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German Pages 114 Year 2018
Cornelia Behnke Mut zum Altern
Alter - Kultur - Gesellschaft | Band 1
Cornelia Behnke (Dr. phil.), geb. 1965, lehrt Soziologie in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die qualitativen Methoden der Sozialforschung, die Soziologie der Geschlechterverhältnisse und des Alter(n)s.
Cornelia Behnke
Mut zum Altern Wie das Alter seine eigene Würde entfalten kann. Gespräche und Betrachtungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4290-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4290-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Danksagung | 9 1. Einleitende Bemerkungen | 11 2. Theoretische Annäherung Sozialphilosophische Perspektiven und gerontologische Forschung | 17
Philosophische Betrachtungen | 17 Gerontologische Forschung | 21
3. Empirische Annäherung | 25 3.1 Gelebtes Alter: Gruppendiskussionen und Interviews mit älteren Frauen: »Man weiß, man ist noch wer« | 28 3.2 Zwischenresümee I: Altsein als Nicht-Erfahrung | 65 3.3 Alter aus Expertensicht: Bildungswissenschaftliche, medizinische und geistliche Perspektiven | 67 3.4 Zwischenresümee II: Erhalt der Kräfte versus Schwäche als Stärke | 93 3.5 Resümee: Altern ohne alt zu sein | 95
4. Schlusswort | 101 Literatur | 105 Anhang | 107 Transkriptionsregeln | 107 Exemplarische Darstellung einer Passage aus einer Gruppendiskussion | 108
»Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!« (Das Buch Kohelet, 12.1)
Danksagung
Dieses Buch basiert auf empirischem Material, das im Sommersemester 2015 im Rahmen eines studentischen Forschungsprojektes zum Thema »Alter und Bildung« unter meiner Leitung im Methodenseminar des Masterstudiengangs »Angewandte Sozial- und Bildungswissenschaften« an der Katholischen Stiftungshochschule München von den Studierenden erhoben wurde. Mein Dank gilt Patrick Sauter, Raphaela Schreiber, Rebekka Schulz, Pia Weinberger, Julia Engelhardt, Kathrin Mayer, Debora Molina-Benzing, Malena Schulte-Spechtel, Miriam Schroll, Julia Menzel, Katharina Auer, Silvia Erhard, Lukas Jaeger, Veronika Reiser und Petra Will. In einem Forschungsfreisemester im Sommer 2016 hatte ich Gelegenheit für eine vertiefende Auswertung und die Erhebung einiger zusätzlicher Interviews zur Erweiterung der ursprünglichen Fragestellung. Ich bedanke mich bei der Hochschulleitung für die Ermöglichung des Freisemesters. In dieser Zeit waren Silvia Erhard und Christin Kremp als studentische Hilfskräfte eine wertvolle Unterstützung für mich. Nicht nur in Hinblick auf die nötigen Transkriptions- und Interpretationsarbeiten, sondern ganz besonders für die anregenden Gespräche in unserer kleinen Forschungswerkstatt bedanke ich mich ganz herzlich. Bei der Katholischen Erwachsenenbildung München und Freising bedanke ich mich für die schöne Kooperation im Sommersemester 2015 und für die Hilfe bei der Herstellung von Kontakten. Schließlich möchte ich mich besonders herzlich bei unseren Interviewpartner/-innen für ihre freimütigen Erzählungen bedanken.
1. Einleitende Bemerkungen
In unserer fortgeschrittenen spätbürgerlichen Gesellschaft geht seit einiger Zeit ein Gespenst um: Es ist das Gespenst des Alters. Alter(n) scheint die Höchststrafe zu sein in einer Kultur, die sich »verzweifelt auf Jugend schminkt« (Bloch 2015: 136). Das zeigt sich in sogenannten Anti-Aging-Produkten ebenso wie in einer Bezeichnungspraxis, die das Wort »alt« vermeidet und stattdessen lieber von Silver Surfern, Best Agern, Generation 50 plus und Ähnliches redet. Trotz dieser Praxis der Vermeidung und Verleugnung ist das Thema Alter omnipräsent. Der demografische Wandel, die Tatsache, dass der Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung weiter zunehmen wird, sorgt dafür, dass das Thema Alter in öffentlichen Debatten an Bedeutung gewinnt. Dieser Bedeutungszugewinn hat Folgen: Neue Studiengänge rund um das Thema Alter werden etabliert, Kompetenzzentren werden aufgebaut und unterschiedliche Fachdisziplinen beschäftigen sich mit Fragen der Lebensqualität im Alter. Es ist ein bisschen so, als hätte man gerade eine neue Kategorie Mensch entdeckt. Das Alter wird derzeit nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst erforscht. Die vielen Altersstudien, die sich mit den Bedürfnissen alter Menschen und den daraus abzuleitenden gesellschaftspolitischen Herausforderungen beschäftigen, zeigen neben den gewonnenen Erkenntnissen vor allem, wie sehr das Alter aus unserer persönlichen Lebensführung und aus dem öffentlichen Raum verbannt ist. Ein Phänomen, das überall verbreitet ist – alles Leben auf Erden altert – ist uns offenbar fremd geworden.
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Das ist in gewisser Hinsicht verständlich, denn das Alter ist, obgleich es ein allgemeines Phänomen ist, für den einzelnen Menschen nicht so einfach zu realisieren. Die Schriftstellerin und Sozialphilosophin Simone de Beauvoir verweist darauf, wie eigentümlich es für das Individuum ist, von einem bestimmten Zeitpunkt an als alt angesehen zu werden: »Der gealterte Mensch fühlt sich alt auf Grund der anderen, ohne entscheidende Veränderungen erfahren zu haben; innerlich ist er nicht einverstanden mit dem Etikett, mit dem man ihn versehen hat – er weiß nicht mehr, wer er ist.« (2012: 375)
Simone de Beauvoir formuliert hier die zur Existenz des Menschen gehörende Herausforderung, vielleicht auch die Zumutung, mit der irritierenden Erfahrung, plötzlich zu den Alten zu zählen, fertig zu werden. Gegenwärtig ist im Umgang mit dieser den Menschen irritierenden Erfahrung eines ganz offensichtlich: Das Alter wird – wie vieles andere auch – an Spezialisten übergeben, verbunden mit der unausgesprochenen Erwartung, die Wissenschaft möge das Problem des Alters irgendwie in den Griff bekommen. Bezeichnend für diese Hoffnung scheint mir die Chiffre vom »gelingenden Alter« zu sein. Wenn vom Gelingen einer Unternehmung die Rede ist, so verweist dies auf die Tüchtigkeit des unternehmenden Individuums sowie die prinzipielle Machbarkeit der Unternehmung. Die Rede vom »gelingenden Alter« legt also nahe, dass das Unternehmen Alter unter bestimmten Bedingungen gut gehen, mithin eine Erfolgsgeschichte werden kann. In dem Maße, in dem das Alter erforscht wird, kann, so ist die implizite Botschaft, immer besser aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen das Alter gut geht. Gerontologisches und geriatrisches Expertenwissen stellt in dieser Perspektive gleichsam einen Werkzeugkasten zur Verfügung, mit dessen Hilfe das Alter zu meistern wäre. Zentrale Schlüsselwörter in (populär-)wissenschaftlichen Debatten lauten dem Werkzeug-
1. Einleitende Bemerkungen
kasten entsprechend: Autonomie, Selbstbestimmung, lebenslanges Lernen, bürgerschaftliches Engagement, Teilhabe, Vielfalt usw. Die umfangreiche wissenschaftliche Expertise über die Möglichkeiten guten Alterns gerät unter der Hand allerdings auch zur Drohbotschaft: Wenn Alter gelingen kann, dann kann es wohl ebenso gut auch misslingen. Wir haben also einen Leitfaden für glückliches Altern zur Hand, der uns gleichzeitig Mahnung und Ansporn ist, die zahlreichen physiologisch, psychologisch und sozialwissenschaftlich fundierten Empfehlungen zu befolgen, da andernfalls das Unternehmen Alter schiefgehen könnte. Nun ist es nicht schlecht, über Wissen zu verfügen, das dabei hilft, in gewissen Grenzen das eigene Alter selbst aktiv zu gestalten. In diesen gestiegenen Wissensvorräten die individuelle und gesellschaftliche Lösung der mit dem Phänomen Alter zusammenhängenden Zumutungen und Herausforderungen zu sehen, ist allerdings ziemlich kurzsichtig. Die Erwartung, immer mehr gerontologische und geriatrische Expertise werde das Unternehmen Alter schließlich zu einem glücklichen Ende führen, scheint mir eine Mischung aus kollektiver Fortschrittsgläubigkeit und individueller psychosozialer Abwehr zu sein. Denn tatsächlich ist kein Mensch aus der Eigenverantwortung für sein Leben und somit auch seine letzte Lebensspanne entlassen – insofern ist die Übergabe des Themas an die Experten nur eine scheinbare Übergabe. Und schließlich wird uns auch ein maximal aktiv gestaltetes Leben im Alter letztlich nicht vor Leid und Tod bewahren können – insofern wird das Unternehmen Alter bei uns allen irgendwann misslingen. Misslingen in dem Sinne, als dass die Gestaltbarkeit von Prozessen des Alter(n)s oder – anders formuliert – das Selbermachen können irgendwann definitiv ein Ende hat. Die Begrenztheit der eigenen Existenz, das Zugehen auf das eigene Ende sind die Themen, die uns mit zunehmendem Alter mehr und mehr und ganz buchstäblich auf den Leib rücken. Hier werden unserer Machbarkeit spürbar mehr und mehr Grenzen gesetzt. Wie sehr es dem einzelnen Menschen gelingt, dieses Unvermeidliche, die Tatsache, irgendwann eben nicht mehr selbst
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gestalten zu können, zu tragen, das hängt freilich auch damit zusammen, wie eine Gesellschaft insgesamt das Alter trägt. Das aber scheint mir nicht vorrangig eine Frage des Verfügens über möglichst viel wissenschaftliche Expertise zu sein, sondern eher damit zusammenzuhängen, inwieweit die Themen Langsamkeit, Innehalten, Rückgang, in letzter Konsequenz Themen wie Sterben, Tod und Transzendenz, im gesellschaftlich-kulturellen Leben Platz und Wert haben. In unserer temporeichen, lauten, auf Konsum und rasche Ereignisfolgen ausgerichteten Welt des spätbürgerlichen Kapitalismus ist dieser Platz und Wert eher begrenzt. Tendenziell haben wir es mit einer Gesellschaft zu tun, die das Alter aus ihrer Mitte verbannt und gleichzeitig schönredet. Alter darf in der Regel nicht das sein, was es eigentlich ist: der normale Gang der Dinge. In diesem Buch unternehme ich den Versuch, Normalität und Irritationen des Alters aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Es geht mir darum zu untersuchen, welche Zugänge Menschen zum Alter haben, und zwar alte Menschen selbst sowie solche, die beruflich mit dem Thema zu tun haben. Dabei stütze ich mich, wie schon in der Danksagung erwähnt, auf empirisches Material zum Thema »Alter und Bildung«, das im Rahmen eines meiner Methodenseminare und meines Forschungsfreisemesters erhoben und ausgewertet wurde. Dieses Material hatte zwar ursprünglich einen spezifischen Fokus, eben Bildungsprozesse im Alter und das bei einer spezifischen Klientel, nämlich ehrenamtlich tätigen Frauen in katholischen Gemeinden. Gleichzeitig waren aber die Gespräche von Anfang an so angelegt, dass auch allgemeine Betrachtungen und Erfahrungen zum Thema Alter ausreichend Platz hatten. Hier soll es nun eher um die allgemeinen Betrachtungen der Interviewten gehen. Nach einer kurzen Darstellung einiger philosophischer Betrachtungen sowie aktueller sozialwissenschaftlicher Befunde zum Thema Alter folgt der Hauptteil des Buches, die empirische Annäherung. Hier kommen die von uns interviewten alten Frauen zu Wort. Es sind Frauen, die in ihrer nachberuflichen Phase nach wie vor aktiv im Leben stehen, deren Lebensführung also zunächst einmal
1. Einleitende Bemerkungen
so zu sein scheint, wie es aktuellen geriatrischen und gerontologischen Empfehlungen entspricht. Die Perspektiven dieser aktiven Alten auf das Alter werden dann durch bildungswissenschaftliche, medizinische und theologische »Außenansichten« ergänzt. Das sehr reichhaltige Interviewmaterial habe ich zu Porträts verdichtet, die aufzeigen, wie die alten Menschen selbst das Alter verstehen (oder auch nicht verstehen) und wie die unterschiedlichen Experten dem Phänomen Alter gegenüberstehen. Schließlich wird resümiert, was sich – mit Ausnahme eines empirischen Gegenhorizonts – über die unterschiedlichen Lebenslagen und Berufe hinweg als ein ziemlich dominantes Muster erweist: über den Modus der Aktivität, das Alter auf Abstand zu halten.
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2. Theoretische Annäherung
Sozialphilosophische Perspektiven und
gerontologische Forschung
P hilosophische B e tr achtungen Altern bedeutet zunächst einmal, dass die Zeit vergeht. »Alles verändert sich mit der Zeit«, heißt es in dem umfänglichen gerontologischen Werk »Zukunft Altern« von Andreas Kruse und HansWerner Wahl (2010: 332). Der Meeresschaum, die Eintagsfliege, der Schmetterling, der Mensch, die Erde verändern sich – mal dauert es Sekunden, mal Jahrmillionen, sicher aber ist: Alle belebte Natur entsteht und vergeht (333f.). Im biologischen Sinne bedeutet altern, dass Lebewesen einer fortschreitenden Wandlung unterworfen sind (91). Altern ist somit ein Prozess, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet (7). Das Charakteristische an der Lebensphase, die wir Alter nennen, ist, dass die Zeitlichkeit menschlichen Lebens immer deutlicher wird. Zwar existieren wir von Anfang an als zeitliche und damit endliche Wesen. Im Alter aber intensiviert sich das Erleben von Unwiederbringlichkeit. Die Verlusterfahrungen nehmen zu und das, was lange schon abstrakt gewusst wurde, wird spürbar: die Begrenztheit und Endlichkeit des Lebens. In den Betrachtungen des Philosophen Thomas Rentsch (2015) ist Altern somit eine Radikalisierung der menschlichen Grundsituation. Die Alten sind kein »exotischer Stamm«, der »inmitten ansonsten nur junger, unbeschwerter, kerngesunder […] Menschen« (197) lebt. Vielmehr ist der Mensch in allen Phasen seines Lebens
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prinzipiell verletzbar und gefährdet. Im Alter tritt lediglich diese für Menschen konstitutive Verletzlichkeit, wie Rentsch es formuliert, »aufdringlich zutage« (198). Das Thema Alter hat die Menschen schon immer beschäftigt. Dies zeigt sich u.a. in der Literatur, der darstellenden Kunst sowie in der Geschichte der Philosophie. Lob des Alters, Altersschelte und Wehklagen wechseln. Der römische Philosoph und Politiker Cicero lobt das Alter. In seiner berühmten i. J. 44 v. Chr. entstandenen Schrift lässt er fiktiv Cato den Älteren das Alter verteidigen. Dieser argumentiert in seiner Rede, dass die Verluste, die typischerweise das Alter kennzeichnen, nämlich das Schwinden der körperlichen Kraft und der Lust, eigentlich gar keine Verluste seien. Wer weiterhin seinen Geist trainiere, werde die Körperkraft nicht sonderlich vermissen und das nachlassende Verlangen sei eigentlich als Vorzug zu werten, da die Lust sowohl Feindin der Vernunft als auch der Tugend sei: »Die Lust behindert ja die Überlegung, sie ist die Feindin der Vernunft, sie blendet sozusagen die Augen des Geistes, und sie verträgt sich überhaupt nicht mit der Tugend.« (Merklin 2011: 63)
Idealerweise vollende das Alter ein im Ganzen tugendhaft geführtes Leben: »Ansehen kann man sich nicht plötzlich durch graue Haare und durch Runzeln verschaffen, sondern ein schon früher in Ehren geführtes Leben erntet am Ende die Früchte des Ansehens.« (85)
Der Philosoph und Schriftsteller Montaigne hält diesem, wie Simone de Beauvoir kritisch formuliert, »moralisierenden Optimismus« (2012: 203) des vornehmen Römers seine eigenen, eher nüchternen Erfahrungen entgegen: »Was mich betrifft, so halte ich es für sicher, dass sowohl mein Geist als auch mein Körper mehr verloren als hinzugewonnen haben, mehr zurück-
2. Theoretische Annäherung
gegangen als fortgeschritten sind. Möglicherweise wachsen bei denen, die ihre Zeit gut nutzen, Wissen und Erfahrung mit den Jahren; aber Lebhaftigkeit, rasche Auffassungsgabe, Entschlossenheit und andere Dinge, die uns viel mehr angehen, die wichtiger und entscheidender sind, verwelken und erschlaffen.« (zitiert in Beauvoir 2012: 203)
In der Dichtung finden sich vielfach recht harte Altersbilder. Die alte Frau wird vor allem als abstoßend dargestellt. Beauvoir stellt fest: »Weil es das Los der Frau ist, in den Augen der Männer ein Objekt der Erotik zu sein, verliert sie, alt und häßlich1 geworden den ihr in der Gesellschaft zugewiesenen Platz. Sie wird ein monstrum, das Widerwillen und sogar Furcht erregt […].« (157)
Die alten Männer werden eher Zielscheibe von Spott und Satire. Ein Vers aus Shakespeares Komödie »Wie es euch gefällt« ist exemplarisch für solch eine spöttische Betrachtung: »[…] Das sechste Alter, Macht den besockten hagern Pantalon, Brill auf der Nase, Beutel an der Seite; Die jugendliche Hose, wohl geschont, ne Welt zu weit für die verschrumpften Lenden; Die tiefe Männerstimme, umgewandelt zum kindischen Diskante, pfeift und quäkt in feinem Ton […].« (1989: 674)
Beauvoir konstatiert in ihrem großen Essay über das Alter eine Doppelzüngigkeit der Gesellschaft gegenüber den Alten. Man fordere von den Alten heitere Gelassenheit und verachte sie, wenn sie von diesem erhabenen Bild abweichen. So oder so macht man die Alten zu einer Extra-Kategorie: »Auf jeden Fall stehen die Alten, sei es durch ihre Tugend, sei es durch ihre Erniedrigung, außerhalb der Menschheit.« (2012: 8) Für diesen Ausschluss macht Beauvoir in letzter Konsequenz eine Gesellschaft verantwortlich, die Menschen nur als Material be1 | In Zitaten wird die alte Rechtschreibung übernommen.
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trachtet. Die kapitalistisch organisierte Gesellschaft gleiche einer Maschinerie, die nach dem jungen Menschen greift, ihn vernutzt und am Ende als alten Menschen wieder ausspeit. Es kann folglich nicht darum gehen, die Alterspolitik großzügiger zu gestalten oder die Renten zu erhöhen – Beauvoirs Schlussfolgerung ist grundlegend: »Es geht um das ganze System, und die Forderung kann nur radikal sein: das Leben verändern.« (712) Entwicklungspsychologisch und moralphilosophisch betrachtet, lässt sich der Lebenszyklus eines Menschen in verschiedene Phasen, Stufen oder Gestalten einteilen. Diese beinhalten jeweils spezifische Anforderungen und Krisen. Erich H. Erikson (1973) stellt bekanntermaßen die späte Lebensphase unter die Überschrift »Integrität gegen Verzweiflung und Ekel«. Dies bedeutet die Herausforderung, das eigene Leben trotz aller Verluste, Enttäuschungen und Verwerfungen zu bejahen und anzunehmen. Auch bei dem Religionsphilosophen Romano Guardini geht es darum, die jeweiligen Lebensphasen mit ihren Forderungen anzunehmen. Der alte Mensch muss in letzter Konsequenz den kommenden Tod annehmen und sogar »auf ihn zuleben« (2010: 74). In diesem aktiven auf den Tod Zuleben trifft sich Guardini mit Viktor E. Frankl, dem Begründer der Logotherapie, der den Menschen wesentlich auf der Suche nach Sinnerfüllung sieht. Frankl gliedert den Homo sapiens in drei Gestalten auf: »Den homo faber, der schaffend seinen Daseinssinn erfüllt, in den Homo amans, der erlebend, begegnend und liebend sein Leben mit Sinn anreichert, und in den Homo patiens, den leidenden Menschen, den sein Leiden ›leistenden‹ Menschen.« (2007: 81)
Diese grundsätzliche Betrachtung Frankls lässt sich auch spezifisch auf die Situation des alten Menschen anwenden. Es geht Frankl darum aufzuzeigen, wie ein Schicksal, das man nicht mehr in der Hand hat, bewältigt werden kann, indem man es auf sich nimmt.
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G erontologische F orschung Soziologisch betrachtet ist Alter, wie die Kategorie Geschlecht, die Milieuzugehörigkeit oder die ethnische Zugehörigkeit eines Menschen, eine zentrale soziale Differenzkategorie, mithin eine Dimension sozialer Ungleichheit. Zugewiesener sozialer Status und Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Positionen stehen auch mit dem Lebensalter eines Menschen im Zusammenhang. Innerhalb dieser Kategorie gibt es freilich große Unterschiede. Die heutige Alter(n)sforschung hebt die Uneinheitlichkeit und Vielgestaltigkeit des Alter(n)s hervor (vgl. Kruse/Wahl 2010). Zunächst einmal ist es sinnvoll, zwischen Alter und dem Vorgang des Alterns zu unterscheiden. Als Alter wird eine bestimmte Lebensphase im Leben eines Menschen bezeichnet. Wann diese beginnt, ist in gewissem Maße eine willkürliche Bestimmung und abhängig vom jeweiligen gesellschaftlich-kulturellen Kontext. In Gesellschaften, in denen Berufstätigkeit und Erwerbsbiografien eine hohe Bedeutung haben, ist es eine Konvention, mit dem Beginn des Renteneintritts von der Phase des Alters zu sprechen (vgl. Kruse/ Wahl 2010: 7). Beim Altern handelt es sich, wie schon erwähnt, auf biologischer Ebene um einen unumkehrbaren Veränderungsprozess, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Dieser Veränderungsprozess steht in Kindheit und Jugend unter der Überschrift des Wachstums, der Zunahme. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wird der Veränderungsprozess tendenziell ungünstig, es beginnt ein fortschreitender Abbauprozess physiologischer Funktionen. Alt werden bedeutet eine zunehmende Verletzlichkeit des Organismus. In anderen Bereichen hingegen kann Alter(n) auch eine Zunahme bedeuten. So werden etwa die Erfahrungen eines Menschen immer reichhaltiger, die finanziellen Möglichkeiten sind im Durchschnitt gesehen im Alter besser als in jüngeren Jahren (vgl. Kruse/Wahl 2010). Die Schnelligkeit in der Verarbeitung von Informationen lässt nach, dafür ist das Erfahrungswissen breiter. Altern kann, sowohl beim einzelnen Menschen je nach betrachtetem Bereich als
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auch beim Vergleich altersgleicher Gruppen, Unterschiedliches bedeuten. Wir alle kennen »jung gebliebene Alte« und vor der Zeit gealterte Menschen. Zweierlei lässt sich vorläufig festhalten: 1. Es gibt im Alter im Vergleich mit Jüngeren sowohl Schwächen als auch Stärken. 2. Bei aller interindividuellen Verschiedenheit des Alters ist es doch eine Gemeinsamkeit, dass Verlusterfahrungen sich häufen (vgl. Kruse/Wahl). Basierend auf dem derzeitigen Kenntnisstand werden sowohl an die Adresse der Gesellschaft als auch an die Adresse der Alten Forderungen bzw. Empfehlungen formuliert. Einigkeit besteht in der Einschätzung, dass alte Menschen in modernen Gesellschaften heute über mehr Ressourcen verfügen als früher und vergleichsweise gesünder und leistungsfähiger sind (vgl. Generali Zukunftsfonds 2012). Eine klare Mehrheit der Alten etwa fühle sich deutlich jünger als es ihrem tatsächlichen Alter entspricht (32ff.). In diesem Zusammenhang wird der sogenannte Belastungsdiskurs kritisiert, also die negativ konnotierte Rede von der Überalterung der Gesellschaft, und stattdessen darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft viel mehr von den Ressourcen und Stärken der Alten profitieren könnte (19). Stichworte in diesem Zusammenhang sind beispielsweise das hohe ehrenamtliche Engagement älterer Menschen, ihre Bedeutung als Wirtschaftsfaktor, neue Arbeitsformen, etwa in altersgemischten Teams mit klaren Rollen für die Älteren, schließlich ganz grundsätzlich ihre Vorbildfunktion für nachfolgende Generationen (vgl. Generali Zukunftsfonds 2012; Kruse/Wahl 2010). Die an die Älteren gerichtete Botschaft lautet tendenziell, den eigenen Alterungsprozess aktiv mit zu gestalten. Hier greifen die Vorstellungen von lebenslanger Entwicklung und lebenslangem Lernen. Lebensqualität im Alter habe damit zu tun, sich weiter für die Gesellschaft zu interessieren. Dafür sei es notwendig, weiter »am Ball zu bleiben«, also zum Beispiel das Gedächtnis zu trainieren, Kurse zu besuchen, um mit dem technischen Fortschritt mithalten und weiter am öffentlichen Leben teilhaben zu können, weiter in soziale Beziehungen oder soziale Netzwerke zu investieren usw.
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Die Gesellschaft wiederum möge sich stärker mit dem Alter beschäftigen und beispielsweise für die Vermittlung adäquater Wissensbestände über das Alter sorgen, etwa über die Verankerung der Altersthematik im Unterricht (vgl. Kruse/Wahl 2010). Man könnte vielleicht sagen, dass es um so etwas wie das Erringen einer besseren Passung geht, wobei im Zentrum schon die Frage steht, wie sich die Älteren so gut wie möglich in diese temporeiche, sich in stetem Wandel befindliche Gesellschaft einbringen können. Bei dem Philosophen Thomas Rentsch findet sich auch die Idee einer Passung, allerdings in umgekehrter Weise: »Wenn wir den Spieß ethisch umdrehen, dann dürften wir nicht mehr nur fragen, wie die beeinträchtigten, benachteiligten, gehandicapten, nutzlosen, langsamen, auf Hilfe und Ansprache angewiesenen, dem Ende zulebenden Alten mit der modernen, durchgestylten, hochkomplexen Hochgeschwindigkeitsgesellschaft zurechtkommen, sondern umgekehrt – und das ist die ethische Kehre – was diese Gesellschaft von der Tatsache des Alterns und ihrem Sinn lernen kann, ja sogar dringend lernen muß.« (2015: 205)
Rentsch bleibt die Antwort nicht schuldig: Bescheidenheit könnte die Gesellschaft lernen und ein Gespür entwickeln für Werte wie Langsamkeit, Zurückhaltung und Zurücknahme (205f.). In dieser Perspektive geht es nicht vorrangig darum, dass sich die alten Menschen quasi permanent für das gesellschaftliche Leben »fit halten«, denn eine solche Perspektive blendet die Frage der Qualität, der Güte eben dieses gesellschaftlichen Lebens aus. Rentsch fokussiert nicht die zu kompensierenden oder des Trainings bedürfenden Schwächen der alten Menschen, auch nicht die Stärken, von denen die Gesellschaft möglicherweise profitieren könnte. Er thematisiert interessanterweise die »Schwächen« der Alten im Sinne eines nicht zu verhehlenden Rückgangs des Menschen im Alter. Genau von diesem »Schwinden« oder – metaphorisch gesprochen – dem Leiserwerden könnte die Gesellschaft lernen. In einer solchen Lernbereitschaft, einer Sensibilisierung für die Botschaft der »leisen Töne«
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würde sich denn auch eine wirkliche Wertschätzung der Lebensphase Alter dokumentieren.
