Multinationale sowjetische Erzählung, 1945–1975 [Reprint 2021 ed.] 9783112541548, 9783112541531


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German Pages 234 [237] Year 1979

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Multinationale sowjetische Erzählung, 1945–1975 [Reprint 2021 ed.]
 9783112541548, 9783112541531

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Berichtigungen Seite 108, 2. Abs. Seite 171 Seite 221, Anm. 476 Seite 225 Seite 227 Seite 229 Seite 231

Nicht: Peatonows, sondern Platonows Nicht: „Im Morgengrauen ist es noch stille", sondern: „Im Morgengrauen ist es noch still" Nicht: Goizionty, sondern Gorizonty Nicht: Drutä, sondern Drufä Nicht: „Zum ewigen Gedanken", sondern: „Zum ewigen Gedenken" Nicht: Saint-Exupéry, Antonie de, sondern: Saint-Exupéry, Antoine de Nicht: Vilks, Évalds, sondern: Vilks, Evalds

Zu 753 370 1 (2150/59), Multinationale sowjetische Erzählung

Karlheinz Kasper

Multinationale sowjetische Erzählung 1945-1975

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Karlheinz Kasper

Multinationale sowjetische Erzählung 1945-1975

Akademie-Verlag • Berlin 1978

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1978 Lizenznummer: 202 • 100/186/78 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 5050 Bestellnummer: 753 3701 (2150/59) • 8033 Printed in GDR DDR 7,50 M

Inhalt

Vorbemerkung

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Das „Ungewöhnliche" im „Gewöhnlichen" entdecken Die universale Menschlichkeit des Sozialismus. Konstantin Paustowski, Andrej Platonow Das Leben tiefer erfassen. Juri Nagibin, Sergej Antonow . . „ . . . der Mensch als soziales Wesen". Walentin Owetschkin, Wladimir Tendrjakow, Galina Nikolajewa Taten von historischer Tragweite

11 14 23 30 47

Die Perspektive des Menschen in Krieg und Frieden. Michail Scholochow, Tschingis Aitmatow, Alexander Twardowski Ereignisse der Epoche im Herzen der Menschen. Wera Panowa Der Moralkodex der kommunistischen Persönlichkeit Gespräch und soziale Erkundung. Sergej Antonow, Emmanuil Kasakewitsch, Galina Nikolajewa „Die kommunistische Arbeit schafft den kommunistischen Menschen". Georgi Wladimow, I. Grekowa, Vytautas Petkevicius Die Koordinaten der Epoche. Grigori Baklanow, Leonid Leonow Die Bewegung des Lebens

48 64 70 71 82 91 100

Vom „Nutzen der Geographie". Wassili Axjonow, Wiktor Konezki, Andrej Bitow, Daniii Granin 5

102

Mensch und Natur. Juri Kasakow, Wiktor Lichonossow, Georgi Semjonow, Wassili Below Im Kampf um die „innere Keife"

121 138

Tradition und Gegenwart. Sain Muratbekow, Fasliddin Muchammadijew, Anatol Kudrawez, Hryhir Tjutjunnyk, Fasil Iskander, Hrant Matewosjan Wider die „Sandkornideologie". Evalds Vilks, Wassili Schukschin Ein höheres Maß an Verantwortung

139 154 166

Das „unerbittliche Gedächtnis". Wiktor Astafjew, Wassil Bykau 167 Lehren der Geschichte. Paul Kuusberg, Jewgeni Nossow . 175 Menschheitsfragen in ihrer revolutionären Bedeutung. Valentin Katajew, Tschingis Aitmatow 180 Das Bild der Zeit

199

Anmerkungen

204 "Personen-

6

und Werkre

Vorbemerkung

Sergej Tretjakows 1927 veröffentlichte radikale Absage an die „alte belletristische Hegemonie" und die großen Genres der Vergangenheit ließ der Erzählung nur noch einen geringen Spielraum: „Die alte Belletristik ist im Zerfall begriffen. Zum Teil mündet sie in die Publizistik . . . in Reportagen . . . in wissenschaftliche oder technische Literatur, und nur teilweise verwandelt sie sich in Belletristik westeuropäischen Typs, leicht zu lesen, mit der Absicht, ästhetisch interessant zu unterhalten. Übrigens wird auch hier die kleine Form (Novelle) der großen, dem Roman, vorgezogen. Dies erklärt sich daraus, daß der Markt, für den diese Lektüre bestimmt ist, hauptsächlich dünne Zeitschriften sind, die die Nachfrage nach der kleinen literarischen Form befriedigen." 1 Diese Prognose hat sich weder für den Roman noch für die Erzählung bestätigt, doch die Fragen nach der Verwendbarkeit der überlieferten Gattungen und Genres angesichts des dynamischen Wirklichkeitsverhältnisses der Literatur sowie nach dem Grad der Wandlung der Gattungen und Genres werden auch heute noch gestellt. 1971 beklagte der Kirgise Tschingis Aitmatow in seiner Rede auf dem V. Sowjetischen Schriftstellerkongreß den „Zustand der zeitgenössischen Erzählung als Genre". Seiner Auffassung nach hatte die sowjetische Erzählung nach einem steilen Aufschwung in den sechziger Jahren am Anfang der siebziger Jahre „viel von ihrer Anziehungskraft und von ihrem einstigen Gewicht verloren". Statt mit „minimalem Wortaufwand ein Maximum des Möglichen zu erzielen", würden „amorphe, fade, nichtssagende Ersatzerzählungen" 2 geschrieben. Aitmatows Äußerung löste eine heftige Diskussion aus. Der Kritiker W. Oskozki meinte, wenn man vom Maßstab der gesellschaftlichen Bedeutung ausgehe, sei es falsch, von „großen" und „kleinen" Genres zu sprechen. Die Erzählung habe sich z. B. gerade in den jungen Literaturen einzelner Völker der UdSSR ebenso schnell 7

entwickelt wie der Roman und sei „von der ethnographischen Beschreibung des Lebens zu sozialpsychologischen Erkundungen vorgestoßen, die den analytischen Möglichkeiten des zeitgenössischen Realismus entsprechen. 3 Jakow Eisberg, der die Entwicklung des Genres seit Jahren verfolgte und sich am Ende der sechziger Jahre ziemlich skeptisch über die Chancen der Erzählung im „Wettbewerb" mit Roman und Powest geäußert hatte, betonte 1973, daß die sowjetische Erzählung erneut in vielfältiger nationaler Gestalt einen wesentlichen Beitrag zur Bereicherung der Kultur und des geistigen Lebens der entwickelten sozialistischen Gesellschaft leiste. Eisberg sah die Spezifik dieser Erzählung darin, daß sie geradezu „explosiv" auf Verstand und Gefühl des Lesers wirkt und ihm die großen Fragen der Epoche auf dem relativ schmalen Boden „alltäglicher Begebenheiten und individueller Erlebnisse" 4 schlagartig naherückt. Marietta und Alexander Tschudakow, die sich seit längerem mit den Beziehungen zwischen Erzählung und Powest befassen, machten darauf aufmerksam, daß das zeitweilige Zurücktreten eines Genres im Literaturensemble nicht seinem Untergang gleichzusetzen ist. Die Entwicklung der Literatur vollzieht sich als dynamischer Prozeß, in dem es immer wieder neue Umgruppierungen und Kräfteverschiebungen gibt. Gegenwärtig ist die Erzählung nach Ansicht der beiden Literaturwissenschaftler in den Hintergrund gerückt, während sich die „kurze Powest" bzw. „Powest-Erzählung" in den Vordergrund schob, die dem Schriftsteller größere gestalterische Möglichkeiten einräumt. 5 1973 veranstaltete der Schriftstellerverband der Armenischen SSR eine Diskussion über die Erzählung. An ihr nahmen M. Schatirjan, W. Gussew, E. Toptschjan, N. Tarassenkowa und S. Chansadjan teil. Bis auf W. Gussew, der Kritiker und Verfasser von Erzählungen ist, waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde darin einig, daß es gegenwärtig wieder herausragende Erzählungen in der armenischen und russischen Sowjetliteratur gibt und ihre hohe Qualität vor allem auf die Tendenz zur Synthese, zur vielschichtigen Erfassung gegenwärtiger sozialer und psychischer Prozesse zurückzuführen ist. Gussew vertrat die Ansicht, es gebe noch zuviel „beschreibende" Erzählungen, und forderte eine noch stärkere Orientierung der Erzählung auf den „synthetischen Charakter" des Romans. 6 Insgesamt gingen die Meinungen der Kritiker über Zustand, Funktion und Form des Genres doch weitgehend auseinander. 8

Im Dezember 1973 präzisierte Tschingis Aitmatow noch einmal seine Position. Auch er habe sich in seiner Erklärung auf dem Schriftstellerkongreß auf den Typ der „beschreibenden" Erzählung bezogen, den man häufig in Zeitschriften und Zeitungen abgedruckt finde. Aitmatow bezeichnete die Literatur in diesem Zusammenhang als Ausdruck des Bedürfnisses, „anderen von interessanten, bedeutsamen und tiefgreifenden Ereignissen und Erlebnissen zu erzählen". Literatur vermittle Erfahrungen, Gedanken und Gefühle des Schriftstellers, Ansichten über das Leben. Auch die Erzählung habe eine spezifische Funktion in diesem Vermittlungsprozeß zwischen Autor und Leser. Sie ist „jener Tropfen, ohne den es den Ozean nicht geben würde", eine Art „Mosaik der Zeit". Aus solchen kleinsten Teilchen fügt sich jedoch nach der Auffassung des kirgisischen Erzählers letztlich das „Bild der Zeit" 7 zusammen. Wie weit ist die Leistung der neueren multinationalen sowjetischen Erzählung bei der Schaffung dieses „Bildes der Zeit" bisher erforscht und gewertet worden? Außerhalb der Sowjetunion existiert gegenwärtig keine größere Arbeit, in der die sowjetische Erzählung nach 1945 zusammenhängend und in ihrer Entwicklung dargestellt wird. In der Sowjetunion wurden bislang vorwiegend die Probleme der Genres in einzelnen nationalen Literaturen untersucht. Nachdem in den fünfziger und in der ersten Hälfte der sechziger Jahre vor allem Untersuchungen zum Roman 8 betrieben wurden, stand danach die Erzählung 9 im Mittelpunkt. Gegenwärtig entstehen auch größere Studien zur Powest.10 In der Geschichte der multinationalen Sowjetliteraturu werden die Gattungsprobleme hervorgehoben, jedoch nicht als multinationaler Prozeß erfaßt. Eine Darstellung der beispielhaften Erfahrungen der sowjetischen Erzählung in ihrer Gesamtheit steht also noch aus. Die ernsthaften Schwierigkeiten, die mit der Bewältigung dieser Aufgabe verbunden sind, dürfen auch nicht übersehen werden. Eine der größten bestehjt zweifellos darin, die ästhetischen Leistungen von mehr als fünfundsiebzig nationalen Literaturen der Völker der UdSSR zu analysieren und von der Position der „gesamtsowjetischen Erfahrungen" 12 zu werten. Als nicht minder schwierig erweist sich die Aufgabe, sich bei der Untersuchung wirklich auf die Erzählung zu konzentrieren. Bekanntlich begnügt sich die Literaturtheorie nach wie vor mit der Unterscheidung „kleiner", „mittlerer" und „großer" epischer Formen und legt dieser Einteilung den Umfang des je9

weils gestalteten Wirklichkeitsausschnittes als Maßstab zugrunde. 13 Sie sieht sich angesichts der Dynamik und Offenheit der Genres außerstande, „Erzählung" und „Novelle" voneinander zu unterscheiden. 14 Damit ist ein Teil der zu lösenden Fragen umrissen. Die vorliegende Arbeit erfaßt neben russisch-sowjetischen Erzählungen in exemplarischer Weise repräsentative Erzählungen aus anderen Literaturen der Völker der UdSSR, u. a. ukrainische, belorussische, kasachische, litauische, lettische, estnische, kirgisische, armenische und tadshikische. Ein wesentliches Anliegen der Untersuchung besteht darin, danach zu fragen, inwieweit die multinationale sowjetische Erzählung charakteristische Züge der Persönlichkeit des Sowjetmenschen und der historisch gewachsenen Gemeinschaft des Sowjetvolkes widerspiegelt. Analysiert werden Werke der Erzählprosa, die von ihren Verfassern bzw. durch Verlage als „Erzählung" (rasskaz) oder „Novelle" (novella) deklariert worden sind. Beide Typen werden als „Erzählung" aufgefaßt, weil es in der literarischen Praxis der Gegenwart keinen Anlaß gibt, sie voneinander abzugrenzen. Darüber hinaus werden einige „Powesti", „Reisebilder" und ein „Tagebuch" in die Untersuchung einbezogen. Maßgeblich für die Auswahl ist in jedem Fall die Annahme, daß in dem Werk Entwicklungstendenzen der kleineren Prosa in markanter Weise Ausdruck finden. Neben der Frage nach dem grundsätzlichen Wirklichkeitsverhältnis der neueren sowjetischen Erzählung wird also die Frage nach der „inneren" Bewegung des Genres in den dreißig Jahren von 1945 bis 1975 gestellt. Dabei geht der Verfasser in Anlehnung an die historisch-typologische Methode vor, indem er unter Berücksichtigung der literaturhistorischen Chronologie Autoren mit einem vergleichbaren Wirklichkeitsverhältnis, Werke mit einer vergleichbaren Erzählform, literarischen Prozeß und künstlerische Einzelieistung zusammenhängend betrachtet. So sollen jene prägnanten Punkte gefunden werden, an denen die Erzählung allgemeine Tendenzen und Züge der multinationalen Sowjetliteratur in jenen Jahren besonders deutlich erkennen läßt. Die Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen werden, können künftigen Arbeiten zur Geschichte der Gattungen und Genres der Sowjetliteratur sowie zur Theorie der Prosa von Nutzen sein.

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Das „Ungewöhnliche" im „Gewöhnlichen" entdecken

Sowjetische Arbeiten über die Theorie der Erzählung in den zwanziger und dreißiger 15 Jahren suchten weltliterarische Erscheinungen im weitesten Sinn zu verallgemeinern. Der konkrete Prozeß der Herausbildung und Entwicklung der sowjetischen Erzählung, ihre nationalen Besonderheiten und multinationalen Gemeinsamkeiten, ihre neuartigen Beziehungen zu der revolutionär veränderten Wirklichkeit fanden dabei relativ wenig Beachtung. Dies kam auch in der letzten resümierenden Untersuchung vor dem Krieg, Iwan Winogradows Studie Über die Theorie der Novelle (1937) 16 , deutlich zum Ausdruck. Winogradow setzte sich mit den Ansichten Junowitschs und Goffenschefers über die Erzählung auseinander. Er warf Junowitsch vor, vom Fehlen konstanter „Merkmale" des Genres zu sprechen und nach einer Definition zu suchen, mit der er das Genre auf rein äußerliche „Merkmale" zurückführe. Das gelte z. B. für seine Behauptung, die Erzählung dulde „keine komplizierte und längere Sujetentwicklung" 17 . Goffenschefer ersetzte nach den Worten Winogradows die „Theorie" durch einen „falsch verstandenen Historismus", beschränkte sich auf die Kritik einzelner Erscheinungen in der Geschichte der Erzählung und hielt jeden Versuch, „eine allgemeingültige Definition des Genres zu geben", für undurchführbar. Winogradow selbst ging davon aus, daß die Frage nach der Theorie der Erzählung nicht nur aus methodologischen Gründen, sondern auch aus rein praktischen Erwägungen heraus gestellt werden müsse, also auch im Hinblick auf die Förderung der literarischen Prozesse der Gegenwart. Doch auch er stellte Betrachtungen zur Geschichte der Erzählung von Boccaccio bis Maupassant und Tschechow in den Mittelpunkt der ersten neun Kapitel seiner Studie und ging erst im zehnten und letzten auf die sowjetische Erzählung ein. Hier wurden die Erzählungen von Gorki, Babel, Olescha und Sostschenko 11

denen der „bürgerlichen Realisten" O. Henry und G . Chesterton gegenübergestellt. Winogradow bescheinigte O. Henry und G. Chesterton eine „glänzende Technik" bei der Behandlung „novellistischer Widersprüche", sah ihre Grenze jedoch darin, daß sie nicht tief genug in die „Widersprüche des Lebens" eindringen. Gorki war der einzige sowjetische Erzähler, den Winogradow als Muster der „proletarischen" Erzählung anerkannte. Seine Werke kennzeichnen neue Themen und eine neuartige Erfassung der Widersprüche der Wirklichkeit, eine objektive, sozial verallgemeinerte Darstellung dieser Widersprüche und die „heroische" Behandlung der neuen Themen. 1 8 Die Leistungen Babels, Oleschas und Sostschenkos als Erzähler schränkte Winogradow ein. Babels Erzählungen fehle es an sozialer Tiefe. 1 9 Olescha sehe die Widersprüche des Lebens zu sehr als Widersprüche der „Innenwelt". 2 0 Sostschenkos Erzählungen wirken „subjektiv-misanthropisch". 21 Knappe Bemerkungen zu Werken „junger" sowjetischer Erzähler (G. Nikiforow, B. Lewin und J . Karalina) gipfelten in der Feststellung, diese Autoren gingen im Thema nicht über solche Vorbilder wie Maupassant oder Jack London hinaus. Mit diesen pauschalen Urteilen wurde Winogradow den erzählerischen Leistungen der genannten Autoren nicht gerecht. Doch seine generellen Schlußfolgerungen sind für uns auch heute noch von Interesse. Der Kritiker betonte z. B., die Erzählung spiegele „Widersprüche der Wirklichkeit in gedrängter, konzentrierter Form". Sie sei dynamisch, beweglicher als der Roman, eigne sich hervorragend „für eine markante soziale Charakteristik, für die Darstellung typischer Charaktere und Umstände, für die philosophische Reflexion der Wirklichkeit und für die Darstellung des emotionalen Verhältnisses zu ihr". Eine aktive gesellschaftliche Kraft könne die Erzählung vor allem dann werden, wenn sie „tiefes Verständnis für die Widersprüche der Wirklichkeit" aufweist und diese Wirklichkeit gründlich erforscht. Die Erzählung dürfe sich nicht auf das „Subjektiv-Lyrische" beschränken, sondern müsse tief in die Sphäre des „Objektiven, sozial Typischen" eindringen. Sie solle nicht nur „verneinen", sondern auch „optimistisch und heroisch bejahen". Ihr Hauptthema aber müssen „der neue Mensch und die neuen Verhältnisse der sozialistischen Gesellschaft" 2 2 sein. Während des Krieges entstanden wenig Arbeiten über die Theorie der Erzählung. Die „praktischen" Erfolge des Genres aber waren unübersehbar. A. Tolstoi, N. Tichonow, M. Scholochow, L. Leonow, L. Sobolew, A. Platonow, K . Simonow, J . Janowski, K . Tschorny, 12

W. Lacis, A. Venclova u. a. Autoren waren mit Erzählungen hervorgetreten, die nicht nur beachtliche Höhepunkte im Schaffen dieser Schriftsteller darstellten, sondern auch die gesamte Entwicklung der Sowjetliteratur zwischen 1941 und 1945 entscheidend mitbestimmten. Aktualität, Operativität, Konzentration auf Entscheidungssituationen und Augenblicke höchster geistiger und emotionaler Anspannung sowie das Streben nach maximaler Verdichtung und Verknappung des äußeren Geschehens sicherten der Erzählung beim Leser eine große Resonanz. Die großen Leistungen des Genres wurden im März 1945 in einem redaktionellen Beitrag der Literaturnaja ga^eta gewürdigt.23 Eine der wenigen erzähltheoretischen Arbeiten der Kriegsjahre war der „kurzen Erzählung" gewidmet. Boris Eichenbaum stellte 1944 in seinem Aufsatz Über Tschechow den Gedanken in den Mittelpunkt, Tschechows Bedeutung für die Prosaentwicklung bestehe nicht so sehr darin, „die kurze Erzählung in die russische Literatur eingeführt" zu haben, sondern vielmehr darin, „daß diese Kürze von prinzipieller Natur war und den traditionellen Genres des Romans und der Powest als eine neuere und vollkommenere Methode der Wirklichkeitsdarstellung gegenüberstand".24 Eichenbaum hielt es für bemerkenswert, daß Tschechows Erzählungen „gar nicht dem gleichen, was man gewöhnlich Novelle nennt". Es seien eher „Szenen", in denen das Gespräch der Figuren bzw. ihre Gedanken wichtiger sind als das Sujet. Häufig geschehe in diesen Erzählungen „nicht Besonderes". Tschechow baue kein Sujet auf, sondern zeige Situationen, die bestimmte Verhältnisse oder Menschen charakterisieren.25 Das Prinzip der Kürze und die extreme Zusammendrängung des „Autorentextes" bei gleichzeitiger Erweiterung der „Untertöne" haben nach Eichenbaums Ansicht dazu beigetragen, daß „das Leben voll und ganz in die Literatur eintrat".26 An diese Gedanken Eichenbaums knüpfte Konstantin Paustowski an. Er äußerte sich am 22. März 1946 auf einer Beratung, die der Sowjetische Schriftstellerverband mit Prosaschriftstellernvom 11. März bis 10. April 1946 in Moskau durchführte. Paustowski, der neben A. Fadejew, K. Fedin, L. Leonow, L. Grossmann, F. Gladkow, M. Schaginjan, P. Bashow u. a. auftrat, wählte das Thema Die Erzählung als Genre der schönen Literatur. Er sprach von den „fließenden" Grenzen des Genres und den terminologischen Unschärfen, die z. B. eine Unterscheidung von „Erzählung" und „Novelle" prak13

tisch unmöglich machten. Konstantin Paustowski forderte „eine Erzählung über das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen und über das Gewöhnliche im Ungewöhnlichen". 27 Der Schriftsteller kennzeichnete die Situation der Erzählung 1946 als „ziemlich schwierig" 28. Eine Ursache dafür sah Paustowski in der Tendenz zur Glättung und Bagatellisierung realer Widersprüche. So hätte er z. B. mit der Erzählung Regendämmerung (1945) dem Leser „eine Gleichung mit einer Unbekannten" vorsetzen und ihm einen „Denkanstoß" geben wollen, doch ein Redakteur „verwandelte" Baschilow, den Mann Olga Andrejewnas, in ihren „Bruder" und gab so der konfliktreichen Erzählung mit offenem Schluß ein peinliches „Happy-End". Solche Redakteure fordern, jede Erzählung müßte „alles von A bis Z" 29 enthalten. Paustowski wies darauf hin, daß häufig auch nicht zwischen „dokumentarischen" und „künstlerischen" Fakten unterschieden, d. h. der „ideelle und poetische" Charakter der Erzählung und der künstlerischen Verallgemeinerung gar nicht begriffen wird. Neben seinen Bemerkungen über die Sprache, den Dialog, die Untertöne, die Komposition, das Detail, die Natur- und Landschaftsbilder, den Einfluß von Malerei und Poesie auf die Prosa und die Rolle der persönlichen Biographie für das künstlerische Schaffen des Erzählers verdient der Gedanke von der „Anwesenheit" des Autors in der Erzählung Beachtung. Paustowski ging davon aus, daß ein Thema aus dem Zusammenstoß einer „Lebenstatsache" mit der Erfahrung und Weltauffassung des Autors erwächst. Er verlangte, der Erzähler müsse sich jedesmal ganz „hineingeben". Dieser „unmittelbare Ausdruck seiner selbst, d. h. der unmittelbare Ausdruck seines Lebensgefühls, seiner Weltanschauung" 30 , sei die Hauptsache beim Schreiben von Erzählungen.

Die universale Menschlichkeit des Sozialismus Paustowski suchte sein poetisches Prinzip, „das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen" zu zeigen, in seinen eigenen Erzählungen konsequent anzuwenden. Dabei knüpfte er auch an seine in den dreißiger Jahren gewonnenen künstlerischen Erfahrungen an. Wie E. Alexanjan feststellte, machte Paustowski bereits am Ende der dreißiger Jahre nicht mehr allein das Verhältnis seiner Helden zum Schönen, sondern auch ihr Verhältnis zur Arbeit und zu den Menschen zum 14

Kriterium für die ethisch-moralische Bewertung ihrer Persönlichkeit. Um diese Zeit hatten sich seine Vorstellungen von den Wechselbeziehungen zwischen Persönlichkeit und Gesellschaft fest im Sinne eines aktiven Humanismus ausgeprägt. Grundsätzlich wandelte sich dieses Menschenbild auch in den später entstandenen Werken des Autors nicht mehr. 31 Der Leser der Erzählung Das Telegramm (1946) kann aus dem Text nicht ohne weiteres feststellen, ob die Handlung vor oder nach dem Kriege spielt. Scheinbar sehr persönliche Probleme stehen im Vordergrund. Dennoch war die Erzählung bei ihrem Erscheinen im besten Sinne zeitbezogen und aktuell und hat ihre gesellschaftliche Relevanz bis heute nicht verloren. Zweifellos war sie gegen solche Werke gerichtet, die Paustowski nicht zur „echten Literatur" zählte. In seinem Vortrag von 1946 hatte er bewußt einen Unterschied zwischen den „echten" Kriegserzählungen N. Tichonows, L. Sobolews und A. Platonows und „schablonenhaften und schematischen"32 Werken über den Krieg gemacht. In Das Telegramm stehen sich zwei „gewöhnliche" Welten gegenüber — die der sterbenden Katerina Petrowna in dem abgelegenen Dorf Saborje und die Nastjas, die als Sekretärin beim Verband bildender Künstler in Leningrad arbeitet. In Saborje ist der „gewöhnliche" Alltag nur scheinbar düsterer als der in der bewegten Atmosphäre des großstädtischen Künstlerlebens. Düster wirken das Oktoberwetter (die schwarzgefärbten Schindeldächer, das zerzauste Gras, die letzte Sonnenblume, die entlaubten Weiden, der lästige Regen) und das alte Haus, in dem Katerina Petrowna ihre letzten Tage verbringt (der bittere Geruch der ungeheizten Öfen, die verstaubten Zeitschriften, der ungeputzte Samowar). In hellen Farben hingegen „malt" Paustowski die Beweise der Achtung vor der Sterbenden, der Liebe zu ihr und der tatkräftigen Unterstützung, die ihr durch „fremde" Menschen wie Manjuschka, Tichon und die junge Lehrerin zuteil wird. In deren Verhalten wird „das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen" sichtbar, vor allem in Tichons erfundenem Telegramm und in dem Kuß der Lehrerin. In Nastjas Leben besteht das Gewöhnliche und Alltägliche in emsiger Geschäftigkeit. In den Worten „von der Aufmerksamkeit gegenüber dem Künstler, von der Feinfühligkeit gegen ihn, von der Sorge um ihn", die auf der von Nastja vorbereiteten Ausstellung des Bildhauers Timofejew fallen, steckt Richtiges und Wahres. Doch es ist nicht die ganze Wahrheit in ihrer Widersprüchlichkeit. Der Red15

ner Perschin sagt: „In unseren T a g e n wird die Sorge um den Menschen zu jener schönen Realität, die uns in unserem Wachstum, bei unserer Arbeit hilft." 3 3 Zwischen seiner Deklaration und Nastjas verlegener Bemerkung, das Telegramm mit der Nachricht von der ernsten Sitation ihrer Mutter enthalte „nichts von Belang", klafft ein tiefer Widerspruch. In ihrem Alltag steht das „Gewöhnliche" s o sehr im Vordergrund, daß für das „Ungewöhnliche" kein Platz mehr vorhanden ist. D o c h Nastja gewinnt das „Ungewöhnliche" wieder, nachdem sie von G o g o l s „spöttischem Lächeln" aufgejagt wird und nach Saborje fährt, wo sie zwei T a g e nach der Beerdigung ihrer Mutter eintrifft und begreift, welch „unauslöschliche S c h u l d " und „unerträgliche L a s t " sie durch ihre Gleichgültigkeit auf sich geladen hat. Schon in diesem Begreifen liegt der Ansatz zur Wiedergewinnung der sittlichen Integrität, um die es Paustowski in seiner Erzählung geht.

Das Telegramm war insofern wirklich „ein neues Wort in der Nachkriegsnovellistik" 3 4 , als Paustowski mit großer künstlerischer Überzeugungskraft den Gedanken ins Bewußtsein rückte, daß die Sittlichkeit des neuen Menschen sich nicht nur an seinen „großen" Taten beweisen muß, sondern auch an seinen „kleinen" Taten, im Alltag, in den zwischenmenschlichen Beziehungen und selbst in seinen innersten Gedanken und Gefühlen. V o n dieser ethisch-moralischen Fragestellung gingen die produktiven Wirkungen der Erzählungen Paustowskis aus, die auf das Schaffen A . Platonows und in den folgenden Jahren auch auf das Werk jüngerer Autoren, z. B . J . N a gibins und S. Antonows, später auch J . K a s a k o w s ausstrahlten. Wie in den von B. Eichenbaum herangezogenen Erzählungen Tschechows beeindrucken auch bei Paustowski die Kürze und Dichte in der Darstellung der novellistischen Situation, die K o m p r i mierung der beschreibenden Elemente im Autorentext und ihre Kompensation durch „lyrisch-emotionale Untertöne" 3 5 , wie sie vor allem in der Poetisierung der Gestalt Katerina Petrownas Ausdruck finden. Paustowski gibt hier keine direkten Wertungen. N u r die Ironie bei der zweimaligen Konfrontation Nastjas mit der G o g o l skulptur verrät, wie stark sich der Autor von dem „Gewöhnlichen" in Nastja, das seinem Menschenbild widerspricht, distanziert. Im wesentlichen aber verläßt sich Paustowski auf die Aktivität des Lesers, die er entsprechend seinem ästhetischen Programm durch „Denkanstöße" herauszufordern bemüht ist. Als Erzähler, der die K u n s t beherrscht, „einen großen Inhalt auf kleinem Raum zu kon-

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zentrieren", übt er „die älteste, edelste und weiseste Abart der Macht" aus, nämlich die Macht über seine Leser und Verehrer, wie Ion Dru(ä einmal von seinem Lehrmeister Paustowski sagte. 36 In seiner Erzählung Im tiefen Rußland (1950) sucht Paustowski nach engeren Kontakten mit dem Leser. Dort begründet er sein „Abweichen" von den „festen Forderungen des Sujets", von den „goldenen Regeln" und „eisernen Gesetzen" in den Lehrbüchern der Literatur sowie seine „Lust, eine Erzählung völlig frei zu gestalten". Er fragt, was es für einen Schriftsteller denn Besseres geben könne, „als die Entdeckung neuer Bereiche der Poesie in seiner Umgebung und die damit zusammenhängende Bereicherung der menschlichen Wahrnehmung, des Bewußtseins, des Gedächtnisses". 37 Er kündigt die einzelnen Abschnitte und den Abschluß der Erzählung ausdrücklich an, umreißt seine begrenzte Aufgabe mit aller Offenheit (er „wollte von einigen wenn auch unbedeutenden Vorfällen erzählen, die von dem Talent und der Warmherzigkeit des russischen Menschen zeugen") und vermerkt, daß „von den bedeutenden Ereignissen" noch zu reden sein wird. Paustowski geht es hier nicht um formale Fragen. Sicher entspricht das Vorgehen seinen Ansichten über die notwendige Auflockerung regelhafter Erzählformen zum „lyrischen Tagebuch" und über die Annäherung der Kunsterzählung an die mündliche Volkserzählung — Fragen, über die er in seinem Vortrag von 1946 gesprochen hat. In erster Linie aber bringt das Hinausgehen über bloße „Denkanstöße" zu einem „Gespräch" mit dem Leser Paustowskis Bemühungen um eine stärkere Annäherung von Literatur und Leben zum Ausdruck. Mitten in der Erzählung Im tiefen Rußland nennt er ihren „eigentlichen Gegenstand" bzw. das „Thema", das ihn „schon lange beschäftigt", nämlich das „Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit". Das ist ein bedeutsames Thema. Paustowski sucht es von vordergründiger Behandlung, wie sie in vielen Werken jener Jahre verbreitet war, freizuhalten. Er schildert Begegnungen mit interessanten Menschen und versteht es, das Wesentliche des Themas in diesen Begegnungen sichtbar werden zu lassen. Der Apotheker Dmitrij Sergejewitsch ist „mit Leib und Seele der Pharmazie ergeben". Seine Arbeit — er erforscht die heilkräftigen Säfte der einheimischen Pflanzen — erscheint ihm als „die fesselndste Beschäftigung auf der Welt". Äußerlich ist „nichts Bemerkenswertes" an Dmitrij Sergejewitsch. Von Belang ist jedoch, daß er „un2 Kasper, Sowj. Erzählung

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ermüdlich nach Neuem in seinem Fach" sucht und „im Interesse der Menschen anspruchsvoll gegen sich selbst und die anderen" ist. Der Alte mit dem Spitznamen „Lumpenmännchen" betrachtet seine Tätigkeit ganz anders, als sie den meisten Menschen erscheint. Für ihn ist sie ein „staatlicher Auftrag". Er arbeitet „mit einer gewissen Inspiration", hat „Einfälle", sorgt sich um „seine lärmenden Lieferanten", die Kinder des Kolchosdorfes. Der Erzähler sagt von ihm: „Es gibt wohl kaum eine unangenehmere Beschäftigung auf der Welt als die des Lumpenhändlers, und doch hat dieser Mann es verstanden, eine Freude für die Kolchoskinder daraus zu machen." 38 So findet Paustowski also auch hier „das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen", das „weite und zartfühlende Herz" und die „Phantasie" hinter dem groben Äußeren und der unscheinbaren Tätigkeit. Der Erzähler geht mit Entdeckerfreude an die Wirklichkeit heran. Er entdeckt die Schönheit der Natur sowie die sittliche Schönheit des Menschen. Diese findet er in der Einstellung des Apothekers und des „Lumpenmännchens" zur Arbeit ebenso wie im Charakter episodischer Figuren, z. B. der „allgegenwärtigen" Dorfjugend, des achtjährigen Iwan Kryschkin oder des Sängers Pirogow. Paustowski lobt Leskow dafür, daß er sein Land und dessen Menschen „gründlich kannte und liebte, es kreuz und quer durchstreift hatte und der Vertraute und Freund Hunderter von einfachen Menschen war" 3 9 . Das wird mit dem Blick auf die Gegenwart gesagt, ist eine Aufforderung an den Leser zu weiteren Entdeckungen im Leben, bei denen sich zeigen wird, daß sich „ein äußerlich unauffälliger und bescheidener Mensch bei näherer Betrachtung als außergewöhnlich und sehr bedeutend erweisen kann". Im literarischen Prozeß der Nachkriegszeit ging es sowohl um die Entdeckung des Großen und Bedeutenden im Kleinen und Alltäglichen als auch um die Sichtbarmachung von Widersprüchen und Hemmnissen, die der massenhaften Verbreitung der sittlichen Ideale der Gesellschaft im Wege standen. Paustowski hatte beide Aufgaben angepackt und künstlerisch ansprechende Lösungen gefunden. Interessant ist, wie sich seine Erzähltheorie und -praxis in jenen Jahren mit den künstlerischen Erfahrungen Andrej Platonows berührte. Andrej Platonows Talent hatte sich bis zur Mitte der dreißiger Jahre voll ausgeprägt. War ihm in den zwanziger Jahren der Mensch vornehmlich als universale, kosmische Größe erschienen, die dem ge18

samten Dasein eine neue Ordnung geben sollte, suchte er später nach der Übereinstimmung zwischen dem schöpferischen Wirken des Menschen und den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Er ging, wie L. Schubin sagt, von „ontologischen" Fragen zu Fragen der „Ethik und Gnoseologie" 40 über. In dem Aufsatz Puschkin — unser Genosse (1937) formulierte Platonow wesentliche kunsttheoretische Ansichten. Die „wahren Nachfolger Puschkins", unter denen er Maxim Gorki den ersten Platz einräumt, geben dem Menschen die Gewißheit vom Wert des Lebens, also das „tägliche Brot", dessen er bedarf. Statt abstrakter „universaler" und „kosmischer" Ziele gab Platonow jetzt der Kunst die Funktion, konkrete, alltägliche Lebenshilfe zu sein. Puschkin habe verlangt, daß nichts den Menschen daran hindern dürfe, „die heilige Energie seines Herzens, Gefühls und Verstandes'' 41 zu verausgaben. In der Realität des sozialistischen Staates sah Platonow schließlich den tiefen Sinn der Puschkinschen Dichtung verwirklicht, denn hier fällt „die universale . . . Menschlichkeit mit dem Ziel des Sozialismus" 42 zusammen. Um diese Zeit hatte Andrej Platonow eine neue, philosophisch vertiefte Sicht des Menschen gewonnen. Er erschien ihm nicht mehr „in seiner ganzen — geradezu nackten, fast vom Biologischen her abgeleiteten — Ursprünglichkeit". 43 Was Platonow in seiner 1938 veröffentlichten Besprechung von E. Hemingways In einem anderen Land und Haben und Nicbthaben ablehnte, nämlich die „Beschreibung der Liebe mit einer Nuance animalischer Ungeduld", „den Zynismus und die grobe sexuelle Offenheit" 44, bestätigte dies ebenso wie seine Erzählungen jener Jahre, z. B. Fro (1936), Der dritte Sobn (1936) oder Juligewitter (1938). In diesen Werken haben Platonows Gestalten konkrete Züge jener sozialistischen Zeitgenossenschaft angenommen, die nach den Worten Stephan Hermlins nicht allein von der Realität, sondern auch durch eine „philosophisch-ethische Dimension" geprägt wird. Sie sind „Heutige" und „Wandlungsfähige, Wandlungssüchtige . . . Träger eines Künftigen" 45 zugleich. „Mögen die Kinder wachsen und gedeihen!" In diesem Schlußsatz der Erzählung Juligewitter klang bereits das Motiv an, das spätere Erzählungen wie Menschen vom Geiste beseelt (1942), Die Heimkehr (1946), Aphrodite (1946) u. a. bestimmte. Die Kriegserzählung und die Erzählung von der Heimkehr des Gardesergeanten Iwanow waren von dem Gedanken der „universalen Menschlichkeit" des Sozialismus durchdrungen, den Platonow 1940 in einer Rezension 19

dem engeren Humanismusbegriff in Paustowskis Erzählung Heldenmut (1934) entgegengestellt hatte.46 Es ist bezeichnend, daß Platonow in der Rezension Paustowski rät, sich von den Einflüssen Joseph Conrads und Alexander Grins zu lösen und bei der „edlen und schweren Aufgabe" der Darstellung des sozialistischen Menschen seine Erfahrungen mit Erzählungen wie Die %weite Heimat (1936) zu nutzen, die Platonow wegen ihres Realismus und der dialektischen Verbindung von Mensch und Natur gefiel. Auch wenn man nicht voraussetzen darf, daß Paustowski diesen Ratschlag Platonows „befolgte", ist der Tatbestand hervorzuheben, daß er diesen Weg tatsächlich gegangen ist, der ihn von Die zweite Heimat über Das Telegramm zu Im tiefen Rußland, führte. Im Grunde war es seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre bereits ein und derselbe Weg, den er gemeinsam mit Andrej Platonow eingeschlagen hatte, nämlich der Weg des Kampfes gegen „sittliche Blindheit und Taubheit" und gegen die „Grobkörnigkeit des Herzens" 47 . Traten in Das Telegramm und Die Heimkehr die Gemeinsamkeiten im moralisch-ethischen Anliegen beider Autoren am deutlichsten hervor, so zeigte die 1945/1946 entstandene Erzählung Aphrodite, die erst 1962 veröffentlicht wurde, weiterreichende Ansätze zur künstlerischen Gestaltung des sozialistischen Menschen. Oberst Nasar Fomins Regiment befreit im Dezember 1944 „jene Stadt im Süden, in der Fomin vor dem Krieg gelebt und gearbeitet hatte" 48 . Diese Rahmenhandlung schafft die Erzählsituation. Fomin ist wieder in der Stadt, die ihm die „liebste auf der ganzen russischen Erde" ist. Die Stadt ist zerschossen, verbrannt, in Schutt und Asche gesunken. Von dem Haus, in dem Fomin aufwuchs, steht nur noch das Fundament. Die Pappel auf dem Hof, der „Baum seiner Kindheit", wurde gefällt. So tauchen die „Schatten der Erinnerung" auf. Aphrodite hatte Fomin seine Frau Natascha im Scherz genannt, weil sie ihm zum erstenmal am Schanktisch des kleinen Cafés „aus dem Schaum des Bieres" erschienen war. Jetzt sucht er überall die „Spuren ihres Lebens". Der Krieg hat die beiden getrennt. Fomin richtet seine Frage, ob Aphrodite noch am Leben ist, schon längst nicht mehr an Menschen und Ämter, die keine Antwort wissen, sondern „an die Natur, den Himmel, die Sterne, den Horizont, alle reglosen Dinge". Und er schreibt ihr Briefe, die sie vielleicht nie erreichen. Einer von ihnen endet mit den Worten: „Wir beide werden noch wunderbare Kinder haben. Wir sind dazu verpflichtet. Das vermehrt die Qual in meinem Herzen und meine Sehnsucht nach dir." 20

Doch Aphrodite ist nicht nur eine „Liebesgeschichte", sondern auch eine Lebensgeschichte, ist Lebensbilanz. Fomins Leben, das Schicksal seiner Generation und die Geschichte seines Landes sind eins. All das wird in den Erinnerungen Fomins, die den Kern der Erzählung bilden, lebendig. Fomins Vater starb, als Nasar an der polytechnischen Fachschule studierte. Seine Mutter heiratete wieder. Der alleinstehende Junge sah die Welt „von der Sonne erhellt, voller sympathischer Menschen und . . . ungelöster ewiger Rätsel, noch karg und unzureichend eingerichtet, doch von der Hoffnung und von dem Willen der Arbeiter und Bolschewiki beseelt". Der „Glaube an den Sinn des Lebens der Arbeiterklasse" lenkte seine Schritte. Sowjetrußland machte sich auf den Weg „in die Ferne von Raum und Zeit", wie jenes Segelboot, das er einst am Ufer des Asowschen Meeres beobachtet und in der Ferne hatte verschwinden sehen. Seine „Pflicht als Mensch" trägt er, „weil die Arbeiterklasse und die Bolschewiki alle Pflichten und Lasten der Menschheit auf sich genommen haben". So reißt ihn die Idee des Aufbaus der neuen Welt mit und stärkt seine Überzeugung, „am weltweiten Kampf der Menschheit teilzunehmen". Er wird Bautechniker und Ingenieur, verwandelt „Materielles" in „Geistiges". Die Wahrheit der Revolution ist für ihn im Arbeitsalltag lebendig, „weil er sie selber schuf und im Leben des Volkes in Aktion sah". Er brennt Ziegel, übernimmt Funktionen, wird Chefingenieur, baut Brunnen, Staudämme und Kraftwerke. Die Arbeit ist für ihn „kein Dienst, sondern der Sinn seines Lebens". Er erlebt „die glückliche Zeit, in der die historische Entwicklung der Welt mit der Entwicklung aller Sinne des Menschen zusammenfällt". Eine der wichtigsten Erfahrungen Fomins besteht in der Erkenntnis, daß alle Menschen und Erscheinungen widersprüchlicher sind, als sie einem auf den ersten Blick vorkommen. Er lernt begreifen, daß die Dachziegel ihm nicht „Buch und Freund ersetzen" können, die Natur „nur sich selbst kennt und kein Mitleid mit dem Menschen hat" und die „Epoche der sanften Freude, des Friedens, der Brüderlichkeit und Seligkeit" sich nicht von selber über die ganze Erde ausbreitet, sondern erkämpft werden muß. Weder die hinterhältige Zerstörung des ersten Kraftwerkes, bei dessen Bau er die Schöpferkraft der Kollektivität kennengelernt hatte, noch die Trennung von Aphrodite, die einem anderen Mann gefolgt war, vermochten Nasar Fomin zu zerbrechen. Was er nach diesen Schicksalsschlägen abstreifte, war die naive Vorstellung von 21

der „anbrechenden Seligkeit auf Erden". Er lernte den produktiven Zweifel kennen und ging dazu über, die Dinge gründlicher zu prüfen. Jetzt sah er neben dem Ziel, „der glänzenden Welt", auch das „Graue, Öde und Unwegsame" im Alltag. Dadurch gewann er neue Kraft. Sie vermehrte sich, als Aphrodite zu ihm zurückkehrte, getrieben von der Sehnsucht nach ihm und von der Einsicht, daß sie das Leben nicht richtig verstanden, nur die „Freude", nicht aber die „Pflicht" gesehen hätte. In diesem Bewußtsein der Pflicht und Verantwortung des einzelnen gegenüber dem Volk sieht Andrej Platonow die höchste sittliche Tugend des sozialistischen Menschen: „. . . erst mit der Tat und der Pflichterfüllung vor dem Volk, das ihn hervorgebracht hat, beginnt der Mensch . . ." Fomins Lebensbilanz gipfelt in der Feststellung, daß nach dem Sieg über den Faschismus neue, höhere Aufgaben vor dem sowjetischen Volk stehen werden. Aus dieser Sicht erwächst der Gedanke, der eine der wesentlichen ethischen Grundpositionen des Autors kennzeichnet. Das Glück, meint Platonow, könne nur dann beständig sein, wenn es sich immer wieder verändere, den sich wandelnden objektiven Bedingungen anpasse. Das setzt voraus, daß der Mensch in sich die Bereitschaft entwickelt, sich jeder neuen Herausforderung durch das Leben zu stellen. W. Dorofejew sagt, die Erzählung Aphrodite sei in vielem „autobiographisch". Platonow „korrigiere und ergänze" in ihr einige seiner früheren Vorstellungen vom Weg zum Sozialismus und vom geistigen Antlitz seines Zeitgenossen, ohne sich und seinen Grundsätzen „untreu zu werden". 49 Was das im einzelnen bedeutet, konkretisiert L. Schubin: „Andrej Platonow und seine Helden lernten während der Revolution denken, und damals dachten sie global, kosmisch. Es schien ihnen, als müßten sie nicht nur Rußland und die Welt umgestalten, sondern das ganze Universum." 50 Dieses „globale" und „kosmische" Denken hat zu solchen Widersprüchen geführt, wie sie Fomin zwischen der abstrakten Idee der Revolution und der „Prosa des Lebens" feststellt. Gereift an den Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus und des Kampfes gegen den faschistischen Aggressor, vermag Fomin diesen Widerspruch zu lösen: „Einer allein kann den Sinn und das Ziel des Daseins gar nicht begreifen. Wenn er sich aber dem Volk anschließt, das ihn hervorgebracht hat, und über das Volk der Natur, der Welt, der Vergangenheit und der zukünftigen Hoffnung, — dann öffnet sich seinem Herzen jener Urquell, aus dem sich der Mensch nähren muß, will er genügend 22

Kraft erwerben für sein Tun und den festen Glauben an die Notwendigkeit seines Lebens." Platonows an philosophischer Reflexion reiche Erzählung Aphrodite war die erste ausgeprägte „Lebensbilanz" in der Nachkriegsnovellistik. Von der Mitte der fünfziger Jahre ab tauchte dieser Prosatyp immer häufiger auf, schließlich stellte er eine der markanten und wesentlichen Erscheinungen der neueren sowjetischen Erzählprosa dar. Die siegreiche Beendigung des Krieges und die als Bestätigung des Weges zum Sozialismus verstandene „Jahrhundertmitte" bildeten jene Zäsur, von der zurückgeblickt und die gewonnene historische Erfahrung überprüft wurde.

Das Leben tiefer erfassen K. Paustowski und A. Platonow gleichermaßen verpflichtet war Juri Nagibin, der als Fünfundzwanzigjähriger aus dem Krieg zurückkehrte und Erzählungen zu schreiben begann. Einige wurden nach den Worten Wladimir Amlinskis zu „Ereignissen in der Novellistik jener Jahre" 51 . Amlinski, der Nagibin als seinen literarischen Lehrmeister betrachtet, wies auf den inneren Bezug zwischen Platonows Erzählung Die eiserne Alte (1941) und Nagibins Erzählung Komarow (1953) hin. Tatsächlich tritt der kleine Komarow dem Bullenkalb ebenso furchtlos und mit der gleichen Frage „Wer bist du?" entgegen wie Platonows Jegor dem Wind und dem Käfer. Platonowsche Denkanstöße sind im Bewußtsein Nagibins und in seinen Erzählungen bis heute lebendig. Das Nehmen und gleichzeitige Abstoßen von ihm reicht bis zu den neuesten Werken, z. B. der Erzählung Irgendwo am Konservatorium (1973), einer Art „Fortsetzung" von Platonows Erzählung Die Heimkehr, einer möglichen Antwort auf den „offenen" Schluß dieses Werkes. Es besteht kein Zweifel daran, daß Platonow Juri Nagibin geholfen hat, „auf neue Art zu sehen" und zu begreifen, „daß Schreiben ein Erfassen des Lebens ist" 52 . Nagibin bekennt, daß Platonow neben Puschkin, Tjutschew, Leskow und anderen zu den Künstlern gehört, die seine „Seele formten" 53 . Komarows Frage „Wer bist du?" umreißt das Grundthema der besten Erzählungen Nagibins aus den Nachkriegsjahren. Es ist das Thema des Begreifenlernens, des Einsichtgewinnens, des Sicheiner-Sache-Bewußtwerdens, das den Autor vom Anfang der fünf 23

2iger Jahre bis heute immer wieder zur Gestaltung herausforderte. Die Erzählungen Die winterliche Eiche (1953), Komarow (1953), Im zeitigen Frühjahr (1957), später auch Der grüne Vogel mit dem roten Kopf (1965) u. a. stellen „positive", die Erzählungen Tschetunow, der Sohn Tscbetunows (1954), Der späte Gast (1955), später u. a. Der Fall des Hauptmanns Solowjow (1969) und Irgendwo am Konservatorium (1973) „negative" Varianten dieses Themas dar. Nagibins Prinzip, nichts zu „erfinden", sich „nur vom Leben führen" zu lassen, alles aus dem „Stoff der Wirklichkeit" 54 herauszuholen, entspricht voll und ganz der ästhetischen Grundorientierung Andrej Platonows, wie er sie in der Polemik gegen Paustowski vertreten hat. Nagibin erzählt im Platonowschen Sinne von ganz „alltäglichen" Begebenheiten. Die junge Lehrerin Anna Wassiljewna in Die winterliche Eiche hat in zwei Jahren im Dorf soviel Ansehen gewonnen, daß sie sich für eine vorbildliche Pädagogin halten darf. Sie ist korrekt und streng und ahndet das Zuspätkommen des Schülers Sawuschkin aus der 5 A unverzüglich. Daß dieser Sawuschkin dann auch noch behauptet, „die winterliche Eiche" sei ein Substantiv, überzeugt sie vollends davon, es mit einem unverbesserlichen Faulenzer und Dummkopf zu tun zu haben. Dann aber, auf dem Weg zu seiner Mutter, erlebt sie Sawuschkin im Wald, sieht sie seine Verbundenheit mit der Natur und allem Lebendigen, lernt „die winterliche Eiche" kennen und macht eine wichtige Entdeckung: „. . . plötzlich begriff Anna Wassiljewna, daß nicht die winterliche Eiche das Erstaunlichste in diesem Wald war, sondern der kleine Mann in den abgetragenen Filzstiefeln, der geflickten, ärmlichen Kleidung, der Sohn eines für die Heimat gefallenen Soldaten und einer Krankenschwester, dieser wunderbare und rätselhafte Bürger der Zukunft." 55 Den vierjährigen Komarow beobachtet der Erzähler in einem Seebad an der Schwarzmeerküste. Als Stadtkind zur Erholung in ein Ferienheim gesteckt, will sich der Junge nicht mit der problemlosen Welt zufriedengeben, die von den besorgten Erzieherinnen vor den Kindern aufgebaut wird. Er stellt unbequeme Fragen, will manches selber ausprobieren, macht sich Gedanken über das, was auf den ersten Blick klar und unproblematisch zu sein scheint, ist ein „rastloser junger Mann". Eines Tages verläßt Komarow die „Sperrzone" des Ferienheimes und geht auf Entdeckungsreise. Dem Erwachsenen mag es belanglos erscheinen, sich mit Tannenzapfen, Brennesseln, einem Bullen24

kalb und einem Frosch aufzuhalten. Komarow aber „beschloß, den Tannenzapfen zu erproben". Er „drückte den Stengel der Brennesseln mit kühnem Schwung beiseite und riß ihn aus der Erde . . . Das war eine echte Entdeckung." 5 6 Beim Anblick des Frosches überwältigt ihn „ein neues Lebensrätsel". Und das Kalb fragt er: „Wer bist du?" Dieser Knirps weicht auch nicht zurück, als ihn das Kalb zu stoßen sucht, er zieht den Kopf ein und erwidert den Angriff. In seinem Charakter war etwas, wie der Erzähler sagt, „das ihm nicht erlaubte, vor einer Gefahr zurückzuweichen" 57 . Komarow wird von den Erzieherinnen wieder eingefangen und an weiteren Entdeckungen gehindert. Den Drang dazu, das Bestreben, über das Alltägliche, Bekannte hinauszugelangen und „das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen" aufzuspüren, wird man ihm niemals, nehmen können. Nagibin entläßt seinen Helden aus der Erzählung in dem Augenblick, als er sich seiner Entdeckerrolle im Leben bewußt geworden ist, als er „sich stark und erfahren vorkommt und möchte, daß es allen gut geht" 5 8 . Im Unterschied zu Platonow gestaltet Nagibin eher die Äußerungen bestimmter moralisch-ethischer Einstellungen im Fühlen, Denken und Verhalten seiner Gestalten als die gesellschaftlichen Prozesse, von denen solche Einstellungen und Verhaltensweisen geformt werden und in denen sie sich hauptsächlich auswirken. Selbst wenn er sich jedoch auf die Darstellung der inneren Bewegung seiner Gestalten beschränkt, versteht er es, in diesen Bewegungen die „Zeichen der Zeit" sichtbar zu machen. Seine Stärke liegt gerade in der „Erkundung der verborgenen Möglichkeiten der Persönlichkeit" 5 9 . Eine wichtige Voraussetzung für den künstlerischen Erfolg seiner Erzählungen am Anfang der fünfziger Jahre waren die Überwindung der von der Kritik in seinen ersten Erzählungen festgestellten formalen Einflüsse von O. Henry und J. London und die bewußte Hinwendung zu den produktiven Anregungen Platonows und Paustowskis. Auch für die Entwicklung des Erzählers Sergej Antonow erwies sich die künstlerische Erfahrung K. Paustowskis neben der Gorkis und J . Oleschas als besonders fruchtbar. Die Aneignung Paustowskis durch Antonow erfolgte zweifellos über die Weiterentwicklung Tschechowscher Traditionen. Tschechow rief bei S. Antonow schon am Anfang seines Weges„echtes, tiefes Interesse" 60 hervor, nämlich als er erkennen mußte, daß man aus „atemberaubenden Geschichten und rätselhaften Vor25

gängen" allein keine Erzählungen machen kann, die den Anforderungen der sozialistischen Gesellschaft genügen. Die Erzählungen Tschechows und Gorkis lehrten Antonow, daß ein Kunstwerk für den Leser nicht durch die „Raffinessen des Sujets" interessant wird, „sondern durch die Gestalt des Helden, eines Menschen also, den Sie mit Hilfe des Autors tiefer begreifen, indem Sie in ihm neue, unbekannte Eigenschaften entdecken" 61 . Obwohl S. Antonow sich ständig bemühte, „von der Imitation Tschechows loszukommen" 62 , entwickelte er einige Schaffensprinzipien Tschechows in seinen Erzählungen bewußt weiter. Dazu gehören nach einer Beobachtung T. P. Samoris 63 u. a. die Aufmerksamkeit für das alltägliche, gewöhnliche Leben und seine Konflikte, das Vermögen, „das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen" aufzuspüren, sowie die Orientierung auf den aktiven, mitdenkenden Leser. Im Leser will Antonow durch seine Erzählungen jene „schöpferische Energie" wecken, die ihn zum „Teilnehmer am Schaffen" 64 macht. Die Berührungspunkte zwischen S. Antonow und K. Paustowski bestehen vor allem in dem stark gefühlsmäßigen Herangehen an die Lebenserscheinungen, in der engen Verbundenheit mit den Menschen im sozialistischen Alltag — nicht dem „kleinen Mann" 65 *, sondern dem Schöpfer aller geistig-kulturellen Werte. Am stärksten scheinen jene Erzählungen Antonows von Paustowski angeregt worden zu sein, in deren Mittelpunkt eine Erzählerfigur steht, die deutlich als „Gewährsmann" des Autors zu erkennen ist, so z. B. Am Morgen (1949), Was in Poddubki gesungen wird (1950), Fernzüge (1950) und die Paustowski gewidmete Erzählung Die Zerstörerin (1956). Mit den Erzählungen Es geschab in Penkowo (1956) und Aljonka (1960) knüpfte Antonow später an andere Traditionen Paustowskis an, nämlich an die Tendenz zur Zyklisierung von Erzählungen sowie an die Neigung zur Verschmelzung epischen und lyrischen Erzählens. 1947 erschien die erste Erzählung Sergej Antonows — Frühling. Er hatte ein gutes Dutzend geschrieben, als er 1952 die ersten vier Briefe über die Erzählung in der Uteraturnaja ga^eta veröffentlichte. Die Gedanken über klassische Erzähler des 19. Jahrhunderts, eigene praktische Erfahrungen, Werke anderer Autoren und poetologische Probleme lösten keine nennenswerte Diskussion aus. Für Antonows Schaffen waren wohl in erster Linie seine Ansichten über die * Die mit einem Stern versehenen Ziffern verweisen auf

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Sachanmerkungen.

