Mystik und Magie im Frühparacelsismus: Erkundungen um Alexander von Suchtens Traktat ›De tribus facultatibus‹ 9783110719437, 9783110719727, 2021940644

The themes of mysticism and magic occupy a major place in the literature of Paracelsianism, yet their conception, functi

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German Pages 422 [424] Year 2021

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Alexander von Suchten
3 De tribus facultatibus
4 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie
5 Suchtens mystische Theologie
6 Die Theologia Deutsch in De tribus facultatibus?
7 Suchtens Magie
8 Zusammenfassung
Anhang
Literaturverzeichnis
Personen- und Namensregister
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Mystik und Magie im Frühparacelsismus: Erkundungen um Alexander von Suchtens Traktat ›De tribus facultatibus‹
 9783110719437, 9783110719727, 2021940644

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Simon Brandl Mystik und Magie im Frühparacelsismus

Frühe Neuzeit

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Joachim Hamm, Wilhelm Kühlmann, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Band 239

Simon Brandl

Mystik und Magie im Frühparacelsismus

Erkundungen um Alexander von Suchtens Traktat De tribus facultatibus

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 191249397 – SFB 980.

ISBN 978-3-11-071943-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-071972-7 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2021940644 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Sommersemester 2020 zur Promotion angenommen wurde. Entstanden ist sie im Rahmen der zweiten, auf vier Jahre angelegten Förderphase des Sonderforschungsbereichs 980 ‚Episteme in Bewegung‘ der Freien Universität Berlin. Während des gesamten Zeitraums war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter am noch immer bestehenden SFB-Teilprojekt ‚Alchemia poetica‘ unter der Leitung von Prof. Dr. Volkhard Wels, der mir als Betreuer meines Dissertationsprojekts stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Ohne seine wohlwollende Unterstützung, seine wissenschaftliche Expertise und seine vielseitigen Anregungen wäre diese Studie in ihrer jetzigen Form nicht zustande gekommen. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Weiterhin gilt mein Dank meinem Lehrer und Förderer Prof. Dr.  Friedrich Vollhardt, der mein Interesse am Spiritualismus der Frühen Neuzeit geweckt und mich in meiner Promotionsabsicht maßgeblich unterstützt hat. Seiner Vermittlung verdanke ich zudem die Aufnahme dieser Studie in die Bücherreihe ‚Frühe Neuzeit‘. Ferner ermöglichte er mir zu Beginn meines Studiums eine jahrelange Mitarbeit am inzwischen abgeschlossenen Projekt VL16 in der Redaktion von PD Dr. Klaus Kipf, der mir seinerseits einen profunden Einblick in die Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit gewährte. Auch ihm bin ich zu Dank verpflichtet. Danken möchte ich außerdem Prof. Dr.  Wilhelm Schmidt-Biggemann für seine bereitwillige und generöse Begutachtung meiner Dissertationsschrift, Prof. Dr. Carlos Gilly für hilfreiche Auskünfte in der letzten Minute sowie meinen Lektorinnen Julia Beier und Franziska Hensel, denen ich mit der Endkorrektur von Promotionsarbeit und Typoskript einiges abverlangt habe. Ein ganz besonderer Dank gebührt schließlich meiner Ehefrau Piluca, die mir in den vergangenen vier Jahren bedingungslos den Rücken freigehalten hat, und meiner Tochter Mariola, die in ihren ersten Lebensmonaten manches Mal auf ihren arbeitssüchtigen Papa verzichten musste. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Berlin im März 2021

http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-201

Inhaltsverzeichnis Vorwort 

 V

 1 1 Einleitung  1.1 Forschungsvorhaben   1 1.2 Forschungsstand   8 2 Alexander von Suchten  2.1 Bedeutung   15 2.2 Vita   25 2.3 Werk   40

 15

 48 3 De tribus facultatibus  3.1 Datierung   48 3.2 Karl Rauchenberg als Widmungsempfänger   50 3.3 Die wissenspolitische Funktion des Traktats   52 3.4 Inhalt   53 3.5 Der literarische Charakter des Traktats   60 3.6 Zum Motiv des philosophus autodidactus   66  71 4 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie  4.1 Hohenheims Schöpfungsontologie   71 4.2 Kosmogonie aus dem kristallinen Wasser   72 4.3 Anthropologie   78 4.3.1 Die Konstitution des Menschen in den Propositiones   78 4.3.2 Die Konstitution des Menschen in De tribus facultatibus   87 4.4 De secretis antimonij   93 4.5 Initiierung und Deutung chemischer Prozesse   104 4.6 Die Analogie von innerer und äußerer Alchemie   116 4.7 Zum Scheitern von Alchemie: Ad dialogum de morte   121  126 5 Suchtens mystische Theologie  5.1 Wort- und weisheitstheologische Grundlagen   126 5.2 Neukontextualisierung von Gottebenbildlichkeit und Lebensatem   136 5.3 Häretisierung von Suchtens Christologie   141 5.4 Die Zwei-Naturen-Lehre   153 5.5 Die Christus-lapis-Parallele   157 5.6 Der Weg zur Erlösung   160

VIII 

 Inhaltsverzeichnis

5.7 Das ‚Nichts‘ in Suchtens Elegie Quid sit nihil und in Eckharts Predigt 71   167 Die Außenseite des Geistes: das Licht der Natur  5.8  187 Der mystische Raptus  5.9  196 Die Bedeutung der incarnatio verbi  5.10  201 6 Die Theologia Deutsch in De tribus facultatibus? 

 205

 233 7 Suchtens Magie  7.1 Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs   233 7.2 Trichotomien   249 7.3 Die Textualität der Schöpfung   256 7.3.1 Zum Programm des uneigentlichen Sagens in De tribus facultatibus   256 7.3.2 Suchtens Ablehnung der lutherischen Larventheorie   262 7.4 Das Firmament   267 7.4.1 Lernen und Wissen aus dem Firmament   267 7.4.2 Die makrokosmische Realisierung des Firmaments   273 7.4.3 Die mikrokosmische Realisierung des Firmaments   277 7.4.4 Das arcanum   278 7.4.5 Suchtens Rezeption des paracelsischen FirmamentBegriffs   282 7.5 Die paracelsische Signaturenlehre   285 7.5.1 Künstliche Signaturen   285 7.5.2 Natürliche Signaturen   290 7.6 Suchtens magische Zeichenlehre   297 7.6.1 Die theologische Dimension von Suchtens Zeichenlehre   297 7.6.2 Suchtens Positionierung zur Heilswirksamkeit der Sakramente   307 7.6.3 Suchtens magische Medizin   311 7.6.4 Suchtens magische Astronomie   314 7.6.5 Die Missdeutung der magischen Bücher durch den ‚gemeinen Mann‘   318 7.7 Die himmlische Magie   321 7.7.1 Von der natürlichen zur himmlischen Magie   321 7.7.2 Einbildung (imaginatio)   325 7.7.3 Die Entfaltung der Figur des magus coelestis   334 7.7.4 Die Fähigkeiten des magus coelestis   343 7.5.5 Die magia als endzeitliches Phänomen   349 7.7.6 Suchtens pseudo-dionysisch inspirierte catena aurea   352

Inhaltsverzeichnis 

8 Zusammenfassung   374 Anhang   Nr. 1  Nr. 2 

 366

 374  378

 384 Literaturverzeichnis  1 Quellen   384 2 Sekundärliteratur 

 392

Personen- und Namensregister 

 411

 IX

1 Einleitung 1.1 Forschungsvorhaben Von einem „literarisch hochstehenden Buch“,1 ja sogar von „einem der schönsten Bücher des sechzehnten  Jahrhunderts“ spricht Carlos Gilly mit Blick auf den kleinen Traktat De tribus facultatibus.2 Diese lobenden Worte lassen bereits erahnen, dass es sich bei dem Autor dieses Werks, dem aus Danzig stammenden Arzt, Dichter, Fachschriftsteller und Paracelsisten Alexander von Suchten (um 1520–1575), um eine herausragende Persönlichkeit der Reformationszeit handelt. Tatsächlich stand Suchten mit prominenten und einflussreichen Protagonisten der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur in Kontakt, unter ihnen der Humanist Wilhelm Gnapheus, der Bischof und Dichter Johannes Dantiscus, der Universalgelehrte Paulus Scalichius, der Arzt und Philologe Conrad Gessner sowie Nicolaus Copernicus. Zusammen mit dem Sohn des Reformators Andreas Karlstadt, Adam von Bodenstein (1528–1577), dem Tiroler Arzt Michael Toxites (1514–1581) und Gerhard Dorn (1530–1584) gehört Suchten zu den ersten Intellektuellen, die das geistige Erbe des Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493–1541), antraten und damit einer Strömung den Weg ebneten, die unter dem Namen ‚Paracelsismus‘ den Gelehrtendiskurs der Frühen Neuzeit maßgeblich mitbestimmen sollte. Anders aber als Bodenstein und Toxites, die sich darauf beschränkten, das Werk des Hohenheimers zu kommentieren, einzuleiten und zu edieren, agierte Suchten jenseits der Publikationsoffensive von Paracelsica, die ab der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts einsetzte.3 Dafür aber rezipierte er die Werke Hohenheims als Inspirationsquelle für sein eigenes literarisches Schaffen. Als laborantisch erfahrener und geistreicher Autor eines teils fachlichen, teils theosophisch-spiritualistischen Schrifttums lässt sich Suchten mit solch großen Paracelsisten wie Petrus Severinus, Heinrich Khunrath und Oswald Croll in einem Atemzug nennen.

1 Carlos Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus. Wandlungen des Hermetismus in der paracelsischen und rosenkreuzerischen Literatur. In: Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von Peter-André Alt u. Volkhard Wels. Göttingen 2010 (Berliner Mittelalter- u. Frühneuzeitforschung, 8), S. 71–132, hier S. 103. 2 Carlos Gilly: Zwischen Erfahrung und Spekulation. Theodor Zwinger und die religiöse und kulturelle Krise seiner Zeit. Tl. 1. In: BZGA 77 (1977), S. 57–135, hier S. 77. 3 Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Einleitung. In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 1: Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 59), S. 1–40 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Einleitung. In: CP 1), hier S. 18  ff. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-001

2 

 Einleitung

Trotz der exponierten Stellung, die Suchten innerhalb der paracelsistischen Bewegung einnimmt, ist er als Dichter, Naturphilosoph, Chemiker, Mediziner und Spiritualist noch wenig erschlossen. Vor allem aber ist er bislang in seiner Rolle als Gründungsvater des Paracelsismus verkannt worden. Es handelt sich bei ihm um einen der ersten – wenn nicht sogar um den ersten – Paracelsisten, zugleich aber auch um einen originellen Literaten, der paracelsisches Wissen nicht nur rezipierte, sondern auch auf kreative Weise erweiterte und in Teilen transformierte. Vor dem Hintergrund, dass Suchtens Persönlichkeit und Bedeutung bisher von der Forschung – ja selbst von dem hochverdienstvollen Corpus Para­ celsisticum – nur ansatzweise umrissen und mitunter falsch beurteilt wurde, dient die vorliegende Studie dem Ziel, Suchtens theosophisches Welt- und Selbstbild eingehender zu beleuchten. Besondere Berücksichtigung gebührt hierbei dem Traktat De tribus facultatibus, zumal der Autor dort einen tiefen Einblick in die Programmatik seines alchemisch-spiritualistischen Bekenntnisses gewährt, das für die frühparacelsistische Bewegung richtungsweisend und daher besonders repräsentativ ist. Hiervon ausgehend gilt es, Suchtens mystisch inspirierten Weisheitsbegriff, den der Traktat zum Thema hat, unter literatur-, philosophie- und wissensgeschichtlichen Gesichtspunkten herauszustellen. Dabei soll der Erweis erbracht werden, dass zwischen Mystik und Magie ein Nexus besteht, der für das Selbstverständnis und die Religiosität der frühen Paracelsisten grundlegend ist. Für die folgende Studie ist ein fünfteiliger Aufbau angesetzt: Im ersten Teil werden zunächst die Biographie und das Werk Alexander von Suchtens vor­ gestellt (Kap. 2). Im Anschluss an eine allgemeine Einführung in Suchtens naturphilosophisch-alchemisches Schrifttum rückt der Traktat De tribus facultatibus ins Zentrum der Betrachtungen (Kap. 3.1–3.6). Hierbei wird zunächst der Nach­weis erbracht, dass der um 1565 entstandene Text ursprünglich mit der Elegie De vera medicina als Einheit konzipiert war. Vor dem Hintergrund, dass Suchten diese Elegie dem Paracelsisten Karl Rauchenberg dedizierte, kann dieser auch als Widmungsempfänger des Traktats gelten. Dies lässt wiederum den Schluss zu, dass der Danziger mit De tribus facultatibus das wissenspolitische Ziel verfolgte, den Magie-Begriff Hohenheims nachhaltig in der Theorie der sich formierenden Bewegung des Paracelsismus zu etablieren. Demgemäß besitzt der Inhalt des Traktats den Charakter eines paracelsistischen Urmythos, der vom Aufstieg und Fall einer als ‚magisch‘ beschriebenen Weisheitslehre kündet. Zentral ist hierbei das Motiv des philosophus autodidactus, dessen Geschichte sich bis hin zum ara­ bischen Bildungsroman Hayy Ibn Yaqzan zurückverfolgen lässt. Der dritte Teil der Studie widmet sich der Naturphilosophie des Danzigers, die aufs Engste mit alchemischen spiritus-Theorien verknüpft ist (Kap. 4.1–4.7). Obwohl der Einfluss der paracelsischen Lehre auf Suchtens Schöpfungsontologie unverkennbar ist, verzichtet Suchten in De tribus facultatibus auf die Terminolo-

Forschungsvorhaben 

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gie des Hohenheimers. Ihm zufolge ging die Welt aus einem vom göttlichen Geist beseelten Himmelswasser hervor, das er in Anlehnung an die Johannes-Apokalypse als „Crystallinisch“ beschreibt.4 Ausgehend von der hermetischen Vorstellung, dass der Mikrokosmos ein gleichsam alchemisches Extrakt des Makrokosmos repräsentiert, ist auch der Mensch von jenem kristallinen Himmelswasser – und somit vom Geist des Herrn – erfüllt. Welche Konsequenzen sich daraus für Suchtens theoalchemische Heilkunde ergeben, zeigt sich mit Blick auf die XVIII Pro­ positiones, die einige Jahre vor Suchtens Traktat entstanden: Demnach ist es der göttliche spiritus mundi, der den Menschen durchströmt, ihn bei guter Gesundheit und am Leben erhält. Suchten unterscheidet in diesem Kontext drei Qualitäten des Geistes, nämlich den spiritus vitae, die quinta essentia und den calor solis et lunae. Diese Trias kehrt in De tribus facultatibus unter neuer Begrifflichkeit wieder: Der Mensch verfügt über eine ‚innere Erde‘, einen ‚inneren Himmel‘ sowie über den Geist des Herrn. Da der Mikrokosmos eine Miniatur des Makrokosmos ist, lässt sich die metaphysische Anthropologie auf alchemische Weise nachvollziehen: Die vom Geist erfüllte prima materia hominis lässt sich aus dem wässrigen Substrat der großen Schöpfung herausdestillieren. Wie aus Suchtens Schrift De secretis anti­ monij, aber auch aus De tribus facultatibus selbst hervorgeht, hat die Analogie von Natur und Mensch auch für den Adepten selbst Konsequenzen. Dieser ist nämlich nur imstande, die heilige Kunst der Alchemie auf die rechte Weise auszuüben, sofern er innerlich vom Geist des Herrn erleuchtet ist. Dies ruft die Mystik auf den Plan, die im vierten Teil der Studie ins Zentrum der Betrachtung rückt (Kap. 5.1–5.10). Hierbei zeigt sich, dass Suchtens spiritualistische Theologie maßgeblich von der Logostheologie beeinflusst ist, die somit auch die mystische Konzeption des Traktats mitbestimmt. Wenn es im Johannesprolog heißt, dass der göttliche Logos „im Anfang“ und der Urgrund aller Dinge war, so bezieht sich der Evangelist hiermit auf das erste Genesiskapitel, dem zufolge Gott die Schöpfung mit dem ‚Wort‘ fiat lux aus der Dunkelheit hervorrief. Nach Suchtens logostheologischer Lesart des Schöpfungsberichts war das Wort nicht nur mit Christus, sondern vor allem auch mit dem Geist Gottes, der zu aller Anfang über den Wassern schwebte, wesensgleich. Dieser Geist erscheint in diesem Sinne als der göttliche Atem, der bei der Verlautbarung des fiat lux durch den Mund

4 Zitiert werden die Werke Suchtens, sofern nicht anders angegeben, nach der von Ulrich C. Dagitza herausgegebenen Sammelausgabe von 1680 (Alexandri von Suchten/ Eines wahren ­Philosophi und der Artzneyen Doctoris Chymische Schrifften Alle […]. Franckfurt am Mayn/ In Verlgung Georg Wolffs […]/ Druckts Johann Grlin. Anno MDCLXXX); ebd., S. 357–382: Der sechste Tractat. De tribus facultatibus Alexandri a Suchten (im Folgenden: Chymische Schrifften. De tribus facultatibus), hier S. 359.

4 

 Einleitung

des Allmächtigen wehte. Als solcher entspricht er nach paracelsistischer Deutung ferner dem ‚Geist der Weisheit‘, der im apokryphen Liber sapientiae erwähnt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Weisheit ebendort als ein speculum und als eine imago von Gottes gütigem Wesen auftritt, hat die Schöpfung, in der nach paracelsistischer Vorstellung die göttliche Weisheit einsehbar ist, als das ursprünglichste Ebenbild des Allmächtigen zu gelten. Die Logostheologie entpuppt sich zudem als Grund für Suchtens Häretisierung. Den Anlass hierfür boten seine XVIII Propositiones, in denen er für eine Analogie von Christus und spiritus mundi eintrat. Da der schulmedizinische spiri­ tus-Begriff, dem die Ärzte Johannes Crato, Conrad Gessner und Thomas Erastus anhingen, gemäß der aristotelisch-galenischen Lehrtradition eher physiologisch als spirituell ausgerichtet war, verfestigte sich bei ihnen der Eindruck, Suchten unterminiere mit der Gleichsetzung von Christus und Weltgeist die Göttlichkeit des Erlösers. Darüber gerät Suchtens Zwei-Naturen-Lehre in den Blick, der zufolge Christus in Gestalt von calor solis et lunae und quinta essentia sphärenübergreifend präsent ist. Die logostheologisch fundierte Verwandtschaft von Christus und Geist ist auch mit Blick auf den lapis philosophorum von Bedeutung, denn aus Sicht der Paracelsisten repräsentierte dieser – analog zum verbum incarnatum – nichts anderes als eine Materialisierung des göttlichen Geistes. Die Spiritualisierung der Alchemie kommt auch in Suchtens Soteriologie zum Tragen: Demnach vollzieht sich Rechtfertigung der gefallenen Kreatur darüber, dass Christus das sündige Fleisch des Gläubigen im Gegenzug zu seinem Leiden am Kreuz in sein geistiges Fleisch ‚transmutiert‘. In seiner Elegie Quid sit nihil nimmt Suchten für sich in Anspruch, ­innerlich vom Geist der Weisheit beseelt zu sein. In der Folge sei es ihm beschieden, wie der zum Paulus berufene Saulus während seines Damaskuserlebnisses, mit geöff­ neten Augen ‚nichts‘, beziehungsweise ‚das Nichts‘, zu sehen. Die diesbezügliche Erwähnung von Meister Eckharts Predigt 71 in einer Interlinearglosse gibt Anlass, einen Blick darauf zu werfen, wie sich Suchtens Interpretation des nihil zu Eckharts pseudo-dionysisch inspiriertem Verständnis des göttlichen „niht“ verhält. Hierbei zeigt sich, dass Suchten das Nichts mit dem ‚Hauch‘ der göttlichen Weisheit gleichsetzt. Diese verkörpert somit den gleichsam nichtigen Urquell der Schöpfung und insofern die Intension des alles Erkennbaren. Während zwischen Suchten und Eckhart auf weisheitstheologischer, anthropologischer und schöpfungsontologischer Ebene deutliche Unterschiede bestehen, zeigen sich hinsichtlich der jeweiligen Konzeption des lumen naturale strukturelle Über­ einstimmungen. Das Licht der Natur repräsentiert nach Suchten die Außenseite des Geistes, der dem Menschen innewohnt. Mithilfe dieses Lichts lasse sich das Zeichenuniversum der Schöpfung auf das Geistig-Unsichtbare  – eine Vielzahl von okkulten Qualitäten – hin entschlüsseln. Indes zeichnet Suchten in De tribus

Forschungsvorhaben 

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facultatibus ein düsteres Bild: Gott hat sein Angesicht vom Diesseits abgewandt und dem Menschen somit das Licht der Natur entzogen. Die einzige Option auf eine Rückkehr in die göttliche Huld besteht in einer arbeitsamen Erforschung der Natur und in einer radikalen Entsagung gegenüber der Verstandeserkenntnis. Dass Suchten auf dieser Grundlage eine durch Gottes Gnade gewährte Erleuchtung für möglich hält, offenbart sein Bericht von einem gottsuchenden Adamssohn, der in den dritten Himmel entrückt und darüber seines Geistes und somit der Gottnatur Christi teilhaftig geworden sei. Darüber habe dieser zugleich in das Geheimnis der incarnatio verbi und in die göttliche Weisheit Einsicht gewonnen. Ein Exkurs zur Rezeption geistlicher Mystik im sechzehnten Jahrhundert geht der Frage nach, wie sich Suchtens spiritualistische Theologie zur Theologia Deutsch verhält (Kap.  6). In Bezug auf letztere lassen sich zahlreiche Parallelen zu De tribus facultatibus feststellen. Der fünfte und letzte Teil der Studie befasst sich mit der paracelsistischen Konzeption der göttlichen Weisheit, die in De tribus faculatibus zunächst als „sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“, sodann allerdings nur noch als magia auftritt (Kap. 7.1–7.7). Der Weg zur magia führt, wie anhand des mys­ tischen Raptus deutlich wird, über eine innere Erleuchtung, die allerdings nicht in Eigeninitiative herbeigeführt werden kann: Es bedarf hierzu der Gnade Gottes. Vor diesem Hintergrund ist Suchtens Verständnis von Magie unbedingt von verbotenen Praktiken abzugrenzen, welche auf Schadenzauber oder Dämonenbeschwörung abzielen. Eine erste Annäherung an den paracelsistischen MagieBegriff führt über die Bestimmung des Terminus magia naturalis, der im weitesten Sinne den rechten Umgang mit okkulten Naturkräften beschreibt und bereits bei Ficino, Trithemius, Agrippa von Nettesheim und Paracelsus anzutreffen ist. Im Kontext mit dieser ‚Naturmagie‘ wird auch Suchtens Verfemung als ‚Teufelsbanner‘ beleuchtet, gegen die sich der Danziger in seiner Elegie De vera medicina zur Wehr setzt. Ihm zufolge ist die magia in die ‚drei Fakultäten‘ medicina, astronomia und theologia untergliedert. Diese Trias verhält sich analog zu drei chemischen Substanzen, auf denen die prima materia hominis basiert: Demnach ist die ‚Erde des Menschen‘ der Gegenstand der medicina, wohingegen sich die astronomia der quinta essentia – beziehungsweise dem ‚Himmel des Menschen‘ – widmet. Die theologia befasst sich mit dem göttlichen Geist, der diesem ‚Himmel‘ einwohnt. Wesentlich für die Theorie der paracelsistischen Magie ist der Begriff der simi­ litudo, der auch in De tribus facultatibus Erwähnung findet. Dieser ist teils mit der weisheitstheologisch begründeten Vorstellung einer innerweltlichen Spiegelung des göttlichen Angesichts, teils mit Theologumena von Gottähnlichkeit und -Ebenbildlichkeit assoziiert. In diesem Zusammenhang lässt sich anhand neuplatonisch-­ hermetischer Denkfiguren aufzeigen, dass die kosmische, vertikal strukturierte similitudo von ‚oben‘ und ‚unten‘ zwangsläufig mit horizontal strukturierten simi­

6 

 Einleitung

litudines einhergeht. Indem Paracelsisten wie Suchten die schöpfungsinternen Ähnlichkeitsrelationen im Sinne von Zeichenrelationen interpretierten, leisteten sie dem Gedanken Vorschub, dass der Natur ein geheimer Sinn – nämlich das göttliche Wort – eingeschrieben sei. Suchten bekennt sich, in deutlicher Absetzung von der lutherischen Larventheorie, nicht nur zur Erkennbarkeit des göttlichen Wortes, er vertritt auch die Auffassung, dass dieses, wie überhaupt alle göttlichen Geheimnisse, durch Allegorien und Ähnlichkeitsverhältnisse vermittelbar sei. Die Lesbarkeit der Schöpfung ist jedoch, wie sich im Folgenden zeigt, nicht nur mystisch motiviert; sie ermöglicht zugleich die Lokalisierung der einzelnen okkulten Qualitäten innerhalb der Natur. Hierbei wird ersichtlich, dass die Auffindung dieser metaphysischen Entitäten eng mit der paracelsistischen Epistemologie verknüpft ist. Demnach lassen sich die spezifischen virtutes der Schöpfungsdinge einerseits an deren äußerem Erscheinungsbild ablesen, andererseits über Erfahrung ermitteln. Paracelsus spricht in diesem Kontext davon, dass allen Kreaturen ein bestimmtes Wissen (scientia) eingeschrieben sei, das man ihnen auf hermeneutischem oder experimentellem Wege ‚ablernen‘ könne. Diese Vorstellung erweist sich als platonisch inspiriert: Wissen entsteht, indem der Mensch anhand der Erforschung der Natur Einblick in seinen ‚siderischen Leib‘ erlangt, dem bereits alle scientia der Schöpfung eingeschrieben ist. Vor dem Hintergrund, dass die Kreaturen der terrestrischen Sphäre ihre okkulten Kräfte von den Gestirnen empfangen, ja sogar irdische Manifestationen der Gestirne repräsentieren, verwendet Paracelsus den Begriff ‚Firmament‘ auch im Hinblick auf die terrestrische Schöpfung. Das Firmament beschreibt ein Ordnungsmuster von okkulten Kräften, dass sich himmlisch und irdisch, macrocosmice und microcosmice realisiert. Auf dieser Grundlage können okkulte Qualitäten zu medizinischen Zwecken verfügbar gemacht werden. Paracelsus bezeichnet die unsichtbaren Heilkräfte der Natur als arcana. Suchten übernimmt das paracelsische Konzept des Firmaments, indem er dem Mikrokosmos – analog zum Makrokosmos – eine ‚Erde‘ und einen ‚Himmel‘ zuschreibt, wobei erstere für das vegetative und affektive Vermögen, letzterer für die Vernunftwelt des Menschen steht. Anders aber als Paracelsus bestreitet Suchten, dass der Patient durch Heilkräuter kuriert werden könne. Hierzu seien nur solche ‚Pflanzen‘ imstande, die der ‚inneren Erde‘ des Menschen entsprießen. In engem Zusammenhang mit der magia steht auch die unkonventionelle Bildlehre, die Paracelsus im Liber de imaginibus entfaltet. Demnach verfügen Bildwerke insofern über magische Kräfte, als sie dem Gegenstand der Abbildung räumliche und zeitliche Gegenwart verleihen. Mit dieser präsenzkulturellen Vorstellung widersetzt sich Paracelsus der papstkirchlichen ebenso wie der protestantischen Orthodoxie, wonach der Glaube an okkulte Bildkräfte dem Sakrileg der Idolatrie gefährlich nahe kommt. Im Kontext seiner Bildlehre erwähnt der Hohen-

Forschungsvorhaben 

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heimer auch den medizinischen Nutzen der pflanzlichen Signaturen. Allerdings kommt die Signaturenlehre hier, wie auch in anderen Paracelsica, nur schemenhaft zum Vorschein. Im Gegensatz zu Paracelsus tritt Suchten in De tribus facultatibus für die Wirkungslosigkeit astraler Influenzen ein. Ihm zufolge sind sämtliche Kreaturen nichts weiter als Zeichen, die auf den göttlichen Geist hin auszulegen sind, der auf dreifache Weise im Menschen wirksam sei: Erstens als ein heilkräftiger, metaphysischer Balsam, zweitens als ein innerer Sternenhimmel und drittens als eine Wohnstatt Gottes. Nach Suchten stehen die äußeren Gewächse für die inneren Heilpflanzen des Menschen, die Gestirne und Planeten für den mikrokosmischen ‚Himmel‘. Sakrale Bauten und Handlungen seien nichts weiter als Signaturen für den klarifizierten Geist ‚an sich‘. Dabei wird deutlich, dass Suchtens Zeichenlehre bei der Unterscheidung von Weisheit und Torheit als Richtschnur fungiert: Der zeichenhafte Charakter des Makrokosmos sei vor Urzeiten von den magi erkannt und als alternatives Medium der Offenbarung verstanden worden. Von den verklausulierten Büchern der magia seien einzig die beiden Testamente übrig geblieben. Der ‚gemeine Mann‘ habe die magischen Bücher jedoch allesamt missverstanden. In der Nachfolge des ‚gemeinen Mannes‘ stehen einerseits die Schulmediziner, andererseits die ‚Schriftgelehrten‘, die das Bibelwort wörtlich auslegen und damit dessen wahren Sinn – den göttlichen Geist – verfehlen. Das letzte Kapitel der Studie widmet sich der magia coelestis. Diese verleiht dem paracelsistischen Amalgam von Mystik und Magie ihren höchsten Ausdruck. Aus Suchtens Ausführungen in De tribus facultatibus geht nämlich hervor, dass die drei Fakultäten der magia sich nicht den verschiedenen Qualitäten des Geistes widmen, sondern entsprechend ihrer hierarchischen Anordnung als medicina, astronomia und theologia auf eine geistige Vereinigung mit Gott hin ausgerichtet sind. Der magus besitzt nicht nur ein allumfassendes Schöpfungswissen, das er dem Abglanz des in ihm wohnenden Geistes – dem Licht der Natur – verdankt; es ist ihm auch vergönnt, der reinen, einfältigen Weisheit in Gott inne zu werden. Damit erweitert er die magia naturalis um die magia coelestis. Paracelsus differenziert zwischen der ‚natürlichen‘ und der ‚himmlischen‘ Magie auf der Grundlage einer Theorie der ‚Einbildung‘ (imaginatio), die auf strukturelle Ebene Überschneidungen mit der imago-Lehre der spätmittelalterlichen Mystik aufweist. Meister Eckhart etwa interpretiert den Vorgang der Einbildung im mystischen Kontext als eine ‚Ein‘-bildung der gelassenen Seele in das göttliche Angesicht. In seiner Rede der underscheidunge assoziiert er diesen Vorgang mit der paulinischen Metaphorik der Bekleidung mit Christus, dem ‚neuen Menschen‘ (Gal 3,27 / Eph  4,24). Indem das menschliche Gemüt  – beziehungsweise der ‚Spiegel‘ der göttlichen Weisheit – im Rahmen mystischer Exerzitien von allem Makel gereinigt werde, bilde sich darin das Antlitz Gottes ab.

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 Einleitung

Paracelsus wendet diese Vorstellung zunächst auf die ‚Splitter‘ dieses Spiegels, das heißt auf die Gestirne des menschlichen Firmaments, an: Indem die Influenzen des äußeren Sternenhimmels von diesen inneren Gestirnen eingefangen und – wie Lichtstrahlen in Hohlspiegeln – gebündelt und nach außen projiziert würden, besitze der Mensch das Vermögen, kraft seiner Einbildung physisch auf seine Außenwelt einzuwirken. Der magus coelestis hingegen wirkt nicht aus seinen Gestirnen, sondern aus Gott. Indem Gott sich des magus bemächtigt, vermag dieser übermenschliche Werke zu verrichten. Die Mystik führt also nicht nur in die magia hinein, sie hebt diese zugleich auf ein höheres Niveau. Die Bedingung dafür aber bleibt dieselbe: Es bedarf einer inneren Erleuchtung durch den Allmächtigen, um innerhalb der äußeren Natur in das göttliche Wort Einsicht zu erlangen. In De tribus facultatibus zeigt sich, dass der Weg zur Erkenntnis des Wortes dreigliedrig ist; er besteht in medicina und astronomia und theologia. Die Vorstellung, dass die kreatürlichen Signaturen der Schöpfung dem gotterwählten Menschen einen geistigen Stufenweg vorzeichnen, bezieht Suchten offenkundig aus der pseudo-dionysischen Schrift De ecclesiastica hierarchia. Hier liegt außerdem seine Polemik gegen den ‚gemeinen Mann‘ begründet, in welchem er den Ahnherrn der an den Universitäten vorherrschenden Geistlosigkeit zu erkennen glaubt. Diesem Frevler stellt Suchten in De tribus facultatibus den magus gegenüber, der seine trichotome Anthropologie als eine vom Geist durchwirkte ‚goldene Kette‘ begreift, die ihn mit Gott verbindet.

1.2 Forschungsstand Unstrittig ist, dass Suchten ein gediegenes chemisches Wissen besaß. Zu Ehren gelangte er vor allem durch seine Rezepturen von Antimonpräparaten, von denen sich unter anderem Johann Thölde und Oswald Croll inspirieren ließen. Auch unter den Chemikern des Spätbarock genoss Suchten ob seiner Antimonschriften noch hohes Ansehen. Indes geriet er als Alchemist sowie als Paracelsist bald in Vergessenheit. Erst 1882 wurde er als Arzt und Dichter von Carl Molitor wiederentdeckt.5 Wilhelm Haberling schuf 1929 unter Sammlung und Auswertung zahlreicher historischer Zeugnisse zur Biographie und zur ärztlichen Tätigkeit Suchtens die Grundlage für die weitere Forschungsarbeit.6 Allerdings fand das literarisches Werk des Danzigers, abgesehen von einer schemenhaften Skizzie5 Vgl. Carl Molitor: Alexander von Suchten, ein Arzt und Dichter aus der Zeit Herzogs Albrecht. In: Altpreußische Monatsschrift 19 (1882), S. 480–488. 6 Vgl. Wilhelm Haberling: Alexander von Suchten, ein Danziger Arzt und Dichter des 16. Jahrhunderts. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 59 (1929), S. 175–230.

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rung in Will-Erich Peuckerts 1956 erschienener Studie zur weißen und schwarzen Magie,7 auch in den Folgejahren nur wenig Beachtung. Immerhin beschäftigte sich Włodzimierz Hubicki im Jahr 1960 erstmals mit dem Chemiker Suchten. Hierbei verleitete ihn Suchtens vielfach aufscheinende Aversion gegen die althergebrachte Goldmacherkunst zu der irrigen Annahme, der Danziger habe nicht an die Transmutation von Metallen geglaubt.8 Im Jahr 1977 machte Carlos Gilly erstmals auf das Buch De tribus facultatibus aufmerksam, das er in den Kontext einer sich unter dem Namen „Theophrastia sancta“ formierenden alternativen Religiosität stellte. Gilly erblickte hierin eine der radikalsten Abrechnungen mit der universitären Gelehrsamkeit.9 Seither hat er kaum eine Gelegenheit ungenutzt gelassen, um auf die Bedeutung und hohe Qualität des Traktats zu verweisen.10 Nach Gillys Worten schildert „keine andere Schrift des 16. Jahrhunderts den inneren Zusammenhang zwischen dem Paracelsismus und der hermetischen Tradition so anschaulich und lebendig wie De tribus facultatibus.“11 Ferner bescheinigt er dem kleinen Buch, das er zu Recht unter die „theologisch gewagtesten Schriften des gesamten Paracelsismus“ rechnet, den Charakter „einer hermetischen Allegorie über den mühevollen Weg des Menschen zur Erkenntnis Gottes.“12 Als thematische Schwerpunkte des Traktats gelten ihm die Kritik am menschlichen Verstand und die Forderung, Gott „nit mit Worten, sondern mit Wercken“ um Erleuchtung zu bitten.13 Im Jahr 2002 veröffentlichte

7 Vgl. Will-Erich Peuckert: Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie. 2. Aufl. Berlin 1956, S. 173, 260  ff., 265  ff., 274, 285  ff., 300  ff. 8 Vgl. Włodzimierz Hubicki: Alexander von Suchten. In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 44 (1960), S. 54–63, hier S. 61  f. 9 Vgl. Gilly: Zwischen Erfahrung und Spekulation. Tl. 1, S. 75–82. 10 Vgl. ebd., S. 77; Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus, S. 103; „Theophrastia Sancta“. Der Paracelsismus als Religion im Streit mit den offiziellen Kirchen. In: Analecta Para­ celsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1994, S. 425–488, hier S. 438  f.; Das Bekenntnis zur Gnosis von Paracelsus bis auf die Schüler Jacob Böhmes. In: From Poimandres to Jacob Böhme: Gnosis, Hermetism and the Christian Tradition. Hg. von Roelof van den Braek u. Cis van Heertum. Amsterdam 2000, S. 385–425, hier S. 398; Paracelsiansim brings forth a fine Hermetical treatise: Suchten’s De tribus facultatibus. In: Magia, Alchimia, Scienza dall ’400 al ’700. L’ influsso di Ermete Trismegisto (Ausstellungskatalog). Bd. 1. Hg. von Carlos Gilly u. Cis van Heertum. Florenz 2002, S. 193–198, hier S. 193. 11 Gilly: Paracelsiansim brings forth, S. 197: „[…] no other 16th-century book demonstrates the inner cohesion between Paracelsianism and the Hermetic tradition so graphically and vividly as this little book.“ 12 Gilly: „Theophrastia Sancta“, S. 438. 13 Gilly: Zwischen Erfahrung und Spekulation, Tl. 1, S. 82.

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er die bisher einzige Einzelbetrachtung des Traktats.14 Diese gewährt trotz ihres schmalen Umfangs einen profunden Einblick in das wissenspolitische Anliegen und die Wirkungsgeschichte des Traktats. Zudem bietet sie einen konzisen Überblick über Suchtens Werk, das Gilly in scharfer Abgrenzung von der alchemia transmutatoria unter der Kategorie einer alchemia mystica verbucht. Walter Pagel stellte 1984 eine Würdigung von De tribus faculatibus an den Anfang seiner Paracelsismus-Studie ‚The Smiling Spleen‘.15 Hermann Geyer widmete Suchten in seiner umfangreichen Studie ‚Verborgene Weisheit‘ (2001) ein Kurzkapitel, in welchem er unter ausgiebiger Zitierung von De tribus facultatibus die darin thematisierte magia nicht zu Unrecht mit Johann Arndts spiritualistisch-hermetischer Theologie kontextualisierte.16 Ralf Bröer zeigte in mehreren Beiträgen auf, dass die Häretisierung Suchtens als Strategie zur Bewältigung trinitätstheologischer Kontroversen fungierte.17 Seit 1991 sind zudem mehrere Lexikon-Artikel zur Person Suchtens erschienen.18 Joachim Telle erkundete Suchtens paracelsistisches Selbstverständnis im Lichte einer alchemia poetica.19 Die Wissenschaftshistoriker Lawrence M. Principe und William R. Newman konnten die chemischen Hintergründe von Suchtens Antimonschriften aufklären.20 Oliver

14 Vgl. Gilly: Paracelsianism brings forth, S. 193–198. 15 Vgl. Walter Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsianism in Storm and Stress. Basel u.  a. 1984, S. 13–17. 16 Vgl. Hermann Geyer: Verborgene Weisheit. Johann Arndts „Vier Bücher vom Wahren Christentum“ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie. Berlin, New York 2001 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 80), Tl. 3, S. 444–453. 17 Vgl. Ralf Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung. Johannes Crato (1519–1585) und die Denunziation der Paracelsisten als Arianer. In: Medizinhistorisches Journal 37/2 (2002), S. 139–182, hier S. 145–152, 159–166; Antiparacelsismus und Dreieinigkeit. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 137–154, bes. S. 145–152; Blutkreislauf und Dreieinigkeit. Medizinischer Antitrinitarismus von Michael Servet (1511–1553) bis Giorgio Biandrata (1515–1588). In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 21–37, hier S. 25. 18 Hierzu zählen: Joachim Telle: Alexander von Suchten. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren u. Werke des deutschen Kulturraumes. Bd. 11. Hg. von Wilhelm Kühlmann u.  a. Berlin 2011, S. 385  f.; Claus Priesner: Alexander von Suchten. In: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. Hg. von dems. u. Katrin Figala. München 1998 (im Folgenden: Alchemie-Lexikon), S. 351  f.; Wilhelm Kühlmann: Alexander von Suchten. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 6. Hg. von dems., Jan-Dirk Müller, Michael Schilling, Johann Anselm Steiger u. Friedrich Vollhardt. Berlin, Boston 2017, Sp. 212–218. 19 Vgl. Joachim Telle: Johann Arndt – ein alchemischer Lehrdichter? Bemerkungen zu Alexander von Suchtens De lapide philosophorum (1572). In: Strenae Natalicae. Neulateinische Studien. Hg. von Hermann Wiegand. Heidelberg 2006, S. 231–246. 20 Vgl. William R. Newman: Gehennical Fire. The Lives of George Starkey, An American Alchemist in the Scientific Revolution. Cambridge 1994, S. 135–141; William R. Newman, Lawrence M.

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Humberg machte 2007 zahlreiche Dokumente ausfindig, die über Suchtens Lebensabend Aufschluss geben.21 Grundlegend und überaus verdienstvoll für die Erforschung der frühparacelsistischen Naturkunde, Religiosität und Spiritualität ist das dreiteilige Corpus Paracelsisticum, das Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle unter systematischer Auswertung, Bearbeitung und Kommentierung von zahlreichen Textzeugnissen in den Jahren 2001 bis 2013 auf den Weg brachten. In diesem Dokumentationswerk sind Suchtens Vorrede zum ersten Teil seiner Antimonschrift, zwei seiner Briefe an Herzog Albrecht von Preußen sowie eine Gesamtwürdigung seiner Person enthalten. Der Danziger erscheint hier als Anhänger eines „chiliastisch tingierten Christentum[s]“, der „im Wegestreit in Naturkunde und Medizin immer auch einen Kampf zwischen Satan und Gott erblickte“, zugleich aber auch als Initiator von „Mystifikationsvorgängen, die in der frühneuzeitlichen Frömmigkeitsund Theologiegeschichte heterodoxer Dissidenten und paracelsistischer Theoalchemiker eine (in Einzelheiten oft unaufgedeckte) Rolle spielen sollten […].“22 Darüber hinaus bietet das Corpus Paracelsisticum auch vermittels weiterer, unter anderen Lemmata aufgeführter Textdokumente Aufschluss über Suchtens Paracelsismus, darunter Toxites’ Widmungsvorrede zur Antimonschrift,23 die eine Kurzvita des Danzigers enthält, sowie ein an Suchten adressierter Brief des Handelsherrn Bartholomäus Schobinger.24 Einen wesentlichen Beitrag zur wissensgeschichtlichen Verortung des Frühparacelsismus innerhalb der religiösen und naturphilosophischen Kontroversen

Principe: Alchemy Tried in the Fire: Starkey, Boyle, and the Fate of Helmontian Chymistry. Chicago 2002, S. 50–56. 21 Vgl. Oliver Humberg: Die Verlassenschaft des oberösterreichischen Landschaftsarztes Alexander von Suchten († 1575). In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 31/1 (2007), S. 31–50. 22 Die Person Suchtens wird im Corpus Paracelsisticum anhand der genannten drei Textdokumente vorgestellt und in seiner Rolle für den Frühparacelsismus gewürdigt. Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Gesamtwürdigung. In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 1: Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 59), S. 581–584 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Gesamtwürdigung. In: CP 1), hier S. 582  f. 23 Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 45. Toxites: Widmungsvorrede an Johann Ulrich von Raitenau (1570). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Natur­ philosophie in Deutschland. Bd. 2: Der Frühparacelsismus. Zweiter Teil. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 89), S. 151–173 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 2). 24 Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 119. Bartholomäus Schobinger an Alexander von Suchten (1567?). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilo­ sophie in Deutschland. Bd. 3: Der Frühparacelsismus. Dritter Teil. Berlin, Boston 2013 (Frühe Neuzeit 170/1), S. 466–473 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr. 119. In: CP 3), hier S. 467.

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der Reformationszeit hat Volkhard Wels in seiner 2014 erschienenen Studie ‚Manifestationen des Geistes. Frömmigkeit, Spiritualismus und Dichtung in der Frühen Neuzeit‘ geleistet. Wels widmet sich hierin unter anderem der protestantischen Auseinandersetzung mit sogenannten ‚schwärmerischen‘ Gruppierungen, die für sich eine direkte Inspiration durch Gott, beziehungsweise durch den göttlichen Geist, beanspruchten.25 In diesem Kontext geht Wels auch auf den Spiritualismus Suchtens ein, den er anhand von De tribus facultatibus und dem pseudo-paracelsischen Traktat Apocalypsis Hermetis entfaltet.26 Der paracelsistische Magie-Begriff hat demgegenüber in der Forschung bisher erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Heinrich Schipperges wagte 1976 einen ersten Vorstoß zur Definition der paracelsischen Magie, wobei er deren Affinität zum Wissenskonzept des Hohenheimers erkannte.27 Auch finden in seinem Aufsatz bereits die – im Zusammenhang der magia bedeutsamen – Begriffe von ‚Signatur‘, ‚Arcanum‘ und ‚Konkordanz‘ Erwähnung. Kurt Goldammer fasste 1978 unter Heranziehung einschlägiger Textzitate die Kernthesen der paracelsischen Magie zusammen. Hierbei unterschied er korrekterweise zwischen der „magia der natur“ und der „magia vom innern himel“.28 Allerdings lassen sowohl dieser Beitrag als auch Goldammers 1994 erschienene Studie ‚Der göttliche Magier und die Magierin Natur‘ eine systematische Entfaltung des paracelsischen MagieBegriffs vermissen.29 Arlene Miller Guinsburg untersuchte die Magie Hohenheims 1981 in zwei Aufsätzen, in denen sie sich zum einen auf die Astronomia

25 Vgl. Volkhard Wels: Manifestationen des Geistes. Frömmigkeit, Spiritualismus und Dichtung in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2014 (Berliner Mittelalter- u. Frühneuzeitforschung 17); zur Thematik der inspiratio vgl. ders: Unmittelbare Offenbarung in der Theologie in der Frühen Neuzeit. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, New York 2011, S. 747–808. 26 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 135–138; zu Suchtens Spiritualismus vgl. ders: Der Geist des Lebens. Spiritualismus als Mittelpunkt der paracelsistischen Theoalchemie. In: Spuren der Avantgarde:  Theatrum alchemicum. Hg. von Helmar Schramm (†), Michael Lorber u. Jan Lazardzig. Berlin, Boston 2017, S. 28–62, hier S. 29  ff. 27 Vgl. Heinrich Schipperges: Magia et Scientia bei Paracelsus. In: Sudhoffs Archiv 60 (1976), S. 76–92. 28 Vgl. Kurt Goldammer: Magie bei Paracelsus. In: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze. Hg. von dems. Wien 1986 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24), S. 321–342, hier S. 330, dortselbst mit Bezug auf Paracelsus: Astronomia magna (Natura sagax). In: Sämtliche Werke. Abt. 1. Bd. 12. Hg. von Karl Sudhoff, S. 277. 29 Vgl. Kurt Goldammer: Der göttliche Magier und die Magierin Natur. Religion, Naturmagie und die Anfänge der Naturwissenschaft vom Spätmittelalter bis zur Renaissance. Hg. von dems. Stuttgart 1991 (Kosmosophie 5).

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magna und zum anderen auf den paracelsischen Matthäus-Kommentar bezieht.30 Wolf-Dieter Müller-Jahncke beschrieb die paracelsische Magie 1985 im Rahmen der astrologisch-magischen Theorien der frühneuzeitlichen Heilkunde, wobei er erstmals auch paracelsistische Positionen miteinbezog.31 Charles Webster kontextualisierte Hohenheims Magie-Begriff mit dem Werden eines modernen Wissenschaftsverständnisses und frühneuzeitlichen Tendenzen der Säkularisierung.32 Die paracelsische Bildmagie wurde von Karl Möseneder und Amadeo Murase untersucht.33 Der Magie-Begriff des Frühparacelsismus verbindet sich außer mit der Person Suchtens vor allem mit den Namen Gerhard Dorn, Heinrich Khunrath und Oswald Croll. Dorns Bedeutung für die Entwicklung der paracelsistischen Bewegung hat, abgesehen von Didier Kahns umfassendem Aufsatz zur Entstehungsgeschichte von Dorns Clavis totius Philosophiae Chymisticae, bislang kaum Beachtung erfahren. Demgegenüber ist Khunraths literarisches Werk in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Hervorzuheben sind hierbei die Aufsätze Peter Forshaws,34 vor allem aber auch Wilhelm Schmidt-Biggemanns

30 Vgl. Arlene Miller-Guinsberg: Die Ideenwelt des Paracelsus und seiner Anhänger in Hinsicht auf das Thema des christlichen Magus und dessen Wirken. In: Von Paracelsus zu Goethe und Wilhelm Humboldt. Wien 1981 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 22), S. 27–54; dies.: Paracelsian Magic and Theology – A Case Study of the Matthew Commentaries. In: Kreatur und Kosmos. Internationale Beiträge zur Paracelsusforschung. Hg. von Rosemary Dilg-Frank. Stuttgart, New York 1981, S. 125–139. 31 Vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis in der Heilkunde der Frühen Neuzeit. Stuttgart 1985 (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beiheft 25). 32 Vgl. Charles Webster: Paracelsus to Newton: Magic and the Making of Modern Science. Cambridge 1982; ders: Paracelsus Confronts the Saints: Miracles, Healing and the Secularization of Magic. In: Social History of Medicine 8/3 (1995), S. 403–421. 33 Vgl. Karl Möseneder: Paracelsus und die Bilder. Über Glauben, Magie und Astrologie im Reformationszeitalter. Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit 140); Amadeo Murase: Analogie als Magie. Paracelsus und der Liber de imaginibus. In: Neue Beiträge zur Germanistik 157 (2018), S. 15–35. 34 Vgl. Peter Forshaw: Vitriolic Reactions: Orthodox Response to the Alchemical Exegesis of Genesis. In: The Word and the World. Biblical Exegis and Early Modern Science. Hg. von dems. u. Kevin Kileen. Basingstoke, Palgrave 2007, S. 111–136; ders.: Subliming Spirits: Physical-Chemistry and Theo-Alchemy in the Works of Heinrich Khunrath (1560–1605), S. 255–275; ders.: Curious Knowledge and Wonder-working Wisdom in the Occult Works of Heinrich Khunrath. In: Curiosity and Wonder from the Renaissance to the Enlightenment. Ashgate. Hg. von R. J. W. Evans and Alexander Marr 2006, S. 107–129; ders.: Alchemy in the Amphitheatre: Some consideration of the alchemical content of the engravings in Heinrich Khunrath’s ‚Amphitheatre of Eternal Wisdom‘ (1609). In: Art and Alchemy. Hg. von Jacob Wamberg. Museum Tusculanum Press 2006, S. 195–220.

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Untersuchung von Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae im Rahmen seiner umfangreichen Studie zur christlichen Kabbala in der Frühen Neuzeit (2012/13).35 Als Mitherausgeber der aufwendigen Faksimile-Ausgabe des Amphi­ theatrum (2014) hat Schmidt-Biggemann ferner auch die darin enthaltenen, berühmten Bildtafeln interpretiert.36 Die bedeutendste Publikation zu Oswald Croll ist nach wie vor die von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle herausgegebene zweibändige Ausgabe von De signaturis rerum (1996).37 Tatsächlich wurde der paracelsistische Magie-Begriff in jüngerer Zeit bereits einige Male mit Mystik in Verbindung gebracht, und zwar mit Blick auf die spiritualistische Theologie Johann Arndts (1555–1621). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Hanns-Peter Neumanns Studie ‚Natura sagax  – Die geistige Natur‘ (2004) sowie Hans Schneiders Buch ‚Der fremde Arndt‘ (2006).38 Diese Titel beziehen sich jedoch auf die Zeit um 1600, als die paracelsistische Mystik, nicht zuletzt durch den Einfluss des spiritualistischen Schrifttums Valentin Weigels, längst erblüht war. Demgegenüber macht es sich die vorliegende Studie am Beispiel von De tribus facultatibus zur Aufgabe, die Ursprünge der Paracelsismustypischen Verflechtung von Mystik und Magie zu erkunden.

35 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 2 (1600–1660). Stuttgart-Bad Cannstatt 2013 (Clavis Pansophiae 10,2), S. 1–60. 36 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Der Text der Bilder. Das ikonologische Programm von  Khunraths Amphitheatrum sapientiae Aeternae. In: Amphitheatrum sapientiae Aeternae. Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit. Vollständiger Reprint des Erstdrucks von [Hamburg] 1595 und des zweiten und letzten Drucks Hanau 1609. Hg. von dems., Carlos Gilly, Anja Hallacker u. Hanns-Peter Neumann: Heinrich Khunrath. Stuttgart-Bad Cannstatt 2014 (Clavis Pansophiae 6), S. 41–83. 37 Vgl. Oswald Crollius: De signaturis internis rerum. Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623). Hg. u. eingeleitet von Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle. Stuttgart 1996. 38 Die beiden verdienstvollen Studien lauten mit vollem Titel: Hanns-Peter Neumann: Natura sagax – Die geistige Natur. Zum Zusammenhang von Naturphilosophie und Mystik in der frühen Neuzeit am Beispiel Johann Arndts. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 94); Hans Schneider: Der fremde Arndt. Studien zu Leben, Werk und Wirkung Johann Arndts (1555–1621). Göttingen 2006 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 48).

2 Alexander von Suchten 2.1 Bedeutung Wenngleich Suchten als eigenständiger Denker anzusehen ist, ist sein Name eng mit Paracelsus verbunden. Was ihn mit dem Hohenheimer eint, ist in erster Linie das Bekenntnis zu einem starken Spiritualismus, der sich auf theologischem sowie auf alchemisch-praktischem Gebiet bemerkbar macht. Grundlegend ist hierbei das Konzept einer physica mosaica; einer Naturphilosophie, die ihre Grundlagen in wesentlichen Teilen aus dem Ersten Buch Mose bezieht. Gemäß der paracelsischen Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts ist der Geist Gottes, der dereinst auf den Wassern schwebte, das lebensspendende Prinzip, von dem Makro- und Mikrokosmos durchdrungen sind. Diese Vorstellung geht auf das platonischen Philosophem einer Weltseele und die hieran anknüpfende hermetische Naturphilosophie zurück, die Paracelsus teils wohlwollend, teils kritisch rezipierte.1 Die unauflösliche Vermengung von Alchemie und ­Spiritualismus, die für den Hermetismus charakteristisch ist,2 ging mit dem Anspruch einher, den Weltgeist nicht nur auf innerlich-mystische Weise erfahrbar, sondern auch im praktischen Umgang mit der Natur verfügbar zu machen. Auf der Grundlage der Bibel, einzelner hermetischer Traktate, althergebrachter Alchemie- und Medizinbücher sowie auch gewisser Texte einer genuin christlichen Mystik war Paracelsus daran gelegen, einem lediglich verschütteten, uralten Schöpfungs- und Heilswissen zu neuer Blüte zu verhelfen. Dieses Projekt des Hohenheimers wäre wohl bald in Vergessenheit geraten, wenn nicht eine Schar junger Intellektueller um 1550 auf seine Schriften aufmerksam geworden wäre, die sich, in freudiger Aussicht auf die endzeitliche Wiederkehr der göttlichen Weisheit, zu Verwaltern der paracelsischen Lehre erklärten. Nach aktuellem Kenntnisstand war Suchten der allerfrüheste Verfechter dieser Art von Weisheit. In jedem Fall war er der erste, der sich im Bekenntnis zu Paracel-

1 Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus, S. 101. 2 Für die Problematisierung des Verhältnisses von philosophisch-mystischem und alchemischtechnischem Wissen in hermetischen Texten s. stellvertretend: Peter-André Alt, Vorkhard Wels: Einleitung. In: Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von dens. Göttingen 2010 (Berliner Mittelalter- u. Frühneuzeitforschung 8), S. 7–22, hier S. 11 sowie Thomas Leinkauf: Rationale Strukturen im Hermetismus der Frühen Neuzeit. In: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Hg. von Anne Charlott Trepp u. Hartmut Lehmann. Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte), S. 41– 61, hier S. 42–46. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-002

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 Alexander von Suchten

sus offiziell von der Schulmedizin lossagte. Auch lässt die Kompromisslosigkeit, mit der er seine Thesen insbesondere auf theologisch-spiritualistischem Gebiet formulierte, darauf schließen, dass es ihm darum ging, die paracelsistische Bewegung auf einen klaren Kurs und auf innere Geschlossenheit einzuschwören. Demnach kann man Suchten zu Recht als einen der geistigen Väter des Paracelsismus bezeichnen. Dabei war sich der Danziger durchaus bewusst, dass sich das Reformprogramm des Hohenheimers erst noch bewähren musste. Auch durfte es nicht von den ‚falschen Gelehrten‘ vereinnahmt werden, gegen die Paracelsus zu seinen Lebzeiten aufbegehrt hatte. Um keinen Preis sollte seine geistige Hinterlassenschaft zu einem schnöden Bücherwissen verkommen, an dem es aufseiten der Schulmedizin nicht mangelte. Das paracelsische Naturwissen, so betont Suchten am Ende seiner Schrift De secretis antimonij, solle demnach nicht in den Studierstuben rezipiert, sondern gemäß dem paracelsischen Credo „alterius non sit, qui suus esse potest“ gelebt und praktiziert werden. Auf diese Weise sei dem segensreichen Erbe des Theophrastus am besten gedient: Euch Paracelsische junge Aertzte/ will ich auch ermahnet haben/ wollet nit thun/ wie die Widertheil/ von der Artzeney in eueren Vorreden vil disputieren/ euren Praeceptoren nicht allein mit Worten defendieren/ sondern auch mit Wercken. Mit Worten werden ihr der Galenischen eben so wenig abgewinnen/ als die Apostel Christi den Heiden mit Predigen; Die Werck habens damals gethan/ die mssens auch noch thun; so viel ihr mit Wercken ausrichtet/ so viel wird Paracelsus zunehmen. Aber ich habe grosse Sorge/ nit ein jeder/ der sich Paracelsi rhmet/ wird Paracelsi Wercke thun: Htet euch vor unzeitigen Schreiben/ denn die Rosen wachsen nur zu ihrer Zeit: Wann euer Zeit kommen wird/ so helffet der Wahrheit mit Worten und Wercken/ so werdet ihr ber eure Feinde triumphieren/ wie Theophrastus bey seinem Leben gethan hat.3

Es ist daher Vorsicht geboten, wenn es im Corpus Paracelsisticum heißt, dass Suchten Paracelsus als chemiatrische Autorität abgelehnt habe.4 So widersetzte er sich zwar – wie insbesondere aus De tribus facultatibus hervorgeht – mehreren anthropologischen und theologischen Glaubenssätzen des Hohenheimers;5 doch seine „Kunst die do entspringet auß dem feuer und auß den Element Krefften“,6 atmete nach seinem Verständnis durchaus paracelsischen Geist. Dies bezeugt vor

3 Chymische Schrifften, S.  229–266: Der Dritte Tractat. Vom Antimonio oder Spießglaß/ Des Edlen und Hochgelhrten Herrn Alexanders von Suchten/ der wahren Philosophi und Artzney Doctors. (Im Folgenden: Chymische Schrifften. Vom Antimonio), S. 265. 4 Vgl. Kühlmann, Telle: Gesamtwürdigung. In: CP 1, S. 581. 5 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 90; Kap. 5.1, S. 127; Kap. 5.6, S. 161; Kap. 7.6.2, S. 310  f.; Kap. 7.6.3, S. 312  ff. 6 Alexander von Suchten: Konsilium (Gutachten von 1563). Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 202.

Bedeutung 

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allem auch sein therapeutischer Einsatz von Antimonpräparaten, für den Paracelsus bereits in seinen Schriften Archidoxis und De vita longa eingetreten war.7 Suchtens Kritik richtet sich also nicht gegen die Chemiatrie, sondern gegen eine Ärzteschaft, die sich zwar dem Studium paracelsischer Bücher widmet, sich aber vom Gebot einer praxisorientierten Naturerfahrung distanziert: Wir wöllen auch nicht vnsere opiniones, so wir möchten auß Paracelso oder andern büchern von disem stuck geschöpfft haben/ oder vns Imaginiret/ beschreiben/ wie den jetz der brauch ist/ das einer auß viel alten pletzen [sic] ein newen peltz machet: Sonder waß wir aigendtlich wissen/ was vnser augen gesehen/ vnsere hende begriffen haben/ vnd die Experientz bestetet/ das wöllen wir reden/ vnd schreiben/ alles der Jugend die da lehrnen wil/ zm besten. Nicht eüch Galenischen/ denn jhr wisset in euwren Büchern mehr secreta z finden/ dann in der Natur seind/ auch nicht eüch Paracelsischen/ denn jr auß Theophrasto vil mehr gelehrnet habt/ dan ich/ auch nicht euch Alchimisten/ dan ich schreib hie allein von artzney […].8

Suchten tritt hier als Advokat der „Experientz“ auf, die er von allen dreien der hier genannten Parteien vernachlässigt sieht: erstens vonseiten der Schulmediziner, die die wahre Heilkunst in den Schriften Galens suchen, und zweitens v ­ onseiten all derjenigen Paracelsus-Jünger, die in blindem Vertrauen auf ihren Meister von der laborantischen Praxis Abstand nehmen. Drittens richtet sich seine Kritik auch gegen die Adepten der traditionellen Alchemie, deren Anliegen die Transmutation unedler Metalle in Gold ist. Indem Suchten demgegenüber die „artzney“ aufruft, bekennt er sich zu Paracelsus, der sich von der alchemia transmutatoria losgesagt und sich in den Dienst einer alchemia medica gestellt hatte.9 Dies änderte allerdings nichts daran, dass schon bald nach dem Tod des Hohenheimers pseudoparacelsische Schriften, wie etwa die De tinctura physicorum,10 die Legende vom Transmutationskünstler Theophrastus in die Welt setzten. In der Folge hielten viele Paracelsisten – unter ihnen auch Suchten – die Verwandlung von Metallen, ja sogar die Zeugung des Steins der Weisen, für möglich. Zur althergebrachten Goldmacherei gingen sie hierbei jedoch insofern auf Distanz, als sie für derlei Transmutationsprozesse, wiederum in Übereinstimmung mit Paracelsus, den

7 Vgl. Kap. 4.4, S. 95 u. S. 103. 8 Zitiert nach Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 33. Suchten an Medizinstudenten (1570). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Der Früparacelsismus. Erster Teil: Bd. 1. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 59), S. 570–580 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr. 33. In: CP 1), hier S. 574. 9 Wels: Manifestationen des Geistes, S. 167. 10 Zu der unter dem Namen Suchtens publizierten Explicatio tincturae physicorum s. Kap. 4.5.

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Beistand des göttlichen Geistes für unabdingbar erklärten.11 Scharf grenzt sich Suchten von einer falsch verstandenen Alchemie ab, indem er den Sponheimer Abt Johannes Trithemius (1462–1516), mit folgenden Worten zitiert: Die Alchemie wird von vielen begehrt, ist aber selbst keusch. Sie beschäftigt viele Mägde, die ihre Herrin zum Teil mit dauernder Wachsamkeit beschützen und sich ihrem Namen unterwerfen, um sie von der Geschäftemacherei von so vielen kecken Freiern für immer rein zu halten. Eitelkeit, Humbug, Überlistung, Bauernfängerei, Sophisterei, Habgier, Falschheit, fehlgeleitetes Vertrauen, Dummheit, Mangel, Armut, Verzweiflung, Ausflüchte, Geldschneiderei sowie Lug und Trug hingegen sind diejenigen Mägde, die ihre ach so geliebte Herrin ‚beschützen‘ und sich bereitwillig zu Dirnen der geldhungrigen, habgierigen und unbelehrbaren Freiern machen.12

Indem Suchten die Alchemie als ‚keusch‘ und ‚rein‘ beschreibt, verklärt er sie zu einer göttlichen Gnadengabe, die den geistig erleuchteten Adepten in die Lage versetzt, die okkulten Qualitäten der Natur, ja sogar den Geist Gottes selbst, zu segensreichen Zwecken verfügbar zu machen. Die paracelsistische Alchemie offenbart sich vor diesem Hintergrund als Theoalchemie. Der Begriff „Theoalchemie“, den Joachim Telle prägte,13 beschreibt ein auf Praxis angelegtes Schöpfungswissen, das seine Grundlagen aus der gegenseitigen Durchdringung von Naturphilosophie und Theologie bezieht und somit eine Spiritualisierung der Alchemie, aber auch eine alchemische Auslegung biblischer Narrative, allen voran der Scheidung des primordialen Wassers, impliziert. Angesichts der Naturimmanenz des göttlichen Geistes verbindet sich Theoalchemie mit dem traditionsreichen Anspruch, Gott in allen Dingen erfahren zu können. Das auf alchemisch-experimentelle Weise studierbare ‚Buch der Natur‘ behauptet aus paracelsistischer Sicht einen mindestens so hohen Wahrheitsanspruch wie

11 Vgl. Kap. 4.6 u. 4.7. 12 Chymische Schrifften, S. 267–304: Der Vierte Tractat. De Antimonio Vulgari Alexandri von Suchten/ An den Edlen und Vesten Johann Baptista von Seebach geschrieben (im Folgenden: De antimonio vulgari), S. 301 mit Bezug auf Johannes Trithemius: Polygraphiae libri sex. o. O. 1518, S. 504: „Chymia à plurimis amatur, & casta est, multas habet ancillas familiares, quae Dominam suam perpetua vigilantia custodiunt, seque ejus nomine supponunt, ut eam conservent à commercio tot importune amantium tempore sempiterno intactam. Vanitas, fraus, dolus, sophisticatio, cupiditas, falsitas, confidentia, medacium, stultitia, paupertas, desperatio, fuga, proscriptio, & mendacitas, pedisse quae sunt Chymiae, quae Dominam simulantes, ut eam inviolatam custodiant, semetipsas amatoribus pecuniosis, avaris, cupidis & fastuosis libenter prostituunt.“ (Übers. S. B.). 13 Zuerst in Joachim Telle: Zum „Filius Sendivogii“ Johann Hartprecht. In: Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Christoph Meinel. Wiesbaden 1986 (Wolfenbütteler Forschungen 32), S. 119–136, hier S. 131.

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die Bibel.14 Der Natur sei zudem, analog zur Heiligen Schrift, ein Prozess der Vollendung des Heils eingeschrieben: Sie besitze einen inneren Drang nach Perfektionierung, der in der Zeugung des Steins der Weisen zu seinem Ziel gelange.15 Da der Adept aus paracelsistischer Sicht an diesen Vollendungsprozess nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich Anteil hat, offenbart sich Theoalchemie bisweilen auch als eine alchemia mystica. Die Affinität von Alchemie und Mystik, die in Suchtens Traktat De tribus facultatibus, aber auch im ersten Teil seiner Antimonschrift aufscheint, gründet sich auf die neuplatonisch inspirierte Maxime, dass der Adept nur dann einen verständigen Umgang mit der göttlichen Metaphysis der Schöpfung beanspruchen könne, sofern er selbst vom göttlichen Geist beseelt sei. Zudem verfügt die Alchemie mit den Begriffen von ‚Reinigung‘, ‚Tod‘, ‚Auferstehung‘, ‚Neugeburt‘ und ‚Perfektionierung‘ über ein Vokabular, das mystische Interpretationen chemischer Prozesse zulässt. Viel stärker noch als bei Paracelsus ist in Suchtens Werken die Vision einer Analogie von materieller und geistiger Vollendung, einer äußeren und inneren Erfahrbarkeit des göttlichen Geistes und somit die Untrennbarkeit von Transzendenz und Immanenz präsent. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, auf welche Schriften Suchten bei der Konzipierung seiner genuin paracelsistischen Mystik zurückgreifen konnte. Belegt ist die Kenntnis des vielfach mystisch rezipierten Liber XXIV philosophorum, der pseudo-dionysischen Abhandlung De ecclesiastica hierachia, der Schrift De visione dei des Nicolaus Cusanus sowie des Basler Taulerdrucks mitsamt der darin enthaltenen Predigten Meister Eckharts. Während letzterer für Suchten, wie aus seiner Elegie Quid sit nihil hervorgeht, eine gewisse Autorität besaß, scheint ihn die mystische Theologie Taulers kaum beeindruckt zu haben. Dies ist allerdings wenig verwunderlich, zumal die radikale, einen ‚mystischen Tod‘ einschließende Demutsgestik des Straßburger Predigers mit dem elitären Sendungsbewusstsein, das Suchten an den Tag legte, kaum vereinbar ist. Wesentlich größere, ja sogar frappierende Übereinstimmungen mit Suchtens Denken, wie mit dem frühneuzeitlichen Spiritualismus insgesamt, finden sich dagegen in der Theologia Deutsch, die schon auf Paracelsus Eindruck gemacht haben dürfte. Die von Pseudo-Dionysius begründete christliche Mystik ließ sich mit der paracelsischen Hermetik ohne weiteres in Einklang bringen,

14 Anne-Charlott Trepp: Religion, Magie und Naturphilosophie. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität des 17. Jahrhunderts. Hg. von ders.  u. Hartmut Lehmann. Göttingen 1999, S. 473–493, hier S. 480; zum ‚Buch der Natur‘ s. Ruth Groh: Buch der Natur. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Hg. von Friedrich Jäger. Stuttgart 2005, S. 478–485; zur Bedeutung dieses Motivs für die Wissenschaftsgeschichte s. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1993, bes. S. 68–85. 15 Kühlmann, Telle: Einleitung. In: CP 1, S. 17.

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zumal die beiden Wissenstraditionen gleichermaßen vom spätantiken Neuplatonismus geprägt waren. Trotz des unbestreitbaren, ja geradezu identitätsstiftenden Einflusses des Corpus Hermeticum auf den Paracelsismus scheinen die beiden ‚großen‘ Schriften des Hermetismus, der Pimander und der Asclepius, höchstens indirekt auf Suchten gewirkt zu haben;16 dies vor allem über die drei Bände der Occulta philosophia des Agrippa von Nettesheim, die er auch in medizinischen Kontexten zu Rate zieht.17 Wenn er bisweilen aus hermetischen Schriften zitiert, geschieht dies nie unter Nennung ihres legendären Verfassers. Hermes wird lediglich als Begründer der Alchemie und als Bürge für die Offenbarungsfunktion des Buchs der Natur aufgerufen.18 Umso mehr stand Suchten unter dem Einfluss der pseudo-dionysischen Mystik und der spätmittelalterlichen Traktat- und Predigtliteratur. So identifiziert er Dionysius in De tribus facultatibus als einen Urahn der paracelsischen Magie; und in seiner Elegie Quid sit nihil beruft er sich auf Augustinus, Cusanus und Eckhart. Symptomatisch für das paracelsistische Interesse am geistlichen Schrifttum vergangener Jahrhunderte ist ein Passus der Vorrede von Suchtens Traktat De secretis antimonij (1570), in dem sich der Herausgeber desselbigen Werks, Michael Toxites, folgendermaßen äußert: [D]ie Clster seind aller gten künsten schlen gewesen/ haben allwegen die gelehrtesten leüth gezogen/ alle artes/ alle gte scriptores in allen facultatibus vnd linguis in jren bibliothecis erhalten/ vnd mehr mit jhren henden geschriben/ das vns zu gtem kummen/ dan wir jetzunder mchten lesen: darbey der alten fleiß/ vnd unser grosser vnfleiß gngsam mag erkannt werden.19

Obgleich sich Toxites’ Lobpreis auf die Klöster auch als Reverenz gegenüber dem Widmungsempfänger der Antimonschrift, dem Elsässischen Geistlichen Johann Ulrich von Raitenau, verstehen lässt,20 gilt seine Euphorie vor allem den erwähnten „bibliothecis“, welche die Lehren der schreibeifrigen „alten“ verwahrten: In der Tat waren nicht nur die naturphilosophischen, sondern vor allem auch die 16 Eine Zitierung des Pimander findet sich lediglich in der Explicatio tincurae physicorum, für die Suchtens Autorschaft nicht gesichert ist, vgl. Chymische Schrifften, S. 383–457: Der siebende Tractat. Explicatio Tincurae Physicorum Theophrasti Paracelsi Ab Alexandro a Suchten, Philos. & Medicinae u. Doctore. (Im Folgenden: Chymische Schrifften. Explicatio tincturae physicorum), S. 386  f. 17 Die Zitate, die Suchten in den XVIII Propositiones sowie in der hieran anschließenden Fusior explicatio pro imperitioribus aus Agrippas De occulta philosophia bezieht, entstammen den Kapiteln I.5, I.13, I.14, II.4, II.32, III.6, III.37, III.38 u. III.55. 18 Vgl. Kap. 5.1, S. 136. 19 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 2, S. 160. 20 Ebd., S. 173.

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theologischen Wissensbestände, an die Paracelsus sowie auch Suchten anknüpften, schon Jahrhunderte lang hinter Klostermauern tradiert, verwaltet und rezipiert worden. Wenngleich die klösterliche Gelehrsamkeit auch im sechzehnten Jahrhundert noch nicht erloschen war, hatte sich das intellektuelle Leben im Zuge der religiösen, ethischen und sozialen Neuorientierung, welche die Reformation mit sich brachte, auf weltliche Bildungsinstitutionen verlagert. Als wegweisend für diese Entwicklung hat die Universitätsreform Philipp Melanchthons zu gelten, in deren Rahmen Galen und Aristoteles zu den Hauptautoritäten der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit avanciert waren; ersterer auf dem Gebiet der Medizin und letzterer in den Fachbereichen von Theologie, Philosophie und Astronomie. Dies hatte zur Folge, dass die mystisch-spiritualistische Wissenstradition, deren Faszination trotz ihrer Exklusion von einer Kanonisierung ungebrochen war, sich auf laikalem Gebiet neu organisierte. Ein Schlaglicht dieser Reorganisation fällt auf den jungen Luther, der vom Predigtwerk Taulers und der Theologia Deutsch nach eigenem Bekennen tief beeindruckt war.21 Durch die Verbannung der mystisch geprägten Spiritualität früherer Jahrhunderte von den Bildungsstätten der frühneuzeitlichen Gelehrtenwelt kam es beinahe zwangsläufig zu einer Entwicklung einer alternativen Frömmigkeitspraxis. Zudem beförderte das Fehlen einer institutionellen, trennscharfen Differenzierung unter den einzelnen Lehrinhalten die Verschmelzung mystischen Gedankenguts mit weiteren vorreformatorischen Wissensbeständen wie Hermetismus, Astrologie, Alchemie, Orphismus und Magie.22 Diese Liaison fand pro-

21 Zur vieldiskutierten Mystik-Rezeption Luthers s. stellvertretend: Volker Leppin: Transformationen spätmittelalterlicher Mystik bei Luther, S.  165–185; Sven Grosse: Der junge Luther und die Mystik. Ein Beitrag zur Frage nach dem Werden der reformatorischen Theologie, S. 187–236; Berndt Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, S. 237–287 (alle drei Beiträge in: Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Hg. von Berndt Hamm u. Volker Leppin. Tübingen 2007); weiterhin Leppin: Luthers mystischen Wurzeln. In: Martin Luther. Ein Christ zwischen Reformen und Moderne (1517–2017). Bd. 1. Hg. von Alberto Melloni. Berlin, Boston 2017, S. 163–176; Heiko A. Oberman: Simul gemitus et raptus. Luther und die Mystik. In: Kirche, Mystik, Heiligung und das Natürliche bei Luther. Hg. von Ivar Asheim. Göttingen 1987, S. 45–89; Erwin Iserloh: Luther und die Mystik. In: Luther und die Reformation. Beiträge zu einem ökumenischen Lutherverständnis. Hg. von dems. Aschaffenburg 1974, S.  62–87; Andreas Zecherle: Die Rezeption der ‚Theologia Deutsch‘ bis 1523. Tübingen 2019 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 112), S. 67–198. 22 Vgl. Kaspar von Greyerz: Alchemie, Hermetismus und Magie. Zur Frage der Kontinuitäten in der wissenschaftlichen Revolution. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität des 17. Jahrhunderts. Hg. von Hartmut Lehmann u. Anne-Charlott Trepp. Göttingen 1999, S. 415–432, hier S. 419; August Buck: Einleitung. In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von dems. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 1–4; Siegfried Wollgast: Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung. 1550–1650. 2. Aufl. Berlin,

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grammatische Überschneidungen mit einer ‚christlichen Kabbala‘,23 für die sich bereits Marsilio Ficino (1433–1499) und besonders Giovanni Pico della Mirandola (1462–1494) eingesetzt hatten und auf deutschem Boden in Johannes Reuchlin (1455–1522) einen eifrigen Apologeten fand.24 Die Autoritäten der Schultheologie begegneten dieser Entwicklung, die sichtlich auf die Entstehung einer jenseits der universitären Direktive agierenden, synkretistischen Religiosität hinauslief, selbstredend mit höchster Ablehnung. Paracelsus nimmt den Universitätstheologen das Wort aus dem Munde, indem er ihren Mahnruf spöttisch wiedergibt: „Du als ein lai, als ein baur, als ein gemein mann, sollt von den dingen nit reden, was die heilig geschrift antrifft, sonder uns zuhören, was wir dir sagen; dabei bleiben und kein anderen solltu hören oder lesen, dann allein uns.“25 Mit aller Vehemenz wendet sich Paracelsus zudem gegen die bestehende, an den Universitäten beheimatete Heilkunde, die sich an der galenischen Temperamentenlehre orientierte und zur ausgleichenden Regulierung der ‚vier Säfte‘ pflanzliche Arzneimittel vorsah. Seine Kritik an der Ärzteschaft seiner Zeit richtete sich jedoch auch gegen das beflissene Bücherstudium und die Dispute, die an den Universitäten vorherrschten; in diesen sah er nämlich die Erkundung der makrokosmischen Heilkräfte und therapeutische Praxis vernachlässigt. Auch Suchten sah seine geistige Heimat spätestens ab 1546 jenseits der Studierstuben. Unter den medizinischen Autoritäten, auf die er sich beruft, stehen Paracelsus und Hermes Trismegistus an erster Stelle. Indem er letzterem in De secretijs antimonij ein Wissen um Christus zuschreibt,26 folgt er dem paracelsisti­

1993, S. 101  ff.; Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (1572–1632). Stuttgart 1991 (Sudhoffs Archiv 29, Beiheft 29), S. 87  ff. 23 Hierzu grundlegend Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. 2 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 2012/13 (Clavis Pansophiae 10,1 u. 2). 24 Zu Reuchlings christlicher Kabbalah s. ebd. Bd. 1, S. 131–208; Bernd Roling: Aristotelische Naturphilosophie und christliche Kabbalah. Tübingen 2007; ders.: The Complete Nature of Christ: Sources and Structure of a Christological Theurgy in the Works of Johannes Reuchlin. In: Metamorphosis of Magic from Late Antiquity to Early Modern Age. Hg. von Jan Veenstra, Jan Bremer. Löwen 2002, S. 231–266; Thomas Leinkauf: Reuchlin und der Florentiner Neuplatonismus. In: Reuchlin und Italien. Hg. von Gerald Dörner. Stuttgart 1999, S. 109–132; Charles Zika: Reuchlin und die okkulte Tradition der Renaissance. Sigmaringen 1998; ders.: Reuchlin’s De verbo mirifico and the Magic Debate of the Late Fifteenth Century. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 39 (1976), S. 104–138. 25 Paracelsus: Prologus in totius christianae vitae. In: Theologische Werke. Bd. 1. De vita beata (Neue Paracelsus Edition). Hg. von Urs Leo Gantenbein. Berlin, New York 2008 (im Folgenden: Theol. Werke. Bd. 1. NPE), S. 129. 26 Vgl. Kap. 4.4, S. 96, Anm. 97.

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schen Credo, dass es zum Betreiben von wahrer Alchemie einer Erleuchtung durch den göttlichen Geist bedarf. Zudem reagiert er damit auf den vielfach erhobenen Vorwurf, die an Paracelsus anknüpfende Wissenstradition sei eine heidnische. Die wahren Heiden sieht er vielmehr in Aristoteles und Galen, den antiken Koryphäen der Schulmediziner. So erkennt er in Galen einen Glaubensfeind, der „in Abgtterey ertruncken“ sei und die Offenbarungsfunktion der Natur verkannt habe.27 Der paracelsistische Konflikt mit der universitären Ärzteschaft wurde von Suchten willentlich provoziert. Bezeichnenderweise waren es zunächst gar nicht die Schriften des Hohenheimers, sondern Suchtens XVIII Propositiones, an denen sich der Streit um die Legitimität der paracelsischen Lehre entzündete. Obwohl es anfangs nur Vertreter der galenischen Heilkunde waren, die sich gegen dieses medizinische Manifest wandten, wurde die darin enthaltene, mystisch tingierte Pneumatologie von ihnen mit theologischen Argumenten bekämpft. In der Folge geriet Suchten unter den Verdacht des Antitrinitarismus, den seine Kritiker kurzerhand auf Paracelsus ausweiteten. Auch wurde ihm wenig später aufgrund seines Bekenntnisses zur paracelsischen magia der Umgang mit den Dämonen vorgeworfen. Dass die paracelsische Lehre mit einem Male als eine ernstzunehmende Bedrohung angesehen wurde, lag wohl auch daran, dass Suchten der universitär gebildeten Ärzteschaft in der achtzehnten These seiner Propositiones den Kampf ansagt. Da die wahre Medizin ihm zufolge allein den Jüngern des Theophrastus bekannt ist, fällt sein Urteil über die medizinischen Fakultäten der Universitätsstädte Bologna, Padua, Ferrara, Paris, Löwen und Wittenberg vernichtend aus: Die Doktoren der Medizin, die sich dort ausbilden lassen, sind keine Ärzte, sondern Betrüger, Schwätzer, Geldschneider, Raubgesindel und Sophisten, die das Heiligtum Apollos nicht durch die Tür betreten, sondern durch das Dach hineinpoltern und dort sesshaft werden, wie dereinst die Schreiber und Pharisäer auf dem Stuhl des Mose. Nicht von ungefähr behaupten sie, dass die Kenner der Geheimnisse der Natur mit Dämonen paktieren. Denn im Falle von Krankheiten, die ihnen selbst als unheilbar gelten, leisten diese mithilfe der Natur Dinge, die sie selbst aufgrund ihres verdunkelten Verstandes und ihrer albernen Verordnungen und Lehrtraditionen nimmermehr erreichen können. Wenn sie sich aber eingestehen müssten, dass die selbige Heilkunde, mit der sie sich nicht einmal flüchtig beschäftigt haben, zu solchem fähig ist, würden nicht nur die Fürsten, sondern auch die gemeinen Leute nicht den geringsten Zweifel hegen, dass sie keine Ärzte, sondern Betrüger und blutrünstige Halsabschneider sind, und sie würden all jene, denen sie jetzt viele Ehrentitel und Stipendien hinterher tragen, sofort aufhängen und den Raben überlassen; denn so haben sie es verdient.28

27 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 256. 28 Zitiert werden die XVIII Propositiones hier wie im Folgenden nicht nach der Sammelausgabe von 1680, die den originalen Wortlaut nicht getreu wiedergibt, sondern nach ihrer Erstpublika-

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Suchten rückt also nicht nur von der schulmedizinischen Tradition ab, er erklärt auch deren Repräsentanten für böswillige Scharlatane. Vor diesem Hintergrund tut es nicht Wunder, dass diese selbst zum Gegenangriff übergingen. Wenn Suchten die paracelsische Lehre als ein uraltes, doch unverbrauchtes Wissen ausgibt, wohingegen er in der galenischen Heilkunde nichts weiter als eine längst überkommene Kurpfuscherei erblickt, so verschleiert dies die Tatsache, dass es sich bei der Restauration des Galenismus um ein relativ junges Unterfangen handelte, das sich mit dem Anspruch verband, die Humoralpathologie von der arabi­ schen Tradition zu emanzipieren.29 Im Jahr 1525 war die erste Gesamtausgabe der Werke Galens – die sogenannte Adina – erschienen, die auch bislang unbekannte chirurgische Schriften enthielt.30 Darüber hinaus setzte ab den 1520er Jahren eine Publikationswelle von Büchern zur Kräuterheilkunde ein, über die sich die Phytotherapie als Grundlage der medizinischen Praxis an den Universitäten ­etablierte.31 Suchtens Invektiven gegen die Schulmedizin zeugen jedoch nicht primär von einer Rivalität von laikalem und universitärem Wissen; sie sind vor allem ideologisch motiviert. Da er in der paracelsischen Lehre, insbesondere der magia, die göttliche Weisheit selbst erblickt, seien deren Verächter durch das unmittelbar bevorstehende Endgericht Gottes zur ewigen Verdammnis bestimmt. Aus seiner Vorrede zu De secretis antimonij geht hervor, dass nach seinem Erleben der end-

tion, deren Faksimile im Codex Palatinus Latinus der Bibliotheca Vaticana (Nr. 1892  f. 255r–256r) enthalten ist: Decem et octo Propositiones, in quibus liquide demonstratur, quod medicus sit, quidque medicina ipsius. Item quibus remediis aegritudines a corporibus expellantur […]. Joannes [sic] de Suchten, Medicus regis Poloniae. In: Codex Palatinus Latinus der Bibliotheca Vaticana Nr. 1892, f. 255r–256r (im Folgenden: Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones), hier f. 255v–256r: „Ergo Doctores Medici, apud illos creati, non sunt medici, verum impostores, nugatores, fures, latrones, et Sophistae, qui templum Apollinis non per ostium, sed per tectum irruentes, sedem occupant, veluti scribae et pharisaei sedem Mosae. Non igitur absque causa, ii, qui secreta naturae cognoverunt et in morbis, quos ipsi vocant incurabiles, naturalibus auxiliis opem prestant, id quod intellectum [= intellectu], praeceptis, et traditionibus fatuorum hominum offuscato, assequi nequeunt, daemonium habere dicuntur. Nam si hoc ista scientia Medica, quam ne à limine salutarunt, fieri confiterentur, intellegerent procul dubio non solum principes Viri, Verum etiam rude Vulgus ipsos non medicos, sed impostores et carnifices humani sanguinis, quosque multis honoribus et stipendijs prosequuntur, furca dignos, statim ad corvos ablegarent.“ (Übers. S. B.). 29 Hanns-Peter Neumann: Wissenspolitik in der Frühen Neuzeit am Beispiel des Paracelsismus. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in den Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, New York 2011, S. 255–304, hier S. 263. 30 Zu dieser Ausgabe s. Nikolaus Mani: Die Editio princeps des Galen und die anatomisch-physiologische Forschung im 16. Jahrhundert. In: Das Verhältnis der Humanisten zum Buch. Hg. von Fritz Krafft u. Dieter Wuttke. Boppard 1977, S. 209–226. 31 Tilmann Walter: Paracelsuskritische Haltungen oder „Antiparacelsismus“? 1570–1630. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 27 (2008), S. 381–408, hier S. 385.

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zeitliche Kampf des Satans gegen das Volk Gottes (Ap  12,1–14,5) und somit die „Trennung der Schafe von den Böcken“ (Mt 25,32) bereits begonnen hat: Dann dieweil der Allmechtige Gott sich in diesen lesten zeiten vber menschliche bldigkeyt/ vnd schwacheyt erbarmet/ vnd vns durch gelehrte Leüt geoffenbaret hat/ ettlich geheimnuß in der natur/ dardurch wir vnsern leib erhalten/ vnnd in seinen kranckheyten jhm zhilff kommen mögen. So hat der feind vnsers Lebens der Sathan ettliche Schrifftgelehrten angereizt wider solche gaben GOTTES z toben vnd schreyen/ damit die candidati Medicinae abgeschrekt/ dz Körnlein ligen lassen/ vnnd den spreuern nachfolgen/ zletzt das donum Dei wider verloren werde/ vnnd des Teüffels Samen an stat in ehren bleib.32

Mit seiner Verteufelung der „Schrifftgelehrten“ polemisiert Suchten nicht nur gegen die Verfasser von medizinischen Schriften, die sich gegen den Antimongebrauch richten.33 Er hat hiermit zugleich den Antagonismus von einer kleinen Gemeinde von Gotterleuchteten und einer Gruppierung engstirniger Pharisäer vor Augen. Der bis in mythische Urzeit zurückreichende Wettstreit zwischen Weisheit und Torheit, Erleuchtung und Geistlosigkeit, Fleiß und Faulheit, Erwähltheit und Verworfenheit erreicht nach Suchtens Auffassung in seiner frühneuzeitlichen Gegenwart ihren Höhepunkt. Hiervon legt er in De tribus facultatibus auf grandiose Weise Zeugnis ab.

2.2 Vita Suchten konnte zum Zeitpunkt der Entstehung von De tribus facultatibus bereits auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Als Spross eines einflussreichen Danziger Patriziergeschlechts geboren,34 genoss er eine Ausbildung am Elbinger Gymnasium, das der Pädagoge Wilhelm Gnapheus (1493–1568) im Jahr 1535 gegründet hatte.35 Dort verfasste er im Rahmen des humanistischen Curriculums erste lateinische Gedichte. Da das Mindestalter für den Besuch von Gymnasien damals in der Regel etwa 15 Jahre betrug, hat man Suchtens Geburtsjahr auf den Zeitraum um 1520 anzusetzen, frühestens aber auf das Jahr 1511; das Jahr, in dem Suchtens Eltern heirateten. Sein Vater Georg von Suchten, war der jüngste Sohn des Bürger-

32 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 33. In: CP 1, S. 573  f. 33 Vgl. ebd., S. 576. 34 Humberg: Die Verlassenschaft, S. 31. 35 Zum Elbinger Gymnasium s. Marian Pawlack: Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535–1772. In: Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hg. von Sabine Beckmann u. Klaus Garber. Tübingen 2005, S. 371–394.

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meisters von Danzig. Dessen Bruder Christoph, Suchtens Onkel, war ein weithin bekannter Humanist und Sekretär des Polnischen Königs Sigismund  I. Georg selbst war Rechtskonsulent am Danziger Gericht. Suchtens Mutter Euphemia war die Schwester des Alexander Schultze, genannt Scultetus (1485–1564). Dieser war Kanzler des Domkapitels von Ermland. Zudem arbeitete er als versierter Kar­ tograph mit Nicolaus Copernicus (1437–1543) zusammen, dem er auch sonst in Freundschaft zugetan war. Scultetus übertrug seinem Neffen Alexander 1538 eine vakant gewordene Domherrenstelle in Frauenburg, die dieser am 14. Dezember desselben Jahrs offiziell antrat.36 Als im Jahr 1540 Nicht-Akademikern die Ausübung des Domkanonikats untersagt wurde, immatrikulierte Suchten sich 1541 an der Universität Löwen zum Zwecke eines Medizin- und Philosophiestudiums.37 Zur selben Zeit setzten unter der Ägide des Bischofs Johannes Dantiscus (1485–1548) Bestrebungen ein, Suchten unter der Bezichtigung der Häresie aus seinem Kanonikat zu verdrängen und all seine Besitztümer zu einzuziehen.38 Den Anlass dafür bot die Ächtung seines Oheims Scultetus, der beschuldigt wurde, mit den reformatorischen Ideen Heinrich Bullingers zu sympathisieren. Nach einem kurzen Gerichtsverfahren hatte Scultetus sowohl seine Domherrnstelle als auch sein gesamtes Hab und Gut verloren, woraufhin er, um seinen Kopf zu retten, nach Rom flüchtete. Dort wurde er unter Beistand einflussreicher Gönner und Freunde zunächst freigesprochen. Als jedoch unter seinen Frauenburger Besitztümern ein Buch aus der Feder des zwinglinianischen Reformators Heinrich Bullingers gefunden wurde, das Scultetus mit Notizen versehen hatte,39 wurde er nach Erneuerung der Anklage für schuldig befunden und von 1541 bis 1544 auf der Engelsburg in Haft genommen.40 Es gab vermutlich mehrere Gründe, weshalb sich die Anklage der Häresie auf Suchten ausdehnte. Die Tatsache, dass Suchten sein Kanonikat und seine ermländischen Güter letztlich an Caspar Hanow (Hanau / Hannau), den Neffen des Dantiscus, abtreten musste, legt nahe, dass hierbei Günstlingspolitik eine Rolle spielte. Buchholz sieht die Anklage des Danzigers darin begründet, dass dieser als Schüler des Elbinger Gymnasiums von Gnapheus, der mit den Ideen der Reformation sympathisierte, angeblich zu einem Sakramentarier – also zu einem Verächter der Transsubstantiationslehre – erzogen worden sei. Dabei bezieht er sich

36 Haberling: Alexander von Suchten, S. 183. 37 Ebd., S. 183  f. 38 Kühlmann: Alexander von Suchten. In: VL 16. Bd. 6, Sp. 212. 39 Hubicki: Alexander von Suchten, S. 55. 40 Franz Buchholz: Die Lehr- und Wanderjahre des ermländischen Domkustos Eustachius von Knobelsdorff. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des jüngeren Humanismus und der Reformation. In: Zeitschrift für die Geschichte u. Altertumskunde Ermlands 22 (1926), S. 61–134, hier S. 187.

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auf einen an Dantiscus adressierten Brief des katholischen Theologen Stanislaus Hosius (1504–1579), in welchem dieser, ohne Suchten beim Namen zu nennen, den Wunsch äußert, man möge dem ‚Elbinger Scholar‘ und ‚Ziehsohn‘ des jüngst geächteten Scultetus eine Abreibung verpassen oder ihm zumindest einen ordentlichen Schrecken einjagen. Hierzu wäre etwa der Neffe des Dantiscus, also Caspar Hanow, oder irgendein anderer Danziger Bürger imstande. Der Einfluss, den sein häretischer Lehrer auf ihn ausübe, sei zu offensichtlich, als dass es hierfür noch weiterer Dokumente bedürfe.41 Copernicus, der zuvor schon für seinen Freund Scultetus eingetreten war,­ verteidigte nun auch dessen Neffen Alexander gegen die Anschuldigung der ­Häresie.42 Indes rissen von Seiten der Danziger Kirchenoberen in den folgenden vier Jahren die Versuche nicht ab, die Kurie dahingehend zu bewegen, Suchten unter der Anklage der Ketzerei nach Rom zu zitieren. Nachforschungen von Buchholz und Haberling haben ergeben, dass der Dichter Eustachius von Knobelsdorff, der spätere Domherr von Frauenburg, unter großen finanziellen Aufwendungen einen Notar dafür gewinnen konnte, Suchten nach Rom vorzuladen.43 Tatsächlich berichtet Toxites in der Vorrede zu De secretijs antimonij (1570), dass der Danziger in Löwen „vier Jar lang in Galeni medicina compliert“ und im Anschluss eine Reise nach Italien angetreten habe.44 Suchten müsste sich demzufolge spätestens Anfang 1544 auf den Weg gemacht haben, da er sich im Frühjahr 1545 nachweislich schon wieder auf deutschem Boden aufhielt. Indes ist unsicher, ob Suchten der erwähnten Vorladung überhaupt Folge leistete. Wenn Knobelsdorff wenig später in einem Brief an Dantiscus erwähnt, dass jene „verdorbenen Menschen“, die Dantiscus Unannehmlichkeiten bereitet

41 Vgl. Stanislaus Hosius an Johannes Dantiscus, Brief vom 3.  Juni 1541. Zitiert nach Buchholz: Die Lehr- und Wanderjahre, S. 183: „Vellem tamen res suspicione caritura. Praestaret id rectius aut nepos R. Dnis. V. [=  Hanow] aut alius quisquam in Urbe; si nihil aliud, saltem ut puero [= Suchten] terror incuteretur. Quo enim praeceptore usus sit, certius est, quam ut ullis documentis indegeat.“ 42 Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 31. Suchten an Herzog Albrecht von Preußen (1561). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 1: Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 59), S. 545–562 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1), hier S. 545. Ausdrücklich als Schützling („protégé“) des Copernicus wird Suchten bezeichnet von Jeremi Wasiutyński: The Solar Mystery. An Inquiry Into the Temporal and the Eternal Background of the Rise of Modern Civilization. Oslo 2003, S. 409–415. 43 Buchholz: Die Lehr- und Wanderjahre, S. 187  ff.; Wilhelm Haberling: Neues aus dem Leben des Danziger Arztes und Dichters Alexander von Suchten. In: Sudhoffs Archiv 24 (1931), S. 117– 123, hier S. 119. 44 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 1, S. 157.

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hätten, „nun inhaftiert seien und um ihr Leben fürchten müssten“,45 so ist dies nur ein vages Indiz für eine Verurteilung Suchtens durch den Heiligen Stuhl. 46 Suchten selbst gibt in einem auf den 15.  April 1545 datierten Brief an Herzog Albrecht von Preußen vor, er habe nach den Ereignissen um seinen Onkel Scultetus einen Stellvertreter damit beauftragt, ihn vor dem päpstlichen Gericht gegen den eigens aus Preußen angereisten Caspar Hanow zu verteidigen.47 Dem Brief zufolge habe Hanow auf stetiges Drängen hin zunächst einen päpstlichen Brief mit der Zusage erhalten, dass Suchten ihm sein Kanonikat und all seine Besitztümer umgehend übertragen müsse. Diese Zusage sei jedoch zurückgezogen worden, nachdem der erwähnte Stellvertreter das Gericht von der Unrechtmäßigkeit der Anklage überzeugt habe. Auch habe der Papst diesem brieflich zugesichert, dass Suchten durch den weltlichen Arm des Episkopats nicht weiter belangt werden dürfe. Der Inhalt des päpstlichen Schreibens sei von den Danziger Kirchenoberen jedoch ignoriert worden.48

45 Zitiert nach Haberling: Neues aus dem Leben des […] Alexander von Suchten, S. 120: „Affirmat nepos tuus perditissimos illos homines quibus tum Celsitudini Tuae res erat dignissimis tractari modis ac vinculis coniectos etiam de vita perclitari.“ (Übers. S. B.). 46 Vgl. ebd., S. 120 sowie im Anschluss an denselben Kühlmann, Telle: Gesamtwürdigung. In: CP 1, S. 582. Buchholz behauptet demgegenüber, Suchten sei von 1541 bis 1545 in Rom inhaftiert und dort als ‚Sakramentarier‘ verurteilt worden, vgl. Die Lehr- und Wanderjahre des […] Eustachius von Knobelsdorff, S. 185–191. 47 Vermutlich handelt es sich bei diesem Stellvertreter um einen gewissen Matthäus Graf, durch den Suchten am 14. Dezember 1538 Besitz von seinem Kanonikat genommen hatte (vgl. Haberling: Alexander von Suchten, S. 183). 48 Brief vom 15. April 1545 an Herzog Albrecht von Preußen. Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 185  ff., hier 186  f.: Ante aliquot annos Ioannes episcopus Warmiensis [= Dantiscus] cum Canonico quodam Warmiensi, qui mihi necessitudini est coniunctus [= Scultetus] controversiam habuit et quidem adhuc, eundem Canonicum apud Regem Poloniae falso acerrime accusavit. Ille, posteaquam se ab insidiis Episcopi in patria non satis tutum fore arbitrabatur, Romam est profectus et causam suam Pontifici Max. cognoscendam terminandamque remisit. Ego, quod huius essem necessarius et eiusdem ecclesiae Canonicus, ab illius insolentia tutus non esse non potui, quin in me impetum faceret. Quapropter ut melius et facilius me possessione Canonicatus Warmiensis deturbaret atque dejiceret, subordinavit Casparium Hannau, qui me Romae in iudicio accusaret […]. Itaque dum Casparius Hannau partes avunculi sui Romae strenue agit, nescio quibus fallariis a Pontifice Max. literas impetrat […], in quibus erat scriptum, ut Casparo Hannau in possessionem Canonicatus cedeam huique omnes fructus, qui ad me ex his bonis pervenerunt, sumptusque sine ulla tergiversatione quamque primum restituerem. Quoad cum procurator meus, qui Romae com Casparo Hanau judicio contendit, cognovisset, docuit judices, rem aliter esse atque Carparus Hannau ostendisset […]. Interea dum haec Roma geruntur Ioannes Episcopus Warmiensis a nepote suo Casparo Hanau certior fit, procuratorem meum a Pontifice Max literas habere, quae brachium suum seculare ita impediant, ut nullam vim amplius habere videatur […]. Haec omnia Romae ignoravit procurator meus et literas ad Canonicatum

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Ob Suchten während dieser Ereignisse ebenfalls auf italienischem Boden weilte, geht aus dem Schreiben an Herzog Albrecht nicht eindeutig hervor. Falls er der Zitation nach Rom Folge leistete, lässt sich Toxites’ Behauptung, dass Suchten in Italien sein Studium abzuschließen gedachte,49 als Verschleierung seines wahren Reisegrundes verstehen. Zwar behauptet auch der in seiner Echtheit umstrittene Dialogus Alexandri, dass Suchten in jungen Jahren an den Universitäten von Rom, Ferrara, Bologna und Padua studiert habe.50 Allerdings gibt es hierfür, sowie auch für eine angebliche Promotionsschrift zum Thema ‚De Galeni placitis‘, die Suchten in Padua eingereicht haben soll,51 keinerlei Belege. Im Matrikelverzeichnis von Bologna sucht man den Danziger vergeblich, selbiges gilt für die Universitätsstädte Pisa und Siena.52 Sofern in Rom, Padua und Ferrara zur fraglichen Zeit überhaupt Matrikelverzeichnisse geführt wurden,53 müssen diese heute als verschollen gelten. Schenkt man Toxites’ Angaben Glauben, lässt auch die zeitliche Eingrenzung daran zweifeln, dass die Italienreise lediglich Studienzwecken diente: Sollte Suchten 1544 den langen Weg von Danzig bis nach Rom auf sich genommen haben, um dort binnen weniger Monate dreimal die Universität zu wechseln und noch im selben Jahr den Heimweg anzutreten? Gesichert ist, dass an ihn am 17. März 1545 das weltliche Urteil erging, sein Domkanonikat und seine Ermländischen Güter an Caspar Hanow abzutreten; seinen Familienbesitz konnte er gerade noch seinem Bruder Barthel überschreiben. Kurz darauf fand sich Suchten in Königsberg am Hofe Herzog Albrechts ein, wo er für die nächsten vier Jahre Quartier bezog. Der Herzog sicherte Suchten freies Geleit zu; allerdings konnte er ihm bei der Rückgewinnung seiner Ermländischen Güter nicht helfen.54 Bei Hofe pflegte Suchten Kontakte zu Gelehrten, die zum Kreis seines inzwischen exilierten Lehrers Gnapheus gehörten, darunter auch Melanchthons

Warmiensem Pontificis Max. mittit, ne Casparus Hannau in possessionem admittant. Quas literas illi rejecerunt et legere noluerunt.“ 49 Vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 1, S. 157: „Z dem andern so vil seine studia belangt/ nach dem er sich in linguis/ vnd philosophia sich für andere geübt/ hatt er z Leuen vier Jar lang in Galeni medicina compliert/ vnnd ist von dannen in Italiam gezogen/ vnd alda seine studia vollendet.“ 50 Vgl. Chymische Schrifften, S.  305–356: Der fnffte Tractat. Dialogus Alexandri a Suchten, Chymici Doctoris & Philosophi praestantissimi, Introducens aus personas interlocutrices, sc. Alexandrum & Bernhardum. (Im Folgenden: Chymische Schrifften. Dialogus), S. 305. 51 Vgl. Hubicki (Alexander von Suchten, S. 55), ausgehend vom Dialogus, S. 309. 52 Humberg: Die Verlassenschaft, S. 32. 53 Vgl. Michael Matheus: Ultramontani als Studierende in Rom. Forschungswege und Forschungsstand. In: Studieren im Rom der Renaissance. Hg. von dems. u. Rainer Christoph Schwinges. Zürich 2020, S. 1–32, hier S. 4  f. 54 Haberling: Alexander von Suchten, S. 187  ff.

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Schwager Georg Sabinus (1508–1560), der Gründungsrektor der Königsberger Universität.55 An ebendieser Institution hielt Gnapheus mehrere Vorträge, in denen er für Positionen eintrat, die dem Schwenckfeldianismus nahestanden. Dies führte 1546 zum ‚gnapheischen Streit‘, der eine Reihe von Streitschriften und Gerichtsverfahren nach sich zog. Einen Hauptanklagepunkt bildete das von Gnapheus vertretene Dogma, dass die Hostie bei Ungläubigen keine Heilswirksamkeit besitze. Im Jahr 1547 wurde der Schulmann exkommuniziert, woraufhin er nach Ostfriesland emigrierte, wo er den Posten eines Prinzenerziehers bekleidete. Hier verfasste er eine Verteidigungsschrift, die Antilogia, deren Manuskript er an den Königsberger Hof sandte. Für die Druckfassung dieser Verteidigungsschrift steuerte Suchten zwei Epigramme bei, in denen er für seinen Lehrer und gegen dessen Ankläger Partei ergriff.56 Hieraus wird ersichtlich, dass der Danziger wohl unter dem Einfluss von Gnapheus schon früh Sympathien für spiritualistische Positionen hegte. Nicht unwahrscheinlich ist es daher, dass er auch Kontakte zu dem Spiritualisten Christian Entfelder hatte, der sich 1545 nachweislich in Königsberg aufhielt. Belegt sind Beziehungen zum Bibliothekar Felix König, genannt Polyphem, der unter Lutheranern als ‚Schwärmer‘ verschrien war.57 In Königsberg stellte Suchten auch sein in elegischen Distichen verfasstes Epos Vandalus fertig, das er dem Grafen Alexander von Gork widmete. Dieses Werk erzählt von der sagenhaften Königin Wanda, die zur Patronin der Weichsel wurde.58 Weiterhin verfasste Suchten hier eine an Georg Sabinus gerichtete Elegie über den Tod Pietro Bembos, die er in der Erstausgabe des Vandalus (1547) veröffentlichte.59 Im März 1549 begab sich Suchten für dreieinhalb Jahre in den Dienst des Grafen Ottheinrichs von der Pfalz, der zu diesem Zeitpunkt in Neuburg residierte. Suchten wurde dort zur Verwahrung einer umfassenden Sammlung alchemischer „Kunstbcher“ bestellt.60 In seine Neuburger Zeit fiel denn auch seine Begegnung mit dem paracelsischen Schrifttum, worüber Toxites in seiner Vorrede des Liber unus De secretijs antimonij Folgendes zu berichten weiß:

55 Ebd., S. 189  f. 56 Haberling: Neues aus dem Leben des […] Alexander von Suchten, 120  ff.; zu Gnapheus s. Martin Stupperich: Osiander in Preußen (1549–1552). Berlin, New York 1973, S.  16–23; George Huntston Williams: The Radical Reformation. Philadelphia (Pasadena) 1962, 415  f. 57 Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 148  f. 58 Haberling: Alexander von Suchten, S. 189. 59 Die Elegie De morte Petri Bembi ist weiterhin enthalten in Georg Sabinus: Poemata […]. [Georg Geltner]. Leipzig 1581, S. 391  ff. 60 Zur Geschichte dieser Sammlung s. Joachim Telle: Kurfürst Ottheinrich, Hans Kilian und Paracelsus. In: Von Paracelsus zu Goethe und Wilhelm von Humboldt. Hg. von Sepp Domandl. Wien 1981 (Salzburger Beiträge zur Paracelsus-Forschung 22), S. 130–146, zu Suchten als Archivar S. 133.

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Als er [= Suchten] aber neben andern gelerten medicis so noch am leben seindt/ in Galeni medicina vil mengel befunden/ hat er auch Theophrasti doctrinam mit fleiß erforschet/ vnnd alles was darz gehörig bey dem durchleuchtigsten hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Oth Heinrichen Pfaltzgrauen bey Rhein/ vnnd Curfürsten/ etc[etera] hochloblichster/ vnd seliger gedechtnus neben Doctor Wilhelmen Rascalon (z welcher zeit von hochgedachtem Curfürsten ich auch dienstgestalt gehapt) mit grosser mühe/ vnd arbeit vierthal jar lang in das werck gericht/ vnd erfaren/ vnd dan von dem seinen in Preussen/ vnd polen/ nit ein geringe summa gelts darüber gehen lassen/ bis er z dem rechtem grundt kummen.61

Unzweifelhaft war Suchten jedoch bereits zuvor mit der Alchemie – und zwar mit der traditionellen alchemia transmutatoria – in Berührung gekommen, zumal er in De secretis antimonij diesbezüglich hart mit sich ins Gericht geht: „Die Alchymisten berreden sich selbst/ (O wieviel Jahr bin ich in diesem Spital auch kranck gelegen) man knne so ein subtil Feuer auch knstlich machen/ dadurch ein Ding in ein ander Ding gebracht werde […].“62 In seiner Elegie ‚An den sophistischen Goldmacher‘ (Ad chrysogonum sophistam) schildert Suchten sein Erweckungserlebnis, das ihn von seiner Depression angesichts der Fruchtlosigkeit der herkömmlichen Alchemie befreite. Seine Bekehrung zur paracelsischen Lehre, so berichtet er mit dichterischem Pathos, habe ihn vor dem geplanten Freitod gerettet: An diesem Punkt sah mich Gott, dem ich von früher Jugend an aus ganzem Herzen zugetan war, schon vor dem See der Unterwelt stehen, und er streckte mir seine Hand entgegen und entführte mich in die Höhen des Himmels, und er sagte: „Als dein Fürsorger will ich dich vor dem Tod erretten. Komm hierher, und wonach du verlangst, das nimm an als mein Geschenk. Niemand außer mir selbst kann dir meine Gaben verleihen.“ So sprach er und er beschenkte mich: Ich fand meinen Geist, frischen Mut und auch meine Stimme wieder, die so lange schon vor lauter Irrlehren verstummt war.63

Dank des alchemischen Wissens, das der Danziger an den Fürstenhof mitbrachte, fiel es ihm nicht schwer, sich in Ottheinrichs Kunstbücher einzuarbeiten.64 Der

61 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 1, S. 157. 62 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 242. 63 Chymische Schrifften: Ad brysogonum [=  chrysogonum] sophistam elegia, f. Hh4r–v, hier f. Hh4v: „Hic Deus, à teneris cujus delubra frequento, / Vidit avernalem me prope stare lacum. / Porrexitque manum, superasque reduxit ad auras, / Atque ait, ô curâ non periture meâ, / Huc ades, & quod amas, hoc accipe munere nostro: / Nemo tibi praeter me mea dona dabit; / Dixerat, et dederat: rediit mihi mensque colorque. / Linguaque tam longis obstupefacta malis.“ (Übers. S. B.). 64 Nach Newman und Principe, die Suchtens chemisches Wissen auf der Grundlage des zweiten Teils der Antimonschrift untersuchten, stand dieser in seiner laborantischen Praxis durchaus noch unter dem Einfluss der traditionellen Alchemie „of such medieval sages as Geber and Rāzī […].“ (Alchemy tried in the Fire, S. 53  f ).

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Fürst erhoffte sich von Suchtens Beschäftigung offenbar die Entdeckung lebensverlängernder Rezepturen oder eine Methode zur Herstellung von Edelmetallen wie Silber oder Gold. Dabei stand wirtschaftliches Interesse im Vordergrund. Hierauf deutet die Verschwiegenheitsklausel der Bestallungsurkunde hin: Nemlich soll er jeder zeit, was Ir F. gnaden ime zuarbeiten, zumachen auszzurichten bevelchen werden, gewertig, auch warzu Ir f. gnaden ine brauchen, gehorsam, willig und getreu zu sein. Und was er allso bey Ir frstlichen gnaden sehen oder fr sich selbs erfaren wrdt, dasselb niemandt erffnen, sondern solches Ir f. Gnaden auch was er seinem Verstandt nach waisz, anzuzaigen und nichts zu verhalten, schuldig sein. Er soll auch aus Ir f. Gnaden Kunstbechern noch anndern, darmit er umbgehn und unnder handen haben wrdt, fr ine oder anndere, ohne Ir f. Gnaden Vorwissen nichts ausschreiben noch verzaichen, vill weniger dasselb anndere sehen noch auszaichen lassen, und sich inn allem dem treulich und dermaszen halten, wie aim getreuen Diener woll ansteet, welchs er auch Ir f. Gnaden also volziehen angelobt.65

Welche Schriften Suchten dort studieren durfte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Neben zahlreichen Paracelsica und Hermes zugeschriebenen Traktaten wird er hier auch zum ersten Mal die Schriften Agrippas zur Kenntnis genommen haben. Offenbar hinderte ihn seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht daran, zumindest die Grundlagen der hermetisch-paracelsischen Scheidekunst an Außenstehende weiterzuvermitteln: Wie Toxites in seiner Vorrede kundtut, habe er zusammen mit dem Prinzenerzieher und späteren Paracelsisten Christophorus Pythopoaeus die „warhafftige separation von vilgemetem doctor Alexander gelernet“.66 Er bezieht sich hiermit auf ein extraktionsalchemisches Verfahren zur Gewinnung der drei Prinzipien von mercurius, sulphur und sal; eine Prozedur also, die zum grundlegenden Handwerkszeug eines jeden Adepten der paracelsischen Chemiatrie gehört. Lange dürfte der Kreis um Suchten, dem Toxites, Pythopoaeus und Wilhelm Rascalon angehörten, allerdings nicht bestanden haben, da der Danziger spätestens im Jahr 1553 seinen Posten als Verwahrer theosophischnaturphilosophischer Bücher aufgab.67 Davor aber könnte Suchten noch kurzzeitig mit Adam von Bodenstein in Kontakt gekommen sein, der seit August 1553 als Beschaffer von ‚Sachen‘ betreffs ‚Arznei und Philosophie‘ in den Diensten Ottheinrichs stand. Zu diesen Sachen gehörte unter anderem ein Buch von uraltem, okkultem Inhalt, das Bodenstein

65 Karl Schottenloher: Pfalzgraf Ottheinrich. In: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 41 (1928), S. 602  ff., hier S. 603. 66 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 1, S. 158. 67 Telle: Kurfürst Ottheinrich, Hans Kilian und Paracelsus, S. 133.

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von seinem Vater geerbt hatte.68 Auch fertigte Bodenstein für die Bibliothek des Pfalzgra­fen eine mit Erläuterungen versehene Übersetzung von De occulta philo­ sophia des Agrippa von Nettesheim an, die heute als verschollen gilt. Ottheinrich wusste Bodensteins Verdienste um die hermetische Medizin sehr zu schätzen, sodass er nicht zögerte, die Patenschaft für dessen ältesten Sohn zu übernehmen.69 Vor diesem Hintergrund hat man unbedingt davon auszugehen, dass Bodenstein zu den wenigen Auserwählten gehörte, die Ottheinrichs Sammlung an alchemischen Kunstbüchern einsehen durften. Ob auch Toxites, Pythopoaeus und Wil­ helm Rascalon Zugang zu diesen Schriften hatten, ist ungewiss; als Weggefährten Bodensteins dürften sie jedoch bestens über deren Inhalt informiert gewesen sein. Indes sollte es noch bis zum Jahr 1556 dauern, bis sich Bodenstein offiziell zu Hohenheim bekannte; und tatsächlich begann er erst nach dem Tod Ottheinrichs im Jahr 1559 paracelsische Werke herauszugeben. Mit Sicherheit dienten ihm hierbei die Manuskripte – möglicherweise sogar Autographen –, welche die Kollektion des Pfalzgrafen aufbot, als Vorlagen für eine Drucklegung. Gewiss stand er hierbei in regem Kontakt mit Ottheinrichs Sekretär Hans Kilian, den der Fürst zum Archivar der „Theophrastischen Bcher“ bestimmt hatte.70 Kilian wiederum musste die Sammlung im Jahr 1585 an den Kölner Erzbischof und Kurfürsten Ernst von Bayern abtreten. Nach einem Verzeichnis von 1588 umfasste diese zum damaligen Zeitpunkt mindestens 141 „philosophische Alchimey Bcher“.71 Diese übermittelte Kurfürst Ernst an den verdienten Paracelsus-Editor Johann Huser mit der Anweisung, das Brauchbare zu exzerpieren und den Rest zu verbrennen.72 Dies ist zugleich die letzte Spur der heute verschollenen, wenn nicht sogar vernichteten Kollektion, zu deren Verwahrung Suchten einst bestellt war. Im Jahr 1554 begegnet man Suchten in Polen wieder, von wo aus er eine von Scultetus erstellte Genealogie an König Albrecht übermittelte.73 Vielleicht befand sich der Danziger zu diesem Zeitpunkt bereits im Dienst des polnischen Königs Sigismund August II, den er zunächst in Krakau und danach für ein Jahr in Wilna behandelte.74 Diese Zeit muss Suchten sehr belastet haben: Wie aus seiner Elegie

68 Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 6. Bodenstein an den Dogen und Magistrat von Venedig (1560). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 1: Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 59), S. 104–146, hier S. 104. 69 Ebd. 70 Telle: Kurfürst Ottheinrich, Hans Kilian und Paracelsus, S. 136. 71 Ebd., S. 136. 72 Ebd., S. 133. 73 Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 546. 74 Ebd., S. 545  ff.

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Quid sit nihil (um 1561) hervorgeht, die er kurz vor seiner Abreise aus Wilna verfasste, war er dort den Verleumdungen der galenisch geschulten Leibärzte ausgesetzt.75 Diese bezichtigten ihn, er schädige durch die Verordnung von Queck­ silberpräparaten das gesundheitliche Wohl seiner Patienten. Womöglich hatte dies die Entlassung Suchtens aus dem Fürstendienst zur Folge. Hierfür spricht, dass Suchten in seinem Gedicht De visione Dei mit Verweis auf seine Elegie Quid sit nihil, die er hier als seine jüngstes „carmen“ bezeichnet, seinen ehemaligen Dienstherren als einen „Rex cunctator“ verunglimpft.76 Offensichtlich war Suchten am Hofe zu Wilna in Ungnade gefallen. Auch sah sich Suchten in einem auf den 2. Juli 1561 datierten Brief genötigt, seinen Ruf als rechtschaffender Medicus gegenüber Herzog Albrecht zu verteidigen: Aus solcher vnwissenheit vnd onmächtigen begierden zu vorleumden diejenigen, so iren betrug zuwidder sein, haben E[uer] F[ürstlichen] G[naden] beret, ich geb den kranken mercurium sublimatum, praecipitatum calcinatum, wie er den ein namen haben mag, welchs sie nit darumb reden, das sie es wissen, oder das es war sei, sonder aus haß vnd neidt, damit nit offenbar werd der betrug, do sie mit vmbgen. Ich aber frag nicht nach irem geschrei, diweil ich meinem gewissen vnd in der cur vorwardt bin. Sie sein in lugen doctores worden, mit lugen wollen sie ire kunst vorfechten. Sie werden es müssen erdacht und erlogen haben, die solchs bei E[uer] F[ürstlichen] D[urchlaucht] vnd anderen mir nach reden. Den ich hab mein lebenlang das mercurium, do sie von reden, niemals eingeben, bin auch denen alzeit zu widder gewesen, so in brauchen, wie offenbar ist auß dem buchlein, das ich an konigliche doctores von irem und meinem consilio geschrieben, auff welches sie verstummet, mir bis auff diesse stundt nit geantwordt, dieweil doch das büchlein inen von der maiestät selber vbergeben ist.77

Aus einem Brief Albrechts an König Sigismund August geht hervor, dass Suchten danach nach Italien aufbrach.78 Auch berichtet der Danziger in seiner Elegie De visione dei selbst davon, dass er sich von Wilna aus „ad alias gentes“ begeben habe.79 Über die Gründe seiner Reise nach Italien lässt sich nur spekulieren. Dass er dort, wie Haberling vermutet, seine Promotion zum Doktor der Medizin nachzuholen gedachte,80 ist eher unwahrscheinlich, da er sich nunmehr als ein überzeugter Parteigänger des Paracelsus und somit Gegner der Schulmedizin ver-

75 Vgl. Kap. 5.7, S. 172. 76 Vgl. Alexander von Suchten: De visione dei. Ad illustriss. D. D. Paulum Scaligerum. In: Apologia Pauli Scaligeri Commilitonis & Principis Regni Hungariae […] ad Zoilum. o. O. ca. 1567 (im Folgenden: Ad Paulum Scaligerum. De visione dei), S. 44  ff., hier S. 45. 77 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 554. 78 Haberling: Alexander von Suchten, S. 194. 79 Ad Paulum Scaligerum. De visione Dei, S. 45. 80 Haberling: Alexander von Suchten, S. 194.

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stand. Suchten muss seinen Doktortitel schon zuvor erworben haben. Sollte er in Italien dennoch die Nähe der Universitäten gesucht haben, so wahrscheinlich nur, um dort nach schriftlichen Hinterlassenschaften seines ‚Theophrastus‘ zu suchen; dieser war nämlich nach eigenen Angaben in Ferrara zum ‚Doktor beider Arzneien‘ promoviert worden.81 Als er 1563 nach Preußen zurückkehrte, bemühte er sich um einen Posten am Hofe Herzog Albrechts. Dies war auch bitter nötig, zumal er unter fürstlicher Protektion vor der Verketzerungskampagne, die der kaiserliche Leibarzt Johannes Crato seit 1561 gegen ihn betrieb,82 sicher sein konnte. Crato mobilisierte in der Bekämpfung der angeblichen Häresie des Danzigers die beiden Augsburger Ärzte Lucas Stenglin und Achilles Pirmin Gasser. Letzterer veröffentlichte ein Pamphlet, in welchem er Suchtens Hinrichtung forderte.83 Zuflucht und Unterkunft fand der Danziger im Haus des herzoglichen Leibarztes Jacob Montanus, der mit paracelsischen Ideen sympathisierte. In der Nähe des Herzog Albrechts genoss Suchten zwar eine gewisse Immunität, auf eine Übernahme in den Fürstendienst hoffte er aber zunächst vergeblich. Auf sein Ersuchen, sich ein Bild vom Gesundheitszustand des kranken und halbseitig gelähmten Herzogs machen zu dürfen, wurde ihm ein Gutachten ausgehändigt, das die Leibärzte Mathias Stojus, Valerius Fidler, Severinus Göbel und der genannte Jacob Montanus verfasst hatten. Suchten antwortete ihnen daraufhin mit einem Schreiben, in welchem er eine Diagnose stellte und Therapie nach paracelsischem Rezept empfahl.84 Dieses Konsilium dürfte wohl nur bei Montanus auf näheres Interesse gestoßen sein.85 Die übrigen Leibärzte aber sahen keinen Grund, von ihrer humoralpathologischen Methode abzurücken. Suchten verfasste hierauf zwei weitere Konsilien, in denen sich sein Ton verschärfte. So erläuterte er die Nutzlosigkeit der Heilkunde Galens, proklamierte die Überlegenheit der paracelsischen Medizin und warf den Leibärzten Voreingenommenheit gegenüber seiner ärztlichen Methode vor:

81 Vgl. Ingrid Kästner: Theophrastus Bombastus von Hohenheim genannt Paracelsus. Leipzig 1989, S. 24 82 Zu den näheren Umständen s. Kap. 5.3, S. 142–147. 83 Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 29–31. Vgl. Kap. 5.3, Anm. 87. 84 Eine Abschrift dieses Konsiliums ist enthalten in Haberling: Alexander von Suchten, S. 198  f. 85 Dass Suchten sich mit Montanus über die (alchemo-)paracelsistische Zubereitung von Arzneimitteln im Austausch befand, geht aus einem Brief Suchtens an Herzog Albrecht hervor, vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 32. In: CP 1, S. 566: „meine Medicamente wird ich niemandt vortrauen den Doctor Jacob. der E[ure] F[ürstliche] g[naden] geßundtheit mehe hir in ßucht den in sein aigen Ehr bei den Menschen.“

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 Alexander von Suchten

Liebe Herrn D[octores] vorarget mier nichts, denn jhe feinder Ir mhier seidt, jhe mher ich euch gunne die erkenntnuß der Arznei […]. Ir wisset ja wol, daß der titel den Ir habet, zu Padua, Bolonien, Ferrarae u.s.w. umb ein schnödes geldt erkaufft wirdt, welches geldt mhier zu solchem eußerlichen schein (got lob) nhie gemangelt hatt. So das geldt vörstendige und erfarene leute machte, where unter den reichen keiner kein narre […]. [S]o sehr die lehr Galeni oder Avicennae recht ist, wirdt sie nicht können umbgestoßen werden, so unsere kunst, die do entspringet auß dem feuer und dem element krefften falsch ist, wirdt sie wieder die Wahrheit nicht bestehen können […]. [D]enn der spalt ist under unß, ob Gallenus [sic] ein rechter Medicus sei gewesen oder nicht. Ir sagt Ja. Ich sage nein, derhalben lasset ihn stehen an seinen orth und probirt eure lehr mitt der philosophia naturali, und mit den, so menschlich fünf sinne begreiffen können. Ob Ir schon sagt Ir wollet mein consilium in der schul disputieren, mag ich wol leiden; aber Ir thutt wie der Babst, der jetzt zu Triendt mhitt seinen bischoffen disputiert die Theologia, Sie seindt der sach eines, mögen statuieren was sie wollen, ist es hier zu konigsperck auch anzunehmen. Ihr saget nun, darumb waß Ir in euer schul disputiert, muß es bey den allen Arzten recht sein? und der warheitt den halß brechen? Schreibet und refutieret meine nugas, so will ich euer Galenisch evangelium auch rumen das jederman sehe, welche gewalt Ir unß und der hellen warheitt gethan habbt […]. Zum beschluß bitt ich euch, wollet die consilia bleiben lassen und greiffen die sach an, desgleichen will ich auch thun und seidt des wol eingedenck, wie man in den wald ruffet, so klingts wieder heraus, qui quae vult dicit quae non vult audiet; hiermitt vorleihe uns godt den rechten Verstand in seiner heilig Dreifaltigkeit. Amen.86

An anderer Stelle wehrt er sich erneut gegen das inzwischen nach Königsberg vorgedrungene Gerücht, er verabreiche seinen Patienten Quecksilber.87 Tatsächlich hatte Suchten auch am Hofe Herzog Albrechts gegen Verleumdungen der Leibärzte zu kämpfen. Dies geht aus einem Konsilium hervor, das er an den Fürsten adressierte: E[ure] F[ürstliche] D[urchlaucht] wissen woll waß ßie fur ein neid auff mich tragen, wer ich ein Engell, oder Christus selbs, kund ich inen doch nit recht thun, der Neidhartt findt stets etzwas quod calumnietur auch in den heiligen Gottes. Derhalben wollen E[ure] F[ürstliche] D[urchlaucht] auß diessen wortten mehe vorstehen den ich schreib.88

Vor dem Hintergrund, dass Suchten diese Zeilen im Jahre 1563 niederschrieb, als der Streit um das lutherische Erbe und den Kurs der Reformation in vollem Gange war, ist es denkbar, dass sich der Aufruf der „heiligen Gottes“ auf den Herzog und seine Glaubensbrüder bezieht.89 Diese hatten sich nämlich ab 1551 öffentlich zur

86 Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 201  ff. 87 Vgl. hierzu ein weiteres, an die herzogliche Ärzteschaft gerichtetes Konsilium, enthalten in Haberling: Alexander von Suchten, S. 203–206, hier S. 205. 88 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 32. In: CP 1, S. 565. 89 Ebd., S. 568.

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umstrittenen Lehre des Nürnberger Reformators Andreas Osiander (1498–1552) bekannt, was zur Folge hatte, dass sie von den lutherischen Theologen unter der Ägide Melanchthons auf ähnliche Weise angefeindet wurden, wie Suchten von den herzoglichen Leibärzten.90 Osiander hatte im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre verkündet, dass Christus in seiner Verkörperung des überzeitlichen Wortes einem jeden Menschen innewohne. Um der Gerechtigkeit des Heilands teilhaftig zu werden, bedürfe es daher nicht bloß der äußerlichen Einlassung auf Gottes Wort – also auf die Heilige Schrift –, sondern auch einer inneren Ausrichtung auf das präkreationale Wort in Christus. Diese realisiere sich einerseits über die Teilhabe an den ‚leiblichen‘ Gnadenmitteln von Schrift, Brot und Wein, andererseits über die Nächstenliebe. Auf diese Weise empfange der Mensch ein neues Leben: Als ein ‚Heiliger Gottes‘ werde er wieder in die Huld seines Schöpfers aufgenommen.91 Die Theologie Osianders, die gewiss auch auf Suchten gewirkt hat,92 war den Wittenberger Schultheologen in mehrfacher Weise suspekt: Zum einen, weil die Annahme einer innerseelischen Präsenz Christi die Gnadenbedürftigkeit der Kreatur zu mindern schien, und zum anderen, weil Osiander nicht nur den Glauben an das äußere Wort, sondern insbesondere die Heiligung zur Bedingung für die Rechtfertigung des Menschen machte. Daraus zogen die Gegner des Reformators den weder notwendigen noch zutreffenden Schluss, Osiander repetiere die papstkirchliche Lehrmeinung, dass der Mensch durch seine Werke vor Gott gerechtfertigt werde.93 Infolge der Drucklegung und Verbreitung seiner theologischen Schriften im Jahr 1550 kam es zum Osiandrischen Streit. Der Reformator verweilte zu diesem Zeitpunkt in Königsberg, wo er den theologischen Lehrstuhl innehatte. Die Kontroverse um Osianders Glaubenslehre dauerte über dessen Tod im Jahr 1552 hinaus an und endete erst 1566, als die preußischen Stände gegen die Regentschaft Herzog Albrechts aufbegehrten und der polnische König eine Kommission nach Königsberg entsandte, die zugunsten des Adels auf die Ächtung des Osiandrismus entschied. Im selben Jahr wurde Osianders Schwiegersohn, der Hofprediger Johann Funckius, zusammen mit den herzoglichen Räten

90 Jörg Rainer Fligge: Herzog Albrecht von Preußen und der Osiandrismus (1522–1568). Bonn 1972, S. 371–449, 522–525. 91 Claus Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes. Studien Theologie des Nürnberger Reformators Andreas Osiander. Neukirchen-Vluyn 1996, S. 274  f. 92 Vgl. Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 150  ff. 93 Vgl. Gottfried Seebaß: Andreas Osiander d. Ä. und der Osiandrische Streit. Ein Stück preußischer landes- und reformatorischer Theologiegeschichte. In: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlass der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren. Hg. von Dietrich Rauschning. Berlin 1995, S. 33–47.

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 Alexander von Suchten

Johann Schnell und Matthias Horst enthauptet; Albrechts einflussreicher Günstling Paulus Scalichius wurde des Landes verwiesen.94 Dieser Scalichius (1534–1575), zu dem Suchten gute Kontakte pflegte, war eine äußerst schillernde Gestalt: In Zagreb als Sohn eines Schulmeisters geboren, erlangte er ein Stipendium, das ihm ein Theologiestudium in Wien ermöglichte. In Bologna erwarb er die Doktorwürde. Er avancierte zum Hofkaplan Kaiser Ferdinands und zum Coadjutor des Bischofs von Laibach. Aufgrund von Betrügereien musste er Wien verlassen. Bald latinisierte er seinen Nachnamen ‚Scalić‘ (beziehungsweise ‚Skalich‘) zu ‚Scaliger‘, um sich auf diese Weise als Spross des Veroneser Adelsgeschlechts della Scala auszugeben. Darüber hinaus beanspruchte er für sich, der Prinz von Ungarn zu sein. Auf diese Weise gewann er das Vertrauen Herzog Albrechts, dessen Berater er wurde.95 Der vermeintliche Adelige verfügte über eine beeindruckende humanistische Bildung; so war er bestens mit den Werken Agrippas, Picos und des spanischen Theologen Raimundus Lullus vertraut. Zudem verfasste er selber Schriften philosophischen, okkultistischen und historiographischen Inhalts.96 Auch Suchten gehört zu dem Kreis derer, die dem falschen Scaliger auf den Leim gingen: So steuerte der Danziger für Scalichius’ Verteidigungsschrift, die dieser um 1567 zu seiner Ehrenrettung verfasste, eine Elegie mit dem Titel De visione Dei bei, in der er für den „Paulum Scaligerum, Principem Hunorum, Marcionem Veronae &c.“,97 Partei ergreift. Trotz der Bewunderung, die Suchten dem vermeintlichen Prinzen entgegenbrachte, beklagte er sich in einem Brief an Herzog Albrecht, dass Scalichius die Verhandlungen um seine Bestallung als Leibarzt unnötig hinauszögere.98 Tatsächlich aber zeigte sich der Danziger am Fürstendienst bald nicht mehr interessiert. Vielmehr war ihm daran gelegen, schnellstmöglich das Erbe seines inzwischen verstorbenen Bruders anzutreten, um seine Güter, die er diesem zuvor überschrieben hatte, zurückzuerlangen. Als er 1565 nach Danzig zurückkehrte, kam es zu Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder Georg, die mit einem Urteil endeten, gegen das Suchten Revision einlegte. Ohne den Ausgang der noch jahrelang währenden Prozesse um Barthels Erbe abzuwarten, verließ er Preußen in Richtung Leipzig,99 wo er den Universitätsmediziner

94 Fligge: Herzog Albrecht von Preußen und der Osiandrismus, S. 449–525. 95 Ebd., S. 457–501. 96 Ebd., S. 501–508. 97 Ad Paulum Scaligerum. De visione Dei, S. 44. 98 Haberling: Alexander von Suchten, S. 206  f. 99 Ebd., S. 207  f.

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und Philologen Michael Barth aufsuchte,100 zu dessen Schülern der noch junge Valentin Weigel gehört hatte.101 Vielleicht hatte Suchten noch von Danzig aus Kontakte zu dem in St. Gallen wohnhaften Handelsherrn Bartholomäus Schobinger geknüpft. Hierfür jedenfalls spricht ein an Suchten gerichteter Brief, den Schobinger nach Danzig adressierte. Die Anschrift des Empfängers lautete „Alexander von Suchten, Alexander Achtsinnit, qui se nominat“.102 Demzufolge sah sich der Danziger in der letzten Dekade seines Lebens um die Anerkennung seiner Verdienste zur Wiederbelebung des paracelsischen Heilswissens betrogen.103 Aus dem Schreiben selbst geht hervor, dass Suchten dem Handelsherrn vorgeschlagen hatte, auf dessen Kosten „die vnvollkommen metallen in besser zu verkern“.104 Offenkundig war er fest davon überzeugt, dass man aus einem mit goldhaltigem Erz vermischten Schwefel eine Tinktur zubereiten könne, welche die Kraft besitze, unedle Metalle in Gold zu transmutieren.105 Dass er sich bei der Suche nach Unterstützern dieses Unterfangens an Schobinger wandte, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass dieser Paracelsus noch persönlich kennengelernt hatte. Allerdings wollte sich der Handelsherr auf Suchtens Goldschwefelalchemie nicht einlassen.106 Gesichert ist, dass Suchten sich spätestens 1570 im Elsaß in der Gemeinschaft von Michael Toxites aufhielt. Suchten überreichte Toxites hier den ersten Teil seines Antimontraktats, den dieser unter dem Titel Liber unus De secretis antimonij bei Christian Müllers Erben zu Straßburg in den Druck gab. Auch ist bekannt, dass Suchten mit Toxites noch im selben Jahr auf dem Reichstag in Speyer ärztlich tätig war. Dies belegt Toxites’ Edition der paracelsischen Schrift

100 Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 546. 101 Zu Michael Barth als Lehrer Weigels s. Wollgast: Philosophie in Deutschland, S. 503. 102 Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 212. 103 Ebd., S. 211  f. 104 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 119. In: CP 3, S. 467. Die Tatsache, dass Schobinger seinen Brief nach Danzig adressierte, obwohl Suchten seit 1574 in Oberösterreich verweilte und zum Zeitpunkt der Datierung bereits verstorben war, legt die Annahme nahe, dass es sich bei dem angegebenen Datum (April 1576) um einen ‚Zahlendreher‘ handelt und der Brief auf das Jahr 1567 zu datieren ist. Ansonsten müsste man von dem wenig wahrscheinlichen Fall ausgehen, dass Schobinger zum Zeitpunkt seines Schreibens weder von Suchtens Tod noch von dessen letztem Aufenthaltsort Kenntnis hatte. 105 Völlig abwegig ist daher die Behauptung, Suchten habe nicht an die Möglichkeit der Transmutation der Metalle geglaubt (so Hubicki: Alexander von Suchten, S. 54–63). Den Vorwurf der Scharlatanerie macht Suchten ausschließlich der traditionellen Transmutationsalchemie. Die Veredelung und Verwandlung von Metallen hält er aber durchaus für möglich, solange die diesbezügliche Praxis auf theologisch-spiritualistischen Prinzipien beruht; vgl. Kap. 4.4, S. 98  f. 106 Vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 119. In: CP 3, S. 467  ff.

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 Alexander von Suchten

De peste, in der er sich gegen den Vorwurf des anti-paracelsistisch eingestellten Arztes Lucas Stenglin verteidigt, er habe während des Reichstags den Kanzler von Passau mit seiner Kunst ums Leben gebracht. Vielmehr habe, so Toxites, sein Kollege und guter Freund Alexander von Suchten noch versucht, Schlimmeres zu verhindern, indem er dem zuvor notdürftig verarzteten Kanzler „zu einer Sterckung des herzens“ einen Trank verabreichte.107 Allerdings habe er den Patienten damit nicht retten können.108 Über die folgende Zeit ist wenig bekannt: Vielleicht hielt sich der Danziger während seiner letzten Lebensjahre zeitweilig auf dem Gut des österreichischen Adeligen und Alchemie-Interessenten Johann Baptista von Seebach auf, dem er auch den zweiten Teil seiner Antimonmonographie widmen sollte. Johann Joachim Becher weiß seinem 1684 erschienen Chymischen Glücks-Hafen davon zu berichten, dass eine briefliche Korrespondenz zwischen Suchten und Seebach bestand.109 Oliver Humberg brachte 2007 mehrere Dokumente ans Licht, die von Suchtens letzten Lebensmonaten Kunde geben. Demnach fand dieser im Oktober 1574 eine Stelle als Landschaftsarzt in Linz, wo er im November 1575 starb.110

2.3 Werk Trotz der wegweisenden Rolle, die der Danziger für die Entstehung des Paracelsismus einnahm, wurde er postum, ebenso wie auch Paracelsus,111 völlig zu Unrecht zu einem Repräsentanten der Transmutationsalchemie verklärt und auf diese Weise mit Bernhardus Trevisanus, Arnald von Villanova, Morienus und Pseudo-Lullus in eine Reihe gestellt. Hierbei wurde übersehen, dass Suchten seit seiner paracelsistischen Wende vor einem falschen Verständnis der Alchemie gewarnt und in mehreren Elegien die Fruchtlosigkeit der traditionellen Goldmacherei betont hatte.112 Auch wurde die Autorschaft Suchtens für mehrere Schriften fälschlicherweise in Anspruch genommen, etwa für ein deutschsprachiges Lehr-

107 Michael Toxites: Apologia. In: De peste Philippi Theophrasti Paracelsi […]. Nikolaus Wyriot, Straßburg 1576, Eiijr–Evijv, hier Evr. 108 Ebd., Evv. 109 Johann Joachim Becher: Chymischer Glücks-Hafen. Frankfurt a. M. 1682, )(iiijv). 110 Humberg: Die Verlassenschaft, S. 32. 111 Vgl. Joachim Telle: Paracelsus als Alchemiker. In: Paracelsus und Salzburg. Hg. von Heinz Dopsch u. Peter F. Kramml. Salzburg 1994, S. 157–172, hier S. 161  f. 112 Vgl. u.  a. Haberling: Alexander von Suchten, S. 209, hier mit Verweis auf das Spottgedicht De Nobel Raymundi moneta (= Von der Falschmünzerei des ‚Noble Raymond‘).

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gedicht mit dem Titel Vom Stein der Weisen.113 Gleiches gilt für fast alle Abteilungen der Colloquia chymica, bei denen es sich um bloße Übersetzungen fremder Werke handelt; so im Falle des zweiten Dialogs, den der italienische Hermetiker Giovanni Bracesco unter dem Titel Demogorgon verfasste, sowie im Falle der Dialoge drei bis sieben, deren lateinische Vorlage aus Gerhard Dorns Clavis totius philosophiae chymisticae (1567) stammt. Einzig für den ersten Dialog, Ein freund­ lich Gesprch zwischen einem Leyen und einem hocherfahrnen Artist und Knstler, kommt die Urheberschaft Suchtens in Frage.114 Als unecht ist auch der größte Teil der Concordantia chymica anzusehen,115 die zusammen mit den Colloquia erstmals 1606 in Franz Kiesers Cabala chymica erschien. Benedict Figulus’ Kompilationsschrift Pandora brachte 1608 eine ganze Reihe von bis dahin ungedruckten Werken, die für sich die Autorschaft Suchtens behaupten, ans Licht der Öffentlichkeit: Hierunter fallen die Explicatio tincturae physicorum Theophrasti Paracelsi, die Regulae seu canones aliquot de lapide phi­ losophico, der Dialogus Alexandri und De tribus facultatibus. Ob die erstgenannte Schrift unter die Pseudo-Suchteniana zu rechnen ist, ist nach wie vor klärungsbedürftig.116 Der Dialogus Alexandri, der erstmals in stark gekürzter Form in Jacob Foillets Ausgabe der Antimonschrift erschien, enthält Textstellen, die den Anschein erwecken, als nähmen sie Bezug auf gewisse Ereignisse aus Suchtens Leben.117 Indes weist er historische Unstimmigkeiten auf: Wenn es an einer Stelle heißt, dass der Bruder des Hauptredners, der sich als „Alexander“ ausgibt, an der Wassersucht leide,118 so widerspricht dies dem terminus post quem, der sich aus

113 Zu diesem Gedicht s. Joachim Telle „Vom Stein der Weisen“. Eine alchemoparacelsistische Lehrdichtung des 16.  Jahrhunderts. In: Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrasts von Hohenheim im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit. Hg. von dems. Stuttgart 1994, S.  167–202; erneut in Alchemie und Poesie. Deutsche Achemikerdichtungen des 15. bis 17. Jahrhunderts. Bd. 1. Hg. von Joachim Telle. Berlin 2013, S. 407–460. 114 Gilly: Paracelsianism brings forth, S. 193. 115 Kühlmann und Telle rechnen die Concordantia chymica unter die Pseudo-Suchteniana (vgl. Nr. 31. In: CP 1, S. 548). Allerdings lässt sich die Autorschaft Suchtens hier zumindest abschnittsweise in Erwägung ziehen; so etwa, wenn die Lehre von den ‚zwei Leben des Menschen‘ zusammen mit der Kritik an der Pflanzenheilkunde vorgetragen wird, was auch in De secretis anti­ monij der Fall ist (vgl. Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 22  ff. u. S. 253  ff.). Man bedenke, dass die Ablehnung der Pflanzenheilkunde ein Proprium von Suchtens Medizin darstellt (vgl. Kap. 4.4, S. 101  f.). 116 Die Echtheit der Explicatio tincturae physicorum wurde erstmals von Gilly bestritten (Paracelsiansim brings forth, S. 193). In der Folge wurde sie auch im Corpus Paracelsisticum für unecht erklärt. Für die mögliche Autorschaft Suchtens s. Kap. 4.5, S. 113  f. 117 Vgl. Hubicki: Alexander von Suchten, S. 62  f. 118 Chymische Schrifften. Dialogus, S. 308.

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 Alexander von Suchten

der Erwähnung der „4 Tomi, so Erastus wider Paracelsum geschrieben“ ergibt.119 Als Erastus die vier Bände der Disputationes de nova Philippi Paracelsi medicina im Jahr 1572 abschloss, waren Suchtens Brüder Georg und Barthel nämlich längst verstorben. Von einem dritten Bruder fehlt jede Spur.120 Auch finden sich im Dia­ logus die erwähnten Unstimmigkeiten, welche die vermeintliche Studienreise Suchtens betreffen. Es ist also zumindest von Interpolation auszugehen. Für die partielle Authentizität des Dialogus spricht allerdings der Umstand, dass sich bereits dessen Manuskript von 1580 als ein Werk Suchtens ausgibt und mit dem Hinweis auf den vorzeitigen Tod des Autors endet. Hinzukommt, dass die handschriftlichen Vorlagen für die Druckfassungen des Dialogus in den Ausgaben Foillets und Figulus’ von dem Alchemie-begeisterten Adeligen Johann Baptista von Seebach beigesteuert wurden, der mit Suchten persönlich bekannt war.121 Von der Hand Seebachs könnten denn auch die Eingriffe in den Text stammen. Dass es sich bei De tribus facultatibus um ein unechtes Werk handeln könnte, hat bisher allein Rudolf Werner Soukup in Erwägung gezogen.122 Indes ist an der Urheberschaft Suchtens bei näherer Betrachtung kein Zweifel möglich: Erstens sind zwischen dem Traktat und Suchtens Elegie De vera medicina zahlreiche inhaltliche Parallelen festzustellen. Darunter fällt auch die Dreiteilung der magia in die drei Fakultäten von Theologie, Astronomie und Medizin, die durchaus keinen paracelsistischen Allgemeinplatz darstellt. Zweitens weist der Traktat hinsichtlich seiner sprachlichen Gestaltung bis in einzelne Formulierungen hinein Übereinstimmungen mit der Antimonmonographie auf. Drittens hegt der Autor von De tribus facultatibus eine für den Paracelsismus untypische Aversion gegen die Pflanzenheilkunde, die sich in dieser Form nur in authentischen Suchteniana wie etwa De secretis antimonij ihresgleichen findet. Man kann De tribus facultatibus also guten Gewissens unter die echten Schriften des Danzigers rechnen. Als authentisch ist auch Suchtens poetisches Werk anzusehen, darunter zahlreiche Elegien sowie ein an Guilelmus Blancus gerichtetes Epigramm De lapide philosophorum, das Toxites seiner Basler Ausgabe pseudo-lullischer Schriften von 1572 beifügte, woraufhin es in den folgenden Jahrzehnten etliche Nachdrucke

119 Ebd., S. 327. 120 Vgl. Haberlings lückenlose Rekonstruktion von Suchtens Verwandtschaft (Alexander von Suchten, S. 179  ff.), einschließlich des Stammbaums, den er seiner Studie beigefügt hat. 121 Für die Hinweise, die für die – meines Erachtens lediglich partielle – Echtheit des Dialogus sprechen, danke ich Carlos Gilly. 122 Rudolf Werner Soukup: Chemie in Österreich. Bergbau, Alchemie und frühe Chemie. Von den Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Wien u.  a 2007, S. 275.

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erfuhr.123 Zu den wenigen zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften zählen die spätestens 1561 entstandenen XVIII Propositiones. In diesem Manifest legt Suchten dar, „was ein Arzt und die Medizin selbst sei sowie mit welchen Heilmitteln Krankheiten aus den Körpern verjagt werden können.“124 Selbiges Dokument, das – obwohl kaum drei Oktavseiten umfassend – vonseiten der Schulmedizin einen Sturm der Entrüstung hervorrief,125 markiert Suchtens literarische Neuausrichtung als Verkünder der paracelsischen Lehre. Später wurden die Propositio­ nes, erweitert um eine 21 Seiten lange „Nähere Erläuterung für die Unkundigen“ (Fusior declaratio pro imperitioribus), in Figulus’ Pandora (1608) unter dem Titel De vera medicina veröffentlicht. Unter selbigem Titel war bereits zuvor eine um 1563 entstandene, an den Paracelsisten Karl Rauchenberg adressierte Elegie Suchtens in Baltasar Flöters Paracelsus-Ausgabe Medici libelli (1567) und wenig später im Liber unus De secretijs antimonij (1570) im Druck erschienen. Als titelgebender Vorgesang zu den Propositiones und der Fusior declaratio gelangte diese Elegie erst 1680 in den Druck. Allerdings musste diese Zusammenstellung – wahrscheinlich als Manuskript – schon früher bestanden haben, denn sonst bliebe unklar, wie die Elegie dem zweiteiligen Traktat, wie man ihn in der Pandora antrifft, ihren Namen vererben konnte. Offenbar hatte Figulus bei seiner Publikation von De vera medicina allein deshalb auf die einleitende Elegie verzichtet, weil diese von ihrer Thematik her nicht recht zu den Propositiones und zu deren Erläuterung passen wollte. Der Umfang seiner Bibliographie belegt, dass sich Suchtens Werk postum einer großen Leserschaft erfreute. Fünf Jahre nach der erstmaligen Edition von De secretis antimonij erstellte der Paracelsist und Übersetzer Georg Forberger eine lateinische Ausgabe, die er bei Pietro Perna zu Basel in den Druck gab.126 Der unvollendete zweite Teil der Antimonschrift, den der Verleger Jacob Foillet zu Montbéliard auf den Weg brachte, gelangte erst 1604 unter dem Titel Clavis alche­ miae erstmals in den Druck. Weitere Editionen beider Teile folgten, besorgt von Foillet (1604) und Johann Thölde (1604, 1613). Zudem erschien 1670 in London

123 Vgl. zu diesem Gedicht Joachim Telle: Johann Arndt – ein alchemischer Lehrdichter?, S. 231– 246. 124 So der Titel des Manifests, vgl. Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, fol 255r: „Decem et octo Propositiones, in quibus liquide demonstratur, quod medicus sit, quidque medicina ipsius. Item quibus remediis aegritudines a corporibus expellantur […].“ (Übers. S. B.). 125 Vgl. Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 152–161, 166  ff., 172–178; vgl. ferner Kap. 5.3. 126 Vgl. Rudolph Zaunick: Der sächsische Paracelsist Georg Forberger. Mit bibliographischen Beiträgen zu Paracelsus, Alexander von Suchten, Denys Zacaire, Bernardus Trevirensis, Paolo Giovio, Francesco Guicciardini u. Natale Conti. Hg. von Hans-Heinz Eulner u. Kurt Goldammer. Wiesbaden 1977 (Kosmosophie 4), S. 44–47.

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 Alexander von Suchten

eine englische Übersetzung.127 Zu den Persönlichkeiten, die als Herausgeber von Suchteniana die Erinnerung an den Danziger wachhielten, sind neben Thölde und Toxites vor allem Joachim Tancke und der Theosoph Joachim Morsius zu nennen. Als Morsius 1621 den Traktat De vera medicina edierte, war der Ausgabe auch Suchtens Epigramm De lapide beigefügt, das ihm niemand geringerer als Johann Arndt als ein „testimonium amoris“ gewidmet hatte.128 Zweifellos hatte Arndt auch Kenntnis von De tribus facultatibus. Dies bezeugt seine zu Studienzeiten (1579–1582/3) entstandene Schrift De antiqua philosophia et divina veterum Magorum sapientia recuperanda,129 die in zwei deutschen Übersetzungen überliefert ist.130 Hier finden sich zahlreiche Motive, die auch in Suchtens Traktat anzutreffen sind: Der Vorrang der Werke gegenüber den Worten, die Berufung des Paulus zum Theologen der Christenheit durch den Geist Gottes, das „Absterben“ der alten Weisen, das Erlöschen der wahren „erkentnüß Gottes“, die Kür des Geistes zum „außleger“ der Heiligen Schrift, die Geheimlehre der magia und deren Bewahrung durch überdauernde, „unbeflekte Künste“. Im zweiten Teil von De antiqua philosophia, der mit De vanitate scientiarum et artium huius seculi betitelt ist, stößt man ferner auf die drei „faculteten“ von theologia, medicina und – abweichend von Suchtens Traktat – „Jurisprudentia“. Erwartungsgemäß abschätzig äußert sich Andreas Libavius über Suchtens Werk. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen Suchtens Paracelsismus-typische Spiritualisierung und Verklausulierung chemischen Wissens. In der Konsequenz beleuchtete Libavius im zweiten Band seines Werks Syntagmatis arcanorum chy­ micorum (1613) die Rezepturen der Antimonmonographie, die Suchten allein für die Erwählten Gottes bestimmt hatte, auf ihre chemischen Hintergründe hin, um

127 Der Titel dieser Edition lautet: Alexander von Suchten: Of the Secrets of Antimony: in Two Treatises. Translated out of High-Dutch by D. C[able] a Person of great skill in Chemistry […]. Moses Pitt, London 1670. 128 Vgl. Telle: Johann Arndt – ein alchemischer Lehrdichter?, S. 464. 129 Vgl. hierzu Carlos Gilly: Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift ‚De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda‘. In: Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die Vier Bücher vom wahren Christentum. Hg. von Hans Otto u. Hans Schneider. Hannover 2007, S. 163–199, hier S. 174. 130 Das eine Manuskript wurde 1695 von der Univ. Helmstedt erworben (cod. Guelf. 912 Novi 4°, S. 1r–27v), das andere befindet sich in der BSB München (cod. germ. mon. 4416/11, S. 1r–12v). Vgl. zu diesen Dokumenten Carlos Gilly: Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Ausstellung der Bibliotheca Philosophica Hermetica Amsterdam und der Herzog August Bibliothek Wolffenbüttel (2. verb. Aufl.). Amsterdam 1995, S. 15  f. sowie ders.: Johann Arndt und die dritte Reformation im Zeichen des Paracelsus. In: Nova acta Paracelsisca 11 (1997), hier S. 60–77.

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sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Doch auch für den Chemiker Suchten findet Libavius kein gutes Wort: Dieser Suchten hat offenbar, gemäß der irrigen Meinung seiner Zeit, dem Antimon universale Kräfte zugeschrieben und in Berufung auf eine Geheimformel, in der er den Ausdruck einer Weisheitslehre erblickte, Anleitungen für die Zubereitung wundersamer Amalgame gegeben. In diesem Bereich hat er schließlich einiges gefunden, was jedoch an das Niveau der wahren Tinktur in keiner Weise heranreicht; vielmehr hat er die – fernab von seinen Erwartungen liegende – rechte Lehre, die in erster Linie physischer Natur ist und sich nur auf handwerkliche Weise perfektionieren lässt, in eine medizinisch-magische transformiert, indem er ein alternatives ‚Gold‘ und weitere Dinge erfand, die mit den Gaben der Natur und mit der wahren Kunst, welche die Natur imitiert, nichts zu tun haben. Deshalb und weil er seine Gedanken für gewöhnlich in ziemlich dunklem Stil darlegt, ist es auch nicht leicht, die in seinem Werk auftretenden Widersprüche aufzudecken.131

Allerdings tat dies der Beliebtheit von Suchtens spiritualistischem Werk keinen Abbruch. So zitiert der anonyme Herausgeber in der Vorrede von Julius Sperbers 1615 erschienener Rosenkreuzerschrift Echo der von Gott hocherleuchteten Fra­ ternitet deß lblichen Ordens R. C. seitenlang aus De tribus facultatibus.132 Diese Vorrede gab den Ausschlag dafür, dass der Traktat in einem erhaltenen Exemplar der Pandora von unbekannter Hand mit dem Titel Extractum ex Echo [ad] fratres Rosae crucis überschrieben und mit zahlreichen Adnotationen versehen wurde, die ebenjene Vorrede in Teilen wörtlich wiedergeben.133 Der Paracelsus- und Rosenkreuzer-Sympathisant Heinrich Nollius macht in seiner Physica Hermetica von 1609 zwar keinen Hehl daraus, dass er für die „asseclae“ des Hohenheimers wenig übrig habe, die Geistmetaphysik des „Suchtenius“ gilt ihm jedoch als so

131 Andreas Libavius: Syntagmatis arcanorum chymicorum. Nikolaus Hoffmann, Frankfurt 1613, S. 24: „Apparet Suctenium istum opinione suorum temporum deceptum omnia antimonio tribuisse, & secutum formulam magni magisterii sapientum mirificas amalgationes instituisse, quibus tandem nonnihil invenit, sed quod sublimitatem tincturae verae neutiquam attingeret: imo tota sua spe deiectum transformasse legitimum magisterium, quod est principialiter Physicum, & artis opera adiuvante ad perfectionem perductum, in medicum, & magicum, fingendo aliud aurum & caeterea quam quae natura dedit, & ars vera imitando naturam spectavit. Ideo & suo quodam more perplexe satis philosophatur, neque facile est apparentes contradictiones explicare.“ (Übers. S. B.). 132 Vgl. [Julius Sperber]: Echo der von Gott hocherleuchteten Fraternitet, deß lblichen Ordens R. C. Das ist: Exemplarischer Beweis/ Das nicht allein das jenige was in der Fama vnnd Confession der Fraternitet R. C. ausgebotten/ mglich vnd war sey […]. Andreas Hünefeldt, Danzig 1615. Vorrede, (a)ijr–(e)ijv, hier (b)iiijr/v, (b)vv–(c)v, (d)r–(d)ijr. 133 Für die Übermittlung des Digitalisats des mit den Adnotationen versehenen Texts danke ich Carlos Gilly.

