche Übersetzungs- und Schreibtätigkeit in Basel voraussetzt. 7.5.1 Bücheraustausch zwischen Basel und dem Ries Kaum war Heinrich in Basel angelangt, stand er in Briefkontakt mit Freundinnen und Freunden seiner Heimat und empfing einzelne von ihnen in seinem Exil.173 Mit den Briefen zusammen wurden über Heinrich oft kleine Geschenke vermittelt. Zudem tauschte er mit den Klostergemeinschaften seiner Heimat Bücher aus, wie das folgende Beispiel zeigen soll. Schon in seinem ersten Brief aus Basel erwähnt er ein Buch, das den Zisterzienserinnen in Niederschönenfeld gehörte: wisze auch, mein selig freudenreicher zuflucht, das ich das buchlin von Schonenvelt, dar umb du mir geschriben hast, dem studenten gab, ir ainem der nun von Parisz komen ist ze Kaisheim, und bat den fliszigklich, das ers meinen frawen von Graispach geb.174

Die beiden Gräfinen von Graisbach, Zisterzienserinnen in Niederschönenfeld,175 müssen Margaretha gebeten haben, Heinrich um ein Buch anzuschreiben, das ihm von ihnen ausgeliehen worden war und nicht wieder ins Kloster zurückkam. Dieser Vorfall erschreckte Heinrich sehr, war er doch der Meinung, ein Bote hätte dieses Buch nach Kaisheim gebracht. Als Heinrich Margaretha dieses Zeilen schrieb, hatte er dem Boten, einem Studenten aus Paris, seinen Unmut bereits schriftlich mitgeteilt.176 172 Zu diesem literarischen Netzt vgl. auch Kap. 5.4 und 6.6. 173 Aus Nördlingen etwa besuchten ihn seine Mutter (vgl. Brief XXXV , 65, Strauch, S. 228) und eine nicht näher bekannte Chüntzlin (vgl. Brief XXXVIII , 51–53, ebd., S. 234). 174 Vgl. Brief XXXII , 46–50, ebd., S. 218. 175 Zu diesen Nonnen von Graisbach vgl. Anm. 33. 176 Vgl. Brief XXXII , 50–52, Strauch, S. 218.

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Zeugnis eines regen Bücherhandels zwischen Basel und der Heimat Heinrichs gibt auch das in Brief XXXV erwähnte Buch von dem süszen namen und von der richen minen Jhesu.177 Philipp Strauch führt in seinen Anmerkungen zum Brief ein Werk vergleichbaren Inhalts an, das die Überschrift das buoch von der minn gottes trägt.178 In Brief XXXV ist aber explizit zuerst vom ›süssen Namen‹ die Rede, der zumindest im Titel des von Strauch erwähnten Textes nicht erscheint. Damit bleibt die Autorschaft dieses Buches offen. Am ehesten lässt die Umschreibung an ein Werk Heinrich Seuses denken.179 Heinrich wusste in Basel darüber hinaus um einen Verkauf der ›Summa Theologiae‹ des Thomas von Aquin in Augsburg und ging die Schwestern von Medingen darum an. Anscheinend traten die Medinger Nonnen für Heinrich als Käuferinnen auf, denn für ihn war das Buch in erster Linie bestimmt.180 Die ›Summa‹ wird von Heinrich in Worten gelobt, die er sonst für kein anderes Werk verwendet:

177 Vgl. Kap. 5.1. 178 Strauch, S. 364 ad 91. Strauch gibt dafür die Überlinger Hs. 1894/267 an. 179 Nach Gnädinger, Deutsche Mystik, S. 354 und Corsini, Notizie Introduttive, S. 387 ad 14 könnte dabei das Seuse zugeschriebene ›Minnebüchlein‹ (oder ›Büchlein von der Liebe‹) gemeint sein. Dieses ist abgedruckt in: Seuse, S. 537–554. Weiter wäre auch an Seuses ›Vita‹ zu denken, wenn der Genitiv Jhesu auch auf die erste Charakterisierung des Buches ›von dem süssen Namen‹ bezogen würde. Obwohl gerade die ›Vita‹ ein frühes Zeugnis der Verehrung des Namens Jesu ist, kann es sich bei dieser Angabe Heinrichs von Nördlingen aber kaum um die Autobiographie Seuses handeln, da der Brief bereits 1347/1348 verfasst, die ›Vita‹ hingegen wohl erst 1362/63 als Bestandteil des ›Exemplars‹ verbreitet wurde (vgl. Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1114). Zu weiteren Interpretationsmöglichkeiten des in Brief XXXV zitierten Titels vgl. Ehrenschwendtner, Die Bildung, S. 226, Anm. 849. Nigel F. Palmer meint zu diesem Buch: »Es könnte sich um ein Andachtsbuch in deutscher Sprache gehandelt haben, das einen besonderen Bezug zum Kloster Niederschönenfeld hatte, oder um eine Gründungslegende oder ein Schwesternbuch mit Viten einzelner Schwestern [. . .]«: Deutschsprachige Literatur, S. 247. 180 Letzter Bestimmungsort der drei Bücher der ›Summa‹ war die Bibliothek von Medingen: In Brief LXV , 19–22, Strauch, S. 280 an die Priorin Elsbeth Scheppach drückt Heinrich seinen Unmut aus, die ›Summa‹ noch nicht erhalten zu haben, und in Brief XLIII , 52–59, ebd., S. 244 kann er sich schliesslich für die Zusendung dieser Bücher bedanken und vermacht sie dem Kloster Medingen auf sein Ableben hin.

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ich beger auch mit groszem ernste, das ir euch lassint enpfolhen sein umb die drüi teil der Sumen sant Thomas des predigers, die zesamen gehörent, als ich euch auch am nechsten enpfalh, die man ze Augspurg verkauffen wil, wan ich geträwe got, das si mir und mangen menschen nutz werdent mit mir. wan ich nun belieben pin von schule, als du wol weist, so wurd ich dar innen ergötzet aller meiner begird. ich weiss nichtz uf erdrich in zergenklichen dingen, das ich gerner hett.181

Heinrich erwähnt auch noch die ›Summa contra gentiles‹ des Aquinaten, welche die Medinger Schwestern für ihn gekauft hatten, die aber nicht bei ihm ankam. Stattdessen muss ihn ein unzuverlässig geschriebenes Exemplar erreicht haben, und Heinrich fordert die Nonnen auf, dafür den geforderten Betrag nicht zu zahlen.182 Damit werden auch Schwachstellen in diesem Beziehungsnetz sichtbar: Die Verkäufer hatten von der Bildung der Medinger Schwestern offenbar keine hohe Meinung und glaubten, diese betrügen zu können. Heinrichs Kommentar dazu ist für seine uns erhaltenen Briefe in dieser Schärfe beachtlich: [. . .] si sint geverlich mit unsz umb gangen.183 Heinrich nahm seine Aufgaben in Basel sehr ernst und deckte sich mit den wichtigsten Werken des Thomas von Aquin ein. Er war fähig, eine schlechte Abschrift des Autors zu erkennen und empfahl dessen Werk anderen weiter. Richard Schultz konnte daher festhalten: »Heinrichs Begeisterung für Bücher, insbesondere für die mystische Literatur, deutet auf ein hohes Interesse an der Theologie und eine für seine Zeit überdurchschnittliche Bildung hin.«184 7.5.2 Das Interesse an mystischer Literatur Nicht zuletzt wegen seiner intensiven Arbeit in der cura animarum an Ordensleuten und Laien galt Heinrichs Interesse vor allem der mystischen Literatur. In Brief XLIV , der voraussichtlich im Jahre 1346 geschrieben wurde,185 zitiert er den ›Liber specialis gratiae‹ Mechthilds von Hacke181 Brief XL , 74–82, ebd., S. 238. 182 Vgl. Brief XLIII , 59–67, S. 244. 183 Ebd., Z. 66. Heinrich hat dem Prior (wohl der Predigerbrüder in Augsburg) deswegen geschrieben; vgl. ebd., Z. 68: ich han auch dem prior ernstlich dar umb geschriben. Die Dominikaner in Augsburg haben damals viele Bücher veräussert; vgl. ebd., S. 368 ad 74 ff. Mit dem hier erwähnten Prior dürfte also nicht jener von Kaisheim gemeint sein, wie Strauch vermutet: ebd., S. 374 ad 68. 184 Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 153 f. 185 Zur Datierung des Briefs vgl. Kap. 4, Anm. 230. Der Brief wurde damit vor

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born.186 Er hatte in Basel vielleicht die Möglichkeit, Einsicht in eine Ausgabe des ›Liber‹ zu erhalten, die Johannes Tauler gehörte. Diese liegt heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen als Codex 583 und enthält einen Besitzvermerk auf den Namen ›Johannes Tauler‹.187 Die These, Heinrich habe diesen Codex gekannt, wird gestützt durch die Tatsache, dass Zitat und Paraphrase in Brief XLIV dem Text dieser St. Galler Handschrift nahe kommen.188 Sicher aufgrund der Vermittlung Taulers hatte Heinrich einige Jahre früher Einsicht in ein Werk Heinrich Seuses. In Brief XXXV kündigt er ein Buch an, das damals im Kloster Kaisheim abgeschrieben wurde und auch in Medingen kopiert werden sollte: Ein puch han ich gesant dem prior ze Kaiszheim, das ist das buch das man nent Orologium Sapientiae ze latin, und das ist unszers lieben vatters Taulers, der noch nit kommen ist von Cölen; das haiss dir lihen, so ers erst ab geschribt – das han ich im geschriben –, und schribent es den ab dem convent, das es allzeit bei euch belib. ich getrawe got, das er da von gelobt werd.189

Es wurde bereits mehrmals betont, dass sowohl Heinrich von Nördlingen als auch Margaretha Ebner das Werk Seuses schätzten.190 Während es für

186 187 188 189 190

der Leithandschrift der Ausgabe von Solesmes geschrieben; vgl. Kap. 4, Anm. 225. Die von Solesmes verwendete Hs. Wolfenbüttel, Hzg. Aug. Bibl., cod. 1003 Helmst. wurde 1370 vollendet; vgl. Schmidt, Mechthild von Hackeborn, Sp. 252. In der Universitätsbibliothek Basel ist heute noch eine Hs. vorhanden, die Exzerpte aus dem ›Liber‹ enthält. Es handelt sich um den Cod. B X 36; vgl. Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Beschreibendes Verzeichnis. Abteilung B. Theologische Pergamenthandschriften. Bd. 2: Signaturen B VIII 11 – B XI 26, bearb. von Gustav Meyer und Max Burckhardt, Basel 1966, S. 780–787, zum ›Liber‹: S. 783–786. Cod. B X 36 gehörte in die Bibliothek des Kartäuserklosters von Basel. Jener Teil der Hs., der Auszüge aus dem Mechthild-Text wiedergibt, dürfte um 1400 herum geschrieben worden sein. Er könnte demnach noch auf die Rezeption des ›Liber‹ durch den Basler Freundeskreis Heinrichs zurückgehen, da die Kartäuser erst 1401 nach Basel kamen; vgl. Walter Leimgruber, Die Karten des Bistums Basel, in: Helvetia Sacra I /1 (1972), S. 316–362, hier: S. 326. Vgl. Kap. 4.5.1. Vgl. Louise Gnädinger und Johannes G. Mayer, Tauler, Johannes OP , in: 2VL 9 (1995), Sp. 631–657, hier: Sp. 635. Vgl. Kap. 4, Anm. 229. Brief XXXV , 82–88, Strauch, S. 228 f. Vgl. etwa Kap. 6.1. Als Seuse wegen einer Verleumdung in Verruf geriet (vgl. Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1111 f.), wandte sich Heinrich von Nördlingen von ihm ab. In der Art, wie er dies in Brief LI , 86–88, Strauch, S. 263 Margaretha

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Philipp Strauch noch fragwürdig war, ob es sich in dem in Brief XXXV erwähnten Buch wirklich um ein Werk Heinrich Seuses handelt und nicht um die Schrift eines anderen Autors,191 gilt es heute in der Forschung als das ›Horologium Sapientiae‹ Seuses.192 Ein Vorbehalt zu dieser Interpretation der Briefstelle soll hier trotzdem vorgetragen werden. Wohl darf bei der Nennung dieses Werkes die Autorschaft Seuses als sicher gelten. Doch ist damit noch nichts über das Buch selbst gesagt. Hätte Heinrich von Nördlingen hier nicht auch das ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ meinen können, wofür er im Deutschen keinen Titel kannte (oder dessen deutscher Titel ihm weniger geläufig war), weshalb er auf jenen des lateinischen ›Horologiums‹ zurückgriff? Heinrich, der das Buch von Johannes Tauler erhalten hatte und Seuse bis zu dessen Verleumdung 1347/48 achtete,193 wird als Freund der Dominikaner wohl gewusst haben, dass das ›Horologium‹ die »erweiterte Neuredaktion« des BdeW in lateinischer Sprache darstellt;194 zumindest kannte er eine Abhängigkeit des ›Horologiums‹ vom BdeW und konnte die beiden Werke ohne weiteres miteinander in Verbindung bringen. Pius Künzle führt in seinen Darlegungen zu Brief XXXV Heinrich S. Denifle an, der die Worte das man nent mit »dessen Titel ist« übersetzte und nicht mit »das man nennt«, wie das Wilhelm Preger getan hat.195 Doch wird auch bei Denifle und Künzle der Zusatz ze latin zu wenig beachtet. Der Relativsatz bemerkt zunächst nur: »dessen Titel auf Lateinisch Orologium Sapientiae lautet«.196 Da 1339 – und in dieses Jahr datiert Philipp Strauch

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mitteilt, bestätigt er, dass er Seuse zuvor sehr geschätzt hat: mein hertz haltet nit mer zu dem Süsen, als es etwan tet; bit got für unsz beid. Weiter wird Heinrich Seuse auch in Brief XXXI , 22, ebd., S. 216 genannt, vielleicht auch in XXIX , 38, ebd., S. 214; vgl. dazu ebd., S. 354 ad 37 f. Vgl. ebd., S. 363 f. ad 83. Vgl. Künzle, Horologium (im Folgenden abgekürzt mit Hor), S. 20, Anm. 2. Dazu auch in einer neueren Arbeit: Stephanie Altrock und Hans-Joachim Ziegeler, Vom diener der ewigen wisheit zum Autor Heinrich Seuse. Autorschaft und Medienwandel in den illustrierten Handschriften und Drucken von Heinrich Seuses ›Exemplar‹, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450, hg. von Ursula Peters (Germanistische Symposien Berichtsbände 23), Stuttgart/Weimar 2001, S. 150–181, hier: S. 151. Zur Datierung des Briefes LI vgl. Strauch, S. 385, Vorbemerkung. Vgl. Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1123. Vgl. ebd. Der Vorschlag Denifles stützt sich auf die Worte qui intitulatur, mit denen das Hor im Prolog eingeführt wird; vgl. Künzle, Hor, Prol., S. 363, 3. Preger schloss aus seiner Übersetzung, das Werk habe zur Zeit der Briefabfassung bereits eine allgemeine Verbreitung gekannt; vgl. ebd., S. 20, Anm. 2. Um auszudrücken, das Buch sei in lateinischer Sprache verfasst worden, hätte

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Brief XXXV 197 – beide Bücher, das BdeW und das ›Horologium‹, bereits erschienen waren,198 wäre die Bezugnahme auf den Titel des lateinischen Werkes für das deutsche BdeW von der Textgeschichte her möglich. Heinrich spricht anderswo ebenfalls von der ›Lux divinitatis‹,199 meint damit aber offenbar das deutsche ›Das liecht der gothait‹,200 aus dem er ja auch zitiert.201 Mit der Bemerkung und schribent es den ab dem convent, das es allzeit bei euch belib wird ferner ersichtlich, dass dieses Buch nicht nur für die Kaisheimer Abtei, sondern auch für den Medinger Konvent gedacht war, was die Hypothese wahrscheinlicher werden lässt, es handle sich in Brief XXXV um das deutsche BdeW, denn nur das konnten die Schwestern vermutlich lesen.202 Als stärkstes Argument dürfte der Umstand ins

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Heinrich wohl eher die Wortreihenfolge das buch ze latin das man nent Orologium Sapientiae wählen müssen oder er hätte den Zusatz ze latin ganz fallen lassen können. Vgl. Strauch, S. 362, Vorbemerkung. Vgl. Haas/Ruh, Seuse, Sp. 1114. Brief XLIV , 52 f., Strauch, S. 248. Brief XLIII , 117 f., ebd., S. 246. Zum Einfluss des ›Fliessenden Lichts‹ auf die Briefe Heinrichs vgl. Kap. 4.3. Die Briefstelle XLIV , 52–54 lässt einige Fragen offen. Nigel F. Palmer erwägt die Möglichkeit, dass hier eine zweite Hs. erwähnt wird, sandte Heinrich Brief XLIII gemäss doch bereits eine Abschrift des ›Fliessenden Lichts‹ nach Medingen, was eine erneute Sendung von Kaisheim her erübrigen würde; vgl. Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 255. Ich würde in Brief XLIV nicht so eindeutig wie Palmer (vgl. ebd., Anm. 57) mit einem Exemplar der lateinischen ›Lux divinitatis‹ (vgl. Anm. 209) rechnen, sondern durchaus mit einer weiteren deutschen Hs. Heinrich hat sich Kap. 6.5 gemäss bevorzugt lateinisch ausgedrückt. Er gibt gerade in Brief XLIV das einzige Mal in der Briefsammlung ein lateinisches Zitat wieder; vgl. Kap. 4.5.1. Das hätte ihn veranlassen können, das deutsche ›Fliessende Licht‹ ebenfalls lateinisch zu benennen, muss ihm doch auch in diesem Falle die lateinische Übersetzung bekannt gewesen sein. Auch Hans Neumanns Interpretation von Brief XXXV , 82–88, stützt die hier vorgebrachte These: »Die Ausdrucksweise deutet eher auf einen deutschen Text als auf einen lateinisch geschriebenen«: Problemata, S. 165, Anm. 1. Zwar darf von einem grundsätzlich hohen Bildungsniveau der Dominikanerinnen des 14. Jh.s ausgegangen werden, das »bemerkenswerte theologische Grundkenntnisse« durchscheinen lässt (Acklin Zimmermann, Gott, S. 55), wobei die Eigenständigkeit der Nonnen vor allem im Formalen – »in der narrativen Umsetzung theologischer Inhalte« – zu suchen ist: Thali, Beten, S. 76. Einige Beobachtungen zu den ›Offenbarungen‹ Margarethas lassen aber die Vermutung zu, dass weder ihr noch Elsbeth Scheppach die lateinische Sprache wirklich geläufig war; vgl. Kap. 6.5. In Maria Medingen dürfte, da

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Gewicht fallen, dass Heinrich in eben jenem Brief XXXV das einzige Mal eine Stelle aus dem BdeW – und nicht etwa aus dem ›Horologium‹ – zitiert.203 Die hier vorgebrachte Argumentation hätte zur Konsequenz, dass von Tauler, dem dieses Buch laut Brief XXXV ja gehörte, letztlich nicht das ›Horologium‹, sondern das BdeW zurück nach Strassburg gebracht worden wäre.204 Dieser Hypothese könnte entgegengehalten werden, Kaisheim sei nun aber erwiesenermassen im Besitz eines lateinischen ›Horologiums‹ gewesen, das sich heute in der Bayerischen Staatsbibliothek unter der Signatur Clm 28242 befindet.205 Diese Feststellung muss bei einem Werk von solcher Verbreitung nicht unbedingt ein Einwand gegen das Abschreiben des BdeW in der Abtei sein, zumal bei den dortigen Laienbrüdern vermutlich ein Interesse an der deutschen Version vorhanden war.

Wer das ›Fliessende Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg nach Basel gebracht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Dessen ungeachtet wird dort deutsche Texte rege gesammelt und abgeschrieben wurden, wie in anderen Klöstern der Anreiz zum Verstehen des Lateins abgenommen haben, je mehr lateinische Texte in deutscher Bearbeitung vorlagen; vgl. Ochsenbein, Latein und Deutsch, S. 43. Bereits für die Dominikanerinnen des 13. Jh.s sind Anhaltspunkte für ein Zurücktreten der Lateinkenntnisse gegeben; vgl. Ehrenschwendtner, Die Bildung, S. 335. Margaretha hat das BdeW auf jeden Fall in Deutsch gekannt; vgl. Kap. 6.1. 203 Vgl. Z. 35–37, Strauch, S. 227; vgl. auch Kap. 4, Anm. 136. 204 Künzle hingegen zählt das Werk als verlorene Hor-Hs. Strassburgs auf, die Johannes Tauler wahrscheinlich dorthin zurückgebracht habe: Hor, S. 209, N. 64. 205 Vgl. Hermann Hauke, Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Clm 28111–28254 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis IV /7), Wiesbaden 1986, S. 220 f. und Künzle, Hor, S. 110 f., N. 6. Diese Hs. wurde vor der Mitte des 14. Jh.s nach einer weiteren Hs. korrigiert, die sich demnach ebenfalls in Kaisheim befand; vgl. Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 248. Palmer bezieht sich hier auf Ausführungen von Dominikus Planzer. Es sind keine weitere lateinische oder deutsche Hss. bekannt, die ein Interesse Kaisheims an mystischer Literatur bezeugten; vgl. Franz Jürgen Götz, Das Zisterzienserkloster Kaisheim und seine mittelalterlichen Bücherschätze, in: Bibliotheken in Neuburg an der Donau. Sammlungen von Pfalzgrafen, Mönchen und Humanisten, hg. von Bettina Wagner, Wiesbaden 2005, S. 55–79, hier: S. 73. Auch Karin Schneider nimmt für Clm 28242 an, dies sei das Exemplar Taulers gewesen, von dem die Briefstelle XXXV , 82–87 Heinrichs von Nördlingen spricht; vgl. Gotische Schriften in der deutschen Sprache. II . Die oberdeutschen Schriften von 1300 bis 1350. Textband, Wiesbaden 2009, S. 147. Schneider vermutet, diese Hs. sei im »Zürcher Raum« geschrieben worden: ebd.

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hier versucht, über die Beschäftigung mit diesem Werk und jener Literatur, die mit ihm zusammen überliefert wurde, neue Einsichten in das literarische Netz der Freundinnen und Freunde Heinrichs in Basel zu gewinnen.206 Das ›Fliessende Licht‹ ist nicht etwa in einer alemannischen Übertragung nach Basel gekommen, sondern in der niederdeutschen Originalsprache. Das deutet die Stelle aus Brief XLIII an: [. . .] wan es ward uns gar in fremdem tützsch gelichen, das wir wol zwai jar flisz und arbeit hetint, ee wirs ain wenig in unser tützsch brachtint.207 Aus diesem Satz wird ersichtlich, dass das niederdeutsche Exemplar – da Brief XLIII ins Jahr 1345 datiert werden kann208 – vor oder im Jahre 1343 in Basel eingetroffen ist. Leider sind uns gerade aus den Jahren 1342 und 1343 keine Briefe Heinrichs erhalten, die darüber Auskunft geben könnten, von wem der Freundeskreis Heinrichs damals Besuch hatte oder welche Reisen in dieser Zeit unternommen wurden. Heinrich hätte das Werk über das Basler Predigerkloster kennenlernen oder diesem das niederdeutsche Exemplar vermittelt haben können, denn aus dessen Bibliothek ist heute noch eine Handschrift aus dem 14. Jahrhundert überliefert, die das ›Fliessende Licht‹ in Latein (›Lux divinitatis‹) enthält.209 Richard Schultz äussert die Vermutung, Johannes Tauler habe ein niederdeutsches Exemplar zusammen mit der lateinischen Fassung nach Basel gebracht.210 206 Zur Bedeutung dieses Werkes für die Briefe Heinrichs vgl. v. a. Kap. 4.3 und 5.2. 207 Z. 136–138, Strauch, S. 247. 208 Vgl. ebd., S. 373, Vorbemerkung. 209 Die Rede ist von der Hs. Cod. B IX 11 der Universitätsbibliothek Basel; vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 178. Diese Hs. ist der »älteste erhaltene Textzeuge des ›Fliessenden Lichts‹. Er verdankt seine Entstehung den gleichen Interessen, die auch der oberdeutschen Übertragung zugrunde lagen«: Mechthild von Magdeburg, Das fliessende Licht der Gottheit, hg. von Gisela Vollmann-Profe (Bibliothek deutscher Klassiker 181; Bibliothek des Mittelalters 19), Frankfurt a. M. 2003, S. 672 f. Eine Übersicht über die MechthildÜberlieferung, welche die deutschsprachige und die lateinische Traditionslinie einschliesst, bietet Erik Ernst Venhorst, Von alten Büchern und neuen Bildern. Die Hl. Mechthild von Magdeburg in Handschriften und Kunst, in: Minne, Mut, Mystik. 800 Jahre Mechthild von Magdeburg. Eine Ausstellung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg und des Bistums Magdeburg zum Mechthild-Jahr 2007/2008, Magdeburg 2008, S. 8 f. 210 Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 144. Gisela Vollmann-Profe sieht das Überleben des ›Fliessenden Lichts‹ in beiden Sprachen im Umstand, dass die Dominikaner im Werk Mechthilds für ihren Orden einen Nutzen erkannten; vgl. Mechthild von Magdeburg – deutsch und lateinisch, in: Deutsche

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Tauler, von dem Heinrich ja bereits das BdeW (oder das ›Horologium‹) Heinrich Seuses ausgeliehen hatte, um es nach Kaisheim und Medingen zu senden, ist Mitte 1339 zu einer Reise nach Köln aufgebrochen, die ihn über das Kloster Rheinau führte und von der er Ende September noch nicht zurückgekehrt ist.211 Der Anlass dieser Reise ist nicht auszumachen: »Möglich, dass Tauler in diesem Zusammenhang in Köln Schriften Meister Eckharts einsehen und für sich und den Kreis der sogenannten Gottesfreunde vielleicht sogar kopieren lassen wollte. [. . .] Tauler hat sich zudem – wer weiss, ob vielleicht auch auf dem Weg nach Köln – ebenfalls mit dem Offenbarungsbuch Hildegards von Bingen (1098–1179) beschäftigt.«212 Von seiner literarischen Reise zurückgekehrt, hätte Tauler theoretisch auch das ›Fliessende Licht‹ in zwei Sprachen im Gepäck haben können. Für das Jahr 1340 bezeugen die Briefe auch für Heinrich eine Reise, und zwar in die Zisterzienserabtei Lützel,213 im folgenden Jahr war er in Kaisheim und Medingen.214 Gerade im Umfeld der Zisterzienserklöster hätte auch er eine Kopie des Buches aus Helfta ausleihen können.

7.5.3 Der Kreis der Übersetzer des ›Fliessenden Lichts‹ So wie über die Herkunft der niederdeutschen Vorlage des ›Fliessenden Lichts‹ nichts gesagt werden kann, muss die Entstehungsgeschichte der oberdeutschen Übertragung im Bereich des Hypothetischen bleiben, denn sogar der Anteil Heinrichs an der Übersetzungsarbeit ist keineswegs gewiss.215 Im Gegensatz zur älteren Forschung, die davon ausging, Heinrich habe das ›Fliessende Licht‹ selbst übersetzt,216 meint beispielsweise Richard Schultz: »Dass das Visionenbuch nicht – wie früher angenommen – allein von Heinrich, sondern von einem ganzen Kreis interessierter Gottesfreunde

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Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte, Kolloquium Kloster Fischingen 1998, hg. von Walter Haug und Wolfram Schneider-Lastin, Tübingen 2000, S. 133–156, hier: S. 155. Für Vollmann-Profe muss »ein Lieblingsgedanke Neumanns eine reizvolle Hypothese bleiben [. . .]: dass nämlich Tauler in den 30er Jahren ein Exemplar des FL im Mantelsack nach Basel gebracht habe«: ebd. Vgl. die Briefe XXXIII , 110 f., Strauch, S. 222 und XXXV , 84 f., ebd., S. 229. Einem Brief des Egenolf von Ehenheim an Venturino von Bergamo ist zu entnehmen, dass Tauler auch im Oktober noch unterwegs war; vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, S. 36. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. Brief XXXVI , 16–18, Strauch, S. 230. Vgl. Brief XXXVII , 18 f., ebd., S. 232. Vgl. die dazu bereits angebrachten Bemerkungen im Exkurs von Kap. 5.2.1. Vgl. etwa Strauch, S. LXVI . Diese Auffassung findet sich auch noch bei McGinn, Die Mystik, S. 397.

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übertragen wurde, darauf weisen die Briefe an Margareta [. . .] deutlich hin.«217 Diese Lesart der bereits zitierten Stelle aus Brief XLIII , die bei Schultz vor allem gemeint sein muss – Heinrich spricht hinsichtlich der Übersetzertätigkeit von ›wir‹ und ›uns‹ –, ist richtig.218 Da die Entstehung der alemannischen Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ in den Umkreis des Dominikanerordens weist,219 dürften die Mitarbeiter Heinrichs im Umfeld des Basler Predigerklosters zu suchen sein. Die Strassburger Brüder, die in Basel ihr Exil gefunden hatten, können davon allerdings ausgeschlossen werden, weil sie wahrscheinlich bereits im Winter 1342/1343 wieder in ihr Kloster zurückkehren konnten,220 die Arbeit an der Übersetzung aber damals eben erst im Gang war. Die Mitarbeit von Johannes Tauler selbst ist eher unwahrscheinlich. Zwar könnte er im Gegensatz zu seinen Strassburger Mitbrüdern bis 1346 in Basel geblieben sein, doch war er immer wieder auf Reisen, so etwa 1343, als er zum zweiten Mal während seines Exils in Köln weilte.221 Seine unregelmässigen Aufenthalte in Basel müssten für ein Übersetzen mit flisz und arbeit über fast zwei Jahre hinweg wohl eher hinderlich gewesen sein. Auch ist in den Schriften Taulers keine Rezeption des ›Fliessenden Lichts‹ zu finden.222 Auf der Suche nach dem Kreis der Übersetzer bleiben darum vor allem die Basler Predigerbrüder, doch »muss wohl gesagt werden, dass der Anteil der Basler Konventualen an der dominikanischen Mystik nicht zu stark betont werden darf«.223 Im Basler Konvent kann für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, die für das Kloster eine Blütezeit darstellte, von einer durchschnittlichen Zahl von 50 bis 60 217 Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 144. 218 Zur Briefstelle vgl. Anm. 207. Diese Lesart stützen auch Muschg, Die Mystik, S. 301; Weitlauff, dein got redender munt, S. 325; ders., Heinrich von Nördlingen, Sp. 847; Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 173*. 219 Vgl. Kap. 7.5.4. 220 Vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, S. 39. Es dürfte sich bei diesen Brüdern vor allem um die Lehrer und Schüler des Strassburger Studiums gehandelt haben; vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 170, Anm. 58. 221 Vgl. Gnädinger/Mayer, Tauler, Sp. 635. Louise Gnädinger hat Brief XLIII dahingehend gelesen, Tauler habe mit Heinrich zusammen die Übertragung unternommen: Johannes Tauler, S. 37. Vgl. dazu Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 480: »[. . .] aber nichts berechtigt, Tauler mit L. Gnädinger unter diesem wir zu subsumieren.« 222 Für Kurt Ruh ist das ›Fliessende Licht‹ im Predigtwerk Taulers »nirgendwo mit Sicherheit als Quelle auszumachen«: ebd. 223 Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 178.

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Brüdern ausgegangen werden. Deren Bibliothek wurde allerdings noch 1305 als satis exilis et pauper in libris bezeichnet.224 Aus dem heute noch bekannten Bücherbestand des Basler Predigerklosters zählen 81 Werke zum Bereich Mystik, Erbauung und Askese.225 Die neuplatonische Richtung der deutschen Dominikanerschule wurde im Predigerkloster zwar diskutiert, aber in ihrer Ausrichtung gegen Thomas von Aquin nicht akzeptiert.226 Die deutsche Mystik war in der Bibliothek des Basler Konvents darum nur spärlich vertreten, eher schon die lateinische des 12. und 13. Jahrhunderts,227 zu der auch das bereits erwähnte Exemplar der ›Lux divinitatis‹ gezählt wird.

Aufgrund des eher geringen Interesses der Basler Predigerbrüder an dominikanischer Mystik können zum Kreis jener Dominikaner, die als Mitarbeiter Heinrichs in Frage kommen, vermutlich nur folgende Namen gezählt werden: Unter den Prioren jener Zeit, in der Heinrich in Basel weilte, sind für die Jahre 1340 und 1346 Albert de Reinkein (Renchen) und für 1347 Johannes von Effringen (Offringen) bezeugt.228 Albert de Reinkein, der ursprünglich zum Strassburger Konvent gehörte, aber noch 1356 als Angehöriger des Basler Konvents genannt wird, kann wie die Dominikaner Johannes von Effringen und Johannes Atzenbach zum Theologenkreis um den Eckhartschüler Johannes von Dambach gezählt werden.229 Die Zugehörigkeit des Johannes von Atzenbach zum Basler Freundeskreis um Johannes Tauler (der sich mit jenem um Heinrich weitgehend decken dürfte) wird über die Briefe des oberitalienischen Dominikaners Fra Venturino da Bergamo (1304–1346) bezeugt.230 Auch der Dominikaner Hartmann von 224 225 226 227

Ebd., S. 159. Vgl. ebd., S. 160. Vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 193. Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 178 f. Auch wenn die deutsche Mystik in der Bibliothek der Basler Predigerbrüder nicht gut vertreten ist, kann Helen Webster dennoch auf die Präsenz von Persönlichkeiten in Basel hinweisen, die entweder Meister Eckhart persönlich kannten oder durch seine Lehre geprägt waren: German Mysticism, S. 72 f. 228 Vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 238 f. Von 1344–1345 war Hugo Münch Prior; er galt als gelehrter Lesemeister; vgl. S. 238. Er und sein Bruder Johannes, der später ebenfalls Prior wurde, sind für 1349 in Basel auch als Lektoren ausgewiesen; vgl. ebd., S. 267. 229 Dambach weilte mit seinen Strassburger Mitbrüdern bis 1343 im Basler Exil; vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 193. Er war eine angesehene Persönlichkeit unter den deutschen Dominikanern des 14. Jh.s und Schüler Meister Eckharts. Von ihm sind mehrere Schriften in lateinischer Sprache erhalten; vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 173. 230 Vgl. ebd., S. 173. Venturino erwähnt neben Johannes Tauler Johannes Dambach und Johannes Atzenbach; vgl. Deutsche Mystikerbriefe, S. 292 und

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Kronenberg interessierte sich wahrscheinlich für Mystik.231 Dazu könnten sich noch zwei weitere Brüder, für die ein Interesse an deutscher Mystik bezeugt ist, zur Zeit Heinrichs im Basler Konvent aufgehalten haben: Von Nikolaus von Sax, der von 1343–1345 in Basel Lektor war, ist vermutlich in der Handschrift B IX 15 der Basler Kartause unter vielen Sprüchen deutscher Mystiker ein Ausspruch erhalten.232 Ferner gehörte 1345 auch Peter von Biel dem Predigerkonvent an, von dem wahrscheinlich ein Spruch über die geistige Geburt erhalten ist.233 Zu diesen heute noch namentlich bekannten Brüdern des Basler Predigerklosters, die sich mit (deutscher) Mystik beschäftigten, und die darum in Frage kämen, dem Freundeskreis um Johannes Tauler und Heinrich von Nördlingen angehört und auch an der Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ mitgearbeitet zu haben, kann zudem auch noch Heinrichs Freund (und Schreiber) – in den Briefen nur ›Herr Heinrich‹ genannt – gerechnet werden.234 7.5.4 Dominikanische Provenienz der Einsiedler Handschriften 277 und 278 Anders als über die Vorlage und die Entstehung des alemannischen ›Fliessenden Lichts‹ wissen wir einiges über dessen Rezeptionsgeschichte. Die Waldschwestern im Hochtal bei Einsiedeln – es handelte sich um insgesamt vier Samnungen von Beginen an der Alpegg, in der Vorderen Au, in der Hinteren Au und an der Hagenrüti235 – gelangten in den Besitz zweier Codices, die ihnen durch Heinrich von Rumersheim aus dem Nachlass seines Beichtkindes Margaretha zum Goldenen Ring geschenkt worden waren. Die eine Handschrift, Cod. 277 der Stiftsbibliothek Einsiedeln – künftig Einsiedeln I –, überliefert in einem ersten Teil auf den Blättern 2r–166r als einzige vollständig den Text des ›Fliessenden Lichts‹ mit dem

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296. Atzenbach wird als »filius nativus des Basler Klosters« bezeichnet; vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 174. Vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 193. Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 175. Zu den folgenden Angaben vgl. ebd. Ein »gewisser Zusammenhang der Schriften« der Hss. B IX 15 und Einsiedeln I (vgl. Kap. 7.5.4) ist Karin Schneider gemäss »nicht auszuschliessen«: Gotische Schriften, S. 150. Zu Peter von Biel vgl. auch Anm. 162. Zur Vermutung, dieser ›Herr Heinrich‹ könnte der Dominikaner Heinrich von Wies gewesen sein, vgl. Kap. 7.4. Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 65*.

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Zusatz zweier kurzer mystischer Texte vergleichbaren Inhalts.236 Der zweite, kürzere Teil dieses Buches, der die Blätter 169r–221v umfasst, tradiert mehrere mystische Texte dominikanischer Provenienz. Während der erste Teil von einer einzigen Hand geschrieben wurde, stammt der zweite Teil von fünf weiteren Händen. Hans Neumann vermutet, die beiden Teile von Einsiedeln I stünden nicht nur thematisch, sondern auch entstehungsgeschichtlich in einem engen Verhältnis. Griffspuren auf den Blättern 1 und 168 machten zwar deutlich, »dass Teil I zunächst allein und ungebunden benutzt wurde«, doch müsse der andere Teil »in Kenntnis des ersten und in Anlehnung an diesen geschrieben« und wohl bald als »Fortsetzung« dem ›Fliessenden Licht‹ beigefügt worden sein.237 Die zweite Handschrift, die bei den Beginen in der Au eintraf, Cod. 278 in Einsiedeln – künftig Einsiedeln II –, enthält auf den Blättern 3–147 an erster Stelle die nur hier bewahrte hochalemannische Übersetzung von Rudolfs von Biberach ›De septem itineribus aeternitatis‹,238 der ebenfalls andere mystische Texte folgen. Teil II von Einsiedeln I hat mit Einsiedeln II die letzten Zeilen einer Eckhart-Predigt239 und einen kurzen, sonst nirgends nachgewiesenen Text gemeinsam,240 sodann sind Anfang und Schluss des zweiten Teils von Einsiedeln I von der gleichen Hand wie die erste Hälfte von Einsiedeln II geschrieben.241 Da für Hans Neumann insgesamt mehr Indizien für die frühe Verbindung der beiden Teile in Einsiedeln I sprechen als dagegen,242 darf angenommen werden, dass jene Kreise, die das 236 Zum Folgenden vgl. Neumann II , S. 175–184. Den Weg, den Cod. 277 und Cod. 278 von den Waldschwestern in der Au in die Stiftsbibliothek Einsiedeln zurücklegten, beschreibt Neumann in: ebd., S. 186. 237 Ebd., S. 176. Vgl. dazu auch Webster, German Mysticism, S. 111: Dieser zweite Teil sei von späteren Leserinnen und Lesern als achtes Buch aufgefasst worden. Dies bestätigt ein Eintrag einer Hand des 15. Jh.s in Einsiedeln I auf fol. 169r: Daz 8 buoch nach dem a b c gestelt. Neumann setzt die Entstehungszeit der Hs. in der zweiten Hälfte des 14. Jh.s an. Zur Datierung Karin Schneiders vgl. Anm. 252. 238 Vgl. ebd., S. 185. Margot Schmidt kennzeichnet die Bll. von Einsiedeln II mit den Angaben ›a‹ und ›b‹ für die Vorder- bzw. Rückseiten. Da die Hs. aber von einer neuzeitlichen Hand nicht etwa foliiert, sondern paginiert wurde, lasse ich im Folgenden diese Kleinbuchstaben weg. 239 Vgl. Neumann II , S. 183. Es handelt sich um Einsiedeln I , fol. 221ra und Einsiedeln II , fol. 339–345. 240 Vgl. Neumann II , S. 185. Dieser Text befindet sich auf Einsiedeln I , fol. 221ra und Einsiedeln II , fol. 323–324. 241 Es handelt sich um die zweite der sechs Hände von Einsiedeln I . 242 Vgl. Neumann II , S. 185.

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›Fliessende Licht‹ geschrieben haben, auch für den zweiten Teil von Einsiedeln I und damit ebenso für Einsiedeln II verantwortlich waren, die beiden Handschriften also schon sehr früh zusammengehörten.243 Für Margot Schmidt ist der Übersetzer (oder wohl besser: die Übersetzer) von ›De septem itineribus aeternitatis‹ in Einsiedeln II ein mit der deutschen dominikanischen spekulativen Theologie vertrauter Theologe gewesen; ferner zeigten auch die Schreiber einen vertrauten Umgang mit der lateinischen Sprache.244 Weiter geht Schmidt aufgrund des Vergleichs der metaphorischen Ausdrucksweise in den ›Siben strassen zu got‹ und dem ›Fliessenden Licht‹ von einer gemeinsamen Schreib- und Übersetzerschule aus, in der für die Arbeit an den ›Siben strassen‹ der Text des ›Fliessenden Lichts‹ vorgelegen haben muss.245 Da für die ›Siben strassen‹ eine Entstehung im Umfeld des Basler Predigerklosters angenommen werden darf, ist dieser Umstand darum auch für das ›Fliessende Licht‹ festzuhalten. Schmidt weist über den sprachlichen Befund, der sich aus der Analyse der ›Siben strassen‹ ergibt, diese Übersetzung nach Basel.246 Dadurch dürfte Einsiedeln II – und auch Einsiedeln I – aus dem Basler Dominikanerkonvent stammen »oder aus einem ihm nahestehenden Kreis in Basel, der es sich zur Aufgabe machte, aszetisch-mystisches Schrifttum zu sammeln und zu verbreiten«.247 Auf inhaltlicher Ebene nimmt Schmidt an, dass Einsiedeln I und II einheitlich ausgerichtet seien, da beide Handschriften Texte deutscher Dominikaner überliefern.248 Wird den Widmungen des Chorherren Heinrich von Rumersheim Glauben geschenkt, er habe die beiden Codices im Auftrag Margarethas zum Goldenen Ring zu den Waldschwestern bei Einsiedeln gesandt,249 kann auch das als Indiz für den 243 Dafür sprechen auch der gleiche Einband, die gemeinsame Lagezahl und die gleiche Anlage der Lagen; vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 171*. 244 Vgl. ebd., S. 172*. 245 Vgl. ebd., S. 168* f. 246 Vgl. ebd., S. 77*. 247 Ebd. 248 Ebd., S. 62*. Bei diesen Dominikanern handelt es sich um Meister Eckhart, Johann von Sterngassen, Heinrich von Eggewint, Giselher von Slatheim, Hartmann von Kronenberg, Arnold der Rote, sowie um Bischof Heidenricus von Kulm und Nikolaus von Strassburg. Vgl. auch Thomas Kaeppeli, Heidenricus, Bischof von Kulm († 1263). Verfasser eines Traktates ›De Amore S. Trinitatis‹, in: Archivum Fratrum Praedicatorum XXX , Rom 1960, S. 196– 205, hier: S. 198. Nikolaus von Strassburg wird weder von Schmidt noch von Kaeppeli erwähnt. 249 Die Widmung von Heinrich von Rumersheim ist in beiden Codices sehr v e ähnlich, in Einsiedeln I : Den swestern in der vorderen owe / Ir sont wissen /

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Predigerorden als Entstehungsort der Handschriften gewertet werden: »Da Margaretha zum Goldenen Ring durch ihre Familie lebhafte Beziehungen zum Dominikanerorden unterhielt, Sprache und Inhalt der beiden Codices dem Geiste der deutschen dominikanischen Mystik entsprechen oder ihr sehr nahe stehen, wird sie über den Baseler Dominikanerkonvent in den Besitz der beiden Handschriften gelangt sein. Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass eine der beiden lat. Handschriften aus dem Baseler Predigerkloster stammt.«250

Obschon Heinrich von Nördlingen nicht alleiniger Übersetzer des ›Fliessenden Lichts‹ gewesen sein kann, darf dessen Mitarbeit unter ernsthafter Berücksichtigung seiner Briefe auch nicht in Abrede gestellt werden. Das zeigt, dass wir es im Falle der Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ mit einem produktiven Zusammengehen eines Kreises zu tun haben, der an mystischen Texten in deutscher Sprache interessiert war. Die Hauptverantwortlichen dieser Übertragungen waren aber vermutlich doch Basler Dominikaner. Was die Übersetzung des Werkes Rudolfs von Biberach betrifft, die im Zeitraum zwischen 1345–1360 entstanden sein dürfte,251 kann Heinrich nur gerade für drei Jahre mitgearbeitet haben: Er verliess bereits 1348 die Stadt und war folglich auch zur Zeit der Zusammenstellung von Einsiedeln I und II nicht mehr in Basel.252

o

das das buch / das u´ch wart / von der zem Guldin Ringe / das do heist / das e liecht der Gotheit / des sont ir wol war nemen [. . .] Von mir Her Heinrich von Rumershein von Basel ze sant Peter: Neumann II , S. 176; in Einsiedeln II : e o Den swestern in alleg [lies: albeg, Alpegg] Ir sont wissen daz das buch daz v´ch ward von jungfrovg Greten zem Guldin Ring [. . .] von mir H. Heinrich von Rumershein ze sant Peter ze Basel der ir bichter was [. . .]: Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 54*. 250 Ebd., S. 64* f. Neben dem Cod. B X 10 der Universitätsbibliothek Basel wird heute auch der bereits erwähnte Cod. B IX 11 derselben Bibliothek mit der ›Lux divinitatis‹ (vgl. Anm. 209) dem Basler Predigerkloster zugeordnet. Nach Schmidt kommt die lateinische Ausgabe von ›De septem itineribus aeternitatis‹ in B X 10 der Vorlage für die Übersetzung in Einsiedeln II am nächsten; vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 77*. 251 Vgl. ebd., S. 174*. 252 Johannes Tauler hatte Basel wahrscheinlich bereits 1342/43 verlassen; vgl. Ruh, Geschichte, Bd. 3, S. 480. Karin Schneider gemäss wurde Einsiedeln I »nach den sehr konservativen Buchstabenformen zu schliessen wohl kaum sehr lang nach der Jahrhundertmitte geschrieben [. . .]«: Gotische Schriften, S. 150. Helen Webster dagegen vermutet für die Fertigstellung der beiden Hss. Einsiedeln I und II die späten 80er oder 90er Jahre des 14. Jh.s; vgl. Mysticism, S. 109.

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7.5.5 Texte derselben Handschriften als Zeugen der Verbreitung von Literatur im Freundeskreis um Heinrich Zum Anlass der Übersetzungen und des Sammelns der Texte müssen einige wenige Bemerkungen zu diesen genügen, da die Einsiedler Handschriften nicht eigentlich Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.253 In beiden Handschriften fallen vor allem Texte auf, die von Meister Eckhart stammen oder diesem verpflichtet sind.254 Um weitere literarische Beziehungen unter den Bekannten Heinrichs erfassen zu können und um die Frage zu beantworten, für wen die beiden Handschriften zusammengestellt wurden, werden im Folgenden von Einsiedeln I nur der Text ›u´ber mystisches leben von einem ungekanten‹ (fol. 166vb–167rb), Gedicht und Glosse ›Vom Überschall‹ (214vb–217ra) und ein Auszug aus einer im Kloster Klingental gehaltenen Predigt (221ra-va) in die Überlegungen einbezogen.255 In Einsiedeln II sei vor allem auf die ›Siben strassen‹ (3–147), auf den Text ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ (400–401) und auf den Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ (401–403) aufmerksam gemacht.256 253 Die Dissertation von Dr. Helen Webster zu Einsiedeln I (vgl. Kap. 5, Anm. 35) konnte ich erst nach Fertigstellung der vorliegenden Arbeit einsehen, da sie nicht im Buchhandel erschienen ist. 254 Für die Beurteilung der Briefe Heinrichs ist in Einsiedeln I auch eine Hadewijch-Kompilation (220rb-vb) von Interesse, da die Werke dieser niederländischen Begine aus dem 13. Jh. nicht vor Mitte des 14. Jh.s gesammelt und herausgegeben worden und nur in fünf Manuskripten erhalten sind; vgl. McGinn, Die Mystik, S. 360. Eine deutsche Übersetzung in so früher Zeit ist aber nicht nur in Einsiedeln I nachweisbar, sondern auch in den Berliner Hss. Ms. germ. oct. 12 und Ms. germ. quart. 149; vgl. Paul Mommaers, Hadewijch, in: 2VL 3 (1981), Sp. 368–378, hier Sp. 377. Im Hinblick auf die Briefe Heinrichs kann festgehalten werden, in Basel sei das Werk dieser Begine gelesen worden: Ihre Briefe, die als die ältesten volkssprachigen Briefe religiösen Inhalts gelten, hätten die Briefliteratur des Freundeskreises um Heinrich demnach durchaus beeinflussen können. Zu Hadewijch vgl. die Angaben in Kap. 1.3.4. 255 Zu diesen Texten vgl. Neumann II , S. 178–184. 256 Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 56*–61*. Gerade in Einsiedeln II ist etwa dort eine durchdachte Zusammenstellung der einzelnen Stücke erkennbar, wo auf verschiedene Feste wie Weihnachten, Palmsonntag, Gründonnerstag, Ostern/Auffahrt und Pfingsten Bezug genommen (vgl. fol. 347–382) und damit ein Bild der Heilsgeschichte entworfen wird. In der Abfolge der Gebetshoren Terz und Sext (385–391) können diese Heilstaten persönlich nachvollzogen werden.