Rolle des Helden und des Sujets in der Erzählung sowie seine Polemik gegen eine fotografisch-flache Spiegelung der Wirklichkeit von Belang. In Erzählungen wie Frühling, Lena (1948), In der Straßenbahn (1948), Am Morgen und Was in Poddubki gesungen wird wird Alltägliches häufig heiter-idyllisch verklärt, so daß die in ihm enthaltenen Spannungen und Widersprüche zurückgedrängt werden. In Frühling z. B. sieht Antonow die Wirklichkeit fast ausschließlich mit den Augen seiner Heldin Njuscha. Ein poetisches Detail, wie die Blume, die ihr Waska reicht und die sie zunächst nicht annimmt, dann aber als Unterpfand ihrer Liebe betrachtet, verleiht dieser Erzählung über den ersten Nachkriegsfrühling im sowjetischen Dorf das Stimmungsvolle. Waska erscheint Njuscha als gewöhnlicher Mensch, doch bewirkt seine ungewöhnliche Ausstrahlung, daß Njuscha und die Mitglieder ihrer Brigade sich durch ihn zu höheren Leistungen angespornt fühlen. Die konsequente Anwendung der personalen Erzählperspektive verlieh der Erzählung Antonows eine Originalität und Frische, die sie von der vielfach anzutreffenden moralisierenden Didaktik bei der Behandlung ähnlicher Themen positiv abhob. Der soziale und historische Gesichtskreis Njuschas erwies sich aber als zu eng. Zwar gelang es Antonow mit Hilfe der Figurenperspektive, seinen Gegenstand schärfer zu erfassen als manch anderer Erzähler und Romanautor in diesen Jahren, doch konnte er den Anflug von „Idyllik" 66 auf diese Weise nicht vermeiden. Probleme und Widersprüche aller Größenordnungen verblassen hinter der „Stimmung", die sogar von dem „im Mondschein glitzernden Weizenfeld" ausgelöst wird. In der Erzählung Was in Poddubki gesungen wird geht der IchErzähler vornehmlich gefühlsmäßig an die Erscheinungen der dörflichen Wirklichkeit heran und ist weit entfernt von jener Tendenz zur nüchternen sozialökonomischen Analyse, die einige Jahre später für vergleichbare Gestalten bei Antonow öder den Erzähler in G. Trojepolskis Prochor XVII., König der Klempner (1953) charakteristisch ist. Probleme von größerer gesellschaftlicher Bedeutung (der Zusammenschluß der Kollektivwirtschaften von Poddubki und Sinegorje, die Abwanderung zahlreicher Arbeitskräfte in die Städte u. a.) werden in der Erzählung zwar erwähnt, aber nicht analysiert., auf ihre gesellschaftlichen Ursachen untersucht, in größere Zusammenhänge gestellt. Selbst weltpolitisch bedeutsame Fragen (die Erinnerung an den Krieg und die Grausamkeiten der Faschisten, die 27

durch den Besuch einer tschechoslowakischen Delegation ausgelöst wird, und das damit verbundene Bewußtsein der welthistorischen Verantwortung des Sowjetmenschen — ein zentrales Motiv der sowjetischen Novellistik der sechziger Jahre) wirken hier wie aufgepfropft. Die zwischenmenschlichen Konflikte, wie sie im Verhältnis zwischen Natascha und Semjon auftreten, werden durch stimmungsvolle Erläuterungen des Ich-Erzählers entschärft. Die Urteile des Erzählers unterscheiden sich wenig von dem nahezu widerspruchsfreien Bild der dörflichen Wirklichkeit, das Natascha in den von ihr geschaffenen Tschastuschki entwirft. Nur zaghaft entwickeln sich in den ersten Erzählungen S. Antonows Tendenzen zu einer komplexen Analyse der Beziehungen zwischen Persönlichkeit und Gesellschaft. In Station Scbtscbeglowo (1948) gibt es Ansätze dazu. Der Stationsvorsteher Rebrow, der nur alle drei Tage für eine Minute auflebt, wenn der Schnellzug Moskau—Rostow auf seiner Station anhält und er mit der Schaffnerin Nadja ein paar Worte wechseln kann, begreift, „daß das arbeitsreiche, glückliche, große Leben an ihm vorbeizieht, daß es ihn mit sich reißen wollte und er sich aus wer weiß was für Gründen dagegen zu stemmen suchte . . ," 67 Der für viele frühe Erzählungen Antonows charakteristische Widerspruch zwischen dem „Alltäglichen" und dem „Ersehnten", der in keinem Fall zu einer Tragödie führt, erweist sich auf Grund der fehlenden sozialen und historischen Einbettung als lokal begrenzt. Erst mit der Erzählung Regen (1951), die im Kontext mit Antonows gegen die Konfliktlosigkeit gerichteten Aufsatz Gedanken über die Erzählung aus dem gleichen Jahr gesehen werden muß, gelangte der Autor zu einer künstlerisch neuartigen Lösung bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Persönlichen und dem Gesellschaftlichen. Von der äußeren Anlage her wirkt die Erzählung traditionell. Ähnlich wie P. Pawlenko in Glück und W. Owetschkin in Früblingsstürme baut Antonow seine Erzählung auf dem Konflikt zwischen zwei Leiterpersönlichkeiten auf. Gurjew verlangt von allen Mitarbeitern, daß sie sich seinen Entscheidungen unterordnen. Er geht behutsam vor, ist verträglich und gutmütig. Beim Bau einer Brücke gerät er mit der Planerfüllung in Verzug. Sein Nachfolger Nepeiwoda ist durch und durch ein Mann der Tat, energiegeladen, selbstlos bei der Erfüllung der Aufgaben. Er bezieht das ganze Arbeitskollektiv in die Entscheidungsfindung ein. Im Grunde aber geht es in Regen nicht vorrangig um die Konfrontation der beiden Leiter, durch die die äußere Handlung bewegt wird. 28

Viel wichtiger ist der Gedanke, daß ein „gewöhnlicher" Mensch wie die Sekretärin Walentina Georgijewna Ostrowskaja nicht bloß ein winziges Schräubchen im Getriebe des Betriebes ist, sondern ein schöpferischer, eigenverantwortlicher Mitstreiter. Das ist die Einsicht, zu der Walentina gelangt und ebenso der Leser, der sich mit dieser Gestalt auseinandersetzt. Der Hauptkonflikt besteht darin, daß sich Walentina unter Gurjew nur als „die Sekretärin Iwan Semjonowitschs" empfindet und ihre Funktion ausschließlich in der hingebungsvollen Arbeit „für Iwan Semjonowitsch" sieht. Eine Lösung dieses Konflikts deutet sich mit der Herausbildung des Bewußtseins der Verantwortung für das Ganze bei Walentina an. Antonow greift damit als einer der ersten Autoren in der Nachkriegsprosa die neuartigen, lebenspraktischen Probleme der Subjekt-Objekt-Beziehung auf, die in der darauffolgenden Zeit in der Sowjetliteratur in vielfältiger Weise gestaltet werden. Der Prozeß, in dem das Individuum sich mit den gesellschaftlichen Aufgaben in Übereinstimmung bringt, wird von Antonow psychologisch subtil gestaltet. Walentina Ostrowskaja hat seit dem Kriege „unter Gurjew" gearbeitet. Nur über ihn fühlt sie sich an die wechselnden Aufgaben gebunden, obwohl sie sich ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Belange selbstlos einsetzt. Das „Wir" gebraucht sie in diesen Jahren nur im Hinblick auf Gurjew und den Betrieb. Als sie jedoch durch ihre persönliche Initiative, die Nepeiwoda herausfordert, den Brückenbau vorangetrieben hat, wird die Arbeit für sie zu einer persönlichen Angelegenheit, ihrer ureigenen Sache. Sie begreift, daß nicht der Regen für den Stillstand oder Fortgang der Arbeit verantwortlich gemacht werden kann. Jetzt schließt ihr „Wir" sie als mitverantwortliches Subjekt ein. Rein stofflich unterscheidet sich Regen nicht von anderen Werken der Nachkriegsjahre, in denen Produktionskonflikte gestaltet wurden. Die Konzentration auf das „Ungewöhnliche" im Verhalten Walentinas, in dem Antonow eine gesellschaftlich notwendige Entwicklungstendenz erkannte, rückte jedoch „eine psychologische Größe in den Mittelpunkt der Analyse, die bei einem anderen Vorgehen gar nicht in Betracht gezogen worden wäre" 68 . Walentina fährt am Ende der Erzählung nach Moskau, wo Gurjew inzwischen Fuß gefaßt hat. Sie fährt jedoch mit einem veränderten Bewußtsein, das ihre Beziehungen zu Gurjew wie generell zu ihrer Arbeit fortan mitbestimmen wird. Im übrigen befriedigt sie der Leitungsstil Nepeiwodas durchaus nicht in allem, obwohl sie seinen 29

hohen Einsatz bewundert. Ihre Kritikfähigkeit ist erwacht. Auch in diesem Detail zeigt sich bei Antonow ein neuer produktiver Ansatz, den W. Owetschkin später in seinem Zyklus Frühlingsstürme aufgreift. Antonow geht mit seiner Erzählung über damals verbreitete schablonenhafte Vorstellungen hinaus, Widersprüche könnten durch die bloße Auswechslung „schlechter" Leiter gegen „bessere" gelöst werden. Es ist bezeichnend, daß S. Antonow später immer wieder an die in der Erzählung Regen behandelte Subjekt-Objekt-Problematik anknüpft und in Tante Lauscha (1956), vor allem jedoch in Aljonka (1960) und Leerfahrt (1960) noch tiefer in widersprüchliche Erscheinungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit eindringt. Was er einmal in bezug auf die große Erzählung Der zerrissene Kübel (1966) formuliert hat, gilt im Prinzip auch für die Lösungsansätze in Regen: „Ich wollte zeigen, daß der Mensch eine schöpferische Persönlichkeit sein m u ß . . . Für die Kunst ist gerade die Beziehung, das Aufeinanderwirken von Gesellschaftlichem und Privatem interessant. Wir müssen Menschen darstellen, die gesellschaftliche Aufgaben als ihre eigenen begreifen." 69

. . der Mensch als soziales Wesen" Da außer den Briefen über die Erzählung von Sergej Antonow am Anfang der fünfziger Jahre nur wenige Arbeiten zur Prosatheorie erschienen waren, kam dem Märzheft der Zeitschrift Swesda 1953 eine besondere Bedeutung zu. In ihm wurden drei Beiträge veröffentlicht, die Probleme, Leistungen und Schwächen der Genretheorie jener Jahre deutlich erkennen ließen. Im einzelnen handelte es sich um A. Soskins Studie über die Möglichkeiten des Genres70, K. Barskajas und M. Schnejersons Analyse von Erzählungen Tschechows und Gorkis 71 sowie L. Gladkowskajas Rezension 72 über die dreibändige Anthologie sowjetischer Erzählungen, die 1952 im Moskauer Staatsverlag herausgekommen war. Soskin konstatierte das Fehlen grundsätzlicher genretheoretischer Forschungen. Selbst in Grundfragen, z. B. was eine Erzählung ist und wodurch sie sich von Powest und Roman unterscheidet, gingen die Meinungen seiner Ansicht nach weit auseinander. Den genretheoretischen Arbeiten aus den dreißiger Jahren stand der Kritiker mit großen Vorbehalten gegenüber. Den Gedanken I. Winogradows und W. Goffenschefers, hinsichtlich ihrer Aufnahmefähigkeit für Stoffe der Wirklichkeit stehe die Erzählung dem Roman oder 30

der Powest keineswegs nach, weil sie zu starker Konzentration zwinge, bezeichnete Soskin als „formalistisch". Die beiden Theoretiker würden von „voluntaristischen Voraussetzungen" und dem Primat der Form über den Inhalt ausgehen, nicht den Stoff, sondern subjektive Gestaltungsabsichten als genrebildend ansehen und eine „romanhafte" bzw. „novellistische" Schreibweise und Typisierung an sich voraussetzen.73 Die grundlegenden Arbeiten von Isaak Ewentow und Leonid Timofejew aus den dreißiger Jahren wiesen nach Soskins Ansicht den Mangel auf, die Prosagenres allein vom Umfang her bestimmen zu wollen. Der Auffassung Lidija Seifuliinas 74 , die Erzählung sei wegen der erforderlichen Strenge der Komposition, Dynamik der Handlung und Konzentration auf einzelne markante Ereignisse ein besonders schwieriges Prosagenre, setzte Soskin eine bekannte Äußerung Gorkis entgegen. Dieser hatte 1934 in einem Gespräch mit jungen Schriftstellern gesagt: „Die schriftstellerische Tätigkeit mit großen Romanen zu beginnen ist eine sehr dumme Angewohnheit. Ihr verdanken wir, daß bei uns so viel literarischer Ausschuß verlegt wird. Schreiben lernen muß man an kleinen Erzählungen, wie es fast alle großen Schriftsteller im Westen und bei uns getan haben. Die Erzählung erzieht zur Ökonomie des Wortes, zur logischen Gliederung des Stoffes, zur Klarheit des Sujets und zur anschaulichen Gestaltung des Themas. Als ich einem begabten Schriftsteller den Rat gab, sich vom Roman zu erholen und eine Zeitlang Erzählungen zu schreiben, antwortete er mir: .Nein, die Erzählung ist eine zu schwere Form.' Das heißt also, eine Kanone ist leichter herzustellen als eine Pistole." 75 Bei aller Logik, die aus Gorkis Argument spricht, konnte es in der Auseinandersetzung vom Anfang der fünfziger Jahre schwerlich ausreichen, um den Platz der Erzählung unter den Prosagenres und die gestalterischen Möglichkeiten dieses Genres hinreichend zu bestimmen. Soskin mag das wohl empfunden haben. Deshalb betonte er wenig später, daß es ihm nicht darum gehe, der Erzählung die Fähigkeit abzusprechen, große Inhalte zu gestalten, obwohl er grundsätzlich davon ausgehen müsse, daß jedes Genre ausschließlich von seinen stofflichen Inhalten und deren Umfängen determiniert wird. Soskin schrieb: „Ungeachtet der relativen Begrenztheit des in ihr widergespiegelten Stoffes hat die Erzählung die Möglichkeit, Ideen von größter Tiefe und gesellschaftlicher Bedeutung zu gestalten." 76 Aus Soskins Studie geht hervor, welche speziellen Aspekte der Er31

zähltheorie sowjetische Literaturwissenschaftler am Anfang der fünfziger Jahre bewegten. So tauchte z. B. die Frage auf, ob die Erzählung sich vornehmlich auf die Darstellung außergewöhnlicher Ereignisse und Höhepunkte im Leben der Menschen oder aber auf die Schilderung alltäglicher Begebenheiten konzentrieren soll. Hatte Rudolf Berschadski dem Schriftsteller Jewgeni Worobjow vorgeworfen, seinen Erzählungen fehlten weitgehend „außergewöhnliche Umbruchsituationen" 77 , so hob Alexander Makarow an Erzählungen Sergej Antonows gerade die Darstellung des „inneren Lebens der Gesellschaft im Alltäglichen und Gewöhnlichen" 78 lobend hervor. Soskin vertrat in diesem Zusammenhang die Ansicht, die Erzählung müsse das Gewöhnliche wie das Ungewöhnliche im Leben erfassen. Antonows Erzählung Frühling imponierte ihm z. B. vor allem deswegen, weil der Schriftsteller in ihr im charakteristischen „Kleinen" das „Große und Typische" 79 sichtbar gemacht hat. Soskins Eintreten für eine problem- und konfliktreiche Literatur verdient hervorgehoben zu werden. Der Kritiker äußerte Bedenken zu einigen Ansichten von Wera Panowa und Sergej Antonow über die Rolle des Sujets in der Erzählung. Beide Schriftsteller hatten die Meinung vertreten, für sie gäbe es keinen Grund, zwischen „sujethaften" und „sujetlosen" Erzählungen einen qualitativen Unterschied zu machen.80 Soskin meinte, eine „sujetlose" Erzählung könne wohl kaum die „Bewegung der Wirklichkeit" wiedergeben, Sujetlosigkeit müsse zu oberflächlicher Spiegelung des Lebens und letzten Endes sogar zu Konfliktlosigkeit führen. Unter den positiven Beispielen problem- und konfliktreichen Erzählens nannte der Kritiker Werke von Sergej Antonow, z. B. Frühling, Am Morgen, In der Straßenbahn, Auf den Straßen fahren Autos, Station Schtscheglowo und Regen. In ihnen spiegele sich das reale Leben in seiner widersprüchlichen Bewegung und Entwicklung. Selbst wenn Soskins Schlußfolgerung, eine Erzählung, die reale Widersprüche in ihrer Entstehung, Entfaltung und Lösung widerspiegelt, müsse generell „sujethaft" sein, einseitig und überspitzt war, so erwies sie sich doch in ihrer Grundorientierung als richtig. Bereits wenige Jahre nach dem Erscheinen des Aufsatzes haben zahlreiche sowjetische Erzählungen Soskins Auffassung bestätigt, daß die Wirklichkeit selbst alle Voraussetzungen dafür bietet, daß die Erzählung sich als „Genre großer und ernstzunehmender Möglichkeiten" 81 entfalten kann. 32

In dem Aufsatz von Barskaja und Schnejerson standen Probleme des „Lernens" bei den Klassikern im Vordergrund. So wurden z. B. Antonows Erzählungen Station Schtscbeglowo und Auf den Straßen fahren Autos äußerst formal an Tschechows Erzählungen Champagner und Die Köchin beiratet gemessen. Die neuen Wirklichkeitsverhältnisse, mit denen sich die sowjetische Nachkriegserzählung auseinandersetzen mußte, standen bei dieser Betrachtungsweise völlig im Hintergrund. L. Gladkowskaja 82 rezensierte die Anthologie Erzählungen sowjetischer Schriftsteller. Diese Sammlung stellte eine Art Bilanz über fünfunddreißig Jahre Sowjetliteratur im Bereich des Genres der Erzählung dar. Während die Rezensentin die Erfolge der Erzähler in den zwanziger, dreißiger und Kriegsjahren überzeugend repräsentiert fand, mußte sie für die Zeit nach 1945 einige Einschränkungen machen. Gladkowskaja begründete sie damit, daß die Herausgeber der Anthologie sich nur ungenügend auf Arbeiten zur Theorie der Erzählung oder zum Schaffen einzelner Autoren stützen konnten: „Es gibt keine oder kaum welche." 83 Sie warf den Erzählern der Gegenwart auch vor, Mißstände nicht in der nötigen Weise zu „geißeln". Gerade das schien ihr ein Grund dafür zu sein, daß die Erzählung „in der zeitgenössischen Sowjediteratur noch nicht jenen Platz eingenommen hat, der ihr von Rechts wegen gebührt" 84. Letzten Endes lief auch die Kritik von L. Gladkowskaja auf die ungenügende Auseinandersetzung mit den neuartigen Widersprüchen des Lebens hinaus, von der bei A. Soskin die Rede war. Hier schälte sich ein Hauptproblem heraus, das am Anfang der fünfziger Jahre vor der ganzen Sowjediteratur stand. Erzähler wie Nagibin und Antonow hatten es aufgegriffen, doch zu einer qualitativ wirklich neuartigen Bewältigung der neuen Aufgaben gelangte die Novellistik erst allmählich. Ihr enger Kontakt mit dem Genre der Skizze war in diesem Zusammenhang von Bedeutung. 1952 erschienen Walentin Owetschkins Aufsatz 'Lavierer und 'Lackierer und die erste Skizze aus dem Zyklus Fräblingsstürme — Alltag im Kreis. Die Bedeutung dieser Skizze wurde später mit Recht sehr hoch eingeschätzt. A. Twardowski sagte 1968, mit Alltag im Kreis habe Owetschkin „wahrhaft breite Popularität und Anerkennung gewonnen. Diese relativ kurze Skizze hatte für unsere Literatur über die Dorfthematik die Bedeutung eines Wendepunktes. Zum erstenmal erklang hier mit überraschender Kühnheit die besorgte Stimme eines sachkundigen Schriftstellers über die Situation in der 3

Kasper, Sowj. Erzählung

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Landwirtschaft jener Jahre, über die Notwendigkeit entschiedener Veränderungen in den Methoden der Leitung der Kolchosen."85 Kaum ein anderes Werk habe soviel Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden wie Owetschkins Skizze. Der Zyklus in seiner Gesamtheit könne vorbehaltlos als das „Große Buch" Owetschkins bezeichnet werden, an dem die Geschichte der Sowjetliteratur niemals vorbeigehen dürfe.86 In dem genannten Aufsatz äußerte Owetschkin sich über die gesellschaftspolitische Stoßrichtung seiner Skizzen. „Lavierer und Lackierer" gebe es im Leben und in der Literatur. Im Leben gehören zu diesem Typ jene „Verantwortlichen", die auf Grund ihrer Position „viele ernste Fragen entscheiden und gegebenenfalls ihre Entscheidungen auch v e r a n t w o r t e n müssen", es zuweilen jedoch vorziehen, „den wahren Sachverhalt ein wenig zu lackieren".87 Zu den „Lavierern und Lackierern" in der Literatur zählte Owetschkin jene Schriftsteller, die auf dem Lande leben, durchschnittliche Kolchosen kennen und wider besseres Wissen behaupten, es gebe dort keine Konflikte mehr oder höchstens „Konflikte zwischen dem Guten und dem Ausgezeichneten"88. Das richtete sich gegen die „Theorie der Konfliktlosigkeit", die damals auch von einem redaktionellen Beitrag89 der Prawda zurückgewiesen wurde. Alexei Surkow schrieb einige Monate später: „Manche Schriftsteller und Kritiker verstiegen sich zu der Erklärung, daß man das Wort 'Konflikt' in der Anwendung auf die Sowjetgesellschaft sogar vergessen sollte. Auf jede nur erdenkliche Art und Weise wurde zu beweisen versucht, daß es in der Sowjetgesellschaft keine Konflikte gäbe, indem man die Behauptung wagte, alles laufe bei uns nur mehr auf einen einzigen Konflikt hinaus, auf den Konflikt zwischen dem Guten und dem Besseren . . ."9° Daß es „keine rein literarische Atmosphäre"91 war, die derartige Erscheinungen förderte, hat Konstantin Simonow 1954 auf dem II. Sowjetischen Schriftstellerkongreß betont. Owetschkins Skizzenzyklus Früblingsstürme (1952/56) unterschied sich nicht grundsätzlich von den Erzählungen Antonows, Nagibins, Tendrjakows, Nikolajewas, Woronins und anderer Autoren vom Anfang der fünfziger Jahre. Bahnbrechend wirkten jedoch zwei originäre Leistungen Owetschkins: die Gestaltung bedeutsamer gesellschaftlicher Widersprüche, wesentlicher Ursachen dieser Widersprüche und praktikabler Lösungswege zu ihrer Überwindung sowie die Entdeckung neuer Möglichkeiten für die Verwendung dokumentarischen Materials in der künstlerischen Prosa. 34

Mit „nachprüfbarer" Konkretheit in der Zeichnung des Persönlichen und Gesellschaftlichen analysierte Owetschkin die Tätigkeit der Verantwortlichen eines Landkreises. Er deckte die Praktiken der „Lavierer und Lackierer" auf und führte durch die Analyse gesellschaftlich relevanter Widersprüche in diesem Bereich die Theorie der „Konfliktlosigkeit" ad absurdum. Seine Kritik an Mißständen war konstruktiv, weil sie den Leser zur Lösung von Widersprüchen befähigte. Die berührten Probleme, vorrangig sozialökonomische Fragen im Bereich der Landwirtschaft und Fragen der Leitung ländlicher Kreise und ihnen unterstellter administrativer Einheiten, wurden unter dem Aspekt gesamtgesellschaftlicher Entwicklungstendenzen erörtert. Nicht ohne Grund bezeichnete A. Twardowski Schriftsteller wie Owetschkin als „wahre Helfer der Partei" 92 im Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt. Die Art und Weise, wie Owetschkin Dokumentarisches und Fiktives miteinander verband, erwies sich für alle Gattungen der Sowjetliteratur als beispielgebend und erlangte auch über sie hinaus Bedeutung. Otto Gotsche sagte nach dem Erscheinen der fünf Skizzen Owetschkins in der DDR, man frage sich als Leser, ob das Buch „ein Bericht, eine Lageschilderung, eine Information für das Gebietskomitee oder Zentralkomitee der Partei . . . ein Hinweis auf eine ungenügende gesetzgeberische Regelung . . . eine Kritik an Zuständen, die besserungsbedürftig sind" oder aber etwas ganz anderes sei. Er faßte seine Eindrücke dahingehend zusammen, daß Owetschkin keinen Bericht, keine Reportage und keinen Tatsachenroman, jedoch Literatur im wahren Sinne des Wortes geschrieben habe, nämlich „etwas ganz Neues, aus unserer Zeit Geborenes"93. Es wäre müßig, dieses Neue formal bestimmen und in den Werken Owetschkins Elemente der Skizze gegen Elemente der Erzählung ausspielen zu wollen. Es ist bezeichnend, daß Owetschkin 1958 auf die Frage von Nelly Drechsler, ob er mit dem Buch „eine neue literarische Form" habe schaffen wollen, eine „prinzipielle" Antwort gab: „Wir haben ein schönes russisches Sprichwort, das heißt: Nenn mich ruhig Topf, aber stell mich gefälligst nicht in den Ofen! Gerade die Kritiker sind es, die uns Schriftsteller immer wieder auffordern, nach neuen Formen der künstlerischen Gestaltung zu suchen, weil das Leben sich fortwährend verändert. Hat aber endlich ein Schriftsteller diese neuen Formen gefunden, dann findet der Kritiker keine neuen Bezeichnungen dafür, sondern ist bemüht, diese neuen Formen in die Kategorie der alten Bezeichnungen einzureihen. 3*

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Sollen die Kritiker es also mit ihrem Gewissen abmachen, warum sie mein Buch .Skizzen* nennen." 94 In den Thesen für ein Gespräch mit Journalisten .. . (1964) notierte Owetschkin über Frühlingsstürme-. „Ich entdecke mit diesen Büchern keine neue Form der Skizze. Ich habe einfach einer der alten Formen der Skizze zu ihrem Recht verholfen. Einer Form, die seit jeher in der russischen Literatur existierte." 95 Owetschkin berief sich in diesem Zusammenhang auf die Traditionen Furmanows, Makarenkos, Prischwins, Paustowskis sowie Fadejews und sprach von einer „fiktiven Skizze", die „ebensoviel Spielraum für die Verallgemeinerung, Typisierung und die Phantasie des Autors besitzt wie jedes andere Genre". In einem Brief an W. Kantorowitsch vom 17. Februar 1967 äußerte Owetschkin: „Man hat mich als Skizzenschreiber abgestempelt, obwohl . . . 'Frühlingsstürme' — eigentlich wohl meine ganze Prosa — nicht in den Rahmen der üblichen Vorstellungen von einer Skizze, einer Powest usw. paßt, weil sie vielleicht eine neue literarische Form darstellt, für die man noch keine Bezeichnung gefunden h a t . . . " 96 Mari sollte diese Äußerungen als Ausdruck jener produktiven Unvoreingenommenheit ansehen, die Owetschkin nach zahlreichen Auseinandersetzungen über die Genrespezifik seiner Werke im Laufe der Zeit gewonnen hat. Sie gestattet uns auch heute, Owetschkins Frühlingsstürme als eine bedeutende Leistung innerhalb der Erzählprosa der fünfziger Jahre zu werten, von der starke Impulse zur Orientierung der Literatur auf die gesellschaftliche Wirklichkeit ausgegangen sind. In Owetschkins Vortrag, den er auf einer Beratung im Oktober 1955 hielt, stand der Name Wladimir Tendrjakow mit an vorderster Stelle. Tendrjakows Erzählung Inmitten der Wälder (1953) entstand nach Owetschkins Meinung noch „unter dem Einfluß der 'Theorie der Konfliktlosigkeit' unseligen Angedenkens", wirkte „mittelmäßig", weil sie im Sujet „schablonenhaft" und hinsichtlich der „Charaktere und scharfen Ecken geglättet und behauen" wurde. 97 Nach dem Erscheinen dieses Werkes habe Tendrjakow in der Redaktion der Zeitschrift Nony mir ein Gespräch mit Alexander Twardowski gehabt und danach „vieles neu durchdacht". Nun habe er sich „voll den scharfen Konflikten zugewandt" und sei mit Werken wie Iwan Tschuprows Fall (1953) und Der Fremde (1954) „furchtlos komplizierten Lebenswidersprüchen entgegengetreten". Das sei nicht nur ein „Schritt", sondern geradezu ein „Sprung" nach vorn gewesen. Owetschkin nannte Tendrjakow einen Schriftsteller, des36

sen Feder vom Zorn über alle Hemmnisse des Fortschritts gelenkt werde. Daß Wladimir Tendrjakow sich unter dem Einfluß der Skizze zu einem der bedeutendsten sowjetischen Erzähler entwickelt hat, steht außer Zweifel. A. Pawlowski z. B. betonte, Tendrjakow habe „die positiven Erfahrungen der Skizze" auf die Erzählung übertragen und sei auf diesem Wege unter Beibehaltung der „scharfen sozialen Fragestellung" 98 der Skizzenliteratur zu der tiefgreifenden Analyse psychischer und sozialer Erscheinungen gelangt. I. Solowjowa wies auf Tendrjakows „innere Bindung an die Skizzenliteratur" 99 hin. A. Ninow machte darauf aufmerksam, daß der entscheidende Faktor der Entwicklung Tendrjakows die von Anfang an vorhandene „Grundrichtung" seines Schaffens, das starke Interesse am „Milieu, der Arbeits- und Lebensweise" 100 der Menschen, gewesen ist. Das ist jene Sphäre, die am Anfang der fünfziger Jahre auch von der Skizzenliteratur intensiv untersucht wurde. Tendrjakow hat zweifellos von der nüchternen und sachlichen Art, in der Schriftsteller wie Owetschkin aktuelle sozialökonomische Probleme anpackten, manches gelernt. Doch die innere, psychologische Seite der sozialen und ökonomischen Widersprüche, ihre ethisch-moralischen, geistigen und emotionalen Erscheinungsformen interessierten ihn wohl am meisten. In Iwan Tscbuprotvs Fall, vom Autor anfangs als „Skizze", später als „Erzählung" bezeichnet, steht die Analyse sozialer und ökonomischer Widersprüche im Kolchos noch im Vordergrund. Tschuprow hat den Kolchos jahrelang erfolgreich geleitet und seine Fähigkeiten als Organisator der Arbeitsprozesse unter Beweis gestellt. Allmählich aber verliert er die Verbindung zu den Kolchosbauern. Bestimmte ökonomische Erscheinungen, z. B. die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Baumaterial, zwingen ihm Verhaltensweisen auf, die mit den sozialistischen Rechtsnormen unvereinbar sind. Tschuprow handelt lange Zeit subjektiv „ehrlich", zum Wohle des Kolchos, doch objektiv entwickelt sich daraus ein Konflikt zwischen ihm und den gesellschaftlichen Normen. Diese Zwangslage führt ihn dazu, immer häufiger nach dem Grundsatz „Der Kolchos — das bin ich" zu handeln. Er entfernt sich von den Massen, wird unsicher, ergibt sich dem Trunk, verliert sein Gesicht. Hier überzeugt vor allem die Analyse des „Milieus", der sozialökonomischen Bedingungen des „Falles". Der Verfall der Persönlichkeit wird nur im Ansatz mit der gleichen Gründlichkeit erfaßt. 37

Dennoch erkennt man auch in diesem Ansatz Wesensmerkmale jener Erzählform, die Tendrjakow in den folgenden Arbeiten weiterentwickelt: die bewegte Handlung mit außergewöhnlichen Ereignissen, dramatischen Wendepunkten, häufig tragischen Konflikten und „offenen" Lösungen. Das ist der Typ der „langen Erzählung oder kurzen Powest" 101 , die im gesamten Schaffen Tendrjakows eine besonders markante Ausprägung gefunden hat. Das erste reife Werk dieses Typs war die Erzählung Der Fremde. Sie rief nach ihrer Veröffentlichung in der Kritik eine breite Diskussion hervor, von der hier nur einige Aspekte wiedergegeben werden sollen. R. Nedossekin warf Tendrjakow vor, er schildere die Ereignisse als „abseits stehender Beobachter". Er fand die Erzählung zwar „von der ersten bis zur letzten Zeile interessant", meinte jedoch, der Autor sei „objektivistisch" an den Konflikt zwischen seinem Helden Fjodor Soloweikow und den Rjaschkins herangegangen und habe keine Lösung für ihn gefunden.102 W. Dorofejew bemängelte, daß Soloweikow nicht „aktiv" genug sei und deshalb in der Auseinandersetzung mit seinen Widersachern nicht wie ein positiver Held, sondern wie eine „Märtyrerfigur" wirke. 103 Diese Äußerungen standen in einem krassen Widerspruch zu der Resonanz der Erzählung bei den Lesern, auf die A. Petrosjan auf einer Tagung des Moskauer Instituts für Weltliteratur im März 1955 nachdrücklich hinwies. 104 Die unterschiedlichen Meinungen über diese Erzählung resultieren zum großen Teil aus dem nicht unbedeutenden Umstand, daß die Unvereinbarkeit der Lebensauffassungen Fjodor Soloweikows und der Rjaschkins nach dem Willen des Erzählers zwar dem Leser bewußt wird, nicht jedoch dem Helden der Erzählung. Fjodor ist Leiter einer Traktoristenbrigade. Er führt das unstete Leben der Traktoristen, fühlt sich jedoch zu „seinem" Kolchos und „seiner" MTS hingezogen, ist „mit ihnen verwachsen". Ihm würde es tatsächlich „leid tun", sich von ihnen trennen zu müssen, selbst wenn es dabei um die Belange seines „Privatlebens" ginge. Stescha aber, seine junge Frau, vermag die Kongruenz zwischen dem Persönlichen, Privaten und dem Gesellschaftlichen noch nicht herzustellen. Darin liegt die Wurzel des sozialen Konflikts, den Tendrjakow gestaltet. Der Brigadier hat die neunzehnjährige Stescha beim Tanz kennengelernt. Er ist verliebt. Ihm fällt nicht auf, daß das „ganze Dorf" schläft, während die Rjaschkins Hochzeit feiern. Er ahnt nicht, weshalb die Kolchosvorsitzende nicht an der Feier teilnimmt, obwohl sie 38

eingeladen ist. Anfangs genießt Fjodor die Bequemlichkeiten eines Lebens, das sich äußerlich stark von seiner bisherigen Unstetigkeit unterscheidet. Als Steschas Mitgift aus der alten Truhe geholt und im Haus ausgebreitet wird, denkt er nur kurz über ihre Lebensvorstellungen nach. Die Kleider, Schuhe, Pelze, Schürzen und Stickereien stehen in keinem Verhältnis zu dem Fahrrad und dem Rundfunkempfänger, die er mit in die Ehe gebracht hat. Er begreift die Erregung der Schwiegereltern nicht, als er vorschlägt, den „Plunder" zu verschenken. Die auftretenden Spannungen betrachtet er als belanglos, und er vergißt sie schnell, als er am Abend die „finstere" Truhe mit einem „lustigen" Läufer zugedeckt findet und sieht, wie Stescha das „Nest" hergerichtet hat. Die begreifliche Sehnsucht nach den Bequemlichkeiten trübt Fjodors Blick jedoch nicht allzu lange. Er merkt, daß Rjaschkin seine Arbeitskraft im Kolchos schont und für die eigene Wirtschaft bewahrt, erlebt die Schwiegermutter, als sie die Ziege der Nachbarn schlägt, weil sie in ihren Garten eingedrungen ist. Doch er vermag den Widerspruch zwischen der scheinbaren Tüchtigkeit und Redlichkeit und dem hartherzigen Egoismus und Besitzstreben nicht zu erklären. Er spürt nur, daß auch seine Beziehungen zu Stescha darunter leiden. Während er sich bei der Arbeit, im Kollektiv seiner Kollegen wohlfühlt und glücklich ist, auch wenn er als Leiter mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, fühlt er sich zu Hause als Fremder. Er kann Stescha auch nicht sagen, warum ihm „sein" Kolchos und „seine" MTS näherstehen als ihre Welt. Für ihn ist seine Einstellung zur Arbeit und zum Eigentum die normale, gewohnte, selbstverständliche, wie auch die sozialen Grundlagen dieser Einstellung — der Sowjetstaat, das genossenschaftliche Eigentum des Kolchos — für ihn selbstverständlich sind. Fjodor verläßt das fremde Haus, obgleich er weiß, daß Stescha ein Kind erwartet. Er wird vor das Kreiskomitee des Komsomol geladen und erhält einen Verweis. Er habe „die Liebe in den Schmutz gezerrt", sagt man ihm dort. Fjodors Auflehnung gegen das Spießertum erscheint in den Augen seiner formal urteilenden Kritiker als negative soziale Haltung, als Schritt zur Brüskierung einer werdenden Mutter und zur Zerstörung der Familie. Der Leser jedoch durchschaut die sozialen Ursachen des „Familiendramas". Er weiß, daß „Ideen, die Weltanschauung und das politische Bewußtsein nicht isoliert von dem gesamten Komplex der Gefühle existieren, sondern als eine organische, innere Eigenschaft 39

des Charakters der Menschen" 105 auftreten. Soloweikow hat spontan richtig, d. h. nach den Normen der sozialistischen Ethik und Moral gehandelt. Gerade in dieser Unmittelbarkeit seiner Handlungsweise kommt die soziale Problematik des Konflikts besonders markant zum Ausdruck. Tendrjakows Held ist in einem solchen Maße mit der sozialistischen Wirklichkeit verwachsen und von ihr geformt worden, daß er die gesellschaftlichen Normen in seinem alltäglichen Leben unvermittelt praktiziert. Natürlich reguliert sein Bewußtsein das Fühlen, Denken und Handeln. Doch es ist als Regulator ebenso selbstverständlich geworden wie das gesellschaftliche Sein, das es hervorgebracht hat. In Fjodors Reaktion auf das „Familiendrama" werden die großen Veränderungen sichtbar, die unter dem Einfluß der sozialistischen Lebenspraxis und Erziehung im Bewußtsein und in der Psyche des sowjetischen Menschen vor sich gegangen sind. Erst nach der Trennung von den Rjaschkins kann Fjodors „Seele" wieder „in die Weite" fliegen. In diesem symbolischen Bild steckt der tiefe philosophische Sinn der Erzählung. Die Frage nach dem Glück und dem Sinn des Lebens erweist sich für das junge Paar als unbeantwortbar, solange sich nicht beide dem Einfluß der wesensfremden Lebensauffassung entziehen können. Nicht zufällig rebelliert auch Stescha am Ende gegen die Lebensphilosophie ihrer Eltern: „Ich will leben wie alle! Ihr laßt mich nicht! . . . Ihr laßt mich nicht leben! Selber versteht ihr nichts, und ich sollte auch nichts verstehen! . . . Ihr habt mein Leben verpfuscht!" Der Schluß ist „offen". Er hebt das „Familiendrama" nicht auf. Doch er provoziert das Weiterdenken des Lesers, der die sozialen Ursachen solcher Tragödien erkennt und zum Kampf gegen sie gewappnet wird. In dieser Aktivierung des Lesers und des gesellschaftlichen Bewußtseins liegt die große Bedeutung dieser Erzählung. Tendrjakow schaltete sich mit ihr erfolgreich in den Kampf um die Zurückdrängung des sich historisch wandelnden, seiner Natur nach bürgerlichen Besitzstrebens ein, den der sozialistische Realismus mit größter Konsequenz führt. 106 Tendrjakow hat von Konstantin Paustowski, seinem Lehrer an der Literaturhochschule, den Grundsatz übernommen, daß es „nichts Wichtigeres und Bedeutenderes gibt als die Menschenwürde" und man im Geiste des sozialistischen Humanismus, der „aktiven Güte", für sie kämpfen muß. 107 Der sibirische Erzähler Wjatscheslaw Schugajew interpretierte diese „aktive Güte" in den Werken Tendrja40

kows als ständige Mahnung an das „Gewissen". Er berichtete davon, daß Tendrjakow einmal davon gesprochen habe, die wichtigste Aufgabe des Schriftstellers bestehe darin, „bis zum letzten konsequent zu sein". Auf diesem Grundsatz basierten wesentliche künstlerische Eigenarten der Erzählungen Tendrjakows — „das dichte . . . Konzentrat von Taten, deren dramatischer und oft tragischer Konflikt in einer gewaltigen psychologischen Explosion gipfelt . . ." Für den Leser entsteht daraus immer die Notwendigkeit, „über sein eigenes Leben nachzudenken".108 Auch Galina Nikolajewas Erzählung Das Geständnis (1954) stand im Brennpunkt der Literaturdiskussion vom Anfang der fünfziger Jahre. Nikolajewa untersuchte 1953 in einem Aufsatz über die Spezifik der Literatur die Beziehungen zwischen „logischem" und „bildhaftem" Denken sowie die Besonderheiten dieser beiden Formen des Denkens. Die Schriftstellerin vertrat dabei die These, „daß das wahre Kunstwerk das Wesen der Erscheinungen nicht weniger vollständig und tiefgründig als die Wissenschaft aufdeckt" 109 . Von grundsätzlicher Bedeutung war Nikolajewas Ansicht über den „Hauptgegenstand der Kunst" — den Menschen. Die Literatur werde durch ihre Spezifik gezwungen, den gesellschaftlichen Menschen als Ganzes, in der Fülle aller Wechselbeziehungen und -Wirkungen darzustellen. Im Unterschied zur Ethik, Physiologie, Psychologie usw., die den Menschen nur von einer Seite aus betrachten, sei der Gegenstand der Literatur „der Mensch als soziales Wesen mit dem ganzen Reichtum und der Fülle seines Handelns, seiner Gefühle und Gedanken" 110 . Galina Nikolajewa riet ihren Schriftstellerkollegen zu bedenken, daß die Gesamtheit der sozialen Beziehungen des gesellschaftlichen Menschen durch mannigfaltige Handlungen, Gefühle und Gedanken realisiert wird. Ein Gedanke von Marx erhalte in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung, nämlich daß „erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen Wesens . . . der Reichtum der subjektiven m e n s c h l i c h e n Sinnlichkeit . . . menschlicher Genüsse fähige S i n n e , Sinne welche als m e n s c h l i c h e Wesenskräfte sich bestätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt" 111 werden. Die Nichtbeachtung dieser grundlegenden marxistischen Erkenntnis durch manche Schriftsteller führe dazu, daß sie nicht über den Menschen, sondern über einen industriellen oder landwirtschaftlichen Stoff schreiben und ihn lediglich „mit Hilfe der Menschen" erläutern und illustrieren. 112 Aber auch die Ansicht, daß die Menschen den Reichtum ihrer Gefühle nur im ge41

sellschaftlichen Leben und nicht im Privatleben offenbaren, resultiert aus der Nichtbeachtung des Marxschen Gedankens. Deshalb betont Galina Nikolajewa: „ Z u m gesellschaftlichen Menschen gehört jedoch die Gesamtheit aller Gefühle, und die Bereicherung der Gefühle des sozialistischen Menschen berührt alle Seiten seines Lebens. Die Behauptung einiger 'Theoretiker', daß in unserem L a n d alle ausgesprochen 'privaten' Gefühle in den Hintergrund getreten sind und an Bedeutung verloren haben, gleicht der Theorie der ' K o n fliktlosigkeit' und ist genauso falsch wie diese 'Theorie'." 1 1 3 E s verstoße nicht nur gegen die Spezifik der Literatur, sondern auch gegen die Wahrheit des Lebens, wenn ein Schriftsteller den gesellschaftlichen Menschen einseitig und losgelöst von der Gesamtheit der sozialen Beziehungen darzustellen sucht. Nach dem Erscheinen der Romane Die Jahreszeiten (1953) von Wera Panowa und Tauwetter (1. Teil: 1954) von Ilja Ehrenburg gewann der Aufsatz von Galina Nikolajewa eine besondere Aktualität. A u f dem II. Sowjetischen Schriftstellerkongreß im Dezember 1954 bezogen sich verschiedene Redner direkt und indirekt auf die Gedanken der Schriftstellerin. So stellte z. B. Alexei Surkow in seinem Referat die „umfassende Gestaltung des Menschen" (in Kotschetows Roman Familie Sburbin) der „abstrakten Seelenkonstruktion" (in den Romanen Panowas und Ehrenburgs) entgegen. E r erklärte, Panowa und Ehrenburg hätten nicht die „Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Persönlichkeit des gesellschaftlichen Menschen" dargestellt, sondern Menschen, deren Privatleben sich scharf von ihrem gesellschaftlichen Leben und ihrer täglichen Arbeit abgrenzt. 11,1 A u c h K o n stantin Simonow, der Nikolajewas Erzählung Das Geständnis als Erfolg wertete und Nastja K o w s c h o w a zu jenen positiven Helden zählte, die das vielgestaltige „Gruppenbild" des Helden der sowjetischen Literatur bereichert haben, äußerte sich zu solchen Fragen, wie sie Nikolajewa in ihrem Artikel aufgeworfen hatte. E r forderte z. B. die „allseitige Darstellung des Menschen" und meinte, die Arbeit müsse als „menschliches T h e m a " bzw. als „Beziehung des Menschen zur Arbeit" gestaltet werden, wobei das „Schöpferische" seiner Tätigkeit im Vordergrund stehen sollte. Für besonders wichtig im Sinne der Dialektik des Allgemeinen und Einzelnen hielt Konstantin Simonow die enge Verbindung des Gesellschaftlichen und des Persönlichen in der Literatur. Für den Schriftsteller dürfe es keine Scheu vor dem „Privatleben, der Liebe und Freundschaft, all den Freuden und Schwierigkeiten des L e b e n s " geben. 1 1 5 An42

dererseits gehe es durchaus nicht darum, die für die sowjetische Literatur charakteristische Darstellung des „gewöhnlichen" gesellschaftlichen Menschen durch eine Orientierung auf den „kleinen", d. h. nicht gesellschaftlichen Menschen zu ersetzen. 1 1 6 Simonows Gedanke berührt die Kernfrage der Erzählung Das Geständnis. Sie wurde in einem Briefwechsel zwischen S. Dmitritschenko, dem Chefingenieur einer M T S , und der Schriftstellerin deutlich herausgearbeitet. Dmitritschenko, der sich als Leser bezeichnete, der es gewohnt sei, ein literarisches Werk durch seine Gedanken zu ergänzen, kritisierte die „vereinfachte Einteilung der Helden in 'positive' und 'negative'", die er als „charakteristisch für viele Werke der letzten J a h r e " ansah. 1 1 7 Nastja sei zweifellos „ein Held", obwohl man sich frage, wieviel A g r o n o m e n wohl soviel Energie und Mut zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen besitzen wie Nastja. Völlig unberührt von der Erzählung bleibe aber „die charakteristischste G r u p p e einfacher sowjetischer Menschen", nämlich jene, die sich der von der Partei gestellten A u f g a b e n bewußt waren, als sie aufs L a n d gingen, jedoch aus verschiedenen Gründen vorläufig noch nicht mit ihrer Arbeit zurechtkommen. Ihn interessiere aus diesem Grunde weniger das Schicksal der „ H e l d e n " , erklärte Dmitritschenko, als vielmehr das „der einfachen, 'durchschnittlichen' Menschen, die keine außergewöhnlichen Eigenschaften besitzen". Nikolajewa, die den ökonomischen E r w ä g u n g e n ihres „Opponenten" zustimmte, widersprach ihm dort, wo er Fragen der „menschlichen Seele", also die D o m ä n e des Schriftstellers berührte. Sie erkannte die Trennung des „Durchschnittlichen" v o m „Heldenhaften" nicht an und verwies darauf, daß die ganze Geschichte des Landes von solchen „durchschnittlichen" Helden vollbracht wurde. Nastja K o w s c h o w a stelle keine Ausnahme dar, sondern „wiederholt das Schicksal von Millionen Sowjetmenschen, die gestern noch 'durchschnittlich' und 'unscheinbar' waren". Ähnlich wie in Tendrjakows Erzählung Der Fremde spitzt sich der Konflikt in Nikolajewas Erzählung Das Geständnis auf den Z u sammenprall v o n zwei entgegengesetzten Lebensauffassungen zu. Nastja ist „ein einfaches Mädchen", doch „ein Mensch v o n seltener Kraft, der auf schmächtigen Schultern wer weiß was für Lasten tragen" kann, „selbstlos, grenzenlos in seinen Gefühlen, kühn und beständig in der Arbeit, sanft und etwas schüchtern in seinem Äußeren . . . " 1 1 8 So sieht sie der in sie verliebte MTS-Direktor Tschalikow. Unter seinem skeptischen Blick wird Nastja zu einem Mädchen „wie 43

alle anderen". Bemitleidet er sie, vergleicht er sie mit einer Statue in der Ermitage, die die „ D e m u t " verkörpert. Mehrfach sucht er sie in ein größeres Bezugssystem zu bringen, seine subjektiven Eindrücke zu relativieren: „ D e r russische Mensch, der allen großen und schwierigen Aufgaben gewachsen ist! War Nastja ein solcher Mensch, und hatte ich es nur nicht erkannt? D a arbeitet man Seite an Seite mit einem Menschen, der weder Geheimnisse hat noch sich in G e heimnisse hüllt, und man kennt ihn — und kennt doch nicht seine Gefühle. Man ahnt nur verschwommen, weit v o m Begreifen entfernt, daß das ein Mensch ist, der für unser eigenes Leben die größte Bedeutung h a t . " " 9 A l s gesellschaftlicher Mensch imponiert Nastja vor allem durch ihr hohes Verantwortungsbewußtsein für das Gemeinwohl. Sie gibt sich nicht mit dem Erreichten zufrieden, geht den Ursachen der Mängel nach, die ihre Arbeit beeinträchtigen, und unternimmt alles in ihren Kräften Stehende, um bei ihrer Überwindung zu helfen. Sie orientiert sich als A g r o n o m nicht einseitig an den ökonomisch starken Kolchosen, die die Pläne erfüllen, sondern setzt alles daran, um die schwachen Wirtschaften auf das erforderliche Niveau zu bringen. Nastja ist fest von der Richtigkeit ihres Weges überzeugt und geht ihn mit aller Konsequenz. Diese Überzeugung, resümiert die Autorin, „ist so mächtig, daß sie den Schwachen Kräfte verleiht und die Kleinen groß werden l ä ß t . . . " 1 2 0 Nastjas Gegenspieler, der Oberingenieur Arkadi Farsanow, wird in der Erzählung als „Krämerseele" charakterisiert. E r versteht es, durch schönfärberische Berichte den Anschein zu erwecken, als würde er große Leistungen vollbringen. D i e Erzählung berührt ökonomische, agrarwissenschaftliche und andere Fragen. Entsprechend der Literaturauffassung der Autorin stehen jedoch nicht solche Probleme wie die Saatfolge oder das Quadratnestpflanzverfahren im Vordergrund, sondern „menschliche Charaktere, Leidenschaften, Schicksale" 1 2 1 . Nach der Auffassung der meisten Rezensenten bestand die „wesentliche Errungenschaft" 1 2 2 der Erzählung Das Geständnis in der Gestalt der Nastja, eines echten Charakters. Manche Schwäche der Erzählung, die v o n den Kritikern vermerkt wurde (die unwahrscheinlich schnellen Auswirkungen der Tätigkeit Nastjas in den zurückgebliebenen K o l c h o s e n ; die gekünstelte Schaffung einer Erzählsituation durch die Rahmenhandlung; die oberflächliche negative Charakterisierung Farsanows; die stellenweise peinliche „Infan44

tilität" Tschalikows bei seinem „Geständnis" vor der Autorin usw.), wurde durch diese Gestalt wieder wettgemacht. S. Kedrina wertete auf der Konferenz des Instituts für Weltliteratur im März 1955 Nikolajewas Erzählung als einen wichtigen Beitrag zur konstruktiven L ö s u n g gesellschaftlicher Widersprüche: „Die Tatsache, daß Nastja K o w s c h o w a — ein unscheinbares Mädchen in Skihosen und mit Schleifchen in den Zöpfen, ein echter, standhafter und bis auf den G r u n d seiner Seele sowjetischer Staatsbürger — mit ihrer aktiven und positiven Haltung, absoluten Ehrlichkeit und dem ihr angeborenen hohen Verantwortungsbewußtsein für das Leben in dieser Erzählung enthalten ist, macht selbst die härteste Kritik an konkreten schweren Mängeln und Mißständen in unserem Alltag nicht zu einer bloßen Aufreihung des Negativen, sondern zu einer bedeutsamen Staatsaktion, zu einem kühnen und erfolgreichen E i n g r i f f des Schriftstellers ins L e b e n . " 1 2 3 W. Owetschkin betonte in seinem Referat Das heben im Kolchos und die Uteratur im Oktober 1955 die gesamtgesellschaftliche Bedeutung jener Werke, die sich am A n f a n g der fünfziger Jahre gründlich mit den Problemen des Kolchosdorfes befaßten. Owetschkin verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß die Größe der sozialistischen Umgestaltung gerade im D o r f besonders deutlich hervorgetreten sei, weil dort „ein Knotenpunkt schwieriger und komplizierter Frag e n " 1 2 4 des A u f b a u s liege. Während sich Owetschkin S i m o n o w s positiver Einschätzung der Darstellung des arbeitenden Menschen in der Erzählung Galina Nikolajewas anschloß, erhob er gegen eine Anzahl „Vereinfachungen" ernsthafte Einwände. Z u ihnen zählte er Nastjas E r f o l g e bei der Beseitigung der Rückstände in den schwachen Kolchosen. Sie sähen so aus, als hätte Nikolajewas Heldin „die Beschlüsse von vier Plenartagungen des Zentralkomitees vorausgeahnt". Nastja wirke klüger als der Agrarwissenschaftler Terenti Semjonowitsch Malzew und trete wie eine „Jeanne d ' A r c der K o l chosen" 1 2 5 auf. Owetschkin verglich in diesem Zusammenhang Nikolajewas Erzählung Das Geständnis mit der langen Erzählung Nutzloser Rj/bm (1955) von Sergej Woronin, dem eine überzeugendere Darstellung gesellschaftlicher Widersprüche gelungen sei. Obwohl Owetschkin die literarische Qualität der Erzählung Woronins sichtlich überschätzte 1 2 6 *, erkannteer, daß mit diesem Werk tatsächlich „prinzipielle Fragen unserer Literatur" 1 2 7 aufgeworfen wurden. Z u ihnen rechnete Owetschkin, der den Leser stets als aktiven Partner des Schriftstellers betrachtete, u. a. die Frage nach der 45

künstlerischen Gestaltung neuartiger komplizierter und auch tragischer Widersprüche. Selbst wenn es uns heute verfehlt erscheint. Woronins Erzählung als gültiges Beispiel für die Darstellung solcher Widersprüche zu betrachten, müssen wir die Fragestellung Owetschkins als für die damalige Situation äußerst weitreichend und perspektivisch ansehen. Nur wenige Jahre später fanden derartige Fragestellungen in den Erzählungen von Michail Scholochow, Tschingis Aitmatow, Alexander Twardowski und anderen Autoren eine überzeugende künstlerische Antwort.