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 Alexander von Suchten

bedeutsam, dass er diesen lobend hervorhebt.134 Noch 1638 verficht der Dichter und lutherische Theologe Johann Rist irrtümlich die Autorschaft Suchtens für den anonym überlieferten Traktat Philosophischer Phoenix,135 dessen hohe Qualität Rist davon überzeugte, dass dieses Werk „keines andern als eben deß Edlen vnd weitberhmten Chymici Alexandri Von Schten whre/ dessen hinterlassen Scripta also distrahiret vnd von etlichen ignoranten vmbher getragen wrden/ die denn solche vnd derogleichen Sachen offt vor die jhrige außruffeten.“136 Indes wurde Suchten in der Folgezeit nur noch als Chemiker gewürdigt, so etwa im zweiten Teil seiner Schrift Alchymia denudata (1727). Der anonyme Verfasser dieses Werks, hinter dem sich wahrscheinlich Johann Ehrd von Naxagoras verbirgt, widmet hier dem Herrn „Doctor Alexander von Suchten“ ein eigenes Kapitel.137 Auch verteidigt er ihn gegen die Angriffe des Chemikers Johann Kunckel (1630–1703), der Suchten in seinem Laboratorium Chymicum zusammen mit dem Alchemisten Johannes Mondschneider unter die Phantasten und „Process-Krmer“ rechnet.138 Demgegenüber bezeichnet der Autor der Alchymia denudata Suchten als einen „wrcklichen Adeptum“, der dafür gesorgt habe, dass „eine ungekrnckte Weisheit seyn und bleiben wird“, und dies umso mehr, da „in allen seinen Schriften nicht die allergeringste Process-Krhmerey“ zu finden sei; „sonst Paracelsus, Rogerus Baco, Basilius, und andere Philosophi mehr/ alle auch Process-Krhmer/ ja Kunckel selbst einer mit gewesen seyn mste […].“139 Was man gegenwärtig vom Antimon lehre, das habe Alexander von Suchten ingleichen schon vor einem seculo gethan und NB. die ganze Theoriam und Praxin biß auf ein gar weniges in seinem Buche de Antimonio vulgi geschrieben, so, daß aus solcher Operation, als worinnen die Wahrheit ist, die Jnger dieser Kunst das

134 Vgl. Heinrich Nollius: Physica Hermetica. Nikolaus Hoffmann, Frankfurt 1619, S. 39: „Ego etsi magni Paracelsum facio, eius tamen qui eius asseclae in re medicahaberi cupiunt, non semper dilaudo.“, S. 259 (in Bezug auf Suchtens XVIII Propositiones): „Ex duobus Solis & Lunae fontibus, ut docte disserit Suchtenius, ortus spiritus mundanus naturalis et vitalis […].“ 135 Vgl. hierzu Stephanie Stockhorst: Johann Rists Alchemietraktat Philosophischer Phoenix – Plagiat oder Parodie? In: Johann Rist (1607–1667). Profil eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hg. von Johann Anselm Steiger u. Berhard Jahn. Berlin, Boston 2015, S. 673–698. 136 Johann Rist: Nothwendige Rettung vnd rechtmässige Vertheidigung des Philosophischen PHOENIX […]. In: Sämtliche Werke. Bd.  7. Prosaabhandlungen. Unter Mitwirkung von Helga ­Mannack u. Klaus Reichelt. Hg. von Eberhard Mannack. Berlin, New York 1982, S. 31–65, hier S. 44. 137 I. N. v. E.: Alchymia denudata […] anderer Theil. Leipzig 1727, S. 100–111. 138 Johann Kunckel von Löwenstern: Collegium Physico-Chymicum Experimentale, Oder Laboratorium Chymicum […]. Hamburg 1738, S. 627. 139 I. N. v. E.: Alchymia denudata […] anderer Theil. Leipzig 1727, S. 90.

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wahre Fundament der Transmutation, oder Vernderung der Metallen, so durch das Antimonium geschicht und zuwege gebracht werden kann, zu ersehen haben […].140

Ironischerweise lieferte jener Lobpreis auf den Transmutationskünstler Suchten diesen mitsamt seines Schrifttums dem baldigen Vergessen aus: Je weiter die Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie wuchsen, desto unglaubwürdiger wurden Berichte von der Umwandlung von Metallen. Indem Suchten nun der Ruf vorauseilte, Transmutationsalchemie betrieben zu haben, bestand kein Grund mehr, sich weiterhin mit seinem Werk zu beschäftigen. Erst eine 1893 edierte englische Übersetzung von Benedict Figulus’ Kompilationsschrift Pandora ließ das Andenken an Suchten wieder aufleben.141 Die Entstehung dieser modernen Ausgabe, die mehrere Suchteniana – darunter auch De tribus facultatibus – ans Licht der Öffentlichkeit brachte, war durch die um 1900 einsetzende esoterische Rezeption der Alchemie motiviert. Bezeichnenderweise findet sich die englische Neuausgabe auch im Katalog des Bibliotheca medica des Schriftstellers Alexander von Bernus (1880–1965) aufgelistet,142 der sich ab 1912 an der Grenze zur Esoterik – und auch darüber hinaus – alchemischen Studien widmete.143

140 Ebd., S. 95. 141 Diese Übersetzung erschien unter dem Titel ‚Benedict Figulus: A Golden and Blessed Caskett of Natures Marvels. London 1893‘. Suchtens Traktat, den Figulus mit ‚Ex libro de tribus facultatibus‘ überschrieb, trägt hier den Titel ‚Extracts from the Book of the Three Faculties‘ (S. 160). 142 Annelies Stöckinger: Katalog der Drucke. In: Die Alchemiebibliothek Alexander von Bernus in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Hg. von ders.  u. Joachim Telle. Wiesbaden 1997, S. 25–269, hier S. 115. 143 Ausdrücklich abzugrenzen ist die Esoterik eines Alexander von Bernus vom historischen Phänomen des Paracelsismus, wenngleich dessen hermetisch-spiritualistische Implikationen bisweilen noch in der jüngeren Forschungsliteratur als ‚esoterisch‘ charakterisiert werden (vgl. bes. Antoine Faivre: Esoterik. Ins Deutsche übersetzt von Peter Schmid. Braunschweig 1996, S. 22  ff. sowie Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Hg. von Wouter J. Hanegraaf u. Anoine Faivre. 2 Bde. Leiden, Boston 2005). Indes ist der Begriff ‚Esoterik‘ zur Beschreibung des Paracelsismus in jeder Hinsicht ungeeignet; und zwar erstens, weil die Esoterik anstelle der etablierten, naturwissenschaftlichen Erklärungsmodelle des modernen Weltbilds alternative Deutungsmuster postuliert (wohingegen in der Frühen Neuzeit von einem allgemeingültigen, wissenschaftlich fundierten Weltbild noch keine Rede sein kann), zweitens, weil die Esoterik die Realexistenz übernatürlicher, rational undurchdringlicher Dimensionen behauptet (wohingegen Paracelsus seine magia als naturimmanent begreift und einer Rationalisierung unterzieht; vgl. Kap. 7.7.4, S. 343–349 u. Kap. 7.7.5, S. 351) und drittens, weil der Esoterik der Ruch des Aberglaubens anhaftet (wohingegen die Möglichkeit einer paracelsistischen magia – sowie die Realität von Magie im Allgemeinen  – unter frühneuzeitlichen Gelehrten kaum bezweifelt wurde; vgl. Kap. 7.1, S. 233–249).

3 De tribus facultatibus 3.1 Datierung Im Jahr 1680 publizierte Ulrich C. Dagitza die bisher einzige Gesamtausgabe, die entgegen ihrem Titel Alexander von Suchten/ […] Chymische Schrifften Alle, nicht vollständig ist. Den Traktat De tribus facultatibus edierte er hierbei nahezu unverändert nach der Fassung der Pandora, welche die einzige Druckfassung des Textes anbieten konnte. Gleichwohl stellte Figulus’ Kompilation nicht die einzige Überlieferung des Traktats dar: Im Jahr 1984 präsentierte Walter Pagel in seiner Paracelsismus-Studie ‚The Smiling Spleen‘ die Titelseite eines auf 1598 datierten Manuskripts, das sich zu diesem Zeitpunkt in seinem Besitz befand.1 Nach Auskunft von Carlos Gilly entstammte dieses Exemplar der Bibliothek des berühmten schwedischen Mystikers Johannes Bureus (1568–1652). Der Titel lautete: Liber de tribus facultatibüs et Magica Inventione Theologiae Astronomiae et Medicinae. Vom UrsPrung unnd Herkommen der Dreyenn Facvlteten Theologey Astronomey unnd Artzney, Wie Sie erstlich aus der Magia entsprungen unnd woraus sie ihren grunndt unnd Fundament habenn. D. Philippi Theophrasti Paracelsi von Hohenheim schreibenn an einen gueten Freunde. 1542.2

Die Behauptung der Autorschaft Hohenheims war, wie zahlreiche Pseudo-Paracelsica belegen, ein oft genutztes Mittel, um alchemisch-naturphilosophischen Schriften eine große Leser- und Käuferschaft zu bescheren. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass Suchten die Spur zu Paracelsus selbst gelegt hat. Der Autor gibt nämlich einen indirekten Hinweis auf seine Identität, indem er am Ende des Textes das Wort an den Widmungsempfänger der Schrift richtet: Daß ich euch aber hiervon mehr offenbare/ dann vielleicht von jemands offenbahret ist/ darinn wollet ihr mein Gemth gegen euch erkennen/ der ihr meinen Bruder in seinen Nthen nicht verlassen; Darumb ich schuldig/ euch dasselbig/ so mir Gott gegeben (ohn allen Ruhm) vor einem andern mitzutheilen.3

Bei dem notleidenden Bruder handelt es sich entweder um Barthel oder Georg von Suchten, die beide gleichermaßen an schwerem körperlichem Gebrechen

1 Diese Handschrift wird inzwischen in der Bibliotheca Philosophica Hermetica verwahrt (Amsterdam, Ms. BPH M382). 2 Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsianism in Storm and Stress, S. 16. 3 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 382. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-003

Datierung 

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Abb. 1: Walter Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsism in Storm and Stress. Basel u.  a. 1984, S. 16.

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 De tribus facultatibus

litten und kurz nacheinander verstarben.4 Wahrscheinlich bezieht Suchten sich in der zitierten Textstelle auf Barthel, denn zu diesem hatte er gewiss eine herzlichere Beziehung als zu Georg: Mit diesem führte er nämlich, als Barthel im Jahr 1564 kinderlos starb, den erwähnten Prozess um die Verteilung des hinterlassenen Erbes. Das Urteil fiel in erster Instanz zu Suchtens Ungunsten aus.5 Zu diesem Zeitpunkt war jedoch auch Georg bereits verstorben. Gleichviel, welcher der beiden Brüder es war, dem der Beistand des Widmungsempfängers von De tribus facultatibus zuteilwurde: Mit Blick auf die Sterbejahre von Barthel und Georg von Suchten dürfte der Traktat, den Carlos Gilly auf die Zeit zwischen 1563 bis 1569 datiert,6 im Jahr 1564 oder wenig später entstanden sein.

3.2 Karl Rauchenberg als Widmungsempfänger Vieles deutet darauf hin, dass es sich bei dem Widmungsempfänger um den Salzburger Paracelsisten Karl Rauchenberg handelt. Dieser ist nämlich auch der Adressat der Elegie De vera medicina, deren Thematik etliche Überschneidungen mit Suchtens Ausführungen mit De tribus facultatibus aufweist. So behandeln beide Texte die Gottebenbildlichkeit der Schöpfung, die Missdeutung der Heiligen Schrift, die Nutzlosigkeit der Pflanzenheilkunde, die Erkenntnis Gottes sowie die magia in ihrer Dreigestalt von Medizin, Astronomie und Theologie (siehe Anhang, Nr. 1, S. 374–379). Der Traktat erweckt bisweilen den Eindruck, als vertiefe und erweitere er die in der Elegie präsentierte Thematik. Es ist also gut möglich, dass Suchten die Elegie De vera medicina und De tribus facultatibus als Einheit konzipierte. Demnach wäre davon auszugehen, dass Suchten plante, das Gedicht dem Traktat voranzustellen: Dafür spricht jedenfalls die Schroffheit, mit welcher der Text einsetzt: „NUn daß ich zu der Sachen komme/ fahe ich an […].“7 Indem Suchten die Thematik seines Traktats unbestimmt lässt und nur pauschal von einer „Sachen“ spricht, scheint er vorauszusetzen, der Leser habe bereits einen Begriff davon, wovon im Folgenden die Rede sein wird. Der unelegante Beginn von Suchtens Traktat ließ schon bei Figulus den Verdacht aufkommen, dass der Text einem größeren Komplex angehören müsse. So überschrieb er diesen in seiner Pandora mit dem Titel „Ex Libro De tribus facul-

4 Vgl. Haberling: Alexander von Suchten, S. 207  f. 5 Ebd., S. 208. 6 Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus, S. 103 u. 107. 7 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357.

Karl Rauchenberg als Widmungsempfänger 

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tatibus Alexandri à Suchten“.8 Indes fehlt von einem umfangreicheren, mit ‚De tribus facultatibus‘ betitelten Buch jede Spur. Sofern Suchtens Traktat nun darauf angelegt war, den Faden eines bestimmten Textes wieder aufzunehmen, kommt hierfür nur die an Karl Rauchenberg adressierte Elegie in Frage. Umgekehrt steht ebendiese Elegie als Beigabe zum Traktat De vera medicina mit den darin aufgeführten Propositiones und der daran anschließenden Fusior declaratio in keinerlei ersichtlichem Zusammenhang. Wer auch immer die Texte erstmals in dieser Form zusammenstellte und diese Auswahl mit dem Titel „De vera medicina“ versah, scheint sich nicht eingehender mit dem Inhalt der drei Schriftstücke beschäftigt zu haben. Die fehlgeleitete Verknüpfung von Suchtens Elegie mit der Fusior declaratio kam vermutlich dadurch zustande, dass in dieser Erläuter­ ung die quinta essentia an einer Stelle als eine „verissima Medicina“ bezeichnet wird.9 Figulus und Morsius erkannten, dass diese Zusammenstellung irrtümlich zustande gekommen sein musste, und verbannten daher die Elegie aus ihren Publikationen des Traktates De vera medicina. Ulrich C. Dagitza hingegen machte diese Auslassung in seiner Gesamtausgabe Suchtenscher Schriften umstandslos wieder rückgängig. Wer war nun dieser Karl Rauchenberg (bzw. Rauhenberger),10 den man als Widmungsempfänger von De tribus facultatibus anzunehmen hat? Soweit er sich historisch fassen lässt, war er ein Nachkömmling einer alteingesessenen Salzburger Familie, der mit Vorliebe Paracelsica sammelte.11Auch er selbst war schriftstellerisch tätig, wie eine unter seinem Namen überlieferte, handschriftliche Fassung einer Alchimia belegt.12 Er muss zwischen 1527 und 1531 geboren und vor 1588 gestorben sein, da sich der Paracelsist Hieronymus von Barnichhusen im August selbigen Jahres erinnert, dass Rauchenberg „des Theophrastus aigne handtschrifft“ zu lesen und paracelsische Texte „wider [zu] reformiren“ ver-

8 Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta, de benedicto lapidis philosophi mysterio. Hg. von Benedict Figulus. Lazarus Zetzner, Straßburg 1608, S. 112–142, hier S. 112. 9 Chymische Schrifften, S. 466–486: Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 478. 10 Überliefert sind außerdem die Namensvarianten ‚Rauchbirg‘, ‚Rauchenperg‘, ‚Rauchenperger‘ und ‚Rauchensberger‘. In der von Toxites besorgten Erstausgabe von De secretis antimonij (1570) ist Suchtens Elegie an den „Carolum Raubergium Salisburgensem“ adressiert, vgl. Alexan­ der von Suchten: Liber unus De secretis Antimonij […]. Christian Müllers Erben, Straßburg 1570, S. 104. 11 Soukup: Chemie in Österreich, S. 245. 12 Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 145. Johann Huser an Paracelsusleser (Anfang 1589). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd.  3: Der Frühparacelsismus. Dritter Teil. Berlin, Boston 2013 (Frühe Neuzeit 170/2), S. 824–844, hier S. 842  f.

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 De tribus facultatibus

mochte.13 Johann Huser berichtet in einem auf den 3. Mai 1588 adressierten Brief an Theodor Zwinger, er habe beim Erstellen seiner Paracelsus-Ausgabe verschiedentlich auf handschriftliche Textzeugen zurückgegriffen, die er größtenteils von Johannes Scultetus Montanus und Karl Rauchenberg bezogen habe. Beide hätten „schon vor mehreren Jahren, was auch immer sie an paracelsischen Büchern in die Hände bekamen, sorgfältig transkribiert“ („qui diligenter iam ante plures annos quicquid librorum Paracelsicorum habere potuerunt, transscripserunt“).14 Wie ein von ihm publiziertes Rezept belegt, glaubte Rauchenberg, ebenso wie Suchten, an die Möglichkeit der Goldvermehrung.15 Ob der Danziger dem Salzburger jemals persönlich begegnete oder ob er mit ihm nur im brieflichen Austausch stand, ist nicht bekannt. Auch worin die Hilfe bestand, die der Widmungsempfän­ ger dem notleidenden Bruder Suchtens zuteilwerden ließ – zu denken wäre etwa an Sachleistungen oder vielleicht sogar an einen Besuch am Krankenbett – wird wohl ein Geheimnis bleiben.

3.3 Die wissenspolitische Funktion des Traktats Auch wenn Suchtens Elegie De vera medicina ursprünglich dem Traktat vorangestellt war und auf diese Weise den Leser auf die folgende Vertiefung der zur Disposition stehenden Thematik einstimmte, lassen sich die beiden Werke durchaus auch isoliert voneinander in Augenschein nehmen. Weder gibt die Elegie einen konkreten Hinweis auf den Traktat, noch referiert dieser – von der Eigenart seines Beginns einmal abgesehen  – an irgendeiner Stelle auf die Elegie. Auch hatte Suchten keine Bedenken, die Elegie als Beigabe zu Flöters Paracelsus-Ausgabe Medici libelli bereits vorab einem größeren Lesepublikum zugänglich zu machen. Ungeachtet dessen hatte Suchten gute Gründe dafür, De tribus facultatibus nicht in den Druck zu geben. Womöglich fürchtete er, mit dieser Schrift seinen Gegnern ein Dokument an die Hand zu geben, das den Häresieverdacht, dem er seit 1561 ausgesetzt war, wohl erheblich erhärtet hätte: Tatsächlich enthält der Traktat auf dem Gebieten von Anthropologie, Bibelexegese und Sakramentenlehre mit-

13 Hieronymus von Barnichhusen: Brief an Barbara Fugger (Augsburg, 29. August 1588). BSB Mün­chen. Cgm 4233, f. 1r–4r. 14 So Johann Huser in einem Brief an Theodor Zwinger (Glogau, 3. Mai 1588). Der Brief ist enthalten in Joachim Telle: Johann Huser in seinen Briefen. In: Parerga Paracelsica. Paracelsus in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. von dems. Stuttgart 1991 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit 3), S. 159–248, hier S. 221  f. (Nr. 9). 15 Soukup: Chemie in Österreich, S. 244.

Inhalt 

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unter Aussagen, die theologisch problematisch sind.16 Eine Drucklegung kam für Suchten wohl auch deshalb nicht in Frage, da er die Weisheitslehre der magia vor den Augen der ungebildeten Allgemeinheit verborgen halten wollte. Nimmt man ihm beim Wort, stellte die einstige Usurpation und Missdeutung der heiligen Bücher der magia durch den ‚gemeinen Mann‘ einen historischen Wendepunkt dar, ab dem sich die gefallene Menschheit vollends von Gott entfernte. Demgegenüber richtet sich Suchtens geheime Unterweisung über den Erwerb der magia nur an wenige Auserwählte: „Dann ob ich gleich euch das sage/ sage ich es darumb nicht einem jeden […].“17Alles andere würde gemäß Matthäus  7,6 bedeuten, „Perlen vor die Säue zu werfen“. Dem entspricht, dass der Traktat seinen Lesern einiges an Vorkenntnissen auf dem Gebiet der paracelsischen Naturphilosophie abverlangt: Suchtens ­Argumentation ist außerordentlich voraussetzungsreich, vieles wird nur schemenhaft angedeutet oder durch gedankliche Sprünge verunklart. Zweifellos richtete sich der Traktat also an paracelsistische Mitstreiter, wie an den in De vera medicina adressierten Karl Rauchenberg. Das Manuskript von De tribus facultatibus wird demnach in Paracelsistenkreisen herumgereicht, vervielfältigt und Anwärtern der ‚Theophrastischen Lehre‘ zur Lektüre empfohlen worden sein. Das wissenspolitische Anliegen der Schrift bestand also nicht darin, für den Paracelsismus zu werben, sondern ihre Leser auf ihre Zugehörigkeit zu einer elitären Gemeinschaft einzuschwören, die ein einheitliches Programm verfolgte und geschlossen agierte. Erst als sich diese Gemeinschaft durch ständigen Zuwachs etabliert und gegen äußere Angriffe stabilisiert hatte, war an eine Edition des Traktates zu denken. Dies erklärt, weshalb De tribus facultatibus erst verhältnismäßig spät, nämlich erst rund 43  Jahre nach seiner Entstehung, in den Druck gelangte.

3.4 Inhalt Der Traktat lässt sich in fünf Abschnitte unterteilen, die in ihrer Länge stark variieren: Der erste widmet sich der Frage nach der Erkennbarkeit Gottes (S. 357– 360). Suchten berichtet hier von einem gottergebenen Menschen, der in adamitischer Zeit lebte. Die Kümmernisse seines postlapsaren Daseins und die Liebe zu Gott hätten diesen dazu bewogen, sich auf die Suche nach seinem Schöpfer zu begeben. Jene Suche impliziert von Anfang an die Begegnung mit der natürlichen

16 Vgl. Kap. 5.2, S. 137  ff.; Kap. 7.6.1, S. 302–305; Kap. 7.6.2, S. 309  ff. 17 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 382.

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 De tribus facultatibus

Schöpfung, zumal der Mensch in ihr gleichsam eine Projektionsfläche von Gottes Angesicht besitzt. In seinem Streben, die Natur auf ihren stofflichen Ursprung hin zu analysieren, erleidet der urzeitliche Adamssohn zunächst einen Rückschlag, zumal er sich eingestehen muss, dass er über die Entstehung des vorerst Kleinsten, des Pflanzensamens, nichts herauszufinden vermag: Was solt er nun thun/ wo seinen Schpffer finden/ der so weit von seinen Augen verborgen war? In solchen Gedancken merckte er wol (ohne Zweifel durch Gttliche Eingebung) daß der Meister am besten zuerkennen wre an seinem Meisterstck/ und in der grossen und kleinen Welt/ welche ist der Mensch […]. Also nam ihm der Mensch fr seinen Meister zuerkennen in seinem Werck/ nahm ihm fr die grosse Welt/ darinn sahe er wie auß einem kleinen Krnlein ein ein grosser Baum herfr wuchs. Dachte ihm darauß weiter/ daß die Welt/ ehe sie das/ das sie jetzo ist/ muß ein anders seyn gewesen/ auß welchem das/ so jetzo fr Augen ligt/ auffgewachsen ist. Betrachtet also auch/ daß das Krnlein/daruß der Baum wchst/ von Anfang ein solch Krnlein nicht gewesen sey/ sondern mste etwas anders gewesen seyn/ dann das es nun wre: Kunts aber in seinem menschlichen Verstand nicht finden […].18

Das zirkuläre Auseinanderhervorgehen von Same und Kreatur stellt den urzeitlichen Adamssohn vor das Problem einer Petitio Principii. In der Folge verlegt dieser sich auf die „Die Kunst des Wassers“19, das heißt auf das Verfahren der Destillation. Indem er die Dinge des Makrokosmos der Scheidung unterzieht, entdeckt er, dass die Geschöpfe Gottes sich in „Animalia, Vegetabilia [und] Mineralia“ unterteilen lassen.20 Weiterhin findet er heraus, dass die prima materia der Welt, das kristalline Wasser ist, auf dem einst der Geist des Herrn schwebte. Dieser sei, nachdem die Schöpfung vollendet war, im Menschen verblieben. Suchten begründet dies damit, dass die flüssige prima materia des Mikrokosmos als ein feiner Auszug des kristallinen Wassers natürlicherweise ungleich subtiler ist als dieses selbst. Da die prima materia des Mikrokosmos sich ferner durch Ewigkeit auszeichne und es Gottes Wille entspreche, im Ewigen zu wohnen, sei der Geist des Herrn in den Menschen eingekehrt, um dem Allmächtigen dort als eine Wohnstätte zu dienen. Im zweiten Abschnitt stellt Suchten der vernunftbasierten Wissensgenese der Universitätsgelehrten die magia als Vermittlungsinstanz wahren Wissens entgegen (S. 360–362). Diese Weisheitslehre operiert auf der Ebene eines Sprachgebrauchs „per allegorias  & similitudines“,21 was sie gegenüber den akademi-

18 Ebd., S. 358. 19 Ebd. 20 Ebd., S. 359. 21 Ebd., S. 361.

Inhalt 

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schen Fakultäten, die sich umfangreicher Terminologien bedienten, überlegen mache. Den ‚Schriftgelehrten‘ sei diese ‚Mutter aller Wissenschaften‘ gänzlich unbekannt, da ihr Verstand von der Finsternis umfangen sei. Gott habe sein Angesicht vom geschöpflichen Diesseits abgekehrt. Erst wenn die Menschen von ihrem hochmütigen Verstand abließen und dem Schöpfer mit Werken anstatt mit Worten dienten, werde dieser ihnen vielleicht das Licht der Natur zurückgeben. Dieses werde ihre innere Finsternis erhellen, ihnen wahre Erkenntnis verleihen und auf diese Weise den Weg zur magia ebnen. Der dritte und bei weitem ausführlichste Abschnitt widmet sich der alchemischen tria-prima-Lehre, der Extraktion des göttlichen Geistes, der Entrückung des gottgefälligen Menschen durch Gnade des Allmächtigen, die Offenbarung der göttlichen Weisheit, dem Auftreten der magi und dem Niedergang ihrer Lehre (S. 326–371). Suchten kehrt hierzu vorerst zu seinen Ausführungen über den gottsuchenden Adamssohn zurück. Ausgehend von der Entdeckung, dass sich alles Geschöpfliche aus „Saltz“, „Schweffel“ und „Wasser“ zusammensetzt, verlegt er sich darauf, Gott in diesen drei chemischen Ursubstanzen zu suchen. Im Wasser und im Schwefel findet er nichts weiter als die vier Elemente. Im Salz aber findet er dreierlei: „ein Wasser/ nichts anders/ dann das vorige/ ein Sulphur aber anderst/ dann der vorige war/ das ist ein Schwefel/ der nicht brennet/ das dritte fand er nicht/ dann es verschwand vor seinen Augen.“22 Wie Suchten an späterer Stelle klarstellt, handelte es sich bei jenem Dritten um den „Geist deß HErrn so ob dem Wasser getragen wird“.23 Angesichts seiner Unfähigkeit, den Geist festzuhalten, wendet sich der Adamssohn nun mit dem Ausruf „Disrumpe Coelos & descende“ an den Allmächtigen selbst, worauf sein Flehen Erhörung findet: „[…] Wie aber dies finden zugieng/ wer will das schreiben? Oder wann mans gleich schrieb/ welche Ohren knten solch Mysterium anhren?“24 Bei dem Mysterium, das sich dem Gottsuchenden offenbart, handelt es sich um die „sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“ und das Geheimnis der incarnatio verbi.25 Indem Gott ihn zu der Erkenntnis des Wortes erwählte, entrückte er ihn in den ‚Dritten Himmel‘, von dem Paulus im zweiten Korintherbrief kündet. Dortselbst sieht der urzeitliche Scheidekünstler den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes sitzen. Dieses mystische Urerlebnis entpuppt sich zugleich als die Geburtsstunde der magia, denn die Weisheit, mit welcher er im Zuge seines Raptus gesegnet wird, erweist sich auf medizinischer sowie auf spiritueller Ebene als ein Heils-

22 Ebd., S. 363. 23 Ebd., S. 364. 24 Ebd., S. 363. 25 Ebd.

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wissen: Als magus ist der Adamssohn einerseits ein Heilkundiger, andererseits ein Gottesgelehrter. Damit sein magisches Wissen nicht verloren gehe, schreibt er „drey Bcher: Im ersten tractiert er von Gott dem Vatter und dem Sohne/ und dem H. Geiste: Im andern vom Himmel und den Astris: Im dritten von der Krafft der Dingen so auß der Erden wachsen/ das ist THEOLOGIAM, ASTRONOMIAM, MEDICINAM.“26 Die Gnade Gottes, welche zur Erkenntnis der magia und ihrer Teilbereiche unabdingbar ist, überträgt sich nach dem Tod des Adamssohns auf dessen „Kinder und Blutsverwandten Freund“.27 Als Antagonisten der magia lässt Suchten nun den ‚gemeinen Mann‘ auftreten. Dieser will es den magi gleichtun und ebenfalls medizinische Wunder wirken. Indem er jedoch die dunklen Formulierungen der magischen Bücher wörtlich auslegt, nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Angesichts der magischen Begriffe von „Scammonea“, „Ebulus“, „Mercurialis“ und „Camilla“ zieht er nämlich den fatalen Fehlschluss, die magi beschäftigten sich mit Kräuterheilkunde. Indes benutzten die magi die botanische Terminologie lediglich dazu, ihre medizinische Geheimlehre – die mit der Phytotherapie nichts zu tun hat – zu verschlüsseln. Doch der gemeine Mann macht sich nicht nur ein falsches Bild von der Heilkunst der Magi. Er ist auch in der Botanik selbst derart unbewandert, dass er die Pflanzennamen ‚aufs Geratewohl‘ allen möglichen Gewächsen zuordnet, die zufälligerweise auf den Körper Wirkung ausüben: [Er] suchet so lang biß er ein Kraut findet das durch den Bauch hinauß rumpelt/ und in seinem Sinne bilem [= die Galle] purgirt: das muste von Stund an seyn Scammonea Magorum. Fand ein anders/ das ein wenig erschießlich war in Hydropsi [= Wassersucht], das muste nun Ebulus seyn/ davon die Magi sagen. Fand ein Kraut/ das eim Fieber etwan helffe/ das muste Camillen seyn/ also auch von der Mercuriali, und andern.28

In der Folge dieser Fehlinterpretation, so Suchten, sei die „Sect der Gelehrten/ die sich Medicos nennet“ entstanden.29 Diese Sekte dominiere seither die Heilkunde, und dies umso mehr, als die Bücher der magia größtenteils verloren seien. Immerhin hätten sich von den „Bcher[n] der Theologiae […] die beyden Testament“ erhalten.30 Doch die selbsternannten Verwalter dieser Bücher, die ­Theologen, wüssten nicht das Geringste von der magischen Gotteslehre, zumal auch sie eine wörtliche Schriftauslegung an den Tag legten. Die ehemals magi-

26 Ebd., S. 366. 27 Ebd., S. 367. 28 Ebd., S. 368. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 373.

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sche Lehre der Astronomie sei hingegen zu einer Scheinwissenschaft verkommen, zumal es sich bei den Himmelssphären und Planetenlaufbahnen der Astronomen um bloße Erfindungen handle. Keine der genannten Fakultäten sei des göttlichen Geistes, von dem die magi einst ihr Schöpfungswissen empfingen, teilhaftig. Die ‚Geistlosigkeit‘ der Gelehrten sieht Suchten einerseits in deren blindem Intellektualismus, andererseits in deren Faulheit begründet. Dem stellt er den Fleiß der paracelsistischen Alchemiker gegenüber, die mit all ihrem „Vermgen Leibs und Guts“ mit der Suche nach dem „lebendigen Geist Gottes“ beschäftigt seien.31 Dieser selbst gebe ihnen „den Sohn des Menschen zu erkennen“ und bereite somit ihrer Neugeburt in Christus den Weg. Im vorletzten Abschnitt verhandelt Suchten die Differenz, die zwischen den magi und den Repräsentanten der Universitätsgelehrsamkeit besteht, auf der Ebene der Hermeneutik (S. 371–378). Diese selbst stellt sich im Verlauf des Traktates als Kerndisziplin der magia heraus: Demnach seien die magi den akademisch gebildeten Erben des ‚gemeinen Mannes‘ darin überlegen, dass sie zwischen Zeichen und Bezeichneten zu unterscheiden wüssten und darüber imstande seien, die allerorts greifbaren Signaturen der Schöpfung auf ihren geheimen Sinn hin zu entschlüsseln. Die magische Semiologie kommt erstmals zum Einsatz, da die ‚Zeichen‘ der Theologen – Krieg, Zerstörung, Jammer und Leid – auf das Böse, das von ihnen Besitz ergriffen habe, hin ausgelegt werden. Die „Meß/ die Gesng und ander KirchenGeschmuck“ sowie die Heilige Schrift seien dagegen die Zeichen der wahren, das heißt magischen Theologie.32 Während sich die oberflächlichen Kirchenoberen jedoch an diesen Zeichen selbst abarbeiteten, hätten die hocherleuchteten Adepten der magia deren tieferen Sinn erkannt. Demnach bestehe die wahre Bedeutung von Kirchendekor und Heiliger Schrift in der Seligkeit des in Christus neugeborenen Menschen. Ferner seien die Schüler der magia in der Lage, die Stimme Christi aus Feuer, Wasser, Silber, Gold, Salz, Seide, Samt, Steinen, Wachs und Öl zu vernehmen. Da es sich bei „Singen/ Orgeln/ Wachs/ Oel“ und dem Dekor sakraler Bauten lediglich um Zeichen der Seligkeit in Christus, nicht aber um diese Seligkeit selbst handle,33 seien die Reformatoren mit der Abschaffung des altkirchlichen Ritus über das Ziel hinausgeschossen. An die Stelle des Kirchendekors treten im Falle der Medicina die „Kruter und Bum auff Erden“.34 Indes wüssten die Schulmediziner das Buch der Natur eben so wenig zu deuten, wie die Theologen dazu imstande seien, ihre sakralen Zeichen und Bibel-

31 Ebd., S. 370. 32 Ebd., S. 374. 33 Ebd. 34 Ebd.

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wort auf ihren wahren Sinn hin auszulegen. Allein die magi vermochten aus den Pflanzen die wahre Arznei abzulesen: Warlich/ ob du schon mit Chelidonia [= Schöllkraut] die Gelbsucht nicht heilen kanst/ so wird doch das Lob der Chelidoniae wohl bleiben in den Bchern der Artzney/ nicht in denen/ die du mit Mssiggang hinter dem Ofen ausbrtest/ sondern in den Bchern/ die Gott selbst geschrieben hat/ das ist der Erdboden mit seinen Krutern und Blumen/ die uns die Magi haben geben/ daß sie uns ollen zeigen die Artzney/ so ihre Bcher (nun schon geschehen) verloren wurden. Also zeigt uns Chelidonia an die Artzney der Gelbsucht/ nicht daß sie die Artzney sey/ sondern allein ein Zeichen der Medicin: Also mit allen anderen Gewchsen. Aber wir wollen Magiam nicht hren noch wissen/ schreiben stattliche Bcher nach unseren Gedancken von Krutern/ und meinen/ daß das Signum das Signatum sey […].35

Die Konfusion von „Signum“ und „Signatum“ macht sich auch auf dem Gebiet der Astronomie bemerkbar: „[D]as Firmament, die Sonn und Mond, so ein jeder Bauer ob ihm sihet/ ist nit das Signatum, sondern ein Signum Astronomiae, welchs Signum allein der Gottsgelehrte verstehet.“36 Nach Suchten betrifft das „Signatum“ jeweils das vom Geist erfüllte menschliche Innere: Demzufolge beschäftige sich die magische Heilkunde mit ‚inneren Pflanzen‘, durch die der Mensch sowohl Gesundheit als auch Krankheit empfange. Die magische Astronomie widme sich hingegen den ‚Gestirnen‘ im Himmel des Menschen. Deren Funktion bestehe darin, den Gläubigen „zu regieren/ reformiren/ nach ihrem Lauff/ wie denselben Gott geordnet hat.“37 Auf den letzten Seiten des Traktats (S. 378–381) bekräftigt Suchten die Realexistenz und Notwendigkeit einer Wiedererweckung der magia. Zunächst aber fasst er seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: Das ich nun zum End komme/ beschliesse ich/ und habe gesagt: I. Wie der Geist deß HErrn auff dem Wasser schwebete/ ehe Gott schuff Himmel und Erden. II. Wie auß dem selbigen Wasser die große Welt geschaffen/ daß ist/ Himmel und Erden. III. Auß der grossen Welt der Mensch/ das ist/ die keine Welt/ ein keiner Himmel/ und ein kleine Erden. IV. Wie Gott seinen Stul gesetzt im Himmel/ aber im Himmel deß Menschen. V. So hab ich auch frs Fnfft gemeldet/ daß der Mensch mit seinem Menschlichen Verstand hat Gott nicht knnen begreiffen/ aber im Schweiß seines Angesichts gesucht seinen Heyland/ und zuletzt gefunden/ von ihm auch alle Heimligkeit der Natur gelernet/ dieselbe in drey Bcher verfasset/ dardurch die Gttliche verborgene Natur zufinden/

35 Ebd., S. 375  f. 36 Ebd., S. 376. 37 Ebd., S. 377.

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geschrieben/ seinen Kindern dasselbe Augenscheinlich gewiesen/ daß sie solche Bcher recht verstunden: Aber durch Absterben dieselbigen der gemeine Mann bekommen/ der solche Bcher nicht verstanden: und durch seinen Unverstand die Schalen vor dem Kern behalten/ dardurch viel Secten angerichtet in der Welt/ die biß zu unser Zeit verharret/ ja wol bleiben werden biß ans End der Welt.38

Sodann stimmt Suchten einen Lobpreis auf den Geist des Herrn an, zumal dieser den Menschen überhaupt erst zur Ausübung von magia befähige: Der Geist sei der eigentliche theologus, astrologus und medicus. Durch ihn offenbarten sich die incarnatio verbi sowie der Allmächtige selbst, durch ihn erkenne der Mensch seine inneren Gestirne, die überall „Fried und Freundschaft“ stifteten. 39 Auch wisse der Geist um „den wahren Hermodactylum, der das Podagram heilet/ den wahren Ebulum, der die Wassersucht stillet/ die Coloquint, so Quartanam vertreibt/ [und] den den Crocum, der das Hertz strcket […].“40 Zudem wird er mit der „dritte[n] Person der Heyligen Dreyfaltigkeit“ kontextualisiert: Ebenso wie die Jünger die Worte Christi erst ab dem Moment verstanden, da sie den Heilige Geist empfingen, könne niemand die Schrift auf rechte Weise auslegen, der nicht zuvor vom Geist des Herrn erleuchtet worden sei. Da nun schon die Jünger, die mit Christus in direktem Kontakt standen, den Sinn seiner Lehren nicht ergründen konnten, ehe der Heilige Geist über sie kam, dürfe niemand ein Verständnis der Schrift behaupten, der nicht zuvor des Geistes teilhaftig geworden sei. Suchten beschließt seinen Traktat mit einer kurzen Apologie gegenüber dem Einwand, dass man doch von der magia, wenn sie denn von solcher Bedeutung sei, längst gehört haben müsse. So bekräftigt er, dass das Fehlen einer soliden Überlieferung der magischen Lehre deren Realexistenz zumindest nicht ausschließe: „Ob es nicht im Evangelio steht/ oder im Paulo, uns derhalben Paulus nicht mehr gelehrt hab/ oder gethan/ als seine Episteln außweisen. Daß sie aber von diesem nicht geschrieben haben/ darumb soll es nicht seyn?“41 Dass Paulus zur Kenntnis jener göttlichen Weisheit, als die sich die magia ausgibt, gelangt sein müsse, sieht er in dessen Damaskuserlebnis bestätigt. Paulus habe diese Weisheit sodann an den Heiligen Dionysius vom Areopag weitervermittelt. Wie er selbst zu seinem Wissen über die magia gelangt sei, verschweigt der Danziger. Vielmehr flüchtet er sich in eine Scheinargumentation: Wer sich darauf berufe, um seiner Seligkeit willen ein Recht auf Einsicht in die magische Weisheitslehre zu haben, der möge sich zunächst über das Unrecht empören, das in den Irrlehren der Uni-

38 Ebd., S. 378. 39 Ebd., S. 379. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 381.

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versitätsgelehrten besteht.42 Der Traktat endet mit Suchtens Beteuerung, dass er sein Heilswissen nur „der einfltigen Wahrheit zu Ehren“ und seinem Adressaten zuliebe offenbart habe.43

3.5 Der literarische Charakter des Traktats Angesichts des hohen Niveaus des speziell an Paracelsisten gerichteten Traktats verwundert es, dass Suchten so gut wie keine alchemo-paracelsistischen Fach­ termini verwendet: Begriffe wie spiritus mundi, quinta essentia, semen, inferius, superius oder empyreum finden nirgends Erwähnung. Wo sich die Möglichkeit ergibt, greift der Danziger auf das Vokabular von Luthers Bibelübersetzung zurück: Hier fand er denn auch die Begriffe „Geist deß Herrn“ und „Crystallinisch Wasser“. Auch spricht Suchten nirgends von der ars destillatoria, sondern von der „Kunst deß Wassers“. Im Kontext der ‚Drei Prinzipien‘ von sal, sulphur und mercu­ rius bevorzugt er die Rede von „Saltz“, „Schwefel“ und „Wasser“. Zwar verfasste der Danziger, wahrscheinlich unter dem Eindruck des paracelsischen Schrifttums, fast alle seiner naturphilosophischen Abhandlungen in seiner Muttersprache, wobei er sich aber, wiederum im Gegensatz zu Hohenheim, stets um stilistische Eleganz bemühte. Völlig abwegig ist allerdings die Vermutung, Suchten bediene sich des Deutschen, um sein Wissen einem breiten Publikum zu vermitteln. Dies jedenfalls geht aus dem Postskriptum von De secretis antimonij hervor: Diß Bchlein ist darumb deutsch geschrieben/ damit alle die/ so allein deutsch verstehen/ auch die Handwercksleute und Landfahrer/ so das Antimonium tractiren/ machen und verkauffen/ sehen mgen/ daß es ihnen nicht zugehre mit diesen Dingen umbzugehen/ die sie nicht verstehen/ &c.44

Im Falle von De tribus facultatibus ist der weitgehende Verzicht auf lateinisches Fachvokabular jedoch vor allem durch den erzählerischen Tonfall motiviert, den

42 Suchten äußert sich an dieser schwer verständlichen Textstelle folgendermaßen: „Es ist nich billich/ daß man dem Raben das Muhs einstreichet/ laß ihn darnach fliegen.“ (Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 381). Die Redensart ‚Dem Rappen [sic] das Mus einstreichen‘ geht auf Sebastian Francks Sprichwortsammlung zurück. Der Reformator Erasmus Sarcerius zitiert Franck in seiner Schrift Corpus iuris matrimonialis. […] o. Dr. Frankfurt a. M. 1569, S. 31r/v mit folgenden Worten: „Die Frawen knnen alle eine Kunst/ das ist […] triegen/ den Narren laufen/ den Affen schlichten/ dem Rappen das Muß einstreichen/ unnd was sich zum bsen reymet […].“ Aus dem Kontext geht hervor, dass die Redensart wohl so viel wie ‚in die Irre führen‘ bedeutet. 43 Chymische Schrifften: De tribus facultatibus, S. 382. 44 Chymische Schrifften: Vom Antimonio, S. 266.

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Suchten hier verwendet. Dass er seinen Bericht vom Aufstieg und Fall der magia im modus narrandi vorträgt, hat mehrere Gründe: So verlangt der Traktat allein schon angesichts seiner Kombination mit der Elegie De vera medicina nach einer ästhetischen Gestaltung. Ferner vermag die selbstgenügsame Darstellungsform der Erzählung die Vielstimmigkeit, die Suchten an den Tag legt, in Einklang zu bringen: Der Danziger spricht als Alchemist, Theologe, Arzt, Naturphilosoph, Mystiker und magus. Auf der Ebene des Erzählens können all diese Stimmen frei von wissenschaftlicher Trennschärfe miteinander kommunizieren und sich zugunsten einer einheitlichen argumentativen Stoßrichtung miteinander verbinden. Doch Suchtens Ästhetizismus wird in De tribus facultatibus auch durch die Thematik selbst begünstigt. Stärker noch als andere Schriften des Danzigers hat der Traktat Offenbarungscharakter: Suchtens ‚Frohbotschaft‘ ist die Wiederentdeckung der verlorengeglaubten magia. Diese göttliche Weisheitslehre ermöglicht ihm zufolge eine Restitution einer prädiluvialen Gnadenzeit, in der es der Menschheit vergönnt war, durch Vermittlung einzelner Erleuchteter die Gunst des Allmächtigen wiederzuerlangen. Die Voraussetzung dafür ist ihm zufolge eine Generalrevision des bestehenden Verständnisses von Gelehrsamkeit; ganz besonders auf den Gebieten von Medizin, Astronomie und Theologie. In seiner Rolle als magus, die Suchten ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt,45 behauptet er für sich eine Position von Gottesnähe, wie sie Mose, Salomo, die Propheten und die Evangelisten innehatten. Vor diesem Hintergrund hält er es für angebracht, die Geschichte der magia – welche zugleich eine Menschheitsgeschichte ist  – analog zur Heiligen Schrift in erzählerisch-verheißungsvollem Tonfall wiederzugeben. Tatsächlich lässt sich der vierfache Schriftsinn, zu dem sich die Alte Kirche bekannte, auch auf De tribus facultatibus anwenden: So erhebt der Traktat ganz ohne jeden Zweifel den Anspruch einer moralischen Unterweisung, die sich auf den ‚Sold des Herzens‘ und gegen die Phantasterei der Universitätsgelehrten richtet. Auch lässt der Text, trotz des düsteren Bildes, das Suchten mit Blick auf das Verhältnis von Mensch und Gott zeichnet, die endzeitlich begründete Hoffnung auf eine Wiederkehr der magia und eine damit einhergehende Heilsgewissheit erkennen. Vor allem aber besitzt die Erzählung vom Ursprung der magia, auch nach Suchtens eigenem Bekennen, allegorischen Charakter. Sein uneigentliches Sagen begründet der Danziger damit, dass jegliches fachterminologische Vokabular versage, wenn man versuche, das göttliche Wesen der magia in Worte zu fassen:

45 Vgl. Kap. 7.6.1, S. 299  f. u. 304  f.; Kap. 7.6.4, S. 315.

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Diß aber schreibe ich auß meiner Erfahrenheit/ der ich mich allein behelffe/ und deß Geistes/ so mir Gott gibt: Solte ich schreiben auß der Theologia, so mste ich der Theologorum terminos gebrauchen/ schriebe ich auß der Astronomia, mste ich wie ein Astronomus reden; Schrieb ich aus der Medicin, mste ich auß den terminis Medicorum nicht tretten. Das ist so viel geredt: Ich muß mein Vorhaben per allegorias & similitudines herfr bringen, daß der Schrifftgelehrte auß meinen Worten ein anders/ der Gottsgelehrte auch ein anders verstnde/ diesem die Kern/ jenem die Hlsen gereicht werden. Aber ich schreib hier auß keiner dieser Kunst/ sondern auß der/ die da war/ ehe die alle waren/ und ein Mutter ist aller andern/ id est, Magia, die dann bey unsern Zeiten ins Exilium geflohen ist […].46

Damit wird deutlich, dass Suchten das literarische Mittel der Allegorie vor allem auch deshalb wählt, um sich gegen den syllogistischen Argumentationsstil der Astronomen, Mediziner und Theologen abzugrenzen. Es sei in diesem Kontext dahingestellt, ob die problematische Kommunizierbarkeit der magia als Beweggrund für die Verwendung der uneigentlichen Rede überzeugt: In jedem Fall aber ist die Erzählung insofern allegorisch, als sie theologisch-naturphilosophische Fragestellungen auf der Bildebene verhandelt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass der Literalsinn von Suchtens ‚Offenbarung‘ sekundär wäre. Im Gegenteil; indem Suchten sich bemüßigt sieht, die Erzählung von einem gottsuchenden Adamssohn in seinen Traktat miteinzuflechten, stiftet er einen Gründungsmythos, der sich der Frage widmet, auf welchem Wege das Heilswissen der magia in die Welt kam. Die Antwort lautet: über ein mystisches Urerlebnis der göttlichen Selbstoffenbarung. Suchten leistet damit der paracelsistischen Bewegung einen nicht zu unterschätzenden Dienst. Indem er und seine Mitstreiter sich als Vertreter eines theoalchemischen Spiritualismus von der handwerklich ausgerichteten, traditionellen Alchemie distanzierten,47 sahen sie sich nämlich mit dem Problem konfrontiert, dass sie keine Wissenstradition aufweisen konnten, die über die Schaffenszeit Hohenheims zurückreichte. Im Bekenntnis zu einem urzeitlichen Gnadenakt Gottes aber war es ihnen möglich, ihre Theoalchemie und ihre hermetisch-neuplatonische Naturphilosophie als Zeugnisse eines vormosaischen Schöpfungswissens zu beglaubigen. Suchtens Gründungsmythos besitzt somit dieselbe Funktion, die für gewöhnlich den ätiologischen Mythen der Antike zugeschrieben wird: Er stiftet Identität.48

46 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 47 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 132. 48 Vgl. Jan Assmann: Frühe Formen politischer Mythomotorik. Fundierte, kontrapräsentische und revolutionäre Mythen. In: Revolution und Mythos. Hg. von dems. u. Dietrich Harth. Frankfurt a. M. 1992, S. 39–61, hier S. 41  f.; ders.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 7. Aufl. München 1992, S. 52  f., S. 76.

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Die Strategie, alte Wissensbestände zur Bekräftigung des eigenen Sendungsbewusstseins im Sinne eines mythischen Heilswissens zu deuten, lag im Falle der Alchemie umso näher, als diese ja schon zu Suchtens Zeiten ein beträchtliches Alter besaß. Allein auf europäischem Boden lässt sie sich bis ins Frühmittelalter zurückverfolgen.49 Weiterhin wurden die hermetischen Schriften in der Tradition Ficinos und Picos als Zeugnisse einer vorsintflutlichen Weisheitslehre interpretiert.50 Vor allem aber scheuten sich Paracelsisten wie Suchten nicht, die vermeintliche antiquitas ihres Schöpfungswissens dadurch zu untermauern, dass sie dessen Überlieferungsstränge auf heuristisch-kreative Weise rekonstruierten.51 In diesem Sinne ist Suchtens Berufung auf Paulus und Dionysius Areopagita sowie die spätere Fiktion sagenhafter Gelehrter wie Salomon Trismosin und Basilius Valentinus zu verstehen.52 Dass der in De tribus facultatibus vorgenommene Vorstoß zur Rekonstruktion einer vor-paracelsischen, ja sogar vorchristlichen Traditionslinie euphorisch aufgenommen wurde, belegt die Rezeption des Traktats durch Johann Arndt und den Vorredner von Sperbers Echo der von Gott hoch­ erleuchteten Fraternitet. Auf argumentativer Ebene ist De tribus facultatibus ein in sich stimmiger Text. Im Wissen um den ideengeschichtlichen Hintergrund und den logostheologischen Unterbau des Traktats erschließt sich das Meiste von Suchtens Ausführungen wie von selbst. Allerdings sind einige seiner Thesen derart radikal, dass sich diese selbst der Intuition eingefleischter Paracelsisten widersetzt haben dürften: Die Natur des Makrokosmos stehe in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Innenwelt des Mikrokosmos, gesundheitliches Wohlbefinden emp-

49 Joachim Telle: Alchemie II. In: Theologische Realenzyklopädie 2 (1978), A. 199–227, hier S. 202. 50 Vgl. György E. Szönyi: The Hermetic Revival in Italy. In: The Occult World. Hg. von Christopher Partidge. London 2014, S. 51–73, hier S. 52. 51 Zum Phänomen solch erfundener Traditionen vgl. Eric Hobsbawm, Terence Ranger: The Invention of Tradition. Cambridge 1992. 52 Zu dem fiktiven Hermetiker Basilius Valentinus, unter dessen Namen um 1600 mehrere – wahrscheinlich von Johann Thölde verfasste – Schriften publiziert wurden, s. Basilius Valentinus. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschen Kulturraumes. Bd. 1. Hg. von Wilhelm Kühlmann u.  a. Berlin 2008, S. 348  ff.; ders.: Nr. 17. „Die prima materia lapidis philosophici“. Zu einer deutschen Lehrdichtung im Basilius-Valentinus-Alchemicacorpus. In: Alchemie und Poesie. Bd. 1, S. 647–688, bes. S. 647–655; Claus Priesner: Johann Thoelde und die Schriften des Basilius Valentinus. In: Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Christoph Meinel. Wiesbaden 1986 (Wolfenbütteler Forschungen 32), S. 107– 118, hier S. 107  f. Zu Salomon (auch Solomon) Trismosin s. Kathleen Perry: Salomon Trismosin and Chlovis Hesteau de Nuysement: The sexual Politics of Alchemy in Early Modern France. In: L’Esprit Créateur 35 (1995), S. 9–21; Raphael Patai: Solomon Trsimosin and His Jewish Master. In: The Jewish Alchemists. A history and Source Book. Princeton 1994, S. 268  ff.

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fange der Mensch durch ‚innere Pflanzen‘. Die wahre Reformation gehe nicht von der Kanzel aus, sondern vom göttlichen Regiment über das innere Gestirn des Gläubigen. Auch sei der sensus literalis der Heiligen Schrift grundsätzlich allegorisch zu verstehen. Angesichts solch waghalsiger Thesen stellt sich die Frage, inwieweit Suchten bereit war, Widersprüche zu seinen eigenen Überzeugungen in Kauf zu nehmen. Tatsächlich enthält De tribus facultatibus einige Aussagen, welche mit der Lehrmeinung, die Suchten in seinen theoretischen Texten vertritt, unvereinbar sind. Hierunter fällt vor allem die harsche Kritik, die er an der Astronomie übt: Demnach seien die Astronomen windige Erfinder von wirren „Sphaeras und Circulos“,53 die schlechterdings nicht als Betrüger entlarvt werden könnten, da niemand imstande sei, in den Himmel hinaufzusteigen. Man mag darin eine heimliche Schelte auf Copernicus’ bahnbrechendes Werk De revolutionibus orbium ­coelestium erkennen, und dies umso mehr, als jenes 1566 – also etwa zeitgleich zur Entstehung von De tribus facultatibus – zum zweiten Mal aufgelegt wurde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Suchten sich in der Fusior declaratio pro imperitioribus mit seinem Lobpreis auf die Sonne indirekt für das heliozentrische Weltbild ausspricht.54 Zu bedenken ist ferner, dass Suchten in jungen Jahren, da er unter Anklage der Häresie stand, von Copernicus Unterstützung erfuhr.55 In jedem Fall stellen Suchtens Invektiven gegen die Astronomie auch einen Affront gegenüber Paracelsus dar, der die Losung ausgegeben hatte, dass ein jeder rechte medicus auch ein astronomus sein müsse.56 Vielleicht ist Suchtens Kritik an der Astronomie also lediglich auf seine Absicht zurückzuführen, die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte der zunehmenden Entfremdung vom eigenen, himmlischen Selbst neu aufzurollen: Die Astronomen bilden schlichtweg die einzige Zunft, denen die Missdeutung der äußeren Gestirne zu Ungunsten der inneren Gestirne zur Last gelegt werden könnte. Mit verstellter Stimme spricht Suchten wohl auch, indem er bekundet, dass „Sonn und Mond“ dem Menschen „nichts Bses/ noch Gutes“ influieren könnten,57 zumal er in De secretis antimonij bekundet, dass der „Balsam“ – die geistige Substanz des Blutes – „ex impressione coelesti“ verunreinigt werden könne.58 An anderer Stelle wird ein Medikament erwähnt, das „den Balsam des Bluts von dem

53 Chymische Schrifften: De tribus facultatibus, S. 369. 54 Vgl. Kap. 4.3.1, S. 79–82. 55 Vgl. Kap. 2.2, S. 27. 56 Vgl. Paracelsus: Paragranum. In: SW 1/8, S. 136  f.; s. hierzu Kap. 7.4.3, S. 278. 57 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377. 58 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 254.

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bsen Dampff des widerwrtigen Gestirns“ reinige.59 Weiterhin spricht Suchten in der Fusior declaratio zu den Propositiones davon, dass die Sonne eine Spenderin des spiritus mundi sei, durch welchen die irdische Natur fortwährend influiert werde. Die Beeinflussung der terrestrischen Sphäre durch die Sterne findet auch Suchtens Elegie De vera medicina Bestätigung: „Die alten Weisen […] unterrichteten ihre Schüler über das Wesen Gottes und über die Bahnen der Gestirne, die mit ihren Strahlen die unteren Regionen beeinflussen“.60 Auch sind es in ebendieser Dichtung gar nicht die Astronomen, sondern die Astrologen, gegen die sich Suchten wendet. Deren Vergehen besteht nun aber nicht in einer Missdeutung des äußeren Firmaments, sondern in ihrer Anmaßung, den Willen Gottes in den Sternen lesen zu können („Unwissend über Gottes Wille und neunmalklug zieht der Astrologe seine Schlüsse über das Wirken der himmlischen Macht.“).61 Trotz dieser Unstimmigkeiten auf dem Gebiet der Astronomie wäre es verfehlt, dem Traktat eine wissensvermittelnde Funktion abzusprechen. Es ist ‚die Wahrheit der Fiktion‘ (W. Haug), die Suchten in De tribus facultatibus anvisiert. Dementsprechend geht es ihm nicht um die Wiedergabe von belegbaren historischen Begebenheiten; vielmehr ist ihm daran gelegen, auf literarischem Wege tiefere Wahrheiten zu eröffnen.62 Aus seinem allegorischem Erzählstil spricht die Feststellung eines endzeitlich eskalierenden Konflikts zwischen einer Elite von gotterleuchteten Naturweisen und einer sozial gefestigten Gruppe von ‚PseudoPropheten‘ um die Frage, worin wahres Wissen besteht. Hierbei unternimmt Suchten zugleich den Versuch, die ehrwürdige ‚Weisheit der Alten‘, die er in der Nachfolge Hohenheims als magia definiert, zu rekonstruieren. Mit den Mitteln des fiktionalen Erzählens zerstreut er den Verdacht, es handle sich bei seinem Traktat um einen Tatsachenbericht, der sich auf urzeitliche Quellen stützt. Gleichwohl aber zielt er darauf, anhand des narrativen Experiments, das er in De tribus facul­ tatibus entfaltet, die Realexistenz und Restaurabilität der magia unter Beweis zu stellen, um diese nachhaltig im paracelsistischen Diskurs zu etablieren.

59 Ebd., S. 259. 60 Chymische Schrifften. De vera medicina. Viri clarissimi Alexandri a Suchten, Philosophiae & Medicinae Doctoris Ad Carolum Salisburgensem Elegia, S. 458–461 (im Folgenden: Chymische Schrifften. De vera medicina), hier S. 459: „Hinc Magicas artes invenit docta vetustas, / Discipulos illas erudiitque suos, / Quis Deus, & Coelum quanam ratione vagetur / Afficiens radiis inferiora suis.“ (Übers. S. B.). 61 Ebd., S. 460: „Fatorumque expers & captus imagine veri / Quid faciant Superi, iudicat Astrologus.“ (Übers. S. B.). 62 Vgl. Walter Haug: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003, S. 172  ff.

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3.6 Zum Motiv des philosophus autodidactus Suchtens Erzählung von dem gottsuchenden Adamssohn hat nicht nur einen allegorischen, sondern vor allem auch einen experimentellen Charakter: Sie stellt sich der Frage, wie die ersten Menschen ohne Vorkenntnisse und jegliche äußere Belehrung zu Wissen, ja sogar zu allumfassender Weisheit gelangen konnten. Mit dieser Fragestellung entfernt sich Suchten vom Konzept einer sapientia adamica. Diese hatte er in der Fusior declaratio pro imperitioribus ganz selbstverständlich vorausgesetzt: Ohne Zweifel hat [Adam] auch Dinge gekannt, die das menschliche Leben verlängern und ihn zeit seines Lebens, ja sogar bis zum letzten Herzschlag, gegen jegliche Krankheit immun machen konnten. Darin hat er auch einige Nachfahren unterrichtet, und diese wiederum andere. Daher haben viele von unseren Vorvätern ein Alter von siebenhundert, achthundert oder mehr Jahren erreicht. Andere aber haben nicht so lange gelebt, da diese geheime Medizin nicht allen offenbart wurde.63

In De tribus facultatibus zeichnet Suchten dagegen ein anderes Bild: Die göttliche Weisheit muss erst noch erworben werden. Dass er sich genötigt sah, für den göttlichen Ursprung des paracelsistischen Schöpfungswissen zusätzlich zum Konzept der sapientia adamica eine alternative Begründung zu veranschlagen, lag wahrscheinlich daran, dass eine ‚adamitische Weisheit‘ in der Heiligen Schrift keine explizite Erwähnung findet. Sofern Adam vor seinem Fall göttliche Weisheit besaß, scheint er diese nach seinem Fall eingebüßt zu haben: Dementsprechend habe der urzeitliche Gottsuchende „nicht mehr gewust/ als daß er von seinem Vatter Adam gehrt/ wie er von Gott geschaffen/ wie er ins Paradeiß gesetz/ darinnen gesndiget/ und darumb verstossen in Arbeit/ Jammer und Noth dieser Welt.“64 Angesichts des fatalen Mangels an Wissen verlagert sich die Suche nach dem Heil auf das Gebiet der Erfahrung. Der Adamssohn betritt damit den von paracelsistischer Seite vielbeschworenen Weg zum Erwerb von unmittelbarer und somit authentischer Erkenntnis.65 Die adamitische Urzeit, in welcher sich

63 Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 474: „Adam enim cum fuerat creatus à Deo plenus scientiae, perfectaeque cognitionis, rerum omnium naturalium, sine dubio cognovit etiam res, quae vitam humanam pertrahere, & ab omni aegritudine immunem diu, & ad extremam mortem usque reddere possunt, ut etiam aliquos successores docuit, illi iterum alios, unde multi ex patribus, ad 700. 800. & plures Annos pervenerunt, alii verò non tam diu vixerunt, quia non omnibus hoc secretum fuit revelatum.“ (Übers. S. B.). 64 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 65 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Anmerkungen zum Verhältnis von Natur und Kunst. In: Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit. Semantische Perspektiven zwischen 1500 und 1700. Hg. von Thomas Leinkauf. Tübingen 2005. S. 87–108, hier S. 99  ff.

Zum Motiv des philosophus autodidactus 

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der Gottsuchende befindet, ist zwar insofern verhängnisvoll, als die Menschheit durch die Erbsünde belastet ist. Dafür aber gibt es noch kein akademisches Bücherwissen, das den Blick auf die Natur, in der sich der Geist des Herrn offenbart, trübt und den Menschen in seiner Ausrichtung auf Gott irregehen lässt. Als ursprünglichstes Werk des Schöpfers kommt der Natur allerhöchste Bedeutung zu: „[D]er Meister“ ist „am besten zuerkennen […] an seinem Meisterstck.“66 Über die Erkundung der Schöpfung, so die Hoffnung des Urmenschen, könne er einer unmittelbaren Erfahrung Gottes gelangen und darüber seine prälapsare Perfektion restituieren.67 Folglich stellt er im Ausgang von Naturbeobachtung Überlegungen zur Konstitution von Welt und Mensch an, worüber er auf den Pfad der Alchemie gelangt. Tatsächlich hat das Motiv des gottsuchenden Autodidakten schon lange vor der Entstehung von De tribus facultatibus literarische Verarbeitung gefunden: An erster Stelle ist hierbei der im zwölften Jahrhundert entstandene Bildungsroman Hayy Ibn Yaqzan zu nennen. Der Autor des Werks war der in Andalusien geborene Universalgelehrte Abu Bakr Ibn Tufail (um 1106–1185), der in Granada Medizin studierte und später höhere Stellungen am Hofe der in Marrakesch residierenden Almohaden innehatte.68 Dortselbst wirkte er zeitweilig an der Seite seines Landsmanns Averroes. Wie dieser stand er in der philosophischen Tradition Algazels. Allerdings rezipierte er auch die mystische Lehre Avicennas,69 aus dessen Buch al-Išārāt er im Vorwort seines Romans ausgiebig zitiert.70 Bei seinem Hayy Ibn Yaqzan – dem einzig erhaltenen Werk Ibn Tufails – handelt es sich, wie im Falle von De tribus facultatibus, um ein narratives Experiment,71 das die Stufen der kulturellen Entwicklung der Menschheit im Rahmen einer allegorischen Erzählung reflektiert.72 Doch auch auf der Handlungsebene finden sich einige Parallelen zu

66 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 358. 67 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Technischer Fortschritt und kulturelles Bewusstsein. Zu Diagnose von Modernität in der frühneuzeitlichen Literatur. In: Die Mechanik in den Künsten. Studien zur ästhetischen Bedeutung von Naturwissenschaft und Technologie. Hg. von Hanno Möbius u. Jörg Jochen Berns. Marburg 1990, S. 31–43, hier S. 33  f. 68 Vgl. Patric O. Schärer: Einleitung zu Abu Bakr Ibn Tufail. Der Philosoph als Autodidakt. Hayy Ibn Yaqzan. Ein philosophischer Inselroman. Übers., komm. u. hg. von dems. 2. Aufl. Hamburg 2019, S. IX–LXXXVII., hier S. IX–XIV. 69 Ebd., S. XXIX–XLVIII. 70 Abu Bakr Ibn Tufail: Der Philosoph als Autodidakt. Hayy Ibn Yaqzan. Ein philosophischer Inselroman. Übers., komm. u. hg. von Patric O. Schärer. 2. Aufl. Hamburg 2019, S. 6 (§ 6–7). 71 Vgl. Friedrich Vollhardt: Der wilde Weltweise. Die Rezeption des Philosophus autodidactus von Ibn Tufail in der Frühen Neuzeit. In: Poetik des Wilden. Festschrift für Wolfgang Riedel. Hg. von Jörg Robert u. Friederike Felicitas Günther. Würzburg 2012, S. 179–198, hier S. 187. 72 Schärer: Einleitung zu Abu Bakr Ibn Tufail, S. XXXVI.

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 De tribus facultatibus

Suchtens Traktat: Wie der urzeitliche Adamssohn befindet sich der Titelheld des Romans anfangs in vollkommener Unwissenheit über die Welt, ihren Urheber sowie über seine kreatürliche Sonderrolle als Mensch. In beiden Fällen geht es um eine Erkenntnis der Natur, des eigenen Selbst und des Schöpfers sowie um die rechte Auslegung heiliger Schriften. Der Erzähler bietet zwei Versionen über die Herkunft des Hayy Ibn Yaqzan an: Die eine besagt, dass ihn seine Mutter, eine Prinzessin, aus Furcht um die Aufdeckung einer heimlichen Liebesbeziehung in einer Kiste auf dem Meer aussetzte, worüber er ans Ufer der Insel gelangte. Der anderen Version zufolge sei er dortselbst aus einem gärenden Schlamm hervorgegangen, wobei er seinen Geist von Gott empfangen habe. Bis zu seinem siebten Lebensjahr wird er von einer Gazelle aufgezogen, wobei er elementare, dem Überleben dienende Einsichten gewinnt: Diese gehen einher mit der Erkenntnis der eigenen Nacktheit und dem Erwachen des menschlichen Selbstbewusstseins. In den folgenden vierzehn Jahren lernt er die Natur zu beherrschen. Er entwickelt handwerkliche Fertigkeiten und bedient sich des zweckrationalen Denkens. Zum Schlüsselerlebnis wird der Tod der Gazelle: Um diese wieder zum Leben zu erwecken, öffnet er ihren Körper und erkennt dabei das Herz als den Sitz der Seele. Ebenso wie Suchtens Adamssohn widmet sich der Inselbewohner von nun an der Suche nach dem göttlichen Geist, und ebenso wie diesem gelingt es ihm, dieses Vitalprinzip als „einen luftartigen Dampf“ freizusetzen.73 Hierbei wird der Geist, übereinstimmend mit Suchtens Pneumatologie, als ein warmer Nebel beschrieben.74 In den nächsten sieben Jahren beschäftigt sich Hayy mit dem Werden und Vergehen, worüber er erkennt, dass die Welt verschiedene Arten und Gattungen eingeteilt ist. In der Folge lernt er zwischen Materie und Form zu unterscheiden, wobei er letztere im Falle der Lebewesen mit deren Seele gleichsetzt. Ausgehend von der Feststellung, dass alles auf Kausalität beruht, stellt er sich die Frage nach einer Letztursache alles Seienden. Weitere sieben Jahre vergehen, in denen er kosmologischen Fragestellungen nachgeht. Über die Beobachtung der Gestirne gelangt er zu der Einsicht, dass das All endlich sein müsse. Ausgehend von Überlegungen zur metaphysischen Konstitution des Universums schließt er auf die Existenz eines ersten Urhebers, der vollkommen, weise und barmherzig ist. Auch hier ist es also die Schöpfung, über die das Wesen Gottes offenbar wird, und damit die Devise, „daß der Meister am besten […] an seinem Meisterstck“ zu erkennen ist,75 bestätigt.

73 Ibn Tufail: Der Philosoph als Autodidakt. Hayy Ibn Yaqzan, S. 38 (§ 50). 74 Vgl. Kap. 5.1, S. 133. 75 Vgl. Anm. 66.

Zum Motiv des philosophus autodidactus 

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Indes ist der göttliche Urheber angesichts seines unkörperlichen Naturells nicht auf sinnliche Weise erfahrbar, sodass sich Hayy in seiner letzten Lebensphase der Ergründung seines gottähnlichen, geistigen Wesens widmet. Hierzu verfährt er nach einem dreistufigen Prinzip der Angleichung an die tierische, die astrale und die überirdische Welt. In diesem Sinne verordnet er sich zur Erhaltung seines Leibs, der ihn mit der Welt der Tiere verbindet, eine asketische Diätetik. Die Angleichung an die Himmelskörper besteht in einer Selbsterziehung zu Milde und Reinheit sowie in kreisenden Tanzbewegungen nach Art der Sufisten. Indem er hierbei auf meditative Weise von der äußeren Welt ablässt und innere Einkehr sucht, ist es ihm schließlich vergönnt, mit Gott eins zu werden und diesen in all seiner Herrlichkeit zu schauen: Er sah die immaterielle Wesenheit der Sphäre in Vollendung, Pracht und Schönheit – zu mächtig, um sie mit Worten zu beschreiben und zu fein, um in Buchstaben und Laute gefasst zu werden. Er sah sie im Zustand von äußerstem Genuß, Zufriedenheit, Glückseligkeit und Freude bei der Schau des Wesens des Wahrhaftigen […].76

Harsche Kritik übt der Erzähler dagegen an all denjenigen, „die nur über das, was vom sichtbaren Leben äußerlich sichtbar ist, Bescheid wissen […].“77 Es sind ausgerechnet diese Leute, in deren Gesellschaft der Protagonist gerät, da er von einem Gottesgelehrten, der auf der Insel die mystische Einsamkeit suchte, in die Zivilisation zurückgeholt wird. In den Schriften und in der religiösen Praxis der urbanen Bevölkerung erkennt Hayy ein Abbild dessen, was sich ihm ehedem im Akt innerer Versenkung offenbarte. Doch als er sich anschickt, dem Volk „die Geheimnisse der Weisheit zu enthüllen“,78 stößt er auf Ablehnung: [S]obald er auch nur ein kleines Stück über den Wortsinn hinausging und etwas beschrieb, das nicht mit ihrem Wortsinn übereinstimmte, begannen sie sich vor ihm zu verschließen; ihre Seelen wichen vor dem, was er vorbrachte, angewidert zurück und in ihrem Herzen ärgerten sie sich über ihn.79

Die Ignoranz gegenüber der wahren Bedeutung des Wortsinns der Heiligen Schrift ist genau das, was Suchten den Vertretern der Schultheologie vorwirft. Überblickt man die Rezeptionsgeschichte des Romans, so scheint es möglich, dass Suchten von Ibn Tufails Hayy Ibn Yaqzan Kenntnis hatte: In der zweiten

76 Ibn Tufail: Der Philosoph als Autodidakt. Hayy Ibn Yaqzan, S. 93 (§ 127). 77 Ebd., S. 91 (§ 126). 78 Ebd., S. 109 (§ 150). 79 Ebd., S. 110 (§ 150).

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 De tribus facultatibus

Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts wurde der Text ins Hebräische übertragen und von dem gelehrten Juden Moses Narboni ausführlich kommentiert.80 Rund hundert Jahre später verfasste der jüdische Philosoph Yohanan Alemanno hierzu einen Meta-Kommentar.81 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies im Auftrag von Giovanni Pico della Mirandola geschah, zumal dieser 1488 in Florenz die Bekanntschaft des jüdischen Gelehrten gemacht hatte und mit diesem bis zu seinem Tod zusammenarbeitete.82 Es liegt daher nahe, dass sich hinter dem bilingual geschulten Philologen, der auf der hebräischen Textgrundlage die erste lateinische Übersetzung des Romans erstellte, ebenfalls Yohannan Alemanno verbirgt.83 Die erste Druckfassung dieser Übersetzung brachte der Oxforder Arabist Edward Pococke auf den Weg. Mit dieser Ausgabe, die 1671 unter dem passenden Titel Philosophus autodidactus erschien, beginnt die eigentliche Wirkungsgeschichte des Romans.84 Die Inselerzählung wurde ins Englische und ins Deutsche übertragen und fand unter anderem in John Locke und Leibniz eine hochgebildete Leserschaft.85 Ob auch Suchten sie rezipierte, ist nach der bisherigen Erschließung ihrer Rezeptionsgeschichte schwer zu beantworten. Freilich könnte er, als er in den Jahren 1543 bis 1545 in Italien verweilte, mit der handschriftlichen Fassung des Romans in Kontakt gekommen sein. Vielleicht bot sich aber auch im Zeitraum von 1546 bis 1565, da Suchten an verschiedenen Fürstenhöfen weilte, im Austausch mit humanistisch gebildeten Gelehrten die Gelegenheit, über den Inhalt des arabischen Bildungsromans Kunde zu erlangen. Verwiesen sei in diesem Kontext nur auf Suchtens Bekanntschaft mit Paulus Scalichius, der wie kaum ein zweiter mit dem Œuvre Picos vertraut war.86 80 Vgl. Maurice-Ruben Hayoun: Moses Narbonis (1300–1362) Kommentar zum Hayy Ibn Yaqzan des Ibn Tufail. In: „Sprich doch mit deinen Knechten aramäisch, wir verstehen es“. Hg. von Werner Arnold u. Hartmut Bobzin. Wiesbaden 2002, S. 217–235. 81 Vgl. die Edition von Fabrizio Lelli: Hay ha-‘olamim. L’immortale. Florenz 1995. 82 Barry C. Novak: Pico della Mirandola and Allemanno. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 45 (1982), S. 125–147, hier S. 29. 83 So vertreten v.  a. von Franco Bacchelli: Pico della Mirandola. Traduttore di ibn Tufayl. In: Giornale ciritico della filosofía italiana 52 (1993), S. 1–25. 84 Zur Wirkungsgeschichte Gül A. Russel: The Impact of the Philosophus Autodidactus: Pocockes, John Locke, and the Society of Friends. In: The ‘Arabick’ Interest of the Natural Philosophers in Seventeenth-century England. Hg. von ders. Leiden 1994, S. 224–277. 85 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften, 7 Bde. Hg. von Carl Immanuel Gerhardt. Berlin 1875, hier Bd. 2, S. 563 u. Bd. 3, S. 184; zu Locke s. Anm. 84. 86 Nach Fligge (Herzog Albrecht von Preußen und der Osiandrismus, S. 501) ist Scalichius „früh auf die italienischen Renaissancephilosophen gestoßen […].“ Unter diesen habe er vor allem Pico della Mirandola rezipiert: „Die Pico eignende Verbindung von biblischer und neuplatonische Tradition mit Magie und Kabbalah wurde für Scalich wegweisend. Er schreibt kaum eine Seite, auf der Pico nicht erwähnt wird.“

4 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie 4.1 Hohenheims Schöpfungsontologie Um sich ein Bild davon zu machen, auf welchen Axiomen Suchtens paracelsistische Kosmogonie und Anthropologie beruht, lohnt der Blick auf die Grundlegung ihres Schöpfungsdiskurses durch Paracelsus.1 Die Kosmogonie des Hohenheimers kann hier allerdings nur in Umrissen wiedergegeben werden, zumal seine diesbezüglichen Ausführungen in seinen Schriften sowohl inhaltlich als auch terminologisch differieren, auf einem hybriden Zusammenspiel biblischer, neuplatonischer und alchemischer Elemente beruhen und nicht zuletzt deshalb außerordentlich komplex sind.2 Nach Paracelsus steht am Beginn der Welt ein hochsubtiler Urstoff, der sogenannte Iliaster. Bei diesem Begriff handelt es sich um einen Neologismus, der sich offenbar von hyle, dem griechischen Wort für ‚Materie‘, und astrum, dem lateinischen Wort für ‚Gestirn‘, herleitet. Wenn Paracelsus von den Gestirnen oder astra spricht, bezieht er sich hiermit nicht nur auf die Himmelskörper im eigentlichen Sinne, sondern auch auf eine Vielzahl von Geistpartikeln, die im gesamten Kosmos verstreut sind. Aus diesen gehen alle irdischen und himmlischen Geschöpfe hervor.3 Der Iliaster selbst verkörpert die ursprüngliche Einheit aller astra; den Ur­grund, in dem alles Kreatürliche angelegt ist.4 Paracelsus setzt ihn daher mit dem göttlichen Wort fiat lux gleich.5 Der Iliaster ist in diesem Sinne der lauterzeugende Hauch, der im Schöpfungsakt durch den Mund des Allmächtigen

1 Zur paracelsischen Schöpfungslehre s. Ute Frietsch: Häresie und Wissenschaft. Eine Genealogie der paracelsischen Alchemie. München 2013, S. 115–137 u. 346–353; Dane T. Daniel: Unvisible Wombs. Rethinking Paracelus’s Concept of Body and Matter. In: Ambix 53/2 (2006), S. 129–142; Kurt Goldammer: Bemerkungen zur Struktur des Kosmos und der Materie bei Paracelsus (1971). In: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze. Hg. von dems. Wien 1986 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24), S. 263–287; Walter Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus. Seine Zusammenhänge mit Neuplatonismus und Gnosis. Wiesbaden 1962 (Kosmosophie 1), S. 79–95. 2 Zentrale Schriften für die Schöpfungslehre sind Paracelsus: Opus Paramirum. In: SW 1/9, S. 48; Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 187; Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 31–74), vgl. ferner auch die unechte Philosophia ad Athenienses. In: SW 1/14, S. 387–423. 3 Dieser Vorstellung liegt die Pneumatologie des platonischen Dialogs Timaios zugrunde, wonach der göttliche Demiurg des Kosmos den irdischen Seelen jeweils ein – seinerseits ebenfalls beseeltes – Gestirn zuordnete (Tim. 41, d/e). 4 Zur Konzeption des Iliasters s. ausführlich Katharina Dück: Materia Prima. Zur Semantik des Begriffs in naturkundlichen Sachschriften des 16. Jahrhunderts. Heidelberg 2018, S. 101–113. 5 Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus, S. 79  f. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-004

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

wehte. Damit repräsentiert er zugleich den Geist Gottes, der zu aller Anfang auf dem Wasser schwebte (Gen 1,2). Paracelsus trägt hierbei dem Bibelwort insofern Rechnung, als er dem Iliaster eine feuchte Natur zuschreibt: Der Iliaster gleicht äußerlich einem Nebel. Wenn Paracelsus für seine Schöpfungstheologie ferner eine creatio ex nihilo behauptet, so bezeichnet das nihil kein ‚Nichts‘ im herkömmlichen Sinne, sondern lediglich ‚nichts Bestimmtes‘: Nichts als den nebligen Dunst des Iliasters.6 Dieser Dunst verdichtet sich zu einem Wasser, indem Gott aus ihm die geistigen Samen alles Geschöpflichen, die nach den – zunächst prämateriellen – vier Elementen geordnet sind, hervorruft. Diese Trennung des Geistigen vom Stofflichen steht für die biblische Scheidung des primordialen Wassers (Gen 1,6). Im Zuge der Trennung nehmen die Elemente in Feuer, Wasser, Luft und Erde sowie die daraus hervorgehenden Kreaturen sichtbare Gestalt an. Der Mensch ist von diesem Prozess allerdings ausgenommen: Diesen schuf Gott nämlich dem Ersten Buch Mose entsprechend aus einem limus terrae (Gen 2,7). Der limus ist jedoch nicht nur der biblische Erdklumpen, aus dem der Schöpfer den grobstofflichen Leib Adams formte; es handelt sich bei ihm zugleich um einen Auszug aller Kreaturen.7 Dies hat zur Folge, dass sowohl die irdische als auch die himmlische Schöpfung im Menschen präsent ist. Der Mensch hat dementsprechend zwei Leiber: einen elementischen, der aus Fleisch und Blut besteht, und einen siderischen, der in sich die intellektuellen und imaginativen Kräfte des Individuums vereint.8 Der höchste und edelste Teil des Menschen aber ist die von Gott eingehauchte Seele (Gen 2,7), die nach dem Tod auf ewig weiterbesteht.

4.2 Kosmogonie aus dem kristallinen Wasser An die Stelle des Iliasters tritt in De tribus facultatibus der „Geist des Herrn“. Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch nur um eine terminologische Umbesetzung, zumal sich dieser ebenfalls mit dem fiat lux als identisch erweist: „Das Fiat, dadurch die Welt erschaffen/ das ist der Saamen deß Himmels und der Erden […]“.9 Auch hüllte sich der Geist des Herrn bei der Erschaffung der unteren Regionen des Kosmos in einen nebligen Dunst, der später zu dem besagten „Cry-

6 Frietsch: Häresie und Wissenschaft, S. 123. 7 Zum Begriff des limus- bzw. limbus-Begriffs bei Paracelsus s. Dück: Materia prima, S. 85–94. 8 Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus, S. 55. 9 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379.

Kosmogonie aus dem kristallinen Wasser 

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stallinisch Wasser“ kondensierte.10 Dieses selbst fungiert als die ‚erste Materie‘ von Mensch und Welt: „Es war aber die Materia prima Mundi & Hominis ein Crystallinisch Wasser/ davon die Schrift saget: Ehe Gott schuff Himmel und Erden/ schwebet der Geist des HErrn ob dem Wasser“.11 Wie sich im Verlauf des Traktats zeigen wird, entspricht diese prima materia nicht dem Element ‚Wasser‘, sondern einer chemisch reproduzierbaren, trüben Flüssigkeit, aus der sich unter stetiger Erhitzung Minerale gewinnen lassen, die in bestem chemischem Sinne über eine kristallartige Gestalt verfügen.12 Der Begriff „Crystallinisch Wasser“ besitzt seinem Wortlaut nach aber nicht nur eine chemische, sondern auch eine theologische Komponente: Suchten nimmt die kristalline Gestalt des besagten Wassers nämlich zum Anlass, dieses mit dem kristallgleichen, gläsernen Meer („mare vitreum simile crystallo“) gleichzusetzen, das nach den Worten der Johannes-Apokalypse aus dem Thron Gottes hervorströmt (Ap 22,1–2) und sich zu Füßen des Allmächtigen befindet (Ap 4,6–8). Ferner erfährt man aus der Offenbarung, dass dieses Wasser mit Feuer vermengt ist.13 Nach der pseudo-dionysischen Lichtmetaphysik stellt das kristallähnliche Meer zugleich die neunte und somit zweithöchste Himmelssphäre dar.14 Am zweiten Schöpfungstag bewirkte Gott eine Scheidung der kristallinen Feuchte in ein unteres und ein oberes Wasser (Gen 1,7). Ersteres wird dem hebräischen Wortlaut nach als majim, letzteres als schamajim bezeichnet. Während majim das Meer repräsentiert, das am dritten Schöpfungstag die trockene Erde freigibt (Gen 1,9–10), bleibt schamajim als das kristalline Geistwasser des neunten Himmels bestehen. Von der irdischen Sphäre ist dieser Himmel durch die rachia getrennt: jene Feste, die Gott am Abend des ersten Schöpfungstags zwischen den beiden Gewässern errichtete (Gen 1,7–8). Dennoch ist nach paracelsistischer Auffassung auch der gestirnte Himmel von schamajim erfüllt; dortselbst aber erscheint dieses Geistwasser  – analog zum paracelsischen Iliaster  – als ein nebliger Dunst, der mit zunehmender Ausdehnung auf die tieferen Regionen an Sichtbarkeit gewinnt. Mit Berührung der sublunaren Sphäre gerinnt dieser Dunst schließlich zu einer Flüssigkeit von paradiesischer Qualität.

10 Vgl. Kap. 5.1, S. 133 u. 136. 11 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 359. 12 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 89 u. Kap. 4.5, S. 107  ff. 13 Zitiert wird durchgehend nach der Einheitsübersetzung 2016 sowie, im lateinischen Wortlaut, nach der Hieronymina Versio der Vulgata, hier Ap 15,2: „Et vidi tamquam mare vitreum mixtum igne et eos, qui vicerunt bestiam et imaginem illius et numerum nominis eius, stantes supra mare vitreum, habentes citharas Dei.“ 14 Vgl. Werner Heinz: Achtzahl und Oktogon in der Kulturgeschichte. In: Kleine Geschichte der Achtzahl. Hg. von dems. Münster 2016, S. 35–92, hier S. 52.

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Unter dem Namen „Crystallinisch Wasser“ findet die prima materia von Mensch und Welt in den überlieferten Paracelsica keine Erwähnung. Suchten scheint der erste zu sein, der diesen Begriff in paracelsistischem Kontext verwendet. Angesichts der Bezugspunkte, die der Terminus „Crystallinisch Wasser“ auf biblischem, kosmologischem sowie auf naturwissenschaftlichem Gebiet offeriert, verwundert es nicht, dass er ab dem ausgehenden sechzehnten Jahrhundert gehäuft in der spiritualistischen Literatur anzutreffen ist. Dass dieser Begriff auch im Wirkungskreis der mystisch tingierten Theologie eines Valentin Weigel auf fruchtbaren Boden fiel, belegt ein auf den 29. Mai 1579 datierter Brief, den der Görlitzer Theosoph Abraham Behem an den Zschopauer Pastor adressierte: „M. Valentio Weigelio S. P. Daß Ihr aber jetzo begehret, meine Sententiam von den wassern über der Vesten auch zu explizicieren, was das nemlich vor ein Wasser wehre vnd wanher es keme? wiewoll solches hochwichtige zu fragen, die viel zeitt vnd praemeditation erfodern; dennoch damitt ich euch in dem willen, Ich kurtz vnd einfeltig zu erkennen gieb, daß das Wasser über den Firmament sey das Gläsine Crystalline Meer, so vor dem Thron Gottes stehet. Item, das Wasser sey der Crystalline waßserstrom, so auß dem Stuel Gottes vnd des Lambs fließe etc. Wie solch in Apocal. zu finden. Ferner sey das gläsine Meer mit Feuer vermischt. Vber einem solchen wasser hatt der Geist Gottes geschwebet, vnd nicht über dem Elementischen vnd jrdischen Wasser, dem abysso tenebrarum, welch Wasser die Feste von Gott vnterschieden worden, wie der Thronus DEI â mundo Elementali, also auch Caelestis ab Elementi aqua durch die Feste vnterschieden worden. Vnd wird vns durch die Schrifft durch das Oberwasser vber der Festen nichts anders fürgebildet denn die Mutter der Neuen Geburtt, die himmlische Jungfraw, so allein auß Gott Ihre Ankhunfft, die vom Creatore selbst vnd nicht von Creato Ihren Vrsprungt [= ihren Ursprung nimmt]. Also auch das Vnter wasser vnter dem Firmament, die Irdische Mutter, die Evam, so auß dem opaco Limo eine Creatur geschaffen: So doch die Himmlische auß Gotte geboren vnd nicht wie die Irdische Vntere geschaffen. Also sind die auch die Geburtten vnd Kinder dieser beeder Mütter durch die Festen vnterschieden. Dann ein ander Wasser ist der Neugeborne Himmlische Mensch, vnd ein anders der irdische. Wie die Mutter alß das Obere, so ein Himmlisch Crystallin Wasser gegen dem Vnterm zu haltten, so nihil quam abyssum tenebrarum zu aestimieren, ein differentiam giebet, also diese beeden Menschen zu vnterscheiden sindt […].15

15 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Goelf. Hemst. 722, f. 339r–v. Zitiert nach W ­ ilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 125. Behem an Valentin Weigel (1579). In: Corpus Paracelsis­ ticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 3: Der Frühparacelsismus. Dritter Teil. Berlin, Boston 2013 (Frühe Neuzeit 170/1), S. 525–543 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr.  125. In: CP  3), hier 534  f.; vgl. hierzu auch Winfried Zeller: Naturmystik und Theologie bei Valentin Weigel. In: Epochen der Naturmystik. hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt. Hg. von Antoine Faivre u. Rolf Christian Zimmermann. Berlin 1979, S. 105–124, hier S. 120–123.

Kosmogonie aus dem kristallinen Wasser 

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Die himmlische Jungfrau – gemeint ist die göttliche Weisheit –, die das kristalline Wasser in seiner höchsten und reinsten Form figuriert, spendet den hochsubtilen Leib des in Christus neu geborenen Menschen (1 Kor 15,22). Von diesem ‚neuen Leib‘ ist das untere Wasser zu unterscheiden, das den limus opacus enthält. Aus diesem ist der unreine elementische Körper geschaffen, welcher der Kreatur seit dem Sündenfall uneigentlich angehört. Die Vorstellung von der leiblichen Neueinkleidung des gläubigen Menschen durch das kristalline Wasser bildet wohl auch den Hintergrund dafür, dass sich der anonyme Herausgeber von Julius Sperbers Echo der Hocherleuchteten Fraternitet (1615) bemüßigt fühlte, in der Vorrede zum selbigem Werk von einem „Christallinen Wasser“ zu sprechen.16 Indem Behem an einer späteren Stelle seines Schreibens auf das Lamm Gottes und den Jüngsten Tag zu sprechen kommt, an dem einzig den „außerweltten Gottes“ im „Himmlischen Hierusalem, welches vom oberen herunter auß dem Obern Wassergeist geboren herkhombt,“ das ewige Leben zuteilwird, nimmt er erneut auf die Johannes-Offenbarung Rekurs. Vielleicht huldigt er hiermit insgeheim der Devotio moderna, deren Mitglieder ihre geistlichen Liedtexte aus Bibelstellen bezogen, die eine brautmystische Lesart nahelegen, darunter eben auch das 22.  Kapitel der Apokalypse, welches von der Vermählung des himmlischen Jerusalems mit dem Lamm Gottes kündet:17 „Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wer dürstet, der komme; wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“18 Die vorausgehenden Zeilen geben über die Provenienz dieses Wassers nähere Auskunft. Es entstammt einem „Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall“, der „vom Thron Gottes und des Lamms“ ausgeht.19 Als Laie auf alchemischem Terrain nimmt Behem in seinen Ausführungen Abstand vom Credo der ‚waschechten‘ Paracelsisten, welchen zufolge das kristalline Wasser nicht nur oberhalb der Feste, sondern auch im gestirnten Himmel und sogar auf Erden anzutreffen ist. In jeder einzelnen seiner Manifestationen – der unsichtbaren, der neblig-trüben und der liquiden – ist das kristalline Wasser vom Geist des Herrn erfüllt. Mehr noch: als Ausfluss aus der empyreischen Geist-

16 Vgl. [Julius Sperber]: Echo der von Gott hocherleuchteten Fraternitet. Vorrede. Andreas Hünefeldt, Danzig 1615, f. (a)ijr–(e)ijv, hier (b)viir. Hervorhebung von S. B. 17 Vgl. Christoph Burger: Mystische Vereinigung – erst im Himmel oder schon auf Erden? Das Doppelgesicht der geistlichen Literatur im 15. Jahrhundert. In: Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Hg. von Berndt Hamm u. Volker Leppin. Tübingen 2007, S. 97–110, hier S. 100. 18 Ap 22,17: „Et Spiritus et sponsa dicunt ‚Veni!‘. Et, qui audit, dicat: ‚Veni!‘. Et, qui sitit, veniat; qui vult, accipiat aquam vitae gratis.“ 19 Ebd. 22,1: „Et ostendit mihi fluvium aquae vitae splendidum tamquam crystallum, procedentem de sede Dei et agni.“

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sphäre ist es mit dem spiritus mundi sogar substanziell verwandt. Wenn es heißt, dass der Geist des Herrn zu aller Anfang super aquas schwebte, so verbinden die Paracelsisten damit die Vorstellung, dass dieser mit dem Wasser eines Wesens war. Diese Auffassung hatte auch Paracelsus schon vertreten: „dis wasser war die matrix; dan im wasser ward beschaffen himel und erden und in keiner anderen matrix nicht. in deren ward der geist gottes tragen, das ist der geist gottes, der im menschen ist, den alle anderen creaturen nicht haben.“20 Die paracelsische Lehrmeinung, dass der Geist Gottes nach der Schöpfung im Menschen verblieben ist, bildet  – wie sich zeigen wird  – eine der Kernthesen von Suchtens Traktat. Insgesamt aber verhält sich der Danziger gegenüber der Frage, wie die geschöpfliche Welt entstand, sowohl in De tribus facultatibus als auch in anderen Schriften erstaunlich wortkarg. Unter den verschiedenen kosmogonischen Variationen, welche die Literatur des Paracelsismus hervorgebracht hat, scheint die Schöpfungslehre, die Heinrich Khunrath (1560–1605) vertritt, derjenigen Suchtens besonders nahezukommen.21 Im Amphitheatrum sapientiae aeternae unterscheidet Khunrath drei Himmel, denen jeweils eine Qualität des Geistwassers schamajim entspricht. Jede dieser übereinander liegenden Sphären ist somit vom spiritus mundi – hier als „Forma“, „Hyle“ oder „als Ruach Elohim“ bezeichnet – durchströmt. Das sogenannte infe­ rius steht für den untersten ‚Himmel‘, das heißt für den sublunaren Bereich, der die prima materia – das flüssige schamajim – enthält. Aus diesem Urstoff formte Gott nachmals die diesseitige Natur in ihrer geschöpflichen Vielgestalt. Das weit darüber befindliche superius repräsentiert seiner flüssigen Natur zum Trotz die undurchdringliche Himmelsfeste, die das ‚Mittlere zwischen den Extremen‘ darstellt. Auf diese Weise trennt es die irdische Sphäre vom Empyreum, das seinerseits von der höchsten und subtilsten Qualität von schamajim erfüllt ist: Dieses Geistwasser hat Elohim auf dreifache Weise innerhalb des Weltganzen verteilt. Zum Ersten umschloss er das Inferius mit Erde und Wasser, damit darin nicht nur der Sitz und das Vehiculum der Weltseele sein sollte, sondern auch das verbindende Mittlere oder das einigende Band zwischen den Extrema; als da wären die Materia prima und die Forma, genauer gesagt die Hyle und damit letztlich die Weltseele […]. Das Schamajim oberhalb der Rachia – gemeint ist damit das Firmament des Himmels – ist ein Schamajim, das Gott nicht, wie den ersten Himmel, mit den Elementen vermischt hat; und noch viel weniger hat er es mit den exkrementalen Absonderungen derselben verunreinigt. Auch hat er es nicht zu einem festen Körper gefrieren lassen wie den zweiten, sondern er hat die überhimmlischen

20 Paracelsus: Opus Paramirum 5 (De matrice). In: SW 1/9, S. 191. 21 Zu Khunraths alchemischem Weltbild vgl. Forshaw: Subliming Spirits, S. 255–275; ders.: Vitriolic Reactions: Orthodox Response to the Alchemical Exegesis of Genesis, S. 111–136.

Kosmogonie aus dem kristallinen Wasser 

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Wasser kraft seiner Allmacht durch sich und in sich vollkommen gemacht und ihnen eine ebensolche Gestalt verliehen, wie ich vorhin dargelegt habe.22

Die drei aufeinander liegenden ‚Himmel‘ werden im Verlauf des Schöpfungspro­ zesses „wie ein Teppich“ zusammengerollt, wodurch der Kosmos die Form einer Kugel erhält, deren Kern das inferius bildet. Dabei entsteht ein „Spatium“ zwischen der Himmelsfeste und der sublunaren Welt; ein Raum, „der danach mit einer nebligen Feuchte und den ständigen Ausdünstungen der unteren Welt (der Materie der vielzähligen Meteoren)“ gefüllt wird.23 Die feuchte Urmaterie der großen Welt besteht teils aus schamajim, teils aus majim. Das letztgenannte Wasser enthält die „arida Terra“, die das Meer am dritten Schöpfungstag freigibt. Auch für Suchten ist anzunehmen, dass Gott vom kristallinen Wasser zunächst ein unteres Wasser schied, welches das Element der Erde implizierte. Nur so lässt sich erklären, dass der Danziger auf den letzten Seiten des Traktats mehrmals davon spricht, dass der Geist des Herrn „in einen Erdenkloß“ einging.24 Nach Vorstellung der Paracelsisten lässt sich das kristalline Wasser alias schamajim über eine alchemische Scheidung bestimmter Substanzen gewinnen. In letzterem Fall sprechen sie allerdings nicht von schamajim, sondern in hermetischer Tradition von der quinta essentia: einem Elixier, das auf Körper und Seele eine herrliche Wirkung ausübt und bei der Zeugung des lapis philosophorum feste Gestalt annimmt.25 Auch Suchten schildert in De tribus fcultatibus einen Extraktionsprozess, bei dem die quinta essentia – die er hier als ein weißliches „Wasser“ beschreibt – aus dem Stofflichen herausgelöst wird.26 Mit der ars destillatoria, die hierbei zum Einsatz kommt, stellt Suchten ein Verfahren vor, mit dem bereits mittelalterliche Alchemiker wie Pseudo-Lullus oder Johannes de Rupescissa die

22 Heinrich Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae […]. Guilelmus Antonius, Hanau 1609 (im Folgenden: Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae), S. 127–131: „Hoc in totum Universum Mundanum tripliciter distribuit Elohim. Primò, Inferius, indidit Terrae & Aquae, ut ibi esset non tantum sedes & vehiculum Animae Mundi, verum quoque Medium coniungens & Vinculum copulans atque uniens duo extrema, quae sunt, Materia prima, & Forma, hoc est, Hyle nec non Anima Mundi […]. [S]upra Rachia Schamaim, hoc est, Firmamentum Caeli, Schamaim non Elementis (ut Primum) miscuit, multò minus superfluitatibus eorundorum excrementitiis inquinavit; neque in corpus solidum (ut Secundum) ac durum congelavit atque firmavit; verùm (virtute suâ Omnipotente) per & in se plusquam perficiendo, Aquas supercaelestes constituit tales, quales paulo antè docuimus […].“ (Übers. S. B). 23 Ebd., S. 130: „humoribus aqueis, et vaporibus exhalationibus continuis (meteorum variorum materiis) e regione inferiore.“ (Übers. S. B). 24 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379 u. 381. 25 Vgl. Helmut Gebelein: Alchemie. Die Magie des Stofflichen. München 1991, S. 147. 26 Vgl. Kap. 4.5.

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quinta essentia zu gewinnen versuchten. Diese selbst identifizierten die quinta essentia mit destilliertem Weingeist.27 Hierin erblickten sie die Extreme von Feuchtigkeit und Kälte einerseits sowie Trockenheit und Wärme andererseits auf ursprüngliche Weise miteinander vereint. Da ebendieses Destillat im Falle einer Verkostung einen wahrhaft feurigen Nachgeschmack hinterließ, lag nichts näher, als die quinta essentia mit dem „mare vitreum mixtum igne“ zu identifizieren, von dem das 15. Kapitel der Johannes-Apokalypse kündet.

4.3 Anthropologie 4.3.1 Die Konstitution des Menschen in den Propositiones Auch in anderen Schriften nimmt Suchten rege auf die quinta essentia Bezug. Dabei ist ihm vor allem daran gelegen, ihren medizinischen Nutzen herauszustellen. Zum zentralen Thema wird sie in den XVIII Propositiones, die der Danziger um 1560 unter dem leicht zu durchschaubaren Pseudonym „Ioannes de Suchten“ veröffentlichte. Abermals dominiert die Analogie von Makrokosmos und Mikrokosmos. Diese entfaltet besondere Virulenz, indem Suchten auf den sogenannten calor naturalis Bezug nimmt. Als medizinisches Theorem ist die ‚natürliche Wärme‘ in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich. Das Konzept des calidum innatum setzte, eng verbunden mit dem Namen Jean Fernels (1497–1558), in den vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts ein und entwickelte sich, ermangelst seiner theoretischen Ausdifferenzierung, besonders auf italienischem Boden zu einem kontrovers diskutierten Gegenstand der Naturphilosophie.28 Nach Suchten bezeichnet die ‚natürliche Wärme‘ eine klarifizierte Form des göttlichen Geistes, die dem menschlichen Körper innewohnt. Diese sei das höchste und subtilste Heilmittel, das Gott erschaffen habe. Weiterhin sei sie mit einer wundersamen ‚Wärme von Sonne und Mond‘ (calor solis et lunae) identisch: VI. Die natürliche Wärme, über die alle Nahrung zugunsten der Erhaltung der Gesundheit und der Vermehrung der Individuen verdaut wird, ist die Wärme der Sonne und des Mondes. VII. Wenn diese Wärme, die dem menschlichen Körper innewohnt, durch eine Krankheit daran gehindert wird, ihrer Aufgabe nachzukommen, muss sie durch die makrokosmische

27 Lawrence M. Principe: The Secrets of Alchemy. Chicago 2013, S. 69  ff.; Karin Figala: Quinta essentia. In: Alchemie-Lexikon, S. 300  ff. 28 Vgl. Martin Mulsow: Frühneuzeitliche Selbsterhaltung. Telesio und die Naturphilosophie der Renaissance. Tübingen 1998., S. 201–250.

Anthropologie 

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Wärme von Sonne und Mond – beziehungsweise durch Dinge, in denen jene höchste Kraft von Sonne und Mond enthalten und auf artifizielle Weise verfügbar gemacht worden ist – aufrechterhalten werden. […] X. Die Wärme von Sonne und Mond, die durch eine wundersame und geheime Kunst aus den Dingen, in denen sie enthalten ist, extrahierbar ist, ist ein hochsubtiler Stoff, den Gott in seiner Größe und Güte zur Gesundung und Erhaltung unserer menschlichen Natur aus dem Geist der Welt geschaffen hat. Galen, Avicenna und die Ärzte unserer Zeit, die aus ihren sogenannten ‚Apotheken‘ Heilmittel anfordern, haben davon nicht den Hauch einer Ahnung.29

Um zu verstehen, inwiefern die quinta essentia für den calor solis et lunae von Belang ist, hat man zu berücksichtigen, dass Suchten die Sonne, von der diese Wärme ausgeht, in strenger Analogie zum Herzen denkt. Diese Analogie findet sich schon bei Paracelsus: „das herz ist die sonn; und wie die sonn wirket in die erden und ir selbs also wirkt auch das herz [in] dem leib und im selbs.“30 Suchten geht nun einen Schritt weiter, indem er aus der Tatsache, dass sich das Herz im Zentrum des menschlichen Körpers befindet,31 den Schluss zieht, dass die Sonne im Zentrum des Alls stehen müsse. Vor diesem Hintergrund bekundet er, dass die höheren und niederen Vitalkräfte, die alle himmlischen und irdischen corpora mit Leben erfüllen, von der Sonne, welche gleichsam das Herz des Alls repräsentiere („à Sole, tanquam Corde Coeli“),32 ihren Ausgang nähmen. In dieser Überzeugung steht er offenkundig unter dem Einfluss der Occulta philosophia des Agrippa von Nettesheim, aus der im Folgenden beinahe wörtlich zitiert: Die Sonne sitzt nämlich wie ein König inmitten der anderen Planeten, übertrifft diese jeweils an der Stärke und der Schönheit ihres Lichts und verleiht ihnen Helligkeit. Auch gibt sie ihnen die Kraft, über das Geschehen in den unteren Regionen zu bestimmen, und spendet

29 XVIII Propositiones, f. 255r: „VI. Calor naturalis quo omnis res ad sustentationem et multiplicationem individuorum digeritur, est calor Solis et Lunae. VII. Iste calor in corporibus humanis existens, si impeditur aegritudine aliqua, quô minus suum faciat officium, conservandus est cum calore solis et lunae maioris mundi, vel cum ijs, in quibus est virtus solis & lunae potentissima, à potentia per artificium deducta ad actum […]. X. Calor solis et lunae per artificium mirabile et occultum ex rebus ijs, in quibus est, extractus, est materia simplicissima generata à Deo Optimo Max: ex spiritu mundi ad restaurationem et conservationem humanae naturae, Galeno, Aucennae, cunctisque nostri temporis medicis, qui medicinas ex Apothecis (ut vocant) petunt, prorsus incognita.“ (Übers. S. B.). 30 Paracelsus: Volumen Paramirum. In: SW 1/1, S. 208. 31 Vgl. Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 468: „punctum Cordis medium, quod est centrum minoris mundi (Corporis humani) […].“ 32 Ebd., S. 467.

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aus sich selbst heraus überall Licht und Leben in Überfülle; und dies nicht nur im Himmel und in der Luft, sondern auch auf Erden und in den entlegensten Tiefen des Abyss.33

Es handelt sich hierbei um einen äußerst bemerkenswerten Befund; vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Nicolaus Copernicus im Jahr 1543, also höchstens 18  Jahre vor dem Entstehen der Propositiones, sein Werk De revolu­ tionibus orbium coelestium publizierte, in welchem er erstmals in der Geschichte der Astronomie für das heliozentrische Weltbild eintrat. Die spektakuläre Entdeckung, dass sich die Sonne nicht um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht, stellte für Copernicus, zumal von der platonischen Gedankenwelt ­beeinflusst,34 kein Problem dar. Tatsächlich hatte für ihn die Sonne nicht nur auf astronomischer Ebene, sondern auch als Metapher für das Göttliche, eine wahrhaft ‚zentrale‘ Bedeutung. Doch Copernicus weiß im 10. Kapitel des ersten Buchs von De revolutionibus orbium coelestium außer Platon noch andere Autoritäten als Bürgen für die Zentralstellung der Sonne zu nennen: Im Zentrum aller Planetenlaufbahnen residiert die Sonne. Denn wer würde im herrlichen Heiligtum [unseres Weltgebäudes] diesen Leuchtkörper an eine andere oder geeignetere Stelle setzen, als dorthin, von wo aus er alles zugleich erhellen könnte? Insofern ist es nicht abwegig, wenn einige die Sonne als eine Lampe, andere als eine Seele und wieder andere als eine Lenkerin bezeichnen. Trismegistus nennt sie eine sichtbare Gottheit, in der Elektra des Sophokles heißt es, sie betrachte alles. So regiert die Sonne tatsächlich wie von einem Königsthron aus die Familie der Himmelskörper, die sie umlaufen.35

33 Ebd., S. 469: „Sol enim tanquam Rex in meditullio sedet aliorum planetarum, luce magnitudine, pulchritudine omnes excellens, omnes illuminans, virtutemque illis ad inferiora quaeque disponenda; distribuens omnibus Lumen & Vitam à se ipso copiosé largitur, non solum in Coelo et in Aere, sed etiam in terra et in intimis profundis Abyssi.“ (Übers. S. B.). Vgl. hierzu Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim: De Occulta Philosophia Libri Tres. Johann Soter, Köln 1533 (im Folgenden: Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia), hier II.32, S. 174: „Ipse tanquam rex sedet in meditullio aliorum planetarum, luce, magnitudine, pulchritudine omnes excellens, omnes illuminans, virtutemque illis ad inferiora quaeque disponenda distribuens, gressusque eorum regulans & disponens, adeo, ut inde motus eorum diurni vel nocturni, meridionales vel aquionales, orientales aut occidentales, directi vel retrogradi […].“ 34 Vgl. Martin Carrier: Nikolaus Kopernikus. München 2001, S. 78  ff. 35 Nicolaus Copernicus: De revolutionibus orbium coelestium, libri VI. Johann Petreius, Nürnberg 1543, S. 9v: „In medio vero ómnium residet Sol. Quis enim in hoc pulcherrimo templo lampadem hanc in alio vel meliori loco poneret, quàm unde totum simul possit illuminare? Siquidem non inepte quidam lucernam mundi, alij mentem, alij rectorem vocant. Trismegistus visibilem Deum. Sophoclis Electra intuentem omnia. Ita profecto tanquam in solio regali Sol residens circum agentem gubernat Astrorum familiam.“ (Übers. S. B.).

Anthropologie 

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Der Topos der Sonne als Herrscherin über die Himmelskörper, den Copernicus zusammen mit Agrippa aufruft, geht auf das 18. Buch von Ficinos Theologia pla­ tonica zurück, in welchem die Sonne der Rang eines „rex in medio planetarum und ein rex in medio civitatis“ zugesprochen wird.36 Unter den Schriften, in denen die Sonne als eine ‚Seele‘ des Universums („mens mundi“) auftritt, ist vor allem das sechste Buch der Res publica Ciceros zu nennen, das vom Somnium Scipio­ nis berichtet. Wenn Copernicus in Berufung auf Hermes Trismegistus die Sonne als eine sichtbare Gottheit aufruft, so referiert er hierbei wohl auf den Asclepius, wo diese Bezeichnung allerdings nicht allein der Sonne, sondern dem gesamten Universum zukommt.37 Auf das platonische Sonnengleichnis scheint Copernicus Bezug zu nehmen, indem er im Folgenden davon spricht, dass die Erde von der Sonne gleichsam geschwängert werde („Concipit interea à sole terra & impregnatur annuo partu“).38 In Berufung auf die „Platonici“ kommt denn auch Suchten auf die lebensspendende Kraft der Sonne zu sprechen: Alles, was wir an Gutem besitzen, haben wir von der Sonne. Daher bezeichnet Heraklit die Sonne zu Recht als die Quelle des himmlischen Lichts, und auch viele von den Platonikern lokalisierten die Weltseele ursprünglich in der Sonne: als ob es sie wäre, welche die Kugel der Sonne ganz ausfüllt und mit ihren Strahlen, die demnach als ein Geisthauch zu verstehen wären, alles ringsum durchdringt und dabei dem ganzen Kosmos Leben, Wahrnehmung und Bewegung verleiht.39

Auch dieses Zitat findet sich in ähnlicher Form bereits bei Agrippa, der hiermit seinerseits eine Textstelle aus Ficinos Schrift De sole fast wörtlich wiedergibt.40

36 Marsilio Ficino: De immortalitate animorum Liber XVIII. In: Opera omnia. Bd. 1. Hg. von Paul Oskar Kristeller. Turin 1962, S. 397–414, hier S. 403. 37 Vgl. Edward Rosen: Was Copernicus an Hermetist? In: Historical and Philosophical Perspectives of Science. Hg. von Roger H. Stuewer. 2. Aufl. Minnesota 1989, S. 163–171, hier S. 166. 38 Nicolaus Copernicus: De revolutionibus orbium coelestium, libri VI. Johann Petreius, Nürnberg 1543, S. 9v. 39 Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 469  f.: „Quidquid habemus boni à Sole habemus. Unde Heraclitus meritò Solem Coelestis luminis fontem appellat, & multi est [= ex] Platonicis Mundi Animam in Sole principialiter collocarunt, ut quae globum Solis totum implens, radios suos undique quasi spiritum effundit per omnia, vitam, sensum, & motum ipsi universo distru­ bens.“ (Übers. S. B.). 40 Vgl. Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. II.32, S. 174: „quidquid habemus boni, ut ait Iamblichus, habemus à Sole […]. Heraclitus Solem coelestis fontem appellat: & multi platonicorum mundi animam in Sole principialiter collocarunt, ut quae globum Solis totum implens, radios suos undique quasi spiritum effundit per omnia, vitam, sensum & motum ipsi universo distribuens. Hinc veteres physici Solem ipsum cor coeli appellaverunt […].“ Vgl. Marsilio Ficino: „Physici veteres Solem cor caeli nominaverunt. Heraclitus luminis caelestis fontem. Plerique Platonici in Sole mundi animam collocaverunt, quae sphaeram Solis totam implens per globum

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Die originär platonische Hochschätzung der Sonne ist es auch, die Suchten mit Copernicus verbindet. Gleichwohl lässt sich die Frage, ob er sich zum heliozentrischen Weltbild bekannte, nicht abschließend klären: Dies gebietet der Umstand, dass Suchten, trotz seiner familiären Verbundenheit mit dem Copernicus-Jünger Scultetus, der konventionellen Astronomie in De tribus facultatibus jeglichen Nutzen abspricht. Dennoch dürfte er die Vorstellung, dass die Sonne im Zentrum des Alls steht, kaum als problematisch empfunden haben; und zwar nicht nur aufgrund seiner geistigen Nähe zu den Platonikern, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die Sonne in der traditionellen sowie in der paracelsistischen Alchemie sinnbildlich für Gold, das wertvollste aller Metalle, steht.41 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Suchten die Sonne zum Sitz der Weltseele (anima mundi) bestimmt. Analog dazu verortet er die Seele des Menschen (anima hominis) im Herzen. Es sind diese beiden Seelen, die den erwähnten calor jeweils als einen immateriellen Auszug ihrer selbst hervorbringen. Dieser selbst ist mit der Hitze des göttlichen Feuers, auf welches der Begriff ‚Empyreum‘ Bezug nimmt, wesensgleich, zumal sowohl die anima mundi als auch die anima hominis ursprünglich aus ebendieser feurigen Sphäre stammen. Bei dem kosmischen calor solis et lunae und dem menschlichen calor naturalis handelt es somit sich letztlich um ein und dieselbe Wärme. Dass diese im Sinne eines calor solis et lunae nicht nur von der Sonne, sondern auch vom Mond ausgeht, erklärt sich vor dem Hintergrund, dass dieser alle solaren, sowie überhaupt alle astralen Einflüsse (influxus) gleichsam mütterlich in sich aufnimmt und diese sodann der Erde, deren unmittelbarer Nachbar er ist, mitteilt.42 Der

illum quasi igneum tamquam per cor effundit radios quasi spiritus, inde per omnia quibus vitam, sensum, motum universo distribuit.“ (De Sole. In: Prosatori latini del Quattrociento. Hg. von Eugenio Garin. Mailand 1952, S. 970–1009, hier S. 984). 41 Vgl. hierzu folgendes Textzitat aus De secretis antimonij (Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 245): „Die Astronomi sagen es [= das göttliche Feuer] sei Sol, daß die Sonne alle Frchte der Erden bringet in ihrer Vollkommenheit. Also ist diß Mysterium wegen der Gleichniß auch die Sonne genennet worden: Paracelsus, in vielen Orten heist es Gold/ wie an dem Ort/ da er spricht/ laß das Gold den Saamen seyn/ sey du die wachsende Krafft/ &c.“ 42 Vgl. Chymische Schrifften. Fusior […] decalratio pro imperitioribus, S. 470: „Luna vero Terris finitima, receptaculum omnium Coelestium influxuum, cursus sui velocitate singulis mensibus Soli caeterisque planetis & stellis jungitur & veluti stellarum foecundissima Solis caeterumque planetarum & radios & influxus quasi foetum suscipiens inferiori mundo sibi vicino velut parduriens edit […].“ Vgl. Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. II.32, S. 175: „Luna autem terris finitima, receptaculum omnium coelestium influxuum, cursus sui pernicitate singulis mensibus Soli caeterisque planetis & stellis coniungitur, & velut stellarum omnium uxor facta, stellarum foecundissima, Solis caeterorumque planetarum atque stellarum radios & influxus quasi foetum suscipiens, inferiori mundo sibi vicino velut parturiens edit […].“

Anthropologie 

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Mond nimmt somit bei der Erwärmung und Belebung der irdischen Sphäre eine bedeutsame Rolle ein.43 Der Urquell der astralen Vitalkräfte aber ist die anima mundi. Diese realisiert sich als ‚Herz‘ des Alls einerseits statisch, andererseits in Form der Influenz, die sie auf die niederen und ferneren Regionen ausübt, dynamisch. In dieser Anschauung lässt sich das Bemühen erkennen, das neuplatonische Theorem der anima mundi mit dem göttlichen Geist des biblischen Schöpfungsberichts und auf diese Weise mit dem paracelsistischen spiritus mundi in Einklang zu bringen. Demnach dehnte sich der prämaterielle Geist Gottes – der empyreische calor – im Akt des fiat lux auf die finstere Leere des Abyss aus, wobei er im Kleid der quinta essentia zunächst die Sonne als seinen Thron hervorbrachte und sodann den gestirnten Himmel und die Erde erschuf, die er seither durch Vermittlung des Mondes mit Licht, Wärme und Leben erfüllt.44 Die sublunare Welt unterliegt somit einer fortwährenden Eingießung durch die geistigen Kräfte des Himmels. Diese kosmologische Vorstellung wurde bereits im Mittelalter rezipiert. So spricht etwa Meister Eckhart davon, daß der Himmel soviel bedeutet wie eine ‚Hütte der Sonne‘. Der Himmel gießt seine Kraft in die Sonne und in die Sterne, und die Sterne gießen ihre Kraft mitten in die Erde und bewirken Gold und Edelsteine dergestalt, daß die Edelsteine Kraft haben, wundersame Wirkungen hervorzubringen: die einen haben die Kraft, Knochen und Fleisch anzuziehen […]. Andere Edelsteine ziehen Knochen und Eisen an. Jeglicher Edelstein und jedes Kraut ist ein Häuschen der Sterne, das eine Himmelskraft in sich beschlossen hält.45

43 Somit erklärt sich, weshalb Suchten dem Mond auch sonst allerhöchste Bedeutung beimisst; vgl. etwa Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 461: „Parce Deus vati, tu semper es unus, & una est / Luna voluntatis fida ministra tuae. / Luna Decus nostrum de tot Coelestibus una / Mortales Casus aspicit, atque levat.“ 44 Vgl. Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S, 467: „Uti enim vires animae nostrae per spiritum naturalem adhibentur membris: ita & virtus animae mundi per Spiritum ipsum vel quintam essentiam dilatatur per omnia. Nam vita & omnium Specierum inferiorum vires, quas Animas vel Vitas Philosophi appellare soliti sunt, primò ab Idaeis, imò Deo ipso, postea ab Intelligentiis tùm a stellis, maxime à Sole, tanquam Corde Coeli […] in omnia Elementa & Elementata tanquam per membra in universi Mundi Corpus distribuuntur […].“ 45 Zitiert wird Meister Eckhart hier, wie nachfolgend, nach der Ausgabe des Dt. Klassiker Verlags: Meister Eckhart: Werke I. Texte u. Übersetzungen von Josef Quint. Hg. u. komm. von Niklaus Largier. Frankfurt a. M. 1993 (im Folgenden: DW I), hier Pr. 54 A, S. 574,31–576,8: „Ez sprichet ein kriechischer meister, daz der himel bediutet als vil als ein ‚hütte der sunnen‘. Der himel giuzet sîne kraft in die sunnen und in die sternen, und die sternen giezent ir kraft enmitten in das ertrîche und würken golt und gesteine alsô, daz daz gesteine hât kraft ze würkenne wunderlîchiu werk. Einiu hânt die kraft, daz sie an sich ziehent bein und vleisch […]. Ander gesteine ziehent an sich gebeine und îsen. Ieglich gesteine und krût ist ein hiuselîn der sternen, daz in im beslozzen hât eine himelische kraft.“

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Das Problem, das sich innerhalb dieses Szenarios ergibt, betrifft die Art und Weise, wie solch subtile und unsichtbare Entitäten wie anima und calor imstande sind, mit der grobstofflichen Materie zu interagieren. Hier kommt die quinta essentia ins Spiel: Diese ist nämlich den Worten Suchtens zufolge „schon so etwas wie ein Körper und gerade keine Seele mehr“ und zugleich „gerade nicht mehr körperlich und schon fast so etwas wie eine Seele“.46 Der Danziger zitiert hiermit abermals aus der Occulta philosophia Agrippas, der hierin seinerseits auf ein Zitat aus Marsilio Ficinos Traktat De vita coelitus comparanda zurückgreift.47 Entsprechend ihrer zwischen Geist und Körper oszillierenden Doppelnatur ist die quinta essen­ tia dafür prädestiniert, zwischen dem Metaphysischen und dem Stofflichen zu vermitteln; dies aber wohlgemerkt nicht als eine autonome Hypostase, sondern als eine vom Geist durchwirkte Natur, die sich in je unterschiedlicher Qualität von der höchsten bis hin zur niedrigsten Sphäre des Weltgebäudes erstreckt. In ihrer Funktion als ‚Seelenwagen‘ ist sie dazu bestimmt, der anima hominis ihren Weg in das menschliche Herz zu bahnen: Es bedarf notwendigerweise eines solchen Geistes als ein vereinigendes Band, damit die himmlischen Seelen im groben Körper verbleiben […]. In ihrem Abstieg von dort oben her gelangt die Seele in einen himmlischen und luftigen Körper, den einige das ätherische Fahrzeug der Seele, andere einen Seelenwagen nennen; ich aber habe ihn als […] quinta essentia bezeichnet. Über dieses Mittelding stieg sie zu aller Anfang auf Gottes Geheiß […] hinab und goss sich in den Mittelpunkt des Herzens hinein, welches das Zentrum der kleinen Welt (des menschlichen Körpers) ist.48

In ihrer teils geistigen, teils körperlichen Gestalt ist die quinta essentia jedoch auch unabdingbar für die Verdauung, bei der sie als ein Mittleres zwischen dem 46 Chymische Schrifften: Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 466: „quasi jam corpus & quasi jam non Anima, & quasi jam non corpus & quasi jam Anima.“ 47 Vgl. Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. I.14, S. 19; Marsilio Ficino: De vita libri tres, Liber III (De vita coelitus comparanda). In: Opera omnia. Bd. 1. Hg. Paul Oskar Kristeller. Turin 1562, S. 529–572, hier S. 535. Zur Bedeutung der quinta essentia s. Thomas Leinkauf: Grundriss der Philosophie des Humanismus und der Renaissance (1350–1600). Bd. 2. Hamburg 2017, S. 1504  ff.; ferner Frank Sherwood Taylor: The idea of quintessence. In: Science, Medicine and History. Bd. 1. Essays on the Evolution of Science Through and Medical Practice written in Honour of Charles Singer. Hg. von E. Ashworth Underwood. London, New York, Toronto 1953, S. 247–265, hier S. 247. 48 Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 467  f.: „Talis Spiritus necessariò requiritur tanquam confoederationis Vinculum, quò Animae Coelestes insint corpori crassiori […]. Unde primò in ipso quidem decensu involvitur Coelesti & aereo corpusculo, quod Æthereum animae vehiculum vocant, alii Currum Animae, Nos autem Spiritum Mundi & quintam Essentiam appellavimus, per hoc medium jussu Dei […] in punctum Cordis medium, quod est centrum mundi minoris (Corporis humani) primùm infunditur & descendit […].“ (Übers. S. B.); vgl. Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.37, S. 289.

Anthropologie 

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calor naturalis und der Nahrung fungiert. Die Verdauung selbst ähnelt einem alchemischen Scheideprozess, über den der calor, der im paracelsischen Jargon auch als archeus bekannt ist,49 gleichsam als ‚innerer Alchemist‘ die Materie von allem Grobstofflichen reinigt und in frisches Blut umwandelt. Darüber entsteht im Herzen der spiritus vitae, über den sich die anima hominis analog zur lebensspendenden Influenz der Sonne auf dynamische Weise realisiert.50 Der spiritus ist das Lebenselixier des menschlichen Leibes, und somit jener ‚Balsam‘, den Suchten in seiner Antimonmonographie erwähnt.51 Über ihn gelangen die solaren Seelenkräfte ins Blut, um sich von dort aus im ganzen Körper zu verteilen, worüber sie dem Menschen Vitalität und Gesundheit verleihen. Suchtens Ansichten das Zusammenspiel von quinta essentia, calor und spiritus vitae sollten für das medizinische Weltbild des Paracelsismus von Bedeutung bleiben. So findet man dieses unter anderem in der Basilica chymica des Oswald Croll (1560–1609), der in diesem Kontext auch den „Suchtenius“ lobend erwähnt.52

49 Tatsächlich verwendet auch Suchten diesen paracelsischen Terminus (vgl. Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 262  f.): „Der Mensch hat ein Donum, das ist aus GOtt. Paracelsus heist das Archeum. Dieses Archei Ampt ist/ daß er aus Brod Menschenfleisch/ aus Wein Blut mache/ und was sonst der Mensch ist/ das soll er aus der Speise machen.“ 50 Vgl. Wels: Der Geist des Lebens, S. 31. 51 Vgl. Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 254. 52 Vgl. Oswald Croll[ius]: Basilica Chymica. Alchymistisch Königlich Kleynod […]. Caspar Rötel für Gottfried Tampach, Frankfurt a. M. 1629 (im Folgenden: Croll: Basilica chymica), S. 103: „Und in dieser Quinta essentia und Geistlichen Medizin/ welche von der Natur und Wärmbde deß Himmels ist/ vnnd nicht auß vnserm sterblichen vnd verderbten Leib/ ist müglich den wahren Brunnen der Medicin/ der Erhaltung deß Lebens/ Widererstattung der Gesundtheit/ Verneuwerung der verlohrenen Jugendt vnd erwnschten Gesundtheit zu finden. Und natrlich zureden/ so ist in der ganzen Welt kein besserer Theriac/ als dieser medicinische Balsam/ vnd wie ein Elixir vitae im bersten Grad deß Menschen hchster Trost/ so alle Wrckungen deß Menschen Natur zusampt den Krfften/ so den Mangel der Natur geschwcht werden/ erhelt […]. Auß den beyden Brunnen der Sonnen vnd deß Monds/ wie Suchtenius sehr fein darvon schreibt/ entspringt der weltliche natrliche Geist des Lebens/ welcher alle Entia durchwandert/ allen das Leben gibt/ vnd durch welchen/ als durch den Mittler alle verborgenen Eigenschafften/ alle Krafft vnd das gantze Leben in die vnterste Crper/ als in die Kruter/ Metall/ Stein vnd Thier fortgepflantzet wirdt: Daß also nichts in der gantzen Welt/ das nicht ein Fncklin dieses Geistes in sich habe/ oder desselbigen entpehren knne. Dieser Himmlische Geist/ als mit vnserem natrlichen Geist einerley: Wann er in vnserm Leib sich in seinem natrlichen Standt befindt/ vnd nicht geringert oder durch eusserliche Sachen verhindert wirdt/ ist diese vnsere natrliche Wrmbde/ durch welche alle Speissen zur Auffenthaltung vnnd zunemmung deß Leibs werden digerirt vnd vertauwet: Ja er vertauwet nicht allein die Speise/ sondern macht auch in allen Gliedern ein gut Geblt: Auß welchem guten Geblt nachmals ein starcker reiner und gesunder Spiritus vitalis erfolgt: Bey welchem der ganze Leib wol vnnd gesundt leben kann.“

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Krankheiten entstehen hingegen, wenn die Interaktion von calor und Nah­ rung bei der Verdauung misslingt und das Blut somit von Restbeständen der groben Materie verunreinigt wird: Dies schwächt wiederum den spiritus vitalis, was zur Folge hat, dass der Organismus seine Lebenskraft einbüßt. Die quinta essentia ist also für die Gesundheit des Menschen von höchster Bedeutung. Hierin mündet denn auch Suchtens Fazit: „Nulla est in toto mundo hac melior medicina.“53 Ferner bettet er die quinta essentia in mythologischen Kontext ein: Dies ist dasjenige Medikament, mit dem Äskulap Tote zum Leben erweckte. Dies war die ‚Pflanze‘, mit der Medea Jason wiederbelebte. Dies war dasjenige Gut, das die Edlen Griechenlands unter der Führung Jasons aus Kolchis heimbrachten und weswegen sie eine so lange Reise und so große Strapazen auf sich genommen hatten. Es wurde das ‚Goldene Vlies‘ genannt; und dies entweder deshalb, weil die Kenntnis dieses Medikaments alle anderen Kenntnisse an Herrlichkeit und Vortrefflichkeit in ebendem Maße übertraf, wie die Sonne die Sterne und das Gold die übrigen Metalle, oder auch deswegen, weil es sich dabei um ein Pergament-Buch von goldenen Lettern handelte, das nach dem Zeugnis des Geschichtsschreibers Suidas das Verfahren zur Vollendung aller chymischen und medizinischen Künste enthielt.54

Die Mittelstellung zwischen Geist und Materie, welche die quinta essentia als ‚Medizin‘ qualifiziert, wird dadurch affirmiert, dass Suchten sie mit dem äußeren Himmel gleichsetzt, der als ein Mittleres die Erde mit dem Empyreum verbindet.55 Dementsprechend wird sie in der Erläuterung zu den Propositiones auch als „spiritus aethereus vel coelestis“ aufgerufen.56 Bezeichnenderweise erklärt Suchten in De tribus facultatibus die quinta essentia, genauer gesagt das kristalline Wasser, zu einem Gegenstand der astronomia: „Durch die Astronomiam“ beschreibe man „das Wasser/ darob der Geist des HErrn schwebete“.57 Als solches ist das kristalline Wasser nicht nur die prima materia des Mikrokosmos; es repräsentiert

53 Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 477. 54 Ebd., S. 478: „Hoc illud Medicamen, quo Æsculapius Mortuos suscitabat. Haec illa Herba, qua Medea Jasonem ad vitam restituit. Hoc illud, propter quod tantum itineris & molestiarum à Proceribus Graeciae, Duce Jasone, ex Colcho supportatum, & ob id vellus Aureum nominatum, partim quia haec scientia omnes alias, tanquam Sol sydera, & aurum caetera metalla, virtute & praestantia antecelleret: partim quod Vellus illud, Liber erat aureis literis conscriptus, teste Suida Historiographo, artis Chymicae & Medicae plenam conficiendi rationem continens.“ (Übers. S. B.). 55 Vgl. ebd., S. 476: „Coelum enim à Philosophis Quinta Essentia dicitur, respectu quatuor Elementorum, quia in se Coelum est incorrumpibile, immutabile, non recipie[n]s peregrinas impressiones, nisi jussu Dei, agitque in Elementa […].“ 56 Ebd., S. 467. 57 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 366.

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zugleich das stoffliche Element des menschlichen Himmels, von dem zu Anfang des Traktats die Rede ist.

4.3.2 Die Konstitution des Menschen in De tribus facultatibus Wenn sich Suchten in De tribus facultatibus auf die quinta essentia des Mikrokosmos bezieht, so ausschließlich unter Verwendung der Begrifflichkeit des kristallinen Wassers und des menschlichen Himmels. Überhaupt verzichtet der Danziger durchgehend auf die Fachterminologie Hohenheims. Es steht jedoch außer Frage, dass Suchten wesentliche Strukturmomente des paracelsischen Weltbilds beibehält. Dies betrifft in besonderem Maße das analoge Verhältnis von Makrokosmos und Mikrokosmos. So gibt sich der innere Himmel des Menschen, ebenso wie der äußere Himmel, auf eigentümliche Weise als eine astrale Sphäre zu erkennen. Dies wird im Verlauf des Traktats überdeutlich: „die Sonne/ Mond und Planeten/ damit die Gttliche Frsichtigkeit gezieret hat den Himmel/ der in mir ist […] haben Gewalt mich zu regieren/ reformieren/ nach ihrem Lauff wie denselben Gott geordnet hat.“58 Der Himmel des Menschen besitzt vor diesem Hintergrund strukturelle Ähnlichkeit mit dem erwähnten siderischen Leib der paracelsischen Anthropologie, der seinerseits eine innere Sphäre der intellektuellen und imaginativen Kräfte des Menschen repräsentiert.59 Er ist zwischen Körper und der Seele situiert und stellt insofern das mikrokosmische Analogon zur äußeren Himmelssphäre dar. Suchtens menschlicher Himmel ist jedoch nicht nur eine Sphäre der Gedanken und des Intellekts; er stellt auch eine Hypostase dar, die der Einwohnung Gottes im Menschen (inhabitatio dei) dient: Wo bleibet aber der Geist des HErrn/ so ob dem Wasser schwebete/ nachdem auß demselben Wasser die zwo Welten/ das ist/ Himmel und Erden/ und der Mensch geschaffen ward? Resp. In der prima Materia der Menschen. Warumb nicht in der Prima Materia der Welt? Resp. Dieweil Gott das allervollkommenste Ding ist ber alle/ hat er wollen in dem Himmel wohnen; dann er wollen ewig seyn/ das ist/ im Himmel deß Menschen; darum setzet er seinen Stul in den Menschen.60

Das Motiv von Gottes Stuhl entstammt demselben Kapitel der Johannes-Offenbarung, in dem auch das kristallgleiche Meer Erwähnung findet (Ap 4,2): „et

58 Ebd., S. 379. 59 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 148 am Beispiel von Oswald Crolls Basilica chymica. 60 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 359  f.

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statim fui in spiritu: et ecce sedes posita erat in caelo […].“ Suchten deutet dieses Zitat dahingehend, dass der spiritus mit der sedes identisch ist, denn er macht den Geist des Herrn zusammen mit besagtem Stuhl zur Bedingung für die Einwohnung Gottes im Menschen. Wäre der eine nicht mit dem anderen wesensgleich, bliebe seine Argumentation intransparent. Auch ist im Verlauf des Traktates, da es erneut auf die Einwohnung zu sprechen kommt, von einem ‚Stuhl‘ keine Rede mehr. Dass sich hinter der sedes der Geist des Herrn verbirgt, legt aber auch der Wortlaut der Johannes-Offenbarung nahe, wonach der kristallgleiche Strom lebendigen Wassers dem Thron Gottes entspringt (Ap 22,1): „Et [Deus] ostendit mihi fluvium aquae vitae splendidum tamquam crystallum, procedentem de throno Dei et Agni.“ Nach paracelsistischer Vorstellung fungiert der Geist Gottes als Urquell des primordialen Himmelwassers, das Suchten mit dem kristallinen „fluvium aquae vitae“ identifiziert. Die inhabitatio dei realisiert sich folglich darüber, dass der Allmächtige zu gegebener Zeit in den innerhimmlischen Geist des Individuums einkehrt. Die These, dass der Geist des Herrn nach dem sechsten Schöpfungstag nicht in der großen, sondern lediglich in der kleinen Welt verblieb, begründet Suchten damit, dass der mikrokosmische Himmel – beziehungsweise die quinta essentia des Menschen – ewig ist, wohingegen der makrokosmische Himmel der Vergänglichkeit anheimfällt. Gewiss ließen sich in diesem Kontext diverse Bibelstellen heranziehen, in denen die Endlichkeit des äußeren Firmaments affirmiert wird; so etwa das Christuswort „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,3), oder die Johannes-Apokalypse, in der davon die Rede ist, dass am Ende aller Zeiten die Sterne vom Himmel fallen und dieser selbst wie ein Pergament zusammengerollt wird (Ap 6,13–14). Angesichts der vorchristlichen Zeit, in der Suchtens Urmensch sein postlapsares Leben fristet, bedarf es hierfür allerdings eines anderen Beleges. Einen solchen gewinnt der urzeitliche Adamssohn über ein alchemisches Experiment: Worauß hat der Mensch solches [= die Ewigkeit des menschlichen Himmels] verstanden? Dieweil die Materia Mundi & Hominis ein Ding war/ das ist/ ein Crystallinisch Wasser/ wie hat der Mensch wissen knnen/ ob der Geist deß HErrn in der prima materia majoris mundi vel hominis blieben wre? Resp. Er hat es gewust durch die Kunst des Wassers, dann das Wasser war sein Lehrmeister; So viel er von dem Lehrmeister begriff/ so viel wuste er. Dieser Lehrmeister zeigt ihm an/ daß er sehe […] und griff mit seinen Hnden/ wie die Welt stirbt/ wie der Geist von ihr weicht/ wie der Leib ist ohne Geist/ der Geist ohne den Leib; Sahe wie der Spiritus wieder in sein Leib kompt/ und der Leib wieder aufferstehet/ da sahe er in dem Absterben der Welt/ daß sie nicht wiederumb ward/ das sie gewesen war.61

61 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 360.

Anthropologie 

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In diesen Zeilen schildert Suchten einen Destillationsprozess: Der ‚Leib‘, bei dem es sich um das kristalline Wasser der großen Welt handelt, wird so lange in einem Kolben erhitzt, bis der göttliche spiritus – gemeint ist hiermit ein gashaltiger Dampf  – entweicht. Für Irritation sorgt in diesem Kontext die vorhergehende Bekundung, dass ebendieser spiritus divinus nach der Erschaffung der Welt allein „[i]n der Prima Materia der Menschen“ verblieben sei. Unter der Prämisse, dass Suchtens Ausführungen im vorliegenden Fall stringent sind, lässt dies nur einen Schluss zu: Dem Urmenschen ist es gelungen, anhand der Destillation des kristallinen Wassers die prima materia des Menschen künstlich herzustellen. Im Übrigen ist dies nicht die einzige Stelle des Traktats, an der Suchten die Freisetzung des mikrokosmischen Geistes aus dem Stofflichen beschreibt: Wie sich an späterer Stelle zeigt, lässt zumindest Eisenvitriol eine Extraktion des Geistes zu.62 Es ist demnach dieses wohlgemerkt ‚kristalline‘ Mineral, das als Implikat des kristallinen Wassers den besagten spiritus enthält. Ebendieser dampfartige ‚Geist‘ wird nun in eine Phiole geleitet, wo er durch Abkühlung „wieder in sein Leib“ kommt. Mit anderen Worten: Er kondensiert und verflüssigt sich. Sein vormaliger Leib aber ‚stirbt‘. Das kristalline Wasser, das als die prima materia der großen Welt den spiritus bis dahin beherbergte, bleibt als eine ‚tote‘ Schlacke im Kolben zurück. Suchten äußert sich nicht weiter zu dieser grobstofflichen Substanz. Es ist jedoch anzunehmen, dass er diese stillschweigend mit dem feuchten Erdklumpen identifiziert, aus dem Gott die körperliche Hülle des Menschen erschuf.63 Das dünnflüssige Extrakt des kristallinen Wassers aber ist nun ungleich reiner und subtiler als dieses selbst. Mehr noch, es ist nicht weiter destillierbar und daher von ewigem Bestand. Wenngleich nicht ausdrücklich erwähnt, so hat man doch fest davon auszugehen, dass dieses Destillat dem Menschen angehört. Schließlich ist der Mikrokosmos ein – durchaus alchemisch zu denkender  – Auszug des Makrokosmos.64 Dieser Auszug ist der ‚wiederauferstandene Leib‘, oder anders formuliert: die vom Geist des Herrn beseelte quinta essentia, und somit jener innere Himmel, in den Gott seinen Stuhl gestellt hat. Zwar fungiert diese Sphäre auf den ersten Blick lediglich als Hypostase des logischen Denkens, der Künste und der Einbildungskraft. Deren innerstes Wesen, gewissermaßen die ‚Sonne‘ dieses Himmels, ist jedoch der Geist des Herrn, der –

62 Vgl. Kap. 4.5, S. 107–112. 63 Zur Bedeutung des ersten Genesiskapitels für die (Extraktions-)Alchemie der Paracelsisten s. Michael T. Walton: Genesis and Chemistry in the Sixteenth Century. In: Reading the Book of Nature. The Other Side of the Scientific Revolution. Hg. von dems. u. Allen G. Debus. Kirksville (Missouri) 1998, S. 1–14. 64 Zur Schöpfung als Produkt eines alchemischen Separations- und Koagulationsprozesses vgl. Gilly: Das Bekenntnis zur Gnosis, S. 392  f.

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wenngleich durch das Körperliche verunklart – in der quinta essentia auf lebensspendende Weise wirksam ist. Darin besteht denn auch der Adel, durch den sich der Menschen vor allen anderen Kreaturen auszeichnet. Die Unvergänglichkeit des mikrokosmischen Himmels nimmt sich als unkonventionell aus, wenn man bedenkt, dass diese dem paracelsischen Diskurs nach mit dem siderischen Leib assoziiert wird, denn dieser ist – ebenso wie der Körper des Menschen – sterblich.65 Die unsichtbaren Gestirne, die er beherbergt, lösen sich nach dem Tod vom Körper und entweichen in den äußeren Himmel.66 Dass Suchten in diesem Punkt von Hohenheims Lehre abweicht, ist wohl dem Einfluss der neuplatonisch tingierten Schrift Apocalypsis Hermetis geschuldet. Diese war, erweitert um einen Kommentar des Venezianers Giovanni Battista Agnello, erstmals 1566 in London unter dem Titel Apocalypsis spiritus secreti erschienen. Offenbar erweckte sie auch im deutschsprachigen Raum Interesse, da sie von 1603 bis 1608 in gleich vier Sammelausgaben aufgenommen wurde;67 so auch in die Pandora des Benedict Figulus. Dortselbst heißt es, dass „der Himmel/ gegen den Andern Elementen zurechnen/ fr dz Fnffte Wesen“ anzusehen sei, „dann er ist vnzerstrlich/ vnvernderlich/ Und leidet keine Frembde Eingriffe […].“ 68 Diese Sentenz hat in lateinischer Zitierung in Suchtens Fusior decalartio Eingang gefunden.69 Mit seiner Konzeption des menschlichen Himmels setzt sich Suchten jedoch auch über den konventionellen Mystik-Diskurs hinweg: Diesem zufolge würde sich Gott mitnichten dazu herablassen, einer Hypostase einzuwohnen, in der sich der Sternenhimmel der großen Welt widerspiegelt. Nach traditionellem Verständnis ereignet sich die inhabitatio dei nämlich – analog zur äußeren Weltarchitektur – in einem zutiefst innerlichen, geradezu empyreischen Seelenbereich, welcher unter verschiedensten Namen in die mystische Literatur des Mittelalters Eingang gefunden hat. In lateinischen Texten wird er als intimum animae oder sinderesis, zumeist aber, in Anlehnung an Augustins Trinitätsschrift, als mens oder abditum mentis 65 Vgl. Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 288 (s. auch S. 297 u. S. 311): „[der mensch] ist nit unsichtbar als ich von der natur des siderischen corpus seze, sonder darumb unsichtbar, das er ein geist ist von got gegeben; der ist unsichtbar und untötlich. also ist auch der unsichtbar der siderisch leib, aber tötlich, und wird durch das, aus dem er gemacht ist oder wird, wider verzert und nichtig, wie ein staub und ein pulver, in das wird er wider.“ 66 Ebd., S. 47  f. 67 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 137. 68 Apocalypsis Hermetis. In: Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta […]. Hg. von Benedict Figulus. Lazarus Zetzner, Straßburg 1608, S. 1–16, hier S. 2. 69 Vgl. Chymische Schrifften: Fusior […] declaratio pro impertioribus, S. 476: „Coelum enim à Philosophis Quinta essentia dicitur, respectu quatuor Elementorum, quia in se Coelum est incorruptibile, immutabile, non recipie[n]s peregrinas impressiones […].“

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bezeichnet.70 Hohe Prominenz erlangte dieses Seeleninnerste in der Predigtliteratur der Dominkanermystik: Meister Eckhart (um 1260–1328) spricht hierbei von einem „grunde der sêle“ – worauf der neuhochdeutsche Ausdruck ‚Seelengrund‘ beruht – sowie auch von einem „vünkelîn oder bürgelîn“ der Seele. Der von Eckhart inspirierte Theologe Johannes Tauler (um 1300–1361) bezeichnet diesen göttlichen Funken als einen „verborgen appetgrunde“, als den „geist“ oder das „gemüete“. Dass die allermeisten Vertreter des Paracelsismus mehr als zwei Jahrhunderte später ebenfalls für einen solchen Seelenbegriff eintraten, ist weniger darauf zurückzuführen, dass die Predigten der beiden Dominikaner ab der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts zu großen Teilen in den Druck und in der Folge zu neuem Ruhm gelangten. Maßgeblicher war hierfür der enorme Einfluss Valentin Weigels, der sich wesentliche Ideen der sogenannten ‚Deutschen Mystik‘ zu eigen machte.71 Weigel unterzieht seine in Leib, Geist und Seele untergliederte Anthropologie einer Hierarchisierung, die sich darin ausdrückt, dass die individuelle Erkenntniskraft der drei Modi vom jeweils nächsthöheren Prinzip impliziert und zugleich übertroffen wird.72 An höchster Stelle befindet sich hierbei freilich die Seele. Diese ist nämlich, der eckhartischen Lehre vom Seelengrund entsprechend, „Jn Gott, vnd Gott ist in Jhr.“73 Dieser Grundsatz lässt sich auf Suchtens Theologie nicht anwenden: Der Geist ist zwar der ‚Stuhl‘ des Allmächtigen, für eine Identifizierung mit einem Seelengrund kommt er jedoch gewiss nicht in Frage. Dies würde nämlich bedeuten, dass Gott sich, wie Weigels Sentenz besagt, überdauernd im menschlichen Geist aufhielte.74 Diese Wohnstatt, beziehungsweise dieser ‚Stuhl‘, ist jedoch seit

70 Klaus Kahnert: Abditum mentis. In: Metzler Lexikon Philosophie. 3. Aufl. Hg. von Franz-Peter Burkhard u. Peter Prechtl. Stuttgart 2008, S. 2. 71 Vgl. Siegfried Wollgast: Valentin Weigel in der deutschen Philosophiegeschichte. In: Valentin Weigel. Ausgewählte Werke. Hg. von dems. Stuttgart 1978, S. 17–164, S. 87–95, 100–110; Winfried Zeller: Meister Eckhart bei Valentin Weigel. Eine Untersuchung zur Frage nach der Bedeutung Meister Eckharts für die mystische Renaissance des 16. Jahrhunderts. In: Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze. Bd. 2. Hg. von Bernd Jaspert. Marburg 1971, S. 55–88. 72 Vgl. Valentin Weigel: Der güldene Griff. In: Sämtliche Schriften. Bd. 8. Hg. von Horst Pfefferl, S. 1–102 (im Folgenden: Weigel: Der güldene Griff), hier S. 25–35; vgl. Kap. 7.7.2, Anm. 368. 73 Valentin Weigel: Gnothi seauton. In: Sämtliche Schriften. Bd. 3. Hg. von Horst Pfefferl, S. 47– 148 (im Folgenden: Weigel: Gnothi seauton), S. 60. 74 Vgl. Otto Langer: Seelengrund. Meister Eckharts mystische Interpretation der aristotelischthomasischen Lehre von der Seele. In: Meister Eckhart als Denker. Hg. von Wolfgang Erb u. Norbert Fischer. Stuttgart 2018, S. 73–104 (Meister-Eckhart-Jb. Beihefte 4); ders.: Meister Eckharts Lehre vom Seelengrund. In: Grundfragen christlicher Mystik. Hg. von Margot Schmidt u. Dieter R. Bauer. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, S. 173–193; Niklaus Largier: Stellenkommentar (Pr. 2). In: Meister Eckhart. In: DW I. Hg. u. komm. von dems. Frankfurt a. M. 1993, S. 764–772.

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dem Sündenfall Adams unbesetzt. Vielmehr verharrt Gott, wie es zu Anfang des Traktats heißt, „in seinem [!] Himmel weit von der MenschenAugen“.75 Ein Seeleninnerstes, in welchem Gott zeitübergreifend präsent ist, sucht man in De tribus facultatibus daher vergebens. Immerhin heißt es in der Elegie De vera medicina, dass der Mensch, indem er die Weltarchitektur im Kleinen widerspiegelt, notwendigerweise auch am ewigen Wesen Gottes Anteil hat („licet aeterno participatque Deo“).76 Tatsächlich verwendet auch Suchten in den Propositiones den Begriff mens; nämlich dann, wenn er auf den calor zu sprechen kommt. Indem er diesen überdies mit dem intellectus gleichsetzt,77 orientiert er sich möglicherweise an Meister Eckhart oder Augustinus, welchem zufolge die mens eine dreiteilige Struktur besitzt, die in Gedächtnis (memoria), Wille (voluntas) und Verstand (intellectus) besteht.78 Als ein in Gott verwurzelter Seelengrund, wie er in den einigungsmystischen Konzepten eines Meister Eckhart, Johannes Tauler oder Valentin Weigel vorzufinden ist, kann diese mens jedoch nicht gelten, da sie nicht innerhalb, sondern weit außerhalb von Gottes transpersonalem Wesen situiert ist. Der calor hominis ist zwar, ebenso wie die Strahlen der Sonne, von göttlicher Natur, jedoch ist er, abermals in Analogie zur Sonne, diesseits des Empyreums beheimatet. Wenn Eckhart erklärt, dass der Seelengrund „ungeschaffen und ungeschepfelich“ sei,79 so lässt sich selbiges für Suchtens calor ebenfalls nicht behaupten; denn dieser wird in der zwölften Propositio ausdrücklich als ein Geschöpf („creatura“) bezeichnet.80 Der calor ist zwar ein herrliches, sogar mit Gott wesensverwandtes Element; an sich aber repräsentiert er nur eine besonders reine Qualität des göttlichen Geistes. Indem Suchten nun auf das Philosophem eines Seelengrundes verzichtet, offenbart sich die Annahme der Unvergänglichkeit des menschlichen Himmels als unabdingbar, denn ansonsten würde die inhabitatio dei hinfällig: Gott ist ewig und kann dementsprechend nur im Ewigen wohnen.

75 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 76 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 459. 77 Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, f. 255v: „Ergo calor solis et lunae […] est res […] magis perfecta, quam spiritus corporis nostri: Vocaturque natura Mundi, anima mentis nostrae, à Platone & Pythagora philosophis prima mens, divinus intellectus, imago divinae intelligentiae, et conspicuus Dei Filius dicitur: Orpheus antiquissimus theologus Jovem mundi nuncupat. Dionysius beati Pauli discipulus conspicuam Dei statuam […].“ Vgl. ferner Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 247: „In mente est intelligentia vera, der sollen wir folgen/ nicht rationi […].“ 78 Vgl. Johannes Klaus Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs für den Diskurs der Ebenbildlichkeit bei zentralen Theologen des Mittelalters. In: Archa Verbi 6 (2009), S. 26–52, hier S. 28–31. 79 Meister Eckhart: Pr.  48. In: DW I, S.  506,23–24: „Ich hân etwenne gesprochen von einem liechte, daz ist in der sêle, daz ist ungeschaffen und ungeschepfelich.“ 80 Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones. f. 255v: „Calor enim ille est eius [= ens?] perfectissmum spirituale, maximum inter omnes Creaturas Dei […].“

De secretis antimonij 

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Es fällt auf, dass Suchten seiner Leserschaft eine Erklärung schuldig bleibt, weshalb Gott sich letztlich doch dazu herablässt, bisweilen in die gefallene Kreatur einzukehren, zumal doch das Empyreum seine natürliche Wohnstätte darstellt. Wenn nicht mit Notwendigkeit davon auszugehen wäre, dass Gott gewillt ist, dem Menschen beizeiten einzuwohnen, so bedürfte es auch nicht der Ewigkeit des menschlichen Himmels. Der Allmächtige scheint geradezu einen inneren Drang zu besitzen, sich dem Menschen mitzuteilen. Wodurch dieser Drang motiviert ist, erfährt der Leser nicht.81 Vielmehr beschließt Suchten an diesem Punkt seine Ausführungen über den Mikrokosmos und Makrokosmos, indem er seine bisherigen Ergebnisse wie folgt zusammenfasst: So weit hab ich gesagt/ erstlich wie Gott der Allmchtige von Anfang zwey Ding geschaffen/ die grosse und kleine Welt. Zum andern/ wie der Mensch von der grossen genommen/ und eine sondere Welt sey. Zum dritten/ wie er durch die Kunst deß Wassers ergrndet und erlernet/ was die Materia mundi majoris & minoris Hominis. Zum vierdten/ was zu einer mehr zu der andern. Zum fünfften/ wie die eine ewig/ die ander vergnglich sey.82

Damit gibt sich Suchtens Anthropologie, dem paracelsischen Diskurs entsprechend,83 als trichotom zu erkennen: Der Mensch besteht aus seinem Leib, einem inneren Himmel und dem darin befindlichen Geist des Herrn. Diesem Ternar entspricht in den Propositiones die Trias von corpus, quinta essentia und anima hominis. Die ‚wahre Medizin‘ ist demnach ein unauflösliches Kompositum von nutrimentum, quinta essentia und calor. Als solches vereint sie die Kräfte aller himmlischen und irdischen Dinge in sich, sodass ein einziger Tropfen davon die ganze Welt in sich enthält.84

4.4 De secretis antimonij Während Suchten sich in den Propositiones darauf beschränkt, in die spiritustheoretischen Grundlagen seiner Medizin einzuführen und ein artificium zur

81 Eventuell liegt diesem Umstand die in der Theologia Deutsch vertretene Dependenzlehre zugrunde; vgl. Kap. 6, S. 219–222 u. 230. 82 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 360. 83 Wels: Manifestationen des Geistes, S. 135  f. 84 Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, f. 255v: „XIIII. Calor solis et lunae, quinta essentia, et nutrimentum, quando ita permiscent, ut separari non possint, convertuntur in corporibus nostris in purissimum sanguinem, in quo est virtus coelestis, quae nos liberat ab omni aegritudine, quod res nulla totius mundi efficere potest. XV. Sunt enim in hoc composito virtutes omnes, omnium coelestium, ac terrestrium corporum, ita, ut in vini guttula medicinae totus mundus consistat.“

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Verabreichung des himmlischen calor lediglich andeutet, lässt er in seiner Anti­ monmonographie praktische Anweisungen folgen. Diese zweibändige Schrift gilt gemeinhin als Suchtens Hauptwerk. Indes kam zu seinen Lebzeiten nur deren erster Teil, in den Druck. Der Danziger widmet sich hier der Zubereitung von Trinkgold. Dem Titel nach zu schließen geschieht dies auf Basis des Halbmetalls Antimon, auch bekannt als Spießglanz,85 über dessen Tauglichkeit als Heilmittel in Medizinerkreisen ein erbitterter Streit entbrannt war.86 Vorausgegangen war diesem eine private Kontroverse zwischen den Ärzten Jacques Grevin und Loys de L’Aunay. Letzterer hatte 1564 eine Schrift publiziert, in der er bestritt, dass der Einsatz von Antimonpräparaten gesundheitsschädlich sei; vielmehr besäßen diese herrliche, geradezu göttliche Kräfte.87 Dies stieß auf den Widerstand Grevins, der L’Aunay in einem Brief auf beleidigende Weise angriff. Der Zwist offenbarte sich letztlich als Symptom eines unterschwellig schon länger währenden Richtungsstreits innerhalb der Medizin. Dieser gipfelte schließlich darin, dass die ärztliche Fakultät von Paris im Jahr 1566 ein Verbot der Verabreichung von Antimonprodukten erließ.88 Zwar hatte dieses Verbot jenseits der französischen Grenze nur für NichtMediziner Geltung;89 allerdings wurde auch der deutschsprachige Raum in dieser Angelegenheit bald zu einem Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen, zumal der begründete Verdacht bestand, dass L’Aunays Antimon-Euphorie von hier ihren Ausgang genommen hatte. Tatsächlich hatten sich nämlich schon Paracelsus sowie die Erben seiner Chemiatrie, die frühen Paracelsisten, mit der medizinischen Wirkung von Antimonprodukten befasst. Dass die ‚neuartige‘ Arzneikunst Hohenheims nicht nur aufgrund ihrer ideellen, womöglich schwarzmagischen

85 Zur Bedeutung Antimons in der frühneuzeitlichen (Al)Chemie s. Principe: The Secrets of Alchemy, S. 138–142. 86 Die Untersuchungen zu Suchtens zweiteiliger Antimonmonographie beschränken sich auf Amadeo Murase: Paracelsismus und Chilialismus um 1600. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg 2013, S. 101–114: http:// archiv.ub.uni-heidelberg.de/voll-textserver/18296/1/Murase_Paracelsismus_und_Chiliasmus.pdf (1. August 2019); Werner Soukup: „Das ganze Corpus Solis in ein liquorem irreducibilem bringen“. Alchemie am Hofe Rudolf II: http://www.rudolf-werner-soukup.at/Publikationen/ Dokumente/ Rudolf_II.pdf (1. August 2019); Newman, Principe: Alchemy tried in the Fire, S. 50–56; Newman: Gehennical Fire, S. 135–141. 87 Vgl. Ulrich Trense: Das Antimon und seine Verbindungen, ihre medizinische Bedeutung im 16. und 17. Jahrhundert. Köln 1985, S. 29  f. 88 Zum ‚Antimonkrieg‘ vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 33. In: CP 1, S. 575–577; Allen G. Debus: The French Paracelsians. The Chemical Challenge to Medical and Scientific Tradition in Early Modern France. Cambridge, New York u.  a. 1991, S. 21–30. 89 Trense: Das Antimon und seine Verbindungen, S. 30.

