Musikort Weimar: Begegnungen von Luther bis Liszt 9783412508180, 9783412507367


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Musikort Weimar: Begegnungen von Luther bis Liszt
 9783412508180, 9783412507367

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MUSIKORT�eimar Wolfram Huschke

BEGEGNUNGEN VON LUTHER BIS LISZT

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien | 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. Umschlagabbildungen  : Vorderseite: Franz Liszt in Berlin 1842. KSW, HAAB, V 2793. Rückseite: Goethes Bühnenbild-Entwurf zu Mozarts »Zauberflöte« 1794. KSW, Museen, ID 80397. © 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Guido Klütsch, Köln Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Balto Print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50736-7

Für Kerstin



INHALT »O Weimar  !« Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11

I. VON WALTER ZU BACH  : LUTHERISCHE PR ÄGUNGEN (1513 | 1717) 1. 1513  : Weimars neue dynastische Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort«. Johann Walters Vermächtnis 1567 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1602. Gründung der Weimarer Hofkapelle  ? . . . . . . . . . . . . . 4. Schein bleibt nur ein Jahr, das Schloss brennt ab und eine Stadtmusik wird aufgerichtet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das »Friedens-Danckfest« von 1650 und Neumarks »Wer nur den lieben Gott lässt walten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 1662. Eine Ära endet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vom »Laquey« zum Hoforganisten  : Johann Sebastian Bach 1703 und 1708.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Eine glückliche Bach-Familie 1714. Und 1717  ?.. . . . . . . . . . . 9. Bachs Kantate von 1714 »Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. THEATER  ! MIT MUSIK (1756 | 1803) 10. Ein junges Herzogspaar, eine neue Hofkapelle und eine Theatergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  91 11. Anna Amalias theatralische Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . .  98 12. Die Weimarer »Alceste« von 1773  : Wieland contra Gluck  ? . . . . . . 105

13. Wir spielen selbst  ! Und auch noch eigene Stücke.. 14. Der Zauber Italiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Wir haben ein Hoftheater . . . . . . . . . . . . . . 17. Der Zauber Mozarts, der Zauber von Musik . . . . 18. Von Sängerinnen und Sängern um 1800 . . . . . . 19. Jagemann contra Kranz 1801–1803 . . . . . . . . .

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III. KLAVIERVIRTUOSEN ALS HOFK APELLMEISTER (1810 | 1846) 20. Maria Pawlowna und die Liebe zum Klavier . . . . . . . . . . . . . . 21. »Stehende Konzerte«  ? Die »Sängerherrschaft« contra Hummel. . . . 22. Verspielte Chancen 1825. Die »Sängerherrschaft« contra Goethe und Coudray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Weber contra Rossini. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Ein Machtwechsel am Theater 1828/29  ?.. . . . . . . . . . . . . . . . 25. Der Erdgeist singt  ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Paganinis Erfolg verhilft zum Durchbruch . . . . . . . . . . . . . . . 27. Kunst und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. »Ein Tirolerlied« und »Oberons Zauberhorn« 1830 . . . . . . . . . . 29. Ein Stern erscheint, oder  : Wie angelt man sich einen Hochkaräter ..

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IV. DAS NEUE WEIMAR FR ANZ LISZTS (1848 | 1861) 30. Weimar  ? Weimar  ! Neues Weimar. . . . . . . . . . 31. Projekte des Neuen Weimar . . . . . . . . . . . . . 32. Chefdirigent Liszt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33. An Maria Pawlowna. Januar 1852 . . . . . . . . . . 34. Liszts Schiller  : Richard Wagner . . . . . . . . . . . 35. Berlioz’ »Faust«-Aneignung . . . . . . . . . . . . . 36. Zwei Brüder im Geiste des Goethe’schen »Faust«. . 37. Herausforderung Denkmal. . . . . . . . . . . . . . 38. Niederlage und Behauptung. Im Dezember 1858. . 39. Abschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anstatt eines Nachwortes  : Vom Zauber der Wartburg. 1867. . . . . . . . 301 8

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Inhalt

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . Verzeichnis der zitierten Literatur . Abkürzungen und Siglen . . . . . . Personenregister. . . . . . . . . . .

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Inhalt 

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»O WEIMAR  ! « VORWORT Im vorliegenden Buch scheint Weimarer Musikgeschichte längst vergangener Jahrhunderte auf. Wir begegnen großen Musikern und großer Musik, Teil der hiesigen namhaften Kulturentwicklung. Gelegentlich wird dieserart Berühmtheit mit anderen Seiten des vielfältigen Lebens konfrontiert, was eher bekräftigt als schmälert. So wie es in jener vielzitierten Strophe aus Goethes grandiosem Gedicht »Auf Miedings Tod« von 1782 aufklingt  : »O Weimar  ! dir fiel ein besonder Los  ! / Wie Bethlehem in Juda, klein und groß, / Bald wegen Geist und Witz beruft dich weit / Europens Mund, bald wegen Albernheit. / Der stille Weise schaut und sieht geschwind, / Wie zwei Extreme nah verschwistert sind. / Eröffne du, die du besondre Lust / Am Guten hast, der Rührung deine Brust.«1 Mit dem »du« ist die Muse angesprochen, die in der Folgestrophe aufgefordert wird, »Miedings Namen nicht vergehn« zu lassen. Seltsamerweise im Übrigen bleiben die Verse 3 und 4 zumeist unzitiert, obwohl sie ja erst die vorherigen konkretisieren und glaubwürdig erscheinen lassen. Nicht nur das Verschwistert-Sein von Geist und Witz und Albernheit, sondern auch die besondere Diskrepanz von Größe und Kleinheit als dessen Basis wurde schon am Ende des 18. Jahrhunderts vielfach reflektiert. Joseph Rückert formulierte dazu nach blumenreichen Schilderungen zum Ilmpark, zu Belvedere und zu Tiefurt in seinen »Bemerkungen über Weimar 1799«  : »Die Stadt selbst, das innere Weimar, zeichnet sich weder durch Größe noch durch den Geschmack aus, der es bewohnt. Weimar erscheint in diesem Stücke wie seine Genie’s, die wenig auf das Äußere halten. […] Dem wallfahrtenden Kunstjünger, dem enthusiastischen Freunde der Musen geht bei seinem Eintritt in diese Stadt eine Zauberin voran. Ihm erscheint Weimar herrlich, wie das schöne Heiligtum der Musen, wie ein strahlender Tempel des Ruhms, aus dem ihm Göttergestalten entgegenschweben, in deren Glanz er geblendet Vorwort 

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geht. Aber daran haben, wie gesagt, Bauart, Häuser, Straßen und Verzierungen keinen Teil  ; dies ist das körperliche, jenes das poetische Weimar, das der Eintretende im Geist anschaut. Doch fehlt es nicht an gewissen äußeren Zeichen, wodurch diese Stadt der Muse sich dem aufmerksamen Fremden gleich bei seinem Eintritte ankündiget. Fast aus jedem Fenster betrachtet ihn ein Feiertags-Gesicht mit neugierig musternden, aber freundlichen Blicken. Ein liberales, gefälliges gastfreundliches Wesen, ein schöner Gesang aus einem oft unansehnlichen Häuschen, die Töne verschiedener musikalischen Instrumente daher und dorther sagen dir, daß du in Weimar bist.«2 Der das schrieb war ein durchaus kritischer, aber eben bildungsbegeisterter Zeitgenosse der großen Vier. Anfang des gleichen Jahres 1799, am 12. Januar, schrieb einer dieser Vier, Johann Gottfried Herder, der Herzogin-Mutter Anna Amalia einen lesenswerten Brief. Sie hatte ihm ihren Essay »Gedanken zur Musick« zu lesen gegeben, er dankt für die Lektüre und findet nach einigen Komplimenten zu einem wundersamen, weltenumspannend überhöhenden Schluss  : »Warum wurden Ew. Durchlaucht nicht Kaiserin in Wien  ? Da wäre etwas geworden. Wohlan denn  ! in un’ altra stella. Die Harmonie umfaßt alles  ; Die Melodie tönt fort  ; in ihrer unendlichen Kette läßt sie nichts sinken. Empfinden Ew. Durchlaucht den innigsten Wohllaut durch Ihr ganzes Leben, den meine Seele Ihnen wünscht. Herder.«3 In meinen bisherigen Arbeiten zur Musikgeschichte Weimars, die im Sinne des Rilke-Wortes »Vergangen nicht, verwandelt ist was war« der Gegenwart vorbild- und verpflichtungsorientiert dienstbar sein sollten, habe ich mich immer auf die Darstellung von Entwicklungszügen konzentriert. Natürlich basieren Entwicklungen auf einer Summe von Einzelereignissen. Die interes­ santesten unter ihnen werden allerdings bisweilen nicht ausreichend als sie selbst gewürdigt, weil der entwicklungsorientierte Blick schon weiter schweift. Im vorliegenden Buch wird nun der Versuch unternommen, Einzelereignisse so ins Licht zu setzen, dass sie in ihrem Eigenwert möglichst plastisch und verständlich dargestellt erscheinen. In der Summe bilden sie alle zusammen quasi ein Mosaik. Wie ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis leicht verdeutlicht, sind sie aus Plausibilitätsgründen historisch-chronologisch angeordnet. Zumeist ist der erste Beitrag jedes der vier Kapitel ein allgemeinerer oder übergreifender. Abbildungen sollen profilierend wirken. Um der Subjektivität über die Auswahl der Einzelereignisse und über ihre Darstellung hinaus durchaus noch etwas mehr Platz einzuräumen, ziehen gelegentliche individuelle Einsprengsel das Geschehen an den Autor und seine Erfahrungen heran, als Elemente einer engeren Identifikation. 12

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Vorwort

Mein Dank gilt zuallererst der Widmungsträgerin dieses Bandes, meiner Frau. Sie hat mir in den vergangenen drei Jahrzehnten unseres Miteinanders die Kraft und den Gleichmut gegeben, die man für dieses und die vorhergehenden Bücher einfach braucht, von ihrer Mitarbeit einmal ganz abgesehen. Von Herzen Dank  ! Mein Dank gilt alsdann dem Verlag, einem gerade Weimar betreffend besonders renommierten Verlag, gilt insbesondere seinen beiden Weimarer Vertretern Julia Roßberg und Harald Liehr, die engagiert und intensiv das Werden des Buches begleitet haben. Weimar, im Luther-Jahr 2017

Wolfram J. Huschke

Vorwort 

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I. VON WALTER ZU BACH  : LUTHERISCHE PRÄGUNGEN (1513 | 1717)

1513

1. 1513  :  WEIMARS NEUE DYNASTISCHE ROLLE

Eigentlich ist 1513 in Weimar nichts Besonderes geschehen. Schon gar nicht in musikalischer Hinsicht. Die Entscheidung, die Kurfürst Friedrich  III., zu Recht »der Weise« genannt, in der fernen Hauptresidenz Torgau traf, hatte lediglich mit der Regierungsbelastung, seiner Gesundheit und mit dynastischem Selbstverständnis zu tun. Und mit dem Bruderproblem der Wettiner. Das aber hatte Auswirkungen … Die Brüder Ernst und Albrecht hatten 1485 in Leipzig das ererbte große wettinische Reich geteilt und regierten in der Folge »ihre«, d. h. die ernestinischen bzw. die albertinischen Erblande. Der ältere Bruder Ernst war Kurfürst und herrschte über das Kurland Sachsen-Wittenberg, über die »Länder« Meißen, Thüringen, das Vogtland und Franken. Er starb allerdings schon 1486. Nachfolger wurde sein 23-jähriger Sohn Friedrich  III., der nun das Kurfürstentum über fast 40 Jahre hin gemeinsam mit seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Herzog Johann regierte. Als der ledig gebliebene Kurfürst 1525 ohne einen Erben (zwei Söhne waren unehelich) starb, wurde Johann sein Nachfolger. 1513  – Friedrich war 50, Johann 45  Jahre alt und beide regierten schon 27 Jahre gemeinsam – regte Friedrich an und einigte sich nach hinhaltendem Widerstand seines Bruders im August mit ihm, dass Johann viel mehr Regierungsarbeit als bisher übernehmen müsse, in Form von selbständiger Verantwortung für die südlichen Länder Thüringen, Franken und das Vogtland. Und dies von Weimar aus, der einst wettinischen und nun ernestinischen Nebenresidenz. Friedrich selbst konzentrierte sich von Torgau aus auf die nördlichen Länder zwischen Wittenberg und Altenburg. Weimar war damit seit 1513 zwar noch nicht Hauptresidenz, aber eben Verwaltungszentrum der südlichen Teile des Kurfürstentums. Die im Verwaltungshandeln auch damals schon als 1513  : Weimars neue dynastische Rolle 

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Länder bezeichneten Gebiete waren im Übrigen von viel geringerem Umfang als heute assoziiert werden könnte. So bestand das nun von Weimar aus regierte ernestinische Land Franken lediglich aus den Ämtern Coburg, Eisfeld, Heldburg, Königsberg (als Exklave) und Sonneberg, das weiter von Torgau aus regierte ernestinische Land Meißen aus einem etwa 30 km breiten Nord-SüdStreifen zwischen Gräfenhainichen, Torgau, Eilenburg, Grimma, Borna und Altenburg. Meißen selbst und das weite Land darum herum waren albertinisch, ebenso wie Leipzig und Delitzsch und heutige Nordthüringer Gebiete. Als das ernestinische Kurfürstentum, seit 1532 von Johanns Sohn Johann Friedrich regiert, nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 und der anschließenden Wittenberger Kapitulation unterging und mit der Kurwürde das Kurland Sachsen-Wittenberg, ein Großteil des Landes Meißen und das Vogtland an den albertinischen Vetter Moritz von Sachsen fielen, blieben mit Thüringen und Franken jene Länder ernestinisch, über die Johann 1513 die Regierung übernommen hatte, und dies dann mit der Hauptresidenz Weimar. Insofern erreichte Weimar 1513 ganz unspektakulär und auch unfeierlich jene Rolle, die seinen viel späteren Aufstieg begründete. In des Wortes direktem Sinn unfeierlich übrigens auch insofern, als Herzog Johann seine erneute Vermählung nicht hier in seiner neuen Residenz feierte, sondern in Torgau. Seine erste Frau war schon nach der Geburt des ersten Sohnes Johann Friedrich 1503 gestorben. Nun heiratete er im November 1513 die 19-jährige Margarete von Anhalt. Als Bekenntnis zu neuer Verantwortung wäre eine Hochzeit in Weimar von hoher Symbolkraft gewesen. Die Bedingungen aber für prachtvolles Feiern waren in Torgau zweifelsfrei ungleich besser. Nichtsdestoweniger könnte es in Weimar 1513 eine diesbezüglich klitzekleine Feier mit angemessenem musikalischen Gepränge gegeben haben, vielleicht nur ein- oder zweitägig und nicht über sieben Tage hin wie die Hochzeit selbst. Vielleicht war sie mit dem Weihnachtsfest verbunden  ? Wir wissen es nicht. Was wir wissen  : Für Weimar kam etwas in Bewegung. Hinsichtlich von Auswirkungen der Statuserhöhung von 1513 auf die Musikpflege in Weimar ist ein genauerer Blick auf die damaligen diesbezüglichen Verhältnisse im Kurfürstentum dienlich. Mit »Weimar« ist schon hier mehr das Schloss Hornstein gemeint als die damals etwa 1200 Einwohner zählende Ackerbürger- und Handwerkerstadt abseits der Hauptverkehrswege. Um Musik ging es seit altersher vor allem im Dienst der religiösen bzw. der höfischen Funktionen, des jeweiligen Zeremoniells. In Gestalt von Verordnungen und vor allem Rechnungen gibt es dafür Belege, sowohl was die höfische als auch was die städtische Seite betrifft. Schon für das vorhergehende, also das 18

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

15.  Jahrhundert weisen die Quellen auf die musikalische Mitgestaltung des Gottesdienstes in der Stadtkirche durch Knaben der Stadtschule hin. Für die Schlosskirche war um 1440 eine Chorstiftung mit einem Vikar, sechs Priestern und einem Organisten geschaffen worden. Andererseits war die kleine Gruppe von Trompeten und Paukern am Hof des Herzogs Wilhelm  III., des Tapferen, Landgraf von Thüringen (1425–1482), eben nicht nur für militärische Signalaufgaben, sondern für die Begleitung des gesamten höfischen Lebens angestellt. Wilhelm war der von Weimar aus mitregierende Bruder des wettinischen Kurfürsten Friedrich  II., des Sanftmütigen  – ein ähnliches Modell wie dann ab 1513 zwischen Friedrich III. und seinem Bruder Johann realisiert. Musikalisch weitaus interessanter – und nun tatsächlich sehr interessant – ist die Entwicklung eben zur Zeit Friedrichs III., des Weisen, in Gestalt von dessen seit 1491 existierender vokal-instrumentaler Hofkapelle. Sie wurde weithin bekannt, weil sie den Kurfürsten auf seinen zahlreichen Reisen, etwa zu den Reichstagen, begleitete. Ansonsten musizierte sie dort, wo die Herrschaft gerade war, vor allem in Torgau und in der geopolitisch wichtigen südlichen Nebenresidenz Weimar, hier alljährlich mehrere Monate. Einige der Musiker wurden auch von hier aus bezahlt. Mit einer Musikerreise von Weimar nach Torgau hängt unser Wissen zusammen, dass es jene Hofkapelle 1491 gegeben hat. In der Jahresrechnung zu 1491/92 des kursächsischen Hofes belegt eine Reisekostenrechnung vom 4. Dezember 1491 die Existenz von mehreren Sängern in der dadurch komplett vokal-instrumentalen kursächsischen Hofkapelle. Sie ist damit ihre »Geburtsurkunde«. Adam von Fulda (hier »Adam singer«) als der Gründungskapellmeister ist schon im März 1489 in Rechnun­gen nachweisbar. Der Rechnungstext vom 4. Dezember 1491  : »3 Schock 30 Groschen Adam singer geben uss bevelh des hofmeisters geschen zu Wymar am sontag barbare / 1 Schock 24 Groschen Contz Singer geben ouch uß bevelh des hofmeisters am selben tag / 1 Schock Contz Synger geben zur zerung gen Torgaw mit 3  Knaben 2  Wagenknechten und mit 4  pferden am selben tag«4. Eine Eintragung vom 10.  Dezember 1491 zeigt uns, dass sie in Torgau auch angekommen sind. Ein Wagenknecht wird mit den vier Pferden wieder heim nach Georgenthal beordert  : »15 Groschen zerung ein wagenknecht Jorigental mit 4 pferden wider heim, hat die singer von Wymar her gefurt«5. Im Jahr darauf ließ Kurfürst Friedrich in der Weimarer Schlosskirche eine neue Orgel mit sechs Registern von Hieronimus Keilholtz errichten. 1503 bestand die Hofkapelle aus acht Trompetern, einem Zinkenbläser, zwei Pfeifern, je einem Lautenisten, Pauker und Trommelknecht, dem Kapellmeister, zwei Organisten und etwa 20 Sängern, dabei zur Hälfte »Singerknaben« – ein für 1513  : Weimars neue dynastische Rolle 

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die damalige Zeit sehr großes, repräsentatives Ensemble. Einen guten Eindruck von seinen Aufgaben gibt ein Bericht über die Hochzeitsfeierlichkeiten Herzog Johanns mit Sophie von Mecklenburg von Sonntag, dem 1. bis Samstag, dem 7. März 1500 in Torgau. An den sieben Tagen war die Hofkapelle immer dabei  : die Sänger und Organisten in den täglichen Gottesdiensten, die Instrumentalisten zur Begleitung des Hochzeitszuges, beim Zusammenlegen des Brautpaares im Brautbett (»mit großem geschall der Drompter und pau­ ker«, ohne es dort »lang ligen zu lassen«), bei den Ritterspielen und mit täglich mehrstündiger Tanzmusik bis tief in die Nacht. Die Festmessen als die musikalischen Höhepunkte wurden von Vokalisten und Instrumentalisten gemeinsam gestaltet  : »Dinstag nach esto mihi hat der breutigam und die Braut sampt andern fürsten und fürstinnen In der Capeln auf dem Slosse messe gehoret, haben die genannten synger meiner gnedigsten und gnedigen Hern zwue messen gesungen mit Hulf der orgall, dreyer posaun und eins zincken, desgleichen vier Cromhorner zum positief fast lustig zu horen.«6 Die zweite Vermählung Herzog Johanns im November 1513 an gleichem Ort wurde nicht weniger aufwändig gefeiert  – wiederum eine Woche lang und mit enormen Kosten. Johann musste – bei etwa 44.000 Gulden jährlicher Einnahmen aus den von ihm regierten Ländern – etwas über 26.000 Gulden Schulden machen, um die 192 geladenen Gäste sowie die Abgesandten von Universitäten und Abordnungen von 22 Städten angemessen zu bewirten. Wie wir dem obigen Hochzeitsbericht entnehmen können, gab es für Vokalisten und Instrumentalisten der Hofkapelle klare spezifische Einsatzfelder, für die Vokalisten und Organisten vor allem die religiös-rituellen, für die Instrumentalisten die höfisch-zeremoniellen. In solchem Zusammenhang sind in den Rechnungen auch Sänger und Organisten als »Churfürstliche Cantorey« gesondert von den Instrumentalisten geführt. Zur Entfaltung größtmöglicher klanglicher Pracht aber wirkte man in den vokalpolyphonen Messen als den grandiosen Hauptwerken der Tonkunst in jener Zeit zusammen – die Instrumente verstärkten die Gesangsstimmen oder ersetzten sie auch. Kapellmeister am kurfürstlichen ernestinischen Hof nach Adam von Fulda war seit 1507 Adam Rener, einer der führenden franko-flämischen Komponisten seiner Zeit. Zu Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer als berühmten Musikern stand man in intensivem Kontakt  ; Hofhaimer war mehrfach in Torgau zu Gast. Kurfürst Friedrich  III. realisierte seinen Anspruch, über eines der namhaften Ensembles seiner Zeit zu verfügen – Ausdruck des musikalischen Gestaltungs- und Unterhaltungsbedürfnisses eines europäisch bedeutsamen Hofes. Weimar hat daran von Anfang an wesentlich partizipiert, zuerst als 20

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

Abb. 1  : Josquin Desprez  : Kyrie der Messe »Ave maris stella«, Contratenor- und Bassus-Stimme mit einem Bild des noch jüngeren Kurfürsten Friedrich III., von einem Engel beschützt und unter seinem Wahlspruch »Tant que je puis« (»So gut ich kann«). Um 1520. 1513  : Weimars neue dynastische Rolle 

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Nebenresidenz, dann seit 1513 als neues Verwaltungszentrum und Residenz Herzog Johanns. Das ernestinische Kurfürstentum Sachsen war das Kernland der Reformation, die von hier aus in den Jahren nach dem Thesenanschlag Martin Luthers 1517 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation tiefgreifend erschütterte. Viel mehr noch als der Kurfürst waren sein Bruder Herzog Johann und insbesondere dessen Sohn Johann Friedrich entschiedene Anhänger der neuen Lehre, selbstredend im Sinne einer Reformation »von oben«. Die »von unten« und ihre politischen Folgen bekämpfte man energisch. Johann, nach dem Tod seines Bruders Anfang Mai 1525 soeben Kurfürst geworden und damit nun alleinregierend, zog von Weimar aus gegen den Thüringer Aufstand im Bauernkrieg zu Felde und hielt anschließend grausames Strafgericht gegen alle Beteiligten. Bevor er dann seinen Hofstaat von seiner bisherigen Residenz Weimar nach Torgau überführte und damit die Landesverwaltung wieder vereinte, ordnete er am 17. August 1525 vor der gesamten Geistlichkeit der Stadt und des Amtes Weimar die Durchsetzung der lutherischen Reformation durch ein neugestaltetes Kirchenwesen – für Kirche, Schule und Gemeinde – an. Damit wurde Weimar zum Ausgangspunkt der staatspolitischen Folgen der Reformation, des »landesherrlichen Kirchenregiments«, mit weiten Auswirkungen bis in das England Heinrichs  VIII. Der schon zehn Tage später gedruckt vorliegende Bericht darüber war überschrieben »Das man das lauter rain Evangelion on menschliche zusatzunge predigen sol.« Die ökonomischen Folgerungen waren da schon vollzogen  : Per 24. August wurden die Pfarrgüter in städtische Verwaltung gegeben, die daraus Kirche und Schule zu finanzieren hatte. Der Landbesitz der aufgehobenen Klöster fiel an den Landesherrn als den nunmehr obersten Geistlichen seines Landes. Nach dem schließlichen Auszug der Mönche des Franziskanerklosters 1533 aus der Stadt  – sie hatten sich mehrheitlich zwischen 1522 und 1525 erbittert gegen die neue Lehre gewehrt – war Weimar rein lutherisch. Nach dem Tod Kurfürst Friedrichs 1525 geriet auch die Hofkapelle in den Sog reformatorischer Auseinandersetzungen, war sie doch der Träger einer hochkünstlerisch-repräsentativen Kirchenmusik, die der neuen Lehre nicht mehr zu entsprechen schien  : Das Wort solle jedem verständlich nun ganz im Zentrum stehen, die Gemeinde mehr als bisher beteiligt sein. In diesem Sinne waren neue evangelische Kirchenlieder entstanden und hatten schnell eine große Bedeutung erlangt, über die musikalische Erneuerung des Gottesdienstes weit hinaus. In der Folge solcher grundsätzlichen Neuorientierung ließ Kurfürst Johann 1526 die Hofkantorei (also das Vokalensemble der bisher 22

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

vokal-instrumentalen Hofkapelle) auflösen, ebenso die kirchlichen Chorstiftungen seines Bruders und kurfürstlichen Vorgängers. Luther allerdings war darüber erbost, war er doch gegen radikale Entwicklungen und außerdem ein tiefer Verehrer etwa der Musik Josquin Desprez’. Gewiss  : Von ihm und seinem musikalischen Vertrauten Johann Walter stammten mehrere der neuen Kirchenlieder, die dann schon um 1530 als einstimmige Lieder mit Noten im Druck erschienen. Aber jede Verarmung war ihnen beiden suspekt. Walter hatte in solchem Sinne 1524 sein »Wittenbergisch deudsch geystliches gesangk Buchleyn« herausgegeben, eben nicht ein lutherisches Gesangbuch mit einstimmigen Weisen, sondern eine Sammlung von neuen 4- bis 5-stimmigen Kirchenliedbearbeitungen, dabei 24 zu Kirchenliedern Luthers. Bis 1530 erweiterte er das Werk und überreichte es in diesem Jahr dem Freund und Reformator als ein Kompendium der neuen mehrstimmigen Gesänge für die Gottesdienste des gesamten Kirchenjahres und damit als ebenso vielfältiges wie in sich geordnetes Choralbuch. Auch ganz praktisch reagierte Walter 1526 im Sinne Luthers. Als erfahrenes Mitglied jener nun aufgelösten »Churfürstlichen Hofcantorey«, in der er seit 1519 tätig und seit 1520 oder 1521 als Bassist angestellt gewesen war, übernahm er umgehend in Torgau die Leitung der städtischen Kantorei mit nun etwa zehn Sängern, als eine ortsgebunden bürgerschaftliche Unternehmung, bald Vorbild für andere Ensembles landauf landab. Das Instrumentalensemble der einstigen vokal-instrumentalen Hofkapelle blieb 1526 allerdings bestehen und wurde von Kurfürst Johann noch vergrößert. 1528 gehörten ihm sieben Trompeter, ein Pauker, zwei Pfeifer und ein Zinkenbläser sowie drei Organisten, ein Lautenist und, als besondere Novität, vier Geiger an, letztere Gruppe als klangliche Kompensation für nun fehlende hohe Vokalstimmen in rein instrumentalen Aufführungen ursprünglich vokal geprägter Werke. 1531 wurde Weimar Hauptresidenz neben Torgau und Coburg. Nach dem Tod Johanns im Jahr darauf übernahm sein Sohn Johann Friedrich die Regentschaft, später »der Großmütige« genannt, in einer durchaus missverständlichen Übersetzung des Genitivs »großen Mutes«, womit sein absolut unbeirrbares Festhalten am Luthertum gewürdigt wurde. Johann Friedrich verstärkte die rein instrumentale Hofkapelle zunächst weiter, um vier Trompeter und einen Trommelschläger. 1539 aber verschwanden die vier Geiger und der Lautenist, was sich als Konzentration auf zunehmend militärmusikalische Aufgaben und damit als Teil jener Entwicklung deuten lässt, die 1547 zur vernichtenden Niederlage des 1531 begründeten Schmalkaldischen Bundes bei Mühlberg führte. 1513  : Weimars neue dynastische Rolle 

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Die Kurfürstlich-Ernestinische Hofkapelle gab es dann nicht mehr. Der Kurfürst war ihr verlorengegangen. Dem nunmehrigen Herzog und »geborenen Kurfürsten« Johann Friedrich, jahrelang in kaiserlicher Gefangenschaft und schließlich seit 1552 wieder in seiner Hauptresidenz Weimar – hier frenetisch von der Bevölkerung begrüßt –, blieben zwei Trompeter und zwei Organisten. Den Gottesdienst in der Schlosskirche gestalteten mit den Organisten jetzt vier Schulknaben. Weimars 1513 am historischen Horizont erschienene neue dynastische Rolle als ernestinische Hauptstadt der südlichen Gebiete des Kurfürstentums hatte sich vier Jahrzehnte später als Hauptresidenz einer Herrschaft realisiert, die auf diese Gebiete zurückgeworfen war und sich seit 1572 mangels Primogenitur-Erbfolge durch Landesteilungen immer weiter schwächte. Der Verlust der politischen wie ökonomischen Macht und des Ansehens, symbolisiert im Verlust der Kurwürde 1547, ließ den ernestinischen Fürsten von nun an als schmerzhafter Stachel keine Ruhe mehr. Nach scheiternden militärischen Abenteuern erwuchs daraus ein besonderer kultureller Gestaltungswille. Mit den Erfolgen dieses kompensatorischen Gestaltungswillens und mit viel Fortune erreichte Weimar schließlich um 1800 einen kulturellen Nimbus von weltweiter Ausstrahlung. Die grandiose Kurfürstlich-Ernestinische H ­ ofkapelle, die zwischen 1491 und 1526 als europäisch bedeutsames vokal-instrumentales Ensemble und danach als große Instrumentalkapelle auch das Weimarer Musikleben geprägt und überstrahlt hatte, war freilich 1547 mit dem ernestinischen Kurfürstentum untergegangen. Der ebenso politisch-ökonomische wie künstlerische Schwerpunkt verlagerte sich nach Dresden, in die bald prachtvolle Hauptresidenz des nunmehr albertinischen Kurfürstentums. In den ernestinischen Landen musste man sich zwar bescheiden, aber Musik spielte auch in solcherlei Verhältnissen eine große, belebende Rolle. In den zwei Folgejahrhunderten war es vor allem die Musik von Komponisten mit stark lutherischer Prägung, denen Weimar und seine Herzöge ein Hort ihres Glaubens waren.

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)



2. »ERHALT UNS, HERR , BEI DEINEM WORT«. JOHANN WALTERS VERMÄCHTNIS 1567 Mit Datum vom 8. Januar 1567 widmete Johann Walter (1496–1570), der hochbedeutende Musiker der Reformation und Freund Martin Luthers, sein letztes Werk dem Herzog Johann Wilhelm von Sachsen und übersandte es ihm mit einem Widmungsschreiben nach Weimar. Johann Wilhelm war der Sohn seines verehrten einstigen Kurfürsten Johann Friedrich, Walter in Torgau einst sein Lehrer gewesen. Für ihn waren und blieben die ernestinischen Fürsten, denen er von 1519 bis 1547 treu gedient hatte, die Bewahrer des lutherischen Glaubens und Erbes. Um dieses Erbe machte er sich seit längerem Sorgen. Insofern war dieser sechsteilige sechsstimmige 1566 entstandene Liedmotetten-Zyklus nicht nur sein letztes Werk, sondern auch sein bekräftigendes Vermächtnis als eine anspruchsvolle Komposition auf der Basis jenes kraftvoll-trotzigen Gemeindeliedes, das Martin Luther und (bzw. oder) er selbst 1542 erschaffen hatten und das bis heute zum festen Liedbestand der evangelischen Kirche gehört. Die Komposition erreichte den Widmungsträger im Bruderkrieg, also in einer katastrophalen Situation seiner Familie und seines Landes. Als Stärkung dürfte es hochwillkommen gewesen sein. Der Titel des Liedes, identisch mit seinem ersten Vers, trifft sich schön mit dem Schluss des Widmungsschreibens, dessen vollständiger Text so lautet  : »Durchlauchtiger. Hochgeborner Furst und her. eurn furstlichen gnaden seint meine untertenige gehorsame dinste, sambt meinem gebet zcu Got gantz willig und bereit. Gnediger Furst und her Ich zcweifel nicht, eur f. g. wissen, und haben in gnedigem frischen gedechtnis, das ich aus gotes gnaden, eurn f. g. gnedigsten liebsten hern vater, und gnedigsten »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« 

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lieben hern grosvater, auch derselben gnedigsten hern bruder, Hertzog Friderichen, allen dreien hoch und ewig berumbten christlichen Churfursten zcu Sachsen etc. Hochloblicher und seliger gedechtnis, nach der gabe die mir Got geben, in der Musica und Cantorey, viel Jar in Untertenickeit gedienet, von welchen Hochloblichen Churfursten, mir grosse gnade und woltat widerfaren doffur ich Got zcu dancken, und fur das Hochloblich Haus zcu Sachssen, ums alle wolfart, leibs und seele zcu bitten, mich schuldig erkenne Und Nach dem, Gnediger her und furst, itzt gar eine fherliche zceit dorinnen allen Christen, das gebet zcu Got hoch von noten, und ich gar oftmals an die weissagung, und warnung der zcukunftigen straffe, des Ehrwirdigen gotseligen teuren propheten Docto  : Mar  : Lutheri. gedencke, So habe ich sein liebes hinderlassen liedt und gebet. Erhalt uns Herr bey deinem wort etc. sambt anderen Christlichen gebet gesengen, fur die oberkeit und dergleichen aus gotes gnade, itzt aufs neu, in figural gesetzt, und in druck geben, under welchen das 20 an der zcal, mit 10 gesetzen im text, aus sunderlichem bedencken, nach itziger zceit, auf eur f. g. ich also gestellet, Mit welchen Christlichen gesengen so in sechs partes eingebunden, eur f. g. ich alt. zcum untertenigen gedenckzceichen. thu vorehren Bitte eur f. g. in untertenickeit, wollen mit gnedigem wolgefallen solche Christliche gesenge, von mir alten vorlebten Manne annemen und von solchem Hertzen wie ich sie einfeldig ubersende, auch e. f. g. also gefallen lassen. Befhele eur f. g. hiemit dem Herren Jesu Christo, in seinen almechtigen schutz, der wolle eur f. g. bey der reinen lere des evangely gnedigklich erhalten, und fur allen Irthumen bewaren. Amen. Geben zcu Torga am 8. January im 67ten Jare Euer F. G. unterteniger gehorsamer Johannes walter der elter der geburt von kala in Duringen itzt burger zcu Torga«7

Ihm wurde sehr freundlich gedankt, einschließlich von drei Talern »zcu verehrung«. Dass Walter das Werk deshalb Anfang 1567 und nicht etwa Ende 1566 übersandte, weil sich im neuen Jahr das halbe Jahrhundert seit dem Thesenanschlag Luthers vollendete, ist wohl eher eine Spekulation. Als »Johann Walter der Ältere« hatte er unterschrieben, weil sein Sohn, Musiker wie er, den gleichen Namen trug. Eine Parallele zu den Cranachs. Torgauer Bürger war er – seit dem dazu notwendigen Kauf eines Hauses – seit 1532. »[…] viel Jar in Untertenickeit gedienet […]«  : Nach einer gelegentlichen Mitwirkung seit 1519 hatte ihn der Hofkapellmeister Conrad Rupsch, wie er 26

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

aus Kahla unterhalb der Leuchtenburg im Saaletal südlich von Jena stammend, wenig später als Sänger in der »Churfürstlichen Hofcantorey« fest anstellen lassen. Als dieser Vokalteil der bislang vokal-instrumentalen Hofkapelle nach dem Tod Kurfürst Friedrichs des Weisen 1525 von dessen Nachfolger 1526 aufgelöst wurde, hatte Walter, wie Rupsch inzwischen musikalischer Berater Luthers, in der Hauptresidenz Torgau mit Adjuvanten aus der Bürgerschaft und Schulknaben eine Kantorei aufgebaut, mit der er nun ortsfest, also auf das Zentrum des Kurfürstentums beschränkt, das kirchenmusikalische Leben gestaltete. Eine Kantorei mit 10 Sängern  : In einer Hofrechnung von 1546 sind (außer ihm) drei Discantisten und je zwei Altisten, Tenoristen und Bassisten verzeichnet. Nach der Wittenberger Kapitulation 1547 war Walter wie der greise Hofmaler Lucas Cranach  d. Ä. seinem Herrn zunächst in die Gefangenschaft gefolgt, dann aber auf dringliche Empfehlung Philipp Melanchthons an den Dresdener Hof gegangen, als Hofkapellmeister der soeben durch Erlass des neuen Kurfürsten Moritz von Sachsen vom 22.  September 1548 begründeten Kurfürstlichen Cantorey (heute Sächsische Staatskapelle Dresden). Konfessionell geprägte Probleme und wohl auch die Konkurrenz mit den schon 1549 von Moritz verpflichteten italienischen Instrumentalmusikern (Antonio Scandello) hatten bewirkt, dass er sich 1554 pensionieren ließ. Die wertvollen Chorbücher aus der Torgauer Schlosskirche, die er 1547 sichergestellt hatte und seitdem verwahrte, hatte er schon 1553 seinem ehemaligen Kurfürsten wieder zukommen lassen. Die lebenslangen Ruhebezüge vom Dresdener Hof änderten nichts an seiner kritischen Haltung zu dortigen Entwicklungen und an seinem kompromisslosen Eintreten für die lutherische Lehre. Deren unbeugsame Vertreter waren für ihn nach wie vor die ernestinischen Fürsten. Daher seine Treue zu ihnen noch 20  Jahre nach der Wittenberger Kapitulation. Sein Epitaph für den im März 1554 verstorbenen ehemaligen Kurfürsten Johann Friedrich den Großmütigen legt dafür ebenso Zeugnis ab wie eben jenes Vermächtniswerk von 1566, das er Anfang 1567 an dessen Sohn übersandte und »mit gnedigem wolgefallen« anzunehmen bat. Selbstverständlich ist jene Liedmotette ebenso wenig ein Weimarer Werk wie die Kurfürstlich-Ernestinische Hofkapelle eine rein Weimarer Angelegenheit gewesen war. Es ist in Torgau komponiert, aber eben jenen Fürsten zugeeignet, die seit 1513 mit Weimar als ihrer Residenz eng verbunden und nun, ein halbes Jahrhundert später, auf diesen Ort mehr oder minder konzentriert waren. »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« 

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Zum Werk selbst schreibt Walter Blankenburg, dass Johann Walter mit ihm »auf dem Gebiete der deutschen Liedmotette den meisten seiner Zeitgenossen stilistisch weit vorausgeeilt ist. Es handelt sich bei diesen von tiefer Inbrunst und zuweilen von dramatischer Wortbehandlung durchdrungenen Sätzen um freie Bekenntnismusik, die der alternde Meister in seinem Ruhestand aus der Sorge um die Reinerhaltung von Luthers Lehre geschaffen hat«.8 Man kann es gemeinsam mit jenem Epitaph von 1554 getrost dem großartigen dreiflügeligen Altarbild der beiden Cranachs in Weimars Stadtkirche St. Peter und Paul an die Seite stellen. Inwieweit der uralte Vater Cranach, der seinem Herrn nach der Gefangenschaft noch nach Weimar gefolgt und wenige Monate vor ihm im Oktober 1553 gestorben war, noch direkt daran mitgearbeitet hat, ist dabei eher weniger wichtig. Sein Sohn hat es in seinem Geiste realisiert und 1555 vollendet. Seitdem dominiert es beziehungsreich den Altarraum der Kirche, in dessen Vordergrund uns die Tumba, also der Sarkophag des »geborenen Kurfürsten« Johann Friedrich des Großmütigen und seiner Ehefrau Sybille von Cleve an die alten Geschichten und die dynastische Rolle Weimars seit damals erinnern. Beide sind auf der Innenseite des linken Altarflügels abgebildet, auf den Knien Jesus Christus zubetend, der die Mitteltafel des Altarbildes als gekreuzigter und – links daneben – als auferstandener Christus dominiert. Rechts neben dem Kreuz Johannes der Täufer, Lucas Cranach  d. Ä. (welch unerhörte Ehre  !) und Martin Luther, der auf die Bibel verweist  – Schlüsselgeste des Bildes. Auf der Innenseite des rechten Altarflügels die drei Söhne des einst kurfürstlichen Paares, in der Mitte jener Herzog Johann Wilhelm, dem die Liedmotette Johann Walters zugeeignet ist. Sie ist ihm und nicht seinem regierenden älteren Bruder Johann Friedrich II. (links von ihm) wohl deshalb zugeeignet, weil der Ende 1566 der Reichsacht verfallen war. Im Jahr der Vollendung des Altarbildes 1555 – gleichzeitig das Jahr des Augsburger Religionsfriedens – hatten die drei Brüder noch gemeinsam regiert, so wie es in der Wittenberger Kapitulation 1547 für die verbleibenden Gebiete des einstigen Kurfürsten Johann Friedrich (nun in Gefangenschaft) festgelegt worden war. In solchem brüderlichen Geist spricht auch der Text der Predella des Altarbildes zu uns, als Text ihrer Widmung des Kunstwerkes  : »Ihren Eltern, die im grausamen Krieg ihren gerecht machenden Glauben mit standhafter Frömmigkeit bekannt haben, ihren frommen Eltern haben von Frömmigkeit beseelt die dankbaren Kinder, drei Brüder aus einem Herzen, diese Tafel gesetzt, damit sie im Laufe der Jahre des verteidigten Glaubens ein Denkmal und der Liebe ein Pfand sei.«9 Dem 1565 verstorbenen jüngsten Bruder ist im Übrigen einer der kostbaren Epitaphe gewidmet, die 28

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Abb. 2  : Ältester Stadtplan Weimars, 1569 von Magister Johannes Wolf entworfen. Ausschnitt zu der Stadt zwischen Stadtkirche, Markt und Schloss Hornstein in der Vogelschau (Kavalier-­ Perspektive).

die Wände des Altarraums beidseitig der Tumba schmücken. Ein anderer gilt der Herzogin Agnes, der 1555 wohl vergifteten Gemahlin des ältesten Bruders Johann Friedrich  II. Sie war die Witwe des schon 1553 verstorbenen neuen albertinischen Kurfürsten Moritz von Sachsen, als der er sie zwei Jahre später heiratete. Im gleichen Jahr 1555 – auch dem der Vollendung des Altarbildes – verstarb sie im Alter von 27 Jahren. Die »drei Brüder aus einem Herzen« bemühten sich verständlicherweise darum, den Verlust von Kurwürde und Macht irgendwie auszugleichen. Schlösser bauen lassen war eine erprobte Möglichkeit dafür. Der seit 1557 allein regierende älteste Bruder residierte im Schloss Hornstein. Also ließ der mittlere zwischen 1562 und 1565 das gegenüber gelegene Grüne Schloss (heute Herzogin Anna Amalia Bibliothek) errichten. Seine Witwe ergänzte dies dann noch durch das Rote Schloss als ihren Wohnsitz. Auch musikalisch hatten die Söhne des gewesenen Kurfürsten an alte Zeiten anzuknüpfen gesucht. Zwischen 1556 und 1566 ist eine größere Trompetergruppe (seit 1559 zehn Trompeter und ein Pauker) nachweisbar, die 1565 um vier Zinkenbläser und zwei »welsche Geiger« ergänzt wurde. Die Trompeter im Übrigen beherrschten wie üblich mehrere Instrumente, zumindest noch »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« 

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Posaunen und Zinken, wie ein Besoldungsantrag 1566 eigens betonte. Wichtiger allerdings für eine Aufführung unserer Liedmotette ist, dass man sich seit Anfang der 1560er-Jahre wieder um eine Hofkantorei bemüht hatte, also um professionelle Sänger zum Instrumentalensemble hinzu. Der bisherige Notbehelf, dass vier Schulknaben den musikalischen Dienst in der Schlosskirche leisteten, sollte endlich beendet werden. Nach einer Werbeaktion im ganzen Herzogtum wurden die Kandidaten der neuen Hofkantorei 1565 zunächst in Gotha zusammengezogen. Ende dieses Jahres kam das Ensemble nach Weimar. Ähnlich der Torgauer Kantorei bestand es aus zwölf Sängern, drei davon 11-jährig, die anderen um die 18 Jahre alt. Damit gab es Anfang 1566 wieder eine stattliche vokal-instrumentale Hofkapelle, nun mit zwölf Sängern, zwei Organisten, neun Trompetern, einem Pauker, vier Zinkenbläsern und zwei »welschen Geigern«, insgesamt 30 Musiker, allerdings nur kurzzeitig. Bei der Mutschierung von 1566 wurde die Trompetergruppe mit aufgeteilt. In Weimar blieben neben nun 13 Sängern drei Trompeter, ein Pauker, drei Zinkenbläser und zwei Geiger. Das waren die musikalischen Rahmenbedingungen, in denen Johann Walters Liedmotette den Widmungsträger in Weimar Anfang 1567 erreichte. Die Frage, ob sie in Weimar auch aufgeführt worden sei, ist nur über Plausibilitätsüberlegungen zu beantworten. Und dies positiv, d. h., es ist wahrscheinlich. Neue Musikalien waren damals kostbar, die Voraussetzungen zu einer klanglichen Realisation gegeben, Walter ist gehaltvoll gedankt worden, er war ein mit dem Fürstenhaus eng verbundener berühmter Musiker und einstiger Freund Luthers. Noch wichtiger aber  : Die Lebenssituation war so, dass Kraft und Trost überaus willkommen gewesen sein dürften, auch dass es nötig schien, die gefühlte lutherische Identität der Ernestiner zu stärken. Denn politisch hatten die Bemühungen um die Rückgewinnung der Kurwürde jüngst in die Katastrophe geführt. Der regierende Herzog Johann Friedrich  II. (der Mittlere) hatte sich in die »Grumbachschen Händel« eingelassen. Er bestand auf dem Schutz des wegen Landfriedensbruchs geächteten Ritters Wilhelm von Grumbach und verfiel so selbst Ende 1566, wie sein Vater zwei Jahrzehnte zuvor, der Reichsacht. Das Gothaer Schloss Grimmenstein, in dem er sich mit Grumbach verschanzt hatte, wurde monatelang belagert und schließlich Mitte April 1567 von den Reichstruppen unter Befehl des albertinischen Kurfürsten August von Sachsen eingenommen und geschleift  ; sein Bruder Johann Wilhelm hatte auf deren Seite mitgekämpft und wurde nun der neue Landesherr. Johann Friedrich II. blieb bis zu seinem Tod 1595 Gefangener des Kaisers in Wiener Neustadt. Sein Kanzler Dr. Christian Brück, Sohn des Kanzlers seines Großvaters 30

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und Schwager Lucas Cranachs  d. J., wurde ebenso wie Grumbach auf dem Gothaer Marktplatz öffentlich gevierteilt. In solchem Umfeld also erreichte Walters Vermächtniswerk den im Bruderkrieg befindlichen Herzog Johann Wilhelm. Gerade von daher dürfte das »Verleih uns Frieden gnädiglich« als Schlussbitte der Motette eine tiefe Wirkung nicht verfehlt haben. Aus musikhistorischer Sicht reizvoll ist es, unter den Sängern einer möglicherweise drei Jahre später wiederholten Aufführung des Werkes den jungen Johann Eccard mitzudenken, später einer der namhaften Komponisten evangelisch-religiöser und auch weltlicher Chorlieder. Eccard, 1553 in Mühlhausen geboren, war seit 1569 Mitglied der Weimarer Hofkantorei. Nach deren Auflösung 1571 ging er zur Hofkapelle Orlando di Lassos nach München. Das Instrumentalensemble, 1572 weiter verkleinert, wurde nach dem Tod des Herzogs Johann Wilhelm 1573 ebenfalls aufgelöst. In der Weimarer Schlosskirche sangen seit 1571 wieder vier Schulknaben, wie vor 1565, zu besonderen Gelegenheiten vom Stadtkantor und vier Mitgliedern seiner Kantorei unterstützt. Eine würdige Aufführung der sechsstimmigen Liedmotette Walters dürfte unter diesen Voraussetzungen kaum noch möglich gewesen sein. Sein Vermächtnis hatte Weimar gerade noch rechtzeitig erreicht.

»Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« 

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1602

3. 1602. GRÜNDUNG DER WEIMARER HOFK APELLE  ?

»Die Geschichte der Staatskapelle Weimar, ehemals Großherzogliche Hofkapelle, reicht weit in die Vergangenheit zurück. Als Gründungsdatum gilt das Jahr 1602«10. So ist es vielfach in Publikationen zum wichtigsten Klangkörper Thüringens verankert und zu lesen. Was bedeutet dies, was war 1602  ? Nach dem Tod Herzog Friedrich Wilhelms  I. von Sachsen-Weimar übernahm 1602 sein jüngerer Bruder als Johann III. die Regentschaft in Weimar. Seine bisherige Hofhaltung in der Nebenresidenz Altenburg fiel an die Kinder seines verstorbenen Bruders, deren Vormund er war. Eine Landesteilung 1603 (wieder einmal) verselbständigte den einstigen Altenburger Landesteil zum neuen, sehr kleinen Herzogtum Sachsen-Altenburg. Der neue Weimarer Herzog hatte sich seit Mitte der 1590er-Jahre als Prinz in Altenburg den Aufbau einer kleinen Hofkapelle geleistet. Mit Nikolaus Rosthius, dem Kapellmeister von 1593 bis 1601, musizierten zunächst drei Sänger, ein Lautenist, ein Geiger und ein Trompeter. Bis 1602 war das Ensemble auf ein Dutzend Musiker angewachsen. In eben diesem Jahr wurde es nun von Herzog Johann in seine neue Residenz Weimar beordert. Das ist verständlich, waren es doch schließlich »seine« Musiker, die er auch in seiner nunmehrigen Schlosskirche hören wollte, anstatt der hier seit Jahrzehnten eingesetzten vier Schulknaben. Am 10. August 1602 wies er also den Altenburger Hofprediger an, er möge »Unseren Cappelenmeister befehlen, das er sich Zugleich mit Euch hieher Verfüge, Auch mit sich bringe Zachariassen den Fiedelisten, Maroldum den Bassisten, Zweene Tenoristen, Zweene Altisten und ein Vier Discantisten.«11 Bis November 1602 folgten noch ein Lautenist und zwei Bassisten nach. Ende 1602 war damit die Besetzung der Herzoglich Sachsen-Weimarischen Hofkapelle die eines kleinen Ensembles mit vokalem, d. h. kirchenmusikali32

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schem Schwerpunkt  : Kapellmeister, elf Sänger (vier Diskantisten, d. h. falsettierende Männer oder Knaben, zwei Altisten, zwei Tenoristen, drei Bassisten), je ein Organist, Lautenist und Geiger sowie zwei Trompeter. Kapellmeister seit 1601 war Johannes Herold (um 1550–1603). Vergleichen wir dieses Ensemble mit den einstigen beiden Kurfürstlichen Hofkapellen – der Hofkapelle Friedrichs des Weisen mit etwa 20 Sängern und 15 Instrumentalisten oder der zu Zeiten seines Bruders Johann bzw. dessen Sohnes Johann Friedrich mit etwa 20 Instrumentalisten – oder mit der Herzoglichen Hofkapelle Ende 1565 (12  Sänger und 15  Instrumentalisten), fällt die geringe Ausstattung mit Ins­ trumentalmusikern und damit geringe Möglichkeit zur Entfaltung klanglicher Pracht auf. Dennoch waren es deutlich mehr als in der bisherigen Weimarer »Grundausstattung« mit zwei Trompetern plus Organist. Und verglichen mit den vier Schulknaben war die jetzige Vokalgruppe von elf professionellen Sängern ein eminenter Fortschritt. Das Haupteinsatzfeld des Ensembles war die Musik in der Schlosskirche. Hofkapellmeister Johannes Herold war dafür ein bewährter und durchaus namhafter Leiter. In Jena um 1550 geboren  – also Landeskind  –, trat er in den 1590er-Jahren als Kantor an der evangelischen Stiftsschule in Klagenfurt/ Kärnten und der dortigen Stadtpfarrkirche gerade auch als Komponist hervor. Durch die Gegenreformation 1601 zum Verlassen des Landes gezwungen, wurde er in allen Ehren entlassen. Er ging zurück in die alte Heimat, wurde Kapellmeister der kleinen prinzlichen Sachsen-Weimarischen Hofkapelle in der Nebenresidenz Altenburg und ging mit ihr 1602 in die Hauptresidenz Weimar. Hier konnte er nur noch ein Jahr wirken  – am 8.  September 1603 wurde er beerdigt. In Weimar traf Herold auf einen ebenbürtigen Kollegen als Stadtkantor  : auf Melchior Vulpius, 20  Jahre jünger als er und aus Wasungen bei Meiningen stammend. Seit 1589 hatte sich Vulpius in Schleusingen zum Kantor emporgearbeitet, seit 1596 war er Weimarer Stadtkantor. Von hier aus wurde er bald weithin bekannt als Komponist von Kirchenliedern und von Motetten  ; 1602 und 1603 etwa gab er zwei Bände sechs- bis achtstimmiger Motetten als »Cantiones sacrae« in Jena heraus, für die er auf sein Ersuchen hin kursächsischen Rechtsschutz erhielt. Wie Herold war er ein traditionsbewusster evangelischer Kantor in der Nachfolge Johann Walters, also einer, der meisterhaft und dabei schlicht und praxisnah komponierte. Neben überkommenen etwa 200 Motetten und 400 Kantionalsätzen werden ihm 35 Kirchenliedmelodien zugeschrieben – Basis lang anhaltender Bekanntheit seines Namens in der evangelischen Kirche bis zum heutigen Kirchengesangbuch hin. 1602. Gründung der Weimarer Hofkapelle  ? 

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Obschon Nachrichten darüber fehlen, ist unschwer vorstellbar, dass die seit 1602 nun professionelle Qualität der Kirchenmusik in der Schlosskirche wettbewerbsfördernd auf die von einer Laienkantorei getragene Kirchenmusik in der Stadtkirche gewirkt haben mag. Und umgekehrt. Wir können davon ausgehen, dass die vorherige Qualitätsdifferenz zwischen Schloss- und Stadtkirche den Wunsch des neuen Landesherrn sehr bekräftigt haben wird, »seine« Musiker aus Altenburg schnell nach Weimar nachzuziehen, zumal zu dieser Zeit das Schloss Hornstein mit der südöstlich gelegenen Schlosskirche nach jahrzehntelangem Ausbau endlich fertiggestellt war. Nach den erbitterten Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts schien eine Zeit der Beruhigung, der Konsolidierung angebrochen. Da war eine Flut vielstimmiger neuer Kirchenmusik bei Hofe und in der Stadt gewiss hochwillkommen und erhöhte da wie dort den Glanz festtäglicher Gottesdienste ebenso wie die alltägliche Besinnung im lutherischen Geist. Die nun feste Verankerung der Hofkapellisten am Ort bewirkte für sie eine noch engere musikkulturelle Vernetzung und soziale Einbettung als dies im 16. Jahrhundert mit einer Wirksamkeit an wechselnden Orten möglich war. Mit dem Jahr 1602 begann also die ortsfeste Existenz der Sachsen-Weimarischen herzoglichen Hofkapelle. Was aber bedeutet dies, worauf deutet es hin  ? Auf ihre generelle Existenz  ? Wurde sie tatsächlich mit der Realisation der herzoglichen Order, sie aus Altenburg nach Weimar zu schicken, hier begründet  ? Gründungsmythen werden vor allem aus repräsentations- und werbestrategischen Aspekten gesetzt. Sie bedürfen hoher historischer Plausibilität und müssen nachhaltige Prägungen von den Wurzeln her beinhalten, die vorbildhaft wirken und Ansprüche setzen. Es geht also um Leistungsansprüche, nicht um pures Alter. Und es geht um historische Fakten ebenso wie um bewusste Setzungen. Exemplarisch ist der Gründungsakt der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der albertinische Herzog Moritz, gerade Kurfürst geworden, verfügte per 22. September 1548 die Gründung einer »Churfürstlichen Cantorey«, um seinem Hof einen ähnlichen musikalischen Glanz zu verleihen wie er es zuvor am ernestinischen kurfürstlichen Hof in Torgau erlebt hatte. Er engagierte in solcher Nachfolge den von dorther kommenden berühmten Johann Walter für die vokale Seite und bemühte sich schon Anfang 1549 um hervorragende italienische Instrumentalmusiker. Sein Wunsch, es den von ihm »beerbten« ernestinischen Vettern gleichzutun, setzte den Beginn einer neuen, dann über die Jahrhunderte glanzvollen Entwicklung, deren Höhepunkte wir noch heute 34

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feiern. Was aber ist mit der auch zuvor schon existierenden Dresdener herzog­ lichen Hofmusik  ? Sie passte nicht zum neuen Anspruch auf Exzellenz eines kurfürstlichen Hofes. Die Sächsische Staatskapelle Dresden feiert als weltweit berühmtes Orchester zu Recht 1548 als Datum ihrer Gründung. Die glanzvolle Vergangenheit als Albertinisch-Kurfürstliche bzw. Königliche Hofkapelle prägt die Identität, die Dresdener Hofmusik in der ersten Hälfte des 16.  Jahrhunderts oder noch ältere Entwicklungen bleiben dagegen außen vor, sind bestenfalls unter »Vorgeschichte« abgelegt. Selbstredend kann man die Anweisung des neuen Herzogs Johann III. von Sachsen-Weimar vom 10. August 1602 an den Altenburger Hofprediger Lange, er möge mit der kleinen Hofkapelle nach Weimar kommen, als ähnlichen Gründungsakt verstehen. Schließlich wollte er in der Schlosskirche nicht mehr mit den vier singenden Schulknaben vorliebnehmen, zumal in der Stadtkirche Melchior Vulpius und dessen Kantorei wirkte und er ja als Prinz in Altenburg jene kleine Hofkapelle aufgebaut hatte, die er sich nun hinterherschicken ließ. Überzeugend ist dies als Gründungsakt allerdings keineswegs. Und dies nicht nur wegen seines Charakters als lediglicher Ortswechsel, der es weitaus schwerer macht als beim obigen albertinischen Beispiel, die vorhergehenden Entwicklungen abzuschneiden. Das musikbezogene Handeln der ernestinischen Herzöge – und insbesondere der Weimarer – bezog sich stark auf das Vorbild ihrer kurfürstlichen Vergangenheit und das Urtrauma von 1547, politischen Einfluss wie ökonomische Macht verloren zu haben. Da das aber so ist, ergibt es Sinn, die Vorlaufentwicklungen einzubinden, zumal sie mit Weimar unmittelbar und prägend sowohl zwischen 1491 und 1547 wie in den 1560er-Jahren verbunden waren. Außerdem würde man dadurch den hohen Anspruch jener Hofkapellen als Herausforderung an die heutige Staatskapelle Weimar gewinnen. Wie verhält es sich aber mit dem Argument einer vor 1602 fehlenden Ortsfestigkeit  ? Bezüglich von Hofkapellen Ortsfestigkeit als prägende Norm zu sehen, ist mit deren Lage seit dem 18. Jahrhundert verbunden, in dem sie vor allem Orchester an »stehenden« Hoftheatern waren. Höfische Ensembles früherer Zeiten aber hatten andere Aufgaben. Und wenn der Hof selbst nicht ortsfest war, d. h. zwischen mehreren Residenzen pendelte, konnten auch sie als unmittelbar zum Hof und seiner Repräsentanz gehörig nicht ortsfest sein. Räumliche und aus ebensolchen dynastischen Gründen zeitliche Diskontinuitäten gehören damit geradezu zwangsläufig zur Entwicklung solcher Ensembles, ganz im Gegensatz zu zeitgleichen Stadtmusiken oder städtischen Kirchenmusikvereinigungen. Die zeitliche Diskontinuität akzeptieren wir im Übrigen offenbar 1602. Gründung der Weimarer Hofkapelle  ? 

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ohne Weiteres. Auch die ortsfeste Weimarer Hofkapelle war von 1662 bis 1683, von 1735 bis 1756 und von 1758 bis 1768 aus dynastischen Gründen aufgelöst – mal wollte der Herzog lieber jagen gehen, mal war er sich (wie Nero) als Künstler genug, mal starb er viel zu früh. Dennoch war bisher von einem Gründungsdatum 1768 keine Rede. Die seit 1602 ortsfeste Existenz der Weimarer Hofkapelle war das Ergebnis der zu beklagenden Tatsache, dass es in ihrem Herzogtum im Unterschied zu 80 oder 40  Jahren früher nur noch diese eine Residenz inmitten eines nunmehr sehr kleinen Territoriums um Weimar und Jena gab. Coburg, Gotha und Eisenach waren mit der Erfurter Landesteilung von 1572 an die Neffen gefallen, Altenburg folgte 1603. Die Ortsfestigkeit war damit kein kulturpolitisch souveräner Willensakt, sondern eher symbolhafter Ausdruck von Ohnmacht und Armut infolge einer problematischen Erbfolgepolitik, Ausdruck auch des herzoglichen Wunsches, das ihm Verbliebene eng um sich zu versammeln und damit eine gewisse Repräsentanz zu erreichen. Insofern erscheint es historisch plausibel, die ernestinischen Hofkapellen zwischen 1491 und 1573  – allesamt wesentlich in Weimar verankert, wenn auch überhaupt nicht darauf beschränkt – nicht nur als »Vorgeschichte«, sondern als legitimen Anfang einer Entwicklungsgeschichte der heutigen Staatskapelle Weimar zu betrachten. Wer dies vorsichtiger formulieren will, kann dies mit einer ähnlichen »weichen« Formulierung verbinden wie in jenem Programmheft der »pèlerinages« 2013 hinsichtlich des Staatsorchesters Braunschweig12 zu lesen. Adäquat dazu würde es heißen  : »Die Staatskapelle Weimar ging aus der 1491 gegründeten Kurfürstlich-Ernestinischen Hofkapelle Friedrichs des Weisen hervor, die zu den drei wichtigsten europäischen Hofkapellen um 1500 gehörte.« Damit wäre auch eine Motivation der Weimarer Herzöge bis ins 18. Jahrhundert hinein benannt, sich ihre Hofkapelle weiter zu leisten. Historische Grundlage solcher Linienführung ist, dass schon von 1491 an, aber insbesondere seit 1513 und nach 1547 die Entwicklung übergreifend auf Weimar zulief. Coburg und Eisenach, Gotha und Altenburg spalteten sich dann im Sinne einer protestantisch gewollten Sekundogenitur, also in Teilungen der Macht durch Landesteilung, von diesem nachreformatorischen sächsischen »Ur-Herzogtum« ab. Selbstredend geht es bei diesem Problemkreis um mehr als um eine plausible Abbildung historischer Entwicklungen. Wie weiter oben schon formuliert  : Es geht um Anspruch, nicht nur um Alter und Historie. Für die Staatskapelle Weimar ist es von daher überhaupt nicht gleichgültig, ob sie ihre Gründungsgeschichte mit einem Klangkörper von europäischem Rang um 1500 oder mit 36

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

einer kleinen Hofkapelle in armer Umgebung um 1600 verbindet. Nur aus ersterer Verbindung ergibt sich jener große Horizont, der dem Orchester Bachs und Liszts gut zu Gesicht steht. Er muss dann aber auch klar und kraftvoll formuliert werden. Der diesbezügliche Text im Programmheft der Kapelle 2013/2014 ist da etwas dürftig. Alter allein nützt wenig  : »Die Staatskapelle Weimar, 1491 begründet, ist eines der traditionsreichsten Orchester der Welt, mit dessen Namen zahlreiche bedeutende Musiker und Werke eng verbunden sind.«13 Diesem sehr allgemeinen Eröffnungssatz folgen konkretisierende Bemerkungen zur Entwicklung der Hofkapelle als Hofopernorchester, die mit der Herzogin Anna Amalia 1756 ihren Anfang nahm. Die kirchenmusikalisch dominierte erste Hälfte der über 500-jährigen Entwicklung bleibt völlig ausgeblendet. Nicht einmal Johann Sebastian Bach wird erwähnt. Inmitten der »Luther-Dekade« 2007–2017 eine bemerkenswert einseitige, auf die heutigen Aufgaben des Orchesters bezogene Verknappung. Um ein Fazit zur Gründungsfrage zu versuchen  : 1602 begann keineswegs glanzvoll, aber nun ortsfest die zweite Entwicklungsphase der Weimarer Hofkapelle, die bis 1735 reichte und im Wirken Johann Sebastian Bachs 1708–1717 ihren Höhepunkt fand. Ihr ging eine erste Entwicklungsphase mit vorbildhaft glanzvollem Beginn in Gestalt der Kurfürstlich-Ernestinischen Hofkapelle (1491–1526–1547) voraus, respektabel fortgesetzt in der Hofkapelle des Herzogtums Sachsen um 1565. Schließlich kam es in den 1590er-Jahren zu einem bescheidenen Anknüpfen in der Nebenresidenz Altenburg, das 1602 in die nun ortsfeste Hofkapelle des Herzogtums Sachsen-Weimar hinüberwuchs. Eine schwierige Geschichte  ? Vielleicht. Aber eine aufschlussreiche und eigentlich eine herausfordernde. Und eine mit hohem Anspruch an die heutige Staatskapelle Weimar.

1602. Gründung der Weimarer Hofkapelle  ? 

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4. SCHEIN BLEIBT NUR EIN JAHR , DAS SCHLOSS BRENNT AB UND EINE STADTMUSIK WIRD AUFGERICHTET

Für Weimars Hof und Stadt waren die Jahre am Anfang des neuen, des 17. Jahrhunderts Jahre der Konsolidierung. Das Schloss Hornstein war endlich baulich vollendet worden. Mit dem kleineren Grünen und dem Roten Schloss zusammen bildete es ein ansehnliches Schlösser-Ensemble auf der Travertinplatte oberhalb der Ilm. Das städtische Weimar hatte sich durch stattliche Bürgerhäuser an den wichtigsten Plätzen erfolgreich um das Aussehen einer Residenzstadt bemüht, wenn man auch noch lange eine Ackerbürgerstadt blieb. Das Land war nach der Verselbständigung von Sachsen-Altenburg 1603 so klein, dass ein Endzustand erreicht schien. Allerdings nicht war, denn es gab ja noch Jena als mögliche Residenz. Im Schulbereich hatte 1612/1613 der namhafte Pädagoge Wolfgang Ratke für aufregende Veränderungen gesorgt. Er hatte nicht nur die Prinzenerziehung begutachtet – so sein eigentlicher Auftrag –, sondern am Hof Kinder und Erwachsene gemeinsam und dabei auch noch die deutsche Sprache gleichberechtigt mit der lateinischen unterrichtet. Generalsuperintendent und Schulrektor setzten sich dagegen zwar erfolgreich durch, wenige Jahre später aber knüpfte der neue Generalsuperintendent Johannes Kromayer an Ratke an und stellte die Muttersprache in den Mittelpunkt seiner schuleorientierten Bemühungen. Die (deklarative) Begründung des »Palmordens« 1617 in Weimar, keinesfalls zufällig 100  Jahre nach Luthers Thesen, wies in die gleiche Richtung. Weimar als ein Hort der deutschen Sprache passte gut zu Weimar als Hort des lutherischen Glaubens. 38

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Abb. 3  : Schloss Hornstein mit der Schlosskirche, von Osten her gesehen, Federzeichnung auf Pergament von Christian Richter 1612.

Hinsichtlich der weitgehend auf Kirchenmusik konzentrierten Musikpflege wirkte der weithin bekannte Melchior Vulpius an der Stadtkirche bis zu seinem Tod im August 1615 im Geiste Johann Walters. Die Leitung der 1602 aus Altenburg nach Weimar gekommenen kleinen vokal dominierten Hofkapelle, die vor allem für die Musik an der Schlosskirche verantwortlich war, hatte nach dem frühen Tod Johannes Herolds 1603 im Jahr darauf Johann Stolle übernommen. Stolle, um 1566 in Calbe an der Saale geboren, war an der Lateinschule in Zwickau ausgebildet worden und hier seit 1591 Kantor an der Marienkirche gewesen. Wie üblich trat er als Dichter und Komponist von Kirchenliedern hervor. Vulpius dürfte auch in ihm, der aus der Zwickauer Ratsschulbibliothek die große Musik der Zeit und Vergangenheit bestens kannte, einen würdigen Mitstreiter für die Pflege der evangelischen Kirchenmusik erlebt haben. Stolle starb im Oktober 1614, also noch vor Vulpius. Am 21. Mai 1615 wurde mit Johann Hermann Schein (1586–1630) einer der ganz großen Komponisten seiner Zeit Weimarer Hofkapellmeister. Aus Weißenfels nach Weimar gekommen, blieb er allerdings nur 15 Monate und wechselte im August 1616 in das Leipziger Thomaskantorat. Der Sohn eines evangelischen Geistlichen hatte seit 1599 als Kantoreiknabe in der Dresdener Hofkapelle und Schein bleibt nur ein Jahr, das Schloss brennt ab 

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seit 1603 in der Kurfürstlichen Landesschule Pforta (sein Vater hatte um 1550 die Fürstenschule St. Afra in Meißen besucht) eine gründliche humanistische und auch musikalische Bildung erhalten und von 1608 bis 1612 freie Künste und Jura an der Leipziger Universität studiert. Hier trat er 1609 mit dem »Venus-Kräntzlein« hervor, einer Sammlung von 15  weltlichen fünfstimmigen Chorliedern plus acht Tanzsätzen und einem achtstimmigen Schlusslied. Zwischen 1613 und 1615 war er auf Schloss Weißenfels (bei einem ehemaligen Pfortenser Mitschüler) als Hauslehrer und Hausmusikdirektor angestellt gewesen. Von da kam er nach Weimar, in das ehrenvolle Amt mit dem wichtigen Titel. Das war es, wie wir noch von Johann Sebastian Bach 100 Jahre später wissen. Noch vor dem Weimarer Amtsantritt veröffentlichte Schein seine erste Sammlung von 30 geistlichen Motetten »Cymbalum Sionium« (5–12stimmige Cantiones). In Weimar folgten vor allem die 20 Suiten des »Banchetto musicale«, die er dem Weimarer Herzog Johann Ernst I. (Regierungsantritt 1615, nach zehnjähriger Regentschaft seiner Mutter Dorothea Maria) widmete. Das Werk erschien 1617 in Leipzig im Druck. Die Unter-Überschrift sagt, womit man es hier zu tun hat  : »Neuer anmutiger Padouanen, Gagliarden, Courenten und Allemanden à 5. auff allerley Instrumenten / bevoraus auff Violen, nicht ohne sonderbahre gratia, lieblich und lustig zugebrauchen«. Also liebliche und lustige Tanz- und Tafelmusik. Schon wegen des Widmungsträgers können wir davon ausgehen, dass sie im Weimarer Schloss Hornstein auch erklungen ist, wie gewiss auch das »Venuskräntzlein«. Glücklicherweise konnten ja die Sänger der Hofkapelle auch als Instrumentalisten eingesetzt werden. Ein heiterer jugendlicher Geist wehte musikalisch durch die Weimarer Schlösser. Dass Scheins geistliche Motetten des »Cymbalum Sionium« in der Schlosskirche aufgeführt wurden – vielleicht auch in der Stadtkirche – kann als sicher gelten. Die Schlosskirche war sein Hauptarbeitsort. Weimar war durch ihn an die große Musik der Zeit angeschlossen, zumal er mit seinen Altersgenossen Heinrich Schütz in Dresden und Samuel Scheidt in Halle gut befreundet war. Am 12.  Februar 1616 heiratete der Hofkapellmeister die wie er aus Grünhain bei Annaberg stammende Sidonia Hösel, Tochter eines kurfürstlich sächsischen Rentsekretarius. Sein Weimarer Amt dürfte sein Ansehen bei der Familie seiner Frau vertieft haben. Als beide im Sommer 1616 nach Leipzig aufbrachen, war Sidonia Schein schwanger. Ihr Mann hatte sich nun um das Wohl einer zahlreicher werdenden Familie zu sorgen. Auch dies wird seine Entscheidung gefördert haben, in das in jeglicher Hinsicht für ihn günstigere reiche Leipzig zu wechseln und dort im Miteinander von kirchenmusikalischen und städtisch-weltlichen Aufgaben und Möglichkeiten ein auskömm40

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liches und anregendes Arbeits- und Lebensfeld zu suchen. Aber immerhin  : 100  Jahre vor Bach hatte mit ihm einer von dessen großen Vorgängern ein gutes Jahr in Weimar gewirkt, bevor er ins Thomaskantorat nach Leipzig weitergewandert war. Die Hofkapellmeister-Stelle wurde nicht wieder wie 1601, 1604 und 1615 von außen nachbesetzt. Aus Frustration über Scheins schnellen Abgang  ? Es macht ein wenig den Eindruck, denn man kehrte zur Praxis der Altenburger Anfangsjahre zurück. Einer der Sänger übernahm die Leitung des Ensembles, wieder ein Bassist, Conrad Günther, ihm seit 1594 zugehörig. Günther hatte sich diesbezüglich schon im Interregnum zwischen Stolle und Schein bewährt. Zwischen 1623 und 1629 erfüllte er zusätzlich auch noch die Aufgaben des Hoforganisten. Der 1622 hinzugekommene Hoforganist Daniel Forwegk hatte seine Stelle ebenfalls schon im Jahr darauf wieder verlassen. Auch sie wurde nicht nachbesetzt. Eine Parallele zu Schein scheint gegeben, ist es allerdings nicht. Das wird klar, wenn man die Besetzung der Hofkapelle im Jahr 1622 bedenkt  : Neben den obligatorischen zwei Trompetern plus Hoforganist Forwegk bestand sie nur noch aus zwei Discantisten, einem Altisten, zwei Tenoristen und eben dem Bassisten Conrad Günther – ein minimales Kammerensemble, wenn auch gerade noch etwas größer und natürlich professioneller als jene vier Schulknaben, die die Musik in der Schlosskirche vor 1602 gestalteten. Was war geschehen, das solchen Niedergang bewirkte  ? Am 2. August 1618 nachmittags war im Keller des Schlosses Hornstein ein Feuer ausgebrochen, das bis zum Abend des Folgetages wütete und weite Teile des Schlosses in Schutt und Asche legte. Ein »Goldmacher«, der Alchimist Samuel Kluge aus Kuttenberg in Böhmen, hatte hier geeignete Räume vorgefunden, um eine ganz neue Rezeptur auszuprobieren. Der Schlosskeller als Laboratorium  ! Der Erfolg war durchschlagend, allerdings im extremen Gegensatz zur erhofften durchgreifenden Verbesserung der finanziellen Grundsituation. Der Protektor des »Goldmachers«, Herzog Johann Ernst, der wohl gehofft hatte, den im Ergebnis der Wittenberger Kapitulation von 1547 erlittenen Verlust des Silbers aus dem Erzgebirge durch neues »Weimarer Gold« zu kompensieren, ließ zwar Pläne zu einem Schlossneubau erstellen. Der aber kam im inzwischen ausgebrochenen großen Krieg nur wenig voran. Man verfügte ja noch über das Grüne und das Rote Schloss gegenüber der nunmehrigen Hornstein-Ruine. Insofern man in den stürmischen frühen 1620er-Jahren überhaupt am Ort war. Die Schlosskirche, der zentrale Arbeitsort der Hofkapelle, war mit abgebrannt, die Verkleinerung des Ensembles auf das obengenannte Mindestmaß eine der Folgen. Schein bleibt nur ein Jahr, das Schloss brennt ab 

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Dass ausgerechnet unmittelbar nach dem Schlossbrand der weitgehend vom Hof abhängige Rat der Stadt einen Vorschlag zur durchgreifenden Verbesserung des städtisch-bürgerlichen Musiklebens ohne Weiteres genehmigte, dürfte mehr als ein Zufall sein. Den Antrag zur Aufrichtung einer Stadtmusik (Stadtpfeiferei) hatte der auch als Goldschmied ausgebildete Musicus instrumentalis Christoph Volprecht freilich schon zwei Wochen vor dem Brand, mit Datum vom 19.  Juli 1618, eingereicht. Sein beabsichtigtes öffentliches Tätigkeitsfeld fasste er hier als Musizieren »in der Kirchen, uffm Rahthauße oder Thuerm zu Rechter Zeitt unndt Stunde« zusammen. Er wolle vier Gesellen einstellen, einer davon würde die Turmwache realisieren. Freilich ging es mehr noch um private Feste und Feiern. Folgerichtig erbat sich Volprecht das ausschließliche Privileg, Hochzeiten als die wichtigsten Familienfeste damaliger Zeiten in Weimar musikalisch gestalten zu dürfen  : »Bitte ich […, der] Rahtt wolle mihr vorstatten unndt vorwilligen, auff alle hochtzeiten Groß unndt Klein auffzuwartten undt dieselben versorgenn zu lassen, Jedoch stelle ichs einem jedenn in seinen gefallenn undt vermuegen, ob ehr mich mitt Gejen oder Zincken undt Posaunen haben will. Betreffende aber des hochzeitt lohn, soll niemandt vonn mihr uebersetzett werden, undt nach jedes Vormugen oder Standes ich mitt dem lohne zufrieden sein will.«14 Eine mögliche Tätigkeit außerhalb der Stadt, »auffm Lande«, würde er immer mit dem jeweils regierenden Bürgermeister absprechen. Und  : Er wolle im September mit der Arbeit beginnen. Der Rat nahm in der obwaltenden Situation seinen Antrag ohne Änderung schnell an und genehmigte eine Besoldung (auch in Form von Korn und Holzgeld) und die freie Wohnung. Damit existierte nun erstmals in Weimar eine zunftmäßig organisierte und privilegierte Institution zur musikalischen Unterhaltung der Bürger (Fest- und Tanzmusik), für relevante städtisch-offizielle Aufgaben und – nicht zu vergessen – zur Ausbildung von Musikern. Ein Problem war und blieb freilich das Durchsetzen des zunftgemäßen Musikprivilegs gegenüber Dorfmusikanten auf der einen und Hofmusikern auf der anderen Seite. Zudem galt es etwa die Feierverordnung einzuhalten, die 1554 wegen »schedlicher mißbreuche« erlassen worden war und nach wie vor galt, einstmals für die durchziehenden Spielleute, nun für den zunftgemäß bevorrechteten Stadtmusiker. In jener ess- und trinkfreudigen und tanzlustigen Zeit galten strenge Feier-Regeln. Selbstredend ständisch orientiert, legten sie sehr unterschiedlich die gestatteten Umfänge hinsichtlich der Dauer, der Zahl der einladbaren Gäste oder des Zeitumfangs und der Besetzungsstärke der Musik fest. 42

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Tanzen war dabei eine besonders beargwöhnte Lebensäußerung und deshalb jenseits von Hochzeits- oder Verlöbnisfeiern ohne besondere Erlaubnis schlechthin verboten. Auch für Hochzeiten galt einschränkend, der Spielmann dürfe zu »keinem unzuchtigenn tanntz ursach gebe[n]«, bei angedrohter Strafe. Und ganz konkret  : »Dartzu sollen das vordrehen unnd abstoßenn Inn allenn tentzenn vorbottenn sein«. Keine Frage, dass nach 22 Uhr im Sommer und 21 Uhr im Winter in der Stadt Ruhe zu sein habe und »kein trummel oder annder seitenspiel uff der gassenn, oder Inn heußern geschlagen, Noch auch kein ungeburlich gassenn geschrei getriebenn werde«15 solle. Alles war klar geregelt und wurde im Falle der Missachtung klar gemaßregelt, Musik und Musiker ohnehin. Der Hof bezog anfangs der 1620er-Jahre die Dienste des städtischen Musikunternehmers Volprecht zunehmend ein. Es liegt nahe, dass auch wegen dieser Möglichkeit die Hofkapelle auf jene Minimalbesetzung reduziert werden konnte. Ein Beleg für die Mitwirkung liegt aus dem Jahr 1623 vor. Per 15. November dieses Jahres erging ein Erlass des Herzogs an seinen Rentmeister  : »Lieber getreuer. Wir mögen dir nicht bergen, daß wir zu desto besserer bestellung unserer Hoff=Capellen Christoff Volprechten und seinen Adjuvanten, Stadt=Pfeifern alhier, biß auf wiederruffen ihärlichen auß unserer gesambten Renth=Cammer Viertzigk gülden nebenst dreyen Clafftern Holtz dergestaldt reichen zu lassen versprochen, daß gemelter Volprecht mit seinen Gesellen in berürter unserer Hoff=Capeln alle Jahr Fest und Sontage, desgleichen wann wir von frembder Herrschafft besucht werden und sonsten auffm fall bedürffnis, unweigerlich aufwarten und der Music beywohnen solle […]«16 40  Gulden jährlich, das bedeutete quasi einen lohnenden Zusatzvertrag über den mit der Stadt hinaus, wenn auch immer nur bis auf Widerruf. Bis 1624 blieb Christoph Volprecht in Weimar, dann ging er »um verhoffender besserung willen«17 nach Erfurt. Es hatte Probleme mit der Stadt gegeben  ; er habe von dort seit einem Jahr keine Besoldung erhalten, beschwerte sich Volprecht Ende März 1623 beim Herzog. Nachfolger Volprechts war Matthias Sultze, dessen Nachfolger 1644 Johann Steinau. Die 1618 »aufgerichtete« Weimarer Stadtmusik war und blieb von nun an bis ins 20. Jahrhundert die professionelle Musikinstitution für das bürgerliche Musikleben und außerdem eng an den Hof, an die Hofkapelle gebunden, mit allen Vor- und Nachteilen in Stabilisierung und Abhängigkeit. Und sie bildete Musiker aus. Erst ein Vierteljahrtausend später erwuchs ihr für dieses Arbeitsfeld eine überlegene Konkurrenz in der Weimarer Großherzoglichen Orchesterschule. Schein bleibt nur ein Jahr, das Schloss brennt ab 

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5. DAS »FRIEDENS-DANCKFEST« VON 1650 UND NEUMARKS »WER NUR DEN LIEBEN GOTT LÄSST WALTEN«

Weimar hatte Glück, als Hof wie als Stadt. Im Unterschied zu seiner Herrscherfamilie war es vom Dreißigjährigen Krieg nicht direkt betroffen. Es blieb damit von einem Krieg weitgehend verschont, den wir uns nicht grausam, scheußlich und verheerend genug vorstellen können. Die Heere (besser Söldnertruppen mit Gesindel aus vieler Herren Länder) zogen hier nicht durch. Weimar lag zu abseits und lohnte sich wohl nicht. Zudem hatte es Schutzbriefe. Zwei prominente Feldherren kamen von hier  : Bernhard (1604–1639) als berühmter, vor allem in schwedischen Diensten stehender General und sein älterer Bruder Wilhelm (1598–1662), als Wilhelm IV. regierender Herzog von 1626 bis 1662 und in den 1630er-Jahren Generalleutnant und Statthalter des schwedischen Königs Gustav Adolf in Thüringen. Zuvor war er wie seine Brüder ein Motor des Widerstands unter nationaldeutschem Vorzeichen (»Teutscher Friedbund«) gegen die kaiserlich-katholische Vorherrschaft gewesen, was ihm nach einer der verlorenen Schlachten 1623 eine vielmonatige kaiserliche Gefangenschaft eingebracht hatte. Als Zufluchtsort war Weimar allerdings in hohem Maße finanziell wie sozial von den Kriegsfolgen betroffen. 1640 lebten über 4000 Flüchtlinge in der Stadt, bei knapp 3000 Einwohnern. Insofern ist es überaus verständlich, dass hier wie in den anderen ernestinischen Residenzen der Westfälische Frieden von 1648 als lang ersehntes befreiendes Ereignis erlebt und nach dem Abzug der letzten schwedischen Truppen aus der Erfurter Garnison mit dem »Friedens-Danckfest« vom 19. August 1650 besonders gefeiert wurde. Gottfried Albin de Wette 44

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(1697–1768) hat in seinen »Historischen Nachrichten Von der berühmten Residenz-Stadt Weimar« von 1737 ausführlich über diesen ganz besonderen Tag berichtet. Selbstredend war Musik in seinen zeremoniellen Ablauf angemessen und vielfältig einbezogen. Dies betraf in besonderem Maße die lautesten »Musikinstrumente«  : Kirchenglocken und – auch wenn uns dies seltsam erscheinen mag – Kanonen, Mörser. Der Plan wies Folgendes an  : 1. Gegen 3 Uhr in der Frühe sollen Kanonenschläge und das Läuten (»Leiten«) aller Glocken der Stadt und der umliegenden Dörfer das Fest eröffnen. »Ingleichen sollen auch die Trompeter nebenst den heerbaucken ufn Lindenhauße im Garten zugleich anfahen intraden zu blasen und so lange damit anhalten, biß außgeleitet worden, wie auch die Hoff-Capelle sich doselbst an ihrem gewöhnlichen orthe fertig halten Und so baldt das Geleit ein Ende, das mit Trompeten gesetzte stücke, Nun Danckt alle Gott anfahen. 2. Nach solchem soll mit 4 Feyer Mörsellen gespielet, dorauf auf den Rathause mit den Stadtpfeifern und der Stadtschule ›Nun lobet meine seele den herrn‹ gesungen werden, Und weiter von den Stadt-Pfeiffern und der Stadtschule ein schöner Lobspruch, so sich auf dieses friedensdanckfest wohl schicket und in des Cantors erwehlung stehet, gesungen und gespielet werden. 3. Puncto 5 Uhr früe, soll zum andern mahl mit allen glocken geleitet werden, Ingleichen die Trompeter und heerbaucken zu Hoff auf den Trompeters stuel darzublasen, Umb 6 Uhr früe, soll also balde zum 3ten mahl zu Hoff wie auch in der Stadt wiederumb mit allen glocken zu leiten angefangen werden, und die trompeter nebenst den heerbaucken, wie oberwehnet auf den Trompeters stuel wiederumb blasen.«18

Mit »Nun lobet meine Seele den Herrn« ist wohl »Nun lob, mein Seel, den Herren« von Johann Kugelmann (1540) gemeint, auf dessen Weise Paul Gerhardt 1648 sechs neue Strophen schuf, beginnend mit dem eindrucksvollen Zeitbezug »Gott Lob, nun ist erschollen, das edle Fried- und Freudenwort, daß nunmehr ruhen sollen die Spieß und Schwerter und ihr Mord.« Unmittelbar nach dem dritten Glockenläuten folgte der Gottesdienst in der Schlosskirche. Im Gegensatz zu den anderen Teilen des Schlosses Hornstein war sie nach dem verheerenden Schlossbrand von 1618 schon 1630 wieder fertiggestellt worden, da eben im Grünen bzw. Roten Schloss nicht ersetzbar. Die Hofkapelle, seit den 1640er-Jahren wieder ein stattliches vokal-instrumentales Das »Friedens-Danckfest« von 1650 

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Ensemble, gab dem friedensdankfestlichen höfischen Gottesdienst den notwendigen Glanz. Beim »Te deum laudamus« läuteten die Glocken von Schlossund Stadtkirche, Signal für die Auserwählten der Weimarer Bürgerschaft, sich vor der Schlosskirche als dem Ausgangs- und Zielpunkt der gemeinsamen Prozession mit dem höfischen Weimar einzufinden. Die Prozession mit anschließendem Gottesdienst als das öffentlichkeitswirksame Hauptereignis des Tages folgte klaren Festlegungen insbesondere zur Reihenfolge. Sie ist aus der überlieferten Abbildung ebenso gut zu erkennen wie der Ausgangsort Bastille-Brücke (am westlichen Rand des Schlosses Hornstein bzw. seiner Ruine) und der Zielort Stadtkirche. Die symbolische Darstellung zeigt an der Spitze – nach einem der vier ordnenden Marschälle und dem ersten der vier »Fridens Zeichen« – die »halbe Schule«, also die erste Hälfte der Gruppe der Schulkinder. Die die Prozession gliedernden vier Friedenszeichen wurden »von den vornehmbsten Raths Persohnen« getragen. Dem zweiten Friedenszeichen folgten die Berufsstände der Handwerker mit ihren Fahnen  : Bäcker, Fleischer, Tuchmacher, Böttcher, Töpfer, Zimmerleute, Müller, Tischler, Gerber, Schlosser, Büchsenmacher usw. usw. Nach den abschließenden Goldschmieden und den Krämern kam nach dem dritten Friedenszeichen die »andere halbe Schule«. Die Schulkinder dieser und auch der ersteren Gruppierung hatten einen Sonderauftrag, der ihre Aufteilung motiviert haben mag  : Es »wirdt von der Jugend der ganzen Schule das angeordnete Friedenslied gesungen.« In dieser Gruppe vor dem vierten Friedenzeichen marschierten noch die »Cantorey« (die Sänger der Hofkapelle), das Schulkollegium und die Geistlichen sowie die Stadtmusik. Sie werden – im Zentrum der Prozession befindlich – das Friedenslied gewiss laut mitgesungen bzw. mitgespielt haben. Dem vierten Friedenszeichen folgten der »Rath der Stadt«, die Leibgarde des Herzogs und die »Jägerey«. Musizierend dargestellt kamen dann »Heerbäucker und Trompeter«, also die Instrumentalisten der Hofkapelle, gewiss erfolgreich in der Aufgabe, den Glanz des Ereignisses (und des ihnen auf dem Fuße folgenden Hofes) zu erhöhen. Schließlich eben Hofdiener und Hofstaat und die fürstliche Familie, von Hellebardenträgern geleitet  – hintereinander junge Herrschaft, Herzog, Herzogin, zwei Hoffräulein. Am Schluss der langen Schlange, deren Ende auf der Abbildung nicht mehr sichtbar noch die Bastille durchschreitet bzw. sich noch im Schlosshof befindet, die Frauen Weimars, gegliedert in Frauen von Adel, die Frauen der Hofbediensteten und »die Jungfern und Bürgersweiber, an großer an Zahl«19. Wir sehen ein komplettes Bild der gesellschaftlichen Ordnung jener Zeit.

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Abb. 4  : Die Prozession zum Friedens-Dankfest 1650 in symbolischer Darstellung, aber mit genauen Bezeichnungen.