Taten von historischer Tragweite

In einem Brief Alexander Fadejews an F. P. Bulotschnikow vom 10. April 1956 hieß es: „Die letzten zwei, drei Jahre unseres Lebens haben den Schriftsteller vor sehr viel Neues gestellt. Wir durchleben eine Periode tiefgreifender Veränderungen, so daß wohl kaum alles auf einmal durchdacht und dargestellt werden kann." 128 Fade je w hatte offensichtlich erkannt, wie sehr die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse in der Mitte der fünfziger Jahre zur Herausbildung eines neuen Verhältnisses zwischen Literatur und Wirklichkeit drängten. Er war jedoch um diese Zeit noch nicht in der Lage, die entscheidenden Komponenten der neuen Literaturqualität genauer zu bestimmen. In den Diskussionen der Schriftsteller und Literaturwissenschafder, die im Zusammenhang mit den Schriftstellerkongressen von 1958 und 1959 geführt wurden, rückte dann die Forderung nach einer neuen Qualität des Gesellschafts- und Menschenbildes als Kernstück eines höheren Reifegrades des sozialistischen Realismus immer mehr in den Vordergrund. So forderte z. B. Leonid Sobolew im Referat auf dem I. Schriftstellerkongreß der RSFSR im Dezember 1958, bei der Gestaltung literarischer Charaktere die vielfältigen neuen Beziehungen zwischen dem Persönlichen und Gesellschaftlichen im Leben der sowjetischen Menschen tiefer auszuloten. Dabei schien ihm die Darstellung eines Wesenszuges des realen sowjetischen Menschen von besonderer Bedeutung, Sobolew sah ihn im ausgeprägten „staatsbewußten Herangehen an alle Lebenserscheinungen" 129. Im Rechenschaftsbericht, der von Alexei Surkow auf dem III. Sowjetischen Schriftstellerkongreß im Mai 1959 vorgetragen wurde, war von einigen Erzählungen die Rede, in denen neue Züge des sowjetischen Menschen eine überzeugende künstlerische Gestaltung gefunden hatten. Surkow verwies auf Ein Menscbenscbtcksal von Michail Scholochow sowie auf Werke von Sergej Antonow, Stefan 47

Sorjan, Janka Bryl, Tschingis Aitmatow, Ratschija Kotschar, Mykolas Sluckis, Juhan Smuul, Demna Schengelaja, Nora Adamjan und Georgi Natroschwili. In diesen Werken hatte der Leser nach der Ansicht des Redners tiefgreifende Erkundungen des Volkslebens und jener komplizierten Prozesse gefunden, in denen sich die Persönlichkeit sozialistischer Menschen herausbildet. Surkow forderte die Schriftsteller auf, die Schaffung „epochaler Typen" anzustreben und sich noch intensiver als bisher der Darstellung der Prozesse zuzuwenden, in denen sich stabile Charakterzüge sowjetischer Persönlichkeiten formieren. Hohe gesellschaftliche Anerkennung würden solche Werke finden, deren Verfassern es gelingt, „die historische Bedeutung der Taten des realen sowjetischen Menschen aufzudecken" 130 . Zu den Erzählungen, in denen diese programmatische Zielstellung in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre beispielhaft realisiert worden ist, gehören Scholochows Ein Menschenscbicksal, Aitmatows Dshamila und Twardowskis Ofensetzer, in denen mit menschheitsgeschichtlichen Fragestellungen die Perspektive des Individuums in Krieg und Frieden erkundet wird, Wera Panowas Leningrader Erzählungen (Walja und Wolodjd), in denen die Ereignisse der Epoche tiefgründig reflektiert werden, sowie zahlreiche andere Werke der multinationalen Sowjetliteratur.

Die Perspektive des Menseben in Krieg und Frieden Einer der wichtigsten „Diskussionsbeiträge" zu der internationalen Debatte, die nach dem zweiten Weltkrieg über den Menschen, seinen Platz in der Gesellschaft und seine Perspektive in Krieg und Frieden geführt wurde, war Michail Scholochows Erzählung Ein Menschenscbicksal (1956/57). M. Kokta bezeugte 131 , daß der Schriftsteller den Stoff zu der Erzählung zehn Jahre vor ihrem Erscheinen gefunden hatte, sich jedoch erst nach dem Bekanntwerden der neuen Bücher von E. Hemingway und E. M. Remarque Der alte Mann und das Meer (1952) und Zeit %u leben und Zeit %u sterben (1954) zur Auseinandersetzung mit dem Gesellschafts- und Menschenbild dieser Autoren herausgefordert fühlte. Scholochow gehörte jener Traditionslinie in der Sowjetliteratur an, deren künstlerisches Grundprogramm darin bestand, nach größtmöglicher Ausgewogenheit von Historizität und Aktualität, komplexer Erfassung von Mensch und Gesellschaft, individuellem Schick48

sal und historischem Prozeß zu streben. Im Kontext der sowjetischen Prosa in der zweiten Häfte der fünfziger Jahre ließ seine Erzählung Ein Menscbenscbicksal jedoch erkennen, daß sich seine Gesellschaftsund Menschenkonzeption um wesentliche neue Züge vertieft hatte. Das hing mit den gesamtgesellschaftlichen und individuellen historischen Erfahrungen des Autors zusammen und sicher auch mit der bewußteren Handhabung seiner ideell-ästhetischen Auffassungen, die er z. B. 1955 in einer Rede vor jungen Autoren mit dem Hinweis auf die gestiegene „Verantwortung des Schriftstellers vor seinem Volk" 1 3 2 umrissen hatte. Die künstlerische Leistung Scholochows, im Genre der Erzählung einen großen epischen Stoff gestaltet zu haben, wurde von der Kritik wiederholt gewürdigt. Sie nannte die Erzählung ein Epos vom Menschen, in dem sich das Schicksal des Volkes widerspiegelt, und betonte, in welch hohem Maße Scholochow die Dimensionen der Erzählung vertieft und die Möglichkeiten des Genres zur Wirklichkeitsbewältigung erweitert hat. 133 Sokolow erzählt vom schweren Schicksal des Menschen im Krieg. In seinen Worten: „Ich, lieber Freund, hab den bittren Kelch auch bis zur Neige leeren müssen" 134 und in seiner Frage: „Warum hat mir das Leben so übel mitgespielt? Wofür hat es mich so geschunden?" 1 3 5 wird das Ausmaß des Leids und der Tragik bereits am Anfang angedeutet. Im vollen Umfang wird es dann bei der Schilderung der einzelnen Phasen des Kriegserlebnisses, die streng in ihrer natürlichen chronologischen Abfolge dargeboten werden, sichtbar gemacht. Die erste Phase des Krieges dauert für Sokolow ein knappes Jahr, vom Juni 1941 bis zum Mai 1942. In seiner Erzählung über diese Zeit wechseln konkrete Details, die sachlich und exakt dargeboten werden, mit größeren, symbolhaften Verallgemeinerungen. „Unser Truppenteil wurde bei Belaja Zerkow in der Ukraine aufgestellt. Man gab mir einen Dreitonner, einen SIS—5, mit dem, fuhr ich an die F r o n t . . . " 1 3 6 , berichtet Sokolow. Auch von den unangenehmen persönlichen Erfahrungen mit dem Krieg macht er kein Aufheben: „Zweimal wurde ich in dieser Zeit verwundet, beide Male nur leicht: das eine Mal am Arm, das andere Mal am Bein, das erstemal durch eine Kugel vom Flugzeug, das zweitemal durch einen Granatsplitter . . ." 1 3 7 In diesem Stil berichtet der Held immer dann, wenn es um seine persönlichen Erfahrungen geht. Wenn der Bericht darüber hinaus geht oder aber die Rolle Sokolows in bestimmten Situationen 4

Kasper, Sowj. Erzählung

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betrifft, ändert sich der Darstellungsstil. Sokolow „umschreibt" z. B. die schwierige Situation in den ersten Kriegsmonaten mit der lapidaren, an seinen Zuhörer gerichteten Bemerkung: „Na, vom Krieg brauche ich dir nichts zu erzählen, du warst selber dabei und weißt, was sich am Anfang tat."1:58 Nach dieser emotionalen „Verallgemeinerung" kommt er auf ein konkretisierendes Detail zu sprechen, seine Briefe nach Hause und seine Verachtung für jene, die er als „Klageweib in Hosen", „Waschlappen" und „Schlappschwanz" bezeichnet. Darauf folgt eine weitere emotionale „Verallgemeinerung": „Nein! Dafür bist du ein Mann, dafür bist du ein Soldat, daß du alles erduldest, alles erträgst, wenn es darauf ankommt." 139 Die zweite Phase, die der Gefangenschaft, umfaßt die Zeit von Mai 1942 bis Mitte 1944. Das Bewußtsein, dem Feind in die Hände gefallen zu sein, mobilisiert in Sokolow alle Kräfte der Selbsterhaltung und weckt in ihm den Willen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nach einem Ausweg zu suchen. Er ist bereit, die Freiheit selbst um den Preis seines Lebens wiederzuerringen. Als besonders schmachvoll empfindet er es, ohne Gegenwehr und ohne dem Feind ernsthaft Schaden zufügen zu können, sterben zu müssen. Schon bei der Gefangennahme taucht dieser Gedanke bei ihm auf: „. . . denn wenn ich schon sterben muß, will ich im Stehen sterben." 140 Nachdem er den ersten Fluchtversuch unternommen hat, doch wieder eingefangen, mißhandelt und zurückgebracht wird, ist er froh darüber, sein Leben nicht bei einem erfolglosen Unternehmen verloren zu haben. Die gleiche Einstellung kommt bei der Konfrontation mit dem Lagerführer zum Ausdruck. Hier kommt noch das Bewußtsein seiner Überlegenheit über den Faschisten hinzu: „Die Feinde sollten nicht merken, wie schwer es mir fiel, aus dem Leben zu scheiden." 141 Auch der Bericht über die Gefangenschaft ist auf dem Wechsel von konkretisierenden Details und emotionalen Verallgemeinerungen aufgebaut. Sokolow erzählt z. B., daß sich in dem Steinbruch bei Dresden rund zweitausend sowjetische Kriegsgefangene befanden, die eine Norm von vier Kubikmetern pro Mann und Tag zu schaffen hatten, so daß nach zwei Monaten von einhundertzweiundvierzig Neuhinzugekommenen nur noch siebenundfünfzig am Leben blieben. Hier wirkt die sachliche und nüchterne Wiedergabe des Details. Daneben treten erneut Verallgemeinerungen, durch die die natürliche Begrenztheit der Ichform zwanglos durchbrochen wird: „ Schwer ist es, lieber Freund, daran zu denken und noch schwerer, davon zu 50

erzählen, was wir in der Gefangenschaft durchmachen mußten. E r innert man sich an die unmenschlichen Qualen, die wir dort, in Deutschland, erduldet haben, erinnert man sich an all die Kameraden, all die Genossen, die dort in den Lagern elendiglich umgekommen sind, so schnürt es einem die Kehle zu, und man erstickt schier daran . . . " 1 4 2 Auf dem Höhepunkt der Erzählung, in der Konfrontation Sokolows mit dem Lagerführer Müller, kommt Scholochows Gestaltungsprinzip besonders markant zum Ausdruck. Sokolow gibt nicht nur seinen Dialog mit dem Lagerführer wieder, sondern auch seine eigene „innere" Rede während des Gespräches. In diesem Fall verwendet der Autor die konkretisierenden Details zur Reproduktion des Dialogs und die verallgemeinernden Betrachtungen für die „innere" Rede seines Helden. Alles, was Sokolow äußert, erfordern die Regeln des „Spiels", das vor der Lagerführung in Szene gesetzt wird. Müllers Äußerungen sind phrasenhaft und Ausdruck seiner Borniertheit. Sokolow antwortet knapp und zurückhaltend, um den Gegner, dessen Beteuerungen er keinen Glauben schenkt, nicht unnötig zu reizen. Seine Gedanken aber führen uns aus dem äußeren Vorgang heraus und verdeutlichen, um welch entscheidende Fragen es hier geht. In der „inneren" Rede Sokolows findet die Grundidee der Erzählung Ausdruck, die Erkenntnis von der moralischen Überlegenheit des sozialistischen Menschen über die Träger der faschistischen Ideologie: „Ich wollte den verfluchten Hunden zeigen, daß ich, wenn ich auch vor Hunger verrecke, nicht die Absicht habe, ihre Almosen hinunterzuwürgen; daß ich mir die Würde und den Stolz eines Menschen, eines Russen, bewahrt habe; daß es ihnen trotz allen Bemühungen nicht gelungen ist, mich in ein Tier zu verwandeln." 1 4 3 In der letzten Phase des Krieges, als sich für ihn das Blatt bereits gewendet hat, treffen Sokolow die mächtigen Schicksalsschläge. Bei der Nachricht vom Tod Irinas und der beiden Mädchen krampft sich sein Herz zusammen. Beim Tod Anatolis stauen sich die Tränen in seinem Herzen. Doch Tragik, Gram und Leid müssen zurücktreten, als der kleine Wanja in sein Leben tritt. Sein Leben für Wanja ist mehr als schlechthin eine gute Tat bzw. „Sorge um das junge Leben" 1 4 4 . Erst recht wäre es falsch, sein Verhalten dem „ewigen" Wechsel von Leben, Tod und Leben gleichzusetzen, obwohl der Naturparallelismus in der Rahmenhandlung einen solchen Vergleich assoziiert. Sokolows Tat ist voll und ganz Ausdruck der Weltanschauung und Lebensauffassung eines Charakters, der sich unter der 4*

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Sowjetmacht, in der sozialistischen Wirklichkeit geformt hat. Auf die Entwicklungsbedingungen, die seine Persönlichkeit geprägt haben, weist Sokolow in der „Vorgeschichte" hin. Er betont, „wie jeder andere auch gelebt" zu haben. Doch das Gewöhnliche, Durchschnittliche erweist sich in der Darstellung Scholochows als repräsentativ für eine Generation, Nation, Gesellschaft. Die Gestalt ist als epochaler Charakter angelegt. Andrej Sokolow ist von der Oktoberrevolution und den revolutionären Umwälzungen in Rußland geformt worden. Er wurde im Jahr 1900 geboren, nahm in der Division Kikwidses am Bürgerkrieg teil, verdingte sich 1922 als Knecht bei Kulaken. Vater, Mutter und Geschwister verhungerten. Als Zimmermann, Fabrikschlosser und Kraftfahrer arbeitete Sokolow in Woronesh. Er verdiente gut, heiratete, baute für die Familie ein Haus. 1941 zog dieser Arbeiter zum zweitenmal für die Errungenschaften der Revolution in den Krieg. Sein Leben ist das eines „durchschnittlichen" sowjetischen Menschen seine Biographie ist mit dem Schicksal seines Volkes kongruent. Scholochow schuf mit dieser Gestalt eine Variante des russisch-sowjetischen Charakters in der dialektischen Verbindung nationaler russischer Traditionen und jener neuen Elemente, die seit 1917 in der multinationalen Wirklichkeit entstanden sind. 145 Zu ihnen gehört das von Sobolew hervorgehobene „staatsbewußte Herangehen an alle Lebenserscheinungen", das sozial und historisch motiviert ist und in jeder Phase der Lebensgeschichte Sokolows als Ausdruck einer gesellschaftlichen Norm gewertet werden muß. Die Historizität Andrej Sokolows resultiert nicht nur aus dem inneren Aufbau dieser Gestalt, sondern auch aus ihrer Wechselbeziehung zu der Gestalt des Erzählers. Über dessen Funktion im Werk existieren recht unterschiedliche Auffassungen. Juri Lukin spricht von dem „kommentierenden Ich", das die meisten Leser mit dem Schriftsteller identifizieren. 146 M. Soifer meint, der Autor verdeutliche durch die „emotional-lyrische Reaktion" 147 seine Position. Antonin Václavík betrachtet die Erzählung als „Interview des Autors mit dem Helden" 148 . Wir fassen den Erzähler als fiktive Gestalt auf, die durch ihre wertende Funktion zum ideellen Zentrum des Werkes wird. Diese Gestalt ist formal mit einigen auktorialen Vollmachten ausgestattet und mag sogar Züge des Autors aufweisen, bleibt jedoch eine Kunstfigur innerhalb der Erzählung. Aus der ästhetischen Spannung zwischen ihr und der Figur des Andrej Sokolow erhält die Erzählung den hohen Grad künstlerischer Verallgemeinerung, 52

der ihre langanhaltende Wirkung und weltweite Resonanz wesentlich mitbestimmt hat. Die wertende Funktion des Erzählers wird vornehmlich im Rahmen der Erzählung verwirklicht. Der Erzähler stellt den Helden vor und beschreibt die näheren Umstände, unter denen die Begegnung stattfindet. Seine „auktoriale" Sachkenntnis äußert sich in der Fülle der „Authentica" — nachprüfbarer Details aus Scholochows Donheimat. Die Begegnung findet am linken Ufer des Oberen D o n statt. Der Wind bläst „vom Asowschen Meer", von den „Chopjor-Steppen" dringt „der Duft der vom Schnee befreiten Erde". Der Erzähler fährt nach dem Kosakendorf Bukanowskaja und erreicht nach dreißig Kilometern das Flüßchen Jelenka, das gegenüber dem Chutor Mochowski über die Ufer getreten ist. Es ist Ende März, im ersten Nachkriegsfrühling. Während einer Wartezeit von zwei Stunden, in der der Fahrer einen Dritten nachholt, erfolgt die Begegnung und erzählt Andrej Sokolow seine Geschichte. Die durch den Erzähler dem Leser nahegebrachten Motivpaare Winter und Frühling, Tod und Leben, Krieg und Frieden lassen die Grundidee der Erzählung bereits hier im Ansatz hervortreten. Die Einführung und „Vorstellung" Andrej Sokolows durch den Erzähler weckt die Sympathien des Lesers für den Helden der Erzählung. Dazu trägt die Porträtierung Sokolows bei, doch die stärkste ästhetische Wirkung wird zweifellos durch die direkten Äußerungen des Erzählers hervorgerufen. Sein Satz „Es war mir peinlich, ihm sagen zu müssen, daß ich kein Kraftfahrer bin" bedeutet, daß es ihm angenehm ist, als Kraftfahrer, d. h. „Kumpel", „Bruder" angesehen zu werden. Andererseits ist er bemüht, die Spannung des Lesers auf das Ungewöhnliche an seinem Gesprächspartner zu richten. Seine rhetorischen Fragen, die Blagoi als „Apostrophierung des Lesers" 1 4 9 wertet, ebenso die mehrfachen Andeutungen Sokolows über die Schwere seines Schicksals lassen den Leser etwas Ungewöhnliches erwarten, das dann aber als die Geschichte eines „gewöhnlichen" Lebens erzählt wird. Auch in dieser Dialektik des Ungewöhnlichen und des Gewöhnlichen findet die Einheit des individuellen Schicksals von Andrej Sokolow und der Geschichte seines Volkes ihren Ausdruck. Zweimal nimmt der Erzähler innerhalb der Kernerzählung das Wort. Als Sokolow seinen Bericht über den Abschied von seiner Frau abbricht, stellt der Erzähler fest, daß sich die Erregung des „Fremden" auf ihn übertragen hat. Er sagt „leise": „Laß gut sein, 53

Freund, sprich nicht mehr davon!" 150 Später, als sich Sokolow an Irinas Vorahnung erinnert, schaltet sich der Erzähler erneut ein. Er hat erkannt, daß die Natur trotz der „ewigen Erneuerung alles Lebenden" gegenüber dem menschlichen Leid gleichgültig bleibt. Daß der Mensch gegenüber dem Mitmenschen nicht gleichgültig sein darf, wird dann zum Grundgedanken des Schlußteils der Erzählung, in dem sich der Rahmen wieder schließt. Dieser Schluß enthält kaum Handlungselemente. Um so größer ist die emotionale Spannung, die der Erzähler erzeugt, indem er sein Verhältnis zum Helden direkt zum Ausdruck bringt und in immer stärkerem Maße von der konkret-gegenständlichen Beschreibung zu verallgemeinernden Reflexionen übergeht. „Was erwartet sie in der Zukunft?" 151 Noch einmal stellt eine rhetorische Frage einen direkten Kontakt zwischen dem Erzähler und dem Leser her. Eine der wesentlichen künstlerischen Besonderheiten der Erzählung besteht somit darin, daß sie den Leser immer wieder in die Gedankenwelt des Erzählers einbezieht. Scholochows spezifische künstlerische Leistung bei der Schaffung eines epochalen Charakters im Genre der Erzählung wies verschiedene Aspekte auf. Einige von ihnen erwiesen sich als für die sowjetische Prosa der Folgezeit relevant, ohne daß hier von einem „Einfluß" Scholochows auf die anderen Autoren gesprochen werden kann. Zu diesen Aspekten gehörten die veränderte Relation zwischen Aktion und Reflexion, die stärkere Einbeziehung des Lesers, die Aufwertung des Details und das bewußte Streben nach menschheitlichen Verallgemeinerungen. Scholochow veränderte das Verhältnis von Aktion zu Reflexion in der Erzählung zugunsten der Reflexion durch den Wechsel zwischen den knappen Sachinformationen und den geistig-emotionalen Verallgemeinerungen, der für die Erzählweise seines Helden charakteristisch ist. Dadurch konnte er den Bericht über äußeres Geschehen zurückdrängen und die innere Bewegung des Charakters, die ideelle Bewältigung der Bewegungsabläufe in den Vordergrund stellen. Die Verallgemeinerungen im Bericht des Helden — dieses „Na, vom Krieg brauche ich dir nichts zu erzählen, du warst selber dabei.. ." — sind neben der Figur des primären Erzählers mit seiner auktorialen Funktion Scholochows wichtigstes künstlerisches Mittel, mit dessen Hilfé er den Leser nicht nur apostrophiert, sondern ihn gleichsam ins Gespräch zieht, zur Mithilfe bei der Konfliktlösung, zum Nachdenken über die aufgeworfenen Fragen auffordert. Die Aufwertung 54

des Details, das fast zur gleichen Zeit im französischen „nouveau roman" seine Funktion als Ideenträger nahezu völlig verliert, erfolgt bei Scholochow durch jene „Historisierung", die dazu führt, daß wirklich jede Einzelheit in der „Vorgeschichte" Sokolows sein Leben sozial und historisch motiviert und als Ausdruck nationaler (russischer) und multinationaler (sowjetischer) Normen bestätigt. Aber auch die „Poetisierung", z. B. der Gebrauch von Details wie der „großen", „schwieligen", „knorrigen" Hände des Helden oder seiner „wie mit Asche bestreuten" Augen in leitmotivischer Funktion, wertet das Detail auf und zeigt, welche großen Aussagemöglichkeiten es dem realistischen Künstler einräumt. Das bewußte Streben nach menschheitlichen Verallgemeinerungen, das Scholochows Erzählkunst auszeichnet, findet u. a. in der tiefen Symbolik des Titels Ein Menschenschicksal und in dem Hauptmotiv des Erzählrahmens seinen Ausdruck. Gerade dieses Motiv des Frühlings, mit dem der „natürlichen" Selbsterneuerung des Lebens die geistig-weltanschaulichen, ethisch-moralischen Anstrengungen gegenübergestellt werden, die nötig sind, um menschliches Leid und schier ausweglose Tragik zu überwinden, läßt den universalen Ansatz bei Scholochow deutlich erkennen. So tragen die wesentlichen künstlerischen Gestaltungsweisen und -mittel in Scholochows Erzählung dazu bei, daß der von der russischen Literatur so häufig gestaltete „kleine Mann" diesmal als Geschichte machendes Subjekt und „epochaler Charakter" vor dem Leser steht. Vermutlich liegt schon allein in diesem Tatbestand eine wichtige Ursache für die weltweite Ausstrahlungskraft, die dieses kleine Werk der sowjetischen Prosa bewiesen hat. Welche Bedeutung das tiefgreifende Erfassen des literarischen Charakters als „Grundkomponente realistischen Erzählens" 152 für die Literatur hat und insbesondere in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre für die Literaturen der Völker der UdSSR erlangt, die zu diesem Zeitpunkt in eine neue Etappe eintreten, vermag ein Blick auf die Entwicklung der Erzählung in nichtrussischen Literaturen zu verdeutlichen. Der Kirgise Tschingis Aitmatow gelangte mit Dsbamila (1958) schlagartig zu weltliterarischer Anerkennung. Keinem der während des Krieges und nach dem Kriege mit Prosawerken hervorgetretenen kirgisischen Schriftsteller war ein derartiger Erfolg beschieden. Selbst die besten Werke der Nachkriegsprosa, K. Bajalinows Erzählung Glück (1947) und T. Sydykbekows Roman Menseben unserer 55

Tage (1948), können einem Vergleich mit Aitmatows erstem Meisterwerk nicht standhalten.153 Aitmatow bezeichnet bekanntlich Muchtar Auesow als seinen Lehrer. Er gebraucht diese Bezeichnung nicht nur deswegen, weil Auesows Epopöe über Abai (Vor Tau und Tag und Über Jabr und Tag, 1942/46) ihn durch „die Weite, den Reichtum und die Tiefe seiner Gedanken" beeindruckt und „durch den gewaltigen Zusammenprall von persönlichen, gesellschaftlichen und Naturereignissen" 154 erschüttert hat. Aitmatow fühlt sich dem Kasachen vor allem deshalb verbunden, weil Auesow „das Allgemeingültige der geschichtlichen Prozesse", die Lebensweise, den Weg und das Schicksal des kasachischen Volkes, das dem des kirgisischen ähnelt, mit großer künstlerischer Kraft gestaltet, weil er sie in „Charakteren und Menschenschicksalen, in den Taten und Gedanken seiner Helden" 155 sichtbar gemacht hat. All das hat Aitmatow zu einer für sein eigenes Schaffen wichtigen Entdeckung geführt: „Die Literatur über das Leben unserer Völker kann also genauso . . . allen Menschen auf Erden nah sein, wie es die Werke der russischen Schriftsteller sind." 156 Wie weit Aitmatow innerhalb eines Jahrzehnts im Genre der Erzählung über seinen Lehrer hinausgegangen ist, erweist ein Vergleich der Konfliktlösungen in den Erzählungen Eine widerstandsfähige Rasse (1947) und Dsbam/a. Auesows Heldin Assija hatte nur ein Jahr lang mit Sailybek zusammenleben können, dann trennte der Krieg das junge Paar. Schon im ersten Kriegsjahr kam die Nachricht, daß Sailybek vor Wjasma gefallen ist. Seine Eltern wollten nicht daran glauben und klammerten sich an die Hoffnung, den Sohn doch noch einmal wiederzusehen. Assija, die bei den Schwiegereltern wohnen blieb, respektierte diese Haltung drei Jahre lang. Dann gab sie dem Drängen Moltais nach, der lange um sie geworben hatte. Als sie von ihm ein Kind erwartet, wird Moltai Soldat. Assija wagt es nicht, sich Sailybeks Eltern anzuvertrauen. Nachdem diese es durch ihre Tochter Kanipa, die mit Assija befreundet ist, erfahren haben, reagieren sie so, wie es die Tradition sie gelehrt hat. Jessirgep, der Vater, möchte „lieber sterben, als in Schande leben". Baishan, die Mutter, will „vor Scham bis an das Ende der Welt laufen". Assija leidet vor allem darunter, daß sie durch ihr Verhalten Sailybeks Eltern kränkt und ihre Illusion von der Rückkehr des Sohnes zerstört. Auesow führt den Konflikt Assijas zu einer Lösung, die nicht durch die Logik der Charaktere motiviert ist. Im Vergleich zu der Lösung, 56

die Aitmatow später bei dem ähnlichen Konflikt in Dsbamila findet, erweist sie sich als Ausdruck einer zu engen nationalen Denkweise. Auch Auesow sieht den produktiven Ansatz zur Lösung des Konflikts in der sozialen Determiniertheit der Gestalten. Jessirgep und Assija sind Menschen, die von der sozialistischen Wirklichkeit geformt worden sind. Der Vater ist beispielsweise ein erfahrener Viehzüchter mit hohem Verantwortungsbewußtsein. Es ist kein Zufall, daß man gerade ihm die wertvollste Herde anvertraut. Assija ist nicht nur vorbildlich in ihrer Arbeit. Im Winter verteidigt sie die Schafe unter Einsatz ihres Lebens gegen die Wölfe. Ihr persönlicher Einsatz nötigt selbst dem beleidigten Jessirgep Hochachtung ab. Doch für die Lösung des ethisch-moralischen Grundkonflikts bedarf er eines Vermittlers. Iwan Dmitrijewitsch Bobrow, ein russischer Wissenschaftler, besänftigt Jessirgep endgültig, indem er ihm im gleichen Atemzug von der bevorstehenden Einnahme Berlins und von der Geburt des „Enkels" erzählt. Doch bis zum Schluß warten die Frauen „erregt und mit unverhohlener Furcht" auf die Rückkehr Jessirgeps von der Herde. Er kommt schließlich wie ein „deus ex machina" und verkündet den in seiner Seele herangereiften Entschluß, mit dem die Erzählung ihre Lösung findet: „. . . wollen wir ihm den Namen Shenisbek geben — Sohn des Sieges!" 157 Ohne Auesows Darstellungskunst damit abwerten zu wollen, bleibt festzustellen, daß die „nationale" Lösung der Spannung durch das „Familienoberhaupt" angesichts der Größe und Vielschichtigkeit dieses Konflikts nicht völlig überzeugen kann. Gerade in der über das Nationale hinausreichenden Verallgemeinerung, die der Leser aus den Charakteren gewinnen kann, besteht der große Fortschritt, den Aitmatow in der elf Jahre später entstandenen Erzählung Dsbamila erzielt hat. In einem Interview sagte der kirgisische Erzähler: „Ich betrachte die Erzählung — die kurze Form — als die geeignetste literarische Gattung für mich. An ihr reizt mich gerade die Konzentration auf eine literarische Figur und die Möglichkeit, in lakonischer Form den gegebenen Charakter tief auszuloten . . ." 158 Dieses „tiefe Ausloten" des Charakters erscheint uns als einer der wesentlichen Züge Scholochowscher und Aitmatowscher Erzählkunst. Aitmatow mißt auch der Fabel und der Konfliktgestaltung große Bedeutung zu. Die „innere Geschlossenheit der Fabel" und eine straffe Komposition, die der Erzählung Proportionalität und Harmonie verleiht und zu einer disziplinierten künstlerischen Gestaltung zwingt, fördert die Klar57

heit und Logik der Aussage. Mit der Wahl des Konflikts und seiner Lösung im Werk übernimmt der Autor „eine große Verantwortung", vor allem, wenn er wie Aitmato w eine wichtige gesellschaftliche Funktion der Literatur darin sieht, Analogien „zum Leben und zu den Taten der Zeitgenossen"159 zu schaffen. In Dsbamila hat Aitmatow diese theoretischen Vorstellungen mit großer Konsequenz zu verwirklichen gesucht. Damit hat er sich jedoch nicht ein für allemal auf einen bestimmten Typ der Erzählung festgelegt. In dieser Frage lautet sein Grundsatz: „Ein Schriftsteller, der seinen eigenen schöpferischen 'Schlüssel' entdeckt hat, sollte danach trachten, jedesmal neue künstlerische Mittel und erzähltechnische Formen zu finden und somit auch sein eigenes literarisches Schaffen zu bereichern. Das findet sich aber nicht so leicht. Und meistens bilden sich diese neuen Formen im Prozeß der Arbeit an einem neuen Werk heraus."160 Zuweilen begnügt man sich damit, Dshamila unter Berufung auf das enthusiastische Urteil Louis Aragons161 als eine der schönsten „Liebesgeschichten" der Weltliteratur zu charakterisieren. Dem poetischen Anliegen Aitmatows wird man damit jedoch nur in einem beschränkten Maße gerecht. Sicher fühlt sich der Leser von der Liebe zwischen Dshamila und Danijar besonders stark berührt. Dem Autor geht es jedoch um weit mehr. Vor allem will er uns den neuen Menschen zeigen, der tief in den nationalen Traditionen wurzelt, aber ebenso stark durch die allen Sowjetvölkern gemeinsame sozialistische Wirklichkeit geprägt worden ist. Auf dem Hintergrund der angespannten Kriegssituation und im Lichte der kompromißlosen moralisch-ethischen Fragestellung des Autors treten die neuen Wesenszüge des sowjetischen Menschen in der Erzählung besonders markant hervor. Das Hauptproblem der Erzählung besteht nicht darin, daß Dshamila ihrem Mann Sadyk untreu wird. Insofern wäre es müßig, bei Sadyk oder seiner Mutter Ursachen für den folgenschweren Schritt der jungen Frau suchen zu wollen. Die Größe Dshamilas und Danijars besteht gerade darin, daß sie mit dieser komplizierten Situation fertig"werden und eine Lösung finden, durch die ihre menschliche Würde gewahrt bleibt und ein Beispiel für die Aufhebung von Grenzen für die Entfaltung der Persönlichkeit im Sozialismus gegeben wird. Danijar, der nicht nur an seiner Verwundung, sondern noch mehr an den überkommenen und anerzogenen Vorurteilen leidet, wird durch die Liebe Dshamilas kraftvoller und entschlossener. Dshamila erringt erst durch den Weggang von der Familie Sadyks 58

und aus dem D o r f jene persönliche Freiheit, die für die Entfaltung der Persönlichkeit vonnöten ist und die allein der Sozialismus, die von Standes- und nationalen Vorurteilen freie Gesellschaft, dem Menschen zu geben vermag. Auch die Gestalt des Erzählers Seit muß unter diesem Aspekt gesehen werden. Seit, der die Begegnung Dshamilas und Danijars als Fünfzehnjähriger erlebt und die Wandlung und das charakterliche Reifen der beiden ihm nahestehenden Menschen in seinen Bildern festzuhalten sucht, fungiert in der Erzählung nicht bloß als besonders glaubwürdiger Berichterstatter. Sein eigenes Lebensschicksal „spiegelt" im gewissen Sinne das Schicksal Dshamilas und Danijars. Denn auch seine Persönlichkeit entfaltet sich erst, als er die Grenzen des nur nationalen Denkens mutig überwindet. Eine der größten Schwierigkeiten Aitmatows bestand zweifellos darin, Dshamilas Ausbruch aus der patriarchalischen Enge als eine allgemeinmenschliche Problematik darzustellen, d. h. die Dialektik von Nationalem, Internationalem und Allgemeinmenschlichem zu gestalten. Eine Konfliktlösung wie bei der Heldin Auesows hätte im höchsten Fall eine gewisse Wandlung national bedingter Anschauungen und Verhaltensweisen unter dem Einfluß der sozialistischen Wirklichkeit erkennen lassen, nicht aber die grundsätzliche Durchsetzung des Rechtes auf ein menschlich erfülltes sinnvolles Leben in der sowjetischen Gesellschaft. Im Ail leben noch Menschen, die Dshamilas Weggang verurteilen und nicht begreifen können, weshalb sie „aus so einer Familie", „von einer solchen Baibitsche", vom „ersten Dshigiten im Ail" davonlaufen und ihr Schicksal an Danijar binden kann, dessen „einziges Gut der schäbige Soldatenmantel und ein Paar zerlöcherte Stiefel" darstellt. Sie begreifen also nicht, „daß sich das Leben zuweilen so schroff über die alten Grundsätze hinwegsetzt". Nur Seit und mit ihm der Leser weiß, daß Dshamila „ein schweres Glück" gefunden hat und nicht nur das „reine Gefühl", sondern auch „die Wahrheit des Lebens" auf ihrer Seite steht. Das ist die Wahrheit der objektiven gesellschaftlichen Entwicklung in der Sowjetunion, durch die sich über jede nationale Spezifik hinaus international gültige Perspektiven der Entwicklung zu einer allgemeinen höheren Menschlichkeit eröffnen. Ein Kunstwerk weckt nur in dem Fall gesellschaftliche geistige Bedürfnisse und erlangt allgemeine Bedeutung, „wenn es den Interessen der Gesellschaft entspricht, wenn es Probleme berührt, die die

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Gesellschaft bewegen, wenn es die sittlichen, ästhetischen, moralischen Ideale durchsetzen hilft, deren Durchsetzung auch die Gesellschaft anstrebt" 162 . Zu dieser Position bekannte sich Aitmatow 1969 in einer Rede. Er ging in ihr auch auf das Verhältnis des Nationalen und Internationalen ein. Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es erhebliche Disproportionen in den kulturellen und sozialen Erfahrungen der Völker der UdSSR, die seit der Oktoberrevolution gemeinsam vor einer neuartigen historischen Aufgabe standen. Im Prozeß der Lösung dieser Aufgabe ist eine gemeinsame multinationale Sowjetkultur entstanden. Gegenwärtig besteht nach Aitmatows Auffassung eine wesentliche Aufgabe aller sowjetischen Schriftsteller darin, den nationalistischen Ideen, die der ideologische Gegner verbreitet, auf der Grundlage der Leninschen Prinzipien der Parteilichkeit und Volksverbundenheit eine klare Konzeption des Nationalen entgegenzustellen. Das setzt voraus, sich von der Vorstellung freizumachen, das Nationale sei im wesentlichen das Überlieferte und Patriarchalische und müsse als „Provinzialismus, Simplifizierung, exotische Schablone und pseudovolkstümliche Stilisierung" zurückgewiesen werden. Internationales entwickelt sich auch in dem neuen Nationalen, das in der sozialistischen Wirklichkeit der Sowjetrepubliken entstanden ist. Für die multinationale Sowjetliteratur ist dieser sozialistische Inhalt des Nationalen von entscheidender Bedeutung: „Die Erfahrung der sowjetischen künstlerischen Kultur bezeugt eindeutig, daß die besten nationalen Kunstwerke in der Regel große allgemeinmenschliche Ideale in sich bergen, Probleme, die von den ideologischen Positionen des Sowjetmenschen aus durchdacht sind, von unserem Standpunkt zum sozialen Kampf, zur Geschichte und Gegenwart, zur Persönlichkeit und Gesellschaft. Die nationale Eigenart tritt somit im Kunstwerk in untrennbarem Zusammenhang mit internationalen Motiven und Gesellschaftskonzeptionen der entsprechenden Zeit auf . . ." 163 Die Hervorhebung der sozial determinierten neuen Qualität gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen im Nationalen erfolgte in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in allen sowjetischen Literaturen. Wir nennen als Beispiel Erzählungen des Usbeken Rachmat Faisi (Der Blutstropfen auf der Baumwollkapsel, 1956), des Belorussen Janka Bryl (Die Mutter, 1957), der Russen Grigori Baklanow (Ein Fußbreit Erde, 1959) und Wera Panowa (Wal ja, 1959). Diese Autoren arbeiteten an Stoffen aus dem Großen Vaterländischen Krieg den „Wesenskern" 164 des sowjetischen Menschen be60

sonders markant heraus. In ihrem neuartigen Gesellschafts- und Menschenbild unterscheiden sich solche Werke jedoch nicht prinzipiell von dem parallel entstehender historischer oder Gegenwartserzählungen, wie sie der Moldauer Ion Dru^ä (Der Schlitten, 1956), der Tschuktsche Juri Rytcheu {Segel, 1960) oder Alexander Twardowski mit Ofensetzer (1953/58) geschaffen haben. Der Lyriker Alexander Twardowski hat einige Erzählungen von hohem Rang 165 geschrieben und sich wiederholt über die Spezifik dieses Genres geäußert. Von ihm stammt die treffende Charakteristik der „typisch russischen Erzählung oder kleinen Powest", die in seinem Vorwort zur Bunin-Ausgabe von 1965 enthalten ist. Zu den herausragenden Merkmalen dieser Erzählung gehören nach Twardowski die „freie, ungewöhnlich aufnahmefähige Komposition", die ohne eine allzu straffe Handlung auskommt, das unvermittelte Anknüpfen des Erzählers an Erscheinungen oder Charaktere, denen er scheinbar zufällig irgendwo begegnet ist, der offene Schluß, der den Leser veranlaßt, die Erkundung weiterzuführen und die aufgeworfenen Gedanken zu Ende zu denken. Gewöhnlich lenke der Erzähler, sagt Twardowski, die Aufmerksamkeit des Lesers auf völlig „alltägliche" Dinge, „an denen wir schon oft vorbeigegangen sind, ohne stehenzubleiben und uns über sie zu wundern" 166 . Eine derart „typisch russische Erzählung" ist Twardowski mit Ofensetzer gelungen. Die Erzählung entwickelt sich auf zwei Ebenen, die vielfältig miteinander verbunden sind — der Handlungsebene, auf der uns der Autor nicht ohne Ironie mit den Charakteren „einfacher, durchschnittlicher Menschen" bekanntmacht, und der Reflexionsebene, auf der er bewußt das Gespräch mit dem Leser sucht. Plastisch und scharf modelliert Twardowski die Charaktere — den Erzähler, einen Dorflehrer, den Major, der „alles kann", und den alten Ofensetzer Jegor Jakowlewitsch, der nicht nur ein Meister „mit Sinn für das Poetische seines Faches", sondern ein wahrer „Künstler" im Sinne der Gorkischen Auffassung von der Arbeit im Sozialismus ist. Sachkundig, prägnant und treffend wird das Milieu beschrieben, z. B. der Ofen, der „in der bäuerlichen Welt" zum Kochen, Backen, Trocknen, Baden und Waschen, als Ruhestätte und Krankenlager diente und selbst heute noch, „im Alltagsleben", von elementarer Bedeutung sein kann. Von besonderem Interesse aber sind die zahlreichen Gespräche, die von den Helden der Erzählung über Talent und Meisterschaft, Lenkung und Leitung des Arbeitsprozesses, Literatur und Gesellschaft, Lebensweise 61

und Kultur geführt werden. Sie werden von den Gestalten in Gang gesetzt und — ganz im Sinne der künstlerischen Konzeption Twardowskis — zwischen Autor und Leser fortgesetzt. Es sind vor allem diese Gespräche, die der Erzählung gesellschaftliche Brisanz verleihen. Die heftig aufeinanderprallenden Meinungen, z. B. Jegors Ansicht, der Mensch müsse ein Talent besitzen und auf diesem Gebiet Vollendetes leisten, und der Gedanke des Majors, der Mensch müsse „so vielseitig wie ein Leonardo da Vinci" sein, konfrontieren den Leser mit grundsätzlichen Fragen der Persönlichkeitstheorie. Wie ist das Verhältnis von Talent und Vielseitigkeit? Was kennzeichnet die allseitig gebildete und ausgebildetete Persönlichkeit im Sozialismus? Twardowski macht dem Leser das Antwortfinden nicht leicht. Zuweilen scheint keiner der Streitenden recht zu haben. Der Leser spürt jedoch, daß diese Fragen beantwortet werden müssen, soll die durch die Klassengesellschaft bewirkte Verkrüppelung des Menschen beseitigt werden. Ist der Major, der Öfen setzt, Bücher einbindet, Kleidungsstücke anfertigt und Gedichte schreibt, dem „neuen Menschen" näher als der talentierte Jegor Jakowlewitsch mit seinem Sinn für das Poetische der Arbeit? Was geschieht aber, wenn der eine „alles nicht nur ohne besondere Ausbildung, sondern auch ohne inneren Trieb dazu" verrichtet? Was ist dann zu tun, wenn der andere aus dem bloßen Tatbestand der Meisterung seines Faches einen absoluten Anspruch auf Lenkung und Leitung ableitet? Das sind keineswegs periphere Probleme, sondern Fragen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Gerade in der komplexen Sicht solcher Probleme kommt die synthetische Fähigkeit dieser „typisch russischen Erzählung" in der Erfassung von Gesellschaft und Charakter, Sozialem und Persönlichem besonders markant zum Ausdruck. Die poetische Idee der Erzählung Ofensetzer, deren Handlung in irgendeinem abgelegenen Dorf der Nachkriegszeit spielt und betont „alltäglich" angelegt ist, gipfelt in dem Gedanken, daß Arbeit, Schöpferkraft und Meisterschaft zum Wohle und Nutzen der Gesellschaft eingesetzt werden müssen, um dem humanistischen Anliegen des Sozialismus gerecht zu werden. Das ist hier die wichtigste „Entdeckung", die der Leser mit großem Genuß nachvollzieht. Die Gestalt des Erzählers ist Twardowski besonders gut gelungen. Der Dorfschullehrer bleibt für den Leser zwar namenlos, tritt ihm jedoch als aktivster „Gesprächspartner" entgegen. Er ist ein gereifter Charakter, den der Krieg entscheidend mitgeformt hat, so daß 62

er mit manchem Mißgeschick eben „auf Frontsoldatenart" fertig wird. Dem Erzähler geht es um weit mehr als um das Anekdotische in den Ofensetzergeschichten und beileibe nicht um „diese lächerliche Geschichte" mit seinem Ofen. Das Anliegen des Erzählers hängt mit dem Grundzug seines Charakters zusammen, seiner Empfindsamkeit, die nichts mit Sentimentalität zu tun hat. Die geringste Kränkung des Menschen, seiner Würde, weckt den Widerstand des Erzählers. Er ist gekränkt, als ihn Jegor Jakowlewitsch hochmütig und herablassend abweist. Er wendet sich gegen gefühlloses, formales und bürokratisches Verhalten jeder Art. Er selbst ist bemüht, den anderen zu achten, auch wenn er seine Ansichten nicht teilen kann. Er sucht immer, von der Oberfläche der Erscheinungen zu ihrem Kern und Wesen vorzudringen, um sich nach gründlicher Prüfung aller Zusammenhänge ein sicheres Urteil bilden zu können. Ein wichtiger Faktor dabei sind seine nüchterne Selbsteinschätzung und die Selbstironie: „Da bauen wir nun einzigartige Hochöfen, für die man gewiß nicht wenige Ziegelsorten braucht, errichten Bauwerke, die unsere Existenz, unsere Arbeit hier auf Erden verewigen und den Nachfahren ein Bild von der Größe unserer Taten und Bestrebungen vermitteln sollen, doch einen Ofen setzen, einen gewöhnlichen Ofen, wie man ihn wahrscheinlich schon zu Zeiten der Kiewer Rus gekannt h a t . . . ist eine unlösbare Aufgabe! Im Gehen entwickelte ich eine unwiderlegbare Argumentation im Hinblick auf die Unhaltbarkeit und Anomalität einer solchen Lage. In Gedanken formte ich bereits die Sätze, lyrisch-pathetische, bissig-ironische, die von Überzeugungskraft und Wahrheitsgehalt durchdrungen und so klar waren wie der Tag selbst. Nun führte ich schon kein Selbstgespräch mehr, sondern konzipierte eine Rede, die ich auf irgendeiner Tribüne oder im Gespräch mit irgendeinem großen, führenden Mann vortragen wollte. Vielleicht waren das auch schon die Zeilen und Abschnitte eines Artikels, der in der Presse die Frage über die nötige Aufmerksamkeit gegenüber den Nöten der dörflichen Intelligenz mit aller Leidenschaft und Deutlichkeit aufwerfen würde. Doch selbst das schien mir noch zu wenig. Ich berührte die zur Zeit bestehenden Formen und Methoden des Unterrichts . . . Allmählich und unmerklich hatte ich meinen Ofen völlig vergessen."167 Gerade durch die Gestaltung lebenspraller realistischer Charaktere erreichte Alexander Twardowski in der Erzählung Ofensetzer erneut jene Höhe weitreichender künsderischer Verallgemeinerung 63

scheinbar alltäglicher Vorgänge, die eine wesentliche Grundlage für die Wirkung des unvergänglichen Wassili Tjorkin während des Krieges bildete. A. Makarow, der die Feststellung traf, jedes Detail der Erzählung Ofensetzer diene der exakten Wiedergabe von Erscheinungen des Lebens und weise gleichzeitig eine verallgemeinernde, z.' T. allegorische und gleichnishafte Bildfunktion auf, wertete Twardowskis Arbeit als ein für den literarischen Prozeß der fünfziger Jahre überaus repräsentatives Werk. „Sollte ein Beispiel für die enge Verbundenheit der sowjetischen Literatur mit dem Leben vonnöten sein", sagte er in direktem Bezug auf die Hauptfrage der Literaturdiskussion am Ende der fünfziger Jahre, — „hier ist es." 168

Ereignisse der Epoche im Herfen der Menseben Wera Panowas Leningrader Erzählungen, vor allem Walja (1959), sind von dem Gedanken durchdrungen, daß der reale Humanismus der sowjetischen Gesellschaft stärker ist als die zerstörerischen und menschenfeindlichen Kräfte in der Welt. Von dieser Position aus gestaltet die Schriftstellerin eine der großen Tragödien des zweiten Weltkrieges, das Schicksal der Kinder im Krieg. In einer Selbstdarstellung hat sie darüber berichtet, daß der Anstoß zum Schreiben bei ihr oft von einem besonders starken Eindruck ausgeht, der lange Zeit im Gedächtnis bewahrt und häufig sogar von anderen Eindrükken, Gedanken und Erlebnissen überlagert wird. Ähnlich wie in chemischen Prozessen entsteht auf diese Weise allmählich etwas Neues, z. T. gänzlich Unerwartetes, Überraschendes. So war es jedenfalls, als sie 1959 diese beiden Erzählungen schrieb. Den entscheidenden Eindruck gewann sie bereits im Jahr 1941: „Im August dieses Schicksalsjahres sah ich am Moskauer Bahnhof in Leningrad eine Menge Frauen und Kinder, die auf die Evakuierung warteten: entsetzliche Hitze, Staub, die Kinder spielen, schlafen und essen auf der Straße . . . Das Bild dieser Menge, die sich über die weite Flucht der hitzeüberfluteten Ligowka ergoß, prägte sich mir ein. Und aus alledem, was ich später in der Evakuierung und nach der Rückkehr nach Leningrad sah, erwuchsen Sujets, Charaktere und Details. Achtzehn Jahre danach formten sich die Erzählungen." 169 Die Erzählung Walja besteht aus zwei Teilen, der Abreise und der 'Rückkehr. Der erste Teil berichtet von der Evakuierung der Leningrader. Walja ist etwa dreizehn Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter 64

und der kleineren Schwester Ljuska die vom Feind bedrohte Stadt verläßt, nachdem ihr Vater eingezogen worden ist. Die Rückkehr der beiden Kinder erfolgt, als der Krieg noch nicht zu Ende ist. Walja ist zu diesem Zeitpunkt etwa sechzehn Jahre alt. Ihr Vater ist gefallen, die Mutter bei Mga ums Leben gekommen. Die Kinder begeben sich in die Obhut von Tante Dussja, die in der gleichen Fabrik gearbeitet hat wie ihre Mutter und Leningrad auch in den Monaten der Blockade nicht verließ. Was zwischen Abreise und Rückkehr im einzelnen geschehen ist, wird von Wera Panowa weitgehend ausgespart. Dennoch vermag sie die Formierung des Charakters von Walja und seine sozialhistorische Determiniertheit überzeugend herauszuarbeiten. In den Aussparungen liegt ein wesentliches künstlerisches Spezifikum der Erzählung, das von der Literaturkritik nicht immer richtig erfaßt worden ist. J . Kalmanowskis Vorwurf, die Autorin sei nicht konsequent „objektiv", nehme am Schicksal ihrer Heldin unverhohlen Anteil, zerreiße „die natürliche Abfolge der Ereignisse", wechsle „unmotiviert" T o n und Lautstärke, hebe Waljas Erfahrungen in der Regel auf eine „höhere Stufe der Verallgemeinerung" und sei zuweilen in der Erzählung persönlich „direkt anwesend" 1 7 0 , geht z. B. am Wesen dieser künstlerischen Spezifik völlig vorbei. Nach der Meinung von S. Boguslawskaja herrscht in der Erzählung „Waljas Intonation" vor, d. h. Waljas Wahrnehmungen, Reaktionen usw. werden als die Hauptquelle betrachtet, aus der der Leser seine Informationen über die Vorgänge erhält. Direkt trete „Waljas Intonation" in Situationen höchster geistig-emotionaler Spannung hervor, so daß dann die Autorenerzählung voll und ganz mit der Stimme der Heldin verschmilzt. 171 L. Skorino spricht in diesem Zusammenhang von der besonders „aktiven Autorenposition" 1 7 2 in der Erzählung. L. Plotkin bestimmt die Eigenart der Erzählung am präzisesten. E r weist daraufhin, daß Walja selbst die Geschichte teils direkt, teil indirekt erzählt, die Wirklichkeit also „mit ihren Augen gesehen", durch sie gewertet wird. Das ergibt ein „ständiges Nebeneinander von zwei Stimmen", der der dreizehnjährigen und der der reiferen sechzehnjährigen Walja. 1 7 3 Plotkin erkennt neben den „zwei Stimmen" Waljas auch noch die „Stimme der Autorin", und gerade darin liegt die Spezifik des Erzählens bei Wera Panowa. Die Verschmelzung der Stimme der Autorin mit der ihrer Heldin zu einem „uneigentlichen Erzählen" ist hier die durchgehende Darbietungsform. Die weitgehende Verwendung der Figurenperspektive — nicht 5

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nur in den in der Ich-Form wiedergegebenen Abschnitten, sondern auch in den vom Autor erzählten — bestimmt die künstlerische Eigenart der Erzählung. Die auffällige Abgabe auktorialer Funktionen an die Heldin wird dadurch „wettgemacht", daß die Autorin ihre Verallgemeinerungen und Wertungen indirekt ins Spiel bringt. Die ersten Kapitel werden in der Er-Form dargeboten. Die Erzählperspektive ist eindeutig die der dreizehnjährigen Walja. Das Haus, in dem Walja in Leningrad wohnt, ist „neu". Das bedeutet für sie: „Es war im selben Jahr gebaut, in dem Ljuska zur Welt kam." 1 7 4 Seine Fenster sehen „wie ein Blechkuchen" aus, „der in viele gleichgroße Rechtecke zerschnitten ist". Mit seinen Baikonen erinnert es an „eine Kommode mit herausgezogenen Kästen". Auch eine „stille Straße" kann nur Walja so sehen: „. . . niemand störte sie, wenn sie über den mit Kreidekästchen bemalten Asphalt auf einem Bein hüpften." 175 Den Gegensatz von Krieg und Frieden kann nur Walja als Kontrast von Farben und Lauten empfinden. Vor dem Krieg leuchteten die Fenster auf dem Hof abends „orange, weiß und grün". Seit verdunkelt wird, „leuchten sie nicht mehr". Früher tönten auf dem Hof aus den Grammophonen „Foxtrotte und Lieder", jetzt „beherrscht ein schwarzer Lautsprecher den Hof". Die Autorin schaltet sich nur dann ein, wenn es die Übergänge zwischen einem Bild Waljas zu einem neuen vorzubereiten bzw. zu motivieren gilt. So berichtet sie z. B., daß Walja mit ihrer Mutter und Schwester das Haus verlassen und sich nach dem Witebsker Bahnhof begeben hat, von wo aus die Evakuierung erfolgen soll. Sofort aber ist es wieder Walja, mit deren Augen gleichsam das nächste Bild — „Leningrad in den ersten Tagen des Krieges" — gesehen wird. Den „roten Straßenbahnen" fehlen „die üblichen Hinweisschilder". Ein „Onkel" erteilt Auskünfte. Am Himmel hängt „eine silberne Wurst". „Irgendein Denkmal" ist mit Sandsäcken abgedeckt worden. Die „Zivilisten mit Gasmasken", die Schlange am Getränkewagen, das Mädchen mit dem Hündchen und einem Kohlkopf im Netz, der „wie ein Ball" aussieht — all das ist tatsächlich „mit den Augen Waljas" gesehen. Auch in den folgenden Abschnitten der Erzählung beschränkt sich die Autorin darauf, die wechselnden Stationen und Ereignisse anzukündigen („Walja kannte den Witebsker Bahnhof . . .", „Sie kamen durchaus nicht zu spät . . .", „Eine Eisverkäuferin tauchte auf . . ." usw.), während Walja dann auf ihre besondere Weise den 66

Leser über sie ins Bild setzt. So reiht sich in dieser Erzählung Großes an Kleines, Erhabenes an Alltägliches, Tragisches an Komisches. „Im vorigen Sommer" ist Walja vom Witebsker Bahnhof ins Ferienlager gefahren, vor kurzem hat sie dort vom Vater Abschied genommen und die „bekannten Worte über die Faschisten, die Aggressoren" gehört. Sie erinnert sich daran, wie herzlich die Familien voneinander Abschied nahmen und die Menschen patriotische Lieder sangen, als die ersten Eingezogenen an die Front fuhren. Und im gleichen Atemzug erzählt sie von „Eis am Stiel", scheinbaren Banalitäten für die Begriffsvorstellung desjenigen Lesers, der den „Schlüssel" zu dieser Erzählung nicht findet. Solche Details sind, wie Plotkin sagt, von einer „vorsätzlichen Primitivität" 176 , auf ihnen beruht zum großen Teil die starke emotionale Wirkung dieser Geschichte aus der Sicht des Kindes. Vereinzelt nimmt die Autorin ihre traditionellen Funktionen als Erzähler wahr. Dazu gehören Vorwegnahmen und die Einschaltung lyrisch verallgemeinernder Reflexionen: „Sie mußte daran denken, wie sie diesen Lampenschirm gekauft und sich gefreut hatte, weil er so lustig rötlichgelb wie eine Apfelsine war . . . Statt dessen war solch ein Unglück über die Menschen hereingebrochen." 177 Doch sind selbst solche Stellen nicht eindeutig aus auktorialer Sicht erzählt. Wenn das auch auf den letzten verallgemeinernden Satz zutrifft, weist der Vergleich mit der gelbroten Apfelsine eine stilistische Färbung auf, die sonst für Waljas Perspektive charakteristisch ist. Auch das folgende Beispiel zeigt, daß die auktoriale Sicht in der Erzählung nie ganz frei von solchen Elementen ist, die „mit den Augen Waljas" gesehen werden: „Ein Mädchen sticht unter all diesen hervor. Immer gibt es so eine. Noch schweigt sie. Noch betrachtet sie dich von fern — wie bist du, werden wir uns verstehen, wird es zu zweit lustig sein? Und du weißt schon: Das wird deine beste Freundin!" 1 7 8 Auch die direkten Monologe Waljas weisen dialogische Elemente auf, die das Streben der Schriftstellerin nach komplexer Erfassung des Charakters erkennen lassen. Der dem folgenden Monolog Waljas vorausgehende Abschnitt enthält eine Charakteristik der Mutter aus der Sicht der Autorin. Er endet mit den Worten: „Walja verstand das alles noch gar nicht." Darauf folgt Waljas Monolog: „Nichts habe ich damals begriffen. Und ich habe dich nicht so geliebt, wie du es verdientest . . . Erst später verstand ich das — als ich größer war. Und klüger. Ich hätte alles für dich getan, Mama!" 1 7 9 Das ist auch eine Art „Vorwegnahme". Hier spricht nicht die Drei5*

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zehnjährige, sondern die durch den Krieg gereifte Walja. Doch deren „Stimme" ist wiederum nicht ganz frei von auktorialen Untertönen. Je reifer Walja wird und je tiefer sie ihre Gefühle und Gedanken zu verallgemeinern vermag, um so mehr tritt die Autorin zurück. Dafür nimmt die Zahl der Monologe Waljas zu. In ihnen ist von den Zerstörungen des Krieges, den Tränen der Menschen, der Erhabenheit der Musik und der Hoffnung auf Erfüllung im Leben und in der Liebe die Rede. Charakteristisch bleibt, daß die Verallgemeinerung häufig aus einer scheinbar alltäglichen konkreten Beobachtung erwächst, die im Leser tiefe emotionale Erschütterungen auslöst: „Wie viele Schornsteine haben die Menschen doch überall gebaut! Eine Unmenge von Schornsteinen starrt aus dem Schnee. Zu jedem hat einmal ein Ofen gehört, man hat Essen darauf gekocht, die Menschen haben sich daran gewärmt. Jetzt ragen diese einsamen Schornsteine kahl und fremd empor. Alles ringsum ist zusammengefallen, liegt unterm Schnee begraben — Öfen und Wände; die Schornsteine aber starren heraus." 180 Die „Tiefenschärfe" der Wirklichkeitserfassung wechselt in dieser Erzählung von Wera Panowa unaufhörlich. Dadurch kann der Eindruck entstehen, der „Strom der Ereignisse" sei völlig „unorganisiert" 181 . Der organisierende Faktor der Erzählung, in der die Erzählperspektive extrem fluktuiert, liegt in der einheitlichen weltanschaulich-ethischen Position, aus der Autorin und Heldin die Wertung aller Personen und Ereignisse vornehmen. Wort und Tat der „einfachen", heroischen Menschen, die von der Leningrader Textilarbeiterin Tante Dussja repräsentiert werden, sind für beide das entscheidende Wertungskriterium. Von Tante Dussja geht eine „Atmosphäre menschlicher Solidarität" 182 aus, die in Walja das Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zum Volke weckt. In dieser Frau verkörpert sich die Idee des aktiven sozialistischen Humanismus, mit der die poetische Idee der Erzählung verknüpft ist. Die Orientierung auf einen repräsentativen Charakter und die Entwicklung einer aktiven humanistischen Konzeption an einem tragischen Stoff, die „Historisierung" und „Poetisierung" des Details u. a. m. weisen der Erzählung Walja einen Platz neben den Werken Scholochows, Aitmatows, Twardowskis und anderer Autoren im literarischen Prozeß der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu. Von der Genreform her weist Panowas Erzählung bereits jene „Offenheit" auf, die für die Prosa der sechziger Jahre immer häufiger zum Merkmal wird. Diesen Umstand berücksichtigte Juri Nagibin über68

haupt nicht, als er Wera Panowa vorwarf, die Gesetze und Grenzen der Erzählung als Genre überschritten zu haben, da Walja weder ein „zentrales Ereignis" noch ein „festes Kompositionsschema" aufweise.183 Wera Panowa sagte in ihren autobiographischen Notizen, sie habe erst einen Roman schreiben wollen, dann jedoch das Wesentliche, den „Extrakt" gestaltet und die 'Leningrader Erzählungen geschrieben.184 Insofern hat sie unbeabsichtigt zu jener Auflockerung der Genreform beigetragen, die wenig später für die sowjetische Erzählprosa weithin legitim wurde und beispielsweise auch in den „heterogenen" Werken von Olga Bergholz (Tagessterne, 1959) und Wladimir Solouchin (Ein Tropfen Tau, 1960) ihren Ausdruck fand. Die hier vorgestellten Erzählungen von Scholochow, Aitmatow, Twardowski und Panowa waren ein wichtiger Gradmesser für die neue ästhetische Qualität, die sich in der gesamten Sowjetliteratur gegen Ende der fünfziger Jahre herausgebildet hatte. Die von Boris Sutschkow als „Grundkomponente realistischen Erzählens" betrachteten literarischen Charaktere mit ihrem Bewußtsein als historische Subjekte der revolutionären Epoche, ihrer staatsbürgerlichen Aktivität und ihrer menschheitsgeschichtlich vorwärtsweisenden Signifikanz erwiesen sich dabei als der entscheidende Neuansatz im Gesellschafts- und Menschenbild der sowjetischen Erzählung.