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Implikationen, sondern auch wegen ihrer Kultivierung der Antimontherapie bei den Vertretern der Schulmedizin auf Ablehnung stieß, dürfte kaum verwundern: Schließlich war die erwiesene Giftigkeit dieses Minerals mit dem hippokratischen Grundsatz des nil nocere unvereinbar. Die schulmedizinische Schlussfolgerung, dass ein Arzneimittel nicht giftig sein durfte, hielt Paracelsus für zu kurz gegriffen: Für ihn stand fest, dass nur die Dosis das Gift macht.90 Auch wenn sich das Antimon bereits in den Arznei-Büchern des Hochmittelalters findet, beginnt die systematische, alchemische Produktion von Antimonbasierten Heilmitteln erst mit Paracelsus. Davon zeugt unter anderem sein um­ fang­reiches Werk Archidoxis, in welchem er behauptet, dass man mit Hilfe des Minerals nicht nur Edelmetalle wie Gold und Silber reinigen, sondern auch Aussätzige heilen könne: aus dem reinigt er [= der Spießglanz] silber und golt, mer dann das feuer und kein anderes element. darum begibt es sich, das er den corpus leutert und purgirt gleich wie des golt und silber von allen iren ungeschicklichkeiten hinweggenommen werden. also in gleicher gestalt das magisterium antimonii den leib vom Aussatz reiniget mer dan in im gleublich ist.91

Der größte Teil von Hohenheims Darlegungen über das Antimon bleibt dagegen schlicht unverständlich. Dies räumt auch Suchten unumwunden ein: Die paracelsische Unterweisung sei „viel zu subtil geredt/ und kurtz abbissen. Niemand sey so unsinnig/ und halt/ das die Artzeney aus den Buchstaben Paracelsi zu begreiffen sey.“92 Umso mehr sah er sich in der Pflicht, mit seiner zweiteiligen Antimonschrift seinen Beitrag zur ärztlichen Anwendung dieses so bedeutsamen Minerals zu leisten. Zu Erkundung von Suchtens Theoalchemie lohnt sich vor allem der Blick auf den ersten Teil der Antimonschrift, der mit ‚De secretis antimonij‘ betitelt ist. Hier kommen nämlich einige Themen zur Sprache, die sich in De tribus facultatibus wiederfinden, dortselbst aber nur schemenhaft hervortreten. Der unvollendete zweite Teil der Schrift, den Ulrich C. Dagitza in seiner Gesamtausgabe unter dem Titel De antimonio vulgari publizierte, soll hier nicht weiter interessieren, da er fast ausschließlich praktische Anleitungen zur chemischen Produktion von Anti-

90 Ingrid Kästner: Der jüngere Paracelsismus zwischen Spiritualität und Wissenschaft. In: Mystik und Natur. Zur Geschichte ihres Verhältnisses vom Altertum bis zur Gegenwart. Hg. von Peter Dinzelbacher. Berlin, New York 2009, S. 101–121, hier S. 109. 91 Paracelsus: Archidoxis. In: SW 1/3, S. 161. 92 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 263.

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monpräparaten beinhaltet.93 De secretijs antimonij besticht demgegenüber nicht nur durch seinen sprachlichen Bilderreichtum, sondern auch durch die theosophischen Implikationen von Suchtens Antimonschmelze: Zu gleicher Weise wie auß einem Golkieß/ oder marchasita aurea, durch die Kunst des Schmeltzens Gold gemacht wird/ also wird auch durch Kunst aus Antimonio aurum medicum gemacht/ das alle Weisen von Anfang der Welt (unter welchen viel Knige und Herrscher gewesen) gesuchet und erlanget haben/ und uns ihre erfundene Kunst hinterlassen/ durch welche wir auch dieses unaussprechlichen Schatzes teilhafftig werden mchten.94

Suchten bedient sich hier, wie vor ihm bereits Paracelsus, des Motivs der ‚alten Weisen‘, denen es vergönnt war, von der göttlichen Gnadengabe eines nunmehr verblassenden, adamitischen Heilswissens zu profitieren. Selbstverständlich verband sich mit dem angeblichen Alter der durch Paracelsus wiedererweckten Weisheitslehre ein Autoritätsanspruch, dem sich als ‚jünger‘ behauptete Wissenstraditionen wie der Aristotelismus, die galenische Heilkunde und die mittelalterliche Transmutationsalchemie unterzuordnen hatten. Den im Raum stehenden Vorwurf, eine derartige Aufwertung der vorchristlichen Zeit zeuge von Sympathien mit dem Heidentum, gibt Suchten an seine Kritiker zurück, indem er seinerseits Galen, das pagane Vorbild der Schulmediziner, zu einem „Gottslsterer und Schnder CHristi“ erklärt.95 Dagegen habe Hermes Trismegistus, der Wegbereiter seiner eigenen medizinischen Schule, das Wesen des Erlösers vorausgeahnt:96 „Sagt mir eins: Trismegistus, wenn ist er geboren? Nun hat er mehr von Christo gewust/ denn vielleicht einer unter euch.“97 Auch mit der traditionellen Alchemie geht Suchten hart ins Gericht, denn diese gilt ihm als eitle Betrügerei. Die wahre „Alchymia“ sei hingegen

93 Zum chemischen Wissen, das Suchten in De antimonio vulgari verarbeitet, s. Newman: Gehennical Fire, S. 135–141; Newman, Principe: Alchemy Tried in the Fire, S. 50–56. 94 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 233. 95 Ebd., S. 243. 96 Möglicherweise hat Suchten hier Agrippas Occulta philosophia (III.8, S. 221  f.) vor Augen, in der das – vermeintlich vorchristliche – Wissen um den Gottessohn mit Verweis auf den Asclepius, den Pimander und den Liber XXIV philosophorum belegt wird: „Mercurius quoque Trismegistus in Asclepio, dei filium diversis locis affirmat. Inquit enim: Deus meus atque pater, mentem sibi aliam opificem peperit. Et alibi: Monas gignit monadem, & in se suum reflectit ardorem, & in Pimandro (ubi vaticinari videtur de futura lege gratiae ac de regenerationis mysterio) ait, regenerationis autor est filius dei homo, unius voluntate dei.“ Ähnlich äußert sich auch Sebastian Franck: „Zum andern hab ich in meiner [Guldin] Arch geschrieben/ Hermes Trismegistus/ so von Mose zur zeyt Abrahe gelebt hat/ hab heller von Christo geschriben dann Moses.“ (Verbüthschiert mit siben Sigeln verschlossen Buch, o. O. 1539, S. 428r). 97 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 256.

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die Kunst der Bereitung/ die wir Aertzte alle sollen also gewiß knnen/ wie der Gerber sein Beitzen/ nicht unsere Zeit verzehren mit Bltter umbkehren/ oder andern Knsten/ so aus Mißverstand des Namens nach Absterben der ersten Egyptischen Weisen bald entsprungen/ und uns vom Satan eingeblasen/ damit wir unsere jungen Jahr so jmmerlich/ und unntzlich verzehren/ am End weniger wissen/ denn am Anfang.98

Die wahre, ursprüngliche Alchemie der Ägypter sei aufgrund ihres hieroglyphischen Charakters verlorengegangen; an ihrer Stelle habe sich eine unfruchtbare Kunst der Metalltransmutation etabliert. Doch wie sehr man sich dieser Art von Alchemie und den Büchern, die über diese vermeintliche Kunst kursieren, auch widme – im Streben nach der Gewinnung von Gold komme man auf ihrem Wege keinen Schritt weiter. Im Folgenden kommt Suchten auf einen geheimnisvollen mercurius zu sprechen, der sich zusammen mit einem Schwefel aus dem Antimon extrahieren lasse. Dieser mercurius sei der „der metallische Glantz/ so im Antimonio sich sehen lsset.“99 Zunächst aber geht Suchten näher auf den genannten Schwefel ein. Dieser sei zunächst „rohe und imperfect“, durch Digestion aber werde er „transmutirt von der giftigen Art in die edelste Artzeney/ dergleichen die Welt nicht vermag.“100 Auch sei „dieser Schwefel/ wenn er in seiner perfection stehet […] ein Chaos/ das ist ein Geist.“101 Aus diesem „reinen Jungfrulichen Schwefel“ werde der erwähnte mercurius geboren.102 Jener sei „die alleredelste Creatur/ die Gott je nach der vernnfftigen Seele erschaffen hat.“103 Wie genau die Zeugung dieser heiligen Substanz vor sich geht, erfährt der Leser nicht. Suchten begründet seine diesbezügliche Verschwiegenheit damit, dass die närrischen ‚Sophisten‘, die mit ihren akademischen Würden bereits die ganze Welt verführt und geblendet hätten, der Offenbarung eines solchen Geheimnisses nicht würdig seien. Er selbst werde aber sein Möglichstes dazu beitragen, dass Gott den Liebhabern der Weisheit die Augen öffne. Weiter erfährt man von besagtem mercurius, „daß er ein unzeitig Artzeney ist: wie ein sauer grner Apfel/ und harter Weintraub nicht zu essen ist/ er sey dann vom Himmel durchkocht und gezeitigt; Also ists von diesem Mercurio auch zu verstehen. Er muß vom Himmel zeitig gemacht werden […].“104 Hierzu bedürfe

98 Ebd., S. 234. 99 Ebd. 100 Ebd., S. 236. 101 Ebd., S. 237. 102 Ebd., S. 240. 103 Ebd. 104 Ebd., S. 242.

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es eines geheimen, theoalchemischen Verfahrens, bei dem das himmlische Feuer Gottes den metallenen mercurius dahingehend digeriere, dass dieser „in ein ander Ding gebracht werde.“105 Das artifizielle Feuer der betrügerischen „Unzenbrenner“ sei zu gering, um einen solchen Digestionsprozess in Gang zu setzen. Kein Schmelzofen der Welt sei imstande, die Früchte auf dem Feld auf die gleiche Weise zur Reifung zu bringen wie Gott. Dessen himmlisches Feuer sei mit der Kraft des lapis philosophorum wesensgleich: Das muß aber gesagt werden/ die Alchymisten (ich verstehe nicht Unzenbrenner/ so andere Leute wollen reich machen/ bleiben selbst Bettler) haben dieses Mysterium einen Stein der Philosophen/ einen gesegneten/ einen heiligen Stein genennet/ auß der Ursach/ daß es in ein irdische/ steinige und verchtliche Materi Gott gelegt hat. Die Araber habens geheissen Alchimiam, darumb daß Alchimia ein Instrument ist/ das da scheidet das Gute vom Bsen/ und was nicht zeitig ist/ zeitig macht. Die Astronomi sagen es sey Sol, daß die Sonne alle Frchte der Erden bringet in ihre Vollkommenheit. Also ist diß Mysterium wegen der Gleichniß auch die Sonne genennet worden: Paracelsus, in vielen Orten heist es Gold/ wie an dem Ort/ da er spricht: Laß das Gold den Saamen seyn/ Sey du die wachsende Krafft/ &c. Noch hats viel andere Namen/ in andern Facultäten und Wissenschaften/ die ich bleiben lasse.106

Auf diese Weise knüpft Suchten das Mysterium des mercurius an ein weiteres Mysterium. Indem er dieses mit der Sonne assoziiert, lässt sich unschwer erkennen, dass es sich hierbei um den calor solis et lunae handelt. Der calor ist das himmlische Feuer, das dem philosophischen Stein die Kraft verleiht, den mercurius in „ein ander Ding“ zu transmutieren. Es wird deutlich: Trotz des Empirismus, den Suchten vertritt, indem er immer wieder auf seine Erfahrenheit zu sprechen kommt,107 besitzt seine Konzeption der ‚Alchymia‘ eine stark spiritualistische Dimension, die sich mit dem nüchternen Verstand nicht erfassen lässt. Erst wenn sich der Adept geistig in die empyreischen Höhen des calor begibt, wird die Kunst der Transmutation fruchtbar, denn erst unter dieser Voraussetzung kann Gott an die Stelle des Menschen treten und den genannten mercurius in Silber, beziehungsweise in „Luna“, verwandeln: Die Alchymia ist eine reine und ewige Jungfrau/ lst keinen vernnfftigen Menschen zu ihr/ sie will hominem mentalem haben/ deren ich bey unsern Zeiten noch wenig gesehen. Jedermann lst sich seine Vernunfft verfhren/ sie kan nicht seyn ohne Irrung/ dann ihr [= der

105 Ebd., S. 243. 106 Ebd., S. 244  f. 107 Vgl etwa ebd., S. 249  f.: „Alsdann wirst du sehen/ daß ich nicht auß Haß und Neid/ sondern treuem Hertzen/ allen Liebhabern der Warheit diesen Tractat geschrieben hab: Nicht nach meinen Gedancken oder Betrachtungen/ sonder vollkommener Erfahrenheit/ so die Zeit nach Gttlichem Willen erffnet.“

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Alchymia] hangt sehr viel vom Idolo an: In mente est intelligentia vera, der sollen wir folgen/ nicht rationi, so werden wir innen werden, warumb die Magi so seltzam Ding geschrieben: Werden auch leichtlich verstehen knnen/ was das sey/ das der Artzt ber alle andere Gelhrten wissen sol/ wie ihn Gott an sein statt gesetzt/ dem Krancken zu helffen […].108

Suchtens Alchemie erweist sich angesichts ihrer mystischen Implikationen, die hier in Form der Theologumena der gottverliehenen Seele (mens), der göttlichen Vernunft (intelligentia / intellectus) und der damit einhergehenden Gottebenbildlichkeit (idolum) des ‚inneren Menschen‘ aufscheinen, unverkennbar als Theoalchemie. Auch wird der Prozess der Umwandlung mit dem biblischen Theologumenon der ‚Neugeburt‘ in Verbindung gebracht:109 „Alles muß beyeinander bleiben/ und allein eine Widergeburt geschehen. Dann durch die Widergeburt wird das Bse gut/ das Gifft wird Artzeney. Darumb ist einem Artzt hoch vonnthen/ Daß er die Widergeburt grndlich wisse […]“.110 Im darauf folgenden Kapitel vergleicht Suchten die Arbeit eines Arztes mit der eines Landmanns, der die Ähren, die Gott aus der Erde wachsen lässt, aberntet und schließlich das Brot backt. Im Falle des Arztes handelt es sich bei den ‚Ähren‘ um Silber. Das ‚Körnlein‘ aber, das sich darin verbirgt, ist ein zunächst nicht näher bestimmtes ‚Gold‘. Um das Gleichnis vollständig aufzulösen, holt Suchten noch einmal weit aus: Die feurige Kraft des lapis philosophorum stärke die „forma metallica“ des mercurius, worüber dieser sich in Silber verwandle. Das darin enthaltene ‚Körnlein‘, die goldähnliche „forma“ des merkurialen Silbers, bezeichnet Suchten als das Leben aller Metalle. Durch die reinigende Kraft des Feuers werde es der „forma“ ermöglicht, ihr heilsames Naturell in höchstem Maße zu entfalten. Nach Suchten ist sie vom „Corpus“ des Silbers ablösbar, denn sie besitzt – ganz im Gegensatz zum aristotelischen Konzept von forma – ein eigenständiges, stoffliches Dasein. Sie trägt in sich aller Gttlichen Heimlichkeiten verborgenen Schatz/ darber mnniglich in grosse Verwunderung gezogen wird. Diß Corpus ist dem Artzt kein nutz/ darumb sol ers davon thun/ es lst sich leichtlich scheiden/ was brig bleibt [= die „forma“]/ ist der Aerzte Aurum potabile, und ein dickes Oehl. Wanns dnn und fliessend ist/ so ist es roht/ wie das gesunde Blut; Wanns zusammen geronnen ist/ so ist es goldgelb/ sein rechter Name ist Sulphur Philosophorum. Wann der Artzt diesen Sulphur erlanget/ hat sein Alchimistische Arbeit ein Ende.111

108 Ebd., S. 247. 109 Vgl. Tit 3,5; Röm 3,6–11; 2 Kor 5,17; Phil 1,6; Mt 19,28; 1 Petr 1,3; 1 Petr 1,23; Joh 3,3–7; 1 Joh 3,1; 1 Joh 4,7; 1 Joh 5,1–4. 110 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 249. 111 Ebd., S. 252  f.

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Nach Libavius, der in seinen Syntagmatis arcanorum chymicorum mit nüchternen Worten den in De secretis animonij dargebotenen Scheideprozess erläutert, handelt es sich bei selbigem „Sulphur philosophorum“ um das Extrakt einer putrifizierten, Quecksilber-ähnlichen Lösung.112 Nach Suchten ist in diesem Trinkgold „die hchste Artzeney verborgen/ die in keinem andern Gewchs der Erden zu finden“ ist.113 Überhaupt misst der Danziger der mineralischen Chemie auf medizinischem Gebiet einen ungleich höheren Stellenwert bei als der Pflanzenheilkunde.114 Um aufzuzeigen, worin genau sich diese beiden pharmakologischen Traditionen unterscheiden, nimmt Suchten die Anthropologie in den Blick. Der Mensch besitze zwei Arten von Leben. Das eine bezeichne sein ewiges Leben, das andere ist das Leben des sterblichen Leibs. Ersterem Leben schenkt Suchten im Folgenden keine Beachtung mehr, da es mit dem Körper in keinem direkten Verhältnis steht. Dagegen rückt das kurze Leben, das teils physischer, teils geistiger Natur ist, aufgrund seiner Krankheitsanfälligkeit in das Zentrum der Betrachtungen: Diß kurtz Leben wird in der Medicina Balsam genant/ darumb/ daß es die Artzeney ist/ die den Leib erhlt fr Fule/ daß er nicht zerbrochen/ das ist/ kranck werde: Und so er in Kranckheit kommen/ ist er auch die Artzeney/ die ihn wieder heilen sol. Nicht die Salbey/ Melissen oder Endivien: Sondern der Balsamb muß es thun. Dann die Kruter speisen allein den greifflichen Leib/ das Leben aber nicht/ das ist/ den Balsam. So nun der Balsam verunreiniget ist […] muß man ihme zu Hülffe kommen mit seiner Speise/ dann durch die Speise wird er gestrckt.115

Beiderlei Speise – die Speise des Leibs und die geistige Nahrung des Balsams – bezieht der Mensch aus der äußeren Natur. Der Makrokosmos ist gewissermaßen der ‚Vater‘ des Mikrokosmos; und ebenso wie der Vater für den Sohn Fürsorge trägt, so spendet die Natur dem Menschen alles, was er zum leiblichen und zum geistigen Leben braucht:

112 Andreas Libavius: „amalgama facit ex argento, & illo hydrargyro. Hoc putrefacit. Nigriticem emergentem colligit: collectam venditat pro AURO.“ (Syntagmatis arcanorum chymicorum. Nikolaus Hoffmann, Frankfurt a. M. 1613, S. 24), 113 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 253. 114 Zur mineralischen Chemie der Frühen Neuzeit s. Allen G. Debus: The Chemical Philosophy: Paracelsian Science and Medicine in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Bd. 2. New York, S. 602  f.; Christel Meier: Das Problem der Qualitätenallegorese. In: Frühmittelalterliche Studien 8 (1974), S. 385–435. 115 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 254.

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Das greiffliche will Crperliche Dinge haben/ das geistliche Geistliche. Ist die Kranckheit in massa, wird sie gespeist mit der Substantz der Kruter/ ist die Kranckheit im Balsam/ das ist im Leben/ soll er dergleichen gespeiset werden mit dem Balsam der Kruter/ so genesen beide Theile.116

Die „massa“, beziehungsweise der menschliche Leib, bedarf physischer Nahrung, der „Balsam“ hingegen – das geistige Leben des Leibs – ernährt sich von dem metaphysischen Balsam der Pflanzen. Dieser selbst hat außer der Speisung der menschlichen Vitalkraft keine weitere Funktion. So hat er etwa im Krankheitsfall auf die Genesung keinen Einfluss: Hie ist aber ist ein grosser Punct zu mercken/ und ein Geheimniß der gantzen Artzeney. So in Freißlich mit Paeonien/ eichenen Mispeln/ &c. in der Lhmung mit Lavendel/ &c. unser Balsam gespeiset wird/ so kompt dieser Kruter=Balsam unserm Balsam doch nicht zu Hlffe/ dann der Morbus weicht vom Krancken nicht. Hier ligt der Stein/ daran sich Galenus, Avicenna, &c. hefftig gestoßen […]. Auf den heutigen Tag ist kein ander Kunst bei den Galenischen/ denn daß sie den unreinen Balsam der Kruter reinigen und heilen wollen/ und ist ihnen unmglich zu vollbringen/ wie man sihet in Zipperlein/ Aussatz/ Lhmung oder Schlag/ da sie mit ihren Purgationibus das wenigste nicht ausrichten/ wie am Tag ist […].117

Es besteht kein Zweifel: Obwohl Paracelsist, war Suchten ganz offensichtlich kein Freund der Pflanzenheilkunde. Immerhin macht er das Zugeständnis, dass diese für die Stärkung der körperlichen „massa“ ihren Nutzen erfülle. Er bestreitet aber fernerhin, dass es sich bei den Heilkräutern um galenische Funde handelt. Vielmehr identifiziert er diese als uralte Hausmittel: „Daß auch jemands wolt meynen/ die Artzeney des greifflichen Leibes sei von Galeno oder Avicenna erstlich erfunden/ ist auch nit: Bey den Uralten ist sie gewesen/ bey fleissigen Haußvttern/ die hat Galenus zu seiner Zeit vom gemeinen Mann aufgeklaubet […].“118 Die im Corpus Paracelsisticum vertretene These, man habe es bei Suchten mit einem „zwischen Paracelsus und Galen schwankenden“ Mediziner zu tun, ist daher unzutreffend.119 Diese Fehleinschätzung gründet sich vor allem darauf, dass Suchten in einem Brief an Herzog Albrecht, welcher unter einem Geschwür

116 Ebd., S. 254  f. 117 Ebd., S. 255. 118 Ebd., S. 257. 119 So Kühlmann, Telle: Gesamtwürdigung. In: CP 1, S.  581: „An einen zwischen Paracelsus und Galen schwankenden Suchten gemahnt auch ein Blick in Suchtens ärztliche Praxis. Zwar trug Suchten keine Zweifel, daß die ‚im Feuer bereitete Arznei‘ (Chemiatrica) aller Galenistenmedizin überlegen sei, gleichwohl empfahl Suchten durchaus schulmedizinisch-galenistische Rezepturen.“

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am linken Unterschenkel litt, eine Arznei verordnete, bei der es sich um eine schulmedizinisch-galenistische Rezeptur handelte. Allerdings heißt es in diesem Brief auch, er habe bei der Zubereitung des Medikaments allein deshalb auf pflanzliche Ingredienzien wie Wallwurz, Kalmus und Rhabarber zurückgegriffen, weil den Leibärzten des Herzogs die rote Koralle – ein paracelsisches Mittel zur Blutstillung –,120 unbekannt sei: [A]lso das dem schaden nit kann geholfen werden anderß den durch Inerliche wundarznej. Dasselbig haben E[uer] F[ürstliche] g[naden] vnd E[uer] F[ürstliche] g[naden] Diener itzo alhie offt von mier gehortt, Derhalben hab ich E[uer] F[ürstlichen] g[naden] ein wundarznei bereit, von gemeinen Kreutern, dieweill E[uer] F[ürstlichen] g[naden] Leibärtzt des Corallium so ich von Dantzig bracht nit kennen, vnd zum wein do mit es gemacht nit ratten wellen […].121

Suchten verschrieb das pflanzliche Medikament also nicht aus Überzeugung, sondern lediglich, weil die medizinischen Autoritäten bei Hofe den alternativen Heilmethoden des Paracelsus misstrauten. Im Übrigen verbirgt er seine Verachtung der Kräuterheilkunde auch gegenüber dem siechen Herzog nicht. So heißt es in einem weiteren Gutachten: [I]ch rathe, daß Ir F. D. leib mitt kreuter nicht solle angefüllet werden […]. Dieweil nhun euer kreuter ein speise sein des vihes auff dem felde und nicht des menschen und euer Arznei so Ir darinnen haben, kein Arznei ist, sonder eine zierde, domit der creator die weld gezieret hatt und die eusserliche virtutes alle im magen absterben, worumb sol man irer F. D. die speise geben, die doch des menschen speise nicht ist […].122

Aus Suchtens Nachlass geht hervor, dass er in seinem letzten Lebensjahr von der Linzer Apotheke tatsächlich auch Lieferungen von botanischen Heilmitteln empfing, darunter diverse Pflanzenöle, Rhabarber, Anis, Zimtröhren, Koloquinte, Mandeln, Maulbeersaft sowie „Sehplumen und derselben Wurtzeln“.123 Vielleicht handelte es sich auch in diesem Fall nur um Medikamente, die von Suchtens Klientel erwartet wurden. Zudem kann als sicher gelten, dass der Danziger bis zu seinem Tod alchemisch tätig war: So bezog er aus der Apotheke neben den genannten Pharmaka auch „Sal armoniacum“ (= Salmiak), Allaun, und „vngerisches victrill“ (= Vitriol) und natürlich „Anthimonium“. Zudem erwarb sein Diener

120 Im Hintergrund steht hier die paracelsische similia-similibus-Doktrin: Die (blut-)rote Koralle zeigt anhand ihrer äußeren Gestalt ihre blutstillende Wirkung an. 121 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 32. In: CP 1, S. 564  f. 122 Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 201. 123 Humberg: Die Verlassenschaft, S. 42.

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„saliter in bartelmermarckht“ (= Salpeter auf dem Bartholomäusmarkt).124 Das Antimon dürfte ihm zur Produktion des sulphur philosophorum gedient haben, denn dieses Trinkgold – so lautet das Fazit der Antimonmonographie – sei diejenige Speise, die dem menschlichen Leib auf die beste Weise reinige: Darumb hat das Leben der Welt mssen ein Leib werden/ in den Creaturen/ nicht in allen/ sondern in denen/ die in dem Centro der Elementen geschaffen seynd/ in ihnen ist der Balsam leiblich […], das ist in Metallen/ aber nicht anders dann wie ein Samen/ der wachsen soll in seine Frucht/ welche Frucht ist das Gold/ davon dieses Capitel lautet/ und ist diß Gold nichts anders denn das Leben Micocosmi, doch mit dem Unterscheid: Der Balsam unsers Leibes ist ein Geist/ aber diß Gold ist ein leiblicher Balsam/ und darumb/ daß er leiblich ist/ hat er Krafft und Macht zu reinigen und clarifizieren unsern Balsam/ das der geistliche Balsam in anderen simplicibus nimmer thun kann.125

Das Trinkgold, das der Arzt mit Gottes Hilfe aus dem merkurialen Silber zu ernten vermag, kommt dem leiblichen Balsam des Menschen im Krankheitsfall zu Hilfe. Damit präzisiert Suchten Hohenheims Darlegungen in De vita longa. Paracelsus hatte dort Gold, als das edelste aller Metalle, mit dem Menschen in Analogie gesetzt und angesichts der chemischen Anwendung von Antimon zur Reinigung von Gold den Schluss gezogen, dass dieses Halbmetall auch für den menschlichen Leib reinigende Wirkung besitze: Zu gleicherweis wie antimonium finirt das golt, in derselben form und gestalt finirt er auch den leib. dan in im ist die essentia, die nichts unreins laßt bei dem reinen. und keiner aller archidoxischen schriften erfarner, noch kein spagirus mag ergründen die kraft und tugend antimonii.126

Noch stärker aber als Paracelsus zielt Suchten mit seiner Theoalchemie darauf ab, ausgehend von einem forschenden und kreativen Umgang mit natürlichen Rohstoffen – insbesondere mit Metallen und Mineralien – den Erfahrungsbereich der Immanenz auf das Terrain der Transzendenz hin zu überschreiten: Schließlich ist die Natur der Spiegel des göttlichen Angesichts und eine Offenbarungsstätte Christi. Suchtens Begriff von Empirie stellt sich also nicht in den Dienst einer sogenannten ‚exakten Wissenschaft‘,127 sondern zielt darauf, spiritualistische

124 Ebd., S. 40. 125 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 258. 126 Paracelsus: De vita longa. In: SW 1/3, S. 306. 127 Zu der ohnehin problematischen, letztlich unzureichenden Differenzierung zwischen ‚okkulten‘ und ‚exakten‘ Wissenschaften in der Frühen Neuzeit s. Christoph Meinel: Okkulte und exakte Wissenschaften. In: Die okkulten Wissenschaften der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 21–43.

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Konzepte wie die praxisbezogene Lehre von der Allgegenwart okkulter Qualitäten auf ihren medizinischen Nutzen hin zu erproben. Erst im Licht der Natur und im Bekenntnis zu einem wahren Christentum ist es möglich, allerhand wundersame Tinkturen, darunter auch lebensverlängernde Arzneien zu produzieren. Als Parteigänger einer ebenso praktisch wie mystisch-spirituell ausgerichteten Naturphilosophie befreit er sich somit nicht nur aus den Fängen der Schulmedizin; es gelingt ihm somit auch, den Begriff ‚Alchemie‘ neu zu definieren. Auf diese Weise schärft er zugleich den Blick auf Paracelsus. Denn dieser sah sich selbst keineswegs bloß als medizinischer Fachschriftsteller, sondern als ein gottgesandter Verkünder eines ursprünglichen Natur- und Heilswissens.128 Überhaupt waren es vor allem die theologischen Implikationen der paracelsischen Weltanschauung, die im Fahrwasser der Konfessionalisierung eine ungeahnte Breitenwirkung entfalten sollten. Diese Entwicklung war keineswegs absehbar, zumal die medizintheoretischen und praktischen Unterweisungen Hohenheims innerhalb seines Gesamtwerks einen weit größeren Raum einnehmen als seine theologisch-naturphilosophischen Betrachtungen.129 Indem letztere jedoch in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts zunehmend ins Blickfeld spiritualistisch interessierter Ärzte und Alchemiker wie Suchten gerieten, war der Grundstein für die Entstehung der paracelsistischen Theoalchemie gelegt.

4.5 Initiierung und Deutung chemischer Prozesse Bislang aber hat der urzeitliche Adamssohn, von dem Suchten im ersten Teil des Traktats berichtet, den Geist des Herrn noch nicht gefunden. Immerhin konnte er über die Destillationskunst bereits in Erfahrung bringen, dass der ewige Himmel des Menschen einen feinen, unvergänglichen Auszug aus dem kristallinen Himmelwasser darstellt. Diese prima materia von großer und kleiner Welt bildet auch im Folgenden die Ausgangsbasis seines alchemisch-praktisch geleiteten Erkenntniszuwachses: Da der Mensch durch die Erfahrenheit erkandte/ daß wie GOtt auß dem Wasser gemacht hatte die grosse Welt/ das ist/ Himmel und Erden/ und alles was darinnen ist/ und auß der grossen Welt den Menschen nach seinem Ebenbild/ welcher da war die kleine Welt/ daß alles/ so in der grossen Welt ist/ auch in der kleinen wre/ nemlichen im Menschen/ das ist Himmel und Erden mit allem so sie begreiffen/ weiter auch durch seine Krafft gelernet/ was fr Corpora auß dem Wasser gewachsen/ da fand er mit sichtbarlicher Erfahrenheit/

128 Vgl. Gilly: „Theophrastia Sancta“, S. 426–429. 129 Gilly: Das Bekenntnis zur Gnosis, S. 392.

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daß alles so geschaffen ist/ in drey Ding gesetzet/ und in den selben dreyen gemehret und erhalten wrden. Die drey Ding sind drey Corpora, das ist/ drey greifliche und sichtige Substantzen: Die eine ist Wasser/ die ander Saltz/ die dritte ein Sulphur. Diese drey Ding hat ein jedes Ding/ so Gott erschaffen/ nichts mehr/ nichts minder: Also stehet in den dreyen die gantze Welt und der Mensch.130

Bei den „drey Ding“, aus denen das primordiale „Crystallinisch Wasser“ seinerseits zusammengesetzt ist, handelt es sich um die sogenannten tria prima: drei Ursubstanzen, die gemeinhin mit Salz, Schwefel und Quecksilber, zu Latein sal, sulphur und mercurius, gleichgesetzt werden.131 Diese begriffliche Trias bezeichnet keine bestimmten Elemente, sondern eine Trichotomie von ersten Bestandteilen, aus denen alles Stoffliche zusammengesetzt ist. Diese Bestandteile definieren sich über drei stets gleichbleibende Eigenschaften, die sich an der materiellen Entität manifestieren. Die Dreiheit der genannten Prinzipien war schon vor Paracelsus bekannt;132 allerdings wurde sie erst durch ihn systematisiert und nachhaltig in den alchemischen Diskurs integriert. In seinem Opus paramirum stellt er die Grundidee der tria-prima-Lehre vor: Drei sind der substanz die do einem ietlichen sein corpus geben; das ist ein ietlich corpus stet in dreien dingen. die namen dieser dreien dingen sind also: sulphur, mercurius, sal. dise drei werden zusamen gesetzt, als dan heißts ein corpus, und inen wird nichts hinzu getan als als alein das leben […]. nun die ding zuerfahren so nempt ein anfang vom holz. dasselbig ist ein leib; nun laß brinnen, so ist das do brint der sulphur, das do raucht der mercurius, das zu eschen wird sal.133

Indem Paracelsus hier den Begriff ‚Substanz‘ auf ein völlig neues – nämlich trichotom strukturiertes – Fundament stellt, setzt er sich auf kühne Weise über die tief im abendländischen Denken verwurzelte, dichotom ausgerichtete Erschließung der Wirklichkeit hinweg; und zwar nicht nur mit Blick auf die traditionelle Alchemie, die sich an der Antinomie von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘, das heißt sulphur und mercuius, orientiert hatte,134 sondern – noch viel gravierender – auch mit Blick auf die metaphysischen Kategorien von forma und materia, auf die sich

130 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 362. 131 Zu den tria principia s. Dück: Materia prima, S. 56–84, bes. 56–75; Susanne Lehnig: Die DreiPrinzipien-Theorie des Paracelsus, S. 19–60. 132 Vgl. Claus Priesner: Die Wirklichkeit des Okkulten. Naturmagie und Alchemie in der Frühen Neuzeit. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, Boston 2016, S. 305–345, hier S. 315. 133 Paracelsus: Opus paramirum. In: SW 1/9, S. 45  f. 134 Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus, S. 105  f.

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die aristotelische Essenzphilosophie gründet. Dass Hohenheim alles konkrete Seiende auf materialistisch-atomistisch anmutende Weise als zusammengesetzt ansieht, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass für ihn das eigentliche Prinzip des Lebens nicht der Körper, sondern der allen Kreaturen innewohnende spiritus mundi ist. Dem entspricht, dass er in seiner Schrift De natura rerum die drei Prinzipien in anthropologische Spekulationen einbettet: „der mercurius aber ist der spiritus, der sulphur ist anima, das sal das corpus, das mitel aber zwischen dem spiritu und corpore, darvon Hermes sagt, ist die sêl, und ist der sulphur, der die zwei widerwertige ding vereinbaret und in ein einiges wesen verkeret &c.“135 Die Hierarchie von corpus, anima und spiritus entspricht der neuplatonischen Anthropologie: Demnach erlangt der Mensch erst über den Geist, welcher aus dem Urgrund des göttlichen ‚Einen‘ hervorfließt und die Sphäre der ewigen Ideen regiert, Erkenntnis über die Dinge an sich. Dieses über alles Materielle erhabene Eine ist es auch, welches den menschlichen Geist in seinem Innersten ausmacht.136 Im Gegensatz hierzu steht die körperliche Welt, welcher der Mensch aufgrund seines Leibes angehört. Die Seele wiederum ist ‚zwischen‘ Körper und Geist situiert: Sie ist an den Leib gebunden, vermag sich jedoch auf ihren göttlichen Ursprung hin zu orientieren.137 Man möchte meinen, es sei Paracelsus daran gelegen, diese neuplatonische Trichotomie anhand der Drei-Prinzipien-Lehre auf spielerische Weise zu veranschaulichen: Der mercurius steht demnach als aufsteigender Rauch oder Dunst für das Volatile, Sublime, und somit für das HimmlischGeistige. Ihm entgegengesetzt ist die grobe Materie, welche Paracelsus mit dem sal gleichsetzt. Das sulphur hingegen oszilliert in seiner Rolle als Seele zwischen den ‚höheren‘ Regionen des Geistes und seiner heimischen Sphäre, dem körperlichen Diesseits. Motiviert ist diese Vorstellung wohl durch den Umstand, dass der Schwefel als das Brennende die Schnittstelle zwischen dem Brennmaterial und der körperlos anmutenden Flamme darstellt. Dass Suchten in der Nachfolge des Hohenheimers die tria prima als die letzten Bestandteile der stofflichen Welt veranschlagt, passt zu dem Bild, das er sich von der Urmaterie der Welt macht: Das kristalline Wasser, in das sich der Geist hüllte, beinhaltete nicht nur Flüssiges, sondern auch Trockenes und Festes, wie Schwefel und Salz. Man hat sich das kristalline Wasser demnach als eine trübe Flüssigkeit vorzustellen. Als solche lässt es sich zugleich mit der körperlichen Natur des Menschen, die nach dem Ersten Buch Mose einen limus terrae repräsentiert, gleichsetzen. Vor diesem naturphilosophischen Hintergrund bezeichnet Suchtens Merkurialwasser eine chemische

135 Paracelsus De natura rerum. In: SW 1/11, S. 318. 136 Vgl. Jens Halfwassen: Plotin und der Neuplatonismus. München 2004, S. 93–97. 137 Vgl. ebd., S. 93–114.

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Lösung, die mannigfache Bezeichnungen gefunden hat, wie etwa quinta essentia ‚weiße Lilie‘ oder ‚Weißer Adler‘.138 Derlei Begriffe, aber auch die noch rudimentären Arbeitstechniken der frühneuzeitlichen Alchemiker, erschweren die Rekonstruktion der beschriebenen chemischen Prozesse sowie deren Übersetzung in modernes Vokabular. Im Falle des vorliegenden Experiments bieten sich hierfür jedoch mehrere Anhaltspunkte. Bei dem kristallinen Wasser selbst handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine mit pulverisiertem Eisen versetzte und mit Wasser verdünnte Schwefelsäure (Fe + H2SO4 + 7H2O).139 Dieser Schluss liegt insofern nahe, als man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen kann, dass das ‚Salz‘, welches der urzeitliche Scheidekünstler daraus destilliert, ein Eisensalz bezeichnet; genauer gesagt das hydratwasserhaltige Mineral Eisen(II)-sulfat (FeSO4 · 7H2O).140 Auf die Fährte dieses Minerals, das auch als ‚Eisenvitriol‘ bekannt ist, führt die erste Druckfassung von De tribus facultatibus von 1608, denn hier ist mit Bezug auf das Salz von einem „Oleum Saltz“ die Rede.141 Oleum ist die alchemische Bezeichnung für Schwefelsäure,142 und letztere wurde spätestens seit dem dreizehnten Jahrhundert durch die Destillation von Eisenvitriol gewonnen.143 Nicht zuletzt verweist der Vitriol aber auch anhand seines Namens, welchen Albertus Magnus von dem neulateinischen Adjektiv vitreolus oder vitriolus (‚glasartig‘) herleitet,144 auf seinen Ursprungsort zurück: das kristallgleiche, gläserne Meer der Johannes-Apokalypse. Schon die mittelalterlichen Alchemisten brachten dem Eisenvitriol allergrößte Wertschätzung entgegen. Der ‚grüne Löwe‘, wie sie das Eisenvitriol nannten, galt ihnen nämlich nicht nur als Spender von Schwefelsäure, sondern auch als Lösungsmittel von Gold. Khunrath bezeichnet den leo viridus ferner als

138 Vgl. Karin Figala: Quecksilber. In: Alchemie-Lexikon, S. 295–300, hier S. 297. 139 Für die Unterstützung dieser These zur Rekonstruktion des vorliegenden alchemischen Prozesses danke ich Lawrence M. Principe. 140 Vgl. Fe + H2SO4 + 7H2O → FeSO4 · 7 H2O + H2. 141 Alexander von Suchten: De tribus facultatibus. In: Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta […]. Hg. von Benedict Figulus. Lazarus Zetzner, Straßburg 1608, S. 112–142, hier S. 118. 142 Ewald Jackwerth: Alchemie und Artverwandtes. Der Traum von der seelischen und materiellen Vollkommenheit. Bochum 2005. S. 262. 143 Vgl. Bernhard D. Haage: Alchemie im Mittelalter. Von Zosimos bis Paracelsus. Düsseldorf, Zürich 2000. S. 194; Claus Priesner: Säuren. In: Alchemie-Lexikon, S. 311–315, hier S. 314; vgl. ferner Georg Agricola, der in De re metallica gleich vier Methoden der Gewinnung von Vitriol vorstellt (Vom Bergkwerck XII Bücher, 12. Buch. Hieronymus Froben, Basel 1557, S. 473  ff.). 144 Vgl. Helmut Schröcke, Karl-Ludwig Weiner: Mineralogie. Ein Lehrbuch auf systematischer Grundlage. Berlin, New York 1981, S. 388; John Maxson Stillman: The Story of Alchemy and Early Chemistry. New York 1960, S. 185.

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Synonym für die anima mundi.145 Das Eisenvitriol stellt demnach gleichsam ein Behältnis dar, in welchem der Weltgeist in nuce präsent ist. Dass Suchten dieses besondere Mineral stets nur als „Saltz“ aufruft, mag daran liegen, dass er mit ihm das ‚Salz der Erde‘ assoziiert, das Christus als bildhaftes Gleichnis für alle von ihm Berufenen verwendet (Mt 5,13).146 Vielleicht schwebt diese Vorstellung auch Khunrath vor, indem er das Salz in seinem Hyleatischen Chaos mit der incarnatio verbi kontextualisiert: „Und das Licht ward Leib! Ja Saltz/ ein Saltz-Leib oder Leiblich Saltz/ Sal sapientiae, das Saltz der Weisheit […].“147 Demnach ist der Geist Gottes, die Ruach Elohim ein gantz vollkommener Salz-Corpus, aus Leib/ Geist und Seel bestehende/ worden: Und […] durch Mittel Schamaim, des Ætherischen Geistes oder Himmels/ nach dem Willen Gottes/ daselbst Catholisch empfangen/ und Leib/ ja Saltz, ein Catholischer Saltz-Leib/ oder leiblich catholisch Saltz worden; Am Anfang der Welt!148

Doch das Eisensalz steht nicht nur am Anfang der Welt, sondern auch an deren Ende. Kaum zufällig heißt es in der pseudo-paracelsischen Schrift Philosophia ad Athenienses, dass dereinst der Makrokosmos „zu einer wenigen eschen wird, und die selbige eschen zu wenigem vitrum, und das selbige vitrum zu kleinen berillen [= Kristallsteinen], und die berillen zu eim wint.“149 Dahingehend äußert sich auch Oswald Croll: Am „Tag deß Schröckens“ werde „alles/ so von der Krafft/ reinen Wahrheit/ unnd der Natur Elementen/ wie ein reine/ lautere/ unverderbliche unnd in einer reinen Erden bestehende hellgläntzende Crystalline Essentz bleiben […].“150 Indem der Geist des Herrn in das Eisenvitriol einkehrte, nahm er, ebenso wie der Gottessohn, leibliche Gestalt an. In den Niederungen des Stofflichen ist er denn auch zu suchen. Dieser Vorstellung entspricht ein Emblem aus dem Buch Azoth des legendären Hermetikers Basilius Valentinus. Bei der inscriptio handelt es sich um ein Akrostichon, welches das Wort vitriolum wiedergibt: „Visita Interiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem Veram Medicinam.“151

145 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 152  f: „Anima Mundi: quae viriditas benedicta, res cunctas germinare, leo viridis: Dvenech viride.“ 146 Schmidt-Biggemann: Der Text der Bilder, S. 61. 147 Heinrich Khunrath: Vom hyleatischen/ das ist pri-materialischen, catholischen oder allgemeinem natürlichen Chaos. Magdeburg 1597, S. 74. 148 Ebd., S. 75  f. 149 Pseudo-Paracelsus: Philosophia ad Athenienses. In: SW 1/13, S. 400. 150 Croll: Basilica chymica, S. 94. 151 Basilius Valentinus: Azoth sive aureliae occultae philosophorum […]. Johann Bringer, Frankfurt a. M. 1613, S. 52.

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Abb. 2: Basilius Valentinus: Azoth sive aureliae occultae philosophorum, Materiam primam, et illum decantatum Lapidem Philosophorum […] explicantes. Johann Bringer, Frankfurt a. M. 1613, S. 52.

Angesichts der Heiligkeit des Salzes ist es kaum verwunderlich, dass spätere Paracelsisten wie etwa Johann Rudolf Glauber den Begriff ‚Alchemie‘ pseudo­ etymologisch von dem Wort ‚Halchymia‘ (‚Salzschmelzung‘) herleiteten.152 Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass das Eisensalz für das Werk des

152 Vgl. Joachim Telle: Nr. 25. Die Dichtungen im Dritten Anfang der mineralischen Dinge von Johann Hartprecht unter besonderer Berücksichtigung eines Lehrgedichtes Vom Salz. In: Alchemie und Poesie. Deutsche Alchemikerdichtungen des 15. bis 17. Jahrhunderts. Bd. 2. Hg. von dems. Berlin, Boston 2013, S. 931–988, hier S. 953.

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Urmenschen von ungleich größerem Gewicht ist als der Schwefel und das Merkurialwasser: Nun aber als der Mensch dasselb erfuhr/ wie auß dem Wasser per corruptionem & generationem die drey Substanzen gebohren sind/ doch hatte noch nicht seinen Schpffer gefunden/ dessen Geist ob dem Wasser schwebete/ ut inquit Scriptura. Greiff darumb an die drey Corpora, durchgrbelt eins nach dem andern/ betrachtet/ wie Gott ein Geist ist/ knte mit leiblichen Augen nicht begriffen werden/ und dieweil er alles erschaffen hat/ mste er ein lebendige Krafft seyn/ nimbt derwegen das Wasser/ beschauet es/ findet nichts darinn/ dann die vier Element: Nimbt darnach den Schwefel/ findet auch nichts dann die vier Element/ das ist/ er findet nichts bestndigs. Zu letzt nimbt er auch das Saltz […]/ findet darinn zwey Stck/ ein Wasser/ nichts anders/ dann das vorige/ ein Sulphur aber anderst/ dann der vorige war/ das ist ein Schwefel der nicht brennet […].153

Dass sich im Merkurialwasser und im Schwefel „nichts bestndigs“ auffinden lässt, dürfte nicht allzu sehr überraschen. Schließlich vermochte der urzeitliche Scheidekünstler bereits anhand seines vorhergehenden Experiments den Beweis zu erbringen, dass das kristalline Wasser, das die prima materia des Makrokosmos darstellt, vergänglich ist – oder um mit Suchten zu sprechen: dass sein stoffliches Äußeres ‚stirbt‘ und erst in Gestalt der ungleich subtileren prima materia des Mikrokosmos „wieder aufferstehet“.154 Überhaupt ist es ebenjener zuvor geschilderte Destillationsprozess, der sich hier wiederholt. Es ist also abermals die Erschaffung des Menschen, die der urzeitliche Scheidekünstler hier nachstellt. Allerdings hat sich der Fokus der Betrachtung nunmehr auf die Substruktur des kristallinen Wassers – auf die tria prima – verlagert. Somit handelt es sich bei dem „Wasser“, das der Adamssohn im Folgenden aus dem Salz extrahiert, substanziell um denselben feinen Auszug, den er vormals aus dem kristallinischen Wasser herausdestillierte: um die unvergängliche quinta essentia, aus welcher der Himmel des Menschen geschaffen wurde. Aus chemischer Sicht aber beschreibt diese quinta essentia das Hydratwasser des Eisenvitriols (7 H2O), das schon bei geringer Luft- und Wärmezufuhr entweicht. Führt man sich vor Augen, dass selbiges Wasser „nichts anders/ dann das vorige“ ist, so offenbart es sich ebenfalls als Merkurialwasser. Die damit einhergehende Gleichsetzung von Merkurialwasser und quinta essentia findet sich auch in anderen alchemischen Texten, so etwa im ­Rosarium novum olympicum (1608) des Benedict Figulus.155 Nach Suchten besitzt jenes

153 Chymische Schrifften, De tribus facultatibus, S. 362  f. 154 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 89. 155 Benedict Figulus: Rosarium novum olympicum et benedictum […]. Basel 1608, S. 49: „Im Antimonio/ Mercurio/ vnnd im Vitriol soll ein jeder getrewer Medicus vnnd Arzt sein leben lang

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Hydratwasser eine weißliche Farbe;156 dies womöglich unter dem Einfluss des nunmehr dehydrierten Eisen(II)-sulfats (FeSO4), das in Form eines weißen, feuerresistenten Pulvers zu Tage tritt.157 Bei diesem „Schwefel der nicht brennet“ und dem Merkurialwasser handelt es sich dementsprechend um „zwo feine weisse Substanzen“. Der feuerfeste Schwefel wird im Verlauf des Traktats nur noch als ‚Erde‘ aufgerufen. Dass die Anthropologie des Danzigers neben dem ‚Himmel des Menschen‘ tatsächlich auch noch eine ‚Erde des Menschen‘ vorsieht, wird anhand einer späteren Textstelle deutlich, in der es heißt: „der Mensch/ das ist/ die kleine Welt/ ein kleiner Himmel/ und ein kleine Erden.“158 Analog zur „kleine[n] Erden“ erscheint das Merkurialwasser, das ja nichts anderes darstellt als eine verfeinerte Form des kristallinen Wassers, als „ein kleiner Himmel“. Erhitzt man nun das dehydrierte Eisensulfat an der Luft auf über 400 °C so verwandelt es sich in Eisen(III)-oxid (Fe2O3). Dabei entweichen ihm die beiden Gase Schwefel(II)-oxid (SO2) und Schwefel(III)-oxid (SO3). Das Eisen(III)-oxid, welches in Form eines dunkelroten Pulvers zu Tage tritt, findet im Folgenden keine Erwähnung. Dies mag daran liegen, dass Suchten in ihm nichts weiter als einen Restbestand des Eisenvitriols erblickt. Im Rahmen des üblichen Verfahrens zur Herstellung von Schwefelsäure, das bis dahin auf die gleiche Weise vonstattengeht wie der hier aufgezeigte Scheideprozess, sprechen die Alchemisten mit Bezug auf das Eisen(III)-oxid vom caput mortuum (‚Totenkopf‘).159 Als solches bildet es ein nicht weiter destillierbares Nebenprodukt. Bei den genannten Gasen aber handelt es sich offensichtlich um das ersehnte dritte Extrakt des Vitriols, den flüchtigen Geist Gottes:

suchen […].“ Sodann beschreibt Figulus die „Praeparation oder Bereittung des Antimonii“. In deren Verlauf wird der Adept darin unterwiesen, „vnser Alcool, Magnesia, Mercurius vitae, oder quinta Essentia zu machen. Dieses [ist der] vorgemeldte Alcool, Magnesia, aut Mercurius vitae, oder Merurialwasser [!]/ der vorhin gereinigt sey […].“ 156 Vgl. Martin Ruland: Alchemiae sive Dictionarium alchemisticum […]. Zacharias Palthenius. Frankfurt a. M. 1612. Ndr. Hildesheim 1964, S. 49: „Aqua Mercurii, ist der lapis zerlassen/ mit seinem eignen Wasser/ daß in dem Stein fix ist, vnd lufft weiß wie Wasser.“ 157 Vgl. Claus Priesner: Vitriol. In: Alchemie-Lexikon, S. 311–315, hier S. 368: „Kupfervitriol kristallisiert als Penthahydrat in Form großer, blauer, durchsichtiger Kristalle (CuSO4 · 5H2O), Eisenvitriol als Heptahydrat in Form hellgrüner Prismen (FeSO4 · 7H2O). Beim Erhitzen verlieren beide Verbindungen mit dem Kristallwasser ihre Farbe und gehen in weiße Pulver über.“ 158 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus S. 378. 159 Hermann Fehling: Eisenoxyd. In: Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie. Bd. 2, Abt. 3. Hg. von dems. Braunschweig 1862, S. 622.

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[D]as dritte fand er nicht/ dann es verschwand vor seinen Augen. Was solte er thun/ es war dahin/ wo solte ers finden. Er besahe das Wasser, besahe den Sulphur, zwo feine weisse und reine Substantzen/ das dritte/ so darinnen gelegen/ und die zwey zusammen verknpffet hatte/ war hinweg/ und war eben dasselbige/ das er suchte.160

Schwierig ist Suchtens Aussage, dass der Geist des Herrn, bevor das Eisensalz in Merkurialwasser und Erde geschieden wurde, „darinnen gelegen/ und die zwey verknpffet hatte.“161 Diese Vorstellung steht wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem vierzehnten Kapitel von Agrippas Occulta philosophia, aus dem Suchten in der Fusior declaratio pro imperitioribus zitiert. Hier wird der spiritus mundi als ein „Band der verborgenen Tugenden“ („vinculum occultarum virtutum“) bezeichnet.162 Vielleicht steht hierbei der Gedanke im Hintergrund, dass der Geist Gottes, der seinem reinsten Wesen nach nichts Geringeres als die empyreische Wärme darstellt, in seinen verschiedenen Qualitäten die ganze Welt, und somit auch das coelum aqueum und die terra arida, umschließt. Auch Khunrath spricht im Schlussteil des Amphitheatrum sapientiae aeternae von einem sich lösenden vinculum, das er mit dem Geist identifiziert. Kaum zufällig geht diesem Prozess der Verflüchtigung die Scheidung des ‚Grünen Löwen‘ voraus: Der grüne Löwe wird unter Reizen und Liebkosungen, die seiner Natur genehm sind, aus der Höhle des saturninischen Berges, in dessen Tiefen er verborgen ist, hervorgelockt und sichtbar gemacht. Sowie man ihn mit einem scharfen Spieß durchstochen hat, wird alles dicke Blut, welches reichlich aus den Wunden des Löwen herausfließt, sorgfältig aufgefangen. Die Hyle, beziehungsweise der Lili oder Limus kommt als eine nasse, feuchte, triefende und lehmige Erde zum Vorschein: Das ist die Terra Adamica, aus der zu Anfang die große Welt und wir selbst geschaffen wurden und aus der unser Stein der Lebensfrische hervorgeht. […]. Das Band, mit dem die Seele mit dem Leib verbunden und in eine Masse gebracht ist, lockert und löst sich. Geist und Seele (der beseelte Geist) trennen sich nach und nach vom Körper ab.163

160 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus S. 363. 161 Ebd. 162 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. I.14, S. 18. 163 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 200  f.: „Leo viridis, absconsus et latens è montis sui saturnini caverna, illicebris ac blandimentis, naturae suae convenientibus, eliciendo manifestatur. Sanguis, è vulneribus Leonis, lancea acuta transfossi, crassus, et copiosè effluens, diligenter colligitur, omnis. YΛH et Lili, limus, terra madida, humida, uliginosa et lutosa, Adamica, prima creationis Mundi maioris, nostri ipsius, & Lapidis vigorosi nostri, materia, conspicua redditur […]. Vinculum, quo Anima cum corpore est colligata, & in unam massam coadunata, relaxatur et dissolvitur. Spiritus et Anima (spiritus animatus) à corpore sensim discedunt et pedetenim separantur […].“ (Übers. S. B.).

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Abermals treten bei der chemischen Traktierung des Grünen Löwen, der in der vorliegenden Textstelle als ein montanes Erz kenntlich gemacht wird,164 sowohl Feuchtigkeit als auch das Element ‚Erde‘ zu Tage. Jene „Terra Adamica“ repräsentiert den Erdklumpen, aus welchem Gott die körperliche Hülle des ersten Menschen formte. Vor dem Hintergrund, dass Suchtens Merkurialwasser für den Himmel des Menschen steht, ist davon auszugehen, dass der unbrennbare sulphur, allemal vor dem Hintergrund seiner Bezeichnung als ‚Erde‘, mit der terra adamica gleichzusetzen ist. Tatsächlich findet sich in einem Fragment der paracelsischen Schrift De peste ein Zitat, dass diese These stützt: „der Mensch ist der Sulphur, der nicht brennt […].“165 Demnach bezöge sich Paracelsus mit dieser Aussage auf die ‚Erde‘ des Menschen. Der in De tribus facultatibus beschriebene Scheideprozess weist ferner Parallelen zu paracelsistischen Praktiken auf, die auf die Gewinnung von Gold zielten. Dies ergibt sich mit Blick auf die Explicatio tincturae Theophrasti, welche von sich die Autorschaft Suchtens behauptet. Es handelt sich hierbei um einen Kommentar zu dem pseudo-paracelsischen Traktat De tinctura physicorum, der maßgeblich dazu beitrug, dass Hohenheim postum in den Ruf eines Goldmachers gelangte.166 Carlos Gilly sieht die Explicatio als unecht an.167 Er begründet diese Einschätzung damit, dass die dort verwendete Terminologie für den Danziger untypisch sei. Eine diskontinuierliche Verwendung alchemischen Vokabulars lässt sich allerdings auch im Überblick über die authentischen Schriften Suchtens feststellen. In jedem Fall hat es den Anschein, als beschreibe der Verfasser der Explicatio denselben alchemischen Prozess, der in De tribus facultatibus vorgestellt wird. Dass Suchten mit dem Inhalt von De tinctura physicorum vertraut war, geht unter anderem aus den Adnotationen des ersten Teils der Antimonmonographie hervor.168

164 Möglicherweise handelt es sich in diesem Fall nicht um Eisen-, sondern um Kupfervitriol. Der Kommentator des vollständigen Reprints des Erstdrucks (s. Kap. 1.2, Anm. 36) schlägt für das „Blut des Löwen“ nämlich Kupferoxid vor (S. 517); im Anschluss auch Schmidt-Biggemann (Der Text der Bilder, S. 63), der unter die Substanzen, die zur Bereitung des lapis philosophorum benötigt werden, das „Vitriol veneris“ (= Kupfervitriol) rechnet. 165 Paracelsus: Fragmentum de peste. In: Bcher und Schrifften Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim […]. Bd. 3. Hg. von Johann Huser. Basel 1589, S. 196–206, hier S. 197. 166 Zu De tinctura physicorum Gilly: Vom „ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus, S. 71–132, S. 80  f. 167 Gilly: Paracelsism brings forth, S. 193; in der Folge auch Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 548. 168 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 248.

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Sofern es zutrifft, dass dieser pseudo-paracelsische Traktat um 1568, und somit nur kurze Zeit vor De secretis antimonij, entstanden ist,169 hat man davon auszugehen, dass Suchten noch um die wahre Identität des Verfassers wusste. Die Schrift selbst musste ihm als Manuskript vorgelegen haben, da sie erst 1570 durch Toxites in den Druck gelangte; zur selben Zeit also, als sich dieser in der ­Gesellschaft Suchtens befand. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass der verdiente Paracelsus-Editor erst über Suchten in den Besitz des besagten Manuskripts kam. Demnach wäre De secretis antimonij nicht der einzige Text gewesen, den der Danziger seinem Freund Toxites aushändigte. Dieser kompilierte die Schrift De tinctura physicorum mit dem ebenfalls pseudo-paracelsischen Traktat De occulta philosophia unter dem Titel Archidoxa. Ein druckfrisches Exemplar dieser Ausgabe ging in Suchtens Besitz über.170 Am Beginn der Explicatio tincturae Theophrasti steht die Unterscheidung von mercurius, sal und sulphur. Dieses Dreigestirn beschreibt „einen Adler/ einen Lwen/ und ein[en] Goldglantz“.171 Dass jene Trias mit der Scheidung des Vitriols im Zusammenhang steht, macht das erwähnte Emblem des Basilius Valentinus wahrscheinlich, auf dem Löwe und Adler als Wappentiere abgebildet sind; der Goldglanz wird durch einen siebeneckigen Stern versinnbildlicht (vgl.  S.  109). Zunächst hebt der Paracelsus-Interpret zum Lob des Löwen an, dem er analog zum hydratwasserhaltigen Eisenvitriol eine „feuchte Natur oder Wasser“ attestiert.172 Dieses Wasser werde nun aus dem Löwen destilliert, auf dass „dieser Lw durch der Natur Hlff/ und des Artisten Kunst/ sich in den weißlichen Adler transmutiren mge: Also daß auß einem zwey werden“.173 Der Adept verfahre hierbei wie dereinst Gott, als dieser am ersten Schöpfungstag die oberen Wasser von den unteren schied: „Eines hat er [= Gott] in die Hh gefhret/ und zu einem Himmlischen Wasser gemacht: Das ander Theil hat sich in die Tieffe versamlet/ und ist durch die Coagulation trucken/ und zu Erden werden mssen.“174 Das himmlische Wasser, das als ein „weisses durchscheinendes“175 beschrieben wird, entspricht offenkundig dem weißen Merkurialwasser, beziehungsweise der quinta essentia, aus der nach Suchtens Worten der Himmel des Menschen geschaffen wurde. Als bedürfte es hierfür noch einer Bestätigung, bezeichnet der 169 Vgl. Jürgen Stenzel, Joachim Telle: „Vom Wunderwerk“. Ein alchemoparacelsistischer Text/ Bild-Traktat des 16. Jahrhunderts. In: Parerga Paracelsica. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1992 (Heidelberger Studien zur Naturkunde in der frühen Neuzeit 3), S. 149–158, hier S. 152. 170 Haberling: Alexander von Suchten, S. 209. 171 Chymische Schrifften. Explicatio tincturae physicorum Theophrasti Paracelsi, S. 387. 172 Ebd. 173 Ebd., S. 391. 174 Ebd., S. 392. 175 Ebd., S. 393.

Initiierung und Deutung chemischer Prozesse 

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Verfasser das genannte Wasser als ein einigendes Band („Ligamentum & vinculum“).176 Auf dieses wendet er sodann Ficinos Devise „quasi corpus & quasi non anima & jam quasi anima, & quasi non corpus“ an,177 die sich bekanntlich auch in De vera medicina findet. Sobald der Adler – gemeint ist das verdampfende Merkurialwasser – „auß seinem Leib/ als auß einem Ey durch die Wrm ausgebrtet und abgeflogen ist“,178 bleibt von dem Löwen nichts weiter als „ein truckene wste Terra, und stinkende Erde/ als im Genes. 5. steht […].“179 Dieser Erde haftet ein Metaphysikum an, nämlich der „Glantz deß Golds/ Als das dritte Principium, [das] von vielen Anima geheissen wird […].“180 Dieser Goldglanz sei auf die Präsenz des göttlichen Geistes im Blut des Löwen zurückzuführen: „Nun ist noch ein Stck von nthen/ als das dritte Principium: Nemlich der Geist/ der auff dem Wasser schwebet/ [dieser] ist nach Meynung Theophrasti, der Glantz deß Goldes.“181 Weiterhin macht der Autor der Explicatio tincturae Theophrasti deutlich, dass der Spender des Goldglanzes, der Geist des Herrn, in Übereinstimmung mit Suchtens Ausführungen in De tribus facultatibus, nicht mit Händen zu fassen ist.182 Von der Flüchtigkeit des göttlichen Geistes legt auch Croll in seiner Basilica Chymica Zeugnis ab; und es ist ziemlich offensichtlich, dass er hierbei den alchemischen Prozess vor Augen zu hat, den Suchten in seinem Traktat vorstellt. So erklärt er die drei Prinzipien sal, sulphur und mercurius zunächst zum Fundament der körperlichen Welt, räumt dann allerdings ein, dass man diesen stofflichen Substanzen noch ein viertes, hochsubtiles Prinzip zur Seite stellen müsse: Etliche auß den Theophrastisten/ welchen den Vrsachen der verborgenen Dinge etwas tieffer vnd fleissiger nachsinnen/ thun vnnd setzen noch das vierdte hinzu/ daß sie den Geist oder Spiritum nennen: Welcher ob man ihn wol auß den Mineralien vnnd Vegetabilien haben kan/ wird er doch in den Thieren wegen der subtilitet deß Meisters oder Alchimisten den Geschfften nicht vnterworffen vnd kan auch nicht gefast oder auffgefangen werden […].183

176 Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 394. 179 Ebd. 180 Ebd., S. 396. 181 Ebd., S. 395. 182 Ebd., S. 396: „Wie nun in der ersten Universalischen Erschpffung das dritte Principium, der Geist Gottes/ nicht Separative von den andern zweyen ist geschieden worden/ sondern zwey sind in einem blieben/ als der Geist auff und bey dem Wasser: Also […] knnen wir das dritte Principium, dieses Glantz oder Goldes/ die schne rothe Goldfarbe/ fr sich selbst unterschiedlich nicht haben/ sie leuchtet dem Spagyro nicht nach/ spricht Theophrastus, das ist/ sie verleuret und verbirget sich/ wann man auß einem zwey macht.“ 183 Croll: Basilica Chymica, S. 16  f.

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Eine Marginalglosse zu dieser Textstelle bestimmt den besagten spiritus näher. Er ist nichts Geringeres als „Der Geist deß HErrn vber den Wassern.“184

4.6 Die Analogie von innerer und äußerer Alchemie Vor dem Hintergrund, dass den Extrakten von Merkurialwasser und Erde in Gestalt von quinta essentia und terra adamica jeweils eine anthropologische Bedeutung eingeschrieben ist, so liegt der Gedanke nicht fern, dass dergleichen auch auf das Salz zutrifft. Blickt man auf die Analogie, die Paracelsus zwischen den tria prima und der neuplatonischen Seelenlehre bemüht, so ist man geneigt, das Eisensalz, von dem nach der Extraktion von Schwefel, Wasser und Geist nur noch ‚totes‘ Eisen(III)-oxid übrigbleibt, mit der leblosen körperlichen Hülle des Menschen zu assoziieren. Der Prozess dieses Absterbens würde demnach durch ein Farbenspiel illustriert: Tatsächlich verliert das Eisen(III)-oxid unter stetiger Erhitzung seine Röte und färbt sich tiefschwarz. Kaum zufällig beschreibt auch Khunrath im Zusammenhang mit der chemischen Traktierung des ‚grünen Löwens‘ einen derartigen farblichen Wandel: „Da wird er rote Stein des Raimundus [Lullus] zu sehen sein (er ist tiefrot, da dies die Farbe der Vortrefflichkeit ist), dann verdichtet er sich und wird dunkel: Man sagt, er sei noch schwärzer als schwarz.“185 Erst jetzt, da das Gas vollständig von ihm gewichen ist, scheint sich das Eisen(III)-oxid ganz zum caput mortuum gewandelt zu haben. Demnach geht der Blick des urzeitlichen Scheidekünstlers von den ‚toten‘ Rückständen des Eisensalzes hin zur der prälapsaren und daher unversehrten, weißen terra adamica und von dort aus hin zur merkurialen quinta essentia, die den ewigen Himmel des Menschen repräsentiert. Als Allerheiligstes dieses Himmels erweist sich der klarifizierte, empyreische Geist Gottes, der sich, sowie extrahiert, in höhere Sphären verflüchtigt. Indem es dem Adamssohn in scheinbarem Widerspruch zu Suchtens Verlautbarung, dass der „Geist deß HErrn“ nach der Schöpfung „nicht in der Prima Materia der Welt“, sondern im Menschen verblieben ist, dennoch gelingt, den Geist aus dem Eisensalz zu extrahieren, bestätigt sich, was sich bereits in seinem vorhergegangenem Experiment gezeigt hat: Durch die konsequente Destillation des kristallinen Wassers lässt sich die prima materia hominis, bestehend aus Erde, Merkurialwasser und dem gasförmigen spiritus, künstlich reproduzieren. ­Angesichts der Homologie von großer und kleiner Welt verfügt im Grunde jeg-

184 Ebd., S. 17  f. 185 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 201: „Raymundi Rubrum, ob ruborem (colorem virtutis), densum et atrum, nigrum nigrius nigrum dictum, erit praestò.“ (Übers. S. B.).

Die Analogie von innerer und äußerer Alchemie 

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liche alchemische Erkundung der Natur über anthropologische Implikationen. Die paracelsistische Theoalchemie dient immer auch einer Verständigung des Adepten über sich selbst. Wenn die Entdeckungen späterer Paracelsisten wie Johann Rudolf Glauber aus heutiger Sicht den Eindruck erwecken, als handle es sich bei Hohenheims naturmagisch-alchemischer Praxis im Kern um eine progressive, proto-säkulare Naturwissenschaft,186 so steht dies im Widerspruch zur paracelsischen Epistemologie, in der die Vorstellung einer Machbarkeit von Wissen im heutigen Sinne keine Rolle spielte.187 Denn trotz seines Postulats der Erfahrenheit verstand Paracelsus unter einem ‚Wissen‘– in deutlicher Distanz zur modernen Kognitionspsychologie – einen präexistenten, mentalen Bestand von Begriffen, Gedanken und Vorstellungen, der sich dem Adepten per analogiam über die alchemisch-praktische Erforschung der makrokosmischen Natur eröffnen konnte.188 Dieser geistige Fundus musste sich, zumal er sich auf die göttliche und ewige Weisheit gründete, als überzeitlich und somit als uralt definieren. So ist es nur konsequent, dass Paracelsus sich notorisch auf die ‚Alten Weisen‘ beruft. Als ‚neu‘ behauptete sich demnach nicht das magische Wissen selbst, sondern nur die Methode, über die sich der jeweilige Wissensgegenstand sichtbar machen

186 Vgl. Bernd Otto: Magie. Rezeptions- und diskursgeschichtliche Analysen von der Antike bis zur Neuzeit. Berlin, New York 2011, S. 491. Otto sieht in der magia naturalis „die Wurzel der modernen, experimentell vorgehenden Naturwissenschaft mit ihrem fundamentalen Ziel, natürliche Vorgänge zu beschreiben, zu verstehen und zu prognostizieren, diese zu initiieren, zu manipulieren, zu kontrollieren und zu imitieren.“ Mit Nachdruck verficht Charles Webster den (proto-)säkularen Charakter der paracelsischen Naturmagie, wobei er dieser eine entmystifizierende Funktion bei der Auseinandersetzung mit magischen Praktiken bescheinigt; so etwa in: Paracelsus, Paracelsianism, and the Secularization of the Worldview. In: Science in Context 15 (2002), S. 9–27; ähnlich auch Stanley Jeyaraya Tambiah: Magic, Science, Religion, and the Scope of Rationality. Cambridge 1990 sowie Abram Kardiner, Edward Preble: Wegbereiter der modernen Anthropologie. Frankfurt a. M. 1974, S. 78–109. 187 Vgl. Michael Lorber: Alchemie, Elias Artista und die Machbarkeit von Wissen in der Frühen Neuzeit. In: Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens. Hg. von Thorsten Burkhard, Markus Hundt, Steffen Martus, Steffen Ohlendorf u. Claus-Michael Orth. Berlin 2013 (Diskursivierung von Wissen in der Frühen Neuzeit 2), S. 87–113, hier S. 89–100. 188 Dieses epistemologische Konzept liegt in Hohenheims Rezeption des neuplatonischen Wissensdiskurses begründet, welchem zufolge der Gedanke einer Erwerbbarkeit völlig neuen Wissens auf einem Paradox beruht. Platon hatte dieses erstmals im seinem Dialog Menon (80 d) formuliert, um davon ausgehend in seine Anamnesislehre einzuführen: Demnach könne man nichts suchen, worüber Unwissen besteht, zumal sich eine Suche doch nur auf etwas richten kann, was zumindest seinem Begriff nach bekannt ist. Die Welt der Begriffe ist nach Platon das Reich der Ideen. Vgl. Andrea Albrecht: Zur textuellen Repräsentation am Beispiel von Platons Menon. In: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge. Hg. von Tilmann Köppe. Berlin, New York 2011, S. 140–163, hier S. 147.

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

ließ. So verbindet sich die „Experientz“, die Suchten gegen Ende von De secretis antimonij aufruft, durchaus mit einem Fortschrittsoptimismus. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Beginn der ‚modern‘ anmutenden, chemischen Praxis der Paracelsisten kein nüchterner Empirismus, sondern ein hermetisch-platonisch geprägter Anthropozentrismus stand, wie er beispielsweise in De tribus facultatibus zu Tage tritt. Auf dieser Grundlage ließen alchemische Experimente denn auch religiöse Interpretationen zu, wie man sie insbesondere im Werk Suchtens allenthalben vorfindet.189 In diesem Sinne steht die Weiße der extrahierten Adamserde aller Wahrscheinlichkeit nach für die prälapsare Reinheit der ersten Menschen. In dem bereits erwähnten Brief Behems an Weigel heißt es, dass der durch Unschuld ausgezeichnete Leib durch die neue Geburt in Christus wiedererlangt werden könne. Die Neugeburt selbst geht mit einer Rückholung des Menschen in den göttlichen Geist einher. Letzterer repräsentiert hier, wie auch in De tribus facultatibus, zugleich das spiraculum vitae.190 Übereinstimmend mit dem Titus-Brief (3,4–5), wonach die geistige Erneuerung über das ‚Bad der Neugeburt‘ vonstattengeht, empfängt der im Geist neugeborene Mensch seinen reinen und weißen Leib aus dem kristallinen Wasser der oberen Sphäre: Vnd nach dem der Geist Gottes zuuor gesehen vnd gewußt den lapsum terreni hominis, daß er nemlichen bey Ihme den Verbottenen Baum cognitionis Boni et Mali, so der Hoffartt Irdischer Vernunfft anzeiget, ein würtzeln liesse, darüber er den Menschen […] muste derhalben fahren lassenn vnd sich nicht mit ihme leiblichen vereinigenn. Vber welchen gemelten Fall des Menschen der geist vnd Spiraculum DEI sich hoch betrüebt hatt. Hatt sich aber auß Rath des Ewigen baltt wieder der restitution des menschen, so auß dem Obern Crystallen wasser der himmlischen Jungfrauen, der Mutter der Neuen geburtt […] getröstet und darüber gentzlichen gefrolocket, vnd schwebet also der Geist vnd Spiraculum vitae über dem Crystallen Wasser, Ihme darauß/ die weill dz Irdische kleidt ihme durch den Fall bemackelt vnd vntüglichen worden:/ wiederumb ein gantz rein, weiß, saubers kleidt [!] zu schöpffen, ein ander new himlisch fleisch vnd leib [!] an zu nehmen, auff daß er nicht nur ein Geist vnd Spiraculum bleibe, sondern seiner predestination nach alß ein Cherubim im fleisch und Blutte, so Gotte vnde Ihme gemeß, Gotte beywohne.191

189 Zur Verknüpfung von Alchemie und Magie vgl. Volkhard Wels: Magie und (Al)Chemie im 16. Jahrhundert. Thesen zu ihrer Begründung im Neuplatonismus, bei Paracelsus und im Paracelsismus. In: Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Jutta Eming u. dems. Wiesbaden 2021 (Episteme in Bewegung 17), S. 157–202. 190 Vgl. Kap. 5.2, S. 139. 191 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Goelf Hemst. 722, 339 v–340r. Zitiert nach Kühl­ mann, Telle: Nr. 125. In: CP 3, S. 535.

Die Analogie von innerer und äußerer Alchemie 

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Indem der Adamssohn im Verlauf des alchemischen Scheideprozesses die genannten Extrakte Schritt für Schritt nachvollzieht, erschließt sich ihm seine eigene Anthropologie. Mehr noch; in der Herauslösung von Erde, Merkurialwasser und dem Geist des Herrn aus dem Salz lässt sich zugleich ein Prozess einer sukzessiven Vergeistigung erkennen. Der alchemische Reinigungsprozess geht dabei auf den Adepten selbst über,192 sodass die äußere Perfektionierung mit einer inneren Perfektionierung einhergeht.193 Den Hintergrund für dieses Konzept bildet einerseits die strenge Analogie von Makrokosmos und Mikrokosmos, andererseits wohl auch die Denkfigur der coincidentia oppositorum: In der absoluten Einheit des göttlichen Wesens, das sich in Gestalt des Geistes zu erkennen gibt, lösen sich die Grenzen von Außen- und Innenwelt ineinander auf. In der Tat finden sich weitere paracelsistisch inspirierte Texte, die eine derartige Simultanität von einer äußerlich-alchemischen und einer innerlich-mystischen Vervollkommnung beschreiben.194 Khunrath etwa bezeugt dergleichen in seiner Anleitung zur Zeugung des lapis philosophorum:

192 Vgl. Mike A. Zuber: “Surely Born-Again Christianity Has Nothing to Do with Occult Stuff Like Alchemy?” In: Hermes Explains: Thirty Questions on Western Esotericism. Hg. von Wouter J. Hanegraaff, Peter Forshaw u. Marco Pasi. Amsterdam: 2019, S. 252–260, hier S. 255  ff. 193 Vgl. Telle: Alchemie II. In: TRE. Bd. 2, S. 209: „Seit der frühen Neuzeit wurde die inquisitio lapidis philosophorum häufig (nicht bei allen Betretern einer alchemistisch-mystischen Spiritualität) symbolischer Ausdruck für Pilgrimschaft nach Christus und es mehren sich Texte, bei denen schwer entscheidbar ist, ob sie einer auf Läuterung und Perfektion gerichtetes Retortengeschehen oder Stadien und Techniken religiöser Vervollkommnung wiedergeben. Bei manchen Alchemisten rückte jedenfalls die Laborpraxis in den Hintergrund: Alchemie wandelte sich zum opus dei; abseits offizieller Kirchenlehre wie sie den weg zu wahrer religio und wirkte fortan fermentartig bei der Aus- und Neubildung theosophisch-spekulativer Lehren.“; ebd., S. 210: „Bei dem opus magnum der Alchemisten handelt es sich um einen auf ‚Einheit‘ und ‚Erlösung‘ gerichteten und gleichermaßen im Alchemisten wie im Metall stattfindenden Mutationsprozeß, der, sieht man von seinem individuellen Charakter ab, im religiösen Ritus bzw. opus divinum seine Parallele besitzt.“; vgl. ferner Wilhelm Kühlmann: Vorbemerkungen zum Themenkomplex ‚Alchemie‘. In: Scientiae et artes: Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Bd. 2. Hg. von Barbara Mahlmann-Bauer. Wiesbaden 2004, S. 631–639, hier S. 635; Trepp: Religion, Magie und Naturphilosophie, S. 483, 492. 194 So etwa in Daniel Möglings Speculum sophicum rhodostauroticum (1618): Mögling bezeichnet in diesem Zusammenhang die alchemische Extraktion des göttlichen Geistes aus der Materie als „Parergon“, d.  h. als bloßes ‚Beiwerk‘. Das eigentliche „Ergon“ bestehe in einer damit einhergehenden inneren Erleuchtung des Adepten. Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 144 sowie Simon Brandl: ‚Alchemia rhodo-staurotica‘? Paracelsistische Theoalchemie in Daniel Möglings ‚Speculum sophicum rhodo-stauroticum‘. In: Studien zu Johann Valentin Andreae, den Rosenkreuzern und der Alchemie. Hg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann u. Volkhard Wels. StuttgartBad Cannstadt 2021.

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Wenn solches nun richtig vollbracht ist, so wird aus dem Vorigen ein neues Chaos aus der katholischen Natur einer künftigen neuen Welt auftreten. Öffne dieses und scheide es. Ziere das Geschiedene aus – gemeint sind die göttlichen Dinge der inwendigen, im tiefsten Punkt wurzelnden Natur – und lass dies ohne die Arbeit der Hände geschehen. Sowie du merkst, dass diese Arbeit verrichtet ist, wirst du eine innerliche Bewegung in dir spüren, und  – ach! – du wirst vor Freude weinen! Denn du wirst verstehen und ganz sicher sein können, dass die Erbsünde durch das Feuer der göttlichen Liebe im Akt einer Neugeburt von Körper Geist und Seele durch Gottes Hand von dir gelöst und abgefallen ist.195

Dass auch in De tribus facultatibus eine solche Konvergenz von Innen und Außen vorliegt, gewinnt zusätzlich an Wahrscheinlichkeit, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Suchten die äußere Natur als ein Gleichnis für die innere Natur des Menschen begreift: „Also wird durch das Eussere das Innere erklrt und verstanden; nicht daß das Eussere darumb das Innere sey; sondern eine Anzeigung/ ein Signum, nicht Signatum.“196 Die Außenwelt ist ein Spiegel der Innenwelt: Auch wenn die beiden Sphären nicht miteinander identisch sind, so besteht zwischen ihnen doch eine strenge Analogie. Die Stadien, die der geschilderte Scheideprozess durchläuft, dokumentieren nicht nur die Hierarchie der Hypostasen, an denen die menschliche Kreatur natürlicherweise partizipiert, sie initiieren zugleich den Prozess einer inneren Vervollkommnung des urzeitlichen Laboranten. Die mystische Dimension der arbeitsamen Suche nach dem Geist des Herrn stellt somit wohl auch den Grund dar, weshalb Suchten diese so minutiös beschreibt. Indes kann der beschriebene Extraktionsprozess hier nicht als Lehrstück alchemischer Scheidekunst gelten, da dieser trotz seiner mystischen Implikationen dem gesetzten Ziel letztlich nicht gerecht wird: Dem Urmenschen misslingt es, den göttlichen Geist festzuhalten. Ebenso, wie es ihm prinzipiell unmöglich ist, die Hürde des finsteren Verstandes innerlich auf den Geist hin zu überschreiten,197 bleibt es ihm auch verwehrt, den Geist äußerlich – das heißt auf extraktionsalchemischem Wege – zu erwerben. Gemäß des neuplatonischen Grundsatzes, dass Gleiches nur von Gleichem

195 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 201  f.: „Quo ritè peracto, Chaos, naturae catholicae, aderit, ex priore, Mundi novi futuri, novum: explicatur, separatur: separata exornantur, h.e. Naturae, interni & radicalis atque centralis, Divina: manuum labore adhibito nullo: hanc factam esse, cum perceperis, motum, in te, experieris internum, &, oh, Gaudio lachrymabis! Quia peccatum originis, igne Divini amoris, in regeneratione, & corporis, Spiritus et Animae, divinitus auferri & separari, certò intelliges.“ 196 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377. 197 Vgl. Kap. 5.8, S. 193  f.

Zum Scheitern von Alchemie: Ad dialogum de morte 

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erkannt werden kann,198 vermag der Adept nur dann über den Geist der Welt zu verfügen, wenn er zuvor seines eigenen Geistes innegeworden ist.

4.7 Zum Scheitern von Alchemie: Ad dialogum de morte Ein solches Ineinander von alchemischen und innerlich-geistigen Vorgängen findet sich auch in einer weiteren theoalchemischen Schrift des sechzehnten Jahrhunderts: Es handelt sich hierbei um eine Beigabe zu Valentin Weigels Traktat Dialogus de christianismo von 1584,199 die mit Ad dialogum de morte überschrieben ist. Eine Marginalglosse, die auf „Metamorph. fol. Suchten fol. 5“ lautet,200 hat dazu verleitet, den Urheber der Beigabe mit Suchten zu identifizieren.201 Indessen ist die Autorschaft des Danzigers im vorliegenden Fall unbedingt auszuschließen, da dieser zum Entstehungszeitpunkt des Dialogus bereits verstorben war. Dass der Text postum in den Traktat eingegangen sein könnte, kommt ebenfalls nicht in Betracht, da er die Dialogform des Haupttextes imitiert. Sofern Suchten überhaupt jemals von Weigels theosophischem Schrifttum Notiz genommen hat, ist der Dialogus de christianismo, wohlgemerkt das letzte Werk ­Weigels,202 hiervon in jedem Fall auszunehmen. Wer auch immer der wahre V ­ erfasser der Beigabe

198 Vgl. ebd., S. 195, Anm. 244. 199 Vgl. Zuber: Surely Born-Again Christianity, S. 257 mit Verweis auf eine um mehrere Seiten erweiterte Manuskriptfassung des Texts, verwahrt in Landesarchiv Schleswig-Holstein. Abt. 7, Nr. 2059:3. 200 So Alfred Ehrentreich: Valentin Weigels religiöser ‚Dialogus‘ als literarische Schöpfung. In: Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte 21/1 (1969), S. 42–54, hier S. 53; Kühlmann, Telle: Nr. 32. In: CP 1, S. 547; Joachim Telle: Alexander von Suchten. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschen Kulturraumes. Bd. 11. Hg. von Wilhelm Kühlmann u.  a. Berlin 2011, S. 385. 201 Valentin Weigel: Dialogus de christianismo: Das ist/ Ein hochwichtiges/ nothwendiges ­Colloquium […]. Joachim Krusicke, Halle 1614, S. 99–108, hier S. 99. Die besagte Glosse bezieht sich offenkundig auf den folgenden Satz: „Als so [sic] man tdtet zu Aschen/ oder in seine tres primas bringet/ das ist/ tdtet/ so mag man viel ein edler besser Holtz drauß bekommen/ dann das zuvor gewesen ist.“ Martin Žemla zieht in diesem Kontext zu Recht in Erwägung, dass diese Anmerkung einer Textpassage aus dem zweiten Teil der Antimonmonographie (De antimonio vulgari, S. 274  f.) gilt, in der Suchten der Metaphorik von Tod und Auferstehung besondere Aufmerksam schenkt (vgl. Valentin Weigel and alchemy. In: Latin Alchemical Literature of Czech Provenance. Hg. von Tomáš Nejeschleba u. Jiří Michalík. Olmütz 2016, S. 21–49, hier S. 40). 202 Zum Dialogus de christianismo s. Freia Odermatt: Der Himmel in uns. Das Selbstverständnis des Seelsorgers Valentin Weigel (1533–1588). Bern 2008, S. 153–284 sowie Andrew Weeks: Valentin Weigel (1533–1588). Ein Ketzer in neuer Perspektive. Zum Abschluss der Neuedition seiner ‚Sämtlichen Schriften‘. Mainz 2017, S. 137–142.

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war – außer Weigel selbst kommt etwa auch dessen Schüler Benedikt Biedermann in Frage – scheint Suchtens Schriften gekannt zu haben, da er hier auf die magi, die Scharlatanerie der Transmutationsalchemiker und das göttliche Gebot eines arbeitsamen Lebens zu sprechen kommt.203 Ad dialogum de morte versteht sich als eine Erweiterung des vierten bis sechsten Kapitels des Dialogus de christianismo, zumal hier wie dort ein Kirchenoberer, nachfolgend Contionator genannt, ein Auditor und der Tod (mors), über die rechte Glaubenspraxis diskutieren. Indem der Autor den Tod zu Wort kommen lässt, bezieht er sich auf die Endlichkeit des menschlichen Leibes. Das Geistige gilt ihm, ebenso wie dem wahren Suchten, als unsterblich. Zudem stellt der mystische Tod des Gläubigen die Voraussetzung für dessen ‚Neugeburt‘ dar, sowie er die Adamssünde – die eigenmächtige Abkehr von Gott – rückgängig gemacht und in Christus seine Rückkehr in die Huld des Allmächtigen vollzogen hat. In allen Glaubensfragen repräsentiert der Contionator den Advocatus Diaboli: Der Tod gehöre einer anderen Welt an. Der Mensch müsse das rechte Leben in Ausrichtung auf das Diesseits suchen. Der Tod sei ein Übel, da er die Menschen nur in die Arme von Verführern treibe. Zu diesen zählt er die Alchemisten, in deren Kunst er nichts weiter erblickt als Betrügerei. Verführer seien auch all jene, die mit dem Konzept der Neugeburt in Christo für einen Heilsweg werben, der über die Taufe und den Glauben hinausgeht. Von diesen Predigern sieht er sich sogar existenziell bedroht, da sie ihm die priesterlichen Würden, mit denen er seinen Reichtum rechtfertigt, streitig machen. Müsste er sich nicht um seinen Brotverdienst kümmern, so würde ihn nichts daran hindern, sein Amt als Lohnprediger niederzulegen und sich den Genüssen eines müßigen Lebens hinzugeben.204 Indes verkündet der Contionator von der Kanzel einen Fatalismus des menschlichen Elends; erst im Jenseits werde dem gefallenen Menschen die wahre Seligkeit zuteil. Die Lehrmeinung, dass nicht nur Christus, sondern auch die Natur heiligende Kraft besitze, scheint ihm suspekt. Der Kontrahent des Contionators ist der Auditor: Er sieht den Tod als Bedingung für den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen an, alles befinde sich in ständiger Regeneration. Zu dieser Einsicht sei er über die Alchemie gekommen, die er als „Gabe des Hchsten“ scharf von der betrügerischen Goldmacherei abgrenzt.205

203 Vgl. Kap. 5.8, S. 194  f. 204 Bemerkenswerter Weise bedient sich auch der wahre Suchten dieser Argumentation, vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 372: „Fraget nichts nach jenem/ was sie thun/ das mssen sie thun von wegen ihrer Nahrung/ lasset fahren ihr Geschwtz […].“ 205 Valentin Weigel: Dialogus de christianismo: Das ist Ein hochwichtiges/ nothwendiges Colloquium […]. Joachim Krusicke, Halle 1614, S. 99–108, hier S. 100.

Zum Scheitern von Alchemie: Ad dialogum de morte 

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Diese nämlich sei außerstande, Gemeines in Höherwertiges zu verwandeln. Erst im Licht der Natur werde offenbar, dass alles, was seiner Form beraubt, beziehungsweise ‚getötet‘ wurde, sich in viel edlerer Form neu erzeugen lässt. An der alchemischen Praxis werde das Prinzip der Neugeburt manifest. Indes erweist sich der Tod nicht nur im natürlichen, sondern auch im göttlichen Licht als ein Initiator der Neugeburt: Er lehre nicht nur die Zeugung von Gold und Heilmitteln, sondern auch die Neugeburt des Menschen in Christus. Die Unterweisung in dieser mystischen Praxis sei den Kirchenoberen unbekannt. Selbige strebten nur danach, sich auf Kosten der einfachen Leute bereichern, anstatt sich durch harte Arbeit um den wahren Reichtum verdient zu machen: Dieser offenbare sich in Christus, „in deme alle Schtze deß Himmels und der Erden verborgen ligen […].“206 Die Weisen in Christus, so der Auditor, besäßen zugleich nichts und doch alles; sie seien arm und dennoch die Allerreichsten. Mit dieser Sentenz hebt die Rede des Auditors auf den Topos der ‚geistigen Armut‘ ab. Allerdings entfaltet der Dialog im Folgenden keine introversionsmystische Programmatik. Stattdessen wendet sich Gevatter Tod im Folgenden an den Contionator, um diesem den Reichtum der Weisen vor Augen zu führen. Hierbei zitiert er aus der bereits erwähnten pseudo-paracelsischen Schrift De tinctura physicorum: Es hat einer auß den meinen [= Paracelsus] von dieser armut geschrieben. wann du denselben verstndest/ du wrst dich darber entsetzen/ der schreibet also: Es liget meines schatzes ein kleinot zu werden in Fryaul (Er redet von der Alchimia die du nicht kanst), daß du teutscher Carl/ vnd Röm. Leo mit allem deinem Gut nit bezahlen kanst/ vnnd diese armut hat dein Aud[itor] auch durch Gttliche verleihung […]. Dein Auditor redet nicht jetzund vom ewigen himmlischen Schatze/ denn alle Glaubige one das haben/ er redet jetzt vom jrdischen zeitlichen Schatze der Welt/ welchen er hat vnd kann und in Christo Jesu besitzet.207

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, den „jrdischen zeitlichen Schatze der Welt“, den Pseudo-Paracelsus in Friaul gezeugt haben will, mit dem lapis philosophorum zu identifizieren. Nach Auffassung des Kommentators von De tinctura physicorum muss es ihm hierbei gelungen sein, den Geist des Herrn aus seinem Ausgangsstoff herauszulösen. Letzteren lässt der Geist, indem er sich verflüchtigt, als ein caput mortuum zurück. Indem er danach im lapis handfeste Gestalt annimmt, erhält er ein neues Leben. In Analogie zu Christus ‚stirbt‘ der Geist einen körperlichen

206 Ebd., S. 102. 207 Ebd., S. 102  f. mit Bezug auf Ps.Paracelsus: De tinctura physicorum In: Bcher und Schrifften Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim […]. Bd. 6. Hg. von Johann Huser. Conrad Waldkirch, Basel 1590, S. 363–374, hier S. 364. In De secretis antimonij findet sich eine Anspielung auf ebendiesen Passus (vgl. Chymische Schrifften, S. 248).

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 Suchtens Naturphilosophie und Alchemie

Tod, um sodann im Stein der Weisen, dem erhabenen Spender von Reichtum und Lebensfrische, umso herrlicher wieder aufzuerstehen. Der Gebrauch der Termini von ‚Sterben‘ und ‚Auferstehen‘ findet sich auch im zweiten Teil von Suchtens Antimonmonographie sowie,208 wie bereits gezeigt, in De tribus facultatibus; nur dass es hier die mikrokosmische quinta essentia ist, deren Leib – das kristalline Wasser – ‚stirbt‘, indem der urzeitliche Adamssohn sie in ihre neue und ewige Form überführt.209 Von höchster Bedeutung ist nun, was der Tod im Folgenden bekundet: „Wer Christum den Himmlischen Schatz nicht haben will/ ist nit werth daß er haben soll diesen jrdischen […].“210 Der Auditor gibt hierzu nähere Erläuterungen: Wie knte ein Christ ein solches grosses Geheimnuß der Welt offenbaren/ es muß alleine ein jeder von Gott nemmen durch Christus und in Christo/ doch daß ich bezeuge/ wie in der Natur der Todt notwendig seye zur newen Geburt/ vnnd daß ohne den Todt oder neuwe Geburt wieder [= weder] Silber noch Gold in der Kunst knne werden/ so hret doch ein verborgen rede also drauff/ das jenige dardurch alle Metall in Golde vnnd Silber leichte transmutiret werden/ ist mehr und muß mehr seyn als Sol und Luna vnd das uber Sol vnd Luna ist/ ist bey allen Menschen gering und veracht/ allein die Weisen haben es lieb/ kennen dasselbe vnd ist gemein bey allen Menschen […]. Alle Menschen suchen nur Sol vnd Luna, vnd lassen das liegen/ dadurch sie knten erlangen Sol vnnd Luna […]. Ob mans gleich habe gleich habe/ so ists keinem ntze ohne die neuwe Geburt/ ohne den Todt/ dann etlich 1000. Alchimisten halten es tglich in den Henden vnd/ kommen jhr Lebenlang nich zun Schatze/ sie wissen nicht die neuwe Geburt.211

208 Vgl. Chymische Schrifften. De antimonio vulgari, S. 274  f.: „Ein Ding/ welches/ das so abgestorben und getdtet ist/ soll wieder erwecken und lebendig machen/ auch dasselbe/ so des Todes Ursach ist/ vom Leben scheiden/ muß zweyerley Krften in sich haben/ eine lebendigmachende und von einander scheidende/ und mssen diese zwey seyn eines an der Tugend und Wirckung/ zwey aber an der Zahl […]. Nun ist das argentum vivum im Antimonio todt/ soll es lebendig werden/ so muß es erwecket werden von dem/ so es gewesen ist/ ehe dann es getdtet worden/ in dem das Leben berflssig ist/ kann lebendig werden/ so muss es erwecket werden von dem/ so es gewesen ist/ ehe dann es getdtet worden/ in dem das leben berflssig ist/ und untdtlich. Kein Ding/ das abgestorben ist/ kann lebendig werden/ denn durch sein eigen und ewiges Leben/ und keines andern Dinges leben; der anders schreibet oder lehret/ der ist kein Philosophus, das abgestorbene/ wann es wieder lebendig wird/ ist ein Ferment deß lebendigen Dinges/ dadurch es lebendig wird/ und das Ding ist seine Zunehmung und vielfltige grosse Vermehrung. Hierauß folget/ daß in den lebendigen Dingen eine Art des Dinges/ so auferwecket wird; denn das ist der Wille Gottes/ daß alle Ding sterben mssen und ist das Eigenthmliche aller Creaturen/ welches sich nach dm Absterben/ unendlich und ohne Auffhren mehret.“ 209 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 89. 210 Dialogus de christianismo: Das ist/ Ein hochwichtiges/ nothwendiges Colloquium […]. Joachim Krusicke, Halle 1614, S. 99–108, S. 103. 211 Ebd., S. 103  f.

Zum Scheitern von Alchemie: Ad dialogum de morte 

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Indem der Auditor den lapis als „gering und veracht“ charakterisiert, setzt er diesen abermals in Beziehung mit Christus, dem verworfenen Eckstein des Tempels Salomos (Eph 2,20). Zudem wird deutlich, dass der göttliche Geist seinen alten Leib – wahrscheinlich Eisensalz – abstreifen muss, damit seine Neugeburt in Gestalt des lapis vollzogen werden kann. Auf die Frage des Contionators, wie diese nun praktisch umzusetzen sei, antwortet der Auditor verheißungsvoll: „Das muß allein der wircken/ der es selber ist […]. Alle Weisen halten das Ding in geheim/ aber ich rede dermassen darvon/ daß keiner auff Erden darauß lernen mag/ er hre es dann von Gotte in Christo Jesu.“212 Mit anderen Worten: Der Adept muss zunächst selber in Christus neu geboren werden, um eine alchemische Neugeburt des Geistes im lapis philosophorum – dem makrokosmischen Konterfei des Gottessohnes – zu bewerkstelligen. Indes ist die Neugeburt in Christus dem Menschen nach den Worten des Ersten Korintherbriefs erst dann vergönnt, wenn er zuvor aus dem Leben Adams geschieden ist.213 Er muss zunächst eines ‚mystischen Todes‘ sterben, um im Leben Christi wieder aufzuerstehen. Wenngleich in Ad dialogum de morte eine solche mors mystica nicht explizit erwähnt wird, entpuppt diese sich als Bedingung für die Neugeburt; und erst unter dieser Bedingung ist es dem Adepten möglich, erfolgreich Transmutationsalchemie zu betreiben. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Situation des urzeitlichen Scheidekünstlers in De tribus facultatibus, wird verständlich, weshalb dieser nicht in der Lage ist, sich des göttlichen Geistes zu bemächtigen: Er weiß nicht mehr, „als daß er von seinem Vatter Adam gehrt/ wie er von Gott geschaffen/ wie er ins Paradeiß gesetzt darinnen gesndiget/ und darumb verstossen in Arbeit/ Jammer und Noth dieser Welt.“214 Er befindet sich also noch ganz im sündenbelasteten Leben Adams, und somit untersteht er auch nicht der göttlichen Weisung, die für seine alchemische Suche unabdingbar ist. Die Verfügungsgewalt über den spiritus vitrioli ist ihm erst ab dem Moment gegeben, da er durch Gottes Gnade einer Neugeburt in Christus und somit seines inwendigen Geistes teilhaftig wird.

212 Ebd., S. 104. 213 1 Cor 15,22: „Et sicut in Adam omnes moriuntur, ita et in Christo omnes vivificabuntur.“ 214 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357.

5 Suchtens mystische Theologie 5.1 Wort- und weisheitstheologische Grundlagen Vor dem Hintergrund, dass Suchten in der Fusior declaratio nicht grundsätzlich zwischen den Begriffen spiritus und anima differenziert, mag es verwundern, dass in De tribus facultatibus durchgehend vom Geist des Herrn, aber so gut wie nie von der ‚Seele‘ die Rede ist, zumal dies doch der Terminus technicus wäre, der dem Wort anima natürlicherweise entspricht.1 Freilich wurden zwischen den Begriffen von ‚Seele‘ und ‚Geist‘ angesichts ihrer relativen Unbestimmtheit von jeher Spezifizierungen unternommen: Luther unterscheidet insofern zwischen Seele und Geist, als er letzteren als den „höchsten, tiefsten und edelsten Teil der Seele“ beschreibt.2 Vielleicht orientiert er sich hierbei an der Terminologie Johannes Taulers. Diesem zufolge ist die Seele der Teil des Geistes, der dem Körper des Menschen Lebendigkeit verleiht, und der Geist der Teil der Seele, der über den Tod hinaus auf Gott hin ausgerichtet ist.3 Paracelsus bezieht sich in der Astrono­ mia magna immer wieder auf den ‚Geist‘, den Gott dem Menschen am sechsten Schöpfungstage eingehaucht habe – und dies, obwohl dieser Lebensatem nach dem Wortlaut der Vulgata eindeutig mit dem Begriff anima in Beziehung steht (Gen 2,7: „Formavit ergo Dominus Deus hominem de limo terrae, et inspiravit in faciem ejus spiraculum vitae et factus est homo in aninam viventem.“). Auf dieses Bibelzitat bezugnehmend erklärt Paracelsus: „also hat got den menschen am ersten von der erden gemacht, darnach den geist einblasen durch das spiraculum vitae, durch welchen der mensch fehig worden ist wieder hinauf, von dannen er

1 Franz-Peter Burkhard: Seele. In: Metzler Lexikon Philosophie. 3. Aufl. Hg. von Peter Prechtl u. dems. Stuttgart 2008, S. 542  f., hier S. 524. 2 Martin Luther: Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt (1521). Weimarer Ausg. (im Folgenden: WA). Bd 7, S. 550,28–551,3: „Das erst stuck, der geist, ist das hohste tieffiste, edliste teil des menschen, damit er geschickt ist, unbegreiflich, unsichtige, ewige ding zu fassen. Und ist kurtzlich das hausz, da der glawbe und gottis wort innen wonet […]. Das ander, die seele, ist eben der selbe geist nach der natur, aber doch in einem andernn werck. Nemlich ynn dem, alz er den leyp lebendig macht und durch ynn wircket, und wirt offt in der schrifft fur ‚das leben‘ genummen; denn der geyst mag wol on den leyp leben, der leyp aber lebet nit on den geyst.“ 3 Vgl. Johannes Tauler: Predigt 56, S. 259–266. In: Die Predigten. Hg. von Ferdinand Vetter. Berlin 1910. Ndr. 1968 (im Folgenden Kurztitel), hier S. 261,31–262,4: „Under wilen heisset der geist ein sele; das ist das verre als si dem libe leben in gússet […]. Und etwenne heißet si ein geist, und denne hat si als nahe sipschaft mit Gote, das ist úber alle mosse; wan Gott ist ein geist und die sele ein geist, und dannan ab hat si ein ewig wider neigen und wider kaphen in den in den grunt irs ursprunges […].“ http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-005

Wort- und weisheitstheologische Grundlagen 

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kommen ist. das ist, aus dem munt gottes ist er gangen, zu dem er wider gehet.“4 An anderer Stelle desselben Werks verwendet er jedoch in Bezug auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen und den Adel, der diesem dadurch zuteilwurde, durchaus den Begriff ‚Seele‘: und aber damit wir wissen und erkennen mögen, das wir er entlich ein gestalt sein nach got und nach seiner biltnus, darumb wir vom vihe gescheiden werden, und nit für vihe geacht, so beweiset er das, das er gesagt hat: aus unser biltnus machen wir den menschen. aus dem dan folgt, das der Mensch nit alein aus der erden ist, sonder auch aus der schöpfung des geists mit der underscheit, das er sichtbar ist und unsichtbar, hat sein haus von der erden und das im haus, das ist die sêl, von got.5

Durch das Nebeneinander der Begriffe ‚Geist‘ und ‚Seele‘ mag der Eindruck ent­ stehen, Paracelsus differenziere zwischen einer eingehauchten Seele und einem eingehauchten Geist.6 Im Verlauf des Traktats wird jedoch deutlich, dass Para­ celsus den Terminus ‚Geist‘ überhaupt auf alle metaphysischen Entitäten, die im menschlichen Organismus auf irgendeine Weise tätig sind, anwendet; so eben auch auf die Seele. Die „sêl, das ist, der geist, der nach der formirung des men­ schen eingeblasen ist von got, nemlich das leben, und ist spiraculum vitae.“ 7 Anhand der Identifizierung der Seele mit der „biltnus“ Gottes und dem „spiracu­ lum vitae“ bedient sich Paracelsus zweier Theologumena, welche dem mystischen Konzept von einer inhabitatio dei und einer unio mystica in die Hände spielen. Die Begriffe von Ebenbildlichkeit und Lebenshauch erlauben denn auch die Differenzierung zwischen Seele und Geist, die sich bei den allermeisten Paracelsisten wiederfindet. Nicht so bei Suchten: Ihm zufolge besitzt der „Geist des HErrn/ so ob dem Wasser schwebete“ das Monopol auf die Belebung der großen und kleinen Welt.8 Den Adel des Menschen begründet der Danziger dementsprechend nicht mit der inspiriatio animae am sechsten Schöpfungstag, sondern – wie bereits dargelegt – mit der primordialen Destillation des kristallinen Wassers, welche die ewige quinta essentia des Menschen hervorbrachte: jenen inneren Himmel, in den Gott seinen Stuhl stellte. Dass der Danziger im schöpfungstheologischen Kontext durchgehend von dem ‚Geist des Herrn‘ spricht und demgegenüber den mosaischen Begriff der ‚Seele‘ suspendiert, liegt in seiner Rezeption der Lehrbücher des

4 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 287  f. 5 Ebd., S. 291  f. 6 So Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis, S. 72  f. 7 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 297. 8 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 359.

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Alten Testaments begründet. Das theologische Konzept, das dort mit Bezug auf den Begriff spiritus entfaltet wird, ist für Suchtens weitere Ausführungen überaus aufschlussreich; es erhellt nämlich die kosmologischen und anthropologischen Hintergründe seines theosophischen Weltbilds. Indem Suchten den Geist des Herrn mit dem spiritus super aquas identifiziert, erweist er sich, wie bereits Paracelsus, als Vertreter einer physica mosaica. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass das erste Genesiskapitel die einzige Quelle ist, auf der Paracelsus und Suchten ihre Kosmogonie gründen. In der Komplexität der schöpfungsontologischen Entwürfe, die unter dem Namen des Hohenheimers überliefert sind, lässt sich der Versuch erkennen, den mosaischen Schöpfungsbericht mit weiteren biblischen Narrativen der Weltentstehung zu versöhnen. Diese finden sich im Prolog des Johannesevangeliums und in den Lehrbüchern des Alten Testaments; zu nennen sind hierunter die Proverbia Salomonis, der Liber sapientiae und das Buch Jesus Sirach. Zentral ist hier jeweils die göttliche Weisheit. Dass diese in schöpfungsontologischen Kontext steht, ergibt sich unter anderem aus einer Textpassage aus den Proverbia, in denen sich die Weisheit selbst zu Wort meldet: Der HERR hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands. Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, als er droben die Wolken befestigte und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer, als er dem Meer sein Gesetz gab und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.9

In dem ‚Spiel‘ der Weisheit kommt eine innergöttliche Dynamik zum Ausdruck. Indem Gott noch vor dem Einsetzen der Zeitlichkeit die Weisheit „als sein geliebtes Kind“ aus seinem ureigenen Selbst entließ, schuf er sich ein Gegenüber, über

9 Prov 8,22–30: „Dominus possedit me in initio viarum suarum antequam quicquam faceret a principio. Ab aeterno ordita sum, et ex antiquis antequam terra fieret. Necdum erant abyssi, et ego jam concepta eram, necdum fontes aquarum eruperant; necdum montes gravi mole constiterant: ante colles ego parturiebar. Adhuc terram non fecerat, et flumina, et cardines orbis terrae. Quando praeparabat caelos, aderam; quando certa lege et gyro vallabat abyssos; quando aethera firmabat sursum, et librabat fontes aquarum; quando circumdabat mari terminum suum, et legem ponebat aquis, ne transirent fines suos: quando appendebat fundamenta terrae; cum eo eram, cuncta componens. Et delectabar per singulos dies, ludens coram eo omni tempore […].“

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das er sich fortwährend über sich selbst verständigt: Die All-Einheit Gottes ist dadurch gewährleistet, dass er sowohl Subjekt als auch Objekt seiner selbst ist. Besonders deutlich wird dieser Gedanke im apokryphen Liber sapientiae, das für sich die Autorschaft Salomos behauptet, in Wirklichkeit aber von einem hellenistisch geprägten Schriftgelehrten um 50 vor Christus auf Griechisch verfasst wurde. Dieser zieht zur Beschreibung des Wesens der Weisheit eine Spiegel- und Lichtmetaphorik heran (7,25–28): Sie ist ein Hauch der Kraft Gottes und ein reiner Ausfluss der Herrlichkeit des Allherrschers; darum dringt nicht Verunreinigtes in sie ein. Sie ist der Widerschein des ewigen Lichtes, der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft, das Abbild seiner Güte. Sie ist nur eine und vermag doch alles; ohne sich zu ändern, erneuert sie alles. Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein und schafft Freunde Gottes und Propheten; denn Gott liebt nur den, der mit der Weisheit zusammenwohnt.10

Als ein ungetrübter Spiegel („speculum sine macula“) ist die Weisheit dasjenige Medium, über das der Allmächtige seine Selbstreflexion vornimmt.11 Vor diesem Hintergrund wurde die Weisheit mitunter als kosmische Gebärerin des Logos und somit als Gemahlin Gottes interpretiert.12 Als Spiegelbild Gottes ist sie ein Abglanz des ewigen Lichtes („candor lucis aeternae“). Hiermit verbindet sich die Weisheit mit einer Metaphorik, die sich zur Beschreibung des neuplatonischen Einen eignet. Sie ist über alle Maßen schlicht und doch zugleich allumfassend. Als ein reiner, makelloser Spiegel ist sie imstande, alles Sichtbare zum Vorschein zu bringen. Dennoch – oder gerade deswegen – hat sie, ebenso wie ein Spiegel, kein ­konkretes Aussehen. Ihre Gestalt ist unbegreiflich: Sie ist weder intellek­ tuell noch mit Händen zu fassen. In letzterem Sinne entspricht die Weisheit denn auch besagtem „Hauch der Kraft Gottes“. Indem der Autor des Weisheitsbuches, in welchem der Leser des sechzehnten Jahrhunderts Salomo selbst zu erkennen glaubte,13 diesen Hauch fernerhin als einen Ausfluss von Gottes Herrlichkeit beschreibt, drängt sich freilich die Identifikation des Hauchs mit dem paracelsistischen Weltgeist auf. Tatsächlich besitzt die Weisheit ein Allerheiligstes, das sich explizit als ein spiritus zu erkennen gibt (Sap 7,22–23):

10 Sap 7,25–26: „Vapor est enim virtutis Dei, et emanatio quaedam est claritatis omnipotentis Dei sincera, et ideo nihil inquinatum in eam incurrit; candor est enim lucis aeternae, et speculum sine macula Dei maiestatis, et imago bonitatis illius.“ 11 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis. Historische Umrisse abend­län­di­ scher Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt a. M. 1998, S. 206  f., 214  f. 12 Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 1, S. 27 mit Verweis auf Paulus de Heredia, Petrus Galatinus und Guillaume Postel. 13 Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis, S. 213  f.

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In ihr ist nämlich ein Geist, vernunftvoll, heilig, einzigartig, mannigfaltig, zart, beweglich, durchdringend, unbefleckt, klar, unverletzlich, das Gute liebend, scharf, nicht zu hemmen, wohltätig, menschenfreundlich, fest, sicher, ohne Sorge, alles vermögend, alles überschauend und alle Geister durchdringend, die gedankenvollen, reinen und zartesten.14

Die Erschaffung der Welt realisiert sich darüber, dass die Weisheit, welche ursprünglich innerhalb der zirkulären Bewegung der göttlichen Selbstobjektivierung vor dem Herrn „spielte“, sich nach außen stülpt, ihren lichten Glanz in die Finsternis hineinspiegelt und dabei ihren wesenseigenen Geist in die Tiefe entlässt. Das Konzept der göttlichen Selbstobjektivierung findet sich auch in dem neuplatonisch inspirierten Liber XXIV philosophorum; einer ursprünglich arabischen Kompilation, die später Hermes Trismegistus zugeschrieben wurde und im geistlichen Schrifttum des Mittelalters großen Anklang fand.15 In der ersten der insgesamt vierundzwanzig Definitionen, was Gott ist, heißt es: „Gott ist eine Monas, die eine Monas aus sich selbst zeugt und diese in Form einer einzigen Gluthitze (ardor) auf sich zurück spiegelt.“16 Gott gewinnt kraft seiner Selbstreflexion die Bestimmung seiner selbst als das Eine, oder anders formuliert: Er bringt das Eine, das er selbst ist, fortwährend aus sich selbst hervor. Das Spiegelbild aber, in dem sich Gott in seinem einheitlichen Wesen erblickt, lässt sich nicht in Worte fassen, es sei denn auf uneigentliche Weise: So etwa über das Bild von der Gluthitze. Gemäß ihrer Gottähnlichkeit offenbart sich diese Hitze in Gestalt einer allumfassenden Lebensglut oder  – was dem Bedeutungsspektrum des Lexems ardor ebenfalls entspricht – eines feurigen Glanzes. Es kann als sicher gelten, dass Suchten mit dem Inhalt des Liber XXIV phi­ losophorum vertraut war. Es ist jedenfalls ziemlich offensichtlich, dass er den erwähnten ardor in den Propositiones in Gestalt des calor solis et lunae rezipiert: Letzterer erscheint hier, dem Prinzip der göttlichen Selbstspiegelung entsprechend, als eine „imago divinae intelligentiae“.17 Indem Suchten den calor weiter-

14 Sap 7,22–23: „Est enim in illa spiritus intellectus, sanctus, unicus, multiplex, subtilis, mobilis, dissertus, incoinquinatus, certus, suavis, amans bonum, acutus, qui nihil vetat benefacere, humanus, stabilis, certus, securus, omnem habens virtutem, omnia prospiciens et qui capiat omnes spiritus intellegibiles, mundos, subtiles.“ 15 Florian Ebeling: The secret History of Hermes Trismegistus: Hermitism from Ancient to Modern Times. Ithaca, London 2007, S. 52  ff.; ders.: Alchemical Hermetism. In: The Occult World. Hg. von Christopher Partidge. London 2014, S. 74–91, hier S. 79  f. 16 Liber Viginti Quattuor Philosophorum. In: Hermes Latinus 3. Bd. 1. Hg. von Françoise Hudry (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 143A). Turnhout 1997, S. 5–83, hier S. 5: „Deus est monas, monadem ex se gignens, in se unum reflectens ardorem.“ (Übers. S. B.). 17 Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, f. 255v.

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hin als eine Verkörperung des Gottessohns („conspicuum dei filium“) beschreibt, referiert er auf das paulinische Dogma, wonach Christus das ureigene Ebenbild Gottes ist.18 Damit berührt er zugleich den Kern der Logostheologie: Christus ist nach Johannes 1,1 das Wort, das von jeher ‚bei Gott‘ war: „In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum“. Indem der Evangelist hier zugleich die Identität Gottes mit dem Wort betont und weiterhin bezeugt, dass durch dieses Wort noch vor seiner Fleischwerdung in Christus alle Dinge geworden seien (Joh 1,3), wird offenbar, dass der Logos auf die gleiche Weise konzipiert ist, wie sapientia und ardor: Gott entlässt aus sich das Wort, um sich in fortwährender Autokommunikation über sein absolutes Selbst zu verständigen.19 Weiterhin besitzt das Wort ein schöpferisches Potenzial. Es verkörpert – analog zum candor der Weisheit und zum feurigen Glanz des ardor – ein Licht, das in die Finsternis des Abyssus hineinleuchtet („et lux lucet in tenebris.“). Es ist nicht zu übersehen, dass der Evangelist hiermit Anleihen beim mosaischen Schöpfungsbericht nimmt. Die johanneische Lichtmetaphorik ist durch das fiat lux präfiguriert.20 Das fiat ist das göttliche Wort, das gemäß dem ersten Genesiskapitel sowie dem Johannesprolog „im Anfang“ („in principio“) war. Der göttliche Urgrund, in dem alles Kreatürliche angelegt ist, behauptet sich einmal als fiat, einmal als Logos und ein weiteres Mal als der Geist der Weisheit; all dies ist in Gott eins.21 Auf logostheologischer Grundlage konnten sich der mosaische Schöpfungsbericht, der Johannesprolog und sogar die alttestamentarischen Weisheitsbücher auf treffliche Weise miteinander verbinden: Christus ist demgemäß der göttliche Logos und somit zugleich das fiat lux. Der göttliche Atem aber („spiritus“), der im Akt der Verlautbarung dieses Schöpfungswortes durch den Mund des Allmächtigen weht, ist der Geist der Weisheit. Die Weisheit selbst reflektiert als ein „ungetrübter Spiegel von Gottes Kraft“ das göttliche Angesicht. Die unmittelbarste imago dei ist nach dem Epheserbrief (4,24) wiederum nichts anderes als Christus. Somit schließt sich der Kreis. Suchten dürfte spätestens bei der Lektüre von Agrippas Occulta philosophia mit diesem theologischen Konzept in Berührung gekommen sein. Agrippa beruft sich hier im Dritten Buch auf den Evangelisten Johannes sowie auf Hermes,

18 Vgl. 2 Cor 4,4; Col 1,15; Hebr 1,3. 19 Der Gedanke, dass der Logos das göttliche Spiegelbild repräsentiert, klingt ebenfalls im Johannes-Prolog an. Dieser gibt im deutschen Wortlaut den griechischen Originaltext „ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ Λόγος καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεὸν“ nämlich unzureichend wieder: Die Präposition ‚πρός‘ bedeutet ‚auf (etwas) hin‘. Das Wort ist in diesem Sinne nicht ‚bei‘ Gott: vielmehr ist es (als Spiegelbild) dem göttlichen Antlitz zugewandt. 20 Vgl. Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 1, S. 10. 21 Vgl. Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis, S. 205, 213.

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Orpheus, Jamblich, Moses, Zarathustra, Heraklit, Platon, den Liber XXIV philoso­ phorum sowie auf das oben zitierte vierundzwanzigste Kapitel von Jesus Sirach: [Gott] zeugt in sich selbst seinen eingeborenen Sohn, seinen vollkommenen Intellekt, sein vollkommenes Ebenbild, ein vollkommenes Vorbild der Welt; dieses nennen unser Evangelist Johannes und Hermes das Wort oder die Rede. Platon bezeichnet es als den Sohn Gottvaters, Orpheus aber als die aus Jupiters Kopf geborene Pallas Athene, das heißt: als die Weisheit. Sie ist das höchste Ebenbild Gottvaters, und doch hat sie sich ihrer Herkunft und ihres inneren Wesens gewissermaßen entäußert; eben auf solche Weise, wie ein Gezeugtes stets von seinem Erzeuger verschieden ist. So heißt es bei Jesus Sirach: „Ich bin aus dem Munde des Höchsten hervorgegangen, als eine Erstgeborene, die vor allem Geschöpflichen da war.“ Des Weiteren ist dieses Kind Gottes nach dem Zeugnis des Jamblich mit dem Vater ganz eins und seinem Wesen nach Gott selbst: Er beschreibt Gott offenkundig als Vater und Sohn seiner selbst. Auch Hermes Trismegistus bezeugt im Asclepius an verschiedenen Stellen die Existenz eines Gottessohns. Er sagt nämlich: „Mein Gott und Vater hat aus sich ein weiteres geistiges Wesen als Schöpfer hervorgebracht.“ Und andernorts heißt es: „Die Monas zeugt eine weitere Monas und spiegelt sich in sich selbst in Gestalt eines feurigen Glanzes […].“ Auch liest man im Fünften Buch Mose: „Gott ist ein verzehrendes Feuer“, und darauf bezugnehmend sagt Zarathustra, alles sei durch ein Urfeuer entstanden. Zudem lehrte Heraklit von Ephesus, dass das Feuer der Ursprung aller Dinge sei. Davon ausgehend stellte der göttliche Platon die These auf, dass Gott in einem feurigen Wesen wohne, wobei er darunter freilich den unaussprechlichen Glanz und Liebreiz verstand, der Gott um­gibt […].22

Indem sich Agrippa auf Platon beruft, nimmt er offenbar Bezug auf dessen Schrift über den Staat, in der Sokrates das Licht zur behelfsmäßigen Bestimmung des Absoluten heranzieht. Die Idee des Guten ist, wie das Licht an sich, weder sichtbar noch greifbar, und doch treten in diesem ‚Licht‘ alle Dinge zu Tage. Selbstredend assoziierten Paracelsisten wie Suchten hiermit zugleich das fiat lux, die lux in tenebris, den candor sapientiae sowie den ardor der göttlichen Monas. Die Entitäten von Licht und Wärme, die Gott im Rahmen seiner Selbstobjektivierung

22 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.8, S. 221  f.: „prolem & filium in se progenerat, quae est plena intelligentia, plena sui imago, & plenum mundi exemplar: quod Ioannes noster, & Mercurius verbum nominant, sive sermonem: Plato dei patris filium: Orpheus vero Palladem ex Iouis capite natam, hoc est sapientiam. Haec est altissima dei parentis imago quadam tamen relatione, aut aliquo intrinseco absoluto, tanquàm genita distincta à generante, quae apud Ecclesiasticum ait: Ego ex ore altissimi prodii, primogénita ante omnem creaturam. Filium autem hunc cum patre unum & eundem in essentia testat Iamblichus, deum videlicet sui ipsius patrem filiumque nominans. Mercurius quoque Trismegistus in Asclepio, dei filium diversis in locis affirmat. Inquit enim: Deus meus atque pater mentem sibi aliam opificem peperit. Et alibi: monas gignit monadem, & in se suum reflectit ardorem […]. Et in Deuteromonio legitur: Deus ignis consumens est. De quo & Zoroastes ait, omnia uno ab igne genita esse. Et Heraclitus Ephesius cuncta ex igne genita esse docuit. Hinc divinus Plato, deum in ignea essentia habitare posuit, intelligens videlicet inenarrabilem dei in seipso splendorem, & circa seipsum amorem […].“ (Übers. S. B.).

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erzeugt, entsprechen, übertragen auf den Johannesprolog, dem Gottessohn: jenem göttlichen Wort, welches dortselbst mit der lux hominum und lux vera kontextualisiert wird. Indem Gott sich im Akt seiner Selbstspiegelung als ‚das Eine‘, beziehungsweise als einen lebensspendenden Feuerschein begreift, bringt er sich als Sohn seiner selbst hervor.23 Die Gottnatur Christi ist nichts anderes als der glühende Geisthauch der Weisheit, der fortwährend durch Gottes Mund weht und dabei das Wort fiat lux erzeugt, das überall Licht, Leben und Wärme spendet. Suchtens calor ist denn auch dasjenige geistige Element, das nach den Worten der Propositiones das innerste Wesen des Weltgeistes ausmacht. Als ein Same, der alle himmlischen und irdischen Kreaturen als ungetrenntes Ganzes enthält, entspricht der spiritus mundi allerdings auch dem Geist der Weisheit; diesen identifiziert Suchten nämlich in der Nachfolge Hohenheims mit dem Geist Gottes, der zu aller Anfang auf den noch ungetrennten Wassern schwebte. Diese Gleichsetzung geht auf die Lehrbücher des Alten Testaments zurück, in denen die ­Weisheit als eine Feuchte beschrieben wird. So lässt sich der „Hauch“, den sie nach den Worten des Liber sapientiae verkörpert, seinem lateinischen Wortsinn nach („vapor“), genauso gut, ja besser noch, als Dunst oder Dampf beschreiben.24 Im vierundzwanzigsten Kapitel von Jesus Sirach erhebt die Weisheit höchstselbst ihre Stimme, wobei sie sich mit einem Nebel („nebula“) vergleicht: „Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor und wie Nebel umhüllte ich die Erde. Ich schlug in den Höhen mein Zelt auf und mein Thron stand auf einer Wolkensäule.“25 In dem hier genannten Thron erkennt Suchten offenbar den Thron Gottes, dem nach den Worten der Johannesapokalypse das kristalline Wasser entströmt (Ap 22,1). Hierfür spricht, dass dieser „Stul des Allmchtigen“ in De tribus facultatibus für den Geist des Herrn steht.26 Indem Suchten diesen zur Quelle des kristallinen Wassers erklärt, wird offenbar, dass er in ihm den Geist der Weisheit erkennt, zumal ja auch letzterer eine Feuchte spendet: den nebligen Dunst, in den sich die göttliche Weisheit hüllt. Wenn es im ersten Genesiskapitel heißt, dass Gott am zweiten Schöpfungstag das untere Wasser vom oberen schied, so bedeutet dies nach paracelsistischer Lesart, dass der Geist der Weisheit zu aller Anfang in die Partikel des besagten vapor sapientiae zerstäubte; aus diesem ‚Nebel‘ ging in

23 Vgl. hierzu Meister Eckhart, der diese auf sich selbst gerichtete Dynamik Gottes als ein inneres Sprudeln beschreibt (Kap. 5.7, S. 169). 24 Sap 7,25: „[sapientia] vapor est enim virtutis Dei et emanatio quaedam est claritatis omnipotentis Dei sincera et ideo nihil inquinatum in illa incurrit.“ 25 Sir 24,5–7: „Ego ex ore Altissimi prodivi, primogenita ante omnem creaturam. Ego feci in caelis ut oriretur lumen indeficiens, et sicut nebula texi omnem terram. Ego in altissimis habitavi, et thronus meus in columna nubis.“ 26 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 88.

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den Tiefen des Abyssus die sichtbare Welt hervor. Es wird überdeutlich, dass das ­paracelsische Konzept des Iliasters in dieser Vorstellung begründet liegt. Der paracelsistische spiritus mundi entpuppt sich als ein spiritus fumosus. So identifiziert etwa der Verfasser der pseudo-paracelsischen Schrift Philosophia ad Athenienses die Urmaterie der Welt mit einem Rauch.27 Vor dem Hintergrund kabbalistischer Wortspiele ist es nicht unwahrscheinlich, dass hierbei auch der Gleichklang der Substantive ‚Rauch‘ und ‚Ruach‘ (= Ruach Elohim) eine Rolle gespielt hat.28 Ein regelrechtes Panoptikum der wort- und weisheitstheologischen Lesart des Schöpfungsprozesses bietet die erste Bildtafel aus Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae:29 Der kosmische Christus, die menschliche Figuration von Gottes ewigem Wort, steht inmitten eines feurigen Kranzes, der das Empyreum versinnbildlicht. Er ist gemäß seiner Körperhaltung das Zeichen, über das der Gläubige – gemäß der Devise hoc signo vinces – die seligmachende Weisheit in Gott erlangt. Der Adler mit flammenden Flügeln, der sich zu Füßen des Gottessohns befindet, symbolisiert das geistfeurige, volatile Merkurialwasser, 30 alias schamajim, das den innersten Zirkel der göttlichen Sphäre überragt und sich nach unten ausdehnt. Die hebräischen Schriftzeichen, mit denen die Flammen des empyreischen Lichtkreises versehen sind, bedeuten die verschiedenen Namen Gottes;31 die an sich unbeschreibliche und unaussprechliche Einfalt des göttlichen Wesens findet in dieser Vervielfältigung ihre menschlich-fassbare Sagbarkeit. Die kronenförmigen Strahlen, die rings um das Empyreum angeordnet sind, bezeichnen die zehn göttlichen Emanationen des Sephirotbaumes.32 In schöpfungsontologischem Kontext bedeutender aber ist die Tatsache, dass diese Emanationen in ein Gewölk hineinragen: in den Nebel der göttlichen Weisheit. Der Ring, der die Sphäre der Weisheit beschreibt, ist an seinem höchsten sowie wie an seinem tiefsten Punkt mit zwei schwarzen Medaillons versehen, von denen das obere En-Sof („Ungrund“), das untere Emet („Wahrheit“), bezeichnet.33 Die Weisheit ist demgemäß der unergründliche Anfang und die Mutter alles Seienden. Zuoberst der Abbildung befindet sich ein Dreieck, das eine Tetrakys umrahmt, 27 Ps.Paracelsus: Philosophia ad Athenienses. In: SW 1/13, S. 420: „also auch in iedlicher corpus oder substantz. das do greiflich ist nichts anders, dan alein ein rauch, der do coaguliert ist.“ 28 Christine Hannak: geist=reiche Critic. Hermetik, Mystik und das Werden der Aufklärung in spiritualistischer Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin, Boston 2013, S. 120  f. 29 Ausführlich hierzu, wie zu den übrigen Bildtafeln, Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 2, S. 22–60, hier 24–28. 30 Vgl. die alchemische Bezeichnung des Merkurialwassers, bzw. quinta essentia, als ‚Adler‘; s. Kap. 4.5, S. 107 u. 114 f. 31 Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 2, S. 25. 32 Ebd. 33 Ebd., 25  f.

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Abb. 3: Bildquelle: Wilhelm Schmidt-Biggemann: Geschichte der Kabbala. Bd. 2 (1600–1660). Stuttgart-Bad Cannstatt (Clavis Pansophiae 10,2).

anhand derer aus dem hebräischen Buchstaben ‚Jod‘, in absteigender Abfolge das Tetragramm ‚JHWH‘ entwickelt wird. Dieses Dreieck durchdringt zwei weitere Sphären: Deren erste enthält einen Schriftzug, der zur Gottes- und Nächstenliebe auffordert, deren zweite – und äußerste – führt in einem Reigen von zehn ‚Pfauenschwänzen‘ die Gebote des Dekalogs auf. Den Hintergrund für diese Art der Darstellung bildet das Buch Jesus Sirach, wo davon die Rede ist, dass das Wort Gottes eine „Quelle der Weisheit“ sei, die sich in die ewigen Gebote Gottes verzweige.34 34 Sir 1,5: „Fons sapientiae verbum Dei in excelsis, et ingressus illius mandata aeterna.“ Vgl. Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 145.

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Da die Weisheit einen Spiegel und ein Abbild des Allmächtigen darstellt, ist auch das Kondensat ihres Nebels noch vom Licht des göttlichen Angesichts erfüllt. Indem dieses ‚Wasser‘ ferner als prima materia des Makrokosmos fungiert, kann auch dieser selbst noch als gottähnlich gelten. Nach paracelsistischer Vorstellung besitzt die Schöpfung eine ‚pneumatische Substruktur‘,35 die sich unter der Oberfläche der sichtbaren Natur verbirgt und alle Kreaturen wachsen und gedeihen lässt.36 Dementsprechend lassen sich die Weisheit, der göttliche Geist, das ewige Wort und somit auch die göttliche Natur Christi an der zeichenhaften Vielfalt der äußeren Schöpfung auf hermeneutische Weise ablesen. Dass dies bereits vor der incarnatio verbi möglich ist, bekräftigt Suchten mit Verweis auf Hermes Trismegistus: „Wer hat ihm Christum zu erkennen geben? Die Creaturen GOttes/ die Galeno so wol fr den Augen gelegen als Hermeti.“37 Hierbei denkt er wohl an das Paulus-Wort, wonach sich die unsichtbare Wirklichkeit Gottes auch dem intellectus der Heiden erschließt, zumal der Werkmeister an seinem Werk erkennbar sei.38 Zwar hält die äußere Schöpfung ihren göttlichen Grund zumeist vor den unwürdigen Augen der gefallenen Kreatur bedeckt; dem wahrhaft gläubigen, vom Licht der Natur beschienen Menschen ist es jedoch vergönnt, in diesen Grund Einblick zu erlangen und daraus praktischen Nutzen zu ziehen. Damit ergibt sich ein erstaunlicher Befund: Die Logostheologie mündet, konsequent zu Ende gedacht, direkt in das naturphilosophische Weltbild der Paracelsisten.

5.2 Neukontextualisierung von Gottebenbildlichkeit und Lebensatem Dass Suchten sich von der traditionsreichen Annahme eines dauerhaft von Gott bewohntem abditum mentis distanziert, ist darauf zurückzuführen, dass er den Geist der Weisheit mit dem spiritus mundi gleichsetzt, der per definitionem nicht mehr dem Empyreum, sondern der diesseitigen Schöpfung angehört. Auch der – von Weigel vielfach mystisch rezipierte – Begriff ‚Seele‘ hat für ihn keinerlei Rele-

35 Dieser Begriff wurde in neuplatonischem Kontext geprägt von Thomas Leinkauf: Magie und neuplatonisches Denken. In: Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Jutta Eming u. Volkhard Wels. Wiesbaden 2020 (Episteme in Bewegung 17), S. 133–156, hier S. 139. 36 Trepp: Religion, Magie und Naturphilosophie, S. 479  f. 37 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 256. 38 Rom 1,20: „Invisibilia enim ipsius a creatura mundi, per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur.“

Neukontextualisierung von Gottebenbildlichkeit und Lebensatem 

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vanz.39 Dies ist kaum verwunderlich, zumal sich die Frage stellt, inwieweit sich eine von ihrem ‚Grund‘ entkoppelte Seele noch neben dem menschlichen Geist behaupten könnte.40 Dem entspricht, dass Suchten in der Fusior declaratio pro imperitioribus zwischen spiritus und anima keine grundsätzliche Differenzierung trifft. Tatsächlich weist auch De tribus facultatibus nur eine einzige Stelle auf, an der der Begriff ‚Seele‘ fällt; dies allerdings im Zusammenhang mit dem Seelenheil, also fernab von mystischen Spekulationen.41 Indem Suchten den „Geist des Herrn/ so ob dem Wasser schwebete“ an die Stelle der mosaischen anima inspirata (Gen 2,7) setzt, bedarf es einer alternativen Begründung der Theologumena von spiraculum vitae und imago dei. Der Danziger distanziert sich hierbei merklich von der generösen Auslegung von Gottebenbildlichkeit, welche die Vertreter des traditionellen Mystik-Diskurses hinsichtlich an den Tag legen. Stattdessen hält er sich streng an das Bibelwort, wonach der Mensch nicht als imago dei, sondern ad imaginem dei – das heißt: „nach Gottes Bild“42 – erschaffen wurde (Gen 1,26). Die Ähnlichkeit der Kreatur mit ihrem göttlichen Urbild lässt sich also nicht ohne weiteres auf eine substanzielle Gleichheit mit dem Allmächtigen hin transzendieren. Doch Suchten geht noch weiter und relativiert die theologische Relevanz der imago-Lehre auf geradezu skandalöse Weise: Demnach erschuf Gott die menschliche Kreatur nur insoweit nach seinem Bilde, als diese zugleich das mikrokosmische Konterfei der großen Welt repräsentiert. So heißt es in De tribus facultatibus, dass der Adamssohn anhand seiner Scheidekunst erkannte, „daß wie Gott auß dem Wasser gemacht hatte die große Welt/ das ist Himmel und Erden/ und alles was darinnen ist/ und auß der grossen Welt den Menschen nach seinem Ebenbild/ welcher da war die kleine Welt/ daß alles/ so in der großen Welt ist/ auch in der kleinen wre […].“43 Obgleich vom

39 Zu Weigels mystisch rezipiertem Seelenbegriff vgl. folgende Textzitate: „Nemlich Gott war selber der Mensch im Menschen, das ist er war alles in allen, das hies Christus, do der Vater vnd Sohn eines ist, den wo das höchste gutt einfleußet in eine nidrige gelaßene ergebene Seele, da wirdt empfangen und geboren ein Sohn Gottes […].“ (Vom Gesetz oder Willen Gottes. In: Sämtliche Schriften. Bd. 3. Hg. von Horst Pfefferl, S. 8); „Nun der Eüsser leib, ist ein Wohnung von Laimen gemacht oder ein werkgzeüg damit der Jnnere Mensch wierkhete, der Nattierliche Mensch ist ein Hauß der Seelen, die Seele ist eine wohnung oder Hauß Gottes, ein Templ Gottes.“ (Gnothi seauton. In: Sämtliche Schriften. Bd. 3, S. 66). 40 Zum problematischen Verhältnis von ‚Seele‘ und ‚Geist‘ in der Frühen Neuzeit s. Michael Sonntag: „Gefährte der Seele, Träger des Lebens.“ Die medizinischen Spiritus im 16. Jahrhundert. In: Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Hg von dems., Gerd Jüttemann u. Christoph Wulf. Göttingen 2005, S. 165–179, hier S. 172. 41 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 381. 42 Ebd., S. 366. 43 Ebd., S. 362, vgl. hierzu die fast identische Ausführung dieses Gedankens in Suchtens Elegie

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Geist der Weisheit beseelt, kann der Mensch höchstens indirekt als ein Bildnis Gottes gelten. Die Relativierung respektive Brechung der bildlichen Gleichheit von Mensch und Gott, die sich angesichts der Kür des Makrokosmos zur eigentlichen imago dei ergibt, findet sich bereits in Agrippas Occulta philosophia: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, denn so wie die Welt das Ebenbild Gottes ist, so ist der Mensch das Ebenbild der Welt. Darüber erklären sich einige das Bibelwort, welches ja nicht besagt, dass der Mensch einfach als Bild Gottes geschaffen wurde, sondern nach dessen Bilde; also gewissermaßen als Bildnis des Bildnisses. Daher nennt man ihn Mikrokosmos, die kleinere Welt […]. Der Mensch heißt die zweite Welt und zweites Ebenbild Gottes, denn er enthält in sich alles, was in der großen Welt ist, sodass es nichts gibt, was man nicht tatsächlich auch im Menschen selbst finden könnte […]: In ihm ist das vegetative Leben der Pflanzenwelt, die Sinneswahrnehmung der Tiere, der himmlische Geist, die Vernunft der Engel und der göttliche Gedanke […].44

Führt man sich vor Augen, dass dieser himmlische Geist zugleich auch der göttliche Same ist, der von jeher die gesamte Schöpfung als Idee enthält, erweist er sich als das eigentliche und erste Urbild, das sich im Makrokosmos auf sichtbare, im Mikrokosmos aber auf unsichtbare Weise manifestiert. Schließlich ist das ‚Kleid‘ des Geistes, die göttliche Weisheit, ein „speculum sine macula Dei maiestatis“ und eine „imago bonitatis illus“.45 Suchten hält sich in seinen Ausführungen über die Gottebenbildlichkeit schlichtweg an den alttestamentarischen Liber sapientiae. Immerhin folgt er der patristischen imago-Lehre eines Irenäus, Ambrosius, Tertullian oder Augustinus noch insoweit,46 als er in den Propositio­ nes und in De secretis antimonij die Bildlichkeit des Menschen mit dem Begriff mens kontextualisiert.47

De vera medicina (Chymische Schrifften, S. 459): „Hunc Magicas artes invenit docta vetustas, / Discipulos illas erudiitque suos. / Quis Deus […] / Quomodo principium rerum fuit una potestas, / Sitque Creatoris mundus imago sui. / Ad quem factus Homo totum complectitur orbem, / Qua licet aeterno participatque Deo.“ 44 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.36, S.  284  f.: „Creavit deus etiam hominem ad imaginem suam: nam sicuti imago dei mundus est, sic imago mundi homo est: hinc putant quidam dictum esse, quod homo non simpliciter imago dei creatus est, sed ad imaginem, quasi imaginis imago: idcirco microcosmus dictus est, hoc est, minor mundus […]. Homo itaque alter mundus vocatus est, & altera dei imago: quia in se habet totum quod in maiori mundo continetur, ut nihil relictum sit, quod ipsum non etiam vere & realiter in ipso homine reperiatur […]. Sunt in ipso plantarum vita vegitativa, animalium sensus, coelestis spiritus, angelica ratio, mensque divina.“ 45 Vgl. Kap. 5.1, S. 129, Anm. 10 (= Sap 7,25). 46 Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs, S. 26. 47 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 92, Anm. 77; Kap. 4.4, S. 99 unter Zitierung von Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 247.

Neukontextualisierung von Gottebenbildlichkeit und Lebensatem 

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Als theologisches Wagnis offenbart sich auch die Neudefinition, die das Motiv des göttlichen Lebensatems erfährt. Diesen identifiziert Suchten nämlich mit dem fiat lux: „Das Fiat, dadurch die Welt erschaffen/ das ist der Saamen deß Himmels und der Erden/ der Athem Gottes/ den er in den todten Erdenkloß einbließ/ der die Erden zu einem lebendigen Menschen machte/ der bey ihm bleibt, dieweil er lebt.“48 Der „Athem Gottes“ fungiert an dieser Stelle als Synonym für den primordialen Geist des Herrn. Hierbei kann sich Suchten auf die Polysemie des biblischen Begriffs spiritus berufen, welcher nicht nur ‚Geist‘, sondern auch ‚Atem‘ bedeutet. Auf diese Weise gelingt es Suchten, das Theologumenon der inspiratio in seine Anthropologie zu reintegrieren; nur eben in Gestalt des spiritus mundi. Abermals hält er sich schlichtweg an die alttestamentarischen Lehrbücher  – selbst um den Preis, dass er damit von der dominierenden Lesart des Schöpfungsberichts abweicht. Wenn er also die Schultheologen seiner Zeit mit dem Vorwurf zitiert, dass er, Suchten, ein „Jdisch und Heydnisch Ding“ betreibe,49 so gilt dies in erster Linie für sein anthropologisches Konzept, wonach Adam seinen Lebensatem zusammen mit allen Tieren und Pflanzen empfing. Dass Suchten hiermit auch innerhalb der paracelsistischen Bewegung einen Sonderweg beschreitet, zeigt sich, wenn man die metaphysische Konstitution des Menschen in De tribus facultatibus mit derjenigen vergleicht, die Oswald Croll in seiner Basilica chymica veranschlagt. Auch Croll sieht sich bemüßigt, die Schöpfung der großen und kleinen Welt mit dem Wirken des hauchartigen fiat lux, beziehungsweise mit „dem therischen Geist Schamaim“, zu verbinden. Dies heißt jedoch nicht, dass er das Theologumenon des spiraculum vitae, wie Suchten, einer Neukontextualisierung unterzieht. Vielmehr bemüht sich Croll um eine Synthese von salomonischer und mosaischer Pneumatologie. Demnach habe der Mensch den Geist bereits durch den Geisthauch des fiat lux, seine Seele aber erst „durch das Anblasen“ am sechsten Schöpfungstag empfangen.50 Suchtens Glaubenssatz, dass der göttliche Lebensatem mit dem primordialen spiritus mundi gleichzusetzen ist – und daher einer Entkoppelung vom sechsten

48 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379  ff. 49 Ebd., S. 371. 50 Croll: Basilica chymica, S. 32: „Und gleich wie GOtt eins ist im Wesen/ vnnd Dreyfach in den Personen/ also ist der Mensch eins in der person und Dreyfach in einem zertheilten Wesen/ nemblich in seinem irdischen Crper/ in dem therischen Geist Schamaim vnnd dann in der lebendigmachenden Seele [!]/ welche jhm von Gott eingeblasen ist [!]/ vnd ist also in der Wohnung Gottes Dreyeinig componiert […]. Unnd ob jemand diese drey theil verlaugnen wolte/ der mste doch zum wenigsten bekennen/ daß der Mensch durch das Wort: Es werde [!]/ auß dem Erdenkloß erschaffen vnnd den ewigen Geist oder Athem [!] durch das Anblasen auß dem Mund des HERRN als den Limum oder Ltt deß Firmanents empfangen.“

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Schöpfungstag bedarf  –, wird in anderen Schriften nicht dementiert. Dass der Weltgeist in seiner reinsten Qualität ferner die imago dei und, entsprechend der Logostheologie, die Gottnatur Christi verkörpert, findet Bestätigung in den Pro­ positiones, wo ebendies vom calor solis et lunae ausgesagt wird: Also wird die Wärme der Sonne und des Monds […] als Weltnatur und Leben unseres Geistes, sowie von Platon und den pythagoreischen Philosophen als erste Vernunft und göttlicher Intellekt bezeichnet; sie ist ein Bildnis der göttlichen Weisheit eine Verkörperung des Gottessohns. Der urzeitliche Theologe Orpheus preist sie unter dem Namen Jupiters. Dionysius, der Schüler des seligen Paulus bezeichnet sie als eine Hypostase, die Gott zukommt.51

Wenn es heißt, dass Platon in der Wärme die Weltnatur erblickte, so nimmt Suchten hiermit offensichtlich Bezug auf das Sonnengleichnis, das sich im sechsten Buch der Res publica findet. Demnach ist das göttliche Urprinzip alles Seienden, die Idee des Guten, dem wärmenden Licht der Sonne vergleichbar, zumal sie alle Dinge in ihrem Wesen zu erkennen gibt und auf diese Weise zugleich ihr Dasein garantiert. Die zitierten Pythagoreer nahmen als Zentrum des Alls eine Feuersubstanz an, die ihrerseits maßgeblichen Einfluss auf den harmonischen Lauf der Welt besitzt.52 Die Worte, die Suchten den „Pythagoricis Philosophiis“ in den Mund legt,53 stimmen teilweise wortgleich mit Agrippas Ausführungen in De occulta philoso­ phia überein. Der Nettesheimer zitiert hier jedoch nicht die Pythagoreer, sondern ausgewiesene Vertreter der platonischen Lehre: „Plotin und Philo überliefern, dass der Gottessohn die erste Vernunft, ja auch der göttliche Intellekt ist; als solcher ist er auf die gleiche Weise aus Gottvater hervorgeflossen, wie man im Sprechen das Wort oder wie die Lichtquelle das Licht hervorbringt.“54 Die von Suchten kolportierte Lehre des ‚urzeitlichen Theologen Orpheus‘ geht auf das gleiche Kapitel von De occulta philosophia zurück: Bei Homer lesen wir, der Äther sei Jupiters Reich, da es heißt: „Jupiter, der Regent des Him­mels, verdunkelt die Wolken.“ Und andernorts schreibt er: „Jupiters Wohnstatt ist der Himmel, er thront auf Nebelschwaden hoch über dem weiten Äther.“ Das Wort ‚Äther‘ aber kommt nach der griechischen Grammatik von aitho, ‚ich glühe‘; und das Wort aer, ‚Luft-

51 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 92, Anm. 77. 52 Esteban Law: Theorie und Phänomen in der Pythagoreischen Astronomie. In: Erzählende Vernunft. Hg. von Günter Frank, Anja Hallacker u. Sebastian Lalla. Berlin 2006, S. 285–302, S. 294  f. 53 Vgl. zum Einfluss der pythagoreischen Lehre auf die kabbalistische Religiosität der Renaissance Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 1, S. 9–12, 183–189. 54 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.8, S. 221: „Dei filium, primam mentem, divinum scilicet intellectum, tradunt Plotinus & Philo, a deo patre manantem, quemadmodum abs loquente verbum, vel sicut a lumine lumen.“ (Übers. S. B.).

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hauch‘ kommt von aithaer, das heißt ‚glühende Luft.‘ Daher nannte Orpheus den Äther pyripnon, das heißt ‚Feueratem‘.55

Auch Suchtens Darlegung, dass Platon in der Wärme (calor) eine Erscheinungsform des Gottessohns erblickte und Dionysius, der vermeintliche „Schüler des seligen Paulus“, diese als eine gottgleiche Hypostase angesehen habe, findet sich fast wortgleich im zweiten Buch der Occulta philosophia.56 Agrippa bezieht sich hier einerseits auf die pseudo-dionysische Lichtmetaphysik, der zufolge die höchste Himmelssphäre gemäß ihrer Beschreibung als ‚Empyreum‘ in einem Feuer besteht, andererseits auf das ‚Buch der XXIV Philosophen‘, wonach Gottes einheitliches Wesen einer Gluthitze (ardor) gleicht. Dieser ardor – beziehungsweise calor  – tritt in Suchtens Traktat in Gestalt des klarifizierten, göttlichen Geistes auf. Ebendieser Geist ist es auch, der allen Kreaturen Leben einhaucht und der die Gottesebenbildlichkeit des Menschen garantiert. Der logotheologisch motivierte Verzicht auf eine anima inspirata zugunsten einer terminologische Zentrierung auf den Geist des Herrn führt zwangsläufig zu einer Neukontextualisierung von imago dei und spiraculum vitae. Die beiden Theologumena werden vom biblischen Begriff der ‚Seele‘ disjungiert und mit dem menschlichen Geist gleichgesetzt.

5.3 Häretisierung von Suchtens Christologie Dass Suchtens Propositiones schon kurz nach ihrem Erscheinen im Jahr 1561 von schultheologischer und schulmedizinischer Seite heftig bekämpft wurden,57 lag weniger an seiner darin geäußerten vernichteten Kritik an der akademisch gebildeten Ärzteschaft als an den logostheologischen Implikationen seiner Naturphilosophie, die ihrerseits ein vielsagendes Licht auf Suchtens Christologie warfen.

55 Ebd., S. 222: „Et apud Homerum legimus, aethera esse regnum Iovis, ubi canit: Iupiter obscurans nebulas, & in aethere regnans. Et idem alibi: Sors Iovis est coelum, nebulis sedet aethere lato. Dicitur autem aether iuxta Graecorum grammaticam, ab aetho, quod significat ardeo, et aer spiritus, quasi aether, id est ardens spiritus. Hinc Orpheus aethera appellavit pyripnon, id est igneum spiraculum.“ (Übers. S. B.). 56 Vgl. ebd. II.32, S. 174: „[Calor] [t]anta consonantia deo respondet, ut Plato eum vocet conspicuum dei filium: & Iamblichus illum imaginem divinae intelligentiae appellat: & noster Dionysius eum perspicuam dei statuam vocat.“; vgl. Kap. 4.3.2, S. 92, Anm. 77. 57 Vgl. Didier Kahn: Le Fixe et le volatil. Chimie et alchimie, de Paracelse à Lavoisier. Paris: CNRS Éditions, 2016, S. 76  f.; ders.: Alchimie et Paracelsisme en France à la fin de la Renaissance (1567–1625). Genf 2007, S. 134  ff.

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Den Stein des Anstoßes bildete erstens der Umstand, dass der Danziger die Gottnatur Christi mit der reinsten Qualität des spiritus mundi gleichsetzte, und zweitens die Analogie, die er zwischen der quinta essentia und dem Heiland konstatierte: „Ebenso wie Gott und Mensch nicht vereinigt werden können, es sei denn durch eine vermittelnde Instanz (diese ist Christus, unser Erlöser), kann sich auch die Wärme von Sonne und Mond nicht mit der Nahrung mischen, es sei denn durch ein Mittleres.“58 Indem Suchten den Gottessohn mit der quinta essentia – und nicht etwa mit dem calor solis et lunae – analogisierte, erweckte er den Eindruck, als situiere er die himmlische Natur Christi unterhalb des Empyreums. Zudem schien sich der Verdacht aufzudrängen, dass Suchten in Christus nicht Gott selbst, sondern nur ein Geschöpf des Vaters erblickte, zumal er in der zwölften Propositio sogar den hochsubtilen calor solis et lunae lediglich als ein Geschöpf Gottes („creatura“) bezeichnete.59 All dies gab Anlass zu der Mutmaßung, es handle sich bei Suchten um einen Gegner des Trinitätsdogmas. So wurde Danziger schon bald nach der Publikation der XVIII Propositiones von den Ärzten Conrad Gessner (1516–1565) und Johannes Crato (1519–1585) ‚arianischer‘ – das heißt anti-trinitaristischer – Umtriebe bezichtigt.60 Unter der gleichen Anschuldigung war im Jahr 1553 der spanische Gelehrte Miguel Servet auf Betreiben Calvins in Genf verbrannt worden, was aufseiten hochrangiger Reformatoren wie Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger Beifall gefunden hatte.61 Der Arianismus-Vorwurf konnte für Suchten also durchaus lebensbedrohlich werden; und dies umso mehr, da er bald zusammen mit Paracelsus als Schwarzmagier verfemt werden sollte.62 Den Auftakt zur Häretisierung des Hohenheimers bildete Cratos Vorrede zu den von ihm edierten Rhazes-Vorlesungen Giovanni Battista de Montes. Hierin erklärte er Paracelsus zu einem „Meister der Enthusiasten“ und einem „frevlerischen Verräter seiner Religion“.63 Noch bevor die Vorlesungen 1562 im Druck erschienen, sandte Crato, nun wild entschlossen, eine Offensive gegen die ‚Theophrastianer‘ einzuleiten, eine Abschrift von Suchtens Propositiones an seinen Kollegen Conrad Gessner. Dabei

58 Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, fol. 255v. 59 Vgl. Kap. 4.3.2, S. 92, Anm. 77 u. 80. 60 Vgl. Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S.  166–169; ders.: Antiparacelsismus und Dreieinigkeit, S. 140. 61 Uwe Birnstein: Toleranz und Scheiterhaufen: Das Leben des Michael Servetus. Göttingen 2013, S. 88; zu den medizinischen Implikationen von Servets Antitrinitarismus vgl. Bröer: Blutkreislauf und Dreieinigkeit, S. 25. 62 Vgl. Kap. 7.1, S. 244–247. 63 Vgl. Johannes Baptista Montanus: In nonum librum Rhasis […] lectiones restitutae a Ioanne Cratone. Basel 1562, f. 3r–v; vgl. ferner Gilly: Theophrastia sancta, S. 431  f.

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konnte er davon ausgehen, dass er in dem Züricher Stadtarzt einen Verbündeten im Kampf gegen die Paracelsisten finden würde, zumal dieser sich bereits 1545 in seiner Bibliotheca universalis abfällig über Paracelsus geäußert hatte.64 Gessners Antwort erfolgte in einem Brief vom August 1561, in dem er die paracelsische Lehre, die er durch Suchten vertreten sieht, als ‚arianisch‘ brandmarkt: Unter den Schriften, die Du mir geschickt hast, habe ich die Propositiones von diesem Schaumschläger Alexander von Suchten gefunden. Um von dessen Unwissen auf medizinischem Gebiet betreffs der Ursache und Behandlung von Krankheiten einmal zu schweigen (denn darüber muss ich Dir nichts sagen), richte man nur den Blick darauf, was er uns als Verkörperung des Gottessohns auftischt: nichts anderes nämlich, als den Geist der Welt und der Natur, der zugleich der Geist unseres Körpers sei (wieso erklärt er diesen nicht gleich auch zum Geist von Esel und Ochs?) und durch die Kunst des Theophrastus und seiner Schüler vom Stofflichen oder von den Körpern der Elemente geschieden werden könne. Wollte man versuchen, ihn hiermit in Bedrängnis zu bringen, so würde er wohl behaupten, er gebe damit nur die Meinung der Philosophen wieder, nicht seine eigene; aber er trägt sie so vor, als lobe er sie. Und ich kenne auch andere Theophrastianer, die derartiges in ihre Schriften einflechten, und daraus wird leicht ersichtlich, dass sie die Göttlichkeit Christi bestreiten. Ich hege nicht den geringsten Zweifel daran, dass auch ihr Theophrastus selbst ein Arianer war.65

Es ist offensichtlich, dass Gessner vor dem Hintergrund seines eigenen, galenisch-aristotelisch geprägten Weltbilds die logostheologische Grundlegung von Suchtens spiritus-Begriff verkannte. Sonst hätte er eingesehen, dass die Gleichsetzung des Heilands mit dem „Geist der Welt und der Natur“ keine Minderung, sondern  – im Gegenteil  – eine Affirmation der Göttlichkeit Christi bedeutete:

64 Vgl. Conrad Gessner: Bibliotheca universalis sive Catalogus omnium scriptorum locupletissmus […]. Christoph Froschauer, Zürich 1545, f.  614v. Gessner berichtet hier mit verächtlichem Unterton, Paracelsus habe die medizinischen Autoritäten von Galen und Hippokrates nicht anerkannt, sei des Lateinischen nicht mächtig gewesen und habe seines Wissens nichts Großartiges geleistet („nihil egregij eum praestitisse“), sofern er nicht sogar ein Aufschneider gewesen sei („quin potius impostorem fuisse“). 65 Brief Conrad Gessners an Johannes Crato vom 16. August. 1561. In: Epistolarum Medicinalium […] Libri III. Hg. von Caspar Wolf. Zürich 1577, f. 2r: „His scriptis reperi propositiones à te missas nebulonis illius Alexandri â Suchten: de cuius in re medica causis & curationibus morborum imperitia, ut nihil dicam (neq. enim opus est apud te) vide quem nobis conspicuum Dei filium faciat, non alium scilicet quàm spiritum mundi & naturae, eundemque corporis nostri (mirum quod non etiam asini ac bovis addit) qui artificio discipulorum Theophrasti, a materia seu corporibus elementorum separari potest. Si quis ipsum urgeat, dicet se philosophorum sententiam rettulisse, non suam: atqui ita recitat, ut laudet. Et scio alios quoque Theophrasteos talia suis scriptis aspergere: unde Christi divinitatem eos negare facile appareat. Ipsum Theophrastum Arianum fuisse, omnino mihi constat.“ (Übers. S. B.).