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Eine Predigt aus Klingental Der Auszug aus einer Predigt in Einsiedeln I , die vermutlich Johannes Tauler (im Text heisst es nur: der von Strasburg) im Kloster Klingental gehalten hat,257 ist dominikanischer Herkunft. Wolfgang Stammler geht für die Aufzeichnung dieser Predigt von einer Dominikanerin und für die Niederschrift der ganzen Handschrift von einer Frauenhand aus.258 Obwohl heute bekannt ist, dass in dieser Handschrift sechs Hände zu finden sind, sollte die Vermutung Stammlers, in Einsiedeln I auf eine Frauenhand zu treffen, ernsthaft geprüft werden. Gegen die Vermutung Wolfgang Stammlers, die (zweite) Hand von Einsiedeln I sei eine Frauenhand, kann hier nur das Argument angeführt werden, der Schreiber von ›Die siben strassen‹ sei lateingewohnt gewesen.259 Indes sind für das Katharinenkloster in Nürnberg Schreiberinnen bekannt, deren Arbeiten Lateinkenntnisse voraussetzen.260

Gedicht und Glosse ›Vom Überschall‹ Gedicht und Glosse ›Vom Überschall‹, für die Einsiedeln I der früheste Textzeuge ist, sind ebenfalls dominikanischer Provenienz.261 Kurt Ruh nimmt für das Gedicht eine Nonne als Autorin, für die Glosse aber einen Theologen als Verfasser an.262 Autorin und Glossator sind beide von Kap. 52 aus Heinrich Seuses ›Vita‹ beeinflusst worden, und Seuse könnte 257 Auch in Einsiedeln II , fol. 347–359, ist eine Predigt überliefert, die Tauler zugeschrieben werden könnte. Allerdings meint Helen Webster, German Mysticism, S. 39 zur Predigt in Einsiedeln I , bei diesem Prediger handle es sich eher um Nikolaus von Strassburg. 258 Vgl. Wolfgang Stammler, Tauler in Basel, in: Johannes Tauler. Ein deutscher Mystiker. Gedenkschrift zum 600. Todestag, hg. von E. Filthaut, Essen 1961, S. 75 f., hier: S. 75. 259 Vgl. Kap. 7.5.4. 260 Diese Aussage stützt sich auf Studien Karin Schneiders; vgl. Burkhard Hasebrink, Tischlesung und Bildungskultur im Nürnberger Katharinenkloster. Ein Beitrag zu ihrer Rekonstruktion, in: Schule und Schüler im Mittelalter. Beiträge zur europäischen Bildungsgeschichte des 9. bis 15. Jahrhunderts, hg. von Martin Kintzinger, Sönke Lorenz und Michael Walter, Köln/Weimar/ Wien 1996, S. 187–216, hier: S. 191. 261 Vgl. Kurt Ruh, Seuse Vita c. 52 und das Gedicht und die Glosse ›Vom Überschall‹, in: K. R., Kleine Schriften. Bd. II : Scholastik und Mystik im Spätmittelalter, hg. von Volker Mertens, Berlin/New York 1984, S. 145–168, hier: S. 147. 262 Vgl. ebd., S. 158 f. Aufgrund der Tatsache, dass die Autorin nicht gewohnt

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sogar selbst als Autor angesehen werden, entbehrte die letzte Partie der Glosse nicht jeglicher Beziehung zu Seuses Werk.263 Gedicht und Glosse dürften im Verhältnis zwischen Klosterfrau und Seelsorger entstanden264 und könnten überdies von Klosterfrauen rezipiert worden sein. Rudolfs von Biberach ›Die siben strassen zu got‹ Die Beschäftigung mit der nur in Einsiedeln II überlieferten Übersetzung der ›Siben strassen zu got‹ macht es möglich, in Frauen die primären Rezipientinnen der beiden Einsiedler Handschriften zu sehen. Für die ›Siben strassen‹ selbst hat Margot Schmidt die Vermutung geäussert, sie könnten für ein Frauenkloster geschrieben worden sein: Schmidt weist dafür auf Kürzungen, kommentierende Zusätze und auf eine Auslassung hin, die aus heutiger Sicht sogar als frauenfeindlich interpretiert werden muss.265 Für die Rezeption von Einsiedeln II durch Frauen spricht ausserdem, dass der Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ derselben Handschrift nachweislich von den Dominikanerinnen in Medingen rezipiert wurde266 und dass wir es in Einsiedeln II ausschliesslich mit deutschen Texten zu tun haben. Zusammen mit der Vermutung, in Einsiedeln I sei eine Predigt Taulers ursprünglich von einer Nonne notiert und in der Handschrift von einer Frauenhand geschrieben worden, können die hier gesammelten Indizien auf Schwestern hindeuten, für die die beiden Handschriften primär zusammengestellt wurden. Das Gedicht ›Vom Überschall‹ ist vermutlich sogar von einer Nonne verfasst worden, bevor es die Glosse eines Dominikaners erhielt. Da der Inhalt der Handschriften auf den Dominikanerorden hinweist, eine Predigt für den Dominikanerinnenkonvent Klingental bezeugt ist und auch die spätere Besitzerin der beiden Handschriften, Margaretha zum Goldenen Ring, enge Beziehungen zu Klingental pflegte, könnte theoretisch sogar dieses konkrete Kloster jener Ort sein, an dem die Texte zu den heutigen Codices Einsiedeln I und II vereinigt worden

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war, Verse und Reime zu dichten, nimmt Ruh an, es handle sich hier um Nonnenverse. Vgl. ebd., S. 168. Vgl. ebd., S. 159. Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 268*. Kap. 8.1 gemäss muss die Vorlage der Briefsammlung der Londoner Hs. Add. 11430, in die der Traktat aufgenommen wurde, in Maria Medingen entstand sein.

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sind. Diese Formulierung wurde bewusst so gewählt, damit nicht nur Dominikanerinnen als erste Rezipientinnen in Frage kommen, sondern ein Frauenkloster als Stätte der Entstehung der Handschriften denkbar wird. In Einsiedeln I handelt es sich nicht um die Originalübertragung des ›Fliessenden Lichts‹, sondern um eine Kopie, die nicht mit jener identisch sein dürfte, die Heinrich beim Schreiben seiner Briefe vorgelegen hat. Das Vorhandensein mehrerer Kopien dieses deutschen Textes könnte ebenfalls auf ein Frauenkloster als Ort der Entstehung hindeuten, scheint das Basler Predigerkloster doch eher an lateinischen Texten interessiert gewesen zu sein.

Für das vornehme Kloster Klingental dürfte es allerdings schwierig sein, eine eigentliche Kopiertätigkeit der dortigen Schwestern zu postulieren. Wohl muss in Klingental ein Scriptorium existiert haben, und es ist im Verlaufe der Klostergeschichte auch immer wieder eine Scriptrix sororum nachgewiesen, doch haben wir keine Kenntnis von einer Klosterbibliothek; die Bücher befanden sich ohne Zweifel im Privatbesitz der Nonnen.267 Die Schreibtätigkeit mehrerer Klingentaler Nonnen müsste daher privater Natur gewesen und auf besondere Beziehungen zum Predigerkloster, zu Heinrich und zu seinem Freundeskreis zurückzuführen sein. Das Interesse an der cura monialium Klingentals war bei den Basler Dominikanern aber nie gross.268

267 Vgl. Degler-Spengler/Christ, Klingental, S. 570 f. Vgl. ebd., S. 570: »Wirtschaftliche Aufzeichnungen, die von Nonnenhänden geschrieben wurden, haben sich viele erhalten; sie stammen grösstenteils aus dem 13. und 14. Jh. [. . .].« Die These, die beiden Einsiedler Hss. seien in Klingental und vermutlich auch für diesen Konvent zusammengestellt worden, wird auch vertreten von Helen Webster, German Mysticism, S. 79. 268 Für das 14. Jh. lassen sich vor allem wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Klöstern, aber kaum Spuren der geistlichen Leitung der Frauen durch die Dominikaner feststellen; vgl. Degler-Spengler/Christ, Klingental, S. 549. Auch für das in den Briefen erwähnte Kloster Unterlinden in Colmar ist die cura monialium der Basler Brüder nur bis 1269 nachgewiesen; vgl. Neidiger, Dominikaner, S. 191. Dafür zählt Boner, Das Predigerkloster, Teil II , S. 149 mehrere Basler Dominikaner auf, für die in Klingental gebetet wurde und/oder die verwandtschaftliche Beziehungen zu Klingental unterhielten: die Nonnen gedachten »der Prioren Hug [sic!] und Hans Münch, des Suppriors Peter von Sulz, des Priors Hermann Scholl [. . .], der Prioren Günther Münch, Peter und Johannes von Laufen. Der letzteren Schwester war Klingertalernonne, ebenso diejenige Bruder Petermans zem Angen. Bruder Johann zer Sunnen hatte drei Schwestern im Kloster Klingental.«

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Der Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ Wie bereits erwähnt, ist der Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ nicht nur in Einsiedeln II , sondern auch in der Briefsammlung Heinrichs überliefert. Er ist dort so in die Abfolge der Briefe eingefügt, dass er von diesen nicht unterschieden werden kann.269 Philipp Strauch hat ihn in seiner Edition unter der Nummer LXVIII den anderen Briefen angehängt.270 Er gibt den Text aber nicht nach der Londoner Handschrift Add. 11430 wieder, sondern nach Einsiedeln II ; in dieser Handschrift habe er sich »in weit besserer Überlieferung erhalten«.271 Bei der Lektüre des Traktats stellt sich hier vor allem die Frage, wozu er mit den Briefen Heinrichs zusammen überliefert wurde. Strauch hat den Traktat bereits auf eine Quelle hin untersucht: In den Zeilen 6–15 seiner Ausgabe ist er eine freie Nachbildung der Kapitel 100–109 aus dem ›Liber de S. Anselmi similitudinibus‹ mit dem Titel ›De monte humilitatis et septem gradibus eius‹.272 Der deutsche Text lässt sich in drei Teile gliedern. Einführend gibt der erste Teil die Intention an, wofür die sieben Grade der Demut von sant Anshelm (Z. 5 f.) aufgezählt werden: Ze einem sichern warnemen sin selbes und ze einem waren urkunde der zuo nemenden gnad gotz in uns [. . .] sint ze merkenne siben grad der waren demüetikeit (Z. 1–5). Im Briefwechsel zwischen Heinrich und Margaretha spielt die rechte Selbsterkenntnis zwar keine Rolle, doch steht in Bezug auf Margaretha das Sprechen vom sichern warnemen sins selbes und vom Eingestehen der eigenen Sündhaftigkeit am Anfang ihrer keˆr: Die Vereinigung mit Gott wird in den ›Offenbarungen‹ aufgrund der imitatio Christi im (äusseren) Lassen und in der Demut angestrebt.273 Das Thema der Selbstwahrnehmung wird im Traktat auch als erste Demutsstufe aufgenommen. Wo es im ›Liber‹ Anselms heisst: primus itaque gradus in monte humilitatis est 269 Zur Abfolge der Briefe in: London, British Library, Add. 11430 vgl. Kap. 8.1 und den Anhang: Die Reihenfolge der Briefe. 270 Vgl. Strauch, S. 283 f. 271 Ebd., S. 402 ad LXVIII , Vorbemerkung. 272 Vgl. ebd. Vgl. dazu auch Georg Steer, Anselm von Canterbury, in: 2VL 1 (1978), Sp. 375–381, hier: Sp. 380. Zum Werk Anselms selbst vgl. Liber de S. Anselmi similitudinibus. Kap. 100–109: De monte humilitatis et septem gradibus eius (PL 159, 665 B – 669 A). 273 Vgl. Kap. 6.2.1. Heinrichs Briefe haben für Margaretha in erster Linie eine mystagogische Funktion und lassen darum den Aufruf zu Demut ausser Acht.

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cognitio sui,274 paraphrasiert der deutschen Text: der erst ist sich selber bekennen ein sunder und einen gesmechten menschen werlich (Z. 6f.). Im weiteren Vergleich zwischen dem ersten Teil und den Schriften Heinrichs und Margarethas sind es erneut die ›Offenbarungen‹, in denen Entsprechungen gefunden werden können. Während es bei Anselm vom zweiten Grad schlicht heisst: secundus gradus est dolor,275 spricht der Text ›Von den sieben Graden‹ vom inneren Empfinden und Lieben des sündhaften Zustands und übersetzt das Wort dolor nicht eigens (Z. 7–9). In den ›Offenbarungen‹ Margarethas ist der Schmerz ihrer Krankheit ständig präsent, aufgrund derer ihr ja erst die Wahrnehmung ihrer selbst zukommt und die bei ihr bewusst an die Passio Christi angebunden wird.276 Margaretha wird in ihrem Werk dargestellt, wie sie die Leiden Christi an sich selbst neu empfindet. Die weiteren Stufen aus der Schrift Anselms sind im Traktat ebenfalls ziemlich frei und zudem stark verkürzt übertragen, als ob der Autor nur das für ihn Wesentliche herausstreichen wollte. Für die dritte und vierte Stufe betont der Text als Zeichen wahrer Demut das Eingestehen der eigenen Sündhaftigkeit anderen gegenüber (Z. 9 f.), damit diese es ohne weiteres glauben können (Z. 10 f.). Die fünfte Stufe – das selbe wellen also gesprochen werden offenbarlich (Z. 12 f.) – zeigt eine Nähe zu den ›Offenbarungen‹ Margarethas, insofern in ihnen einleitend eingestanden wird, dass Margaretha sich vor ihrer keˆr während zwanzig Jahren gar nicht selbst wahrgenommen habe. Von der sechsten Stufe im ›Liber‹ Anselms ist dem deutschen Text das Artikulieren der eigenen Unwürdigkeit und das Erleiden von Unrecht wichtig (Z. 13 f.), und auf der siebten soll diesen Leiden gegenüber Liebe und innere Freude aufgebracht werden (Z. 14 f.). Im Vergleich dazu wird Margaretha in den ›Offenbarungen‹ dargestellt, wie sie das Leiden akzeptieren und in der Nachfolge Christi bejahen kann.277 Parallelen aus den ›Offenbarungen‹ ergeben sich auch für den zweiten Teil der ›Sieben Grade‹ (Z. 16–24). Dieser könnte als eine Art Glosse beschrie274 275 276 277

PL 159, 665 C. Ebd., 666 C. Zur keˆr Margarethas vgl. Kap. 6.2.1. Einzig das Vokabular, das für die Umschreibung der sieben Stufen verwendet wird, erinnert nicht an die ›Offenbarungen‹, sondern an die Briefe Heinrichs. Es sind dies die Ausdrücke enpfinden (Z. 8), von herzen (Z. 8), begirlich (Z. 9), verjehen (Z. 10), minnen (Z. 14), getriuwelich (Z. 15), fröwen (Z. 15) und innerlich (Z. 15).

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ben werden, die den Graden des ersten Teils folgt. Im zweiten Teil wird präzisiert, die cognitio sui der ersten Stufe geschehe in der Anrufung Gottes, das innerliche Berührt-Werden der zweiten im Ergeben an Gott, und das Eingeständnis der eigenen Sündhaftigkeit der dritten Stufe fordere das Aussprechen dessen, was selbst erfahren wurde. Auf der vierten Stufe soll auf weltliche Annehmlichkeiten verzichtet, auf der fünften, um der eigenen Schuld willen gelernt werden, ze schanden zu werden für die Wahrheit, auf der sechsten Stufe wird das Erleiden von Unrecht die eigentliche christliche Busse genannt, und für die siebte Stufe wird die Freude am Leiden als Voraussetzung für die Gnade des ewigen Lebens betont. Wie der zweite Teil werden auch die ›Offenbarungen‹ Margarethas wesentlich vom Erleiden von Krankheit und Verlassenheit geprägt, verbunden mit der Grundkonstante der inneren Freude. Hingegen finden sich im dritten Teil des Traktats keine Berührungspunkte zu den ›Offenbarungen‹, dafür eine Fülle von Parallelen mit den Briefen Heinrichs: Der ganze dritte Teil versucht in mystischer Ausdrucksweise, wie diese im dritten Kapitel für die Einleitungen und die Hauptteile der Briefe Heinrichs an Margaretha beschrieben wurde, auf die Freuden vorzubereiten, die dem geistlichen Menschen aus dem täglichen Einüben dieser Stufen der Demut erwachsen. Nur im dritten Teil tritt das in Heinrichs Briefen an Margaretha beliebte Stilmittel des Asyndeton auf.278 Dabei werden viele Wörter aneinandergereiht, die auch in den Briefen vorkommen. Die auffälligsten Parallelen aus dem Traktat sind der Ausdruck grundfest (Z. 30), die Rede von der kamer (Z. 33), das geblüemet minnenbetlin des Königs Salomon (Z. 34), der ganze Ausdruck ein wol singende stimme des scrienden in der wüesti (Z. 35 f.) und die Erwähnung der heiligen drivaltikeit (Z. 38 f.).279 Mit einem Zitat aus den ›Confessiones‹ des Augustinus von Hippo (Z. 39 f.) erhält der Schlussteil des Traktats eine hymnische Komponente, wie dies auch für die Hauptteile der Briefe Heinrichs und für Margarethas ›Paternoster‹ festgehalten wurde.280 Zuletzt spricht der Autor jene an, die (auf den Stufen der Demut) noch nicht so weit vorangeschritten sind,281 bevor durch ein

278 Vgl. Z. 29–39, Strauch, S. 284. Bei Heinrich am auffälligsten in Brief XLVI , 9–22, ebd., S. 251; vgl. auch Kap. 5, Anm. 75. 279 grundfest wird in Brief XLVIII verwendet, das minnenbetlin in Brief XXXV , der Ausdruck ein wol singende stimme des scrienden in der wüesti ist in den Briefen in anderen Wortkombinationen ebenfalls belegbar und heilige drivaltikeit steht in dieser Verbindung in den Briefen XVI und XLVIII . 280 Zur hymnischen Komponente der Briefe und deren Gebetscharakter vgl. Kap. 6.2.9 und 6.4.1. 281 Diese sollen nüt verzwivelen (Z. 41) und nüt versmahen (Z. 41), sondern

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angehängtes amen (Z. 46) dem ganzen letzten Teil der Charakter eines Gebets eigen wird.

Wohl gerade aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen dem dritten Teil und den Briefen Heinrichs nimmt Strauch diesen als Verfasser der ›Sieben Grade‹ an, da Inhalt und Ausdruck nicht dagegen sprächen.282 Dieser Vermutung stellen die eben erfolgten Untersuchungen nichts entgegen. Die drei Teile dürften von einem einzigen Autor verfasst worden sein, denn zum einen beziehen sich die beiden ersten stark aufeinander, zum anderen nimmt der dritte Teil ein Anliegen des ersten wieder auf: Bekehrung und Gnade Gottes sollen innerlich empfunden werden. Für eine Autorschaft Heinrichs spricht die unterschiedliche Ausgestaltung des dritten Teiles im Verhältnis zu den vorausgehenden, was an die Funktion von Briefeinleitung und -hauptteil in Bezug auf Margarethas Erfahrung von Krankheit und Leid erinnert: Der dritte Teil ist gleichsam die Verheissung der zuvor wiedergegebenen Demutsstufen. Strauch hat nur aufgrund des sonstigen Inhalts von Einsiedeln II Zweifel an Heinrichs Autorschaft, was er aber nicht weiter begründet.283 Auch wenn diesem Bedenken hier nicht gefolgt werden kann, muss Heinrich tatsächlich nicht der Autor des Traktats gewesen sein. Er hätte ihn den Nonnen in Medingen auch einfach vermitteln können. Dieser dürfte in Medingen mit den Briefen zusammen als Schriftstück Margarethas gesammelt worden sein und seinen Eingang in die Briefsammlung der Londoner Handschrift Add. 11430 gefunden haben, weil er schon immer als zu den Briefen gehörig empfunden wurde.284 Wichtiger als die Frage nach dem Autor des Traktats ist hier der Befund, dass Margaretha die darin beschriebene Art von Demutsstufen bekannt gewesen ist. Er könnte Margaretha und Elsbeth zu jener Zeit zugesandt worden sein, als sie die ›Offenbarungen‹ zu schreiben anfingen: Im Aufbau der ›Offenbarungen‹ Margarethas können Parallelen zwischen den beiden Texten festgehalten werden, die zumindest folgern lassen, Margaretha gebe in ihrem Werk die gleiche Geisteshaltung wieder. Damit wäre ein Grund gegeben, warum gerade dieser Text mit den Briefen geloben, demütig bekennen, innerlich begeren und sich üeben, bis es im innerlich enpfindtlich werde (Z. 42–45). 282 Vgl. Strauch, S. 402 ad LXVIII , Vorbemerkung. 283 Vgl. ebd. An Strauch anknüpfend, bringt auch Manfred Weitlauff Zweifel an Heinrichs Autorschaft an: Heinrich von Nördlingen, Sp. 848. 284 Diese Vermutung wird nochmals aufgegriffen, wenn es um die Gesamtanlage der Briefsammlung der Hs. London, British Library, Add. 11430 geht; vgl. Kap. 8.1.

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zusammen überliefert wurde. Zudem werden die ›Offenbarungen‹ über die Nähe zum Traktat auch auf diesem Weg ins geistige Umfeld jener Literatur gestellt, die unter Heinrichs Bekannten zirkulierte.285 Anzufügen ist dem hier, dass dem Autor die Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ vielleicht bereits vorgelegen hat, worauf einige Parallelen hinweisen könnten. Der aus dem dritten Teil stammende, auffällige Ausdruck der driskamer der Dreifaltigkeit, der in den Briefen Heinrichs nirgends vorkommt, ist bei Mechthild belegt.286 Dasselbe gilt auch für das Sprechen von der liebenden Seele, die in die verholnen kammeren der unsu´nlichen gotheit287 geführt wird, wo sie der minne bette288 findet. Dies erinnert an die Worte der ›Sieben Grade‹: diu witiu kamer der waren minne, das geblüemet minnenbetlin des ewigen wortes. Weiter steht auch der für den Traktat bereits erwähnte Ausdruck grundfest in den Briefen Heinrichs nur gerade in einem Mechthild-Zitat. Zudem ist sowohl dem ›Fliessenden Licht‹ als auch dem Traktat eine trinitarische Ausrichtung eigen. Dessen beide ersten Teile können darüber hinaus mit Mechthilds Vorliebe für die Zahl Sieben in Verbindung gebracht werden,289 auch wenn Anselms ›Liber‹ als Quelle gedient hat. Falls der Autor mit der alemannischen Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ tatsächlich vertraut gewesen war, ist der Traktat nicht vor 1343 verfasst worden.290 Zu prüfen wäre auch eine mögliche Verbindung zwischen den ›Sieben Graden‹ und dem Werk ›Die siben strassen zu got‹ Rudolfs von Biberach, in dem es ja auch um sieben Wege geht und der in derselben Handschrift steht. Ob gerade in dieser Beobachtung zur Zahlensymbolik etwas vom Gesamtkonzept von Einsiedeln I und II angedeutet ist?

285 In Kap. 6.2 wurden die ›Offenbarungen‹ »Modell der Gottesfreundschaft« genannt. 286 Vgl. FL , IV 12, 3 f., S. 123. Dieser Ausdruck ist auch in der Eckhart zugeschriebenen Predigt ›Scio hominem in Christo‹ in Einsiedeln II , fol. 211–213 bezeugt. Diese Predigt wurde abgedruckt in: Meister Eckhart. 1. Abteilung, hg. von Franz Pfeiffer (Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Bd. 2), Leipzig 1857, S. 78 f., hier: S. 79, 16. Ob die dortige Wortwahl ebenfalls auf den mit Mechthild vertrauten Kreis der Übersetzer zurückgeht? In derselben Predigt findet sich auch der Satz: Dar umbe sol si doch niht verzwıˆvelen [. . .]: ebd., S. 78, 31 f.; vgl. dazu im Traktat Z. 40 f., Strauch, S. 284: [. . .] der sol dar umb nüt verzwivelen [. . .]. Der Ausdruck trisekamere siner heren trinitate aus dem Traktat findet sich auch in: Die Goldenen Schmiede, V. 348 f. Diese beiden Parallelstellen gibt bereits Strauch, S. 403 ad LXVIII , 38 an. 287 FL , I 44, 1, S. 31, 78 f. 288 Ebd., Z. 79. 289 Vgl. Schmidt, Einleitung und Anmerkungen, Mechthild von Magdeburg, S. 459 (im Sachverzeichnis). 290 Zum Beginn der Übersetzung des ›Fliessenden Lichts‹ im Jahre 1343 vgl. Kap. 7.5.2.

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Der Text ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ Nur durch ein Reuegebet (fol. 401–401) vom eben besprochenen Traktat getrennt, befindet sich in Einsiedeln II der Text ›Siben sachen sint dar umb got lies judam bi im wandelen‹.291 Denselben Text überliefert auch die Papierhandschrift C 96 (320) der Zürcher Zentralbibliothek aus dem 14./15. Jahrhundert auf den Blättern 127v–128r.292 Dies ist umso beachtenswerter, als Georg Steer bereits darauf hingewiesen hat, dass diese Handschrift auf den Blättern 100v–101r auch den Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ enthält.293 Die Zürcher Handschrift C 96 ist damit mit der Londoner Handschrift Add. 11430 zusammen eine Zeugin für die Verbreitung von Texten, von denen uns Einsiedeln II bestätigt, sie seien auch vom Basler Freundeskreis Heinrichs gesammelt und gelesen worden. Auch die Zürcher Handschrift C 96 zeigt dominikanischen Einfluss. Die ausnahmslos mystischen Schriften der Handschrift beginnen mit Briefen aus dem ›Grossen Briefbuch‹ Heinrich Seuses. Sie enthält ausserdem als einzige das ›Minnebüchlein‹ desselben Autors.294 Der Traktat ›Siben grede der demut‹ befindet sich in ihr zwischen verschiedenen mystischen Abhandlungen und Briefen von Gottesfreunden.295

´ ber mystisches leben von einem ungekanten‹ Der Text ›U Am Schluss dieser Zusammenstellung steht ein Text aus Einsiedeln I , weil er die Rezeption der behandelten Texte aus den beiden Einsiedler Handschriften auf jene Zeit hin öffnet, die von den Briefen Heinrichs nicht mehr 291 Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 61*. Auch in Einsiedeln II spielt also die Zahl Sieben eine wichtige Rolle. 292 Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich. Bd. 1: Mittelalterliche Handschriften, Zürich 1952, S. 50 ad 4s. 293 Vgl. Steer, Anselm, Sp. 380. Zum Folgenden vgl. Mohlberg, Katalog der Handschriften der ZB Zürich, S. 50 f. 294 Vgl. Seuse, S. 537, Minnebüchlein. o 295 Es handelt sich um ein Gebet Seuses, das Stück ›Ein gut pater noster‹, den o Brief eines Gottesfreundes, der dem Traktat unmittelbar folgt, ›Ein gut lere des Taulers‹, die kaum echt ist, ›Ein glosiert Pater noster‹ und den Brief einer Gottesfreundin. Der ›Brief eines Gottesfreundes an die Freunde Gottes‹ ist abgedruckt in: Wihlem Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, nach den Quellen untersucht und dargestellt. Bd. 3: Tauler. Der Gottesfreund vom Oberlande. Merswin, Leipzig 1893, S. 417 f. Preger fühlt sich hinsichtlich dieses Briefes an jene Heinrichs erinnert, was für die meisten der anonym überlieferten Briefe von Gottesfreunden gesagt werden kann.

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festgehalten wird. Eher beiläufig wurde bereits erwähnt, das ›Fliessende Licht‹ werde in Einsiedeln I mit dem Zusatz zweier kurzer mystischer Texte vergleichbaren Inhalts (von gleicher Hand) überliefert.296 Vom ersten Text ›u´ber die sieben tagzeiten‹ ist kein weiterer Textzeuge bekannt.297 Hingegen ist der Text ›u´ber mystisches leben von einem ungekanten‹,298 der als Traktat bezeichnet werden kann, auch in der Handschrift 103 der Heidelberger Sammlung Gerhard Eis (fol. 234v–236v) enthalten, die aus den Jahren 1460/70 stammen dürfte und ins Augustiner-Chorfrauen-Stift Pillenreuth bei Nürnberg gehörte, wo sich Heinrich einige Zeit aufgehalten haben könnte.299 Elvira Langen vermutet in Heinrich sogar den Verfasser dieses Traktats,300 was Hans Neumann nur als eine Möglichkeit unter anderen gelten lässt. Er weist darauf hin, dass der überladene Stil des Traktats ganz allgemein auf die Gottesfreundeliteratur des späteren 14. Jahrhunderts 296 Vgl. Kap. 7.5.4. 297 Vgl. Neumann II , S. 178 ad 166ra-vb. Abgedruckt in: Offenbarungen der Schwester Mechthild von Magdeburg oder das fliessende Licht der Gottheit. Aus der einzigen Handschrift des Stiftes Einsiedeln, hg. von P. Gall Morel, Regensburg 1869 (Nachdruck Darmstadt 1980), S. 282 f. Inhalt dieses Stücks ist die Selbstprüfung der Religiosen während der sieben Tagzeiten; vgl. Neumann II , S. 178. Wie bereits weiter oben für Teile von Einsiedeln II festgehalten wurde, spielt also auch in diesem Stück die Zahl Sieben eine Rolle. 298 Vgl. Offenbarungen der Schwester Mechthild, S. 283–284. 299 Vgl. Neumann II , S. 178 f. ad 166vb–167rb und Martin Schieber, Die Geschichte des Klosters Pillenreuth, in: MVGN 80 (1993), S. 1–115, hier: S. 62. Dieser Traktat ist im Pillenreuther Codex allerdings um ein Schlussgebet verlängert; vgl. Neumann II , S. 178. Schieber äussert die Vermutung, ein für 1379 urkundlich bezeugter Seelsorger von Pillenreuth, Heinrich von Nordelingen, könnte mit dem Autor der Briefe an Margaretha identisch sein: Die Geschichte, S. 59. Siegfried Ringler hält Heinrichs Aufenthalt in Pillenreuth in Anschluss an die Ausführungen Heinrich Gürschings (vgl. Kap. 1, Anm. 16) sogar für »mehr als wahrscheinlich«: Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 50. Er kann sich damit das Vorhandensein einiger Engelthaler Schriften in Pillenreuth erklären; vgl. ebd. Möglicherweise ist auch ein Hainricus von Nördlingen mit dem Autor der Briefe an Margaretha Ebner identisch, »dessen Name im Totenbuch des Zisterzienserinnenklosters Seligenthal am 11. November eingetragen ist«: Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 245. Zur Quelle vgl. Necrologium Saeldentalense, in: MGH Necr. Germ. IV , hg. von Maximilian Fastlinger und Josef Sturm, Berlin 1920, S. 473–542, hier: S. 506. 300 Vgl. Elvira Langen, Eine neue Quelle für die Kenntnis des mystischen Lebens im Kloster Pillenreuth, Diss. Heidelberg 1960, S. 91. Langens These geht allerdings davon aus, Mechthild von Magdeburg habe Heinrich von Nördlingen gekannt; vgl. ebd. Sie verwechselt ihn wohl mit dem in Kap. 4, Anm. 41 erwähnten Heinrich von Halle.

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hinweise.301 Dem sei beigefügt, dass auf inhaltlicher Ebene die Vermutung, in Heinrich den Autor des Traktats zu sehen, keine Grundlage hat. Sollte Heinrich tatsächlich einige Zeit im Kloster Pillenreuth verbracht haben,302 könnte er den Traktat dorthin aus Basel vermittelt haben, ohne zugleich dessen Autor zu sein. Der Verfasser – es wird vermutlich ein Kleriker gewesen sein – nimmt einleitend auf das ›Credo‹ der Messe Bezug, das in den Briefen Heinrichs keine Erwähnung findet. Anschliessend lässt er sich auf die sogenannte ›Abgrundspekulation‹ ein, auf die sich Heinrich in den uns erhaltenen Briefen ebenfalls nirgends bezieht,303 die dafür aber für die mystische Theologie des Dominikaners Johannes Tauler zentral ist.304 Auch die Paraphrase der Bibelstelle Mt 15, 27 lässt sich bei Tauler nachweisen,305 nicht aber in den Briefen Heinrichs. Es dürfte sich bei diesem Traktat um eine Rezeption der Gedanken Taulers handeln.

Wenn die beiden Handschriften Einsiedeln I und II wahrscheinlich für Dominikanerinnen und vielleicht sogar von Dominikanerinnen und einem mit ihnen verbundenen Freundeskreis zusammengestellt wurden, hat sie Margaretha zum Goldenen Ring wohl nicht in Auftrag gegeben, sondern erst später erworben. In Basel hatten demnach geistlich interessierte Menschen ein literarisches Verlangen nach den vermutlich für und in Klöstern vereinigten Texten. Die Rezeption des Traktats ›Von den sieben Graden rechter Demut‹, des Textes ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ und des Traktats ›u´ber mystisches leben von einem ungekanten‹ bezeugt sogar ein Interesse an diesen Texten, das über die Stadt Basel hinausweist. Während die in Basel angefertigte, alemannische Übertragung der ›Siben strassen‹ heute nur gerade in Einsiedeln II existiert – das lateinische Werk ›De septem itineribus aeternitatis‹ fand hingegen eine erstaunliche Verbrei301 Vgl. Neumann II , S. 179. 302 Vgl. Anm. 299. 303 Der Gebrauch des Wortes abgrund in Brief XVII , 10, Strauch, S. 197 ist höchstens als Reflex dieser Theorie zu werten. 304 Vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, S. 182. Die Rede vom Abgrund ist biblischen Ursprungs und baut auf dem Wortlaut von Ps 41, 8 auf: Abyssus abyssum invocat. Im Verhältnis von Gott und Mensch sind die beiden Abgründe, die sich zurufen und anziehen, für Tauler so stark aufeinander bezogen, dass sie nicht zu trennen sind und zusammen einen einzigen Abgrund bilden; vgl. ebd. In diesem Sinn setzt auch der Traktat die ›Abgrundspekulation‹ ein, wenngleich darin (aus dem Ziel der Unterweisung heraus) nur die Seite des Menschen betont wird; vgl. v. a. ›Offenbarungen‹ der Schwester Mechthild, S. 283, 3–12. 305 Vgl. Predigt 9, Tauler, S. 40, 24–26.

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tung –,306 ist zwar auch das alemannische ›Fliessende Licht‹ vollständig nur in Einsiedeln I überliefert, doch finden sich Exzerpte dieses Werkes in mehreren anderen Handschriften.307 Aufgrund der Angaben in den Briefen Heinrichs kann zudem von einer heute verlorenen Kopie des vollständigen Werkes ausgegangen werden, die in den Klöstern Medingen und Engelthal zirkulierte, sowie von einem Exemplar, das Medingen über Kaisheim erreichte.308 Somit bezeugt die Beschäftigung mit den Handschriften Einsiedeln I und II eine ausgedehnte Verbreitung von Texten, die vom Basler Freundeskreis um Heinrich produziert oder gesammelt wurde. Das ›Fliessende Licht‹ ist auch im mystischen Dialoggedicht ›Der Minne Spiegel‹ rezipiert worden.309 Offen bleibt, ob dieses Gespräch zwischen Gott und der Seele, das aus einer Einleitung und vier Dialogszenen besteht, auf eine theologisch gebildete Nonne oder auf einen Kaplan eines Nonnenklosters zurückgeht.310 Hans Neumann rechnet mit der Möglichkeit, der ›Minne Spiegel‹ sei in Engelthal noch zu Lebzeiten Christine Ebners oder in einem anderen Konvent um Nürnberg gedichtet worden, dies weil in Engelthal das ›Fliessende Licht‹ vorhanden war, aus dem das mystische Gedicht Zitate und Entlehnungen übernommen hat.311 Die Abfassung des Gedichts müsste dann noch zu Lebzeiten Heinrichs erfolgt sein: Er 306 Vgl. Schmidt, Einführung, Rudolf von Biberach, S. 268*. Die weite Verbreitung der lateinischen Version dürft auf die irrtümlich angenommene Autorschaft Bonaventuras zurückzuführen sein; vgl. Margot Schmidt, Rudolf von Biberach OFM , in: 2VL (1992), Sp. 312–321, hier: Sp. 313. Eine Tauler zugeschriebene Osterpredigt steht in Abhängigkeit von den ›Septem itinera‹; vgl. ebd., Sp. 321. 307 Ein Fragment findet sich u. a. in der Sammelhs. Colmar, Bibliothe`que de la Ville, Ms. CPC 2137 (früher: Bibliothe`que du Consistoire, ms. 2137). Diese Hs. dürfte aus der ersten Hälfte des 15. Jh.s stammen. Der Text aus dem ›Fliessenden Licht‹ ist mit Glossen versehen, die sich auch in Einsiedeln I finden. Offenbar war eine Textvorstufe beider Hss. reicher glossiert, denn einige Glossen wurden teils von Einsiedeln I , teils von CPC 2137 nicht übernommen; vgl. Neumann II , S. 234. 308 Zu Belegen des ›Fliessenden Lichts‹ in den ›Offenbarungen‹ Christine Ebners vgl. Strauch, S. 375 f. ad XLIII , 140 f. und Thali, Beten, S. 30, Anm. 62. Aus den Briefen Heinrich geht die Existenz eines alemannischen Exemplars des ›Fliessenden Lichts‹ in Kaisheim allerdings nicht eindeutig hervor; vgl. Anm. 201. 309 Überlieferung: Nürnberg, StB , Cent. VI 43d; vgl. Hans Neumann, ›Der Minne Spiegel‹, in: 2VL 6 (1987), Sp. 560–562, hier: Sp. 560. Zur Ausgabe: Die Erlösung [wie Kap. 4, Anm. 15], S. 242–277. 310 Vgl. Neumann, Der Minne Spiegel (1987), Sp. 561. 311 Vgl. Hans Neumann, ›Der Minne Spiegel‹ und Mechthild von Magdeburg, in: ZfdPh 73 (1954), S. 217–226, hier: S. 226 und Thali, Beten, S. 29 f., bes. Anm. 59.

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besuchte Christine 1351 für einige Wochen in Engelthal und stand »noch bis zu ihrem Tod 1356 mit ihr in Kontakt«.312

7.6 Die Briefe und der Strassburger Kreis der Gottesfreunde Heinrich bemerkt, er habe einen Brief Margarethas und Teile ihrer Offenbarungen in Strassburg erhalten, da ich was in grossen arwaitten durch got.313 Warum Heinrich auch in Strassburg plötzlich grossen Mühen unterlag, geht aus seinen Briefen nicht hervor. Sie könnten mit einer Anfrage Taulers zusammenhängen, in diese Stadt zu kommen. Für Marie-Anne Vannier hat Tauler in Basel um Heinrich herum etwas gefunden, was er auch in Strassburg haben wollte: einen Kreis von Gottesfreunden.314 Vannier geht vom Gedanken aus, die bei Tauler so wichtige Vorstellung der Gottesgeburt in der Seele lasse sich nur in Verbindung mit der Idee der Freundschaft mit Gott denken, die Tauler im Johannesevangelium (15, 14 f.), aber auch bei den Kirchenvätern, bei Albert dem Grossen und Thomas von Aquin gefunden habe.315 Als ›Lebemeister‹ habe er auch eine konkrete Vorstellung von dieser Gottesfreundschaft gehabt. Auf diesem Hintergrund sieht Vannier das Zusammentreffen Taulers mit Heinrich: »Cependant, Tauler n’en est pas reste´ a` une perspective the´orique. En tant que Lebemeister, il a d’abord ve´cu ce qu’il enseignait. D’autre part, il s’est efforce´ d’amener ses auditeurs au seuil de cette meˆme expe´rience. De plus, il a eu la chance, lors de son se´jour a` Baˆle, de rencontrer le groupe des Amis de Dieu, rassemble´ autour de Henri de Nördlingen. De retour a` Strasbourg, il est reste´ en lien avec ce groupe auquel se sont joints d’autres personnes, dont le banquier Rulman Merswin. C’est la` son originalite´ que de s’eˆtre adresse´ a` un groupe concret d’Amis de Dieu et d’en avoir e´te´, en quelque sorte, le chef de 312 Schieber, Die Geschichte, S. 58. 313 Brief XLI , 4 f., Strauch, S. 240. Für Heinrich und Margaretha sind auch freundschaftliche Verbindungen mit Köln belegt: deinen beibrieff und das messer han ich gesant ze Cöln unserm getruwen in got: Brief XLVIII , 61 f., ebd., S. 258. Ob es sich bei dieser ›Getreuen‹ um die Subpriorin des Dominikanerinnenklosters St. Gertrud am Neumarkt in Köln handelte? In Brief XLVI , 70 f., ebd., S. 252 f. heisst es: dir hat auch gesant unser suppriorin von Cöln disz ledlin mit pulver. Zu Heinrichs Beziehung zu Köln vgl. auch Anm. 350. 314 Vgl. Marie-Anne Vannier, Jean Tauler et les Amis de Dieu, in: 700e anniversaire de la naissance de Jean Tauler (Revue des Sciences Religieuses 75 no 4), Strasbourg 2001, S. 456–464, hier: S. 456 f. 315 Vgl. ebd., S. 456.

Die Briefe und der Strassburger Kreis der Gottesfreunde

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file.«316 Heinrich ist als Freund Taulers vermutlich von diesem in seiner Eigenschaft als beliebter Seelsorger nach Strassburg geholt worden, um dort pastoral zu wirken. Der Vergleich der beiden Männer darf aber nicht dazu verleiten – was den Gedanken Vanniers nicht gerecht würde –, eine Dichotomie zwischen dem ›Theoretiker‹ Tauler und dem ›Praktiker‹ Heinrich aufzubauen. Die Gattung ›Brief‹, wie sie in dieser Arbeit für Heinrich erarbeitet wurde, schliesst keine theoretischen Abhandlungen mit ein, so auch nicht über die Gottesfreundschaft. So wie Tauler nur lehrte, was er selbst lebte, muss Heinrichs Briefen aber eine Auseinandersetzung mit der Idee von der wahren Gottesfreundschaft zugrunde liegen. Eine ›grosse Freundin‹ nennt Heinrich die Frau Rulman Merswins in Strassburg, Gertrud von Bietenheim,317 wenn er Margaretha schreibt: unszer groszer fraind die Merswin ze Strasburg sendet dir das wisz tuch zeinem rock und ze schappler. für die bit got und für unsern lieben vatter den Tauller, der dein getrüwer bot was.318 Die Betonung dieser besonderen Freundschaft zwei bis drei Jahre nach der Erwähnung der Reise Heinrichs nach Strassburg lässt die Annahme zu, dass Heinrich die Merswins schon auf dieser ersten Reise nach Strassburg getroffen hat.319 Ob Rulman Merswin (1307–1382) im Jahr 1347 von Heinrich zu einem gottergebenen Leben bekehrt wurde, wie es in der Forschung immer wieder heisst,320 ist mehr als fraglich. Aus einer reichen Familie des städtischen Patriziats stammend, erwarb der zuvor erfolgreiche Kaufmann und Bankier Rulman die kaum 316 Ebd. 317 Zu Gertrud von Bietenheim vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 145. 318 Brief LI , 81–84, Strauch, S. 263. Mit der Bezeichnung die Merswin ze Strasburg könnte auch die Priorin Katharina Merswin von St. Marx in Strassburg gemeint sein; vgl. Karl Rieder, Der Gottesfreund vom Oberland. Eine Erfindung des Strassburger Johanniterbruders Nikolaus von Löwen, Innsbruck 1905, S. 259. 319 Vgl. Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 145. 320 Vgl. etwa Ruh, Mystik, Bd. 3, S. 484. Die Ansicht, Heinrich könnte auf diese Bekehrung einen Einfluss gehabt haben, geht zurück auf Georg Steer, Die Stellung des ›Laien‹ im Schrifttum des Strassburger Gottesfreundes Rulman Merswin und der deutschen Dominikanermystiker des 14. Jahrhunderts, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981, hg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann, Stuttgart 1984, S. 643–658, hier: S. 649. Wird hier der Einfluss Heinrichs noch vermutet, hatte er nach ders., Merswin, Rulman, in: 2VL 6 (1987), Sp. 420–442, hier: Sp. 421, bereits »einen entscheidenden Anteil« an Merswins Bekehrung, ohne dass Steer dies genauer begründet.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

mehr bewohnte benediktinische Klosteranlage ›Zum grünen Wörth‹ und gründete dort ein Johanniterkloster. Obwohl er Laie war, leitete er sein Werk praktisch bis zu seinem Tode; als Beichtiger und geistlicher Berater stand ihm Johannes Tauler zur Seite. ›Zum grünen Wörth‹ war ein wirtschaftlicher und kultureller Erfolg, was sich auch in der Einrichtung eines bedeutenden Skriptoriums niederschlug.321 Rulman hat nicht nur als Laie einen Kreis von Klerikern und Laien geleitet, der als die ›Strassburger Gottesfreunde‹ in die Geschichte einging,322 sondern verfasste auch mehrere Werke und schrieb einem fiktiven ›Gottesfreund im Oberland‹ Schriften zu, die in Wirklichkeit Merswins »ureigenste Erfindung«323 sind. Auch für die Strassburger Gottesfreunde ist damit – wie für die Bekannten um Heinrich in Basel – ein grosses litera321 Vgl. Ruh, Mystik, Bd. 3, S. 484. 322 Zu den Strassburger Gottesfreunden vgl. Gorceix, Amis de Dieu, S. 88 ff.; Gnädinger, Johannes Tauler, S. 96–103. Zu einzelnen Mitgliedern des Johanniterklosters vgl. Steer, Die Stellung, S. 645 f. 323 Steer, Merswin, Sp. 438. Mehr als die Überzeugung vieler Zeitgenossen Merswins, der Gottesfreund habe tatsächlich existiert, interessiert hier der literarische Austausch, der weit über Strassbrug hinausgeht. Nach dem Tod Merswins 1382, als dementsprechend auch die Botschaften des Gottesfreundes aufhörten, führte die Suche nach ihm ins Benediktinerkloster Engelberg, doch wusste dessen Prior Johannes Bolsenheim nichts über den Aufenthalt dieses Gottesfreundes; vgl. ebd., Sp. 439. Am Ende des 14. Jh.s darf von einem »Netz von Beziehungen zwischen Engelberg und dem Oberelsass« ausgegangen werden, »dessen zentrale Persönlichkeit der 1389 ins Kloster eingetretene, schon 1391 als Prior bezeugte Johannes Bolsenheim war«: Mathias Stauffacher, Johannes Friker in Luzern und Engelberg. Stadtschreiber, Laienpfründner des Klosters im Hof und geistlicher Förderer des Frauenklosters St. Andreas, in: Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern 12 (1994), S. 13–34, hier: S. 31. Auch Königin Agnes hat vielleicht in Engelberg schon früher die mystische Bewegung gefördert; vgl. Helene Büchler-Mattmann und Gall Heer, Engelberg, in: Helvetia Sacra III /1. Teil I (1986), S. 595–657, hier: S. 600. Eine Bemerkung in den Engelberger Predigten (um 1350) in Cod. 335 in Engelberg geht von einem Bücherverkehr zwischen Strassburg und Engelberg aus. Als Beispiel dieses literarischen Austauschs kann die Pergamenths. Engelberg, Cod. 124 gelten, die das Datum 1359 trägt. Die Hs. enthält Predigten Johannes Taulers und dürfte aus Strassburg stammen; vgl. Kurt Ruh, Deutsche Literatur im Benediktinerinnenkloster Engelberg, in: K. R., Kleine Schriften. Bd. II : Scholastik und Mystik im Spätmittelalter, hg. von Volker Mertens, Berlin/New York 1984, S. 275–295, hier: S. 279 und ders., Der Handschriftenbestand des St. Andreas-Klosters in Engelberg. Ein Überblick, in: Bewegung in der Beständigkeit [wie Kap. 6, Anm. 330], S. 107– 120, hier: S. 113.