3. Empirische Annäherung
Nun sollen die Menschen zu Wort kommen, die das Alter aus je unterschiedlichen Lebenslagen und Erfahrungsräumen heraus erleben bzw. betrachten. Die folgenden sechs Porträts basieren auf der Analyse von Gruppendiskussionen und Interviews, ursprünglich fokussiert auf das Thema »Alter und Bildung« in einem spezifischen Segment, nämlich innerhalb der katholischen Bildungsarbeit. In den später erhobenen ergänzenden Einzelinterviews sowie in der vertieften Auswertung geht es dann allgemeiner darum herauszuarbeiten, wie die alten Menschen selbst ihr Altsein verstehen und wie diejenigen, die sich innerhalb ihres Berufs mit dem Thema Alter konfrontiert sehen, das Alter betrachten. Alle Gespräche wurden im süddeutschen Raum geführt, die meisten in der Stadt München und im dazu gehörigen Landkreis. Die Gruppendiskussionen wurden, wie schon gesagt, im Rahmen eines kleinen, im Methodenseminar eines Masterstudiengangs verankerten Forschungsprojekts von Studierenden durchgeführt. Die Diskussionsteilnehmerinnen waren ältere Frauen, die in ihren Kirchengemeinden bzw. Pfarrverbänden ehrenamtlich als Leiterinnen von sogenannten Seniorennachmittagen engagiert sind. Dass es sich bei diesen Interviewpartnerinnen ausschließlich um Frauen handelt, ist nicht einem geschlechtsspezifischen Erkenntnisinteresse geschuldet, sondern schlicht dem Gegenstand unserer Forschung: In diesem ehrenamtlichen Bereich, der uns durch die Vermittlung des kirchlichen Bildungsträgers zugänglich gemacht werden konnte, sind ausschließlich Frauen tätig.
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Mit zwei Frauen aus diesen Gesprächsrunden wurden zu einem späteren Zeitpunkt zusätzlich Einzelinterviews geführt.1 Die Gespräche mit den Frauen, dargestellt in Form eines exemplarischen Gruppenporträts und zweier Einzelporträts, stehen für die Perspektive derjenigen, die das Alter selbst erleben. Die meisten der ehrenamtlich engagierten Frauen sind um die 70 Jahre alt, sie befinden sich also selbst bereits in der späten Lebensphase und sie sind zusätzlich durch ihr Ehrenamt mit dem Thema Alter konfrontiert. Die Diskussionen waren auf Selbstläufigkeit hin angelegt, d.h. es ging nicht darum, die Frauen »abzufragen«. Vielmehr haben diese die uns interessierenden Fragen zum Thema Alter und Bildung sowie ihre Erfahrungen bei der Gestaltung der Seniorennachmittage gemäß ihrer eigenen Wichtigkeiten, in ihrem eigenen Tempo und in ihrer eigenen Sprache untereinander diskutiert. Die studentischen Diskussionsleitungen haben sich bemüht, immanent nachzufragen und den Erzählfluss zu unterstützen. Die Diskussionsrunden wurden von allen Frauengruppen eifrig zur Darstellung ihrer Themen und zum Austausch untereinander genutzt, insofern hat sich das Verfahren bei diesem Personenkreis als sehr passend erwiesen. Die Perspektive derjenigen, die das Alter selbst erleben, wird flankiert von drei »Außenperspektiven« unterschiedlicher Provenienz, die mir zur Ergänzung sinnfällig erschienen.2 Diese Gesprächspartner/-innen repräsentieren jeweils den Blick eines Fachs bzw. einer Profession (oder einer Berufung) auf das Thema Alter. Eine Gesprächspartnerin ist hauptamtlich in der Bildungsarbeit mit alten Menschen tätig. Da die von uns interviewten Frauen innerhalb eines Segments der katholischen Bildungsarbeit tätig sind, schien mir diese Expertinnensicht sinnvoll zu sein. Ein weiterer Gesprächspartner vertritt als Geriater die medizinische Experten1 | Die beiden ergänzenden Einzelinterviews führte in ihrer Eigenschaft als studentische Hilfskraft Christin Kremp. Herzlichen Dank! 2 | Diese Gespräche konnte ich im Rahmen meines Forschungsfreisemesters im Sommer 2016 selbst führen.
3. Empirische Annäherung
ansicht und somit die biologische Dimension des Themas. Ein Pater einer Ordensgemeinschaft repräsentiert schließlich die geistiggeistliche Dimension. Der Form nach sind alle ergänzenden Interviews, auch die zusätzlichen Einzelinterviews mit den zwei Frauen aus den Diskussionsrunden, offene leitfadengestützte Interviews. D.h. es gab, wie in den Gruppendiskussionen auch, einen kleinen, locker und unbürokratisch gehandhabten Fragenkatalog, der dafür sorgte, dass alle uns interessierenden Themenbereiche auch angeschnitten wurden. Dabei hatten die Gesprächspartner/-innen breiten Raum, um die Themen in ihrer eigenen Art und Weise und gemäß ihrer eigenen Relevanz zu entfalten. Die Interviewführung und Auswertung erfolgte ganz in der Tradition qualitativer, rekonstruktiver Forschung.3 Die hier dargestellten Ergebnisse sind folglich nicht in einem statistischen Sinne repräsentativ. Ich gehe aber, wiederum ganz der Logik qualitativer Methoden folgend, davon aus, dass in die Spezifik des Einzelfalls immer auch das größere Ganze (die Typik eines Milieus oder einer Profession) mit eingelassen ist. Die Porträtierten stehen somit exemplarisch für bestimmte Erfahrungsräume. In den offerierten Haltungen und Orientierungen der porträtierten Personen mischt sich das je Besondere des Einzelfalls mit Perspektiven, wie sie für das jeweilige lebensweltliche oder professionsgebundene Milieu typisch sind.4 3 | Zu den Prinzipien qualitativer Forschung zählen eine offene Gesprächsführung und eine interpretierende, rekonstruierende Auswertung. Es geht wesentlich darum, so etwas wie latente Sinngehalte bzw. zentrale handlungsleitende Orientierungsmuster der Interviewpartner/-innen herauszuarbeiten. Als geeignete Auswertungsstrategien erweisen sich hier Verfahren, die ausgewählte Textpassagen sequenzweise interpretieren. Wir haben uns bei unserer Auswertung an der dokumentarischen Methode der Interpretation orientiert (vgl. Bohnsack 1991; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010). 4 | Ich verwende den Begriff des Milieus im Sinne eines konjunktiven Erfahrungsraums. Die Mitglieder solcher Erfahrungsräume sind durch Ge-
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Die folgenden sechs Porträts kreisen das Thema Alter nicht vollständig ein. Wohl aber zeigen sie typische Blickrichtungen und typische Begrenzungen.
3.1 G elebtes A lter : G ruppendiskussionen und I ntervie ws mit älteren F r auen : »M an weiss , man ist noch wer « Ausgangspunkt für das nun folgende Gruppenporträt wie auch für die beiden Einzelinterviews waren, wie bereits erwähnt, die Gruppendiskussionen mit den ehrenamtlich tätigen älteren Frauen. Diese leiten und gestalten in einer bayerischen Großstadt sowie im dazugehörigen Landkreis die Seniorennachmittage in katholischen Gemeinden bzw. Pfarrverbänden. Bevor die exemplarische Gruppe vorgestellt wird, gehe ich auf die Charakteristika der Diskussionsrunden mit den ehrenamtlich tätigen Frauen im Allgemeinen ein. Die sogenannten Seniorennachmittage oder Altenclubs sind ein traditionelles Format. Sie stellen ein offenes Angebot für die älteren Mitglieder einer Gemeinde dar, oft unter etwas euphemistischen Überschriften wie »Club der Junggebliebenen« oder Ähnliches. Die Altersstruktur der teilnehmenden Seniorinnen und Senioren differiert wie auch die Gruppengröße: Zu einem großen Teil handelt es sich aber um Angebote für die sogenannten Hochbetagten, also Menschen jenseits der 80. Diese Nachmittage finden einmal oder mehrmals im Monat statt, meist im Gemeindesaal der Pfarrei. Sie werden, wie andere offene Angebote auch – etwa Nachmittage für Eltern-Kind-Gruppen –, ehrenamtlich betreut, typischerweise von engagierten Frauen aus der Gemeinde. Auch die Besucher/-innen der Seniorennachmittage sind ganz überwiegend Frauen. Wir hameinsamkeiten des Schicksals, des biografischen Erlebens und/oder der Sozialisationsgeschichte miteinander verbunden (vgl. Bohnsack 1991: 115). Dieses Verständnis erlaubt es, über klassische soziale Lagen hinaus auch von »akademischen Milieus« oder »katholischen Milieus« zu sprechen.
3. Empirische Annäherung
ben es also im Folgenden im Wesentlichen mit Frauenwelten der älteren Generation zu tun. Diese Frauenwelten sind eingebettet in ein bestimmtes, nämlich katholisches, eher traditionell geprägtes Milieu.5 Bevor ich zum Inhalt der Diskussionen komme, möchte ich noch auf ein konstitutives Moment des Verfahrens Gruppendiskussion verweisen. Das Gruppendiskussionsverfahren ist abgestellt auf die Erfassung kollektiver Sinngehalte. Die Inhalte der Diskussionen werden daher nicht als Summe von Einzelmeinungen behandelt, sondern als Gruppenmeinung. Dahinter steckt die Auffassung, dass es sich bei dem, was in den Diskussionen in gemeinsamer Interaktion vorgetragen wird, um kollektiv geteilte Orientierungen handelt, sofern denn die Gruppenmitglieder über einen gemeinsamen Erfahrungsraum verfügen. Das ist bei den von uns interviewten Frauen in hohem Maße der Fall. Wir haben es mit Gemeinsamkeiten qua Geschlecht und Generationenlage zu tun; bei der Gruppe, die ich vertieft vorstellen werde, haben die drei Frauen sogar dasselbe Geburtsjahr. Darüber hinaus sind alle Frauen langjährig in katholischen Kirchengemeinden ehrenamtlich tätig und leiten dort die Seniorennachmittage. Wir konnten also von einer Vielzahl von gemeinsam geteilten Erfahrungen ausgehen und das hat sich in den Diskussionsrunden auch deutlich gezeigt. Die Diskussionsteilnehmerinnen wurden, wie bereits erwähnt, über die Vermittlung durch hauptamtliche Mitarbeiterinnen der kirchlichen Bildungsinstitution gewonnen. Insgesamt wurden acht Gruppendiskussionen durchgeführt, vier in der Stadt und vier im Landkreis, wobei sich bei dem, was die Frauen äußerten, entgegen unserer Vorannahmen keine besonderen Unterschiede zwischen den Gemeinden der Großstadt und denen des Landkreises zeigten. Die einzelnen Diskussionsrunden bestanden aus drei bis fünf Teilnehmerinnen, die sich zum Teil – jedoch nicht immer – persönlich 5 | Ich werde der Kategorie Geschlecht in diesem Buch allerdings keine systematische Beachtung schenken, sondern nur an den Stellen, an denen es die empirische Analyse bzw. der empirische Vergleich nahelegt.
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kannten. So konnten sich durchaus Frauen, die etwa zu zweit einen Seniorennachmittag leiten, in einer Diskussionsrunde befinden, aber eben auch Frauen, die in unterschiedlichen Stadtvierteln in ihren jeweiligen Gemeinden tätig sind und sich bis dato nicht persönlich kannten. Die Gespräche dauerten etwa eineinhalb Stunden. Die beiden jüngsten Diskussionsteilnehmerinnen waren zum Diskussionszeitpunkt Anfang Fünfzig (Jahrgang 1963), für eine dieser beiden ergab sich das Ehrenamt der Leitung der Seniorennachmittage dadurch, dass sie immer ihre Mutter zu diesen Treffen fuhr. Die älteste Diskussionsteilnehmerin war zum Diskussionszeitpunkt 86 Jahre alt. Die meisten ehrenamtlich tätigen Frauen, die an den Diskussionsrunden teilnahmen, waren, wie bereits erwähnt, um die 70 Jahre alt. Das bedeutet auch, dass sich der Großteil von ihnen bereits im Ruhestand befindet. Die Leiterinnen der Seniorennachmittage sind also meist jünger als die von ihnen betreuten Seniorinnen (und die wenigen Senioren), aber eben nicht immer, es gibt Schnittmengen. Die weitaus meisten der von uns interviewten ehrenamtlich tätigen Frauen sind verheiratet, einige wenige verwitwet, einige geschieden. Die Frauen haben zwischen einem Kind und fünf Kindern, die meisten haben zwei Kinder. Typischerweise verfügen die Frauen über niedrige und mittlere Bildungsabschlüsse (Volksschule und mittlere Reife). Dies passt zu einem Befund des Instituts für Demoskopie Allensbach, demzufolge sich Ältere mit einfacher Schulbildung mit deutlichem Abstand am häufigsten im kirchlichen Bereich und im Bereich Freizeit und Geselligkeit engagieren (Generali Zukunftsfonds 2012: 347). Die Frauen arbeiteten in ihren Phasen der Berufstätigkeit überwiegend im Büro und im Verkauf. Vielfach ist in einem kleinen Bogen, der zur Erfassung der Sozialdaten am Ende der Diskussionen ausgeteilt wurde, eine berufliche Tätigkeit angegeben, zum Beispiel »Stenotypistin«, und zusätzlich der Status »Hausfrau«. Die Frauen dieser Generation sind also ihrem eigenen Verständnis nach immer auch Familienfrauen. Die dazu gehörigen Ehemänner waren beispielsweise Polizeibeamter, Ingenieur, Elektroniker, Bankkauf-
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mann, Steueramtsmann. Einige wenige berufliche Angaben fallen etwas aus dem Rahmen, etwa Religionslehrerin oder Oberstudienrätin. Tendenziell könnte man diese ehrenamtlich tätigen Frauen anhand ihrer mittleren Soziallage und ihren eher traditionellen Leitvorstellungen der bürgerlich-kleinbürgerlichen Mitte der Gesellschaft zuordnen. Die Frauen sind typischerweise langjährig in ihre Gemeinden eingebunden und bereits im Vorfeld ihrer Tätigkeit als Leiterinnen der Seniorennachmittage aktiv gewesen, zum Beispiel im Rahmen der Erstkommunion- oder Firmvorbereitung oder in der Betreuung von Eltern-Kind-Gruppen. Bei den meisten von ihnen ist die Übernahme der Gestaltung der Seniorennachmittage in den Gemeinden keine bewusste Entscheidung, vielmehr sei man in dieses Amt »hineingerutscht«. Eine Teilnehmerin formuliert, sie sei zu dem Amt gekommen, »wie die Jungfrau zum Kind«. Typischerweise werden die Frauen, die als engagiert in ihren Gemeinden bekannt sind, irgendwann in Bezug auf dieses Amt angesprochen, mal vom Pfarrer, mal von der Vorgängerin im Amt, die eine Nachfolgerin sucht. Einige der Frauen üben dieses Ehrenamt schon seit Jahrzehnten aus; sie sind gemeinsam mit den Besucher/-innen der von ihnen gestalteten Altennachmittage älter geworden. Die ehrenamtliche Tätigkeit, so wird einhellig geäußert, macht Freude. Die Frauen erfahren Anerkennung durch die Besucher/-innen und ihr Tätigsein gibt ihnen Selbstbewusstsein. Eine Frau formuliert in diesem Zusammenhang: »Man weiß, man ist noch wer.« Hier scheint im Umkehrschluss eine Gefahr des Alters oder der nachberuflichen Phase auf, nämlich niemand mehr zu sein. Ein durchgängig formuliertes Motiv und gleichzeitiges Abgrenzungskriterium zur jüngeren Generation ist das Pflicht- und Verantwortungsgefühl, welches die Leiterinnen für sich in Anspruch nehmen. Der jüngeren Generation wird im Gegenzug tendenziell attestiert, Angst vor langfristigen und dauerhaften Bindungen zu haben. Jüngere Frauen über spontane, kurzfristige Einsätze hinaus für die Leitung der Seniorennachmittage zu gewinnen, benennen alle Diskussionsteilnehmerinnen als Schwierigkeit. Bei der Bespre-
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chung des Problems der Nachfolgeregelung ist in Selbstverständlichkeit ausschließlich von Frauen die Rede. Es ist also anzunehmen, dass das traditionelle Format Seniorennachmittag, wenn es denn »überleben« sollte, fest in Frauenhand bleiben wird. Auf dem Feld der ehrenamtlichen, gesellig geprägten kirchlichen Altenarbeit haben sich, wie Thomas Gesterkamp es in Bezug auf das Umfeld von Kindergärten und Familienbildungsstätten formuliert, ebenfalls »nahezu geschlossene weibliche Welten« etabliert (2007: 105). Dieses Muster scheint auch in Zukunft nicht durchbrochen zu werden. Die Haltung der Frauen gegenüber den Jüngeren ist geprägt von Verständnis einerseits und Besorgnis andererseits. Verständnis haben die älteren Frauen dafür, dass die jüngeren Frauen noch stark eingebunden sind in Erwerbs- und Familienarbeit. Darüber hinaus müsse man anerkennen, dass die jüngere Generation überhaupt veränderten Lebensbedingungen, Belastungen, hohen Mieten und Ähnlichem ausgesetzt sei. Die Besorgnis äußert sich dahingehend, dass unklar ist, wie die jüngere Generation, wie eine Diskussionsteilnehmerin es formuliert, »bei der Stange zu halten [sei], dass die wieder ein Gemeindebewusstsein kriegen«. In diesem Zitat zeigt sich, dass die ehrenamtlich tätigen älteren Frauen der jungen Generation tendenziell, passend zu der wahrgenommenen mangelnden Bereitschaft zu langfristiger Bindung, auch einen Mangel an »Gemeindebewusstsein« attestieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sie selbst in ihrer Wahrnehmung über ein »Gemeindebewusstsein«, also eine Art Verknüpfung von Gemeinsinn und Verantwortungsbewusstsein, verfügen. In diesem Zusammenhang wird die Verjüngung einer Gemeinde interessanterweise nicht so sehr als erfreulich, sondern als eher verunsichernd in Hinblick auf die Zukunft des ehrenamtlichen Engagements erlebt. Das Verhältnis zu den Senior/-innen, für die die Nachmittage gestaltet werden, ist geprägt von einer Art mütterlicher Fürsorge und Parteinahme einerseits und einer gewissen Abgrenzung andererseits. Einige Leiterinnen machen sich deutlich zu Fürsprecherinnen der alten Menschen. So herrscht beispielsweise Empörung über
3. Empirische Annäherung
eine gewisse despektierliche Art, über die alten Menschen zu sprechen. Doch auch bei den Leiterinnen selbst finden sich mitunter Töne, die anzeigen, dass sie die alten Menschen nicht immer ganz ernst nehmen. Die Haltung gegenüber den betreuten Senior/-innen schwankt. So gibt es in einer Diskussionsgruppe bei der Beschreibung eines Ausflugs Formulierungen mit ganz unterschiedlichem Charakter. Es gibt bevormundend-fürsorgliche Töne: »Man bemuttert sie schon oder betreut sie.« Es fallen Bemerkungen, die von einer wechselseitigen Verantwortungsübernahme zeugen: »Dass man aufeinander guckt.« Und schließlich gibt es auch Kommentare mit eher despektierlichem Charakter: »Die [die Alten, C. B.] dackeln einfach hinter einem her.« Die ehrenamtliche Betreuung der Seniorennachmittage bietet den Frauen auch Gelegenheit, sich von einer bestimmten Art des Altseins abzugrenzen. Ein positives Selbstbild entsteht im Kontrast: Während die Besucher/-innen der Seniorennachmittage vielfach als konsumierend und passiv wahrgenommen werden, erleben sich die Diskussionsteilnehmerinnen selbst im Gegensatz dazu als aktiv und tätig. Viele der betreuten alten Menschen, so wird etwa kritisch bemerkt, sprächen nur noch von ihren Krankheiten und wollten nicht mehr nachdenken. Das Leitbild der Leiterinnen ist demgegenüber der disziplinierte, pflichtbewusste alte Mensch, der sich geistig weiterhin beschäftigt. Für die konkrete Gestaltung der Nachmittage ist das folgende Zitat einer Diskussionsteilnehmerin charakteristisch: »Und dann gibt’s Kaffee und Kuchen […] und ganz viel Ratsch.« Kaffee und Kuchen, darüber herrscht Einigkeit in allen Diskussionsrunden, stellt den Teil des Nachmittags dar, der fraglos da sein muss: »Kaffee und Kuchen muss sein.« Der gesellige Aspekt, die Möglichkeit, Kontakt und Gemeinschaftlichkeit zu erleben, steht in allen Gruppen im Vordergrund. Die Kaffeerunde stellt die Plattform dafür dar. Darüber hinaus bzw. ergänzend gibt es variierende Angebote, mit denen unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden. Zusätzliche Angebote können die Bearbeitung eines spezifischen Themas (etwa Gesundheitsthemen oder jahreszeitliche Themen wie
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Frühlingsanfang) oder Diavorträge von Referierenden sein. Sitzgymnastik, Spiele und Lieder werden angeboten, beliebt sind den Leiterinnen zufolge Ausflüge (zum Beispiel Kirchenbesuche oder Biergartenbesuche). Das Verhältnis zu einer expliziten Bildungsarbeit mit den Besucher/-innen der Seniorennachmittage ist ambivalent. In einer Diskussionsrunde wurde bemerkt, dass mit sogenannter Biografiearbeit6 gute Erfahrungen gemacht wurden, diese setze allerdings gute Vorbereitung und sensible Aufarbeitung voraus. Häufiger allerdings wird die Freiwilligkeit von Bildungsarbeit betont. Die Phase des Alters sei auch – sofern man nicht von Krankheit geplagt werde – eine Phase der Freiheit und Autonomie. Dies gelte auch für Bildungsangebote. Interessanterweise formulieren einige der Diskussionsteilnehmerinnen, ganz im Gegensatz zu den einschlägigen sozialwissenschaftlich fundierten Empfehlungen, geradezu das Recht auf Unwissenheit: »Bin ich froh, dass ich schon so alt bin und nicht mehr [lernen, C. B.] muss.«
Diskussionsgruppe »Prinzregententorte«: »Da gibt’s in Tirol einen lustigen Friedhof« Auf das Selbstverständnis der Frauen, den Auftrag, den sie in ihrer Perspektive wahrnehmen sowie den Nutzen, den sie möglicherweise selbst aus den von ihnen gestalteten Nachmittagen ziehen, möchte ich nun anhand einer ausgewählten Diskussionsgruppe in exemplarischer Weise etwas näher eingehen.
6 | Biografiearbeit ist in der Bildungsarbeit mit alten Menschen derzeit ein starkes Stichwort: Diese bietet unterschiedliche Möglichkeiten, sich zum Beispiel spielerisch bestimmten Themen oder Bereichen der eigenen Biografie zu nähern und diese zu bearbeiten, immer mit dem Ziel von Versöhnung, Integration, Stärkung des Kohärenzgefühls und Ähnliches. Die Mehrzahl der ehrenamtlich tätigen Frauen, die ja die Nachmittage aktiv gestalten, sieht diese Arbeit eher skeptisch.
3. Empirische Annäherung
Die Diskussionsrunde, der wir den Namen »Prinzregententorte« 7 gegeben haben und um die es nun sowohl in ihrer Typik als auch in ihrer besonderen Einzelgestalt gehen soll, besteht aus drei Frauen, die alle zum Jahrgang 1941 gehören, also zum Diskussionszeitpunkt Anfang 70 sind. Alle leiten seit über 20 Jahren Seniorennachmittage im Landkreis, zwei von ihnen leiten einen solchen Nachmittag miteinander. Ein zentrales Ziel dieser Nachmittage ist in der Perspektive der interviewten Frauen das Erreichen von Fröhlichkeit bei den Besucher/-innen, diese sollen hinterher sagen können: »Mei, war des a schöner Nachmittag.« »Die sollen fröhlich heimgehn«, wird formuliert. Die Leiterinnen haben also, ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge, einen klaren Auftrag: Sie sollen Fröhlichkeit hervorbringen, die Nachmittage sollen für die Besucherinnen eine schöne Zeit sein. Dieser Auftrag gewinnt seine Klarheit und Deutlichkeit auch vor dem von den Leiterinnen als typisch wahrgenommenen psychosozialen Hintergrund der Besucherinnen.8 In der Perspektive der Leiterinnen ist es das Wichtigste, dass man die Alten, wie sie es formulieren, aus ihrem »Loch«, aus ihrem »Einerlei-Alltag« heraushole. Hier finden die Diskussionsteilnehmerinnen starke Worte für das vermutete alltägliche Leben der Besucherinnen der Altennachmittage. Dieses ist, wenn man die Wortwahl der Frauen ernst nimmt, als eintönig und reizarm zu bezeichnen (»Einerlei-Alltag«) bzw. wie in einem »Loch«, also wie in einem Tief, in einer Depression befindlich. Aus dieser als sehr bedrückend wahrgenommenen Befindlichkeit müssen die Alten in der Perspektive der Leiterinnen »herausgeholt« werden. 7 | Um die Vertraulichkeit zu gewährleisten, haben wir Eigennamen, Städtenamen, Namen von Organisationen usw. maskiert. Den Gruppen haben wir Phantasienamen, wie eben »Prinzregententorte« gegeben. 8 | Wie das Befinden der Besucher/-innen der Nachmittage tatsächlich ist, kann auf Basis des hier vorhandenen empirischen Materials nicht gesagt werden. Es kann lediglich rekonstruiert werden, wie die von uns interviewten ehrenamtlich tätigen Frauen die Besucher/-innen der von ihnen gestalteten Nachmittage wahrnehmen.