Im Festgottesdienst in der Stadtkirche – nur die Prozessionsteilnehmer waren zugelassen – spielten wiederum die Schüler der Stadtschule mit ihren Liedern eine große Rolle. Wieder läuteten beim »Te deum laudamus« die Glocken, zusätzlich gab es beim »Heilig, heilig« Kanonenschläge. Die Predigt des Generalsuperintendenten Nikolaus Zapf würdigte den Friedensschluss als Triumph der deutschen und insbesondere protestantischen Freiheit mit ausdrücklich ehrendem Hinweis auf den im Altarraum der Stadtkirche begrabenen Kurfürsten Johann Friedrich den Großmütigen als Vorkämpfer in diesem Geiste. Die Predigt wurde umrahmt von einer Festkantate des Stadtorganisten Johann Ernst Löber, stilistisch den Geistlichen Konzerten von Heinrich Schütz verpflichtet. Der Verlauf  : Einer Sinfonia  1 für zwei Violinen, zwei Violen und Viola da gamba folgte als Nr. 2 ein Duett für zwei Soprane »Ehre sei Gott in der Höhe«, das als Nr. 4 und Nr. 7 wiederkehrte. Nr. 3 war eine Szene mit Solotenor und zwei miteinander konzertierenden Chören, Nr. 5 ein »Preise Jerusalem« mit beiden Chören einträchtig zusammen und mit dem besonderen Betonen Das »Friedens-Danckfest« von 1650 

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des Wortes Frieden (»Er schaffet deinen Grenzen Frieden.«). Nach der Predigt eine Sinfonia 2 als Nr. 6, in gleicher Besetzung wie Sinfonia 1, als Nr. 8 ein fugierter Chor »Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird« und schließlich als Nr. 9 der Schlusschor »Jauchzet Gott alle Lande«, selbstredend mit allen Kräften. Nach dem Festgottesdienst bewegte sich die Prozession in gleicher Ordnung von der Stadtkirche zum Schloss zurück. Dort, vor der Schlosskirche, gab es für die städtischen Beteiligten quasi eine Abschlusskundgebung. Ein Hofbeamter ermahnte sie zu weiterem konsequentem Gehorsam und versprach im Gegenzug den Schutz des Landesherrn, insbesondere für die Rechte der Handwerksinnungen. Jedes Schulkind erhielt als Dank und Ansporn einen Katechismus, eine Brezel und einen Groschen. Wir wollen hoffen, dass das individuelle Feiern am Rest des Tages bei der städtischen Bevölkerung nicht zu kurz kam. Denn der Hof feierte noch sechs Tage weiter. Die Hoffeierlichkeiten waren dabei durchaus keine wilden Gelage, auch wenn Essen und Trinken, Unterhaltung und Tanz ganz gewiss eine große Rolle gespielt haben werden. Evangelisch-christliche Beschaulichkeit stand im Zentrum. Und der alte Rang Weimars als Hort der Reformation wurde beschworen, baute sich doch darauf die Reputation auf, die man als kleines und machtloses Staatswesen auch nach dem großen Krieg weiter behaupten wollte und nun besser als zuvor behaupten konnte. Herzog Wilhelm  IV. von Sachsen-Weimar war für die Vergrößerung solcher Reputation ein sehr geeigneter Herrscher. Er regierte lange Jahrzehnte, war nach einer relativ kurzen militärischen Karriere mit der Erfahrung übler Niederlagen sehr dem zivilen Leben zugeneigt und kulturbesessen, insbesondere was das Sammeln von Büchern und Bildern betraf, war auch musikliebend. Nach dem Friedensfest von 1650 begann er endlich mit dem Wiederaufbau des 1618 abgebrannten Schlosses, das nach ihm dann »Wilhelmsburg« hieß. Die Sternbrücke daneben wurde 1651–1653 gebaut, der Welsche Garten entstand. Selbstredend kann man diese auffällige Bautätigkeit nach 30-jähriger Lähmung motivatorisch mit dem endlich erreichten Frieden verbinden, der nach mehr als hundertjährigem Ringen die reichsständische und protestantische Freiheit festgeschrieben hatte. Es gab für Wilhelm IV. allerdings noch eine zweite, direktere Motivation  : Er wurde nahezu gleichzeitig mit den Friedensfeiern Oberhaupt der »Fruchtbringenden Gesellschaft«. Das war mit großen Repräsentationspflichten verbunden. Wenn es etwa um die Aufnahme eines Reichsfürsten – wie 1658 des neuen sächsischen Kurfürsten – in den höfischen 48

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Orden ging, hatte es eine würdige Feier zu geben. Die Ruine von Schloss Hornstein wäre dafür auch dann ein denkbar ungeeigneter Hintergrund gewesen, wenn man im Roten oder im Grünen Schloss gefeiert hätte. Die »Fruchtbringende Gesellschaft«, nach ihrem Emblem  – der Kokos­ palme  – auch »Palmorden« genannt, war in den überaus spannungsreichen frühen 1620er-Jahren von Anhalter und Weimarer Fürsten begründet worden. Sie war gleichermaßen eine höfische sprachpatriotische Akademie im Sinne der Vorstellungen Wolfgang Ratkes wie ein kulturpolitisches Netzwerk und eine höfische Wertegemeinschaft gegen die übermächtige kaiserlich-katholische Vorherrschaft. Im Nachhinein wurde 1622 die Gründung symbolkräftig mit dem Jahr 1617 und Weimar verbunden  : einerseits eben mit der Centenarfeier der Reformation, andererseits mit dem Tod der Weimarer Herzogin-Witwe und langjährigen Regentin Dorothea Maria in diesem Jahr, der Mutter der Weimarer und Schwester bzw. Tante der Anhalter Gründer. Der Orden verband seine Mitglieder lediglich in einer »teutschherzigen« Haltung hinsichtlich Sprache und Tugendauffassung, nicht etwa zu übergreifendem gemeinsamem Tun. Aus heutiger Sicht war es damit ein Netzwerk mit Ermu­ tigungscharakter ohne Projektverpflichtung, eine durchaus wirksame und hochgeschätzte Akademie. Seit 1639 wurden vermehrt auch Bürgerliche in die Gesellschaft aufgenommen, die zu dieser Zeit 350 Mitglieder zählte. Mit Martin Opitz gehörte ihr schon seit 1629 ein deutscher Dichter von Rang an. Andreas Gryphius kam (als »Der Unsterbliche«) erst 1662 hinzu. Das erste Oberhaupt des Ordens, Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen, war 1650 gestorben. Als Nachfolger hatte er Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar bestimmt. Das lag nahe, da Wilhelm wie alle seine Brüder – unter ihnen der berühmte protestantische Feldherr Bernhard von Weimar oder der Gothaer Herzog Ernst der Fromme – zur Gründergruppe der Gesellschaft gehörte und ein Wechsel von der Anhalter zur Weimarer Linie anstand. Nach dem obligatorischen Trauerjahr kam 1651 das Archiv und mit ihm insbesondere das Gesellschaftsbuch (»Erzschrein«), in das alle Mitglieder mit Gesellschaftsnamen, Spruch und Wappen eingetragen waren, von Köthen nach Weimar und blieb hier bis 1667. Wie sein Vorgänger benötigte das neue Oberhaupt (er trug den Gesellschaftsnamen »Der Schmackhafte«) einen Sekretär für die anstehende Organisations- und Korrespondenzarbeit. Er fand ihn in Georg Neumark (1621–1681), einem als Dichter wie als Komponist und Gambenspieler hervorgetretenen Mann von 31 Jahren. 1652 wurde Neumark als Bibliothekar an den Weimarer Hof verpflichtet, im Jahr darauf Mitglied des »Palmordens« (»Der Sprossende«) und nach Bewährung als Sekretär schließlich 1655 »ErzDas »Friedens-Danckfest« von 1650 

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schreinhalter« der in dieser Zeit schnell wachsenden Gesellschaft (1662 etwa 800  Mitglieder). Nach heutigem Sprachgebrauch entspräche dies einem Generalsekretär, war jedenfalls ein Amt von hoher gesellschaftlicher Reputation. Mit solcherlei intensiver Erfahrung schrieb Neumark 1668  – im Jahr zuvor hatte er den Erzschrein nach Weißenfels weitergegeben – die Geschichte des Ordens unter dem Titel »Neu-Sprossender Teutscher Palmbaum« auf. Das prächtige Buch ist bis heute dessen wichtigste Überlieferung. Die Beziehung des eigenen Gesellschaftsnamens zum Werktitel lässt uns schmunzeln. Die Erinnerung an Georg Neumark ist in anderer Weise in einem der schönsten Kirchenlieder jener Zeit lebendig, in »Wer nur den lieben Gott lässt walten«. 1657 im Druck veröffentlicht, erscheint es uns als besonderer Ausdruck des lutherischen Weimar jener Zeit in der Tradition der Haltungen von Kurfürst Johann Friedrich, Lucas Cranach und Johann Walter. Noch heute ist es Teil des Evangelischen Kirchengesangbuches in Thüringen. Wie dort zu lesen, entstand es, nachdem Neumark 1641 auf einer Reise zur Universität Kiel überfallen und ausgeplündert worden war, dann aber eine Hauslehrerstelle fand. Es ist mitnichten das einzige Lied aus jener grauenvollen Zeit, das in starkem Maße Glaubensgewissheit verkörpert. Glaubensgewissheit war in jenen Kriegsjahrzehnten und danach eines der wenigen Güter, an das man sich klammern und das einen trösten und aufrichten konnte. Mit dem Berliner Kantor Johann Crüger (»Jesu, meine Freude«, in Zusammenarbeit mit Johann Franck 1650) oder mit dem wortgewaltigen Paul Gerhardt haben zwei etwas ältere (geboren 1598 und 1607) hochpotente Kirchenliedverfasser am meisten dazu beigetragen. Nichtsdestoweniger ist »Wer nur den lieben Gott lässt walten« ein Lied mit einer besonders kraftvoll durchschlagenden Melodie. Sie wurde 100 Jahre später noch mit anderen Texten verbunden (»Geht hin, ihr gläubigen Gedanken« 1742 und »Mir ist Erbarmung widerfahren« 1767), ohne dass die umgetexteten Lieder hinsichtlich der Kraft von Sprache und Gesamtausdruck dem Lied Neumarks gleichkommen, das aus einem anderen, ursprünglicheren Welt- und Glaubensverständnis gespeist erscheint. Dieses Verständnis, im damaligen Weimar wohl sehr zu Hause, vermag das Lied für uns in signifikanter Weise mit jenem »Friedens-Danckfest« zu verbinden, von dem oben die Rede war, wenn es auch in anderem Zusammenhang entstanden ist und lediglich durch seine letzte Ausformung und sein Veröffentlichungsjahr mit Neumarks Weimarer Zeit korreliert. Meine ganz persönliche besondere Wertschätzung des Liedes hängt zweifellos sehr mit seiner Einbeziehung durch Johann Sebastian Bach zusammen. Der verwendete es in seiner großartigen Weimarer Kantate BWV 21 »Ich hatte viel 50

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

Bekümmernis in meinem Herzen« als Cantus firmus des überaus wichtigen Chores Nr. 9 »Sei nun wieder zufrieden, meine Seele«. Über theologische und musikalische Zusammenhänge hinaus wendet sich Bach 1713 bzw. 1714 damit seinem 1681 in Weimar beerdigten Vorgänger als einem lutherisch geprägten Musiker und Gelehrten von Rang zu. An dessen Grab auf dem Jakobsfriedhof gleich neben dem Eingang von Westen her könnte er gestanden haben, bevor er am 6.  November 1713 mit der Hofkapelle die Einweihungsfeier der neuerrichteten Kirche mitgestaltete. Das war vier Wochen nach jenem Gedenkgottesdienst für Aemilia Maria Harreß in der Stadtkirche, bei dem jener Chor Nr. 9 eine herausragende Rolle gespielt haben dürfte. Ob er nun, zur Einweihung der neuen Friedhofskirche, ebenfalls erklungen sein mag  ?

Das »Friedens-Danckfest« von 1650 

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1662

6. 1662. EINE ÄR A ENDET

Am 17. Mai 1662 starb Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar. Er hatte seit 1626 regiert und sich nach seinem Rückzug von militärischem Engagement, das er in den frühen 1620er- und in den 1630er-Jahren auslebte, dem Sammeln von Büchern und Bildern gewidmet, also wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen zugewandt. 1651 wurde er Oberhaupt der »Fruchtbringenden Gesellschaft«, zu deren Gründern er 30 Jahre zuvor als »Der Schmackhafte« gehörte. Dies war zweifellos eine ebenso große Ehre wie Herausforderung, hatte er doch nun diesen großen protestantisch geprägten Ritterorden mit seinem Tugendkanon und sprachpatriotischem Akzent angemessen zu repräsentieren. Für die diesbezüglichen Empfänge waren geeignete Räume nötig. Räume waren schon immer eine symbolhaft aufgeladene Wesenheit. War es in solchem Sinne in den Jahren des großen Krieges ein eher geringes Problem, dass das Residenzschloss eine Ruine war und man in die benachbarten beiden Schlösser ausweichen musste, war dies nun ganz anders  : Es war Frieden und man hatte außerdem plötzlich Repräsentationsaufgaben wie seit über einem Jahrhundert nicht mehr. Kein Wunder also, dass »Der Schmackhafte« 1651 den Wiederaufbau seines Residenzschlosses engagiert angehen ließ  – seither war nur die Schlosskirche 1630 neu erstanden. Die nunmehrige »Wilhelmsburg« als nach Süden offene Drei-Flügel-Anlage wurde bis 1654 hinsichtlich des Ostund des Nordflügels weitgehend fertig. 1657/58 wurde die in den Ostflügel eingebundene Schlosskirche umgestaltet. Ein architektonisch auffälliges Moment in dieser Entwicklung ist, dass die beiden symbolhaft wichtigsten Räume Kuppeln erhielten  : der ebenfalls im Ostflügel befindliche Festsaal als Symbolraum der Herrschaft schon 1652 – er war verständlicherweise der erste Raum, dem man sich zuwandte – und die Schlosskirche als Symbolraum des lutherischen Glaubens 1657/58 im Rahmen ihres Umbaus. Kuppeln aber sind gleichzeitig als Himmels- und Lichtsymbole 52

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Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717)

wie als klangorientiert-akustische Besonderheiten hochinteressant, insbesondere wenn aus ihnen heraus musiziert wird. Sie exemplifizieren jedenfalls den Einfallsreichtum des Herzogs und seines Baumeisters Johann Moritz Richter d. Ä. Die umgestaltete Schlosskirche wurde am 28.  Mai 1658 neu geweiht und benannt. Der Chronist Johann Sebastian Müller schreibt 1701 dazu  : »Freytags / am Tage Wilhelmi / ist auf Herzog Wilhelms zu Weimar Anordnung und Befehl / die neu renovirte = und mit einem so kostbar = als künstlich gefertigten Altar und Predigt=Stuhl / so beedes über einander und unter einer schönen Pyramide stehet / wie auch einem herrlichen Orgel=Wercke gezierte Fürstliche Schloß=Kirche daselbst […] solenniter eingeweyhet / selbige der Weg zur Himmelsburg genennet […] worden.«20 Die Schlosskirche »Weg zur Himmelsburg«, kurz »Himmelsburg« genannt, lag im Südteil des Ostflügels und quer zu ihm, war etwa 12 Meter breit und 30 Meter lang, aber etwa 20 Meter hoch, mit dreigeschossigen Arkaden. Ein außergewöhnlicher Kanzelaltar bildete das geistliche Zentrum des Raumes. Der Architekt Christoph Pitzler berichtet 1704 dazu  : »Der altar und Canzel wahren auch sonderlich. denn unten steht ein tisch zum seiten 4 Palmbäume, drüber eine große Pyramide so von Laubwerck und Bilder durchflochten geschnitten oben eine gloria, unten wahr die Canzel, das Chor mit 2 positiven ginge hinder dem altar herumb.«21 Wie auch das Gemälde von Christian Richter zeigt  : ein Altartisch, darüber ein von Palmsäulen getragener Baldachin, darauf die Kanzel, dahinter der hohe Obelisk, in jenem Bericht als Pyramide bezeichnet. Hinter dem Altar verstärkten zwei Orgelpositive die Möglichkeit, von hier aus zu musizieren. Die weitaus eindrucksvollere Musiziersituation aber war durch einen Deckendurchbruch ermöglicht worden. Die Kirchendecke hatte nun eine rechteckige Öffnung mit einer umlaufenden Galerie und einer Kuppelkonstruktion darüber. Runde Fenster in der Kuppel gaben Licht. In diesem, als »Capelle« bezeichneten himmelnahen Raum der »Himmelsburg« war die Orgel eingebaut. Von hier zumeist musizierte die Hofkapelle. Sie muss damit wahrhaft umwerfende Wirkungen erreicht haben. Die Deckenöffnung zur Kuppel war mit einer Schiebedecke verschließbar, die wie die »Capelle« selbst bemalt war. »Der Orgel kam dabei zentrale Bedeutung zu. Situiert an der Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, symbolisierte sie die das Gotteslob verkündende Kirchenmusik als diesseitige Vertreterin der jenseitigen, göttlichen Engelsmusik. […] So wurde die Pyramide selbst zur Himmelsleiter, zum Aufstieg in die Kuppel mit der Orgel als dem Ort, der bereits auf das Jenseits verwies. Die Kuppel war Schnittstelle zwischen Himmel und Erde.«22 So Bernhard 1662. Eine Ära endet 

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Abb. 5  : Die Schlosskirche »Himmelsburg« nach ihrem Umbau 1658, 50 Jahre später Arbeitszentrum Bachs in Weimar. Gemälde von Christian Richter um 1660.

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Buchstab, der auch auf den Sinngehalt und die Funktion der symbolträchtigen Anordnung verweist. Wilhelm IV. hatte unter dem Chor eine Gruft einrichten lassen, bestimmt ausschließlich für sich und seine Ehefrau. Der »Weg zur Himmelsburg« war also seine ganz individuelle Grablege. Auf diese Intention verweist zudem eine Inschrift am Gebälk des Baldachins. Dazu wiederum Buchstab  : »Die Inschrift verdeutlichte die Vorstellung, die hinter der vertikalen Anordnung von Gruft, Altar, Kanzel, Pyramide und an oberster Stelle der Kuppel mit der Orgel stand  : Der Herzog stieg nach seinem Tode auf in den Himmel, dorthin, wo er – selbst durch sein Bauwerk gelobt – mit der himmlischen Musik in den ewigen Lobpreis Gottes einstimmen würde.«23 Eingeweiht an seinem Namenstag, sollten nach seinem Tod in der »Himmelsburg« zudem Gedächtnisgottesdienste gehalten werden. Auch für die erdgebundene Verewigung war also gesorgt. Die Kuppel über der »Himmelsburg« vollendete auch eine Dreieinheit von musikalisch-akustisch geprägten besonderen Räumen in der »Wilhelmsburg«. Schon der Bau der Kuppel über dem Festsaal im September 1652 war von solchen Vorstellungen und Wünschen geprägt gewesen, wie selbstredend auch vom Wunsch nach dem Licht des Himmels durch obere Fenster und damit nach visuellen Effekten, die wir heute etwa aus dem Berliner Reichstagsgebäude kennen. Der Festsaal lag im nördlichen Teil des Ostflügels, zog sich über die beiden oberen Etagen und war durch die Kuppel quasi nach oben offen. Franz Philipp Florin schreibt 1719 zur klanglichen Funktion der Kuppel, sie sei so konstruiert, »daß ein völliger Music=Chor da herum über dem Saal gestellet werden kan / da dann der Schall sehr anmutig von der grossen Höhe auf die unten stehende Tafel herabfället. Man kan durch diese Oeffnung zwischen vielen übereinander stehenden Geländer=Gängen / biß in die oberste über das Dach erhabene / und von vielen Fenstern erleuchtete Kuppel sehen / in welcher ein fliegender an die Wind=Fahne angemachter Engel die Winde zeiget.«24 Inmitten des Festsaales gab es zudem die Möglichkeit, einen Schacht nach unten zu öffnen und so Musik von dort zu hören. Der dritte jener besonderen Räume war der »Echonica«-Raum im Turmaufsatz des Nordflügels, in dem verblüffende Echo-Effekte erzeugt werden konnten. Ganz zweifelsfrei hatte der Wiederaufbau des Schlosses erhebliche Auswirkungen auf die Hofkapelle. Neue akustische Möglichkeiten bedurften der klang­lichen Realisation. Größere Räume und höhere Repräsentationspflichten verlangten nach einem größeren, klangintensiveren musikalischen Ensemble. Im Jahre 1640 hatte die Kapelle (jenseits der privilegierten Gruppe der Trompeter und Pauker) aus je einem Bassisten, Lautenisten, Theorbanisten, Violi1662. Eine Ära endet 

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nisten und »Instrumentisten« sowie sieben sehr gering bezahlten Kräften bestanden – zwei Discantisten, einem Altisten und vier Lehrlingen. Hinzu kam der 1630 für die neuerrichtete Schlosskirche angestellte Hoforganist Andreas Oswald  d. Ä. mit dem größten Salär, was darauf hindeutet, dass er auch die Leitungsaufgaben von Conrad Günther übernommen hatte. Die neue Situation der frühen 1650er-Jahre verlangte nun noch mehr als bisher nach einem eigenen Hofkapellmeister  ; seit Scheins Abgang nach Leipzig 1616 war die Position unbesetzt geblieben. 1652 wurde Adam Drese (1620–1701) dafür gewonnen, im gleichen Jahr wie Georg Neumark für den »Palmorden«. Die schließliche Entwicklung der Hofkapelle zur Besetzung von 1662 hin ist bemerkenswert  : Sieben Trompeter und ein Pauker, der Hofkapellmeister Drese, der Hoforganist »Ußwalt« (Andreas Oswald d. J.) und 17 Musiker sind hier verzeichnet. Hinzu kam eine mit jährlichem Salär gestützte Mitwirkung von Stadtpfeifer und Stadtorganist, durch die es gut möglich war, bei Bedarf alle höfischen und städtischen Kräfte zu bündeln. Wie in der Trauerwoche im Juni 1662 geschehen. Es sollte sehr lange dauern, bis in Weimar eine solche Besetzung von etwa 30 professionellen Musikern wieder erreicht wurde. Wir finden sie erst 1781 im Zusammenhang mit dem neu erbauten Komödienhaus, dem Vorgängerbau des heutigen Deutschen Nationaltheaters. Vorhergegangen war da im Mai 1774 der vernichtende Brand der »Wilhelmsburg«, mit dem auch der Festsaal und die »Himmelsburg« in Schutt und Asche gefallen waren. Der besetzungsmäßige Aufwuchs der Hofkapelle in den 1650er-Jahren korrespondierte ähnlich wie eben dann wieder 1780/81 für das neue Komödienhaus mit den räumlichen Gegebenheiten der neuerbauten »Wilhelmsburg«. Zur Entwicklung des Musiklebens an seinem Hof um 1650 hatte Herzog Wilhelm  IV. offenbar klare Vorstellungen und Ziele. Sein Gewährsmann dafür war der größte Musiker des Jahrhunderts, Heinrich Schütz in Dresden, sein Vorbild dessen dortige Hofkapelle. Davon zeugt das »Danklied« SWV  368 (»Fürstliche Gnade zu Wasser und zu Lande«) von 1647, eine Auftragskomposition, die Schütz zum Geburtstag der Weimarer Herzogin Eleonora Dorothea verfasst und am 12. Februar 1647 selbst in Weimar zur Aufführung gebracht hatte. Auch eine persönliche Einladung spricht für das sehr gute Verhältnis zwischen Herzog und Komponist. Mit ihr bat der sehr selbstbewusste Dresdener Hofkapellmeister am 21. Dezember 1647 Herzog Wilhelm bzw. dessen Entsandten zur Hochzeit seiner Tochter Euphrosyne, die am 25. Januar 1648 in Dresden stattfand. Im Februar 1647 war Schütz mehr als eine Woche in Weimar  ; erst am 15. kehrte er über Weißenfels nach Dresden zurück. Dabei 56

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wird er keinesfalls nur mit der Aufführung des »Dankliedes« am 12. zu tun gehabt haben. Weitere Werke von ihm werden unter seiner Leitung erklungen sein, gerade auch weltliche, von denen ja die allermeisten nicht überliefert sind. Und er wird Herzog Wilhelm hinsichtlich des weiteren Aufbaus seiner Hofmusik ebenso beraten haben wie er das für mehrere andere Höfe u. a. in Celle und Wolfenbüttel auch getan hatte. Schon im Juli 1647 war Schütz schon wieder in Weimar. Spezieller Anlass war die Rückkehr des Erbprinzen Johann Ernst aus Frankreich und Italien. Dies wurde gefeiert, gewiss auch mit Schütz’ Musik – wozu sonst sollte er die beschwerliche Reise auf sich genommen haben. Von diesen Besuchen dürften Überlegungen ausgegangen sein, die dann zur Wiederbesetzung der Hofkapellmeisterstelle 1652 führten. Es gibt klare Belege dafür, dass hinsichtlich Musik am Weimarer Hof die anderthalb Jahrzehnte zwischen 1647 und 1662 sehr im Zeichen des großen Henricus Sagittarius standen. Zum einen enthält das Notenverzeichnis der Hofkapelle von 1662 einen großen Anteil an Schütz’schen Werken, zum anderen hatte Herzog Wilhelm den dringenden Wunsch, der Leistungskraft der Dresdener Hofmusik in Weimar zumindest näherzukommen. Bei gegebener Gelegenheit instruierte er seinen neuen Hofkapellmeister sehr genau, deren Verhältnisse zu erkunden. Vor allem auf Hochzeiten entfalteten damals die Höfe alle ihre – auch künstlerischen – Möglichkeiten. Am 11. Oktober 1652 heiratete die Tochter des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. und Witwe des dänischen Kronprinzen, Magdalene Sybille, den Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Altenburg. Schütz war mit seiner Hofkapelle selbstredend dabei. Der Weimarer Prinz Johann Ernst hatte seinen Vater in Altenburg und Dresden zu vertreten. Er wurde vom Hofkapellmeister, dem Hofmaler und einem Feuerwerker begleitet. Herzog Wilhelm ließ ihnen ein Memorial mit vielen Fragen mitgeben, die sie ihm anschließend schriftlich zu beantworten hatten. Drese hatte sich mit den Fragen 9–17, 31 und 32 zu beschäftigen. Zu deren Verständnis ist nötig zu wissen, dass es in Dresden inzwischen zwei mehr oder weniger rivalisierende Kapellen gab  : die noch immer relativ kleine Kurfürstliche Hofkapelle unter Schütz’ Leitung und die des Kurprinzen Johann Georg, der dann Ende 1656 als Johann Georg II. seinem Vater nachfolgte  ; diese andere Kapelle stand unter der Leitung des 1650 nach Dresden gekommenen hochgebildeten und musikalisch vielseitigen Kastraten Giovanni Andrea Bontempi. Die Aufgabenstellung des Weimarer Herzogs an Hofkapellmeister Adam Drese enthielt folgende Fragen  :

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»9. Capelmeister Schützen S. f. gn. gnd. gruß zu vermelden und eigentlich zu erfahren, wie starck von Persohnen, und wer dieselben in des Churfürsten Capel und music. 10. Wie starck die Musik beym Chur-Printzen Und wer die Persohnen sein. 11. Wer iede Music dirigiret, und was Sie vor Instrumenta brauchen, auch wie viel vocalisten bey einem ieden Corpore. 12. Was und wie viel personen der Churprinzen Commedianten Und was vor nation sie sein, 13. Wer dirigiret bey den maschinen und comedien und wie viel tanzmeister, 14. Ob sich außer denselben auch noch frembde Musicanten und Comedianten itzo aldorten befinden. 15. Und wie viel Trompeter der Churfürst von Sachsen hat. NB. Wegen der Sonaten und anderer Stücke, so Sie blasen. 16. Wie viel der Chur- und andere Prinzen Trompeter haben. 17. Welche Trompeter bey wehrenden beylager zu Tisch geblasen Und wie viel Heerpaucken allezeit dorzu gebraucht wordenn. […] 31. Nach dem Trompeter zufragen, welcher I. f. g. Windbüchse in Hollandt gemachet. 32. Ob ein sehr guter Orgelmacher, welcher was sonderliches praestiren könte al­ dorten. NB. Dieses von Capelmeister Schützen zu erfragen.«25

Vier Jahre später, im Jahr 1656, hatte Drese dies in einer eigens dafür veranlassten Reise nach Dresden zu vertiefen. Ein Brief des Herzogs an Schütz ersuchte den Dresdener Hofkapellmeister, seinem Weimarer Kollegen bei aller Musik Zutritt zu gewähren  : »[…] weil uns aber wichtige ursach darvon abhalten und euch unsere zur music tragende begierdte gar wohl bekandt alß ersuchen wir euch hierdurch in gnaden ihr wollet an euwerm wohlvermögendem orthe obermelthen unßerem Cappel direktor einen Zutritt zur Musik und anders mehrs damit unß er von solchen in einem und andern mündlichen unterthenigen bericht erstatten möge.«26 Schon 1653 hatte Drese in ähnlicher Mission die jungen Prinzen auf einer Bildungsreise nach Süddeutschland begleitet und am 3. Juli dem Herzog aus Regensburg über die Musiksituation in Coburg, Bamberg, Nürnberg und Regensburg berichtet, später noch zu München, Augsburg und Heidelberg. Auch der als Reiseführer fungierende Kammerherr Heinrich von Schwechhausen, 1651–1655 erster Weimarer »Erzschreinhalter« des »Palmordens«, hatte zu berichten. Aus Regensburg schrieb der am 30. Juni nach Weimar u. a.: »Her58

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nach schickte Herzog Julius Henrich einen vom Adel zue den Prinzen und ließ sie zur abendmahlzeit einladen […] und wurden wir von hochgedachten Hertzoge und der gemahlin sehr höflich empfangen und wohl traktiret, die Trompeten, Zinken, schallmeyen, haben nicht gefeyert und die kleinen Heydukken dantzen, aufm Kopfe müssen stehen, luftsprünge, purtzelbäume machen, sich schmeißen, singen, ein junger beer tantzen etc. alles bund durcheinander […]«27 – ein offenbar kulturell sehr abwechslungsreicher instruktiver Abend am 28. Juni 1653. Bei aller Belustigung  : Drese konnte sich gründlich umschauen. Für die Entwicklung der Hofkapelle noch wichtiger als solche vorbildhaften Eindrücke war gewiss, dass Drese Musikalien einkaufen durfte. Der Ankauf von gedruckten Musikalien an den dafür längst existierenden Handelsplätzen und das Abschreiben nicht gedruckter Partituren waren neben eigenem Komponieren eben die Basis für ein breites gehaltvolles Aufführungsrepertoire. Ohnehin notwendige Reisen wurden oft genutzt, um auch über Mittelsmänner Musikalien zu erwerben. So wird in jener Zeit von der Reise eines Weimarer Gewährsmannes 1660 nach Venedig berichtet, der dort neue Noten von Johann Rosenmüller erwarb. Das zur Auflösung der Kapelle nach dem Tod Herzog Wilhelms 1662 von Drese angelegte Verzeichnis »Musicalischer Stükke« spiegelt das quantitativ wie qualitativ große Repertoire der Hofkapelle, vor allem mit Werken deutscher Komponisten aus der ersten Jahrhunderthälfte – überragend der Anteil Schütz’scher Kompositionen – und neuer italienischer Vokal- und Instrumentalmusik. Auch ein Instrumentenverzeichnis lieferte Drese zum gleichen Zeitpunkt  : »Verzeügnüs in hiesige Weimarische Capell gehörige, instrumenta. / 1.  Das Kirchen Positiv / 2. Ein groß 16 füßiges Regal, so in der Kirche steht. / 3. Das Regenspurgische Positiv […] / 4. Das Eysenachische Positiv. sobey der ufwartung gebraucht worden. / 5. Ein altes Regal. / 6. Ein groß Clavicymbel / 7. Ein groß Spineth, / 8. Zwey große Violon / 9. Zwey Baß Violen / 10. Drey Violda Braccio / 11. Zwey Erffurtische Violinen, undt zwey von Größling. / 12. Drey Tromboni. / 13. Ein Baß Pommerth. / 14. Ein Baß Fagott. / 15. Ein Kleiner Fagott. / 16. Zwo Tenor Violdagamba / 17. Ein Alt Violdagamb. / 18. Ein Discant Violadag  : / 19. Zwey stille Zinken / 20. Ezliche Pfeiffen / 21. Das große Pandor. / 22.  Die große Harffe. / Adam Drese / Capellmeister, Weimar d. 4  July Ao. 662.«28 Die herzogliche Instrumentenkammer war gut bestückt, die Hofkapellisten hatten also Zugriff auf eine breite Palette von ergänzenden Instrumenten. Ein Nachtrag zwei Tage später listet sieben weitere Instrumente auf, dabei »Zwey 1662. Eine Ära endet 

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große Baß Zinkken« und »Drey querflöten«29, ergänzt von der Protokollnotiz, Herzog Wilhelm habe Drese eine große »helfenbeinerne laute« geschenkt und vom neuen Herzog habe er zum Abschied fünf Instrumente und mehrere Notenbände erhalten. Ein drittes Verzeichnis weist unter Dreses Leitung aufgeführte Werke nach, auch die eigenen, und verdeutlicht, dass die im Musikalienverzeichnis gelisteten Kompositionen tatsächlich musiziert wurden, zumindest insoweit wir dies jenseits der Sammelband-Bezeichnungen einiger Noten feststellen können. Kirchenmusik dominiert. Das ist deshalb nicht verwunderlich, weil sie bevorzugter Gegenstand genauerer Überlieferung war  – sie war nicht einfach nur Musik, sondern mit dem Wort Gottes direkt oder indirekt verbunden, mit Glaubensaussagen als einem Kern damaligen Lebens. Nichtsdestoweniger dürfte die Hofkapelle auch im weltlichen höfischen Leben intensiv eingesetzt gewesen sein. Konkrete Spuren davon existieren vor allem in Berichten über Feste und Feiern, wie etwa über den Besuch des neuen sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. am 18. August 1658 mit seiner Aufnahme in die »Fruchtbringende Gesellschaft.« Besondere Höhepunkte des höfischen und eben auch musikalischen Lebens – neben Hochzeiten – waren Geburtstage und Begräbnisse. In Weimar folgten diesbezüglich 1662 zwei Feiern kurz nacheinander. Am 11.  April feierte der Hof den 64.  Geburtstag des Herzogs, am 17.  Mai starb Wilhelm  IV., und es folgte eine Trauerwoche vom 17. bis 23. Juni. Zentrales Huldigungsmoment am Geburtstag war ein »Politisches Gesprächsspiel oder Theatralische Vorstellung eines Weisen und zugleich Tapfern Regenten« von Georg Neumark, von dem allerdings zu vermuten ist, dass es nicht theatralisch aufgeführt, sondern nur in einer anderen Weise vorgestellt wurde. Die gedachten Aktionen und Attraktionen des Gesprächsspiels beschreibt Neumark selbst in einem »Kurtzen Entwurf und Inhalt des Theatralischen Gesprächsspiels« so  : »Demnach die Heerpäucker und Trompeter angefangen sich hören zu lassen, worein zugleich eine Lösung etlicher Mußketen oder Stükke angeordnet werden kan, eröffnet sich das fördere Theatrum und wird also das Perspectiv der Gegend Weimar mit seiner Wilhelmsburg und Großen Ilmbrükken vorstellig gemacht. Darauf kömmet Mars mit einem blanken Küraß und andern schönen Kriegskleidungen angethan, heraus, ihm folgen etliche Soldaten, welche sich auf eine Seite nach der Reihe stellen und fänget ermeldter Kriegsgott, mit dieser Fragrede an  : So were denn dieß die alte Hornsteinische Provintz  ? Der Sitz der Weltberühmten Sachsen  ? Die Mutter so vieler tapferer Helden  ? Er vermerket fast, als entsetzeten sich gegenwärtige 60

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Zuschauer wegen seiner Ankunft  : Sie solten aber nicht meinen, daß er den Frieden wieder zuzerstöhren und einen neuen Krieg zu erwekken, sich vor dießmahl eingestellet […]«  – er wolle Wilhelm  IV. nur zum Geburtstag gratulieren, als einen »seiner liebsten Söhne«, der »in seiner Jugend so vielfältige Opfer der Tapferkeit sehen lassen«, er habe daher »gleich andern, seinen wohlgemeinten Glükkwunsch abzugeben. Mit diesem wird eine liebliche Musik gehöret und eröffnet sich darauf der Parnaß mit seinen musicirenden Musen sammt der Pallas und Apollo in wohlgesetzter Ordnung.« Apollo und Mars führen dann eine Streitrede über die »Fürstlichen Gaben« des Herzogs  : Liegen sie im Führen der Waffen oder im Fördern der »freyen Künste«  ; Pallas mischt sich ein und entscheidet für ein Sowohl-als-Auch. »Worauf Sie sich alle drey eines madrigalischen Glükkwunsches vereinigen und von denen Musen mit künstlich eingemischten Instrumenten absingen lassen. Pallas aber schlägt nach diesem vor, […] man solte auf ein beständiges Denkmal bedacht sein. Giebt vor, Sie hätte bereits eine Ehrenpforte fertigen lassen […] Hieraus erklähret sich Apollo, zur rechten Seiten der Pforte eine Flammsäule der Kunstliebe, Mars aber zur linken dergleichen Ehrensäule zum Gedächtniß der ritterlichen Gaben, beyfügen zu lassen. Worauf sie alle mit den ihrigen abtreten, und wird das Theatrum, so wohl hinten als vorne zugezogen, worbey sich die Trompeter und Heerpäucker hören lassen. Nach diesem eröffnet sich der Schauplatz wieder und wird das gantze Ehrenwerk, anmutig vor Augen gesetzet. Indem nun dieses Ehrenwerk sich schauen läßt, kömmet Fama aus den Wolken herabgeflogen und singet dem Hertzoge zum Ruhme, in die verborgene Instrumente ein Lied ab, nach dessen Endigung Sie sich wieder in die Höhe erhebt, davon fleugt und also des Werks ein Ende machet, mit welchem auch das gantze Theatrum unter dem Trompetenblasen zugezogen und beschlossen wird.«30 Was Fama dem »Hertzoge zum Ruhme« singt, ist ebenso bekannt wie das Schlussbild des Gesprächsspiels. Neumark nahm beides in seinen »Neu-Sprossenden Teutschen Palmbaum«, also in seine Geschichte der »Fruchtbringenden Gesellschaft« von 1668 auf, das Schlussbild als eine der Illustrationen, das Lied mit seinen zehn Strophen als sein Loblied auf den »Schmackhaften«. Das Gesprächsspiel war zum Geburtstag am 11.  April 1662 im Druck erschienen und dem Herzog vom Autor überreicht worden. Fünf Wochen später, am 17. Mai, starb Wilhelm IV. Noch am Tag zuvor hatte er eine schlichte Begräbnisfeier ohne die übliche repräsentative Leichenprozession verfügt. Mit dieser seiner erstaunlichen Absage an den besonders prestigeträchtigen Akt von hoher politisch-zeremonieller Bedeutung stellte er sich quasi an die Seite 1662. Eine Ära endet 

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Abb. 6  : Ehrenpforte für Wilhelm IV. als Huldigung zum 64. Geburtstag  : Pallas in der Ehren­ pforte, darüber Wilhelms Konterfei, links Apollo, rechts Mars, Fama singend ganz oben.

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seines Bruders Ernst in Gotha. Herzog Ernst der Fromme hatte dort ein hinsichtlich höfischer Repräsentation sehr karges Regiment bei strenger lutherischer Durchdringung allen Lebens eingeführt und durchgesetzt. Vom Tag des Todes an sangen nun einen Monat lang täglich um 15 Uhr unter fortwährendem Läuten der Glocken »acht Schüler in schwartz gekleidet und mit Flor versehen ein paar Toden Lieder vor dem Gewelbe, worinnen die Fürstl. Leiche die 30 Tage über gestanden«. In der Trauerwoche vom 17. bis 23. Juni wurde sie im Festsaal des Schlosses aufgebahrt, unter einem »schön ausgeputzten Himmel« und Tag und Nacht u. a. von vier Trompetern bewacht. In den in dieser Woche täglichen Trauergottesdiensten musizierten Hofkapelle und Stadtkantorei das passende Repertoire um die sieben Trauerpredigten herum, die von herausragenden Persönlichkeiten gehalten wurden. Am Nachmittag des 24. Juni war die Beisetzung. Eine Prozession von der Schule zum Schloss, wie verfügt allerdings ohne Leiche, vereinte alle Schüler und Lehrer mit dem »gesamten Ministerio«. Wie bei der Prozession am Friedensfest zwölf Jahre zuvor sangen sie dabei, diesmal natürlich Begräbnislieder, die Kantorei im Schlosshof dann die Motette »Ich will schweigen«. Bei »wehrendem musiciren«31 betraten alle die Schlosskirche zum letzten, dem achten Trauergottesdienst, zu dem der verstorbene Herzog aus dem Festsaal herübergetragen worden war. Schließlich wurde Wilhelm IV. im für ihn 1657/58 neuerbauten Grabgewölbe unter dem Altar der Schlosskirche beigesetzt und, begleitet von Gesängen und dem Läuten aller Kirchenglocken über Schloss und Stadt, das Gewölbe verschlossen. Eine Ära war zu Ende. Sein Sohn und Nachfolger Johann Ernst II. interessierte sich vor allem für die Jagd und wenig für die Künste. Erst der älteste Enkel Wilhelm Ernst, im Todesjahr seines Großvaters 1662 geboren, knüpfte wieder an dessen Vorlieben und an die Haltungen seines Großonkels Ernst des Frommen an, wie sein Großvater in einer mehr als 40-jährigen Regierungszeit. Das war dann der seine beiden Namen als Verpflichtung nehmende »Bach-Herzog«, dem im musikhistorischen Diskurs eine positiver differenzierende Bewertung zu wünschen wäre als die eines absolutistischen Kerkermeisters Johann Sebastian Bachs.

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7. VOM »LAQUEY« ZUM HOFORGANISTEN  : JOHANN SEBASTIAN BACH 1703 UND 1708

Johann Sebastian war 18, als er zwischen Schule und erster gravierender beruflicher Anstellung Weimar näher kennenlernte. Ein halbes Jahr lang, von Januar bis Juli, arbeitete er hier als Musiker. Dann ging er nach Arnstadt, wo die weitverbreitete Thüringer Musikerfamilie der Bachs seit langem ein Zentrum ihres Wirkens hatte. Es zog ihn an die Orgel, die seit 1701 in der Neuen Kirche errichtet wurde. Von Weimar herüberkommend, durfte er sie Ende Juni 1703 begutachten und anschließend das Einweihungskonzert spielen. Daraufhin wurde er engagiert. Welch überaus ungewöhnlicher Vorgang  : Ein 18-jähriger Musiker ohne irgendwelche Amtswürden – die des Weimarer Hoforganisten wurde ihm wohl sicherheitshalber angedichtet  – hatte eine große und teure neue Orgel abnehmen dürfen. Und wurde auch noch angestellt. Bach war im März 1685 in Eisenach als siebentes und jüngstes Kind des dortigen Stadtmusikers Johann Ambrosius Bach geboren worden. Vater und Mutter waren mit Anfang 40 schon in fortgeschrittenem Alter. In Eisenach und nach dem Tod der Eltern 1694 und 1695 beim ältesten Bruder in Ohrdruf war er aufgewachsen. In Lüneburg hatte er Gymnasium und musikalische Ausbildung 1700–1702 beendet. Eine Bewerbung als Organist in Sangerhausen war nicht erfolgreich gewesen, die Orgel in Arnstadt aber noch nicht fertig. So ging er nach Weimar, wo schon sein Großvater um 1640 in der Hofkapelle des musikliebenden Herzogs Wilhelm IV. musikalisch gedient hatte. Angestellt wurde der Enkel als »Laquey«, also als niederer Hofdiener, und zwar am Hof des Herzogbruders Johann Ernst  III. Wie sein älterer Bruder Wilhelm Ernst war er 64

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sehr musikliebend, ähnlich dem Großvater Wilhelm IV., dem beide nacheiferten. Ihr Vater hatte endlich verfügt, dass das längst kleine und schwache Land bei Erbfolge nicht wie bisher weiter aufgeteilt werden dürfe. Also regierten die Brüder seit 1683 zunächst gemeinsam, vertrugen sich dabei allerdings in alter ernestinischer Tradition überhaupt nicht. Nach jahrelangem Machtkampf behielt Wilhelm Ernst 1694 die Oberhand. Johann Ernst entwickelte sich zum Hallodri, Grobian und Trunkenbold und starb 1707. Dies war 1703 Bachs Chef. Er residierte im 130 Jahre alten Roten Schloss, dem Renaissancebau gegenüber der Wilhelmsburg. Bach gehörte zu drei, vier Musikern, die dem Herzogbruder musikalisch aufwarteten, er insbesondere als Geiger und Cembalist. Das Kammerensemble Johann Ernsts war nicht Teil der Hofkapelle. Selbstverständlich aber hatte Bach enge kollegiale Kontakte zu den Hofkapellisten, insbesondere zum Hoforganisten Johann Effler und zum eminent interessanten Geiger Johann Paul von Westhoff, der eben das Violinspiel revolutionierte. Überhaupt war die Hofkapelle um 1700 keinesfalls ein hinsichtlich ihrer Qualität unterklassiges Ensemble. Im Gegenteil  ! Nach dem Tod des Großvaters Wilhelm IV. im Mai 1662 vom Sohn aufgelöst, hatten es die Enkel nach dem Tod des Vaters 1683 sofort neu begründet. Sie bestellten den Vetter und Schüler des einstigen Hofkapellmeisters Adam Drese, den Jenaer Hoforganisten Johann Samuel Drese (1644–1716) zum neuen Hofkapellmeister und stellten zwei Sänger und zwei Violinisten ein. Dies waren die neuen Kräfte, die zu denen hinzukamen, die in den Jahren zwischen 1662 und 1683 das musikalische Leben im Schloss und insbesondere in der Schlosskirche aufrechterhalten hatten – die kleine Gruppe der Trompeter sowie der Hoforganist und der Hofkantor mit acht Kapellknaben. Genau besehen war also die hofkapelllose Zeit lediglich eine ohne Hofkapellmeister und musikalische Spezialisten gewesen. Auf die kam es aber eben an. Mit den Qualitätsansprüchen der Herzogsbrüder veränderte sich das Ensemble weiter  : Die Kapellknaben wurden durch professionelle Sänger ersetzt, die allesamt auch instrumental einsetzbar waren. 1702, am Vorabend des Bach-Halbjahres 1703 in Weimar, bestand die Hofkapelle aus sieben Sängern – zwei Diskantisten, je einem Falsettisten, Altisten und Tenoristen sowie zwei Bassisten  –, drei Violinisten und einem Fagottisten, dem Hofkapellmeister, dem Vizekapellmeister, dem Hoforganisten, sieben Trompetern und einem Pauker, also aus 22  Musikern, nur fünf weniger als 1662. An dieser Quantität änderte sich in den folgenden drei Jahrzehnten wenig. 1708 entfielen ein Sänger und der Fagottist. 1716, gegen Ende des Weimarer Bach-Jahrzehnts 1708–1717, waren es Hofkapellmeister, Vizekapellmeister, Hoforganist bzw. Konzertmeister, sechs Sänger, fünf Geiger und ein Vom »Laquey« zum Hoforganisten 

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Violoncellist. Wiederum kamen Trompeter und der Pauker dazu. Nach wie vor waren zu besonderen Festlichkeiten Ergänzungen über den Stadtmusiker und den Stadtkantor möglich. Einige Hofkapellisten verstärkten ihre Bezüge durch nichtmusikalische höfische Tätigkeiten, etwa als Kammersekretär, Prinzen-Informator und Pagen-Hofmeister, aber auch Brunneninspektor oder Fourier. Insgesamt gesehen ein kleines professionelles Ensemble, das gut aus der Kuppel der »Himmelsburg« herab zu musizieren vermochte. Zwei der Hofkapellmitglieder, die der junge Bach 1703 kennenlernte, waren ganz außergewöhnlich gute Musiker  : der Vizekapellmeister Georg Christoph Strattner und der Geiger, Kammersekretär und Sprachmeister Johann Paul von Westhoff, der erstere ein Gesangsspezialist und erfahrener Kapellmeister, der andere ein Musiker mit ganz weitem Horizont und hochrangiger Geiger, dessen Doppelgriffspiel die klanglichen Möglichkeiten des Violinspiels gerade revolutionierend erweiterte. Strattner trat als Kantatenkomponist für die sonntägliche Kirchenmusik in der Schlosskirche hervor, Westhoff als Komponist von Werken für Violine solo bzw. mit Generalbassbegleitung. Dass beide in Weimar am Ende ihres Lebens anlandeten, war für Weimar gewiss von glücklicherer Bedeutung als für sie selbst. Strattner (1644–1704), nach Jahren in der Stuttgarter Hofkapelle von 1666 bis 1682 Kapellmeister in Durlach und von 1682 bis 1692 an der Barfüßerkirche in Frankfurt a. M., war wegen Ehebruchs mit einer Dienstmagd von dort verstoßen worden. 1694 wurde er als Tenorist am Hof Johann Ernsts in Weimar eingestellt und unterstützte ab Oktober 1695 als Vizekapellmeister den oft kranken Hofkapellmeister Drese. Sein Vorgänger in dieser Funktion, der Gambenvirtuose August Kühnel, war als Hofkapellmeister nach Kassel gegangen. Westhoff (1656–1705) wirkte ab 1699 in Weimar. Zuvor war er jahrzehntelang Geiger der Dresdener Hofkapelle und Sprachlehrer sächsischer Prinzen gewesen, ab 1698 Professor für neuere Sprachen an der Universität Wittenberg. Als Violinvirtuose war er vom Pariser wie Wiener Hof hoch geehrt worden. Im Übrigen blieb Strattner neben seiner Vizekapellmeisterfunktion in der Hofkapelle weiterhin Tenorist und Kanzlist am Hof Johann Ernsts  III., war also direkter Kollege des 18-jährigen Bach im Kammerensemble dieses Hofes. Als solcher dürfte er Bach auch über seine Opern berichtet haben, die er wenige Jahre zuvor im eigens dazu errichteten »Opern-Haus in der Fürstl. Residenz« aufgeführt hatte. Im Erdgeschoss des Ostflügels des Schlosses war unter dem Festsaal ein etwa 22 mal 8  Meter großer Theaterraum mit einer großen Loge auf einem umlaufenden Balkon entstanden, errichtet von dem erfahrenen Theaterbaumeister Girolamo Sartorio, der 1677 das Opernhaus 66

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am Hamburger Gänsemarkt und 1692/93 das Leipziger Opernhaus verantwortet hatte. Das Auftaktstück am 34. Geburtstag des Herzogs Wilhelm Ernst (19. Oktober 1696) dürfte dem damit gefeierten, uns etwas bigott anmutenden Herrscher gut gefallen haben. Es hieß »Von der denen lasterhaften Begierden entgegengesetzten tugendlichen Liebe«. Textautor war, wie auch hinsichtlich der drei Opern in den nächsten Jahren, der Hofpoet Johann Christoph Lorber. Es diente, wie ähnliche Stücke Jahrzehnte zuvor im Gothaer Schloss Friedensstein unter Ernst dem Frommen, ganz der moralischen Erziehung des Hofes. Auch in anderer Weise folgte Wilhelm Ernst dessen Programm einer »Reformation des Lebens« mit einer radikalen Verkirchlichung des Alltagslebens und dem Durchsetzen scharfer Disziplin. Der Überzeugung folgend, der Hof müsse da beispielgebend für das Land wirken, war am Weimarer Hof sommers um neun, winters um acht Uhr Bettruhe befohlen, die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten ohnehin, selbst für das Militär. Herzog Wilhelm Ernst nahm die zweifache Verpflichtung seines Namens – nach dem Großvater und dem Großonkel – überaus ernst. Apart war jene Huldigungsaufführung dennoch, weil sich auch er keinesfalls immer an den gepredigten Tugendkanon hielt. Mit der Frau seines Kammerdieners Eichelmann hatte er mehrere Kinder  – Ergebnisse »tugendlicher Liebe« wohl kaum. Wobei er hinsichtlich der familiären Sphäre nicht zu beneiden war. 21-jährig hatte er 1683 eine knapp 14-jährige Jenaer Prinzessin geheiratet, ihm nahe verwandt und seit jeher spinnefeind. Nach einem halben Jahr ließ sie ihn endgültig sitzen, nachdem sie ihm jede eheliche Näherung versagt und mehrfach überaus deutlich mitgeteilt hatte, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Von daher mag seine Bigotterie so etwas wie eine Flucht-Frömmigkeit und seine ganz besondere Liebe zur Kirchenmusik auch kompensatorisch bedingt gewesen sein. Dies alles ist in unserem Zusammenhang allerdings nur insofern von Interesse, als es den Horizont hinter dem Weimarer Wirken Johann Sebastian Bachs 1703 und mehr noch 1708–1717 zu beleuchten imstande ist. Denn Bach, der 1703 die Weimarer Verhältnisse nur ein wenig erschnuppert hatte, kam 1708 nun »richtig« hierher, d. h. nicht mehr als »Laquey«, sondern zwei Ränge höher, als Hoforganist im Rang eines »Kammermusicus«. Und er war jetzt Mitglied der Hofkapelle, die eben in besser bezahlte »Kammermusici« und weniger gut entlohnte »Hofmusici« hierarchisch gegliedert war. Im Ensemble musizierten dabei alle mit, auch der Hofkapellmeister (zumeist vom Cembalo aus leitend) und der Vizekapellmeister, die beide ebenfalls »Kammermusici« waren. Vom »Laquey« zum Hoforganisten 

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Wir springen also von 1703 in das Jahr 1708. Bach war in der ersten Jahreshälfte 1708 wohlbestallter Organist an der Kirche Divi Blasii in Mühlhausen und junger Ehemann. Im Jahr zuvor, am 17. Oktober 1707, hatte er seine Cousine Maria Barbara Bach geheiratet. Ihr erstes Kind war inzwischen unterwegs. Im Juni 1708 gab Bach ein Konzert an der stark erneuerten Orgel der Weimarer Schlosskirche »Himmelsburg«. Daraufhin wurde er als Hoforganist in der Nachfolge Johann Efflers angestellt, dem er fünf Jahre zuvor gelegentlich assistiert hatte. Mühlhausen war verständnisvoll und verabschiedete ihn freundlich mit der legendär gewordenen Einsicht, er sei halt nicht aufzuhalten. Anfang Juli erfolgte der Umzug nach Weimar, am 29. Dezember war die Taufe der Erstgeborenen Catharina Dorothea. Der Amtsübergang selbst verlief beiderseits harmonisch. Für Mühlhausen kümmerte sich Bach um einen Nachfolger und verließ die dortige Orgel erst, nachdem einer seiner Cousins angestellt worden war. In Weimar hatte Johann Effler, inzwischen zunehmend altersschwach, zwar die aufwändige Erneuerung der Schlosskirchenorgel vorbereitet und beaufsichtigt. Für das Einweihungskonzert hatte er selbst aber Bach vorgeschlagen und einladen lassen. Dessen Spiel war glänzend. Ob der entzückte Herzog Wilhelm Ernst ihm sofort die Nachfolge Efflers anbot und der seine Pensionierung erst danach beantragte oder ob die Reihenfolge andersherum verlief, ist heute nicht mehr aufklärbar, jedoch auch insofern wenig von Belang, da Effler mit vollem Gehalt von 130 Gulden in den Ruhestand verabschiedet wurde. Bachs Gehalt betrug nun 150 Gulden plus Naturalien. Es war damit fast doppelt so hoch wie das in Mühlhausen – gut für seine wachsende junge Familie. Die Lage in Weimar hatte sich im Vergleich zu 1703 deutlich verändert. Bachs einstiger Chef Johann Ernst III. war 1707 gestorben. Dessen Sohn Ernst August war nun mitregierender Herzog und ein wesentlich schärferer Kontrahent seines regierenden Onkels Wilhelm Ernst (den er ganz offenbar hasste) als sein Vater in den letzten zehn Jahren hatte sein können. Die Hofkapelle gehörte zu beiden Höfen, worauf Ernst August viel mehr bestand als sein Vater. Ein Grundkonflikt mit erheblichem Belastungspotenzial. Auch hinsichtlich der künstlerischen Kräfte war vieles anders. Der 1701 nach Weimar gekommene Salomo Franck war zwar noch da, als Oberkonsistorialsekretär und Verfasser der Gelegenheitsdichtungen zu den Festen und Feiern des Hofes, die dann zumeist von Drese senior vertont wurden, die beiden namhaftesten Hofkapellmitglieder aber waren gestorben, Vizekapellmeister Georg Christoph Strattner 1704, Johann Paul von Westhoff 1705. Beide waren gelehrte Musiker gewesen und nicht nur ausgezeichnete Praktiker. In der Nachfolge Strattners 68

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unterstützte nun der Sohn des Hofkapellmeisters, Johann Wilhelm Drese, seinen oft kranken Vater bzw. vertrat ihn zunehmend. Seit 1707 Stadtorganist war Johann Gottfried Walther (1684–1747), ein entfernter Cousin Bachs. Man würde sehen, was aus dieser Situation entstehen würde. Die mögliche Konfliktlinie zeichnete sich aber schon bald ab  : Von 1703 her war Bach dem Hof des Neffen Ernst August verpflichtet, der allerdings mehr seinem zweiten Namen zu folgen und dessen sächsischem Träger nachzueifern schien, was bei den sehr begrenzten Weimarer Möglichkeiten schnell dazu führen konnte, dass man als Karikatur eines Barockfürsten zur Landplage wurde. Von seiner jetzigen Anstellung und kirchenmusikalischen Verankerung her war Bach auf den Onkel, auf Herzog Wilhelm Ernst angewiesen, der seine beiden Namen als dynastische Verpflichtung nahm, dies vielleicht aber übertrieb. Jedenfalls eine problemlastige Grundkonstellation.

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8 . EINE GLÜCKLICHE BACHFAMILIE 1714. UND 1717  ?

Es ist schön, sich die Familie Johann Sebastian Bachs 1714 – sagen wir im Juni 1714 – als eine glückliche Familie vorzustellen. Da waren drei kleine Kinder  : der Jüngste, Carl Philipp Emanuel, gerade ein Vierteljahr alt, dann der erstgeborene Sohn Wilhelm Friedemann, dreieinhalb, schließlich die Erstgeborene und Schwester Catharina Dorothea, inzwischen fünfeinhalbjährig. Die Zwillinge Maria Sophia und Johann Christoph waren kurz nach der Geburt im Februar 1713 gestorben, bei der damals hohen Säuglingssterblichkeit ein gewiss schwerer, aber keineswegs völlig unerwarteter Schicksalsschlag. Der festgefügte lutherische Glaube war in aller existenziellen Not hilfreich. Und umso wichtiger, dass das nächste Kind gut gedieh. Eben Carl Philipp Emanuel, zum Glück. Da war die Mutter Maria Barbara mit ihrer die Familienexistenz sichernden Kraft, da war ihre ledig gebliebene Schwester Friedelena Margaretha Bach, die wohl schon Ende 1708 zur Unterstützung der Schwester und werdenden Mutter nach Weimar gekommen war. Sie blieb, was durch die Ergebnisse der Volkszählung im März 1709 nachweisbar ist. Ja sie blieb bis zu ihrem Tod 1729 Mitglied dieser Familie, also auch nachdem ihre Schwester im Juli 1720 verstorben war und ihr Schwager sich im Dezember 1721 wieder verheiratet hatte. Und da war schließlich der Vater Johann Sebastian, der inzwischen sehr erfolgreiche Weimarer Hoforganist und neuerdings auch noch Hofkonzertmeister, mit einem erfreulich guten Einkommen, das ein auskömmliches Leben der Familie sicherte. Die Bachs wohnten im Weldig’schen »Freyhaus«, d. h. einem Mietshaus für Angestellte des Hofes, die kein eigenes Haus erwerben wollten oder konnten und das bis 1713 Adam Immanuel Weldig gehörte. Das Haus lag dem Eingang zum Roten Schloss direkt gegenüber und damit auch nahe zum Residenzschloss. 70

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Abb. 7  : Das Residenzschloss »Wilhelmsburg« von Süden.

Vater Bach brauchte nur wenige Minuten, um am Roten Schloss vorbei dorthin und zu seinem Hauptarbeitsort in der Kuppel der Schlosskirche »Himmelsburg« zu kommen. Die Bachs wohnten damit im ansehnlichsten Teil der Ackerbürgerstadt – unweit des Rathauses und der ihm nahen Patrizierhäuser und direkt am Schlösserdreieck mit Residenz-, Rotem und Grünem Schloss samt der sich nach Süden anschließenden Barockgarten-Anlage. Die Stadtkirche St. Peter und Paul als der geistliche Bezugspunkt der Familie war wenige Hundert Meter entfernt. Hauseigentümer Weldig war bis Anfang 1713 als Falsettist in der Hofkapelle unmittelbarer Kollege Bachs gewesen, dann allerdings an den für ihn offenbar lohnenderen Weißenfelser Hof gegangen und hatte sein Haus verkauft. Über Auswirkungen des Eigentümerwechsels auf die Bachs ist nichts bekannt, ebenso wenig über eventuelle Veränderungen im Haus. Die Hofkapelle, in der Bach als Hoforganist zum Führungstrio hinter Hofkapellmeister Johann Samuel Drese und Vizekapellmeister Johann Wilhelm Drese gehörte, hatte etwa 20  Mitglieder, darunter sieben Sänger und sechs Trompeter plus Pauker. Ergänzungen aus dem städtischen Bereich waren leicht möglich. Die Hofkapellisten konnten ähnlich ihrem Organisten Bach vielseitig eingesetzt werden, d. h. die Instrumentalisten auf mehreren Instrumenten und Eine glückliche Bach-Familie 1714 

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die Sänger auch instrumental. Mehrere Hofkapellisten nahmen auch weitere höfische Funktionen wahr. So war etwa Weldig auch Pagenmeister gewesen und hatte in der höfischen Hierarchie damit über dem Hofkapellmeister gestanden. Die Hofkapelle war beiden Höfen dienstbar, also sowohl dem des regierenden Herzogs Wilhelm Ernst im Residenzschloss »Wilhelmsburg« wie dem seines mitregierenden Neffen Ernst August im Roten Schloss. Wilhelm Ernst hatte zudem gerade drei auch für die Hofkapelle relevante Gebäude errichten lassen  – das (dann nach ihm benannte) Gymnasium neben der Stadtkirche 1712, die nach Abriss neu erbaute Jakobskirche als die Weimarer Friedhofskirche 1713 und das Jagdschloss in Ettersburg 1712, einige Kilometer nördlich der Residenzstadt gelegen. Nichtsdestoweniger war das Residenzschloss »Wilhelmsburg« der Hauptarbeitsort der Hofkapelle und damit des Hoforganisten, genauer  : die Schlosskirche »Weg zur Himmelsburg«, kurz als »Himmelsburg« bezeichnet (siehe Abbildung  5). Denn darauf konzentrierte der streng lutherisch gesonnene Herzog die Repräsentanz seines Hofes. Die 1658 geweihte wundersame Kirche mit ihrem Kuppelaufsatz (»Capelle«), aus dem herab musiziert wurde, war als schmaler und sehr hoher Raum (mit einer Grundfläche von 12 x 33 Metern und einer Höhe von 20 Metern bis zur verschließbaren Decke unterhalb der Kuppel) quer in den südlichen Teil des Ostflügels integriert. Oberhalb der Decke mit ihrer rechteckigen Öffnung von 3 x 4 Metern erhob sich eben jene Musizierkuppel (mit Geländer). Sie hatte eine Höhe von acht Metern und war mit Engelsfiguren und Putten ausgemalt – ein besonderer Himmel ganz oben. Philipp Florin beschrieb 1719 die Situation so  : »In der obersten sehr hohen Decke der Kirchen / ist eine viereckigte weite Oeffnung / über welcher unter dem Dach und durch dasselbe hinaus der Music=Chor / samt der Orgel / so vorteilhafftig aufgeführet / daß man unten aus der Mitte der Kirchen / biss an dessen gemahlte Bogen=Decke sehen / und sowohl die Vocal- als Instrumental=Music durch die gantze Kirche hören kan. Dieser Chor hat ein vollkommenes Liecht von den umher stehenden Dach=Fenstern / und seine Oeffnung in die Kirche kan im augenblick durch eine vorgeschobene Decke verschlossen / auch ebenso geschwind wieder aufgethan werden / welches dann verursachet / dass man den schall einer starcken Music bald gedämpfft / und also von der ferne / bald in seiner vollkommenen Stärcke höret.«32 Die Orgel spielte in dieser hoch symbolischen Situation die zentrale Rolle einer Repräsentantin himmlischer Musik. Kein Wunder, dass sich Bach in den ersten Weimarer Jahren ganz darauf konzentrierte, einschließlich der Komposition von Orgel- und Cembalowerken und der Clavier-Bearbeitung von Wer72

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ken Antonio Vivaldis, deren Noten ihm im Frühjahr 1713 Prinz Johann Ernst aus den Niederlanden mitgebracht hatte  ; in Weimar entstand etwa die Hälfte seines überlieferten Orgelwerkes. Wie überall, wo er wirkte, hatte er sich längst auch um die Verbesserung seines Instruments gekümmert. Die Orgel, die er mit seinem Amtsantritt 1708 vorgefunden hatte – er hatte sie zuvor begutach­ tet und das Einweihungskonzert gespielt  –, war zuvor von Johann Conrad Weishaupt überholt, umgebaut und mit neuen Windladen und Pedalregistern ausgestattet worden. Bach strebte in Zusammenarbeit mit dem Weimarer Orgelbauer Heinrich Nicolaus Trebs weitere Verbesserungen an, u. a. den Einbau eines Glockenspiels. Sie erreichten dies zwischen 1712 und 1714, was auch bedeutete, dass die Orgel im zweiten Halbjahr 1712 gar nicht und dann bis Mai 1714 nur eingeschränkt spielbar war. Nun endlich, am 17. Juni 1714, konnte das Instrument neu eingeweiht werden. Da war der Hoforganist aber schon seit einem Vierteljahr auch Hofkonzertmeister, was nichts weniger als seine kompositorische Neuorientierung bedeutete. Bachs gewachsene Bekanntheit (vielleicht auch schon Gerühmtheit) kann man gut an der Entwicklung seiner Weimarer Bezüge ablesen, für die Familie ein Grund zur gelegentlichen Freude und jedenfalls zu einer gesicherten Subsistenz. 1708 waren es 150 Gulden plus Naturalien gewesen, 20 mehr als bei seinem langjährigen Vorgänger Effler. Seit 1711 bekam er 200 Gulden und damit ebenso viel wie der Hofkapellmeister seit Jahrzehnten. Seit dem Erfolg der »Jagdkantate« in Weißenfels Ende Februar 1713 erhielt er 215 Gulden und damit mehr als jener. Im Frühjahr 1714 waren die Bezüge nun weiter angestiegen. Man suchte ihn in Weimar zu halten, hatte mit ihm verhandelt. Sein Können hatte sich herumgesprochen. Schon die »Jagdkantate«, ein Auftragswerk zum Geburtstag des Weißenfelser Herzogs, war überaus erfolgreich gewesen. Noch spektakulärer dann die Einladung zum Probespiel für die namhafte Organistenstelle an der Marktkirche in Halle, an dem er im Dezember 1713 zwar erfolgreich teilgenommen und den Zuschlag erhalten, dann aber die Bestallung ausgeschlagen hatte. Dem Verzicht auf Halle folgte auffällig zeitnah am 2. März die Ernennung zum Weimarer Hofkonzertmeister und jene Gehaltserhöhung auf 250 Gulden plus Naturalien. Das war sechs Tage vor der Geburt Carl Philipp Emanuels. Das Amt bzw. die Funktion eines Hofkonzertmeisters gab es bislang in Weimar nicht. Selbstredend sind wir geneigt, das heutige Begriffsverständnis damit zu verbinden. Dies reicht aber hier nicht aus. Gewiss konnte Bach so gut Geige spielen, dass er die Hofkapelle vom 1. Violinpult aus souverän leiten konnte. In der damaligen Zeit war dies die eine Möglichkeit der Leitung Eine glückliche Bach-Familie 1714 

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von Ensembles, die andere die vom Cembalo oder von der Orgel, also vom Generalbassinstrument aus. Dirigenten der späteren luftbewegungsorientierten Art gab es damals nicht. In der Tat ist es wahrscheinlich, dass Bach seine Kantaten von der Violine aus leitete. Nicht aber darum ging es vor allem mit dem neu geschaffenen Amt eines Hofkonzertmeisters, sondern um die Komposition neuer Kantaten und ihre Aufführung zur rechten Zeit am richtigen Ort. Der Ort war eben die »Himmelsburg«, die rechte Zeit und im Reigen des Kirchenjahres inhaltliche Herausforderung »sein« festlicher Sonntagsgottesdienst. Denn einmal im Monat durfte er nun einen Sonntagsgottesdienst als den herausgehobenen der wöchentlichen zwei Gottesdienste in der Schlosskirche (mittwochs und sonntags) musikalisch-kompositorisch prägen. Die so geartete Prägung der Sonntagsgottesdienste mit der Aufführung eines neu komponierten »Kirchen-Stückes« nach der Lesung des Evangeliums war ursprünglich ganz in der Verantwortung des Hofkapellmeisters Johann Samuel Drese gewesen. 1695 hatte Strattner als neuer Vizekapellmeister eine der vier monatlichen Aufgaben übertragen bekommen. Nach Strattners Tod 1704 hatte sie sein Nachfolger Drese junior quasi geerbt. Um nun Bach in diesen Zyklus einzubeziehen und zu einem der drei Termine von Drese senior – ohnehin oft krank – zu verhelfen, musste ähnlich wie schon 1695 wiederum ein neues Amt geschaffen werden, jenseits des Hoforganisten-Amtes, dessen Pflichten und Rechte klar bestimmt waren. Ohne die beiden Dreses in ihren Kompetenzen zu beschädigen, musste es eine Funktion in der Hofkapellspitze sein. Die Ernennung vom 2. März 1714, auf uns überkommen als Niederschrift des zuständigen Hofsekretärs Theodor Benedikt Bormann, weist darauf ebenso deutlich hin wie darauf, dass die Initiative von Bach ausging  : Am »2.  Marty, haben des regierenden Herzogs Hochfürstliche Durchlaucht dem bisherigen Hof-Organisten Bachen, uf sein unterthänigstes Ansuchen, das prädicat eines Concert-Meisters mit angezeigtem Rang nach dem Vice-Capellmeister Dreßen, gnädigst conferiret, dargegen Er Monatlich neue Stücke ufführen, und zu solchen proben die Capell Musici uf sein Verlangen zu erscheinen schuldig und gehalten seyn sollen.«33 Der letzte Teilsatz ist unterstrichen, d. h., den Hofkapellisten war dies als Neuregelung eindringlich zu vermitteln. Ein NB drei Wochen später, zwei Tage vor Bachs Antrittskonzert am 25.  März, reagierte auf diesbezüglich aufgetretene Probleme. Es lautet  : »Das probiren der Musicalischen Stücke im Hause oder eigenem Logiament, ist den 23 Mart. 1714. geendert, und das es jedesmahl uf der Kirchen-Capelle geschehen solle, expresse befohlen worden.«34 Expresse bedeutet sofort, also noch für die Proben der Kantate BWV 182 »Himmelskönig, sei willkommen« 74

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am Sonntag Palmarum und gleichzeitig Mariä Verkündigung als kalendarisch seltenem Doppelfest. Hatten die bisherigen Proben in der Wohnung der Bachs zu viel Aufruhr bewirkt, hatte sich etwa der Säugling Carl Philipp Emanuel zu lautstark eingemischt  ? Oder waren einige der Hofmusici gar nicht erschienen  ? Mit der selbst gesetzten Herausforderung, von nun an für den »eigenen« monatlichen Sonntagsgottesdienst in der »Himmelsburg« ein »neues Stück« zu komponieren und es dort dann mit der Hofkapelle aufzuführen, wurde aus dem Komponisten von Clavier-, also von Orgel- und Cembalomusik der Komponist von weitaus komplexeren Vokalwerken. Nun ging es also um die direkte schöpferische Auseinandersetzung mit dem Wort, zumal dem Wort Gottes in der Diktion Martin Luthers. Eine starke Herausforderung in der Mitte des gedachten Lebens – da Mutter und Vater beide 50-jährig gestorben waren, wird Bach dies mit vielleicht ein paar Jahren für sich mehr als seinen Lebenszeit-Horizont angenommen haben. Die seit dem Jahr in Mühlhausen vorbereitete berufliche Weichenstellung, über die Orgel hinaus eine »regulirte Kirchenmusik« anzustreben, hätte Bach ohne das Weimarer Entgegenkommen gewiss in Halle gesucht, wo Kantatenkompositionen zum dienstlichen Auftrag gehörten. Dieses Entgegenkommen aber verdankte er allein dem regierenden Herzog, nicht dem Trompete und Violine spielenden mitregierenden Neffen, in dessen Rotem Schloss man oft musizierte, wo ein freierer Geist herrschte als im Umkreis des Onkels und von wo Bach zunehmend Gehaltszulagen bezog. Zentraler Bezugspunkt des Kirchenmusikers Bach war und blieb Wilhelm Ernst in all seinem fanatischen lutherischen Glauben und Gehabe. Bach war und hieß nun also auch Konzertmeister. Dies erscheint im Wortsinn dann noch besser erfüllt, wenn man bedenkt, dass er Kantaten wie die im Juni 1714 (»Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen«) mit »Concerto« bezeichnet hat. Die variablen Benennungen hängen damit zusammen, dass Kantaten damals noch eine ganz junge Gattung waren, erst im vorangegangenen Jahrzehnt am Weißenfelser, Meininger und Eisenacher Hof zu dem entwickelt, woran er anknüpfte. Im großen Unterschied zu anderen Gattungen geistlicher Vokalmusik mit ausschließlich überkommenen geistlichen Texten war dafür ein Librettist nötig – wie in der Oper, mit deren Entwicklung dieserart Kirchenmusik als Kantate und Oratorium nun eng verbunden war –, ein Librettist, der einen anregenden und gut komponierbaren neuen, individuellen Text verfasste. Bachs Hauptautor war seit dem gemeinsamen Erfolg der »Jagdkantate« 1713 der Sekretär des Weimarer Konsistoriums Salomo Franck. Mit dessen Kantatenlibretti war er hervorragend bedient. Franck war nicht nur Eine glückliche Bach-Familie 1714 

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hochgebildet, sondern seine Texte hatten eine besondere inhaltliche wie formale Qualität, waren bilder- und abwechslungsreich. »Francks erlesene poetische Sprache, seine pointierten und ausdrucksstarken Formulierungen und die klare theologische Botschaft seiner geistlichen Texte lieferten Bach die ideale Grundlage für seine eigenen musikalischen Gedanken und, ganz allgemein, für die Weiterentwicklung seiner Kompositionskunst.«35 Als eine Kostprobe hier die ebenso prägnanten wie inspirierenden Texte von Eingangs- und Schlusschor (Nr.  2 bzw. Nr.  8) der Antrittskantate am 25. März  : »Himmelskönig, sei willkommen, / Laß auch uns dein Zion sein  ! / Komm herein. / Du hast uns das Herz genommen.« Und  : »So lasset uns gehen in Salem der Freuden, / Begleitet den König in Lieben und Leiden. / Er gehet voran / Und öffnet die Bahn.« Zur theologischen Bedeutung der Titelzeile schreibt Christoph Wolff  : »In typisch lutherischer Umdeutung erhält das Fest Mariä Verkündigung einen neuen christologischen Akzent  : Anstelle Marias wird Christus als der wahre Himmelskönig gepriesen.«36 Der Vollständigkeit halber ist anzufügen, dass die Autorschaft Francks nur eine wenn auch überaus plausible Annahme ist. Unzweifelhaft wäre sie nur beim Vorliegen eines Textdruckes. Den aber gibt es erst bei den Kantaten der Folgejahre  : Franck hat je einen Kantatenjahrgang als »Evangelisches Andachts-Opffer« 1715 bzw. als »Evangelische Sonn- und Festtages-Andachten« 1717 veröffentlicht. Herzog Wilhelm Ernst wird am 25. März 1714 ebenso hochzufrieden über die jubilierende Huldigung für den »Himmelskönig« aus dem Himmel der »Himmelsburg« herab gewesen sein wie ggf. Salomo Franck und jedenfalls der Komponist. Sein Antrittsstück gehört zu seinen ganz großartigen Kantaten, ähnlich wie die noch etwas umfänglichere sogenannte »Bekümmernis-Kantate« am 17.  Juni 1714. Sie wurden damals mit den wenigen professionellen Sängern und Instrumentalisten aus der »Capelle«, der Kuppel der »Himmelsburg«, herab musiziert, fast kammermusikalisch, aber eben in der akustischen Sondersituation des intimen Kirchenraumes gleichermaßen klar und farbintensiv wie klangvoll. Die Solovioline im konzertanten Miteinander mit der Blockflöte dürfte hier (wie auch in der Juni-Kantate, dort mit Oboe) der Konzertmeister Bach selbst gespielt haben – gewiss um sich als solcher auch aufführungspraktisch zu beweisen. Bei der Eingangs-Sonata vor dem Eingangs­ chor beginnt die Solovioline, die Blockflöte imitiert, beim Vor- und Nachspiel des Schlusschores ist es dann andersherum. Johann Sebastian Bach wird im Frühjahr 1714 glücklich gewesen sein. Nach der instrumentalmusikalischen Entwicklung in Auseinandersetzung mit 76

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Werken Vivaldis hatte er wiederum autodidaktisch seine berufliche »Wende« hin zum Schöpfer einer »regulirten Kirchenmusik« geschafft, zumindest den Durchbruch dahin. So wie er es sich beim Weggang von Mühlhausen vorgenommen hatte. Und er war »Concert-Meister« geworden. Der kleine Carl Philipp Emanuel war am Leben geblieben, die beiden größeren Kinder gediehen. Die wirtschaftliche Lage der Familie war gut, ihr Ansehen mit den Erfolgen des Vaters vorzüglich. Ein Abbild solcher Situation wünschte ich mir als Weimarer Bach-Denkmal  : Vater Bach, Mutter Maria Barbara mit dem kleinen Carl Philipp Emanuel auf dem Arm, davor Wilhelm Friedemann und Catharina Dorothea – als eine glückliche Bach-Familie im Sommer 1714, im BachJahr schon vom Namen her, von der Stellung seiner Buchstaben im Alphabet. Wir wissen, dass die Lage so nicht blieb. Die Spannungen zwischen dem regierenden Herzog Wilhelm Ernst und dem mitregierenden Neffen Ernst August tobten sich immer wieder an der ihnen beiden unterstellten Hofkapelle aus. Bach, beiden in sehr unterschiedlicher Weise verbunden, wurde zunehmend Spielball des Konflikts. Prinz Johann Ernst, der ihm nahe Stiefbruder Ernst Augusts, im Juli 1714 zur Kur aufgebrochen, verstarb auswärts im Alter von nicht einmal 19 Jahren. In den ersten drei Monaten der halbjährigen Landestrauer ab August 1715 war jegliche Musik untersagt, dann nur in den Kirchen wieder gestattet. Für den Trauergottesdienst am 2. April 1716 verfassten Franck und Bach die Trauerkantate. Am 1. Dezember 1716 starb Hofkapellmeister Johann Samuel Drese. Bach übernahm dessen Sonntagsaufführungen am 6. und 13.  Dezember, brach die Kantatenkomposition für den 20.  Dezember aber nicht nur ab, sondern nahm sie dann auch nicht wieder auf. Ein Konflikt mit Drese junior  ? Zu erwarten war aus mehreren Gründen, dass der Hof ihm, Johann Wilhelm Drese, die Nachfolge anvertrauen würde. Was er allerdings erst am 5. Januar 1718 tat. Eine unangenehm belastende, offene Situation, die dann Ende des Jahres 1717 für die Bachs noch völlig aus den Fugen geriet. Dabei spielte Herzog Ernst August eine besondere Rolle. Am 24. Januar 1717 heiratete er die Schwester des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, Eleonore Wilhelmine. Der überlieferte Text der Hochzeitskantate stammt von Franck, die Musik war wohl wieder von Bach. Hier oder dann auch zum Geburtstag seiner Schwester dürfte Fürst Leopold den Weimarer Concert-Meister kennengelernt haben. Ernst August wird die Verbindung weiter vermittelt haben, als in Köthen die musikalisch wie finanziell sehr interessante Kapellmeisterstelle frei wurde. Ob er dies tat, um Bach zu helfen oder um seinen Onkel zu ärgern, können wir ebenso wenig wissen wie überhaupt vieles bei diesem Vorgang. Eine glückliche Bach-Familie 1714 

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Zu vermuten ist beides. Jedenfalls bemühte sich Fürst Leopold um Bach, und der unterschrieb am 5. August 1717 den Vertrag als dortiger Hofkapellmeister. Hatte er vor oder hat er nach diesem Abschluss überhaupt seine Entlassung in Weimar beantragt  ? Wie erfuhr Wilhelm Ernst davon  ? Als Amtsantritt in Köthen war der 1. Januar 1718 vorgesehen. In dieser Schwebesituation vergrößerte Anfang Oktober der abgebrochene Wettbewerb mit dem Pariser Cembalovirtuosen Louis Marchand ausgerechnet am prächtigen Kurfürstlichen Hof in Dresden die Diskrepanz zwischen hohem Ansehen und Selbstwertgefühl Bachs einerseits (auch wenn die 500 Taler Anerkennungshonorar bzw. »Siegprämie« durch Veruntreuung verlorengingen) und der Weimarer Warteposition andererseits. Denn es war nur noch eine Warteposition. Sein Schüler und nun Nachfolger als Hoforganist Johann Martin Schubart erhielt schon ab Oktober 1717 das diesbezügliche Gehalt  ; Bach war nur bis September bezahlt worden. Warten aber worauf  ? Auf Bachs Einlenken und In-Weimar-Bleiben  ? Als Vize für Drese junior  ? Mangels anderer Informationen bleibt uns nur, den Eintrag wiederum des Hofsekretärs Bormann beim Wort zu nehmen, dass nämlich am 6. November »der bisherige Concert-Meister u. Hof-Organist, Bach, wegen seiner Halßstarrigen Bezeugung u. Zu erzwingenden dimission, auf der LandRichter-Stube arrêtiret, u. endlich d. 2. Dec. darauf, mit angezeigter Ungnade, Ihme die dimission durch den HofSecr. angedeutet, u. Zugleich des arrests befreyet worden.«37 Halsstarrigkeit (also Eigensinn, Dickköpfigkeit) und zu erzwingende Entlassung  : Bach wollte weg und ließ sich auch hier nicht mehr aufhalten. Diesbezügliche Gespräche wird es gegeben haben. Sie blieben erfolglos. Herzog Wilhelm Ernst muss darüber überaus erbost gewesen sein, zumal er seinen mitregierenden Neffen dahinter vermuten musste. Die vermeintliche Undankbarkeit »seines« über die Maßen von ihm geförderten glänzenden Kirchenmusikers hat ihn wohl im Innersten, in seiner streng lutherischen Haltung getroffen. Nur so ist der vierwöchige Arrest mit anschließender ungnädiger Entlassung erklärlich, als eine notwendig erscheinende Erziehungsmaßnahme und damit als ein sehr spezieller Ausdruck fürstlicher Zuwendung, aber jedenfalls nicht als Beugehaft. Denn ein Despot wie der nach seinem Tod 1729 zur Alleinregierung gelangende Neffe Ernst August war Wilhelm Ernst eben nicht. Jener ließ dann willkürlich einkerkern (bis zur Zahlung eines Lösegeldes) oder verbot seinem hervorragenden Hoforganisten Johann Caspar Vogler mehrfach, anderweitige Rufe anzunehmen. Johann Sebastian Bach saß also knapp vier Wochen in der Bastille am Rande der »Wilhelmsburg«, präziser  : in der dortigen Landrichterstube, im 78

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­ rrest und komponierte, Präludien und Fugen des späteren »WohltemperierA ten Klaviers«. Dann war er in Unehren entlassen, Tiefpunkt seines beruflichen Lebens – und konnte in Köthen neue Höhen anstreben. Dort wird seine Familie zu Weihnachten 1717 auch wieder froh geworden sein. Nach langen Monaten des Wartens hatten sie Weimar endlich hinter sich gelassen und eine vielversprechende neue Heimat gefunden. Für die Nachwirkung von Bachs Weimarer Zeit folgte der absolute Tiefpunkt im Mai 1774. Sechs Jahrzehnte nach jenem zuversichtlichen Frühling von 1714 gingen viele seiner Weimarer Werke mit der Schlosskirche »Himmelsburg« in der Brandkatastrophe der »Wilhelmsburg« in Flammen auf und waren damit unwiederbringlich verloren. Die Bastille dagegen haben wir noch, also den Arrestort. Vom Renaissancebau des alten Schlosses »Hornstein« stammend, brannte sie weder 1618 noch 1774 mit ab. Selbstredend sind wir froh, dass zumindest ein Teil des Bach’schen Weimarer Œuvres erhalten geblieben ist, wunderbare Musik zumal. Und wenn wir auch nicht wissen können, ob Bach und die Seinen 1714 in Weimar wirklich glücklich waren und wir das für sie nur hoffen können, der Eingangschor seiner Antrittskantate als »Concert-Meister« in der »Himmelsburg« – »Himmelskönig, sei willkommen« – vermag uns ziemlich genau drei Jahrhunderte später immer wieder tief zu bewegen und mit großer Freude und mit Dankbarkeit zu erfüllen, dass er dies erschaffen hat. Und so spiegeln wir unser Glücklichsein auf ihn und die Seinen zurück …

Eine glückliche Bach-Familie 1714 

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9. BACHS K ANTATE VON 1714 »ICH HATTE VIEL BEKÜMMERNIS IN MEINEM HER ZEN«

Bekennen tiefen Leids – Trost aus Glaubensgewissheit – Lobpreis Gottes, letztlich ein »Per aspera ad astra« in evangelisch-lutherischer Ausformung. Das ist, verbunden mit der Tonartenentwicklung von c-Moll nach C-Dur, der Kern meiner Lieblingskantate BWV  21 »Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen«. Seit langem genießt diese Weimarer Kantate Bachs hohes Ansehen und wird in eine enge Beziehung zu den Passionen und zur h-Moll-Messe gesetzt. In der Staatsbibliothek Berlin ist ein Autograph in Form eines Konvoluts von 28 Originalstimmen erhalten. Darauf steht die ebenfalls eigenhändige Bezeichnung des Werkes  : »Per ogni Tempo / Concerto. / a  13. / 3  Trombe è / Tamburi. / 1 Oboe / 2 Violini è / una Viola / Fagotto è / Violoncello. / 4 voci, con / Continuo / da / GS Bach.« Dann weiter unten auf der Seite ebenfalls eigenhändig  : »d 3t post Trinit 1714 / musicieret ward«. Also ein Konzert in der angegebenen Besetzung für alle Zeiten des Kirchenjahres, komponiert von Gio­vanni Sebastiano Bach, uraufgeführt am dritten Sonntag nach Trinitatis (also am vierten Sonntag nach Pfingsten) 1714. »Concerto« war die bei Kantaten mit Chor damals durchaus übliche Bezeichnung. Das Werk beginnt mit einem ergreifenden instrumentalen Dialog in c-Moll. In sehr langsamem Grundtempo (also mit sehr verlangsamtem Pulsschlag) dialogisieren Oboe und Solo-Violine bewegungsintensiv miteinander in einer sehr eindrucksvollen Sinfonia. Dann der titelgebende Eingangschor in der adäquaten Vertonung der antithetischen Formulierung des Verses 19 aus Psalm 94 »Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen, / aber deine Trös80

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Abb. 8  : Bachs eigenhändige Bezeichnung der Kantate BWV 21.

tungen erquickten meine Seele«. Die These, das Bekennen des Leids in quasi unendlicher Wiederholung in vierstimmig polyphonem Vokalsatz plus colla parte mitspielenden Instrumenten, erschöpft sich schließlich in eine Generalpause hinein. Ein gehalten-homophones »Aber« führt hin zur Antithese, die im Vivace hereinbricht, als ob eine Schleuse geöffnet würde. Bei Bach ist dieser zweite Teil des Psalmverses in die Gegenwart versetzt (»erquicken meine Seele«), die Vielerfahrung damit in die Verheißung geführt. Und er verziert die »Seele« mit langen, sehr langen Koloraturen, um ganz klar zu machen, worauf es hier ankommt. Schließlich begrenzen die letzten vier Takte des Satzes die Bewegtheit, führen im Andante die Aussage des Textes zu einem feierlich-bestätigenden Ende. Etwas ganz Besonderes ist die Einleitung des Satzes. Dreimal singen die vier Stimmen ein akkordisches »Ich« in Tonika, Subdominant-Sextakkord und Dominante, im Wechsel mit den die gleichen Kadenzakkorde nachspielenden Instrumenten – ein »Eingangstor« von hoher Suggestiv- und Symbolkraft. Es ist, als ob das Subjekt, quasi aus innerer Bewegtheit nach jener Sinfonia, sich Bachs Kantate von 1714 

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stotternd erst zum Bekennen seiner Trauer durchringen muss. Das Soggetto (das »Thema«) des dann folgenden polyphonen Satzes (zu »Ich hatte viel Bekümmernis«) ähnelt im Übrigen dem in Antonio Vivaldis Concerto d-Moll op. 3 Nr. 11, das Bach damals gerade für Orgel transkribiert hatte. Um zwischendurch die Farce nicht zu vergessen  : Als einstiger Musikfachlehrer an einer Erweiterten Oberschule, mit ihren 9.–12. Klassen zu DDR-Zeiten »gymnasialer Überrest« (so Margot Honecker per Brief an uns alle bei der Abwicklung 1982), habe ich in den späten 1970er-Jahren diese beiden eröffnenden Kantatensätze in eine unserer (von der SED-Obrigkeit durchaus beargwöhnten) »Weihnachts-Hausmusiken« in der Schulaula einbezogen. Zu meinem Erstaunen war ich damit bei der immer üblichen Programmkon­ trolle auf keinerlei weltanschaulichen Widerstand gestoßen. Aha, dachte ich mir, auch dies ist unter der Rubrik »Pflege des humanistischen Erbes« noch möglich. Warum es allerdings tatsächlich möglich war, begriff ich einige Jahre später aus der entgegengesetzten Reaktion. Da wurde mir nämlich ausdrücklich verboten, mit meinem Schulchor Heinrich Schütz’ Motette »Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten« zu singen. Wie sich in der ebenso kurzen wie markanten Debatte herausstellte, war das Wort »Gott« das alles entscheidende Problem. Dagegen war »Deine Tröstungen erquicken meine Seele« zwar für christlich Vorgebildete klar konnotiert, aber ansonsten  : Konnte nicht auch die Freundin bzw. der Freund (oder gar »die Partei«) damit gemeint sein  ? Zurück zum Werk, zurück zur Trauermusik. Denn es war wohl tatsächlich auch im funktional engen Sinne eine Trauermusik. Die Entstehung des Werkes liegt im Dunkeln, wie häufig bei Bach. Durch seine eigenhändige Aufschrift bezeugt ist die Uraufführung am 17.  Juni 1714, in diesem Jahr dem dritten Sonntag nach dem Dreifaltigkeitsfest. Die Frage der Entstehung ist damit aber nicht ausreichend geklärt, in dem Sinne, dass er entsprechend seiner neuen Funktion als Hofkonzertmeister die Kantate eigens dafür geschaffen hätte. Gegen diese Annahme sprechen mehrere Indizien, insbesondere das Ungleichgewicht zwischen erstem und zweiten Teil der Kantate oder das für Bach unübliche Fehlen einer Beziehung zum Evangelientext des entsprechenden Sonntags. Martin Petzoldt hat eine überzeugende, auf viele Indizien gestützte Hypothese zur Werkentstehung vorgelegt. Er begründet sie mit der auffällig engen Beziehung des ersten Kantatenteils (Nr. 1–6) und der Nr. 9 zu einer überlieferten Gedächtnispredigt, die der Weimarer Generalsuperintendent Johann Georg Lairitz am 8. Oktober 1713 in der Weimarer Stadtkirche für Aemilia Ma82

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ria Harreß gehalten hat, acht Monate vor jenem Uraufführungssonntag. Die Tochter des vormaligen Schwarzburgischen Kanzlers Ahasverus Fritsch und Witwe des Weimarer Kommissionsrates Johann Harreß war im 48. Lebensjahr verstorben und zwei Wochen zuvor bestattet worden. In der Tat bilden die Sätze Nr. 1–6 eine wunderbare Trauermusik von etwa 25 Minuten. Nach der Gedächtnispredigt wäre der Satz Nr. 9 »Sei nun wieder zufrieden, meine Seele« mit einem von der Gemeinde (direkt oder innerlich) mitzusingenden Cantus firmus (»Wer nur den lieben Gott lässt walten«, Strophen  2 und 5) ein überaus geeigneter Abgesang gewesen. Textbeziehungen zwischen der Gedächtnispredigt und den Chorsätzen Nr. 2, 6 und 9 sind sehr eng, zu den Soloteilen 3–5 deutlich. Petzoldts Hypothese ist plausibel. Bach transferierte häufig Gelungenes und Geeignetes in neue Zusammenhänge. Und für den 17. Juni 1714 benötigte er schließlich ein ganz besonderes überzeugendes Werk. An diesem Sonntag galt es in der »Himmelsburg« die Weihe der erneuerten Orgel zu feiern. Bach hatte die Verbesserung 1712 durchgesetzt, obwohl das von ihm vorgefundene Ins­ trument gerade vier Jahre alt war. Nachdem 1713 der Boden der Kirchenkuppel, aus der heraus musiziert wurde, eigens noch verstärkt worden war, war der Um- und Ausbau im Frühjahr 1714 zu Ende gebracht worden. Bach war voller Freude. Wieso dann aber zu solchem Anlass reiner Feierfreude solch eine tragisch »durchwachsene« Kantate, die erst im allerletzten Satz zu reinem Glanz findet  ? Die Freude war nicht ungetrübt. Bachs »Lieblingsprinz« Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1696–1715) war schwer erkrankt und stand vor einem Kuraufenthalt in Bad Schwalbach, westlich von Wiesbaden. Am 4. Juli reiste er dorthin ab und verstarb dann, ohne nach Weimar zurückgekehrt zu sein. Diesbezügliche Vorahnungen zu vermuten, wäre allzu spekulativ. Gleichwohl schien der Ausdruck purer Freude nicht angemessen, eine Vertiefung in Bekümmernis und Not mit strahlendem Finale dagegen schon. Daher die Übernahme jener Trauermusik aus dem Jahre zuvor, in der ihrerseits auch Erfahrungen um den Tod der eigenen Zwillinge im gleichen Jahr eingeschrieben gewesen sein dürften. Die dem Eingangschor folgenden drei Sätze (Nr.  3–5) bilden die solistische Mitte des ersten Teiles der Kantate (Nr. 1–6), dem im gottesdienstlichen Zusammenhang die Predigt folgte. Nr. 3 ist eine Arie für Tenor (in der ­späteren Fassung Sopran) mit obligater Oboe  : Über dem Generalbass konzertieren beide in dem musikalischen Affekt, den der Text von Salomo Franck vorgibt  : »Seufzer, Tränen, Kummer, Not, Seufzer, Tränen, ängstlichs Sehnen, Furcht Bachs Kantate von 1714 

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und Tod nagen mein beklemmtes Herz, ich empfinde Jammer, Schmerz.« Zwölf­achtel-Takt, Seufzermotivik, motivische Verklammerung der Melodik von Oboe und Gesang. Nr. 4  : Recitativo, mit der verzweifelten Anrufung »Wie hast du dich, mein Gott, in meiner Not, in meiner Furcht und Zagen denn ganz von mir gewandt  ?« usw. usw., begleitet von gehaltenen Streicherakkorden und natürlich dem Basso continuo. Nr. 5 schließlich eine große Da-capo-Arie voller Seufzermelodik zum Text »Bäche von gesalznen Zähren, Fluten rauschen stets einher« (A-Teil) bzw. »Sturm und Wellen mich versehren« (B-Teil). Elegisch der A-Teil, dramatisch mit reichen Koloraturen und im Allegro-Tempo der kurze B-Teil  : Sturmmusik. Dann aber, vor dem Dacapo des A-Teils, eine Verarbeitung von A-Motivik als Teil C, wieder in langsamem Tempo zum Text »und dies trübsalsvolle Meer will mir Geist und Leben schwächen, Mast und Anker wollen brechen, hier versink ich in den Grund, dort seh in der Hölle Schlund.« Sehr viel Text und einer voller existenzieller Not-Bilder. Nach Elegie und Dramatik nun also Tragik. Vier Takte mit der ersten Zeile des Anfangstextes bilden schließlich die Überleitung, die »Naht« zum Dacapo, also zur Wiederholung des A-Teils. Nach den drei Solo-Nummern mit tiefer existenzieller Aussage beschließt ein Ensemblesatz Nr. 6 – im Bogenschlag zum Eingangssatz Nr. 2 – den ersten Teil der Kantate. Der Text entstammt dem von vielen Komponisten vertonten Psalm 42  : »Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir  ? Harre auf Gott  ! Denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist.« Es ist der Vers  6 des Psalms  42, der dort abschließend als Vers 12 noch einmal bekräftigend wiederholt und so besonders herausgehoben wird. Den ersten Teil der Ausgangsfrage hören wir blockhaft eindringlich zweimal, beim zweiten Mal besetzungs- und ausdrucksmäßig gesteigert. Bach wäre nicht er selbst, wenn er den Fortgang der Frage mit dem einen Musiker herausfordernden Wort »unruhig« dann nicht ganz anders vertonen würde, nämlich »spiritoso« und enggeführt-polyphon, spannungsintensiv, eben als Bild eines unruhigen Hin- und Her-Zappelns, das erst in einer Generalpause ein abruptes Ende findet, gefolgt von den letzten beiden sammelnden Worten »in mir«, mit denen der Anfangsteil ruhig kadenzierend zu Ende geführt wird. Bis dahin Moll-, nun aber Dur-Sphäre, denn es geht jetzt um die glaubensgestützte Trostvermittlung. Dem »Harre auf Gott«, ruhig polyphon und im Piano, folgt ein ebenso schlichtes wie anrührendes Oboensolo über Halteakkorden der anderen Instrumente. Dann mit großem Klang im homophonen Choralsatz »Denn ich werde ihm noch danken.« Wofür danken  ? 84

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Die darauf bezogene abschließende Kernaussage des Textes kleidet Bach in das Gewand einer sich allmählich steigernden Schlussfuge  – vierstimmig solistisch beginnend und zunächst nur mit Continuo-Begleitung (10  Takte), dann mit einem das Soggetto weiterverarbeitenden rein instrumentalen Teil (6  Takte) und schließlich dem Ensemble-Schlussteil mit allen Instrumenten (14 Takte). Eine große Entwicklung mit heller Aufgipfelung, in der Weimarer Fassung quasi kammermusikalisch, in der Leipziger Fassung mit dem Thomanerchor als Besetzung der Ensemble-Teile noch voluminöser. Ob letztlich klang­intensiver wissen wir nicht  ; es könnte sein, dass die ganz besondere Akustik der »Himmelsburg« das Werk hat ebenso intensiv klingen lassen wie in der größeren Thomaskirche, wo es einfach nur anders klang. Wieder wie schon bei Nr. 2 fängt Bach die Steigerung mit einem verlangsamten Schluss ab, hier einer dreitaktigen homophonen c-Moll-Kadenzbildung mit C-Dur-Schlussakkord (»piccardische Terz«). Der gesamte dritte Teil der Nr. 6 schließt auch tonartlich den Bogen zur Sinfonia und dem Eingangssatz Nr. 2  : c-Moll ist die zentrale Tonart des ersten Teils der Kantate, der »Trauermusik«. Danach folgte die Predigt des Tages. Am 8. Oktober 1713 mag dies die textlich sehr gut passende Gedächtnispredigt gewesen sein. Anders am 17.  Juni 1714 bei der Uraufführung der Gesamtkantate. Im Gegensatz zur auch bei Bach-Kantaten ansonsten üblichen engen Bindung passte der Kantaten- mit dem Evangelientext (Gleichnisse vom verlorenen Schaf und verlorenen Groschen, Lukas 15, 1–10) hier wenig zusammen. Eine Brücke dagegen gab es von der Sonntagsepistel (1. Petrus, 5) in den Text des zweiten Kantatenteiles hinein (Nr. 11). Dies stützt ebenso die oben referierte Entstehungsthese des Werkes wie zu vermuten ist, dass es gerade von diesem Hintergrund der Nichtpassfähigkeit her von Bach für alle Sonntage des Kirchenjahres (»Per ogni tempo«) geöffnet wurde. Der zweite Kantatenteil beginnt mit Nr. 7 Recitativo und Nr. 8 Duetto. Wie in den Sätzen 3–5 und 10 sang hier am 17. Juni 1714 in Weimar ein Tenor die hohe Stimme. In der späteren Aufführung in Köthen war sie einem Sopran zugewiesen und in der in Leipzig einem Sopran (Nr. 3, 7 und 8) bzw. Tenor (Nr. 4, 5 und 10). Die heute bei einer Aufführung mit weiblichem Sopran virulente geistliche Erotik der Sätze Nr. 7 und 8 war damit 1714 in Weimar deutlich geringer. Nichtsdestoweniger geht es sowohl beim Rezitativ wie beim Duett um ein intensives Zwiegespräch zwischen der Seele (Tenor bzw. Sopran) und Jesus Christus (Bass). Im Accompagnato-Rezitativ mit dem Text »Ach Jesu, meine Ruh, mein Licht, wo bleibest du  ? / O Seele, sieh  ! ich bin bei dir. / Bei mir  ? Hier ist ja lauter Nacht. / Ich bin dein treuer Freund, der auch im Dunkeln Bachs Kantate von 1714 

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wacht, wo lauter Schalken seind.« usw. usw. Im Duett heißt es dann ganz auf die beiden Stimmen konzentriert (d. h. lediglich mit Basso-continuo-Begleitung) »Komm, mein Jesu, und erquicke / Ja, ich komme und erquicke / und erfreu mit deinem Blicke, / dich mit meinem Gnadenblicke«  – zuerst in engem Wechsel, dann sehr kunstvoll zusammen singend, miteinander verwoben, sich quasi musikalisch umschlingend. Nachdem die Seele meint, verloren zu sein und Jesus sie ausdrücklich seiner Liebe versichert hat, folgt dem lyrisch intensiven A-Teil ein munterer heiterer B-Teil im tänzerischen Drei-AchtelTakt (»Ach Jesu, durchsüße mir Seele und Herze, / Entweichet, ihr Sorgen, verschwinde, du Schmerze« usw.), bevor schließlich die verkürzte Wiederholung des A-Teils mit thematisch geprägtem Continuo-Nachspiel im klaren Es-Dur das Duett beendet. Dann der Ensemblesatz Nr. 9 in g-Moll. Am 8. Oktober 1713 dürfte er, für sich stehend, der Gedächtnispredigt gefolgt sein  : »Sei nun wieder zufrieden, meine Seele«. Im Zusammenhang der nunmehrigen Kantate gibt es durchaus Beziehungen der hier angesprochenen Seele zu der in den beiden Sätzen Nr. 7 und Nr. 8. Und es gibt eine enge Textbeziehung des Cantus firmus in diesem Ensemblesatz Nr. 9 »Was helfen uns die schweren Sorgen« usw. usw. zu den im Verlauf der Kantate zuvor schon angesprochenen Sorgen. Nichtsdestoweniger erscheint dies eher als oberflächliche, als quasi »nachgereichte« Verbindung. Im Kern ist dieser weit ausgeführte polyphone Ensemblesatz Nr.  9 der emotionale Höhe- und Umkehrpunkt der Kantate  : Trauer wird besänftigt, eine Katharsis löst den bohrenden Schmerz, der im Eingangschor besungen und in dessen zweiten Teil (»aber deine Tröstungen erquicken meine Seele«) nur abgemildert wurde. Formal ist die Nr. 9 eine großangelegte Choralfantasie auf den Text vom Psalm 116 Vers 7 »Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gut’s«. Dabei legt Bach den Schwerpunkt lange Zeit auf die ersten sechs Worte, die quasi endlos wiederholt werden. Eine ebenso einfache wie zwingende gestisch-melodische Bewegung von oben nach unten und wieder aufwärts auf den Höhepunkt »Seele« hin prägt das polyphone Geflecht der Stimmen, die zunächst nur vom Basso continuo begleitet werden. In dieses Geflecht hinein wird in gehaltenen Tönen die zweite und die fünfte Strophe des Gemeindelieds »Wer nur den lieben Gott lässt walten« projiziert, das der Weimarer Dichter-Musiker Georg Neumark 1657 veröffentlicht hat. Im ersten polyphonen Durchlauf singen die Tenöre die zweite (»Was helfen uns die schweren Sorgen« usw.), im zweiten Durchlauf die Soprane die fünfte Strophe (»Denk nicht in deiner Drangsalshitze« usw.). In diesen zweiten Durchlauf stimmen die Instrumente mit ein, in der Leipziger Fassung auch vier Posau86

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nen. In dieser Fassung für die Thomaskirche singt den ersten Durchlauf nur ein Soloquartett, um den zweiten durch den Chor als große Steigerung gestalten zu können. In der Weimarer Uraufführung mit der Platzbeschränkung in der Kuppel der »Himmelsburg« war alles klanglich bescheidener oder auch nur kammermusikalischer. Dafür kam die Musik von ganz oben, aus dem »Himmel«. Im zweiten Durchlauf kommt in beiden Fassungen jedenfalls auch der zweite Teil des Psalm-Textes (»denn der Herr tut dir Gut’s«) zu seinem Recht, mit einer wirkungsvollen und zu jener lyrisch-elegischen Anfangsmelodie gegensätzlichen melodischen Geste. Die Rolle eines Solitärs erhält der wundervolle Chor Nr. 9 auch durch das Umfeld  : Sowohl das Davor wie mehr noch das Danach fallen ihm gegenüber ab. Nr. 10 ist wieder eine Da-capo-Arie. Wiederum nur vom Continuo begleitet, fordert der Solotenor (bzw. -sopran) in relativ trockener Barockmanier zur Freude auf  : »Erfreue dich, Seele, erfreue dich, Herze, entweiche nun, Kummer, verschwinde, du Schmerze« usw. usw. Das deklarative Stück erscheint weder vom Text noch von der Vertonung her so recht auf der Höhe der anderen Kantatensätze. Das nutzt allerdings dem, was dann folgt, nämlich dem klanglich so ganz anderen Schlusschor, der den Bruch zur bisherigen Kantate als einen erfreulichen erscheinen lässt. Der Bruch wird klar zelebriert  : Die nach knapp 40 Minuten erstmals auftretenden drei Solotrompeten samt Pauken beschwören von Anfang an eine völlig andere, neue Sphäre im überaus klar konturierten C-Dur herauf. Der Text stammt aus der Offenbarung des Johannes  : »Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.« (Kapitel 5, Vers 12). Welch Aussage, welch Aufzählung, vertont im klar homophonen Satz mit klangergänzenden Einwürfen des Orchesters samt Trompeten und Pauken. Dann der von Bach ergänzte Schluss von Vers 13  : »Lob und Ehre und Preis und Gewalt (sei unserm Gott) von Ewigkeit zu Ewigkeit, alleluja, amen«, komponiert als strahlende Schlussfuge mit einem Soggetto, das von einer aufsteigenden C-Dur-Dreiklangsbildung dominiert wird, auf die ersten sieben der zweimal sieben gleich 14  Worte (B-A-C-H im Alphabeth an 2., 1., 3. und 8. Stelle gleich 14) vor dem bekräftigenden Halleluja und dem schließlichen Amen. Wie schon in den Ensembles Nr. 6 und Nr. 9 gibt es zwei »Durchläufe«, die bei unterschiedlicher Besetzung (Solistenquartett, dann vierstimmiger Chor) à la Thomaskirche Leipzig eine gewaltige Steigerung erleben lassen. Insgesamt gesehen ein wiederum solitärer Satz, der aber an glanzvoller Bekräftigung lutherischen Glaubens nicht zu überbieten ist, mit den Herrschaftsins­ Bachs Kantate von 1714 

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trumenten Trompeten und Pauken, unvermittelt aufbrechend, also formal nicht unproblematisch, aber eben ein besonders wirkungsmächtiger Abschluss der großen Kantate des nicht einmal 30-jährigen Weimarer Hofkonzertmeisters. Um noch ein wenig an jene obenerwähnte Schulaufführung mit der Überraschung, dies überhaupt zu dürfen, anzuknüpfen  : »Die BWV 21« hat mich seitdem mehr begleitet als andere Kantaten Bachs. Eigenes Musizieren geht eben immer tiefer als blankes Hören. Seit 1982 in der Weimarer Musikhochschule und ihrer Schulmusik-Abteilung tätig (ein Jahrzehnt lang als »Wissenschaftlicher Oberassistent für Musikanalyse und Schulpraktisches Musizieren«) habe ich die Kantate, wo es möglich war, in die Analyse-Seminare einbezogen. Und dabei begriffen, wie schwer es für unsere (DDR-)Studierenden war, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Ein spezieller funktionaler Einsatz des Werkes ergibt sich bei solcher Vorliebe von selbst, eben der zur Gestaltung von Trauerfeiern, wenn man dafür verantwortlich ist. Die Sätze  1 und 2 sind eine ganz hervorragende Einstimmung, der Satz 9 ein wundersamer Abgesang, insbesondere wenn die Trauergäste den Cantus firmus »Wer nur den lieben Gott lässt walten« (Georg Neumark) innerlich mitzusingen vermögen. Und wenn sie vielleicht auch sogar noch den historischen Kontext kennen (Neumark starb 1681 in Weimar) und damit den immerwährenden Gang der Generationen über das konkrete Trauerereignis hinaus symbolisiert finden können. Was gibt es Schöneres, als große Musik absolut angemessen auch jenseits der üblichen Konzertkultur in elementare Lebenszusammenhänge einzubeziehen und so in besonderer Weise »Licht zu senden in die Tiefe des menschlichen Herzens«, und dies eben in auch noch besonders dunklen Stunden  ?