Die Briefe und der Strassburger Kreis der Gottesfreunde

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risches Interesse verbürgt. Die Legende von der Bekehrung Taulers, das sogenannte ›Meisterbuch‹, dürfte als Fälschung diesem Kreis um Rulman entsprungen sein.324 Dem ›Meisterbuch‹ stand als Quelle der Traktat ›Ein geistlich durbruch‹ zur Verfügung, der in der bereits erwähnten Zürcher Handschrift C 96 (320) (fol. 123v–126v) überliefert ist, die ja zugleich auch Schriften Heinrich Seuses, den Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ und den Text ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ tradiert.325 Damit kann für die Auftraggeber der Handschrift in Zürich ein Interesse an mystischen Texten festgehalten werden, das sie sowohl mit den Strassburger Gottesfreunden als auch mit Heinrich und seinen Basler Bekannten teilten.326

In den Briefen Heinrichs pflegen jene, die von ihm das Attribut ›Freund‹ oder ›Gottesfreund‹ erhalten, eine Beziehung zu Margaretha, sei es durch den Austausch von Briefen, von Geschenken oder von Grüssen. Für Strassburg weisen die Grüsse in Brief LI aber nur gerade für die Merswins nach, dass sie mit Margaretha freundschaftlich verbunden waren. Allem Anschein nach spielt Margaretha im Schrifttum der Strassburger Gottesfreunde keine Rolle, und ihre ›Offenbarungen‹ sind für die Bibliothek ›Zum grünen Wörth‹ nicht nachgewiesen. Es muss darum auch für Strassburg davon ausgegangen werden, Heinrich sei dort vor allem durch seine Predigten und vielleicht auch über seine Briefe aufgefallen. Die Gottesfreunde um Rulman Merswin dürften sich unabhängig vom Einfluss Heinrichs entwickelt haben. Dessen noch vorhandenen Briefe gehen jedenfalls auf die Strassburger Gottesfreunde nicht näher ein.

324 Vgl. Ruh, Mystik, Bd. 3, S. 482. 325 Zu dieser Hs. vgl. Kap. 7.5.5. Als Quelle des Meisterbuches hat den Traktat erkannt: Heinrich S. Denifle, Taulers Bekehrung. Kritisch untersucht, in: Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der Germanischen Völker 36 (1879), S. 39. Zum Text des Traktates (nach der Zürcher Hs. C 96): ebd., S. 137–143. Der gleiche Text findet sich auch in der Zürcher Hs. C 127, fol. 129–131, 135–137, 145–147; vgl. Mohlberg, Katalog der Handschriften der ZB Zürich, S. 50 ad C 96 (320). Die Hs. C 127 (709) stammt aus dem 15. Jh.; vgl. ebd., S. 61. 326 Die Stiftung ›Zum grünen Wörth‹ bemühte sich besonders auch um die Werke Heinrich Seuses. Die älteste erhaltene Handschrift des Exemplars von Seuse wurde wohl für ›Grünen Wörth‹ geschrieben; vgl. Steer, Merswin, Sp. 421 f.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

7.7 Die Briefe und das Bedürfnis nach Zeichen der göttlichen Gegenwart Heinrich hat sich in Basel wohlgefühlt. Selbstkritisch dachte er später an sein gutes Leben in der gehobenen Gesellschaft Gleichgesinnter von Basel zurück: mich beducht, ich haftet ze vil und ze liplichen an dem gemach, an der zartheit, an der geschelschaft, an der sinnlichen gleichait, die ich ze Basel hett. des wist ich nit in der warhait die weil ich das hett; ich fand und entpfand es, doch ichs lies. auch sach ichs in meinem herzen mit vil gedancken und manungen, das man meiner arwait anderswa basser bedorft dan zu Basel [. . .].327

Zwar ergab sich mit dem plötzlichen Tod Kaiser Ludwigs des Bayern am 11. Oktober 1347 eine Entspannung im Konflikt zwischen dem Papst und dem Reich, doch war diese Zeit dafür durch andere Verunsicherungen gekennzeichnet: Am 25. November 1346 wurde Basel zum ersten Mal von einem Erdbeben getroffen.328 Schon 1348 suchten weitere Beben das Elsass heim und zu all dem traten auch Überschwemmungen, Missernten und eine daraus folgende Hungersnot auf. Ab 1347/48 erreichte den Norden zusätzlich die Pest, die Europa von Genua aus erfasste und etwa ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte. Während sich die Pest in den Briefen als Bedrohung niederschlägt und Heinrich Margaretha um Rat fragt, ob er die Leute noch mehr warnen sollte, als er dies bis anhin getan hat,329 finden die Erdbeben von 1346 und 1348 in den Briefen keine Erwähnung. Heinrichs Briefe sind ob all dem aber nicht von Fatalismus geprägt, sondern streben nach einer Konkretisierung der wahren Gottesfreundschaft: Er fragt Margaretha um Rat, ob es dem Willen Gottes entspreche, wenn seine Bekannten, die das, was ihnen ohne ihr Zutun geschenkt wurde, mit Gottesfreun327 Brief LII , 12–19, Strauch, S. 265. 1348 oder 1349, als Heinrich diesen Brief schrieb, befand er sich nicht mehr in Basel, sondern in Sulz; vgl. Brief LII , 3 f., ebd., S. 264. Vielleicht war er auf dem Weg nach Strassburg, da er im darauf folgenden Brief die Merswins wieder erwähnt; vgl. Brief LIII , 31–33, ebd., S. 268: ich enphilh in ewer gebet unser friunde die Merswine, die von Landsperg und die andern alle. In Sulz kehrte Heinrich wahrscheinlich wieder in gutem Hause ein, bei Nikolaus von Pfaffenheim, der für 1347 urkundlich als Rektor der Kapelle von Sulz im Lauchtal genannt wird (vgl. ebd., S. 379 ad XLV , 8 f.) und der vermutlich mit jenem ›Ritter‹ gleichzusetzen ist, den Heinrich in Brief XLV erwähnt; vgl. Anm. 109. 328 Zerstört wurde die Stadt beim Beben von 1356. Zum Folgenden vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, S. 45. 329 Vgl. Brief LIII , 15 f., Strauch, S. 267.

Das Bedürfnis nach Zeichen der göttlichen Gegenwart

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den in aller Welt teilten, nachdem sie es für die Zeiten der Not als Vorräte angesammelt hätten. Und er fügt bei: Auf seine – Heinrichs – Empfehlung würden diese ›Leute‹ hören.330 Heinrich spricht hier Hilfeleistungen seines Freundeskreises an, der diese Zeiten der Not nicht einfach hinnehmen, sondern sie in der Haltung der christlichen Caritas zu bewältigen sucht. Mindestens in diesem Falle darf das Ziel der Gottesfreundschaft für Heinrich nicht mit blosser Innerlichkeit gleichgesetzt werden: Das Netz seiner Bekannten tauschte nicht nur Literatur und Geschenke der Freundschaft aus, sondern stand sich auch materiell zur Seite. In den Briefen Heinrichs ist aber auch bereits die Zeit des Interdikts von Unsicherheit geprägt, die auf die Beziehungen unter seinen Bekannten einen spürbaren Einfluss hatte. Heinrichs grosse Freundin Ofim Frickin etwa ist ihm nicht zuletzt nach Basel gefolgt, um dort die in der Heimat verwehrten Sakramente zu empfangen, was in Basel 1346 wieder möglich war: wisse auch, das min frau die Frickin ze Basel kumen ist mit grossen fröuden ires hertzen, und ir gefelt als wol die ler und die fründ gotz, und daz sie mit kristenlicher gehorsame gehaben mag die hailligen sacrament, das sie willen hat ein weil ze beleiben bei gar hailliger erber gaistlicher geselschaft, der vil in Basel ist [. . .].331

In der geistlichen Unsicherheit der Mitte des 14. Jahrhunderts, da viele Menschen jahrelang auf die Sakramente verzichten mussten, bedurfte es vermehrt Zeichen der göttlichen Heilsgegenwart. Wichtig waren für Heinrichs Freundeskreis vor allem die Reliquien der Heiligen, als deren eifriger Sammler er bekannt wurde.332 Er ist damit aber bei weitem nicht allein gewesen. Die Briefe Heinrichs selbst weisen auf deren Weitergabe durch seine Bekannten hin.333 Die Reliquien werden vorwiegend in den 330 Vgl. ebd., Z. 16–26. 331 Vgl. Brief XLVII , 67–72, ebd., S. 255. 1345 hob Papst Clemens VI . das Interdikt für Basel für ein Jahr auf »und verlängerte in wiederholten Gewährungen diesen Termin bis 1. September 1364«, was die Spendung der Sakramente wieder möglich machte; vgl. Wackernagel, Geschichte, Bd. 1, S. 252. Zu Ofim Frickin vgl. Anm. 34. 332 Dazu etwa Richard Schultz: »Einiges Licht auf die Frömmigkeit Heinrichs wirft seine Leidenschaft zum Reliquiensammeln. Sie repräsentiert deutlich die Religiosität und Mystik dieser Zeit, die an das materielle Erlebnis weitgehend gebunden bleibt und sich vom sinnlichen Gegenstand kaum noch befreien kann«: Heinrich von Nördlingen, S. 146. Zu den Reliquienfahrten, die Heinrich unternahm, vgl. Strauch, S. LXV f. und Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 146. 333 So etwa durch die Dominikanerinnen in Colmar; vgl. Anm. 124.

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

persönlichen Nachrichten der Briefe Heinrichs erwähnt, also vor allem in den Schlussteilen.334 Wären diese nicht überliefert – die Briefe Heinrich Seuses etwa enthalten keine persönlichen Nachrichten –, würde die Forschung kaum davon ausgehen, Heinrich sei ein Freund von Reliquien gewesen; seine Darstellungen Margarethas in der unio mystica bedürfen keiner weiteren Heilsvermittlung. Aufgrund seiner Briefe kann für Heinrich ferner nicht durchgehend von einer »Leidenschaft zum Reliquiensammeln« ausgegangen werden.335 Auf das Ganze gesehen kommen deren Erwähnungen relativ spät. Erst 1345, in Brief XL ,336 wird überhaupt zum ersten Mal auf solche Bezug genommen: dir sol auch werden die tafel, dar ein du hailigtum legen wilt, so si mit flisz gemacht wirt etc.337 Auf eine wichtige Funktion der Briefe im Zusammenhang mit Reliquien weist uns die Bemerkung Heinrichs hin: ich send dir ze behalten bei dir meins hertzen kleinet: das ist drü haupt, der sint zwai der junckfrawen, das dritte ist von sant Gerionsz geselschaft, als man mir seit.338 Hier begleitet ein Brief vier Reliquien und eine Arznei und berichtet über Herkunft und Zweck des Gesandten.339 Es darf also in Bezug auf die Reliquien von Heiligen für einen Teil des Briefkorpus – analog zu dem, was im Hinblick auf die Literatur mystischen Inhaltes gesagt worden ist340 – von Begleitschreiben gesprochen werden. Heinrich ist sich bei den drei Kopf-Reliquien über deren Echtheit im Unklaren und schreibt darum Margaretha im selben Brief: bit si [sc. die Heiligen] und dein lieb, das du der warhait bewiszt werdest, das wir nit betrogen werdent.341 Heinrich geht hier ganz selbstverständlich von einem vertrauten Umgang Margarethas mit Gott und seinen Heiligen aus. 334 Zu den vielen Geschenken, die im Schlussteil der Briefe aufgelistet sind, vgl. Strauch, S. LXIII−LXV und Stoudt, The Vernacular Letters, Diss., S. 113 f. 335 Schultz, Heinrich von Nördlingen, S. 146. 336 Zur Datierung vgl. Strauch, S. 367, Vorbemerkung. 337 Z. 115–117, ebd., S. 239. Auch im letzten der datierbaren Briefe an Margaretha kündigt Heinrich an: ich bring grosz heiligtum: Brief LIV , 8, ebd., S. 268. Auf diesen Reliquienkasten kommt der Autor auch in den Briefen XLII und XLIII zu sprechen; vgl. Z. 45 f., ebd., S. 242 und Z. 50–52, ebd., S. 244. 338 Brief XLIV , 34–37, ebd., S. 248. 339 Zu dieser Arznei vgl. ebd., Z. 46–49. 340 Vgl. Kap. 5.2.1. 341 Brief XLIV , 37 f., Strauch, S. 248. Ansonsten sprechen die Briefe explizit von Beglaubigungsschreiben, die die Reliquien begleiteten und über deren Echtheit Auskunft gaben; vgl. ebd., 38–40. Für ein Reliquiar, das in Brief L erwähnt wird, scheint ein solches Schreiben gefehlt zu haben; vgl. Z. 25, ebd., S. 260.

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Die späte Nennung von Reliquien in den Briefen könnte auf die wachsende Unsicherheit im Alltag der mit Heinrich befreundeten Menschen zurückgeführt werden. Ja, vielleicht hat er sich mit deren Beschaffung – analog zu seinem Interesse an Schriften Margarethas – erst angesichts des grösseren Verlangens seitens vieler seiner Freundinnen und Freunde und aufgrund seiner Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten wie Agnes von Ungarn intensiver befasst.342 Nach Art des Austauschs von Geschenken, wie er etwa zwischen Tauler und dem Kloster Medingen bezeugt ist,343 und von mystischer Literatur – die Briefe mit eingerechnet –, kam auch den Reliquien die Funktion zu, die Beziehungen der Bekannten Heinrichs untereinander zu stärken und auf deren Ängste zu reagieren, doch sind sie weit mehr als die Geschenke für eine grössere Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Dass den Reliquien-Reisen Heinrichs zugleich beachtlicher politischer Charakter zukam, sollen zwei Beispiele zeigen. Bereits wurde die Vermutung geäussert, Heinrich habe die Reliquie der hl. Agnes aufgrund der Vermittlung durch die Königin Agnes erhalten.344 Warum hat sich Heinrich so ungeduldig um diese Reliquien bemüht?345 Dieses Interesse könnte im Dienste des Predigerklosters von Basel gestanden haben. Um 1340 setzte im Basler Konvent eine neue Bautätigkeit ein. Für 1342 sind zwei neue Altäre bezeugt, von denen einer das Patrozinium von neun Heiligen – darunter jenes der hl. Agnes – und einer ganzen Gruppe heiliger Jungfrauen trug.346 Heinrich dürfte sich aber kaum noch 1346 um Reliquien der hl. Agnes für die Dominikaner bemüht haben. Sein Interesse an dieser Heiligen überrascht zudem, weil der Kult der hl. Agnes in Deutschland nicht sehr verbreitet war und deutlich hinter der Verehrung anderer heiliger Jungfrauen zurückblieb. Es waren vor allem die gleichnamigen Fürstinnen des Spätmittelalters, die deren Kult förderten.347 Für Königin Agnes von Ungarn wurde dieses Interesse bereits erwähnt.348 Heinrich 342 Analog dazu war auch die Rede davon, dass die Briefe selbst und Margarethas ›Offenbarungen‹ aus dem Bedürfnis der Bekannten Heinrichs heraus entstanden sind; vgl. Kap. 5.4.3 und 6.6. 343 Vgl. Anm. 45: Tauler sendet Käse als Vorfastenspeise. 344 Vgl. Kap. 7.3. 345 Zu Heinrichs Ungeduld betreffs dieser Reliquie in Brief XLVIII , 70 f. vgl. Kap. 4.3.2. 346 Vgl. Boner, Das Predigerkloster, Teil I , S. 213. 347 Vgl. Matthias Zender, Agnes hl., in: LexMa 1 (1980), Sp. 214. Die hl. Agnes wurde anscheinend im Kloster Engelthal sehr verehrt; vgl. Ringler, Vitenund Offenbarungsliteratur, S. 206. 348 Vgl. Kap. 7.3.

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könnte diese Reliquie also nicht für sich selbst, sondern im Auftrag eben dieser Königin besorgt und dem Kloster Medingen zur Einfassung überlassen haben. Das würde Heinrichs Ungeduld erklären, mit der er Margaretha angeht, aber vor allem auch die Tatsache, dass Agnes einem Kloster Geld spendete, das zu Kaiser Ludwig und nicht zum Hause Habsburg hielt.349 Dieser These gemäss hätte Heinrich die Reise ins Kloster Burtscheid bei Aachen im Interesse des Hauses Habsburg unternommen.350 Das zweite Beispiel zeigt, dass die Annahme, Heinrich habe im Auftrag einflussreicher Leute Reliquien vermittelt, durchaus in Rahmen des Möglichen liegt. Eine wichtige Reise in diesen Angelegenheiten unternahm er im Auftrag des Bistums Basel, um in Bamberg Reliquien des heiligen Kaisers Heinrich II . und seiner Frau Kunigunde zu erbitten. Hinsichtlich dieser Aufgabe, die in den Briefen nicht überliefert ist, wird Heinrich das einzige Mal urkundlich erwähnt351 – vorausgesetzt, es handelt sich beim genannten Heinrich von Nördlingen wirklich um den Autor der Briefe an Margaretha. Nachdem bereits im Juni 1347 an den Propst von St. Leonhard, den Custos von St. Peter und die Pfarrer von St. Alban, St. Martin und St. Ulrich der Befehl des Bischofs von Basel erging, ihre Untergebenen zur Feier des Heinrichstages anzuhalten,352 verkünden Schultheiss und Bürger der Stadt Bamberg in einer Urkunde vom 11. September die Sendung der Reliquien unter feierlichem Geleit:353 Da von lazzen wir euch wizzen, daz unser herrn von dem capitel zu Babenberg dem . . vorbenanten erbern herrn dem . . byschofe, dem capitel und .. der stat zu Basel bey den erbern herrn hern . . Eberhart von Gyhe korherrn zu dem thume zu Babenberg und . . bey hern Heinrich von Nordlingen dem ersamen brister 349 Vgl. ebd. Da sich Kaiser Ludwig 1325 mit dem Haus Österreich aussöhnte (vgl. Alois Schmid, Ludwig IV . der Bayer, in: LexMa 5 (1991), Sp. 2178–2180, hier: 2179), muss die spannungsfreie Beziehung der Königin zu Medingen aber auch nicht überbetont werden. 350 Der unmittelbare Anlass für Brief XLIV , in dem der ›Liber specialis gratiae‹ Mechthilds von Hackeborn zitiert wird, wäre demnach die Übersendung der Reliquie der hl. Agnes gewesen. Diese Reise muss Heinrich übrigens bis nach Köln geführt haben, da der erwähnte hl. Gereon (vgl. Z. 36) Patron des Kanonikerstiftes in Köln war; vgl. J[akob] Torsi, hl. Gereon, in: 2LThK 4 (1960), Sp. 718 f., hier: Sp. 718. 351 Darauf verweist bereits Strauch, S. 315 f. ad 148, 13 ff. 352 Vgl. Urkundenbuch der Stadt Basel. Bd. 4, hg. von der historischen und antiquarischen Gesellschaft zu Basel, bearb. von Rudolf Wackernagel, Basel 1899, S. 161, Nr. 172. 353 Vgl. ebd., S. 165, Nr. 174 im Vorspann.

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haben gesant und sentten dez warn heyligtumes von sant keyser Heinrichs rehten arme und von sant Kunigunden rehten arme, daz die vorbenanten herrn e furn und beleitten und dem wir mit grozzer schonheit und brinnenten kertzen und procession aller pfafheit geistlich und weltlich und reiche und arme nach gevolget und beleitt haben und grozz heyligtume, daz mit getragen wart fur unser stat.354

Wie uns die ›Offenbarungen‹ Margarethas überliefern, hat Heinrich sowohl auf der Hin- wie auf der Rückreise den Weg über Medingen genommen, wenngleich Margaretha die Reliquien selbst nicht erwähnt.355 Dieser wichtige Dienst zeigt, dass Heinrich in seinen Briefen nicht übertreibt, wenn er von seinem grossen Einfluss und Ansehen in der Stadt Basel spricht.356 Ähnlich wie die Reliquien war den Bekannten Heinrichs auch Margaretha ein Zeichen der göttlichen Gegenwart, dies nicht nur über ihre Fürbitte, ihre ›Offenbarungen‹ oder über ihre Briefe, sondern in einer Konkretisierung, die in der Forschung der Person Heinrichs äusserst negative Bemerkungen eintrug: In Brief XXXIV bittet er Margaretha: send mir auch deiner schlafrock ainen umb den meinen, den dir mein mutter antworten sol.357 Die Intention dieser Bitte erhellt Brief XXXV : 354 Ebd., S. 166, 19–28. Vgl. dazu auch das offizielle Beglaubigungsschreiben des Bamberger Domkapitels: [. . .] per magnae discretionis virum dominum Henricum de Nordelingen reliquias [. . .] transmittere et communicari curaremus: Monuments de l’Histoire de l’ancien E´veˆche´ de Bale, recueillis et publie´s par ordre du Conseil-Exe´cutif de la Re´publique de Berne par J. Trouillat, Porrentruy 1858, Nr. 364 vom 7. September 1347, S. 595–597, hier: S. 596. Angekommen ist Heinrich in Basel am 4. November desselben Jahres: Sub anno autem Domini M o. CCC o. quadragesimo septimo, pridie Nonas nouembris, nuntii prenotati cum desiderato thezauro prefato Basileam salubri transitu deuenerunt: ebd., Nr. 365 vom 4. November [Trouillat schreibt fälschlicherweise 6. Oktober; vgl. Strauch, S. 315 f. ad 148, 13 ff.] 1347, S. 597–599, hier: S. 598. Heinrich wird auch in einem Schreiben vom 14. September 1347 erwähnt; vgl. Trouillat, Monuments, S. 850. 355 Vgl. Strauch, S. 138, 22 – 139, 22 und 148, 13 – 149, 6. Warum hat Margaretha die Anwesenheit dieser wichtigen Reliquien in Medingen in ihren ›Offenbarungen‹ nicht aufgeführt? Philipp Strauch begründet dies folgendermassen: »Dass ME der Reliquien nicht besonders Erwähnung thut, fällt nicht auf. Auch sonst berichtet sie fast ausschliesslich nur über ihren geistigen Verkehr mit HvN «: ebd., S. 316 ad 148, 13 ff. 356 Vgl. Kap. 7.4. 357 Z. 91–93, Strauch, S. 225 f. Richard Schultz etwa weist auf die – aus heutiger Sicht – erotische Note dieser Briefstellen hin: »Seltsamer mutet schon der Wunsch Heinrichs an, mit Margareta nach Art Liebender den Schlafrock zu

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Der literarische Austausch im Umfeld Heinrichs

ich beger von berirde deines keuschen hailigen rockes gereinigt werden an leib und sel. dein grosze begird und gnadenreichen manungen die müszent lebende werden an mir in der warhait und in allen gotes kindern.358

Heinrich befindet sich in seinem ersten Basler Exilsjahr und begehrt die Gegenwart Margarethas – einer Reliquie gleich – in einem ihrer Schlafröcke, wie auch er ihr einen seiner eigenen übermitteln lässt. Noch vor seinem Exil bat Heinrich für eine mit ihm befreundete Benediktinerin um einen Rock Margarethas.359 Es handelt sich hier um einen Austausch von persönlichen Freundschaftszeichen, die an die abwesende Person erinnern, die zugleich aber auch einer spirituellen Deutung unterzogen werden. Ein Austausch von Kleidern kann bereits für das 12. Jahrhundert nachgewiesen360 und muss in seiner Funktion mit jener von Reliquien verglichen werden:361 So wie in diesen die Heiligen gegenwärtig geglaubt wurden, wollte Heinrich im Schlafrock Margarethas wohl jenes Heil konkreter erfahren, das ihm beim Lesen ihrer Briefe und der ›Offenbarungen‹ zukam. Die Literatur, die im Umkreis von Heinrich zirkulierte, muss darum allgemein in Ergänzung zur Funktion der Reliquien und des Austauschs von Zeichen der Freundschaft verstanden werden: Sie erinnerte an abwesende Personen und vermittelte bei der Lektüre eine Konkretisierung des dargestellten und erhofften Heils.

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tauschen. [. . .] Noch acht Jahre später schreibt er: ›ich trag den rock‹«: Heinrich von Nördlingen, S. 142. Vgl. dazu Brief L, 29, Strauch, S. 260: ich trag den rock. Philipp Strauch versieht die Beziehung dieser Stelle zu den Briefen XXXIV und XXXV aber berechtigterweise mit Fragezeichen (vgl. ebd., S. 385 ad 29), da nicht klar ist, ob der Briefautor fast acht Jahre später in einem nicht weiter eingeführten Satz wirklich auf den gleichen Rock Bezug nimmt. Brief XXXV , 54–58, ebd., S. 228. Vgl. Anm. 17. Als sich Abt Gottfried von St. Alban 1136 wegen einer Reise nach Rom von Christina von Markyate trennen musste, bat er sie um zwei ihrer Unterkleider; vgl. Signori, Freundschaften, S. 14 f. Heinrich spricht in Brief XL von der Reliquie eines hl. Rockes, die gefunden worden sei: Z. 92–94, Strauch, S. 239.

8 Die Briefsammlung im Kontext der Handschrift London, British Library, Add. 11430 Die Untersuchungen der Briefe Heinrichs von Nördlingen ermöglichten wichtige Einsichten in die vielfältigen Funktionen mystischer Literatur für den Freundeskreis Heinrichs und Margarethas im südwestdeutschen Sprachgebiet. Da sie aber nicht als Einzelbriefe, sondern in einer Sammlung und zudem als Teil einer Handschrift erhalten sind, bedarf es einer eingehenden Behandlung ihres Überlieferungsträgers.

8.1 Die thematische Anordnung des Briefkorpus In der Handschrift London, British Library, Add. 11430 wurden von einer ersten Hand die ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ Margarethas geschrieben,1 ferner die Briefsammlung von einer zweiten Hand, die Lebensbeschreibungen Margarethas von Sebastian Schlettstetter und Eustachius Eysenhuet2 von einer dritten und schliesslich von einer vierten zwei bei Philipp Strauch nicht weiter untersuchte Seiten.3 Da Strauch für die ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ nachweisen konnte, sie seien »nichts anderes als eine Abschrift« der Handschrift M von 1353 (Abb. 6),4 darf auch 1 Die Hs. wurde das erste Mal von Philipp Strauch beschrieben: Strauch, S. XVII−XXIII . 2 Die beiden Texte gehen auf Drucke zurück; vgl. Kap. 8.3.1. Die älteste Lebensbeschreibung Margarethas, jene von Conrad Zittard (Dillingen 1596), wurde in die Hs. nicht aufgenommen; zu diesem Werk vgl. Weitlauff, Margareta Ebner, S. 265. 3 Zu diesen beiden Seiten vgl. Kap. 8.3.2. 4 Strauch, S. XVI . Mit ›M‹ bezeichnet Strauch die Medinger Perg.-Hs., welche die ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ Margaretha Ebners enthält und die er seiner Edition zugrunde legt: ebd., S. XIV . Sowohl in M als auch in Add. 11430 schliessen die ›Offenbarungen‹ mit den folgenden Worten (die Abkürzungen sind aufgelöst wiedergegeben): Deo gratias / Virgo mater dei tu miserere mei / Anno domini MCCCLIII in die Urbani completus est iste liber / got lauz mich o aller guter werk genissen. Got lauz uns nimmer ersterben daz wir e vor sin huld

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

von der zweiten Hand, welche die Briefe mit gleicher Sorgfalt überliefert, angenommen werden, sie beziehe sich auf eine spätmittelalterliche Vorlage. Die Vorrede zur Briefsammlung jedenfalls geht ganz selbstverständlich von einer Abschrift aus.5 Die Vorlage könnte sich, wie im Falle der ›Offenbarungen‹ Margarethas, im Kloster Medingen befunden haben, nennt sich doch deren Schreiberin ›Schwester‹, während Margaretha darin als ›unsere Mutter‹ bezeichnet wird.6 8.1.1 Die Frage nach der Echtheit und der Einheit des Briefkorpus Die Tradition, das gesamte Briefkorpus mit Heinrich und Margaretha in Verbindung zu bringen, kann demnach wohl auf das Kloster Medingen zurückgeführt werden – gleichgültig, ob die Briefsammlung nun für das Kloster selbst, für Dritte oder für beide angefertigt wurde. Spezifische Eigenheiten der Briefe, etwa das Abfassungsdatum, die Namen des Absenders und der Adressatin oder Hinweise auf die Briefboten, sind beim Zusammenstellen zu einer Sammlung wahrscheinlich weggefallen. Eigentlich müssten die meisten der Briefe deswegen als anonyme Sendschreiben eines Gottesfreundes bezeichnet werden.7 Zwar wird die Adressatin einige Male mit ihrem Vornamen Margaretha angesprochen,8 doch lässt nur gerade eine Briefstelle die Schlussfolgerung zu, damit sei Margaretha Ebner gemeint: [. . .] das alles dein wesen, dein leben und dein wircken mer Cristus Jhesus si den Margaretha der Ebnerin.9

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erwerben. Minn got vor allen dingen so mag dir etc.: Add. 11430, fol. 46v. Die Abweichungen von Add. 11430 zu M liegen vor allem in der Interpunktion und in der Aktualisierung von Lautung und Schreibung einzelner Wörter, z. B. von o da vor, hut, alle zit, gieng zu davor, hüet, allezit, ging. Strauch hält dazu fest, in der Hs. Add. 11430 seien die Sprachformen des 14. oft in die des 16. Jh.s umgesetzt (vgl. auch Kap. 1, Anm. 57) und die Vorlage nicht selten missverstanden worden, dies vor allem in Bezug auf Abbreviaturen: Strauch, S. LXXVII . Vgl. Anm. 29. Vgl. Kap. 8.1 und den Anhang: Die Reihenfolge der Briefe. Es wird im Folgenden einfach von d e r Vorlage der Briefsammlung gesprochen, da nicht gesagt werden kann, wie viele Abschriften ihr womöglich vorausgingen. Zu anonymen Briefen sogenannter Gottesfreunde vgl. Kap. 7, Anm. 295. Vgl. Brief V , 4, Strauch, S. 176; Brief VIII , 17, ebd., S. 181; Brief XXII , 3, ebd., S. 205; Brief XXXIII , 50, ebd., S. 220; Brief XXXV , 23, ebd., S. 227; Brief XLIII , 101 f., ebd., S. 245; Brief L, 1, ebd., S. 259; Brief LIII , 3 f., ebd., S. 267. Weiter wird Margaretha zusammen mit Elsbeth Scheppach erwähnt: Brief XXIII , 2 und 17 f., ebd., S. 206; Brief LIV , 1, ebd., S. 268. Brief IX , 19–21, ebd., S. 181.

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Der Autor der Briefe selbst wird in dieser Deutlichkeit dagegen nirgends fassbar. Er nennt sich Margaretha und Elsbeth Scheppach gegenüber einfach Hainrich10 und euer Heinrich.11 Seine Beziehungen zur Stadt Nördlingen lassen sich nur aus Sätzen ableiten wie: [. . .] gib das meiner mutter ze Nordlingen [. . .]12 oder: ich han gered umb mich mit den besten ze Nördlingen.13 Dass die Briefpartner heute immer selbstverständlich mit Heinrich von Nördlingen und Margaretha Ebner gleichgesetzt werden, hat seinen Grund denn auch weniger in den Briefen Heinrichs selbst als vielmehr in jenen der Sammlung, die nicht von ihm stammen. So wird in den Briefen LVII−LXIV 14 ganz selbstverständlich von Margaretha der Ebnerin ze Medingen15 und vom heren Heinrich von Nordlingen16 gesprochen. Noch mehr aber legt etwa die Vorrede zur Briefsammlung die Annahme nahe, die Briefe seien von Heinrich an Margaretha geschrieben worden.17 Dazu kommen rubrizierte Überschriften, welche die Briefsammlung unterteilen und die Briefe als vormaliges Eigentum Margarethas ausgeben.18 Bei der Zusammenstellung wurde demnach Wert darauf gelegt, die Briefe auf die Autorität Heinrichs zurückzuführen und als Besitz Margarethas zu präsentieren. Es soll in keiner Weise in Abrede gestellt werden, dass es sich bei den Briefen um Sendschreiben Heinrichs handelt, die Margaretha zur primären Adressatin haben. Die Briefe geben keinen Anlass zur Vermutung, sie seien ein fingiertes Erzeugnis späterer Zeiten. Trotzdem soll der Frage einer möglichen Zuschreibung an Heinrich von Nördlingen und Margaretha Ebner ein Abschnitt gewidmet sein. Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind uns nämlich durchaus fiktive Briefe bekannt; zudem kann für mittelalterliche Briefsammlungen nie gesagt werden, ob alle Briefe echt sind.19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Brief XXIII , 2, ebd., S. 206. Brief LIV , 2, ebd., S. 268. Brief XX , 3 f., ebd., S. 203. Brief XXVI , 19 f., ebd., S. 210. Zu diesen Briefen vgl. Kap. 8.1. Brief LVII , 2, Strauch, S. 270. Brief LXIII , 6 f., ebd., S. 275. Vgl. Anm. 29. Vgl. Kap. 8.1.2 ff. und den Anhang: Die Reihenfolge der Briefe. Das berühmteste Beispiel fiktiver Briefe aus dem 14. Jh. dürfte jenes des sogenannten ›Gottesfreundes aus dem Oberland‹ sein; vgl. dazu Kap. 7.6 und Wand-Wittkowski, Briefe, S. 177. Wand-Wittkowski weist auch auf anonym überlieferte Briefe von Gottesfreunden hin, bei denen es oft schwer sei zu entscheiden, ob es sich dabei um ehemals wirkliche Sendschreiben handle oder

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Die Briefe Heinrichs zeichnen sich – etwa im Gegensatz zu denen seines Zeitgenossen Heinrich Seuse – durch zeitgeschichtliche Details aus, Ereignisse von historischer Tragweite, aber auch alltägliche Begebenheiten, die in dieser Fülle im 14. oder 15. Jahrhundert von einem Fälscher nur unter grössten Anstrengungen in verschiedenen Archiven hätten zusammengetragen werden können.20 Eine solch akribische Arbeit würde zudem für das Fingieren von Briefen keinen Sinn ergeben, da gerade die geschichtlich relevanten Briefstellen einem Programm wie etwa jenem der Ordensreform des 15. Jahrhunderts von keinem Nutzen sein konnten.21 Ausserdem stammen andere Texte, die mit den Briefen zusammen überliefert sind, ohne von diesen abgegrenzt zu sein, nachweislich aus dem 14. Jahrhundert, so der Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ oder das in alemannischer Übertragung überlieferte Gebet Mechthilds von Magdeburg.22 Weiter spricht für die Annahme, den vorliegenden Briefen hätten ursprünglich Originale vorgelegen, die Unabgestimmtheit der Briefe untereinander: Bei einer bewussten Zusammenstellung wäre es wohl unweigerlich zu einer grösseren Harmonisierung und zu weniger nicht verifizierbaren Details gekommen. Es stellt sich etwa die Frage nach dem Fehlen bemerkenswerter historischer Fakten: Warum sollte ausgerechnet die wichtigste bekannte Begebenheit aus dem Leben Heinrichs, seine Reliquienfahrt nach Bamberg, bei einer möglichst authentischen Zuschreibung der Briefe an diesen nicht aufgenommen worden sein? Warum hatten nicht auch die Erdbeben in Basel von 1346 und 1348 Aufnahme in die Briefe gefunden?23 Als Beispiel archivalisch nicht belegbaren Wissens kann genannt werden, dass Elsbeth Scheppach ausserhalb der Briefe nicht als Priorin von Medingen bezeugt ist,24 was allerdings für eine Fälschung im Spätmittelalter nicht relevant

20

21 22 23 24

um fiktive Briefe: ebd. Für das 15. Jh. verweist Wand-Wittkowski auf die Briefkultur des Nürnberger Katharinenklosters, das neben erstaunlich vielen Originalbriefen fiktive Briefe überliefert, »die von vornherein als religiöse Lektüre für Rezipienten verfasst wurden [. . .]«: ebd., S. 325. Die Briefe informieren etwa über Ereignisse im Ries, in Konstanz, in Königsfelden, in Avignon, in Basel, in Strassburg, in Bamberg, in Köln, in Augsburg und in Aachen. Noch in der frühen Neuzeit hätte es grosser Anstrengungen bedurft, um an Informationen über all diese Orte zu gelangen. Am ehesten hätte diese Reformbewegung ein Interesse daran gehabt, Briefe, die an ein spirituelles Vorbild des 14. Jh.s gerichtet waren, zu fingieren. Zu den Anliegen der literarisch produktiven Ordensreform vgl. Kap. 8.2.2. Vgl. zum Traktat Kap. 7.5.5, zum Gebet Mechthilds Kap. 8.1.8. Vgl. Kap. 7.7. Für die Jahre 1327–1339 ist Anna v. Warstein als Priorin aufgeführt, für 1339–

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gewesen wäre. Da die unmittelbar vor den Briefen kopierten ›Offenbarungen‹ Margarethas zudem eine Abschrift einer mittelalterlichen Vorlage sind,25 dürfen wir auch hinter den Briefen Heinrichs Texte aus derselben Zeit vermuten. Bei der Erforschung des Textträgers schliesslich, der Londoner Handschrift, wird in Kapitel 8.3 deutlich, dass die darin überlieferten Texte gewissenhaft gesammelt und abgeschrieben wurden, um das Andenken an Margaretha möglichst zuverlässig zu tradieren. Diese Intention lässt sich bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen. Damit werden die Lücken in der Überlieferungsgeschichte der Briefe geschlossen. Es bedürfte daher fundierter Argumente, den Briefen ihre Echtheit abzusprechen. Für eine Betrachtung der Briefe im vorgegebenen Briefkorpus spielt es aber gar keine Rolle, ob sie dem 14. Jahrhundert entstammen oder einer späteren Zeit. In der Handschrift unterscheidet nämlich die Gliederung des Briefkorpus (mit Ausnahme einer einzigen Überschrift) nicht zwischen den Briefen Heinrichs und jenen anderer Autoren und Autorinnen. Auch der Traktat ›Von den sieben Graden der rechten Demut‹ sowie das Gebet aus dem ›Fliessenden Licht‹ Mechthilds sind den Briefen gleichgestellt und diesen eingliedert. Deshalb muss die ganze Sammlung als eine Einheit gelesen werden. Um den Intentionen jener möglichst nahe zu kommen, die die Briefe zusammengestellt haben, sollen sie im Folgenden in der Reihenfolge gelesen werden, welche die Handschrift vorgibt. 8.1.2 Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift Philipp Strauch hat am Ende seiner Edition die Anordnung der Briefe nach der Handschrift Add. 11430 abgedruckt; darauf kann hier zurückgegriffen werden.26 Was seiner Auflistung noch zugefügt werden muss, sind die rubrizierten Überschriften der Handschrift, die Strauch jeweils im Kommentar angibt.27 Sie sind zwar selten sehr aussagekräftig, doch stellen sie e

e

1341 Adelhaid die Gussin von Gussenberg und für 1341–1351 Catharina von Sontheim an der Brenz; vgl. Urkundliche Geschichte des ehemaligen Frauenklosters Medingen, auch »Maria-Mödigen« genannt, im itzigen LandgerichtsBezirke Dilingen im k. bayer. Regierungs-Bezirk von Schaben und Neuburg, hg. von Riter von Kaiser, Augsburg 1840, S. 9. 25 Vgl. dazu Anm. 4. 26 Vgl. Strauch, S. 406 f. 27 Aber ain schoner bry¨ff vor Brief XXXV ging bei Strauch vergessen: ebd., S. 226. Der Einfachheit halber wird bei der Übersicht im Anhang (Die

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

einzelne Briefe zu Gruppen zusammen oder trennen sie voneinander ab. Es ergibt sich daraus jener Aufbau der Sammlung, der dieser Arbeit als Anhang beigefügt ist. Den Briefen geht in der Handschrift die ›Vorrede‹ voraus (Abb. 8): [H]y¨e volgent nach ain abgeschrifft, Etlicher andechtiger säntt brieff, die der selligen mütter swest’ margaretta Ebnerin gesant sind worden die gelebt hat in o grosser volkumenhait, in gaistliche¯ vnd sellige¯ stand, in dem kloster zu medinge¯, vnder der pfleg prediger ordens Anno dn˜i, Mcccxij jar hat got mit ir angefangen o zu wircken sine my¨nne werck Mangvältige vnd wunderbarliche genad vnd sie o ist abgeschiden von disem jamertal hin zu got Anno dn˜i Mccclj28 Die brieff hat ir gesant, ir gaistlicher geträwer vatter Meister Hainrich von nerlingen gehaissen, ain andechtiger selliger man, vnd besunderer fründ gottes der ir vnd andern gottes kindern von got ward geben v. zugesand vnd dem sie in götlicher lieb vnd ausz dem einspreche¯ gottes, ir leben vnd wesen vnd das got mit ir wircket geoffenbart hatt vnd von y¨m ratt vnd hilff entpfangen etc.29

Dieser Vorrede ist zu entnehmen, dass im Kloster Maria Medingen die Briefe tatsächlich als Sendschreiben tradiert wurden,30 und Margaretha spätestens zur Zeit der ersten Niederschrift der Sammlung den Titel ›Selige Mutter‹ trug, was auf ihre Verehrung in Medingen hinweist.31 Weiter wird mitgeteilt, Gott habe an ihr sein minnewerck gewirkt, eine Interpretation, die uns in den vorausgegangenen Kapiteln mehrmals begegnet ist.32 Heinrich, der unterschiedslos für alle Briefe als Absender genannt wird, erhält hier das Prädikat ›Meister‹ und die Funktion eines geistlichen Begleiters. Er wird als ›besonderer Freund Gottes‹ bezeichnet, der nicht nur Margaretha gegeben war, sondern auch anderen ›Kindern Gottes‹ von Gott gesandt worden ist. Im Kloster Medingen blieb Heinrich überdies nicht nur als Begleiter Margarethas im Bewusstsein. Er galt als eigentlicher Initiator ihrer ›Offenbarungen‹, und auch seine Mithilfe bei der Abfassung dieses Werkes stand offenbar bei der Zusammenstellung der Briefe ausser Frage. Zudem sind die Briefe, wie sie uns die Handschrift Add. 11430 überliefert – wenn zur Vorrede auch der Kolophon der Schreiberin Schwester Margaretha

28 29 30 31 32

Reihenfolge der Briefe) darauf verzichtet, die jeweilige Referenzstelle in der Hs. anzugeben. Aus Platzgründen entfällt auch die Abbreviatur für et cetera in den Titeln vor den Briefen XXXVIII , IV , XV , XLVI und X . Bei Strauch versehentlich mit MCCCXLI wiedergegeben: S. XXI . Add. 11430 fol. 49r. Die Vorrede ist rubriziert. Das v. zugesand der siebten Zeile ist über der Zeile nachgetragen. Zur Bestimmung der Briefe als Sendschreiben vgl. Kap. 5.4.3. Zur Seligsprechung Margarethas vgl. Anm. 262. Vgl. etwa Kap. 6.2.3.

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Bitterlin hinzugenommen wird –, im Kloster Medingen tradiert, zusammengestellt und abgeschrieben worden. Die Briefe selbst werden in den einzelnen Überschriften als Briefe Margarethas (d. h. an Margaretha) ausgegeben, so etwa im Vorspann zum 20. Brief (L): Disz ist gar ain schoner brieff unsz’ lieben Seligen Mutt’ Margaretha Ebnerin. Es kann dabei nicht entschieden werden, ob dies nur aufgrund des Inhalts so gesehen wurde, der Margaretha als Adressatin erkennen lässt, oder ob die Briefe auch als Besitz Margarethas überliefert wurden. Auf jeden Fall haben wir es bei der Briefsammlung mit einer ›Empfängerüberlieferung‹, also mit einem Andenken an Margaretha zu tun. Wie die Untersuchungen in den vorausgehenden Kapiteln ergaben, waren die Briefe vermutlich schon zu Lebzeiten Margarethas Gemeingut des Klosters,33 welches das Andenken an sie als der eigentlichen Adressatin über ihren Tod hinaus pflegte. Was nun die fortlaufende Lektüre des gesamten Briefkorpus betrifft, kann das Ergebnis bereits vorweggenommen werden: Es wird der Versuch deutlich, die Briefe thematisch zu ordnen. Für diese lectio continua sind offenbar die Einleitungen und Hauptteile der einzelnen Briefe massgebend, die persönlichen Nachrichten der Briefe hingegen bleiben beinahe unberücksichtigt. Noch bei ihrer Zusammenstellung zu einer Sammlung wurden folglich die Briefe so verstanden, wie sie ursprünglich intendiert waren und wie es einige Überschriften zu unterstreichen suchen: Die Briefe Heinrichs sind primär von den Hauptteilen her34 und damit von ihren Funktionen der cura animarum und nicht so sehr als geschichtliche Quellen zu lesen. Sie lassen sich darum auch nicht als ganze thematisch verknüpfen – sonst hätte ja bereits Heinrich seine Briefe als Gesamtwerk verstehen und sie aufeinander abstimmen müssen, wofür sich in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit keine Anhaltspunkte finden.35 Es werden im Folgenden darum nur jene Stellen besprochen, von denen vermutet werden kann, sie hätten bei der Zusammenstellung der Handschrift für die Einordnung der einzelnen Briefe eine Rolle gespielt. Das ›Programm‹ der Brieffolge darf dabei nicht als eine bis in alle Details durchdachte Komposition verstanden werden: Oft sind es nur einzelne Wörter, die Briefe assoziativ miteinander verbinden. Zudem dürften einige der Briefe ihren Platz in der Handschrift aus Gründen erhalten haben, die heute nicht mehr einsichtig sind. 33 Vgl. auch Kap. 8.1.9. 34 Vgl. Kap. 1.3.4. 35 Die Briefe sind Erzeugnis situativen Schreibens; vgl. dazu v. a. Kap. 6.4.

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8.1.3 Der Ausgangspunkt: Margarethas einzigartige Würde Nach der Vorrede beginnt die Zusammenstellung mit Brief XLI (Abb. 8). Heinrich schreibt darin, er habe in Strassburg einen Brief Margarethas und Teile ihrer ›Offenbarungen‹ erhalten,36 worauf er anschliesst: dein got redender munt machet mich redenlosz.37 Da Brief XLI gesondert der Vorrede folgt, kommt ihm die Rolle eines Ausgangspunkts der thematischen Abfolge zu: In ihren Worten erschliesst Margaretha Heinrich einen himlischen schatz.38 Auch der nächste Brief mit der Nummer LII steht allein unter einer Überschrift. Mit ähnlichen Worten wie im vorhergehenden nimmt Heinrich das Gespräch mit Margaretha auf: mit sweigendem mund rett mit dir mein hertz in manger lei weisz und wort.39 Er vertraut ganz auf ihre Hilfe: nun hilf mir das werck gotz wircken in mir und durch mich in alle menschen und den sunderlichen in die, die mir got sunderlichen geit, die weil es tag sei.40 Heinrich, der gerade in Brief LII staunend festhält, wie andere Herzen kraft seiner eigenen Vermittlung berührt werden,41 stellt seine Funktion in Abhängigkeit von der begnadeten Nonne dar. Die ersten beiden Briefe lassen Margaretha als Autorin ihrer ›Offenbarungen‹ und ihrer Briefe erkennen, die für Heinrich von göttlicher Wahrheit sind. Mit den Nummern XLVII und XXV werden das erste Mal zwei Briefe unter eine gemeinsame Überschrift gestellt. In Brief XLVII wünscht Heinrich Margaretha als Besitz, was der Heilige Geist zu jeder Zeit in reinen Herzen gewirkt hat.42 Nachdem so das Thema des Herzens eingeführt ist, kann Heinrich sagen, er lese ihre Briefe mit Freude: [. . .] ich entpfind und verston, das aus völlin dins hertzen redet din mund.43 Während Heinrich seinen eigenen Magen als krank darstellt, der die Süssigkeit des göttlichen Brotes nicht schmecken kann,44 nennt er Margaretha dafür geträwe artzättin seines verwunden hertzen.45 Die Termini ›Herz‹ und ›schmecken‹ sind es dann auch, durch die Brief XXV mit Brief XLVII verbunden ist. In diesem spricht Heinrich von den ›reinen Herzen‹, die zum 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. Kap. 7.6. Z. 6, Strauch, S. 240. Ebd., Z. 7 f. Z. 9–11, ebd., S. 264 f. Z. 34–36, ebd., S. 265. Vgl. ebd., Z. 41–43. Vgl. Z. 2–4, ebd., S. 253. Ebd., Z. 6 f. Vgl. Z. 14–19, ebd., S. 254. Ebd., Z. 24 f.