Der Moralkodex der kommunistischen Persönlichkeit

Nach dem vollständigen Sieg des Sozialismus gegen Ende der fünfziger Jahre trat die UdSSR in die Phase der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ein.185 1961 beschlossen die Delegierten des XXII. Parteitages der KPdSU ein neues Parteiprogramm, das die Zielvorstellungen für die Gestaltung des entwickelten Sozialismus und den Aufbau des Kommunismus umriß. Der Sowjetliteratur stellte das Programm die Aufgabe, noch stärker als bisher auf die weltanschauliche, ethisch-moralische und ästhetische Erziehung der Menschen Einfluß zu nehmen und mit ihren spezifischen Mitteln zur Verwirklichung des Moralkodex der kommunistischen Persönlichkeit beizutragen. 186 Die von der gesamten Sowjetgesellschaft vor und nach dem Parteitag geführte Diskussion über das neue Parteiprogramm fand auch in der Literatur einen vielfältigen Widerhall. Vor allem griff sie die Forderung nach höheren Ansprüchen an die Persönlichkeit auf. Das gilt für alle Gattungen und Genres, doch für die Prosa und speziell für die Erzählung in einem ganz besonderen Maße. Eine auffallende Erscheinung in der Prosa vom Anfang der sechziger Jahre war die beträchtliche Zunahme authentisch-dokumentarischer Elemente. Die Schriftsteller wollten das Leben tiefer und komplexer, in seiner vollen Dynamik und Widersprüchlichkeit erfassen. Dabei war ein Teil von ihnen buchstäblich darum bemüht, „in jedes Haus einzutreten" 187 , wie Leonid Sobolew 1965 auf dem II. Schriftstellerkongreß der RSFSR sagte. Die Erzählung erhielt damals durch Werke von Wladimir Solouchin, Jefim Dorosch, Sergej Krutilin, Gawriil Trojepolski, Oles Hontschar, Michail Alexejew u. a. wertvolle Anregungen für die Gestaltung authentisch-dokumentarischer Stoffe wie überhaupt neuer Lebensbereiche und neuartiger Widersprüche. So hatte z. B. das Dorftagebuch von Dorosch, das von 1956 bis 1970 in Fortsetzungen 70

•erschien, großen Einfluß auf das Schaffen vieler Prosaiker. Dorosch hat vierzehn Jahre lang die Probleme eines Landkreises studiert und die Entwicklung einiger Persönlichkeiten, z. B. des Kolchosvorsitzenden Iwan Fedossejewitsch, sowie soziale und ökonomische Fragen dargestellt. Er verwahrte sich mehrfach gegen Versuche einzelner Kritiker, sein Werk als rein „dokumentarische" Literatur vom Hauptstrom der sowjetischen künstlerischenLiteratur abzugrenzen.188 Tatsächlich bestimmte es den Hauptstrom der sowjetischen Prosa wesentlich mit, auch wenn es den herkömmlichen Vorstellungen von der Genrehierarchie nicht entsprach. Das gilt mit Abstufungen auch für Solouchins Ein Tropfen Tau (1960), Krutilins Das Dorf an der Walstatt (1963/66), Trojepolskis Noti^befte eines Jägers mit dem Haupttitel Im Schilf (1963), einige Romane in Novellen, z. B. Tronka (1963) -von Hontschar und Brot ist ein Hauptwort (1964) von Alexejew, und verschiedene ähnliche Werke. Diese in ihrer Genreform heterogene Prosa kündete einen höheren sozialen Reifegrad der Literatur an, der «ich im Genre der Erzählung in der Tendenz zum „Gespräch" und .zur vertieften sozialen Erkundung äußerte.

Gespräch und soziale Erkundung Sergej Antonow baute in den Erzählungen Leerfahrt (1960) und Aljonka (1960), später auch in Der zerrissene Kübel (1966), die Lösungsansätze weiter aus, die er in Werken wie Regen für die Gestaltung neuartiger Widersprüche und ethisch-moralischer Fragestellungen gefunden hatte. Dem Ich-Erzähler in Leerfahrt, einem Moskauer Journalisten, der über einen großen sibirischen Holzwirtschaftsbetrieb eine Reportage schreiben soll, gelingt es nicht, in der Rolle des „leidenschaftslosen Berichterstatters" zu bleiben. Er sieht sich sehr bald in die Konflikte der Menschen, über die er schreibt, einbezogen und setzt alles daran, gesellschaftlich produktive Lösungen herbeizuführen. Er handelt nach dem Grundsatz: „Wenn ich schon schreibe, dann alles, die ganze Wahrheit." 189 Dieser Standpunkt veranlaßt ihn, Widersprüche zwischen den Normen der gesellschaftlichen Moral und dem Verhalten seiner „Gesprächspartner" konsequent und kompromißlos aufzudecken, nicht bei den „positiven Materialien" stehenzubleiben, die zur Abfassung des Berichtes unter Umständen ausreichen würden, sondern „die ungewöhnliche Rolle eines Detektivs" zu übernehmen und den Problemen auf den Grund zu gehen. 71

Nikolai Chromow ist dem Vernehmen nach ein vorbildlicher Komsomolze und der beste LKW-Fahrer des Betriebes. Er erfüllt seinen Plan und spart Zeit und Kraftstoff ein. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, daß Nikolai sich in tiefe ethischmoralische Widersprüche verstrickt hat. Er manipuliert seine Erfolge und Prämien, indem er sich dem veralteten, formalen System der Arbeitsorganisation und Abrechnung anpaßt, das alle Bemühungen um Rationalisierung zunichte macht. Chromows Schuld liegt nach der Auffassung des Erzählers nicht auf einer Ebene, die juristische Konsequenzen erforderlich machen würde. Dennoch verletzt Chromows Verhalten die ethisch-moralischen Normen der sozialistischen Gesellschaft. Der Vorwurf des Erzählers richtet sich gegen die Trägheit des Gewissens, die Anpassung und Gewöhnung, das Gleichgültigbleiben gegenüber Unzulänglichkeiten und Anomalien, mangelndes gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein. Was wirklich in ihm steckt, beweist Chromow in der dramatischen Situation während des Schneesturms. Die Begegnung mit dem charakterfesten Journalisten und die Nähe des Todes führen bei Chromow zu einer Läuterung. Er wird sich in Zukunft dagegen wehren, wenn ihn jemand als willenloses Werkzeug einer formalen, im Grunde aber widersinnigen Planerfüllung mißbrauchen will. Er hat begriffen, wie weit Menschen wie sein Vorgesetzter Akim Sewastjanowitsch, die das „Staatsinteresse" formal und bürokratisch auslegen, noch von der Verwirklichung des kommunistischen Moralkodex entfernt sind. Er hat auch begriffen, daß man gegen sie kämpfen muß. Der Erzähler in Leerfahrt formuliert einen „journalistischen Grundsatz", der das ästhetische Credo des Autors sein könnte: „. . . gib dich nicht mit einem oberflächlichen Erkennen der Wirklichkeit zufrieden, grabe tiefer!" 190 Die Konfliktsituation gibt Anlaß zum „Graben": „Zuerst hatte ich mir eine Skizze ausgedacht, in der Nikolai der Held war, in der zweiten Variante verwandelte sich der Held in einen Verbrecher, und nun muß ich entscheiden, was er in Wirklichkeit war: ein Verbrecher oder ein Opfer?" 191 Schon in der Formulierung dieser Frage liegt der Impuls für den Leser. Künstlerisch überzeugend teilt sich dieser Impuls dem Leser über die Charaktere des Erzählers und Nikolai Chromows mit. Er geht also nicht nur als logische Quintessenz aus dem Handlungsgeflecht und der Konfliktlösung hervor. Obwohl Leerfahrt in der Anlage einer Skizze nahekommt, erweist sich die Genrespezifik der Erzählung gerade 72

darin, daß nicht die aktuellen gesellschaftspolitischen Probleme, von denen der Erzähler am Anfang spricht (die „Helden des Siebenjahrplans", die Arbeits- und Lebensbedingungen der Holzfäller), sondern die Charaktere mit ihren ethisch-moralischen Konflikten im Mittelpunkt stehen. Der Kritiker G. Browman wies darauf hin, daß Antonows Erzählung dem Leser mehr geistigen Gehalt vermittle „als irgendein dicker Roman mit vielen Problemen, doch ohne Charaktere". Browman fügte hinzu: „Die gesellschaftlichen Fragen ergeben sich in den Werken S. Antonows in der Regel nicht aus vorweggenommenen verstandesmäßigen Überlegungen, sondern aus den unmittelbaren Beziehungen der Gestalten zu den Ereignissen, in die sie verwickelt sind, zu ihrer Arbeit, anderen Menschen und nicht zuletzt ihrer eigenen Auffassung von staatsbürgerlicher Pflicht und persönlicher Verantwortung für die gemeinsame Sache." 192 Antonow umgeht die ökonomischen Probleme, die in seinem Stoff enthalten sind, keineswegs. Doch primär bewegen ihn die ethisch-moralischen Konflikte. Sorgfältig analysiert er die Voraussetzungen für die Entwicklung der kommunistischen Persönlichkeit. Nikolais Großvater, den Partisanen Michej, haben die Weißen umgebracht. „Er war in der Partei. Mit einem Wort — ein Roter. Und ein guter Fischer war er . . ." 193 , sagt der Alte auf dem Flugplatz von ihm. Der Vater Nikolais war General und kam in der Taiga um, wie der Jäger Terenti Wassiljewitsch berichtet. Die Leistungen der beiden vorangegangenen Generationen haben hohe Maßstäbe für die Nachkommen gesetzt, Normen geschaffen, die von der Gesellschaft am Anfang der sechziger Jahre verallgemeinert und als Richtschnur für die nächste Zeit gesetzt wurden. Bewußt stellt sich der Erzähler die Aufgabe, „von dem Großen . . . zu erzählen", das von den Angehörigen der dritten Generation vollbracht wird, „von den Menschen, die das Antlitz Sibiriens verändern". Offen greift er jene Kräfte an, die dem Vormarsch zum Kommunismus im Wege stehen — Menschen wie Akim Sewastjanowitsch, „die an nichts glauben, weder an die Liebe noch an die Zukunft noch an sich selbst", und „jene altmodischen Theorien von der Unvollkommenheit der menschlichen Natur und der Ohnmacht des menschlichen Geistes predigen" 194 . Der Schaden, den die Akims der Gesellschaft zufügen, ist im materiellen Bereich vielleicht nicht so erheblich wie im geistigen, doch gerade in ihm wiegen die Verluste schwer. Auch Emmanuil Kasakewitsch schaltete sich am Anfang der sechziger Jahre aktiv in das „Gespräch" über den Moralkodex der 73

kommunistischen Persönlichkeit ein und stieß zu neuen „sozialen Erkundungen" vor. 1947 war Kasakewitsch mit der Erzählung Der Stern bekannt geworden. Wie Alexander Twardowski im Nekrolog auf Kasakewitsch sagte, war mit dieser Erzählung „ein großes, völlig eigenständiges und bemerkenswertes Talent in die russische Sowjetliteratur" eingetreten und „eine neue Stufe in der Bewältigung des Stoffes des Großen Vaterländischen Krieges" erreicht worden. 195 Sicher ist es kein Zufall, daß Kasakewitsch, nachdem er die Romane Frühling an der Oder (1949) und Das Haus am Plat% (1956) verfaßt hatte, sich noch einmal der Erzählung zuwandte. Zu diesem Genre hat er immer eine besonders enge Beziehung gehabt. In einem Brief vom 21. Januar 1950 rezensierte er die Werke eines jungen Autors. Er bestätigte ihm, „die Gabe des Erzählers" zu besitzen, vermißte bei ihm jedoch das, was nach seiner Ansicht zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine gelungene Erzählung gehört — Menschen, Leidenschaften, echte Lebenskonflikte. Die besprochenen Werke seien zwar „sujethaft", auf irgendeinem „ungewöhnlichen Vorfall" aufgebaut, blieben jedoch im Anekdotischen stecken. Kasakewitsch riet damals: „Schreiben Sie nicht über fertige, vorher ausgedachte Sujets. Das Sujet ist nichts Unwesentliches für eine Erzählung, doch nur in dem Fall, wenn man hinter ihm das unverfälschte Leben spürt und wahre Menschen handeln sieht." 196 G. Browman berichtet von einer Dichterlesung vor Arbeitern im Jahr 1954, bei der der Schriftsteller Boris Subawin mit der Erzählung Die Uhr auftrat und das Publikum stärker zu fesseln vermochte als zuvor die Lyriker mit ihren Gedichten. Kasakewitsch soll nach dieser Lesung gesagt haben: „Eine gute Erzählung ist eine operative Waffe von momentaner Wirksamkeit. Man kann damit also sogar vor ein Publikum treten und es in seinen Bann ziehen. Dem Romancier gelingt das nicht, sein Buch setzt die Begegnung mit dem Einzelleser voraus . . . " 1 9 7 Was die Tiefe der psychologischen und sozialen Erkundung angeht, stehen Kasakewitschs Erzählungen, die Lenin-Erzählung Das blaue Heft (1961) sowie Im Licht des Tages (1961) und Der Besuch des Vaters beim Sohn (1962), seinen Romanen keineswegs nach. In seiner reifsten Erzählung richtete Kasakewitsch das „Licht des Tages" auf jenen Punkt, der für die Höherentwicklung der sowjetischen Gesellschaft am Anfang der sechziger Jahre von entscheidender Bedeutung geworden war: das Ethos der kommunistischen Persönlichkeit. Die Worte des gefallenen Netschajew: „Ein guter Mensch 74

•wird im Krieg noch besser, ein schlechter Mensch noch schlechter" 198 sind dabei von tiefer symbolischer Bedeutung, machen sie doch das konkrete Verhalten des einzelnen in der großen menschheitsgeschichtlichen Kraftprobe ebenso zum Maßstab der Persönlichkeit wie die gesellschaftlichen Normen der Gegenwart. Kasakewitsch hielt 1950 in seinem Notizbuch fest, wie er sich den künftigen Helden seiner Bücher vorstellte: „Er ist sicher kompliziert, klug, nachdenklich, aktiv, leidet, wenn er auf Unzulänglichkeiten und Mißstände stößt oder mit dem Alten zusammenprallt, das hier und da noch stark ist. Doch er läßt die Hände nicht sinken und geht für den Kommunismus in den Kampf. Er ist voller Optimismus; ein wunderbarer, wenn auch ganz gewöhnlicher Mensch." 199 In Netschajew, der sowohl im Bericht des Soldaten Andrej Slepzow als auch in der Erinnerung seiner ehemaligen Frau Olga Petrowna lebendig wird, entdecken wir neben den vertrauten Zügen früherer Helden Kasakewitschs, Trawkins aus Der Stern oder Akimows aus Das Her% des Freundes (1953) neue Züge, die der Autor unter dem Eindruck der im Leben immer häufiger zu beobachtenden Verbindung des „Wunderbaren" und des „Gewöhnlichen" in der Persönlichkeit des sowjetischen Menschen bewußt hervorhebt und akzentuiert. Netschajew übernahm im Sommer 1941 ein Bataillon, als im Raum vor Moskau eine Gegenoffensive begonnen wurde. Schon wenige Tage später wurde er mit der Führung des Regiments beauftragt. Er war mutig, obwohl er auf Slepzow und die anderen Soldaten völlig unmilitärisch wirkte — er „hatte ein trauriges Gesicht und trug eine Brille" und erstattete die Meldung sogar vor einem Marschall „nicht sehr laut, eher wie ein Zivilist als wie ein Soldat". Als der Marschall Netschajew zu Unrecht beschuldigte, forderte der Oberleutnant zur größten Überraschung Slepzows, ihn nicht anzuschreien. Netschajew „lächelte", als ihm der Marschall befahl, die Anhöhe 61,5 zu erobern und ihm dafür den Titel „Held der Sowjetunion" oder — im Falle eines Mißlingens — den Tod versprach. Netschajew schaffte das Unwahrscheinliche, eroberte die Anhöhe zurück und war glücklich darüber, auch als er die Auszeichnung nicht bekam. Er interessierte sich generell „nicht für Äußeres", wie Slepzow das ausdrückt. Auf Olga Petrowna wirkte alles, was Slepzow über Netschajew erzählte, wie der Bericht eines Sendboten aus einer anderen Welt. Der Witali Netschajew Slepzows schien ihr vertraut und fremd zu75

gleich. Sie erkannte Einzelheiten, die ihr früher auch aufgefallen waren — sein verlegenes Lächeln, seine selbstlose Aufopferung bei jeder Arbeit, seine Unfähigkeit, für sich zu sorgen und sich im alltäglichen Leben zurechtzufinden — doch nicht das Wesentliche, den ganzen Menschen, die Persönlichkeit, von der hier die Rede war. „Der Netschajew, von dem der Soldat sprach, war nicht der Mann, den sie, wie sie glaubte, sehr gut gekannt hatte . . . Slepzows Netschajew war in Kleidern ins Wasser gestiegen, ihr Netschajew erkältete sich bei jedem Luftzug . . . Jener Netschajew war sehr beliebt, ihrer war ungesellig . . . Jener Netschajew fürchtete niemand . . . ihrer machte Kniefälle vor der Institutsleitung . . . , ihm fehlte alles, was Slepzows Netschajew im Überfluß besaß." 200 Die Frau, die mit Netschajew zehn Jahre zusammengelebt hatte, kannte ihn tatsächlich schlechter als der Soldat, der mit ihm nur wenige Tage an der Front gemeinsam verbracht hatte. Später erinnert sich Olga Petrowna allerdings daran, daß sie vor fünfzehn Jahren, als sie heirateten, Netschajew mit den gleichen Augen gesehen hatte wie Slepzow seinen Kommandeur. Sie sucht nach einer Erklärung dafür, daß ihre Gefühle so abgestumpft sind, und beginnt am Ende vielleicht sogar zu begreifen, daß sie „mit einem Helden gelebt und es nicht gemerkt" hat. Deshalb darf Olga Petrowna auch nicht mechanisch als „Gegenspieler" Netschajews aufgefaßt werden. Kasakewitsch weist auf die Veränderungen in ihrem Verhalten hin, die sich in den Vorkriegsjahren eingestellt haben, und motiviert ihre zweite Ehe mit Winokurow vom Psychologischen her, ohne sie moralisch zu billigen oder zu verurteilen. Was er ihr vorwirft, ist vor allem die Verkümmerung, das Abstumpfen ihrer Empfindungen und Gefühle sowie der Erinnerung an Netschajew, denn damit hat sie alles Positive, worauf sich ihr gemeinsames Leben einst gründete, in Vergessenheit geraten lassen. Was der Autor von Olgas Sohn Jura sagt — er werde sich nicht durch „Moralpredigten" zum Sowjetmenschen entwickeln, sondern indem er in seinem Leben energisch alles „Schlechte und Schmutzige" ausmerzt —, wird im gewissen Sinn auch für sie gesagt. Slepzows Besuch „hatte ihr Leben gleichsam in das helle Licht des Tages gerückt, und bei diesem unerbittlichen Licht sah plötzlich vieles anders aus" 201 . Das bedeutet nicht, daß der innere ethischmoralische Konflikt Olga Petrownas mit diesem Ansatz zu einer Veränderung ihres Verhaltens beseitigt ist. Nicht ohne Grund schließt die Erzählung mit einer Episode, die die kritische Warnung des 76

Autors noch einmal verstärkt. Slepzow hört Olga und Winokurow seinen Namen rufen, doch er verbirgt sich vor ihnen, verbirgt sogar seine Zigarette im Mantelärmel, „wie es die Soldaten in der vordersten Linie taten, wenn der Feind nahe war. Er hätte jetzt nicht mit ihnen sprechen, hätte sie nicht einmal ansehen können". 202 Danach lenkt der Autor sein „Objekt" endgültig auf Andrej Slepzow, um dem Leser noch einmal unmißverständlich ins Bewußtsein zu rücken, worauf es ihm in erster Linie ankommt, nämlich „jenes Empfinden des Tages" zu zeigen, wie A. Kogan sagt, „in dessen schonungslosem Licht mit voller Klarheit sichtbar wird, wie gering der wahre Wert solcher Menschen wie Olga Petrowna ist". 203 Der Gestalt Andrej Slepzow gehört die ganze Sympathie des Autors. Er ist Kasakewitschs „wunderbarer, wenn auch ganz gewöhnlicher Mensch" — bereichert durch das Vermächtnis seines Kommandeurs, das er erfüllen will. Bei der Einführung der Gestalt hebt Kasakewitsch die „soldatische Ausdruckskraft" des Gesichtes von Slepzow hervor, sein Gehen auf dem Fahrdamm — weil er sich daran gewöhnt hat, Teil einer marschierenden Kolonne zu sein —, die „Selbständigkeit eines Soldaten, der Tausende von Wegen zurückgelegt hat", den „Gruß an die Bauarbeiter und an das auf dem Hof sprießende Gras". Sibirier, Russe, Sowjetmensch — Slepzow trägt die Züge einer echten Volksgestalt ebenso wie Scholochows Andrej Sokolow oder Nikolajewas Wassilissa. Netschajew ist für ihn zur ständigen Mahnung an die hohe ethisch-moralische Verpflichtung der Lebenden geworden. Vielleicht übertreibt er, wenn er sich einredet, Netschajew habe ihm beigestanden, als er die Erbitterung überwinden mußte, die ihn nach der Amputation der Hand überkam, oder wenn ihm scheint, als habe ihm der Hauptmann geholfen, als er es lernen mußte, den Traktor auch mit einer Hand zu führen. Tatsache bleibt, daß er in der Persönlichkeit seines gefallenen Kommandeurs jene Normen verkörpert sieht, nach denen er sein eigenes Verhalten und das anderer beurteilt und wertet. Auch bei ihm stellen sich übrigens „im Licht des Tages" Veränderungen ein. Sein Aufenthalt in Moskau, im Hause Olga Petrownas, seine Gespräche mit ihr und ihrem Sohn Jura führen ihn zu neuen Einsichten, lassen ihn beispielsweise erkennen, daß manche Widersprüchlichkeiten des Lebens objektiv unvermeidbar oder entwicklungsbedingt und nicht nur mit einer geraden Elle zu messen sind. Vor allem seine etwas mechanische Vorstellung von den Menschen erfährt die notwendige Korrektur: 77

„. . . dieser einzigartige Tag hatte viel in seinem Leben verändert, hatte es ihm in einem neuen Licht gezeigt. Im Licht dieses seltsamen Tages war in seinem Innern alles in Bewegung geraten, hatte sich verwirrt, war komplizierter geworden." 204 Seine geistig-weltanschauliche Geschlossenheit und ethisch-moralische Festigkeit werden von dieser Erkenntnis nicht berührt. Kasakewitsch hat jene sozialen und historischen Dimensionen in die Erzählung eingebracht, die mit der Formulierung des Moralkodex des kommunistischen Menschen neu abgesteckt wurden. Darüber hinaus konnte er die Eignung der Erzählung zur Gestaltung „starker Charaktere und großer Konflikte" 205 (ein Problem, über das in der sowjetischen Literaturkritik am Anfang der sechziger Jahre ein lebhafter Meinungsstreit entbrannt war) überzeugend unter Beweis stellen. Galina Nikolajewas Erzählungsband Wassilissa und die Wunder (1962) erschien nach dem Roman Schlacht unterwegs (1957). Er zeigte, daß Galina Nikolajewa bestrebt war, noch kompromißloser als in dem vorausgegangenen Werk die hohen Ansprüche der Gesellschaft an die ethisch-moralischen Normen der Persönlichkeit zu unterstützen und zu verteidigen. Welche Grundprobleme die Schriftstellerin dabei bewegten, wird an ihrem Tagebuch Unser Garten sichtbar, das parallel zu Wassilissa und die Wunder entstand. Nikolajewa weist in ihren Aufzeichnungen jene „Blindheit und Angst" 206 zurück, die ihr Schaffen am Anfang der fünfziger Jahre noch beeinträchtigen konnten (sie hat 1953 in einem Aufsatz über die Spezifik der Literatur im Zusammenhang mit ihrem Roman Ernte von 1950 darüber geschrieben). Nun beschließt die Schriftstellerin, „eisern" 207 zu schreiben. Nach ihrer Meinung sprechen manche Kritiker oberflächlich von der Spiegelfunktion der Literatur, wenn sie dem Schriftsteller Vorwürfe machen, dessen Werk „sowohl den blauen Himmel als auch Schmutz, Pfützen und Schlaglöcher" reflektiert. Was der Künstler zu zeigen vermag, hängt nach ihrer Ansicht von dem Weg ab, den er eingeschlagen hat: „Gehst du gemeinsam mit dem Volk den Hauptweg, oder schleichst du durch Gassen und Irrwege? Nur im ersten Fall nutzt dein Spiegel — der Roman — deinem Volk." 208 Immer wieder wirft Nikolajewa in ihrem Tagebuch die Frage nach dem Wesen der Kunst und der künstlerischen Wahrheit auf. Am 6. Oktober 1961 notiert sie: „Die Kunst der Wahrheit ist die Kunst der Analyse, zugleich jedoch die Kunst der Synthese, die im Gewohnten das Schöne wie das Schreckliche offenbart." 209 Derartige 78

Überlegungen bereiten allmählich jene Tagebuchnotiz vom 21. Februar 1962 vor, die — nach dem Abschluß der Arbeiten an Wassilissa und die Wunder, der Ende November 1961 erfolgte — die weltanschaulich-ästhetische Reife erkennen läßt, die Galina Nikolajewa zu diesem Zeitpunkt erreicht hat. Die Schriftstellerin fragt: „Worin besteht die Hauptaufgabe der zeitgenössischen Literatur?" 210 Die Suche nach der Antwort auf diese Frage veranlaßt sie, die Literatur unter zwei Aspekten zu betrachten, dem der Gesprächsfunktion und dem der Entdeckerfunktion realistischer Literatur. Einem Kind mag es genügen, meditiert Nikolajewa, das Gute im „Däumling" und das Böse in der „Hexe" verkörpert zu sehen. Schon der Schüler will mehr als „Märchen" und erwartet, daß man mit ihm konkret über sein kleines, durchaus aber nicht unkompliziertes Leben spricht. Der Erwachsene gar, „der in unserer widerspruchsvollen, teilweise sogar paradoxen Zeit lebt", braucht erst recht keine „Märchen", sondern „ein Gespräch, das sich auf eine tiefgreifende, wahre Analyse unserer Tage gründet und für ihn interessant und nützlich ist" 211 . Zur Entdeckerfunktion der Literatur bekennt sich Galina Nikolajewa in polemischer Auseinandersetzung mit verschiedenen Tendenzen, die sie in der Literatur der fünfziger Jahre noch hat beobachten können. Dazu gehört sowohl der Ersatz der nüchternen Analyse durch illusorisches Wunschdenken als auch das Verharren bei abgedroschenen Themen. Nikolajewa fühlt sich berufen, „immer in der vordersten Linie" zu stehen. Sie interessiert „der heutige Tag mit seinen gewaltigen Errungenschaften und mit seinen großen Schwierigkeiten, die vielfach mit dem verknüpft sind, was sich in der Seele der Menschen festgesetzt hat und nicht leicht auszumerzen ist" 212 . Jetzt, heißt es im Hinblick auf die Zeit nach dem XXII. Parteitag im Tagebuch Galina Nikolajewas, brauche die sowjetische Gesellschaft keine Literatur, die allgemein von Gut und Böse, Liebe und Gerechtigkeit usw. handelt, sondern „eine Literatur des reifen Mutes, eine Literatur der tiefschürfenden sozialen Erkundung". Der sozialistische Schriftsteller von heute, resümiert Nikolajewa, brauche „die Kraft eines Balzac, was die Präzision der sozialen Erkundung angeht, die wir mit der Analyse der menschlichen Seele vornehmen" 213. Beide Aspekte, von denen Nikolajewa im Tagebuch spricht, die gründliche Gesellschaftsanalyse und das Gespräch zwischen Schriftsteller und reifem, „erwachsenem" Leser, bestimmen die künstlerische Spezifik der Erzählung Wassilissa und die Wunder. 79

Für die Analyse der weltanschaulichen, handlungsmäßig-kompositorischen und sprachlich-stilistischen Besonderheiten der Erzählung ist die Gestalt der Wassilissa von größter Bedeutung. Gerade diese Gestalt zeugt vom Streben Galina Nikolajewas nach einer engen Verbindung mit dem Leben und den Problemen des Volkes und einer volkstümlichen Erzählweise, also nach der Einheit von Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit. Als Einleitung in den Erzählungszyklus fungiert ein expressiver, stark gefühlsmäßig gefärbter Teil, in dem Wassilissa sich als Erzählerin vorstellt, ihre Erzählweise charakterisiert, den landschaftlichen Raum der Erzählung beschreibt und das Leitmotiv setzt: „Kein Wunder kommt ohne den Menschen aus. Und kein Mensch ohne Wunder." 2 1 4 In den folgenden Kapiteln erzählt Wassilissa von ihren Kindern. Sie ist der Mittler zwischen der Autorin und ihrer literarischen Welt. Sie urteilt und wertet, drückt den Gestalten, die durch sie „vorgestellt" werden, ihren Stempel auf. Mit auktorialen Vollmachten ausgestattet (ohne daß sie mit der Autorin gleichgesetzt werden könnte), bestimmt sie die Aussage der Erzählung. Die Autorin teilt im „Vorwort" mit, daß Wassilissa Wlassowna Dobrynina in einem „Krähwinkel des halbfeudalen Rußland" geboren wurde. Wassilissa konkretisiert diese Angabe, wenn sie von der „heimatlichen Unsha" spricht und ihren Besuch in dem Dorf Sagornoje als Wiedersehen mit der „Heimaterde" bezeichnet. Im „Vorwort" wird Wassilissa kurz als Achtzigjährige charakterisiert, die dem „alten Rußland" entstammt, doch durch „Kinder und Enkel bis in den Kommunismus" reicht. Wassilissa hat mit sechzehn Jahren Timofei Dobrynin geheiratet, der „Vorsitzender der ersten Kommune im Gouvernement" war und von den Kulaken ermordet wurde. Ihrer Ehe entstammen elf Kinder, sieben Jungen und vier Mädchen. 1944 ist Wassilissa achtundfünfzig Jahre alt. Damit sind die biographischen Fakten im engeren Sinne, die der Text enthält, erschöpft. Doch der Charakter der Erzählerin wird weniger durch solche Einzelheiten als vielmehr durch die Analyse der sozialen Beziehungen Wassilissas erschlossen. Vor allem aus diesen Beziehungen gewinnt der Leser eine vertiefte Vorstellung von der geistig-weltanschaulichen Position der Erzählerin. Von Wassilissa heißt es, sie liebe Kinder wie das Leben. Keine Schwierigkeit kann sie davon abhalten, alles daran zu setzen, zu dem verwundeten Sergej zu gelangen: „. . . meinen grauen Kopf 80

hätt ich hingegeben für ein einziges Lächeln von ihm." 215 Übertriebene Mutterliebe, die Kinder zu Egoisten formen könnte, lehnt Wassilissa, die in dieser Hinsicht mit Gerassim schlechte Erfahrungen machen mußte, entschieden ab. Ihre Liebe zu Agrafena, deren seelischer Zustand nach einer Amputation besonders kompliziert ist, ist ein starkes Gefühl, das die Hilfsbedürftige aufrichtet, sie nicht erniedrigt, sondern ihr Selbstvertrauen und neue Kraft gibt. Die soziale Komponente in Wassilissas Mutterliebe kommt in der Episode, als sich Wassilissa im Kriegsfrühling 1944 hungriger fremder Kinder annimmt, besonders gut zum Ausdruck. Die Achtzigjährige entscheidet nicht nur verantwortungsbewußt die schwierigen Fragen, die innerhalb ihrer großen Familie gelöst werden müssen, sondern geht auch an den Problemen der Zeit nicht vorbei. Ihren politischen Überzeugungen liegen, wie Nikolajewa sichtbar zu machen versteht, nicht nur gedankliche Erwägungen, sondern auch persönliche Erfahrungen zugrunde. Ihr Haß auf den Krieg z. B. resultiert aus bitterem eigenen Erleben. Die geistig-weltanschauliche Evolution der Erzählerin zeigt die engen Wechselbeziehungen zwischen individuellem und gesellschaftlichem Bewußtsein. Der Kampf Wassilissas um ihren Sohn Gerassim, von dem das Kapitel Begabung erzählt, ist ein Bestandteil des Kampfes der sowjetischen Gesellschaft um die Durchsetzung höherer ethischmoralischer Normen. Gerassims erste Frau, Ija, kann Wassilissa nicht akzeptieren. Ija ist ein „Persönchen", doch keine Persönlichkeit. Sie färbt nicht nur äußerlich auf Gerassim ab, so daß die beiden „wie Mars und Venus" daherkommen, sie hat dem jungen Werkdirektor auch den Charakter verdorben, seine Begabung in die verkehrte Richtung gelenkt. Die unscheinbare Ljalka hingegen hat „einen Menschen aus ihm gemacht". Wie wichtig die dramatische Rettung der Konstruktionsunterlagen während des Krieges auch gewesen sein mag, wie hoch die schöpferische Leistung Gerassims bei der Schaffung des neuen Flugzeugmodells auch ist — den entscheidenden Erfolg sieht Wassilissa darin, daß Gerassim und Ljalka „Flügel gewachsen" sind: „Mancher Mensch hat eine Seele, die ist wie das Feuer im Flintstein — wenn man nicht draufschlägt, gibt er keine Funken. Ljalka hat's geschafft. Sie hat lange draufgeschlagen. Jetzt endlich sprühen die Funken." 216 Die Lebenslust und der Optimismus der Erzählerin resultieren aus dem Bewußtsein ihrer Einheit mit dem Leben und Schicksal des Volkes. Nikolajewa hatte schon einige Jahre zuvor auf das dialek6

Kasper, Sowj. Erzählung

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tische Verhältnis hingewiesen 2 ! 7 , in dem der einzelne von der Gesellschaft geformt wird und seinerseits dazu beiträgt, den gesellschaftlichen Fortschritt voranzutreiben.

„Die kommunistische Arbeit schafft den kommunistischen Menschen" Neben den bekannten Romanen von G. Nikolajewa, D. Granin, J. Trifonow, B. Polewoi und W. Koshewnikow vom Ende der fünfziger bzw. Anfang der sechziger Jahre hob Leonid Sobolew auf dem II. Schriftstellerkongreß der RSFSR auch Erzählungen von G. Wladimow und I. Grekowa hervor. In ihnen kam nach der Meinung Sobolews in besonders markanter Weise zum Ausdruck, daß das Verhältnis des Menschen zur Arbeit generell zum „grundlegenden Maßstab der kommunistischen Persönlichkeit" 218 geworden war. Der Redner modifizierte in diesem Zusammenhang einen Satz aus Friedrich Engels' Arbeit Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen219 und formulierte: „Die kommunistische Arbeit schafft den kommunistischen Menschen." 220 In Wladimows Das große Er%, Grekowas Hinter der Anmeldung, Petkevicius' Die wohlverdiente Ruhe und anderen Erzählungen aus der ersten Hälfte der sechziger Jahre wurde dieser wichtige Prozeß der Persönlichkeitsbildung künstlerisch eindrucksvoll gestaltet. Viktor Pronjakin, der Held der Erzählung Das große Erz (1961) von Georgi Wladimow, ist noch keine dreißig Jahre alt, als er nach Kursk kommt, wo ein neuer Erztagebau erschlossen wird. Er ist seit neun Jahren Kraftfahrer, hat Ziegel im Ural und Sprengstoff beim Bau des Irkutsker Wasserkraftwerkes gefahren, war Taxichauffeur in Orjol und Busfahrer eines Sanatoriums in Jalta. Sein Leben „war an Freuden nicht allzu reich gewesen". Nach der Militärzeit fuhr er zu Natascha, die er als Soldat kennengelernt hatte. In der ersten Nacht lief er davon. Er blieb bei der Büfettiere auf einem nahegelegenen Bahnhof. Gemeinsam mit ihr zog er jahrelang von Ort zu Ort. Sie suchten das Glück und liebten sich. Doch Wladimow will keine Liebesgeschichte erzählen. Pronjakin ist nach Kursk gefahren, weil er „endlich ein für allemal wo Fuß fassen" will. Aus diesem Grund sucht er um jeden Preis, beim Tagebau anzukommen, wo der Aufschluß der neuen großen Erzgrube eine langfristige und befriedigende Tätigkeit in Aus82

sieht stellt. Was er seiner Frau schreibt — daß es „Aussicht auf ein Zimmer" gäbe und er dann „Kurs auf ein Häuschen" nehmen möchte —, dient dazu, ihr die Sicherheit für den Umzug zu geben. Im Grunde gehören diese Dinge jedoch zu dem, was er spöttisch als „Idyll" zu bezeichnen pflegt und wofür er nicht arbeitet. Ihm geht es darum — und das ist für ihn eine Lebensfrage —, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß er sein Leben „endlich einrichten" kann. Das ist ein für ihn wie für die Gesellschaft bedeutsames Problem: Fuß fassen, die „große" Arbeit finden, die hohen Ansprüchen genügt, eine Familie ernährt, ihr eine sichere Grundlage für ein dauerhaftes Glück gibt, der Gesellschaft Nutzen bringt. Als qualifizierter Chauffeur hätte Pronjakin vermutlich auch woanders eine lohnende Arbeit gefunden. Doch ihn lockt das „große" Erz, der Maßstab des Großbetriebes, die Neuartigkeit der Aufgabe. Was Pronjakin im Prozeß der Arbeit in der Brigade Mazujew begreift, ist von größter Wichtigkeit für die Formierung der Persönlichkeit. Er erkennt, daß es angesichts der gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüche an den einzelnen nicht ausreicht, wenn er seine Qualifizierung nur in seinem Fach und Beruf betreibt, daß es nicht genügt, wenn er seinen MAS wie ein Kind hegt und pflegt und sich aus reiner Lust an der Vervollkommnung seiner Fahrkunst zu höchster Perfektion steigert. Ebenso wichtig wie die berufliche Qualifizierung, durch die die Arbeit „auf die Stufe der Kunst" gehoben werden kann, ist die „Qualifizierung" der Persönlichkeit, die sittliche Erziehung und Selbsterziehung, die moralisch-ethische Vervollkommnung des Menschen in tätiger Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das ist die wichtigste Erkenntnis, zu der Wladimows Held gelangt. Pronjakin hat denkbar schlechte Voraussetzungen für seinen Neubeginn in der Brigade Mazujew. Seine Einstellung erfolgt unter der Bedingung, daß er bereit ist, die Rolle des „Märtyrers" zu übernehmen, also den MAS fährt, dessen geringere Ladekapazität ihn zwingt, täglich wenigstens sieben Fahrten mehr zu machen als die Kollegen, um die Norm zu erfüllen. Seine scheinbare Unkollegialität — das Überholen der anderen — ist nichts anderes als Ausdruck seiner festen Entschlossenheit, die Norm um jeden Preis zu überbieten. Auch wenn er bei Regen weiterfährt, während die Brigade mit den schwereren Fahrzeugen pausiert, fällt er den anderen nicht in den Rücken. Die aber müssen in ihm zwangsläufig den „Angeber" und „Normdrücker" sehen. 6»

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Pronjakin weiß, daß er dem Wagen sowie seiner Leistungsfähigkeit und Fahrkunst viel zutrauen kann. Die Verstimmung der Brigadekollegen beunruhigt ihn. Daß sie ihn bei dem Umtrunk im Hause Mazujews links liegen lassen, trifft ihn schmerzhaft. Er erwartet auch von ihnen Verständnis — für seine Situation als Neuling auf dem kleinen und älteren MAS ebenso wie für seine Sorge um das Glück im persönlichen Leben. Anton, der Baggerführer, der am ersten Tag ihrer Bekanntschaft Pronjakins kompromißlosen Kampf gegen den Alkohol kennengelernt hat, ist der einzige, der Pronjakin in dieser Situation entgegenkommt. Die Brigade zeigt dieses Verständnis erst, als Pronjakin nach dem Unfall mit der ersten Erzladung schwerverletzt im Krankenhaus liegt. Erst zu diesem Zeitpunkt ist Mazujews Brigade bewußt geworden, daß die Normen des gesellschaftlichen Moralkodex hohe Anstrengungen des Individuums wie des Kollektivs erfordern. Nur wenige Werke der Sowjetliteratur vom Anfang der sechziger Jahre haben die engen Beziehungen zwischen der Einstellung zur Arbeit und der Gesamtpersönlichkeit des kommunistischen Menschen mit der gleichen künstlerischen Überzeugungskraft gezeigt wie Wladimows Erzählung Das große Die Kritiker waren sich einig darüber, daß Wladimow auf einen neuartigen Konflikt aufmerksam gemacht und einen beachtlichen Beitrag zu seiner Lösung geleistet hatte. Es ist jedoch bemerkenswert, daß die Kritiker erst im Verlauf der Diskussion über diese Erzählung zu einer genaueren Bestimmung ihres Hauptkonflikts gelangten. Jekaterina Starikowa traf mit ihrer Rezension bei der Darstellung des Konflikts nicht den entscheidenden Punkt. Sie schrieb: „Der Konflikt zwischen dem starrköpfigen Alleingänger und Wühler und den Männern, die wie bisher arbeiten, kann nur durch die Negation beider Wege gelöst werden. Pronjakins Tat und sein Tod weisen sowohl auf die verhängnisvollen Folgen des Alleingangs als auch auf die Notwendigkeit von Heldentum und hoher Zielstellung hin, die die alltägliche Arbeit der Menschen beflügeln." 221 Damit wurde nur eine Komponente im Konfliktgefüge der Erzählung erfaßt, die Spannungen zwischen dem Helden und dem Arbeitskollektiv. Pronjakins innere Gespanntheit, deren Lösung für die Entwicklung seiner Persönlichkeit letzten Endes ausschlaggebend war, blieb außerhalb der Betrachtung. Die Wertung, die F. Swetow gab, traf den Hauptkonflikt genauer. Swetow hob die enge Verbundenheit der Prosa vom Anfang der sechziger Jahre mit sozialpolitischen Problemen hervor. 84

Er betonte, Gegenwartsnähe sei nicht gleichbedeutend mit oberflächlicher Behandlung von Tagesfragen durch die Literatur, sondern umfasse „das Aufgreifen wirklich bedeutsamer Probleme", „das Aufdecken der Konflikte in ihrer ganzen Tiefe und mit allem gebotenen Ernst" sowie „das Erfassen des Wesentlichen des Lebens". 222 Den bedeutenden Konflikt in Wladimows Erzählung sah Swetow nicht im Verhältnis Pronjakins zur Brigade Mazujew, sondern „in Pronjakins innerem Zwiespalt, der schließlich tragisch endet" 223. Diese Tragik Pronjakins besteht nach unserer Auffassung vor allem darin, daß er in dem Augenblick aus dem Leben scheidet, als er ein Mensch hätte werden können, den die Gesellschaft im entwickelten Sozialismus braucht.224 Er hat sich nicht sofort, als er im Tagebau zu arbeiten begann, als dieser neue Mensch begriffen. Aber an jenem Tag, an dem Pronjakin mit seinem alten MAS das erste Erz aus der Grube fährt, wird ihm bewußt, welche Beziehungen zwischen ihm und den anderen — das ist nicht nur die Brigade Mazujew, sondern die sozialistische Gesellschaft —, seinem und ihrem Leben, seinem und ihrem Glück bestehen. Mit diesem Bewußtsein stirbt Pronjakin. Wladimow hat in der Erzählung Das große Erz das Komplizierte, Langwierige, Prozeßhafte des Sich-Begreifens gestaltet, Pronjakins hartnäckigen und kompromißlosen Kampf gegen den „inneren Feind", den Weg eines versierten Facharbeiters zur kommunistischen Persönlichkeit. Alla Martschenko zählte Wladimows Erzählung zu jenen Werken der Sowjetliteratur, die am Anfang der sechziger Jahre nicht vorwiegend die „persönliche Erfahrung" als entscheidende Stoffquelle nutzten, sondern zu einer aussagekräftigen „sozialen Analyse" vorstießen. Diese Werke hätten wesentlich dazu beigetragen, daß die Sowjetliteratur Tendenzen zur „Beschreibung" und bloßen „Abspiegelung", die in den fünfziger Jahren noch vorhanden waren, immer konsequenter überwand und die Wirklichkeit allseitig und tiefgründig erkundete. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß jetzt von Wladimow und anderen nicht nur die Dialektik der psychischen Prozesse, sondern auch die Wechselbeziehungen zwischen den psychischen Prozessen und menschlichem Verhalten einerseits und den gesellschaftlichen Widersprüchen und Entwicklungsprozessen andererseits tiefgreifender gestaltet wurden. 225 Obwohl die Einstellung des Menschen 85

zur Arbeit in fast all diesen Erzählungen „als psychische und sittliche Haupteigenschaft des Menschen, als Maßstab seines Humanismus" 2 2 6 galt, stellten durchaus nicht alle Autoren ihre Helden unmittelbar im Arbeitsprozeß bzw. im Arbeitsmilieu dar. Nimmt diese Darstellung bei Wladimow fast den ganzen Handlungsraum der E r zählung ein, reduziert sie sich z. B. in Wiktor Konezkis Erzählung vom Funker Kamuschkin (1961), in dessen vorangegangenen Seemannsgeschichten die Beschreibung der Arbeitsvorgänge relativ viel Platz beanspruchte, auf den Schlußteil der Erzählung. Wladimir Amlinski, der 1961 seinen ersten Erzählungsband veröffentlicht 2 2 7 , kommt in Musik auf dem Bahnhof (1961) völlig ohne die Beschreibung der Arbeitsvorgänge selbst aus, obwohl seine Erzählung ebenso wie die von Wladimow oder Konezki die Einstellung des Menschen zur Arbeit zum sittlichen Wertmaßstab macht. „Wenn man mich f r a g t " , sagte der Kritiker F. Lewin 1964 in der Debatte der Uteraturnaja 'Rßssija über das Genre der Erzählung, „welchen T y p der Erzählung ich heute als führend und als perspektivreich ansehe, so antworte ich: E s ist mir völlig gleich, o b ich es mit einer lyrischen Reflexion, einer Erzählung aus dem Alltagsleben, einer Erzählung mit einem ausgesprochen dramatischen oder komischen Sujet oder etwas anderem zu tun habe. Ich möchte lediglich, daß die Erzählung eine Entdeckung macht — ein neues Stückchen Wirklichkeit, das der Leser noch nicht kennt, einen neuen T y p und Charakter, den vorher noch niemand gestaltet hat, neue Gedanken, die unsere Vorstellungen von der Welt erweitern. Wir haben solche Erzählungen . . , " 2 2 8 Unter den Beispielen, die Lewin in diesem Zusammenhang nennt, befindet sich I. Grekowas Erzählung Hinter der Anmeldung (1962). Hinter der Anmeldung befindet sich „der Held unserer Erzählung", das Labor N r . 10, das der Leser darauf überprüfen soll, o b es „bemerkenswert" ist oder nicht. Mit freundlicher Ironie nimmt ihn der Erzähler in E m p f a n g : „In der Literatur sind Konventionen erlaubt, und so führe ich Sie in das Labor N r . 10, obwohl kein Passierschein für Sie ausgestellt ist. Wie sagte man doch im neunzehnten Jahrhundert: 'Folgen Sie mir, geneigter Leser!' Ich gebe acht, daß Sie nicht sehen, was Ihnen nicht zukommt. Ich werde Ihr Begleiter sein." 2 2 9 I. Grekowa weiß, daß es dem oberflächlichen Betrachter nicht gelingt, das „Bemerkenswerte" an einem Menschen, Arbeitskollektiv, Betrieb oder Forschungsinstitut zu entdecken. In der Erzählung 86

Hinter der Anmeldung führt sie den kläglichen Versuch des Korrespondenten Rjasanzew, das Institut nach einem kurzen Besuch zu beschreiben, als „abschreckendes" Beispiel vor. Rjasanzew erwartet nach dem Passieren der Anmeldung überall „Wunder", sieht jedoch nur „gewöhnliche" und „einfache" Dinge: nassen Asphalt, dürftige Bäumchen, hölzerne Papierbehälter, alltägliche Mitteilungen, gelbe Kanzleitische usw. Alles, was er sieht, hat keinerlei Beziehung zu dem, was er beschreiben möchte. Die Menschen im Labor scheinen in einer fremden, ihm unverständlichen Sprache zu reden. Die Maschinen wirken anders als die Roboter, von denen er in utopisch-phantastischen Romanen gelesen hat. Nichts vollzieht sich in diesem Labor nach den „Regeln" des Korrespondenten Rjasanzew. Er kann aber nur nach seinen „Regeln" schreiben: „Nach den Regeln mußten die Menschen mit gewöhnlichen, menschlichen Worten erzählen, und er selbst mußte, danach, Papier daraus machen." 230 Bisher hat er seine Artikel immer „so glatt und so richtig" geschrieben und sich bemüht, „die vorgeschriebenen Figuren auszuführen" — wie bei Gesellschaftstänzen, wo es nicht nötig ist, Originalität zu zeigen. Über das Forschungskollektiv von Professor Laginow vermag er jedoch nichts auszusagen. Der Leser hingegen, der vom Erzähler in das Labor Nr. 10 begleitet wird, macht Entdeckungen. Die Verbindung der exakten gegenständlichen Beschreibung des Milieus mit der verallgemeinernden „Ausdeutung" der gegenständlichen Details in den Reflexionen des Erzählers oder einzelner Gestalten erinnert an die minutiöse Genauigkeit, mit der im französischen „nouveau toman" vom Anfang der sechziger Jahre die gegenständliche Welt beschrieben wird. I. Grekowa interessiert jedoch nicht das Gegenständliche an sich, sondern seine Funktion und Bedeutung für die Menschen. Sie hält gesellschafdiche Verhältnisse auch auf diese Weise für beschreibbar. So „entschlüsselt" der Erzähler den Arbeitslärm in Labor Nr. 10 und erläutert, daß sich dahinter die erregte Diskussion um den freiwilligen zehnstündigen Arbeitstag abspielt. Er beschreibt die „abstehenden Ohren" und Haare auf dem Kopf Jaschas und läßt sich mit Spott und Ironie über die „Feindschaft" zwischen den „Romantikern" und den „Statistikern" unter den experimentierenden Wissenschaftlern aus, wobei er sich nicht scheut, sich offen zu den „Romantikern" zu bekennen. So reflektiert Shenka „der Lyriker" beim Anblick des Sparkassenplakats mit der „lächelnden Familie" 87