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Schließlich handelte es sich bei diesem Geist um den ureigenen Atem Gottes. Dass Gessner in Suchten einen Arianer erblickte, ist allein darauf zurückzuführen, dass er den spiritus mundi in der Tradition der aristotelisch-galenischen Naturphilosophie bloß als eine physiologische Lebenskraft ansah; nicht aber als eine Manifestation des göttlichen Schöpfungswortes. Während Gessner ausgehend von seinem eigenen spiritus-Begriff in der Gleichsetzung von Christus und Weltgeist eine Unterminierung der Göttlichkeit des Erlösers erblickte, verhielt es sich aus Sicht der Paracelsisten genau umgekehrt: Indem Suchten in der elften ­Propositio erklärt, dass der spiritus corporis mit dem spiritus mundi identisch sei, und letzte­ rer in seiner reinsten Qualität die Gottnatur Christi verkörpere,66 behauptet er nicht weniger, als dass der spiritus corporis am überirdischen Wesen des Gottessohns Anteil habe. Bei diesem menschlichen Geist aber konnte es sich aus Sicht der universitären Ärzteschaft nur um einen der beiden spiritus handeln, die Galen im Herzen (spiritus vitae) und im Gehirn (spiritus animalis) lokalisiert hatte. Da akademisch geschulte Mediziner wie Gessner und Crato nun dem einen wie dem anderen dieser spiritus lediglich eine physiologische – und eben keine metaphysische – Natur zuschrieben, stand es für sie außer Frage, dass Suchten in den Pro­ positiones die Göttlichkeit Christi und somit die Dreieinigkeit Gottes bestritt. Die Paracelsisten kamen aufgrund ihrer mystischen Geistmetaphysik freilich zu den umgekehrten Schluss: Ihnen galt der spiritus corporis, beziehungsweise der spiri­ tus mundi, als derart heilig, dass er sogar an die Göttlichkeit Christi heranreichte. Indem Suchten den traditionellen medizinischen Geistbegriff, wonach der spiritus gemäß seiner Etymologie nichts weiter als ein ‚Hauch‘ ist, mit dem Atem Gottes (spiritus dei) identifizierte, bezog er Stellung in einem schon länger währenden Konflikt, der sich an der Frage entzündete, ob der spiritus sanctus als reiner, immaterieller Geist zu gelten habe oder ob er von der gleichen Natur sei wie die physischen spiritus des aristotelisch-galenischen Weltbilds. Von den beiden konkurrierenden spiritus-Konzepten lautete das eine auf die Spiritualisierung des bestehenden medizinischen Weltbilds nach Art der Paracelsisten, das andere auf eine Physiologisierung des Heiligen Geistes. Dass die letztgenannte Option durchaus Akzeptanz fand, offenbart der Blick auf Melanchthons anti-spiritualistische Anthropologie.67 Im Rahmen seiner Universitätsreform war der Wittenberger ­ echtfertigungslehre auf ein Theologieprofessor darum bemüht, die lutherische R 68 physiologisches Fundament zu stellen. Hierbei ging er von der galenischen Vor-

66 Vgl. Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, f. 255v: „Spiritus mundi, et spiritus corporis nostri est unus et idem spiritus.“ 67 Vgl. Sonntag: Die medizinischen Spiritus im 16. Jahrhundert, S. 172. 68 Hierzu ausführlich Wels: Manifestationen des Geistes, S. 89–97.

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stellung aus, dass sich menschliche spiritus vitalis  – in Übereinstimmung mit Suchtens Ausführungen in der Fusior declaratio – durch die Aktivität des Herzens als ein lebensspendendes Prinzip im ganzen Körper verteile.69 Nach Melanchthon vollzieht sich die Rechtfertigung des gottergebenen Individuums darüber, dass der Heilige Geist sich im menschlichen Herzen mit dem spiritus animalis vermischt. Infolgedessen werde der Mensch getröstet und in seinem Glauben gefestigt.70 Die Ausgießung des spiritus sanctus erfolge über das Licht der Gestirne, allen voran der Sonne.71 Im Vergleich der Pneumatologie Melanchthons mit der Geistmetaphysik Suchtens fällt zwar auf, dass beide Gelehrte die Sonne als Spenderin des göttlichen Geistes vorsehen. Allerdings bestimmt Suchten den calor solis et lunae nicht als physiologisches, sondern – in Berufung auf die Platonici – als ein metaphysisches Phänomen. Dagegen lässt der Wittenberger Professor in seinen Schriften nirgends den Eindruck aufkommen, man hätte neben der stofflichen noch eine reine, immaterielle spiritus-Qualität anzunehmen. Auch hält Melanchthon eine Vermengung der physiologischen spiritus mit dem Heiligen Geist für unproblematisch. Demgegenüber macht Suchten für eine Interaktion des calor solis mit der grobstofflichen Nahrung die Mittlerinstanz der quinta essentia zur Bedingung. Ihm zufolge ist der Lebensquell des Menschen allein der Geist Gottes. Calor, spiritus mundi, quinta essentia und spiritus corporis sind allesamt Qualitäten des primordialen Geistes. Insofern erübrigt sich auch eine nachträgliche Eingießung des spiritus sanctus in das menschliche Innere. Erst der Heidelberger Theologe Thomas Erastus (1524–1583) erkannte, dass die eigentliche Devianz der paracelsistischen spiritus-Lehre nicht in der Unterminierung Christi, sondern vielmehr in der unbotmäßigen Verabsolutierung des Geistes Christi besteht.72 Erastus war es auch, der die erste große Kampfschrift gegen die Lehre Hohenheims verfasste: Die vier Bände der Disputationes de medi­ cina nova Philippi Paracelsi. Dieses von Pietro Perna zu Basel gedruckte Pamphlet, das Erastus in den Jahren 1571 bis 1572 sukzessive herausgab, profitierte von brieflich übermittelten Beiträgen weiterer reformierter Autoritäten, darunter Heinrich Bullinger, Johann Jakob Grynaeus und Joachim Camerarius der Jüngere.73 Die

69 Ebd., S. 90. 70 Ebd., 91  f. 71 Ebd., S. 92. 72 Zur Häretisierung des Paracelsismus durch Erastus s. Wilhelm Kühlmann: Das häretische Potential des Paracelsismus – gesehen im Licht seiner Gegner. In: Gelehrtenkultur und Spiritualismus. Bd. 3. Hg. von dems. Heidelberg 2016, S. 235–266, hier, S. 246–256. 73 Charles D. Gunnoe: Thomas Erastus and his Circle of Anti-Paracelsians. In: Analecta Paracel-

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treibende Kraft bei der Entstehung der Disputationes aber war Johannes Crato, der Erastus neben anderen Dokumenten auch Suchtens Propositiones zuspielte.74 Auch nach dem Erscheinen der Disputationes rissen Cratos Anfeindungen gegen den Paracelsismus nicht ab: Hiervon zeugt sein Brief an den Wiener Hofarzt Wilhelm Aragosius, den er davor warnt, nicht dem gleichen Irrglauben zu verfallen wie dereinst Suchten. Den Anlass für dieses Schreiben bildete die Publikation von Aragosius’ Schrift De sole triplici, in der er hermetisches und kabbalistisches Gedankengut verarbeitet hatte. Dass dieses Werk den Argwohn Cratos erregte, lag gewiss auch daran, dass Aragosius dem paracelsistisch inspirierten Arzt Theodor Zwinger nahestand.75 In der Tat war die Freundschaft von Zwinger und dem Wiener Hofmedicus von wechselseitiger geistiger Befruchtung geprägt, und dies besonders auf naturphilosophischem Gebiet.76 Kurz vor der Veröffentlichung von De sole triplici bat Aragosius seinen Freund Zwinger darum, über den gemeinsamen Austausch der Argumente seines jüngsten Werks gegenüber Crato kein Wort zu verlieren.77 Nichts desto weniger scheint der kaiserliche Leibarzt von der Korrespondenz von Aragosius und Zwinger Wind bekommen zu haben. Cratos an Aragosius adressierter Brief enthält nämlich die Mahnung, ja nicht der paracelsistischen Häresie eines Suchten anheimzufallen: Dein Brief hat mir die Gedanken eines Paracelsisten, Alexander von Suchten, in Erinnerung gebracht, der identische Spekulationen über Wärme und Sonne propagierte, wie Du in Deinem De triplici Sole. Dennoch verfiel er der Ketzerei der Arianer und Samosatenianer. Nach Art der Platoniker, die zwischen Gott und der Intelligenz des Menschen ein mittleres Wesen hinstellten, stellte Suchten Christus zwischen Gott und den Menschen. Solches pflegt mitunter bei denjenigen zu geschehen, die sich allzu sehr von einer inneren Offenbarung verleiten lassen. Deshalb und weil ich Dich liebe, bitte ich Dich, auf diesem Pfad nicht weiter voranzuschreiten, sondern Dich an die Worte Gottes zu halten.78

sica. Studien zum Nachleben Theophrasts von Hohenheim im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1994, S. 127–148, hier S. 139–143. 74 Vgl. Charles D. Gunnoe: Erastus and Paracelsianism. Theological Motifs of Paracelsism natural Philosophy. In: Reading the Book of Nature. The Other Side of the Scientific Revolution. Hg. von Allen G. Debus u. Michael T. Walton. Kirksville (Missouri) 1998, S. 45–65; ders: Thomas Erastus and his Circle of Anti-Paracelsians, S. 141  f.; Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 172  f. 75 Zur Person Theodor Zwingers s. Gilly: Zwischen Erfahrung und Spekulation. Tl. 1. In: BZGA 77 (1977), S. 57–137 sowie Tl. 2. In BZGA 79 (1979), S. 125–223. 76 Ebd., Tl. 1, S. 117  ff. 77 Ebd., S. 119. 78 Brief Johannes Cratos an Wilhelm Aragosius vom 1. Juli 1576. Universitätsbibliothek Basel, Frey Gryn. II 23, 134 (Übers. Gilly in: Zwischen Erfahrung und Spekulation. Tl. 1, S. 119).

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Cratos Angriffe gegen die paracelsische Lehre erfolgten auch im Eigeninteresse, denn als Verfechter eines politischen Friedens zwischen den Konfessionen und als Sympathisant des Calvinismus befand sich der königliche Leibarzt in ständiger Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten.79 Mit seinen Angriffen auf religiöse Extremisten wie Schwenckfeldianer oder vermeintliche Arianer wie Suchten und Hohenheim vermochte sich Crato nach außen hin als Gefolgsmann der schultheologischen Direktive zu präsentieren.80 Gleiches lässt sich von Gessner behaupten, dessen Freundschaft mit dem Antitrinitarier Lelio Sozzini, welcher seit 1554 als Anhänger Miguel Servets (1509–1553) galt, offenes Misstrauen hervorrief.81 Den größten Profit aus der Verketzerung der Paracelsisten als Arianer aber zog Erastus, zumal dieser selbst gegen den Vorwurf des Antitrinitarismus zu kämpfen hatte. Dieser Vorwurf hatte durchaus seine Berechtigung, zumal Erastus mit bekennenden Gegnern der Trinitätslehre in regem Austausch stand. Im Jahr 1571 wurde er in einen Skandal verwickelt, in dessen Folge die Antitrinitarier Matthias Vehe, Jacob Suter und Adam Neuser vorübergehend inhaftiert wurden und der Kaiserslauterner Superintendent Johannes Sylvanus sein Leben auf dem Schafott lassen musste. Erastus selbst wurde von der Eucharistie ausgeschlossen.82 Als Reaktion darauf verfasste der Heidelberger eine Abhandlung über die Frage, „ob die Exkommunikation […] auf einem göttlichen Auftrag beruht, oder von den Menschen erfunden wurde.“83 Auch in den Folgejahren wurde Erastus immer wieder mit dem Verdacht der Häresie konfrontiert. Immerhin wurde er wieder zum Abendmahl zugelassen, nachdem er in seinen Disputationes ausführlich dargelegt hatte, dass die Gefahr des Antitrinitarismus weniger von den Reihen der Heidelberger Schultheologen ausging als vielmehr von dem inzwischen weit verbreiteten Paracelsismus. Zur Eindämmung dieser Häresie forderte er die Todesstrafe.84 Als exemplarisch für seinen erbitterten Kampf gegen die ‚Theophrastianer‘ kann seine Auseinandersetzung mit den Propositiones gelten, die er auf

79 Vgl.  Howard Louthan: The quest for compromise. Peacemakers in Counter-Reformation Vienna. Cambridge 1997, S. 85–105. 80 Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 152–155. 81 Ebd., S. 157  ff.; s. hierzu auch Gessners Trostbrief an die in Italien gefangenen „Familiares“ Sozzinis in Delio Cantimori: Italienische Häretiker der Spätrenaissance. Basel 1949, S. 227. 82 Vgl. Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 170  ff. 83 Vgl. Thomas Erastus: Explicatio gravissimae quaestionis, utrum excommunicatio mandato nitatur divino an excogitata sit ab hominibus, entstanden 1569, gedruckt 1589. 84 Thomas Erastus: Disputationum de nova Philippi Paracelsi medicina pars prima. Pietro Perna, Basel 1572, S. 135: „Verbi divini impius et turpissimus abusus, poena capitis in ómnibus puniendus.“; vgl. Gilly: Theophrastia sancta, S. 433; ders.: Zwischen Erfahrung und Spekulation. Tl. 2, S. 182.

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44 Seiten Stück für Stück widerlegt. Dabei konnte er auf zwei gegen Suchten gerichtete Schriftstücke zurückgreifen: die Antitheses rationales des Augsburger Arztes Lucas Stenglin und ein Iudicium des ebenfalls in Augsburg ansässigen Universalgelehrten Achilles Pirmin Gasser. Letzterer erhebt hierin ein weiteres Mal den Vorwurf der Häresie.85 Suchten selbst erhielt schon bald Notiz von dem Wirbel um seine Proposi­ tiones, zumal Gessner 1564 die kurz zuvor verfassten Gegenschriften Stenglins und Gassers höchstpersönlich an ihn weiterleitete, um ihn davor zu warnen, den eingeschlagenen Weg auch nur einen Schritt weiter zu verfolgen.86 Diese Warnung Gessners nimmt sich als geradezu gnädig aus, wenn man darauf blickt, dass Gasser in seinem Iudicium erklärt, der Galgen und das Rad seien für einen Ketzer und Magier wie Suchten noch zu milde; am liebsten würde er ihn gleich den ewigen Strafen ausliefern.87 Besonderen Anstoß nahm der Augsburger an der zehnten Propositio, der zufolge „die Wärme der Sonne und des Monds durch eine wundersame und geheime Kunst aus den Dingen, in denen sie enthalten ist, extrahierbar ist [und] einen hochsubtilen Stoff darstellt, den Gott in seiner Größe und Güte zur Gesundung und Erhaltung unserer menschlichen Natur aus dem Geist der Welt geschaffen hat.“88 Die Konstatierung eines schöpferischen und heilspendenden spiritus mundi konnte nach Gasser nur eine Relativierung der göttlichen Macht bedeuten: Die zehnte These ist blasphemisch und häretisch, da sie für den höchsten und allmächtigen Gottes Zeugungsunfähigkeit behauptet: Dieser habe nicht allein durch sein Wort alles geschaffen, vielmehr erzeuge er für gewöhnlich aus dem Weltgeist – als sei jener eine Art Mutter  –, einen sehr feinen Stoff, welcher der menschlichen Natur zur Gesundung und Erhaltung dient.89

85 Vgl. Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 166  f. 86 Vgl. den Brief Gessners in Kap. 7.1, S. 246. 87 Stenglins und Gassers Gegenschriften sind als Faksimilia überliefert in: Codex Palatinus Latinus, Nr.  1892 der Bibliotheca Vaticana, vgl. Lucas Stenglin: Antitheses rationales paradoxis Johannis [sic] a Suchtis medici regis Poloniae propositionibus adversariae, f. 256v–257r u. Achilles Pirmin Gasser: Iudicium et censura […], f. 258r–260v, hier f. 260v: „Ergo impostor et latro hic, non ad furcam & ad rotae supplicium supinus unco rapiendus e vestigio est, ne bipedum hunc nequissimum nebulonem tellus dehiscens vivum absorbeat. Sed ut adparet iam illum dirus agitat Alastor, dum ultris Nemesis turpissimum finem tristi poena, ubi non resipuerit, propediem inducat.“ 88 Vgl. Kap. 4.3.1, S. 79, Anm. 29. 89 Achilles Pirmin Gasser: Iudicium et censura […], f. 259r: „Decima propositio blasphema et heretica est. Deum Opt: Max: enim impotentiae arguit, qui non solo verbo ex nihilo cuncta crearit, Sed ex sprititu quodam mundi, tanquam matre, generare soleat materiam simplicissimam pro restauratione et conservatione naturae humanae.“ (Übers. S. B.).

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Doch auch in der zwölften Propositio, in der Christus als ein zwischen Gott und Mensch situiertes „medium“ bezeichnet wird, sieht Gasser einen eindeutigen Beleg für Suchtens Häresie: Die zwölfte These ist ganz und gar ungeheuerlich: Er wagt es nämlich, den feststehenden christlichen Glaubenssatz der Einheit von Gott- und Menschennatur in der Person Christi, unseres Erlösers, mit den Albernheiten der ungebildeten Chymiker in Beziehung zu setzen – und was noch noch schlimmer ist: Er scheut sich nicht, seinen calor solis et lunae auf blasphemische Weise als das vollkommenste geistige Prinzip und das höchste Geschöpf Gottes zu bezeichnen, wo doch jedes Kind einsehen dürfte, dass die menschlichen Seelen sowie die holdseligen Engel in ihrem ewigen Wesen die hohlen und vergänglichen Extrakte der Chymiker übertreffen, woran sich auch in Zukunft nichts ändern wird.90

Erastus schließt sich in seinen Disputationes der Verurteilung der zwölften Pro­ positio an, wobei er ausgehend von Gessners Brief, den Crato persönlich an ihn weitergeleitet hatte, abermals den Ariansimus-Vorwurf erhebt. Vor dem Hintergrund, dass der Danziger die Gottnatur Christi mit dem klarifizierten Weltgeist und diesen wiederum mit dem spiritus corporis gleichsetzt, kommt auch Erastus zu dem Schluss, Suchten stelle das göttliche Wesen des Erlösers mit den physiologischen Lebensgeistern der galenischen Medizin auf eine Stufe. Aus Erastus’ Sicht ist die alchemisch fundierte, arianisch anmutende Christologie Suchtens derart blasphemisch, dass er in ihm einen noch größeren Kontrahenten der Rechtgläubigkeit erkennt als in den natürlichen Feinden der Christenheit, den Osmanen: Alle Verwegenheit der Mohammedaner übertrifft dieser durch und durch teuflische Mensch (ich nenne ihn so, denn das Wort ‚gottlos‘ ist zu schwach), indem er zu behaupten wagt, der Geist der Welt (welcher derselbe sei wie der Geist unseres Körpers), sei eine Verkörperung des Gottessohns; und dies, obwohl jener Geist weniger rein und vollkommen sei als die Wärme der Sonne. Welcher Mohammedaner oder Arianer hätte es gewagt, so etwas Verwerfliches zu glauben oder auszusprechen; sich gar erdreistet, so etwas Frevelhaftes zu schreiben?91

90 Ebd. f. 259r: „Duodecima propositio plane portentosa est. Etenim indubitatae fidei Christianae thesim de idemitate Divinutais et humanitatis in persona servatoris Christi audet nugamentis indoctorum chymistarum comparare: Immo quod deterius est, non veretur calorem illum suum Solis et Lunae, perfectissimum spirituale, et máximum inter omnes creaturas Dei inverecunde adpellare, cum tamen vix pueros latet, animas hominum, ipsosque bonos Angelos infinitis modis chymistarum stulta et interitura extracta superare superaturasque esse.“ (Übers. S. B.). 91 Thomas Erastus: Disputationum de nova Philippi Paracelsi medicina pars tertia […], Basel 1572, S. 43: „Omnem porro Mahometanorum audaciam superat, quod homo, non dicam impius (nimis enim leve est verbum) sed plane Tartareus audet affirmare, spiritum mundi (qui idem sit spiritus cum spiritu corporis nostri) filium Dei esse conspicuum, minus purum & perfectum calore illo solari. Quis Mahometanus aut Arianus de filio Dei tam est ausus abiecte vel sentire vel loqui? Imo tam scelerate scribere?“ (Übers. S. B.).

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Weiterhin zieht Erastus aus Suchtens Analogisierung von Christus und quinta essentia den völlig abwegigen Schluss, der Danziger vertrete ein Mystik-Konzept, welchem zufolge eine unio mit Gott durch bloße Nahrungsaufnahme realisierbar sei: Dementsprechend werde der Mensch durch Christus desto nachhaltiger mit Gott vereint, je weiter die quinta essentia die aufgenommene Nahrung in den calor hominis transformiere. Gegen dieses unio-Konzept stellt Erastus die Vision einer Aussöhnung von Mensch und Gott durch den Glauben: Ebenso wie Gott ihm [= Suchten] zufolge nicht mit dem Menschen hätte versöhnt werden können (denn dies ist der Sinn der göttlichen Vereinigung mit dem Menschen), wenn nicht Christus als Vermittler aufgetreten wäre, könne der calor, der in der quinta essentia aller Dinge enthalten sei, sich nicht mit dem angeborenen calor des Menschen vermischen, wenn sich hierzu nicht die – mit Hilfe der Chymie von allem Grobkörperlichen befreite – quinta essentia anböte, mit der die Nahrung durchsetzt ist. Wer wäre so dumm, dass er diese Gleichsetzung  – abgesehen davon, dass sie gotteslästerlich ist  – nicht für töricht hielte? Gott verbindet sich mit dem Menschen durch Christus nicht auf solche Weise, dass er sich zur Nahrung und somit zu einem Teil des Menschen macht. Die Vereinigung erfolgt über die Seele und den Glauben, nicht über die Ernährung […]. Die Lästerung des Gottessohnes steigert er auch noch, indem er schreibt, dass dieser nicht nur im Menschen wohne, sondern in Gestalt der quinta essentia auch in anderen Dingen, nämlich in Metallen, Pflanzen, Unflat und Exkrementen herausgezogen und vor aller Augen präsentiert werden könne.92

Es ist fraglich, inwieweit die zitierten Anschuldigungen gegenüber Suchten be­rechtigt sind. Gewiss legt Suchten die Grenzen des theologisch Vertretbaren sehr weit aus, indem er in den Propositiones den calor solis et lunae als göttlich verklärt. Es ist allerdings unzutreffend, dass er diese Wärme, wie von Erastus behauptet, über den Gottessohn stellt. Vielmehr preist Suchten den calor in der elften Pro­ postitio als eine Verkörperung des gütigen Wesens Christi; der calor sei „conspicuus Dei Filius“.93 Auf diese Gleichsetzung von Christus und calor kommt Erastus hingegen erst zu sprechen, indem er Suchten die Irrlehre in den Mund legt, dass die Nahrungsaufnahme eine Option auf die mystische Vereinigung mit dem Got-

92 Ebd., S. 50–54: „Sicut Deus, inquit, Homini reconciliari (hoc enim est Deum vniri cum homine) non potuit, nisi Mediator interveniret Christus, ita calor, qui in Quintam rerum essentia continetur, cum calore natiuo hominis misceri nequit, nisi quinta haec essentia ministerio C ­ hemiae seorsum à partibus rudioribus offeratur & cum alimento permisceatur. Quis tam bardus est, qui similitudinem hanc, praeterquam quòd impia est, non intelligat ineptam esse? Non coniungitur Deus homini per Christum sic, ut Deus pars & alimentum fiat hominis. Unio haec mentis est ac fidei, non nutritionis […]. Auget igitur blasphemiam de Dei filio, quòd non in homine tantùm inesse: sed ex alijs etiam rebus, metallis videlicet, plantis, stercoribus, & excrementis quibuslibet elici separateque ostendi posse scribit in quintae essentiae corpore.“ (Übers. S. B.). 93 Vgl. Kap. 4.3.2, Anm. 77, S. 92.

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tessohn offeriere. Dass Suchten jemals behauptet hätte, die die Gottnatur Christi könne aus Exkrementen herausdestilliert werden, ist eine haltlose Unterstellung. Auch nimmt er, anders als von Crato und Erastus suggeriert, lediglich eine Analogisierung, nicht aber eine Identifizierung von quinta essentia und Christus vor. Indes offenbart der Blick auf De tribus facultatibus, dass diese Analogisierung wohl nicht ohne einen Hintergedanken erfolgte: Sofern der Erlöser gedachte, dem Menschen kraft des göttlichen Geistes einzuwohnen, war dies eben nur im ewigen ‚Himmel des Menschen‘ möglich, der analog zur quinta essentia des Makrokosmos, das Mittlere zwischen den beiden Extrema repräsentiert. Die Definition Christi als „medium coniungens“ ist jedoch auch einer inneren Problematik des abendländischen Mystik-Diskurses geschuldet. Gott ist, wenn nicht sogar im neuplatonischen Sinne als ein ‚Über-Sein‘, so doch zumindest als das ‚Sein schlechthin‘ (esse) zu verstehen, nicht als ein bestimmtes Seiendes (ens). Als Erst- und Letztgrund aller Dinge ist der Allmächtige nicht objektivierbar, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass sein Wesen nicht in Worte zu fassen ist. Zwar steht der Mensch als ‚Seiender‘ – um ein weiteres Mal die ontologische Differenz zu bemühen – innerhalb des in Gott beschlossenen ‚Seins‘; dieses selbst aber kann, zumal alles Seiende umfassend, seinerseits durch nichts Äußeres erkannt oder erfahren werden. Um dennoch die Option einer unio mystica zu wahren, bedarf es zwangsläufig einer vermittelnden Instanz, mit deren Hilfe sich die ontologische Kluft zwischen der gefallenen Kreatur und Gott überwinden lässt. Dieses Medium, das als wahrer Mensch und wahrer Gott das Sein und das Seiende in sich vereinbart, ist nach christlich-mystischem Verständnis der der Gottessohn. Vor dem Hintergrund des Christus-Worts „Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen“ (Joh 14,7) und „niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6), offenbart sich der Gottessohn als ein Mittler, welcher der Seele zur Vereinigung mit dem Allmächtigen verhilft. Gegen die Berechtigung des Arianismus-Vorwurfs spricht ferner, dass Suchten die Dreigestalt Gottes an keiner Stelle seines Werks bestreitet. In De tribus facultatibus bezeichnet er den Heiligen Geist explizit als „die dritte Person der heyligen Dreyfaltigkeit“.94 Es scheint daher völlig abwegig, dass Suchten in seinem Denken von zeitgenössischen polnischen Antitrinitariern oder gar von Miguel Servet beeinflusst worden sein könnte.95 Sofern sich in seinem Werk überhaupt Belege dafür finden lassen, dass er mit anti-trinitaristischen Positionen sympathisierte, so bestehen diese nicht in einer Unterminierung der Göttlich­keit Christi, sondern in seiner neuplatonisch begründeten All-Einheit Gottes. So

94 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379. 95 So Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 161.

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heißt es in seiner Elegie De vera medicina: „Herr, hab Nachsicht mit der Priesterschaft: Du bist immer nur einer, so wie es auch nur einen Mond gibt, der deinem Willen ein treuer Diener ist.“96 Dieses Zitat impliziert jedoch keine direkte Absage an die Trinität. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Aussprache für einen Monismus, der nach pseudo-dionysischem Vorbild in sich triadisch gegliedert ist.97 Dies wird deutlich, indem Suchten in einer Interlinearglosse zu selbigem Gedicht die Einheit Gottes mit der einheitlichen Wesen der magia in Analogie setzt: „Ebenso wie es nicht drei Götter, sondern nur einen Gott gibt, gibt es nicht drei Künste, sondern nur eine einzige Kunst, die in einer Dreiheit („in Trinitate“) besteht: Diese bezeichneten die Alten als ‚Magia‘.“98 Die hierin anklingende Kontextualisierung der magia mit der pseudo-dionysischen Trinitätslehre wird auf den letzten Seiten von De tribus facultatibus vollumfänglich entfaltet.99 Vor dem Hintergrund, dass Suchten in seinem Traktat die geistige Verwandtschaft seiner magia mit der dionysischen Lehre in De ecclesistica hierarchia konstatiert, hat man davon auszugehen, dass Suchten ein Dreieinigkeitskonzept vertritt, das der mystischen Tradition des Areopagiten entspricht. Demgemäß stellt er weder die Trinität noch die Göttlichkeit Christi infrage.

96 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 461: Parce Deus vati, tu semper es unus, & una est / Luna voluntatis fida ministra tuae.“ 97 Die Ursprünge dieses theologiegeschichtlich hochbedeutsamen Dreieinigkeits-Modells reichen zurück bis hin zur Theologia platonica des paganen Philosophen Proklos (412–485 n. Chr.). Anfang des sechsten Jahrhundert transformierte ein christliche Autor unter dem Namen des Heiligen Dionysius vom Areopag dessen neuplatonische Gotteslehre im Sinne der Heiligen Schrift; mithin entwickelte er in seinem Werk De coelesti hierarchia eine fundierte Darstellung einer christlichen Engellehre. Diese basiert auf einer hierarchisch strukturierten Himmelsarchitektur, die in sich auf mehrfache Weise triadisch geordnet ist. Die Dominanz der Dreizahl steht hierbei im Einklang mit der Trinität, die Ps.Dionysius auf der Grundlage der Logostheologie entfaltet. Gottvater ist demzufolge der Archetyp und somit ein in sich ruhendes, auf sich selbst bezogenes Sein. Im Akt seiner Entäußerung (proodos) tritt das Sein in der Gestalt Christi aus sich heraus. Das in sich zurückkehrende Sein (epistrophe) bestimmt Ps.Dionysius als den Heiligen Geist (vgl. Kap. 5.7, S. 170 mit Bezug auf Meister Eckhart sowie Kap. 7.7.3, S. 342 u. Kap. 7.7.6, S. 365). 98 Chymische Schrifften. De medicina S. 460: „Sicut non sint tres Dii, sed unus Deus tantum: ita non sunt tres scientiae, sed una tantum in Trinitate consistens: Quam veteres Magiam appellarunt.“ (Übers. S. B.). 99 Vgl. Kap. 7.7.6, S. 355–361.

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5.4 Die Zwei-Naturen-Lehre Auch Paracelsus spricht sich in keinem seiner Werke gegen die Trinität aus. Vielmehr besitzt das Prinzip der Dreiheit Gottes bei ihm vor dem Hintergrund der tria-­ prima-Lehre geradezu universelle Gültigkeit. In Schriften wie De sancta Trinitate oder De genealogia Christi stellt er unmissverständlich klar, dass der Sohn kein Geschöpf des Vaters, sondern mit diesem von jeher koexistent ist.100 Indem er die Sohnschaft Gottes vom logostheologischen Konzept der Autokommunikation des Allmächtigen herleitet, steht für ihn außer Frage, dass der Sohn als Spiegelbild des Vaters nicht minder göttlich ist als die anderen beiden Personen der Dreifaltigkeit. Tatsächlich besteht Hohenheims Bruch mit dem vorherrschenden Trinitätsdiskurs nicht, wie Gessner behauptet, in einer Nivellierung der Göttlichkeit des Erlösers, sondern in deren Gegenteil: Paracelsus verleiht der Göttlichkeit Christi so viel Gewicht, dass er sich weit von der Zwei-Naturen-Lehre, wonach der Heiland zu seinen Erdentagen sowohl wahrer Mensch und wahrer Gott war, entfernt. Stattdessen vertritt er die Anschauung, dass Christus auch als Mensch einen limbus aeternus besessen habe: einen überaus vollkommenen, ewigen Leib. Damit nähert sich Paracelsus der Häresie des Doketismus an: Demnach hätte der Gottessohn nur zum Schein eine menschliche Gestalt angenommen. Tatsächlich macht der Hohenheimer kurz vor dieser Lehrmeinung halt, indem er die incar­ natio verbi dahingehend interpretiert, dass der limbus aeternus in eine sterb­ liche Hülle einging, die dem Gottessohn jedoch zu keinem Zeitpunkt wesentlich angehörte.101 In diesem adamischen Fleisch sei „gelegen die empfindlichkeit, die red, die stimb, das essen und dergleichen, wie dann einem menschen zugehört hat. die person des suns [aber] hat nit gessen, aber die person der tödlichkeit hat gessen, getrunken.“102 Mit der Behauptung der Unvereinbarkeit dieser beiden Personen setzt sich Paracelsus über das Prinzip der Idiomenkommunikation hinweg: Als ‚Fleisch‘ des Gottessohns könne einzig dessen Geistleib gelten. Der Monophysitismus, den der Hohenheimer hiermit vertritt, war bereits auf dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451 als Irrlehre verworfen worden: Die beiden Naturen Christi seien als ungetrennt

100 Dane T. Daniel: Paracelsus on Baptism and the Acquiring of the Eternal Body. In: Paracelsian Moments. Science, Medicine and Astrology in Early Modern Europe. Hg. von Gerhild Scholz Williams u. Charles D. Gunnoe. Kirksville (Missouri) 2002, S. 116–134, hier S. 120  f. 101 Ute Gause: Paracelsus (1493–1541). Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie. Tübingen 1993 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 4), S. 17. 102 Paracelsus: De sancta Trinitate. In: Sämtliche Werke. Abt. 2, Bd. 3. Hg. von. Kurt Goldammer (im Folgenden: SW 2), S. 254.

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(indivise) aber auch als unvermischt (inconfuse) anzuerkennen.103 Mit seiner Lesart der Zwei-Naturen-Lehre proklamiert Paracelsus für den Heiland jedoch die Trennbarkeit der beiden Naturen, da Christi menschlicher Leib aus seiner Sicht bloße Maskerade war. Hinter dem äußeren Anschein des Menschen Christus habe sich eine göttliche und somit perfekte Leiblichkeit verborgen. Wenn Paracelsus den menschlichen Körper vor dem Hintergrund seiner dualistischen Weltanschauung zumeist als defizitär und minderwertig beurteilt, so ist das himmlische Fleisch Christi hiervon ausgenommen, da dieses die leibliche Natur aller Kreaturen übersteigt.104 Jenes Konzept erweist sich als theologischer Problemfall, da es sich dem konfessionsübergreifenden Dogma, dass sich Christus als wahrer Mensch am Kreuz litt und starb, widersetzt. Tatsächlich bekennt sich auch Paracelsus zu Christi Kreuzestod, er betont aber ausdrücklich, dass der Leib des Heilands auch während der Passion von göttlicher Natur war: Also hat nun gott der vatter die ander person in die trinitet geporen, sich selbst zu einem sun gemacht und in der person eines suns ein erlösung geton, die allein durch gott geschehen mußt und durch nichts anders. Allein das göttlich fleisch und das göttlich blut hat darumb müessen leiden.105

Erastus scheint als Erster erkannt zu haben, dass die paracelsische Christologie – entgegen der Auffassung Gessners und Cratos – nicht die göttliche, sondern die menschliche Natur des Erlösers unterläuft. Hierzu genügte der Blick auf Hohenheims Mariologie,106 aus der hervorgeht, dass die Muttergottes zwar von Abraham abstammte, aber insofern von der Bürde der Adamssünde befreit war, als sie ebenso wie Christus einen limbus aeternus besaß: Tatsächlich glaubte er [= Paracelsus] nicht, dass ihr [= Mariens] Fleisch ein menschliches Fleisch war, das sie von Adam ererbte; und daher meinte er, sie könne kein menschliches Wesen sein. Wenn nun Maria nicht dem Geschlecht Adams entstammt, so kann freilich auch Christus, der ja von ihrem Fleisch war, nicht dem Stamme Adams entsprossen sein. Wenn er aber nicht das Fleisch der Jungfrau an sich nahm, so muss sein Fleisch von dem unsrigen grundverschieden sein.107

103 Enchiridion Symbolorum […]. 45. Aufl. 2017, S. 71: „unum eundemque Christum Filium Dominum unigenitum, in duabus naturis inconfuse, immutabiliter, indivise, inseparabiliter agnoscendum.“ 104 Gause: Paracelsus. S. 17  ff. 105 Paracelsus: De sancta Trinitate. In: SW 2/3, S. 250. 106 Vgl. hierzu Michael Bunners: Die Abendmahlsschriften und das medizinisch-naturphilosophische Werk des Paracelsus. Berlin 1961, S. 94  f. 107 Thomas Erastus: Disputationum de nova Philippi Paracelsi medicina pars prima […], Basel 1572, S. 247: „Sanè carnem eius veram humanam esse carnem, atque ab Adamo propagatam non

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Mit dem Konzept der zwischen Geist und Materie schwankenden quinta essentia streift Suchten das paracelsische Prinzip des limbus aeternus. Im Unterschied zu Paracelsus aber gründet er die Geistleiblichkeit Christi auf das neuplatonische Emanationsprinzip. Indem er zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur des Erlösers einen fließenden Übergang konstatiert, bricht auch er mit der offiziellen Lesart der Zwei-Naturen-Lehre: In der quinta essentia vermischen sich die göttliche und die menschliche Natur des Heilands. Hieraus folgt aber kein Monophysitismus im paracelsischen Sinne. Vielmehr hat es den Anschein, als sei der Heiland überall zugleich anzutreffen: in der terrestrischen Natur, in der mittleren Sphäre des Äthers und im Empyreum. Zumal er sich zeitübergreifend „zur rechten Hand Gottes“ aufhält,108 ist seine Divinität zu keinem Zeitpunkt gebrochen. Die Naturen des Gottessohns stehen im Einklang mit den Sphären, in denen er jeweils präsent ist. Das konfessionsübergreifende Dogma, wonach sich Christus als wahrer Mensch dem Leiden am Kreuz unterwarf, bleibt auf diese Weise unangetastet. Indem Suchten einen fließenden Übergang zwischen den beiden Naturen des Gottessohns konstatiert, steht er möglicherweise unter dem Eindruck der Christologie Osianders: Dieser hatte im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre verkündet, dass der Mensch notwendig einer ständigen ‚Eingießung‘ der heiligenden Natur des Gottessohnes unterstehe, den er in mystischer Tradition als „einigenden Mittler“ bezeichnete.109 Nach Osiander gleicht Christus, analog zur quinta

credidit: ac proinde hominem verum esse minimè putavit. Si enim Maria non est ex Adami progenie orta, ne Christus quidem ex ea carnem assumens ex Adamo sumpsit originem. Quod si deinde ne ex virgine quidem carnem assumpsit, carnem habuit longè aliam à carne nostra.“ (Übers. S. B.). Die Textstelle, auf die sich Erastus hier bezieht, befindet sich in Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 308  f.): „aus der jungfrauen gehet die neue geburt und nicht aus der frauen. aus dem folgt nun, das die jungfrau, aus der ausgangen und geboren ist die neu geburt, ein tochter ist gewesen von Abraham nach der verheischung und nicht aus Adam, das ist sie gewesen von Abraham in menlichen samen geborn, in kraft der verheischung on alle tötliche natur. aus der jungfrauen, die also von Adam nit ist, nit von von seinem samen […], ist geboren Christus, der empfangen von dem heiligen geist und vom heiligen fleisch incarnirt/ nicht nach der ordnung des tödlichen fleischs, sonder nach der neuen geburt, die da gehet aus dem heiligen geist. darin verstanden aus adams fleisch nicht anderst, dan sovil ihr verstehen möget von einem wein, der in ein faß gelegt wird, der ist aus dem faß, aber nicht vom faß. ietzt folgt auf das was von dem geist incarirt wird, das ist vom himel und kompt wider gen himel; das aber von dem geist nicht incarnirt wird, das kompt nit gen himel.“ 108 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 364. 109 So titelgebend für Osianders 1551 in Königsberg gedrucktes Buch De unico mediatore Iesu Christo et iustificatione fidei. Die These, Suchtens Analogisierung von Christus und quinta essen­ tia sei maßgeblich auf die Theologie Osianders zurückzuführen, wurde erstmals vertreten von Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 161–164.

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essentia, einem Quell, der die oberste Sphäre mit der untersten verbindet. Demgemäß werde der Mensch durch die Eingießung Christi – und nicht etwa durch die Passion – vor Gott gerechtfertigt. Überhaupt besitzt für Osiander die Fleischwerdung des Wortes einen vergleichsweise geringen Stellenwert: Er geht nämlich davon aus, dass Christus auch dann Mensch geworden wäre, wenn Adam nicht gefallen wäre und es somit einer Erlösung gar nicht bedurft hätte. Dabei stützt er sich unter anderem auf das Bibelzitat „Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram“ (Gen 1,26). Da der Mensch nur Gottähnlichkeit (similitudo), aber keine Gottebenbildlichkeit (imago) für sich beanspruchen könne, sei letztere allein auf Christus zu beziehen; und dies umso mehr, als dieser ja auch vor logostheologischem Hintergrund das Ebenbild Gottes repräsentiert. Wenn nun aber die imago nicht auch eine körperliche Dimension besäße, wäre das sterbliche Fleisch des Erlösers – wie etwa von Paracelsus behauptet – eine gott-unähnliche Hülle, die vom Fleisch Adams genommen wäre. Die Vorstellung, dass die menschliche Leiblichkeit des Heilands diesem nicht eigentlich zugehöre, hält Osiander für absurd, da Christus ansonsten nach dem Bilde Adams geschaffen sei, und nicht Adam nach dem Bilde Christi. In der Konsequenz schreibt er dem Erlöser eine ideelle, in Gott vorgedachte humanitas zu, die ihrem Wesen erst dadurch vollends gerecht wird, dass sie sich zu gegebener Zeit fleischlich realisiert. Seine notwendige Menschwerdung habe der Gottessohn zum Anlass genommen, die gefallene Kreatur durch seinen Kreuzestod zu erlösen.110 Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass Suchten von dem Gelehrtenstreit, den Osiander entfachte, Notiz nahm; und dies umso mehr, da dieser zu seinen Lebzeiten mit Herzog Albrecht und Pfalzgraf Ottheinrich in regem Kontakt stand.111 Wie stark die Christologie Osianders auf Suchten auch gewirkt haben mag: Der Paracelsist stimmt mit dem Theologen in der Auffassung überein, dass der Mensch allein über die Vermittlung Christi zum Heil gelangt. Dabei ist entscheidend, dass Suchten diese Vermittlung, ebenso wie Osiander, nicht bloß in allegorischem Sinne, sondern im Sinne eines konkreten, unmittelbar erfahr­ baren Prozesses der Heiligung versteht. Die von ihm betriebene Immediatisierung des Gottessohnes – einerseits anhand chemischer Praktiken der Klarifizierung, andererseits anhand spiritueller Erlebnisse von Gottesnähe – schafft einen Konvergenzpunkt von Alchemie und Mystik. Die Überschneidung der Bereiche von Transzendenz und Immanenz erlaubt dem Adepten sowohl im Laboratorium als auch in seinem geistigen Inneren die direkte Begegnung mit Christus, nötigt ihm

110 Zu Osianders vielfältiger Argumentation für die überzeitliche Menschheit Christi eingehend Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 78–94, hier S. 90  ff. 111 Bröer: Friedenspolitik durch Verketzerung, S. 150  ff.

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aber einen differenzierten Monophysitismus ab, der die Passion in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung relativiert.

5.5 Die Christus-lapis-Parallele Der Geist Gottes ist es auch, welcher in De tribus facultatibus der magia zu ihrem Recht verhilft, indem er dem Menschen „die Augen aufthut“. Auf diese Weise befähigt er den Gottsuchenden, den Heiland – und somit letztlich auch das göttliche Wesen der magia – zu erkennen. Wie man sich die Erkenntnis des Gottessohns im Licht der Natur konkret vorzustellen hat, geht aus der folgenden Textstelle hervor: [I]hr habt Mosen und die Propheten/ Christum und die Aposteln/ hret was die sagen/ sie reden nit allein mit dem Munde/ sondern mit Hnden und Fssen/ mit Feuer und Wasser/ mit Silber und Gold/ mit Saltz/ und Seiden/ mit Sammet/ mit Steinen/ mit Schwartz/ mit Weiß/ mit Roth/ mit Gelb/ mit Wachs und mit Oel/ und dergleichen. Hret nicht allein/ was das Maul sagt/ hret was das Wasser sagt/ was das Saltz sagt: Sie reden auch/ aber eine andere Sprach.112

Die Abfolge von Schwarz, Weiß, Gelb und Rot beschreibt den farblichen Wandel eines materiellen Substrats, den dieses im Vollzug des opus magnum phasenweise durchläuft.113 Feuer, Wasser, Silber, Gold, Salz – all dies gehört zum Gegenstandsbereich der Alchemie; und diesem sei nun ein tieferer Sinn eingeschrieben, der mit der Lehre höchster biblischer Autoritäten – darunter Moses, die Propheten, die Apostel und sogar Christus selbst – übereinstimme. In der Tat mangelt es in der paracelsistischen Literatur nicht an Gleichsetzungen des lapis philosophorum mit dem Gottessohn.114 Einen nachhaltigen Eindruck hiervon vermittelt Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae. Diesem zufolge sei der Stein der Weisen ein Typus in dem Buch der Natur und gleichsam so etwas wie ein Spiegel Jesu Christi des Gekreuzigten, des Erlösers des ganzen Menschengeschlechts, das heißt der kleinen Welt. Aus diesem Stein sollst du Christus natürlicher Weise erkennen und aus Christus den Stein auf theosophische Weise kennenlernen.115

112 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus S. 372. 113 Christian Thiel: Alchemie. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 1. Hg. von Jürgen Mittelstraß. Mannheim u.  a. 1980, S. 67–74, hier S. 71; Claus Priesner: Farbe. In: Alchemie-Lexikon, S. 131  ff.; vgl. ferner Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 98–103. 114 Vgl. Karl Hoheneisel: Christus und der philosophische Stein. Alchemie als über- und nichtchristlicher Heilsweg. In: Die Alchemie in der europäischen Kultur und Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Christoph Meinel. Wiesbaden 1986 (Wolfenbütteler Forschungen 32), S. 61–84. 115 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 197: „Ihsuh Christi crucifixi, Salvatoris

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Khunrath begründet die Konvergenz von Christus und lapis einerseits mit der biblischen Gleichsetzung des Gottessohns mit dem Eckstein des Tempels Salomos,116 andererseits auf Basis der Logostheologie: Da das Wort, das in Christus Fleisch geworden ist, zugleich die göttliche Weisheit repräsentiert, ist deren höchste Qualität, der Geist der Weisheit, in seiner Materialisierung als ‚Stein der Weisen‘ gewissermaßen der makrokosmische ‚Bruder‘ des Heilands: Nun sieh und bewundere das bildhafte Mysterium; ich meine die Empfängnis des Retters und Erlösers von großer und kleiner Welt […]. Von letzterer steht geschrieben: ‚Das Wort ist Fleisch geworden.‘ Von ersterer wissen wir dank der jüdischen Weisheitslehre: Sie ist der leibgewordene Geist des Herrn. Und ebenso wie sich Gott in fleischlicher Gestalt zu erkennen gab, nahm der Spiritus Dei körperliche Gestalt an. Da ist zum einen der Sohn Gottes, er ist Gott und Mensch. Zum anderen ist da Gott und das Schöpfungsganze. Der eine wurde vom jungfräulichen Leibe der kleinen Welt empfangen, der andere vom jungfräulichen Leib der großen Welt.117

Ebenso wie Christus die mikrokosmische Frucht des unbefleckten Leibes Mariens darstellt, repräsentiert der lapis philosophorum seinem Wesen nach den Sohn der noch reinen, prälapsaren Natur des Makrokosmos. Die bedeutsamste Gemeinsamkeit von Christus und seinem makrokosmischen Pendant besteht jedoch in dem Faktum, dass beide Instanzen jeweils mehreren Sphären zugleich angehören: Christus besitzt neben seiner empyreischen Gottnatur und seiner irdischen Menschennatur noch ein mittleres Wesen, das mit der quinta essentia assoziiert

totius generis humani, id est, Mundi minoris, in Naturae Libro, & ceu Speculo, typus est, Lapis Phil. Servator Mundi maioris. Ex lapide, Christum, naturaliter cognoscito & ex Christo, Lapidem, Theosophicè discito.“ (Übers. S. B.). 116 Vgl. ebd., S. 107: „Nulla, crede veridico, unquam calamitas […] sic extinguit fiduciae, adhaerentis Deo, fructuose impetrantem ardorem, quin, ex sapientiae Lapide, quem reprobaverunt aedificantes, Psal. 118, vers. 22. posset restitui. Petra, Sapientia caro facta.“; vgl. ferner auch ders: Vom hyleatischen/ das ist pri-materialischen, catholischen oder allgemeinem natürlichen Chaos. Magdeburg 1597, S. 282: „Der [MASCHIACH] auch selbst ist der STEin den die Bawleute (dz ist/ die falschen und verfuhrerischen lehrer/ in der Kirchen) verworffen/ vnd ist zum ECKSTEin worden […].“; vgl. auch ebd., S. 29: „ER war der aller verachteste vnd vnwerdeste voller schmertzen vnd Kranckheit. Er war so veracht/ das man das Angesicht vor jhme verbarg/ Darumb haben wir jhn nichts geachtet.“ [= Jes 53,3–4]. 117 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 197: „Mysterium iam observa & admirare typicum; conceptionem, inquam, Servatoris & Salvatoris utriusque & Mundi maioris & Mundi minoris, sive generis humani. De hoc, scriptum, legimus: Verbum caro factum est; de illo, Cabalâ, scimus: Ruach Elohim, corpus factus est. Et; Deus manifestatus in carne: Spiritus Dei manifestatus in corpore. Hic, filius Mundi maioris, Deus & creatura, catholicus: ille, filius Dei […] Deus & homo: Unus, in utero Mundi maioris; alter, in utero Mundi minoris: uterque Virgineo, conceptus.“ (Übers. S. B.).

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ist. Der Stein der Weisen begreift in sich das Feuer der überhimmlischen Feuchtigkeit („Ignis laticis superCaelestis“), die mittlere Sphäre des Äthers („Caelum“) sowie die niedere Region von Wasser und Erde („Terram & Aquam“).118 Christus und lapis übertreffen den kreatürlichen Menschen, dessen Natur freilich ebenfalls trichotom strukturiert ist, insofern, als ihre Verbindung zum Empyreum kontinuierlich fortbesteht. Sowohl Christus als auch der im lapis philosophorum manifeste Geist Gottes beanspruchen für sich eine auf Emanation gegründete Ontologie: Zwischen ihrer empyreischen und ihrer irdischen Daseinsform besteht ein fließender Übergang.119 Wenn nun die geistige und die leibliche Natur des Gottessohns nicht klar voneinander abgrenzbar sind, da die eine mit der anderen durch einen geistkörperlichen Schwebezustand verbunden und zumindest partiell vermischt ist, so ist es abermals die quinta essentia, die der spannungsreichen Doppelnatur des Gottessohns am ehesten entspricht. Die Identifizierung Christi mit dieser Mittlerinstanz stellt die Göttlichkeit des Erlösers also keinesfalls in Frage. Wenngleich die quinta essentia zumeist mit dem astronomischen Himmel assoziiert wird, so reicht sie dennoch in ihrer reinsten und subtilsten Manifestation an das Empyreum heran. Wie aus Khunraths Kosmologie ersichtlich wird, sind Empyreum, Himmel und Erde gleichermaßen von der zwischen Geist und Wasser oszillierenden quinta essentia alias schamajim erfüllt.120 Vor dem Hintergrund des monistisch konzipierten Weltbilds der Propositiones entpuppt sich die quinta essentia als eine Denkfigur zur Bewältigung der Zwei-Naturen-Lehre. Paracelsisten wie Suchten und Khunrath verfügen in ihr über ein Theorem, das es ihnen ermöglicht, Christus in mystischer Tradition als einen ‚einigenden Mittler‘ zu bestimmen,121 ohne sich dabei dem Antitrinitarismus auszuliefern. Bezeichnenderweise schließt sich Khunrath in der Absicht, die paracelsistische Bewegung ein für alle Mal vom Verdacht anti-trinitaristischer Bestrebungen reinzuwaschen, der allgemeinen Verketzerung der verdammungswürdigen Arianer an:

118 Vgl. Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 129  f. 119 Zu der notwendig damit einhergehenden soteriologischen Dimension des lapis philosopho­ rum s. Florian Ebeling: ‚Geheimnis‘ und ‚Geheimhaltung‘ in der Frühen Neuzeit. In: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Hg. von Anne Charlott Trepp u. Hartmut Lehmann. Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte), S. 63–80, hier S. 67–73. 120 Vgl. Kap. 4.2, S. 76. 121 Vgl. Kap.  5.4, S.  155, Anm.  109 für Andreas Osiander sowie Kap.  5.7, S.  170, Anm.  162 für Meister Eckhart.

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Nun muss die gotteslästerliche, häretische, blasphemische Pest der arianischen Lehrmeinung zugrunde gehen und zu dem Nichts werden, dass sie von jeher war. Dieser zufolge habe es einen Zeitpunkt gegeben oder einen unanfänglichen Urgrund – oder was immer Arius darunter verstand oder zu verstehen glaubte –, da der Sohn Gottes noch nicht war. Diesen geistlosen Unsinn der Arianer hat das Buch der makrokosmischen und mikrokosmischen Natur ausgeräumt: Die physico-chemische Auslegung des großen Buchs der Natur zeigt dir auf lehrreiche Weise den dreieinigen Schöpfer des unverlöschlichen Urfeuers […], das uns Gottes leibhaftige Gegenwart in dieser Welt verheißt.122

Höchstwahrscheinlich bezieht sich Khunrath auf den lapis, indem er „Gottes leibhafte Gegenwart in dieser Welt“ auf der Grundlage einer „physico-chemische[n] Auslegung des großen Buchs der Natur“ beglaubigt. Allerdings sehen Khunrath und Suchten die intramundale Präsenz Gottes nicht nur durch den Stein der Weisen gewährleistet. In strikter Orientierung an der Logostheologie vertreten sie eine Kosmologie, welcher zufolge das ewige Wort in Christus sich innerhalb des gottebenbildlichen Schöpfungsganzen manifestiert. Der lapis ist demnach in erste Linie als eine Miniatur des Makrokosmos zu verstehen, die es dem Adepten ermöglicht, das Spiegelbild Gottes unter menschlichen Bedingungen zu schauen und sich auf diese Weise die „maiestas“ und „bonitas“ des Allmächtigen zu vergegenwärtigen.123

5.6 Der Weg zur Erlösung Paracelsus war sich durchaus im Klaren darüber war, dass sein Monophysitismus das apostolische Glaubensbekenntnis, wonach der Heiland als Mensch litt und starb, unterläuft. In der Konsequenz distanzierte er sich denn auch von dem überkonfessionell geltenden Dogma, dass sich Christus um der Erlösung der gefallenen Kreatur willen dem Leiden am Kreuz unterzog. Der paracelsischen Soteriologie zufolge besteht die Erlösung vielmehr darin, dass sich der Mensch über den christlichen Glauben und insbesondere über die Sakramente schrittweise mit dem limbus aeternus des Heilands vereint. Damit realisiert sich die Erlösung nicht allgemein,

122 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 68: „Esset & evanescat, nunc, redeatque in nihilum, quae fuit antè nihil, fanatica, haeretica, blasphema pestilentissimaque vox Arianorum haec: Fuit aliquando (scil. tempus, sivè aeternitas, aut quicquid Arius subintelligere vel volet vel potuerit) quo (filius Dei) nondum erat. Adamantinum hoc, contra Antitrinitarios omnes, ex Libro Naturae, Macro- & Micro-Cosmicè, desumptum: Creatorem Triunum Ignis […] Dei Professoris physici in hoc Mundo invictissimi, doctrina tibi ostendit; Physico Chemicè explicando Librum Naturae magnum […].“ (Übers. S. B.). 123 Vgl. Kap. 5.1, S. 129, Anm. 10 (= Sap 7,25).

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sondern individuell. Der Prozess der sukzessiven Vereinigung des Menschen mit dem Leib des Gottessohns beginnt mit der Taufe und findet seinen höchsten Ausdruck im Abendmahl, da er den ‚Leib Christi‘ empfängt.124 Indem der Gläubige zeitlebens die Eucharistie in sich aufnimmt, geht er zugleich selbst nach und nach in den Leib des Gottessohns ein. Auf diese Weise ist es ihm vergönnt, ein seliges, geradezu himmlisches Leben zu führen. Dementsprechend bekräftigt der Hohenheimer, „dass ein jeglicher seliger oder heiliger das sakrament (das ist das fleisch und blut Christi) in der substanz nehmt: materialisch und mit nichten im geist allein. Sondern es muss in der substanz gessen und getrunken werden und nit im geist ersticken.“125 Sofern man hierbei von einer imitatio Christi sprechen kann, erweist sich diese als höchst eigenwillig.126 Der Prozess der lebenslangen Inkorporation in den limbus aeternus erreicht seinen Höhepunkt, indem der Mensch im Augenblick des Todes seine sterbliche Hülle abstreift und somit seine Neugeburt, das heißt, seine geistleibliche Auferstehung in Christus, verwirklicht.127 In Suchtens Schriften ist von Hohenheims Begeisterung für eine Eucharistie nichts zu spüren. Dennoch scheint sich die Erlösung des Menschen auch in De tribus facultatibus darüber zu vollziehen, dass dieser in das ‚ewige Fleisch‘ des Gottessohns eingeht. Jener Inkorporationsprozess realisiert sich nach Suchten über eine alchemische und spirituelle Suche nach dem Geist des Herrn, die eine strikte Absage an den Verstand und harte Arbeit voraussetzt. Durch sie lasse sich Gott in der zweiten Person der Trinität erfahren: [E]s ist viel leichter ein Stund in der Kirchen sitzen/ hren was ein ander sagt/ daheim ein Buch nach dem andern durchlesen/ dann uns im Schweiß unsers Angesichts in so schrckliche Hndel einlassen/ mit all unserm Vermgen Leibs und guts suchen den lebendigen Geist Gottes/ so er in den Erdenkloß/ darauß er Adam erschaffen/ bliß/ welcher uns die Augen aufthut/ und die Geheimnuß der Schriften/ Petri, Pauli/ und der Apostel offenbahret/ dadurch wir Theologi werden/ der Welt nutz seyn/ unserm Nechsten helffen auß seinen Nthen/ und den Geist deß HErrn/ der doch in uns zu finden/ von ihm Gesundheit und Fried haben/ von ihm lernen den Sohn des Menschen zu erkennen/ wie sein Fleisch unser Fleisch transmutiret in sein Fleisch/ ins ewige Leben.128 124 Gause: Paracelsus, S. 227, Ernst Wilhelm Kämmerer: Das Leib-Seele-Problem bei Paracelsus und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts. Wiesbaden 1971, S. 20–23. 125 Paracelsus: De sacramento corporis Christi einzunehmen zur seligkeit. In: Theol Werke. Bd. 1. NPE, S. 502. 126 Mit Bezug auf den Begriff imitatio Christi im Zusammenhang mit der paracelsischen Abendmahlslehre Urs Leo Gantenbein: Paracelsus als Theologe. In: Paracelsus im Kontext der Wissenschaften seiner Zeit. Kultur und mentalitätsgeschichtliche Annäherungen. Hg. von Albrecht Classen. Berlin, New York 2010 (Theophrastus Paracelsus Studien 2), S. 65–90, hier S. 89; Gause: Paracelsus, S. 96–104 u.  ö. 127 Vgl. Kämmerer: Das Leib-Seele-Problem bei Paracelsus, S. 23  f. 128 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 370  f.

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Die Teilhabe am Geist des Herrn gewährt eine innere Erfahrung der Gottnatur Christi. Die Auffindung des Geistes kann allem Anschein nach über das Handwerk der Extraktionsalchemie erfolgen: Nicht umsonst weist Suchten darauf hin, dass man den „Geist Gottes“ mit dem „Vermgen Leibs und guts suchen“ müsse. Indem er im gleichen Atemzug bekräftigt, dass ebendieser Geist auf scheinbar paradoxe Weise „in uns zu finden“ ist, bestätigt er das analoge Verhältnis von äußerer und innerer Alchemie, das sich in Hinblick auf den Scheideprozess des urzeitlichen Adamssohns eröffnet. Durch die Teilhabe am Geist, so heißt es weiter, werde man erkennen, wie das Fleisch Christi das Fleisch der gefallenen Kreatur „in sein Fleisch“ und somit „ins ewige Leben“ transmutiere. Dreimal fällt das Wort ‚Fleisch‘ – und in allen drei Fällen trägt dieses eine individuelle Bedeutung. Das erstgenannte ‚Fleisch‘, das dem „Sohn des Menschen“ angehört, bezeichnet die menschliche Natur des Erlösers: Indem Christus auf Golgatha alle Schuld der Menschheit auf sich lud, rechtfertigte er diese für das „ewige Leben“. Die liebende Vereinigung von Christus und Seele vollzieht sich dementsprechend darüber, dass der Heiland stellvertretend für die gefallene Kreatur sein sterbliches Fleisch zum Opfer gibt und im Gegenzug das sündige Fleisch des Menschen in sein himmlisches Fleisch verwandelt. Diese Tauschhandlung entspricht dem lutherischen Theologumenon des ‚fröhlichen Wechsels‘.129 Indem der Menschensohn über die Passion alles Leid, alle Sünde und Todesqual auf sich lädt, sich also auf die Stufe der erlösungsbedürftigen Kreatur begibt, erhebt er diese im Gegenzug aus ihrem Elend und beschenkt sie mit seiner Gerechtigkeit.130 Gottes Herrlichkeit und Ehre besteht paradoxerweise darin, dass er sich „auffs aller tieffest herunter gibt, yns fleisch, yns brod, ynn unsern mund, hertz und Schos, Und dazu umb unsern willen [= um unsretwillen] leidet, dass er uneerlich gehandelt [= behandelt] wird beyde auff dem creutz und altar.“131 Indem er sich in Christus zum Opfer gibt, das sich im Abendmahl fortsetzt, befreit er die Seele aus den Fängen der Anfechtung, erfüllt sie mit seiner Heiligkeit und rehabilitiert sie somit für ihren Eintritt in das Reich Gottes. Es ist ausgerechnet der deus cru­ cifixus, durch den der Mensch wieder in Gottes Huld und Glorie aufgenommen wird. Luthers Theologie offenbart sich in diesem Sinne als eine theologia crucis. Gerade dadurch, dass Gott den Menschen mit der leidenden Vorderseite konfrontiert, wird dieser für die Rückseite Gottes gerechtfertigt. In seiner unvermischten 129 Vgl. mit Bezug auf die Theologie des jungen Luther Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, S. 250  f. 130 Ebd. 131 Martin Luther: Daß diese wort Christi (das ist mein leib etc.) noch fest stehen widder die Schwermgeister (1527). In: WA 23, S. 57,30–33.

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Doppelnatur als wahrer Mensch und wahrer Gott egalisiert und besiegt Christus die Sünde durch seine Vergebung, den Tod durch seine Auferstehung und die Hölle durch die ewige Seligkeit.132 Das Theologumenon des Christus pro me, das auch noch für den späten Luther Gültigkeit besitzt, gründet sich im Kern auf eine Mystik der Kondeszendenz.133 Die Vorstellung, dass die Weltimmanenz Gottes zugleich die Welttranszendenz des Menschen bewirkt, findet sich jedoch auch bei Paracelsus: Der Gläubige nimmt den Leib des Gottessohns in sich auf und wird darüber seinerseits in das ewige Fleisch Christi inkorporiert.134 Noch deutlicher tritt dieses vielfach in den Predigten Taulers aufscheinende Muster in Hohenheims theologischem Buch Sursum corda auf, in dem er auf das vielfach mystisch rezipierte Bild der Jakobsleiter zurückgreift: So wir nun unser herzen über sich zu gott richten, und richten die obsie [= hinauf] in den himmel, so macht sich gott gegen uns von oben herab. Das ist nun der zirkel, der gohn soll für und für von menschen in himmel. Das ist, dass unser herz den einen teil geb in gott und gott den andern teil zu uns herab. Also ist die leitern, die gesehen hat der altvatter [= Jakob], do er schlief, wie ein leitern ging vom himmel bis uf erden, und die engel daruf auf und ab stiegen. So sollichs steigen nit würd sein, so würd unser weisheit nichts sein. Das ist soviel: So nit von gott in unser herz die leitern gemacht wird und die engel gottes von uns zu gott, von gott zu uns uf- und absteigen, uns täglich zu lernen, so ist’s alles nichts, womit wir handlen, dann die leitern, die muss steigen.135

Das biblisch verbürgte Auf- und Niedersteigen der Engel deckt sich mit der neuplatonisch inspirierten Vorstellung, dass sich Gott und Mensch im Akt des mystischen Aufstiegs wechselseitig aufeinander zu bewegen. Da Gottes einfaches Wesen in sich keinerlei Alterität zulässt und somit alle – auch konträre – Entitäten in ihm eine Einheit bilden, realisiert sich in seiner unmittelbaren Nähe alles Individuelle stets auch auf die ihm gegensätzliche Weise.136

132 Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, S. 251. 133 Vgl. Grosse: Der junge Luther und die Mystik, S. 213. 134 Vgl. Tauler: Predigt 60 c, S. 294,3–4 (mit Bezug auf die 71. Ansprache Bernhards von Clairvaux zum Hohelied) „Als wir diese spise essen, so werden wir gessen.“; s. hierzu Volker Leppin: Reale und metaphorische Nähe Christi bei Johannes Tauler. In: Metaphorik und Christologie. Hg. von Jörg Frey, Jan Rohls u. Ruben Zimmermann. Berlin, New York 2003, S. 167–178; Louise Gnädinger: Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre. München 1993, S. 141–147). 135 Paracelsus: Liber de sursum corda. In: Theol. Werke. Bd. 1. NPE, S. 468. 136 Diesem Prinzip liegt die im Kern neuplatonische Denkfigur eines ‚Zusammenfalls der Gegensätze‘ in Gott zugrunde, die vornehmlich Nicolaus Cusanus rezipiert. Vgl. Kurt Flasch: Nikolaus von Kues: Die Idee der Koinzidenz. In: Josef Speck (Hg.): Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie des Altertums und des Mittelalters, Göttingen 1992, S. 221–261.

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Indem Suchten das Verb ‚transmutieren‘ spiritualistisch überformt,137 nimmt er eine Neukontextualisierung des Vokabulars der traditionellen Alchemie vor. Er reinterpretiert die althergebrachte alchemia transmutatoria auf innovative Weise als eine falsch verstandene alchemia mystica, welche in den Händen Christi  – des höchsten Scheidekünstlers – die metaphysische Existenz des Menschen zu veredeln vermag; und dies offenkundig schon zu Lebzeiten. Diese Gnade werde jedoch nur denjenigen zuteil, die sich einer theoalchemischen Suche nach dem Geist des Herrn widmen. Auf diese Weise weitet sich die laborantische Experienz des Adepten auf den Erfahrungsbereich der Mystik aus. Solch alchemo-spiritualistische Anschauungen sollten für das Weltbild der Paracelsisten auch weiterhin von Bedeutung bleiben: Ähnlich wie Suchten spricht Gerhard Dorn in deutlicher Anlehnung an laborantische Praktiken von einer reziproken transmutatio von Leib und Geist: Dieses ist nun die wunderseltzame Philosophische verwandlung [„transmutatio“] des Leibs in den Geist/ und hinwiederumb des Geists/ in den Leib/ von deme dieser/ der weisen Spruch entspringet/ da sie sprechen/ Mache das fix und Veste/ Flchtig/ und das Flchtig Fix und Vest/ so wirst du die gantze Kunst der Meisterschafft haben/ das ist/ Mache aus dem Eygensinnigen unnd hartneckigen Leib/ ein geschmeidigen und Geistreichen Crper/ also daß des Geistes frtreflichkeit mit der ubereinstimmenden Seel ein bestendiges Corpus machen/ so alle proben ausstehen mge.138

Der explizite Bezug zu Christus findet sich in Khunraths Amphitheatrum sapien­ tiae aeternae, in welchem der Gläubige dazu aufgerufen wird, sich in den Heiland hinein zu ‚transformieren‘, beide Male in deutlicher Anlehnung an den Epheserbrief (4,22–24), da es heißt: „Legt den alten Menschen ab […]. Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!“139 Das christusmystische Konzept der Bekleidung mit dem Gottessohn und der damit einhergehenden Transformation in das Bildnis des Allmächtigen findet sich auch in Oswald Crolls Basilica chymica: „Aller Dinge

137 Vgl. Agrippa von Nettesheim, der das Verb ‚transmutare‘ in ähnlichem Kontext verwendet (De occulta philosophia. III.20, S. 249): „bonus [spiritus] quidem per bona opera ipsi conformia, nos in angelos uniendo transmutat, sicut de Ioanne Baptista scriptum est in Malachia: Ecce ego mitto angelum meum ante faciem tuam. De qua transmutatione & unione alibi scriptum est, qui adhaeret deo, unus spiritus efficitur cum eo.“ 138 Gerhard Dorn: Schlüssel Der Chimistischen Philosophy, Mit welchem die heimliche und ver­bor­gene Dicta und Sprch der philosophen erffnet und auffgelset werden. Lazarus Zetzner, Straßburg 1602 (im Folgenden: Dorn: Schlüssel der chimistischen philosophy), S. 169  f. 139 Vgl. Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 103: „Noli transformari in eiusmodi mundanam larvam, sed indue Iesum Christum, & transformare in ipsius imaginem.“

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Werckmeister/ nembilch Gott den HERRN erkennen/ vnd in jhn mit dem Bildt der Gleichheit […] eingehen/ damit du selbst verwandelt vnd zu einem Gott werdest/ ist erst die wahre vnnd bestndige Philosophi.“140 Nach Suchten ist dieses „Bildt der Gleichheit“, beziehungsweise das himmlische Fleisch des Heilands, in letzter Konsequenz nur durch Gottes Gnade verfügbar; vorausgesetzt, dass der Adept seinem Verstand und seiner Faulheit entsagt. Worin dieses göttliche Fleisch des Erlösers genau besteht, kommt in De tribus facultatibus nicht zur Sprache. Die Propositiones machen hingegen überdeutlich, dass es sich hierbei um den gottgleichen calor solis et lunae handelt.141 Die Wesensgleichheit dieses Fleisches mit dem calor liegt freilich auch insofern auf der Hand, als Christi Gottnatur aus logostheologischer Sicht über das Wort fiat lux mit dem hauchartigen Geist der Weisheit verwandt ist. Sofern auch die quinta essentia am ewigen Fleisch Christi partizipiert, so als ein notwendiges Mittel, über das sich die Inkarnation des Gottessohns verwirklichen kann. Es sind demnach diese subtilen Erscheinungsformen des Erlösers, über die sich  – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – der Eintritt des Gläubigen in das himmlische Fleisch Christi vollzieht. Klärungsbedürftig bleibt, was Suchten meint, indem er auf „unser Fleisch“ bezugnimmt. Selbstredend muss dieses Fleisch, sofern ihm eine Transmutation in Christus zuteilwerden soll, unsterblich sein. Nach Paracelsus besitzt der Mensch zwei innere Elemente, die den Tod überdauern: Das eine ist seine von Gott einhauchte Seele, das andere jener geistige Leib, der über den Empfang der Sakramente sukzessive in das ewige Fleisch Christi eingeht.142 Der elementische und der siderische Leib sind dagegen vergänglich. Bei Suchten liegt die Sache anders: Wie gesehen, nimmt der Danziger neben einem unsterblichen Geist und dem ewigen Himmel des Menschen auch einen inneren Balsam an. Letzterer gibt sich als sterblich zu erkennen, da er in De secretis antimonij als das „kurtz Leben“ bezeichnet wird.143 In der Fusior declaratio ist in Anlehnung an Agrippa davon die Rede, dass neben der Seele auch deren „luftiges Fahrzeug“ („vehiculum aethereum“) den Tod überdauert:

140 Croll: Basilica chymica, S. 106. 141 Vgl. Cod. Pal. Lat. XVIII Propositiones, f. 255v: „Ergo calor solis et lunae […] est res […] magis perfecta, quam spiritus corporis nostri: Vocaturque natura Mundi […] et conspicuus Dei Filius dicitur.“ 142 Vgl. Dane T. Daniel: Coping with Heresy. Suchten, Toxites, and the Early Reception of Paracelsus’s Theology. Hg. von Lawrence Principe. Sagamore Beach 2007, S. 53–62, hier S. 59. 143 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 254.

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Sobald sich aber [die Seele und ihr luftiges Fahrzeug] durch einer Krankheit oder ein anderes Übel voneinander lösen […], zieht sich die Seele aus allen Körpergliedern und vermittelnden Instanzen zurück und fließt in das Herz, welches das ursprüngliche Behältnis von Seele und Leben war. Sowie dort aber der Geist des Herzens zum Erliegen kommt, verlässt die Seele selbiges Behältnis und fliegt mitsamt ihrem Fahrzeug dorthin zurück, woher sie gekommen war. Schutzgeister und Dämonen folgen der Entflohenen und führen sie vor den Richterstuhl. Sowie das Urteil gesprochen ist, verleiht Gott den guten Seelen auf sanftmütige Weise die ewige Glorie. Die bösen Seelen aber reißt ein grausamer Dämon hinab zu den Höllenstrafen. Der Körper aber kehrt zur Erde zurück, von der er genommen war. Und so stirbt der Mensch.144

Vor dem Hintergrund, dass das Fleisch Christi nach Suchten dem calor entspricht, ist wohl davon auszugehen, dass die quinta essentia im Zuge ihrer Transmutation von allem Leiblichen gereinigt und darüber dem calor völlig gleich wird. Fraglich bleibt, ob sich der Danziger außer zur geistigen auch zu einer leiblichen Auferstehung bekannte: In De tribus facultatibus bezeugt der urzeitliche Adamssohn lediglich, dass „sein Hauß zu seiner zeit wrde fallen“ und er „auß dem in ewiges fahren wrde“.145 Tatsächlich aber wird in der Concordia chymica mehrmals die resurrectio carnis behauptet: „Ich glaub/ daß da sey ein Auffererstehung deß Fleisches/ daß unsere Crper/ welche da die Wrm fressen/ werden wieder aufferstehen/ wie sie zuvor gewesen seyn/ dann Christus wird sie am Jngsten Tag aufferwecken/ nach laut seiner Weissagung […].“146 Derlei Aussagen passen zwar zu Suchtens chiliastischer Parusie-Erwartung, sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da die Autorschaft Suchtens für die Concordia chymica, wenn überhaupt, nur in Teilen anzunehmen ist.147 Suchtens mystische Soteriologie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die gefallene Menschheit ist durch das Fleisch Christi, das am Kreuz litt und

144 Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 468: „Quando verò per morbum malumve solvuntur […], tunc Anima per omnia Membra & media sese recolligit influitque in Cor, quod erat primum Animae & vitae receptaculum. Cordis verò, & ibi deficiente spiritu ipsum deserit & evolat Anima cum suo vehiculo, &, unde descendit, in Coelos remeat; sequuntur illam egressam Genii Custodes Daemonesque & ducunt ad Judicem, ubi lata sententia, bonas Animas Deus tranquile perducit ad gloriam: Malas daemon violentus rapit ad poenam; Corpus verò in in terram, de qua sumptum est, revertitur. Et sic moritur Homo.“ (Übers. S. B.). Vgl. hierzu beinahe wortgleich Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.37, S. 289  f. 145 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 367. 146 Chymische Schrifften. Concordantia chymica, S. 92. 147 Vor diesem Hintergrund entbehrt die mit Verweis auf die Concordantia chymica von Dane T. Daniel vorgetragene These, dass Suchten mit dem Ziel „to make Paracelsianism appear compatible with orthodoxy“ bereit war, „significant aspects of Paracelsus’s theology“ zu ignorieren, jeglichen Rückhalts (Coping with Heresy, S. 59  ff.).



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starb, für das ewige Leben gerechtfertigt. Die Seligkeit in Gott lässt sich allerdings durch die Gnade bereits zu Lebzeiten erwerben. Sie stellt sich ein, indem es dem Menschen gelingt, seines Geistes innezuwerden. Doch die Gnade einer solchen ‚Transmutation‘ des geistigen Selbst in das himmlische Fleisch des Erlösers vollzieht sich keineswegs bedingungslos: Vielmehr bedarf es hierzu einer Absage an den Verstand und einer alchemischen Arbeit im Schweiße des Angesichts. Unter letztgenannter Bedingung kann die Teilhabe am Geist des Herrn augenscheinlich auch auf praktischem Wege erfolgen – man sei in diesem Kontext daran erinnert, dass der lapis philosophorum eine Materialisierung des primordialen Geisthauchs und das makrokosmische Analogon des Gottessohns darstellt  –, in jedem Fall aber bedarf es hierzu vorher einer Neugeburt in Christus. Die Erlösung selbst realisiere darüber, dass sich Gott in unsere Hnde gibt/ wie er in uns wohnet/ in Summa/ mit Himmel und Erden in uns und umb uns ist/ ihme [dem Menschen] damit anzeigt die grosse Liebe die er zum Menschen trgt/ daß er in allem seinem Anliegen nit fern von ihm ist, ihn erlse von allem Ubel/ so wir wir seinen Namen erkennen/ h. e. wissen wo er ist/ wo wir ihn finden sollen/ nicht in Phantasey und Gedanken/ nicht in Buchstaben der Bcher/ sondern im Himmel/ h. e. im Menschen […].148

In der Folge sei der Gottsuchende in der Lage, das ‚Buch der Natur‘ und die Heilige Schrift auf ihren wahren Sinn hin auszulegen. Darüber empfange er ein reines, unverfälschtes Wissen um das Wesen Christi, das ihn gegenüber sämtlichen Vertretern der Schultheologie überlegen macht.

5.7 Das ‚Nichts‘ in Suchtens Elegie Quid sit nihil und in Eckharts Predigt 71 Die Vorstellung, dass Gott der menschlichen Seele einwohnt, wurde in der Frühen Neuzeit insbesondere durch die Drucklegung zahlreicher volkssprachlicher Schriften der monastischen Theologie, darunter auch den Predigten Meister Eckharts und Johannes Taulers, genährt. Das wichtigste Medium, über das die mystische Lehre der beiden Dominikaner ins Bewusstsein frühneuzeitlicher Spiritualisten wie Sebastian Franck, Andreas Karlstadt, Hans Denck und Valentin Weigel drängte, war der Basler Taulerdruck von 1521/22, der in den Folgejahren zahlreiche Nachdrucke erfuhr.149 Die Publikation dieser Sammlung besaß durch-

148 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 364. 149 Zur Editionsgeschichte des Basler Taulerdrucks s. Winfried Zeller: Der Basler Taulerdruck

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aus Brisanz, zumal sie zu gut einem Drittel aus Schriften Eckharts bestand, der zu seinen Lebzeiten der Häresie verdächtigt worden war. Unter den 26 Punkten, in denen die Lehre des Meisters durch die 1329 veröffentlichten Bulle De agro dominico inkriminiert wurde, stach besonders Eckharts These hervor, dass der Seelengrund allem Geschöpflichen enthoben sei, ja sogar jenseits der Trinität liege.150 Auch wenn er den Grund, beziehungsweise das „vünkelîn“ der Seele, andernorts als ein von Gott geschaffenes Licht bezeichnet,151 so kommt man doch nicht umhin, dieses Licht als präkreational anzusehen, zumal Eckhart es mit Gott gleichsetzt.152 Der Allmächtige bringe den Seelengrund, gleichsam überquellend, fortwährend aus den Tiefen seines ureigenen Wesens hervor.153 Eckhart geht demnach davon aus, dass Gott im Inneren des Menschen ununterbrochen präsent ist. Gott wohnt der Seele ein – mehr noch: Er ist der ureigene Quell der Seele. Es besteht somit auf ontologischer Ebene ein fließender Übergang zwischen der Seele und ihrem Schöpfer. Hierauf gründen sich die Gottebenbildlichkeit, die Unsterblichkeit der Seele und der innere Adel des Menschen.154 Dieser anthropologische Optimismus impliziert eine weitgehende Eigenverantwortlichkeit des Menschen in seinem Bemühen um eine Erfahrung von göttlicher Unmittelbarkeit. Deren höchstmögliche Realisierung besteht in der mystischen Vereinigung der Seele mit Gottes innerstem Wesen. Auf dem Weg dorthin bedarf es innerer Einkehr, demütiger Selbstaufgabe, geistiger Armut,

von 1522 und die Reformation. In: Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze. Bd. 1. Hg. von Bernd Jaspert. Marburg 1971, S. 32–38. 150 Vgl. zu Eckharts Anklage Loris Sturlese: Die Dokumente zum Prozeß gegen Meister Eckhart, Regesten aus den Acta Echardiana. In: Eckardus Theutonicus. homo doctus et sanctus. Hg. von Heinrich Stirnimann u. Ruedi Imbach. Freiburg i. Ü. 1992 (Dokimonion 11), S. 1–6; Tiziana Suárez-Nani: Philosophie- und theologiehistorische Interpretation der in der Bulle von Avignon zensurierten Sätze. In: Eckhardus Theutonicus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozeß gegen Meister Eckhart. Hg. von Heinrich Stirnimann u. Ruedi Imbach. Freiburg i. Ü. 1992 (Dokimonion 11), S. 33–96. 151 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 20A. In: DW I, S. 226,32–33: „daz vünkelîn der sêle. Daz ist geschaffen von gote […].“ 152 Vgl. ebd.: Pr. 2. In: DW I, S. 36,1–5: „Sehet, alsus als er [= Gott] ein ist und einvaltic, alsô kumet er in das ein, daz ich da heize ein bürgelîn der sêle, und ander kumet er enkeine wîse dar în, sunder alsô kumet er dar în und ist dâ inne. Mit dem teile ist die sêle gote glîch und anders niht.“ 153 Der Seelengrund ist also, anders als der Begriff ‚Grund‘ suggeriert, nicht statisch konzipiert: Es handelt sich um einen „dynamische[n] ontologische[n] Bezug“ (Langer: Meister Eckharts Lehre vom Seelengrund, S. 184). 154 Vgl. Loris Sturlese: Homo divinus. Philosophische Projekte zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse. Stuttgart 2007, S. 66.



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eines vollkommenen Nichtwollens und Nichtwissens.155 Dies impliziert ein Vergessen aller Kreatur, der eigenen Person und sogar Gottes selbst.156 Der Habitus des Nichtwissens ist allein schon insofern für die Vereinigung mit Gott unabdingbar, als dieser selbst allen Seins, aller Vernunft und allen Erkennens ledig ist.157 Vor allem aber impliziert Nichtwissen radikale Freiheit: Der geistig Arme ist frei für die Entfaltung des göttlichen Willens in der Seele. Diesen Zustand identifiziert Eckhart mit der prälapsaren Einheit von Gott und Mensch: „So denn sagen wir, daß der Mensch so ledig sein soll seines eigenen Wissens, wie er’s tat, als er noch nicht war, und er lasse Gott wirken, was er wolle, und der Mensch stehe ledig.“158 Indem der Mensch von allem Diesseitigen einschließlich seiner selbst ablässt, legt er seinen ureigenen metaphysischen Kern frei, oder anders formuliert: Er stößt zum Grund seiner Seele vor. Die unio mystica vollzieht sich darüber, dass die Seele von einem göttlichen Sprudeln (bullitio) ergriffen wird. Nach Eckhart versinnbildlicht dieses Sprudeln einen dynamischen Zyklus der Selbstentäußerung und Selbstverinnerlichung, durch den der Allmächtige sich über sein einfältiges Wesen verständigt. Gott ist in diesem Sinne reines Erkennen (intelligere), und sein Erkennen ist sein Sein.159 Die göttliche Selbstverständigung vollzieht sich nach Eckhart über einen Zeugungsakt: Gott gebiert seinen Sohn in den Seelengrund, um sich an ihm zu spiegeln. Dabei teilt er sich seinem Sohn in solch großer Intensität mit, dass er ihn nicht nur zum Objekt, sondern zugleich zum Subjekt seiner Selbstspiegelung macht: Indem der Allmächtige sich in seinem

155 Hierzu stellvertretend Markus Enders: Abgeschiedenheit des Geistes – höchste „Tugend“ des Menschen und fundamentale Seinsweise Gottes. In: Theologie und Philosophie 71 (1996), S. 63–87. 156 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 52. In: DW I, S. 556,34–36: „Der nû arm sol sîn des geistes, der muoz arm sîn alles sines eigenen wizzennes, daz er niht enwizze dehein dinc, weder got noch crêatûre noch sich selben.“ 157 Vgl. ebd., S. 556,31–32: „got enist niht wesen noch vernünftic noch enbekennet niht diz noch daz.“ 158 Ebd. Pr. 52. In: DW I, S. 556,8–11: „Alsô sprechen wir, daz der mensche alsô ledic sol stân sînes eigenen wizzennes, als er tete, dô er niht enwas, und lâze got würken, waz er welle, und stâ der mensche ledic.“ 159 Meister Eckhart: Quaestio Parisiensis I. In: Werke II. Texte u. Übersetzungen von Ernst Benz u.  a. Hg. u. komm. von Niklaus Largier. Frankfurt a. M. 2008 (im Folgenden: DW II bzw. LW), S. 542, 23–25: „[…] quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse. Ferner S. 544,22–23: Et ideo deus, qui est creator et non creabilis, est intellectus et intelligere et non ens vel esse.“ Vgl. stellvertretend Udo Kern: Gottes Sein ist mein Leben: Philosophische Brocken bei Meister Eckhart. Berlin, New York 2003 (Philosophische Bibliothek Töpelmann 121), S. 50  ff., ferner S. 142  f.

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Sohn erkennt, verleiht er diesem die Absolutheit, die ihm gemäß seiner Göttlichkeit zusteht. Ansonsten wäre der Sohn nicht mit Gott eins, sondern ein von ihm Verschiedenes. Ein solches aber würde weder dem Dreieinigkeits-Dogma noch der neuplatonisch begründeten Bestimmung Gottes als „ein einvaltig ein“ gerecht werden.160 In der Konsequenz realisiert der Sohn seine Identität mit dem Vater darüber, dass er sich, sowie einmal geboren, schon wieder in die göttliche Einheit seines ursprünglichen Wesens zurückgebiert.161 Eckhart zieht also die Schlaufe des göttlichen Geburtenzyklus so eng wie nur möglich. Auf diese Weise gelingt es ihm zugleich, die Trinität mit der Einheit Gottes zu versöhnen: Als Vater steht Gott für die Zeugung, als Sohn für die ‚Eingeburt‘, als Heiliger Geist für die ‚Rück­ geburt‘ in die göttliche All-Einheit. Dieser dynamische Zyklus ermöglicht nun auch mystische Erfahrungen der Einheit mit Gott. Sowie der Allmächtige im Akt seiner Selbstobjektivierung die menschliche Seele an sich nimmt, zieht er diese zugleich in sein innerstes Wesen hinein. Angesichts der Mittlerrolle, die der Sohn hierbei einnimmt, beschreibt Eckhart ihn als die „mittelste persône“.162 Dass es dem Willen des Allmächtigen entspricht, sich der Seele in Gestalt des Sohnes mitzuteilen, steht für Eckhart außer Frage: Besäße Gott diesen Willen nicht, wäre er nicht Gott.163 Der Allmächtige ist dem Menschen jederzeit zugeneigt, und dennoch ist er als Vater, Sohn und Heiliger Geist, als Ausgangs- und Endpunkt des Geburtenzyklus, vollkommen in sich eins. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Suchten den Basler Taulerdruck kannte: In seiner Elegie Quid sit nihil (um 1561) verweist er nämlich vermittels einer Interlinearglosse auf Eckarts Predigt 71 (Surrexit autem Saulus de terra apertisque oculis

160 Meister Eckhart: Pr. 2. In: DW I, S. 34,33. Zu den neuplatonischen Implikationen von Eckharts Denken, die sich in Grundzügen über Ps.Dionysius Areopagita bis auf Proklos zurückverfolgen lassen, vgl. stellvertretend Kurt Ruh: Meister Eckhart, Theologe, Prediger, Mystiker. München 1985, S. 88 u.  ö. 161 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 6. In: DW I, S. 82,21–85,1: „Der vater gebirt sînen sun in der êwicheit im selber gelîch […]. Er muoz et tuon, ez sî im liep oder leit. Der vater gebirt sînen sun âne unterlâz, und ich spriche mêr: er gebirt mich sînen sun und den selben sun. Ich spriche mêr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich und mich sîn wesen und sîn nature. In dem innersten quelle dâ quille ich ûz dem in dem heiligen geiste, dâ ist éin leben und éin wesen und éin werk.“; vgl. ferner ebd.: Pr. 22. In: DW I, S. 383,6–8: „Alsô tuot got: er gebirt sînen einbornen sun in daz hœhste teil der sêle. In dem selben, daz er gebirt sînen eingebornen sun in mich, sô gebir ich in wider in den vater.“ 162 Ebd.: Pr. 16B. In: DW I, S. 188,20. 163 Vgl. ebd.: Pr. 73. In: DW II, S. 94,20–22: „Und ich spriche, daz gotheit hanget dar ane, daz er sich gemeinen müge allem dem, daz sîn empfenclich ist; und engemeinete er sich niht, sô enwære er niht got.“ Zu Eckharts Begriff der Gnade s. Udo Kern: Der transzendentale Aufklärer Meister Eckhart. Berlin 2018 (Rostocker Theologische Studien 31), S. 104–136.



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nihil videbat, Act 9,8),164 die in jener Sammlung enthalten ist; und dies sogar unter namentlicher Nennung des ‚Echardus‘, den er im Verbund mit Nicolaus Cusanus und Augustinus als bedeutenden Interpreten des paulinischen Damaskuserlebnisses aufführt.165 Nach Eckhart handelte es sich bei der Blindheit, welche den Christenverfolger im Akt seiner Schau des Erlösers hristi ereilte, um eine mystische Erfahrung des göttlichen Nichts. In dieser Einschätzung beruft er sich auf die pseudo-dionysische theologia negativa, deren Kernthesen er mit wenigen Worten zusammenfasst: Daher sagt der erleuchtete Dionysius, wo immer er über Gott schreibt, da sagt er: er ist [ein] Über-Sein, er ist ein Über-Leben, er ist [ein] Über-Licht, er legt ihm weder ‚dies‘ noch ‚das‘ bei, und er deutet [damit] an, daß er, ich weiß nicht was, sei, das gar weit darüber hinaus liege. Sieht einer irgendetwas, oder fällt irgendetwas in dein Erkennen, so ist das nicht Gott, eben deshalb nicht, weil er weder ‚dies‘ noch ‚das‘ ist.166

Gott ist nichts Bestimmbares; er steht vielmehr, wie Eckhart in seiner Predigt auf vielerlei Weise zum Ausdruck bringt, jenseits des Seins und somit auch ­jenseits dessen, was positiv ausgesagt und gewusst werden kann.167 Insofern ist Gott

164 Zu dieser Predigt s. Sigrun Jäger: Meister Eckhart – ein Wort im Wort. Versuch einer theologischen Deutung von vier deutschen Predigten. Berlin 2008 (Quellen u. Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge 15), S. 225–280. 165 Chymische Schrifften. Ad Apollinem in Catharo pestilentiali elegia. Quid sit nihil, Hh 5v–6v, hier 6v: Indem Suchten auf Cusanus verweist, bezieht er sich auf De visione Dei cap. 17, n. 79,1–9 („Sed tanta est bonitas tua, quod etiam caecos sinis de lumine loqui et eius laudes praeconisare, de quo nihil sciunt nec scire possunt. Revelatio autem gustum non attingit. Auris fidei non attingit dulcedinem degustabilem. Hoc autem tu, deus, revelasti mihi, quia nec auris audivit nec in cor hominis descendit infinitas dulcedinis tuae, quam praeparasti diligentibus te. Revelavit nobis hoc Paulus magnus apostolus tuus, qui ultra murum coincidentiae raptus est in paradisum, ubi solum revelate potes videri, qui es fons deliciarum.“). Suchtens Verweis auf Augustinus gilt entweder dem Sermo 279 § 1 De Paulo Apostolo („Caecus sane factus est: ut interiore luce fulgeret cor eius, exterior ad tempus erepta est; subtracta est persecutori, ut redderetur praedicatori. Et eo tamen tempore, quo caetera non videbat, Iesum videbat. Ita et in ipsa eius caecitate mysterium informabatur credentium; quoniam qui credit in Christum, ipsum intueri debet, caetera nec nata computare; ut creatura vilescat, et Creator in corde dulcescat.“) oder dem Sermo 333 § 3 In natali martyrium („Ecce unus homo Saulus et Paulus, persecutor in Occidente, praedicator in Oriente. Oculi eius ad huius mundi vanitatem clauduntur, alii interiores illuminantur.“). 166 Meister Eckhart: Pr. 71. In: DW II, S. 72,7–13: „Dâ von sprichest der liehte Dionysius, wâ er von gote schrîbet, dâ sprichet er: er ist über wesen, er ist über leben, er ist über lieht; er engibet im noch diz noch daz, und er meinet, daz er sî neizwaz daz gar verre darüber sî. Der iht sihet oder iht oder vellet iht in dîn bekennen, daz ist got niht; dâ von niht, wan er noch diz noch daz enist.“ 167 Vgl. hierzu Jäger: Ein Wort im Wort, S. 257–276.

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seinem Wesen nach dem Nichts näher als dem Sein.168 In der Blindheit des zum Paulus berufenen Saulus sieht Eckhart das verwirklicht, was er mit der introversionsmystischen Terminologie von „abegescheidenheit“, „armt“, „lûterkeit“ und „gelazenheit“ anvisiert: eine unio mystica, ein geistiges Aufgehen der gelassenen Seele im göttlichen Nichts.169 Doch wie positioniert sich Suchten gegenüber Eckharts Deutung des Damaskuserlebnisses? Oder anders gefragt: Übernimmt Suchten den introversionsmystischen Ansatz von Eckharts Predigt? Zur Beantwortung dieser Frage ist es nötig, einen eingehenderen Blick auf seine Elegie Quid sit nihil zu werfen (siehe Anhang, Nr. 2, S. 378–383). Suchten verfasste dieses Gedicht kurz vor seiner Abreise aus Wilna, wo er dem polnischen König Sigismund August für ein Jahr als Leibarzt gedient hatte. Das Gedicht setzt mit einer Klage gegenüber Apollo an: Der Aufenthalt in der „barbara terra“ der Sarmaten habe ihm nichts als Ärger bereitet, zumal man hier seine segensreichen Künste nicht zu schätzen wisse. Zumindest habe ihn Apollo nach drei Lustren – also fünfzehn Jahren – der Orientierung endlich an die Gestade der wahren Medizin geführt. Hier seien ihm die Mysterien der Ägypter offenbart worden. Auch sei es ihm inzwischen gelungen, einen kostbaren Stein aus dem Wasser zu destillieren. Doch trotz dieser Gnade und trotz des Privilegs seiner Anstellung am Königshof treibe es ihn fort. Der Grund dafür seien die Verleumdungen einer „graecula turba“; einer Gruppe von Galenisten, deren Missgunst er allenthalben zu spüren bekommen habe. Er hingegen vertraue nunmehr ganz seiner „medica relligio“, die lange verborgen war. Dieser werde er in Zukunft seine Schriften widmen. Keine andere Gottheit außer Hermes Trismegistus wolle er besingen.170 Im letzten Abschnitt der Elegie kommt Suchten auf das Nichts zu sprechen: Zugegeben, der gelehrte Galen war sehr beredt, deshalb ist er zu Recht berühmt. Aber um die schwachen Menschen von Krankheiten zu heilen, bedarf es keines geschwätzigen Mundes. Die göttliche Macht des Himmels war stets stumm. Stumm bleibt so auch die Medizin der magischen Schule. Je mehr jemand lehrt, desto weniger weiß er. Das Tierkreiszeichen der Waage, das Kind des Feuers, kreist unablässig auf seiner Bahn. Es verweigert sich der Kartographie und lässt sich nicht lehren, denn es ist nichts: Das Nichts will an keinem Ort sein.

168 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 71. In: DW II, S. 72,6: „Got ist ein niht, und got ist ein iht“; weiterhin S. 72,15–16: Got ist ein wâr lieht; swer daz sehen sol, der muoz blint sîn und muoz got al abnemen von ihte.“ 169 Vgl. Jäger: Ein Wort im Wort, S. 237. 170 Chymische Schrifften. Ad Apollinem in Catharo pestilentiali elegia. Quid sit nihil, Hh5r–v.



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(Das Nichts ist die Wahrheit selbst. Diese sah Paulus, als er mit offenen Augen nichts erblickte, Apg 9; siehe hierzu Eckhart über die Bekehrung des Paulus. Auf diese geht auch Cusanus mit warmen Worten ein; siehe ferner Augustinus.) Der Anfang alles Seienden war das Nichts. Alles gehört dem Zeitlichen an, aber das Nichts möchte vor aller Augen verborgen bleiben. Wer könnte das Nichts mit den Sinnen erfassen? Du irrst dich, wenn du meinst, das Nichts sei in den Sinnen. Gewiss ist etwas hier, aber nicht die Medizin. Was also ist dieses Etwas? Nichts als die Dunkelheit und das Chaos der Kimmerier. Aber das Chaos schuf Gott aus dem Nichts. Alles wirst du wissen, wenn du nichts weißt, denn jedwedes Gut ist nichts. Das Nichts soll mich erfreuen. Sollen doch alle, die Tag und Nacht ihre Medizinbücher durchwühlen, viel verstehen und wissen. Mich aber möge meine Freiheit, die ich in der Süße der Wahrheit zubringe, nie verlassen, dann ist mir Missgunst nicht lästig. Möge das Nichts sich meiner annehmen! Dem zänkischen Murren des gemeinen Volkes möchte ich mich länger aussetzen, da ich doch gerne ein Narr sein will, wenn es mir nur vergönnt ist, fern von den Balten und Geten zu leben und morgen zu sagen: „Wilna, leb wohl!“171

Suchten verhandelt das Nichts hier auf engem Raum in verschiedenen Kontexten und Bedeutungsnuancen: Das Nichts verlangt nach Verschwiegenheit, und gerade darin erweist sich die „schola magica“ der Paracelsisten gegenüber der Schule Galens als überlegen. Es wird hieran, wie auch im Folgenden ersichtlich, dass das Nichts eine epistemologische Dimension besitzt: Je mehr jemand lehre – und damit gegen das Gebot des Schweigens verstoße –, desto weniger wisse er. Dagegen sei derjenige allwissend, der nichts wisse. Das hierin zum Ausdruck kommende, bewusst allgemein gehaltene nihil scire erweist sich als doppeldeutig: Es impliziert einerseits eine Zurückweisung jeglichen Faktenwissens (scientia), andererseits aber auch ein Wissen um das das Nichts. Dass Suchten das Nichtwis-

171 Ebd. Hh 6r–v: „Quis negat, est docti facundia magna Galeni, / Propterea dignus laudibus ille suis. / At morbos pulsare procul mortalibus aegris, / Facundi non est ullius oris opus. / Muta fuit Semper divina potentia Coeli: / Muta manet Magicae sic Medicina scholae. / Quo quis plura docet, novit minus, ignis alumna / Libra per sphaeram volvitur usque suam. / Respuit includi Chartis, nequitque doceri, / Nam nihil est, nullo vult nihil esse loco. (Nihil est ipsa veritas, quam vidit Paulus cum apertis oculis videret nihil. Act. 9. vide Echardum de Conversione Pauli: quam Cusanus miris laudibus effert. Item Augustinum.) Principium rerum fuerat nihil, omnia pandit / Ætas, sed nihil hoc noluit esse palam. / Quis nihil humano poterit contingere sensu? Falleris, in sensu si nihil esse putas. / Hic aliquid certe est, sed non medicina, quid illud, / est aliquid? Tenebrae Cimmeriumque Chaos. / At chaos ex nihilo fecit Deus: omnia noris, / Quando nihil sapies, nam nihil omne bonum est. / Me nihil oblectet, multa sapiantque sciantque / Qui medicas chartas dieque nocteque terunt. / Me mea Libertas nunquam in dulcedine veri / Deserat, invidia hinc non onerosa mihi est. / Me nihil agnoscat, latrantis murmura vulgi / Nil moror, insano cui libet esse mihi, / Dummodo contingat procul à Bessisque Getisque / Vivere, crasque mihi dicere, Vilna, vale.“ (Übers. S. B.).

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sen auch in diesem letzteren Sinne versteht, zeigt sich daran, dass er die Erwerbbarkeit des Nichts problematisiert: Das Nichts ist ort- und zeitlos und kann daher nicht mit den Sinnen erfasst werden. Dieses Axiom steht wiederum in eigentümlichem Widerspruch zu Suchtens Behauptung, dass auch jegliches weltliche Gut nichts sei. Dieses individuelle Nichts betrifft – was angesichts des paracelsistischen Hintergrunds der Elegie überrascht  – auch den Sternenhimmel und die Medizin. Sofern überhaupt eine Sache existiere, von der etwas positiv ausgesagt werden könne, so handle es sich hierbei um das biblische Tohuwabohu, beziehungsweise „Chaos“, das Suchten im mythischen Land der Kimmerer verortet. Vom Begriff des Chaos ausgehend kommt Suchten auf die schöpfungstheoretische Dimension des Nichts zu sprechen. In diesem Sinne identifiziert er das Nichts mit dem nihil, aus dem Gott die Welt erschuf. Zugleich ist das Nichts, wie aus Suchtens Interlinearglosse hervorgeht, auch mit der Wahrheit selbst wesensgleich. Diese sei das Nichts, das sich dem Christenverfolger Saulus während seines DamaskusErlebnisses offenbarte und ihn für drei Tage erblinden ließ (Apg 9,8–9). In diesem Zusammenhang findet denn auch die Autorität Eckharts Erwähnung. Suchtens Verweis auf Eckharts Predigt 71 offenbart sich als ein ausgesprochen glücklicher Fund, zumal er Rückschlüsse darauf zulässt, wie sich der Spiritualismus der ‚vor-weigelianischen‘ Paracelsisten zur spätmittelalterlichen Introversionsmystik verhält und – so viel sei vorweggenommen – welche distanzschaffenden Faktoren hierbei eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich entfernt Suchten sich in einigen wesentlichen Punkten von der philosophischen Auslegung, die der Meister dem Damaskuserlebnis angedeihen lässt. Die Differenzen, die zwischen dem Suchtens Elegie und Eckharts Predigt 71 bestehen, betreffen (a) die jeweilige Konzeption von Weisheit, (b) die Erfahrbarkeit des Nichts sowie (c) die ontologische Grundlegung der Schöpfung. (a) Differenzen hinsichtlich der Funktion des Nichtwissens Zunächst einmal ist festzustellen, dass Suchten – trotz seiner Kenntnis der Gotteslehre Eckharts und der dionysischen Theologie172  – an keine Stelle das Nichts explizit mit Gott identifiziert. Auch in anderen Werken Suchtens findet sich nichts dergleichen. Im Zentrum seines spiritualistischen Schrifttums steht vielmehr die bereits von Paracelsus vielberufene magia, die er in seinem Traktat De tribus facultatibus als eine „Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“ beschreibt.173 Dieses Wissen um alle göttlichen und irdischen Dinge stellt er den

172 Vgl. Kap. 7.7.6, S. 358–361. 173 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 363.



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universitären scientiae von Theologie, Astronomie und Medizin gegenüber, die ihm zufolge allesamt auf Geistlosigkeit, Lügen und Missverständnissen beruhen. Diese Polemik gegenüber den frühneuzeitlichen Bildungsinstitutionen kommt auch in Quid sit nihil zum Tragen. Die paracelsistische Kritik an der universitären Gelehrsamkeit – und zwar besonders an der Schulmedizin – offenbart sich hier als vielschichtig: Erstens macht Suchten der an Galen orientierten, akademisch gebildeten Ärzteschaft den Vorwurf, über ihre wortreichen Dispute die medizinische Praxis zu vernachlässigen („Um die schwachen Menschen von Krankheiten zu heilen, bedarf es keines geschwätzigen Mundes.“). Dieser Kritikpunkt ist nicht unberechtigt: In der Tat sah die Ausübung des Arztberufes in der Frühen Neuzeit hauptsächlich die Beratung, nicht aber die Behandlung des Patienten vor.174 Dem ‚Geschwätz‘ der Schulmediziner stellt Suchten die Verschwiegenheit der paracelsistischen Heilkunst gegenüber.175 Zweitens bemängelt Suchten den an den Universitäten produzierten Zuwachs an üppigem Faktenwissen. Wenn er mit der Sentenz „Je mehr jemand lehrt, desto weniger weiß er“ die Gelehrten als unwissend diffamiert und umgekehrt die Ungelehrten zu wahrhaft Wissenden erhebt, so ist dies nicht nur als Polemik gegenüber der galenischen Heilkunde zu verstehen. Im paradoxalen Verhältnis von Gelehrsamkeit und Wissen spiegelt sich der traditionsreiche Widerstreit eines Faktenwissens mit der in sich geschlossenen Weisheit an sich. Während Suchten ersteres an den Universitäten beheimatet sieht, hat letztere in der ‚magischen Schule‘ der Paracelsisten Zuflucht gefunden. Mit anderen Worten: Während die akademisch gebildete Ärzteschaft nur auf das extensionale _Spektrum der sapientia fixiert ist, haben die Paracelsisten deren intensionalen Gehalt im Blick. Dieser verkörpere nichts Geringeres als die Weisheit Gottes. Auch wenn die Gesamtheit aller Lehrsätze in einer Vielzahl besteht, besitzen diese dennoch einen gemeinsamen Urquell, der nach Suchten in höchstem Maße schlicht und einfach, ja geradezu ‚nichtig‘ ist. Dass die Weisheit dieses Kriterium erfüllt, wurde bereits mit Blick auf den Liber sapientiae deutlich: Die Weisheit ist ein reiner, makelloser Spiegel von Gottes Kraft und Güte.176 Mag es sich hierbei auch nur um ein Gleichnis handeln, so erweist sich dieses im Hinblick auf das Nichts, das die Weisheit verkörpert,

174 Vgl. Jana Madlen Schütte: Medizin im Konflikt. Fakultäten, Märkte und Experten in deutschen Universitätsstädten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Leiden 2017 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 53), S. 75–83. 175 Vgl. Carlos Gilly: Das Sprichwort „Die Gelehrten die Verkehrten“ oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung. In: Forme e destinazione del messaggio religioso. Aspetti della propaganda religiosa nel Cinquecento. Hg. von Antonio Rotondò. Florenz 1991, S. 229–375. 176 Vgl. Kap. 5.1, S. 129, Anm. 10 (= Sap 7,25).

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als aufschlussreich: Im Nichts der Weisheit lassen sich, wie in einem Spiegel, potenziell sämtliche Einzeldinge erkennen, und dennoch ist dieses Nichts, wie die Oberfläche ein Spiegel, in seiner Gestalt unbeschreibbar. Daher ist die Weisheit auch nicht durch das „Durchwühlen“ dicker Folianten, sondern allein durch ein Nichtwissen einholbar. Nichtwissen ist demnach nicht trotz, sondern aufgrund seiner Schlichtheit mit der göttlichen Weisheit – und insofern mit Allwissenheit – gleichzusetzen: „Alles wirst du wissen, wenn du nichts weißt“. Der hierin aufscheinende Terminus classicus einer docta ignorantia richtet sich also vor allem gegen das Bücherwissen der Schulmediziner. Vor diesem Hintergrund gewinnt die paracelsistische Verschwiegenheit den Charakter eines mystischen Schweigens in dionysischer Tradition. „Die göttliche Macht des Himmels war stets stumm“, und daher gebietet die Einsicht in göttliche Weisheit auch absolute Stille – die Stille des Nichts. Das Nichts wird hier also, anders als die von Eckhart zitierte Lehrmeinung des Dionysius besagt, nicht mit Gottes innerstem Wesen, sondern ‚nur‘ mit der göttlichen Weisheit identifiziert. Indem nun Paracelsisten wie Suchten vorgeben, wie dereinst Paulus der Weisheit teilhaftig zu sein, behaupten sie nicht nur, um das Nichts selbst, sondern auch um das Wesen aller weltlichen Dinge zu wissen. Vor dem Auge des mit Weisheit gesegneten Adepten geben sich alle irdischen Güter als nichtig zu erkennen: „Jedwedes Gut ist nichts.“ Mit dieser These bezieht sich Suchten wahrscheinlich auf ein weiteres Zitat des erwähnten Liber sapientiae (7,8– 9), dessen Autor die Nichtigkeit aller irdischen Dinge explizit mit der göttlichen Weisheit kontextualisiert: „Ich zog sie [= die Weisheit] Zeptern und Thronen vor, Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich mit ihr. Einen unschätzbaren Edelstein stellte ich ihr nicht gleich; denn alles Gold erscheint neben ihr wie ein wenig Sand und Silber gilt ihr gegenüber so viel wie Lehm.“177 Die von Suchten behauptete Nichtigkeit aller Güter ist also keineswegs durch einen asketischen Habitus der Entsagung motiviert. Vielmehr ist sie im Sinne des Ersten Korintherbriefs 13,10 zu verstehen, da es heißt: „Wenn das Vollkommene kommt, wird das Stückwerk verschmäht.“178 Sowie einem gottergebenen Mensch das allumfassende Nichts der Weisheit innerlich zuteilwird, gelten ihm alle irdischen Dinge nur noch so viel wie ein „Sand“ oder „Lehm“.179

177 Sap 7,8–9: „Et praeposui illam regnis et sedibus, et divitias nihil esse duxi in comparatione illius. Nec comparavi illi lapidem pretiosum, quoniam omne aurum in conparatione illius harena est exigua, et tamquam lutum aestimabitur argentum in conspectu illius.“ 178 1 Cor 13,10: „Cum autem venerit quod perfectum est, evacunaverit quod ex parte est.“ 179 Vgl. Anm. 177.



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Das Nichtwissen richtet sich nach Suchten also nicht auf eine mystische Erfahrung des göttlichen Über-Seins, nicht auf einen Durchbruch hin zur Absolutheit des einen Gottes. Die mystische Dimension des Nichts, die in Eckharts Werk zum Ausdruck kommt, findet in Suchtens Elegie höchstens anhand der Bezugnahme auf das paulinische Damaskus-Erlebnis Resonanz. Das Nichtwissen hat eine doppelte Funktion: Erstens eine ethische, indem es einen Gegenpol zur Geschwätzigkeit und zum Bücherwissen der Schulmediziner repräsentiert, und zweitens eine spiritualistische, indem es zur schlichten Weisheit der Paracelsisten Zutritt gewährt. In Eckharts mystischer Theologie hingegen zielt der Habitus des Nichtwissens (und des Nichtwollens) in letzter Konsequenz letztlich immer auf eine mystische Vereinigung mit Gottes innerstem Wesen. Ein auf Nichtwissen gegründeter Anspruch auf Allwissenheit, wie ihn Suchten in seiner Elegie erhebt, spielt für den Meister überhaupt keine Rolle. Vielmehr würde ihm zufolge ein solch anmaßender, als Überlegenheitsgestus formulierter Anspruch das Gebot eines demütigen und willfährigen Lebens vor Gott untergraben.180 (b) Differenzen hinsichtlich der Verfügbarkeit des Nichts Auch wenn Eckhart eine selbstische, Allwissen implizierende Spiritualität ablehnt, hat die Weisheit in seinem Denken dennoch ihren festen Platz. Auch findet sich in seinem Predigtwerk ein Passus, in dem er die Weisheit im Verbund mit dem Nichts aufruft: „Es ist ein deutliches Zeichen, daß der Mensch den ‚Geist der Weisheit‘ habe, wenn er alle Dinge als ein reines Nichts ansieht. Wer irgendein Ding als ein Etwas ansieht, in dem ist nicht der ‚Geist der Weisheit‘.“181 Man könnte nun meinen, Eckhart begründe, ebenso wie Suchten, die Nichtigkeit aller weltlicher Güter in Übereinstimmung mit dem oben zitierten Bibelwort, wonach alles Weltliche hinter der göttlichen Weisheit so weit zurücksteht, dass es wie ein bloßes Nichts erscheint. Der Meister entfaltet den Grundsatz der Nichtigkeit der irdischen Dinge allerdings auf einem höheren Niveau als Suchten. Indem er nicht einfach nur von der ‚Weisheit‘, sondern dezidiert vom ‚Geist der Weisheit‘ spricht, bezieht er sich damit auf die Gottnatur Christi. Das logostheologische Dogma, wonach Christus das göttliche Schöpfungswort und als solches zugleich den laut-

180 Zur Bedeutung der Demut bei Eckhart s. Karl Heinz Witte: Der enthöhte Gott – Zur Demutslehre Meister Eckharts. In: Meister-Eckhart-Jb.  1 (2007). Bd.  1. Hg. von Hans-Jochen Schiewer u.  a. Stuttgart 2007, S. 43–54; Udo Kern: Der Gang der Vernunft bei Meister Eckhart. Berlin 2012 (Rostocker Theologische Studien 25), S. 237–266. 181 Meister Eckhart: Pr. 59. In: DW I, S. 624,10–13: „Daz ist ein offenbære zeichen, daz der mensche habe den ‚geist der wîsheit‘, der alliu dinc ahtet als ein lûter niht. Wer dehein dinc iht ahten mac, in dem enist niht der ‚geist der wîsheit‘.“

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erzeugenden Atem Gottes repräsentiert, hat auch für Eckhart Geltung. Da dieser Atem (spiritus) nach dem Liber sapientiae zugleich das Ebenbild des Allmächtigen verkörpert, kann der Geist der Weisheit in Eckharts Predigt 59 im Kontext mit dem göttlichen Geburtenzyklus an die Stelle Christi treten: Die Gabe der Weisheit ist die edelste Gabe unter den sieben Gaben des Heiligen Geistes. Gott gibt keine dieser Gaben, ohne sich zuerst selbst und gleicherweise und auf gebärende Weise zu geben. Alles, was da gut ist und Lust und Trost zu bringen vermag, das alles habe ich aus dem „Geist der Weisheit“.182

Gott gebiert sich über den Geist der Weisheit in den Seelengrund. In diesem Sinne heißt es in derselben Predigt: „Wer ihn im Allerinnigsten ruft, in den kommt der ‚Geist der Weisheit‘.“183 Da die Weisheit nun ihrem Wesen nach einen „Spiegel“ darstellt, offenbart sie sich, analog zum Gottessohn, als die Geburt, an der Gott seine Selbstreflexion vollzieht. Vor diesem Hintergrund ist die Beseelung mit dem Geist der Weisheit für den gottsuchenden Menschen ein kaum merkliches, impulsartiges Moment: Indem der Allmächtige sich im Spiegel der Weisheit erblickt, teilt er der gelassenen Seele sein göttliches Nichts in so großer Intensität mit, dass die Seele von ihm ununterscheidbar und dadurch ganz mit ihm eins wird. Da es im göttlichen Nichts keine Alterität und somit weder ‚dies‘ noch ‚das‘ gibt, sind in Gott freilich auch alle weltlichen Dinge nichts. Um in Gottes nichtigem Über-Sein aufzugehen, bedarf es klösterlicher Abgeschiedenheit, innerer Einkehr, geistiger Armut sowie der Aufgabe allen Wissens und Wollens. Der Mensch muss an sich selbst zunichtewerden, um das Nichtwissen zu erwerben. Von einer solchen introversionsmystischen Programmatik findet sich in Suchtens Elegie keine Spur. Es ist lediglich davon die Rede, dass sich das Nichts der Sinneswahrnehmung entzieht: „Alles gehört dem Zeitlichen an, aber dieses Nichts möchte vor aller Augen verborgen bleiben. Wer könnte das Nichts mit den Sinnen erfassen? Du irrst dich, wenn du meinst, das Nichts sei in den Sinnen.“ Diese im Grunde triviale Erkenntnis bestätigt die metaphysische Natur des nihil: Das Nichts, in dem sich Gott zu erkennen gibt, lässt sich, um einen Terminus classicus der abendländischen Mystik zu gebrauchen, nur mit dem ‚Auge der Seele‘ (oculus mentis) schauen.184 Indes geht es Suchten mitnichten darum, für

182 Ebd., S. 626, 8–12: „Diu gâbe der wîsheit ist diu edelste gâbe under den siben gâben. Got der engibet dirre gâben keine, er engebe sich selben ze dem êrsten und glîche und geberlîche. Allez, daz dâ guot ist und lust und trôst bringen mac, daz hân ich allez in dem ‚geiste der wîsheit‘ […].“ 183 Ebd., S. 624, 19–20: „Wer ruofet in dem allerinnigsten, in den kumet ‚der geist der wîsheit.“ 184 Zum Terminus oculus mentis s. Frederick van Fleteren: Acies mentis. In: Augustine Through the Ages. An Encyclopedia. Hg. von Allan D. Fitzgerald. Michigan, Cambridge 1999, S. 5  f.



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introversionsmystische Exerzitien zu werben; auch anderenorts findet sich nichts dergleichen. Vielmehr hält er es für ganz und gar unmöglich, zu einer derartigen Schau zu gelangen, es sei denn durch die Gnade des Allmächtigen. Wenn nun aber der Mensch aufgrund seiner „usserlichen Augen“ stets der Außenwelt zugekehrt ist,185 bleibt es ihm verwehrt, vom geschöpflichen Diesseits und insofern von sich selbst abzulassen. Freilich bestreitet auch Eckhart die Allgegenwart der Sinnesreize nicht. Allerdings differenziert er zwischen einem ‚äußeren Auge‘ des Menschen, das, sich vom göttlichen Licht erfüllt, auf die geschöpfliche Außenwelt richtet, und einem inneren Auge, das ebendiesem Licht unentwegt zugewandt ist.186 In seiner Predigt 71 erklärt Eckhart, dass das göttliche Licht, von dem dereinst der Christenverfolger Saulus geblendet wurde, auch dessen Sinne in die unendlichen Höhen des göttlichen Intellekts auffahren ließ: „Ein Meister sagt, daß in seiner Seele alle Kräfte der Seele emporschnellen und sich die äußeren Sinne erhöhen, mit denen wir sehen und hören [!], wie auch die inneren Sinne, die wir Gedanken nennen: wie weit diese sind und wie unergründlich, das ist ein Wunder.“187 Der Lehrmeinung dieses anonymen Meisters schließt sich Eckhart sodann vorbehaltlos an.188 Weiterhin spricht Eckhart im Rahmen einer sehr freien Aristoteles-Auslegung davon, dass das Auge in seiner höchsten Reinheit nichts Farbliches und doch alle Farben zugleich erblicke.189 Auf dieser Grundlage lässt sich das durch die Apostelgeschichte bezeugte Vermögen, mit geöffneten Augen („apertis oculis“) das Nichts zu schauen, auf plausible Weise erklären. Suchten hingegen wendet sich sowohl in Quid sit nihil als auch in De tribus facultatibus ausdrücklich gegen die Möglichkeit, unter natürlichen Bedingungen über transzendente Entitäten wie das Nichts Kenntnis zu erlangen. Zwischen der

185 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 186 Meister Eckhart: Pr. 10. In: DW I, S. 122,26–32: „Die sêle hât zwei ougen, einz inwendic und einz ûzwendic. Daz inner ouge der sêle ist, daz in daz wesen sihet und sîn wesen von gote âne allez mittel nimet: daz ist sîn eigen werk. Das ûzer ouge der sêle ist, daz dâ gekêret ist gegen allen crêatûren und die merket nâch bildelîcher wîse und nâch kreftlîcher wîse.“ Vgl. hierzu die Terminologie von lumen gratiae und lumen naturale, Kap. 5.8, S. 188  ff. 187 Ebd.: Pr. 71. In: DW II, S. 66,11–15: „Ein meister sprichet, daz in disem liehte alle die krefte der sêle überhüpfent und erhœhent sich die ûzern sinne, dâ mit wir sehen und hœren, und die inwendigen sinne, die wir gedenke heizen: wie wît die sîn und wie gruntlôs, daz ist ein wunder.“ 188 Vgl. ebd., S. 66,21–32: „Und ich spriche, daz in diesem liehte alle krefte der sêle sich er­hœ­ hent. Die sinne entspringe in die gedenke: wie hôch und wie gruntlôs die sîn, daz weit nieman wan got und diu sêle […]. Daz lieht begrîfet alle die krefte der sêle in im.“ 189 Vgl. ebd., S. 76, 18–21: „daz ouge in sîner grœsten lûterkeit, dâ ez keine varwe enhât, dâ sihet ez alle varwe; niht aleine ez blôz ist aller farwe, mêr: dâ ez an dem lîchnamen stât, dâ muoz ez âne varwe sîn, dâ man bekennen sol varwe.“

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diesseitigen Welt und Gott besteht eine Kluft, die der Mensch aus eigener Kraft nicht zu überwinden vermag. Das Konzept eines Seelengrundes, das die überdauernde Gegenwart Gottes im Menschen garantiert, wird damit hinfällig. Der Mensch ist zwar vom „Geist des Herrn“ beseelt – der sogar mit dem erwähnten Geist der Weisheit identisch ist  –, doch er ist aufgrund seines Diesseitsbezugs außerstande, diesen göttlichen Funken innerlich zu erkennen. Hinzukommt, dass der Allmächtige nach Suchten gar nicht die Absicht hat, sich im Rahmen einer Selbstreflexion am menschlichen Geist zu spiegeln; vielmehr hat er sein Antlitz von der Menschheit abgewandt.190 Zwar gehen auch Vertreter eines anthropologischen Optimismus wie Eckhart davon aus, dass der Mensch keinen natür­ lichen Anspruch auf die göttliche Gnade hat.191 Allerdings besteht angesichts der Güte, der Menschenfreundlichkeit und dem unbedingten Willen Gottes, sich dem Geschöpf mitzuteilen, nicht der geringste Zweifel daran, dass dieser sich dazu herablässt, einer gelassenen Seele seine Gnade zu gewähren. Auf diese Weise wird der Mensch in die Lage versetzt, auf eigenverantwortliche Weise mystische Einheitserfahrungen zu initiieren.192 Tatsächlich offenbart auch Suchten in De tribus facultatibus eine Bedingung, unter welcher der Mensch, seines Geistes – und somit des Nichts der göttlichen Weisheit – teilhaftig werden kann: Diese besteht in einer göttlichen Erwählung. Im Gegensatz zu Eckhart, für den außer Frage steht, dass Gott prinzipiell jeder gelassenen Seele seine Gnade gewährt, macht Suchten Erwähltheit zum Kriterium für die Gnade, das Nichts zu schauen. Ihm zufolge gab es zu allen Zeiten einzelne Erleuchtete, denen der Allmächtige seine Weisheit zuteilwerden ließ. Unter diese Gottbegnadeten, denen es vergönnt ist, das Nichts der göttlichen Allweisheit zu erkennen, hat man denn auch Suchten selbst zu rechnen: Nicht von ungefähr berichtet dieser in seiner Elegie Ad chrysogonum sophistam, dass ihm in jungen Jahren eine Entrückung in den dritten Himmel zuteilgeworden sei, durch die er die göttliche Weisheit aus den Händen des Allmächtigen empfangen habe.193 Als Prototypen des Erleuchteten gelten dem Danziger der Heilige Paulus und dessen ‚Schüler‘, der Heilige Dionysius vom Areopag, die er in De tribus facultatibus als Zeugen der magia aufführt.194 Der Aufruf des paulinischen Damaskus-Erlebnisses

190 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361  f. 191 Zum Begriff der Gnade bei Meister Eckhart vgl. Largier: Stellenkommentar (Sermones). In: Meister Eckhart. In: DW II / LW, S. 904–909; im Kontext mit Pr. 71 Jäger: Ein Wort im Wort, S. 234  f. 192 Anna Keiling: Muße in mystischer Literatur: Paradigmen geistig tätigen Lebens bei Meister Eckhart. Hg. von Elisbeth Cheauré, Gregor Dobler, Monika Fludernik, Hans W. Hubert u. Peter Philipp Riedl. Tübingen 2019 (Otium 11), S. 97  ff.; vgl. Anm. 163. 193 Vgl. Kap. 2.2, S. 31, Anm. 63. 194 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 381.



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in Quid sit nihil kommt ebenfalls nicht von ungefähr: Der zum Paulus bestimmte Saulus war laut dem Galaterbrief (1,15) „schon im Mutterleib auserwählt“ und durch „Gottes Gnade berufen“. Dass der vormalige Christenverfolger im Akt seiner Berufung die Gegenwart Christi über das Nichts wahrnahm, ist nur konsequent: Das Nichts verkörpert die Weisheit, und diese ist als imago dei mit der Gottnatur Christi wesensgleich. (c) Schöpfungsontologische Differenzen Suchtens Konzeption des Nichts steht auch in deutlichem Zusammenhang mit der biblischen Schöpfungslehre: „Am Anfang alles Seienden war das Nichts.“ Suchten bekennt sich also zu einer creatio ex nihilo. Allerdings beschreibt das primordiale Nichts kein radikales Nicht-Sein,195 sondern jenen Dampf oder Nebel („vapor“), mit dem die Weisheit im Liber sapientiae identifiziert wird.196 Das Nichts besitzt somit, entgegen dem von Lukrez überlieferten Sinnspruch „ex nihilo nihil“, ein unscheinbares, aber produktives Naturell: Der Nebel der Weisheit fungiert als die prima materia aller himmlischen und irdischen Kreaturen. Er ist das primordiale ‚Wasser‘, das Gott am zweiten Schöpfungstag in ein Oben und ein Unten (Gen 1,4) schied. Dadurch entstand das Chaos, das seinerseits für die biblische „terra inanis et vacua“ (Gen 1,2) steht: Das Chaos ist nichts anderes als die von Gottes Geist erfüllte, neblig-trübe Finsternis des Abyss,197 Demnach ging aus dem Nichts das „Chaos“ und aus dem „Chaos“ die Welt hervor. Dieses kosmogonische Konzept kommt auch in Suchtens Elegie zur Sprache: Sofern überhaupt etwas sei – und nicht nichts –, handle es sich hierbei um das Chaos und die Dunkelheit des kimmerischen Landes („Tenebrae Cimmeriumque Chaos“). Das mythische Volk der Kimmerer siedelte nach Homer unweit der Unterwelt an einem Ort, wo „ewige Nacht und ständiger Nebel“ herrschen (Odyssee XI, 15). Humanistisch gebildete Paracelsisten wie Suchten erkannten in diesem

195 Zur paracelsischen Schöpfungslehre s. Frietsch: Häresie und Wissenschaft, S. 115–137, 346– 353; Daniel: Unvisible Wombs, S. 129–142; Dück: Materia Prima, S. 101–116. 196 Vgl. Kap. 5.1, S. 129, Anm. 10 (= Sap 7,25). 197 Vgl. etwa. Joseph Duchesne: „Dicitur Deus apud Mosem creasse unum chaos, quod aqueum colligitur fuisse; quod Spiritus Dei aquis incubuisse dicitur à Mose. Materia istius chaos nulla alia antè fuit quam Verbum ipsum Dei, (Fiat) quod quidem verbum non fuit inane in Deo, nihil enim ab eo profiscitur, quod non sit immensae virtutis. Quemadmodum igitur cùm dixisset, Fiat lux, Statim facta est; sic de chaos hujus origine pronunciandum est. Chaos igitur istud ex verbo creatum, statim in corpus immensè animatum prorupit, ac Deus loquutus est.“ (Quercetanus redivivus, hoc est, ars medica dogmatico-hermetica I (Medicatrix), Cap. XVII. De Existentia Macrocosmi. Johannes Beyer, Frankfurt a. M. 1648, S. 68).

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Nebel selbstverständlich den trüben Hauch der göttlichen Weisheit.198 Dieses primordiale ‚Nichts‘ ist vielleicht auch Suchtens Bezugspunkt, indem er in seiner Elegie das Tierkreiszeichen der Waage als nichtig erklärt: Im Buch Jesus Sirach ist nämlich davon die Rede, dass der Morgenstern inmitten eines Nebels („in medio nebulae“) steht.199 Der Morgenstern ist nach dem ptolemäischen Weltbild der Herrscher über die Waage des Zodiaks.200 Die Waage wäre demnach insofern als ‚nichtig‘ anzusehen, als sie von besagtem Nebel dominiert wird. Dass Suchten dieses Tierkreiszeichen ferner als ein „Kind des Feuers“ bezeichnet, könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Nebel der Weisheit vom empyreischen calor erfüllt ist. Sofern Suchten im vorliegenden Fall tatsächlich auf das besagte Zitat aus Jesus Sirach bezugnimmt, könnte er Eckharts Predigt 9 (Quasi stella matutina in medio nebulae) vor Augen haben, die ebenjenes Zitat im Titel trägt. Hier erfährt der Morgenstern allerdings eine ganz andere Auslegung als bei Suchten: Ebenso wie der Morgenstern nach Eckharts mittelalterlicher Vorstellung stets in gleicher Nähe um der Sonne kreist, ist der Mensch dazu angehalten, Gott als Zentrum seines Lebens zu wählen.201 Da nun das Allerheiligste des besagten ‚Nebels‘ der Geist der Weisheit ist, der als ‚Same‘ die gesamte Schöpfung enthält, bestätigt sich erneut  – diesmal vor schöpfungstheologischem Hintergrund – die Identität des Nichtwissens mit einem Allwissen: Im Nichts der göttlichen Weisheit eröffnet sich der Urgrund alles Seienden. Als Spiegelbild Gottes stellt dieser Urgrund zugleich die geistige Natur Christi dar. Da Christus nach Johannes 14,6 auch die Wahrheit verkörpert, erweist sich Suchtens Schlussfolgerung „das Nichts ist die Wahrheit selbst“, als konsequent. Somit zeigt sich abermals, dass die Ontologie des kreatürlichen Diesseits auf dem nichtigen „vapor“ der Weisheit beruht. Der Dampf des kristallinen Wassers ist die prima materia von großer und kleiner Welt.202

198 Die damit einhergehende Gleichsetzung von Geist und Chaos findet sich auch bei Johann Baptista van Helmont, der in seinem Werk Ortus medicinae (1609) mit Bezug auf den ‚Geist‘, der erhitztem Holz entweicht, erstmals von einem ‚Gas‘ (=‚Chaos‘) spricht. Zur Etymologie des Begriffes ‚Gas‘ s. Wolf Schneider: Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache. 15. Aufl. München, Zürich 2009, S. 35. 199 Sir 50,6–7: „Quasi stella matutina in medio nebulae et quasi luna plena in diebus suis lucet et quasi sol refulgens, sic iste refulsit, sic iste refulsit in templo dei.“ 200 Erich von Beckerath: Geheimsprache der Bilder. Die astrologische Lehre und ihre Symbolik. Wien 1984, S. 131. 201 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 9. In: DW I, S. 114,19–24: „Der mensche […] sol sîn als ein morgensterne: iemermê gote gegenwertic und iemermê bî und glîch nâhe und erhaben über alliu irdischiu dinc und bî dem worte sîn bîwort.“ 202 Vgl. Kap. 4.2, S. 73, Anm. 11.



Das ‚Nichts‘ in Suchtens Elegie Quid sit nihil und in Eckharts Predigt 71 

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Eckharts Schöpfungsontologie unterscheidet sich von der physica mosaica Suchtens vor allem darin, dass er auf den Terminus technicus des „vapor“ verzichtet, da es aus seiner Sicht eines solchen, zwischen dem Nichts und der geschöpflichen Welt vermittelnden Prinzips gar nicht bedarf. Das Problem der ontologischen Divergenz von Transzendenz und Immanenz stellt sich für Eckhart nicht, da diese beiden Bereiche jeweils nur Erfahrungsmodi der Seele sind.203 Wenn der Thüringer sich der Metaphorik des ‚Fließens‘ bedient, so assoziiert er hiermit keineswegs eine Emanation des Stofflichen aus dem Metaphysischen. Vielmehr konstatiert er einen fließenden Übergang zwischen den verschiedenen Stufen des Erkennens, welche die Seele je nach Grad ihrer Gelassenheit im Verhältnis zu ihrem göttlichen Grund einnimmt. Bei den Dingen der irdischen Sphäre handelt es sich ursprünglich um Ideen, die lediglich auf der untersten Stufe des menschlichen Erfahrungsbereichs, den Sinnen, konkrete Gestalt annehmen.204 Sowie die Seele aber im Akt der unio mystica mit ihrem Grund verschmilzt, offenbart sich ihr die kreatürliche Welt in ihrer göttlichen Absolutheit. Da der Seelengrund nun kein Geschöpf im eigentlichen Sinne, sondern mit Gott eins ist, geht Eckhart zum Konzept eines werktätigen Schöpfergottes auf Distanz. So verwirft er die Vorstellung eines zeitlichen Anfangs von Himmel und Erde; vielmehr lehrt er zusammen mit Aristoteles und Avicenna die Ewigkeit der Welt.205 In seiner Expositio libri Genesis definiert er das biblische „principium“ (Gen 1,1) gar als ein „primum nunc penitus simplex aeternitatis“: als eine überzeitliche Gegenwart im göttlichen Nichts. Das ewige ‚Jetzt‘ in Gott bestimmt Eckhart in Berufung auf Platon als einen Grund, der die Urbilder, beziehungsweise Ideen, aller Dinge umfasst („ratio idealis“).206 Die einzig wahre, überzeitliche und übersinnliche Schöpfung ist daher nur in diesem ‚Grund‘, genauer gesagt im Seelengrund, erfahrbar: Und wenn ich sage: ‚das Innerste‘, so meine ich das Höchste der Seele […]. Dort, wo niemals Zeit eindrang, wo niemals ein Bild hineinleuchtete, im Innersten und im Höchsten der Seele erschafft Gott die ganze Welt. Alles, was Gott erschuf vor sechstausend Jahren, als er die Welt machte, und alles, was Gott noch nach tausend Jahren erschaffen wird, wenn die Welt [noch] so lange besteht, das erschafft Gott im Höchsten der Seele. Alles, was vergangen ist,

203 Vgl. Kern: Gottes Sein ist mein Leben, S. 193  f. 204 Vgl. ebd., S. 190. 205 Zu Eckharts Verständnis von Zeit s. Niklaus Largier: Zeit, Zeitlehre, Ewigkeit. Ein Aufriß des Zeitproblems bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart. Bern 1989, S. 136–139. 206 Meister Eckhart: Expositio libri Genesis. In: Studienausg. der Lateinische Werke. Bd. 1. Hg. von Loris Sturlese u. Elisa Rubino. Stuttgart 2016, S. 37,7. Vgl. hierzu Kern: Gottes Sein ist mein Leben, S. 132–135.

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und alles, was gegenwärtig ist, und alles, was zukünftig ist, das erschafft Gott im Innersten der Seele.207

Eckharts Panentheismus entpuppt sich somit als ein ‚Panenpsychismus‘: Da alles Erfahrbare von jeher im Seelengrund angelegt ist, existiert nichts, das außerhalb von Gottes nichtigem Wesen Bestand hätte. So kommt der Meister nicht umhin, die „terra inanis et vacua“ mit dem Nichts in Gott zu identifizieren. Dieses selbst sei „eine Fremde und eine Wüste und ist mehr namenlos, als daß es einen Namen habe, und ist mehr unerkannt, als daß es erkannt wäre.“208 Zudem hat in Eckharts schöpfungsontologischem Konzept eine prima materia, wie sie Suchten annimmt, keinen Platz, denn ihm zufolge hat das Stoffliche, wie überhaupt alles Zeitliche, kein eigentliches Dasein. Jedes Geschöpf ist für sich genommen ein reines Nichts; Eckhart spricht von einem „lûter niht“.209 Dieses ist von dem fruchtbaren Nichts Gottes strickt zu unterscheiden: Während das göttliche Nichts sich durch eine alleinheitliche Überfülle auszeichnet, repräsentiert das „lûter niht“ die radikale Leere der zeitlichen Sphäre.210 Allein der vom göttlichen Licht durchdrungene, gleichsam sonnenhafte Blick des menschlichen Subjekts lässt alle irdischen Einzeldinge in ihrer wahrnehmbaren Gestalt aufscheinen. Die menschliche Seele ist also gegenüber der großen Schöpfung ontologisch primär. Für die Schöpfungsontologie Suchtens aber gilt das Gegenteil: Der Mikrokosmos ist vom Makrokosmos genommen und nach dessen Bilde geschaffen. Wie gesehen, vertritt Suchten in Übereinstimmung mit Agrippa die Auffassung, dass der Mensch nur insoweit Gottebenbildlichkeit beanspruchen könne, als er eine Miniatur der großen Welt sei.211 Diese Differenzen zwischen Eckhart und Suchten spiegeln sich auch in ihrer jeweiligen Konzeption des Nichtwissens wider: Sofern man die Art von Nicht-

207 Meister Eckhart: Pr. 30. In: DW I, S. 338, 22–340,4: „Und swenne ich spriche ‚daz innigeste‘. So meine ich daz innigeste der sêle. In dem innigesten und in dem hœhsten der sêle […]. Dâ nie zît in einkam, dâ nie bilde îngeliuchtete, in dem innigesten und in dem hœhsten der sêle schepfet got alle diese werlt. Allez, daz got geschuof vor sehs tûsent jâren, dô er die werlt machete, und allez, daz got noch geschaffen soll über tûsent jâr, ob diu werlt sô lange bestât, daz schepfet got in dem innigesten und hœhsten der sêle. Allez, daz da vergangen ist, und allez, daz gegenwertic ist, und allez, daz künftic ist, daz schepfet got im innigesten der sêle.“ 208 Ebd.: Pr. 28. In: DW I, S. 322,8–19: „Ez ist ein ellende und ein wüestenunge und ist mê ungenennet, dan ez namen habe, und ist mê unbekant, dan ez bekant sî.“ 209 Ebd.: Pr. 11. In: DW I, S. 134,7: „Alle crêatûren sind ein lûter niht.“ 210 Zu diesem Begriff s. Christine Büchner: Was heißt „lûter niht“? Meister Eckharts Schöpfungsverständnis im Rahmen seines Denkens der Einheit Gottes. In: Meister-Eckhart -Jb. 1 (2007). Bd. 1. Hg. von Hans-Jochen Schiewer u.  a. Stuttgart 2007, S. 111–124. 211 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 362.



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wissen, für die Eckhart eintritt, auch als ein Schöpfungswissen bezeichnen kann, zeigt sich dieses am ehesten an seinem Anspruch, den irdischen Dingen auf den ‚Grund‘ zu gehen. Dieser mit Gott identische Grund aber gehört der menschlichen Seele an. Dies hat zur Folge, dass der Erwerb eines wahren Schöpfungswissens stets an mystische Exerzitien geknüpft ist.212 Demgegenüber lehrt Suchten eine vom menschlichen Geist unabhängige Realität des Diesseits. Er gründet sein Schöpfungswissen zwar auf ein Nichts, doch dieses lässt sich ihm zufolge nicht in Eigeninitiative erwerben; vielmehr bedarf es hierfür einer Erwählung durch Gottes Gnade. Das paracelsistische Nichtwissen beginnt mit einer singulären Entrückung in den dritten Himmel, die den paracelsistischen Adepten allerdings dauerhaft in die Lage versetzt, das Nichts zu schauen: So ist es ihm vergönnt, den Geist der Weisheit, der die gesamte kreatürliche Welt durchdringt, über eine Auslegung des ‚Buchs der Natur‘ zu erkennen und ihn sogar auf alchemische Weise – etwa in Gestalt des entweichenden spiritus vitrioli – unmittelbar zu erfahren. Die Außenwelt besitzt eine eigenständige, subjekt-unabhängige Realität. Die hier aufscheinende Differenz von Eckharts Seelenlehre und Suchtens Pneumatologie wird auch mit Blick auf die Quellmetaphorik manifest: Während das innere Sprudeln, das Gott im Zuge seiner fortwährenden Ein- und Rückgeburt erzeugt, dem Seelengrund angehört, bezieht sich das Konzept des Hervorquellens in paracelsistischem Kontext auf das kristalline Wasser, das dem Thron des Allmächtigen, beziehungsweise dem göttlichen Geist, entströmt.213 Indem Gott den Geist im Akt des fiat lux entlässt, greift er weit in die Finsternis des Abyss aus. Sein dynamischer Selbstbezug realisiert sich hier also nicht – oder zumindest nicht primär –, über eine Spiegelung am menschlichen Gemüt, denn dieses gleicht dem Antlitz Gottes nur sehr bedingt: Vielmehr ist die makrokosmische Schöpfung dasjenige Bild, das dem göttlichen Angesicht am nächsten kommt. Als imago dei imitiert die Natur ferner auch das ‚Spiel‘ der himmlischen Weisheit. Dieses ist immer auch ein Versteckspiel: Zumeist hält die Natur das Antlitz des Allmächtigen, das ihr durch den Geist des Herrn eingeschrieben ist, bedeckt. Und doch kann und will dieses Göttliche innerhalb der Schöpfung erkannt werden.214 Im Überblick über die einzelnen Aspekte, unter denen Paracelsus-Sympathisanten wie Suchten gewisse Elemente der mystischen Lehre Eckharts teils in ihr eigenes Denken übernehmen, teils modifizieren und teils ausblenden, zeigt sich,

212 Vgl. Kern: Gottes Sein ist mein Leben, S. 54  ff. 213 Vgl. Kap. 4.3.2, S 88. 214 Anne Eusterschulte: Hermetische Spiele der Natur und der ludische Charakter des Wissens. In: Konzepte des Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Hg. von Peter André Alt u. Volkhard Wels. Göttingen 2010, S. 213–258, hier S. 213–219.

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dass die Auseinandersetzung mit der spätmittelalterlichen Theologie vor allem dazu dient, der geistigen Strömung des Paracelsismus, die um 1560 im Entstehen begriffen ist, Kontur zu verleihen. Dass Suchten in seiner Elegie keine ostentative Distanzierung von Eckharts Konzeption des Nichts vornimmt, ist daher nur konsequent: Ihm ist daran gelegen, die mystische Theologie des Meisters unter den entsprechenden Transformationen, und somit auch anhand der Mittel der Negation, in sein spiritualistisches Weltbild zu integrieren und somit für die Konstitution eines genuin paracelsistischen Wissens fruchtbar zu machen. Die Beweggründe für Suchtens Entfernung von Eckharts mystischem Begriff des Nichtwissens sind vielfältig. Gewiss haben hierbei, erstens, wissenspolitische Neukonstellationen eine wesentliche Rolle gespielt: Im Konflikt mit der an den Universitäten vorherrschenden galenischen Heilkunde bedurften die Paracelsisten eines Wissens, das sich als gottgegeben und heilig behaupten konnte, ohne hierfür eine mystische Selbstaufgabe in der stillen Einheit mit Gott einzufordern. Es lag daher nahe, das paracelsistische Schöpfungs- und Heilswissen nicht in den Tiefen eines gottgleichen Seelengrunds, sondern auf der Stufe der göttlichen Weisheit zu verorten. Das Aufgehen der Seele im göttlichen Nichts, in der sich nach Eckhart die liebende Vereinigung der gefallenen Kreatur mit Gott vollzieht, dient aus paracelsischer Sicht nicht dem Selbstzweck. Es ist die Teilhabe an der göttlichen Weisheit, aus der die Paracelsisten ihr elitäres Selbstverständnis be­ ziehen. Zweitens standen die frühen Paracelsisten trotz ihrer Devianz von der schultheologischen Direktive durchaus unter dem Eindruck der Reformation, die im Sinne von Luthers sola-gratia-Lehre das menschliche Vermögen, in Eigeninitiative die Huld des Schöpfers zu erlangen, in Frage stellte. Eckharts mystische Theologie, die ganz selbstverständlich die Verlässlichkeit von Gottes Gnade impliziert,215 geriet damit in Misskredit. Zudem scheiterte das Gebot der Introversion an dem lutherischen Dogma, dass Gott sich dem Gläubigen nur in Gestalt des deus crucifixus offenbare und daher nur über die intransparente äußere Schöpfung sowie über den nackten Buchstaben mit dem Menschen kommuniziere.216 Da die gefallene Kreatur in den Niederungen der sichtbaren Welt verhaftet sei, bleibe ihr jegliche Eigenverantwortung auf dem Weg zur Vereinigung mit Gott versagt. Zumindest hierin leisteten frühe Paracelsisten wie Suchten der lutherischen Glaubenslehre Folge. Allerdings ließen sie, eingedenk der biblisch bezeugten Offenbarung des Nichts, Ausnahmen zu, unter denen die unmittelbare Erfahrung

215 Kap. 5.7, S. 168  ff., bes., Anm. 163. 216 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 13–23; ders.: Unmittelbare göttliche Offenbarung als Gegenstand der Auseinandersetzung, S. 748–756.

Die Außenseite des Geistes: das Licht der Natur 

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Christi durch Gottes Gnade schon zu Lebzeiten gegeben war: Zu allen Zeiten gab es einzelne Erwählte, denen Gott sich in Christus innerlich mitteilen wollte. Drittens war die Schöpfungslehre Eckharts, wonach das wahre Sein aller Dinge allein im Seelengrund auffindbar ist, für die Paracelsisten unattraktiv, da ihr Interesse der empirischen Erforschung der natürlichen Vielfalt des Makrokosmos galt. Auch gründete sich ihr Spiritualismus in nicht geringem Maße auf Naturerfahrung: Da der Mensch nach paracelsistischer Vorstellung eine Miniatur der großen Schöpfung ist, vermag er, sofern ihm Gottes Gnade zuteilwird, über die Lektüre des ‚Buchs der Natur‘ zu einer Erkenntnis seines inwendigen Nichts – des Geistes der Weisheit – gelangen. Die Kür der makrokosmischen Natur zu einem spirituellen Erfahrungsraum ging auf Kosten der im traditionellen Mystikdiskurs verankerten Axiome von Abgeschiedenheit, innerer Einkehr, geistiger Armut und Gelassenheit. So ist es nur konsequent, dass Suchten das Theologumenon eines Seelengrunds suspendiert. Mit seiner Argumentation gegen einen introversionsmystischen Weg zur Vereinigung mit Gott schafft Suchten Raum für alternative Konzeptionen von Mystik, die Prozesse von Transzendenz innerhalb des Erfahrungsraums von Immanenz gewährleisten.

5.8 Die Außenseite des Geistes: das Licht der Natur Indem Suchten den göttlichen Lebensatem mit dem Geist des Herrn identifiziert und ebendiesen zum Kriterium der Gottebenbildlichkeit der Kreatur umfunktioniert, untermauert er seine Anthropologie, der zufolge sich der Mensch in einer scheinbar unaufhebbaren Ferne zu seinem Schöpfer befindet. Gott hat zwar seinen Stuhl in den Himmel des Mikrokosmos gestellt, doch er selbst verweilt immer noch „in seinem Himmel weit von der MenschenAugen“.217 Der Mensch hat jegliche Verbindung zu seinem göttlichen Ursprung eingebüßt. Der Grund für dieses triste Szenario besteht im Sündenfall Adams: Der Urmensch „hat nicht mehr gewust/ als daß er von seinem Vatter Adam gehrt/ wie er von Gott geschaffen/ wie er ins Paradeiß gesetzt/darinnen gesndiget/ und darum verstossen in Arbeit/ Jammer und Noth dieser Welt.“218 Die geschöpfliche Hybris, die nach gängiger Auffassung den Kern der Adamssünde darstellt, ist nach Suchten unauflöslich mit dem blinden Vertrauen verbunden, das der Mensch seinem Verstand entgegenbringt. Letzteren interpretiert Suchten  – in terminologischer Abgrenzung zur ‚Vernunft‘, die er mit der intelligentia gleichsetzt – im Sinne des Begriffs

217 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 218 Ebd.

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ratio.219 Als verhängnisvoll erweist sich der Verstand insofern, als er den Anschein von Unfehlbarkeit besitzt, in Wahrheit aber von der geschöpflichen Finsternis umfangen ist. Somit verstellt er den Blick auf eine uralte, heilige Weisheitslehre, die sich als ‚Magia‘ ausgibt: Aber ich schreib allhier […] auß der [Kunst]/ die da war/ ehe die alle waren/ und ein Mutter ist aller anderen/ id est, Magia, die dann bey unsern Zeiten ins Exilium geflohen ist/ und Gott weiß/ wo unter der Banck ligt/ und gar nichts bekanndt denen/ so auf Menschen= Verstand bauen/ denselben fr dem H.  Geist/ wie sich Lucifer im Himmel/ auffwerffen/ denselbigen [sic] folgen/ aber von Gottes Angesicht umb solcher Hoffart verstossen.220

Ebenso wie in Quid sit nihil polemisiert Suchten an dieser Stelle gegen die Repräsentanten der universitären Gelehrsamkeit. Seine Kritik richtet sich hier jedoch nicht mehr gegen das schnöde Bücherwissen und die im akademischen Bildungswesen vorherrschende Diskussionskultur, sondern gegen die intellektualistische Stoßrichtung der Schultheologie. Der „Menschen=Verstand“ hat gegenüber der wahren, spiritualistisch gefärbten Frömmigkeit die Überhand gewonnen. Die ratio, die sich in Form der aristotelischen Logik an den Universitäten etabliert hat, gründet sich in Suchtens Augen auf teuflischer Überheblichkeit gegenüber dem Allmächtigen, denn das schlichte ‚Über‘-Sein Gottes entzieht sich der Logik und dem sprachlich Mitteilbaren. Wer im Streben nach Gotteserkenntnis „auf Menschen=Verstand“ baut, erreicht genau das Gegenteil dessen, was er intendiert: Er liefert sich der ewigen Verdammnis aus. Aus paracelsischer Sicht kann das göttliche Wesen, wenn überhaupt, nur in seinem eigenen Licht geschaut werden. Es bedarf hierzu einer Beseelung durch den göttlichen Geist. Dieser Umstand findet in Suchtens Bemerkung, dass die Schultheologen „von Gottes Angesicht […] verstossen“ seien, indirekt Bestätigung, denn es ist ja ebendieses lichthafte Angesicht des Allmächtigen, das sich im Geisthauch der Weisheit spiegelt. Zu einer Schau Gottes – und somit zur Weisheit – gelangt der Mensch nach Suchten, wie auch nach breiter scholastischer Überlieferung, über die Vernunft (intellectus).221 So nimmt etwa Meister Eckhart in der bereits erwähnten Predigt 71 über der ratio noch eine höhere „vernünfticheit“ an: Diese Vernunft, die Eckhart als eine „suochende“ charakterisiert,222 ist der intellectus agens. Dieser besitzt

219 Vgl. Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S.  247: „Jedermann lst sich seine Vernunft verfhren/ sie kan nicht seyn ohne Irrung, dann ihr hangt sehr viel vom Idolo an: in mente est intelligentia vera, der sollen wir folgen/ nit rationi/ So werden wir innen werden […].“ 220 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 221 Ludger Oeing-Hanhoff: Intellecus agens / intellectus possibilis. In: HWPh. Bd. 4. Hg. von Joachim Ritter u.  a. Basel 1979, S. 432–435. 222 Vgl. Anm. 227.

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ein Licht, das ausgehend von der göttlichen Sphäre alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge gemäß ihrer individuellen Urbilder erkennbar macht.223 Vor dem Hintergrund, dass jenes Licht, das in dem ‚Suchen‘ des intellectus agens wirksam ist, die zeitliche Schöpfung in der Seele aufscheinen lässt, bezeichnet Eckhart es als ein „natiurlich lieht“ (lumen naturale).224 Allerdings lässt sich dieses Licht auch in seinem eigentlichen, göttlichen Wesen begreifen. Indem es sich über die Sinne und Gedanken erhöht und sich letztlich auf seinen Ursprung in Gott richtet, ja sogar mit diesem selbst eines Wesens ist,225 beschreibt es ein „lieht der gnâde“ (lumen gratiae); also ein Licht, das nur durch Gottes Gnade verfügbar ist. Dieses zweite Licht gehört einer weiteren, noch höheren Vernunft, dem intellectus possibilis, an.226 Als ein Intellekt, dessen intelligere allein in der Selbstverständigung Gottes besteht – und der daher ein aktives Erkennen äußerer Objekte übersteigt –, ist der intellectus possibilis nach Eckharts Worten „eine Vernunft, die nicht mehr sucht“ und in ihrem einfältigen Sein vom Licht der Gnade umfangen ist.227 Während also das natürliche Licht das in Gott beschlossene Sein gemäß seiner Extension, das heißt in der vielzähligen, kreatürlichen Realisierung zu erkennen gibt, offenbart das Licht der Gnade dessen Intension: das über alle Maßen schlichte, gleichsam nichtige Über-Sein Gottes. Gemessen an diesem letzteren Licht verhält sich das natürliche Licht wie eine Nadelspitze zur Weite des Himmels, wie ein Wassertropfen zum Meer.228 Das Licht der Gnade strahlt so hell, dass das natürliche Licht weit

223 Vgl. Largier: Stellenkommentar. In: DW I, S. 996. 224 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 73. In: DW II, S. 90,19–22: „das nariurlich lieht, der vernünfticheit, daz got gegozzen hât in die sêle, daz ist so edel und sô kreftic, daz im enge und kleine ist allez, daz got geschuof an lîplichen dingen.“ Zum Begriff ‚Licht der Natur‘: Oliver Baum: Lumen naturale. In: Metzler Lexikon Philosophie. 3. Aufl. Hg. von Franz-Peter Burkhard u. Peter Prechtl. Stuttgart 2008, S. 350; Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung. In: Studium Generale. Bd. 10 (1957), S. 432–447. Ndr. in: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hg. von Anselm Haverkamp. Frankurt a. M. 2001, S. 139–171. 225 Vgl. Jäger: Ein Wort im Wort, S. 233–237. 226 Vgl. Largier (s. Anm. 223): „Die Möglichkeit, [den Bereich des naturhaften Erkennens] zu überschreiten, schafft nicht der intellectus agens, das aktive Prinzip des naturhaften Erkennens, sondern der Begriff des intellectus possibilis, also der möglichen Vernunft, den Eckhart im Anschluß an Albertus Magnus auf Gott bezieht: Es ist die Unbestimmtheit des rein rezeptiven Intellekts, die als reine Möglichkeit offen ist für die Überformung durch die Absolutheit des freien Seins der Gottheit.“ 227 Meister Eckhart: Pr. 71. In: DW II, S. 66,18–21: „Über die vernünfticheit, diu dâ suochende ist, sô ist ein ander vernünfticheit, diu dâ niht ensuochet, diu dâ stât in irm lûtern einvaltigen wesene, daz dâ begriffen ist in dem liehte.“ Zur Identifizierung der „vernünfticheit, diu dâ niht ensuochet“ mit dem intellectus possibilis s. Jäger: Ein Wort im Wort, S. 239  f. 228 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 73. In: DW II, S. 92,15–25: „Nû ist ein ander lieht, daz ist daz lieht der gnâde; gegen dem ist daz natiurlich lieht als kleine als einer nâdel spitze mac begrîfen des

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dahinter zurückbleibt. Eine von Gottes Gnade durchleuchtete Seele empfindet alles, was dem Gegenstandsbereich des Zeitlichen angehört, als bedeutungslos und nichtig.229 Auffälligerweise findet sich Eckharts Terminologie von lumen naturale und lumen gratiae auch allenthalben bei Paracelsus, und dies in weitgehender Übereinstimmung mit der Beschreibung, die der Meister den beiden Lichtern jeweils zukommen lässt: Das Licht der Gnade erhöht die menschliche Seele zu Gott. Ihm untergeordnet ist das Licht der Natur, das seine Leuchtkraft vom göttlichen Geist empfängt.230 Nach Paracelsus erfolgt die Vermittlung des natürlichen Lichts an den Menschen über die äußeren Gestirne: darumb sol der mensch nicht in seinem leib suchen […]; alein sol er das für sich nehmen, das im leib ist unsichtbar und ungreiflich, das ist das liecht der natur, die natürlich weisheit, die got in das sidus geben hat und vom sidus in menschen, als einer der von einem lermeister lernet schreiben oder lesen.231

Demnach erhellt das Licht der Natur die inneren Gestirne des siderischen Leibes, der die Vernunftwelt des Menschen repräsentiert. Führt man sich vor Augen, dass Suchten nicht nur mit Hohenheims, sondern auch mit Eckharts Lichtmetaphysik vertraut war, verwundert es wenig, dass seine Definition des Verstandes mit dem ratio-Begriff des Meisters im Ansatz übereinstimmt. Der nach Suchten finstere Verstand steht in einem Spannungsverhältnis mit einem höheren, vernünftigen Erkenntnisvermögen, in dem das natürliche Licht wirksam ist. Während das göttliche Licht dieses Vermögen extensiv verwirklicht, indem es dem Menschen anhand einer Erleuchtung seines Verstandes individuelles Wissen vermittelt, richtet sich das Licht der Gnade auf den Ursprung des natürlichen Lichtes, den

ertrîches gegen dem ganzen ertrîche, oder daz einer nadel spitze möhte begrîfen des himels, der unglouplich grœzer ist dan allez ertrîche. Daz got mit gnâden in der sêle ist, daz treget mê liehtes in im, dan alliu vernünfticheit geleisten mac, ist gegen disem liehte als ein einiger tropfe ist gegen dem mer und noch tûsendmal kleiner. Alsô ist der sêle diu in gotes gnâden ist: der sint kleine und enge alliu dinc und allez, daz vernünfticheit geleisten und begrîfen mac.“ 229 Niklaus Largier: „Intellectus in deum ascensus“. Intellekttheoretische Auseinandersetzungen in Texten der deutschen Mystik. In: Deutsche Vierteljahresschrift 96 (1995), S. 423–471, hier S. 444  f. 230 Walter Papadopoulus: Betrachtungen über den Sinn und die Rolle der Erfahrung bei Paracelsus. In: Nova Acta Paracelsica 20 (2006/07), S. 65–83, hier S. 75. 231 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 55. Vgl. zum Verhältnis von Licht der Natur und Vernunft bei Paracelsus auch ebd., S. 23 („und was im liecht der natur ist, das ist die wirkung des gestirns, und in dem gestirn ist die schul, aus der die gemelten stück alle gelernt werden.“) sowie S. 29 („Also hab ich die astra zu erkennen geben, das sie die seind, die allerlei zergengliche vernunft geben, weisheit und kunst, und der mensch on diese nicht sein mag.“).