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Hier zeigt sich zweierlei: Zunächst scheint hier in exemplarischer Weise der bereits erwähnte, von den ehrenamtlich tätigen Frauen aufgemachte Kontrast auf. Ein Kontrast zwischen hilfebedürftigen, passiven Alten, in der Beschreibung der Gruppe »Prinzregententorte« sich in einem »Loch« befindlichen Alten einerseits, nämlich den Besucher/-innen der Seniorennachmittage und den aktiven, helfenden, in dem Bild vom »aus dem Loch herausholen«, gleichsam rettenden Alten andererseits, nämlich den Leiterinnen der Seniorennachmittage. Hier deutet sich bereits ein nebenbei erreichter »Gewinn« durch die Gestaltung der Altennachmittage an, es ist Distinktionsgewinn: Die ehrenamtlich tätigen Frauen unterscheiden sich von den von ihnen betreuten Frauen. Ferner wird deutlich, dass die Seniorennachmittage in der Perspektive der Leiterinnen den positiven Gegenhorizont zum angenommenen flachen und reizarmen Alltag der Besucher/-innen darstellen sollen. Vor diesem Hintergrund sehen sich die Leiterinnen gefordert, ihrem selbst erteilten Auftrag »Fröhlichkeit« gerecht zu werden. Pointiert gesagt, werden die Leiterinnen also in Konfrontation mit den alten Besucher/-innen diesen gegenüber zu fröhlichen Macherinnen oder zu Fröhlichkeitsmacherinnen. Im Folgenden zeigen unsere Interviewpartnerinnen auf, dass die als notwendig erachtete Fröhlichkeit sich sogar unter erschwerten Bedingungen herstellen lässt, nämlich im Monat November, dem Monat, der die Totengedenktage Allerheiligen und Allerseelen beinhaltet und der dem Common Sense zufolge tendenziell als ein Monat der Tristesse, der Schwermut gilt. Das Beispiel, das die Diskussionsrunde nun für die Möglichkeit der Herstellung von Frohsinn unter erschwerten Bedingungen gibt, ist die Präsentation des »lustigen Friedhofs in Tirol« im Monat November. Der sogenannte »lustige Friedhof« ist ein Museumsfriedhof im Alpenraum, der über die Gruppe »Prinzregententorte« hinaus ein beliebtes Ausflugsziel bei der Gestaltung der Senioren-
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nachmittage ist.9 Dort gibt es eine Sammlung von Grabsteinen und geschmiedeten Grabkreuzen überwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert zu sehen, mit besonderen Inschriften, nämlich Zweizeilern, die in volkstümlicher, dreist-derber Manier Eigenschaften der Verstorbenen beschreiben bzw. in äußerster Knappheit deren Leben zusammenfassen. Man könnte sagen, dass die Frauen hier auf ihre eigene Weise die sonst nicht so beliebte Biografiearbeit betreiben, nämlich anhand der »biografischen Miniaturen« auf den »Taferln«. Die Sprüche auf den Tafeln reizen in ihrer von politischer Korrektheit weit entfernten Derbheit und Knappheit zum Lachen und vermögen es so, heitere Distanz zu einem Thema zu schaffen, das sonst, den Aussagen der Diskussionsteilnehmerinnen zufolge, bei den Seniorennachmittagen eher gemieden wird, nämlich dem Thema Tod. Die Leiterinnen zeigen also an einem Nachmittag im tristen Monat November den alten Menschen, von denen sie annehmen, dass diese sich in ihrem Alltag in einer gedrückten Stimmung befinden, in einer Powerpointpräsentation einige Sprüche vom lustigen Friedhof. Sie nehmen sich also, durchaus in katholischer Tradition, des Novemberthemas Tod an, allerdings auf ihre eigene Weise. Der lustige Friedhof ist für den Auftrag der Leiterinnen besonders geeignet, denn er bringt die beiden zuvor genannten Gegenhorizonte, nämlich die »Fröhlichkeit«, die herrschen soll und das »Loch«, in dem sich die Alten normalerweise befinden, hier nun geradezu das »Grabesloch«, zusammen. Das Grab, das Ende des Lebens, der Tod werden thematisiert, aber eben in einer Weise, die zum Lachen reizt und somit Abstand schafft. Die Leiterinnen schaffen es so, ihrem Selbstverständnis entsprechend, für heitere Stimmung zu sorgen, also »nix Novemberstimmung«, wie eine Teilnehmerin versichert. In der Diskussionsrunde zitieren die Frauen nun beispielhaft drei Sprüche, so, wie sie ihnen in Erinnerung sind, um den studentischen Diskussionsleiterinnen den komischen Effekt verständ9 | Informationen zu diesem Museumsfriedhof gibt es unter www.mu seumsfriedhof.info.
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lich zu machen. Die Sprüche werden jeweils mit Gelächter quittiert, insofern zeigt sich hier eine Entsprechung von Form und Inhalt. Die Frauen erläutern, dass die Sprüche am Seniorennachmittag für Heiterkeit gesorgt haben und die Sprüche sorgen in der Diskussionssituation wieder für Heiterkeit. Den ersten beispielhaften Spruch zitieren dem Sinne nach zwei Teilnehmerinnen interaktiv: Bw10: Hier starb die äh Jungfrau, äh ist begraben neben ihrem äh Sohn. Aw: Jaja, hier liegt die Jungfrau Sowieso begraben (lachend), beweint von ihrem einzigen Sohn. Bw: Oh ja ja. (Gelächter)
Im Original, also als eine der auf dem Museumsfriedhof zu betrachtenden Inschriften, lautet der Spruch so: »Es ruhet die ehr- und tugendsame Jungfrau Genovefa Voggenhuberin betrauert von ihrem einzigen Sohn.«
Die Komik beruht darauf, dass der Spruch einander Ausschließendes zusammenführt: Eine Jungfrau mit einem Sohn ist keine Jungfrau. Im Originalspruch hat der komische Effekt mit der »Entlarvung« der verstorbenen Genovefa Voggenhuberin zu tun, man kann hier spekulieren: Vielleicht hat sich die Frau zu Lebzeiten besonders tugendhaft gegeben, so, als sei sie eine tugendsame Jungfrau und der Spruch auf ihrem Grabeskreuz entlarvt nun ihr Gebaren als fassadenhaft, denn gar so tugendsam kann sie nicht gewesen sein, schließlich hat sie ein Kind bekommen. 10 | In den Transkripten werden die Interviewpartner/-innen mit den ersten Buchstaben des Alphabets gekennzeichnet, denen jeweils ein »w« für weiblich bzw. ein »m« für männlich angehängt wird. Die Interviewerinnen werden durch den Buchstaben Y gekennzeichnet. Die hier dargestellten Transkriptausschnitte geben in leicht geglätteter Form den Wortlaut der Gespräche wieder. Die Transkriptionsregeln befinden sich im Anhang.
3. Empirische Annäherung
Hier knüpfen die »Taferln« des »lustigen Friedhofs« an eine Tradition an: Die Tugend oder eben Untugend der Frauenzimmer ist häufig Thema in volkstümlicher Dichtung. Ich erinnere beispielhaft an »Die fromme Helene« von Wilhelm Busch oder an Bänkelgesänge wie »Sabinchen war ein Frauenzimmer, gar hold und tugendhaft […]«. In beiden Dichtungen ist die öffentliche Moral implizites Thema, eine Moral, die sich häufig als eine doppelte, eine heuchlerische erweist. Auch in unserer Diskussionsrunde produziert der aus dem Gedächtnis zitierte Spruch – die »Entlarvung« der angeblichen Jungfrau – wieder Gelächter. Wenn wir uns vor Augen führen, dass die Seniorennachmittage nicht in einem weltanschaulich neutralen Raum, sondern in einem katholischen Kontext stattfinden – und die Nachmittage folgen durchaus dem Jahreskreis, es gibt etwa Marienandachten im Monat Mai – so hat das Gelächter gerade von Frauen über die Jungfrau mit dem Sohn unter der Hand auch despektierlichen, rebellischen Charakter. Das Lachen geht unausgesprochen auch ein wenig auf Kosten der katholischen Kirche mit ihrem Marienkult und ihrer Hochschätzung der Jungfräulichkeit. D.h. neben der Distanz zum Thema Tod verschafft der »lustige Friedhof« mit seinen derben Sprüchen beiläufig auch die Möglichkeit, sich von Inhalten der katholischen Lehre zu distanzieren, die gerade für resolute, sehr im praktischen Leben verwurzelte Frauen eine Herausforderung darstellen: Die Jungfräulichkeit der Gottesmutter bzw. die unbefleckte Empfängnis sind Glaubensinhalte, die offenbar besonders zum Widerspruch reizen – dies wird sich auch noch in einem weiteren Interview zeigen. Die Diskussionsteilnehmerinnen zitieren aus dem Gedächtnis einen weiteren Spruch, den sie an dem Novembertag gezeigt haben: Cw: Der Hans ist bei ähm im Himmel, obwohl er Frau und Kinder schlug oder so. Bw: Jaja. (Gelächter)
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Auch hier lässt sich ein Originalspruch vom Museumsfriedhof wieder erkennen: »Hier liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.«
Die aus dem Gedächtnis zitierende Diskussionsteilnehmerin hat die ursprüngliche Komik weitestgehend eliminiert (und trotzdem Gelächter hervorgerufen), weil sie das Reimschema, auf dem ein Teil des komischen Effekts beruht, nicht aus dem Gedächtnis reproduzieren konnte. Die Komik des Originalspruchs beruht neben dem Reimschema auf der Tatsache, dass hier in lakonischer Manier Frau und Kinder mit der Orgel gleichgesetzt werden und Martin Krug gleichermaßen alles schlägt. In der Fassung unserer Diskussionsteilnehmerin wird Martin zu Hans und es kommt ein Moment hinzu, das im Original gar nicht erwähnt wird: Der Hans ist im Himmel. Der komische oder verblüffende Effekt des Spruches in der Diskussionsrunde kommt also wiederum durch die Zusammenführung von Gegensätzlichem zustande: Hans handelt nicht tugendhaft, im Gegenteil, er schlägt Frau und Kinder und kommt gleichwohl in den Himmel. Wieder ist das, was in der Diskussionssituation zum Lachen reizt, die Entlarvung und wieder sollte man den kirchlich-katholischen Kontext der Seniorennachmittage hinzudenken: Diesem (nicht korrekt zitierten) Spruch zufolge kommen nicht nur die Guten in den Himmel, sondern ebenso die »Bösen«. Wenn man der Logik dieses Sprüchleins folgt, würde sich wiederum kirchliche Moral – hier nicht nur lebenspraktisch, wie zuvor bei dem Thema der Jungfräulichkeit einer Mutter, sondern sogar bis in den Himmel transzendiert – als obsolet erweisen. Es zeigt sich an diesen Stellen implizit ein gewisser Bedarf, sich auf Kosten der katholischen Kirche ein wenig zu amüsieren und das wiederum deutet darauf hin, dass der eine oder andere Glaubensinhalt eher mit skeptischer Distanz betrachtet wird. Der letzte in der Diskussionsrunde zitierte Spruch entspricht wieder dem Original, wenn auch in leicht anderer Mundart:
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Bw: Ja und äh ›aufigschtiegen, owa gfoilln hi gwesn‹ (Hochdeutsch: aufgestiegen, heruntergefallen, hin gewesen.) (Gelächter)
Die Komik beruht darauf, dass hier in äußerster Kürze ein tragisches Ereignis kommentiert wird: Jemand erklimmt etwas, stürzt ab und stirbt an den Folgen des Absturzes. Wieder sorgt die lakonische Manier für Abstand. Das Leben ist gefährdet und zerbrechlich, man könnte daran verzweifeln – oder aber angesichts der Möglichkeit einer so knappen Kommentierung darüber lachen. Die derben Sprüche über Leben und Tod und das Gelächter darüber dienen der Entlastung. Im gemeinsamen Gelächter können Leiterinnen und Besucherinnen – zumindest kurzzeitig – dem Thema Tod trotzen und sich dabei auch ein wenig über kirchliche (Schein-)Moral amüsieren und gleichzeitig davon distanzieren.11 In dieser Passage lachen die Frauen dem Tod und den Tücken des Lebens quasi trotzig ins Gesicht. Das gelingt nicht immer in der Konfrontation mit dem Thema Endlichkeit des Lebens. An einer anderen Stelle der Diskussion werden die Frauen von der Diskussionsleitung explizit gefragt, was denn das Altern für sie bedeute. Die spontane Antwort einer Teilnehmerin ist wiederum kurz und sarkastisch: Cw: Na, schauens mi o, na seng Sie’s ja scho. (allgemeines Gelächter) Cw: (lachend) Wenn i in Spiegel schau(Gelächter) Bw: Ja. Cw: Dass ma verfällt (lachend). 11 | Wie komisch die Besucherinnen des Nachmittags die Sprüche fanden, können wir natürlich nicht wissen. Da aber »der lustige Friedhof« in hoher interaktiver Dichte als Erfolgsbeispiel für einen heiteren Nachmittag angeführt wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Präsentation auch bei den betreuten Seniorinnen gut angekommen ist.
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Die Teilnehmerin antwortet hier auf einer persönlichen Ebene, indem sie sich selbst als Anschauungsobjekt nimmt und auf das Offensichtliche verweist: »Na, schauens mi o, na seng Sie’s ja scho« (auf hochdeutsch: »Na, schauen Sie mich an, dann sehen Sie’s ja schon«). Der Blick in den Spiegel offeriere demnach die Bedeutung des Alterns, nämlich einen Prozess der Auflösung, wie die Teilnehmerin selbst schonungslos formuliert, den Verfall. Die Knappheit, in der das Thema abgehandelt wird, zeigt eine Gemeinsamkeit mit den lakonischen Sprüchen des »lustigen Friedhofs«. Auch hier sorgt die lakonische Manier und Direktheit für das Gelächter der Gruppe und somit wieder für ein Stück Distanz. Nach dieser sehr knappen Antwort auf der persönlichen Ebene beschreiben die Frauen anhand anderer Personen, nämlich anhand von Besuchern des Seniorennachmittags, wie befremdlich es sein kann, den Prozess des Alterns mit ansehen zu müssen. Es wird von einem Ehepaar, bei dem der Mann dement ist, erzählt. Bw: Ja, man muss sagen, wir haben zum Beispiel ein Ehepaar, äh wo der Mann äh jetzad dement ist, kann man sagen. Aber äh sie-äh nimmt ihn mit und er ist nur auf die Frau fixiert. Y2: Mhm. Cw: Der dappt wie a kloaner Hund hinter dera her. Bw: Weil äh, wenn ma ihm ne Hand geben und sagen – oder jetzt hat sich’s neulich so ergeben, da war neben ihm ein Stuhl frei im Stuhlkreis, hab i g’sagt: »Darf ich mich da hinsetzen?« – »Ja, ausnahmsweise«. Cw: Des sagt er dann in so am komischen Ton.
Hier zeigt sich eine eher unempathische Betrachtung, der Mann weckt in den Frauen kein sonderliches Mitgefühl, sondern eher so etwas wie Verblüffung und Befremden. Die Demenz, der Prozess des geistigen oder intellektuellen Verfalls, macht den betroffenen Mann für die Diskussionsteilnehmerinnen seltsam. Er wird zwar noch in der Gruppe geduldet – »wir lassen die trotzdem in der Gruppe«, heißt es an anderer Stelle – ist für die Leiterinnen aber eine Art Kuriosum. Die Empathie gilt der Ehefrau, mit der sich die
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Frauen vermutlich identifizieren können, »die Frau hat’s net einfach«, wird resümiert. Die gemeinsame Betrachtung des Paares mit dem dementen Mann produziert in der Diskussionssituation, anders als zuvor die lakonische Selbstbetrachtung, kein Gelächter. Die Veränderung, die bei dem Mann stattfindet, scheint zu erschreckend zu sein, als dass auf komische Art ein Abstand dazu gelingen könnte. Simone de Beauvoir spricht von »Ungläubigkeit« und »Entrüstung«, »die den alternden Menschen befällt, wenn er sich seines Alters bewusst wird« (375). Etwas von dieser Ungläubigkeit und Entrüstung können wir in der Art der Beschreibung des dementen Mannes durch die Frauen finden. Es ist die Entrüstung darüber, was das Alter offensichtlich anzurichten vermag. Sarkasmus kann hier nicht helfen. Die Betroffenheit, die das Alter(n) – in der Betrachtung der anderen – auslösen kann, macht die entlastende Funktion der Sprüche des »lustigen Friedhofs« noch einmal deutlicher. Der »lustige Friedhof« ermöglicht es, die Vergänglichkeit und die Metamorphosen des Lebens auf volkstümlich derbe Art zu bearbeiten, eine Art, die Gelächter als Spannungsabfuhr ermöglicht und so Abstand schafft. Die ehrenamtliche Leitung von Seniorennachmittagen in einem kirchlichen Kontext ist, wie gesagt, beispielhaft für das bürgerschaftliche Engagement von älteren Frauen. Die hier exemplarisch vorgestellten Frauen verwenden einen erheblichen Teil ihrer Zeit für die Gestaltung dieser Nachmittage und sind mit ihrem Engagement ohne Frage wichtige Stützen ihrer Gemeinden. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass die Motive für das Ehrenamt nicht unbedingt altruistisch sind (und es ja auch nicht sein müssen). Die Seniorennachmittage sind nicht nur Dienst am Nächsten, sondern bieten den ebenfalls alten oder älteren Leiterinnen selbst die Möglichkeit, sich dem Thema Alter sozusagen unauffällig, nämlich über den Umweg der alten Besucher/-innen der Nachmittage, zu nähern und sich gleichzeitig über die Herstellung der Differenz zu diesen Alten wieder vom Alter zu distanzieren. Diese Mischung aus Annäherung und Unterscheidung ist nicht unbedingt eine solidari-
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sche Bewegung: Zu bitter scheint es zu sein, sich mit dem Alter zu identifizieren. Die porträtierten Frauen sind beispielhaft für das, was derzeit gefordert und propagiert wird, wenn vom guten Leben im Alter oder gelingendem Altern die Rede ist: Sie sind in ihrer nachberuflichen Phase aktiv, engagiert und eingebunden in soziale Zusammenhänge. Und gleichzeitig zeigen sie ebenso beispielhaft, dass die Metamorphosen des Menschen im Verlauf der Zeit, die Zumutungen des Alterns, nicht so leicht zu ertragen sind. Der Philosoph Thomas Rentsch fasst, wie eingangs gesagt, das Alter als Radikalisierung der menschlichen Lebenssituation auf. Im Alter tritt, wir erinnern uns, die leiblich verfasste Grundsituation des Menschen aufdringlich zutage: die Endlichkeit und Fragilität des Lebens und damit das Angewiesensein des Menschen auf Solidarität und Kommunikation. Simone de Beauvoir fordert in diesem Zusammenhang uns alle, aller Bitterkeit zum Trotz, konsequent zur Identifikation auf: »Hören wir auf, uns selbst zu belügen […] Erkennen wir uns in diesem alten Mann, in jener alten Frau. Das ist unerlässlich, wenn wir unsere menschliche Situation als Ganzes akzeptieren wollen.« (2012: 10)
Inter view Frau F.: »Wird schon« Unsere Interviewpartnerin Frau F. ist zum Interviewzeitpunkt 80 Jahre alt. Sie hat Krieg und Flucht erlebt, ist frühzeitig verwitwet, hat vier Kinder zwischen 45 und 50 Jahren und lebt allein in einem Haus in der Großstadt. Frau F. verkörpert das gebildete Bürgertum, ihr früh verstorbener Mann war Mathematiker, sie selbst hat Abitur und eine Ausbildung zur Innenarchitektin. In diesem Beruf hat sie drei Jahre gearbeitet, nach der familienintensiven Phase, die sie zu großen Teilen als Witwe allein erziehend bewältigen musste, besuchte sie Fortbildungen und arbeitete anschließend bei einer Bildungsinstitution. Auch zum Interviewzeitpunkt ist sie bei dieser Institution als Referentin ehrenamtlich tätig und besucht in dieser Funktion auch die Seniorennachmittage. Aufgrund dieser Verbindung zu den Seniorennachmittagen hat Frau F., obschon sie die
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Nachmittage nicht leitet, an einer unserer Gruppendiskussionen teilgenommen und sich dann zusätzlich zu einem Einzelinterview bereit erklärt. Das Interview fand im Hause von Frau F. statt und dauerte etwa zwei Stunden. Frau F. ist eine freimütige und gleichzeitig sehr reflektierte Erzählerin. Ihre Erzählungen haben über weite Strecken den Charakter von lautem Nachdenken: Narration und Theoriebildung über das Erzählte gehen in der Interviewsituation Hand in Hand. Das Interview beginnt – ganz in der Tradition des narrativen Interviews – mit der Aufforderung zu einer freien Erzählung. Als Beginn der Erzählung wird der Zeitpunkt angeboten, an dem Frau F. möglicherweise zum ersten Mal das Alter an der eigenen Person realisiert hat. Frau F. bekundet ihr Einverständnis, sich auf eine Erzählung einzulassen (»Mhm«), gibt aber gleichzeitig zu verstehen, dass der angebotene Einstieg, nämlich der Zeitpunkt der Realisierung des Alters, nicht so einfach zu fassen ist: »O Gott. Wann’s angefangen hat, das kann ich jetzt nicht – also da wüsst ich jetzt auch nicht so’n Zeitpunkt.« Der Beginn des Alter(n)s lässt sich für sie also nicht an einem bestimmten Punkt festmachen; im Umkehrschluss bedeutet dies, ganz in Übereinstimmung mit der einschlägigen Literatur, dass das Alter(n) Prozesscharakter hat. Obschon sich ein Zeitpunkt des beginnenden Alters in der Rückschau nicht ausmachen lässt, vollzieht Frau F. selbst, und zwar theoriegeleitet, zu einem von ihr festgesetzten Zeitpunkt einen Schnitt, wie das folgende Zitat zeigt: »Ich hab aber in der X-Bildungsinstitution gearbeitet mit Eltern-Kind-Gruppenleiterinnen […] und da hab ich gesagt, mit 60 hör ich auf mit den ElternKind-Gruppenleiterinnen. Und bin dann in die Seniorenbildung.«
Sie merkt dann selbst reflektierend an: »Das war so aber eigentlich ein theoretischer Grund, 60, so, jetzt ist damit Schluss.« Frau F. hat also nicht unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich das Alter gespürt, sondern sie hat offensichtlich eine theoretische Vorstellung davon gehabt, wann ein neuer Altersabschnitt beginnt. 60 scheint ihr ein angemessenes Alter zu sein, um im beruflichen
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Kontext einen Generationenwechsel zu vollziehen. Sie wechselt im beruflichen Zusammenhang von der Eltern-Generation zur Großelterngeneration und vollzieht auf diese Weise auch selbst indirekt den Übergang zu den Senioren. Hier zeigt sich eine gewisse Parallele zur Gruppe »Prinzregententorte«: Auch Frau F. findet ihren Zugang zum Thema Alter über andere, in ihrem Fall über eine andere Klientel. Auch sie zeigt eine gewisse professionelle Distanz zu den Senioren, mit denen sie arbeitet: »Kann eigentlich mit Senioren, ich glaub ganz gut umgehen. Außerdem bin ich ja 20 Jahre länger dann schon dabei.« Frau F. wechselt zwar ins »Fach« der Senioren, geht aber nicht in Identifikation mit dieser Personengruppe auf, obschon man sie qua Lebensalter gut und gern dazu rechnen dürfte. Nach diesem eher theoriegeleiteten Einstieg wählt Frau F. einen Zugang, den wir ebenfalls schon von der Gruppe »Prinzregententorte« kennen, nämlich den Zugang über das Offensichtliche, den physischen Zustand. Auch Frau F. nimmt sich selbst als Anschauungsobjekt. Während es allerdings bei der Gruppe »Prinzregententorte« mit einer lakonisch-sarkastischen Bemerkung sein Bewenden hat (»Na, schauens mi o, dann seng Sie’s ja scho«), geht Frau F. in akribischer Sorgfalt, fast mit wissenschaftlichem Interesse, ihren aktuellen körperlich-geistigen Zustand durch. Sie ist gründlich. Frau F. beginnt mit dem physiologischen Zustand und konstatiert der Reihe nach, gewissermaßen laut nachdenkend, diverse Funktionsverluste: »Meine Knie, die schmerzen und des wird, ich weiß nicht ob’s schlimmer wird oder, jedenfalls, wenn ich Treppe runter geh, Berg runter, das merk ich, das ist (Pause) unangenehm. Auch so dann äh, ja die Beweglichkeit, die Schnelligkeit, die fehlt. Vorsicht, ich muss immer– Ja, des sind natürlich auch vorrangig die Beine oder die Knie. Da muss ich dann also aufpassen und komm mir dann selber ’n bisschen umständlich vor– Dann aber auch mit’m Hören, hatt ich auch Schwierigkeiten, äh, grade so in einer Gruppe, das wurde also immer – und dann hab ich halt- bin ich dann endlich zum Arzt, hab Hörgeräte, seitdem geht’s gut. Und das finde ich, ist überhaupt
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kein Problem, wenn-wenn solche Sachen zum reparieren sind. Irgendwann braucht man auch die Brille.«
Frau F. ist hier leibnah und distanziert zugleich. Immer noch auf die Frage nach dem Beginn des Alters reagierend, macht sie sich nun selbst zum Gegenstand ihrer Betrachtungen und nimmt gegenüber ihren körperlichen Veränderungen eine gelassene, freundlich verwunderte Haltung ein: »Da muss ich dann also aufpassen und komm mir dann selber ’n bisschen umständlich vor.« Funktionsverluste, die sich auf einer mechanisch-technischen Ebene lösen lassen (Brille, Hörgerät), wertet sie als unproblematisch. Frau F. ist unsentimental, sie zeigt eine nüchtern-pragmatische Sicht auf noch reparable Verluste. Von den körperlichen Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, geht Frau F. dann zu den geistigen Einschränkungen oder Veränderungen über. In ihren Reflexionen darüber zeigt sich ihre Tätigkeit als Referentin im Bereich der Seniorenbildung: Die am eigenen Leibe erlebten Veränderungen sind zugleich die Bereiche, über die sie im beruflichen bzw. heute ehrenamtlichen Rahmen referiert. Sie spricht hier also gleichzeitig als Betroffene und als Expertin, mithin als Frau, die über bestimmte, nicht jedem zugängliche Wissensvorräte verfügt, was ihr wiederum eine gewisse Distanz verschafft. »Das andere, auch geistig, man merkt schon, es ist alles etwas (Pause) also äh (Pause) langsamer. Äh jetzt nicht nur, dass ich mich langsamer bewege, des kann ich gar nicht sagen, wenn’s pressiert, muss ich genau aufpassen, da geht-des is des nicht, aber das Auffassen. Das ist etwas, und ich hab das, ich geb so’n X-Thema-Kurs, mit verschiedenen Themen und da hab ich das Hören und Sehen und so diese verschiedenen- Und da hab ich damals gelesen und das stimmt, dass einfach das Gehörte länger braucht im Aufgenommenwerden.«
Es mischen sich hier Selbstbeobachtungen bzw. eigene Erfahrungen und eine quasi professionelle Rahmung der erlebten Veränderungs-
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prozesse qua angeeignetem Expertenwissen. Die festgestellten altersbedingten Einbußen im Bereich körperlicher Funktionen und in der Verarbeitung von Sinneseindrücken führen bei Frau F., anders als bei den Frauen der Diskussionsrunde, nicht zu Lakonie oder Sarkasmus. Möglicherweise bewahrt sie der eingenommene Blick der »Expertin«, welcher in ausreichendem Maße für Abstand sorgt. Frau F. kommt, trotz der konstatierten Verluste, zu positiven Ergebnissen in Hinblick auf ihr Alter; sie stellt einen Zugewinn von Selbstbewusstsein und Autonomie fest. Das hinzugewonnene Selbstbewusstsein dokumentiert sich u.a. im Umgang mit den eigenen, dem Alter geschuldeten Schwächen. »Wenn meine Kinder oder Enkelkinder kommen und schnell und hoch reden, da sag ich: ›Du, bitte nochmal langsamer‹ (Pause). Also das ist einfach, das ist- Und ich find’s immer schön, wenn jemand, ja (Pause) artikuliert spricht, es gibt ja viele, die dann (hält sich die Hand vor den Mund und nuschelt imitierend) so reden und so, denk ich: Mei, des müsstet ihr eigentlich auch wissen, dass man, dass man reden muss, frei und nicht die Hand vor’n Mund und nicht so nuscheln und so, ne?«
Frau F. fordert hier ein adäquates Verhalten der Jüngeren gegenüber den – nicht mehr so gut hörenden – Älteren ein. Die über die exemplarisch angeführten Kinder und Enkelkinder hinausweisende Aussage »das müsstet ihr eigentlich auch wissen« hat den Charakter einer freundlichen Ermahnung. Frau F. tritt selbstbewusst auf: Sie reagiert nicht mit Scham und Rückzug wegen des nicht mehr so guten Gehörs, sie fokussiert also nicht, was immerhin möglich wäre, eigene Verluste, vielmehr verweist sie implizit auf ein Defizit des Gegenübers, nämlich einen Mangel an adäquatem oder – altmodisch ausgedrückt – anständigem Benehmen: Man muss frei, d.h. gut verständlich und artikuliert reden. Frau F. zeigt sich hier, trotz der altersbedingten Einbußen, in der Haltung der Souveränen: Sie ist diejenige, die weiß, was sich gehört. Trotz der vorgetragenen Kritik in Bezug auf »schlampiges« Reden auf Seiten der Jüngeren, zeigt Frau F. kein generelles Ressenti-
3. Empirische Annäherung
ment gegenüber der jüngeren Generation. In manchen Bereichen erlebt sie die Jugend als weiter als die ältere Generation. Frau F. attestiert den jungen Leuten ein größeres Maß an Echtheit, an Bereitschaft, zu sich selbst zu stehen. Gleichzeitig konstatiert sie bei ihrer eigenen Generation einen Mangel an Wertschätzung für die eigenen Gefühle. »Aber Jüngere äh sind anders (Pause) ›Ich bin jemand. Und ich hab meine Gedanken, meine Sorgen, meine Empfindung, meine Gefühle‹ und so. Und äh, damit kann ich mehr anfangen, also früher (Pause) gab’s früher nicht, (imitierend) ›das ist doch, wah, (macht abwehrende Bewegung), fühlen, ah, Gefühlsduselei‹. Wurde gleich abgetan. Es geht hier (schlägt mit der Faust auf den Tisch) zur Sache. (Pause) Man muss funktionieren.«
In diesem Interviewausschnitt wird deutlich, dass Frau F. keine insgesamt kritische Haltung gegenüber der Jugend von heute einnimmt. Im Gegenteil, Frau F. bewertet die eher bei der Jugend wahrgenommene Fähigkeit, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen, positiv. Im Gegensatz dazu attestiert sie ihrer eigenen Generation tendenziell eine abwehrende Haltung gegenüber Gefühlen, diese würden als »Gefühlsduselei« abgewertet. Man habe funktionieren müssen, resümiert Frau F. Sie selbst versucht, aus dieser von ihr festgestellten Generationstypik herauszukommen. So erzählt sie, im Rahmen ihrer Fortbildungen viel in Sachen Selbstwahrnehmung und Selbstwertschätzung dazugelernt zu haben. Interessanterweise bringt sie diese Chance und Bereitschaft zur Weiterentwicklung über ihre Person hinaus in Zusammenhang mit dem Status der Witwe: »Frauen, wo der Mann gestorben ist, die haben die Chance, sich zu entwickeln.« Ich werde auf diesen Aspekt zurückkommen. Neben dem Selbstbewusstsein, das Frau F. als alte Frau zeigt, gewährt das Alter in ihrer Perspektive, wie schon erwähnt, einen zweiten Zugewinn, nämlich Autonomie, insbesondere Zeitautonomie. Während sie früher in der familienintensiven Phase als jung verwitwete Frau ganz in »praktische Arbeitserledigung« eingespannt war
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und wenig Zeit hatte zu merken, was sie denn eigentlich möchte, so ist das Alter für sie die Phase der Freiheit und Selbststeuerung. Frau F. erlebt sich heute als weniger »außengesteuert«, wie sie formuliert, sie lebe im Vergleich zu früher bewusster. Der Vorzug, freier von äußeren Zwängen zu sein, zeigt sich in ihrer Perspektive auch darin, nicht alles verstehen zu müssen. Hier zeigt sich eine Parallele zu einer unserer Diskussionsrunden. Auch dort wurde es als Vorzug erlebt, bestimmte Dinge (in dem konkreten Zusammenhang: eine schulmäßige Art des Lernens) nicht mehr tun zu müssen, »bin ich froh, dass ich schon so alt bin und nicht mehr muss«, hieß es da. Bei Frau F. beinhaltet die Freiheit von Zwängen auch die Freiheit von bestimmten Moden und Trends, was sich in der folgenden interaktiven Sequenz zwischen Frau F. und der Interviewerin sehr schön zeigt: Fw: Erstmal komm ich sowieso nicht mit, über was die sich unterhalten, äh, ob das jetzt neue Musik ist oder Technik oder solche Sachen, ja des. Und dann reden se auch schnell, also dadurch werde- aber ich zieh- ja. Doch. Das Rausziehen ist aber jetzt nicht so, dass ich sag: ›Ach!, das kann ich nicht mehr, ach!, das ist ja schrecklich‹-. Nö, das ist so. Das ist so- Ich hab anderes, ich muss nicht da mitmischen und gern kapieren, um was es da jetzt geht und so, sondern- Auch Kleidung (grinst) es sind ja die die Y: (lacht) Fw: Ausdrücke! Was ist jetzt modern an-an Kleidung? Weiße Sneakers?! Y: (lacht) Stimmt. Ja, genau. Fw: (lacht) Gott, was sind das denn bloß genau?! (grinst) Irgendwelche Schuhe? Y: (lacht) Turnschuhe sind das. Fw: Ach so! Ja das ist- Ja. Eben. Y: Ja, Sneakers, das ist der-der neumodische Ausdruck für Turnschuhe. Fw: Ja, hört sich natürlich ganz anders an. Eben, solche Sachen, das hab ich jetzt nun langsam im Radio gehört. Y: (lacht) Fw: Da hab ich’s gehört und behalten.