über den Unterschied zwischen solcher Talmischönheit und der Schönheit echter Kunst. In dieser Verquickung von gegenständlicher konkreter Beschreibung und reflektierender Verallgemeinerung, die Spott und Ironie durchdringen, besteht nicht nur ein Wesensmerkmal der Prosa I. Grekowas, sondern liegt zugleich auch ein Unterschied ihrer Schreibweise zu der Wera Panowas, mit der sie die Kritik hat vergleichen wollen. 231 Originell ist auch die subtile Charakterisierung der Mitarbeiter im Labor Nr. 10. I. Grekowa findet das Bemerkenswerte, Einmalige und Unwiederholbare jeder Gestalt. Sie interessieren nicht biographische Fakten im engeren Sinne, nicht die Lebenswege der Forscher, sondern ihre Begabungen, ihre Gegensätzlichkeiten, ihre Vielfalt, „all das, was die schöpferischen Möglichkeiten des Wissenschaftlerkollektivs als Ganzes vergrößert" 232 . In diesem Suchen nach der Einmaligkeit schöpferischer Individualitäten in dem widerspruchsvollen und vielfältigen Beziehungsgefüge eines Kollektivs kommt ähnlich wie bei Wladimow eine neuartige Vorstellung von den Beziehungen zwischen Individuum und Kollektiv zum Ausdruck. Shenja Strelzow heißt Shenka „der Lyriker", weil er Verse schreibt, die in seiner Seele summen „wie ein Bienenschwarm", weil er „seelische Überschüsse" hat. Kirill „der Prosaiker" ist bereit, „von morgens bis abends Berichte zu schreiben, vierzehn Stunden am Tag". Wowka „der Kritiker" ist — wie Grekowa ironisiert — ein „neuer Typ in der Literatur": „der positive Geck", „ein Modenarr und Sauberkeitsfanatiker, penibel noch und noch, der sich in Ironie wie in sein gebügeltes Oberhemd hüllt". Sinka ist „keine Schönheit im üblichen Sinne des Wortes", „nicht groß, schmächtig, mit brünettem, matt aschfarbenem Gesicht", alles an ihr ist von der gleichen Farbe: „die Augen, das Haar, die Brauen . . ." Sie ist „bescheiden und farblos . . . nichts Besonderes", dennoch ist sie „das Gewissen von Labor Zehn", „eine der Begabtesten", „ausdauernder als alle Männer". Grekowas Kunst der Porträtierung und Charakterisierung tritt bei der Darstellung der Verwandlungen, die in einzelnen Gestalten unter dem Einfluß bestimmter psychischer Situationen vor sich gehen, besonders markant hervor. Klaras Porträt z. B. ist als Kontrast zu Sinka konzipiert. Im Gegensatz zu der äußerlich unscheinbaren Sinka ist Klara „üppig, strahlend, goldblond, mit blauen Augen, fein gezeichneten Lippen und einer so reinen und glatten rosigweißen 88

Haut . . . " Sie wirkt „wie gemalt, allzu weiß, allzu rosig, allzu schön . . . " Manche Arbeitskollegen nennen sie „Drei Törtchen auf einmal". Als aber Wowka „der Kluge", ein blinder Forscher, wissen möchte, wie Klara ist, beschreibt sie Wowka „der Kritiker" so: „Wie sie aussieht? Wohlkonditioniert. Schön hell, groß . . . Nun, wie soll ich sie beschreiben? Sie sieht aus wie drei . . . wie drei Rosen auf einmal." 233 Über die widersprüchlichen, vielfältigen Beziehungen schöpferischer Individualitäten im Forschungskollektiv schreibt Grekowa so, wie Shenka „derLyriker" über die „tollenBurschen" schreiben möchte, die „fast am Umfallen sind" und sich trotzdem von der „Leidenschaft der kollektiven geistigen Arbeit" hinreißen lassen. Grekowa erzählt vor allem von den gewöhnlichen, alltäglichen Phasen dieser schöpferischen Leidenschaft, reproduziert in Monologen, Dialogen und den Gesprächen ganzer Gruppen von Diskutierenden und Streitenden den „Lärm" der Arbeit. Den „großen Tag", den Höhepunkt im Leben des Forschungskollektivs, gestaltet sie hingegen betont alltäglich, völlig unpathetisch: „Es ist geschehen. Nein, es ist vollbracht." 234 Sie macht ebensowenig große Worte wie ihre Helden, die sich zum „Alltag" gratulieren, weil er für sie identisch ist mit einem sinnerfüllten Leben, einer schöpferischen Tat für den Sozialismus. Alexander Twardowski, der die Erzählung in seiner Eigenschaft als Chefredakteur von Nowy mir rezensierte, war von der Gestaltung der „Atmosphäre angespannter schöpferischer Arbeit" 235 tief beeindruckt. Jotautas aus Vytautas Petkevicius' Erzählung Die wohlverdiente Rübe (1965), der in den Ruhestand getreten und von seinen Kollegen im Bahnbetriebswerk herzlich verabschiedet worden ist, scheint es, als wäre er „aus dem Gleis" geraten. Nach wie vor treibt ihn morgens der Pfiff der Rangierlokomotive aus dem Bett. Doch was er zu tun hat, ist nicht der Rede wert: Holz hacken, Wasser holen, die Gartenpforte reparieren. Das ist schnell getan. Aber draußen pfeifen die Lokomotiven — die von Juodkazinkas, der einen schweren Güterzug nach Klaipeda bringt und „natürlich die Pfeife nicht repariert hat", und die von Kowaljow, der wie immer „solange Krawall macht, bis er die ganze Stadt aufgeweckt hat". Jotautas kennt sie alle, die Lokomotivführer und Rangierer, und ist stolz darauf, daß er den Einsatzplan immer noch besser im Kopf hat als der übermütige Kowaljow. Als Jotautas den Koksschuppen aufsucht, sieht er, daß der Dispatcher es nicht versteht, eine neue Mitarbeiterin richtig anzuleiten. Verständnisvoll und „behutsam" nimmt Jotautas. 89

sich ihrer an. Innerlich aber ist er erregt, weil er endlich wieder eine „richtige Aufgabe" hat, beweisen kann, daß er noch nicht zum „alten Eisen" gehört. Ohne es zu wollen, beginnt er, das Mädchen zu belehren: „Tränen helfen dir nicht weiter, und andern schaden sie . . ."236 Jotautas darf mit dem jungen Ding so sprechen. Die Neue spürt, welche Erfahrung hinter diesen Worten steckt, und bewundert den den Alten insgeheim, als der in der Kantine so auftritt, „als habe er den Verkehrsminister persönlich hergebracht", oder als er Mickus „würdevoll wie ein Finanzinspektor" aus dem Kino holt. Sie hat schnell erkannt, daß Jotautas nur deshalb so handelt, weil er davon überzeugt ist, gebraucht zu werden und etwas Nützliches zu leisten. Ähnlich ist das ganze Leben dieses Arbeiters verlaufen. Gerade nach diesem ereignisreichen Tag muß er daran zurückdenken, „wie er als junger Eisenbahner Tag und Nacht dröhnende Züge begleitet, im Winter auf den Puffern gefroren und in der Sommerglut geschwitzt hatte, und ihm war, als habe er an dieser Stelle sein ganzes Leben aufgeteilt und es stückweise in Personen- und Güterzügen zu unbekannten, ihm aber nahestehenden Menschen geschafft." 237 Bei Petkevicius ist von der Verantwortung des sozialistischen Menschen für seine Arbeit und andere Menschen, sein Werk und sein Land die Rede. Jotautas' Persönlichkeit ist von dem Verantwortungsbewußtsein der Klasse geprägt, die seit 1917 die Geschicke des Sowjetlandes lenkt. Bei aller Eigenheit seines Denkens und Fühlens ist es die Wesensart dieser Klasse, die sein Verhalten im persönlichen Leben und in der gesellschaftlichen Praxis bestimmt. Der geschilderte alltägliche Vorgang verallgemeinert psychische und moralische Veränderungen, die sich unter den sozialistischen Verhältnissen herausgebildet haben. Feinfühlig analysiert der litauische Prosaiker die neuen Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft, deckt er die tiefgreifenden Wandlungen im Bewußtsein und praktischen Handeln der Menschen auf — Wandlungen, wie sie sich unter dem Einfluß der revolutionär veränderten Wirklichkeit gegenwärtig mit beschleunigtem Tempo in allen Teilen des Landes vollziehen. Künstlerische Erfahrungen des Letten Vilks und des Esten Hint werden dabei verarbeitet. „Für mich, die Generation litauischer Schriftsteller, die in den Nachkriegsjahren sozusagen direkt aus den Klassenkämpfen in die Literatur kam", sagt Vytautas Petkevicius, „war die Wechselwirkung, der Einfluß der Bruderliteraturen, niemals nur eine theoretische Frage." 238 Er hat auch 90

davon berichtet, daß er aus dem Ukrainischen übersetze, um in den Geist anderer sowjetischer Nationalliteraturen tiefer einzudringen und ihn für sich fruchtbar zu machen. Auch darin wird ein wichtiger Aspekt der wechselseitigen Verantwortung des einzelnen und des Ganzen sichtbar, die uns als ein wesentliches Charakteristikum der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Literatur der Völker der UdSSR erscheint.

Die Koordinaten der Epoche In der Diskussion über den sozialistischen Humanismus, die Anfang der sechziger Jahre von Literaturwissenschaftlern und Schriftstellern der Sowjetunion geführt wurde, spielte der Gedanke von der weltweiten Verantwortung des Sowjetmenschen eine große Rolle. Wladimir Stscherbina239, der den menschheitlichen Anspruch der Sowjetliteratur hervorhob und verschiedene Tendenzen der Enthumanisierung in der Kunst des Imperialismus entgegenstellte, bezeichnete es als einen Wesenszug des Helden der sowjetischen Gegenwartsliteratur, daß er sich fest mit dem Schicksal der Menschheit verbunden und für sie verantwortlich fühlt. Alexander Twardowski hob in seinem Poem Fernen über Fernen (1960) den Gedanken hervor, der einzelne trage heute in einem besonderen Maße für . . . unsrer und der Welt Geschicke Verantwortung. Für alles, ganz. 240 In einem redaktionellen Artikel der Sowjetliteratur2/,i wurde auf die Weite des sozialistischen Humanismusbegriffes hingewiesen. Er schließe nicht nur den Komplex des sittlichen Verhaltens, sondern auch den der Verwirklichung des Menschen überhaupt, also die Frage nach seiner Herrschaft über Natur und Technik und die nach seiner Rolle in der Gesellschaft und in der Geschichte ein. In Anlehnung an den von Gorki entwickelten Gedanken des streitbaren proletarischen Humanismus wurde die Notwendigkeit der aktiven Auseinandersetzung mit allem, was dem humanistischen Anspruch des Menschen entgegenwirkt, überzeugend herausgearbeitet. Konstantin Simonow forderte vom Schriftsteller die Bereitschaft, die „Last der Verantwortung" zu tragen, und Engagement für die Interessen des „Volkes" und der „Menschheit".242 Michail Scholochow bezeichnete in seiner Rede anläßlich der Verleihung des No91

belpreises 1965 die Wirkung der Kunst auf Gefühl und Verstand als eine „Macht", die nur „zum Wohle der Menschheit" eingesetzt werden dürfe. Vom großen menschheitlichen Anspruch der Sowjetliteratur kündete seine Zielsetzung, mit dem, was er schreibt, den Menschen verändern und in ihm das Bestreben stärken zu wollen, aktiv für Menschheitsfortschritt und Humanismus zu kämpfen. 2 0 Diese ideologisch-ästhetischen Positionsbestimmungen der Sowjetschriftsteller haben auch im Genre der Erzählung Ausdruck gefunden. Vielleicht hat sie in den Werken Grigori Baklanows und Leonows aus der ersten Hälfte der sechziger Jahre die wesentlichen Bestrebungen aller Gattungen, von denen Georgi Markow auf dem IV. Sowjetischen Schriftstellerkongreß 1967 sprach, nämlich das „höhere Verantwortungsbewußtsein für die Sache des Kommunismus und die Geschicke der Welt", das „tiefere Verständnis für die Rolle des über fünfzig Jahre historische Erfahrung verfügenden Sowjetvolkes in der Welt" und das Aufdecken der „Wahrheit unseres Jahrhunderts in ihrer Komplexität" 244 , sogar besonders intensiv erfaßt. Grigori Baklanow ging 1941 freiwillig an die Front. Er war Zugführer wie Leutnant Motowilow aus der Erzählung Ein Fußbreit Erde, bei Kriegsende führte er — wie Leutnant Nikolajew aus der Erzählung Verrechnet — die Aufklärungsabteilung einer Artilleriedivision. In seiner Autobiographie vermerkt Baklanow, daß er als einziger von den Jungen seiner Schulklasse aus dem Krieg wieder zurückgekehrt ist.245 Die Größe der Verluste hat er einmal in dem Gedanken auszudrücken gesucht, im Krieg seien sicher auch „der Tolstoi und der Einstein unseres Jahrhunderts" 246 geblieben. Eine Rechtfertigung für diese Verluste — wenn sie überhaupt möglich ist — verbindet sich für den Schriftsteller mit dem Bewußtsein, „jedes Leben dafür hingegeben" zu haben, damit „das Volk und die Menschheit weiterleben".247 In der Erinnerung Baklanows ist der Krieg als „eine Epoche in der Geschichte der Menschheit" 248 lebendig. Dieser universalgeschichtliche Aspekt, unter dem der Autor den Krieg betrachtet, kommt auch in dem Gedanken zum Ausdruck, daß 1941 vor Moskau die „letzte Grenze im Kampf um die Demokratie" verlief, die Grenze, an der die Welt hat begreifen müssen, „wer die Zukunft der Menschheit verteidigt". 249 Der Erzählung Verrechnet (1962) liegt der Gedanke der historischen Verantwortung des Menschen zugrunde. Als Schriftsteller, der von der Literatur „überzeugende Antworten auf Lebensfragen" 250 er92

wartet, schätzt Baklanow die Eignung des Genres der Erzählung für die Gestaltung dieses Problemkreises hoch ein. Er betrachtet die Erzählung als einen „Tropfen, in dem sich die ganze Welt spiegelt", und sucht ihre spezifischen Möglichkeiten bei der „Erforschung des Lebens" 251 auszuschöpfen. Der unmittelbare Anstoß zur Schaffung der Erzählung Verrechnet war 1961 eine Meinungsverschiedenheit zwischen Baklanow und Juri German über das Problem einer „allgemeinen Amnestie". 1970 ging Baklanow noch einmal darauf ein und betonte, er vertrete durchaus nicht die Ansicht, die Menschen müßten ständig mit dem Gedanken an Vergeltung leben. Dennoch fordere er, vor allem im Namen der Gefallenen, die Bestrafung aller faschistischen Kriegsverbrecher.252 Den Kern der Erzählung und die vier Episoden, die in ihn eingefügt sind, bestimmt das Motiv der Verantwortung. In der Episode der Gefangennahme des deutschen Gefreiten am zweiten Friedenstag erinnert sich der Erzähler an den Juli 1941. Damals kam es vor, daß sowjetische Soldaten gefangenen Deutschen gutmütig auf den Rücken klopften, wenn sie Arbeiterhände besaßen. Unmittelbar nach Beendigung des Krieges wäre etwas Ähnliches nicht möglich gewesen: „Anderes lag zwischen uns, mit anderem Maß wurden nach diesem Kriege Schuld und Verantwortung eines jeden gemessen."253 Eine zweite Episode berichtet von Wolodja Jakowenko, der begreifen muß, daß die Suche nach seinem Vater hoffnungslos ist, nachdem er das erste Konzentrationslager gesehen hat. Seine Frage, ob die Deutschen „das alles gewußt" haben, enthält eine unüberhörbare Mahnung. Auch die beiden anderen Episoden, in denen der Soldat Makaruschka aus dem niedergebrannten Partisanendorf und der aus dem Lager befreite Pole vorgestellt werden, berühren sich tief mit dem Gedanken der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen und vor der Geschichte als dem Gewissen der Völker. Die Kernerzählung entwickelt das Hauptmotiv der Erzählung am überzeugendsten. Der Erzähler betrachtet sich als Stellvertreter all jener, „die nicht bis hierher kamen". Dieses Bewußtsein prägt sein Verhältnis zu den ehemaligen Feinden, läßt ihn in erster Linie Einsicht und Verantwortungsgefühl erwarten. Den Übergang zum Frieden ohne Abrechnung mit der Vergangenheit lehnt er ab: „Sie hatten sich ohne große Bedenken in die Friedensverhältnisse hineingefunden, und zwar so einfach, als brauchte man dazu nur die Stiefel gegen Filzpantoffeln auszutauschen . . . Vom Krieg sprachen sie nicht gern, sie schüttelten nur mißbilligend den Kopf und sagten, 93

Hitler sei an allem schuld, nun solle er sich auch für alles verantworten. Sie aber hatten ihre Stiefel ausgezogen." 2 5 4 In solchen Menschen steckt noch immer der Ungeist des Faschismus. E r verbirgt sich hinter dem „biederen Gebaren" des Hausherrn und hinter der „Sattheit und Zufriedenheit" der Bäuerin. Im Verhalten des Sohnes, der den sowjetischen Aufklärern die „Rechnung" für ein erschossenes Schwein präsentiert, in diesem an sich belanglosen Akt scheinbarer Redlichkeit, offenbart sich die „Psychologie des Faschismus" 2 5 5 in ihrer ganzen Brutalität. Der Erzähler, der den jungen Burschen mit Makaruschka vergleicht, der auch vierzehn Jahre alt war, als man ihn und seine Schwester zur Erschießung führte, tritt hier ganz offen mit seinem Standpunkt hervor: „Dieser Bengel hier hatte mit seinen vierzehn Jahren noch kein Leid erfahren, aber er wußte schon recht gut, was man für ein Kilogramm vollwertiges Schweinefleisch verlangen muß. Und so steht er mit der Rechnung in der Hand vor mir, überzeugt von' seinem Recht, uns die Rechnung zu präsentieren." 2 5 6 Das völlige Fehlen des Verantwortungsgefühls und die bedenkenlose Umkehrung der Schuldfrage sieht der Erzähler als ein gefährliches Erbe an, das der Faschismus in den Köpfen mancher Deutschen hinterlassen hat. Deshalb sieht er sich veranlaßt, in dem „Epilog", der deutlicher als die anderen Teile der Erzählung aus der Sicht des Jahres 1962 verfaßt ist, die Anmaßung, den vom Faschismus Überfallenen Völkern Rechnungen vorlegen zu wollen, in aller Schärfe zu verurteilen. Sein Anliegen erschöpft sich jedoch nicht in der Darstellung jener Ereignisse des Jahres 1945. E s zielt in die Gegenwart und in die Zukunft, ist Mahnung im Sinne der historischen Erfahrung, daß die Abwehr des Faschismus ein Menschheitsproblem ist. „Der Große Vaterländische Krieg war . . . zutiefst mit dem historischen Schicksal der Völker und Länder verknüpft . . . Bekanntlich hat der Krieg die Karte der Welt verändert, die durch ihn ausgelösten Prozesse dauern bis auf den heutigen Tag an. Verleiht all das nicht dem Bewußtsein des modernen Menschen sein Gepräge ? " 2 5 7 Diese Frage berührt sich tief mit dem Grundgedanken der Erzählung: „Der Faschismus herrschte in Deutschland. Doch das ging die ganze Menschheit an." 2 5 8 Leonid Leonow betrachtet das zwanzigste Jahrhundert als „Jahrhundert der größten Veränderungen" 2 5 9 . Sie gehen in der Wissenschaft, Technik und Moral vor sich, revolutionieren das Leben der Gesellschaft und des einzelnen. Den Schriftsteller bewegt in diesem Zusammenhang die Wandlung des Menschen, der nach seiner Über-

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zeugung „neue, wichtige, noch unbekannte Eigenschaften" 260 entwickelt. Leonow gehört zu den sowjetischen Erzählern, die durch eine tiefgreifende Analyse der Stellung des Individuums im sozialhistorischen Koordinatensystem unserer Epoche wichtige Entdeckungen gemacht haben. Eine Voraussetzung dafür besteht in der weitgespannten menschheitsgeschichtlichen Konzeption, wie sie z. B. seiner Erzählung Ei'genta Ivanovna (1963) zugrunde liegt. Die wirkliche Bedeutung eines Buches lasse sich nur an der Wirkung ermessen, die es zum Nutzen des Menschheitsfortschritts auslöst, formulierte Leonow 1956 in einer Rede vor jungen Autoren. 261 In einem Gespräch mit dem Kritiker Juri Okijanski, der ihn nach den stofflichen Grundlagen für die Erzählung Eugenia Ivanovna befragte, wies Leonow darauf hin, daß ein bedeutender Stoff aus dem Schriftsteller „einen Funken zu schlagen vermag . . . der einen bestimmten Augenblick, eine Nacht, einen Tag oder eine Epoche erhellen kann" 262 . Der Weg zur Erhellung des Augenblicks und der Epoche sollte nicht darin bestehen, „dem Dasein das Spiegelchen begrenzter Vollkommenheit vorzuhalten, es nachzuahmen, das Modell also ärmer zu machen". Eher geht es darum, „ein Phänomen bis in seine Muskulatur hin zu erforschen, die innere Logik zu erfassen, sein Werden und Sein auf die knappste Formel zu bringen und mithin seine Uridee zu enthüllen", d. h. also selbst die universellsten Vorgänge „auf die Dimensionen eines Samenkorns" 263 zu bringen. So jedenfalls formuliert Pickering den Gedanken, und die Ansichten des sympathischen Engländers aus der Erzählung Evgenia Ivanovna stimmen zuweilen haargenau mit den Auffassungen des Autors überein. Bei Leonow geht es meist um das Schicksal des Menschen und der Menschheit. Er hat dieses Problem nach dem Kriege schon in dem philosophischen Gesellschaftsroman Der russische Wald und in der satirischen Filmerzählung Die Flucht des Mister McKinley gestaltet. In dem Roman suchte er vor allem „den Sinn der Epoche philosophisch zu verallgemeinern", insbesondere das, was innerhalb unserer Epoche „im Hinblick auf die menschliche Existenz vor sich ging" 264 . Auch in Eugenia Ivanovna gibt es eine Überlegung zu diesem Problem: „Die Vergangenheit lehrt die Gegenwart, ihre Miseren in Zukunft zu vermeiden — übrigens zumeist ohne sonderlichen Erfolg." 2® Die ausgewogene Analyse der Beziehungen zwischen dem Individuum und der Epoche ist für Leonow charakteristisch. Es gehört 95

zu den Grundsätzen seiner Kunstauffassung, im literarischen Werk „Bruchstücke der persönlichen inneren Biographie" 266 zu sehen, in der allgemeine Prozesse, die im Lande oder sogar in der Menschheit vor sich gehen, ihren Niederschlag finden. Für Leonow gilt, daß der Künstler vor allem sagen muß, „wie er über das denkt, was ihn am meisten angeht: über seine Epoche" 267. Die Gestalten der Erzählung Evgenia Ivanovna werden am Maßstab der Epoche gemessen und gleichzeitig auf ihre Beziehung zum „Dostojewskitum" überprüft. Ihr Verhältnis zur Epoche ist um so inniger, je mehr sie sich vom „Dostojewskitum" lösen können. In Stratonow nimmt das Dostojewski-Bild ausgesprochen dekadente Züge an, die er krampfhaft zu maskieren sucht. Maskierungen sind das Französischsprechen sowie die selbstquälerische zweite Liebeserklärung an Evgenia, die in der Bitte um „Mitleid" gipfelt. Maskierungen sind die Tarnung durch politische Phrasen in der Februarrevolution und während des Disputs mit Evgenia in Alawerdy sowie die erniedrigenden Versuche, sich von seiner Schuld gegenüber Evgenia reinzuwaschen. Der Erzähler nimmt ziemlich offen gegen die „Stawroginschen Symptome" 268 bei Stratonow Stellung. Seine wichtigste Waffe ist die Ironie. So sagt er an einer Stelle: „ Seiner glatten Höflichkeit merkte sie an, daß ihn das Gewissen kaum quälte, eher war ihm seine Handlungsweise peinlich, wobei sie ihm getrost hätte etwas peinlicher sein dürfen." 269 Noch deutlicher tritt die abwertende Ironie des Erzählers in der folgenden Stelle hervor : „Dem schmerzgebeugten Weib entging die Menge beschwörendrührseliger Begleitumstände, mittels derer der gewitzte Tote die Witwe von seinem Ableben zu überzeugen suchte." 270 An der Epoche gemessen, weist das Leben Stratonows ihn als eine „leere Seele" aus. 1917 ist er ein eitler Leutnant, der sich vom Glanz der Augen Evgenias „zum Zweikampf mit den Feinden des neuen Lebens beseelen" lassen möchte. 1918 versteckt er sich ein halbes Jahr lang in einem Heuschober, um dann als Offizier zu den Weißen zu gehen. 1919 läßt er Evgenia in Konstantinopel im Stich. Bei der erneuten Begegnung im Jahr 1923, in dem die Gegenwartshandlung der Erzählung abläuft, erweisen sich Stratonows Worte über die „Konstituierung höchster Menschlichkeit auf Erden" und sein Traum vom „goldenen oder gerechten Zeitalter" als Phrasen, mit denen er weiterhin seine nationale Würdelosigkeit und seinen Opportunismus zu vertuschen sucht. Pickering, der häßlich und krank ist, erinnert bei seinen Bemühungen um die „Rettung" Evgenias in mancher Hinsicht an den Fürsten 96

Myschkin. Dennoch wird er vom Leser als wichtigster Gegenspieler Stratonows und des negativen „Dostojewskitums" aufgefaßt. Der nüchterne Realismus des Archäologen, die „linken, ja moskauhörigen Anschauungen" des Mannes, über die bürgerliche Zeitungen zetern, wecken Sympathie für diese Gestalt, die der Erzähler durch die liebevoll-ironische Zeichnung 271 zu fördern weiß. Dem Pseudostaatsbürger Stratonow ist Pickering vor allem auch deswegen überlegen, weil er zu historischen Einsichten gelangt, die dem anderen völlig verschlossen bleiben. Teilweise sind Pickerings Ansichten über die Entwicklungsgeschichte der Menschheit Ausdruck seiner jungenhaften Unbekümmertheit. Aber es gibt bei ihm auch echte Ansätze zum Begreifen historischer Gesetzmäßigkeiten. Aus seiner mechanistischen Auffassung von der Determiniertheit der menschlichen Existenz kann Pickering jedoch nicht heraus. Das zeigt seine Deutung des Bruegelschen Bildes Die Blinden.'11'1- Dennoch ist er stärker mit der Epoche verbunden als Stratonow und Evgenia Ivanovna. Evgenias „rätselhafte Krankheit" hängt mit ihrer Loslösung von der Epoche zusammen. Der Leser erkennt in dem „unerreichbaren nördlichen . . . Horizont" sowie in der Wirkung der „in der südrussischen Steppenstadt als Organ des Sowjets der Arbeiter-, Bauernund Soldatendeputierten herausgegebenen Zeitung" auf Evgenia bestimmte auslösende Momente ihrer „Krankheit". Vor allem die Reflexionen des Erzählers weisen immer wieder auf die Ursachen der Erkrankung Evgenia Ivanovnas hin: „Wenn der Sturm ein Blatt abweht, ist's aus mit ihm; es flattert umher im Freien, fliegt durch die Gegend, steigt vielleicht ungeahnt hoch, und dennoch fault es eher als die andern, die am Baum blieben." 273 In der Wertung, die der Erzähler in seinen Reflexionen vornimmt, überwiegt das Bedauern darüber, daß Evgenia die potentiellen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, die sie im Gegensatz zu den ihr ähnlichen Frauengestalten bei Dostojewski, z. B. zu Nastasja Filippowna, durch die revolutionäre Umwälzung ihres Heimatlandes gehabt hätte, infolge ihrer Loslösung von der Epoche nicht hat wahrnehmen können: „Übrigens führten die englischen Ärzte den Tod seiner Frau auf Komplikationen nach der Entbindung zurück. Ihre Diagnose wäre genauer ausgefallen, hätten sie außer der Anamnese auch von unserer kleinen Geschichte Kenntnis gehabt." 274 Evgenias Tragödie besteht im Verlust der Möglichkeit zur gesellschaftlichen Selbstverwirklichung. Anfangs vermag sie das Ausmaß dieses Verlustes noch nicht zu überschauen, obwohl sie spürt, 7

Kasper, Sowj. Erzählung

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daß sie etwas Wesentliches verloren hat. Sie sehnt sich im Ausland nach Sommer, Steppengewitter, Winterwald, schneegefilterter Stille, Ostern, dem Frühling in der Steppe, dem Hund Tresorka, der K u k kucksuhr, Mutters Häuschen mit dem Malvengärtchen. All das sind Synonyme für das verlorengegangene Wort „Heimat". E s scheint ihr, als könnte sie sich durch die Reise nach Georgien „einen Freibrief für die Fremde" holen. Doch nach den „eigentlichen Abenteuern dieser Reise", dem Vollzug der „Hauptsache", der „dramatischen Schlußapotheose" und dem „unvermeidlichen Augenblick" (das sind die im Text sichtbar werdenden Knotenpunkte ihrer tragischen Entwicklung) geht Evgenias „geschärften Sinnen" auf, daß sie etwas „Unersetzliches" verloren hat. Sie begreift, wie Leonow in einem Gespräch mit Juri Okijanski sagte, „daß sie vom Rad der Geschichte überrollt" 2 7 5 wurde. Insofern ahnt Evgenia am Ende auch die Größe ihres Verlustes: „ J a , sie hatte sich der Sorgen ihres früheren Landes schlankweg entschlagen, der heutigen wie der morgigen, der zuweilen übermenschlichen Erlebnisse und Anstrengungen einer Zeit, die diese Menschen einte wie eine gebieterische Forderung von historischer Tragweite." 2 7 6 Evgenia hat die Chance, ihre Lebensbahn mit dem Vormarsch der Epoche in Übereinstimmung bringen zu können, durch ihre Entscheidung für das vermeintliche Glück mit Stratonow, eine psychologisch verständliche, aber geschichtlich verhängnisvolle Entscheidung, ein für allemal verloren. In den Telianern, den kachetischen Weinbauern mit den Breugnonschen Zügen, gestaltet Leonow Menschen, die sich mit der Epoche in Übereinstimmung gebracht haben. Die Telianer zeigen nicht nur „gemäß dem gewichtigen Auftrag der Tifliser Leitung den stolzen Briten Kachetiens Gastfreundschaft" und sind nicht einfach „großartige Kerle", wie der Erzähler vermerkt. Ihr grundlegender Wesenszug ist das für Evgenia unerreichbare Selbstbewußtsein des auf freier Erde, in freier Entscheidung arbeitenden sozialistischen Menschen. E s kommt in der Aufforderung an Pickering zum Ausdruck, ihnen unter der Adresse „Erdenrund" zu schreiben. E s prägt die Reden beim „Schlemmermahl des Geistes". Pickering läßt hier den „auffunkelnden Menschengeist" hochleben. Die Telianer erwidern ihm aus ihrer weltanschaulichen Sicht: „Buddle deine Vergangenheit nur aus, auf daß die Zukunft davon sauberer und schöner wird!" 2 7 7 Wenn Leonow diese Gestalten am Rande der Erzählung beläßt, geht er sicher davon aus, daß sein Anliegen den Leser auch durch die indirekte Beweisführung, die Tragödie Evgenias, erreicht. Viel98

leicht entspricht die Anlage der Erzählung aber auch seinem Bestreben, den Leser durch Aussparungen dieser Art wirklich zum „Teilnehmer an den erzählten Ereignissen" 278 zu machen. In der Einbeziehung des Lesers, in der Anregung zum Mit- und Weiterdenken sieht Leonow eine wichtige Aufgabe des sozialistischen Schriftstellers, wie er generell eine der wichtigsten Aufgaben der Sowjetliteratur darin erblickt, den Menschen im Bewußtsein seiner menschheitsgeschichdichen Verantwortung zu bestärken. 279



Die Bewegung des Lebens

Die sowjetische „Reiseerzählung", deren weite Verbreitung sicher durch die gleichermaßen intensiveren wie extensiveren Wirklichkeitsbeziehungen der Schriftsteller gefördert wurde, erhielt auch aus dem Schaffen Alexander Twardowskis und Konstantin Paustowskis starke Anregungen. Schon in den vierziger Jahren, bei der Arbeit an dem Prosaband Heimat und Fremde, sah sich Twardowski vor die Aufgabe gestellt, von einer Reise in sein Heimatdorf Sagorje zu berichten, das die Faschisten während des Krieges zerstört hatten. Der Dichter wollte die Reisebeschreibung mit der Darstellung weiter zurückliegender Erlebnisse und Eindrücke verbinden. So entstand „Erzählung und doch nicht Erzählung, Tagebuch und doch nicht Tagebuch, sondern etwas ganz anderes, das drei, vier verschiedenartige Erlebnisschichten enthält". Twardowski erkannte das „große Fassungsvermögen" dieser Prosaform, die es ihm gestattete, vieles „in Erinnerung zu bringen, miteinander zu verknüpfen und aufeinander zu beziehen". Besonders wichtig erschien ihm dabei, daß es gelungen war, „nur scheinbar von sich, in Wirklichkeit jedoch überhaupt nicht ,von sich', sondern von dem Allerwichtigsten" 280 zu sprechen. In Werken wie Kostja (1944) und An heimatlichen Stätten (1946), die zuweilen als Skizzen betrachtet werden, jedoch ebenso wie Ofensetzer typische Erzählungen des Dichters sind, konnte Twardowski erstmals seine Vorstellungen von der „Reiseerzählung" mit „großem Fassungsvermögen" verwirklichen. Von der „belebenden" und „verjüngenden" Wirkung des Reisens auf den Schriftsteller sprach er auch in dem Poem Fernen über Fernen (1960). Er hielt es für notwendig, jeder Art von Routine und Erstarrung im künstlerischen Schaffen durch die aktive Hinwendung zu neuen Wirklichkeitsbereichen entgegenzutreten. Scherzhaft unterschied Twardowski zwei Formen des Reisens, die er abwechselnd zu nutzen empfahl: die Fahrt in „ferne Länder" und das „Zurückblättern im Kalender". 281 100

Konstantin Paustowski hat mit Werken wie Italienische Aufzeichnungen (1962) und Der lljinsker Grund (1965) zur Auflockerung der Erzählprosa und Verbreitung der „Reiseerzählung" beigetragen. Diese Werke sind nach den Worten des Schriftstellers „keine Erzählungen im eigentlichen Sinne, keine Skizzen und Aufsätze. Es sind auch keine Gedichte in Prosa, eher Aufzeichnungen von Reflexionen, zwanglose Gespräche mit Freunden . . ." 282 In Paustowskis späten Werken gehen Erzählung, Reisebild und Essay eine enge Verbindung ein. Das Autobiographische tritt unverhüllt hervor und verleiht der Prosa jenen hohen Grad an Unmittelbarkeit und Emotionalität, der Gefühl und Verstand des Lesers provozierend herausfordert. Der Autor will sich nicht selbst darstellen, wohl aber seine Einstellung zu der gestalteten Wirklichkeit uneingeschränkt zum Ausdruck bringen. In Der lljinsker Grund spricht Paustowski z. B. mit Bedauern davon, „daß es uns nicht gelungen ist und wohl auch nicht gelingen wird, die ganze Welt in ihrer erstaunlichen, geheimnisvollen Mannigfaltigkeit zu sehen". Diese Unzufriedenheit regt den Schriftsteller dann an, im lljinsker Grund, einem Naturparadies an der Oka, das „Unersetzliche" zu entdecken und für den Leser zu bewahren: die Landschaft als Teil der Heimat sowie die Heimat als Teil der Welt von heute und morgen. Auf diese Weise erwächst aus der „Biographie des Zeitgenossen" die „Biographie der Zeit" .283 Dieser Bezug bei Paustowski deutet auf das poetische Prinzip vieler „Reiseerzählungen" hin, die sowjetische Schriftsteller in den sechziger Jahren geschaffen haben, z. B. Wassili Axjonow, Wiktor Konezki, Andrej Bitow, Daniii Granin u. a. Sie alle vereint das Bestreben, auch im Rahmen des kleinen Genres die kompliziertere Wirklichkeit und die vielfältigen neuen Beziehungen des Menschen zu ihr tiefgründig zu erfassen. Alexander Twardowskis „Empfehlung", die Fahrt in „ferne Länder" mit dem „Zurückblättern im Kalender" zu verbinden, erweist sich dabei als produktive künstlerische Lösung. So weit eine Reise im realen geographischen Raum den sowjetischen Erzähler auch führen mag, die „Haltepunkte" in der Vertikalen erscheinen ihm nicht weniger wichtig als die „Stationen" auf der horizontalen Reisestrecke. Natürlich hängt das mit dem um diese Zeit, rund fünfzig Jahre nach der Oktoberrevolution, zunehmenden Interesse an den Traditionslinien der nationalen Geschichte im Rahmen der weltrevolutionären Bewegung der Arbeiterklasse zusammen. Auch das sich gleichzeitig verstärkende Augenmerk für 101

das Verhältnis des zeitgenössischen Menschen zur Natur ist, wie wir sehen werden, mit dieser allgemeinen Blickrichtung auf die Geschichte verknüpft.

Vom „Nutzen der Geographie" Die „Reisen" der Helden in Wassili Axjonows Erzählungen führen den Leser in der Regel nicht nur zu Begegnungen mit interessanten Zeitgenossen, sondern auch zu neuen Einsichten, die ihn veranlassen, seine Haltung gegenüber den aufgeworfenen Fragen, meist ethisch-moralischen Problemen, gründlich zu überprüfen. Der Schriftsteller hat eine Vorliebe für Reisesujets, weil sie seiner Vorstellung von den Möglichkeiten einer dynamischen Prosa weitgehend entsprechen. In einer Rede auf der Leningrader Tagung der COMES betonte Axjonow 1963 in polemischer Auseinandersetzung mit damaligen Auffassungen Alain Robbe-Grillets, Nathalie Sarrautes und anderer Vertreter des französischen „nouveau roman", realistische Prosa dürfe zwei Komponenten der Inhalt-Form-Beziehung, die Gestalt und das Sujet, um keinen Preis aufgeben. Die Gestalt erschien ihm wesentlich, weil der Prosaiker durch sie seine Ansichten über den Menschen und die Gesellschaft mitteilen kann. Das Sujet faßte er im Sinne von Handlung auf, die von innerer Bewegung und Spannung getragen wird. 284 Auch wenn Axjonow in Leningrad vom Roman sprach, der Gegenstand dieses internationalen Symposiums war, galten seine Grundsätze in gleichem Maße für die von ihm vertretene Auffassung von der Erzählung. Seine Forderung, „staatsbürgerliche Aktivität" (grazdanstvennost') und „sozialen Gehalt" (social'nost') als wesentliche Qualitätsmerkmale zeitgenössischer Prosa zu betrachten, schloß alle Genres ein. Verwirklicht hat er sie übrigens, wenn man von seinem ersten Roman Drei trafen sich wieder (1960) absieht, am konsequentesten in seinen Erzählungen. Bereits die erste Erzählung Axjonows Anderthalb Ar^tplanstellen (1959) wies Ansätze der später formulierten theoretischen Konzeption auf. Maxim Sergejewitsch Barsukow, ein hoher Staatsfunktionär, erkrankt auf einer Reise durch Karelien und muß einige Tage in einem Landkrankenhaus verbringen, wo ihn die junge Ärztin Wera Iwanowna Gorjajewa aufopferungsvoll pflegt. Beide sind Persönlichkeiten mit einem starken Charakter, jedoch keiner erkennt 102

anfänglich das wahre Wesen des anderen. Wera sieht in Barsukow zunächst nur den Typ eines „Vorgesetzten, wie er in der letzten Zeit häufig in Filmen dargestellt wird". Er vergleicht die Ärztin mit seiner Tochter Lenka und glaubt, sie hätte die Stelle im Dorfkrankenhaus nur angenommen, um auf diesem Wege zu einer Aspirantur in Leningrad oder anderen persönlichen Vorteilen zu gelangen. In ihrem praktischen Verhalten erweisen sich beide als ganz andere Menschen. Barsukow haben die dreißiger Jahre geformt, und er ist sich seit dieser Zeit treu geblieben. Für ihn bedeutet das, „sich für die Sache völlig zu verausgaben, alles selber zu Ende zu führen, vorwärtszudrängen, ohne Rücksicht auf eigene Krankheiten oder die -anderer"285. Deshalb versetzt er sich „innerlich sofort in Kampfbereitschaft", als das Krankenhaus von den Wassermassen des über seine Ufer getretenen Flusses bedroht wird: „Sein Verstand arbeitete kühl und präzise, wie ein eingespielter Mechanismus, sein Körper gehorchte ihm wieder. Er liebte solche Augenblicke. Vielleicht enthalten sie die Quintessenz des Lebens."286 Weras Charakter zeigt sich bei der Auseinandersetzung mit Sbignew, dem Stellvertreter des Hafenmeisters, der vor Barsukow katzbuckelt. Sein Ansinnen, die anderen Kranken zu entlassen oder im Korridor unterzubringen, um Barsukow gefällig zu sein, weist Wera -entschieden zurück. Für sie gibt es keinen Unterschied „zwischen einem Holzfäller, Flußschiffer oder Minister". Wie sehr sie sich für alle Patienten einsetzt und mit welch hohem persönlichen Einsatz sie ihren Beruf ausübt, beweist ihr Verhalten in der Katastrophensituation. Doch es ist nicht die äußere Spannung allein, die die Handlung der Erzählung bewegt. Von größerem Gewicht ist die geistig-emotionale Spannung auf der Reflexionsebene. Gerade sie läßt Axjonows Einstellung zu den gesellschaftlich bedeutsamen Problemen, die Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre diskutiert worden sind, besonders deudich erkennen. Manche von ihnen, so die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Generationen der „Väter" und „Söhne" oder die nach dem Maß der persönlichen Verantwortung des einzelnen für das Gesellschaftsganze, hat der Autor in dem Roman Drei trafen sieb wieder weiterentwickelt. In einem Gespräch mit dem Schriftsteller Wassili Rosljakow äußerte Axjonow, zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit hätten manchmal ein einzelner Satz oder ein winziges Detail gereicht, ihn zum Schreiben einer Erzählung anzuregen. So erinnerte er sich •z. B. daran, wie vor Jahren in Chabarowsk bei starkem Frost ein 103

junger Bursche mit zwei dicken Mänteln ins Flugzeug stieg und sich darüber wunderte, mit welcher Selbstverständlichkeit die Stewardeß die Kleidungsstücke in die Garderobe hängte: „Damit hatte ich den Charakter des Helden meiner Erzählung Auf halbem Wege •%um Mond gefunden . . Z'287 Die Kritiker Marietta und Alexander Tschudakow bescheinigten die „Alltäglichkeit" und „Glaubwürdigkeit" dieser Gestalt. Sie verglichen den Taigaarbeiter Waleri Kirpitschenko mit ähnlichen Gestalten Michail Sostschenkos und hoben das Interesse beider Autoren für den Typ des „Durchschnittsmenschen" hervor. 288 An Sostschenko erinnert zweifellos auch Axjonows Verfahren, die „Alltäglichkeit" und „Glaubwürdigkeit" des Helden durch eine Vielzahl „authentischer" Details, von der Erwähnung der gebräuchlichen Flugzeugtypen, Zigarettensorten usw. bis zur unmittelbaren Wiedergabe stark individualisierter Rede, nachdrücklich hervorzuheben. Dennoch gelangte Axjonow hier nicht weit über die Erfassung der äußeren Konturen des Charakters hinaus. Er entdeckte fast zur gleichen Zeit wie Georgi Wladimow (dessen Erzählung Das große Erz erschien 1961, Auf halbem Wege %um Mond — 1962) einen in sozialer und psychologischer Hinsicht neuartigen Typ, vermochte jedoch dessen geistige Physiognomie und seine eigene Einstellung zu diesem Typ, die ästhetische Wertung der Gestalt durch den Autor, nicht deutlich genug herauszuarbeiten.289 Auch der Kritiker Alexander Makarow sprach vom künstlerischen Fortschritt, den Axjonow mit den Erzählungen von 1962 erreichte, nur unter Vorbehalt. Nach seiner Meinung enthielten die Erzählungen Auf halbem Wege %um Mond und Papa, lies vor! weniger Deklaratives als die vorangegangenen Werke Axjonows und auch eine Antwort auf die Frage „Wohin?", die der Schriftsteller in seinem Roman Sternenfahrkarte (1961) offen gelassen hatte. Jedoch fehlte Kirpitschenko wie dem ehemaligen Fußballspieler Sergej aus Papa, lies vor! etwas Entscheidendes, nämlich „das Bewußtsein von der Notwendigkeit ihrer Arbeit, das Gefühl ihrer Verbundenheit mit der Sache des Volkes" 290 . In den Erzählungen von 1964, die ja auch nach der theoretischen Positionsbestimmung entstanden, in Genosse Prachtmütze und Der Ortsrowdy Abramascbwili, vor allem jedoch in Der Kauz erreichte Axjonows Prosa einen höheren sozialen Reifegrad. Pawel Sbaikow, der Held der Erzählung Der Kauz> fährt nach vierzig Jahren „nach Hause", ins Rjasaner Gebiet. Die „Haltepunkte" während der Fahrt wecken seine Erinnerungen an die wich104

tigsten „Stationen" seines Lebens. Die Erinnerung an die „paradiesische" Zeit, als er noch nichts „von der Welt wußte", wird sehr schnell durch die Bilder des Jahres 1920 verdrängt. Damals war Sbaikow Delegierter der Sechsten Armee und fuhr von Perekop nach Charkow zur Allukrainischen Parteikonferenz. Sie kamen „geradewegs aus dem Schützengraben", dachten aber nicht an Ruhe und Schlaf, sondern führten Meetings durch, bildeten provisorische Komitees und Initiativgruppen, faßten Beschlüsse und debattierten, „denn wir glaubten, hinter den leblosen Feldern schimmernde Städte aufsteigen zu sehen" 291 . In Rjasan hatte sein Regiment zu den Waffen gegriffen und sozialrevolutionäre Agitatoren „niedergeflucht". In Rjashsk hatte ein Kommissar eine Meute von Deserteuren zur Vernunft gebracht und für die Idee der Weltrevolution begeistert. Die Bauern im Zug nach Ucholowo erweisen sich als Dorfgenossen Sbaikows, erinnern ihn an gemeinsame Kinderstreiche, die Kollektivierung, die Tätigkeit als Vorsitzender des Stadtexekutivkomitees und den „Leidensweg", der für ihn im Juli 1937 begann und bis 1955 dauerte. Jetzt lebt Sbaikow — der die Geschichte als Ich-Erzähler vorträgt — in Moskau und bezieht Rente. Er würde sein Leben, so wie es war — „unstet und feuerumlodert" —, gegen kein anderes eintauschen. Während des Besuches im Heimatdorf genügt es ihm nicht, mit Verwandten und Bekannten „mancherlei Glas Hausbier, Kwaß und Kräuterschnaps" zu leeren. Er verschafft sich Einblick in die Kolchosangelegenheiten, geht zu den Feldbaubrigaden hinaus, spricht mit Maschinisten, Viehzüchtern und Agronomen, besucht Versammlungen der Parteiorganisation. Damit verdirbt er dem Kolchosvorsitzenden Rodkin, der manchen neuen Dingen „etwas verwirrt und fassungslos" gegenübersteht, die Laune. Sbaikow hat sich nicht nur seine gesellschaftliche Aktivität erhalten, sondern auch die Fähigkeit, Widersprüche zu erkennen und zu überwinden. Er sieht das neue und das alte Rjasan, die heimatlichen Fluren, die sich in den vierzig Jahren anscheinend „überhaupt nicht verändert" haben, sowie die Hochspannungsleitung und die Kondensstreifen der Düsenflugzeuge am Himmel. Sorgfältig beobachtet er die neuen Züge der heutigen Jugend, z. B. an Tochter und Schwiegersohn, die „fast die ganze Welt bereist" haben und „alles mit gutmütigem Spott bekichern", aber auch die Haltung der Alten im Dorf, von denen einige mit ihrer geraden Haltung und ihrem Benehmen ihn „an Soldaten aus der Zarenzeit" gemahnen. 105