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göttlichen Geist. Auf diese Weise gewährt es zugleich Einblick in den Ursprung allen Wissens, in die göttliche Weisheit selbst. In Suchtens frühneuzeitlicher Gegenwart ist indes weder von dem einen, noch von dem anderen Licht etwas zu spüren. Der Verstand des Menschen bleibt fatalerweise seiner wesenseigenen Finsternis ausgesetzt: Vielleicht einmal/ wann wir bekennen werden/ daß unser menschlicher Verstand nichts sey/ sondern daß wir durch denselben allen Jammer anrichten/ die Welt von Tag zu Tag zerstren/ die himmlischen Krfften ber uns anreitzen/ darauß die Morbi, Pestes, und dergleichen entspringen: und Gott umb Erleuchtung bitten nit mit Worten/ sondern mit Wercken/ so wird er sein Angesicht wieder zu uns wenden/ und an unserm Jammer und Unverstand ein Gengen haben/ und das Liecht der Natur wieder geben/ daß es in unserm Verstand leuchte/ wie die Sonne im Himmel/ die den Sternen alle Krafft gibt/ so ohne die Sonn kein Liecht haben. Dann zu gleicher weiß unser menschliches Liecht/ hoc est, unser Verstand/ an ihm selbst finster/ werde von dieser Sonnen/ nicht mit Dinten und Papier erleuchtet/ sondern durch Erkntniß/ so er allein gibt/ der Kunst/ so heißt Magia, davon ich jetzo weiter schreibe und fortfahre/ das/ so zuvor gemeldt/ zu erklren.232

Das Bild von der Sonne, die den Sternen erst ihre Leuchtkraft verleiht, findet in Eckharts Predigt 71 ebenfalls eine Parallele: „Auch die Sonne hat Licht in sich selbst, leuchtet aber [zugleich]. Ebenso haben die Sterne Licht, wenngleich es ihnen zufließt.“233 Suchten löst diese Vorstellung im Sinne eines Gleichnisses auf: Ebenso, wie die Sonne den an sich finsteren Himmelskörpern Strahlkraft verleiht, erhellt das Licht der Natur den finsteren menschlichen Verstand, auf dass dieser daraus zur Erkenntnissen gelange, die als ‚magisch‘ gelten können. In der Tat erwähnt Suchten an späterer Stelle einen „geistlichen Verstand“, der all denen zu eigen ist, die sich auf die magia verstehen.234 Dieser entspricht nicht mehr der finsteren ratio, sondern dem göttlichen intellectus. Suchten folgt Paracelsus darin, dass er den Geist des Herrn zur Quelle des natürlichen Lichtes bestimmt. In den Propositiones setzt er nämlich das geistige Prinzip, das er wahlweise als spiritus oder anima mundi bezeichnet, ebenfalls mit

232 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 233 Meister Eckhart: Pr. 71. In: DW II, S. 64,17–18: „Die sunne hât ouch liecht in ir selben und liuhtet. Die sternen hânt ouch lieht, swie ez joch an sie kome.“ Zu Eckharts Begriff des s. Firmaments Freimut Löser: Meister Eckhart und der Himmel. Ein Planetentraktat und die deutschen Predigten. In: Der Himmel als transkultureller Raum. Hg. von Harald Lesch, Bernd Oberdorfer u. Stephanie Waldow. Göttingen 2016. S. 127–152. 234 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus. S. 370: „Also kamen die Theologi in die Welt/ haben den Geistlichen Verstand nicht von den Magis empfangen/ haben ihn auch nicht aus dem Liecht der Natur/ das uns Gott und sein Geschpff zu erkennen gibt/ darauß die Magi ihn erkannt haben […].“

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der Sonne in Beziehung:235 Die Weltseele influiert die Gestirne des äußeren Firmaments, das Licht der Natur hingegen die Gestirne des inneren Himmels. Auch sonst schreibt Suchten dem Geist des Herrn Eigenschaften zu, die auf das Licht der Natur zutreffen: So heißt es an einer Stelle, dass der „Geist des Herrn da seyn/ uns die die Augen auffthun/ [und] den Verstand erleuchten“ müsse.236 Erst darüber, so scheint es, wird der Verstand ‚geistlich‘. Man bedenke ferner, dass der Geist auf logostheologischer Ebene das göttliche Urfeuer und die johanneische lux in tenebris repräsentiert. Die lux ist demnach nichts anderes als das Licht, das vom Geist des Herrn, der inneren Sonne des Menschen, ausgeht.237 Im Licht der Natur werden die tiefsten Geheimnisse Gottes offenbar, sofern sich das Individuum nur auf das Versteckspiel, das die Natur inszeniert, einlässt. Umso dramatischer gestaltet sich daher der Umstand, dass der Menschheit dieses Licht abhandengekommen ist. Der Sündenfall hatte offenkundig nicht nur zur Folge, dass der Mensch seine prälapsare Einheit mit Gott einbüßte: Indem der Allmächtige sein Angesicht von ihm abwandte, wurde der Mensch zugleich blind für das Göttliche, das in ihm verblieben ist. Mit dieser Vorstellung distanziert sich Suchten von Eckharts Dogma, dass der Allmächtige einen natürlichen und immerwährenden Drang besitzt, sich der Seele des Individuums zu erkennen zu geben.238 In De tribus facultatibus ist die gefallene Kreatur jedoch auf gleich ­mehrfacher Weise einer Verlusterfahrung des Göttlichen ausgesetzt: Das Licht der Natur ist unverfügbar, da die Lichtquelle, der Geist des Herrn, seit dem Sündenfall verdunkelt ist und dem Menschen erst dann wieder leuchtet, wenn Gott seine ­Seklusion gegenüber der gefallenen Kreatur aufgibt und ihr seine Gnade ­zuteilwerden lässt. Ohne das Licht der Natur aber bleiben die ‚Gestirne‘ des mikrokosmischen Himmels von Dunkelheit umfangen. Dies hat zur Folge, dass der Mensch zu wahrer Erkenntnis

235 Zur motivischen Überschneidung von Licht der Natur und anima mundi vgl. Müller-Jahncke: Astrologisch-magische Theorie und Praxis, S. 71: „Die Aufgaben dieses Lichtes ähneln derjenigen der anima mundi, wie sie Ficino postuliert hatte; es übernimmt den Transport der Ideen des Archetypus über die Gestirne zum Menschen als erkennender Mikrokosmos und Zentrum des Universums. Indessen teilt Paracelsus diesen anima-ähnlichen Begriff auf, indem er über das Licht der Natur, welches dem Menschen vornehmlich die Ideen der Gestirne vermittelt, noch das göttliche Licht setzt […].“ 236 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 380. 237 In diese Richtung weist auch die Differenzierung des paracelsischen ‚Licht‘-Begriffs, die Wilhelm Kämmerer vorschlägt (Das Leib-Seele-Problem bei Paracelsus, S. 65): „Es [= das Licht der Natur] kann vorgestellt werden in zwei Lichter gespalten: in ein im Menschen wirkendes Licht microcosmi, und ein in ein für sich selbst bestehendes Licht, in dem Verhältnis von Hypostase und Urgestalt gedacht. Das Urbild ist das Licht des Geistes, das gleichsinnig mit ewigem Licht gebraucht wird, wenn es Paracelsus auch gelegentlich antithetisch verwendet.“ 238 Vgl. Kap. 5.7, S. 168  ff., bes., Anm. 163.

Die Außenseite des Geistes: das Licht der Natur 

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unfähig ist. Demgemäß misslingt es ihm auch, das Kryptogramm der Schöpfung zu entschlüsseln. Die Zeichen, die sich ihm in Gestalt der animalia, mineralia und vegetabilia darbieten, geben ihr jeweils Bezeichnetes – die geistigen Qualitäten der großen und kleinen Welt – nur im Licht der Natur preis. Doch es sind nicht nur individuelle Erkenntnisse, die der Mensch auf diese Weise gewinnt: Nach paracelsistischem Bekenntnis gibt das Licht der Natur auch den Urquell allen Wissens, die nichtige Weisheit selbst, innerhalb der Schöpfung ­ iesseitigen zu erkennen. Sie ist der Spiegel, über den sich Gottes Angesicht in der d Natur abbildet. In der Folge werden dem erleuchteten Adepten auch das ewige Wort sowie der darin wehende Atem Gottes (spiritus) offenbar. Diese Offenbarung markiert zugleich einen Moment des Umschlags, denn indem das Licht der Natur nun auf seine Lichtquelle, den Geist des Herrn, reflektiert, verwandelt es sich in das Licht der Gnade. Dieses transzendente Licht weitet den Blick auf die ursprünglichste Qualität des Geistes, den calor solis, welcher seinerseits das metaphysische Fleisch Christi repräsentiert. Damit ist der Tatbestand der magia erfüllt: Die magia ist die „Kunst den HErrn zufinden in seinem Geschpf“.239 Die der magia widerstreitende Blindheit gegenüber dem Geist, der doch das innerste Wesen des mikrokosmischen Himmels darstellt, trifft in besonderem Maße auf die Vertreter der Universitätsgelehrsamkeit zu. In ihrer Fixierung auf die ratio haben sie jegliches Bewusstsein über den göttlichen Funken, den sie in sich tragen, verloren. Ihr innerer Himmel offenbart sich ihnen nur noch in der Gestalt einer an sich düsteren, verworrenen Gedanken- und Verstandeswelt. Das lebendige Prinzip, das sich dahinter verbirgt, ist ihnen fremd. Suchtens Antiintellektualismus ist wohl nicht nur durch seine generelle Ablehnung der universitären Gelehrsamkeit motiviert. Aus ihm spricht der spiritualistische Grundsatz, dass Gott zwar mystisch erfahrbar, aber nicht objektivierbar ist. Der Versuch, mittels der Verstandeserkenntnis in das göttliche Wesen Einsicht zu erlangen, ist daher per se zum Scheitern verurteilt. Wer sich in seiner Ausrichtung auf den Allmächtigen der ratio verschreibt, verschließt sich somit zugleich der Erfahrung des lumen naturale. Auch Paracelsus erblickt im universitären Intellektualismus eine Überblendung des Lichts der Natur. Dementsprechend sei auch das Licht der Weisheit – gemeint ist wohl das Licht der Gnade – in Gefahr: es ist aber eingerissen ein logica, dieselbig hat verblendet das liecht der natur und das liecht der weisheit und eingefüret ein frömbe doctrin, dieselbig hat beide weisheit zwischen stūl und benk niedergesetzt: das seind diejenigen, so vor Christo angefangen, das liecht

239 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379.

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der ewigen und der natur zu verleschen und also durch sie verdunkelt die warheit beider liechter. auf das merkent, das Christus und die seinen dem liecht der natur nichts genomen haben, aber der phariseisch sauerteig, die in scholis wandeln der natur ir macht brechen und nehmen wöllen, und sie selbst weder folgen Christo noch dem natürlichen liecht.240

Damit ergibt sich hier das gleiche Szenario wie in De tribus faculatibus: Das Licht der Natur ist mitsamt dem Licht der Weisheit durch die „logica“ der Universitätsgelehrsamkeit „verdunkelt“ worden. Dieser Frevel hat nahezu den Charakter eines zweiten Sündenfalls. Suchtens frühneuzeitliche Gegenwart spiegelt demnach die triste Situation, in der sich urzeitliche Adamssohn befindet, auf eindrucksvolle Weise wider: Der Mensch ist nach wie vor außerstande, seine Gottesferne aus eigener Kraft zu überwinden. Erst eine Absage an die Verstandeserkenntnis kann Gott vielleicht – aber eben nur vielleicht! – dazu bewegen, den mikrokosmischen Himmel auf den darin verborgenen Geist hin transparent zu machen, auf dass sich dieser in seiner primordialen, makellos-reinen Gestalt zu erkennen gebe. Auf diese Art würde Gott der gefallenen Kreatur zugleich das Licht der Natur zurückgeben.241 Doch der Verstand bildet nicht das einzige Übel, dem sich die Menschheit gegenübersieht. Indem Suchten die ‚Werke‘ gegen die ‚Worte‘ ausspielt, holt er erneut zum Schlag gegen die Vertreter der Universitätsgelehrsamkeit aus: Im hitzigen Debattieren sowie im Rückgriff auf „Dinten und Papier“ gelange der Mensch in seiner Ausrichtung auf Gott keinen Schritt weiter. Vielmehr erkennt er darin einen Akt des Ungehorsams gegenüber dem Allmächtigen, zumal dieser den ersten Menschen die Arbeit als Buße für den Sündenfall auferlegte (Gen 3,17). So bezieht er sich gleich sechsmal auf die Verfluchung Adams. Der gefallene Mensch ist dazu verdammt, sein Brot im ‚Schweiß seines Angesichts‘ zu essen (Gen 3,19).242 Dass diese Arbeit nach Suchten eine alchemische ist, geht aus einer Stelle von De secretis antimonij hervor: „Was meynt ihr/ obs den alten Magis sey vom Himmel gefallen? Nein/ sie haben grosse unaußsprechliche Arbeit gehabt, damit sie das erlanget; darnach durch viel Gleichnussen/ heimliche Deutungen oder Versetzungen in ihre Bcher verfasset und beschrieben.“243 Indem sich

240 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 28. 241 Vor dem Hintergrund, dass die Paracelsisten sich als Protagonisten einer mitunter chiliastisch geprägten Gnadenzeit ansahen, in welcher der Mensch, inspiriert durch das Licht der Natur, seine körperliche und geistige Vollendung realisieren könne, erklärt sich, weshalb die ‚Morgenröte‘ bzw. ‚Aurora‘ im Paracelsismus zum vielbeschworenen Motiv wurde: Der Mensch vermag über das Licht der Natur und Gottes Gnade zu einer Erleuchtung gelangen. Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 154–157. 242 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 358  f., 365 (hier dreimal), 370, 378. 243 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 244. Vgl. hierzu den Kommentar Johann Thöldes: „Gott hat die Artzeney geschaffen/ auch die Kunst jhrer bereitung/ auff daß wir arbeiten/ vnnd

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die Repräsentanten der Schulgelehrsamkeit mit nichtsnutzem Gerede und der Lektüre dicker Folianten aufhalten, verstoßen sie also gleich ein weiteres Mal gegen Gottes Gebot. In dem Sakrileg der Geschwätzigkeit – und in der Dominanz des an sich dunklen Verstandes – sieht Suchten die Ursache, weshalb Gott die Menschen mit den „Morbi, Pestes, und dergleichen“ straft. Die in De tribus facultatibus bekundete Unmöglichkeit, Gottes Angesicht innerhalb der Natur zu erkennen, ist ferner auch ein starkes Indiz dafür, dass der Mensch durch den Fall seine Gottebenbildlichkeit eingebüßt hat. Dafür spricht einerseits, dass das klarste Spiegelbild Gottes – der Geist der Weisheit – aufs Engste mit dem Licht der Natur verwandt ist und daher die Defizienz des einen zugleich die Defizienz des anderen bedeutet. Andererseits kommt hierin auch der neuplatonische Grundsatz zum Ausdruck, dass Subjekt und Objekt der Erkenntnis einander gleich sein müssen: Nur wer selbst zum Bildnis Gottes geworden ist, kann die imago dei innerhalb der Schöpfung erkennen.244 Hiervon aber kann angesichts der Gottesferne des Menschen keine Rede sein. Solange der Allmächtige sein Antlitz in der Natur bedeckt hält, ist auch die magische „Kunst den HErrn zufinden in seinem Geschpf“ zum Scheitern verurteilt. Das Licht der Natur ist erloschen. Somit ist der Verstand finster und daher zu wahrer, das heißt magischer Erkenntnis, unfähig. Der Geist des Herrn bleibt daher verborgen – und somit auch das Licht der Natur, welches den Verstand erleuchten und somit der magia zu ihrem Recht verhelfen könnte. Es wird deutlich: Das Zusammenspiel von Verstand, magia und Licht der Natur ist zirkulär angelegt. Ein Eindringen in diesen Zirkel ist allein durch Gottes

nicht mssig gehen. Denn in der Arbeit sollen wir vns ernehren mit dem Schweiß vnsers Angesichts. Darumb mssen wir vns der Kunst Alchimia nicht entschlagen/ denn einmal muß erarnet [= geerntet] seyn/ &c.“ (Erleuterung deß ersten Tractats […]. In: Alexander von Suchten: Antimonii Mysteria Gemina. Das ist: Von den grossen Geheimnussen deß Antimonij […]. Hg. von Johann Thölde. Jacob Apel, Leipzig 1604, S. 186–191, hier S. 189). 244 Dieses Konzept auf Plotins Traktat über das Schöne (περὶ τοῦ καλοῦ) zurück. Vgl. Enneade 1,6 § 43: „Man muß nämlich das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich machen, wenn man sich auf die Schau richtet; kein Auge kann je die Sonne sehen, das nicht sonnenhaft geworden ist; so sieht auch keine Seele das schöne, welche nicht schön geworden ist.“ (Plotin: Schriften. Bd. 1. Hg. u. übers. von Richard Harder. Leipzig 1930, S. 1–13, hier S. 13). In der Folge wurde dieses Konzept auch in christlichem Kontext rezipiert; vgl. Albertus Magnus: „[…] simile simili cognoscimus. Ergo nullius rei cognitio fit, nisi per assimilationem ad illam: ergo nec Dei.“ (Sum. th. I, 13, 4); Thomas von Aquin: „Omnis cognitio fit per assimilationem cognoscentis et cogniti.“ (Contr. gent. II, 77); Marsilio Ficino: „[…] profecto videmus nihil aliud quam spiritualem unionem ad formam aliquam spiritualem.“ (Theol. Plat. II, 2); Nicolaus Cusanus: „Nisi enim intellectus se intelligibili assimilet, non intelligit, cum intellegere sit assimilare et intelligibilia se ipso seu intellectualiter mensuare.“ (De poss. 17).

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Gnade möglich. Erst wenn der Allmächtige ihm sein Angesicht zuwendet, ist es dem Menschen vergönnt, den Geist des Herrn und somit auch das Licht der Natur zu empfangen, das seinen finsteren Verstand erleuchten und somit ‚geistlich‘ machen würde. Darüber könne der Mensch schließlich auch zu einer Einsicht in die Geheimnisse der magia gelangen. Wenn Suchtens Elegie an Karl Rauchenberg mit der Klage um den Verlust des Sonnenlichts einsetzt („Ergo sic periit lumen solare“), so sind es zuletzt die „Magi der Morgenröte“ (‚Eoos magi‘),245 die der nächtlichen Finsternis, der die sündige Menschheit ausgesetzt ist, ein Ende bereiten. Wenn die magi zurückkehren, wird der Allmächtige „sein Angesicht wieder zu uns wenden/ und an unserm Jammer und Unverstand ein Gengen haben/ und das Liecht der Natur wieder geben/ daß es in unserm Verstand leuchte […].“246

5.9 Der mystische Raptus Indem das alchemische Experiment des urzeitlichen Adamssohns fehlschlägt, bestätigt sich, dass dieser noch außerhalb des Lichtes der Natur steht: Erst in diesem Licht wird die Alchemie fruchtbar. Weiterhin wird deutlich, dass eine Wiedergeburt in Christus nicht in Eigeninitiative realisierbar ist. Der Mensch vermag zwar in seine ‚himmlische‘ Verstandeswelt aufzusteigen, doch seines Geistes wird er dort nicht gewahr. Einmal mehr wird deutlich, dass die Absage an den Verstand und eine alchemische Arbeit im Schweiße des Angesichts zwar notwendige, doch keineswegs hinreichende Bedingungen dafür sind, des göttlichen Geistes teilhaftig zu werden. Es bedarf hierzu der Gnade Gottes. Dem Adamssohn bleibt nun nichts weiter, als an die Barmherzigkeit des Allmächtigen zu appellieren. Indem er sich aus tiefstem Herzen an Gott selbst wendet, findet er Erhörung: [Der Mensch war] nicht wenig traurig/ seufftzet und schrey Tag und Nacht zu dem HErren: Disrumpe Coelos & descende: Trieb es so lang/ biß er erhrt wurde und das fand so er suchte/ wie aber das zu finden zugieng/ wer will das schreiben? oder/ wann mans gleich schrieb/ welche Ohren knnten solch Mysterium anhren? Wahrlich in diesem Stck ist verborgen die Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum. Allhier ist das Mysterium, wie zu den letzten Zeiten das Wort sey Fleisch worden/ wird denen/ so Gott zu dieser Erkntnuß erwehlet/ also offenbahr/ daß Sie mit Stephano den Himmel offen sehen/ und den Sohn deß Menschen sitzen zur rechten Hand Gottes/ und mit Paulo von der Erden auffahren biß in den dritten Himmel/ sehen darinnen/ das keinem erlaubt ist zu offenbahren.247

245 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 461: „Carole, crede mihi, donum Medicina Deorum / Est, apud Eoos invenienda magos.“ 246 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 247 Ebd., S. 363.

Der mystische Raptus 

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Das Schreien des Urmenschen erinnert an den sechsten Bußpsalm („De profundis clamavi ad te Domine; Domine exaudi vocem meam“). Vielleicht hat Suchten hier aber auch den Psalm 118 vor Augen,248 dem Paracelsus in seiner Psalmenauslegung besondere Aufmerksamkeit schenkt.249 So formelhaft der Ausruf „Disrumpe Coelos et descende“ auch erscheinen mag, bestätigt er doch, dass das Empyreum von der diesseitigen Welt durch die Himmelsfeste (firmamentum) getrennt ist. Letztere bildet das coelum, das nur vom Empyreum aus gesehen permeabel ist. Das Flehen des Adamssohns richtet sich darauf, dass Gott das Firmament durchdringe und sich ihm somit zu erkennen gebe. Suchten verdeutlicht dies mit dem Verweis auf zwei Bibelstellen: Zum einen nimmt er Bezug auf die Steinigung des Stephanus (Apg 7,55), welcher sterbend ‚den Himmel offen und Christus zur Rechten Gottes‘ stehen sieht. Zum andern stützt er sich auf den Zweiten Korintherbrief (12,2), in welchem Paulus von seinem Raptus in den ‚Dritten Himmel‘ berichtet. Dortselbst findet sich auch das Schweigegebot hinsichtlich der göttlichen Geheimnisse.250 Die Dreiteilung der Himmelsregionen, die Paulus hier vornimmt, kommt auch der Trichotomie entgegen, die Suchten dem Kosmos zugrunde legt. Der Paulus-Brief lässt ausdrücklich offen, ob sich der Raptus im menschlichen Inneren vollzieht oder ob die Seele hierbei tatsächlich über den Leib entrückt wird: „[…] sive in corpore nescio, sive extra corpus nescio, Deus scit, raptum hujusmodi usque ad tertium caelum“ (2 Kor 12,2). Agrippa votiert in seiner Occulta philosophia für die letztgenannte Option: Der Raptus ist eine von Gott ausgehende Entrückung, Entäußerung und Erleuchtung der Seele, in deren Akt Gott die tief gefallene Seele wieder aus den unteren, hin zu den oberen Regionen emporhebt. Damit dies geschehen kann, ist in uns eine unablässige Schau der höheren Sphären. Diese Schau ruft unser Inneres, je weiter dessen Verbindung mit der unkörperlichen Weisheit unter höchster geistiger Anstrengung voranschreitet, desto stärker und lauter von der sinnlichen Wahrnehmung und allem Körperlichen hinfort; und dies mitunter auf solche Weise, dass sich, wie Platon sagt, manchmal sogar der Leib selbst verflüchtigt und sich gleichsam aufzulösen scheint […]. So groß also ist die Macht der Seele,

248 Ps 118,145–146: „Clamavi in toto corde meo: exaudi me, Domine; justificationes tuas requiram. Clamavi ad te; salvum me fac, ut custodiam mandata tua. Praeveni in maturitate, et clamavi: quia in verba tua supersperavi […]. Vocem meam audi secundum misericordiam tuam, Domine, et secundum judicium tuum vivifica me.“ 249 Paracelsus: Auslegung Der psalmen des letzten vierteils nach brauch Davids des propheten. In: SW 2/5, S. 232  f.: „Alles das wir auf erden tun ist nix dann trubsal […] dann wer ist im danz seins lebens sicher? […] darumb ist es nichts dann ein große trubsal, alls was an uns ist und was wir tunt. aus solcher trubsal und ellen uf diser welt hat David zu dem herren geschrien und ihn angeruft und ihm sein anliegen bekennt nach der lenge und der herr hat sich ihm nach der breite verhort.“ 250 Vgl. 2 Cor 12,4: „et audivit arcana verba, quae non licet homini loqui.“

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dass sie – sofern sie nur ihrem ureigenen Wesen folgt und nicht von den Verlockungen der Sinneswelt hinabgedrängt wird – angesichts ihrer Tugend sofort ihren Aufstieg nimmt; und hierbei verharrt sie nicht immer nur im Leib. Vielmehr befreit sie sich bisweilen auch von all ihren Fesseln und fliegt aus ihrem Körper heraus und über alle Himmel hinweg, bis sie Gott beiwohnt. Diesem ist sie dann schon so nahe und ähnlich, wie nur irgend möglich; sie wird zum Füllhorn des Überirdischen, des Lichtes und der Weisungen Gottes.251

Das Raptus-Konzept Agrippas ist nur schwer mit der mystischen Programmatik eines Gerhard Dorn oder Heinrich Khunrath in Einklang zu bringen, zumal deren Kosmologie die Unüberwindlichkeit der göttlichen Himmelsfeste postuliert. Das Bild eines coelum liquidum, das Tycho Brahe benutzte, um seine bahnbrechende Lehre von der Durchlässigkeit und somit Nichtigkeit der Himmelssphären zu veranschaulichen, sollte sich erst später durchsetzen.252 Auch auf De tribus facultatibus scheint Agrippas Ekstasis-Theorie nicht ohne weiteres anwendbar: Denn obwohl Suchten Anleihen bei der Schilderung des paulinischen Raptus im Zweiten Korintherbrief nimmt, sind seine Ausführungen über die Entrückung des Urmenschen in den Dritten Himmel nicht wörtlich zu nehmen. Sie fallen viel eher unter die Kategorie eines Sprechens „per allegorias & similitudines“;253 denn wenn man Suchten beim Wort nimmt, vollzieht sich die Vereinigung mit Gott im Menschen im Diesseits; genauer gesagt in jenem ewigen Himmel, in den der Allmächtige seinen Stuhl gestellt hat. Das mikrokosmische Pendant zur undurchdringlichen Himmelsfeste, hinter der sich der göttliche Wohnsitz verbirgt, ist der intransparente Schleier des finsteren Verstandes,254 welcher den Blick auf den

251 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. III.50, S.  316  f.: „Raptus est abstractio, & alienatio & illustratio animae, à deo proveniens, per quem deus animam à superis delapsam ad infera, rursus ab inferis retrahit ad supera. Huius causa est in nobis continua contemplatio sublimiorum, quae quatenus profundißima mentis intentione animum incorporeae sapientiae coniungit, eatenus vehementioribus suis agitationibus, ipsum à sensibilibus corporeque sevocat, & (ut inquit Plato) taliter quandoque, quòd nonnumquam corpus ipsum vel effugiat & quasi dissolvi videatur […]. Tantum igitur est animae imperium, quando scilicet suam naturam fuerit adsecuta, nec sensuum illecebris gravata, ut virtute sua subitò ascendat, non modò in corpore manens, sed etiam aliquando compedibus soluta extra corpus volitans ad super coelestem cohabitationem, ubi iam Deo quàm proxima et quàm similima, divinorum effecta receptaculum, divino lumine oraculisque repletur.“ (Übers. S. B.). 252 Carlos Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus germanus, S. 122. 253 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S 361. 254 Hierin zeichnen sich Parallelen zu Cusanus’ Schrift De visione dei ab, wonach das Paradies von einer Mauer umgeben ist und der einzige Einlass von der ratio bewacht wird. Die göttliche Sphäre, in der sämtliche Gegensätze in eines zusammenfallen (coincidentia oppositorum), befindet sich jenseits dessen, was der Mensch rational zu fassen vermag. Abermals ist es die Gnade Gottes, die bereits vor der Einsicht, dass das All-Eine nicht gewusst werden kann, auf den

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Geist des Herrn – denn nichts anderes ist mit Gottes Stuhl gemeint – trübt und verdunkelt. Den Geist zu erkennen bedeutet nach neuplatonischer Vorstellung nichts anderes, als diesem völlig gleich zu werden.255 Der getrübte innere Spiegel der gefallenen Kreatur erhält dieselbe Lauterkeit, die dem präexistenten Spiegel der Weisheit zu eigen ist. Darüber gewinnt der geistig entrückte Mensch den höchsten Grad an Gottebenbildlichkeit. Führt man sich vor Augen, dass Gott sich im Moment des Raptus nicht nur im menschlichen Geist spiegelt, sondern sogar in diesem Wohnung bezieht, so ergibt sich damit allerdings eine Intensität der Gottesunmittelbarkeit, die über eine bloße Ebenbildlichkeit weit hinausgeht: Die inhabitatio dei offenbart sich zugleich als eine unio mystica. Gemäß der paulinischen Devise „Wer dem Herrn anhängt, der wird ein Geist mit ihm“ (1 Kor 6,17) wird der menschliche Geist gänzlich von der Herrlichkeit Gottes durchdrungen. Das „[A]uffahren biß in den dritten Himmel“ erweist sich somit als eine Metapher für die Realisierung des Empyreums im Gottsuchenden: Über die Erleuchtung durch den Allmächtigen wird die gefallene Kreatur in ihren paradiesischen Urzustand zurückversetzt. Im Gegensatz zum traditionellen Mystik-Diskurs, wonach illuminatio und unio zwei voneinander getrennte Stadien darstellen, ist hier mit der Erleuchtung zugleich die Vereinigung von Gott und Mensch verwirklicht. Dass Suchten diese unio mystica in Form eines Raptus inszeniert, kommt nicht von ungefähr: Erstens spricht aus einem Raptus traditionell der Habitus von Erwähltheit. Dieser wird durch den Aufruf des Apostels Paulus bekräftigt: Als ehemaliger Christenverfolger empfing dieser die Gnade seiner Berufung ohne den geringsten Verdienst seinerseits. Um einen Erwählten handelt es sich denn auch bei dem urzeitlichen Adamssohn. So ist die wegweisende Einsicht des urzeitlichen Naturforschers, dass Gott am besten über die Schöpfung zu erkennen sei, auf „Gttliche Eingebung“ zurückzuführen.256 Das Konzept der Erwähltheit durch Gottes Gnade ist zudem indirekt durch die lutherische sola-gratia-Lehre inspiriert. Letztere wurde auch vonseiten spiritualistischer Gruppierungen euphorisch aufgenommen, denn als Fürsprecher einer geistigen ‚Kirche des Herzens‘257 standen

Menschen ausgreift; und abermals gestattet die Gnade den Durchbruch, der sich in Form eines Raptus realisiert. Dem philosophischen Kreisen um Mensch und Welt, in dessen Verlauf sich der Gottsuchende dem Paradies annähert, steht zwar der Antiintellektualismus eines Suchten unversöhnlich gegenüber, der Überstieg zu Gott erfolgt in De tribus facultatibus jedoch nach ähnlichem Muster: Indem der Allmächtige gnadenhalber auf seinem Thron platznimmt, das heißt in den Himmel des Menschen einkehrt, wird der Schleier des Verstandes gelüftet. 255 Vgl. Kap. 5.8, S. 195, Anm. 244. 256 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 358. 257 Vgl. Neumann: Natura sagax, S. 219–226; Geyer: Verborgene Weisheit. Tl. 1, S. 386.

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diese dem weltlichen Pomp der Papstkirche ebenso kritisch gegenüber wie die Reformatoren. Indem sie nun einerseits mit der lutherischen Gnadentheologie sympathisierten, andererseits an der Vorstellung einer diesseitigen Erfahrbarkeit des deus gloriosus festhielten, waren sie für die Vision einer bedingungslosen Erleuchtung durch den göttlichen Geist besonders empfänglich. Wie aus De tribus facultatibus hervorgeht, ist es allein Gott anheimgestellt, dem Menschen sein Angesicht zuzuwenden und ihm seine Gnade zu gewähren. Der Geist des Herrn kann zwar als spiraculum vitae und als imago dei gelten, er ist der sündenbefleckten Kreatur jedoch prinzipiell unverfügbar. Vielmehr ist es der Allmächtige selbst, der auf den Menschen ausgreift. Damit wird die göttliche Gnade zu einem übermächtigen Moment, zumal sie – sofern der Gottsuchende nur seiner Faulheit und seiner Verstandeserkenntnis entsagt – allein über das Privileg einer unio mystica entscheidet. Auch wenn Suchten mit Blick auf die Erleuchtung des Urmenschen nur zweimal explizit von der ‚Gnade‘ spricht, so kommt dieser doch ein kaum zu überschätzender Stellenwert zu: „[W]er kan glauben und verstehen die Gnade/ so ihm Gott mittheilt durch solch Erkantniß/ was knt er begeren auff Erden/ das ihm dardurch nicht gereicht ward.“258 Neben der Gnade hebt Suchten wiederholt die göttliche misericordia hervor: Obwohl die Menschen aufgrund ihrer Verstrickung in die Erbsünde der göttlichen Mildtätigkeit unwürdig sind, dürfen sie darauf hoffen, dass der Allmächtige sich ihrer erbarmt. So gibt dieser den Menschen „auß grundloser Barmhertzigkeit“ Mittel an die Hand, ihren postlapsaren Zustand erträglich zu machen.259 Auch ist es der gefallenen Kreatur vergönnt, für das Eintreten der Barmherzigkeit günstige Umstände zu schaffen. So heißt es an einer Stelle, dass Gott seine Geheimnisse „uns allein/ so wir redlich darumb gekmpffet haben/ auß lauter Barmhertzigkeit mittheilet.“260 Der ‚Kampf‘, dem sich der Adamssohn zur Erlangung von Gottes Barmherzigkeit stellen musste, bestand offenkundig im Erlernen der alchemischen Scheidekunst. Hierin bestätigt sich abermals der heilige Charakter der laborantischen Praxis der Paracelsisten. Nicht zuletzt wahrt ein Raptus die Möglichkeit, trotz des praktisch orientierten Diesseitsbezugs zu mystischen Erfahrungen zu gelangen. Die Gnade einer unio mystica wird dem paracelsistischen Adepten nicht trotz, sondern unter der Bedingung eines arbeitsamen Lebensstils zuteil. Dass Suchtens Anthropologie keinen gottgleichen Seelengrund vorsieht, ist dem Umstand geschuldet, dass ein solcher die Effektivität mystisch-meditativer Exerzitien affirmieren und somit das Gebot

258 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 365. 259 Ebd., S. 374. 260 Ebd., S. 364.

Die Bedeutung der incarnatio verbi 

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der Naturerfahrung diskreditieren würde. Die introversionsmystischen Axiome von Abgeschiedenheit, innerer Einkehr, geistiger Armut und stiller Gelassenheit sind mit dem Diesseitsbezug der Paracelsisten unvereinbar. Nicht umsonst also betont Suchten die Unüberwindbarkeit der außenweltlichen Sinnesreize. Mystische Einheitserfahrungen sind nur über eine Selbstoffenbarung Gottes einlösbar. Hierbei handelt es sich um einen Gnadenakt, den der Allmächtige einzelnen Erwählten im Zuge eines Raptus zuteilwerden lässt.

5.10 Die Bedeutung der incarnatio verbi Suchtens Distanzierung gegenüber der mystischen Programmatik eines Eckhart oder Tauler zeigt sich ferner daran, dass der Adamssohn im Akt seiner Entrückung in die „Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“ Einsicht gewinnt. Während Eckhart lehrt, dass der Mensch in seiner Ausrichtung auf Gott vom „wizzenne“ in ein „unwizzenne“ kommen müsse,261 berichtet Suchten, wie der urzeitliche Scheidekünstler von einem Nichtwissen zu einem Allwissen gelangte. Indem er die ‚Weisheit um alle himmlischen und irdischen Dinge‘ fernerhin hin mit dem Mysterium der incarnatio verbi assoziiert, verlagert sich der Diskurs erneut auf das Terrain der Schöpfungstheologie. Hierauf weist der Begriff ‚Mysterium‘ selbst hin, denn nach der pseudo-paracelsischen Schrift Philosophia ad Athenienses ist es das „Mysterium Magnum“, das als eine präkreationale materia prima „ein mutter aller creaturen“ darstellte.262 Gerhard Dorn verteidigte diese Schrift gegenüber Erastus,263 indem er erklärte, dass selbiges Mysterium nichts weiter sei als das mosaische principium, in welchem Gott die gesamte Schöpfung angelegt habe („in principio creavit Deus caelum et terram“).264 Mit anderen Worten: Das mysterium magnum ist nichts anderes als der glühende Geisthauch der Weisheit, welcher dereinst durch Gottes Mund ging und dabei das Wort fiat lux erzeugte, das seitdem die gesamte Schöpfung durchhallt. Indem der urzeitliche Adamssohn sich kraft seiner Erleuchtung den Geist des Herrn zu eigen macht, vollzieht er einen Regress hin zu den Wurzeln der Schöpfung. Schließlich realisiert sich die Kosmogonie im Ausgang vom präkreationalen nihil: Erfüllt vom ‚Nichts‘ des vapor sapientiae stößt der Adamssohn zum Urgrund alles Seienden vor. Dieser ist Gott selbst, dessen ein- und ganzheitliches Wesen

261 Meister Eckhart: Pr. 102. In: DW IV/1. Hg. von Georg Steer, S. 420. 262 Ps.Paracelsus: Philosophia ad Athenienses. In: SW 1/13, S. 390. 263 Zu Erastus’ Kritik vgl. Kühlmann: Das häretische Potential des Paracelsismus, S. 252  ff. 264 Vgl. Gilly: Das Bekenntnis zur Gnosis, S. 32  f.

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im ‚Spiegel‘ der Weisheit sichtbar wird. Ohne einen durch die göttliche Gnade gewährleisteten Einblick in das Urbild aller Dinge kann keinerlei Weisheit und folglich auch keinerlei Gelehrsamkeit behauptet werden; auf welchem Wissensgebiet auch immer. Jenes ureigene Bildnis Gottes, in welchem sich dieser in seiner Einheit und Herrlichkeit erkennt, ist Christus. Suchten trägt dem Rechnung, indem er erklärt, dass der Adamssohn im Akt seiner Erleuchtung den „Sohn deß Menschen […] zur rechten Hand Gottes“ sitzen sieht.265 Die unmittelbare Erfahrung Christi impliziert zugleich seine Transmutation in das geistige Fleisch des Gottessohns. Im Akt dieser alchemia mystica gewinnt der Erleuchtete ein neues Leben; er vollzieht seine Neugeburt in Christus. Vor dem Hintergrund, dass in der Unmittelbarkeit Gottes sämtliche Gegensätze koinzidieren, hat man auch im Falle jener ‚Transmutation‘ von einer reziproken Bewegung auszugehen: Indem der Adamssohn in das metaphysische Fleisch Christi inkorporiert wird, nimmt Christus zugleich in ihm Menschengestalt an.266 Darüber eröffnet sich ihm das Geheimnis, „wie zu den Zeit das Wort sey Fleisch worden“. Mit anderen Worten: Der Schleier, der auf der incarnatio verbi liegt, wird gelüftet, sowie der Erleuchtete die Fleischwerdung des Wortes am eigenen Leibe erfährt.267 Die unio mystica, welche dem Adamssohn im Zuge seiner Entrückung zuteilwird, impliziert somit zwangsläufig eine unio cum Christo. Für die Paracelsisten war das Theologumenon der Vereinigung mit Christus von ungleich größerer Bedeutung als das mystische Konzept einer vollständigen Verschmelzung mit Gottes innerstem Wesen. Dies lag nicht nur an dem um 1500 immer noch spürbaren Einfluss der Devotio moderna, die sich für eine von der ‚Nachfolge Christi‘ geleitete Lebensweise einsetzte.268 Die Christusmystik war für die Paracelsisten vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil sich eine solche eher mit ihrer Naturfrömmigkeit verbinden ließ als die Introversionsmystik, welche für Erfahrungen von Gottesnähe eine abnegatio mundi zur Bedingung machte. Zudem distanzierten sich viele Paracelsisten unter dem Eindruck der lutherischen Theologie von jeglicher Form von Einigungsmystik, die letztlich auf die stille Seligkeit in der Einheit mit dem ‚Vater‘ zielte. Vor allem aber

265 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 364. 266 Vgl. Kap. 5.6, S. 162  f., bes. Anm. 136. 267 Zur Bedeutung der Fleischwerdung des Wortes im Paracelsismus vgl. Simon Brandl: Das Mysterium der incarnatio verbi in Alexander von Suchtens frühparacelsistischem Traktat De tri­ bus facultatibus. In: Darstellung und Geheimnis. Hg. von Jutta Eming u. Volkhard Wels. Wiesbaden 2021, S. 267–295. 268 Zur Devotio moderna s. stellvertretend John van Engen: Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World oft he Later Middle Ages. Philadelphia (Pasadena) 2008, S. 1–11.

Die Bedeutung der incarnatio verbi 

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war die paracelsistische Präferenz einer Christusmystik durch epistemologische Gründe motiviert: Eine unio cum Christo verband sich nämlich mit der Vision einer inneren Erleuchtung durch den Geist der Weisheit. Suchtens Darlegungen in De tribus facultatibus ist zu entnehmen, dass im Akt dieser Erleuchtung zugleich das verlorengeglaubte Licht der Natur aufs Neue entzündet wird. In der Folge empfange der Gottsuchende seinen „geistlichen Verstand“, der ihn in die Lage versetzt, die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung zu ergründen. Aus Ad dialogum de morte geht hervor, dass es der in Christus neugeborene Adept ist, der zur Transmutation unedler Metalle in Gold imstande ist. Die raptusmystische Einheitserfahrung dient demnach nicht – oder zumindest nicht primär – dem Selbstzweck. Ihr eigentlicher Mehrwert besteht darin, dass der Adamssohn „das fand so er suchte“: den Geist des Herrn. Dieser verleiht ihm die Fähigkeit, den okkulten Sinn des Buchs der Natur und der Heiligen Schrift zu erkennen. Die Mittlerfunktion des Heilands findet in De tribus facultatibus darin Bestätigung, dass Suchten an späterer Stelle kundtut, dass seine „Seeligkeit“ darin bestehe, dass Gott in ihm „durch Christum“ wohne.269 An anderer Stelle heißt es, „daß der Mensch mit seinem Menschlichen Verstand hat Gott nicht knnen begreiffen/ aber im Schweiß seines Angesichts gesucht seinen Heyland/ und zuletzt gefunden […].“270 Darüber hinaus ist die Rede davon, dass „sich der Mensch nicht billich [freuete]/ da er seinen Heyland und Schpffer erkandte […].“271 Wenn Suchten den Gottessohn hier zugleich als Schöpfer aufruft, so handelt es sich dabei mitnichten um eine Konfusion von Gott-Sohn mit Gott-Vater: Vielmehr referiert er hiermit auf das Wort – und somit indirekt auf den Geist der Weisheit. Dieser ist der „Schulmeister“ des erleuchteten Menschen: Er „weiß alle Heimligkeiten/ so im Himmel und auff Erden ist/ wie die dritte Person der Heyligen Dreyfaltigkeit/ der kann uns lehren Gott kennen/ die Menschwerdung des Sohns Gottes verstehen/ und alles was die Theologia außweiset.“272 Sowie das metaphysische Fleisch Christi – beziehungsweise der Geist Gottes – den urzeitlichen Adamssohn innerlich durchglühte, habe dieser um die „Trinitatem & Incarnationem Verbi gewust/ und viel hundert Jahr vor Christi Geburt darvon geschrieben.“273 Das Mysterium der incarnatio verbi war für Paracelsisten wie Suchten auch sonst von höchster Bedeutung: Erstens begünstigte es die Vision der mystischen Erwerbbarkeit der vita Christi. Diese verband sich nach paracelsistischer Vorstel-

269 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377. 270 Ebd., S. 378. 271 Ebd., S. 366. 272 Ebd., S. 379. 273 Ebd., S. 364.

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lung mit allumfassender Weisheit, Gesundheit und Seligkeit im Angesicht des Gottes. Zweitens schien die Menschwerdung des Gottessohns zu bestätigen, dass dessen makrokosmisches Pendant, der Geist Gottes,274 körperliche Gestalt annehmen kann, was die Hoffnung auf die Produzierbarkeit des lapis philosophorum nährte.275 Im Grunde aber ereignete sich aus paracelsistischer Sicht die incarnatio verbi ohne Unterlass, zumal sich das Wort nach schöpfungstheologischer Lesart fortwährend auf multiple Weise realisierte. Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass das Wort hierfür den göttlichen Geist in Anspruch nimmt, hatte das Geheimnis der incarnatio verbi drittens auch eine medizinische Dimension: Die okkulten Qualitäten, die der Arzt in seinen chemischen Präparaten verfügbar machte, gingen nach paracelsistischem Bekenntnis allesamt auf die heilsame Kraft des Wortes zurück. Die ‚Fleischwerdung des Wortes‘ steht demnach nicht bloß für ein singuläres heilsgeschichtliches Ereignis.276 Als historische Begebenheit hat sie für Suchten kaum eine nennenswerte Bedeutung. Es handelt sich hierbei vielmehr um ein Motiv, das die generelle Verschränkung der Erfahrungsdimensionen von Transzendenz und Immanenz verdeutlicht.

274 Vgl. Kap. 5.5, S. 158, Anm. 117. 275 Vgl. Brandl: Das Mysterium der incarnatio verbi, S. 293  ff. 276 Vgl. ebd., S. 286 u. 295.

6 Die Theologia Deutsch in De tribus facultatibus? Mag die Theologie Eckharts eher indirekt auf den mystischen Diskurs der frühen Paracelsisten Einfluss genommen haben, so bedeutet dies keineswegs, dass Suchten seinen mystischen Spiritualismus nicht auch aus dem geistlichen Schrifttum des Spätmittelalters schöpfte. Tatsächlich existiert ein Traktat aus dem geistigen Umfeld der Dominikanermystik, der mit Suchtens heilstheologischer Programmatik auf teils frappierende Weise übereinstimmt. Diese titellos überlieferte Schrift, die von einem namentlich unbekannten Deutschordenspriester wohl noch im vierzehnten Jahrhundert in der Volkssprache verfasst wurde, ist angesichts ihrer Entstehung in der Frankfurter Kommende Sachsenhausen auch als ‚Der Frankfurter‘ bekannt.1 Geläufiger ist sie allerdings unter dem Titel Theo­ logia Deutsch. Dieser Titel geht auf Luther zurück, der den Traktat in den Jahren 1518 und 1520 unter der Bezeichnung „Eyn deutsch Theologia“ edierte.2 Bereits 1516 hatte Luther eine Drucklegung der Schrift besorgt, die allerdings lückenhaft war. Diese selbst galt ihm nach seinen eigenen Worten als „Eyn geistlich edles Bucheleynn“,3 und im Vorwort der beiden jüngeren Ausgaben bekennt er freimütig, ihm sei „nehst der Biblien und S. Augustino nit vorkummen eynn buch“, aus dem er mehr darüber gelernt habe, „was got, Christus, mensch und alle ding seyn.“4 Vor dem Hintergrund seines regen Austausches mit seinem Beichtvater Johann von Staupitz (1465–1524), der sich intensiv mit spirituellen Traktaten des Mittelalters beschäftigte, war der junge Luther über die Gedankenwelt der spätmittelalterlichen Mystik bestens informiert – und durchaus von ihr beeindruckt: So spricht vieles dafür, dass er den paulinischen Raptus im Lichte pseudo-dionysischer Deutungsmuster rezipierte.5 Auch konnte er im Werk Augustins mitunter neuplatonische Konzepte der Gotteserfahrung vorfinden, so etwa, wenn dieser in De vera religione den Gläubigen zur Transzendierung des eigenen Selbst auf-

1 Andreas Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘. Ein spätmittelalterlicher mystischer Traktat. In: Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Hg. von Volker Leppin u. Berndt Hamm. Tübingen 2007 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 36), S. 1–96, S. 2  f. 2 Zur Editionsgeschichte der Theologia Deutsch s. Zecherle: Die Rezeption der ‚Theologia Deutsch‘ bis 1523, S. 69–79. 3 So der Titel der ersten, von Luther besorgten Druckfassung der Theologia Deutsch (vgl. Vorrede zu der vollständigen Ausgabe der „deutschen Theologie“. In: WA 1, S. 375). 4 Ebd., S. 378 5 Leppin: Transformationen spätmittelalterlicher Mystik, S. 169. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-006

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fordert.6 Luthers Weg zur Beschäftigung mit mystischen Texten des Mittelalters führte jedoch in erster Linie über die Auseinandersetzung mit der anti-pelagianischen Lehre des Kirchenvaters: Augustins Dogma, dass die Kreatur, entgegen der Lehre des spätantiken Predigers Pelagius, durch das peccatum originale verdorben und zur Selbsterlösung unfähig sei, ließ Luther an der Heilsgewissheit zweifeln.7 Seine Hoffnung auf die ewige Seligkeit fand er über die Lektüre der Predigten Johannes Taulers und der Theologia Deutsch. Die Faszination, welche die Gotteslehre des ‚Frankfurters‘ auf den jungen Luther ausübte, bestand in ihrer geistigen Nähe zu ebenjenem augustinischen Antipelagianismus, der ihn für die Demutstheologie Taulers empfänglich machte. Dementsprechend hielt Luther den Traktat zunächst für ein Werk des Straßburger Predigers. Allerdings vertritt der anonyme Autor der Theologia noch radikaler als Tauler die Seklusion Gottes gegenüber dem kreatürlichen Diesseits. Die gefallene Kreatur besitzt keinerlei Option, in Eigeninitiative eine Vereinigung mit Gott einzugehen. Stattdessen ist sie ihrerseits dem göttlichen Willen preisgegeben. Auch besteht eine radikale, nahezu unaufhebbare Diskrepanz zwischen der himmlisch-geistigen und der körperlichen Welt. Mit Blick auf den Dualismus von Gott auf der einen, und der gefallenen Schöpfung auf der anderen Seite, verwendet Lydia Wegener in ihrer umfangreichen Monographie ‚Der Frankfurter‘, sogar den Begriff ‚Manichäismus‘.8 Dem entspricht, dass Augustin in seiner Jugend mit der Glaubensgemeinschaft der Manichäer sympathisierte und auch noch nach seiner Konversion zum Christentum einige Ideen vertrat, die Konvergenzen mit der manichäischen Lehre aufweisen.9 Dass Luther den ‚manichäischen‘ Einschlag des Frankfurter Traktats bemerkte, zeigt eine Stelle aus seiner Disputatio contra scholasticam theologiam von 1517, in der er zunächst die These aufstellt, dass der menschliche Wille ohne die Gnade Gottes notwendig Böses hervorbringe, und sich zugleich zu der Beteuerung genötigt sieht, kein Manichäer zu sein.10

6 Augustinus: De vera religione XXXIX,72. In: Opera IV (CChr.SL 32), S. 234: „Noli foras ire, in teipsum redi; in interiore homine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et teipsum.“ 7 Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, S. 266  f. 8 Lydia Wegener: Der Frankfurter. Theologia Deutsch. Spielräume und Grenzen des Sagbaren. Berlin, Boston 2016 (Frühe Neuzeit 201), S. 177 u.  ö. 9 Vgl. Volker Henning Drecoll, Mirjam Kudella: Augustin und der Manichäismus. Tübingen 2011, S. 207–221. 10 Vgl. Martin Luther: Disputatio contra scholasticam theologiam (1517). In: WA 1, S. 224,19–21: „Sed necesario elicit difformem et malum sine gratia dei. Nec ideo sequitur, quod sit naturaliter mala, id est, natura mali secundum Manicheos.“

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Nichts desto weniger sind es die typisch mystischen Motive von Selbstaufgabe, geistiger Armut, Gelassenheit und Introversion, welche die Unterweisungen der geistlichen Schrift dominieren. Sie implizieren jedoch keine ursprüngliche Einheit der Seele mit Gott. Die Kreatur ist zur Passivität verdammt. Wie im Falle des von Suchten geschilderten Raptus greift der Allmächtige höchstselbst auf einzelne, zu seiner Gnade bestimmte Menschen, aus, um sich mit diesen zu vereinen. In dem anti-pelagianischen Ernst der Theologia Deutsch glaubte der junge Luther den Ausdruck eines reinen, wahrhaftigen Christentums wiederzuerkennen: eine Lehre, welche die gängige Frömmigkeitspraxis infrage stellte und zugleich seiner Kondeszendenz- und Gnadentheologie den Weg ebnete. Andreas Zecherle hat jüngst in einer verdienstvollen Studie den Einfluss der Theologia Deutsch auf Luthers Schrifttum untersucht, wobei er fruchtbare Vergleiche mit den Sieben Bußpsalmen (1517) und mit der Freiheitsschrift (1520) anstellte.11 Auch konnte Zecherle anhand von Luthers Marginalien zur Neuauflage des Traktats im Jahr 1520 nachweisen, dass dieser den Traktat auf ontologischer, anthropologischer, christologischer, soteriologischer und ethischer Ebene rezipierte.12 In der Folgezeit fand die Theologia Deutsch weite Verbreitung und eine äußerst prominente Leserschaft; so etwa in Thomas Müntzer (†1525), Sebastian Franck (1499–1542), Kaspar Schwenckfeld (1490–1561) und Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (1486–1541), der von 1519 bis 1523 gleich drei Ausgaben des Traktats auf den Weg brachte.13 Hans Denck (†1527) verfasste, von ebendieser geistlichen Schrift inspiriert, Etliche Hauptreden, die postum in Ludwig Hätzers Wormser Ausgabe von 1528 Eingang fanden.14 Sebastian Castellio (1515–1563) edierte die Schrift 1558 in französischer Sprache, nachdem er im Vorjahr eine lateinische Ausgabe erstellt hatte, die er, um sich gegen die Anfeindungen Calvins und Bezas zu schützen, unter dem Pseudonym ‚Johannes Theophilus‘ veröffentlichte.15 Großen Einfluss hatte der Traktat auch auf die mystische Gotteslehre Valentin Weigels, der eine Kurtze Anleitung zur Teutschen Theologey verfasste, und Johann Arndt (1555–1621), der die Theologia Deutsch 1597 edierte.16 ­Angesichts

11 Vgl. Zecherle: Die Rezeption der ‚Theologia Deutsch‘, S. 83–108 (zu den Bußpsalmen), S. 161– 183 (zur Freiheitsschrift). 12 Vgl. ebd., S. 160. 13 Wegener: Der Frankfurter, S. 444; zu Karlstadts Beschäftigung mit der Theologia Deutsch s. Zecherle: Die Rezeption der ‚Theologia Deutsch‘, S. 223–265. 14 Hans Schneider: Der fremde Arndt, S. 212  f. 15 Hans Rudolf Guggisberg: Sebastian Castellio, 1515–1563. Humanist und Verteidiger der religiösen Toleranz im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 1997, S. 152. 16 Vgl. Neumann: Natura sagax, S. 233  f.; s. Kap. 7.6.1, S. 306  f.

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der offenkundigen Wertschätzung, die Suchten als Rezipient des Basler Taulerdrucks dem spätmittelalterlichen Spiritualismus entgegenbrachte, ist es mehr als wahrscheinlich, dass auch er mit dem Frankfurter Traktat vertraut war. Es besteht außerdem Grund zu der Annahme, dass dieser als Manuskript in Suchtens ostpreußischer Heimat besonders verbreitet war.17 Die Beschäftigung mit der Theologia Deutsch lag für Paracelsus-Jünger wie Suchten jedoch auch insofern nahe, als diese gewisse Eigenheiten aufweist, die sich in Hohenheims Theologie wiederfinden: So ist hier der starke Antagonismus von Christus und Adam vorgebildet, der auch im paracelsischen Traktat De sancta Trinitate von 1525 anzutreffen ist. Ferner wird der Eindruck vermittelt, das wahre Wesen des Heilands habe – im Sinne eines limbus aeternus – auch zu Erdentagen allein in seiner Gottnatur bestanden: In Christus, dem Prototyp des vergotteten Menschen, tritt alles Geschöpfliche so weit zurück, dass letztlich nur noch sein göttliches Wesen Bestand hat.18 Indem der Autor dem ‚wahren Christus‘ in seiner Rolle als verbum incarnatum zwar ein menschliches Erscheinungsbild zuschreibt, zugleich aber dessen sterbliche Natur weitestgehend unterdrückt, streift er den Monophysitismus, den Paracelsus später lehren sollte. Doch auch das eucha­ ristische Erlösungskonzept des Hohenheimers ist hier vorweggenommen, da es heißt, dass das Abendmahl einen Weg zur Übernahme des Christuslebens darstellt.19 Überhaupt bildet das Motiv der vita Christi, das in der Theologia Deutsch

17 Nach Georg Baring stammte die Vorlage für Luthers Ausgabe von 1516 aus Ostpreußen. Als Beleg führt er die Sammlung deutscher Sprichwörter des Johann Agricola an, der darin ein Zitat aus der Theologia Deutsch widergibt und dazu bemerkt, dass dieses einem Werk aus dem Umfeld des Deutschen Ordens in Ostpreußen entstammt (Neues von der ‚Theologia Deutsch‘ und ihrer weltweiten Bedeutung. In: Archiv für Reformationsgeschichte. Bd. 48 [1957], 1–11, hier S. 6  f.). Suchten könnte demnach schon früh mit der Theologia Deutsch in Kontakt gekommen sein, und dies umso mehr, da Toxites berichtet, dass Suchtens Vorfahren dem Deutschen Orden angehörten (vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 45. In: CP 2, hier S. 156  f.). 18 Vgl. Der Franckforter (Theologia Deutsch). Kritische Textausg. Hg. von Wolfgang von Hinten (im Folgenden abk. ThD). München u.  a. 1982, hier S. 102, 1–7 (Kap. 24): „Wo vnd wanne got vnd mensch voreyniget wurden synt, also das man yn der warheit spricht […], das eyns ist ware, volkommen got vnd ware volkommen mensch vnd doch mensch got als gar entwichet, das got also selber ist der mensche, vnd got ist ioch [= ganz und gar] alda selbst, vnd das selbe ein wircket stetiglichen vnd thut vnd leßet an alles ich, mir vnd meyne vnd des gleichen. Sich, do ist war Cristus und anders nyrgent.“ 19 Vgl. ThD, S. 139,18–20 (Kap. 45): „Vnnd er das [= das Christusleben] enpheet yn dem heyligen sacrament, der hat Cristum werlichen [= wahrhaft] vnd wol enpfangen, vnd so man seyn meher enpfet, ßo mer Cristus, vnd ßo des mynder, ßo mynder Cristus.“ Derlei findet sich allerdings auch schon im Predigtwerk Taulers (vgl. Gnädinger: Johannes Tauler, S. 341–347 u. Kap. 5.6, S. 163, Anm. 134).

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omnipräsent ist, auch einen Kerngedanken der paracelsischen Theologie.20 Das Leben in der mystischen Einheit mit Christus stellt sowohl nach Paracelsus als auch nach den Worten des geistlichen Traktats einen Vorgeschmack auf die ewige Seligkeit dar.21 Zu den Maximen, die den geistlichen Traktat nicht nur mit dem Spiritualismus eines Paracelsus oder Suchten verbinden, zählt ohne Frage die Zurückweisung der Verstandeserkenntnis. Hiermit widersetzt sich der anonyme Autor der Lehrmeinung Eckharts, welcher der ratio zwar kein absolutes, aber doch ein praktisches Erkenntnispotenzial zubilligt.22 Während sich der Verfasser der Theo­ logia Deutsch mit seiner Kritik an der „hoch, naturlih vornunfft“23 gegen die als häretisch verschriene Gemeinde der ‚Brüder und Schwestern des freien Geistes‘ wendet,24 richten sich Paracelsus und Suchten mit ihrer Verdammung der ratio gegen die Repräsentanten der universitären Gelehrsamkeit. Der jeweils vertretene Antiintellektualismus kann hier wie dort als Vorbereitung für eine mystische Erfahrbarkeit Gottes gelten. So ist in der Theologia Deutsch auch nicht davon die Rede, dass man den Allmächtigen ‚erkennen‘ könne; vielmehr müsse dessen Gegenwart in Christus ‚geschmeckt‘ werden.25 Gott hat dem Menschen zwar auch die geistigen Güter von Erkenntnis, Vernunft und Willen verliehen,26 20 Gantenbein: Paracelsus als Theologe, S. 88; ders.: Einleitung. Grundzüge der paracelsischen Theologie. In: Paracelsus: Theol. Werke. Bd.  1. NPE, S.  10 mit Verweis auf die Auslegung des psalmen 111 (112) in SW 2/5, S. 158: „Dann das müssen wir betrachten, dieweil Christus zur seligkeit gangen ist und uns ein fürbildung geben hat, dass wir also auch wie er sollen den weg gen himmel suchen in seinen fueßstapfen und ein jeglicher sein kreuz uf sich nehmen und ihm nachfolgen.“; vgl. ferner Paracelsus: Liber de martyrio Christi et nostris deliciis. In: Theol. Werke. Bd. 1. NPE, S. 388: „Dann das müssen wir betrachten, dieweil Christus zur seligkeit gangen ist und uns ein fürbildung geben hat, dass wir also auch wie er sollen den weg gen himmel suchen in seinen fueßstapfen und ein jeglicher sein kreuz uf sich nehmen und ihm nachfolgen […]. Dann soll je uns Christus ein exempel geben hon, wie er, also wir auch und die ersten heiligen also das bewährt hont, wie er also sie auch.“ 21 Gantenbein: Paracelsus als Theologe, S. 85 u. 89; vgl. ThD, S. 79, 1–3 (Kap. 8): „Man fraget, ab es mogliuch sey, das die sele, die weile sie yn dem leibe ist, muge da czu kmmen, das sie thu eynen blick yn dy ewikeit vnd do emphae eyn vorsmack ewiges lebens vnnd ewiger seilkeit.“ 22 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 165. 23 ThD, S. 97,10 (Kap. 20). 24 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 277–286; Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘, S. 69–80; zu der Gemeinschaft der Freigeister im Allgemeinen vgl. Martina Wehrli-Johns: Mystik und Inquisition. Die Dominikaner und die sogenannte Häresie des Freien Geistes. In: Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte. Hg. von Walter Haug u. Wolfram Schneider-Lastin. Tübingen 2000, S. 223–252. 25 Vgl. ThD, S. 27,19 (Kap. 1); S. 81,19 (Kap. 9); S. 112,9 (Kap. 29) u.  ö. 26 Vgl. ThD, S. 144,16–18 (Kap. 51): „Das aller edelste vnd lustigste [= Lustvollte], das yn allen creaturen ist, das ist das bekentniß oder vornunfft vnd wille.“

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diese erweisen sich jedoch als problematisch, solange sie sich nicht auf ihren göttlichen Ursprung, sondern auf den Menschen selbst richten.27 Erst indem die Kreatur von sich ‚lässt‘, entfalten die genannten Seelenkräfte ihre heilsame Funktion.28 Ein weiteres Element, das Suchtens Traktat mit der Theologia Deutsch verbindet, ist das Bekenntnis zu einem neuplatonisch geprägten Gottesbild. Dieses gründet sich in beiden Fällen zumindest teilweise auf das pseudo-dionysische Schriftkorpus, welches spätestens seit seiner Übertragung ins Lateinische durch Johannes Scotus Eriugena die bedeutendste Inspirationsquelle der abendländischen Mystik darstellte. Nicht von ungefähr nimmt Suchten in De tribus facultatibus auf den vermeintlichen Paulusschüler, sowie auf dessen Schrift De ecclesiastica hierarchia Bezug.29 Auch in der Theologia Deutsch findet der Areopagite Erwähnung; und zwar als Urheber der Theologia mystica, aus welcher der Autor an einer Stelle zitiert.30 Der genuin platonische Gedanke, dem die Theo­ logia Deutsch bedingungslos folgt, ist die Definition Gottes als das schlechthin Gute. Da kein individuelles Gut ohne die prinzipielle Annahme dieses ‚Guten an sich‘ Bestand habe und ferner alle Entitäten auf bestimmte Art und Weise gut seien, sei das Gute das innerste Wesen aller Dinge. Mit anderen Worten: Nichts ist einfach nur durch sich selbst, alle Entitäten verdanken ihr individuelles Wesen der bonitas in Gott. Daraus zieht der Autor die Konsequenz, dass jedwedes Gut allein Gott selbst zugehört.31 Dieser repräsentiere somit einen nie versiegenden ‚Lichtquell‘, in dem alles Kreatürliche zum Vorschein kommt und daher auch alle Erkenntnis wurzelt. Als verhängnisvoll erweist sich daher der Umstand, dass der Mensch das Gute für gewöhnlich nicht in Gott, sondern im Geschaffenen sucht,

27 Vgl. Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘, S. 32–40. 28 Vgl. ThD, S. 101,6–8 (Kap. 23): „Vnnd wer got gehorsam, gelaßen vnd vnderthan sal vnd will seyn, der muß vnd sal vnd sal allen gelassen gehorsam vnd vnderthan syn in lidender wiße vnd nicht in thunder [= aktiver] wiße […].“ 29 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 381, vgl. ferner Kap. 7.7.6. 30 Es ist allerdings auch möglich, dass hierzu Eckharts Predigt 101, in der sich selbiges Zitat ebenfalls auffinden lässt, die Vorlage bildet. Die entsprechende Textstelle befindet sich zudem in der Heinrich Seuse zugeschriebenen Vita (Deutsche Schriften. Hg. von Karl Bihlmeyer, S. 190,4– 11) sowie in der ‚Blume der Schauung‘ (hg. von Kurt Ruh. München 1991, S. 63,341–64,346); vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 124. 31 Vgl. ThD, S. 121,6–9 (Kap. 36): „ […] got ist aller wesenden weßen vnd aller lebendigenn leben vnd aller wißen wißheit, wan alle ding haben yr weßen werlicher [= wahrhafter] yn got den yn en selber [= als an sich selber] vnnd auch yr vormugen, leben vnd was des ist.“; S. 141,6–10 (Kap. 47): „Kein ding ist gut den als viel, als eß yn got vnd mit got ist. Nu synt alle ding weßenlich yn got vnd weßenlicher den yn en selber. Dar vmmb synt alle ding gut nach weßen. Vnde were icht, das nicht weßenlich yn got were, das were nicht gut.“

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denn l­etzteres sei ‚an sich‘ nichts weiter als ein Schatten.32 Noch verwerflicher aber sei das „annemen“ des eigenen Selbst: Dieses beschreibt die hochmütige Anmaßung der menschlichen Kreatur, das Gute, durch das sie ihr Wesen empfängt, sich selber zuzuschreiben. Die blinde „icheit vnd selbheit“,33 in die sich der Mensch verirrt hat, geht notwendigerweise mit einer Entfernung vom Guten und von Gott einher. Hierin erblickt der Autor des geistlichen Traktats die Sünde, welche er am peccatum originale und am Fall Luzifers exemplarisch vorexerziert.34 Der Rückweg hin zur prälapsaren Einheit mit Gott ist in der Theologia Deutsch grundsätzlich anders konzipiert als im traditionellen Mystikdiskurs. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass der Traktat auf das mystische Philosophem einer überdauernden Einwohnung Gottes im Menschen, das bei Eckhart diskursbestimmend ist, verzichtet. Doch auch die lutherische theologia crucis ist mit der Lehre des Traktats letztlich unvereinbar, zumal hier die menschliche Natur Christi durchgehend marginalisiert, wenn nicht sogar unterdrückt wird.35 Der Grund dafür besteht in der Vorstellung, dass Gott auf nichts anderes gerichtet ist, als auf sich selbst:

32 Vgl. ThD, S.  71,8–11 (Kap.  1): „Abir das geteilte adder das vnvolkommende ist das, das vß disßem volkommende gevrsprungt ist ader wirt, recht als eyn glantz ader eyn scheyne vß flusset auß der sonne ader vß einem lichte vnnd schynet etwas, diß ader das, vnnd heißet ceatur.“; S. 72,34–38 (Kap. 1): „Waz nu außgeflossen ist, daz ist nicht war besßen [= wahres Sein] vnd hat keyn weßen anders danne yn dem volkommende, sunder eß ist eyn czufal ader eyn glantz vnd eyn scheyn, der nicht weßen ist ader nicht weßen hat anders danne yn dem fure [= Feuer], da der glantz vß flußet also yn der sonnen ader yn eym lichte.“ 33 ThD, S. 117,48 (Kap. 32). 34 Vgl. ThD, S. 73,8–10 (Kap. 2): „Was thet der teufel anders, ader was waß seyn fal ader seyn abkeren anders, wan das er sich an name, er were auch etwas vnd etwas were seyn vnd ym gehoret auch etwas czu.“; S. 73,1–6 (Kap. 3): „Dar vmmb das Adam den appfel aß, were er vorlorn ader gefallen. Ich sprech: Eß was vmmb seyn annemen vnd vmmbe seyn ich, myne, mir, mich vnd vmmb des gelich. Hette er siben eppfel gesßen vnde were das annemen nicht geweßen, er were nicht gefallen. Aber do das annemen geschach, do was er gefallen, vnd hette er nye keyns appfels entpissen.“; vgl. ferner S. 73,1–6 (Kap. 3); S. 90,2  f. (Kap. 16); S. 142,2–6 (Kap. 49); S. 145  f. 63–66 u. 80–84 (Kap. 51). 35 Allerdings hält der Autor seine Zurückhaltung gegenüber der Zwei-Naturen-Lehre nicht konsequent durch: Tatsächlich findet sich eine Textstelle, die die lutherische Kondeszendenztheologie mit wenigen Worten auf den Punkt bringt; vgl. ThD, S. 74,13–14 u. 19–22 (Kap. 3): „Dar vmmbe nam got menschlich natur ader menschheit an sich vnd wart vormenscht vnd der mensch wart vergötet. Alda geschach die besserunge […]. Das got alle menschen an sich neme, die da synt, vnd yn en [= ihnen] vormenscht wurde vnnd sie yn ym vorgotet, vnd gesche eß nicht in yn mir, meyn fal vnd meyn abkeren wurde nummer [= nimmermehr] gebessert, eß gesche denn auch yn mir.“ Diese Textstelle ist jedoch isoliert zu betrachten.

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Gott als Gottheit gehört nichts zu, weder Wille noch Wissen oder Offenbaren, weder dies noch das, was man nennen, aussagen oder erdenken kann. Aber Gott als Gott gehört zu, daß er sich selbst aussage und sich selbst erkenne und liebe und sich in ihm selber – in sich selber – offenbare, und dies alles noch ohne Kreatur. Und dies ist in Gott noch alles ein Sein und nicht als ein Wirken, dieweil es ohne Kreatur ist. Und in diesem Bekennen und Offenbaren entsteht der Unterschied der Personen.36

Die Unterscheidung von ‚Gottheit‘ und ‚Gott‘ geht auf Eckhart zurück, welchem zufolge der Terminus ‚Gottheit‘ das einfache, allem Selbst- und Fremdbezug enthobene, unaussprechliche, innerste Wesen des Allmächtigen repräsentiert, wohingegen dieser als Gott ein schöpferisches Prinzip darstellt. 37 Als solches bringt ‚Gott‘ das Moment der Alterität hervor, das sich zunächst im Aufscheinen der innergöttlichen Trinität, und sodann in der Vielgestalt des kreatürlichen Diesseits realisiert. Diese Vervielfältigung aber vollzieht sich selbstständig und wohlgemerkt ohne das Zutun Gottes, denn dieser ist ganz mit sich selbst eins und daher von jedwedem innerem oder äußerem Impuls befreit.38 Der Autor der Theologia Deutsch übernimmt Eckharts Definition von der ‚Gottheit‘ des Allmächtigen insofern, als auch er den „Unterschied der Personen“ dem Offenbarungsbereich ‚Gottes‘ zuordnet. In einem schwerwiegenden Punkt aber setzt er sich über Eckharts Differenzierung des göttlichen Wesens hinweg: Er spricht nämlich nicht nur der ‚Gottheit‘, sondern auch ‚Gott‘ einen schöpferischdynamischen Diesseitsbezug ab. Gott ist, wie der anonyme Autor auch andernorts deutlich macht, „an creatur“ (= „âne creatûr“),39 also entbunden von einer Hinwendung zum dem kreatürlichen Diesseits. Dies ist nur konsequent: Wenn alles Gute nur in Gott selbst Bestand hat und alles Geschöpfliche an sich nichts weiter ist als ein Schatten, so ist Gott in seinem gütigen Wesen notwendigerweise isoliert. Eben hierin offenbart sich ein weiterer Unterschied zu Eckhart, denn diesem zufolge ist der Allmächtige mit der menschlichen Seele zutiefst verbunden: Gott

36 Zitiert wird hier, wie auch im Folgenden, die neuhochdeutsche Übersetzung von Alois M. Haas: Der Franckforter. Theologia Deutsch. Hg. u. mit einer Einleitung versehen von dems. Freiburg i. Br. 1993 (Christliche Meister 7), S. 91  f.; ThD, S. 114,15–21 (Kap. 31): „Got als gotheit gehoret nicht czu weder wille noch wissen ader vffenbarn noch diß noch daß, das man genennen mag ader gesprechen ader gedencken. Aber got als got gehoret czu, das er syne selbe voriehe [= aussage] vnd sich selber bekenne vnd libe vnd sich selber ym vffinbare yn ym selber, vnd diß alles an creature; vnd diß ist yn got noch alles eyn weßen vnd nicht als eyn wircken, die wile eß an creatur ist, vnd yn dissem vorgehen vnd vffenbaren wirt die personlich vnderscheid.“ 37 Wegener: Der Frankfurter, S. 317  ff. 38 Lydia Wegener spricht in diesem Zusammenhang von der „Entdynamisierung des Göttlichen“ (Der Frankfurter, S. 323–334). 39 ThD, S. 114,19 (Kap. 31); S. 144,36 (Kap. 51).

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kann gar nicht anders, als sich dem Menschen innerlich mitzuteilen, sofern dieser nur von sich lässt.40 Tatsächlich findet sich die Geburtsmetaphorik auch in der Theologia Deutsch: „Sieh, wenn dieses Vollkommene, Namenlose einfließt in eine gebärende Person, darin es seinen eingeborenen Sohn gebiert und sich selber darin, so nennt man es Vater.“41 Allerdings spricht aus diesem Lehrsatz ein punktuelles Ereignis, kein permanenter Geburtenzyklus, wie man ihn bei Eckhart findet. Auch taugt die – für den traditionellen mystischen Diskurs unverzichtbare  – Fließmetaphorik weder hier noch an einer anderen Stelle des Traktats als Garantie für die Existenz eines heiligenden, genuin mystischen Rückwegs zum innergöttlichen Urquell der Schöpfung.42 Die Möglichkeit eines Einfließens in Gott stellen der Autor der Theo­ logia Deutsch sowie auch Suchten entschieden in Abrede: Gott befindet sich „in seinem Himmel weit von der MenschenAugen“,43 er hat sein Angesicht von der Menschheit abgewandt. In beiden Fällen besteht zwischen Gott und Kreatur eine Kluft, die der Mensch aus eigener Kraft nicht zu überwinden vermag. Mehr noch: Seitdem sich der Mensch durch den Sündenfall vom göttlichen Licht abgewandt hat, ist er der irdischen Finsternis preisgegeben.44 Dies hat Folgen auf erkenntnistheoretischer Ebene. Längst wurde bemerkt, dass die Theologia Deutsch die mystische Vorstellung einer innerseelischen Präsenz göttlicher Ideen suspendiert und stattdessen dem nominalistischen Intellektbegriff eines Wilhelm von Ockham zuneigt.45 Demzufolge nimmt jedwede Erkenntnis vom konkreten, individuellen Gegenstand – und nicht von der Welt der abstrakten, allgemeinen Begriffe – ihren Ausgang. Zudem vertritt die Theo­ logia Deutsch, vor dem Hintergrund der im vierzehnten Jahrhundert einsetzenden „voluntaristischen Wende“,46 das Primat eines freien, tätigen Willens zum Individuellen. Dies hat unter anderem Auswirkungen auf das Theologumenon der göttlichen Selbstreflexion: War dieses bei Eckhart noch als ein zyklisch strukturierter Vorgang der Ein- und Rückgeburt konzipiert, so erscheint es nunmehr als ein gött-

40 Vgl. Kap. 5.7, S. 170, Anm. 163. 41 ThD, S. 150,13–15 (Kap. 53): „Sich, wan diß volkommen vngenant flusset yn eyn geberende persone, da ynne eß gebirt seynen eyngeborn son vnd sich selber dar ynne, ßo nennet man eß vater.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 138). 42 Wegener: Der Frankfurter, S. 128  ff. 43 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 44 Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘, S. 35  f. 45 Vgl. Martin Žemla: Theologia Deutsch: brisante Ideen zwischen „deutscher Mystik“ und Reformation. In: Acta Comeniana (International review of Comenius studies and early modern intellectual history), 22–23 (2009), S. 9–57, hier S. 44  f. 46 Ebd., S. 43.

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liches Wollen: Gott will in seinem Wollen sich selbst. Diese Transformation ist jedoch nicht allein auf den äußeren Einfluss einer historischen theologisch-philosophischen Neuorientierung zurückzuführen. Vielmehr scheint der Grund für die diesbezügliche Abkehr vom traditionellen Mystik-Diskurs in der anti-pelagianischen Stoßrichtung der geistlichen Unterweisung selbst zu liegen: Angesichts der scharfen Trennung der Bereiche von Transzendenz und Immanenz bleibt der gefallenen Kreatur die spirituelle Einsicht in die göttliche, vom ‚Guten‘ dominierte Sphäre der Ideen verwehrt. Die notwendige Konsequenz ist eine ‚nominalistisch‘ anmutende Ausrichtung auf das Diesseits, die von einem freien, tätigen Willen zum Individuellen dominiert wird. Ein solcher Wille erweist sich, sofern er nicht Gott, sondern der Kreatur angehört, als hochproblematisch: Vor dem Hintergrund, dass jedes zur Wahl stehende, individuelle Gut der sinnlich erfahrbaren Welt angehört, hält der Wille den Menschen in seinem selbstischen Diesseitsbezug gefangen. Hinsichtlich der prinzipiellen Unüberwindbarkeit des sinnlichen Erlebens offenbart sich erneut die geistige Nähe, die zwischen der Theologia Deutsch und De tribus facultatibus besteht. Die gefallene Kreatur ist angesichts ihrer „usserlichen Augen“ fortwährend der sichtbaren Schöpfung zugewandt.47 Doch die Mystik-Konzeption der Theologia Deutsch stimmt noch einen weiteren signifikanten Punkt mit Suchtens Traktat überein: Da eine prinzipielle Einwohnung Gottes in der menschlichen Seele nicht gegeben ist, wird das Philosophem des Seelengrunds obsolet; und wenn zumindest an einer Stelle dennoch vom „grunde der sele“ die Rede ist,48 so ist hiermit nur ein innerer Rückzugsraum gemeint, der es dem Menschen ermöglicht, sich von den sinnlichen Reizen der Außenwelt abzuschirmen. Damit entfällt auch das Theologumenon des ‚Adels der Seele‘, der den Menschen gegenüber allen anderen Geschöpfen auszeichnet.49 Dennoch verfügt die Seele über einen göttlichen Funken, der zwar nicht mit Gottes innerstem Wesen identisch ist, aber auch nicht der gefallenen Kreatur selbst angehört.50 Dieser ist das ‚Eine‘: „Und soll der Mensch oder die Seele selig sein oder werden, so soll und muß das Eine in der Seele sein.“51 Auf den ersten Blick scheint es so, als folge der Traktat hiermit letztlich doch wieder dem traditionellen Mystik-Diskurs, wonach Gott als das Eine immer schon in der Seele ist.

47 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 357. 48 ThD, S. 101,6–9 (Kap. 23). 49 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 127, S. 444. 50 Vgl. ebd., S. 135. 51 ThD, S. 81,13–14 (Kap. 9): „Vnd sal der mensche ader die sele selig seyn ader werden, ßo wil vnnd muß das eyn alleyn in der sele seyn.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 52).

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Dem widerspricht der vielfach bekräftigte Grundsatz, dass Gott außerhalb des Kreatürlichen stehe. Dieses scheinbare Paradox lässt sich leicht auflösen, wenn man den – in der mystischen Literatur viel rezipierten – Liber XXIV philosopho­ rum hinzuzieht. Demzufolge ist das ‚Eine‘ gemäß der Sentenz „monas monadem gignit“, die gezeugte „monas“ und somit zugleich die Gluthitze, in der sich Gott spiegelt.52 In diesem Sinne entspricht das ‚Eine‘ gemäß der logostheologischen Grundlegung von Suchtens Pneumatologie dem göttlichen calor solis et lunae, den Suchten in seinem Traktat mit dem Geist des Herrn gleichsetzt. Weiterhin stimmt das ‚Eine‘ mit Suchtens Geistbegriff auch insofern überein, als es allen Menschen innewohnt, wenngleich es von diesen nur selten erkannt wird: „Auch braucht es nicht in die Seele zu kommen, denn es ist bereits darin. Es ist aber unerkannt. Wenn man sagt, man solle dazu kommen oder es solle in die Seele kommen, dann heißt das, man soll es suchen, empfinden und schmecken.“53 Wie wesensähnlich dieses innerseelische Unerkannte dem Licht der Natur ist, macht bereits das erste Kapitel des Traktats deutlich, indem es dort mit dem mit dem paulinischen „Vollkommenen“ (1 Kor 13,10) gleichgesetzt wird, das sich zum „Stückwerk“ in der gleichen Weise verhalte, wie die Sonne zu den Dingen, die in ihrem Licht sichtbar werden.54 Der Bezug zur Elegie Quid sit nihil ist gegeben, wenn es heißt, dass das Vollkommene ein Nichts sei, da es für den Mensch in Anbetracht seiner Geschöpflichkeit unbegreifbar, undenkbar und unsagbar sei: „Das Vollkommene ist für alle Kreaturen unerkennbar, unfaßlich und unaussprechbar, sofern sie Kreatur sind. Darum nennt man das Vollkommene ‚Nichts‘, denn es ist keines in diesen.“55 Auch Suchtens Sentenz „nihil omne bonum est“ findet in der Theologia Deutsch Bestätigung: Deren Autor macht nämlich unter Zitierung

52 Dies scheint Andreas Zecherle zu übersehen, indem er mit Verweis auf das 9. Kapitel das Eine in der Seele kurzerhand mit Gott selbst gleichsetzt (Die Rezeption der Theologia Deutsch bis 1523, S. 141, 163, 195 u.  ö.). Tatsächlich ist in der Theologia Deutsch an keiner einzigen Stelle – auch nicht im 9. Kapitel – explizit davon die Rede, dass Gott von jeher in der Seele präsent ist. 53 Vgl. ThD, S. 81,17–19 (Kap. 9): „Auch darff das nicht yn die sele kommen, wann es bereite dar jnne ist. Eß ist aber vnbekant. Wann man spricht, man sal dar czu kommen ader eß sal yn die sele kommen, das ist also vil, man sal eß suchen, enpfinden vnd smecken […].“ 54 Vgl. ThD, S. 71,1–11 (Kap. 1): „SAnctus Paulus spricht: ‚Wan das volkommende kumpt, so vornicht [= verwerfe] man daz vnvolkommende vnd das geteilte‘ […]. Abir das geteilte adder [= oder] das vnvolkommende ist das vß disßem volkommende gevrsprungt ist ader wirt, recht als eyn glantz ader eyn scheyne vß flusset auß der sonne ader vß eynem lichte vnnd schynet etwas, diß ader das, vnnd heißet creatur.“; vgl. zur Sonnenmetaphorik auch Anm. 32. 55 ThD, S. 71,13–72,15 (Kap. 1): „Das volkommende ist in allen creaturen vnbekentlich, vnbegrifflich vnd vnsprechlich yn dem als creatur. Dar vmmb nennet man das volkommende nicht, wann eß ist disßer keyns.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 39).

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der Abschiedsrede Jesu (Joh  14,6) die Nachfolge Christi zur Bedingung für den Empfang des „Vollkommenen“, das alles „Stückwerk“ als nichtig erscheinen lasse. Demnach betrachte ein Nachfolger Christi alle geschaffenen Dinge als ein Nichts: Nun achte gut auf die zwei Worte, die Christus spricht. Das eine: Niemand kommt zum Vater als durch mich“, das heißt durch mein Leben, wie zuvor gesagt wurde. Das andere Wort: „Niemand kommt zu mir“, das heißt: dazu, daß er dieses Leben auf sich nehme und mir nachfolge, „er werde denn berührt und gezogen vom Vater“, das heißt von dem einigen und vollkommenen Gut, von dem der Heilige Paulus sagt: „wenn das Vollkommene kommt, so wird das Teilhafte zunichte“. Das heißt: In welchem Menschen dieses Vollkommene erkannt, erfahren und geschmeckt wird, soviel das in dieser Zeitlichkeit möglich ist, diesen Menschen dünken alle geschaffenen Dinge nichts zu sein gegen dieses Vollkommene, wie es ja auch in Wahrheit ist.56

Dass der Gläubige das Christusleben an sich nimmt, indem des prinzipiell ­unerkannten, nichtigen Vollkommenen oder ‚Einen‘ teilhaftig wird, entspricht ebenfalls der Logostheologie: Das Eine ist der hochsubtile Geist, der bei der Verlautbarung des fiat lux durch Gottes Mund wehte und insofern das ewige Wort – die Gottnatur Christi  – verkörpert. In der Tat kommt es auch in der Theologia Deutsch einige Male auf den „geist gotis“ zu sprechen.57 Allerdings nimmt der Verfasser hiermit nicht auf den mosaischen Schöpfungsbericht, sondern abermals auf das Corpus Paulinum Bezug: In diesem Sinne ist es auch wahr, und in diesem Sinn sind es die Worte des Heiligen Paulus wahr und zu verstehen, wenn er spricht: ‚Die von Gottes Geist gewiesen und getrieben und geleitet werden, die sind Gottes Kinder und stehen nicht unter dem Gesetz.‘ In einem gewissen Sinn bedeutet das: Man darf sie nicht lehren, was sie zu tun oder zu lassen haben, denn ihr Lehrer, der Geist Gottes, wird sie wohl belehren.58

56 ThD, S. 150,26–36 (Kap. 53): „Sich, nu mercke, wie disse czwei wort, die Cristus spricht: Das eyn: ‚Nymant komt czu dem vater dann durch mich‘, das ist durch meyn leben, als vor gesprochen is; das ander wort: ‚Nymant kumpt czu mir‘, das ist, das er sich des lebens an nem vnd mir nach volge, ‚er werde dann berert vnd geczogen von dem vater‘, das ist von dem einfeldigen gut vnd volkummen, da von sant Paul spricht: ‚Wan das volkummen kumpt, so wirt das geteilte alles auß gewustet‘. Das meynet also vil: yn welchem menschen das selbe volkummen bekant, befunden vnd gesmackt wirt, als vil es muglich ist yn der czeite, den menschen duncket alle geschaffen ding nichts seyn wider diß volkummen, als eß auch yn der warheit ist, wann außwendig dem volkummen vnd an eß ist kein ware gut noch ware weßen.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 139). 57 ThD, S. 99,8–16 (Kap. 22), S. 113,14–17 (Kap. 30). 58 ThD, S. 113,13–17 (Kap. 30): „In dissem synne ist eß auch ware vnd in dissen synne seynt sant Pauls wort war und czu vorstehen, do er sprycht: ‚Die von gotis geiste geweisset vnd gewircket vnd geleitet werden, die synt gotis kint vnnd synt nicht vnder ee. In eyme synne, das ist, man darff sie nicht leren, waz sie thun ader lassen sollen, wanne yr meister, der geist gotis sal sie wol leren.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 90).

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Indem Verfasser das Motiv der Gotteskindschaft aufruft, zitiert er den Römerbrief (8,14). Mit der unter politischem Aspekt kühnen Behauptung, der vergottete Mensch unterstehe nicht mehr dem weltlichen Gesetz,59 nimmt er auf den Galaterbrief (5,18) Bezug. Die Personifikation des Geistes als Lehrer besitzt abermals eine Parallele in De tribus facultatibus, da es heißt: „Der [Athem Gottes]/ ist unser Theologus, unser Astronomus, unser Medicus, ein wahrer und rechter Schulmeister […].“60 Die Teilhabe am „geist gotis“ realisiert sich darüber, dass der Gläubige von seiner hochmütigen Fixierung auf die sinnlich erfahrbaren Schöpfungsdinge und sich selbst ablässt. Ganz im Sinne Taulers führt der Weg zum Heil über eine demütige Selbstüberantwortung an Gottes Weisung, die letztlich in eine resignatio ad infernum mündet.61 Nur wenn der Mensch in höchster Passivität verharrt,62 kann der Wille und der Geit Gottes an die Stelle seiner nichtigen „icheit vnd selbheit“ treten: Wer nämlich besessen und umgriffen ist wäre vom Geist Gottes, daß er nicht wüßte, was er täte oder ließe und seiner selbst machtlos wäre, und der Wille und der Geist Gottes, wäre seiner gewaltig und wirkte und täte und ließe mit ihm und aus ihm, was und wie er wollte: das wäre der Menschen einer, […] zu denen Christus sprach: ‚Ihr seid nicht, die da reden, sondern der Geist Eures Vaters redet in Euch.‘63

Indem der Autor der Theologia Deutsch hier mit Bezug auf Matthäus 10,20 den Geist  – wie auch sonst an keiner weiteren Stelle des Traktats  – nicht mit dem ‚Heiligen Geist‘ identifiziert,64 bleibt die Möglichkeit gewahrt, diesen mit dem mosaischen spiritus mundi gleichzusetzen. Da eine innere Teilhabe am „geist gotis“ stets mit dem Christusleben einergeht, hat man davon auszugehen, dass die Erleuchtung durch den Geist, wie auch in De tribus facultatibus, sich über eine

59 Zum Unterscheidung dieser Gesetzesfreiheit von der verwerflichen Autonomie der ‚freien Geister‘ s. Wegener: Der Frankfurter, S. 273  f., S. 277–293; Zecherle: ‚Theologia deutsch‘ S. 69–80. 60 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379. 61 Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘, S. 49. 62 Vgl. ThD, S. 74,23–26 (Kap. 3): „Vnnd yn disser widerbringunge [= Rückkehr in die prälapsare Einheit mit Gott] vnd besserunge enkan ich ader enmagk ander ensal nichts nicht zu dem thun, sundern eyn bloß, luter leiden, also das got alleyne thu vnd wircke vnd ich leide yn vnd seyne werck vnd seynen willen.“ 63 ThD, S. 99,7–14 (Kap. 22): „Der nu besessen vnd begriffen were mit dem geist gotis, das er nicht wessete, was er thete ader lisse, vnd seyn selbs vngewaldig were vnd der wille vnd der geist gotis were seyn gewaldig vnd wirckte vnd thete vnd lisse mit ym vnd auß ym, was vnd wie er wolde. […] Cristus sprach: ‚Ir seyt nicht, die do reden, sunder der geist euwers vaters redet yn euch‘.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 74). 64 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 124, 131  f.

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mystische Vereinigung mit Gottvater vollzieht, denn eine solche ist die Bedingung für die vita Christi: Das Leben Christi empfange nur derjenige, der durch den Vater „berührt und gezogen“ werde.65 Die Erleuchtung wird demnach, wie auch in Suchtens Erzählung von dem gottsuchenden Adamssohn, durch eine unio mystica eingelöst. Wenngleich der Autor der Theologia Deutsch, ausgehend von dem traditionellen Dreischritt purgatio – illuminatio – unio, die „erluchtunge“ und die „voreynunge“ begrifflich voneinander trennt,66 findet diese ­Differenzierung ansonsten so gut wie keine Beachtung. Vor allem aber handelt es sich beide Male um eine Raptus-Mystik. Ebenso wie der Mensch spontan aus den Niederungen des Diesseits erhoben wird, fällt er auch wieder dorthin zurück: „Und alldieweil der Mensch in der Zeit ist, so mag er gar oft aus dem einen in das andere fallen, ja unter Tag und Nacht wohl manchesmal und alles ohne sein Zutun.“67 Und an anderer Stelle heißt es: Wenn der Seele oder dem Menschen etwas von diesem vollkommenen Gut enthüllt und geoffenbart wird, etwa in einer blitzhaften Schau oder Verzückung, so wird in dem Menschen ein Begehren geboren, dem vollkommenen Gut zu nahen und sich mit ihm zu vereinigen. Und je größer dieses Begehren wird, umso mehr wird ihm geoffenbart; und je mehr ihm geoffenbart wird, umso mehr begehrt er und wird gezogen. Solcherart wird der Mensch gezogen und gelockt zur Vereinigung mit dem ewigen Gut, und dies ist des Vaters Ziehen.68

In beiden Fällen bewirkt die unio mystica eine Teilhabe des Menschen am ‚göttlichen Geist‘. Allerdings gestalten sich die Bedingungen dafür verschieden. Zwar stimmt der Autor der Theologia Deutsch in seiner Ablehnung der Verstandeserkenntnis mit Suchten überein. Allerdings bedarf es für die „eynung“ in erster Linie einer introversiven, demutsvollen Überantwortung an Gott; ganz besonders aber einer Aufgabe des Eigenwillens, damit sich der göttliche Wille im Individuum verwirklichen kann. Die unio selbst impliziert, wie im Falle des traditionellen Mystik-Diskurses, eine Selbstreflexion Gottes. Diese realisiert sich jedoch nicht

65 Vgl. ThD, S.  150,29–30 (Kap.  53): „beruret vnd geczogen“. (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 139). 66 ThD, S. 88,3 (Kap. 14). 67 ThD, S. 86,51–53 (Kap. 11): „Vnd alle die wile der mensche yn der czeit ist, ßo magk er gar dicke auß eynem yn das ander fallen, ja vnder tage vnd nacht etwen dicke vnd alles an sich selber.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 57  f.). 68 ThD, S. 150,16–21 (Kap. 53): „Wan der sele ader dem menschen etwas entdeckt wirt vnd geoffenbart von dissem volkommen gut als yn eym blicke ader in yn eym czuck, ßo wirt yn dem menschen geborn eyn begerunge dem volkummen gut czu nehen vnd sich mit ym czu voreynigen. Vnd ßo disse begerunge großer wirt, so ym meher geoffenbart wirt, vnd ßo ym meher geoffenbart wirt, so er meher begeret vnd geczogen wirt.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 139).

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über einen Geburtenzyklus im innersten Teil der menschlichen Seele, sondern über ein Wollen. Gott will im erleuchteten Menschen sich selbst: Was ist nun die Vereinung? Nichts anderes, als daß man lauterlich und einfältiglich und gänz­lich in Wahrheit einig sei mit dem einigen, ewigen Willen Gottes, oder gar zumal ohne Wil­len sei und der geschaffene Wille in den ewigen Willen geflossen sei und darin verschmolzen und zunichte geworden, also daß der ewige Wille allein da selbst tun und lassen wolle.69

Die Kreatur muss mit Gott wollen, damit dieser ihre gelassene Seele an sich neh­men und sich mit ihr vereinigen kann.70 Allerdings besitzt das Gebot zur Übernahme des göttlichen Willens noch eine weitere Funktion. Diese besteht in der Bewältigung eines gravierenden Problems, das die anti-pelagianische Konzeption des Traktats mit sich bringt. Dieses eröffnet sich im Zuge des folgenden Gedankengangs: Die Kreatur an sich ist zum Guten unfähig, da allein Gott das Gute hervorbringt. Es ist allerdings Gottes unbedingter Wille, dass auf Erden sein Werk vollbracht werde. Dieses kann aber nicht durch ihn selbst geschehen, denn er befindet sich als Gottheit sowie als Gott in Seklusion gegenüber dem Diesseits: Er ist „âne creatûre“. Wenn nun der göttliche Wille auf Erden virulent werden soll, so verbleibt hierfür nur eine Option: Gott muss von Zeit zu Zeit gewisse Menschen an sich nehmen, damit diese als Nachfolger Christi seinen Willen in die Tat umsetzen.71 Andernfalls wäre Gott überflüssig: Was sollte er auch anderes? Er wäre sonst vergebens, wenn er kein Wirken haben sollte. Und dies kann ohne Kreatur nicht geschehen. Darum muss die Kreatur sein, und Gott will sie haben, damit dieser Wille sein Eigenwerk darin habe und wirke, er [= der Wille], der in Gott ohne Werk ist und sein muß.72

69 ThD, S. 110,8–12 (Kap. 27): „Was ist nu die eynung? Nichts anders, den dass man luterlichen vnd einfeldiglichen vnd gentzlichen yn der warheit eynfeldig sey mit einfeldigen, ewigen willen gotis ader joch czumal an willen sey vnd der geschaffen wille geflossen sey in den ewigen willen vnd dar jnne vorsmelczet sey vnd czu nichte worden, also das der ewige wille allein do selbist welle thun und laße.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 6). 70 Zum Verhältnis von menschlichem und göttlichem Willen s. Alois M. Haas: Die „Theologia Deutsch“. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. Bd. 25 (1975), S. 304–350, hier S. 317–324. 71 Vgl. hierzu Martin Luther: Operationes in Psalmos, Psalmus VIII (1519/21). In: WA 5, S. 258,39– 41: „Ipse [= Deus] est qui loquitur et ipse est qui audit et omnia in omnibus operatur. Nos vasa et instrumenta sumus et instrumenta eius sumus, nec accipere nec dare quicquam potentia, nisi ipse det et accipiat.“ 72 ThD, S. 144,35–38 (Kap. 51): „Was solde er anders? Er were anders vorgebens, sold er kein werck haben. Vnd diß magk an creatur nicht gescheen. Dar ummb sal creatur seyn vnd got will sie haben, das disser wille seyn eygen werck dar ynne habe und wircke, der yn got an werk ist vnd seyn muß.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 131).

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Dieses Konzept hat weitreichende Konsequenzen auf anthropologischem, mysti­ schem und theologischem Gebiet: Wenn der göttliche Wille jenseits der kreatürlichen Sphäre „ohne Werk ist und sein muß“, so distanziert sich der Autor des geistlichen Traktats hiermit merklich vom Gottesbild Eckharts. Letzterem zufolge ist Gott nämlich durchaus am Werke; er bringt sich im Rahmen seines Geburtenzyklus stets aufs Neue hervor. In der Theologia Deutsch aber ist der göttliche Selbstbezug auf eigentümliche Weise unproduktiv: An Gott ist alles als „eyn weßen vnd nicht als eyn wircken“ zu verstehen.73 Sofern Gott wirkt, dann allein darüber, dass er sich beizeiten innerlich gelassene Menschen zueigen macht, damit diese an seiner Stelle sein Werk tun. Übereinstimmend mit dem RaptusGeschehen in De tribus facultatibus kehrt er hierzu in den menschlichen Geist ein. Gott ist demnach insofern „âne creatûre“, als der Geist per se nicht kreatürlich, sondern göttlich ist.74 Zudem sieht sich der Autor genötigt, dem Verdacht, die Umsetzung des göttlichen Heilswerks sei letztlich doch wieder vom Eigenwillen der Kreatur abhängig, entgegenzuwirken: So erklärt er, dass allein schon die Bereitschaft, sich der göttlichen Weisung zu unterstellen, nicht dem Menschen, sondern bereits Gott selbst zugehört.75 Mit anderen Worten: Indem der Mensch mit Gott will, ist schon nicht mehr sein Wille, sondern Gottes Wille.76 Dieser Umstand relativiert wiederum die ethische Qualität der Demut: Die Einnahme eines passiven Habitus würde völlig ausreichen, um dem göttlichen Wirken Raum zu geben. Allerdings kommt man selbst unter dieser Voraussetzung nicht umhin, abermals die Dependenz des göttlichen Wirkens von der Kreatur zu konstatieren, zumal ja auch die Übernahme eines passiven Lebensstils immer noch von der freien Entscheidung des Individuums abhängig wäre. Offenbar schwebt dem Autor des geistlichen Traktats zur Abwehr dieser Problematik ein gnadentheologischer Ansatz vor. Demnach wäre Gott imstande, einzelne Erwählte nach dem Vorbild des paulinischen Damaskuserlebnisses auch unabhängig von deren innerer Bereitschaft dazu zu berufen, sein Werk zu tun. Dies würde jedenfalls dem Raptus-Charakter der unio mystica Rechnung tragen. Zumindest aber ist die Gnade insofern von Bedeutung, als sie den Menschen zu wahrer Erkenntnis geleitet: „Das wahre Licht ist das ewige Licht, das ist Gott; oder es ist ein geschaffenes Licht und ist doch göttlich, und das nennt man Gnade: dies

73 Vgl. Anm. 36. 74 Vgl. ThD S. 103,20–22 (Kap 24): „[…] das ein, da gott und mensch vereyniget sind, an sich selber und an all und alles ledig steet und ist, das ist gottes halben und nit des menschen oder der creaturen halben.“ 75 Vgl. ThD, S. 144,38–145,40 (Kap. 51): „Dar vmmb der wille yn der creatur, den man eynen geschaffen willen heißet, der ist also wol gotis als der ewige wille vnd nicht der creaturen“. 76 Vgl. Haas: Die „Theologia Deutsch“. In: FZPhTh 25 (1975), S. 320  f.

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ist alles wahres Licht.“77 Auch ist es letztlich die Gnade, durch die der willfährige Mensch das Christusleben empfängt.78 Die Vorstellung einer göttlichen Berufung zu wahrer Erkenntnis und zur Nachfolge Christi findet in De tribus facultatibus in der Konzeption des magus ihre Entsprechung. Allerdings behauptet der Autor der Theologia Deutsch nicht nur, dass Gottes Heilswerk über den Menschen erfolgt. Er deutet sogar an, dass andernfalls die Existenz Gottes auf dem Spiel stünde: Würde sich Gott nicht bisweilen dazu herablassen, über gewisse Erwählte in den Lauf der Welt einzugreifen, so wäre er verzichtbar. Mehr noch, vor dem Hintergrund der substanztheoretischen Ontologie der Scholastik wäre er ein ens ohne Wirkung und Zielursache und somit ein bloßes Nichts. Gott gewährt dem Menschen die Vergottung also weniger aus Gnade oder Barmherzigkeit als vielmehr aus egoistischen Motiven: Gott will jedoch, daß dasselbe [= sein Werk] verwirklicht und ausgeübt werde, denn es ist ja darum, daß es geübt werden soll. Was sollte es auch anders? Sollte es müßig sein, wozu wäre es dann nütze? So wäre es ebenso gut es wäre nicht, besser! Denn was nirgends zunutze ist, das ist umsonst, und das will Gott und die Kreatur nicht. Nun also Gott will das geübt und gewirkt haben, und das kann ohne Kreatur nicht geschehen, wenn es also sein soll. Ja, sollte weder dies noch das sein, oder wäre weder dies noch das, wäre kein Werk oder keine Wirksamkeit oder dergleichen, was wäre oder sollte Gott dann selber?79

Es wird deutlich: Der mystische Raptus dient hier, wie auch in De tribus facultati­ bus, nicht dem Selbstzweck, sondern der Berufung von Gotterwählten, die dazu bestellt sind, den göttlichen Willen in die Tat umzusetzen. Im Falle der Theologia Deutsch wirft dies ein eigenartiges Licht auf das Christusleben, zumal die Ein-

77 ThD, S. 114,11–13 (Kap. 31): „Das ware licht ist das ewig licht, das ist got, ader eß ist eyn ge­ schaf­fen licht vnnd ist doch gotlich, vnd das heißet man gnade vnd diß ist alles ware licht.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 91); vgl. Žemla: Theologia Deutsch: brisante Ideen, S. 29  f. 78 Dementsprechend erkennt Alois M. Haas in der „gnadenhaften[n] Vergottung des Menschen im Licht der Vorbildlichkeit des Lebens Christi“ das zentrale Thema des Traktats (Die „Theologia Deutsch“. In: FZPhTh 25 [1975], S. 305); vgl. ThD, S. 92,38–41 (Kap. 16): „Were eß moglich, das eyn mensch also gar vnd luterlich an sich selbir vnd an alle yn dem waren gehorsam were, als Cristus menscheit was, der mensche were an sunde vnd ioch [= auch] eyns mit Cristo, vnd das selbe von gnaden, das Cristus was von natur.“ 79 ThD, S. 115, 25–33 (Kap. 31): „[…] got will das selbe gewirkt und gevbet hat, wan es dar vmmb, das eß gewirckt vnd gevbet werden sal. Vnd was solde eß anders? Solde eß mußig seyn, was were eß danne nutze? Szo were eß also gut, eß were nicht vnd besser. Wann was nyrgent czu nutze ist, das ist ummb sunst vnd das will got und die natur nicht. Nu dar got will das gewirkt vnd gevbet han, vnd das mag an creature nicht gescheen, das eß also seyn solle. Ja, solle wider diß noch das seyn. Ader were diß noch das, ader were keyn werck ader wirklikeit ader des gleich, was were ader sold got ioch selber?“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 92).

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wohnung Gottes in der Kreatur nicht primär deren Heiligung, sondern eher der Existenzsicherung Gottes dient. Überhaupt wirkt die Positionierung des Autors gegenüber der Christusnachfolge paradox: Einerseits dient die imitatio Christi der Einübung wahrer Frömmigkeit, andererseits erfüllt sie per se bereits den Tatbestand der Vergottung.80 Als konsequent erscheint hierbei nur ihre letztgenannte Bestimmung, denn solange der Mensch außerhalb der Einheit mit Gott steht, ist er zum Guten und somit auch zu einer Christusnachfolge unfähig.81 Diese ist also, ebenso wie in Suchtens Traktat, vor allem das Resultat, nicht so sehr die Voraussetzung der unio mystica. Die Funktion des Christuslebens besteht offenbar darin, das Individuum ohne Unterlass im Zustand der Vergottung zu erhalten, 82 und zwar nicht zuletzt, damit sich der ewige Wille dauerhaft im inneren Menschen entfalten kann. Auch das Verbleiben in Gott, beziehungsweise in Christus, das der „ynner mensch“ an den Tag legt, findet in De tribus facultatibus Widerhall: Der urzeitliche Adamssohn ist nach seinem Raptus dauerhaft vom göttlichen Geist begriffen. Er befindet sich fortan im himmlischen Fleisch Christi. Die Gleichsetzung von Christi Gottnatur mit dem Geist erweist sich noch an anderer Stelle als aufschlussreich; nämlich hinsichtlich der jeweiligen Begründung der imago-Lehre. Wie gesehen, entspricht der Mensch nach Suchten lediglich insofern dem Bild Gottes, als er eine Miniatur des Makrokosmos darstellt, der seinerseits vom Geisthauch der Weisheit durchweht ist und daher ein ein „speculum sine macula Dei maiestatis“ und eine „imago bonitatis illius“ repräsentiert.83 Das Individuum kann, allemal vor dem Hintergrund seiner postlapsaren natura vitiata, erst dann als ein Ebenbild des Allmächtigen gelten, wenn es des göttlichen Geistes und somit der himmlischen Natur Christi teilhaftig geworden ist. Ähnlich verhält es sich in der Theologia Deutsch: Hier ist die gefallene Kreatur nicht prinzipiell „nach got geschaffen vnd gebildet“, vielmehr muss sie erst noch zum Ebenbild Gottes werden. Dies macht der Autor mit Verweis auf die Bekleidungsmetaphorik des Epheserbriefs (4,22–24) deutlich. Die gefallene Kreatur muss den neuen Menschen anziehen, um Christus, der wahren imago dei, verwandt und ähnlich zu werden: Man sagt auch, der Mensch solle sich selber absterben, das heißt: des Menschen Ichheit und Selbstheit soll sterben. Hiervon spricht der Heilige Paulus: „Legt ab den alten Menschen mit seinen Werken und ziehet an den einen neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist.“ Wer in seiner Selbstheit und nach dem alten Menschen lebt, der heißt und ist Adams Kind. Er

80 Vgl. Haas: Die „Theologia Deutsch“. In: FZPhTh 25 (1975), S. 330. 81 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 242. 82 Zecherle: Die ‚Theologia Deutsch‘, S. 57. 83 Vgl. Kap. 5.1, S. 129, Anm. 10 (= Sap 7,25).

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mag noch so eifrig und wesentlich darin leben, er ist auch des Teufels Kind und Bruder. Wer aber im gehorsam und im neuen Menschen lebt, der ist Christi Bruder und Got­tes Kind.84

Der Antagonismus von Christus und Adam durchzieht die gesamte Schrift. Seinen stärksten Ausdruck findet er in dem Paulus-Wort, dass die Kreatur in Adam sterben muss, um in Christus wieder aufzuerstehen (1  Kor  15,22). Anders als Eckhart, der seine imago-Lehre von der Grundannahme eines Seelengrunds her entfaltet, knüpft der Autor des geistlichen Traktats an die augustinische Tradition und somit indirekt an Thomas von Aquin an, wonach Christus das einzig vollkommene Ebenbild Gottes ist, wohingegen der Mensch ‚nach‘ diesem Vorbild geschaffen ist.85 Wenngleich er letztlich darin von der thomistischen Bildlehre abweicht, dass er die damit einhergehende, natürliche Ausrichtung des Menschen auf Gott in Abrede stellt,86 so wird doch deutlich, dass ihm zufolge die Bildwerdung über eine Nachahmung der Natur Christi, der ureigenen imago Gottvaters, führt. Zwar begründet auch Eckhart die Gottebenbildlichkeit über die Zeugung des Sohns im Seelengrund, doch ist diese Zeugung ihm zufolge immer zugleich Selbstmitteilung: Gott ist als Abgebildetes permanent im Seelengrund der Kreatur präsent. Zu Recht also behauptet der Mensch seinen Status als Bildnis Gottes. So verwundert es nicht, dass das Konzept der imitatio Christi in der Theologie Eckharts keine nennenswerte Rolle spielt: Das Christusleben ist dann erfüllt, sowie das Individuum seiner innersten, gottgleichen Natur teilhaftig wird. Einen ganz anderen Weg schlägt der Autor der Theologia Deutsch ein: Zum Empfang des Christuslebens bedarf es der Überwindung der natura vitiata durch die natura elevata, einer vollständigen Ersetzung des alten Menschen durch den neuen Menschen. In der selbstlosen Übernahme des willfährigen und demütigen Wesens Christi wird die Kreatur nach Gottes Bild neu geschaffen. Der Autor des geistlichen Traktats verbindet diesen Prozess mit einem Elitismus, der auch in De tribus facultatibus gegeben ist:

84 ThD, S. 90 8–91,15 (Kap. 16): „Man spricht auch, der mensch solde an ym selbir sterben, das ist, des menschen icheit vnd selbheit soll sterben. Hie von spricht sanctus Paulus: ‚Leget abe den alden menschen mit seynen wercken vnd czihet an eyn nuwen menschen, der nach got ge­schaf­ fen vnd gebildet ist‘. Wer yn seyner selbheit vnd nach dem alden menschen lebet, der heißet vnde ist Adams kint. Er mag also ferre vnd also weßenlich dar jnne leben, er ist auch des teufels kint vnd bruder. Wer aber yn dem gehorsam vnd yn dem nuwen menschen lebet, der ist Cristus bruder vnd gotis kint.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 64). 85 Zur imago-Lehre der Theologia Deutsch s. Wegener: Der Frankfurter, S. 154–181. 86 Ebd., S. 144  f.

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Aber ich fürchte, gegen einen, der vom Geiste Gottes besessen ist, sind hunderttausend oder eine Unzahl vom Teufel besessen. Das rührt daher, daß die Menschen mehr Ähnlichkeit haben mit dem Teufel als mit Gott. Ichheit und Selbstheit, das gehört alles dem Teufel zu, und deswegen ist er ein Teufel.87

Überhaupt nimmt das Böse in der Theologia Deutsch einen auffallend großen Raum ein. So wird der Teufel als Verführer zur Sünde sowie, zusammen mit Adam, als Gegenspieler Christi beschrieben. Zudem ist er in der Lage, der Kreatur einzuwohnen.88 Vor allem aber ist der Teufel ein Advokat eines ‚falschen Lichtes‘. Selbiges Licht steht für die gefallene Natur, insofern diese alles Geschaffene, einschließlich des Menschen, umfasst. Alles, was der Natur angehört, strebt notwendigerweise nach individuellen Dingen und nach sich selbst. In Bezug auf den Menschen verbindet sich das falsche Licht mit einer intellektuellen Fehlleistung, die darin besteht, dass er das schlechthin Gute mit allen möglichen individuellen Gütern, vor allem aber mit sich selber, verwechselt. Daher hält er sich mitunter sogar für Gott selbst. Umgekehrt schreibt er Eigenschaften, die allein Gott zuerkannt werden, auf hochmütige Weise sich selber zu. Darin besteht das wahrhaft Teuflische der menschlichen Natur: [B]eide, der Teufel und die Natur, wähnen, sie seien unbetrogen und auf dem allerbesten (Wege). Und das ist die allerböseste und schädlichste Betrügung. Darum sind die Teufel und die Natur eins, und wo die Natur überwunden ist; da ist der Teufel überwunden; und hinwiederum: Wo die Natur nicht überwunden ist, da ist auch der Teufel nicht überwunden.89

Wonach immer der Mensch strebt, das hält er für das Allerbeste. Doch selbst wenn sich sein Streben tatsächlich auf das Höchste und Beste richtete, würde er dieses verfehlen: Einem aktiven Suchen und Streben bleibt Gott verborgen.90 Vor dem 87 ThD, S. 99,14–18 (Kap. 22): „[…] ich furchte, hundert thusent ader an czale synt mit dem tufel besessen, da eins mit gottes geiste besessen ist. Das ist do von, das die menschen haben mer gleicheit mit dem tufel dan mit gote. Icheit vnd selbheit, das gehoret alles dem teufel czu, vnd des halben ist er eyn teufel.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 75). 88 Vgl. ThD, S. 94,16–20 (Kap. 17): „Vndang, schande vnd schade vnd ewig vnglucke vnd vordampniß habe der mensche, das er dar czu taug vnd bereit ist vnde gestatet [= gestattet], das der teufel vnd falscheit vnd lugen oder vnwarheit vnd ander boßheit yren willen vnd gewalt, werck vnd wort yn ym haben mogen, vnd das er r huß vnd yr wonunge ist.“ 89 ThD, S. 137,85–90 (Kap. 43): „[B]eide, tufel und natur, wenet, sie syn vnbetrogenn vnd uff dem aller besten. Vnd das ist die aller boßlichste und schedelichste betrigung. Dar vmmb ist der tufel vnd natur eyns, vnd wo natur vbirwunden ist, do ist auch tufel vberwunden; vnd hir wiedervmmb, wo natur nicht vbirwunden ist, do ist ist auch der tufel nicht vberwunden.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 121). 90 Begründet wird dies hier unter Zitierung von Joh 12,25; vgl. ThD, S. 129 (Kap. 40): „Alß auch Cristuß spricht Weͤ r seyn seͤ l lieb hab der sol sie verliesen Das ist er sal dem gesch seyner natur

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Hintergrund, dass das falsche Licht alle Kreaturen betrügt, zugleich aber mit deren Natur identisch ist, betrügt es sich im Grunde fortwährend selbst. Das Gegenstück zum falschen Licht ist das wahre Licht. Dieses ist untrüglich, ewig und gottgleich.91 Vor diesem Hintergrund ist es „das Gute als Gutes und um nichts denn um des Guten willen.“92 Ebenso wie der Mensch im falschen Licht seiner Eigenliebe anhängt und um eine Erkenntnis des ‚Guten an sich‘ betrogen wird, erleuchtet ihn das wahre Licht mit der wahren Liebe, die ihm eine untrügliche Erkenntnis Gottes verleiht.93 Mit der Lichtmetaphorik stellt sich die Theo­ logia Deutsch einem Problem, das sich aus der Bestimmung des Erleuchteten als Werkzeug Gottes ergibt. Dieses betrifft die paradoxale Kombination von Introversion und weltimmanentem Handeln, beziehungsweise von innerem Menschen und äußerem Menschen.94 Der Autor des Traktats erweitert diese Divergenzen um den Gegensatz von Gemütsruhe und aktiver Bewegung, allerdings ohne hierbei auf die darin aufscheinende Problematik einzugehen: Wo die Vereinung geschieht und wesentlich wird, da steht hinfort der innere Mensch in der Vereinung unbeweglich, und Gott läßt den äußeren Menschen hin und her bewegt werden in dem und zu dem, was sein oder geschehen muß oder soll. Denn das wird in Wahrheit erkannt, daß der innere Mensch unbeweglich stehen soll, und der äußere Mensch muss und soll bewegt werden. Und hat der innere Mensch in seiner Bewegungsursache ein Warum, so ist das nichts anderes als ein Muß- und Sollensein, geordnet vom ewigen Willen.95

auß gehen vnd ersterben Vnd sol nit nach volgen seynem eygen willen vnd der begirde seyneß leibeß sunder den geboten goteß vnd seyner bersten Vnd sol deß seynen yn keinen dingen schen […].“ 91 Vgl. Anm. 77. 92 ThD, S. 126,11–12 (Kap. 40): „[…] gut als gut vnnd vmmb nicht den vmmb gut.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 106). 93 Vgl. Žemla: Theologia Deutsch: brisante Ideen, S. 28  f. 94 Vgl. Friedrich Vollhardt: Zweite Reformation? Die Mystik des späten Mittelalters und der Spiritualismus um 1600. In: Ideengeschichte um 1600. Konstellationen zwischen Schulmetaphysik. Konfessionalisierung und hermetischer Spekulation. Hg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann u. dems. Stuttgart-Bad Cannstatt 2017, S. 33–59, hier S. 49; Haas: Die „Theologia Deutsch“. In: FZPhTh 25 (1975), S. 334. 95 ThD, S. 110,1–111,13 (Kap. 28): „Wo die eynunge geschiet und wesenlich wirt, do steet vorbaß meher der jnnere mensche yn der eynunge vnbeweglich vnd gott let den ausser menschen her vnnd dar beweget werden jn dem vnd czu dem, da muß ader sal seyn ader gescheen […]. Wan das wirt bekannt yn der warheit, das der ynner mensch stehen sal vnbeweglich vnd der vßer mensch vnd sal beweget werden. Vnnd hat der jnner mensch yn seyner bewegelikeit eyn war vmmb, das ist anders nicht den eyn muß vnde sal seyn, geordnet von dem ewigen willen.“ (Übers. Haas: Der Franck­forter, S. 87).

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Man könnte über diesen Passus hinwegsehen, wenn die darin enthaltende Repugnanz von Innen und Außen sowie von Ruhe und Bewegung nicht an anderer Stelle forciert würde. Dort kommt es auf die klassisch-mystische Metaphorik von ‚linkem‘ und ‚rechtem Auge‘ zu sprechen. Diese entfaltet der Autor der Theologia Deutsch anders als Eckhart; denn während der Meister die prinzipielle Gleichzeitigkeit von oculus carnis und oculus mentis lehrt,96 konstatiert der Autor des geistlichen Traktats, dass der Mensch zwischen den Modi von innerem und äußerem Schauens abwechseln müsse. Einzig dem Gottessohn war es zu seinen Erdentagen vergönnt, mit linkem und rechtem Auge gleichzeitig zu sehen.97 Die gefallene Kreatur sei hingegen entweder nur in Gott oder nur in den Sinnen: Nun hat die geschaffene Seele des Menschen auch zwei Augen. Das eine ist das Vermögen, in die Ewigkeit zu schauen, das andere zu sehen in die Zeit und in die Kreaturen, darin Unterschiede zu erkennen, wie vorhin schon gesagt wurde, und dem Leibe Leben zu geben und ihn zu richten und zu regieren. Aber diese zwei Augen der Seele des Menschen vermögen nicht zugleich miteinander ihr Werk zu üben, sondern, soll die Seele mit dem rechten Auge in die Ewigkeit sehen, so muß sich das linke Auge aller seiner Werke entäußern und sich halten, als ob es tot sei. Und soll das linke Auge seine Werke üben nach seiner Bestimmung nach außen, nämlich wirken gemäß der Zeit und den Kreaturen, so muß das rechte Auge gehindert werden an seinem Werk, das heißt in seiner Beschauung.98

Ausgehend von der Metaphorik des wahren Lichtes offenbart sich allerdings, dass die Divergenzen von rechtem und linkem Auge, Stille und Beweglichkeit, innerem und äußerem Menschen keineswegs so unversöhnlich sind wie der Gegensatz von menschlichem und göttlichem Willen. Der Wechsel von linkem und rechtem Auge impliziert nämlich keinen Wechsel zwischen falschem und wahrem Licht. Zwar 96 Vgl. Kap. 5.7, S. 178. 97 Vgl. ThD, S. 78,16 (Kap. 7): „Also stundt der jnner mensch Cristi noch dem rechten auge der sele yn volkommen gebruchen [= Genuss] gotlicher nature, yn volkommener wunne und freude. Aber der ußere mensch vnd das lincke auge der sele stunt mit ym yn volkummen leiden vnd jamer vnd erbeite. Vnde diß geschach alßo, das das inwendigk vnnd das rechte auge vndbeweget vnnd vn­be­weget vnd vnberuret bleib von aller der erbeite vnd leiden vnd marter, das yn dem vßern enschen geschach.“ 98 ThD, S. 78,24–79,2 (Kap. 7): „Nu hat die geschaffen sele des menschen auch czwei augen. Das eyn ist muglichkeit zu sehen yn die ewikeit, das ander zu sehen yn die czeit vnd yn die creaturen, dar ynne vnderscheid zu erkennen, als vo gesprochen ist vnd dem leibe czu geben vnnd den czu richten vnd czu regiren. Aber diße czwei augen der sele des menschen mugen nicht gleich mit­ enander yre werck gevben. Sunder sal die sele mit dem rechten auge yn die ewikeit sehen, so muß sich das lincke auge aller seyner werck vorczihen vnd sich halden, als ab eß tod sey. Vnnd sal das lincke aug seyne werck vbin noch der vßwendikeit, das ist die czite vnd die creature handeln, ßo muß das recht auge gehindert werde an seynen werck, das ist an seyner beschaubunge.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 48).

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sind all jene Menschen, die im falschen Licht wandeln, grundsätzlich von einer Schau mit dem rechten Auge ausgeschlossenen. Die vom wahren Licht beschienenen Gotterwählten aber blicken bald in die Ewigkeit und bald in das Zeitliche. Als ein Nachfolger Christi ist der bewegliche, äußere Mensch genauso vom wahren Licht begriffen wie der innere Mensch, wenngleich er sein Augenmerk nicht direkt auf Gott, sondern auf das geschöpfliche Diesseits richtet. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass er hiermit letztlich wieder derselben Gottesferne zuneigt wie die übrigen Kreaturen, denn im wahren Licht wird die an sich finstere Natur auf Gott hin transparent. Vor diesem Hintergrund erscheint dem Gotterwählten die Sphäre der Zeitlichkeit als das Paradies selbst: Was ist das Paradies? Das ist alles, was da ist; denn alles, was da gut und lustvoll ist, ist auch Gott lustvoll, und darum heißt und ist es ein Paradies. Man sagt auch, das Paradies sei eine Vorburg oder Vorstadt des Himmelreichs. So ist alles, was da ist, wohl eine Vorstadt des Ewigen oder der Ewigkeit und besonders, was man in der Zeitlichkeit und bei den zeitlichen Dingen und in und bei den Kreaturen von Gott und der Ewigkeit wahrnehmen kann, denn die Kreaturen sind eine Weisung und ein Weg zu Gott und zu der Ewigkeit.99

Sowie im Zuge des mystischen Raptus das wahre Licht an die Stelle des falschen Lichtes tritt, verwandelt sich die geschöpfliche Finsternis in eine paradiesische Vorstadt Gottes. Das wahre Licht besitzt vor diesem Hintergrund auffallende Ähnlichkeit zum paracelsistischen Licht der Natur: Es ermöglicht eine Schau von Gottes Antlitz innerhalb der Schöpfung. Indem der Autor des geistlichen Traktats davon spricht, dass die Kreaturen „eine Weisung und ein Weg zu Gott“ sind, hat er vielleicht die pseudo-dionysische Schrift De ecclesiastica hierarchia vor Augen. Dieser zufolge sind die Dinge der Schöpfung als Zeichen zu verstehen, die dem Menschen einen inneren Stufenweg vorzeichnen, der schließlich zum göttlichen Einen führt. Das Beschreiten dieses Weges sei  – hierin stimmt der Areopagite mit dem Autor der Theologia Deutsch überein  – nur einzelnen Gotterwählten vergönnt. Nicht von ungefähr beruft sich auch Suchten auf De ecclesiastica hie­ rarchia, indem er in De tribus facultatibus seinen paracelsistischen Magie-Begriff entfaltet.100

99 ThD, S. 143,1–8 (Kap. 50): „Was ist aber das paradiß? Das ist alles, das da ist; wan alles, das do ist, das ist gut vnd lustig vnd ist ioch got lustig, vnd dar vmmb heisset eß vnd ist wol ein paradiß. Man sprichet auch, das das paradiß sey ein vorburge der eyn vorstat des hymmelrichs. Als ist alles, das do ist, wol eyn vorstat des ewigen ader der ewikeit vnd besunder, was man yn der czite vnd bie den czitlichen dingen vnd yn vnd bey den creaturen gotis vnd ewickeit gemercken ader bekennen mag, wan die creaturen gotis synt eyn wißunge vnd eyn wegk czu gote vnnd czu ewikeit.“ (Übers. Haas: Der Franckforter, S. 129). 100 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 373; s. hierzu ausführlich Kap. 7.7.6.

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Die geistige Nähe, die Suchtens Traktat zur Theologia Deutsch aufweist, be­ trifft vor allem auch die dargelegte Notwendigkeit eines menschlichen Waltens, bei dem dennoch die innere Verbundenheit mit Gott gewahrt bleibt. Das Gebot der Gelassenheit, das die geistliche Unterweisung freilich auch enthält, fällt angesichts der Tatsache, dass sich die mystische Vereinigung mit Gott letztlich einem Gnadenakt verdankt, kaum ins Gewicht. Zudem findet Suchtens in der Theologia Deutsch für seine paracelsische Lehre noch einen weiteren Anknüpfungspunkt, der im traditionellen Mystikdiskurs keine Parallele besitzt. Dieser besteht in der Schöpfungstheologie des geistlichen Traktats. Zu Recht weist Lydia Wegener darauf hin, dass die hier vertretene Seklusion und Unbeweglichkeit Gottes mit dem biblischen Konzept eines arbeitsamen artifex mundi unvereinbar ist.101 Dass Gott sich aus Gründen seiner Selbsterhaltung letztlich doch zu einem Wirken herablässt, das darin besteht, einzelne Erwählte zu Vollstreckern seines Willens zu bestimmen, kann schwerlich als Indiz für die göttliche Schöpfungskompetenz gelten: Schließlich ist die Kreatur nicht das Resultat, sondern die Bedingung für das Wirken Gottes. Vor diesem Hintergrund wird letztlich auch das Theologumenon der göttlichen Omnipotenz untergraben.102 Indes erscheint die Frage nach der Provenienz der Schöpfung als unproblematisch, wenn man in Erwägung zieht, dass der Autor der Theologia Deutsch wohl insgeheim den ominösen „geist gottis“ zum konstitutiven Prinzip der Kosmogonie macht. Für diese Annahme spricht, dass das wahre Licht, das vielleicht die Außenseite des Geistes repräsentiert, als „eyn samen gotis“ bezeichnet wird. Das falsche Licht verkörpert demgegenüber „des tufels samen“.103 Die Rede von einem doppelten Samen – eines geistigen und eines körperlichen – findet sich auch bei Paracelsus und seinen Nachfolgern.104 Dass der Traktat ein solches Schöpfungsprinzip fast notwendig voraussetzt, wird jedoch auch mit Blick auf seine Ontologie deutlich, die ebenfalls anders konzipiert ist als bei Eckhart. Wie bereits im Kontext mit Suchtens Elegie Quid sit nihil gezeigt wurde, begreift der Meister die kreatürliche Vielfalt als ein innerseelisches Produkt, das keine subjekt-unabhängige Realität beanspruchen kann.105 Die Außenwelt ist auf ihre sinnlich erfahrbaren Eigenschaften reduzierbar, deren Existenzgrund im göttlichen Nichts liegt. Je mehr sich die Seele auf ihren Grund in Gott hin orientiert, desto

101 Wegener: Der Frankfurter, S. 329  f. u. 334. 102 Vgl. ebd., S. 333  f. 103 Vgl. ThD, S. 139,127–128 (Kap. 40): „Wanne das ware licht ist eyn samen gotis, dar vmmb bren­get eß gotis frucht. Vnd das falsch licht ist des tufels samen.“ 104 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379: „Das Fiat, dadurch die Welt erschaffen/ das ist der Saamen deß Himmels und der Erden.“ 105 Vgl. Kap. 5.7, S. 183  ff.

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klarer erkennt sie alle individuellen Entitäten in ihrer ideellen, präexistenten Urgestalt. Sowie die Seele mit aber ihrem Grund verschmilzt, offenbart sich ihr das Sein in seiner höchstmöglichen Wirklichkeit: in der All-Einheit Gottes. Ein solcher Panenpsychismus besitzt in der Theologia Deutsch freilich keine Entsprechung. Da der Mensch angesichts der Kluft zwischen Immanenz und Transzendenz über keinen Seelengrund verfügt, der es ihm ermöglichte, innerlich Einsicht in das göttliche Urprinzip der Schöpfung zu erlangen, stellt sich die Frage, worauf sich die Erfahrbarkeit des kreatürlichen Diesseits eigentlich gründet. Die Bestimmung der Ontologie der dinglichen Außenwelt wird im Fall der Theologia Deutsch dadurch erschwert, dass das mittelhochdeutsche Wort ‚wesen‘ nicht nur ‚Wesen‘, sondern auch ‚Sein‘ bedeuten kann. Wenn Eckhart den Ausdruck ‚wesen‘ gebraucht, so bezieht er sich auf das Sein; auf alles, was der Seele gegenwärtig ist. Außerhalb des gottgleichen Seelengrundes und des innerseelischen Ausflusses, in dem die geschöpfliche Vielfalt zu Tage tritt, ist ein radikales Nicht-Sein („lûter niht“).106 Dieses Konzept kann für die Theologia Deutsch keine Geltung beanspruchen. Schließlich ist der gefallenen Kreatur, trotz ihrer Gottesferne und trotz der prinzipiellen Unverfügbarkeit des Geistes und des wahren Lichts, durchaus etwas bewusst: die sinnlich erfahrbare Außenwelt in ihren vielfältigen Erscheinungen. Der Unterschied zum ontologischen Modell Eckharts besteht vor allem darin, dass alle konkreten Entitäten ‚an sich‘, zwar teuflisch, aber eben kein „lûter niht“ sind. Das gottferne, falsche Licht betrügt den Menschen zwar um das göttliche Wesen alles Seienden; um das wahre Gute, das sich an den Kreaturen und am Menschen selbst manifestiert. Dem bloßen Dasein der Schöpfungsdinge ‚an sich‘ tut dies aber keinen Abbruch. Ebenso lösen sich die Schöpfungsdinge, sowie sie im wahren Licht – im lumen gratiae Eckharts – geschaut werden, nicht im göttlichen Über-Sein auf. Vielmehr hat es den Anschein, dass der Erleuchtete hierbei den weltimmanenten Geist und somit das Ebenbild Gottes erblickt. Man hat also für das geschöpfliche Diesseits eine eigenständige Realität zu konstatieren. Zwar ist Gott für die Ontologie der Kreaturen noch insofern bedeutsam, als diese kraft ihres Wesens allesamt am Guten partizipieren. Dieses Gute selbst aber gehört allein Gott an. Angesichts der scharfen Trennung von irdischer und göttlicher Sphäre, wird hier, wie auch in De tribus facultatibus, eine Fließmetaphorik im Sinne Eckharts hinfällig: Der schöpfungsontologische Monismus, den der Meister lehrt, weicht einer stark dualistisch geprägten Weltanschauung. Um der Häresie einer Zwei-

106 Vgl. ebd., S. 184, Anm. 209.

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Prinzipien-Lehre zu entgehen,107 bedarf es einer neuen Theorie, die erklärt, wie die stoffliche Welt aus dem hochsubtilen Wesen des göttlichen Geistes hervorgegangen sein könnte. Man kommt offenbar nicht umhin, ein Drittes anzunehmen: etwa eine quinta essentia, die zwischen der körperlichen und der geistigen Welt vermittelt. Auf diese Weise ließe sich denn auch der Emanationsbegriff wieder einholen; dies allerdings mit dem Unterschied, dass die Terminologie des ‚Fließens‘ nun nicht bloß metaphorisch, sondern wörtlich zu verstehen wäre. Auch wenn der Verfasser des geistlichen Traktats sich auf diesem Gebiet bedeckt hält, so wird doch deutlich, dass der Text sich problemlos mit der paracelsistischen Kosmologie vereinbaren lässt. Indes lässt sich nicht abschließend klären, ob auch Suchten sich insgeheim zur Dependenz Gottes vom erleuchteten Menschen bekennt. Zumindest aber würde diese Annahme zur Bewältigung eines Problemüberhangs beitragen, den Suchtens Ausführungen in De tribus facultatibus aufwerfen: Dieser betrifft die Prämissen, auf denen der mystische Raptus beruht. Für Suchten scheint vollkommen außer Frage zu stehen, dass es Gottes Wille ist, beizeiten in den Himmel des Menschen einzukehren. Er hält es für unnötig, diesen Umstand noch weiter zu kommentieren, geschweige denn zu beweisen; und dies, obwohl er beinahe im selben Atemzug die Verworfenheit der sündigen Kreatur affirmiert. Gewiss lässt sich die Überzeugung, dass Gott seinen ‚Stuhl‘ in den Menschen gestellt hat, gnadentheologisch begründen. Bedenkt man jedoch die Konsequenzen, die sich ergäben, wenn Gott in Anbetracht seiner generellen Zurückgezogenheit der Kreatur ebendiese Gnade verweigern würde, so scheint der Beweggrund für Gottes Bereitschaft, in den Menschen einzukehren, noch wesentlich tiefer zu liegen: Gott wäre andernfalls zu nichts nütze. In Anbetracht der Vielzahl an Übereinstimmungen, die Suchtens spiritualistisches Welt- und Gottesbild mit der geistlichen Lehre der Theologia Deutsch aufweist, kann kaum ein Zweifel bestehen, dass der Traktat für die Formierung einer genuin paracelsistischen Mystik richtungsweisend war. Zu den aufgezeigten Gemeinsamkeiten zählt erstens ein anthropologischer Pessimismus, der sich in der Seklusion Gottes, der prinzipiellen Unüberwindlichkeit des menschlichen Diesseitsbezugs und in der Gnadenbedürftigkeit der gefallenen Kreatur Ausdruck verschafft. Zweitens weicht hier wie dort das Philosophem eines Seelengrunds einem jeweils als ‚nichtig‘ charakterisierten Geistbegriff, der auf logostheologischen Prämissen beruht. Auf diesen Geistbegriff gründen sich jeweils ein raptus­

107 Als Zeugnis dieser bis über das 13. Jahrhundert hinaus auftretenden Häresie kann der in Italien entstandene Liber de duobus principiis gelten, vgl. Daniela Müller: Ketzer und Kirche: Beobachtungen aus zwei Jahrtausenden. Münster 2014, S. 162.

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mystisches Konzept der unio mystica sowie die Vision einer elitären Gemeinschaft von Erleuchteten. Drittens bleibt in beiden Fällen die Möglichkeit eines weltimmanenten Handelns gewahrt; und zwar auf der Grundlage eines göttlichen Lichts, das innerhalb der Schöpfung einen Weg aufscheinen lässt, der letztlich zu einer Schau von Gottes Angesicht führt. Die Suspendierung der göttlichen Omnipotenz, die Entbindung Gottes von seiner Schöpferfunktion, die Erfahrung des Diesseits als eine Fremde, die Erniedrigung der Natur zum Herrschaftsbereich des Teufels, der starke Dualismus von Geist und Materie sowie ein Elitismus von einzelnen Erleuchteten: all dies sind ­Elemente, die für die spätantiken Strömung der Gnosis charakteristisch sind.108 Die ältere Paracelsus-Forschung hat viel Eifer darauf verwendet, mögliche Einflüsse gnostischer Lehren auf das theoalchemische Weltbild des Hohenheimers auf­ zuzeigen.109 Auch gab es bereits im Mittelalter tatsächlich ein reichhaltiges Wissen über frühchristliche Sekten, die sich unter dem Begriff ‚Gnosis‘ s­ ubsumieren lassen. Dieses Wissen beruhte auf den Berichten von Kirchenvätern wie Augustinus, Irenäus von Lyon, Clemens von Alexandria, Hippolyt von Rom, Origenes, Justin dem Märtyrer und Tertullian.110 Mitunter exzerpierten diese auch Passagen aus den Quellentexten gnostischer Gruppierungen, um die darin vorgetragenen Glaubenssätze zu widerlegen und als häretisch zurückzuweisen. Die patristischen Häresiologien bildeten denn auch die Grundlage dafür, dass bis weit in die Frühe Neuzeit hinein verfeindete theologische Lager einander des ‚Arianismus‘, des ‚Pelagianismus‘ oder des ‚Manichäismus‘ bezichtigten. Indes lässt sich die These, die paracelsische Gotteslehre stehe unter Einfluss gnostischer Schöpfungsmythen, schwerlich aufrecht erhalten, da der Hohenheimer nirgends auf irgendeinen religiöse Autorität, geschweige denn auf ein Textfragment aus dem Wirkungskreis der antiken Gnosis bezugnimmt: Es ginge wohl auch zu weit, die mitunter gnostisch beeinflussten Schriften, die unter dem Namen des Hermes Trismegistus kursierten, als Hauptquelle für die ‚gnostisch‘ anmutende Religiosität Hohenheims zu verbuchen, zumal dieser die Autorität des Hermes in erster Linie auf alchemischem und astrologischem Gebiet in Anspruch nimmt.111 Vielmehr haben, wie die Theologia Deutsch beweist, Schriften der christ­

108 Vgl. Christoph Markschies: Die Gnosis. München 2001, S. 25  f. 109 Am nachhaltigsten Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus, S. 33–42, 66, 86–95, 120–136. 110 Markschies: Die Gnosis, S. 35–44. 111 Vgl. Kühlmann, Telle: Nr. 7. Widmungsvorrede Adams von Bodensteins an Adolf Hermann Riedesel von Eisenbach, 8.  Februar 1562. In: CP 1, S.  172; Wels: Manifestationen des Geistes. S. 151  ff.

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lichen Mystik den paracelsischen Spiritualismus geprägt.112 Im Falle von De tribus facultatibus reichte Suchtens Kenntnis der mystischen Predigt- und Traktatliteratur des Spätmittelalters, gepaart mit der paracelsischen physica mosaica und seiner Sympathie für die Platonici, völlig aus, um als „gnostisch-allegorische[s] Buch“ (C. Gilly) in der Forschungsliteratur Erwähnung zu finden;113 und dies, obwohl Suchten offenbar nicht einmal Ficinos Übersetzung des Corpus Hermeti­ cum kannte. Diese Annahme legt zumindest der Umstand nahe, dass er weder in De tribus facultatibus noch in sonst einem seiner Werke auf diesen Schriftkomplex eingeht.

112 Vgl. Gantenbein: Einleitung: Grundzüge der paracelsischen Theologie, S. 31: „Hohenheims mögliche Beziehungen zur deutschen Mystik wurden bisher kaum untersucht. Mit Meister Eckhart (c1260–1328) verbindet ihn das Primat des Denkens („intellectus“) über den Glauben, denn „die erkantnus gibt den glauben“, wie Paracelsus sagt, und setzt einen „vernunftigen, verstendigen mann“ voraus. Wenn Eckhart die „vita activa“ höher einschätzt als die „vita contemplativa“, so lässt sich das sicherlich auch für Paracelsus sagen. Obwohl im […] Liber de sursum corda Anklänge an Johannes Tauler (c1300–1361) vorhanden sind, so werden erst weitergehende Untersuchungen zeigen müssen, ob Paracelsus dessen Predigten gekannt und verwendet hatte.“ 113 Das Bekenntnis zur Gnosis, S. 398.

7 Suchtens Magie 7.1 Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs Der Begriff der Magie erscheint in der Frühen Neuzeit in äußerst schillerndem Gewande: Sein Bedeutungsspektrum umfasst Geisterbeschwörung, Dämonenpakt, Hexerei, die Beherrschung okkulter Naturkräfte, Nekromantie, Weissagung, Suggestion sowie verschiedene Arten von Zauberei – sei es zur Einflussnahme auf die Witterung, zur Abwehr böser Mächte, zur Steigerung der Erotik oder zum Schaden anderer. Die Bewertungen der Magie schwankten von genereller Ablehnung, partieller Akzeptanz und situationsspezifischer Befürwortung;1 dementsprechend problematisch gestaltet sich die – ohnehin ahistorische – kategoriale Unterscheidung von ‚weißer‘ und ‚schwarzer‘ Magie. Fruchtbarer ist demgegenüber die Differenzierung zwischen einer natürlichen und einer widernatürlichen Art von Magie: Während sich letztere über die innerweltliche, göttliche Ordnung hinwegsetzt, steht erstere im Einklang mit dem Heilsplan, den Gott seiner Schöpfung zugrunde gelegt hat. Freilich verorteten Paracelsus und seine Nachfolger ihre okkulten Praktiken im Bereich der natürlichen Art von Magie; schließlich folgten sie dem alchemistischen Credo, dass der Adept der Natur bei ihrem Drang nach Vervollkommnung assistiere.2 Die Idee einer solchen magia naturalis ist nicht genuin paracelsisch. Sie findet sich schon bei Marsilio Ficino und Pico della Mirandola. Den beiden Florentinern ist gemein, dass sie ihren Magie-Begriff in den Zusammenhang einer prisca theo­ logia einordneten, die sie im Rückgriff auf hermetische, orphische, kabbalistische und neuplatonische Quellen zu rekonstruieren versuchten.3 Ficino war der erste, der sich darum bemühte, die Magie als eine praktikable Wissenschaft zu etablie-

1 Vgl. Peter Dinzelbacher: Mystische Phänomene zwischen theologischer und medizinischer Deutung in Spätmittelalter und Frühneuzeit. In: Mystik und Natur. Zur Geschichte ihres Verhältnisses vom Altertum bis zur Gegenwart. Hg. von dems. Berlin 2009 (Theophrastus Paracelsus Studien 1), S. 61–85, hier S. 64  f. 2 Telle: Alchemie II. In: TRE. Bd. 2, S. 200 u. 204. 3 Vgl. hierzu stellvertretend Stéphane Toussaint: Ficino’s orphic magic or Jewish astrology and oriental philosophy? A Note on spiritus, the Three Books on Life, Ibn Tufayl and Ibn Zarza. In: Academia. Revue de la Société Marsile Ficin 2 (2000), S. 19–31; Szönyi: The Hermetic Revival in Italy, S. 58, 64; Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis, bes. S. 34; ders.: Von Ficino zu Agrippa. Der Magia-Begriff des Renaissance-Humanismus im Überblick. In: Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt. Hg. von Antoine Faivre u. Rolf Christian Zimmermann. Berlin 1979, S. 24–51, bes. S. 32. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-007

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ren.4 Als solche richtet diese sich auf den Bereich der Transzendenz, zumal da sie nicht nur eine Dämonologie platonischer Färbung, sondern vor allem auch eine mystische Erfahrungsdimension impliziert. Der Mensch besteht aus Körper, Geist und einer unsterblichen Seele. Letztere ist kraft ihrer Bestimmungen als mens und ratio mit Gott verbunden; als ein idolum dei besitzt die Seele Phantasie, Vorstellungs- und Lebenskraft. Ferner zeichnet sie sich durch einen appetitus naturalis zum Guten aus.5 Der ganze Kosmos ist von einer anima mundi erfüllt, welche die teils sichtbaren, teils unsichtbaren Kreaturen mit Leben erfüllt. Zu letzteren zählen himmlische daemones, welche die Gestirne auf ihren Bahnen lenken.6 Die Gestirne korrespondieren ihrerseits mit bestimmten Pflanzen, Tieren, Edelsteinen und geometrischen Formen. Obwohl Ficinos daemones auch schädliche Wirkungen ausüben können, handelt es sich bei ihnen nicht um solch menschenfeindliche Dämonen, wie man sie in der Bibel vorfindet, sondern um intelligente Geistwesen, die auf die antike Naturphilosophie, namentlich auf den platonischen Dialog Timaios, zurückgehen. Gemäß dieser Tradition zählen auch die von Aristoteles so bezeichneten ‚Götter‘, die als Untergebene des unbewegten Bewegers der Fixsternsphäre die einzelnen Planeten auf ihren Bahnen lenken,7 zu den daimones. Nach Ficino können jene Himmelsdämonen nur insofern bedrohlich werden, als nicht nur die Natur, sondern auch das gesundheitliche Wohlbefinden des Menschen vom Lauf der Gestirne abhängig ist. Hiervon ausgehend entwickelt Ficino in seiner dreibändigen Schrift De vita eine medizinische Lehre,8 die einerseits eine galenisch geprägte Diätetik, andererseits eine spiritualistische Spielart von Magie beinhaltet: Durch Gesang mache sich magus die himmlischen daemones gefügig, worüber es ihm gelinge, die firmamentalen Kräfte, denen der Mensch untersteht, zu orchestrieren und in Gleichklang (concinnitas) zu bringen. Ferner sei er imstande, die astralen Influenzen zu kanalisieren, um damit das Gemüt seines Patienten zu schwängern (impregnare) oder um gewöhnliche Steine in Talismane zu verwandeln.9 In einer Apologie zu De vita tritt Ficino dem Vor­wurf

4 Zu Ficinos Magie-Begriff eingehend Brian P. Copenhaver: Magic in Western Culture. From Antiquity to the Enlightenment. Cambridge 2015, S. 55–153 sowie Otto: Magie, S. 413–504. 5 Vgl. Müller-Jahncke: Von Ficino zu Agrippa, S. 34  f.; Paul Oskar Kristeller: Die Philosophie des Marsilio Ficino. Frankfurt a. M. 1972, S. 158–189. 6 Zur Seelen- und spiritus-Lehre Ficinos s. Daniel P. Walker: Spiritual and Demonic Magic from Ficino to Campanella. Notre Dame, London 1975, S. 3–85; Otto: Magie, S. 459–562. 7 Vgl. Michael Bordt: Aristoteles’ ‚Metaphysik XII‘. Darmstadt 2006, S. 124–138. 8 Zu Ficinos Astromedizin vgl. stellvertretend Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis, S. 41–56. 9 Sergius Kodera: Die gelehrte Magie der Renaissance von Marsilio Ficino bis Giovan Battista

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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entgegen, er betreibe Dämonenbeschwörung.10 Zudem identifiziert er die magia hier mit der Weisheit der sternkundigen magi ex oriente. Diese zeichnet er als Epigonen einer astromedizinischen Diätetik: Geleitet von dem Stern kamen die sternenkundigen Magier zu Christus, dem Herrn des Lebens, und boten ihm einen kostbaren, lebenserhaltenden Schatz dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Mit diesen drei Geschenken orientierten sie sich an den drei Herrschern über die Planeten: Das Gold ist diejenige Gabe unter den dreien, die angesichts der Gemütsruhe Jupiters am meisten beruhigt ist. Mit dem Weihrauch übergaben sie ihm einen Repräsentanten der Sonne, die von der Hitze und dem Duft des Phoebus umhüllt ist und alles überstrahlt. Die Myrrhe, die den Leib stärkt und erhält, überreichten sie ihm als Abzeichen Saturns, dem kräftigsten aller Planeten.11

Andernorts beschreibt Ficino mit Bezug auf die magi ex oriente, wie man aus zwei Unzen Weihrauch, einer Unze Myrrhe, einem Goldblättchen und etwas Wein ein belebendes Medikament herstellen könne. Wenngleich Paracelsus den „Marsilius Ficinus“ in einem seiner Briefe als den „Italorum medicorum optimus“ bezeichnete,12 ihn sogar in De vita longa als einen „egregius medicus“ lobte,13 kann bezweifelt werden, dass Ficinos Werk für ihn eine wichtige Inspirationsquelle darstellte. Erkundungen von Ingo Schütze ergaben, dass der Hohenheimer höchstwahrscheinlich nur die ersten beiden Bücher von De vita kannte, die erstmals 1505 unter dem Titel „Buch des Lebens“ erschienen waren.14 Diese Teilübersetzung, die der Feder des Arztes Johannes Adelphus Muling entstammte, erfuhr 1527  – also zu der Zeit als Paracelsus in Straß­burg und Basel weilte – zwei Nachdrucke in den Werken der Straßburger

della Porta. In: Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, Boston 2016, S. 346–387, bes. S. 350  f. 10 Zu Ficinos Apologie s. Antje Wittstock: Marsilio Ficinos ‚De vita coelitus comparanda‘ als prekäres Wissen: Strategien und Modi von Transfer. In: Marsilio Ficino in Deutschland und Italien. Renaissance-Magie zwischen Wissenschaft und Literatur. Hg. von Jutta Eming u. Michael Dallapiazza. Wiesbaden 2017, S. 155–176, hier S. 163–167; Otto: Magie, S. 433–436. 11 Marsilio Ficino: De vita libri tres, Liber II (De vita longa). In: Opera omnia. Bd. 1. Hg. von Paul Oskar Kristeller. Turin 1962, S. 493–572, hier S. 527: „Magi stellarum observatores ad Christum vitae ducem stella duce venerunt, pretiosum vitae thesaurum offerentes: Aurum, Thus et Myrrham, tria dona pro tribus planetarum dominis stellarum Domino dedicantes. Aurum quidem pro temperamento Iovis maxime omnium temperatum, Thus autem pro Sole praeciue Phoebeo calore simul odoreque flagrans. Myrrham denique firmantem corpus atque conservantem pro Saturno omnium firmissimo planetarum.“ (Übers. S. B.). 12 Paracelsus: Brief an Christoph Clauser. In: SW 1/4, S. 71. 13 Paracelsus: Scholia. In: SW 1/3, S. 411. 14 Vgl. Ingo Schütze: Zur Ficino-Rezeption bei Paracelsus. In: Parerga Paracelsica. Paracelsus in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1991, S. 39–44, hier S. 43  f.

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Ärzte Hieronymus Brunschwig und Philipp Ulstad.15 Ferner bestehen zwischen Ficino und Hohenheim besonders in medizinischer Sicht deutliche Differenzen: Die Krankheiten, die im ersten Buch (De vita sana) dargestellt werden – vor allem die Melancholie des Gelehrten –, analysiert Ficino ausgehend von der antiken Temperamentenlehre. Als Heilungsmethoden empfiehlt er unter anderem Aderlass und die Verabreichung pflanzlicher Medikamente. Im zweiten Buch (De vita longa) widmet er sich der Verlängerung der Lebensdauer. Übereinstimmungen mit Paracelsus sind jeweils nicht zu finden. Überhaupt rekapituliert der Hohenheimer nicht einmal in den Werken, in denen er Ficino erwähnt, die Krankheiten und Behandlungsmethoden, die in De vita zur Sprache kommen. Zumindest stimmt Paracelsus mit Ficino darin überein, dass er für seine magische Heilkunde eine Gestirnsmetaphysik in Anspruch nimmt: „Nicht anderst ist die magica zu verstehen, dan als eine hohe arznei, die da alein hantlet aus dem firmament und im firmament, es sei dan natürlich oder ubernatürlich.“16 Und tatsächlich bezieht auch er sich auf die magi ex oriente, die sich ihm zufolge nicht nur auf die Deutung von Himmelszeichen, sondern auch auf den Umgang mit astralen Influenzen verstanden. Im Labyrinthus medicorum errantium schreibt er selbst dem Stern von Bethlehem eine heilkräftige Wirkung zu. Dessen Astralkraft zählt zu den Geheimnissen der Natur, die es mithilfe der „magica“ zu lüften gelte: vil hab ich gedacht und gemelt der magica, und noch oftermals der erfindung der heimlikeit der natur in disen büchern, auch in andern. darumb solt ir das wissen nach der kürze, das dis buch magica inventrix bei einem ietlichen arzt sol wol gelernet werden […]. und wie die magi von orient durch diese [magicam] inventricem gefunden haben Christum im sterne, als das feuer im kisling gefunden wird, also werden auch gefunden die künst der natur, die leichter zu sehen ist, dan Christus zu suchen gewesen ist. und so Christus von weite er­sucht ist worden von den königen aus Saba und Tharsis so wird der schatz der natur viel nehender gefunden.17

Indem die biblischen magi den Stern von Bethlehem – das himmlische Zeichen für die Ankunft Christi – zu deuten wussten, handelten sie im Sinne der „magica inventrix“. Aus paracelsischer Sicht beschreibt das zweite Matthäuskapitel nichts

15 Dafür, dass Paracelsus mindestens mit einem der hier genannten Bücher vertraut war, spricht seine Behauptung, Ficino habe ein Alter von 108 Jahren erreicht; ähnlich äußern sich nämlich auch Johannes Adelphus Muling (Buch des Lebens, Straßburg 1505 u.  ö), Hieronymus Brunschwig (Liber de arte distillandi, Straßburg 1528) und Philipp Ulstad (Celum philosophorum, Straßburg 1527). Nach Muling wurde Ficino „hundert jar und noch vil tage“ alt, nach Brunschwig 115 Jahre, nach Ulstadt 120 Jahre. Vgl. Schütze: Zur Ficino-Rezeption bei Paracelsus, S. 43  f. 16 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 39. 17 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 205–208.