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II. THEATER! MIT MUSIK (1756 | 1803)



10. EIN JUNGES HER ZOGSPAAR , EINE NEUE HOFK APELLE UND EINE THEATERGESELLSCHAFT

Anna Amalia war 16, als sie, soeben dem 18-jährigen Ernst August  II. Constantin angetraut, im März 1756 nach Weimar kam. Wenige Wochen zuvor war Mozart geboren worden, wenige Wochen später entfesselte ihr Onkel Friedrich  II. von Preußen den dann Siebenjährigen Krieg. Ihr junger Ehemann hatte im Dezember 1755 die Nachfolge seines schon 1748 verstorbenen Vaters Herzog Ernst August – einst der jüngere Weimarer »Bach-Herzog« – angetreten. Das Land war durch dessen absolutistisch-barocke Allüren heruntergewirtschaftet, wenn dabei auch das Schloss Belvedere entstanden war. Und das Neue Schloss in Ettersburg, das Ernst August dem Alten Schloss von 1712 seines ihm verhassten Onkels hatte »vor die Nase« setzen lassen. Anna Amalia war am wohlhabenden und kunstsinnigen Wolfenbüttel-­ Brauns­chweiger Hof aufgewachsen, als Tochter des dortigen Herzogs und einer Schwester des Preußenkönigs Friedrich II. Sie hatte in puncto Musik und Theater viel Gutes erlebt. Vor allem aber liebte sie Musik sehr, wohl auch zum Ausgleich von schmerzlichen Erfahrungen ihres jungen Lebens, insbesondere dem Sich-Zurückgesetzt-Fühlen hinter den hübscheren Schwestern. Im Sinne damaliger Fürstenbildung war sie musikalisch gut unterwiesen worden, spielte Cembalo und Harfe und war mit musiktheoretischen Grundlagen vertraut. Im Vergleich zu ihrer Heimat war Weimar allerdings eine musikalische Ödnis. Herzog Ernst August hatte 20 Jahre zuvor die Reste der einstigen Hofkapelle aufgelöst. Als ordentlich losgesprochener Trompeter war er sich selbst genug, oder seine Musiker waren ihm nicht gut genug, oder beides. Jedenfalls gab es von 1735 an am Hof nur noch die unverzichtbare kleine Trompeter-PauEin junges Herzogspaar 

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ker-Gruppe und den Hoforganisten Johann Caspar Vogler (1698–1763), einen hervorragenden Bach-Schüler, den Ernst August in Weimar hielt, indem er ihm mehrfach die Annahme von Rufen auf bessere Stellen schlechthin verbot. Sofort nach seinem Regierungsantritt hatte Ernst August Constantin zwei Gutachten über die neu zu gründende Hofkapelle einholen lassen. Sie stammten von Musikern, die er, in Gotha aufgewachsen, gut kannte. Der Eisenacher Stadtorganist Johann Ernst Bach, ein Neffe Johann Sebastians, war dort sein Geigenlehrer gewesen. Der andere, Georg Anton (Jiři Antonin) Benda, war Gothaer Hofkapellmeister. Mit 2500  Talern war eine finanzielle Begrenzung vorgegeben. Ungerührt dessen schlug Benda ein Ensemble aus Kapellmeister und 15 »geschickten Instrumentalisten« für jährlich 6400 Taler vor. Weniger auszugeben habe überhaupt keinen Sinn. Ganz anders das »Pro Memoria« Bachs. Es war nicht auf Vollblut- bzw. Vollzeitmusiker gerichtet wie das von Benda, sondern auf Nebenamtliche. 14 Ins­ trumentalisten, vier Sänger, Hoforganist und Kapellmeister würden so nicht mehr als 2140  Taler kosten. Bachs zum großen Teil namentlich untersetzter Vorschlag bezog vier Hoftrompeter, drei Hofdiener und sechs Militärmusiker ein. Für ihre nebenamtliche Mitwirkung in der Hofkapelle müssten sie allerdings Zulagen erhalten, auch um sie zu »mehrerem Fleiß« und »zur Reinlichkeit in der Kleidung zu animiren«38. Die Zulagen sollten sich für den Hoftrompeter Veit auf 100 Taler, für die zwölf ebenfalls namentlich bezeichneten anderen Ins­ trumentalisten auf 25 bis 60 Taler belaufen, insgesamt 690 Taler. Der Hoforganist könne kostenfrei mitwirken. Als von außen zu gewinnende hauptamtliche Musiker seien ein guter Geiger als Hofkonzertmeister für 250  Taler und ein Hofkapellmeister für 400 Taler nötig. Dazu für den Fall, dass man »in der Kirche u bey Hofe Vocal-Music haben« wolle, vier Sänger zu je 200 Taler. Noch besser aber sei, auch sie für andere »Hochfürstl. Dienste« anzustellen und ihnen so nur eine Zulage zukommen lassen zu müssen. Und  : »Die Sänger könnten, da sie doch mehrentheils auch Instrumentalisten sind, ebenfalls bey Concerten am Hofe, wenn sie nichts zu singen hätten, mit gebraucht und durch solche die Instrumentalmusic verstärket werden.«39 Das gefiel  ! Das an kleinen Höfen vielfach realisierte Modell der mehrfachen Einsetzbarkeit der Hofdiener wurde allerdings erst in der Realisierung auf die Spitze getrieben. Johann Ernst Bach (1722–1777) wurde zwar als Hofkapellmeister verpflichtet, behielt dabei aber sein Eisenacher Amt als Stadtorganist. Und weder ein Hofkonzertmeister noch gar vier Sänger kamen hinzu. Bach bemühte sich dennoch, die Überlegungen seines Gutachtens mit seiner »Hof-Bande« so gut wie eben 92

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möglich zu realisieren  ; Hofkapelle nannte er sie bezeichnender Weise nie. Im Juli 1757 gehörten ihr neben ihm und dem Hoforganisten Vogler zehn Hautboisten (Militärmusiker), neun Trompeter und Pauker und ein Pandorist an. Viele Probleme – insbesondere mit leistungsgerechten Zulagen – waren nicht oder nur in Ansätzen lösbar, Leistungen und Erwartungen lagen weit auseinander. Als der junge Herzog schon im Mai 1758 starb, wurde die Hofkapelle wieder aufgelöst. Genauer betrachtet bedeutete dies aber nur, dass sich nun alle wieder vollständig ihren Hauptfunktionen widmeten. Der Kapellmeister ging ganz in sein Eisenacher Organistenamt zurück, selbstredend unter Beibehaltung seines Titels als Weimarer Hofkapellmeister. Es scheint, als hätte es die Hofkapelle in den zwei Jahren eigentlich gar nicht gegeben. Von der Nachwirkung her ist es aber geradezu andersherum richtig  : Ihre Mitglieder waren weiter da, harrten nur eines neuen Einsatzes. Als es Anfang 1759 einmal dazu kam, waren für Bach neben dem Hoforganisten noch immer drei Trompeter und Pauker und sechs Hautboisten verfügbar. Und in jenen zwei Jahren hatte die Hofkapelle immerhin ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Theater gespielt werden konnte. Anna Amalia war 17, als die Theatergesellschaft des Prinzipals Carl Theophilus Doebbelin zum 1. November 1756 für jährlich 6800 Taler fest angestellt wurde. Die nunmehrigen »Hofkomödianten« spielten dreimal wöchentlich im Schlosstheater oder im Park von Schloss Belvedere, darüber hinaus im Stadthaus am Markt und außerhalb Weimars. Seit Juli hier zu Gast gewesen, hatte das Ensemble gefallen und vor allem das theaterbegeisterte junge Herzogspaar überzeugt. Die Weimarer Theatergeschichte konnte beginnen. Theater aber war damals immer und untrennbar mit Musik verbunden. Gewiss hatte es in Weimar am Ende des 17.  Jahrhunderts schon einmal kurzzeitig Musiktheater-Aufführungen gegeben. Unter Girolamo Sartorio war eigens dafür 1697 im Ostflügel der »Wilhelmsburg«, des Weimarer Residenzschlosses, ein »Opern-Haus in der Fürstl. Residenz« errichtet worden. Das 22 mal 8 Meter kleine Theaterchen gab es noch. Eine theatralische Tradition jenseits von Geburtstagshuldigungen war bislang nicht entstanden. Das änderte sich nun mit der theatralischen Aktion der Doebbelin’schen Truppe, die im Herbst 1756 aus dem Prinzipal, neun Schauspielern, sechs Schauspielerinnen, drei Sängern und zwei Sängerinnen (gleichzeitig Tänzerinnen) sowie weiteren acht Personen bestand. Unter letzteren war der Komponist Johann Standfuß, einer der Begründer des norddeutschen Singspiels. Wie üblich hatte die GeEin junges Herzogspaar 

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sellschaft keine Orchestergruppe. Für die Zwischenaktmusiken und für den Orchesterpart bei den Intermezzi (kleinen Singspielen oder Buffo-Opern in den Pausen der Schauspielaufführungen) bzw. bei den selbständigen Opern oder Singspielen wurden die Hofkapellen oder die Stadtmusiken des jeweiligen Ortes hinzugezogen. Singspiele waren nach der sehr erfolgreichen Leipziger Uraufführung des Standfuß’schen Singspiels »Der Teufel ist los« im Oktober 1752 durch die Koch’sche Schauspielergesellschaft sehr in Mode. Gewähr für den großen Erfolg der neuen Gattung waren neben den englischen oder französischen Vorlagen – hier der Ballad Opera »The Devil to pay« von Charles Coffey 1731 – die durchschlagenden liedhaft-einfachen Melodien, die den heiteren Grundcharakter wirkungsvoll unterstrichen. Es versteht sich von selbst, dass Johann Standfuß dieses und andere Singspiele mit der Gesellschaft Doebbelins in Weimar aufgeführt hat. Die Orchesterbegleitung dürfte die junge Weimarer »HofBande« zu einiger Zufriedenheit geleistet haben. Wie sie wurde nach dem Tod des Herzogs im Mai 1758 auch die Schauspieltruppe schon wieder entlassen. Sie zog weiter, allerdings inzwischen ihres Prinzipals ledig. Den hatte man gegen die beiden vom Hof eingesetzten adligen Oberdirektoren ausgespielt und im April 1757 vergrault. Letztlich gab es auf diese Weise schon ein Jahr lang so etwas wie ein eigenes Weimarer Hoftheater. Anna Amalia war 19, als sie nach dem überaus frühen Tod ihres Mannes das Leben für sich und die zwei Söhne neu zu bedenken hatte. Mutig und letztlich erfolgreich strebte sie die alleinige vormundschaftliche Regierung an. Das Leben war für sie damit ganz anders als bisher, zumal Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges Weimar nicht völlig verschonten. Theatralische Vergnügungen waren da ebenso obsolet wie tänzerische – nach der langen Landestrauer 1758 gab es 1759 generelle Tanzverbote wegen der Kriegsereignisse. Ganz davon abgesehen, dass Hof wie Stadt sich zu außerordentlicher Sparsamkeit verpflichtet fühlten. Was den Stadtmusiker an Existenzgrenzen führte. Umso verständlicher, dass hier wie dann im gesamten theaterfreien Jahrzehnt 1758–1768 im engen Zirkel um die Herzogin umso mehr musiziert wurde. Trost, Zerstreuung und Anregung durch Musik waren Anna Amalia ein echtes Lebensbedürfnis. Mitglieder der Hofgesellschaft und des Hofstaates, die wie ihre Herzogin nach damaligem Gusto nicht selten gut vorgebildet waren, spielten als Musizierende die tragende Rolle. Ein koordinierendes Zentrum aber fehlte. Also sah man sich bald nach einem jungen professionellen Mu-

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siker neben dem alten Hoforganisten Vogler um. Man fand ihn 1761 in Ernst Wilhelm Wolf (1735–1792). Als Hofkonzertmeister kümmerte sich Wolf nun im direkten Sinn dieser Funktionsbezeichnung vor allem um die Gestaltung der samstäglichen Hofkonzerte, den damals repräsentativen Höhepunkten der Weimarer höfischen Musikpflege. Daneben war er der Klavierlehrer der Herzogin und ihres jüngeren Sohnes Constantin. Bei Gotha geboren, an der Jenaer Universität herangebildet und Leiter des dortigen Collegium musicum, blieb er lebenslang in Weimar. Nach dem Tod Voglers 1763 übernahm er zusätzlich dessen Amt als Hoforganist, im Juli 1772 wurde er zum Hofkapellmeister ernannt. Mit Sinfonien, Kammermusik und geistlichen Werken arbeitete er bis Ende der 1780er-Jahre in einer ähnlichen kompositorischen Orientierung wie der große Altersgenosse Joseph Haydn (auf Schloss Esterházy ebenfalls seit 1761). Nur hatte Wolf eben keine große und gute Hofkapelle zu leiten, mit der er wie jener hätte »Versuche machen« und »originell werden« können. Er musste sich in kleinen Verhältnissen behaupten, zunächst mühselig nach und nach ein leistungsfähiges Ensemble zusammenstoppeln. Im gleichen Jahr wie Wolf kam auch Caroline Benda nach Weimar, zusammen mit ihrem hier konzertierenden Vater, dem Konzertmeister der Berliner Hofkapelle Franz (František) Benda. Dass sie mitkam, hatte einen besonderen Hintergrund  : »Zusammen mit der jungen Herzogin war die zuvor im Dienste ihrer Mutter gewesene Kammerfrau Caroline Wilhelmine Stephanie (1712–69) nach Weimar gekommen, die Schwägerin des berühmten Violinvirtuosen und preußischen Kapellmeisters Franz Benda (1709–86), dessen zweite Frau sie 1761 wurde. Als sie mit dieser Heirat aus Anna Amalias Diensten ausschied, kamen ihre Nichten Wilhelmine (1741–98) und Marie Caroline Benda (1742– 1820) aus Potsdam nach Weimar, um als Kammerjungfern in die Dienste Anna Amalias zu treten.«40 Als Sängerin und Klavierspielerin ausgebildet und in dieser Weise an Anna Amalias Hof neben ihrer Anstellungsfunktion tätig, wurde sie 1770 die Ehefrau von Ernst Wilhelm Wolf, der damit in die große und europaweit vernetzte böhmische Musikerfamilie einheiratete. Bei den Bendas in Potsdam war man so über die Verhältnisse am Weimarer Hof bestens informiert. Dies führte im Übrigen Carl Ludwig von Knebel aus Potsdam nach Weimar, den späteren »Urfreund« Goethes. Im September 1773 war er bei den Wolfs zu Gast. Hier lernte ihn der Geheime Rat Jakob Friedrich Freiherr von Fritsch kennen, was zur Anstellung Knebels beim Prinzen Constantin führte. Dies wiederum war die Voraussetzung zu Knebels Vermittlung der ersten Begegnung von Carl August mit Goethe im Dezember 1774, die wiederum zu den bekannten Folgen führte. Ein junges Herzogspaar 

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Abb. 9  : Herzogin Anna Amalia, Gemälde von Johann Georg Ziesenis um 1769, also möglicherweise zum 30. Geburtstag.

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Auch der Benda aus der Nähe war und blieb ein guter Partner des Hofes Anna Amalias  ; der Gothaer Hofkapellmeister, Carolines Onkel, kam häufig herüber. Mit Gästen wie ihm, zwei (nebenamtlichen) Sängerinnen und zehn Hautboisten (also Militärmusikern, die allesamt mehrere Instrumente beherrschten) gestaltete Wolf in den 1760er-Jahren die Hofkonzerte. Sie fanden nach wie vor im Festsaal in der Beletage des Ostflügels der »Wilhelmsburg« statt, d. h. über dem nun wenig genutzten Schlosstheater. In musikalischer Hinsicht war also für einige Unterhaltung gesorgt, ob zu Anna Amalias Zufriedenheit, wissen wir nicht.

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11. ANNA AMALIAS THEATR ALISCHE SENDUNG

Anna Amalia war 29 und seit neun Jahren regierende Her zogin, als sie 1768 endlich, nach zehnjähriger Abstinenz, an die frühen Theaterjahre anknüpfen konnte. Nach dem Tod ihres Mannes schon im Mai 1758 war die ehemals Doebbelin’sche Theatergesellschaft entlassen worden, wie auch die Hofkapelle. Viele Jahre hatten dann die Zeitläufte und die Verhältnisse im Land gerade mal Musik im engen Kreis und den Aufbau eines kleinen Musik­ ensembles um den 1761 als Hofkonzertmeister nach Weimar gekommenen Ernst Wilhelm Wolf gestattet. Mehr nicht. Nun aber war 1768 nach der nur kurzzeitig engagierten »Starckischen Truppe« die namhafte Koch’sche Theatergesellschaft hierher verpflichtet worden. Zweieinhalb Jahre blieb sie hier. Für die musikalischen Aufgaben stand ihr das von Wolf geleitete Ensemble zur Verfügung. Es wurde 1770 glücklich verstärkt vom hinzukommenden weithin gerühmten Geiger Carl Gottlieb Göpfert (1733–1798). Er rückte 1772, als Wolf zum Hofkapellmeister ernannt worden war, zum Hofkonzertmeister auf. Zumindest von da an gab es die 1758 aufgelöste Hofkapelle als Institution wieder, wenn dies auch erst 1776 in den Staatshandbüchern seinen Niederschlag fand. Innerhalb des breiten Schauspiel- und Opernrepertoires der Koch’schen Gesellschaft spielten Singspiele eine bedeutsame Rolle. In Leipzig hatte die Gesellschaft die neuen Werke dieser Art von Johann Adam Hiller und seinem Librettisten Christian Felix Weiße mit großem Erfolg uraufgeführt. Deren »Lottchen am Hofe« von 1767 (nach Favarts »Ninette à la cour«) und »Die Liebe auf dem Lande« von 1768 präsentierte sie schon Ende 1768 in Weimar ähnlich erfolgreich. Wie die Titel ahnen lassen, waren dies auf eine breite Wirkung angelegte, den Ideen Rousseaus verpflichtete und von den neuen Werken der opéra comique beeinflusste kleine Opern mit langen Dialogen. Naturver-

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Abb. 10  : »Die treuen Köhler«, Titelblatt zum Klavierauszug.

bunden und gelegentlich sozialkritisch (Abert bezeichnet »Lottchen am Hofe« als »Sturmvogel der Revolution, lange vor Beaumarchais’ Figaro«41) funktionierten sie gleichermaßen im Sinne des aufgeklärten Absolutismus wie bürgerlich-emanzipatorisch. Ihre sehr große Wirkung erreichten sie vor allem durch eine einfache, die Personen und Situationen gut typisierende Musik mit leicht nachsingbaren Melodien. Selbstredend blieben die Kochs von Weimar aus mit ihren beiden Leipziger Autoren in Verbindung. Wichtigstes Ergebnis dessen war das Weiße/Hiller’sche Singspiel »Die Jagd«, am 29.  Januar 1770 hier uraufgeführt und der Herzogin Anna Amalia gewidmet. Bis 1774 erlebte es weitere 16 Aufführungen und war damit das nach der »Alceste« von 1773 meistgespielte Stück im Weimar jenes Jahrzehnts. Es lag nahe, dass Ernst Wilhelm Wolf da auch kompositorisch mithalten wollte. In Zusammenarbeit mit dem Gymnasialprofessor Johann Carl August Musäus entstand 1769 »Das Gärtnermädchen«, im Jahr darauf im Miteinander mit dem Prinzen-Instructor Gottlob Ephraim Heermann »Das Rosenfest«, beides idyllische Schäferspiele nach französischen Vorlagen. Anna Amalias theatralische Sendung 

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Aus solcher Ambition und Produktivität entwickelte sich eine Konkurrenzsituation der besonderen Art, als nach dem Weggang der Koch’schen Gesellschaft – sie ging zu Ostern 1771 nach Berlin – im Oktober 1771 die ebenso berühmte Seyler’sche Gesellschaft nach Weimar kam. Denn zu ihr gehörte nicht nur der große Schauspieler Conrad Ekhof, sondern auch der mit Wolf gleichaltrige Kapellmeister Anton Schweitzer (1735–1787). Die Hofkapelle stand nach wie vor bei allen theatralischen Aktionen zur Verfügung, wurde da nun aber auch von Schweitzer geleitet. Beide, Wolf wie Schweitzer, mussten sich abstimmen und behaupten. Dass Wolf 1772 gleich zwei Singspiele auf Libretti von Heermann herausbrachte, erscheint von daher als ein Ausrufezeichen. Es waren »Die Dorfdeputierten« (nach Goldoni) und »Die treuen Köhler«, das Prinzenraub-Stück, in dem es ganz besonders um die Liebe und Treue des Volkes zu seinen Fürsten ging. Um Wolf und Schweitzer herum kam es zur Parteibildung, beide komponierten und dirigierten in erbittertem Wettstreit. In diesem Kontext ist auch die Ernennung Wolfs zum Hofkapellmeister am 31. Juli 1772 zu sehen. Sie half neben jenen beiden Singspielen mit, die Waage zu einem Ausgleich zu bringen. Die hatte sich nämlich durch die Uraufführung von Schweitzers »Dorf-Gala« (Libretto Friedrich Wilhelm Gotter) am 18. Mai 1772 sehr zu dessen Gunsten gesenkt. Die schließliche Entscheidung fiel dann wenige Monate später. Anna Amalia war knapp 33 Jahre alt, als ihr mit der Verpflichtung des berühmten Schriftstellers und Erfurter Philosophieprofessors Christoph Martin Wieland der nachhaltig wichtigste Coup ihrer Regierungszeit gelang. Wieland kam im September 1772 als Erzieher des 15-jährigen Erbprinzen Carl August nach Weimar. Nach dessen absehbarer Mündigkeit und Regierungsübernahme drei Jahre später war ihm eine lebenslange Pension von 1000 Talern zugesichert. Nicht mit Hofkapellmeister Wolf, wie es Anna Amalia gern gesehen hätte, sondern mit Anton Schweitzer arbeitete er sogleich zusammen, galt es doch, zum 33. Geburtstag der Herzogin ein Huldigungswerk zu zimmern. Es entstand ihr Singspiel »Aurora«, mit dem sie Anna Amalia apotheotisch feierten. Ebenso wie in jener Geburtstagshuldigung Georg Neumarks von 1662 auf Herzog Wilhelm  IV. gibt es auch hier einen Schlussgesang zum Mitsingen aller Mitwirkenden, ja aller Anwesenden. Wie Klaus Manger dazu schreibt  : »Und der Gedanke des goldenen Neuanfangs mit allen zur Verfügung stehenden Künsten senkte sich dabei gewissermaßen in jedes Herz.«42 Der Gedanke an einen goldenen Neuanfang wurde allerdings schon bald nicht mehr mit Anna Amalia, sondern mit dem Erbprinzen Carl August ver-

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bunden. Für dessen 16. Geburtstag am 3. September 1773 entstand Wieland/ Schweitzers lyrisches Drama »Die Wahl des Herkules«. Die antike-verbrämten klaren pädagogischen Ermahnungen Wielands an seinen Zögling mündeten im Epilog in die Forderung, er möge ein »Beyspiel jeder Fürstentugend« und seines »Volkes Lust« sein. Nun ja. Dass dies alles sehr beifällig aufgenommen wurde, versteht sich, auch, dass die beiden Autoren sehr zufrieden waren. Dass wir heute darin mehr zu sehen vermögen als die Zeitgenossen, quasi den Ansatz zu einer Zukunftsprojektion im Sinne des »besonderen Looses« Weimars mit Wieland als deren Urheber und dann kräftigen Förderer, steht auf einem anderen Blatt. Wir wissen eben, wie es weiterging. Zwischen den genannten beiden Huldigungswerken zum 33. bzw. 16.  Geburtstag erarbeiteten Wieland und Schweitzer ein Kunstwerk von musikhistorischem Rang  : die deutsche Oper »Alceste«, ein »Singspiel in fünf Aufzügen«, am 28.  Mai 1773 im Schlosstheater uraufgeführt. Bis zum Schlossbrand am 6.  Mai 1774, also in knapp einem Jahr, erlebte sie hier 25  Vorstellungen und wurde andernorts vielfach nachgespielt. Zweifellos wurde das Interesse an der »Alceste« in erheblichem Maße vom Beitrag Wielands her provoziert. Der hatte in seinem noch jungen »Teutschen Merkur« gewaltig die Werbetrommel gerührt. Selbstredend galt seine Agitation im Engeren dem Werk selbst, in erster Linie dem eigenen Libretto. Darüber hinaus aber verknüpfte er seinen Namen als berühmter Schriftsteller und dieses Werk mit dem Ort, an dem er seit ein paar Monaten als Erzieher des Erbprinzen wirkte – ein Anfang in der medialen Inszenierung Weimars, dieses kleinen Hofes, den außerhalb Thüringens kaum jemand kannte. Schon am 21.  Mai 1773, eine Woche vor der Uraufführung, hatte er an seine Vertraute Sophie La Roche geschrieben  : »Meine Alceste wird nun bald hier aufgeführt werden. Ich wünschte, daß Sie dabey seyn könnten. Fremde vom ersten Rang und von zuverlässigem Urtheil, welche in England, Frankreich und Italien alles gesehen und gehört haben, waren bey der repetition beynahe außer sich vor Verwunderung, in Weimar so was zu hören.«43 Im »Teutschen Merkur« pries er zudem die Umfeldbedingungen. Das Schlosstheater stehe drei mal wöchentlich jedermann unentgeltlich offen, auch den »untern Classen«, und sei damit ein in Deutschland einmaliges Vorbild für eine aufklärerische Volkserziehung durch das Theater als einer »Schule guter Sitten und tugendhafter Empfindungen«. Das war so, wenn wir im Sinne kritischer Erinnerung auch anfügen müssen, dass es eine strenge ständische, d. h. Adel und Bürgertum trennende Sitzordnung gab und dem bürgerlichen Publikum Beifalls- und Missfallensbekundungen als unanständig untersagt waren. Ausgerechnet zwei Wochen vor der »Alceste«-Uraufführung war die Anna Amalias theatralische Sendung 

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Sitzordnung durchbrochen worden, was selbstredend untersucht und geahndet wurde. Die »mehresten Personen geringern Standes« hatten sich »sehr unanständig betragen, und sogar die ersten Plätze im Parterre Nr.  1 eingenommen«44. Um Ähnliches für die Zukunft zu verhindern, gab es seitdem Eintrittskarten. Genauer betrachtet konnte das bürgerliche Publikum also nur an dem ihm zugewiesenen Platz und ohne eine Meinung kundzutun, dafür aber unentgeltlich an den theatralischen Ereignissen teilhaben. Immerhin  ! Selbstredend führten sowohl die Koch’sche wie auch die Seyler’sche Theatertruppe neben Schauspielen (musikalisch durch Entreactes angereichert) auch kleine Opern der Zeit auf, insbesondere Werke der opéra comique etwa von Duni oder Monsigny. Vor allem ihre Singspielaufführungen aber sorgten für eine feste Verankerung des Musiktheatralischen in Weimar. Diese Verankerung riss sehr bemerkenswerter Weise auch dann nicht, als sich am 6. Mai 1774 das Schlimmstmögliche ereignete  : ein verheerender Schlossbrand, bei dem neben der Bach’schen Schlosskirche »Himmelsburg« auch das Schloss­ theater vollständig ausbrannte. Die Seyler’sche Gesellschaft ging nach Gotha, Schweitzer wurde dort vier Jahre später der Nachfolger von Hofkapellmeister Benda. Als solcher blieb er bis zu seinem Tod 1787 in Gotha, also auch nach der »Aufhebung« des dortigen Theaters 1779 und dem Weiterziehen seiner einstigen Truppe nach Mannheim. In Weimar begann nach dem Schlossbrand wiederum wie schon 1758 ein Jahrzehnt ohne Theatertruppe. Die Hofkapelle wurde diesmal allerdings nicht entlassen. Und es fand sich eine aus höfischen und bürgerlichen Mitgliedern bestehende Laien-Schauspieltruppe zusammen, die Erstaunliches zuwege brachte und damit weit mehr als ein Verlegenheitstheater war. Ohne Theater – und dies immer mit Musik – ging es eben nun nicht mehr. Anna Amalia, seit September 1775 »Herzogin-Witwe«, hatte daran großen Anteil. Die von ihr 1768 neu begründete Theaterentwicklung erwies sich fortan als nachhaltig, entgegen allen widrigen Umständen. Anna Amalia war 36 und nun Her zogin-Witwe, als sie ihre theatralische Sendung mit dem Singspiel »Erwin und Elmire« auf einen individuellen Höhepunkt führte. Jenseits regentenhafter Verantwortung trat sie schöpferisch für ihre Passion in Erscheinung. Das war im Mai 1776. Das Libretto, das sie unter Mitarbeit ihres Hofkapellmeisters mit Musik versah, war von Johann Wolfgang Goethe, dem berühmten Dichter und neuen Stern in Weimar neben Christoph Martin Wieland, den er kurz zuvor mit der Farce

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Abb. 11  : Die Wilhelmsburg nach dem Brand 1774.

»Götter, Helden und Wieland« (zur »Alceste«) gepiesackt hatte, der ihm dies aber längst nicht mehr übelnahm und laut von ihm schwärmte. Schon vor Weimar hatte sich Goethe in »Zwischenstundenarbeiten« um eigene Singspiellibretti bemüht. »Erwin und Elmire« war von Johann André vertont und im Mai 1775 in Frankfurt aufgeführt worden. Ebendieses Libretto vertonte jetzt abermals  – sein Autor war noch ganz frisch in Weimar  – ausgerechnet die Herzogin-Witwe Anna Amalia, nur zehn Jahre älter als er. Am 24. Mai 1776, ein Jahr nach der Frankfurter Premiere mit der Musik Andrés, zwei Jahre nach dem Weimarer Schlossbrand und drei Jahre nach der »Alceste«, wurde das Singspiel im Hauptmann’schen Redoutenhaus öffentlich uraufgeführt. Sechs weitere Vorstellungen folgten im ersten Jahr, am 4. und 10. Juni, 10. September und 21. November 1776 sowie 27. Februar und 1. März 1777. Es war das Auftaktwerk zu einer Reihe ähnlicher Singspielschöpfungen des Liebhabertheaters, die dann allerdings jeweils nur eine bis drei Aufführungen erlebten. Die weiterwirkende Fama hat bewirkt, dass »Erwin und Elmire« von ­Goethe und Anna Amalia sowohl in einem Neudruck von 1921 als auch einer CD-Aufnahme von 2007 gut zugänglich ist. Insofern kann man sich leicht von den durchaus erstaunlichen Qualitäten der insgesamt knapp einstündigen Anna Amalias theatralische Sendung 

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Musik (21 Nummern) überzeugen. Erfrischend die Ouvertüre und die Entreacte-Musik mit ausgeprägtem Violinsolo. Durchweg charakterlich gut getroffen die vielen liedhaften Stücke, mit den beiden Höhepunkten »Ein Veilchen auf der Wiese stand« und »Sieh mich, Heil’ger, wie ich bin«. Um komplexere Gestaltung bemüht etwa die Szene »Mit vollen Atemzügen«, in der liedhafte, rezitativische und ariose Momente zusammengebunden sind. Zum Happy-end ein schwungvolles Quartett aller Beteiligten. Würde man davon ausgehen, dass die soeben noch regierende Herzogin dies allein zuwege gebracht hätte, müsste man sich sehr wundern. Und da­ rüber nachdenken, ob jene – wohl von solcher Annahme ausgehenden – Glorifizierungen, sie sei eine »Meisterin der Musik« (von Ungen-Sternberg 1844) bzw. »große künstlerische Persönlichkeit« (Amalie Abert 1951) gewesen, doch recht gehabt hätten. Würde dagegen der musikalische Vertrauensmann der Herzogin Hofkapellmeister Wolf als Mitautor gelten, wäre man weniger erstaunt, zumal dessen Sinfonien (inzwischen ebenfalls auf CD vorliegend) sein gediegenes kompositorisches Niveau ausweisen. Dass Wolf kompositorisch mitgearbeitet hat, ist mehr als wahrscheinlich, zumal er dies später selbst ausplauderte. In welchem Umfang, wissen wir aber nicht. Ein kleines Erstaunen über die Leistung Anna Amalias als einer gut vorgebildeten Laienkomponistin kann also durchaus bleiben. Um es mit dem Fazit Peter Gülkes zu sagen  : »Was, wie und wieviel die Herzogin immer komponiert hat – ohne sie wäre es nicht denkbar gewesen.«45 Insgesamt gesehen jedenfalls eine Vertonung mit einem Kunstanspruch, der über die Sphäre des Gesellschaftsspiels deutlich hinausging. Und die als eine Art »Urknall« die eigene Produktivität des Liebhabertheaters der »Tafelrunde« angeregt hat, das nun in ganz erstaunlicher Weise die theatralische Sphäre in Weimar weitertrug. Wenn wir dies hinsichtlich von Anna Amalia generalisieren wollen  : Ihre Hauptleistung ist nicht die wie auch immer zu wertende künstlerische Qualität, sondern ihre Anregungsintensität, ihr individuelles kunstförderndes Engagement. Da konnte aus der Vorliebe, aus der Passion für das Theaterspiel der über lange Jahre regierenden Reichsfürstin eine theatralische Sendung und daraus eine nachhaltige Theaterentwicklung von hoher Bedeutung werden.

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12. DIE WEIMARER »ALCESTE« VON 1773  : WIELAND CONTR A GLUCK  ? Am 28.  Mai 1773 wurde von der Abel Seyler’schen Theatergesellschaft und der Weimarer Hofkapelle im Schlosstheater der »Wilhelmsburg« eine der ersten deutschen Opern uraufgeführt. Ihr Libretto stammte von Christoph Martin Wieland, die Komposition vom Kapellmeister der Theatertruppe Anton Schweitzer. Die Aufführung war überaus erfolgreich. In dem einen Jahr bis zum Schlossbrand erlebte das neue Werk weitere zwei Dutzend Vorstellungen, eine für damalige Verhältnisse überaus hohe Zahl. Im Folgejahrzehnt hatte sie zudem einen weiten Verbreitungsradius auf deutschen Bühnen. Warum aber Weimarer »Alceste«  ? Nun, die Oper von Wieland und Schweitzer stand in direkter Konkurrenz zu einer Wiener »Alceste«. Die stammte von Raniero Calzabigi und Christoph Willibald Gluck und war dort 1767 uraufgeführt worden, als zweite Reformoper der beiden Autoren. Als erste war 1762 »Orfeo ed Euridice« vorweggegangen. Über beide Opern war das Wiener Uraufführungspublikum vor allem erstaunt gewesen, was auf ihre Neuartigkeit verweist, wenn die »traurige Alceste«  – wie Mozarts Vater sie bezeichnete  – auch schon erfolgreicher war als »Orfeo ed Euridice«. In ihrer Grundthematik selbstloser Gattenliebe hängen beide Opern eng zusammen. Den beiden italienischsprachigen Reformopern Glucks und Calzabigis setzte Wieland nun ein deutschsprachiges Opernlibretto entgegen, das durch Schweitzer in mehr oder weniger italienischer Tradition vertont wurde. Von Mozart als dem avanciertesten Musikdramatiker der Zeit gibt es zwei Bemerkungen über das Werk. Am 3. Dezember 1777 berichtet er aus Mannheim an den Vater  : »die alceste hat sehr gefallen, […] freylich hat das viell beygetragen, weil es daß erste teütsche Singspiell war.« 46 Ebenfalls in einem Brief an den Vater, Die Weimarer »Alceste« von 1773 

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Abb. 12  : Titelkupfer zum Klavierauszug der Oper (II. Akt).

vom 18. Dezember 1778, ist Detaillierteres zu lesen  : »Nun wird zu München die trauerige Alceste vom schweizer aufgeführt  ! – – das beste (nebst einigen anfängen, mittelpaßagen, und schlüsse einiger Arien) ist der anfang des Recitativ  : O jugendzeit  ! […] – das schlechteste aber, (nebst den stärckesten theil der opera) ist ganz gewis die ouverture.«47 Es gibt keinerlei Grund, die Gültigkeit dieser Urteile anzuzweifeln. Bedenkt man das Genie des Urteilenden und die Schärfe seines Maßstabes, ist es durchaus kein schlechtes Qualitätszeugnis. Im ersteren Brief äußert sich Mozart im Übrigen auch prägnant über Anton Schweitzer  : »H. kaplm.: schweizer ist ein guter, brafer, ehrlicher Mann. Trocken, und glatt wie unser haydn nur das die sprache feiner ist.«48 Mit seiner Bemerkung, dass die Zustimmung sehr mit der Deutschsprachigkeit der Oper zusammenhing, lag er ganz auf einer Linie mit Wieland selbst. Der hob im »Teutschen Merkur« hervor  : »Eine Oper in deutscher Zunge,  – in der Sprache, worinn Kayser Carl der Fünfte nur mit 106

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seinem Pferde sprechen wollte, – von einem Deutschen gesezt, von Deutschen gesungen, – was kan man Gutes davon erwarten  ? […] Daß Alceste von einem Deutschen componiert worden, ist ein Umstand, der in der Geschichte unsrer Musik immer merkwürdig bleiben wird.«49 Merkwürdig, d. h. des Merkens würdig. »Eine Oper in deutscher Zunge« trifft den Anspruch des Werkes weitaus mehr als die vorsichtige Bezeichnung »Singspiel in fünf Aufzügen«, die über dem Werk steht. Wenn auch Bezeichnungen und Gattungsgrenzen fließend waren (und sind), muss es dem deutschen Schriftsteller bei solchem Stoff und bei solcherlei Konkurrenz um weitaus mehr gegangen sein, als eines der üblichen Singspiele zu verfassen. Wohl von daher eben das Sujet nach Euripides und parallel zu Calzabigi/Gluck, von daher und nicht nur wegen der Euripides-Vorlage die Gliederung in fünf Akte nach dem Vorbild der antiken Tragödie, von daher das deutschsprachige Libretto in der überkommenen Formenwelt der italienischen Oper, von daher die sehr intensiven Werbeaktionen im gerade erst entstandenen Teutschen Merkur für seine Oper und für Weimar als ihren Entstehungsort, von daher die Auseinandersetzungen um Oper generell in ebendiesem Journal Wielands. Nach den »Briefen an einen Freund über das deutsche Singspiel Alceste« und der »Abhandlung über das Singspiel« von 1773 kulminieren sie hier zwei Jahre später im »Versuch über das deutsche Singspiel und einige dahin einschlagende Gegenstände.« Zu bedenken dabei ist, dass das 1773 begründete Journal seit 1775 mit etwa 2000  Abonnenten zum publizistischen Schwergewicht herangewachsen war. Zu bedenken ist andererseits, dass sich Wieland – wie generell – mit den drei Beiträgen vom kleinen Weimar aus in eine übergreifende europäische Debatte von hoher Brisanz hineinbegab. Als »Buffonisten-Streit« der Anhänger Piccinnis gegen die Anhänger Glucks führte diese Debatte dann, in der zweiten Hälfte der 1770er-Jahre, in Paris zu einem Meinungskrieg der besonderen Art. Zugespitzt ging es um die Frage, wem in der Oper das Primat gebühre  : der Schönheit (im Sinne der bisherigen italienischen Oper) oder dem Charakter (im Sinne der Dramatik der Gluck’schen Reformopern). »Startschuss« der Debatte war Glucks Vorrede in der 1769 erschienenen Ausgabe seiner »Alceste« von 1767 im Druck, quasi als Manifest seiner Opernreform  : »Als ich mich entschied, die Musik der Alceste zu machen, nahm ich mir vor, sie vollständig von all jenen Missbräuchen zu befreien, die, entweder durch die missverstandene Eitelkeit der Sänger oder durch die zu große Gefälligkeit der Maestri eingeführt, seit langer Zeit die italienische Oper verunstalten und aus dem prächtigsten und schönsten aller Schauspiele das lächerlichste und Die Weimarer »Alceste« von 1773 

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langweiligste machen. Ich beabsichtigte, die Musik auf ihre wahre Aufgabe zu beschränken  : der Dichtung für den Ausdruck und die Gegebenheiten des Stoffes zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen oder sie durch nutzlose, überflüssige Verzierungen erstarren zu lassen, und ich glaubte, dass sie dasselbe bewirken solle, was für eine einwandfreie, gut entworfene Zeichnung die Lebhaftigkeit der Farben und der ausgewogene Kontrast von Licht und Schatten bedeuten, die dazu dienen, die Figuren zu beleben, ohne ihre Umrisse zu verändern. […] Außerdem glaubte ich, dass meine größte Mühe sich darauf konzentrieren müsse, eine schöne Einfachheit zu suchen  ; und ich habe vermieden, zum Nachteil der Klarheit mit Schwierigkeiten zu prunken  ; ich habe die Entdeckung irgendwelcher Neuheiten nicht für erstrebenswert angesehen, es sei denn, sie hätten sich in natürlicher Weise aus der Situation oder dem Ausdruck ergeben  ; und es gibt keine Regel, die ich nicht gern zugunsten der Wirkung opfern zu müssen geglaubt habe.«50 Die Vorrede muss Wieland außerordentlich bewegt haben. Vielleicht von daher ist zu verstehen, dass er sich wenig später ausgerechnet dem gleichen Sujet wie Gluck und Calzabigi zuwandte, der »Alkestis« des Euripides, dies nun aber eben als deutschsprachiger Schriftsteller in seiner Muttersprache. Es ist plausibel, dass Glucks Vorrede von 1769 eigene Positionen bestärkt, wenn nicht geradezu provoziert hat. Jedenfalls entspricht Wielands Äußerung zum grundsätzlichen Verhältnis von Wort und Vertonung auffällig dem, was Gluck da niedergelegt hat. Bei Wieland heißt es so  : »Denn was unternimmt der Komponist, der das Werk eines Dichters in Musik setzt, anders, als die Zeichnung und Skizze eines andern auszumahlen  ?«51 Gleich oder zumindest sehr ähnlich sind auch weitere Überlegungen, etwa zur nötigen engen Zusammenarbeit von Dichter, Komponist und den Interpreten, oder zur Anforderung an das Libretto, den dramatischen Fluss der Handlung mit größtmöglicher Einfachheit zu verbinden, um der Musik Spielräume zu lassen. Übereinstimmung gibt es ebenso sowohl in der Forderung nach edler Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrheit als auch in der Polemik gegen musikalische Fehlentwicklungen in der opera seria. Differenzen zeigen sich zur Frage, was die Oper leisten könne. Nach Wieland vermag sie »große moralische Karaktere, erhabene Gesinnungen, edle Kämpfe zwischen Tugend und Leidenschaft« darzustellen, »unser Gemüth mit schönen sittlichen Idealen zu ergetzen, und eine Menge feiner Sentenzen anzubringen52. Das klingt deutlich moralisierender als es von Gluck zu erwarten wäre, der seinen Librettisten Calzabigi rühmte, er habe »die blumenreichen Beschreibungen, die überflüssigen Gleichnisse und die sentenziösen und kühlen 108

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Moralitäten durch die Sprache des Herzens, starke Leidenschaften, fesselnde Situationen und ein stets abwechslungsreiches Schauspiel ersetzt«.53 Beispielsweise veredelt Wieland seinen Herkules vom antiken Kraftprotz der Euripides-Vorlage, der begangenes Unrecht wiedergutmacht, zum edlen Helden, der aus freiem Entschluss und selbstlos seinem Freund die Frau zurückbringt – was er in den »Briefen zur Alceste« ausführlich erläutert. Was nun allerdings von Goethe aber in der Farce »Götter, Helden und Wieland« im gleichen Jahr 1773 kraftgenialisch mit dem Vorwurf verspottet wurde, Wieland habe Natur und Wahrheit arg beschnitten. Calzabigi/Gluck hatten die Herkules-Gestalt in ihrer Wiener »Alceste« ganz weggelassen und einen »Deus ex machina«-Schluss vorgezogen. In der französischen Neufassung des Stückes von 1776 – es gibt also neben der Wiener und der Weimarer eine Pariser »Alceste« – ist Herkules dann interessanterweise in ähnlicher Weise wie bei Wieland einbezogen. Die der jeweiligen Profession gemäßen wesentlichen Unterschiede zwischen den Positionen des Sprachkünstlers Wieland und des Tonkünstlers Gluck werden im Kernbereich musikästhetischer Anschauungen deutlich, vor allem gespeist von Überlegungen zur beabsichtigten Wirkung. Für Wieland war hier die »Rührung« der Schlüsselbegriff, mit der Folge von »Thränen der Freude, der Liebe, der zärtlichen Überwallung eines innigst gerührten Herzens«.54 Immer wieder hob er die idealisierende, verschönernde, mäßigende Kraft der Musik als »Sprache der Leidenschaften« hervor. Von daher verlangte er vom Librettisten, extreme Leidenschaften auszuschließen, da die Musik nur gemäßigte hervorbringen könne. Diese Forderung war tief mit Wielands philosophischen Ideen vom mäßigenden Ausgleich von Vernunft und Gefühl verwoben. »Die Musik  – dieß ist, däucht mir, hierin das große entscheidende Naturgesetz  !  – die Musik hört auf Musik zu seyn, so bald sie aufhört Vergnügen zu machen. Alles zu verschönern, ist ihre Natur. Der Zorn, den sie schildert, ist der Zorn des Engels, der den aufrührischen Satan in den Abgrund stößt  ; ihre Wuth ist die Wuth der Liebesgöttinn über den eifersüchtigen Mars, der ihren Adonis getödtet hat. Die Wuth des Ödip, der sich in seiner Verzweiflung die Augen ausreißt, und dem Tage seiner Geburt flucht, ist ihr untersagt. Alle Gegenstände, die keine gebrochenen Farben erlauben, alle wilden stürmischen Leidenschaften, die nicht durch Hoffnung, Furcht oder Zärtlichkeit gemildert werden, liegen außer ihrem Gebiet.«55

Nur solche Stoffe sollen komponiert werden, die »der musikalischen Behandlung vorzüglich fähig sind«  : »Man könnte freylich […] auch den Altonaer Die Weimarer »Alceste« von 1773 

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Postreiter in Musik setzen  ; aber daraus, daß sich alles komponieren lässt, folgt noch nicht, daß man alles komponieren soll.«56 Die »musikalische Verschönerung« dürfe den Stoffen »nichts von ihrer Wahrheit« nehmen. Corneilles sterbende Kleopatra würde entweder gegen den Willen des Dichters musikalisch verschönt und zu Tränen rühren oder die Sängerin müßte »heulen statt singen«, Musik würde zu unzumutbarem »unleidlichen Mißgetön«. Beides sei abzulehnen. Wenn es Wieland, ähnlich Schiller in dessen musikästhetischen Ansichten, auch in erster Linie um die idealisierende Kraft der Musik, um das »Kunstschöne« ging, so näherte er sich durch die Folgerung, dass, um die Wahrheit der Stoffe zu erhalten, einige von ihnen nicht vertont werden dürften, denen, die die Funktion der Künste auf das Nachahmen der »schönen Natur« einzuschränken suchten (ein Beethoven’scher Don Pizarro wäre danach unmöglich). Als diese ästhetische Haltung im Streit der »Gluckisten« und »Piccinnisten« in Paris um 1775 als Hauptargument gegen Gluck verwendet wurde (La Harpe anlässlich der »Armida«Aufführung 1777), trat jener einer Einschränkung der Nachahmung scharf entgegen und widerlegte sie an eben dem antiken Beispiel, das auch Wieland oben verwendete, der »Ödipus«-Tragödie des Sophokles. Glucks kompromisslose Dramatik und Leidenschaftlichkeit, sein Einbeziehen der ganzen großen Palette menschlicher Gefühle und Leidenschaften mit allen zur Verfügung stehenden musikalischen Mitteln in ihrer Vielfalt führte nicht selten bei den an der italienischen Oper geschulten Zeitgenossen zu Unverständnis  ; sie empfanden die Musik als nicht mehr schön, als »Geheul der Stimmen« und »Gebrumme des Orchesters«. Es gereicht Wieland zur Ehre, dass er seine Meinung unmittelbar im Anschluss noch relativiert  : »Ich sage dies nicht ohne Furcht zu viel gesagt zu haben, und der Allmacht dieser göttlichen Kunst engere Grenzen zu setzen, als sie vielleicht wirklich hat. Wer kann bestimmen, wie hoch ein Komponist, der unter den Tonkünstlern das wäre was Michael-Angelo unter den Mahlern,  – ein Gluck oder Hayden, den Ausdruck und die Nachahmung der Natur mit glücklichem Erfolg treiben könnte  ?«57 Gluck aber schätzte Wieland so, dass er ihn 1776 um ein Gedicht als literarisches Denkmal für seine verstorbene Adoptivtochter Marianne bat. Was der nicht leisten konnte, was wohl aber ­Goethes »Proserpina« angeregt hat. Reflektiert man die Wieland’schen Opernüberlegungen, ist man einerseits erstaunt darüber, wie intensiv er sich und sein Journal in jene große Debatte hineinbegeben hat und wie Weimar durch ihn so an wichtige Entwicklungen des europäischen Theaters angebunden war. Andererseits wird bald klar, dass 110

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die »Alceste« selbst mit ihren Stärken und Schwächen eng mit seinen Theoremen zusammenhängt. Es ist also keinesfalls so, dass etwa die sprachlichen Qualitäten Wieland und die dramaturgischen Schwächen Schweitzer zuordenbar wären. Von seiner Zielvorstellung  – Oper als »rührendes Drama«  – ausgehend, meinte Wieland durch das Aussparen dramatischer Verwicklungen, durch ein Nur-Berichten über Ereignisse und vor allem durch intensives Darstellen der seelischen Zustände der Helden dem Komponisten genug Gelegenheit zu geben, dies mit ausdrucksvoller Musik »auszumahlen«. Wie er es am Ende seines »Versuchs über das deutsche Singspiel und einige dahin einschlagende Gegenstände« von 1775 in vier Maximen zusammenfasste  : 1. Verwickelte Handlungen sind ungeeignet. 2. Nur solche Charaktere sind einzubeziehen, die »durch die musikalische Verschönerung nichts von ihrer Wahrheit verlieren.«58 3. In einer einfachen Handlung sollen nur wenige Personen dargestellt werden. 4. Und dies mehr »in Empfindung und innerer Gemüthsbewegung als äußerlicher Handlung.«59

Das Ergebnis von Schweitzers Vertonung des Wieland’schen Librettos war eine fünfaktige deutschsprachige Oper mit 23 Nummern60 und einer reinen Spieldauer von etwa zweieinviertel Stunden. Secco-Rezitative, in denen oft in Rede und Gegenrede berichtet wird, nehmen lange Strecken des Werkes in Anspruch. Daneben dominieren dreiteilige Arien  ; vier davon waren schon im Libretto als Da capo-Arien vorgegeben. Ein Terzett im 2.  Akt und zwei Duette am Ende des 4. und 5. Aktes ergänzen diese Standardformen der italienischen Oper. Ein Finale mit allen Solisten und Chor beschließt das Werk, das von jener nach Mozarts Meinung schlechten Ouvertüre eingeleitet wird. Innerhalb der üblichen Gestaltungsmomente, also mit den von Gluck geächteten Textwiederholungen und Koloraturen, ist Schweitzer um Vielfalt bemüht, vermag aber manchen Leerlauf durch »Organistenzwirn« – also übermäßiges Sequenzieren  –, durch melodische und harmonische Einförmigkeit nicht zu verhindern. Er erreicht dort eine gute Wirkung und Leistung, wo ihm der Text entgegenkam und eine nicht zu dramatische und nicht über eine längere Strecke sich entwickelnde Musik erforderte. Mozart weist neben seinem Verdikt über »den stärckesten theil der opera« immerhin auf die Qualität von Admets Arioso »O Jugendzeit« (Nr.  18) hin. Singspielhafte Einfachheit (Nr. 6, 12 und 23) und eine empfindsam-tragische Haltung in kurzen Szenen (Nr. 2, 4, 5, 13, 18–21) gestaltete Schweitzer durchDie Weimarer »Alceste« von 1773 

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aus beachtenswert. Wieland hat ihn sehr gelobt. Die Arie der Alceste Nr.  9 »Weine nicht, du meines Herzens Abgott«, seine Lieblingsarie, ist zwar keinesfalls das beste Stück der Oper, aber immerhin ein Höhepunkt an empfindsamer Sentimentalität. Gewiss deshalb wurde sie in der Einsiedel/Seckendorff ’schen »Karikatur-Oper« »Orpheus und Eurydike« zur besonderen parodistischen Zielscheibe  ; die beiden Kammerherren verulkten dabei die beiden Opern zu jenen ähnlichen griechisch-mythologischen Stoffen quasi gleich zusammen. Im engsten Hofkreis plus zwölf geladenen Personen wurde das besondere Stück am 6. September 1779 in Ettersburg mit Anna Amalia als Eurydike(-Alceste) aufgeführt. Für den anwesenden Wieland war das nach eigenem Zeugnis eine ganz besondere Zumutung, und zwar insbesondere dadurch, dass er hier diese seine Lieblingsarie parodierend von einem Posthorn begleitet erleben musste. Im Brief an Merck zwei Wochen später beklagte er sich bitter darüber. Ob das begleitende Posthorn auf den Altonaer Postboten anspielt, von dem Wieland in seiner oben zitierten Bemerkung spricht, ist nicht sicher. Passen würde es jedenfalls.

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13. WIR SPIELEN SELBST  ! UND AUCH NOCH EIGENE STÜCKE

Nichts ging mehr  : Der Schlossbrand vom Mai 1774 traf den theatralisch affizierten und eben noch so erfolgreichen Hof um die Herzogin und ihren Prinzenerzieher Wieland ins Mark. Das Schlosstheater war mit ausgebrannt, die leistungsstarke Schauspieltruppe ins Gothaer Schloss Friedenstein entschwunden. Im Folgejahr stand die Regierungsübernahme durch den jungen Carl August an, und niemand wusste, ob er wirklich so theaterinteressiert sein würde wie seine Mutter. Im Gegensatz zu 1758 wurde allerdings diesmal die kleine Hofkapelle nicht aufgelöst. Es war inzwischen eine dichte Vielgestaltigkeit des höfischen Theater- und Musiklebens entstanden, die in der »Alceste« im Mai 1773 einen besonderen Höhepunkt erreicht hatte. Von dieser Vielgestalt wollte man nach jenem Schicksalsschlag nur soviel aufgeben wie zwingend nötig. Die musikalischen Möglichkeiten also nicht. Anna Amalia, zu jener Zeit noch inmitten der Dreißiger, war und blieb über den Regierungswechsel hinaus das anregende Zentrum. Als jetzige Herzogin-Witwe zog sie sich in das kurz zuvor erbaute Stadtpalais ihres Ministers von Fritsch an der Esplanade zurück, das, seitdem sie es ihm abgekauft hatte, ihr Wittumspalais war und noch heute so heißt. Noch viel mehr als ihr erstes Weimarer Leben war ihr nunmehriges zweites den Künsten und der Geselligkeit gewidmet. Beides fand seinen besonderen Ort in dem Kreis, der sich in den Wintermonaten am großen runden Tisch in der Beletage ihres Wittums­ palais versammelte und von daher dann »Tafelrunde« hieß. Eine Tafelrunde nicht mehr à la König Artus, sondern viel bemerkenswerter ständeübergreifend aus adligen wie bürgerlichen Mitgliedern und Gästen. Sommers traf man sich in Ettersburg bzw. ab 1781 in Tiefurt.

Wir spielen selbst  ! 

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Seit der Verklärung des klassischen Weimar bald nach dem Tod Goethes 1832 spielte der Begriff des »Musenhofes« für die mit dieser Runde verbundenen Wirkung als Leistung Anna Amalias eine große, wertzumessende Rolle. Der damit unwillkürlich verbundene Vergleich mit jenen anderen Musenhöfen der Geschichte etwa in Italien, an denen reiche Fürsten als großzügige Auftraggeber oder gar Mäzene für herausragende Bild- oder Wortkünstler hervortraten, verunklart allerdings eher die reale Lage. Denn von Reichtum war in Weimar keine Spur. Eher von ständiger Finanzmisere. Die Weimarer Fürsten seit 1547 mussten sich Anderes einfallen lassen, um überregional eine Rolle zu spielen. Zweifellos war die »Tafelrunde« mit ihrem ständeübergreifenden Impetus, ihrem künstlerischen wie wissenschaftlichen Interesse und ihren geselligen Ausprägungen solch ein Einfall, gewiss ebenso als echtes Bedürfnis wie als Inszenierung und Selbstinszenierung. Verbindet man »Tafelrunde« außerdem mit jenem leicht ironischen Tonfall, wie er seit Wielands Hiersein in vielen Äußerungen eine erfrischende Rolle spielte, hat man einen tragfähigen Begriff für eine in der Tat ungewöhnliche und dank ihrer bürgerlichen Protagonisten Wieland, Goethe und Herder europaweit zur Kenntnis genommene Erscheinungsform des klassischen Weimar. Wir musizieren selbst, hatte für die Musikliebhaber an Weimars Hof nach dem Tod des Herzogs 1758 und dem damit verbundenen kulturellen Bruch gegolten. Nun, nach dem Schlossbrand 16 Jahre später, war dies anders. Denn die nunmehr nicht aufgelöste Hofkapelle, jetzt ohne eine Schauspieltruppe ganz auf die eigene Kunst konzentriert, sorgte in den das Residenzschloss ersetzenden Schlössern und dem Fürstenhaus vor allem in Hofkonzerten professionell für die musikalische Unterhaltung. Mittwochs und sonntags fanden sie im Fürstenhaus statt, der gegenüber der Brandruine gelegenen interimistischen Residenz des jungen Herzogspaares Carl August und Luise, donnerstags im Wittumspalais Anna Amalias. Die Programme waren vor allem bunt. Vokalmusik hatte einen großen Anteil. Instrumentalmusik in der überkommenen Bindung an Sujets oder Funktionen trug ebenso zur Vielfalt bei wie die konzertanten Beiträge derjenigen Virtuosen, denen eine Mitwirkung gestattet worden war. Selbst Instrumentalmusik ohne jene Bindungen, damals in einer starken emanzipatorischen Entwicklung begriffen, dürfte in Gestalt etwa der Sonaten und Sinfonien des Hofkapellmeisters Wolf eine gewichtige Rolle gespielt haben. Wolf scheint sich nach seiner »Niederlage« gegen Schweitzer im Singspiel-Komponieren zunehmend auf rein instrumentale Werke konzen­ triert zu haben. Die von ihm geleitete und seit 1776 auch in den Staatshandbüchern des Herzogtums wieder verzeichnete Hofkapelle umfasste 1777 neben 114

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Abb. 13  : Corona Schröter

ihm einen Konzertmeister, vier Sängerinnen, einen Sänger und fünf Kammermusiker, war im Kern also ein Kammerensemble. Als Verstärkung standen aber nach wie vor 6 bis 12  Musiker der Trompeter-Pauker-Gruppe und die sechs Hofhautboisten, d. h. Militärmusiker bereit. Auch Kräfte aus Kirche und Schule und der Stadtmusik konnten hinzugezogen werden. Nach dem vorzüglichen Geiger Carl Gottlieb Göpfert 1770 kam im November 1776 ein noch auffälligerer strahlender Stern in das Ensemble  : die von Goethe nach Weimar verpflichtete Sängerin Corona Schröter (1751–1802). Von Johann Adam Hiller in Leipzig sängerisch ausgebildet, war sie schon dort der Star der Konzerte und eines Liebhabertheaters gewesen. Und der Liebling des Leipziger Publikums. Auch der Student Goethe hatte sie angeschwärmt. Kaum in Weimar, gewann er sie für seinen neuen Wirkungsort, als Kammersängerin am Hof Anna Amalias. Außer ihrer sängerischen Präsenz versiert auf Cembalo und Gitarre, im Komponieren, Zeichnen und Malen sowie in vier Fremdsprachen, hatte sie als Darstellerin zudem den besonderen Vorzug, eine schöne Frau zu sein. Ab Ende 1776 bezauberte sie Weimar. Wir spielen selbst  ! 

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Ein halbes Jahr zuvor, im Mai 1776, hatte sich hier jenes Ereignis zugetragen, das die Mit- und Nachwelt viel mehr interessierte als jene Hofkonzerte  : die Aufführung eines Goethe’schen Singspiels mit der Musik Anna Amalias. The­ ater also, zwei Jahre nach dem Schlossbrand. Und dies nicht mit einer von außen verpflichteten Truppe, sondern einem eigenen Liebhabertheater nach dem trotzigen Grundimpuls »Wir spielen selbst  !« Schon Anfang 1775 war es um den vielseitigen späteren Unternehmer Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) zusammengekommen. Bald nach seiner Ankunft in Weimar im November 1775 wirkte auch Goethe mit  ; 1779 übernahm er von Bertuch die Leitung. Durch seine Mitwirkung und die Aufführung seiner Singspiele kam das Liebhabertheater bald in eine ganz besondere Rolle. Schon für die Zeitgenossen war mit ihm, dem Autor des »Werther«, ein unvergleichlicher Stern am Weimarer Himmel aufgegangen. Wieland trug mit enthusiastischen Äußerungen sehr zu dieser Überzeugung bei. Dieser Stern glänzte nun auch über dem Liebhabertheater der »Tafelrunde«. Und ein Jahr später kam mit Corona Schröter ein weiterer hinzu. Für Goethe war die Laientheaterarbeit zugleich zeitaufwändig und lohnend, wie alle seine Weimarer Ämter, lohnend vor allem als Erfahrungsgewinn. Schon vor und damit ohne Goethe war die Idee, nach dem verheerenden Schlossbrand die theatralische Lücke durch eigenes Tun auszufüllen, ein überaus schätzenswertes Vorhaben, zumal eigenes Tun auch eigenschöpferische Formen in Wort und Musik annahm. Man gab sich eben nicht zufrieden mit einem individuellen Imaginieren theatralischen Erlebens beim konzertanten Erklingen von Opernausschnitten oder beim Lesen und Vorlesen von Schauspieltexten. Wir spielen selbst, war die aktive Grundhaltung. Und dies nicht etwa, um mit künstlerischer Leistung der Welt zu imponieren, sondern um Anderen eine Freude und das eigene Leben reicher zu machen. Dies taten die Akteure sowohl in der Weimarer Öffentlichkeit wie in exklusiver Abgeschiedenheit. In den Schlössern und Schlossparks in Ettersburg ab 1777 und Tiefurt ab 1781, wo Mitglieder der herzoglichen Familie mitspielten – auch Carl August und Anna Amalia –, war nur ein exklusiver Hofkreis zugelassen. An den Aufführungen in Weimar dagegen, wo immerhin auch Kammerherren, Minister und Frauen hoher Hofbeamter mitwirkten, konnte das breite Publikum ebenso teilhaben wie vor dem Brand im Schlosstheater. Sie fanden zunächst im Hauptmann’schen Redoutenhaus an der Esplanade, seit 1780 dann im neuerbauten Komödienhaus statt. Der produktive Ansatz des Liebhabertheaters im kompositorischen Bereich richtete sich natürlich auf die überkommenen Formen und Funktionen von Musik, also vor allem darauf, Mittel zur Geselligkeit und zur Begleitung des 116

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Wortes in Singspiel und Lied zu sein. Damit wurde man allerdings, wenn man Libretti oder Gedichte von Goethe oder Herder vertonte, zu deren Partnern. Dies betraf vor allem den Kammerherrn Carl Friedrich Sigismund Freiherr von Seckendorff (1744–1785), der sowohl die von Herder 1777/78 herausgegebenen Volksliedtexte wie auch mehrere Gedichte und Singspiele Goethes musikalisierte. Seine Melodien spielten in der Weimarer Hausmusik eine damals dominierende Rolle, und dies in den Salons des Adels ebenso wie in den Zimmern der Bürger. Ein produktives Zentrum in Dichtung und Musik war auch der Kammerherr Friedrich Hildebrand Freiherr von Einsiedel (1750–1828). Jenem »Urknall« von »Erwin und Elmire« im Mai 1776 folgten mehrere Singspiele Goethes mit der Musik von Siegmund von Seckendorff  : am 30. Januar 1777 und ebenfalls in Weimar das Singspiel »Lila«, am 20. Mai 1779 in Ettersburg »Die Laune des Verliebten«, am 12. Juli 1780 im neuen Komödienhaus »Jery und Bätely«. Dazwischen entstand das Monodrama »Proserpina« und wurde zusammen mit dem »Triumph der Empfindsamkeit« am 30. Januar 1778 im Hauptmann’schen Redoutenhaus aufgeführt. Allesamt erlebten sie ein oder zwei Wiederholungen. Beim Monodrama »Proserpina« waren nach dem Vorbild Georg Anton Bendas Sprachmelodie und Sprechrhythmus genau vorgegeben – eine schon für professionelle Schauspieler besondere Herausforderung. Hinzu kam eine Reihe heiterer Werke mit Musik, die in der Exklusivität von Schloss und Schlosspark Ettersburg zur besonderen Unterhaltung des höfischen Publikums beitrugen. So Goethes »Jahrmarktsfest von Plundersweilern« mit Musik von Anna Amalia und Seckendorff am 20. Oktober und 6. November 1778 sowie 3.  Juni 1779, so die »Karikatur-Oper« »Orpheus und Eurydike« von Einsiedel und Seckendorff als Travestie der »Alceste« Wielands und Schweitzers am 6. September 1779 mit Anna Amalia in der Hauptrolle, so die »Zigeuner-Oper« »Adolar und Hilaria« von Einsiedel mit Beiträgen Goethes am 1. September 1780 mit Goethe als Adolar und Corona Schröter als Hilaria. In ebendieser Umgebung, im Schlosspark von Ettersburg, spielten beide auch die Hauptrollen in der legendären Uraufführung von Goethes »Iphigenie auf Tauris« am 6. April 1779, mit der das Liebhabertheater der »Tafelrunde« den Höhepunkt seines Nachruhms erreichte. Insgesamt gesehen eine ganz erstaunliche Dichte eigener Werke, die zu dem »Wir spielen selbst  !« als »Wir spielen selbst und auch noch eigene Werke  !« hinzukam. Nur bei solcher hohen Ambitioniertheit wird der Neubau des Komödienhauses 1780 verständlich. Obwohl eben ein professionelles Ensemble zu seinem Bespielen gar nicht bzw. noch nicht wieder existierte. Die leidenschaftliche Wir spielen selbst  ! 

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Liebe zum Theater und das eigene Engagement waren als ein Wechsel auf eine gute theatralische Zukunft Sicherheit genug. Das am 26.  Mai 1780 mit Seckendorffs Singspiel »Robert und Kalliste« eröffnete Haus auf dem Platz des heutigen Deutschen Nationaltheaters, also gegenüber dem Wittumspalais der nun 40-jährigen Anna Amalia gelegen, war dann das Theater des klassischen Weimar. 1798 innen wohltuend umgebaut, brannte es im März 1825 nieder. Das bis 1798 auch anderen Veranstaltungen, etwa großen Hofbällen, Redouten dienende Haus war weitaus größer als das Hauptmann’sche Redoutenhaus wenige Hundert Meter entfernt, wo im Übrigen immer erst die Bühne für Proben und Aufführungen hatte eigens aufgebaut werden müssen. Die neue Raumdimension brachte neue Herausforderungen mit sich, insbesondere an die Hofkapelle. Die wurde nun vergrößert und reorganisiert. Vor allem wurden 1780 bzw. 1781 diejenigen Musiker nun als »Hofmusici« in sie integriert, die bisher zur »Hautboisten-Bande«, also zur Militärmusik bzw. zur Trompeter-Pauker-Gruppe (ohne das mit einem repräsentativen Schloss verbundene überkommene Hofzeremoniell waren sie ohnehin in ihrer Hauptfunktion beeinträchtigt) gehört hatten. Mit ihrer Inkorporation in die Hofkapelle wurde deren nunmehrige Hierarchie neu begründet  : Hofmusiker – Kammermusiker  – Hofkonzertmeister (später Musikdirektor)  – Hofkapellmeister. In den Staatshandbüchern 1781–1783 sind Hofkapellmeister Wolf, Hofkonzertmeister Göpfert, vier Sängerinnen, ein Sänger, fünf Kammermusiker und 17 Hofmusiker ausgewiesen. 20 Jahre später waren es lediglich zwei Kammerund ein Hofmusiker mehr, und das bei vollem Opernbetrieb im Hoftheater. Einige Aufgaben übernahmen die Stadtmusiker um Alexander Bartholomäus Eberwein. Die Sitzordnung der Kapelle spiegelte die Hierarchie  : Nebenei­ nander saßen gleichrangige Musiker, nicht etwa Musiker gleicher Instrumente. Mit dem Bau des Komödienhauses und der Festigung einer vergrößerten Hofkapelle sind die Voraussetzungen für das abermalige Engagement einer professionellen Theatertruppe verbessert worden. Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass dies eine vorausschauende Motivation dafür gewesen sein könnte, zumal das eigene liebhabertheatralische Engagement nach 1780 nachließ. Dies hing insbesondere damit zusammen, dass Goethe 1781 mit dem Kammerpräsidium die Leitung der Staatsfinanzen in einer Krisensituation übernahm. Auch für ihn waren die Staatsgeschäfte so leicht nicht zu bewältigen, hier etwa der von ihm letztlich durchgesetzte scharfe Schnitt im Militäretat. Insofern war die Uraufführung seiner »Fischerin« am 22.  Juli 1782 im nächtlichen Tiefurter Schlosspark am Ende der Ilm-Biegung ein schon quasi nachgelagerter denkwürdiger Schlusspunkt des »Wir spielen selbst und auch 118

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noch eigene Stücke«, am 18. September noch einmal wiederholt. Das »Waldund Wasserdrama« enthielt Volkslieder aus Herders Sammlung und den der Volksdichtung nahen »Erlkönig«, die nun nicht von Seckendorff, sondern von der Hauptdarstellerin Corona Schröter vertont worden waren. Ihre im Sinne Goethes als Strophenlied angelegte »Erlkönig«-Erstvertonung wirkt auf uns, die wir Schuberts Komposition als kongenial empfinden, etwas hausbacken. Was historisch gesehen aber wohl eben etwas irrig ist. Auch irrig dürfte sein, das reale »Wasserdrama«, das sich am Rande der Aufführung ereignete, als ein Symbol für Kollateralschäden der Weimarer höfisch-exklusiven Kultur und Geselligkeit zu verstehen. Die Brücke am Rand des Parks brach nämlich unter der Last der vielen Schaulustigen zusammen. Sie erlebten also ein unfreiwilliges Bad in der Ilm. Heute ist das nicht mehr zu befürchten. Die beiden Brücken oberhalb und unterhalb der Flussbiegung sind stabil. Und von einer Exklusivität des Zugangs sind die Nachaufführungen, die alljährlich Kulturtouristen zuhauf anlocken, weit entfernt. Der Ort der Aufführungen aber ist noch der gleiche, an dem einst Corona Schröter als Darstellerin und Komponistin zusammen mit Johann Adam Aulhorn, Heinrich Seidler und zwölf Chorschülern aus dem Gymnasium die geladenen Gäste beglückte. In der besonderen Stimmung des nächtlichen Tiefurter Schlossparks hatte das Liebhabertheater der »Tafelrunde« zu einem eindrucksvollen Schlusserlebnis gefunden. Den umfassenden Schlussakkord zu dessen Wirken formulierte etwa gleichzeitig wiederum Goethe. Der überaus vielseitige Theatermeister des Lieb­habertheaters, der Weimarer Tischlermeister Johann Martin Mieding, war ein halbes Jahr zuvor verstorben. Goethe setzte ihm und dem von Mieding umsorgten Theater ein vielstrophiges Denkmal, »Auf Miedings Tod«, das im Heft 23 des handschriftlich verbreiteten »Tiefurter Journals« intern veröffentlicht wurde. Die ehrende Schlussansprache an Miedings Grab legt Goethe Corona Schröter in den Mund. Ihr aber ist zuvor in dem Gedicht – in fünffüßigen Jamben – ein wundervolles Erinnerungszeichen gewidmet  : »Ihr Freunde, Platz  ! Weicht einen kleinen Schritt  ! / Seht, wer da kommt und festlich näher tritt  ! / Sie ist es selbst – die Gute fehlt uns nie –, / Wir sind erhört, die Musen senden sie. / Ihr kennt sie wohl  ! Sie ist’s, die stets gefällt  ; / Als eine Blume zeigt sie sich der Welt. / Zum Muster wuchs das schöne Bild empor, / Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor. / Es gönnten ihr die Musen jede Gunst, / Und die Natur erschuf in ihr die Kunst. / So häuft sie willig jeden Reiz auf sich, / Und selbst dein Name ziert, Corona, dich. // Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn  ! / Nur absichtslos, doch wie mit Absicht schön. / Und hocherstaunt seht ihr in ihr vereint / Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.«61 Wir spielen selbst  ! 

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14. DER ZAUBER ITALIENS

Anna Amalia liebte italienische Musik und teilte die Italiensehnsucht ihrer Zeitgenossen. Dies ist an herausragender Stelle bezeugt worden, im Nachruf Goethes, den er unmittelbar nach ihrem Tod am 10. April 1807 verfasste und der dann »zum feyerlichen Andenken der Durchlauchtigsten Fürstin und Frau Anna Amalia« von den Kanzeln des Herzogtums verlesen wurde. Da heißt es  : »Das ruhige Bewußtseyn ihre Pflicht gethan, das was ihr oblag geleistet zu haben, begleitete sie zu einem stillen, mit Neigung gewählten Privatleben, wo sie sich von Kunst und Wissenschaft, so wie von der schönen Natur ihres ländlichen Aufenthaltes umgeben, glücklich fühlte. Sie gefiel sich im Umgang geistreicher Personen, und freute sich Verhältnisse dieser Art anzuknüpfen, zu erhalten und nützlich zu machen  : ja es ist kein bedeutender Nahme von Weimar ausgegangen, der nicht in ihrem Kreise früher oder später gewirkt hätte. So bereitete sie sich vor zu einer Reise jenseits der Alpen, um für ihre Gesundheit Bewegung und ein milderes Klima zu nutzen  : denn kurz vorher erfuhr sie einen Anfall, der das Ende ihrer Tage herbeyzurufen schien. Aber einen höheren Genuß hoffte sie von dem Anschauen dessen, was sie in den Künsten so lange geahndet hatte, besonders von der Musik, von der sie sich früher gründlich zu unterrichten wußte  ; eine neue Erweiterung der Lebensansichten durch die Bekanntschaft edler und gebildeter Menschen, die jene glücklichen Gegenden als Einheimische und Fremde verherrlichten, und jede Stunde des Umgangs zu einem merkwürdigen Zeitmoment erhöhten. Manche Freude erwartete sie nach ihrer Zurückkunft, als sie mit mancherley Schätzen der Kunst und der Erfahrung geschmückt ihre häusliche Schwelle betrat.«62 Der Zauber Italiens war in hohem Maße eben mit Land und Leuten und der Sonne und den Sternen über allem verbunden, wie Goethe 1786–1788 und Anna Amalia 1788–1790 es beglückend erlebten. Und mit deren Reflexen in den Künsten. Mein Urahn hatte das Glück, als Reisearzt Anna Amalias auf der 120

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Abb. 14  : Anna Amalia in Rom. Gemälde von Angelica Kauffmann, 1789.

italienischen Reise dabeizusein – eine selten gute Startchance für einen jungen Mediziner und dann herzoglichen bzw. großherzoglichen Hof- und Leibarzt und »Geheimrath«. Die Startchance vererbte sich dann gewissermaßen auf seine beiden Söhne Karl und Emil. Die daraus resultierende Familiensaga, die mich als Heranwachsenden eher belastete, ist mir inzwischen ein eigener schöner Identifikationsraum für Weimar-Jenaer Geschichte im Jahrhundert nach Italien geworden, eine sichere Verankerung. Anna Amalia sei Dank. Nach ihrer Rückkehr in den kühlen Norden, wo sich die Verhältnisse bald sehr zu ändern begannen, wird in ihr der Zauber italienischer Musik aus den mitgebrachten Noten ebenso nachgeklungen sein wie er vor der Reise aus den schon vorhandenen Musikalien die Sehnsucht nach den südlichen Gefilden befeuert hatte. Notenabschriften des italienischen Opernrepertoires in der nach ihr benannten Bibliothek belegen die Zuwendung. Allerdings ist tragischerweise nicht mehr rekonstruierbar, welchen Umfang ihr Notenschatz tatsächlich hatte. Der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am 2.  September 2004, 230 Jahre nach jenem anderen katastrophalen Schlossbrand mit Der Zauber Italiens 

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ebenso eminenten Musikalien-Verlusten verbunden, hat die nicht vollständig verzeichneten Notenbestände in den Schränken auf der zweiten Galerie des Rokokosaales in Schutt und Asche sinken lassen. Diese Noten dürften aber eine Basis dafür gewesen sein, dass Ausschnitte aus italienischen Opern in den Hofkonzerten immer eine große Rolle spielen konnten. Jene Zuwendung Anna Amalias erkennen wir auch in ihrem zusammenfassenden Essay von 1799 »Gedanken zur Musick«  : »Die Teusche nation kan sich hierinne [im guten Geschmack, Anm. d. Verf.] eines Vorzugs vor der Englischen u Französischen rühmen  ; Sie kan die grösten Ton-Künstler aufweisen in dessen sie keinen von ausgezeigten Wehrt aufstellen können. Nur were es zu wünschen daß die Teuschen dem Geschmack welcher zur zeit eines Hasse, Händel, u Graun, u. a. m. in Teuschland herschte u worinne sie beynah mit den Italiena rivalisirten, treu geblieben weren. Diese großen TonKünstler schämten sich nicht frey zu gestehen ihren geschmack von der Italienischen nation erhalten zu haben, die großen Höfe Teuschlandes trugen ehedem alles bey den guten Geschmack zu begründen in dem sie die besten Sänger u Sängerinnen aus Italien komen ließen. Da diese Höfe sich mehr eingeschränkt haben, u es an großen Künstler fehlet welche den Ton des guten Geschmacks angeben können so ist die Tonkunst so zu sagen preißgegeben u der Geschmack dermaßen gefallen daß eigendlich keiner mehr excistieret. Jetzt wird die TonKunst bloß als Mode behandelt. Man rechnet sie unter die wesendlichen Stücke einer guten u feinen Erziehung ohne darauf zu achten ob der zögling Talent dazu habe u unter die Gegenstände eines angenehmen zeitverdreibt  ; aber eben hierdurch wird sie noch mehr mishandelt u unendlich weit unter ihre Würde herab gesetzt. Daher unterfängt sich jederman ohn unterschied sich dieser Himmliche Kunst zu weihen […]«63 Etwas später können wir in diesem Essay von 1799 lesen  : »Es ist allgemein bekandt daß die Italienische nation die erste in Europa gewesen ist, die TonKunst zu cultivieren  ; u zwar nicht bloß als Liebhaberey sondern wissendschaftlich zu Studieren. Weil die Menschliche Stimme den Natürlichsten und schönsten Gesang bildet so haben sich die TonSetzer von jeher mehr der Vocal Musick gewidmet u es darinne so weit gebracht daß der Italienische Gesang durch Edeln Geschmack u schönen Vortrag vor allen nationen den Vorzug hat. Der gute Vortrag entstehet wie der Geschmack aus einem reinen Gefühl. Um dahin zu gelangen muß der Ton nicht nur schön und rein seyn, sondern auch den gehörigen grad von festigkeit haben, welches dadurch erlangt wird wen der Sänger sich fleißig übt die Scala zu Singen wen er die Töne bald verstärckt, bald schwächer hören läßt doch daß nie der Natürlichen Stimme gewalt gesche.«64 122

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Nun ist es gewiss so, dass die Liebe zu italienischer Musik an den Höfen Europas eher eine Normalität als etwas Besonderes war. Und dass sie in der Tat, so sie es sich leisten konnten – wie der Dresdener Hof schon um 1550 – italienische Musiker in die kühleren Sphären diesseits der Alpen holten. Anna Amalia musste den Weg andersherum gehen. Sie schickte ihren wichtigsten Kammermusiker Johann Friedrich Kranz Ende 1780 auf eine mehrjährige Studienreise gen Süden. Auch damit aber folgte sie uralten Vorbildern. Ebenfalls auf solchen Pfaden wandelte sie mit der Vorliebe für Werke »deutsch-italienischer« Komponisten wie Johann Adolf Hasse und Georg Friedrich Händel. In Hofkonzerten im Wittumspalais erklangen 1778 und 1780 Hasses »Il cantico de’ tre fanciulli« und »Sant’ Elena al calvario«, im Januar 1780 Händels »Alexanderfest« sowie im Mai 1780, Januar und März 1781 sein »Messias« bzw. Teile davon. Händels englischsprachige Oratorien erfuhren dabei eine ganz besondere Zuwendung  : Sie wurden in der Übersetzung Johann Gottfried Herders gesungen. Auf dieserlei generelle Ambitionen der Dichter in der »Tafelrunde« weist Goethe in seinem das Liebhabertheater würdigenden großen Gedicht »Auf Miedings Tod« von 1782 hin  : »Was Gallier und Brite sich erdacht, / Ward, wohlverdeutscht, hier Deutschen vorgebracht  ; / Und oftmals liehen Wärme, Leben, Glanz / Dem armen Dialog – Gesang und Tanz.«65 Die Hilfe zu besserer und breiterer Aneignung fremdsprachiger Texte durch deren Übersetzung ins Deutsche war in der Nachfolge lutherischer Grundüberzeugung ein wichtiges Arbeitsfeld der Koryphäen der »Tafelrunde«. Wie hier eben Herders. Dabei trafen sich ein weiter, Räume und Zeiten übergreifender Geisteshorizont mit dem bürgerlich-demokratischen Vermittlungsanliegen und dem Willen, die deutsche Sprache zu bereichern. Selbstredend wird man im Kreis der »Tafelrunde« einen englischsprachigen Text verstanden haben  ; es war keine Übersetzung eigens für diesen Kreis. Dennoch war es eine Tat bewusster Aneignung, auch hier eben Händels »Messias« wohlverdeutscht und nicht originalsprachlich zu hören. Man würdigte Herders Leistung. Man gab zu erkennen, dass man das Verstehen des Textes weit im Lande generell für wichtig hielt. Und man exemplifizierte dies im relativ kleinen und akustisch günstigen Festsaal des Wittumspalais mit der hier gebotenen sehr kleinen Besetzung, mit einem Vokalquartett (Corona Schröter, Caroline Wolf, Heinrich Seidler, Johann Adam Aulhorn), das auch die Chorpartien sang, und wohl etwa einem Dutzend Instrumentalisten unter Leitung von Hofkapellmeister Wolf. Der Zauber Italiens 

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Nicht nur »Gallier und Brite« aber wurden wohlverdeutscht, sondern auch ein uralter lateinischer Text in der wunderbaren Vertonung eines jungen italienischen Zeitgenossen Händels. Dieses Beispiel stammt von Christoph Martin Wieland, der ja als Übersetzer schon längst einen überragenden Namen hatte. Im Rahmen der Hofkonzerte im Wittumspalais um 1780 spielten neben Hasse und Händel die Werke des jung verstorbenen Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736) eine große Rolle. 1779 gab es mehrere Gastvorstellungen mit der »Serva patrona«, 1781 musizierte man selbst mehrfach das »Stabat mater« als dessen schmerzlichen Gegenpol, im Juni dieses Jahres außerdem sein »Salve regina«. Wir können davon ausgehen, dass das »Stabat mater« wohlverdeutscht in Wielands Übertragung erklang. Mit der Übertragung selbst ist eine wundersame Geschichte um Wieland verbunden. Der Dichter kannte und liebte Pergolesis Werk schon lange. Zeugnis dafür legt sein »Neuer Amadis« von 1771 ab, in dem er den Komponisten in großartiger Sprache preist  : »Es lebe Galuppi und Hasse, und du, erzogen am Busen / Der Grazien, Sohn der Natur, mein Pergolese, du  ! / Dir hören, wenn du scherzest, entzückt die Griechischen Musen, / Es hören, wenn du das Schwerdt im tiefzerrißnen Busen / Der Göttlichen Mutter beweinst, mitweinende Engel dir zu  !«66 Den Anfang der anrührenden Geschichte um Wielands Übersetzung des Stabat Mater-Textes Ende Februar 1779 erfahren wir aus seinem Brief vom 1. März dieses Jahres an Johann Heinrich Merck  : »Dein Brief fand mich just mitten in der Arbeit das Stabat Mater in teutsche Reime mit beybehaltung des Rhythmus zu übersetzen  ; eine RuderknechtsArbeit, wenn’s ein Mensch thun müßte. Ich kam aber von ungefehr auf den Einfall, und da ichs unsäglich schwehr fand, so piquierte ich mich, und es mußte also biegen oder brechen. Die Veranlaßung war, daß ich gestern Abend meinen Weibern zu gefallen, die mich den ganzen Tag Pergolesi’s Stabat Mater am Clavier leyren oder heulen hören, ihnen einen Begriff von dem Text geben wollte, um die Pantomime der Musik desto besser zu verstehen. Ich übersezte also die alten mönchslateinischen Reimen in gleichartige Trochäische Stanzen aber ohne Reime – und Siehe das Ding that einen nur sehr mittelmäßigen Effect. Wie ich nun einen feinen Schmecker habe, so merkte ich straks daß es bloß an Reimen fehlte, und daß in dergleichen Stücken so gar ein großer Theil des […] Herzrührenden – ne vous deplaise – im Reim steckt. Sogleich beschloß ich die Probe im Werck zu machen  ; ich warf das Ding in der Nacht und diesen Morgen im Bette herum, sezte mich denn heute hin und würgte so lange dran bis es gegen 1. Uhr fertig war. Und nun, wiewohl ich mein Werk eben für kein opus immortale gebe, würdest du finden, daß kein Mann von einigem Menschensinn das Ding 124

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einem Weibe laut vorlesen kan, ohne daß ihm an etlichen Stellen vor Bewegung die Stimme bricht und die Thränen in die Augen kommen.«67 Die Tränen in die Augen kommen – Rührung war Wieland ein hohes Ziel von Musik. Das war am 1.  März. Wenige Tage später allerdings erhielt die Arbeit eine sehr tragische Konnotation. Eines von seinen »Weibern« – den weiblichen Mitgliedern seiner Familie –, seine knapp achtjährige Tochter Regina Dorothea erkrankte schwer und starb am 7. März. Wieland bezeugte später, die »Anheftung seiner Seele« auf das Werk Pergolesis, in das er sich der Übersetzung halber hatte besonders hineinversetzen müssen, sei ihm »eben so wohlthätig als natürlich«68 gewesen. Was man sich gut vergegenwärtigen kann69. Ebenfalls gut verstehen kann man, dass Wieland seine Übersetzung aus solchem Zusammenhang heraus intern halten wollte. Allerdings war er viel zu sehr ein homo politicus, als dass er diese ursprüngliche Aufwallung hätte durchhalten können. Ganz im Gegenteil zielte er bald auf die höchstmögliche öffentliche Ebene und Persönlichkeit, auf die Kaiserin Maria Theresia in Wien. Zeitnah übermittelte er das Werk dem Mainzer Statthalter in Erfurt Carl von Dalberg, der gerade in Wien war, der es seinerseits an die Kaiserin weiterleitete und sich am 21. März 1779 bei Wieland herzlich für die eindrucksvolle Arbeit bedankte. Mit Maria Theresia wiederum hatte dann die Veröffentlichung der Übersetzung im »Teutschen Merkur« 1781 zu tun. Sie war am 29. November 1780 verstorben, das Januar-Heft des »Merkur« 1781 machte mit Wielands Nekrolog »Auf den Tod der Kayserin-Königin« auf. Dem Verweis in diesem Heft auf die ihr in der Karwoche 1779 überreichte Stabat-Mater-Übersetzung folgte im Februar-Heft deren beidsprachiger Abdruck. Bald darauf erklang das Werk im Weimarer Wittumspalais. Noch mehr als drei Jahrzehnte später preist Goethe Wieland in seiner Rede zu »Wieland’s Andenken in der Loge Amalia zu Weimar, gefeyert den 18. Februar 1813« als Übersetzer, dies mit generalisierenden Überlegungen zu solchen Leistungen verbindend  : »Es gibt zwey Uebersetzungsmaximen  : die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herüber gebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den unsrigen ansehen können  ; die andre hingegen macht an uns die Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben, und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen. Die Vorzüge von beyden sind durch musterhafte Beyspiele allen gebildeten Menschen genugsam bekannt. Unser Freund, der auch hier den Mittelweg suchte, war beyde zu verbinden bemüht, doch zog er als Mann von Gefühl und Geschmack in zweifelhaften Fällen die erste Maxime vor. Niemand hat vielleicht so innig empfunden, welch verwickeltes Geschäft eine Uebersetzung sey, als er. Wie tief war er überzeugt, daß nicht das Wort, sondern der Sinn belebe.«70 Der Zauber Italiens 