Nur mit einer Erscheinung hat Sbaikow nicht gerechnet: mit Adrian Timochin, dem „Kauz". An dem ist die gesellschaftliche Wirklichkeit vierundsechzig Jahre lang vorbeigegangen. Schon als Kind hatte sich Adrian abseits gehalten, alles gefallen lassen und immer mehr abgekapselt. Sbaikow hatte ihn damals unter persönlichen Schutz genommen, nachdem die Dorfjungen die geheimnisvolle Maschine des Zwölfjährigen mutwillig zerstörten. Er hatte Mitleid mit ihm, wollte ihn „stark und stolz" sehen. Doch Adrian ließ keinen an sich heran. Nach 1917, als Sbaikow ihn zum Eintritt in die bewaffnete revolutionäre Abteilung aufforderte, verschanzte er sich „hinter seinem Lächeln und schwieg". Er bezeichnete sich selbst als „Beobachter". Groß ist der Gegensatz zwischen dem Schmutz und der Verwahrlosung im Hause Adrians und dem selbstgebastelten Rundfunkempfänger, noch größer aber der Gegensatz zwischen der Begabung Adrians, die Sbaikow neidlos anerkennt, und dem sinnlosen Produkt, das sein „Lebenswerk" darstellt. Die rätselhafte Maschine im Schuppen, noch „komplizierter und majestätischer" als diejenige, die von den Jungen zweiundfünfzig Jahre zuvor zerstört worden war, hat keine Funktion, ist ein Perpetuum mobile, dient „einfach zur Bewegung". In der Diskussion über den Helden der zeitgenössischen Erzählung, die 1965 in der Zeitschrift Woprossj literatury geführt wurde, bezogen sich die Kritiker auch auf Axjonows Erzählung. Lew Anninski nannte Sbaikow „eine typische Epochengestalt"292 und begrüßte die Tendenz, den Wert des einzelnen Lebens zu betonen und die Persönlichkeit aus dem „Strom des Allgemeinen" herauszuheben. Er kritisierte, daß Axjonow seinen Helden außerhalb des „Alltagsmilieus" 293 dargestellt hat. Darum ging es in dieser „Reiseerzählung" jedoch gar nicht. Axjonow hat die Lebensgeschichten Sbaikows und Adrian Timochins — im Rahmen der Möglichkeiten des Genres — sowohl in sozialer als auch in historischer Hinsicht lokalisiert und ein treffendes, wenn auch nur „punktiertes" Bild der Zeit gezeichnet. Der Kritiker F. Lewin wies darauf hin 294 , daß Axjonow die beiden Gestalten seiner Erzählung nicht als polare Gegensätze gestaltet habe. A. Makarow sprach 1966 von Sbaikow und Timochin als „Ritter der staatsbürgerlichen Pflicht" bzw. „Ritter des Traumes" 295 . Später vertrat auch der Kritiker Wladimir Solowjow, der •die Perspektive der Axjonowschen Erzählung in ihrer „Verarbeitung durch den Leser" 296 sah, die Ansicht, daß Sbaikow und Timochin 106

einander „ergänzen". Sie stellen für ihn nicht absolute Gegensätze, Feinde, den positiven und den negativen Pol dar, sondern weisen auf eine allgemeine Widersprüchlichkeit menschlichen Verhaltens hin. Der eine verkörpert extrem das „Pathos der Zeit", der andere ebenso extrem das „Pathos der Individualität". Beide Haltungen, die „mechanische Kopie der Grundtendenzen der Zeit" durch Sbaikow und der Individualismus Timochins, fordern nach Solowjows Ansicht den Leser zu Einwänden heraus, die seine eigene ethischmoralische Haltung produktiv beeinflussen können. Selbst wenn man bedenkt, daß nur ein bestimmter Teil der Leserschaft, für den Axjonow ganz bewußt schreibt297, im „Mitdenken" so weit ging wie Solowjow, gehörte die Erzählung Der Kau£ doch zweifellos zu den Werken der Sowjetliteratur in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, in denen das Streben nach „staatsbürgerlicher Aktivität" seinen Ausdruck fand. Vom Anliegen her gibt es eine tiefe Übereinstimmung zwischen der Erzählung und dem Aufruf, mit dem sich die Vrawda am 9. Januar 1965 an die sowjetischen Schriftsteller und Künstler gewandt hat: „Der sowjetische Künstler durchdenkt den von unserem Land durchlaufenen Weg sowie die Erscheinungen des heutigen Lebens und deckt sie in ihrer historischen Perspektive auf. Das gibt die Möglichkeit, im künstlerischen Schaffen die führende Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung widerzuspiegeln, das Pathos des Aufbaus des Kommunismus sowie den heldenhaften Charakter unseres Zeitgenossen zu verkörpern. Das ermöglicht es, den ganzen Reichtum der menschlichen Persönlichkeit darzustellen, der durch die sozialistische Wirklichkeit gestaltet wurde, die Vielfalt der Formen, in denen sich die gesellschaftliche Aktivität des sowjetischen Menschen, des Schöpfers und Erbauers des neuen Lebens äußert." 298 Axjonow beteiligte sich auch in den folgenden Jahren an der Diskussion über Probleme der Prosa, speziell der Erzählung. 1969 wandte er sich gegen eine Literatur, die zu wenig „psychologische Erkundungen von Charakteren" und „soziale Entdeckungen" enthält. Et vertrat die Auffassung, daß solche Prosa den zeitgenössischen Leser nicht anspricht und ihn häufig veranlaßt, zum Sachbuch zu greifen, statt sich mit künstlerischer Literatur zu beschäftigen. „Echte" Prosa muß nach Axjonows Überzeugung dem Leser etwas geben, was er im dokumentarischen Sachgebiet nicht findet: „das innere Leben des Fakts" 299. Der Schriftsteller verwies auf Beispiele aus der sowjetischen Literatur, die seiner Forderung entsprechen. Er nannte Werke 107

in der Form der „Beichte", des „Psychogramms" (wie z. B. bei Andrej Bitow), der „überraschenden sozialen Entdeckung" (wie z. B. bei A. Jaschin), der Charakterisierung eines neuen sozialpsychologischen Typs sowie des Phantastischen oder Grotesken. Letztere bevorzugte auch Axjonow in seinen neueren Erzählungen, z. B. Der Sieg (1965), Defiytposten Faßleergut (1968) und Das Rendezvous (1971). In diesen Erzählungen suchte Wassili Axjonow typische Situationen und ethisch-moralische Konflikte auf einer hohen Abstraktionsebene künstlerisch und philosophisch zu durchdenken und zu verallgemeinern. Dabei entschied er sich für jene Darstellungsweise, die der Schriftsteller Sergej Salygin einmal an den Erzählungen Andrej Peatonows hervorgehoben hat: „. . . je größer im philosophischen Sinne die Aufgabe ist, die sich ein Autor stellt, desto stärker und beharrlicher zwingt ihn diese Aufgabe, sich von völlig lebensähnlichen und alltäglichen Bildern zu lösen und sein Augenmerk symbolischen Bildern zuzuwenden, die den einen oder anderen Aspekt des im Kunstwerk aufgegriffenen Problems verkörpern." 300 Axjonow, der die Erzählung als „Schule der Prosa" 301 betrachtete, sah in den phantastischen und grotesken Bildern und Gestalten seiner neueren Erzählungen zweifellos eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Genres und zu seiner stärkeren Anpassung an die höheren Lesererwartungen in der Gegenwart. Die äußere Bewegung des Sujets hat in den neueren Erzählungen Wassili Axjonows, z. B. in Defi^itposten Faßleergut, weiter abgenommen. Diese Erscheinung korrespondiert mit einer für die sowjetische Gegenwartserzählung in ihrer Gesamtheit typischen Tendenz. Sie spielte in dem „Rundtischgespräch" der Zeitschrift Woprossy literatury 1969 über die Erzählung von heute, an dem u. a. der belorussische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Iwan Naumenko, die Schriftsteller Juri Kuranow, Alexander Rekemtschuk und Juri Trifonow sowie der Kritiker Boris Anaschenkow teilnahmen, eine große Rolle. Naumenko differenzierte zwischen „sujetlosen" und „sujethaften" Erzählungen, ohne sie qualitativ voneinander abzuheben oder einem der beiden Typen in der Gegenwart eine besondere Chance einzuräumen. Kuranow und Rekemtschuk vertraten den Standpunkt, die Erzählung müsse heute Informationen und geistige Impulse für den Leser in das „innere" Sujet und in den „Untertext" verlagern. Auch Trifonow meinte, für einen Schriftsteller, der vorrangig psychologische Erkundungen durchführt, 108

verliere das Sujet, als äußere Handlung verstanden, immer mehr an Bedeutung. Es war jedoch vor allem Boris Anaschenkow, der auf den für die sowjetische Erzählprosa charakteristischen Zusammenhang von psychologischer und sozialer Erkundung hinwies. Er ging von der Feststellung aus, daß die sowjetische Gegenwartserzählung z. T. schneller als andere Genres auf soziale Veränderungen reagiert und Entwicklungstendenzen widergespiegelt hat. Speziell in den sechziger Jahren ist mehr „Geographie der menschlichen Seele" als „reale Geographie" in die Erzählung eingebracht worden. Das war jedoch nicht mit einer Loslösung von den realen sozialen Prozessen verbunden. Selbst wenn gegenwärtig ein Zurücktreten des Sujets als äußere Bewegung in Raum und Zeit festgestellt werden kann, weist die innere geistige und emotionale Bewegung in der Gegenwartserzählung feste Bindungen an objektive soziale, ethischmoralische und psychologische Faktoren auf.302 Damit bestätigte diese Diskussion Axjonows Gedanken aus dem Jahr 1963 von der Bedeutung der Gestalt und des Sujets, der „staatsbürgerlichen Aktivität" und des „sozialen Gehalts" für die Erzählung. Wiktor Konezki, der bis 1956 in nördlichen und arktischen Gewässern zur See fuhr, trat seit dieser Zeit mit Erzählungen aus dem Leben der Seeleute hervor. Auch später hat er noch mehrfach Seereisen unternommen, auf denen er als Korrespondent der Literaturnaja gaseta tätig gewesen ist und auch als Steuermann gearbeitet hat. Zu seinen reifsten erzählerischen Leistungen gehören die „Reisenotizen", die er bisher in den beiden Bänden Salziges Eis (1965/68) und Zwischen Mythen und K i f f e n (1972) zusammengefaßt hat und an denen er gegenwärtig weiterarbeitet.303 In Salziges Eis ist an einer Stelle von Juhan Smuul die Rede, dessen Eisbuch (1959)] Konezki manche Anregung verdankt. Wolodja Samodjorgin, der Erste Offizier der „Wazlaw Worowski", berichtet von einer Begegnung mit Smuul und charakterisiert den estnischen Schriftsteller als einen „bescheidenen", „guten" Menschen. Wie sein literarischer Vorgänger schildert Konezki Begegnungen mit Städten und Häfen, Ländern und Kontinenten. Wie Smuul sieht er sich überall, wo er hinkommt, als Repräsentant seines Landes. Als die „Wazlaw Worowski" 1965 auf der Fahrt nach Murmansk ist und in der regnerischen Herbstnacht Stare auftauchen, fühlt sich der Erzähler an den „russischen Frühling" erinnert und denkt über sein „Gefühl für die Heimat, für Rußland" nach. In unserem „komplizierten Jahrhundert, wo . . . die Verworrenheit des Lebens tiefgründige Ana109

lysen der Einzelpsyche und des Lebens der Gesellschaft notwendig macht", sollten die Künstler nach seiner Meinung alle Möglichkeiten nutzen, die emotionalen und geistigen Bindungen des Menschen an seine Heimat zu verstärken. Bei seinem Aufenthalt in Paris wirft der Erzähler die Frage nach dem Zweck der Reisen von Schriftstellern auf. Er unterscheidet Autoren, die in ihren Reiseeindrücken lediglich willkommene Stoffquellen sehen, von anderen, die „durch das Studium fremden Lebens Rußland besser zu verstehen" suchen. Sein Buch stellt eine Verknüpfung beider Prinzipien dar. Soviel er auch über das Leben der Engländer, Amerikaner und Franzosen berichtet, seine Gedanken kehren stets zu den Menschen seines Landes zurück. Deshalb findet man den Kern der weltanschaulich-philosophischen Reflexionen des Erzählers in jenen Partien der Reisenotizen, in denen er aus dem Vergleich zwischen der Sowjetunion und den USA grundlegende weltgeschichtliche Erkenntnisse gewinnt. Als besonders ergiebig erweist sich die Frage nach den „geistigen und gesellschaftlichen Erfahrungen" der beiden Staaten im letzten Jahrhundert ihrer Geschichte. Sein Land, stellt der Erzähler in diesem Zusammenhang fest, habe einen „teuren Preis" für seine historischen Erfahrungen zahlen müssen, dadurch jedoch jene Kraft und Stabilität gewonnen, die es ihm ermöglicht, sich „in der chaotischen und komplizierten Gegenwart" zu behaupten, in der andere Staaten zu zerfallen drohen. Amerika habe im letzten Jahrhundert mit großem Erfolg „Reichtümer angehäuft", sicher auch die Welt „mit diesen oder jenen Ideen bereichert". Doch aus der Perspektive der Zukunft erkennt der Erzähler bei der Bestimmung des historischen Standortes der Sowjetunion und der USA, daß sich sein Land bereits dem „Paß" nähert, während die USA sich „noch immer am Fuß des Berges" 304 befinden. Konezki berührt in Salziges Eis eine Vielzahl von Themen. In der Erinnerung des Erzählers werden die Jahre der Kriegskindheit, die Blockade Leningrads, die schwierige Nachkriegszeit, der „kalte" Krieg und Kunstdiskussionen der fünfziger und sechziger Jahre lebendig. Diese Reflexionen verlangen einen anspruchsvollen Leser, der nicht nur unterhalten werden will, sondern die Begegnung mit fremden Ländern und Menschen auch zur Vertiefung seines Selbstverständnisses sucht. Schon das Motto, das Konezki seinem Buch vorangestellt hat („Es lohnt sich nicht, um die ganze Welt zu fahren, nur um die Katzen in Sansibar zu zählen" — ein Satz aus dem Leben 110

in den Wäldern des Nordamerikaners Henry David Thoreau), ist eine Herausforderung des Lesers zum Mitdenken. Das gleiche gilt für die Zitate aus Werken von Dante, Thomas Mann, Caldwell, Steinbeck, Saint-Exupéry, Brecht, Hemingway, Melville, Puschkin, Block, Pasternak, Bunin, Herzen, Grin, Paustowski, Majakowski, Simonow usw. Auch auf die Fruchtbarkeit gemeinsamer Anstrengungen von Kunst und Wissenschaft weist der Erzähler hin, so z. B. wenn er im Ozeanographischen Museum in Monaco, „im Reich Kapitän Cousteaus", das mit dem Bildnis der Mona Lisa zusammengeheftete Porträt Juri Gagarins findet — „die Einheit von Wissenschaft, Kosmos und Mut mit der Schönheit, dem geheimnisvollen Zauber der Kunst und dem rätselhaften Lächeln der Frau . . ." 305 Salziges Eis ist gegen die Vorliebe der Reiseschriftsteller für „Exotik" geschrieben und auch gegen die Sentimentalität, die subjektiven Eindrücken oft anhaftet. Der Erzähler begegnet solchen Tendenzen nicht nur mit geistreicher Ironie, sondern auch mit kritischen und sachlichen Argumenten zu ganz „alltäglichen" Problemen: den Kadersorgen der Reederei, Mißständen bei der Holzflößerei usw. Das Nebeneinander von dokumentarischem „Alltag" und Reflexionen ist gewollt. In dem Kapitel Wie icb es unterließ, einen Artikel über die Touristik in der Arktis schreiben, und was daraus wurde, in dem die Gorkische Unterscheidung zwischen „Perspektive" und „Froschperspektive" ironisch durchgespielt wird, weist der Erzähler auch darauf hin, daß er das kontrastive Gestaltungsprinzip bewußt eingesetzt hat. Durch die philosophische sowie ironisch-selbstkritische Verarbeitung des autobiographischen Stoffes gewinnt Konezki die hohe Warte, von der er — ähnlich wie Antoine de Saint-Exupéry aus der Perspektive des Fliegers — vielfältige Vorgänge auf unserem Planeten in ihrer Komplexität simultan erfassen und überschauen kann. 306 Dabei ist die Aufmerksamkeit des Erzählers gleichermaßen auf die „Welt" wie auf die Reflexion der „Welt" im Bewußtsein des Zeitgenossen gerichtet. Ist das Ziel der „Reise" nicht das Zählen der Katzen auf Sansibar, so doch wohl die Suche nach einem günstigen „Einstieg" in das „Innere des eigenen Wesens". 307 Daß es dabei zu keiner Einengung der Perspektive kommt, wird durch die Fülle des sozial Bedeutsamen bewirkt, das der Erzähler zu reflektieren und auszustrahlen vermag. Konezkis Reisen sind „Reisen des Herzens" und zugleich Reisen des analysierenden, erkennenden und begreifenden Verstandes.

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Der geistig-philosophische Gewinn für die Persönlichkeit steht dabei an erster Stelle. Dieser Erzähler hat den „philosophischen Verstand", den der Grieche Strabon bei demjenigen voraussetzt, der die „Kunst zu leben" studieren will und um den „Nutzen der Geographie" weiß. Bloßen „Tourismus" lehnt der Erzähler ab: „In unserem Jahrhundert sind alle Menschen zu Reisenden geworden, alle fliegen, schwimmen, fahren irgendwo hin, sind gewollt oder ungewollt zu Touristen geworden und haben vergessen, worin der Nutzen der Geographie besteht." Die „Reisenotizen" Wiktor Konezkis decken unter der Oberfläche, die der „Tourist" sieht, das für den Menschen und die sozialistische Gesellschaft Wesentliche auf, loten im Episodischen, scheinbar Zufälligen nach menschheitsgeschichtlichen Erfahrungen. Nach einer Einschätzung von Daniii Granin stellen sie ein anschauliches Beispiel für das Streben der zeitgenössischen Spwjetliteratur dar, die Einheit von „dokumentarischer Authentizität, philosophischer Tiefe und Breite der Wirklichkeitssicht" 308 zu festigen. Dieses Streben führt die sowjetischen Schriftsteller zuweilen bis an die Grenze der Genres. Konzeki fragt einmal, wo der Platz seiner Werke in der Prosa ist, wenn er sich nicht hinter irgendwelchen literarischen Gestalten versteckt und keine neue Wirklichkeit schafft. Seine Meinung, die „Reisenotizen" kämen wie „dokumentarische Prosa" ohne Fiktion aus und stünden damit in weiter Entfernung von der Erzählung 309 , ist deshalb eine Untertreibung. Sie gehört genauso wie die philosophische und ironisch-selbstkritische Reflexion des Autobiographischen zu den künstlerischen Gestaltungsmitteln, die Konezkis „Reiseerzählung" auszeichnen. Boris Bursow, der die Prosa Andrej Bitows mit der Fjodor Dostojewskis verglich, sah das beiden Autoren Gemeinsame darin, daß beide ihre „persönlichen Vorstellungen über die Normen menschlichen Verhaltens"310 am Verhalten ihrer Helden überprüfen. Ganz in diesem Sinne identifiziert sich der Erzähler in Reise einem Freund aus der Kindheit (1964) mit jenem Unbekannten, der sich auf einem Flugplatz entschlossen einer Frau annimmt, die Rat und Hilfe braucht. In Penelope (1962) distanziert er sich von Lobyschew, der sich mit oberflächlichen Gefühlen, schablonenhaftem Denken und Halbwahrheiten zufrieden gibt, und verurteilt die heuchlerische Moral Lobyschews, der sich während der Filmvorführung als „Odysseus" dünkt, danach jedoch vor der Widersprüchlichkeit seiner „Penelope" zurückschreckt. Daß Bitow es für richtig hält, diese per112

sönlichen Vorstellungen, über die Normen menschlichen Verhaltens ziemlich unverhohlen auf seine Gestalten zu übertragen, bezeugt sein Urteil über Hrant Matewosjans Erzählungsband Das Schelmenstück der Hammeldiebe. Als Wesenszug der Prosa seines armenischen Freundes würdigt Bitow Matewosjans „aufrichtige Liebe zu allem, was er beschreibt" 3U. Bitows Reiseprosa zielt nicht auf Beschreibungen von Begebenheiten und Lokalitäten. Nur in seiner ersten „Reiseerzählung" — Die Reise des Boris Murascbow (1960) — steht die äußere Bewegung im Vordergrund. Die Reise einem Freund aus der Kindheit hingegen wird handlungsmäßig bewußt nicht zu Ende geführt. Der Erzähler fliegt „in Gedanken" nach Kamtschatka, wo Genrich Sch. arbeitet, über den er berichten will. Als das Flugzeug landet, bricht die Erzählung ab. Der Leser erwartet auch gar keine Fortsetzung der Beschreibung des Reiseverlaufs. Er hat Genrich Sch. — wie die Zeitungen über ihn schreiben und wie er in der Erinnerung des Erzählers lebt — längst kennengelernt. Igor Solotusski hat Bitows Prosa sehr treffend als Prosa der „inneren Reisen" bezeichnet, deren Mittel, hauptsächlich Reflexionen, die im Gedächtnis Bewahrtes reproduzieren, zur gründlichen „Erforschung der Seele" 312 eingesetzt werden. Solotusskis Feststellung gilt übrigens nicht nur für die Reisesujets im Schaffen Andrej Bitows, sondern auch für einige seiner anderen Erzählungen, z. B. Sommerfrische (1963/64, auch Ein Leben in Wind und Wetter). E. Schubin sprach einmal davon, daß Bitow nach einer Erzählform suche, die es ihm gestattet, das Verhalten seiner Helden weitgehend reflektorisch darzustellen. Er verwies auf die Tradition Turgenjews, Tolstois, Tschechows und Bunins, die die Untätigkeit ihrer Helden häufig durch eine handlungslose bzw. -arme Erzählung wiedergaben, und zitierte Hegels Gedanken von der „Situation des Fehlens einer Situation" 313 . Schubin vermochte auf diese Weise zwar Traditionsbeziehungen der Prosa Bitows aufzudecken, aber nicht ihren Stellenwert in der sowjetischen Gegenwartsprosa zu bestimmen. Seit Bitow schreibt, strebt er nach einer Erneuerung der Erzählprosa. 1964 weist er auf die unübersehbare Tatsache hin, daß sich die Genres heute mehr denn je durchdringen und gegenseitig bereichern. Ihm scheint, die Grenzen zwischen Powest und Erzählung hätten sich heute völlig verwischt, wodurch es zur Ausprägung eines Prosatyps gekommen sei, den er als „lange Erzählung" oder „kurze Powest" bzw. auch mit dem englischen Terminus „long short8

Kasper, Sowj. Erzählung

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story" 314 bzeichnet. Er hält diesen Prosatyp für sehr produktiv, weil er es seiner Meinung nach in einem besonderen Maße gestattet, neue gesellschaftliche Erfahrungen relativ schnell und umfassend zum Ausdruck zu bringen. 1969 ist Bitow mit dem Zustand der Erzählung immer noch unzufrieden. Die sowjetische Erzählung weise in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mancherlei Erstarrtes und Schablonenhaftes auf. Interessante, neuartige Erzählungen entstünden aber „an der Grenzscheide zwischen den Genres, am Übergang von einem Genre zum anderen" 315. Nach Bitows Einschätzung handelt es sich dabei häufig um hybride Formen, um „Erzählungen von Romanciers", „Abschnitte oder Kapitel" aus einer größeren Arbeit, wie z. B. Hrant Matewosjans August und Alcbo oder Fasil Iskanders Klumparm. In Bitows Überlegungen taucht immer wieder der Gedanke auf, die angestrebten neuartigen Prosaformen müßten so „unbegrenzt" sein wie das Leben selbst, sollten unbedingt „die Weite des Lebens" erkennen lassen. Auch Bitows Vorwurf an die Theoretiker, sie beschäftigten sich zu sehr mit Fragen der Erzählung, jedoch zuwenig mit den wesentlicheren Problemen der Prosa, verdient sicherlich Beachtung. Betrachtet man die Prosa als Ganzes, sagt Bitow, gelange man zu der Feststellung, daß vielerlei „Dokumentarisches" in ihr eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Prosa habe seit eh und je mit Briefen, Memoiren, Essays, Notizen, Tagebüchern zu tun. Erzählung, Powest und Roman stellen keine „höheren" Formen der Prosa dar, sie erneuern sich, indem sie mit anderen Prosaformen neuartige Verbindungen eingehen. Prosa müsse dem Schriftsteller die Möglichkeit geben, „in seinem eigenen Namen" zu sprechen. Sie dürfe ihn nicht dazu zwingen, sich hinter seinen fiktiven Gestalten, jener altmodischen „Imitation des Lebens" zu verstecken. Nicht ohne eine gewisse polemische Zuspitzung seiner Gedanken formuliert Bitow, für den Prosaiker sollte unwichtig sein, ob er eine Erzählung, eine Powest oder einen Roman schreibt, wichtig hingegen, „worüber und wofür er schreibt". In diesem Sinne stellt er sich die Aufgabe, die Grenzen der Erzählung „auszuweiten und zu überspringen". Andrej Bitow hat diesen „Sprung" mit Armenische 'Lektionen (1967/ 68) gewagt. Alla Martschenko, die das Werk gegen W. Sacharows Vorwurf, diese Prosa wäre zu „subjektiv", „impressionistisch", „aphoristisch", „experimentell" und epigonal an Ossip Mandelstams Reise nach Armenien (1933) und Matewosj ans D/« Büffelkuh angelehnt, überzeugend verteidigt, wertete Armenische Lektionen als „program114

matisch" für den Leningrader Prosaiker. Ihrer Meinung nach hat sich in diesem Werk die von Bitow seit längerem angestrebte Erneuerung der Prosa inhaltlich und stilistisch wirklich vollzogen. Sie wies auch W. Sacharows Vorstellung von einer starren Genrehierarchie zurück und stellte die Frage, ob die „kurze Powest" nicht grundsätzlich als eine „hybride" Form der „klassischen Erzählung" betrachtet werden sollte.316 Der Untertitel der Originalfassung Eine sentimentale Reise umschreibt verfremdend Bitows künstlerisches Prinzip, „im eigenen Namen" zu sprechen. Sentimental ist das Reisebuch ebensowenig wie Alexander Puschkins klassische Reise nach Arsrum, auf die sich Bitow in einem Motto zu seiner Erzählung beruft. Zu Viktor Schklowskis Sentimentaler Reise von 1923 gibt es anscheinend keinen Bezug. Eine verfremdende Funktion haben auch die von Bitow gebrauchten Zwischenüberschriften. Keine der „Lektionen" ist ausschließlich Armenien gewidmet. Bitow war zehn Tage lang in dieser Sowjetrepublik, doch während der Arbeit am Buch fast zwei Jahre lang mit allem Armenischen eng verbunden. Als er sein Buch am 18. Februar 1969 in der Leningrader Öffentlichen Bibliothek zum Abschluß bringt, kann er den entscheidenden Satz formulieren, der sein künstlerisches Prinzip umschreibt: „Im Grunde ist in diesem meinem Armenien von Rußland die Rede." 317 Bitow reist nach Armenien, um Freunde besser zu verstehen, aber auch um sich und sein Volk besser zu begreifen, tiefer zu erfassen. In der „Geschichtslektion" verweist er darauf, wie lebendig die nationale Geschichte Armeniens in jedem Bewohner des Landes ist. Die unersetzlichen Handschriften und Bücher im Matenadaran, Wissen und Können vergangener Generationen, und das Wissen um unsere Gegenwart und Zukunft verbinden sich im Bewußtsein der Menschen zu einer untrennbaren Einheit. Das Genozid von 1909/18, die barbarische Ausrottung einer Hälfte des armenischen Volkes, und Guernica, Maidanek, Hiroshima, Marksteine des von den Faschisten entfesselten Völkermordens, — aus diesen Bezugspunkten erwächst in den Betrachtungen des Erzählers das Bild der Zeit. Was ist „ewig", was „Geschichte", was „persönlich erlebte Zeit?", fragt er. Ist nicht jede Art von Zeit erst wichtig für uns durch unser Verhältnis zu ihr? In einer „Geographielektion" erfährt der Leser auch manches Wissenswerte über Jerewan, die Weite des Tscharenzbogens, den Sewansee, den Ararat. Wie Puschkin hundertvierzig Jahre zuvor gelangt auch Bitow zu der Überzeugung, „daß Noahs Arche nur an 8*

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diesem majestätischen Berg und nirgendwo anders" haltmachen konnte. Selbstbewußt „ergänzt" der durch sein Armenienerlebnis aufgewühlte Erzähler bei Bitow Puschkins Poem Der Gefangene im Kaukasus. Die Erkenntnis, daß die Melone heute in Armenien ein eigenwilliges „Zeitmaß" ist, bringt ihn auf den Gedanken, der junge Russe in Puschkins Dichtung hätte einen Melonenkern auslegen und bei der Beobachtung der wachsenden Pflanze sein Zeitmaß für das Warten auf Freiheit finden können. In einem „erfüllten Leben" dürfe es keine „verlorene Zeit" geben. Der spöttische Hinweis auf die armenische „Melonenzeit" ist für den Erzähler übrigens die „Antithese" zu seiner „These", Armenien sei für ihn zu einem „Land realer Ideale" geworden. Eigentlich hätte er aber gar keinen Grund, die „These" anzuzweifeln. In dem lebendigen Geschichtsbewußtsein, im nationalen Stolz und in der Lebenskultur der Armenier findet er vieles von dem, was seinen „persönlichen Vorstellungen über die Normen menschlichen Verhaltens" entspricht. Geghard ist für den Armenier der „Schlüssel zur Geschichte der Nation" und für den Erzähler ein Schlüssel zur gemeinsamen Vergangenheit. Die Fähigkeit, „den anderen zu achten, auch das zu achten, was man nicht kennt, das Brot, die Erde, die Natur, die Geschichte und die Kultur, dementsprechend auch die Fähigkeit zur Selbstachtung" 318, gehört unbestritten zu den Wesenszügen der Armenier wie des Sowjetvolkes in seiner Gesamtheit. Zwei Repräsentanten Armeniens hat Bitow in seinem Reisebuch einen besonderen Platz eingeräumt, dem „Freund" und dem „alten Meister". Den Freund — Hrant Matewosjan — bewundert er, weil er von Menschen schreibt, die „nur von Wind, Sonne und Wolken" getrieben werden, und weil er die Menschen liebt, von denen er berichtet. Er versteht es, von seinem Land und dessen Menschen zu erzählen, auch wenn er nur den Weg einer Büffelkuh beschreibt. Bei der Begegnung mit dem alten Meister — Martiros Sarjan — begreift der Erzähler, daß er als namenloser „Dichter aus Leningrad" in Armenien mehr repräsentiert, als in einem zufälligen Namen hätte ausgedrückt werden können. Er wird sich in dem Gespräch mit Sarjan auch seiner Rolle als „geschichtliche Persönlichkeit" und als „Repräsentant der Epoche" bewußt. Dieses Bewußtsein erfüllt ihn besonders in dem Augenblick, als der neunundachtzigjährige Maler davon spricht, daß die Erde im Verlauf seines Lebens „kleiner geworden" ist. Nie hat er den tiefen Zusammenhang zwischen dem Leben des einzelnen und dem Geschichtsfortschritt in seinem Land 116

so deutlich gesehen. Hier erfüllt sich der Sinn seiner Reise, die ihn im Sinne Twardowskis in „ferne Länder" führte und gleichzeitig Gelegenheit zum „Zurückblättern im Kalender" gab. Die Armenischen Lektionen sind mehr als die Reiseeindrücke eines Touristen. Für den Leser enthält die Erzählung unentbehrliche Lektionen über sozialistische Lebenskultur, die Kultur „der MenschWelt-Beziehungen, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Gefühle, der Einstellung zu Vergangenheit und Gegenwart, Fragen also, die in unserer Zeit für die entwickelte sozialistische Gesellschaft sehr wesentlich sind" 319. Bitow hat mit diesem Werk seine Vorstellung von der „langen Erzählung" realisiert, die sich vom „Alltag" lösen und „allgemeinen und ewigen Fragestellungen" 320 zuwenden soll. In Anmerkungen %um Reiseführer (1967) wies Daniii Granin darauf hin, daß Menschen früher reisten, „um neue Länder, neue Völker, Sitten, Landschaften kennenzulernen, mehr noch — um sie zu entdecken". Ihm selbst schien, heute müßte der Sinn des Reisens darin bestehen, daß der Mensch sich selber, seinen Platz in der Geschichte und in der Gegenwart besser begreift. Seine persönlichen Reiseerlebnisse, die er vielfach literarisch gestaltet hat, wertete er als besonders intensive „Konfrontationen mit der eigenen Persönlichkeit" 321 . Das Genre der „Reiseerzählung" ist nach Granins Auffassung schon „ziemlich abgegriffen". Trotzdem lobte er die Möglichkeiten für „allgemeine Überlegungen" und die „Freiheit der Form", die es dem Erzähler gestattet, all das hervorzuheben, was ihm bedeutsam erscheint. Er distanzierte sich entschieden von der „herkömmlichen Reisebeschreibung", die er als ein „Mittelding zwischen einem Reiseführer und der Beschreibung dessen, was man gesehen hat", betrachtete. Die „neue Form", nach der Granin strebt, definierte er so: „Wichtig ist für mich nicht das, was ich gesehen habe, sondern das, was ich f ü h l e . Ich will es sehr persönlich erzählen, von mir aus, denn wenn man über ein fremdes Land spricht, dann kann man sich sicher irren, sicher irgendwelche falschen Verallgemeinerungen treffen. Und überhaupt kann man das alles auch aus Nachschlagewerken erfahren. Aber was persönlich mit mir gewesen ist, das ist mit keinem passiert. Was ich persönlich gefühlt und gedacht habe, das ist unwiederholbar. Das ist bei jedem Menschen so. Und ich denke, je persönlicher, um so interessanter ist es für den Leser." 322 In der Erzählung Die schöne Uta (1967) hat sich Granin vorbehaltlos zu dem in der Tradition Heinrich Heines stehenden Reisebild be117

kannt. Diese Prosaform biete die Freiheit „vom Sujet, von der Chronologie und von der Geographie". Sie „ist freier als Lyrik. Und was ist sie? Darin liegt eben ihr Geheimnis, sie entzieht sich dieser Frage. Sie ist alles, nur nicht der verfluchte Bewußtseinsstrom, eher der Strom des Lebens, der Poesie, des Grübelns und der Phantasie: Tat und Erinnerung, Beschreibung und Bekenntnis." 323 Auf dieser Verknüpfung beruht das poetische Prinzip der Erzählung Die schöne Uta. Die Tat des Erzählers ist mit seinen Anstrengungen verbunden, die auf die Gewinnung eines neuen Verhältnisses zu den Deutschen gerichtet sind. Beschrieben wird eine Reise in die DDR, die fünfte oder sechste nach dem Kriege, ein Aufenthalt in Leutenberg und die innere Beziehung zu der Naumburger Statue aus dem dreizehnten Jahrhundert und zu den Menschen in der DDR. Dabei geht es weder ohne Erinnerung ab, die mehrere Aspekte des Verhältnisses zwischen sowjetischen und deutschen Menschen seit 1941 erfaßt, noch ohne Bekenntnisse — solche des Erzählers und seiner Landsleute und solche von Menschen aus der DDR. Nachts in der Burg, über deren Tor die Jahreszahl 1326 eingemeißelt ist, sucht der Erzähler seine Empfindungen und Gedanken zu ordnen. Daß er einmal nach Deutschland kommen würde, hat er schon als Soldat gewußt, als seine Einheit noch bei Leningrad lag. Damals hat ihn diese Gewißheit in seinem Siegeswillen gestärkt. 1944 hätte keine Uta auf ihn gewirkt, nachdem er gesehen hatte, „wie sie die Schlösser in Puschkin zerstörten, wie sie die Ermitage beschossen"32'1. Zwanzig Jahre später krampft sich sein Herz zusammen, wenn er daran denkt, jemand könnte den Naumburger Dom beschießen und die Statue der Uta zerstören. Was hat diese Veränderung in seinem Denken und Fühlen bewirkt — die Schönheit des Kunstwerkes oder das Bewußtsein, daß diese Uta zu jenen Leistungen gehört, die den geschichtlichen Weg der Menschheit markieren so wie die Schöpfungen von Archimedes, Piaton, Avicenna, Newton und vielen anderen? Der Erzähler hat es gelernt, „an die Zukunft zu denken, sich diese Kunst oder Wissenschaft — ich weiß nicht, wie ich's benennen soll — anzueignen" 325. Wissen um die Zukunft setzt Wissen um die Vergangenheit voraus. Er weiß relativ viel von der Elektrizität, kennt sich in der Elektrotechnik und Kybernetik aus, weniger in „Wachskerzen und Ölfunzeln". Trotzdem bewundert er die Schönheit aus dem dreizehnten Jahrhundert. Also ist auch etwas von dem Wissen über die Vergangenheit in ihm. Wissen als historische Erfahrung der Menschheit. 118

Die Aneignung historischer Erfahrungen ist ein komplizierter Prozeß. Granins Erzähler berichtet davon, wie er in widerspruchsvollen Auseinandersetzungen mit sich und anderen zu gültigen historischen Erfahrungen über ein verändertes Verhältnis zwischen dem sowjetischen Volk und den Menschen in der D D R gelangt ist. Maria Genrichowna weckte seine Liebe zu Heinrich Heine und den „klassischen Flüßchen und Bergen". Der gefangene Unteroffizier, der sich bedenkenlos hinter den „Führerbefehl" stellte, zerstörte alle Illusionen. Der Krieg lehrte, zwischen Deutschen und Faschisten zu unterscheiden. Er rief auch den Haß hervor, der zu den Dingen gehört, „die man nicht revidiert". Während des Krieges weitete sich seine Heimatliebe zu dem Bewußtsein der „Verantwortung für das Schicksal der Welt". E s bildete ein wichtiges Fundament für die Herausbildung eines neuen Verhältnisses zu den Deutschen. Von diesem Prozeß künden die drei Episoden von den Kranzniederlegungen und die Szenen in Buchenwald, Staraja Russa und Dresden, die Begegnungen mit Ernst Busch, Anna Seghers, Heinrich Boll und anderen, das Treffen mit Faust und Wagner sowie das gespenstische kafkaeske Schauspiel, in dem die Richter kein Urteil verkünden und der Angeklagte nicht freigesprochen wird. Scharf arbeitet er den Kontrast zwischen dem „Miniaturfaschisten", den er in Dubrovnik sieht, und Max L., der aus seinem früheren Leben Konsequenzen gezogen hat, als unversöhnlichen Klassengegensatz heraus. Die Naumburger Uta ist die Schlüsselfigur, über die der Erzähler zu den entscheidenden Erkenntnissen gelangt. Zu ihnen gehört der Gedanke, daß der Faschismus keine „rein deutsche Erscheinung" ist, kein nationales, sondern ein soziales Phänomen darstellt. Neu ist dieser Gedanke für den Erzähler nicht, doch unter dem Eindruck des Uta-Erlebnisses wird er zu einer festen Überzeugung. In der Auseinandersetzung mit dem alten Geschichtslehrer aus Staraja Russa wird das besonders deutlich. Uta wird zum Symbol einer neuen Gemeinsamkeit. Plötzlich scheint dem Erzähler, als ähnle sie „seinem Mädchen", und er schließt sich der Meinung von Max L. an, daß sich die Geschichte „auch der Uta wegen" nicht wiederholen dürfe. Was ihrer Generation noch nicht gelingt, wird den Kindern leichter fallen. Sie werden die „gesicherte und allgemeingültige Formel" aus der Geschichte und aus der Gegenwart ableiten, eine Formel, „die auf das Leben anwendbar ist, in dem sie gemeinsam leben werden" 3 2 6 . Die Subjektivität dieser Reisebilder beruht auf der Echtheit des Stoffes und auf der Aufrichtigkeit des Schreibenden. Sie wirkt 119

produktiv-herausfordernd auf den Leser, zwingt ihn zum Nachdenken: „ . . . als eine der wichtigsten Aufgaben betrachte ich das Durchdenken, die geistige Verarbeitung der Informationen. Denn die Kunst kann nur dann bestehen, wenn sie innerlich umgesetzt wird. Sie ist nicht bloßer Zeitvertreib. Man muß sich zu ihr aktiv verhalten, darf nicht hoffen, sie sei eine Tablette, die sich von selbst auflöst und damit irgendetwas bewirkt." 327 In Granins neuestem Reisebuch Garten der Steine (1971) zwingt sich Gleb Fokin, einer der Helden, die gewohnte Umwelt „mit Entdeckeraugen" zu betrachten, als beträte er „unbekannte, ferne Gefilde". Er weiß, daß man im Grunde nur dann eine Entdeckung machen kann, wenn man in sich selbst auf etwas Neues stößt bzw. daß jeder „sein Japan" enträtseln muß. Dennoch setzt der Steingarten in Kioto bei Fokin nichts „in Bewegung", während er seinen Freund Nikolai Somow sofort an Nagasaki und Hiroshima erinnert. Offensichtlich hat die Explosion der ersten Atombombe Somows Blick für die Dinge — die Minerale, die Menschen, die gesamte Wirklichkeit — in einem besonderen Maße geschärft. Was Somow im Steingarten als „Erkenntnismodell" und „Metapher der Wissenschaft" bezeichnet (die Tatsache, daß man von den fünfzehn Steinen immer nur vierzehn sieht, bei wechselndem Blickpunkt zwar jedesmal andere, doch immer nur vierzehn), gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen der Japanreise des sowjetischen Schriftstellers: „Bestimmt wird es immer etwas Unbekanntes, Unerforschtes geben. Wir sind überzeugt, daß wir alles, was ist, durchschauen, und uns kommt nicht der Gedanke, es könnte noch etwas existieren, was wir nicht sehen." 328 Granin will den Leser durch seine „Reiseerzählungen" befähigen, die „Metapher der Wissenschaft" zu dechiffrieren, die Bewegung des Lebens zu begreifen, tiefer in Widersprüche einzudringen und mutiger Wege zu ihrer Lösung zu suchen. Granin hat diese Aufgabe nicht nur im Genre der „Reiseerzählung" zu realisieren gesucht, sondern auch in seinen Erzählungen über Wissenschaftler, z. B. Der Gelehrte und der Kaiser (1971) und Dieses seltsame 'Leben (1974), sowie in Erzählungen über ethischmoralische Probleme des Alltagslebens, z. B. Regen in einer fremden Stadt (1973).

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Mensch und Natur Michail Prischwin, dessen Leben und Schaffen besonders eng mit der russischen Natur verbunden war, betrachtete die Beziehungen der Menschen zur Natur stets unter einem gesellschaftlichen Aspekt: „ . . . die Menschen, die in das Wesen der Natur eindringen, finden in ihr . . . Verständnis für ihr eigenes Wesen . . ." 329 Auch für die „Reisen" der sowjetischen Schriftsteller der Gegenwart in die Natur erweist sich dieser Gedanke als eine wichtige Voraussetzung für neue künstlerische Entdeckungen. Man muß ihn jedoch durch eine Überlegung ergänzen, die sich in einer Rezension Alexander Twardowskis über die ersten Erzählungen Juri Kasakows findet. Twardowski schrieb 1958, ein Schriftsteller, der sich so stark auf die Darstellung der Mensch-Natur-Beziehung konzentriert wie Kasakow, dürfe auf keinen Fall die konkreten sozialen und historischen Bezüge seiner Stoffe außer acht lassen.330 Kasakow hat diese Anregung tief durchdacht und sich später von der Überzeugung leiten lassen, mit dem Schreiben von Erzählungen müsse man „etwas Wichtiges" tun und aktiv „am kulturellen Leben der Nation" 331 teilnehmen. Juri Kasakow begann sich in den sechziger Jahren der Gestaltung ethisch-moralischer Probleme zuzuwenden, die er in einer Umfrage als bedeutsam bezeichnete. Dazu gehörten Glück und Leid der Menschen, die Zählebigkeit alter Instinkte, die sittliche Pflicht des einzelnen vor seinem Volk, das Verhältnis zur Arbeit, die Rolle des Menschen in der sozialistischen Gesellschaft.332 In Erzählungen wie Der Duft des Brotes (1961), Da läuft ein Hundt (1961), Adam und Eva (1962) oder Zwei im Dezember (1962) wandte sich Kasakow gegen die Gefahr der Abstumpfung der Sinne, der Gewöhnung an Erreichtes, der seelischen Saturiertheit, des Gleichgültigwerdens gegenüber der natürlichen und sozialen Umwelt. Gestalten wie Dussja, die beim Eintreffen der Nachricht vom Tod ihrer Mutter nicht mehr weinen kann (Der Duft des Brotes), Krymow, der sich in sich selbst zurückzieht und vor fremdem Leid abzukapseln sucht (Da läuft ein Hundt), oder Juri, der Liebe und Glück sucht, doch nicht gewillt ist, von seiner Bequemlichkeit etwas aufzugeben (Zwei im Dezember), konnten in den von Kasakow gestalteten ethisch-moralischen Entscheidungs- und Bewährungssituationen den hohen gesellschaftlichen Anforderungen an die sozialistische Persönlichkeit nicht genügen. In der Regel bot der Erzähler keine Lösung des Widerspruchs an. Er erwartete vom Leser die sittliche Reife zu eige121

nen Urteilen. Seine Erzählweise trug dazu bei, diese Fähigkeit im Leser zu entwickeln: „ K a s a k o w s Prosastücke bewegen sich auf jener Grenze, die zwischen der herkömmlichen Prosa als dem Bericht v o n etwas Geschehenem und der Poesie, dem Instrument f ü r feine, k a u m noch registrierbare V o r g ä n g e , aufgerichtet zu sein scheint. K a s a k o w respektiert diese Grenze nicht . . . " 3 3 3 Christa Wolf, v o n der diese Worte stammen, nannte an einer anderen Stelle „Sensibilität", nicht Sentimentalität, und „ K o n k r e t h e i t " , nicht Zeitlosigkeit 3 3 4 , als V o r z ü g e der P r o s a J u r i K a s a k o w s . Reisen betrachtete K a s a k o w als eine wichtige F o r m der S t o f f f i n d u n g . E r sprach einmal v o n dem G l ü c k , „ein so großes Heimatland zu besitzen u n d in die verschiedensten Gebiete fahren zu k ö n nen: in die Wüste, in die Berge, in die T u n d r a , in die Arktis . . . " 3 3 5 Sein Nördliches Tagebuch (1960) war ein anschaulicher Beweis f ü r die literarische Produktivität seiner Reisen. Z u den großen E n t d e c k u n gen J u r i K a s a k o w s gehörten die Menschen, die er auf seinen Fahrten traf und über die er erzählte. D i e „weißen Flecken" auf der Landkarte interessierten ihn weniger. Sicher hing das damit zusammen, daß K a s a k o w der „ B i o g r a p h i e des Innenlebens" mehr B e d e u t u n g zumaß als den äußeren Faktoren und Stationen eines Lebens. D i e ersten E i n t r a g u n g e n im Nördlichen Tagebuch entstanden im J u l i 1960 auf dem Schiff, mit d e m der Erzähler v o n Mesen nach Archangelsk fuhr. D i e letzten wurden im Herbst des J a h r e s an der O k a verfaßt. D a s so geschaffene B u c h pries den G e w i n n und den G e n u ß des Reisens: „ . . . weiterfahren, welch großer G e n u ß ! Alle Sinne sind gespannt, triumphieren: weiter, weiter, zu neuen O r t e n und neuen Menschen! Sich noch einmal über die B e w e g u n g freuen, laufen, fahren, dahinjagen — ganz gleich w o m i t : A u t o , D a m p f e r , Pferdewagen oder Z u g . . . " 3 3 6 D e r „ Z a u b e r der B e w e g u n g " erschien dem Erzähler v o n „ e w i g e m " Bestand, erinnerte ihn an das G l ü c k , den Wind, das Rollen der Räder, das Rauschen des Wassers u n d das Geräusch der eigenen Schritte. T r o t z dieser hymnischen A p o s t r o p h i e r u n g der B e w e g u n g strebte er danach, das epische Prinzip des „ V e r w e i l e n s " s o o f t wie m ö g l i c h anzuwenden, v o r allem dort, w o es sich seiner Meinung nach lohnte, Menschen und L a n d s c h a f t gründlich zu erkunden, E r f a h r u n g einzubringen, die durch flüchtige B e g e g n u n g niemals gewonnen werden kann. S o hieß verweilen f ü r i h n : zu Menschen K o n t a k t finden, mit ihnen leben, sich ihnen anvertrauen. Seine Helden treten ihm mit der gleichen Offenheit entgegen. Ilja Iwanowitsch T i t o w ent-

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hüllt ihm das Geheimnis der achteckigen Kreuze an den Ufern des Weißen Meeres und verrät ihm die Namen der Winde, er berichtet ihm auch vom sozialistischen Wettbewerb der Fischer am Weißen Meer. Die Begegnung mit dem siebzigjährigen Jewlampi Alexandrowitsch Kotzow im Kolchos Maida „am Rande der Welt" hinterläßt im Bewußtsein des Erzählers unaustilgbare Spuren. Der Alte entscheidet vor seinen Augen den Konflikt einer Bäuerin mit staatspolitischer Weitsicht. Er ist nicht nur in ökonomischen Fragen beschlagen, argumentiert geduldig und überzeugend und vertritt in der Auseinandersetzung konsequent die Belange des Kolchos und des Staates, sondern kann seiner Gesprächspartnerin auch die tiefen Zusammenhänge zwischen ihren „persönlichen", „menschlichen" Problemen und den „staatlichen" und „genossenschaftlichen" Interessen erschließen. Alexander Ninow wertete die „sachliche und gegenständliche" Prosa des Nördlichen Tagebuchs, die scharfe Beobachtungsgabe und den analytischen Verstand des Erzählers als Ausdruck eines höheren künstlerischen Reifegrades.337 Den entscheidenden Erfolg erzielte der Autor bei der Gestaltung der „stillen Helden" des sowjetischen Hohen Nordens. Menschen wie Titow und Kotzow, aber auch der Mechaniker Popow, der Lotse Malygin oder Kapitän Shukow, die nicht nur der „grausamen Natur" erbittert Widerstand leisten, sondern „mit dem Werk ihrer Hände und der Anspannung ihrer Seele unsere große Zukunft schaffen und uns näher bringen" 338, repräsentietieren die soziale und historische Wirklichkeit, auf die Alexander Twardowski den jungen Kasakow orientiert hat. In den später geschriebenen Teilen, vor allem in Der Weißwal (1963/72), Nacbt auf der , Wega' (1969) und Die langen Schreie (1966/72), hat der Autor die Suche nach den „stillen Helden" erfolgreich fortgesetzt und neue Wirklichkeitsbereiche und historische Erfahrungen aufgeschlossen. Kasakow, der in dem 1966 geschriebenen Essay Über den Mut des Schriftstellers die Literatur als „Selbsterkenntnis der Menschheit" 339 betrachtete, sah die „Macht" des Schriftstellers im „Wort" und seiner „Wahrheit". Mit der Wahrheit des Lebens ist diese Wahrheit des Wortes in zweifacher Hinsicht verbunden. Sie geht von ihr aus, weil der Schriftsteller im Sozialismus in das, was er schreibt, auch die Erfahrung derjenigen, über die er schreibt, einfließen läßt, die Erfahrung „der Flieger, Seeleute, Arbeiter, jener Menschen, die das Leben auf Erden im Schweiße ihres Angesichts verändern" 340 . Im Bewußtsein der Menschen aber erweitert, ergänzt und verändert 123

die Wahrheit des Wortes die Lebenswahrheit. Der Schriftsteller denkt beim Schreiben „an die ganze Welt", will erreichen, „daß alle Menschen auf Erden endlich glücklich und frei werden, daß Ungleichheit, Kriege, Rassismus und Armut verschwinden, daß die Arbeit für alle so notwendig wird wie die Luft zum Leben" Diese weltanschaulichen und künstlerischen Erfahrungen Juri Kasakows waren für zahlreiche jüngere Schriftsteller in der Sowjetunion, die in ihm einen Lehrmeister sahen, von großer Bedeutung. Kasakow hat das Schaffen jüngerer Erzähler direkt und indirekt beeinflußt, wobei solche „Einflüsse" häufig durch die gemeinsame Anlehnung an klassisches Erbe überlappt werden. Das gilt z. B. für die Erzählungen Wiktor Lichonossows und Georgi Semjonows. Lichonossow „verliebte sich nacheinander in die Prosa Tschechows, Bunins, Platonows und Paustowskis" 342 , sagte Juri Kasakow, der selbst zu den genannten Autoren ein sehr enges Verhältnis hat. Ihm schien, daß es die „Reiseleidenschaft" war, die Lichonossow weit herumgeführt hat, und daß „lange Reisen durch das Land" seinen geistigen Horizont weiteten. Lichonossow ist Sibirier. Sibirien und Dörfer am Kuban sind die Stationen der Handlung in seinen ersten Erzählungen. Später kommen im Ergebnis neuer „Reisen" durch das Land und seine Geschichte andere Schauplätze hinzu. In Brjansker (1963), der ersten Erzählung Lichonossows, steht das Ich des Erzählers „Iwanowitsch" der Persönlichkeit des Autors ganz nahe, verschmilzt es mit ihr in der Wertung der Menschen und Vorgänge, in der lyrischen Stimmung, die fast alle frühen Werke des Schriftstellers durchzieht. S. Schurtakow wies in der Diskussion, die 1967/68 in der Literaturnaja gaseta über den sozialen Gehalt der Erzählprosa geführt wurde, auf die weitverbreitete „lyrische", gefühlsbetonte Art des Herangehens an die Gestaltung dörflicher Charaktere hin. Für Lichonossow, Juri Sbitnew, Wiktor Astafjew und andere Autoren sei der Dorfbewohner nicht einfach ein beliebiges Darstellungsobjekt, sondern er stehe ihnen „persönlich nahe". Das Dorf sei für sie eine besondere — nicht abgesonderte — Welt von einmaliger Schönheit, aber auch mit spezifischen Widersprüchen. 343 Terenti Kusmitsch und seine Frau, die sich in der Nähe einer ihrer Töchter in einem Dorf am Kuban niedergelassen haben, sind Brjansker. Der vierundsiebzigjährige Terenti arbeitet als Hirte im Kolchos. Seine Frau bringt ihm das Essen hinaus zu der Herde am Fluß. Es sind Menschen von einfacher Lebensart und offenem Charakter, 124

zu denen sich der Erzähler hingezogen fühlt: „Ich bin unter solchen Menschen aufgewachsen, meine Mutter war so, unsere Nachbarn waren so, und ich werde immer mit ihnen verbunden sein." 344 Zwei Jahre lang besucht er die Brjansker, raucht mit dem Alten und denkt mit ihm über das Leben nach, läßt sich Briefe an die Kinder diktieren, trinkt die frische kuhwarme Milch, holt Wasser von der Quelle und bekennt, daß er „diese Stille gegen keinen städtischen Komfort eintauschen" würde: „Irgendwie ist es schön bei ihnen." 345 Als er das letzte Mal bei den Brjanskern ist und ihm der Gedanke kommt, daß er bald wieder in der Stadt sein und über „große Dinge" reden wird, packt ihn die „Wehmut", Sehnsucht nach den Weiten und Wegen, dem taufeuchten frühen Morgen, dem Geläut der Kuhglocken, der tiefen Stille in der Natur und der vertrauten Schlichtheit der beiden Alten. „Schönheit" und „Wehmut" — darin sah Michail Rostschin den „geistigen und stilistischen Schlüssel"346 zu den Erzählungen Lichonossows, mit dessen Hilfe sich dem Leser die subtile Analyse der emotionalen Reaktion auf die alltägliche Wirklichkeit erschließt. In Lichonossows Werken ist der Erzähler ständig unterwegs, sammelt Eindrücke, begegnet interessanten Menschen. Zu ihnen sucht er ein dauerhaftes Verhältnis anzuknüpfen. Am Ende der Erzählung Brjansker heißt es: „Plötzlich wird mir schmerzhaft bewußt, daß ich zu allen fahren möchte, die ich einmal verlassen habe . . ., und daß ich es nicht kann." 347 Entdeckerfreude treibt ihn weiter, weckt neue Sehnsucht nach Unbekanntem, Schönerem. Zum „Verweilen" bietet sich unter diesen Umständen kaum Gelegenheit. Rostschin nannte es „die Schule der russischen Klassiker", die Lichonossow gelehrt habe, „im Zufälligen ein kompliziertes Schicksal, in der Episode ein ganzes Leben, im Augenblick die Ewigkeit" 348 zu sehen. Später tritt die vorwiegend stimmungsmäßige Reflexion des Lebens in den Erzählungen Lichonossows mehr und mehr zurück. Der Autor will das Wesen der „Wehmut", der Sehnsucht der Städter nach dem Schönen und Harmonischen in der Natur und im Leben des Dorfes gründlicher analysieren und dabei auch die veränderten Beziehungen zwischen Stadt und Land tiefer ausleuchten. Mischa, der Held der Erzählung Tscbaldoninnen (1965), sucht sich von der „süßen Wehmut" zu befreien, die er bei seinem Aufenthalt in dem sibirischen Dorf empfindet. Er ist in der Stadt geboren und aufgewachsen und hat das Dorf bis zum vierzehnten Lebensjahr gar nicht gekannt. Er entschloß sich zu einem landwirtschaftlichen Studium, 125

weil er sich einbildete, es gebe ein Leben „zwischen Feldern und Flüssen", wo man „jeden Morgen das Poetische und Ewige vor Augen hat" ^ Als er zum Ernteeinsatz aufs Land kommt, wehrt er sich gegen diese „kindliche simple Vorstellung vom Leben und vom Dorf", die er bei seinen Kommilitoninnen antrifft, und nimmt sich vor, „in allem das Besondere" zu entdecken. Das sechswöchige Erntepraktikum und die vielfältigen Begegnungen mit den Menschen des Dorfes, vor allem mit Warja und Onka, führen den Studenten zu der Erkenntnis, daß Sentimentalität zu einer Fehleinschätzung der realen Widersprüche und Entwicklungsprobleme des Dorfes führen würde. Er begreift einen Teil der widerspruchsvollen Zusammenhänge zwischen der „Poesie der Felder", den „Stimmen in der Stille" und dem Leben in der Stadt. Der fünfundzwanzigjährige Mitja aus der Erzählung Verwandte (1966) hat den Widerspruch zwischen „Sehnsucht" und realen Möglichkeiten praktisch handelnd lösen können. Er stammt aus einem sibirischen Dorf, kehrt nach dem Abschluß des Studiums jedoch nicht nach Sibirien zurück, sondern nimmt in der Nähe von Moskau eine Tätigkeit auf. Aus dieser neuen gesellschaftlichen Position heraus analysiert Mitja sein Verhältnis zum Dorf und zu seiner Familie, den „Verwandten". „Ich bin nicht mehr wie s i e , . . . nein, nicht mehr wie sie" 350 , sagt er im Hinblick auf jene „abtretende Generation russischer Bauern", die sich für ihn vor allem in seiner Großmutter, der alten Arsenjewna, verkörpert. Er weiß, daß ihn die „Zeit" zum „Bewahrer des Alten und des Gegenwärtigen" bestimmt hat. Er liebt die alten Dörfer und Städte des Landes, schätzt und bewahrt, was ihn und seine Generation hervorgebracht und mitgeformt hat. Er bedauert den Verlust manches Schönen, das nur noch in seiner Erinnerung weiterleben wird, und sucht es mit allem Schönen im gegenwärtigen Leben zu verbinden, weil er um die Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität weiß. Das Wissen um diese Dialektik und das Bewußtsein, alles für die sozialistische Gesellschaft und den sozialistischen Menschen Unerläßliche aus der Vergangenheit in die Gegenwart und kommunistische Zukunft einbringen zu müssen, bestimmt die poetische Idee fast aller späteren großen Erzählungen Wiktor Lichonossows — Zum ewigen Gedenken (1967/68), Ich liebe dich sehr (1969), Herbst in Taman (1971) und Elegie (1973). Mit der Gestaltung längerer gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse, wie z. B. der Nachkriegszeit in Zum ewigen Gedenken, historischer Persönlichkeiten und geschicht126

licher Dokumente — Jessenin in leb liebe dich sehr, Lermontow und die Nestorchronik in Herbst in Taman, Puschkin in Elegie — nimmt die epische Anreicherung der Prosa Lichonossows zu. 351 Wie zahlreiche andere Werke der neueren sowjetischen Erzählprosa passen auch die neuen großen Erzählungen Lichonossows nicht in traditionelle Vorstellungen von den Prosagenres. Wiktor Astafjew verglich Ich liebe dich sehr begeistert mit der 1. Sinfonie Kalinnikows. 352 Der Kritiker Kamnjanow kritisierte Lichonossows „Vorliebe für fragmentarische Prosaformen" 353. leb liebe dich sehr weise Mängel in der Genreform auf, da sich „Reisenotizen, Briefe an einen Freund, Memoiren u. a." vermengen, vermerkte Koshinow.354 Diese Kritik hat übersehen, daß Lichonossow bewußt nach „heterogenen" Formen der Erzählprosa strebt. Im Grunde variiert er in seinen neueren Werken immer wieder das Reisesujet seiner ersten Erzählung. In ihr heißt es: „Ich werde wohl mein ganzes Leben lang in das Dorf reisen müssen, reisen und wieder zurückkehren, reisen und wieder zurückkehren! Davon kann mich niemand abhalten . . Z'355 Nach diesem Motto reist der Erzähler zu Jessenin, Lermontow und Puschkin sowie in die Geschichte und kehrt — bereichert durch das von ihm entdeckte Aufhebbare und Bewahrenswerte — in die Gegenwart zurück. Eine Sibirienreise, die einen tiefen Eindruck von der Größe und Weite des Landes vermittelte, der Anblick der unbändigen sibirischen Natur — das waren die Impulse, die den Moskauer Georgi Semjonow nach seinem eigenen Bekenntnis 356 zum Schreiben angeregt haben. In seinen Erzählungen reisen die Helden selten in „ferne Länder", häufiger blättern sie „im Kalender" zurück, treten dabei jedoch nach einer Beobachtung von Alexander Rekemtschuk oft in eine „hohe Umlaufbahn" 357 hinaus, lösen sich aus alltäglichen Situationen, setzen die großen Themen des Jahrhunderts zu ihrem persönlichen Schicksal in Beziehung, suchen ihren eigenen Standort im historischen Entwicklungsprozeß zu bestimmen. Das gilt z. B. für die Erzählung Der klingende Mond (1968), in der Semjonow Motive seiner ersten Erzählungen weitergeführt hat. Der philosophische Grundgedanke dieser Erzählung wird von einem der beiden Helden formuliert: „. . . das Gedächtnis ist das Leitwerk des Menschen — oder eigentlich: der Menschheit." 358 Vater und Sohn fahren von Moskau an einen ruhigen Ort, wo sie angeln und diskutieren. Der Vater ist Lehrer gewesen, hat gelehrt und gekämpft, ohne sich zu schonen, kann auf ein sinnvolles, er127

fülltes Leben zurückblicken. Der Sohn steht vor einem entscheidenden Schritt, dem Eintritt in die Militärakademie. Die enge Berührung mit der Natur macht beide besonders empfänglich für die „Lust am abstrakten Denken". Die Lösung vom „Alltag" ist keine Lösung von der „Welt" und ihren Problemen. Die Nähe zur Natur schärft in beiden das Bewußtsein, „Bewohner . . . des Planeten Erde" zu sein. Unaufhörlich arbeitet in ihnen die Erinnerung, das Gedächtnis, ihr „Leitwerk", das die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen dem einzelnen und der Welt reguliert. Ihr „abstraktes Denken" erweist sich als eine sehr konkrete Vorstellung von der Notwendigkeit, die historische Erfahrung, die von der Generation der Väter in den Kämpfen vor Moskau und anderswo gewonnen worden ist, sorgfältig zu bewahren und auf die Gegenwart anzuwenden, persönliche Erfahrung in soziale Erfahrung zu integrieren. Auch Georgi Semjonows Erzählungen beweisen, daß die verstärkte Hinwendung zur Gestaltung der Beziehungen des sozialistischen Menschen zur Natur in der sowjetischen Prosa der sechziger Jahre nicht zu einer Einschränkung der sozialhistorischen Erkundung geführt hat. Wie wenig eine von schablonenhaften Vorstellungen ausgehende Literaturkritik den künstlerischen Lösungen Georgi Semjonows gerecht werden konnte, zeigte ein Gespräch zwischen dem Autor und Lew Anninski. Der Kritiker suchte Semjonows „lyrische" Prosa von der „intellektuellen" bzw. „problemhaften" Prosa anderer Autoren und von der sogenannten „Dorfprosa" abzugrenzen und führte das Schaffen Semjonows (und auch Kasakows) auf Turgenjew und Bunin, das der Vertreter der „Dorfprosa" aber auf Leskow und Tolstoi zurück. 359 Semjonow beteuerte in dem Gespräch, er hätte Bunin kaum gekannt, als er zu schreiben begann, und als Schriftsteller am meisten von Lew Tolstoi gelernt. Gerade Tolstoi hätte ihn gelehrt, daß man im Genre der Erzählung besonders diszipliniert und gut schreiben müsse und verpflichtet sei, „alle Möglichkeiten der Stilistik zu nutzen, um den Leser an den Text heranzuführen". Semjonow rechnete sich zu jener „Richtung" in der sowjetischen Prosa, deren Hauptziel darin bestehe, den Menschen als eine „Persönlichkeit" darzustellen, die „nicht aus Eisen und sehr leicht verwundbar i s t . . . " 360 Anninskis Aufforderung, sich angesichts der widersprüchlichen Prozesse der wissenschaftlich-technischen Revolution mehr dem Typ des „sachlichen Menschen" (delovoj celovek) zuzuwenden, wies Semjonow zurück. Er verteidigte seine Prosa mit dem Hinweis 128

darauf, daß ein Maler, der seine Stärke im Aquarell hat, mit Ölfarben sicher keine besseren Werke schaffen wird. Die historische Erfahrung des Volkes, die in den Gestalten Georgi Semjonows lebendig ist, prägt auch die Persönlichkeit vieler Helden des Wologdaer Erzählers Wassili Below. Iwan Danilowitsch Grinenko, die Hauptgestalt in der Erzählung Flußwindungen (1964), vergleicht den Fluß mit dem Leben, das „lang ist und in dem sich Vergangenes niemals wiederholt". 3 6 1 Grinenko weiß aber genau, daß der Mensch seiner Vergangenheit ständig wiederbegegnet, daß sie in seinem Gedächtnis lebt und durch tausend Fäden mit der Gegenwart verknüpft ist — selbst dort, wo man das gar nicht erwartet. Deshalb ist Grinenko auch nicht sonderlich überrascht, als er auf der Fahrt von Odessa nach Wologda ausgerechnet jenen Mann trifft, der Nastja geheiratet hat, die während des Krieges für den jungen Soldaten Grinenko die „Allererste" gewesen ist. Was bedeutet die Erinnerung für den Menschen der Gegenwart, fragt Below. Ist sie der „Traum", der in Grinenko die „quälende, unergründliche Wehmut" weckt, der „kostbare Schimmer des unwiederbringlichen, im Traum jedoch so greifbar wiederbelebten Glücks"? Die Begegnung mit dem Mann Nastjas und ihren zwei Töchtern lehrt Grinenko, daß alles, was das Gedächtnis aufbewahrt, auch das „Gewöhnliche, Alltägliche", das widerspruchsvolle und konfliktreiche Vergangene, ein wichtiger Faktor für das gegenwärtige Leben sein kann. Er erkennt aber auch, wie notwendig es ist, das im Gedächtnis Gespeicherte zu werten und durch die Erfahrung anderer zu relativieren. Auf diese Weise rückt die geschichtliche Erfahrung in sein Bewußtsein, die er mit dem Mann Nastjas teilt und die es den beiden Männern am Ende der Begegnung gestattet, ohne Rücksicht auf das, was sie in der Vergangenheit persönlich belastet hat, einander offen in die Augen zu sehen. Die Kritik hat Belows Vorliebe für gesellschaftlich bedeutsame ethisch-moralische Fragestellungen nach dem Erscheinen der Erzählungsbände Ein heißer Sommer (Wologda 1963), Flußwindungen (Moskau 1964) und Tischa und Griscba (Moskau 1966) hervorgehoben. 362 Seine Prosa zeichnete sich von Anfang an nicht nur durch die farbige Zeichnung der Natur und Landschaft sowie der Lebensweise und Mentalität der Menschen des Wologdaer Gebietes aus, sondern stellte nach den Worten von Felix Kusnezow „das Schicksal des Landes unserer Kindheit, der Natur und der Umwelt, der geistigen Lebensform des russischen Dorfes in unserem Zeitalter" 363 zur 9