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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Geringeres als einen Präzedenzfall magischer Hermeneutik.18 Demnach influierte der Stern von Bethlehem die diesseitige Welt mit der heiligsten aller Astralkräfte; mit der Gottnatur Christi. Diese ist denn auch das höchste Heilmittel: Ebenso wie sich die energetische Kraft des Feuersteins in seinem Funken zeigt, erweist sich die überirdische Natur des Gottessohnes als die Heilkraft des Sterns, welche die Menschheit von allem Leid erlöst. Das Schmähwort ‚magus‘ richtete sich zu Hohenheims Lebzeiten jedoch noch nicht gegen diesen selbst, sondern gegen Johannes Trithemius, der seit 1503 unter dem Verdacht der Schwarzmagie stand, sowie gegen dessen Schüler Agrippa von Nettesheim. Beide rezipierten den Begriff ‚Magie‘ unter dem Eindruck des florentinischen Neuplatonismus, vertreten durch Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola.19 In einem an den Bischof von Cahors adressierten Brief vom August 1505 beschreibt Trithemius das ‚studium‘ als den Beginn eines Stufenwegs, der über Erkenntnis, Liebe, Ähnlichkeit, Gemeinschaft, Tugend und Würde zur Macht führt. Letzteres äußere sich im Bewirken von Wundern. Damit tritt eine bestimmte Art von Magie auf den Plan: Dieser einzige zielführende Weg zur aller magischer, göttlicher und natürlicher Vollendung wird von manchen zurückgewiesen und absurder Weise mit Aberglauben, Gaukelei und Teufelswerk in Zusammenhang gebracht. Denn durch die Magie wollen wir nichts anderes verstehen als die Weisheit sowie die Erkenntnis aller physischen und metaphysischen Dinge, bei der es sich unzweifelhaft um ein Wissen um die göttlichen und natürlichen vir­ tutes handelt.20

Ausgehend von dieser kurzen, doch  – im Vorausblick auf Hohenheim und die frühen Paracelsisten – traditionsstiftenden Definition des Magie-Begriffs lassen sich folgende Feststellungen treffen: Bei der „Erkenntnis aller physischen und metaphysischen Dinge“ handelt es sich nicht um „Teufelswerk“, sondern um eine unverdächtige Spielart von ‚Magie‘. Als solche ist sie weder Aberglaube noch Blend­werk, sie verbindet sich mit der positiven Vision aller „göttlicher und natür-

18 Vgl. Miller-Guinsburg: Paracelsisan Magic and Theology, S. 128. 19 Vgl. Paola Zambelli: White Magic, Black Magic in the European Renaissance. From Ficino, Pico, Della Porta to Trithemius, Agrippa, Bruno. Leiden, Boston 2007 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 125), S. 96. 20 Johannes Trithemius: Epistolarum familiarum libri duo. Peter Braubach 1536, Hagenau 1536, S. 29–51, hier S. 92: „Hoc iter unicum ad finem magicarum perfectionum tam divinarum quam naturalium, a quibus arcetur & confunditur procul omne superstitiosum, praestigiosum atque diabolicum. Enimvero nihil aliud per magiam intelligi volumus quam sapientiam, physicarum scilicet & metaphysicarum intelligentiam rerum quae divinarum & naturalium virtutum scientia constat.“ (Übers. S. B.).

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l­icher Vollendung“. Hierbei zeigt sich, dass diese Magie in mehrfacher Weise dialektisch angelegt ist: Sie beschäftigt sich einerseits mit der sichtbaren, da physischen Welt, andererseits mit den metaphysischen Dingen, den virtutes. Diese wiederum gehören teils der natürlichen Schöpfung, teils der himmlischen Sphäre Gottes an. Hier lässt sich zugleich der Unterschied von Wissen (scientia) und Weisheit (sapientia) fassen: Sofern sich die Magie auf die bunte Vielfalt der natürlichen, physisch wie metaphysisch strukturierten Welt richtet, beschreibt sie ein Wissen. Sofern sie sich aber auf ihren Ursprung, das schlichte und einfältige Wesen Gottes, hin orientiert, lässt sie sich als Synonym für die göttlichen Weisheit interpretieren. Hier ist denn auch der Punkt, an dem die Magie auf die Mystik stößt. Ferner bestehen zwischen Mystik und Magie wesensmäßige ­Übereinstimmungen: In beiden Fällen begibt sich der Mensch an die Schwelle von Natur und der Übernatur Gottes, beziehungsweise an die Schwelle von Immanenz und Transzendenz – und beide Male liegt zwischen diesen beiden Erfahrungsräumen eine partielle Überschneidung vor. Im Falle der Mystik basiert diese auf dem Axiom, dass der gefallenen Kreatur nach wie vor ein göttlicher Funke innewohnt. Die paracelsistische Magie hingegen behauptet für sich das Vermögen, dem göttlichen Wirken innerhalb der Natur Raum zu geben. Auf diese Weise sind Mystik und Magie auch in Agrippas Occulta philosophia auf einander bezogen. Im Zentrum dieses umfassenden Werks steht die enzyklopädische Darstellung einer prisca theologia.21 Hierzu bedient sich der Nettesheimer einer Fülle von Quellen, die bereits Reuchlin, Trithemius, Pico und Ficino rezipiert hatten; darunter die Orphischen Hymnen, das Corpus Hermeticum, die neuplatonischen Schriften Plotins und Jamblichs sowie der Picatrix. Bei letzterem handelt es sich um eine um 1055 entstandene arabische Kompilation von Texten magischen Inhalts, die seit dem dreizehnten Jahrhundert auch in lateinischer Sprache vorlag.22 In Anlehnung an diese Sammlung legt Agrippa seiner Occulta philosophia einen dreiteiligen Aufbau zugrunde: Im ersten Buch widmet er sich der terrestrischen Welt, im zweiten dem gestirnten Himmel und im dritten der überirdischen Sphäre der Engel.23 Dieser Trichotomie entsprechend unterrichtet er zunächst über Medizin und Naturphilosophie, sodann über die Astrologie und

21 Für das Verständnis dieses – bei Ficino wie bei Agrippa – zentralen Begriffs grundlegend Daniel P. Walker: The Ancient Theology. Studies in Christian Platonism from the Fifteenth to the Eighteenth Century. London 1972. 22 Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Picatrix. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hg. von Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage u.  a. Berlin, New York 2005, S. 1161  f. 23 Vgl. Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis, S.  62–67; ders.: Magie als Wissenschaft im frühen 16. Jahrhundert. Die Beziehungen zwischen Magie, Medizin und Pharmazie im Werk des Agrippa von Nettesheim (1486–1535). Marburg 1973, S. 112–119.

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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zuletzt über religiöse Rituale und Zeremonien. Unter entschiedener Zurückweisung von Praktiken teuflischer Magie differenziert er zwischen einer magia natu­ ralis und einer magia caeremonialis. Die Grenzen der beiden Magien sind hierbei allerdings nicht immer klar auszumachen: zum einen, weil der Einfluss dämonenhafter Geister sowohl die himmlische als auch die irdische Sphäre betrifft, und zum andern, weil sich – wie auch bei Paracelsus und Trithemius – die Erfahrungsbereiche von Immanenz und Transzendenz überschneiden. Der von Gott erleuchtete magus weiß mit den okkulten Kräften der makrokosmischen und mikrokosmischen Natur umzugehen. So erzeugt er etwa durch den Gesang formelhafter carmina einen warmen, lebendigen Atem, was ihn – in deutlicher Anspielung auf die göttliche inspiratio am sechsten Schöpfungstag – in die Lage versetzt, der toten Materie Leben einzuhauchen.24 Es handelt sich hierbei dem Wortlaut nach um incantatio; und somit um einen Akt von Zauberei.25 Ferner ist es dem magus vergönnt, sich über die Sphäre des irdischen Diesseits zu erheben. Hierzu vollzieht er, orientiert an der trichotomen Struktur der äußeren Welt, einen geistigen Aufstieg, wobei er sich zunächst über rituelle Handlungen die Influenz der Gestirne gefügig macht. Durch Introversion und Selbsterkenntnis gelangt er schließlich zu ekstatischen Erfahrungen: Von einer gleichsam göttlichen Perspektive aus gewinnt er Einsicht in den kosmischen Zusammenhang aller Einzelphänomene, was ihn dazu bemächtigt, den Lauf der Welt zu beherrschen und vorherzusagen.26 Für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass Hohenheim in jungen Jahren mit Trithemius in persönlichem Kontakt stand,27 könnte die Occulta philosophia die paracelsische Naturphilosophie mit beeinflusst haben: Der Sponheimer Abt hatte nämlich bereits 1510 eine Frühfassung dieses Werks aus den Händen Agrippas

24 Vgl. Kodera: Die gelehrte Magie der Renaissance, S. 369. 25 Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia. I.71, S. 92. 26 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 59  f. 27 So am nachhaltigsten vertreten von Kurt Goldammer: Paracelsus-Studien. Hg. vom Geschichtsverein für Kärnten im Landesmuseum in Klagenfurt. Kärnten 1954, S. 7–41, hier S. 27  ff. u. S. 35–40; ders.: Die bischöflichen Lehrer des Paracelsus. Zum Hohenheimschen Werde- und Bildungsgang. In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 37 (1953), H. 3/4. S. 234–245, hier S. 244  f.; vgl. weiterhin Noel L. Brann: Was Paracelsus a Disciple of Trithemius? In: The Sixteenth Century Journal 10 (1979), S.  71–82. Entschieden zurückge­ wiesen wird die Hypothese von der Lehrerschaft des Trithemius dagegen von Karl Sudhoff:­ Paracelsus. Ein deutsches Lebensbild aus den Tagen der Renaissance. Leipzig 1936  f. sowie von Charles Webster: Paracelsus and Demons: Science as a Synthesis of Poular Belief. In: Scienze, Credenze occulte. Livelli di cultura. Convegno Internazionale die Studi. Florenz 1982, S. 3–20, hier S. 3  f.

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 Suchtens Magie

empfangen.28 Als die Occulta philosophia im Jahr 1533 im Druck erschien, war die magia längst eine feste Größe im Denken Hohenheims. Indes setzte seine öffentliche Diffamierung als Schwarzmagier erst mit dem Auftreten von Paracelsisten wie Toxites, Bodenstein und Suchten ein, deren unverhohlenes Bekenntnis zur magia die Vertreter der Universitätsgelehrsamkeit hellhörig werden ließ. Hatte Gessner den Hohenheimer in seiner Bibliotheca universalis von 1545 noch als einen ungebildeten Hochstapler und Verächter der antiken Ärzte beschimpft, so bringt er in seinem bereits erwähnten Brief an Crato den Vorwurf der Schwarzmagie vor: Demnach war Paracelsus ein gottloser Mensch und ein Magier, der mit Dämonen paktierte. In der Folge hätten seine Schüler nicht davor zurückgeschreckt, sich eitler Astrologie, Geomantie, Nekromantie und anderen verbotenen Künsten hinzugeben. Die geistigen Wurzeln der paracelsischen Schule sieht Gessner bei den alten Druiden. Diese seien von Naturdämonen in magischen Handlungen unterwiesen worden. Diese Praktiken hätten wiederum in das Geheimwissen von Landfahrern, wie dem unlängst verstorbenen ‚Teufelsbündner‘ Johann Georg Faust, Eingang gefunden.29 Die allseits beschworenen magi ex oriente sind auch Luthers Bezugspunkt, indem er in seiner 1522 erschienenen Kirchenpostille zur Magie Stellung bezieht. Die christologische Dimension des biblischen Berichts von den drei Weisen interessiert den Wittenberger hierbei allerdings nur am Rande. Umso aufschlussreicher erweisen sich seine Ausführungen im Hinblick auf den paracelsischen Magie-Begriff. Zunächst stellt Luther klar, dass man – ungeachtet der biblischen Bezeichnung der Weisen als magi – unter dem Begriff „Magia“ gemeinhin eine „schwartze Kunst“ verstehe, „wie [sie] die Tartern oder Zigeuner pflegen“.30 Gleichwohl hält sich Luther mit einer Verurteilung der Magie zurück. Vielmehr assoziiert er sie mit dem vagen Begriff „physiologia“: „Denn natürliche Kunst, die

28 Vgl. Paola Zambelli: Die Magie als Alternativreligion. In: Diskurse in der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, Boston 2016, S. 347–367, hier S. 363; Hartmut Rudolph: Paracelsus’ Laientheologie in traditionsgeschichtlicher Sicht. In: Resultate und Desiderate der Paracelsus-Forschung. Hg. von dems. u. Peter Dilg. Stuttgart 1993 (Sudhoffs Archiv 31), S. 79–97, hier S. 83  f. 29 Brief Conrad Gessners an Johannes Crato vom 16.  August  1561. In: Epistolarum Medicinalium […] Libri III. Hg. von Caspar Wolf. Zürich 1577, f. 1v: „Theophrastus verò certè impius homo & magus fuit, & cum daemonibus communicavit […]. Astrologiam vanam, Geomantiam, Necromantiam, & huiusmodi artes prohibtas exercent. Equidem suspicor illos ex Druidarum reliquis esse, qui apud Celtas veteres in subterraneis locis a daemonibus aliquot annis erudiebantur […]. Ex illa schola prodierunt, quos vulgo scholasticos vagantes nominabant, inter quos Faustus quidam non ita pridem mortuus, mirè celebratur.“ 30 Martin Luther: Am Tage der heiligen drei Könige. In: Sämmtliche Schriften 12. Hg. von Johann Georg Walch. St. Louis 1882, Sp. 294–429, hier Sp. 297.

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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vorzeiten Magia hieß und jetzt physiologia, ist die, so man lernt der Natur Kräfte und Werk erkennen.“31 Dementsprechend bezeichnet die Magie ein diffuses, im Einzelnen schwer kategorisierbares Naturwissen.32 Für Luther ist dies jedoch kein Grund, die Magie unter die unverdächtigen artes einzureihen. Vielmehr begegnet er ihr mit einer gewissen Skepsis: Man müsse davon ausgehen, dass beim Umgang mit okkulten Naturkräften der Teufel seine Finger mit im Spiel habe. Gleichwohl aber assoziiert er die magia nicht grundsätzlich mit Hexerei oder Schadenzauber. Wer Magie betreibe, habe es nicht notwendig auf eine Dämonenbeschwörung oder gar einen Pakt mit dem Teufel abgesehen. Die Grundidee bei der Ausübung magischer Praktiken bestehe darin, mithilfe der geheimen Kräfte der Natur wahre Wundertaten zu vollbringen. Hierzu bedürfe es „natürlicher Vernunft“: [Die Magia] gehet durchs Teufels Geschäfte zu; doch nicht allerdings wie die Hexen und Zauberinnen thun. Denn Magus ahmt nach den rechten Propheten, aber doch nicht aus Gottes Geist; darum treffen sie zuweilen gleich zu; denn ihr Ding ist nicht lauter Teufelsding, wie der Hexen, sondern gemenget mit natürlicher Vernunft und Teufels Beistand. Desselbigen gleichen auch ihre Wunderthat ist auch nicht lauter Teufelsgespenst wie der Hexen Ding, sondern gemengt mit natürlichen Werken und Teufels Werken; darum ahmt ein Magus immer nach der rechten natürlichen Kunst.33

Die Kunst der magia ist also prinzipiell nicht wider die Natur, auch wenn sie Un­ ter­stützung vonseiten des Teufels in Kauf nimmt. Der Teufel ist zwar ein Gegner des schöpfungsimmanenten, göttlichen Heilsplans, sein Beistand kann aber in natürliche Werke miteinbezogen werden. Anders als die Schandtaten der Hexen, die sich als Vollstreckerinnen von „lauter Teufels Ding“ verstehen, können derartige Mischformen von „natürlichen Werken und Teufels Werken“ mitunter zum Guten gereichen. Doch Magie lässt sich, wie Luther im Folgenden darlegt, auch völlig frei vom Einfluss böser Mächte betreiben. Um eine solch arglose Art von Magie handelte es sich offenkundig bei der Weisheitslehre der magi ex oriente. Auffälligerweise entspricht Luthers Beschreibung der weisheits- und naturaffinen, von allem Bösen gereinigten Magie ziemlich genau dem Bild der paracelsischen magia naturalis:

31 Ebd., Sp. 299. 32 Den Begriff ‚physiologia‘ führte erst Jean François Fernel (1497–1558) in seiner 1554 erschienen Schrift Universa medicina in die frühneuzeitliche Heilkunde ein. Vgl. Wilbur Applebaum: Encyclopedia of the Scientific Revolution: From Copernicus to Newton. Routledge 2000, S. 344. 33 Martin Luther: Am Tage der heiligen drei Könige, Sp. 297.

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 Suchtens Magie

Denn es ist viel heimlicher Wirkung in der Natur; wer dieselbigen weiß anzubringen, der thut gleich Wunderdinge vor denen, die es nicht wissen; gleich wie die Alchymisten aus Kupfer Gold machen. Dieser heimlichen Erkenntniß der Natur hat Salomon durch den Geist GOttes viel gewußt […]. Diese Kunst ist eine feine und recht natürliche Kunst; daher kommen ist alles, was die Aerzte und ihres gleichen von Kräften der Kräuter, Früchte, Erz, Stein und dergleichen wissen, beschreiben und brauchen. Auch wird sie in der Schrift oft [her]angezogen, dass sie braucht Gleichniß der Thiere, Steine, Bäume und Kräuter &c. In derselben Kunst haben sich braucht [= geübt] fast sehr die Perser, Arabier und dieselbigen Morgenländer/ haben darin studirt und ist eine ehrliche Kunst gewesen, hat auch weise Leute gemacht.34

Eine altorientalische Kunst, die sich auf der salomonischen, über den Geist Gottes erwerbbaren Weisheit gründet und sich dem alchemisch-praktischen Umgang mit den geheimen Kräften der Natur widmet,35 ist genau die Art von Magie, die Paracelsus und seine Nachfolger in der magia naturalis zu erkennen glaubten. Wenn vor dem Hintergrund des biblischen Berichts von den magi ex oriente die einstige Existenz einer derart unbedenklichen und förderlichen Magie selbst unter allseits hochgeschätzten Theologen wie Luther außer Frage stand, schien nichts näher zu liegen, als dieser Kunst zu neuer Blüte zu verhelfen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Luther ein solches Unterfangen gutgeheißen hätte. Denn ihm zufolge ist die ehrbare Form von Magie inzwischen längst vom Teufel okkupiert worden. Für den Niedergang der altehrwürdigen magia macht der Wittenberger, in Übereinstimmung mit Suchtens Ausführungen in De tribus facultatibus, den ungebildeten Pöbel verantwortlich: Aber darnach sind drein gefallen die Säue und groben Köpfe, wie in allen Künsten und Lehren geschieht, haben zu weit aus der Straße gefahren und dieselbige edle Kunst vermischt mit Gaukeln und Zaubern, haben derselbigen Kunst wollen nachfolgen und gleich werden. Und da sie es nicht vermochten, haben sie die rechte Kunst fahren lassen, und sind Gaukler und Zauberer daraus worden, die durch Teufels Werk weissagen und wundern, doch zuweilen durch Natur, denn der Teufel hat solcher Kunst viel behalten und braucht ihrer zuweilen in den Magis. Daß jetzt Magus ein schmählicher Name worden ist und nicht mehr heißt, denn die also durch den bösen Geist weissagen und wundern, also doch, daß sie zuweilen treffen und helfen, darum daß der Natur Werk (die nicht lügen mag) mit untermischt wird, welches der böse Geist wohl kann.36

34 Ebd., Sp. 297  f. 35 Tatsächlich stand Luther der Alchemie positiv gegenüber; so schätzte er an ihr die Reinigung von Metallen und in Destillierung von Pflanzensäften. Vor allem aber erblickte er in ihr ein ‚sehr schönes Gleichnis‘ („allegoriam pulcherrimam“) für die Auferstehung der Toten am jüngsten Tag. Hierbei werde der Geist („spiritus“) auf die gleiche Weise gereinigt und vom Körper abgelöst, wie die Materie durch das Feuer von allen stofflichen Verunreinigungen befreit werde (vgl. Tischreden. In: WA 1, S. 566,1–17). 36 Martin Luther: Am Tage der heiligen drei Könige, Sp. 298.

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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Nach Luther ist die Magie also desto anfälliger für den Teufel, je unprofessioneller und heuchlerischer sie betrieben wird. Auch in dieser Auffassung befindet er sich in geistiger Nähe zu Paracelsus, der die Transmutationskünstler, die mit der Alchemie bloße Effekthascherei betrieben, zwar nicht als Teufels­beschwörer, zumindest aber als gottlose Scharlatane inkriminierte. Aus seiner Sicht mussten die Geheimnisse der Schöpfung den Vertretern der traditionellen Alchemie verborgen bleiben, zumal diese nicht am Licht der Natur partizipierten. Allein der von jenem ‚wahren‘ Licht erfüllte Adept vermochte das trügerische Licht der gefallenen Schöpfung zu überwinden, auf dass sich ihm das Antlitz Gottes innerhalb der nunmehr paradiesischen Natur zu erkennen gebe.37 Während nun aber Paracelsus und Suchten die mystische Metapher des ‚wahren Lichts‘, die sie etwa in der Theologia Deutsch auffinden konnten, zur Konzipierung ihres lumen naturale euphorisch aufgriffen, scheint Luther darum bemüht, das dort gleichfalls erwähnte, falsche Licht gegen die Magie ins Feld zu führen. Wenn es in der Theologia Deutsch heißt, dass die betrügerische Natur für sich genommen dem Teufel angehört,38 so folgt Luther dieser Lehrmeinung insofern, als er dem unter dem Begriff „magia“, beziehungsweise „physiologia“ verbuchten Naturwissen eine Anfälligkeit für den Einfluss des Teufels bescheinigt. Zwar räumt Luther ein, dass Salomo und die magi ex oriente sich mit einer von allem Bösen befreiten Naturmagie befasst hätten. Diese „edle kunst“ sei jedoch längst von den Gauklern und Zauberern korrumpiert worden. Luther verleiht der Magie also den Ruch eines höchst prekären Wissens.39 Dass der Wittenberger Theologieprofessor die Verfügbarkeit einer seligmachenden Magie bestreitet, dürfte nicht allzu sehr überraschen: Vor dem Hintergrund seiner Glaubenslehre, wonach die sündenbelastete Kreatur durch den Kreuzestod Christi gerechtfertigt wird, ist es allein der Glaube an das Bibelwort, über den der Mensch seine Heilsgewissheit und die darin wirksame Gnade bezieht. Hierbei ist entscheidend, dass Christus sich dem Gläubigen nur in seiner Rolle deus crucifixus offenbart. Eine unmittelbare Erfahrung des deus gloriosus bleibt dem Menschen zu Lebzeiten versagt. Dieser Grundsatz ist wiederum mit dem Konzept einer inneren Teilhabe am ‚wahren Licht‘ unvereinbar, zumal die lux vera (Joh 1,9) aus logostheologischer Sicht mit dem nichtmenschlichen, überzeitlichen Wesen Christi wesensgleich ist. Indem Luther nun aber dem Glauben gegenüber der unmittelbaren Erfahrung der Gottnatur des

37 Vgl. Kap. 6, S. 227, Anm. 99. 38 Vgl. ebd., S. 224, Anm. 89. 39 Zum Begriff „prekäres Wissen“ s. die gleichnamige Monographie von Martin Mulsow (Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit. Berlin 2012).

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 Suchtens Magie

Erlösers den Vorzug gibt, ist er genötigt, die Erfahrbarkeit des ‚wahren Lichts‘ und in der Folge auch die Verfügbarkeit einer gottgewollten Magie zu bestreiten. Sofern ­physiologisch-magische Praktiken dennoch bisweilen positive Resultate erzielten, so ist dies aus seiner Sicht allein den ureigenen Kräften der Natur zuzuschreiben, derer sich der Teufel bisweilen bediene. Unter die von Luther verfemten „geuckler vnd zeuberer“ sind demnach auch Paracelsus und seine geistigen Erben zu rechnen. Tatsächlich hatte Suchten schon früh mit dem Vorwurf zu kämpfen, Dämonenbeschwörung zu betreiben. So bezichtigte ihn Gasser in seiner gegen die Propositiones gerichteten Streitschrift des Umgangs mit „Demoniacis artibus“.40 Möglicherweise hatte Gasser ihn schon früher auf derlei Weise angegriffen. Dies zumindest macht ein auf den 2.  Juli 1561 datierter Brief Suchtens an Herzog Albrecht wahrscheinlich. Vorderhand geht es hier um die Kurpfuscherei der Schulmediziner: Letztere hätten den kranken Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg nicht zu heilen vermocht, was schließlich einem alten Weiblein gelungen sei. Ferner berichtet der Danziger, dass dieselben Ärzte, die damals den siechen Fürsten berieten – zu denen nachweislich auch Gasser gehörte –,41 ihn nun als einen Teufelsbündner diffamierten. Dagegen wolle er sich zukünftig mit apologetischen Schriften zur Wehr setzen: Was nehmen E[uer] F[ürstliche] G[naden] gutts darauß, das sie den fürsten E[uer] F[ürstliche] G[naden] onklen herzog von Meklenburgk so schändlich vorwahrloset, den doch ein alt weib hat helffen konnen? Ich het billich von diesen Dingen viell zu schreiben, aber will es bleiben lassen, bis die bücher so derhalben vorhanden in drugk kummen, darin ich der lugen so obgemldt vnd andern mehr, so sie mir als ein teufelsbanner zumessen, mich entschuldige [= von Schuld freispreche].42

Es ist unklar, auf welche Bücher sich Suchten hier bezieht. Soweit bekannt, verteidigte er sich ansonsten einzig in seiner Elegie an Karl Rauchenberg gegen den Vorwurf der Dämonenbeschwörung. Tatsächlich stand dieser Vorwurf auch noch sechs Jahre später im Raum, denn Gessner polemisiert, da er die Antitheses ­Stenglins und das Iudicium Gassers im Frühjahr 1564 an Suchten weiterleitete, in seinem Begleitschreiben nicht mehr gegen Suchtens spiritualistische Christologie, sondern gegen dessen vermeintliches Bekenntnis zu einer magia daemoniaca. Dies ist bemerkenswert, denn die magia hatte in den Propositiones überhaupt keine Erwähnung gefunden. Offenbar kursierten diese schon früh im Verbund mit

40 Achilles Pirmin Gasser: Iudicium et censura […]. In: Cod. Pal. Lat. Nr. 1892, f. 260v. 41 Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 561. 42 Zitiert nach ebd., S. 554  f.

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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anderen Schriftstücken aus Suchtens Feder, welche den Zusammenhang mit der magia herstellten. Zu denken wäre hierbei an die Fusior declaratio pro imperitio­ ribus, die der Danziger offenbar zeitgleich zu den Propositiones (um 1560) oder wenig später verfasste. Hier kommt er auf eine geheimnisvolle „terra Rubea vel Adamica“ zu sprechen,43 ohne welche die „naturalis Magia“ nicht zu ihrem Ziel gelangen könne.44 Ferner bezeichnet Suchten sich in seiner bald nach Quid sit nihil (1561) entstandenen Elegie De visione Dei als einen ‚verrückten Magus‘. Als ein solcher sei er am Wilnaer Königshof geschmäht worden.45 Von Magie ist aber auch im Vorspann von Suchtens Elegie De vera medicina die Rede. Dieser war in Flöters Paracelsus-Edition von 1567 allerdings noch nicht enthalten.46 Sofern er dennoch schon vor 1564 existierte, hätte Gessner von der noch ungedruckten Elegie Kenntnis gehabt. Dortselbst heißt es: Die Heilkunst, durch die Podaleirios, Machaon, Apollo und Hippokrates zu Ruhm gelangt sind, hat man nicht aus den Werken Galens, Avicennas, Mesues oder anderer windiger Schreiberlinge zu schöpfen, sondern aus der Magia. Wer diese recht verstanden hat, der erst wird alle Krankheiten heilen können, die, ehe der Tod eintritt, eine Behandlung zulassen. Die Magia beruht auf drei Büchern: erstens der Theologie, zweitens der Medizin und drittens der Astronomie. Durch sie erkennt und verehrt der Magus die Dreieinigkeit, auch lässt er den armen Menschen mit seinem Können, das ihm Gott selbst verliehen hat, Hilfe angedeihen. Alle anderen Theologen, Astronomen oder Mediziner, die mit ihren Werken nicht einlösen, was sie behaupten, vertreten eine ‚Kako-Magie‘ und sind Pseudo-Propheten. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.47

43 Chymische Schrifften. Fusior […] declaratio pro imperitioribus, S. 485. Möglicherweise handelt es sich hierbei um den sulphur philosophorum, auf den Suchten in seiner Antimonschrift zu sprechen kommt (vgl. Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 252  f.). 44 Ebd., S. 485: „Unicum subjectum omnis mirabilitatis, quae in coelis & in terris est, sine qua neque Alchemia, Medicina, neque naturalis Magia suum completum possunt ostendere finem, atque sit prima & ultima, omnium Creaturum [sic] maxima, à pluribus communiter terra Rubea, vel Adamica appellata.“ 45 Ad Paulum Scaligerum. De visione Dei, S.  45: „Quaeris ab insano scripta carmina scripta mago? / Scilicet hoc tribuit nobis septentrio nomen, / Unde nihil perhibet fama venire boni.“ 46 Vgl. Paracelsus: Medici libelli. Hg. von Balthasar Flöter. Arnold Byrckmanns Erben, Köln 1567, f. iijv–ivv. Der besagte Vorspann fehlt auch im zweiten Band der 1575 publizierten, von Georg Forberger ins Lateinische übertragenen Paracelsus-Werkausgabe, vgl. Paracelsus: […] Operum latine editorum tomus I.[–II.], iiijr–5r. Carlos Gilly führt dies darauf zurück, dass der Drucker dieser Ausgabe, Pietro Perna (Basel), sich aufgrund seines Antitrinitarismus gegen die Aufnahme des Vorspanns entschied (Zwischen Erfahrung und Spekulation, Tl. 1, S. 76). 47 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 458: „Medicandi Scientia qua Podalirius[,] Machaon[,] Apollo & Hippocrates claruerunt non ex Galleno [sic], Avicenna, Mesue, caeterisque hujus farinae scriptoribus petenda est, sed ex Magia; quam qui rectè perpecerit, is demum curabit omnes, qui curam prae morte admittunt aegritudines: habet autem Magia libros 3. 1.

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 Suchtens Magie

Gleichviel, welches der genannten Schriftstücke Gessner zu Gesicht bekam: Ein ärztliches Wissen, das sich als „Magia“ ausgibt, war in seinen Augen mit dem Ethos eines rechtschaffenden medicus unvereinbar. Indes war Gessner der paracelsischen Chemiatrie nicht völlig abgeneigt. Er führte sogar, wenngleich mit mäßigem Erfolg, selbst chemische Experimente durch und hatte großes Interesse daran, dass die jüngsten Errungenschaften auf dem Gebiet der chymia an das Licht der Öffentlichkeit kamen.48 Indem nun aber Paracelsus-Jünger und vermeintliche Arianer wie Suchten ihre medizinische Lehre als ‚magisch‘ bezeichneten, bestand für ihn der Verdacht, dass ihre alche­ mia medica dämonische Mächte in Anspruch nehme. Nur so lässt sich erklären, dass Gessner sich genötigt sah, dem Danziger eine Beschäftigung mit der verbotenen Kunst der Nekromantie auszureden: Zürich, 8. Februar 1564 Unnachahmlicher, berüchtigter Johannes [sic] von Suchten, sei es, dass Du am polnischen Königshof oder sonst wo Deinem ärztlichen Treiben nachgehst: Hiermit sende ich Deine Thesen zusammen mit den Antithesen und einer Zensur zweier ausgewiesener Augsburger Ärzte, wie von diesen erbeten, an Dich zurück. Es tut mir in der Seele weh, mitanzusehen, wie Du und Deinesgleichen mit der Medizin Schindluder treibt – und dies auf derart erbärmliche Weise, dass ihr es wagt, sie nach dem Vorbild eures Theophrastus mit Magie, Nekromantie und ähnlichem Gift sowie mit gottlosen Betrügereien in Verbindung zu bringen: Dies ist nicht nur eines Christen, sondern überhaupt eines jeden Menschen unwürdig. Über den Charakter und den Lebenswandel eures Lehrers, der bei mir ganz in der Nähe geboren wurde, weiß ich nur allzu gut Bescheid. Inzwischen will ich gar nicht in Abrede stellen, dass dieser viele gute und – gerade auf dem Gebiet der Heilkunst – vorzügliche Rezepte kannte. Du aber leb wohl und komm zur Vernunft! PS.: Falls Du die Nekromantie oder ähnliche Dinge weiterhin verteidigst, sehe ich keinen Grund, weshalb Du mir oder den erwähnten Augsburgern zurückschreiben solltest. Auch werden wir uns nicht dazu herablassen, Dir zu antworten, es sei denn, Gott habe Deinen Sinn zum Besseren gewendet. Du kannst Deine Rückschrift an den Apotheker Paul Olinger nach Nürnberg schicken.49

Theologiam, 2. Medicinam, & 3 Astronomiam. Unde Magus Trinitatem in unitate cognoscit & et veneratur, impertitque potestatem quam accepit à Deo miseris mortalibus: Caeteri autem sive Theologi, sive Astronomi, sive Medici, qui operibus id, quod ore profitentur, non praestant, CacoMagi & Pseudo-Prophetae sunt. Ex fructibus eorum cognoscetis eos.“ (Übers. S. B). 48 Bruce T. Moran: Andreas Libavius and the Transformation of Alchemy. Separating Chemical Cultures with Polemical Fire. Sagamore Beach, Michigan 2007, S. 202. 49 Brief Conrad Gessners an Alexander von Suchten vom 8. Februar 1564. Gdańsk, Biblioteka Gdańska Polskiej Akademii Nauk, Ms. Nr. 2318: „Singulari et famoso viro Ioanni de Suchten medicum agenti in Polonia in aula regis vel ubicum est. Mitto ad te theses tuas cum antithesibus et censura duorum Augustae medicorum excellentium, quod illi ut facerem a me petiverunt. Mihi quidem dolet artem medicam tam misere prostitui, ut Magiam, Necromantiam et huius modi

Einordnung des paracelsistischen Magie-Begriffs 

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Indem Gessner vorgibt, mit dem „Charakter und den Lebenswandel“ Hohenheims vertraut zu sein, hat er den berühmten, vielleicht 1555 verfassten Brief des Basler Verlegers Johannes Oporinus (1507–1568) vor Augen,50 in welchem dieser dem Arzt Johann Weyer (um  1515–1588) von seinem einstigen Zusammenleben mit Paracelsus berichtet.51 Oporinus, der dem Hohenheimer ab 1527 für mehrere Monate als Famulus diente, zeichnet in diesem Brief von seinem Lehrer das Bild eines gottlosen Prassers und Trunkenbolds, der gleichwohl auf dem Gebiet der Medizin wahre Wunder zu vollbringen wusste. Auch wenn Oporinus das Wort ‚Magie‘ hier nicht erwähnt, so deutet er doch an, dass Paracelsus mit geheimen Mächten paktiert haben könnte: Trotz des ausschweifenden Lebensstils seines Lehrers sei dessen Geldbeutel stets gut gefüllt gewesen. Da Gessner durch Weyer über den Inhalt des Briefes informiert war, dürfte Suchtens Bekenntnis zur magia bei ihm die Erinnerung an Oporinus’ Bericht vom Schwarzkünstler Paracelsus wachgerufen haben, sodass für ihn nunmehr außer Frage stand, dass die Paracelsisten allesamt der Dämonenbeschwörung nachgingen. Tatsächlich ließ Suchten es sich nicht nehmen, auf Gessners Brief zu antworten, wenngleich er dies nicht auf brieflichem Wege tat. Seine Rechtfertigung erfolgte vielmehr über eine nachträglich eingefügte Interlinearglosse zu seiner Elegie De vera medicina. Der Wortlaut dieser Glosse, in der Suchten dem Vorwurf des Dämonenpakts entgegentritt, ist als Beigabe zu De secretis antimonij (1570) sowie durch die Gesamtausgabe (1680) überliefert:

non Christiano solum sed plane homine indignas et impias imposturas, tale et simile toxicum ea iungere audeatis Theophrasti exemplo. Cuius nos mores et vita in vicinia nostra nati optime novimus. Interim quidem multa bona et in arte medendi praeclara illum calluisse non negarim. Vale et resipisce. Tiguri Helvetiorum 1564 Febr. die 8. Necromantiam et similes artes si pergis defendere non est quod vel mihi vel Augustanis illis rescribas neque respondere te dignabimur, sin Deus meliorem mentem tibi dederit. Norimbergam literas tuas ad Paulum Olingerum destinare poteris.“ (Übers. S. B.). 50 Carlos Gilly setzt gegen Karl Sudhoff, der den Brief auf 1555 datiert (Paracelsus. Ein deutsches Lebensbild, S. 46), die Zeit um 1565 für die Entstehung des Briefes an (Zwischen Erfahrung und Spekulation, Tl. 1, S. 94). Er begründet diese Datierung u.  a. damit, dass Weyer in seinem Werk De praestigiis daemonum (1563, 1564 u.  ö.) besagten Brief nicht erwähnt. Da Gessner in seinem Brief an Suchten ein Wissen um Hohenheims „mores et vita“ behauptet, kann man von einem Entstehungszeitpunkt vor 1564 ausgehen. 51 Vgl. Udo Benzenhöfer: Zum Brief des Johannes Oporinus über Paracelsus. Die bislang älteste bekannte Briefüberlieferung in einer ‚Oratio‘ von Gervasius Marstaller. In: Sudhoffs Archiv 73 (1989), S. 55–63; Sepp Domandl: Paracelsus, Weyrer, Oporin. Die Hintergründe des Pamphlets von 1555. In: Paracelsus. Werk und Wirkung. Festgabe für Kurt Goldammer. Hg. von dems. Wien 1975 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 13), S. 53–70.

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 Suchtens Magie

Ebenso wie es nicht drei Götter, sondern nur einen Gott gibt, so gibt es nicht drei Weis­ heits­lehren, sondern nur eine Weisheitslehre, die in einer Dreiheit besteht. Diese nannten die Alten ‚Magia‘. Demzufolge ist nicht derjenige als ein Magus zu bezeichnen, der sich mit Dämonenbeschwörung beschäftigt – dies ist uns streng verboten! –, sondern derjenige, der sich auf die beste Weise in der Theologie, der Astronomie und in der Medizin auskennt. Ein solcher war Theophrastus, doch es gehörten auch jene dazu, die der Stern zu Christus, dem Sohn Gottes, unserem Erlöser führte: Darüber an anderer Stelle mehr.52

Der letzte Satz lässt sich möglicherweise als Ankündigung von De tribus faculta­ tibus verstehen. Mit seiner Erwähnung der magi ex oriente gibt Suchten bereits einen Hinweis darauf, dass es sich bei der magia um eine wenngleich nicht astrologische, so doch um eine hermeneutische Kunst handelt. Dem entspricht die Definition, die sich im zweiten Band von Toxites’ Onomastica (1574) unter dem Lemma „Magia“ findet: Magia ist eine Persisch wort/ vnd heißt nichts anders/ dann weißheit/ ist aber zweierlei/ ein natrliche/ warhaffte/ vnd von Gott gegebne kunst/ daher die/ so mit vmbgehen/ Magi/ das ist die weisen geheissen werden/ wie die warn/ so z Christo gen Bethlehem kamen/ welche der himlischen/ jrdischen/ vnd vbernatrlichen ding erkantnuß haben/ die ander Magia ist abgttisch/ von der Christlichen kirchen verdampt/ vnnd verbotten/ steht aller dings im Mißbrauch/ vnd die so damit vmbgehn/ werden Schwartz knstler genent/ welche sich mit den Teuflen verbinden/ vnnd dem menschen mit jrer falschen kunst vnnd bsen wercken schaden thn/ die gehren dem feür z/ liß das Bch Theophrasti/ von Astronomia magna.53

Als eine „natrliche/ warhaffte/ vnd von Gott gegebne kunst“ ist die paracelsi­sti­ sche Form von Magie identisch mit der göttlichen Weisheit, die sich aus der makrokosmischen Natur ablesen lässt. Dem entspricht auch die Magie-Definition des Dialogus Alexandri, wonach die „Magia keine Zauberei/ sondern die allergrßte Weißheit Gttlicher Werck ist/ und eine Erkennerin verborgener Natur.“54 Die

52 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 460: „Sicut non sunt tres Dii, sed unus Deus tan­ tum: Ita non sunt tres scientiae, sed una tantum in Trinitate consistens: Quam veteres Magiam appellarunt. Inde Magus dicitur, non qui cum Daemonibus negotium habet: Quod nobis plane interdictum est; sed qui Theologiam, Astronomiam, & Medicinam perfecte cognovit: Talis Theophrastus fuit, tales etiam illi fuere, quos stella ad Christum Dei Filium Servatorem nostrum deduxit: Qua de re alias prolixius.“ (Übers. S. B.). 53 Michael Toxites: Onomastica II: I. Philosophicum, medicum, synonymum ex varijs vulgaribusque linguis. II. Theophrasti Paracelsi, hoc est, earum vocum, quarum in scriptis eius solet usus esse, explicatio. Bernhard Jobin, Straßburg 1574 (im Folgenden: Toxites: Onomastica II), S. 459  f. 54 Chymische Schrifften. Dialogus Alexandri, S. 346.

Trichotomien 

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Annahme, die Paracelsisten hätten mit Nekromantie oder ähnlichen Beschwörungspraktiken sympathisiert, ist daher völlig abwegig. Indes stand die theoretische Möglichkeit des Dämonenpakts für überzeugte Anhänger der paracelsischen Lehre außer Frage. Wenn magia sich darüber definiert, dass sie ihre Verehrer dazu befähigt, sich allerhand okkulte, nicht-menschliche Kräfte gefügig machen, so konnten diese Kräfte auch dem Teufel angehören. Indem Toxites im Kontext mit der „falschen kunst“ und den „bsen wercken“ auf die Astronomia magna verweist, hat er offenbar Hohenheims Ausführungen über die „nigromantia“ – eine verbotene Spielart der Magie – vor Augen. Wenngleich Paracelsus die „teufelsbeschwerer“ an gleicher Stelle verurteilt,55 zeigt dies doch, dass der Übergang von der Kunst der magi ex oriente hin zur Nigromantie offenbar ein fließender ist: Ebenso wie es dem Menschen möglich ist, das Christusleben an sich zu nehmen, ist es ihm unbenommen, sich auf einen Pakt mit dem Teufel einzulassen.56

7.2 Trichotomien Nach Suchten markiert der Eintritt von Gottes ‚magischer‘ Weisheit in das urzeitliche Diesseits den Beginn einer Gnadenzeit: Die gefallene Menschheit wurde dereinst durch Vermittlung der gottgesandten magi wieder in die Huld des Schöpfers aufgenommen. Damit brach ein goldenes Zeitalter an.57 Einen solchen historischen Höhe- und Wendepunkt erblickt Suchten auch in seiner frühneuzeitlichen Gegenwart, da der „hochselige Eremita & sophorum Monarcha Theophrastus Paracelsus Magus“, als der Hohenheim später bezeichnet werden sollte,58 erst kürzlich als Vorbote des Elias Artista und als ein gottgesandter Verkünder der magia aufgetreten war.59 Nun, da die letzten Tage der Menschheit angebrochen waren, musste die magische Lehre mehr denn je gegen alle Widerstände verteidigt werden. Suchtens Schilderung des Idylls der segensreichen Urzeit liest sich

55 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 141. 56 Zu Recht weist Heinz Schott darauf hin, dass „[d]ie Abgrenzung gegenüber der religiösen und dämonologischen Heilkunde […] nicht trennscharf“ ist (Paracelsus und die Magie der Natur. In: Religion und Gesundheit im 16. Jahrhundert. Hg. von Albrecht Classen. Berlin, New York 2011, S. 99–112, hier S. 110). 57 Vgl. Priesner: Die Wirklichkeit des Okkulten, S. 322. 58 So von Adam Haslmayr: Kurze Responsion. In: Fama Fraternitatis Oder Entdeckung der Bru­ der­schafft deß löblichen ordens desß RosenCreutzes […]. Johann Bringer, Frankfurt a. M. 1615, S. 83–101, hier S. 89. 59 Vgl. Kap. 7.7.5, S. 360  ff.

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 Suchtens Magie

daher wie ein Heilsversprechen, das spätestens mit der Rückkehr des Elias Artista eingelöst werde. Womöglich würden dann auch die verlorenen Bücher der magia wieder an den Tag kommen. Mit diesen habe der Stammvater der Magi, der urzeitliche Adamssohn, das goldene Zeitalter der Menschheit eingeläutet: Also war er bey dem Volck hoch erhaben/ nicht umb seines Geschwtzes willen/ sondern umb der Wolthat/ so er dem Volck erzeigete/ darumb fand er auch Steg und Weg wie die Gttliche Erknntniß seine Nachkmlinge erfahren und lernen mchten: Schreibt derhalben drey Bcher: Im ersten tractirt er von Gott dem Vatter und dem Sohne/ und dem H. Geiste: Im andern vom Himmel und seinen Astris: Im dritten von Krafft der Dingen so aus auß der Erden wachsen/ das ist: THEOLOGIAM, ASTRONOMIAM, MEDICINAM.60

Damit sind die facultates, die für den Traktat titelgebend sind, genannt. Die Dreiteilung der magia in medicina, astronomia und theologia harmoniert – wie sich aus Suchtens Ausführungen ergibt – mit den Trichotomien, durch die sich kleine und große Welt auszeichnen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb der Traktat die bedeutenden Fakultäten von Jurisprudenz und Philosophie ausklammert. Bei Theologie, Astronomie und Medizin handelt es sich um Disziplinen, die in der paracelsischen Lehre fest verankert sind. Allerdings treten sie erst bei Suchten als Sektionen der magia auf. Khunrath zeigt sich offenkundig von Suchtens Magie-Begriff inspiriert, wenn er in seinem Amphitheatrum an einer Stelle davon spricht, dass die „vera sapientia“ dreieinig sei und „theologia“, „medicina“ und „astronomia“ in sich beschließe. Diese Trias umfasse das Wissen um die göttlichen Geheimnisse sowie politische Voraussicht und Naturerkenntnis. Letztere definiere sich über die Einsicht in die Ordnung, Herkunft und Bewandtnis aller himmlischen und die irdischen Kräfte. In diesen spiegelten sich die Allmacht, Barmherzigkeit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit Gottes wider.61 Die „Mageia“ aber, die Khunrath im Verbund mit „Alchemia“ und „Cabala“ aufführt, sei die Kunst der uralten Weisen, die kulturübergreifend und von Anbeginn der Welt existiert hätte.62 Als Teildisziplinen der „Mageia“ führt er die „Physicomageia“ und die „Hyperphysicomageia“ auf.63 Erstere beschreibe die Kunst,

60 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 366. 61 Vgl. Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 55: „Est enim vera sapientia tertriuna, complectens Theologiam, Medicinam, Astronomiam […]; Divinorum mysteriorum cognitionem; politicae administrationis & gubernationis prudentiam; totiusque Naturae rerum ordinem, causas, affectus, caelestium virtutes, & terrestrium vires: ex quibus mirificè emicat Creatoris Omnipotentia, Sapientia, Misericordia, Veritas, Iustitia & Iudicium.“ 62 Ebd., S. 145. 63 Ebd.

Trichotomien 

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im naturweisen Umgang mit der Schöpfung wundersame Werke zu vollbringen, letztere das Vermögen, mit den Engeln Gottes in Korrespondenz zu treten.64 Der beflissenste Theoretiker des paracelsistischen Dreiheitstheorems ist ohne Frage Gerhard Dorn. Er stützt sich hierbei auf die Terminologie vom unarius, bina­ rius und ternarius, die er dem magisch-spiritualistischen Werk des Trithemius entlehnte.65 Dorns zentrale These ist, „daß die gantze Welt der heiligen dreyfachen zahl/ Ordnung vnd maß nach/ durch die Vnitet geschaffen vnd gemacht ist.“ Der unarius, den Dorn auch als unitas bezeichnet, „ist [die] Einige zahl/ ist kein zahl/ Sonder ein Band der Einigkeit.“66 Dorn folgt hiermit der neuplatonischen Maxime, wonach das Vielzählige dem geschöpflichen, die Einzahl hingegen, als ontologische Bedingung der Vielzahl, dem göttlichen Bereich angehört. Das Prinzip der Spaltung und Vermehrung tritt erst in Gestalt des binarius auf den Plan: Binarius numerus/ das ist die zwiefache zahl/ ein vrsprung vnd Bronquel der vneinigkeit/ ist die erste zahl/ dann durch Annehmung der Materi hat sich solchs von der Vnitet abgeschbelt/ kan auch widerumb mit der Vnitet keins wegs vereinbart werden/ Als durch das unauflsliche Bandt/ so die Vnitet vnd Einigs ist.67

Die Einzahl definiert also sich einmal über sich selbst, ein weiteres Mal über ihre Differenz zur Zweizahl, und schließlich als ein vereinigendes Band, das ebendiese Differenz in der Dreizahl auflöst.68 Der unarius überwindet den binarius durch den ternarius: „Derowegen so zwingt der Vnarius oder Vnitet/ den Binarium/ das ist zweyte zahl (oder Eins vnd Eins) durch die Einfache Simplicitet in ein Ternarium/ das ist Dreyfaches/ gibt jhn [sic] das Leben/ vnd erhelts durch ein vnaufflßliches Bandt […].“69 Im Verlauf des Werks kontextualisiert Dorn den ternarius mit der Dreizahl von mineralia, vegetabilia und animalia sowie mit der anthropologischen Dreiteilung in Körper, Seele und Geist.70 Letztere bringt er auf

64 Zu Khunraths Magie-Verständnis s. Forshaw: Curious Knowledge and Wonder-working Wisdom, S. 107–129 sowie Neumann: Natura sagax, S. 131–134. 65 Didier Kahn: Les débuts de Gérard Dorn d’apres le manuscrit autographe de sa „Clavis totius Philosophiae Chymisticae“ (1565). In: Analecta Paracelsica. Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit. Bd. 4. Hg. von Joachim Telle. Stuttgart 1994, S. 59–129, hier S. 95  ff. 66 Dorn: Schlüssel der chimistischen philosophy, S. 22. 67 Ebd. 68 Vgl. hierzu Schmidt-Biggemann: Geschichte der Christlichen Kabbala. Bd. 1, S. 11; ders.: Philosophia perennis, S. 69–73. 69 Dorn: Schlüssel der chimistischen philosophy, S. 23. 70 Ebd., S. 24: „DRey/ auß welchen frnemlich solche bestehet/ Mineralische/ Nemblichen Vegetabilische vnd Animalische/ vnd ausserhalb diesen dreyen mag nichts in dieser Welt (so durch die Sinn zubegreyffen) gefunden werden.“; ferner S.  397  f.: „Der Mensch ist Natrlicher weiß

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eigentümliche Weise mit den vier Elementen in Verbindung. Hierzu konstruiert er zwischen der grobstofflichen Erde der untersten und dem göttlich-lebendigen Feuer der obersten Sphäre ein Spannungsverhältnis, das er mit den Extrema von Körper und Geist ins Verhältnis setzt. Den Begriff der Seele aber assoziiert er mit einer mittleren, von Wasser und Luft erfüllten Sphäre, die sich unschwer mit der neblig-trüben quinta essentia des Makrokosmos identifizieren lässt. Der Trichotomie von Körper, Geist und einigendem Bindeglied entspricht in De tribus facultatibus die Rede von Erde, Weltgeist und innerem Himmel. Es wurde bereits gezeigt, dass diese drei Entitäten in Gestalt von Adamserde, Geist und Merkurialwasser im Rahmen des urzeitlichen Scheideprozesses als anthropologische Konstituenten wiederkehren. Als solche werden die drei Extrakte nun mit den drei magischen Fakultäten von medicina, astronomia und theologia ins Verhältnis gesetzt: Durch die Theologiam, lehret und beschreibet er die Mittler Substantz, so unter den dreyen ist/ id est, den Geist deß HErren. Durch die Astronomiam, das Wasser/ darob der Geist deß HErrn schwebete. Durch die Medicinam die dritte Substantz, id est, Terram. Daß zu gleicher weiß/ wie das Wasser und Erden/ davon hie Meldung gethan wird/ durch den Geist deß HErrn verknpffet und ein Ding war; Also auch Astronomia und Medicina durch Theologiam vereiniget eins war/ h. e. drey eines Wesens. Dann solt er uns das recht lehren/ must er die drey Substantz in ein Stck begreiffen/ also theilen was in einem war/ lauter und klar anzeigen.71

Ebenso, wie der urzeitliche Scheidekünstler die Adamserde und das Merkurialwasser „durch den Geist des HErrn verknpffet“ vorfand, so seien auch medicina und astronomia vermittels der theologia „vereiniget eins“. Die Analogie, die hiermit zwischen den alchemischen Extrakten des Eisenvitriols und den drei Fakultäten behauptet wird, lässt sich erweitern, wenn man hierzu die jeweiligen Sphären von Suchtens Kosmologie heranzieht. Demnach steht der Geist des Herrn, dem sich die theologia widmet, für das Empyreum. Das kristalline Merkurial­wasser bildet, allemal als Gegenstand der astronomia, die feuchte Grundsubstanz des gestirnten Himmels. Die Erde bringt Pflanzen und Minerale hervor, die den Vertretern der medicina zur Produktion von Arzneimitteln dienen. Eins/ vnd wirdt nicht gezehlt/ vber Natrlicher weiß aber wirdt er in zwey getheilt vnd gezalt/ als in Leib und Geist oder Seel/ so den Binarium in jhm machen. Wegen des falls aber vnd ersten Corruption/ so uberwltiget der Leib den Geist/ daher dann kompt/ daß der Geist nichts trefflichs/ noch wunderthtigs wrcken kan. Soll er nuhn aber etwas inn diesem leben der gestalt außrichten/ muß der Binarius durch den Ternarius gedempt werden/ Das ist der Leib zu des Geistes Natur gebracht werden/ vnd der Geist mit dem Fleisch also conjugiert werden/ das er inn Eins/ vnnd inn gutem frieden leben mge.“ 71 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 366  f.

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Indes referiert Suchten mit den aufgeführten drei Fakultäten der magia nicht primär auf die große Welt, sondern vor allem auf den Menschen. Das Pensum der magischen Disziplinen von medicina, astronomia und theologia richtet sich darauf, Einblick in die geistige Konstitution des Menschen zu erlangen. Suchtens magia kann somit auch als ein Mittel zur Selbstverständigung verstanden werden. Sie berührt damit eine Thematik, die in der Literatur der Reformationszeit aufgrund der gewandelten Frömmigkeitspraxis und der tiefgreifenden Prozesse des Umbruchs und der Neuorientierung auf sozialer, religiöser und geistig-kultureller Ebene außerordentlich präsent ist.72 Das Theorem der Selbstverständigung tritt dabei in verschiedenen Kontexten auf, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass seine Tradition bis in die Frühantike zurückreicht. Ab dem fünften Jahrhundert nach Christus waren es vornehmlich neuplatonisch gefärbte Konzeptionen, die sich unter reger Zitierung der Formel gnothi seauton, beziehungsweise nosce teipsum, den Aufruf der Selbsterkenntnis zu eigen machten.73 Im Mittelalter begegnet man diesem Aufruf in den theologischen Schriften Petrus Abaelards, Bernhards von Clairvaux und der Victoriner, aber auch in der sogenannten Deutschen Mystik,74 so etwa in der Theologia Deutsch oder in der Rede der underschei­ dunge Meister Eckharts. Vor dem Hintergrund, dass das Seeleninnerste – nach Eckhart der „grunde der sêle“ – das wahre Selbst des Menschen ausmacht und darüber hinaus gottgleich, zumindest aber göttlichen Ursprungs ist, geht Selbsterkenntnis stets zugleich mit Gotteserkenntnis einher – und umgekehrt. Valentin Weigel bringt die Konsequenzen, die sich hieraus ergeben, auf den Punkt: „Je Jnwendiger, Je geistlicher vnnd edtler, vnnd Je auswendiger, Je grober vnnd schwacher.“75

72 Exemplarisch für die frühneuzeitliche Rezeption des Selbstverständigungstheorems ist Valentin Weigels Schrift Gnothi seauton (1571); ferner Abraham von Franckenbergs Schrift Nosce teipsum (gedr. 1675) sowie Daniel Czepkos Sonett Nosce te ipsum (1632). 73 Die Formel Gnothi seauton, die in vorklassischer Zeit an einer Säule des delphischen ApolloHeiligtums angebracht war, wurde bereits von Platon und Aristoteles sowie später von Seneca interpretiert. Später griff sie der Satiriker Juvenal auf; ihm zufolge ist das ‚Gnothi seauton‘ einst vom Himmel herabgestiegen (Sat. XI,27: […] e caelo descendit γνῶθι σεαυτόν). Über Macrobius (ca. 390– 430), der jenes Zitat Juvenals ohne Rücksicht auf den satirischen Kontext übernahm, fand das Gnothi seauton Eingang in die neuplatonische Philosophie, innerhalb deren es als ein Aufruf zu einer spirituell ausgerichteten Lebensführung fungierte; als solcher sollte das Gnothi seauton bis in die Reformationszeit hinein Gehör finden. Vgl. Alois M. Haas: Et descendit de caelo γνῶθι σεαυτόν. Dauer und Wandel eines mystologischen Motivs. In: Geistliches Mittelalter. Hg. von dems. Freiburg i. Ü. 1984 (Dokimion 8), S. 71–95. 74 Vgl. Meister Eckhart: Traktat 2. In: DW II, S. 340,31–33: „Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste.“ 75 Weigel: Der güldene Griff, S. 27.

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Diese Maxime lässt sich auf De tribus facultatibus nicht freilich nicht übertragen; denn Suchten nimmt den Menschen auch hinsichtlich seiner physischen Existenz, das heißt als Objekt der medicina, in den Blick. Anders als in den theosophischen Entwürfen eines Weigel oder Behem entsteht hier nirgends der Eindruck, dass der Leib ein verunreinigtes, missliebiges Nebenprodukt des Sündenfalls darstellt, das den Blick des Menschen auf seine wahre, prälapsare Natur verstellt.76 Als eine ‚feine, weiße Substanz‘ ist Suchtens terra adamica keineswegs mit der grobstofflichen, leblosen Erde des Makrokosmos gleichzusetzen. Vielmehr partizipiert sie, ebenso wie die quinta essentia, am göttlichen Geist, zumal sich in ihr das Leben des menschlichen Leibs realisiert. Die Fakultäten von medicina, astronomia und theologia dienen dem Adepten der magischen Weisheitslehre zu einer je individuellen Vergegenwärtigung der verschiedenen Erscheinungsformen des in ihm wohnenden Geistes. Suchtens Konzept der analogischen Überlagerung mehrerer Ternare besitzt auf struktureller Ebene eine gewisse Ähnlichkeit mit der ‚trinitarischen Geistmetaphysik‘,77 die Augustinus in De trinitate entfaltet. Ihren Ausgang nimmt diese von dem Glaubenssatz, dass sich Gott in der menschlichen Seele widerspiegelt. Als Abbild Gottes ist der Mensch zugleich ein Abbild der Trinität. Hierauf gründet sich die trichotome Struktur seines Bewusstseins, die sich in den geistigen Funktionen von Gedächtnis (memoria), Verstand (intellectus bzw. intelligentia) und Wille (voluntas) ausdrückt. Augustinus nimmt dies zum Anlass, dem Gläubigen einen Weg aufzuzeigen, der „per regulam similitudinis“ zu einer Verständigung über das undurchsichtige Wesen des dreifaltig-einen Gottes führt.78 Hierbei ist der Gläubige dazu angehalten, sich der Dreiperson Gottes über eine introspektive Vergegenwärtigung seiner trichotomen Bewusstseinsstruktur auf assimilative Weise anzunähern.79 Im Folgenden erweitert Augustinus den genannten Ternar um einen zweiten: Dieser besteht im Geist (mens) und in dessen Funktionen als Erkenntnis (notitia) und Liebe (amor). Ein dritter Ternar eröffnet sich dem Menschen mit Blick auf die biblische Identifizierung Gottes mit der Liebe (caritas, vgl. Joh 4,24). Demnach ist Gott der Liebende, das Geliebte und die Liebe: „Amans et quod

76 Vgl. Anselm Steiger: „Der Sündenfall – so Weigel – kausiert im Menschen eine S ­ chizophrenie, die ihn fortan in einem Zwiespalt leben läßt, indem  – paulinisch gesprochen (Röm  7,21–23; Gal 5,17) – Geist und Fleisch, der alte und der neue Mensch miteinander widerstreiten.“ (Rezension zu Valentin Weigel. Neue Edition 3. Hg. von Horst Pfefferl. Suttgart-Bad Cannstatt 1996. In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 22 (1998), S. 85–90, hier S. 88). 77 So bezeichnet von Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs, S. 30. 78 Augustinus: De trinitate libri XV. Opera XVI (CChr.SL 50), lib. VIII.V.8, S. 278. 79 Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs, S. 29.

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amatur et amor“.80 Allerdings verwehrt sich Augustinus gegen jeden Versuch, die einzelnen Glieder der übereinander liegenden Ternare jeweils miteinander oder gar mit der Dreiperson Gottes in Beziehung zu setzen: „Ich sage nicht, dass diese drei [= memoria, intellectus, voluntas] auf irgendeine Weise mit der Trinität gleichzusetzen sind, als bestünde zwischen ihnen eine Analogie. Das hieße ja, auf eine Methode des Vergleichs hinzuführen. Davon distanziere ich mich.“81 Sofern Suchten bei der Konzipierung der trichotomen Struktur der magia die Trinitätslehre Augustins vor Augen hatte, so ließ ihn diese Einschränkung unbeeindruckt, denn die Extrakte von terra adamica, aqua mercurialis und spiritus dei stehen sehr wohl mit den drei Sphären von großer und kleiner Welt sowie mit den drei Fakultäten in Analogie. In einem Punkt aber scheinen Suchten und Augustinus übereinzustimmen: Beiden geht es um die Erweiterung von Gotteserkenntnis durch Selbsterkenntnis. Während es in De trinitate Dei letztlich nur bei einer Veranschaulichung von Gottes dreieinigem Wesen bleibt, ist dem Danziger daran gelegen, dieses fühlbar zu machen – und zwar anhand einer magische Ausübung von medicina, astronomia und theologia. Damit führt die magia den Menschen erneut auf das Terrain der Mystik; und zwar am nachhaltigsten auf dem Gebiet der Theologie, zumal diese den Adepten in der Erkenntnis des göttlichen Geistes unterrichtet. Während medicina und astronomia lediglich Wissen vermitteln, unterweist die theologia den Menschen in der göttlichen Weisheit. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten ‚Fakultäten‘ befasst sie sich nicht mit bestimmten metaphysischen Qualitäten, sondern mit dem klarifizierten Geist selbst. Dies macht Suchten zumindest indirekt deutlich, indem er gegen Ende des Traktats zum wiederholten Male gegen die ­Schultheologie polemisiert: „Welcher Schrifftgelehrter hat jemals auß dem Buchstaben verstanden/ daß Knst vorhanden wren/ dardurch der Mensch deß Geistes teilhafftig werde/ der ob dem Wasser schwebete […].“82 Wie diesen Zeilen zu entnehmen ist, besteht abseits der Raptusmystik, die Gott dem Individuum gnadenhalber zukommen lässt, noch ein gesonderter Weg zur Teilhabe am Geist. Die Erkenntnis dieses Weges setzt allerdings eine Erleuchtung des Menschen und seine damit einhergehende Erwählung zum magus voraus. Suchtens Theologie beschreibt vor diesem Hintergrund eine theologia magica: eine ‚Kunst‘, die den Menschen einen geheimen Weg zum Intimum seiner metaphysischen Existenz aufzeigt.

80 Augustinus: De trinitate libri XV. Opera XVI (CChr.SL 50), lib. VIII.X.14, S. 290. 81 Augustinus: Sermo 52 (PL 38, 354–364), S. 364: „Non dico ista illi Trinitati velut aequanda, quasi ad analogiam, id est ad rationem quamdam comparationis dirigenda: non hoc dico.“ (Übers. S. B). 82 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 380.

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7.3 Die Textualität der Schöpfung 7.3.1 Zum Programm des uneigentlichen Sagens in De tribus facultatibus Die „Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“, die nach Suchten seit ihrer Uroffenbarung unter der Bezeichnung ‚Magia‘ tradiert wird, lässt sich  – wenn überhaupt – nur über einen Sprachgebrauch verständlich machen, der auf der Ebene der Bildlichkeit operiert. Die Bücher der Alten, so heißt es in der Antimonmonographie, sind „solo stylo magico beschrieben/ und niemand ntz/ er sey dann in der Magischen Schule von Jugend auf erzogen/ oder von GOTT zu solchen Geheimnssen erkohren […].“83 Im Falle des urzeitlichen Adamssohns trifft letzteres zu. Der magische Inhalt der von ihm verfassten Bücher erschließt sich allein über einen verschlüsselten Hintersinn des Geschriebenen. Suchten behauptet, diesen Hintersinn mitteilbar machen zu können: Solte ich schreiben auß der Theologia, so mste ich der Theologorum terminos gebrauchen/ schriebe ich auß der Astronomia, mste ich wie ein Astronomus reden; Schrieb ich aus der Medicin, mste ich auß den terminis Medicorum nicht tretten. Das ist so viel geredt: Ich muß mein Vorhaben per allegorias & similitudines herfr bringen/ daß der Schrifftgelehrte ein anders/ der Gottsgelehrte auch ein anders verstnde/ diesem die Kern/ jenem die Hlsen gereicht werden.84

Der Begriff der allegoria bereitet hier keine Schwierigkeiten. Der Terminus simi­ litudo aber lässt aufhorchen, zumal er in engem Kontext mit der imago-Lehre steht. Schließlich heißt es im Schöpfungsbericht (Gen 1,26), dass Gott den Menschen nach seinem Bild als ein ihm Ähnliches erschuf („Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram“). Das Theorem der Ähnlichkeit hat in diesem Zusammenhang eine breite Auslegung erfahren. Die erste Differenzierung zwischen imago und similitudo traf Irenäus von Lyon: Demnach hat der Mensch durch den Sündenfall seine Gottähnlichkeit eingebüßt, während seine Gottebenbildlichkeit erhalten blieb.85 Augustinus bezeichnet den Menschen in De trinitate als gottähnlich, insofern er im Rahmen seiner Fähigkeit zum Guten an wesensbestimmenden Eigenschaften Gottes, wie Geist, Liebe, Wahrheit und Weisheit, partizipiert.86 Andernorts legt Augustinus anhand der Relation ‚Bild – Abgebildetes‘ dar, dass der Mensch zwar Gott ähnlich ist, nicht aber Gott dem Menschen: Der

83 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 269. 84 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 85 Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs, S. 26. 86 Ebd., S. 31.

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Allmächtige sei der Kreatur unähnlich, da er nicht deren Abbild ist. Damit macht er Bildlichkeit zum Kriterium für Ähnlichkeit.87 Gegen diese Position wendet sich Meister Eckhart in seiner Predigt 16 B: Zwar besitze jedes Bild Ähnlichkeit mit dem jeweils Abgebildeten, allerdings könne – wie er am Beispiel von zwei Eiern illustriert – Ähnlichkeit auch vorliegen, ohne dass das Eine das Abbild des Anderen ist. Dementsprechend sei Bildlichkeit nicht die Bedingung, sondern lediglich ein Spezialfall von Ähnlichkeit. Bereits vor ihm hatte Thomas von Aquin die Lehrmeinung vertreten, dass die imago die similitudo voraussetzt.88 Mit seinem Grundsatz „Bilde enmac niht gesîn âne glîcheit“ weicht der Thüringer jedoch insofern weit vom traditionellen Bild-Diskurs ab,89 als er den Terminus „glîcheit“ im Sinne von ‚Selbigkeit‘ auffasst.90 Die substanzielle Gleichheit der Seele mit Gott garantiert den Status der menschlichen Seele als imago dei. Von dieser Vorstellung ist Suchten weit entfernt. Sein Begriff von similitudo steht vielmehr im Kontext mit der logostheologisch begründeten Gottebenbildlichkeit des Makrokosmos: Die Weisheit, deren Geist das Lebensprinzip der irdischen Natur repräsentiert, ist ein Spiegel von Gottes Angesicht. Auch wenn es sich bei den similitudines, die Suchten im Munde führt, um rhetorische Finessen handelt, so basieren diese dennoch auf dem Ähnlichkeitsverhältnis von Gott und Natur. Die abbildende Funktion, welche die einzelnen Kreaturen als ‚Splitter‘ des schöpfungsimmanenten Spiegels besitzen, setzt sich auf sprachlicher Ebene fort: Ebenso, wie sich Gottes Angesicht in seiner irdischen Projektionsfläche, der polymorphen Natur, widerspiegelt, lässt sich sein Bild nur durch einen bildhaften Ausdruck einholen. Ein solcher stellt sich wie von selbst ein: Der alltägliche Sprachgebrauch erweist sich angesichts der Gottesnähe, in der sich der magus befindet, als so prekär, dass er nach einer Umsetzung ins Bildliche, genauer gesagt ins Allegorische, verlangt. Die gleichnishafte Rede, die sich daraus ergibt, setzt freilich eine gewisse Ähnlichkeit (similitudo) von Gesagtem und Gemeintem – nämlich dem göttlichen Angesicht – voraus. Mit einem Sprechen „per allegorias & similitudines“ setzt Suchten auf die Möglichkeit, das uneigentlich Gesagte auf das per se Unsagbare hin zu transzendieren. Er bekennt sich damit zum Prinzip der Approximation, das sich im paracelsistischen Jargon als ‚Vergleichung‘ ausgibt. Das dafür vorausgesetzte Ähnlichkeitsverhältnis lässt sich allerdings nicht ohne weiteres in völlige Identität überführen. Vielmehr muss denn auch die Allegorese – der Überstieg vom

87 Ebd., S. 31 u. 43. 88 Ebd., S. 38. 89 Meister Eckhart: Pr. 16 B. In: DW I, S. 186,29  f. 90 Kipf: Die Bedeutung des Analogie-Begriffs, S. 43; vgl. ferner Kap. 5.7, S. 168, Anm. 152.

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uneigentlich Gesagten hin zum eigentlich Gemeinten – vom magus selbst geleistet werden. Das Sprechen „per allegorias & similitudines“ besitzt nur behelfsmäßige Funktion. Es befindet sich stets in derselben Distanz zum Unsagbaren wie die einzelne Kreatur zu ihrem göttlichen Urbild. Zumindest aber können Sprache und Kreatur vor dem Hintergrund, dass sie Gleichnisse des schöpferischen Wortes sind, zugleich als Zeichen dienen, die auf ebendieses göttliche Urprinzip verweisen. Ähnlichkeit wird somit zum Kriterium für das funktionale Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem gemacht.91 Dieser Gedanke geht auch aus Eckharts Predigt 47 hervor. Hier verrät der Meister, dass allen Geschöpfen ein Kennzeichen („urkünde“) eingeschrieben ist: Alle Kreaturen tragen ein Merkmal göttlicher Natur an sich, aus der sie sich so ergießen, daß sie nach göttlicher Natur wirken möchten, aus der sie geflossen sind […]. Seht, dies bekunden alle Kreaturen, dass sie ausgeflossen und aus göttlicher Natur geflossen sind, und davon tragen sie ein Merkmal an ihren Werken.92

Sodann formuliert der Thüringer in Berufung auf Averroes den Grundsatz der Gleichheit: Alle Schöpfungsdinge, so verschieden sie auch erscheinen mögen, seien zumindest insofern gleich, als sie allesamt ihren Seinsgrund in der Einheit Gottes hätten. Vor diesem Hintergrund seien alle Kreaturen Gleichnisse des Schöpfers. Als wären sie sich dessen bewusst, strebten sie in ihrem Wirken immerfort darauf hin, mit Gott völlig eins zu werden:93 „Hierüber sagt ein griechischer Meister, daß Gott alle Kreaturen wie an einem Zaume halte, auf daß sie nach seinem Gleichnis wirken.“94 Damit macht Eckhart die Homologie von Schöpfer und Schöpfung indirekt zur Bedingung für die Ähnlichkeit aller Kreaturen. Dies mag als Beispiel dafür dienen, dass zur Begründung des Gleichheitsprinzips neben der biblischen imago-Lehre auch neuplatonisch geprägte Muster

91 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M. 1974, S. 46–56. 92 Meister Eckhart: Pr. 47. In: DW I, S. 496,5–19: „[A]lle crêatûren tragent an in ein urkünde götlîcher natûre, von der sie sich entgiezent alsô, daz sie wölten würken nâch götlicher natûre von der sie gevlozzen sint […]. Sehet, diz bewîsent alle crêatûren, daz sie ûzgevlozzen sint und gevlozzent sint von göttlicher natûre, und tragent sie ein urkünde an irn werken.“ 93 Vgl. Aristoteles, Metaphysik XII, c.7 (1072b). Nach der aristotelischen Theologie ist Gott insofern der ‚Unbewegte Beweger‘, als alle Substanzen danach streben, diesem als einem Geliebten und höchsten Intelligiblen möglichst gleich zu werden. 94 Meister Eckhart: Pr. 47. In: DW I, S. 496,20–22: „Hie von sprichet ein kriechischer meister, daz got alle crêatûren halte als in einem zoume ze würkenne nâch sînem glîchnisse. Her umbe würket diu natûr alle zît ûf daz allerhœhste, daz si gewürken mac.“

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zum Einsatz kommen. Indem die vertikalen Stränge, die Geschöpf und Schöpfer per similitudinem miteinander verbinden, in Gott gleichsam spitz zusammenlaufen, lösen sich zugleich die horizontal verlaufenden, alle Entitäten miteinander verbindenden Stränge der Ähnlichkeit in der vollkommenen Einheit des Allmächtigen auf.95 Die Homologie, die zwischen Gott und der irdischen Natur als seiner Projektionsfläche besteht, zieht zwangsläufig eine Homologie aller Kreaturen nach sich. Der ganze Kosmos ist ein in Gott kulminierendes Geflecht von Ähnlichkeitsverhältnissen, Analogien und Zeichenrelationen.96 In diesem Zusammenhang steht das paracelsistische Konzept der Sympathie: Dieses beschreibt den in der Natur allgegenwärtigen Drang nach Homogenität, dem alle Bewegung entspringt. Als ein weltumspannendes Prinzip begründet die Sympathie sämtliche Ähnlichkeitsverhältnisse, die innerhalb der Natur bestehen: zuvorderst freilich das analoge Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos. Die Kraft der Sympathie überwindet die Grenzen aller Individualität zugunsten einer universellen Verwandlung, die auf eine absolute Gleichförmigkeit zielt.97 Kompensiert und aufgehoben wird dieser Prozess von der Kraft des Gegensatzes, der Antipathie. Im Spannungsverhältnis von Sympathie und Antipathie befinden sich alle Dinge zwar in stetiger Transformation; allerdings ohne dabei zuletzt in völliger Ein- und Gleichheit aufzugehen.98 Vielmehr unterliegt alles, wie Gerhard Dorn in seiner Clavis totius philosophiae chymisticae schreibt, einer „Circkel runde[n] verwandlung“.99 Nach Dorn gehören die vier Elemente zwar durch das Wirken der Antipathie verschiedenen Sphären an – nämlich Wasser und Erde der untersten, Luft einer mittleren und Feuer der höchsten Sphäre –; dennoch seien bisweilen, wie etwa bei der Verbrennung eines Holzscheits, fließende Übergänge zwischen den Elementen zu beobachten. So werde die Feuchtigkeit des Brennholzes durch das Feuer „in Lufft verkehrt“. Das Feuer selbst werde, nachdem es das Holz in Asche und somit in ‚Erde‘ transformiert hat, in aufsteigender Weise „erst in Lufft/ vnd dann widerumb in sich selbs“ zurückverwandelt.100 Das sympathetische Gewebe an Ähnlichkeiten, Analogien und Zeichenrelationen, in das sich der Makrokosmos kleidet, spiegelt sich im Mikrokosmos wider; und zwar in Form einer von Gott verliehenen, inwendigen Textualität. Davon zeugen Paracelsus-Zitate wie „got [ist] in allen dingen der obrist scribent, der erst,

95 Vgl. Leinkauf: Rationale Strukturen im Hermetismus, S. 48–57. 96 Vgl. Hartmut Böhme: Natur und Subjekt. Frankfurt a. M. 1988, S. 52–58. 97 Vgl. Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 53. 98 Vgl. ebd., S. 54; Claus Priesner. Sympathie. In: Alchemie-Lexikon, S. 354  ff. 99 Dorn: Schlüssel der chimistischen philosophy, S. 12. 100 Ebd.

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der höchst und unser aller text.“101 Die innere Textualität des Menschen teilt sich nach außen hin über die Sprache mit.102 Damit aber erweist sich die Homologie von großer und kleiner Welt als gesprengt; denn Wortlaut und Wortsinn sind einander nicht notwendigerweise ähnlich. Die hierin aufscheinende Problematik mag dazu beigetragen haben, dass in der Frühen Neuzeit das Ideal einer lingua pura, in der Laut und Bedeutung natürlicher Weise aufeinander bezogen sind, äußerst virulent war.103 Die Präexistenz einer derart ursprünglichen und somit absoluten Korrelation von Phonetik und Semantik schien hierbei durch das Erste Buch Mose verbürgt. Der Schöpfer hatte es dem Menschen überlassen, die „Tiere auf dem Felde und alle Vögel unter dem Himmel“ zu benennen: „Denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen“ (Gen 2,19). Ausgestattet mit seiner prälapsaren, paradiesischen Weisheit vermochte Adam für jedes Lebewesen den Namen zu finden, der ihrem jeweiligen Wesen natürlicherweise zukam.104 Die sapientia adamica gründet sich demnach einerseits auf ein ungetrübtes Bewusstsein über die Korrelation von makrokosmischem Zeichenuniversum und mikrokosmischer Textualität, andererseits auf das Vermögen, diese Korrelation auf vollkommene Weise sagbar zu machen. Bestätigung findet dieses Konzept in der paracelsischen Schrift De natura rerum: da sollen ir erstlich wissen, das die kunst signata wissen, das die kunst signata leret die rechten namen geben allen dingen. die hat Adam unser erster vater volkomlich gewußt und erkantnus gehabt. dan gleich nach der schöpfung hat er allen dingen eim jedwedern seinen besondern namen geben, den tieren einem jeden besondern namen, also den beumen einem jeden seinen besondern namen, den kreutern ire besondere underschitliche namen, den wurtzeln ire besondere namen, also auch den steinen, erzen, metallen, wassern und andern früchten der erden, des wassers, lufts und feurs eim ieden sein namen. und wie er sie nun tauft und inen namen gab, also gefiel es got wol, dan es geschach aus dem rechten grunt, nit aus seinem gut gedunken, sonder aus einer paedestinierten kunst, nemlich aus der kunst signata, darumb er der erst signator gewesen.105

Die „kunst signata“ ist eine Vorform der später durch Böhme und Leibniz prominent verhandelten lingua adamica: einer überaus reinen, da in der prälapsaren Urzeit wurzelnden Sprache, welche die zeichenhaften Struktur, in die Gott die Schöpfung geordnet hat, und somit auch die Textualität des Menschen unmittel-

101 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 209. 102 Böhme: Natur und Subjekt, S. 58. 103 Vgl. Umberto Eco: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. Übers. von Burkhard Kroeber. München 1994, S. 21–26. 104 Lorber: Alchemie, Elias Artista und die Machbarkeit von Wissen, S. 96  f. 105 Paracelsus: De natura rerum. In: SW 1/11, S. 397.

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bar widerspiegelt.106 Damit offenbart sich ein enger Zusammenhang zwischen lingua adamica und sapientia adamica.107 Als tragisch erweist sich daher der Umstand, dass diese Ursprache Adams seit der babylonischen Sprachenverwir­ rung auf immer verloren ist: Die Menschen sind unfähig, sich untereinander über die ethnischen Grenzen hinweg zu verständigen. Mehr noch: das Geflecht an bedeutungstragenden Signaturen, welche das Kryptogramm der Natur in sich birgt, ist für sie nicht mehr ohne weiteres einsehbar. Ohne diese Vorlage aber misslingt ihnen auch die Einsicht in ihre eigene, innere Textualität – und somit die Genese von Wissen und Weisheit. Mit dem uneigentlichen Sprachstil der magia verhält es sich vor diesem Hintergrund ähnlich wie mit der lingua adamica: Nur wenige Auserwählte sind in der Lage, die Allegorien des stylus magicus im Rückbezug auf die semiologische Struktur von großer und kleiner Welt zu entschlüsseln. In die Geheimnisse Gottes wird nur derjenige eingeweiht, der imstande ist, die zeichenhafte Vielfalt seiner Schöpfung, welche sich im Vokabular der magia widerspiegelt, zu dechiffrieren. Der hieran anknüpfende, paracelsistische Geheimhaltungsgestus ist mehrfach motiviert. Seine Ursprünge liegen in der Arkansprache und der dunklen Bildlichkeit der mittelalterlichen Alchemie-Bücher. Beides diente ursprünglich dem Schutz vor Nachahmung chemischer Rezepte. Paracelsisten wie Suchten aber glaubten in der sprachlichen occultas der – aus ihrer Sicht missdeuteten – Alchemie eine Strategie zur Offenbarung eines göttlichen Wissens zu erkennen; mithin eines Wissens, das sich nur anhand eines uneigentlichen Sprachgebrauchs vermitteln ließ. Die Geheimnisse Gottes verlangten, sofern sie nicht im Sinne eines apophatischen Sagens ‚erschwiegen‘ werden sollten, einer Übersetzung ins Allegorische. Vor diesem Hintergrund erweist sich der stylus magicus der Paracel­ sisten als das mikrokosmische Pendant zum Kryptogramm der makrokosmischen Schöpfung: Der magus imitiert mit seinem enigmatischen Sprachstil das Buch der Natur.108 Da dieses aus paracelsistischer Sicht nur von einzelnen Erleuchteten auf seinen geheimen Sinn hin entschlüsselt werden konnte, fungierte das Vermögen, die sprachlichen und kreatürlichen Allegorien auf magische Weise zu deuten, zugleich als Prüfstein für Erwähltheit. Suchten begründet seine Rede „per allegorias & similitudines“ daher auch mit dem Schutz der magischen Geheimnisse

106 Zur paracelsistischen Rezeption der adamitischen Ursprache vgl. Friedrich Ohly: Zur Signaturenlehre der Frühen Neuzeit. Bemerkungen zur Mittelalterlichen Vorgeschichte und zur Eigen­art einer epochalen Denkform in Wissenschaft, Literatur und Kunst. Stuttgart, Leipzig 1999, S. 73–78. 107 Vgl. Lorber: Alchemie, Elias Artista und die Machbarkeit von Wissen, S. 96  f. 108 Vgl. Ebeling: Alchemical Hermetism, S. 83.

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vor einem Missbrauch durch Außenstehende, welche die bedeutungsschwangeren Zeichenstrukturen der Schöpfung nicht als solche erkennen und die ‚Hülsen‘ bereits für die ‚Kerne‘ halten.109

7.3.2 Suchtens Ablehnung der lutherischen Larventheorie Dass der Danziger das seinerzeit vielbenutzte Gleichnis von Hülse und Kern nicht bloß aus stilistischen Gründen wählt, zeigt sich daran, dass er dieses noch an zwei weiteren Stellen aufgreift: Aus seiner Sicht haben die Astronomen „nicht so viel gelernet/ daß zugleicherweiß ein Nuß hat den Kern und die Schalen/ aber der Kern nicht die Schal ist/ noch die Schal der Kern.“110 Doch auch die Schulmediziner und Universitätstheologen „haben die Süßigkeit dieses Kernes nie geschmckt; aber die Bitterkeit der Schalen ber die gantze Welt außgebreitet.“111 Indem Suchten sich dieses Gleichnisses bedient, richtet er sich gegen Luther, der im Rahmen seiner Larventheorie eine Erkennbarkeit des göttlichen Grundes ‚hinter‘ den Signaturen der Natur vorsätzlich suspendiert. Um zu verstehen, welches theologische Konzept dem zugrunde liegt und inwiefern dieses mit Suchtens Lehre von der Textualität der Natur unvereinbar ist, hat man zunächst einen Blick auf die lutherische Schöpfungsontologie zu werfen. Auch der Wittenberger bekennt sich zu dem logostheologisch begründeten Konzept der göttlichen Autokommunikation, wenngleich er dieses in seinem eigenen Sinne modifiziert.112 Demnach gibt Gott während seiner Rede mit dem ewigen Wort, dem verbum increatum internum, fortwährend weitere Worte von sich, die Luther als verba creata bezeichnet.113 Diese göttlichen Worte repräsentieren zugleich die göttlichen Werke, zumal sie allen Schöpfungsdingen ihr individuelles Wesen sowie ihre greifliche Existenz verleihen.114 Die autokommunikative Rede des Allmächtigen ist demgemäß nicht nur ein verbum facere, sondern auch ein verbo facere.115 Mit dieser Deutung versöhnt Luther die beiden widerstreitenden Traditionen der Schöpfungsexegese, von denen die eine das Wort fiat lux lediglich als ein ‚Incipit‘ der göttlichen Werktätigkeit, die andere hingegen

109 Vgl. Ebeling: ‚Geheimnis‘ und ‚Geheimhaltung‘, S. 73  ff. 110 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 376. 111 Ebd., S. 378. 112 Vgl. Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 44  f. 113 Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis. Tübingen 1991 (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 27), S. 99–102. 114 Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 60. 115 Vgl. Martin Luther: Randbemerkungen (1510/11). In: WA 9, S. 67,30  f.

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als ein präexistentes Urprinzip interpretierte.116 Weiterhin sieht Luther zwar die Kosmogonie, nicht aber das Schöpfungswerk Gottes als abgeschlossen an, zumal dessen Wort „ab isto momento, quo deus incepit zu schaffen mennschen […] fortan nie mussig gegangen“ ist.117 Auch Christus ist am Werden der Schöpfung beteiligt, denn obwohl er als verbum increatum internum überzeitlich mit Gott eins ist, initiiert er anhand der verba creata unentwegt seine Eingeburt in die zeitliche Sphäre. Erst dadurch kann das Korn wachsen, gedeihen und geerntet werden; und erst darüber kann der Gottessohn in den sakramentalen Leib schlüpfen, um sich dem Gläubigen im Abendmahl mitzuteilen.118 Doch auch alle anderen Dinge und Lebewesen, einschließlich des Menschen, verdanken ihre Existenz dem Wort („Omnes sumus verbo“).119 Die Stimme des Allmächtigen ‚durchweht‘ die gesamte Schöpfung, sodass dieser sich „yn yhrem allerynwendigsten, auswendigsten umb und umb, durch und durch, unden und oben, forn und hinden“120 verwirklichen kann und somit „nichts gegenwertigers und ynnerlichers sein kan ynn allen creaturen denn Gott selbs mit seiner gewallt.“121 Luther greift mit diesem Konzept auf die ältere Predigttradition zurück, in der die Ermunterung, Gott in allen Dingen zu erfahren, von jeher eine große Rolle gespielt hat.122 Indes geben die geschaffenen Worte lediglich einen trüben Eindruck von Gottes ewigem Wort. Schließlich ist es ja auch in den Evangelien nicht der deus gloriosus, sondern der deus crucifixus, der sich dem Gläubigen mitteilt. Gott offenbart sich im Rahmen seiner werktätigen Rede zu keinem Zeitpunkt in seiner unaussprechlichen Vollkommenheit. Luther bezeichnet die verba creata

116 Dass für die Paracelsisten in der Nachfolge ihres Theophrastus nur die letztgenannte Deutung Geltung besaß, zeigt ihre konsequente Ausblendung des biblisch verbürgten Sechstagewerks. Sofern dieses ihren Schriften überhaupt zur Sprache kommt, erfährt es stets eine sehr freie Auslegung. Als beispielhaft kann hierfür die Viererlei Auslegung der Schöpfung gelten, die sich als ein Werk Weigels ausgibt. Hier erscheint das Sechstagewerk als Metapher für mehrere Abschnitte der Kosmogonie, die sich dicht aufeinander „in einem Hui“ ereignet hätten. (Vgl. Neue Edition 11. Hg. von Horst Pfefferl. Suttgart-Bad Cannstatt 2007, S. 195–390, hier S. 267  ff.). 117 Martin Luther: Predigt am Sonntag nach Weihnacht (1532). In: WA 36, S. 413,15–22. 118 Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 73. 119 Martin Luther: Predigt am Freitag nach Dionysii (1532). In: WA 45, S. 172,21. 120 Martin Luther: Daß diese wort Christi (das ist mein leib etc.) noch fest stehen widder die Schwermgeister (1527). In: WA 23, S. 137,33. 121 Ebd., S. 135,3–7. 122 Vgl. etwa Meister Eckhart: Pr. 53. In: DW I, S. 568,4–8: „Der vater ist ein sprehende werk, und der sun ist ein spruch würkende […]. Der vater sprichet den sun ûz aller sîner mügenheit [= Macht] und alliu dinc in im. Alle crêatûren sint ein sprechen gotes. Daz selbe, daz mîn munt got sprichet und offenbâret, daz selbe tuot des steines wesen, und verstât man mê an dem werke dan an den worten.“

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in diesem Kontext auch als ‚Larven‘.123 Dabei will er – anders als das von Suchten verwendete Bild von Kern und Schale suggeriert – die Schöpfungsdinge nicht als leere Hülsen, sondern, gemäß des vormodernen Bedeutungsspektrums des Wortes ‚Larve‘, als Masken verstanden wissen. Dementsprechend verwendet er in seiner lateinischen Psalmenauslegung die Begriffe larva und persona (‚Maske‘) nebeneinander. Ganz im Sinne des letztgenannten Lexems, das sich von personare (‚durchklingen‘) herleitet, vertritt Luther die Lehrmeinung, dass die Stimme des Allmächtigen die gesamte Schöpfung durchhallt. Die Natur wird also nicht nur durch Gott hervorgerufen, sie bildet zugleich die Kruste, hinter der sich Gottes Rede vernehmen lässt. Alle Kreaturen, einschließlich des Menschen, dienen dem Schöpfer als Larven.124 So ist es dieser selbst, auf dessen Weisung hin die Frauen schwanger werden. Weiterhin gebietet er der Kleidung zu wärmen und den Schuhen nicht zu zerreißen. Wenn die Soldaten gegeneinander zu Felde ziehen, ist es sein Wort, auf dessen Geheiß hin die Lanze den Gegner trifft.125 Als Larven fungieren die verba creata zugleich als Allegorien für das verbum increatum. Diese Allegorien selbst aber entziehen sich einer Auslegung durch den Menschen. Erst im frommen Vernehmen der Predigt, beziehungsweise der vox suavis Christi, kommt die Gottnatur des Erlösers ‚zu Wort‘.126 Dass die Larven insofern nicht auf ihren eigentlichen Sinn transzendiert, sondern in die Gestalt der Homilie überführt werden müssen, hat seinen Grund: Luther ist daran gelegen, dem Glauben Raum zu geben.127 Allein im Glauben an die biblisch bezeugte Erlösung der Menschheit durch Christi Kreuzestod kann das ewige Wort verinnerlicht werden. Mit seiner Akzentuierung des Glaubens stellt sich Luther wider die alte ‚Hure und Wettermacherin‘ Vernunft.128 So hält er etwa eine auf Gottesoffenbarung schielende Auslegung der grammatica divina für irregeleitet, ja sogar für ein Zeichen diabolischer Überheblichkeit.129 Wer im Vertrauen auf seine intellektuellen Fähigkeiten danach trachtet, die verhüllte Rückseite Gottes einzusehen, der scheitere nicht nur an dessen absconditas, er verliere auch den Glauben aus den Augen. Ohne den Glauben an das Leiden Christi aber bleibt das Wort stumm;

123 Zur Luthers Larventheorie s. Beutel: In dem Anfang war das Wort, S. 91  ff., 108 u.  ö. 124 Ebd., S. 108. 125 Vgl. Martin Luther: Predigt am Sonntag invocavit (1526). In: WA 20, S. 273,37–274,9. 126 Vgl. Beutel: In dem Anfang war das Wort, S. 91 mit Bezug auf Martin Luther: Predigt am Sonntag vocem iocunditatis (1545). In: WA 49, S. 736,6–737,3. 127 Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 65. 128 Ebd., S. 68. 129 Grosse: Der junge Luther und die Mystik, S. 214.

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und zwar sowohl in seiner polyglotten Manifestation innerhalb der Natur als auch in seiner Einwohnung im Menschen.130 Das reziproke Verhältnis von Christus und Mensch, dessen Wurzeln in der mystischen Traktatliteratur des Spätmittelalters liegen, kommt auch hier wieder zum Vorschein: Die gefallene Kreatur wird im gläubigen Vernehmen der vox suavis Christi mit der Wortnatur des Heilands beschenkt, dies aber um den Preis einer demutsvollen, selbstgenügsamen Schau der nackten verba creata, die analog zum deus crucifixus der Vorderseite Gottes angehören.131 Luthers Gotteslehre ist eine theologia crucis: „Wer von der Schau seines Geschöpfs auf die unsichtbare Schöpfung Gottes abhebt, kann nicht mit Fug und Recht als Theologe bezeichnet werden […], sondern nur, wer Gottes sichtbares Geschöpf und seine Rückseite mit Blick auf sein Leiden und seinen Kreuzestod begreift.“132 Noch deutlicher wird Luther später in seiner Genesis-Vorlesung. Hier warnt er vor der Versuchung, die Schöpfungsdinge ausgehend von ihrem allegorischen Charakter auf das ewige Wort hin auszulegen: Die Allegorie gleicht einer schönen Dirne, die sich so bei den Menschen einschmeichelt, dass diese nicht umhinkommen, sie liebzugewinnen. Betroffen sind davon vor allem müßige und unerfahrene Menschen. Diese meinen, sie seien mitten im Paradies und im Schoße Gottes, wenn sie sich derlei Spekulationen hingeben. Letztere sind zuerst von unverständigen und bequemen Mönchen ersonnen worden und haben sich schließlich so weit verbreitet, dass sogar die Metamorphosen Ovids allegorisch gedeutet wurden. Maria machte man zum Lorbeer, Apollo zu Christus. Und obgleich vollkommen absurd, setzt man derlei unerfahrenen Jugendlichen zur Lektüre vor, und auf Anhieb finden beflissene Philologen daran so großen Gefallen, dass sie sich zu solchen Interpretationen hinreißen lassen. Ich hasse daher Allegorien.133

130 Ebd., S. 221. 131 Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, S. 252. 132 Martin Luther: Disputatio Heidelbergae habita (1518). In: WA 1, S. 354,17–20: „Non ille digne Theologus dicitur, qui invisibilia Dei, per ea, quae facta sunt, intellecta conspicit“ […].  Sed qui visibilia et posteriora Dei per passiones et crucem conspecta intellegit.“ 133 Martin Luther: Genesisvorlesung (1538/42). In: WA 43, S.  668,3–13: „Est enim allegoria tanquam formosa meretrix, quae ita blanditur hominibus, ut non possit non amari, praesertim ab hominibus ociosis, qui sunt sine tentatione. Tales putant se in in medio paradisi et gremio Dei esse, si quando illis speculationibus indulgent. Ac primum quidem a stolidis et ociosis monachis ortae sunt et tándem ita late serpserunt, ut quidem Metamorphosin Ovidii in allegorias verterint. Mariam fecerunt Laurum; Apollinem Christum; quae quantumvis sint absurda, tamen cum proponuntur imperitis adolescentibus, sed amantibus et studiosis literarum, initio valde adlubescunt, ut totos se illis interpretationibus dedant. Ego itaque odi allegorias.“ (Übers. S. B.).

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Indes zweifelt Luther nicht daran, dass auch die Sprache einen allegorischen Charakter besitzt; zumal analog zum Universum der Larven ausnahmslos alle Wörter auf das göttliche verbum referieren. Allerdings ist aus seiner Sicht der Versuch, die sprachlichen und geschöpflichen verba nach dem Prinzip der similitudo auf Gottes ewiges verbum hin zu transzendieren, zum Scheitern verurteilt, zumal das ureigene Gleichnis Christi, das Kreuz, gerade nicht auf Basis des Ähnlichkeitstheorems, sondern auf der Grundlage des Paradoxalen operiert: Das göttliche Wort in Christus gibt sich den Menschen allein in seiner kreatürlichen Erniedrigung zu erkennen.134 Es kann also entsprechend der lutherischen theologia crucis keine Allegorese, kein vernunftgeleiteter Überstieg vom deus crucifixus zum deus gloriosus geleistet werden. Dies gilt für die geschaffenen ebenso wie für die geschriebenen verba. Zum rechten Verständnis von Christi Erlösungstat bedarf es daher einer wörtlichen, keiner allegorischen Schriftauslegung.135 Demgegenüber macht eine Gesamtschau von Suchtens Programm des uneigentlichen Sagens glaubhaft, dass es den Adepten der magia durch Gottes Gnade vergönnt ist, das Skandalon, welche die ‚Masken‘ der Natur darstellen, durch Allegorese zu überwinden und auf diese Weise zu einer ungetrübten Erfahrung des Schöpfungsgrundes zu gelangen. Nach Suchten ist dieser Schöpfungsgrund für einen Menschen, der im Licht der Natur wandelt, jederzeit einsehbar. Als Erleuchteter werde er in die Lage versetzt, über die Lektüre des ‚Buchs der Natur‘ zu höchsten Glaubenswahrheiten zu gelangen.136 Doch damit nicht genug: Er sei kraft der ‚Alchymia‘ sogar imstande, das ewige Wort Gottes mit Händen zu greifbar zu machen: Wenn es heißt, das Christus und die Apostel „nit allein mit dem Munde/ sondern […] mit Schwartz/ mit Weiß/ [und] mit Roth“ reden,137 so spricht hieraus die Zeugung des lapis philosophorum.138 Schließlich ist dieser nichts anderes als der materialisierte Geist der Weisheit, in dem alles Kreatürliche vorgebildet ist. Wenn Gottes Worte zugleich seine Werke sind, so ist die irdische Realisierung seines ewigen Wortes auf mikrokosmischer Ebene Christus, auf makrokosmischer Ebene der Stein der Weisen. Tatsächlich ist dieser, ebenso wie der auf Golgatha erniedrigte Gottessohn, selbst unscheinbar und allseits verachtet, in den Händen des erleuchteten Menschen hingegen ein Hort höchsten Glücks.139

134 Bachmann: Die Selbstherrlichkeit Gottes, S. 70  f. 135 Vgl. Kap. 7.6.1, S. 300  ff. 136 Vgl. Trepp: Religion, Magie und Naturphilosophie, S. 480. 137 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 372. 138 Vgl. Kap. 5.5, S. 157, Anm. 113. 139 Dieser Anschauung liegt die Gleichsetzung des lapis philosophorum mit dem biblischen Eckstein des Tempels Salomos zugrunde, der nach Ps 118,22–23 von den Bauleuten verworfen wurde (vgl. ferner Mt 22,42 / Apg 4,11 / 1 Petr 2,7). Paulus identifiziert diesen mit Christus (Eph 2,20). Die

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Während die innerliche Teilhabe am göttlichen Wort nach Luther unbedingt den vernunftbefreiten Glauben an den gekreuzigten Gott voraussetzt, ist die Süße ebendieses Wortes nach paracelsistischem Bekenntnis über eine Erkundung der Schöpfung im Licht der Natur unmittelbar erfahrbar. An die Stelle der lutherischen theologia crucis tritt somit eine paracelsistische theologia magica. Wer sich aber einer Allegorese der kreatürlichen Welt im Licht der Natur verweigert und stattdessen lieber der Predigt lauscht, dem bleibt vom Wort tatsächlich nichts weiter als dessen Hülse. So kommt es, dass den in der Allegorese geschulten „Gottsgelehrten“ die Kerne gereicht werden, wohingegen die stümperhaften „Schrifftgelehrten“ deren Hülsen eifrig aufklauben, zumal sie diese nicht als solche erkennen, sondern an sich schon für Perlen der Weisheit halten.

7.4 Das Firmament 7.4.1 Lernen und Wissen aus dem Firmament Suchtens Kritik an Luthers anti-spiritualistischer Auslegung der Natur steht im Einklang mit der Verachtung, die Paracelsus den Reformatoren seiner Zeit entgegenbrachte. In den Augen des Hohenheimers waren diese nämlich nichts weiter als Schänder eines einheitlichen und friedvollen Christentums, welche die Gläubigen gegeneinander aufwiegelten und auf diese Weise nicht weniger Elend anrichteten als die Papstkirche.140 Indes richtet sich seine Polemik vor allem gegen die Praxis die Durchsetzung der Reformation und die damit verbundenen Begleiterscheinungen, nicht aber gegen Luthers Theologie als solche. Tatsächlich offenbart das paracelsische Lehrgebäude, trotz seiner weitgehenden Autarkie, auf spiritualistischem Gebiet einige Berührungspunkte mit den theologischen Themen,

dementsprechende Beschreibung des lapis als unscheinbar und gering hat in der Alchemie eine lange Tradition, vgl. Rosarium philosophorum […]. Jacob Offizin [Frankfurt a. M. 1550], B: „Hic lapis exilis extat precio quoque vilis, Spernitur a stultis amatur plus a edoctis.“; vgl. Kap. 4.7, S. 125; Kap. 5.5, S. 158, bes., Anm. 116 u. 117. 140 Vgl. Paracelsus: De secretis secretorum theologiae. In: SW 2/3, S. 26  f.: „ein ieglicher wird sagen: ích bin das evangelium, ích sag die grundtlich warheit, ích sag das wort gottes etc. […] dér sucht das evangelium zu Rom bei den Romanisten, der ander bei den zwinglisten, der dritt bei den lutheristen, der viert bei den tauferen etc. und das ist ohne zahl zu nennen […]. Der bapst und die seinen schreien nach dem blut: töt, henkt prinn, ertrink etc. die andern haben in kurtzen jaren vil tausend mann umb ir leben auch bracht, schreien auch: tot ertrink etc. […] also tuts der bapst, wie offentlich ist, also der Luther auch, wie offentlich ist, daß wider ihn keiner bei seinem leben reden darf aus seiner gemein; nur gehenkt! das seindt deren kinder so die propheten getötet haben. wie viel tausend haben sie erwürget und sie zu erwurgen bracht in kurzen jaren!“

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an denen sich der lutherische Erneuerungsgedanke entfaltete. Die Zentrierung auf Christus, die Fokussierung auf eine individuelle Heilserfahrung, die Fixierung auf die Heilige Schrift, die Zurückweisung der Verstandeserkenntnis und die Ablehnung des Heiligenkults – all dies sind Leitgedanken der lutherischen Lehre, die sich, wenngleich in grundsätzlich anderer Ausführung, im Denken Hohenheims wiederfinden.141 Konturen der Übereinstimmung bestehen ferner mit Blick auf gewisse Ideen des jungen Luther, darunter die Suspendierung des klerikalen Autoritätsanspruchs zugunsten eines Laienpriestertums aller Gläubigen.142 Tatsächlich finden sich in den Schriften des Hohenheimers auch gewisse Parallelen zur lutherischen Larventheorie. Während es nach Luther die göttliche Stimme ist, die durch alle Kreaturen hindurchklingt, ist es Paracelsus der spiritus mundi, der in allen Kreaturen wirkt und diesen somit ihr individuelles Wesen verleiht. Letzteres lasse sich an der spezifischen Oberfläche der Schöpfungsdinge ablesen.143 Paracelsus spricht diesbezüglich in seinem um 1530 entstandenen Liber de imaginibus von ‚Chiromantie‘: Also ist weiter zu reden von den figuren, die durch die chiromantia erkent und geurteilt müssen werden; dan auch an disem ort ist sehr viel an der chiromantia gelegen. […] ein arzet aber sol die kreuter und laub in irer und nach irer chiromantia erkennen und dardurch ir kraft und tugend erfahrn. die das holt arbeiten, als zimmerleut, schreiner und der gleichen sollen das holt an seiner chiromantia erkennen, warzu es taugt und gut sei. also ein bergman sol das bergwerk an seiner chiromantia erkennen, was für erz und metall da zu suchen und wie tief oder hoch es lige. also ein cosmographus die chiromantiam der landschaften, lender und wasserflüss erkennen sol. also auch der geographus die chiromantiam der erden und ertbidmen [= Erdbeben] erkennen sol. Dan ir solt wissen, das die chiromantia ein anfang ist der magica. und keiner kann volkomen magiam lernen, er wisse und lerne dan zuvor die chiromantiam. dan die chiromantia ist das ABC, das muß nun ein ieglicher lernen, will er anderst schriftgelert werden, also da auch. und die chiromantia ist ein geringe, leichte kunst zu lernen, doch aber hoch nützlich und löblich und mags ein ieglicher grober bauer lernen, der keinen buchstaben lesen kann, und in Aegypten noch ein gemeine, wolbekannte kunst und bei den Zigeinern in gutem wissen.144

141 Hartmut Rudolph: Einige Gesichtspunkte zum Thema „Paracelsismus und Luther“. In: Von Paracelsus zu Goethe und Wilhelm von Humboldt. Wien 1981 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 22), S. 9–25; ders. Schriftauslegung und Schriftverständnis bei Paracelsus. In: Medizinhistorisches Journal 16 (1981), S. 101–124, hier S. 108  f., 113 u. 118. 142 Gantenbein: Paracelsus als Theologe, S. 70  f. 143 Zum virtus-Begriff bei Paracelsus s. Dietlinde Goltz: Zur Begriffsgeschichte und Bedeutungswandel von vis und virtus im Paracelsistenstreit. In: Medizinhistorisches Journal 5 (1970), S. 169–200, hier S. 180–199. 144 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW1/13, S. 375  f.

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Die „chiromantia“ ist ein Anfang der magia; und doch ist sie nur eine von vielen Voraussetzungen für die Ausübung der paracelsischen Naturmagie. Wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, definiert sie sich über das Vermögen, ausgehend von der äußeren Gestalt der Schöpfungsdinge Rückschlüsse auf ihre jeweilige „kraft und tugend“, beziehungsweise auf ihre virtus, zu ziehen.145 Die „chiromantia“ ist in diesem Sinne eine „geringe, leichte kunst“, die ein jeglicher Bauer zu erlernen vermag. Im Labyrintus medicorum errantium entfaltet Paracelsus den Weg von der Naturerfahrung zum Naturwissen auf höherem Niveau als im Liber de imaginibus. Er setzt nunmehr bei Überlegungen über das praktische Verhältnis von Experiment, Experienz und Wissen an.146 Letzteres – Paracelsus spricht von scientia – beschreibt auf naturkundlichem Gebiet stets ein Wissen um die jeweiligen virtutes der Schöpfungsdinge. Hierbei gilt es zu beachten, dass die paracelsische scientia grundsätzlich anders konzipiert als der moderne Begriff von Wissen. Angesichts der Analogie von Mikrokosmos und Makrokosmos ist scientia nämlich nicht nur dem menschlichen Intellekt, sondern, in Gestalt der virtutes, auch der Natur selbst eingeschrieben. Vor diesem Hintergrund kann scientia im praktischen Umgang mit den natürlichen Dingen der Schöpfung unmittelbar erfahren werden. Die experientia ist eine „kuntschaft von dem, was in dem scientia probiert wird.“147 Wie dies genau zu verstehen ist, verdeutlicht Paracelsus anhand eines Beispiels: ein birnbaum, der da frucht tregt, der muß das selbig aus der scientia tun. nun ist im die scientia geben von got, also das er durch die scientiam blüe tregt, bletter macht und birn formirt. das ist nun ein große kunst, das in einem holz solche scientia sein sol. dan ob nur ein mensch wolt etwas malen oder schreiben, so muß es geschehen durch die experientiam und durch experimentum; das holz hat [das] von natur in im und von natur ist es ein baum, ein solche scientia verborgen in ir […]. der birnbaum, der hat seine scientiam in ime und wir, die seine werke sehen, haben experientiam seiner scientia. also geben wir kuntschaft durch die experienz, dass scientia perfecta im selbigen baum sei.148

Das Wissen über einen Sachverhalt liegt im Wissensobjekt selbst verborgen. Auf das Experiment folgt die Experienz, die ihrerseits eine „kuntschaft“, das heißt ein Erfahrungswissen, repräsentiert. Die „kuntschaft“ ist jedoch nach Paracelsus noch kein Wissen im eigentlichen Sinne, zumal Wissen entsprechend seiner Epis-

145 Vgl. Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 122–130; Murase: Analogie als Magie, S. 23  ff.; Michael Baxandall: Die Kunst der Bildschnitzer. Tilman Riemenschneider, Veit Stoß und ihre Zeitgenossen. München 1984, S. 42. 146 Vgl. Schipperges: Magia et Scientia bei Paracelsus, S. 78–82. 147 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 192. 148 Ebd., S. 191  f.

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temologie stets das Produkt eines Analogieschlusses vom Makrokosmos auf den Mikrokosmos ist. Der Erwerb von scientia beruht demnach stets auf einem ‚magischen‘ Akt der Selbstverständigung: Der Naturforscher muss seinem Verstand – genauer gesagt seinen siderischen Leib  – auf das sichtbare Resultat des Experiments hin transparent machen, um sein Erfahrungswissen in wahres Wissen zu verwandeln. Auch wenn große und kleine Welt sich nach äußeren Kategorien unterscheiden, ist das Wissen, das sie jeweils inkorporieren, ein und dasselbe. Damit wird deutlich: Jedwede scientia ist angesichts ihrer unbedingten Präexistenz im menschlichen Geist von metaphysischer und somit von okkulter Natur. Paracelsus geht nun noch einen Schritt weiter, indem er diese Epistemologie auf das Verstehen der Bibel anwendet: Wenn „got dem birnbaum solche scientiam geben hat, wievil mer [wird er dann] einem menschen geben, der nach inhalt des ersten Buchs [Mose] rechtschaffen studierte.“149 Damit weitet sich der Bereich des Intelligiblen auf Gottes ewiges Wort aus. Hiermit ist denn auch der Punkt erreicht, an dem Paracelsus sich über die lutherische Glaubenslehre und die damit verbundene Ethik hinwegsetzt. Die Absicht, das Erste Buch Mose in einem Akt von Selbstverständigung auf das göttliche Schöpfungswort hin zu transzendieren, stellt aus Luthers Sicht einen Ausdruck teuflischer Hybris dar. Paracelsus hingegen sieht sich nicht nur als Vertreter einer mystischen Naturfrömmigkeit, sondern auch als Mediziner dazu berufen, durch Erkundung der geheimen virtutes der Natur zu einem letztlich göttlichen Schöpfungswissen zu gelangen. Würde sich der Naturforscher mit der sinnlichen Außenseite der Kreaturen zufriedengeben und darauf verzichten, deren okkultes Potenzial zu ergründen, würde er in seinem Bemühen um scientia scheitern. Dies illustriert der Hohenheimer am Beispiel der Erforschung des Windengewächses Scammonea, das zu seiner Zeit als Abführmittel genutzt wurde: also merket auch dis exempel: scammonea purgirt, das tut er cum scientia, die in got geben hat, und was er purgiren sol und wie […]. so du aber der Scammonea art und wesen nit weißt, so hast du experimentum on scientia […], hast von ir nichts mer dan von einem wort, das du nicht weißt was ist. als du bist französisch und hörtest deutsch, du weißt wol deutsch ist, aber nicht was es ist. und weiter merket von der experienz, das beweisen die augen, noch ist aber der verstant nit da, dan die augen zeigen experimentum an, nit aber experientiam nicht, welche also verstanden sol werden.150

Indem Paracelsus hier zu verstehen gibt, dass Wörter ohne den „verstant“ nichts weiter als nuda vocabula sind, so scheint es, als protestiere er hiermit gegen die

149 Ebd., S. 192. 150 Ebd.

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lutherische Interpretation der verba creata als Larven, die zwar nach der gramma­ tica divina geordnet sind, aber angesichts der Unüberwindlichkeit ihrer ‚nackten‘ Vorderseite dem menschlichen Bedürfnis nach Gottesnähe nicht genüge tun. Gottes Rede müsse vielmehr – entgegen Luthers Warnung vor der diabolischen Überheblichkeit des Verstandes – auf ihren eigentlichen, geistigen Mehrwert hin ausgelegt werden. Der Hohenheimer reiht sich mit dieser Anschauung unverhohlen unter die Schwarmgeister ein, deren oftmals spiritualistischen Lehrmeinungen Luther spätestens ab 1526 in aller Schärfe verurteilte.151 Nach Paracelsus führt der Weg zur Erkenntnis des göttlichen Schöpfungswissens auf unmittelbarer Erfahrung: „So du nun der scammonea ir wesen ablernest, also das was in dir ist wie in der scammonea, so hast du experientiam cum scientiam […].“152 Die Vorstellung, dass die virtus einer Pflanze im siderischen Leib eines jeden Menschen ebenso vorhanden ist wie in der Pflanze selbst – und erst dadurch überhaupt ‚abgelernt‘ werden kann – ist neuplatonischem Ursprungs: Nichts lässt sich seinem Wesen nach erfassen, ohne dass sich der Schauende dem Gegenstand seines Schauens nicht verwandt und ähnlich gemacht hätte.153 Daher ist für einen Arzt, der über die inneren Qualitäten aller Kreaturen, ihre virtutes specificae, Kenntnis erlangen will, ein tugendhaften Leben oberstes Gebot.154 Erst unter der Voraussetzung der ärztlichen Tugend können kleine und große Welt auf der Hypostase der virtutes – oder um mit den Platonikern zu sprechen: auf der Hypostase der Ideen  – vereinigt werden.155 Indem sich der Naturforscher über

151 Zum Schwärmerdiskurs s. Thomas Kaufmann: Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der ‚Schwärmer‘ im frühneuzeitlichen. Luthertum. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Hg. von Kaspar von Greyerz u.  a. Gütersloh 2003 (SVRG 201), S. 179–241; ferner auch Alois M. Haas: Der Kampf um den Heiligen Geist. Luther und die Schwärmer. Freiburg i. Ü. 1997. 152 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 191. 153 Vgl. Kap. 5.8, S. 195, Anm. 244. 154 Vgl. Heinrich Schipperges: Die Entienlehre des Paracelsus. Aufbau und Umriß seiner Theoretischen Pathologie. Berlin u.  a. 1988, S. 117–120; ders.: Der Arzt Paracelsus zwischen Physica und Virtus. In: Wissenschaft zwischen Qualitas und Quantitas. Hg. von Erwin Neuenschwander. Basel 2003, S. 77–90, hier S. 83  f. 155 Zur Vorstellung der quasi-mystischen Vereinigung des menschlichen Geistes mit der Idee bzw. dem ‚himmlischen Geist‘ einer jeden Kreatur s. Paracelsus: De lunaticis. In: SW 1/14, S. 58: „Haben wir ein sinn auch, der fleugt aus uns und bleibt nit in uns, dan ein jegliche vernunft ist eim geist gleich: als so ich gedenke zu erfarn den himel, so ist mein geist im himel. Zu erfarn die keuter so ist mein geist in kreutern. Nun sind geist im himel, geist in den kreutern, also im luft, also im wasser dieselben geist und mein geist, die komen zusamen. Nun hat mein geist auch ein lauf, den richt ich, wie ich in für, nun hat der himel in seim geist auch ein lauf, und mein geist ist in mir als eim viech und des himels geist ist in sternen als in seim viech. Dorauf so fügt er sich nun, das do die zwei zusammen kommen […].“; vgl. hierzu Greyerz: Alchemie, Hermetismus

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den Aufstieg in seinen inneren Himmel der göttlichen Sphäre der All-Einheit annähert, geben sich ihm alle Kreaturen gemäß ihrer individuellen virtutes zu erkennen. Tatsächlich ist das Konzept eines platonischen Ideenreiches seinem Prinzip nach auch noch für Paracelsus von Bedeutung: Er verwendet hierfür den Begriff ‚firmament‘, der in diesem Kontext vom Terminus firmamentum, der die Himmelsfeste bezeichnet, zu unterscheiden ist. Hohenheims Firmament beschreibt ein „dynamisches Ordnungsmuster“ (W. Kühlmann) von geistigen Qualitäten,156 das sich sowohl mikrokosmisch als auch makrokosmisch exemplifiziert. Im Rückgriff auf diesen sehr allgemein gehaltenen Begriff gelingt es ihm, die Kluft, die zwischen innerem und äußerem Himmel besteht, konzeptuell zu überwinden. Das Zentrum, ja gleichsam die ‚Sonne‘ des Firmaments, bildet freilich der Geist Gottes. Dessen metaphysisches Licht ergießt sich in die Niederungen der kreatürlichen Welt, wobei es macrocosmice den gestirnten Himmel und microcosmice die ‚siderische‘ Hypostase des Intellekts durchfließt und sich dabei zusehends verdunkelt. Alle scientia ist dementsprechend eine Eingießung ins irdische Diesseits: „also muß scientia ein einfluß sein, dann sie ist verborgen in der natur, noch muß sie heraus: dan [was] in der natur verborgen, were uns nichts nüz […]. und nichts ist so heimlich das nicht offenbar werde.“157 Trotz der Verwendung der Fließmetaphorik denkt Paracelsus die virtutes der natürlichen Dinge nicht als platonische ideae, sondern eher als aristotelische formae, zumal sich diese nicht nur im menschlichen Intellekt, sondern auch konkret in der Natur verorten lassen.158 Wenn ein Birnbaum „durch die scientiam blüe tregt, bletter macht und birn formirt“, so erweist sich die ihm eingeschriebene virtus gewissermaßen als sein metaphysisches Genom. Jedes einzelne Gewächs, jedes Lebewesen und sogar jedes Mineral beinhaltet ein solches Metaphysikum, das seine virtus sowie die ihm eingeschriebene scientia ausmacht. Im praktischen Umgang mit diesem Geistigen überschreitet der Laborant die Schwelle von der

und Magie, S. 419  f.; Walter Pagel: Paracelsus als Naturmystiker. In: Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt (Grands Momentes de la Mystique de la Nature. Mystical Approaches to Nature). Hg. von Antoine Faivre u. Wolf Christian Zimmermann. Berlin 1979, S. 52–104, hier S. 57. 156 Wilhelm Kühlmann: Begriffshermetik und Signaturen. Grundzüge und Probleme der der naturkundlichen Hermeneutik im frühneuzeitlichen Paracelsismus. In: Geschichte der Hermeneutik und die Methode der textinterpretierenden Disziplinen. Hg. von Jörg Schönert u. Friedrich Vollhardt. Historia Hermeneutica 1. Berlin, New York 2011, S. 15–42, hier S. 36. 157 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 192. 158 Vgl. Goltz: Zur Begriffsgeschichte und Bedeutungswandel von vis und virtus im Paracelsistenstreit. In: Medizinhistorisches Journal 5 (1970), S. 169–200, hier, S. 170.

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Alchymia hin zur magia. In ihrer Rolle als ein allumfassendes Wissen repräsentiert die magia gewissermaßen die scientia um alle scientiae. Ferner ist sie, wie im Falle von De tribus facultatibus, trichotom strukturiert: aus dem folgt nun, das die magica in seinen dreien methodis [= experimentum, experientia und scientia] dise heimlikeit offenbart, das ist die schul medicorum, philosophorum und astronomorum, auch anderer dergleichen. dan also muß die scientia in dir sein, oder es ist alles ein lere fantasei und tollerei, daraus die fantasten wachsen, große subtiliteten, großes speculiren und mit nichten im grunt verfaßt, ein irgang der nichts guts ist.159

Die scientia magica umfasst die Gebiete von Medizin, Naturphilosophie und Astronomie und pflegt den Umgang mit natürlichen virtutes, deren Wirkung sich experimentell überprüfen lässt: Sonst wäre sie kein Wissen, sondern bloße „fantasei und tollerei“. Sie beschreibt jedoch zugleich eine Kunst, die nicht nach dem Prinzip der experientia, sondern nach dem Prinzip der chiromantia verfährt. Sonst wäre sie nicht magisch. Die paracelsische Naturmagie ist demgemäß ein geheimes Schöpfungswissen, das auf dem Wege der Hermeneutik die Verfügbarkeit okkulter Qualitäten ermöglicht und dabei einer Überprüfung durch die Experienz standhält.

7.4.2 Die makrokosmische Realisierung des Firmaments Ausgehend von der magia ist es möglich, den virtutes der Natur zur Entfaltung zu verhelfen und diese auf iatrochemischem Wege zu heilkundigen Zwecken nutzbar zu machen. Da Paracelsus in den virtutes von Pflanzen, Tieren und Mineralen zugleich deren Seinsgrund erblickt, bezeichnet er diese mitunter als ‚Samen‘ (semina). Alle Schöpfungsdinge haben in diesem Sinne einen doppelten Samen: einen sichtbaren, aus dem sie ihr körperliches Dasein empfangen, und einen unsichtbaren, der ihnen ihre geistige Existenz verleiht. Die Geistsamen waren von jeher im spiritus mundi, dem ursprünglichsten aller Samen, enthalten. Diese Lehrmeinung ist unproblematisch, zumal der Geist der Weisheit im Liber sapien­ tiae als multiplex beschrieben wird (Sap 7,22). Im Rahmen seiner Schöpfungslehre untergliedert Paracelsus die Vielzahl an semina, die der Geist in sich begreift, unter dem Namen „yliaster“ in die vier Elemente, die er hierbei als ‚Mütter‘ aller zukünftigen Dinge bezeichnet:

159 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium. In: SW 1/11, S. 192.

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und ein element ist ein muter, deren seind vier, luft, feur, wasser, erden; aus den vier mütern werden alle ding geboren der ganzen welt […]. Nun aber das wir komen zu unserem anfang, von den elementen ist ein solchs zu verstan, das am ersten der yliaster zu vier teil geteilt ist: in den luft, der ist der himel, der es alles beschleußt; in das feuer, das ist das firmament, das liecht und nacht gibt, kalt und warm; in die erden, die alle frücht gibt und tritt des fußes; in das wasser, aus dem alle mineral kommen und die halb narung der lebendigen.160

Im Buch Paramirum legt Paracelsus dar, dass die vier Elemente als „matrices“ der Geistsamen zu Beginn der Kosmogonie noch von metaphysischer Natur waren: Was soll man sagen von der matrice? das sie unsichtbar ist und niemand sicht ir erst materiam; denn wer kann das sehen, das vor im gewesen ist? wir kommen aus der matrix, nie keiner hats aber gesehen, dan sie ist gewesen vor dem menschen. und wiewol der mensch aus ir kompt und für und für geboren, noch hats keiner gesehen. Die welt ist aus der matrix geboren […]. darumb so müssen da unsichtig sein, alles das da ist in den vier elementen.161

Hohenheims Nachfolger haben sich mit der Frage, wie das Werden der leiblichen Kreatur aus ihrem geistigen Ursprung vonstattenging, eingehender befasst. Croll äußert sich hierzu folgendermaßen: „[G]leich wie die Seele jhren Leib von sich absondert vnnd in jhm wohnet: Also haben auch diese Geistliche Elementen in der Absonderung aller Ding die sichtbare Crper von sich abgelegt.“162 Demnach stellte das fiat lux für die Geistsamen gleichsam einen Moment des Erwachens dar. Hierbei projizierten sie ihre individuellen corpora in die Finsternis und kehrten sodann darin ein. Die Existenz des Stofflichen gründet sich demzufolge prinzipiell auf das Metaphysische. Damit leistet sich Croll einen Verstoß gegen den paulinischen Lehrsatz, wonach zunächst das animale und erst dann das spi­ ritale Bestand hat.163 Die sichtbare Welt repräsentiert nichts weiter als „Excrement oder Unrath“ der Geistsamen.164 Croll interpretiert die primordiale Scheidung des Wassers also im Sinne einer ‚Ausscheidung‘. Das Stoffliche selbst setzt sich, wie auch im Falle von Suchtens prima materia, aus den drei Prinzipien von sal, sulphur und mercurius zusammen.165 Ehe die semina sich auf diese Weise ­leiblich

160 Paracelsus: Philosophia de generatione et fructibus quatuor elementorum. In: SW 1/13, S. 10  f. 161 Paracelsus: Paramirum. In: SW 1/9, S. 190  f. 162 Croll: Basilica chymica, S. 19; zur paracelsistischen semina-Theorie s. Jole Shackleford: with a Mechanical Purpose. Severinus’ Semina and Seventeenth-Century Matter Theory. In: Reading the Book of Nature. The Other Side of the Scientific Revolution. Hg. von Allen G. Debus u. Michael T. Walton. Kirksville (Missouri) 1998, S. 15–44, hier S. 19–23. 163 1 Cor 15,46: „Sed non prius quod spiritale est, sed quod animale: deinde quod spiritale.“ 164 Croll: Basilica chymica, S. 36. 165 Ebd., S. 20.

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aktualisierten, verharrten sie in reiner Potenz, „sintemal der Saame […] ohne einen Leib nichts verrichten kann“.166 Demnach persistieren Same und Körper seit der Scheidung in einer unauflöslichen Symbiose, durch die jedwede Kreatur ihr natürliches Dasein empfängt. Croll gibt in seiner Erinnerungsvorrede der Beschreibung der Weltentstehung aus den Geistsamen viel Raum, wobei er sich auf den berühmten dänischen Paracelsisten Petrus Severinus (1542–1602) beruft,167 dessen Kosmologie er in einem seitenlangen Zitat wiedergibt.168 Hierbei vergleicht er den Kosmos hinsichtlich seines kugelförmigen Aufbaus mit einem Ei, wobei der Eidotter für die sublunare Welt, das Eiklar für den gestirnten Himmel steht. Der untere Globus besteht aus Erde und Wasser, der obere aus Feuer und Luft. In Übereinstimmung mit Paracelsus beschreibt Croll die präkreationalen Elemente als unsichtbare Behältnisse („receptacula“) der kategorial verschiedenen Geistsamen: In diesen vieren vncorporischen lren Naturen hat der Schpffer durch die Krafft deß Worts/ welche die vnierte oder vereinigte Mnge erklret/ zusampt dem Geist/ so uber den Wassern schwebet/ die Sonne vnd aller Dinge seminales rationes durch den Gttlichen Segen einmal erfllt/ vnd jmmerwehrendt durch eine vnbegreiffliche Magiam auß den ewigen Schtzen der Gttlichen Weißheit/ gesetzt […]. 169

Demnach handelte es sich bereits bei der Erschaffung der Welt um einen magischen Akt. Die von der göttlichen Weisheit beseelte ‚Magierin Natur‘ generiert, ordnet und perfektioniert seither alle Schöpfungsdinge gemäß ihrer seminalen Bestimmung. In der Astronomia magna (1537/38) weist Paracelsus gleich zweimal darauf hin, dass die Natur als verlängerter Arm des Allmächtigen „an ir selbs ein maga ist.“170 Aufgabe des magus ist es daher einerseits, der Natur das Wissen, das sie verwahrt, auf chiromantische Weise ‚abzulernen‘. Andererseits ist er dazu angehalten, ihr anhand dieses Wissens zur Entfaltung ihres heilsamen Potenzials zu verhelfen. Hierzu bedient er sich alchemischer Praktiken der Reinigung, Veredelung und Perfektionierung, deren ultimatives Ziel in der Zeugung des lapis philosophorum besteht. Kennzeichnend für die paracelsische Kosmologie ist die Theorie, dass die Geistsamen der unteren Welt allesamt mit den Geistsamen der astralen Sphäre

166 Ebd., S. 22. 167 Zu Severinus’ Bedeutung für die Entwicklung der Strömung des Paracelsismus s. Jole Shackleford: A Philosophical Path for Paracelsian Medicine: The Ideas, Intellectual Context, and Influence of Petrus Severinus (1540/2–1602). Kopenhagen 2004. 168 Croll: Basilica chymica, S. 17. 169 Ebd. 170 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 132 u. 462.

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verwandt, ja sogar gemäß ihrer jeweiligen virtutes identisch sind. Diese Vorstellung basiert auf dem zweiten Spruch der Tabula smaragdina, wonach „das Untere dem Oberen und das Obere dem Unteren [gleicht].“171 Das paracelsische ‚Firmament‘, welches an sich ort- und zeitlos ist, realisiert sich demnach nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden. Hierin liegt denn auch der Grund, weshalb Hohenheim und seine Nachfolger nicht nur die himmlischen, sondern auch die irdischen Geistsamen bisweilen als ‚gestirne‘ oder astra bezeichnen. Demgemäß erklärt Croll in De signatura rerum: „Vnd also ist ein jedes Kraut ein Jrdischer Stern/ so sich gegen dem Himmel richtet: Vnd ein jeder Stern ist ein Himmlisch kraut in einer Geistlichen Form/ in keinem Ding von den Krutern der Erden unterscheyden/ als allein in der Materia.“172 Im Wissen um das firmamentale Ordnungsmuster lässt sich das ‚gestirn‘ sowohl im Himmel als auch Erden konkret verorten.173 Die terrestrische Welt der Pflanzen, Tiere, Metalle und Minerale gemäß ihrer seminalen Substruktur ein Spiegelbild des gestirnten Himmels: dan der saturnus ist nicht allein im Himel sonder auch im understen des meers und im hülisten der erden. nicht allein melissa im garten sonder im luft sonder auch im himel. was meinen ir, das venus sei, als ein artimisia? was artimisia als allein venus? […] was also ist ferrum? nichts dan mars, was mars? Nichts dan ferrum, das ist, sie sind beide ferrum oder mars, dasselbige ist auch urtica, auch tereniabin quarta, und ist alles eins.174

Derartige Aperçus dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die obere und die untere Repräsentation des Firmaments nicht völlig äquivalent sind: Tatsächlich besitzt stets das obere Gestirn das Regiment über sein unteres Pendant, mit dem es gleichwohl seine geistige Kraft teilt. Die Dominanz des äu­ße­ren Himmels liegt darin begründet, dass das kugelförmige Zentrum, das sei­nerseits aus den ‚kalten‘ Elementen von Erde und Wasser gebildet ist, nach paracelsistischer Vorstellung seine Fruchtbarkeit aus den feurigen und luftigen Höhen des äußeren Globus empfängt. Hinzukommt, dass Naturphänomene wie 171 Zur Tabula smaragdina s. Didier Kahn: Preface. In: Hermes Trismegiste: La table d’émeraude et sa tradition alchimique. Hg. von dems. Paris 1994, S. XXI–XXII sowie Michela Pereira: Heavens on Earth. From the Tabula Smaragdina to the Alchemical Fifth Essence. In: Early Science Medicine 5, Heft 2 (2000), S. 131–144. 172 Oswald Crollius: De signaturis internis rerum. Die lat. Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623). Hg. u. eingeleitet von Wilhelm Kühlmann u. Joachim Telle. Stuttgart 1996, S. 160–234, hier S. 176. 173 Vgl. Paracelsus: Mantischer Entwurf. In: SW 1/10, S. 643: „das gestirn teilt sich in zwen teil. das ein ist im himel in den sternen, das ander gestirn ist in der globul der erden […]. als aus der erden die frücht treibt das gestirn der globul heraus; on das gestirn geschehe es nit, also auch in andern dingen allen so aus der erden wachsen.“ 174 Paracelsus: Paragranum. In: SW 1/8, S. 146.

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die Gezeiten, das Klima sowie die Tages- und Jahreszeiten de facto vom Lauf von Sonne und Mond abhängig sind. Vor allem aber besitzt der gestirnte Himmel gemäß der pseudo-dionysischen Sphärenhierarchie eine größere Gottesnähe als die terrestrische Welt und somit ein größeres Potenzial an metaphysischen Kräften. Das untere Gestirn untersteht somit der fortwährenden Influenz des oberen Gestirns. Zudem variieren die Astralkräfte je nach der ihnen zugeordneten Hypostase in ihrer Qualität: Während sie innerhalb ihrer angestammten, himmlischen Sphäre – wie sich an den geordneten Bahnen der Sterne und Planeten erkennen lässt – auf vernünftige Weise wirken, erzeugen sie innerhalb der terrestrischen Sphäre vegetatives, bestenfalls sinnlich begabtes Leben.175

7.4.3 Die mikrokosmische Realisierung des Firmaments In der Tat lässt sich das makrokosmische Verhältnis von Himmel und Erde ohne weiteres auf die kleine Welt, den Menschen, übertragen. Analog zum Sternenhimmel des Makrokosmos realisiert sich das Firmament im Mikrokosmos erstens ‚himmlisch‘, nämlich in Gestalt seines siderischen Leibs, der die gesamte scientia der Natur enthält: Seine inwendigen ‚Gestirne‘ sind nichts anderes als die vir­ tutes aller Himmelskörper, die sich ihrerseits zugleich in allen Pflanzen, Tieren, ­Metallen und Mineralen widerspiegeln.176 Zweitens verwirklicht sich das Firma175 Der Gedanke der hierarchischen Untergliederung des Kosmos hat auf die mittelalterliche Mystik großen Einfluss ausgeübt; so auch auf Meister Eckhart, der die elementischen Kräfte der Kräuter und Gesteine auf den Einfluss der Himmelskörper zurückführt. Vgl. Pr. 54 A. In: DW I, S. 576,6–23: „Ieglich gesteine und krût ist ein hiuselîn der sternen, das in im beslozzen hât eine himelische kraft. Alsô als der himel giuzet sîne kraft in die sternen, alsô giezent sie die sternen vürbaz in daz gesteine und in diu kriuter und in diu tier. Daz krût ist edeler dan daz gesteine, wan ez hât ein wahsendez leben […]. Alsô als der niderste engel giuzet sîne kraft in den himel und beweget den und tuot in umbeloufen und würken, alsô giuzet der himel sîne kraft gar heimlîche in ein ieglich krût und in diu tier. Dâ von hât ein ein ieglich krût ein eigenschaft des himels und würket alumbe sich sinwel [= rings um sich herum] als der himel. Diu tier treten baz ûf und hânt viehelich und sinnelich leben und blîbent doch in der zît und in der stat. Aber diu sêle tritet über an irm natiurlîchen liehte in irm hœhsten über zît und über stat in die glichnîsse des liehtes des engels und würket mit im vernünfticlîche in dem himel.“ 176 Die Ursprünge dieses Konzepts liegen in der platonischen Ideenlehre. Auch finden sich deutliche Anklänge an Platons Dialog Timaios, wo davon die Rede ist, dass der göttliche Demiurg aus den kleinsten Bestandteilen von Feuer, Wasser, Luft und Erde das Knochenmark des Menschen schuf, um darin die ‚Samen‘ aller natürlichen Dinge zu vereinen. Das Knochenmark ist demgemäß ein Extrakt aller Kreaturen. Zudem gleicht es einem Band, das die Seele mit dem Leib verknüpft und somit den Grundstoff für die physische und psychische Konstitution des menschlichen Geschöpfs repräsentiert [Tim. 73 b–d]. Bezeichnenderweise sind dies alles Eigenschaften, die auf die quinta essentia zutreffen – und somit auf Suchtens ‚Himmel des Menschen‘.

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ment auf der ‚niederen‘ Ebene der vegetativen Funktionen des menschlichen Organismus, und zwar je nach Gestirnskonstellation in Form von Gesundheit und Krankheit. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb ein medicus immer auch ein astronomus sein muss: Das Firmament realisiert sich innerhalb des Mikrokosmos nicht nur auf der Stufe des gleichsam ‚himmlischen‘ Intellekts, sondern auch auf der Stufe des leiblich-affektiven Lebens. Da es nun hier wie dort auf je spezifische Weise wirkt, lässt es sich – angesichts der Analogie vom Mikrokosmos und Makrokosmos  – in der Außenwelt auf je spezifische Weise erkunden: Einerseits über die Deutung der Gestirnskonstellationen und andererseits über das ‚chiromantische‘ Studium der niederen Natur. Entsprechend der langen Tradition und der großen Autorität des pseudo-dionysischen HypostasenModells hat die Doppelrolle des Gelehrten als medicus und als astronomus eine äußerst rege Rezeption erfahren: so etwa in den hermetischen Traktaten, dem mittelalterlichen Magie-Buch Picatrix, Ficinos dreiteiligem Werk De vita sowie in dem Albertus Magnus zugeschriebenen Libellus de secretis mulierum, der zur Zeit Hohenheims zu den beliebtesten Arzneibüchern zählte.177

7.4.4 Das arcanum Die Theorie, dass der Mensch Krankheit und Heilung durch das Gestirn empfängt, war zu Hohenheims Zeit nicht neu. Schon in der Antike bestand kaum ein Zweifel hinsichtlich der astrologischen Lehrmeinung, dass die physische und psychische Konstitution des Individuums mit Gestirnskonstellationen in Zusammenhang steht. Die Astromedizin – auch als ‚Iatroastrologie‘ oder ‚Iatromathematik‘ bekannt – verband sich im Mittelalter mit der Vier-Säfte-Lehre und fand in den naturphilosophischen Diskursen eines Marsilio Ficino oder Agrippa von Nettesheim eine teils hochsubtile Rezeption.178 So auch bei Paracelsus: Der medizinische Zweig der magia richtet sich darauf, die Homologien, die zwischen dem äußeren und dem inneren Himmel, aber auch zwischen den oberen Gestirnen und der fruchttragenden Erde bestehen,179 zu heilkundigen Zwecken zu nutzen. Paracel-

177 Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 125. 178 Vgl. Christoph Weißer: Iatromathematik. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hg. von Werner E. Gerabek u.  a. Berlin, New York 2005, S. 652–655; Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Der Höhepunkt der Iatromathematik. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 4 (1981), S. 41–50. 179 Zu dem prinzipiell homologen – und somit harmonischen – Verhältnis von Gestirn und Welt vgl. Johann Arndt: Vom wahren Christentum IV, Kap. 3, S. 216  f.: „Alle Creaturen/ wie wol sie wunderlich vnterschieden sein/ sind sie doch zu einem einigen ende und Ziel verordnet/ nemlich dem Menschen zu dienen. Dan wir sehen/ wie die obersten Crper in die vndern Wircken. Die

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sus bezeichnet diese Homologie als ‚Konkordanz‘. Der Konkordanz-Begriff steht im Kontext mit einer iatrochemischen Praxis, die darauf zielt, dem Menschen die Astralkräfte der vegetabilia, mineralia und animalia in Form von Arzneien verfügbar zu machen, auf dass diese im Krankheitsfall die Disharmonie des äußeren Sternenhimmels mit seiner niederen Repräsentation im menschlichen Organismus nach der similia-similibus-Doktrin beheben mögen.180 Dass sich das Firmament nicht nur auf intellektueller, sondern auch auf leiblicher – das heißt vegetativer, mithin affektiver – Ebene verwirklicht, ergibt sich auch mit Blick auf die Analogie, die zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos besteht: „es muß etwas im leib sein, das die gestirn annimt, so sie in leib wirken. dan so nichts im leib wer, das dasselbig annemme, so möchte das gestirn nicht hinein. Als die erden nimbt die sonn an, dan ursach es ist ein anziehende kraft in derselbigen, das die sonn an­zeucht […].“181 Indem der Leib das himmlische Gestirn – analog zur makrokosmischen ‚Erde‘ – an sich zieht, entfaltet dieses seine Kräfte auch im Menschen. Da nun das gesundheitliche Wohlbefinden maßgeblich von der Harmonie des bilateralen astralen Kräfteverhältnisses abhängt, gibt es an einem Arzt nicht Höheres, dan das wissen beider astra concordierung. dan da ligt der grunt aller krankheiten. da ist nun alchimia der eußer magen, der da bereit dem gstirn das sein. nicht als die sagen, alchimia mache gold mache silber; hie ist das fürnemen mach arcana und richte dieselbigen gegen den krankheiten; da muß er hinaus, ist also der grunt.182

Der Begriff arcanum ist biblischen Ursprungs.183 Es beschreibt Geheimes und Verborgenes, doch im Gegensatz zum Terminus mysterium nichts Übernatürliches oder gar Unheimliches.184 Auch ist dieser Begriff nicht nur in der paracelsischen Heilkunde anzutreffen; man findet ihn unter anderem auch bei Jean François

Elementa geben den Frchten jre Nahrung/ die Frchte den Thieren/ die Thiere dem Menschen. Also erhelt eines das ander. Eins hilfft dem andern. Die obern Krffte dienen dem vntern/ vnnd gehen alle in einer schnen consonantz vnd ordnung zu einem einigen Ende/ in eine Einigkeit vnd Freundtschafft deß Menschen.“ (Hier, wie an allen weiteren Stellen, zitiert nach: Vom wahren Christenthumb. Joachim Böel, Magdeburg 1610). 180 Vgl. Kurt Goldammer: Die Astrologie im ärztlichen Denken des Paracelsus. In: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze. Hg. von dems. Wien 1986 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24), S. 250–262, hier S. 256  f. 181 Paracelsus: Paragranum. In: SW 1/8, S. 163. 182 Ebd., S. 185. 183 Vgl. Kap.  5.9, S.  197, Anm.  250. Zum paracelsischen Begriff des arcanum s. Schipperges: Magia et Scientia bei Paracelsus, hier S. 85–89. 184 Goldammer: Naturphilosophie und Theologie der Heilung und der Heilmittel des Paracelsus. In: Der göttliche Magier und die Magierin Natur. Hg. von dems. Stuttgart 1991 (Kosmosophie 5), S. 75–96, hier S. 83.

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 Suchtens Magie

Fernel, Cornelius Gemma und Jean Bodin.185 Nach Paracelsus ist das arcanum eine vom magus konkretisierte und konzentrierte metaphysische Kraft, die jedwedem Heilmittel überhaupt erst seine Wirkung verleiht,186 oder um mit dem Hohenheimer selbst zu sprechen: „dan das wir sehen, ist nit die arznei sonder das corpus, darinnen sie ligt. dan die arcana der elementen sind unsichtbar […]. das da sichtbar ist, ist das eußer, das nit darzu gehört.“187 Ferner sind die arcana „volatilia“ und ein „Chaos“,188 das heißt von luftiger, ätherischer Natur.189 Um dem körperlosen Wesen der arcana Rechnung zu tragen, ist der Arzt dazu angehalten, den pflanzlichen oder mineralischen Rohstoffen, in denen sie vorkommen, mithilfe der Chemiatrie eine möglichst reine und subtile Gestalt zu verleihen. Auf diese Weise könnten sie ihre Heilkraft in größtmöglichem Umfang entfalten. Letztlich aber ist es stets der Allmächtige selbst, der den Menschen über das arcanum seine Gnade erweist, denn dieses ist eine „gab aus gott, darein ein tugent on alle creaturische hilf aus got gegossen ist.“190 Damit die ‚Tugend‘ dieser Gabe ungehindert zutage treten kann, bedarf es lediglich noch eines alchemischen Prozesses der Präparation, auf dass die im Stofflichen verborgene virtus ihr heilsames Potenzial so weit wie möglich entfalte: Das arcanum ‚an sich‘ ist „alle tugend des dings mit tausendfacher besserung“.191 Ausgestattet mit einer spezifischen okkulten Kraft sind die arcana mit den astra nahezu identisch. Die beiden Begriffe unterscheiden sich offenbar einzig darin, dass sich unter den astra auch solche finden, die sich auf den Menschen schädlich auswirken, wohingegen das arcanum grundsätzlich heilsame Kräfte besitzt.192 Im Hinblick darauf, dass sowohl das eine wie das andere seine okkulte Kraft vom Himmel empfängt, assoziiert Paracelsus seine Iatrochemie anderenorts mit Magie:

185 Vgl. Martin Mulsow: Arcana naturae. Verborgene Ursachen und universelle Methode von Fernel bis Gemma und Bodin. In: Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit. Semantische Perspektiven zwischen 1500 und 1700. Hg. von Thomas Leinkauf. Tübingen 2005, S. 31–68. 186 Wels: Magie und (Al)Chemie im 16. Jahrhundert, S. 190  ff.; Goldammer: Naturphilosophie und Theologie der Heilung, S. 79. 187 Paracelsus: Paragranum. In: SW 1/8, S. 94. 188 Ebd., S. 186. 189 Goldammer: Naturphilosophie und Theologie der Heilung, S. 85. 190 Paracelsus: De vera influentia rerum. In: SW 1/14, S. 223. 191 Paracelsus: Achidoxis. In: SW 1/3, S. 139. 192 Ansonsten aber finden die beiden Termini oft unterschiedslos Verwendung; vgl. z.  B. Croll: Basilica chymica, S. 24: „Dannhero dann gnugsamb erscheinet/ das die Kranckheiten nicht durch jhr contrarium oder widerwertiges geheylet vnd vertrieben werden als solte die Hitz die Klte austreiben/ oder als seyen die Elementa auß dem Menschen herauß zu jagen: Sonder durch die Arcana oder Astra [!], welche der Medicus durch Hlffe der Alchimy auß der letzten Matery in die erste bringen kann.“

Das Firmament 

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Erstlich von allen dingen will ich euch underricht geben und zu verstehen, was magica sei. eben das ist sie, das sie die himlische kraft mag in das medium bringen und in dem selbigen sein operation volbringen. das medium ist der centrum, der centrum ist der mensch. also mag durch den menschen die himlische macht in den menschen gebracht werden, also das im selbigen menschen erfunden wird die selbige wirkung, so in der selben constellation möglich ist. also wird aus dem selbigen menschen, in den die magica gebracht hat solche vires, gleich der selbig stern, wie er an im selbs ist, mit den selbigen secretis und arcanis; zu gleicher weis als wenn einer ein kraut isset, im selbigen ist das kraut und seine vires, wie dan die vires seind.193

Die Anzahl der arcana stimmt vor dem Hintergrund des Konkordanz-Prinzips mit der Anzahl der äußeren Gestirne überein. Da diese wiederum auf metaphysische Weise im Menschen präsent sind, gibt es keine astral bedingte Krankheit, für die nicht auch ein arcanum bestünde.194 Gott lässt es dem Menschen auch nach dem Sündenfall an nichts fehlen, vorausgesetzt, dieser weiß die firmamentale Übereinstimmung von innerer und äußerer Natur zu seinem Vorteil zu nutzen: „und so vil seind der arcana, so vil und dem menschen not zustent, so vil hingegen der arcana, und so vil arcana, sovil auch wiln gottes.“195 Ungeachtet des geheimnisvollen Charakters, der solchen Begriffen wie arcanum oder astrum anhaftet, erweist sich die Einführung derartiger Termini angesichts ihrer Funktion als Parameter für nicht – beziehungsweise aus moderner Sicht noch nicht – Sichtbares auf medizinisch-chemischem Gebiet als durchaus zuträglich. An die Stelle von Bakterien, Keimen und Viren treten innerhalb des paracelsischen Systems diejenigen astra, die auf den Menschen „ganz schdliche vnd tdliche impressiones“ ausüben,196 an die Stelle von Antibiotika die segensreichen arcana in der Arznei. Dies soll jedoch nicht heißen, dass sich Paracelsus mit seiner magia in den Dienst von Säkularisierungsbestrebungen stellte.197 Auch wenn der Hohenheimer eine Rationalisierung übersinnlicher  – kurzum ‚magischer‘ – Phänomene verfolgt, spricht hieraus nicht das Bemühen um eine Entmystifikation okkulten Wissens, sondern die Intention, eine im Umgang mit übersinnlichen Kräften geschulte, gottgegebene Heilslehre begrifflich auszudif-

193 Paracelsus: Astrononmia magna. In: SW 1/12, S. 122. 194 Vgl. Pagel: Naturmystik, S. 85. 195 Paracelsus: Von den natürlichen Dingen, Buch I. In: SW 1/2, S. 111. 196 Croll: Basilica chymica, S. 15. 197 Vgl. Goldammer (Magie bei Paracelsus, S. 333), der zwar einräumt, dass die paracelsische magia „de facto ein[en] Abbau der Bedeutung wenigstens der volkstümlichen und traditionellen Vorstellungen von Magie bzw. Zauberei“ betrieb und „wohl auch einen Beitrag zur ‚Entmagisierung des Weltbildes‘ leistete, zugleich aber betont, dass dies „Paracelsus selbst […] natürlich kaum bewusst“ war.

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 Suchtens Magie

ferenzieren. Es ist daher zutreffend, wenn Kurt Goldammer darauf hinweist, dass das arcanum „von vornherein kein Produkt empirischer Wissenschaft, messender und wägender, kontrollierender, experimenteller oder statistischer ‚Erfahrung‘ [ist].“198 Das arcanum ist vielmehr Teil eines Naturwissens, das Paracelsus mit der Behauptung einer Wiedererweckung einer uralten, adamitischen Weisheitslehre bemäntelt. Gleichwohl müssen Medikamente auf die Wirksamkeit ihrer okkulten Qualitäten hin erprobt werden. Es bedarf der Experienz, um Aussagen darüber zu fällen, auf welche Weise das individuelle Metaphysikum, das in der arca – der unein­ sehbaren ‚Truhe‘ des jeweiligen Rohstoffs  – verborgen liegt, seine r­einigende oder regenerative Wirkung entfaltet. Es bleibt demgegenüber jedoch zu betonen, dass die Experienz hierbei kein grundsätzlich neues Wissen hervorbringt, da ein jedes arcanum als astrum von jeher im göttlichen Geist inbegriffen ist. Wenn dieser Geist nun nicht nur dem Makrokosmos, sondern auch dem Mikrokosmos einwohnt, so bedeutet dies, dass ein jedes arcanum auch im Firmament des Menschen aufzufinden ist, wenngleich dieser offenkundig außerstande ist, über seine ‚inwendigen Heilmittel‘ frei zu verfügen. Die Vision, allein über eine innere Teilhabe am Geist gesundheitliches Wohlbefinden und Lebensfrische zu empfangen, bildet einen der Grundpfeiler von Suchtens Magie-Begriff.

7.4.5 Suchtens Rezeption des paracelsischen Firmament-Begriffs Tatsächlich geht auch Suchten von einer himmlischen und einer irdischen Realisierung des Firmaments aus. Hierbei richtet er allerdings seinen Blick in erster Linie auf die kleine Welt, den Menschen. Gott hat, wie es in De tribus facultatibus heißt, „zwo Welt geschaffen“, genauer gesagt „zween Himmel/ zween Erden.“199 Auch hier also erweist sich die Welt nach den Koordinaten von ‚Oben‘ und ‚Unten‘ sowie von ‚Außen‘ und ‚Innen‘, geordnet. Der „Gottsgelehrte“ wisse, dass neben der äußeren Sphäre der Sterne und Planeten, „noch ein ander Himmel ist/ ein ander Firmament, ein ander Sonn/ ein anderer Mond […].“200 Suchten bezieht sich hiermit freilich auf den ‚Himmel des Menschen‘. Weiterhin wird im Zusammenhang mit dem alchemischen Kunststück des Adamssohns mehr als deutlich, dass Suchtens Anthropologie auch eine ‚Erde des Menschen‘ vorsieht. Da diese analog zur Erde der großen Welt mit Geistsamen übersäht ist, verwundert es nicht, dass

198 Goldammer: Naturphilosophie und Theologie der Heilung, S. 87  f. 199 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377. 200 Ebd., S. 376.

Das Firmament 

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auch sie Früchte trägt. Suchten spricht in diesem Kontext von einem „Ebulus“, einem „Hermodaktylus“ und „Erdbeeren/ so da wachsen auß der Erden/ die in mir ist/ in der kleinen Welt […].“201 Es besteht demnach kein Zweifel, dass die adamitische terra auch eine metaphysische Dimension besitzt. In der Tat spricht auch Paracelsus in seinem frühen Traktat ‚Über die Wassersucht‘ von einer „unsichtbaren Erde“, die dem Menschen angehöre.202 Während der „verborgen himmel“ für die Gedankenwelt stehe, repräsentiere die „unsichtig erden“ das leiblich-affektive Vermögen der Kreatur, das je nach Konstellation der äußeren Sterne und Planeten für Krankheiten anfällig sei. Das Firmament offenbart sich dem Menschen demnach einmal als ein innerer ‚Himmel‘, der ihn zum Denken und zu allerlei Künsten befähigt, und ein weiteres Mal als eine unsichtbare ‚Erde‘, die ihm in Abhängigkeit von den Bewegungen der Himmelskörper Krankheit oder Wohlbefinden zuteilwerden lässt. Dem entspricht, dass Paracelsus die sieben Hauptglieder des elementischen Leibs mit astralen Eigenschaften assoziiert. Demnach steht die Sonne für das Herz, Jupiter für die Leber, der Mond für das Gehirn, Saturn für die Milz, Merkur für die Lunge, Venus für die Nieren und Mars für die Galle.203 Sofern die „Erden/ die in mir ist“ das vegetative Vermögen des Individuums repräsentiert, hat man davon auszugehen, dass die ‚inneren Pflanzen‘ für die Vitalgeister des Organismus stehen. Suchtens Differenzierung zwischen einer höheren und einer niederen Natur des menschlichen Bewusstseins findet in seiner Lehre von den ‚zwei Leben‘ Widerhall. Demnach ist das eine „der Seelen Leben/ das ander des greifflichen Leibs.“204 Dieses zweite ‚Leben‘ wird in den ­Propositiones als ‚spiritus vitalis‘, in De secretis antimonij als ‚Balsam‘ bezeichnet.205 Vor dem Hintergrund, dass auch in der eng auf De tribus facultatibus bezogenen Elegie De vera medicina ein ‚Balsam‘ zur Sprache kommt,206 ist kaum ein Zweifel möglich,

201 Ebd., S. 377. 202 Paracelsus: Über die Wassersucht. In: SW 1/1, S.  4: „der himel ist zwifach, die erden ist zwi­fach, einfach aber ist der mensch und ist in der unsichtbarn [erden] das subject, das empfecht […]. Aus dem folgt das exempel: die erden ist nichts on des himels impression. durch den himel grünet sie und gibt frucht und lebt aus dem himel, das ist der himel ist ir leben, krankheit und gesuntheit. Nun sind der erden zwo: die, aus der das exempel geben wird, und der mensch, von deswegen es geben wird. der mensch aber ist die unsichtig erden und doch als die natur der erden […]. Also ist ein verborgen himel, der den himel dermaßen helt als die erden; dan aus der erden ist die erden, also muß er auch gleich der erden sein furderung haben und dieselbig unsichtbar.“ 203 Goldammer: Die Astrologie im ärztlichen Denken des Paracelsus, S. 257. 204 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 253. 205 Vgl. Kap. 4.4, S. 100, Anm. 115. 206 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 460.

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 Suchtens Magie

dass es sich bei diesem um die „Erden/ die in mir ist“ handelt. Auch besitzt der in De secretis antimonij erwähnte Balsam die gleichen Eigenschaften wie die ‚inneren Pflanzen‘: Er ist die Arznei, „die den Leib erhlt fr Fule/ daß er nicht […] kranck werde: Und so er in Kranckheit kommen/ ist er auch die Artzeney/ die ihn wieder heilen sol.“207 Wenn Suchten die magische Fakultät der medicina mit einer breit gefächerten Vielfalt an Vitalkräften – beziehungsweise an ‚inneren Pflanzen‘ – kontextualisiert, so entspricht dem der Befund, dass sich auch der Balsam auf multiple Weise realisiert: „Dann ein ander Art hat der Balsam im Blut/ ein ander im Hirn/ ein ander im Hertzen/ ein ander im Miltz/ &c. das alles muß ein Medicus fleissig observieren […].“208 Möglicherweise gehorcht die Wirkkraft des Balsams dem Regiment des in­ne­ ren Himmels. Dies jedenfalls entspräche der paracelsischen Vorstellung, dass der Leib dem Geist und der Geist der Herrschaft der Gestirne unterworfen ist: „nun ist der geist ein subiectum des gestirns und der Leib ein subiectum des geists. also regirt das gestirn den menschen im geist und der geist des menschen regirt den leib in seim blut und fleisch.“209 Eine derartige Hierarchisierung besäße jedenfalls eine gewisse Nähe zur platonischen Anthropologie, die Suchten in der Fusior declaratio zu den Propositiones wohlwollend rezipiert. Sein Konzept einer ‚inneren Botanik‘ wirft ferner auch ein vielsagendes Licht auf Suchtens Auseinandersetzung mit der Schulmedizin. Mit „Hermodaktylus“ und „Ebulus“ erwähnt ­ ebildeten er nämlich zwei Gewächse, die nach Auffassung der akademisch g 210 Ärzteschaft heilende Wirkung besitzen. Dies ist allerdings nicht als eine Sym­ pathiebekundung gegenüber der galenischen Phytotherapie zu verstehen, da ihm zufolge sämtliche Pflanzen als Arzneimittel völlig wirkungslos sind: „Der Ebulus und Holunder/ so auß der Erden der grossen Welt gewachsen/ werden mir die Wassersucht nicht vertreiben. Die Hermodactyli das Podagram nicht. Die Erdbeer den Aussatz nicht. Aber der Ebulus, Hermodactylus, Erdbeeren/ so da wachsen auß der Erden/ die in mir ist/ in der kleinen Welt/ die thuns.“211

Mit der Einführung einer ‚inwendigen Pflanzenwelt‘ gelingt es Suchten, den Einflussbereich okkulter Astralkräfte auf die Stufe der ‚Erde‘ – des Urelements des menschlichen Leibes – auszudehnen. Auf diese Weise vermag er sich in medizi­

207 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S. 254. 208 Ebd., S. 260. 209 Paracelsus: Mantischer Entwurf. In: SW 1/10, S. 644. 210 Vgl. z.  B. Hieronymus Bock: KreuterBch. o. O. 1546, für Hermodactylus (Schwertlilie) S. 290, für Ebulus (Zwergholunder), S. 302. 211 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377.