3. Empirische Annäherung
In dieser Passage dokumentiert sich zunächst, dass Frau F. doch ziemlich gut auf dem Laufenden ist – sie weiß, dass aktuell weiße Sneakers modern sind. Gleichzeitig zeigt sie zu den wechselnden Moden und der englischen Bezeichnungspraxis eine ironische Distanz. Es macht ihr nichts aus, die junge Interviewerin zu fragen, was denn um Gottes Willen bloß Sneakers sind. Sie muss als alte Frau nicht mehr über alle neuen Trends, ob sich diese nun auf Mode, Musik oder Technik beziehen, Bescheid wissen. Sie ist qua Alter entschuldigt. Wenn sie doch ziemlich gut informiert ist, so hat dies ein wenig den Charakter einer Koketterie, eines kleinen Amüsements. In der Sequenz zeigt sich, dass beide, die junge Interviewerin und die alte Frau F., an dem in der Interviewsituation dokumentierten Understatement Spaß haben. Wie wir weiter oben gesehen haben, bringt Frau F. die persönlichen Entwicklungschancen einer Frau mit dem Witwenstatus in Verbindung. Diese Einschätzung hat vermutlich mit ihren eigenen Erfahrungen zu tun. Frau F. ist schon früh Witwe geworden, ihr Mann starb im Alter von 40 Jahren. Mit diesem frühen Verlust des Ehemannes bringt Frau F. ihre Eigenständigkeit in Verbindung, ab dem Tod ihres Mannes musste sie, wie sie im Interview mehrfach betont, »alles« machen: »Vier Kinder, Haus und Hof und alles alleine.« Der frühe Tod des Partners sorgt nicht nur bei ihr für Selbstständigkeit, sondern auch bei ihren Kindern. Alle Kinder seien »tüchtig, lebenstüchtig« und brauchten sie nicht. Die Einschätzung, dass ihre Kinder sie nicht brauchten, gerät hier nicht zum Grund zur Klage, sondern ist positiv konnotiert, im Sinne eines Ausweises für die gelungene Entwicklung ihrer Kinder. Hier dokumentiert sich wieder die Hochschätzung der Interviewpartnerin für Autonomie. Während weiter oben Autonomie als Freiheit von Moden und Trends aufschien, hat Autonomie in diesem Kontext einen Anforderungscharakter: Der Mensch muss die Anforderungen des Lebens selbst meistern. Als Witwe hatte Frau F. keine andere Wahl, im Nachhinein erweist sich in ihrer retrospektiven Betrachtung die frühe Härte des Lebens als günstig für die Entwicklung eines eigenständigen Frauenlebens.
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Kontakt und Beziehung zwischen sich und den Kindern beschreibt Frau F. als von »großer Achtung« getragen. Sie habe Respekt vor ihren Kindern und die Kinder wiederum respektierten die Mutter. Wenn diese anriefen, so heiße es, »Hast du zufällig Zeit?« Es ist Frau F. offenkundig wichtig, darauf zu verweisen, dass auch von Familienseite nicht im Modus der Selbstverständlichkeit ihre Verfügbarkeit vorausgesetzt werden kann. Frau F. ist also in den Augen der anderen auch mit 80 Jahren eine beschäftigte Frau mit einem eigenen Leben. Bei aller Wertschätzung der Familie, die Frau F. auch betont (»Kinder sind mir schon das Wichtigste«), wird hier ihre Hochschätzung von Souveränität und Eigenständigkeit deutlich. Die Interviewpartnerin ist, wie auch die Frauen aus den Diskussionsrunden, in einem kirchlichen Kontext ehrenamtlich tätig und eingebunden in die Gemeinde. Der sonntägliche Kirchgang ist eine Selbstverständlichkeit, gleichwohl zeigt sich Frau F. auch in diesem Kontext wieder als souverän. So achtet sie die Institution Kirche, nimmt sich aber gleichzeitig die Freiheit, ihren eigenen Glauben zu entwickeln und sich gegebenenfalls über Gebote oder Glaubenssätze, die ihr unsinnig erscheinen, wie sie selbst formuliert, »ganz leicht« hinwegzusetzen. Beispielhaft für ein solches sich Hinwegsetzen über eine kirchliche Doktrin ist ihr Zweifel hinsichtlich der Jungfrau Maria: »Jungfrau! (lacht) Ja. Gott (lacht) Gott spielt nicht mit solchen Wundern rum (Pause). Die Kirche bleibt bei der Jungfrau, naja gut.« Hier zeigt sich zunächst eine Parallele zu den Frauen aus der zuvor vorgestellten Diskussionsrunde: Auch dort war Jungfräulichkeit Gegenstand von Skepsis. Wir erinnern uns, die Frauen amüsieren sich mittels der Sprüche vom »lustigen Friedhof« über die vermeintliche Jungfräulichkeit einer Mutter. Unsere Interviewpartnerin Frau F. spottet nicht direkt. Sie zeigt der Kirche gegenüber in diesem Punkt eher eine Art milder Herablassung: »Die Kirche bleibt bei der Jungfrau, naja gut.« Der Kirche scheint also, das legt ihre Tonart hier nahe, in diesem Punkt nicht zu helfen zu sein. Ihre eigene Überzeugung ist, dass Gott nicht mit solchen Wundern »herumspiele«. Im Umkehrschluss heißt das, dass in ihrer Perspektive
3. Empirische Annäherung
die (männlich geprägte) Institution Kirche gleichsam mit Wundern herumspiele. Hier zeigt sich m.E. die nüchtern-pragmatische Frau und vierfache Mutter, die mit der Geschichte der Jungfrauengeburt nicht viel anfangen kann und diese eher als eine männlich-kindlich anmutende Phantasie einzuschätzen scheint. Mir scheint es kein Zufall zu sein, dass gerade die hier vorgestellten engagierten, zupackenden, im Leben stehenden Frauen in den katholischen Gemeinden gerade den Glaubensgehalt der Jungfräulichkeit Mariens mit so viel kritischer Distanz betrachten. Die Frauen, die in großer Mehrheit alle Mütter sind, bleiben sozusagen ihren eigenen leiblichen und sozialen Erfahrungen treu und sind nicht bereit, an dieser Stelle zu abstrahieren oder zu transzendieren. Hier läge m.E. eigentlich eine Herausforderung für beide Seiten: Die Herausforderung für die (männlich geprägte) Institution Kirche bestünde darin, sich der Lebenswirklichkeit vieler Frauen in nicht überhöhender Weise ernsthaft zu stellen, nämlich den realen Mühen von Mutterschaft und Muttersein. Hier haben die Frauen, vermute ich, auch unausgesprochen ein feines Gespür für eine gewisse männlich-kirchliche Ignoranz in Hinblick auf jahrzehntelange alltägliche Fürsorgearbeit von Frauen; einfacher ist es natürlich, Mutterschaft hauptsächlich in einer Art metaphysischem Glanz zu betrachten. Auf der anderen Seite wäre die Herausforderung für die Frauen vielleicht – jedenfalls sofern sie für sich Religiosität in Anspruch nehmen – auch bei diesem Thema nicht allein auf die Natur der Dinge zu pochen… Über das Reizthema Jungfräulichkeit hinaus behauptet hier Frau F. ihren eigenen Glauben und ihre eigenen Erfahrungen, die sie im Zweifelsfall über die kirchliche Doktrin stellt: »Kann ich mich ganz leicht drüber wegsetzen.« Frau F. zeigt sich in einer persönlichen Gottesbeziehung verankert. Im Interview erzählt sie von einer Art Schlüsselereignis. Bevor ihr Ehemann im Alter von 40 Jahren starb, hatte das Paar noch sechs Wochen Zeit, um seinen kommenden Tod, wie Frau F. formuliert, »langsam zu begreifen«. »Das war gut«, resümiert Frau F. im Nachhinein. In diese Zeit der Vorbereitung auf den Tod des
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Partners fällt eine Erfahrung, die für den Glauben von Frau F. bzw. ihre grundsätzliche Lebenshaltung charakteristisch ist: »Jaa, es gibt schon immer wieder mal so (Pause). Äh, bevor mein Mann gestorben ist (Pause) da hab (Pause) äh mm. Ja, es war so- Ich kann’s gar nicht sagen. Es war nicht- ich hab’s nicht gehört, ich hab’s nicht gesehen, trotzdem: ›Es wird alles gut‹ (Pause). Und damit konnte ich leben, da konnte ich sagen: ›Naja, gut.‹ Erst dacht ich, d.h., der wird wieder gesund, irgendwann hab ich gemerkt, der wird nicht gesund. Aber es wird (betont) alles gut. Und des stimmt.«
Diese Zuversicht in einer kritischen Lebenssituation, dass nämlich letztlich »alles gut« wird, ist eine Art Grundton im Leben von Frau F. Ob ihr diese Überzeugung aus der geschilderten Grenzsituation heraus zugewachsen ist oder ob es sich hier um eine ex post so interpretierte Weichenstellung in ihrem Leben handelt, lässt sich nicht klären. Deutlich zeigt sich aber über diese beispielhafte Grenzsituation hinaus die Neigung von Frau F., den schmerzlichen Dingen im Leben nicht allzu viel Raum zu geben bzw. sich dem Schmerz oder dem Negativen überhaupt nicht allzu lange zu überlassen. Sie zeigt sich entschlossen, die Haltung der Beschenkten einzunehmen, so erklärt sie auch ganz grundsätzlich: »Ich krieg vieles so geschenkt, in die Hand.« Diese Überzeugung gibt ihr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, auch im institutionellen kirchlichen Kontext. So hält Frau F. beispielsweise ihre Ideen in Bezug auf Ausflüge im Rahmen der Pfarrgemeinde nicht für Zufall, sondern für bedeutsam. Auch diese Einfälle sind in ihrer Wahrnehmung Geschenke, folglich hält sie hartnäckig daran fest, auch wenn der Pfarrer von ihr genervt ist und sie für stur erklärt. Auch hier kann sie sich ganz leicht über etwas im kirchlichen Kontext, in diesem Falle die Befindlichkeit des Pfarrers, hinwegsetzen. Sie hat genügend Selbstbewusstsein, um ihre eigenen Einfälle als maßgeblich zu betrachten: »Das passt einfach.« Diese Zuversicht zeigt Frau F. auch in Bezug auf ihr eigenes Ende. Sie wünscht sich, ganz so, wie sie es bei ihrem Mann erlebt
3. Empirische Annäherung
hat, eine gewisse Zeit, um sich auf den Tod vorbereiten zu können. Dabei ist sie sich darüber im Klaren, dass sie die Umstände ihres Todes nicht voraussehen kann; gleichwohl zeigt sie sich auch hier zuversichtlich: »Das hab ich nicht in der Hand, aber, hm. Wird schon. Wird schon.« Frau F. ist eine Frau, die mit ihrem Alter wenig Probleme zu haben scheint. Sie steht zu den dem Alter geschuldeten körperlichen Einschränkungen, die sie an sich beobachtet. Sie ist, wie die Frauen der Diskussionsgruppe auch, nach wie vor stark eingebunden in die ehrenamtliche Arbeit in der Gemeinde und sie ist »auf der Höhe der Zeit«, nimmt aktuelle Trends zur Kenntnis. Frau F. befindet sich im Austausch mit ihrer Umwelt und zwar sowohl mit der älteren wie auch mit der jüngeren Generation. Sie stellt Kontakt her, wenn sie das für gut hält, gleichzeitig grenzt sie sich ab, wenn ihr etwas zu viel wird. So spricht sie etwa ohne Scheu junge Leute während einer Bahnfahrt an, beendet aber auch rigoros einen Kontakt, wenn sie sich unangenehm vereinnahmt fühlt: »Dann sag ich ›ja, schön, wunderbar, also interessant, aber jetzt (Pause) auf Wiedersehen‹.« Frau F. zeigt sich als eine Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt und sich zu behaupten weiß. Das erweist sich auch im kirchlichen Kontext. Ihre mehrfache Versicherung, sich über bestimmte Doktrinen ganz leicht hinwegsetzen zu können, zeigt, dass sie sich im Zweifelsfall auch von ausgewiesenen Respektspersonen wie dem Pfarrer nicht allzu sehr beeindrucken lässt: Frau F. wirkt souverän. Diese Souveränität scheint mir im Zusammenhang mit ihrem Milieu zu stehen, möglicherweise mit ihrer Herkunftsfamilie, über die wir nichts wissen und/oder mit der selbst gegründeten Familie. Die Rede von »Haus und Hof«, die Hochschätzung – und Praktizierung – einer artikulierten, freien Rede, all das kündet von einer gewissen Noblesse und Distinktion. Frau F. redet mit der Gelassenheit eines Menschen, der weiß, wer er ist. Hinzu kommt, und dort trifft sie sich wieder mit den vorgestellten Frauen aus der Gruppe »Prinzregententorte«, eine Distanz zur Gruppe der Senioren, der sie eigentlich selbst angehört. Frau F. spricht, auch wenn sie die eigenen Gebrechlichkeiten oder Verlusterfahrungen schildert, gleich-
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sam mit Expertise. Sie spricht über sich ein bisschen wie ein Wissenschaftler über ein interessantes Forschungsfeld. Durch diese Art des Sprechens scheint das Gesagte, obgleich es sie selbst betrifft, sie eben nicht zu betreffen. Das Alter bleibt auch hier, aller präzisen Beobachtung zum Trotz, das andere.
Inter view Frau W.: »Es kann doch nicht alles umsonst sein« Unsere Interviewpartnerin Frau W. ist zum Interviewzeitpunkt 75 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder im reifen Erwachsenenalter. Ihr Mann ist ebenfalls 75 Jahre alt. Die Ehepartner verfügen über denselben Bildungsabschluss, die mittlere Reife, und sie haben beide als Angestellte gearbeitet, Herr W. als Versicherungsangestellter, Frau W. als Bankangestellte. Die beiden Töchter haben eigene Familien gegründet, der Sohn lebt – noch oder wieder, das wird im Interview nicht deutlich – im Haushalt der Eltern. Frau W. gab ihre berufliche Tätigkeit nach der Geburt des dritten Kindes auf; sie ist seit über 30 Jahren in vielen Funktionen ehrenamtlich in ihrer Pfarrgemeinde tätig u.a. als Leiterin der Seniorennachmittage. Auch sie nahm, wie Frau F., an einer unserer Gruppendiskussionen teil und erklärte sich zusätzlich zu einem Einzelinterview bereit. Frau W. ist im Rahmen ihres ehrenamtlichen Engagements sehr aktiv. Sie bezeichnet sich selbst im Gegensatz zu ihrem eher als ruhig und häuslich charakterisierten Ehemann als »Reisetante« und differenziert, gefragt nach ihrem Alltag, zwischen von ihr sogenannten »Zuhause-Tagen« und »Auswärts-Tagen«. Sie ist viel unterwegs, beispielsweise auf Tagungen. Aber auch an den »Zuhause-Tagen« gilt in ihrer Perspektive für die in einem Haushalt lebenden Familienmitglieder ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Wenn alle im Haus sind, gibt es ein gemeinsames Frühstück und »dann geht jeder seinem Gang nach«, wie Frau W. formuliert. Unsere Interviewpartnerin charakterisiert sich über die heutige Situation hinaus als eine Frau, die »sehr viel allein macht«. Sie hat, wie sie beteuert, in ihrem ganzen Leben niemals ihren Mann bei
3. Empirische Annäherung
beruflichen Anlässen begleitet und umgekehrt verhielt es sich ebenso. Selbstständig zu leben, nicht als eine Art Anhängsel des Ehegatten aufzutreten, scheint ihr wichtig zu sein; Frau W. präsentiert sich als eine Frau, die gut allein zurecht kommt. Bei aller betonten Eigenständigkeit ist bei Frau W. gleichzeitig die Mutter- und Großmutterrolle sehr bedeutsam. Neben ihrem noch immer zeitintensiven ehrenamtlichen Engagement ist Frau W. fest in die Betreuung ihrer Enkelkinder eingebunden. Sie holt diese regelmäßig aus der Mittagsbetreuung bzw. der Kinderkrippe ab. Oft komme man in der Konstellation der Großfamilie zusammen und es obliegt dann Frau W. für »zehn Leute zu kochen«. Obgleich sich die Kinder bereits in einem reifen Erwachsenenalter befinden und jedes Familienmitglied sein eigenes Leben lebt, besteht nach wie vor eine starke Bindung an die inzwischen alte Mutter: Der Sohn lebt, wie gesagt, im Haushalt der Eltern, eine Tochter kommt, wie Frau W. erzählt, »mindestens drei-/viermal die Woche«. Alle zwei Jahre unternimmt ein Teil der Großfamilie – nämlich Frau W., die Kinder und die Enkelkinder, also interessanterweise unter Ausschluss der jeweiligen Ehepartner – einen gemeinsamen Urlaub. Frau W. scheint sich bei allen außerfamilialen ehrenamtlichen Aktivitäten, die sie entfaltet, nach wie vor trotz ihres fortgeschrittenen Alters und trotz des fortgeschrittenen Alters ihrer Kinder stark in der Funktion der Mutter zu sehen. Frau W. kommentiert denn auch ihre außerfamilialen Aktivitäten in einer Weise, als bedürften diese einer Rechtfertigung: »Solang’s ihnen [den Kindern, C. B.] gut geht und sie wissen, wo ich, wo ich zu finden bin.« Diese Rahmung ihrer Aktivitäten hat einen fast entschuldigenden Charakter, so, als stelle ihr außerfamiliales Engagement eigentlich eine Zumutung für die Familie dar. Dies erstaunt angesichts des mittlerweile reifen Erwachsenenalters der Kinder. Eine solche Aussage würde man eher in einem familialen Kontext vermuten, in dem noch kleinere Kinder zu betreuen sind. Vielleicht kommt in dieser sich rechtfertigenden Art und Weise ex post die Befürchtung zum Ausdruck, sich dem Common Sense ihrer Generation zufolge als Frau zu wenig um die Familie ge-
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kümmert zu haben. Im Interview zeigt sich jedenfalls beides: die Neigung, eigene Wege zu gehen und das Gefühl einer andauernden Zuständigkeit für die Belange der Kinder. Dies wiederum scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen, darauf deuten zumindest die Anfragen der Kinder hin, die Frau W. im Interview wiedergibt: »Kannst mir das flicken?« oder »Ich bräuchte neue Socken, wann kannst du welche stricken?« Die andauernde Zuständigkeit für häuslich-familiale Belange bildet dann auch den Hintergrund für das Verständnis, das Frau W. von ihrem Alter hat. Von der Interviewerin gefragt, ob sie für sich den Beginn des Alter(n)s benennen könnte, bezeichnet sich Frau W. zunächst als eine Art Sonderfall. Obgleich das Thema Alter in unterschiedlichen Formen auf sie zukommt, kann sie es dennoch, wie sie mehrfach versichert, nicht spüren: »Ja. Also das ist bei mir a bissal schwierig, ich hab also schon sehr lang mit älteren Menschen zu tun, im Ehrenamt und auch familiär, aber ich fühlte mich nie sehr alt. Auf einmal äh kamen immer Geburtstage, die dann rund wurden und dann hieß es ähm: ›Naja, jetzt ist ma im Rentenalter‹. Da macht ma sich Gedanken. Naja, ändert sich was? Ich hab also nichts gespürt, die Arbeit ging weiter, der Haushalt ging weiter, Familie ging weiter.«
Frau W. erläutert, warum es in ihrem Fall schwierig sei, den Beginn des Alters zu markieren (»das ist bei mir a bissal schwierig«). Sie macht einen Gegensatz auf: Obschon sie über Expertise verfügt, da sie schon sehr lang mit älteren Menschen (qua Ehrenamt) in Kontakt steht, kommt ihr das Thema Alter dennoch nicht wirklich nahe, denn sie fühlte sich nie sehr alt. An dieser (Nicht-)Wahrnehmung kann auch der Lauf der Zeit nichts ändern. Runde Geburtstage kommen auf sie zu, es wird proklamiert, dass man nun im Rentenalter sei – aber es ändert sich nichts an der Selbstwahrnehmung. Frau W. denkt hier, ähnlich wie auch Frau F. zu Beginn, gleichsam laut nach. Sie kontrastiert ein Außen mit ihrer Innenwelt. Diese beiden Dimensionen scheinen nicht kompatibel. In ihrer Darstellung kommt ihr das Alter von außen entgegen, durch andere ältere Men-
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schen, durch das Erreichen des Rentenalters, durch runde Geburtstage, aber es erreicht sie nicht wirklich. Frau W. bezieht auch ihr verändertes Äußeres in ihre Überlegungen mit ein: »Ich hab ja graue Haare und (Pause) hab auch vielleicht Falten im Gesicht, die also anders sind als in der Jugend.« Doch auch das veränderte Äußere bleibt ihr gleichsam äußerlich, wenn sie mit einer gewissen Verwunderung konstatiert, dass man ihr im Omnibus oder in der Straßenbahn gelegentlich einen Platz anbietet. »Schau ich schon so alt aus?«, hat Frau W. ihren Mann anlässlich eines solchen Platzangebots gefragt. Auch bei diesem Höflichkeitsritual dem älteren Menschen gegenüber passen Selbstwahrnehmung und Zuschreibung von außen nicht zusammen. Es scheint, als würde Frau W. auf eine Art qualitativen Sprung warten, auf etwas, das sich anders anfühlt, sodass man von einem Vorher und einem Nachher sprechen könnte. Das aber widerfährt ihr nicht. Alter ist eben nicht die eine entscheidende Veränderung, die das Individuum spürt und die in der gespürten Qualität mit den Zuschreibungen von außen übereinstimmt. Beauvoir weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Alter im Lichte der Existenzphilosophie betrachtet eine unrealisierbare Kategorie ist. Bei Jean-Paul Sartre heißt es prinzipiell, dass »meine Für-mich-seinDimension mit meiner Für-den-andern-sein-Dimension inkommensurabel ist« (2016: 934). Das Unrealisierbare meint also eine Inkongruenz zwischen dem eigenen Erleben und der Betrachtung von außen. Simone de Beauvoir formuliert, diese grundsätzliche philosophische Betrachtung auf sich selbst anwendend, folgendermaßen: »Ich mag Französin, Schriftstellerin, eine 60-Jährige sein: diese Situation, die ich erlebe, ist inmitten der Welt eine objektive Form, die mir entgeht.« (2012: 373)
Diese grundsätzliche Schwierigkeit, ein Merkmal der eigenen Person, hier das eigene Alter, so zu fassen, wie es die Welt als quasi objektive Form erfasst, zeigt sich bei Frau W. in ihrer erstaunten Art
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der Betrachtung des eigenen Altseins. Darüber hinaus wird aber noch eine Besonderheit in der Lebensführung unserer Interviewpartnerin deutlich. Es ist die in ihrer Wahrnehmung ununterbrochene Fortführung ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter: »Die Arbeit ging weiter, der Haushalt ging weiter, die Familie ging weiter.« Obwohl die Kinder, wie Frau W. weiter formuliert, »größer wurden« und »eigene Familien gründeten«, erfolgt doch keine deutliche Zäsur im Sinne eines neuen Lebensabschnitts, Frau W. verbleibt in der Mutterrolle, in ihrer Darstellung so, dass man annehmen könnte, sie befände sich noch in der familienintensiven Phase. Hier zeigt sich bei Frau W. ein Phänomen, das der Philosoph Byung-Chul Han als Kennzeichen heutiger Erfahrungen bezeichnet: Diese seien »sehr arm an Übergängen« (2013: 42). Übergänge und Abschnitte aber ordnen und gliedern, sie verleihen dem Leben eine Richtung und somit einen Sinn (43). Ohne Intervalle verlieren bestimmte Lebenszeiten an Bedeutung. Dieses Gegenwartsphänomen zeigt sich bei Frau W. in exemplarischer Weise. Es fehlt die Schwelle, der Übergang zum Alter. Es ist sozusagen immer Familienzeit, ein wenig so, als wäre die Uhr stehengeblieben. Ein weiteres andauerndes Element im Leben unserer Interviewpartnerin ist die katholische Kirche. Frau W. bringt sich aktiv in die Kirchengemeinde ein, sie ist in der Kirchenverwaltung und im Pfarrgemeinderat tätig. Diese Einbindung ist für sie positiv. »Ich bin froh, dass ich katholisch bin«, formuliert Frau W. Die katholische Kirche bietet den Rahmen für ein gerechtfertigtes Leben. Frau W. setzt auf den Glauben. Gleichzeitig werden aber Zweifel deutlich: »Und-und-und Glauben- ich glaub schon, dass es da noch was gibt, des glaub ich, des hoff ich auch, weil sonst wär ja alles umsonst. (Pause) Also sonst wär – könnt ma sich ja gleich umbringen. (Pause) Oder nur Lotterleben führen (lacht).«
Unsere Interviewpartnerin bleibt hier zunächst vage, sie spricht nicht, wie Frau F., von Gott, sondern sie hofft, dass es »da noch was gibt«. Ohne eine nicht näher festgemachte Transzendenz, ohne
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eine weitere Dimension wäre, und jetzt wird Frau W. radikal, »alles umsonst«. Wenn etwas »umsonst« ist, kann dies bedeuten, dass es vergeblich ist und/oder ohne Lohn. Vermutlich schwingt hier beides mit, darauf deuten zumindest ihre Schlussfolgerungen: Ohne eine andere übergeordnete Dimension könnte man sich auch gleich umbringen oder aber alternativ lediglich ein »Lotterleben« führen. Die Perspektive des Selbstmords deutet auf die Sinnlosigkeit eines Lebens ohne übergeordnete Dimension hin. Die Alternative des »Lotterlebens«, also eines vollständig ungeordneten und moralisch fragwürdigen Lebens, könnte eine fatalistisch-trotzige Antwort sowohl auf Sinnlosigkeit wie auch auf ausbleibenden Lohn für korrekte Lebensführung sein. Eine wohl geordnete und moralisch anständige Lebensführung hätte demnach als tieferen Grund die Hoffnung auf bzw. den Glauben an eine – irdische und/oder himmlische – Belohnung. Frau W. mag nicht glauben, dass möglicherweise ihre ganze Lebensführung sozusagen auf Sand gebaut sein könnte. Im Interview versucht sie Gründe dafür zu finden, warum dies nicht sein kann. Ww: Ich mein, es sind, es sind im Glauben meine Vorfahren gestorben und äh, ich glaub net, dass- dass die alle- und- und auch- und wenn ich so- Ich-ich hab viele, ich komm viel auch mit Kirchenkreisen zusammen. Es kann doch net alles umsonst sein. Y: Mhm. Okay. Ww: Ich bau mir doch net da-da irgendein (betont) Wolkenkuckucksheim auf. Des wär ja dann (Pause) ganz (betont) Rom a Wolkenkuckucksheim.