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Ort der Aufnahme Gottes werden.46 Er begehrt Margaretha jenen aller lustlichsten schmack,47 den Maria der Welt gegeben hat: Christus, dessen Kreuz und dessen Blut das Himmelreich aufschliesst.48 Diesen Wunsch formuliert Heinrich aus dem Grund seines ›kalten Herzens‹ heraus: In den Briefen XLVII und XXV wird also sein verwundetes und kaltes Herz jenem Margarethas gegenübergestellt, das rein und von Gott erfüllt ist und aus dem sie schöpfen kann, wenn sie von ihren geistlichen Erfahrungen schreibt. Gerade in der Abgrenzung von Heinrich selbst werden damit zu Beginn der Briefsammlung die Worte Margarethas als Offenbarungen für andere Menschen gedeutet. Dabei wird deutlich ihre einzigartige Position herausgestrichen, die sie grundsätzlich von anderen Menschen abhebt. Der nächsten Überschrift folgen drei Briefe, die das bis anhin Gesagte gleichsam tiefer zu erfassen suchen. Brief I stellt Margaretha in das Heilshandeln der gesamten Dreifaltigkeit hinein: Sie geht aus dem Herzen des Vaters als ihrem Ursprung hervor, ist frucht des Heiligen Geistes und Geliebte Jesu Christi.49 Während zuerst vor allem die mütterlichen Züge Margarethas betont werden, erwähnt Heinrich in seinem Wunsch für sie, dass sie ein kint werden möge, das dem himmlischen Vater Ehre verschaffe und explizit auch Maria.50 Mit marianischen Prädikaten wird Margaretha im langen Brief XXXIII beschrieben: Sie wird mit Ester verglichen, die mit ihrer Bitte vor Gott treten kann.51 Weiter ist sie im Brief erhöchtu in dem volk52 und Mitregentin Christi,53 die Gewalt über Himmel, Erde und Fegefeuer hat.54 Noch deutlicher werden die Bezüge unter den drei Briefen, wenn der Inhalt von Brief XIX hinzugezogen wird. Dieser ist um das Fest der Geburt Mariens herum geschrieben und nennt die Gottesmutter auch gleich mehrmals beim Namen.55 In der Übertragung biblischer Texte auf Margaretha wird gesagt, sie habe von Ewigkeit her im Sohn und im Herzen des Vaters gewohnt.56 Wenn auch der Name ›Maria‹ die drei Briefe zusammenfügt, ist deren verbindendes Moment doch weniger die Figur der 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Vgl. Z. 5, ebd., S. 208. Ebd., Z. 3. Vgl. ebd., Z. 10–21. Vgl. Z. 4–6, ebd., S. 169. Vgl. ebd., Z. 10–17. Vgl. Z. 35–61.75 f., ebd., S. 220 f. Vgl. dazu Kap. 4.4.3. Vgl. Z. 67, Strauch, S. 221. Zu diesem Prädikat vgl. auch Kap. 3.3.2. Vgl. Strauch, Z. 69 f. Vgl. ebd., Z. 74 f. Vgl. Z. 5.6.9, ebd., S. 202. Vgl. ebd., S. 13–26.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Gottesmutter selbst, als vielmehr die mariengleiche Nähe Margarethas zu Gott. Aus dieser Einheit heraus kommen ihr Funktionen zu, die die Tradition sonst Maria zuerkennt. Die einzigartige Stellung Margarethas wird damit gleichsam theologisch-spirituell eingebettet: Ihre Worte können als von Gott kommend verstanden werden, da sie – in Parallelisierung zu Maria – schon von Ewigkeit her im göttlichen Herzen des Vaters gewohnt und dort in der Einheit mit ihm gelebt hat. 8.1.4 Aufruf zu innerer Einkehr Der nächste Titel umfasst vier Briefe. In diesen werden die Früchte der Gottverbundenheit Margarethas für andere erkennbar. So schreibt sich Heinrich in Brief XXXV einen unsaubern mund zu im Gegensatz zu der rainen und küschen Margaretha.57 Von ihr kann er nur als broszamlein auflesen, was für ihn vom Tisch fällt. Margaretha ist ihm als weg in Christus gegeben, als fürsprechen und als clarer spiegel des göttlichen Herzens.58 Der Brief stellt parallel zum Strom der Gnade, wie er in der Eucharistie sakramental zu den Menschen gelangt, in Margaretha die Gegenwart Gottes dar.59 Diese hofft Heinrich konkret in der reinigenden Wirkung ihres Schlafrocks zu erfahren, die aber auch in den (schriftlichen) Worten Margarethas an ihm und seinen Freundinnen und Freunden lebendig wird.60 Zudem bürdet Heinrich Margaretha die Lasten seiner Leiden auf, da sie mehr Liebe als er habe.61 Brief XXXV ist insofern mit dem vorausgehenden Brief XIX verbunden, als auch in diesem Margaretha als im göttlichen Herzen ruhend dargestellt wird.62 Der folgende Brief XLII dagegen spricht schlicht von der Offenbarung der Ehre Gottes in Margaretha.63 Sie selbst trinkt den göttlichen most des Heiligen Geistes und stillt andere damit aus ihren mutterlichen vollen megdlichen brusten.64 Dafür gibt Brief LXV , der an die neu gewählte Priorin Elsbeth Scheppach gerichtet ist, den Ratschlag mit, wie sie ihr Amt ausführen kann: Neben der Aufforderung zu wohl bedachten Worten, die warhaft, gar sitig, gutig und doch ernsthaft, kurz und 57 58 59 60 61 62 63 64

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Z. 1 f., ebd., S. 226. Z. 21–28, ebd., S. 227. Z. 38–52, ebd., S. 227 f. Z. 54–58, ebd., S. 228. ebd., Z. 72–74. Z. 5, ebd., S. 226. Z. 11–13, ebd., S. 241. Z. 23–34, ebd., S. 241 f.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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trostlich65 sein sollen, meint Heinrich, Scheppach erreiche das in der täglichen Einkehr bei Gott.66 Hier wird ohne die Verwendung von Metaphern formuliert, was in den beiden vorausgehenden Briefen für Margaretha gilt: Eine aus der Einkehr bei Gott lebende Nonne vermag für andere erbauend zu wirken. Brief XXXIV schliesslich stellt Margaretha als Nonne dar, die aus ihrer Liebesgemeinschaft mit Gott diesen für andere vatter nennen und damit die sühnende Liebe des Sohnes erwirken kann.67 Auch in diesem Brief, wie in den drei vorausgehenden, ist die Existenz einer kontemplativ lebenden Nonne für andere Personen Heil bringend. Die weitere Brieffolge kann als eine tiefere Begründung der dargestellten Funktionen Margarethas (und Elsbeth Scheppachs) gelesen werden. Brief XLIV steht alleine unter einer Überschrift. In ihm wird Christus als marck des väterlichen Herzens eingeführt, der Wunden heilen und die Kraft geben kann, Leiden und die göttliche Liebe zu ertragen.68 Diesen verinnerlichten Christus vermag Margaretha, so der Brief, als göttlichen balszamsmack mit ihrer inner[en] nasz zu riechen.69 Im Thema der Verwundung Margarethas durch die Liebe Christi ist der Brief mit dem vorausgehenden verknüpft, während das Eingangsthema von Weihnachten die Verbindung zum folgenden Brief XXXVIII herstellt.70 Zur weihnachtlichen Thematik gehört auch der Satz, der in den nachstehenden Briefen variiert wird: Margaretha sei für Christus göttlich, wie er ihr menschlich geworden ist.71 Auch bei den sieben Briefen, die der nächsten Überschrift folgen, gehen die Grundgedanken von der Inkarnation Christi in Margaretha aus. Der erste, Brief XXXVIII , setzt beim neugeborenen Christkind an und stellt das Leben Margarethas mit dem Stilmittel des Kontrasts in das Mysterium der göttlichen Inkarnation hinein, da auch im Christkind schon der göttliche Christus gegenwärtig und darin eine Ungleichheit gegeben sei.72 Brief II nimmt ebenfalls das Weihnachtsfest zum Ausgangspunkt. Ausgehend vom Kind, das noch schweigt 65 Z. 16–18, ebd., S. 279. Brief LXV wird in dieser Zusammenstellung für die thematische Abfolge gleichsam vereinnahmt. Ob er sich ebenfalls in Margarethas Nachlass befunden hat? Vermutlich wurden alle Briefe, die Heinrich nach Medingen schrieb oder die andere Autorinnen und Autoren Margaretha sandten, dort gemeinsam gesammelt. 66 Vgl. ebd., Z. 17 f. 67 Vgl. Z. 10–22, ebd., S. 223. 68 Vgl. Z. 10–20, ebd., S. 247 f. 69 Vgl. Z. 24 f., ebd., S. 248. 70 Vgl. Z. 1–4, ebd., S. 247. 71 Vgl. Z. 28 f., ebd., S. 248. 72 Vgl. Z. 4–15, ebd., S. 233.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

und doch auch das Ewige Wort ist, wünscht sich Heinrich für Margaretha, ihr äusseres Schweigen solle zum leichten Sprechen ihrer Seele, zum lauten Singen ihres Geistes und zur Erhebung ihres Herzens führen.73 Auch wenn in Brief XVII Margaretha gleich zu Beginn kind des ewigen vatters74 genannt wird, nimmt er nicht mehr auf das Weihnachtsfest und auf das Christkind Bezug. Margaretha ist Heinrich bild und spiegel des Lebens und Leidens Jesu.75 Für die Einreihung unter die anderen sechs Briefe dürfte vor allem jener Aspekt wichtig sein, der vom schrei Christi berichtet, der in der Seele Margarethas einen Widerhall gefunden habe,76 und damit die Inkarnation des Wortes in der Seele zum Ausdruck bringe. Der Gegensatz ›Schweigen – Reden‹ wird in diesem Brief ähnlich wie in Brief II aufgebaut: [. . .] die will er schwigender reuft, die wil antwurstu im schwigende; nu er lut rüefend ist, nu must du im lut antworden und macht nu wol sprechen [. . .].77 Auch Brief V lebt von der Spannung zwischen schwigen und lut schreien (oder singen).78 Hier findet Christus in Margaretha ebenfalls einen Widerhall.79 Desgleichen kennt auch Brief III die Spannung zwischen dem schwigenden mund und dem schrienden hertzen Heinrichs.80 Er wünscht Margaretha darin, sie möge die Gegenwart Christi, ihres Geliebten, als Licht in ihrer Seele empfangen dürfen.81 So gesehen passt der anschliessende Brief XXXVII nicht in diese Reihe, da das vorher verwendete Begriffspaar hier nicht mehr aufgenommen wird. Ob der Brief an dieser Stelle eingefügt wurde, weil er in der Zeit vor Weihnachten verfasst worden war und auf diese Weise mit den Briefen XXXVIII und II zusammen gesehen werden muss?82 In den Zeilen 7–9 wird gesagt, Heinrich sei im Schreiben gefangen, wie er zuvor in Anwesenheit Margarethas nicht sprechen konnte.83 Mindestens hier wird die Vorstellung weitergeführt, Heinrich müsse vor der göttlichen Nähe schweigen, wurde Margaretha doch in der Einleitung dargestellt, wie sie aus der Quelle des lebendigen Wassers von Gott getränkt und darin eingetaucht werden 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. Z. 3–11, ebd., S. 170 f. Z. 1, ebd., S. 197. Vgl. ebd., Z. 5–7. Vgl. Z. 43–49, ebd., S. 198 f. Z. 74–76, ebd., S. 199. Vgl. Z. 1 f., ebd., S. 176. Vgl. ebd., Z. 26–28. Vgl. Z. 13, ebd., S. 172. Vgl. ebd., Z. 17–22. Vgl. Z. 27, ebd., S. 232. Vgl. ebd.

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soll.84 Die Veränderung, die Margaretha an sich feststellt, nennt Heinrich ein zeichen [. . .] des himelschen lebens.85 Bleibt noch Brief XXIV . In ihm wird Margaretha zur Mittlerin stilisiert, wenn vom brunen der minen die Rede ist, usz dem so warlich fläuist ir bach in dich und durch dich in uns und in alle menschen, bis si mit groszem gewinen wider fluset in ir aigens urspring.86 Wie in den vorausgehenden Briefen wird also auch hier vor allem das Einwohnen des göttlichen Lebens in Margaretha betont, während jetzt aber eine Öffnung auf einen grösseren Adressatenkreis hin geschieht. Da in den Briefen V , III , XXXVII und XXIV Maria erwähnt und angerufen wird, darf die Gottesmutter als weiteres verbindendes Element in dieser Briefreihe angesehen werden. Zudem ist in Brief V ausdrücklich von der Inkarnation Christi in dem trutbett seiner erwelten mutter Maria87 die Rede, was die marianische Komponente zudem als Verbindungsglied zu den Briefen XXXVIII und II erscheinen lässt, die beide weihnachtlich geprägt sind. Nicht so sehr die spezifischen Themen ›Weihnachten‹, ›Schweigen – Sprechen‹ oder ›Maria‹ dürften aber ausschlaggebend gewesen sein, dass diese sieben Briefe unter eine einzige Überschrift kamen, sondern der allen gemeinsame Grundgedanke von der Aufnahme Gottes in der Seele Margarethas. Dieser Teil des Briefkorpus betont demnach die Gottesgeburt in der Seele des Menschen. Er kann darum mit dem Prädikat ›inkarnatorisch‹ umschrieben werden. Voraussetzung für eine erneute Inkarnation Christi in der Seele ist das Schweigen. An dieser Stelle kommt die Briefsammlung einer Einladung zu innerer Einkehr gleich, die ihrerseits eine Voraussetzung für die Leserinnen und Leser der Briefe ist, die verschiedenen Funktionen Margarethas fruchtbringend zu rezipieren. 8.1.5 Der Anteil des Menschen am göttlichen Gnadenfluss Die grösste Anzahl von Briefen ist unter der Überschrift Disz ist gar ain schoner brieff unsz’ lieben Seligen Mutt’ Margaretha Ebnerin angeordnet, nämlich deren 16. Ein möglicher Grund, warum gerade sie zusammengestellt wurden, könnte ein rein äusserlicher sein: Mit Ausnahme zweier Briefe (L und XVI ) sind sie alle sehr kurz, zudem dominieren in den 84 85 86 87

Vgl. ebd., Z. 5–7. Ebd., Z. 10 f. Z. 13–16, ebd., S. 207. Z. 25 f., ebd., S. 176.

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meisten die persönlichen Nachrichten. Da diese nicht in die Überlegungen miteinbezogen werden, fallen die Beschreibungen der einzelnen Briefe vorwiegend kurz aus. Hat Brief XXIV noch vom Ausfluss der Minne aus dem göttlichen Brunnen durch Margaretha in andere Menschen gesprochen, so berichtet Brief L vom innersten Ausfluss Gottes in die Seelen Christi, seiner Mutter Maria, der Engel und aller Heiligen.88 Für die von Heinrich für Margaretha gewünschte Freude wird Maria als Beispiel hingestellt.89 In Parallele zur Wichtigkeit Mariens und zum Thema der Freude in Brief L lässt die Sammlung Brief XXXI folgen, der von Margaretha als der ›Tochter des himmlischen Königs‹ und vom ›Gruss fröhlicher Lust‹ spricht.90 Brief XXIII hingegen lässt sich thematisch nicht einordnen. Er ist einerseits sehr kurz und andererseits nicht nur an Margaretha, sondern auch an Elsbeth Scheppach gerichtet.91 Am Schluss lässt Heinrich Gottesfreunde grüssen.92 Ob darin ein Anschluss an den ›Gruss‹ aus Brief XXXI zu sehen ist? Dieser Vermutung kommt der lange Brief XVI entgegen, der auf Brief XXIII folgt. In ihm ist in der Einleitung vom ›Gruss‹ des Engels Gabriel an Maria die Rede.93 Ausgehend vom liturgischen Gedanken der Messe ›Rorate‹94 schreibt Heinrich von der Barmherzigkeit Gottes, die im Gruss der Minne ins Herz der Gottesmutter fliesst.95 Vor dem Hintergrund dieser von der Liturgie vorgegebenen Fliessmetapher wünscht Heinrich darauf Margaretha: dar umb tu uf das ertrich deins hertzen und gebir dir und uns den behalter [. . .] in gnadenricher ruwe on smertzen, als Marien geschen ist.96 Anhand der Ellin von Crewelsheim gibt Heinrich Margaretha im selben Brief ein Beispiel einer mit Gott innig vertrauten Gottesfreundin: do wart es in got vergotet, in dem ainigen ain verainet, mit minen gebunden [. . .].97

88 89 90 91 92 93 94 95 96 97

Vgl. Z. 1–3, ebd., S. 259 f. Vgl. Z. 4–10, ebd., S. 260. Vgl. Z. 1–3, ebd., S. 215 f. Vgl. Kap. 5.2.8. Vgl. Z. 19 f., Strauch, S. 206. Vgl. Z. 3 f., ebd., S. 194. Der ganze Brief wurde übersetzt in: Christliche Mystik. Texte aus zwei Jahrtausenden, hg. von Gerhard Ruhbach und Josef Sudbrack, München 1989, 198–200. Vgl. Kap. 3.2.3. Vgl. Z. 22–26, Strauch, S. 194. Z. 43–47, ebd., S. 195. Z. 71 f., ebd., S. 196. Zu Ellin von Crewelsheim vgl. Kap. 7, Anm. 11 und 23.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Mit der Nummer XX schliesst wieder ein sehr kurzer Brief an. Einerseits wird Margaretha darin wie in Brief XXXI tochter gotz genannt,98 andererseits sind auch die bei Heinrich oft verwendeten Fliessmetaphern zu finden.99 Darüber hinaus wird Margaretha hier als Fürbitterin für einen Kreis von Frauen ersucht, die ein gemeinsames Leben beginnen wollen.100 Im Gegensatz dazu konzentriert sich der folgende kurze Brief XXX wieder ganz auf die Darstellung Margarethas in der Einigung mit Gott, die er als einen ›Gruss‹ an die Adressatin verstanden haben will.101 Wie die meisten der Briefe, die hier unter der gemeinsamen Überschrift zusammengestellt sind, besteht auch Brief XXVI grösstenteils aus zeitgeschichtlich-biographischen Mitteilungen. Daneben drückt der Brief in seiner ersten Hälfte den Wunsch aus, Gott solle sich Margaretha in Liebe ganz geben und durch sie auch Heinrich selbst.102 Auch hier wird also Margarethas Nähe zu Gott dargestellt, nun aber wieder um ihre Funktion für andere erweitert. In knapper Form ist das auch im folgenden, sehr kurzen Brief LIV der Fall, der den Adressatinnen Margaretha und Elsbeth wünscht, sich mit dem Wein Gottes berauschen zu können103 und sie in den letzten beiden Zeilen um Fürsprache für andere bittet.104 Nicht ganz einfach ist Brief XVIII einzuordnen, da er fast nur aus Angaben zum Zeitgeschehen besteht. Einzig die Anrede Margarethas Mins hertz hertzenvolliu fröud 105 spricht sie in ihrer Beziehung zu Heinrich stilisierend an. Auch der kurze Brief XXII nennt Margaretha wieder Heinrichs freud, daneben aber auch trost, hail und kint,106 und findet wahrscheinlich deshalb seinen Platz hinter Brief XVIII . Mit Brief XLV hingegen wird der Gedanke von Brief XXVI weitergeführt, Margaretha sei im Herzen Gottes so aufgenommen, dass sie in der Funktion der Mittlerin andere Menschen ins Herz Gottes führen kann.107 Brief XII bleibt dafür wieder mehr bei der Person Margarethas stehen, wenn ihr darin der uszfluz aus dem Vater gewünscht wird, wie diesen auch Christus und durch ihn Engel 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107

Vgl. Z. 1, Strauch, S. 203. Vgl. ebd., Z. 11 f. Vgl. Kap. 7, Anm. 129. Vgl. Z. 1–9, Strauch, S. 215. Vgl. Z. 4–13, ebd., S. 209. Vgl. Z. 5 f., ebd., S. 268. Vgl. ebd., Z. 10 f. Z. 1, ebd., S. 201. Vgl. Z. 1 f., ebd., S. 205. Vgl. Z. 13–17, ebd., S. 250.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

und Heilige empfangen haben.108 Nur die Erwähnung eines ihrer Briefe als einer heiligen schrift109 öffnet die Gottverbundenheit Margarethas auch auf andere hin. Ähnlich spricht Brief LV von heiligen, grossen Worten in Margarethas Briefen: Sie kann beim Reden und Schreiben aus der Fülle ihres Herzens schöpfen, was anderen zugute kommt.110 Diese Proexistenz Margarethas für andere wird auch in Brief XXXIX nochmals deutlich: Die von Gott Geliebte beschreibt Heinrich als eigenen, sicheren Zugang zu Christus.111 Der Brief des Dominikaners Johannes Tauler an Elsbeth und Margaretha ist wiederum nicht leicht in diese Brieffolge einzureihen. Die beiden Nonnen sind ihm trost und ein lob Gottes.112 Mit dem Wunsch um Fürbitte für Tauler selbst geht auch dieser Brief von der Funktion einer Nonne als Fürbitterin für andere aus.113 Dafür können aus Brief VIII , der als letzter in dieser Reihe folgt, gewisse Rückschlüsse auf die Anordnung der 16 Briefe unter der gemeinsamen Überschrift gezogen werden. In ihm wird einmal mehr ein Gnadenfluss dargestellt, der vom Vater ausgeht und über Christus im Heiligen Geist Maria, die Engel und Heiligen erreicht und Margaretha so vor Augen gestellt wird.114 Diese, welcher der Gnadenstrom gilt, wird um Fürbitte angegangen, und damit wird der Gnadenstrom über sie auf andere Menschen hin (in diesem Falle zu Heinrich) weitergeleitet.115 Zusammen mit dem ersten Brief dieser Reihe (L) bildet Brief VIII eine Klammer, die vom Ausfluss des Gnadenstroms aus dem Vater bis hin zu den Heiligen spricht und Margaretha in diesen hineinstellt. Der Emanationsprozess Gottes erreicht hier über die Figur Margarethas also auch Heinrich und ihm bekannte Personen. Margaretha wird dabei noch betonter als bis anhin zur Fürbitterin stilisiert, die ihren Anteil am göttlichen Gnadenfluss nutzbringend machen soll: Als Früchte dieses göttlichen Ausflusses darf der Mensch die Freude im Herzen und das Vertrauen in Gott geniessen. Dessen ungeachtet könnten einige der Briefe hier eingereiht worden zu sein, weil sie von der Länge und vom Vorrang zeitgeschichtlicher Details her zusammenzupassen scheinen. 108 109 110 111 112 113 114 115

Vgl. Z. 4–8, ebd., S. 187. Ebd., Z. 10. Vgl. Z. 1.8–10, ebd., S. 268 f. Vgl. Z. 1.12 f., ebd., S. 235. Vgl. Brief LVII , 7 f., ebd., S. 270. Vgl. Z. 16 f., ebd., S. 271. Vgl. Z. 3–7, ebd., S. 180. Vgl. Z. 12 f., ebd., S. 180 f.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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8.1.6 Über Busse und Leiden zur Erhöhung in Christus Die nächste Überschrift ist erstmals nicht allgemein gehalten, sondern äussert sich etwas konkreter zu den folgenden Briefen: Disz sint etlich brief die hat ain andechtig’ Apt von Kaiszen geschriben der selige¯ Marg’ Ebnerin. Tatsächlich sind die Briefe LVIII−LXII des Abtes Ulrich III . von Kaisheim hier gemeinsam aufgelistet,116 allerdings nicht in der Reihenfolge, wie sie Philipp Strauch anordnet und durch Heinrichs Briefe LXVI und XXXVI ergänzt. Deren Hinzufügen deutet auf ein bewusstes Zusammenstellen dieser Briefe unter einem noch zu bestimmenden Kriterium hin. Brief LX beginnt mit einem Gruss Jesu Christi und Marias an Margaretha Ebner,117 die zur Fürbitte bei Christus und seiner Mutter aufgefordert wird.118 Gerade diese beiden Themenkreise, jener der Erwähnung Marias und jener Margarethas als Fürbitterin, dürften darauf Brief VIII , aber auch die Briefe LXI , LXII und LIX folgen lassen.119 Brief LVIII hingegen, der unter den Briefen des Abtes Ulrich in der chronologischen Anordnung Strauchs als erster aufgeführt wird, erfüllt die eben erwähnten Kriterien der Eingliederung nur teilweise. Auch er wird mit einem Gruss Christi und seiner Mutter Maria begonnen,120 die Gottesmutter also erwähnt. Hingegen folgt keine Aufforderung zur Fürbitte. Stattdessen spricht Abt Ulrich über einen Bruder seiner Abtei, der ein nicht näher bestimmtes Vergehen gebeichtet und sich bekehrt habe.121 Das Thema von Busse und Umkehr hat der Brief des Abtes Ulrich mit Brief LXVI gemein, den Heinrich an die Medinger Nonne von Hochstetten geschrieben hat. Dieser Brief ist um das Fest der heiligen Maria Magdalena herum verfasst worden,122 die im Mittelalter für Busse und Umkehr stand, und die der Nonne von Hochstetten helfen soll, sich von allen Dingen weg zu Gott hin zu bekehren.123 Heinrich 116 Wand-Wittkowski, Briefe, S. 175 f., Anm. 424 spricht den Briefen des Abtes Ulrich den Charakter von Ereignisnachrichten zu, die gesammelt worden sein dürften, »weil der Absender eine geschätzte Persönlichkeit ist«. Sie sind »durchaus als Abschriften von echten Sendschreiben des Abts von Kaisheim anzusehen«: Palmer, Deutschsprachige Literatur, S. 23. 117 Vgl. Z. 1 f., Strauch, S. 272. 118 Vgl. Z. 10–13, ebd., S. 272 f. 119 Vgl. die Briefe LXI , 1–3. 14. 18–20, ebd., S. 273 f.; LXII , 1–3.13–16, ebd., S. 274; LIX , 1–3.8 f., ebd., S. 271 f. 120 Vgl. Z. 1 f., ebd., S. 271. 121 Vgl. ebd., Z. 3–6. 122 Vgl. Kap. 5.2.8. 123 Vgl. Z. 5 f., Strauch, S. 280.

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empfiehlt der Adressatin, sich täglich dessen, was überflüssig ist, zu entledigen, um so nicht von Gott abgelenkt zu werden; dabei spricht der Brief vom uszern und innern Menschen, dem diese Askese auferlegt werden soll.124 Über diese Termini ist wohl auch die Verbindung mit dem um einiges längeren Brief XXXVI zu suchen, der unmittelbar folgt. Darin wird Margaretha gesagt, was sie jetzt für Gott an Verzicht auf sich nehme, das werde sie in Gott später für immer besitzen:125 [. . .] so vil du mer ussers last so vil du mer inners enpfahst.126 Heinrich erkundigt sich darauf auch konkret bei Margaretha nach dem Verhältnis ihres ›inneren‹ und ihres ›äusseren Menschen‹ zur Gnade Gottes.127 Maria, die eine der beiden verbindenden Komponenten der ersten fünf Briefe dieser Reihe war, wird in Nummer XXXVI ebenfalls wieder erwähnt.128 Während zuvor die Teilhabe des Menschen am göttlichen Gnadenfluss betont wurde, folgt hier also die Betonung von Reue und Umkehr. Beide sind Voraussetzungen für ein Loslassen von äusseren Dingen, damit der ›innere Mensch‹ offen werde für die Begegnung mit Gott. Auch der nächste Brief darf als Hilfe verstanden werden, das Innere des Menschen für Gott zu öffnen. Ist in Brief XXXVI von der himelschen geburt des ewigen gotzsun die Rede,129 so wird in Brief VI Margaretha als Vorbild der göttlichen Liebe präsentiert, die aus dem Vater den ewigen gotzsun geboren und diesen (und die Seinen) wieder in den Vater zurückgeboren hat.130 In Bezug auf den folgenden Brief IX , der zusammen mit Brief XL unter einer gemeinsamen Überschrift steht, erwähnt Brief VI einen konkreten Gegenstand, ein Glas,131 durch welches das Sonnenlicht bricht. Es soll, wie die eigentliche sunne, Christus, in das Herz der Adressatin leuchten.132 Brief IX wird von der Verwendung einer Lichtmetapher für das Weihnachtsgeschehen geprägt: Heinrich schreibt vom Antlitz des Kindes, usz dem ir [sc. der Mutter Gottes] in lichtend was des ewigen wortz durchschinder glast neher und hocher dan ie deheiner lutern creatur.133 Die Geburt des 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133

Vgl. ebd., Z. 12–16. Vgl. Z. 43 f., ebd., S. 230. Ebd., Z. 42 f. Vgl. Z. 50–53, ebd., S. 231. Vgl. ebd., Z. 65. Vgl. ebd., Z. 70 f. Vgl. Z. 6–10, ebd., S. 177. Vgl. Kap. 3.4.2. Vgl. Z. 10–15, Strauch, S. 177. Z. 10–12, ebd., S. 181.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Gottessohnes spielt hier wie in den beiden vorausgehenden Briefen erneut eine Rolle. Dieses Thema wird in Brief IX insofern intensiviert, als der Autor die Adressatin auch meins hertzen geburt in got134 nennt und von Maria wünscht, sie möge ihr Kind in die crippe des Herzens Margarethas legen.135 Der Brief betont folglich die Gottesgeburt im Herzen (oder in der Seele136) Margarethas. Da sich der an den Brief IX anschliessende Brief XL auf das Fest der Purificatio Mariae bezieht, ist auch in diesem Brief mindestens in seiner liturgischen Anknüpfung der Gedanke von Weihnachten gegeben.137 Doch wird hier nicht die Gottesgeburt im Menschen und damit das Niedersteigen Gottes in die Welt betont, sondern umgekehrt das Opfer, das aus dem Herzen Margarethas als Gebet zu Gott aufsteigt für die Sünde der Menschheit und als Zeichen und Bitte der Liebe.138 Weiter betont Heinrich, ihm und allen ihm Anvertrauten sei Christus durch Margaretha Speise und Trost geworden, wie dieser selbst ihr in der Eucharistie Speise und Trost sei.139 Margaretha kommt also eine sakramentale Funktion für andere zu, die dadurch von der Sünde gereinigt werden: Heinrich nennt Margaretha nicht von ungefähr geträwe sundentragerin der welt.140 Die beiden Briefe IX und XL betonen die Funktion Margarethas vor dem Hintergrund des Sakraments der Eucharistie: So wie Christus in Margaretha aufgrund des eucharistischen Brotes neu Mensch werden kann, so hat auch ihre Existenz für andere die Wirkung, diese von der Sünde zu befreien und sie zu Gott zurückzuführen. In beiden Briefen wird diese Funktion zudem in Parallele zu derjenigen Marias gezeichnet, die demnach weiterhin eine grundlegende Komponente der Brieffolge ist. Die erneute Anführung der Inkarnation in den Briefen VI−XL baut hier nicht mehr so sehr Margaretha zur idealen Nonne auf, die Gott in der Seele aufzunehmen vermag, sondern öffnet die Brieffolge auf andere Menschen hin. In Margaretha wird Christus

134 135 136 137

Z. 26, ebd., S. 182. Vgl. ebd., Z. 34 f. Vgl. ebd., Z. 37. Mit dem Fest der Purificatio Mariae fand die Weihnachtszeit ihren Abschluss. Weiter verbindet die Briefe VI und XI die Metapher vom göttlichen Bild, das sich in der menschlichen Natur eindrückt (vgl. Brief VI , 24 f., ebd., S. 178), denn auch Brief IX , 32–34 verwendet für die Beziehung zwischen Margaretha und Gott diesen Gedanken: [. . .] das er sein gotlichz bild nu und ewigklich in dir gebern müg an irrung aller creatur: ebd., S. 182. 138 Vgl. Z. 3–10, ebd., S. 236. 139 Vgl. ebd., Z. 16–21. 140 Z. 30 f., ebd., S. 237.

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erneut Mensch, um durch sie andere von der Sünde zu befreien und zu Gott zurückzuführen. Sinn stiftendes Vorbild, über das diese Funktion Margarethas entwickelt wird, ist Maria, die naturgemäss eng zur Inkarnation gehört. Mit Brief VI hat ein Abschnitt begonnen, in dem den einzelnen Überschriften nur ein bis drei Briefe zugeordnet werden und demgemäss viele Titel enthalten sind. Es folgen die Briefe IV , XXVII und XXVIII . In Brief IV wird Margaretha bereits in der Einleitung eine marianische Funktion zugesprochen: Sie ist in der Ewigkeit von Gott her erwählt und kann von der Sünde (dem ubel aller schuld141) gar nicht mehr eingeholt werden. Darauf wünscht Heinrich Margaretha die Süssigkeit des Grusses, den Maria vom Engel Gabriel empfangen hat.142 Bereits die Einleitung verbindet Brief IV mit dem vorausgehenden Brief XL : Margaretha übernimmt Funktionen der Gottesmutter, indem sie in Brief XL anderen Menschen dazu verhilft, von ihren Sünden gereinigt zu werden, und in Brief IV selbst ohne Sünde dargestellt wird. Weiter wird der Heilige Geist gebeten, Margaretha mit dem Speer der Minne zu durchbohren.143 Das Blut Christi soll sie rein machen und Christus in sie einschreiben.144 Mit diesen Metaphern greift auch Brief IV – wie Brief XL – auf jene Bildlichkeit zurück, welche die sakramentale Wirklichkeit meint. Diesen Aspekt haben die Briefe IV und XXVII gemeinsam. Dort wird die Heiligung des Menschen anhand der Geschichte des barmherzigen Samariters dargestellt:145 Heinrich spricht von der Arznei, die der war samaritanus146 in seiner Menschwerdung gebracht hat. Heinrich selbst bedarf in seiner Armut (mit Hilfe Margarethas) der ausfliessenden Güte Gottes.147 Hier ist vermutlich der Anknüpfungspunkt für den folgenden Brief XXVIII zu suchen, der mehr als sonst von den Leiden Heinrichs spricht und dies vor allem über den Einbezug biblischer Zitate.148 Wie in den beiden vorausgehenden wird Margaretha auch in diesem Brief als Trost in den Leiden Heinrichs dargestellt.149 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Z. 4 f., ebd., S. 173. Vgl. ebd., Z. 5–11. Vgl. ebd., Z. 48–50. Vgl. ebd., Z. 54 f. Vgl. Lc 10, 30–35. Z. 3, Strauch, S. 210. Vgl. 18–20, ebd., S. 211. Vgl. Kap. 3.2.3. Vgl. Briefe IV , 14, Strauch, S. 173; XXVII , 23, ebd., S. 211; XXVIII , 35, ebd., S. 213.

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Der Anknüpfungspunkt für Brief XLIX muss im Leiden gesehen werden, das eine Auslegung erfährt.150 Ziel dieser Auslegung ist der Friede, der der menschlichen Geschöpflichkeit zuteil wird, wenn sie sich mit Gott vereinigt.151 Doch bleibt er, der als Wunsch für Margaretha formuliert ist,152 nicht ihr Eigenbesitz: Sie wird aufgefordert, lebend wasser weiterzuschenken,153 oder, in den Worten von Brief XXVII : Arznei für Heinrichs Wunden zu sein. An dieser Stelle der Briefsammlung wird deren Lektüre also erneut über Margaretha hinaus auf die Leser und Leserinnen hin geöffnet: Die aus der Aufnahme Gottes in der Seele erfolgende innere Einkehr bewirkt in dem dafür offenen Menschen inneren Frieden, dies auch bei starkem Leiden. Da Margaretha diesen Frieden besitzt, kann sie für andere Sünder zur Arznei und zu lebendigem Wasser werden. Die Überschrift Aber gar ain schoner brieff der selige¯ Margaretha Ebnerin den jr ain grosz meist’ geschriben hat nimmt das erste Mal nach der Vorrede auf den Briefautor Bezug. Da es sich hier weiter um Briefe Heinrichs handelt, ist er es, der hier als ›grosser Meister‹ bezeichnet wird. Anscheinend ist zumindest der erste der beiden Briefe beim Zusammenstellen als besonders gelungen aufgefallen. Zuerst wird Brief XXI wiedergegeben. Wie in Brief XLIX ist auch in ihm die Rede von einem Frieden, der alle Sinne zu überwinden vermag.154 Heinrich nennt Margaretha eine Nachfolgerin Marias auf ihrem Weg vom irdischen zum himmlischen Leben: Sie soll mit Christus sterben, um zu dessen Auferstehung zu gelangen.155 Vor allem dieses Thema verbindet Brief XXI mit dem im zweiten Kapitel ausführlich besprochenen Brief XI , in dem Margaretha die frucht der Auferstehung gewünscht wird:156 Aus der durch Ostern bewirkten Einigung mit Gott heraus wird sie zum Lebensbaum für andere.157 Dass an dieser Stelle das Thema ›Ostern‹ bestimmend ist, bestätigt die folgende Überschrift zu Brief XLIII : Ain schoner bry¨ff von der vrste¯d. In diesem langen Brief kommt das Wort urstend selbst nicht vor, doch wird 150 Auch Heinrichs eigene Leiden werden im Brief thematisiert; vgl. Z. 25 f., ebd., S. 259. 151 Vgl. Z. 1 f., ebd., S. 258: Heinrich spricht von der creatur, die zum Frieden kommen soll. 152 Vgl. ebd., Z. 4: der enbüit [. . .]. 153 Vgl. Z. 23 f., ebd., S. 259. 154 Vgl. Z. 18 f., ebd., S. 204. 155 Vgl. ebd., Z. 1–7. 156 Vgl. Z. 2 f., ebd., S. 185. 157 Vgl. Z. 58–61, ebd., S. 186.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

unter Verwendung von Bildern aus der Apokalypse des Johannes die endzeitliche Verbindung Margarethas mit dem auferstandenen Christus beschrieben.158 Ebenfalls in das Oster-Thema bindet Brief XV Margaretha ein. Er folgt auf Brief XLIII unter dem Titel: Aber ain schoner briy¨ff der selige¯ Margaretha ebnerin von Ainer geistlichen hymelfart. Diese Überschrift gibt eine Verstehenshilfe, warum Brief XV an dieser Stelle eingefügt wird und wie er zu lesen ist. Wie in Brief XI wird auch in Brief XV die Bibelstelle Io 16, 7 zitiert, worauf Heinrich schreibt: in dieser uffart wart gezogen der jünger hertz uf in gotlicher begird [. . .].159 Heinrich meint weiter, die Jünger hätten daraufhin nicht mehr die leibliche Gegenwart Christi lieben können, sondern ihre Liebe sei zu einem geistlichen Minnen geworden, da [. . .] irs wandels von inern begirden mer in dem himel was dan uf der erd.160 Die ›geistliche Himmelfahrt‹ muss beim Zusammenstellen der Briefe so wichtig gewesen sein, dass auch der nächste Brief unter einem eigenen Titel steht, obwohl das vom Inhalt der Überschrift her nicht nötig wäre: Aber ain schoner brieff von einer geistlichen hy¨melfart. Sie wird in Brief XLVI nun explizit thematisiert: Bereits zu Beginn wünscht Heinrich Margaretha ain geistlich himelfart.161 Brief XLVI , der um das Fest unser frawen himelfart162 herum geschrieben wurde, lässt einen mystischen Gedankengang in der Aussage münden: hier innen und des glich tunt vor uns usz die groszen gotzfrund des innern menschen geistlich himelfart.163 Mehr als Brief XV legt er das Gewicht auf die Vereinigung Margarethas mit Gott in der unio mystica. An die ›geistliche Himmelfahrt‹ knüpfen weiter die Briefe X und XXIX an, in denen Heinrich Margaretha ausdrücklich die Erhöhung in Christus und die Vereinigung mit ihm wünscht.164 Ist im ersten aber noch Christus Partner dieser unio, wird im zweiten das Herz des Vaters als Ort der Vereinigung bestimmt und die Beteiligung der ganzen Dreifaltigkeit an diesem mystischen Geschehen betont.165 In der Akzentuierung der Dreifaltigkeit als dem Ziel der Vereinigung des Menschen mit Gott lässt sich 158 159 160 161 162 163 164 165

Z. 1–9, ebd., S. 242 f.; vgl. Kap. 3.4.4. Z. 8 f., Strauch, S. 192; zum Text von Brief XI vgl. Kap. 2.1. Brief XV , 13 f., Strauch, S. 193. Z. 4–9, ebd., S. 250 f. Ausführlicher zitiert in: Kap. 4.4.3. Z. 66 f., Strauch, S. 252. Ebd., Z. 60 f. Vgl. Z. 5–8, ebd., S. 183. Vgl. Z. 14–20, ebd., S. 213 f.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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darauf der im vierten Kapitel ausführlich behandelte Brief XLVIII gut anfügen. Er steht alleine unter einer Überschrift und betont bereits im ersten Satz: Deim lieblichen antlüz, das [. . .] wider lichten ist in das gebrech der hailigen driveltigkeit [. . .].166 Während die unio in den vorausgehenden Briefen als ›geistliche Himmelfahrt‹ umschrieben wird, spricht Brief XLVIII von einer hoch gezogner sel in got.167 Die Leserinnen und Leser werden hier demnach einmal mehr in die Nachfolge Margarethas gestellt: Sie können zum Leben der Auferstehung Christi gelangen, an der Margaretha bereits Anteil hat. Der Segen dieses neuen Lebens sind Stille und Friede der Seele und die Gottesbegegnung in der unio mystica. Damit werden die Begierden der Leser und Leserinnen aber auch schon mehr auf den Himmel als zur Erde gerichtet: Die Liebe zu Christus soll den Menschen erhöhen und ihm das Leben im Geheimnis der Dreifaltigkeit schenken. 8.1.7 Die sakramentale Verdichtung Am Ende des folgenden Briefs LI steht ein Satz, der ganz in den Kontext des bis anhin Gesagten passt: trüwer got, trag unsz usz uns selber und usz aller creatur in dich und mit dir in deinen vatter und in alle dein fruind und gib und gebuit in allen, dich ze bitten für uns und den höe und erhoe dich selber in dir, in deinem vatter und in allen deinen heiligen uber uns durch dein und aller deinen wirdigs verdienen.168

Diese Erhöhung der Kreatur durch Christus erhält zu Beginn des Briefes ihre Konkretisierung in Margaretha. Ihr wird gewünscht, dass sie in Christus mit allen Heiligen im Himmel wohnen möge, um dort Gott selbst ewig zu schauen.169 Schon in der Einleitung wird Margaretha aufgefordert, empfangenes himelschz leben jenen – sie stillend – weiterzugeben, die nach Gott dürsten;170 später spielt Heinrich auf das Trinken des Weines an, der 166 167 168 169

Z. 1–3, ebd., S. 256. Z. 23 f., ebd., S. 257. Z. 99–104, ebd., S. 264. Z. 1–4, ebd., S. 261. Die Anschauung Gottes haben auch die letzten der bereits behandelten Briefe zum Ziel, wenn diese von der Bedeutung des ›Antlitzes‹ Gottes für den Menschen sprechen; vgl. die Briefe XLVI , 38 f., ebd., S. 251; X, 7–12, ebd., S. 183; XXIX , 14–20, ebd., S. 213 f.; XLVIII , 1 f., ebd., S. 256 (hier ist die Rede vom Antlitz Margarethas, welches das Licht der Gnade reflektiert). 170 Vgl. Z. 4–7, ebd., S. 261.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Christus selbst ist.171 Und weil dazu auch vom Essen des Brotes172 und dann direkt vom Herrenleib die Rede ist,173 bekommt der Brief eine sakramentale Prägung: Margaretha, die zu Gott erhöht ist und ihn schauen kann, soll für Gottesfreunde eine Heilswirklichkeit werden, wie diese in den eucharistischen Gestalten von Brot und Wein jedem gläubigen Menschen zuteil wird. Damit ist der Übergang zu Brief VII gegeben, der erneut gesondert einer Überschrift folgt. In diesem Brief wird Margaretha bereits in der Einleitung als Jungfrau beschrieben, die zum himmlischen Mahl des Lammes geladen ist.174 Sie schöpft in dieser von der Bibel geprägten Bildlichkeit ihre Kraft nicht aus der sakramentalen Gnade, die ihr unter den Zeichen von Brot und Wein gereicht wird, sondern direkt aus dem Brunnen des ewigen Lebens. Und obwohl der nächste Brief wiederum eine eigene Überschrift trägt – wenn auch eine extrem kurze, nämlich: Aber ain brieff –, schliesst er ohne weiteres an die Nummern LI und VII an: In Brief XXXII wird ausdrücklich die Messe erwähnt. Er, der eigentlich vor allem persönliche Mitteilungen Heinrichs enthält, beginnt mit dem Wunsch für Margaretha, das mingklich werck Christi zu verstehen und zu lieben, das in Maria, den Engeln und in allen Menschen wirke.175 Weiter berichtet Heinrich von seinem Aufenthalt in Basel, wo er die Möglichkeit habe, die Messe zu feiern und die Beichte zu hören.176 Damit wird anhand zweier Sakramente die konkrete Gegenwart Gottes unter den Menschen betont. Was in der Feier der Messe dem Menschen von aussen her zukommt, das wird im folgenden Brief XIII als verinnerlicht dargestellt: Margaretha ist darin für Heinrich das aller innerste[. . .] gut,177 das er neben Gott auf Erden hat. In seiner Freundschaft mit ihr wird er mit der Gnade Gottes erfüllt. Margaretha wird hier als Fürsprecherin beschrieben und ihre Gegenwart als Vermittlung von göttlichem Heil.178 Ganz nebenbei wird erwähnt, Margaretha würde aus Gehorsam einem Ratschlag Heinrichs gegenüber nun Fleisch essen. Ob dieser Gedanke bei der Einreihung von Brief XIII in die 171 172 173 174 175 176 177

Vgl. ebd., Z. 13–21. Vgl. ebd. Vgl. Z. 53–56, ebd., S. 262. Vgl. Z. 1–8, ebd., S. 179. Vgl. Z. 1–5, ebd., S. 216. Vgl. Z. 26–30, ebd., S. 217. Z. 1, ebd., S. 188. Die Überschrift Das ist gar ain besund’ schoner brieff der der seligen Mutter geschribe¯ ist worde¯ vo¯ de¯ M wurde entweder schon ursprünglich unverständlich gesetzt oder geht auf eine schlechte Überlieferung zurück. 178 Vgl. ebd., Z. 5–15.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Brieffolge mitbestimmend war, die über die vorausgehenden Briefe an dieser Stelle eucharistisch geprägt ist? In Brief XIII wird zudem deutlich die Frucht der Gnade Gottes dargestellt, die Heinrich durch die Gegenwart Margarethas geschenkt wird: Ihre Worte bringen ihn näher zu Gott, da ihr Leben ihm zu Gott leuchte, wenn er sich in diese ergebe.179 Diese Funktion Margarethas trifft Heinrich übrigens im Zustand der eigenen Schwäche (und damit der Sünde), sie hat für ihn einen reinigenden Charakter.180 Nicht nur in der Ausgabe von Philipp Strauch, sondern auch in der Handschrift folgt auf Brief XIII jener mit der Nummer XIV , der mit drei anderen zusammen unter einer gemeinsamen Überschrift steht. In Brief XIV entwirft Heinrich eine Heilsökonomie, in welcher der Eucharistie ein besonderer Platz zukommt. Heinrich empfiehlt Margaretha in jene Liebe, mit der die zweite göttliche Person gezeugt wurde, in der die Schöpfung und die Inkarnation ihren Ursprung haben und Christus den Tod auf sich genommen hat. Für Heinrich ist das dieselbe Liebe, in der Christus in das eucharistische Brot kommt, um durch dieses – und in jeglichem Gnadenakt – in die Seelen und Herzen der Gläubigen zu gelangen. Es ist dieselbe Liebe, die schliesslich zur Vollendung führt und dem Sünder die Vergebung schenkt.181 Damit haben die Sakramente der Eucharistie und der Beichte aus Brief XXXII in Brief XIV eine Einbettung in das Heilshandeln Gottes gefunden. Im Hinblick auf die folgenden beiden muss für Brief XIV darüber hinaus besonders die Rolle Marias erwähnt werden: Christus dienen in Liebe die Engel und alle Menschen, vor allem aber seine Mutter.182 Denn wenn auch hier einmal mehr nicht gesagt werden kann, warum die Briefe LIII und LXIII mit Brief XIV zusammen unter einer gemeinsamen Überschrift stehen – letzterer könnte ebenso gut mit den vorausgehenden unter dem Merkmal ›Eucharistie‹ vereinigt sein –, dürfte wohl der marianische Aspekt ausschlaggebend gewesen sein. Dieser für die ganze Briefsammlung wichtige Gesichtspunkt ist hier allerdings neu gewichtet. Brief LIII verbindet nämlich die marianische Funktion Margarethas mit Gedanken der Endzeit: Heinrich nennt sie mutter und bittet sie, ihm zu raten, ob er andere Menschen mehr warnen sollte, als er dies zu tun pflegt.183 Für Brief LXIII 179 180 181 182 183