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Bei der Wohlverdeutschung des »Stabat mater« folgte Wieland ganz zweifellos mehr dem Sinn als den Worten des lateinischen Textes, war allerdings trotzdem überaus eingezwängt, weil er streng der musikalisch gebundenen Form folgen wollte. Bereits mit der Überschrift in der Veröffentlichung im »Teutschen Merkur« vom Februar 1781 wies er auf die Besonderheit deutlich hin  : »Der alte Kirchengesang, Stabat Mater, zur bekannten Komposition des Pergolesi, in gleichartigen Reimen übertragen.« In gleichartigen Reimen und in gleichartiger trochäischer Versgestaltung nun deutsch zu singen – damit war von der dichterisch formalen wie musikalisch rhythmometrischen Seite her die Passform für das gut halbstündige Werk klar bezeichnet. Und die Übertragung hob sich dezidiert andersartig von der Klopstocks 1767 ab, dem es jenseits einer Vertonung um eben den Sinn dieses Textes gegangen war, eben um die uralte lateinische liturgische Sequenz selbst. Wielands Übertragung dagegen hat mit dem Zauber Italiens und seiner Musik in Gestalt des Werkes von Pergolesi zu tun. Es ist von Pergolesi nicht ablösbar. Nicht nur, dass Wieland in jener Artikel-Überschrift selbst darauf hinweist, auch das »leyren oder heulen« am Klavier im Merck-Brief als Ausgangspunkt der Arbeit meint nichts Anderes. Vom Zauber der Musik Pergolesis war offensichtlich die dichterische Ausdruckssehnsucht ebenso inspiriert wie die diesbezügliche Leistung letztlich gespeist. Betrachten, hören wir dazu etwa die Mitte der Komposition, die Nummern 7 und 8, mit ihrem Umschlag von klagender Anteilnahme in brennende christliche Erotik (Verse 25–31), um eine begeisternde Übertragungsqualität zu erleben, die gleichermaßen auf den Text selbst wie auf die Musik Pergolesis bezogen ist. Nr. 7  : »Eja, Mater, fons amoris / Me sentire vim doloris / Fac, ut tecum lugeam  !« – «Laß, o Mutter, Quell der Liebe, / Laß die Fluth der heil’gen Triebe / Strömen in mein Herz herab  !« Nr. 8  : »Fac ut ardeat cor meum / In amando Christum Deum, / Ut sibi complaceam.« – «Laß in Liebe mich entbrennen, / Ganz für den in Liebe brennen, / Der für mich sein Leben gab.«71 Wir können davon ausgehen, dass Corona Schröter und Caroline Wolf 1781 im Festsaal des Wittumspalais die Nr.  8 und das Gesamtwerk überaus eindrucksvoll gesungen haben. Und dass die Wirkung in Anwesenheit Wielands einen hohen Grad an Rührung erreicht haben wird, die für ihn als hohe Form emotionaler Anteilnahme das besondere Ziel musikalischer Darbietung gewesen ist. Der Zauber italienischer Musik hatte einmal mehr gewirkt. Und er war verbunden mit jener spezifisch aktiven, wohlverdeutschenden Aneignungsweise, die Teil dessen war, was man landauf landab mit »Weimar« zu subsumieren begann. 126

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1791 15. 1791

In jeder Historie gibt es besondere Merkpunkte. Neben langgestreckten Entwicklungszügen, die sich bei detaillierter Betrachtung als vielerlei differenziertes Auf und Ab entpuppen, zeigen sich gelegentlich Ereignisse, in denen Entwicklungen kulminieren. Bisweilen auch leuchtet dem Betrachter ein Jahr auf, in dem Vergangenheit und Zukunft symbolträchtig verschränkt erscheinen. 1791 ist wohl solch ein Jahr für Weimars Entwicklung gewesen. Mehreres kam zusammen, vermutlich in einer Art Gründerreflex auf die intensiv zur Kenntnis genommenen revolutionären Ereignisse in Frankreich  : der Entschluss zum Wiederaufbau des Stadtschlosses, die Begründung eines eigenen Hoftheaters als neues Tor zur Kunstwelt, die wirtschaftlich wichtige Gründung des Landes-­Industrie-Comptoirs durch Friedrich Justin Bertuch – in seiner Fabrik arbeiteten bald über 400  Personen  –, die Begründung der »Freitags-Gesellschaft« als eines Weimarer Gelehrtenvereins durch Goethe. Zudem kam 1791 »Kunscht-Meyer«, der für die hiesige Bildende Kunst folgenreiche Schweizer Maler Johann Heinrich Meyer, hierher und der einflussreiche Karl August Böttiger wurde Rektor des Weimarer Gymnasiums. Vor allem aber wurde eben ein eigenes »stehendes« Theater begründet. Es übernahm sofort öffentlichkeitswirksam die Rolle der zentralen Kunstinstitution am Ort. Das blieb bis heute so, auch wenn sich die in eine Alternativfrage verkleidete überkommene Liebeserklärung »Essen wir heute zu Abend oder gehen wir ins Theater  ?« etwas verloren zu haben scheint. Das Theater blieb für die kunstinteressierte Weimarer Bürgerschaft die wichtigste Form, an lebendiger Kunst teilhaben zu können. Gründungsdirektor Goethe erleichterte für die weniger Wohlhabenden unter ihnen den Zugang durch ein »billiges Abonnement«. Eine Neugründung ist als solche eigentlich ein Anfang und nichts weiter. Hier ist das allerdings ein wenig anders. 1768 hatte Anna Amalia nach dem 1791 

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durch den sehr frühen Tod ihres Mannes unterbrochenen Anfang 1756–1758 die kontinuierliche Weimarer Theatertradition begründet, wiederum mit einer Schauspielertruppe von auswärts. Der Schlossbrand von 1774 bedeutete einen noch tieferen Einschnitt als 1758. Das Schlosstheater brannte mit aus, die Seylersche Gesellschaft mit Conrad Ekhof ging nach Gotha. Im Liebhabertheater der »Tafelrunde« schuf sich aber die Lust am Theater eine engagierte eigenaktive Spielebene, teils mit ähnlich öffentlichen Beteiligungsformen wie zuvor im Schlosstheater, teils in exklusivem Rahmen. Die späte Aufführung von Goethes »Fischerin« im nächtlichen Tiefurter Schlosspark gilt als Symbol für dieserart Exklusivität, sollte aber nicht übersehen lassen, dass öffentliche Darbietungen im Hauptmann’schen Redoutenhaus und ab 1780 im neuerbauten Komödienhaus viel zahlreicher waren. Der Bau dieses Hauses und die damit verbundene Aufstockung und Reorganisation der Hofkapelle waren Entwicklungen, die auf ein eigenes Hoftheater zuliefen. Zunächst aber war nach zehnjähriger Pause wiederum eine Theatergesellschaft unter Vertrag genommen worden, die des Prinzipals Joseph Bellomo Anfang 1784. Sie hatte die großen Schauspiele von Shakespeare und Lessing, Goethe und Schiller (»Die Räuber«) ebenso im Repertoire wie deutsche Singspiele, italienische und französische Opern. Die Hofkapelle stand ihr zur Verfügung, die Zusammenarbeit mit dem Kapellmeister der Truppe Benedikt Krauß war gut. Die vertragliche Verpflichtung aber, in jeder Woche eine neue Komödie und in jeder zweiten eine neue Oper aufzuführen (bei wöchentlich drei Vorstellungen), führte unter den beengten finanziellen Möglichkeiten zu einem nicht befriedigend lösbaren Qualitätsproblem. 1790 verschärfte sich die Krise. Carl August beriet mit Goethe Alternativen. Der wiederum kontaktierte seinen musikalischen Gewährsmann, damals der Berliner Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt. Wer aber sollte im neuen Hoftheater die Leitung übernehmen  ? Da erschien Ende 1790 am Horizont eine Antwort auf diese Frage, in Gestalt des prominenten Mannheimer Schauspieler-Ehepaars Beck. Der Gothaer Heinrich Beck (1760–1803) begann seine Schauspieler-Karriere als 17-Jähriger zusammen mit August Wilhelm Iffland in seiner Heimatstadt unter Conrad Ekhof. Mit der Seylerschen Gesellschaft kamen beide 1780 nach Mannheim. 1788 heiratete Beck hier Josepha Schäfer, seit 1790 »erste Sängerin« mit Vertrag auf Lebenszeit. Von Dezember 1790 bis Mitte Februar 1791 gab das Ehepaar ein glanzvolles Gastspiel in Weimar. Anfang Januar 1791 lehnte Beck allerdings das Angebot ab, die Nachfolge Bellomos zu übernehmen. Genauer betrachtet ging es auch eher nicht um eine Nachfolge, denn Bellomo war zusammen mit seiner Truppe unter Vertrag. Es ging um die Di128

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rektion eines neuen, eines eigenen Hoftheaters, für das das Ensemble erst noch zu gewinnen sein würde. Selbstredend sollten die Kosten der neuen Institution die Subvention an Bellomo nicht wesentlich übersteigen. Nach der Absage Becks lief alles auf eine ganz eigene Weimarer Konstellation zu  : Mitte Januar 1791 löste Herzog Carl August den Vertrag mit Bellomo vorzeitig auf, übertrug Goethe die Oberdirektion des neuen Hoftheaters und Franz Kirms die Geschäftsführung. Sie hatten nun ein Schauspieler-Sänger-Ensemble aufzubauen. Viele Mitglieder der Bellomo’schen Truppe, die als solche am 5.  April ihre letzte Vorstellung gab, wurden für das neue Engagement gewonnen. Die Hofkapelle blieb zwar weiterhin ein selbständiger, dem Hofmarschallamt unmittelbar zugeordneter Bereich, war de facto jetzt aber vor allem das Theaterorchester, noch enger als zuvor schon. Das neue Hoftheater trat am 7. Mai 1791 mit seiner ersten Vorstellung an die Öffentlichkeit. Carl August hatte damit für alle sichtbar die theatralische Sendung seiner Mutter Anna Amalia weitergeführt, der Weimarer Hof nun ein eigenes »stehendes« Theater, mit aller Verantwortung dafür. Ahnte Goethe, der bis 1790 ja »Iphigenie auf Tauris«, »Egmont«, »Torquato Tasso« und »Faust. Ein Fragment« fertig hatte, den Aufwand  ? Und die im Ensemble bald ausbrechenden Misshelligkeiten  ? Jedenfalls war er nun bis 1817 »Oberdirektor« und bestimmte tatsächlich bis 1808 weitgehend über das Profil und die Entwicklung des Hauses. Um die Jahrhundertwende wurde es durch die Uraufführungen Schiller’scher Werke weithin berühmt. Musiktheatralisch standen bei aller Buntheit des Repertoires die Opern Mozarts im Zentrum. 1791. Die Kenntnis anderer großer Anfänge, anderer Zahlen mit kulturhistorisch Weimarer Relevanz lässt uns aufmerken ob der kalendarischen Zufälle oder halb unsichtbaren Beziehungsstränge. Zumal wenn man mit den beiden Zahlen 9 und 1, 1 und 9 (im dekadischen System so etwas wie Anfangs- und Endzahlen) noch ein wenig spielt, ein wenig spekuliert. 1791, das war immerhin 300 Jahre nach jenem Dienstreiseauftrag, der die Existenz einer Kurfürstlich-Ernestinischen Hofkapelle mit Weimar als Hauptort neben Torgau belegt und damit als eine Art Gründungsurkunde gelten kann. Und 1819 begann Johann Nepomuk Hummel als Hofkapellmeister in Weimar, 1919 war wie 1991 ein vielfältig interessantes Jahr. Sogar im 50er-Schritt dazwischen gab es mit der Heimkehr des schon verlorenen Sohnes Franz Liszt 1869 ein Merkdatum. Gewiss, wer sucht der findet. Manchmal allerdings eben Merk-Würdiges. Zumindest gute Eselsbrücken für’s Merken. Und leider liegt 1768 als Jahr der Begründung einer kontinuierlichen Weimarer Theatertradition ja haarscharf daneben … 1791 

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16. WIR HABEN EIN HOFTHEATER

»Der scherzenden, der ernsten Maske Spiel, / Dem ihr so oft ein willig Ohr und Auge / Geliehn, die weiche Seele hingegeben, / Vereinigt uns aufs neu in diesem Saal – / Und sieh  ! er hat sich neu verjüngt, ihn hat / Die Kunst zum heitern Tempel ausgeschmückt, / Und ein harmonisch hoher Geist spricht uns / Aus dieser edeln Säulenordnung an, / Und regt den Sinn zu festlichen Gefühlen. // Und doch ist dies der alte Schauplatz noch, / Die Wiege mancher jugendlichen Kräfte, / Die Laufbahn manches wachsenden Talents. / Wir sind die Alten noch, die sich vor euch / Mit warmem Trieb und Eifer ausgebildet.«72 Wann wäre ein neues oder neu erscheinendes Theater mit ähnlich großartigem Prolog begrüßt worden wie dieses Weimarer Hoftheater am 12.  Oktober 1798 nach einem durchgreifenden Innenraum-Umbau über die Sommermonate hin. Gleichzeitig leitete der so begonnene Prolog die Uraufführung von Schillers »Wallensteins Lager« ein, Auftakt also der »Wallenstein«-Trilogie, deren andere Teile 1799 folgten. Und der Prolog wurde keinesfalls nur vor dem Vorhang gesprochen. Zeitzeuge Joseph Rückert berichtet tief bewegt  : »Ich erwähnte oben etwas von dem großen Eindrucke, den der Schillersche Prolog zum Wallenstein mit seiner herrlichen Dekoration auf den Zuschauer machte. Als sich der Vorhang zu dieser poetischen Vorrede erhob, schien es, als müßte die Muse selbst aus den Wolken in den geöffneten Tempel nachfolgen. Eine lichte Glorie strahlte über dem ganzen verherrlichten Platze, der im Hintergrunde das Heiligtum der Kunst in geheimnisvollen Zügen sehen ließ. Den schönen Prolog selbst, den eine eben so schöne Musik vorbereitete, sprach Herr Vohs mit Feuer und Würde. Schiller stand auf dem Balkon. Goethe, der aus einem Winkel lauschte, empfing den Dank und Beifall von allen Anwesenden, die ihn, den Schöpfer ihrer Lust, mit freudetrunkenen Blicken aufsuchten.«73 Goethe hatte in einer Hauruck-Aktion die Pläne des erst im Juni 1798 nach Weimar gekommenen Stuttgarter Architekten Nikolaus Thouret in drei Mo130

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Abb. 15  : Der neue Theater-Innenraum von 1798. Bildliche Rekonstruktion von Alfred Pretzsch 1959.

naten umsetzen lassen. Herzog Carl August war auswärts, die Herzogin genehmigte. »Thouret hatte die Lage des Saals um 90° gedreht und halbkreisförmige Ränge über einem schlichten Arkadenumgang angelegt. Der zweite Rang wurde über dorischen Säulen zurückgestuft angeordnet. Der Raum unter den Rängen blieb frei begehbar. Lage und Form des schmalen, langgestreckten Baues blieben dagegen unverändert.«74 Die Bühne war nun also sinnvollerweise an der Stirnseite, der Zuschauerraum quasi neu erstanden. Aus dem Mehrzweckgebäude von 1780 (Redouten- und Komödienhaus) war ein The­ ater geworden. Im Mai 1791 war, direkt an die vorherige Theaterpraxis anschließend, das Weimarer Hoftheater als neue Institution an die Öffentlichkeit getreten. Sieben Jahre später wurde nun die »Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar« durch Goethes, Thourets und Schillers Leistung zu dem inhaltlich wie gestalterisch markanten Höhepunkt-Ereignis, das 1791 nicht hatte gelingen können. Nichtsdestoweniger hatte sich Goethe seitdem sehr intensiv um »sein« Theater gekümmert. Die von ihm initiierte Darstellungsweise begann stilbildend zu wirken. Aus Einsicht in die Existenzverhältnisse war die Institution als Mehrspartenhaus angelegt. Die Kosten konnten nur zu einem Drittel subventioniert, der größere Rest musste eingespielt werden. Goethes allbekannte Verse 97/98 Wir haben ein Hoftheater 

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aus dem »Vorspiel auf dem Theater« in »Faust I.« »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen  ; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.« entsprach ganz seiner praktischen Erfahrung, war quasi sein Stoßseufzer als Theaterdirektor, geistvollerweise im Dialog mit Theaterdichter und Lustiger Person, in die er sein Ich aufgespalten hatte. In der Realität musste er dabei nicht nur den Hofstaat für sein Theater gewinnen, sondern (auch durch ein »billiges Abonnement«) viele der im Jahre 1791 6561 Weimarer Bürger und möglichst viele Theaterinteressierte aus der Region. Die Theaterkasse war und blieb stark spielplanbeeinflussend. Und Goethe hatte da professionell den Aufwand zu bedenken. Am 27. März 1825 – in der Nacht zum 22. war »sein« Theater abgebrannt – äußerte er sich diesbezüglich »in größerer Gesellschaft« so  : »Ich habe in meiner langen Praxis […] als Hauptsache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einstudieren lassen solle, wovon man nicht einen guten Sukzeß auf Jahre hin mit einiger Bestimmtheit voraussieht. Niemand bedenkt hinreichend das Aufgebot von Kräften, die das Einstudieren eines fünfaktigen Stückes oder gar einer Oper von gleicher Länge in Anspruch nimmt. Ja, ihr Lieben, es gehört viel dazu, ehe ein Sänger eine Partie durch alle Szenen und Akte durchaus innehabe, und sehr viel, ehe die Chöre gehen, wie sie gehen müssen. […] Und dann, ist einmal ein gutes Stück oder eine gute Oper einstudiert, so soll man sie, in kurzen Zwischenpausen, so lange hintereinander geben, als sie irgend zieht und irgend das Haus füllet. […] Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unsäglicher Mühe einstudiertes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchstens zweimal sehen zu wollen oder auch zwischen solchen Wiederholungen lange Zeiträume von sechs bis acht Wochen verstreichen zu lassen, wo denn immer wieder ein neues Studium nötig wird, ist ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Personals, der gar nicht zu verzeihen ist.«75 Musik und Musiker waren am Theatergeschehen selbstverständlich immer beteiligt, und dies nicht nur in den Opern, sondern auch in den Schauspielen, zu deren Aufführung damals eine Schauspielmusik zwingend dazugehörte, als Inzidenzmusik innerhalb der Handlung, als Zwischenaktmusik in allen Aktpausen. Wenn nicht dafür extra komponiert, hatte sie der musikalische Leiter aus dem gängigen Repertoire eigens auszuwählen, in enger Abstimmung mit dem Regisseur und passend sowohl für die jeweilige inhaltliche Konstellation am Aktschluss bzw. -beginn als auch für die notwendige Umbauzeit der »Dekorationen«. Die Hofkapelle bestand im Gründungsjahr 1791 laut Staatshandbuch aus dem Hofkapellmeister Wolf, den beiden Hofkonzertmeistern Göpfert 132

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und Kranz, sieben Kammer- und 13 Hofmusikern. Hinzu kamen vier Sängerinnen und ein Sänger als bereits spezialisierte Vokalkräfte. Wolf starb nach langer Krankheit Ende November 1792, Göpfert 1798. Kranz leitete wie schon in den späten Jahren unter Bellomo die meisten Opern. Die Spezialisierung des Schauspielerensembles war noch nicht sehr weit fortgeschritten. Die etwa 20 Schauspielerinnen und Schauspieler hatten auch als Sänger zu agieren, zumindest im Opernchor, den es selbstständig erst seit 1817 gab. Über die Aufführungsqualitäten von Opern geben zwei Zeitzeugnisse aus unterschiedlicher Perspektive Auskunft. Da ist zum Einen die Meinung von Caroline Jagemann in ihren Memoiren. Mitte 1796 war sie nach gut fünfjähriger Ausbildung am Mannheimer Theater nach Weimar zurückgekehrt. Als Fachfrau urteilt sie so  : »Außer Herrn Benda, der wirklich eine Tenorstimme und eine gewisse Methode hatte, und Madame Weyrauch, die ohne musikalische Kenntnisse und Vortrag das Verdienst besaß, mit einem dünnen Organ über das dreigestrichene F hinaus zu singen, gab es niemanden, der sich Sänger hätte nennen können. […] Mit solchen unzureichenden Mitteln gab man Figaro, die Zauberflöte und alle damals gangbaren Opern, gut wurden nur die Operetten, besonders die Dittersdorfschen, aufgeführt. Nebenrollen und Ausstattung fanden eine geradezu jammervolle Berücksichtigung.«76 Der Mannheimer Maßstab, die ihr eigene Selbstinszenierung und vielleicht auch der zeitliche Abstand dürften bei dieser Wertung eine Rolle gespielt haben. In den »Bemerkungen über Weimar 1799« des Neu-Weimarers Joseph Rückert lesen wir dagegen quasi aus der Zuschauer-Perspektive  : »Das Theater in Weimar wird von den Einwohnern und Fremden häufig besucht. Bei vielen der ersteren ist der Schauspielgenuß zu einer Sache des Luxus geworden. Mancher überwindet leichter den Hunger als die Neigung für eine theatralische Vorstellung. Besonders stark füllt sich das Haus an Operntagen, und hier ist wohl jene Gewohnheit am leichtesten zu verzeihn. Man kann nichts Vollkommeneres hören als eine Mozartische Oper in Weimar. Bei Aufführung des Don Juans, der auch Jean Paul Richter beiwohnte, fragte diesen jemand, wie ihm die Musik gefalle  ? Richter antwortete ihm  : ›Das ist grade so, als fragten Sie mich, wie mir die zweite Welt gefalle  ?‹ Auch wird echte Musik wohl schwerlich irgendwo richtiger gehört und gewürdiget als in Weimar, wohin der gute Geschmack durch die wohltätige Hand der Herzogin Mutter Amalie gepflanzt wurde und wo er jetzt in voller Blüte erscheint. Das Publikum, an Meisterstücke gewöhnt und durch sie verwöhnt, gähnt bei den alltäglichen Opernkompositionen und ruft und seufzt nach Mozart. Die Theater-Direktion befindet sich bei diesem ekeln Geschmack oft in nicht geringer VerleWir haben ein Hoftheater 

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genheit. Die Zauberflöte, der Don Juan sind unzähligemal aufgeführt worden, und man hat ihrer noch immer nicht satt. Wem, der einmal an diesen Göttertafeln geschmauset hat, kann man es aber verdenken, wenn er den Appetit für trocknes Brot verlor  ?«77 Vielleicht war inzwischen durch die Mitwirkung der Jagemann alles viel besser geworden. Wie auch immer, wir können wohl davon ausgehen, dass die von ihr angemerkten Minderleistungen im Ensemble und Kargheit in der Ausstattung die Wirkung keinesfalls so weit beeinträchtigt haben, dass für das damalige Publikum der Zauber der Opern Mozarts sich nicht hätte entfalten können. Ein großes Thema war das »Einrichten« der Opern, insbesondere hinsichtlich der Übersetzung fremdsprachiger Texte. Goethe schrieb dazu in seinen »Annalen« zum Jahr 1791  : »Gar sehr begünstigte mich jene Neigung zur musikalischen Poesie. Ein unermüdlicher Konzertmeister, Kranz, und ein immer tätiger Theaterdichter, Vulpius, griffen lebhaft mit ein. Einer Unzahl italienischer und französischer Opern eilte man deutschen Text unterzulegen, auch gar manchen schon vorhandenen zu besserer Singbarkeit umzuschreiben. Die Partituren wurden durch ganz Deutschland verschickt. Fleiß und Lust, die man hiebei aufgewendet, […] haben nicht wenig zur Verbesserung deutscher Operntexte mitgewirkt.«78 Dass sich das »Einrichten« aber keineswegs nur auf das »Wohlverdeutschen« (so Goethe in »Auf Miedings Tod« 1782), also auf Übersetzungen und Verbesserungen im Sinne »besserer Singbarkeit« richtete, ist aus dem Paradebeispiel »Zauberflöte« zu erkennen. Hier griffen Vulpius und Goethe zu gravierenden dramaturgischen Veränderungen, um die Verständlichkeit der Fabel für ihr Publikum zu sichern. Am 22. März 1825, dem Tag nach dem Brand »seines« Hoftheaters, erinnerte sich Goethe im Gespräch mit Eckermann an jene Theaterjahre, aus seinem Bett heraus und in der freundlichen Erinnerung des Alters  : »Das war freilich eine Zeit, […] die uns mit großen Avantagen zu Hülfe kam. Denken Sie sich, daß die langweilige Periode des französischen Geschmacks damals noch nicht gar lange vorbei und das Publikum noch keineswegs überreizt war, daß Shakespeare noch in seiner ersten Frische wirkte, daß die Opern von Mozart jung und endlich, daß die Schillerschen Stücke erst von Jahr zu Jahr hier entstanden und auf dem weimarischen Theater, durch ihn selber einstudiert, in ihrer ersten Glorie gegeben wurden – und Sie können sich vorstellen, daß mit solchen Gerichten Alte und Junge zu traktieren waren und daß wir immer ein dankbares Publikum hatten. […] 134

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Die Hauptsache aber war dieses, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich schalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich sah nicht auf prächtige Dekorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich sah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Posse, mir war jedes Genre recht  ; aber ein Stück mußte etwas sein, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber gesund sein und einen gewissen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale sowie alles Schreckliche, Greuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein für allemal ausgeschlossen  ; ich hätte gefürchtet, Schauspieler und Publikum damit zu verderben. Durch die guten Stücke aber hob ich die Schauspieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte notwendig aus einem Menschen, den die Natur nicht im Stich gelassen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauspielern in beständiger persönlicher Berührung. Ich leitete die Leseproben und machte jedem seine Rolle deutlich  ; ich war bei den Hauptproben gegenwärtig und besprach mit ihnen, wie etwas besser zu tun  ; ich fehlte nicht bei den Vorstellungen und bemerkte am andern Tag alles, was mir nicht recht erschienen. Dadurch brachte ich sie in ihrer Kunst weiter.«79 Zudem habe er sich bemüht, »den ganzen Stand in der äußern Achtung zu heben.«80 Die Besten seien von ihm in das gesellige Leben einbezogen worden. Schiller habe es dann genauso gehalten. Man habe damit Erfolg gehabt. Zu Beginn des Gesprächs pries Goethe das Theater ganz allgemein  : »Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst und was nicht noch alles  ! Wenn alle diese Künste und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend, und zwar auf bedeutender Stufe, zusammenwirken, so gibt es ein Fest, das mit keinem andern zu vergleichen. Wäre aber auch einiges schlecht und nur einiges gut, so ist es immer noch mehr, als ob man zum Fenster hinaussähe oder in irgendeiner geschlossenen Gesellschaft beim Dampf von Zigarren eine Partie Whist spielte.«81

Wir haben ein Hoftheater 

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17. DER ZAUBER MOZARTS, DER ZAUBER VON MUSIK

»Mozart und den Musen«. Das ist die Aufschrift eines wundersamen Steins im Tiefurter Park. 1799 ließ Anna Amalias »académie de musique«, wie sich die »Tafelrunde« bei Zusammenkünften im Tiefurter Schlösschen nannte, dem von ihr seit zwei Jahrzehnten umschwärmten Genie Mozart im Schlosspark diesen denkwürdigen Stein setzen. Johann Heinrich Meyer hatte ihn in Form eines antiken Rundaltars entworfen, mit einem Aufsatz aus einer Lyra und zwei an sie angelehnten Theatermasken, die Werkstatt von Gottlieb Martin Klauer hatte das Denkmal gefertigt. Die Initialzündung für solche Verehrung hatte es zwanzig Jahre zuvor zwischen Wieland und Mozart in Mannheim gegeben. Der fast 22-jährige Wolfgang Amadé schrieb darüber am 10.  Januar 1778 aus Mannheim an seinen Vater  : »der h  : [Wieland] ist, nachdemme er mich nun 2 mahl gehört hat, ganz bezaubert, er sagte das leztemahl nach allen möglichen lobsprüchen zu mir  ; es ist ein rechtes glück für mich daß ich sie hier angetroffen habe, und druckte mich bey der hand.«82 In der Tat muss das junge Musikgenie den berühmten Schriftsteller aus Weimar ganz eminent bezaubert haben. Dessen nun fast schwärmerische Verehrung, auf die Mitglieder der »Tafelrunde« übertragen, begründete eine beispielhafte Weimarer Mozart-Pflege. Anfangs dürfte sie vor allem verbal und insofern platonisch gewesen sein. Das Vorhandensein der frühen Violinsonaten KV  10–15 im Notenbestand Anna Amalias lässt allerdings darauf schließen, dass ein wenig Kammermusik für Hörerlebnisse gesorgt haben kann. Der eigentliche Erfahrungsgewinn ereignete sich dann ein paar Jahre später mit der Aufführung der »Entführung aus dem Serail« am 5. April 1785 durch die Bellomosche Gesellschaft und die Hofkapelle im Komödienhaus. Sie muss so etwas wie ein Urerleben bedeutet haben. Das Pub136

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likum war begeistert, das Werk wurde bis 1791 weitere 15 Mal gespielt. Und ­Goethe gab das Dichten von Singspieltexten endgültig auf. Seine diesbezüglichen prinzipiellen Einsichten fasste er 1828 so zusammen  : »Alles unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat.«83 Das aber war nichts weniger als der partielle Abschied von musikästhetischen Grundüberzeugungen. »Im Einfachen und Beschränkten« – gemeint war das Ideal einer auf Einfachheit beruhenden Klassizität, wie sie nach der Begegnung mit antiker Architektur und Winckelmanns Postulaten die Zeit durchdrang und beispielsweise die Komponisten der 2.  Berliner Liederschule bewog, nach möglichst einfachen musikalischen Formulierungen zu suchen. Dass diese Position sich mit der Goethe’schen Grundhaltung zur dienenden Rolle der Musik bei der Vertonung von Texten traf, ist bekannt, auch, dass mit Johann Friedrich Reichardt eine der Koryphäen jener Schule sein musikalischer Gewährsmann war, später dann Carl Friedrich Zelter, der ihm nach dem Tod Schillers 1805 darüber hi­ naus ein ganz wichtiger (Brief-)Freund wurde. Mit dem »Beschränkten« ist der sehr sparsame Einsatz besonders reizvoller musikalischer Mittel gemeint, etwa dass Bläser nur selten, als besondere Würze, zum dominierenden Streicherensemble hinzutreten sollen. Für Goethe rannte Mozart mit der »Entführung« dieses Prinzip der Mäßigung genial über den Haufen, nicht anders als er es selbst Jahre zuvor im »Werther« auch getan hatte. »Alles unser Bemühen ging verloren« ist dabei wohl eine eher bewundernde als bedauernde verbale Geste. Insofern war es ebenso von Bewunderung wie von der Verfügbarkeit des Werkes her motiviert, dass die »Entführung« im Goethe’schen Hoftheater am 13.  Oktober 1791 den Auftakt einer vorbildlichen Mozart-Pflege bildete. ­Goethe selbst war Regisseur der Neuinszenierung, Johann Friedrich Kranz der musikalische Leiter. Schon drei Monate später, am 30. Januar 1792, folgte »Don Giovanni«. Die Schröder’sche Übersetzung ermöglichte eine frühzeitige Inszenierung. Einen etwas längeren Vorlauf beanspruchten »Figaros Hochzeit« und »Die Zauberflöte«, zwei Jahre später am 24. Oktober 1793 und 16. Januar 1794 und damit ebenfalls im Vierteljahresabstand herausgebracht. Welch Inszenierungsdichte der Werke eines Komponisten, der inzwischen verstorben war, ohne dass ihn seine Weimarer Verehrer auch nur einmal leibhaftig in ihrer Mitte gehabt hätten  ! Die Erstaufführung der »Zauberflöte« hatte einen so außerordentlichen Erfolg, dass das Werk bei Änderung des Spielplans an drei Aufführungstagen nacheinander gespielt wurde und bis zum Ende der Spielzeit 24 Vorstellungen erlebte, 24 von insgesamt etwa 80 zwischen Januar und Juli. 1794/95 waren es Der Zauber Mozarts, der Zauber von Musik  

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Abb. 16  : Kostümierung zur »Zauberflöte« 1794. Aquarell von Georg Melchior Kraus.

noch einmal 15 Vorstellungen, bevor sich die Anzahl dann auf alljährlich 2 bis 5 bis zum Ende des Jahrzehnts normalisierte. Noch im gleichen Jahrzehnt waren auch »Così fan tutte« (ab 10. Januar 1797) und »Titus« (ab 30. September 1799) zu erleben. Am Ende des »Mozart-Jahrzehnts« im Weimarer Hoftheater stand im Tiefurter Schlosspark nicht nur ein Mozart-Denkmal, sondern in der Spielzeit 1799/1800 standen alle sechs Hauptopern in zusammen 17 Vorstellungen (bei 90 insgesamt) auf dem Spielplan  : dreimal »Entführung«, je zweimal »Figaros Hochzeit«, »Don Giovanni« und »Zauberflöte«, je viermal die neuere Inszenierung von »Così fan tutte« und die ganz neue von »Titus«. »Die Zauberflöte« aber dürften viele der Opernfreunde schon (innerlich) mitgesungen haben  ; sie war in einer Weise erfolgreich wie erst 1822 Webers »Freischütz« wieder. Goethe hatte für sein Theater eine zentrale Oper gefunden, die er im ersten und zweiten Jahr vielmals hintereinander erfolgreich spielen konnte. So wie er es am liebsten hatte. Der weiter oben angesprochene »Sündenfall« der Goethe’schen Inszenierung war eine Sache des »Einrichtens« der Oper. Goethe und sein Fast-Schwager Christian August Vulpius müssen deren Handlungsgefüge, deren dramaturgische Logik schlechthin für in Weimar nicht präsentabel gehalten haben. Also griffen sie hier stark ein. Als Dialogoper war das Werk für solcherlei Eingriffe offener als es die italienischsprachigen Opern Mozarts mit ihren Rezitativen gewesen wären. Wiederum Jahrzehnte später, am 13.  April 1823, er138

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Abb. 17  : Goethes eigenhändige Gliederung des 1. Aktes zu seinem Entwurf »Der Zauberflöte zweyter Theil«.

Der Zauber Mozarts, der Zauber von Musik  

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örterte Goethe das Problem mit Eckermann  : »Wir sprachen sodann über den Text der ›Zauberflöte‹, wovon Goethe die Fortsetzung gemacht, aber noch keinen Komponisten gefunden hat, um den Gegenstand gehörig zu behandeln. Er gibt zu, daß der bekannte erste Teil voller Unwahrscheinlichkeiten und Späße sei, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse  ; aber man müsse doch auf alle Fälle dem Autor zugestehen, daß er im hohen Grade die Kunst verstanden habe, durch Kontraste zu wirken und große theatralische Effekte herbeizuführen.«84 Um diese großen theatralischen Effekte aber dramaturgisch etwas zu erden und so die Verständlichkeit der Handlung zu verbessern, profilierten Vulpius und Goethe sie mit dem allbekannten Motiv Erbstreitigkeiten, durch Schikaneder betreffs siebenfachem Sonnenkreis nur angedeutet. Außerdem gliederten sie das zweiaktige Stück neu in drei Akte. Das Ereifern urtextorientierter Musikwissenschaftler im 20. Jahrhundert über dieserart »Sündenfall«, der dann, da von Goethe zumindest autorisiert, im 19.  Jahrhundert fortgesetzt wurde, war nicht nur wenig kontextorientiert, sondern wohl vor allem dem generellen Unbehagen geschuldet, wie sehr sich Theater der Festlegung auf einen Urtext entzieht. Gemeint war die »Einrichtung« der »Zauberflöte« jedenfalls als Akt der theatralischen Fürsorge, die bei Goethe im Übrigen weit darüber hinaus ging. Er kümmerte sich nicht nur um Einzelheiten der Inszenierung  – eine Bühnenbild-Skizze ist auf dem Umschlag dieses Buches abgebildet –, sondern er entwarf eben sogar eine Fortsetzung der Oper  : 1795 entstand »Der Zauberflöte zweyter Theil« (siehe dazu Abb. 17, S. 139). Goethe hatte ganz offenbar eine besondere Affinität zu den Personen der Oper und ihrem Entwicklungspotenzial. Und er mag seiner einstigen Singspielarbeit, die er zehn Jahre zuvor durch Mozarts »Schuld« aufgegeben hatte, doch noch mehr nachgehangen haben, als er sich selbst zugab. Gleichwohl argumentierte er gegenüber dem Wiener »Oberon«-Komponisten Paul Wranitzky (Pavel Vranický) sehr viel rationaler, um ihn für die Vertonung des Textes zu gewinnen  : »Der große Beyfall, den die Zauberflöte erhielt, und die Schwierigkeit ein Stück zu schreiben das mit ihr wetteifern könnte, hat mich auf den Gedanken gebracht aus ihr selbst die Motive zu einer neuen Arbeit zu nehmen, um sowohl dem Publiko auf dem Wege seiner Liebhaberey zu begegnen, als auch den Schauspielern und Theater-Directionen die Aufführung eines neuen und complicirten Stücks zu erleichtern. Ich glaubte meine Absicht am besten erreichen zu können in dem ich einen zweyten Theil der Zauberflöte schriebe, die Personen sind alle bekannt, die Schauspieler auf diese Charaktere geübt und man kann ohne Übertreibung, da man das erste Stück schon 140

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vor sich hat, die Situationen und Verhältnisse steigern und einem solchen Stücke viel Leben und Interesse geben.«85 Die »Steigerung der Situationen und Verhältnisse« wird im Fragment durch die Kinder der beiden im ersten Teil vereinten Paare erreicht. Um Genius, den Sohn Paminas und Taminos, entbrennt eine erbitterte Ausei­ nandersetzung zwischen den Kräften des »Guten« und des »Bösen« mit dem schließlichen Sieg des Kreises um Sarastro und Tamino. Symbolik und magische Kräfte wie bei Schikaneders Text sind weitergeführt. Die Charaktere der handelnden Personen werden vertieft. Sarastro wendet die im ersten Teil verkündeten Lehren handelnd an, Pamino und Tamino müssen sich in großem Leid bewähren und reifen zu Persönlichkeiten  : »Und Menschenlieb und Menschenkräfte sind mehr als alle Zauberey«86 (Pamina). Die Königin der Nacht erscheint noch großartiger in ihrer Rachsucht, Monostatos wird zur Verkörperung teuflischer Mächte. Papageno und Papagena dagegen bilden wieder in humorvoller Urwüchsigkeit den komischen Gegenpol zur dramatischen Haupthandlung. Einige Hinweise für den Komponisten lassen die Beziehung des Textes zur Formenwelt der damaligen Oper deutlich werden. Der Chor hat eine sehr vielfältige Rolle. Er sollte wie bei Mozart hinter der Bühne und auf ihr als Beteiligter an der Handlung, darüber hinaus aber kommentierend, im Sinn der griechischen Tragödie agieren. Auch andere Analogien zur Gestaltung des »Faust«-Stoffes fallen ins Auge  : die Ähnlichkeit von Genius und Euphorion, vom Monostatos Goethes und seinem Mephistopheles, das Motiv des künstlich erzeugten Menschen. Es ist verständlich, aber gleichzeitig sehr schade, dass Paul Wranitzky sich der Aufgabe nicht gestellt hat. Der Zauber Mozart’scher Musik hatte Goethe veranlasst, eine Fortsetzung des Schikaneder’schen Librettos zu schreiben. Mozart war eben der Komponist des klassischen Weimar, ohne jemals selbst hier gewesen zu sein. Er hatte einst den Präzeptor dieses Weimar bezaubert, das Weitere taten seine Werke, insbesondere seine Opern in den 1790er-Jahren. Und am Ende des Mozart-Jahrzehnts im Hoftheater – wir kommen quasi rondohaft darauf zurück – ließ Anna Amalias »académie de musique« dem Komponisten im Tiefurter Schlosspark jenes Denkmal setzen, einen antiken Rundaltar, auf dem eine Lyra aufgebracht ist, an die sich die Masken der komischen und der tragischen Muse lehnen. »Mozart und den Musen« – ihm und den beiden Schutzgöttinnen, deren Masken zu sehen sind, gilt die Aufschrift. An ihn, symbolisiert durch die Lyra, lehnen sie sich an. Edler ist wohl ein Tonkünstler nicht zu würdigen  ! Der Zauber Mozarts, der Zauber von Musik  

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Abb. 18  : Das Mozart-Denkmal von 1799 im Tiefurter Park.

Die hintergründige Motivation für so außergewöhnliches Tun finden wir in der dahin drängenden Gedankenwelt der »Tafelrunde« und insbesondere ihrer diesbezüglich führenden Mitglieder Anna Amalia und Herder. Auch der Zauber Italiens war musikalisch inspiriert, er bezog sich darüber hinaus aber auf ein viel komplexeres Sehnsuchtsziel, auf Wärme und Licht, kulturelle Zeugnisse aus Jahrtausenden, eine ganz andere Lebensart. Mozart dagegen stand mit seinem Zauber für die vielfältige Verzauberung, die heiter oder tragisch durch Musik möglich war, er war wie die Lyra ein Musiksymbol. Mit Musik und ihrer Wirkung aber setzten sich Anna Amalia und mehr noch Herder auch intellektuell intensiv auseinander. Anna Amalia beendete Anfang 1799 ihren Essay »Gedanken zur Musick«, in dem vielerlei Erfahrungen in einer Sprache niedergelegt sind, die ihr heißes Bemühen um die Dinge spiegelt. Hinsichtlich Komponisten kreist es einerseits um Hasse und Händel, die »Deutschitaliener«, andererseits um die direkten Zeitgenossen Haydn und gerade auch um Mozart  : Wie »der unnachahmliche Hayde, der uns noch täglich durch seine Werke belehrt, wie Melodie und Harmonie zu behandeln sind«, sei der »verewigte Motzar ein beweiß dieser Wahrheiten« – dass nämlich Melodie und Harmonie zwei unzertrennliche Schwestern seien, die allein und jenseits aller Gelehrsamkeit »den Ton-Künstler zu dem wesendlichen zweck, auf das Gefühl zu wirken«87 führen. 142

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Anna Amalia gab ihre »Gedanken« Herder zu lesen, der das wohl sofort und gründlich tat. Jedenfalls dankt er ihr im Brief vom 12. Januar 1799 für die Lektüre und findet nach ein paar artigen Komplimenten zu einem wunder­ samen Schluss  : »Warum wurden Ew. Durchlaucht nicht Kaiserin in Wien  ? Da wäre etwas geworden. Wohlan denn  ! in un’ altra stella. Die Harmonie umfaßt Alles  ; Die Melodie tönt fort  ; in ihrer unendlichen Kette läßt sie nichts sinken. Empfinden Ew. Durchlaucht den innigsten Wohllaut durch Ihr ganzes Leben, den meine Seele Ihnen wünscht. Herder.«88 Herder seinerseits fand nur wenig später in seinen Spätwerken »Kalligone« (1800) und »Adrastea« (1801/02) zu grundsätzlichen Aussagen über das Wesen und die Funktion der Künste, gerade auch zur Musik. Es sind verbale Edelsteine, die den Aufstieg der Tonkunst im 19.  Jahrhundert bei der intellektuellen Elite jener Zeit maßgeblich befördert haben. Drei Kostproben da­ raus sollen die hohe Eindringlichkeit der Gedanken und Qualität der Sprache exemplifizieren. Als erste eine Bemerkung zu der von ihm sehr geschätzten »Zauberflöte« mit quasi einer halben Ehrenrettung Schikaneders  : »So übel geleitet die Fabel, so übel gewählt die Worte seyn mögen, dem Unverständigsten schimmert der Inhalt der Fabel vor  : ›Licht ist im Kampfe mit der Nacht  ; Jenes durch Vernunft, und Wohlthätigkeit, diese durch Grausamkeit, durch Betrug und Ränke wirkend  !‹«89 »Kalligone« enthält 17 Thesen zur Musik. Hier die 17.: »Im Kommen und Fliehen, im Werden und Gewesenseyn liegt die Siegskraft des Tons und der Empfindung, wie jener und diese sich mit mehreren verschmelzen, sich heben, sinken, untergehn und am gespannten Seil der Harmonie nach ewigen, unauflösbaren Gesetzen wieder emporkommen und neu wirken, so mein Gemüth, mein Muth, meine Liebe und Hoffnung.«90 Und in »Adrastea« lesen wir  : »Ein von vielen Stimmen und Instrumenten gehaltener harmonischer Ton durchdringet die Seele. Oder die Stimmen theilen sich  ; sie antworten oder begleiten einander  ; süße Eintracht, das Bild himmlischer Zusammenwirkung, Liebe und Freundschaft. Oder sie verfolgen einander, kämpfen, umschlingen, verwirren sich, und lösen einander zur süßesten Beruhigung auf  ; trefliche Darstellung des ganzen Gewebes unsrer Empfindungen und Bemühungen auf dem Kampfplatz des Lebens. Wem Worte und Töne dies verbündet ausdrücken, der wird über sich, aus sich hinausgezogen  ; nicht etwa nur in einem Spiegel erblickt er, er empfindet, wenn man so kühn reden darf, die Ethik und Metaphysik seines menschlichen Daseyns.«91 Es ist durchaus von symbolhafter Bedeutung, dass, von Anna Amalia veranlasst, unweit des Mozart-Denkmals im Tiefurter Schlosspark seit 1805 das Der Zauber Mozarts, der Zauber von Musik  

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Herder-Denkmal steht, zu ihm im gleichen Abstand wie auf der anderen Seite zum 1803 errichteten Musentempel. Herder steht auf der Sandsteintafel, keine Worte weiter, aber darüber ein Schmetterling als Auferstehungssymbol. Im Dezember 1803 war Herder gestorben und hatte in »seiner« Kirche, der Stadtkirche St. Peter und Paul, an herausgehobener Stelle seine Grabstätte gefunden. Nicht einmal dreieinhalb Jahre später starb Anna Amalia und fand ebenfalls in der Stadtkirche ihre letzte Ruhestätte. Goethe entwarf eine Grabinschrift, in der er sein »feyerliches Andenken« wunderbar zusammenfasste  : »Anna Amalia / zu Sachsen / Gebohrne zu Braunschweig / erhabnes verehrend / Schönes geniesend / Gutes wirkend / Förderte sie alles / was Menschheit ehrt ziert und bestätigt / Sterblich / 1739–1807 / unsterblich nun / fortwirkend / fürs / Ewige.«92

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18. VON SÄNGERINNEN UND SÄNGERN UM 1800

Als Spezialisten im heutigen Sinne gab es sie am damaligen Weimarer Hoftheater nicht. Vielverwendbarkeit war an den kleineren deutschen Hoftheatern Trumpf. Man war stimmlich versierter Darsteller, wenn auch schwerpunktorientiert angestellt, also als Sängerin mit gelegentlichem Einsatz im Schauspiel oder als Schauspielerin mit Gesangsverpflichtung (zumindest im Chor). Einen eigenen Theaterchor gab es erst zwei Jahrzehnte später. Allerdings gab es für die chorischen Aufgaben Verstärkung von außen, vom Gymnasium. Um den Einsatz der Gymnasiasten im Hoftheater stritten sich 1802 Theaterintendant Goethe und Generalsuperintendent Herder heftig. Goethe setzte die theatralischen Interessen durch. Singen konnte man eben einfach, konnte jeder und in Thüringen (Thuringia cantat) sowieso, so die Ausgangsüberzeugung. Schließlich hatte man das Instrument dazu – den eigenen Körper – und arbeitete ständig damit. Allerdings waren die Anforderungen an Kunstfertigkeit und Klangvolumen beim Singen und Sprechen sowie an die darstellerische Qualität im vorhergehenden Jahrhundert sehr angewachsen. Und so nahm man speziellen Unterricht, lernte man das, was man brauchte, bei erfahrenen und mehr oder weniger lehrbegabten Meisterinnen und Meistern in direkter Verbindung mit der Praxis. Schauspielgesellschaften und Theater hatten damit immer auch Lehraufgaben. Im Weimarer Hoftheater um 1800 war dafür die Schauspielerin Christiane Henriette Beck zuständig. Italienische Erfahrungen und Methoden dominierten die Gesangspädagogik. Erst 1824 erschien in Mainz mit Peter von Winters »Vollständiger Singschule« ein Beleg für eine beginnende deutsche Gesangspädagogik, während gleichzeitig Manuel Garcia in Paris die italienische auf einen Höhepunkt sondersgleichen führte. Seine Schwester Maria Malibran war die Kronzeugin dessen. Von Sängerinnen und Sängern um 1800 

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Auch in Deutschland aber gab es um 1800 gelingende Ausbildungen. Die der jungen Caroline Jagemann kann dafür vom Ergebnis her als Beispiel gelten. Sie war damit in den drei Folgejahrzehnten die wichtigste Sängerdarstellerin am Weimarer Hoftheater. Henriette Caroline Friederike Jagemann, am 25. Januar 1777 als Tochter des Bibliothekars Anna Amalias und Italien-Experten Christian Joseph Jagemann in Weimar geboren, erhielt ersten Unterricht von Corona Schröter. Auf Veranlassung Anna Amalias, der die 13-Jährige vorgesungen hatte, wurde sie kurz nach ihrem 14.  Geburtstag dem Ehepaar Beck vom Mannheimer Nationaltheater, das in Weimar ein mehrwöchiges sehr erfolgreiches Gastspiel gegeben hatte, zur Ausbildung anvertraut. Anna Amalia und Vater Jagemann teilten sich die Kosten, Josepha und Heinrich Beck fungierten als Pflegeeltern und Ausbildende, erstere im Gesang, letzterer in der Schauspielkunst, in der Caroline auch von Becks Kollegen August Wilhelm Iffland, dem vielberühmten Iffland, unterwiesen wurde. Welch ideale Konstellation  : eine sehr namhafte Sängerin und zwei ebensolche Schauspieler als Ausbilder, ein großes Theater als Umfeld, in dem sie schon als 15-Jährige in einer Oper debütierte. Allerdings wurde die offenbar rasante künstlerische Entwicklung zunächst von pubertären und dann von Liebesproblemen der besonderen Art begleitet. Nachdem Beck auf erstere sehr streng reagiert hatte, verliebte er sich Ende 1794 selbst in seine reizende Schülerin, was seine Frau in die überaus unglückliche Lage der eifersüchtigen Lehrerin brachte. Als das Mannheimer Theater im Juli 1796 für ein Jahr geschlossen wurde, brachte das Ehepaar Beck die nun 19-Jährige nach Weimar zurück. Ab Februar 1797 stieg sie hier im Hoftheater schnell zur Primadonna auf. Ihrem geliebten Lehrer schrieb sie 1801 in sein Stammbuch  : »Mich Ihrer Freundschaft, Ihrem Andencken zu empfehlen  ; bedarf es nicht dießer Erinnerung von mir. Daß haben Sie mir durch die ganze Zeit meiner Entfernung, schön und tröstend bewießen. Aber ietzt im Augenblicke der neuen, hoffentlich kurzen Trennung mögte ich Ihnen so gern noch etwas aus dem Herzen sagen – und – sein innigster Wunsch ist von Ihnen nie vergessen wie es auch kommen mag – nie vergessen zu werden  !  ! Mannheim den 1ten August. 1801 / C. Jagemann.«93 Die Weimarer Lesart ihrer Entwicklung aus der Warte des Jahres 1799 klingt so  : »Unter den Sängerinnen überstrahlt Demoiselle Jagemann alle ihre übrigen Rivalinnen. Sie ist die Tochter des durch mehrere Schriften bekannten Rats Jagemann, der die Bibliothekarsstelle bei der Herzogin Mutter verwaltet. Dieser um die Bildung und um das Glück so vieler vortrefflicher Künstler und Künstlerinnen verdienten Fürstin hat auch diese vorzügliche Schauspielerin 146

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und noch vorzüglichere Sängerin ihre Kunstbildung zu verdanken. Der feine Blick der Fürstin erkannte früh die schlummernden Talente des jungen Mädchens und beförderte es nach Mannheim. Hier empfing Demoiselle Jagemann von der berühmten Madame Beck den ersten Unterricht in der Singkunst. Die talentvolle Schülerin machte Fortschritte und erschien bald als glückliche Nebenbuhlerin ihrer großen Lehrerin. Sie wurde in kurzem die Mignon des Pub­ likums, und ein gewisser Reichsgraf unter ihren Zuschauern, den die Reize und Kunst der jungen Aktrize an dem empfindlichsten Teile trafen, entschloß sich heroisch, sie zu heiraten. Nachher als sich die Mannheimer Truppe zerstreute, kehrte Demoiselle Jagemann nach Weimar zurück, wohin ihr theatra­ lischer Ruhm, in Verbindung mit ihren gräflichen Hoffnungen, lärmend vorangegangen waren. Hier lebte sie einige Zeit stille bei ihren Eltern, als sie plötzlich die Nachricht von der Unmöglichkeit einer Heirat mit ihrem hohen Liebhaber erhielt, dessen Familie sich gegen die ungleiche Partie empörte. Demoiselle Jagemann engagierte sich jetzt mit der leichtesten Resignation einer Kunstfreundin dem weimarischen Theater und brachte ihren Amor der Muse zum Opfer. Zugleich wurde sie zur Hofsängerin ernannt. Nach wenig Wochen war diese Zauberin die angebetete Göttin von ganz Weimar. Diese für die Reize der Kunst so empfängliche Stadt lebte damals eine Zeitlang im beständigen Taumel des theatralischen und musikalischen Entzückens und der Bewunderung, die ihr die in ihren Mauern bisher noch nie gehörten Töne der neuen Sängerin einflößten. Auch als Aktrize zeigt Demoiselle Jagemann ausgezeichnete Talente. Da sie im Oberon als Oberon selbst auftrat, sagte Wieland, der zugegen war, zu seinen Nachbaren mit Enthusiasmus  : ›Dies ist das Bild, das mir bei der Dichtung des Oberons vorschwebte.‹ Ihre ans Kleine grenzende, wohlgebildete Figur kömmt dieser Rolle gut zustatten. Man muß sagen, daß diese Meisterin es eigentlich war, die den theatralischen Oberon in Weimar wieder zum Gott machte. – Einige Zeit nachher ging Jagemann nach Berlin und sang, und Mara war vergessen. Man schrieb damals aus dieser Hauptstadt in den Zeitungen  : Seitdem man die Demoiselle Jagemann singen gehört, wisse man dort erst, was singen wäre.  – Diese Aktrize spielt auch im Wallenstein die Prinzessin Thekla, des jungen Piccolomini Geliebte, mit großem Beifalle. Doch scheint ihr in pursentimentalischen Rollen die Natur etwas versagt zu haben. Dafür hat in dem andern Felde ihr Vortrag alle Energie, Naivität und Grazie einer großen Schauspielerin.«94 Caroline Jagemann war von Anfang an in doppelter Eigenschaft angestellt. Ihr Anstellungsvertrag, unterzeichnet von ihr als gerade 20-Jährige und von Von Sängerinnen und Sängern um 1800 

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ihrem Vater, zeigt sehr deutlich, wie sehr es der Theaterleitung darum ging, sie sowohl als Sängerin wie als Schauspielerin einsetzen zu können  : »1. Demoiselle Caroline Jagemann verbindet sich auf dem weimarischen Theater erste und zweyte Singrollen zu übernehmen und überzeugt sich daß die Oberdirection keine Gelegenheit versäumen werde ihr Talent ins beste Licht zu setzen. 2. Sie übernimmt auch von Zeit zu Zeit Rollen im Schauspiele, welche für sie schicklich gefunden werden und, wie sie voraussetzen kann daß man sie damit nicht willkührlich überhäufen werde, so wird sie desto eher besonders im Nothfalle sich gefällig finden lassen.«95

Der triumphale Erfolg ihres Debuts 1797 in den »ersten Singrollen« als Oberon in der gleichnamigen Oper Paul Wranitzkys und als Konstanze in Mozarts »Entführung aus dem Serail« scheint im obigen Bericht Joseph Rückerts deutlich auf, ebenso ihre Qualität als Thekla in Schillers »Wallenstein« (Uraufführung der »Piccolomini« am 30.  Januar 1799, von »Wallensteins Tod« am 20. April 1799). Gleichermaßen aber war sie als »Hofsängerin« angestellt worden. Als solche erhielt sie zusätzlich zu ihren Theaterbezügen von jährlich 400 Talern extra 200 Taler, für deren Zahlung die Theaterkasse aus der Hofkasse eigens entschädigt wurde. So wies es Herzog Carl August in eigenhändiger Randbemerkung vom 28. Januar 1797 auf der von Goethe am Vortag unterzeichneten Niederschrift zur Anstellung an. Im Punkt 7 ihres Anstellungsvertrages, in dem es um diesen »Character einer Hofsangerinn« geht (den ihr der Herzog »ertheilen« werde), hieß es  : »Es versteht sich daß dieselbe in dieser Qualität bey Hofe zu singen hat.«96 Dies bezog sich insbesondere auf die Hofkonzerte, die Ende der 1790er-Jahre im neugestalteten Hoftheater stattfanden. Noch gab es den Festsaal im neu aufzubauenden Residenzschloss nicht, und der Saal im Fürstenhaus war weder groß noch repräsentativ, der im Theater aber seit dem Umbau 1798 sehr wohl. »An jedem Sonntage Abends  – einige Sommermonate abgerechnet  – ergötzet sich der Hof in seinem Saale an einem schönen Konzert, wozu jeder Nichtadelige auf die Galerie eingeladen ist. Der für Musik enthusiastische Weimaraner weiß dieses Privilegium, das sich auch auf solche Tage erstreckt, an denen sich fremde Virtuosen an dieser Stätte hören lassen, vollkommen zu schätzen. – Auch haben hier die Freunde des Gesangs immer nach vierzehn Tagen Gelegenheit, die beliebte Virtuosin, Demoiselle Jagemann, aufs Neue zu bewundern. – Ohne Zweifel ist dieses schöne Volksprivilegium einer weisen Politik sehr gemäß. Es wecket und nähret eine günstige Stimmung unter den 148

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Abb. 19  : Ferdinand Jagemann  : Profilporträt einer bekränzten Frau.

niedern Klassen, die an jenem Orte einen geliebten Genuß mit dem höhern Stande teilen und bei dem Anblick der unter ihren Augen schleppenden Pracht und des schwülen, umgebenden Hofglanzes ihren bequemern Zustand von der freien Galerie des Lebens herab nicht anders als gesegnet und glücklich finden können. […] Man darf oft nur den Menschen dem Gegenstande seines Neides näher bringen, um ihn sicher zu heilen.«97 Allerdings war es mit der »freien Galerie des Lebens« nicht ganz frei bestellt. Denn Rückert fährt fort  : »Auf der Galerie, wo sich die Menge versammelt, sind, um Unordnungen zu verhüten, Wachen ausgestellt und die Geschlechter getrennt.«98 Dass neben den »unerhörten Tönen« auch das sehr anziehende Äußere der jungen Aktrize insbesondere das männliche Publikum hinriss, ist vielfach bezeugt, selbst von Goethe. Der schrieb in einem Bericht über ihr Gastspiel in Göttingen 1801  : »Dazu eine nicht eben große, aber ebenmäßige Gestalt, üppige Formen, ein antikes Profil und reicher, blonder Haarschmuck, ein schönes Auge voller Leben und Ausdruck, elegante, nie bedeutungslose Bewegung – kurz, Ehemänner gedachten ihrer Vorzüge mit mehr Enthusiasmus, als Von Sängerinnen und Sängern um 1800 

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den Frauen lieb war, und gleicherweise sah man eine erregbare Jugend hingerissen.« 99 Goethe schwärmte also geradezu von der üppigen Blondine. Ob er bei der Ehemänner-Passage an seinen Dienstherrn und Freund Herzog Carl August gedacht haben mag  ? Der schwärmte immer mal für gut aussehende Sängerinnen – Corona Schröter, Emilie von Rudorff, nun Caroline Jagemann, und hier im Gegensatz zur ersteren wieder erfolgreich und nachhaltig. Die Jagemann wurde seine Geliebte, Mätresse, schließlich Nebenfrau, mit der er mehrere Kinder hatte und die er 1809 adeln ließ (Frau von Heygendorf). Dies aber verstärkte ihren Einfluss, ihre Machtposition im Theater weit über die Rückwirkung ihrer sängerischen Erfolge und Leistungen hinaus. Die Entwicklung des Weimarer Hoftheaters zu jener Zeit kam ihrem sängerischen Glanz nicht eben entgegen. Schon im ganz Allgemeinen. Die Dominanz des Musiktheaters durch die Opern Mozarts wurde abgelöst durch die intensive Hinwendung zu den neuen Dramen Schillers und ihrer Uraufführung. Die Präsentation der »Wallenstein«-Trilogie am 12. Oktober 1798 (verbunden mit der Einweihung des neu gestalteten Theaterraumes), 30.  Januar und 20. April 1799 waren Paukenschläge in der deutschen Theaterlandschaft in engem Bezug zu den heraufziehenden sehr unruhigen Zeiten. Bald galt das Weimarer Hoftheater in seiner überregionalen Reputation vor allem als ein Schiller-Theater. Hier dürfte ein Ur-Problem dieser Institution begonnen haben, das die Folgezeiten durchzog  : Für eine auskömmliche Ausstattung sowohl des Schauspiels wie der Oper waren die Finanzmittel viel zu knapp – bei der nunmehrigen Berühmtheit des Hauses ein letztlich unauflösbarer Konflikt. Caroline Jagemann sah sich als überragende Sängerdarstellerin in diesen Konflikt hineingestellt und meinte wohl, für die Weimarer Oper zu kämpfen, wenn sie dies – für sich tat. Jedenfalls wurde sie allmählich zur musiktheatralischen Gegenspielerin Goethes, der sie zunächst ja sehr geschätzt und gefördert hatte. Lange Jahre überragte sie allein das Ensemble. Erst zwischen 1806 und 1809 kamen drei sehr gute Sänger hinzu  : 1806 der Bassist Karl Stromeyer (1779–1845, ursprünglich Strohmeyer), 1807 die Sopranistin bzw. Mezzosopranistin Henriette Häßler (1790–1849, seit 1812 Henriette Eberwein) und 1809 Karl Melchior Jakob Moltke (1783–1831) als lyrischer Tenor. Die Vier bildeten dann um 1810 ein weithin namhaftes Solistenquartett. Stromeyer wurde darüber hinaus Partner der Jagemann beim Kampf um die Macht im Theater, in dem Duo, das der Volksmund »Clique Jagemeier/Strohmann« nannte. Dass auch am Weimarer Hoftheater eine schwerpunktorientierte Spezialisie­ rung in Schauspieler und Sänger fortgeschritten war, wird nicht nur am Bei150

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spiel Jagemann deutlich. Zeitzeuge Joseph Rückert würdigt in seinen »Bemerkungen über Weimar 1799« im Kapitel »Theater« durchaus zunächst die hervorstechenden Schauspieler (wie etwa Anton Graff) und erst dann extra die Sänger wie Caroline Jagemann. Seinen oben zitierten Äußerungen zu ihr gehen vor allem Bemerkungen zu Christian Benda voraus, seit Oktober 1791 Mitglied des Ensembles als dringend benötigter lyrischer Tenor  : »Unter den Sängern behauptet Herr Benda, ein Sohn des berühmten Komponisten dieses Namens, den ersten Rang. Natur und Kunst vereinigen sich in diesem Meister zu einem bewunderungswürdigen Grade der Vollkommenheit. Seine Darstellungen machen wegen übler Verzerrung des Gesichtes und vieler affektierten Bewegungen des Körpers einen desto widrigern Eindruck, so, daß man in Weimar gegen dieses theatralische Übel seine besondere Maßregeln genommen hat. Sobald dieser Sänger auf der Bühne erscheint, schließen sich plötzlich alle Augen, als berühre sie Merkur mit dem Stabe. Dem Fremden sagt es der Nachbar und rät ihm, seine Augen in Sicherheit zu bringen. Die Stimme dieses trefflichen Sängers verlor zwar seit einigen Jahren an Reinheit  ; sein Gesang bleibt aber dessen ohngeachtet noch immer vorzüglich schön.«100 Johanna Weyrauch, vor der Jagemann »erste Sängerin«, kommt noch weitaus schlechter weg. Ihrer Darstellung mangelt »Leben und Schönheit«. »Sie sieht da fast leblos und tönend wie das memnonische Bild beim Aufgang der Sonne.« Nur durch die Spitzentöne der Arien der »Königin der Nacht«, die die Jagemann nicht habe, rufe »diese vergessene Sängerin […] von Zeit zu Zeit in gedachter Oper ihr verlornes Andenken wieder auf einen Augenblick ins Leben zurück. Sie ist und bleibt auf dem weimarischen Theater die Königin der Nacht, Demoiselle Jagemann aber die Königin des Tages.«101 Nicht weniger bissig die Bemerkungen um »Demoiselle Matiegzeck, eine heitere Nymphe Thaliens mit der Seele und Gewandtheit Philinens aus dem Wilhelm Meister. Ihr Vortrag und Gesang zeichnen sich durch eine schöne Ungezwungenheit und durch einen gewissen herzlichen Ton aus. Sie behauptet in der Oper den ersten Rang nach Demoiselle Jagemann.« So weit so gut. Aber dann  : »Ihr Körper und ihre Stimme stehn in einem auffallenden Mißverhältnisse gegen einander. Bei einer außerordentlichen Stärke und Fülle der letzteren ist diese Sängerin nur mit einem äußerst hagern Körper bekleidet  ; und da beide in diesem umgekehrten Verhältnisse fortzuschreiten scheinen, so fürchtet man, diese tonreiche Aktrize möchte endlich das Schicksal der Echo erfahren.«102 Man könnte dazu allerdings auch sagen, dass allein die namentliche Erwähnung schon entschieden positiv war. Denn hinsichtlich von 10 der 23 SchauVon Sängerinnen und Sängern um 1800 

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spieler und Sänger heißt es lediglich lapidar, sie seien »gut und brauchbar«103, was die so Gewürdigten wenig erfreut haben dürfte. Die Rückert’schen »Bemerkungen über Weimar«, im Mai-, Juli- und Septemberheft 1800 der in Altona erscheinenden Zeitschrift »Der Genius der Zeit« erschienen, wurden hier sehr zur Kenntnis genommen. Rückert, wohl eine Zeit lang Hauslehrer in oder um Weimar, hatte sie im Sommer 1799 verfasst. Inwieweit er zur besseren Verdeutlichung übertrieben haben mag, ist nicht mehr nachvollziehbar. Jedenfalls arbeitet er gut (und vielleicht auch schonungslos) die besonderen Züge he­ raus, etwa (als letztes Beispiel) zu einem Sänger, der mit größten Bemühungen um »edeln Geschmack und schönen Vortrag« (für Anna Amalia eine zentrale Qualität) wohl sehr übers Ziel hinausschoss. Es war »Herr Altenhof, ein erst seit kurzem angeworbenes Mitglied und eine ganz neue exzentrische Erscheinung auf der weimarischen Bühne, welche aber trotz des Reizes ihrer Neuheit nicht gefallen wollte. Dieser Sänger wollte sich, wie es scheint, nach dem italienischen Geschmacke bilden, übertrieb aber jene angenehme Zierlichkeit bis zum Lächerlichen. Dadurch schuf er nun für die Weimaraner jedes Stück, gegen seinen Willen, und zu seinem ärgsten Verdrusse, zum Lustspiele um. Inzwischen war aber dieser italienische Held seiner Sache so gewiß, daß er sich weder durch Erinnerungen der Direktion, noch durch das fortdauernde Gelächter des Hauses in seiner Methode irre machen ließ, welches man um so mehr bedauerte, da er mit einem glücklichen Organe und vortrefflichen musikalischen Kenntnissen eine angenehme Figur verbindet, die auf diese Art um allen ihren Wert kamen. Nach langem Kriege zwischen ihm und dem Publikum, wobei jener sogar mehreremal drohte, die Feder zu ergreifen und seine Manier öffentlich zu verfechten, schlug endlich dieser Italiski klüglich den Weg der Akkomodation ein. Seitdem scheint man sehr zufrieden mit ihm zu sein.«104 Wie dieserart Auseinandersetzung um den »italienischen Geschmack« zu bewerten ist, muss dahingestellt bleiben. Haltenhof muss durchaus nicht immer falsch gelegen haben … 1799 noch nicht dem Ensemble des Hoftheaters zugehörig war ein Sängerschauspieler, der zwar dann erst anderswo gefeiert wurde, dessen besondere Qualitäten aber offenbar in seinen gut vier Weimarer Jahren geprägt worden waren  : Johann Wilhelm Ehlers. Der 1774 in Hannover geborene Tenor bzw. Bariton debütierte hier gemeinsam mit seiner Frau im Januar 1801 und blieb bis Ostern 1805. Unmittelbar danach gab er am 2. Mai 1805 in Halle ein Konzert. In seinem Bericht darüber setzt Johann Friedrich Reichardt die Qualitäten des 31-Jährigen in ein helles Licht  : 152

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»Herr Ehlers vom Weimarschen Hoftheater gab gestern hier ein Concert, welches sich durch eine sehr angenehme Eigenschaft auszeichnete  : es war nemlich weit unterhaltender, als dergleichen Concerte gewöhnlich zu seyn pflegen, und zwar vornehmlich durch schöne Romanzen und Volkslieder, welche Herr  E. ohne weitere Begleitung zur Guitarre sang. Man muß diese freilich mit so viel Ausdruck und Wahrheit und so deutlich vortragen, wie Herr E.; damit der Zuhörer nicht blos die Weise der Gesänge hört, sondern auch die Worte ganz verstehen und mit Antheil genießen kann. An der Art, wie Herr E. Romanzen und Lieder von Zelter und Rei­ chardt vorträgt, erkennt man leicht, daß er aus der hohen Deklamationsschule des großen Weimarschen Meisters ist, und daß er den Sinn und Willen der Componisten kennt. Jeder Vers, jeder Ausdruck erhält sein Recht, und kann seine Wirkung daher schwerlich verfehlen.«105

Ein Konzert ohne alle üblichen weiteren Kräfte, insbesondere ohne ein Orchester, wie Reichardt in seiner Rezension für die Berlinische Musikalische Zeitung dann hervorhebt  – ein Liederabend als neuartige Form des öffentlichen Konzertes, also jenseits der Hausmusik im kleineren oder größeren Kreis, wo Lieder »schon immer« eine Rolle spielten, was aus dem Weimar der drei vorangegangenen Jahrzehnte vielfach bezeugt ist. Lieder aus Singspielen waren da ebenso beliebt wie die neuen Lieder im Volkston von Siegmund von Seckendorff, der Texte aus den beiden von Herder 1778 und 1779 herausgegebenen Volksliedersammlungen musikalisierte  ; Herder hatte nur eine einzige Melodie mit überliefert. Die Gitarre als Begleitinstrument, von Anna Amalia aus Italien mit nach Weimar gebracht, spielte dabei in den 1790er-Jahren eine große Rolle. Davon wird Ehlers profitiert haben. Selbstredend profitierte er aber am meisten von dem, was er hier als deklamatorischen Stil kennen und beherrschen lernte. Reichardt spricht von der »hohen Deklamationsschule«, deren Prinzipien Goethe damals gerade in seinen »Regeln für Schauspieler« kodifizierte. Ehlers hat sie in ganz besonderer Weise erleben und erfahren können. Denn nachdem es ihm gelungen war, Goethe sein Interesse an der Vortragskunst für Lieder überzeugend nahezubringen, durfte er in dessen Abendgesellschaften dessen Lieder vortragen. Nach Goethes Darstellung in den »Tag- und Jahresheften 1801« (geschrieben 1822) wurde er für den Dichter so etwas wie ein Sparringspartner  : »Brauchbar und angenehm in manchen Rollen war Ehlers als Schauspieler und Sänger, besonders in dieser letzten Eigenschaft geselliger Unterhaltung höchst willkommen, indem er Balladen und andere Lieder der Art zur Guitarre mit genauester Präcision der Textworte, ganz unvergleichlich vortrug. Er war unermüdet im Von Sängerinnen und Sängern um 1800 

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Studiren des eigentlichsten Ausdrucks, der darin besteht, daß der Sänger nach Einer Melodie die verschiedenste Bedeutung der einzelnen Strophen hervorzuheben und so die Pflicht des Lyrikers und Epikers zugleich zu erfüllen weiß. Hievon durchdrungen ließ er sich’s gern gefallen, wenn ich ihm zumuthete, mehrere Abendstunden, ja bis tief in die Nacht hinein, dasselbe Lied mit allen Schattirungen auf ’s pünctlichste zu wiederholen  : denn bei der gelungenen Praxis überzeugte er sich, wie verwerflich alles sogenannte Durchcomponiren der Lieder sei, wodurch der allgemein lyrische Charakter ganz aufgehoben und eine falsche Theilnahme am Einzelnen gefordert und erregt wird.«106 Ein berühmter Satz zuletzt, quasi Goethes Liedästhetik in nuce, allerdings ex negativo. Im Positiven gehörten dazu alle jene Feinheiten einer ausdifferenzierenden Gestaltung, die er eben mit Ehlers stundenlang und bis tief in die Nacht hinein ausprobierte. Was aber nicht mehr und nicht weniger heißt, als dass es mit Wilhelm Ehlers tatsächlich einige Jahre einen Liedersänger von hohem Rang im klassischen Weimar gab, der der Goethe’schen Liedästhetik und den Komponisten, die ihr entsprachen, voll gerecht wurde. Zudem reussierte er dann anderswo ebenso als Don Giovanni wie in Schauspielrollen, und später auch als Gesangslehrer.

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19. JAGEMANN CONTR A KR ANZ 1801–1803

»In des Herzens heilig stille Räume / Mußt du fliehen aus des Lebens Drang  : / Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, / Und das Schöne blüht nur im Gesang.«107 So hatte Friedrich Schiller das neue Jahrhundert begrüßt. Nahezu gleichzeitig wurde allerdings selbst noch der Gesang am Weimarer Theater zum erbitterten Streitgegenstand. Die junge Primadonna Caroline Jagemann, längst auch der Bettschatz des Herzogs Carl August, der ja viel von jungen Sängerinnen hielt, begann auch sängerisch ihren Kampf um die Entscheidungsmacht im Musiktheater. In ihrer Sicht war es eine Selbstbehauptungsoffensive, zweifellos ging es aber um Macht, zunächst in der direkten künstlerischen Ebene. Gegner war hier der Hofkapellmeister Johann Friedrich Kranz, Goethes wichtigster musikalischer Mitstreiter am Theater. Die Entwicklung von Kranz war hinsichtlich der Förderung durch den Hof der ihren nicht unähnlich. 1752 als Sohn eines Pächters in Weimar geboren, also 25 Jahre älter als sie, spielte er seit 1766 in der Hofkapelle mit und wurde durch Karl Gottlieb Göpfert in Violine und Ernst Wilhelm Wolf in Komposition weiter ausgebildet. Nach einem öffentlichen Konzert 1778 zum Kammermusiker ernannt und zum Hofstaat Anna Amalias gehörend, erhielt er im November 1780 die besondere Chance einer ausgedehnten, weitgehend vom Hof finanzierten Studienreise. Sie führte ihn 1781 bis 1787 nach Mannheim, München, Wien (Mozart), Eisenstadt (Haydn) und vor allem nach Italien. Es war also ein ebenso sechsjähriger Studienaufenthalt wie die Ausbildung der Jagemann in Mannheim zehn Jahre später. Nach seiner Rückkehr avancierte Kranz zum Hofkonzertmeister neben seinem Lehrer Göpfert, zusätzlich dann in der Nachfolge von Benedikt Krauß zum Kapellmeister der Bellomoschen Theatergesellschaft. In solcherlei Status leitete er seit Mai 1791 die Oper am Jagemann contra Kranz 1801–1803 

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neuen Hoftheater. Der lange Jahre kranke Hofkapellmeister Wolf starb zwar 1792, Hofkonzertmeister Göpfert aber erst 1798. Erst danach wurde Kranz 1799 zum Hofkapellmeister ernannt. In eben diesem Jahr schrieb der Zeitzeuge Joseph Rückert über die Qualität der Hofkapelle  : »Das Orchester hingegen ist seiner Vollkommenheit nach ein wahrer musikalischer Himmel. Wo mag eine schönere Harmonie wohnen  ?«108 Der Vorlauf des Skandals Caroline Jagemann hatte im Sinne ihrer Sonderstellung von Anfang an gegen ihr Umfeld revoltiert, dessen Qualität sie schlechthin für unzureichend hielt. Ihre Auseinandersetzungen mit anderen Sängern und dem Kapellmeister nahmen schon im Anstellungsjahr 1797 Formen an, die einen Schlichtungsmodus notwendig machten. Am 4. Dezember 1797 erließ die seit diesem Jahr das Theater leitende Kommission (Goethe, von Luck, Kirms) eine Anweisung, derzufolge Sänger, Kapellmeister und Regisseur sich bei Meinungsdifferenzen zu beraten und womöglich zu einigen hätten. Im anderen Fall werde die Kommission entscheiden. Der konkrete Konflikt im Vorfeld des Eklats bestand in unterschiedlichen Tempovorstellungen zur großen hochdramatischen Rache-Arie der Donna Anna in Mozarts »Don Giovanni« (Rezitativ und Arie »Ach, Ottavio, ich sterbe«) und damit in der Frage, wie schnell die Jagemann diese Arie singen dürfe und wer das zu bestimmen habe. Für die Sängerin ist ein schnelleres Tempo mit geringerem Einsatz der Stimmkräfte verbunden und effektvoller. Die Streicher allerdings haben im Sinne dichter Dramatik kleinste Notenwert-Figuren in sehr hohem Tempo zu spielen. In dem ursprünglich von der Primadonna gewünschten Tempo waren die von den damaligen Weimarer Hofkapellisten nicht mehr spielbar. Nach einiger Auseinandersetzung hatte man sich im Sinne des Schlichtungsmodus der Hoftheaterkommission auf einen Kompromiss geeinigt, der dann bei der Auswertung des Skandals allerdings ungerechterweise kaum eine Rolle mehr spielte. Der Kompromiss  : Kranz vereinfachte die Begleitfiguren – ein gravierender Eingriff in die Komposition Mozarts – und man einigte sich auf eine quasi mittlere Tempovorstellung. Das Ereignis In eben dieser Arie kam es im Februar 1801 zum öffentlichen Skandal. Ob bewusst oder quasi im Eifer des Gefechts, die Jagemann zog das Tempo massiv an und stampfte es dazu wohl auch noch mit den Füßen auf die Bühnenbretter. Kranz aber hielt das Orchester im Kompromiss- und Ausgangstempo fest. Der

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Tempokampf endete mit einem großen Durcheinander. Das Publikum lachte, Goethe gebot aus seiner Loge heraus laut Ruhe, das Publikum aber, obwohl es ja eigentlich lediglich Beifall spenden durfte, lachte weiter. Dagegen war auch der diensthabende Unteroffizier mit seinen beiden Soldaten machtlos. Ein Skandal in Abwesenheit des Herzogs. Und Goethe war überaus erbost, im Sinne seiner absoluten Aversion gegen Unordnungen aller Art. Die Folgen Am 23. Februar 1801 schrieb die Jagemann einen ausführlichen Brief an die Hoftheaterkommission und warf Kranz »bößen Willen« und »schlechteste Behandlung« vor. »In der schlimmen Aussicht das dießer Mann nie aufhören mögte mir unverschuldeten Aerger und Verdruß zu bereiten, welche unter der Anstrengung des Gesanges den Ruin meiner Gesundheit unfehlbar hervorbringen müssen, vermag ich nicht mich länger zu beruhigen, sondern sehe mich in der Nothwendigkeit Ew. Hochwohlgeb. u. Wohlgeb. bescheidenst vorzustellen daß es so wohl nicht länger bleiben kann, und das der C. M. Kranz unfehlbar außer Stand gesezt werden müßte mir weiter zu schaden, wenn meine hiesige Existenz von Dauer seyn soll.« Dann beschreibt sie, was geschehen sei. Sie lasse sich nicht vorschreiben, wie schnell sie die Arie zu singen habe, Kranz habe dies aber »mit derben Tactschlägen des Bogens auf sein Pult«109 versucht. Sie wolle nie wieder in einer von Kranz dirigierten Oper auftreten. Goethe daraufhin am nächsten Tag  : »Indem ich fürstl. Hofamte geziemlich überlasse, was dasselbe, in dieser Sache, an den ihn untergebenen Kapellmeister Kranz, nach Einsicht und Ueberzeugung, zu verfügen gedenkt  ; so muß ich von meiner Seite bemerken, daß ich das Betragen gedachten Kapellmeisters, bey dieser Gelegenheit, äußerst tadelnswert finde  ; denn er hat nicht das Recht Sänger oder Orchester, auf eine Weise welche Eclat und Störung verursacht, zu rechte zu weisen, indem daraus eine viel schlimmere Wirkung entsteht, als durch den Fehler den er verbessern will.«110 Daraufhin wurde Kranz noch am gleichen Tag vom Hofmarschallamt generell von der Leitung der Opern suspendiert. Am 5. März wandte er sich an Herzog Carl August selbst, erklärte, was geschehen sei, insbesondere die Einigung, »daß wir statt 24 Noten in einem Tacte, nur 16 deswegen executiren können« und dass ein noch geschwinderes Tempo ins Chaos geführt hätte  : »Hätte ich der Demoiselle Jagemann ihrer blosen Willkühr nachgegeben, und wir wären weiterhin gekommen, so wäre es zu der größten Verwirrung und endlich sicher zu einer gänzlichen Zerrüttung, wie die Notenfiguren in der Partitur es ganz deutlich beweisen, gekommen.«111 Seine Ehre sei durch die Suspendation beschädigt Jagemann contra Kranz 1801–1803 

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und er bitte »unterthänigst«, ihn »gnädigst vernehmen zu lassen«, also um eine Untersuchung. Der Herzog entschied am 28.  März 1801, die einstweilige vollständige Suspendierung solle als Strafe genügen, Kranz dürfe aber in Zukunft alle die Opern nicht mehr leiten, in denen die Jagemann auftreten würde. Er entsprach damit vollständig ihren Forderungen im Schreiben vom 23.  Februar, die sie ihm inzwischen gewiss auch in anderer Weise vermittelt hatte. Bei ihrer sängerischen Bedeutung war dies nichts weniger als die Quasi-Absetzung als Musikalischer Leiter am Hoftheater. Die diesbezügliche Anordnung des Hofmarschallamtes vom 18. April 1801 zeichneten von Luck und Kirms gegen, Goethe nicht  – warum auch immer. Niemand allerdings wollte Kranz die Entscheidung begründen, die bedeutete, dass von nun an Franz Seraph von Destouches, Hofkonzertmeister seit 1799, alle »Jagemann-Opern« zu leiten hatte. Am 8. Juni 1801 bat Kranz erneut um Aufklärung. Per 26. Juni antwortete das Hofmarschallamt, es sei ein Descript der Theaterkommission eingegangen. Über den Inhalt wurde ihm allerdings nichts mitgeteilt. Allen scheint die Angelegenheit peinlich gewesen zu sein, verständlich bei Kranz’ Verdiensten und dem besonderen Verhältnis zwischen Herzog und Primadonna. Dies ist auch aus einer erbosten Aktennotiz Goethes im Folgejahr zu schließen. Denn am 4. Mai 1802 hatte sich Kranz abermals an das Hofmarschallamt gewandt und um die Bekanntgabe jenes Descripts gebeten. Goethe daraufhin intern am 8. Mai u. a.: »Herrn Kranz ist so viel bekannt als nöthig  : daß er suspendirt war und ist, weiter braucht er nichts. Sein Promemoria an das Hofmarschallamt wird also beygelegt, und wenn er sich untersteht ein gleiches an die Theaterkommission zu bringen, und zu fragen ob seine Sache vergessen werden soll so will ich ihm den Kopf waschen, daß er Zeit lebens an mich denken wird.«112 Gesundheitlich stark angegriffen bat Kranz schließlich am 30. Januar 1803 mit Verweis auf seine 37-jährigen Dienste um Entlassung. Durch Vermittlung Anna Amalias wurde er zum 1. März 1803 Hofkapellmeister der sehr viel bedeutenderen Hofkapelle in Stuttgart. Anna Amalia missbilligte die Intrigen der Jagemann scharf, Goethe dagegen hatte seinen wichtigsten musikalischen Mitstreiter im Stich gelassen, obwohl er von der Vorgeschichte erfahren haben muss. Und der Umgang mit dem Skandal war der eigentliche – nun überaus stille – Skandal. Zumindest in unseren Augen. Für Goethe war, wie am Schluss der »Belagerung von Mainz« zu lesen, der Eklat in jedem Falle schlimmer als die Ungerechtigkeit. Nach seiner Meinung hätte auch der im Recht befindliche Hofkapellmeister alles Erdenkliche tun müssen, Unordnung im Sinne von offenkundigem Skandal zu vermeiden. 158

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Theater! Mit Musik (1756 | 1803)

Caroline Jagemann dankte Goethe in ihrer Weise  : Sie wandte sich nun zunehmend gegen ihn selbst, natürlich indirekt, bald unterstützt vom 1806 hinzugekommenen ausgezeichneten Bassisten Karl Strohmeyer. Das Sänger-Gespann hieß im Volksmund dann »Clique Jagemeier/Strohmann«. Eine Intrige Ende 1808, in der auf ihr Betreiben hin von Carl August ein Sänger ohne Wissen Goethes entlassen wurde (auch eine »Unordnung«), führte zu dessen Rücktrittsankündigung. Nur durch das Drängen von Herzogin Luise blieb er überhaupt im Amt des Oberdirektors des Theaters, nun aber mit verminderten Kompetenzen. Denn die Oper wurde (wie bisher schon die Hofkapelle) direkt dem Hofmarschallamt unterstellt, der Fachmann Goethe eben »entlastet«. Vom Hofmarschallamt war zu erwarten, dass es den Wünschen der Nebenfrau des Herzogs noch direkter entsprechen würde. Die Stelle des Hofkapellmeisters wurde bis 1810 nicht nachbesetzt. Franz Seraph von Destouches, 1799 als Hofkonzertmeister angestellt, vertrat sie weiter bis es nicht mehr ging und er 1810 gehen musste. Ein Ausblick in die noch weitere Zukunft  : 1817, nach dem letzten Akt der Begrenzung des Oberdirektors Goethe (nun mit jenem Pudel auf der Bühne), demissionierte er vollständig. Noch kurz zuvor ließ er Karl Stromeyer (um das -h- in seinem Namen hatte er ihn schon 1806 entlastet) zum Opernregisseur ernennen, dem ersten in der Weimarer Theatergeschichte. Er verband dies ausdrücklich mit der resignierenden Bemerkung, der ließe sich ja von ihm ohnehin schon seit langem nichts mehr sagen. Und 1824 wurde der Jagemann’sche Strohmann tatsächlich noch Oberdirektor des Hoftheaters und insofern Goethes Nachfolger …

Jagemann contra Kranz 1801–1803 

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III. KLAVIERVIRTUOSEN ALS HOFKAPELLMEISTER (1810 | 1846)



20. MARIA PAWLOWNA UND DIE LIEBE ZUM KLAVIER

Anfang November 1804 war die inzwischen mit Erbprinz Carl Friedrich vermählte 18-jährige Zarentochter Maria Pawlowna in ihrer neuen Heimat Weimar angekommen. Die ihr folgenden vielen, vielen Kutschen mit ihrer Aussteuer – für das eher ärmliche Weimar ein märchenhaft anmutender Reichtum – hatten als Zeichen imperialen Glanzes ein goldenes Licht auf den Coup geworfen, der mit dieser Heirat gelungen war. Seine Auswirkungen beeinflussten die Entwicklung Weimars in den nächsten fünf Jahrzehnten stark. Dies natürlich insbesondere im Vierteljahrhundert zwischen 1828 und 1853, in dem Maria Pawlowna als Großherzogin die kulturelle Weiterentwicklung lenkte. Dabei spielte dann die Verklärung des »Musenhofes« Anna Amalias eine ebenso wichtige Rolle wie eigene neue Akzente. Gewiss war das erste Jahrzehnt ihres Hierseins – soweit man überhaupt hier war – alles andere als ruhig-friedlich. Dennoch wurzelte sie sich in der Spätzeit des klassischen Weimar hier ein. Und Goethe war noch jahrzehntelang ihr Genius wie der ihrer Kinder. Ebenso wie Anna Amalia war Maria Pawlowna mit Musik tief verbunden. Musik war ihre Lieblingskunst, allerdings weniger im theatralischen Zusammenhang als pur. Es gab also keine Gefahr, dass sie mit Caroline Jagemann, der theaterbeherrschenden Nebenfrau ihres Schwiegervaters, in den Jahrzehnten bis 1828 hätte aneinandergeraten können. Maria Pawlowna hatte ein ganz besonderes Faible für das Klavier und für Klaviermusik. Oder war es eher eines für Klaviervirtuosen  ? Gleich gültig. Schon der erste Hofkapellmeister, der als oberste musikalische Autorität »bey Hofe« zu ihrer Zeit neu angestellt wurde, war 1810 kein Violinist wie seine Vorgänger, sondern ein Klaviervirtuose  : ihr einstiger Petersburger Klavierlehrer August Eberhard Müller (1767–1817), bislang Thomaskantor in Leipzig. Gewiss galt inzwischen das »poetische Maria Pawlowna und die Liebe zum Klavier 

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Abb. 20  : Maria Pawlowna, Großfürstin von Russland und Erbprinzessin von Sachsen-Weimar-­ Eisenach 1805. Gemälde von Johann Friedrich August Tischbein.