Kasper. Sowj. Erzählung

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Diskussion. Somit war die Fragestellung Belows von prinzipieller Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der Sowjetunion in der letzten Etappe des Aufbaus der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Auch Schubin, der Belows Erzählungen unter rein thematischen Gesichtspunkten der „Dorfprosa" zuordnete, ging davon aus, daß die Schriftsteller mit der Gestaltung dieses Problemkreises „allgemeine, wesentliche Probleme der geistigen Entwicklung des Volkes" aufgegriffen haben: „Der aktive Prozeß des Eindringens der städtischen Zivilisation in die dörfliche Lebensweise ist kompliziert und widersprüchlich. Neben seinen zweifellos positiven Seiten enthält er auch die Gefahr des Verlustes, wenn z. B. jene grundlegenden Traditionen des Volkslebens, die seit jeher von der geistigen Bindung zwischen Mensch und Erde, dem engen, täglichen Umgang mit der Natur und der unendlichen Vielfalt ihrer Erscheinungen getragen werden, in Vergessenheit geraten." 364 Die Handlung der meisten Erzählungen Wassili Belows spielt auf dem Dorf. Trotzdem löst der Autor seine Gestalten nicht aus dem größeren Bezugssystem, dem Weg der Sowjetunion in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, heraus. Insofern sind auch die Beziehungen zwischen Stadt und Land, wie sie sich im Bewußtsein seiner Helden spiegeln, widersprüchlich und dynamisch. Agneika aus Der Sommer der Mädchen (1963) glaubt, die sehnsüchtigen Träume ihrer Freundin Ljuba müßten mit „allen möglichen Städten" im Zusammenhang stehen. Die Dame im Moskauer Café, die ein halbes Brötchen zerkrümelt, um sich die Finger zu säubern, weckt im Erzähler die Erinnerung an den Hunger der Kriegskindheit auf dem Dorf (Das 'Brötchen, 1963). Anatoschka aus der Erzählung Ein heißer Sommer (1963) sieht, daß Ljonka, der in Murmansk arbeitet und im Dorf nur noch seinen Urlaub verbringt, bei Walja größere Chancen hat als er, der unscheinbare Pferdehirt. Der Vorsitzende des Dorfsowjets, dessen Kinder alle in der Stadt leben, verweigert ihm die Bescheinigung für den Personalausweis. Auch die Familie des Kolchosvorsitzenden Gorbenko wohnt in Moskau. Gorbenkos Tochter Dina, die ihre Ferien auf dem Lande verbringt, gelangt schon nach wenigen Tagen zu der Auffassung, daß sie hier nicht „das ganze Leben" verbringen möchte. Gorbenko hat längst begriffen, daß „die Stadt dem Dorf helfen muß", und zwar nicht nur auf der Ebene von „Patenschaften". Er macht sich darüber Gedanken, ob man die Eigentumsformen im Kolchos denen der volkseigenen Betriebe angleichen müßte, um Menschen wie Anatoschka fest an das Dorf zu binden. Doch er kann 130

diese Probleme noch nicht lösen, ebensowenig kann das sein Nachfolger Shenja Suchowinow, der die Funktion des Kreiskomsomolsekretärs gegen die des Kolchosvorsitzenden eintauscht. Shenja hat Anatoschka, der sich vor Kummer betrank und Kolchosheu stahl, mit seiner Bürgschaft vor einer Haft bewahren können. Was er jedoch mit dem Beifahrer Kolka anfangen soll, der ihm am ersten Tag nach der Amtsübernahme eine Erklärung über seinen Austritt aus dem Kolchos überreicht, weiß Shenja am Ende dieses „heißen Sommers" nicht. Bei aller Spezifik beschränken sich diese und ähnliche Konflikte in den Erzählungen Belows nicht auf „Dorfprobleme", sondern werfen Fragen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung auf. Below hat einmal ausdrücklich betont, daß es für ihn „überhaupt kein reines, in sich abgeschlossenes Dorfproblem" gibt, sondern nur „Probleme, die das gesamte Volk und den gesamten Staat" 365 betreffen. In einem anderen Zusammenhang äußerte der Schriftsteller: „Dem Städter fehlt irgend etwas, sein Leben ist nicht vollwertig. Für die harmonische Entwicklung der Persönlichkeit ist die Natur unerläßlich, die sich in meinen Vorstellungen mit dem Dorf verbindet. In der Stadt fehlt dem Menschen die Natur. Wenn aber die Natur wirklich unerläßlich ist, werden wir früher oder später zwangsläufig in das Dorf zurückkehren, denn die Stadt kann dem Menschen nicht das geben, was ihm das Dorf zu geben vermag. Das Dorf allein, ohne die Stadt, gibt dem Menschen jedoch auch nicht alles, was er braucht. Das ist eine komplizierte soziale und philosophische Frage." 366 Below hat sich dieser bedeutsamen Fragestellung angenommen, vermag Antworten jedoch nur in Ansätzen zu geben, variiert Antwortmöglichkeiten, die um ein Grundmotiv kreisen, das der Kritiker Igor Solotusski mit einer neuen Frage umschrieben hat: „Wofür lebt der Mensch?" 367 Die Antworten auf diese Frage, die Below in seinen Erzählungen gibt, sind häufig lakonisch und knapp. In den meisten Erzählungen werden Widersprüche des Lebens zu dramatischen Kollisionen und tragischen Konflikten zugespitzt. Iwan Timofejewitsch aus Frühling (1964), der während des Krieges drei Söhne verloren hat und dem die Frau stirbt, beschließt voller Verzweiflung, seinem Leben ein Ende zu bereiten. In dem Augenblick aber, als er den letzten Schritt gehen will, bereut er ihn. Und so ist er der Nachbarin Polka dankbar dafür, daß sie ihn rettet. Gleichzeitig schämt er sich vor ihr und vor seinem Gewissen: „Er mußte leben, säen, atmen und 9»

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über diese Erde schreiten, die nichts freiwillig hergibt, denn es gab keinen außer ihm, der all das hätte tun können." 368 Auch Iwan Afrikanowitsch Drynow aus Belows Erzählung Sind wir ja gewohnt (1966) gelangt nach harten Schicksalsschlägen in einer schier ausweglosen Situation zu der Überzeugung, daß auch er „für irgend etwas geboren" sein müsse und daß es darauf ankomme, im Leben bis zum letzten Atemzug tätig zu sein, zu handeln und sich nicht aufzugeben. Es sind für ihn neue, ihm bislang verschlossene Einsichten in die Stärke des Menschen, zu denen Drynow gelangt: „Leben! Leben! So ist es nun einmal, das Leben . . . Man m u ß einfach leben, davor kann keiner ausweichen." 369 Igor Solotusski hat die Überzeugungskraft hervorgehoben, mit der Below dem Leser die Gewißheit vermittelt, daß der Vergänglichkeit des Lebens, genauer: seiner körperlichen und kreatürlichen Erscheinungsformen, in der geistigen, ethischmoralischen Kontinuität, in der Aufhebung, Bewahrung und Fortsetzung alles für die Menschen Wertvollen, eine entscheidende Grenze gesetzt ist: „Die Wärme Katerinas starb nicht mit ihr, sie blieb in Iwan Afrikanowitsch und seinen Kindern." 370 Die Frage nach dem tieferen Sinn des Lebens griff Below immer wieder auf. Die Erzählung Der Biberhügel (1967) hat er seinem Landsmann Alexander Jaschin gewidmet, der mit diesem „grünen Ort" in der Nähe des Dorfes Bludnowo die „Erinnerung an die Kindheit" verbindet. Jaschin ist vermutlich das „Du", das der Besitzer des kleinen Hauses am Biberhügel apostrophiert, jener „andere" also, der das Welt- und Naturbild des Erzählers objektiviert und Anflüge von Sentimentalität, die durch die enge Berührung mit der Natur hervorgerufen worden sind, energisch zurückdrängt. Formal als Ich-Monolog angelegt, ist der Text dieser Erzählung im Grunde dialogisch. Der Gesprächspartner ist zugegen, auch wenn sich der Disput des Erzählers mit ihm auf Fragen beschränkt, die er sich selber stellt, und auf Antworten, die er wiederum scheinbar nur für sich findet. Der erloschene Herd in dem Landhaus am Biberhügel erinnert den Erzähler daran, daß „das Schicksal" seine Mutter einst gezwungen hat, „vom Dorf in die Stadt zu ziehen". Es bedrückt ihn, daß „die Herdfeuer unserer Dorfheimat" überall nach und nach verlöschen. Er sieht einen tiefen Zusammenhang zwischen der durch das Herdfeuer symbolisierten „kleinen" und der „großen" Heimat. Der Mensch braucht nach seiner Ansicht beide, um glücklich zu sein. Ähnliche Vorstellungen werden in den Reflexionen des Erzählers über sein 132

Verhältnis zur Natur sichtbar. Er ist nicht gewillt, die Freiheit des Waldes, die Ermüdung nach einem langen Weg, den Kanten Roggenbrot, den Duft des Harzes, das Klopfen des Spechtes aus seinem Bild vom Glück zu streichen. Er sieht den Zusammenhang zwischen dem harmonischen Verhältnis des Menschen zur Natur und den gesellschaftlichen Bedingungen. Deshalb verlangt der Erzähler nach Behutsamkeit bei der objektiv nötigen Zerstörung des Alten im Kampf um das Neue. Die Gegenwart mit ihrer Vergangenheit und Zukunft, die „kleine" Welt des Menschen mit seiner „großen" Welt zu harmonisieren — darin sieht der Erzähler eine der wichtigsten Aufgaben der sozialistischen Gesellschaft. Ihn bewegt das Schicksal des Menschen, der sich zwischen das kleine Haus am Biberhügel und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt gestellt sieht. Den Erzähler interessiert das Verhältnis des Menschen zur Anwendung der Atomenergie, zu Chopins Musik und zu den geistig-kulturellen Prozessen, die von der Gesellschaft organisiert werden und zur Formung der Persönlichkeit des einzelnen beitragen. Ein Zurück zu jenem Leben, in dem das Haus am Biberhügel noch die „ganze Welt" sein konnte, gibt es für ihn nicht: „Das ist ein unerbittlicher Richtspruch der Zeit" 371 . Dennoch möchte er auch dieses „alte, traurige, letzte dörfliche Obdach" niemals missen. Below „sieht die Welt im Dorf, in seinem nordrussischen Dorf mit den Wäldern, Nebeln, Sümpfen und weißen Nächten" , sagte W. Gussew. Er ging davon aus, daß die Stärke dieses Schriftstellers gerade darin liegt, daß er mit seinen Erzählungen Menschen aller Schichten erreicht, also auch denjenigen Leser, dessen Leben nicht die geringste direkte Beziehung zum Dorf aufweist. 372 Der Kursker Schriftsteller Jewgeni Nossow hat seine Erzählung Hinter Tälern und Wäldern (1967) Wassili Below gewidmet. Sie weist einen tiefen inneren Bezug zu Belows Erzählung Der Biberbügel auf. Nossow geht es vor allem darum, das widersprüchliche Verhältnis von Gewinn und Verlust, das aus dem gesetzmäßigen Vordringen der „städtischen Kultur" erwächst, deutlich herauszuarbeiten. Sein Erzähler reist nach Wologda und kommt in ein „Belowsches" Dorf. Dort sieht er „die für immer erloschenen Kohlen" im Herd des alten Hauses, das ihm der „junge Erbe", Chauffeur in einem Kursker Tagebau, zur Verfügung gestellt hat. Dieser junge Mann war seit der Beerdigung seines Vaters acht Jahre lang nicht mehr in dem Dorf und ist davon überzeugt, daß es sich dort nicht mehr zu leben lohne. Dem widerspricht der Erzähler. Er entdeckt in dem Dorf nicht nur 133

Poetisches, die „Welt der Märchen", er stößt auch auf Menschen, die er nicht einfach ihrem Schicksal überlassen will, sowie auf Probleme, die nach seiner Überzeugung von der Gesellschaft konstruktiv gelöst werden müssen. Die acht Menschen, die in den zwölf Häusern des Ortes leben, ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich. Semjon Lutkow z. B., ein Kolchosbrigadier, ist in dem Dorf geblieben, während die meisten anderen Bewohner im Zuge der Vergrößerung der Kollektivwirtschaften sich in den zentralen Orten angesiedelt haben: „Der Kolchos entfernte sich immer mehr von den hier Wohnenden . . . Nur Semjon . . . blieb aus Starrsinn auf dem alten Fleck. Vielleicht aber war es nicht Starrsinn, sondern seine feste und innige Bindung an dieses Land und die Hoffnung, daß die entvölkerten Dörfer eines Tages wieder zu neuem Leben erwachen würden." 373 Diese Worte des Erzählers lassen die Position des Autors erkennen. Nossow ist es ernst damit, dem „Reich der Wälder", seinen jetzigen und künftigen Bewohnern eine Perspektive zu geben, die dem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt, der Schaffung der Grundlagen des Kommunismus, ebenbürtig ist.37'1 Wassili Below hat den „Dialog" mit Jewgeni Nossow in seinen Zimmermannsgeschicbten (1968) fortgesetzt.375 Konstantin Sorin, der Erzähler, kommt 1966 für vierundzwanzig Winterurlaubstage in das Dorf und Haus seiner Väter zurück. Er ist — im Gegensatz zu dem Chauffeur in der Erzählung Nossows — tatsächlich „nach Hause gefahren". Er ist froh, daß er sich dazu durchgerungen hat. Voller Tatendrang will er die Badestube reparieren. Das ist die Ausgangssituation für die vierundzwanzig Tage auf dem Lande. Aus den Erinnerungen Konstantin Sorins geht hervor, daß er das Dorf früher gehaßt hat, weil es ihn lange Zeit daran hinderte, seine Lebensziele zu verwirklichen. Nicht ohne Grund kommt ihm auch jetzt wieder jener verzweifelte Versuch in den Sinn, einen Personalausweis zu erwirken, um ein Technikum besuchen zu können — der dreimalige Fußmarsch über einhundertvierzig Kilometer zu der unnahbaren Bürokratin im Kreisbüro für Personenstandswesen. Er hatte keinen Ausweis bekommen, nur die Berufsschule absolvieren und Zimmermann lernen können. Solche Episoden gehören der Vergangenheit an. Heute lebt Sorin in der Stadt, er ist Ingenieur. Heute betrachtet er sein Heimatdorf mit anderen Augen. Deshalb sucht er herauszufinden, was ihn hier anzieht. Er trifft Anfeja, die ebenso wie er zu Besuch auf dem Lande ist, und hört von ihr, daß allein der Gedanke an ein Leben im Dorf für 134

sie unerträglich ist. Er weiß, daß viele so wie Anfeja denken. Andererseits ist er fest überzeugt davon, daß die Menschen, mit denen er auf der Brigadeversammlung zusammensitzt, vor allem die beiden alten Feind-Freunde Olescha Smolin und Awenir Kosonkow, „ein großes Leben gelebt", die Geschicke des Dorfes und des Landes in den Jahren der Revolution, der Kollektivierung und des Großen Vaterländischen Krieges mitbestimmt haben. In Olescha, der „wie Christus geboren wurde, im Stall, und ausgerechnet zu Weihnachten", ebenso aber auch in Awenir, der als „rechte Hand des Kreisbeauftragten Tabakow" unermüdlich gewirkt hat, ist die Geschichte lebendig. Der Schlüssel für die Antwort auf die Fragen des Erzählers liegt in den Überlegungen Olescha Smolins, was nach dem physischen Tod wohl vom Menschen bleibt: „ . . . da hat ein Mensch gelebt, und dann ist er nicht mehr da. Wo aber ist er geblieben? Natürlich, der Körper verwest in der Erde: die Erde hat ihn gegeben, die Erde hat ihn genommen. Was mit dem Körper geschieht, ist klar. Aber die Seele? Der Geist? Das, was ich eigentlich gewesen bin, wohin kommt das? . . ." 3 7 6 Jakow Eisberg hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es hier nicht um irgendwelche metaphysischen Probleme geht, sondern um das „geistige Leben" 3 7 7 als komplexe Erscheinungsweise der Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Deshalb geht auch die Antwort, die der Erzähler Konstantin Sorin findet — nämlich daß Smolin in seinen Taten und in der Erinnerung der Menschen weiterleben werde —, weit über die konkrete Fragestellung seines Gesprächspartners hinaus. Die „Streitgespräche" zwischen Olescha Smolin und Awenir Kosonkow, die Episoden aus ihrem Leben, die einzelnen „Zimmermannsgeschichten" verdichten sich beim Leser zu einem komplexen Bild des Lebens, der sozialen und historischen Wirklichkeit sowjetischer Menschen. In dieser Fähigkeit zur Synthese drückt sich der hohe literarische Rang der Erzählkunst Wassili Belows aus. Er „erhebt", wie Sergej Salygin sagt, „einfache Fakten, alltägliche und unscheinbare menschliche Angelegenheiten in den Rang des Lebens" 3 7 8 . Below hat hier fast jede Episode und jedes Detail poetisch verdichtet und damit jene innere Geschlossenheit der Intonation, Sprache, Stimmung und Idee erreicht, die nach Salygins Auffassung für die Erzählung von besonderer Bedeutung ist. Der „mündliche" Charakter der Erzählung, die Tendenz zum Gespräch mit dem Leser, wird bei Below noch dadurch verstärkt, daß der Erzähler seine Erzählweise den lokalen Bedingungen* also dem Milieu des nordrus135

sischen Dorfes, maximal anpaßt. Da die sozialen und historischen Prozesse in den Schicksalen Smolins, Kosonkows und anderer Charaktere objektiviert sind, beeinträchtigt diese sprachlich-stilistische Affinität des Erzählers mit anderen Gestalten die epische Verdichtung des Episodischen und Anekdotischen keineswegs. Außerdem orientiert sich der Erzähler auf einen Leser, der das Vorgetragene zu seiner eigenen sozialen und historischen Erfahrung in Bezug zu setzen weiß. Für Konstantin Sorin führt die Reise in das D o r f seiner Kindheit — eine typische Reisesituation vieler Werke der sowjetischen Gegenwartsprosa 379 — zur Wiederbegegnung mit der Vergangenheit. Die Verhältnisse, die er antrifft, zwingen ihn, sein geistiger Horizont befähigt ihn zu einer nüchternen und sachlichen Einschätzung der Lage des Dorfes und seiner Bewohner. Von der gesellschaftlichen Wirklichkeit überholte Vorstellungen, die in entlegenen Winkeln seines Bewußtseins noch nisten, erweisen ziemlich schnell ihren illusionären Charakter. Das gilt z. B. für seine Vorstellung von der „harmonischen Gestalt des russischen Bauern", der die Badestube mit dem gleichen feierlichen Ernst aufsucht „wie seine Vorfahren den Ostergottesdienst" 3 80 . Wie die Lebensgeschichten von Smolin und K o sonkow erweisen, ist die Vergangenheit niemals so idyllisch gewesen, wie sich das Menschen einbilden, in deren Erinnerung die krassen Widersprüche, die das Leben des Dorfes und seiner Bewohner früher bestimmten, sich längst geglättet haben. Konstantin Sorin weiß am Ende seines Urlaubs, daß neben dem Wertvollen aus dem früheren Leben, das bleiben wird, vieles unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Obwohl er seinem Wesen nach anders ist als Smolin und Kosonkow, fühlt er sich mit ihnen stärker verbunden als beispielsweise mit Anfeja, deren zur Schau gestellte „städtische" Kultur z. T . nicht mehr als eine Pseudobildung ist. Das klarere Verhältnis zum D o r f und zur Natur, das Sorin im Ergebnis seiner Reise gewinnt, versinnbildlicht einen entscheidenden Schritt bei der Harmonisierung des Menschen, die von der kommunistischen Gesellschaft angestrebt wird. Die von Kasakow, Lichonossow, Semjonow, Nossow und Below behandelte Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu seiner Biosphäre ist zweifellos gegenwärtig im Leben wie in der Literatur eine Frage von „weltweiter Bedeutung" 3 8 1 . Die Sowjetliteratur antwortet auf diese Frage heute mit neuen Lösungsvarianten, doch sie stellt sie nicht zum ersten Mal. Einer der literarischen „Lehrmeister" der

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zeitgenössischen Erzähler war Michail Prischwin, der den Kontakt des Menschen mit der Natur stets als einen wichtigen Faktor für die Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit gewertet hat. In Prischwins Tagebuch des Schriftstellers heißt es in diesem Zusammenhang: „Ich erinnere mich daran, wie Block nach der Lektüre eines meiner Bücher über die Natur zu mir sagte: ,Sie verstehen die Natur und verschmelzen mit ihr. Doch warum lassen Sie sich herab?' ,Was heißt herablassen?', antwortete ich . . . „Ich lasse mich nicht herab. Ich erhebe mich.' Alles Lebendige in der Natur erhebt sich von der Erde zur Sonne: das Gras, die Bäume, die Tiere. Alles wächst. Und so erhebt sich und wächst auch der Mensch, der mit der Natur verschmilzt." 382 Dieser Gedanke kommt Wassili Belows Auffassung von der Beziehung zwischen Mensch und Natur in Gegenwart und Zukunft sehr nahe.

Im Kampf um die „innere Reife"

Als W. I. Lenin im Oktober 1920 den Entwurf einer Resolution über die proletarische Kultur schrieb, legte er Wert auf die Forderung, die „besten Vorbilder, Traditionen und Ergebnisse der bestehenden Kultur" 3 8 3 unter Berücksichtigung der Lebens- und Kampfbedingungen des Proletariats und im Einklang mit der marxistischen Weltanschauung zu bewahren. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Sowjetunion die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft abschließen konnte, kam dieser Aufgabe neue Bedeutung zu. Leonid Breshnew wies in seiner Rede zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung der UdSSR darauf hin, daß die Sowjetgesellschaft aufgrund der tiefen und umfassenden sozialen und politischen Wandlungen in dem vergangenen halben Jahrhundert ein qualitativ neues Niveau, eine höhere Form des menschlichen Zusammenlebens erreicht hat. An die Einschätzung des XXIV. Parteitages anknüpfend, nach der sich auf dem Boden der UdSSR „eine neue historische Gemeinschaft von Menschen — das Sowjetvolk" 3 8 4 entwickelte, erklärte Leonid Breshnew: „Diese Gemeinschaft beruht auf tiefgreifenden objektiven Veränderungen, die sich im Leben unseres Landes sowohl auf materiellem wie auch auf geistigem Gebiet vollzogen haben, auf der Entstehung und Entwicklung sozialistischer Nationen in unserem Land, zwischen denen sich Beziehungen von neuem Typus herausgebildet haben." 385 Fünfzig Jahre nach der Oktoberrevolution gehörte der vielschichtige Prozeß der Aufhebung und Weiterführung nationaler Traditionen im Verein mit der Ausprägung neuer übernationaler Gemeinsamkeiten zweifellos zu den bedeutsamsten Erscheinungen in der Sowjetliteratur. Georgi Lomidse, der auf die unterschiedlichen Ausgangspositionen und historischen Erfahrungen der nationalen Literaturen in der UdSSR hingewiesen hat, charakterisierte die Sowjetliteratur als sozialistisch in ihrem Inhalt, d. h. in der Hauptrich138

tung ihrer Entwicklung und in der geistig-weltanschaulichen Haltung ihrer Vertreter, als multinational in ihren Formen, Farben, künstlerischen Lösungen und Entdeckungen sowie als internationalistisch in ihrem Geist und Charakter.386 Diese Vielfalt und Geschlossenheit kam auch bei der Einschätzung der Leistung der fünfundsiebzig Sowjetliteraturen zum Ausdruck, die Georgi Markow im Rechenschaftsbericht an den V. Sowjetischen Schriftstellerkongreß im Juni 1971 vornahm. So war es zu diesem Zeitpunkt beispielsweise gelungen, die Rückstände, die einzelne Literaturen im Genre der Erzählung vorher aufzuweisen hatten, weitgehend aufzuholen und das Niveau der Erzählprosa in den meisten nationalen Literaturen dem der am weitesten fortgeschrittenen Literaturen anzunähern.387 Wir können die weltliterarische Bedeutung dieser Entwicklung hier nur bedingt verdeutlichen, indem wir die gemeinsamen Anstrengungen sowjetischer Erzähler aus verschiedenen Republiken wie in den vorangegangenen Teilen durch eine vergleichende Betrachtung sichtbar machen. Es muß aber betont werden, daß diese echte Kollektivität im geistig-weltanschaulichen Vorgehen bei voller Wahrung der Souveränität nationaler und individueller Stile und Handschriften in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine neue Qualität erreicht hat. Die Namen von Saln Muratbekow, Fasliddin Muchammadijew, Anatol Kudrawez, Hryhir Tjutjunnyk, Fasil Iskander, Hrant Matewosjan, Evalds Vilks und Wassili Schukschin müssen als Beispiel für weitaus vielfältigere Erscheinungen angesehen werden.

Tradition und Gegenwart In seinen ersten Werken vom Anfang der sechziger Jahre hatte der Kasache Saln Muratbekow vorwiegend über junge Menschen in den kasachischen Kolchosdörfern geschrieben, Gestalten also, die ihm in ihrer Mentalität und geistigen Haltung nahestanden.388 Mit zunehmender sozialer Erfahrung vermochte er den Wirklichkeitsausschnitt, den er in seinen Erzählungen gestaltete, weiter auszudehnen. Das geschah nicht nur in Form einer Erweiterung der Themenkreise, sondern auch in „vertikaler" Richtung: Heutiges wurde aus der geschichtlichen Entwicklung abgeleitet, NationalKasachisches immer häufiger in das größere Bezugssystem des International-Sowjetischen eingebettet. Ein Beispiel dafür ist die Erzählung Kussen-kusseke (1967). 139

Küssen ist Schafhirte und lebt mit seiner Familie fast das ganze Jahr über in der Jurte unmittelbar neben den Weideflächen. Wie seine Vorfahren ist er eng mit der Natur verbunden, hängt an seinen Tieren, spricht mit ihnen wie mit kleinen Kindern, betrachtet sein Pferd als seinen treuen Freund, macht Stimmung und Laune vom Wetter abhängig. Auch die alten kasachischen Sitten und Bräuche achtet Küssen. Wenn ein Gast kommt, wird ein Hammel geschlachtet, kommen viele Gäste, müssen viele Hammel daran glauben, denn Gastfreundschaft ist das oberste Gebot. Reitet Küssen zu den Verwandten und Freunden ins Dorf, feiert er mit ihnen drei Tage und Nächte lang, und die Geschenke, die er den Gastgebern mitbringt, sind so reichlich bemessen, daß von seinem Lohn nicht viel übrig bleibt. Auch bei anderen Gelegenheiten knausert Küssen nicht. Als ihn der Leiter der Schaffarm auffordert, hundert Rubel zu geben, um Bisultan, dem Leiter des Dorfladens, zu helfen, zögert Küssen nicht. Er gibt noch mehr, als sich ihm die Gelegenheit bietet, seinen „ewigen Widersacher im sozialistischen Wettbewerb" Bilispai zu übertreffen. In dieser Bereitschaft liegt Kussens Stärke und sein „schwacher Punkt". Er weiß sich Bilispai durch seine Arbeit überlegen und möchte diese Überlegenheit um jeden Preis unter Beweis stellen. Dann bestimmt das alte „Dshigitentum" seine Handlungsweise. Dabei geht es ihm nicht um Vordergründiges. Er glaubt nicht an den „Orden", den ihm der Leiter der Schaffarm verspricht, durchschaut Schmeicheleien und leere Versprechungen. Küssen arbeitet nicht „um des Ruhmes willen". An der Peripherie des Sowjetlandes, weitgehend auf sich allein gestellt, hat er die soziale Bedeutung seiner Tätigkeit begriffen und die Arbeit zum Nutzen und Wohle der Menschen zur Richtschnur seines Handelns gemacht. Ähnlich wie Scholochow in Ein Menscbenschicksal arbeitet Muratbekow die Historizität des Charakters vor allem über die knappe „Vorgeschichte" heraus. Aus ihr erfährt der Leser, daß es in Kussens Kindheit „noch keine Kolchosen" gegeben hat und die Menschen in den kasachischen Dörfern häufig „hungerten und darbten". Küssen war im Krieg, er „hatte viele Städte befreit und erkannt, wie groß die Welt war" 389 . Noch heute hat er die Bilder vor Augen, wie seine Kameraden, „kasachische und russische Dshigiten", in den Kämpfen um die Befreiung der Heimat gefallen sind. Eine Zeitlang hatte Küssen geglaubt, während des Krieges „alles" gesehen zu haben, als „erfahrener Mann" heimgekehrt zu sein. Später begriff er, daß das 140

Kriegserlebnis bei aller Bedeutung nur ein Teil jener sozialen und historischen Erfahrung war, die er als Kommunist in den folgenden Jahren brauchte. Neue Erfahrungen kamen hinzu, die Küssen aus seiner schweren Tätigkeit, den Auseinandersetzungen mit dem streitsüchtigen Turgali, dem sozialistischen Wettbewerb mit Bilispai und aus den Gesprächen mit seinen Freunden gewonnen hat. In ihrer Gesamtheit geben ihm diese Erfahrungen die Reife, mit der er gewissenhaft, eigenverantwortlich und freudig seine Arbeit verrichtet. Nicht die äußeren Momente des arbeitsreichen Lebens, nicht die farbigen Details aus der kasachischen Natur und dem Hirtenalltag bestimmen den hohen Stellenwert dieser Erzählung, sondern das Ringen des Autors um die „innere Reife" seines Helden. N. Rowenski 390 betrachtet die Erzählung Kussen-kusseke als Anfang einer neuen Entwicklungsetappe im Schaffen Sain Muratbekows, der damit neben Abisch Kekilbajew (Ballade vergessener Zeiten, 1969) und anderen Wesentliches zur Integration der kasachischen Erzählung in die allgemeinen Entwicklungstendenzen der sowjetischen Gegenwartsprosa beigetragen hat. In der tadshikischen Sowjetliteratur blieb die Prosa lange Zeit hinter dem Aufschwung der Lyrik zurück. Erst Sadriddin Aini verhalf ihr in den dreißiger Jahren zu einem Durchbruch. Georgi Markow sprach 1971 vom Erfolg einiger „größerer Werke in Poesie und Prosa", wies aber gleichzeitig darauf hin, daß die Erzählung und die Skizze in der tadshikischen Literatur gegenwärtig nach wie vor „schwach entwickelt" seien. Die schnelle Entwicklung der Produktivkräfte in der Tadshikischen SSR lasse jedoch eine rasche Veränderung dieser Situation erwarten. 391 Wesentliche Ansätze einer derartigen Veränderung sind im Schaffen Fasliddin Muchammadijews zu beobachten. Stil und Erzählweise Muchammadijews, der seit Mitte der fünfziger Jahre mit Erzählungen hervorgetreten ist, erinnern noch stark an Ainis Der Tod des Wucherers. Das gilt auch noch in einem bestimmten Maße für die Erzählung Der Zweikampf (1968). So wird der Leser traditionsgemäß wiederholt apostrophiert, gibt es weitgespannte originelle Vergleiche, ausführliche und sehr detailreiche Charakteristiken, Schilderungen und Beschreibungen sowie farbenprächtige Milieubilder. Dennoch stehen in dieser Erzählung bereits die für die sowjetische Gegenwartsprosa in ihrer Gesamtheit charakteristischen ethisch-moralischen Probleme der kommunistischen Persönlichkeit im Vordergrund. In dem Zweikampf zwischen Achmadbek und Muchammadmurat 141

geht es nicht um den physischen Sieg des alten Achmadbek über den viel jüngeren Rivalen, sondern um Haltungen, die überprüft, „in den Ring gestellt" werden und ihre Tauglichkeit für Gegenwart und Zukunft unter Beweis stellen müssen. Muchammadmurat ist Jugendmeister im Ringen. Sein Ruhm ist „bis nach Duschanbe, ja sogar bis nach Frunse" gedrungen. Der Erfolg hat den jungen Tadshiken berauscht, ihn hochmütig und überheblich gemacht. Was macht den älteren Achmadbek stärker? Von der landläufigen Vorstellung von einem „Pachlawonen" 392 , einem tadshikischen Ringer, fehlt ihm eigentlich alles: der furchteinflößende Schnurrbart, die Statur eines Recken, der schwere Gang. Rein äußerlich ist Achmadbek „ein ganz gewöhnliches Bäuerlein". An ihm ist „nichts Reckenhaftes", seinem Auftreten und seiner Haltung nach ist er ein „einfacher Bauer und Landarbeiter". Und um seinen Schnurrbart kümmert sich Achmadbek so wenig, daß der „nicht einmal weiß, nach welcher Seite er sich ringeln soll — nach oben, nach unten oder in die Richtung der Ohren". Manchen Landsleuten Achmadbeks bleibt es ein Rätsel, woher dieser unscheinbare Mann die Kraft nimmt, im Laufe vieler Jahre alle Gegner, die ihn zum Ringkampf herausfordern, zu besiegen. Auch nachdem Achmadbek sich schon längst aus dem aktiven Sport zurückgezogen hat, verstummt das Gerede über irgendwelche „mysteriösen" Quellen seiner Kraft im D o r f nicht. Der Leser aber erkennt, was „Legende" und was Wahrheit ist. Ihm wird klar, daß die tägliche harte Arbeit und das lebendige Traditionsbewußtsein für den Tadshiken der wichtigste Kraftquell sind. Der Brigadier teilt Achmadbek immer zu den schwersten Feldarbeiten ein. Nur er vermag die Felder an den Hängen des Weißen Berges zu pflügen. Niemand außer ihm kann die schwere selbstgebaute Egge heben. So ist es verständlich, daß er zu Wettkämpfen ohne jede Vorbereitung gehen kann. Achmadbeks Traditionsbewußtsein hängt mit seiner Fähigkeit zum historischen Denken zusammen. In ihm ist aber nicht nur die Vergangenheit als Vermächtnis und Verpflichtung lebendig. Auch die Gegenwart ist ihm Verpflichtung, aus der er z. B. seine Mitverantwortung für die Ausübung der sozialistischen Staatsmacht begreift, die in seinem Verhältnis zum Vorsitzenden des Dorfsowjets und zu den öffentlichen Angelegenheiten Ausdruck findet. Besonders stark hat Achmadbek das Vermächtnis des Pachlawonen Nawrus, seines im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen „Leh142

rers", als Persönlichkeit geformt. In dem Gefallenen sieht er, der selbst vier Jahre lang an der Front gewesen ist, einen Mann, der die besten Züge des Nationalcharakters verkörpert. Sie zu bewahren und weiterzuentwickeln und in das Persönlichkeitsbild der Gegenwart zu integrieren, ist nach Achmadbeks Ansicht für die Überlebenden eine der vornehmsten Aufgaben. Muchammadijew mißt den Charakter seines Helden mit den Maßstäben der Gegenwart. Der junge Muchammadmurat hat zwar die „siebenundsiebzig Kunstgriffe" von den älteren Pachlawonen übernommen, nicht aber Geist und Charakter eines Nawrus', die Ausdruck der neuen Wechselbeziehungen des Nationalen und des Sowjetischen sind. Aus diesem gegensätzlichen Verhältnis zur Tradition und zur Gegenwart leitet der tadshikische Erzähler seine moderne Interpretation des alten Zweikampfsujets ab. In einer Rezension über das erste Buch von Anatol Kudrawez hob Janka Bryl 1968 die enge Verbundenheit des Autors mit dem historischen Schicksal der Menschen Belorußlands hervor. 393 Als eine der reifsten künstlerischen Leistungen nannte er die Erzählung In den Wiesen knarrten die Wachtelkönige (1967). Im Mittelpunkt der Erzählung, die komplizierte Wechselbeziehungen zwischen Kontinuität und Diskontinuität in der Dialektik des Nationalen und Internationalen sichtbar macht, steht die Begegnung von Maxim und Manja. Er ist Meliorator und Baggerführer und durch seinen Beruf an ein sehr unstetes Leben gewöhnt. Sein Heimatdorf wurde während des Krieges zerstört, seine Eltern fanden dabei den Tod. Maxims Verhältnis zum Dorf und zur Natur ist längst das eines „Außenstehenden". Es ist frei von jeder Sentimentalität, selbst wenn der Anblick der Dörfer in ihm zuweilen „ein wundersames, uraltes, vertrautes Gefühl" 394 hervorruft. Manja hingegen hat sich vom Dorf und von der tiefen Bindung an die Natur nicht gelöst. Die Dreißigjährige ist noch nicht einmal aus dem Heimatdorf herausgekommen und hat sich die Pflicht auferlegt, bei der Mutter zu bleiben und sie zu unterstützen. Manja sehnt sich nach Liebe und Glück. Ihre Erwartungen, die durch das zurückgezogene, selbstlose Leben noch verstärkt werden, sind mit einem hohen geistig-moralischen Anspruch an das Leben verbunden. Er bestimmt auch ihr Verhältnis zu Maxim, der zunächst nur auf eine flüchtige Begegnung aus ist, wie er sie vorher mehr als einmal gefunden hat. Manjas Haltung zwingt ihn dazu, seine Gefühle ernsthaft zu prüfen und jegliche Oberflächlichkeit abzustreifen. 143

In Manja findet er zum erstenmal einen Partner, der seine ganze Persönlichkeit fordert. Eine wichtige geistige Basis für die tiefe Gemeinsamkeit, zu der die beiden gelangen, ist beider Erinnerung an den Krieg. In ihrem Bewußtsein ist das Schicksal der belorussischen Dörfer und Menschen während des Krieges als historische Erfahrung lebendig. Dieses Bewußtsein, das beide am Ende mit aller Schärfe durchdringt, hebt ihre Beziehungen zueinander auf eine Ebene, auf der die Würde des Partners nicht verletzt wird und eine dauerhafte Bindung reifen kann. So verdeutlicht Kudrawez mit seiner Erzählung, welche Bedeutung die spezifisch historische Erfahrung für die sittliche Reife des einzelnen, für scheinbar alltägliche praktische Entscheidungen besitzt. Gleichzeitig macht der belorussische Autor wie Below, Tjutjunnyk oder Schukschin auf die Probleme aufmerksam, die aus der Annäherung von Stadt und Land, städtischer und dörflicher Kultur, Lebensweise und Mentalität, erwachsen. Seine Erzählung So ein Tag (1967), in der der alte Bauer Gawrila sich zwischen dem „Heimatdorf" und dem „unbekannten Karaganda" 395 , wo sein einziger Sohn arbeitet, entscheiden muß, zeugt von seinem Bestreben, den Leser durch „offene Schlüsse" in die Lösung derartiger Konflikte einzubeziehen. Nach der Kontinuität nationaler Elemente in der veränderten Lebensweise sowjetischer Menschen fragten auch die ukrainischen Erzähler, z. B. Jewhen Huzalo und Hryhir Tjutjunnyk, seit den sechziger Jahren immer häufiger. In Tjutjunnyks Erzählungen vom Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, etwa in Bei Krawtschina wird Mittag gegessen und Katrjas Hochzeit, traten die Realien des Nationalen und Internationalen im heutigen Leben besonders markant hervor. Neben der gegenständlichen und farbigen Darstellung der Charaktere und des Milieus und dem Spürsinn des Autors für die unverfälschte Sprache und Mentalität echter „Volkscharaktere" 396 lobte die Kritik die intensive Suche nach den „tieferen, ursächlichen Zusammenhängen zwischen Vergangenheit und Gegenwart" 397 in den Erzählungen Tjutjunnyks. Der Kolchosschmied Krawtschina z. B. lebt in mancher Hinsicht noch so wie seine Vorfahren. Insbesondere das Zeremoniell des gemeinsamen Mittagessens der Familie ist derart beständig, daß die Dorfbewohner die „Varianten" dieses Zeremoniells, das „friedliche Mittagsmahl" und Krawtschinas „kalte Raserei" bei einem zu heiß geratenen Borstsch, selbst aus einiger Entfernung auseinander144

halten können. Beim Mittagessen im Schatten des Apfelbaums ist noch manche alte Gewohnheit lebendig: Die Familie versammelt sich, Vater setzt sich als erster zu Tisch, danach Großmutter, erst dann nehmen die Kinder Platz. Das sind Dinge, die sicher noch lange bleiben, auch in einem neuen Bezugsfeld ihren Platz finden werden. Tjutjunnyk ist weit davon entfernt, Vergangenes zu idyllisieren. Oft genügt ihm ein winziges Detail, um die Widersprüchlichkeit der Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart ins Licht zu rücken und die sozialen und historischen Bezüge einzelner Erscheinungen herauszustellen. So wirkt schon der Hinweis darauf, daß bei Krawtschina nur noch die jüngsten Kinder zu Hause sind, während die großen Söhne und Töchter längst eigene Familien gegründet haben und weggegangen sind, jeder Tendenz zur Idyllisierung entgegen. Ein gewichtiges Detail ist der Kontrast zwischen Krawtschinas uneigennützigem Denken, seiner Arbeit und Lebensweise und dem, was der Erzähler voller Ironie als Mentalität und Haltung eines „echten Hofbauern" entlarvt — der Selbstsucht und Selbstgenügsamkeit, die historisch überholt und deshalb nicht aufhebbar sind, von denen man sich trennen muß. Tjutjunnyk „zeichnet plastische Lebensbilder", sagt W. Dontschik, „und auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob darin sein Endziel bestehe . . . Doch die Probleme stecken in den Charakteren. Die entscheidende Rolle bei ihrer .Aufdeckung' spielte das .innere Leuchten' des auktorialen, lyrischen Elements, das jede Erzählung Hryhir Tjutjunnyks in ein ernsthaftes, bewegendes, problemreiches Gespräch über das Schicksal des ukrainischen Nationalcharakters verwandelt, seine Bewegung und Entwicklung berührt, das, was vergeht, und das, was entsteht." 398 Von dieser komplexen Fragestellung geht Tjutjunnyk auch in der Erzählung Katrjas Hochzeit (1971) aus. Katrjas Abschied vom Dorf, den Eltern und einem Teil ihrer Vergangenheit ist notwendig, und zwar nicht allein deswegen, weil sie ein Kind erwartet und heiraten will, sondern weil sie an ihrer neuen Arbeitstelle, der Bergwerkskantine im Donbass, längst eine neue Lebenssphäre gefunden hat. Ihr Weggang ist unvermeidlich und ebenso normal wie die Sehnsucht des alten Stepan nach Enkeln, die einmal auf seinen Schultern sitzen und von ihm Märchen hören wollen. Das Schmerzhafte solcher Notwendigkeiten, das Tjutjunnyk im Erleben Katrjas und ihrer Eltern sichtbar macht, ist den Schmerzen vergleichbar, ohne die die Geburt des Neuen niemals vonstatten geht. 10

Kasper, Sowj. Erzählung

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Katrjas Eltern richten die Hochzeit „nach alter Art" aus. Manches von diesem „Alten" wird allmählich immer mehr in den Hintergrund treten und vielleicht sogar einmal in Vergessenheit geraten, anderes wiederum, z.B. der Gemeinschaftssinn des Dorfes, wie er während der Hochtzeitsfeier zum Ausdruck kommt, wird seinem Wesen nach erhalten bleiben. Der Bräutigam, Ingenieurökonom im Donbass, lebt schon völlig „auf neue Art" und hält die Hochzeit, so wie sie hier auf dem Dorf ausgerichtet wird, für eine „Komödie" 399 . Der Erzähler teilt diese Auffassung wohl kaum, verurteilt sie aber auch nicht. Er sucht die Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart, den komplizierten Prozeß der Herauslösung aus der Tradition unter Bewahrung und Weiterentwicklung ihrer produktiven Elemente, in seinen Erzählungen vorurteilslos und gewissenhaft zu ergründen. Fasil Iskander, der in Abchasien aufgewachsen ist, aber russisch schreibt, hatte bereits fünf Lyrikbände veröffentlicht, als 1962 seine ersten Erzählungen erschienen. Sie zeugten ebenso wie seine Gedichte von der engen Verbundenheit des Autors mit den abchasischen Menschen, Dörfern und Bergen. Insbesondere ließen sie die tiefe Verquickung nationaler Traditionen und sozialistischer Gegenwart sowie die widerspruchsvolle Entwicklung neuer nationaler Inhalte erkennen. Lew Arutjunow führte die Wirkung der Erzählungen Iskanders darauf zurück, daß der Autor „die Ironie des Intellekts, der gleichsam von der Seite das eigene Wesen analysiert", mit dem vorwiegend aus der bäuerlichen Lebenssphäre kommenden abchasischen Volkshumor „zusammenstoßen" läßt. Er sprach auch von den beiden „Elementargewalten", die Iskanders Persönlichkeit, seine Weltauffassung und seinen Stil geformt haben: „das Meer und die Berge, die Welt der internationalen Hafenstadt (Suchumi) und die des nationalen Traditionen verhafteten .großväterlichen' Dorfes . . . , eine in sich geschlossene Verbindung scheinbar gegensätzlicher Prinzipien" 400 . Stil und Erzählweise Iskanders sind aber auch durch das neue, vielschichtige Verhältnis von Mensch und Welt, Persönlichkeit und Gesellschaft bestimmt worden, in dem das Individuum im Sozialismus der Welt frei gegenübersteht und sich gleichzeitig seiner Verantwortung für sie bewußt ist. Iskanders Erzählungen aus dem Band Die verbotene Frucht (1966) und die meisten folgenden Werke weisen die Gestalt eines IchErzählers auf, der Kindheit und Jugend in Abchasien verbracht hat und tief im Volk verwurzelt ist. Abchasien wird mit den Augen des „naiven" Kindes und des „reifen" Mannes gesehen, unterliegt 146

also einer doppelten Spiegelung. Die Ich-Form gestattet es, den angestrebten Eindruck „autobiographischer" Authentizität und Subjektivierung maximal zu verstärken. Die doppelte Spiegelung unterstützt die Objektivierung, die schließlich der Leser vornimmt. Dieser Erzähler, der nach einer Bemerkung von Jakow Eisberg „dem Autor nahesteht"401, prägt die künstlerische Spezifik der Prosa Iskanders. In den ersten Erzählungen kommt es vor, daß der „reife" Erzähler sein Anliegen direkt formuliert. Nachdem er z. B. in Die verbotene Frucht davon berichtet hat, wie seine Schwester entgegen dem orientalischen Brauch Schweinefleisch aß und er sie anschließend um eines vermeintlichen „Prinzips" willen verpetzte, erklärt er: „Das ist nun viele Jahre her. Längst esse ich Schweinefleisch wie jedermann, obwohl es mich wahrscheinlich nicht glücklicher gemacht hat. Vaters Lektion aber hatte ihren Sinn erfüllt: Ich hatte begriffen, daß es kein Prinzip gibt, das Gemeinheit und Denunziation rechtfertigt, und daß überhaupt jegliche Denunziation nichts anderes ist als kleinlicher Neid, eine haarige Raupe, mit welchen Prinzipien sie sich auch bemänteln mag." 402 Allmählich wächst Iskanders Held in die gesellschaftliche Wirklichkeit hinein. Zuweilen sind es alltägliche, banale Kleinigkeiten, die für die Formung der jugendlichen Psyche die größte Bedeutung erlangen. Häufig steht im Prozeß der Entdeckung der „Welt" Komisches und Tragisches dicht beieinander. Die Erzählung Die dreizehnte Tat des Herkules handelt von der erzieherischen Wirkung des Lachens. Charlampi Diogenowitsch, der Mathematiklehrer, „wie Pythagoras der Herkunft nach Grieche", erreicht mit Humor, Witz und Spott bei seinen Schülern mehr als andere Lehrer mit langen Ermahnungen. Sein Spott beschämt auch den „naiven" Erzähler, der aus reiner Eitelkeit mit nicht vorhandenen Kenntnissen geprahlt hat. Der „reife" Erzähler wertet diesen Vorfall gründlich aus. Er hat nicht nur längst begriffen, daß man für seine Hausaufgaben den nötigen Ernst aufbringen muß und bei der Lösung von Mathematikaufgaben keinen Fußballspieler um Rat fragen darf. Seine Gedanken schweifen weiter. So meditiert er über die Fähigkeit „talentierter Dichter" und „schöner Frauen", einen Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben, spricht die Vermutung aus, das alte Rom sei untergegangen, „weil seine Imperatoren in ihrem bronzenen Hochmut nicht mehr merkten, daß sie lächerlich waren", und verteidigt schließlich auch noch die Methode Charlampi Diogenowitschs, sich und die andern „mit einer gewissen Portion Humor zu 10»

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betrachten" 403 . Mit der Erzählung Das Sternbild des Ziegentur (1966) ist Iskander in der Gestalt des Redakteurs Plato Samsonowitsch, der eine Kampagne zur Propagierung einer Kreuzung zwischen Turbock und Ziege entfacht, eine bemerkenswerte komische Figur gelungen. I. Grekowa lobte vor allem die „lustige Erzählweise", die von einer großen „Liebe zu den Menschen und zum Leben" 404 zeuge. Die Erzählung Onkel Kjasjms Pferd (1965) handelt von tragischen Ereignissen, von Tod und Verwundung, vom Krieg, der immer näher an Abchasien heranrückt und die Bergbauern zwingt, nach ihren Söhnen auch ihre Pferde herzugeben. Der „naive" Erzähler berichtet davon, was es für Onkel Kjasym bedeutet, sich von seinem Lieblingspferd Kukla trennen zu müssen. Den „reifen" Erzähler bewegen die ethisch-moralischen Aspekte dieses für den Kriegsalltag sicher nicht ungewöhnlichen Vorgangs, seine gleichnishafte Bedeutung für den Zeitgenossen, die Gegenwart. Mit dem Vorwurf, daß Kukla nach der Rückkehr, abgearbeitet und verwundet, nicht mehr „reagiert" 405 , abgestumpft, gleichgültig geworden ist, weitet sich die Alltagsgeschichte zur philosophischen Verallgemeinerung des tragischen Themas. Das räumt dieser kleinen „Tiergeschichte" im literarhistorischen Kontext der Gegenwartsprosa einen Platz neben Aitmatows Abschied von Gälsarj und Trojepolskis Weißer Bim Scbwar ohr ein. Iskander hat tragische Themen später auch an Kinderschicksalen gestaltet, z. B. in der Erzählung Kemsik (1974). Die größere Reife des Erzählers in späteren Werken Iskanders drückt sich darin aus, daß er mehr und mehr danach strebt, „die persönliche Erinnerung als Realität in Volkscharakteren und -schicksalen, deren Zeuge er einst in der Jugend war, nachzugestalten und zu durchdenken" 406 . In der Hauptgestalt der Erzählung Klumparm (1967) ist die Beständigkeit und Unverwüstlichkeit des Volkslebens besonders ausdrucksvoll verkörpert. Arutjunow sagte von Klumparm, er sei „ein echter abchasischer Nationalcharakter" 407 . Klumparm hat noch die Zeit der Fürstenherrschaft in Abchasien gekannt, die Herrschaft der Menschewiki von 1918 bis 1921 erlebt und schließlich am Aufbau der autonomen Sowjetrepublik Abchasien teilgenommen. In seiner Jugend war er einer der besten Reiter des Landes. Ständig kam es zwischen ihm und seinem Freund Mustafa in „Pferde- und Reiterangelegenheiten" zu Rivalitäten. Klumparms Witz und Humor, seine Lebenslust versiegen in keiner Situation. Gegebenenfalls setzt er sich aber auch rechthaberisch mit seinem 148