Frau W. argumentiert hier in der Logik, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Sie bemüht ihre Vorfahren, die im Glauben gestorben seien, sie setzt also auf ihre Wurzeln, den in der Familie tradierten Glauben und auf nicht näher benannte Autoritäten aus Kirchenkreisen, die ebenfalls, auch wenn sie das hier nicht ausspricht, Zeugen des Glaubens sind. Die Glaubenszeugen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, werden als Beleg dafür angeführt, dass nicht alles umsonst sein kann. Frau W. baut sich nicht
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»irgendein Wolkenkuckucksheim auf«. Denn wenn dem so wäre, müsste ja »ganz Rom«, also der Amtssitz des Papstes, die Verkörperung der höchsten Autorität des katholischen Glaubens, ein Wolkenkuckucksheim sein. Das Wolkenkuckucksheim ist eine Phantasiestadt aus der Komödie »Die Vögel« von Aristophanes. Der Begriff »Wolkenkuckucksheim« verweist auf eine Phantasiewelt ohne Bezug zur Realität. Insofern dokumentiert sich hier die Befürchtung unserer Interviewpartnerin, der ganze Glauben könnte am Ende nur ein Phantasiegebilde sein. Gegen diese Befürchtung muss sie gleichsam gewichtige Zeugen anrufen: Die Vorfahren, also ihre eigenen Wurzeln in der Zeit und kirchliche Autoritäten bis hin zur höchsten Autorität in Rom. Diese Anrufung zeigt die Not von Frau W.: Sie ist sich offenkundig des Fundaments, auf dem ihre Lebensführung beruht, nicht so sicher. Im Vergleich mit unserer Interviewpartnerin Frau F. fehlen hier Gewissheit und persönliche Gottesbeziehung oder Glaubenserfahrungen. Frau W. muss sich in dieser wichtigen Angelegenheit auf Bekundungen im Allgemeinen, auf so etwas wie Common Sense verlassen. Das fällt schwer. Was fehlt, ist das eigene Verständnis von Glauben, die eigene Setzung. Vielleicht fehlt hier der Mut zur Eigenständigkeit, die ihr doch so wichtig ist. Frau W. nimmt, ganz wie Frau F., eine positive Haltung gegenüber der Jugend ein. Sie kommt auch zu einem ähnlichen Ergebnis wie Frau F.: So gehe es ihrer Wahrnehmung zufolge heute erfreulicherweise »ehrlicher« zu als früher. Früher sei vieles »hinten rum« oder »verlogen« gewesen, weil man sich nicht getraut habe. Heute könnten die Leute allein leben mit Kindern, was früher eine Schande war, oder auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Frau W. beurteilt also die heutigen Möglichkeiten für eine freie Gestaltung des Lebens positiv. Von der Interviewerin gefragt, was sie denn möglicherweise jüngeren Menschen als Rat mitgeben würde, formuliert Frau W. spontan: »Auf die innere Stimme hören, auch Mut haben, was zu machen, was vielleicht, ähm bissl absonderlich ist, also auch Mut haben.« Und ein wenig später: »Dass ich sag: ›Ich geh meinen Weg‹, aber trotzdem immer schauen, ähm: Wo hab ich
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meine Wurzeln? Wie äh, wie – wie passt, wie passt des alles zusammen?« In den Empfehlungen an die Jugend findet sich ein Spannungsfeld, welches möglicherweise für das Leben oder das Lebensgefühl von Frau W. prägend war: das Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Allgemeinen oder der Konvention. Jedenfalls fällt auf, dass unsere Interviewpartnerin einerseits höchst aktiv und eigenständig ist, immer schon auch, wie sie mehrfach betont, eigene Wege gegangen ist und andererseits eigentümlich besorgt, wenn es darum geht, was man von diesen Wegen nun halten kann. Frau W. möchte einen guten Eindruck hinterlassen, sie möchte nützlich sein. Das gilt auch für die Interviewsituation. »Jetzt hoff i«, sagt sie abschließend, »dass was macha können aus dem«. Auch das Interview soll nicht umsonst sein. Vielleicht lässt sich das Leben unserer Interviewpartnerin Frau W. ein wenig auf die Formel »Angst vor der eigenen Courage« bringen. Frau W. ist, wie auch Frau F., eine patente, selbstständige, aktive Frau. Sie engagiert sich in verschiedenen Gremien, leitet Gruppen, bildet sich weiter. Gleichzeitig ist sie, wie vermutlich die meisten Frauen ihrer Generation, in erster Linie Familienfrau. Die Zuständigkeit der Frau für die Familienarbeit ist selbstverständlich. Die von Frau W. so betonte Eigenständigkeit ist es eher nicht, gerade deshalb, so vermute ich, zieht sich das Thema Eigenständigkeit wie ein roter Faden durch das Interview. Die Betonung des Themas hat den Charakter von Selbstvergewisserung. Frau W. scheint der rührige und geschäftige Typ Frau zu sein, der von ihr selbst gewählte Begriff der »Reisetante« bringt das sehr gut zum Ausdruck. Gleichzeitig scheint ihr das eigene Temperament nicht ganz geheuer zu sein. Unter der Oberfläche von Munterkeit und Betriebsamkeit sind Zweifel und Angst zu erkennen. Die Konvention, der Common Sense eignen sich nicht als Fundament des Lebens. Es ist, als müsste Frau W. sich im Tiefsten erst noch durchringen zu etwas wirklich Eigenem, sich lösen von dem Wunsch zu gefallen.
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Das Verharren im Konventionellen zeigt sich besonders deutlich im Bereich des Glaubens. Frau W. zeigt einen ganz konventionellen Glauben. Sie ist katholisch, ihre Vorfahren waren katholisch, sie engagiert sich ehrenamtlich in der katholischen Gemeinde. Oberflächlich betrachtet, ist alles gut. Aber eben nur oberflächlich. Das Niveau der Konvention, die oberflächliche Bezugnahme auf Autoritäten und Tradition, gibt keine wirkliche Sicherheit. Daher auch die Befürchtung eines kollektiv geteilten »Wolkenkuckucksheims«: Möglicherweise ist ja alles nur Theater! An dieser Stelle wird die Notwendigkeit, selbst Stellung zu beziehen, besonders deutlich. Es ist sicher kein Zufall, dass der Rat der Interviewpartnerin an die Adresse der Jugend lautet, auf die innere Stimme zu hören und Mut zu haben. Das Thema Alter steht bei Frau W. unter dem Motto »Weitermachen wie bisher«. Auffallend ist die Bruchlosigkeit in der erzählten Lebensgeschichte von Frau W. Für sie gibt es keine Zäsur, keine Schwelle. Dies hat seine Entsprechung in der Form der Erzählung: Frau W. erzählt ununterbrochen, bildlich gesprochen plätschert ihre Geschichte dahin, es fehlt an selbst gesetzten Ankerpunkten. Daher auch der Eindruck des Seichten, des Mangels an Tiefe, welcher durch die von Frau W. entfaltete Betriebsamkeit nicht zu kompensieren ist. Das Haftenbleiben an Konvention und Oberfläche mag auch ein Ausdruck des kleinbürgerlichen Angestelltenmilieus sein. Es fehlt die Souveränität des Sich-Hinwegsetzens über Vorgaben, so, wie wir es bei Frau F. finden konnten. Insofern ist der bei aller Selbstständigkeit zu verspürende »Kleinmut« von Frau W. möglicherweise ebenso Ausdruck ihres Milieus, wie das – wenn man so will – großzügige Sich-Hinwegsetzen Ausdruck eines eher großbürgerlichen Selbstverständnisses von Frau F. ist. Was sich zeigt, sind hier wie dort die Möglichkeiten und Begrenzungen, welche die Zugehörigkeit zu einem Milieu bedeutet.
3. Empirische Annäherung
3.2 Z wischenresümee I: A ltsein als N icht-E rfahrung Allen von uns interviewten ehrenamtlich tätigen Frauen ist eine Distanz zum Alter gemeinsam. Diese zeigt sich in unterschiedlicher Weise. Die Frauen aus der Diskussionsrunde »Prinzregententorte« verschaffen sich (und den von ihnen betreuten Senior/-innen) im Rahmen der Gestaltung der Seniorennachmittage in Hinblick auf das Thema Alter Möglichkeiten der Spannungsabfuhr – der »lustige Friedhof« mit seinen derben Sprüchen über Leben und Tod ist exemplarisch dafür. Gelächter sorgt für Abstand zu den gefürchteten elenden Seiten des Alters. Dies gelingt in gewissen Grenzen. Das Thema Demenz kann nicht mehr »weggelacht« werden, zu sehr steht es für ein Schicksal, das einem auch selbst noch widerfahren könnte. Hier zeigt sich Entsetzen und eine gewisse Empörung über das, was das Alter anzurichten vermag. Unsere Interviewpartnerin Frau F. zeigt Distanz, indem sie die eigenen, dem Alter geschuldeten Beeinträchtigungen in fast wissenschaftlicher Manier zum Gegenstand ihrer Betrachtungen macht. Angesichts der Verluste, die das Alter zufügt, zeigt sie das ruhige Interesse der Expertin. Die erlittenen Beeinträchtigungen können ihre grundsätzliche Haltung von Noblesse und Souveränität nicht schmälern. Der Abstand, den unsere Interviewpartnerin Frau W. zu ihrem Alter hat, hat viel damit zu tun, dass sie ihr Alter nicht spürt. Sie wartet gewissermaßen noch immer auf eine Art Ereignis, eine besondere, deutlich spürbare Qualität, welche die Phase des Alters merklich einläuten würde. Pointiert formuliert ist den von uns interviewten alten Frauen das Thema Alter auch nicht wesentlich näher als jüngeren Menschen. Zwar ist ihnen das Thema auf den Leib gerückt: Das Alter hat Falten gezeichnet, Haare grau gemacht, Bewegungen verlangsamt, Sinneswahrnehmungen geschwächt usw., es hat sich also bemerkbar gemacht – aber es ist nicht evident. Das Alter muss hergeholt werden, etwa durch einen theoriegeleiteten Entschluss, wie
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bei Frau F. (mit 60 Jahren endet die Arbeit mit einer bestimmten Klientel), es kommt einem als Drohung entgegen (zum Beispiel in Form einer Demenzerkrankung anderer alter Menschen) oder als Zuschreibung durch die anderen (das höfliche Platzanbieten in der Straßenbahn). Woher kommt dieses merkwürdige Nicht-Erfahren des Alters bei unseren aktiven, ehrenamtlich tätigen Frauen? Mir scheint, dass gerade ihr Tätigsein, ihre Aktivität ein Schlüssel für den Mangel an Erfahrung des Alters ist. Aktivität ist, auch in den Debatten über das Alter, geradezu zum Zauberwort geworden. Aktivität ist durch und durch positiv besetzt, scheint das Gegenstück zur Vereinsamung, zur Depression, zum sinnentleerten Leben zu sein. In dieser Einseitigkeit scheint mir dies allerdings ein Kurzschluss zu sein. Die schiere Aktivität ist in Gefahr, zur Geschäftigkeit zu verkommen. Diese Geschäftigkeit kommt gut in der ein wenig ironischen Selbstbezeichnung unserer Interviewpartnerin Frau W. als »Reisetante« zum Ausdruck. Wer ununterbrochen auf die Lebensform der Vita activa12 setzt, der vernachlässigt den Gegenpol: die Kontemplation, das Verweilen, das Innehalten. »Pure Aktivität«, so der Philosoph Byung-Chul Han, »macht erfahrungsarm. Sie setzt das Gleiche fort.« (2013: 103) Das ununterbrochene Fortsetzen des Gleichen zeigt sich am deutlichsten bei unserer Interviewpartnerin Frau W., aber auch bei Frau F. und den Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde zeigt sich als Charakteristikum ihres ehrenamtlichen Engagements ein unausgesetztes Tätigsein. Dieses macht vielfach die Stärke der Frauen aus, ist aber in Hinblick auf die Erfahrbarkeit, die Evidenz des eigenen Altseins möglicherweise auch so etwas wie ein toter Winkel: Ununterbrochene Aktivität macht es schwer, die Schwelle des Alters im eigenen Leben zu erkennen und bewusst 12 | Die Vita activa bezeichnet das tätige Leben im Gegensatz zur Vita contemplativa, dem betrachtenden Leben. Das Prinzip der Vita activa kann sich in politischem oder auch caritativem Engagement ausdrücken. Bei Hannah Arendt ist es freies Handeln im öffentlichen Raum als Gegenentwurf zum reibungslosen Funktionieren in der Arbeitsgesellschaft (vgl. Arendt 2015).
3. Empirische Annäherung
in diese neue Phase einzutreten. Oder anders formuliert: »So altert man, ohne alt zu werden.« (Han 2013:17)
3.3 A lter aus E xpertensicht : B ildungswissenschaf tliche , medizinische und geistliche P erspek tiven Inter view Frau K.: »Das muss man bearbeiten« Den Anfang in der Reihe der Gespräche mit Expertinnen und Experten zum Thema Alter macht Frau K. Frau K. ist Sozialpädagogin und arbeitet hauptamtlich bei einem katholischen Bildungsträger im Bereich der Seniorenbildung. Der Kontakt zu den von uns interviewten ehrenamtlich tätigen Frauen kam durch ihre Vermittlung zustande. Nach Abschluss der Diskussionen und Interviews mit den ehrenamtlich tätigen Frauen erklärte sich auch Frau K. zu einem Interview zum Thema Alter bereit. Frau K. spricht überwiegend in ihrer Rolle als Fachfrau, bringt aber auch persönliche Perspektiven mit ein. Zum Interviewzeitpunkt ist sie 59 Jahre alt, sie ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Ihre Aufgabe als Fachreferentin sieht Frau K. zunächst darin, sich selbst fachlich, d.h. gerontologisch, möglichst gut auf dem aktuellen Stand der Dinge zu halten und dann u.a. auch durch die je neuen Informationen, die Kollegen und Kolleginnen, die vor Ort Bildungsarbeit anbieten, zu unterstützen. Alter ist für sie, dem aktuellen Stand der Forschung entsprechend, etwas, »was sich immer stärker ausdifferenziert«. Es gibt in dieser Perspektive also nicht den alten Menschen. Alter umfasse alles, was die nachberufliche Phase ausmache, wir haben es also unter Umständen mit einer 30 oder 40 Jahre umfassenden Zeitspanne zu tun. Zudem gehören alte Menschen – wie jüngere Menschen auch – unterschiedlichen Milieus an. Demzufolge müssten auch Bildungsangebote für alte Menschen unterschiedlich aussehen. So könne es beispielsweise darum gehen, die eigene Lebensge-
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schichte zu verstehen (Stichwort Biografiearbeit) oder auch darum, einen Gesprächspartner für das zu finden, was man in der letzten Woche in der Zeitung gelesen habe. Frau K. hat einen weiten Bildungsbegriff; sinnvoll ist für sie alles, was Teilhabe ermöglicht. Ferner betont sie ein konstruktivistisches, interaktives Verständnis von Erwachsenenbildung; als Leiterin eines Seminars sei sie »nicht die einzige Wissensträgerin«. Bildungsarbeit müsse ein Prozess »auf Augenhöhe« sein. Vor dem Hintergrund dieses aktuell geltenden konstruktivistischen Verständnisses von Bildungsprozessen schätzt sie die ehrenamtliche Arbeit in Pfarreien, also die Art von Arbeit, die wir in den Gruppendiskussionen mit den Leiterinnen der Seniorennachmittage kennengelernt haben, eher als eine traditionelle Art der Bildungsarbeit ein, die es gleichwohl wertzuschätzen und zu unterstützen gelte. Gleichzeitig dürfe ihrer Ansicht nach diese klassische Form des von ehrenamtlich tätigen Frauen gestalteten Seniorennachmittags nicht die einzige Form bleiben, sofern Pfarreien auch in Zukunft Anlaufpunkte für ältere Menschen sein wollen. Hier scheint die Einschätzung durch, dass der Seniorennachmittag als Format für ein ganz bestimmtes Segment an traditionsverwurzelten alten Menschen möglicherweise ein Auslaufmodell ist. Bei Frau K. ist beim Thema Alter den einschlägigen Debatten und der Fachliteratur entsprechend Teilhabe das entscheidende Schlüsselwort. Aber auch das Thema Rückzug im Zusammenhang des Älterwerdens, thematisiert durch die Interviewerin, findet seinen Platz, Frau K. würde es allerdings anders benennen. Sie findet den Begriff der »Konzentration«. Dieser Begriffsfindung geht die kritische Feststellung voraus, dass Leistungsorientierung in unserer Gesellschaft einen großen Stellenwert habe, dass Lebensqualität aber nicht unbedingt mit Leistung verbunden ist und man diesbezüglich von an Demenz erkrankten Menschen oder von Hochbetagten lernen könne. Die Interviewerin stimmt zu: Leistungsorientierung »bis ans Grab« könne nicht das Lebensthema sein. Daraufhin verdeutlicht Frau K.