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Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846)

Weimar« (anders als das »körperliche«113) als ein anziehender Ort für Künstler, die Aufgabe, der leitende Musiker an Weimars Hoftheater und im neuen Residenzschloss zu sein, trotz »Sängerherrschaft« als ehrenvoll. Nichtsdestoweniger dürfte entscheidend gewesen sein, dass Maria Pawlowna im Klaviervirtuosen-Fall bereit war, das mit 800 (später 900) Talern schon durchaus ansehnliche Jahresgehalt des Hofkapellmeisters aus ihrer Privatschatulle zu verdoppeln. Das war sehr ungewöhnlich. Als Müller im Dezember 1817 gestorben war, wurde intensiv und sorgsam nach einem Nachfolger Ausschau gehalten. Maria Pawlownas Gehaltsverdopplungsbedingung dürfte dabei eine prägende Rolle gespielt haben. Peter von Lindpaintner, Carl Maria von Weber und Johann Nepomuk Hummel kamen in die engere Wahl. Hummel, bislang Hofkapellmeister in Stuttgart, erhielt den Zuschlag. Er war der berühmteste Klaviervirtuose seiner Zeit. 1778 in Preßburg geboren, hatte die Familie ab 1786 in Wien gelebt – und Johann Nepomuk im Haus Mozarts, als dessen Schüler bis 1788. Auf der anschließenden fünfjährigen Konzerttournee durch halb Europa war er als pianistisches Wunderkind landauf landab gefeiert worden. Nach umfassenden weiteren Studien und einer wenig erfolgreichen Nachfolge Joseph Haydns in der Kapelle des Fürsten Esterházy 1804–1811 hatte er sich in Wien zu einem gesuchten Klavierlehrer entwickelt und dann 1814 seine europaweiten Konzertreisen als Klaviervirtuose mit sehr großen Erfolgen wieder aufgenommen. Dass er da auch als Komponist hervortrat, versteht sich. Weniger selbstverständlich war, dass er als unübertroffener Improvisator galt. Es gelang also, diesen genialen Klaviervirtuosen, den Erben des »Musikgottes« Mozart, inzwischen selbst eine europäische Berühmtheit, aber in seinem gegenwärtigen Amt als Hofkapellmeister in Stuttgart unzufrieden, in das kleine Weimar zu ziehen. Eine Großtat für den Ort, weniger hinsichtlich des Theaters mit seinen ernüchternden komplizierten Machtverhältnissen als durch die schlichte Tatsache, eben einen Hummel hier zu haben. Der blieb trotz aller Amtsquerelen wohl vor allem wegen der sehr großzügigen Rahmenbedingungen. Er bezog ein Jahresgehalt von 1800 Talern (dabei eben zur Hälfte aus den Privatmitteln Maria Pawlownas), die Leitung »trivialer Opern« war ihm ebenso abgenommen wie jede dienstliche Aufgabe in Kirche und Schule (für ihn als Katholiken ohnehin schwierig) und ihm wurde ein alljährlicher dreimonatiger Urlaub während der Spielzeit für seine Konzertreisen zugebilligt. Das Letztere war ihm wohl das Wichtigste, zumal er als Folge der Konzertreisen einen namhaften Schülerkreis in Weimar um sich versammeln konnte. Zu ihm gehörten spätere große Virtuosen wie Henselt, Hiller und Thalberg, der Konkurrent Maria Pawlowna und die Liebe zum Klavier 

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Franz Liszts 1837 in Paris. Hummels 1828 gedruckte Klavierschule belegt in übergroßer Fülle seinen hohen Rang als Klaviermeister und -lehrer. Der Konzerturlaub während der Saison (etwa März bis Mai) ermöglichte es ihm, in den Hoch-Zeiten des Konzertlebens und eben nicht nur während des Sommer­ urlaubs auswärts aufzutreten. Was für den Wirkungsradius ganz entscheidend war, so 1820 in Prag, Wien und München, 1822 in Riga, Petersburg und Moskau, 1823 in Holland und Belgien, 1825 in Paris, 1827 in Wien, 1828 in Warschau und Berlin, 1830 in Paris und London, 1831 in England und Holland, 1833 wiederum in London (als Kapellmeister der deutschen Oper) sowie 1834 in Wien und Preßburg (seiner Geburtsstadt, heute Bratislava), um nur eine Auswahl zu nennen. Die Ehrungen waren entsprechend zahlreich. Und Weimar hatte viel mehr davon als die Kollegen am Theater beargwöhnten. Der Ort verfügte eben neben dem großen ­Goethe nun erstmals über einen in ganz Europa berühmten Musiker, einen Klaviervirtuosen und Kapellmeister in den besten Jahren. Dass Maria Pawlowna den Wert dessen vollständig überblickte und sehr zu schätzen wusste, liegt nahe. Hummel war ihr Klaviermeister, mehr noch als Müller zuvor oder Liszt danach. Mit Liszt kam dann die Steigerung über Hummel noch hinaus in die Stadt an der Ilm, die nun zwar als »Ilm-Athen« apostrophiert wurde, aber aller lebendigen künstlerischen Koryphäen ledig war. Aber Liszt kam quasi mit Verzögerung. Hummel verstarb nach langer Krankheit am 17. Oktober 1837. Nur wenig später begann Liszt in Wien sein Reisejahrzehnt, das ihn dann als Klaviervirtuosen von exorbitanter Bedeutung kreuz und quer durch Europa führte. Weimar war wieder mit einer Nachfolgersuche beschäftigt, die durch den hohen Rang Hummels und von daher sehr gestiegenen Ansprüchen und Erwartungen noch viel schwieriger war als vor ihm. Erkundigungen zu Thalberg, Liszt, Moscheles und Döhler ergaben keine Hoffnung, Kontakte zu Kalkbrenner und Mozart junior blieben erfolglos, der vorrangige Wunschkandidat Felix Mendelssohn Bartholdy – Goethes Felix – sagte ab. Ausgerechnet jetzt also, beim dritten Anlauf, gelang das nicht, was mit Müller und vor allem Hummel erfolgsträchtig gelungen war. Nach über zweijähriger Vakanz wurde 1840 zunächst ein französischer Opernkomponist Hofkapellmeister, selbstredend mit 1000 Talern Gehalt jährlich, also ohne die Gehaltsverstärkung Maria Pawlownas. Nach intensivem vieljährigem Bemühen nebst einer Revolution und einer persönlichen Lebenswende konnte 1848 allerdings dann doch noch der allerberühmteste Klaviervirtuose für Weimar gewonnen werden  : Franz Liszt, der Erbe Beethovens. Der leistete dann das Größtmögliche für Weimars Musikkultur, nicht als »ordentlicher« Hofkapellmeister (Chélard blieb dies, auch nachdem er 1851 bei vollem Gehalt beurlaubt worden war), aber quasi als Chefdirigent, als »exzeptioneller« Hofkapellmeister, 166

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außerordentlich in jeder Hinsicht. Er leistete dies ohne Gehalt und ohne feste Verpflichtungen. Ihre einstige Gehaltsverdopplung ließ die Großherzogin Maria Pawlowna ihm aber doch zukommen, 1000 Taler als Ehrensold aus ihren privaten Mitteln, zuzüglich mehrerer Hundert Taler für die Leitung der Hofkonzerte. August Eberhard Müller, Johann Nepomuk Hummel, Franz Liszt  – ihr Wirken in Weimar ließ hier eine Tradition hochleistungsorientierten Klavierspiels entstehen, die als ein roter Faden in der regionalen Musikgeschichte gesehen werden kann, zumal wenn man sie im Überschlag der Zeiten noch mit Johann Sebastian Bach einerseits und den Liszt-Schülern andererseits verbindet. Zu diesem roten Faden gehörte selbstredend auch die Anschaffung von Klavierinstrumenten für das neue Residenzschloss. Der zweite Teil der Weimarer Liszt-Ausstellung im Jubiläumsjahr 2011 bezog sich darauf. Und darauf stützt sich das Vorhaben, das Weimarer Stadtschloss zu einem »Klingenden Schloss« werden zu lassen, einschließlich einer Orgel in der vom DDR-Büchermagazin zurückverwandelten Schlosskapelle. Eine brillante Idee, die zusammen mit dem Masterplan der Klassik Stiftung Weimar 2008 entstand. Der rote Faden spann sich eben jenseits von Maria Pawlowna (gestorben im Juni 1859) fort. Um 1880 galt Weimar als ein Mekka der Pianistik in Deutschland. Das hatte nun vor allem mit der Klavierakademie zu tun, die Franz Liszt bei seinem alljährlich mehrmonatigen Hiersein in der Beletage der »Hofgärtnerei« abhielt, zwei- oder dreimal wöchentlich ab 16  Uhr für zwei bis drei Stunden. Die zu diesen ganz besonderen Meisterkursen in Weimar einfallenden zwei bis drei Dutzend junger Virtuosen bewirkten offenbar, dass sich Weimar in dieser Zeit etwas anders anfühlte und fühlte als sonst. Zudem war die 1872 gegründete Großherzogliche Orchesterschule schon vier Jahre später um die Ausbildung von Klavier- und Gesangslehrerinnen erweitert worden. Ein Viertel der Klavierelevinnen kam aus dem Ausland, insbesondere aus Großbritannien, den USA und der Schweiz. Der Name Liszt wirkte Wunder. Damals war es sinnvoll und notwendig, Scharen von Klavierlehrerinnen auszubilden, als eine gute Chance für junge Frauen, der ihnen von der Gesellschaft zugedachten engen Existenz zu entkommen. Und Scharen waren nötig, um die bildungsbürgerliche Forderung zu erfüllen, man (und vor allem Frau) habe Klavierspielen zu können. Dabei ging es am wenigsten um das Spielen anspruchsvoller Originalliteratur, sondern um Bearbeitungen aller möglicher Musik. Das Klavierspiel war in Zeiten jenseits von technischer Reproduktion von Musik der »Kulturhebel«, um selbst und mit der Familie Musik aller Art kennenzulernen. Liszt preist dies mit seiner Bemerkung, das Klavier vermöge, Maria Pawlowna und die Liebe zum Klavier 

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»die ganze Kunst in sich zusammenzufassen und zu konzentrieren. […] Es ist somit für die Orchesterkomposition das, was der Stich für die Malerei ist  ; es vervielfältigt sie und vermittelt sie allen, und wenn es auch nicht die Farben wiedergibt, so doch wenigstens Licht und Schatten.«114 Maria Pawlowna hat durch ihre Zuwendung zum Klavier den Aufstieg der Musik in Weimar zweifellos mindestens ebenso stark wie zuvor Anna Amalia gefördert, nun aber eben in einer anderen Spur. Verbunden mit dem rasanten Aufstieg des Klaviers zum beherrschenden Musikmedium des Jahrhunderts ging es in dieser Spur zwar auch um die Allverfügbarkeit aller Musik durch Klavierbearbeitungen, ebenso aber um die Emanzipation der Instrumentalmusik, hier in Form von Klaviertönen, mit denen selbstständig gesprochen werden konnte, nun fast ohne Worte, wenn oft auch in Assoziation mit Texten oder Bildern. Diese Spur blieb Weimar durch jene Initialzündungen eingeprägt, bis heute. Für die damalige Zeit ergaben sich aus der massiv geförderten Anstellung von Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister latente musikkulturelle Neuorientierungen, die damit zusammenhingen, dass Klaviervirtuosen generell ein wenig »anders ticken« als Orchestermusiker. Im Ergebnis ihrer professionellen Entwicklung war ihre Sicht auf Musik einfach eine andere. Gerieten sie an die Spitze von Orchestern, entstanden daraus Probleme nach innen wie nach außen. Mit der dienenden Rolle von Musik etwa im Theater hatten sie eher identifikatorische Schwierigkeiten, gingen sie weniger selbstverständlich um als ihre im Orchesterverband sozialisierten Violinkollegen. Dass ihr Orchester auch selbstständig agieren, die eigene Kunst und Kunstfertigkeit eigenständig ganz als solche erstrahlen lassen könnte und möchte, hielten sie von ihren klaviervirtuosen Erfahrungen her für ein völlig natürliches Verlangen. Warum sollte das nicht auch eigenverantwortet – also unabhängig von Hofkonzerten – realisiert werden können  ? Maria Pawlowna bewirkte also mit ihrem dringlichen und finanzgestützten Wunsch, Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister um sich zu haben, einen gelinden Emanzipationsschub für Musik und Musiker in der seit fünf Jahrzehnten insbesondere auf die Oper orientierten Weimarer Musikpflege. Der zeigte sich unverstellt Anfang der 1820er-Jahre in Hummels verzweifelt erfolglosen Bemühungen um die Einrichtung anderswo längst selbstverständlicher »stehender Konzerte« der Hofkapelle. Wir erinnern uns  : 1791 war es um die Einrichtung eines »stehenden«, d. h. regelmäßig öffentlich spielenden und dies institutionell absichernden Theaters gegangen. Nun also, 1822, sollten ebensolche »stehenden«, also regelmäßige öffentliche Konzerte eingeführt werden, deren Träger das Orchester selbst, die Weimarer Hofkapelle, sein wollte. Das tangierte eingefahrene Gegebenheiten … 168

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21. »STEHENDE KONZERTE«  ? DIE »SÄNGERHERRSCHAFT« CONTR A HUMMEL »Großherzogliche Intendanz  ! Vortrag des großherzogl. Kapellmeister Hummel, die von der großherzogl. Kapelle nachgesuchten Konzerte betreffend. Schon lange ist es der Wunsch des hiesigen und auswärtigen Publikums, stehende Konzerte von der großherzogl. Kapelle in Weimar etablirt zu sehen. Auch die großherzogl. Kapelle hat mir ihren Wunsch dießfalls zu erkennen gegeben, und mich ersucht, die Sache Einer Großherzogl. Intendanz vorzutragen, mit der Bitte, ihr die hiezu erforderliche Allerhöchste Genehmigung gefälligst auswürken zu wollen. – Ich meinerseits biete mit Vergnügen zu diesem gemeinnützigen Zwek die Hand  ; und wünsche daß, nach dem Beispiele der meisten Residenzen, auch in Weimar die großherzogl. Kapelle sich eines solchen Etablissement zu erfreuen haben möge, wodurch sie Aufmunterung zur vollkommensten artistischen Ausbildung die günstigste Gelegenheit finden würde. Musik gehört unter die edelsten Vergnügungen  ; und die Kapelle wird sich beeifern den Erwartungen der Kenner und Liebhaber derselben vollkommen zu entsprechen  ; und somit ein erfreuliches und ehrenvolles Resultat für Weimar, und Weimarer Künstler durch dieses Unternehmen herbeiführen. Um den Reiz dieser Konzerte zu erhalten, so ist mein Antrag die Zahl derselben nur auf Sechs im Jahr zu bestimmen  ; und zwar in den 5 Wintermonaten monatlich nur Eines im Stadthause  ; das 6te aber zur Sommerszeit im städtischen Schießhaus­ saale  ; da bei guter Jahreszeit und gehöriger Vorbereitung auf sehr zahlreichen Besuch von Außen zu rechnen ist. – Weimar d. 8ten October. 822. Kapellmeister Hummel«115

»Stehende Konzerte«  ? 

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Abb. 21  : Johann Nepomuk Hummel, Kreidezeichnung von Johann Joseph Schmeller 1826.

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Weimars Musikleben war traditionell stark wortbezogen. Die Nachfolge einer diesbezüglich vormals stark lutherischen Prägung hatte seit 1756 die theatralische angetreten. Um 1800 hatte Herder das Primat wortgebundener Musik wortgewaltig verklärt. Selbstredend hatte auch die sich allmählich emanzipierende Instrumentalmusik in Weimar immer eine Heimat, etwa als Werke der hiesigen Gamben-, Violin- und Orgelvirtuosen. Johann Sebastian Bach ist dafür das allgemein bekannte Beispiel. Weniger bekannt sind die Sinfonien Ernst Wilhelm Wolfs aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Instrumentalmusik blieb zumeist an enge Funktionen gebunden, sei es als Kammer- oder Kirchenmusik, sei es dann als Zwischenaktmusik in den Schauspielen. Die um 1820 anderswo längst breit entwickelte Institution des öffentlichen Konzertes als bevorzugter Rahmen für die Aufführung emanzipierter Instrumentalmusik gab es in Weimar nur in den Formen des Liebhaber- und des Virtuosenkonzertes, nicht aber des öffentlichen Hofkapellkonzertes. Das wollten nun Hummel und die Kapelle ändern. Der Hofkapellmeister ging unter Beachtung der sängerherrschaftlichen Fußangeln vorsichtig zu Werke. Er beantragte nur wenige Konzerte und siedelte diese auch noch außerhalb des Hoftheaters an, im viel kleineren Saal des Stadthauses bzw. des Schießhauses, also inmitten des damaligen bürgerschaftlichen »Freizeitparks«. Dem Antrag ging, ob von ihm angeregt oder nicht, der diesbezügliche und vom Kammermusiker Götze übermittelte gemeinsame Wunsch der Hofkapellisten voraus. Den sicherte Hummel am 3. Oktober noch durch ein Rundschreiben mit der Aufforderung zum Gegenzeichnen ab. Dies geschah. Großherzog Carl August erteilte am 22.  Oktober 1822 die Genehmigung für jährlich vier – nicht sechs – Konzerte. Sie sollten in Absprache mit der Intendanz vorbereitet werden. Die allerdings war an der neuen Präsentation der Hofkapelle, außerhalb des Theaters und auch noch zum eigenen Vorteil, in keiner Weise interessiert. Die Auseinandersetzung begann am 22. November. Auf den Antrag Hummels vom Vortag, Anfang Dezember das erste Konzert unter Mitwirkung von Sängern des Hoftheaters veranstalten zu dürfen (er musste jedes Konzert eigens beantragen), reagierte die Intendanz mit vier Bedingungen  : 1. Für alle Sänger außer Stromeyer und Moltke müsse jeweils ein besonderer Antrag zur Mitwirkung vorliegen. 2. Der Hoftheaterchor (es gab ihn seit 1817) dürfe an den Konzerten nicht teilnehmen. 3. Die Genehmigung für die an einem Dienstag stattfindenden Konzerte könne erst am Donnerstag zuvor erteilt werden. »Stehende Konzerte«  ? 

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4. Fremde Künstler dürften an den Konzerten nicht teilnehmen.

Hummel antwortete am 26. November in einem sehr bestimmt formulierten Schreiben, dies widerspreche dem Willen des Großherzogs. Im Einzelnen  : 1. Die Genehmigung müsse mindestens zwölf Tage zuvor erteilt werden, da dies die mindeste Frist für die Werbung des auswärtigen Publikums sei. Das sei auch ohne Probleme möglich, da der Dienstag von Vorstellungen frei sei und die Regie lediglich eventuelle Abendproben verlegen müsse. 2. Neben den Sängern Frau v. Heygendorf, Stromeyer und Moltke sei die Mitwirkung von Frl. Roland im zweiten und von Frau Eberwein im vierten Konzert notwendig. 3. Die Mitwirkung des Chores sei nicht nötig, wäre für ihn als Übung aber sehr nützlich. 4. Zu einer Mitwirkung fremder Virtuosen stehe nichts im Reskript des Großherzogs. Ähnlich den Liebhaberkonzerten mit deren Hilfe aufzutreten, verbiete allerdings das eigene Interesse von selbst. Wenn dies nicht akzeptiert würde, wären die Konzerte nicht möglich.

Die Reihenfolge der Hummel’schen Antwort stellt das Wichtigste an die Spitze  – die Zwölftagesfrist. Außerdem wird unter Punkt  2 deutlich, dass es klare Vorstellungen zum Gesamtprogramm der Jahresreihe gab, wenn auch jedes Konzert einzeln beantragt werden musste. Mit seiner am Schluss kategorischen Konditionierung prellte Hummel weit vor, hatte damit aber in der entscheidenden Frage keinen Erfolg. Die Genehmigung zum ersten Konzert am 10.  Dezember 1822 wurde am 29.  November ausdrücklich verweigert und eben erst fünf Tage zuvor gegeben. Trotzdem fanden die vier Konzerte statt, am 10. Dezember 1822, 21. Januar (u. a. mit Beethovens »Christus am Ölberg«), 25. Februar und 26. August 1823. Nur bei diesem letzten Konzert konnte, da außerhalb der Spielzeit und im Schießhaussaal, ein zwölftägiger Ankündigungsspielraum erreicht werden. Als die Intendanz im Februar 1824 von einem erneuten Antrag Hummels zur Veranstaltung von vier Hofkapellkonzerten ereilt wurde, erarbeitete sie eine grundsätzliche Vorlage an den Großherzog. Zum einen könne das Hoftheaterpersonal zukünftig wegen Überlastung nicht mehr mitwirken, zum anderen aber habe der Besuch der Konzerte einen nachteiligen Einfluss auf den der Oper gehabt. Daraufhin gab es keine erneute Genehmigung, Publikumsinteresse hin oder her (oder gerade deshalb). Nicht nur in großen Städten wie 172

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Leipzig, sondern auch in kleinen Residenzorten wie Rudolstadt waren »stehende Konzerte« der jeweiligen Orchester inzwischen zum festen Bestandteil, zu Höhepunkten von deren Arbeit und des Musiklebens generell geworden. In Weimar wurden sie vorerst verhindert. Es bedurfte erst der Ablösung der bisherigen Herrschaft, eines gewaltigen musikalischen Impulses und einer neuen sozialen Ausrichtung der Konzerte, um dies zu ändern. Ende 1829. Bis dahin glänzte Hummel eben in den nichtöffentlichen Hofkonzerten als Solist eigener Klavierkonzerte oder Improvisator. Über eines dieser Konzerte schrieb der später sehr namhafte Hummel-Schüler Ferdinand Hiller  : »In Weimar hatten zuweilen Hofconcerte mit der ganzen Capelle statt, denen ich als eine Art von Famulus meines Meisters zu meinem großen Ergötzen beiwohnen durfte. Das Programm derselben bestand jedoch fast ausschließlich aus Solo=Vorträgen. Hummel spielte eins seiner Concerte, phantasierte auch meistens, die Mitglieder der Oper trugen allerlei vor und ein fremder, dem Hofe empfohlener Virtuose bildete zuweilen eine Episode in dieser herkömmlichen Aktion«116. Hummel war in den späten 1820er-Jahren die neben ­Goethe mit weitem Abstand berühmteste Künstlerpersönlichkeit in Weimar, seit 1827 Ritter der französischen Ehrenlegion, seit 1830 korrespondierendes Mitglied der »Académie française«, Ehrenmitglied musikalischer Vereinigungen in Genf, Paris, Wien und Rotterdam, Träger hoher Orden und Medaillen. Der Hof glänzte mit ihm. In Konzerten aber erst einmal nur der.

»Stehende Konzerte«  ? 

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22. VERSPIELTE CHANCEN 1825. DIE »SÄNGERHERRSCHAFT« CONTR A GOETHE UND COUDR AY »Dienstag, den 22. März 1825 Diese Nacht, bald nach zwölf Uhr, wurden wir durch Feuerlärm geweckt  ; man rief  : es brenne im Theater  ! Ich warf mich sogleich in meine Kleider und eilte an Ort und Stelle. Die allgemeine Bestürzung war groß. Noch vor wenigen Stunden waren wir durch das treffliche Spiel von La Roche im ›Juden‹ von Cumberland entzückt worden, und Seidel hatte durch gute Laune und Späße allgemeines Lachen erregt. Und jetzt raste an dieser selbigen Stelle kaum genossener geistiger Freuden das schrecklichste Element der Vernichtung. Das Feuer schien, durch Heizung veranlaßt, im Parterre ausgebrochen zu sein, hatte bald die Bühne und das dürre Lattenwerk der Kulissen ergriffen, und so, durch die reichlichste Nahrung brennbarer Stoffe schnell zum Ungeheuer erwachsen, dauerte es nicht lange, bis die Flamme überall zum Dache herausschlug und die Sparren zusammenkrachten. […] Das Theater war alt, keineswegs schön und lange nicht geräumig genug, um ein sich mit jedem Jahre vergrößerndes Publikum zu fassen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade dieses Gebäude, an das sich für Weimar so viele Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit knüpften, rettungslos verloren zu sehen. Ich sah in schönen Augen viele Tränen, die seinem Untergange flossen. Nicht weniger rührte mich ein Mitglied der Kapelle. Er weinte um seine verbrannte Geige.«117 So Johann Peter Eckermann nach seinem eigenen Erleben, also nicht etwa Äußerungen Goethes referierend. Das Weimarer Goethe-Schiller-Theater in der Innenraumgestaltung von 1798 war dahin. Man könnte vermuten, dass sein einstiger Oberdirektor Goethe tief trau-

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rig und gebeugt am Brandherd gestanden hätte. Es war aber ganz anders. Als ihn Eckermann am nächsten Morgen besuchte, lag er noch zu Bett und blieb da auch den ganzen Tag. Er habe wenig geschlafen, da er aus den vorderen Fenstern seines Hauses die Flamme unaufhörlich gegen den Himmel habe steigen sehen und sei »nicht ohne einige innere Bewegung davongekommen.«118 Eckermann wunderte sich, weil er ihm »nicht im geringsten schwach und angegriffen, vielmehr ganz behaglich und heiterer Seele«119 zu sein schien. In dieser Stimmung plauderten sie dann über die alten Zeiten. Die Erklärung für Goethes relativ geringe Betroffenheit eröffnete sich ihm »bei Goethe zu Tisch« zwei Tage später. Da äußerte sich der Hausherr zur Frage, wie es mit dem Theater weitergehen könne, so  : »Indessen […] werdet ihr das Schauspiel haben, im Laufe der Sommermonate ein neues Haus hervorsteigen zu sehen. Dieser Brand ist mir sehr merkwürdig. Ich will euch nur verraten, daß ich die langen Abendstunden des Winters mich mit Coudray beschäftigt habe, den Riß eines für Weimar passenden neuen sehr schönen Theaters zu machen. Wir hatten uns von einigen der vorzüglichsten deutschen Theater Grund- und Durchschnittsrisse kommen lassen, und indem wir daraus das Beste benutzten und das uns fehlerhaft Scheinende vermieden, haben wir einen Riß zustande gebracht, der sich wird können sehen lassen. Sobald der Großherzog ihn genehmigt, kann mit dem Bau begonnen werden, und es ist keine Kleinigkeit, daß dieses Unheil uns sehr merkwürdigerweise so durchaus vorbereitet findet.«120

Das war in der Tat eine seltsame Fügung, die durchaus auch Verschwörungstheorien bediente. Das Gerücht, das Theater sei angezündet worden, bezog sich allerdings nicht auf Goethe, sondern auf Coudray. Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845) war zwischen 1816 und seinem Tod der großherzogliche Oberbaudirektor. In klassizistischer Baugesinnung und Formensprache prägte er unmittelbar und mittelbar das staatliche und auch private Bauen im Weimar und Großherzogtum jener Zeit. Mit Goethe war er in engem Kontakt, gerade zu Theaterbaufragen. Goethe fühlte sich ihm in gemeinsamen Anschauungen eng verbunden. Er kannte die einschlägige, insbesondere französische Theaterbauliteratur seit Jahrzehnten. Coudray seinerseits hatte in Paris studiert und so an der Quelle die damals neuesten, auf die Antike bezogenen Entwicklungen erfahren, hatte selbst Entwürfe erstellt. So waren die Planspiele der beiden zu einem neuen, würdigeren Theater in Weimar nicht verwunderlich. Sie hatten einen langen Vorlauf, eine lange Reifezeit. Erste Überlegungen gab es schon bald nach dem Amtsantritt Coudrays im April 1816. 1817 brannte das Berliner Schauspielhaus ab. Mit der Neubau-PlaVerspielte Chancen 1825 

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nung war Karl Friedrich Schinkel betraut. Zur Vorbereitung der Einweihung »seines« neuen Berliner Schauspielhauses im Mai 1821 mit Goethes »Iphigenie« war er im August 1820 mit den beiden Bildhauern Rauch und Tieck zu Gast bei Goethe in Weimar und traf sich auch mit Coudray. Und mit beiden zu einem Abschiedsessen. Von da an wurden aus den Weimarer Überlegungen eigene Planspiele, im Winter 1822/23 und 1824/25 vorangetrieben, wie aus Goethes Tagebuch und aus erhaltenen Plänen hervorgeht. Nach dem nun tatsächlichen Brand am 21. März 1825 sah Goethe mit Coudray die Pläne am 27. und 31. März, also mit einigen Tagen Anstandsabstand, durch. Man würde schnell beginnen können und müssen, denn schließlich war ein wichtiger Festtag nahe – das 50. Regierungsjubiläum des Großherzogs im September. Leider allerdings hatte Goethe hinsichtlich seines einstigen Hoftheaters nichts mehr zu bestimmen. Oberdirektor war seit der Auflösung der Hofthe­ aterintendanz im März 1824 Karl Stromeyer, der Außenpart der »Clique Jagemeier/Strohmann«, wie der Volksmund die Lage persiflierte. Die »Sängerherrschaft« von Caroline Jagemann von Heygendorf und Karl Stromeyer erlebte seitdem ihren Höhepunkt. Sie dauerte bis zum Tod Großherzog Carl Augusts 1828 und damit tragischerweise über den Theaterneubau hinaus. Schon im April 1825 bildeten sich im Umfeld turbulenter Sitzungen einer schnell gebildeten »Kommission zur Wiederherstellung des Großherzoglichen Hofthe­ aters« zwei Parteien mit den Hauptakteuren Coudray und Goethe auf der einen und Baurat Steiner, Karl Stromeyer und Caroline Jagemann auf der anderen Seite. Die erste Runde ging an Coudray  : Sein Entwurf wurde dem Plan Steiners vorgezogen und vom Großherzog genehmigt. Goethe versicherte am 10. April seiner Tischgesellschaft  : »Der Riß ist vom Großherzog eigenhändig unterschrieben und erleidet nunmehr keine weitere Änderung. Freuet Euch also, denn Ihr bekommt ein sehr gutes Theater.«121 Er hatte damit den Wankelmut des Großherzogs unterschätzt. Denn die Gegenpartei gab auch noch nach Baubeginn nicht auf und erreichte grundlegende Verschlimmbesserungen. Coudray ließ sich schließlich von der Mitarbeit entbinden und distanzierte sich erbittert vom Ergebnis. Goethe hingegen reagierte nach dem Bericht Eckermanns bei der Tischgesellschaft am 1. Mai überaus gelassen  : »Man hat […] dem Großherzog von Seiten des Kostenpunktes und großer Einsparungen, die bei dem veränderten Bauplan zu machen, beizukommen gesucht, und es ist ihnen gelungen. Mir kann es ganz recht sein. Ein neues Theater ist am Ende doch immer nur ein neuer Scheiterhaufen, den irgendein Ungefähr über kurz oder lang wieder in Brand steckt. Damit tröste ich mich.«122 Der oder das Ungefähr kam allerdings nicht, das neue Theater 176

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stand bis zu seinem Abriss 1907 und damit viel länger als das alte. Wir bestaunen Goethes tröstlichen Sarkasmus oder was es eben war. Coudray dagegen fasste das Geschehene drei Jahre später so zusammen  : »Herr Baurat Steiner führte ein unter der Oberdirektion des Herrn Stromeyer und Konsorten Schauspielhaus auf, das nun nach dem allgemeinen Urteil als ein Beispiel gilt, wie dergleichen nicht sein sollen, indem Zweckmäßigkeit und Schönheit demselben gänzlich mangeln. Überdies hat der Bau weit mehr als ich für die Ausführung meines Projekts verlangt hatte, gekostet, und hören die Veränderungen immer noch nicht auf, bei welchen mitzuwirken mich Serenissimus das Jahr darauf wieder zuzogen, mir unumwunden zugebend, daß das Werk höchst Ihren Beifall nicht habe. Aber nun ist einmal das viele Geld aufgewendet und der Karren verschoben  ; unter anderen Umständen dürften daher die Teilhaber an diesem verpfuschten Bau streng zur Verantwortung gezogen werden. Für mich bleibt es daher immer bedauerlich, daß mancher Fremde mich für den Theaterbaumeister hält.«123 Vielleicht hatte Coudray ja in den Debatten zu oft das Wort »Schauspielhaus« verwendet, so wie hier. Denn Jagemann/ Stromeyer wollten eigentlich eine Hofoper. Dass der Theaterneubau in der verblüffend kurzen Zeit von vier Monaten realisiert wurde und die Einweihungsfeier weniger als ein halbes Jahr nach dem verheerenden Brand schon am 3. September 1825 stattfand, hatte seine Motivation darin, dass an diesem Tag, am 68.  Geburtstag des Großherzogs, dessen 50-jähriges Regierungsjubiläum zu feiern war. Dieses Ereignis bei diesem Großherzog aber bedurfte nach der Schlossbrand-Erinnerung von 1774 unbedingt des neuerstandenen Hauses. Also wurde der Neubau bis Ende August unter den oben skizzierten besonderen Bedingungen und mit dem letztlich unerfreulichen Ergebnis mehr oder minder vollendet. Was aber würde zur Jubiläumsvorstellung mit gleichzeitiger Einweihungsfeier gespielt werden  ? Nach der Einweihung des Berliner Schauspielhauses mit Goethes »Iphigenie« kam doch wohl nur »Faust  I.« infrage, seit seiner Veröffentlichung im Druck 1808 weithin berühmt, aber noch auf keiner Bühne aufgeführt  ? Weit gefehlt  ! Denn in der Sicht der nun Bestimmenden war das Weimarer Theater eben kein Schauspielhaus (wie das neue in Berlin), sondern vor allem eine Hofoper. Dies wollten sie in der hochsymbolisch aufgeladenen Situation unbedingt betonen. Eine festliche Schauspielaufführung kam also nicht infrage, schon gar nicht eines Werkes von Goethe. Also nicht »Faust I.«, sondern »Semiramis« in italienischer Sprache. Für die Wahl dieser Rossini-Oper als Festoper gab es im Nachhinein mehrere Entschuldigung heischende Begründungsversuche, durchaus als ein ZeiVerspielte Chancen 1825 

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chen des Unbehagens und der Unsicherheit. Caroline Jagemann referiert sie in ihren Memoiren  : Die unfertige Bühneneinrichtung habe Anderes verhindert, Hummel als würdiger Komponist einer Festoper sei gerade abwesend und außerdem kein Textdichter für ihn zu finden gewesen usw. usw. Gerade die Hummel-Ausrede zeigt, dass die Kritik massiv gewesen sein muss. Eine dumme Ausrede war es in jedem Fall. Gewiss war Hummel von Februar bis Mai 1825 auf Konzertreise in Paris. Dass ein Regierungsjubiläum zu feiern war, wusste man  – im Unterschied zum Theaterbrand  – allerdings weitaus früher. Nichtsdestoweniger war der oft abwesende Hummel offenbar ein geeignet erscheinendes Ablenkungsargument, Ablenkung auch hinsichtlich der Frage »Wenn schon Oper, wieso nicht von Mozart oder Weber  ?« Also »Zauberflöte« oder »Freischütz« statt »Semiramis«. Wenn man dieser Frage folgt, stößt man auf die Tatsache, dass Caroline Jagemann weder an der einen noch der anderen Weimarer absoluten Erfolgsoper beteiligt war. Sie aber wollte zum Ehrentag ihres großherzoglichen Partners ganz gewiss die Hauptrolle singen und spielen. In »Semiramis« verkörperte sie die Titelpartie  – darauf kam es an. Oberdirektor Stromeyer sang den Assur, Henriette Eberwein und Karl Melchior Jakob Moltke komplettierten das seit mehr als einem Jahrzehnt hoch gelobte Solistenquartett. Und sie sangen in der Originalsprache, was nur die besonders gebildete Oberschicht einigermaßen verstand. Hofoper eben, ohne die zu Goethes Zeiten üblichen Anstrengungen zum »Wohlverdeutschen«. Verspielte Großchancen beides, Theaterneubau wie Festvorstellung  ? Gewiss. Die bauliche Entwicklung des heutigen Deutschen Nationaltheaters wäre mit einem Goethe-Coudray-Bau von 1825 wohl eine ganz andere geworden als mit dem von Anfang an als misslungenes Provisorium geltenden Haus. Und abermals gewiss. Eine Festvorstellung, die nach dem Brand des Goethe-Schiller-Theaters die Einweihung des Theater-Neubaus am Geburtstag des »Goethe-Herzogs«, des Großherzogs Carl August, mit der Jubelfeier zu dessen 50-jähriger Regierung verband – niemand außer ihm regierte bis dato in Weimar so lang und so erfolgreich –, war von vornherein ein hochsymbolisches Ereignis. Gleichgültig was man spielen würde, es würde ein weites Licht oder einen weiten Schatten werfen. Eine Oper und kein Schauspiel, dabei »Semiramis« wegen der Hauptrolle für die Nebenfrau des Großherzogs – diese Motivationslage verstand jeder. Und offenbar jeder fand das sehr unangemessen und schüttelte den Kopf. In Weimar dachte man auch ein Jahr zurück, an Goethes 75. Geburtstag. Zu seiner Ehrung – er war da erstmals seit seinem Rückzug 1817 wieder im The­ 178

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ater – hatte Carl August eine Unterbrechung des »Freischütz« befohlen. Und so traten nach der 1. Szene (Bauernchor) alle Darsteller des Hoftheaters festlich gekleidet auf die Bühne, Stromeyer-Caspar als neuer Oberdirektor trug das von Riemer aktualisierend umgedichtete Goethe/Zelter-Lied »Mich ergreift, ich weiß nicht wie, himmlisches Behagen« eindrucksvoll vor, alle stimmten in einen Toast auf Goethe ein und bekränzten die vor dem Wirtshaus stehende Büste des einstigen Oberdirektors mit einem Lorbeerkranz. Aus heutiger Sicht versteht man freilich auch hier nicht, dass an diesem 28.  August 1824 kein Schauspiel des Jubilars  – etwa sein »Tasso«  – zur Aufführung kam. Aber sei’s drum, die Ehrung auf großherzoglichen Befehl hin »hatte was«. Und zum 80. fünf Jahre später spielte man den »Faust I.« schließlich dann ja doch noch. Das aber war 1824 oder 1825 eben nicht abzusehen, ebensowenig wie die Tatsache, dass 1828 Carl August sterben (und damit die Sängerherrschaft zu Ende sein) würde und dass sich nach der Anfang 1829 von Braunschweig weggeschnappten Uraufführung Weimar beeilen musste, bei der nun einsetzenden Welle von »Faust I.«-Aufführungen zum 80. Geburtstag überhaupt noch dabei zu sein.

Verspielte Chancen 1825 

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23. WEBER CONTR A ROSSINI

Zeitgleich mit dem Beginnen Hummels als Hofkapellmeister ereignete sich am Weimarer Hoftheater geradezu eine »Rossini-Welle«. Nachdem im September 1817 eine Aufführung seines »Tancred« vorausgegangen war, gab es nun drei Rossini-Premieren in einem Jahr  : »Cyrus in Babylon« am 20. März 1819, »Othello« am 4. September 1819 und »Die Italienerin in Algier« am 4. Dezember 1819. Die Opern schlugen hier ebenso ein wie zuvor in Paris oder Wien (hier sehr zum Ärger Beethovens), in Dresden oder Berlin. »Cyrus in Babylon« wurde in der Originalsprache gesungen, was durch die Bemühungen des italienischen Sprachmeisters August Ferdinand Häser (1817 als Theaterchorleiter nach Weimar gekommen) möglich geworden war. Man folgte damit dem an Hofopern üblichen Anspruch, der den einstigen Weimarer »Wohlverdeutschungs«-Ambitionen allerdings konträr entgegenlief. »Othello« am 4.  September war die Festoper zum 62. Geburtstag des Großherzogs. Dennoch war der größtdenkbare Opernerfolg mit dem Werk eines anderen Komponisten verbunden, mit Carl Maria von Webers »Freischütz«. Die Premiere am 4.  Mai 1822 war ähnlich fulminant erfolgreich wie die Berliner Uraufführung elf Monate zuvor und wie seitdem überall in Deutschland. Daraufhin wurde wegen »unerwartet heftigem Andrang der Fremden« (wie auf dem Programmzettel zum 12. Mai zu lesen) der Spielplan für weitere vier »Freischütz«-Aufführungen in der ununterbrochenen Folge 5., 9., 11. und 12. Mai abgeändert. Weimar wurde vom gleichen »Freischütz-Fieber« ergriffen wie es Heinrich Heine im zweiten seiner »Reisebriefe aus Berlin« vom 16. März 1822 so köstlich von dort berichtet  : »Haben Sie noch nicht Maria von Webers ›Freischütz‹ gehört  ? Nein  ? Unglücklicher Mann  ! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper das ›Lied der Brautjungfern‹ oder kurzweg den ›Jungfernkranz‹ gehört  ? Nein  ? Glücklicher Mann  !«124 Bevor er die Oper sehr lobt, bekennt er noch die Qual, den »Jungfernkranz« überall in Berlin ständig hören zu müssen. 180

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Auch in Weimar wird das Ende 1822 so gewesen sein, zumal die Medien bald das Ihre dafür taten. Die Medien – das waren damals selbstredend ganz andere als die heutigen, aber sie waren zweifellos ähnlich wirkungsvoll. Als Bearbeitungen für die unterschiedlichsten Instrumente und Gruppen machten sie die »Highlights« der jeweiligen Oper über deren Aufführungen weit hinaus für die Haus- und Salon-, Kaffeehaus- und Garten-, Militär- und Stadtmusik und insbesondere für das Selbstmusizieren zugänglich, also sowohl für die gesamte Breite damaliger populärer Musikkultur als auch für eigenes Musizieren als die intensivste Aneignungsform von Musik überhaupt. Vier Monate nach den ersten Aufführungen hatte die Weimarer Hofbuchhandlung ihre diesbezüglichen Bestellungen realisiert. Auf der Rückseite des Theaterzettels zum »Freischütz« am 21. September 1822 machte sie ihr Angebot an Bearbeitungen zur Oper bekannt  : »In der Hof-Buchhandlung der Gebrüder Hoffmann in Weimar am Markte, sind folgende Clavier-Auszüge, einzelne Arien etc. aus dem Freischütz v. C. M. von Weber zu haben  : Clavierauszug mit Singstimme. 6 thl. 12 gr. und eine andere Ausgabe für 4 thl. Clavierauszug mit Hinweglassung der Singstimme. 2 thl. 16 gr. Ouvertüre für 2 Hände. 8 gr. 6 pf. Ouvertüre für 4 Hände. 16 gr. Jäger-Chor fürs Clavier. 6 gr. Lied des Caspar  : Hier im ird’schen Jammerthal. 2 gr. Romanze  : Einst träumte meiner seel’gen Base. 8 gr. Duett  : Schelm halt fest etc. 10 gr. Volkslied  : Veilchenblaue Seide etc. 6 gr. Jägermarsch. 4 gr. Cavatina  : Und ob die Wolke sich verhülle. 6 gr. Der Walzer aus dem ersten Akte. 4 gr. Arietta  : Kommt ein schlanker Bursch gegangen. 5 gr. Scena  : Wie nahte mir der Schlummer. 12 gr. Allegro  : Nein länger trag ich nicht die Qualen. 10 gr. Allegretto  : Schau der Herr mich an als König. 6 gr. Terzetto  : Wie, was, Entsetzen  ! 20 gr. Arie  : Schweig  ! Schweig  ! 6 gr. Der Freischütz für vollständige Militärmusik. 3 Hefte. 9 thl. Weber contra Rossini 

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Der Freischütz, arrangirt für zwei Violinen. 3 thl. Der Freischütz für zwei Flöten. 1 thl. 12 gr. Der Freischütz, Singstimme mit Begleitung der Guitarre. 22 gr. Die Ouvertüre für türkische Musik. 2 thl. 16 gr. Auswahl von Arien für eine Flöte. 12 gr. Mehrere Freischützwalzer für Clavier. à 2 gr. Variationen über das Volkslied, für eine Flöte mit Begleitung des Pianoforte. 12 gr. Variationen über die veilchenblaue Seide für das Clavier von Kelz. 8 gr. Variationen über das Lied  : Schau der Herr mich an als König. Fürs Pianoforte. 8 gr. Variationen über das Jäger-Chor. Fürs Pianoforte. 10 gr. Der ganze Text des Freischützen 20 gr.«125

Wir haben heute keine rechte Vorstellung mehr von der Wirkungstiefe und der eminenten Reichweite solcherlei Bearbeitungen, gerade der uns eher seltsam anmutenden wie »Der Freischütz, arrangirt für zwei Violinen« bzw. für zwei Flöten. Mit »Volkslied  : Veilchenblaue Seide« ist im Übrigen der »Jungfernkranz« gemeint  ; offenbar war diese Kurzbezeichnung für Weimar zu unschicklich. Die »Auswahl von Arien für eine Flöte« dürfte hinsichtlich der Reichweite ein ebenso wirkungsvolles Angebot gewesen sein  – eben zum Selbstmusizieren der Arien-Melodien – wie der »Freischütz« für Singstimme zur Gitarre oder die beiden Variationsfolgen über den »Jungfernkranz«, hier eben mal als »veilchenblaue Seide«, mal als »Volkslied« bezeichnet. Den Komponisten hat der Weimarer Erfolg gewiss besonders erfreut. Schon als Siebenjähriger hatte Carl Maria das Weimarer Theater kennengelernt  – seine Eltern waren hier im Sommer des »Zauberflöten«-Jahres 1794 kurzzeitig engagiert. Sie verließen es schnell wieder wegen »unordnungen«, wie es in ihrem Entlassungsgesuch vom 5. September 1794 heißt. Es dürfte sich dabei um eine der damals grassierenden Theaterintrigen gehandelt haben, gegen die auch drastische Strafen nur punktuell halfen. Noch mehr wird sich Weber über die beiden Anschluss-Inszenierungen gefreut haben  : Am 4. September 1822 wurde im Rahmen der Festlichkeiten zum 65.  Geburtstag des Großherzogs Pius Alexander Wolffs Schauspiel »Preziosa« mit Webers Musik (Uraufführung 1821 in Berlin) vorgestellt, am 23.  Juni 1824 seine Oper »Euryanthe« (Wien 1823). Die »Preziosa«-Aufführung war dabei »zu besserer Wirkung« ­angereichert mit zwei Bravourarien Rossinis und einem Schlussballett mit der ­Musik Hummels. Die grundsätzlich sehr großzügige Haltung zu solchen »Einrichtungen« 182

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Abb. 22  : Carl Maria von Weber 1823. Punktierstich mit der Widmung des Weimarer Hofkupferstechers Carl August Schwerdgeburth an Maria Pawlowna. Weber contra Rossini 

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hatte sich seit den 1790er-Jahren nicht sonderlich geändert. Was die »Eury­ anthe« anlangt, gab es zwar den heftigen Vorwurf, Weber habe ein »unmögliches Textbuch« vertont, die musikalische Qualität aber wurde durchaus sehr gewürdigt. Zu deren intensivem Eindruck dürften die überragenden Leistungen von Henriette Eberwein und Karl Stromeyer sehr beigetragen haben, die die beiden »Bösewichte« Eglantine und Lysiart verkörperten. Schon am Erfolg des »Freischütz« hatten beide als Agathe und Caspar wesentlichen Anteil gehabt. In der nächsten Spielzeit 1824/25 brannte das Theater ab. Schnell und begleitet von heftigen Querelen wurde es neu aufgebaut und am 3. September 1825 eben nicht mit Webers »Freischütz«, sondern mit Gioacchino Rossinis »Semiramis« in italienischer Sprache eingeweiht. Aus der Sicht der beiden das Weimarer Theater beherrschenden Sänger war diese Oper nach Voltaire, erst 1823 in Venedig uraufgeführt, offenbar das geeignete Werk für das 50.  Regierungsjubiläum dieses Reichsfürsten. Wenn schon der Theaterneubau, den man mit einweihte, nicht sonderlich gelungen war und eher bieder und schmucklos auf dem Platz des einstigen Goethe-Schiller-Theaters stand, sollte es zumindest diese besondere Aufführung mit der Jagemann als Hauptperson sein. »Semiramis« löste dann eine neue »Rossini-Welle« aus. Sie dominierte die letzten Jahre der »Sängerherrschaft«. Auffällig ist, dass diese »Welle« zum nächsten Geburtstag des Großherzogs am 3. September 1826 mit dem »Barbier von Sevilla« begann. Ein wenig Trotz nach harscher Kritik über die »Semiramis«-Wahl mag da eine Rolle gespielt haben. Für die Jagemann kam es im Umfeld dieser Geburtstagsfestvorstellung allerdings zu einer bedauerlichen Panne. Denn die zweite Vorstellung am Folgetag war weitaus erfolgreicher. Zu verdanken war das einem Zufall. Er hieß Henriette Sontag. Die begnadete Operndiva und Sopransolistin der Uraufführungen von Beethovens 9. Sinfonie und »Missa solemnis« 1824 wollte auf der Durchreise von Paris nach Berlin eigentlich nur Goethe einen Besuch abstatten. Nun sang sie aber doch eine ihrer Glanzrollen, anstatt der 19-jährigen Weimarer Fagottistentochter Marie Schmidt, die die Rolle am Vortag durchaus gut bewältigt hatte. Und obwohl ihr Auftreten auf dem Theaterzettel pikanterweise in der Buchstabengröße von Debütanten-Ankündigungen mitgeteilt wurde, war ihr Erfolg ein ihrem Ruhm entsprechend ganz außerordentlicher. Auch Goethe war tief beeindruckt von ihr. Eine Panne der besonderen Art für Caroline Jagemann war dies insofern, als sie bislang Gastspiele auswärtiger bedeutender Sängerinnen konsequent zu verhindern gewusst hatte. Ohnehin 184

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hatte sie nicht verstanden, ihre zweifellos glänzende Karriere rechtzeitig zu beenden oder zumindest jugendliche Rollen zu meiden. Und da nun die Sontag … Weitere Rossini-Opern waren dann am 13.  Oktober 1827 »Die diebische Elster«, am 13.  Februar 1828 »Die Belagerung von Corinth« und am 4.  Oktober 1828 »Moses«, die beiden letzteren in der jeweiligen Neubearbeitung durch den Komponisten (1826 bzw. 1827 Paris). »Moses« markiert quasi auch das Ende der »Sängerherrschaft« am Weimarer Theater. Drei Tage nach der »Moses«-Premiere äußerte sich Goethe in einer seiner Tischrunden zum Werk und zu Opernproblemen generell. Anstoß nahm er am Beginn der Oper  : »Sowie der Vorhang aufgeht, stehen die Leute da und beten  ! – Dies ist sehr unpassend. Wenn du beten willst, steht geschrieben, so gehe in dein Kämmerlein und schleuß die Tür hinter dir zu. Aber auf dem Theater soll man nicht beten«126. Eine vom Dichter des »Faust« eher verwunderliche Kritik. Denn Gretchens »Ach neige, / Du Schmerzensreiche, / Dein Antlitz gnädig meiner Not  !« vor dem Andachtsbild der Mater dolorosa ist ja wohl auch ein Gebet an einem öffentlichen Ort. Wie auch immer, interessanter ist sein Vorschlag zu einem geeigneteren Opernbeginn und der grundsätzlicher werdende Fortgang des Gesprächs. Zwei Tage später fasst er dies als sein Credo zur Gattung Oper schließlich so zusammen  : »Aber soviel ist gewiss, dass ich eine Oper nur dann mit Freuden genießen kann, wenn das Sujet ebenso vollkommen ist wie die Musik, so daß beide miteinander gleichen Schritt gehen.127 Und er lobt ausdrücklich den »Freischütz« und seinen Librettisten Friedrich Kind, die »Unterlegenen« bei der Wahl der Festoper für den 3. September 1825.

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24. EIN MACHT WECHSEL AM THEATER 1828/29  ?

Eine Zäsur war vorausgegangen  : der Tod des Großherzogs Carl August im Juni 1828. Sein Sohn Carl Friedrich hatte die Regierung übernommen. Dessen Ehefrau Maria Pawlowna, Kaiserliche Hoheit, war nun Großherzogin. Die Machtverhältnisse am Hoftheater klärten sich in der zweiten Jahreshälfte, die »Sängerherrschaft« ging zu Ende. Das direkte Agieren von Caroline Jagemann über Carl August hatte sich erledigt. Das Theater war nun in Gänze dem Hofmarschallamt unterstellt, anstatt des Oberdirektors Karl Stromeyer war jetzt Oberhofmarschall Carl Emil Freiherr von Spiegel der Intendant des Hauses. Unter Spiegels Verantwortung wurde im Herbst 1828 mit Stromeyer über einen Verbleib als Sänger verhandelt. Die Niederschriften dazu lassen Stromeyers ganz besondere Stellung deutlich werden.128 Er bezog das für Weimar exorbitant hohe Gehalt von 2212  Talern 12  Groschen jährlich, das sich gliederte in 1500 Taler Sänger-Gehalt (einschl. 52 Taler Garderobengeld), 300 Taler als Oberdirektor des Theaters (einschl. 100 als Opernregisseur), 212 Taler 12  Groschen Zulage als Kammersänger und dazu 200 aus der Großherzoglichen Schatulle. Bei den Verhandlungen im Oktober 1828 forderte er zusätzlich zum bisherigen Gehaltsumfang eine Zulage von 400 Talern, eine alljährlich um 50 Taler ansteigende Pensionserhöhung (seine Grundpension waren 1000 Taler), einen dreimonatigen Jahresurlaub im August, September und Oktober, eine eigene Theatergarderobe und ein eigenes Ankleidezimmer wie bisher, zu jeder Vorstellung einen Platz in der Parterreloge Nr. 3 und einen im Parkett, die Versorgung seiner Kinder und die Zusicherung, dass er nur die Basspartien zu singen brauche, die ihm »conveniren« würden. Hummel hatte dazu Stellung zu nehmen und tat das am 27.  Oktober wie folgt  : Eine solche Gehaltserhöhung von 700 Talern (400 neu und 300 anstatt 186

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der nicht mehr ausgeübten Funktionen des Oberdirektors und Opernregisseurs) sei nicht nur für den Etat, sondern vor allem für die »Stimmung des ganzen Personales« außerordentlich nachteilig und lasse eine Kettenreaktion von Forderungen erwarten. Zu beurlauben sei Stromeyer notfalls von Juli bis September, die Forderung nach einem eigenen Ankleidezimmer bei nur zwei vorhandenen sei eine Kränkung der anderen Sänger. Die Versorgung der beiden Kinder sei möglich – mit dem Hofmusiker sei er zufrieden, der andere müsse das Gehalt eines 2. Tenors erhalten. Zur abschließenden Forderung Stromeyers schrieb der Hofkapellmeister  : »Diese Anforderung kann unter gar keinen Umständen stattfinden, indem sie ganz unausführbar ist  ; weil der Ausdruck conveniren die Willkühr in seinem ganzen Umfange bezeichnet, das ganze Geschäft dadurch erschwert und zerrüttet würde und man sich auf der Stelle noch um einen 1ten Baßisten umsehen müßte, um für Herrn Stromeyer in den ihm nicht convenirenden Opernparthien einzutretten. Herr Stromeyer kann sich daher nicht anders als allen ihm zugetheilten 1ten Baßparthien unterziehen.«129 Auf Anweisung des neuen – auch schon 45-jährigen – Großherzogs wurden per 31. Oktober dem Sänger auf diesem Gutachten fußende ultimative Bedingungen gestellt, im Übrigen überaus günstige  : Er solle 2000 Taler als 1. Bassist und 212 Taler 12 Groschen als Kammersänger erhalten, hätte sich aber wie alle anderen den Vorschriften zu unterwerfen und auf Anforderung auch in den Hofkonzerten weiter zu singen. Wenn er nicht einverstanden sei, würde er entlassen. Stromeyer erklärte daraufhin am 4. November 1828, er bitte um seine Entlassung zum 1. Dezember und die ihm am 20. April 1824 von Großherzog Carl August zugesicherte lebenslängliche Pension von 1000  Talern jährlich. Die war den Hofbehörden offenbar nicht mehr gegenwärtig. Sie suchten sich doppelt zu revanchieren  : Im Entlassungsdekret vom 7. November 1828 hieß er wieder Karl Strohmeyer (also mit dem -h-, das zwei Jahrzehnte zuvor auf Weisung Goethes eliminiert worden war), zum anderen erging die Weisung, die 1000 Taler nur so lange auszuzahlen, bis er an einer anderen Bühne engagiert sei – ihm dies aber nicht mitzuteilen. Strohmeyer ging kein neues Engagement mehr ein und genoss seine Pension bis zu seinem Tod in Weimar im November 1845, auch als tonangebendes Mitglied der 1832 gegründeten Weimarer Liedertafel. Caroline Jagemann von Heygendorf, die ihre Bühnenkarriere schon vor dem Tod Carl Augusts (im März 1827) beendet hatte, im Hintergrund aber immer präsent geblieben war, starb 1848 in Dresden. Johann Nepomuk Hummel, der einst Stuttgart auch deshalb zugunsten von Weimar verlassen hatte, weil er sich als Hofkapellmeister mit dem höfischen Ein Machtwechsel am Theater 1828/29  ? 

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Intendanten überhaupt nicht verstand, war 1819 in Weimar in vertrackte Verhältnisse gekommen. Dass letztlich der fürstliche Souverän alles entscheiden könne, was er wolle, war an Hoftheatern generell so. Die Frage aber war, wer in der nächsten Ebene real zu entscheiden haben würde, insbesondere zum Repertoire und zu Anstellungen bzw. Entlassungen. In Weimar entschied nach Goethes Entlassung als Oberdirektor 1817 zunächst weitgehend und ab 1824 absolut Karl Stromeyer direkt und Caroline Jagemann von Heygendorf indirekt über den Großherzog. Diese »Sängerherrschaft«, die 1822/1824 die Implementierung öffentlicher Hofkapellkonzerte hintertrieben und dann 1825 die Entscheidungen zum Theaterneubau und Regierungsjubiläum negativ geprägt hatte, war nun zu Ende. Da ist es sehr verständlich, dass Hummel – bisher außen vor – die Lage ein für allemal für sich auflösen wollte. Den konkreten Niederschlag fand dieser Versuch parallel zu den Verhandlungen um Stromeyer im Herbst 1828 in Form eines Ringens um die »Instruktionen für den Hofkapellmeister«, die seine Tätigkeit grundlegend regelten. Bei seiner Anstellung 1819 hatte er im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger lediglich eine Stärkung der Position gegenüber Opernregisseur und Orchester  – also den »rein musikalischen Gegenstand« betreffend – durchsetzen können. 1828 aufgefordert, seine Vorstellungen über Rechte und Aufgaben des Hofkapellmeisters neu darzulegen, kam er dem in einer Weise nach, die sein künstlerisches Selbstbewusstsein eindrucksvoll spiegelt. Immerhin war er auf dem Höhepunkt seiner Virtuosenlaufbahn, ein in Europa berühmter und auf seinen Gastspielreisen begeistert gefeierter Pianist, Schüler des »Musik-Gottes« Mozart, Freund des im Vorjahr verstorbenen und wie ein Fürst zu Grabe geleiteten Beethoven und quasi deren Nachfolger. Schon die Präambel seines Vorschlagpapiers formuliert unverstellt seine Haltung  : »Der Kapellmeister ist als Kunstkenner unmittelbar derjenige, von dem die Leitung und Führung der ganzen Oper, der Kapelle und die Einrichtung der musikal. Hoffestlichkeit ausgehen muß und folgende ist die ihm gebührende Stellung und Pouvoir.«130 Er solle das Opernrepertoire und die Besetzung der Opern bestimmen, er allein habe für den Probenplan und für die Tempi bei Arien und Ensembles verantwortlich zu sein, er solle über Anstellungen und Entlassungen von Sängern und Orchestermitgliedern entscheiden. Der neue Intendant Oberhofmarschall von Spiegel erhielt Ende Oktober zusammen mit diesem Vorschlagpapier Hummels eine Anweisung des Großherzogs Carl Friedrich, die neue Instruktion auf der Basis der alten vom Februar 1819 zu erarbeiten und Hummels Vorschläge dabei »zu berücksichtigen«. Um jedem Missverständnis vorzubeugen, wurde ausdrücklich betont, er sei an jene 188

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Vorstellungen Hummels nicht gebunden. Bei davon abweichender Meinung wolle Carl Friedrich selbst entscheiden. Dies geschah dann auch. Die neue Instruktion vom 7. November 1828 bewegte sich in den Bahnen von 1819, äußerlich wie insbesondere machtpolitisch. Statt Entscheidungsrechten in jenem grundlegenden, über den »rein musikalischen Gegenstand« hinausgehenden Fragen hatte er lediglich ein Vorschlagsrecht, zu richten an den Hofmarschall als Intendanten. Und unmissverständlich heißt es in einem neuen, 1819 noch nicht vorhandenen Artikel  22  : »Der Großherzogl. Oberhofmarschall als Intendant ist durch die […] Vorschläge, Anträge und Gutachten des Herrn Kapellmeisters nicht gebunden, sondern nur verpflichtet, diese Vorschläge […] zu vernehmen und im Fall abweichender Meinung […] zur höchsten Entscheidung einzusenden.«131 Dass dies für nötig gehalten wurde, weist sowohl auf den Einfluss Hummels wie darauf hin, dass nach der »Sängerherrschaft« ein höfisches Ordnungsbestreben unbedingt neu durchgesetzt werden sollte. Nun war von Spiegel zwar ein engagierter und verständnisvoller Intendant, dennoch kann die Wirkung dieser neuerlichen Begrenzung auf Hummel nur eine desillusionierende gewesen sein. Liszt meinte später, er sei durch diese Verhältnisse moralisch entmannt worden und schließlich entkräftet zusammengebrochen. Jedenfalls dürfte er sich nun noch mehr auf sein Wirken außerhalb seines Hofkapellmeisteramtes orientiert und konzentriert haben. Parallel zu dieser Auseinandersetzung kam ein hervorragender Sängerschauspieler im Januar 1829 nach Weimar zurück  : Eduard Genast (1797–1866), mit Ehepartnerin aus Magdeburg hierher engagiert wie gleichzeitig auch das Ehepaar Streit, aus Leipzig kommend. Eduard Genast und Wilhelmine Streit waren bis Ende der 1840er-Jahre nun die dominierenden Sänger. Eduard war 1797 in Weimar als Sohn des Schauspielers Anton Genast geboren worden, der aus Prag 1791 an das hiesige Theater gewechselt war. Auf Wunsch des Vaters durchlief er bis 1813 eine Konditorlehre, nahm nebenbei aber schon Gesangsstunden bei Carl Eberwein. Nach einem Vorsingen bei Goethe debütierte er bereits im April 1814 am Hoftheater als Osmin in Mozarts »Entführung aus dem Serail« – in Vertretung von Karl Stromeyer – und wurde daraufhin mit relativ hoher Gage eingestellt. Ab Juli 1816 für ein halbes Jahr zur Gesangsausbildung bei Wilhelm Häser in Stuttgart, übernahm er dann Engagements in Dresden, Prag, Hannover und Leipzig. Vor allem hier entwickelte er sich zum bedeutenden Charakterdarsteller und Bariton, hier heiratete er die Schauspielerin Christine Böhler. Hatte er schon in seinen bisherigen Engagements wichtige Bekanntschaften machen können (so mit Henriette Ein Machtwechsel am Theater 1828/29  ? 

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Sontag, mit der er gemeinsam 1818 in Prag debütierte), hatte er damit in die berühmte Schauspielerfamilie Devrient eingeheiratet, mit Folgen für das Weimarer Theater, wo er (nach einem Intermezzo als Oberregisseur in Magdeburg) Anfang 1829 neu heimisch und auf Lebenszeit angestellt wurde. Sein nunmehriges Debüt gab er in der Titelrolle von Marschners »Vampyr« in der Weimarer Erstaufführung am 20. April 1829. Der Komponist hatte sie ihm in Leipzig »auf den Leib« geschrieben, er war der Hauptdarsteller in der dortigen Uraufführung im März 1828 gewesen. Die Oper sorgte in Weimar wegen des »unmöglichen Textbuchs« für noch größere Aufgeregtheit, als es sie bei Webers »Euryanthe« wenige Jahre zuvor gegeben hatte. Genast wurde überaus vielfältig eingesetzt. Von Haus aus Charakterbariton, sang er nach dem Tod des Tenors Moltke 1831 auch lyrische Tenorpartien, Basspartien (Sarastro) ohnehin. Hinsichtlich tenoraler Spitzentöne schaffte der Hofkapellmeister Erleichterung  : »Vorerst muß ich dabei der außerordentlichen musikalischen Geschicklichkeit gedenken, mit der Hummel die Tenorpartien für mich sangbar machte  ; außerdem mußte ich mir sagen, daß, da wir nach dem Tode unseres trefflichen Tenoristen Moltke lange vergeblich nach einem Ersatz für denselben suchten, sonst viele große Opern unserem Repertoire fern geblieben wären. So versuchte ich mich denn in Aufgaben, bei denen ich durch die wärmste Hingabe und durch rastloses Studium des gesamten Kunstgebildes gutzumachen suchte, was ich etwa am musikalischen Effekt durch die veränderte Stimmlage sündigte. Es war nicht meine Sache, nach Universalität zu streben, aber Kapellmeister und Regisseur (Hummel und Laroche) beuteten mein Talent nach allen Richtungen hin aus, und ich gab mich mit gleichem Eifer dem Studium jeder künstlerischen Aufgabe hin.«132 Als Nachfolger von Karl La Roche, der nach zehn Jahren in Weimar 1833 nach Wien wechselte und dort einer der großen Charakterdarsteller der Zeit war, wurde Genast in diesem Jahr auch Opernregisseur, neben seinem Freund Max Johann Seidel. Als »Probestück« inszenierte er am 8. April 1833 die eigene Oper »Der Verräter in den Alpen« (nach einem Libretto Seidels), dann im Mai 1833 »Der Templer und die Jüdin« seines Freundes Marschner. Als Sänger wie Schauspieler ein Charakterdarsteller von Rang und auch als Regisseur über zwei Jahrzehnte hin mit der Entwicklung des Weimarer Theaters eng verbunden, dürfte Genast der vielseitig-bedeutendste Sänger-Schauspieler in dessen Geschichte gewesen sein. Noch von Goethe gefördert, war er 1850 der Regisseur der Uraufführung von Wagners »Lohengrin«. Seine »Lebenserinnerungen« spiegeln diesen großen Bogen eindrucksvoll. Bleibt, die Folgen seiner »Netzwerk-Bildung« für das Weimarer Theater zu bedenken. 190

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Abb. 23  : Wilhelmine Schröder-Devrient in acht Kostümfigurinen. Kolorierter Punktierstich von August Böhme zu ihrem Gastspiel in Weimar 1830.

Die Öffnung für Gastspiele nach jener »Sängerherrschaft« ist eine der hervorstechendsten Qualitäten der neuen Entwicklung. Dabei spielt die Familie Devrient als die mit Genasts Frau verschwägerte berühmte Dresdener Schauspielerfamilie eine große Rolle, mit Wilhelmine Schröder-Devrient (1804–1860), mit Ludwig und Emil Devrient. Gerade die Schröder-Devrient, die in Wien 1822 als Agathe Carl Maria von Weber hingerissen und dann als Leonore Beet­ hoven und Schubert durch ihre leidenschaftliche Darstellung außerordentlich beeindruckt hatte – von hier an war sie eine europäische Berühmtheit –, war mit Genast nicht nur verschwägert, sondern auch eng befreundet. Gastspiele führten sie im April und Dezember 1830, April/Mai 1840, April 1842 und November/Dezember 1843 nach Weimar. Bei allen ihren Gastspielen stand ihre berühmteste Rolle, die Leonore in Beethovens »Fidelio«, auf dem Programm. Im April 1830 war sie auch zu Gast bei Goethe und bemühte sich, ihn von der Größe Franz Schuberts und seiner Goethe-Vertonungen zu überzeugen. Vor allem sang sie ihm den »Erlkönig« vor, trotz des bekannten tiefen Widerwillens Goethes gegen durchkomponierte Vertonungen seiner Gedichte, und Ein Machtwechsel am Theater 1828/29  ? 

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rang ihm einige Anerkennung dafür ab. Wie Jahre zuvor Henriette Sontag, widmete er auch ihr ein paar Zeilen. Emil Devrient und seine Frau Doris, geb. Böhler – die Schwester der Frau Eduard Genasts –, gastierten im Mai 1832. Zuvor schon war der noch berühmtere Bruder Ludwig Devrient um den Jahreswechsel 1830/31 in neun Gastrollen zu erleben gewesen, dabei um den 20. Dezember herum parallel zu seiner Schwägerin Wilhelmine Schröder-Devrient  : Sie sang am 18. und 21. (Leonore bzw. Euryanthe), er spielte am 20. und 22. Dezember, er für 15 Friedrichsdor Honorar pro Abend, sie für weniger als die Hälfte. Als die Intendanz sie für das Frühjahr 1831 dringlich zu sechs Gastrollen einlud und sie auch zu vier davon bereit war (»Fidelio«, »Die Vestalin«, »Iphigenie auf Tauris«, »Don Giovanni«), platzten die Verhandlungen nach Unstimmigkeiten zu der von ihr geforderten Gage von insgesamt 30 Friedrichsdor, also siebeneinhalb pro Abend. Erst 1840 kam sie wieder. Das war besonders schade, verkörperte sie doch mit ihrer hochdramatischen Interpretationsweise einen modernen, leidenschaftsgeprägten Darstellungsstil, der die Zeitgenossen tief beeindruckte, gerade auch die jüngeren Komponisten wie Richard Wagner, dessen drei Uraufführungen im Dresden der 1840er-Jahre sie dann führend mitgestaltete.

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25. DER ERDGEIST SINGT !

So stark wie nur wenige Werke der Weltliteratur hat Goethes »Faust« auch Musiker inspiriert, sie zu Liedern und Schauspielmusiken, Opern, Oratorien und sinfonischen Werken angeregt. Hunderte von kleineren und etwa 80 größere Vertonungen sind entstanden, konzentriert auf die ersten fünf Jahrzehnte nach dem Erscheinen des »Faust I.« im Druck 1808. Am Anfang waren es vor allem Lieder und Chöre, was nahelag, da das Drama mehrere Passagen enthält, die nach einer Vertonung geradezu verlangen  ; der Osterchor, Beethovens »FlohLied« von 1810 oder Zelters »König in Thule« von 1812 erreichten schnell eine größere Verbreitung. Zu dieser Gruppe zählt als heute berühmtestes Beispiel Schuberts »Gretchen am Spinnrade« von 1814. Schon 1813 gab es eine »Faust«-Oper, komponiert von Louis Spohr und 1816 in Prag uraufgeführt. Um 1830 folgten weitere musikdramatische Umsetzungen, etwa vom Spohr-Schüler Léon de Saint-Lubin. Hinzu kamen die Schauspielmusiken zu den ersten Aufführungen des »Faust I.« im Jahr 1829  ; Schauspielmusiken gehörten damals selbstverständlich zu einer Theateraufführung dazu. Um 1849 schließlich spielte im Umfeld der Goethe-Centenar­ feier die Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk, gerade auch mit dem 1832 im Druck erschienenen »Faust II.«, eine große Rolle. Die musikalischen Großwerke zum »Faust« entstanden, von Berlioz und Gounod, Schumann, Wagner und Liszt. Danach waren alle Wege einer musikalischen Umsetzung gegangen, konnten nur anders wieder neu beschritten werden. Oder man ließ Goethe geflissentlich links liegen, wandte sich anderen Dichtern oder dem alten Volksbuch zu. Goethe selbst war an einer angemessenen Vertonung des »Faust« sehr interessiert. Er meinte offenbar, dass die Tragödie in einem selbstständigen großen musikalischen Werk vertonbar sei. Das zeigt sich in seiner Zusammenarbeit mit dem polnisch-litauischen Fürsten Anton Heinrich Radziwill (1775–1833), Der Erdgeist singt ! 

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einem bedeutenden Kunstmäzen in Berlin. Radziwill begann schon 1809 Teile des »Faust  I.« zu komponieren und setzte dies bis zu seinem Tod fort, von Goethe und Zelter beraten und von mehreren Fachmusikern unterstützt, die seine am Violoncello entstandenen musikalischen Gedanken ausführten. Der Dichter stellte ihm Szenen neu zusammen und schickte ihm im April 1814 gar einige Zusatzverse, darunter ein Schlussquartett zur »Gartenszene« (Nr. 12 der Komposition). Kurz zuvor hatte ihn der komponierende Fürst in Weimar besucht. Goethe äußerte sich sehr freundlich über die ihm vorgestellte Musik. Zumindest hinsichtlich des Hauptteils der Orchester-Entrada hatte er gewiss sehr recht, denn der bestand aus Mozarts Fuge c-Moll KV  426  – Radziwill hatte sie als besonders passend erscheinend einfach hinein übernommen. Es gibt also doch etwas Mozart zum »Faust«, wenn auch ein wenig skurril à la Radziwill. Über Aufführungen der Radziwill’schen Vertonung berichtet Zelter mehrfach an Goethe, so 1819, 1820, 1832. Die schließliche Endfassung, nach jener Ouvertüre 16  Teile quer durch »Faust  I.«, wurde 1835 von der Berliner Singakademie herausgegeben und vielfach in den Folgejahrzehnten aufgeführt. Teile des Werkes dienten als Schauspielmusik zur ersten Berliner »Faust«-­Inszenierung. Ähnlich und doch ganz anders erging es Carl Eberwein mit seiner »Faust I.«-Musik. Eberwein, 1786 als Sohn des Weimarer Stadtmusikers hier geboren und von seinem Vater ausgebildet, war seit 1802 Violinist der Weimarer Hofkapelle. Schnell erarbeitete er sich eine namhafte Position, zu der die Heirat 1812 mit der führenden Mezzosopranistin des Hoftheaters Henriette Häßler gewichtig beitrug. Ihr Vater Johann Wilhelm Häßler war der seinerzeit bedeutendste Musiker Erfurts. Der »Urknall« zu Eberweins besonderer Karriere ereignete sich 1807. Goethe richtete sich in diesem Jahr eine kleine »Hauskapelle« aus Sängerinnen und Sängern des Hoftheaters ein, als eine Art Gegengewicht zu den sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen ihm als Oberdirektor des Hoftheaters und der hier immer dominanteren Nebenfrau des Herzogs Caroline Jagemann, die schließlich nach einer geschickt eingefädelten Intrige im November 1808 die faktische Entscheidungsmacht hinsichtlich des Musiktheaters übernahm. Der Einfluss Zelters und Erinnerungen an Italien ließen das Goethe’sche Hausensemble als Vokalkapelle entstehen. Eberwein übernahm die Leitung, Zelter im Gegenzug seine Fortbildung zwischen 1808 und 1810. Mit solchem Hintergrund wurde Carl Eberwein 1818 für gut zehn Jahre auch Leiter der Musik an der Stadtkirche und dem Gymnasium, verbunden mit dem Titel eines Musikdirektors. 1826 avancierte er zum Musikdirektor der 194

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Hofkapelle und damit zu einem der beiden Stellvertreter von Hofkapellmeister Hummel. Längst war er außerdem der Hausmusiker mehrerer adeliger und begüterter bürgerlicher Weimarer Familien. Vor allem aber blieb er der Leiter der Hauskapelle Goethes. Der hatte dazu 1810 in seinen »Annalen« verewigt  : »Die Übungen der freiwilligen Hauskapelle wurden regelmäßig fortgesetzt, donnerstags abends Probe vor einigen Freunden gehalten, sonntags früh Aufführung vor großer Gesellschaft. Ältere und jüngere Theatersänger, Choristen und Liebhaber nahmen teil  ; Eberwein dirigierte meisterhaft. Mehrstimmige Sachen von Zelter und andern, italienischen Größen wurden ins Leben geführt und ihr Andenken gegründet, Vergnügen und Nutzen, Anwendung und Fortschreiten in eins verbunden. […] Die Donnerstage waren kritisch und didaktisch, die Sonntage für jeden empfänglich und genußreich.«133 Eberwein vertonte auch Gedichte Goethes, einige zu dessen und dem Wohlgefallen Zelters, der als musikalischer Gewährsmann des Dichters an dessen Wertungen entscheidenden Anteil hatte. Vor allem fand Goethe die Eberwein’sche Vertonung seines Monodramas »Proserpina« 1815 sehr gelungen. Er zeichnete den Komponisten nun damit aus, eine »Faust«-Komposition von ihm zu erwarten. Ähnlich wie für Radziwill 1814 arrangierte er dazu Szenen für ein etwa halbstündiges melodramatisches Werk mit Schlusschor. Eberwein begann auch mit der Arbeit daran, vermochte jedoch die nachdrücklichen Vorgaben des Dichters nicht umzusetzen und gab bald verzagt auf. Erst viel später, im Zusammenhang mit der funktional klaren Aufgabe einer Schauspielmusik für die Weimarer Erstaufführung des »Faust  I.« anlässlich von ­Goethes 80.  Geburtstag setzte er im Sommer 1829 seine frühere Arbeit im Auftrag der Hoftheater-Intendanz neu fort. Goethes einst erheblicher Groll war längst verflogen. Er beriet sich im Juli mit seinem »Haus- und Hofmusiker«, bestätigte dessen Vorstellungen (so berichtet Eberwein zumindest in seinen Memoiren) und schickte noch ein paar Zusatzverse. Damit konnte die Eberwein’sche Schauspielmusik mit ihren 23  musikalischen Miniaturen als vom Dichter legitimiert gelten. Als Schauspielmusik, nicht als selbstständige Vertonung, die Goethe lange Zeit angestrebt hatte. Sein Brief vom 1.  Mai 1815 an den Grafen Brühl im Umfeld der Eberwein’schen »Proserpina«-Vertonung bezeugt ganz klar seinen Wunsch, weite Strecken der Tragödie als ausdrucksstarkes Melodram vertont wissen zu wollen, selbstredend jenseits der Teile, die als Lied oder als Chor gemeint waren. Eine melodramatische Gestaltung war eben ideal für Textverständlichkeit und die Bewältigung großer Textmengen. Anderthalb Jahrzehnte später sucht ­Goethe das Ausbleiben solch einer Vertonung zu deuten. Im zeitlichen UmDer Erdgeist singt ! 

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feld der Braunschweiger Uraufführung des »Faust I.« kommt er am 12. Februar 1829 auf den »Charakterzug unsers Jahrhunderts« zu sprechen. Zelter habe ihm geschrieben, eine seiner Schülerinnen habe für ihn eine »Messias«-Aufführung durch ihren viel zu weichen, schwachen und sentimentalen Gesang regelrecht verdorben. Er fährt fort  : »Das Schwache ist ein Charakterzug unsers Jahrhunderts. […] Maler, Naturforscher, Bildhauer, Musiker, Poeten, es ist mit wenigen Ausnahmen alles schwach, und in der Masse steht es nicht besser.« Eckermann, wohl leicht verdutzt, hält mit seiner Hoffnung dagegen, »zum ›Faust‹ eine passende Musik kommen zu sehen.« Goethe daraufhin gnadenlos ganz im Sinne seiner vorherigen Aussage  : »Es ist ganz unmöglich […] Das Abstoßende, Widerwärtige, Furchtbare, was sie stellenweise enthalten müßte, ist der Zeit zuwider. Die Musik müßte im Charakter des ›Don Juan‹ sein  ; Mozart hätte den ›Faust‹ komponieren müssen. Meyerbeer wäre vielleicht dazu fähig, allein der wird sich auf so etwas nicht einlassen  ; er ist zu sehr mit italienischen Theatern verflochten.«134 Goethes Wunsch also  : eine »Faust«-Vertonung mit Musik im Charakter des »Don Giovanni«, und dies als Melodram, nicht etwa als Oper oder Oratorium, was für ihn wohl wegen der Textverluste inakzeptabel war. Dass im Übrigen nahezu gleichzeitig Hector Berlioz seine »Huit ­scènes de ›Faust‹«, auf eigene Kosten teuer gedruckt, dem Dichter verehrungsvoll zusandte, blieb bedauerlicherweise ohne Reaktion. Die Vorstellungen des Dichters zu einer selbstständigen »Faust«-Vertonung sind nun partiell durchaus auf Schauspielmusiken zum »Faust I.« anwendbar. Der Text hatte jedenfalls im Mittelpunkt zu stehen. Von daher sollten Inzidenzmusiken, d. h. die Teile, für die vom Dichter eine musikalische Aktion auf der Bühne als Lied oder Chor vorgeschrieben war, ebenso einfach (Textverständlichkeit) wie charakteristisch sein, also quasi dem von der 2. Berliner Liederschule proklamierten Wort-Ton-Verhältnis entsprechen. Rein instrumentale Stücke wie die Ouvertüre oder Zwischenaktmusiken dagegen waren der Ort der Entfaltung aller relevanten Gestaltungsmittel zu einer selbstständig charakterstarken, also auch »widerwärtigen« und »furchtbaren« Musik. Zudem könnten geeignete Verse melodramatisch musikalisiert und so hervorgehoben werden. Betrachten wir von solcher Position aus Carl Eberweins Schauspielmusik zum »Faust I.« von 1829, entspricht sie dem sowohl funktional wie in der ästhetischen Grundhaltung vollständig. Die ästhetische Gesamtqualität allerdings, auch und gerade gegenüber den Liedvertonungen anderer Komponisten, ist eher blass und harmlos, »Abstoßendes, Widerwärtiges und Furchtbares« bestenfalls in Ansätzen zu finden, dies aber auch nur von damaligen, 196

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nicht etwa heutigen Hörgewohnheiten aus. Lässt die »Introduzione« noch einen Grundgestus à la Mozarts Ouvertüre zum »Don Giovanni« aufscheinen, ist die dramatisch-tragische Sphäre kaum entwickelt, nicht einmal im Entreacte zur Kerkerszene, immerhin ein Trauermarsch. Bemerkenswert schon die quantitativen Dimensionen der Eberwein’schen Arbeit. Der damals für eine Schauspielaufführung zwingend notwendige Bereich, also Inzidenzmusiken und Entreactes, nimmt zusammen mehr als vier Fünftel der Zeit ein, dabei fünf Chöre neun, vier Lieder achteinhalb sowie sieben Entreactes etwa 20 Minuten, wozu die Ouvertüre und ein kurzes Adagio Nr. 7 kommen. Entreactes, also Zwischenaktmusiken, hatten damals die Umbaupausen auszufüllen und dabei das Vorherige nach- bzw. das Kommende vorzubereiten. Immerhin fünf der 23 Miniaturen gelten mit achteinhalb Minuten dem Bereich, auf den es seit der Debatte von 1815 im Näheren ankam, dem der melodramatischen Gestaltung auserwählter Verse. Sie sind bezogen auf die drei Hauptpersonen  : eine auf Margarete beim Zöpfeflechten im Vorfeld zum durchaus eindrucksvollen »König in Thule«, eine auf Mephisto innerhalb der Studierzimmer-Szene und drei auf Faust im großen Anfangsmonolog (ab Vers  430). Gretchens Textgrundierung ist belanglos und in der Tat lediglich eine knappe Vorbereitung auf das Lied (Verse 2678 ff.) im Sinne von Gleich wird sie singen. Mephisto wird in seinen Versen  1506  ff. nur scheinbar etwas besser ausgestattet, scheinbar deshalb, weil damit nicht er, sondern jene Geister nachträglich ein wenig musikalisiert werden, die zuvor Faust »treulich eingesungen« haben, selbstredend im Bunde mit Mephisto. Bleibt als melodramatisches Schwergewicht die dreiteilige Musik zu den Versen 430 bis 517, etwa sechs Minuten beanspruchend. Fausts Monolog am Beginn der ersten, der »Nacht«-Szene der Tragödie beginnt allerdings schon mit Vers  354 (»Habe nun, ach  !« usw. usw.), Eberweins Musik erst 75  Verse später. Wieso, wo man sich doch ohne Weiteres eine Unterlegung des Vorherigen mit den d-Moll-Klängen der »Introduzione« vorstellen kann  ? Ausschlaggebend für Eberwein war offenbar, dass Faust nach zunehmender Emphase nun erst die Geister bemüht  : »Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir  ; / Antwortet mir, wenn ihr mich hört  !« (Verse  428/429). Die jetzt zur Deklamation des Textes hinzutretenden Klänge sind damit, wie mehr als 1000 Verse später bei Mephisto, quasi die Antwort der Geister, bezeichnen deren Anwesenheit  : Musik als Mittel der Versinnlichung übersinnlicher Gestalten, zweifellos eine dramaturgisch kluge Zuordnung ganz innerhalb der schauspielmusikalischen Spezifik. Im Konkreten wird der Monolog-Verlauf zunächst dominiert von einer Deklamation über langgestreckten Klängen, dann ab Vers  447 (»Wie alles sich Der Erdgeist singt ! 

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zum Ganzen webt«) mit mehr klanglicher Bewegung ausgestattet. Schließlich dialogisieren Faust und das Orchester. Das Melodram mündet in das »Rezitativ des Erdgeistes« (»Wer ruft mir  ?« usw.), im Dialog mit dem weiterhin deklamierenden Faust. Der Erdgeist dagegen singt, rezitativisch vom Orchester begleitet  ! Und das ist noch nicht das Ende der Entwicklung. In der »Aria des Erdgeistes« (»In Lebensfluten, im Tatensturm«, Verse 501 ff.) wird dessen vorheriges rezitativisches Singen noch etwas weiter zur Kantabilität geführt, ohne den rezitativischen Grundgestus zu verlassen. Diese gut drei Minuten mit Rezitativ und Aria des Erdgeistes sind, so scheint mir, der eigentliche eigene eigentümliche Einfall Eberweins in dieser seiner Schauspielmusik zum »Faust«. Nicht etwa dass er musikalisch besonders eindrucksvoll ausgeführt wäre. Es ist das Wagnis, den zuerst rein deklamatorischen und dann melodramatischen Pfad nach einer organisch wirkenden Steigerung quasi zu verlassen und die Sprechstimme Fausts durch die Singstimme des Erdgeistes überhöhend zu kontrastieren. Dass Eberwein selbst in seinen Lebenserinnerungen dies stolz feiert – er lässt den Erdgeist singen, ohne dass es vom Dichter vorgegeben ist –, ist sehr verständlich. Goethe war im Übrigen, damit schon im Vorfeld der Aufführung zu seinem 80. Geburtstag befasst, angeblich durchaus einverstanden. Eberweins Musik begleitete alle 40 Weimarer »Faust I.«-Aufführungen bis 1873. Sie repräsentiert eine zeittypische Basisebene in Nähe zu den Goethe’­ schen Maximen, von der aus jedenfalls die Qualitäten der großen »Faust«-Vertonungen um 1850 besser zu ermessen sind als ohne dieses theaterbezogene Opus von 1829, das seit 2002 als »Entreactes und Gesänge zu Goethes Faust« in einer CD-Aufnahme vorliegt. Ein Nachspiel  : Wohl 1852 unternahm es Johann Peter Eckermann, den ersten der fünf Akte des »Faust II.« abzutrennen und ihn selbstständig, in eigene drei Akte unterteilt, als »Faust am Hofe des Kaisers« für eine Aufführung vorzubereiten. Er tat dies ganz gewiss aus innerster Überzeugung, dass dem für unaufführbar gehaltenen Werk nur so der Weg auf die Bühne eröffnet werden könne. Und er fühlte sich dazu berufen  : Goethe hatte zuerst ihm Ende der 1820erJahre Teile des Werkes vorgelesen. Naheliegenderweise gewann er Eberwein für eine Schauspielmusik. Als einstiger Adlatus des Dichters blieb Eckermann ganz eng an dessen Text, den er nur neu gliederte  : Die 1. und 2. Szene bildeten nun einen eigenen 1. Akt, die 3. Szene (»Lustgarten«) wurde zum 2. Akt, die restlichen drei Szenen zum 3. Akt. Erst vier Jahre später und damit zwei Jahre nach seinem Tod erlebte »Faust am Hofe des Kaisers« zu Ehren des 38. Geburtstages von Großherzog Carl Alexander am 24. Juni 1856 seine Uraufführung im 198

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Weimarer Hoftheater (Wiederholung am 28. September 1856). Die Aufführung war verbunden mit der kleinen Schauspielmusik Carl Eberweins, bestehend aus einer Ouvertüre in f-Moll, zwei Chören und drei instrumentalen Entreactes, also aus sechs Nummern. Die beiden Chöre gelten dem Anfang der Szene »Anmutige Gegend« und damit Ariels »Wenn der Blüten Frühlingsregen über Alle schwebend sinkt« (als »Gesang der Elfen«) bzw. dem »Chor der Gärtnerinnen« in der übernächsten Szene (»Weitläufiger Saal«) mit dem Textanfang »Euren Beifall zu gewinnen schmückten wir uns diese Nacht«, dem eine längere Introduktion vorgeschaltet ist. Beides war schon vom Dichter ausdrücklich mit der Vorstellung von gesungenem Text verbunden worden. Von der Regieanweisung »Gesang, von Äolsharfen begleitet« bzw. »Gesang, begleitet von Mandolinen« hat sich Eberwein hinsichtlich des Einsatzes von Äolsharfen und Mandolinen zwar nicht binden lassen, aber im dadurch vorgegebenen Grundcharakter folgte er Goethes Vorstellungen gewiss. Diese Musik erklang in einer konzertanten Version schon Jahre vor der Uraufführung des Schauspiels. Am 28.  Oktober 1852 gab die Hofkapelle im Hoftheater ein Abschiedskonzert für ihren 1849 pensionierten Kollegen, als »Konzert zum Vorteil und unter Direktion von Musikdirektor Carl Eberwein nach 50jähriger Dienstzeit als Mitglied der Hofkapelle«. An der Spitze des Programms erklang »Faust am Hofe des Kaisers«, gefolgt von Liedern aus Goethes »Westöstlichem Diwan«, Szenen aus der Oper »Der Graf von Gleichen« und »An Weimar« / Lied zu Goethes 50-jährigem Dienstjubiläum am 7.  November 1825 (wie beziehungsreich), allesamt Kompositionen des Jubilars. Hinzu kamen noch ein Concertino für Klavier seines älteren Bruders Max Carl Eberwein, der selbst den Solopart spielte, und ein konzertantes Werk für Klarinette. Ebenso wie man nicht davon ausgehen kann, dass hier im Konzert viel ­Goethe-Text deklamiert wurde, um nach der Ouvertüre zu »Faust am Hofe des Kaisers« die wenigen musikalischen Einsprengsel zu kontextualisieren, werden diese vielleicht auch nicht ganz ohne etwas textliche Umgebung aufgeführt worden sein. Ohnehin konnte man davon ausgehen, dass dem Publikum der 1. Akt des »Faust II.« weitgehend bekannt war. Jedenfalls war die Schauspielmusik des Jubilars der symbolkräftige Beginn seines Abschiedskonzertes. Sie dokumentierte sein Bemühen um den »Faust« als Ganzes. Nicht zu unterschätzen ist die Geste der Solidarität mit Eckermann, der als der von Goethe 1831 autorisierte verantwortliche Herausgeber von dessen literarischem Nachlass nur mit äußersten Skrupeln an die Abtrennung des 1.  Aktes gegangen sein wird und der, wie wir wissen, nur in diesem Konzert etwas von seinem »Faust II.«-Torso auf der Bühne hat erleben können. Der Erdgeist singt ! 

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Am 24.  Oktober 1852, vier Tage vor dem Eberwein’schen Abschiedskonzert, leitet Franz Liszt die Weimarer Erstaufführung der 1813 entstandenen »Faust«-Oper Louis Spohrs, in der gerade in London vorgestellten dreiaktigen Neufassung mit Rezitativen. Und drei Wochen nach Eberweins Konzert folgt beziehungsreich das Konzert von Hector Berlioz mit der ersten Hälfte von »Fausts Höllenfahrt«, wie »La Damnation de Faust« auf dem Programmzettel angekündigt ist  – auch wenn die Höllenfahrt hier selbst noch gar nicht vorkommt, sondern erst bei der vollständigen Aufführung des Werkes am 1. März 1856 erklingt. Mehrere klangliche Welten zum berühmtesten in Weimar entstandenen dichterischen Werk begegnen sich in enger Folge.

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26. PAGANINIS ERFOLG VERHILFT ZUM DURCHBRUCH

Paganini in Weimar  ! Am 30.  Oktober 1829 spielt er hier im Rahmen eines der ganz seltenen Virtuosenkonzerte im Hoftheater. Der Ansturm ist einzigartig. Es hat sich herumgesprochen  : Man hat es mit einem Phänomen zu tun, mit einem Musiker, der seiner Geige so nie gehörte Läufe, Klänge und Triller entlockt und den über seine Virtuosität und Ausdrucksintensität hinaus eine dämonische Aura umgibt. Goethe bezeugt dies anderthalb Jahre später im Gespräch mit Eckermann, am 28.  Februar und 2.  März 1831. Man zeigt sich beeindruckt »von jener geheimen problematischen Gewalt […], die alle empfinden, die kein Philosoph erklärt und über die der Religiöse sich mit einem tröstlichen Worte hinaushilft. Goethe nennet dieses unaussprechliche Welt- und Lebensrätsel das Dämonische, und indem er sein Wesen bezeichnet, fühlen wir, daß es so ist, und es kommt uns vor, als würden vor gewissen Hintergründen unsers Lebens die Vorhänge weggezogen. Wir glauben weiter und deutlicher zu sehen, werden aber bald gewahr, daß der Gegenstand zu groß und mannigfaltig ist und daß unsere Augen nur bis zu einer gewissen Grenze reichen.«135 Zwei Tage später ergänzt Goethe  : »Das Dämonische […] ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.«136 Und dann bewundert er Napoleon als eine im höchsten Grade dämonische Natur. Und Paganini  : »Unter den Künstlern […] findet es sich mehr bei Musikern, weniger bei Malern. Bei Paganini zeigt es sich im hohen Grade, wodurch er denn auch so große Wirkungen hervorbringt.«137 Goethe hat Paganinis Konzert erlebt. Da die üblichen »freien Entrées« aufgehoben waren, mussten alle dazu Berechtigten den freien Eintritt besonders beantragen. So ist aus den Akten zu erfahren, dass »S. Exc. der Herr Geheime Paganinis Erfolg verhilft zum Durchbruch 

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Rath und Staatsminister von Göthe in Loge V der Parterre-Logen« dabei gewesen sei. Trotz doppelter Eintrittspreise war das Theater mit über 1000 Zuhörern – laut Abrechnung 1049 – überfüllt. Die Wachen waren verstärkt worden, um den außerordentlichen Ansturm zu ordnen. Statt einem Unteroffizier und drei Husaren wie üblich war die größte Streitmacht aufgeboten, die hier jenseits kaiserlicher und königlicher Besuche jemals eingesetzt war  : neben zwölf »Sonder-Billetteurs« zwei Unteroffiziere, drei Husaren, sieben ›gediente Gemeine‹, ein Polizeiwachtmeister und ein Gendarm. Die Anzeichen des ganz Außerordentlichen trogen nicht, die hochgespannten Erwartungen wurden vollkommen erfüllt. Dabei war es ein Konzert im üblichen Rahmen. Kein Virtuose vor Franz Liszt trat allein auf. Immer waren neben einem Orchester auch andere Vokal- oder Instrumentalsolisten dabei, das Virtuosenkonzert also vielfältig. Paganini spielte wie zumeist auf seiner 1828 begonnenen Konzertreise durch Österreich, Deutschland, England und Frankreich und wie auch vier Tage später in Rudolstadt drei seiner berühmtesten Werke. Das in zwei Abteilungen gegliederte Programm  : I.

II.

Spontini  : Rossini  : Paganini  : Cherubini  : Paganini  : Mozart  : Mozart  : Paganini  :

Ouvertüre zu »Die Vestalin« Arie mit Chor aus »Die Belagerung von Korinth« Violinkonzert Es-Dur Ouvertüre zu »Anacreon« Sonata militaria auf der G-Saite Duett aus »Die Entführung aus dem Serail« Instrumentalsatz Variationen zu »Nel cor più non mi sento« für Violine solo.

Unter Hummels Leitung waren 33  Hofkapellisten plus drei Posaunisten der Stadtmusik, 30 Choristen und die beiden Gesangssolisten Marie Schmidt und Karl Melchior Jakob Moltke am ganz außerordentlichen Erfolg beteiligt. Vor allem für die 22-jährige Sopranistin und Weimarer Fagottistentochter Marie Schmidt war dies ein glanzvoller Auftritt. Wieder konnte sich die Hofkapelle als eigener Klangkörper bewähren. Auch der finanzielle Erfolg des Konzertes war ganz außerordentlich. Obwohl Paganini 100 Friedrichsdor in Gold erhielt, also 590 Taler, zu denen noch 100 Taler aus der Schatulle der Großherzogin kamen (zusammen mehr als das Jahresgehalt eines Weimarer Musikdirektors), blieben noch 230 Taler übrig. Dies konnte neben dem künstlerischen Anteil der Weimarer Musiker argumentativ gut verwendet werden. Fünf Jahre war es her, dass der Kapelle eigenständige Konzerte von Oberdirektor Stromeyer untersagt worden waren. Der war nun weg und auf der 202

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Abb. 24  : ­Niccolò Paganini, Zeichnung aus Ludolf Vinetas Paganini-Buch von 1830.

Basis des spektakulären Paganini-Konzertes ein neuer Vorstoß naheliegend. Im Sinne des bekannten sozialen Engagements der Großherzogin Maria Paw­ lowna kleidete die Kapelle ihn in die Form, Konzerte für die Witwen und Waisen verstorbener Kapellmitglieder veranstalten zu wollen. Als Basis dafür gründete sie am 29. November 1829, einen Monat nach dem Paganini-Konzert, eine Pensionsanstalt für die Witwen und Waisen ihrer Mitglieder. Alle Orchestermitglieder und, als Ausnahme besonders vermerkt, der Chordirektor Häser traten bei. Vom Hofkapellmeister, den beiden Musikdirektoren und sechs gewählten weiteren Hofkapellisten geleitet, beschloss man neben der Höhe der Mitgliedsbeiträge und dem Durchführen einer alljährlichen »Jahreshauptversammlung« zwei Konzerte pro Spielzeit für diesen Fonds zu veranstalten. Der Großherzog erkannte dem Unternehmen »landesherrlichen Schutz« zu. Dementsprechend bat in der Folge die Hofkapelle jeweils durch ihren Kapellmeister und über die Intendanz das großherzogliche Paar, ihre Zustimmung und Anwesenheitszusage zu geben  ; beides war miteinander verbunden. Paganinis Erfolg verhilft zum Durchbruch 

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Die »Höchsten Herrschaften« drückten Hummel gegenüber dann ihr lebhaftes Interesse aus, äußerten Wünsche, und das Konzert konnte stattfinden, von »6 bis halb 9 Uhr«, wie es auf den Programmzetteln heißt. Jedes Konzert wurde – wie das von Paganini – mit 100 Talern aus der Schatulle der Großherzogin und zwischen 20 und 40 Talern von anderen Angehörigen der großherzoglichen Familie unterstützt. Natürlich genehmigte die Intendanz jetzt das Ereignis mit der 1822 verweigerten ganz wichtigen Zwölf-Tage-Frist zur Gewinnung des auswärtigen Publikums. Die nun beginnende Reihe der »Witwen-Waisen-Konzerte« war, vom Entwicklungsstand des öffentlichen Konzertlebens in anderen Städten her gesehen, ein bescheidener Anfang, nach den Auseinandersetzungen von 1824 ein noch viel bescheidenerer als mit den immerhin vier Konzerten von 1822. Aber sie fanden nun im Hoftheater statt, nicht mehr nur im Stadthaus am Markt. 14 Konzerte gab es dann noch zu Lebzeiten Hummels, dabei acht unter seiner Leitung. Das Herbstkonzert 1837 am 19. November, einen Monat nach seinem Tod, begann mit der Trauerkantate, die er 1828 zu den Trauerfeierlichkeiten für Großherzog Carl August und für seine eigene Trauerfeier komponiert hatte. Es endete mit Hector Berlioz’ »Femrichter«-Ouvertüre. Ganz im Sinne des Antrags von 1822 und des nunmehrigen Benefizzweckes wurden die »Konzerte für die Witwen und Waisen verstorbener Kapellmitglieder« grundsätzlich mit eigenen Kräften bestritten, mit Sängern des Hofthe­ aters und vor allem mit den besten Hofkapellisten als Solisten. Der Stern des Unternehmens war Hummel, als Dirigent und Pianist. Erschien auf der Programmankündigung, dass er eine seiner legendären »Freien Fantasien« spielen würde, war ein guter Besuch gesichert. »Seine« Konzerte lagen mit 600 verkauften Karten ein Drittel höher als die anderen mit etwas mehr als 400. Selbst als er am 9. März 1834 das neue Oratorium »Absalom« seines Dessauer Kollegen Friedrich Schneider geleitet hatte, spielte er im Anschluss noch eine »Freie Fantasie«. Was auf uns eher befremdlich wirkt, sicherte die Teilnahme des Publikums  : 584 Billets konnten abgerechnet werden. Hummels Improvisationskunst bewährte sich auch in seinem Eingehen auf Wünsche und Horizont seiner Zuhörer. Er war da ein freundlicher und keineswegs abgehobener großer Künstler. Ferdinand Hiller (1811–1885), von 1825 bis 1827 sein Schüler in Weimar und später selbst ein berühmter Musiker, ging das offensichtlich zu weit. Immerhin stammt von ihm das bestürzende Sprachspiel über die Werke seines Lehrers, sie seien zu modérn, um nicht bald zu módern. Über Hummels Improvisationen schrieb er Folgendes  : »Im Concertsaale bequemte sich der Meister dem Fassungsvermögen der zahl204

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reichen Zuhörer an. Bekanntlich liebt aber eine solche bunte Menge in den ihr gebotenen Improvisationen vor allem Melodien zu begegnen, die nicht im Momente entstehen, Motiven, die man kennt und liebt und deren arabeskenartiger Verschlingung man leicht und gern folgt. […] So mag denn Hummel in seinen öffentlichen Improvisationen öfters auf dieselben Themen (meistens Mozart’sche) zurückgekommen sein, um sie mit der anmuthigen, geistreichen Natürlichkeit zu behandeln, die ihm zu Gebote stand. […] Immerhin blieb es ein freies Spiel in dem Elemente, das er sich unterthan gemacht hatte. […] Herrlich aber war es, Ohr, Geist und Seele gefangen nehmend, wenn der Meister, meiner herzlichen Bitte oder auch einem momentanen Triebe folgend, sich an das Piano setzte und, unbekümmert um das, was um ihn her, gedankenvoll sich erging auf jener Claviatur, die dem Tondichter die Welt bedeutet. Welch ein Reichthum an Motiven, deren Eigenthümlichkeit zuweilen an das Seltsame streifte  ! Welch eine Macht über alle Mittel der Harmonie, der Mehrstimmigkeit, der Rhythmik. […] Noch so lange mochte es dauern, noch so Verschiedenartiges sich gefolgt haben, – nie verlor der Hörer die Anschauung eines harmonisch Gegliederten,  – nie verlor sich die Freiheit in Zügellosigkeit.«138 Auch das großherzogliche Paar wünschte sich immer – explizit über den Theaterintendanten von Spiegel im November 1832 –, Hummel möge das Konzert durch sein Spiel verschönern. Und Spiegel fügte hier hinzu  : »Ich war bereits im Begriff, Ihnen diese Bitte von mir selbst vorzutragen, allein dieser Höchste Auftrag macht meine eigenen Wünsche verstummen, da ich deren Erfüllung mit Gewißheit entgegensehen kann.«139 Wie vornehm ausgedrückt  ! Selbstredend geschah die Erfüllung auch, wieder gegen Ende des vielgliedrigen Programms. Hummel selbst wirkte jenseits seiner Improvisationen, die als letzte oder vorletzte Nummer platziert waren und in denen er oft von bekannten Mozart-Melodien ausging, auch als Solist eigener Klavierkonzerte mit. Nur in seinem letzten Konzert nach langer Krankheit am 19. März 1837 spielte sein Sohn Eduard Hummel den Solopart in einem »Großen Klavierkonzert« des Vaters. Nur in diesem Konzert erklang eine Sinfonie des Ziehvaters und Vorbilds Mozart (»Pariser Sinfonie« KV 297). Ansonsten standen in seinen acht »Witwen-Waisen-Konzerten« die zum eigenen Werk kontrastintensiven Sinfonien und Ouvertüren des Freundes Beethoven im Zentrum. Nicht diesmal also. Da gab es neben zweimal Rossini und Berlioz’ »Femrichter-Ouvertüre« noch einen Teil der »Faust«-Musik von Anton Fürst Radziwill, wohl auch als Verweis auf den fünf Jahre zuvor verstorbenen Goethe, und eben Hummels Improvisation. Gerade diese letzte öffentliche »Freie Fantasie« war nach dem Paganinis Erfolg verhilft zum Durchbruch 

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Bericht des Rezensenten der umjubelte Höhepunkt des sehr erfolgreichen Konzertes vor 625 Hörern (498 verkaufte Karten, 127 Freibillets vor allem im Parterre). Inspiriert vom Schwung des ganz außerordentlichen Paganini-Konzertes hatte die Hofkapelle sich und dem Publikum regelmäßige öffentliche Konzertereignisse im Hoftheater eröffnet, wenn auch jährlich nur zwei. Damit hatte man zur anderswo weiterentwickelten Situation ein klein wenig aufgeschlossen. Der aufhaltsame, sehr langsame Aufstieg der emanzipierten Instrumentalmusik in Weimar konnte allmählich eine neue Ebene erreichen. Als Werke dafür entscheidend wurden in den 1830er Jahren die Sinfonien Ludwig van Beethovens. Zudem war die soziale Komponente der Konzerte wesentlich für das Selbstverständnis der Kapelle, die »Witwen-Waisen-Konzerte« hatten bis zum Ende des Jahrhunderts Bestand. Dresden und Berlin waren hier 1826 vorweggegangen, Weimar folgte im europäischen Revolutionsjahr 1830.