Die paracelsische Signaturenlehre 

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schen Fragen von physiologischen Erklärungsmustern abzugrenzen. Die ni­ Gefahr, der Schulmedizin Zugeständnisse machen zu müssen, ist damit gebannt. Paracelsus war sich dieser Gefahr offenbar bewusst: Dies zeigt sich daran, dass er in den meisten seiner Schriften davon Abstand nimmt, das physische Leben des Menschen analog zur vegetativen Natur des Makrokosmos zu entfalten. Zu groß ist sein Unwille, den Repräsentanten des schulmedizinischen Galenismus das Wort zu reden. Ihm zufolge beschreiben die humores denn auch nichts weiter als Reaktionsweisen des Leibes, sofern sich der Mensch auf übersinnliche Weise mit Krankheiten infiziert. Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass es sich bei körperlichem Leiden per se um ein mentales Phänomen handelt und Heilung somit nur auf geistiger Ebene erfolgen kann; der Leib bildet lediglich Symptome aus. Das Elementische, bestehend aus sal, sulphur und mercurius, kann also nur dann zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden, wenn es zuvor ‚astralisch‘ gemacht wird. Nach Paracelsus kann dies auf alchemische Weise geschehen.212 Während sich der gewöhnliche Arzt jedoch nur auf das Handwerk der Präparation dieses oder jenes Elixiers versteht, ist der magus als medicus, philosophus und astronomus in der Lage, die individuellen Astralkräfte der Natur zu lokalisieren, in arcana zu verwandeln und auf diese Wege sämtliche Krankheiten zu heilen.213

7.5 Die paracelsische Signaturenlehre 7.5.1 Künstliche Signaturen Den Signaturen widmet sich Paracelsus unter anderem im Zusammenhang mit seiner Bildlehre, die er in seinem Liber de imaginibus entfaltet. Er lässt hierbei keinen Zweifel daran, dass sein Wissen über die expressive, gleichsam bezaubernde Kraft bildlicher Darstellungen der magia angehört. Hatte er in früheren Schriften die magischen virtutes der Natur in ihrer eigentümlichen Definition als ‚gestirne‘ oder astra in den Blick genommen, so widmet er sich nun der „tugent der wunderbarlichen wirkung der bilder“.214 Er intendiert eine Darlegung der ver-

212 Pagel: Das medizinische Weltbild des Paracelsus, S. 52. 213 Vgl. Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 132  f.: „ein arzt weiß und kent alle kreft, die in den kreutern seind. solchs weiß auch der magus, was das in sternen ist. und nichts ist im himel verborgen, das der astronomei nach inhalt seinen speciebus nit möglich sei zu wissen. nun der arzt zeucht die kreft aus den kreuttern und heißt das selbig ein remedium, das selbig ist klein in seim gewicht und hat vil wissen und matten in seiner faust. das ist, wissen und matten seind nicht die arznei, alein der auszug ist die arznei.“ 214 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 361.

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 Suchtens Magie

schiedenen Möglichkeiten, durch Bildnisse, Figuren, aber auch Zeichen okkulte Kräfte verfügbar zu machen. Er legt hierbei großen Wert auf eine historische Untermauerung seiner Ausführungen: „Nun ist erstlich zu wissen, das die bilder und figuren haben iren ursprung und herkomen aus der kunst magica und von den Heiden und Babyloniern erfunden. wie sich aber die in iren kreften so wunderbarlich erzeigen, will ich hernach gnugsam fürhalten.“215 Indem Paracelsus hier die „kunst magica“ aufruft, setzt er voraus, dass Bilder ebenso Gegenstand von chiromantia und experientia sind wie die Erzeugnisse der Natur. Überhaupt ist Bildlichkeit – einschließlich Symbol, Metapher und Allegorie – eine der Grundbedingungen für die Ausübung der paracelsischen magia naturalis. Das Bild ist nämlich das Objekt, an dem das Axiom der similitudo, auf dem die paracelsische Vorstellung der schöpfungsimmanenten Textualität beruht, unmittelbar greifbar wird.216 Das weltumspannende Prinzip der Ähnlichkeit, über das sich das funktionale Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem definiert, entfaltet auf der Ebene von Bild und Abgebildetem seinen stärksten Ausdruck. Paracelsus kontextualisiert die Bildlichkeit der Schöpfung auf folgenschwere Weise mit seinem Firmamentbegriff. Die vertikal strukturierten Stränge, die sich ausgehend von Gott über die himmlischen Gestirne bis hin zu den Kreaturen der terrestrischen Welt erstrecken, beschreiben nicht nur das Verhältnis von Urbild und Abbild, sondern auch okkulte Wirkungszusammenhänge. Die Natur besitzt eine pneumatische Substruktur,217 deren Spektrum an unsichtbaren Kräften sich an der kreatürlichen Vielgestalt des Makrokosmos ablesen lässt. Die Schöpfungsdinge stehen also nicht nur auf zeichenhafte, sondern  – kraft ihrer okkulten Qualitäten  – auch auf substanzielle Weise mit dem göttlichen Bildnis in Relation. Ihre Bildlichkeit beruht mithin darauf, dass die ihnen zugrundeliegenden semina nichts anderes sind als die Partikel des primordialen Nebels, in welchem sich das Antlitz der Allmächtigen widerspiegelt. Das göttliche Urbild realisiert sich extensional in der Gesamtheit der kreatürlichen virtutes, die wiederum den einzelnen Schöpfungsdingen ihr individuelles Wesen, ihre Form und somit ihre Bildlichkeit verleihen. Zumal sich nun das Verhältnis von Bild und Abgebildetem über Ähnlichkeit definiert, ist es nur konsequent, dass ein jedes Schöpfungsding seiner wesenseigenen virtus auf gewisse Art und Weise ähnlich ist. Das äußere Erscheinungsbild einer Kreatur kann daher als ein Zeichen dienen, das über ihre okkulte scientia Auskunft gibt. Alles ‚Wissen‘, das den Erzeugnissen der Natur eingeschrieben ist, lässt sich auf chiromantische Weise an ihrer Oberflächen-

215 Ebd. 216 Vgl. Murase: Analogie und Magie, S. 15–35, bes. S. 18–21. 217 Vgl. Kap. 5.1, S. 136, Anm. 35.

Die paracelsische Signaturenlehre 

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struktur ablesen.218 Das signum gehört hierbei stets dem körperlichen Außen, das signatum hingegen dem geistigen Innen an. Zeichen und Bezeichnetes sind daher jederzeit räumlich und zeitlich kopräsent. Das Eigentümliche an Hohenheims Semiologie ist, dass er diese Kopräsenz zu einem unumstößlichen Grundsatz macht: Jede Kreatur ist äußerlich die Signatur, innerlich das Signifikat ihrer selbst. Paracelsus zieht daraus den Schluss, dass alle Dinge, die auf irgendeine Art anzeigenden Charakter besitzen, das Objekt ihrer Anzeigung auf geheimnisvolle Weise in sich tragen. Das Zeichen verleiht dem jeweils Bezeichneten stets unmittelbare Gegenwart. Zu Recht hat in den letzten Jahren mit Blick auf mittelalterliche, aber auch noch auf frühneuzeitliche Formen der Selbst- und Weltwahrnehmung vermehrt das Paradigma der ‚Präsenzkultur‘ Anwendung gefunden.219 Präsenz beschreibt in diesem Kontext ein Gefühl der Teilhabe an einer Wirklichkeit des Unmittelbaren, deren Effekte sich mit dem Anspruch verbinden, ein Gegengewicht zu intellektualistischen Modi des Realitätsbezugs herzustellen. Sinnliches Erleben gewinnt damit gegenüber den distanzschaffenden Faktoren von Reflexion, Interpretation, Berechnung und Kalkül den Vorrang. So auch bei Paracelsus und zahlreichen seiner Nachfolger. Die platonische Lehrmeinung, dass sich die geistigen Urbilder aller materiellen Entitäten in einer Welt jenseits von Raum und Zeit aufhalten, weicht einer Theorie, welcher zufolge alles Kreatürliche auf räumlich und zeitlich lokalisierbaren ‚Gestirnen‘ beruht. Mit Blick auf den in De tribus faculatibus präsentierten Scheideprozess bedeutet dies: Die alchemischen Extrakte von merkurialer quinta essentia und sulphurischer terra adamica sind nicht etwa nur Symbole für den inneren Himmel und den unsichtbaren Balsam des Menschen, sondern handfeste Tabernakel seiner geistigen Welt. Die Signaturen, auf die sich Paracelsus bezieht, sind nicht auf ihren Charakter als ‚Allegorien‘ oder ‚Metaphern‘ zu reduzieren.220

218 Vgl. Kühlmann: Begriffshermetik und Signaturen, S. 39  ff.; Ohly: Zur Signaturenlehre der Frühen Neuzeit, S. 52  ff.; Stephan Meier-Oeser: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Berlin, Boston 1997, S. 337– 350; Schipperges: Magia et Scientia bei Paracelsus, S. 77. 219 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Christian Kiening: Mediale Gegenwärtigkeit. Paradigmen – Semantiken – Effekte. In: Mediale Gegenwärtigkeit. Hg. von dems. Zürich 2007 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 1), S. 9–70; ders.: Gegenwärtigkeit. Historische Semantik und mittelalterliche Literatur, S. 19–46; Peter Czerwinski: Gegenwärtigkeit. Simultane Raume und zyklische Zeiten, Formen von Regeneration und Genealogie im Mittelalter. München 1993; Hans-Ulrich Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M. 2004; Dieter Mersch: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. München 2002. 220 Vgl. Ohly: Zur Signaturenlehre der Frühen Neuzeit, S. 83–86.

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 Suchtens Magie

Als Präsenzeffekt par excellence kann die Heilsvergewisserung gelten, die der Gläubige im ‚Schmecken‘ des Christusleibs erfährt: Im Akt der Transsubstantiation werden Fleisch und Blut Christi in Brot und Wein vor aller Augen sichtbar. Darüber wiederholt sich das historische Abendmahl im Hier und Jetzt.221 Die Hostie fungiert also, zumindest nach katholischem Ritus, nicht bloß als ein Symbol für den Leib des Gottessohns; sie macht diesen zugleich räumlich und zeitlich präsent. Dass sich der ‚Leib Christi‘ auch an den Gesichtssinn richtet, bestätigt die historische Praxis der Augenkommunion (maducatio per visum),222 die im ausgehenden Mittelalter weit verbreitet war: Im Betrachten der Hostie sollte es dem Gläubigen möglich sein, das segensreiche Fleisch des Heilands zu empfangen.223 Der allgegenwärtige Grundsatz der reziproken Durchdringung von signum und signatum kommt auch in Hohenheims eigentümlicher Lehre von der geistigen Leiblichkeit Christi zur Geltung: Der Erlöser bedarf eines Körpers von höchster Perfektion, auf dass dieser sein göttliches Wesen auf angemessene Weise bezeichne. Indes entfernt sich der Hohenheimer im Rahmen seines Bilddiskurses nicht nur mit seiner Neuinterpretation der Doppelnatur Christi von der schultheologischen Direktive. Die Problematik seiner Bilderlehre besteht vor allem darin, dass er nicht nur natürlichen, sondern auch artifiziellen Dingen übersinnliche Kräfte zuschreibt, sofern sie denn bezeichnenden Charakter besitzen: Vor dem Hintergrund, dass bildliche Darstellungen etwas ‚zeigen‘, habe man davon auszugehen, dass das Gezeigte oder Abgebildete auf geheimnisvolle Weise im Bildnis selbst präsent ist. In der Folge spricht der Hohenheimer Figuren, Gemälden, Kupferstichen und Zeichen okkulte Eigenschaften zu. Der Bezug zur Magie ist insofern gegeben, als der Künstler mit seinen Erzeugnissen, je nach Art der Darstellung, auf den Betrachter mannigfache Wirkungen auszuüben vermag, zumal jede Art von sinnlicher ‚Bezauberung‘ nicht durch einen Erkenntnisvorgang des Schauenden, sondern durch die im Bild verborgenen, affizierenden Kräfte hervorgerufen wird. In diesem Sinne geben die Bilder

221 Vgl. Mario Grizelj: Wunder und Wunden. Religion als Formproblem der Literatur. Paderborn 2018, S. 112; Bruno Quast: Einleitung zu II. Rede – Text – Schrift. In: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006. Hg. von Peter Strohschneider. Berlin, New York 2009, S. 290. 222 Zur Augenkommunion s. René Wetzel: Bild, Bildlichkeit und Ein-Bildung im Dienst von Glaubensvermittlung und Einübung religiöser Praktiken in drei Eucharistiepredigten der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 130 (2008), S. 236–271, hier S. 246. 223 Ebd.

Die paracelsische Signaturenlehre 

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dem menschen gut christliche gedanken und geistliche imaginationes und gut erinnerung und betrachtung des bittern leidens Christi und seiner großen woltat und was er für uns ausgestanden. sie reizen, treiben und bewegen den menschen zur andacht und geistlicher ubung und sind den einfeltigen leuten, die weder lesen noch schreiben können, und den kindern nüzer zur selikeit, dan oft manche predigt.224

In dieser Anschauung leistet sich Paracelsus einen Verstoß gegen die seit dem Zweiten Konzil von Nicäa anno 787 bestehende Lehrmeinung, dass die Annahme okkulter Bildkräfte nicht mit dem christlichen Glauben zu vereinbaren sei. Vielmehr hatte man sich darauf verständigt, dass sakrale Bilder zwar verehrungs-, aber nicht anbetungswürdig seien, da diesen nichts Übernatürliches anhafte.225 Die hierbei vorgenommene Differenzierung zwischen legitimer Ikonodulie (Bildverehrung) und den illegitimen Praktiken von Ikonolatrie (Bildanbetung) und Idolatrie (Götzendienst) hatte denn auch maßgeblich zur Beendigung des Byzantinischen Bilderstreits beigetragen. Um sich vom Verdacht der Idolatrie zu befreien, führt Paracelsus im Liber de imaginibus eine Reihe alttestamentarischer Beispiele von Götzendienst auf, von denen er sich demonstrativ abgrenzt. Zudem erklärt er, dass es ihm fern liege, mit seinen Ausführungen „ein neue abgötterei“ anzurichten;226 er wolle lediglich aufzeigen, was bildliche Darstellungen durch die ‚magica‘ bewirken können. Dabei scheut er sich nicht, auch Beispiele von Bildmagie anzuführen, die der Nigromantie angehören. Diese verbotene Art von Magie liegt unter anderem dann vor, wenn der magus den Geist seiner Feinde durch okkulte Rituale in Wachsfiguren zwingt, die er sodann nach Laust und Laune verstümmelt: nun merket von wechsenen bildern ein solches. so ich in meim willen feintschaft trag wider ein andern, so muß die feintschaft verbracht werden durch ein medium, das ist durch ein corpus […]. also ist auch müglich das ich durch mein willen den andern geist meins widersachers bring in das bilt, und in darnach krümb oder leme im bilt nach meim gefallen.227

Indem sich der magus die Bildkräfte auf diese Weise zu willen macht, handelt er dem Heilsplan des Schöpfers zuwider; man kann also zu Recht von Schadenzauber sprechen. Anders verhält es sich dagegen mit den gottgewollten Bildern, von denen die Heilige Schrift berichtet. In diesem Zusammenhang kommt Para-

224 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 363. 225 Vgl. Karl-Heinz Kohl: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München 2003, S. 43. 226 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 363. 227 Paracelsus: Volumen Paramirum. In: SW 1/1, S. 221.

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 Suchtens Magie

celsus auf die beiden Cherubim der Bundeslade (2 Mos 25,18–22) und die eherne Schlange (Num 21,6–9) zu sprechen. Letztere vergegenwärtige das heilsame Wesen Christi: Secht nun an und gedenkt an die zwen cherubim, die got durch Mosem hat befohlen in den tempel auf den alter zu machen mit verheischung, das er wollte darinnen wonen und durch sie antwort geben. hat aber nicht befolen, denen zu dienen oder die anzurufen oder an­zu­beten. dem befelch kam nun Aron nach und machet im glauben die cherubim, und es geschach also, wie in got verhiesch. also secht an die êrine schlang Moisi die er in der wüsten erhebt an einem creuz, ists nicht auch ein biltnus und magische prophezei gewesen von Christo, nemlich das er auch also wie die schlang solt erhöhet werden am creuz und die welt an iren sünden und teufelsbissen heilen.228

In der Tat können Bilder, wie hier am Exempel der ehernen Schlange ersichtlich wird, nicht nur räumlich Entferntes, sondern auch Zukünftiges präsent machen: „dan durch die bilder ist müglich alle ding zu lernen, propheceien und weissagen, von vergangnen, gegenwertigen und zukünftigen dingen, alein durch bilder und fi­gu­ren.“229 Bilder dienen demnach auch der Prophetie: Das Zukünftige und räum­lich Verborgene verschafft sich in Bildern unmittelbare Präsenz.

7.5.2 Natürliche Signaturen Die Auffassung, dass zwischen der äußeren Gestalt natürlicher Heilmittel und ihrem individuellen kurativen Nutzen morphologische Analogien bestehen, ist für viele Kulturen nachgewiesen und bereits für prähistorische Zeit belegt.230 Unter den pharmakologischen Werken, die dieses heuristische Verfahren rezipierten, sind Theophrasts Historia plantarum, die Materia medica des Diskurides und die Naturalis historia des jüngeren Plinius zu nennen. Für die Pflanzenheilkunde des Mittelalters war vor allem letztere von Bedeutung, zumal sie der theologischen Vorstellung eines sich in der Natur manifestierenden Schöpfungsplans Rechnung trägt: Der Natur liegt ein providenzielles Prinzip zugrunde, das jedes Gewächs zu einem bestimmten Zweck hervorbringt.231 Der jeweilige Mehrwert teilt sich am betreffenden Gewächs auf bild- oder zeichenhafte Weise mit.

228 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 363  f. 229 Ebd., S. 364. 230 Vgl. Karl Eduard Rothschuh: Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 1987, S. 133  f.; Rudolf Schmitz: Geschichte der Pharmazie. Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters. Bd. 1. Eschborn 1998, S. 7  f. 231 Vgl. Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 125.

Die paracelsische Signaturenlehre 

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Doch auch für die Vertreter einer außerkanonischen Naturphilosophie stand außer Frage, dass die kreatürliche Außenwelt mit dem menschlichen Organismus korreliert: Dies ergab sich in erster Linie aus der schöpfungstheologisch begründeten Homologie von Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch hatte demnach als ein Spiegelbild der Natur, die Natur als ein Spiegelbild Gottes zu gelten. Erweitert wurde diese Vorstellung durch den Einfluss okkulter Schriften wie dem Buch Picatrix und hermetischen Traktaten, denen zufolge zwischen den Gestirnen und den virtutes der terrestrischen Natur eine Analogie besteht.232 Das hieraus resultierende, zunächst bloß metaphysisch konzipierte Geflecht von vertikal und horizontal strukturierten Korrespondenzen nahm auf medizinischem Gebiet konkrete Gestalt an.233 Die Gefahr der infektiösen Influenzen der Gestirne und die Heilung des Patienten durch die arcana der Natur machen die Beobachtung des Sternenhimmels und das Wissen um die kreatürlichen Signaturen notwendig. Damit ist die Grundlage für die Verflechtung von Astronomie, Naturphilosophie und Medizin geschaffen, die Paracelsus als ‚magisch‘ verstanden wissen will. Um das hochkomplexe Zusammenspiel der himmlischen, irdischen und menschlich-geistigen Realisierungen des Firmaments anhand einer Deutung der astralen und kreatürlichen Zeichen des Kosmos lückenlos zu durchschauen, erweist sich eine Erleuchtung durch den göttlichen Geist als unabdingbar. Die hermeneutische Kunst der chiromantia erreicht im Rahmen der magia ein derart hohes Niveau, dass sie ihren ‚bäuerischen‘ Ursprung weit hinter sich lässt. Tatsächlich verzichtet Paracelsus darauf, seine komplexe chiromantia magica in all ihren Facetten darzulegen. Überhaupt finden sich in seinem Werk nur wenige Passagen, in denen er ausführlicher auf die Signaturenlehre eingeht. So widmet er dieser medizinischen Anwendung von magia ausgerechnet in seinem Bildtraktat nur wenige Zeilen. Dortselbst heißt es: durch die kunst physionomiam, chiromantiam und magiam ist müglich, gleich von stunt an nach dem eußerlichen ansehen nach eins jeden krauts und wurzeln eigenschaft und tugent zu erkennen an seinen signatis, an seiner gestalt, form und farben, und bedarf sonst keiner probirung und langen erfarenheit. Dan got hat im anfang alle dise ding fleißig underscheiden und keinem wie dem andern ein gestalt und form geben, sonder einem jeden ein schellen angehenkt, wie man sagt, man erkent den narren bei der schellen, dan in der magica bedeut auch ein schell ein narren. also solt ir nun auch die kreutter und wurzeln erkennen bei iren schellen und zeichen.234

232 Ebd. 233 Vgl. Böhme: Natur und Subjekt, S. 57  f. 234 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 376  f.

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 Suchtens Magie

Zum Exempel verweist Paracelsus auf das Knabenkraut, genauer gesagt auf „die wurtzel satyron“, die anhand ihrer hodenförmigen Knolle ihre aphrodisierende Wirkung anzeige.235 Disteln gelten dem Hohenheimer, in Anlehnung an Hildegart von Bingen,236 als ein Mittel gegen Seitenstechen: „Also die distel, stechen ir bletter nicht wie die nadeln? Dis zeichen halben ist durch magiam erfunden worden, das kein besser kraut ist für den inwendigen stechen.“237 Dass Paracelsus die magia hier durchgehend als eine ‚Erfinderin‘ und nicht als eine ‚Exegetin‘ von Signaturen beschreibt, ist wohl darauf zurückzuführen, dass er hier den Erfindungsreichtum der ‚Magierin Natur‘ vor Augen hat: Diese selbst war es, die nach dem Plan des Firmaments jeder einzelnen Kreatur ihr Zeichen verlieh. Als Teildisziplin der paracelsischen magia steht die Signaturenlehre demnach, so praxisbezogen und banal sie auf den ersten Blick auch erscheinen mag, in engem Verhältnis mit den okkulten Kräften der Gestirne, deren Lauf durch den göttlichen Logos geordnet ist.238 Tatsächlich kommt Paracelsus bei seiner Aufzählung einschlägiger Beispiele zur Zeichenhaftigkeit der Schöpfung auch auf die solare Influenz zu sprechen, die sich etwa an den Blüten der Wegwarte beobachten lasse: also hat auch wegwart die wurtzel ein besonder angeborne influenz von der sonnen, das sicht man an iren blumen, die sich allzeit gegen der sonnen neigen, als wollten sie sich dankbar erzeigen. Darumb hat sie auch ir höchste kraft und tugent bei der sonnen schein, und solang die sonn auf dem ertrich ist; sobald sie aber undergehet, hat sie wenig kraft mer. aus was ursach vermeinst du auch, das sein wurzel sich nach siben jaren in eines vogels gestalt verwandelt, und was zeigt die magica darvon an?239

Wie dieses Exempel belegt, verleiht die Influenz der himmlischen Gestirne der Pflanzenwelt nicht nur „höchste kraft und tugent“. Sie vermag auch Blumen in eine bestimmte Richtung zu neigen und Wurzeln eine bestimmte Gestalt zu

235 Vgl. ebd., S. 377: „secht an die wurzel satyron, ists sie nicht gestalt wie eines mans scham? niemand kann anderst sagen, darumb sie durch die magicam anzeigt und durch die magica ist erfunden worden, das sie den mannen ir verlorne mannheit und unkeuschheit wider bringt.“ 236 Vgl. Christa Habrich: Aspekte der Signaturenlehre in der abendländischen Medizin. In: „Wunderliche Figuren“. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften. Hg. von Hans-Georg von Arburg, Michael Gamper u. Ulrich Stadler. München 2001, S. 71–96, hier S. 80. 237 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 377. 238 Der Logos wird in diesem Kontext durch Christus in seiner Rolle als ‚Pantokrator‘ (‚Weltenherrscher‘) verkörpert. Als solcher wird der Gottessohn etwa in 2 Kor 6,18 und etliche Male in der Johannes-Offenbarung aufgerufen; s. hierzu stellvertretend Rainer Warland: Pantokrator. II. In: LThK. Bd. 7. Hg. von Walter Kasper. Freiburg i. Br. 1998, Sp. 1320. 239 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 377.

Die paracelsische Signaturenlehre 

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verleihen. Vor dem Hintergrund, dass die unsichtbaren Astralkräfte in der Lage sind, auf das Physische auszugreifen, kommt man nicht umhin, von ‚Magie‘ zu sprechen. Anstatt nun aufzuzeigen, auf welche Weise es dem magus gelingt, sich die Kräfte der ‚Magierin Natur‘ zu bemächtigen, geht Paracelsus zu Invektiven gegen das Ammenmärchen von der Menschengestalt der Alraune über, um sodann seine Betrachtungen über die Zeichengestalt der Heilpflanzen abzuschließen: „Dieser kreuter und wurzeln allhie vil mer erzelt möchte werden, welches aber alles hieher nicht gehört, sonder an andern orten mer und weiter darvon gehandelt wird.“240 Indes fehlt von einer paracelsischen Schrift, die eine systematische Entfaltung der Signaturenlehre enthielte, jede Spur. Nur vereinzelt finden sich Äußerungen, welche bezeugen, dass diese hermeneutische Kunst für die Heilkunst des Hohenheimers überhaupt von Bedeutung war. Hierzu zählt unter anderem das folgende Zitat aus dem ersten Buch Von den natürlichen Dingen: die natur zeichnet ein ietlichs gewechs so von ir ausgêt zu dem, darzu es gut ist. darumb wan man erfaren will, was die natur gezeichnet hat, so soll mans an dem zeichen erkennen, was tugent im selbigen sind. wan das sol ein ieglicher arzt wissen, das alle kreft, so in den natürlichen dingen sind, durch die zeichen erkant werden, daraus dan folgt, das die physionomei und chiromancei der natürlichen dingen zum höchsten sollent durch ein ietlichen arzt verstanden werden. wo das nit ist, do wird kein secret in der natur erfunden mit gewisser prob und rechtem wesen […]. sich sol das niemants verwundern lassen, das ich fürhalt die zeichen der dingen; dan nichts ist on ein zeichen, das ist, nichts leßt die natur von ir gon, das sie nit bezeichnet das selbig, das in im ist.241

Wenn nun die Natur nichts unbezeichnet lässt, hat dies zu Folge, dass nicht nur das unsichtbare Firmament des Makrokosmos, sondern auch das Firmament des Mikrokosmos äußerlich Zeichen aufscheinen lässt. So heißt es direkt im Anschluss an die obigen Zeilen: „[…] nichts ist so heimlichs im menschen, das nit ein auswendig zeichen an im hat.“242 Eingehendere Betrachtung finden die Signaturen des Menschen in der Astronomia magna. Hier skizziert der Hohenheimer die später durch Severinus und Croll prominent vertretene Theorie der exkrementalen Absonderung des corpus vom semen, indem er das Herz zum „samen des menschen“ erklärt. Aus diesem treibe die Natur „den leib, das ein ietlicher sicht, was da für ein Herz gewesen ist.“243 Demnach sei an der Physiognomie des

240 Ebd., S. 378. 241 Paracelsus: Von den natürlichen Dingen. In: SW 1/2, S. 86. 242 Ebd. 243 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 174.

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 Suchtens Magie

Individuums stets dessen virtus ablesbar.244 In der Folge stellt Paracelsus eine Reihe von kuriosen Thesen auf. So werde etwa „beim rothar […] die rot tugend im herzen erkent“, wohingegen das „falbhar das falb herz“ bezeichne: „und wie das har also auch das herz.“245 Auffälligerweise offenbart sich die zeichenhafte Vielgestalt der Natur hierbei als unabhängig von ihrem überindividuellen Urbild: Das Angesicht Gottes ist über jede Bezeichnung erhaben und befindet sich daher in Seklusion gegenüber der bunten Vielfalt der Schöpfung. Es war demnach auch nicht der Schöpfer, sondern die Natur selbst, die den Menschen und seine dingliche Umwelt mit Signaturen versah.246 Erst durch den Sündenfall ist der mensch in die gewalt der natur komen, der sonst ungezeichnet were bliben. forthin machet und gebirt in die natur (und nimmer die hant gottes) die macht nichts ungezeichnets. darumb mag die natur mit im hantlen gleich wie mit einem blümlin im felt, das zeichnet sie und gibts menniglich zu erkennen, das durch das signatum das inwendig geöfnet und der signator mag durch das signatum erkennen die tugent im selbigen corpus, es sei in kreutern, beumen, entpfintlichen oder unentpfintlichen.247

Damit streift Paracelsus erneut die Signaturenlehre; und abermals handelt es sich um nichts weiter als eine Skizze. Etwas ausführlicher werden die Zeichen der Schöpfung in der Schrift De natura rerum behandelt, die nach neuesten Nachforschungen von Urs Leo Gantenbein zumindest in Teilen authentisch ist. 248

244 Vgl. ebd., S. 172. „die tugent und die form seind in einem grad gleich gestelt, das durch die tugent die form verstanden [wird] und durch die form die tugent.“ 245 Ebd., S. 175. 246 Vgl. hierzu die Agrippa von Nettesheim zugeschriebene Schrift De arte chimica, in der davon die Rede ist, dass die Natur bei der Zeugung einer jeden Kreatur zunächst deren Körper aus den Elementen zusammenmische und diesem sodann eine bestimmte Form ‚aufdrücke‘ („formamque suae speciei congruam impressit, per quam ea res a quavis alia re distinguitur“). Die Natur wird vor diesem Hintergrund sogar mit Gott gleichgesetzt („Quid ergo est natura? Deus est natura, et natura Deus.“). Zitiert nach Agrippa von Nettesheim: De Arte Chimica. On Alchemy. Hg. u. übers. von Sylvan Matton. Paris, Mailand 2014 (im Folgenden: Agrippa von Nettesheim: De arte chimica), S. 43. 247 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 173. 248 Vgl. Urs Leo Gantenbein: Real or Fake? New Light on the Paracelsian De natura rerum. In: Ambix 67/1 (2020), 4–29. Die Schrift De natura rerum galt über lange Zeit eine der wichtigsten Textzeugnisse der Paracelsus-Forschung. So sieht etwa Nicholas Goodrick-Clarke in ihr eine grundlegende Lektüre zur Erschließung der paracelsischen Gedankenwelt (Paracelsus. Essential Writings. London 1990, S. 173–191). Indes ist die Authentizität der Schrift immer wieder bestritten worden, da die Datierung des Widmungsschreibens (Villach 1537) mit dem Lebensweg Hohenheims unvereinbar ist. Ferner bestehen Divergenzen zur paracelsischen Alchemie: So sind Kuriosa wie die Wiederbelebung eingeäscherter Vögel und die Zeugung von Homunculi in keiner weiteren

Die paracelsische Signaturenlehre 

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Indes fand dieses Werk, obgleich es bereits 1572 in den Druck gelangte, erst in der Edition Johann Husers von 1590 größere Beachtung.249 In seiner Vorrede zu dem anonymen pharmazeutischen Werk Horn des Heyls weiß Toxites im Januar 1576 als Beispiele der „Kunst/ Signatura rerum“ zwar Carrichters Kräuterbuch und Hohenheims Herbarius aufzuführen;250 die Schrift De natura rerum bleibt hingegen unerwähnt. Führt man sich vor Augen, dass die Signaturenlehre auch im besagten Herbarius nur schemenhaft zutage tritt,251 erscheint es als äußert fraglich, ob diese für Hohenheims medizinische Lehre überhaupt eine so bedeutsame Rolle spielte, wie vielfach behauptet. Schließlich macht Paracelsus im Labyrinthus medicorum errantium keinen Hehl daraus, dass es zum Erwerb von scientia im Grunde nur der Experienz bedarf. Das daraus resultierende Defizit an phytotherapeutischem Praxiswissen stellte für die Nachfolger Hohenheims einen Ansporn dar, selbst Initiative zu ergreifen und auf heuristisch-empirische Weise die arcana naturae ausfindig zu machen. Hierbei wurden, wie aus den Kräuterbüchern der Paracelsisten ersichtlich wird, auch althergebrachte Rezepte der Pflanzenheilkunde nachträglich in die Theorie der paracelsischen Magie mit eingebunden. Zusammen mit dem Bedürfnis nach einer Ausdifferenzierung der Signaturenlehre macht sich im frühen paracelsistischen Schrifttum auch das Bemühen um eine Gesamtdarstellung des paracelsischen Naturwissens bemerkbar, wie sie im Buch De natura rerum anzutreffen ist. In der Folge galt dieses früheren Kommentatoren als der „Ursprungskern der paracelsischen Episteme“252 und sogar als eine „Einführung in die geistige Welt des Paracelsus.“253 Schrift Hohenheims belegt. Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg): Nr. 106. Ps.Paracelsus an Johann Winckelsteiner (1537). In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 2: Der Frühparacelsismus. Zweiter Teil. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 89), S. 266–278 (im Folgenden: Kühlmann, Telle: Nr. 106. In: CP 2), hier S. 266–269. 249 Kühlmann, Telle: Nr. 106. In: CP 2, S. 267. 250 Toxites benennt als Verfasser von Horn des Heyls einen in Kärnten ansässigen „Philomusus“, der bislang zumeist mit Bartholomäus Carrichter (1510–1567) identifiziert wurde. Nach einem handschriftlichen Vermerk in einem frühen Exemplar könnte es sich bei Philomusus aber auch um den fürstlich-Salzburgischen Rat Martin Pegius (ca. 1523–1592) handeln. Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr.  59. Toxites an Wilhelm V. von Bayern. (1576). In: Corpus ­Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd.  2: Der Frühparacelsismus. Zweiter Teil. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 89), S. 390–400, hier S. 398. 251 Zum Herbarius s. Bruce T. Moran: The Herbarius of Paracelsus. Eingeleitet u. übers. von dems. In: Pharmacy and History  35 (1993), S.  99–127; Sepp Domandl: Hohenheims De natura rerum. Eine Einführung in die geistige Welt des Paracelsus. In: Kunst und Wissenschaft um Paracelsus. Hg. von dems. Wien 1984 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 23), S. 61–88. 252 Giorgio Agamben: Signatura rerum. Zur Methode. Aus dem Italienischen von Anton Schütz, Frankfurt a. M. 2009, S. 41–51. 253 Domandl: Hohenheims De natura rerum, S. 61.

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 Suchtens Magie

Es ist vor allem das mit De signatura rerum naturalium überschriebene neunte Buch von De natura rerum, in welchem der enzyklopädische Charakter des paracelsischen Magiediskurses zum Tragen kommt. Hier geht der Hohenheimer zunächst auf die äußeren Signaturen der Menschen ein, darunter „die monstro­ si­schen zeichen“,254 das heißt körperlichen Missbildungen, und die „astralischen zeichen der physionomei am menschen“.255 Die beiden Kapitel über die „astralischen zeichen der chiromantia“ und über die „mineralischen zeichen“ beschäftigen sich mit der terrestrischen Realisierung des Firmaments.256 Das erste Kapitel widmet sich der Bestimmung des Alters von Heilpflanzen, das zweite der Metallurgie. In letzterem ist – im Gegensatz zu Hohenheims Ausführungen in Von den natürlichen Dingen – davon die Rede, dass der Schöpfer die semiologische Struktur der Schöpfung aus Liebe zum Menschen gestiftet habe, damit dieser mithilfe der Signaturen Einblick die Geheimnisse der Natur gewinne.257 Auf die Signaturen der Pflanzenheilkunde kommt es hingegen erst im letzten Kapitel zu sprechen, das sich den natürlichen und übernatürlichen Zeichen widmet. Allerdings sieht der Autor hier davon ab, zwischen den Heilpflanzen und deren therapeutischem Nutzen morphologische Analogien herzustellen. Stattdessen zeigt er, ausgehend vom Namen der betreffenden Pflanzen, deren jeweilige Verwendung auf: Das Kraut Augentrost heile und tröste den Gesichtssinn, die Blutwurz stille den Blutfluss, das Harnkraut diene der Entgiftung. Tatsächlich nimmt Paracelsus nur einige Zeilen weiter auch die äußere Gestalt der Heilpflanzen in den Blick, allerdings ohne einen Bezug zu deren medizinischem Nutzen herzustellen: auf das sollent ir auch wissen, das vil kreuter und wurzlen iren namen bekomen haben, nicht alein von wegen irer angebornen kraft und tugent sonder auch von irer biltnus, form und substanz wegen. als dan ist abbiß wurtzel, fünffingerkraut, holwurz, huntszung, naterzung, wintergrün, kazenzagel, leberkraut, maulber, ochsenzungen, zankraut, rittersporn, perforata, stendelwurz, syderica, durchwachs, prunella, Sonnenzwirbel und dergleichen vil mehr, die hier nicht alle zu erzelen seind […]. 258

254 Paracelsus: De natura rerum. In: SW 1/11, S. 375. 255 Ebd., S. 377. 256 Ebd., S. 384 u. 387. 257 Ebd., S. 393: „Dan alles was got erschaffen hat dem menschen zu gutem und als sein eigentumb in seine hent geben, wil er nit das es verborgen bleib. und ob ers gleich verborgen, so hat ers doch nicht unbezeichnet gelassen mit auswendigen sichtbarlichen zeichen, das dan ein sondere praedestination gewesen. zu gleicher weis als einer, der ein schaz eingrebt, in auch nicht unbezeichnet laßt mit auswendigen zeichen, damit er in selbs wider finden könne.“ 258 Ebd., S. 398  f.

Suchtens magische Zeichenlehre 

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Die klassische, an der similia-similibus-Doktrin geschulte Spielart der Signaturenlehre ist also auch hier nicht anzutreffen. Falls diese für Paracelsus überhaupt eine Rolle gespielt hat, so womöglich nur zum Zwecke der Beglaubigung der Existenz allwirksamen, schöpfungsimmanenten Ordnungsmusters, in dem sich das göttliche Angesicht widerspiegelt. Demnach wäre die Signaturenlehre nicht dem medizinischen, sondern dem naturphilosophischen Zweig der scientia magica zugehörig. Dass sich Paracelsus bezüglich der Signaturenlehre derart bedeckt hält, könnte aber auch einen anderen Grund haben: Möglicherweise sah er die Gefahr, das heilige Wesen der magia durch eine konkrete Unterweisung in der Lehre von den natürlichen Ähnlichkeitsbeziehungen zu entmystifizieren. Schließlich beschreibt die magia nicht nur einen Weg zur göttlichen Weisheit, sie ist zugleich mit derselben identisch. Das segensreiche Potenzial des analogen Verhältnisses von Himmel und Erde, sowie von großer und kleiner Welt, eröffnet sich dem Adepten der magia nicht im Studium dicker Folianten: Es erschließt sich allein demjenigen, der den Weg zur himmlischen Weisheit selbst zurückgelegt hat. Symptomatisch für diese Anschauung ist Suchtens Erklärung am Ende von De secretis antimonij: [D]aß ich diesem Tractat kein Recept frgestellt/ ist derhalben geschehen/ daß ich euch nicht verfhren wil/ denn die Recept sind Verfhrung der jungen Aerzte: Es ist auch kein Recept von Paracelso je beschrieben/ betreffend die Heimlichkeit der Artzeney/ das nicht occultum sensum habe/ darinnen nicht zu wenig oder zu viel ist/ und geschicht solches nicht ohn grosse Ursachen.259

7.6 Suchtens magische Zeichenlehre 7.6.1 Die theologische Dimension von Suchtens Zeichenlehre Auch Suchten entfaltet im Zusammenhang mit den drei ‚Fakultäten‘ eine umfassende Zeichenlehre. Dabei hält an seinem erzählerischen Tonfall fest. Hatte sein fiktiver Urmythos mit dem mystischen Entrückungserlebnis des urzeitlichen Adamssohns seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, so baut er diesen nun zu einer Menschheitsgeschichte aus, die sich als eine Verfallsgeschichte magischen Wissens präsentiert. Zunächst aber berichtet der Danziger davon, dass der Adamssohn die Bücher, die zum Wohle des gemeinen Volkes verfasst hatte, an seine

259 Chymische Schrifften: Vom Antimonio oder Spießglaß, S. 264.

298 

 Suchtens Magie

„Nachkmmlinge“ übergab, auf dass diese „die Gttliche Erkntniß […] erfahren und lernen mchten.“260 Dies war die Geburtsstunde des Geschlechts der magi: Nach dem er wol wuste/ wie sein Hauß zu seiner Zeit wrde fallen/ wie er auß dem in ein ewiges fahren wrde: auff daß jemands noch beim Volck bliebe/ zu dem die ihre Zuflucht htten in Nthen/ so solcher Gnaden wrdig/ unterrichtete/ und zeigete Er ihnen alle Ding augenscheinlich/ daß sie grndlich wsten/ was ihre Kunst/ und war von [= wovon] die drei Bcher geschrieben waren/ auff daß in diesen Fußstapfen sie blieben/ und die Heimligkeit Gottes ein jeder nach seinem Verstand weiter außbreiten. Die aber/ denen es offenbahret war/ waren die nechsten Kinder und Blutsverwandten Freund. Also wuchs die Theologia je lnger je mehr/ deßgleichen auch auch die Astronomia und Medicina. Wo ein jeder zugeschickt war/ das Teil trieb er nach seinem Vermgen. Diese Leut wurden geissen Magi, das ist/ Weise Leut/ die mehr waren dann ander Leute/ darumb sie auch ihre Knige/ Frsten/ Priester und Herren waren/ sie thaten große Wunder unter dem Volck/ under andern halffen sie den Krancken/ machten die Blinden sehend/ reinigten die Aussätzigen/ heylten die Wassersüchtigen/ gaben den Armen große Allmosen.261

Aus der Beschreibung der Nachkommen des Adamssohns geht hervor, dass diese zusammen mit den Büchern der magia zugleich auch das Christusleben mit übernahmen: Hierauf deuten zum einen die Wunderheilungen hin, die sie vollbrachten, zum anderen auch der Aufruf der „Fußstapfen“. Bei letzteren handelt es sich um eine Anspielung auf das Motiv der vestigia Christi, welches zweimal in den Paulus-Briefen (Röm 4,12 / 2 Kor 12,18) und ein weiteres Mal im Ersten Petrus-Brief auftritt, dortselbst am eindringlichsten: „Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen (1 Petr. 2,21).“ Es bedarf für die Nachfolge Christi keiner weiteren Entrückungserlebnisse; die Erleuchtung durch den göttlichen Geist wird genealogisch weitergegeben.262 Den theologischen Hintergrund bildet der Erste Korintherbrief: „Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind

260 Chymische Schrifften: De tribus facultatibus, S. 366. 261 Ebd., S. 367. 262 Dieses Motiv findet bereits bei Roger Bacon: Diesem zufolge gab Abraham die Weisheit an Noah und an die alten Ägypter weiter. Noahs Nachkommen waren die Lehrer der Chaldäer; sein Sohn Ham erfand darüber hinaus die Magie. Nach der Sintflut erschuf Prometheus, der sich durch höchste Weisheit auszeichnete, neue Menschen aus Lehm, die von Hermes Trismegistus, dem Enkel von Prometheus’ Bruder Atlas, vielfältige Künste erlernten. Unter diesen Menschen war auch Asklepios, der weitläufig von Äskulap abstammte [sic]. Letzterer habe die Gabe der Medizin von seinem Vater Apollo empfangen. Die wahren Erfinder der Medizin aber waren nach Bacon Adam, Ennoch und Noah sowie deren Söhne. Vgl. Opus maius. Tle. I, II u. VI. Hg. von Nikolaus Egel. Hamburg 2017, S. 125–131.

Suchtens magische Zeichenlehre 

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es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren.“263 Suchtens Eintreten für eine derartige genealogische Prädestination deckt sich mit der paracelsischen Lehre, wonach nur derjenige ein magus werden kann, den der Allmächtige dazu auserkoren hat. Demnach kommen die magi von dem ubernatürlichen himel, da entspringen die magi aus. nun wird der magus geboren und im wird imprimieret die magica […]. in der schul bücher ist es nicht gelernt worden, sondern die erfinder derselbigen künst seind in das geborn, und heißen geborne künst. das ist, das der mensch an im selbs nicht sovil mag wissen, was die metallen seind. so aber der mensch magice fürgenommen wird, als dann so wird er mit den künsten geborn; der selbig hat sie alsdan zu finden und andern zu offenbaren. also muß ein solcher ausleger ein geborner magus sein, sonst mag es nicht ausgelegt werden, auch kein kunst erfunden als alein wie gemelt ist.264

An anderer Stelle heißt es: „Magus nascitur, sicut omnes artes nascuntur […]. Magi habent spiritum novum, non creatum ab homine isto.“265 Im Gegensatz zu allen anderen Menschen besitzen die magi den Geist Gottes von Geburt an. Sie bedürfen daher keiner gelehrten Unterweisung. Womöglich erklärt sich vor diesem Hintergrund, weshalb Paracelsus sich bezüglich praktischer Anweisungen auf dem Gebiet der medizinischen Sektion der magia bedeckt hält. In jedem Fall aber bedarf der Mensch zum Erwerb magischen Wissens der Gnade Gottes. Die Gnade ist die Voraussetzung für den die Erleuchtung durch den Geist, welche ihrerseits die Voraussetzung für das Betreiben von magia ist. Suchten wird nicht müde, die intellektuelle Überlegenheit der magi zu betonen: „Der Geist/ darauß sie schreiben/ bleib allein bei den Magis […].“266 Demgegenüber bleibt das „ander Volck so nicht Magi“ von der Segnung mit der Weisheit ausgenommen.267 Der Danziger hält sich damit an den in der Theologia Deutsch aufscheinenden Grundsatz, dass nur derjenige zum Heil, beziehungsweise zu einem Heilswissen, gelangen kann, den Gott dazu ausersehen hat. Hierin findet die Annahme, dass er seinen Traktat explizit für paracelsistische Mitstreiter verfasst hat, indirekt Bestätigung. Würde es sich bei seinem Adressaten nicht um einen gotterwählten Adepten handeln, hätte es keinen Sinn, diesen in der magischen Weisheitslehre zu unterweisen. Suchten selbst nimmt den Habitus des Erwählten für sich jeden-

263 1 Cor 15,47–48: „Primus homo de terra, terrenus: secundus homo de caelo, caelestis. Qualis terrenus, tales et terreni: et qualis caelestis, tales et caelestes.“ 264 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 123  f. 265 Paracelsus: Entwurf zur Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 500. 266 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 368. 267 Ebd., S. 367.

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falls ganz selbstverständlich in Anspruch.268 Vor diesem Hintergrund hat man davon auszugehen, dass er sich nicht trotz, sondern gerade wegen des breiten Widerstands, den seine „Kunst/ so da heißt Magia“ von schulmedizinischer Seite erfuhr, auf seinem Weg bestätigt sah: Wer die magia nicht verstehe oder sich ihr verweigere, der affirmiere damit nur das Privileg, das ihm, Suchten, als einem Adepten der magia durch Gottes Gnade zuteilgeworden sei. Das erste Mal, da der Danziger explizit auf ‚Zeichen‘ zu sprechen kommt, richtet er sich gegen das Selbstverständnis der verhassten Kirchenoberen, deren Perspektive er spöttisch wiedergibt: „Also gehet es/ also werden die Theologi von uns selbst/ also thun wir auch Zeichen/ die uns Zeugnuß geben unserer Lehr/ id est, hetzen ein Land ans ander/ richten Jammer in der Welt an: das sind ja auch Zeichen/ darauß man denselben erkennen mag/ der sie zu Theologos gemacht hat.“269

Indem die Theologen ‚ihres Zeichens‘ Kriegstreiber sind, die Zerstörung, Jammer und Leid über die Menschheit bringen, geben sie sich als Handlanger des Teufels zu erkennen: Die unheilvollen Zeichen der Theologen verweisen auf das Böse, das ihnen Amt und Würden verliehen hat. In diesen Zeilen schwingt aber auch das von Suchten in De vera medicina zitierte Christuswort „an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,16) mit.270 Die Frucht gibt Auskunft über die Wurzel. Die geistige Tradition, in der die Universitätstheologie ‚verwurzelt‘ ist, beruht jedoch auf Lügen und Irrtümern: Also kamen die Theologi in die Welt/ haben den Geistlichen Verstand nicht von den Magis empfangen/ haben ihn auch nicht auß dem Liecht der Natur/ das uns Gott und sein Geschpff zuerkennen gibt/ darauß die Magi ihn erkandt haben/ und darnach erst Theologiam geschrieben/ darinnen sie die Geheimniß Gottes/ nach ihrem hchsten Vermgen/ verdunckelt haben/ auff dass die Erkntnuß Gottes/ hoc est, der Schatz der ganzen Welt allein bey ihnen bleib/ oder bey denen so es Gott offenbahret […]. 271

Die Theologen zeichnen sich also nicht nur durch Kriegstreiberei, Bequemlichkeit, Unwissen, und Geschwätz aus, sie sind auch außerstande, Gottes Angesicht über Naturerfahrung oder eine Entschlüsselung der „allegoriae et similitudines“

268 Dies wird auch am Schluss von De tribus facultatibus noch einmal deutlich, da Suchten sich an den Adressaten selbst wendet: „ich [bin] schuldig/ euch dasselbig/ so mir Gott gegeben (ohn allen Ruhm) vor einem andern mitzutheilen.“ (Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 382). 269 Ebd., S. 371. 270 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 458  f. 271 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 370.

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der magischen Theologie zu erkennen. Vielmehr klammern sie sich an die Worte der Heiligen Schrift. Diese sind an sich jedoch nichts weiter als Worthülsen: [Die Theologi] drungen sich mit Gewalt ein/ vermeinten/ da sie den Buchstaben hatten/ sie kenten Gott schon/ dorfften nichts mehr wissen/ da stund es geschrieben/ da hatten sie es gelesen/ trotz dem der sie nicht Theologos hieß. […]. Hab ich/ sprechen sie/ die H. Schrifft/ hab ich doch die Theologos gelesen/ hab ich doch die zwey Testament/ da steht das Wort Gottes und die klare Wahrheit/ was darff ich mehr?“272

Mit diesen Worten opponiert Suchten gegen die lutherische Praxis der Bibelexegese: Luther hatte die Herausarbeitung des Literalsinns von Gottes Wort zum leitenden Prinzip der Schriftauslegung erklärt. Ebenso wie der nackte deus crucifixus den Menschen für das ewige Leben rechtfertigt, ist es der nackte, äußere Buchstabe, der seligmachende Wirkung besitzt. Eine Heilsvergewisserung kann der Mensch demnach nur im Glauben an das geschriebene Wort beziehen, was eine Übersetzung der Bibel in die Volkssprache nötig macht. Weil der Kreuzestod des Gottessohns den Kulminationspunkt der Schrift darstellt, handelt diese im Grunde von nichts anderem als von Christus. Das Alte Testament verkündet den Gottessohn im typologischen und prophetischen Sinne, das Neue Testament hingegen im wörtlichen Sinne. In beiden Fällen hält Luther eine buchstäbliche Erschließung des Bibelworts für heilsnotwendig. In der Folge verwirft er das Deutungsprinzip der Allegorese. Allein der Literalsinn besitzt für ihn Geltung. Dieses ‚äußere Wort‘ teilt sich dem Menschen über den Heiligen Geist mit, indem dieser den Menschen im Glauben erleuchtet und auf diese Weise ein ‚inneres Wort‘ bewirkt.273 Wenn es heißt, dass der Mensch nur durch Christus (solus Christus) zum Heil gelangen könne, so liegt diesem Dogma der Gedanke zugrunde, dass allein die Schrift (sola scriptura) die Erlösungstat Christi auf authentische Weise wiedergibt und der Mensch nur im Glauben (sola fide) an die darin zum Ausdruck kommende göttliche Gnade (sola gratia) vor seinem Schöpfer gerechtfertigt wird. Der Weg zum Heil führt über den Glauben an Gottes äußeres Wort. Niemand könne des Heiligen Geistes innewerden, es sei denn, er habe zuvor das verbum externum vernommen und die Sakramente empfangen.274 Indem Luther dem äußeren Wort gegenüber

272 Ebd., S. 369  ff. 273 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 14–17; ders.: Unmittelbare göttliche Offenbarung, S. 749  f. 274 Vgl. Martin Luther: „So nun Gott sein heyliges Euangelion hat auslassen gehen, handelt er mit uns auff zweyerley weyse. Eyn mal eusserlich, das ander mal ynnerlich. Eusserlich handelt er mit uns durchs mündliche wort des Euangelij und durch leypliche zeychen, alls do ist Tauffe und Sacrament. Ynnerlich handelt er mit uns durch den heyligen geyst und glauben sampt andern Gaben. Aber das alles, der massen und der ordnung, das die eusserlichen stucke sollen und

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dem inneren Wort den Vorrang einräumt, wendet er sich einerseits gegen die Alte Kirche, die aus seiner Sicht den Buchstaben aus den Augen verloren hatte und sich stattdessen mit erstarrten Ritualen aufhielt, andererseits aber auch gegen solch „schwärmerische“ Gruppierungen, die für sich unmittelbare Erfahrungen der Gottesnähe behaupteten.275 Zu letzteren zählten ab der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts auch die frühen Paracelsisten, die sich, wie am Beispiel Suchtens deutlich wird, rühmten, den Geist Gottes „ante verbum et sine verbo“ zu besitzen und daher eine Deutung der Schrift nach dem Literalsinn ablehnten.276 In schärfster Abgrenzung von der lutherischen Glaubenslehre behauptet Suchten, dass der Wortlaut der Bibel rein allegorisch zu verstehen ist, da es sich bei ihr um ein magisches Buch handle. Um ihren Sinn zu entschlüsseln, bedürfe es einer Erleuchtung durch den göttlichen Geist. Ansonsten bleibe dem Gläubigen die biblische Frohbotschaft verborgen. Diesem Grundsatz liegt offenkundig das neuplatonische Einheits- und Gleichheitsprinzip zugrunde: Da niemand in der Lage sei, sich von einem Gegenstand einen Begriff zu machen, ohne dass er sich diesem Gegenstand in seinem geistigen Inneren verwandt und ähnlich gemacht hätte, lasse sich der Sinn von Gottes Wort ausschließlich von solch hocherleuchteten Menschen erfassen, die zuvor des ewigen Wortes  – der übersinnlichen Natur Christi – inne geworden sind. Indes untermauert Suchten seine Ablehnung einer wörtlichen und somit geistlosen Auslegung der Heiligen Schrift nicht philosophisch, sondern im Rückgriff auf ein simples, aber durchaus schlagkräftiges Argument: [Die Apostel]/ die von dem Geist/ da er ihnen gesandt/ Christum/ der doch Persnlich bey ihnen war/ und sie tglich lehret/ &c. erst recht erkanten/ seine Lehr erst richtig verstanden/ das ihnen unmglich war zuwissen zuvor/ ehe der Geist kam/ wann gleich Christus lang bey ihnen geblieben. Welchs uns gnugsam anzeigt/ daß ob wir schon haben die vier Evangelisten/ die rechten Bcher Petri Pauli, Johannes: Das wir sie gleichwol nicht verstehen knnen/ es komme dann der H. Geist/ und uns dieselben dolmetsche. Es solten ja die Jnger Christi/ die Christus selbst lehrete/ die sein Wort von ihm selbst hrten/ seine Lehr verstanden haben; aber das konte nicht seyn/ der H. Geist muste kommen/ und das da heimlich war/ ihnen offenbahren.277

müssen vorgehen. Und die ynnerlichen hernach und durch die eusserlichen komen, also das ers beschlossen hat, keinem menschen die ynnerlichen stuck zu geben on durch die eusserlichen stucke.“ (Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525). In: WA 18, S. 136,9–17). 275 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 22  f.; ders.: Unmittelbare göttliche Offenbarung, S. 753  f. 276 Vgl. Kaufmann: Nahe Fremde, S. 138. 277 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 379  f.

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Wenn schon die Jünger, denen Christus persönlich beigewohnt hatte, dessen Lehre nicht verstanden und erst nach ihrer Erleuchtung durch den Heiligen Geist in der Lage waren, den Sinn der Worte zu erfassen, so wird dieser Sinn den Theologen jüngerer Zeit erst recht verborgen bleiben, sofern sie nicht zuvor des göttlichen Geistes inne geworden sind: Was lassen wir uns dncken/ (bey welchem Christus nicht also ist/ nocht also stehet/ isset und trincket/ das ist/ Persnlich ist/ wie ein Mensch dem andern) daß wir die Schrifft so freventlich deuten und leiten? Ob wir schon die Bcher haben/ wollen wir uns darumb rhmen/ daß wir sie verstehen/ warumb habens dann die Jnger nicht verstanden/ hatten sie doch die Lehr auß dem Mund Christi selbst gehret/ das viel mehr ist/ dann auß den Bchern gelesen/ htten sie es verstanden/ was drfften sie deß H. Geistes? Aber es war ihnen unmglich/ viel mehr ist es uns/ darumb muß der Geist deß HErrn da seyn/ uns die Augen auffthun/ den Verstand erleuchten/ so werden wir einen Gott kennen/ eine Religion, wie die Aposteln gehabt/ haben.278

Der Geist des Herrn, so heißt es anderer Stelle, gleiche einem Schulmeister, „der seine Discipulos krnet mit Wunderzeichen […].“279 Es ist dem Danziger offenkundig daran gelegen, die bedeutungsschweren und wundersamen Zeichen der magia gegen die Worthülsen der Schultheologie auszuspielen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass er die Autorität der Heiligen Schrift in Frage stellt. Vielmehr gilt ihm diese das wichtigste Zeugnis einer magischen Theologie: Von den „Bcher[n] der Theologiae“, so heißt es im Text, sind „uns die beyden Testament berblieben“.280 Suchtens Kritik richtet sich also nicht gegen die Schrift selbst – zumal ja offenkundig auch Mose, die Propheten und die Evangelisten Tradenten der magia sind –, sondern lediglich gegen eine fehlgeleitete Praxis der Schriftauslegung. Da die magi den wahren Sinn der Testamente „per allegorias & similitudines“ verdunkelt hätten,281 drängt Suchten auf eine allegorische Auslegung der Heiligen Schrift. Ansonsten bliebe die „Arca deß Testaments […] zu gedeckt.“282 Da nun außer den hocherleuchteten magi niemand in der Lage ist, den vordergründigen Wortsinn der Heiligen Schrift zu transzendieren und deren wahre Botschaft zu vernehmen, sind diese, allemal als Nachfolger Christi, dazu bestimmt, zwischen den Menschen und Gott zu vermitteln. Als Erwählte des Allmächtigen sind sie direkte Vollstrecker des göttlichen Willens. Der magus ist demnach auch die einzige Autorität, die ein Anrecht auf das Priesteramt besitzt. Vor diesem

278 Ebd., S. 380. 279 Ebd., S. 379. 280 Ebd., S. 373. 281 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 361. 282 Ebd., S. 372.

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Hintergrund wird zugleich offenbar, dass die „Schrifftgelehrten“ in ihrer fatalen Geistlosigkeit und ihrem heuchlerischen Wissen um das Bibelwort den Spalt zwischen der gefallenen Kreatur und dem Allmächtigen nur noch weiter vertiefen. Dazu verdammt, außerhalb der Elite der erleuchteten magi zu stehen, sind sie von Natur aus außerstande, den tieferen Sinn der Heiligen Schrift zu verstehen, geschweige denn diesen weiterzuvermitteln: „Lasset sie bleiben/ sie singen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.“283 Mit Bitterkeit resümiert Suchten in seiner Elegie an Karl Rauchenberg über die allgemeine Blindheit gegenüber dem Schriftsinn: Wohin auch immer uns Gott und die Natur geleiten, dorthin lass uns gehen. All unser Heil, Karl, ist bei Gott im Himmel, aber am Buchstaben selbst sind wir schier verzweifelt, und nirgends findet sich jemand, der ihn versteht: So hart straft uns Gott zu unseren heutigen Zeiten.284

Man fragt sich zu Recht, welche Bibelstellen Suchten im Blick hat, indem er davon spricht, dass sich der wahre Schriftsinn hinter Allegorien und Metaphern verberge. Eine Antwort darauf bleibt er schuldig. Dagegen scheut er sich nicht, das Geheimnis, das den magischen Büchern von Altem und Neuem Testament eingeschrieben ist, preiszugeben: „Wir seynd die Außlegung des A. und N. Testaments/ und der Apostolischen Schrifften/ nicht dieser oder jener Bauer/ der erst vom Pfluge herlaufft/ euch ein neues Liedlein zu singen […].“285 Die Formulierung, dass die Auslegung der biblischen Schriften „nicht dieser oder jener Bauer“ sei, ist dahingehend zu verstehen, dass die rechte Deutung des Buchstabens von keinem der dumpfen Reformatoren vertreten werde.286 Auf wen aber bezieht sich Suchten mit dem Personalpronomen ‚Wir‘? Und inwiefern repräsentiert das damit aufgerufene Kollektiv, dem sich Suchten zugehörig fühlt, den okkulten Sinn der Heiligen Schrift? Einen Hinweis gibt der Umstand, dass Suchten den ‚Bauern‘, der sich im Gewand eines Theologus anschickt, die Bandbreite der Konfessionen um ein „neues Liedlein“ zu erweitern, ausdrücklich

283 Ebd. 284 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 459: „Qua nos cunque trahit Deus & natura sequamur, / Omnis apud superos, Carole, nostra salus / Litera praecipites sed nos dedit ipsa, nec usquam est, / Qui sapit, hoc tanta est tempore plaga Dei.“ 285 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 373. 286 Vgl. hierzu in Stil und Inhalt Paracelsus: De secretis secretorum theologiae. In: SW 2/3, S. 26: „ein ieglicher wird sagen: ích bin das evangelium, ích sag die grundtlich warheit, ích sag das wort gottes etc. […] dér sucht das evangelium zu Rom bei den Romanisten, der ander bei den zwinglisten, der dritt bei den lutheristen, der viert bei den tauferen etc. und das ist ohne zahl zu nennen.“

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von der besagten Gemeinschaft ausnimmt. Demnach apostrophiert Suchten mit dem Pronomen ‚Wir‘ offenbar all jene, die Gott zu seiner Gnade bestimmt hat: Die urzeitlichen magi, den Widmungsempfänger des Traktats sowie seine eigene Person. Diese Gemeinschaft ist es auch, die vom göttlichen Geist beseelt ist, welcher ja erklärtermaßen den Gegenstand der theologia magica ausmacht. Diese Deutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man einen weiteren Passus hinzuzieht, in dem – mit deutlicher Anspielung auf den Begriff arcanum – zunächst davon die Rede ist, dass die „Arca deß Testamtens“ zugedeckt sei.287 Im Folgenden heißt es: „Aber ihr stehet auff/ bedencket/ warumb wir da sind/ bedencket/ was der [Adamssohn] gewust hat/ der es also geordnet/ daß ihr das auch wisset/ so werdet ihr solche Leut auch werden und seelig seyn im Angesicht Gottes.“288 Wer des göttlichen Geistes teilhaftig ist, der wird durch ihn auch das Christusleben und die himmlische Weisheit empfangen, er wird im Licht der Natur das Angesicht Gottes erkennen und sich als legitimer Nachfolger der urzeitlichen magi bezeichnen können. Der ‚Magus der Morgenröte‘ ist denn auch das Ideal, dem sich Suchten verpflichtet fühlt.289 Gemäß der magischen Auslegungspraxis ist die Heilige Schrift insofern ‚Gottes Wort‘, als sich in ihr der Atem des Allmächtigen, der in Christus Fleisch geworden ist, auf allegorische Weise Gehör verschafft. Die Dechiffrierung dieses absoluten Sinns ist nur den magi möglich, denn diese waren es ja, die den Schriftsinn dereinst „per allegorias & similitudines“ verdunkelten. Doch die magi hinterließen der Nachwelt nicht nur die beiden Testamente, sondern – für alle Fälle – auch allerhand Zeichen, an denen man die magische Theologie ablesen könne: Dann da die drey Facultten von Anfang beschrieben worden/ ward einer jeden ihr Zeichen/ darauß sie zuverstehen sey/ auch gegeben/ und geschach auß der Ursachen: Dieweil ihre Bcher mchten verlohren werden […]/ daß dennoch etwas blieb/ da man die Warheit außlernen mchte: Haben sie einer jeden solch Zeichen gegeben/ die nicht also vergehen knnen. Also daß die Bcher der Theologiae […] berblieben/ gaben sie auch der Theologiae ihr Zeichen/ auff das/ so wir die Bcher verlohren/ ander Bcher htten die nicht also knten verlohren werden: Das sind die Zeichen/ und alles was sie in die Kirchen geordnet haben. Als die Meß/ die Gesng und ander KirchenGeschmuck […]. Und wiewol solche Dinge/ durch Christgelehrte Leute/ die in ihrem Sinn im Himmel gewesen/ die Warheit von ihm/ wie Moses die Tafeln auff dem Berge empfangen/ an etlichen Enden verworffen/ so seynd sie darumb nicht beral abgestorben/ wie wir arme Menschen uns dncken lassen/ werden auch bleiben/ dieweil die Welt stehet.290

287 Ebd., S. 372. 288 Ebd. 289 Vgl. Kap. 5.8, S. 196, Anm. 245. 290 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 373  f.

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Abermals wird deutlich, dass die magi zwar in der Nachfolge des von Gott erleuchteten Adamssohnes stehen, selbst aber eher zum Dienst an der Menschheit als zu mystischen Erfahrungen bestellt sind. Indem Suchten davon spricht, dass gewisse „Christgelehrte Leute/ die in ihrem Sinn im Himmel gewesen“, die magischen Zeichen von Kirchendekor und Gottesdienst „an etlichen Enden verworffen“ hätten, referiert er auf die introversionsmystische Tradition, die sich in Berufung auf das Christuswort „Non venit regnum Dei cum observatione“ (Lk 17,20–21) zu einem Gottesreich im Menschen („regnum Dei intra vos“) und einer ecclesia spi­ ritualis bekennt.291 Diesen „Christgelehrte[n] Leute[n]“, die Suchten vermittels der mystischen Schriften des Spätmittelalters gut bekannt waren, stellt er in De tribus facultatibus die magi gegenüber, denen er aufgrund ihres Naturwissens den Vorzug gibt. Die von Suchten diagnostizierte Unvereinbarkeit einer magischen Bildlehre mit einer introversionsmystischen Glaubenspraxis sollte für den frühneuzeitlichen Spiritualismus von Bedeutung bleiben. Johann Arndt wurde auf diese Diskrepanz im Jahr 1596 aufmerksam, da er an seiner Iconographia arbeitete. In dieser Schrift wandte er sich gegen das religiöse Verbot von Kirchenbildern, Zeremonien und Kruzifixen. Den Anlass gab hierfür der Übertritt des Fürstentums Anhalt zum Calvinismus. Einige Jahre zuvor war Arndt dortselbst als junger Pastor Zeuge der schleichenden Einführung des neuen Bekenntnisses geworden. Nachdem er sich der Abschaffung des Taufexorzismus widersetzt hatte, war er seines Amtes enthoben und des Landes verwiesen worden.292 In der Iconographia beruft sich der Exilant wiederholt auf den lutherischen Theologen Martin Chemnitz (1522–1586). Zudem kommen Agrippa, Paracelsus und Khunrath zu Wort;293 dies vor allem im neunten Kapitel, in dem Arndt auf „Bilder“ eingeht, die „jren vhrsprung aus der Natur haben/ vnd viel Geistliche vnd weltliche Hendel presagiren [= prophezeien].“294 Etwa zur gleichen Zeit stieß er auf die Theologia Deutsch, die ihn so sehr beeindruckte, dass er sich zu einer Neuedition entschloss, die schon im März des Folgejahres zur Drucklegung vorlag. In der Vorrede bekennt er sich vorbehaltlos zum mystischen Programm des Traktats.295 Die Beschäftigung mit der mystischen Gedankenwelt der Theologia Deutsch leitete einen „auffäl-

291 Vgl. Neumann: Natura sagax, S. 219–222. 292 Vgl. Schneider: Der fremde Arndt, S. 43–60, bes. S. 46  f. 293 Ebd. 47  f. 294 Johann Arndt: Iconographia/ Grndtlicher vnd Christlicher Bericht/ Von Bildern/ jhrem vhrsprung/ rechtem gebrauch vnd mißbrauch […]. Georg Kote, Halberstadt 1595, S. 32v. 295 Vgl. Johann Arndt: Die teutsche Theologia. Das ist: ein edels Bchlein vom rechten verstande, was Adam vnd Christus sey […]. Georg Kote, Halberstadt 1597 (erschienen erst 1606), S. 11v.

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lige[n] Paradigmenwechsel“ (H. Schneider) in Arndts Schaffen ein.296 In der Tat distanzierte er sich rückblickend von der Iconographia. Auch gestand er in einem Brief an Johann Gerhard: „Mit meinem Büchlein über die Bilder bin ich nicht zufrieden, daher will ich nicht, daß es nochmal ans Licht kommt.“297 Arndt hatte sich unter dem Eindruck der Theologia Deutsch von einem Verteidiger des Kirchendekors zu einem Fürsprecher einer inneren Kirche des Herzens gewandelt. Demgegenüber blieb Suchten seinen naturweisen magi zeit seines Lebens treu. Dennoch wahrte er gegenüber den Vertretern der traditionellen Einigungsmystik eine wohlwollende Neutralität. Dies mag daran liegen, dass er sich diesen angesichts einiger gemeinsamer Konzepte – allen voran der inhabitatio dei und der imitatio Christi – verbunden fühlte. Vor allem aber sah er in ihnen Verbündete im Streit mit der Schultheologie, die jeglicher Art von Mystik und Magie höchst misstrauisch gegenüberstand.

7.6.2 Suchtens Positionierung zur Heilswirksamkeit der Sakramente Der magus ist jedoch nicht nur der positive Gegenentwurf zu den Theologen, sondern auch zu den Astronomen und Schulmedizinern. Vor allem letztere machten den Paracelsisten ihren Rang als Repräsentanten eines göttlichen Heilswissens streitig. Dementsprechend unrühmlich ist das Bild, das Suchten von den Vorfahren der akademisch gebildeten Ärzteschaft zeichnet: Also wurden Commentaria ber die Medicin geschrieben/ entstund ein Sect der Gelehrten/ die sich Medicos nennet/ wuchs bald auff und nam zu/ wie das Unkraut pfleget. Da nun die Magi (villeicht wollts Gott also haben) absturben/ starb die wahre Medicina auch ab mit ihnen/ und nach ihrem Tod blieb die Sect/ so sich Unverstand ihrer Bcher auffgeworffen/ an ihre Statt. Sie waren aber nit Knige/ Frsten/ Priester/ oder Herren/ sondern es waren Bettler/ die das Geld und Gunst bey dem Volck suchten/ und durch ihr Geschwtz ein Ansehen bekommen. Darumb der am besten schwtzen kont/ der war der beste Medicus. Sie schrieben auch viel Bcher von Krutern/ und der Menschen Kranckheiten/ vielleicht wie ihnen deß Nachts davon traumete/ die waren leichter zu verstehen/ gefielen dem gemeinen Mann wol: die rechten Bcher der Weysen wurden mit der Zeit verlohren/ was solte man ihnen thun/ sie waren zu schwr/ wer wollte sie verstehen. Also sind sie nur wegkommen/ daß wir zu unsern Zeiten keins mehr haben.298

296 Der fremde Arndt, S. 218. 297 Brief Johann Arndts an Johann Gerhard vom 27. Januar 1604. In: Epistolae virorum eruditorum […]. Hg. von Georg Martin Raidel. Nürnberg 1740, S. 33. 298 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 368  f.

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Habgier, Geltungssucht, Geschwätzigkeit und Phantasterei sind die Eigenschaften, durch die sich die ‚Sekte‘ der pflanzenheilkundigen Ärzteschaft auszeichnet. Wie Quid sit nihil verdeutlicht, ist es vor allem die facundia Galeni, an der Suchten Anstoß nimmt: dies einerseits aufgrund deren Unvereinbarkeit mit der „Medicina muta“ der Paracelsisten, andererseits aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden Ferne zu einer praxisorientierten Heilkunde.299 Der paracelsistische Arzt verstand sich demgegenüber als Vertreter einer angewandten medizinischen Lehre, die eine chemische Zubereitung von Heilmitteln sowie eine aktive Behandlung beinhaltete. Noch schwerer wiegt allerdings Suchtens Behauptung, dass die Phytotherapie der Schulmedizin im Krankheitsfall keinen besonderen Nutzen besitze und daher nichts anderes als Phantasterei sei. Wie bereits im Fall der magischen theo­ logia lasse sich auch die Lehre der medicina nur noch durch ihre Zeichen erahnen: Der Medicin Bcher/ so die Magi darvon geschrieben/ seynd all verlohren/ die Zeichen haben wir allein/ das sind alle Kräuter und Bum auff Erden. Diese Zeichen seynd jetzo unser Bcher/ geschrieben allein von Gott dem Allmchtigen/ der uns/ auß grundloser Barmhertzigkeit/ solche Bcher mitgetheilet/ nicht daß diese Bcher unser Gesundtheit seyn/ wie auch in der Theologia, daß so in der Kirchen geordnet ist/ unser Seeligkeit nicht ist: Sondern daß wir auß ihnen unser Seeligkeit und Gesundheit finden mgen/ durch ihre Erkntniß/ wie sie von Gott geschaffen.300

Der hierin formulierte Grundsatz mutet auf den ersten Blick trivial an: Auch wenn die Zeichen der äußeren Natur das Wort Gottes anzeigen, besitzen sie dadurch noch keine heilende Wirkung. Dieser Lehrsatz findet sich auch in anderen paracelsistischen Schriften. So heißt es etwa in Crolls Erinnerungsvorrede, dass „die Kruter nicht die Artzney/ sondern allein das Zeichen deß gezeichneten Worts [sind].“301 Gleichermaßen stellt sich der Lehrsatz, dass der Kirchendekor den Gläubigen nicht selig macht, über die Grenzen der Konfessionen hinweg als unproblematisch dar. Die religiöse Kritik an kirchlichen Bildwerken, die in den reformatorischen Bildersturm mündete, entzündete sich vielmehr an der Frage, ob diese den Glauben auf negative Weise beeinträchtigten. Dies wurde vonseiten diverser Reformatoren aus vielfältigen Gründen affirmiert: So argumentierte Karlstadt und Zwingli, Heiligenbilder hätten lediglich materiellen, aber keinen kommunikativen Wert. Dennoch könnten körperliche Darstellungen von Christus oder den Heiligen den Gläubigen davon abhalten, Gott im Herzen

299 Vgl. Schütte: Medizin im Konflikt, S. 75–83. 300 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 374. 301 Croll: Basilica Chymica, S. 44.

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aufzusuchen.302 Auch wurden Heiligenbilder immer noch mit Idolatrie in Verbindung gebracht: Calvin etwa forderte im Rahmen seiner reformatorischen Bildkritik eine strenge Auslegung des Dekalogs, wonach man sich von Gott kein Bild machen dürfe. Alles andere zeuge von Fleischeslust und sei somit eine Form von Götzendienst.303 Suchten unterstellt den reformatorischen Bildkritikern, dass sie von falschen Prämissen ausgingen: Der Kirchendekor sei lediglich ein Zeichen für die Seligkeit in Gott und könne daher auch nicht der Idolatrie zugerechnet werden. Hiermit nähert er sich der Position Luthers an, der Bilder wie das Kruzifix „zum ansehen, zum zeugnis, zum gedechtnis, zum zeychen“ bestimmt hatte.304 Zur Verdeutlichung seines Einwands setzt Suchten die kirchlichen Signaturen der theologia mit den pflanzlichen Signaturen der Medicina in Relation: Es haben etliche Klglinge wol gesehen/ das Meß hren/ Singen Orgeln/ Wachs/ Oel und Saltz uns nit seelig machen/ darum haben sie es verworffen. Warumb thun die Doctores Medicinae nicht auch also? Sie sehen wol daß der Attich und Holunder/ Mylium solis, saxifragia, den Stein/ das Podagram Hermodactyli, wie die Bcher darvon melden/ nit curieren &c. Warumb verbieten sie nicht der Erden/ daß sie solche Kruter nicht trage? Dieweil sie das nicht thun/ das von ihnen geschrieben ist […]. Gott hat die Erden geschaffen/ und sie gezieret mit ihrer Frucht/ so wol als die Gotts-Huser sind gezieret worden von Gottsgelehrten Leuten/ welcher Zierd so wol bleiben wird/ als der Erden ihre Blumen; Ob schon Hermodactyli das Podagram nicht curieren: Ob schon Meßlesen und hren mich nicht seelig macht: die Warheit fragt nicht viel von seinem Unverstand/ was die Magia erfunden hat/ wird wol bleiben/ ob ich mich schon darum zeriß. Also seynd die Kruter und Blumen nicht die Artzney/ sondern allein Zeichen/ die uns die Artzney anzeigen/ wie die Sacramenta Gott anzeigen/ nicht daß sie Gott sind/ sondern durch Gottes Wort eingesetzt/ also wol/ wie Kruter auf dem Feld durch dasselbige geschaffen sind.305

Ebenso wenig wie Pflanzen Heilkraft besäßen, hätten religiöse Zeichen eine negative Auswirkung auf die Seligkeit des Gläubigen. Letzteres zu behaupten sei genauso töricht, wie der Erde zu verbieten, Heilkräuter hervorzubringen. Indem

302 Vgl. Jörg Norbert Schnitzler: Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts. München 1996, S. 213–266. 303 Zum calvinistischen Bildersturm vgl. Carlos M. N. Eire: War Against the Idols. The Reformation of Worship from Erasmus to Calvin. Cambridge 1986, S. 234–310; s. weiterhin Jörg Jochen Berns: Der deutsche Bilderstreit des 16. Jahrhunderts. Hinweise zu Kontur und Binnenstruktur. In: Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Hg. von Herbert Jaumann u. Gideon Stiening. Berlin, Boston 2016, S. 213–266. 304 Martin Luther: Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525). In: WA 18, S. 80,7. 305 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus S. 374  f.

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Suchten nun aber die heilige Messe und die Sakramente unter die kirchlichen Zeichen mit aufnimmt und dabei deren Analogie mit den pflanzlichen Zeichen aufrecht erhält, tritt die Radikalität seiner Theologiekritik in aller Deutlichkeit zutage: Wenn die Messe und Sakramente gleich den Heilpflanzen nichts weiteres als Zeichen sind, so bedeutet dies, dass wesentliche Rituale der alten sowie der reformierten Kirche für sich lediglich symbolischen, aber keinen effektiven Wert beanspruchen können. Zwar wurde der Begriff sacramentum von jeher mit dem Begriff ‚Zeichen‘ kontextualisiert; so etwa von Augustinus („sacramentum, id est sacrum signum“)306 oder in der Confessio Augustana („Die Sakramente sind nicht nur dazu eingesetzt, dass sie die Menschen an ihr Bekenntnis erinnern, sondern eher dazu, dass als Zeichen und Zeugnisse des göttlichen Willen uns gegenüber dienen“).307 Damit allein wurde allerdings die heiligende Wirkung der Sakramente nicht in Frage gestellt. So besitzt etwa die Taufe einen character indelebilis; sie ist irreversibel gültig und somit mehr als nur eine einmalige Bezeichnung des Gläubigen. Indem Suchten mit seinem Glaubenssatz, dass „die Sacramenta Gott anzeigen“, nicht aber „Gott sind“ auch gegen die Realpräsenz Stellung bezieht, übernimmt er – trotz seiner vorhergehenden Kritik an den ‚Klüglingen‘ – ein Dogma der sogenannten Zweiten Reformation. Zu denken ist hierbei vor allem an die Abendmahlstheologie Huldrych Zwinglis (1484–1531), wonach Wein und Brot lediglich dem Gedächtnis von Christi Kreuzestod dienen. Das Gedächtnis selbst kommt nach Zwingli dadurch zustande, dass der göttliche Geist im menschlichen Innern eine Vergegenwärtigung der Erlösungstat stiftet.308 In der Tat ist es auch in Suchtens Traktat der Geist, der dem Menschen vor Augen führt, wie das sterbliche „Fleisch“ des Erlösers die ‚Transmutation‘ des Gläubigen ins ewige Leben bewirkt.309 Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Suchten offenbar unter dem Einfluss seines Lehrers Gnapheus bereits in jungen Jahren als Sakramentarier häretisiert wurde. Auch gründete sich die Anklage gegen seinen Onkel Scultetus darauf, dass dieser Sympathien gegenüber der Theologie Heinrich Bullingers hegte, der als Mitstreiter und Nachfolger Zwinglis dessen Position in der Abendmahlsfrage grundsätzlich teilte.310 Indem der Danziger das Konzept

306 Augustinus: De civitate dei. Opera XIV,I (CChr.SL 47), lib. X.V, S. 277,15  f. 307 Confessio Augustana (1530), S.  7, Art XIII: „sacramenta instituta sunt, non modo ut sint notae proffessionis inter homines, sed magis ut sint signa et testimonia voluntatis Dei erga nos.“ (Übers. S. B.). 308 Vgl. Dorothea Wendebourg: Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abendmahlstheologien der Reformation. Tübingen 2009, S. 76. 309 Vgl. Kap. 5.6, S. 161, Anm. 128. 310 Vgl. Fritz Büsser: Heinrich Bullinger: Leben, Werk und Wirkung. Bd. 2. Zürich 2005, S. 68  f.

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der Realpräsenz Christi in Brot und Wein ablehnt, bricht er ein weiteres Mal mit der Hohenheims Lehre; denn dieser macht bekanntlich die Sakramente, allen voran die Speisung durch den eucharistischen Christusleib, zur Bedingung für die Erlösung. Wenn Suchten neben dem Abendmahl auch die Taufe zum bloßen Zeichen degradiert, so hat man davon auszugehen, dass er das Christus-Wort, wonach die Neugeburt durch „Wasser und Geist“ eingelöst wird, dahingehend interpretiert, dass das Wasser lediglich eine Anzeigung für die wahre, unkörperliche „Geburt aus dem Geist“ darstellt.311 Auch findet sich in De tribus facultatibus ein Zitat, aus dem hervorgeht, dass die Theologen den Sinn der Taufe gründlich missverstanden hätten: „Sie haben ein Zeichen in der Kirchen funden/ htten sie so vil Vernunfft gehabt und verstanden/ was ihnen durchs Wasser bedeutet wird/ so htten sie auch gewust was sie fr Theologi wren.“312 Suchten nimmt also insgesamt eine ambivalente Position zur theologischen Programmatik der Zweiten Reformation ein. So schreibt er zwar einerseits den Sakramenten, dem „Kirchengeschmuck“ und allem, „so in Kirchen geordnet ist“, bloß zeichenhafte Funktion zu; andererseits aber trägt er das Bilderverbot eines Calvin oder Zwingli nicht mit. Vielmehr erkennt er in Gesang, Predigt und dem Kirchendekor einen Ersatz für die verlorenen Schriften der magischen Theologie. Ebenso wie Gott die Erde mit pflanzlichen Zeichen versehen habe, um dem Menschen die wahre Medizin vor Augen zu führen,313 hätten die magi die kirchlichen Rituale, Ornamente und religiösen Gebräuche erdacht, um dem Gläubigen auf diese Weise seine innere Teilhabe am Geist des Herrn aufzuzeigen.

7.6.3 Suchtens magische Medizin Wenn Suchten erklärt, dass die Sakramente „durch Gottes Wort eingesetzt“ und „wie die Kruter auf dem Feld durch dasselbige [Wort] geschaffen sind“, so spricht daraus ebenfalls noch kein Bekenntnis zur Präsenz Christi in Korn und Rebe. Hält man an der Analogie von Sakrament und Pflanze fest, hat beides nur einen symbolischen, keinen effektiven Wert. Wie man aus De secretis antimonij erfährt, verfügt zwar jedes Gewächs über einen geistigen Balsam, der auf Gottes Schöpfungswort zurückgeht. Dieser Pflanzenbalsam hat aber, im Gegensatz zu

311 Vgl. Joh 3,5–6: „Respondit Iesus: Amen, amen dico tibi: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et Spiritu, non potest introire in regnum Dei. Quod natum est ex carne, caro est; et, quod natum est ex Spiritu, spiritus est.“ 312 Ebd., S. 371. 313 Vgl. S. 308, Anm. 300.

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Christi Gottnatur, weder medizinische noch heiligende Wirkung. Seine Kraft erstirbt im Magen des Menschen.314 Damit gibt Suchten das paracelsische Konzept der immediaten Kopräsenz von signum und signatum auf. Die Zeichen und Bilder der äußeren Natur besitzen keine okkulten Eigenschaften, die den Betrachter auf magische Weise betören könnten. Sie referieren auf etwas Fernes: die verschiedenen Erscheinungsformen des göttlichen Geistes im Menschen. Zwischen Signatur und Signifikat, Außen und Innen, Makrokosmos und Mikrokosmos besteht eine Kluft, die nur durch die magische Auslegungskunst überwunden werden kann. Die Gewächse des Makrokosmos fungieren demnach auch nur als Zeichen für bestimmte Qualitäten des mikrokosmischen spiritus vitae, die dem Menschen in Gestalt eines unsichtbaren Ebulus, Krokus oder Hermodactylus Gesundheit und Lebensfrische spenden. Dies geht auch aus Suchtens Elegie De vera medicina hervor: Der Gott von Epidauros hat seinem Volk Heilpflanzen gezeigt, die jetzt auch den bedeutenden Namen ‚Balsam‘ haben. Freilich wollten uns die Priester und Magi einst mit derlei Bezeichnungen an das höchste Gut erinnern. Aber den Rat der Alten schlagen wir in den Wind und frech bezichtigen wir unsere Vorväter der Unwissenheit, und die schlichte Weisheit, die dreifach in sich verknotet ist, zerschneiden wir nach Gutdünken und auf schändliche Weise.315

In De tribus facultatibus begründet Suchten die Nutzlosigkeit der Kräuterheilkunde allerdings nicht mit der mangelnden Effektivität des Pflanzenbalsams. Vielmehr gewinnt man hier den Eindruck, die Gewächse besäßen deshalb keine Heilkraft, weil die wahre Medizin  – der Geist des Herrn  – allein im Menschen verblieben sei. Suchten verteidigt seine Ablehnung der Phytotherapie auf der Grundlage seiner Schöpfungstheologie. Zwar offenbart er, dass die prima materia hominis, welche erwiesenermaßen vom Geist beseelt ist, nach wie vor in der makrokosmischen Natur auffindbar ist; dies jedoch als ein Extrakt des Vitriols,

314 Vgl. Suchtens Gutachten über den Gesundheitszustand Herzog Albrechts, das er an dessen Leibärzte adressierte: „Dieweil nhun euer kreuter ein speise sein des vihes auff dem felde und nicht des menschen und euer Arznei so Ir darinnen haben, kein Arznei ist, sonder eine zierde, domit der creator die weld gezieret hatt und die eusserliche virtutes alle im magen absterben [!], worumb sol man irer F[rstllichen] D[urchlaucht] die speise geben, die doch des menschen speise nicht ist […].“ Zitiert nach Haberling: Alexander von Suchten, S. 201. 315 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 460: „Monstravit populo medicas Epidaurius herbas, / Nunc quoque non parvum balsama nomen habent / Scilicet his olim titulis vatesque magique / Admonitos summi nos voluêre boni. / At nos consilium veterum fugit, atque proterve / Inscitiae nostros insimulamus avos. / Quaeque tribus nexa est simplex Sapientia nodis, / Turpiter hanc nostro scindimus Arbritrio.“ (Übers. S. B.).

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nicht als pflanzliche Essenz. Im Hinblick auf die Signaturenlehre bedeutet dies freilich, dass die sulphurische terra adamica und die merkuriale quinta essentia keineswegs nur ‚blutleere‘ Zeichen darstellen, sondern handfeste Behältnisse des göttlichen Geistes sind. Dieser Umstand legitimiert Suchtens Konzept einer ‚inneren Alchemie‘, welche eine Neugeburt, beziehungsweise eine ‚Transmutation in Christus‘, ermöglicht. Die Mineralschmelze besitzt vor diesem Hintergrund einen höheren Stellenwert als die bloß zeichenhaften Bereiche von Pflanzenwelt und Kirchendekor. In jedem Fall hat man angesichts der Analogie von großer und kleiner Welt davon auszugehen, dass äußere und innere Pflanzen, wenngleich nicht auf praktischer, so doch auf semantischer Ebene aufeinander bezogen sind. Diese Semantik erschließt sich allerdings nur mithilfe einer Erleuchtung durch Gott. Entscheidend ist nun, dass die urzeitlichen magi – gleich dem prälapsaren Adam – den noch namenlosen Gewächsen der Natur ihre jeweiligen Bezeichnungen verliehen. Diese sprachlichen Termini selbst aber entlehnten sie dem Vokabular ihrer inneren Pflanzenwelt, zumal sie erkannten, dass die äußere Schöpfung gemäß der göttlichen Providenz der inneren Schöpfung als Zeichen dienen sollte. Bei sämtlichen Pflanzennamen handelt es sich also ursprünglich um nichts anderes als um Bezeichnungen für die verschiedenen Funktionen des menschlichen Bal­sams. Dieser repräsentiert „den wahren Hermodactylum, der das Podagram heilet, den wahren Ebulum, der die Wassersucht stillet/ die Coloquint, so Quartanam vertreibt/ den Crocum, der das Hertz strcket.“316 Makrokosmische und mikrokosmische Pflanzenwelt sind demnach auf der Ebene einer magischen Ursprache miteinander verwandt; nicht auf der Ebene einer visuell nachvollziehbaren similitudo, die sich in semantischen Beziehungen nach dem Schema ‚Disteln – Seitenstechen‘ ausdrückt. Da niemand außer dem magus dieser Ursprache mächtig ist, vermag nur er die geheimen Interrelationen von äußerem und innerem Zeichenkosmos zu entziffern. Da nun aber die Bücher der magia mitsamt der magischen Ursprache verloren gegangen sind, erweist sich die Notwendigkeit einer Erleuchtung für den ‚Magus der Morgenröte‘ als umso dringlicher. Durch sie wird er in die Lage versetzt, den makrokosmischen Fundus an signa auf die mikrokosmischen signata hin auszulegen. Dem jedenfalls entspricht Suchtens Fazit: „Also wird durch das Eussere das Innere erklrt und verstanden; nicht daß das Eussere darumb das Innere sey, sondern eine Anzeigung/ ein Signum, nicht Signatum.“317

316 Ebd., S. 379. 317 Ebd., S. 377.

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Suchten glaubt, in der permanenten Konfusion von Zeichen und Bezeichnetem ein seit dem Sündenfall bestehendes und in seiner frühneuzeitlichen Gegenwart eskalierendes Skandalon zu erkennen: Die meisten Menschen haben angesichts ihrer ‚äußerlichen Augen‘ das Signifikat der äußeren Schöpfung, den Geist des Herrn, aus dem Blick verloren. Die Pflanzen missverstehen sie als Medizin, das Sakrament der Eucharistie als den Gottessohn. Allein der naturweise magus ist in der Lage, in der zeichenhaften Außenwelt wie in einem Buch zu lesen. Dessen Inhalt aber ist seine eigene, auf den Geist Gottes gegründete Anthropologie. Die virtutes, die Paracelsus den Schöpfungsdingen zuschreibt, verlagert Suchten allesamt in den Menschen. Seine auf Selbsterkenntnis ausgerichtete Form von magia ist im Frühparacelsismus nicht ohne Parallele geblieben. So heißt es bei Khunrath – wenngleich ohne direkten Bezug zur magia – die „Physicomedicina“ sei „eine Kunst, das große Buch der Natur macrocosmice und microcosmice zu erkennen, sodass man sein eigenes Selbst sowohl als großes Ganzes als auch hinsichtlich seiner einzelnen Teile an der großen Welt ablesen kann, und umgekehrt die große Welt an sich selbst.“318 Die präsenzkulturelle Grundlegung der paracelsischen Magie wird zugunsten einer sinnkulturellen Weltanschauung aufgegeben.

7.6.4 Suchtens magische Astronomie Dieser Paradigmenwechsel macht sich auch auf dem Gebiet der magischen astro­ nomia bemerkbar. Der wahre Gegenstand der astronomia sind nicht die makrokosmischen Himmelskörper, sondern „Sonne/ Mond und Planeten/ damit die Gttliche Frsichtigkeit gezieret hat den Himmel/ der in mir ist […]“.319 Inmitten dieser innermenschlichen Himmelssphäre aber befindet sich der Geist Gottes, der den an sich finsteren Gestirnen sein herrliches Licht verleiht, auf dass aus dem düsteren Verstand – beziehungsweise dem finsteren Nachthimmel des Menschen – ein ‚geistlicher Verstand‘ werde. Ebenso wie die Pflanzenwelt den inneren Balsam bedeutet, steht der makrokosmische Sternenhimmel für die Gedankenwelt des Menschen. Diese ist vom Lauf der äußeren Himmelskörper vollkommen unabhängig:

318 Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae, S. 145: „Physicomedicina est ars congnoscendi Librum Naturae (Macro & MicroCosmice) magnum: ita, ut legere possis (tam universaliter, quàm particulariter) Temetipsum in Mundo maiore; & contra Mundum maiorem in Teipso: ad humani corporis sanitatem tuendam, morbosque prostigandos.“ (Übers. S. B.). 319 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 377.

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Die Sonn und Mond/ die ich ob mir sehe, influiren in mich nichts Bses/ noch Gutes; Aber die Sonne/ Mond und Planeten/ damit die Gttliche Frsichtigkeit gezieret hat den Himmel/ der in mir ist/ und ein Stul deß Allmchtigen/ die haben Gewalt mich zu regiren/ reformiren/ nach ihrem Lauff/ wie denselben Gott geordnet hat.320

Es ist nicht ganz klar, weshalb Suchten die paracelsische Lehre von der astral bedingten Determination des Menschen in De tribus facultatibus verwirft, während ­ ntimonmonographie er diese in seiner Fusior declaratio und im ersten Teil seiner A affirmiert. Vielleicht ist es der über alles Weltliche erhabene magus, der hier aus Suchten spricht. Seit seiner Erleuchtung durch den Geist und seiner Berufung zum Nachfolger, ist er innerlich für das Wirken Gottes befreit.321 Möglich ist allerdings auch, dass Suchtens Entmachtung der Himmelskörper von Agrippa oder Pico della Mirandola inspiriert ist. Agrippa hatte in seiner Schrift De incertitudine et vanitate scientiarum den Astrologen seiner Zeit vorgeworfen, sie würden die Schöpfungskompetenz Gottes relativieren, indem sie behaupteten, „dass Wirkungen, Kräfte und Bewegungen aller Lebewesen, Mineralien, Metalle, Pflanzen, und was sonst noch auf Erden geschaffen wurde, vom Himmel und von den Gestirnen herabflössen sowie ganz von dieser Sphäre abhängig seien […].“322 Gegen diese These führt der Nettesheimer an, dass Gott alles Irdische schon vor dem Himmel und den Sternen erschaffen habe. Die Determinationslehre der Sterndeuter hält er nicht nur für irregeleitet, er zeigt auch auf, dass diese auf theologischem Gebiet Probleme aufwirft und in der Folge zu kühnen Spekulationen nötigt: Sie machen uns, die wir doch frei geboren sind, zu Sklaven der Gestirne; und obwohl es allgemein anerkannt ist, dass alles, was Gott geschaffen hat, gut ist, gehen sie gewohnheitsmäßig von böswilligen Sternen aus, die Missetaten und ungünstige Influenzen verursachen. Hierbei wird nach ihrer Vorstellung alles, was an Bosheit und Verwerflichem geschieht, von den Himmelskörpern in der niederen Sphäre der göttlichen Ratsversammlung beschlossen, und somit nicht durch eine etwaige Ungerechtigkeit Gottes im höchsten Himmel ausgelöst.“323

320 Ebd. 321 Vgl. Kap. 7.7.3, S. 339, Anm. 409. 322 Agrippa von Nettesheim: De incertitudine et vanitate scientiarum declamatio invectiva. o. O. 1532, f.  f  viv–viir: „omniumque animantium, lapidum, metallos, herbarum, & quaecumque in his inferioribus creata sunt, effectus, vires, ac motus, ab his ipsis caelis sideribusque defluere, omninoque dependere ac indagari posse affirmant.“ (Übers. S. B.). 323 Ebd., f. g iir: „nos liberos natos, siderum servos faciunt: & cum sciamus deum creasse omnia bona, illi stellas aliquas malevolas, & scelerum autores, & malorum influxuum tradunt, non absque maxima dei caelorumque iniuria, statuentes in caelestibus, in illo divino senatu mala & scelera facienda decerni.“ (Übers. S. B.).

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In der Agrippa zugeschriebenen Schrift De arte chimica (gedr. 1572) wird Pico della Mirandola als Zeuge für die Unsinnigkeit der Astrologie aufgerufen: Was soll ich von der eitlen Astrologie sagen? Unser Pico hat diese unlängst nach allen Regeln der Kunst mit stichhaltigen Argumenten entkräftet. Sag mir, wie du darauf kommst, alles mit dem Himmel in Verbindung zu bringen, Astrologe! Was erfindest du nur über das Wesen der Gestirne und Sternzeichen sowie über die Bewegungen der Planeten? Das tust du doch nur, weil du nicht einmal von den banalsten Kräften und Eigenschaften der irdischen Dinge den Hauch einer Ahnung hast […]. Zwar haben sphärische Bewegungen, stellare Eigenschaften und verschiedentliche Beeinträchtigungen der dinglichen Welt in ihrem Verhältnis zueinander offenkundig eine gewisse Bedeutung, aber ich bin überzeugt, dass es einem Menschen nicht vergönnt ist, dies auf die rechte Weise zu erkennen, es sei denn, es offenbare sich ihm durch ein gottgewirktes Wunder.324

Indem der Verfasser des Alchemie-Traktats hier auf die Autorität Picos verweist, bezieht er sich auf dessen berühmte Schrift De dignitate hominis.325 Nach Pico steht der Mensch aufgrund der ihm von Gott verliehenen Seele prinzipiell außerhalb des Kosmos: Durch seine intellektuelle Begabung ist er über alle Kreaturen Gottes erhaben. Über einen deutlich an den mystischen Dreischritt angelehnten Stufenweg, der ihn über die Moralphilosophie zur Naturphilosophie und schließlich zur Theologie führt, ist er in der Lage, zur Erkenntnis seiner selbst und somit zu einer Vereinigung mit Gott zu gelangen. Im Zentrum der Schöpfung stehend, überblickt er verschiedenste Lebensformen, die ihm zur Wahl stehen. So hat er die Möglichkeit, gleich einer Pflanze dahinzuvegetieren, sich seinen tierischen Trieben zu überlassen oder kraft seiner Vernunft das Leben eines Engels zu führen. Dennoch spielt auch die Sternkunde noch eine gewisse Rolle, zumal Licht und Wärme der Gestirne einen Einfluss auf das okkulte Kräftesystem der makrokosmischen Natur besitzen.326 In seinen Disputationes adversus astrologiam divi­ natricem differenziert der Florentiner zwischen einer divinatorischen und einer mathematischen Astrologie. Während die astrologia divinatrix den Menschen entmündigt, da sie ihn um seine freie Willensentscheidung und demnach um seinen

324 Agrippa von Nettesheim: De arte chimica, S. 47: „Dic mihi, quid omnia in coelum refers, Astrologe? Quid de naturis astrorum et signorum, et motibus planetarum, comminisceris? qui nullo pacto nec minimae cuiusdam rei terrenae vires et proprietatem augurari queas […]. Licet huiusmodi motus et naturae stellarum variaeque rerum inter se adaptiones viderentur habere aliquid significationis, mihi tamen ita persuasi, hominem non posse ea probe dignoscere, nisi miraculo quodam sibi coelitus ostendatur.“ (Übers. S. B.). 325 Zu dieser Schrift Picos s. stellvertretend Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis, S. 215–226. 326 Vgl. ebd., S. 216  f.

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Weg zu Gott betrügt, beschreibt die astrologia mathematica eine Kunst, sich die Natur gefügig zu machen; etwa zugunsten der Medizin, der Landwirtschaft oder der Schifffahrt.327 Vor dem Hintergrund, dass nach Suchten die inneren Gestirne des Menschen ihr Licht vom Geist des Herrn empfangen und somit dem göttlichen Wort unterstehen, wird ersichtlich, dass die wahre Reformation nicht von den Kirchenoberen, sondern von Christus selbst ausgeht. Dieser aber wohnt, dem Epheserbrief entsprechend, im Herzen des Gläubigen, das durch den Geist des Herrn gestärkt wird.328 Katechismen und religionspolitische Edikte ringen den Menschen lediglich Lippenbekenntnisse ab, solange er sich nicht unter die Regentschaft seines eigenen, inneren Sternenhimmels begibt. Abermals bleibt es ein Geheimnis, welche konkreten intellektuellen Prozesse die äußeren Gestirns- und Planetenkonstellationen bezeichnen, zumal auch hier das Prinzip der Ähnlichkeit versagt. Allein die magi wussten die Bahnen der Himmelskörper auf ihre jeweiligen signata hin auszulegen. Inzwischen aber richte sich der Blick der Astronomen nur noch auf die signa: Was wollen wir vom dritten Buch der Weißheit sagen? […] [E]s ist dieser Facultt eben gangen/ wie den andern zweyen. Vom Signato wissen wir nichts/ martern uns ab mit dem Signo, welchs ist das Firmament, und die Bcher/ so davon geschrieben: Haben nicht so viel gelernet/ daß zugleicherweiß ein Nuß hat den Kern und die Schalen/ aber der Kern nicht die Schal ist/ noch die Schal der Kern. Also auch das Signum nicht das Signatum ist. Denn die Sonne und Mond, so ein jeder Bauer ob ihm sihet/ ist nit das Signatum, sondern ein Signum Astronomiae, welchs Signatum allein der Gottsgelehrte verstehet.329

Auch die frühneuzeitlichen Astronomen geben sich also anstelle der Frucht mit der ‚Schale‘, das heißt den Signaturen des menschlichen Himmels, zufrieden. Die Bücher von der wahren, inwendigen Astronomie wurden hingegen, nach dem Untergang der magischen Weisheitslehre von ihnen „grausam sophisticirt/ und besudelt“.330 Folglich sei die gesamte astronomia zu einem Lügengebäude verkommen:

327 Vgl. Heinrich Schipperges: Historische Konzepte einer Theoretischen Pathologie. Handschriftstudien zur Medizin des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Heidelberg, New York, Tokio 1983, S. 50. 328 Vgl. Eph 3,14–17: „Huius rei gratia flecto genua mea ad Patrem, ex quo omnis paternitas in caelis et in terra nominatur, ut det vobis secundum divitias gloriae suae virtute corrobari per Spiritum eius in interiorem hominem, habitare Christum per fidem in cordibus vestris, in caritate radicati et fundati.“ 329 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 376. 330 Ebd.

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Der Astronomiae geschach auch also/ sie sahen den Mond/ Sonn und Sternen auff- und untergehen/ eins nach dem andern/ so bald sie das vermerckten am Himmel/ waren sie schon Astronomi: Erdachten viel Sphaeras und Circulos, schrieben stattliche Bcher darvon/ wer es glauben wolte/ der mchte hinauff steigen/ und es besehen/ sie hatten gut machen/ wer wolt sie Lgen straffen/ die Magi waren gestorben/ so ward die Welt von Lgen erfüllet/ so bleibts noch biß auff die jetzige Stund/ wie htte Gott nun die Welt hfftiger straffen knnen/ dann daß er solche falsche Gelerte herfr kommen ließ/ die den Grund/ auß welchen die drey Facultten entspringen/ nicht wusten.331

Zum wiederholten Male ruft Suchten Gottes strafende Gerechtigkeit auf: Der Allmächtige hat der Menschheit nicht nur die „Morbi, Pestes, und dergleichen“ zur Buße für die teuflische Verstandeserkenntnis auferlegt,332 er hat sie auch den Lügen der Astronomen, Theologen und Mediziner ausgesetzt. Der Unreinheit dieser ‚falschen Gelehrten‘ stellt Suchen, in Anlehnung an den Ersten Thessaloniker-Brief, den in De tribus facultatibus mehrfach aufgerufenen „Gottsgelehrten“ gegenüber,333 der durch Christus seine Heiligung sowie den Geist empfängt.334 Nach Suchten vermag der Gotterwählte beides – die Heiligung und den Geist – über das Studium der drei Fakultäten der magia zu erwerben. Umso tragischer erweist sich daher der Umstand, dass mit dem Aussterben der Dynastie der magi und dem gleichzeitigen Aufstieg des gemeinen Mannes die drei magischen Fakultäten im Niedergang begriffen sind.

7.6.5 Die Missdeutung der magischen Bücher durch den ‚gemeinen Mann‘ Mit der Bemerkung „so bleibts noch biß auf die jetzige Stund“ macht Suchten deutlich, dass der ‚gemeine Mann‘ der Vorfahr der Universitätsgelehrten ist.335 In De tribus facultatibus findet keine echte Auseinandersetzung mit den Argumenten und dem Selbstverständnis der Universitätsgelehrten statt. Suchten beschränkt sich darauf, diese in schemenhaften Umrissen als verachtenswerte Schlüsselfiguren einer Verfallsgeschichte des magischen Wissens zu zeichnen. Ihr Hauptverschulden liegt darin, die magia missverstanden, verfälscht und an ihrer Stelle ein

331 Ebd., S. 369  f. 332 Ebd., S. 361. 333 Vgl. ebd., S. 361, 375, 376. 334 1 Thess 4,7–9: „Non enim vocavit nos Deus in inmunditia sed in sanctificatione. Itaque, qui spernit, non hominem spernit sed Deum, qui etiam dedit Spiritum suum Sanctum in vobis. De caritate autem fraternitatis non necesse habemus scribere vobis, ipsi enim vos a Deo didicistis ut diligatis invicem.“ 335 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 370.

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Lügengebäude errichtet zu haben, das sie seither als ein allgemeinverbindliches Gelehrtenwissen ausgeben. Suchten erkennt in dieser Anmaßung den alleinigen Grund für die Gottesferne, in der sich die Menschheit aus seiner Sicht befindet. Er attackiert die Mediziner, Astronomen und Theologen seiner Zeit aus einer selbstgewählten Position der Überlegenheit, die sich einerseits auf die Experienz, andererseits auf einer Erleuchtung durch Gott beruht: „Diß aber schreibe ich auß meiner Erfahrenheit/ der ich mich allein behelffe/ und des Geistes/ so mir Gott gibt […].“336 Die Berufung des ‚gemeinen Mannes‘ zur Verunglimpfung der Universitätsgelehrten ist unter den Anhängern der paracelsistischen Lehre allenthalben anzutreffen: Croll etwa echauffiert sich darüber, dass das Antimon „bey dem gemeinen Mann sehr verschreyhet und und verhasset ist […].“337 Arndt kommentiert seine Auslegung der zehn ägyptischen Plagen in seinen Lehr- und geistreichen Predigten mit den Worten „Aber solches dienet nicht fr den gemeinen Mann“, oder „diß ist dem gemeinen Mann zu hoch/ vnnd diß zuverstehen gehret mehr darzu.“338 Suchten mag seinen Teil zur Etablierung dieser stereotypen Invektiven gegen den ‚gemeinen Mann‘ beigetragen haben. In seiner Elegie De vera medicina wendet er sich mit stoisch inspiriertem Duktus gegen die wankelmütige Meinung des gemeinen Volkes („titubantis opinio vulgi“).339 Einige Zeilen weiter heißt es: Die wahre Medizin kommt vom Himmel, und vermöge der göttlichen Gunst wurde sie zu alten Zeiten von einigen wenigen Priestern erkannt. Diese haben sie in hohen Ehren gehalten und sie hielten es für ein Sakrileg, dieses heilige Geschenk Gottes dem gemeinen Volk bekanntzumachen.340

In das gleiche Horn stößt auch schon der Verfasser der Schrift De arte chimica. Dieser berichtet, dass Pythagoras seinen Schülern untersagte, seine Lehren dem gemeinen Volk anzuvertrauen. Auch sonst habe er sie zu höchster Verschwiegenheit verpflichtet. Da die Pythagoreer die kosmologischen und theologischen Lehrinhalte nicht im Gedächtnis bewahren konnten, hätten sie damit begonnen, die Kernelemente ihres Wissens in sakrosankten Zahlenformeln niederzuschrei-

336 Ebd., S. 361. 337 Croll: Basilica Chymica, S. 134. 338 Johann Arndt: Zehen Lehr- und Geistreiche Predigten: Von den Zehen grausamen und schrcklichen Egyptischen Plagen […]. Christoph le Blon, Frankfurt a. M. 1657, S. 57. 339 Chymische Schrifften. De vera medicina, S. 459. 340 Ebd.: „A Coelo Medicina venit, superum favore / Cognita perpaucis vatibus ante fuit. / Hanc illi sancte coluêre, nefasque putarunt / Sacra rudi populo notificare Dei.“ (Übers. S. B.).

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ben.341 Platon habe auf die gleiche Weise gehandelt, indem er seine Unterweisungen in vage Gleichnisse und mathematische Figuren kleidete. Diese Geheimnistuerei habe, nach Meinung des Verfassers, der Dichtkunst Tür und Tor geöffnet: Die Dichter hätten ihre feinsinnigen Botschaften allegorisch überformt, damit diese nicht unter das unwissende Volk („ad plebem ignobilem“) gerieten – erst unter der äußeren Schale ihrer Mythenerzählungen befinde sich die wohlschmeckende philosophische Frucht.342 Welch fatale Folgen es haben kann, wenn derlei verschlüsselte Bücher in die Hände der plebs ignobilis geraten, beschreibt Suchten am Beispiel der medicina. Die magische Rede, die der ‚gemeine Mann‘ in den Büchern der magischen Heilkunde vorfindet, operiert zwar mit Pflanzennamen, doch diese beziehen sich nicht auf die äußere, sondern auf die innere Welt: Als nun der gemeine Mann die Wunderwerck sahe und die Bcher/ so darvon den Magis geschrieben/ berkame/ vermeinte er auch/ er wre schon ein Magus, er htte ihre Kunst hinweg/ er wolte viel damit außrichten/ vorauß in der Medicin. Aber im Werck fehlets weit. Fahet an in den Bchern zu Phantasiren/ da es nun nit nach seinem Kopff hinauß wolt/ und der Buchstab finster war/ deutet oder verstund er es nach seinem Sinn/ siehet das geschrieben stehet: Scammonea bilem curat. Item, Ebulus curat Hydropisin. Mercurialis mascula, ad procreationem masculi: Mercurialis foemina ad procreat. foeminae utilis: und solcher Stck mehr/ suchet so lang biß er ein kraut findet das durch den Bauch hinauß rumpelt/ und in seinem Sinne bilem purgirt: das muste von nun an seyn Scammonea Magorum. Fand ein anders/ das ein wenig erschießlich war in Hydropisi, das muste nun Ebulus seyn/ davon die Magi sagen. Fand ein Kraut/ das eim Fieber etwan helffe/ das muste Camillen seyn/ also auch von der Mercuriali, und andern.343

341 Zur Bedeutung der pythagoreischen Philosophie für die christlich-kabbalistische Spiritualität vgl. Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 1, S. 9–12, 183  ff. 342 Vgl. Agrippa von Nettesheim: De arte chimica, S. 64: „Pythagoras ille Samius cum auditores ad collegium suum erudiendos acciperet, in primis hoc praeceptum ei tradisse fertur, ne quid ex his quae in eorum scholis tractabantur, in vulgus emitterent. Quare auditores suos quinque annorum curriculo fecit obmutescere, ut neque interrogare praeceptorem de his rebus, neque inter se disserere liceret. Quem morem consecuti Pythagorei, tandem memoria labente coeperunt ea, quae praeceptore didicernt tum de primis rerum principiis, tum de rebus divinis, literis commendare, ita ut secretiora earum rerum medulla in numerorum sacramentis delitesceret. Quod etiam Platonem fecisse, qui per similitudines recedentes mathematicasque figuras praeceptiones suas abstruserit. Indicio est eius epistula, quam de natura primi entis ad Dionysum scripsit. Scribendum est, inquit, per ambages et aenigmata, ut si forte mari vel terra iactari librum contigerit, qui egerit non intelligat. Hoc etiam poetis fabulandi locum dedisse arbitror, quo ne res sublimes ad plebem ignobilem devenirent, sub fabellarum extraneo cortice suavissimum philosophiae victum intus reconderent.“ 343 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 368.

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Damit wird das ganze Ausmaß des Verirrung des ‚gemeinen Mannes‘ offenbar: Er unterliegt einem doppelten Trugschluss. Der erste Irrtum besteht darin, dass er das signum – die äußere Pflanzenwelt – bereits für das signatum hält. Der zweite Irrtum ist nicht minder fatal: Er glaubt nämlich, die Gewächse, denen die magi solche Namen wie „Scammonea“, „Ebulus“, „Mercurialis“ oder „Camilla“ verliehen,344 durch stetige Erprobung identifizieren zu können. Es trifft zwar zu, dass die magi ausgehend von der Analogie von Makrokosmos und Mikrokosmos die Gewächse der äußeren Natur mit den Namen ihrer inneren Pflanzenwelt kennzeichneten, um aus der Schöpfung wie in einem Buch lesen zu können.345 Doch der ‚gemeine Mann‘ weiß weder etwas von ‚inneren Pflanzen‘, noch ist er der magischen Ursprache mächtig. Um den Sinn der magischen Bücher zu entziffern, wendet er die darin enthaltenen Termini blindlings so lange auf alle möglichen Pflanzen an, bis er unter diesen ein Gewächs gefunden hat, das als Arzneimittel einen halbwegs kurativen Effekt besitzt.346 Er erschafft auf diese Weise ein neuartiges, aber letztlich heuchlerisches Wissen. Das altehrwürdige, authentische Wissen der magischen medicina ist hingegen auf gleich doppelte Weise gebrochen: einmal auf der Ebene des Signifikats und ein weiteres Mal auf der Ebene der Signatur. Die aus der Taufe gehobenen Heilkräuter haben demnach auch nicht – wie etwa der innere Balsam – die Kraft, den Patienten vollumfänglich zu kurieren; sie sind höchstens insofern „ein wenig erschießlich“, als sie als Abführmittel oder Sedativa dienen können.

7.7 Die himmlische Magie 7.7.1 Von der natürlichen zur himmlischen Magie Dass Paracelsus seine Signaturenlehre nur oberflächlich entfaltete und sich über deren konkrete Umsetzung in Schweigen hüllte, hatte zur Folge, dass diese vonseiten der Paracelsisten auf höchst unterschiedliche Weise rezipiert wurde: Während Croll mit seiner Basilica chymica und mit De signaturis internis rerum umfassende Rezeptbücher präsentiert,347 modifiziert und spiritualisiert Suchten

344 Scammonea ist der Name für verschiedene Windengewächse; Ebulus bezeichnet Zwergholunder, Mercurialis Bingelkraut. 345 Vgl. Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 373: Zur Medicina gehören „[e]rstlich die Bcher/ davon die Magi selbst geschrieben haben/ darnach die Zeichen/ so sie uns zu gut außerlesen und gesetzt haben.“ 346 Vgl. Kap. 3.4, S. 56, Anm. 28. 347 Vgl. hierzu die von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle erstellte Ausgabe zu Oswald Croll:

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die Signaturenlehre in De tribus facultatibus bis zur Unkenntlichkeit. Im naturphi­ losophischen Gewand einer „Kunst/ so da heißt Magia“ tritt sie dort als ein seligmachendes Sehnsuchtsobjekt in Erscheinung. Auch kann sie keinerlei Praktikabilität beanspruchen: Sämtliche zur Disposition stehenden signata gehören allein der unsichtbaren, inneren Welt des Menschen an. Dafür aber produziert Suchtens Zeichenlehre die Vision einer Elite von hocherleuchteten Weisen, deren Realexistenz auf narrativ-experimentelle Weise ausgelotet und letztlich affirmiert wird. Die paracelsische Signaturenlehre fungierte bei der Entstehung des Traktats also lediglich als Schablone für die erzählerische Ausarbeitung der als ‚magisch‘ deklarierten Weisheitslehre. Hierfür spricht auch, dass De tribus facultatibus das einzige Werk des Danzigers ist, in dem zeichentheoretische Überlegungen überhaupt eine Rolle spielen. Dass Suchten, anders als Croll, den paracelsischen Ausführungen zur Signaturenlehre keinerlei Beachtung schenkt, ist vor dem Hintergrund seiner Ablehnung der Kräuterheilkunde kaum verwunderlich. Doch Suchten entfernt sich in De tribus facultatibus nicht nur auf praktischer Ebene von der klassischen Spielart von der Signaturenlehre: Indem er ihr Aufgebot an Zeichen auf den Sternenhimmel sowie auf kirchliche Rituale und den Dekor sakraler Räume ausdehnt, erweitert er ihren Anwendungsbereich um die Gebiete von Astronomie und Theologie. Dies hat weitreichende Folgen: Vor dem Hintergrund, dass die drei magischen Fakultäten analog zu den Sphären von Erde, Himmel und Empyreum hierarchisch angeordnet sind, gewinnt Suchtens Zeichenlehre neben ihrer horizontalen zugleich eine vertikale Dimension. Auf diese Weise führt sie über die magia naturalis hinaus. Suchtens Weisheitslehre sprengt die Grenzen jener als ‚magisch‘ charakterisierten Naturtheorie, die ausgehend vom menschlichen Erkenntnisvermögen die dinglichen Zusammenhänge des Makrokosmos erklärt und auf den Mikrokosmos rückbezieht.348 Dort, wo sich das göttliche Offenbarungswissen dem Menschen jenseits der diesseitigen Natur mitteilt, beginnt eine neue Art von Magie: Diese ist die magia coelestis.349 In De tribus facultatibus sind mit Blick auf das Projekt „den HErrn zufinden in seinem Geschpf“ die natürliche und die himmlische Form der Magie ineinander

De signaturis internis rerum. Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623). Stuttgart 1996; ferner Kühlmann: Oswald Crollius und seine Signaturenlehre: Zum Profil hermetischer Naturphilosophie in der Ära Rudolphs II. In: Die okkulten Wissenschaften der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992, S. 103–124; ders.: Begriffshermetik und Signaturen. 348 So Goldammers Definition der paracelsischen magia naturalis in: Naturphilosophie und Theologie der Heilung, S. 20. 349 Der Begriff „magia coelestis“ fällt bei Paracelsus erstmals in der Astronomia magna (SW 1/12, S. 333). In der Folge machten sich diesen Terminus auch die meisten Paracelsisten zu eigen.

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verschränkt: Die magia beschreibt einerseits ein allumfassendes Schöpfungswissen, das sich einstellt, sowie der göttliche Geist das innere Firmament des magus auf das Allerklarste erhellt und diesen somit befähigt, im Licht der Natur die Signaturen der geschöpflichen Außenwelt auf sich selbst hin auszulegen. Andererseits liegt magia auch dann vor, wenn der von Gott erleuchtete Mensch seine Schau auf den Geist des Herrn selbst richtet. Während die magia naturalis das extensionale Spektrum der göttlichen Weisheit abdeckt, bezeichnet die magia coelestis deren Intension. In jenem letzteren Fall erhebt sich der magus über alle irdischen Dinge, ja selbst über alles Wissen, und übereignet sich ganz der einfältigen Weisheit in Christus. Als ein teils göttliches, teils natürliches Heilswissen ist die magia ganz ihrer Beschreibung in De tribus facultatibus entsprechend, die „sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum.“ Paracelsus differenziert sehr akkurat zwischen den beiden Spielarten von Magie. So heißt es in der Astronomia magna: „was die natur durch ire krefte tut, das ist die natürliche magica, was die himlische krefte in uns tun und durch uns, das ist die himlische magica, und was aus der natur gehet, das ist natürlich, was aus got ist, das ist götlich.“350 Während die Kräfte der äußeren Natur – die virtutes der Pflanzen, Tiere und Minerale – sich auf chiromantische und experimentelle Weise ermitteln lassen, bringt die magia coelestis die Kräfte des Himmels ‚in uns und durch uns‘ zur Entfaltung. Der magus wird, analog zum gottergebenen Menschen der Theologia Deutsch, von der göttlichen Macht durchdrungen. Darüber eröffnet sich ihm – ähnlich wie dem urzeitlichen Adamssohn in Suchtens Traktat – eine Weisheitslehre, die unter den alten Persern unter Bezeichnungen wie „caballistica“, „caballa“ oder „caballia“ zu höchsten Ehren gelangt sei.351 Mit der jüdischen Kabbala hat diese „species magiae“ nichts gemein. Zwar sei sie „under den heiden erstanden, nachfolgend in die Galdeischen und Hebreischen komen,“ doch sei sie von diesen „gebösert und nicht gebessert“ worden, da sich „alein Phariseer und schreiber“ mit ihr beschäftigt hätten.352 Durch die „ars caballistica“ würden die Geheimnisse der Natur offenbar, denn „von got seind die heimligkeiten zu erfaren beschaffen und was sonst heimlichs in der natur ist, des selbigen ist der mensch notürftig das ers wisse und gehört im auch zu.“353 Dieses naturaffine Heilswissen liegt also, anders als im Falle der magia naturalis, nicht in „chiromantia“ und „experientia“, sondern in der Einwohnung Gottes im Menschen begründet. Auch hierin stimmen Hohenheims Ausführungen über die

350 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 334. 351 Ebd., S. 156. 352 Ebd. 353 Ebd., S. 157.

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„caballistica“ mit Suchtens Erzählung vom Ursprung der magia überein. Allerdings richtet sich die Schau des magus hier nicht auf das nihil der Weisheit, nicht auf das Antlitz des Allmächtigen selbst. Vielmehr profitiert der magus vom Licht des ihm einwohnenden Gottes, von dem er ein ungetrübtes, herrliches Schöpfungswissen empfängt. Die „caballistica“ bedient also das extensionale Spektrum der Weisheit, nicht deren Intension. In diesem Sinne äußert sich auch Toxites in seiner Onomastica: Cabala, Cabalia oder die Cabalistica ist ein göttliches Wissen [scientia], das uns den Sinn der göttlichen Lehre über den Erlöser eröffnet und das zwischen ihren Anhängern und den Engeln Freundschaft stiftet. Auch verleiht sie uns die Erkenntnis aller natürlichen Dinge und mit ihrem göttlichen Licht vertreibt sie die Dunkelheit und erleuchtet unseren Geist. Das Wort ist hebräisch, es bedeutet ‚Aufnahme‘.354

Über die geistige Aufnahme des göttlichen Lichts gewinnt der magus auf intellektuellem sowie auf praktischem Gebiet übermenschliche Kräfte. Er tritt damit an die Stelle der Heiligen der Alten Kirche. Die Vorstellung, dass sich diese Vorbilder im Glauben noch im Jenseits dazu herabließen, den Menschen Heil zu spenden oder sie mit Strafen zu verfolgen, hatte Paracelsus mit reformatorischem Impetus als kruden Aberglauben verworfen. Auch lehnte er, seiner Bildmagie zum Trotz, die Verehrung von Reliquien ab.355 Einzig der in der cabala bewanderte magus coelestis sei imstande, die sündenbelastete Menschheit an den Segnungen der himmlischen Mächte Anteil haben zu lassen. Die paracelsische Religiosität besitzt in diesem Sinne ihre eigenen Heiligen: die Adepten der magia coelestis. Diese magi seien von all jenen Erleuchteten, die sich der natürlichen Magie widmen, zu unterscheiden: dan es seind heiligen in got zu seligkeit heißen magi, got ist wunderbarlich in seinen heili­ gen, beide im reich gottes und in der natur, das andern nicht müglich ist zu tun als alein die denen es in sonderheit geben wird. also ist die underscheit zwischen sanctum und magum, das der sanctus aus got, der magus aus der natur wirket.356

354 Michael Toxites: Onomastica II, S. 410: „Cabala, Cabalia, sive cabalistica ars, scientia est divina, quae nobis Dei doctrinam de Messia patefacit, cum angelis amicitiam cultoribus suis contrahit: rerumque naturalium omnium cognitionem tradit, ac divino lumine mentem pulsis tenebris illustrat. Vox est Hebraea, Latinis dicitur receptio.“ (Übers. S. B.). 355 Vgl. Webster: Paracelsus, Paracelsianism, and the Secularization of the Worldview, S. 14–19; ders: Paracelsus Confronts the Saints, S. 408. 356 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 130.

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7.7.2 Einbildung (imaginatio) Wie aber vermag der magus sanctus aus Gott zu wirken? Der Weg dorthin führt maßgeblich über die Kraft der ‚Einbildung‘, von Paracelsus auch als „imagination“ bezeichnet. Dieser Begriff beschreibt weit mehr als bloße Vorstellungskraft, sondern das mikrokosmische Analogon zur astralen Influenz des äußeren Himmels. Um seine theologischen und vor allem mystischen Implikationen zu begreifen, lohnt es sich, einen der Blick darauf zu werfen, was Meister Eckhart unter ‚Einbildung‘ versteht. Burkhard Hasebrink hat gezeigt, dass Eckhart die ‚Paradoxie der Weltflucht‘,357 wonach das mystische Streben nach einer Transzendenzerfahrung nur einen Systemwechsel bei der Bewältigung von Immanenz, aber keine Überwindung derselben impliziert,358 auf der Ebene der ‚Habitualisierung‘ verhandelt: Das weltliche ‚Haben‘, das der Begriff habitus anzeigt, muss selbst dann, wenn es Gott zum Objekt hat, abgelegt werden. Im aktiven Bemühen um eine Erfahrung Gottes bleibt der Mensch paradoxerweise im Diesseits verhaftet. Erst indem er seinen Eigenwillen aufgibt, ist er innerlich frei für die Entfaltung des göttlichen Willens. Demnach muss der Gläubige, wie Eckhart in der Rede der underscheidunge kundtut, sein Gemüt einerseits in einer Differenz zu Gott erhalten, andererseits eine ‚innere Einöde‘ aufsuchen. Der klösterliche Gehorsam besteht dementsprechend in der Habitualisierung eines ‚ledigen Gemüts‘. Das Lexem „gemüete“ beschreibt in diesem Kontext eine innere Freiheit vom Eigenwillen, die jedoch zugleich noch das „wacker wâr vernünftige würkliche wissen“ um äußere Zusammenhänge impliziert. Im Zuge der Verständigung über die äußere Gottesferne und der Einübung innerer Abgeschiedenheit gelangt der Gläubige zu einem „inniclîchen vernünftigen zuorkênne und meinnende gotes.“359 Darüber erwirbt er einen neuen Habitus, der dem wahren Haben Gottes entspricht.360 Dieser „habitus“ bezeichnet nach dem spätmittelalterlichen Wörterbuch Vocabularius ex quo (1488–1493)

357 Vgl. Peter Fuchs: Die Weltflucht der Mönche. Anmerkungen zur Funktion des monastisch-aszetischen Schweigens. In: Zeitschrift für Soziologie 15/6 (1986), S. 393–405, hier S. 393  ff. 358 Burkhard Hasebrink: sich erbilden. Überlegungen zur Semantik der Habitualisierung in den ‚Rede der underscheidunge‘ Meister Eckharts. In: Meister Eckhart in Erfurt. Hg. von Andreas Speer u. Lydia Wegener. Berlin, New York 2005 (Miscellanea Mediaevalia 32), S. 122–136, hier S. 123–127. 359 Meister Eckhart: Traktat 2. Die rede der underscheidunge. In: DW II, S. 348,15  f. Zu diesem Traktat Eckharts s. stellvertretend Norbert Fischer: ‚Die rede der underscheidunge‘ als Eckharts ‚Orientierung im Denken‘. In: Meister Eckhart als Denker. Hg. von Wolfgang Erb u. dems. Stuttgart 2018, S. 185–198 (Meister-Eckhart-Jb. Beihefte 4). 360 Hasebrink: sich erbilden, S. 131.

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unter anderem „der sel inbildung vel saelikait vel klait vel geziert.“361 Bei „der sel inbildung“ aber handelt es sich zugleich um eine ‚Ein‘-Bildung Gottes in der Seele. Das in diesem Kontext aufgerufene „klait“ zeigt an, dass die Seele hierdurch entsprechend dem Galaterbrief (3,27) mit Christus ‚bekleidet‘ wird. Diese Vorstellung kommt ferner auch im Epheserbrief (4,24) zur Sprache. Hier fordert Paulus seine Glaubensbrüder dazu auf, sich den nach Gott geschaffenen, ‚neuen Menschen‘ anzuziehen. Indem Eckhart ferner davon spricht, dass Gott sich in dem ledigen Gemüt des Gläubigen ‚erbilde‘, und in seiner Predigt 38 diese ‚Erbildung‘ indirekt mit der Gottgeburt in der Seele gleichsetzt,362 wird deutlich, dass ein solches ‚Haben Gottes‘ direkt in eine unio mystica hineinführt. Durch die Absage an den Eigenwillen und das Aufsuchen der inneren Einöde gewinnt das Gemüt eine solche Lauterkeit und Klarheit, dass sich das Angesicht des Allmächtigen unversehens darin spiegelt. Indem das Gemüt das göttliche Licht nun auf seinen Lichtquell hin reflektiert, transzendiert es seine Ebenbildlichkeit auf die völlige „glîchheit“ mit Gott hin.363 Die imaginatio beschreibt dementsprechend eine reziproke Bewegung,364 die einerseits die Einbildung Gottes in den Menschen, andererseits die Einbildung des gelassenen Gemüts in das göttliche Angesicht impliziert. Zur Generierung dieses Prozesses bedarf es geistiger Übung. Eckhart greift hierzu auf das Bild eines Schülers zurück, der sich zunächst das Aussehen der Buchstaben einprägen muss, um bald darauf mühelos schreiben zu können. Mit anderen Worten: Wer die innerseelische Einbildung Gottes einmal erfahren hat, besitzt die vita Christi und kann die mystische Vereinigung mit dem Allmächtigen jederzeit wiederholen. Eckharts Kontextualisierung des Imaginationsbegriffs mit der Einigungsmystik fand im sechzehnten  Jahrhundert neuerliche Rezeption; so auch vonseiten Valentin Weigels. Allerdings weicht dieser in einem wesentlichen Punkt von Eck-

361 Ebd., S. 130. 362 Vgl. Meister Eckhart: Pr. 38. In: DW I, S. 414,11–15: „Alsô ist ez an götlîchem würkenne in der sêle. Möhte sich der minste engel erbilden oder geborn werden in der sêle [!] dâ engegen wære alliu disiu werlt niht; wan in einem einem einigen vünkelîne des engels grüenet, loubet und liuhtet allez, daz in der werlt ist.“ 363 Es handelt sich bei der Terminologie des ‚Erbildens‘ im Grunde nur um ein alternatives Vokabular zur Beschreibung der Gottgeburt: Indem sich Gott im menschlichen Inneren erbildet – bzw. sich in der gelassenen Seele spiegelt – teilt er sich dieser vollumfänglich mit. Das Bildnis, das sich im ‚Spiegel‘ der Seele zu erkennen gibt, steht in intimer Beziehung zu seinem Ursprung, zumal es nichts anderes als eine Selbstentäußerung Gottes ist. Indem Gott sich in der Seele ‚erbildet‘, beziehungsweise sich in sie ‚einbildet‘, realisiert er damit seine Selbstobjektivierung als Sohn. 364 Vgl. Kap. 5.6, S. 162  ff. sowie Kap. 5.10, S. 202.

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harts Einbildungs-Konzept ab: Während Eckhart die imaginatio im „gemüete“ (mens),365 verortet, verlagert Weigel diese in den siderischen Geist. Demnach ist die Einbildung, wie der Zschopauer Pfarrer in seinem Traktat Der güldene Griff (1576) ausführt, zwischen den Polen von „Vnitas“ und „Alteritas“ situiert. Der höchste Grad an Einheit ist auf der Stufe des gottgleichen Verstandes (mens / intellectus) realisiert, gefolgt von der Vernunft (ratio). Die Einbildung (imaginatio) steht zusammen mit den fünf Sinnen erst an dritter Stelle.366 Weigel illustriert in der Tradition Hugos von St. Victor das Verhältnis dieser drei Perzeptionsmodi anhand der Metaphorik dreier Augen, die auf hierarchische Weise geordnet übereinanderliegen.367 Die imaginatio bildet demnach den inneren Modus des „oculus carnis“; der über dessen äußeren Modus – das sinnliche Erleben – erhaben ist.368 Zur Veranschaulichung der Polarität, die hinsichtlich der verschiedenen Qualitäten des menschlichen Seelenvermögens besteht, greift Weigel auf das Bild einer figura paradigmatica zurück: Dieses setzt sich aus zwei gleich großen Dreiecken zusammen, die so zueinander angeordnet sind, dass jedes der beiden mit seiner Spitze die Hypotenuse des jeweils anderen berührt. Auf diese Weise bilden sie eine geometrische Figur, die einer Sanduhr ähnelt. Während das mit der Spitze nach unten ragende Dreieck die „Vnitas“, beziehungsweise „Licht eynigkeitt“ repräsentiert, steht das andere Dreieck für die „Alteritas“, die Weigel als die „finsternis das gezweyte oder schatten“ beschreibt.369 Jene Finsternis wirft ihren Schatten bis hinauf in die lichte Sphäre der All-Einheit, verflüchtigt sich dabei aber zusehends, bis sie sich am oberen Rand der Figur vollständig auflöst. Umgekehrt reicht das Licht der oberen Sphäre, wenngleich in stetig abnehmendem Maße, bis auf den Grund der Finsternis hinab, sodass nichts existiert, von dem nicht wenigstens ein Funke dieses Lichtes enthalten ist. Vorbilder für diese Konstruktion lassen sich bereits bei Albertus

365 Vgl. Hasebrink: sich erbilden, S. 129. 366 Weigel: Der güldene Griff, S. 27. 367 Zu Eckharts Augenmetaphorik vgl. Hannak: geist=eiche critic, S. 210–219, bes. S. 212; ferner Freia Odermatt: Der Himmel in uns. Das Selbstverständnis des Seelsorgers Valentin Weigel (1533–1588). Bern 2008, S. 241. 368 Vgl. Weigel: Der güldene Griff, S. 30,5–23: „Das auge der sinnen, oder des fleisches ist das vnterste, wirdt beschlossen vnnd begriffen von der imagination. Vnnd dieweil imaginatio Jnwendig ist, so ist sie auch edtler vnnd wirdiger, als die eussern sinne, Dan Je Jnwendiger, Je gewaltiger vnnd mechtiger, vnnd Je auswendiger Je schwacher vnnd vnachsamer. Die Vernunfft, das mittel auge, beschleusset die imagination, vnnd dieweil sie Jnwendiger ist, so ist sie auch viel hoher vnnd mechtiger, in ihrer Wirckung oder begreifligkeit. Vber die Vernunft, ist noch oculus intellectus oder mentis, das hochste vnnd Jnwendigste. Darumb ist es auch dass scherffste vnd schwindeste in seiner begreifligkeit […].“ 369 Ebd., S. 31,14–15.

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Abb. 4: Valentin Weigel: Der güldene Griff. Sämtliche Schriften Bd. 8. Hg. von Horst Pfefferl. Stuttgart-BadCannstatt 1997, S. 1–102, hier S. 32.

Magnus und in der hermetischen Tradition auffinden.370 In der Form, wie sie im Manuskript von Der güldene Griff dargestellt ist, orientiert sie sich allerdings an der figura paradigmatica, die Nicolaus Cusanus in seinem Traktat De coniecturis präsentiert. Über ihre Rezeption durch den Kusaner wurde die Figur nachhaltig in den philosophischen Diskurs integriert und in der Folge zum Gegenstand vielfältiger Interpretationen.371 Ihre Vereinnahmung durch spiritualistische Deutungsmuster dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass sie sich bestens zur Veranschaulichung des Psalm 41,8 („abyssus abyssum invocat“) eignete, den Tauler in seiner Predigt 41 im mystischen Sinne gedeutet hatte.372

370 Johannes Hoff: The analogical turn. Rethinking modernity with Nicholas of Cusa. Michigan Cambridge 2013 (Religious Studies 52), S. 216. 371 Friedrich Vollhardt: Coincidentia oppositorum. Entstehung und Verbreitung einer Denk­ figur in der Literatur der Frühen Neuzeit (Valentin Weigel, Angelus Silesius). In: Schriftsinn und Epochalität. Zur historischen Prägnanz allegorischer und symbolischer Sinnstiftung. Hg. von Bernhard Huss u. David Nelting. Heidelberg 2017 (GRM-Beiheft 81), S. 297–320, hier S. 308. 372 Vgl. Tauler: Pr. 39, S. 162,14–22 u. Pr. 41, S. 175,34–176,11. Nach den Worten dieser beiden Predigten befindet sich der Mensch im Spannungsfeld zweier ‚Abgründe‘, von denen der eine dem geschöpflichen Nichts, der andere dem Nichts in Gott angehört. Indem der Mensch sich hinsichtlich seiner Kreatürlichkeit als nichtig begreift und folglich, analog zu dem aufragenden Dreieck, an sich selbst abnimmt, weitet sich ‚über ihm‘ die transzendente Sphäre des göttlichen Nichts. Dieses selbst ist, wie das andere Dreieck anzeigt, insofern ein ‚Abgrund‘, als es  – als Seelengrund – in die Finsternis des menschlichen Nichts hineinragt. Je mehr der Mensch nun an

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Auch Weigel rezipiert die figura paradigmatica im Kontext mystischer Spekulationen.373 Indem nämlich die lichte Einigkeit die finstere Alterität überlagert und somit das „Jnnerste auge“ stets in dem „vntersten auge“ ist, hat die imagina­ tio, die auf halber Höhe der Figur zu verorten ist, bis zu einem gewissen Grad an der gottgleichen mens Anteil. Umgekehrt partizipiert sie immer auch an der Finsternis des untersten, fleischlichen Auges. Sie kann demgemäß auf segensreiche ebenso wie auf verderbliche Weise wirksam werden.374 Weigel äußert sich hierzu folgendermaßen: Wer alle eussere sinne sampt der imagination vnnd vernunfft kann stille halten, vnnd sich hinein keren in in den Jnwendigsten grundt der seelen, in stiller gelassenheit auf gott warten in ihm selber, vnnd in ein Vergessen kommen seiner selbst vnnd aller dinge, der wirdt in seinem verstande erleuchtet von got, vnnd das heisset von gottes lernen, vom Vater horen, dem Zuge des Vatters raum geben. Solches mag ein jeder in sich erfahren […]. Als sol imaginatio ihre Werck volbringen, der Cabalistica magia, so mussen die eussern sinne stille stehen, vnd darf die imaginatio nicht durch die funff sinne ausgebreytet werden, sie muß zusammen gesamlet bleiben in ihr selber. Also muß das das vntere stille stehen, sol das obere wircken.375

Auf diese Weise kehrt Weigel zur Introversionsmystik zurück, wie er sie von Eckhart, Tauler und der Theologia Deutsch her kannte. Der paracelsische Einfluss auf Weigel macht sich hingegen bemerkbar, indem dieser die Imagination mit dem ‚siderischen Geist‘ gleichsetzt: Aber diese eussere funf sinne werden nicht allein von der imagination vbertroffen, sondern auch alle miteinander begriffen, vnnd volbringet ihre Werck mit grosser behendigkeit, Als die da geistlich ist, vnd alles in ihr hat, vnd machet. Sie sihet die ding, da kein sin hin kommen kan, Sie kan vber ettlich hundert Ja 1000 Meylen sehen, horen, greiffen, wircken, sie bedarff kein eusserlich leiblich werckzeug zu ihrem Handel. diese imagination ist der Syderische geist, sie ist das gestirne im menschen, Sie ist alle sternen, vnnd wircket auch dem firmament gleich. Liese theophrastum [sic] was er schreibe von der imagination.376

sich selbst zunichtewird, desto mehr geht sein Geist in Gott auf; zuletzt versinkt sein geschöpfliches Nichts im göttlichen Nichts. Vor dem Hintergrund, dass Kreatur und Gott im Moment der unio mystica ein einziges Nichts bilden, spricht Tauler davon, dass die Abgründe einander so lange ‚herbeirufen‘, bis „die zwei abgrùnde ein einig ein [werden].“ Hierzu eingehend Gnädinger: Johannes Tauler, S. 181–193; ferner Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 3, München 1996, S. 507–511; Peter Dinzelbacher: Christliche Mystik im Abendland und ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn, München u.  a. 1994, S. 314. 373 Vgl. Hannak: geist=reiche Critic. S. 216–220. 374 Vgl. Goldammer: Zur philosophischen und religiösen Sinngebung von Heilung, S. 351. 375 Weigel: Der güldene Griff, S. 30–33. 376 Ebd., S. 26,19–27.

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Indem Weigel hier auf Paracelsus verweist, bezieht er sich höchstwahrscheinlich auf den Liber de imaginibus oder den nur fragmentarisch überlieferten Traktat De virtute imaginativa. In letzterem widmet sich der Hohenheimer der Frage, auf welche Weise die Kraft der Gedanken imstande ist, den Menschen zu körperlichen Tätigkeiten zu bewegen. Er stellt sich damit einer der Grundfragen der Philosophie des Geistes. Anders als Descartes, der ein Jahrhundert später einen interaktionistischen Dualismus von Leib und Seele lehren sollte, veranschlagt Paracelsus nicht nur eine Dualität von Körper und Geist, sondern auch eine Dualität mentaler Eigenschaften, indem er dem Geist einerseits eine übersinnliche Gestalt, andererseits aber auch eine energetische, physisch wirksame Kraft attestiert. Er greift hierbei auf die Lichtmetaphorik zurück: „die sonn hat ein schein, der ist nit greiflich, und aber er brent heuser ab, macht feur, kolen, eschen. nun was ist die imaginatio anderst, als ein sonn im menschen, die dermaßen wirket in sein globum, das ist, do hin sie scheint?“377 Das Motiv von der ‚Sonne im Menschen‘ findet sich bekanntlich auch bei Suchten, der sich hiermit auf den menschlichen Geist bezieht. Wie gesehen, identifiziert er die Interaktionsstelle von Geist und Körper mit der quinta essentia, die zugleich den Himmel des Menschen ausmacht. Bezeichnenderweise verortet auch Paracelsus die imaginatio in einer solch ‚himmlischen‘ Sphäre, nämlich im siderischen Leib. Die Einbildung ist, wie Weigel sagt, „das gestirne im menschen“. Um die Funktionsweise der imaginatio zu verstehen, hat man sich zu vergegenwärtigen, dass es sich bei den Gestirnen des siderischen Leibes um Partikel des weisheitsaffinen vapor, und somit gewissermaßen um die Splitter des „Spiegels von Gottes Macht“ (Sap 7,26), handelt. In diesen Splittern, beziehungsweise ‚Gestirnen‘, bildet sich das Firmament ab, welches sich auswendig in Gestalt des makrokosmischen Sternenhimmels zu erkennen gibt. Die äußeren Gestirne regieren die inneren Gestirne des Mikrokosmos, indem sie diese mit ihren unsichtbaren Kräften influieren, mit anderen Worten: indem sie ihr je individuelles, metaphysisches Licht – das heißt Ideen, Intuitionen, Begriffe und Traumbilder – in den siderischen Leib des Menschen eingießen und sich auf diese Weise duplizieren. Abermals wird deutlich, dass das Firmament als ein an sich ort- und zeitloses Ordnungsmuster sich sowohl himmlisch als auch irdisch, sowohl inwendig als auch auswendig realisiert. Neben der Lichtmetaphorik verwendet Paracelsus auch das Bild eines im Menschen situierten Magneten. Dieser ziehe das ‚obere‘, gestirnte Firmament an sich: „also die vernunft des menschen hat einen magneten, der in sich zeucht vom gestirn die sinn und gedanken.“378 Blickt man hierbei auf die

377 Paracelsus: De virtute imaginativa. In: SW 1/14, S. 310. 378 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/ 12, S. 39.

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mystische Grundlegung dieses Vorgangs, drängt sich der Verdacht auf, Paracelsus betreibe hier ein Spiel mit der Polysemie des Verbs ‚anziehen‘: Mit der Begrifflichkeit des ‚Sich-Anziehens‘ wird die Bekleidungsmetaphorik, mit der Eckhart die imaginatio kontextualisiert hatte, wieder eingeholt. Der Mensch zieht sich demnach die „sinn und gedanken“, die ihm das obere Gestirn im Akt der Einbildung vermittelt, wie unsichtbare Kleidungsstücke an. Doch auch die Spiegelmetaphorik, die Eckhart im Kontext mit dem „erbilden“ und „înbilden“ Gottes in der Seele aufruft, ist auf modifizierte Weise präsent: Die imaginatio vollzieht sich darüber, dass sich die oberen Gestirne in den Menschen einbilden. Anders als der eckhartische, ist der paracelsische Imaginationsbegriff nicht ausschließlich positiv konnotiert. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Firmament sich nicht nur auf intellektueller, sondern auch auf der ‚tiefer‘ gelegenen Ebene des leiblich-affektiven Lebens realisiert. Wenn es heißt, dass die äußeren Gestirne je nach ihrer Konstellation den Menschen mit Krankheiten influieren, so bedeutet dies nichts anderes, als dass dieser sich die schädlichen Kräfte des Firmaments körperlich ‚ein‘-bildet, ja sogar auf magnetische Weise anzieht: als der ganz himel ist nichts als imaginatio, derselbige wirket in den menschen, macht pesten, kaltwehe und anderst. nun macht ers nicht durch leiblich instrumenten, aber durch die gestalt, wie die sonn anzünt. und wiewol die sonn alein nur eins gewalt hat, der mon auch nur eins, und also ein ietlicher stern nur eins. der mensch aber ist all stern. wie er gedenket, so ist er, und das selbig auch wie ers gedenket. denket er ein feuer, er ist feuer, gedenkt er ein krieg, es ist krieg und dergleichen, wie ers in im selbs austeilt. und an dem leit es alein, das die imaginatio in ir selbs ein ganze sonn wird.379

Demnach vermag die imaginatio einerseits die menschliche Gedankenwelt zum Schauplatz von Krieg und Feuer zu machen, anderseits den Leib mit allerhand Krankheiten zu beeinträchtigen. In diesem letzteren Fall von Einbildung, den der moderne Mediziner unter dem Begriff ‚Psychosomatik‘ verbuchen würde,380 sieht Paracelsus die Hauptursache für körperliches Gebrechen. Hiermit ist denn auch der Punkt erreicht, an dem die Parallelisierung der vis imaginativa mit der Strahlkraft der Sonne virulent wird: Aus der Tatsache, dass mentale Phänomene wie Gefühle, Stimmungen und Affekte bisweilen mit körperlichen Symptomen einhergehen, schließt Paracelsus, dass die Einbildung physisch wirksam werden kann. Die Gestirne des siderischen Leibes seien imstande, das sinnreiche Licht,

379 Paracelsus: De virtute imaginativa. In: SW 1/14, S. 311. 380 Vgl. Heinz Schott: Paracelsus und die Magie der Natur. In: Religion und Gesundheit im 16. Jahrhundert. Hg. von Albrecht Classen. Berlin, New York 2011, S. 99–112, hier S. 111  f.

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das ihnen der äußere Sternenhimmel eingießt, aufzufangen, zu bündeln und in alle Richtungen zu projizieren. In diesem Sinne vergleicht er die inneren Gestirne des Menschen mit kristallenen Brenngläsern und Feuerspiegeln. Dieser Vergleich ist nicht allzu weit hergeholt, denn in der Tat handelt es sich bei jenen inneren Gestirnen um Partikel des dunstigen „Spiegels von Gottes Macht“, welcher die himmlische Weisheit versinnbildlicht. Ebenso wie die äußeren Gestirne die irdische Natur influieren, vermag der Mensch auf imaginativ-energetische Weise physisch wirksame Kräfte freizusetzen, indem er seine Gestirne ‚konstelliert‘: nicht alein die influenzen von himel und vom obern gestirn komen, sonder auch aus dem menschen, aus einer crystallen, aus einer stehelin spiegel und aus einem feuer spiegel. und zu gleicher weis, wie der mensch in seinem inwendigen gestirn konstellieren kan, also mögen wir ein crystallen, ein stehlin oder ein feuer spiegel constellieren und ein influenz von dem obern gestirn darein bringen […]. 381

Wenn davon die Rede ist, dass der makrokosmische Sternenhimmel kraft seiner Influenz auf die Natur Einfluss nimmt, so gelingt dem siderischen Leib dasselbe über die Imagination; und ebenso wie die himmlische Influenz der irdischen Schöpfung eine Vielfalt von Zeichen einschreibt, ist auch die Imagination in der Lage, dem elementischen Leib ein Zeichen ‚aufzudrücken‘. In diesem Fall spricht Paracelsus von ‚Impression‘. Zur Erörterung dieses Phänomens greift er durchweg auf das gleiche Exempel zurück: Wenn eine Schwangere eine heftige Gefühlsregung verspürt, kann es geschehen, dass sie hierüber dem Fötus ein Muttermal imprimiert.382 Auf diese Weise wird der Eindruck zum Ein-Druck: „Darauf so wissen, das die imagination stark ist, und das sie in den frauen am meristen, so sie schwanger sind und etwan erschrecken, inbilden aus forcht, erschrecken, lust, freuden &c., das also das kint dem selbigen nach die form nimpt, als wer es vom selbigen geborn.“383 Überdies ist es einem natürlich begabten Menschen möglich, anhand seiner Imagination auch solche Entitäten zu imprimieren, die außerhalb seines Leibes

381 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 386. 382 Vgl. Heinz Schott: Paracelsus und die Magie der Natur, S. 110  f.; ders.: Die Heilkunde des Paracelsus im Schnittpunkt von Naturphilosophie, Alchemie und Psychologie. In: Resultate und Desiderate der Paracelsus-Forschung. Hg. von Peter Dilg u. Hartmut Rudolph. Stuttgart 1993 (Sudhoffs Archiv 31), S. 25–42, hier S. 38. 383 Paracelsus: De virtute imaginativa. In: SW 1/14, S. 317. Vgl. auch ebd., S. 311  f.: „so ein frau schwanger wer und het imagination auf ein ding mit lust und das selbige ding wird am kind volbracht […]. dieser lust muß sein so schnell, begirig und so behent, als ein frau, die schwanger ist, so sie lust hat auf ein ding, und der selbige lust wachst auf dem kint. wie dieser lust ist, also ist auch der lust des neits und haß gegen dem andern, wie der frauen lust ist, die schwanger sind.“

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liegen. So heißt es an einer Stelle, mit der Imagination und Impression verhalte es sich, wie wenn „einer eim biltschnizer ein holz geb und sagt, mach mir das daraus, und wird gemacht das selbig, das er in gedanken hat.“384 Diese Aufforderung hat zwingenden Charakter: Paracelsus lässt keinen Zweifel daran, dass die oberen Gestirne, die alles Irdische überragen, die Imagination und somit auch die Impression der Menschen dirigieren. Wann immer der makrokosmische Himmel den siderischen oder viehischen Leib influiert, bleibt es dem Menschen verwehrt, sich der daraus resultierenden Einbildung, sei sie intellektueller oder sinnlich-affektiver Natur, zu verschließen. Ebenso wie ein Spiegel gegen das in ihn einfallende Licht machtlos ist und ein Magnet sich nicht gegen die eigene Anziehungskraft wehren kann, ist der Mensch außerstande, sich der Einbildung zu entziehen: forcht, erschrecken, lust, begern, freut, neit, die sechs ding mit iren anhang ubertreffen das gestirn des menschen, und ziehent das gestirn wie sie wöllen, das ist sie regirens. nun ist das gestirn der geist, der da formirt und an sich zeucht und imprimirt, und ist der zimerman der imagination. was also aus den sechsen kompt in die imagination, das ist ietzt dem zimerman befolen, das selbig also zu machen, wie es ersehen ist worden.385

Die Selbst-Imprimierung des Menschen kraft seiner Gedanken nimmt bisweilen groteske Züge an; so etwa, wenn in Hohenheims Büchern De causis morborum invisibilium der Glaube angesichts seiner astral bedingten Heteronomie nicht nur entmoralisiert, sondern sogar zur Gefahr für Leib und Leben erklärt wird.386 Der Glaube ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist er das Pfand für das Heilsversprechen, andererseits kann er durch die Sphäre der Gestirne derart gehemmt und mit schädlichen Einbildungen geschwängert werden, dass er in gesundheitsgefährdende Autosuggestion umschlägt.387 Es bedarf daher eines starken Glaubens, der gegen astrale Influenzen widerstandsfähig ist. Sonst ‚geht der Schuss nach hinten los‘: „wir seind stark genug wider das gestirn, wir sind auch stark genug den glauben recht zu brauchen, so wir aber in die schweche fallent, so gehet die sterke des glaubens wie ein büchs gegen uns und müssen gedulden und leiden was wir auf ein ander werfen.“388

384 Ebd., S. 314. 385 Ebd., S. 317. 386 Zu der bisher wenig beachteten Schrift De causis morborum invisibilium s. Webster: Paracelsus Confronts the Saints, S. 403–408. 387 Vgl. Schott: Paracelsus und die Magie der Natur, S. 110; ders.: Die Heikunde des Paracelsus, S. 37  f. 388 Paracelsus: De causis morborum invisibilium. In: SW 1/9, S. 280. Vgl. Schott: Die Heilkunde des Paracelsus, S. 36  ff.

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7.7.3 Die Entfaltung der Figur des magus coelestis Indem die Einbildung dem Menschen die Kräfte des Gestirns aufzwingt, sodass dieser allein kraft seiner Gedanken die physische Welt beeinträchtigt, drängt sie diesen bisweilen in die Rolle eines magus. Die Macht des äußeren Sternenhimmels „bricht und nimpt den freien willen, also das der mensch das muß tun, das impressio wil und nicht das er selbs wil […] und heißt praedestinatio.“ 389 Der Mensch steht also nicht nur indirekt – also hinsichtlich der ihm eingegossenen imaginationes –, sondern auch hinsichtlich seiner Planungen und Entscheidungen unter der Herrschaft des makrokosmischen Gestirns. Dieses „bricht liberum arbitrium.“390 Gott erschuf den Menschen zwar als freies Lebewesen, lieferte ihn jedoch bereitwillig den „potestates superiorum astrorum“ aus,391 um der geschöpflichen Faulheit etwas entgegenzusetzen. Dementsprechend gründet sich die Willensfreiheit des Menschen nicht etwa auf Gottes väterlicher Liebe, sondern – im Gegenteil – auf sein Desinteresse gegenüber der gefallenen Schöpfung, denn „was gehet got der stinkend cörper an, der voller laster, schant und sünde ist und steckt, praedestinirn oder durch in viel ausmachen?“392 Gott verharrt hier, wie auch in der Theologia Deutsch und in De tribus facultatibus, in Seklusion gegenüber seiner Schöpfung. Er hält sein Angesicht gegenüber der gefallenen Kreatur bedeckt. Paracelsus zieht aus der göttlichen Verweigerung gegenüber dem Diesseits den Schluss, dass der Allmächtige es dem gestirnten Himmel überlassen hat, den Lauf der Welt zu regieren. Damit ist die Grundlage für Astrologie gegeben, die in der Astronomia magna großen Raum einnimmt.393 Den thematischen Fokus jedoch bildet die Frage, wie der Menschen in die Lage versetzt wird, sich innerlich über das äußere Gestirn zu erheben und sich auf diese Weise von seiner Prädestination zu lösen. Das Ziel einer solchen Exaltation besteht jedoch keineswegs in der Wiedererlangung der menschlichen Willensfreiheit. Denn diese würde die gefallene Kreatur aufgrund ihrer wesenseigenen Selbstbezogenheit nur wieder auf die Stufe ihres ‚stinkenden‘ und sündenbefleckten Körpers zurückwerfen. Die Determination des Individuums durch die – wenngleich höchst ambivalenten und mitunter gesundheitsschädlichen – impressiones der Gestirne ist fester Bestandteil der göttlichen Ordnung: Der Mensch würde ohne seine Lenkung durch die Gestirne nur seiner

389 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 232. 390 Ebd., S. 236 391 Ebd., S. 234 392 Ebd. 393 Vgl. Müller-Jahncke: Astrologisch-Magische Theorie und Praxis in der Heilkunde, S. 67–89.