Z. 19–28, ebd., S. 188 f. Vgl. Z. 15–22, ebd., S. 188. Vgl. Z. 15–41, ebd., S. 191 f. Zur Briefstelle vgl. Kap. 6.4.5. Vgl. Z. 35–37, Strauch, S. 192. Vgl. Z. 3–5.15 f., ebd., S. 267. Dabei stützt sich Heinrich auf eine Aussage Hildegards von Bingen, Gottesfreunde müssten sich warnen, wie in den Zeiten von Plagen zu leben sei; vgl. Kap. 4.2.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

kann ein ähnlicher Gedankengang aufgezeigt werden: Dessen Autorin, Margaretha zum Goldenen Ring, nennt Margaretha Ebner ebenfalls mutter und bedarf der durch diese zu vermittelnden göttlichen Kraft, da Heinrich nicht mehr in Basel ist.184 Auch dieser Brief geht demnach von einer unbestimmten Zukunft aus, in der es der Fürbitte Margarethas bedarf. Margaretha erhält in der zusammenhängenden Lektüre der hier besprochenen drei Briefe damit eine marianisch-endzeitliche Rolle als Helferin beim letzten Schritt des Menschen auf Gott hin. Über die Briefe LI−LXIII kommt es in der Brieffolge der Londoner Handschrift Add. 11430 zu einer Verdichtung der Funktionen Margarethas in der Erwähnung des Sakraments der Eucharistie: Darin wird dem Menschen Anteil am ›Minnewerk‹ Christi – Tod, Auferstehung und Erhöhung – gegeben, das Gott in Maria, den Engeln und Heiligen gewirkt und das im Dienst der Liebe sein Ziel hat. Der Darstellung Margarethas in ihren Briefen wohnt für die Leserinnen und Leser der Sammlung eine ähnliche sakramentale Wirkung inne wie dem Mitfeiern der Messe. Anhand der Figur Margarethas wird – parallel zum Empfang des eucharistischen Brotes185 – konkret aufgezeigt, dass durch die äussere und innere Nachfolge Christi alle Sinne der Leser und Leserinnen auf Gott gerichtet werden. In der Nachfolge Marias ist Margaretha dafür nicht nur Vorbild, sondern bleibt – einer Heiligen gleich – für andere ›Mutter des Guten Rates‹186 und letzte Zuflucht: Ihr kommt in diesem Teil der Briefsammlung eine eschatologische Rolle zu. 8.1.8 Die Demut als konstitutives Element der unio mystica In der Briefsammlung der Handschrift Add. 11430 verbleiben noch fünf Nummern. Bei der ersten und der fünften handelt es sich nicht um Briefe. Allen Nummern gemeinsam ist die Überschrift: jte¯ von vii graden der Rechten demutigkait. Ihr folgt unmittelbar der Traktat ›Von den sieben Graden der rechten Demut‹, der die Sammlung in der Ausgabe von Philipp Strauch beschliesst.187 Darin wird zu Beginn gesagt, die sieben Stufen der 184 Vgl. Kap. 5.4.1. 185 Für Johannes Tauler ist auch der kirchlich-sakramentale Weg ein mystischer; vgl. Gnädinger/Mayer, Tauler, Sp. 647. 186 Der Titel ›Mutter vom Guten Rat‹ für Maria ist allerdings erst für das 15. Jh. bezeugt und kommt im 18. Jh. zu grösserer Verbreitung; vgl. A[dolar] Zumkeller, Mutter vom Guten Rat, in: MarL 4 (1992), S. 552 f. 187 Vgl. dazu ausführlich in: Kap. 7.5.5.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Demut seien als Zeichen der zunehmenden Gnade Gottes und der echten Nachfolge Christi zu verstehen.188 Anders formuliert: Ein Leben aus dem Glauben ist ein Leben in Demut. Diese ist dem Menschen von Gott her empfohlen, denn wer sich im Kleinen bewährt, ist für das Grosse der Ewigkeit bereit.189 Die Blickrichtung auf das Zukünftige oder Endzeitliche dürfte die Klammer zwischen dieser Nummer und den vorausgehenden Briefen sein. Das Ziel des zur Demut bereiten Menschen liegt für den Traktat in der heiligen Dreifaltigkeit.190 Da nun die Überschrift auch die folgenden Nummern unter den Leitgedanken der Demut stellt, müssen sie vor allem auf diesen Aspekt hin untersucht werden. Im Traktat ist die Demut Kennzeichen der Herrennachfolge. In Brief LXVII , der uns aus Kapitel 6.1 bekannt ist, bezeichnet sich auch Margaretha in der Haltung der Demut als nachfolgerin der menschait Jhesu Christi.191 Die Demut wird in diesem Brief auch im Zusammenhang mit der Metapher des Vogelflugs thematisiert: Heinrich soll sich infolge seiner Demut zum hohen Flug des Adlers aufschwingen.192 Brief LXIV dagegen, dessen Autorschaft wir nur vermuten können,193 bezieht sich bezüglich der Demut wieder auf Margaretha. In ihm ist – wie in Nummer LXVIII – die Rede von der Dreifaltigkeit, die Margaretha in ihren Gruss hinein nimmt.194 Weiter wird darin das Ziel des Menschen in der Anschauung des Wesens Gottes angegeben.195 In diesem Zusammenhang wird Margaretha zu einem Vorbild der Tugend stilisiert,196 wobei der Autor auch auf die Seelgeräte des hl. Dominikus zu sprechen kommt, die Margaretha zur ewigen Seligkeit führen sollen: Gefordert werden Liebe, Demut und Armut.197 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197

Vgl. Nr. LXVIII , 1–5, Strauch, S. 283. Vgl. Z. 25–29, ebd., S. 284. Vgl. ebd., Z. 37–39. Z. 14 f., ebd., S. 281. Vgl. Z. 15–17, ebd., S. 281. Zur Adler-Metapher vgl. Kap. 2.4.2 und 6.1. Vgl. Kap. 7.1. Vgl. Z. 1–8, Strauch, S. 277. Vgl. ebd., Z. 8–10. Vgl. ebd., Z. 13–16. Vgl. ebd., Z. 16–19. Ein Seelgerät (donatio pro remedio animae) ist ursprünglich eine »Güterübertragung an eine Kirche gegen das Versprechen ständiger Fürbitte im Gebet, insbes. einer alljährl. Seelenmesse am Sterbetag«: K[arl] Kroeschell, Seelgerät, in: LexMa 7 (1995), Sp. 1680. In Brief LXIV handelt es sich aber eher um eine geistliche Hinterlassenschaft, die zu Gott führt. Dazu Strauch, S. 400 ad LXIV , 16 f.: »In einer deutschen Dominikuslegende

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

In Brief LVI ist keine Rede von der Demut mehr, doch lässt sich seine Stellung im Schlussteil der Brieffolge augrund seiner teleologischen Perspektive erklären: Diese besteht in der Betonung der Anschauung Gottes – Heinrich beschreibt Gott als das einig ein198 – und in der Darstellung des Verlangens der Menschen nach der Ankunft Christi in der Seele.199 Diesen Aussagen haftet eine stark mystische, das heisst die unio intendierende Dimension an, vor allem auch durch das nachstehende Verlangen nach der Gottesgeburt in der Seele:200 Margaretha (und mit ihr auch ihre Mitschwestern) kann in der Erfahrung der unio mystica die Anschauung Gottes bereits vorwegnehmen. In der unio dürfte der Berührungspunkt von Brief LVI mit den vorausgehenden drei Nummern bestehen, die das mystische Erleben in der Tugend der Demut vorbereitet sehen. Die Nummer LXIX , die bei Philipp Strauch nicht wiedergegeben wird,201 beschliesst die Briefsammlung. Ihr kommt die Eigenschaft eines Schlussgebets zu. Das Gebet richtet sich an Gottvater, der das Ziel der Seele ist.202 Durch Metaphern des Flusses, Zuges und Fluges strebt auch dieses Gebet nach der unio zwischen Gott und dem Menschen.203 Unter den vielen Bitten, die in diesem Gebet an Gott gerichtet werden, fallen im Zusammenhang der letzten fünf Nummern der Briefsammlung jene um das Wachsen der Tugenden und um das Ruhen in der Dreifaltigkeit auf.204 Schliesslich gehen in diesem Gebet auch die Themen der Vereinigung mit Gott und der Eucharistie ineinander auf:

198 199 200 201

202 203 204

aus dem 14 Jh. heisst es: do gab er inen (seinen Conventsbrüdern) dis selgerethe und sprach: ›min aller liebsten, diss sind die ding, die ich u´ch lass als minen kinden ze besitzend nah erblichem recht. Ir sont haben goetliche minne und soent behalten die diemuetigkeit und sont besitzen willige armuot‹«. Z. 4, ebd., S. 269. Vgl. Strauch, S. 269, 7–13. Der Ausruck einig ein hat sich hier wie in der ›Vita‹ Heinrichs Seuses »als Gottesname etabliert«: Burkhard Hasebrink, ein einic ein, S. 462. Vgl. Strauch, S. 269, 15–18. Vgl. Add. 11430, fol. 71r-v. Ohne Überschrift und ohne von den Briefen abgehoben zu werden, wird der Briefsammlung das letzte Kapitel des fünften Buches des ›Fliessenden Lichts‹ (V, 35) angehängt: FL , S. 196–198. Bei Neumann sind im kritischen Apparat die Abweichungen der Londoner Hs. von Einsiedeln I angegeben. Vgl. ebd., V 35, 3, S. 196. Vgl. ebd., Z. 3–10. Vgl. ebd., Z. 27–29 und 38 f., S. 197.

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Ich bitte dich, heliger got, umb erbarmherzige angesihte mines unnu´tzen lebennes und umb stete einunge, herre, din selbes in miner sele und umb die e getru´wen wegespise dines heligen lichamen, das der musse sin an minem ende 205 min jungestu´ spise an sele und an libe.

Der Schlussteil der Briefsammlung in der Londoner Handschrift – Traktat, Briefe und Mechthild-Exzerpt – könnte damit gleichsam als Konkretisierung aller bisher geschilderten Heilswahrheiten für den mit gläubigem Herzen lesenden Menschen verstanden werden: Als letztes Ziel des Menschen wird die Dreifaltigkeit bezeichnet, die alles an sich zieht. Als Weg zu ihr wird die Demut empfohlen, die sich in den kleinen Dingen des Alltags bewähren muss und damit den Weg öffnet für das Grosse der Ewigkeit. Auch die Leiden haben auf diesem Weg ihren Platz, wenn die Briefe gerade die Widrigkeiten des Lebens als Liebesdienst des Herrn an den Menschen bezeichnen: Nur wenn der Mensch die Demut besitzt, diese Widrigkeiten zu leben, gelangt er zur Vereinigung mit Gott. Margaretha bleibt auf dem Weg vom Lesen der Briefe zur Höhe der Kontemplation ein Vorbild der Tugend. Mit ihr gelangen die Leserinnen und Leser zum ›Einig Ein‹, dürfen sie in dieser Welt Christus in die Seele aufnehmen und auf die ewige Schau Gottes nach dem Tod hoffen. 8.1.9 Die lectio der Briefe in der imitatio Christi Worin liegt also das Spezifische der Lektüre der Briefe in der Londoner Handschrift Add. 11430? Die Sammlung lässt sich in vier Teile gliedern: Im ersten – er beinhaltet die Briefe XLI−XXV – wird für Margarethas Briefe und ihre ›Offenbarungen‹ festgehalten, dass sie für andere göttliche Wahrheit enthalten. Zur Beglaubigung wird Margaretha in einem zweiten Teil (in den Briefen I-VIII ) als Ideal in der Nachfolge Christi aufgebaut: Sie hat eine einzigartige Stellung inne, die ihr, wie der Gottesmutter, aus der Vereinigung mit Gott zukommt. Die unio ihrerseits ist in diesem zweiten Teil eine Frucht der inneren Einkehr, die Margaretha die Aufnahme Gottes in der Seele ermöglicht. Sie hat dadurch Anteil am göttlichen Gnadenstrom und wird für andere Menschen Vorbild und Fürbitterin, damit dieser Gnadenstrom auch jene erreichen kann. Wenn in einem dritten Teil (Briefe LX−LXIII ) gezeigt wird, wie sich die Heilsgeschichte an Margaretha konkret vollzieht, um ihre Rolle theologisch-spirituell zu legitimieren, so ist diese Einbettung auch auf die 205 Ebd., Z. 51–54, S. 198.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Leserinnen und Leser hin offen, die sich an Margaretha orientieren. In diesem Teil wird darum besonders die Funktion Margarethas für andere betont: Er öffnet deren Darstellung auf andere hin. Den Leserinnen und Lesern wird vor Augen geführt, wie sie in Reue und Busse – und dies wohl in besonderer Weise im Beichtsakrament – mit Margaretha zusammen ihr Inneres für die Gegenwart Gottes bereiten können. Der dritte Teil schafft damit den Raum für eine geistliche conceptio. Aus dem Zusammenwirken von göttlicher Gnade und innerer Bereitschaft ist über die Abfolge der Briefe die Möglichkeit zur incarnatio gegeben. In dieser besonderen Nähe zu Gott können die Leserinnen und Leser auch in den Widerwärtigkeiten des Lebens bestehen, ja der Weg durch die passio führt der Lektüre der Brieffolge gemäss erst eigentlich zur resurrectio. In den Briefen erreichen damit Margaretha und alle, die ihr nachfolgen, die Rückkehr zu Gott, eine geistliche assumptio, und gelangen schliesslich zur unio, der exaltatio in das innergöttliche Leben der Dreifaltigkeit. Das Zusammenwirken der Nachfolge des Menschen und des ›Minnewerks‹ Gottes findet in der weiteren Abfolge der Briefe seine grösste Dichte im sacramentum, dem die Rolle Margarethas zugleich gegenübergestellt und untergeordnet wird. Einem Leben in dieser heilsgeschichtlichen Dimension entspringt schliesslich der Dienst in der Liebe: Der aus der Einigung mit Gott lebende Mensch will auch andere zur unio führen. An dieser Stelle der Brieffolge wird auf der Ebene des Vokabulars ein Kreis zum ersten Teil geschlossen: Dort wurde gesagt, Margaretha erschliesse für andere den ›himmlischen Schatz‹. Auch am Ende des dritten Teils besteht der Liebesdienst des zur unio gelangten Menschen darin, anderen den ›Himmelsschatz‹ zu erschliessen: Ein Gottesfreund wird für andere zur Zuflucht und zum Ratgeber für die Endzeit – die Briefsammlung eröffnet hier einen Ausblick auf die res futurae. Bleibt noch ein vierter und letzter Teil, der die Nummern LXVIII− LXIX umfasst. Er zeigt, wie der konkrete Weg aussieht, um in den Besitz himmlischer Gnaden zu gelangen. An erster Stelle steht die humilitas, die sich in den Widrigkeiten des Alltags bewähren muss und als ›Minnedienst des Herrn‹ verstanden wird, ihren Sinn also in der imitatio Christi erhält. Die Leserinnen und Leser in der Nachfolge Christi finden in Margaretha ein Vorbild an Tugend und müssen selbst eine imago virtutum werden. Neben die Demut treten in diesem Teil auch die Tugenden der caritas und der paupertas. Da dieser vierte Teil nochmals ausdrücklich die Ankunft Christi in der Seele betont, um danach auch noch auf die erhoffte Schau Gottes am Ende der Zeiten hinzuweisen, bleibt die ganze Briefsammlung trotz der

Die thematische Anordnung des Briefkorpus

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Vereinigung mit der Dreifaltigkeit als Ziel des Menschen christozentrisch ausgerichtet und erhält eine eschatologische Dimension. Gerade die erneute Betonung der Anwesenheit Christi in der Seele lässt an eine literarische Umsetzung der Worte des Apostels Paulus denken: si autem Christus in vobis est / corpus quidem mortuum est propter peccatum / spiritus vero vita propter iustificationem. (Rm 8, 10) Oder: vivo autem iam non ego / vivit vero in me Christus / quod autem nunc vivo in carne / in fide vivo Filii Dei / qui dilexit me et tradidit se ipsum pro me. (Gal 2, 20)

Bei diesem Versuch, die Briefsammlung als eine Einheit zu lesen, wird eines deutlich: Auch wenn Margaretha Adressatin ist und als bevorzugtes Objekt des göttlichen Heilshandelns dargestellt wird, können sich die Leserinnen und Leser der Sammlung sehr wohl persönlich von dieser Briefabfolge angesprochen fühlen. Letztlich werden sie durch die Lektüre nicht so sehr auf das Vorbild Margarethas festgelegt, sondern in die imitatio Christi hineingenommen, die am Beispiel Margarethas eine Veranschaulichung erhält. Gerade das abschliessende Gebet (Mechthilds) verdeutlicht aufgrund seiner wichtigen Stellung die Intention der Briefsammlung: Die Briefe sollen nicht bloss der Orientierung über die besonderen Tugenden Margarethas dienen, sondern unmittelbar zur contemplatio führen.206 Auch wenn der hier vorgenommene Versuch, die innere Struktur der Briefsammlung offenzulegen, der oft zufällig wirkenden Zusammenstellung der Briefe nicht überall gerecht zu werden vermag, muss im Anschluss an die vorgenommene Analyse davon ausgegangen werden, das Briefkorpus der Handschrift Add. 11430 sei für eine integrale Lektüre bestimmt und lasse den einzelnen Brief in den Hintergrund treten. Einzelne Überschriften deuten auf jeden Fall in diese Richtung. Dabei scheint auch noch zur Zeit der Zusammenstellung der Sammlung eine Lesehaltung vorausgesetzt gewesen zu sein, die in dieser Arbeit für einzelne Briefe oder Briefteile Heinrichs postuliert wurde: Die lectio des als heilsgeschichtlich dargestellten Weges Margarethas zu Gott wird als meditatio gefordert, um zur contemplatio der göttlichen Heilswahrheiten zu gelangen. Wie in den Hauptteilen der einzelnen Briefe kommt Margaretha dabei auch in deren Abfolge modellhafter Charakter zu, dies aber nicht so sehr in Hinblick auf die 206 Auch in der ›Rede von den fünfzehn Graden‹, die noch im 13. Jh. entstanden sein dürfte, wird der Weg der menschlichen Seele auf ihrem Weg zur Vereinigung mit Gott von einem Gebet (an Jesus) abgeschlossen; vgl. Honemann, Rede, Sp. 1063 f.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Darstellung der Vereinigung mit Gott, als vielmehr auf jene des Weges dorthin. Für diesen wird in der Briefsammlung die Rolle der Demut als grundlegende Haltung betont, die in den Einzelbriefen zur Funktion Heinrichs gehört. Die Funktion der Demut für die Darstellung Margarethas ist uns hingegen von ihren ›Offenbarungen‹ her gegeben.207 Auf die Beziehung zu diesem Werk hin soll darum die Besprechung der Briefsammlung abschliessend geöffnet werden: Wohl lässt etwa der Beginn des Briefkorpus die Worte Margarethas allgemein als von Gott gegeben erscheinen, doch geschieht das in den ersten Briefen ja vor allem auch auf ihre ›Offenbarungen‹ hin. Und so dürfte die Zusammenstellung der Briefe von Beginn an gelesen worden sein: zur Beglaubigung der ›Offenbarungen‹ als Worte göttlicher Wahrheit, die den Leserinnen und Lesern in der lectio die ›himmlischen Schätze‹ zu erschliessen vermögen. In dieser Verbindung – ›Offenbarungen‹ und Briefsammlung – liegen die Briefe heute in der Londoner Handschrift Add. 11430 vor. Die Anordnung erinnert an die biblischen Bücher des Neuen Testaments: Den Evangelien, die in diesem Vergleich als Offenbarungen des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu gedeutet werden, folgen Briefe, die diese Heilsgeheimnisse für andere erläutern und verkünden. Analog dazu hat auch die Briefsammlung in der Londoner Handschrift Add. 11430 heilsgeschichtlich-kerygmatischen Charakter und streicht dabei die Heiligmässigkeit Margarethas heraus. Die ›Offenbarungen‹ und die Briefsammlung sind zwar sicher primär als Anleitung und Hinführung auf dem Weg zu Gott verstanden worden. Gleich der Vita einer Heiligen sind diese Werke aber auch Ausdruck der Verehrung Margarethas – und werden als solche mitgeholfen haben, diese als Heilige in Erinnerung zu behalten und ihren Kult zu fördern. Von dieser zweiten Zielsetzung her, die im fünften Kapitel bereits über die Charakterisierung der Briefe als Sendschreiben herausgearbeitet wurde,208 dürften Personen ausserhalb des Klosters Medingen das eigentliche Publikum der ganzen Briefsammlung gewesen sein.209 Ort der Entstehung aber war wohl das Kloster 207 Vgl. etwa die Gegenüberstellung zwischen den ›Offenbarungen‹ und dem Traktat ›Von den sieben Graden der rechten Demut‹ in Kap. 7.5.5. 208 Vgl. Kap. 5.4.3. 209 Vor allem die ›Vorrede‹ zur Briefsammlung scheint an ein Publikum gerichtet zu sein, das sich ausserhalb des Klosters befindet. Arne Holtorf spricht generell von der Entstehung von mittelhochdeutschen, geistlichen Briefsammlungen als »Wunsch einer begrenzten Öffentlichkeit nach Teilhabe«: Brief, Briefliteratur, Briefsammlungen. B. Briefwesen und Briefliteratur in den Volkssprachen Mittel-, West- und Südeuropas. I . Deutsche Sprache und

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

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selbst, das auch zur Zeit der Zusammenstellung der Briefe noch ein Interesse daran hatte, die berühmte Mitschwester im Gedächtnis der Öffentlichkeit zu wissen. Das Zusammenstellen der Briefe zu einer Sammlung diente also nicht nur einem spirituellen Programm, sondern auch zur Darstellung der Person Margarethas und zur Förderung ihres Kultes.210

8.2 Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter Eine – unauffindbare – Notiz aus dem Ordensarchiv der Dominikaner soll belegen, dass die Briefsammlung der Londoner Handschrift Add. 11430 aus dem Jahre 1498 stammt.211 Ein Vergleich mit einer anderen Briefsammlung von der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert macht diese Datierung zumindest möglich: In Christoph Scheurls Briefbuch von 1515 finden sich Literatur, in: LexMa 2 (1983), Sp. 663–666, hier: Sp. 664. Zur Vermutung, auch die Einzelbriefe seien zum Teil auf den Wunsch des Freundeskreises um Heinrich hin entstanden, vgl. Kap. 5.4.3. 210 Vgl. Wand-Wittkowski, Briefe, S. 326. In: ebd., S. 326 f. meint sie ausserdem: »Die Sammlung der Briefe [. . .] gibt im Vorwort und in den Briefüberschriften zu erkennen, dass sie in erster Linie das Andenken an Margareta bewahren soll. [. . .] Das erklärt, warum diese Sammlung religiöser Briefe auch solche enthält, die lediglich Nachrichten und Grüsse an Margareta übermitteln.« Zur Darstellung der Arbeit Wand-Wittkowskis vgl. Kap. 1.3.4. 211 Friedrich Zoepfl meint zur Jahresangabe ›98‹ Sr. Margareta Bitterlins: »Jedenfalls = 1498, was durch eine Bemerkung im Archiv des Dominikanerordens in Rom bestätigt wird, gemäss welcher der Schreiber dieser Bemerkung, ein Dominikaner, diese Handschrift [sc. wohl besser: eine Vorlage der Briefsammlung] in Maria Medingen gesehen hat«: Maria Medingen. Die Geschichte einer Kulturstätte im schwäbischen Donautal, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen, Jahrgang 59/60 (1957/1958), S. 7–77, hier: S. 38, Anm. 17. Vgl. dazu auch Jedelhauser, Geschichte, S. 83, Anm. 26: »Ein Lichtbild dieser Zeichnung [sc. der Tuschzeichnung in der Hs. Add. 11430] wurde dem Kloster Medingen in neuester Zeit zugestellt durch S. Eminenz Kardinal Frühwirth mit der Bemerkung, dass die Hs. nach einer Notiz, die sich im Ordensarchiv in Rom befindet, aus dem Jahre 1498 stamme.« Aus dem Ordensarchiv in Rom ist eine Bestätigung dieser Angaben bis jetzt ausgeblieben. Das Staatsarchiv Augsburg und die Studienbibliothek Dillingen konnten mir die Jahresangabe ›1498‹ für die Briefsammlung anhand ihrer archivalischen Quellen nicht bestätigen. Es muss mehrere Kopien dieses Bildes gegeben haben; vgl. Kap. 8.3.9. Die Zeichnung gibt noch den Zustand der Kapelle wieder, wie sie vor ihrem Umbau, also vor 1753 ausgesehen hatte. Zum Umbau der ›Margaretenkapelle‹ oder ›Ebnerkapelle‹ vgl. Zoepfl, Maria Medingen, S. 70 f.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Briefe, die an die Äbtissin des Nürnberger Klosters St. Klara, Caritas Pirckheimer (1467–1532), gerichtet sind oder von dieser geschrieben wurden.212 Auch darin sind die Briefe mit Überschriften versehen, welche sie auf ihren »unpersönlichen geistlichen Gehalt«213 reduzieren, ja die Überschriften können in dieser Sammlung durch Verweise auf religiöse Sachaspekte »zuweilen sogar im Widerspruch zur Absicht der Briefmitteilung stehen«.214 8.2.1 Die Briefsammlung und die spätmittelalterliche Bibliothek Medingens Mit der Datierung ins Jahr 1498 fiele der Abschluss der Zusammenstellung der Briefe zu einer Sammlung in die Zeit der Ordensreform, in der viele Klöster literarisch äusserst produktiv waren. In Medingen erfolgte diese Reform in zwei Stufen: 1467 von Pforzheim aus und erneut 1472 durch Schwestern aus dem Nürnberger Katharinenkloster.215 Ob sich für diese Zeit im Konvent von Medingen ein literarisches Leben und überdies ein Interesse an der Mystik des 14. Jahrhunderts nachweisen lassen, ist nicht einfach zu beantworten. Die mittelalterliche Bibliothek des Klosters ist weitgehend verloren gegangen: Sie wurde entweder in der Reformationszeit oder im Dreissigjährigen Krieg zerstreut und befindet sich in spärlichen Resten in verschiedensten Bibliotheken.216 Zeuge für die volkssprachig212 Zur Bedeutung dieser humanistisch gebildeten Frau für die Stadt Nürnberg zur Zeit der Reformation vgl. Karl Schlemmer, Die frommen Nürnberger und die Äbtissin von St. Klara. Nürnberg als religiöse Stadt in der Lebenszeit der Caritas Pirckheimer, Münsterschwarzach 1982. Zum Briefbuch Scheurls vgl. Wand-Wittkowski, Briefe, S. 267–271. 213 Ebd., S. 270. 214 Ebd. 215 Vgl. Karin Schneider, Einleitung, in: Deutsche mittelalterliche Handschriften der Universitätsbibliothek Augsburg. Die Signaturengruppen Cod. I . 3 und Cod. III . 1, bearb. von K. S. (Die Handschriften der Universitätsbibliothek Augsburg. Zweite Reihe: Die deutschen Handschriften. Erster Band: Deutsche mittelalterliche Handschriften), Wiesbaden 1988, S. 9–22, hier: S. 15. 216 Vgl. ebd. Verwirrend in der Forschung ist die Tatsache, dass es mehrere Klöster mit dem Namen ›Medingen‹ gibt, die im Hss. – Katalog von Sigrid Krämer als Medingen (1), Medingen (2) und Medingen (3) bezeichnet werden: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband I /2), München 1989, 563–565. Bei den anderen Klöstern handelt es sich um Medingen (Moedlingen, Medlingen) bei Lauingen, ebenfalls ehemals ein Dominikane-

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

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mystische Literatur des 14. Jahrhunderts ist nur gerade ein Codex, der sich heute noch in Medingen befindet: die Handschrift ›M‹ (›Vita beatae Margarithae Ebnerin. O. S. D.‹) aus der Zeit um 1353.217 Eine weitere Medinger Handschrift, die die ›Gnadenvita‹ Christine Ebners von Engelthal enthält, wird heute dem 15. Jahrhundert zugerechnet.218 Den Briefen Heinrichs gemäss hat sich in der Bibliothek auch das ›Fliessende Licht‹ Mechthilds von Magdeburg befunden, ebenso das BdeW Heinrich Seuses (oder dessen ›Horologium‹) und das Buch ›von dem süszen namen und von der richen minen Jhesu‹.219 Vor allem drei Handschriften deuten darauf hin, dass der Konvent auch im 15. Jahrhundert ein Interesse an mystischer Literatur hatte:220 Die erste stammt aus Medingen selbst und überliefert Schriften Meister Eckharts, Johannes Taulers und Jans van Ruusbroec.221 Ebenfalls nach Medingen gehörte eine mystisch-aszetische Sammelhandschrift,222 wie auch das 1465 von Matis Miller geschriebene ›Neunfelsenbuch‹ Rulman Merswins Teil dieser Bibliothek war.223 Das Vorhandensein partieller Kopien der Schriften

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rinnenkonvent und in der Diözese Augsburg gelegen, und um das einstige Zisterzienserinnenkloster Medingen, heute Bad Bevensen, Kreis Uelzen. Zur Hs. M vgl. Anm. 4. Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek [Md1] (›Vita Christinae Ebner‹). Während Siegfried Ringler in: Ebner, Christine, Sp. 297 f. für Md1 eine Entstehung um 1400 annimmt, datiert sie Karin Schneider ins 2. Drittel des 15. Jh.s.; vgl. Bürkle, Literatur, S. 54, Anm. 162 und Thali, Beten, S. 302, Anm. 34. Zu dieser Hs. vgl. auch Peters, Religiöse Erfahrung, S. 157, Anm. 102. Zu diesen Werken vgl. Kap. 7.5.1. Im Folgenden werden nur deutsche Hss. aufgeführt, die hier einen Erkenntniszuwachs bringen. Die Auflistung orientiert sich an: Krämer, Handschriftenerbe, S. 563 f. Dort sind für Medingen folgende Hss., die hier erwähnt werden, nicht erfasst: Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8o 17, III.1.8o 39, III.1.8o 49 und III.2.8o 58. Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. quart. 841. Zur Hs. vgl. Hermann Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek. Bd. 2: Die Handschriften in Quartformat (Mitteilungen aus der Preussischen Staatsbibliothek 8), Leipzig 1926 (Nachdruck Graz 1970), S. 146. Berlin, Staatsbibl., Ms. germ. quart. 1929. Zur Hs. vgl. Peter-Jörg Becker, Verzeichnis der an Degering anschliessenden Ms. germ. quart.-Handschriften in der damaligen SBPK (Typoskript, unvollendet), Berlin 1986–1989, S. 49. Die Hs. stammt aus dem letzten Drittel des 15. Jh.s. Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 470. Zur Hs. vgl. Winfried Hagenmaier, Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitäts-

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Margarethas weist ebenfalls auf ein Interesse an der Literatur des 14. Jahrhunderts hin. So existiert eine Abschrift der Medinger Handschrift M mit den ›Offenbarungen‹ und dem ›Paternoster‹ aus dem Jahre 1470,224 während der erste Teil einer Medinger Papierhandschrift aus den Jahren 1484–92 Exzerpte aus dem ›Paternoster‹ und den ›Offenbarungen‹ Margarethas enthält; eine Hand dieser Handschrift kann der Medinger Dominikanerin Osanna (Susanna) von Binzendorf zugeordnet werden.225 Daneben überliefert eine Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die aus dem Katharinenkloster in Augsburg stammt, nur das ›Paternoster‹.226 Eine produktive literarische Tätigkeit am Ende des 15. Jahrhunderts in Medingen ist zumindest für zwei Schreiberinnen bezeugt: Die Hand der bereits genannten Osanna von Binzendorf finden wir auch in einem Gebetbuch, das der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehört.227 Darin sind auf fol. 58r–60v und 103r–123v Mahnungen und Gebete der für die Ordensreform bedeutenden Birgitta von Schweden und ein Gebet an diese aufgezeichnet.228 Weiter war Osanna von Binzendorf auch eine der Schreiberinnen eines Gebets- und Betrachtungsbuches von 1462/1470 sowie

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bibliothek Freiburg im Breisgau und die mittelalterlichen Handschriften anderer öffentlicher Sammlungen, Wiesbaden 1988, S. 113. Berlin, Staatsbibl., Ms. germ. quart. 179. Zur Hs. vgl. Degering, Kurzes Verzeichnis, S. 33. Die ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ folgen sich auf fol. 184r und 282r. Die Provenienz der Hs. wird nicht angegeben. Der erste Teil, eine Auslegung der ›Cantica canticorum‹ Bernhards von Clairvaux, zeigt elsässischen Einfluss. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 31. Zur Hs. vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 518. Die Exzerpte befinden sich auf fol. 30r-v, 98v–99v, 109v–111r und 227r–234v. In der Hs. sind verschiedene ältere Lagen und Faszikel (ein Teil stammt aus dem 14. Jh.) einer jüngeren Medinger Hs. aus dem 15. Jh. beigebunden. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 480. Zur Hs. vgl. Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 351–500, bearb. von Karin Schneider (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V /3), Wiesbaden 1973, S. 406 f. Das ›Paternoster‹ befindet sich auf den Blättern 165v–173r. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 48. Zur Hs. vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 620 f. Die bereits erwähnte Hs. Freiburg i. Br., UB , 470 enthält ebenfalls ein Gebet, das Birgitta von Schweden zugeschrieben wurde. Zu dieser Hs. vgl. Anm. 223. Zum Gebet Birgittas vgl. fol. 55r–61r. Zur Bedeutung Birgittas für die Ordensreform vgl. Kap. 8.2.2.

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

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einer Medinger Handschrift von 1495.229 Die Medinger Nonne Magdalena Topplerin ist ebenfalls mehrfach als Schreiberin bezeugt: Sie ist verantwortlich für die ›Collationes Patrum‹ des Johannes Cassianus in Deutsch von 1476/77,230 für eine Sammelhandschrift von 1478231 sowie für die ›Vitaspatrum deutsch‹ von 1482.232 Im selben Jahr schrieb sie auch eine Handschrift mit Heiligenviten.233 Eine Medinger Schreiberin namens Margaretha Bitterlin ist für das 15. Jahrhundert hingegen nicht bezeugt. Während die Schreiberin Osanna von Binzendorf zur Zeit der Reform bereits in Medingen ansässig gewesen sein dürfte, kam Magdalena Topplerin aus Nürnberg.234 Folgende im Zug der Ordensreform zugereisten Schwestern zählt Canisia Jedelhauser auf: »Die übrigen 4 Schwestern aus Nürnberg [sc. neben der Priorin Elisabeth Schurstab] sind Schw. Margareta, welche sich die Priorin zu ihrer Subpriorin ernannte, Schw. Ursula, Schw. Magdalena und Schw. Agnes.«235 Als Subpriorin ist in Cod. 48 der Klosterbibliothek Scheyern nur vier Jahre später 229 Zu Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 56 von 1462/1470 vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 674, zu Wien, Bibliothek des Schottenstifts, Cod. 413 von 1495 ebd., S. 518. Die Hss. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 31, III.1.8o 48 und III.1.8o 56 haben mehrere Texte gemeinsam. 230 Prag, Nationalmuseum, Cod. XIII C 20. Zur Hs. vgl. Klaus Klein, Rez. ˇ eske´ Republice, Redaktor svazku: Rukopisne´ Fondy Muzeı´ a Galeriı´ v C ˇ eske´ Republice Marie Tosˇnerova´ (Pru˚vodce Po Rukopisny´ch Fondech V C III ), Prag 2001 [Einführung in dt. Sprache unter dem Titel: Handschriften in den Museen und Galerien der Tschechischen Republik], in: ZfdA 132 (2003), S. 108–110, hier: S. 110. 231 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 7264. Auf dem vorderen Spiegel steht: Diß Gut gehört in das Closter zu Medingen . . . und das Puch hat geschriben Swester Magdalena Topplerin . . .; vgl. Handschriftliches Repertorium der Bayerischen Staatsbibliothek München, ad Cgm 7264. 232 Berlin, Staatsbibl., Ms. germ. fol. 1157. Zur Hs. vgl. Ulla Williams, Einleitung, in: Die ›Alemannischen Vitaspatrum‹. Untersuchungen und Edition, hg. von U. W. (TTG 45), Tübingen 1996, S. 3*–136*, hier: S. 24* f. 233 Scheyern, Klosterbibliothek, Ms. 48 von 1482. Zur Hs. vgl. Krämer, Handschriftenerbe, S. 564. Auf dem Vorsatzblatt steht: Das puch hat geschriben Schwester Ma〈g〉dalena Topplerin, Suppriorin in dem closter Medingen, da man zelt von Christi gepurt tausent CCCC LXXXII jar. Pitt got fur ir sel; vgl. Katalog der Handschriften der Klosterbibliothek Scheyern (masch.) ad Ms. 48 = 2015. 234 Eine Sr. Osanna wird unter der Schwestern, die aus Pforzheim oder Nürnberg nach Medingen kamen, nicht aufgezählt; vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 91 f. Zu Magdalena Topplerin vgl. Ulla Williams-Krapp, Einl., S. 24* f., siehe auch S. 16* f., 104*–110*. 235 Jedelhauser, Geschichte, S. 92.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

die Schreiberin Magdalena Topplerin bezeugt.236 Wahrscheinlich hat Jedelhauser in ihrer Aufzählung den Namen ›Margareta‹ versehentlich für die Subpriorin eingeführt; der Schreiberin von Cod. 48 gibt Jedelhauser nämlich den Namen ›Margareta Töpplerin‹.237 Diese Angabe, die Jedelhauser selbst nicht nachprüfen konnte,238 ist nicht richtig und dürfte sich durch die Nähe zum Namen ›Magdalena Topplerin‹ als Missverständnis erklären lassen.239 Jene Nürnberger Schwester, die 1472 nach Medingen kam und als Subpriorin amtete, dürfte damit nicht Margaretha, sondern Magdalena geheissen haben. Es lässt sich leider nicht nachprüfen, ob dafür die in der Aufzählung Jedelhausers genannte Schwester Margaretha zwar nicht als Subpriorin amtete, dafür Bitterlin hiess und fast dreissig Jahre später die Abschrift der hier zu untersuchenden Briefsammlung vornahm.240

Für die Beurteilung des literarischen Lebens in Medingen ist es auch von Bedeutung, dass mehrere Handschriften im Zuge der Reform des Klosters nach Medingen kamen. Dieser Bücherzuwachs bestätigt ebenfalls ein Interesse des damaligen Konvents an mystischer Literatur.241 Ein Passionstraktat, der durch ein dreiteiliges Gebet abgeschlossen wird, könnte von Pforzheim nach Medingen gelangt sein.242 Predigten und kurze mystische Stücke enthält ein Codex, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Nürnberger Katharinenkloster geschrieben wurde und danach Medingen erreichte.243 Von dort kam Ende des 15. Jahrhunderts auch der zweite Teil einer Handschrift, die aus einer Passionserzählung, Betrachtungen und Gebeten besteht.244 Weiter erreichten Medingen aus dem Nürnberger Katharinenkloster eventuell ein Buch mit Gebeten und Hymnen245 sowie eine 236 237 238 239 240

241 242 243 244 245

Vgl. Anm. 233. Vgl. Jedelhauser, Geschichte, S. 83. Vgl. ebd., Anm. 23. Zur Schreibweise des Namens der Schreiberin vgl. Anm. 231. Aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv wurde mir gemeldet, dass die Urkunden des Klosters Medingen nur unzureichend erschlossen seien und in der geringen nichturkundlichen Überlieferung aus Medingen keine Margaretha Bitterlin greifbar sei. Auch über Nachforschungen in der Bayerischen Staatsbibliothek konnte dieser Name nicht ausfindig gemacht werden. Zur Ordensreform in Medingen vgl. Kap. 8.2.2. Augsburg, UB , Cod. III.1.4o 16. Zur Hs. vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 284. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 4. Zur Hs. vgl. ebd., S. 386 f. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 20. Zur Hs. vgl. ebd., S. 462. Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 39. Zur Hs. vgl. ebd., S. 579. Diese Hs. kam vielleicht über Medingen ins Kloster Kirchheim; vgl. Schromm, Bibliothek Kirchheim, S. 235.

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

401

Sammlung mit Exzerpten u. a. aus Johannes Tauler und Heinrich Seuse und mystische Kurztexte.246 8.2.2 Die Lektüre im Geist der Ordensreform Die spärlichen Daten der vorausgehenden Abschnitte zeigen, dass die volkssprachige Literatur der Medinger Bibliothek für das 14. Jahrhundert nur durch die Handschrift M vertreten ist. Diese wurde im Kloster wohl auch während der Wirren der Geschichte sorgfältig gehütet, weil sie das Andenken an Margaretha bewahrt. Ansonsten stammen die noch überlieferten deutschen Handschriften vor allem aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.247 Gerade aus dem Erstbesitz der Dominikanerinnen aus Pforzheim und Nürnberg, die Medingen reformierten, kamen Handschriften nach Medingen. Die enorme Verbreitung volkssprachiger geistlicher Literatur im 15. Jahrhundert war ein Phänomen, das letztlich auf diese Reformbewegung zurückging, die fast alle Orden erfasste.248 In der Regel bestanden die Bibliotheken reformierter Klöster zu über 80 % aus Büchern, die in der Zeit nach der Reform geschrieben wurden oder dorthin gelangten.249 Weil der noch vorhandene Bücherbestand auch für Medingen ein literarisch produktives Umfeld zur Zeit der Reform andeutet, liegt die Entstehung der Sammlung mit den Briefen Heinrichs im Jahr 1498 im Bereich des Möglichen, zumal in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Schriften Margarethas kopiert wurden.

246 Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 49. Zur Hs. vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 634. 247 Auch jene Hss. aus Medingen, die bei Krämer aufgelistet sind und hier keine Erwähnung fanden, stammen fast ausnahmslos aus dem 15. Jh.: Handschriftenerbe, S. 563 f. 248 Vgl. Werner Williams-Krapp, Frauenmystik und Ordensreform im 15. Jahrhundert, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG -Symposion 1991, hg. von Joachim Heinzle (Germanistische Symposien. Berichtsbände 14), Stuttgart/Weimar 1993, S. 301–313, Diskussionsbericht S. 356, hier: S. 301. Zu einer Korrektur dieses Bildes zugunsten der Bücherproduktion nicht reformierter Klöster am Beispiel Engelthals vgl. Thali, Beten, S. 278–285. 249 Vgl. Werner Williams-Krapp, Observanzbewegungen, monastische Spiritualität und geistliche Literatur im 15. Jahrhundert, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 20 (1995), S. 1–15; hier: S. 3.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Da die Briefsammlung der Londoner Handschrift wohl von Beginn an auf die ›Offenbarungen‹ Margarethas hin gelesen und bezogen wurde,250 bringt ihre Zuordnung zur Ordensreform aber Probleme mit sich. »Einzelpersönliche Viten von Ekstatikerinnen wie Margarete und Christine Ebner oder die Offenbarungen Elsbeths von Oye [. . .] fanden im 15. Jahrhundert bezeichnenderweise nur sehr beschränkte Verbreitung. Offenbar sollten die Nonnen durch die Lektüre solcher Texte gar nicht auf eine solche Lebensform aufmerksam gemacht werden [. . .].«251 Grundsätzlich waren darum den Ordensfrauen des 15. Jahrhunderts die Werke Margaretha und Christine Ebners wohl weitgehend unbekannt.252 Sollten am Ende des 15. Jahrhunderts in Medingen trotzdem Briefe Margarethas thematisch geordnet und abgeschrieben worden sein, müsste dies mit ihrer anhaltenden Verehrung und damit mit dem lokalen Kult begründet werden.253 Dazu müssten die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Briefe aber an das Konzept der Ordensreform angepasst gewesen sein. Dieses hat die Literatur des 14. Jahrhunderts vor allem in erbauender und ermutigender Funktion zu integrieren versucht: Spirituelle Leitbilder des vorausgehenden Jahrhunderts sind in der Reform unter dem Aspekt ihrer Vorbildfunktion gelesen worden, auch wenn dabei die Gratwanderung unternommen werden musste, »[. . .] das bei den Schwestern ohnehin präsente Wissen von einer grossen Vergangenheit im Sinne der Reform produktiv zu aktivieren und sie dabei nicht zu asketischen Exzessen und mystischen Ambitionen, die für die Frömmigkeit jener vergangenen Epoche kennzeichnend waren, zu ermutigen [. . .]«.254 Nicht so sehr die mystischen Erfahrungen, die in den Werken des 14. Jahrhunderts literarisch umgesetzt wurden, standen demnach in der Zeit der Reform im Vordergrund, sondern die diese Literatur bedingende radikale Frömmigkeit: »Es ist dies ein Leben [. . .] in strikter Klausur, in demütigem Gehorsam und persönlicher Armut bei mynsamem [sic!] Umgang mit den Mitschwestern, der die Annahme niedrigster Marthadienste miteinschliesst, erfüllt von einer Gottesliebe, die vom Mitleiden mit Christus geprägt ist, das sich in den Schmerzen von Krankheit oder harter Kasteiung bewährt, sowie vom Gebet und dem Empfang der Eucharistie.«255 250 251 252 253

Vgl. Kap. 8.1.9. Vgl. Williams-Krapp, Observanzbewegungen, S. 11. Vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, S. 302. Der Kult dürfte damals schon lokal gewesen sein, da sowohl die ›Offenbarungen‹ als auch die Briefsammlung keine weitere Verbreitung fanden. 254 Vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, S. 303. 255 Carl Pfaff, Bild und Exempel. Die observante Dominikanerin in der Sicht des

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

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Die Briefsammlung lässt sich durchaus in die Bestrebungen der Ordensreform einordnen, zeichnet sie doch den geistlichen Weg einer Nonne nach, deren Leben sich durch eine radikale Frömmigkeit auszeichnet. An Margaretha wird die Heilsgeschichte konkret erfahrbar, und durch den Akt des Lesens hätten sich theoretisch auch Nonnen späterer Generationen auf den Weg der imitatio Christi begeben können. Cod. III.1.8o 31 der Universitätsbibliothek Augsburg, der aus dem 15. Jahrhundert stammt und Exzerpte aus dem ›Paternoster‹ und den ›Offenbarungen‹ Margarethas überliefert, bestätigt, dass im 15. Jahrhundert die Schriften Margarethas nicht mehr auf ihre Gotteserfahrungen hin gelesen wurden. Bei genauerer Betrachtung gibt diese Gebets-Handschrift nämlich keinen grösseren Einblick in Margarethas Werk: Drei der Exzerpte sind dem ›Paternoster‹ entnommen; in den beiden ersten wird Margaretha als ›selig‹ eingeführt.256 Werden die Exzerpte aus den ›Offenbarungen‹ herangezogen, dann fällt auf, dass das erste vom Gebetsleben Margarethas und ihrer Beziehung zum Namen Jesu handelt.257 Das zweite wird ebenfalls unter der Beziehung eingeführt, die sie zum Namen Jesu hatte.258 In diesen Fällen ist von der ›seligen Margaretha‹ die Rede. Da das Thema des ›Namens Jesu‹ mindestens Teile der Handschrift zu durchziehen scheint,259 lassen sich die Exzerpte aus den Werken einer Seligen gut im Ablauf von Cod. III.1.8o 31 lesen, ohne dass Erinnerungen an deren unio-Erfahrungen geweckt werden.