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27. KUNST UND LEBEN »Hochwohlgeborner, Hochzuverehrender Herr Ober-Marschall  ! Die allgemein bekannten, eben so gerechten als gütigen Gesinnungen Euer Hochwohlgeboren geben mir bei meiner jetzigen Lage Mut und Vertrauen, mich Hochdemselben ehrerbietigst zu nahen und in Beziehung auf meine jetzige Lage unterthänigst nachstehende Bitte zu Füßen zu legen. Seit 10 Jahren in hiesiger Hofkapelle, 3 Jahr ohne, 4 Jahr mit 40 Rth. und in der übrigen Zeit mit 100 Rth. Besoldung angestellt, war mein stetes Streben die höchste Zufriedenheit durch treue Dienstleistung zu erlangen und mich einer gnädigen Berücksichtigung durch Diensteifer und Leistung wert zu machen. In dieser Zeit wurde ich genötigt einen Teil des mir zufallenden elterlichen Vermögens zuzusetzen, bei der Hoffnung, vielleicht mit der Zeit eine sorgenfreie Existenz durch ein verbessertes Diensteinkommen zu erlangen. Meine Lage war ernst und schwer und wurde mir nur durch die Bekanntschaft einer sehr achtungswerten Familie, die des hiesigen Tünchermeisters Hütter, erleichtert, an welche mich bald innige Liebe und Freundschaft zu der ältesten Tochter im Hause hinzog. Seit 7 Jahren besteht bereits mit derselben eine genaue Bekanntschaft, bei welcher ich mein 37, das Mädchen selbst ihr 27 Lebensjahr erreichte, ohne daß uns eine Erfüllung unsers sehnlichsten Wunsches, eine eheliche Verbindung zu schließen, wegen der bisherigen Stellung, werden konnte. Ob nun gleich unsere Liebe durch Zeit und Umstände nicht geschwächt wurde, so hatten wir doch durch das hoffnungslose Verfließen der schönsten Jahre, wie durch Anfeindung und dem bösen Charakter so mancher Menschen viel zu leiden, wodurch am Ende in der jetzigen Zeit der elterliche Wunsch, uns beide ehelich verbunden zu sehen, mehr als je zur Sprache gebracht wurde. Dadurch getrieben, und durch die überall gerühmte Menschlichkeit Euer Hochwohlgeboren ermutiget, wage ich es daher, Hochdieselben zu bitten, bei einer mäßigen Besoldungserhöhung gnädigst auf mich Rücksicht zu nehmen, und im Fall die Umstände, wie so leicht möglich, dem menschenfreundlichen Mitwirken Euer Hochwohlgeboren für jetzt hierin ein Hindernis sein sollten, sich für eine Titelerhöhung für mich Kunst und Leben 

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gnädigst zu verwenden, damit wenigstens hierin ein Hindernis zu meiner Verheiratung beseitiget wäre. Ich werde eine solch ausgezeichnete Gnade mit dem innigsten Danke erkennen und mich derselben durch noch größeren Diensteifer immer mehr wert zu machen suchen, während zwei glückliche Gatten dann die Gnade Euer Hochwohlgeboren zeitlebens als Grundstein ihres wahren Glückes erkennen würden. Indem ich mit hoffnungsvollem Vertrauen mein Schicksal in die Hände Euer Hochwohlgeboren lege, verharre ich in tiefster Verehrung Euer Hochwohlgeboren unterthänig gehorsamster Diener Weimar, den 31. Mai 1831 Friedrich Wollweber« 140

Welch zurückhaltend erschütternde Äußerung eines Hofkapell-Anwärters nach zehn Jahren Dienst im Ensemble. Gewiss ist es längst üblich, solche Äußerungen zu kontextualisieren. Die Sicht wird dabei differenzierter. Da es hier aber nicht um die individuelle Bewertung der Leistung und Entlohnung des Akzessisten Friedrich Wollweber geht, sondern um ein signifikantes Zeugnis zur sozialen Lage einer Schicht von jungen Musikern, ist dies eher nachrangig. Lassen wir das Gesuch für sich stehen. Dennoch ist seine Resonanz schon durchaus interessant, zumal es in eine schon länger schwelende Auseinandersetzung zur Musikerbesoldung hineingeriet. Hummel war Ende 1828 von der neuen Intendanz zu einem Gutachten über Leistungsanforderungen und notwendige Finanzausstattung der Hofkapelle aufgefordert worden und hatte sich in seinem Bericht vom 12. März 1829 explizit gegen die Beteiligung von nicht oder nur gering bezahlten Kräften gewandt. Vor allem aber wollte er das System geändert wissen. Durch Protektion solle niemand mehr in die Kapelle kommen. Um alle Positionen solle konkurrenzorientiert gespielt und der Beste ausgewählt werden. Die Positionen sollen stellenbezogen mit einem festen Gehalt zwischen 200 und 500 Talern verbunden sein. Daneben müsse es leistungsbezogene Zulagen geben  : »Alles was auf besondere Virtuosität, auf Rücksicht langjähriger Dienstzeit u. d. gl. in pekuniärer Hinsicht eine à parte Vergünstigung erheischt, kann nur im Wege der Gratification über die festgesetzte Norme geschehen.«141 Ebenso sei der Titel Kammermusiker an Solospiel und Virtuosität zu binden. Es war wohl eher die Ablösung höfischer Hierarchie (hier mit dem Hoch-Dienen-Müssen vom Akzessisten zum Hofmusiker und evtl. gar Kammermusiker) durch einen eher bürgerlich-leistungsorientierten Ansatz als die Gesamthöhe von 10.400 Talern (bislang etwa 9500), der das Gutachten ohne 208

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aktenkundige Antwort bleiben ließ. Hummel wiederholte seine Vorschläge im März 1832, wiederum erfolglos. Hinsichtlich seiner Ablehnung der Anstellung von Akzessisten hatte er sich allerdings schon zuvor durchsetzen können. Das Gesuch Wollwebers bewirkte, dass alle drei Akzessisten Wollweber, Röder und Wintzer zu Hofmusikern ernannt wurden. Als im Zuge der Vergrößerung der Hofkapelle 1833 doch wieder zehn Akzessisten angestellt worden waren, gelang Hummel wenigstens, sie nach nur relativ kurzer Bewährungszeit per Verfügung vom 16. Juni 1835 alle zu Hofmusikern aufrücken zu lassen. Im Übrigen beklagte Hummel den hohen Verschuldungsgrad seiner Hofkapellisten, verbunden mit dem Vorschlag, zukünftig Vorschüsse nur noch in geringer Höhe zu gewähren. Nun ja. Das Gesuch des Flötisten Johann Christian Lobe vom 17. Januar 1839 ist jedenfalls ebenso bewegend wie das des Geigers und Bratschers Friedrich Wollweber. 1797 als Strumpfwirkersohn in Weimar geboren und von Maria Pawlowna finanziell unterstützt, konnte Lobe dennoch – wie wir aus den diesbezüglichen Akten wissen – seine durch Aus- und Weiterbildung aufgelaufenen Schulden erst 1864 tilgen. Um das zu erreichen, hatte er nebenbei 1840 ein »Lehrinstitut für die musikalische Composition« begründet, hier Schüler selbst über Thüringen hinaus ausgebildet und sich nach mühsam erreichter Pensionierung dann – in Leipzig – als Musikschriftsteller (»Katechismus der Musik«) bewährt. Es mag sein, dass dieses Problemfeld im großen Bereich Kunst und Leben durch Richard Wagner ein wenig verstellt ist. Gesuche wie das obige schärfen aber den Blick auf damals überaus beengte soziale Bedingungen des Musiker-Seins, wenn familiärer Reichtum oder zumindest Wohlstand fehlte. Noch vor 1848 führten 16 (1837) bzw. vier (1842) Weimarer Hofkapellisten in der neuartigen Form gemeinschaftlicher Gesuche Klage über ihre »trostlose und jammervolle Lage«. Sie wurden scharf zurückgewiesen.

Kunst und Leben 

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28. »EIN TIROLERLIED« UND »OBERONS ZAUBERHORN« 1830 »Ein Tirolerlied«, genauer  : Ein Lied in Tiroler Art mit Variationen für Sopran und Orchester op.  118. Noch vor wenigen Jahren hätte ich es für schlechthin unmöglich gehalten, Bemerkungen zum Komponisten Johann Nepomuk Hummel ausgerechnet damit zu beginnen. Da es doch geraten schien, das unhöfliche (besser  : unverschämte) Bonmot seines Schülers Ferdinand Hiller, Hummels Werk sei zu modérn um nicht bald zu módern, eher zu entkräften als die dahinterstehende Meinung zu bedienen, Hummel habe im Schatten seines hochverehrten Freundes Beethoven »vielleicht zu sehr die freundlichsten Pfade gesucht.« Richtig ist, dass das opus  118 Hummels, im Klavierauszug vom Wiener Verleger Tobias Haslinger präzise überschrieben mit »Air à la Tirolienne avec variations«, eine sehr freundliche Musik ist. Woher kamen die Anregungen, woher das Wissen über die musikalischen Eigenheiten Tiroler Lieder  ? Nun, Volkssänger aus den Alpen wie aus anderen kargen Landstrichen zogen vor allem winters durch Europa, um sich den Lebensunterhalt aufzubessern. Volkssänger aus Tirol hatten über die allgemeine soziale Solidarität hinaus das Mitgefühl mit dem politischen Schicksal Tirols nach 1809 auf ihrer Seite. Und sie konnten jodeln, d. h. wie niemand anderes mit einer ganz besonderen gesanglichen Eigenart aufwarten. Dies setzte sie in eine Sondersituation, die ihnen auch die großen Theater öffnete. Anders als viele durchreisende Virtuosen wurden sie im Weimarer Hoftheater mehrfach in jener Zeit zur Zwischenaktmusik zugelassen. Beispielsweise musizierten hier am 16.  Oktober 1826 die fünf Geschwister Rainer aus dem Zillertal mit »sechs Nationalliedern mit Jodelbegleitung«, wie der Programmzettel des Abends ausweist. National-

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melodien besonders hoch zu schätzen hatte sich seit Herders Veröffentlichungen ein halbes Jahrhundert zuvor längst durchgesetzt. Wegen des besonderen Erfolgs traten sie nochmals am 18. und 21. Oktober mit je sechs Nationalliedern auf. Am 27. Oktober 1828 folgten die Gebrüder Leo aus Zell im Zillertal wieder mit »sechs Nationalliedern mit Jodel- und Zitherbegleitung« usw. usw. Unser Tiroler Lied hat einen italienischen Text. Dies hängt gewiss vor allem mit der Sängerin zusammen, für die die Variationen komponiert wurden und der Hummel das Werk 1831 auch widmete, mit Maria Malibran-García (1808–1836), »der Malibran« in London und Paris. Die um 1830 berühmteste Sängerin überhaupt war auch die Solistin der Uraufführung. Welchen Text hatte sie zu singen  ? »Carina, senti un poco come batte questo core, deh senti pietà del mio dolor  ; un tenero sguardo tu volgi a me  ! diri doi di dia doi doi doi di, diri doi di diri doi doi ridio.« In Variation I werden die beiden letzteren Verse (diridoi di usw.) ersetzt durch »ed il core nel petto giubilar mi farà.« Die deutsche Übertragung im Klavierauszug (nicht von hohen »Wohlverdeutschungs«-Graden)  : »Diess Herz nur fühle schlagen  ; und sein Pochen wird dir sagen, für dich schlägt’s allein in Lust und Pein dein Aug lass mir tagen im Strahlenschein mich glücklich sein  ! diri doi di …«. Statt diri doi di in Vari­ ation I  : »dann wird immer sein Schlagen nur ein freudiges sein.«142 Das mit diesem Text verbundene Lied im Dreivierteltakt – es ist die Basis der dann folgenden vier Variationen – wird eingeleitet von einem 16-taktigen Orchestervorspiel, das an den Anfang des Bauernwalzers aus Webers »Freischütz« erinnert. Seine folkloristische Prägung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, in welcher Sphäre es weitergeht. Vor allem der dritte Teil des Liedes mit seinen Jodel-Anklängen auf diri doi di bestätigt dies auch nachdrücklich. Dann aber werden Variationen entwickelt, die geradezu das Gegenteil von volksliedhafter Einfachheit und Intonation bedeuten. Die Sopransolistin hat mit zunehmend halsbrecherischer vokaler Virtuosität aufzuwarten. Triolischen Melismen mit Echo-Effekten zu Flöte und Klarinette (und dem neuen Text statt diri doi di) in der 1. Variation folgt in der 2. eine durchsyn­ kopierte Melodik mit Sechzehntel-Figuren. Als »Kehrreim« ist der diri doi di-­Teil aber nahezu unverändert. Ein Orchester-Zwischenspiel nimmt dann die durchsynkopierte Gestaltung auf und mündet in die Dominante C-Dur. Anstatt im bisherigen F-Dur geht es nun in der gleichnamigen Molltonart weiter, mit einer slawisch-ungarisch geprägten Adagio-Variation im hochdramatischen Gestus und mit ausgeprägten Kadenzen für die Solistin. Hummel, aus Preßburg (heute Bratislava) stammend, schickt seine italienisierten Tiroler quasi in seine heimatliche westungarische Sphäre. »Ein Tirolerlied« und »Oberons Zauberhorn« 

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Wieder in F-Dur, in schnellem Tempo und noch mehr beschleunigt durch jetzt durchgehende Sechzehntel-Koloraturen, bringt die 4.  Variation den virtuosen Höhepunkt des Werkes, aufgipfelnd in einer großen sechstaktigen Kadenz auf »ah  !«. Schließlich verebbt die Gespanntheit auf »ah doi di dio ridio« hin zu einem lang liegenden leisen F-Dur-Akkord. Ein leiser Schluss  ? Mitnichten. Ein Valse als »Rausschmeißer« schließt sich an, von der Solistin auf »dai dai doi doi da, di doi do da« (welch Variante  !) gesungen. Wer grüßt mit diesem Schlusstext wen  ? Der als Tiroler verkleidete Hummel (über seine Starsopranistin Maria Malibran) aus London mit italienischer Koloratur-Bravour die Völker am Donau-Knie  ? Jedenfalls ist es ein reizvolles Werkchen, eine Variationenreihe mit großen Anforderungen an eine »brillante Gurgel«, damals die Gurgel einer ganz großen Sängerin des 19.  Jahrhunderts. Inzwischen liegt es auf CD vor, sodass man sich bequem daran erfreuen kann.143 Diese CD im Jahr 2004 und eine im Folgejahr (Hummel. Ouvertüre und Konzerte DS 1092–2, LC 06652) boten mir eine gute Gelegenheit, meinen Hummel-Horizont zu erweitern. Mit dem Weimarer Hofkapellmeister und seinem diesbezüglichen Wirken hatte ich mich in den 1970er-Jahren im Rahmen meiner Dissertation zum Weimarer Musikleben zwischen 1756 und 1861, also zwischen der Ankunft der Herzogin Anna Amalia und dem Weggang Liszts nach Rom, durchaus intensiv beschäftigt. Die Klavierkonzerte As-Dur, a-Moll und h-Moll kannte ich von Schallplatten bzw. von Noten gut, ebenso die fis-Moll-Klaviersonate. Denn aufgeführt wurden seine Werke dazumal eher selten. Das 200. Geburtsjubiläum im November 1978 brachte zwar eine kleine wissenschaftliche Konferenz mit sich, viel Musik dabei aber leider auch nicht. Dafür die Proklamation, eine neue und umfassende Hummel-Monografie sei nach der von Karl Benyovszky (1934) endlich nötig. Dieselbe Forderung wurde beim nächsten Jubiläum 1987, 150  Jahre nach Hummels Tod in Weimar, vehement wiederholt. Im Jahrzehnt dazwischen war also nichts erreicht, für unsereins im Übrigen wegen der Quellenlage mit einem Zentrum in Düsseldorf auch grundsätzlich ausgeschlossen, da jenseits der Grenze und damit nicht erreichbar. Im Mai 2004 dann die Anfrage, ob ich einen kleinen Text für das Booklet jener ersten CD schreiben würde. Natürlich tat ich dies gern, zumal ich mich zwei Jahre zuvor der Staatskapelle Weimar durch ein Buch über ihre vielhundertjährige Geschichte verbunden hatte. Das aus ihr kommende Thüringische Kammerorchester Weimar sollte unter Leitung des 1.  Kapellmeisters Martin Hoff die CD gemeinsam mit den Solisten Heike Porstein, Sopran, Brigitte Hor212

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litz, Oboe (für die Variationen op. 102), und Rolf-Dieter Arens, Klavier (für »Oberons Zauberhorn« op.  116) einspielen. Was dann auch geschah. Insbesondere ging es um die beiden Welt-Ersteinspielungen von »Tirolerlied«-Variationen und »Oberons Zauberhorn«. Vor allem letzterem Werk bin ich seitdem sehr verbunden. Ein Jahr später folgte dann als eine weitere Weltersteinspielung die des A-Dur-Klavierkonzertes WoO  24  a, wieder mit meinem lieben Kollegen Rolf-Dieter Arens. Abermals hatte ich den Booklet-Text zu schreiben. Dabei kam mir ein anderer freundschaftlicher Kontakt sehr überraschenderweise zugute. 1990 hatte ich die Granden der bundesdeutschen Musikpädagogik und ihres Verbandes Deutscher Schulmusiker kennengelernt, dabei Prof. Dr. Dieter Zimmerschied aus Mainz. In meiner Zeit als Rektor 1993–2001 hat er mich dankenswerter Weise in der Lehre weitgehend vertreten, zusätzlich zu der seinen in Stuttgart. Längst waren wir Freunde geworden, und auch um Hummel in Weimar war es im Gespräch schon mal gegangen. Dann erwähnte er irgendwann zu meiner großen Verblüffung, der Gegenstand seiner Dissertation sei Hummels kammermusikalisches Werk gewesen. Mein inzwischen viel zu früh verstorbener lieber Freund entpuppte sich also als Hummel-Experte samt der Erstellung eines Werkverzeichnisses 1971. Was mich dann aber im Umfeld jener zweiten CD geradezu elektrisierte, war sein Bericht, wie er eben jenes A-Dur-Klavierkonzert WoO 24 a gefunden hatte. Es klang wie ein Märchen. Bei den Recherchen zu seiner Dissertation stieß er 1964 darauf, dass sich bei der Urenkelin Maria Hummel in Florenz noch unbekannte Quellen befinden könnten. Die etwa 60-jährige Dame habe ihn nach Florenz eingeladen. Dort habe er dann einen sehr langen Abend vor einer großen Truhe voller Dokumente und Notenmanuskripte gesessen (und die alte Dame neben ihm) und den Schatz mustern dürfen, ein um das andere Mal hin- und hergerissen  : Briefe Beethovens, Mozarts, Constanze Mozarts, der Totenschein Mozarts, Briefe und Notizen Hummels, andere unveröffentlichte Dokumente und Noten über Noten. Heute sei das alles im Goethe-Museum Düsseldorf. Ja Düsseldorf, leider nicht Weimar. Er habe es Weimar angeboten. Sei aber nichts geworden, weshalb auch immer. Das A-Dur-Konzert, Hummels zweites seiner neun Klavierkonzerte, dessen Veröffentlichung der Komponist im Übrigen untersagt hatte, habe er auf der Basis der Stimmen in der Truhe 1972 im Druck herausgegeben. Lange sei dies unbeachtet geblieben. Und wir frotzelten über unsere Hummel-Erfahrungen. Ich bekannte meinen Neid hinsichtlich der Florenzer Truhe, er meinte, wir hätten in Weimar gar keinen Grund, bei den vielen Erinnerungsmomenten aller Art neidisch zu sein. »Ein Tirolerlied« und »Oberons Zauberhorn« 

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Und ich könne ohnehin still sein, wo mein Urgroßonkel schließlich Hummels enger Freund und Vormund seiner Kinder gewesen sei. Nun ja. Ich replizierte wenigstens noch, was eine Erinnerungsverantwortung wert sei, der nicht oder gerade mal seit ein paar Jahren ein wenig entsprochen werden könne. Wir einigten uns darauf, dass die beiden CDs ein ganz guter Beitrag wären. Jetzt wäre es an der Zeit, Näheres zu jenem A-Dur-Klavierkonzert und seiner durchaus besonderen Aufführungsgeschichte zu sagen, vielleicht auch zu philosophieren über Fragen, die mit jenem Veröffentlichungsverbot des Komponisten zusammenhängen. Jedoch  : »Oberons Zauberhorn« wartet ja auch noch auf ein paar Bemerkungen. Und Oberon ist mir noch lieber und Weimar vielfältig näher. Also  : »Oberons Zauberhorn«, Fantasie für Klavier und Orchester op. 116. Das der Großherzogin gewidmete Werk erklang mit dem Komponisten als Solist und Dirigent im allerersten so bezeichneten »Konzert der großherzoglichen Hofkapelle für Witwen und Waisen verstorbener Kapellmitglieder« am 14. November 1830 im gut besetzten Hoftheater. Mehr als 600 Hörer erlebten folgendes Programm  : 1. Abteilung  :

1) Beethoven  : Leonoren-Ouvertüre 2) Rossini  : Duett aus »Tancred« (Streit, Genast) 3) Hummel  : »Oberons Zauberhorn« (Hummel) 4) Cherubini  : Großes Finale mit Chören aus »Die Abenceragen«

2. Abteilung  :

5) Wassermann  : Doppel-Variationen für zwei Violinen (C. Eberwein, Götze) 6) Rossini  : Terzett aus »Cyrus in Babylon« (H. Eberwein, Schmidt, Moltke) 7) Freie Fantasie auf dem Pianoforte (Hummel) 8) Beethoven  : Die Schlacht bei Vittoria und Sieges-Sinfonie.

Das Programm ist entsprechend dem Zeitstil bunt im Wechsel von vokalen und instrumentalen, konzertanten und sinfonischen Beiträgen. Aber es ist nichts weniger als wahllos zusammengestoppelt, ist im Gegenteil ein Meisterstück diplomatischen Geschicks. Als Rahmen Beethoven, quasi programmatisch, wenn die schwergewichtigeren Sinfonien 3, 5 und 6 auch erst in den Folgekonzerten erklangen. Dann das diplomatische Entgegenkommen durch Solo-Verpflichtung  : gegenüber den beiden neuen Gesangsstars Wilhelmine Streit und Eduard Genast ebenso wie gegenüber den beiden Musikdirektoren (und Primarien der 1. und der 2. Violinen) Carl Eberwein und Johann Nikolaus Conrad Götze, mit einem der bekannten Violinduo-Werke des Spohr-Schülers und nunmehrigen Musikdirektors in Basel Heinrich Joseph Wassermann. Die ehemals neben Caroline Jagemann und Karl Stromeyer zwei Jahrzehnte lang führenden 214

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Sänger Henriette Eberwein und Karl Melchior Jakob Moltke sind ebenso einbezogen wie die junge Marie Schmidt und das große Gesangsensemble. Welch Programm, in dem die beiden Glanzpunkte Hummels jeder für sich gut eingebettet zum Glänzen kamen. »Oberons Zauberhorn, charakteristische Fantasie für Klavier mit Orchesterbegleitung« – so auf dem Programmzettel von 1830 – war als op. 116 das neueste Klavierkonzert Hummels, programmatisch überschrieben und in der freieren Form einer fünfteiligen Fantasie. Ein Werk, bei dem sich das Publikum viel denken, viel Fantasie entwickeln konnte, mehr als bei einem seiner formal üblichen Klavierkonzerte. Was könnte dies bei einem gut gebildeten Weimarer Hörer von »Oberons Zauberhorn« im November 1830 gewesen sein  ? Und was war die Basis dafür, was konnte er dazu auch tatsächlich hören  ? Natürlich kannte er das Sujet, noch von Wieland her, kannte er Shakespeares »Ein Sommernachtstraum«. Er hatte da auch etwas gelesen. Und er hatte »Die Zauberflöte« Schikaneders und Mozarts mit ihren Beziehungen dazu verinnerlicht. Er war quasi mit Zauberflöte und Glockenspiel und ihren wundersamen Wirkungen aufgewachsen. Wranitzkys »Oberon«-Oper nach Wieland kannte er, wenn er älter war, wohl auch. Alle aber konnten die neueste Opernversion des Stoffes von Carl Maria von Weber kennen  ; sie war am 21. Mai 1828 in Weimar erstaufgeführt worden. Die großartige Ouvertüre mit dem eröffnenden solistischen Hornruf war schon über ein Jahr zuvor erklungen, zu Beginn des Benefizkonzertes »zum Besten des Weimarer Frauen-Vereins« am 18. Februar 1827 im Stadthaus, in dem unter Leitung Hummels sein Schüler Ferdinand Hiller mit einem »Rondo brillant« auftrat. Selbstredend trug sein Meister mit einer »Freien Fantasie auf dem Pianoforte« sehr zum Gelingen des Abends im Umfeld des Geburtstages der Erbprinzessin als Gründerin des Frauen-­Vereins 1817 bei. Der Gedanke, Hummel könnte hier Webers Hornruf in seine Improvisation einbezogen haben, ist spekulativ, aber verführerisch. Wie auch immer. Wenn man bedenkt, dass die Oper des wenig später verstorbenen Komponisten erst im April 1826 im Londoner Covent-Garden-Theater uraufgeführt wurde und im Februar 1828 erstmals in »seinem« Dresden sowie vier Monate später in Berlin zu erleben war, war Weimar mit seiner Verneigung vor dem genialen Opernkomponisten früh dabei, noch vor dem »Moses« Rossinis. Musikorientiert gesehen ist das Zauberhorn das zentrale Moment des Oberon-Stoffes, in dem es eine herausragende Rettungsrolle spielt. Es ruft, wenn es ertönt, in Blitzesschnelle Oberon und seine Geister herbei. Oder deren Kraft. Jedenfalls bewirkt es als eine der wundersamsten Erfindungen menschlicher »Ein Tirolerlied« und »Oberons Zauberhorn« 

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Fantasie die sofortige Verwandlung einer (bedrohlichen) Situation. Die bösen Kräfte werden an die Stelle gebannt oder – noch wunderbarer – bewogen, tanzend zu verschwinden. Damit aber ist das Zauberhorn gleichzeitig ein Ursymbol der Wirkung von Musik  : Musik verwandelt Menschen. Wenn es märchenhaft zugeht, mit sofortiger, radikaler Wirkung. Hummel bezieht sich explizit auf den Hornruf, den Weber an den Anfang seiner Ouvertüre setzte. Webers Dreiton-Motiv mit Grund-, Sekund- und Terzton in D-Dur (einfacher geht es kaum) ist durch einen doppelpunktierten Rhythmus mit »Pfiff« versehen. Hummel glättet ein, geht also auf die allereinfachste Form des Dreiton-Motivs zurück, um es im Verlauf der Fantasie als zentrales Motiv vielfach verwandeln zu können. Es ist das Kernmotiv des Werkes. Und es ist es schon von Anfang an, ist also auch Kopfmotiv, deutlich auf Weber verweisend. Allerdings erklingt es zu Beginn mit kleiner Terz, also in Moll, vom Orchester unmissverständlich zweifach gespielt und von Kadenzen des Klaviersolisten unterbrochen und fortgeführt. Das variierte Weber-Zitat in streichorchesterdominierter Anfangsfarbe und die individuelle Antwort des Pianisten (der der Komponist ist) wechseln sich ab  – ein Klavierkonzert beginnt sich zu entwickeln. Die Bezeichnung des Werkes  – »Oberons Zauberhorn, charakteristische Fantasie für Klavier mit Orchesterbegleitung« – verweist mit »Fantasie« auf die freiere Form  : nicht Klavierkonzert mit drei voneinander geschiedenen Sätzen, sondern Werk mit mehreren ineinander übergehenden Teilen. Nichtsdestoweniger ebenso »für Klavier mit Orchesterbegleitung« (wir sagen heute »Klavier und Orchester«, um die Balance im Konzertieren, den Dialog klarer werden zu lassen) wie bei einem Klavierkonzert, das das Werk letztlich darstellt. Das »charakteristisch« verstärkt den zuvor im Titel bezeichneten programmatischen Bezug. Die verwandelnde Entwicklung des Kopfmotivs im Verlauf der fünf Teile – immer ist es ein Motiv der unterschiedlichen thematischen Gestalten – trägt das Werk und hält es in seiner charakterlichen Vielfalt zusammen. Die Groß­ entwicklung entspricht dabei der der klassischen Sinfonik, der Rahmen eines »Per aspera ad astra«-Verlaufs ist verbunden mit den bekannten Grundcharakteren der dort vier Sätze (Auseinandersetzung – Verinnerlichung – tänzerische Entäußerung – freudiges Finale). Der Tanz ist hier ein kurzer Marsch, ihm folgt unvermittelt kontrastierend eine Gefährdung in Form eines durchchromatisierten »Seestückes« (4.  Bild  : »Stürmisches Meer), das der Assozi­ ationskraft des Publikums ebenso nahe sein dürfte wie etwa das »Gewitter« in Beethovens 6. Sinfonie. Schließlich ermattet die leidenschaftliche Aufgewühlt216

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heit dieses düsteren Bildes. Dies ist dann der richtige Zeitpunkt, mit Oberons Zauberhorn das heitere Finale herbeizurufen. Nun erst und nun also ertönt das Dreitonmotiv als Hornsolo und in Dur und gleicht so bis auf die Doppelpunktierung dem Hornsolo zu Beginn der Weber’schen Ouvertüre. Wieder ertönt es (wie zu Beginn) zweifach, von Klavierakkorden beantwortet. Dann wird es zum hellen Finalthema fortgesponnen, das durch seinen vertrackten zweiten Teil die Einfachheit des dreitonmotivgestützten Anfangs spannend konterkariert – eine intonatorische Anspielung auf die westungarische Heimat des Komponisten  ? Das klanglich mitreißende, freudig spielerische Finale im Dreiertakt bildet jedenfalls einen würdigen konzertanten Schlussakzent des ebenso musikantischen wie symbolkräftig aufgeladenen 20-minütigen Werkes. Es endet klangintensiv und mit dem Zauberhorn-Kopfmotiv in hellem Durund Hörner-Glanz, dem der Solist noch eine Vorhang-zu-Passage mit kräftig nachklappendem Schlussakzent hinterherschickt. Fine  ! Was hätte wohl Mozart zu diesem Klavierkonzert seines einstigen Ziehkindes gesagt, wenn er anlässlich seines bevorstehenden 75. Geburtstages endlich zu einer Ehrung nach Weimar gekommen wäre, Goethe besucht und dieses Konzert erlebt hätte  ? Und wir, wie finden wir es  ? Zumindest doch große, klug dem Publikum zugewandte Musik. Ist das aber nicht die freundliche Haltung eines großen Künstlers, die wir inzwischen ebenso schätzen wie das Verhalten eines »Originalgenies«  ? Sind also die »freundlichen Pfade« Hummels nicht eine Stärke, zumindest aber eben keine Schwäche  ? Und im Vergleich zu den »ewigen Gipfeln« quasi eine grüne Almwiese, sehr menschlich, wie das Jodeln in jenem »Tirolerlied«  ? Ich jedenfalls liebe »Oberons Zauberhorn« genauso wie Beethovens G-Dur-Klavierkonzert.

»Ein Tirolerlied« und »Oberons Zauberhorn« 

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29. EIN STERN ERSCHEINT, ODER  : WIE ANGELT MAN SICH EINEN HOCHK AR ÄTER Am 17.  Oktober 1837 war Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel verstorben. Bewerbungen um die Nachfolge trafen ebenso ein wie sich der Hof seinerseits über Mittelsmänner gezielt um Kontakte zu geeignet erscheinenden Persönlichkeiten bemühte. Im Dezember fasste Oberhofmarschall von Spiegel als der Intendant des Hoftheaters und der Hofkapelle zusammen, es kämen Felix Mendelssohn Bartholdy, Wolfgang Amadeus Mozart d. J. und die beiden Kapellmeister Vincent und Franz Lachner in Mannheim bzw. München infrage. Der Sohn Mozarts wirkte als Gesangslehrer in Lemberg, war aber als sehr guter Pianist und Kapellmeister bekannt. Goethes Felix war seit 1835 Kapellmeister der Gewandhauskonzerte in Leipzig, als Pianist und Komponist bereits vielberühmt und in Leipzig wie Berlin stark verankert. Goethes Felix  ? Ja, gewiss. Am Anfang, als Zelter dem Freund seinen 12-jährigen Zögling und Wunderknaben 1821 im Haus Am Frauenplan präsentierte, mag es wohl vor allem großväterliche Aufwallung gewesen sein. Die Bindung vertiefte sich aber bei den Besuchen 1822 und 1825 sehr, bei beiden. Für Felix, den überaus intensiv erzogenen bildungsbürgerlichen Berliner Jungen, war Goethe nun neben dem Vater und dem Lehrer Zelter die dritte Autorität in seinem Leben. Für Goethe war Felix die Inkarnation eines genialen Knaben und jungen Musikers. 1830 war Felix mehrere Wochen am Frauenplan zu Gast. In seinen »Reisebriefen aus den Jahren 1830 bis 1832« schreibt er unter dem 25. Mai 1830  : »Vormittags muß ich ihm ein Stündchen Clavier vorspielen, von allen verschiedenen großen Componisten, nach der Zeitfolge, und muß ihm erzählen, wie sie die Sache weiter gebracht hätten  ; und dazu sitzt er in einer dunklen Ecke, wie ein Jupiter tonans, und blitzt mit den alten

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Augen.«144 Würde Felix Mendelssohn Bartholdy trotz Leipziger und Berliner Bindungen der neue Stern in Weimar werden, dessen man überaus dringend bedurfte  ? Man hoffte es, man drängte. Wohl etwas zu sehr. Denn der Ersehnte schrieb an den Vermittler, den Weimarer Hofrat in Leipzig Dr. Georg Keil  : »Leipzig d. 24. März 1838 Hochgeehrter Herr Hofrath Auf die Mittheilung, welche Sie mir hinsichtlich der Hofkapellmeisterstelle in Weimar zu machen die Güte hatten, erlaube ich mir Ihnen zu erwiedern, daß ich nicht im Stande bin eine bindende Erklärung meinerseits, wie Sie sie verlangten, darüber abzugeben  ; die dortigen Verpflichtungen sowohl, als die Bedingungen sind mir zu wenig bekannt, der dreimonatliche Urlaub, von welchem Sie mir sagten, wäre das einzige Bestimmte, das ich darüber weiß  ; da Sie selbst aber andrerseits so die Vorzüge meiner hiesigen Stellung kennen, so werden Sie gewiß mit mir finden, daß dieselben gerade für mich nur sehr schwer zu ersetzen wären, und mirs nicht verdenken, wenn ich mich nicht leicht entschließe, sie aufzugeben. Wüßte ich Näheres über die dortigen Verhältnisse, so würde ich mich sogleich bestimmter darüber aussprechen können  ; soll ich aber in diesem Augenblicke eine entscheidende Antwort geben, so ziehe ichs vor die Anerbietung in Weimar, so schmeichelhaft sie mir ist, abzulehnen, als mich zur Niederlegung meiner hiesigen Stelle bereit zu erklären. Vor allem aber bitte ich Sie, wenn Sie nach Weimar schreiben, für die mich so auszeichnende Absicht meinen ergebensten Dank auszudrücken, da ich die mir erzeigte Ehre vollkommen zu würdigen weiß. Mit größter Hochachtung Ihr ergebenster Felix Mendelssohn Bartholdy.«145

Mendelssohn war es also nicht, und bei langem Suchen auch kein anderer, der der Nachfolge Hummels würdig bzw. berühmt genug für die Weimarer Befindlichkeiten war. Nach zweieinhalbjähriger Vakanz allerdings wurde der Druck offenbar so groß, dass man in ganz anderer Weise als angestrebt besetzte. Hofkapellmeister wurde ab 1.  Juli 1840 der französische Komponist heroischer Opern André Hippolyte Chélard (1789–1861), zweifellos eine Verlegenheitslösung ohne die Gehaltsverstärkung aus der Schatulle der Großherzogin, die sich dann im Mai 1844 mit Carl Montag einen Klavierlehrer als »Hofpianisten« verpflichtete (von nun an gab es in Weimar auch diesen Titel). Chélard als ehemaliger Geiger an der Pariser Oper und Komponist der Opern »Macbeth« (1827) und »Mitternacht« (1830), die in Weimar 1831 bzw. 1839 Ein Stern erscheint 

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aufgeführt worden waren, konnte nach dem Gutachten der Intendanz nicht mehr als ein »gewöhnliches Akkompagnement« auf dem Klavier spielen. In eben der Zeit, in der Chélard verpflichtet wurde, musste man schmerzhaft erkennen, wie groß der Verlust war, Goethes Felix nicht gewonnen zu haben. Am 25. Mai 1840 leitete eben dieser die Weimarer Erstaufführung seines Oratoriums »Paulus« in der Stadtkirche. Die besten hiesigen Gesangssolisten, ein Chor von 140 Sängern und eine durch Gäste quasi verdoppelte Hofkapelle verhalfen dem Werk zu einem glänzenden Erfolg, so groß, dass die Aufführung im Folgejahr vor über 1000 Zuhörern wiederholt werden konnte. Nur wenig später erschien allerdings dann doch noch der richtige Stern, genauer gesagt, er kam erst mal vorbei, wie jener Komet, der einst seine Geburt überstrahlt hatte  : Franz Liszt (1811–1886), der gerade innerhalb einer vieljährigen Konzertreise ganz Europa verzauberte. Auch nach ihm hatte man sich 1838 ergebnislos erkundigt. Ende November 1841 begeisterte der Klavierdämon – zudem von überaus gewinnender äußerer Erscheinung und besten Pariser Manieren – bei drei Konzerten das elitäre und das breite Publikum  : am 26.  November im kleinen Kreis der klaviervernarrten Großherzogin, zwei Tage später im Hofkonzert im Festsaal des Residenzschlosses und am 29. November in einem Virtuosenkonzert mit Hofkapelle im Hoftheater. In letzterem spielte er innerhalb des zeitüblich bunten Programms vier Werke für Klavier solo, dabei seine »Don Juan«-Fantasie und »Erlkönig. Chromatischer Galopp«. Die Wirkung war offenbar eine überwältigende. Dabei war das Pub­likum durch berühmte Gäste ein ausgezeichnetes Klavierspiel gewöhnt. In der Vorwoche hatte immerhin Clara Schumann hier konzertiert und dabei auch die neue 1. Sinfonie ihres Mannes aufführen lassen. Liszt traf die beiden noch, im »Russischen Hof« feierte man das gute Miteinander mit Austern und »Strömen von Champagner«. Franz Liszt, der neue Zielpunkt des geballten großherzoglichen Interesses, war 1811 als deutschsprachiger Ungar in Raiding geboren worden, einem kleinen Dorf in der westungarischen Tiefebene. Das mit vielen Hoffnungen beladene einzige Kind des Schäfereiverwalters und passionierten Laienmusikers Adam Liszt und der Bäckerstochter Anna geb. Lager aus Krems wuchs ein Jahrzehnt lang in der Einöde seines Geburtsortes heran. Dann ging es gut ein Jahr nach Wien, zur offenbar ausgezeichneten Klavierausbildung beim Beethoven-Schüler Carl Czerny, schließlich 1823 in die Welthauptstadt der Künste Paris. Mit dem Studium am berühmten Conservatoire wurde es zwar nichts, »le petit Litz«, das pianistische Wunderkind à la Mozart, wurde aber nun in den Pariser Salons 220

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Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846)

Abb. 25  : Franz Liszt in Berlin 1842. Vor allem Frauen jubeln.

und bei Konzertreisen durch Frankreich und England bestaunt und bewundert. Seine Schulbildung freilich war schon mit dem Verlassen Raidings beendet, Franz verdiente seitdem das Geld für die Familie, das sein Vater – längst ganz im Dienst seines Wunderkind-Sohnes – nicht mehr verdienen konnte. Anderthalb Jahrzehnte lang prägte also die Schule des Lebens den Jungen und jungen Mann in Paris, einen heranwachsenden Klaviervirtuosen mit unbändigem Entwicklungsstreben und kompensativ motiviertem großen Bildungsdrang. Von weit unten und fern her gekommen, verkehrte er als 20-Jähriger in den nobelsten Salons der Weltmetropole, war liiert mit Prinzessinnen und Gräfinnen und Freund großer Künstler. Dann prägte ihn die Partnerschaft mit der schönen Gräfin Marie d’Agoult, erst in Paris, dann in der Schweiz, wohin sie wegen ihrer Schwangerschaft entflohen, und in Norditalien. Schließlich durchlebte er sein Virtuosenjahrzehnt 1837–1847, das ihn in »Saus und Braus« unentwegt quer durch Europa unterwegs sein und in mehreren Tausend Konzerten Erfolg auf Erfolge, Ehrung auf Ehrungen häufen ließ. Ein Weltstar  ! In Weimar mochten die Nachrichten über die beispiellosen Ovationen des Berliner Publikums im Winter 1841/42 ein Übriges getan haben, jedenfalls Ein Stern erscheint 

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lud Erbgroßherzog Carl Alexander (1818–1901) ihn zum Weimarer Teil seiner Vermählungsfeierlichkeiten Ende Oktober 1842 ein, nicht privatim gemeint, sondern den glänzenden Klaviervirtuosen betreffend. Da mit dieser Einladung das »Angeln eines Hochkaräters« offenkundig wurde, ist es gut, noch einmal innezuhalten und daran zu erinnern, in welcher Weise Liszt Weimarer Boden zuerst betrat. Das war nämlich nicht erst im November 1841 und als Klavier-Stern, sondern schon anderthalb Jahre früher und quasi incognito, ganz privat. Liszt hatte im März 1840 in Leipzig und Dresden konzertiert. Auch die »Weimarische Zeitung« berichtete über die eminenten Erfolge des »berühmten Klavierspielers«. Am Rande der Konzerte erlebte er eine Lesung des »Faust« durch Ludwig Tieck. Dies war wohl der Anstoß zum Besuch des Goethehauses am Frauenplan gemeinsam mit dem Freund und Sekretär Hermann Cohen am 1. April 1840. Liszt kannte Goethes »Faust« seit den frühen 1830er-Jahren sehr gut, in der französischen Übersetzung Gérard de Nervals. Nun die Lesung in der Originalsprache  – da lag ein Besuch am Originalort nahe. Nachlassverwalter Kräuter dürfte das Haus und seine Sammlungen den beiden gegen ein Entgelt gern nahegebracht haben. Sie hatten insofern Glück, als solch eine Besichtigung schon ein Vierteljahr später nicht mehr möglich war, letztlich bis zur Öffnung des Hauses 1886, also 46 Jahre später und kurz vor Liszts Tod. Dem Hof blieb die spezielle Visite des »berühmten Klavierspielers Liszt« in eben der Zeit, in der zum großen Bedauern mit einem klavieristisch wenig fähigen Hofkapellmeister quasi der falsche Mann angestellt wurde, verborgen. Dies im Übrigen auch uns  : Erst vor wenigen Jahren wurde Liszts Eintragung im Gästebuch entdeckt. Was ist so hervorhebenswert an diesem Besuch  ? Gewiss, es war ein liebenswürdiger und durchaus symbolhaltiger Auftakt für das Lebenskapitel Liszts in Weimar. Ganz still und privat suchte er im berühmten Haus die Aura Goethes auf, dem er persönlich nicht mehr hatte begegnen können. Tiefer betrachtet war es allerdings mehr, viel mehr. Wir sehen hier quasi die Angelschnur. Maria Pawlowna und Erbgroßherzog Carl Alexander erkannten dann wohl deren Potenzial relativ rasch. Jedenfalls ergriffen sie  – um im Bild zu bleiben – das Gerät samt Schnur konsequent und zogen daran den Hochkaräter Liszt an ihren kleinen, aber kulturell herausgehobenen Hof. Und sie machten nicht wieder den Fehler, wie bei Goethes Felix zu schnell zu ziehen. Sie zogen langsam, stetig, beharrlich, verknüpften vorsichtig Liszts eigene Bestrebungen mit der Tradition des Ortes, den jener als »la patrie de l’idéal« sah, erkannte und anerkannte, als »Heimat des Ideals«. Und was gab es Größeres für einen 222

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Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846)

Klaviervirtuosen, der in allen Musik-Hauptstädten Europas (und damit der damaligen Musikwelt) allergrößte Triumphe gefeiert hatte und nun in Ruhe komponieren wollte  ? Dies war der Kern der 1848 für das Kunst-Europa völlig unverständlichen Entscheidung seines Rückzugs an diesen kleinen abgelegenen Ort. Stiftungspräsident Hellmut Seemann bekannte in seiner anrührenden Ansprache zum Abschluss der ersten Liszt Biennale Thüringen im Musikzimmer der »Hofgärtnerei« am Pfingstmontag 2015, Liszt sei der letzte der Großen gewesen, die reinen Herzens hierher nach Weimar gekommen seien. Das ist es wohl. Denn er schrieb am 6. Oktober 1846 an Erbgroßherzog Carl Alexander  : »Jetzt […] ist es mir lieb, zuerst an Weymar zu denken, an meinen Fixstern, dessen wohltuende Strahlen meinen weiten Weg erleuchten, – – an Weymar, das Vaterland des Ideals, dessen Bürgerrecht dereinst zu erringen ich anstrebe, – – an Weymar, wo die verständnisvolle Nachsicht einer erhabenen Fürstin mir vor fünf Jahren zum ersten Male das klare und ernste Bewußtsein meiner Zukunft gegeben hat. Ich werde sicher niemals die schmeichelhafte Ermutigung vergessen, die Ihre Kaiserl. Hoheit die Frau Großherzogin damals, und seitdem stets, meinen schwachen Versuchen zuteil werden ließ und die Güte, mit der sie meinen Wunsch aufnahm, – – ich möchte fast sagen erriet, bescheiden meine Bestrebungen an Weymars ruhmreiche Überlieferung anzuknüpfen.«146 Ein Schlüsseltext, ernst und ehrlich. Er verweist überaus klar auf die Angel. Und dass sie schon 1841, bei dem ersten Weimarer Gastspiel, von Maria Pawlowna ausgelegt bzw. ergriffen worden war. Mit der Einladung zu den Hochzeitsfeierlichkeiten Carl Alexanders wurde sie dann quasi erstmals ein wenig angezogen. Musikalischer Höhepunkt war das Hofkonzert am 23. Oktober 1842 im Festsaal des Stadtschlosses. Es wurde dominiert von solistischen Beiträgen Liszts und des Tenors Giovanni Battista Rubini (1795–1854), den Liszt in allen seinen Beiträgen, auch den Opernarien, auf dem Klavier begleitete. Das Konzert wurde am 29. Oktober »für milde Zwecke« im Hoftheater für eine größere Öffentlichkeit in Teilen wiederholt. Selbstredend musizierte man in den Tagen dazwischen noch mehrfach im kleinen Kreis der Großherzogin. Der Erfolg war emphatisch. Direkt nach den Hochzeitsfeierlichkeiten wurde Liszt am 2. November 1842 zum Weimarer Großherzoglichen Kapellmeister ernannt. Dies blieb er bis zu seinem Lebensende, d. h., eine andersartige Anstellung hatte er auch in den 1850er-Jahren nicht. Was im Juli 1864 von Staatsminister Watzdorf klargestellt wurde  : Es habe sich dabei um eine »definitive Anstellung« gehandelt, mit der das Heimatrecht in Weimar und das »Unterthanenrecht im Großherzog­ Ein Stern erscheint 

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Abb. 26  : Dekret mit der Ernennung Liszts zum Weimarer Hofkapellmeister.

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Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846)

thume« verbunden sei. Eine nähere Verfügung zur Ausgestaltung der Ernennung 1842 besagte, er sei damit berechtigt, die Hofkapelle zu leiten, jedoch ohne die Funktion des Hofkapellmeisters Chélard zu beeinträchtigen. Eine verständliche offene Formulierung, denn man kannte Liszt ja nur als Klaviervirtuosen. Offen, aber problemhaltig. Denn ohne Beeinträchtigung Chélards würde es nicht ausgehen, wenn Liszt, wie man hoffte, auch dirigentisch »einschlagen« würde. Dann würde Chélard zwar in seiner Funktion formal nicht beeinträchtigt, aber durch den Wettbewerb relativiert. So kam es dann auch schon ein gutes Jahr später. Jedenfalls war Liszts Ernennung zum Großherzog­ lichen Kapellmeister in keiner Weise nur ein freundliches Präsent, im Gegenteil  : Sie war ein ernstgemeinter Wechsel auf eine gemeinsame Zukunft, eine Personal-Vorentscheidung und Zeichen einer weitsichtigen, mutigen Personalpolitik. Für Liszt bedeutete sie zumindest die interessante Option, mehr sein zu können als ein reisender Klaviervirtuose, wenn er dies gerade auch exzessiv auslebte. Und sie bestärkte die gedankliche Annäherung an diesen Ort und seinen Hof, mehr noch aber an das ideale Weimar der gerade vergangenen Ära. Dies Ära wäre es wert, im Zeichen der Musik neuartig weitergeführt zu werden, von ihm, in aller Bescheidenheit, aber immerhin als ein »Künstler der Zukunft«, den er in seinem Paganini-Nachruf von 1840 mit dem Wahlspruch »Genie verpflichtet« verbunden hatte. Sein Kapellmeisteramt trat Liszt mit jeweils vier Hofkonzerten im Schloss und öffentlichen Konzerten im Hoftheater im Januar/Februar 1844 an. Mitte Dezember war er zur Vorbereitung nach Weimar gekommen. Die Hofkapelle hatte zunächst Schwierigkeiten, sich auf sein besonderes Dirigat einzustellen, ein Dirigat der feinen Nuancen, sparsam in den Gesten, aber ausdrucksstark in der Mimik, wie ein Kritiker berichtet. »Wir sind Steuermänner, keine Ruderknechte«, war die spätere berühmte Sentenz dafür. Das erste der öffentlichen Konzerte am 7.  Januar, ein »Witwen-Waisen-Konzert«, teilte er sich in der Leitung mit Chélard. Der leitete im 2. Teil eine eigene Orchester-Fantasie und Vokalstücke von Mercadante und Donizetti, Liszt den 1. Teil mit Beethovens 5. Sinfonie, einer Arie von Mozart und Hummels Klavierkonzert h-Moll, bei dem er auch den Solopart so spielte, dass der Kritiker über die unglaubliche Virtuosität und Leichtigkeit geradezu jubelte. Schon als 11-Jähriger hatte Liszt in seinem Wiener Abschiedskonzert im April 1823, mit dem die Legende von Beethovens Weihekuss verbunden ist, gerade dieses Konzert Hummels gespielt. Zum Abschluss nun seines ersten Weimarer Konzertes als Dirigent und nach dem von Chélard dirigierten 2. Teil spielte er seine Fantasie für Klavier solo über Mozarts »Reich mir die Hand, mein Leben«, was ihm neben dem Ein Stern erscheint 

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Jubel des Publikums (wie einst bei Hummels »Freien Fantasien«) den Tadel des Kritikers einbrachte, das sei »mit scheußlichem Ungethüm« gespielte »Höllenmusik.«147 In den drei öffentlichen Folgekonzerten, nun unter Liszts alleiniger Leitung, standen mit Beethovens 3. und 7.  Sinfonie und Schuberts »großer« C-Dur-Sinfonie (allerdings nur mit einem Satz des von Felix Mendelssohn Bartholdy 1839 in Leipzig uraufgeführten Werkes) gewichtige sinfonische Werke am Anfang des Abends. Im ersten dieser Konzerte erklang zudem Beethovens gesamte »Egmont«-Musik. Das war eine ganz besondere Konzentration auf Beethoven, dessen hier aufgeführte Sinfonien Liszt schon vor Jahren für Klavier solo übertragen und in vielen Konzerten selbst gespielt hatte. Der Kritiker fasste die Leistung des Dirigenten Liszt so zusammen  : »Liszt hat ein tiefes Verständnis aller der Werke gezeigt, die er bis jetzt in mehreren Concerten dirigirt. Namentlich hat er die Beethovenschen Symphonien meist in langsameren Tempos genommen, als wir sie früher gehört, und mit überraschendem Gewinn für die Wirkung. Er besitzt die Hauptgabe des ächten Dirigenten, den Geist des Werkes in vollem Glanze aufleuchten zu lassen. […] Sein Einfluß auf das weimarische Musikleben kann und wird ein günstiger und fördernder sein.«148 Der letzte Satz war zunächst allerdings nur ein Wunsch. Erst zwei Jahre später war Liszt wieder in Weimar und leitete neben einigen Hofkonzerten den 1. Teil des Witwen-Waisen-Konzertes im Hoftheater am 22. Februar 1846, in dem er auch – wie im Jahr zuvor beim Beethovenfest in Bonn – den Solopart von Beethovens 5. Klavierkonzert »unvergleichlich schön« spielte und stürmisch gefeiert wurde. Was etwa gleichzeitig geschah und womit Liszt bestenfalls indirekt – durch seine Leistungsstärke – zu tun hatte  : Chélard resignierte. Ohnehin hatte er anstehende Neuerungen zur Sitzordnung des Orchesters und zum Dirigieren mit Stab (und nicht mehr vom Klavier aus) nur sehr mühsam durchsetzen können, zumal er nur geringe deutsche Sprachkenntnisse besaß. Zudem zog er alle Dirigate an sich und griff damit empfindlich in die Kompetenzen der beiden Musikdirektoren Eberwein und Götze ein. Die bildeten bald mit dem Sänger und Opernregisseur Eduard Genast, zwischen 1830 und 1853 eine »Institution« im Hoftheater, eine »deutsche Partei« und setzten sich Mitte der 1840er-Jahre gegen Chélard durch, vor allem gegen dessen Repertoirepolitik mit einer Dominanz französischer und italienischer Opern. Gleichzeitig erlahmten Schaffenskraft und Fortune des Opernkomponisten Chélard. Ein neuer Stern war erschienen, die Akzeptanz des ebenfalls noch relativ neuen Hofkapellmeisters schwand. Weimar hoffte auf Liszt. Wie würde das ausgehen  ?

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Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846)

IV. DAS NEUE WEIMAR FRANZ LISZTS (1848 | 1861)



30. WEIMAR  ? WEIMAR  ! NEUES WEIMAR

»[…] bescheiden meine Bestrebungen an Weymars ruhmreiche Überlieferung anzuknüpfen.«149 Mit dieser seiner Haltung, die er im Oktober 1846 Erbgroßherzog Carl Alexander versichert hatte, kam Liszt 1848 nach Weimar, in das »Vaterland des Ideals«, das gerade direkt und indirekt von der europäischen Revolution erschüttert wurde. Sich an jene Großen anzuschließen, an Goethe, Schiller und Herder, an Beethoven ohnehin, das war die Idee, die Absicht, das Ziel. So wie es der Freund Franz von Schober 1835 gedichtet hatte  : »Große Tote, kommt heraus  ! / Wieland, Herder, Schiller, Goethe  ! / Gießt die neue Morgenröte / Über die Lebend’gen aus  !«150 Von Weimar, genauer  : von Weimars Herrscherfamilie wurde er mit offenen Armen willkommen geheißen. Wie hatte man sich darum bemüht  ! Ein allseits berühmter Künstler sollte als aktuelles Faszinosum jene historische »Glanzzeit« ergänzen, die mit der um 1840 einsetzenden verklärenden Geschichtsschreibung zu Anna Amalias »Musenhof« gerade ins rechte Licht gerückt wurde, in das Licht des Ruhms Weimars bzw. seines Fürstenhauses. Liszt seinerseits war des klaviervirtuosen Herumziehens müde, sehnte sich nach »Sammlung und Arbeit«. So überschrieb er selbst 1874 in einer biografischen Skizze sein Leben ab 1848. Die Wochen der Ruhe und Besinnung auf dem Herrensitz seiner neuen Lebenspartnerin, der verheirateten Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein in Woronince (in der Nähe von Kiew), hatten den Wunsch sehr bestärkt. Auch für die Lösung der mit der neuen Partnerschaft verbundenen Probleme schien Weimar mit seiner Großherzogin Maria Pawlowna ein sehr geeigneter Ort zu sein. Sie als Schwester des russischen Zaren könnte helfen, die Scheidungsangelegenheiten voranzubringen. Also zog er sich, zogen sich die beiden samt Tochter Marie zur allgemeinen VerWeimar  ? Weimar  ! Neues Weimar  

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wunderung des europäischen Musikpublikums in das kleine und abgelegene Weimar zurück. Carolyne, die Anfang 1848 mit ihrer Tochter heimlich das Zarenreich verließ, fühlte sich berufen, Ordnung und Harmonie in seine Künstlerexistenz zu bringen. Konzentration – Kontemplation – Komposition sollte der Dreiklang des neuen Lebens beider werden. Dafür versprach Weimar der richtige Ort zu sein. Hier hatte Goethe gelebt, den Liszt wegen seines »Faust« tief verehrte und den er deshalb post mortem 1840 im Haus am Frauenplan besucht hatte, als es gerade noch ging. Im November 1841 und zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des Erbgroßherzogs Carl Alexander im Oktober 1842 war er als der überragende Klaviervirtuose überaus erfolgreich gewesen, dazu auch noch zum Hofkapellmeister ernannt worden. Die großherzogliche Familie hatte ihm damit gezeigt, dass man hier mit ihm rechne, auf ihn hoffe. Anfang 1844 hatte er sich erstmals als Dirigent hervorgetan, insbesondere in der Leitung von Beet­ hoven’schen Sinfonien, die im Jahrzehnt zuvor hier die »Spezialstrecke« des Hofkapellmeisters Johann Nepomuk Hummel gewesen waren, des Freundes Beethovens und berühmten europäischen Klaviervirtuosen. 1846 hatte Liszt den Eindruck vertiefen können. Nun, im März 1848, hatte er im direkten Umfeld der Revolutionsereignisse erstmals einige Opernaufführungen dirigiert, darunter eine von Beethovens »Fidelio«. Ebenfalls erfolgreich. Wenige Monate später kamen die Fürstin und ihre Tochter mit Liszt  – er hatte sich unterwegs mit ihnen getroffen  – in Weimar an und bezogen ein Stadtpalais am Rande des Ortes, auf der anderen Seite der Ilm mitten in der Natur, aber fußläufig nur zehn Minuten vom Schloss entfernt. Nach dem Hügel, auf dem es steht, heißt es sehr romantisch »Altenburg«, also »Alte Burg«, ist aber nichts weniger als dies, sondern ein klassizistisches Gebäude aus Liszts Geburtsjahr 1811. Die »Altenburg« wurde ihr Domizil für ein reichliches Jahrzehnt. Nachdem Liszt schicklichkeitshalber noch ein Jahr lang im Hotel »Erbprinz« am Markt logiert hatte, zog er im Mai 1849 hier vollständig ein, und zwar in ganz unrepräsentative Räume im Seitengebäude, dort im Obergeschoss rechts mit Anbindung an die Beletage des Haupthauses. Das Zentrum dieses Seitengebäudes bilden noch heute der Kutschen- und der Pferdestall (heute allerdings voll Gerümpel). Links und rechts davon gibt es auf zwei Etagen ein paar Räume. Nach heutigem Maßstab wohnte Liszt also in so etwas wie einer Doppelgarage mit Einliegerwohnungen, die nicht darüber, sondern daneben angeordnet waren. Für das protestantisch geprägte bürgerliche Weimar war das Paar in der »Altenburg« eine große Herausforderung  : unverheiratet zusammen­ lebend, 230

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Abb. 27  : Eigenhändiger Brief Liszts vom 30. August 1874 mit Einteilung seines Lebens in fünf Akte. Als »4ter  : 48 bis 61 Sammlung und Arbeit in Weimar«. Weimar  ? Weimar  ! Neues Weimar  

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eine fremdartige Fürstin und ein quasi französischer Musiker, die Fürstin nicht einmal geschieden, beide auch noch streng katholisch. Und, wie man bald hörte, mit dem Anspruch, die große klassische Kunstepoche in neuer Weise fortzusetzen. Da waren die alteingesessenen Weimarer Bürger doch sehr irritiert. Der Hof weniger. Erst als die Fürstin im Frühjahr 1854 vom Zaren aus Russland verbannt worden war, gab es auch da Schwierigkeiten  – man konnte sie nicht mehr empfangen. Sie war nun zunehmend auf ihren kleinen Wirkungskreis in der »Altenburg« begrenzt. Für Liszt war neben der »Altenburg« und neben dem Residenzschloss das Hoftheater der dritte wichtige Ort seines Weimarer Lebens- und Arbeitsdreiecks. Einerseits war es der renommierte Darstellungstempel dichterischer und musikalischer Werke, durch Goethe und Schiller quasi geheiligt, auch wenn deren Theatergehäuse 1825 abgebrannt war. Andererseits ging es Liszt kompositorisch längst nicht mehr nur um Klaviermusik oder Lieder. Für die großen Orchesterwerke aber, zu denen er sich gedrängt fühlte und zumal für das Instrumentieren neuartiger Klänge brauchte er intensive Orchestererfahrungen. Die konnte er mit der Weimarer Hofkapelle nun machen, besagte doch sein Kapellmeister-Ernennungserlass von 1842, dass er berechtigt sei, bei Anwesenheit in Weimar und ohne die Kompetenzen des Hofkapellmeisters Chélard zu beeinträchtigen, die Hofkapelle zu dirigieren. Wenn man noch bedenkt, dass die kulturpolitisch führende Kraft im kleinen Großherzogtum in Gestalt der Großherzogin Maria Pawlowna mit ihren reichhaltigen russischen Bezügen (als Großfürstin von Russland) ihn sehr unterstützte  – zumindest bis zum Regierungswechsel Mitte 1853  –, und ihr Sohn und dann Großherzog Carl Alexander ihm überaus wohlgesonnen war, kann man die günstigen Rahmenbedingungen für Liszts »Sammlung und Arbeit in Weimar« ermessen  : eine geeignete persönlich-private Situation an einem solchen Rückzugsort, ein ungewöhnlich freies und dabei durchgriffsfähiges Arbeiten mit der Hofkapelle, die ganz besondere Unterstützung der großherzoglichen Familie. Freilich gab es Nebenwirkungen und allgemeine Einschränkungen durch das Unverständnis und die latente Empörung der Weimarer Bürgerschaft über das für sie skandalöse Treiben in der »Altenburg«, durch die geringe Finanzausstattung des Theaters und der Kapelle mit der Folge scharfer innerer Spannungen, schließlich durch die Gegnerschaft des mächtigen Staatsministers Bernhard von Watzdorf schon seit Sommer 1849 und führender Köpfe der Weimarer Bildungselite, mit denen sich in hiesigen Vereinen Alt-Weimar konfliktorientiert verstärkte. Kräfte und Gegenkräfte, bald als Neu- versus Alt-Weimar, bildeten ein vielfältiges Spannungsknäuel. 232

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Abb. 28  : Die »Altenburg« in einer Zeichnung von Friedrich Preller d. Ä.

Abb. 29  : Das Residenzschloss um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

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Im Kern ging es dabei um die Frage, wie mit dem geistigen Besitzstand des »klassischen« Weimar umzugehen sei, einem Besitzstand, auf den Hof und auch Stadt überaus stolz waren, ohne dass man einst daran sonderlich beteiligt war. Und wie man damalige künstlerische Größe fortsetzen könne. Dass dazu wiederum namhafte Köpfe nötig sein würden, war allgemein klar, aber Köpfe welcher Profession  ? Der einzige überregional namhafte Künstler im damaligen Weimar war nun aber Franz Liszt. Dass er »an Weymars ruhmreiche Überlieferung« anknüpfen wollte, war deutlich zu erkennen. Aber war er nicht eigentlich auch ein Franzose wie Hofkapellmeister Chélard  ? Und auch noch katholisch  ? Das allerdings war Hummel ebenfalls gewesen. Berühmt genug war er ja. Aber sein Lebenswandel, mit seiner Fürstin  ? Und vor allem  : Er war doch Musiker, einer Kunst, die gewiss rühren konnte, aber doch nicht bilden, zur Charakterbildung beitragen … Liszt wird diese und andere Vorbehalte und Vorurteile allzu gut gekannt haben. Davon unbeeindruckt, vielleicht auch geradezu herausgefordert, ging der größte Klaviervirtuose der damaligen Welt an seine Arbeit, an das Anknüpfen in neuartiger Weise, eben durch seine Musik, eine textlose, wenn auch nicht textfreie, eine sprechende Musik. Schon während seiner ersten großen Phase als Weimarer Konzertdirigent, also 1844, hatte er seiner Noch-Lebenspartnerin Marie d’Agoult von einem »neuen Weimar« geschrieben, das er im Sinn habe. Die Beethoven-Feierlichkeiten in Bonn 1845 werden zur Vertiefung beigetragen haben. Instrumentalmusik sollte selbstständig sprechen können, Ideen verkörpern und damit einen höheren bildenden Einfluss gewinnen. Sie sollte als solche das allein können, was sie bisher nur gemeinsam mit der Wortsprache zu erreichen vermochte. Gehalte großer Wortgedichte – etwa von Goethe, Schiller und Herder – sollten als assoziativ wirkende Programmatik eine Basis für musikalisch selbstständige Entwicklungen bilden. Neues Weimar bedeutete in diesem Sinne, die Weimarer klassische Ära und ihre literarischen Werke im Zeichen der Schwesterkunst, die seit Beethoven einen stürmischen Aufschwung als selbstständig-würdevolle Kunstgattung erlebte, neuartig weiterzuführen. Eine Nachfolgerschaft zu Beet­ hoven mit der zu Goethe und Schiller zu verbinden, dazu war der Rückzug nach Weimar allemal sinnvoll, dies war er allemal wert. Es war also ein Anknüpfen sowohl an Wien wie an Weimar mit dem, was Liszt in Paris gelernt, erfahren und entwickelt hatte. Die großen Weimarer Dichter waren zwar tot, ihre Werke aber sehr lebendig, zumindest einige. Deren Kenntnis war nun die Voraussetzung für ein Verstehen dessen, was er dazu jetzt komponierte. 234

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Selbstredend ist dies eine Rekonstruktion und Deutung aus dem fernen Danach, wenn auch eine plausible auf der Basis deutlicher Indizien. Die allermeisten Weimarer Zeitgenossen konnten davon allerdings nur Ansätze begreifen, und dies vor allem durch die Liszt’sche Erklärungsoffensive in der Spielzeit 1853/54. Die auf Literatur und Bildende Kunst fixierte Bildungselite wollte sich aber auf solche Ideen wohl nur noch sehr begrenzt einlassen. Beim Maximal-Projekt Goethe-Stiftung war es schon 1850 zu einem intensiven Schlagabtausch gekommen. Danach reichte schon eine Anmutung, ein Widerschein dessen zu einer zunehmenden Belastung der Atmosphäre. Sie erreichte eben 1853/1854, nach dem Regierungswechsel von Carl Friedrich zu Carl Alexander das Niveau, an dessen Ende der Premierenskandal vom 15. Dezember 1858 und damit der Liszt’sche Abbruch seiner öffentlichen Weimarer Wirksamkeit stand. Der »Marr-Konflikt« dieser Jahre (also der um die Umverteilung der Finanzmittel im Hoftheater), die erfolglosen Auseinandersetzungen um das Anstreben einer Amnestie für Richard Wagner und die Wirkungen, die vom »Neu-Weimar-Verein« ausgingen, waren Marksteine auf diesem Weg. Der »Neu-Weimar-Verein« war im November 1854 im Hotel »Russischer Hof« gegründet und am folgenden Silvesterabend in der vom Bürgertum geächteten »Altenburg« gefeiert worden. In ihm hatten sich Freunde und Schüler Liszts um ihn als den Vereinspräsidenten geschart, um die Neu-WeimarIdeen zu bekräftigen. Von Anfang an spielte dabei der gerade nach Weimar gekommene Vormärz-Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben in seiner polternd groben kritischen Manier eine führende Rolle. Als Freund Liszts, häufigster Gast auf der »Altenburg«, unweit derer er selbst wohnte, und Vizepräsident des Vereins trug er im Sinne des 10. seiner zwölf Gebote für den neuen Verein sehr zur Polarisierung bei. Da heißt es  : »Bleib’ Alt-Weimar für sich, wir bleiben für uns und es ist uns jeglicher Heimische fremd, aber willkommen der Gast.«151 Das wurde ruchbar, zumal sich der Verein ostentativ in einem der Weimarer Wirtshäuser versammelte, im Stadthaus, im »Zum goldenen Adler«, im »Elephant«. Sinn machte dieserart Polarisierung nicht, nicht einmal als Selbstbestätigung über den Tag hinaus. Mit Raff, Pohl und Schade traten schon Anfang 1855 wichtige Mitglieder aus. Dass sich die Atmosphäre zunehmend auflud, zeigt sich in solch seltsamen eruptiven Ausbrüchen wie dem von Peter Cornelius am 2.  April 1857. Cornelius, eigentlich ein eher Nachdenklich-Milder, sozusagen ein »ganz Lieber«, textete zu Ehren des 59. Geburtstages Hoffmanns die hoffmannesken Verse »Alt-Weimar ist eine große Stadt, / Die dreizehntausend Einwohner hat. / Neu-Weimar ist eine kleine Gemeinde, / Aber sie hat dreiWeimar  ? Weimar  ! Neues Weimar  

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zehntausend Feinde.«152 Man darf solche überdrehten Reimereien zwar ebensowenig direkt beim Wort nehmen wie die Erklärung der »Davidsbündler« um Robert Schumann zwei Jahrzehnte zuvor in Leipzig, sie wollten die »musikalischen wie sonstigen Philister todtschlagen«, um der neuen Kunst Bahn zu brechen, aber verräterisch waren und sind sie allemal. Schon lange vor den finalen Zuspitzungen, die wohl nicht zufällig bald nach dem Amtsantritt von Franz Dingelstedt am 1. Oktober 1857 als Generalintendant des Hoftheaters und der Hofkapelle begannen, war die Atmosphäre stark belastet. Sie nahmen Fahrt auf, als am 29. Dezember 1857 Goethes und Corona Schröters Singspiel »Die Fischerin« und Liszts Symphonische Dichtung »Die Hunnenschlacht« im »Konzert von Hrn. Sivori, Violin-Virtuos aus Genua, unter Direktion des Hofkapellmeisters Dr. Franz Liszt« direkt aufeinandertrafen. Und dies ganz sicher keinesfalls absichtslos, dafür mit den zu erwartenden Folgen  : ätzende Häme auf der Seite Neu-, fundamentaler Ärger auf der Seite Alt-Weimars. Bedenkt man die Summe von Erfolgen und Misserfolgen, die sich allesamt im öffentlichen Raum abspielten oder zumindest spiegelten, könnte man sich trefflich darüber streiten, ob es für Liszt richtig gewesen war, sich nach Weimar zurückzuziehen. Dabei würde man dann allerdings an der Hauptsache vorbei diskutieren, denn der Rückzug sollte in erster Linie dem Sich-Sammeln und kompositorischen Arbeiten dienen. Diese Sphäre aber im Blauen Zimmer des »Altenburg«-Seitengebäudes und eben nicht im Hoftheater oder Residenzschloss war überaus ertragreich. Ein großer Teil des Liszt’schen Lebenswerkes entstand hier zwischen 1848 und 1861 bzw. wurde hier in die letzte Bearbeitungsstufe gebracht. Und dafür, für die Komposition der Orchesterwerke, war wiederum die Hofkapelle als Klanglabor ein außerordentlicher, unschätzbarer Vorteil, war das Erproben neuer Werke im geschlossenen Raum weit wichtiger als öffentliche Präsentationen.

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)



31. PROJEKTE DES NEUEN WEIMAR

Ein Neues Weimar konnte und kann man sich in durchaus unterschiedlicher Weise denken. Künstlerisch gesehen gab es in Weimars Geschichte ja auch zwei sehr verschiedenartige. Nur der Bezugspunkt Alt-Weimar war quasi gesetzt, mit dem rein retrospektiven Wirken derer, die sich ganz auf die Erinnerungsarbeit konzentrierten, mit den vier großen Wort-Künstlern im Zentrum, die von Weimar aus mit ihren Dichtungen und Abhandlungen das vorangegangene Zeitalter bewegt und noch immer durch ihre Werke großen Einfluss hatten. Liszts Neues Weimar war eines der Tonkunst. Dem Weimar der Worte wollte er ein neues der Töne an die Seite setzen. Auch dies aber kann man sich bei der Breite damaliger europäischer Musikkultur durchaus sehr unterschiedlich vorstellen. Liszts stark saint-simonistisch geprägte Grundhaltung zum Problemkreis Kunst und Leben bestärkte ihn in der Mitte seines Lebens, seinen bisherigen kompositorischen Weg programmatisch orientierter Charakterstücke weiterzugehen und auf größere Orchesterwerke zu transzendieren. Seine Musik sollte nicht nur gefallen, sondern verstanden werden können, und das auch hinsichtlich der Gestaltung werthaltiger großer Sujets. Bisher hatte er zum Einen Originalwerke für sein Instrument komponiert, die um die zehn Minuten dauerten und die oft sehr direkt äußere Eindrücke und Einflüsse umsetzten. Zum Anderen hatte er die ganze große Welt der Musik für das Klavier übertragen, im intensiven Bemühen, die klangliche Vielfalt von Vokal- und von Orchesterwerken auf seinem Instrument adäquat abzubilden. Für den weiteren Weg zu sinfonisch orientierten Werken in der Nachfolge des überaus verehrten Vorbildes Beethoven und mit der Wegmarke der »Symphonie fantastique« des Freundes Hector Berlioz waren tragfähige Ideen nötig, mit denen Projekte des Neuen Weimar 

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das Ziel einer nicht nur ansprechenden, sondern sprechenden Musik würde erreicht werden, einer Musik, mit der existenzielle Ideen des Einzelnen und der Menschheit würden komplex gestaltet werden können. Es ging Liszt damit um das Transzendieren des ureigenen musikalischen Gestaltungsbereichs auf dem Weg, den Beethoven zu Beginn des Jahrhunderts mit seiner »Sinfonia eroica« eröffnet hatte. Die tragfähigen Ideen dafür hoffte er in Weimar für sich zu erschließen. »La Patrie de l’idéal«, Weimar als die »Heimat des Ideals« war für ihn der Ort, an dem große Ideen entweder erdacht wurden oder über sie nachgedacht worden war. Davon gedachte er am Originalort zu profitieren. Das erstrangige Projekt Liszts für ein Neues Weimar waren also seine Kompositionen in solchem Sinne. Sein Weg dabei war nicht der, Dichtung in Vokalmusik zu transformieren wie dies Freund Wagner in seinen Opern tat, sondern sie in rein instrumentalen sinfonischen Werken zu eigenständigem musikalischen Leben zu bringen, allerdings eben mit dem assoziativen Verdeutlichungshinweis eines Titels und ggf. einiger zusätzlicher Worte. Hauptgegenstand dieserart Programmatik waren also nicht Landschaften, Geschehnisse und Menschen schlechthin, sondern Dichtungen über Menschen, Geschehnisse oder Landschaften als Ergebnisse wortkünstlerischer Gestaltung, deren Charaktere und Konflikte in Tondichtungen hineingesogen, d. h. nicht etwa eins zu eins übertragen wurden. Beethovens »Egmont«- Ouvertüre war ein Vorbild. »Symphonische Dichtung« hieß dann die so gestaltete neue Gattung der Programmsinfonik sehr zu Recht, in Bezug auf Goethe, Herder und Schiller, ebenfalls aber Victor Hugo, Byron, Shakespeare und Lamartine und zu Kaulbachs »Hunnenschlacht«. Zuerst 1854 anlässlich der konzertanten Uraufführung von »Tasso, Lamento e trionfo« verwendet, bezeichnet der Begriff glücklich-präzise, um was es mit der neuen Gattung geht, nämlich Musik und Dichtung, Dichtung und Musik eng zu verbinden, Musik so zum Sprechen zu bringen. Die vorsichtige Verselbständigungsgenese dabei ist durchaus anrührend. »Tasso« erklang zunächst an Goethes 100.  Geburtstag als Ouvertüre zum Schauspiel. Erst fünf Jahre später erlebte das Werk im Konzert seine »eigentliche« Uraufführung. Ähnlich erging es »Prometheus« (ursprünglich zu Herders »Entfesseltem Prometheus« an Goethes 101.  Geburtstag, mit Chören) oder »Orpheus« (zu Glucks Oper am 16. Februar 1854, dem 68. Geburtstag von Maria Pawlowna). Dass die Symphonische Dichtung nicht schlechthin eine Übertragung der Wortdichtung ist, sondern eher andersartiger Ausdruck von Ideen, die ihr zugrunde liegen, haben diejenigen immer wieder erfahren, die wie der »Pressesprecher« des Neuen Weimar Richard Pohl ver238

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suchten, die Musik mit Versen aus der jeweiligen Dichtung direkt zu verbinden, etwa zur »Faust-Symphonie« mit ihren drei Symphonischen Dichtungen plus Schlusschor, mit der Liszt 1854/1857 Goethe und Beethoven gleichzeitig beerbte. Ebenso weise wie bescheiden heißt dieses Werk ja »Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern  : Faust, Gretchen, Mephistopheles« – drei eng zusammenhängende Symphonische Dichtungen. Der 1857 nachkomponierte Schlusschor »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis« setzte dann das vertonte Goethe-Wort noch hinzu, so wie es Beethoven in seiner 9. Sinfonie mit den ausgewählten Versen Schillers auch getan hatte. Dass andererseits eine Musik, die solche Ziele verfolgte, anders »gestrickt« sein musste als eine Musik jenseits solcher Ambitionen, versteht sich von selbst, wenn der Weg dahin auch nicht völlig neu erfunden werden musste. Individuell finden musste ihn Liszt schon. Die Ergebnisse waren dann so neuartig, dass sie nicht nur ein Neues Weimar, sondern eine Weiterentwicklung sinfonischer Musik schlechthin bedeuteten, für ihre Gegner eine Entwicklung in die falsche Richtung, von Musik weg. Ganz gewiss waren und sind Liszts Symphonische Dichtungen der Kern des von ihm in seiner ersten Weimarer Zeit 1848–1861 geschaffenen Kosmos eines Neuen Weimar. Unmittelbar dazu gehören die beiden Sinfonien zu Goethes »Faust« und zu Dantes »Göttlicher Komödie«. Ich zähle dazu ebenfalls die Klaviersonate h-Moll von 1853 als den Gipfelpunkt seiner Originalwerke für Klavier und die drei Klavierkonzerte, also die beiden in Es- und in D-Dur und den »Totentanz«. Die heutige weite Distanz mit der Möglichkeit eines besseren Überblicks lässt den Abbruch der gigantisch erfolgreichen Tätigkeit als europaweit agierender Klaviervirtuose, verbunden mit einem Rückzug aus den europäischen Großstädten nach Weimar, der den Zeitgenossen als Lebensbruch erschien (modern betrachtet eine extreme Midlife-Crisis), in ganz anderem Licht erscheinen. Denn Liszts Charakteristik dessen mit »Sammlung und Arbeit in Weimar« ist hinsichtlich des Sammelns durchaus doppeldeutig. Gewiss ging es um ein Sich-Sammeln, gewiss aber auch um ein Zusammensuchen jener durchaus zahlreichen Kompositionen in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung, die aus der Virtuosenzeit herüberleuchteten und nach einem endgültigen Ergebnis, einer nun gültigen Fassung verlangten. Ein Großteil der Werke für Klavier solo und der Lieder wurde so betrachtet, begutachtet und ggf. in eine »letzte« Fassung gebracht, vor allem die beiden großen EtüdenZyk­len, die beiden Zyklen der »Années de pèlerinage« »Suisse« und »Italie«, die »Harmonies poétiques et religieuses« und »Consolations«, selbstredend Projekte des Neuen Weimar 

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auch viele zum Teil hochbedeutende Einzelstücke, dabei natürlich auch Bearbeitungen. Schon der Umfang des so gearteten kompositorischen Werkes jener Zeit ist sehr erstaunlich. Hinzu kamen umfangreiche erklärende und werbende Schriften, zumeist sehr eng auf den jeweiligen musikalischen Gegenstand bezogen. Genannt sei die Chopin-Monografie, die schon zwei Jahre nach dem Tod des Freundes 1851 in Paris als Artikelreihe und im Jahr darauf in Leipzig als Buch erschien, genannt seien die fulminanten Wagner-Schriften und die eher allgemeinverständlich gehaltene Artikelreihe von 1853/54. Gerade aber dieser auf öffentliches Wirken orientierte Blick der Nachwelt, gelegentlich verbunden mit der Abneigung gegenüber seinen Kompositionen, hat die Sicht auf Liszts Neues Weimar verunklart oder abgelenkt. In dessen Zentrum, im Zentrum von »Sammlung und Arbeit in Weimar« stand seine Arbeit als Komponist, also weder die des Chefdirigenten der Hofkapelle noch die des Propagandisten für eine neue Musik. Komponieren war das Hauptprojekt des Neuen Weimar, selbstredend dann verbunden mit der öffentlichen Aufführung und Durchsetzung der eben entstandenen Werke. In einem engen Zusammenhang mit diesem Hauptprojekt standen allerdings zwei Großprojekte, die jedes für sich das Neue Weimar jener Zeit hätten sinnfällig für eine weite Öffentlichkeit überhöhen und krönen können  : der Generalplan von 1849/50 für Weimars Kulturentwicklung »De la Fondation-­Goethe à Weimar«, eine Nationalstiftung der Künste für die »Genie’s der Zukunft« einerseits, Richard Wagners Festspielhaus für und mit der »Ring des Nibelungen«-Tetralogie andererseits. Hätten krönen können, also Konjunktiv, denn beide erlebten in Weimar keine Realisation, entfalteten allerdings Kräfte und Konflikte. Neu-Weimar zeigte seine Strahlkraft auf höchstmöglicher Ebene, Alt-Weimar formierte sich als Gegenpartei. Der Ausgangspunkt zum Goethe-Stiftungs-Projekt war der 100. Geburtstag des Dichters am 28. August 1849. Berliner Gelehrte und Künstler hatten im Juli zu einer »allgemeinen deutschen Göthefeier« aufgerufen. Nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung und inmitten weiterer regionaler revolutionärer Auseinandersetzungen verbanden sie dies mit dem Ziel, »in die düsteren Nebel der verworrenen Gegenwart einen heiteren Sonnenstrahl gemüthlicher Erquickung zu bringen«, und dies im »Geiste Göthe’s […], dem Geist der Ordnung, der Mäßigung, der Besonnenheit und der edelsten Freiheit, der es besonders vermochte, durch anhaltende und fortbildende Wirkung ausschweifende und verwilderte Kräfte zu ruhiger Entwickelung anzuziehen 240

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und in mildere Gestalten festzubannen«. Schließlich  : »Göthe’s Andenken ist es werth, der Träger eines bleibenden gemeinsamen Wirkens aller Edelen Deutschlands zu sein. Möge die bevorstehende Feier dazu Anlaß bieten und eine Stiftung hervorrufen, die in seinem Geiste deutsches Kunstleben und den Einfluß desselben auf die Versittlichung des Volkes stärke und mehre.«153 Die Stiftung solle in Weimar angesiedelt werden und »in jedem Falle der deutschen Kunst« als Nationalstiftung gelten, also ein Symbol nationaler Einheit in der Kunst sein. Vorschläge aus ganz Deutschland seien erwünscht, ebenso eine finanzielle Förderung. Die »Göthefeier« selbst am 28. August 1849 war eine würdige Ehrung, das bekränzte Haus am Frauenplan war ausnahmsweise partiell zugänglich. Einer Festaufführung des »Tasso« am 28. August folgte am Tag darauf ein Festkonzert mit einem erlesenen Programm. Neben zwei bezugsreichen Werken Liszts (»Weimars Toten«, »Chor der Engel« aus »Faust II.«) erklang die Uraufführung von »Fausts Verklärung« aus Robert Schumanns »Faust«-Oratorium und zum Schluss Beethovens 9. Sinfonie. Dirigent war Liszt. Wir können davon ausgehen, dass der Schwung des Ereignisses sich eben auch auf das Liszt’sche Projekt einer »Goethe-Stiftung in Weimar« übertragen hat. Schon am 18. September, drei Wochen nach der Feier, sandte Liszt die Projektskizze als Denkschrift aus Helgoland an den Erbgroßherzog Carl Alexander nach Weimar. Der war davon sehr angetan, legte einen eigenen Vorschlag zur Seite und sandte es an das Berliner Komitee. Das würdigte es in seinem Abschlussbericht vom 29. Oktober 1849 als das beste der drei eingereichten Projekte (Goethe-Schiller-Denkmal Rauchs, Diesterwegsche Bildungsanstalten, Weimarer Kunstwettbewerbe). Liszt formulierte das Projekt nun ausführlich aus, einschließlich Statuten und einer weiten historischen Begründung. Aus der Denkschrift wurde ein Buch – Liszt nannte es bescheidener »brochure«. Kurz zusammengefasst sah Liszts Vorschlag vor, alljährlich am 28. August in Weimar eine Kunstolympiade zu veranstalten und hier einem hervorragenden Werk der Dichtkunst, der Malerei, der Bildhauerkunst und der Musik in alternierender Folge einen namhaften Preis zu verleihen, die prämierten Werke anzukaufen, aufzuführen bzw. auszustellen und sie so einem breiten Publikum zugänglich zu machen. »Goethe-Medaillen« sollten zudem zur Aufmunterung und Unterstützung anderer am Wettbewerb beteiligter Meister beitragen. Denn um eine Olympiade der Besten ihres Faches, der jungen Meister sollte es gehen, nicht schlechthin um Nachwuchsförderung. Eine Zusatzklausel des Berliner Komitees legte außerdem fest, dass mit der Preisverleihung alljährlich ein Liederfest zur Belebung des deutschen Volksgesanges verbunden sein solle. Projekte des Neuen Weimar 

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Den Wert des für den kulturellen Rang Weimars grandiosen Planes beschrieb Liszt so  : »Dieser Fall ist ein Ereignis für Weimar, und kann merklich dazu beitragen, es aus der Reihe von Städten zweiten Ranges zu erheben, indem es sich an die Kunst lehnt, wie auf eine Axe, deren äusserste Enden, um sie wirksamer zu unterstützen, ausser ihr liegen. Einerseits wird diese Axe beständig auf den höchsten Häuptern Deutschland ruhen, welche berufen sind, das leitende Comité und das Preisgericht zu bilden, die sich jährlich zu besammeln haben. Andererseits wird sie sich auf die Künstler stützen, deren Werke sich auf dem Concours zeigen. Auf einer Seite wird diese Institution den Ruhm hoher Weisheit und Erfahrung ehrfurchtgebietender und competenter Autoritäten haben, auf der andern wird sie in Bezug stehen zu der emporsteigenden Bewegung der jüngsten Generationen, zu der Entfaltung prädestinirter Talente, zu den Genie’s der Zukunft.«154 Man kann sich unschwer vorstellen, was eine Realisation dieser Kunstwettbewerbe einer nach Goethe benannten Nationalstiftung für Weimar bedeutet hätte. Ebenso liegt es nahe, wie neidisch die Weimarer Bildungselite auf diesen Vorschlag ausgerechnet eines französisch sprechenden Musikers gewesen sein muss und tatsächlich auch war, wie man an den Debatten im Weimarer »Comité für die Goethestiftung« um den Hofrat Gustav Adolf Schöll, dem Direktor der Großherzoglichen Kunstsammlungen und der Zeichenschule, erkennen kann. Liszt trat im Januar 1850 aus dem Komitee aus. Auf Betreiben des Erbgroßherzogs Carl Alexander entschied der Hof wenig später, die Stiftung am 28.  August 1850 ins Leben zu rufen. Liszt sah einen Stiftungsfonds von 100.000  Talern vor. Gegen eventuell damit verbundene Weimarer Verpflichtungen agierte der Weimarer Staatsminister von Watzdorf heftig. Negativ entscheidend aber dürften politische Implikationen gewesen sein. Im August 1850 standen Preußen und Österreich kurz vor einem deutschen Bürgerkrieg um die »Erfurter Union«. Nichtsdestoweniger veröffentlichte Liszt im Februar 1851 seine »brochure« (also Flugschrift, Broschüre) als Buch mit 162  Seiten unter dem Titel »De la Fondation-Goethe à Weimar«, also in französischer, der höfischen Sprache, bei Brockhaus in Leipzig  ; die deutschsprachige Übersetzung folgte 1855 in Kassel. Selbstredend wird Liszt den politischen Anachronismus bemerkt haben, nach dem Aufgeben der kleindeutschen Lösung unter Führung Preußens Ende November 1850 nach wie vor ausgerechnet ein Nationalstiftungsprojekt anzustreben, das von preußischen Geistesgrößen initiiert worden war. Dennoch blieb er dabei. Es war ihm zu wichtig und richtig, um es aufzugeben. In Weimar zog die Buchveröffentlichung eine scharfe Auseinandersetzung 242

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mit seinem Hauptgegner Schöll nach sich. Der forderte nun im März 1851, stattdessen die Weimarer Memorialkultur mit Mitteln der Bildenden Kunst zu stärken, d. h. Rauchs Goethe-Schiller-Denkmal zu realisieren, was ja in der Fassung des Rauch-Schülers Ernst Rietschel beim »Septemberfest« 1857 dann auch geschah. Großherzog Carl Alexander kam verschiedentlich auf das Kunstwettbewerbe-Projekt zurück, wohl zunehmend, um Liszt in Weimar zu halten. Denn er konzentrierte sich Ende der 1850er-Jahre ganz auf das Vorhaben, eine Kunstschule zu gründen, wie 1860, und ein Museum erbauen zu lassen, wie 1869 realisiert. Die im Februar 1860 abermals aufflammende Auseinandersetzung mit Schöll dürfte Liszts Entscheidung bestärkt haben, Weimar zu verlassen. Wie im August 1861 geschehen und endgültig gemeint. Zuvor hatte ein Stück Goethe-Stiftung, hatten einige Elemente jenes Planes Eingang gefunden in die Satzung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, dessen Gründungsfest im August 1861 in Weimar gefeiert wurde. Und Carl Alexander hatte wenige Monate zuvor die Zustimmung zur Gründung einer Weimarer Goethe-Stiftung für die Förderung von Literatur und Bildender Kunst gegeben, die im November 1861 realisiert wurde. Da war Liszt bereits in Rom und grübelte über das Schicksal, das die schon sicher erscheinende Hochzeit mit Carolyne an seinem 50. Geburtstag verhindert hatte. In Weimar war aus seiner Idee einer nationalen Olympiade der Künste ein Literatur- und Kunstpreis des Weimarer Großherzogs geworden. Noch aus den 1880er-Jahren gibt es einen Briefwechsel, in dem Carl Alexander feststellt, die Goethe-Stiftung sei zumindest in Teilen realisiert, und Liszt das Gegenteil zu Protokoll gibt. Beide mögen dabei allerdings eben etwas durchaus Verschiedenes gemeint haben. Noch in solchen späten Äußerungen Liszts ist seine tiefe Betroffenheit über das Scheitern mit Händen zu greifen  : Es war sein Herzblut-Projekt für Weimars Kultur als Ganzes. Das andere Großprojekt war in seinem Schicksal für Liszt ähnlich schmerzlich, zumal es seinem ureigenen Feld der Musikentwicklung angehörte. Richard Wagner war zum Opernkomponisten des Neuen Weimar geworden, auch wenn eine Amnestie für ihn in Dresden nicht durchsetzbar war und er von daher nicht nach Weimar verpflichtet werden konnte, wie Liszt es beharrlich anstrebte. Ein Kompositionsauftrag von hier für einen »Jungen Siegfried« war eine frühe Unterstützung für die Entwicklung hin zum »Ring des Nibelungen« gewesen. Der mehrteilige Opernkomplex war 1856 nun weit gediehen. Bei seinem Besuch in Zürich im Herbst 1856 stellte Wagner ihm die fertigen Teile des »Siegfried« vor, noch von dort schrieb Liszt am 10.  November an GroßProjekte des Neuen Weimar 

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herzog Carl Alexander  : »Es ist meine Pflicht, Ihre Aufmerksamkeit wieder auf etwas Großes zu lenken, und so komme ich ohne Vorrede gleich zur Sache. Es scheint mir nicht nur angebracht, sondern notwendig und gleichsam unumgänglich, daß Wagners ›Nibelungen‹ zuerst in Weimar aufgeführt werden. […] Eine solche Aufführung ist zweifellos keine ganz einfache und leichte Sache  ; außerordentliche Maßregeln werden nötig sein, wie z.  B. der Bau eines Theaters, die Zusammenstellung einer Truppe ad hoc, entsprechend den Absichten Wagners  ; Schwierigkeiten und Hindernisse können sich zeigen, aber nach reiflicher Überlegung bin ich überzeugt, daß Ew. Kgl. Hoheit nur ernsthaft zu wollen brauchen, dann wird sich alles von selbst machen. Was das materielle und moralische Ergebnis anlangt, so scheue ich mich nicht, dafür zu bürgen, daß es in jeder Hinsicht Ew. Kgl. Hoheit befriedigen wird. Wagners Werk, von dem die Hälfte vollendet ist und das in zwei Jahren (im Sommer  58) ganz fertig sein wird, wird unser Zeitalter beherrschen als die monumentalste Leistung der gegenwärtigen Kunst  ; es ist unerhört, wunderbar und erhaben. Wie beklagenswert würde es sein, wenn die engherzigen Rücksichten der in manchen Verhältnissen herrschenden Mediokratie es fertig brächten zu hindern, daß dieses Werk seinen Strahlenglanz über die Welt wirft.«155 Liszt hatte damit in jeder Weise Recht. Carl Alexander war offensichtlich von der Idee fasziniert. Es kam zu Vorbesprechungen zum Ort des Wagner-Theaters nahe dem Schloss auf der anderen Ilm-Seite, auf dem »Stern«. Wer am Hof oder in der Stadt davon erfahren haben mag, muss zur Überzeugung gekommen sein, Neu-Weimar sei verrückt geworden  – ein eigenes jenseits des bestehenden Theaters, ein eigenes Wagner-Ensemble, alles anders und eigen-artig, wie seltsam  ! Die dann von Liszt geerdetere Idee, »seine Nibelungen« (so in einer Gesprächsniederschrift Carl Alexanders noch 1861) am Hoftheater aufzuführen, blieb ebenfalls ein erfolglos verfolgter Lieblingsplan nach seinem Rückzug von der Chefdirigenten-Position Ende 1858. Wenn auch diese beiden Großprojekte als letztlich gescheitert, für Weimar verloren betrachtet werden müssen, das Neue Weimar Liszts ist es nicht. Das bekräftigen die scharfen deutschlandweiten Auseinandersetzungen um die Neu-Weimarer bzw. seit 1859 Neudeutsche Schule. Liszt war 1848 »reinen Herzens« (so Präsident Hellmut Seemann zur Liszt Biennale Thüringen am Pfingstmontag 2015 im Liszt-Haus) nach Weimar gekommen, um seine Bestrebungen an jene der großen Vorgänger anzuknüpfen. Auf seinem ureigenen Feld der Musik schuf er damit eine kurze, aber große Weimarer Kunstepoche, 244

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die jener vorherigen in der Tat an der Seite steht und, scharf umkämpft, lange nachwirkte. Für sein Neues Weimar steht sein eigenes Weimarer Œuvre, dafür stehen Berlioz-Wochen und Wagner-Aufführungen, dafür steht die Förderung außergewöhnlicher junger Musiker im Kreis der »Altenburg« – Hans von Bülow, Peter Cornelius, Hans von Bronsart, Carl Tausig sind Namen, mit dem das Neue Weimar der 1850er-Jahre verbunden blieb. Es gelang, europa- und damit weltweit reflektiert eine zweite Kunst-Ära am gleichen Ort zu entwickeln. Insbesondere im Septemberfest 1857 zum 100.  Geburtstag von Großherzog Carl August trafen beide aufeinander  : am 2., 3. und 4. September die klassische Zeit, am 5. und 6. September die neue Ära. Und dies in doppeltem Zusammenhang mit der Enthüllung des Goethe- und Schiller-Denkmals. Denn das Denkmal war das vom Hauptgegner Schöll präferierte Konkurrenzprojekt zu Liszts Goethe-Stiftung in Weimar. Die Uraufführung seiner »Ideale« (nach Schiller) und seiner »Faust-Symphonie« (nach Goethe) am 5. September traf nun auf die Denkmalsenthüllung am Vortag, Liszt traf auf Rietschel/Rauch.