3. Empirische Annäherung
anhand ihrer eigenen Person, dass sich Leistungsorientierung bis zum Ende auch gar nicht durchhalten lasse: »Kann man gar nicht durchhalten, also ich merk, dass ich’s nicht mehr- ich bin anders als mit 30, da wollte ich auch noch was anderes für mich beruflich, ja? So also, das erleb ich schon, dass ich, also nicht ein, ich erleb des nicht als Rückzug, sondern als (betont) Konzentration, ja? Auf ein paar Themen, wo ich jetzt sagen würde, da bin ich Spezialistin. Und ich muss sagen, diese drei Themen, also da auf dem Laufenden zu sein, nicht eingeengt zu sein und immer des gleiche machen zu wollen und so, des find ich jetzt mir angemessen, ja meiner- meiner Berufssituation. Und dazu noch jüngere Kolleginnen fördern, ähm, die halt auf nem ganz andern ähm, auf nem ganz andern Stand in ihrem Lebensweg sind.«
Frau K. erlebt sich selbst jetzt mit fast 60 Jahren anders als in der beruflich ambitionierten Lebensphase mit 30 Jahren. Was sie erlebt, darauf deutet die Rede vom Nicht-Durchhaltenkönnen, ist ein Bewusstsein für die Begrenztheit der Kräfte. Diese Veränderung möchte sie aber nicht auf den Begriff des »Rückzugs« bringen, der ja so etwas wie ein Aufgeben, ein Zurücklassen nahelegt. Sie wählt vielmehr den positiv besetzten Begriff der »Konzentration«, der so etwas wie Verdichtung, Fokussierung nahelegt. Das dem Älterwerden geschuldete Nicht-Durchhaltenkönnen mündet also in dieser Akzentuierung in etwas Positives: Frau K. konzentriert sich auf einige wenige Themen, sie diffundiert nicht in viele Richtungen, vielmehr sammelt sie sich und wird zur Spezialistin für ausgewählte Themengebiete. Spezialisierung und die Förderung von jüngeren Kolleginnen erlebt sie nun als ihrem Alter und ihrem Status angemessen. Demgegenüber befinden sich die jüngeren Kolleginnen noch an einer anderen Stelle auf ihrem Lebensweg und in einer anderen beruflichen Position. Die neue Rolle der gelassenen Förderin ist allerdings, wie Frau K. selbst zugesteht, nicht nur einfach. Zwar habe sie, wie sie formuliert, ihr »Standing« und müsse demzufolge nicht mehr konkurrieren oder sich ängstigen, dennoch gebe es auch das Thema »was
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aufzugeben« und zu sehen »ah, da kommt ein neuer Stern oder so«. Hier wird eine Ambivalenz deutlich: Einerseits kann Frau K. nun altersangemessen die Rolle der souveränen Förderin jenseits des Wettbewerbs genießen, andererseits kommt durch das Zugeständnis »etwas aufgeben« zu müssen doch noch das negativ konnotierte Bild, das Thema des Rückzugs ins Spiel. Es ist ja Frau K., die etwas loslassen muss, während sie gleichzeitig dem Kommen von Neuem zuschauen muss. Sie wählt dafür ein starkes Bild: »Ein neuer Stern« kommt, also etwas, das im Gegensatz zum eigenen partiellen Weggehen gerade erblüht, erstrahlt, aufgeht. Bei aller Zufriedenheit mit dem erreichten Status wird hier auch Wehmut spürbar. Die allerdings wird professionell »bearbeitet«. Frau K. wählt diese Formulierung mit Bedacht. Während sie noch nach einem passenden Wort sucht (»ja des muss ma-des muss ma einfach-«), bietet die Interviewerin eine Vokabel an: »auch abkönnen, ne?«. Frau K. korrigiert: »Eh ne-ja, man muss (Pause) bearbeiten, glaube ich.« Das »Abkönnen«, der Vorschlag der Interviewerin, hat die offenkundig als negativ empfundene Konnotation von Ertragen, Erdulden. Nicht zufällig wählt Frau K. den Begriff der Bearbeitung. Synonyme für bearbeiten sind: abändern, abwandeln, modifizieren, umschreiben. Die Verlusterfahrung soll nicht einfach so gelassen, sie soll einer Veränderung zugeführt werden. In dieser Akzentuierung bleibt der Mensch wirkmächtig, er wirkt auf einen irritierenden, vielleicht schmerzhaften Zustand ein, um die irritierende oder schmerzende Wirkung einzudämmen. Nicht Rückzug, sondern Konzentration und Spezialisierung; nicht ertragen, sondern bearbeiten. Diese Rahmung zeigt über die Person von Frau K. hinaus eine Art und Weise, mit den Dingen, in diesem Fall dem Alter, umzugehen: Der Mensch bearbeitet aktiv, so ähnlich wie ein Handwerker, das Material seines Lebens. Frau K. nimmt im Verlauf des Gesprächs ihr eigenes Leben nach der beruflich aktiven Zeit in den Blick. Den Hintergrund für ihren Zukunftsentwurf bildet eine Passage, in der sie, gestützt auf aktuelle Literatur, ihre Vorstellungen von nachbarschaftlicher Unterstützung entfaltet, welche günstig für gutes Altern sein könn-
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te. Alte Menschen brauchen »Orte und Menschen, mit denen die im Gespräch sein können«. Frau K. skizziert eine Kultur der freiwilligen wechselseitigen Unterstützung, die beispielsweise in einem größeren Wohnblock entstehen könnte. Die in leicht provozierender Manier gestellte Nachfrage der Interviewerin, ob sie in Hinblick auf solche Zukunftsvisionen optimistisch sei, bejaht Frau K. und nimmt bei der Begründung ihres Optimismus wieder Bezug auf die eigene Person. »Also ähm ich sag ja, ich bin, ich werd jetzt 60, mein Mann ist zwei Jahre älter, ich hab jetzt grade meine Arbeitszeit a bissl reduziert und ich merk schon wie ich aufatme, ja? Also diese letzten fünf, sechs Jahre, da hab ich gemerkt, dass 39 Stunden Arbeit meine Energie braucht. Noch dazu weil mir ja, alle hammer alte Eltern und die Kinder sind immer noch– Ähm also unsere Tochter inzwischen nicht mehr, die ist eigenständig, aber des war äh lange Zeit. Aber man ist ja da auch familiär noch sehr gebunden. Und so meine Vorstellung ist schon, wenn ich nicht mehr arbeiten muss, ja? Dann hab ich Energie frei etwas anderes zu tun. Und da bin ich schon interessiert dran, auch weil ich, ähm -wir haben ein Kind – nicht erwarte, dass die jetzt meine Alterssicherung ist. Und des ist so’n Vernunftgrund zu sagen: Also ich tu was, dann krieg ich auch was, so. Also des ist des eine und des andere, weil’s ja auch Spaß macht sich mit Menschen zu treffen, also und miteinander im Gespräch zu sein. Und des merk ich jetzt in unserem Freundeskreis zunehmend, ja? Man braucht Unterstützung für des eine oder andere. Stirbt ein Partner und äh, die Freundin ist äh zu begleiten und also– Ich bin da (Pause) schon optimistisch, ja? Auch aus dem Grund weil’s notwendig ist.«
Frau K. wechselt hier auf die Ebene persönlicher Betroffenheit, gleichwohl bleibt die übergeordnete Rahmung professionell, sie betrachtet auch den eigenen Lebensentwurf mit dem Blick der Fachfrau. Frau K. hat gerade ihre Arbeitszeit reduziert, und zwar wiederum vor dem Hintergrund der Wahrnehmung, dass in ihrem Alter Kraftreserven nicht unendlich sind. Frau K. zeigt sich hier achtsam, sie spürt, dass eine reguläre 39-Stunden-Woche ihre Energie (ver-) braucht. Gleichzeitig macht sie sich gleichsam zur Sprecherin ihrer
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Generation bzw. den Angehörigen einer bestimmten Lebensphase: Menschen ihres Alters haben oft Verantwortung nach zwei Seiten hin, sie haben (noch) die Kinder und (als neue Herausforderung) die alten Eltern zu versorgen. Über ihre eigene Person hinaus macht sie hier deutlich, dass Menschen in einer bestimmten Lebensphase familial und beruflich stark beansprucht sind. Vor dem Hintergrund des Spürens, wie sehr Erwerbsarbeit Energie verbraucht, stellt sich Frau K. nun die Zeit vor, in der sie nicht mehr erwerbstätig sein wird: Sie wird dann freie Kapazitäten (»dann hab ich Energie frei«) für andere (hier nicht näher benannte) Dinge haben. Sie wird die frei gewordene Energie also erneut an – nun frei gewählte – Dinge binden. Bei Frau K. zeigt sich an dieser Stelle, so, wie auch bei den ehrenamtlich tätigen Frauen in der Seniorenarbeit, ganz deutlich der übergeordnete Lebensentwurf der Vita activa: Die vorgestellte freie Zeit in der Zukunft wird nicht frei gelassen, sondern sie wird neu gefüllt werden. Frau K. wird im Modus der Aktivität bleiben. Frau K. begründet den Plan der zukünftigen frei gewählten Tätigkeiten: Sie möchte nicht die Tochter zur »Alterssicherung« machen. Es ist anzunehmen, dass Alterssicherung hier nicht, zumindest nicht vorrangig, in einem ökonomischen Sinne gemeint ist, sondern eher im Sinne von praktischer Unterstützung. Frau K. möchte aber gerade nicht die Tochter verpflichten bzw. sich selbst in eine einseitige Abhängigkeit bringen. Lieber – und hier trifft sich ihr persönlicher Entwurf mit dem zuvor für die Allgemeinheit formulierten Entwurf vom Leben im Alter – möchte sie in eine Art Netzwerk wechselseitiger Unterstützung eingebunden sein: »Also ich tu was, dann krieg ich auch was.« In der Perspektive unserer Interviewpartnerin verbindet sich hier das Angenehme mit dem Nützlichen: Es macht Spaß, sich mit anderen Menschen zu treffen und es ist vernünftig, auf wechselseitige Unterstützungsleistungen zu setzen, da sich schon jetzt im Freundeskreis abzuzeichnen beginnt, dass immer der eine oder andere auf Unterstützung angewiesen sein wird. In Hinblick auf künftige nachbarschaftliche oder freundschaftliche Unterstützungsleistungen ist Frau K. also optimistisch, und zwar auch
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»weil’s notwendig ist«, wie sie selbst formuliert. Der Optimismus ist also ein Zweckoptimismus: Es wird nachbarschaftliche Unterstützungsnetzwerke geben, weil diese angesichts des absehbaren Angewiesenseins aller älter werdenden Menschen eine vernünftige Lösung darstellen. Frau K. ist sozialwissenschaftlich informiert, auf der Höhe aktueller Debatten über das Alter und gleichzeitig eine praktisch und nüchtern denkende Frau. Sie erwartet nicht, dass Menschen gleichsam »für Gottes Lohn«, also umsonst, einfach so für andere tätig werden, sondern sie geht davon aus, dass Hilfeleistungen auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhen: Eine Hand wäscht die andere. In dieser Perspektive tut, wer Unterstützung im Alter erwartet, gut daran, selbst Unterstützungsleistungen zu bieten. Oder pointiert formuliert: Sich einbringen in übergeordnete Netzwerke bringt einem wahrscheinlich auch die Hilfe anderer ein. Der (unausgesprochene) negative Gegenhorizont solcher Entwürfe ist ein Zustand, in dem man das eigene Leben nicht mehr selbst in der Hand hat. Frau K. bringt zu Beginn des Gesprächs das Thema Alter auf das Schlagwort »zwischen Verletzlichkeit und Selbstbestimmung«. Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass sie selbst weitestgehend auf das Prinzip der Selbstbestimmung setzt und wo diese aufgrund zunehmender Verletzlichkeit mehr und mehr an Grenzen gerät, auf das Prinzip der wechselseitigen Verpflichtung.
Inter view Herr Dr. F.: »Lebenszeit verbessern« Herr Dr. F. repräsentiert die Perspektive der Medizin, er ist, wie auch Frau K., in seiner Eigenschaft als Experte angesprochen worden. Dr. F. ist zum Interviewzeitpunkt leitender Oberarzt in der geriatrischen Abteilung einer großen Klinik. Der Kontakt kommt durch die Vermittlung eines beiderseits bekannten Kollegen zustande. Dr. F. ist sehr engagiert im Bereich der Medizin für den alten Menschen und erklärt sich sofort zu einem Gespräch bereit. Zu Beginn des Interviews erläutert er zunächst sein Aufgabengebiet und sein Selbstverständnis. Er spricht dabei oft im Plural, was
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darauf hindeutet, dass er sich stark mit seinem Beruf bzw. seinem Spezialgebiet, der Medizin für den alten Menschen, identifiziert. Gleichzeitig verleiht das »wir« eine gewisse Autorität: Es spricht nicht nur Herr Dr. F., durch ihn spricht gleichsam sein Fach. Gleich eingangs erläutert er auf die Bitte der Interviewerin hin sein Spezialgebiet: »Wir sind die Geriater, die beruflich tätigen Mediziner und Medizinerinnen für den kranken alten Menschen, wir sind die Geriatrie.« Alter in geriatrischer Perspektive, so erklärt er weiter, muss nicht mit dem Lebensalter korrelieren, der alte Mensch im Sinne der Geriatrie ist der mit »Multimorbiditäten und Funktionsdefiziten«. Alt ist nach medizinischem Verständnis also der Mensch, der in mehrfacher Hinsicht krank ist und dessen Organismus in bestimmten Bereichen nicht mehr optimal funktioniert. Diese Definition korrespondiert mit den Erfahrungen, die uns unsere Interviewpartnerinnen Frau F. und Frau W. erzählten: Die Knie schmerzen, das Gehör lässt nach, das Auffassungsvermögen wird schwächer usw. Auf die Nachfrage der Interviewerin, was Alter denn eigentlich sei, antwortet Dr. F. zunächst philosophisch bzw. sozialwissenschaftlich informiert: Alter sei ein willkürlich gewählter Zeitbegriff, je nach Kulturkreis variierend. Die Mediziner sehen das Alter als Herausforderung für die Funktionen des Menschen. Gebrechlichkeit und Anfälligkeit seien altersspezifische Charakteristika. Dr. F. führt aus, was er zuvor schon knapp mit dem Begriff der Funktionsdefizite andeutete: Prozesse sind nicht mehr so funktionstüchtig. Er gibt dafür einige Beispiele: Die Zellteilung nimmt ab, beispielsweise würden bei Frauen Eierstockzellen nicht mehr produziert, Stammzellen, die für die Infektabwehr wichtig wären, nehmen ab usw. Trotz der Aufzählung von Prozessen, die Abnahme oder Rückgang bedeuten, möchte Dr. F. nicht insgesamt, wie von der Interviewerin nachgefragt, von einem Prozess der Abnahme oder Schwächung sprechen. Eine solche Vorstellung würde auf ein nicht mehr als zeitgemäß erachtetes »Defizitmodell« hinauslaufen. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass trotz biochemisch zu beobachtender Ab-
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bauprozesse Alter nicht mit empfundener Schwäche einhergehen muss: »Wir haben durchaus Hochbetagte, die nicht Schwäche erleben.« Demnach wäre bei einem Versuch der Definition von Alter das subjektive Empfinden eines Menschen ausschlaggebend. Eine solche Betrachtungsweise würde zu den Erfahrungen bzw. den Nicht-Erfahrungen unserer Interviewpartnerin Frau W. passen, die ja die Spuren des Alters durchaus konstatiert, sich aber gleichwohl nicht alt fühlt. Gleichzeitig zeigen sich hier auch Berührungspunkte zum Orientierungsrahmen der Bildungsreferentin Frau K.: In den medizinischen Modellen wie auch in den Bildungsmodellen für alte Menschen sollen sich vorrangig Vielfältigkeit und Möglichkeiten abbilden und nicht so sehr Mängel. Das Selbstverständnis von Dr. F. ist das eines »humanistisch orientierten Geriaters«. Er nennt in diesem Kontext zwei unterschiedliche »Formeln«, die jeweils das Selbstverständnis eines Geriaters zum Ausdruck bringen können. Die eine Formel lautet: Morbidität komprimieren und Lebenszeit verbessern. Die andere Formel lautet: Lebenszeit unbedingt verlängern, womit häufig einhergehe, auch die Morbidität in der Zeit zu verlängern. Dr. F. verortet sich eindeutig bei den Anhängern der ersten Formel. Er formuliert apodiktisch: Sofern ein Geriater den Anspruch hat, humanistisch orientiert zu sein, kann er sich nur der ersten Formel verpflichtet fühlen: »Des Ziel eigentlich eines humanistisch orientierten Geriaters sollte sein, die Morbidität zu komprimieren und die Lebenszeit zu verbessern, in der Qualität. Und wo ma uns mit der Palliativmedizin auch treffen: nicht dem Leben unbedingt Zeit geben, sondern also Zeit Leben geben, solche Begriffe.«
Dr. F. verschafft hier der Interviewerin in knapper Form (eben formelhaft) Einblick in das berufliche Selbstverständnis derjenigen Geriater, die sich dem Humanismus verpflichtet fühlen. Die Morbidität eines Patienten soll verdichtet, also die Krankheit gleichsam zusammengeballt und seine Lebenszeit soll verbessert werden. Mit diesem Anspruch trifft sich die Geriatrie, so, wie sie Herr Dr. F. ver-
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steht, mit den Ansprüchen der Palliativmedizin. In beiden Teildisziplinen der Medizin geht es in seinem Verständnis darum, nicht unbedingt dem Leben Zeit zu geben, sondern der Zeit Leben zu geben. Mit dem knappen Nachsatz »solche Begriffe« gibt Herr Dr. F. zu verstehen, dass er hier der Interviewerin in knapper Form den aktuellen Stand der Dinge seines Fachs referiert. Wiederum wird deutlich, dass hier nicht nur der Interviewpartner spricht, sondern gleichsam die moderne Medizin. Dem Leben, also konkret dem Lebewesen, hier dem alten Menschen, Zeit geben, ist nicht unbedingt, also zwingend, das vorrangige Ziel einer so verstandenen Geriatrie. Denn eine solche Maxime könnte ja auch zur Folge haben, unnötig Leid zu verlängern. Eine solche Vorgehensweise entspräche dem, was Menschen zum Teil der Geriatrie vorwerfen würden. Herr Dr. F. referiert dies an anderer Stelle: »Also des, was ma uns vorwirft zum Teil: ›Ihr Geriater macht ja bloß des Leben länger und (Pause) lasst die Leute noch kränker werden.‹« Von einer solchen Haltung, wie sie der Geriatrie von manchen Laien zum Vorwurf gemacht wird, grenzt sich Herr Dr. F. ab. Er will gerade nicht das Leben um jeden Preis verlängern, in der formelhaften Formulierung seines Berufsstandes also »dem Leben Zeit geben«, sondern er will genau umgekehrt »der Zeit Leben geben«. Die verbleibende Zeit eines Menschen soll also nicht maximal möglich fortschreiten (durch maximale medizinische Intervention), sondern dem letzten Zeitintervall vor dem Tod soll möglichst viel »Leben« im Sinne von Lebensqualität gegeben werden. Diese immer wieder vorgebrachte »Lebensqualität« wird in Zusammenhang gebracht mit Qualitäten wie Teilhabe am Alltagsleben und Selbstständigkeit. Darauf sollten die medizinischen Handlungen ausgerichtet sein. Eine solche Haltung wäre dann humanistisch, also dem Alltagssprachgebrauch des Wortes folgend, von Respekt vor der Würde des Menschen geprägt. Dr. F. formuliert auch ganz explizit, dass er sich wünscht, die Würde des Alterns wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Altern, so formuliert er, kann ein »schöner Prozess« sein.
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Leitbild ist also der Arzt als Humanist, der Leiden lindert. Damit korrespondiert ein Bild vom guten Alter(n), das nicht unbedingt von der Abwesenheit von Krankheit gekennzeichnet sein muss, sondern von Funktionstüchtigkeit. Auch hier lässt sich das Verständnis wieder auf eine kurze Formel bringen: »Die ADL-Kompetenz, also Activities of Daily Living, Kompetenzen, Selbständigkeit.« Moderne Medizin sollte also so intervenieren, dass ein Mensch mit seiner Erkrankung oder aber mit seinen altersentsprechenden Einbußen möglichst gut leben kann. Dafür gibt Herr Dr. F. zwei Beispiele. So kann ein Diabetiker eine »hervorragende Lebensqualität« haben, wenn er mit den nötigen Insulingaben von den Ärzten gut eingestellt ist. Und eine »postmenopausale Frau« lebt besser, wenn man ihr Vitamin D gibt. Allgemein formuliert lassen sich heute klare diätische Empfehlungen sowie Bewegungsempfehlungen geben, die Menschen »fit« altern lassen: »Mediterrane Kost, Alkohol in Maßen, Nikotinabstinenz und Bewegung, Bewegung, Bewegung.« Herr Dr. F. ist überzeugter und engagierter Geriater. Er ist, ganz so, wie Frau K., auf der Höhe der Debatten seiner Disziplin. Er zeigt sich offen für Verfahren aus der Naturheilkunde oder der Anthroposophie, sofern diese positive Einflüsse mit sich bringen und er ist deutlich daran interessiert, dass die Bedürfnisse alter Menschen in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden. Er formuliert Kritik an der ambulanten Medizin: Diese sei an die Gebrechlichkeiten alter Menschen überhaupt nicht angepasst: von der »Taktung einer Sprechstunde« über nicht vorhandene Barrierefreiheit bis hin zu nicht seniorengerechten Behindertentoiletten. Darüber hinaus formuliert er Gesellschaftskritik: Wir haben es mit dem »Gesellschaftsmodell des funktionstüchtigen Menschen« zu tun. Der alte, als unproduktiv wahrgenommene Mensch ist in einer solchen Gesellschaft nicht so viel wert. Im Kulturvergleich zeigt sich, wie schändlich eine solche Haltung eigentlich ist. So erzählt Dr. F. von einer Besuchergruppe aus Thailand, die sich angesichts des Pflegeschlüssels in einem Altenheim entsetzt zeigten: »Wie seid ihr verroht, als Kultur so mit euren Alten umzugehen.«
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Bei aller Systemkritik bezeichnet sich auch Dr. F., ganz wie zuvor Frau K., als Optimist. Zum einen sieht er eine »Szene«, die sich für die Verbesserung der Versorgungsqualität einsetzt, festgemacht am Wachsen der geriatrischen Abteilungen, der Palliativstationen, der Hospizbewegung. Zum anderen werden in seiner Wahrnehmung die Alten anders, »bunter«, insbesondere durch das Altern der 68er-Generation. Dr. F. setzt auf die Kräfte des Fortschritts, des gesellschaftlichen Wandels. Er hofft, dass Hospizbewegung, Palliativmedizin und geriatrische Abteilungen weiter wachsen werden und er konstatiert zunehmende Vielfalt (Stichwort »bunter«). Zusammengenommen könnte man vielleicht sagen, Dr. F. vertritt die aufgeklärte, plurale, offene Gesellschaft. Dort, wo Menschen bereits starke Funktionseinschränkungen oder chronische Schmerzen haben, setzt Herr Dr. F. auf Palliation, diese ist ihm ein »Riesenanliegen«. Er betont, dass sich Medizin und Pflege in den letzten 20 Jahren schon sehr verbessert hätten und man heute auch Schmerzen effektiv lindern könne. Der Arzt als derjenige, der Leiden lindert, ist für ihn, wie gesagt, von zentraler Bedeutung. Leid, das zeigt sich ganz klar, ist ausschließlich negativ konnotiert. Die Frage der Interviewerin, ob Leid für ihn auch einen positiven Sinn haben könne, verneint er dann auch deutlich. Y: Fm: Y: Fm: Y: Fm:
Okay. Der Patient heißt ja ur- heißt ja der Leidende gell? Mhm. Ähm, hat Leid für Sie auch einen positiven Sinn? Nein. Nein. Da bin ich viel zu realistisch. Und es ist mir viel zu sehr theologisch überlagert. Wenn jemand meint, dass da ein-ein (betont) Sinn drin ist, dann darf er des für sich so entscheiden, aber ich seh Leid als tatsächlich (Pause) Belastung. So definier ich jetzt für mich. Vielleicht mag’s diesen metaphysischen Begriff geben, dass jemand meint (Pause) Versündigung oder wasweißich, durch Karma in anderen religiösen Kontexten des vielleicht sinnvoll sein kann. Ich find’s ein-einein (betont) No-Go. Ich möcht kein Leid erklären müssen, dass des
3. Empirische Annäherung
Sinn machen würde. Des find ich ein-ein eine überlagerte religiöse Interpretation, die in der Medizin, find ich, nicht richtig ist.
Herr Dr. F. bezeichnet sich selbst hier als einen Realisten. Der Realist trifft sich vielleicht mit der Selbstbezeichnung als Humanist in dem Sinne, als dass beide im Gegensatz zu dem stehen, was er hier als »theologische Überlagerung« bezeichnet. Der Rekurs auf Theologie oder auf Gott würde also in seiner Perspektive dem augenfällig Naturhaften eine Bedeutung hinzufügen, würde also die Dinge, so, wie sie eben sind, »überlagern«. Die Wortwahl legt nahe, dass es sich hier in der Perspektive von Herrn Dr. F. um etwas Ideologisches handelt. Ein augenfälliges Leid wird qua Religion überhöht; das ist dem Realisten zuwider. Die Ebene rein subjektiv-individueller Sinngebung (»wenn jemand meint, dass da ein Sinn drin ist«) ist für ihn zu tolerieren (»dann darf er des für sich so entscheiden«), gleichwohl aber nicht die in seinen Augen angemessene Betrachtung. Tatsächlich, also faktisch, jenseits von Überhöhungen ist Leid in seiner Sicht einfach eine Belastung. Möglicherweise gebe es eine metaphysische Auffassung von Leid. Herr Dr. F. stellt sich kurz vor, wie für einen religiös motivierten Menschen Leid einen Sinn haben könnte. Gleichzeitig wird deutlich, dass er selbst von einer solchen Perspektive nichts hält: »Versündigung oder wasweißich durch Karma in anderen religiösen Kontexten«. Es wird deutlich, dass Herr Dr. F. »Sinn« im Sinne von »etwas ist gerechtfertigt« versteht, so lässt sich auch seine geringe Meinung von »metaphysischen« oder »religiös überlagerten« Interpretationen verstehen. In einem solchen religiösen Verständnis wäre dann etwa im christlichen Kontext das Leid als eine Art Strafe für »Versündigung« zu verstehen; im hinduistischen oder buddhistischen Kontext wäre Leid dann unter dem Stichwort »Karma« die Wirkung schlechter Taten aus einem vorherigen Leben. All diese Vorstellungen lehnt Herr Dr. F. verständlicherweise rigoros ab: »Ich find’s ein No-Go. Ich möchte kein Leid erklären müssen.«
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Gleichzeitig dokumentiert sich hier ein Missverständnis: Die Interviewerin fragt nach Sinn, nicht nach einem Ursache-Wirkungs-Prinzip oder nach einer moralischen Rechtfertigung. Ein Verständnis, welches Menschen, die krank sind und leiden, ihr Leid mit »Versündigung« oder »Karma« erklärt, mithin aktuelles Leid als folgerichtige Konsequenz von moralischem Fehlverhalten deutet, wäre in der Tat zynisch und fatal und in der Medizin völlig fehl am Platze. Insofern ist die Entrüstung, die der Interviewpartner hier zeigt, vollkommen verständlich, geht aber eigentlich an der Frage nach Sinn vorbei. Es zeigen sich in der Entrüstung unseres Interviewpartners unbeabsichtigt die Grenzen einer, wie der Interviewpartner es formuliert, humanistisch orientierten, man könnte vielleicht auch sagen: einer ausschließlich positivistischen, nur am augenfällig Faktischen orientierten Haltung. Was in der ausschließlich naturwissenschaftlich, also als »realistisch« postulierten Perspektive nicht in den Blick gerät, ist die Möglichkeit von Sinnstiftung jenseits von Ursache-Wirkungs-Mechanismen und damit verbundenen impliziten Schuldzuweisungen an die Adresse des Patienten. Im Orientierungsrahmen unseres Interviewpartners gibt es nichts zwischen dem Leidlindern (positiver Horizont) und einem theologisch-metaphysisch aufgeladenen, auf einem Ursache-Wirkungs-Prinzip ruhenden Schuldprinzip (negativer Horizont). Für Dr. F. existiert keine positiv konnotierte Weise der Transzendenz, eine Möglichkeit des Sich-Übersteigens, die auch für dezidiert nicht religiöse Menschen eine Bedeutung haben könnte. Solche Entwürfe gibt es aber ja durchaus; so heißt es etwa bei dem durch und durch areligiösen Intellektuellen Sartre in grundsätzlicher Weise: »Die menschliche Realität ist ja das Sein, das immer über sein Da-sein hinaus ist.« (2016: 944)
3. Empirische Annäherung
Und der Begründer der Logotherapie, der Arzt und Philosoph Viktor E. Frankl, formuliert ganz explizit auf die Situation von Leidenden bezogen die Möglichkeit der Sinnfindung: »Kein Psychiater, kein Psychotherapeut – auch kein Logotherapeut – kann einem Kranken sagen, was der Sinn ist, sehr wohl aber, daß das Leben einen Sinn hat, ja – mehr als dies: daß es diesen Sinn auch behält, unter allen Bedingungen und Umständen, und zwar dank der Möglichkeit, noch im Leiden einen Sinn zu finden.« (2007: 31)
Unser Interviewpartner hingegen grenzt sich als Person und Arzt von Möglichkeiten der Transzendenz deutlich ab, dazu zählen bei ihm auch die Sinnfragen: »Sinnhaftigkeit ist eine religiöse Dimension.« Er möchte sich auf das Überprüf bare konzentrieren, über den Rest, also das Metaphysische, schweigt er lieber bzw. gibt ab an den Seelsorger oder Psychologen. Herr Dr. F. sieht sich als Arzt in der Rolle des Humanisten und Realisten, er steht mithin in der Tradition der Aufklärung, der Emanzipation, der Autonomie und Selbstverantwortung des Menschen. Religion scheint in einer solchen Perspektive fast inhuman zu sein. Offen bleibt bei dieser Perspektive allerdings die Frage, wie – über die Person von Herrn Dr. F. hinaus – der Arzt dem vielgestaltigen Leiden des Menschen, dem er in seinem Beruf unvermeidlich begegnet, eine positive Bedeutung verleihen kann, vielleicht gerade auch dann, wenn er an die Grenzen seiner Kunst gerät. Tut er dies nicht – positive Bedeutung in ausweglosen Situationen verleihen, also transzendieren – dann ähnelt sein Beruf ein wenig dem Kampf gegen Windmühlen. Denn auch der, der Leid lindert und mindert, wird – zu Ende gedacht – schließlich seinen Kampf verlieren müssen, denn am Ende steht der Tod und damit auch das definitive Ende unserer Gestaltungsmöglichkeiten.