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Faulheit anheimfallen. Die geistige Überwindung der Astralsphäre zieht daher abermals eine Fremdbestimmung des Menschen nach sich: Sie unterstellt diesen der Weisung des Allmächtigen. Blickt man auf den Weg, auf dem sich die Gnade der göttlichen Weisung ­erwerben lässt, so zeichnet sich der Grundsatz ab, dass die determinierende Kraft der Gestirne in dem Maße nachlässt, wie es dem Menschen gelingt, seines ­göttlichen Gemüts inne zu werden. Sowie er im Licht der Natur wandelt, untersteht er nicht mehr der impressio, sondern nur noch einer inclinatio, beziehungsweise ‚Neigung‘, die das Gestirn auf ihn ausübt: „Es ist eine große gab von got, das aus dem gestirn inclinirt wird, was zu einem volkommen natürlichen menschen gehöret, […] also das der mensch in dem liecht der natur ein underweisung enpfacht in den dingen, die er aus dem liecht der natur hantlen sol.“394 Im Licht der Natur wird Mensch von den Gestirnen nicht gezwungen, sondern lediglich darin unterwiesen, dasjenige zu tun, „das die natur nicht machen kann noch vermag.“395 Paracelsus hat hierbei die bereits erwähnte Vorstellung vor Augen, dass die ‚Magierin Natur‘ die Hilfe des Menschen benötigt, um sich vollumfänglich zu verwirklichen.396 Zu diesem Zwecke hat sie die Menschheit mit mannigfachen Begabungen ausgestattet, die entfaltet werden können, aber nicht müssen. Sofern sich das Individuum als „ein schmit, köler, hafner, trechsler etc.“ anschickt, die Natur zu vollenden,397 so geschieht dies nicht durch äußeren Zwang, sondern aus der ihm angeborenen Neigung heraus. Das Licht der Natur unterweist seine Schüler jedoch nicht nur im handwerklichen Umgang mit den Dingen der Schöpfung. Es verleiht einigen von ihnen zugleich die Fähigkeit, das makrokosmische Gesamtkunstwerk auf das Angesicht Gottes hin zu transzendieren. Sowie ein Erwählter das Bildnis des Allmächtigen erblickt, durchbricht er innerlich die Himmelsfeste. Auf diese Weise erhebt er sich über die determinierende Kraft der Gestirne: Nun spricht der weisman einen edlen spruch: der weisman herschet uber das gestirn. Das soviel geret ist, diese biltnus uberlebt die tierisch; dan das tierisch ist nichts anders, als alein die biltnus der erden, die zergehet, aber die biltnus gottes zergeht nit, dan got ist ewig. Also verstehet diesen spruch: der weisman, das ist, der man aus götlicher weisheit lebet in der biltnus, derselbig herschet uber den gestirnten und den elementischen leib. aber beider biltnus sol der mensch gnug tun, in einer ieglichen wantlen, das er im gesaz des hern erfunden werde, in der natur, im willen gottes, im götlichen geist, und den tötlichen leib mit seiner klugheit nit fürseze der ewigen biltnus, die ewige biltnus von des tierischen leibs

394 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 225  f. 395 Ebd., S. 228. 396 Vgl. Neumann: Natura sagax, S. 112  ff. 397 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 229.

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wegen nit verstoße und den tierischen leib mit seiner weisheit für das ewige heiligtumb nit achte noch erhebe.398

Die Hohlkugel des Makrokosmos, die den Menschen umfängt, offenbart ein Schlupfloch, das sich auftut, sowie dieser seinem elementischen und siderischen Leib genüge tut – und auf dieser Grundlage nach dem ewigen Bildnis Gottes lebt, das sich sowohl „in der natur“ als auch „im götlichen geist“ zu erkennen gibt. Von nun an befindet er sich unter dem „gesatz des herrn“ und „im willen gottes“. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Mensch seinen Eigenwillen aufgibt und sich ganz der Weisung Gottes überantwortet. Dieser in der Dominikanermystik verabsolutierte mystische Lehrsatz kommt hier insofern zum Tragen,399 als der Mensch ironischerweise nur dann von seiner Determination durch die Gestirne befreit ist, wenn er seinen freien Willen vollständig aufgibt. Würde er etwas anderes wollen als Gott, so fiele er notwendig auf sich selbst zurück; genauer gesagt auf seinen „tierischen leib mit seiner weisheit.“ Indes flüchtet sich der paracelsische „weisman“ nicht in die Abgeschiedenheit des Klosters. Vielmehr findet er das „gesaz des hern […] in der natur“, auch wenn dieses „gesaz“ selbst schon nicht mehr der Natur angehört. Nur so lässt sich erklären, dass der Weise, wie es im Folgenden heißt, „nach der biltnus und nit nach der welt“ lebt: der weisman lebt nach der biltnus und nit nach der welt. der nach der bilnus lebt, uberwint das gestirn, das solt ir wol verstehen und erkennen. das aus der erden ist, isset und trinket aus der erden; wer aus dem himel ist der isset himelbrot mit den engeln. die elementa und die gestirn seind des kints vatter; aus denen und in denselben muß er leben, wie dan auch die neue geburt in Christo nicht außerhalb sein mag.400

Der Weise lebt durch und für die dreifache „biltnus“: Diese besteht in der Natur, im gestirnten Himmel und in Christus, und auf jeder einzelnen dieser Stufen ist er auf die ein oder andere Weise determiniert.401

398 Ebd., S. 41  f. 399 Vgl. Kap. 6, S. 218  ff.; Kap. 7.7.2, S. 326  f. 400 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 42. 401 Dem widerspricht, dass in der ersten Druckausgabe des Volumen Paramirum (1575) die Prädestination durch die Gestirne bestritten wird (SW 1/1, S.  180): „Uns will nit bekmmern der Spruch: Ein weiß mann herrschet vber das gestirn/ wie jhr jhn verstehet/ aber wie wir jhn verstehn/ also wllen wir jhn annemmen. Sie gewaltigen gar nichts in uns/ sie einbilden nichts/ sie seind frey fr sich selbst/ vnd wir frey fr vns selbs.“ Man könnte über diesen Passus hinwegsehen, wenn dieser nicht maßgeblich dazu beigetragen hätte, dass in der Forschungsliteratur immer wieder zu lesen ist, dass Paracelsus die Freiheit des menschlichen Willens gelehrt habe. Hierbei wird übersehen, dass die zitierte Textstelle schwerlich von diesem selbst stammen kann.

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Doch wie wird aus einem „weisman“ ein magus coelestis? Die erste Bedingung hierfür erfüllt er, indem er über die Schau der irdischen und himmlischen Schöpfung zu einer Erkenntnis der imago dei gelangt. Indem nun nicht mehr das Sternenlicht, sondern das Licht von Gottes Angesicht in den inneren Spiegel des Menschen fällt, wird diesem die göttliche Weisheit zuteil. Seine Einbildung ist nun über das sinnreiche und mitunter infektiöse Licht der Himmelkörper erhaben, er untersteht allein dem Allmächtigen. Auf diese Weise ergibt sich eine ähnliche Situation der Imagination wie in Eckharts Rede der underscheidunge: Gott bildet sich durch Christus in den „weisman“ ein, indem dieser sich Gott ­einbildet. Hierin ist auch wieder das paulinische Motiv der Bekleidung durch Christus unterschwellig präsent, das bei Paracelsus im Kontext mit der magia coelestis allenthalben anzutreffen ist: Der Weise legt Adam, den „alten Menschen“, ab und zieht sich stattdessen Christus, den nach Gott gebildeten „neuen Menschen“ an.402 Im Einklang mit dieser Vorstellung heißt es im Ersten Korintherbrief (15,22): „Wie in Adam alle sterben, so werden alle in Christus alle lebendig gemacht.“403 Wenngleich aus dem Kontext dieses Zitats hervorgeht, dass Paulus sich mit der vivificatio auf die ­ aracelsus – in ÜberAuferstehung des Gläubigen nach dem Tode bezieht, hält P einstimmung mit der mystischen Theologie des Mittelalters – die ‚Neugeburt‘ des Menschen in Christus schon zu Lebzeiten für möglich. Weiterhin geht er davon aus, dass der Erwählte nicht nur geistig, sondern auch leiblich neugeboren wird. Hierzu parallelisiert er die Antinomie von ‚altem‘ und ‚neuem‘ Menschen mit dem ebenfalls paulinischen Gegensatzpaar von irdischem und himmlischem Fleisch: „Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel […]. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.“404

Wie leicht zu erkennen ist, nimmt der Verfasser auf das oben angeführten Zitat der Astronomia magna (1537/38) kritisch Bezug; und dies, obwohl das Volumen Paramirum – nach Andrew Weeks „the earliest medical-philosophical writing“ Hohenheims – wesentlich früher als die Astronon­ mia magna entstand (vgl. Paracelsus. Speculative Theory and the Crisis of Early Reformation. New York 2008, S. 14). Die Annahme, dass der Sternenhimmel keine Gewalt über den Menschen besitzt, entspricht – wie das Beispiel Suchtens und Crolls demonstriert – einer paracelsistischen Auffassung, die von Pico und Agrippa herrührt. Als Urheber der offenkundigen Interpolation kommt an erster Stelle Toxites in Frage, zumal dieser sowohl die Astronomia magna als auch das Volumen Paramirum erstmals edierte. 402 Eph 4,22–24: „deponere […] veterem hominem, qui corrumpitur secundum desideria erroris […] et induite novum hominem, qui secundum Deum creatus est in iustitia et sanctitate veritatis.“ 403 1 Cor 15,22: „Et sicut in Adam omnes moriuntur, ita et in Christo omnes vivificabuntur.“ 404 1 Cor 15,47–49: „Primus homo de terra, terrenus: secundus homo de caelo, caelestis […].  Igitur, sicut portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem caelestis.“

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Der „weisman“ wird, indem er die Schöpfung „nach der biltnus“ begreift und darüber sein Gemüt für das Wirken Gottes befreit, in Christus neu geboren. Die Neugeburt macht Paracelsus folglich zur Bedingung für den Erwerb der magia coelestis: so er [= der Weise] nun will ein gut erlangen tun, so muß er […] sich in die himlische wirkung richten, auf das er ein magus coelestis sei, ein apostolus coelestis, ein missus coelestis, ein medicus coelestis etc., und entlich die gaben gottes, darinnen er berufen ist, gewilich erkennen, damit das er die selbig im willen Gottes volbring. das mag keiner tun, er sei dan aus der neuen geburt geboren. die im fleisch Adae, ob sie gleich wol erbar seind, so ist das begeren (obs gleichwol auch bilich wer) zur ehe, zu gesunder speis und trank. nun sol der willen gottes in uns geschehen, so muss er geschehen allein durch den neugeborenen menschen, dan von den andern ist keine kein hofnung, ob er gleich wohl einer guten erbarkeit ist. Alein die gnade haben sie, zu hören das evangelium und das selbig anzunemen oder nicht. nehmen sie es an, und werden getauft, so seind die kinder gottes durch die neue geburt, wo aber nicht, so seind sie der hofnung beraubt und kinder des tots.405

Wie ersichtlich wird, unterscheidet Paracelsus drei Menschentypen: An erster Stelle steht der magus coelestis, dem die neue Geburt in Christus zuteilgeworden ist. Indem er sich vom Rest der Menschheit abhebt, „die im fleisch Adae“ ist, zeigt sich, dass der himmlische magus ganz im limbus aeternus des Gottessohnes inbegriffen ist.406 All jene, die zwar keine Magi, doch ‚von guter Ehrbarkeit‘ sind, können zumindest auf eine Auferstehung in diesem ewigen Geistleib hoffen, sofern sie ein christliches Leben führen, das die Taufe, das Abendmahl und die regelmäßige Anhörung des Evangeliums einschließt. Mit Nachdruck weist Paracelsus daraufhin, dass der Gläubige sich „nicht dem natürlichen leib, sonder dem ewigen leib“ hingeben müsse,407 um nach dem Tod des alten Menschen die Neugeburt zu erlangen. Diejenigen aber, die diesem Gebot nicht Folge leisten und somit kein wahrhaft christliches Leben führen, sind von der Aufnahme in das Reich Gottes ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund, dass der Mensch in seinem leiblichen Wohlbefinden, in seinen Entscheidungen und in seinen Gedanken dem Sternenhimmel untersteht, kann es nur Gott selbst sein, der den Weisen dazu befreit, sein Bildnis im Licht der Natur zu schauen und somit seine Neugeburt in Christus zu verwirklichen. Dieser Befreiungsgedanke entstammt dem Zweiten Korintherbrief, da es heißt: „Der Herr aber ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber schauen mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in 405 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 315. 406 Vgl. Miller-Guinsberg: Paracelsian Magic and Theology, S. 127. 407 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 327.

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einem Spiegel und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“408 Indem der Weise durch die Gnade Gottes die makrokosmische Natur als das Spiegelbild seines Schöpfers begreift, erhebt er sich über seine Determination durch das Gestirn. Tatsächlich beruft sich auch Suchten in seiner Elegie Quid sit nihil auf seine Freiheit („Mich aber möge meine Freiheit, die ich in der Süße der Wahrheit zubringe, nie verlassen, dann ist mir Missgunst nicht lästig.“).409 Die Freiheit, die Suchten hier für sich in Anspruch nimmt, beschreibt hier keine Autonomie im eigentlichen Sinne, sondern ein innerliches Frei-sein für das Wirken Gottes. Diese Art von Freiheit gründet sich nicht mehr auf einen asketischen Lebensstil, sondern auf die bereits verwirklichte Erleuchtung durch den Geist. Die Gnade einer solchen Erleuchtung aber gewährt Gott nur seinen Erwählten, die er zu diesem Zwecke mit den höchsten Tugenden segnet. Dem himmlischen magus ist jedwede Missetat fremd. Sein Wille weicht nicht im Geringsten von seiner Prädestination durch den Allmächtigen ab. Er ist gewissermaßen dazu vorherbestimmt, aus freien Stücken Gottes Werk zu tun: in der neuen geburt wird nichts ausgenommen sein, noch verboten sein, sonder gar frei. dan ursach, niemants wird da sein, dan die electi, die da probirt sein, den wird der frei will geben werden warzu sie wöllen. Dan sie werden nicht wöllen unkeusch sein, dan sie wer­den rein sein und nit der unkeuscheit, sie werden nicht wöllen spilen, raslen, noch andere uppigkeit treiben, dan sie werden der natur nit haben zu solchen sachen.410

Als ein über alles erhabenes, sowohl geistig als auch leiblich von Gottes Herrlichkeit durchdrungenes Wesen ist der himmlische magus ein wahrer Nachfolger Christi. Als solcher verfügt er über dieselben Wunderkräfte wie der Erlöser. Durch sein ‚magisches‘ Werk werden „die ausezigen […] rein, blinden gesehend, die lamen gerad etc.“411 Auch vermag er „aus fünf gersten broten vil tausend speisen, reden mit feurigen zungen, haben gewalt von gott durch Christus solchen willen zu vollbringen; das ist der mensch, der den freien willen hat.“412 408 2 Cor 3,17–19: „Dominus autem Spiritus est: ubi autem Spiritus Domini, ibi libertas. Nos vero omnes, revelata facie gloriam Domini speculantes, in eamdem imaginem transformamur a claritate in claritatem, tamquam a Domini Spiritu.“ 409 Chymische Schrifften. Quid sit nihil, Hh 6v: „Me mea Libertas nunquam in dulcedine veri / Deserat, invidia hinc non onerosa mihi est.“ 410 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 324. 411 Ebd. 412 Ebd., vgl. S. 342: „Auf das nun so wissent, was ist nun das, das einer mag tun aus dem freien willen? […] das sein die früchte des freien willens, das einer mag einen menschen gesunt machen wan er will, götliche werk tun, das ist, die werk die Christus hat getan, das die selbigen auch getan werden und mer, wie Christus selbst sagt.“

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Das Medium, über das der magus coelestis diese göttlichen Kräfte bezieht, ist der Glaube. Den Hintergrund dafür bildet die biblische Episode der Verfluchung des Feigenbaums, die in den Evangelien von Markus (11,12–25) und Matthäus (21,23–27) beschrieben wird. Dass Paracelsus in der Astronomia magna mehrmals auf diese Episode zu sprechen kommt,413 liegt wohl darin begründet, dass er hierin ein Exempel für die Macht der Impression sieht. Indem der Mensch sich den Gottessohn über den Glauben ‚ein‘-bildet, und dieser in ihm wie die Sonne wirkt, wird er dazu ermächtigt, fremde Körper zu imprimieren. Im Falle der genannten Bibelstelle war die Kraft von Christi Gottnatur so groß, dass sie den Feigenbaum verdorren ließ. Der Heiland kommentiert diesen magischen Akt mit den Worten: „Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, dann werdet ihr nicht nur das vollbringen, was ich mit dem Feigenbaum getan habe; selbst wenn ihr zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, wird es geschehen.“414 Eine weitere Kontextualisierung von Glaube und Impression findet sich im Liber de imaginibus. Das geistige Element, das gleich einem ‚Brennspiegel‘ die Strahlkraft des Glaubens bündelt, ist hier das ‚Gemüt‘ (mens). Das Gemüt richtet sich hier jedoch gegen nichts Äußeres, sondern auf Gott selbst, sodass dieser sein Antlitz darin abbildet und jenes Antlitz dann – im Sinne der mystischen Theologie Meister Eckharts – in sein innerstes Selbst zurückbildet. Damit das Gemüt auf diese Weise mit Gott eins werden kann, muss es aber zunächst einmal als Spiegel des göttlichen Lichts, und somit als das Allerheiligste der menschlichen Existenz erkannt werden: Die selbigen astra und sternen ligen nun verborgen in dem mente, das ist in des menschen ge­müt. dan es ist ein solch groß ding umb des menschen gemüt, also, das es niemant mög­ lich ist auszusprechen. Und wie got selbs und prima materia und der himel, die drei ewig und unzergenglich sind, also ist auch das gemüt des menschen. darumb wird der mensch selig durch und mit seinem Gemüt, das ist er lebt ewig und stirbt niemer mer, als wenig als Enoch und Elias, die auch ir gemüt recht erkent haben. und wan wir menschen unser gemüt recht erkenten, so were uns nichts unmöglich auf dieser erden.415

413 Vgl. ebd., S. 133, 227, 328. 414 Mt 21,21: „Amen dico vobis, si habueritis fidem, et non haesitaveritis, non solum de ficulnea facietis, sed et si monti huic dixeritis: Tolle, et jacta te in mare, fiet.“ Vgl. hierzu Paracelsus: Matthäuskommentar III (Leiden Bibliothheek der Rijksuniversitteit. Cod. Voss. Chym. 25,2°, f. 220r): „welcher man den glauben hat, der ist so stark, daß sein geist, den er aus dem glauben hat – daß er die berg versetzt würfts ins meer. aus der stercke kombt, daß stein gewichen seindt wie leimen undter den Füeßen, die starken glauben und dergleichen mehr.“ Zur paracelsischen Magie im Matthäuskommentar vgl. Guinsburg: Paracelsian Magic and Theology, S. 125–139. 415 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 383.

Die himmlische Magie 

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Damit macht sich Paracelsus das unter der Losung nosce teipsum tief in der mystischen Tradition verwurzelte Theorem der Selbstverständigung zu eigen: Vor dem Hintergrund der neuplatonischen Vorstellung, dass die mens in Gott ruht und diesem wesensgleich ist, impliziert jede Erkenntnis, die sich auf das wahre, unkörperliche Selbst richtet, zugleich eine Erkenntnis Gottes.416 Nach Paracelsus führt der Weg dorthin aber nicht über klösterliche Abgeschiedenheit, sondern über eine naturnahe und prädestinierte ‚Ein‘-Bildung des Allmächtigen in das menschliche Selbst. Ebendiese imaginatio macht das Nichts, von dem Suchten mit Verweis auf Eckharts Predigt 71 spricht, erfahrbar. Das paracelsische ‚Gemüt‘ ist nichts anderes als die mikrokosmische Repräsentation des göttlichen Geistes, und steht somit, wie auch aus der Theologia Deutsch hervorgeht,417 für jenes paulinische ‚Vollkommene‘, gegenüber dem alles ‚Stückwerk‘ ein bloßes Nichts ist. Im Angesicht Gottes ist der himmlische magus, gleich dem zum Paulus berufenen Saulus, „mit sehenden Augen blind“: wie aber das selbig recht zu erkennen sei, wen es in seiner exaltation ist, so wissent, das das gemüt in im selbs ist versunken und ertrunken, das ist der mensch mit sehenden augen blint, mit hörenden ohren gehörlos, mit seiner nasen schmeckt er nichts, mit seinen henden betast und greift er nichts, sein leib empfint nichts. Das ist also zu verstehen. Er sicht wol, weißt aber nicht was er sicht, er hört wol reden, verstêts aber nicht, hat wol den ton und hall eines jeden dings, weißt aber nicht was es ist, verstêts nicht. also er schmeckt wol, weißt aber nicht was er schmeckt, wer greift wohl, weißt aber nicht was er greift; dan er hat sich alein an dem ding, so im in seim gemüt ligt, ersehen und vergafft, wie ein aff in einem spiegel oder wie ein kind an einem schönen kram oder wie ein narr an einem gemelt. Dan ein mensch der in solchen tiefen gedanken ist, und in seinem gemüt also ertrunken, der ist glaich als hette er seine fünff sinn verloren und von der welt für den größten stockarren gehalten wird, ist aber bei got der aller weisest mensch, den er sein heimlikeit wissen laßt und in das verborgen hineinsehen laßt, mer dan alle weltweisen etc.418

Wie bereits anhand von Suchtens Elegie Quid sit nihil und dem in De tribus facul­ tatibus präsentierten Raptus deutlich wurde, dienen derlei mystische Erfahrungen weniger dem Erwerb innerer Seligkeit in der liebenden Vereinigung mit Gott, als vielmehr der Einweihung in die göttlichen Geheimnisse. Indem das Licht des Allmächtigen kraft der magnetischen Wirkung des Glaubens in den ‚Spiegel‘ des Gemüts hineingezogen wird, werden zugleich die innermenschlichen astra aufs Hellste erleuchtet. Darüber erhält der in Christus neugeborene magus höchste Weisheit, Begabung und Kunstfertigkeit. Und doch projizieren diese inneren

416 Vgl. Kap. 7.2, S. 253. 417 Vgl. Kap. 6, S. 215  f., bes., Anm. 56; ferner Kap. 5.7, S. 176. 418 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 383.

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 Suchtens Magie

Gestirne ihr Licht nicht nur nach außen, sondern auch auf ihren Lichtquell, auf Gott hin zurück: Darumb solt ir auch wissen, das die perfecte imagination, die von den astris kompt, die entspringt in dem gemüt in dem alle astra verborgen ligen. und das gemüt, der glaub und die imagination sind drei ding zu rechnen; dan die namen sind underschitlich, haben aber gleiche kraft und sterke, den es kompt eins aus dem anderen, und kann die nicht anderst vergleichen, dan mit trinitate deo; denn durch das gemüt kommen wir zu got, durch den glauben zu Christo, durch die imagination empfahen wir den heiligen geist. darumb auch disen dreien, wie dem trinitato deo nichts unmöglich ist.419

Mit dieser Konzeption des Trinitätsdogmas reiht sich Paracelsus in die von Pseudo-Dionysius begründete Traditionslinie der abendländischen Mystik ein. Das gereinigte, seiner wahren Natur nach überirdische Gemüt ist das geistige Element, über das sich der himmlische Vater entäußert. Es ist der ‚Spiegel‘, der kraft des Glaubens das Bildnis Gottes an sich zieht. Wer den wahren Glauben hat, der hat auch Christus.420 Die Einbildung Gottes in das menschliche Gemüt impliziert jedoch stets auch eine Einbildung des Menschen in Gott: Denn sowie sich Gott im ‚Spiegel‘ des Gemüts als Sohn seiner selbst erblickt, nimmt er schon wieder auf sich selbst Rekurs.421 Das göttliche Abbild wird somit gewissermaßen in das innerste Wesen des Allmächtigen ‚zurückgebildet‘. Im Akt dieser retroversiven Einbildung empfängt der Gläubige den Heiligen Geist. Darüber wird die imaginatio zur impressio, in deren Vollzug sich das menschliche Gemüt in Gott eindrückt. Indes bleibt das Philosophem der unio mystica in den Schriften Hohenheims im Ungefähren. Fast scheint es, als rezipiere Paracelsus die Einigungsmystik mit einem Augenzwinkern: Im Moment der Gottesschau gleicht der magus coelestis einem Narren, der durch ein Gemälde betört wird, und einem Affen, der sich in sein eigenes Spiegelbild vergafft.

419 Ebd., S. 383  f. 420 Vgl. hierzu die berühmte lutherische Sentenz „Gleubstu, ßo hastu“ (Von dem Sakrament der Taufe [1519]. In: WA 2, S. 733,35). 421 Zur Motivik des ‚Ein‘-Drucks der Gottnatur Christi in das menschliche Gemüt vgl. Gerhard Dorn (Schlüssel Der Chimistischen Philosophy, S. 398): „Erstlichen soll auß der Erd/ das ist Irdischen Natur deines Crpers/ ein Wasser gemacht werden/ Das ist dein faul/ trg/ vnnd Steinhartes hertz soll zu deines lieben Schpfers/ vnnd der selbs eigenen erkanntnuß erweckt vnd auffgemundert werden/ Damit der Geist in solch angeregt dein Hertz/ nicht anders als ein Sigel inn das weich gemachte Wachs/ sein Himmlische Bildnussen imprimiren/ vnd eintrucken mge.“

Die himmlische Magie 

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7.7.4 Die Fähigkeiten des magus coelestis Dass Paracelsus dem himmlischen magus als einem wahrhaftigen Nachfolger Christi zwar die Möglichkeit einräumt, zum innersten Wesen Gottes hin vorzustoßen, sich aber von Erfahrungen der Einheit mit dem Schöpfer distanziert, liegt auch darin begründet, dass er im magus keinen weltabgewandten Geistlichen, sondern einen uneigennützigen Spender des Heils erblickt. Die wunderbaren Werke, welche die Erwählten Gottes anhand von magia coelestis oder von magia naturalis vollbringen können, beruhen jeweils auf der einen himmlischen Weisheit. Die beiden Magien sind in diesem Sinne „von einem brunnen“.422 Allerdings sind sie auch Teil eines noch größeren Zusammenhangs magischer Aktivitäten, die auch verbotene Künste miteinschließen. In der Astronomia magna nimmt Paracelsus eine umfangreiche Kategorisierung okkulter Wissensbestände vor.423 Er unterscheidet hierzu zunächst vier „astronomiae“. Mit der wissenschaftlichen Erkundung von Gestirnsphären und Planetenbahnen haben diese ‚Astronomien‘ nichts gemein. Der Begriff „astronomia“ beschreibt hier vielmehr eine Kunst, aus den okkulten Kräften des Firmaments Nutzen zu ziehen. Die erste Astronomie, die astronomia naturalis, verfolgt das Ziel, das äußere, kreatürliche Firmament auf das innere, geistige Firmament hin auszulegen, um dem Menschen so seine wesenseigenen scientiae zu offenbaren: „Naturalis astronomia. dise astronomia kompt aus dem firmament und ist in demselbigen wesenlich geschaffen von got dem vatter und verordnet zu sein ein scientia […].“424 Unter diese Kategorie der Astronomie fällt demnach auch die magia naturalis. Demgegenüber ist die himmlische Magie in der astronomia supera und in der astronomia olympi novi beheimatet. Diese beiden Systematiken umfassen alles, was dem übernatürlichen Bereich angehört: Während der Adept der natürlichen Astronomie aufgrund seiner condicio humana gerade noch in der Lage ist, auf seine innere Repräsentation der äußeren Himmelskräfte auszugreifen, sind diejenigen Gottbegnadeten, die die Astronomie durch Christus und aus dem Glauben empfangen, grundsätzlich über das obere Gestirn erhaben.425

422 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 334. 423 Zum wissensgeschichtlichen Kontext, zur Einordnung in der Magie-Literatur, zur Erstedition und zum Inhalt der Astronomia magna s. Ute Frietsch: Magie im 16. Jahrhundert. Die „Astronomia Magna oder Die gantze Philosophia Sagax der grossen und kleinen Welt“. In: Astronomie und Astrologie im Kontext von Religionen. Hamburg 2018, S. 190–217. 424 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 76. 425 Vgl. ebd.: „supera. Diese astronomia hat ir wesenlich wonung himelischen im himel und wird geben denen, so in der neuen geburt sind und nimpt iren ursprung aus Christo und wird durch die seinen volbracht, gebraucht und gefüret. olympi novi. Diese astronomia entspringt

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Die Rede von einem ‚neuen Olymp‘ ist insofern bemerkenswert, als Para­cel­ sus sich im Liber de imaginibus die vorchristliche Verehrung der olympischen Götter damit erklärt, dass zu Urzeiten tatsächlich individuell begabte Menschen gelebt hätten, die im Nachhinein zu Göttern ausgerufen wurden. Unter diesen gab es hochtalentierte Meister, die „kunstreich wie mercurius“ und Priester, die „geistlich, êrwürdig und fromb und keusch wie Jupiter“ waren.426 Vielleicht gab dieser Passus den Ausschlag dafür, dass Suchten in De tribus facultatibus bekundet, das gemeine Volk habe die magi „mehr für Gtter/ als fr Menschen“ gehalten.427 Hohenheims Identifizierung der olympischen Götter mit magisch begabten Persönlichkeiten war ein kühner Schritt, zumal er sich damit dem Verdacht auslieferte, er hege die Absicht, die antiken Götzen zugunsten eines ‚magischen‘ Christentums zu rehabilitieren. Wie genau sich Paracelsus den ‚neuen Olymp‘ vorstellte, ist nicht bekannt, da das Buch von der astronomia olympi novi nicht erhalten ist. Adam Haselmayr (1562–1630) gab 1618 eine kurze Schrift heraus, die der Vervollständigung des Werks dienen sollte.428 Toxites, der die Astronomia magna im Jahr 1571 erstmals edierte, war vielleicht noch über den Inhalt des verlorenen Buches informiert, zumal er die astronomia olympi novi in seiner Vorrede näher definiert: „Die dritt Astronomia ist des Glaubens/ dass die krefft so auß dem glauben gehn/ on alle mittel gantz volkommen da seyn/ mit thaten und wercken/ der glaub aber ist zweier­ley/ gut und bß/ der gut ist ein gab Gottes/ der bß kompt vom Satan/ ein jeder hat seine Werck.429 Der vierte Typus der Astronomie, die astronomia­ infernalis, beschäftigt ausschließlich mit teuflischer Magie. Von diesem Buch liegen nur die einleitenden Kapitel vor. Toxites rechtfertigt die Herausgabe des Buchs „von der Infernalischen Astronomey“ damit, „daß wir uns daruor wissen zu hten. Dann der Satan ist allenthalben bey uns/ wie der Sonnen glantz […] vnd wie Gott alles in allem ist zum guten/ also wil der Satan alles in allem seyn zum bsen.“430 Wie Paracelsus im vierten Kapitel des ersten Buches erklärt, besitzt jede die­ser Astronomien neun Kategorien. Unter diesen macht die „magica“ den

aus dem Glauben also: was der natürlich himel vermag und noch mehr, das vermag auch diese astronomia durch den glauben zu fertigen und wird gebraucht und geben fidelibus und durch sie volent und eröfnet.“ 426 Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 368. 427 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 367. 428 Vgl. Gilly: Cimelia rhodostaurotica, S. 4  f. 429 Paracelsus: Astronomia magna: oder Die gantze Philosophia sagax der grossen und kleinen Welt […]. Hg. von Michael Toxites. Sigismund Feyerabend, Frankfurt a. M. 1571, f. biijv. 430 Ebd. f. biiijr.

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Anfang, darauf folgen „nigromantia“, „nectromantia“ [sic], „astrologia“, „signa­ tum“, „artes incertae“, „medicina adepta“, „philosophia adepta“ und „mathematica adepta“.431 Diese Kategorien sind wiederum in „species“ von je verschieden großer Anzahl unterteilt. Es soll hier nur die „magica“ näher interessieren.432 Diese besitzt sechs Spezies, nämlich „insignis magica“ (Auslegung göttlicher Himmelszeichen), „magica transfigurativa“ (Verwandlung des spiritualischen Leibes), „magica characterialis“ (Anwendung eines magischen Heilssegens), „[magica] gamaheos“ (Herstellung von Talismanen), „altera in alteram“ (Bildzauber) und „cabbalistica.“ Letztere wird hier mit Teleportation in Verbindung gebracht.433 Die magia coelestis schließt die magia naturalis keineswegs aus, sondern hebt sie nur auf ein höheres Niveau. So vermag der magus aus Gott sämtliche „magnalia“ zu vollbringen, die er ansonsten aus der Natur schöpfen würde.434 Zur Bestimmung der Fähigkeiten des magus coelestis lohnt sich also der Blick darauf, wie die genannten Spezies auf der Ebene der astronomia naturalis zum Tragen kommen. Paracelsus beginnt seine Ausführungen zunächst mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zur natürlichen Magie. Hierzu zählt die Unterrichtung, dass der astronomus magicus die „firmamentischen vires“ in den Menschen zu bringen wisse.435 Gott wolle nicht, dass „ichts heimlich oder verborgen bleib, sonder das alles offenbar werde, was er in der natur geschaffen hat, das das selbig erfaren wird.“436 Indes verleihe er die hierzu benötigten Künste allein dem magus: „der selbig hat sie alsdan zu finden und andern zu offenbaren.“437 Die „magica inventio“ selbst sei nicht als eine von Menschen erfundene Lehre zu verstehen, sondern – wohl aufgrund ihrer Wesensgleichheit mit der göttlichen Weisheit – als „ein muter aller verborgen ding der natur“; zugleich aber auch als eine Kunst, „zu wissen, was die natur antrift.“438 Paracelsus scheint die „insignis magica“, die eng mit dem Motiv der magi ex oriente verknüpft ist, im Blick zu haben, indem er auf himmlische „vorboten, als

431 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 77. 432 Zur näheren Betrachtung der Kategorien und ihrer „species“ s. Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 163–195. 433 Vgl. Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 84  f. 434 Ebd., S. 130: „als wol als einer aus got, der aus got hantlet, aus got die selbigen magnalia, der aus der natur, die selbigen magnalia der natur auch.“ 435 Ebd., S. 122. 436 Ebd., S. 123. 437 Ebd., S. 124. 438 Ebd., S. 124  f.

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cometen, als die gesicht am himel“ zu sprechen kommt.439 Bei dieser Gelegenheit setzt er den sternkundigen magus vom Medicus ab: „ein arzt weiß und kent alle kreft, die in den kreutern seind. solchs weiß auch der magus, was das in sternen ist. und nichts ist im himel verborgen, das der astronomei nach inhalt seinen spe­ ciebus ist.“440 Indem Paracelsus fernerhin bekundet, dass sich der „spiritualische leib“ des Menschen sich analog zu seinem „elementirten leib“ in ein anderes verwandeln könne, bezieht er sich auf die Spezies der „magica transfigurativa“. 441 Möglicherweise denkt Paracelsus hierbei an die Verwandlung des adamitischen Fleisches in das geistige Fleisch Christi, der Suchten bekanntlich den Charakter einer ‚Transmutation‘ bescheinigt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass Paracelsus dem magus hiermit zugleich die Fähigkeit zubilligt, sich auf geistiger Ebene in alle möglichen Kreaturen, vielleicht sogar in Dämonen, zu transfigurieren. Auf die „magica transfigurativa“ folgt die „magica characterialis“, die Paracelsus zusammen mit der „magica gamaheos“ abhandelt. Demnach ist der magus imstande, die Kräfte der Gestirne in Kräuter, Medikamente, Gemmen oder auch in den Wortlaut eines kurativen Segensspruchs zu bringen. Diese „subiecta“ würden somit den Kometen und Planeten, die Paracelsus in platonischer Tradition als beseelt ansieht, verwandt und ähnlich.442 Auf welchem Wege es möglich ist, eine stellare oder planetare Kraft in einen Stein zu bannen, legt der Hohenheimer im Liber de imaginibus dar, indem er die Herstellung eines VenusTalismans beschreibt: Sowie man die Influenz der Venus mit einem Kristallstein, einem Feuerspiegel oder einem Brennglas aufgefangen habe, gelte es, darin tagsüber das Sonnenlicht zu bündeln und auf diese Weise ein Zeichen, das der Venus angehört, in einen Saphir oder Karneol einzubrennen. So gelange die liebliche

439 Ebd., S. 132. 440 Ebd. 441 Vgl. ebd., S. 125  f.: „mag nicht ein maler ein bilt malen und dasselbig in eine andere form bringen […]? so solches die natur vermag durch den elementirten leib, der grob und ungeschikt ist, wie vil mer vermag dan die natur durch den spiritualischen leib, der nicht grob noch roh ist, sonder so subtil als der schein der sonnen […]. aus dem folget nun, das der mensch an im selbs vom spiritualischen meister, wie die figurn vom maler von einem in das ander mögen verwandlet werden, also leichtlich auch und noch leichtlicher der mensch vom spiritualischen meister von einem in das ander verwandlet mag werden.“ 442 Vgl. ebd., S. 127  f.: „also weiter zu probirn die anhangenden species, die characteres und gamaheu zu machen, sol sich des niemant verwundern. dan ursach, so die natur williglich aus eigener eigenschaft kreuter und stein begabet, das sie in inen haben magicas vires, wievil mer tut sie es, so sie darumb ersucht wird! […] also das ein bilt, das weder fleisch noch blut hat, einem kometen gleich ist und wird, das auch die wörter und characteres kraft haben, so wol als arznei, das die kreuter und gamaheu dahin gebracht mögen werden, das solche subiecta gleich seind den planeten und iren inwonern, auch dem ganzen gestirn des firmaments.“

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Kraft des Sterns in den Edelstein.443 War der Aufruf von Brenngläsern und Feuerspiegeln bei der Beschreibung von imaginatio und impressio noch im uneigentlichen Sinne zu verstehen, so ist er hier offensichtlich wörtlich zu nehmen. Eine weitere Methode, die Astralkräfte des äußeren Himmels verfügbar zu machen, offeriert die als „altera in alteram“ bezeichnete Spezies. Dieser liegt die bereits dargelegte Bild-Theorie des Hohenheimers zugrunde, wonach in Abbildungen immer auch das Dargestellte selbst präsent ist: Indem man das äußere Erscheinungsbild von Himmelskörpern, etwa in Form von steinernen Kugeln, künstlich nachbilde, könne man deren Astralkräfte ins irdische Hier und Jetzt holen.444 Die „magica caballistica“ setzt abermals bei der Differenz von „elementirtem“ und „spiritualischem leib“ an, und abermals lautet die Devise, dass ersterer nichts vermag, was letzterer nicht auf viel trefflichere Weise vollbringen könnte. In diesem Sinne bescheinigt Paracelsus dem magus die Fähigkeit, anhand seines vom Licht der Natur erfüllten, inneren Sternenhimmels – denn dieser ist mit dem „spiritualischen leib“ gemeint – eine so starke Imagination zu entfalten, dass sein Geist über die elementische Welt Macht erlangt: So sei es einem magus möglich, seine Gedanken allein kraft seiner Einbildung zu Papier zu bringen und sie einem weit entfernten Empfänger über Teleportation mitzuteilen.445 All die hier dargelegten Spezies machen deutlich, dass die magische Sektion der astronomia natu­ ralis grundsätzlich auf der Ebene des oberen Firmaments operiert: Dies einerseits durch Deutung von Himmelsphänomenen, andererseits durch die geistige und praktische Einholung astraler Kräfte, die der inneren Verwandlung des magus,

443 Vgl. Paracelsus: Liber de imaginibus. In: SW 1/13, S. 386: „in der influenz veneris laß in die crystall, stehlin oder feuerspiegel schneiden den planeten, namen und charakter veneris mit einem stern, auf ein crystall an den hindern ort […]; also hast du die influenz darin. wilt du denn weiter die selbig influenz in ein gamahei bringen, so nimm ein saphir oder carneol stein, laß darein schneiden ein biltnus oder figur, wie du wilt, des tugent und kraft dem planeten veneris gemeß ist und der planet inhelt […]. und das schneiden der figur in den stein, sol gegen der sonnen schein geschehen, also das die sonn durch den crystall spiegel scheine auf den stein und die radii und widerschein der sonnen glanz sollen auch stetigs auf den stein gehen.“ 444 Vgl. Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 134  f.: „So nun der magus ein ietliche kraft der sternen der gleichen mag herab bringen in sein verordnet subiectum, wie ein jeger ein hirschen in das garn und ein fischer die fisch in das nez, wie der arzt die arznei in die büchsen […]; also mag dan nicht der magus aus der firmamentischen arznei ein bilt, ein kugel, ein stein oder anders nehmen, dieweill es doch der form gleich ist und sein sol mit der kraft. warumb sol er nicht mögen solche figuren machen, die zur gesuntheit und krankheit helfen mögen?“ 445 Vgl. ebd., S. 128: „vermag der elementirt leib einen brief zu schreiben und darmit ein boten hinweg zu senden, in einem monat das selbig zu vollenden: so doch der spiritualisch leib alles vermag, was auch der elementirt vermag, warum solt ers nit vermögen in einer stunt abzufertigen und die gedanken des menschen auf sein papir zu schreiben und zu überlifern?“

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vor allem aber der Beschleunigung und Perfektionierung der irdischen Natur dienen. Wenngleich der magus coelestis prinzipiell in der Lage ist, solch ‚natürliche‘ Künste auszuüben, so schöpft er seine Kräfte dennoch aus einem anderen Bereich: Als ein in Christus neugeborener Mensch betrachtet er das Weltschauspiel von der Warte der höchsten Himmelssphäre aus. Vor dem Hintergrund, dass die Stränge der Analogie, welche den Kosmos nach den Koordinaten von ‚Innen‘ und ‚Außen‘ sowie von ‚Unten‘ und ‚Oben‘ ordnen, letztlich in Gottes einheitlichem Wesen zusammenlaufen, überblickt der magus coelestis nicht nur die gesamte Natur, sondern auch die Welt der Engel. Er besitzt, um mit Suchten zu sprechen, die „sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum.“ Die himmlische Magie, die Paracelsus im Buch der astronomia supera beschreibt, ist nach denselben sechs Spezies geordnet wie die natürliche Magie: zu erkennen coelestem magicam, magum und das ganz werk, so wissent im selbigen ein solches, das in ir seind sechs species, in denen ganz magica begriffen wird. die erst species ist auslegung unnatürlicher stern, als den stern Christi und ander, die da werden als zeichen wie Christus gemeldt hat […]. dises alles so aus dem wort Christi entspringt, das ist wider die natur und ist nicht natürlich ausuzulegen sondern ubernatürlich, das ist himlisch, das ist aus der himlischen astronomei zu nemen.446

Der magus coelestis kann durch Auslegung des Sternenhimmels beurteilen, ob eine Krankheit ein ‚Zeichen Christi‘ – etwa für das nahende Ende der Welt – darstellt, oder ob sie natürlich zu erklären ist. Während der Adept der natürlichen Magie immerhin imstande ist, „eisen in kupfer, menschen in wölf, saphir in diamenten etc.“447 zu verwandeln, ist es dem magus coelestis vergönnt, sich in den limbus aeternus Christi zu transfigurieren.448 Paracelsus bezieht sich hierbei auf das Offenbarungsgeheimnis von Jesu Verklärung (Mt 17,1–3; Lk 9,29–32). Demnach hüllte sich der Heiland, nachdem er mit zwei Jüngern den Berg Tabor bestiegen hatte, in strahlendes Licht, wobei sein Gewand eine leuchtend weiße Farbe annahm.449 In den vestigia Christi wandelt der magus coelestis auch hinsichtlich seiner Fähigkeit, Tote wieder zum Leben zu erwecken:450 „er [kan] wörter spre-

446 Ebd., S. 333. 447 Ebd. 448 Vgl. ebd., S. 334: „er mag durch götliche kraft unsichtbar werden, wie Christus der sich verborgen hat, der auch kleit wird mit solcher kleidung, wie Christus transfiguriert ist worden, der selbig hat die ander species magica.“ 449 Vgl. Möseneder: Paracelsus und die Bilder, S. 168. 450 Zur Analogie von magus coelestis und Christus s. Miller-Guinsberg: Die Ideenwelt des Paracelsus, S. 44.

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chen, stehe auf und nim dein bet und gehe hin, Lazare stehe auf, der ist magus coelestis in der dritten species.“451 Anstatt Talismane herzustellen, zieht es der himmlische magus vor, seinen Schutzbefohlenen den apotropäischen Buchstaben ‚Taw‘ (‫ת‬, beziehungsweise τ) auf die Stirn zu malen: Dieses Zeichen schütze, wie es in Ezechiel 9,4 heißt, vor einem gewaltsamen Tod.452 Die Spezies „altera in alteram“ lässt Paracelsus auf dr Ebene der magia coelestis unbeachtet. Stattdessen behauptet er für den magus das Vermögen, Tiere zum Sprechen zu bringen: „der da kan machen, das ein esel ret, als Balaams esel.“453 Ferner könne der himmlische magus „den menschen geborn machen aus got, das er von got gelert werde, der da kann oder hat die macht zu tun aus götlichen kreften was er wil.“454 Kraft seiner übernatürlichen Fähigkeiten ist er sowohl ein Verkünder des wahren Glaubens als auch ein Vermittler zwischen dem Menschen und Gott. Die „caballistica“ dient hierbei der mystischen Kontaktaufnahme mit dem Allmächtigen: „der da kan reden von der erden bis gen himel, also das in got erkent und hört, und wiederumb was got ret gegen im, das ers hie auf erden auch höre.“455 Damit tritt der himmlische magus an die Stelle der universitär geschulten Priesterschaft, einschließlich der Reformatoren.

7.5.5 Die magia als endzeitliches Phänomen Es ist kaum vorstellbar, dass Paracelsus die Praktiken, die er in der Astronomia magna schildert, jemals selbst erprobt hat. So spricht er denn auch – anders als Suchten in De tribus facultatibus – an keiner Stelle seines Werks als ein magus, sondern stets als ein Theoretiker, der um eine enzyklopädische Darstellung okkulten Wissens bemüht ist. Die Astronomia magna dokumentiert demnach in erster Linie sein „Interesse an der Entfaltung von spekulativ erarbeiteten, nicht notwendigerweise zu praktizierenden Möglichkeiten“ (K. Goldammer).456 Dennoch fragt man sich zu Recht, weshalb sich Paracelsus bemüßigt sah, eine Systematisierung von solch prekären, auf bloßer Spekulation basierenden Wissensbeständen in Angriff zu nehmen. Man bedenke, dass es sich bei einem Großteil der okkulten

451 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 334. 452 Vgl. Inge Schwarz-Winkelhofer, Hans Biedermann: Das Buch der Zeichen und Symbole. Zürich 1975, Nr. 364, 347. 453 Paracelsus: Astronomia magna. In: SW 1/12, S. 334. 454 Ebd. 455 Ebd. 456 Magie bei Paracelsus, S. 326.

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Künste, die in der Astronomia magna vorgestellt werden, um paracelsische Konstrukte handelt. Dies betrifft in besonderem Maße die magia coelestis. Mit Sicherheit haben bei seiner Gestaltung der Figur des ‚himmlischen magus‘ auch Endzeitvisionen eine Rolle gespielt.457 Paracelsus sah zu seiner Zeit die Menschheit mit einer Situation konfrontiert, die mit der Lage des gefallenen Adams vergleichbar war, nur dass sich selbige nunmehr als ‚spiegelverkehrt‘ darstellte: Während Adam dereinst von Gott in das Trübsal der diesseitigen Welt verstoßen worden war und sich zumindest mit der ihm verliehenen Weisheit trösten konnte, erwartete die gefallene Menschheit nun ihre baldige Wiederaufnahme in das Reich Gottes sowie – als Vorzeichen der Apokalypse – die Rückkehr der sapientia adamica.458 Hohenheims Annahme der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi stützte sich darauf, dass nach der talmudischen Überlieferung das letzte Jahrtausend der Weltgeschichte längst angebrochen war und es nach Matthäus 22,24 dem Willen Gottes entsprach, die Zeit bis zur Parusie zu verkürzen.459 Das Sendungsbewusstsein der Paracelsisten profitierte zudem von der eschatologischen Lehre des Joachim de Fiore (1130/35–1202), der bereits für 1260 den Beginn einer tausendjährigen, endzeitlichen aetas aurea vorausgesagt hatte.460 Paracelsus hingegen datiert den Anbruch dieses goldenen Zeitalters in seiner 1536 entstandenen ‚Vorausschau (Prognosticatio) auf die nächsten 24 Jahre‘ auf das Jahr 1560, vielleicht „ein wenig minder aber nit mer.“461 Indem der Hohenheimer an selbiger Stelle zudem von „erneuerung“ und „verenderung“ spricht,

457 Zur Bedeutung von Apokalyptik und Eschatologie für Paracelsus s. Wilhelm Kühlmann: Endzeit, Restauratio und Elias Artista. Signaturen des paracelsistischen Dissidentismus. In: Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur. Hg. von Friedrich Vollhardt. Berlin, Boston 2014, S. 199–222; Kurt Goldammer: Paracelsische Eschatologie. In: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze. Hg. von dems. Wien 1986 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24), S. 87–152; Sepp Domandl: Eschatologie und Ideologie bei Paracelsus. In: ZfphF 24/1 (1970), S. 126–133; Amadeo Murase: Paracelsismus und Chilialismus um 1600. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg 2013: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/18296/1/Murase_Paracelsismus_ und_Chiliasmus.pdf (1. August 2019). 458 Zur sapientia adamica s. Lorber: Alchemie, Elias Artista und die Machbarkeit von Wissen, S. 89–100. 459 Vgl. Matthias Pohlig: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617. Tübingen 2007 (Spätmittelalter u. Reformation, Neue Reihe 37), S. 148. 460 Zur joachimitischen Geschichtstheologie s. Schmidt-Biggemann: Philosophia perennis, S. 602–609; vgl. ferner Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Einleitung. In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 2: Der Frühparacelsismus. Zweiter Teil. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 89), S. 1–40, S. 21  f. 461 Paracelsus: Prognosticatio. In: SW 1/10, S. 613.

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spekuliert er auf die endzeitliche Wiederkehr des Propheten Elias,462 in welchem er einen gottgesandten Alchemiker erblickt, der die Schöpfung zu höchster Vollendung bringen werde.463 Im Gefolge des Elias erwartet er wohl auch die gottgesandten magi,464 die zur Restitution der sapientia adamica berufen seien. Ausgestattet mit dieser absoluten Weisheit seien diese denn auch dazu befähigt, die große und kleine Schöpfung mithilfe Gottes und der Gestirne zu perfektionieren. Die paracelsische Rationalisierung der magia dient in diesem Sinne einer Pro­ gnose, welche Wunderwerke von den lang erwarteten magi zu erwarten seien. Später wird Oswald Croll den „Elias Artista“ in seiner Erinnerungsvorrede zur Basilica chymica als einen „Reparator omnium“ preisen.465 Als solcher werde der Elias das eherne Zeitalter, das über die Menschheit hereingebrochen sei, vergolden. Suchten beschreibt in seiner Elegie De Nobel Raymundi moneta seine Vision des tausendjährigen Reiches der Gnade, das gemäß der Offenbarung des Johannes mit dem Fall der Hure Babylon beginne. Von diesem Moment an werde die magia über die „turpis opinio vulgi“ triumphieren: Oh, siehst du, wie dort das schreckliche Ungeheuer, die Hure Babylon, gebieterisch ihre sieben Köpfe bewegt? Der Erdkreis untersteht ihrer Macht. Flieht, ihr Propheten! Solange sie wütet, besteht unsere einzige Rettung darin, fern von diesem Ort zu sein. Doch die Zeit wird kommen, wo sie ihre sieben Diademe abnehmen muss. Dies wird der Zeitpunkt sein, an dem wir wieder zu Ehren gelangen werden. Sollen doch jetzt noch die Furien regieren, soll doch jetzt noch die nichtswürdige Meinung des gemeinen Volkes vorherrschen und die Welt allerorten darnieder liegen […]. Was einst eisern war, soll nun golden werden […]. Ich will währenddessen meinen Gefallen daran haben, zu sehen, wie Welt in Trümmern liegt und in Dankbarkeit den himmlischen Mächten huldigen.466

462 Zur paracelsischen Rezeption des Elias s. Lorber: Alchemie, Elias Artista und die Machbarkeit von Wissen; Walter Pagel: The Paracelsian Elias Artista. In: Kreatur und Kosmos: Internationale Beiträge zur Paracelsusforschung. Hg. von Rosemarie Dilg-Frank. Stuttgart, New York 1981, S. 6–19. 463 Vgl. Paracelsus: Von den natrlichen Dingen (Vom Vitriol). In: Bcher und Schrifften Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim […]. Bd. 7. Hg. von Johann Huser. Conrad Waldkirch, Basel 1590, S. 183–200, hier S. 198: „Nuhn aber Eisen in Kupffer zu machen/ ist nicht so vil/ als Eisen in Goldt zu machen. Darumb/ das weniger lest Got offenbar werden/ das mehrer ist noch verborgen/ biß auff die zeit der Künst Helias/ so er komen wirdt. Dann die Künst haben gleich so wol Heliam, als sonst zu verstohn ist.“ 464 Vgl. Lorber: Alchemie, Elias artista und die Machbarkeit von Wissen, S. 90–93. 465 Croll: Basilica Chymica, S. 5. 466 Chymische Schrifften. Ad Michaelem Toxiten elegia. De Nobel Raymundi moneta, f. Hh 5r–v: „O monstrum horrendum, viden’ ut Babylonica septem / Belluca Cervides imperiosa movet. / Possidet haec orbem terrarum, cedite vates / Dum furit, hinc nobis expedit esse procul. Tempus erit quando septem diademata ponat, / Tempus erit, noster quando redibit honor. / Nunc furiae regnent, nunc turpis opinio vulgi, / Floreat & pessum, qua licet, orbis eat / […] / Ferrea quae

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Den Elias selbst kontextualisiert Suchten explizit mit der paracelsistischen Magie: „Also haben die Magi viel Bcher davon geschrieben/ und ein jeder nach seines Hertzen Lust dasselbig tractirt/ wir haben der Bcher viel/ sind gemein worden. Aber ihr Innhalt bleibet verborgen/ so lang biß Helias Artista kompt/ und uns dieselbigen außlegt.“467 Wenn Suchten und Paracelsus den magi demnach übernatürliche, ja geradezu göttliche Fähigkeiten zuschreiben, so liegt dies darin begründet, dass sie in den magi nicht nur Epigonen einer praxisnahen Naturtheorie sehen, sondern vor allem auch lang erwartete Vorboten und Gefolgsleute des Elias Artista. Als solche seien sie dazu bestimmt, kraft ihrer ars cabalistica zwischen Gott und Mensch zu vermitteln, auf dass die gefallene Kreatur am Ende der Zeiten wieder in die Huld des Schöpfers aufgenommen werde.

7.7.6 Suchtens pseudo-dionysisch inspirierte catena aurea Gemessen an den mannigfachen Fähigkeiten, die Paracelsus dem magus in der Astronomia magna bescheinigt, nimmt sich das Programm der magia, das Suchten in De tribus facultatibus entfaltet, eher schlicht aus. Die magia erscheint hier als „Die Kunst den HErrn zufinden in seinem Geschpf.“ Es ist unklar, ob Suchten zum Entstehungszeitpunkt des Traktats bereits mit der paracelsischen Konzep-

fuerant olim, nunc aurea fiant, / […] / Me iuvet interea mundi spectare ruinam, / Et Superis grata sacrificare manu.“ (Übers. S. B.). 467 Chymische Schrifften. Vom Antimonio, S.  244. Auf dieses Zitat bezieht sich der Paracelsist Benedict Figulus, indem er in einem Widmungsbrief an Kaiser Rudolph II den „Alexander von Süchten“ zusammen mit Paracelsus und Basilius Valentinus unter die Propheten des Elias Artista rechnet: Sintemal aber ELIAS ARTISTA, von deme Theophrastus propheceyet/ Fr[ater] Basilius vnd Alexander von Süchten auch Meldung darvon thun/ ohne zweiffel nicht mehr lang aussen bleiben kann/ sondern schon wol allbereit/ als ein rechter vngezweiffelter Vorbott vnd Praecursor CHRISTI IESV ad iudicium vniversale venturi, auff der Bahn ist/ welcher vnsern Teutschen Monarcham AVREOLVM Ph[illippum] Theophrastum PARACELSVM, in Theologia GRATIAE, PHILOSOPHIAE GRATIAE wie auch in Medicina GRATIAE, vnd andern Faculteten vnnd Artibus mehr repraesentirn, auch seine Scripta elucidirn vnnd declarirn,/ ja ein rechter Mysteriarcha vnnd Interpres seyn wirdt der Göttlichen/ vberhimmlischen Magnalium vnd Geheimnussen Gottes/ so er in seine Creata gelegt: so wirdt darob die Gottlose/ verruchte/ blinde vnnd in allerhand Sünd/ Schand/ Lastern vnd Vntugenden ersoffene vnd ertrunckene Welt erschrecken/ vnd verstummen müssen/ das kleine Häufflein aber der Nachfolger/ vnd Liebhaber der edlen Kunst ALCHYMIAE, als der himmlischen Warheit/ wirdt sich von Hertzen darob erfrewen/ vnd Gott für solche gnädige Offenbarung dancken.“ Zitiert nach Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle (Hgg.): Nr. 161. Brief vom 3. Oktober 1607 an Rudolf II. In: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Natur­philosophie in Deutschland. Bd. 3: Der Frühparacelsismus. Dritter Teil. Berlin, Boston 2013 (Frühe Neuzeit 170/2), S. 1062–1088, hier S. 1081.

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tion der magia coelestis vertraut war. Überhaupt findet dieser Begriff in seinem Œuvre nirgends Erwähnung. Allerdings kann Suchtens Kenntnis der Astronomia magna spätestens für das Jahr 1570 als gesichert gelten: Im Austausch mit Toxites, der im Folgejahr die erste Druckausgabe dieser bedeutenden Schrift auf den Weg bringen sollte, war Suchten gewiss bestens über deren Inhalt informiert. Sucht man gezielt nach inhaltlichen und strukturellen Parallelen zwischen der Astronomia magna und De tribus facultatibus, so lautet das Ergebnis: Suchten konzentriert sich in seinem Traktat auf die Frage, worüber der „weisman“ seine Teilhabe an der imago dei realisiert. Tatsächlich wird dies bei Paracelsus nie wirklich deutlich. Der Hohenheimer spricht lediglich davon, dass der Weise imstande sei, über ein Leben nach der „biltnus“ seinen elementischen und gestirnten Leib zu beherrschen und darüber sein Gemüt für das Wirken Gottes zu befreien.468 Suchten hingegen offeriert mit medicina, astronomia und theologia drei Per­zep­tions­modi des göttlichen Angesichts, die auf die Freiheit für und in Gott ­hinführen. An die Stelle der paracelsischen Fokussierung auf die Beherrschung der menschlichen ‚Leiber‘ tritt bei Suchten so das Konzept einer mehrstufigen Verinnerlichung der imago dei. Suchtens magia beschreibt einen Weg, der über eine vieldimensionale Schau der Außenwelt zu einer unmittelbaren, inneren Vergegenwärtigung des göttlichen Bildnisses führt. Indem Suchten die drei magischen ‚Fakultäten‘ zwar einerseits anhand einer modifizierten Signaturenlehre entfaltet, dabei aber jede einzelne von ihnen auf den im Menschen wirkenden Geist Gottes hin auslegt, gewinnt seine magia neben ihrer horizontalen auch eine vertikale Dimension. Der geistige Balsam, die quinta essentia und der calor solis et lunae erweisen sich  – analog zu Erde, Himmel und Empyreum  – als hierarchisch gegliedert. Da der magus auf dieser Grundlage mithin ein ‚empyreisches Bewusstsein‘ besitzt, ist es nur konsequent, dass Suchten ihm zusammen mit Paracelsus übermenschliche Fähigkeiten zuschreibt. Während aber der Hohenheimer in der Astronomia magna ein ganzes Panoptikum von magischen Künsten vorstellt, gibt sich der Danziger bescheidener. Immerhin heißt es von seiner Seite: „[Die Magi] thaten grosse Wunder unter dem Volck/ under andern halffen sie den Krancken/ machten die Blinden sehend/ reinigten die Ausstzigen/ heylten die Wasserschtigen/ gaben den Armen grosse Allmosen.“469 Als würdige Nachfolger Christi, die gleich dem Gottessohn mit allerlei Wunderkräften ausgestattet sind, stehen die magi gewissermaßen ‚zwischen Himmel und Erde‘. Indem sie nicht nur im Licht der Natur wandeln, sondern sich auch auf den Lichtquell, den Geist Gottes einlassen, sind sie, wie aus Hohen-

468 Vgl. Kap. 7.7.3, S. 339, Anm 410. 469 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 367.

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heims Liber de imaginibus sowie aus Suchtens Elegie Quid sit nihil hervorgeht, „mit sehenden augen blint, mit hörenden ohren gehörlos.“470 Der magus ist somit immer auch ein Mystiker. Es bleibt jedoch zu betonen, dass Mystik hier nicht der liebenden Vereinigung mit Gott dient, als vielmehr im Erwerb der schlichten, reinen, gleichsam nichtigen sapientia divina. Als Repräsentanten einer Kunst, die sich darauf richtet, den Herrn kraft des Lichts der Natur „in seinem Geschpf“ zu finden, sind die magi allerdings auch der kreatürlichen Außenwelt zugewandt; und dies nicht nur als Heiler, Zeichendeuter und Exegeten des verschlüsselten Schriftsinns. Sie sind auch alchemisch tätig, und dies umso mehr, als sie kraft ihrer Erleuchtung durch den Geist des Herrn als einzige in der Lage sind, den lapis philosophorum zu zeugen. Dieser ist in einem Atemzug zu nennen mit solch wunderbaren Produkten wie dem Balsam, der quinta essentia und dem „Goldglantz“,471 die sich als Behältnisse des göttlichen Geistes behaupten. Sie repräsentieren diejenigen Geschöpfe, in denen der „Herr“ am unmittelbarsten aufzufinden ist. Angesichts der praktischen Implikationen von Suchtens Magie-Begriff wird deutlich, dass es sich bei dem Raptus, der dem urzeitlichen Adamssohn dereinst zuteilwurde, mitnichten um ein magisches Phänomen, sondern um einen einmaligen, göttlichen ­Gnadenakt handelte. Zwar kann niemand ein magus werden, den der Allmächtige nicht dazu erwählt hat; doch ist die magia eine ‚Kunst‘, die erlernt und eingeübt werden muss. Die Funktion des Exklusivitätsanspruchs der hocherleuchteten Gemeinde der magi erscheint somit in einem neuen Licht: Indem nachfolgende Adepten sich der paracelsischen Lehre mit sichtbarem Erfolg der teils hermeneutischen, teils alchemisch-medizinischen Kunst der magia befleißigten, durften sie sich rückwirkend als gotterwählt betrachten. Die Heiligkeit dieser „Magi der Morgenröte“ besitzt für Suchten so große Bedeutung,472 dass er deren Schöpfungswissen am Ende des Traktats mit der Weisheit eines Paulus und eines Dionysius Areopagita gleichsetzt. Dabei stellt er sich dem möglichen Einwand, dass die magia, obwohl sie doch das menschliche Heil betrifft, in der Bibel keine Erwähnung findet: „Ob es nicht im Evangelio stehe/ oder im Paulo, uns derhalben Paulus nicht mehr gelehrt hab/ oder gethan/ als seine Episteln außweisen. Daß sie aber von diesem nicht geschrieben haben/ darumb soll es nicht seyn?“473 Das Fehlen einer soliden Überlieferung der magischen Lehre schließt seiner Überzeugung nach die Realexistenz der magia nicht aus. Immerhin räumt Suchten ein, das auch er nicht wisse, weshalb alle bisheri470 Vgl. Kap. 7.7.3, S. 341, Anm. 418. 471 Vgl. Kap. 4.5, S. 141  f. 472 Vgl. Kap. 5.8, S. 196, Anm. 245. 473 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 367.

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gen Adepten der magia es nicht für nötig befunden haben, ihr Wissen mit der Welt zu teilen: „Warumb aber/ daß es nicht vonnthen war/ werde ich so wenig sagen/ als die gesagt haben/ die vor mir gewesen.“474 Dafür aber gibt Suchten über die frühe Tradierung des magischen Wissens Auskunft: Wir wissen/ daß es dem heyligen Paulo/ wie einem Schrifftgelehrten und vielbelesenen Juden/ da er die Christen verfolgete/ von etlichen Jngern/ dieses so ich allhier anzeige/ vertrauet wurde/ dardurch er nachmals in die Erkntnis Gottes kam/ da ihm doch zuvor kein Mensch die Menschwerdung Christi konte einreden. Deßgleichen wissen wir auch/ daß zu Areopago dem hochgelehrten Dionysio, von dem H. Paulo solch Geheimnis geoffenbahret ward/ welchem er/ sobald ers gemerckt/ nachtrachtet mit all seinem Vermgen/ biß ers bekam und ein Christ wrd und ein Apostel der Frantzosen.475

Dass Suchten hier Paulus und Dionysius als Neubegründer der magischen Weisheitslehre ausmacht, kommt freilich nicht von ungefähr: Nach dem Aussterben der urzeitlichen magi wiederholt sich mit dem Raptus, von dem Paulus im Zweiten Korintherbrief (12,2–4) berichtet, die vormosaische Entrückung des gottbegnadeten Adamssohns. Vor dem Hintergrund, dass Paulus hierbei nach eigener Aussage in die unaussprechlichen Geheimnisse des Allmächtigen eingeweiht wurde, ließ sich sein Schüler, der Heilige Dionysius vom Areopag (Apg 17,34), als Zeuge aufrufen, wenn es darum ging, das Corpus Dionysiacum als eine Vermittlungsinstanz der arcana verba Gottes zu interpretieren. Diese Deutung lag nahe, zumal der vermeintliche Dionysius in Übereinstimmung mit der von Paulus bekundeten Unsagbarkeit der göttlichen Worte eine apophatische Theologie lehrte.476 Suchten macht als Theoretiker eines genuin mystisch grundgelegten Magiekonzepts und als Verfechter einer „Medicina muta“ aus seiner Bewunderung des Areopagiten keinen Hehl. In einem Brief an Herzog Albrecht heißt es, „das nach den aposteln vnd dem hailigen Hieronymo vnd Dionisio keiner von der gehaimnus der theologiä grundtlicher geschrieben [habe]“ als der „doctor und prediger“ Paracelsus.477 Tatsächlich geht auch der Hohenheimer an mehreren Stellen seines theologischen Werks auf den Areopagiten ein. So etwa in seinem Liber de re templi ecclesiastica, in welchem er den Gläubigen dazu anhält, dem „leiden Christi und seinen fueßstapfen nachzefolgen und nit der kirchen. Dann also hont nachgefolgt […] sant Paulus, sant Dionysius etc. und ander mehr.“478 Indem sich Paracelsus und seine Nachfolger auf Dionysius berufen, beabsichtigen sie eine Einschwö-

474 Ebd., S. 381. 475 Ebd. 476 Vgl. stellvertretend Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 1, bes. S. 22. 477 Zitiert nach Kühlmann, Telle: Nr. 31. In: CP 1, S. 553. 478 Paracelsus: Liber de re templi ecclesiastica. In: Theol. Werke. Bd. 1. NPE, S. 362.

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rung auf den neuplatonisch-mystischen Diskurs und somit immer auch eine Distanzierung ihres Naturwissens von der aristotelischen Philosophie. Die Wirkungsgeschichte des Areopagiten ist in der Frühen Neuzeit untrennbar mit Ficino und Cusanus verbunden.479 In ihren Schriften erscheint der Heilige Dionysius als Garant dafür, dass die in paganer Tradition wurzelnde neuplatonische Philosophie mit dem Christentum vereinbar ist, ja sogar Einsicht in letzte Glaubenswahrheiten gewährt.480 Mit dem Beginn der Reformationszeit aber stellte sich mit Nachdruck die Frage nach der Echtheit der unter dem Namen des Heiligen Dionysius überlieferten Theologie – und somit indirekt die Frage nach deren Kanonisierung. Zweifel an der Authentizität des Verfassers hatte es bereits im sechsten  Jahrhundert gegeben. Mit der Formierung der protestantischen Gelehrsamkeit aber fiel die philologische Kritik an Dionysius, begünstigt durch die allgemeine Ablehnung der Heiligenverehrung, zunehmend rigoros aus. Indem humanistisch gebildete Theologen wie Erasmus von Rotterdam und Flacius Illyricus die Echtheitsfrage negativ beantworteten, bestritten sie zugleich, dass sich im Werk des Areopagiten, wie von der Alten Kirche behauptet, das göttliche Wort Gehör verschaffe.481 Tatsächlich hatten die protestantischen Gelehrten allen Grund, der dionysischen Lehre kritisch gegenüberzustehen, da diese doch die hierarchische Struktur der Papstkirche bekräftigte. Hinzukam, dass sich zahlreiche als ‚Schwärmer‘ und ‚Enthusiasten‘ verschriene Laientheologen zu der von Dionysius begründeten mystischen Tradition bekannten. Dementsprechend vernichtend fiel das Urteil aus, das Luther über die Lehre des Areopagiten fällte: In seiner Theologia mystica aber, die einige Theologen über den grünen Klee loben, leitet er sogar vom rechten Weg ab, indem er mehr ‚platonisiert‘, als dass er der Lehre Christi folgt, sodass ich keinen Grund sehe, weshalb sich ein gläubiger Mensch auch nur im Geringsten mit diesen Büchern beschäftigen sollte. Über Christus wird man dort so wenig lernen, dass man ihn, wenn man ihn auch zuvor kannte, verlieren würde. Ich spreche aus Erfahrung. Wir wollen uns lieber Paulus zuwenden, damit er uns über Christus, und zwar als Gekreuzigten, unterrichte. Denn hier ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, hier ist die Himmelsleiter, über die man zum Vater gelangt, wenn es heißt: ‚Niemand kommt zum Vater außer durch mich.‘482

479 Vgl. Thomas Leinkauf: Philologie, Mystik, Metaphysik. Aspekte der Rezeption des Dionysius Areopagita in der Frühen Neuzeit. In: Denys l’Aréopagite et sa postérité en Orient et Occident. Paris 1997, S. 583–609, hier S. 597 u. 608. 480 Ebd., S. 585  f. 481 Ebd. 482 Martin Luther: De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (1520). In: WA 6, S. 562,8–14: „In ‚Theologia‘ vero ‚mystica‘, quam sic inflant ignorantissimi quidam Theologiastae, etiam per-

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Luthers Aversion gegenüber dem dionysischen Schrifttum gründet sich auf die darin vermittelte, mystische Christologie,483 von der Spiritualisten wie Kaspar Schwenckfeld, Sebastian Franck, Andreas Karlstadt, Paracelsus und Valentin Weigel direkt oder indirekt beeinflusst waren.484 In der Tat konzentriert sich die theologische Lehre des Areopagiten nicht auf die menschliche, sondern auf die geistige Natur Christi, die sich dem Gläubigen in Gestalt des ‚inneren Worts‘ auf unmittelbare Weise mitzuteilen vermochte. Das ‚äußere Wort‘ und der damit beglaubigte Kreuzestod des Heilands traten somit hinter einer innerlichen Erfahrung der geistigen Natur Christi zurück. Auch wenn der ‚leidende Gott‘ in der Theologia Deutsch und in den Predigten Taulers durchaus präsent ist,485 war die jeweils darin vermittelte Vision einer Offenbarung Gottes im Seeleninnersten mit Luthers späterer Glaubenslehre nicht mehr vereinbar. Dass sich der Wittenberger in jungen Jahren auch mit Dionysius auseinandersetzte, bestätigt neben seiner Aussage „Expertus loquor“ („ich spreche aus Erfahrung“) sein Sentenzenkommentar (1509–1521), der einen Verweis auf De coelesti hierarchia enthält.486 Zumindest dieses Buch scheint er anfangs mit Wohlwollen rezipiert zu haben. Dies geht aus seiner Jesaja-Auslegung hervor, in der er – allerdings ohne direkte Erwähnung des Areopagiten – erklärt: „Auch ich bin hier einst zur Schule gegangen, doch obwohl ich mich dort unter den Chören der Engel glaubte, habe ich mich doch eher unter Teufeln aufgehalten.“487 Bei der Beschäftigung mit De coelesti hierarchia konnte Luther wahrscheinlich auf die reich kommentierte Dionysius-Gesamtausgabe von 1503 zurückgreifen, die zum Teil noch auf dem von Eriugena erstellten Corpus Dionysiacum basierte, aber auch nitiosissimus est, plus platonisans quam Christianisans, ita ut nollem fidelem animum his libris operam dare vel minimam. Christum ibi adeo non disces, ut, si etiam scias, amittas. Expertus loquor. Paulum potius audiamus, ut Iesum Christum et hunc crucifixum discamus. Haec est enim via, vita et veritas: haec scala, per quem venitur ad patrem, sicut dicit ‚Nemo venit ad patrem nisi per me.‘“ (Übers. S. B.). 483 Zu Luthers kritischer Auseinandersetzung mit Dionysius vgl. Sven Grosse: Wendepunkte der Mystik. Bernhard – Seuse – Luther. In: Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European Church-History. Festschrift für Berndt Hamm zum 60. Geburtstag. Hg. von Gudrun Litz, Heidrun Munzert u. Roland Liebenberg. Leiden 2005, S. 281–295, hier 291  ff.; ferner Leppin: Luthers mystischen Wurzeln, S. 165  f. 484 Vgl. Wels: Unmittelbare Offenbarung in der Theologie in der Frühen Neuzeit, S. 760  ff. (zu Schwenckfeld), S.  766–772 (zu Paracelsus u. dem Paracelsismus); ders.: Manifestationen des Geistes, S. 25–28 u. 131–144. 485 Vgl. Wegener: Der Frankfurter, S. 348–383; Gnädinger: Johannes Tauler, S. 94  f. u. 188. 486 Vgl. Martin Luther: Randbemerkungen (1509/21). In: WA 9, S. 63,6–7. 487 Martin Luther: Enarratio capitis noni Esaiae (1546). In: WA 40/III, S. 657,335: „Nam fui et ego in ista schola, ubi putavi me esse inter choros Angelorum, cumtamen inter Diabolos potius sim versatus.“ (Übers. S. B.).

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zwei Übersetzungen aus der Feder Ficinos enthielt.488 Vielleicht lag Luther aber auch die ältere, 1498 unter dem Titel Theologia vivificans erschienene Ausgabe vor, die 1502 und 1515 wieder aufgelegt wurde.489 Für Suchten kann zumindest das Buch De ecclestica hierarchia als bekannt vorausgesetzt werden, da er dieses in De tribus facultatibus erwähnt: „Also redet die Ecclesiastica Hierarchia, Seelig ist/ der ihr Sprach verstehet.“490 Zu Suchtens Zeiten herrschte an Überlieferungen von De ecclesiastica hierarchia kein Mangel, zumal die Gesamtausgabe im Zeitraum von 1503 bis 1564/5, dem vermutlichen Entstehungszeitpunkt von De tribus facultatibus, noch dreimal (1536, 1546, 1556) publiziert wurde.491 Außerdem erschienen  – vor allem in Paris, Venedig und Löwen – mehrere kleine Editionen, in denen diese dionysische Schrift enthalten war.492 Auch wenn Suchtens Erwähnung von De ecclesiastica hierarchia knapp ausfällt, so weitet sie doch den Blick auf seinen Magie-Begriff. Die Textstellen, auf die sich der Danziger hierbei insgeheim bezieht, lassen sich angesichts ihrer inhaltlichen Nähe zu den Ausführungen in De tribus facultatibus unschwer ausmachen. Sie befinden sich allesamt in der Vorrede von De ecclesiastica hierar­ chia,493 in der Dionysius seinen Mit-Presbyter Timotheus, dem das Buch gewidmet ist, über das Wesen der kosmischen Hierarchie unterrichtet: Es ist zu erwähnen, dass die höheren Seinsformen und Ränge, von denen ich eben ehrwürdige Kunde gegeben habe, unkörperlich sind und ihre Hierarchie geistig und überweltlich ist. Unser Herrschaftsbereich aber, der sich zu diesen Höhen genau auf entgegengesetzte Weise verhält, erscheint uns in einer bunten Vielfalt sichtbarer Zeichen. Diese sind dazu da, uns auf hochheilige Weise  – gemäß unseres jeweiligen Erkenntnisvermögens  – innerlich nach der Einheit des göttlichen Bildes zu formen und uns schließlich zu Gott selbst und zu seiner himmlischen Tugend emporzuführen.494

488 Vgl. Dionysius Areopagita: Opera […]. Veteris et novae translationis etiam novissimae ipsius Marsilij Ficini cum commentarijs Hugonis, Alberti, Thomae, Ambrosij oratoris Linconiensis et Vercellensis […]. Georg Husner, Straßburg 1503; Ficinos Tätigkeit als Dionysius-Übersetzer beschränkte sich auf De divinis nominibus und De mystica theologia. 489 Einen Überblick über die im 16. Jh. verfügbaren Ausgaben von De coelesti hierarchia gibt Philippe Chevallier in Dionysiaca. Receuil donnant l’ensemble des traductions latines des ouverages attribués au Denys de l’Areopage et synopse marquant la valeur de citations presque innombrables. Bd. 1. Faksimile-Ndr. der Ausg. Brügge 1937, S. XXIII–XXVI. 490 Chymische Schrifften. De tribus facultatibus, S. 373. 491 Vgl. Dionysiaca, S. XXIV, XXVIII, XXXI. 492 Vgl. ebd., S. XXIV–XL. 493 Zu De ecclesiastica hierarchia s. Friedemann Drews: Methexis, Rationalität und Mystik in der Kirchlichen Hierarchie des Dionysius Areopagita. Berlin 2011 (Aktuelle Antike Beiträge zur Literatur der Griechen u. Römer 5). 494 [Ps.]Dionysius Areopagita: De ecclesiastica hierarchia. In: Opera omnia quae exstant, et

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Es kommen hier zwei Hierarchien zur Sprache, von denen die eine dem Bereich der Transzendenz, die andere dem Bereich der Immanenz angehört. Die beiden Hierarchien verhalten sich so zueinander, dass die eine als das Sinnbild der anderen fungiert: Es ist von sinnlich fassbaren Zeichen die Rede, die denjenigen, der sie im Rahmen seines Erkenntnisvermögens zu deuten weiß, auf dem Pfad körperloser Seinsstufen zu einer „Gottwerdung nach Art des Einen“ führen. Mit anderen Worten: Eine hierarchisch angeordnete Abfolge von signa weist dem Gottsuchenden auf der Ebene der jeweiligen signata einen Weg, auf dem er stufenweise zu einer inneren Vervollkommnung gelangt. Übertragen auf Suchtens Traktat bedeutet dies, dass eine ‚magische‘ Auslegung der äußeren Zeichen von Pflanzen, Himmelskörpern und des Kirchendekors mit einer fortschreitenden Selbstverständigung einhergeht, die über die Erkenntnis eines inneren Pflanzenreichs und eines inneren Sternenhimmels zu einer Vereinigung mit dem göttlichen Geist – beziehungsweise mit der göttlichen imago – führt. Die Hierarchie der drei Fakultäten von medicina, astronomia und theologia schreibt hierbei einen mystischen Stufenweg vor. Die menschlichen Sinne sind in einem derartigen Maße der bunten Vielfalt des Diesseits unterworfen, dass der Gottsuchende nur über diese selbst in sein geistiges Inneres und somit über den irdischen Bereich hinaus zu gelangen vermag. Allein die körperlosen Engel sind imstande, sich ohne einen solchen Behelf mit Gott zu verbinden. Die Menschen aber werden durch sinnlich wahrnehmbare Bilder, soweit wie möglich, in die Höhen der göttlichen Einsicht geführt. Um die Wahrheit zu sagen, ist es freilich das Eine, wonach alle vom göttlichen Wesen erfüllten Menschen streben. Dennoch haben nicht alle an diesem allumfassenden Einen und Selben auf gleiche Weise Anteil, sondern je nachdem, wie die Waage des göttlichen Gerichtes einem jeden sein Los gemäß seiner Würdigkeit zuteilt.495

Es ist also, in Übereinstimmung mit Suchtens Traktat, nur bestimmten Auserwählten vergönnt, durch Auslegung des Bilderreichtums der äußeren Schöpfung mit dem Allmächtigen vollkommen eins zu werden. Die ‚gemeinen Leute‘ commentarii quibus illustrantur. Komm. Balthasar Cordier. Hg. von Jacques-Paul Migne. Patro­ logia Latina 3. Turnhout 1983, Sp. 369–585, hier Sp. 374 (§ 155 A/B): „Caeterum sublimiores istae naturae ordinesque, quarum venerandam, supra feci mentionem, et incorporeae sunt, et spiritalis ac supermundialis sacer illarum magistratus existit; nostrum vero cernimus, diversa ab ipsis ratione, sensibilium varietate signorum multiplicari, quibus sacrosancte ad uniformem deiformitatem pro captu nostro, et ad Deum divinamque virtutem promovemur.“ (Übers. S. B.). 495 [Ps.]Dionysius Areopagita: De ecclesiastica hierarchia. Sp.  374 (§  155 B): „[…] nos vero a sensu perceptis imaginibus ad divinas, quantum possumus, contemplationes sublevamur. Et ut vere dicam, unum quidem est, quod omnes, qui deiformes sunt, appetunt, ejus tamen, quod omnino unum atque ídem est, non unimode participes existunt, sed prout cuilibet pro merito sortem divina trutina distribuit.“ (Übers. S. B.).

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 Suchtens Magie

sind von einer Erfahrung ihres geistigen Urgrunds ausgeschlossen. Es wäre nicht nur sinnlos, sondern auch ein Verstoß gegen Gottes Gebot, ihnen den geheimen Pfad zur geistigen Erleuchtung zu offenbaren: Aber sieh zu, dass du das Alleiheiligste nicht vor aller Augen offenlegst und vielmehr die Geheimnisse Gottes in Ehren hältst […], indem du den Uneingeweihten den Zutritt zu ihnen verwehrst und sie somit in ihrer Reinheit bewahrst, wohingegen du allein den Heiligen solche ehrwürdigen Dinge, gemäß dem göttlichen Gebot, im Licht der Heiligkeit mitteilst.496

Der Gotterwählte ist, wie Dionysius darlegt, ein Heiliger. Vielleicht bildet dies den Hintergrund für die paracelsische Vision des magus sanctus.497 Doch die dionysischen Heiligen stimmen noch in weiterer Hinsicht mit den magi überein: Sie gehören einer Gemeinschaft an, die bereits in mythischer Vorzeit bestand. Und wie die magi strebten sie danach, ihr Geheimwissen nicht nur schriftlich, sondern auch anhand von Analogien zu fixieren: Notgedrungen also haben die ersten Lehrer unserer Hierarchie […] mit sinnlichen Bildern das Übersinnliche, mit den Kategorien von Vielzahl und Mannigfaltigkeit das Unentfaltete, mit menschlichen Kategorien das Göttliche, mit körperlichen Kategorien das Unkörperliche und mit gemeinen Mitteln das Unfassbare sowohl in schriftlichen als auch in ungeschriebenen Satzungen auf hochheilige, sinnreiche Weise überliefert. Und dies taten sie nicht nur der Uneingeweihten wegen, die nicht einmal mit den Zeichen in Berührung kommen dürfen, sondern auch, weil unsere Hierarchisierungen verglichen mit anderen, wie ich bereits sagte, rein symbolisch zu verstehen sind. Sie bedienen sich sinnlich wahrnehmbarer Zeichen, um uns von diesen selbst fort und in die höher befindliche Sphäre des Intelligiblen zu führen. Der Priesterschaft sind die Bedeutungen der Zeichen allesamt offenbar, wenngleich diese auch ihren Schülern noch nicht enthüllt werden dürfen […]. 498

Wie im Falle der magia kann das Geheimwissen der Erwählten angesichts der Analogie, die zwischen den hierarchisch angeordneten Hypostasen des mensch-

496 Ebd., Sp. 371 (§ 154 A): „Sed vide, ne explodas Sancta sancorum, quin potius arcana Dei revereberis […], inaccessa quidem profanis illa et intacta reseverando, solis vero sanctis cum sacra quadam, uti fas est, claritate res sacras comunicando.“ (Übers. S. B.). 497 Vgl. Kap. 7.7.1, S. 324, Anm. 356. 498 [Ps.]Dionysius Areopagita: De ecclesiastica hierarchia. Sp. 375–377 (§ 375 C/D): „Necessario igitur primi sacri ordinis nostri moderatores […], sensibilibus figuris supercoelestia, et quod unitate collectum est varia cum distinctione tum multitudine, nec non in humanis divina, et in materiis immateriata, atque in nostratibus rebus supersubstantialia, qua scriptis qua non scriptis institutionibus, in sacratissimis oraculis nobis tradiderunt: nec id propter profanos tantum, quibus vel ipsa signa tangere nefas sit, sed quod noster, ut dixi, sacra ordinandi ritus, cum illorum comparatur, symbolicus exstat, sensibilibus signis opus habens, ad diviniorem nostri ex illis ad intelligibilia sublimationem. Attamen manifestae simul sunt sacerdotalibus signorum rationes, quas sacrorum etiamdum candidatis explanare nefas […].“ (Übers. S. B.).

Die himmlische Magie 

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lichen Geistes und der zeichenhaften Außenwelt besteht, geschöpflich encodiert werden. In der Folge sind all jene, die von Gottes Gnade ausgenommen sind, außerstande, die kreatürlichen signa als solche zu erkennen, geschweige denn, diese mit den geistigen signata in Korrelation zu setzen. Der ‚gemeine Mann‘ scheitert daran, die Zeichen der Natur auf den inneren Menschen hin auszulegen, da sie ihm bereits als das jeweils Bezeichnete gelten. Folglich ist es ihm versagt, die sinnliche erfahrbare Sphäre der Außenwelt auf das Geistige und schließlich auf Gott hin zu transzendieren. In Anbetracht dieser konzeptionellen Übereinstimmungen zwischen der Vorrede von De ecclesiastica hierarchia und De tribus facultatibus ist kaum ein Zweifel möglich, dass Suchten bei der Entfaltung seiner magia den von Dionysius konzipierten Stufenweg vor Augen hatte. Dabei hielt er es offenbar nicht für nötig, eigens auf die hierarchische Anordnung von innerer und äußerer Welt hinzuweisen. Umso stärker hebt Oswald Croll, seinerseits ein eifriger Rezipient Suchtens, die mystische Funktion der geschöpflichen Hierarchie in seiner Erinnerungsvorrede hervor, und zwar ebenfalls mit deutlichem Bezug auf De ecclesiastica hie­ rarchia: „Dionysius aber sagt/ wir knnen Gott nicht auß seiner Natur/ sondern auß aller Creaturen ordentlichen Disposition/ in deren er sie erschaffen/ vnd welche die Bildnussen vnnd Gleichheiten seiner Gttlichen Exemplar vorstellen/ am allerbesten erkennen.“499 Hierzu sei jedoch nur derjenige in der Lage, der das Licht der Natur besitze. Selbiges bestimmt Croll nämlich als „ein Gttliche Analogia, oder Vergleichung dieser sichtbaren Welt mit der kleinen.“500 Indem sich der Mikrokosmos an der zeichenhaften Oberfläche des Makrokosmos auf sein geistiges Inneres hin spiegle, werde er sich seiner Gottebenbildlichkeit bewusst. Gott selbst aber sei der Archetyp und die prima causa aller Dinge: „Das erste Ebenbild Gottes ist die Welt/ das Ebenbild der Welt ist der Mensch/ die Thier deß Menschen/ der Thier die Zoophyta: Derselben die Gewchs/ der Gewchs die Metall vnd derselbigen die Steine.“501 Hiermit macht sich Croll die Metapher der ‚Goldenen Kette‘ (catena aurea) zu eigen,502 die angesichts ihrer Bedeutung für die paracelsistische Naturphilosophie

499 Croll: Basilica Chymica, S. 26. 500 Ebd., S. 11  f. 501 Ebd., S. 29. 502 Zur Metapher der catena aurea s. Geyer: Verborgene Weisheit. Tl. 3, S. 33–43; Friedrich Ohly: Zur Goldenen Kette Homers. In: Ausgewählte und neue Schriften zur Literaturgeschichte und Bedeutungsforschung. Hg. von Uwe Ruberg u. Dietmar Peil. Stuttgart 1995, S. 599–678; Wolfgang Fauth: Catena Aurea. Zu den Bedeutungsvarianten eines kosmischen Sinnbildes. In: Archiv für Kunstgeschichte 56, Heft 2 (1974), S. 270–295.

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 Suchtens Magie

bereits zuvor lobende Erwähnung findet.503 Es handelt sich hierbei um eine auf Homer zurückgehende und besonders in der hermetischen und platonischen Tradition viel rezipierte Denkfigur, die mit dem Motiv der Jakobsleiter verwandt ist. Dionysius verwendet sie in De divinis nominibus.504 Die ‚Goldene Kette‘ illustriert die neuplatonische Vorstellung, dass Gottes schöpferische und anziehende Kraft vermittels ihrer emanativen Ausdehnung bis hin zu den untersten, von toter Materie erfüllten Winkeln des Kosmos hinabreicht. Hierzu lassen sich, nicht zuletzt hinsichtlich des christlichen imago-Diskurses, motivische Parallelen in der Heiligen Schrift auffinden.505 In beiden Fällen ist es Gott selbst, der die hierarchisch geordneten Räume der Natur miteinander ‚verkettet‘, indem er ihnen den Charakter von Ähnlichkeit verleiht: Welt, Mensch, Tier, Gewächs und Mineral stimmen darin überein, dass sie ihr Dasein aus der Tatsache empfangen, dass sie als entia am göttlichen Urbild, dem Sein schlechthin (esse), partizipieren. Der Schöpfer gab die ihm wesenseigne Perfektion an sein erstes Geschöpf, den Makrokosmos, weiter. Dieser übertrug seine Gottähnlichkeit auf den Mikrokosmos, der seinerseits

503 Vgl. Croll: Basilica chymica, S. 15: „Dieses ist die offt vnd weitbermbte gldene Kette/ die sichtbahre vnd vnsichtbahre Gesellschafft der Natur/ die ehliche Vermhlung deß Himmels oder Firmaments vnnd aller Reichthumb/ deß Platonis Ringe/ die in den aller heymlichsten Winckeln der Natur verborgene Philosophia, vmb deren willen/ solche zu erlernen/ wie wir wissen Democritus, Pythagoras, Plato vnd Apollonius zu den Drachmannis [= Brachmannis?] vnd Gymnosophisten vnd in gleichem auch in Egypten zu deß Hermetis Sulen gereyset.“ 504 [Ps.]Dionysius Areopagita: Die Namen Gottes. Eingeleitet, übers.  u. mit Anm. versehen von Beate Regina Suchla (Bibliothek der griechischen Literatur 26), S. 39 (680, 20 C): „Wir wollen uns also mit unseren Gebeten im höheren Aufschauen zu den göttlichen und gütigen Strahlen erheben, gleichsam als ob wir scheinbar, wenn eine lichtreiche Kette an der Höhe des Himmels hängen, aber bis hierher reichen würde, und wir diese immer mit abwechselnden Händen weiter hinauf faßten, diese herabzögen, in Wirklichkeit aber jene nicht herunterzögen, da sie sich ja oben und unten befindet, sondern wir selbst uns zu dem höheren Glanz der lichtreichen Strahlen emporhöben.“ 505 Vgl. z.  B. Arndt: Vom wahren Christentum IV, Kap. 4, S. 112  f.: „Vnd hanget die gantze Natur an einander als an einer Ketten/ wie solche auream catenam Naturae, & Providentiae divinae der Prophet Oseas beschreibet [Hos 2,23–24]: Ich will den Himmel erhren/ spricht der HErr/ vnnd der Himmel soll die Erde erhren. Vnd die Erde sol Korn/ Most/ vnd Oel erhren.“ Vgl. auch Buch I, Kap. 37, S. 396  f.: „Also je weiter das edle Leben Christi von vns ist/ je mehr die Snde vnd Finsternis in vns wechst/ biß ein Mensch in die ewige Finsternis gereht: Hinwiderumb wer durch Gottes Gnade an einer Tugend anfeht/ der wechst vnd nimpt zu in derselbigen/ denn sie hangen alle aneinander/ wie S. Pet. in der 1 am 2. eine feine gldene Ketten machet/ da Er spricht [2 Petr 1,5–7]: Das wir vben sollen den Glauben/ vnnd in dem Glauben Tugend/ vnnd in der Tugend Bescheidenheit/ vnnd in der Bescheidenheit Mssigkeit/ vnd in der Mssigkeit Gedult/ vnd in der Gedult Gottseligkeit/ vnd in der Gottseligkeit brderliche Liebe/ vnd in der brderlichen Liebe gemeine Liebe.“ Vgl. ferner Vom wahren Christentum IV, Kap. 3, S. 52.

Die himmlische Magie 

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der Herr über alle animalia, vegetabilia und mineralia ist.506 Indem sich nun jeweils das eine am anderen spiegelt, lässt sich Gottes Wesen in allen Dingen erkennen. Damit offenbart sich die Schöpfung nicht nur auf universaler, sondern auch auf partikularer Ebene als eine Vermittlungsinstanz des göttlichen Urbilds. Der Verdienst der magi bestand in diesem Kontext vor allem darin, dass sie bestimmten Dingen – nämlich Pflanzen, Himmelskörpern und sakralen Gegenständen – überdies einen spezifisch anthropologischen Sinn beigaben, welcher die hierarchisch strukturierten Sphären von innerer Pflanzenwelt, innerem Himmel und göttlichem Geist selbst betrifft. Die ‚Bücher‘ der magia sind demnach im Unterschied zu den dicken Folianten der Universitätsgelehrten allen Menschen frei zugängig. Dass Christen, wie Suchten erklärt, für die Botschaft der magia empfänglicher seien als heidnische Völker, mag daran liegen, dass sie als einzige über das ‚magische‘ Buch des Neuen Testaments verfügen. Die dumpfen Schultheologen aber hätten solcher Magischen und Apostolischen Satzung viel verworffen/ solten sich sanffter in ein Finger gebissen haben/ und die Ding besser betrachtet haben. Es war nicht damit genug/ daß sie verstunden/ solche Ding hulffen nit zur Seeligkeit/ solten darneben den Ursachen/ warumb sie da wren/ seyn nachgangen: Aber da es in ihrem Verstand nit einwolt/ da wurffen sie es zur Thr hinaus/ gedachten lang nicht/ daß es Magische Bcher waren/ die uns so viel/ ja auch besser lehreten/ dann die geschriebene Bcher/ zuverstehen das Geheimniß Gottes. Solche Magische Bcher sind von Anfang der Welt in der Kirchen/ ligen nicht in Truhen/ stehen offenbahr fr jedermann/ seynd bei Juden und Heyden/ Trcken und Tartern; Aber bei den Christen am meisten/ seynd Armen und Reichen gleich da/ Gelehrten und Ungelehrten; Schreien alle Tag und lehren uns den Weg zur Wahrheit! Aber wer hret sie? Haben wir nicht Ohren/ was schreyen sie aber?507

Das „Schreien“ der magischen Bücher kehrt in Johann Arndts viertem Buch vom wahren Christentum wieder, wobei Arndt die Offenbarungsfunktion der äußeren Natur, ganz im Sinne Suchtens, mit einer hierarchisch gegliederten Verkettung der Kreaturen in Verbindung bringt: Sintemal allwege der geringen dinge der Natur/ in edlers vnd bessers verwandelt werden/ denn die Elementa als da sein/ Erde/ Wasser/ Lufft/ werden in Kruter und Bume verwandelt/ die Kruter aber in die Natur der Thiere/ die Thier aber in Menschen Fleisch vnd Blut/ also sol unser wille in vnserer Liebe in Gott verwandelt werden/ sonst were es wieder [sic] die gantze Natur/ darumb schreyet und rufft die gantze Natur das Gott/ das erste vnnd beste vnd Edelste sey/ das von vns sol geliebet werden/ weil er besser ist denn alle Creaturen.508

506 Vgl. Kap. 5.2, S. 137  f., Anm. 43. 507 Chymische schrifften. De tribus facultatibus, S. 371  f. 508 Arndt: Vom wahren Christentum IV, Kap. 4, S. 295  f.

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 Suchtens Magie

Indem Arndt den hier dargelegten Stufenweg bei den außenweltlichen „Elementa“ beginnen lässt und diesen im Fortgang der einzelnen ‚Verwandlungen‘ in das menschliche Innere hinein lenkt, schafft er Raum für theoalchemische Spekulationen, wie sie in De tribus facultatibus anzutreffen sind. Die Scheidung des grobstofflichen Eisensalzes in die hierarchisch strukturierte Trias von Adamserde, Merkurialwasser und – an höchster und letzter Stelle – göttlichem Geist korreliert mit einem inneren Aufstieg des Adepten; angefangen bei seiner Läuterung von aller stofflichen Verunreinigung, gefolgt von einer Transzendierung von Erde und Himmel hin zu einer, durch den Geist gestifteten und durch Gottes Gnade eingelösten, mystischen Vereinigung mit Christus. Hierdurch erhält er ein – abermals im Sinne einer ‚goldenen Kette‘ gegliedertes – Schöpfungswissen, genannt magia, das ihn dauerhaft in der Einheit mit dem göttlichen Geist erhält. Die catena aurea sollte als Denkfigur auch außerhalb des paracelsistischen Spiritualismus noch lange Zeit von Bedeutung bleiben. Athanasius Kircher (1602–1680) beschrieb sie in seinem naturphilosophischen Werk Magnes, sive de arte magnetica (1641) als eine ‚magnetische Kette‘.509 Die unsichtbare, gleichsam ‚geistige‘ Anziehungskraft von Magneten galt in der Frühen Neuzeit als ein Grenz­ phänomen, das sowohl für physikalische als auch spiritualistische Interpretationen Spielraum bot.510 Aus Sicht der Paracelsisten lag hierbei freilich die letztere Lesart näher, zumal bekanntlich schon Hohenheim die magische Kraft der imagi­ natio im Rückgriff auf die Magnet-Metaphorik interpretiert hatte. Sofern man das Phänomen des Magnetismus als einen Ausdruck oder auch nur als Sinnbild des aktiven Geistes deutet, lässt sich Bild der catena magnetica auch auf Suchtens Magie-Konzept anwenden. Demnach ist Gott der stärkste Magnet, der über seine vis attractiva alles Geschöpfliche auf unwiderstehliche Weise anzieht.511 Denkt man dieses Gleichnis weiter, so offenbart sich die metallene Kette, die, verbunden mit dem göttlichen Magneten, vom Empyreum ausgeht und mit ihrem unteren Ende die terrestrische Welt berührt, ihrerseits als magnetisch: Sie ist von der unsichtbaren Kraft des göttlichen Geistes durchströmt, der sich somit im ganzen Kosmos verwirklicht und in den drei miteinander verbundenen ‚Kettengliedern‘ von terra adamica, quinta essentia und calor auf je individuelle Weise präsent ist. Der Geist neigt sich hierbei nicht nur hinab in die Tiefe, indem er noch dem

509 Vgl. Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 2, S. 321; Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602–1680). Berlin 2012, S. 329  f., 334 u. 339; ferner Heinz Schott: Natur und Menschenbild des Paracelsus, S. 11  ff. 510 Schmidt-Biggemann: Geschichte der christlichen Kabbala. Bd. 2, S. 321. 511 Vgl. Thomas Leinkauf: Mundus combinatus, S. 329  ff.

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unteren Ende der Kette seine magnetische Kraft verleiht; er strebt auch in die Höhe – dem alles an sich ziehenden Magneten entgegen. Der Geist wirkt somit in beide Richtungen zugleich: Er ist einerseits das Wort fiat lux und somit eine Verkörperung des Gottessohns, über die sich der Schöpfer in den Menschen einbildet, andererseits ist er der spiritus sanctus, der wieder in die Einheit mit dem Vater zurückkehrt. Im ersten Fall offenbart sich der Geist als der glühende Hauch, der durch den Mund des Allmächtigen weht, sowie als die vis dispositiva,512 die allen Dingen gemäß der göttlichen imago und sapientia ihren Ort zuweist. Im zweiten Fall erweist sich der Geist als der schöpfungsimmanente ‚Spiegel‘, der das göttliche Licht auf den Schöpfer hin reflektiert, und somit als die vis connectens,513 über die sich die gefallene Kreatur wieder in Gott einbildet.

512 Ebd., S. 330  f. 513 Ebd., S. 331.

8 Zusammenfassung Im Überblick über Suchtens Naturphilosophie, seine spiritualistische Theologie, seine Theoalchemie und insbesondere seinen Magie-Begriff lässt sich feststellen, dass mystische Konzepte in seinem Denken eine außerordentlich große Rolle spielen; zumindest dann, wenn man ‚Mystik‘ als einen Modus der individuellen und unmittelbaren Erfahrung der Gottesnähe begreift, die auf einer äußerlich und innerlich spürbaren Interferenz der Dimensionen von Transzendenz und Immanenz beruht. Gott kommuniziert mit dem Menschen auf zweierlei Weise: Einerseits über eine innere Zuwendung, die er jedoch nur wenigen Auserwählten – und selbst diesen keinesfalls bedingungslos – zuteilwerden lässt; andererseits über die große Schöpfung, die von seinem Lebensatem erfüllt ist, welcher sich über die Zeichensprache der Natur offenbart und sich sogar auf alchemischem Wege verfügbar machen lässt. In diesem letzteren Fall ist der Bezug zur Mystik insofern gegeben, als die paracelsistische Theoalchemie, insbesondere die Zeugung des lapis philosophorum, mit Prozessen der inneren Perfektionierung einhergeht. Es ließ sich nachweisen, dass die paracelsistische Mystik, als deren Mitbegründer Suchten gelten kann, an die auf Pseudo-Dionysius zurückgehende mystische Tradition anknüpft. Hierbei zeigte sich, dass Suchten zumindest mit der Vorrede von De ecclesiastica hierarchia vertraut war und offenkundig auch ein waches Bewusstsein für die geistliche Theologie des Spätmittelalters besaß. Besonders offensichtlich wurde dies mit Blick auf seine Elegie Quid sit nihil, die mit Verweis auf Meister Eckharts Predigt 71 zwar die geistige Verwandtschaft mit dem introversionsmystischen Konzept des Nichtwissens für sich behauptet, dieses aber vor einem neuen Problemhorizont, nämlich der Wiederbelebung einer medica religio, rezipiert und dabei in wesentlichen Teilen transformiert: Erstens erweist sich das Nichts, auf das Eckhart sich in seiner Predigt bezieht, hier nicht als das transpersonale Über-Sein Gottes, sondern als der präkreationale Geisthauch der Weisheit, von dem der alttestamentarische Liber sapientiae kündet. Dem ist zu entnehmen, dass die paracelsistische Spielart von Mystik weniger die liebende Vereinigung mit Gott, sondern den Erwerb der göttlichen Allweisheit intendiert. Die Vergegenwärtigung des Schöpfungsgrundes impliziert eine Erkenntnis des gleichsam nichtigen, in jedem Fall aber übersinnlichen spiritus mundi, der den gesamten Kosmos mit Leben erfüllt. Die paracelsistische Teilhabe an diesem weisheitsaffinen Geist wird gegen das schnöde Faktenwissen der Schulmediziner ausgespielt. Zweitens verweigert sich Suchten dem anthropologischen Optimismus Eckharts, wonach Gott sich aufgrund seines gnadenreichen Wesens prinzipiell jeder gelassenen Seele mitteilt. Vielmehr ist der Mensch, wie in Quid sit nihil und in De tribus facultatibus deutlich wird, so sehr in seinen Sinnen verhaftet, dass ihm die http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-008

Zusammenfassung 

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Vereinigung mit Gott versagt bleibt. Eine Schau des präkreationalen nihil, wie sie dem Christenverfolger Saulus trotz seiner „usserlichen Augen“ zuteilwurde, lässt sich nur über einen göttlichen Gnadenakt einlösen. Der hierin aufscheinende anthropologische Pessimismus hat drittens zur Folge, dass Suchten sich auch auf schöpfungsontologischer Ebene von der neuplatonisch inspirierten Epistemologie eines Eckhart entfernt: Während der Thüringer die menschliche Seele, angesichts ihrer inneren „glîcheit“ mit Gott, gegenüber der kreatürlichen Außenwelt als ontologisch primär ansieht, geht Suchten von einem ontologischen Primat des Makrokosmos aus. Letzterer spiegele demnach die imago dei deutlicher wider als der Mikrokosmos, der lediglich ein ‚Extrakt‘ der großen Schöpfung repräsentiert. Angesichts der hiermit einhergehenden, paracelsistischen Abgrenzung von der panenpsychistischen Schöpfungsontologie Eckharts bedarf es eines Dritten, das zwischen der himmlischen und der irdischen Schöpfung vermittelt: Dieses ist, wie mit Blick auf Suchtens Kosmologie dargelegt wurde, die quinta essentia, die der Danziger in seinen Propositiones auf kühne Weise mit Christus assoziiert. Der von schulmedizinischer Seite erhobene Vorwurf des Antitrinitarismus erweist sich in diesem Kontext als unberechtigt, zumal Suchten den Gottessohn nur insofern mit dem ‚fünften Wesen‘ gleichsetzt, als dieses sowohl am calor des Empyreums als auch an der stofflichen Welt Anteil hat. In Anlehnung an die quinta essentia konstatieren der Danziger und seine paracelsistischen Mitstreiter für die beiden Naturen Christi einen fließenden Übergang. Dabei zeigte sich mit Blick auf Suchtens Rezeption der Logostheologie, dass die ureigene Natur des Gottessohns dem empyreischen calor entspricht. Die sphärenübergreifende Präsenz, die Christus mit dem Geist Gottes verbindet, kommt der Menschheit insofern zugute, als sie eine – durch Inkarnation und Passion vorgezeichnete – Kondeszendenz des Heilands impliziert, in deren Akt das sündenbehaftete Fleisch der gefallenen Kreatur in das himmlische Fleisch Christi und somit ins ewige Leben ‚transmutiert‘ wird. Das Motiv einer solch spiritualistischen Transmutation geht auf das vielfach mystisch interpretierte, paulinische Theologumenon der Neugeburt (1 Kor 15,22) zurück. Wenngleich Christus in den paracelsischen Traktaten in erster Linie als eine metaphysische Instanz auftritt, inauguriert Suchten mit seinem Konzept der Veredelung der menschlichen Existenz durch den Kreuzestod Christi einen ‚fröhlichen Wechsel‘ nach dem Vorbild der Glaubensmystik des jungen Luther: Indem sich der Heiland in die Niederungen seiner irdischen Existenz begibt, erhebt er den sündigen Menschen im Gegenzug aus seiner Seelenpein und rechtfertigt ihn vor Gott für die ewige Seligkeit. Vor dem Hintergrund, dass Suchten  – wiederum in deutlicher ­Absetzung von der lutherischen Soteriologie – die Neugeburt, beziehungsweise die ‚Transmutation‘ in Christus für gewisse Auserwählte schon zu Lebzeiten geltend macht, reiht er sich unverkennbar unter die ‚Schwarmgeister‘ ein.

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 Zusammenfassung

Dass die Gnade Gottes im paracelsistischen Diskurs beinahe allein über die Realisierung mystischer Erfahrungen entscheidet, hat mehrere Gründe. An erster Stelle ist diesbezüglich die Wirkmacht der reformatorischen Gnadentheologie zu nennen. Letztere wurde von Spiritualisten wie Sebastian Franck, Kaspar Schwenckfeld, Andreas Karlstadt und Paracelsus durchaus wohlwollend rezipiert; in der Folge auch von Suchten. So bekennt sich der Danziger freimütig zu der lutherischen Lehrmeinung, dass der Mensch nicht durch seine Werke, sondern durch das Leiden Christi vor Gott gerechtfertigt werde. Im Kontext der magia interpretiert er die Gnade dagegen stets als eine Gnade der Erwählung nach paulinischem Vorbild. Dafür waren vor allem soziale und epistemologische Faktoren ausschlaggebend. Wenn Suchten sich in seinen Elegien Ad chrysogonum sophistam und in Quid sit nihil zu einem gottbegnadeten Erben der göttlichen Weisheit stilisiert, so bezieht er hieraus eine Bestätigung seiner intellektuellen Erhabenheit über die Verstandeserkenntnis der Universitätsgelehrten. Die Gnade ist für Suchten aber auch unter mystischem Gesichtspunkten von höchster Bedeutung, da sie sich – etwa in Form eines Raptus – bedingungslos einstellt. Durch sie bleibt im Rahmen seiner naturnahen, auf Sinneserfahrung beruhenden Praxis eine Option gewahrt, zu inneren Erfahrungen von Gottesnähe, ja sogar zu einer unio cum Christo, zu gelangen. Unter diesen Vorzeichen offenbart sich die Theologia Deutsch als ein bedeutender Referenztext des Paracelsismus. Jedenfalls scheint ihre gewaltige Wirkung in Suchtens sowie auch schon in Hohenheims Theologie ihre Spuren hinterlassen zu haben: Wenn Gott eine weltimmanente Umsetzung seines Willens intendiert, gleichwohl aber auf seiner Seklusion gegenüber dem Diesseits insistiert, bleibt ihm nur die Möglichkeit, einzelne Menschen an sich zu nehmen, damit diese sein Heilswerk verrichten. Diese Erwählten, die sich durch höchste Demut und Gelassenheit auszeichnen, sind wiederum insofern ‚frei‘, als sie für das Wirken Gottes befreit sind. Der Typus des gottbegnadeten Auserwählten, dessen intellektuelle Überlegenheit in paracelsistischen Texten wie Quid sit nihil greifbar wird, ist hierbei bereits durch pseudo-dionysische Texte wie De ecclesiastica hierarchia vorgezeichnet. Die Vereinigung mit Gott vollzieht sich – wie im Falle von De tribus facultatibus – über einen Raptus. Die scheinbare Unvereinbarkeit eines weltentrückten Verbleibens in Gott mit dem Gebot einer weltimmanenten Umsetzung des göttlichen Willens überwindet der Autor der geistlichen Schrift, indem er dem begnadeten Menschen das ‚wahre Licht‘ zuspricht. In einem vom wahren Licht durchdrungenen Schauen löst sich der finstere Schleier, der auf der gefallenen Natur liegt: Sie wird auf den ‚geist gottis‘ hin transparent. Hierin zeigen sich deutliche Parallelen zum Licht der Natur der Paracelsisten. Unter den biblischen Belegstellen für eine solche auf Erwähltheit basierende Mystik stechen vor allem das paulinische Damaskuserlebnis sowie der im Zweiten

Zusammenfassung 

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Korintherbrief (12,2) geschilderte Raptus hervor. Am Beispiel des Paulus wird zum einen deutlich, dass es unabhängig vom menschlichen Verdienststreben Gott selbst ist, der auf die Seinen ausgreift. Der Mensch vermag höchstens erhabene Umstände für die Einkehr Gottes in seinen ‚inneren Himmel‘ zu bereiten. In De tribus facultatibus bestehen diese in der alchemischen Arbeit und in einer Absage an die Vernunft. Eine prinzipielle Option auf eine Vereinigung mit Gott ist hierbei aber – anders als etwa bei Meister Eckhart – nicht gegeben. Wie am Beispiel des in De tribus facultatibus geschilderten, theoalchemischen Scheideprozesses ersichtlich wurde, setzt die innere Teilhabe am Geist Gottes eine Erleuchtung durch den Allmächtigen voraus. Ferner verdeutlichte der paulinische Raptus, dass die Vereinigung mit Gott nicht dem Selbstzweck dient. Die Selbstoffenbarung des Allmächtigen zielt auf eine Neugeburt in Christus und auf eine Einweihung in göttliche Geheimnisse. So auch in Suchtens Traktat: Im Zuge seines Raptus wird der urzeitliche Adamssohn, der im Zentrum von Suchtens Urmythos steht, des Geistes der Weisheit teilhaftig. Mit Blick auf die physica mosaica und die Logostheologie offenbarte sich ferner, dass der Gottsuchende hierbei zugleich des primordialen Wortes innewird, worüber er die vita Christi an sich nimmt. Doch wenngleich er hierüber körperliches Wohl, Allwissenheit und Seligkeit im Angesicht des Allmächtigen empfängt, hat seine Neugeburt in Christus auch eine praktische Komponente, denn als Vorfahr der paracelsistischen magi ist er zum Dienst an seinem Nächsten berufen. Hiermit zeichnet sich ein soziales Moment ab: Anders als die mittelalterlichen Vertreter der Einigungsmystik genießen Paracelsisten keine Fürsorge durch Kirche und Kloster. Ihre laientheologische Spiritualität richtet sich demnach auch nicht auf eine Erfahrung innerer Seligkeit in der stillen Einheit mit Gott, sondern auf die Erlangung von Weisheit. Letztere impliziert ein Schöpfungswissen, das sich unschwer mit der paracelsistischen Naturphilosophie identifizieren lässt. Diese selbst bezieht ihre Grundlagen aus der Logostheologie: Demzufolge handelte es sich bei dem Hauch, der durch Gottes Mund wehte, als dieser das Wort fiat lux verlautbarte, um den Geist der Weisheit. Indem dieser Geist zunächst die Elemente und sodann alle natürlichen Dinge hervorbrachte, schuf er zugleich eine Projektionsfläche für Gottes Angesicht, denn die Weisheit, die ihn als ein vapor umhüllt, ist ein „speculum sine macula Dei maiestatis“ und eine „imago bonitatis illius“. Der magus vermag daher ausgehend von einer Erfahrung der äußeren Natur das Bildnis Gottes zu schauen. Vor dem Hintergrund, dass diese imago dei der Gottessohn, und der Spiegel, in welchem sich der Allmächtige erblickt, die göttliche Weisheit ist, wird der Gotterwählte hierüber zu einem wahren Nachfolger Christi und – um mit Suchten zu sprechen – zu einem Verwalter der „Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“. Diese Weisheit, beziehungsweise magia, gewährt Einblick in die ‚Textualität‘ der Schöpfung, in der sich Gottes

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 Zusammenfassung

Stimme Gehör verschafft. Das weltumspannende Geflecht an Signaturen beruht auf Ähnlichkeitsrelationen, die nach den Kategorien von ‚Oben‘ und ‚Unten‘ sowie von ‚Außen‘ und ‚Innen‘ angeordnet sind. Die Vorstellung eines auf Homologien gegründeten Weltgebäudes ist durch die Tabula smaragdina, den Ebenbildlichkeitsdiskurs des Liber sapientiae und – vor dem Hintergrund, dass alle horizontal und vertikal strukturierten Homologien in der unitas Gottes kulminieren – durch das neuplatonische Denken des Einen motiviert. Gottes Angesicht manifestiert sich innerhalb der Schöpfung jedoch nicht nur über die vielgestaltige, sichtbare Natur; sondern auch in Form einer meta­ physischen Substruktur, die auf den Geist der Weisheit zurückgeht. Vor dem Hintergrund, dass dieser Geist ‚mannigfaltig‘ ist (Weish 7,22), ist der ganze Kosmos von okkulten Geistsamen erfüllt, welche das innere Wesen sowie die virtutes der Kreaturen ausmachen und mitunter als heilkräftige arcana fungieren. Paracelsus prägte in seinem Bemühen, diese okkulten Qualitäten zu systematisieren, den Begriff des ‚Firmaments‘. Dieser beschreibt ein Ordnungsmuster, welches sich sowohl himmlisch als auch irdisch, sowohl macrocosmice als auch microcosmice auf stets gleiche Weise realisiert. Der Sternenhimmel korrespondiert demzufolge mit dem intellektuellen, die terrestrische Natur mit dem leiblich-affektiven Vermögen des Menschen. Hierbei gilt der Grundsatz, dass das jeweils Niedere der Herrschaft des jeweils Höheren untersteht. Da sich das Firmament über die Gestirnskonstellationen und die mannigfachen Zeichen der Natur äußerlich mitteilt, lassen sich die allen Kreaturen zugrundeliegenden semina, beziehungsweise astra, auf hermeneutischem Wege ausfindig und zu kurativen Zwecken nutzbar machen. Die von Paracelsus skizzierte Signaturenlehre erweist sich weniger als ein Produkt der naturhistorischen Werke Theophrasts oder des jüngeren Plinius, denn als notwendige Konsequenz der präsenzkulturellen Vorstellung, dass Bilder dem jeweils Abgebildeten sowie Zeichen dem jeweils Bezeichneten räumliche und zeitliche Gegenwart verleihen. Wie gesehen, rezipiert Suchten die Signaturenlehre in stark modifizierter Form. Dabei hält er an der Omnipräsenz natürlicher Zeichen fest, indem er davon berichtet, dass die alten magi sich die Analogie von großer und kleiner Welt insofern zunutze machten, als sie die Termini, die ursprünglich innermenschliche Offenbarungsformen des göttlichen Geistes bezeichneten, auf die pflanzliche Natur anwendeten. Die medicina magica lasse sich demnach mithilfe des Buches der Natur rekonstruieren. Ferner bestreitet Suchten, dass pflanzliche Medikamente und die Himmelskörper auf irgendeine Art auf den Menschen Einfluss nehmen können. Sein Blick richtet sich vorrangig auf die okkulten Qualitäten des Mikrokosmos, die er als ‚innere Pflanzen‘ und ‚innere Gestirne‘ charakterisiert. Erstere hätten die Funktion, den Menschen vor jeglichem körperlichen Gebrechen zu bewahren, letztere seien dazu bestimmt, ihn zu reformieren und zu regieren.

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Auch bei Messe, Gesang, Kirchendekor, Schrift und Sakramenten handelt es sich um nichts weiter als Zeichen: Aus ihnen spricht eine theologia magica, die der unmittelbaren Erfahrung des Geistes – und somit der Gottnatur Christi – dient. Zusammen mit Paracelsus vertritt Suchten die Auffassung, dass nur der magus das innerweltliche Zeichenuniversum zu entschlüsseln vermag, da nur er des göttlichen Geistes teilhaftig ist. Der Geist repräsentiert, wie der Fusior decla­ ratio und De tribus facultatibus zu entnehmen ist, die ‚Sonne‘ des Mikrokosmos: Durch diesen, genauer gesagt durch das Licht der Natur, werde der Himmel des Menschen, der von der Finsternis der ratio umfangen sei, innerlich erleuchtet, auf dass der Gottsuchende das göttliche Angesicht innerhalb der Natur erkenne. Dieses Licht leuchtet dem magus fernerhin, wenn er die Natur auf hermeneutische oder auf alchemisch-experimentelle Weise auf ihre arcana hin erkundet. Mit Blick auf die paracelsische Epistemologie zeigte sich, dass der Weg zu scientia zwar über die experientia führt, doch scientia keineswegs als ein genuin ‚neues‘ Wissen gelten kann: Die Genese von Wissen erfolgt vielmehr darüber, dass der magus, geleitet von einer Erkundung der Natur, sich über das ihm ­eingeschriebene Wissen verständigt. Dies ist es überhaupt, was die magia im Kern ausmacht: Es handelt sich um eine hermeneutisch verfahrende Kunst, die den gottbegnadeten Adepten befähigt, die horizontal und vertikal strukturierten Zeichenrelationen des Kosmos zu überblicken und somit zu einer inneren Vergegenwärtigung seiner trichotomen Metaphysis zu gelangen, auf dass er hierüber ein allumfassendes Schöpfungswissen sowie höchste Weisheit empfange, wodurch er in die Lage versetzt wird, okkulte Himmels- und Naturkräfte, einschließlich des göttlichen Geistes selbst, zugunsten einer Perfektionierung von Welt und Mensch verfügbar zu machen. Dass diese Definition auch für Suchten Gültigkeit besitzt, geht aus dem Urmythos hervor, den er in De tribus facultatibus entfaltet: Im Zuge seines theoalchemischen ‚Probierens‘ legt der urzeitliche Scheidekünstler im Grunde sich selbst aus. Indem er Adamserde, merkuriales Himmelswasser und schließlich den Geist Gottes selbst aus dem Eisensalz extrahiert, eröffnet sich ihm seine eigene metaphysische Anthropologie. Dass es ihm hierbei misslingt, den flüchtigen spiritus mundi festzuhalten, erklärt sich vor dem Hintergrund, dass ihm die Gnade einer geistigen Erleuchtung – und somit seine ‚Transmutation‘ in die vita Christi – noch nicht zuteil geworden ist. Die hierarchische Staffelung des magischen Pensums in medicina, astrono­ mia und theologia verrät, dass Suchtens Magie über eine magia naturalis hinausgeht. Sie zielt nicht nur auf den Umgang mit okkulten Qualitäten, sondern auf ein Vermögen, den „Herrn zu finden in seinem Geschöpf“. Die Mystik führt den gotterwählten Menschen also nicht nur in die magia hinein: Indem sie dem magus die vestigia Christi vorzeichnet, gewährt sie ihm auch den Aufstieg zu einer höheren Stufe von magia, auf der sich ihm Gott unverhüllt zu erkennen gibt. Während

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 Zusammenfassung

sich die magia naturalis auf eine Erkenntnis der geistigen ‚Gestirne‘ und somit auf eine Genese von Wissen richtet, intendiert die magia coelestis – wie anhand Suchtens Elegie deutlich wurde – eine Einsicht in den gleichsam nichtigen Schöpfungsgrund, der sich als das fiat lux, das Wort sowie als die göttliche Weisheit in Christus offenbart. Bei letzterer handelt es sich um eine Art von sapientia, die den magus analog zum vergotteten Menschen der Theologia Deutsch ganz für das Wirken Gottes befreit. Umso größer und heiliger sind die Wunderwerke, die der magus coelestis kraft des Glaubens zu vollbringen vermag. Überhaupt zählt der magus zu den wenigen Menschen, die in der Lage sind, mit dem Glauben souverän umzugehen, denn die einfachen Leute sind, wie anhand des paracelsischen imaginatio-Konzepts deutlich wurde, in ihren weltlichen und frommen Gedanken den mitunter schädlichen Influenzen des äußeren Sternenhimmels unterworfen. Diese astralen Eingießungen verursachen, gleich unsichtbaren ‚Lichtern‘, die sich im Menschen spiegeln und nach außen projiziert werden, geistige Verwirrung, innere Erregung und vor allem auch Krankheiten. Der magus hingegen ist über die influentiae und impressiones der Gestirne erhaben. Mit dem Begriff der Einbildung sowie mit der Metaphorik des ‚Anziehens‘ und der ‚Geburt‘ finden weitere mystisch aufgeladene Motive Eingang in den Magie-Diskurs, den Paracelsus in der Astronomia magna entfaltet: Das Schicksal eines jeden Menschen ist es, zeitlebens die ambivalenten Kräfte der äußeren Himmelskörper anzuziehen. Allein der zum magus auserkorene Mensch wird auf genuin mystische Weise in Christus wiedergeboren und mit dem ‚neuen Menschen‘ bekleidet, worüber es ihm vergönnt ist, sich in Gottes Angesicht einzubilden. Nach Suchtens pseudo-dionysisch geprägter Aufstiegsmystik führt der Weg dorthin über eine dreifache Verständigung über den Geist des Herrn, die dem magus das Bildnis Gottes im Rahmen einer dreigliedrigen catena aurea in immer heller werdendem Licht offenbart, bis dieser schließlich ganz darin aufgeht. Sowohl bei Paracelsus als auch bei Suchten ist die Figur des magus zutiefst mit Endzeitvisionen verknüpft. Der magus der Astronomia magna repräsentiert einen Vorboten und Gefolgsmann des Elias Artista. Als solcher wird er die Schöpfung vollenden und kraft seiner ars caballistica zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Insgesamt erscheint der magus als eine hybride Figur: Er ist ein endzeitlicher Heiliger, Adept einer Theoalchemie, ein Nachfolger Christi, ein Interpret schöpfungsimmanenter Zeichen, ein Instrument Gottes, ein Wohltäter am Volk und ein Gegenentwurf zu den verhassten Universitätsgelehrten. Als solcher ­verhilft er dem missdeuteten und letztlich verlorenen Schöpfungswissen, das Mensch und Welt eingeschrieben ist, zu neuer Blüte. Dieses Wissen ist, analog zur göttlichen Weisheit, zeitlos und somit uralt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich ­ ransmutationsalchemie auch die Paracelsismus-typische Zurückweisung der T traditionellen Alchemie: Wenn frühe Paracelsisten das hohe Alter ihrer magia

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mit Verweis auf der jahrhundertelangen Tradition ihres chemischen Wissens zu begründen suchten, so konnte dies nur dadurch gelingen, dass sie den mittelalterlichen Goldmachern unterstellten, sie hätten die reine und unbefleckte ‚Jungfrau Alchymia‘ in ihrem Wesen verkannt. Indem frühe Paracelsisten wie Suchten ferner die gesamte Heilige Schrift auf den Geist Gottes hin auslegten und für alle Textstellen, an denen eine solche Deutung nicht einsichtig erschien, eine Verschlüsselung des wahren Sinns durch Chiffren und Allegorien behaupteten, entfernten sie sich freilich meilenweit von der lutherischen Praxis der Bibelexegese. Überhaupt konnte das Wissen, das die universitäre Gelehrsamkeit für sich beanspruchte, nur auf Missverständnissen und Irrtümern beruhen. Die prädiluviale Geburtsstunde der „Sapientia omnium Coelestium & Terrestrium rerum“, in der sich ihrem Wortlaut nach sowohl die himmlische als auch die natürliche Magie Ausdruck verschafft, musste demgegenüber, sofern man hierfür nicht die spekulative Denkfigur einer sapientia adamica bemühen wollte, auf heuristische Weise rekonstruiert werden. Bei Suchtens Urmythos handelt es sich demnach um einen alternativen Entwurf zu Konzepten, die das paracelsistische Heils- und Schöpfungswissen über die Weisheit Adams zu erklären versuchten. Mit dem narrativen Experiment, das Suchten in De tribus facultatibus vorstellt, versucht er den Nachweis zu erbringen, dass die magische Weisheitslehre von Gott selbst begründet wurde. Auf diese Weise ebnet er den „Magi der Morgenröte“ den Weg.

Anhang Nr. 1 De vera medicina ad Carolum Salisburgensem Elegia1 Carminis sequentis argumentum: Medicandi Scientia qua Podalirius[,] Machaon[,] Apollo & Hippocrates claruerunt non ex Galleno, Avicenna, Mesue, caeterisque hujus farinae scriptoribus petenda est, sed ex Magia; quam qui rectè perpecerit, is demum curabit omnes, qui curam prae morte admittunt aegritudines: habet autem Magia libros 3. 1. Theologiam, 2. Medicinam, & 3. Astronomiam. Unde Magus Trinitatem in unitate cognoscit & et veneratur, impertitque potestatem quam accepit à Deo miseris mortalibus: Caeteri autem sive Theologi, sive Astronomi, sive Medici, qui operibus id, quod ore profitentur, non praestant Caco-Magi & Pseudo-Prophetae sunt. Ex fructibus eorum cognoscetis eos.

Ergo sic periit lumen solare, quod omnis    Usque Creaturae fons, & Origo fuit? Iamque saluti fero pro melle venena bibentes    Ultra hominum nugas credimus esse nihil? Non me vana movet titubantis opinio vulgi,    Quod nihil in Coelo, nil Acheronte videt? Qua nos cunque trahit Deus & natura sequamur,    Omnis apud superos, Carole, nostra salus Litera praecipites sed nos dedit ipsa, nec usquam est,    Qui sapit, hoc tanta est tempore plaga Dei. Multa quidem scripsit in Apollinis arte Galenus,    Et sua non parvum dogmata pondus habent. Sed fora verba juvent, nos arsque fidesque medendi:    Fallitur è chartis qui petit aeger opem.

1 Zitiert nach Chymische Schrifften, S. 458–461. Übers. S. B. http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-009

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Elegie über die wahre Medizin, Karl Rauchenberg gewidmet Thema des folgenden Gedichts: Die Heilkunst, durch die Podaleirios, Machaon, Apollo und Hippokrates zu Ruhm gelangt sind, hat man nicht aus den Werken Galens, Avicennas, Mesues oder anderer windiger Schreiberlinge zu schöpfen, sondern aus der Magia. Wer diese recht verstanden hat, der erst wird alle Krankheiten heilen können, die, ehe der Tod eintritt, eine Behandlung zulassen. Die Magia beruht auf drei Büchern: erstens der Theologie, zweitens der Medizin und drittens der Astronomie. Durch sie erkennt und verehrt der Magus die Trinität in ihrer Einheit, auch lässt er den armen Menschen mit seinem Können, das ihm Gott selbst verliehen hat, Hilfe angedeihen. Alle anderen Theologen, Astronomen oder Mediziner, die mit ihren Werken nicht einlösen, was sie behaupten, vertreten eine ‚Kako-Magie‘ und sind Pseudo-Propheten. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. So soll nun das Sonnenlicht erstorben sein, das von jeher die Quelle und der Ursprung aller Kreatur war? Soll ich so tun, als wäre nichts dabei, dass manche statt des heilbringenden Honigs Gift zu sich nehmen, und auch sonst der menschlichen Torheit keine Bedeutung beimessen? Sollen mich die Irrungen des wankelmütigen Volkes, das gegenüber Himmel und Hölle blind ist, kalt lassen? Wohin auch immer uns Gott und die Natur geleiten, dorthin lass uns gehen. All unser Heil, Karl, ist bei Gott im Himmel, aber am Buchstaben selbst sind wir schier verzweifelt, und nirgends findet sich jemand, der ihn versteht: So hart straft uns Gott zu unseren heutigen Zeiten. Zwar hat Galen über die Kunst Apollos geschrieben und seine Lehren haben viel Gewicht. Doch mögen seine Worte auch dem Umsatz helfen, wir wollen uns an der Heilkunst und am Glauben erfreuen: Ein Kranker, der um Hilfe ersucht, lässt sich nur allzu leicht von Büchern blenden.

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 Anhang

A Coelo Medicina venit, superumque favore    Cognita perpaucis vatibus ante fuit. Hanc illi sancte coluêre, nefasque putarunt    Sacra rudi populo notificare Dei. Hinc Magicas artes invenit docta vetustas,    Discipulos illas erudiit suos. Quis Deus, & Coelum quanam ratione vagetur,    Afficiens radiis inferiora suis. Quomodo pincipium rerum fuit una potetstas,    Sitque Creatoris mundus imago sui. Ad quem factus homo totum complectitur orbem,    Qua licet aeterno participatque Deo. Principiis rerum, fama est, Danaeia Persis    Immolat, & coeli lumen utrumque colit. Qui multos fallunt motus septemplicis orbis    Tradidit hos verso ingeniosus Atlas. Monstravit populo medicas Epidaurius herbas,    Nunc quoque non parvum balsama nomen    habent. Scilicet his olim titulis vatesque magique    Ad monitos summi nos voluêre boni. At nos consilium veterum fugit, atque proterve    Inscitiae nostros insimulamus avos. Quaeque tribus nexa est simplex sapientia nodis,    Turpiter hanc nostro scindimus Arbitrio. Sicut non sunt tres Dii, sed unus Deus tantum: ita non sunt tres scientiae, sed una tantum in Trinitate consistens Quam veteres Magiam appellarunt. Inde Magus dicitur, non qui cum Daemonibus negotium habet: Quod nobis plane interdictum est; sed qui Theologiam, Astronomiam, & Medicinam perfecte cognovit: Talis Theophrastus fuit, tales etiam illi fuere, quos stella ad Christum Dei Filium Servatorem nostrum deduxit: Qua de re alias prolixius.

Hinc sacra Christiadum laceramus, & omnibus horis    Quilibet inventis polluit ista novis. Fatorumque expers & captus imagine veri    Quid faciant Superi, judicat Astrologus.

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Die wahre Medizin kommt vom Himmel, und vermöge der göttlichen Gunst wurde sie zu alten Zeiten von einigen wenigen Priestern erkannt. Diese haben sie in hohen Ehren gehalten und sie hielten es für ein Sakrileg, dieses heilige Geschenk Gottes dem gemeinen Volk bekannt zu machen. In der Folge gewannen die alten Weisen Einblick in die magischen Künste und sie unterrichteten ihre Schüler über das Wesen Gottes und über die Bahnen der Gestirne, die mit ihren Strahlen die unteren Regionen beeinflussen, wie der Anfang aller Dinge in einer einzigen Kraft bestand und weshalb die Welt ein Ebenbild ihres Schöpfers ist. Da der Mensch nach deren Bild geschaffen worden ist, begreift er den ganzen Kosmos in sich, und insofern hat er freilich auch Anteil am ewigen Wesen Gottes. Zu aller Anfang, so heißt es, haben die Bewohner von Perses, die Stadt der Danae, beide Lichter des Himmels verehrt und ihnen Opfer dargebracht. Die Wahrheit über die sieben Himmelssphären, die viele hinters Licht führen hat uns der kluge Atlas ­überliefert. Der Gott von Epidauros hat seinem Volk Heilpflanzen gezeigt, die jetzt auch den bedeutenden Namen ‚Balsam‘ haben. Freilich wollten uns die Priester und Magi einst mit derlei Bezeichnungen an das höchste Gut erinnern. Aber den Rat der Alten schlagen wir in den Wind und frech bezichtigen wir unsere Vorväter der Unwissenheit, und die schlichte Weisheit, die dreifach in sich verknotet ist, zerschneiden wir nach Gutdünken und auf schändliche Weise.

Ebenso wie es nicht drei Götter, sondern nur einen Gott gibt, gibt es nicht drei Weisheitslehren, sondern nur eine Weisheitslehre, die in einer Dreiheit besteht. Diese nannten die Alten ‚Magia‘. Demzufolge ist nicht derjenige ein ‚Magus‘, der sich mit Dämonenbeschwörung beschäftigt  – dies ist uns streng verboten!  –, sondern derjenige, der sich auf die beste Weise in der Theologie, der Astronomie und in der Medizin auskennt. Ein solcher war Theophrastus, doch es gehörten auch jene dazu, die der Stern zu Christus, dem Sohn Gottes, unserem Erlöser führte. Darüber an anderer Stelle mehr. Seitdem verunglimpfen wir die Heiligtümer der Christenheit, und dies zu jeder Stunde. Jeder Dahergelaufene verunreinigt sie mit neuen Erfindungen. Unwissend über Gottes Wille und neunmalklug zieht der Astrologe seine Schlüsse über das Wirken der himmlischen Mächte. Auch brauen die Ärzte Tränke aus Holunder, trotzdem schwillt das Ödem, und kein kühlender Pflanzensaft stillt unseren

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 Anhang

Et miscent ebulum medici, tamen intumet hydrops,    Frigida crescentem nec levat herba sitim. Ergo Deus non est? sunt nescia sydera fati?    Ad medicam frustra confugit aeger opem? Parce Deus vati, tu semper es unus, & una est    Luna voluntatis fida ministra tuae. Luna Decus nostrum de tot Coelestibus una    Mortales Casus aspicit, atque levat. Carole, crede mihi, donum medicina Deorum    Est, apud Eoos invenienda magos. Ne te decipiat quae multos littera fallit,    Ante Creatorem caetera anosce tuum. Quem simulac nôris dabit hic tibi cuncta roganti,    Nectaris & compos omnipotentis eris.

Nr. 2 Ad Apollinem in Catharro pestilentiali, Elegia. Quid sit nihil.2 Ergo erat hoc pretium tantum Phoebe malorum,    solicitum media vivere Sarmatiâ. Inquisita mihi quid nunc Ægyptia prosunt    Sistra, quid Eoo gemma reperta vado? Barbaria hic certe est, sicut fuit: omnia tempus    Mollit, at hic potuit juris habere nihil. Fallor an haec tellus indigna est artibus istis?    Nec fas est inter nos habitare Getas? Et metuunt frigus vates Erymanthidos ursae,    Et gladios Musae? barbara terra vale. Gratia Phoebe tibi, tu per tria lustra vagantem    Ad medicas tándem me quoque ducis aquas. Esse velis, ut vis, me tanto munere dignum    Haec desiderii vota suprema mei. Est aliquid regem spectare, ducesque superbos,    Sed mihi sarmático non libet esse solo.

2 Zitiert nach Chymische Schrifften, S. 490  ff. Übers. S. B.

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wachsenden Durst. Gibt es also keinen Gott? Sind die Gestirne unwissend über das Zukünftige? Sucht der Kranke vergeblich Hilfe bei den Möglichkeiten der Heilkunst? Hab Nachsicht, Herr, mit deiner Priesterschaft; du bist immer nur einer, und es gibt nur einen Mond, der deinem Willen treu untergeben ist. Dieser unter so vielen Himmelskörpern einzigartige Mond ist unser Kleinod, er blickt auf die Gebrechen der Sterblichen hinab und lindert unseren Schmerz. Karl, glaube mir, die Medizin ist ein Geschenk der Götter, das bei den Magi der Morgenröte zu finden ist. Der Buchstabe, der so viele täuscht, soll dich nicht betrügen. Lerne zu allererst deinen Schöpfer kennen. Sowie du diesen erkannt hast, wird er dir alles geben, worum du ihn bittest. Du wirst des Nektars und des allmächtigen Gottes teilhaftig sein.

Elegie an Apollo, dem Helfer im Krankheitsfall des katarrhs Über das Nichts Soll nun, Apollo, der Preis, den ich für meine Sünden zu zahlen habe, so groß sein, dass ich bekümmert mitten in Sarmatien leben muss? Was nutzen mir jetzt die ägyptischen Isisklappern, die ich aufgesucht habe, was der Edelstein, den ich in den morgenländischen Gewässern fand? Es ist hier so unkultiviert, wie eh und je: Mit der Zeit wird alles heil, aber hier konnte die Zeit nicht zu ihrem Recht gelangen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist dieses Land meiner Künste unwürdig. Und ist es nicht gegen Gottes Gebot, dass ich unter den Geten lebe? Und fürchtet die Priesterschaft nicht die Kälte, die das Sternbild der erymanthischen Bärin mit sich bringt? Und fürchten die Musen nicht das Schwert? Leb wohl, barbarisches Land. Dank sei dir, Apollo, da du mich nach drei Lustren der Wanderschaft nun endlich zu dem Gestade der Heilkunst führst. Ebenso, wie du wolltest, dass ich einer so großen Gabe würdig bin, möchtest du nun, dass ich mein ganzes Sehnen und Verlangen darauf richte. Ich weiß es zu schätzen, dem König und stolzen Fürsten meine Aufwartung zu machen, aber ich möchte nicht länger auf sarmatischem Boden verweilen. Hier herrscht der Neid – der ständige Begleiter deiner Tugend und Kunst, Apollo. Eine Schar von Griechen verfolgt mich mit Missgunst. Soll

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 Anhang

Invidia in causa est, Comes & virtutis & artis    Phoebe tuae, facit hanc graecula turba    mihi[.] Cum tamen ignorent, habeat, cum venerit usus,    Vita quibus mundi longa minoris opus. Stultitia haec placuit fatis, quia nostra merentur    Crimina, quod per tot secula nemo sapit. Nunc mihi Mercurio praesenti tollere morbum    Detur, & hunc facilem Semper habere    Deum. Sic ego carminibusque meis, scriptoque soluto    Praeter Mercurium numina nulla canam. Diî modo, si fas est, medico concedite tuto    Scribere de Medica relligione mihi! Illa diu latuit, sed vos quae causa latendi    Dicite; cur illam credimus esse palam? An metuam [s]ucum populo monstrare Galeni?    Cernat ut errores graecia docta suos. Graecia, Pace tua quod sit medicina tuorum,    Non sinit Ægyptus, Arsacidae negant. Omnia quantumvis hinc sumpseris, attamen illud    Diî tibi praecipuum non tribuere decus. Quis negat, est docti facundia magna Galeni,    Propterea dignus laudibus ille suis. At morbos pulasare procul mortalibus aegris,    Facundi non est ullius oris opus. Muta fuit Semper divina potentia Coeli:    Muta manet Magicae sic Medicina scholae. Quo quis plura docet, novit minus, ignis alumna    Libra per sphaeram volvitur usque suam Respuit includi Chartis, nesquitque doceri,    Nam nihil est, nullo vult nihil esse loco. (Nihil est ipsa veritas, quam vidit Paulus cum apertis oculis videret nihil. Act. 9. vide Echardum de Conversione Pauli: quam Cusanus miris laudibus effert. Item Augustinum.)

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das lange Leben des Mikrokosmos, wenn es an die ärztliche Praxis geht, ihrer bedürfen, wo sie doch unwissend sind? Was des Schicksals Wille ist, wird uns für Äonen unbekannt bleiben, denn der Lohn für unsere Untaten ist Torheit. Jetzt soll mir beschieden sein, an der Seite des Hermes Krankheiten zu heilen und mir stets die Gunst dieses Gottes zu erhalten.

So will ich nun mit meinen Liedern und mit freiem Federkiel keinen Gott besingen außer Hermes. Erlaubt mir nur, ihr Götter, wenn ich euch darum bitten darf, als Arzt und unter eurem Schutz über meine medizinische Religion zu schreiben. Jene war lange verborgen, aber sagt mir, was der Grund für ihre Verborgenheit war. Warum sollten wir glauben, dass diese jedem offenstehen soll? Soll ich mich etwa, damit das gelehrte Griechenland seine Irrtümer erkennt, scheuen, dem Volk die Arznei Galens zu demonstrieren? Mit Verlaub, Griechenland: Was du Medizin nennst, würde Ägypten sich verbitten und die Arsakiden würden all dies für nichtig erklären. Magst du auch alles und noch mehr von hier genommen haben, so haben dir die Götter dennoch dafür keinen Ruhm zuteilwerden lassen. Zugegeben, der gelehrte Galen war sehr beredt, deshalb ist er zu Recht berühmt. Aber um die schwachen Menschen von Krankheiten zu heilen, bedarf es keines geschwätzigen Mundes. Die göttliche Macht des Himmels war stets stumm. Stumm bleibt so die Medizin der magischen Schule. Je mehr jemand lehrt, desto weniger weiß er. Das Sternbild der Waage, das Kind des Feuers, kreist unablässig auf seiner Bahn. Es verweigert sich der Kartographie und lässt sich nicht lehren, denn es ist nichts: Das Nichts will an keinem Ort sein.

(Das Nichts ist die Wahrheit selbst. Diese sah Paulus, als er mit offenen Augen nichts erblickte [Apg. 9]; siehe hierzu Eckhart über die Bekehrung des Paulus. Auf diese geht auch Cusanus mit warmen Worten ein; siehe ferner Augustinus.)

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 Anhang

Principium rerum fuerat nihil, omnia pandit    Ætas, sed nihil hoc noluit esse palam. Quis nihil humano poterit contingere sensu?    Falleris, in sensu si nihil esse putas. Hic aliquid certe est, sed non medicina, quid illud,    est aliquid? Tenebrae Cimmeriumque    Chaos. At chaos ex nihilo fecit Deus: omnia noris,    Quando nihil sapies, nam nihil omne    bonum est. Me nihil oblectet, multa sapiantque sciantque    Qui medicas chartas dieque nocteque terunt. Me mea Libertas nunquam in dulcedine veri    Deserat, invidia hinc non onerosa mihi est. Me nihil agnoscat, latrantis murmura vulgi    Nil moror, insano cui libet esse mihi. Dummodo contingat procul à Bessisque Getisque    Vivere, crasque mihi dicere, Vilna, vale.

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Der Anfang alles Seienden war das Nichts. Die Zeit macht alles sichtbar, aber das Nichts möchte vor aller Augen verborgen bleiben. Doch Gott schuf aus dem Nichts das Chaos: Alles wirst du wissen, wenn du nichts weißt, denn jedwedes Gut ist nichts. Wer könnte das Nichts mit den Sinnen erfassen? Du irrst dich, wenn du meinst, das Nichts sei in den Sinnen. Gewiss ist etwas hier, aber nicht die Medizin. Was also ist dieses Etwas? Nichts als die Dunkelheit und das Chaos der Kimmerier.

Aber das Chaos schuf Gott aus dem Nichts. Alles weißt du, wenn du nichts weißt, denn jedwedes Gut ist nichts. Das Nichts soll mich erfreuen. Sollen doch alle, die Tag und Nacht ihre Medizinbücher durchwühlen, viel verstehen und wissen. Mich aber möge meine Freiheit, die ich in der Süße der Wahrheit zubringe, nie verlassen, dann ist mir Missgunst nicht lästig. Möge das Nichts sich meiner annehmen! Dem zänkischen Murren des gemeinen Volkes möchte ich mich länger aussetzen. Ich will gerne als ein Narr gelten, wenn es mir nur vergönnt ist, fern von den Balten und Geten zu leben und morgen zu sagen: „Wilna, leb wohl!“

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Personen- und Namensregister Abaelardus, Petrus 253 Adam 66, 72, 92, 96, 125, 139, 153–156, 187, 194, 208, 222  f., 224, 260  f., 313, 337, 350, 373 Agnello Giovanni Battista, 90 Albertus Magnus 107, 278, 327  f. Albrecht, Herzog von Preußen 11, 28  f., 33–38, 101, 156, 244, 355 Algazel (al-Ghazālī) 67 Ambrosius 138 Apollo 23, 172, 245, 265 Aragosius, Wilhelm 146 Aristoteles 4, 21, 23, 96, 99, 106, 143  f., 179, 183, 188, 234, 272, 356 Arnald von Villanova 40 Arndt, Johann 10, 14, 44, 63, 207, 278, 306  f., 319, 363  f. Asclepius 20, 81, 132 Äskulap 86 Augustinus 20, 90, 92, 138, 171, 173, 205  f., 223, 231, 254  ff., 310 de L’Aunay, Loys 94 Averroes (Ibn Ruschd) 67, 258 Avicenna (Ibn Sīnā) 36, 67, 79, 101, 183, 245

Calvin, Johannes 142, 147, 207, 306, 309, 311 Camerarius, Joachim d. J. 145 Carrichter, Bartholomäus 295 Castellio, Sebastian 207 Chemnitz, Martin 306 Cicero, Marcus Tullius 81 Clemens von Alexandria 231 Copernicus, Nicolaus 1, 26  f., 64, 81  ff. Crato von Krafftheim, Johannes 4, 35, 142, 144, 146  f., 149, 151, 154, 240 Croll(ius), Oswald 1, 8, 13  f., 108, 115, 139, 164  f., 274  ff., 293, 308, 319, 321  f., 351, 361 Cusanus, Nicolaus 19  f., 171, 173, 328, 356

Bacon, Roger 46 von Barnichhusen, Hieronymus 51  f. Barth, Michael 39 Basilius Valentinus 46, 63, 108  f., 114 Becher, Johann Joachim 40 Behem, Abraham 74  f., 118, 254 Bembo, Pietro 30 Bernhard von Clairvaux 253 Beza (de Bèze), Theodor 207 von Bernus, Alexander 47 Biedermann, Benedikt 122 Blancus, Guilelmus 42 Bodenstein, Adam von 1, 3  f., 240 Böhme, Jacob 260 Bracesco, Giovanni 41 Brahe, Tycho 198 Brunschwig, Hieronymus 236 Bullinger, Heinrich 26, 142, 145, 310 Bureus, Johannes 48

Ehrd von Naxagoras Johann, 46 Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart) 4, 7, 19  f., 83, 91  f., 159, 167–192, 201, 205, 209, 211  ff., 220, 223, 226, 228  f., 253, 257  f., 325  ff., 329, 331, 337, 340  f., 366  f., 369 Elias Artista 249  f., 340, 351  f., 372 Entfelder, Christian 30 Erasmus von Rotterdam 356 Erastus, Thomas 4, 42, 145  ff., 149  ff., 154, 201 Eriugena, Johannes Scotus 210, 357

http://doi.org.de/10.1515/9783110719727-011

Dagitza, Ulrich C. 48, 51, 95 Dantiscus, Johannes 1, 26  f. Denck, Hans 167, 207 Descartes, René 330 Dionysius Areopagita 8, 19  f., 59, 63, 73, 140  f., 152, 171, 174, 176, 180, 210, 227, 277  f., 342, 354–362, 366, 368, 372 Diskurides 290 Dorn, Gerhard 1, 13, 41, 164, 198, 201, 251, 259

Faust(us), Johann Georg 240 Ficino, Marsilio 5, 22, 63, 81, 84, 115, 232–238, 278, 356, 358 Filder, Valerius 35 Figulus, Benedict 41  ff., 47  f., 50  f., 90, 110 Flacius Illyricus, Matthias 356 Flöter, Balthasar 43, 52, 245

412 

 Personen- und Namensregister

Foillet, Jacob 41  ff. Forberger, Georg 43 Franck, Sebastian 167, 207, 357, 368 Funckius, Johann 37 Galen 4, 16  f., 21–24, 27, 29, 31, 34  ff., 79, 97, 101  f., 136, 143  f., 149, 172  f., 175, 186, 234, 245, 284  f., 308 Gasser, Achilles Pirmin 35, 148  f., 244 Gerhard, Johann 307 Gessner, Conrad, 1, 4, 142  ff., 147  ff., 153  f., 240, 244–247 Glauber, Johann Rudolf 109, 117 Gnapheus, Wilhelm 1, 25  f., 29  f., 310 Göbel, Severinus 35 Grevin, Jacques 94 Grynaeus, Johann Jakob 145 Hanow (Hanau, Hannau), Caspar 26–29 Hätzer, Ludwig 207 Hayy Ibn Yaqzan 2, 67–70 Heraklit 81, 132 Hermes Trismegistus 20, 22, 32, 81, 96, 106, 130  ff., 136, 172, 231 Hippokrates 245 Hippolyt von Rom 231 Horst, Matthias 38 Hosius, Stanislaus 27 Hugo von St. Victor 253, 327 Huser, Johann 33, 52, 295 Irenäus von Lyon 138, 231, 256 Iustinus Martyr 231 Jamblich 132, 238 Jason 86 Johannes (Evangelist) 128, 131  ff., 151, 182, 216, 243, 302, Johannes (Verfasser der Apokalypse) 73, 75, 78, 87  f., 107, 133, 351 Jupiter 132, 140, 235, 283, 344 Justin der Märtyrer s. Iustinus Martyr Karlstadt, Andreas 1, 167, 207, 308, 357, 368 Khunrath, Heinrich 1, 13  f., 76, 107  f., 112, 116, 119  f. 134, 157–160, 164, 198, 250, 306, 314

Kieser, Franz 41 Kilian, Hans 33 Kircher, Athanasius 364 von Knobelsdorff, Eustachius 27 Kunckel von Löwenstern, Johann 46 Leibniz, Gotthold Wilhelm 70, 260 Locke, John 70 Libavius, Andreas 44  f., 100 Lukrez 181 Luzifer 211, 223  f. 231, 241–244, 249, 300 Lullus, Raimundus (Theologe), 38 Lullus, Raimundus (Alchemiker) 40, 42, 77, 116 Luther, Martin 6, 21, 60, 126, 144, 162  f., 186, 199  f., 202, 205  ff., 211, 240–244, 262–268, 270  f., 301  f., 309, 356  ff., 367  f., 373 Machaon 245 Magi ex oriente 235, f., 240  ff., 243, 248  f., 345 Maria 154, 158, 265 Medea 86 Melanchthon, Philipp 21, 29, 37, 142, 144  f. Mesue, Johannes 245 Mondschneider, Johannes 46 Montanus, Jacob 35 Montanus, Johannes Scultetus 52 de Montes, Giovanni Battista 142 Morienus 40 Morsius, Joachim 44, 51 Moses Narboni 70 Mose 3, 15, 23, 61, 128, 131  ff., 157, 305 Muling, Johannes Adelphus 235 Müntzer, Thomas 207 von Nettesheim, Heinrich Cornelius Agrippa 5, 20, 32  f., 38, 79, 81, 84, 112, 131  f., 138, 140  f., 165, 184, 197  f., 237  ff., 278, 306, 315  f. Neuser, Adam 147 Nollius (Nolle), Heinrich 45 Oporinus, Johann 247 Origenes 231 Orpheus 21, 132, 140  f., 233, 238

Personen- und Namensregister 

Osiander, Andreas 37, 155  f. Ottheinrich von der Pfalz 30–33, 156 Ovid 265 Paulus 4, 7, 44, 55, 59, 63, 131, 136, 140  f., 161, 171  ff., 176  f., 180  f., 196–199, 205, 215  f., 220, 222  f., 274, 298, 302, 326, 337, 341, 354  ff., 367  ff. Pelagius 206 Perna, Pietro 43 Philo von Alexandria 140 Pico della Mirandola, Giovanni 22, 38, 63, 70, 233, 237  f., 315  f. Pimander (Poimandres) 20 Platon 80  ff., 132, 140  f., 145, 183, 234, 271  f., 287, 320, 346 Plinius d. J. 290, 370 Plotin 140, 238 Podaleirios 245 Polyphem (Felix König) 30 Pythagoras 140, 319 Pythopoaeus, Christophorus 32  f. von Raitenau, Johann Ulrich 20 Rascalon, Wilhelm 31  ff. Rauchenberg (Rauhenberger), Karl 2, 43, 50–53, 196, 244, 304 Reuchlin, Johannes 2, 43, 50–53, 196, 244, 304 Rhazes (Rāzī) 142 Rist, Johann 46 de Rupescissa, Johannes 77 Sabinus, Georg 30 Salomo 61, 125, 128  f., 139, 158, 242  f. Salomon (Solomon) Trismosin 63 Scalichius, Paulus (Scalić, Paovo) 1, 38, 70 Schnell, Johann 38 Schobinger, Bartholomäus 11, 39 Schwenckfeld, Kaspar 30, 147, 207, 357, 368 Scultetus, Alexander 26  ff., 33, 82, 310 von Seebach, Johann Baptista 40, 42

 413

Servetus, Michael (Servet Miguel) 142, 147, 151 Severinus, Petrus (Soerensen, Peder) 1, 275, 293 Sozzini, Lelio 147 Sperber, Julius 45, 63, 75 Sigismund II August, König von Polen 33  f., 172 Staupitz, Johann von 205 Stenglin, Lucas 35, 40, 148, 244 Stojus, Mathias 35 Suter, Jacob 147 Sylvanus, Johannes 147 von Suchten, Bartholomäus (Barthel) 29, 38, 42, 48, 50 von Suchten, Christoph 26 von Suchten, Georg d. Ä. 25  f. von Suchten, Georg d. J. 38, 42, 48, 50 Tauler, Johannes 19, 21, 91  f., 126, 163, 167, 170, 201, 206, 208, 217, 328  f., 357 Tancke, Joachim 44 Tertullian 138, 231 Theophrast von Eresos 290, 370 Thölde, Johann 8, 43  f. Thomas von Aquin 233, 257 Timaios 234 Toxites, Michael 1, 11, 20, 27, 29  f., 32  f., 39  f., 42, 44, 114, 240, 248  f., 295, 324, 337, 344, 353 Trevisanus, Bernhardus 40 Trithemius, Johannes 5, 18, 237  ff. Ibn Tufail, Abu Bakr 67–70 Vehe, Matthias 147 Weigel, Valentin 14, 39, 74, 91  f., 118, 121  f., 136  f., 167, 174, 207, 253  f., 263, 326–330, 357 Weyer (Wier), Johann 247 Zwinger, Theodor 52, 146 Zwingli, Huldrych 26, 308, 310  f.