In Richtung Ordensreform könnte auch der letzte Teil der Briefsammlung deuten: Ihre andächtige Lektüre findet im Aufruf zu einem Leben aus der Demut ihr Ziel, die das eigentliche Instrument ist, die Nonnen zu Gott zu führen. Insofern stellt die Briefsammlung an dieser Stelle das Tugendstreben vor jede Suche nach der Erfahrbarkeit Gottes im eigenen Leben. Auch das die Sammlung abschliessende Gebet nimmt nicht etwa Bezug auf das Gnadenleben Margarethas, sondern stellte den Leserinnen Gott als ihr Ziel vor Augen, zu dem hin sie unterwegs waren. In dieser Perspektive verliert jene Komponente der Briefe an Bedeutung, die die Sendschreiben ursprünglich wesentlich bestimmt hat: das Gespräch zwischen Kleriker und Nonne über neue Formen der Gotteserfahrung.260 Über das Vorbild der Nonne Margaretha könnten die Briefe Heinrichs in der späteren Lesart der

256 257 258 259 260

Johannes Meyer O. P., in: Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer C. Schwinges, hg. von Christian Hesse u. a., Basel 2003, S. 233. S. 30r-v und 227r–234v; vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 521 und 538. S. 98v–99v; vgl. ebd., S. 528 f. S. 109v–111r; vgl. ebd., S. 530. Als Beispiel gelte hier das ›Gebet zum Namen Jesu‹ Bernhardins von Siena auf den Blättern 220r–221v; vgl. ebd., S. 538. Vgl. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 103.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Reformbewegung für andere zur Visualisierung des unsichtbaren Heilsund Gnadengeschehens geworden sein, um sie zur Erbauung zu führen und deren Gebetsleben zu bereichern.261 Eine Entstehung der Briefsammlung im 15. Jahrhundert ist demnach durchaus möglich. Für die noch vorhandenen Bücher der mittelalterlichen Bibliothek Medingens ist der Anspruch der Ordensreform z. B. in der Rezeption der Mystikerin Birgitta von Schweden gegeben, die bei reformwilligen Schwestern der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia neben Katharina von Siena als von Gott besonders auserwählt galt, in ihren Erfahrungen aber nicht nachgeahmt werden konnte.262 In den Vorbildern Katharina und Birgitta suchte die Reform die Zurückgezogenheit, die für mystische Neigungen eine Voraussetzung war, und das monastische Tugendstreben.263 Damit konnte »[m]ystische Frömmigkeit [. . .] entweder als Irrweg ausgegrenzt oder in das Reformwerk eingebunden, domestiziert und gegebenenfalls sogar instrumentalisiert werden«.264

8.2.3 Die Briefsammlung und der beginnende Kult um Margaretha Wegen der Jahresangabe ›98‹ Margaretha Bitterlins und aufgrund seiner Annahme, die Handschrift gehöre in das 16. Jahrhundert,265 gab Philipp Strauch 1598 als Entstehungsjahr der Handschrift an.266 Die noch vorhan261 Vgl. Thali, Beten, S. 161. Thali macht diese Aussagen im Hinblick auf das ›Gnaden-Leben‹ Friedrich Sunders, das nur in einer Sammelhandschrift des 15. Jh.s überliefert ist und mit einem Prolog versehen wurde, in dem der Akzent (im Gegensatz zum eigentlichen ›Gnaden-Leben‹) auf die äussere Pflichterfüllung gesetzt ist; vgl. ebd., S. 145. In diesem Sinne könnte die Briefsammlung für die vorausgehenden ›Offenbarungen‹ Margarethas eine ähnliche Funktion wie der Prolog des ›Gnaden-Lebens‹ Sunders erfüllen. 262 Vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, S. 306. Dass das 15. Jh. eine eher mystikfeindliche Epoche war, zeigt die ablehnende Haltung, die sich auf Seiten der offiziellen Kirche schon zu Zeiten der Heiligsprechung Birgittas von Schweden 1391 gegenüber frauenmystischen Bestrebungen breit machte. Gesuche zur Heiligsprechung von Mystikerinnen wurden später generell zurückgewiesen; vgl. ebd. Auch Margaretha Ebner dürfte damals aus diesem Grund nicht heilig gesprochen worden sein. Erst 1686 wurde der Seligsprechungsprozess eingeleitet, doch dauerte es noch bis 1979, bis Margarethas Verehrung durch ein Dekret bestätigt wurde; vgl. Roswitha Schneider, Die selige Margareta Ebner. Dominikanerin des Klosters Maria Medingen, Mystikerin des 14. Jahrhunderts, St. Ottilien 1985, S. 9. 263 Vgl. Williams-Krapp, Frauenmystik, S. 307. 264 Ebd., S. 312. 265 Vgl. Strauch, S. XVII . Strauch geht davon aus, die Sprachformen der Briefe seien dem 16. Jh. zuzuordnen; vgl. Anm. 4. 266 Vgl. Strauch, S. LXXVII . Diese Angaben übernehmen auch neuere Arbeiten;

Die Datierung der Briefsammlung ins Spätmittelalter

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denen Bände der Klosterbibliothek lassen allerdings nicht vermuten, im ausgehenden 16. Jahrhundert seien noch viele Bücher geschrieben worden.267 Von der Wende zum 17. Jahrhundert ist nur von der Priorin Apollonia Pfefferle (1566–1596) bekannt, dass sie sich literarisch betätigt hat. Von ihr sind ein Totengedenkbüchlein und eine Geschichte des Klosters während der Reformation erhalten.268 Zudem lebten 1606 nur noch zwei Chorfrauen in Medingen, die namentlich bekannt sind: Anna Ostermayr und Anna Beringer.269 Dagegen gibt es gute Argumente für eine Datierung der Briefsammlung ins 14. Jahrhundert. So ist etwa der Traktat ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ bereits für dieses Jahrhundert bezeugt,270 was zeigt, dass das Thema der Demut im Umkreis Margarethas durchaus diskutiert wurde.271 Auch die für das 14. Jahrhundert beglaubigte Übertragung des Gebetes Mechthilds von Magdeburg muss nicht nur auf die besonderen Tugenden Margarethas hin und damit im Geist der Reform gelesen werden,272 sondern hat die unio zum Ziel. Weiter zeugt die Anordnung der ersten Briefe vom Bestreben, Margaretha als ›Heilige‹ aufzubauen und ihre Worte als göttliche Wahrheit darzustellen, was am Ende des 14. Jahrhunderts mit der bewussten Förderung einer Verehrung Margarethas erklärt werden kann, nach einem mehr als 100jährigen Kult hingegen weniger einsichtig ist. Des Weiteren werden über die integrale Lektüre der Briefsammlung Themen evoziert, die in dieser Deutlichkeit zur Zeit der Ordensreform nicht intendiert waren: Auch für die Briefsammlung als ganze ist die Gottesbegegnung in der unio mystica Ziel der Lektüre. Schliesslich weist die Abschrift der Briefsammlung in der Londoner Handschrift Add. 11430 paläographisch auf eine ursprüngliche Aufzeichnung im 14. Jahrhundert hin: Sie wurde in einer ihre Vorlage

267

268 269 270 271 272

für das Jh.: Weitlauff, Heinrich von Nördlingen (1981), Sp. 848, für das Datum 1598: Corsini, Heinrich von Nördlingen, S. 55. Aus dem 16. Jh. stammen drei Hss., die ihren Weg vermutlich über Medingen genommen haben: Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 17 (vgl. Schromm, Bibliothek Kirchheim, S. 229), Augsburg, UB , Cod. III.1.8o 50 (vgl. Schneider, dt. Hss. Augsburg, S. 639) und Augsburg, UB , Cod. III.2.8o 58 (vgl. Schromm, Bibliothek Kirchheim, S. 261). Vgl. Zoepfl, Maria Medingen, S. 38. Vgl. ebd., S. 56. Vgl. Kap. 7.5.5. Vgl. auch die Ausführungen zu Parallelen zwischen diesem Traktat und den ›Offenbarungen‹: ebd. Zur Übertragung des ›Fliessenden Lichts‹ ins Alemannische vgl. Kap. 7.5.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

imitierenden Textualis geschrieben.273 Dasselbe gilt für die Abschrift der ›Offenbarungen‹ in der Londoner Handschrift (Abb. 5), deren Vorlage in der Medinger Handschrift M tatsächlich in einer Textualis überliefert ist (Abb. 6); damit ist dieser Schrifttypus für das Kloster Medingen des 14. Jahrhunderts bezeugt.274 Die Briefsammlung könnte daher aus jenem Jahrhundert stammen, in dem die einzelnen Briefe entstanden sind. Die Jahresangabe der schreibenden Schwester wäre dann auf 1398 zu ergänzen. Es muss zumindest mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass eine erste Zusammenstellung der Briefe zu einer Sammlung schon zur Zeit des beginnenden Kultes um Margaretha im 14. Jahrhundert erfolgte.

8.3 Die Londoner Sammelhandschrift Add. 11430 – ein Margaretha-Ebner-Kompendium Die Briefe Heinrichs sind der Neuzeit als Teil einer Sammlung überliefert worden und dies aufgrund der spätmittelalterlichen Verehrung Margarethas im Kloster Medingen. Eine sorgfältigere Untersuchung ihres Überlieferungsträgers kann uns wichtige Hinweise geben, warum die Briefe auch im Zeitalter des Barock und noch im 18. Jahrhundert gelesen und abgeschrieben wurden. 8.3.1 Beschreibung der Handschrift London, British Library, Add. 11430 Offenbarungen der Margaretha Ebner, ihr Paternoster, Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner (u. a.), Lebensbeschreibungen der Margaretha Ebner, Excerpta Ebneriana Papier – 180 Bll. – 32,4 × 21,0 cm – Zwischen 1744 und 1747 – Provenienz: Nürnberg, Bibliotheca Ebneriana Vier Teile. Moderne Bleistiftfoliierung in arabischen Ziffern nur auf den beschriebenen Bll. Im Folgenden wird diese übernommen, die nicht foliierten Bll. in (fortlaufenden) kleingeschriebenen römischen Ziffern angegeben. Verteilt auf die 32 Lagen der Hs. ergibt sich folgende Anordnung:275 1.: I: VS .i; 2.: I–1: ii; 3.: I: 2.iii; 273 Vgl. die Beschreibung der Hs. in Kap. 8.3.1. 274 Die Bestimmung der Textualis in der Londoner Hs. Add. 11430 und in der Medinger Hs. M verdanke ich P. Dr. Gregor Jäggi. 275 Für die Bestimmung der Lagen und die Hinweise zu den Blatteinrichtungen

Die Londoner Handschrift – ein Margaretha-Ebner-Kompendium

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4.–10.: 5 III : 3–44; 11.: III : 45–46.iv.47–48.v; 12.–13.: 2 III : vi−xvii; 14.–16.: 3 III : 49–66; 17.: III : 67–71.xviii; 18.–19.: 2 III : xix−xxx; 20.–22.: 3 III : 72–89; 23.: II : 90–92.xxxi; 24.: III : xxxii−xxxvii; 25.–29.: 5 III : 93–122; 30.: III : 123–126.xxxviii. xxxix; 31.: III : xl-xlv; 32.: VI –1: 127.xlvi-liv.HS .276

I Lagen 1–3. Wz.: Monogramm ›GPE ‹ auf fol. i;277 Familienwappen Ebner auf fol. ii mit Initialen ›IWE ‹ (Iohann Wilhelm Engel): Papiermühle Hirschbach, Vorkommen nach 1744;278 wahrscheinlich Wappen der Ronsberger Herren auf fol. 2 wohl mit Initialen ›MF ‹ (Michael Fischer): Papiermühle Ronsberg, Vorkommen 1698– 1702.279 Buchschmuck: Chorraum der Kapelle Margaretha Ebners im Kloster Medingen in schwarzer Tusche auf fol. 2r (Abb. 1). Auf der im Boden eingelassenen Grabplatte Margarethas, die aus der Vogelperspektive abgebildet ist, folgende Umschrift: + ANNO · DOMINI · MCCCLI + PROXIMA · DIE · POST · FESTUM · SANCTORUM · GERVASII · ET · PROTASII · BEATA · MARGARETA · EBNERIN · OBIIT · .280

276 277 278

279

280

bin ich Prof. Dr. Nigel Palmer zu grossem Dank verpflichtet. Er untersuchte mit mir zusammen die Hs. in der British Library und überliess mir seine Notizen. Die letzte Lage der Hs. wird aus 11 statt 12 Bll. gebildet. Vermutlich ging das letzte Bl. beim Ersetzen des Einbands verloren. Es könnte sich dabei um Papier des Papiermachers Georg Peter Engel handeln und wäre dementsprechend in die Zeit zwischen 1721–44 zu datieren; vgl. Anm. 278. Die Papiermühle Hirschbach war zwischen 1700 und 1816 unter der Herrschaft der Familie Ebner von Eschenbach; vgl. Edmund Marabini, Die Papiermühlen im Gebiete der weiland freien Reichsstadt Nürnberg (Bayerische Papiergeschichte 1), Nürnberg 1894, S. 134. »Vom Jahre 1721–44 sass Georg Peter Engel [. . .] zu Hirschbach, dann sein Sohn, Johann Wilhelm Engel [. . .]«: ebd., mit Abb. des vorliegenden Wz. Vgl. Gerhard Piccards Expertise (maschinenschriftlich, Württ. Landesbibliothek Stuttgart) zu: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282. Die Einsicht in diese Expertise verdanke ich Frau Dr. Susanne Bürkle, ebenso die Zustellung einen Gutachtens von Alfred Schröder zur Medinger Hs. M (vgl. Anm. 354) und eines anonymen Gutachtens zur Medinger Hs. Md2 (vgl. Anm. 359). Michael Fischer wirkte in Ronsberg von 1687–1725 als Papiermacher; vgl. Bayerische Papiergeschichte. Beschreibung des alten Papiermacher-Handwerks sowie der alten Papiermühlen in den sieben Kreisen des Königreichs Bayern r. d. Rh. Nach Archiv- u. PfarramtsQuellen sowie mündlichen Überlieferungen, bearb. von Friedrich von Hößle, in: Der Papierfabrikant 11 (1927), S. 164 f. Sie starb demnach am 20. Juni 1351. Es handelt sich um eine getreue Wiedergabe der heute noch in Medingen existierenden Grabplatte aus dem 14. Jh. Der Zeichnung fehlt nur das Schriftband in der rechten Hand Margarethas mit den Worten: Jesus Christus.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

II Lagen 4–13. Wz.: Kronenwappen mit Initialen ›LM ‹ auf fol. iv und v; Familienwappen Ebner von fol. ii und Monogramm von fol. i abwechselnd auf fol. vi−xiv; ab fol. xv: Sitzender Bischof mit Mitra, Stab mit Initialen ›NMH ‹ (Nicolaus Meckenhauser): Papiermühle Röthenbach bei St. Wolfgang (bei Nürnberg), Vorkommen nach 1701 und vor 1753.281 Schriftraum 14,2 × 25,4; einspaltig, 48 Zeilen pro Seite. Spiegel mit Bleistift auf der rechten und linken Seite ausgezogen, Einstichlöcher sind sichtbar. Rubriziert. Nachahmung einer Textualis, welche die Gewohnheit einer neuzeitlichen Kursive mit rechter Schreibneigung verrät. Fol. 47–48 mit etwas schwärzerer Tinte geschrieben.282 Durchgehend von einer Hand. Buchschmuck: Rote zehnzeilige Initiale auf fol. 3r. Kunstvolle rote achtzeilige Initiale auf fol. 47r. Schreibsprache: Schwäbisch.283 1. 3r–46v Offenbarungen Margaretha Ebners (Abb. 5) Jn dem suzzen namen unsers herren Jhesu cristi und in sinem warhaften leben . . . – . . . und daz ich nihtz vermag wan daz mir mit Jhesum und uz Jhesum und in Jhesum geben wirt. Deo gratias. Anschliessend: Virgo mater dei tu miserere mei. Anno domini MCCCLIII in die Urbani completus est iste liber. Got lauz mich aller guoter werk genissn. Got lauz unz ersterben daz wir e vor sin huld erwerben. Minn got vor allen dingen so mag dir etc. 2. 47r–48v Paternoster Margaretha Ebners e Hie hebet sich an der Ebnerin pater noster – . . . daz uns din gotlichiu genad si ain e ewigiu fraud und ain ewiger lon. AMEN Deo GRACIAS . Anschliessend: Disz buch gehort in das closter zu medingen Prediger ordens.

III Lagen 14–19. Wz.: Die Wz. von fol. xv (Bischof) und fol. iv (Kronenwappen) gemischt. Schriftraum: 13,8 × 25,5; einspaltig, 55–57 Zeilen pro Seite. Spiegel mit Bleistift auf der rechten und linken Seite und z. T. oben ausgezogen, Einstich281 Die Zuordnung dieses Papiers zur Papiermühle Röthenbach verdanke ich den Nachforschungen von Frau Dr. Karin Schneider. Es dürfte hier nicht der Papiermacher Nicolaus Meckenhauser gemeint sein, der 1695 verstarb, sondern dessen Sohn gleichen Namens, der die Papiermühle 1701 kaufte und 1753 starb; vgl. Bayerische Papiergeschichte, bearb. von Friedrich von Hößle, in: Der Papierfabrikant 6 (1925), S. 76. Dieser Nicolaus Meckenhauser jun. besass »4 Paar Bischofs-Formen [. . .]«: Marabini, Papiermühlen, S. 63. Zu Abbildungen zweier Bischofspapiere mit den Initialen ›NMH ‹ vgl. ebd., S. 62 und Bayerische Papiergeschichte, bearb. von Friedrich von Hößle, in: Der Papierfabrikant 6 (1925), S. 76, Abb. 105. 282 Vgl. Strauch, S. XX . 283 Vgl. ebd., S. LXXVII : Verglichen mit der Vorlage M aus Medingen ist die Schreibsprache oftmals in eine spätere Sprachform abgeändert; vgl. Anm. 4.

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löcher sind sichtbar. Rubriziert. Nachahmung einer Textualis, die zuerst nur leicht, später stärker die Gewohnheit einer neuzeitlichen Kursive verrät. Die Namen Gottes oder Christi, lateinische Wörter und einige Ausdrücke sind unterstrichen. Es handelt sich um Nomina sacra, Autorennamen, den Namen Margaretha Ebners sowie Bibelzitate. Auf den letzten Seiten wird die Tinte blasser. Durchgehend von einer (2.) Hand. Jeweils zu Beginn eines Abschnitts ist Raum für eine Initiale belassen; sie sind vorgeschrieben, aber nicht ausgeführt. Schreibsprache: Schwäbisch.284 3. 49r–71v Briefe an Margaretha Ebner (u. a.) (Abb. 8) [H]y¨e volgent nach ain abgeschrifft Etlicher andechtiger säntt brieff, die der selligen mütter swester Margaretta Ebnerin gesant sind worden . . . – . . . als das miner selen augen in diner gothait muszen spillen und dem susse minen lust us diner gotlich brunst durch mein sel muszen schweben. Per dominum Jhesum Christum filium tuum qui tecum etc. Amen. Anschliessend: Disz ist ausz geschriben An Sant lucas aubent des hailigen Ewangelisten in dem lxxxxviii jar bitten got fur die schriberin mit einem Ave Maria Schwester Margaretha Bitterlein etc.

IV Lagen 20–32. Wz.: Bischof (vgl. fol. xv). Schriftraum: 14,4 × 26,1; einspaltig, 38–42 Zeilen pro Seite. Spiegel mit Bleistift auf der rechten und linken Seite und z. T. auch oben und unten ausgezogen, Einstichlöcher sind sichtbar. Regelmässige neuzeitliche Kurrentschriften von einer 3. (fol. 72–126) und einer 4. Hand (fol. 127). 4. 72r–92r Lebensbeschreibung Margaretha Ebners von Sebastian Schlettstetter Dedicatio. Der Wohl. Ehrwürdigen in Gott Frauen, Frauen Sy¨billa Lindenmäirin . . . – . . . dann was seind die Wunderwerck anders, als gewuße Zeugniße Göttlicher Kraftt, und helle Stimmen, mit welchen der Herr, seiner Auserwählten verdienst Lob und Glori der Welt will offenbahren, auf daß sie von dem sterblichen Menschen zugleich geehret würden. Ende. Druck: Sebastian Schlettstetter, Dass Wunderbarliche Leben, Hoche vnd Vnerhörte Wunderwerckh der Seeligen Gottgeweichten Jungfraw Margarethæ von Maria Medingen, Prædiger Ordens, Schwäbisch Gmünd 1662.285

5. 93r–126r Lebensbeschreibung Margaretha Ebners von Eustachius Eysenhuet Kurzer- Begriff Deß Wunderlichen Lebens, Heroischen Tugenden . . . – . . . Ich bitte dich mein Herr, du wollest mir geben den Brunnen rechter wahrer Reu Jezt und an meinen lezten Ende. Amen. Ende. Druck: Eustachius Eysenhuet, Kurtzer Begriff Dess Wunderlichen Lebens Heroischen Tugenden himmlischer Gnaden vnd Einflüsse auch vil-werthen Todts der Seeligen Jung-

284 Vgl. Strauch, S. LXXVII . 285 Vgl. ebd., S. XIII . Ich danke P. Dr. Odo Lang, der mir die fast völlig verblassten Schlüsse der beiden Lebensbeschreibungen transkribierte.

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frauen Margarethae Ebnerin Dess berühmbten Jungfrauen-Closters Maria-Medingen Prediger-Ordens Professin Auss deme von Ihro selbst beschribnen Leben heraussgezogen allen andächtigen Christen zum Trost Aufferbauung vnd Nachfolg in Truck gegeben, Augsburg 1688.286

6. 127r-v Excerpta Ebneriana (Abb. 7) Hirten Gespräch bey¨ Herrn Jobst Wilhelm Ebner von Eschenbach mit frey¨le Maria Magdalena Paumgartnerin von Hohlenstein d, 5. Maij 1690. vollzogenen Verlöbnu˘s au˘fgesetzt von Ferrando . . . – Herrn Johann Pau˘l Ebner von Eschenbach Lebens’ Beschreibu˘ng Samu˘el Fabers Anno 1691. Nbg in fol: p. . . . – Mein rein geführtes Leben, hat au˘ch den Engeln gar das Lieben eingepregt, u˘nd durch mein kaltes Bild wird noch viel Brand erregt. Drucke: Für das 1. Exzerpt: Samuel Faber, Planinto und Hortensia, o. O. 5. Mai 1690.287 Für das 2. Exzerpt: Aufrichtige Lebens-Beschreibung Hn. Johann Paul Ebners, abgefasset von Samuel Fabern, o. O. [1691].

Einband: Pappeinband des 19. Jh.s, wahrscheinlich aus der Bibliothek Georg Kloss’.288 Buchrücken: 133. / Leben der Margareta Ebnerin. / Mus. Brit. Jure Emptionis. / II , 430. Plut. CXXXIII . G. / G. 5 Hsl. Besitzereintrag von Georg Kloss auf dem vorderen Spiegel (Abb. 2). Bleistiftnotizen desselben auch auf fol. ivr und 48v, sowie Randnotizen in Teil II . Neuere hsl. Einträge vermutlich von Johann Heumann als Randnotizen und Briefzählung in Teil III .289 Neuere hsl. Einträge auf dem vorderen und hinteren Spiegel und auf fol. iir. Vorderer Spiegel, auf einem eingeklebten Zettel von Kloss’ Hand (rechts oben): Diese treffliche Handschrift, welche vielleicht wegen Untergang der Originalien und Briefe selbst als Original gelten kann, kam an mich aus einer bücherversteigerung, gehalten Nürnberg dem 2 ten Julius 1827 nro. 2191. Eben damals erhielt ich auch nro. 2183 welche das Leben der M. Ebner allein enthielt und als Autograph Margarethae ausgegeben wurde, wiewohl die Schrift von Einer Hand wie gegenwärtiges Leben geschrieben ist. G. Klosz.290 Vorderer Spiegel, auf einem eingeklebten Zettel von Kloss’ Hand (links oben): Diese Handschrift ist übrigens das Original, aus welcher: Heumann, Opuscula in quibus varia Juris Germanici – explicantur, Norimbergae 1747 p. 331–404 die Briefe M. Ebnerin hat abdrucken lassen; und allem Anscheine nach sind die hier 286 Vgl. Strauch, S. XIII f. 287 Die unterschiedliche Zitierung des Titels für den Druck und für die Hs. ist in Hinsicht auf das Exzerpt wohl vom Anlass her bestimmt. 288 Vgl. Ulrich-Dieter Oppitz, Georg Kloss und seine Handschriftensammlung, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 22 (1997), S. 1–47, hier: S. 5: »Kloss liess ersichtlich eine grosse Anzahl seiner Handschriften einheitlich binden.« Zu Georg Franz Burkhard Kloss vgl. Kap. 8.3.8. 289 Zu Johann Heumann von Teutschenbrunn vgl. Kap. 1.3.1. 290 Vgl. auch Strauch, S. XVII .

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mit Bleistift beygeschriebenen Bemerkungen von Heumann gemacht.291 Vorderer Spiegel, gedrucktes Exlibris (unten in der Mitte): Georgius Klosz M. D. Francoforti ad Moenum, darüber von Hand: Ebnerii, darunter (mit Bleistift): M. 107. Unter dem Zettel (mit Bleistift): 11430, darunter: 133. g.292 fol. iir: Purchased ad Evans’s 27 July 1838 Lot 1223, darunter mit Bleistift: Cockram’s Catal. for 1837 No. 326. fol. ivr: Pag. 96. 97. 98a. vacant.293 fol. 48v: bis hierher geht meine andere Ebnerische Handschrift fol. 94 a und endet sich daselbst. Beyde Handschr. sind von derselben weiblichen Hand geschrieben. Herkunft: Vermutlich Nürnberg.294 Vorlage von Teil II (und vermutlich auch von Teil III ): aus dem Kloster Maria Medingen. o fol. 48v: Disz buch gehört in das Kloster zu medingen Prediger ordens.295

Mit der Bestimmung des zweiten Wasserzeichens (Familienwappen Ebner), dessen Vorkommen ab 1744 bezeugt ist und das die beiden ersten Teile der Handschrift durchzieht, ist für die Anfertigung der Sammelhandschrift Add. 11430 ein Terminus post quem gegeben: Sie kann erst nach 1744 fertig gestellt worden sein. In ihr wurden verschiedene Vorlagen unterschiedlicher Jahrhunderte kopiert. Dabei wurde den vier verschiedenen Händen viel Sorgfalt abverlangt, was sich vor allem im Bemühen zeigt, die mittelalterlichen Texte im entsprechenden Schriftbild wiederzugeben.296 Diese Sorgfalt der Konzeption zeigt sich auch in ihrer Lagenzusammensetzung, die fast durchgehend regelmässig ist. Nur an drei Stellen wird der Aufbau aus Ternionen durchbrochen: zu Beginn, am Ende und in der 23. Lage. Die Handschrift beginnt mit einem Vorspann aus drei dünnen Lagen. Das 291 Vgl. auch ebd., S. XVIII f. Die vollständige bibliographische Angabe lautet: Opuscula Quibus Varia Iuris Germanici Itemque Historica Et Philologica Argumenta Explicantur / Iohannis Heumanni, Norimbergae 1747. Vgl. auch Kap. 1, Anm. 41. 292 Auf dem hinteren Spiegel befinden sich nur Zahlen, die mit dem Verkauf der Hs. in London zu tun haben müssen. 293 Gemäss Philipp Strauch müssen diese Angaben auf die Vorlage M bezogen werden: vgl. S. XX , Anm. 2. 294 Vgl. die Wz. und Kap. 8.3.4. 295 Abkürzungen werden hier aufgelöst, da es sich um gängige Abbreviaturen handelt. 296 Die kleinen Vorschriften für die Initialen zu Beginn der einzelnen Briefe wurden z. T. zuerst mit Bleistift, später mit schwarzer Tinte ausgeführt, als wären anfangs Rubrizierungen vorgesehen, dann aber für entbehrlich gehalten worden. Dies deutet darauf hin, dass die Vorlage der Briefsammlung noch Initialen besass.

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Einzelblatt der zweiten Lage dürfte dabei als Schmutzblatt für die Tuschzeichnung auf fol. 2 eingefügt worden sein. Dieses fol. 2 kann gleichsam als ein der Handschrift zugefügtes Titelblatt mit der Grabplatte der Margaretha-Ebner-Kapelle in Medingen (Abb. 1) verstanden werden. Die Handschrift ist so angeordnet, dass nach einem Text meist noch einige Seiten frei bleiben. Nur gerade die 23. Lage besteht aus zwei Doppelblättern. Damit wurde zwar eine Einheit der Handschrift begrenzt, doch beendet auch sie einen in sich geschlossenen Text, nämlich die Lebensbeschreibung Margarethas von Sebastian Schlettstetter. Die einzelnen Texte sind demnach vermutlich unabhängig voneinander kopiert und später zusammengeführt worden. Dennoch lag der Handschrift von Anfang an ein einheitliches Konzept zu Grunde. Dafür spricht das in Farbe und Format gleichmässige Erscheinungsbild der verschiedenen Papiersorten. Zudem verbinden die Wasserzeichen die einzelnen Teile der Handschrift: Die ersten beiden Wasserzeichen – für die beschriebenen Seiten sind sie kaum sichtbar – treten in den Teilen I und II auf, während das vierte die Teile II und III miteinander verbindet und das fünfte zur Hauptsache die Teile II−IV bestimmt. Zum Konzept gehörte anscheinend auch die Möglichkeit, weitere Texte aufzunehmen: Die Exzerptsammlung beginnt auf dem ersten Blatt der letzten (grösseren) Lage (Abb. 7), während die restlichen Blätter leer sind. Mit dieser Lage wurde damit Platz für weitere Margaretha-Auszüge geschaffen. Da die hier gesammelten ›Margaretha-Ebner-Exzerpte‹ mittelalterlichen und neuzeitlichen Texten folgen, die entweder Margaretha zur Autorin haben, aus deren Besitz stammen oder über sie berichten, darf die Handschrift Add. 11430 der British Library als ein Margaretha-EbnerKompendium begriffen werden. 8.3.2 Der Text von Add. 11430, fol. 127r-v Die Exzerptsammlung der letzten Lage (Abb. 7) gibt entscheidende Hinweise auf die Entstehung der Handschrift; sie wird hier darum wiedergegeben: Hirten Gespräch bey¨ Herrn Jobst Wilhelm Ebner von Eschenbach mit frey¨le Maria Magdalena Paumgartnerin von Hohlenstein d, 5. Maij i690. vollzogenen Verlöbnus aufgesetzt von Ferrando. Nürnberg in folio p. Aller guten Ding drey¨! So lı¨ese sich Ferrando vernehmem, da er eben die drjtte Heilige bey¨zufugen gesonnen war. Margaretha Ebnerin läst in den Gemütern derer die von ihren Wundern und heilig geführten Wandel hören, eine Verwunderung der seltenen Gaben; in dem Hertzen aber derer, die sie in ihrem Bildnus sehen verliebte Gedanken zu ruck. Ich gestehe dass ich, da ich ihr

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Gemählde etwas scharff betrachtet mich beredet, lebenslang kein zarter Gesicht keine mehr zaubernde Lieblichkeit gesehen zu haben. diese ist in Schwaben, wo sich ihr hochadeliges Geschlecht, nicht minder als in Franken ausgebreitet zu Medingen in Jahr 1352. entschlaffen. Ihrer gedencket St Rosa de Lima und Augustinus Erad: SS . Theol: D. in den Spruchwörtern der Ordens-Stifterin. zu wohl verdienten Lob ihres Geistes und unbeschreiblich lieblichen Gesichtes schrieb ich dieses: die Gaben die mir Gott an Geist und Leib gegeben sind mehr als menschlich gros. Mein rein geführtes Leben hat auch den Engeln gar das Lieben eingepregt: und durch mein kaltes Bild, wird noch viel Brand erregt. Herrn Johann Paul Ebner von Eschenbach Lebens’ Beschreibung Samuel Fabers Anno 1691. Nbg in fol: p. Margaretha Ebnerin, ist so wenig als vorhergehende wegen ihres wunderthätig und heiligen Wandels, den sie zu Medingen in Schwaben, (allwo sich der Stamm der Herren Ebnere nicht minder herrlich ausgebreitet), geführet und 1352. beschlossen, an dieser Stelle zu vergessen. Ihrer gedencket St: Rosa de Lima und Augustinus Erad: SS . Theol: Dr. in den Sprüchwörtern der Ordens Stifterin. Wer ihr Bildnis, welches man noch hat, sihet, der wird dem Bey¨fall geben, was man von ihrer unvergleichlichen Gestalt rühmet, nemlich ihre Gestalt hätte allein thun können, wozu man sonsten so viel gebrauchet, da die Griechen der Abbildung einer vollkommenen Schönheit zu sehen wünschten und haben wolten, dass Euphranor das Haar an Farb und Krause, wie seine Juno gehabt; Polgy¨notus die Augenbrauen und Wangen wie er der Cassandra zu Delphis zugeeignet; Apelles den übrigen Leib, nach dem Muster seiner Pacata; Aetion die Lippen womit seine Roxane pranget, mahlen sollte. Ich hab dero wegen nicht zu viel gethan, wann ich zu ihrem Bild schreiben lassen: Die Gaben die mir Gott, an Geist und Leib gegeben sind mehr als menschlich gros. Mein rein geführtes Leben, hat auch den Engeln gar das Lieben eingepregt, und durch mein kaltes Bild wird noch viel Brand erregt.

8.3.3 Das Andenken Margarethas und das Ansehen der Familie Ebner von Eschenbach Diesen Exzerpten liegen die Schriften ›Planinto und Hortensia‹ und die ›Aufrichtige Lebens-Beschreibung Hn. Johann Paul Ebners‹ zugrunde. Beide wurden von Samuel Faber (1657–1716) verfasst. In Altdorf geboren, studierte er Philosophie und Theologie, bevor er das Studium der Rechte in Wittenberg absolvierte. 1704 wurde Faber als Rektor des Gymnasiums St. Egidien nach Nürnberg berufen. 1685 ist er als Mitglied des ›Pegnesischen Blumenordens‹ bezeugt, in dem er den Namen ›Ferrando‹ trug.297 Für 297 Vgl. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, begründet von Wilhelm Kosch, hg. von Bruno Berger und Heinz Rupp, 3., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 4, Bern 1972, Sp. 667. Im 1644 von

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Faber sind »viele tausend Gedichte für andere«298 bezeugt, so auch zahlreiche Schriften anlässlich der Hochzeit von Jobst Wilhelm Ebner mit Maria Magdalena Paumgärtner.299 Faber verkehrte demnach mit dem Nürnberger Patriziergeschlecht der Ebner.300 Beim ersten der in den Exzerpten genannten Ebner handelt es sich um den Gerichtsassessor Jobst Wilhelm Ebner (1642–1707), »der ab 1684 Junger Bürgermeister im Dienste der Stadt zum Älteren geheimen Rat, Obristkriegshauptmann und Zeugherrn aufstieg«.301 Der ebenfalls von Faber literarisch verewigte Johann Paul Ebner (1641–1691) gehörte dem Inneren geheimen Rat und dem Appellationsrat an und war »Obervormundsherr, Oberalmosenpfleger, Scholarch und Corator der Universität Altdorf«.302

298 299 300

301

302

Harsdörffer und Klaj als Sprachgesellschaft gegründeten Pegnitzorden wurden bis ins 19. Jh. hinein Ordensnamen (auch ›Hirtennamen‹ genannt) geführt. Bereits der Vater Samuel Fabers, Johann Ludwig Faber, trug den Namen ›Ferrando‹, Samuel Faber selbst den Namen ›Ferrando II .‹ Er wurde zum ›Poeta Laureatus Caesareus‹ erhoben; vgl. Werner Kügel, Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Bd. I : 1699–1794, Nürnberg 1998, S. 13 und 18. Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon. Bd. 1, Nürnberg 1755, S. 396–371, hier: S. 396. Unter diesen Texten Fabers finden sich ›Trauungs-Lieder‹, ein ›Tafel-Lied‹ und ›Planinto und Hortensia‹. Diese Angaben verdanke ich Frau Ulrike Püschel-Wirth von der Stadtbibliothek Nürnberg. Nach [Hanns Hubert] H[ofmann], Ebner von Eschenbach, in: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, begründet von Hellmuth Rössler und Günther Franz, 2., völlig neu bearb. und stark erweit. Aufl., bearb. von Karl Bosl u. a., Bd. 1, München 1973, Sp. 58 f. erwarb die Familie Ebner 1508 den Besitz Eschenbach, wurde aber erst 1823 in die Adelsklasse und 1824 in die Freiherrenklasse des Königreichs Bayern immatrikuliert. Franz Willax, Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach (1673–1752). Umriss eines Lebens, in: MVGN 74 (1987), S. 209–229, hier: S. 210. Jobst Wilhelm war in zweiter Ehe mit Maria Magdalena Paumgärtner verheiratet und gehörte der älteren Hauptlinie der Ebner an; vgl. Johann Gottfried Biedermann, Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg, Bayreuth 1748, Tafel XXXV . Die weiteren hier erwähnten Personen entstammten der jüngeren Hauptlinie. Zu den beiden Hauptlinien vgl. Willax, Hieronymus Ebner, S. 210. Ebd. In Fabers Schrift ›Planinto und Hortensia‹ wird mit Jobst Wilhelm zusammen auch Johann Paul Ebner genannt: Ihr habt in Eurer Stadt zween e e furtreffliche Manner / deren der eine ist Herr Joh. Paul Ebner / welche allein e e e capable [. . .] waren / ein machtiges Konigreich zu regiren: o. O. 5. Mai 1690, S. 10 (die Seiten sind nicht paginiert).

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In ›Planinto und Hortensia‹ unterhält sich Ferrando in einem fiktiven Gespräch zusammen mit anderen Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens in idyllisch beschriebener Landschaft über die bevorstehende Hochzeit Planintos und Hortensias, die ganz selbstverständlich mit Jobst Wilhelm Ebner und Maria Magdalena Paumgärtner gleichgesetzt werden. Dabei beginnen sie auch von beeden hochadelichen Stam ¯¯ haeusern der glücklich Verlobten und erstlich von dem uralten Geschlecht des Herrn Planinto zu reden.303 Im Verlauf des folgenden genealogischen Überblicks wird Christine Ebner aus dem Kloster Engelthal erwähnt und »Heilige« genannt. Ferrando meint zu ihr, er habe ihre auf Pergament geschriebenen ›Offenbarungen‹ über etliche Tage hinweg bei sich im Arbeitszimmer durchblättern dürfen.304 Nachdem ein anderes Mitglied die Rede auf die Engelthaler Schwester Demut Ebner gebracht hat, folgt der Text zu Margaretha,305 wie er auch in der Londoner Handschrift Add. 11430 überliefert ist.306 Der längere der beiden Texte, die ›Lebensbeschreibung‹ von Johann Paul Ebner, wurde bei Faber nach dem Ableben Ebners von dessen Kindern und Verwandten in Auftrag gegeben.307 Vor der Erwähnung seiner bemerkenswerten Bildung, seiner guten Charaktereigenschaften und seiner politischen und religiösen Verdienste um die Stadt Nürnberg wird eine eigentliche Genealogie der Familie Ebner gegeben, die Faber im Jahre 1070 beginnen lässt.308 Für die drei Dominikanerinnen mit dem Namen Ebner übernimmt er die Beschreibungen aus seiner ein Jahr früher erschienenen Schrift ›Planinto und Hortensia‹, versieht sie aber mit Ergänzungen, um die Schönheit Margarethas noch mehr hervorzuheben.309 Für die Beschreibung der äusseren Schönheit greift Faber in gelehrter Manier auf antike Schönheitsideale zurück, etwa auf Aetions Gemälde von ›Alexander und Roxane‹, von dem Lukian in seinem kleinen Traktat ›Herodot‹ (oder auch ›Aetion‹ 303 Faber, Planinto, S. 5. 304 Vgl. ebd., S. 6. Zu Christine-Ebner-Hss. vgl. Anm. 328 f. 305 Vgl. Faber, Planinto, S. 7. Auch den Nonnen Christine und Demut Ebner sind je ein Vierzeiler gewidmet. 306 Vgl. Kap. 8.3.2, 1. Exzerpt. 307 Vgl. Aufrichtige Lebens-Beschreibung Hn. Johann Paul Ebners, abgefasset von Samuel Faber, o. O. [1691], S. 3. 308 Vgl. ebd., S. 6. 309 Der Text wird so auch in der Londoner Handschrift Add. 11430 wiedergegeben, vgl. Kap. 8.3.2, 2. Exzerpt.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

genannt) versichert, er habe dieses in Rom gesehen und es zeige das schönste Mädchen, das man sich denken könne.310

Die Beschreibung Margarethas in der Londoner Handschrift Add. 11430 ist im Vergleich zur ›Lebensbeschreibung‹ um einige Zeilen gekürzt worden. Diese werden hier zum Vergleich wiedergeben: e

e

Eine so ausbundige Schonheit des Leibs ohne Fehl zu erhalten / wurde freylich e e ein gleich-schones Gemut erfordert: Gleichwie sonsten auch die Natur es zu machen pfleget / wann sie den Balsam-Geruch der Rosen und die Krafft der e e e Granat-Aepfel mit Purpur umhanget. Wo auch die ausserliche Schonheit mit der innerlichen nicht vergesellschafftet ist / da verdienet sie nicht die wenige e Wort / womit wir dieses Blat / der Schonheit zugefallen / verunstaltet ha311 ben.

In beiden Faberschen Exzerpten steht derselbe von ihm selbst verfasste Titulus zu einem Portrait Margaretha Ebners,312 das ich im Schloss zu Eschenbach gefunden habe und das Margaretha mit dem Jesuskind in den Armen zeigt (Abb. 10).313 Die vier Alexandriner nehmen Bezug auf ihre äussere, aber auch innere Schönheit. 310 Vgl. Lucianus [Samosatensis], HRODOTOS H AETIVN, in: Luciani Opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. D. Macleod. Tomus III : Libelli 44–68, Oxford 1980 (Scriptorum classicorum bibliotheca oxoniensis), S. 346–349, hier: S. 348. 311 Faber, Lebensbeschreibung, S. 12. 312 Faber hat sich auf diese Art von Kleindichtung spezialisiert: »Er selbst war ein begabter Stegreifdichter, verfasste 250 lateinische und deutsche Epigramme [. . .] und hat auch viel beigetragen zu den deutschen Bildunterschriften der auch heute noch verbreiteten WEIGELschen Beschreibungen der ›HauptStände‹ [. . .]«: Kügel, Geschichte, S. 18. 313 Am rechten Bildrand ist im Hintergrund auf einem Tisch ein offenes Buch sichtbar. Auf den aufgeschlagenen Seiten stehen die Worte: Beata / MARGARETA / Ebnerin / nata Norib. 1291 // obiit Maria Medingen / 1351 multis post / mortem miraculis / clara. Das Stadtarchiv Nürnberg teilte mir mit, dass unter der Signatur E 17/II Nr. LE 100 ein Kupferstich von Martin Tyroff (1704 – ca. 1759) ebenfalls Margaretha mit dem Jesuskind in den Armen zeigt. Dessen Beschriftung lautet: B. Margaritta Ebnerin, denata Medingae 1351. M. Tyroff secundum originale del. et sculp. Auf die Spur dieses Portraits brachte mich ein Ölportrait Christine Ebners, das sich ebenfalls im Schloss zu Eschenbach befindet (Abb. 11); vgl. Gerhard Armanski, ›Sver Gotes Joch tregt, dem macht er es gern süez und leiht‹: Die fränkische Mystikerin Christine Ebner von Eschenbach, in: 750 Jahre Engelthal (Altnürnberger Landschaft. Mitteilungen 43. Sonderheft), Simmelsdorf 1994, S. 29–40, hier: S. 35. Für Dr. Hans-Christoph Frhr. Ebner von Eschenbach ist dieses Gemälde dem Epitaph Christines von ca. 1500 in der Nürnberger

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Durch die Beschreibung ihrer Schönheit wird Margaretha in beiden Exzerpten zu einem ehrwürdigen Glied der Familie Ebner in Schwaben stilisiert, allwo sich der Stamm der Herren Ebnere nicht minder herrlich ausgebreitet.314 Margaretha galt lange Zeit als die ältere Schwester Christines.315 Es darf darum nicht erstaunen, dass auf dem Portrait Margarethas das Nürnberger Ebnerwappen abgebildet und Nürnberg als Geburtsort angegeben ist. Der Titulus diente in seinem ursprünglichen Kontext folglich der Förderung des Andenkens an den Ruhm der Familie Ebner. Anlass der Zusammenstellung zur Exzerptsammlung der Londoner Handschrift war hingegen die Person Margarethas: Der letzte Abschnitt des zweiten Exzerpts, der sie namentlich nicht mehr erwähnt, wurde nicht in die Handschrift aufgenommen. Auf den letzten beschriebenen Seiten der Londoner Handschrift scheint dadurch das Bemühen auf zu sammeln, was an Schriftlichem über Margaretha zu finden war und sie namentlich erwähnt. Diese Absicht wird durch die Übernahme der Äusserungen Samuel Fabers zu Rosa von Lima und einem nicht näher bekannten Theologen Augustinus noch zusätzlich bestätigt, die Margaretha ebenfalls anführen würden.316 8.3.4 Die Londoner Handschrift als Teil der Bibliotheca Ebneriana Die getreue bzw. historisierende Wiedergabe der mittelalterlichen Texte in der Londoner Handschrift unterstreicht die Ehrfurcht vor ihrem Alter. Zudem wurden auch die vier neuzeitlichen Texte, die ja allesamt schon im Druck vorlagen, in schönen Kurrentschriften aufgenommen. Die Handschrift sollte demnach gezeigt werden können und vermittelt den Eindruck einer Bildung, die literarische Erzeugnisse mehrerer Jahrhunderte zu sammeln und vorteilhaft zu präsentieren versteht. Aufgrund dieser Sebalduskirche nachempfunden. Zur Abbildung des Epitaphs vgl. ebd., S. 36 f. Ich danke L. Frfr. Ebner von Eschenbach dafür, dass sie für mich beide Portraits fotografierte und mir die Aufnahmen zukommen liess. 314 Zum vollständingen Zitat vgl. Kap. 8.3.2. 315 Vgl. Wilms, Einleitung, Margareta Ebner, S. 11, dazu auch die Inhaltszusammenfassung zu Heumanns ›Opuscula‹ in: Kap. 8.3.7. 316 Eine lebensgrosse, weiss gefasste Holzfigur Rosas befindet sich in der barocken Kirche Medingens auf der rechten Seite des Chors. Als Attribut ist ihr – wie bei Margaretha – ein Christkind beigegeben. Rosa trägt es, auf Rosen gebettet, auf dem rechten Arm, während sie in der linken Hand eine Lilie hält; vgl. Gartenmeier, Klosterkirche, S. 14 und Abb. auf S. 22. Beim Theologen Augustinus muss es sich um einen ›Biographen‹ Rosas (und nicht Margarethas) handeln.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Beobachtungen dürfte das Kloster Medingen trotz seines Interesses an der eigenen Heiligen als Auftraggeberin der Handschrift ausscheiden. Zwar war das Interesse Medingens an Margaretha im späten 17. und im frühen 18. Jahrhundert gross, was Abschriften der ›Offenbarungen‹ und des ›Paternosters‹, die sich heute noch in der Klosterbibliothek befinden, bezeugen. Doch sind sie alle nicht von der Qualität der Londoner Handschrift.317 Nur ME 2 von 1676 ist sorgfältig kopiert worden. Weniger schön geschrieben wurden ME 3 von 1687, die fast zur Hälfte aus leeren Seiten besteht, und ME 4, die 1728 von Baltasar Meidinger überreicht worden ist. Auch ME 5, die 1735 von Schwester Maria Johanna von Mihlen verfasst wurde und ein Bild Margarethas überliefert, das diese vor dem Kloster Medingen mit Kruzifix und Christuskind zeigt, ist nicht von der Qualität der Londoner Handschrift; dieselbe Schwester hat übrigens ebenfalls 1735 eine weitere Abschrift, Augsburg, UB , Cod. III.3.4o 43, angefertigt. Die undatierten Abschriften ME 6 und ME 7 wurden sehr schnell geschrieben; letztere ist voller Korrekturen. ME 8 schliesslich wurde von Pfarrer Benedict Dominicus Karg († 1847) angefertigt, aber nie vollendet. In Rom befindet sich zudem eine lateinische Übersetzung der ›Offenbarungen‹, die für den Prozess der Kanonisation Margarethas angefertigt wurde318 und demnach im ausgehenden 17. Jahrhundert entstanden sein muss.

Nicht das Kloster Medingen, sondern die Stadt Nürnberg kommt als Entstehungsort der Londoner Handschrift in Frage und als Auftraggeber Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach (1673–1752). Daraufhin weisen die neuzeitlichen Texte, die Wasserzeichen und auch das Vorwort zur ersten Drucklegung der Briefe. Hieronymus war der ältere der beiden Söhne Johann Paul Ebners und das Patenkind Jobst Wilhelm Ebners.319 Er durchlief in Nürnberg eine Ratskarriere, die ihn 1729 in den Älteren geheimen Rat aufsteigen und im selben Jahr unter anderem Kirchenpfleger werden liess; anlässlich der Krönung Kaiser Karls VII . wurde er zum Ritter geschlagen.320 Daneben erwarb sich Ebner grosse Verdienste als Historiker und Mäzen. Er pflegte vor allem enge Beziehungen zu zeitgenössischen Nürnberger Künstlern321 und öffnete seine »berühmte Familien317 Ich bin Sr. M. Clarice Urban aus dem Kloster Medingen zu Dank verpflichtet, dass ich die Hss. einsehen durfte. 318 Vgl. Corsini, Notizie Introduttive, S. 44. Zum angestrebten Prozess vgl. Kap. 8.3.6. 319 Vgl. Willax, Hieronymus Wilhelm Ebner, S. 210. Fälschlicherweise wurde auch Hieronymus Ebner der Name ›Jobst‹ zugeschrieben; vgl. Von Liliencron, Ebner, Hieronymus (Jobst) Wilhelm E., in: ADB 5 (1877), S. 593 f., hier: S. 593. 320 Vgl. Willax, Hieronymus Wilhelm Ebner, S. 213–222. 321 Vgl. ebd., S. 219 und 224.