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Inter view Pater C.: »Wanderer zwischen zwei Welten« Das dritte Expertengespräch stellt die theologische oder vielleicht besser die gläubige Perspektive auf das Alter dar. Sie bildet in mancher Hinsicht den Gegenhorizont zu den oben offerierten Expertenperspektiven aus dem Bereich der Medizin und dem Bereich der Bildungsarbeit. Mein Interviewpartner, Pater C., ist Pater in einer kleinen franziskanischen Gemeinschaft. Zum Interview hat er sich, vor dem Hintergrund der für ihn zentralen Berufung zur Verkündigung der frohen Botschaft, gerne bereit erklärt. Pater C. ist zum Interviewzeitpunkt 79 Jahre alt, er kann also über das Alter aus christlicher Perspektive, aber auch aus eigener Erfahrung sprechen. In dem knapp einstündigen Gespräch mischt sich die Perspektive des »Experten« im Sinne des Verkünders der christlichen Botschaft mit kleinen Belegerzählungen aus der eigenen Biografie. Das Interview beginnt wie immer mit der allgemein gehaltenen Frage, was denn das Altsein oder das Alter für den Interviewpartner bedeute. Schon bei der Beantwortung dieser Frage zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Bezugsrahmen der anderen Interviewpartner. Pater C. unterscheidet zwischen der Phase des »aktiven Menschseins« und der Phase des Alters. Er glaubt, dass die Phase des Alters von Gott so eingerichtet wurde, damit der Mensch noch die Möglichkeit eines gewissen Rückzugs erhält. »Ja also (Pause), es bedeutet für mich zuerst einmal eine bestimmte Phase meines Lebens, äh die zum Leben dazu gehört, wenn man überhaupt das sogenannte Alter erreicht. Und es gibt die Phase der Kindheit, die Phase der Jugend, die Phase des aktiven äh Menschseins sozusagen, so äh, und dann äh kommt einfach die Phase des Alters. Und ich glaube, dass diese Phase, weil ich ja ein gläubiger Mensch bin, dass das von Gott auch so eingerichtet wurde, dass wir Menschen da noch in eine besondere Phase kommen, wo wir uns in gewisser Weise (Pause) zurückziehen. Aber nur in gewisser Weise, wo wir uns mehr Zeit gönnen. So geht es ja jedenfalls mir, dass (Pause) das Schauen und das Genießen, im besten Sinne, auch die Schöpfung mit all
3. Empirische Annäherung
ihren Möglichkeiten, dass das mehr auf uns zukommt im Alter und dass wir dem (betont) Raum geben sollten.«
Pater C. ordnet hier, ohne dass er das so nennen würde, der Tendenz nach die Phase der Jugend des Menschen der Vita activa zu und die Phase des Alters der Vita contemplativa. Das Alter ist demnach dazu da, sich mehr der Betrachtung, wie Pater C. es formuliert, dem »Schauen« zu widmen. Das Alter hätte in dieser Perspektive eine ganz spezifische Aufgabe: Es gibt dem Menschen in seiner letzten Phase die Möglichkeit, die Schöpfung zu schauen und zu genießen. Es ist klar, dass es hier nicht um eine Art von oberflächlichem Genuss im Sinne eines Konsumierens geht, sondern eher um etwas, was man im psychotherapeutischen Jargon vielleicht mit Achtsamkeit oder Gewahrwerden beschreiben würde. Diese Möglichkeit des Schauens komme im Alter mehr auf den Menschen zu und dieser Möglichkeit sollte Raum gegeben werden. Rückzug ist hier erstmals für einen der Interviewten ganz deutlich positiv konnotiert, nicht im Sinne eines Verlustes, sondern im Sinne der Eröffnung eines neuen Raumes: dem Schauen. In dem Maße, in dem der Mensch sich aus dem »aktiven Leben« zurückzieht, eröffnet sich ihm eine neue Qualität des Lebens. Pater C. macht dann einen Kontrast auf: Es gebe so viele Menschen, die sagten »Ach, wenn ich nochmal jung wäre«, sie könnten die Phase des Alters nicht annehmen und wünschten sich die Jugend zurück. Pater C. hingegen bezeichnet diese Phase als »die schönste, die beste Phase« seines Lebens. Er habe »viel Stress« gehabt in seinem Leben »als Priester, als Franziskaner, als ein Prediger« und er glaube, dass der Sinn der Phase des Alters darin liege, nach einem aktiven Leben zur Ruhe zu kommen. Hier mischt sich die Verkündigung mit Biografischem. Pater C. nimmt sich selbst als Beispiel für das, was er auch im Allgemeinen aussagen möchte. Er hat selbst die Vita activa erlebt, weiß also, was Stress und Eingebundenheit in Verpflichtungen bedeutet. Interessant ist, dass er seinen Beruf in dreifacher Hinsicht beschreibt: Er differenziert zwischen dem Amt und Sakrament des Priesters, dem Mitglied der
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Ordensgemeinschaft, also dem franziskanischen Mönch, und dem Prediger, also dem Verkünder, als den er sich auch sieht. Nachdem der Mensch seine Aufgaben im aktiven Leben erfüllt hat – ob als Priester oder an einer anderen Stelle – soll er zur Ruhe kommen. Der Mensch in dieser Phase möge auf seine innere Stimme hören, die da sagt: »Deine Kräfte nehmen ab, sei nicht mehr so viel aktiv, sondern (Pause) gönn dir diese Ruhe.« So, wie es Pater C. hier formuliert, zeigt sich Folgendes: Zum einen ist die Ruhe wie schon zuvor der Rückzug positiv konnotiert, die Ruhe ähnelt dem Begriff des Verweilens. Zum anderen zeigt sich, dass in der Perspektive von Pater C. der Aufruf zur Ruhe evident ist: Die Kräfte nehmen ab, die physiologischen Veränderungen tragen also schon in sich die Aufforderung, sich Ruhe zu gönnen. Es bräuchte demnach keine großen intellektuellen Anstrengungen, um zu erkennen, dass das Alter nach einer anderen Lebensweise verlangt, es bräuchte lediglich ein wenig Aufmerksamkeit für das Offenkundige. Im Grunde appelliert hier Pater C. dafür, die Botschaften des eigenen Körpers ernst zu nehmen und in eine andere Lebensweise einzusteigen. Wir erinnern uns: In der Perspektive der Medizin bedeutet das Alter eine Herausforderung für die Funktionen. In einer solchen Logik gilt es dann, pointiert formuliert, auf Basis von mittlerweile vorhandenen Wissensbeständen über Diäten und den Bewegungsapparat etc. einen Lebensstil zu pflegen, der darauf gerichtet ist, so lange wie möglich so fit wie möglich zu bleiben. Die Perspektive, die Pater C. hier formuliert, spricht eher eine Erlaubnis aus: Du darfst dir jetzt Ruhe gönnen. Das erinnert ein wenig an die von Simone de Beauvoir formulierte »Erlaubnis, vom Leben erschöpft zu sein«, hat aber einen positiveren Grundton. Hier wie da allerdings darf der alte Mensch aufhören zu machen, also in Beschäftigung zu sein. Bei Pater C. kam nach eigener Aussage zu einem bestimmten Zeitpunkt »die Sehnsucht«, sich mehr zurückziehen zu können. Wieder zeichnet er als Hintergrund ein sehr aktives Leben mit viel kreativer Arbeit. Die Arbeit war also für ihn durchaus keine negativ empfundene Plackerei und dennoch entsteht die Sehnsucht nach
3. Empirische Annäherung
Rückzug. Pater C. wählt hier ein starkes Wort: Sehnsucht ist ein starkes Gefühl, ein intensives Verlangen nach etwas. Es verlangte also Pater C. nach Rückzug und Ruhe und über seine Person hinaus gibt er zu verstehen, dass es den alten Menschen eigentlich (wenn er denn auf seine innere Stimme hören würde) nach Ruhe verlangt. Zentrale Begriffe bei Pater C. sind das Annehmen und das Angenommen-Sein, beides von Gott her verstanden. Ein Mensch, der sich von Gott her verstehe, werde auch die Lebensphase Alter annehmen können, denn auch die komme von Gott. »Ja das- das ist mit der Phase des Alters, vielleicht auch einfach mit dem (betont) Annehmen, dass ich äh von Gott herkomme. Dass er die Lebensphasen (betont) geschaffen hat, dass (betont) jeder Mensch seine Kindheit hat und jeder Mensch, wenn er das Alter erreicht, auch diese letzte Phase hat, dass die von Gott so bestimmt ist und wenn’s von Gott kommt, dann ist es erst einmal gut.«
Eine solche Perspektive, letztlich Gottvertrauen, schafft Ruhe und Zuversicht: Jede Lebensphase ist von Gott geschaffen und von Gott gewollt, auch die Lebensphase Alter. Und wenn etwas von Gott kommt, dann »ist es erst einmal gut«. Freilich erlebt Pater C. in seiner Arbeit mit Menschen in der Gemeinde, dass es für die meisten unter ihnen so einfach nicht ist. Er erlebt viele Menschen, die »sich schwer tun mit dem Alter und auch mit ihrem Glauben«. Dies hat in seiner Perspektive etwas mit dem Erleben von Angst und einem nicht sonderlich glücklichen Kinderglauben zu tun: »Oh (Pause), Gott – der große Richter«. Die heutigen älteren Menschen gehören aus seiner Sicht einer Generation an, in der »die frohe Botschaft nicht im Vordergrund« stand. Hier deutet sich eine Generationstypik an: Unsere Interviewpartnerinnen Frau F. und Frau W. zeichnen ja auch bereits das (selbst-)kritische Bild einer Generation, die eher dazu erzogen wurde zu funktionieren und die Schwierigkeiten hat, zu sich und den eigenen Gefühlen zu stehen. Bei Pater C. kommt nun noch die negativ getönte Dimension des Glaubens hinzu: Obwohl es einzelne Menschen gebe, die das Bild vom strafenden Gott
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aus ihrer Kindheit ablegen konnten, sei doch insgesamt die frohe Botschaft wenig angekommen. »Aber so (betont) insgesamt gesehen, äh ist diese- ist dieser (betont) Durchbruch der Freude, dass Gott mich liebt, dass ich angenommen bin und dass ich noch (Pause) eine große Zukunft habe, dass das eigentlich erst beginnt, dass das wenig realisiert ist.«
Pater C. resümiert hier: Der »Durchbruch der Freude«, nämlich das Erkennen, von Gott geliebt und angenommen zu sein und eigentlich jetzt im Alter vor einem Neubeginn, dem ewigen Leben, zu stehen, sei wenig realisiert. Pater C. macht hier einen Kontrast auf: Auf der einen Seite wählt er ein kraftvolles Bild: Freude, die durchbricht, vielleicht durch das Alltägliche und Triviale – hier ist die durch und durch frohe Botschaft. Auf der anderen Seite steht die nüchterne Erkenntnis, dass ein solcher Durchbruch wohl bei den meisten Menschen nicht erfolgt ist. Pater C. wählt für diese ernüchternde Erkenntnis fast die Worte eines Wissenschaftlers: Die Freude über die Liebe Gottes und die Aussicht auf ein Weiterleben in einer anderen Dimension sei »wenig realisiert«. Dieser nüchternen Erkenntnis setzt er nun seine ganz persönliche Erfahrung und Haltung entgegen: »Und es ist ja bei mir jetzt mit 79 Jahren einfach so, dass ich mir vorkomme, wie ein Wanderer zwischen zwei Welten. Das- das ist aber nicht so, als würde diese (betont) irdische Welt weniger für mich bedeuten, sondern – da ist schon ein-ein (betont) Glanz drin. Ich erleb die Schöpfung ganz anders. Ich geh jeden Morgen wenigstens eine Stunde auf den Hof des Friedens, nicht auf den Friedhof, sondern auf den Hof des Friedens, weil dort Bäume sind, weil dort eine Atmosphäre des (betont) Friedens ist, weil dort die schönsten Blumen sind, weil ich mich dort auch verbunden weiß mit den Menschen, die schon vorausgegangen sind.«
Pater C. kommt sich mit seinen 79 Jahren vor wie ein »Wanderer zwischen zwei Welten«. Wieder wählt er ein starkes und poetisches
3. Empirische Annäherung
Bild. Wer wandert, befindet sich auf einer Reise, er ist unterwegs. Pater C. ist aber in seinem Bild nicht auf dem Weg von einem Ort zu einem anderen Ort, es ist unbestimmter, er bewegt sich dazwischen. Das ist sein Zustand, er, als alter Mensch, befindet sich in einem Zwischenraum: sozusagen zwischen Himmel und Erde. Die Position des alten Menschen kann diesem Bild zufolge nicht mehr genau festgemacht werden. Er ist nicht mehr ganz von dieser Welt und noch nicht in der anderen Welt. Dieser Zustand des Dazwischenseins bedeutet für Pater C. keine Minderung oder Geringschätzung dieser empirisch fassbaren Welt; vielmehr ist für ihn bereits ein »Glanz«, also ein Moment des Himmlischen, auf Erden zu erkennen. Die Bilder des Paters erinnern ein wenig an das bekannte Gedicht »Mondnacht« des Romantikers Joseph von Eichendorff: »Es war, als hätt der Himmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blütenschimmer Von ihm nun träumen müßt.« (zitiert aus Reich-Ranicki 1996)
In der Vision, die in dem Gedicht gemalt wird, findet eine zarte Berührung zwischen Himmel und Erde statt. Es ist, in der Perspektive des Paters, das Privileg des alten Menschen, diese Berührung, in seinen Worten diesen »Glanz«, schon wahrnehmen zu können. Der alte Mensch hat, im Gegensatz zu den Jüngeren, schon eine Vorahnung von dem, was noch kommt. Pater C. führt weiter aus: In der jetzigen Phase seines Lebens erlebt er die Schöpfung »ganz anders«. Diese andere Qualität ist vermutlich der schon eingangs angeführte, der Phase Alter angemessene Modus des Schauens, des Verweilens. Diese Qualität lässt sich offenbar an einem Ort ganz besonders erleben: dem Friedhof, den er »den Hof des Friedens« nennt. In dieser Akzentuierung wird der Frieden betont, der in besonderer Weise auf diesem Ort liegt. Gleichzeitig fühlen wir uns hier an das Evangelium erinnert bzw. an die Entlassungsformel in der Liturgie der katholischen Kirche:
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»Friede sei mit euch.« Der Friedhof ist so ein Ort, an dem die frohe Botschaft besonders deutlich spürbar ist. Das findet sich in den Beschreibungen des Paters: Am Friedhof sind »Bäume« und »die schönsten Blumen«. Der Friedhof im Erleben des Paters trägt Züge des Paradieses. Der zuvor erwähnte »Glanz« ist hier besonders erlebbar. Die Art, in der der Pater den Friedhof wahrnimmt, steht in einem maximalen Kontrast zu der Art, in der die Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde »Prinzregententorte« das Thema Friedhof bearbeiten. Wir erinnern uns: Am Seniorennachmittag im tristen November bot die Präsentation der derben Sprüche des »lustigen Friedhofs« die Möglichkeit, sich durch Gelächter vom Thema Tod und auch den vielen Möglichkeiten menschlichen Gebrechens und Scheiterns zu distanzieren. Die Absicht der ehrenamtlich in der Altenarbeit tätigen Frauen ist es, Abstand zu den großen ernsten Themen des Lebens zu schaffen, wohl auch, weil diese Themen vorwiegend als Bedrückung erlebt werden. Für Pater C. hingegen ist das Thema Tod nicht bedrückend, er sucht vielmehr die Nähe zum Ende irdischen Lebens, das ja für ihn gleichbedeutend mit dem Beginn eines neuen Lebens ist. Der Friedhof, so, wie er ihn erlebt, wird zu einer Art »Zwischenraum« und so zu einem Platz, der dem »Wanderer zwischen zwei Welten« angemessen ist. Der Friedhof ist ein Raum »zwischen Himmel und Erde«, auch deshalb, weil der, der noch »auf Erden wandert« sich an diesem Ort besonders mit denen verbunden fühlen kann, »die schon vorausgegangen sind«. Es wird deutlich: Die Nähe, die Pater C. sucht, ist eben nicht die Nähe zum Tod im Sinne des endgültigen Endes menschlicher Existenz. Was er sucht, ist vielmehr die Nähe zu dem Neubeginn, zu der anderen Welt, in der die Verstorbenen sich, in der Perspektive des gläubigen Menschen, bereits befinden. Das überaus positive Erleben des Friedhofs als »Hof des Friedens«– und nicht als Ort, der uns schaudern lässt angesichts der Nähe des Todes – ist also im Zusammenhang mit der Überzeugung, dass der Mensch nicht endet, sondern in einer anderen Dimension weiterlebt, zu verstehen.
3. Empirische Annäherung
Kontrastierend wird hier auch deutlich, dass der Glaube der Frauen, die in den katholischen Gemeinden die Seniorennachmittage organisieren, nicht so tief verankert ist. Wie auch im Interview mit Frau W. deutlich wurde, ist der Glaube im Kreis der ehrenamtlich tätigen Frauen eher so etwas wie eine Konvention: Es gehört sich, es ist normal, da man sich in einem katholischen Umfeld bewegt, sollte aber – auch an den Seniorennachmittagen selbst – nicht zu viel Raum einnehmen. Bei diesem eher auf der Ebene der Konvention gelebten Glauben bleiben, wie wir gesehen haben, Angst und Zweifel, die in geselliger Runde »weggelacht« oder aber, wie bei Frau W., eher mühsam in Schach gehalten werden. Glaube an Auferstehung und Leben ist allerdings auch bei Pater C. nicht einfach eine feststehende Tatsache, sozusagen qua Priesteramt, sondern auch ein Ergebnis seiner Lebensgestaltung. Die Gewissheit, dass, wer an Christus glaubt, leben wird, auch wenn er stirbt, sei, so erzählt er, »eine Frucht der letzten zwei Jahre«. Es ist anzunehmen, dass die letzten zwei Jahre die sind, in denen er regelmäßig auf dem Friedhof spazieren geht. Denn dort findet er auf dem Steinkreuz einer ihm unbekannten Frau, die 1933 geboren und 1974 gestorben, die also nicht sehr alt geworden ist, einen Satz, den er als das Lebensmotto der Frau versteht: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.« Dies versteht Pater C. als »existenzielle Beziehung zu Christus«. Er resümiert: »Wenn das bei einem Menschen da ist, dann hab ich keine Angst.« Deutlich wird hier wieder die Mischung aus Verkündigung und eigenen biografischen Anteilen. Die Notwendigkeit der existenziellen Beziehung zu Christus formuliert der Pater in allgemeiner Form (»wenn das bei einem Menschen da ist«), die Wirkung davon, die Angstfreiheit, bezieht er auf die eigene Person: »Dann hab ich keine Angst.« Pater C. zeigt sich hier als jemand, der sich auch als alter Mensch in Glaubensdingen weiterentwickelt. Es ist offenbar nicht so, dass durch die einmal getroffene Entscheidung für ein Ordensleben der persönliche Glaube »fix und fertig« ist. Die Geschichte seiner Spaziergänge auf dem Friedhof zeigt, dass er sich von dem auf
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dem Grabstein stehenden Motto einer unbekannten Frau anrühren lässt und dass dieses Angerührtsein seinen Glauben, seine Haltung festigt. An der Person des Paters zeigt sich hier, dass nicht nur eine Haltung ein Tun hervorbringt, sondern umgekehrt kann auch eine bestimmte Praxis, hier das Wandeln auf dem Friedhof und das Verweilen an Grabsteinen, eine Haltung hervorbringen bzw. festigen. Gegen Ende des Gesprächs erzählt Pater C. gleichsam seine »Erweckungsgeschichte«, nämlich die Geschichte, wie er als junger Mann zum Glauben kam: »Ich hab in jungen Jahren nach dem Sinn des Lebens gesucht. Und hab ihn dann so- sozusagen mit 23 Jahren finden dürfen. Und ich war bis zu diesem Zeitpunkt Verkäufer und hab dann (Pause), ja einfach gespürt, der tiefste Sinn des Lebens – kann hier (betont) gar nicht erfüllt werden. Das kann sozusagen nicht alles sein, was wir hier erleben. Es muss (betont) weitergehen, jetzt mal ganz einfach gesagt. Es muss weitergehen. Und da bin ich dann zum ersten Mal auf den- auf den (betont) Glauben gestoßen. Ich bin getauft, ich bin alles – aber ich hab nicht begriffen, um was es geht und da durft ich’s begreifen. Und dann (Pause) hab ich dem nachgespürt und nochmal Schule gemacht und Theologie studiert und bei den Franziskanern eingetreten. Und so ist dann mein Leben verlaufen, aber es kommt von diesem (betont) Sinn her.«
Pater C. erzählt hier sozusagen im Zeitraffer die Geschichte seines Lebens: Es ist eine Geschichte, die gut ausgeht, ein bisschen wie im Märchen. Ein junger Mann sucht nach dem Sinn seines Lebens und darf ihn finden. Gleichzeitig wird hier die Aktiv- und die Passivform benannt: Der junge Mann ist ein aktiver Sucher – das Finden aber wird ihm geschenkt: Er durfte finden. Der tiefste Sinn, der Glaube, erscheint als Gnadenakt. Was der aktive Mensch tut, ist im Wesentlichen, seiner Sehnsucht nachspüren. Es ist dann auch das Wort »spüren«, das in der Erzählung des Paters häufig vorkommt. Er spürt die Unzulänglichkeit eines rein weltlichen Lebens – »der tiefste Sinn des Lebens kann hier gar nicht erfüllt werden« – und er zieht aus dieser gespürten Unzulänglichkeit den Schluss, dass das
3. Empirische Annäherung
Leben in der Welt notwendig überstiegen werden muss: »Es muss weitergehen.« Jetzt erst stößt er auf den Glauben. Diese Formulierung legt eine fast physische Qualität nahe. Die Erfahrung des Glaubens ist keine intellektuelle Angelegenheit, sie ist eher etwas, was dem Menschen fast leibhaftig widerfährt. Glaube kann nicht durch Taufe und Firmung quasi verliehen werden, denn möglicherweise bleiben die so empfangenen Sakramente rein äußerliche Akte: »Ich bin getauft, ich bin alles – aber ich hab nicht begriffen, um was es geht.« Glauben ist ein »Begreifendürfen«, eine Gnade, die unverdient geschenkt wird: »und da durft ich’s begreifen«. Pater C. nimmt seine Glaubenserfahrung ernst, er spürt der Erfahrung noch einmal nach und zieht dann radikale Konsequenzen: Er holt Schulabschlüsse nach, studiert Theologie und tritt in die Franziskanergemeinschaft ein. Pater C. erzählt hier im Schnelldurchlauf sein Leben, so, wie es aus der Glaubenserfahrung heraus verlaufen ist. Es ist die Geschichte eines Wandlungsprozesses: Er wird, pointiert formuliert, vom nicht näher spezifizierten Verkäufer zum Verkündiger, fast vom Saulus zum Paulus. Pater C. tritt vehement dafür ein, inneren Vorgängen zu trauen. Um das zu verdeutlichen, verknüpft er noch ein Moment seiner persönlichen Geschichte mit dem Motto einer weiteren Frau, die ihn offenkundig beeindruckt, nämlich der lettischen Schriftstellerin und Sprachwissenschaftlerin Zenta Maurina, die da sagt: »Ohne Wagnis geschieht nichts.« Die persönliche Geschichte, die dieses Motto belegen soll, geht so: Pater C. hatte einen guten Freund, mit dem zusammen er als junger Mensch über das Leben nachdenkt. Beide jungen Männer kommen bei ihrem Nachdenken auf dasselbe Ergebnis: Das Leben muss weiter gehen. Gemeint ist, wie weiter oben schon deutlich wurde, das irdische Leben muss seine Fortsetzung im Himmel finden. Die beiden Männer ziehen aber aus ihrer Erkenntnis unterschiedliche Schlüsse. Der Pater selbst gibt sein bisheriges Leben auf und macht einen radikalen Neuanfang, der – vermutlich über das Priesterseminar – in eine Ordensgemeinschaft mündet. Der Freund aber schiebt auf. Der Pater zitiert ihn aus seiner Erinnerung wie folgt: »Weißt du was, du willst ja un-
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bedingt schon gleich alles aufgeben und so und neu anfangen, geh du mal hin, nach einem Jahr komm ich.« Pater C. fügt das Ende der Geschichte hinzu: »Und das (der Entschluss des Freundes, C. B.) war falsch. (Pause) Er kam nicht mehr.« Wenn der richtige Moment, »der Kairos«, wie es Pater C. formuliert, da ist, dann soll der Mensch es wagen. Die Geschichte, die der Pater hier erzählt, ist wieder eine Mischung aus Biografischem und Verkündigung. Was Pater C. über seine persönliche Geschichte hinweg zum Ausdruck bringen will, ist Folgendes: Zuerst ist die Gnade Gottes da, dann aber ist der Mensch als Handelnder gefordert: Er muss es wagen. Wer aufschiebt, wie der Freund in der Geschichte, hat den richtigen Augenblick, der ihm geschenkt wurde, verpasst. In der Geschichte des Paters, in dem, was er erzählt und wie er es erzählt, kommen zwei Momente zusammen: Aktivität und Passivität. Ein Lassen, ein Geschehen- oder Widerfahrenlassen, ein Moment, in dem der Mensch nichts machen kann, in dem er, je nach Blickrichtung, Erleidender oder Beschenkter, vielleicht beides ist. Wenn der Mensch aber seine inneren Vorgänge, seine Sehnsucht, vielleicht auch seine Not ernst nimmt, dann ist er gefordert, sein Schicksal in die Hand zu nehmen: Er muss es wagen. In der Geschichte des Paters bedeutet dies, Umkehr zu wagen. Pater C. nimmt insgesamt im Interview die Gelegenheit wahr, Zeugnis für seinen Glauben abzulegen und Ermunterung und Zuspruch auszusprechen; insofern übt er gewissermaßen auch in der Interviewsituation seinen Beruf aus. Kern seiner Aussage ist, dass das Alter sich lohnt. »Fürchtet euch nicht«, könnte man hinzusetzen. Das Alter erfährt also, wie auch bei den beiden Experten aus Medizin und Bildung, eine positive Würdigung, allerdings in einer anderen Akzentuierung. Pointiert formuliert: Der Rückgang des Menschen ist im Blick des Paters nicht seine Schwäche, sondern seine Stärke.
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3.4 Z wischenresümee II: E rhalt der K r äf te versus S chwäche als S tärke Die interviewte Sozialpädagogin in der Bildungsarbeit, der Mediziner und der Pater, sie zeigen zunächst einmal eine Gemeinsamkeit: Bei allen dreien mischt sich die berufliche Perspektive auf das Alter mit persönlichen Überzeugungen und Erfahrungen. Der Mediziner zeigt die stärkste Zurückhaltung mit Biografischem. Er offeriert seine Expertise als Geriater, kombiniert mit seinen ethischen und sozialpolitischen Überzeugungen. Die Bildungsreferentin und der Pater bringen stärker ihre persönliche Geschichte mit ein. Der Pater stellt dabei seine Geschichte in den Dienst der Verkündigung: Das, was ihm widerfahren ist, dokumentiert oder belegt gleichzeitig das, was er verkünden möchte. Die Bildungsreferentin blickt reflektierend auf Teile ihrer Biografie oder reflektiert Zukunftsentwürfe. Damit zeigt sich gleichzeitig der professionsbedingte Zugriff auf die eigene Biografie: Die Bildungsreferentin zeigt sich sozusagen im Modus der reflektierenden Zuwendung, es ist ihr beruflicher Habitus, der auch in der Betrachtung der eigenen Geschichte durchschlägt. Der Pater zeigt sich zur Verkündigung berufen, so werden ihm Teile der eigenen Geschichte zur Beleggeschichte. Auch die weitgehende »biografische Abstinenz« des Mediziners passt zu seinem Professionsverständnis: Das positivistisch-naturwissenschaftliche Verständnis von den Dingen zeigt sich am reinsten, wenn es nicht »überlagert« wird, auch nicht von der Subjektivität der eigenen Geschichte. Die deutlichsten Antipoden sind der Pater und der Mediziner. In den beiden Personen stehen sich ein positivistisch-naturwissenschaftliches Menschenbild in humanistisch-aufklärerischer Tradition und ein religiös und romantisch geprägtes Menschenbild gegenüber. Dr. F. lehnt eine Perspektive der Transzendenz deutlich ab; er orientiert sich an dem, was augenfällig sichtbar bzw. messbar ist. Er zeigt sich als (Natur-)Wissenschaftler, in seiner eigenen Perspektive als Realist, also als ein Mensch, der die Dinge so nimmt, wie sie sind, der keine übersinnlichen Ebenen hinzufügt.