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32. CHEFDIRIGENT LISZT

Was heißt hier »Chefdirigent«  ? So etwas gab es doch im 19. Jahrhundert überhaupt nicht, oder  ? Franz Liszt war seit 2. November 1842 »Großherzoglich Sachsen-Weimari­ scher Kapellmeister« und dies, wie wir durch das Gutachten des allmächtigen Staatsministers Bernhard von Watzdorf vom 5. Juli 1864 wissen, in definitiver Anstellung, also nicht nur titularisch. Die Nebenabrede von 1842 besagte ja, dass er berechtigt sei, bei Anwesenheit in Weimar und ohne die Funktion des (ordentlichen) Hofkapellmeisters Chélard zu beeinträchtigen die Hofkapelle in Konzerten (insbesondere Hofkonzerten) zu leiten. In Konzerten – Opern im Hoftheater waren damit also nicht inbegriffen  ; sie waren das angestammte zentrale Arbeitsfeld des Hofkapellmeisters und der beiden Musikdirektoren. Denen kam Liszt nun seit 1848 durchaus etwas beeinträchtigend in die Quere. Für diese seine besondere Situation, in der er im Übrigen lebenslang verblieb und die das überaus aufwändige Arbeitsjahrzehnt 1848–1858 prägte, hat sich die Begrifflichkeit »Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten« eingebürgert. Sie hat wenig geholfen, sich darunter Rechte und Pflichten ausreichend vorstellen zu können. Dies wird viel klarer mit dem, was der erste Generalintendant des Hoftheaters und der Hofkapelle Franz Dingelstedt Ende 1857, als er das Personaltableau kritisch durchsah, aktenkundig feststellte  : Liszt sei »exzeptioneller Hofkapellmeister«, d. h., er bestimme völlig selbst, was er zu tun gedenke. Dies aber ist dem Selbstverständnis eines heutigen Pultstars mit Weltrenommee, also dem Chefdirigenten eines (namhaften) Orchesters viel näher als dem des traditionellen Hofkapellmeisters, der das gesamte musikalische Geschäft am Theater zu leiten hatte. Als ich vor Jahren dieserart besondere Rolle Liszts mit Christian Thielemann bei einer kleinen Führung in der »Altenburg« erörterte, meinte er sich da Liszt ausgesprochen nahe. 246

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Anders als exzeptionell wäre Liszt nicht über ein Jahrzehnt in Weimar zu haben gewesen. Schon Hummel hatte mit seinem dreimonatigen Konzerturlaub während der Saison (ein wenig) exzeptionelle Arbeitsbedingungen  ; dass sein Theaterumfeld dies scharf missbilligte, versteht sich. Dennoch habe der Weimarer Status quo ihn »entkräftet zusammenklappen lassen« und »moralisch entmannt«, mit negativen Auswirkungen auf sein kompositorisches Schaffen, schrieb Liszt am 3. Februar 1860 an Großherzog Carl Alexander. So etwas hätte sich mit seinen Überlegungen zu »Sammlung und Arbeit in Weimar« nicht verbinden lassen, kam für ihn also nicht infrage. Was er aus freier Verpflichtung dennoch wollte, war, durch ausgewählte Werke in nennenswert guten Konzert- und Opern-Aufführungen Weimar schnell und durchgreifend zu einem Zentrum des europäischen Musiklebens werden zu lassen. Die leitete er zwischen September 1848 und Dezember 1858 selbst, wenn er ansonsten auch wochen- und monatelang nicht am Ort bzw. obwohl in Weimar nicht im Theater war. Wie dann seit Anfang 1859 auf Dauer. Bis zum 17. April 1851 war Hofkapellmeister Chélard im Amt und leitete »seine« Opern. An diesem Tag wurde er vom Dienst suspendiert, und Intendant Ferdinand Freiherr von Ziegesar übertrug Liszt die »alleinige oberste Verantwortung«. Dies geschah nicht etwa zu neuen Bedingungen. Chélard behielt sein Gehalt von 1000 Talern bis zu seinem Tod im Februar 1861, Liszt erhielt weiter wie bisher die jährlich 1000 Taler aus der Schatulle der Großherzogin, die Chélard, da kein Klaviervirtuose, im Unterschied zu seinem Amtsvorgänger Hummel nicht als Gehaltsverdopplung gewährt wurden, und dazu aus gleicher Quelle 300  Taler für die Leitung der Hofkonzerte. Mehr nicht, trotz nun zweifellos viel höherer Verantwortung. Und selbstredend blieb er exzeptioneller Hofkapellmeister, jetzt allerdings wirklich als Chefdirigent, d. h. mit vollem Zugriff auf Hofkapelle und Hofopernpersonal. Die »oberste Verantwortung« musste er durch das Delegieren der Mehrarbeit auf die beiden Musikdirektoren Götze und Stör wahrzunehmen suchen, die neben ihren Dirigier- und Verwaltungsaufgaben als Geiger die 1. und 2. Violinen verstärkten. Dieserart Realisation von Verantwortung bot freilich auch schwerwiegende Angriffspunkte. In jenem schon zitierten Brief vom 3.  Februar 1860 schrieb er an Großherzog Carl Alexander  : »Wer mir wohl will, muß sich an den Geist, nicht an den Buchstaben meiner Fähigkeiten halten. Was tuts, ob ich den Taktstock bei einer Vorstellung führe, wenn ich ihr nur Leben eingehaucht habe, und das hängt nicht von der Bewegung meines Armes ab, sondern von der Tätigkeit meines Geistes.« 156 So weit so richtig und edel, jedoch wollten ihm manche wohl nicht so richtig wohl. Chefdirigent Liszt 

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Abb. 30  : Franz Liszt am Weimarer Dirigentenpult 1853. Lithographie von Carl Hoffmann

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Liszt wollte viel als Dirigent, schon in den zweieinhalb Jahren neben dem stark resignierenden Chélard. Und das eben auch auf dem Feld der Oper, was im Unterschied zum Opernkomponisten Chélard keineswegs sein angestammtes Feld war. Dafür kam ihm die frühe »Entdeckung« der Werke seines Dresdener Amtsbruders Richard Wagner außerordentlich zugute. Wenn schon keine eigenen Opern auf die Goldwaage zu legen waren, dann eben die Wagners. Und die erwiesen sich als Goldklumpen auf dem Weg zu deutschlandweiter Bekanntheit der Weimarer Oper. Schon in seiner ersten Spielzeit 1848/49 konzentrierte sich Liszt ganz auf die Erstaufführung von Wagners »Tannhäuser« am 16. Februar 1849, in der Geburtstags-Festvorstellung zu Ehren der Großherzogin Maria Pawlowna. Als Uraufführung folgte noch am 14. April »Tony oder Die Vergeltung« des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha. Beides waren dynastisch interessierende Aufgaben wegen der Wartburg und wegen des Gothaer Cousins, mit denen Liszt als Exzeptioneller kaum in das geordnete Theatergefüge einzugreifen schien. Wagners »Tannhäuser« allerdings entpuppte sich als »Knaller« der Saison, vom Dirigenten, einem Kommunikationsgenie mit hohem Vermittlungsanspruch, auch noch musikschriftstellerisch auf sehr hohem fachlichen Niveau printmedial präsentiert. Nach dem Dresdener Maiaufstand 1849 wurde Wagner in Abwesenheit in das Neue Weimar eingemeindet. Wehren konnte er sich dagegen als nunmehriger Exilant in der Schweiz ohnehin nicht, im Gegenteil, er war lange Jahre auf Liszt und Weimar angewiesen. 1849/50 kein anderes Bild. Neben ein paar kleineren Opern von Mozart, Rossini, Hoven und Saloman stechen zwei große Projekte hervor  : Glucks »Iphigenie in Aulis« in der Bearbeitung Richard Wagners und  – wenn man sie zu dieser Spielzeit noch zuschlägt  – die Uraufführung von Wagners »Lohengrin« am 28.  August, dem 101.  Geburtstag Goethes. In der Folgesaison 1850/51 Donizettis »Favoritin«, Lortzings »Zar und Zimmermann« (im Vorfeld des Geburtstages von Maria Pawlowna) und, für die Geburtstags-Festvorstellung am 16.  Februar geplant, aber nicht fertig geworden und erst am 9. März realisiert, die Uraufführung von Joachim Raffs »König Alfred« unter Leitung des Komponisten, gleichzeitig enger Mitarbeiter bzw. Sekretär Liszts. Dann im April 1851 die Ablösung Chélards ohne Ersatz. Was das »Normalgeschäft« zwar zunächst durch den Wegfall von Konfliktlinien erleichterte, aber manchen Vorgang auch verzögerte. 1852 folgte ein Wechsel in der Opernregie, von Eduard Genast, dem wichtigsten Partner Liszts in dessen ersten Opernjahren, zum »artistischen Direktor« Heinrich Marr. Mit ihm setzte sich eine gute Zusammenarbeit noch ein wenig fort, bis zum großen Krach hinsichtlich der Chefdirigent Liszt 

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Finanzierungsveränderungen im Hoftheater 1853. Die benachteiligten dann das Schauspiel zugunsten der Oper. Die ausnahmslos aus der Hofkasse kommende Theaterfinanzierung war seit 1848 noch begrenzter als zuvor, das Land verweigerte sich über den Landtag bis zum Ende des Jahrhunderts einer Mitfinanzierung. Veränderungen waren also nur über eine innere Umschichtung sowie gelegentlich durch Privatmittel der großherzoglichen Familie erreichbar. Der »Theaterkrieg« mit Marr führte Anfang 1854 zu dessen Ablösung als Opernregisseur. In diesem Jahr verstarb allerdings der Liszt freundschaftlich verbundene Intendant von Ziegesar. Vom Schauspiel aus schimpfte Marr noch bis zu seiner Entlassung 1856 über die Liszt’sche Misswirtschaft. Natürlich blieb dies auch der weiteren Öffentlichkeit nicht verborgen. Schließlich übernahm Franz Dingelstedt zum 1. Oktober 1857 als erster Generalintendant des Hoftheaters und der Hofkapelle sowohl die Nachfolge des höfischen Intendanten von Beaulieu-Marconnay wie die des einstigen »artistischen Direktors«. Unruhige Theaterjahre schon lange vor dem Skandal im Dezember 1858. Es ist naheliegend, dass Liszt so weit möglich die Qualität des Spielbereichs zu verstärken trachtete. 1850 setzte er die Anstellung des blutjungen Joseph Joachim (1831–1907) als Hofkonzertmeister mit dem exzeptionellen Jahresgehalt von 500  Talern durch. Mit dem neuen Titel und der im Vergleich zum durchschnittlichen Gehalt der Hofkapellisten doppelt so hohen Vergütung war von Anfang an der künstlerische Führungsrang markiert. Der junge Violinvirtuose, Landsmann Liszts und ehemals Wunderkind wie dieser, war nun – leider nur zwei Jahre lang – der absolut führende Weimarer Hofkapellist. Er galt dann bald in Hannover und Berlin als bester deutscher Geiger in der zweiten Jahrhunderthälfte, mit überragender Bedeutung in solistischer wie kammermusikalischer Hinsicht. Als er im Januar 1853 als Konzertmeister nach Hannover ging, folgten ihm in Weimar mit Ferdinand Laub aus Prag 1853–1854 und Edmund Singer aus Pest 1854–1861 namhafte von außen hinzukommende Geiger nach. Liszts wegen blieben sie ein paar Jahre hier und verdienten dann anderwärts das Doppelte. In einer Denkschrift zur Lage des Weimarer Theaters schrieb Liszt am 14. Januar 1852, ein Dreivierteljahr nach Chélards Ablösung, an die Großherzogin Maria Pawlowna, die seit knapp einem Vierteljahrhundert quasi die Kulturministerin des Großherzogtums war  : »Eine ganze Anzahl von Mitgliedern des Theaters ist vom Alter geschwächt, in den Dürftigkeiten des Provinzbetriebes versauert, ohne eine Ahnung davon, was anderwärts getan und geleistet wird, zufrieden, wenn sie ihres Abendbrotes sicher ist, während es an jungen Leuten fehlt, die einen Namen zu erobern haben, Vergleiche anstellen können und 250

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sich von jener Glut beseelt fühlen, ohne die es fast besser ist, überhaupt nichts anzufangen.«157 Im Sinne des Komponisten Liszt kann man nur froh sein, dass er da nicht »normaler« Hofkapellmeister war. Er hätte sich aufgerieben. So aber konnte er zumindest partiell seine Hofkapellisten nach sehr geduldigem gründlichen Probieren durch sein begeisterndes Vorbild zu Leistungen anspornen, die nach einhelligem Urteil die größerer und viel besser gestellter Orchester übertraf. Zudem vermochte er für die – ohnehin ganz wenigen – öffentlichen Konzerte im Hoftheater, auf die es ihm besonders ankam, die besten Musiker umliegender Kapellen hinzuzuziehen. Auf solcher Basis spielte ein quasi verdoppeltes Orchester das »Denkmal-Konzert« am 5.  September 1857, das allerwichtigste seiner Weimarer Jahre. Von daher aber weigerte er sich auch, ohne eine durchgreifende Vergrößerung der Kapelle und ohne den Neubau eines Konzerthauses bzw. wesentliche akustische Verbesserungen im Theater Abonnementskonzerte einzuführen. Der Bildungselite seines Publikums war er dabei intensiv zugewandt, erklärend, werbend. 1853/54  – es war so etwas wie die Spielzeit der Entscheidung  – veröffentlichte er in der »Weimarischen Zeitung« eine siebenteilige Artikelserie, in der er, jeweils vom konkreten Aufführungsprojekt ausgehend, einführende Bemerkungen mit grundsätzlichen Überlegungen geschickt verband. Der erweiterte Nachdruck (elf Artikel) in der zwanzig Jahre zuvor von Robert Schumann in Leipzig mitgegründeten »Neuen Zeitschrift für Musik« verdeutlichte, dass es Liszt längst auch um das überregionale Publikum ging. Das konnte ja inzwischen mit der Eisenbahn anreisen.

Chefdirigent Liszt 

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33. AN MARIA PAWLOWNA . JANUAR 1852

Mit Datum vom 14. Januar 1852 richtete Franz Liszt eine Denkschrift zur Situation des Weimarer Theaters und der Hofkapelle an Großherzogin Maria Pawlowna, die zu den großen schriftlichen Äußerungen ihres Autors zählt. Sie ist gleichzeitig ein herausragendes Dokument zur Geschichte der beiden Institutionen. Von Liszt in seiner Bildungssprache, also in Französisch geschrieben (ohnehin die auch in Weimar übliche höfische Sprache), sei die Denkschrift hier in der Übersetzung Peter Raabes zitiert. Dies ist nicht nur praktikabel, es ist darüber hinaus ein Zeichen von Hochachtung gegenüber dem in der Weimarer Geschichte zweifellos bedeutsamsten Liszt-Forscher überhaupt. Raabe (1872–1945) war nach mehreren Entwicklungsstationen 1907 als 1. Hofkapellmeister nach Weimar gekommen. Er blieb bis 1920, war also der letzte dieses Titels und der erste Chefdirigent der Weimarischen Staatskapelle. Dann bis 1934 Generalmusikdirektor in Aachen, wirkte er zwischen 1935 und seinem Tod als Präsident der »Reichsmusikkammer« in Berlin. Seine von daher kommenden intensiven Verstrickungen in das NS-System sind offenkundig und klar festgestellt.158 Zwischen 1910 und seinem Tod im April 1945 war Raabe auch Kustos des Weimarer Liszt-Museums. Als solcher und durch seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zur Liszt-Überlieferung (»Franz Liszt« in zwei Bänden 1931  : »Liszts Leben« und »Liszts Schaffen«, mit einem Werkverzeichnis  ; Mitherausgabe der Liszt-Gesamtausgabe) hat er sich als Fachmann bleibende Verdienste erworben. Sie sind umso höher zu schätzen, als er sich für Liszt vehement ausgerechnet in den Jahrzehnten einsetzte, in denen dessen Werk in Deutschland immer weniger galt. Jene Hochachtung des Liszt-Forschers kann auch deshalb ungeschmälert sein, als sich bei ihm bis in die frühen 1930er252

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Jahre hinein und jedenfalls bis zum Erscheinen seines Liszt-Kompendiums 1931 keinerlei NS-Nähe feststellen lässt. Raabes Übersetzung der vorliegenden Denkschrift entstammt dem ersten Buch nach seiner Dissertation von 1916 »Die Entstehungsgeschichte der Orchesterwerke Franz Liszts«. Es galt im Jahr der Centenarfeiern für den Großherzog Carl Alexander (1818–1901) dessen Verhältnis zu Liszt. Zurück zum Gegenstand selbst  ! Ein Dreivierteljahr nach Liszts Übernahme der »obersten Verantwortung« für die Hofkapelle im April 1851 schrieb er als nach wie vor exzeptioneller Hofkapellmeister an die Großherzogin Maria Pawlowna  : »Madame, die Komplimente, die Ew.  Kaiserl. Hoheit mir nach der Lohengrin-Vorstellung zu machen geruhten, zwingen mich, um nicht mit den Dienern verwechselt zu werden, denen es genügt ihren Gehalt einzustecken, und welche Wohltaten annehmen ohne den Versuch zu machen, sie zu verdienen, ehrerbietigst einige Bemerkungen zur Kenntnis Ew. Kaiserl. Hoheit zu bringen. Als Musiker von Beruf habe ich darüber nachgedacht, welche verschiedenen Gebiete meiner Kunst offenstehen und unter welchen Bedingungen sie blühen kann, in der Kirche, in den Konzerten und auf der Bühne. Was das Theater betrifft, so bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß es notwendigerweise einer der folgenden Gattungen angehören muß  : es ist entweder ein Geschäftsunternehmen, das aus der Kunst einen täglichen Gebrauchsgegenstand macht und seine Kunden anzulocken sucht und das gewöhnlich die augenblicklichen Neigungen des Publikums vertritt, die guten sowohl wie die schlechten, seine Geschmacksverirrungen und seine hergebrachte Unwissenheit, – oder aber es ist eine königliche oder nationale Einrichtung, die erkennen läßt, welches Maß von Schutz an hoher Stelle den schönen Künsten zuerkannt wird. Im ersten Fall ist es klar, daß sich die Ausgaben nach den Einnahmen richten und ihnen anpassen müssen. Im zweiten scheint es mir aber auch ganz einleuchtend, daß die Einnahmen durchaus nicht zurückwirken müssen auf die Wahl und die Ausführung der Werke. Die goldne Mittelstraße, die für manche häusliche Tugend so empfehlenswert ist, scheint mir bei diesen Dingen von geringem Werte zu sein, denn wenn es sich um Sparsamkeit handelt, so werden die Höfe diese viel durchgreifender üben können, wenn sie sich mit einem Stadttheaterdirektor auf Vorstellungen einigen, die für die Gelegenheit passen, wo sie ihnen offiziell beiwohnen, während ihr guter Geschmack an dem gewöhnlichen Durchschnitt nicht interessiert wäre. Jede amphibienhafte Einrichtung, die weder die gebräuchlichen und mißbräuchlichen Eigenschaften der ersten Gattung hat, An Maria Pawlowna. Januar 1852 

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noch die Unabhängigkeit und würdige Freigiebigkeit der andern, kann nur kümmerlich ihr Leben fristen, sie wird nur viel kosten ohne doch die geringste Befriedigung zu bringen. Das will aber durchaus nicht sagen, daß ich der Ansicht wäre, Hoftheater müßten nur außerordentliche Summen verschlingen und nichts einbringen. Ich glaube vielmehr, daß es sich nur darum handelt, bis zu einem gewissen Punkte einen beträchtlichen Geldaufwand zu bewilligen, um auch beträchtlichere moralische wie materielle Vorteile zu erzielen. Eine Einlage, ein Grundkapital sind für jedes Einkommen und für jeden Geschäftsbetrieb unumgängliche Vorbedingung – – – Nur wenn man über das notwendige Kapital verfügt, kann man aus ihm Nutzen ziehen. Was nun die besondere Frage des Weimarer Theaters angeht, so glaube ich sagen zu müssen, daß das Aufsehen, das es seit einer Reihe von Jahren erregt hat durch die Aufführung einiger neuer Opern (von denen die einen großartig, die anderen weniger anspruchsvollen immerhin nicht unverdienstlich sind), gleichsam eine Stufe bildet, auf die es gestiegen ist, und von der aus man besser übersehen kann, was ihm nottut. In diesem Augenblicke drängt sich die ganz natürliche Frage zur Beantwortung auf, was man künftighin in ihm sehen will  : soll es ein Hoftheater bleiben oder ein Privatunternehmen werden  ? Im letzteren Falle, wenn also die Art, in der es den Anforderungen unserer Zeit genügen will, eine Geschäftsangelegenheit wird, hängt es von dem, der sich mit diesem Geschäft befaßt, ab, zu bestimmen, ob es in seinem Interesse liegt, ihm einen Glanz zu geben, der nur nach und nach beträchtliche Einnahmen herbeiführen würde. Da Weimar kein Publikum besitzt, das imstande wäre den wahren Wert der Stücke zu beurteilen, die es aufgeführt sieht, so kann sein Theater nur Ruhm gewinnen, wenn man sich an das Interesse der benachbarten Städte wendet. Um das zu erlangen, muß man sich notwendigerweise entschließen, Werke zu geben, die ihren wahren Erfolg nur haben werden, wenn ihr Ruf ein fremdes, urteilsfähigeres Publikum hierher geführt haben wird. Dieses zweite Publikum wird eine Güte der Vorstellung nötig machen, die die Weimaraner nicht verlangen, denn die wissen kaum, worin sie bestehen könnte  ; es wird aber dann diese selben Weimaraner mit fortreißen, die, wenn sie auch von Hause aus wenig gewöhnt sind Gutes von Schlechtem zu unterscheiden, doch nicht wenig entzückt sein werden, ihren Abend zu verbringen, indem sie Werke sehen, die den Stempel der Meisterschaft tragen. Wenn das Theater ein Hoftheater bleiben soll, so kann es sich dieses Titels nur würdig zeigen, wenn seine Verwaltung die jetzt herrschende Rücksicht auf 254

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die Zahl der täglich an der Kasse gekauften Karten und auf den Geschmack des Weimarer Publikums aufgibt. Wenn die Verwaltung sich nicht entschließt, hervorragende Werke zu geben mit den Kosten, die sie gebieterisch erfordern, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was die Eingeborenen dazu sagen und ob sie fleißig die Vorstellungen besuchen werden, wird das Weimarer Theater nicht über den Stand der Mittelmäßigkeit hinauskommen. Was den musikalischen Teil angeht, so sind zwei gute Kapellmeister unumgänglich nötig, denn ein einziger – auch wenn er nicht noch durch schöpferische Arbeiten in Anspruch genommen ist – würde nicht genügen, die Konzerte und die alten und neuen Opern so zu leiten, daß alle Vorstellungen von gleichem Werte sind, und darauf allein kommt es an, wenn ein gediegener und dauerhafter Ruf erworben werden soll. Dann ist es dringend notwendig, Chor und Orchester wirksam zu vervollständigen. Wenn diese Bedingungen aber einmal erfüllt sind und ein berechtigtes Ansehen erworben ist, so habe ich meinerseits nicht den geringsten Zweifel, daß zu einer gewissen Zeit auch die wirtschaftliche Lage des Unternehmens glänzend sein wird, nachdem einige ansehnliche Vorschüsse geleistet worden sind, vorausgesetzt, daß sie vernünftig verteilt werden. Die 6 000 Taler, die Herr v. Ziegesar, wie er mir sagte, Überschuß hatte über die Einnahmen des Herrn v. Spiegel, wären eine Bestätigung dessen, was ich angedeutet habe. Hat man diesen neuen Gesichtspunkt aber einmal angenommen, so würde man das Ziel, auf das er hinweist, nur erreichen, wenn man mit vollkommener Beharrlichkeit vorwärts geht. Die Neugier ist schon geweckt, aber sie findet sich noch nicht durch einen vollkommenen Genuß befriedigt. Man kommt, um bekannte Werke zu hören, die recht und schlecht gegeben werden. Man müßte sie in ihrer ganzen Schönheit hören können, müßte angezogen werden durch dramatische und symphonische Meisterwerke, die würdig aufgeführt werden […] Um z. B. die Lohengrin-Aufführung annehmbar zu machen, hat gefehlt  : ein Dutzend Chorsänger, Männer sowohl wie Frauen, ohne die die prächtigen Chöre dieses Werkes ihre Wirkung verfehlen, wie jedes Musikerohr leicht feststellen kann  ; – zahlreiche Statisten, um die Lächerlichkeit zu vermeiden, daß im zweiten Akt ein Marsch gespielt wird, ohne daß ein feierlicher Zug über die Bühne schreitet  ; – ein Ersatz für die vier Bäuerinnen, die ein unwürdiges Gefolge für die Majestät der Hauptperson bilden  ; – Dekorationen, die nicht mit der Zeit so zerlumpt geworden sind wie die des dritten Aktes, die offenbar noch aus den Tagen Herolds und Boieldieus stammen  ; – Bühnentrachten, die nicht viel teurer zu sein brauchten, wenn sie auch aus anderen Stoffen gemacht wären, als man sie gewöhnlich auf den Sofas der Hôtels garnis findet  ; – etwas An Maria Pawlowna. Januar 1852 

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weniger patriarchalische Möbel als der Sitz der Else im dritten Akt, der aus vier kahlen Brettern gemacht ist  ; ein Kahn und ein Schwan, die etwas mehr geeignet wären, sich den glänzenden Vorstellungen anzupassen, die die Musik in den Gemütern erweckt  ; – und endlich die notwendige Ergänzung des Orchesters, die ich im einzelnen Herrn Baron v. Beaulieu angegeben habe. Eine ganze Anzahl von Mitgliedern des Theaters ist vom Alter geschwächt, in den Dürftigkeiten des Provinzbetriebes versauert, ohne eine Ahnung davon, was anderwärts getan und geleistet wird, zufrieden, wenn sie ihres Abendbrotes sicher ist, während es an jungen Leuten fehlt, die einen Namen zu erobern haben, Vergleiche anstellen können und sich von jener Glut beseelt fühlen, ohne die es fast besser ist, überhaupt nichts anzufangen. Solange man jedesmal vor der Ausgabe von ein paar Talern oder Groschen ängstlich überlegt, ob sie auch an der Abendkasse wieder einkommen, ist es überflüssig daran zu denken, das Ansehen aufrecht zu erhalten, das die deutsche Presse und die übrigen The­ater dem Weimarischen zugestehen. Die Aufführung einiger neuer Opern wird eine Ausnahmetat bleiben, etwas Ungewöhnliches, ein glücklicher Zufall, aber sie wird nicht erreichen, wozu sie wenigstens als Grundlage dienen kann  : die Wiederherstellung des alten Ansehens der Weimarer Bühne in einer anderen Form. Obgleich ich nur Musiker bin, so verkenne ich nicht die Gründe, die man geltend macht, um die theatralische Literatur höher einzuschätzen als die Musik, und weiß, daß in Weimar mehr als ein Weiser kopfschüttelnd das Eindringen dieser und das Zurückdrängen jener beklagt. Ohne über ihre besonderen Verdienste streiten zu wollen, wird sichs nur darum handeln, ob es augenblicklich möglich sein wird, dem literarischen Teil des Theaters die Bedeutung zu verleihen, die sein musikalischer Spielplan sehr wohl erlangen kann. Sind die dramatischen Dichter und Darsteller jetzt so ausgezeichnet, wie sie es zu einer andern Zeit waren  ? Findet sich ein Mann, der fähig wäre Goethes Werk aufzunehmen, denn ohne ein besonderes Oberhaupt, das gleichsam unumschränkt auf seinem Gebiete herrscht, kann kein Theater in die Höhe kommen. Gehört das Interesse des Publikums in der Zeit, in der wir leben, mehr der Oper oder der Tragödie  ? Das alles sind Fragen, die ich mir nur anzudeuten gestatte. Ew. Kaiserl. Hoheit wollen vielleicht selbst die verschiedenen Schwierigkeiten und Aussichten der beiden Zweige gegeneinander abwägen und beurteilen, ob es sich mehr lohnt, den einen oder den anderen zu begünstigen, da beide auf einer gleichen Stufe zu erhalten mir ein unausführbares Unternehmen zu sein scheint. Weder die Presse noch das Publikum würden diese doppelte Vorherrschaft gutheißen, die übrigens außerordentlich hohe Summen kosten würde. 256

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Bis jetzt, Madame, habe ich so wenig gefordert als nur möglich war. Alle meine Bestrebungen zielten nur darauf hin, Proben der Tüchtigkeit abzulegen, und ich habe keine Mühe gespart, diese Proben so gut als möglich zu gestalten, weil ich sie gewissermaßen als das ansah, was man Meisterstücke nennt, wie sie die Gesellen im Mittelalter abliefern mußten, ehe ihnen die Meisterschaft zugesprochen wurde. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich darin nicht mehr vorwärts gehen kann, ja, wo ich das Gebiet, das wir erobert haben, mit den Mitteln, die ich bisher anwenden mußte, nicht einmal mehr besetzt halten kann. Die Geschicklichkeit kann den Wert der materiellen Kräfte vermehren, verdoppeln, aber sie hat Grenzen, und wenn es sich darum handelt, sie zu verdreifachen, um an ein ersehntes Ziel zu gelangen, ist es unmöglich, sich einzig und allein auf die Geschicklichkeit zu verlassen, denn früher oder später wird man vollkommen enttäuscht sein. Übrigens wäre es mir nicht nur schmerzlich, es wäre geradezu gegen mein Gewissen, Ew. Kaiserl. Hoheit irregeführt zu sehen durch Ergebnisse, die in viel höherem Maße nur scheinbare sind, als mir im allgemeinen zuzugestehen lieb wäre, und weil ich durch die Tat die Ehre und das Ansehen des Weimarer Theaters nach außen zu verteidigen habe, so wäre es mir unmöglich, Ihnen, Madame, zu verbergen, wie es wirklich damit steht […]«159 Liebe Leserin, lieber Leser  ! Vielleicht hat Ihnen – so meine Hoffnung – dieses Dokument Liszt näher gebracht, als es vielerlei Fakten gelegentlich vermögen. Für mich ist es im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte bei mehreren Denkund Schreibphasen zu seinem Wirken immer mehr zu einer zentralen Äußerung emporgestiegen. Es verdeutlicht in besonderem Maße seine Existenz als öffentlich in freiem Willen tätiger Musiker in hoch verantwortlicher Position mit einem besonderen Leistungsanspruch an sich selbst, im Sinne seines Lebensmottos »Genie verpflichtet«.

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34. LISZTS SCHILLER  : RICHARD WAGNER

Liszts Musikdramatiker in der Sphäre seines Neuen Weimar war Richard Wagner. Er selbst hatte ja keine Opern komponiert. Umso mehr stellte er Wagners Werke heraus. Und wie einst Goethe Schiller, suchte er Wagner neben sich an das Weimarer Hoftheater zu ziehen, ungeachtet dessen aktiver Beteiligung am Dresdener Maiaufstand 1849 und sich anschließender steckbrieflicher Verfolgung und Flucht ins Schweizer Exil. Er tat dies in durchaus riskanter halsstarriger Weise, wie man es mit Lieblingsplänen bisweilen tut. Liszts hoffnungsgeleiteter Anspruch dabei geht aus seinem Testament vom 14.  September 1860 hervor  : »Zu einer bestimmten Zeit (es sind etwa zehn Jahre her) hatte ich für Weymar eine neue Kunstperiode erträumt, ähnlich der von Carl August, wo Wagner und ich die Führer gewesen wären, wie einst Goethe und Schiller. Die Engherzigkeit, um nicht zu sagen der schmutzige Geist gewisser örtlicher Verhältnisse, alle Arten von Mißgunst und Dummheit von draußen wie drinnen haben die Verwirklichung dieses Traumes zu nichte gemacht, dessen Ehre Seiner Kgl. Hoheit, dem jetzigen Großherzog, zugekommen wäre. Trotzdem hege ich noch dieselben Gefühle und bleibe derselben Überzeugung, daß es nur allzu leicht gewesen wäre, es allen greifbar zu machen  !«160 Aus der Bitternis jener Jahre heraus ist dies verständlich, zumal es in der Tat eine besonders große Enttäuschung gewesen sein muss, die Amnestie Wagners nicht zu erreichen. Aber ist die bittere Wertung überhaupt richtig, zumindest diesseits dessen, was Liszt erträumt haben mag  ? Denn wenn Wagner auch als Person bis 1861 außerhalb Deutschlands und insbesondere Weimars bleiben musste, sein Werk blieb es keineswegs – was überaus erstaunlich ist. Durch den Einsatz Liszts, damals sein »Generalbevollmächtigter«, wurde es ja 258

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zentraler Teil jener »neuen Kunstperiode« in einer Weise, die in seiner leiblichen Gegenwart hätte intensiver nicht sein können. Von möglichen Irritationen und Auseinandersetzungen wie wenige Jahre später in München ganz zu schweigen. Es gab in Weimar einen noch weitaus mächtigeren Gegner als den dortigen Pfistermeister  : den Staatsminister Bernhard von Watzdorf. Nicht was nicht wurde, ist also für uns eher von Belang, sondern was dennoch entstand. Alles begann mit dem »Tannhäuser« Ende 1848/Anfang 1849. Die Uraufführung in Dresden 1845 war keineswegs sonderlich erfolgreich gewesen, nach der des »Rienzi« 1842 eher enttäuschend. Ganz anders 1849 in Weimar. Wobei Liszt und Wagner hier das Glück der Tüchtigen hatten  : Die Wartburg war nicht nur die Symbolburg des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach mit Bezug auf die Landgrafen, den Sängerkrieg, auf Luther und auf das Burschenschaftsfest von 1817, sondern insbesondere auch das zentrale (Wieder-) Aufbauprojekt des Erbgroßherzogs Carl Alexander. Von daher gab es einen ganz besonderen Anknüpfungspunkt des Weimarer Hofes und bürgerlichen Publikums für die Oper und ihr Verständnis. Die Erstaufführung am 16. Feb­ ruar 1849, in der Geburtstags-Festvorstellung für die Großherzogin Maria Paw­lowna, war sehr erfolgreich. Und dies bei problematischen Aufführungsbedingungen  – die Hofkapelle eher klein, der Theaterchor absolut unzureichend besetzt. Ähnlich die Ausstattung. Zum Glück hatte Liszt einige sehr gute junge Sänger zur Verfügung. Er hatte gewiss recht, wenn er in mehreren Zusammenhängen die Begeisterung der Akteure betonte, die jene Defizite in den Hintergrund treten ließen. Überhaupt war dies für ihn das Schlüsselwort seiner Weimarer Erfolge  : Begeisterung. Liszt hatte mit dem »Tannhäuser« offenbar sein »Erweckungserlebnis« und Wagner danach begeistert geschrieben, er möge über ihn verfügen. Was der im Schweizer Exil dann sattsam tat. Liszt stützte und unterstützte ihn nach Kräften. Der umfangreichste Briefwechsel zweier großer Musiker gibt davon ein beredtes Zeugnis. Wagner selbst hatte im Februar 1849 keinen Urlaub erhalten und sich deshalb für die dritte Vorstellung am 20. Mai angemeldet. Nun war er schon am 13. Mai nach Weimar gekommen, allerdings als schutzsuchender Flüchtling, dem Liszt und seine Freunde mit Geld und falschen Papieren weiterhalfen. Zwei »Tannhäuser«-Proben im Hoftheater erlebte er mit und war sehr zufrieden. Dann traf der Steckbrief ein und er musste vor dem 20. Mai weg. »Tannhäuser« kam bis Ende 1858 in jedem Jahr zur Aufführung und war mit 34 Vorstellungen in zehn Spielzeiten die meistgespielte und erfolgreichste Liszts Schiller  : Richard Wagner 

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Oper des Liszt-Jahrzehnts. Viermal wurde sie am Opernfesttag 26. Dezember gegeben, mehrmals dazu außerhalb des Abonnements bei ausverkauftem Haus sowie mehrfach »auf höchsten Befehl« – Maria Paw­lowna und Carl Alexander hoben dadurch ihre Residenz (und sich selbst) als politisch liberale Heimat progressiver Kunstwerke heraus. Etwa gegenüber den Abgeordneten des Erfurter Parlaments 1850, die sie zu einer »Tannhäuser«-Aufführung ausdrücklich einluden. Was manchem der Eingeladenen ein Jahr nach dem Dresdener Maiaufstand gewiss seltsam erschienen sein mag. Für Liszt war die Aufführung des Werkes und die ständige Vervollkommnung von deren Qualität nicht genug. Um in ganz Europa Neugier zu wecken und Verständnis zu fördern, schrieb er einen überaus engagierten und beispielhaft gründlichen Aufsatz, der im »Journal des débats« in Europas Kulturhauptstadt Paris im Mai 1849 erschien. So nebenbei fiel wie immer etwas für die Propagierung seines Neuen Weimar ab. Und er transkribierte einige Stücke der Oper für Klavier, dabei eng an Wagners Formulierungen bleibend  – damals eine unverzichtbare, höchst wirkungsmächtige Art der Verbreitung von Musik. Ebenfalls mit einer Medienoffensive und mit Klaviertranskriptionen förderte er die Wirkung bei den beiden folgenden Wagner-Opern, die er 1850 und 1853 am Weimarer Hoftheater durchsetzte  : »Lohengrin« und »Der fliegende Holländer«. Mit »Lohengrin« wurde von ihm eine der wichtigsten Opern des 19. Jahrhunderts am 28.  August 1850 uraufgeführt, an Goethes Geburtstag und innerhalb des »Herder-Festes« mit der Enthüllung des Herder-Denkmals vor der Weimarer Stadtkirche. Nach der Furore des »Tannhäuser« war die »Lohengrin«-Uraufführung ein internationales Ereignis. Liszt hatte die Vorbereitung spät und erst auf dringliche Bitte Wagners in Angriff genommen. Er hatte gewiss zu Recht gemeint, das musikalische Drama hier in Weimar nicht befriedigend aufführen zu können. Ein Sonderzuschuss von 2000 Talern aus der Schatulle Maria Pawlownas verbesserte die Voraussetzungen. Mit der Uraufführungsleistung nach vier Wochen mit täglich vier- und mehrstündigen Proben war Liszt erwartungsgemäß dennoch nicht zufrieden. Erst im Folgejahr führte die engagierte weitere Arbeit im Sinne der Intentionen Wagners zu einer zufriedenstellenderen musikalischen und insbesondere darstellerischen Qualität. Nach fünf Vorstellungen in der Spielzeit 1850/51 gab es bis 1858 noch weitere elf, dabei in vier Spielzeiten jeweils nur eine einzige, d. h., das Werk war trotz hohem Aufwand in jeder Spielzeit unter Liszt vertreten. Im Unterschied zu »Tannhäuser« begründete bei »Lohengrin« das auswärtige Publikum den 260

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Abb. 31  : Szene aus »Lohengrin« 1850. Stich eines unbekannten Künstlers.

Erfolg. Daran sehr beteiligt war ein Artikel Liszts in der weit verbreiteten »Illustrirten Zeitung« und eine im April bzw. Mai 1851 ebenfalls in Leipzig erschienene ausführliche Schrift, mit der er für das Musikdrama Wagners warb und potentielle Besucher gründlich vorbereitete. Hier machte er auch keinen Hehl daraus, mit dem Uraufführungstermin in Bezug zu Goethe und Herder die Weiterführung des klassischen Weimar durch Wagner und sich selbst betont zu haben. Für das auswärtige Publikum war es im Übrigen hilfreich, Weimar besser als früher erreichen zu können  : Seit 1847 war die Stadt an die Eisenbahnstrecke Halle-Kassel angebunden. Die Erstaufführung von »Der fliegende Holländer« folgte am 16.  Februar 1853, also wiederum in der Festvorstellung zum Geburtstag der Großherzogin, mit großem Erfolg. Die Oper erlebte in den sechs Spielzeiten bis Juni 1858 14 Vorstellungen und war ebenfalls jedes Jahr im Spielplan vertreten. Schon im Umfeld der Erstaufführung hatte es ein aufführungspolitisches Ausrufezeichen der besonderen Art gegeben. Zwischen dem 16.  Februar und 5.  März 1853 erlebte das Publikum in der Weimarer Oper ausschließlich Wagner-Opern  : dreimal »Holländer«, dazu am 27.  Februar »Tannhäuser« und am 5.  März »Lohengrin«. Bislang absolut ungewöhnlich, war diese »Wagner-Woche«, wie Liszt die Ballung nannte, ein Vorläufer späterer »Wagner-Festspiele«. In seiner Liszts Schiller  : Richard Wagner 

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Schrift zum »Fliegenden Holländer« von 1854 fasste er zudem in überragender Manier seine Sicht sowohl zu den Qualitäten von Dichtung und Musik Wagners als auch zu dessen Absichten, historischer Stellung und Bedeutung zusammen. Dabei unterschied sich seine Sicht durchaus von der, die jener selbst in seinen Schriften der frühen 1850er-Jahre formuliert hat. So weit die drei großen Erfolge. Die »Wagner-Woche« im Februar/März 1853 wurde von einem taktischen Entlassungsgesuch Liszts begleitet. Am 16. Februar, dem Premierentag des »Fliegenden Holländers«, teilte er dem dafür überhaupt nicht zuständigen Erbgroßherzog mit, die Rahmenbedingungen seien nach wie vor völlig unzureichend. So könne er nicht weiterarbeiten. Und er ließ die Direktion tatsächlich monatelang ruhen. Carl Alexander, ab Juli bzw. 28. August dieses Jahres 1853 Großherzog, veranlasste sogleich eine bis dato undenkbare Umverteilung der Mittel im Hoftheater zugunsten der Oper, was zu enormen Spannungen im Haus und zum Marr-Liszt-Konflikt führte. Zur vierten Vorstellung des »Holländer« am 30. Oktober kehrte Liszt an das Dirigentenpult der Hofoper zurück. Tags darauf schrieb er an Wagner  : »Der ›bleiche Seemann‹ ist wieder über die hiesige Bühne geschritten  – und ihm zu Ehren habe ich wieder nach einem 8monatlichen Ausbleiben gestern das Direktions-Pult eingenommen. Mit dem fliegenden Holländer bin ich anfangs vorigen März aus dem Orchester zeitweilig geschieden – mit demselben Werke knüpfe ich wieder meine Theater-Verbindungen für diese Saison an.  – Du kannst Dir wohl denken, daß meine Passion für Deine Ton- und Wort-Dichtungen mich einzig und allein veranlaßt, meiner kapellmeisterischen Tätigkeit nicht zu entsagen. So gering auch das Resultat sein mag, welches ich hier erzielen kann, so ist es, glaube ich, doch nicht ganz illusorisch. Wir haben eine Wagner-Woche bewerkstelligt – und der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin haben hier festen Boden gefaßt und tiefe Wurzel geschlagen.«161 Um solche Wurzeln noch in anderer Weise zu verstärken, schlug er 1854 vor, eine Gesangsschule im Sinne Wagners, also im Sinne einer Ausbildung für den spezifischen Gesangs- und Darstellungsstil seines Musikdramas, zu gründen. Das allgemeinere Vorhaben seit 1849, ein Conservatorium der Musik in Weimar einzurichten, war zuvor endgültig an Finanzierungsproblemen (Konzentration auf die Oper) gescheitert. Nun also eine sehr viel speziellere Idee, in der Schrift zum »Fliegenden Holländer« sogleich veröffentlicht, verbunden mit dem großen Lob auf die Weimarer Wagner-Sänger Rosa und Feodor von Milde. Realisiert wurde auch sie nicht. Das Geschäft wurde noch mühsamer. Die Gegner formierten sich als Alt- gegen Neu-Weimar, das sich in der »Altenburg« gegen die »Philister« auf der anderen Ilm-Seite abkapselte und dies 262

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Abb. 32  : Richard Wagner 1853. Geschenk an Liszt mit der vertrauensvollen Widmung »Du weißt wie das wird  ! Rich.«

Liszts Schiller  : Richard Wagner 

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Ende 1854 mit der Begründung des »Neu-Weimar-Vereins« auch dokumentierte, wie die Vereinsstatuten von Hoffmann von Fallersleben trotzig herausposaunten. Die Wagner-Erfolge waren auf schmaler Basis erreicht worden, durch die überaus engagierte Mitarbeit der Hofkapelle und der Sängerinnen und Sänger des Hoftheaters, durch die Unterstützung Maria Pawlownas, Carl Alexanders und einzelner Weimarer Persönlichkeiten wie etwa des Regierungsrates Franz Müller. Wortführer der Gegner war der mächtige Weimarer Staatsminister (quasi der Premierminister) Bernhard von Watzdorf. Er war einst aus dem sächsischen Staatsdienst nach Weimar gekommen, er kannte dort noch viele Kollegen gut. Erfolgreich hintertrieb er das von Carl Alexander gewünschte Bemühen um eine Amnestierung Wagners. Noch 1863, der Komponist war inzwischen amnestiert, kündigte er seinen Rücktritt für den Fall an, dass der Großherzog ihm eine Ehrung (im Zusammenhang wohl zu dessen 50.  Geburtstag) würde angedeihen lassen. Wagner hätte das zu diesem Zeitpunkt gewiss gutgetan. Mitte der 1850er-Jahre begann für Liszt eine Reihe von Misserfolgen in seinem Bemühen um Wagner. Die fehlende Amnestie verhinderte selbst kurze Gastspiele ähnlich denen von Hector Berlioz. Andererseits entwickelten sich die Vorhaben zur »Ring«-Tetralogie in solche Übergröße, dass der Dissens zwischen Anspruch und Möglichkeiten zu allseitigen Frustrationen führen musste. Die »Ring«-Entwicklung war ja mit Weimar eng verbunden. Liszt hatte 1850 für Wagner einen Opernauftrag des Weimarer Hofes durchgesetzt – ein Vorgang von erheblicher politischer Brisanz. Wagner begann mit der Komposition der 1848 konzipierten Dichtung zu »Siegfrieds Tod«, ließ sie aber im Juni 1851 liegen, um für Weimar und quasi als Vorläufer »Der junge Siegfried« zu schreiben. Am 20. November 1851 teilte er jedoch Liszt seinen Entschluss und Plan mit, den Nibelungen-Mythos als Tetralogie zu gestalten. Liszt bestärkte ihn im Vorhaben, obwohl nun der Auftrag für Weimar erledigt war, und nahm am Entstehen des »Ringes« lebhaft Anteil. Sein kurzer Artikel Anfang 1855 zum »Rheingold« machte dies öffentlich. So weit, so gut. Bei Liszts Besuch in Zürich 1856 ging es dann nicht nur um die fertigen Teile der Tetralogie – also »Rheingold«, »Walküre« und etwas »Siegfried« –, sondern auch um die Idee eines eigenen Festspielhauses und eines eigenen Ensembles für die Aufführung. Er schrieb diesbezüglich und ohne den außerordentlichen Aufwand zu verschweigen am 10. November 1856 einen enthusiastischen Brief an Großherzog Carl Alexander  : Die im Sommer 1858 fertige »monumentalste 264

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Leistung der gegenwärtigen Kunst«, die »unerhört, wunderbar und erhaben« sei und das Zeitalter beherrschen werde, müsse unbedingt in Weimar nach Wagners Intentionen uraufgeführt werden. Carl Alexander war offenbar sehr beeindruckt. Es gab Überlegungen zum Vorhaben, die bis zur Auswahl eines Platzes für das zu erbauende »Nibelungen«-Theater im Ilmpark gingen. Aber es gab keine Entscheidung. Dabei war intern völlig klar, dass es bei dem gigantischen Aufwand und den vielfältig angespannten Verhältnissen keinerlei Realisierungschance gab. Das Projekt trug dafür sehr zur Vertiefung der Spannungen zwischen dem Hof und Liszt bei. Der hatte voller Begeisterung den Bogen massiv überspannt. Was er bemerkt haben muss, was er aber trotzdem tat. Wagner stellte wegen des »verhängnisvollen weimarischen Schweigens«162 die Arbeit am »Ring« für viele Jahre ein. Am 28. Juni 1857 schrieb er dies Liszt. Und  : »Ich habe meinen jungen Siegfried noch in die schöne Waldeinsamkeit geleitet  ; dort hab’ ich ihn unter der Linde gelassen und mit herzlichen Tränen von ihm Abschied genommen  : – er ist dort besser dran als anderswo.«163 Allerdings lockte Isolde gerade Wagner ganz anderswohin. Anfang September 1857, gut zwei Monate nach diesem Brief, erhielten ­Goethe und Schiller bzw. Wieland ihre Weimarer Denkmäler im Rahmen des »Septemberfestes« zum 100.  Geburtstag Carl Augusts. Liszt gelang es noch, in dieser weithin sichtbaren Kunstfest-Konstellation die Nachfolge durch ihn und Wagner deutlich herauszustellen. Den Aufführungen zu Werken jener drei Koryphäen am 2., 3. und 4. September und den Denkmalsenthüllungen am 4. September folgten an den Abenden des 5. und 6. September das große Liszt-Komponistenkonzert und eine »Tannhäuser«-Aufführung. Da waren sie, die aktuellen »Coryphäen […] wie früher Goethe und Schiller«, da demonstrierte Neu-Weimar trotz der Abwesenheit Wagners seinen Nachfolge-Anspruch. Seit Ende 1857 bemühte sich Liszt, den in Dresden einst so erfolgreichen »Rienzi« auf die Weimarer Bühne zu bringen. Generalintendant Dingelstedt verzögerte dies bis Ende 1860. Liszt half da noch bei den Proben. Mehr wollte er nicht mehr tun. Die Hoffnung, die er noch am 5. November 1858 Wagner mitgeteilt hatte, gleich »Rienzi«, dann »Tristan und Isolde« und schließlich doch auch den »Ring« in Weimar aufzuführen, war sechs Wochen später im Premierenskandal um Peter Cornelius’ »Barbier von Bagdad« wie eine Seifenblase zerplatzt. Liszt erschien dann im Hoftheater nicht mehr. Eines formellen Rücktritts bedurfte es nicht. Er war und blieb exzeptioneller Hofkapellmeister und tat nur das, was er wollte. Die »Weimarer Zeitung« vermutete richtig, als sie im Liszts Schiller  : Richard Wagner 

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Januar 1859 beunruhigt berichtete, er habe zum ersten Mal eine »Tannhäuser«-Aufführung nicht dirigiert. Er hatte sich zurückgezogen. Im Hintergrund gab es nun intensive Gespräche und briefliche Äußerungen mit dem Großherzog, auch zu den Wagner-Vorhaben, über mehr als ein Jahr hin. Sie bewirkten aber letztlich nichts mehr. Der Bogen in Weimar war ausgeschritten. Seine Ursprungsverpflichtung, die nichtöffentlichen Hofkonzerte zu leiten, erfüllte Liszt bis zum Weggang nach Rom weiter. Auch da trat er für Wagner ein, so etwa mit dem Vorspiel zu »Tristan und Isolde« im Hofkonzert am 10.  April 1860 anlässlich des Geburtstags der Großherzogin Sophie. Zur Wirkung schrieb er an Hans von Bronsart  : »Die einen gähnten, die anderen plauderten, und die meisten waren ganz sicher, daß solch ein Tonwirrwarr keine Musik sein konnte.«164 Einige Ausnahmen habe es allerdings gegeben. Liszt konnte also seine Ziele für und mit Wagner nur fragmentarisch realisieren. Aber schon damit bahnte er ihm den Weg zur Weltgeltung. So war Wagner bei der Begründung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins im August 1861 nicht als künstlerisch weithin unbekannter, gerade aus dem langjährigen Exil heimkehrender Kapellmeister zu Gast in Weimar, sondern als berühmter und gefeierter Hauptvertreter der »Neudeutschen«. Denn seit dem Tonkünstlertreffen 1859 in Leipzig, das diesem Gründungsakt des ADMV zwei Jahre vorausging, hießen so die Vertreter des inzwischen deutschlandweit umkämpften Neuen Weimar, im Bestreben, damit einen übergreifenden Horizont und Anspruch zu formulieren und zu bekräftigen. Liszt und Wagner standen hier als neues Dioskurenpaar tatsächlich an der Spitze. An der Spitze einer Tonkunst, die eine enge, wenn auch verschiedenartige neue Allianz mit dem geistmächtigen vorstellungsprägenden Wort anstrebte, bei Wagner dazu gesamtkunstwerk-orientiert deren Darstellung auf dem Theater. Fragen wir abschließend, als kleines Gedankenexperiment  : Was wäre, wenn es Liszts Taten für Wagner nicht gegeben hätte  ? Kein »Tannhäuser« ab 16. Feb­ ruar 1849 in Weimar. Vielleicht wäre Wagner auch ohne Liszts Hilfe ins Exil entkommen und wäre nicht wie Mitcombattant August Röckel bis 1862 im Zuchthaus Waldheim eingekerkert gewesen. Wenn nicht, wäre der schöpferische Ertrag der Zuchthausjahre gering gewesen. Falls er ins Exil entkommen wäre, hätte in Deutschland niemand seine Werke aufgeführt, schon gar nicht dafür in jeder Weise hartnäckig geworben. Es wäre ihm gegangen wie einst in Paris. »Lohengrin« hätte vorerst niemand uraufgeführt. In den frühen 1860er-Jahren nach Deutschland zurückgekehrt, wäre er ein relativ unbekannter Komponist und ehemals barrikadenkämpfender Hofkapellmeister 266

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gewesen. Keine Chance, dass ihn König Ludwig II. hätte retten können, wie er es getan hat. Gewiss, Hans von Bülow hätte lebenslang zu ihm gestanden, wie andere Freunde der vorrevolutionären Jahre auch. Wagner aber als eine Inkarnation seiner Zeit, die Wagner-Festspiele schließlich als Weltunternehmen Bayreuth – ohne Liszt und Ludwig II. extrem unwahrscheinlich. »Ohne Liszt kein Wagner« war von daher, gewiss sehr verknappt, der Weimarer Slogan im Wagner-Jahr 2013. Andersherum war Wagner für Liszt der große musikdramatische Partner im Neuen Weimar, irgendwie auch ein Freund, halt sein Schiller in absentia, nur durch sein Werk präsent und seine Briefe. Das beides allerdings sehr.

Liszts Schiller  : Richard Wagner 

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35. BERLIOZ’ »FAUST«ANEIGNUNG

»Als bemerkenswertes Ereignis meines Lebens muß ich noch den Eindruck schildern, den ich von Goethes ›Faust‹ erhielt, als ich ihn zum ersten Mal in der französischen Übersetzung von Gérard de Nerval las. Das wunderbare Buch bannte mich sogleich  ; es verließ mich nicht mehr  ; ich las es beständig, bei Tisch, im Theater, auf der Straße, überall. Die Übersetzung in Prosa enthielt einige gereimte Bruchstücke, Lieder, Gesänge usw. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, dieselben in Musik zu setzen  ; und kaum hatte ich diese schwierige Aufgabe zu Ende geführt, als ich, ohne eine Note meiner Partitur gehört zu haben, die Dummheit beging, sie drucken zu lassen […] und zwar auf meine Kosten.«165 Das bemerkenswerte Selbstzeugnis stammt nicht von Liszt, aber von einem guten Freund und Mitstreiter  : Hector Berlioz. Es entstammt seinen Memoiren, die er – nicht einmal 50-jährig – um 1850 niederschrieb. Berlioz apostrophiert im Fortgang des Berichtes seine »Dummheit« genauer  : Er schreibt über die »zahlreichen und groben Fehler« seiner »Acht Szenen aus Faust«, erwähnt allerdings auch den »wohlwollenden Brief« von Adolf Bernhard Marx aus Berlin als »unverhoffte, aus Deutschland kommende Ermutigung«. Schließlich habe er alle Exemplare, deren er habhaft werden konnte, wieder vernichtet. Nur wenig später lesen wir  : »Unmittelbar nach dieser Komposition über Faust, und immer noch unter Goethes Einfluß, schrieb ich meine Phantastische Symphonie, teilweise mit großer Mühe, teilweise mit unglaublicher Leichtigkeit.«166 Das alles war 1830. Berlioz selbst rückt damit sein allerberühmtestes Werk, eine wortlose, wenn auch programmatisch aufgeladene Sinfonie, in eine »Faust«-Nähe. Es ist bemerkenswert, dass sich weit entfernt in Leipzig etwa gleichzeitig ein noch zehn Jahre jüngerer angehender Komponist, der 17-jährige Richard 268

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Wagner, für Goethes »Faust« nicht nur ähnlich begeisterte, sondern auch die gleichen sieben Szenen vertonte wie Berlioz. Sein Bezug war persönlich inspiriert  : Seine Lieblingsschwester Rosalie war das (sehr erfolgreiche) Gretchen in der Leipziger Erstaufführung anlässlich von Goethes 80. Geburtstag Ende August 1829. Ein dritter junger Musiker entbrannte um 1830 für Goethes »Faust«, wenn auch mit viel späteren schöpferischen Folgen. Wiederum Berlioz berichtet darüber  : »Am Tage zuvor [vor der Uraufführung seiner Symphonie phantastique am 5.  Dezember 1830] besuchte mich Liszt. Wir kannten uns noch nicht  ; ich sprach mit ihm über Goethes ›Faust‹  ; er gestand mir, ihn noch nicht gelesen zu haben  ; bald darauf schwärmte er eben so sehr für ihn wie ich. Wir empfanden für einander große Sympathie, und unsere Zuneigung ist von jener Zeit an immer inniger und fester geworden. Er wohnte dem Konzert bei, in dem er sich durch sein Applaudieren und seine enthusiastischen Kundgebungen dem ganzen Publikum bemerkbar machte.«167 Für Berlioz nahm die Geschichte, die mit jener Begeisterung und den »Faust-Szenen« von 1829 begonnen hatte, 1846 ihren konstruktiven Fortgang. Er berichtet darüber  : »Während dieser Reise durch Österreich, Ungarn, Böhmen und Schlesien begann ich mit der Komposition meiner Legende Faust, über deren Plan ich schon seit langer Zeit nachgrübelte. Sobald ich mich entschlossen hatte, damit ans Werk zu gehen, mußte ich es auch auf mich nehmen, fast den ganzen Text dazu selbst zu schreiben  ; die Bruchstücke aus der französischen Übertragung des Goetheschen »Faust« von Gèrard de Nerval, die ich schon zwanzig Jahre früher in Musik gesetzt hatte und mit einigen Änderungen in meine neue Partitur aufzunehmen gedachte, und zwei oder drei andere Szenen, die Monsieur Gandonnière vor meiner Abreise von Paris nach meiner Angabe geschrieben hatte, bildeten zusammen nicht einmal den sechsten Teil des Werkes. Als ich nun in meinem alten deutschen Postwagen dahinrollte, versuchte ich, zu meiner Musik die nötigen Verse zu machen. Ich begann mit Fausts ›Beschwörung der Natur‹, wobei ich das Meisterwerk Goethes weder zu übersetzen noch nachzuahmen versuchte, sondern lediglich auf mich wirken ließ in dem Bestreben, seinen musikalischen Gehalt auszuziehen. Und ich schrieb dieses Stück, das mir die Hoffnung auf ein Gelingen der übrigen Teile gab  : ›Natur, du mächt’ge, ew’ge und allgewalt’ge, / die einzig du gewährest Rast meinem steten Schmerz, / lieg’ ich dir an der Brust, fühl’ mein Elend ich minder, / neu erfaßt mich das Leben, kräftigen Wollens Macht. // Ja, wild heule, Orkan  ! Und kracht, ihr Riesenwälder  ! / Stürz ein, du starrer Fels  ! Du Sturm, laß deine Wogen brausen  ! / Freudig eint sich mein Ruf eures Tosens Gewalt  ! // O Wald, Berlioz’ »Faust«-Aneignung 

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o Fels, o Strom, euch bet’ ich staunend an  ! / Funkelndes Sternenheer, empor zu dir schwingt sich mein Wunsch, / das bange Sehnen einer Seele, die lechzt nach dem Glück, das sie floh.‹ Einmal im Zuge, machte ich, wie mir die musikalischen Gedanken kamen, gleich die fehlenden Verse dazu und schrieb meine Partitur mit einer Leichtigkeit, wie ich sie bei meinen anderen Werken sehr selten empfunden habe. Ich schrieb daran, wann und wo ich konnte, im Wagen, im Eisenbahnzug, auf dem Dampfer und selbst in den Städten, trotz der verschiedenartigen Sorgen, die mir die Veranstaltung meiner Konzerte auferlegte.«168 Es gibt wenige Zeugnisse, die so klar die freimütige Aneignung der überkommenen großen Texte durch die junge Generation dokumentieren – auch wenn Berlioz schon 43 Jahre alt war –wie seine Memoirentexte zur »Damnation de Faust«. Die neue Haltung war, Goethe »weder zu übersetzen noch nachzuahmen« suchen, sondern lediglich auf sich wirken zu lassen, um musikalische Gedanken anzuregen und die dann ggf. mit einem ganz eigenen Text zu versehen. Die Haltung des Neuen Weimar  ! Noch prinzipieller bekennt Berlioz sein freimütiges Zueigenmachen in der Folgepassage. In Wien hatte er einen Rákóczy-Marsch komponiert  : »Die außergewöhnliche Wirkung, die er in Pest hervorbrachte, bestimmte mich dazu, ihn in meine Partitur des Faust aufzunehmen, und ich erlaubte mir deshalb, den Helden am Anfang der Handlung nach Ungarn zu versetzen, wo er auf einer Ebene sich in Träumereien ergeht und ein ungarisches Heer vorüberziehen sieht. Ein deutscher Kritiker hat es sehr sonderbar gefunden, daß ich Faust an einem solchen Ort reisen lasse. Ich sehe nicht ein, warum ich davor hätte zurückschrecken sollen, und ich würde nicht gezögert haben, ihn auch sonst überall hinzuführen, wenn daraus irgendwelcher Vorteil für meine Partitur entstanden wäre. Ich hatte mich nicht dazu verpflichtet, Goethes Plan zu folgen, und man kann einer Persönlichkeit wie Faust die abenteuerlichsten Reisen zuschreiben, ohne im geringsten gegen die Wahrscheinlichkeit zu verstoßen.«169 Und in seinem Vorwort zum Werk betonte er  : »Schon der Titel des Werkes zeigt darauf hin, dass es nicht auf der Grundidee des Goetheschen Faust beruht, da ja in diesem weltberühmten Gedichte Faust bekanntlich gerettet wird. Der Verfasser der ›Verdammung Fausts‹ hat lediglich eine gewisse Anzahl von Scenen aus Goethe entlehnt, die in seinem vorgezeichneten Plane Platz finden konnten und die einen unwiderstehlichen Reiz auf das Gemüt ausübten.«170 Die Uraufführung der »Damnation de Faust« Anfang Dezember 1846 in Paris war trotz eines Reklamefeldzugs des Komponisten und seiner Freunde vor halbleerem Saal nur mäßig erfolgreich. Um die erlittenen 270

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Abb. 33  : H. Berlioz, Gipsrelief von Wolf von Hoyer, Weimar 1852

Schulden auszugleichen, ging Berlioz auf Russlandtournee. Dort und auch in Deutschland hatten die vorgestellten Teile seiner »Damnation«, es waren oft nur die beiden ersten der vier »Abtheilungen«, einen durchschlagenden Erfolg. In Berlin begegnete er allerdings schon 1847 einer sich später verfestigenden national gefärbten Empörung, wie er es habe wagen können, das nationale deutsche dramatische Meisterwerk so zu entstellen  ; eine große Hörergruppe zischte Werk und Komponist aus. Weimar dagegen war für Berlioz in den 1850er-Jahren eine besondere Heimstatt. Die geistige Nähe und Freundschaft mit Liszt führte zu schönen gemeinsamen Erfolgen. Sie konzentrierten sich auf die drei »Berlioz-­Wochen« 1852, 1855 und 1856. Deren Höhepunkte waren die jeweiligen Witwen-­WaisenBenefizkonzerte, ausschließlich Berlioz’ Werken gewidmet und unter seiner Leitung. Liszt trug vor allem durch die Leitung seiner Oper »Benvenuto Cellini« bei. Berlioz »revanchierte« sich im legendären Hofkonzert am 17. ­Feb­ruar 1855, in dem er die Uraufführung von Liszts 1.  Klavierkonzert Es-Dur dirigierte  ; Solist war Liszt selbst. In eben dieser Woche wurde die »Eingemeindung« von Berlioz in das Neue Weimar auch formal durch die Ehrenmitgliedschaft im Neu-Weimar-Verein bekräftigt. Berlioz’ »Faust«-Aneignung 

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Hinsichtlich der »Damnation de Faust« hatte das Weimarer Publikum schon im Konzert am 20. November 1852 nach »Romeo und Julie« die »ersten zwei Abtheilungen« von »Fausts Höllenfahrt« bejubelt. Die Höllenfahrt selbst kam hier allerdings noch gar nicht vor. Sie ereignete sich erst im Konzert am 1. März 1856, in dem das Werk unter dem wörtlich übersetzten Originaltitel erschien, als »Fausts Verdammung«. Jetzt erst erlebte man zum Abschluss der Legende dramatique jenen spektakulären, so ganz anderen Schluss der Tragödie mit Höllenritt und Höllenchor und Gretchens Verklärung. Das war doch etwas völlig anderes als im Festkonzert zum 100. Geburtstag Goethes 1849 mit Robert Schumanns »Fausts Verklärung« zu hören war. Allerdings leugneten eben inzwischen auch andere Autoren die Erlösung Fausts. Der Publikumserfolg war außerordentlich. Dass dies wiederum auch mit Berlioz’ sensationsumwitterter exzentrischer Persönlichkeit zu tun gehabt haben könnte, ist zu vermuten. Er widmete sein »Faust«-Oratorium Liszt, der seine »Faust-Symphonie« Berlioz. »La Damnation de Faust« ist ein etwa zweistündiges Oratorium in einer Folge von Szenen frei nach Goethes Tragödie, d. h. mit einer im Vergleich dazu stark veränderten Handlungsführung. Ist in Charles Gounods Oper »Faust et Marguérite«  – die das Weimarer Publikum erst viel später kennenlernte  – ledig­lich das Handlungsgerüst jenes Werkes verwendet, sind es hier vielmehr bestimmte Ideen und Bilder, die den Komponisten zu musikalischer und auch eigener textlicher Gestaltung anregten. Gewiss ist die mephistophelische Sphäre so stark gestaltet, dass der Werktitel berechtigt erscheint. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die Verdammung Fausts nicht das letzte Wort ist. Am Schluss steht auch hier die Szene im Himmel mit der »Apothéose de Marguerite«, stimmungsmäßig dem Schluss des »Faust II.« durchaus nah. Das musikalische Idiom ist französisch, südfranzösisch geprägt. Bei dem innigen Wort-Ton-Verhältnis des Werkes verändert eine deutsche Übersetzung den Gesamteindruck stark. Durchaus interessant ist es, die beiden Entstehungsschichten des Werkes hinsichtlich der melodischen Erfindung zu vergleichen. Die Teile, die Berlioz aus seinen »Huit Scènes de Faust« von 1828 übernommen hat, folgen ja dem Goethe-Text in Nervals Übersetzung. Bei Stücken aus dieser Schicht, etwa dem »König in Thule« oder bei »Meine Ruh’ ist hin«, erscheint die melodische Erfindung eigenwillig und etwas konstruiert. Berlioz deutet Einzelworte mehr aus als eine lyrische Grundstimmung zu betonen. Gerade letzteres scheint er aber bei der Vertonung seiner eigenen Texte glücklich erreicht zu haben. Sie sind großzügiger, quasi freier vertont. Am unmittelbarsten wirken zweifellos die Chorszenen, dramatisch bewegt oder von 272

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betörendem Wohlklang wie die Schlussszene. Die Verbindung der Legende zu Goethes »Faust«, also die Abstammung davon bei hohem Eigenwert, kann für den Hörer Fluch oder Segen für ein vertieftes Verständnis sein. Zu sehr goetheanisch gesehen, fremdelt sie eher, zu Goethe-fern vernommen, ist das überaus interessante Spannungsfeld schwer zu erleben. Es ist nützlich, Berlioz’ eigene verbale Aussagen ernst zu nehmen, jedenfalls sie zu kennen. Außerdem gilt auch hier, was immer gilt  : Die zahlreichen Schönheiten des Werkes in Text und Musik erschließen sich erst nach einem Einstellen auf die national geprägten Eigenarten und den Personalstil des Komponisten. »La Damnation de Faust« ist jedenfalls ein Werk von hoher Bedeutung, mit zahlreichen Schönheiten, großen Qualitäten gerade in harmonischer und instrumentatorischer Hinsicht, mit packend-dramatischem Impetus in den relevanten Szenen. In den vom Klangmagier Berlioz ausgewählten Problemfeldern Mensch-Natur, Mensch-Wissenschaft, Mensch-Geisterwelt, Mensch-Mensch und da insbesondere Mann-Frau ist es Goethe oft so nah, wie es von der Auswahl der Szenen, von Zeit und Nationalität und den damit verbundenen sprachlichen und melodischen Grundlagen her überhaupt möglich erscheint. Wahrhaft Goethe nah ist beispielsweise die grandiose Studienzimmerszene oder die in Auerbachs Keller. Goethe nah ist insbesondere die Gestaltung des Mephisto, wenn auch die »Höllenfahrt« dem Werk Goethes überhaupt nicht entspricht, und zwar nicht nur vom Handlungsgefüge, sondern auch von der grundlegenden Konzeption her. Sie ist allerdings eine der Szenen, in der Berlioz’ Begabung für die Gestaltung des Schrecklichen, Absonderlich-Bizarren fasziniert, das ja Goethe auch gestaltet wissen wollte, das er aber von Eberwein nicht erwarten konnte. In der ersten Jahreshälfte 1856 begegneten sich die Welten  : Berlioz’ »Damnation« am 1. März traf auf die beiden Eberwein’schen Schauspielmusiken zu »Faust«, zu »Faust  I.« von 1829 in einer abermaligen Aufführung und auf die relativ geringfügige zu »Faust am Hofe des Kaisers« (»Faust  II.«/1.  Akt in der dreiaktigen Einrichtung von Johann Peter Eckermann) in dessen Uraufführung am 24. Juni. Hector Berlioz hat sich ganz zweifellos nicht nur heiß um Goethes »Faust«, sondern insbesondere um dessen eigenständige, eigenwillige Aneignung bemüht und ein groß- und neuartiges oratorisches Werk in solchem Geiste geschaffen, ein gleichzeitig vorbildhaftes Werk für das Neue Weimar Liszts. Wie würde der mit seiner »Faust«-Deutung reagieren  ?

Berlioz’ »Faust«-Aneignung 

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36. ZWEI BRÜDER IM GEISTE DES GOETHE’SCHEN »FAUST«

Die enge und gleichermaßen schöpferische Beziehung der Tonkünstler des Neuen Weimar zu Weimars klassischer Zeit und ihren Koryphäen spiegelt sich am direktesten in ihren Kompositionen zu Goethes »Faust«, dem großen dichterischen Werk der Epoche. Von Hector Berlioz’ diesbezüglichen Werken war a. a. O. schon die Rede. Berlioz wies Franz Liszt bei dessen erstem Besuch bei ihm am 4. Dezember 1830 auf den »Faust I.« in der französischen Übersetzung durch Gérard de Nerval hin  : »Wir kannten uns noch nicht  ; ich sprach mit ihm über Goethes ›Faust‹, er gestand mir, ihn noch nicht gelesen zu haben, bald darauf schwärmte er ebenso sehr für ihn wie ich.«171 Etwa gleichzeitig begeisterte sich am Urort der Tragödie – in Leipzig – der junge Richard Wagner dafür und vertonte sieben Szenen, die gleichen übrigens wie Berlioz. Er hatte eine noch weitaus direktere Bezugsebene zum Werk als jene beiden in Paris. Seine angeschwärmte Lieblingsschwester Rosalie war das Leipziger Gretchen in der dortigen Erstaufführung des »Faust I.« anlässlich des 80. Geburtstages Goethes Ende August 1829. Wie Weimar und andere Bühnen folgte zu diesem Zeitpunkt eben auch Leipzig der Braunschweiger Uraufführung ein halbes Jahr zuvor. Rosalie war sehr erfolgreich und ihr Bruder begeistert. Erst ein Jahrzehnt später setzte Wagner seine Arbeit am »Faust« in Paris fort, nun allerdings in ganz anderer Weise, orchestral, mit dem Kopfsatz einer »Faust«-Sinfonie, aus dem dann schon im Januar 1840 eine »Faust-Ouvertüre« wurde. Entgegen seiner Bemerkung in »Mein Leben« (1865–1880), der entscheidende Impuls sei Beethovens 9. Sinfonie in einer Aufführung unter der Leitung Habenecks gewesen, kam der wohl von der Uraufführung von Berlioz’ Symphonie »Roméo et Juliette« im November 1839, als Anregung und als Vorbild, dem man es gleichtun müsse. Vielleicht ist die nach einem Vierteljahr274

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hundert verschobene Erinnerung zu Beethovens IX. hin, die Wagner in Paris erst im März 1840 hörte, durch eine überlagernde Verknüpfung der besonderen Art entstanden. Denn seine Aufführung dieses Werkes 1846 in Dresden begleitete er derart intensiv mit Versen aus Goethes »Faust«, dass man ihn dort als »Dr. Richard Faust« apostrophierte. Für das Witwen-Waisen-Konzert der Hofkapelle am Palmsonntag 1846 hatte er gegen den massiven Widerstand des Orchestervorstands Beethovens IX. auf das Programm gesetzt. Sie war in Dresden nahezu unbekannt bzw. negativ bekannt, da schon einmal hier durchgefallen. Um das Publikum vorzubereiten, lancierte er Artikel im »Dresdener Anzeiger«. Ebenso, so berichtet er selbst, »entwarf ich nun in Form eines Programms […] eine Anleitung zum gemütlichen Verständnis des Werkes, um damit – nicht auf die kritische Beurteilung – sondern rein auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken. Dieses Programm, für welches mir Hauptstellen des Goetheschen ›Faust‹ eine über alles wirksame Hilfe leisteten, fand nicht nur zu jener Zeit in Dresden, sondern auch späterhin an anderen Orten erfreuliche Beachtung.«172 Hinzu kamen überaus intensive Proben, dabei allein zwölf Spezialproben zu den Kontrabass-Rezitativen am Beginn des letzten Satzes, bis sie ihm sprechend genug artikuliert waren. Bereits die Generalprobe war überfüllt, die Aufführung im Alten Opernhaus am Zwinger ein unglaublicher Erfolg, der größte Wagners in Dresden überhaupt. Der 16-jährige Hans von Bülow war enthusiasmiert. Auch wenn man Wagners Bemerkung ernst nimmt, es sei ihm mit der Verbindung nur um das »gemütliche Verständnis«, d. h. die gefühlsbetonte Assoziation zur Anbahnung von Verstehen (würden wir heute sagen) gegangen, war diese Beziehung mehr als nur zufällig. Zumal er ja eben jenes sinfonisch-programmatische »Faust«-Werk wenige Jahre zuvor komponiert hatte, wenn auch von der geplanten Sinfonie nur der Kopfsatz ausgeführt, daraus eine »Faust-Ouvertüre« geworden war, deren Uraufführung in Paris nicht gelang. Wagner hatte die inzwischen als Dresdener Hofkapellmeister am 22.  Juli 1844 im »Saal des königlichen Palais im grossen Garten« nachgeholt. Außerhalb von Dresden erklang die »Ouvertüre zu Goethes Faust (erster Theil)« erst am 11. Mai 1852 in Weimar unter der Leitung Franz Liszts. Wagner hatte ihm das Werk mit Brief vom 30. Januar 1849 aus Dresden nach Weimar geschickt, mit der Bemerkung, dass es ihm nicht mehr gefalle. Liszt wird überlegt haben, es im Festkonzert zu Goethes 100.  Geburtstag am 29.  August einzusetzen, was dann aber nicht geschah, vielleicht wegen Beethovens IX., die das Konzert dominierte und krönte. So erklang es drei Jahre später, mit Erfolg, wie Liszt seinem Künstlerfreund meldete  : »Deine Faust-Ouvertüre hat Sensation gemacht und ist gut gegangen.«173 Zwei Brüder im Geiste des Goethe’schen »Faust« 

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Der Aufführung im Mai 1852 folgte ein intensiver Gedankenaustausch zum Werk. Ging es in den Briefen des Komponisten vom 29. Mai und 12. September um das Vorhaben, es drucken zu lassen, zielten Liszts Überlegungen vom 7. Oktober zum Mittelteil der Ouvertüre auf weiterführende kompositorische Fragen  – ihm fehlte ein »weicher, zarter, gretchenhaft modulierter, melodischer Satz«174, kurz  : ihm fehlte Gretchen. Nach einem zustimmenden Zwischenruf Wagners dazu am 17. Oktober erklärte der sich am 9. November 1852 ausführlich. Liszt habe ihn ertappt, für eine »Faust-Ouvertüre« fehle das Weib. »Vielleicht würdest Du schnell aber mein Tongedicht verstehen, wenn ich es ›Faust in der Einsamkeit‹ nenne  !«175 Die jetzige Ouvertüre sei eben doch nur der erste Satz einer ursprünglich geplanten mehrsätzigen Anlage  : »Erst der zweite Satz sollte nun Gretchen – das Weib – vorführen  : schon hatte ich das Thema für sie – – es war aber eben ein Thema  : das Ganze blieb liegen – ich schrieb meinen ›Fliegenden Holländer‹.«176 Also müsse er jetzt zumindest wohl seine Ouvertüre ein wenig überarbeiten und anders benennen, etwa »Der einsame Faust«. Dann aber berichtet er dem Freund sogleich – und das war ihm offenkundig viel wichtiger – vom Plan zur »Ring«-Tetralogie und Stand der Textentstehung dazu. Die Überarbeitung der Ouvertüre erfolgte erst im Januar 1855, und da bezeichnenderweise unmittelbar nachdem ihm Liszt im Neujahrsbrief mitgeteilt hatte  : »Meine Faust-Symphonie habe ich fertig geschrieben (in 3 Sätze eingeteilt – Faust – Gretchen – und Mephistopheles) – und bringe sie Dir nächsten Sommer nach Zürich.«177 Es hatte sich also alles gut gefügt  : Von Wagner haben wir (sogar überarbeitet) »Eine Faust-Ouvertüre« nebst »Fliegendem Holländer« und von Liszt mehrsätzig »Eine Faust-Symphonie«. Wagners schneller »Rettungsversuch« erbrachte eine große Konzertouvertüre mit nun guter formaler Balance zwischen dem »faustischen« Hauptthema und den drei lyrischen Folgethemen, mit jedenfalls verstärkter »weiblicher« (Wesendonck-) Sphäre, ein Werk mit mild-verklärtem D-Dur-Schluss nach tragischem Verebben. Sein Beitrag zur Reflexion der großen Tragödie bewegt sich damit in eher traditionellen, freundlichen Bahnen. Noch kannte er deren kühne Aneignung durch seinen Bruder im Geist der Nachfolge von Goethe und Beethoven nicht. Liszt hatte sich viel Zeit gelassen. So scheint es, wenn man den Abstand von der begeisternden Lektüre in französischer Fassung Ende 1830 in Paris über das Erlebnis der Originalfassung in Tieck’scher Deklamation 1840 in Dresden, über das von ihm geleitete Festkonzert zu Goethes 100. Geburtstag, wo er kompositorisch schon einen kleinen »Chor der Engel« aus »Faust II.« bei276

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gesteuert hatte, bis zur Sinfonie in der Urfassung von 1854 bzw. in der Endfassung von 1857 bedenkt. Andererseits hatte er sich erst 1848 in Weimar den Lebensrahmen geschaffen, in dem er auf so große kompositorische Aufgaben zugehen konnte. Von daher gesehen folgten seine beiden schwergewichtigen »Faust«-Reflexionen eigentlich dann schon relativ frühzeitig. Ja zwei, wenn wir Alfred Brendel folgen. Der erörtert in seinem fulminanten Essay von 1981 »Liszts h-Moll-Sonate« deren Themen und ihre Charakteristik in Bezug auf die Hauptpersonen von »Faust  I.«  : »Die Faust-Mephisto-Gretchen-Konstellation kommt meinem Verständnis der Sonate am meisten entgegen. Daß sie eine Arbeitshypothese bleibt, ist mir bewußt.«178 Das Ergebnis ist wirkungsmächtig, d. h., man ist von der Plausibilität überzeugt, zumal Brendel quasi parallel zur Sonate »alles zweimal sagt«, zuerst von der Themencharakteristik her, dann von der Formentwicklung aus argumentiert, was selbstredend eng zusammenspielt. Und er erfreut mit originellen Formulierungen   : »Mit dem Thema  2 (Allegro energico, h-Moll, Takte  8–13) betritt, in einer Mischung aus Auflehnung, Verzweiflung und Verachtung, ein Akteur die Bühne (Faust  ?). Erst bei den herabhämmernden Oktaventriolen in Takt 10 gibt sich die Ton­art als h-Moll zu erkennen. Zum Thema 3 (marcato, Takte 14–18) verhält sich das zweite Thema wie eine Frage zur Gegenfrage. Der Charakter des dritten ist stichelnd, subversiv, mephistophelisch. Faust und Mephisto verbinden sich 15 Takte später kentaurenhaft zu einer Art symphonischem Hauptthema […]«179 Oder  : »Der Höhepunkt des Abschnitts  – und des Werkes  – entspricht thematisch dem Beginn des Mittelteils (Thema 6), doch überwältigt uns jetzt das Ewig-Weibliche mit alles überstrahlender Kraft. Es gehört zu den bewegendsten Momenten – und, für den Spieler, zu den anspruchsvollsten  –, wenn hier Gewalt plötzlich in Süße umschlägt. Die Spannung verebbt, Fis-Dur wird nicht mehr verlassen. 38 Takte lang steht die Zeit still. Regungslos sitzt das Publikum da – zumindest wünscht sich das der Pianist. Die Urgestalt des Themas 1 erscheint in fis-Moll, beendet den Mittelteil und leitet zugleich in das Fugato. Aus der Atmosphäre des Anfangs heraus erwarten wir den Auftritt Fausts und Mephistos.«180 Zu diesem Auftritt lesen wir dann  : »Faust und Mephisto erscheinen tatsächlich  ; das Fugatothema spannt beide Charaktere zusammen. Die Konstellation des Sonatenbeginns ist wieder da, die Voraussetzungen für eine Reprise scheinen gegeben. Aber warum hüpfen Faust und Mephisto auf Zehenspitzen  ? Wozu der sarkastische Flüsterton  ? Im Geist der Verneinung sind sich die beiden offenbar einig  ; aber was wird denn musikalisch verneint  ? Könnte dies etwa die Grundtonart h-Moll sein, in der die Reprise klassischerweise beginnen Zwei Brüder im Geiste des Goethe’schen »Faust« 

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sollte  ?«181 Am 2. Februar 1853 war die Sonate vollendet. Nun wissen wir oft – wie auch hier – zwar wenig über die tatsächlichen geistigen Entstehungsprozesse von Kompositionen. Die zeitliche Parallelität der Weimarer Aufführungen der »Faust«-Musiken von Wagner, Spohr, Eberwein und Berlioz 1852 zum Vorlauf der beiden Liszt’schen Werke ist allerdings auffällig. Brendel schlägt zu Beginn seines Essays eher beiläufig einen Bogen von der Sonate (1852) zur Sinfonie (1854). Die Sonate sei »das Ergebnis einer absoluten Kontrolle der großen Form, einer Fusion von Überlegung und Weißglut, wie sie Liszt auch in der Faust-Symphonie nicht mehr gelang. […] Was, im Vergleich zur Faust-Symphonie, sofort auffällt, ist, daß keines der Themen enttäuscht.«182 Das kann man gewiss so sehen, insbesondere wenn man die überaus interessante Orchestrierung der Sonate von Leo Weiner neben die Sinfonie stellt und ihr damit quasi »auf den Pelz rückt«. Was das Weimarer Musikhochschulorchester im Festkonzert anlässlich des 50-jährigen Patro­nats­jubiläums der Hochschule sehr erfreulicherweise tat.183 Nichtsdestoweniger ist die Faust-­ Symphonie eben ein ganz anders konzipiertes Werk, eine miteinander eng verwobene Trilogie von Symphonischen Dichtungen, der 1857 noch ein Schluss­ chor quasi als überwölbender Himmel angefügt wurde. Der vollständige Titel der Partiturausgabe von 1861 lautet dann eben auch  : »Eine Faust-­Symphonie, in drei Charakterbildern (nach Goethe). I. Faust, II. Gretchen, III. Mephistopheles und Schlusschor  : ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis‹. Für grosses Orchester und Männer-Chor componirt von Franz Liszt«. Ein langer Titel mit allen notwendigen Informationen, ohne dass darüber hinaus noch weitere programmatische Hinweise die Hörerwartung beeinflussen wollen. Eine solche Konkretisierung durch Verse Goethes versuchte im Übrigen der »Sprecher« des Neuen Weimar, Richard Pohl, allerdings ohne große Resonanz. Der ausdrückliche Bezug auf Goethe im Titel grenzt ebenso wie die Schlusslösung das Werk konzeptionell klar von Berlioz’ »Damnation de Faust« ab. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, dass die Weimarer Gesamtaufführung der »Damnation« am 1. März 1856 unter Leitung des Komponisten die Entscheidung Liszts inspiriert haben könnte, seine Goethe-orientierte Konzeption adäquat zu Robert Schumanns Verklärungsschluss durch das Hinzufügen eines vokalinstrumentalen Finales mit Chorus mysticus-Vertonung zu betonen und dies abgrenzend gegen das Berlioz’sche Finale mit Höllenritt und Verklärung Gretchens zu setzen. Denn die rein instrumentalen drei »Charakterbilder« waren längst fertig. Sie waren von August bis Oktober 1854 niedergeschrieben und nach Orchesterproben 1855 mehrfach überarbeitet worden, übrigens auch in Anwesenheit von Berlioz, der kritische Hinweise gegeben 278

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

Abb. 34  : Skizzenblatt zu Liszts »Faust-Symphonie«

Zwei Brüder im Geiste des Goethe’schen »Faust« 

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hatte. Berlioz wurde die Faust-Symphonie dann auch gewidmet, als Gegengabe zu dessen »Damnation«. Wenn auch durch den Schlusschor relativiert, ist die hauptsächliche Abgrenzung gegenüber den meisten »Faust«-Vertonungen freilich, dass Liszt  – wie Wagner – auf die dichterische Sprache Goethes verzichtet. Er folgt wie in seinen anderen Symphonischen Dichtungen seiner Grundüberzeugung, dass Instrumentalmusik auch dazu berufen und in der Lage sei, sich mit literarischen Meisterwerken ideenprogrammatisch in innigster Weise zu verbinden. Was freilich den gebildeten Hörer voraussetzt, der jene Meisterwerke und ihre Helden gut kennt. Und es setzt eine hohe Prägnanz und Ergiebigkeit der diese Helden charakterisierenden musikalischen Motive und Themen voraus. Diesbezüglich kann man der einschränkenden Meinung Brendels folgen, muss es aber nicht. Mir scheint, dass man durchaus auch die Sinfonie – wie die Sonate – als eine »Fusion von Überlegung und Weißglut« würdigen kann, nur eben eine in der weiteren zeitlichen wie klanglichen Sphäre des Sinfonischen, einer Sphäre, in der Stringenz und Leidenschaftlichkeit noch schwerer zu realisieren sind als im Klavierwerk. Die besonderen Anforderungen an die Interpretation gelten jedenfalls hier wie dort. Mit gemäßigtem, einglättendem, beschaulichem Musizieren ist bei beiden Großwerken nichts zu gewinnen. Das erste Charakterbild »Faust«, für sich gesehen mit etwa 30-minütiger Dauer die längste Symphonische Dichtung Liszts, beginnt wie die h-Moll-Sonate ohne jede Einleitung mit einem eigentümlichen Thema. Ist es dort der oft nicht wichtig genug genommene kurze Einzelton im Bass, ist es hier ein per sforzato laut beginnender und dann gehaltener Einzelton, dem sich ein mehrfach sequenzierter übermäßiger Dreiklang in den Streicherbässen anschließt. Zweifellos symbolisiert die zunächst melodische, dann harmonische Betonung des übermäßigen Dreiklangs das bodenlos unruhige Suchen als grundlegende Charaktereigenschaft Fausts. Neben diesem Thema assoziieren vier weitere thematische Gestalten andere Gemütszustände des Helden – ein dramatisches Allegro-Thema der Streicher, ein leidenschaftliches Thema in Oboen und Klarinetten, ein lyrisches Andante-Motiv in Klarinetten, Fagotten und Hörnern und ein sieghaftes Trompetenthema. Sie alle fünf werden zum Ausgangspunkt dramatischer wie lyrischer Abschnitte in häufigem Tempo- und Atmosphärewechsel. Eine reiche thematische Ausstattung, um das vielfältige »Schwanken des Helden«, sein unerfüllt bleibendes unablässiges Suchen und Streben zu gestalten. Aus ihr folgt die komplexe formale Struktur des Satzes, der dennoch den Konventionen einer harmonisch reichen nachbeethovenschen Durchführungstechnik zugeneigt bleibt. 280

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Abb. 35  : »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Beginn des Chorus mysticus aus Liszts »Faust-Symphonie« (1857). Partitur-Reinschrift Carl Götzes 1861 mit egh. Anmerkungen Liszts.

Zwei Brüder im Geiste des Goethe’schen »Faust« 

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Dem hochdramatischen »Faust«- folgt ein kammermusikalisch duftiger »Gretchen«-Satz von 22-minütiger Dauer. In seinem Mittelteil wird die Begegnung mit Faust leitmotivisch musikalisiert. So wie sich hier die »Faust«-Themen im anderen »Dunstkreis« verändern, erscheint auch das »Gretchen«-Thema nach dieser Begegnung in verdichteter Instrumentation (beginnend mit vier Solo-Violinen) zu größerer Intensität gesteigert. Das weitere, dann tragische Geschick allerdings wird von Liszt völlig ausgespart, Gretchen so eher zum Symbol des Weiblichen stilisiert. Ein Akt der Verdrängung. Aus Ritterlichkeit  ? Aus spezifisch männlichem schlechten Gewissen  ? Oder weil sie nur so im »Mephisto-Satz« in der angedachten Weise zitierfähig wird  ? Im »Mephisto«-Satz (Dauer etwa 15 Min.) hören wir dann die Themen des »Faust«-Satzes wieder, nun aber grotesk verzerrt. Mephisto hat quasi nahezu keine eigene Musik (außer einem Zitat aus Liszts »Malediction«/»Fluch«) – ein ebenso kluger wie wirksamer Kunstgriff, um Mephisto einerseits als dualistischen Widerpart Fausts und »Geist der Verneinung« zu charakterisieren, andererseits die Sinfonie zusammenzuhalten. Mit der farbigen Instrumentation zeigt Liszt wiederum, dass er sein »Farblabor« Weimarer Hofkapelle gut genutzt hat. In der Mitte des Satzes erscheint das unveränderte »Gretchen«-Thema, das damit als von Mephisto nicht zerstörbar herausgestellt wird. Schließlich kommt auch das spannend-geniale Scherzo ironico e diabolico zur Ruhe. Abermals das »Gretchen«-Thema leitet zu den Takten hin, bei denen der Männerchor aufzutreten hat, laut Partitur »ruhig, ernst und feierlich«. Nach Paukenwirbel-Diminuendo und Generalpause beginnt mit ihm die Apotheose, der Schlusschor auf den Text des »Chorus mysticus«. Der Männerchor präsentiert die ersten sechs Zeilen in beeindruckend grandioser Durdreiklangsklarheit und -kraft. Die beiden Schlusszeilen sind dann unter Verwendung des »Gretchen«-Themas einem Tenorsolisten anheimgegeben. Das uns hinanziehende Ewig-Weibliche lebt insofern in der Gefahr, sich bei zu vielem Schwelgen des Solisten in einem schwülstigen Opernhimmel wiederzufinden. Mit anderen Worten  : Der Part ist nicht nur schwierig, sondern auch delikat. Überaus weihe- und klangvoll endet dann die Sinfonie, in C-Dur. Keine Tragödie wie die h-Moll-Sonate, eher durch das Gewicht des Schlusschores ein Weihespiel. Franz Liszt nannte sein orchestrales Meisterwerk »Eine Faust-Symphonie«, ebenso wie Wagner dies bei seiner Ouvertüre getan hatte. Das war einerseits sympathisch bescheiden, andererseits aber auch ehrlich und sinnvoll. Es meinte »Meine Faust-Symphonie«, es meinte Liszts Sicht auf das große Werk Goethes. Inzwischen gilt sie als die Faust-Symphonie und als ein Meisterwerk der Musik des 19. Jahrhunderts, dabei geniales Zeugnis einer durchaus 282

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selbstbewussten Erbe-Aneignung in jener Zeit. Eben Neues Weimar. Vor allem aber aufregende Musik voller Verve und Begeisterung, ebenso wie die h-Moll-Klaviersonate. Beides sind hoch identifikatorische Werke, für die ihr Schöpfer – parallel zum Dresdener Dr. Richard Faust – die Ehrenbezeichnung Dr. Franz Faust durchaus verdient haben würde. Was sein Selbstbekenntnis aus jenen Jahren, er sei halb Zigeuner und halb Franziskaner, noch massiv aufweitet. Alle beiden »Faust«-Werke nach Goethe wurden 1857 uraufgeführt, die Sonate in Berlin durch den genialen Lieblingsschüler der Jahre 1851–1853 Hans von Bülow, die »Faust-Symphonie« im wichtigsten Orchesterkonzert Liszts überhaupt, im »Denkmal-Konzert« am 5. September 1857 im Weimarer Hoftheater, in einer aufgeladenen Uraufführungssituation sondersgleichen. »Nach Goethe« ist deshalb zu betonen wichtig, weil der Faust-Stoff Liszt auch in der Diktion anderer Autoren beschäftigt hat. Dazu entstanden 1860, von der Sicht Nikolaus Lenaus (1802–1850) inspiriert, »Zwei Episoden aus Lenaus Faust«, die erste »Der nächtliche Zug«, die andere »Der Tanz in der Dorfschenke« überschrieben, und gleichermaßen in einer Orchester- wie in einer Klavierfassung komponiert. Vor allem die Klavierfassung der zweiten Episode wurde dann als »Mephisto-Walzer« berühmt. Beide wundersame Kompositionen ergänzen die etwas pathosverhangene Welt der »Faust-Symphonie« in stimmungsintensiver bzw. orgiastischer, jedenfalls ganz unpathetischer Weise. Phantastik und Verführung durch Musik als identifikatorisch selbstbezogene Goethe-Ergänzung, als Teil romantischen Rollenspiels  ? Der Zigeuner Liszt grüßt herüber  ?