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bibliothek Gelehrten und veranlasste wissenschaftliche Veröffentlichungen«.322 Tatsächlich ist die Londoner Handschrift Add. 11430 im Auktionskatalog Gottfried Christoph Ranners, der heute unter der Signatur HbH VIII , 46 in der Stadtbibliothek Nürnberg liegt, aus fünf Bänden besteht und für die Versteigerung der Ebnerschen Familienbibliothek angelegt wurde,323 aufgeführt. In Band 5 von 1820 wird sie unter der Nr. 42 mit der Angabe erwähnt: B. Margarethae Ebnerin scripta – c. epistolis ad illam datis. It. Sibillae Lindenmäirin Leben – Omnia haec elegentissime scripta,324 und ist damit als Bestandteil der Ebnerschen Bibliothek bezeugt. Allerdings wird die Handschrift in den ›Memorabilia bibliothecarum norimbergensium‹ Christoph Theophil von Murrs von 1788 nicht aufgeführt.325 Entweder kam sie demnach erst nach 1788 in die Ebneriana – und wäre davor ausserhalb der Bibliothek aufbewahrt worden –, oder sie wurde bei Murr nicht erwähnt, weil er wusste, dass er es dabei mit einer sehr jungen Handschrift zu tun zu hatte. Bei 322 Ebd., S. 218. Den ererbten Buchbesitz – zur reichen Bibliothek seines Vaters vgl. Aufrichtige Lebens-Beschreibung, S. 15 – vermehrte Ebner beträchtlich; vgl. Renate Jürgensen, Bibliotheca Norica. Patrizier und Gelehrtenbibliotheken in Nürnberg zwischen Mittelalter und Aufklärung. Teil 2 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 43), Wiesbaden 2002, S. 1015. Ebd., S. 1020: »Einzigartig wurde die Ebnersche Bibliothek aber erst 1726, als sein kinderlos verstorbener Onkel Christoph Jacob Imhoff [. . .] ihm die Imhoffsche Bibliothek vererbte.« 323 Ranner bereitete die Ebnersche Bibliothek für den Verkauf vor, indem er in seinem Katalog 13 595 Nummern beschrieb. Er tat dies »[d]urchdrungen vom Gefühl der Trauer«, da die Stadt Nürnberg das Geld für den Kauf nicht aufbringen konnte: ebd., S. 1021. In der ›Praefatio‹ äusserte er wegen dieses Verkaufs an die Adressen der Erben und der Stadt deutliche Vorwürfe; vgl. ebd., S. 1022. »Für die Anlage des Auktionskatalogs hatte Ranner die Bücher – vermutlich im Auftrag der Familie – nach dem vermuteten Marktwert geordnet«: ebd., S. 1024. Die einzelnen Bände erschienen 1812, 1813, 1815, 1819 und 1820; vgl. ebd., S. 1024 f. 324 Diese Angabe verdanke ich erneut Frau Ulrike Püschel-Wirth aus Nürnberg. Vgl. dazu auch ebd., S. 1212 f. Sebastian Schlettstetter widmete seine Schrift der Medinger Priorin Sibilla Lindenmayr, was die irrige Angabe ›Sibillae Lindenmäirin Leben‹ erklärt. Der 5. Bd. des Katalogs enthält gemäss ebd., S. 1025 »701 Nummern zu den Schriften der Reformatoren, eine Abteilung Scriptores in rebus Noricis inlustrandisque uersantes [581 Nummern] und 68 Nummern Varia; aus Zeitmangel hat Ranner in diesem Band auf bibliographische Annotationen verzichtet.« 325 Christophorus Theophilus de Murr, Memorabilia bibliothecarum publicarum norimbergensium et universitatis altdorfinae. Pars II , Norimbergae 1788; zur Bibliotheca Ebneriana: S. 62–308.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Murr sind nämlich kaum Handschriften vermerkt, die in der Zeit nach der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden waren.

Die Familie Ebner wird die Handschrift gezeigt haben, um Besucherinnen und Besuchern gegenüber die Bedeutung ihrer Familie hervorzuheben, die mit einem »ausgeprägten Traditionsbewusstsein und einem über Generationen hinweg anhaltenden Interesse an der Geschichte des eigenen Geschlechts und seinen Mitgliedern« ausgestattet war.326 Dieses MargarethaEbner-Kompendium war aber nur ein literarischer Zeuge für eine bedeutende Vergangenheit: Zur Ebnerschen Bibliothek gehörte noch eine weitere Abschrift der ›Offenbarungen‹ und des ›Paternosters‹ Margarethas.327 Daneben waren vor allem auch Christine-Ebner-Texte im Besitz der Familie Ebner,328 die nachweislich noch im 18. Jahrhundert kopiert wurden.329 All diese Handschriften konnten zusammen mit den Werken Fabers die Überlieferung sichern und gelehrte wie persönliche Gäste mit der ruhmreichen Vergangenheit der Familie bekannt machen und so deren Bedeutung in der Gegenwart begründen.330

326 Thali, Beten, S. 304. 327 Zur Hs. Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 vgl. Kap. 8.3.5. 328 Die älteste Hs. der ›Offenbarungen‹ Christine Ebners, Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V , App. 99 (CE N1), stammt aus dem letzten Viertel des 14. Jh.s und war im Besitz der Familie Ebner; vgl. Die deutschen mittelalterlichen Handschriften, bearb. von Karin Schneider, Beschreibung des Buchschmucks von Heinz Zirnbauer (Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg I ), Wiesbaden 1965, S. 444. Zur Überlieferung der Texte Christine Ebners vgl. Ringler, Ebner, Christine, Sp. 297 f., Bürkle, Literatur, S. 53 f., 250–253 und Thali, Beten, S. 301–305. In Vorbereitung befindet sich: Das Christine-Ebner-Corpus. Gnadenvita und Offenbarungen, hg. von Susanne Bürkle und Ursula Peters. Zu Perg.-Hss. mit Texten Christine Ebners vgl. Anm. 218, 304 und 332. 329 Vgl. Ringler, Ebner, Christine, Sp. 297. Ringler gibt für Cod. 89 [E1] der Ebnerschen Bibliothek das Jahr 1721 an und vermutet für Cod. 91 [E3] ebenfalls das 18. Jh. 330 Von Samuel Faber befanden sich in der Ebnerschen Bibliothek auch die Werke ›Lebensschreibung Carls des XII ‹ und ›Historia ante-diluviana‹; vgl. Jürgensen, Bibliotheca, S. 1123 und 1234.

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8.3.5 Ergänzung zur Überlieferung der Schriften Margarethas: Die Handschrift Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 Der Verbleib der anderen hier erwähnten Abschrift der ›Offenbarungen‹ und des ›Paternosters‹ Margarethas war bis anhin unbekannt.331 Es ist jene Handschrift, zu der Georg Kloss vermerkt: »Eben damals erhielt ich auch nro. 2183 welche das Leben der M. Ebner allein enthielt und als Autograph Margarethae ausgegeben wurde, wiewohl die Schrift von Einer Hand wie gegenwärtiges Leben geschrieben ist. G. Klosz.«332 Im Katalog zur Auktion der Ebnerschen Bibliothek ist sie unter der Nr. 155 aufgeführt: Das Leben der Seel. Margarettha Ebnerin – propria manu hoc scriptum extrauit Ebneria, idque ab illa factum stylo satis culto atque elegante. Ihre Spur kann noch bis zu ihrem Verkauf in London verfolgt werden – bei der Versteigerung von 1827 in Nürnberg trug sie die Nummer 2183,333 in der Bibliothek von Kloss die Nummer 106334 und in London wurde sie 1835 unter der Nummer 4572 verkauft.335 Ihr weiterer Weg ist hingegen nicht bekannt. Im Rahmen meiner Forschungsarbeiten bin ich in einer Handschriftendatenbank aufgrund des Besitzereintrags ›Georg Kloss‹ auf sie gestossen.336 Sie befindet sich heute in der Kantonsbibliothek Aarau unter der Signatur MsBNF 12. Weil deren Entstehungsgeschichte eng mit jener der Londoner Handschrift zusammenhängt, soll sie im Folgenden beschrieben und kurz mit jener verglichen werden. Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 Offenbarungen der Margaretha Ebner, ihr Paternoster Papier – 98 Bll. – 29,5 × 17,0 – Mitte 18. Jh. – Provenienz: Nürnberg, Bibliotheca Ebneriana337 331 Vgl. Strauch, S. XVIII und Oppitz, Kloss, S. 15. 332 Vgl. Anm. 290. Kloss war auch im Besitz der ›Offenbarungen‹ Christine Ebners. Diese Pergamenths., deren Verbleib nicht bekannt ist, wurde ebenfalls 1835 in London – unter der Nr. 4573 – verkauft; vgl. Strauch, S. XVIII , Anm. 2. Erworben hat sie 1835 Thomas Norton Longman (1771–1842); vgl. Oppitz, Kloss, S. 5 und 15. 333 Vgl. Anm. 290. 334 Vgl. Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12, vorderer Spiegel. 335 Vgl. Strauch, S. XVIII . Gemäss Oppitz, Kloss, S. 15 war der Käufer Thomas Rodd; vgl. Anm. 383. 336 Vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/ unter ›Aargauer Kantonsbibliothek‹ [Stand 9. 4. 2010]. Zu Georg Kloss vgl. Kap. 8.3.8. 337 Viele der folgenden Angaben zur Hs. ergeben sich aus dem Vergleich mit der Hs. London, British Library, Add. 11430.

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Moderne Bleistiftfoliierung in arabischen Ziffern nur auf den beschriebenen Bll.338 Im Folgenden wird diese übernommen, die nicht foliierten Bll. in (fortlaufenden) kleingeschriebenen römischen Ziffern angegeben. Verteilt auf die 47 Lagen der Hs. ergibt sich folgende Anordnung: 1.: I: VS .i; 2.: I–1: ii; 3.: III : 1–6; 4.–44.: 41 I: 7–88; 45.: III : 89.iii.90–93; 46.: I–1: iv; 47.: I: v.HS . Beide Spiegel beschrieben (nachträglich), ohne Foliierung. Wz.: Reiter auf Pferd (?) auf fol. ii. Pegasus (?) auf fol. iii.339 Schriftraum 11,4 × 19,5; einspaltig, 26 Zeilen pro Seite, 27 für die fol. 90–93. Spiegel z. T. mit Bleistift auf der rechten und linken Seite ausgezogen, Einstichlöcher sind sichtbar. Rubriziert. Nachahmung einer Textualis, welche die Gewohnheit einer neuzeitlichen Kursive mit rechter Schreibneigung verrät. Gegen Ende – v. a. fol. 90–93 – mit etwas schwärzerer Tinte geschrieben; Schrift wird im Verlauf des Buches grosszügiger. Durchgehend von einer Hand. Buchschmuck: Rote zehnzeilige Initiale auf fol. 1r. Kunstvolle rote achtzeilige Initiale auf fol. 90r. Schreibsprache: Schwäbisch. Einband: Pappeinband des 19. Jh.s, wahrscheinlich aus der Bibliothek Georg Kloss’. Buchrücken: Das Leben der Margaretha Ebnerin. Neuere hsl. Einträge auf dem vorderen Spiegel (Abb. 3). Hsl. Besitzereintrag von Georg Kloss auf den fol. 89v, iiir und 93r. Neuere hsl. Einträge als Glossen zum Text, auf fol. ir und auf dem hinteren Spiegel. Vorderer Spiegel, oben: Die Briefe von Heinr. v. Nördlingen an Marg. Ebner sind abgedruckt in Heumanni Opusc. Nürnberg. 4. 1747.340 Proben bei Pischon Handt. Brl. 818. P. 14 ff.341 Vgl. Th. Mundt 342 Ganz kurz erwähnt bei Gervinus II 150.343 Die angeführten Stellen bei Heumann stimmen mit den pp., welche im vorliegenden codex mit Bleistifte eingezeichnet sind u. vermuthlich auch einem handschriftlichen exemplar angehören. 338 Durchgehend erst ab fol. 18. Eine andere, abweichende Bleistiftfoliierung wurde hier nicht berücksichtigt. 339 Für die beschriebenen Seiten sind die Wz. nicht erkennbar. Es könnte sich bei dem (kaum sichtbaren) Reiter auf einem Pferd auf fol. ii um einen Postillon handeln, wie er für den Papiermacher Johann Michael Loschge bezeugt ist, der ab 1764 die Burgthanner Papiermühle besass; vgl. Edmund Marabini, Die Papiermühlen im ehemaligen Burggrafenthum Nürnberg (Bayerische Papiergeschichte 2), München 1896, S. 61. 340 Zu den vollständigen bibliographischen Angaben der Opuscula Heumanns vgl. Anm. 291. 341 Friedrich August Pischon, Handbuch der deutschen Prosa in Beispielen von der frühesten bis zur jetzigen Zeit. Bd. 1, Berlin 1818. 342 Gemeint ist: Theodor Mundt, Die Kunst der deutschen Prosa, Berlin 1837. Zu Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen S. 173 f. 343 G[eorg] G[ottfried] Gervinus, Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Teil 2: Von dem Ende des 13. Jahrhunderts bis zur Reformation, 2., umgearb. Aufl., Leipzig 1842.

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Vorderer Spiegel, Mitte, gedrucktes Exlibris: Georgius Klosz M. D. Francoforti ad Moenum, darunter (mit Bleistift): M. 106. Unten rechts (mit Tinte): Ebner fol. ir: MsBNF 12 fol. 89v: Mit dieser meine andere Ebnerische Handschrift fol. 44b von derselben weiblichen Hand geschriben, folgt darauf das Paternoster fol. iiir: 96. 97. 98a vacant.344 fol. 93r: Bis hierher geht meine andere Ebnersche Handschrift, fol. 46b, von gleicher derselben weiblichen Hand geschrieben, was dorten hernach folgt ist von anderer und jüngerer Hand. Hinterer Spiegel: Datum 7/5/35 und Zahlen, die mit dem Verkauf in London zu tun haben müssen. Herkunft: vermutlich Nürnberg. Vorlage: aus dem Kloster Maria Medingen. fol. iir: Das Leben der seligen margareta Ebnerin die hat mit Ihrer Handtgeschrift dieses buoch selber geschriben. o fol. 93r: Disz buch gehört in das Kloster zu medingen Prediger ordens.345

Wie die Handschrift London, British Library, Add. 11430 ist auch jene in Aarau sorgfältig ausgeführt worden. In ihr folgt den ›Offenbarungen‹ Margaretha Ebners (fol. 1r–89v) (Abb. 4) deren ›Paternoster‹ (fol. 90r–93r) ohne weitere Zusätze. Die Lagenzusammensetzung ist fast durchgehend regelmässig. Zu Beginn und am Ende besitzt die Handschrift vor bzw. nach den beschriebenen Blättern und nach bzw. vor den zur Hälfte als Spiegel aufgeklebten Doppelblättern zwei Einzelblätter. Der Text der ›Offenbarungen‹ beginnt auf einem Ternio, wie auch ein Ternio das Ende der ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ aufnimmt. Dazwischen liegen 41 Doppelblätter. Richtigerweise müsste beim letzten Ternio von einem Doppelblatt gesprochen werden (fol. 89 und 93), in das später ein Binio (fol. iii–92) aus leicht kleinerem Papier eingefügt worden ist. Die ursprüngliche Konzeption umfasste demnach anfänglich nur die Abschrift der ›Offenbarungen‹, bevor sie später auch noch das ›Paternoster‹ berücksichtigte. Beide Texte sind indessen von der gleichen Hand ausgeführt worden, das ›Paternoster‹ mit dunklerer Tinte. Auffallend wirkt das Schriftbild, wenn es mit jenem der Londoner Handschrift verglichen wird: Die ›Offenbarungen‹ und das ›Paternoster‹ sind nicht nur von derselben Hand, sondern auch als fast identische Kopien angefertigt worden, was nicht zuletzt die gleichartige Ausfertigung der 344 Vgl. Anm. 293. 345 Abkürzungen werden hier aufgelöst, da es sich um gängige Abbreviaturen handelt.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

beiden Initialen zu den Schriften Margarethas (Abb. 4 und 5) suggeriert. Nur die Verteilung des Textes auf die einzelnen Seiten ist verschieden – in der kleineren Aarauer Handschrift füllen die Texte mehr Seiten –, sonst müssten die beiden Bücher in Bezug auf den zweiten der vier Teile der Londoner Handschrift als ›Schwestern‹ bezeichnet werden.346 Da für die Londoner Handschrift 1744–1747 als Entstehungszeit angenommen wird,347 kann für die Aarauer von einem ähnlichen Zeitraum ausgegangen werden.348 Möglicherweise wurden diese beiden Abschriften für zwei Brüder hergestellt: für Hieronymus Wilhelm und Johann Carl Ebner von Eschenbach. Es gibt allerdings Anzeichen für grosse Spannungen zwischen den beiden, da Hieronymus in der für Rang und Ehre empfänglichen Zeit seinem jüngeren Bruder auf dem Weg zu politischen Würden im Weg stand.349 Dass der 1682 geborene Carl seinem älteren Bruder Hieronymus gegenüber offenbar »inimicitiam capitalem« hegte,350 könnte gegen ein Gespräch der Brüder über gemeinsame literarische Interessen zur Förderung der Familienehre sprechen. Einsichtiger wäre darum das zweimalige aufwendige Kopieren derselben Vorlage in schöner, imitierender Schrift für die beiden Hauptlinien der Familie Ebner.351 Werden die handschriftlichen Bemerkungen auf dem vorderen Spiegel in die Überlegungen zur Aarauer Handschrift miteinbezogen, hat sich diese nach ihrem Verkauf von 1835 in London bald wieder in deutschsprachigem Eigentum befunden. Der neue Besitzer brachte die Verweise auf Werke, welche die Briefe Heinrichs von Nördlingen erwähnen, sporadisch an, jene zu 346 Es ist daher nicht erstaunlich, dass Georg Kloss als späterer Besitzer beider Handschriften jeweils angibt, auf welcher Seite die andere einen Text beendet; vgl. London, British Library, Add. 11430, fol. 48v und Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12, fol. 89v: und 93r. 347 Vgl. Kap. 8.3.7. 348 Für die Aarauer Hs. wurde die Mitte des 18. Jh.s als Angabe gewählt, da es sich in den beiden Hss. offensichtlich nicht um das gleiche Papier handelt. 349 Vgl. Willax, Hieronymus Ebner, S. 219 f. 350 Ebd., S. 219. 351 Der bereits erwähnte Jobst Wilhelm Ebner etwa gehörte der älteren Linie an, sein Patenkind Hieronymus der jüngeren; vgl. Anm. 303. Der älteren Hauptlinie gehörten im späten 17. und/oder frühen 18. Jh. noch zwei weitere Mitglieder mit dem Namen ›Jobst Wilhelm Ebner‹ an; vgl. Biedermann, Geschlechtsregister, Tafel XLI ; Christoph Friedrich Wilhelm Volkamer, Johann Gottfried Biedermanns Geschlechtsregister des Patriciats der vormaligen Reichsstadt Nürnberg bis zum Jahre 1854 fortgesetzt, Nürnberg 1854, S. 9.

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Gervinus nicht vor 1842.352 Die Bemerkung Die angeführten Stellen bei Heumann stimmen mit den pp., welche im vorliegenden codex mit Bleistifte eingezeichnet sind u. vermuthlich auch einem handschriftlichen exemplar angehören bezieht sich hingegen nicht auf die Briefe Heinrichs, sondern auf die ›Offenbarungen‹ Margaretha Ebners, aus denen Johann Heumann in seinen ›Opuscula‹ einleitend zu den Briefen ebenfalls Teile abdrucken liess. 8.3.6 Gemeinsames Interesse der Familie Ebner und des Klosters Medingen an Margaretha und Christine Ebner Um die Schriften Margarethas kopieren zu können, muss die Familie Ebner von Eschenbach an das Kloster Medingen herangetreten sein, in dessen Besitz die Handschrift M von 1353 auch damals gewesen ist. Dies belegen nicht nur die Medinger Abschriften aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert,353 sondern auch die Neubindung der Vorlage: Das wichtigste Buch des Klosters erfuhr zu dieser Zeit eine Barockisierung. Die Handschrift M wurde um 1715 herum mit einem »goldgepressten Einband versehen (Holzdeckel mit braunem Leder überzogen), der zwei hübsche, getriebene, versilberte Schliessen und Schliessenbeschläge aus gleicher Zeit aufweist [. . .]. Bei Gelegenheit dieser Neu- oder Umbindung wurden die Pergamentblätter am Rand etwas beschnitten und die Ränder mit Goldschnitt geziert [. . .]«.354 Geschützt wurde das mittelalterliche Pergament vor dem neuen Einband mit mehreren Papierblättern, deren Wasserzeichen die Neubindung der Handschrift der näheren Umgebung Medingens selbst zuordnet.355

Nach den Wirren des Dreissigjährigen Kriegs und des Spanischen Erbfolgekriegs drückte sich das neu gewonnene Selbstverständnis der Medinger Dominikanerinnen demnach nicht nur im Umbau der Klosteranlage,356 sondern auch in einem wiedererwachten Interesse an Margaretha und den 352 Vgl. Anm. 343. 353 Zu diesen Abschriften vgl. Kap. 8.3.4. 354 Alfred Schröder, Paläographisches Gutachten über die erste Abschrift der Offenbarungen der Seligen Margareta Ebner (masch.), [Dillingen] 1910, S. 1; vgl. Anm. 279. 355 Die 8 bzw. 12 Bll. starken Lagen am Anfang und am Ende der Hs. zeigen »Wasserzeichen der [sc. zu Medingen] benachbarten Papiermühlen von Zöschlingsweiler und Schrezheim, wie sie in der Zeit von 1693–1732 in Gebrauch waren«: Schröder, Gutachten, S. 1. 356 Die erste grosse Bauetappe begann 1716; vgl. Zoepfl, Maria Medingen, S. 65. Zu den Kriegsleiden Medingens in den Jahren 1631–1634 und 1703/04 vgl. ebd., S. 57–63.

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gleichzeitig entstehenden Abschriften ihrer Texte aus. Gerade die Barockisierung der Handschrift M ist als Wertschätzung Margarethas zu verstehen. Deren Verehrung fand bereits 1686 in der Bitte um ihre Seligsprechung den wohl wichtigsten Ausdruck357 und erhielt durch sie – wie die Abschriften zeigen – einen nachhaltigen Impuls. Auch die Vorlage der Briefsammlung dürfte von den Ebners in jener für den Neuaufbau des Klosters bedeutsamen Zeit nach einer Medinger Vorlage kopiert worden sein.358 Was die Rezeption der Schriften Margarethas angeht, lassen sich für die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert somit Interessenzusammenhänge zwischen der Kommunität von Medingen und der Nürnberger Familie Ebner nachweisen. Auch die Schriften Christine Ebners, von der im 18. Jahrhundert angenommen wurde, sie sei Margarethas Schwester gewesen, fanden in Medingen eine Rezeption. Bezeugt ist dies über die Handschrift Medingen, Klosterbibliothek, Md2, eine »freie Bearbeitung mit Zusätzen von Md1«.359 Dass die Handschrift Md1 aus dem 15. Jahrhundert allenfalls erst in dieser Zeit über die Familie Ebner den Weg nach Medingen gefunden hat, kann hier nur vermutet werden.360 Das zeitlich parallele Interesse der Familie Ebner von Eschenbach und des Klosters Medingen an den Nonnen mit dem Namen ›Ebner‹ bedürfte der weiteren Erforschung. Zwei Hinweise zur Sammeltätigkeit der Nürnberger Ebner sollen zeigen, dass sich die literarische Verwandtschaft der Handschrift London, British Library, Add. 11430 nicht in jener zur Handschrift Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 erschöpft. Add. 11430 357 Vgl. ebd., S. 48. 358 Ob diese Vorlage, die um die Wende zum 18. Jh. demnach noch existierte, im Spanischen Erbfolgekrieg (1703/04) verloren ging, als das Kloster zweimal geplündert wurde? 359 Namenloses Gutachten zur Hs. Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek [Md2] (›Leben der Christine Ebner‹); vgl. Anm. 279. Die Hs. schmückt ein Titelblatt von 1774. Das Papier der Hs. deutet allerdings darauf hin, dass mindestens Teile der Hs. vielleicht schon in der 1. H. des Jh.s geschrieben wurden, da sie mit dem Papier, das 1715 der Hs. M beigebunden wurde (vgl. Anm. 355), ein Wz. teilt. 360 Zur Hs. Md1 vgl. Anm. 218. Um die Mitte des 15. Jh.s könnte in Medingen die Tatsache noch bekannt gewesen sein, dass Margaretha und Christine keine leiblichen Schwestern waren. Medingens Interesse an dieser Hs. dürfte darum im 17./18. Jh. grösser gewesen sein als im Mittelalter.

Die Londoner Handschrift – ein Margaretha-Ebner-Kompendium

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kennt auch mit zwei Christine-Ebner-Handschriften Gemeinsamkeiten: Mit der Handschrift Eschenbach/Hersbruck, Ebnersche Bibliothek, Cod. 89 von 1721 [E1] könnte sie das Wasserzeichen des Bischofspapiers von fol. xv teilen.361 Bemerkenswert ist aber auf jeden Fall der Vergleich mit der Sammelhandschrift Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282 [S].362 Die Stuttgarter und die Londoner Handschrift besitzen nicht nur drei gleiche Wasserzeichen: jene der Ronsberger Mühle, des Kronwappen- und des Bischofpapiers.363 Auch in der Anlage sind sich die beiden Bücher ähnlich: Die Handschrift S beginnt mit zwei Miniaturen, die Christine zeigen, und überliefert noch vor dem Korpus ihrer Schriften Zeugnisse, in denen Christine Ebner erwähnt wurde. Unter diesen werden auch die im Zusammenhang mit der Londoner Handschrift bereits erwähnten Schriften Samuel Fabers ›Planinto und Hortensia‹ und ›Aufrichtige Lebens-Beschreibung Hn. Johann Paul Ebners‹ anzitiert.364 Die ähnliche Anlage der Londoner und Stuttgarter Sammelhandschrift, die vergleichbar Rezeptionszeugnisse zu den Ebner-Nonnen und Texte von ihnen vereinen, heben die Bedeutung der beiden für die Nürnberger Patrizierfamilie hervor, die sich deren Bekanntheit zunutze zu machen wusste. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass deren Portraits heute noch zusammen im Schloss zu Eschenbach hängen.365 Ob sich die verwandten Interessen Medingens und der Familie Ebner sogar noch über die Literatur hinaus weiterverfolgen liesse? Das Anbringen des Nürnberger Familienwappens auf der Emporenbrüstung der Margarethenkapelle müsste nicht einfach auf dem Irrtum beruhen, Margaretha gehöre der Nürnberger Familie der Ebner an.366 Vielleicht ergänzt das Wappen die ›literarische‹ Beziehung der Nürnberger Ebner zu Medingen, die in 361 Die Bemerkungen zu den Hss. E1 und S verdanke ich erneut Frau Dr. Susanne Bürkle. In E1 sei nur das obere Drittel des Bischofs zu sehen. Zur Hs. E1 vgl. Anm. 329. 362 Die Hs. S wird auch bei Ringler, Ebner, Christine, Sp. 298 aufgeführt. 363 Es handelt sich um das 3. Wz. (Wappen der Ronsberger Herren mit Initialen ›MF ‹ auf fol. 2), um das 4. Wz. (Kronenwappen mit Initialen ›LM ‹ auf fol. iv) und um das 5. Wz. (Sitzender Bischof mit Mitra, Stab und den Initialen ›NMH ‹ auf fol. xv) der Londoner Hs. 364 Vgl. Kap. 8.3.3. 365 Vgl. ebd. 366 So drückt es Gartenmeier, Klosterkirche, S. 20 aus: »Die Emporenbrüstung zeigt irrtümlich das Nürnberger Ebnerwappen. Donauwörth als Geburtsort der seligen Margareta wurde erst 1910 von J. Traber nachgewiesen.«

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Margaretha eine Verwandte sahen und darum deren Andenken möglicherweise auch materiell förderten.367 Der Umbau der Kapelle im Stil des Rokoko jedenfalls begann 1753,368 nur ein Jahr nach dem Tod Hieronymus Wilhelm Ebners. 8.3.7 Die erste Drucklegung der Briefe und die Datierung der Londoner Handschrift Als Hinweis darauf, dass Interessierte tatsächlich Zugang zur Ebnerschen Bibliothek gefunden und die Londoner Handschrift Add. 11430 gelesen haben, darf die erste Drucklegung der Briefe in den ›Opuscula‹ Johann Heumanns von 1747 verstanden werden:369 Den Anmerkungen von Georg Kloss gemäss stammen die im dritten Teil der Handschrift mit Bleistift angefügten Bemerkungen von Heumann.370 Nachdem Hieronymus Wilhelm Ebner in Wien Heumann kennengelernt hatte, erhielt Letzterer durch Ebners Vermittlung die ausserordentliche Professur der Rechte an der Universität Altdorf.371 Heumanns Kenntnis der Briefsammlung ist auf dessen Einblick in die Bibliothek seines Gönners zurückzuführen.372 Seine ›Opuscula‹ versteht Johann Heumann als Beiträge, in denen er verschiedene sowohl historische als auch philologische Gesichtspunkte des germanischen Rechts erörtert. Am Ende des Vorwortes dankt Heumann seinem Gönner Hieronymus W. Ebner von Eschenbach (S. 4r).373 Die Beziehung Heumanns zu Ebner dürfte bei der Auswahl der in das Werk aufgenommenen Auszüge wichtig gewesen sein, vor allem in Bezug auf die Geschichte Nürnbergs.374 Wohl deswegen ist neben den Briefen Heinrichs 367 Die Beziehung der evangelischen Familie Ebner zu einem katholischen Kloster muss nicht weiter erstaunen, war doch etwa Hieronymus Ebners Erziehung »ohne konfessionelle Enge«: Willax, Hieronymus Wilhelm Ebner, S. 211. 368 Vgl. Anm. 211. 369 Zu diesen ›Opuscula‹ vgl. auch Kap. 1.3.1. 370 Vgl. Anm. 291. 371 Vgl. Eisenhart, Heumann, Johann H. von Teutschenbrunn, in: ADB 12 (1880), S. 331 f., hier: S. 331. 372 Renate Jürgensen zählt Johann Heumann zusammen mit 10 weiteren jungen Gelehrten auf, »denen Zugang zu den Schätzen der Ebneriana gewährt wurde«: Bibliotheca, S. 1019. 373 Ich danke Fr. BA phil. I Thomas Fässler für die Durchsicht des umfangreichen lateinischen Vorworts. 374 Vgl. dazu auch Kap. 1.3.1.

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auch ein Geschäftsbrief eines Herrn Siegfried Ebner von 1356 abgedruckt worden (S. 323). Den Briefen Heinrichs selbst wurde eine ausführliche Einleitung vorangestellt (S. 331–350), in der Margaretha als ehrwürdiges Glied der Nürnberger Ebner und als Schwester der in diesem Kapitel bereits genannten Demut und Christine Ebner erscheint. Die Vorrede zur Briefsammlung, wie sie die Handschrift London Add. 11430 wiedergibt, ist ebenfalls abgedruckt. Auffällig ist in der Einleitung Heumanns dessen Bestreben, Margarethas Denkweise und einzelne ihrer Aussagen als zeitbedingt zu entschuldigen und sie für ein in der evangelischen Tradition stehendes Publikum angenehm zu machen. Des Weiteren scheint Heumann vor allem Christine Ebner gekannt zu haben, aus deren Werk er immer wieder zitiert. Dass Heumann besonders an Johannes Tauler interessiert war, zeigt seine Erklärung, er habe für den Druck Briefe ausgewählt, »welche wir für die beträchtlichsten gehalten und wovon einige des beliebten Taulers gedencken« (S. 350). Mit dem Datum der Drucklegung ist für die Londoner Handschrift Add. 11430 ein Terminus ante quem gegeben: Sie muss 1747 bereits vorgelegen haben. Da das Vorkommen des zweiten Wasserzeichens (Familienwappen Ebner) erst nach 1744 bezeugt ist, kann die Entstehung der Handschrift auf die Zeit zwischen 1744 und 1747 festgelegt werden. Dass diese späte Datierung der Sammelhandschrift in Bezug auf die Rezeptionsgeschichte der Briefe Probleme aufwirft, wird der Fortgang des Kapitels zeigen. 8.3.8 Der Weg der Handschrift von Nürnberg nach London Der weitere Weg der Handschrift London, British Library, Add. 11430 liegt teilweise im Dunkeln, da nicht bekannt ist, wer sie 1819 bei der fünften Auktion der Ebnerschen Bibliothek ersteigert hat. Als späterer Besitzer ist Georg Franz Burkhard Kloss gesichert, der von 1787–1854 in Frankfurt lebte. Nach seiner eigenen Notiz in der Handschrift erwarb er diese am 2. Juli 1827 unter der Nummer 2191 bei einer Bücherversteigerung,375 die vom Nürnberger Buchhändler Johann Jacob Lechner ausging.376 Georg Kloss war Arzt und Sammler von Büchern.377 Als Bibliophiler hat er Bücher anfänglich aus Liebhaberei gesammelt, um sie danach wieder zu 375 Vgl. Anm. 290. 376 Vgl. Strauch, S. XVIII . 377 Vgl. W. Stricker, Georg Franz Burkhard Klosz, in: ADB 16 (1882), S. 227 f.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

verkaufen.378 So veräusserte er 1820 15 000 meist deutsche medizinische Dissertationen seiner Sammlung, nachdem er 1817 begonnen hatte, Handschriften und alte Drucke zu sammeln.379 1835 gab er auch diese Sammlung aus der Hand, um vermehrt freimaurerische Literatur anzuschaffen.380 Kloss vertraute dafür seine Bibliothek dem Antiquariat A. Auerbachs in Hamburg an, das sie in London verkaufte.381 Organisiert wurde die Auktion von der Londoner Firma Samuel Leigh Sotheby & Son. Die Versteigerung begann am 7. Mai 1835 und dauerte 19 weitere Tage, mit Ausnahme der Sonntage.382 Erworben wurde die Margaretha-Sammelhandschrift von Thomas Rodd (1796–1849), einem Geschäftspartner von Sir Thomas Philipps (1792– 1872), der als Bücherliebhaber in den Besitz vieler Handschriften von Kloss kam.383 Im Umkreis Philipps’ verblieb die Handschrift auch danach, ist doch auch ihr späterer Besitzer, John George Cochran (1781–1852), als sein Geschäftspartner bezeugt:384 Cochran erwarb sie 1837.385 Schon ein Jahr später wurde die Handschrift ihren eigenen Angaben gemäss386 schliesslich in Evans’s store, einem Auktionslokal Londons,387 versteigert. Am 27. Juli 1838 kaufte sie dort das British Museum,388 aus dem später die British Library hervorging.

378 Zum Folgenden vgl. Oppitz, Kloss, S. 1. 379 Kloss konnte fast die vollständigen Bücherbestände des Bischofs Johann Camerarius von Dalberg, von Bernhardt Adelmann von Adelmannsfelden, sowie der Kirchen- und Schulbibliothek in Esslingen am Neckar erwerben, dazu viele Einzelstücke aus den Bibliotheken des Stifts zu Ochsenhausen, von Christoph Scheurl und von Johannes Karl von Fichard; vgl. ebd., S. 3. 380 Vgl. ebd., 1: »Bereits 1805 war er als ›Lufton‹ in die Freimaurerloge ›Zur Einigkeit‹ aufgenommen worden. Lebenslang entfaltete er rege Tätigkeiten als Bruder.« 381 Zum folgenden Abschnitt vgl. Oppitz, Kloss, S. 2. 382 Für die Londoner Hs. Add. 11430 wird im Katalog auf S. 324 unter Nr. 4571 vermerkt, sie sei für 10 sh. 6 p. versteigert worden; vgl. Strauch, S. XVIII , Anm. 2. 383 Vgl. Oppitz, Kloss, S. 4 f. und 15. 384 Vgl. ebd., S. 5. 385 Vgl. Hs. Add. 11430, fol. iir. Im Katalog Cochrans befindet sie sich auf S. 109 unter der Nr. 326; vgl. Oppitz, Kloss, S. 15. 386 Vgl. Hs. Add. 11430, fol. iir. 387 Vgl. Strauch, S. XIX , Anm. 1. 388 Vgl. Oppitz, Kloss, S. 15.

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8.3.9 Die vermutlich älteste Quelle der Briefe: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925 (1200) Die Londoner Handschrift Add. 11430 fand nahezu keine Rezeption. Dies muss nicht weiter erstaunen, stammt sie doch erst aus dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts. Ausserdem sind die ›Offenbarungen‹ Margarethas nur eine der Abschriften der Medinger Handschrift M, und die neuzeitlichen Schriften über Margaretha existierten bereits im Druck. So konnte die Londoner Handschrift für die Forschung nur als Quelle der Briefsammlung interessant werden. Als solche fand sie ja bereits 1747 in den ›Opuscula‹ Heumanns eine erste Drucklegung. Um so mehr erstaunt die Existenz einer Handschrift, von der Philipp Strauch schrieb: »Von Medingen aus wurde mir mitgetheilt, dass im Benediktinerstifte zu Melk eine Handschrift über Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen aufbewahrt werde. Auf meine Anfrage und Bitte wurde mir dieselbe durch gütige Vermittlung des Herrn P. Vincenz Staufer, Bibliothekars des Stiftes Melk, übersandt. Die Handschrift enthält von einer jungen Hand des 18. Jahrhunderts auf 257 Seiten eine Abschrift der Offenbarungen und Briefe und zwar nach l, ist also von keinem weiteren Interesse. Eingangs sind die Titel der Schriften von Schlettstetter und Eysenhuet ausgezogen.«389 Diese Handschrift liegt noch heute in Melk (Stiftsbibliothek, Cod. 1925 [alte Signatur: 1200], künftig Melk I).390 Strauch hielt sie für eine Abschrift der Londoner Handschrift. Die Reihenfolge der Texte ist in Melk I allerdings eine andere: Hier sind die Schriften von Schlettstetter und Eysenhuet den ›Offenbarungen‹ und den Briefen vorangestellt. Zudem geht den ›Offenbarungen‹ Margarethas ein Vorspann voraus,391 in dem Angaben zum Todestag Margarethas und zum Ort ihrer Bestattung gemacht werden und der in der Londoner Handschrift nicht existiert. Die Verschreibung ›Christine‹ für ›Margaretha‹ in diesem Vorspann weist entweder darauf hin, dass der Schreiber sich auch mit einer Christine-Ebner-Handschrift,392 389 Strauch, S. XXII f. Für die Hs. London, Brit. Libr., Add. 11430 verwendet Strauch die Bezeichnung ›l‹. 390 Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Freimut Löser, der mir bei der Suche nach dieser Hs. behilflich war, Frau Dr. Christine Glassner und Stiftsbibliothekar P. Dr. Gottfried Glassner, mit deren freundlicher Unterstützung ich die Hs. schliesslich gefunden habe und einsehen konnte. 391 Das Leben der seeligen Christine Margaretha Ebnerin Jungfrauen Ordinis S. Dominici [. . .]. Die Korrektur ›Margaretha‹ ist mit dunklerer Tinte vorgenommen worden. 392 Es handelt sich um die Hs. Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1811 (1041), die den

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Melk II, befasst hat, oder ihm persönlich nur Christine Ebner, nicht aber Margaretha Ebner bekannt gewesen ist.393 Die Texte der ›Offenbarungen‹ und der Briefe sind mit jenen in der Londoner Handschrift identisch. Was dem Schreiber beim Kopieren der ›Offenbarungen‹ nicht verständlich war, wurde am Rande mit ita MS versehen. Bei den Unterstreichungen in den Briefen, die auf den Blättern 151r–257v folgen (Abb. 9), kommt es zu Abweichungen: Der Name Christi etwa ist nie unterstrichen, dafür Städtenamen wie ›Basel‹ und ›Strassburg‹.394 Zudem wurden die fehlenden Initialen ergänzt und Abkürzungen aufgelöst. In Melk I fehlen ausserdem die Rubrizierungen der Londoner Handschrift. Die Codices Melk I und II dürften – so die Vermutung von Stiftsbibliothekar P. Dr. Gottfried Glassner – eine ähnliche Entstehungsgeschichte haben. Beide sind Papierhandschriften und besitzen den gleichen Einband aus Karton. Melk I wurde von einer Hand in einer neuzeitlichen Kurrentschrift unsorgfältig geschrieben.395 Der etwas grössere Codex Melk II ist hingegen von schönerer Hand aufgezeichnet worden. Woher die Vorlagen der beiden Abschriften stammen, wird nirgends vermerkt. Für Dr. Christine Glassner besteht kein Zweifel daran, dass die beiden Codices für den Melker Historiker Bernhard Pez (1683–1735) angefertigt wurden und Teil einer Edition werden sollten.396 Mutmasslich hat sich die Vorlage von

393 394 395 396

Titel trägt: Vita et revelationes Beatae Christinae Ebnerin sanctimonialis Monasterii Vallis Angelorum vulgo Engeltal iii leucis ab urbe Norinbergensi distantis Ord. S. Dominici anno Christi M.CCC.LVI. die S. Ioh. Evangel. Demortuae. Margaretha galt als Schwester Christines; vgl. Anm. 315. Vgl. Cod. 1925, fol. 151r. Nach Schriftvergleichen stimmt diese Hand nicht mit jener von Bernhard Pez überein. Indes erbrachte der Schriftvergleich auch keine Verwandtschaft mit einer anderen Hand, die in dieser Zeit Hss. für Melk kopierte. Pez sammelte und kopierte für das Stift Handschriften; vgl. Walter Troxler, Pez, Bernhard, in: BBKL 7 (1994), Sp. 399–402, hier: Sp. 400. Aus dem umfangreichen Briefwechsel der Gebrüder Bernhard und Hieronymus Pez geht hervor, dass Bernhard für sein Projekt einer ›Bibliotheca Benedictina‹ in Melk ein Rundschreiben an die wichtigsten Benediktinerkongregationen geschickt hat mit der Bitte, aus den jeweiligen Bibliotheken Material für sein Vorhaben zu übersenden; vgl. Christine Glassner, Verzeichnis der im Nachlass der Melker Historiker Bernhard und Hieronymus Pez erhaltenen Briefe, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 110 (1999), S. 195–243, hier: S. 197. Bereits für die Jahre 1714 und 1715 sind Bibliotheksreisen verbürgt (vgl. ebd., S. 198, Anm. 20), um an neue

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Melk I für kurze Zeit in Melk befunden, oder sie wurde für das Stift Melk in Nürnberg in der Ebnerschen Bibliothek kopiert. Das gleichzeitige Kopieren einer Christine-Ebner-Handschrift spricht ebenfalls dafür, dass Pez Zugang zu dieser Bibliothek erhalten hat.397 Damit die Londoner Handschrift die Vorlage von Melk I sein könnte, müsste sie in den Zehner- oder Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts, spätestens aber 1735 vorgelegen haben, weil Bernhard Pez in diesem Jahr starb und sein Bruder Hieronymus danach nur »für kurze Zeit Leiter der Bibliothek« war.398 Da sie aber erst nach 1744 entstand, wurde Melk I entweder nicht für das Bibliotheksprojekt der Gebrüder Pez und darum später angefertigt – wobei im Dunkeln bleiben müsste, warum sich jemand um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Melk für ein Margaretha-EbnerKompendium interessierte –, oder Melk I ist keine Kopie der Londoner Handschrift. Tatsächlich dürften Melk I und die Londoner Handschrift eine gemeinsame Vorlage besessen haben. Da Johann Heinrich von Falckenstein bereits 1733 einen Brief Heinrichs paraphrasierte,399 können seine Kenntnisse der Briefe nicht aus der Londoner Handschrift stammen. Er dürfte die Briefsammlung indessen kaum über eine mittelalterliche Vorlage im Kloster Medingen kennengelernt haben, sondern vielmehr aus einer der (gelehrten) Öffentlichkeit zugänglichen Bibliothek wie der Ebneriana. Dort muss in den ersten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, spätestens aber 1733, eine gemeinsame Vorlage der fast identischen Abschriften Melk I und London existiert haben;400 ich nenne sie hier der Einfachheit halber ›Nürnberger

397 398 399 400

Handschriften heranzukommen. Für das Jahr 1717 ist bekannt, dass die Gebrüder Pez erneut eine solche Reise unternommen haben (vgl. ebd., S. 198), die sie auch nach Bayern führte; vgl. Troxler, Pez, Bernhard, Sp. 400. Bernhard Pez’ Beziehungen erstreckten sich aber ebenso »bis weit in den Norden und auch zahlreiche nichtkatholische Gelehrte gehörten zu seinen Mitarbeitern [. . .]«: ebd. Dass sich Pez tatsächlich auch mit mystischen Texten beschäftigt hat, zeigt die Herausgabe der Schriften Agnes Blannbekins: Vita et revelationes venerabilis Agnetis Blannbeckin († 1315), Wien 1731; vgl. Troxler, Pez, Bernhard, Sp. 401. Zu den Schriften Christines in der Ebnerschen Bibliothek vgl. Anm. 328 f. Walter Troxler, Pez, Hieronymus, in: BBKL VII (1994), Sp. 402 f., hier: Sp. 402. Zur Rezeption von Brief XVIII durch Falckenstein vgl. Kap. 1.3.1. Dass es sich bei der Vorlage ebenfalls um eine Hs. und nicht etwa um einen Druck handelte, zeigen die Vermerke ita MS im Melker Cod. 1925.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Vorlage‹. Melk I enthält dabei vermutlich die ursprüngliche Anordnung der Schriften: Da der Text ohne Sorgfalt geschrieben wurde, kann angenommen werden, der Schreiber habe die Vorlage so schnell wie möglich zu kopieren versucht, ohne eine neue Konzeption in der Anordnung der Texte vorzunehmen; es scheint ihm lediglich um deren Erhaltung gegangen zu sein. Die Unterstreichungen der Vorlage wurden dabei zugunsten einer Unterstreichung aufgegeben, die als Orientierungshilfe für einen historisch interessierten Leser (der geplanten Edition) zu verstehen ist. Dagegen überliefert uns die Londoner Handschrift das Erscheinungsbild der Texte dieser Vorlage: Die imitierenden Schriften, die Rubrizierungen, das Kopieren der Initialen für die ›Offenbarungen‹ (Abb. 4 und 5) und das ›Paternoster‹, das Auslassen der Initialen in der Briefsammlung und die schönen Kurrentschriften sind als Versuch einer treuen Nachbildung zu deuten. Ein Vergleich der Handschriften London und Melk I mit der Stuttgarter Sammelhandschrift S401 kann uns vielleicht noch eine genauere Vorstellung von der Anlage dieser Nürnberger Vorlage geben. In der Londoner Handschrift befindet sich die als Titelblatt eingefügte Tuschzeichnung mit der Grabplatte Margaretha Ebners (Abb. 1) auf einem Papier, das nur einmal vorkommt und zudem das älteste Papier der ganzen Handschrift ist. Dasselbe Papier wurde auch in der Stuttgarter Handschrift benützt und auch da nur für eine der beiden Miniaturen, die Christine Ebner zeigen und den Texten vorausgehen.402 Anscheinend wurden zeitgleich Miniaturen von Christine und Margaretha Ebner angefertigt und später einzelnen Handschriften vorangestellt. Die erwähnte nicht verifizierbare Anmerkung aus dem Ordensarchiv der Dominikaner in Rom deutet ebenfalls darauf hin, dass auch mehrere Kopien der Miniatur mit Margarethas Grabplatte existierten.403 Eine davon dürfte auch die Nürnberger Vorlage eröffnet haben. Der Wunsch nach Erhaltung aller Texte der beiden Ebner-Nonnen hat sich scheinbar auch auf die Bilder erstreckt. Er lässt sich über den Vergleich von Melk I, die den Textaufbau der Nürnberger Vorlage bewahren dürfte, mit der Stuttgarter Handschrift aufzeigen: Ihre Textanordnungen können parallel zueinander gelesen werden. In der Stuttgarter Handschrift ist es Christine Ebner, deren historische Bezeugungen aufgelistet werden, bevor 401 Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282; vgl. Kap. 8.3.6. 402 Das Wappen der Ronsberger Herren (vgl. Anm. 279) befindet sich in dieser Hs. auf fol. 2r. 403 Vgl. Anm. 211.

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ihre Schriften folgen. In Melk I gehen die Lebensbeschreibungen Margarethas ihren Schriften voraus. Die Nürnberger Vorlage könnte daher das Andenken an Margaretha Ebner analog zum Aufbau der Stuttgarter Handschrift überliefert haben. Sie hätte demnach zu Beginn Margaretha Ebner ein visuelles Denkmal gesetzt und zusammen mit den anschliessenden geschichtlichen Belegen die memoria der berühmten Nonne evoziert. Für die Annahme der Existenz einer Nürnberger Vorlage gibt einzig die Exzerptsammlung der Londoner Handschrift ein Problem auf: Wenn diese Exzerptsammlung in der Vorlage ebenfalls vorhanden war, wurde sie beim Kopieren für Melk I vielleicht nicht übernommen, weil ihr Umfang zu gering war. Wahrscheinlich aber ist sie erst in der Londoner Handschrift angelegt worden, wo die folgenden freien Blätter auch noch hätten ergänzt werden können. Jedenfalls verweist auch die Exzerptsammlung der Londoner Handschrift auf ein paralleles Vorgehen beim Sammeln und Verbreiten alles Literarischen über die Nonnen Christine und Margaretha Ebner, da in der Stuttgarter Handschrift die Quellen dieser Exzerpte ebenfalls anzitiert werden.404 Die in diesem Kapitel zusammengetragenen Beobachtungen setzen nicht nur eine gemeinsame Vorlage von Melk I und der Londoner Sammelhandschrift voraus, sondern auch eine literarische Konzeption der Nürnberger Familie Ebner von Eschenbach, die mittelalterliche Werke und historische Nachrichten des 17. und 18. Jahrhunderts gleichermassen in den Dienst des Interesses an der eigenen Geschichte stellte. Der Stuttgarter Handschrift und der vermuteten Nürnberger Vorlage kam dabei die Funktion von erschliessenden Kompendien zu, die die beiden Ebner-Nonnen neu ins Gedächtnis riefen. Diese Bücher müssen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Nürnberg tatsächlich einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gewesen sein, so dass auch der Historiker Bernhard Pez davon erfahren und Kopien herstellen lassen konnte. Die Handschriften London, British Library, Add. 11430 und Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 dagegen waren gleichsam Monumente, die durch mimetische Wiedergabe der mittelalterlichen Vorlagen etwas von der Aura der authentischen Zeugnisse einzufangen suchten; nicht zufällig konnten die Stuttgarter, aber auch die Aarauer ›Offenbarungen‹ als Autographe ausgegeben werden. Diese Handschriften konnten bereits von der Bekanntheit der beiden 404 Vgl. Anm. 364.