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Für den Pater hingegen wäre dies gar kein Hinzufügen, die Transzendenz ist dem Menschen sozusagen schon eingeschrieben, er ist Gottes Geschöpf und damit von Anfang an ein Wesen, das, metaphorisch gesprochen, auch dem Himmel angehört. Gleichzeitig wird in seinen poetischen Bildern auch eine romantische Seele deutlich: Gott zeigt sich in der Natur. Vor diesen unterschiedlichen Hintergründen muss der Blick auf das Alter unterschiedlich ausfallen. Beide betonen, wie auch die Bildungsreferentin, dass das Alter etwas Schönes sein kann. Aus der Sicht des Mediziners ist dies der Fall, und da deckt sich seine Auffassung mit der der Bildungsreferentin, wenn im Alter so weit wie möglich Eigenständigkeit, Selbstbestimmung und eine gewisse Fitness bestehen. Es geht also um einen Erhalt der Kräfte, so weit es möglich ist. Das ist die Herausforderung für den alten Menschen und für den Mediziner, der seine Aufgabe darin sieht, Leiden zu lindern und Lebensqualität zu verbessern. In der Perspektive des Paters, also in religiöser Perspektive, ist das Nachlassen der Kräfte kein Übel, sondern geradezu ein mächtiges Zeichen dafür, dass es nun gilt, ein anderes, nämlich mehr beschauliches Leben zu führen, in welches das Himmlische, der »Glanz« bereits ein wenig hineinleuchtet. Hier zeigt sich eine Art »Umwertung der Werte«, zu der das Pauluswort passt »wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2. Kor. 12). Der körperlich geschwächte alte Mensch ist in dieser Betrachtung eigentlich privilegiert, denn ihm ist das Himmelreich näher, es ist für ihn schon auf Erden erkennbar. Die Bildungsreferentin nimmt eine mittlere Position ein, tendiert aber eher zur Betrachtungsweise des Mediziners. Sie formuliert zwar nicht so radikal eine positivistische, areligiöse Sicht der Dinge, aber auch für sie sind die Passivformen des Lebens, das Erleiden, das Nicht-mehr-selbst-Können eher negativ konnotiert. Selbst gestalten, selbst entscheiden sind für sie wichtige Größen und diesen Maximen entsprechend sollten auch soziale Umgebungen gestaltet werden.
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Die Haltung der Bildungsreferentin und die Haltung des Mediziners lassen sich letztlich beide auf die Hochschätzung der Werte der Aufklärung zurückführen: Autonomie wäre ein zentrales Stichwort, der Mensch als derjenige, der selbst macht und kann, der nicht von einem allmächtigen Schöpfer abhängt. Letztlich ist auch in der katholischen Umgebung der Bildungsreferentin das eigentliche Credo das Prinzip des Do-it-yourself – der Schrecken beginnt dort, wo man sich aus der Hand gibt und angewiesen ist. Die Bildungsreferentin setzt für das Stadium zunehmenden Angewiesenseins auf das Schaffen von Netzwerken wechselseitiger Unterstützung. Der Mediziner setzt auf bestmöglichen Erhalt der Fitness und letztlich auf gute Versorgung und eine entwickelte Palliativmedizin, also Linderung des Leids. Beide setzen damit in unterschiedlicher Weise auf den Modus der Aktivität, des Machens – der negative Gegenhorizont ist, ausgesprochen oder unausgesprochen, das Schreckgespenst von Ohnmacht, Schwäche und Rückgang.
3.5 R esümee : A ltern ohne alt zu sein Altern ist eine leibliche Erfahrung. So spielt denn auch der Leib, die gesehenen und gespürten Veränderungen des Körpers, eine bedeutsame Rolle in allen Gesprächen. Unsere Interviewpartnerin Frau F. geht im Interview gleichsam laut nachdenkend ihren Körper durch und konstatiert die verschiedenen Einschränkungen und Einbußen. Sie tut dies, wie wir gesehen haben, in einer eher sachlich-nüchternen Manier – ihr eigener Leib bleibt ihr eher äußerlich, er ist Körper im Sinne eines Objektes, eines Gegenstands ihrer Betrachtungen.13 Daher ist ihr auch Distanz zu den körperlichen Veränderungen möglich; sie konstatiert die nicht zu leugnenden Veränderungen, ohne dass ihre Identität davon sonderlich berührt wäre. Damit kor13 | In philosophischer und theologischer Betrachtung hat der Körper eher Objektcharakter, während der Leib der beseelte, der lebendige Körper ist. Pointiert gesprochen: Ich habe einen Körper, aber ich bin Leib.
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respondiert sicher auch ein gewisser eher großbürgerlicher Habitus der Distinktion, gemischt mit einer Anmutung von »preußischer Disziplin« – eine Haltung, die sich zugespitzt vielleicht so formulieren ließe: »Ich lasse mich von den Macken dieses Körper-Dings nicht beeindrucken.« Anders Frau W. Sie spürt das Alter nicht, wie sie mehrfach betont. Man merkt, diese Aussage hat eine andere Färbung. Es gelingt sozusagen nicht, des Alters habhaft zu werden. Frau W. altert, auch sie konstatiert Veränderungen körperlicher Art, ein verändertes Aussehen beispielsweise, graue Haare und Falten, aber dennoch kommt das Phänomen Alter bei ihr nicht wirklich an. Das Alter ist nicht evident. Frau W. wartet sozusagen auf eine Art von Sprung, der sie gleichsam in das Reich der Alten befördern würde. Dieser Sprung erfolgt nicht. Er kann nicht erfolgen, denn Frau W. müsste diese Art von Sprung selbst herbeiführen, indem sie bewusst die Schwelle in einen anderen Lebensabschnitt hinein überschreitet. Das aber tut sie nicht, sie vollführt stattdessen fortwährend das gleiche. Ihr Leben wie auch ihre Erzählung fließen dahin, sie formuliert keine prägnanten Einschnitte. »So altert man, ohne alt zu werden.« (Han 2013: 17) Die ehrenamtlich tätigen Frauen aus der Diskussionsrunde begegnen den Spuren des Alterns, den körperlichen Veränderungen und dem, was der Alterungsprozess an Verlusten anzurichten vermag, mit unterschiedlichen Strategien. Diese reichen von Lakonie und Sarkasmus etwa angesichts der eigenen unvorteilhaften körperlichen Veränderungen über eine Art von entrüstetem Erstaunen (das Gewahrwerden von Demenzerkrankungen im eigenen Umfeld) bis hin zu Gelächter als Spannungsabfuhr und Form der Distanzierung angesichts der Widerfahrnisse des Lebens und des Todes. In der Art, wie diese Frauen mit dem Alter umgehen, deutet sich sowohl eine Generationengestalt als auch eine Geschlechtstypik sowie die Typik eines bestimmten sozialen Umfelds an, die ich kurz skizzieren möchte.
3. Empirische Annäherung
Ganz überwiegend haben wir es mit der Generation zu tun, die während des zweiten Weltkriegs oder gegen Ende des Krieges geboren wurde und in der Nachkriegszeit aufwuchs. Es ist somit nicht ganz die Generation, die Helmut Schelsky 1957 in seinem Werk »Die skeptische Generation« besonders in den Fokus rückt. Dennoch erinnert seine idealtypische Diagnose einer ideologiefernen und nüchternen Generation auch ein wenig an die Haltungen unserer Interviewpartnerinnen. Insbesondere Frau F. mit ihrem unsentimentalen Blick auf die eigene Person und ihrer wachen Wahrnehmung erinnert an diesen Typus. Die Interviewten selbst nehmen immer wieder auf die Prägungen ihrer Generation Bezug. Sie tun dies überwiegend im Vergleich mit der heutigen Jugend in einer selbstkritischen Manier. So erscheinen die Angehörigen der älteren Generation als pflichtbewusst und diszipliniert – dies hat bei der Diskussionsgruppe »Prinzregententorte« einen positiven Anklang – aber eben auch als gehemmt im Ausdruck der eigenen Gefühle, nicht immer bereit, zu sich selbst zu stehen, modern ausgedrückt: als unauthentisch. So wird denn auch die junge Generation von unseren Interviewpartnerinnen Frau F. und Frau W. als offener und ehrlicher gezeichnet. Frau F. hat sich eine gewisse Offenheit, wie sie erzählt, mühsam erarbeitet, für Frau W. bleibt die Bereitschaft und Fähigkeit, zu sich selbst zu stehen, auch mit unorthodoxen Anteilen, eine Art Sehnsuchtsbild. Diese Generationentypik, die unprätentiöse, pragmatisch-tüchtige Art, das Zupackende mischt sich mit geschlechtstypischen Anteilen. Wir haben es mit rührigen, hoch aktiven Frauen zu tun, die sich, zumeist nach der familienintensiven Phase und weiterhin nach der beruflichen Phase, ehrenamtlich in ihren Gemeinden engagieren. Die familienintensive Phase dieser Frauen fiel in eine Zeit, in der im Westen Deutschlands das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie mit dem Mann als Haupternährer der Familie und der Frau in der Rolle der Hauptverantwortlichen für die Haus- und Familienarbeit noch relativ ungebrochen Geltung hatte (vgl. Peuckert 2008). Unsere Interviewpartnerinnen repräsentieren überwiegend einen eher traditionellen Frauentypus. Für die von uns interviewten
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Frauen hat die Erwerbsarbeit keine überragende Rolle im Sinne des Verfolgens einer eigenen Karriere gespielt. Bestätigung und Selbstverwirklichung suchen sie sich, und das passt wiederum zu einem traditionell katholischen Frauenbild, in caritativen Tätigkeiten, im unentgeltlichen Dienst am Nächsten. Dieser Dienst am Nächsten ist, wie wir gesehen haben, nicht nur selbstlos. Die ehrenamtliche Arbeit mit alten Menschen in Form der Seniorennachmittage bietet den Frauen selbst die Möglichkeit, sich dem Thema Alter sozusagen unauffällig, nämlich über den Umweg über die von ihnen betreuten alten Menschen, zu nähern. Pointiert formuliert, sind sie ein wenig wie »die Einäugigen unter den Blinden«, zwar auch schon alt, aber eben noch nicht so alt. Die Arbeit mit den noch Älteren bietet zudem die Gelegenheit zur Distinktion. Denn das Alter birgt Schrecken, die Schrecken der Gebrechlichkeit, des Angewiesenseins, des Verlusts der Identität. In einer Mischung aus Annäherung und Abgrenzung wird an den Seniorennachmittagen diesen Schrecken Paroli geboten. Diese Nachmittage in den katholischen Gemeinden sind gar nicht so besonders katholisch. Die Frauen folgen zwar bei der Organisation der Nachmittage dem Jahreskreis der Kirche, etwa mit Marienandachten im Mai, insgesamt herrscht aber eher eine Distanz zu religiösen Themen. Glaube und Religiosität haben eher den Charakter von Konvention: Es gehört dazu und es gehört sich so. Frau F. bildet da eine gewisse Ausnahme; sie hat jenseits des Konventionellen einen persönlichen Zugang zum Glauben, der ihr Zuversicht gibt. Insgesamt aber hat der Glaube bei den interviewten Frauen nicht eine solche Tiefendimension, dass er auf die Lebensweise, die Gestaltung auch des Lebensabschnitts Alter durchschlagen würde. Im katholischen Umfeld ist in dieser Generation ein Typus Frau ehrenamtlich tätig, der sich als rührig, umtriebig, zupackend, pragmatisch beschreiben lässt. Transzendenz oder Kontemplation hat da eher wenig Platz. Die zu diesen Frauen gehörenden Männer bleiben ein weißer Fleck auf der sozialen Landkarte. Sie tauchen in den Zusammenkünften wie auch in den Gesprächen wenig auf. Ihr sozialer Standort und ihr Blick wären eine eigene Untersuchung wert.
3. Empirische Annäherung
Das den interviewten Frauen eigene Muster der Aktivität, das Zupackende, zeigt sich, wie wir gesehen haben, auch bei dem Geriater und der Bildungsreferentin. Auch der Dimension der Leiblichkeit wird so begegnet. So spürt die Bildungsreferentin etwa einen gewissen Rückgang ihrer Kräfte bzw. eine nicht mehr so starke Belastbarkeit. Sie ist also achtsam in Bezug auf dieses leibhaftig Gespürte und reduziert in der Folge ihre Arbeitszeit. Auf lange Sicht, nämlich im Falle eines absehbar zunehmenden Angewiesenseins, setzt sie gleichwohl auf das Prinzip der Aktivität: auf künftiges Engagement in Unterstützungsnetzwerken, die nach dem Prinzip der wechselseitigen Hilfeleistung funktionieren sollten. Ähnlich der Geriater. In seinem Beruf ist die Dimension der Leiblichkeit in Gestalt des unter verschiedenen Verlusten leidenden Menschen unvermeidlich. Herr Dr. F. begegnet dem, wie wir gesehen haben, mit einer humanistisch inspirierten Haltung: Er will Leid mindern. Seine ärztliche Kunst und sein Wissen setzt er ein, um möglichst lange einen Zustand zu erhalten, in dem Menschen noch einigermaßen ihrer selbst mächtig sind. Der gemeinsame Nenner in der Art, dem Alter zu begegnen, ist bei unseren Interviewpartner/-innen – mit Ausnahme des Paters, der hier gleichsam den Gegenpol vertritt – ganz überwiegend der Modus der Aktivität, des Machens, des Setzens auf den Erhalt der Kräfte oder doch zumindest auf den Tauschwert der Dinge, die man noch zu bieten hat. Es dokumentiert sich hier in unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlichen Mitteln das Führen eines Abwehrkampfes: Es wird versucht, das Alter so lange wie möglich in die Flucht zu schlagen oder doch zumindest in Schach zu halten.
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4. Schlusswort »Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.« (Joh. 21.18)
Diese radikalen Worte aus dem Johannesevangelium haben in modernen spätkapitalistischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts keinen guten Klang: Das Alter ist diesen Worten zufolge der Lebensabschnitt, in dem der eigene Wille, die Eigenmächtigkeit des Menschen, vielleicht ganz buchstäblich der Eigensinn ein Ende hat und das Überlassen beginnt. Gleichzeitig verweist diese Bibelstelle natürlich auf die Dimension der Transzendenz: Der eigene Weg endet und etwas ganz anderes beginnt. Beide Dimensionen, die Dimension des Loslassens und die Dimension der Transzendenz, das Übersteigen der eigenen Person, stehen im gesellschaftlichen Leben nicht besonders hoch im Kurs. In gesellschaftlichen Diskursen wird, wie wir eingangs gesehen haben, ganz auf die Gestaltbarkeit von Prozessen gesetzt. Ziel ist es, so lange wie möglich so fit wie möglich zu bleiben und teilzuhaben an einer Gesellschaft des permanenten Wachstums und der permanenten Dynamik. Langsamkeit, Rückgang, Rückzug sind in unserer Kultur weit eher Dokumente des Scheiterns und haben keinen eigenen Wert. Die ethische Kehre, von der der Philosoph Rentsch spricht, also die
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Frage, was denn eine Hochgeschwindigkeitsgesellschaft von den Alten lernen könnte, eine solche Kehre ist derzeit von zwei Seiten her schwierig. Es ist ja nicht nur die Gesellschaft, die von Rückgang und Langsamkeit lieber nichts wissen will, es halten auch die Alten selbst nicht viel davon. Pointiert gesagt: So lange die Alten nicht alt sind, kann auch die Gesellschaft nicht von den Alten lernen. Man altert, ohne alt zu sein, hat der Philosoph Byung-Chul Han formuliert, und er hat dies in Bezug gesetzt mit einem rast- und haltlosen Leben ohne Schwellen und ohne Übergänge. Vielleicht ist die eigentliche Herausforderung des Alters, bewusst eine Schwelle zu übertreten und einen neuen Abschnitt zu wagen, in dessen Mitte nicht mehr so sehr das Machen und Gestalten, sondern das Lassen, die Gelassenheit und das Schauen stehen. Diese Bereitschaft, den Schritt ins Alter bewusst zu gehen, wird sich nicht einfach so ergeben. Das Alter macht nicht automatisch weise, sondern Menschen werden ihr Alter so begehen, wie sie ihr ganzes Leben begangen haben. In einer Welt, die sehr einseitig auf die Vita activa setzt (und dies vielfach auch wiederum in einer einseitig-oberflächlichen Manier, nämlich der des geschäftigen Treibens) und Momente des Innehaltens, der Pause, des Schauens verbannt, ist es schwer, alt zu werden und alt zu sein. Der Mensch ist immer beides: Immanenz und Transzendenz, aktiver Gestalter und Erdulder und in einer glücklichen Synthese vielleicht beides zusammen, so, wie es bei Hannah Arendt abschließend in einer Übersetzung eines Ausspruchs Catos heißt: »Niemals ist man tätiger, als wenn man dem äußeren Anschein nach nichts tut, niemals ist man weniger allein, als wenn man in der Einsamkeit mit sich allein ist.« (2015: 415)
Wer nahezu ausschließlich auf das tätige Leben oder oftmals auch nur das rastlose Beschäftigtsein setzt, halbiert sich gewissermaßen selbst: »Das Sein geht nicht im Tätigsein auf.« (Han 2013: 103) Ein Teil des menschlichen Vermögens, sowohl im Sinne einer Befähigung als auch im Sinne eines inneren Reichtums, verkümmert so.
4. Schlusswor t
Das ist schade, schade für die Gesellschaft als Ganzes, schade für die Alten und schade auch für die noch Jüngeren. Denn auch für junge Menschen und die, die in der Mitte ihres Lebens stehen, wäre es gut zu sehen, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht und dass das Alter, wie Jacob Grimm es formulierte, »nicht einen bloßen Niederfall der Virilität, vielmehr eine eigene Macht darstelle«. Es sei »die Zeit einer im vorausgegangenen Leben noch nicht so dagewesenen Ruhe und Befriedigung« (2015: 110). Damit das Alter in dieser auf jung geschminkten Gesellschaft seine eigene Macht und Würde entfalten kann, ist es nötig, dass die Alten sich trauen, alt zu sein.
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Literatur
Arendt, Hannah (2015): Vita activa oder Vom tätigen Leben. 15. Auflage. München. Beauvoir, Simone de (2012): Das Alter. 5. Auflage. Reinbek bei Hamburg. Bloch, Ernst (2015): Was im Alter zu wünschen übrigbleibt. In: Rentsch, Thomas/Vollmann, Morris (Hg.): Gutes Leben im Alter. Die philosophischen Grundlagen, 132-140. Bohnsack, Ralf (1991): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung. Opladen. Eichendorff, Joseph von (1996): Mondnacht. In: Reich-Ranicki, Marcel (Hg.): 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Frankfurt a.M. und Leipzig, 301. Erikson, Erich H. (1973): Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a.M. Frankl, Viktor E. (2007): Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute. 18. Auflage der Neuauflage. Freiburg, Basel, Wien. Generali Zukunftsfonds (Hg.) und Institut für Demoskopie Allensbach (2012): Generali Altersstudie 2013. Wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren. Frankfurt a.M. Gesterkamp, Thomas (2007): Väter zwischen Laptop und Wickeltisch. In: Mühling, Tanja/Rost, Harald (Hg.): Väter im Blickpunkt. Perspektiven der Familienforschung. Opladen, 97-113. Grimm, Jacob (2015): Rede über das Alter. Gehalten in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 26. Januar 1860. In: Rentsch, Thomas/Vollmann, Morris (Hg.): Gutes Leben im Alter. Die philosophischen Grundlagen, 95-113.
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Guardini, Romano (2010): Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung. 14. Taschenbuchauflage. Würzburg. Han, Byung-Chul (2013): Duft der Zeit. Ein philosophisches Essay zur Kunst des Verweilens. 6., unveränderte Auflage. Bielefeld. https://doi.org/10.14361/ 9783839411575. Kruse, Andreas/Wahl, Hans-Werner (2010): Zukunft Altern. Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen. Heidelberg. https://doi.org/10.1007/9783827422002. Merklin, Harald (Hg.) (2011): Marcus Tullius Cicero. Cato maior de senectute. Cato der Ältere über das Alter. Lateinisch/Deutsch. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart. Peuckert, Rüdiger (2008): Familienformen im sozialen Wandel. 7. Auflage. Wiesbaden. Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2010): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 3. Auflage. München. Rentsch, Thomas (2015): Altern als Werden zu sich selbst. Philosophische Ethik der späten Lebenszeit. In: Ders./Vollmann, Morris (Hg.): Gutes Leben im Alter. Die philosophischen Grundlagen. Stuttgart, 189-206. Sartre, Jean-Paul (2016): Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. 19. Auflage. Reinbek bei Hamburg. Schelsky, Helmut (1957): Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. Düsseldorf und Köln. Shakespeare, William (1989): Wie es euch gefällt. In: William Shakespeare. Sämtliche Werke. Komödien. Herausgegeben von Anselm Schlösser. Berlin und Weimar, 640-725.
Anhang Tr anskrip tionsregeln 1 ∟ nein-nein (3) (.) jaaa nein NEIN viellei- (doch) ( ) (Lachen) […]
Überlappung schneller Anschluss, Zusammenziehung Pause, Dauer in Sekunden kurzes Absetzen, kleine Pause Dehnung Betonung Lautstärke Abbruch Unsicherheit bei der Transkription Äußerung ist unverständlich Parasprachliche Äußerung Auslassung im Transkript
1 | In Anlehnung an Bohnsack 1991.
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E xempl arische D arstellung einer Passage aus einer G ruppendiskussion Gruppe: Prinzregententorte Passage: Lustiger Friedhof Cw: So was wollts jetzt no wissen? Aw: (lacht) (allgemeines Gelächter) Y2: ∟Ja-ähäY1: ∟Des war scho so viel. Cw: ∟Jetzt hamma scho viel g’red, gell. Y2: ∟Jaha ∟mhm. Y1: ∟Mhm. Y2: Ja, vielleicht noch bisschen so, des kam schon durch, aber wwas ist denn, auf was kommts so an bei den Nachmittagen, (Geschta-)also was ist wichtig (.) für dieCw: ∟Also ich- ja Aw: ∟Äh ∟ja Y2: ja Aw: also bei uns ist eigentlich wichtig (.) dass fröhlich sind, dassdass ihnen g’fällt, dass hinterher sagn »mei war des a schöner Nachmittag«. Net wegen uns, sondern für sich. Und ja des is s-wichtigste. Bw: Ja, ich denke auch, dass des wichtigste is, dass ma se aus ihrem-ähhCw: Loch rausholt. Bw: äh-Einerlei-Alltag rausholt u-und sie sich vielleicht bei uns einmal im Monat auf den Nachmittag freun und dann wolln mer natürlich net-jetza äh runter-drücken, sondern solln ähCw: ∟Die soll-die sollen fröhlich heimgehn, dass schee war. Bw: Und das kann man sogar im November machen. Hamwer mal einen November-äh-Nachmittag äh, da gibt es in Tirol drin einen lustigen Friedhof.
Anhang
Aw: ∟Ah ja, da waren mir a scho. (lacht) Y1: ∟Lustig (lacht) Aw: ∟ Des is (.) (lacht) Bw: ∟Ja eigentlich is es ein Friedhof, der hat diese Kreuze gesamCw: ∟Museum. Bw: melt-äh, die die früher aufgestellt haben und ähAw: Auch Marterl gell? Cw: Jaja, schon (.) Aw: ∟ Die- die b’sonders lustig san. Bw: ∟Ja und äh und äh dazu hamer halt-äh so a äh ja Powerpoint g’macht Cw: ∟Weils November war, Allerheiligen also Allerseelen, ja. Y2: (grinst) Bw: und äh das war dann ganz lustig, also-äh nix Novemberstimmung, wenn dann auf so am Taferl draufsteht, »hier starb die äh Jungfrau, äh ist begraben neben ihrem äh Sohn«. Aw: ∟Jaja »hier liegt die Jungfrau sowieso begraben (lachend), beweint von ihrem einzigen Y2: ∟(lacht) Aw: Sohn«. Bw: Oh ja ja. (Gelächter) Aw: ∟( ) Cw: »Der Hans ist bei ähm im Himmel, obwohl er Frau und Kinder schlug« oder so. Bw: ∟Jaja. (Gelächter) Cw: ∟Lauter so-so lauter so Scherze san da. Bw: ∟Ja und äh »auffi g’schtiegn owa g’foilln hi g’wesn«. (Gelächter)
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Bw: (lacht) Also solche Sprüche sind da alle auf den Tafeln drauf. Cw: ∟Al- des ist echt gw- des ist in echt so ham die des a aufm Grab g’habt, gell. Und der hat halt diese äh schmiedeisern äh Kreuze gesammelt und hat’s do alle oam-auf oamal nebereinand so hi g’stellt. Aw: ∟Mh. (.) Kleiner Nachteil is da gell, dass der Hügel drin ist, gell, da ham bei uns einige a bisselCw: ∟Der Berg is ja ∟ja stimmt, des is bei uns aBw: ∟Ja jaaa Aw: Schwierigkeiten g’habt. Des ging grad noch, aber ma muss immer drauf achten, wemma wo hinfährt, dass ähm nicht zu ( ) ist, ja. Bw: ∟Jaja, aber sonst is des auch bissl langweilig, wenn des so eben do is. Aw: Ja freilich, also häm, des is a schöne Anlage, aber für alte Leut muss ma immer dran Bw: ∟Des is immer des, ja. Cw: ∟Nein ich find halt au noAw: denken (.) kriengs diese Höhe grad noch (lachend). Cw: ∟di- (.) Ja und da schaun wieder Wurzeln raus von dene Baam danna (hochdeutsch: von den Bäumen dort). Ich find halt auch das wichtig is, dass die Leute äh manche Bw: ∟Ja (.) ja. Cw: sich dann auch da kennenlernen wieder oda vielleicht donoch no mitnand wos-woas-i a was ausmacha oda spaziern genga. Oder die Frau Tamm, die holt immer äh jemand ab mim Auto, die fahrt no ah Mercedes mit ihre fünfaachzg Johr, gell. Y1: ∟Mhm Bw: Jaja, is scho drüber ja.
Anhang
Cw: Und nimmt die mit, sonst ken- könnte die nicht kommen oder würde die, die geht nur hin weil die Frau Tamm s-sie holt. Alloa dat ses vielleicht goa net hoin (.) Und-äh und des is für die hoit dann e-einfach a moi a Ausblick amoi was anders zu seng ois wie blos (.) ihre vier Wänd. Oder gut, die genga schon no zum Einkaufen, des kennans ja alles no (.) mir hamma zwei mit-mit Rollstuhl äh-zwei-äh a Ehepaar, do is übrigens recht krank etz gell, von der Frau Merz da Mo (hochdeutsch: Mann). Bw: ∟Ja? ∟Hamma scho lang nimma g’sehn etza. Cw: ∟Der kommt am Dienstag wieder (.) und die frein si dann a, wenns dann bissl wieder andere Leit no seng und sie einfach- die wollen scho ra- Die wollen scho ratschen, die wolln sich scho miteinander unterhalten, des passt eana dann manchmal ned, wenn i dann sog oohhhh (klopft auf den Tisch) hab a G’schicht (.) zum Vorlesen. ∟Gelächter Bw: Hjaaa (.) Weils halt dann meistens wenn se miteinand ratschen um Krankheiten geht. Y1: Mhm Bw: Der oane hat dies (sanfter Schlag auf den Tisch), der andere hat des (sanfter Schlag auf den Tisch) und dann-dann-ah gibt’s nix anderes wie Krankheiten, ne äh i mein, wenn se äh-irgendwas anders ratschen würden, wärs ja gleich, aberAw: ∟Ja, aber es gibt halt nimmer gar so viel wemma älter is. Cw: ∟Die ham halt nimmer (.) ja genau, die ham halt nix mehr dann irgendwie (Lange Pause) Bw: So is des.
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Kulturwissenschaft María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)
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