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37. HER AUSFORDERUNG DENKMAL

»Endlich war die Rede beendigt, die Hülle sank und – wie soll ich den Augenblick beschreiben, der jetzt erfolgte. Ein allgemeiner Jubelruf der den Tusch, sowie den Gesang der die Enthüllung begleitete, bei weiten[m] übertönte, erscholl von allen Seiten von den Straßen, Fenstern und Tribünen herab den herrlich gelungenen Dichterstatuen entgegen, deren ungetrübter Metallglanz in der Sonne, die in den Enthüllungsmomente[n] hervorbrach erglänzte und den Zügen der beiden Dichter einen verklärten Ausdruck gab. […] Die Dich­ tergruppe ist in der That ein Meisterwerk auf das Weimar stolz sein darf.«184 So der damals 17-jährige spätere Weimarer Bildhauer Hermann Raabe. Die besondere Rührung und Begeisterung war eine allgemeine. Vielfach ist darüber berichtet worden. Das bildhaft neu beschworene klassische Weimar schien in ostentativer Weise an dem dafür angemessenen Platz nachhaltig wiedergewonnen zu sein. Dies geschah am 4. September 1857, innerhalb des mehrtägigen »Septemberfestes« zur Centenarfeier des Großherzogs Carl August, für dessen Denkmal am Tag zuvor der Grundstein gelegt worden war. Im Vorfeld hatte es intensive Debatten um die Gestaltung des Festes gegeben. Das Vorbereitungskomitee hatte schließlich festgelegt  : »Allgemeiner Standpunkt  : Bei Karl August’s Volksthümlichkeit darf nicht blos ein Kunstfest, sondern auch ein Volksfest bereitet werden. Diese Seite würde dem Andenken Karl August’s, jene dem Gedächtnis Seiner Dichter zugekehrt sein.«185 Neben Festzügen und Festmählern gab es dann tatsächlich auch ein Volksfest in Tiefurt. So weit so gut. Die eigentliche Auseinandersetzung entbrannte um die repräsentativen Hoftheater-Aufführungen an den Abenden vom 2. bis 6. September. Die Vertreter Alt-Weimars wollten sie allesamt Werken der großen Vergangenheit widmen und waren schließlich zu einer Alternative Konzert 284

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oder »Tannhäuser« am vorletzten oder letzten Abend bereit. Der großherzog­ lichen Familie war aber daran gelegen, dass der eigene Beitrag zum Weiterführen der verpflichtenden Tradition nicht zu kurz kam. Nur so konnte sich Liszt schließlich mit seiner Forderung nach einer angemessenen Beteiligung durchsetzen. Er bekam am Samstag sein Konzert und am Abschlusssonntag die »Tannhäuser«-Aufführung. Für die letztere sprachen ja zwei naheliegende Gründe  : Zum einen war die Exkursion am Samstag zur Wartburg, dem weit gediehenen Bauprojekt des nunmehrigen Großherzogs, eine der Hauptattraktionen des Festes. Andererseits gedachte man mit der Oper des noch immer nicht begnadigten Dresdener Revolutionärs Richard Wagner wie seit Jahren das eigene großherzogliche Haus als Hort der Liberalität herauszustellen, und dies gerade zum Jubiläum Carl Augusts, der 1816 als erster Souverän seinem Volk eine Verfassung gegeben hatte. Die Rahmenaufführungen waren damit Goethes »Iphigenie in Tauris« am 2. und Wagners »Tannhäuser« am 6.  September. Mit solcherlei Akzentuierung wurde dann das »Septemberfest« 1857 das kulturpolitische Jahrhundertereignis für Weimar und ein nationales Kulturereignis von Rang, zumal das Goethe-Schiller-Denkmal auf der Basis von Spenden aus mehreren deutschen Ländern errichtet worden war. Auch Wieland wurde am gleichen Tag durch ein Denkmal geehrt, war er doch an der Erziehung Carl Augusts wie an der Inszenierung Weimars als kulturelles Zentrum der Deutschen initiativ beteiligt. Großherzogin Maria Pawlowna, die dies nach Goethes Tod 1832 intensiv weiter betrieben hatte, erlebte das Fest gegen Ende ihres Lebens noch mit. Die Aufgabe, das Neue Weimar angemessen im Programm zu verankern, war für Liszt allerdings nur die eine Herausforderung. Die andere, weitaus gewichtigere war an ihn als Komponisten gerichtet. Acht Jahre zuvor, zu G ­ oethes Centenarfeier, hatte er mit Beethovens 9.  Sinfonie einen hohen Maßstab gesetzt. Gewiss hätte diese Sinfonie nun auch zu diesem Denkmal gut gepasst, zumal in der auf den »Faust« bezogenen programmatischen Diktion Richard Wagners. Liszt aber wollte mehr, wollte im Sinne seines Wahlspruchs »Genie verpflichtet« der Herausforderung mit eigenen Werken entsprechen und dem Denkmal in solch avancierter Weise Paroli bieten. Das war für ihn umso wichtiger, als er die hohe künstlerische Qualität des Goethe-Schiller-Monuments Ernst Rietschels seit vielen Jahren gut kannte, seit Ende 1852, als der den Entwurf vorgestellt hatte. 1849/50 war es ja in der Fassung von dessen Lehrer Christian Daniel Rauch  – mit den beiden Dichtern in antiken Gewändern  – das Konkurrenzprojekt zur »Goethe-Stiftung« Liszts gewesen und seitdem das Herausforderung Denkmal 

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Lieblingsvorhaben des führenden Alt-Weimarers Gustav Adolf Schöll. Es ist mit Händen zu greifen, wie sich Liszt auf diese Situation einstellte. Sein Konzert am 5.  September sollte zur musikalischen Antwort auf die Denkmals­ enthüllung am 4. werden und dies eben in unmittelbarer Nähe, im Theater hinter dem Denkmal. Es war dann das einzige Komponistenkonzert, das er in Weimar mit eigenen Werken dirigierte, ergänzt durch zwei kleinere Werke Franz Schuberts. Dass alles ausschließlich von Männern gesungen und gespielt wurde, fällt wohl erst uns heute so richtig auf. Im ersten Teil dreimal Schiller, mit der Uraufführung der eigens dafür komponierten Symphonischen Dichtung »Die Ideale«, davorgeschaltet aber, quasi als Appell, das 1853 komponierte »An die Künstler«, die Vertonung von Teilen der Schlussstrophe (Verse  443–460 und 465–472) aus dem sehr langen Gedicht »Die Künstler«, von »Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben« bis zur Umarmung am »Thron der hohen Einigkeit«. Dann eben »Die Ideale«, nur scheinbar ohne die Worte Schillers aus seinem gleichnamigen elfstrophigen Gedicht. Denn jedem der drei Hauptabschnitte (ursprünglich sollte das Werk eine dreisätzige Sinfonie werden, quasi parallel zur »Faust-Symphonie«) ist nicht nur ein Titel beigegeben (Aufschwung, Enttäuschung, Beschäftigung), sondern ihnen allen drei sind in den Noten Schiller-Verse voran- bzw. mitten hineingestellt. Der rein instrumentalen Schlussapotheose fügt Liszt in der Partitur noch einen eigenen kleinen Text bei  : »Das Festhalten und dabei die unaufhaltsame Bestätigung des Ideals ist unsers Lebens höchster Zweck. In diesem Sinne erlaubte ich mir das Schillersche Gedicht zu ergänzen durch die jubelnd bekräftigende Wiederaufnahme der im ersten Satz vorausgegangenen Motive als Schluß-Apotheose.«186 Die besondere Verbindung zum zuvor erklingenden Werk  : Das »Ideale«-Hauptthema ist aus dem Hauptthema von »An die Künstler« abgeleitet und weiterentwickelt. Dritter Schiller-bezogener Beitrag des Konzertes war dann Schuberts Vertonung der »Gruppe aus dem Tartarus«, von Musikdirektor Carl Stör für Männerchor und Orchester eingerichtet. Danach dreimal Goethe, zunächst Liszts Vertonung von »Über allen Gipfeln ist Ruh« für Soloquartett und zwei Hörner, dann Schuberts »Schwager Kronos« wieder in Stör’scher Bearbeitung für Männerchor und Orchester. Schließlich und endlich nach der Konzertpause die Uraufführung von »Eine Faust-Symphonie« mit dem 1857 der Sinfonie eigens noch angefügten goetheanischen Chorus mysticus als Hauptwerk des Abends. Damit war Liszts musikalische Antwort auf das Denkmal und auf dessen Enthüllung am Vortag absolut grandios vollendet. 286

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Abb. 36  : Der Programmzettel des musikhistorisch bedeutsamsten Konzertes der heutigen Staatskapelle Weimar.

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Den Abend beschloss allerdings »Weimars Volkslied« für Männerchor und Orchester, die neue Sachsen-Weimar-Hymne mit ihren »frisch und kräftig« zu singenden drei Strophen, für dieses »Septemberfest« von Peter Cornelius gedichtet und von Franz Liszt vertont. Sie war so etwas wie eine protokollarisch gebotene Abschluss-Huldigung, die der Refrain »Möge Gott dich stets erhalten› Weimar’s edles Fürstenhaus  !« unüberhörbar betonte, war jedenfalls ein Konzert-Appendix, der die Hörer nach den weihevollen Abschlussklängen des Chorus mysticus wieder in eine plattere Realität zurückholte. Mit der Interpretationsleistung des Abends war Liszt ganz offenbar sehr zufrieden. Am 11. September 1857 schrieb er dazu an Hans von Bronsart  : »Der Faust und die Ideale sind hier am letzten Sonnabend (5. September) wundervoll gespielt worden. Wir hatten 14 erste Geigen, 6 Baßgeigen, usw. von den besten, die man finden kann. Leipzig, Berlin, Sondershausen und Meiningen haben uns ein solches Kontingent an Konzertmeistern und Virtuosen gestellt, wie es sobald nicht in den größten Hauptstädten zusammenkommt. Wenn ich mich nicht täusche, hat das Ensemble dieses Konzertes ein den Umständen angemessenes Aufsehen erregt.«187 Mit einer »14er Besetzung«, d. h. in etwa mit 50 Streichern, Harfe und 22 Bläsern einschließlich Schlagwerk, war die Hofkapelle etwa doppelt so groß wie sonst in Erscheinung getreten. Das wohl bedeutendste Konzert in der 500-jährigen Geschichte der heutigen Staatskapelle Weimar war damit in erheblichem Maße Musikern umliegender Orchester zu verdanken, die Liszts wegen mitwirkten. Der Publikumserfolg am Abend war unterschiedlich, jedenfalls aber durchaus freundlich. In einer sehr schwierigen, symbolisch hoch aufgeladenen Konkurrenzsituation hatte Liszt sich behauptet und gezeigt, warum er in Weimar geblieben war. Zuvor war er voller Bedenken gewesen. Am 10. Juli 1857, acht Wochen vor dem Ereignis, vertraute er dies Freund Wagner an  : »Nächste Woche reise ich auf ein paar Tage nach Berlin, um dort einige Einleitungen zu Bülows Vermählung, die im nächsten Monat stattfinden soll, zu treffen. Von da reise ich nach Aachen und gedenke dort vom 22. Juli bis zum 10. August als Kurgast zu verbleiben. Am 14. August bin ich wieder hier zurück, des Befehls des G. H. in Bezug auf die September-Feste gewärtig. Die Ausgrabung, die man bereits für das Schiller-Goethe-Monument veranstaltet, läßt eine gefährliche Schwankung des Bodens in der Nähe des Theaters befürchten, und es wäre nicht unmöglich, daß die beiden ›Kerls‹ keine sichere Stellung in Weimar fänden. Man hat auch sogleich an Rietschel telegraphiert, um zu entscheiden, auf welche Weise abgeholfen werden könnte. Vielleicht wird mir verordnet, keine ›Zukunfts-Musik‹ weiter zu betreiben, nur daß die Stadt nicht in Grund und Boden ruiniert wird. Und so würde ich zu 288

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Dir nach Zürich flüchten müssen, um Dir die Faust-Symphonie (die noch ein Schluß-Chor von Männerstimmen mit den acht letzten Versen des 2ten Teils ›Das Ewig-Weibliche‹ verlängert) und meine letzte beendigte symphonische Dichtung, Schillers Ideale, in Deiner Villa aufzuführen.«188 Eine seltsame Kompilation zum Problemkreis »sicherer Halt«, vom Weimarer Sumpfboden über die (fehlende) Anerkennung eigenen Tuns bis zum Sehnsuchtsort Wagner-Zürich. Umso größer dann Liszts Freude über das Gelingen. Summarisch gesehen waren für die Zeitgenossen des »Septemberfestes« die ersten drei Tage eine würdige Gedenkfeier an das klassische Weimar, mit dem Erleben großer Schauspieler und dem absoluten Höhepunkt der Enthüllung des Goethe-Schiller-Denkmals Ernst Rietschels, die beiden Folgetage mit Wartburg-Exkursion, Liszt-Konzert und »Tannhäuser« eine eindrucksvolle Leistungsschau, wie die Gegenwart Ideen der Vergangenheit historistisch oder neuartig fortzuführen bemüht ist. Den Anspruch Liszts, gemeinsam mit Wagner die tatsächliche Nachfolge angetreten zu haben, seinen Anspruch insbesondere, große Ideen der großen Dichter musikalisch adäquat und kongenial neu zu fassen, wird nur ein engerer Kreis als eingelöst gebührend zur Kenntnis genommen haben. Das Goethe-Schiller-Denkmal dagegen blieb auch für die Nachwelt das berühmte, selbst in der Neuen Welt nachgebildete Weimarer Monument. 160 Jahre steht es nun und ist im sumpfigen Untergrund nicht versunken. Als Denkmal stumm, aber nicht tot, verweist es symbolkräftig noch immer auf die Werke der beiden, die hier abgebildet sind. Insofern erlebte es bereits im Umfeld seiner Enthüllung ein Optimum an Lebendigem – in den abendlichen Aufführungen mit großen Schauspielern der Zeit und in jenem »Denkmal-Konzert« mit den ganz neuartigen Lisztschen Reflexionen zu Schiller und Goethe. Zusammen gesehen eine ganz außerordentliche, zeitübergreifende Erbe-Aneignung sehr verschiedener Art in bild-, wort- und tonkünstlerischer Prägung im Rahmen eines epochalen Kunstfestes. Wie Rainer Maria Rilke später schrieb »Vergangen nicht, verwandelt ist was war.«

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38. NIEDERLAGE UND BEHAUPTUNG. IM DEZEMBER 1858 Am 15. Dezember 1858 gab es im Hoftheater unter Liszts Leitung die Uraufführung der heiteren Oper »Der Barbier von Bagdad« von Peter Cornelius. Sie geriet zum Theaterskandal, dem zweiten in der Geschichte der Weimarer Hofoper nach jener »Don Giovanni«-Aufführung im Februar 1801 mit dem öffentlich ausgetragenen Kampf zwischen der Sängerin Caroline Jagemann und dem Orchester unter Hofkapellmeister Kranz. Dieser zweite Skandal war subversiver, weitaus tückischer. Der Dichter-Komponist selbst berichtete da­ rüber zwei Tage danach seiner Schwester Susanne  : »Mein Werk wurde vor vollem Hause gegeben. Die Vorstellung füllte den Abend. Sie war, in Betracht der Schwierigkeit des Werkes, eine ausgezeichnete, vortreffliche. Eine bis dahin in den Annalen Weimars noch nicht erhörte Opposition stellte sich mit hartnäckigem Zischen gleich von Anfang dem Applaus gegenüber, sie war eine bestellte, wohlorganisierte, zweckmäßig verteilte. Sie hemmte den Humor der Künstler, konnte aber auf die Trefflichkeit der Ausführung keinen schädlichen Einfluß üben. Am Schluß erhob sich ein Kampf von zehn Minuten. Der Großherzog hatte anhaltend applaudiert, die Zischer fuhren nichts destoweniger fort. Zuletzt applaudierte Liszt und das ganze Orchester, Frau von Milde riß mich hinaus auf die Bühne. […] Die Künstler alle nehmen enthusiastisch für mich Partei. Liszt handelt unvergleichlich an mir. Möchten doch nur auch alle, die sich für mich interessieren, mit Leib und Leben für diesen Mann einstehen, welcher der Bannerträger einer neuen Zeit ist.«189 Eine Verschwörung zweifellos, und ebenso zweifellos gegen Liszt und sein Neu-Weimar gerichtet. Mit Peter Cornelius war ein eher Gemäßigter unter ihnen betroffen, also keineswegs ein ähnlich scharfzüngiger Neu-Weimarer wie

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Hoffmann von Fallersleben, wenn auch seine bemerkenswerten Verse zu dessen 59. Geburtstag im April 1857 »Alt-Weimar ist eine große Stadt, / Die dreizehntausend Einwohner hat. / Neu-Weimar ist eine kleine Gemeinde, / Aber sie hat dreizehntausend Feinde.«190 anderes vermuten lassen. Die »Weimarer Zeitung« schrieb am 19. Dezember 1858, es habe im Hoftheater einen »stürmischen Abend« mit einem »Kampf zwischen Partheien« gegeben, den man gemeinsam mit dem sehr achtenswerten Komponisten sehr beklagen müsse. Damit hatte die Zeitung in jeder Weise recht. Der »Kampf zwischen Partheien« bedarf allerdings ebenso wie der obige Begriff einer Verschwörung einiger Anmerkungen, um nicht nur quasi als Worte ins Blaue verstanden zu werden. Fast von Anfang an war das Weimarer Liszt-Jahrzehnt 1848–1858 ein Jahrzehnt der Auseinandersetzungen gewesen, um Wagner, um die »Goethe-Stiftung«, um das Leben in der »Altenburg«, seit 1853 zunehmend um die Mittelverteilung im Hoftheater (Oper contra Schauspiel). Die Oper, nicht der ohnehin sehr schmale Konzertbereich, wurde zum Kampfplatz zwischen Alt- und Neu-Weimar, und hier vor allem die Novitäten, also Ur- oder Erstaufführungen. Dingelstedt, ab Oktober 1857 auch auf Liszts Betreiben hin Generalintendant, setzte von Anfang an auf beliebte Repertoire-Opern, um ein Mehr an Einnahmen zu erzielen. Nach außen gerierte er sich als Wortführer von Neu-Weimar und dessen Verein, der sich ja scharf von Alt-Weimar abgrenzte. Das Septemberfest 1857 dürfte die »Parthei-Bildung« eher verschärft als überbückt haben. Deutlich verschärft wurde sie jedenfalls wenig später durch den Streit um zwei Singspiele aus »Weimars Glanzzeit«, die Dingelstedt in der Spielzeit 1857/58 weshalb auch immer neu herausbrachte  : Goethe / Corona Schröters »Fischerin« und Vulpius / Kauers »Saalnixe«. Letztere Inszenierung provozierte dadurch, dass sie durch schauspielerische Übertreibung als Farce, als Klamauk und Verunglimpfung von Alt-Weimar verstanden wurde. »Die Fischerin« kollidierte am 29. Dezember 1857 in einem Konzert mit vorgeschaltetem Singspiel quasi direkt mit Liszts »Hunnenschlacht«. Neu-Weimar spottete, Alt-Weimar fühlte sich in seinen heiligen Besitztümern angepöbelt und sehr betroffen. Insofern steuerte der »Partheien-Kampf« 1858 auf eine Entladung zu. Auslöser dafür waren dann zwei aufwändige Uraufführungen im Sechs-Wochen-Abstand, am 30.  Oktober der fünfaktigen Indianer-Oper »Komala« des Bremer Musikdirektors Eduard Sobolewski, deren 2. und 4. Akt man von vornherein doch hätte weglassen sollen, und am 15. Dezember der in anderem exotischen Milieu spielende »Barbier von Bagdad«. Da wartete man dann eben gar nicht mehr ab, wie sie gefallen würde, und störte von Anfang an, hatte sich dazu eben verschworen. Wer auch immer es war, man störte Niederlage und Behauptung 

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professionell. Eine sonst übliche Untersuchung des Vorfalls gab es nicht, sie ist jedenfalls nicht aktenkundig. Dass die Schauspielsparte und Generalintendant Franz Dingelstedt in der Folge des Ereignisses dessen Profiteure waren, ist unstrittig. Wenn man also Cui bono fragt, erhält man daraus zumindest einen Teil der fehlenden Antworten. Dingelstedt bestritt gleichwohl jede Mitverantwortung heftig. »Der Barbier von Bagdad« war Liszt gewidmet, er hatte die Uraufführung durchgesetzt. Gegen ihn vor allem richtete sich die gut organisierte Demons­ tration der »Gegen-Parthei«. Sie kam wohl zwar generell nicht unerwartet, war aber gerade zu diesem Zeitpunkt, an dem es ihm vor allem um die Erstaufführung von Wagners »Rienzi« ging, eine heftige bittere Niederlage. Am 5. November hatte er an Wagner geschrieben, Cornelius’ »Musik enthält viel Witz und Humor und bewegt sich mit ungewöhnlicher Sicherheit in der vornehmen Region des künstlerischen Stils. Ich erwarte davon einen sehr guten Erfolg.  – Gleich darauf wird der Rienzi in Angriff genommen.«191 Im Januar sollte also »Rienzi« folgen, bald darauf – so zuvor in diesem Brief –, »Tristan und Isolde« und die »Nibelungen« als »unser höchstes Ziel.« Dafür solle Dingelstedt als sein »Chef und Freund« gewonnen werden. Das alles war nach bzw. durch den »Barbier«-Skandal obsolet geworden, zumindest erst einmal bis auf Weiteres, denn am 26. Dezember schreibt Liszt an Wagner nach Venedig, »[…] ich habe meinerseits erklärt, nicht sobald wieder unser Orchester zu betreten. Der Winter mag so darüber hingehen, und später wollen wir sehen, was kommen wird. –«192 Die Gelassenheit, die aus der kurzen Bemerkung spricht  – zum Gesamtvorgang kein Wort –, mag auch aus der Tatsache gespeist gewesen sein, dass die »unausstehliche« Niederlage am 15. Dezember nicht das letzte Wort blieb. Denn zwei Tage danach folgte »zu Beethovens Gedächtnisfeier« an dessen 88. Tauftag ein »Großes Vokal- und Instrumentalkonzert mit Werken Beethovens unter Leitung von Hofkapellmeister Dr. Franz Liszt«. Das Programm  : I. 1. 2. 3. 4. 5. II. 7. 

Festrede von Peter Cornelius (Sprecher  : Feodor von Milde) Ouvertüre C-Dur op. 124 »Meeresstille und glückliche Fahrt« (Goethe) für Chor und Orchester Romanze F-Dur für Violine und Orchester (Solist  : Edmund Singer) »Adelaide« (Matthison) für Singstimme (Friedrich Caspari) mit Klavierbegleitung Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur (Solistin  : Martha von Sabinin) Sinfonie A-Dur.

Schon die Festrede wurde begeistert beklatscht – welch Genugtuung für den tief deprimierten Cornelius. Und das setzte sich in dem klug disponierten 292

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Konzert fort, mit den Höhepunkten Es-Dur-Klavierkonzert und 7.  Sinfonie A-Dur. Das 5.  Klavierkonzert hatte Liszt einst zur Einweihung des Beethoven-Denkmals in Bonn 1845 gespielt. Nun war seine Schülerin Martha von Sabinin die Solistin, Tochter des Popen der Großherzogin-Mutter Maria Pawlowna. Und machte ihre Sache offenbar sehr gut. Dann im zweiten Teil »die VII.«, nach dem übereinstimmenden Urteil der Kritik eine einmalig großartige Leistung des Dirigenten und der Hofkapelle. Cornelius schreibt darüber an seine Schwester Susanne  : »Das Konzert nimmt nun mit einer beispielwürdigen Weihe seinen Fortgang. Nach dem Schlusse der A dur-Sinfonie erhebt sich ein Sturm – dessen Wellen erst dann sich glätten, als Liszt unter dem lautesten enthusiastischsten Zuruf, unter einem dröhnenden Applaus, wieder auf sein Pult steigt, an welchem er heute mit einer Fülle seines Dämons gestanden hatte, daß ich oft nicht wagte, ihn anzusehen – und sich dem Publikum zeigte.«193 Und Feodor von Milde schreibt an einen Freund  : »Wie durch eine Fügung des Schicksals haben wir bald nach Deinem Briefe die A-Dur-Symphonie von Beethoven hier gehört, die am Geburtstage des Meisters im Theater unter Liszt’s Direction gegeben wurde, in einer Weise, wie sie vielleicht nicht wieder aufgeführt werden dürfte. Es war, als hätte Liszt an dem Abende Revanche nehmen wollen für die Niederlage, die er mit Cornelius’ erster Oper wenige Tage vorher erlitt.«194 Dem ist wenig anzufügen, vielleicht nur, dass viele im Publikum, mögen sie zwei Tage zuvor die »Barbier«-Premiere erlebt haben oder nicht, neben banger Erwartung, was nun wieder geschehen würde, irgendwie ein schlechtes Gewissen gehabt oder Bedauern gefühlt haben mögen und dass sie auch von daher vom »Trotz alledem« Liszts, seiner Behauptung, so rauschhaft überwältigt wurden. Und dass sich nach 15 Jahren quasi ein Kreis zu seinen ersten Weimarer Konzerten als Dirigent Anfang 1844 – vor allem mit Beethoven-Sinfonien – schloss. Wie ich es schon 2010 zusammenfasste  : »Auch die ›Weimarer Zeitung‹ stimmte begeistert ein – Liszt verstünde es wie kein anderer, Beethovens Genius der Nachwelt in größter Vollendung zu offenbaren. Wie 15 Jahre zuvor eroberte der Dirigent die Herzen der Weimaraner wiederum mit Beethoven. Mit Beethoven wurde der neutönende Weltbürger einer der Ihren – ›Weltbewohner und Weimaraner‹ wie einst jener andere am Frauenplan.«195

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39. ABSCHIEDE

»Am Silvesterabend 1859«  – gemeint war der 31.  Dezember 1858  – schrieb Richard Wagner aus Venedig an Liszt einen seiner bislang kürzesten Briefe, allerdings einen von besonderer Sprengkraft. In Silvesterlaune und wohl nicht ganz nüchtern brachte er den Hauptnenner vieler seiner Briefe an den »liebsten Franz« auf den Punkt  : »Du sprichst über mich viel zu zart mit den Leuten. Sag Ihnen, Wagner macht sich den Teufel aus Euch, Euren Theatern und seinen eigenen Opern  ; er braucht Geld  ; das ist alles  ! Hast denn auch Du mich nicht verstanden  ? Habe ich Dir denn nicht deutlich und bestimmt gesagt, daß ich um jeden Preis mir Geld zusammenzutreiben suche  ?«196 Und etwas später  : »Adieu  ! Gut Neujahr  ! Schick Dante und Messe  ! Aber zunächst – Geld  ! Honorar – für Gott weiß was  ! Sag Dingelstedt, er wär’ ein Esel so lang er wäre. Und dem Großherzog, seine Dose sei versetzt  – wahr  ! Er soll sie mir einlösen.  – Aber nur sonst mir nie ernsthaft und pathetisch schreiben  !«197 Mindestens ebenso schwer verdaulich für Liszt dürfte Wagners dreimal so langer Brief vom 2. Januar 1859 gewesen sein. In ihm teilt er nach dem »Sturm« von Silvester nun »mit Besonnenheit« mit, nicht mehr die Amnestie und dann die wieder in Deutschland mögliche Tätigkeit als Kapellmeister (etwa neben Liszt in Weimar) sei für ihn erstrangig wichtig, sondern lediglich »die Garantie einer sorgenfreien, für den Rest meines Lebens mir einen behaglichen Zustand sichernden Existenz.«198 Er wolle keine Anstellung, sondern eine »reichliche Pension«, um »ungestört und gänzlich unabhängig von äußeren Erfolgen, meine Kunstwerke schaffen zu können.«199 Eine Vereinigung mehrerer Fürsten solle dies ermöglichen, und Liszt solle sich darum kümmern. Diesen Brief nahm er dann am 7. Januar als »nicht geschrieben« vollständig zurück, denn inzwischen hatte Liszt auf seine Silvester-Attacke reagiert. Dessen kurzer Brief vom 4. Januar ist ein Zeugnis der Fassungslosigkeit  : »Um nicht mehr der Gefahr ausgesetzt zu sein Dir durch ›pathetisch, ernste‹ Redensarten lästig zu 294

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Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861)

fallen, schicke ich den 1. Akt des Tristan an Härtel zurück, und werde mir ausbitten, die übrigen erst nach ihrem Verlagserscheinen kennen zu lernen. – Da die Dante-Sinfonie und Messe nicht als Bank-Aktien gelten können, wird es überflüssig sie nach Venedig zu senden. Als nicht weniger überflüssig erachte ich auch fernerhin telegraphische Not-Depeschen und verletzende Briefe von dort zu erhalten. – In ernster getreuester Ergebenheit verbleibt Dir F. Liszt.«200 Wagner seinerseits hatte neben dieser – ohne Anrede beginnenden – Mitteilung inzwischen auch Liszts Neujahrsbrief erhalten, in dem stand, er habe die anstehende Leitung der beiden Wagner-Opern »Tannhäuser« und »Lohengrin« erstmals seinem Kollegen überlassen, als Reaktion auf »den Vorfall der 1.  Aufführung von Cornelius seiner Oper.«201 Wagner war nun sehr um Beschwichtigung bemüht. In zwei langen Briefen vom 7. und 8. Januar nahm er eben zunächst seinen Brief vom 2. d. M. als »nicht geschrieben« zurück und beklagte alles als »Mißverständnis«. Nichtsdestoweniger folgte sechs Wochen später eine neue Variante der Pensionsidee, ein »Antrag«, den Liszt dem Großherzog übermitteln solle  : Er wolle jenem die beiden »fertigen Partituren« und die beiden noch zu komponierenden Teile der »Ring«-Tetralogie für jeweils 300 Louisdor verkaufen. Die Honorare und Tantiemen der Theateraufführungen müsse er sich allerdings vorbehalten. Dann geht es wieder um Zukunftspläne für Paris. Weder aus dem »Antrag« des »Ring«-Partiturverkaufs noch aus Paris wurde zwar etwas, spätestens jetzt aber wird Liszt begriffen haben, dass seine beharrlich verfolgte Lieblingsidee, gemeinsam mit Wagner die Weimarer Oper zu leiten, nun auch dessentwegen illusionär geworden war. Was für ihn ein Abschied von hoher Relevanz gewesen sein dürfte. Die Weimarer Öffentlichkeit vermutete hinter Liszts Rückzug von der Direktion der beiden Wagner-Aufführungen Anfang 1859 einen generellen Rückzug, ohne dass es der jetzt schon gewesen sein dürfte. Einen monatelangen Einschnitt hatte es auch zwischen März und Oktober 1853 gegeben. Im Unterschied zu damals gab es aber nun einen tatkräftigen Generalintendanten, der die Situation ohne die Ideen und Ansprüche des exzeptionellen Hofkapellmeisters vehement für eigene Vorhaben zu nutzen wusste. Die waren letztlich schauspielzentriert und kulminierten schließlich in der Uraufführung von Hebbels »Nibelungen«-Trilogie 1861 (Hebbel statt Wagner  !), in Schillers »Wallenstein«-Trilogie an einem Tag 1863 und den sieben Königsdramen Shakespeares vom 20. bis 30. April 1864, anlässlich von dessen 300. Geburtsjubiläum. Die Erfolge damit führten ihn 1867 als Intendant nach Wien. Die Lage der Weimarer Oper dagegen nach Liszts Rückzug fasste Feodor von Milde, führender Sänger und Duzfreund Liszts, in einem Brief ein Jahr nach dem Abschiede 

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»Barbier«-Skandal unmissverständlich so zusammen  : »Wir sind in Weimar da angekommen, wo wir vor 12 Jahren waren, ein trauriges Resultat nach so langen Mühen und Kämpfen.«202 Vor 12 Jahren, also 1847, in der Krisensituation der Oper unter Chélard. Untersuchungen der Intendanz schon Mitte 1859 zu Leistungsdefiziten in Chor und Orchester bekräftigen seine Feststellung. Großherzog Carl Alexander bemühte sich aus naheliegenden Gründen, Liszt in Weimar zu halten. Es gab mehrere intensive Gespräche, deren Widerhall in Briefen Liszts handgreiflich ist. Schon im Februar 1859 ging es im Zusammenhang mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Liszt ans Theater zurückkehren würde, noch einmal um die Idee zweier gleichberechtigter Intendanten, Dingelstedt für das Schauspiel, Liszt für die Oper. Sie scheiterte im Kern an den beengten finanziellen Gegebenheiten des Theaters. Auch Liszts Einsatz in diesem Kontext für Aufführungen von Wagners »Tristan und Isolde« und der ersten beiden »Ring«-Teile scheiterte. Dass im Dezember 1860 endlich dessen »Rienzi« (mit relativ geringen Tantiemen für den Komponisten) aufgeführt wurde, war nach zweijährigen hinhaltenden Verhandlungen Dingelstedts nicht mehr als längst überfällig. Liszt trat noch beratend, nicht mehr aber leitend in Aktion. Ebenso erwies sich das Aufrufen alter großer Projekte durch den Großherzog – etwa eine erneute Debatte über die »Goethe-Stiftung« – durch die jeweilige Folgenlosigkeit eher als ein Abschiednehmen auf Raten. Auch im persönlichen Raum war 1859 von Abschieden geprägt. Am 23. Juni starb die Großherzogin-Witwe und Großfürstin Maria Pawlowna, Kaiserliche Hoheit, Liszts wichtigste Gönnerin in Weimar. Am 15. Oktober heiratete seine Ziehtochter Marie den am Wiener Hof verankerten Prinzen Constantin von Hohenlohe-Schillingsfürst. Der gute Geist, das »engelsgleiche Wesen« verließ die »Altenburg« und zog nach Wien. Von dort wurde Liszt – wohl nicht ganz zufälligerweise im gleichen Monat – in den erblichen österreichischen Ritterstand erhoben, war nun Ritter Dr. Franz von Liszt. Der aber, dem er dies hätte einmal vererben können, sein Sohn Daniel, starb während eines Besuchs bei Schwester Cosima und Schwager Hans von Bülow in Berlin am 13. Dezember mit 20 Jahren an der Schwindsucht. Vater Liszt war dorthin geeilt und dabei. Ein frustrierendes Jahr mit schlimmstmöglichem Ende. Die Abschiede setzten sich im Folgejahr fort. Hoffmann von Fallersleben verließ Weimar im April, Peter Cornelius im Juni 1860. Der noch weitaus größere Einschnitt  : Carolyne von Sayn-Wittgenstein, die Lebensgefährtin, reiste im Mai nach Rom, um eine dortige Heirat mit Liszt durchzusetzen und vorzubereiten. In Weimar hätten die beiden inzwischen heiraten können, da ihre 296

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Abb. 37  : Das Ehrenbürger-Diplom für Franz Liszt 1860 (Innenseite), heute im Musikzimmer des Liszt-Hauses ausgestellt.

Ehe mittlerweile in 3. Instanz vom Metropoliten von St. Petersburg für nichtig erklärt worden war. Man kann verstehen, dass ihr dies nicht reichte und sie eine Bestätigung des Heiligen Kollegiums und des Papstes anstrebte und in Rom heiraten wollte. Was dann nur fast gelang. Jedenfalls wurde es um Liszt in der »Altenburg« nun sehr einsam. Diese Einsamkeit setzte ihm sehr zu. Zeugnisse dessen sind sein Testament vom 14.  September 1860 und das Melodram »Der traurige Mönch« nach Lenau Anfang Oktober dieses Jahres. Abschiede 

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Schonungslos bekennt er zu Beginn im Testament das von ihm insgesamt als desaströs empfundene Scheitern gegenüber dem großen Weimarer Vorhaben, hier zusammen mit Wagner die gleiche Rolle zu spielen wie einst Goethe und Schiller. Nur wenige Wochen später folgte allerdings eine Aufhellung der besonderen Art  : Die Stadt Weimar ehrte ihn mit ihrer höchsten Auszeichnung, und dies mit einer guten Begründung  : »Dem Großherzogl. S.  Kapellmeister Herrn Ritter Dr.  Franz Liszt, dem hochgefeierten Künstler, der würdig anschließend an Weimars große Erinnerungen, unsere Stadt mit neuem Ruhm geziert hat, dem durch edlen Wohlthätigkeitssinn ausgezeichneten Manne hat der hiesige Gemeinderath durch heut gefassten Beschluß das Ehrenbürgerrecht der Stadt Weimar ertheilt, worüber demselben gegenwärtiges Diplom von der gesetzlichen Gemeindevertretung ausgefertigt wird. Weimar, den 26. October 1860. Der Gemeinde-Vorstand und Gemeinderath.«203 Vier Monate nach seinem 49. Geburtstag, am 22. Februar 1861, wurde dem Geehrten das kostbar gestaltete Diplom feierlich in der »Altenburg« überreicht. Eine hoch anständige Ehrung durch die Weimarer Bürgerschaft auf Antrag des prominenten hiesigen Demokraten Heinrich Jäde war dies gewiss, aber eine Ehrung zum Abschied. Die Zeit der Diplomübergabe fiel zusammen mit zwei großen Abschiedsbriefen Liszts an Großherzog Carl Alexander, in denen er die Überlegungen der letzten beiden Jahre resumierte. Und dann gab es noch ein Abschiedsfest der ganz besonderen Art. Es hatte einen zweijährigen Vorlauf. Im Juni 1859 hatte es in Leipzig anlässlich des 25-jährigen Gründungsjubiläums der »Neuen Zeitschrift für Musik« ein großes Treffen deutscher Tonkünstler gegeben. Letztlich sollte es um die Überwindung aufgebrochener Parteikämpfe – hier »Zukunftsmusiker«, dort Traditionalisten – gehen. Erreicht wurde eine Stärkung der ersteren Gruppe, auch durch eine neue Bezeichnung  : Aus den »Neu-Weimarern« wurden die »Neudeutschen«. Der dadurch gesetzte Anspruch verdross selbstredend die Gegenpartei, die im März 1860 mit einem Manifest gegen die »Neudeutsche Schule« öffentlich reagierte. Eine Überbrückung gelang also nicht. Was gelang, war die Realisation des Beschlusses jener Leipziger Versammlung, durch einen Allgemeinen Deutschen Musikverein die eigenen inhaltlichen und sozialen Ziele zu fördern. Die Gründung dieses ADMV fand vom 5. bis 8. August 1861 in Weimar statt, mit Annahme der Statuten und drei repräsentativen Konzerten. Die Begriffsentwicklung von der »Neu-Weimarer« zur »Neudeutschen Schule« war auch deshalb durchaus provokant, weil der Gegenwind gegen Aufführungen Liszt’scher Werke außerhalb Weimars vielerorts heftig gewor298

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Abb. 38  : Programm des 2. ADMV-Konzertes am 6. August 1861. Abschiede 

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den war. Kampfplatz war die neue Instrumentalmusik, weniger die Oper (und Wagner). Vor allem tobte die Auseinandersetzung um die Rolle des Programms in programmatisch aufgeladener sinfonischer Musik, etwa Liszts Symphonischen Dichtungen. Es ging damit um tiefliegende ästhetische Fragen und Glaubensbekenntnisse, die intellektuellen Erdbeben wirkten bis weit ins 20. Jahrhundert nach. Der Streit hinterließ tiefliegende Verletzungen, wie sie sich etwa in einem Brief Liszts an seinen Verleger Julius Schuberth vom 27. Januar 1860 artikulierten, also noch vor dem Manifest der »Gegenpartei« um Joseph Joachim (den einstigen Herzensfreund) und Johannes Brahms  : »Der Verfall der Kunst bricht durch mich und meine Freunde heran, – und hüten Sie sich dazu beizutragen  !«204 Welch bittere Ironie eines Komponisten, der einst als Klaviervirtuose ganz Europa be- und verzaubert hatte. Oder am 16. April des gleichen Jahres an Hans von Bronsart zum gerade entstandenen Mephisto-Walzer (nach Lenaus »Faust«-Dichtung)  : »Ich habe das Stük bei der Probe des letzten HofConzerts ein paar Mal spielen laßen, setzte es aber nicht auf das Programm des Abends weil ich es mir überhaupt zur Regel gemacht, kein Pub­ likum, und vor allem kein Weimarisches Auditorium mit meinen Undingen zu behelligen.«205 Die Konzerte der Gründungsversammlung des ADMV im August 1861 fanden nun zwar in Weimar, nicht aber vor einem »Weimarischen Auditorium« statt. 700 Musiker aus ganz Deutschland nahmen am Ereignis teil und waren eben ein ganz anderes, ein besonderes Publikum. Großherzog Carl Alexander – er hatte gerade seine Kunstschule gründen lassen – übernahm das Protektorat über den neuen Verein. Das Ereignis war die Anwesenheit Richard Wagners. Er wurde ebenso gefeiert wie Liszt, dem das »Zweite Fest-Conzert« gewidmet war. Hier erregte das Auswendig-Dirigat Hans von Bülows besonderes Aufsehen. Noch einmal war das Neue Weimar in repräsentativ-vollem Glanz aufgeleuchtet. Zu Beginn der Vormittagsprobe für das 3. Festkonzert am nächsten Abend dankte Liszt den Orchestermusikern aus Weimar, Leipzig und Sondershausen für die »treffliche Unterstützung« seiner Werke am Vorabend. »Zugleich bemerkte er mit tiefer Rührung, daß es vielleicht das letztemal sei, mit einer so ausgezeichneten Künstlerschaft an diesem Orte zusammenzuwirken.«206 Eben doch ein Abschiedsfest. Jedoch  : Die Zukunft der »Zukunftsmusik« bewirkte, dass es eben nicht das letzte Mal war. Weimar blieb das Gravitationszentrum der »Neudeutschen«, nach einigen Jahren auch wieder mit Franz Liszt.

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ANSTATT EINES NACHWORTES  : VOM ZAUBER DER WARTBURG. 1867 »Ohne Abschied«, wie er am 19.  August 1861 an Emilie Genast schrieb207, hatte Liszt zwei Tage zuvor die Stadt seiner langjährigen »Sammlung und Arbeit« verlassen. Er schrieb ihr dies aus Wilhelmsthal bei Eisenach, wo ihm Großherzog Carl Alexander zum Abschied die besonders ehrenvolle Würde eines Kammerherrn verlieh. Wir können annehmen, dass er ihm dazu den Schlüssel mit einer Perle darauf überreichte, den wir noch heute in einer Vitrine im Liszt-Haus bewundern können, das Symbol für die Würde eines herausgehobenen Beraters und Beauftragten am großherzoglichen Hof. Es war eine seltsam anmutende Auszeichnung für Einen, dem sie ein paar Jahre früher sehr genutzt hätte, der nun aber gerade verbittert von dannen zog. Plausibel wird sie allerdings, wenn damit nicht ein Ade, sondern ein Auf Wiedersehen gemeint war. Und dass es so gemeint war, wurde drei Jahre später sehr deutlich, als Liszt vom ADMV-Tonkünstlerfest in Karlsruhe aus kurz nach Weimar kam und dann in Wilhelmsthal den Großherzog besuchte. Der drängte ihn, endlich nach Weimar zurückzukehren. In jenen Jahren 1864 und 1865 entschied sich die persönliche Situation Liszts. Die Verwitwung der Fürstin führte nicht zum Nachholen der 1861 gescheiterten Eheschließung. Liszt begann wieder zu reisen. Und er entschloss sich, in den geistlichen Stand einzutreten, realisierte damit eine sein Leben durchziehende Grundidee. Nach der Tonsur am 25. April empfing er am 30. Juli 1865 die vier niederen Weihen. Wenige Monate später in Budapest dirigierte er in Soutane die sehr erfolgreiche Uraufführung seiner »Legende von der heiligen Elisabeth«. Das Oratorium, weitgehend in Weimar entstanden, war in Rom vollendet worden. Es war von den Fresken Moritz von Schwinds auf der Anstatt eines Nachwortes 

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Abb. 39  : Die neue Wartburg. Vorderseite der Medaille zur 800-Jahr-Feier 1867 (Rückseite  : »Die alte Wartburg«).

Wartburg angeregt worden, deren Entstehung 1854/55 Liszt miterlebt hatte. Die Wartburg war als solche und durch die Erinnerung an seine Landsmännin Elisabeth ein ganz besonderer Ort für ihn, stark auch verbunden mit Wagners »Tannhäuser« und dessen Weimarer Aufführungsgeschichte. Nach dem herzlichen Wiedersehen mit dem Großherzog und mit Freunden und Kollegen 1864 und nach dem Budapester Erfolg von 1865 war es nur folgerichtig, dass der Wunsch erwuchs, das Werk zu besonderer Gelegenheit am Ort des Geschehens aufzuführen. Was er Großherzog Carl Alexander 1866 auch schrieb. Für den war der Wiederaufbau der Wartburg ein wichtiges Lebensprojekt gewesen, das nun nach drei Jahrzehnten seinem Abschluss nahe war. 1867 stand zudem der 800. Geburtstag der Burg an, deren nationale Bedeutung nach der Schlacht von Königgrätz und dem Ende des Deutschen Bundes eine zunehmende Rolle spielte. So kam es zum Ereignis vom 28. August 1867. Denn nicht an irgendeinem Tag dieses Jahres 1867, sondern am 28. August, dem Geburtstag Goethes, versammelt sich die Hautevolee des Großherzogtums mit anderen hochgestellten Persönlichkeiten aus ganz Deutschland auf der Wartburg zur großen Feier. Nach dem Gottesdienst im Burghof und ei302

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Anstatt eines Nachwortes

nem Bankett im Landgrafenzimmer mit der Ansprache von Großherzog Carl Alexander wird die abendliche Aufführung der Liszt’schen »Legende von der heiligen Elisabeth« unter Leitung des Komponisten, eine Aufführung an ihrem Ursprungsort, zum festlichen Höhepunkt und hinreißenden Abschluss. Am Folgetag wird sie für ein größeres Publikum unter Carl Müllerhartungs Leitung in der Eisenacher Georgenkirche – Taufkirche Bachs – wiederholt, wiederum beglückend für alle Beteiligten. Nahezu genau zehn Jahre zuvor hatte es die Exkursion zur Wartburg innerhalb des »Septemberfestes« gegeben, verbunden mit der Aufführung von Wagners »Tannhäuser« im Weimarer Hoftheater. Nun also erlebt Liszt noch eine Überhöhung dessen durch seine Elisabeth-Legende – welch tiefe Befriedigung für ihn nach dem zwischenliegenden Jahrzehnt. Sein Wartburg-Erleben verzaubert ihn. Herzliche Treffen und Gespräche in den drei Folgewochen vertiefen dies. Abermals drängt Carl Alexander seinen Kammerherrn und exzeptionellen Hofkapellmeister zur Rückkehr nach Weimar. Nicht in die »Altenburg«, deren Hausstand gerade aufgelöst wird, um neuen Bewohnern Platz zu machen. Wie und wo auch immer  : Irgendetwas Regelmäßiges, aber Zeitweiliges in Weimar, das könnte reizvoll und eben etwas Anderes sein als das beschauliche Leben in Rom. Dabei ist ihm Rom durchaus ans Herz gewachsen und Zentrum seines Glaubens ohnehin. Auch die ungarische Heimat sollte nicht ganz vernachlässigt werden. Man würde sehen … Nahezu genau anderthalb Jahrhunderte später, also in der gleichen numerischen Distanz, die Liszt 1867 von Bach im besonderen Weimarer Jahr 1717 trennt, erinnert Thüringen in seiner Liszt Biennale 2017 an jenes »Scharnier« zwischen Liszts kämpferischer ersten und seiner gelassenen zweiten Weimarer Zeit, der in den Sommermonaten 1870 bis 1886. Nach Meiningen 2015 ist diesmal Weimar der Schwerpunktort des Festivals und wird dem mit Konzerten gerade an den historischen Orten  – »Altenburg«, Festsaal des Stadtschlosses, Deutsches Nationaltheater, »Hofgärtnerei« – oder an der Franz-Liszt-Gedächtnisorgel von 2011 in der von ihm noch geförderten, aber nicht mehr erlebten katholischen Pfarrkirche Herz Jesu gerecht. »Sein« Orchester, die heutige Staatskapelle Weimar, spielt das Eröffnungskonzert mit erlesenem Programm. Nike Wagner redet. Am Folgetag wird im Goethe- und Schiller-Archiv, dem Bewahrort seines schriftlichen Nachlasses, eine Ausstellung mit originalen Dokumenten eröffnet (Kuratorin  : Evelyn Liepsch). Die ehemaligen Residenzen zwischen Eisenach und Altenburg, Meiningen und Sondershausen tragen selbstständig in den Pfingsttagen zwischen 31.  Mai und 5. Juni ihren Teil bei. Anstatt eines Nachwortes 

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Abb. 40  : Franz Liszt 1869. Gemälde von Bernhard Plockhorst.

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Selbstredend gibt es im Palas der Wartburg, also an gleichem Ort wie 1867, zwei beziehungsreiche Biennale-Höhepunkte. Am Pfingstsamstag gastiert hier das Südthüringische Staatstheater Meiningen mit einer Neuauflage seiner bislang immer ausverkauften und sehr erfolgreichen halbszenischen Aufführung von Richard Wagners »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg«, kurz  : dem »Tannhäuser«. Am Pfingstsonntag dann gibt der europäische Meisterpianist Boris Bloch einen Klavierabend mit exemplarischen Werken Liszts, exemplarisch im Sinne des Biennale-Mottos »Rollenspiele«. Ob Ururenkelin Nike Wagner, die Schirmherrin der Biennale, als Überraschungsgast eine Rolle dabei spielen wird, ist noch unklar …

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ANMERKUNGEN

Vorwort 1 Goethes Werke, Bd. 1, S. 112. 2 J. Rückert, Bemerkungen über Weimar 1799, S. 45–47. 3 Zitiert nach W. Huschke, Anna Amalia, S. 131. I. Von Walter zu Bach  : Lutherische Prägungen (1513 | 1717) 4 Zitiert nach W. Huschke, Geschichte der Staatskapelle Weimar, S. 8. 5 Ebenda. 6 Zitiert nach A. Aber, S. 82 (wie die vorherigen Zitate). 7 LATh-HstA Weimar, EGA Reg. O. 927, Bl. 1  ; v/u und w/u sind im Sinne leichteren Verständnisses modernisiert. 8 MGG, Bd. 14, Sp. 196. 9 E. Asshoff. Der Cranachaltar […], S. 26. 10 Programmheft der »pèlerinages«, Kunstfest Weimar 2013, S. 17. 11 LATh-HstA Weimar, B 26435, Bl. 13. 12 Programmheft der »pèlerinages«. Kunstfest Weimar 2013, S. 28. 13 Jahresheft der Staatskapelle Weimar 2013/2014, S. 4. 14 Zitiert nach A. Aber, S. 137 bzw. 138. 15 Alle Zitate nach A. Aber, S. 142. 16 Zitiert nach Ebenda, S. 139. 17 Zitiert nach Ebenda. 18 Zitiert nach A. Aber, S. 163. 19 Alle Zitate nach A. Aber, S. 163. 20 Zitiert nach B. Buchstab, S. 209. 21 Zitiert nach ebenda, S. 210. 22 Ebenda, S. 214. 23 Ebenda, S. 214 f. 24 Zitiert nach ebenda, S. 211 f. 25 Zitiert nach A. Aber, S. 146 f. 26 Zitiert nach ebenda, S. 147. 27 Zitiert nach ebenda, S. 149. 28 Zitiert nach ebenda, S. 150. In der Tat schreibt Drese 662 für 1662. Die von Aber realisierten Hervorhebungen durch lateinische Schrift wurden vernachlässigt. 29 Ebenda, S. 152. 30 Alle Zitate nach A. Aber, S. 168. Siehe auch H. A. Frenzel, S. 24 f.

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Anmerkungen

31 Alle Zitate nach A. Aber, S. 168 f. 32 Zitiert nach B. Buchstab, S. 213. 33 LATh-HstA Weimar, A 8995, Bl. 45. 34 Ebenda. 35 Chr. Wolff, S. 180. 36 Ebenda, S. 171. 37 LATh-HstA Weimar, A 8995, Bl. 66v. II. Theater  ! Mit Musik (1756 | 1803) 38 LATh-HstA Weimar, B 26 436, Bl. 169. 39 Beide Zitate ebenda, Bl. 171. 40 Wolfgang Huschke, Streifzüge, S. 69. 41 H. Abert, S. 83. 42 K. Manger, Weimars besonder Loos, S. 56. 43 Chr. M. Wieland, Briefe, S. 167. 44 LATh-HstA Weimar, F 394, Bl. 31. 45 P. Gülke, im Booklet zur CD DS 1099-2 (2007). 46 W. A. Mozart, Briefe, Bd. 2, S. 161 f. 47 Ebenda, S. 523. 48 Ebenda, S. 162. 49 Chr. M. Wieland, Gesammelte Schriften, 9. Bd., S. 378 f. 50 Zitiert nach Gluck-GA, S. X. 51 Chr. M. Wieland, Bd. 26, S. 194. 52 Ebenda, S. 173. 53 Zitiert nach Gluck-GA, S. X. 54 Chr. M. Wieland, Werke, Bd. 26, S. 176. 55 Ebenda, S. 175. 56 Ebenda, S. 173. 57 Chr. M. Wieland, Schriften, Bd. 14, S. 85. 58 Ebenda, S. 90. 59 Ebenda, S. 91. 60 Zur Anschauung (bzw. Anhörung) siehe die Doppel-CD 001622/2 Berlin Classics von 2007. Oder die Weltersteinspielung auf Naxos 2002  : 8.555925-26. 61 Goethes Werke, Bd. 1, S. 116. 62 Zitiert nach der Dokumenten-Präsentation Volker Wahls in  : Wolfenbütteler Beiträge Bd. 9, S. 120. 63 Zitiert nach W. Huschke, Anna Amalia und die Musik ihrer Zeit, S. 146 f. 64 Ebenda, S. 148. 65 Goethes Werke, Bd. 1, S. 115. 66 Zitiert nach Kl. Manger, Schmerz in lateinischen und deutschen Versen, S. 316. Der vorliegende Text folgt Wieland betreffend jenem ausgezeichneten Aufsatz Mangers. 67 Zitiert nach ebenda, S. 319. 68 Ebenda, S. 318. 69 Siehe die CD-Aufnahme bei Naxos (8.55 12 76). 70 Faksimile des Erstdrucks, 1984, S. 16. 71 Kl. Manger, S. 314. 72 Schillers Werke, Bd. 4, S. 7. Anmerkungen 

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  73 J. Rückert, S. 81.   74 R. Bothe, S. 445.   75 J. P. Eckermann, S. 489 f.   76 C. Jagemann, Bd. 1, S. 89.   77 J. Rückert, S. 74 ff.   78 J. W. v. Goethe, Poetische Werke, Bd. 16, S. 17 f.   79 J. P. Eckermann, S. 482 f.   80 Ebenda, S. 483.   81 Ebenda, S. 482.   82 W. A. Mozart, Briefe Bd. 2, S. 222.   83 J. W. v. Goethe, Poetische Werke, Bd. 14, S. 627 f.   84 J. P. Eckermann, S. 457.   85 J. W. v. Goethe, Briefe, Sophienausgabe Bd. 11, S. 13 f. (Brief vom 24. Januar 1796).   86 J. W. v. Goethe, Werke, Sophienausgabe Bd. 12, S. 388.   87 Zitiert nach W. Huschke, Anna Amalia (Anhang), S. 150.   88 Zitiert nach ebenda, S. 109.   89 J. G. Herder, Werke Bd. 23, S. 345.   90 J. G. Herder, Werke Bd. 22, S. 187.   91 J. G. Herder, Werke Bd. 23, S. 561.   92 Zitiert nach V. Wahl, Grabinschrift, S. 100 bzw. S. 122.   93 K. Mommsen, Zum Stammbuch von Heinrich Beck, S. 47.   94 J. Rückert, S. 68–72.   95 LATh-HstA Weimar, A 10 011, Bl. 3.  96 Ebenda.   97 J. Rückert, S. 91/93.   98 Ebenda, S. 93.   99 J. W. v. Goethe, Poetische Werke, Bd. 16, S. 80. 100 J. Rückert, S. 66 f. 101 Ebenda, S. 72 f. 102 Ebenda, S. 73 f. 103 Ebenda, S. 74. 104 Ebenda, S. 67 f. Als Anmerkung ebenda auf S. 183  : Es geht um den Sänger Haltenhof, 1799– 1802 am Weimarer Hoftheater. 105 Zitiert nach G. Busch-Salmen, S. 126. 106 Zitiert nach ebenda, S. 133. 107 Schillers Werke in fünf Bänden, Bd. 1, S. 177. 108 J. Rückert, S. 66. 109 Alle Zitate zum Brief  : LATh-HstA Weimar, A 9592, Bl. 2 f. 110 Ebenda, Bl. 5. 111 Ebenda, Bl. 14 f. 112 LATh-HstA Weimar, A 9593, Bl. 5. III. Klaviervirtuosen als Hofkapellmeister (1810 | 1846) 113 J. Rückert, S. 46. 114 F. Liszt, Sämtliche Schriften Bd. 1, S. 121. 115 LATh-HstA Weimar, GI 1307, Bl.  6. Die im Autograph lateinisch geschriebenen Worte sind hier kursiv gesetzt.

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Anmerkungen

116 F. Hiller, S. 9. 117 J. P. Eckermann, S. 479 f. 118 J. P. Eckermann, S. 481. 119 Ebenda. 120 Ebenda, S. 486. 121 J. P. Eckermann, S. 492. 122 Ebenda, S. 498. 123 Zitiert nach A. Pretzsch/W. Hecht, S. 70. 124 H. Heine, S. 25 f. 125 ThLMAW, Archiv des DNT Weimar, Theaterzettel 1822/23. 126 J. P. Eckermann, S. 244 f. 127 Ebenda, S. 248. 128 LATh-HstA Weimar, A 10127. 129 LATh-HstA Weimar, A 10127, Bl. 7ˇ. 130 LATh-HstA Weimar, A 9866, Bl. 51. 131 Ebenda, Bl. 58ˇ. 132 E. Genast, S. 224. 133 J. W. v. Goethe, Poetische Werke, Bd. 16, S. 226. 134 J. P. Eckermann, S. 270. 135 J. P. Eckermann, S. 402. 136 Ebenda, S. 405. 137 Ebenda. 138 F. Hiller, S. 10 f. 139 LATh-HstA Weimar, A 9866, Bl. 80. 140 LATh-HstA Weimar, A 9833, Bl. 123. 141 Ebenda, Bl. 97. 142 Verlag T. Haslinger, 5651/5652. 143 Hummel. Variationen und Fantasien, DS 1093-2, LC 06652. 144 F. Mendelssohn Bartholdy, S. 8. 145 LATh-HstA Weimar, A 9888, Bl. 51. 146 P. Raabe, S. 11 f. 147 AMZ, Jg. 1844, Sp. 243. 148 Ebenda, Sp. 163. IV. Das Neue Weimar Franz Liszts (1848 | 1861) 149 P. Raabe, S. 12. 150 GSA, 150/M 329. 151 Hoffmann von Fallersleben, 6. Bd., S. 53 f. 152 I. Lucke-Kaminiarz/H. Lucke, S. 101 f. 153 F. Liszt, Sämtliche Schriften Bd. 3, S. 103/105. 154 Ebenda, S. 173. 155 P. Raabe, S. 45. 156 P. Raabe, S. 68. 157 P. Raabe, S. 36. Siehe auch Moment 33. 158 Siehe Nina Okrassa, Peter Raabe. Böhlau Verlag 2004. 159 P. Raabe, S. 31–37. 160 Zitiert nach S. Gut, S. 690 (Übersetzung von Fr. Schnapp 1931). Anmerkungen 

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161 F. Liszt – R. Wagner. Briefwechsel, S. 335 f. 162 Ebenda, S. 525. 163 Ebenda, S. 524. 164 F. Liszt in seinen Briefen, S. 186. 165 H. Berlioz, S. 110. 166 Ebenda. S. 112. 167 Ebenda, S. 130. 168 Ebenda, S. 400 f. Hier  : »Stürz ein, du starres Fels  !« 169 Ebenda, S. 401 f. 170 Klavierauszug zu »Fausts Verdammung«, Vorwort, Köln 1902. 171 H. Berlioz, S. 130. 172 R. Wagner, Mein Leben, S. 343. 173 F. Liszt – R. Wagner. Briefwechsel, S. 241. 174 Ebenda, S. 241. 175 Ebenda, S. 248. 176 Ebenda. 177 Ebenda, S. 397. 178 A. Brendel, S. 339. 179 Ebenda, S. 332 f. 180 Ebenda, S. 336 f. 181 Ebenda, S. 337. 182 Ebenda, S. 331. 183 Siehe CD aus dem Jahr 2008. 184 GSA, NZ 9/04, Bl. 327 (Sonderdruck 2004 zum 200. Geburtstag Ernst Rietschels). 185 LATh-HstA Weimar, Hausarchiv Carl Alexander, Nr. 1603, Bl. 4. 186 Zitiert nach S. Gut, S. 678. 187 F. Liszt in seinen Briefen, S. 155. 188 F. Liszt – R. Wagner. Briefwechsel, S. 530. 189 P. Cornelius, Briefe 1. Bd., S. 301 f. 190 I. Lucke-Kaminiarz/H. Lucke, S. 101 f. 191 F. Liszt – R. Wagner. Briefwechsel, S. 583. 192 Ebenda, S. 590. 193 P. Cornelius, Briefe 1. Bd., S. 303. 194 Fr. von Milde, 1. Bd., S. 108. 195 W. Huschke, F. Liszt, S. 160. 196 F. Liszt – R. Wagner. Briefwechsel, S. 591. 197 Ebenda, S. 592. 198 Ebenda, S. 594. 199 Ebenda, S. 595. 200 Ebenda, S. 599. 201 Ebenda, S. 593. 202 F. von Milde, 1. Bd., S. 131 f. 203 StadtAW, NA I-30-2, Bl. 1. 204 F. Liszt in seinen Briefen, S. 182. 205 Ebenda, S. 185 f. 206 Weimarer Zeitung, 13. August 1861 (Nr. 188). 207 F. Liszt in seinen Briefen, S. 195.

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Anmerkungen



ABBILDUNGSVER ZEICHNIS Umschlag vorn  : KSW, HAAB, V 2739. Umschlag hinten  : KSW, Museen, ID 80397.

1 Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Abt. Handschriften, Chorbuch 3, Bl. 30. Foto  : St. und E. Renno. 2 KSW, Museen, ID 200477. 3 Ebenda, ID 515952. 4 Ebenda, ID 200485. 5 Ebenda, ID 504813. 6 KSW, HAAB, Der Neu-Sprossende Teutsche Palmbaum. 7 KSW, Museen, ID 231867. 8 Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung, Mus. ms. Bach St 354, Titelblatt. 9 KSW, Museen, ID 469. 10 KSW, HAAB, Ernst Wilhelm Wolf  : Die treuen Köhler. 11 KSW, Museen, ID 202615. 12 KSW, HAAB, Anton Schweitzer  : Alceste. 13 KSW, Museen, ID 1033. 14 Ebenda, ID 648. 15 Ebenda, ID 202623. 16 Ebenda, ID 202170. 17 KSW, GSA, Signatur Kräuter  : Eigen Poetisches 53. 18 KSW, Fotothek, 100-2013-1049. 19 KSW, Museen, ID 512950. 20 Ebenda, ID 507448. 21 Ebenda, ID 479107. 22 Ebenda, ID 250598. 23 Ebenda, ID 204575. 24 KSW, HAAB, Zeichnung aus Ludolf Vineta  : Niccolò Paganini, Leben und Charakter, Hamburg 1830. 25 KSW, HAAB, V 2739. Adolf Glaßbrenner  : Berlin, wie es ist und – trinkt. 26 KSW, GSA, Bestand Liszt. 27 Ebenda. 28 KSW, Museen, ID 331076. 29 Ebenda, ID 308705. 30 Ebenda, ID 331912. Abbildungsverzeichnis 

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31 KSW, HAAB, Richard Wagner  : Szene aus Lohengrin, Uraufführung in Weimar 1850. 32 KSW, Museen, ID 355229. 33 Ebenda, ID 2605. 34 KSW, GSA, Bestand Liszt. 35 Ebenda. 36 Ebenda. 37 KSW, Museen, ID 225213. 38 KSW, GSA, Bestand Liszt. 39 KSW, Museen, Unbekannter Künstler  : Die neue Wartburg und die alte Wartburg, auf die 800-­­Jahr-Feier 1867. 40 KSW, Museen, ID 1460.

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Abbildungsverzeichnis



VER ZEICHNIS DER ZITIERTEN LITER ATUR Aber, Adolf  : Die Pflege der Musik unter den Wettinern und wettinischen Ernestinern. Von den Anfängen bis zur Auflösung der Weimarer Hofkapelle 1662. Bückeburg/Leipzig 1921. Abert, Hermann  : Goethe und die Musik, Stuttgart 1922. Asshoff, Elisabeth  : Der Cranachaltar und die Epitaphien der Stadtkirche St. Peter und Paul zu Weimar. Weimar 2014. Berlioz, Hector  : Memoiren, Leipzig 1967. Bothe, Rolf  : Clemens Wenzeslaus Coudray, Köln Weimar Wien 2013. Brendel, Alfred  : Über Musik, München 2005. Buchstab, Bernhard  : Der Schmackhafte auf dem »Weg zur Himmelsburg«, in  : Klaus Manger (Hg.)  : Die Fruchtbringer, eine Teutschherzige Gesellschaft, Heidelberg 2001. Busch-Salmen, Gabriele  : Goethes Zusammenarbeit mit dem Hofsänger Johann Wilhelm Ehlers, in  : Goethe-Jahrbuch 2000, Weimar 2001 Cornelius, Peter  : Ausgewählte Briefe, Bd. 1, Leipzig 1904. Eckermann, Johann Peter  : Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Berlin 1982. Frenzel, Herbert A.: Thüringische Schlosstheater. Beiträge zur Typologie des Spielortes vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin (West) 1965. Genast, Eduard  : Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit, Stuttgart 1905. Gluck, Christoph Willibald  : Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 3b (»Alceste«), Kassel 2005. Goethe, Johann Wolfgang von  : Werke, Sophienausgabe, Weimar 1887–1919. – Poetische Werke (Berliner Ausgabe), 1960–1974. – Goethes Werke in 12 Bänden (Bibliothek deutscher Klassiker), Berlin/Weimar 1974. Gut, Serge  : Franz Liszt, Sinzig 2009. Heine, Heinrich  : Briefe aus Berlin, Berlin 1954. Herder, Johann Gottfried  : Herders Sämtliche Werke (Suphan-Ausgabe)  : Bd.  22 (Berlin 1880), Bd. 23 (Berlin 1885). Hiller, Ferdinand  : Künstlerleben, Köln 1880. Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich  : Mein Leben, 6. Bd., Hannover 1868. Huschke, Wolfgang  : Genealogische Streifzüge durch das klassische Weimar, in  : Peter Berglar (Hg.)  : Staat und Gesellschaft im Zeitalter Goethes, Köln/Wien 1977. – Dokumente aus zwei Jahrhunderten Weimarer Musikgeschichte, masch. schriftl./fotografisch 1947. Huschke, Wolfram  : Anna Amalia und die Musik ihrer Zeit, in  : Paul Raabe (Hg.), Wolfenbütteler Beiträge, Bd. 9, Wiesbaden 1994. Verzeichnis der zitierten Literatur 

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– »… von jener Glut beseelt«. Geschichte der Staatskapelle Weimar, mit Essays von Detlef Altenburg und Nina Noeske, Jena 2002. – Franz Liszt. Wirken und Wirkungen in Weimar, Weimar 2010. Jagemann, Caroline  : Die Erinnerungen der Karoline Jagemann, hg. von Eduard von Bamberg, Dresden 1926. Liszt, Franz  : Sämtliche Schriften (Hg. Detlef Altenburg)  : Bd.  1 (Frühe Schriften, hg. von Rainer Kleinertz), Wiesbaden 2000, Bd.  3 (Die Goethe-Stiftung, hg. von Detlef Altenburg und Britta Schilling-Wang), Wiesbaden 1997  ; Bd. 4 (Lohengrin und Tannhäuser von Richard Wagner, hg. von Rainer Kleinertz), Wiesbaden 1989. Franz Liszt – Richard Wagner. Briefwechsel (Hg. Hanjo Kesting), Frankfurt a. M. 1988. Franz Liszt in seinen Briefen (Hg. Hans Rudolf Jung), Berlin 1987. Lucke-Kaminiarz, Irina/Lucke, Hans  : Hoffmann von Fallersleben. Alles Schöne lebt in Tönen, Weimar 2007. Manger, Klaus  : Schmerz in lateinischen und deutschen Versen  : Christoph Martin Wielands Übertragung des Stabat Mater, in  : Symbiosen – Wissenschaftliche Wechselwirkungen zu gegenseitigem Vorteil, Erfurt 2009. – Weimars besonder Loos, in  : Fenster zur Welt. Deutsch als Fremdsprachenphilologie, München 2004. Mendelssohn Bartholdy, Felix  : Reisebriefe aus den Jahren 1830 bis 1832, Leipzig 1862. Milde, Franz von  : Ein ideales Künstlerpaar, Leipzig 1918. Mommsen, Katharina  : Zum Stammbuch von Heinrich Beck, in  : Manuskripte 7 der Freundesgesellschaft des Goethe- und Schiller-Archivs, Weimar 2015. Mozart, Wolfgang Amadeus  : Briefe und Aufzeichnungen, 2. Bd., Kassel/Leipzig 1962. Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Hg. Friedrich Blume), Bd. 14, Kassel 1968. Pretzsch, Alfred/Hecht, Wolfgang  : Das alte Weimar, skizziert und zitiert, Weimar 1975. Raabe, Peter  : Großherzog Carl Alexander und Liszt, Leipzig 1918. Rückert, Joseph  : Bemerkungen über Weimar 1799 (Hg. Eberhard Haufe), Weimar 1969. Schiller, Friedrich  : Schillers Werke in fünf Bänden (Bibliothek deutscher Klassiker), Weimar 1963. Wagner, Richard  : Mein Leben (Hg. Martin Gregor-Dellin), München 1976. Wahl, Volker  : »Meine Gedanken« und »Grabinschrift«, in  : Wolfenbütteler Beiträge, Bd. 9 (Hg. Paul Raabe), Wiesbaden 1994. Wieland, Christoph Martin  : »C. M. Wielands sämmtliche Werke«, 26. Bd., Wien 1812. – Briefe an Sophie von La Roche, Berlin 1820. – Gesammelte Schriften, 9. und 14. Bd., Berlin 1928 und 1931. Wolff, Christoph  : Johann Sebastian Bach, Frankfurt a. M. 2000.

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Verzeichnis der zitierten Literatur



ABKÜR ZUNGEN UND SIGLEN

Abb. Abbildung ADMV Allgemeiner Deutscher Musikverein AMZ Allgemeine Musikalische Zeitung Bd. Band BDK Bibliothek deutscher Klassiker GA Gesamtausgabe GSA Goethe- und Schiller-Archiv KSW Klassik Stiftung Weimar NZfM Neue Zeitschrift für Musik StadtAW Stadtarchiv Weimar LATh-HstA Weimar Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ThLMAW Thüringisches Landesmusikarchiv Weimar/Archiv der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar Wr. Ztg. Weimarische Zeitung

Abkürzungen und Siglen 

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PERSONENREGISTER

Abert, Amalie 104 Abert, Hermann 99 Adam von Fulda 19, 20 Agnes, Herzogin von Sachsen 29 Albrecht, Herzog von Sachsen 17 Altenhof (Haltenhof) 152 André, Johann 103 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 12, 37, 91, 93 – 100, 102 – 104, 112 – 118, 120 – 123, 127, 129, 133, 136, 141 – 144, 146, 152, 153, 155, 158, 163, 168, 212, 229 Arens, Rolf-Dieter 213 August, Kurfürst von Sachsen 30 Aulhorn, Johann Adam 119, 123 Bach, Carl Philipp Emanuel 70, 73, 75, 77 Bach, Catharina Dorothea 68, 70, 77 Bach, Friedelena Margaretha 70 Bach, Johann Ambrosius 64 Bach, Johann Ernst 92, 93 Bach, Johann Sebastian 37, 40, 41, 50, 63 – 69, 71 – 88, 91, 102, 167, 171, 303 Bach, Maria Barbara 68, 70, 77 Bach, Wilhelm Friedemann 70, 77 Beaulieu-Marconnay, Carl Olivier Freiherr von 250, 256 Beaumarchais, Louis Caron de 99 Beck, Christiane Henriette 145 Beck, Heinrich 128, 129, 146 Beck, Josepha, geb. Schäfer 128, 146, 147 Beethoven, Ludwig van 110, 166, 172, 180, 188, 191, 193, 205, 206, 210, 213, 214, 216,

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Personenregister

217, 225, 226, 229, 230, 234, 237 – 239, 241, 274 – 276, 285, 292, 293 Bellomo, Joseph 128, 129, 133, 136, 155 Benda, Caroline → siehe Wolf, Caroline, geb. Benda Benda, Christian 133, 151 Benda, Franz 95 Benda, Georg Anton 92, 97, 102, 117 Benda, Wilhelmine 95 Benyovszky, Karl 212 Berlioz, Hector 193, 196, 200, 204, 205, 237, 245, 264, 268 – 274, 278, 280 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 44, 49 Bertuch, Friedrich Justin 116, 127 Blankenburg, Walter 28 Bloch, Boris 305 Böhler, Christine → siehe Genast, Christine, geb. Böhler Böhme, August 191 Bontempi, Giovanni Andrea 57 Bormann, Theodor Benedikt 74, 78 Böttiger, Karl August 127 Brahms, Johannes 300 Brendel, Alfred 277, 278, 280 Brockhaus 242 Bronsart von Schellendorf, Hans 245, 266, 288, 300 Brück, Christian 30 Brühl, Karl Friedrich Graf von 195 Buchstab, Bernhard 55 Bülow, Cosima von 296 Bülow, Hans von 245, 267, 275, 283, 288, 296, 300 Byron, Lord George 238

Calzabigi, Raniero 105, 107 – 109 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-­ Weimar-Eisenach 198, 222, 223, 229, 230, 232, 235, 241 – 244, 247, 253, 259, 260, 262, 264, 290, 294, 296, 298, 300 – 303 Carl August, Herzog bzw. Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 95, 100, 113, 114, 116, 128, 129, 131, 135, 148, 155, 157 – 159, 171, 176 – 179, 186, 187, 204, 245, 258, 265, 284, 285 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 163, 186, 188, 235 Caspari, Friedrich 292 Chélard, André Hippolyte 166, 219, 220, 225, 226, 232, 234, 246, 247, 249, 250, 296 Cherubini, Luigi 202, 214 Chopin, Frédéric 240 Coffey, Charles 94 Cohen, Hermann 222 Constantin, Prinz von Sachsen-Weimar-Eisenach 95 Corneille, Pierre de 110 Cornelius, Peter 235, 245, 265, 288, 290, 292, 293, 295, 296 Coudray, Clemens Wenzeslaus 174 – 178 Cranach, Lucas, d. Ä. 26 – 28, 50 Cranach, Lucas, d. J. 26, 28, 31 Crüger, Johann 50 Czerny, Carl 220 d’Agoult, Marie 221, 234 Dalberg, Carl von 125 Dante Alighieri 239 Desprez, Josquin 21, 23 Destouches, Franz Seraph von 158, 159 Devrient, Doris, geb. Böhler 192 Devrient, Emil 191, 192 Devrient, Ludwig 191, 192 de Wette, Gottfried Albin 44 Dingelstedt, Franz von 236, 246, 250, 265, 291, 292, 294, 296 Dittersdorf, Karl Ditters von 133 Doebbelin, Carl Theophilus 93, 94, 98 Döhler, Theodor 166 Donizetti, Gaëtano 225, 249 Dorothea Maria, Herzogin von Sachsen-Weimar 40, 49

Drese, Adam 56 – 60, 65 Drese, Johann Samuel, auch Drese senior 65, 66, 68, 71, 74, 77 Drese, Johann Wilhelm, auch Drese junior 69, 71, 74, 77, 78 Duni, Egidio Romoaldo 102 Eberwein, Alexander Bartholomäus 118 Eberwein, Carl 189, 194 – 200, 214, 226, 273, 278 Eberwein, Henriette, geb. Häßler 150, 172, 178, 184, 194, 214, 215 Eberwein, Max Carl 199 Eccard, Johann 31 Eckermann, Johann Peter 134, 174 – 176, 196, 198, 199, 201, 273 Effler, Johann 65, 68, 73 Ehlers, Johann Wilhelm 152 – 154 Einsiedel, Friedrich Hildebrand Freiherr von 112, 117 Ekhof, Conrad 100, 128 Eleonora Dorothea, Herzogin von Sachsen-Weimar 56 Eleonore Wilhelmine, Herzogin von Sachsen-Weimar 77 Elisabeth, Landgräfin von Thüringen 302 Ernst August, Herzog von Sachsen-Weimar bzw. von Sachsen-Weimar-Eisenach 68, 72, 77, 78, 91, 92 Ernst August II. Constantin, Herzog von Sachsen-­Weimar-Eisenach 91, 92 Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha 49, 63, 67 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha 249 Ernst, Kurfürst von Sachsen 17 Esterházy, Fürst Nikolaus 165 Euripides 107 – 109 Fallersleben, August Heinrich Hoffmann von → siehe Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich Florin, Franz Philipp 55, 72 Forwegk, Daniel 41 Franck, Johann 50 Franck, Salomo 68, 75 – 77

Personenregister 

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Friedrich III., der Weise, Kurfürst von Sachsen 17, 19 – 22, 33 Friedrich II., König von Preußen 91 Friedrich II., Kurfürst von Sachsen 19 Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen-Altenburg 57 Friedrich Wilhelm I., Herzog von Sachsen-Weimar 32 Fritsch, Ahasverus 83 Fritsch, Jakob Friedrich Freiherr von 95 Galuppi, Baldassare 124 Gandonnière 269 García, Manuel 145 Genast, Anton 189 Genast, Christine 189 Genast, Christine, geb. Böhler 189 Genast, Eduard 189 – 192, 214, 226, 249 Genast, Emilie 301 Gerhardt, Paul 45, 50 Gluck, Christoph Willibald 105, 107 – 111, 238, 249 Goethe, Johann Wolfgang von 11, 95, 102, 103, 109, 110, 114 – 120, 123, 125, 127 – 132, 134, 135, 137 – 141, 144, 145, 148 – 150, 153 – 159, 163, 166, 173 – 179, 184, 185, 187 – 191, 193 – 196, 198, 199, 201, 205, 218, 220, 222, 229, 230, 232, 234 – 236, 238 – 243, 245, 249, 256, 258, 260, 261, 265, 268 – 270, 272 – 276, 278, 280, 281, 283, 285, 286, 288, 289, 291, 292, 296, 298, 302, 303 Goldoni, Carlo 100 Göpfert, Carl Gottlieb 98, 115, 118, 132, 155 Gotter, Friedrich Wilhelm 100 Götze, Carl 282 Götze, Johann Nikolaus Conrad 171, 214, 226, 247 Gounod, Charles 193, 272 Graff, Anton 151 Graun, Carl Heinrich 122 Grumbach, Wilhelm von 30, 31 Gryphius, Andreas 49 Gülke, Peter 104 Günther, Conrad 41, 56 Gustav II. Adolf, König von Schweden 44 Habeneck, François Antoine 274

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Personenregister

Haltenhof (Altenhof) 152 Händel, Georg Friedrich 122 – 124, 142 Harreß, Aemilia Maria 51, 83 Harreß, Johann 83 Häser, August Ferdinand 180, 203 Häser, Wilhelm 189 Haslinger, Tobias 210 Hasse, Johann Adolf 122 – 124, 142 Häßler, Henriette → siehe Eberwein, Henriette, geb. Häßler Häßler, Johann Wilhelm 194 Hauptmann, Anton Georg 103, 116 – 118, 128 Haydn, Joseph 95, 142, 165 Hebbel, Friedrich 295 Heermann, Gottlob Ephraim 99, 100 Heine, Heinrich 180 Heinrich VIII., König von England 22 Henselt, Adolf 165 Herder, Johann Gottfried 12, 114, 117, 119, 123, 142 – 145, 153, 171, 211, 229, 234, 238, 260, 261 Herold, Johannes 33 Hiller, Ferdinand von 165, 173, 204, 210, 215 Hiller, Johann Adam 98, 99, 115 Hoffmann, Carl 248 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 235, 264, 291, 296 Hoff, Martin 212 Hofhaimer, Paul 20 Hohenlohe-Schillingsfürst, Constantin von 296 Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie von 229 Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie von, geb. Sayn-Wittgenstein 229, 230, 296 Honecker, Margot 82 Horlitz, Brigitte 213 Hösel, Sidonia → siehe Schein, Sidonia, geb. Hösel 40 Hoven, J. (Vesque von Püttlingen) 249 Hoyer, Wolf von 271 Hugo, Victor 238 Hummel, Eduard 205 Hummel, Johann Nepomuk 129, 165 – 167, 169 – 173, 178, 180, 182, 186 – 190, 195, 202, 204, 205, 208 – 219, 225, 226, 230, 234, 247 Hummel, Maria 213

Iffland, August Wilhelm 128, 146 Isaac, Heinrich 20 Jäde, Heinrich 298 Jagemann, Christian Joseph 146 Jagemann, Ferdinand 149 Jagemann (von Heygendorf), Caroline 133, 134, 146 – 148, 150, 151, 155 – 159, 163, 172, 176 – 178, 184, 186 – 188, 194, 214, 290 Joachim, Joseph 250, 300 Johann Ernst I., Herzog von Sachsen-Weimar 40, 41 Johann Ernst II., Herzog von Sachsen-Weimar 57, 60, 63 Johann Ernst III., Herzog von Sachsen-Weimar 64 – 66, 68 Johann Ernst, Prinz von Sachsen-Weimar 73, 77, 83 Johann Friedrich II., Herzog von Sachsen 28 – 30 Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen 18, 22 – 25, 27, 28, 33, 47, 50 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen 57, 60 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 57 Johann, Herzog bzw. Kurfürst von Sachsen 17 – 20, 22, 23, 33 Johann III., Herzog von Sachsen-Weimar 32, 35 Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen 25, 28, 30, 31 Kalkbrenner, Friedrich 166 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 106 Kauer, Ferdinand 291 Kauffmann, Angelica 121 Kaulbach, Wilhelm von 238 Keil, Georg 219 Keilholtz, Hieronimus 19 Kind, Friedrich 185 Kirms, Franz 129, 156, 158 Klauer, Gottlieb Martin 136 Klopstock, Friedrich Gottlieb 126 Kluge, Samuel 41 Knebel, Carl Ludwig von 95 Koch, Heinrich Gottfried 94, 98 – 100, 102 Kranz, Johann Friedrich 123, 133, 134, 137, 155 – 158, 290

Kraus, Georg Melchior 138 Krauß, Benedikt 128, 155 Kräuter, Friedrich Theodor David 222 Kromayer, Johannes 38 Kugelmann, Johann 45 Kühnel, August 66 Lachner, Franz 218 Lachner, Vincent 218 La Harpe 110 Lairitz, Johann Georg 82 Lamartine, Alphonse de 238 La Roche, Karl 174, 190 La Roche, Sophie 101 Lasso, Orlando di 31 Laub, Ferdinand 250 Lenau, Nikolaus 283, 297, 300 Leo, Gebrüder 211 Leopold, Fürst von Anhalt-Köthen 77 Lessing, Gotthold Ephraim 128 Liepsch, Evelyn 303 Lindpaintner, Peter von 165 Liszt, Adam 220 Liszt, Anna, geb. Lager 220 Liszt, Daniel 296 Liszt, Franz 37, 129, 166, 167, 193, 200, 202, 212, 220 – 226, 229 – 232, 234 – 253, 257 – 269, 271 – 276, 278 – 283, 285, 286, 288 – 298, 300 – 304 Lobe, Johann Christian 209 Löber, Johann Ernst 47 Lorber, Johann Christoph 67 Lortzing, Albert 249 Luck, Franz von 156, 158 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 49 Ludwig II., König von Bayern 267 Luise, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 114, 159 Luther, Martin 13, 17, 22 – 25, 27, 28, 30, 34, 37, 38, 50, 52, 63, 72, 75, 76, 78, 80, 123, 171, 259 Magdalene Sybille, Herzogin von Sachsen-Altenburg 57 Malibran-García, Maria 145, 211, 212 Manger, Klaus 100 Mara (Gertrud Elisabeth Schmehling) 147 Personenregister 

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319

Marchand, Louis 78 Margarete von Anhalt, Herzogin von Sachsen 18 Maria Pawlowna, Großfürstin von Russland, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 163 – 168, 183, 186, 202, 203, 222, 223, 229, 232, 238, 249, 250, 252, 253, 259, 260, 264, 285, 293, 296 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 125 Marr, Heinrich 235, 249, 250, 262 Marschner, Heinrich 190 Marx, Adolf Bernhard 268 Matiegzeck 151 Matthison, Friedrich 292 Melanchthon, Philipp 27 Mendelssohn Bartholdy, Felix 166, 218 – 220, 222, 226 Mercadante, Giuseppe 225 Merck, Johann Heinrich 112, 124, 126 Meyerbeer, Giacomo 196 Meyer, Johann Heinrich 127, 136 Mieding, Johann Martin 11, 119, 123 Milde, Feodor von 262, 292, 293, 295 Milde, Rosa von, geb. Agthe 262, 290 Moltke, Karl Melchior Jakob 150, 171, 172, 178, 190, 202, 214, 215 Monsigny, Pierre-Alexandre 102 Montag, Carl 219 Moritz, Herzog bzw. Kurfürst von Sachsen 18, 27, 29, 34 Moscheles, Ignaz 166 Mozart, Constanze 213 Mozart junior, Wolfgang Amadeus (Franz Xaver Wolfgang) 166, 218 Mozart, Wolfgang Amadeus 91, 105, 106, 111, 129, 133, 134, 136 – 138, 140 – 143, 148, 150, 156, 165, 178, 188, 189, 194, 196, 197, 202, 205, 213, 215, 217, 218, 220, 225, 249 Müller, August Eberhard 163, 165 – 167 Müller, Franz 264 Müllerhartung, Carl 303 Müller, Johann Sebastian 53 Musäus, Johann Carl August 99 Napoleon Bonaparte, Kaiser 201 Nerval, Gérard de 222, 268, 269, 272, 274 Neumark, Georg 49, 50, 56, 60, 61, 86, 88, 100

320

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Personenregister

Opitz, Martin 49 Oswald, Andreas, d.Ä. 56 Oswald, Andreas, d.J. 56 Paganini, Niccolò 201 – 204, 206, 225 Pergolesi, Giovanni Battista 124 – 126 Petzoldt, Martin 82, 83 Pfistermeister, Franz Seraph von 259 Piccinni, Niccolò 107 Pitzler, Christoph 53 Plockhorst, Bernhard 304 Pohl, Richard 235, 238, 278 Porstein, Heike 212 Preller, Friedrich 233 Pretzsch, Alfred 131 Raabe, Hermann 284 Raabe, Peter 252, 253 Radziwill, Anton Heinrich Fürst 193 – 195, 205 Raff, Joachim 235, 249 Rainer (Familie) 210 Ratke, Wolfgang 38, 49 Rauch, Christian Daniel 176, 243, 245, 285 Reichardt, Johann Friedrich 128, 137, 152, 153 Rener, Adam 20 Richter, Christian 39, 53, 54 Richter, Jean Paul 133 Richter, Johann Moritz, d. Ä. 53 Riemer, Friedrich Wilhelm 179 Rietschel, Ernst 243, 245, 285, 288, 289 Rilke, Rainer Maria 12 Röckel, August 266 Röder 209 Roland 172 Rosenmüller, Johann 59 Rossini, Gioacchino 177, 180, 182, 184, 185, 202, 205, 214, 215, 249 Rosthius, Nikolaus 32 Rousseau, Jean Jacques 98 Rubini, Giovanni Battista 223 Rückert, Joseph 11, 130, 133, 148, 149, 151, 152, 156 Rudorff, Emilie von 150 Rupsch, Conrad 26 Sabinin, Martha von 292, 293 Saint-Lubin, Léon de 193

Saloman, Siegfried 249 Sartorio, Girolamo 66, 93 Sayn-Wittgenstein, Fürstin Carolyne von 229, 230, 232, 296, 301 Sayn-Wittgenstein, Marie von → siehe Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie von, geb. Sayn-Wittgenstein Scandello, Antonio 27 Schade 235 Schäfer, Josepha → siehe Beck, Josepha, geb. Schäfer Scheidt, Samuel 40 Schein, Johann Hermann 39 – 41, 56 Schein, Sidonia, geb. Hösel 40 Schikaneder, Emanuel 140, 141, 143, 215 Schiller, Friedrich von 110, 128 – 131, 134, 135, 137, 148, 150, 155, 174, 178, 184, 229, 232, 234, 239, 245, 258, 265, 267, 285, 286, 288, 289, 295, 298, 303 Schinkel, Karl Friedrich 176 Schmeller, Johann Joseph 170 Schmidt, Marie 184, 202, 214, 215 Schneider, Friedrich 204 Schober, Franz von 229 Schöll, Gustav Adolf 242, 243, 245, 286 Schröder-Devrient, Wilhelmine 191, 192 Schröder, Friedrich Ludwig 137 Schröter, Corona 115 – 117, 119, 123, 126, 146, 150, 236, 291 Schubart, Johann Martin 78 Schubert, Franz 119, 191, 193, 226, 286 Schuberth, Julius 300 Schumann, Clara 220 Schumann, Robert 193, 236, 241, 251, 272, 278 Schütz, Heinrich 40, 47, 56 – 59, 82 Schwechhausen, Heinrich von 58 Schweitzer, Anton 100 – 102, 105, 106, 111, 114, 117 Schwerdgeburth, Carl August 183 Schwind, Moritz von 301 Seckendorff, Carl Friedrich Sigismund Freiherr von (Siegmund von) 112, 117 – 119, 153 Seemann, Hellmut 223, 244 Seidel, Max Johann 174, 190 Seidler, Heinrich 119, 123 Seyler, Abel 100, 102, 105, 128

Shakespeare, William 128, 134, 215, 238, 295 Singer, Edmund 250, 292 Sivori, Ernesto Camillo 236 Sobolewski, Eduard 291 Sontag, Henriette 184, 185, 190, 192 Sophie, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 266 Sophie von Mecklenburg, Herzogin von Sachsen 20 Sophokles 110 Spiegel, Carl Emil Freiherr von 186, 188, 189, 205, 218, 255 Spohr, Louis 193, 200, 214, 278 Spontini, Gasparo 202 Standfuß, Johann 93, 94 Steinau, Johann 43 Steiner, Karl Friedrich Christian 176, 177 Stephanie, Caroline Wilhelmine 95 Stolle, Johann 39, 41 Stör, Carl 247, 286 Strattner, Georg Christoph 66, 68, 74 Streit, Wilhelmine 189, 214 Stromeyer (Strohmeyer), Karl 150, 159, 171, 172, 176 – 179, 184, 186 – 189, 203, 214 Sultze, Matthias 43 Sybille von Cleve, Kurfürstin von Sachsen 28 Tausig, Carl 245 Thalberg, Sigismund 165, 166 Thielemann, Christian 246 Thouret, Nikolaus 130, 131 Tieck, Johann Ludwig 176, 222, 276 Tischbein, Johann Friedrich August 164 Trebs, Heinrich Nicolaus 73 Ungen-Sternberg, Alexander von 104 Veit 92 Vineta, Ludolf 203 Vivaldi, Antonio 73, 77, 82 Vogler, Johann Caspar 78, 91, 93, 95 Vohs 130 Volprecht, Christoph 42, 43 Voltaire (François-Marie Arouet) 184 Vulpius, Christian August 134, 138, 140 Vulpius, Melchior 33, 35, 39, 291

Personenregister 

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321

Wagner, Nike 303, 305 Wagner, Richard 192, 193, 209, 235, 238, 240, 243 – 245, 249, 258 – 267, 269, 274 – 276, 278, 280, 281, 285, 288, 289, 291, 292, 294 – 296, 298, 300, 302, 303, 305 Walter, Johann 23, 25 – 28, 30, 31, 33, 34, 39, 50 Walther, Johann Gottfried 69 Wassermann, Heinrich Joseph 214 Watzdorf, Bernhard von 223, 232, 242, 246, 259, 264 Weber, Carl Maria von 138, 165, 178, 180 – 184, 191, 211, 215 – 217 Weiner, Leo 278 Weishaupt, Johann Conrad 73 Weiße, Christian Felix 98, 99 Weldig, Adam Immanuel 70 – 72 Wesendonck, Mathilde 276 Westhoff, Johann Paul von 65, 66, 68 Weyrauch, Johanna 133, 151 Wieland, Christoph Martin 100 – 102, 105 – 114, 116, 117, 124 – 126, 136, 147, 215, 229, 265, 285 Wieland, Regina Dorothea 125

322

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Personenregister

Wilhelm Ernst, Herzog von Sachsen-Weimar 63, 64, 67, 68, 72, 75 – 78 Wilhelm III., Landgraf von Thüringen 19 Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar 44, 48, 49, 52, 53, 55 – 57, 59 – 65, 100 Winckelmann, Johann Joachim 137 Winter, Peter 145 Wintzer 209 Wolf, Caroline, geb. Benda 95, 123, 126 Wolf, Ernst Wilhelm 95, 97 – 100, 104, 114, 118, 132, 155, 156, 171 Wolff, Christoph 76 Wolff, Pius Alexander 182 Wolf, Johannes 29 Wollweber, Friedrich 208, 209 Wranitzky, Paul 140, 141, 148, 215 Zapf, Nikolaus 47 Zelter, Carl Friedrich 137, 153, 179, 193 – 196, 218 Ziegesar, Ferdinand Freiherr von 247, 250, 255 Ziesenis, Johann Georg 96 Zimmerschied, Dieter 213

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