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Die Briefsammlung im Kontext der Londoner Handschrift

Ebner-Nonnen ausgehen und darum deren Schriften an den Anfang rücken oder sogar alleine verbreiten. Die Londoner Handschrift wurde in der Folge für die Kenntnis der Briefe Heinrichs grundlegend. Da sie aber jünger als Melk I ist, kann diese als älteste Quelle der Briefsammlung Heinrichs von Nördlingen gelten.

Abkürzungen Add. 11430 BdeW Didascalicon DW

Einsiedeln I Einsiedeln II FL

Gesandter Gnadenbuch Helvetia Sacra Hor LCI Legatus

Liber M MarL Melk I Melk II MsBNF 12

Leben der Margareta Ebnerin, siehe: London, British Library, Add. MS. 11430 Heinrich Seuse, Büchlein der ewigen Weisheit, in: ders., Deutsche Schriften, ed. Bihlmeyer (1907), S. 196–325 Hugo von St. Viktor, Didascalicon, siehe: Hugo von St. Viktor Meister Eckhart, Die deutschen Werke, siehe: Meister Eckhart Das fliessende Licht der Gottheit, siehe: Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 277 Mystici sermones Deutsch, siehe: Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 278 Mechthild von Magdeburg, Das fliessende Licht der Gottheit, nach der Einsiedler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung, Bd. 1, siehe: Mechthild von Magdeburg Gertrud die Grosse von Helfta, Gesandter der göttlichen Liebe, siehe: Gertrud die Grosse Das Buch der geistlichen Gnaden, siehe: Mechthild von Hackeborn Helvetia Sacra Pius Künzle, Heinrich Seuses Horologium Sapientiae, siehe: Seuse, Heinrich Lexikon der christlichen Ikonographie Gertrud die Grosse, Legatus Divinae Pietatis, in: Getrude d’Helfta, Œuvres spirituelles, siehe: Gertrud die Grosse Mechthild von Hackeborn, Liber specialis gratiae, in: Revelationes Getrudianae ac Mechthildianae, siehe: Mechthild von Hackeborn Die Offenbarungen Margaretha Ebners von 1353, siehe: Maria Medingen, Klosterbibliothek Marienlexikon Das Leben der seeligen Margaretha Ebnerin Jungfrauen Ordinis S. Dominici, siehe: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925 Vita et revelationes Beatae Christinae Ebnerin, siehe: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1811 Das Leben der Margaretha Ebnerin, siehe: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12

438 Neumann II

3

RL

S Seuse Strauch Tauler Vita 2

VL

Abkürzungen Mechthild von Magdeburg, Das fliessende Licht der Gottheit, nach der Einsiedler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung, Bd. 2, siehe: Mechthild von Magdeburg Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte Christine-Ebner-Korpus, siehe: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282 Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, ed. Bihlmeyer, siehe: Seuse, Heinrich Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen, ed. Strauch, siehe: Ebner, Margaretha Die Predigten Taulers, ed. Vetter, siehe: Tauler, Johannes Heinrich Seuse, Seuses Leben, in: ders., Deutsche Schriften, ed. Bihlmeyer (1907), S. 7–195 Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., völlig neu bearb. Aufl.

Die Verwendung weiterer Abkürzungen richtet sich nach dem Gebrauch des Verfasserlexikons in: 2VL 1 (1978), S. XI−XXIV, Ergänzungen in: 2VL 9 (1995), S. Xf. und in: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1, S. IX−XVIII.

Bibliographie Handschriften und ungedruckte Quellen Es werden hier nur Handschriften aufgeführt, die eingehender behandelt werden und/oder für die Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Briefe Heinrichs von Nördlingen und der Werke Margaretha Ebners wichtig sind, sowie ungedruckte Texte und Kataloge. Weitere Handschriften sind über das Handschriftenregister aufzufinden. Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, MsBNF 12 (›Offenbarungen‹ und ›Paternoster‹ Margaretha Ebners). Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8o 31 (›Paternoster‹ und ›Offenbarungen‹ Margarete Ebners, Exzerpte, fol. 30r-v, 98v–99v und 109v–111r von 1484– 92, fol. 227r–234v um 1400). Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B IX 11 (›Lux divinitatis‹ Mechthilds von Magdeburg fol. 51r–91v). Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. quart. 179 (›Offenbarungen‹ und ›Paternoster‹ Margaretha Ebners von 1470, ab fol. 184r). Colmar, Bibliothe`que de la Ville, Ms. CPC 2137 (früher: Bibliothe`que du Consistoire, ms. 2137) (›Das fliessende Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg, Exzerpt, fol. 77v–141r). Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 277 (›Das fliessende Licht der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg fol. 2r–166r). Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 278 (›Mystici sermones Deutsch‹, ›Die siben strassen zu got‹ Rudolfs von Biberach fol. 3–147). Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 124 (Predigten Johannes Taulers von 1359). Eschenbach/Hersbruck, Ebnersche Bibliothek, Cod. 89 [E1] (von 1721) (›Gnadenvita‹ der Christine Ebner). Heidelberg, Sammlung Gerhard Eis, Hs. 103 (›Uber mystisches leben von einem ungekanten‹ von 1460/70, fol. 234v–236v). London, British Library, Add. MS. 11430 (›Leben der Margareta Ebnerin‹). Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek [M] (›Vita Beatae Margarithae Ebnerin O. S. D.‹ von 1353). Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek [Md 1] (›Vita Christinae Ebner‹). Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1811 (1041) (›Vita et revelationes Beatae Christinae Ebnerin‹). Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925 (1200) (›Das Leben der seeligen Margaretha Ebnerin Jungfrauen Ordinis S. Dominici‹).

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Bibliographie

München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 480 (›Paternoster‹ Margaretha Ebners von 1449, fol. 165v–173r). München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28242 (›Horologium sapientiae‹ Heinrich Seuses). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 583 (›Liber specialis gratiae‹ Mechthilds von Hackeborn). Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282 [S] (Christine-Ebner-Korpus, biographische Notizen und Rezeptionszeugnisse). Zürich, Zentralbibliothek, C 96 (320) (Briefe und ›Minnebüchlein‹ Heinrich Seuses fol. 1r–41r und 63v–75r, ›Siben grede der demut‹ fol. 99v–110v, ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ fol. 127v–128r). Handschriftliches Repertorium der Bayerischen Staatsbibliothek München. Namenloses Gutachten zu: Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek, Hs. Md2 (masch.). Piccard, Gerhard, Expertise zu: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 2o 282 (masch.). Scheyern, Klosterbibliothek, Katalog der Handschriften (masch.). Schröder, Alfred, Paläographisches Gutachten über die erste Abschrift der Offenbarungen der Seligen Margareta Ebner: Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek, Hs. M, (masch.), [Dillingen] 1910.

Gedruckte Quellen1 Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften, gesammelt und zur Herausgabe vorbereitet von Wilhelm Wackernagel, Basel 1876 (Nachdruck Hildesheim 1964). Altdeutsche Predigten, hg. von Anton E. Schönbach. Bd. 2, Bd. 3, Graz 1888, 1891. Anselm von Canterbury – Liber de S. Anselmi similitudinibus. Kap. 100–109: De monte humilitatis et septem gradibus eius (PL 159, 665 B – 669 A). Antiphonarium sacri ordinis praedicatorum. Pro diurnis horis, . . . Martini Stanislai Gillet ejusdem ordinis magistri generalis permissu editum, Romae 1933. Augustinus – Augustini Opera. Tomus 2 (PL 33). Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. von Gerhard B. Winkler, Bd. 1–9, Reg.bd., Innsbruck 1990–1999. Bibel – Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, recensuit et brevi apparatu critico instruxit Robertus Weber †, editionem quartam emendatam cum sociis . . . preparavit Roger Gryson, Stuttgart 1994. 1 Unter ›Gedruckte Quellen‹ werden auch Übersetzungen aufgelistet.

Gedruckte Quellen

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Register Handschriften Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek AKB MsBNF 12 420–426 435 Augsburg, Universitätsbibliothek Cod. III.1.4o 16 400 Cod. III.1.8o 4 400 Cod. III.1.8o 17 397 405 Cod. III.1.8o 20 400 Cod. III.1.8o 31 398 f. 403 Cod. III.1.8o 39 397 400 Cod. III.1.8o 48 398 f. Cod. III.1.8o 49 397 401 Cod. III.1.8o 50 405 Cod. III.1.8o 56 399 Cod. III.2.8o 58 397 405 Cod. III.3.4o 43 418 Basel, Universitätsbibliothek Cod. B IX 11 331 338 Cod. B IX 15 335 Cod. B X 10 338 Cod. B X 36 327 Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz Ms. germ. fol. 1157 399 Ms. germ. oct. 12 339 Ms. germ. quart. 149 339 Ms. germ. quart. 179 398 Ms. germ. quart. 841 397 Ms. germ. quart. 1929 397 Colmar, Bibliothe`que de la Ville Ms. CPC 2137 351 Einsiedeln, Stiftsbibliothek Cod. 115 75 81 99 241 263 Cod. 118 80 82 163

Cod. 277 [Einsiedeln I] 177 f. 247 335–342 347–351 390 Cod. 278 [Einsiedeln II] 318 335– 343 346–351 Cod. 710 106 Engelberg, Stiftsbibliothek Cod. 124 354 Cod. 155 306 Cod. 335 354 Eschenbach/Hersbruck, Ebnersche Bibliothek Cod. 89 420 427 Cod. 91 420 Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek Hs. 470 397 f. Heidelberg, Sammlung Gerhard Eis Hs. 103 349 London, British Library Add. MS. 11430 22 f. 28–30 37 41 44 120 133 201 217 240 f. 270 274 289 f. 341 343 346 348 363 f. 367 f. 388 390 f. 393–395 402 405–435 Maria Medingen (Mödingen/Dillingen), Klosterbibliothek Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (M) 270 274 292 363 f. 397 f. 401 406–408 411 425 f. 431 Christine Ebner, ›Gnadenvita‹ (Md1) 397 426

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Register

›Leben der Christine Ebner‹ (Md2) 407 426 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME2) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME3) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME4) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME5) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME6) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME7) 418 Margaretha Ebner, ›Offenbarungen‹ (ME8) 418 Melk, Stiftsbibliothek Cod. 1811 [Melk II] 431 f. Cod. 1925 [Melk I] 431–435 München, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 480 398 Cgm 7264 399 Clm 28242 330 Nürnberg, Stadtbibliothek Cent. V, App. 99 420 Cent. VI 43d 351

Prag, Nationalmuseum Cod. XIII C 20 399 Scheyern, Bibliothek des Benediktinerstifts Ms. 48 399 St. Gallen, Stiftsbibliothek Cod. 583 327 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek Cod. theol. et phil. 2o 282 [S] 407 427 434 f. Wien, Bibliothek des Schottenstifts Cod. 413 399 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 1003 Helmst. 327 Zürich, Zentralbibliothek Cod. C 96 348 355 Cod. C 127 355 Zwettl, Stiftsbibliothek Cod. 384 247

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Orte, Personen und literarische Werke Verzeichnet werden Orte, historische Personen – mit Ausnahme von Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen –, geistliche Institutionen und literarische Werke, einschliesslich Gebete und liturgischer Gesänge.

Aachen 24 309 366 e e Adelhaid die Gussin von Gussenberg 367 ›Adelhausener Schwesternbuch‹ 216 Agnes die Münzmeisterin 217 Agnes, hl. 124 f. 130 224 235 309 359 f. Agnes, Königin von Ungarn 27 303 306–311 313 354 359 f. St. Agnes/Lauingen, Zisterzienserinnenkloster 298 Albert der Grosse, Kirchenlehrer 64 230 244 352 Albert de Reinkein (Renchen) 334 ›Alma redemptoris mater‹ 85 ›Alleluja‹ 251 Altdorf/Nürnberg 414 428 Ambrosius von Mailand 102 St. Andreas Benediktinerinnenkloster in Engelberg 291 308 310 f. Benediktinerinnenabtei in Sarnen 310 ›Anima Christi sanctifica me‹ 273 305 f. 311 Anna von Falkenstein 317 322 Anna von Nollingen 322 Anna von Warstein 366 Anna, Gräfin von Graisbach 301 Anonymus, Briefschreiber 27 217 296 Brief  Brief LXIV Anselm von Canterbury, Kirchenlehrer 87 343 ›De monte humilitatis et septem gradibus eius‹ 343 f. 347 Arnold der Rote 337 von Atzenbach, Basler Familie Adelheid 316 Anna 316 322 Heilwig 316

Johannes 316 334 f. Au/Einsiedeln, Waldschwestern (Beginen) 319 335–337 Augsburg 298 301 f. 306 325 366 397 Augustinus von Hippo Regius, Kirchenlehrer 115 f. 178 290 ›Confessiones‹ 345 Augustinus, Theologe und Biograph der Rosa von Lima? 417 ›Ave Maria‹ 272 f. ›Ave maris stella‹ 55 ›Ave, lignum vite complantatum‹ 88 ›Ave, porta paradysi‹ 88 ›Ave, virgo, vitae lignum‹ 88 Avignon 24 303–306 366 Bamberg 25 304 360 f. 366 ›Bartschs minnende Seele‹ 113 Basel 22 24 118 f. 140–143 209 218 247 304 307 312–327 330–342 348 350–352 354–357 359–362 366 386 432 St. Alban, Cluniazenserpriorat 360 Bürgerspital 312 315 f. Kartause 335 St. Leonhard, Chorherrenstift 360 St. Maria Magdalena an den Steinen, Dominikanerinnenkloster 315 f. 320 St. Martin, Pfarrkirche 360 St. Peter, Chorherrenstift 300 313 320 f. 360 St. Ulrich, Pfarrkirche 360  Klingental, Dominikanerinnenkloster  Predigerkloster/Basel Benedikt XII., Papst 306 Beringer, Anna 405

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Register

Bern 318 Bernhard von Clairvaux, Zisterzienserabt 81 89 91 114–116 142 225 255 261 f. 280 290 398 ›De consideratione ad Eugenium papam‹ 73 ›Sermones super Cantica Canticorum‹ 89 115 255 Bernhardin von Siena 403 Berthold von Bombach 308 Besanc¸on 303 Biberach 318 von Bietenheim, Gertrud 353 Birgitta von Schweden 87 398 404 Bitterlin, Margaretha 368 f. 395 399 f. 404 Blannbekin, Agnes 114 240 246 260 262 ›Vita et revelationes‹ 241 247 311 Bolsenheim, Johannes, Prior von Engelberg 354 Bonaventura, Kirchenlehrer 351 ›Lignum vitae‹ 102 ›Das Buch der Minne‹  ›Rede von den fünfzehn Graden‹ ›Buch von dem süszen namen und von der richen minen Jhesu‹ 171 173 325 397 Burchardus Vicedominus 313 Burkhard von Ellerbach 307 313 318 f. Burtscheid/Aachen, Zisterzienserinnenabtei 309 360 Catharina von Sontheim 367 Cassiodor 178 200 ›Christus und die minnende Seele‹ 106–108 Clemens VI., Papst 357 Cochran, John George 430 Colmar 315 ›Confiteor‹ 273 ›Credo‹ 272 350 David von Augsburg 41 ›De laudibus sanctae Mariae‹ 87 ›De profundis‹ 272 f. Diana von Andalo Briefe 40 Dietrich von Freiberg 230

›Domine ne longe‹ 264 Dominikus von Caleruega, Ordensgründer 40 197 f. 256 389 Donauwörth 298 Ebner, Christine 17 25 27 34 57 145 191 203 218 f. 239 297 306 351 f. 402 415–417 420 425–427 429 431– 435 ›Gnadenvita‹ 397 ›Offenbarungen‹ 203 415 420 f. Ebner (von Eschenbach), Nürnberger Familie 17 21 407 f. 411 413– 417 420 425–427 429 435 Demut 415 429 Hieronymus Wilhelm 418 424 428 Jobst Wilhelm 414 f. 418 424 Johann Carl 424 Johann Paul 414 418 Siegfried 429  Ebner, Christine  Nürnberg, Bibliotheca Ebneriana  Paumgärtner, Maria Magdalena Ebner, Donauwörther Familie 25 Hartmann 302 Margaretha (Nichte der Mystikerin Margaretha) 217 Mutter der Mystikerin Margaretha Ebner 249 Ebner, Margaretha, Werke ›Offenbarungen‹ 21–27 33 35 41–44 78 93–95 97 f. 102 107 114 135 148 162 f. 165 194 198 f. 208 213 f. 216 218 220 225 231 239 240–295 300 303–305 311 314 329 343–347 352 355 359 361– 364 367 f. 370 391 394 398 402– 406 408 418 420 f. 423 425 431 f. 434 ›Paternoster‹ 165 220 247 272–279 345 363 398 403 406 408 418 420 f. 423 434 Brief  Brief LXVII Eckhart, Meister, Mystiker 30 32 41 73 77 189 243 248 311 332 334 336 f. 339 347 397

Orte, Personen und literarische Werke ›Granum sinapis de divinitate pulcherrima‹ (Eckhart?) 52 ›Liber benedictus‹ 311 Egenolf von Ehenheim 332 ›Ein geistlich durbruch‹ 355 Elisabeth von Schönau 196 Briefe 40 ›Liber visionum‹ 250 f. Elisabeth, Gräfin von Graisbach 301 Ellin von Crewelsheim 297 299 376 Elsbeth von Hochstetten 202 217 Elsbeth von Oye ›Offenbarungen‹ 402 Engel, Georg Peter 407 Engel, Iohann Wilhelm 407 Engelberg, benediktinisches Doppelkloster 311 Frauenkloster St. Andreas  St. Andreas, Benediktinerinnenkloster in Engelberg Männerkloster 354 Engelthal, Dominikanerinnenkloster 25 93 163 216 231 239 297 349 351 f. 359 401 415 Ebner, Demut  Ebner, Nürnberger Familie  Ebner, Christine  Gerdrut von Engelthal ›Engelthaler Schwesternbuch‹ 265 Epiphanius von Salamis 86 Eschenbach, Schloss, Gemeinde Pommelsbrunn/Bayern 414 416 427 Eysenhuet, Eustachius 431 ›Lebensbeschreibung Margaretha Ebners‹ 363 409 Faber, Familie aus Altdorf/Nürnberg Johann Ludwig (Ferrando) 414 Samuel (Ferrando II) 413–417 420 ›Aufrichtige Lebens-Beschreibung Hn. Johann Paul Ebners‹ 413 415 f. 427 ›Planinto und Hortensia‹ (›Hirten Gespräch‹) 413–415 427 von Falckenstein, Johann Heinrich 29 433 Fessenheim 297 300 f. 306 Fischer, Michael 407

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Frankfurt a. M. 429 Franziskus von Assisi, Ordensgründer 65 102 262 Freiburg i. Ü. 318 Frickin, Ofim 279 297 301 308 357 ›Geistlicher Herzen Baungart‹ 195 Genua 356 Gereon, hl. 360 Gerhoch von Reichersberg 178 Gerdrut von Engelthal ›Vita‹ (Fragment) 44 Gertrud die Grosse (von Helfta) 100 160 166 168 f. 256 ›Legatus divinae pietatis‹ 165–169 175 Gertrud von Hackeborn 160 Gertrud von Rheinfelden 320 Gervinus, Georg Gottfried 422 425 Giselher von Slatheim 337 ›Gloria‹ 250 f. zum Goldenen Ring, Basler Familie 318 Johannes 318 f. Katharina 318 Nikolaus 318  Margaretha zum Goldenen Ring Gottesfreunde 19 23 43 117 127 129 134–136 208 211–214 216 314 322 f. 332 348 352 354 f. 387 392 Gottfried von St. Alban/England, Abt 362 Gregor der Grosse, Papst, Kirchenlehrer 116 123 127 131 Gregor von Nyssa 60 Habsburg, Herrschergeschlecht 307 309 360 Albrecht I., röm.-dt. König 307 Albrecht II., Herzog von Österreich 309 f. Elisabeth von Kärnten, röm.-dt. Königin 307  Agnes, Königin von Ungarn Hadewijch von Antwerpen 201 211 339 Briefe 39 79 171 200

468

Register

Haimo von Auxerre 73 f. 77 178 Hamburg 430 Hartmann IV., Graf von Dillingen und Kyburg 301 Hartmann von Kronenberg 324 f. 337 Heidenricus, Bischof von Kulm 337 Heinrich II., röm.-dt. Kaiser 360 Heinrich VII., röm.-dt. Kaiser 301 Heinrich von Eggewint 337 Heinrich von Halle 119 349 Heinrich von Köln 39 Heinrich von Rheinfelden 320 f. Heinrich von Rumersheim 209 320 335 337 Heinrich von Schönegg, Bischof von Augsburg 306 Heinrich, Kleriker in Basel (ev. identisch mit  Heinricus de Wis) 26 319 335 Heinricus de Reinckein 321 Heinricus de Wis 321 335 Helfta, Zisterzienserinnenkloster 102 119 160 169 246 298 332  Gertrud die Grosse  Gertrud von Hackeborn, Äbtissin  Mechthild von Hackeborn  Mechthild von Magdeburg Henricus de Sursee 321 Heumann von Teutschenbrunn, Johann 17 410 428 f. ›Opuscula‹ 29 417 422 425 428 431 Hieronymus, Kirchenlehrer 178 Hildegard von Bingen, Äbtissin und Mystikerin 94 116–118 136 196 332 387 Briefe 40 Höchstädt, Augustinerinnenkloster zur Klause 297 299 Anna, Augustinerin 297 Hohenwart, Benediktinerinnenkloster 298 f. Irmel, Benediktinerin 297 Hugo von St. Viktor, Theologe 65 175 ›Didascalicon, de studio legendi‹ 178–181 187

Hugo von Trimberg ›Der Renner‹ 293 Humbert von Romans 244 Imhoff, Christoph Jacob 419 ›In splendoribus sanctorum‹ 80 Irenäus von Lyon 87 Isidor von Sevilla 116 178–180 Isny 318 Itha von Rheinfelden 320 ›Iudica‹ 264 Jacobus de Voragine ›Legenda aurea‹ 98 Jakob von Vitry 205 Jan van Ruusbroec 397 Johann von Altkirch 322 Johann von Sterngassen 337 Johannes Cassian ›Collationes Patrum‹ 399 Johannes XXII., Papst 304 f. Johannes Scotus 65 Johannes von Dambach 334 Johannes von Effringen 334 Johannes von Ehingen 301 Johannes von Laufen 342 Johannes, Schüler Heinrichs von Nördlingen 50 70 300 Jordan von Sachsen Briefe 40 ›Judith‹ 200 Kaisheim, Zisterzienserabtei 191 296–298 300–302 324 326 329 f. 332 351  Konrad, Mönch in Kaisheim  Ulrich II. Zoller von Kaisheim, Abt  Ulrich III. Niblung von Kaisheim, Abt  Ulrich von Kaisheim, Prior (1)  Ulrich von Kaisheim, Prior (2)  Ulrich, gen. Hofmaier, Prior  Ulrich, Mönch in Kaisheim Karg, Benedict Dominicus 418 Karl VII., röm.-dt. Kaiser 418 Katharina von Hochstetten 202 302 Katharina von Siena, Mystikerin und Kirchenlehrerin 257 260 404

Orte, Personen und literarische Werke St. Katharina/Augsburg, Dominikanerinnenkloster 398 St. Katharina/Nürnberg, Dominikanerinnenkloster 340 366 396 399–401 St. Katharinental/Diessenhofen, Dominikanerinnenkloster 98 268 ›Graduale‹ 268 ›St. Katharinentaler Schwesternbuch‹ 266 Kellerin, Margaretha 317 Kirchheim am Ries, Zisterzienserinnenkloster 298 400 Klingental/Basel, Dominikanerinnenkloster 107 315–318 339–342 Adelheid von Atzenbach  von Atzenbach, Basler Familie Anna von Atzenbach  von Atzenbach, Basler Familie Heilwig von Atzenbach, Priorin  von Atzenbach, Basler Familie Münch, Verena, Priorin 316 Nonne von Falkenstein, Priorin (ev. identisch mit  Anna von Falkenstein) 316 318 320 Kloss, Georg 410 421 f. 428–430 Köln 24 124 129 315 332 f. 352 360 366 St. Gertrud, Dominikanerinnenkloster 352 Königsfelden, klarissisch-franziskanisches Doppelkloster 307 309–311 313 366 Konrad von Füssen 218 Konrad von Würzburg ›Die goldene Schmiede‹ 112 142 347 Konrad, Mönch in Kaisheim 296 Konstanz 230 306 f. 313 366 Kunigunde von Luxemburg, röm.-dt. Kaiserin 360 von Landsberg, Adelsgeschlecht 322 Ritter 314 Frau des Ritters 314 318 Langmann, Adelheid 191 214 219 Lausanne 303 Lechner, Johann Jacob 429 ›Die Lilie‹ 112–114 Lindau 318

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Lindenmayr, Sibilla 419 London 421 423 430 Longman, Thomas Norton 421 Loschge, Johann Michael 422 Ludolf von Sachsen ›Vita Christi‹ 102 Ludwig IV. der Bayer, röm.-dt. Kaiser 24 29 300 f. 304 306 f. 356 360 Luitgart von Wittichen ›Vita‹ 246 f. Lukian von Samosata ›Herodot‹ (›Aetion‹) 415 Lützel, Zisterzienserabtei 332 Margaretha von Augsburg 302 Margaretha zum Goldenen Ring 203 208–212 215 302 f. 317–322 335 337 f. 341 350 Brief  Brief LXIII Maria Johanna von Mihlen 418 Maria Medingen, Dominikanerinnenkloster 15 19 24 26 82 118 149 173 185 192–194 198 202 208 215–217 271 281 290–292 294 296 f. 301– 306 308 f. 314 323 325 f. 329 332 341 351 359–361 364 366 368 f. 394–396 400–402 411 418 423 425– 427 433 Bibliothek 325 396–401 404 Klosterkirche 98 417 Margaretha-Ebner-Kapelle 26 395 407 412 427 f. Agnes, aus St. Katharina/Nürnberg 399 Magdalena, aus St. Katharina/ Nürnberg (ev. identisch mit  Topplerin, Magdalena) 399 Margareta, aus St. Katharina/ Nürnberg, Subpriorin? 399 Nonne von Hochstetten (ev. identisch mit  Elsbeth von Hochstetten oder  Katharina von Hochstetten) 201 203 302 379 Nonne von Scharenstetten 302 Ursula, aus St. Katharina/Nürnberg 399 e e  Adelhaid die Gussin von Gussenberg, Priorin

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Register

 Agnes die Münzmeisterin, Priorin  Anna von Warstein, Priorin  Beringer, Anna  Bitterlin, Margaretha, Schreiberin  Catharina von Sontheim, Priorin  Elsbeth von Hochstetten, Priorin  Katharina von Hochstetten  Lindenmayr, Sibilla, Priorin  Margaretha von Augsburg, Priorin ?  Maria Johanna von Mihlen, Schreiberin  Osanna (Susanna) von Binzendorf, Schreiberin  Ostermayr, Anna  Pfefferle, Apollonia, Priorin  Scheppach, Elsbeth, Priorin, Schreiberin und (Mit-)Autorin  Schurstab, Elisabeth, Priorin  Topplerin, Magdalena, Subpriorin und Schreiberin Maria von Oignies 205 Mechthild von Hackeborn 167 169 240 262 324 ›Liber specialis gratiae‹ 160–166 169 f. 252 273 298 326 f. 360 Mechthild von Magdeburg 41 60 119 125 129 170 184 f. 188 f. 196 199 214 230 234 236 255 260 279 324 347 349 366 391 393 405 ›Das fliessende Licht der Gottheit‹ 21 33 81 118–144 154 156 158 169 f. 171–185 188 f. 191 193 f. 196 f. 199 232 245 247 269 274 285 298 300 329–338 342 347 349 351 367 390 397 405 Gebet aus Buch V, 35  Briefe, Nr. LXIX ›Lux divinitatis‹ (›Revelationes‹) 175 177 329 331 334 338 Mechthild von Stans 244 Meckenhauser, Nicolaus 408 Medingen (Bad Bevensen), Zisterzienserinnenkloster 397 Medingen bei Lauingen, Dominikanerinnenkloster 396

›Meditationes vitae Christi‹ 102 Meidinger, Baltasar 418 Melk, Benediktinerabtei 431–433 Merswin, Ehepaar 314 355 f. Rulman 136 352–355 ›Meisterbuch‹ 355 ›Neunfelsenbuch‹ 397  von Bietenheim, Gertrud Merswin, Katharina 353 Miller, Matis 397 ›Der Minne Spiegel‹ 351 ›Minnende Seele‹ 114 ›Miserere‹ 272 f. Münch (von Münchenstein), Hugo 334 342 Münch (von Münchenstein), Johannes 334 342 Münch, Günther 342 Münch, Verena 316 Mundt, Theodor 422 von Murr, Christoph Theophil ›Memorabilia bibliothecarum norimbergensium‹ 419 f. Neuhofen bei Speyer 303 Niederschönenfeld, Zisterzienserinnenabtei 297–300 324 f. Äbtissin 219 Nonnen von Graisbach (ev. identisch mit  Anna, Gräfin von Graisbach, und  Elisabeth, Gräfin von Graisbach) 324 Nikolaus von Pfaffenheim 356 Nikolaus von Sax 335 Nikolaus von Strassburg 337 340 Nördlingen 298 300 365 Chüntzlin aus Nördlingen 324 Mutter Heinrichs von Nördlingen 26 50 303 324 Nürnberg 28 f. 351 396 399 411 415– 419 421 423 428 Bibliotheca Ebneriana 406 417– 420 428 f. 433 St. Egidien 413 St. Klara 396 St. Sebald 416 f.  St. Katharina, Dominikanerinnenkloster

Orte, Personen und literarische Werke  Pirckheimer, Caritas, Äbtissin von St. Klara Oberschönenfeld, Zisterzienserinnenabtei 297–299 Öttingen, Adelsgeschlecht 300 Friedrich II., Graf 300 307 Ludwig VI., Graf 307 Ludwig VIII., Graf 300 307 Origines, Kirchenschriftsteller 102 Osanna (Susanna) von Binzendorf 398f. Ostermayr, Anna 405 Paris 324 ›Paternoster‹ 272–274 Paulus, Apostel 128 190 225 264 281 393 Paulus Diaconus 87 Paumgärtner, Maria Magdalena 414 f. Peterman zem Angen 342 Peter von Biel 322 335 Peter von Laufen 342 Peter von Sulz 342 Pez, Bernhard 432 f. 435 Pez, Hieronymus 432 f. von Pfaffenheim, Ritter (ev. identisch mit  Nikolaus von Pfaffenheim) 314 Pfefferle, Apollonia 405 Pforzheim, Dominikanerinnenkloster 396 399 401 Philipps, Thomas 430 Pillenreuth, Augustinerinnenchorfrauenstift 25 349 f. Pirckheimer, Caritas, Äbtissin von St. Klara/Nürnberg 396 ›Pone me ut signaculum‹ 105 f. 111 Predigerkloster/Basel 315 317 f. 320 f. 331 333–335 337 f. 342 359  Albert de Reinkein, aus dem Strassburger Konvent, Prior  von Atzenbach, Johannes  zum Goldenen Ring, Johannes  Hartmann von Kronenberg  Heinrich von Rheinfelden  Heinricus de Wis, Supbrior  Henricus de Reinckein, Prior  Johannes von Dambach, aus dem Strassburger Konvent

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 Johannes von Effringen, Prior  Johannes von Laufen, Prior  Münch (von Münchenstein), Hugo, Prior und Lektor  Münch (von Münchenstein), Johannes, Prior und Lektor  Münch, Günther, Prior  Nikolaus von Sax, Lektor  Peter von Biel  Peter von Laufen, Prior  Peter von Sulz, Subprior  Peterman zem Angen  Scholl, Hermann, Prior  zer Sunnen, Johannes  Tauler, Johannes, aus dem Strassburger Konvent Ranner, Gottfried Christoph ›Auktionskatalog‹ 419 ›Rede von den fünfzehn Graden‹ (›Das Buch der Minne‹) 112 195 393 ›Regina coeli‹ 272 Rheinau, Benediktinerabtei 332 Richard von St. Viktor 65 Rodd, Thomas 430 Rom 395 418 ›Rorate coeli‹ 82 376 Rosa von Lima (Isabella Flores) 417 Rudolf von Biberach 255 338 ›De septem itineribus aeternitatis‹ 336–338 350 ›Siben strassen zu got‹ 337 339– 341 347 350 Rudolf von Gebwiler 313 Rupert von Deutz 89 f. ›Salve Regina‹ 100 151 273 276 Seligenthal, Zisterzienserinnenabtei 349 Seuse, Heinrich, Mystiker 15 21 28 30 32 35 f. 41 119 135 147–150 172 186 188 190 196 211 216 225 237 245 248 280 307 324 f. 327 f. 332 340 348 355 358 366 401 ›Briefbüchlein‹ 59 145 ›Büchlein der ewigen Weisheit‹ 62 144–159 163 168–170 172 f. 188 197 207 225–227 265 280 307 328–330 332 397

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Register

Hundert Betrachtungen 105 157 159 293 ›Büchlein der Wahrheit‹ 307 ›Exemplar‹ 146 f. 172 189 225 247 325 355 ›Grosses Briefbuch‹ 145 183 348 ›Horologium sapientiae‹ 146 173 328–330 332 397 ›Minnebüchlein‹ 325 348 ›Vita‹ 52 64 73 172 f. 175 189–192 245 248 259 273 280 325 340 390 Scheppach, Elsbeth 26 50 57 115 118 185 f. 188 191 f. 201 202 208 218 224 239 241 280 302 325 329 346 364 f. 366 372 f. 378 Scheurl, Christoph 430 ›Briefbuch‹ 395 f. Schlettstetter, Sebastian 419 431 ›Lebensbeschreibung Margaretha Ebners‹ 363 409 412 Scholl, Hermann 342 Schuler, Ehepaar Anna 322 Heinrich 322 Schurstab, Elisabeth 399 Schuster, Hans 319 Schwäbisch Gmünd 303 Siena 65 Sophie von Rheinfelden 320 Stagel, Elsbeth 59 191 280 ›Stimulus amoris maior‹ 102 Strassburg 24 213 218 312 314 f. 330 333 f. 352–356 366 370 432 St. Marx, Dominikanerinnenkloster 353 Zum grünen Wörth, Johanniterkloster 354 f. Sulz im Lauchtal 356 Sunder, Friedrich 91 192 246 ›Gnaden-Leben‹ 44 52 192 203 213 f. 404 zer Sunnen, Basler Familie Johann 317 342 Wernher 317  Anna von Falkenstein  Kellerin, Margaretha

Tauler, Johannes, Mystiker 16 21 23 30 32 41 77 136 152 203 207 211 213 218 f. 228 230 243 f. 249 255 f. 265 f. 280 282 302 f. 312–314 318 f. 322 327 f. 330–335 338 340 f. 350– 355 359 378 388 397 401 429 Brief  Brief LVII ›Te deum‹ 272 ›Te Maria, certa via‹ 82 Thomas, Apostel 251 Thomas von Aquin, Kirchenlehrer 27 64 207 230 294 300 326 334 352 ›Summa contra gentiles‹ 326 ›Summa theologiae‹ 325 Thomas von Celano 102 262 Töss, Dominikanerinnenkloster 318 Topplerin, Magdalena 399 f. ›St. Trudperter Hoheslied‹ 79 90 ›u´ber die sieben tagzeiten‹ 349 ›u´ber mystisches leben von einem ungekanten‹ 339 348–350 Ulm 302 Ulrich II. Zoller von Kaisheim, Abt 296 300 Ulrich III. Niblung von Kaisheim, Abt 203 219 296 300 302 379 Briefe  Briefe LVIII−LXII Ulrich von Kaisheim, Prior (1) 219 Ulrich von Kaisheim, Prior (2) 219 Ulrich, gen. Hofmaier, Prior 219 296 Ulrich, Mönch in Kaisheim 296 f. Unterlinden/Colmar, Dominikanerinnenkloster 215 314 316 320 342 357 ›Vaterunser‹ 260 273 274 Venantius Fortunatus ›Quem terra pontus aethera‹ 94 ›Veni creator‹ 272 f. Venturino von Bergamo 332 334 ›Vexilla regis‹ 272 f. ›Vitaspatrum deutsch‹ 399 ›Vom Überschall‹ 339–341 ›Von den sieben Graden rechter Demut‹ 339 341 343–348 350 355 405 in London, British Library, Add. MS. 11430  Briefe, Nr. LXVIII

Orte, Personen und literarische Werke St. Walburg/Eichstätt, Benediktinerinnenkloster 95 101 103 105 f. 111 164 Walther von der Vogelweide 196 ›War umb got lies Judam bi im wandelen‹ 339 348 350 355 ›Weiler Schwesternbuch‹ 281 Werner zum Spiegel 313 Wien 257 307 309 311 428 Wienhausen, Zisterzienserinnenkloster 98

473

Wilhelm von St-Thierry 261 Winterthur 318 Wittichen, Klarissenkloster 308 Zimmern, Zisterzienserinnenkloster 297–299 3 Nonnen, Töchter der Ofim Frickin 297  Ellin von Crewelsheim Zittard, Conrad 363 Zürich 230

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Register

Briefe Die Zählung der Briefe folgt jener der Edition Philipp Strauchs. I 88 371 391 II 80 98 f. 203 282 373–375 III 84 90 145 186 188 296 f. 374 f. IV 86 99 104 141 145 282 303 368 382 V 90 92 103 155 186 282 f. 364 374 f. VI 61 89 97 100 104 106 186 286 380–382 VII 85 f. 106 108 186 205 286 303 386 f. VIII 86 89 104 184 202 364 378 f. 391 IX 61 80 85 102 364 380 f. X 57 61 67 145 278 300 368 384 f. XI 23 37 46–71 60–79 83 f. 86 f. 91 f. 94 100 f. 109 118 124–127 129 138 148 150 159 172 174 178–180 185 188 190 192 f. 202–204 225 227–229 231 f. 235 f. 247 251 278 280 282 f. 288 303 383 f. XII 52 f. 83 203 303 377 XIII 96 117 f. 141 186 277 314 386 f. XIV 96 157 172 186 f. 196 287 f. 303 387 XV 26 69 236 288 303 368 384 XVI 27 82 f. 86 88 92 104 107 140 f. 204 278 297 345 375 f. XVII 27 77 79 105 107 157 186 204 278 283 303 f. 350 374 XVIII 27 29 203 303 f. 377 433 XIX 61 82 84 97 371 f. XX 107 203 302 f. 317 365 377 XXI 53 84 86 202 226 278 303 383 XXII 303 364 377 XXIII 26 202 f. 296 300 314 364 f. 376 XXIV 87 203 205 278 296 f. 375 f. XXV 101 106 145 219 297 299 313 370 f. XXVI 27 297 306 365 377 XXVII 279 382 f. XXVIII 81 93 148 205 319 382 XXIX 73 96 f. 155 187 328 384 f. XXX 96 184 203 278 377

XXXI 307 328 376 f. XXXII 27 184 239 307 312–315 319 324 386 f. XXXIII 27 81 87 f. 104 117 142 145 152 168 193 201 300 332 364 371 XXXIV 104 f. 107 109 141–143 312 361 f. 373 XXXV 80 84 f. 89 105 108 143 146 155 157 166 f. 171 173 185 324 f. 327–330 345 361 f. 364 367 372 391 XXXVI 27 73 85 140–142 155 332 380 XXXVII 86 149 203 285 296 300 332 374 f. XXXVIII 65 103 107 117 141–144 151 187 203 229 234 278 296 324 368 373–375 XXXIX 27 141 198 203 205 241 287 378 XL 27 81 87 96 157 184 186 206 241 316 319–321 326 358 362 380–382 XLI 27 96 205 239 241 291 316 318 352 370 391 XLII 53 83 85 96 98 141 f. 183 206 315 318 f. 358 372 XLIII 27 61 85 99 f. 108 119 141 158 173–175 177 182 192 f. 196 242 325 f. 329 331 333 358 364 383 f. XLIV 104 117 119 141 f. 160 f. 163 207 252 309 319 326 f. 329 358 373 377 XLV 104 142 156 203 278 296 314– 317 320 356 377 XLVI 80 85 98 100 104 115 119 139 f. 143 153 f. 156 181–184 205 f. 285 345 352 368 384 f. XLVII 27 59 116 155 f. 308 f. 357 370 f. XLVIII 65 107 116 f. 120–141 143 150 172–175 181 f. 184 187 198 220 225–238 245 264 269 309 345 352 359 385

Briefe XLIX 77–79 106 109 258 278 284 308 f. 383 L 27 96 203 308 f. 358 362 364 375 f. 378 LI 81 98 100 116 142 158 204 206 242 298 327 f. 353 355 385 f. 388 LII 81 155 203 205 278 285 322 356 370 LIII 27 85 117 203 205 278 315 356 364 387 LIV 26 202 203 358 364 f. LV 27 184 203 f. 378 LVI 27 80 85 107 184 390 LVII 18 302 365 378 LVIII 22 296 365 379

475 LIX 22 296 300 f. 365 379 LX 22 296 365 379 391 LXI 22 296 365 379 LXII 22 296 365 379 LXIII 22 203 208–211 365 387 f. 391 LXIV 22 217–219 297 301 306 365 389 LXV 26 115 f. 158 186 201 f. 297 325 372 f. LXVI 155 201 f. 379 LXVII 64 120 210 220–239 270 280 309 389 LXVIII 22 366 f. 388 f. 391 f. 394 LXIX (nicht bei Strauch) 22 120 366 f. 390–393 405

Anhang: Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift Add. 11430 Kursiv: Rubriken der Hs.; römische Ziffern: Zählung Strauchs

[Vorrede] XLI Ein ander prieff der sellige¯ mutter LII aber ain gar schöner brieff der sellige¯ mu˘tt’ XLVII XXV Ain ander brieff I XXXIII XIX Aber ain schoner bry¨ff XXXV XLII LXV XXXIV Aber ain gar schöner brieff der selige¯ mutt’ XLIV Das ist gar auch ain schöner briff XXXVIII II XVII V III XXXVII XXIV Disz ist gar ain schoner brieff unsz’ lieben Seligen Mutt’ Margaretha Ebnerin L XXXI XXIII

478

Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift Add. 11430 XVI XX XXX XXVI LIV XVIII XXII XLV XII LV XXXIX LVII VIII

Disz sint etlich brief die hat ain andechtig’ Apt von Kaiszen geschriben der selige¯ Marg’ Ebnerin LX LXI LXII LIX LVIII LXVI XXXVI Aber ain schoner brieff der selige Mutt’ VI Ain schoner brieff der seelige¯ M IX XL Das ist aber ain schoner bry¨ff der seligen d. Margaretha [E]benerin vnse’r lieben Mutter IV XXVII XXVIII Aber ain brieff der selige M Margareth XLIX Aber gar ain schoner brieff der selige¯ Margaretha Ebnerin den jr ain grosz meist’ geschriben hat XXI XI Ain schoner bry¨ff von der vrste¯d XLIII Aber ain schoner briy¨ff der selige¯ Margaretha ebnerin von Ainer geistlichen hymelfart XV

Die Reihenfolge der Briefe in der Handschrift Add. 11430

479

Aber ain schoner brieff von einer geistlichen hy¨melfart XLVI Aber ain gar schoner brieff der selige¯ Mutter Margaretha Ebnerin ist geschriben worden X XXIX Aber gar ain schoner brieff der selig M. Eb’ XLVIII Aber ain gar schoner brieff der selige¯ M Ebnerin LI Disz ist auch gar ain schoner brieff der seligen Mutt’ Margaretha Ebnerin VII Aber ain brieff XXXII Das ist gar ain besund’ schoner brieff der der seligen Mutter geschribe¯ ist worde¯ vo¯ de¯ M XIII Das ist auch der selige¯ M brieff ein’ XIV LIII LXIII jte¯ von vii graden der Rechten demutigkait LXVIII LXVII LXIV LVI [LXIX ] Disz ist ausz geschribe¯ An Sant lucas aubent des hailigen Evangeliste¯ jn dem lxxxxviii jar bitten got fur die schriberin mit Ave Maria Schwester Margaretha Bitterlein etc.

Abbildungen

Abbildungen

483

Abb. 1: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 2r: Chorraum der Margaretha-Ebner-Kapelle im Kloster Maria Medingen im Zustand vor 1753, Tuschzeichnung.

484

Abbildungen

Abb. 2: London, British Library, Add. MS. 11430, vorderer Spiegel: Handschriftliche Einträge und gedrucktes Exlibris von Georg Kloss, angebracht zwischen 1827–1835.

Abbildungen

485

Abb. 3: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, AKB MsBNF 12, vorderer Spiegel: Handschriftliche Einträge und gedrucktes Exlibris von Georg Kloss, angebracht zwischen 1827–1835.

486

Abbildungen

Abb. 4: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, AKB MsBNF 12, fol. 1r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners (gleiche Hand wie in Abb. 5), Mitte des 18. Jahrhunderts.

Abbildungen

487

Abb. 5: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 3r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners (gleiche Hand wie in Abb. 4), zwischen 1744 und 1747.

488

Abbildungen

Abb. 6: Maria Medingen, Klosterbibliothek, Handschrift M von 1353, fol. 1r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners.

Abbildungen

489

Abb. 7: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 127r: Exzerptensammlung. Anfang von Samuel Fabers Schrift ›Planinto und Hortensia‹ von 1690, zwischen 1744 und 1747.

490

Abbildungen

Abb. 8: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 49r: Vorrede und Anfang der Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner (u. a.), zwischen 1744 und 1747.

Abbildungen

491

Abb. 9: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925, fol. 151r: Vorrede und Anfang der Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner (u. a.), 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

492

Abbildungen

Abb. 10: Ölportrait Margaretha Ebners im Schloss zu Eschenbach (Gemeinde Pommelsbrunn/Bayern).

Abbildungen

493

Abb. 11: Ölportrait Christine Ebners im Schloss zu Eschenbach (Gemeinde Pommelsbrunn/Bayern).

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 2r: Chorraum der MargarethaEbner-Kapelle im Kloster Maria Medingen im Zustand vor 1753 mit Grabplatte Margaretha Ebners aus dem 14. Jahrhundert. Tuschzeichnung. © The British Library Board. Abbildung 2: London, British Library, Add. MS. 11430, vorderer Spiegel: Handschriftliche Einträge und gedrucktes Exlibris von Georg Kloss, angebracht zwischen 1827–1835. © The British Library Board. Abbildung 3: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, AKB MsBNF 12, vorderer Spiegel: Handschriftliche Einträge und gedrucktes Exlibris von Georg Kloss, angebracht zwischen 1827–1835. Abbildung 4: Aarau, Aargauer Kantonsbibliothek, AKB MsBNF 12, fol. 1r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners (gleiche Hand wie in Abb. 5), Mitte des 18. Jahrhunderts. Abbildung 5: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 3r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners. Hand 1 (gleiche Hand wie in Abb. 4), zwischen 1744 und 1747. © The British Library Board. Abbildung 6: Maria Medingen, Klosterbibliothek, Handschrift M von 1353 (Vita Beatae Margarithae Ebnerin O. S. D.), fol. 1r: Anfang der Offenbarungen Margaretha Ebners. Abbildung 7: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 127r: Exzerptensammlung. Anfang von Samuel Fabers Schrift ›Planinto und Hortensia‹ von 1690. Hand 4, zwischen 1744 und 1747. © The British Library Board.

496

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 8: London, British Library, Add. MS. 11430, fol. 49r: Rubrizierte Vorrede und Anfang der Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner (u. a.). Hand 2, zwischen 1744 und 1747. © The British Library Board. Abbildung 9: Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1925 (Melk I), fol. 151r: Vorrede und Anfang der Briefe Heinrichs von Nördlingen an Margaretha Ebner (u. a.), 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Abbildung 10: Ölportrait Margaretha Ebners im Schloss zu Eschenbach (Gemeinde Pommelsbrunn/Bayern). Abdruck mit frdl. Genehmigung von Leonore Frfr. Ebner von Eschenbach. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Monika Wiedemann. Abbildung 11: Ölportrait Christine Ebners im Schloss zu Eschenbach (Gemeinde Pommelsbrunn/ Bayern). Abdruck mit frdl. Genehmigung von Leonore Frfr. Ebner von Eschenbach. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Monika Wiedemann.