Dickschädel durch. Als man ihn einmal totgesagt und schon ein Grab für ihn geschaufelt hat, läßt der heimkehrende Klumparm die Grube offen stehen und verspeist das von einem Verwandten mitgebrachte Kalb zum eigenen „Leichenschmaus". Selbst aus dem Jenseits gibt er den Dorfgenossen noch Rätsel auf, sucht er Mustafa zu beweisen, daß er der bessere Pferdekenner ist. Doch nicht diese Schnurrpfeifereien sind das Wesentliche an diesem originellen Typ — nicht seine „laute Stimme", die das Krähen der Hähne nachahmt, nicht die „Pferde- und Reiterangelegenheiten". Wesentlich ist, daß im Verhalten und Charakter dieses „patriarchalischen" Typs etwas Aufhebbares ist, Elemente einer positiven Patriarchalität, die in das sozialistische Menschenbild integriert werden und es bereichern können. Iskander will nicht auf die unbändige Lebenslust, die Pfiffigkeit und den Humor Klumparms verzichten. Der Erzähler — im Krieg noch „Kind", während eines späteren Besuches „Erwachsener" — gehört voll und ganz zu den Menschen und Begebenheiten, von denen er erzählt. Mit Humor und liebevoller Ironie steht er seinem Helden gegenüber. In ihm vereinen sich die profunde Kenntnis der nationalen Geschichte und der ethischmoralische Wertmaßstab des Bürgers der Sowjetunion. Aus seinem Bewußtsein als Zeitgenosse und Internationalist wächst die „Gesamtidee" 408 der Prosa Fasil Iskanders. Als Hrant Matewosjan 1962 seine ersten Erzählungen vorlegte, glaubten oberflächliche Leser, der junge Autor wolle das weltabgeschiedene, naturverbundene Leben von Hirten und Viehzüchtern idyllisieren. Doch solche Urteile gingen an den gegenwartsnahen und lebensprallen Erzählungen Matewosjans, der an Traditionen der Novellistik von Axel Bakunz und Ratschija Kotschar anknüpfte, völlig vorbei. Matewosjan wies sich als eigenständiges Talent aus und konnte den Realismus der armenischen Prosa vertiefen, weil es ihm gelang, „den Blickpunkt von Zmakut mit dem Geist unserer Epoche zu verbinden" 409 . Hrant Matewosjan bewegt vor allem die Vielschichtigkeit und Langwierigkeit des Prozesses der Formung des neuen Menschen, der Einbringung nationaler Traditionen in die sozialistische Gegenwart, der Bewahrung des produktiven Erbes und der konsequenten Trennung von all dem, was die freie Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit einengt und hemmt. Matewosjans armenische Dörfer, die „Hirtenrepublik" Antarametsch sowie Zmakut, sind nur scheinbar abgeschiedene „autonome Welten". In Wirklichkeit verbinden 149

sie „tausend Fäden . . . mit der Welt" 410 , so daß das Nationale sich als Analogon des Multinationalen und der Menschheitsgeschichte erweist. Selbst wenn der Autor schier unwandelbare armenische Charaktere zeichnet, macht er die tiefen Veränderungen deudich, die seit der Revolution in der armenischen Gesellschaft und im Bewußtsein der Armenier vor sich gegangen sind. Man muß nur erkennen, daß es Matewosjan dabei nicht auf Oberflächenerscheinungen ankommt, auf die er einmal voller Ironie verwiesen hat: „Unser Leben in den letzten fünfzig Jahren weist gewaltige Fortschritte auf. Armenien wurde ein Land der Dichter und Ingenieure. Das rückschrittliche Agrarland wurde urbanisiert. Die jungen Männer von heute sieht man nicht beim Schaschlyk, sondern beim Cocktail und Shake. Die Hirten tragen heute keine Hirtentasche auf den Schultern, sondern ein Transistorgerät." 411 Wer bei solchen Beobachtungen stehenbleibt, dringt nicht bis zu den entscheidenden Wandlungen vor. In den zentralen Verlagen der Sowjetunion sind bisher zwei Bücher von Hrant Matewosjan erschienen: 1967 Das Scbelmenstück der Hammeldiebe (mit den beiden Zyklen Wir und unsere Berge und Die orangeroten Pferde), 1974 Brot und Wort (mit dem Zyklus Die orangeroten Pferde und den Erzählungen Mutter fährt den Sobn verheiraten und Die Büffelkuh). Schon Bakunz hatte im armenischen Dorf neue poetische Inhalte sowie Potenzen zur revolutionären Veränderung der Wirklichkeit entdeckt. In seiner „Philosophie der Erde" drückte sich ein universales Naturverständnis aus, in dem der Mensch über die Natur fest mit der Welt verbunden war. 412 Matewosjan knüpfte aber nicht nur an diese nationale Erzähltradition an, sondern war auch von Anfang an mit stilistischen und thematischen Strömungen der russischen Sowjetliteratur verbunden. Andrej Bitow, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verbindet, steht ihm besonders nahe. Auch die stilistische Experimentierfreudigkeit von Wassili Axjonow hat seine Erzählungen beeinflußt. Thematisch stehen sie in der Nähe der Werke Wassili Belows (Sind wir ja gewohnt), Walentin Rasputins (Geld für Maria) und Wiktor Lichonossows ('Tschaidoninnen), die Probleme des Dorfes unter ethisch-moralischen Aspekten dargestellt haben.413 Matewosjan ist stilistisch und thematisch sehr variabel. Fast jede seiner Erzählungen weist einen eigenen stilistischen Ansatz auf und entwickelt ein neues Thema, auch wenn die Handlungsfäden in den 150

Zyklen Wir und unsere Berge und Die orangeroten Pferde sich am Ende doch zu einem Ganzen zusammenfügen. Die Erzählung Lied von der Treue beginnt im Stil der Bibel: „Der Hirt Owanes zeugte den Hirten Jessai, der Hirt Jessai zeugte den Hirten Haikas, der Hirt Haikas zeugte Stepan, aber Stepan ist schon nicht mehr Hirt, sondern Kreissekretär des Komsomol." 414 Der vierte Satz durchbricht den „biblischen" Stil und die „biblische" Genealogie. Mit der „epischen Geruhsamkeit", mit der Matewosjan nach den Worten von Suren Gaissarjan415 die komplizierten Grundlagen des heutigen Lebens und ihr enges Ineinandergreifen darstellt, ist es generell nicht weit her. Zum geruhsamen Verweilen kommt der Erzähler der Geschichte des Dorfes Antarametsch nur ganz selten. Die schöpferische Unruhe der Menschen und die stürmische Entwicklung der Wirklichkeit lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Die Geschichte des Haikas bietet dem Erzähler Gelegenheit, die „tausend Fäden" zwischen Antarametsch und der Welt sichtbar zu machen. Über Haikas war Antarametsch mit „Kiew,. . . Königsberg, . . . Bulgarien, Rumänien oder (der) Tschechoslowakei und schließlich . . . Berlin" verbunden. Haikas, der vorher vier Jahre in der „Ungewißheit" verbracht hatte, kämpfte während des Großen Vaterländischen Krieges gegen die Faschisten und kehrte als Leutnant „mit Hilfe der Feldpost über Berlin aus der Ungewißheit zurück" 416 . Antarametsch ist auch durch die „Landwirtschaftsdirektiven" mit der Welt verbunden. Durch sie geraten die Hirten in einen großen Konflikt: „Laut Direktive sollten die Antarametscher Schafe bereits geschoren sein und Antarametsch hätte längst sein Ablieferungssoll an Wolle erfüllen müssen . . ." 417 Der Instrukteur, der zur Klärung der „sonderbaren Unbotmäßigkeit" in die „Hirtenrepublik" kommt, sorgt dafür, daß die Schur unter seiner Anleitung trotz des kalten und regnerischen Wetters durchgeführt wird. Das Jungvieh geht restlos ein. Danach haben sich die Hirten eine Zeitlang nicht mehr von ihren „Überzeugungen", sondern nur noch von „Hoffnungen" leiten lassen. „Sie waren keine Herren ihrer Herde . . . mehr, sondern der Herde auferlegte wandelnde Verpflichtungen." 418 So verlor die „Hirtenrepublik" ihre „Autonomie und Unabhängigkeit". Die Besorgnis des Erzählers, der diesen Vorfall verallgemeinert, betrifft nicht nur die Antarametscher: „Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn eines schönen Tages alle Leute wie die Flieger nur auf den Himmel achteten. Der, der den Garten sprengt, vernähme gewiß nicht den zufriedenen Seufzer der durstgestill151

ten Erde, wie der Imker nicht den Duft der ersten, sich an den Obsthängen der Berge entfaltenden Honigblüten bemerken würde . . . Und was käme heraus, wenn einer nur deshalb als Imker arbeitet, weil er dafür bezahlt wird? Er würde den Bären übersehen . . ." 419 In Antarametsch weiß jeder, was er zu tun hat, wenn ein „Bär" auftaucht. Im Sommer gehen alle aufs Feld, auch die Städter, die hier ihren Urlaub verbringen. Matewosjan poetisiert die „Natürlichkeit", die Selbstverständlichkeit dieses kollektivistischen Handelns. Er denkt aber gar nicht daran, aus seinen Antarametschern „Musterknaben" zu machen. Er zeigt sie als „fleißige Familie", aber auch „unbekümmert beim Verbrauchen des Erarbeiteten". Die Geschichte von den Hammeldieben, die nur deshalb straffällig werden, weil sie plötzlich der Appetit übermannt, stellt seine Fähigkeit unter Beweis, an den Menschen komische Züge zu entdecken und ihre kleinen Schwächen humorvoll zu beschreiben. Doch Komisches und Tragisches stehen eng beieinander. Pawle wird durch die Getametscher „verhaftet", weil sie einen Mäher brauchen. Die Gerichtsverhandlung gegen die vier Hammeldiebe wird zu einem „Dauergelächter". In Auf der 'Bahnstation liefert er eine ätzende Satire auf den übergeschnappten Hrant Karjan. In AJcbo und Die orangeroten Pferde werden die tragischen Geschichten des Wallachs Alcho und der Stute Narindsh erzählt. Rafael in Mein Pferd, du mein Pferd muß alle erdenkbare Bitternis auskosten, ehe er sich entscheidet, ob er wie seine Vorfahren in dem Bergdorf weiterleben oder dem geliebten Mädchen in das ferne Tbilissi folgen will. Lew Arutjunow bezeichnete Matewosjan als den „in seiner Offenheit radikalsten armenischen Erzähler nach Tscharenz" 42°. Er wies auch auf die Parallelen bei der Darstellung „kleiner autonomer Welten" im Schaffen von Matewosjan und William Faulkner hin und arbeitete die Überlegenheit des marxistischen Menschen- und Gesellschaftsbildes in den Erzählungen des Armeniers heraus. Matewosjan sucht „nach dem unversehrten Menschen und nach unversehrten menschlichen Beziehungen" 421 . Die Erzählung Glut, in der Konvention und Patriarchalität im Fühlen und Denken sowie in der Lebensweise mit wahrhaft neuem Lebensgefühl, Wirklichkeitssinn und Lebensanspruch zusammenprallen, zeugt von seinem Streben nach Harmonie — einer Harmonie, die es der sozialistischen Persönlichkeit gestattet, ihre Zeitgenossenschaft mit allem wertvollen Überkommenen sinnvoll zu vereinen. Das Mädchen Rus 152

steht in einem Konflikt zwischen der Konvention und den Möglichkeiten, die ihr die Gesellschaft zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit bietet. Zur Konvention im Dorf gehört, daß ein Mädchen nach Abschluß der Schule als heiratsfähig gilt und verheiratet wird, daß der Sohn nach dem Armeedienst heiraten muß, damit der Vater „ihn am Morgen nach der Hochzeitsnacht mit verschmitztem Blick mustern" kann. Rus möchte sich dieser Konvention entziehen. Sie will stu'dieren, das Dorf verlassen. Hat sie die moralische Stärke, sich über die Konvention hinwegzusetzen? Obwohl sie den Burschen, der ihr nachstellt, nicht liebt und das Verhältnis sie voraussichtlich an der Verwirklichung ihrer Pläne hindern wird, gibt sie sich dem Burschen in der „Glut" des Tages und der Sinne hin. In der „Nachtkühle" aber wird der Wunsch in ihr wach, „sich wenigstens ein kleines Stück über den Alltag zu erheben" 422 . Was im Himbeergebüsch geschehen ist, erscheint ihr nun „klein und unwesentlich, als eine Reihe lächerlicher Sorgen, die einem nur die Flügel lähmen". Dann fühlt sie sich wiederum durch die „Glut" des Burschen den „Glücklichen" beigesellt. Der Erzähler, der ihre innere Widersprüchlichkeit aufgedeckt hat, entläßt sie aus seiner Geschichte mit sarkastischem Spott: „Fügen wir noch hinzu, daß Bratkartoffeln, der dampfende Teekessel, das frischbezogene Bett und das Kino, daß all das — zusammen und für sich genommen — wahrscheinlich ausreicht zum Glück." 423 Rus bleibt zwischen „Zmakut" und „Brest" (wo sie das „andere Leben" kennengelernt hat) auf halbem Wege stehen, Nationales und Multinational-Sowjetisches in ihr sind noch nicht kongruent. In dem Maße wie Hrant Matewosjan die farbenprächtige Schilderung des „natürlichen" Lebens in der reizvollen Landschaft der Gebirgsdörfer mit dem Geist und den führenden Ideen der Epoche verbindet, stößt er zu bemerkenswerten künstlerischen Entdeckungen vor, gewinnt sein Realismus, seine sozialhistorische Analyse an Schärfe und Tiefe. Dorf und Stadt, Nationales und Internationales werden von dem Armenier nicht einander gegenübergestellt. Er zeigt, wie sie sich miteinander verändern, und will dazu beitragen, daß die Menschen diesen Veränderungsprozeß fest in die Hand bekommen, um sich wenigstens ein kleines Stückchen über die Alltäglichkeit zu erheben. Der einzelne muß sich entscheiden, ob er leben will wie der Schuldirektor in Mein Vferd, du mein Pferd, der „die Probleme der großen Welt kannte und es deshalb vorzog, zwar in gehöriger Entfernung von ihr zu leben, doch ihre Freuden für 153

sich selber . . . ins Dorf zu holen" 424 , oder aber wie jener Kolchosvorsitzende, der sich mit vollem Recht als Repräsentant einer neuen Menschheit empfand.

Wider die nSandkornideologie" Aitmatow hat einmal die grundsätzliche Bedeutung der historischen Erfahrung für den Menschen hervorgehoben. In seiner Rede auf der Festveranstaltung zum 400. Geburtstag Shakespeares sagte der Kirgise, dem Menschen sei jahrhundertelang die „Sandkornideologie" gepredigt worden, „die Welt sei vergänglich und der Mensch nichtig, einsam, machtlos gegenüber seinem Schicksal und der Geschichte . . ," 425 Die historische Erfahrung gerade des Sowjetvolkes aber besage, daß der Mensch „im Laufe seiner Geschichte gewaltige Entwicklungsschwierigkeiten" überwindet, „durch Aufstände, über Barrikaden und durchs Feuer, durch Kriege und Revolutionen" schreitet und sich auf der Erde behauptet. In der Arbeit, in der Wissenschaft, Kultur und Kunst und im sozialen Fortschritt hat der Mensch „im Namen der Verwirklichung seiner unsterblichen irdischen Berufung" große und „ungeahnte Ziele erreicht" 426 . Aufarbeitung und Verallgemeinerung historischer Erfahrungen des Sowjetvolkes — um dieses zentrale Anliegen geht es Erzählern aus allen Literaturen der Völker der UdSSR, ganz gleich ob sie gegenwärtige Entwicklungsprozesse unter historischen Aspekten analysieren oder sich direkt der Geschichte zuwenden. In beiden Fällen zeigen sich tiefe Zusammenhänge zwischen dem durch den Sozialismus bewirkten sozialen Fortschritt und der sittlichen Reife der Persönlichkeit. Deswegen wird in der sowjetischen Erzählprosa immer wieder die Frage nach dem Anteil des einzelnen am Geschichtsfortschritt gestellt. Auch für den lettischen Erzähler Evalds Vilks stellt die Suche nach einer gültigen Antwort auf die Frage nach dem Anteil des einzelnen am Geschichtsfortschritt einen wesentlichen Bestandteil seines künstlerischen Programms dar. Sein ästhetisches „Credo" hat Vilks am Ende der Erzählung Der grüne Baum ziemlich deutlich formuliert. Sein Ich-Erzähler apostrophiert die alte Linde, die „Jahrhunderte inmitten des Volkslebens gewachsen" ist, und sagt zu ihr: „Du . . . hast Menschen geschaut, die zu deinen Füßen gearbeitet haben, und Menschen, die vorübergegangen sind. Ich will schildern, was 154

dir offenbar geworden ist, und sei es bloß ein winziges Teilchen des Lebens." 427 Vilks hat viel zum Aufschwung der lettischen Erzählung beigetragen, den Georgi Markow auf dem V. Sowjetischen Schriftstellerkongreß ausdrücklich gewürdigt hat. Sein Bestreben, den arbeitenden Menschen als entscheidende Kraft des sozialen Fortschritts zu gestalten, hat für die sowjetische Erzählung in ihrer Gesamtheit „Maßstäbe gesetzt".428 Vilks geht davon aus, daß sich die sowjetische Literatur in den ersten Nachkriegsjahren zuwenig mit den „einfachen Menschen" beschäftigt bzw. sie verschiedentlich nur als „Hintergrund" betrachtet hat, von dem sich die in den Vordergrund gerückten „starken Persönlichkeiten" deutlicher abheben sollten. Vilks betonte, er gehe ähnlich wie Fjodor Abramow oder Sergej Salygin davon aus, daß „der gewöhnliche Werktätige . . . das Rad der Geschichte vorantreibt. Vielleicht kämpft er nicht um die Planerfüllung beim Pflügen, sondern pflügt nur, vielleicht kämpft er nicht an der Erntefront, sondern bringt nur den Roggen oder den Weizen ein. Der Soldat ist immer und unter allen Umständen Soldat, doch der General ist ohne den Soldaten kein General mehr . . ,"429 Von den Erzählungen des Bandes Regen im Dezember bringt die Erzählung Die Kränkung (1967) diesen Gedanken wohl am konsequentesten zum Ausdruck. Der Hilfsarbeiter Labrencis hat sich „wie für eine Hochzeit herausgeputzt", als er den Chef des Holzfällereikombinats, Jansons, aufsucht, um zu seinem Recht zu gelangen. Für ihn ist der Anlaß, der anderen als Bagatelle erscheinen mag, groß genug. Stritis, der nirgends arbeitet und zwei Kühe hält, hat heimlich die Wiese abgemäht, die der Betrieb Labrencis gegeben hat, damit er im Winter Futter für seine Kuh hat. Der Erzähler vermerkt, daß dem Mann „die großen schwieligen Hände" zittern, als er die Geschichte dem Wächter Dedins berichtet. Die Ratschläge der Arbeitskollegen, entweder zur Polizei zu gehen oder es mit Stritis' Wiese genauso zu machen, lehnt Labrencis entrüstet ab. Er will Gerechtigkeit, verlangt eine Entscheidung des „Chefs". Jansons hat jedoch keine Zeit für Labrencis und seine Beschwerde. Er hat den Kopf wahrhaftig voller Sorgen: Holzschläge, Traktoren, Arbeitskräfte, leerstehende Waggons, Gewichtsverluste. „Von ihm verlangt man eins: Planerfüllung. Hauptsache ist der Plan, alles übrige ist Nebensache. Der Plan ist das A und das O." 430 Jansons begreift auch gar nicht, wie jemand mit einer Wiese beschäftigt sein kann, 155

während bei ihm „hunderttausend Rubel im Eimer" sein werden. Er arbeitet von früh bis spät, schont sich nicht im geringsten, läuft schon ganz abgerissen herum, telefoniert mit zorniger Stimme: „Kubikmeter, Kilometer, Termine . . . " Er merkt nicht einmal, wie tief er den Arbeiter kränkt, indem er dessen Kummer beiseite schiebt. Der Erzähler deckt Widersprüche in der Haltung beider Gestalten auf. Jansons fehlt es an Güte und Verständnis für die Belange „einfacher" Werktätiger, die ihm aus seiner Perspektive als unbedeutend erscheinen. Mit dem fehlenden Verantwortungsbewußtsein für das „Kleine" fehlt es ihm aber auch an Leiterqualitäten für das „Große", weil das eine nicht unabhängig von dem anderen existiert. Labrencis wiederum ist zu passiv, nimmt seine Rechte und Pflichten zur Mitverantwortung überhaupt nicht wahr, erwartet ausschließlich Entscheidungen von „oben". Beide müssen daher noch große Anstrengungen unternehmen, um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, die von der sozialistischen Gesellschaft an die Persönlichkeit gestellt werden. Aktivität und Verantwortung sind nicht nur wichtige Voraussetzungen für die harmonische Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen, wie Helga Conrad 431 richtig betont, sondern ebenso wichtig für die Regelung der gesellschaftlichen Beziehungen im Sozialismus. Vilks hat in seiner Erzählung Die Kränkung eine der Nahtstellen sichtbar gemacht, an der sich sittliche Reife der Persönlichkeit und Geschichtsfortschritt vielfältig durchdringen. Der tiefgreifenden Analyse dieser Wechselbeziehungen zwischen der sittlichen Reife der Persönlichkeit und dem von der sowjetischen Gesellschaft gegenwärtig erreichten Fortschritt hat Wassili Schukschin den größten Teil seiner Erzählungen und Filme gewidmet. Seine Sammlungen 'Leute vom Lande (1963), Dort, in der Ferne (1968), Landsleute (1970), Charaktere (1973) und Gespräche bei Vollmond (1974) haben die Entwicklung der sowjetischen Erzählung in ihrer Gesamtheit nachhaltig beeinflußt. Alexander Tschakowski, der das „Schöpferische" an Schukschin und seiner gesamten Tätigkeit sowie seine Fähigkeit hervorhob, auf andere auszustrahlen und ihre Gedanken und Gefühle zu aktivieren, schrieb im Nekrolog: „Er war ein Künstler der neuen, sowjetischen Formation, zutiefst russisch, national, und gleichzeitig ausgesprochen sowjetisch — menschlich, human im echten sozialistischen Sinn des Wortes, und schonungslos, wenn es nottat. Er war ein Wahrheitssucher — und auch das im echten, 156

sozialistischen Sinn des Wortes. Er vermochte das Menschliche im Menschen zu zeigen und haßte alles, was sich dem kämpferischen Menschen, dem Erbauer der neuen Welt entgegenstellt." 432 Die Erzählung Leute vom Lande hat 1963 dem erstenBuch W. Schukschins den Titel gegeben. Wie L. Jemeljanow vermerkte, wurde der Autor nach dem Erscheinen dieses Buches von der Kritik, die seine kurzen Erzählungen als sorglos, heiter und lebensfroh empfand und seine Gestalten mit „Skizzen aus dem Reisealbum" verglich, „automatisch unter die ,Dorfschriftsteller' eingereiht". 433 Doch damit hatte sich die Kritik zunächst den Zugang zum vollen Verständnis der eigenständigen Prosakunst Wassili Schukschins versperrt. Erzählungen wie Leute vom Lande (1962), Der Kosmos, das Nervensystem und ein Stück Speck und andere beweisen eindeutig, daß Schukschin schon mit seinen ersten Werken über ein eng verstandenes „Dorfthema" 434 hinausgegangen ist. Leute vom Lande gehört zu den Erzählungen, die nach E. Schubins Ansicht auf dem Widerspruch zwischen einem „logischen Primitivismus der Handlung" und der „psychologischen Kompliziertheit der Charaktere" 435 beruhen. Wenn man vom vordergründigen Geschehen ausgehen will, weist die Erzählung tatsächlich nur Spurenelemente einer Handlung auf. Großmutter Malanja, die mit ihrem Enkel Schurka auf dem Lande lebt, erhält von ihrem Sohn Pawel ein Telegramm, in dem er sie auffordert, ihn in Moskau zu besuchen. Malanja erwägt mehrfach, ob sie die Reise antreten soll, berät sich mit den Nachbarn und verschiebt die Entscheidung schließlich auf den Sommer. Die Analyse des „Untertextes" erweist, daß sich die Aussage der Erzählung nicht auf die banale Handlung beschränkt. Der Leser lernt Großmutter Malanja und Schurka viel genauer kennen. Schurka war der Großmutter „sehr ähnlich", unterschied sich jedoch „im Charakter" von ihr. Mit diesem Hinweis auf Gemeinsames und Unterschiedliches in den beiden Gestalten gibt der Erzähler dem Leser einen wichtigen Schlüssel in die Hand, lenkt ihn jedoch gleichzeitig auf eine falsche Fährte. Sicher ergibt die Konfrontation der beiden „Leute vom Lande" Gemeinsamkeiten und Unterschiede, doch beide liegen nicht an der Oberfläche. Daß Schurka „ebenso hager" wie die Großmutter ist und wie sie „hervorstehende Backenknochen" und „kleine kluge Augen" hat, ist im Grunde völlig unwichtig. Auch die Feststellung des Erzählers, Großmutter sei „energisch, zäh, redselig, sehr wißbegierig", Schurka zwar „auch wißbegierig, doch schrecklich verschlossen, bescheiden und zurück157

haltend", ist nur für den oberflächlichen Leser von Belang. Die geradezu szenisch gestaltete, von äußeren Beschreibungen der Gestalten freie Erörterung des Reiseplans erschließt dem gründlichen Leser das für das Verständnis notwendige und wesentliche Wissen über die beiden „Leute vom Lande". Malanja ist auf ihren Sohn Pawel, der als Flieger Held der Sowjetunion geworden ist, sehr stolz. Deshalb freut sie sich über die Einladung und erzählt der Nachbarin und allen anderen Frauen im Dorf davon. Sie holt Jegor Lisunow ins Haus, der schon einmal geflogen sein soll, und bewirtet ihn so lange mit Bier, bis sie aus ihm alles Wissenswerte über eine Flugreise nach Moskau „herausgequetscht" hat. Aber sie ist „vom Lande", so daß sie den Histörchen Jegors Glauben schenkt, den Gedanken an einen Flug zurückweist und die Zugreise auch auf den Sommer verschiebt. Ihr Enkel Schura, Schüler der sechsten Klasse, schreibt in dem Brief an Pawel nicht das, was ihm die Großmutter diktiert, sondern seinen „Kommentar" zu der Entscheidung Malanjas. Er „widerlegt" die Lügengeschichten Jegors und bittet Pawel, Großmutter mit seiner ganzen Autorität klarzumachen, daß das Fliegen „in einer Zeit, wo wir längst die Schallmauer durchbrochen haben", ungefährlich ist. „Sonst fährt sie auch im Sommer nicht. Sie hat ihren Garten, Schweine, Hühner und Gänse — von denen sie sich nie im Leben trennt. Wir sind eben Leute vom Lande. Aber ich möchte schrecklich gern einmal Moskau sehen . . ." 4 3 6 Seinem Wissen und Bewußtsein nach ist Schurka längst kein „Dorfmensch" mehr. Natürlich fehlt seinem Bewußtsein noch das Fundament einer größeren gesellschaftlichen Erfahrung. In Schurkas Brief findet sich nicht zufällig die Formulierung: „Wir behandeln Moskau zwar in der Schule, in Geographie und Geschichte, doch das . . . reicht nicht aus." 437 Auch in Großmutter Malanja, die ihr ganzes Leben auf dem Lande verbracht hat, lebt die Sehnsucht nach der Durchbrechung der „Schallmauer". Nachts erzählt sie Schurka davon, daß sie „wenigstens einmal" den Kreml sehen möchte. Ihr gehen die gleichen Gedanken durch den Kopf wie ihrem Enkel: „Soviel Ungewöhnliches würde das Leben in der nächsten Zukunft bringen. Davon hatte man früher nicht einmal zu träumen gewagt." 4 3 8 Schukschins Wirklichkeitsverhältnis ist der entscheidende Faktor, durch den schon der Zyklus seiner frühen Erzählungen die künstlerische Geschlossenheit erreicht, die das Gesamtwerk des Autors auszeichnet. Doch wird dieses Wirklichkeitsverhältnis wirklich von 158

dem Gedanken der „sittlichen Überlegenheit des Dorfes über die Stadt" 439 bestimmt, den Alla Martschenko als ästhetisches „Credo" Schukschins bezeichnet hat? Wassili Schukschin hat einmal von sich gesagt, daß er gewissermaßen „mit einem Bein auf dem Ufer und mit dem anderen im Boot" stehe und aus dieser komplizierten Lage als Schriftsteller letztlich sogar Vorteile ziehe: „Durch den Vergleich, das ewige Hin und Her und Her und Hin werden die Gedanken nicht nur auf das ,Dorf' und auf die .Stadt', sondern auf ganz Rußland gelenkt." 440 Das Bild veranschaulicht, wie sehr es dem Autor um das Gesellschaftsganze geht, speziell um die sich gegenwärtig rasch verändernden geistig-kulturellen, sittlich-moralischen, psychologischen und praktischen Verflechtungen aller Art zwischen Stadt und Land. Wenn Schukschin Stadt und Land zueinander in Beziehung setzt, dann erforscht er vor allem die neuen Züge der Menschen, die diese sozialistische Wirklichkeit schaffen und von ihr geprägt sind. Dabei variiert er vielfältige Möglichkeiten des gegenseitigen Durchdringens „dörflicher" und „städtischer" Elemente der Kultur, Moral usw. unter der grundsätzlichen Fragestellung, ob sie die sozialistische Persönlichkeit bereichern oder nicht. Zuweilen mag es den Anschein haben, als setze Schukschin in seinen Erzählungen dem moralischen Versagen einzelner Zeitgenossen eine Art „Moral der Großväter" entgegen. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch immer wieder heraus, daß er die „Moral der Großväter" (richtiger: einzelne bewahrenswerte Elemente der überlieferten Moralauffassungen des Volkes) zwar mit dem moralischen Versagen von Zeitgenossen konfrontiert, viel häufiger jedoch die überlegenere „Moral der Jugend" gestaltet. Das ist in Leute vom "Lande so und auch in Der Kosmos, das Nervensystem und ein Stück Speck (1966). In dieser Erzählung ist der alte Naum zwar kein „Gegner" des Schülers Jurka, doch Jurka wirft dem Alten nicht zu Unrecht einen gewissen „Drall zum Kulakentum" vor. Konservatismus und eine unproduktive „ Patriarchalität" erweisen sich nämlich als äußerst zählebige Züge im Charakter Naums und lassen sich nicht in das Persönlichkeitsbild einfügen, das Jurkas Lebensvorstellungen zugrunde liegt. Von Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang, daß Schukschin hier nicht allein die geistige Überlegenheit Jurkas herausarbeitet, vor allem seinen Stolz auf alles Neue: „Flugzeuge, Studium, Stadt, Bücher, Kino" 441 , seine leidenschaftliche Überzeugung, zu einer humanistischen Arztmission berufen zu sein, seinen Traum von der kommenden „Weltmensch159

heit". Was er in seiner verhaltenen, trockenen Erzählweise, die dem „Understatement" der Engländer verwandt ist, durchblicken läßt, nämlich welche Überzeugungskraft in den wissenschaftlich fundierten Ansichten und in der Weltanschauung Jurkas steckt, ist von nicht geringerer Bedeutung. Das Stück Speck, das der Alte unter dem Eindruck der Geschichte vom Tode Pawlows Jurka ohne Rückforderung überreicht, ist nicht nur eine menschliche Regung des Hartherzigen, sondern kommt einer Tat gleich, die positive Seiten der in sich widersprüchlichen „Patriarchalität" symbolisiert. Wassili Schukschin hat in einem „Monolog auf der Treppe" von der Widersprüchlichkeit der „Patriarchalität" gesprochen und zur Prüfung all dessen aufgerufen,was für die sozialistische Gesellschaft bewahrenswert ist. Unter derbewahrenswerten „Patriarchalität" verstand er dabei auch manche „im Verlauf von Jahrhunderten ausgeprägten Sitten und Bräuche" sowie „die Achtung vor dem Vermächtnis der Vergangenheit".^ Schukschin hat sich nicht das Ziel gestellt, die widersprüchlichen Beziehungen zwischen Stadt und Land in der Periode des kommunistischen Aufbaus in ihrer Komplexität künstlerisch zu gestalten. Bereits in einer der ersten Arbeiten über den Schriftsteller sprach Grigori Browman davon, daß Schukschin sich auf die Darstellung der „inneren Bewegung und Entwicklung der Persönlichkeit" konzentriere und darin die „historische Bewegung der Zeit" 443 zu erfassen suche. Während Browman seine Ansicht anfangs mit Werken wie Grinka Maljugin zu stützen suchte, in denen Schukschin von gesellschaftlich bedeutsamen Taten „alltäglicher" Helden erzählt, widmete er später jenen Werken mehr Aufmerksamkeit, in denen unterschiedliche Lebensauffassungen in scharfen Konflikten aufeinanderprallen. Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie sie Schukschin z. B. in den Erzählungen Vorfall in einer Gaststätte und Von der Seite und von vorn gibt, erwiesen dabei eine ebenso hohe gesellschaftliche Bedeutsamkeit wie die vorbildlich handelnden Gestalten in den anderen Erzählungen des Autors. 444 In der Erzählung Von der Seite und von vorn (1967) analysiert Schukschin den dialektischen Zusammenhang der „historischenBewegung" und der „inneren Bewegung". 445 Iwan, einem jungen Chauffeur, wurde für ein Jahr die Fahrerlaubnis entzogen, weil er getrunken hatte. Er sieht darin einen Racheakt des Sowchosdirektors, dessen Tochter er „ein paarmal vom Klub nach Hause gebracht" hat. Jetzt, in seiner Verbitterung, ärgert sich Iwan, daß er ihr nicht wenigstens 160

noch „ein Geschenk gemacht" hat. Das Angebot, das eine Jahr im Stall zu arbeiten, lehnt er kategorisch ab: „Ich habe drei Berufsabschlüsse und fast neun Klassen Schulbildung . . ." 446 Die Erzählung besteht fast ganz aus Dialogen. Iwan trifft einen alten Mann und schüttet ihm bei einer Flasche Wodka das Herz aus. Der Alte glaubt nicht daran, daß Iwan „nur für ein Jahr" aus dem Dorf weggehen wird. Er weiß auch, wie wenig seine Mahnung, Iwan möge an seine alleinstehende Mutter denken und deswegen im Dorf bleiben, nutzen wird. Er weiß jedoch nicht, wie er Iwans Zweifel, ob es ihm überhaupt jemals gelingen werde, im Leben sein Glück zu finden, nachhaltig entgegentreten soll. Deshalb vergleicht der Alte die Sorgen des jungen Chauffeurs mit seinem eigenen Leben: „Als ich so alt war wie du, habe ich an solche Sachen nicht gedacht. Ich hab' für dreie gearbeitet. Was ich allein für Getreide eingebracht habe! . . ." 4 4 7 Iwan fällt ihm ins Wort, wirft ihm vor, die Alten hätten „genügsam, schwunglos, wie Hinterwäldler" gelebt, er aber wolle nicht bloß „sich den Bauch vollschlagen", er brauche mehr, wisse jedoch nicht, wofür er arbeite: „Ich arbeite, als ob ich mich irgendwo verdingt hätte. Doch frag' mich, wofür — ich weiß es nicht." 448 Iwan braucht Hilfe, um die Widersprüche in seinem Leben produktiv auflösen zu können. Hat er etwas falsch gemacht? Als „Klasseseemann" hat er geheiratet, sich über die Geburt einer Tochter gefreut, doch seine Frau ist ihm davongelaufen und längst mit einem anderen verheiratet. Er ist „Motorenschlosser der fünften Lohngruppe" und Kraftfahrer, ums „Geld" und um den „Bauch" geht es ihm nicht, wie er dem Alten klarzumachen sucht. Der aber begreift nichts, als Iwan ihm „mit innerer Erregung, wie unter starken Schmerzen" gesteht, er wisse nicht, wozu er lebe. Deshalb kann der Alte Iwan auch keinen Rat geben, als der am Ende aufbricht, weil er den Bus noch erreichen will, der ihn in die Stadt bringt. Schukschin verurteilt weder Iwan noch den Alten, macht jedoch deutlich, daß die Probleme des heutigen Dorfes und seiner Menschen nicht durch Analogien zum Dorf der Vergangenheit oder mit dem Blick auf die Vergangenheit gelöst werden können. Dabei bezieht der Erzähler den Leser aktiv in die Lösungsfindung ein. 449 Die Analyse des Erzählers ist auf die „innere Bewegung" gerichtet. Ihn interessiert der geistig-weltanschauliche, ethisch-moralische Standort der Menschen, die sich durch die Prozesse der Industrialisierung und Urbanisierung sowie durch das ständige weitere „Zusammen11 Kasper. Sowj. Erzählung

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rücken" der zentralen und der peripheren Gebiete der Sowjetunion aus der bäuerlich-dörflichen Denk- und Lebensweise zu lösen beginnen oder bereits gelöst haben. Am Dorf und an den „Leuten vom Lande" liebt er das Aufhebenswerte, das er mit dem Begriff der „positiven Patriarchalität" zu umschreiben gesucht hat. Die Stadt sieht er als Lebenssphäre, die von Jahr zu Jahr für immer mehr Menschen „profilbestimmend" wird. Er weiß, daß es keinen besonderen Weg des Dorfes in den Kommunismus geben kann, daß diese „historische Bewegung" der weiteren Entwicklung von Stadt und Land zugrunde liegt. Er vergleicht Gestalten und Haltungen, variiert Konfliktsituationen und -lösungen, sucht nach Ansätzen und Übergängen. Manchmal greift er aus dem Alltag das Ungewöhnliche, Seltsame, gar Absurde heraus, um sein Anliegen zu verdeutlichen. Das ist seine Methode der „Verfremdung", die das Typische hervorheben soll. Der Leser spürt die Leidenschaft und den Ernst Schukschins und ergänzt aus seiner praktischen Erfahrung das Gesellschafts- und Menschenbild des Schriftstellers. Überhaupt liegt in der permanenten Herausforderung des Lesers die hauptsächliche „soziologische Zielrichtung"''*50 fast aller Erzählungen Wassili Schukschins, weniger aber in der bloßen Demonstration von „Lebensbildern" oder in der Konfrontation gegensätzlicher Charaktere. Die meisten Erzählungen Schukschins sind so kurz, daß jedes Detail in ihnen von größter Wichtigkeit ist, vor allem weil die Darstellung des Alltagslebens, des „byt", immer sehr eng mit der Gestaltung der geistigen Atmosphäre der Gegenwart verbunden ist, wie Jakow Eisberg das an den Erzählungen Von der Seite und von vorn, Der Sonderling und Wie das Häschen mit den 'Luftballons flog nachgewiesen hat.45* Am Schluß einer Diskussion über seine Filmerzählung Schöner Schneeballstrauch sagte Wassili Schukschin, daß er beim Schreiben immer wieder auf die Schwierigkeit gestoßen sei, das „äußere Leben des Menschen", seine Taten, Worte und Gesten, sowie sein „Seelenleben", seine Gedanken, Hoffnungen, Schmerzen usw., „zusammenzufügen", ihre Logik aufzudecken und „Schlußfolgerungen" zu ziehen. Die „Geschichte der Seele" interessiere ihn außerordentlich. Um sie „sichtbar" zu machen, „lasse ich vieles aus dem äußeren Leben von Menschen, deren Seele mich bewegt, bewußt weg". 452 Dieses Bestreben des Schriftstellers, die Verquickung der Tendenz zur Aufdeckung der „historischen Bewegung" in der „inneren Bewegung" mit der Tendenz zur Vergeistigung der Lebensweise (des „byt"), 162

kommt in der Erzählung Wie das Häschen mit den Luftballons flog (1967) besonders überzeugend zum Ausdruck. Die äußere Handlung der Erzählung ist „alltäglich", vielleicht sogar banal. Werotschka, der „Nachkömmling" in der Familie Maximow, ist an einer Lungenentzündung erkrankt. Um die Kleine zu trösten und etwas aufzumuntern, ruft Fjodor seinen Bruder Jegor an. Der fliegt anderthalbtausend Kilometer, um dem Kind das gewünschte Märchen vom Häschen und den Luftballons zu erzählen. Was Schukschin an „innerer Bewegung" auf vierzehn Seiten gestaltet, grenzt an das Unwahrscheinliche. Er charakterisiert Fjodor und Jegor, das Verhältnis der Brüder zueinander und zu ihren Frauen, ihre Einstellung zur Arbeit, ihre Beziehungen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Alltag" und „Geist" der Gegenwart durchdringen einander. Übrigens weist auch das Märchen, das Jegor einmal Werotschka erzählt hat, diese Komplexität auf. Es handelt von einem Häschen, das mit seinem Vater spazierengeht. Der Vater kauft ihm bunte Luftballons und trägt sie auch. Als er jedoch vor dem Mohrrübenladen eine Schlange entdeckt, stellt er sich nach den Leckerbissen an und drückt die Ballons dem Kleinen in die Hand. Der Wind packt die Ballons, und schon fliegt das Häschen hoch oben in den Wolken. Die Erwachsenen sind ratlos. Ein kleines Mädchen aber ruft die Vögel zu Hilfe. Die picken vorsichtig Löcher in die Ballons und retten das Häschen. Kinderträume und Pflichten des Alltags lassen sich manchmal schwer in Übereinstimmung bringen, Ideales und Reales sind selten deckungsgleich. Doch die träumenden „Kinder" wissen häufig auch dort noch eine Lösung, wo den erfahrenen „Erwachsenen" nur unzweckmäßige Rettungsmaßnahmen einfallen. Jegor erzählt den Kindern gern solche Märchen, die sie „rechtzeitig an das Leben gewöhnen". Seine Devise ist, daß die Kinder heute mehr wissen müssen als die Menschen früher: „Heute ist das Leben nicht mehr so."/l53 Das Märchenwissen von früher, fügt er scherzhaft hinzu, reiche nicht dazu aus, um mit den „Zauberern" und „Hexen" von heute fertigzuwerden. Die Brüder Fjodor und Jegor streiten über den Nutzen des Lesens. Jegor weiß von einem Ignacha Gilew zu berichten, der sich „totgelesen" haben soll. Er schilt seine Tochter Nina, weil sie die Ferien vor dem letzten Studienjahr nicht zur Erholung nutzt, sondern in einer Bibliothek arbeitet und von früh bis spät liest. Fjodor ver11«

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teidigt Nina und meint, er würde am liebsten noch dreimal soviel lesen wie bisher. Später stellt sich heraus, daß es die Angst vor dem größeren Wissen der nachdrängenden Jugend ist, die ihn so sprechen läßt. Dahinter steht die Frage, welches Wissen, welche Bildung die kommunistische Persönlichkeit braucht. Schukschin hat einmal indirekt eine Antwort auf diese Frage gegeben, als er ein „unruhiges Gewissen", Verstand, konsequente Wahrheitssuche und Verantwortung vor dem Volk als wichtigste Kriterien eines „intelligenten Menschen" 454 bezeichnete. Um die zwischenmenschlichen Beziehungen schlechthin dreht sich die Diskussion, wenn Fjodor und Jegor über ihre Ehen sprechen. Jegors Frau z. B. kann es nicht verstehen, daß er zu Werotschka fliegt, um dem kranken Kind das Märchen zu erzählen, statt mit ihr auf die Datsche hinauszufahren. Er selbst begreift erst bei dieser Auseinandersetzung, daß er zu lange passiv gewesen ist und zugeschaut hat, wie seine Frau im Haus und in der Familie in allen Fragen das Regiment führte: „Er konnte nur arbeiten . . . Doch arbeiten nicht auch Pferde? Arbeit allein macht nicht glücklich. Jegor wußte das schon lange, hatte sich aber trotzdem damit abgefunden . . ." 4 5 5 Auch Fjodors persönliche Sorgen lassen den engen Zusammenhang individueller und gesellschaftlicher Probleme erkennen. Seine Frau wäre eine „Modepuppe und Spießerin", offenbart er dem Bruder. Die Schuld daran aber sucht Fjodor bei sich. Im Grunde ist er nämlich derjenige, der die Hilfe des „Märchenerzählers" am dringendsten braucht. Fjodor ist in dem nächtlichen Gespräch mit Jegor ganz anders als auf seinen Baustellen, „vor den Leuten", die er leitet. Früher hatte Jegor den Bruder, den einzigen aus der Familie, der es „zu etwas gebracht" hat, immer ein wenig beneidet. Jetzt merkt er zum erstenmal, wie sehr der andere ihn braucht, wieviel ungelöste Probleme und Fragen sich hinter Fjodors Selbstsicherheit und Elan und hinter seinen Erfolgen verbergen. Kann der „Bauernsprößling" Fjodor „die Perspektive der Entwicklung des Landes" begreifen? Muß er sich Vorwürfe machen, weil er sich neben den Orden auch die Wohnung, die Datsche, das Auto und die Garage erarbeitet hat? Ist ihm irgend etwas davon in den Schoß gefallen? Unternimmt er genug, um sich der „Macht der Dinge" zu erwehren? Hat es etwas zu sagen, daß er jetzt häufig von seinem verstorbenen Vater träumt — von der Feldarbeit, der Mühle, den Pferden, der Kollektivierung? Auf manche dieser Fragen weiß Fjodor keine Antwort. Dann gilt für ihn, was er zuweilen im „Alltag" sagt: „. . . wir werden 164

schon weiterleben, nicht wahr?" 4 5 6 Doch diese Formel gilt höchstens für den „Alltag". Darüber hinaus braucht der Mensch nach der Auffassung Wassili Schukschins aber auch die „Märchen" und die „Träume": Märchen, die ihn „an das Leben gewöhnen", Anstöße zum Nachdenken, offene Gespräche über die steigenden Anforderungen der Gesellschaft an die Persönlichkeit, und Träume, die ihm die Erfahrungen der Geschichte als Lehre für die Zukunft vermitteln. Leonid Breshnew sagte auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU: „Ohne ein hohes Niveau der Kultur, der Bildung, der gesellschaftlichen Bewußtheit, der i n n e r e n R e i f e d e s M e n s c h e n (Hervorheb. — K. K.) ist der Kommunismus unmöglich, ebenso wie er ohne eine entsprechende materiell-technische Basis nicht möglich ist." 4 5 7 Bei dieser Gelegenheit schätzte er die Rolle der Literatur für die Formung der kommunistischen Persönlichkeit sehr hoch ein. Die sowjetische Erzählung hat in der Zeit von 1967 bis 1971 einen anerkannt hohen Beitrag im Kampf um die „innere Reife" der Menschen geleistet. Die größten Erfolge erreichte sie dort, wo eine feste Verbindung zwischen den Autoren und der Vielfalt und Fülle des Lebens bestand und das Gesellschafts- und Menschenbild von jenem „Allunionshorizont" 458 aus gestaltet wurde, den Leonid Nowitschenko anläßlich des fünfzigsten Jahrestages der Gründung der UdSSR als den heute allein gültigen Maßstab für ein Werk der multinationalen Sowjetliteratur bezeichnete.

Ein höheres Maß an Verantwortung

Das Bewußtsein der persönlichen und direkten Verantwortung des einzelnen für „alles", das Alexander Twardowski in dem Poem Fernen über Fernen ausgedrückt und aus der Analyse der weltgeschichtlichen Prozesse abgeleitet hatte, erlangte Ende der sechziger Jahre für die gesellschaftliche Weiterentwicklung der Sowjetunion noch größere Bedeutüng. Wachsendes Verantwortungsbewußtsein, das sich „im ständigen kompromißlosen Kampf gegen die Überreste der Vergangenheit" 439 und für die allseitige Durchsetzung der ethischmoralischen Normen des Kommunismus äußert, erwies sich als ein entscheidender Faktor bei der Lösung des „Problems des Menschen", das nach den Worten von Pjotr Demitschew gegenwärtig „im Mittelpunkt . . . vieler sozialer und philosophischer Theorien" 460 steht und ein Schlüsselproblem bei der Lösung aller sozialen Fragen ist. Lenin war bekanntlich der Ansicht, der Sozialismus müsse erreichen, daß jeder Werktätige „sich nicht nur als Herr in seinem Betrieb, sondern auch als Vertreter des Landes"1561 fühle. Der Aufbau des Kommunismus verlangt die konsequente Verwirklichung dieser Zielstellung. Ganz in diesem Sinne sagt der Agronom Dosbergen in dem Drama Der Aufstieg auf den Fudschijama von T. Aitmatow und K. Muhamedshanow: „Ich will Hausherr sein, Schöpfer meines Werkes." 462 Die Sowjetliteratur hat in den letzten Jahren hohes Verantwortungsbewußtsein als Kernstück der kommunistischen Weltanschauung, Ethik und Moral auf vielfältige Weise gestaltet. Dabei haben Erzähler wie Astafjew und Bykau, Kuusberg und Nossow, Katajew und Aitmatow gleichzeitig bedeutsame menschheitsgeschichtliche Fragestellungen aufgegriffen.

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Das

,unerbittliche

Gedächtnis"

Schon in seinen frühen Erzählungen hob Wiktor Astafjew zuweilen den tiefen Zusammenhang zwischen Gedächtnis und Verantwortung hervor. Wahre Kunst, hieß es in Ein altes und ein neues Märchen (1963), rufe den Menschen auf, etwas zu unternehmen, „damit die Brände gelöscht werden, damit die Luft nicht länger von Detonationen erschüttert wird". Gegen Ende der sechziger Jahre sah der Kritiker W. Surganow im „Maßstab der Verantwortung" 463 das wichtigste Kriterium für die weltanschauliche und geistige Reife vieler Gestalten Wiktor Astafjews. Die Erzählung Am hellichten Tag (1967) gehört zu der Gruppe im Schaffen Astafjews, die A. Makarow „Erzählungen über den russischen Charakter" 464 genannt hat. In dieser Erzählung wird der Gedanke der Verantwortung zum zentralen poetischen Leitmotiv. Astafjew setzt das schlichte Liebes- und Soldatenlied vom „helllichten Tag" als Gegengewicht zu den nichtssagenden Schlagern, die von den jungen Leuten gesungen werden, mit denen Sergej Mitrofanowitsch, der Held der Erzählung, zusammentrifft. Wie der Autor einmal gesagt hat 465 , lasse dieses Lied Rückschlüsse auf Charakter und Persönlichkeit seines Helden zu. Dementsprechend taucht das Lied an solchen Stellen der Erzählung auf, an denen Astafjews Anliegen besonders akzentuiert wird. Das gilt z. B. für die Feststellung des Erzählers, Sergej besitze, im Unterschied zu den Rekruten, eine Lebenserfahrung, die nur Menschen zuteil wird, die dem Tod einmal sehr nahe gewesen sind. Wenn Sergej das Lied singt, das den Wunsch nach „Nähe" und „Brüderlichkeit" hervorruft, „verwandeln" sich die Zuhörer, fällt das Oberflächliche von ihnen ab, tritt ihr Wesen klarer hervor. Auch Sergej Mitrofanowitsch verwandelt sich beim Singen. Nach dem Lied sehen die Rekruten in ihm nicht mehr den Invaliden mit dem Holzbein, sondern den „jungen, tapferen Geschützführer mit Orden und Medaillen auf der Brust". Der „Moralist" 466 Astafjew, von dem A. Makarow spricht, kommt deutlich in dem langen Exkurs des Erzählers über „Talente aus dem Volk" zum Ausdruck: „Wie viele . . . haben ihre Lieder nur auf Kutschersitzen, bei den Soldaten, auf Trinkgelagen und in der Steppeneinsamkeit gesungen, wie viele sind in der russischen Wildnis verlorengegangen?" 467 Dieser Exkurs gibt auch Aufschluß darüber, warum Astafjew seine Erzählung dem „großen russischen Sänger Alexander Pirogow" gewidmet hat. 167

Das Motiv des „Grams" taucht bereits in den ersten Zeilen der Erzählung auf. Als Sergej in die Stadt kommt, ist es Herbst. Die Blätter fallen, es ist „herbstlich hell und warm", die Stadt quillt über von Menschen, Lärm und hastigem Treiben, doch der Erzähler nimmt alles nur im Zeichen des „Grams" wahr, den die alljährliche Prozedur der Überprüfung seines Rentenanspruchs in ihm erzeugt. Zunächst hat es den Anschein, als stehe dieses Motiv dem optimistischen Leitmotiv entgegen, doch bald begreift der Leser, daß der Erzähler mit dieser Antithese nur eine dialektische Spannung erlebbar zu machen sucht. Sie kommt z. B. ganz deutlich in den widersprüchlichen Gefühlen Sergejs beim Anblick der jungen Leute im Café und auf dem Bahnhof zum Ausdruck. Kleidung und Verhalten der Jugendlichen weisen so viele für ihn unbekannte oder ungewohnte Züge auf, daß er relativ lange braucht, um ihr wahres Wesen zu erkennen. Auch der Schmerz, der in Sergejs Augen sichtbar wird, als er zu Panja — wohl zum erstenmal im Leben — von seiner Liebe spricht, ist ein Ausdruck dieser dialektischen Spannung. Daß sie lösbar ist, garantieren der Lebensoptimismus, der aktive Humanismus und das Verantwortungsbewußtsein des Helden. Diese grundlegenden Charakterzüge bestimmen auch Sergejs Verhältnis zu den „Söhnen". Er vermag die Beziehungen zwischen seiner Generation und der Jugend nicht mit jener Ironie zu betrachten wie der spöttische Jeska: „Kommen Sie doch mit, Chef. . . Dann ist's lustiger . . . Väter und Söhne! Die heutige Literatur behauptet ja, es gibt keinen Konflikt zwischen uns . . ." 4 6 8 Als Sergej im Z u g auf die Gesundheit der Rekruten, der „Kinder", trinkt, ist er sich noch nicht völlig klar darüber, ob sie ihm mit der gleichen Offenheit begegnen wie er ihnen. Doch die Veränderungen, die nach der Abfahrt in ihrem Verhalten zu beobachten sind, lösen in ihm allmählich jene „väterlichen" Gefühle aus, die ihn später immer mehr bewegen. Am Schluß der Erzählung verleiht der Gedanke der Verantwortung vor den „Kindern" der Aussage die entscheidenden Akzente. Sergej und Panja stoßen symbolisch „auf die Kinder" an. Ihr Lied gilt den „Söhnen", die ihnen persönlich durch den Krieg versagt worden sind. Den wichtigsten Antrieb erhält Sergejs Verantwortungsbereitschaft aus dem „Gedächtnis" und aus dem „Gewissen". Beide kann man nach seinen Worten nicht „ausschalten". Sein Gedächtnis bewahrt vor allem die Erinnerung an den Krieg als Mahnung an die Lebenden. Panja kennzeichnet die innige Bindung Sergejs an die 168

geschichtliche Erfahrung einmal mit den Worten: „Ach, Mitrofanytsch, du mein einbeiniger Soldat! Vom Krieg kommst du wohl bis zum Grabe nicht los. Wo bist du nur jetzt mit deinen Gedanken? Zugepflügt sind die Schützengräben, mit Brotgetreide bewachsen, du aber bist noch immer dort, immer dort . . . " 4,19 Das „Gewissen" fordert die Wachsamkeit und Aktivität desMenschen heraus, hilft ihm, der Entstehung neuen „Grams" kraftvoll entgegenzuwirken. Astafjew konkretisiert und korrigiert in seiner Erzählung die Illusion des „Fängers im Roggen", des siebzehnjährigen Holden Caulfield aus dem Roman von Jerome D. Salinger, er könnte in der kapitalistischen Gesellschaft eine humanistische Tat vollbringen. Im Gegensatz zu der abstrakt-humanistischen Position Holden Caulfields sind Sergejs Bestrebungen von einer aktiven Grundeinstellung diktiert. Er betrachtete „alle Kinder als die eigenen, und er wurde die Sorge um sie nicht los" 470 . In Astafjews Erzählungen, die nach Am beilichten Tag entstanden sind und den vom Autor bevorzugten Typ der „Reflexionserzählung" 471 weiterentwickelt haben, tritt das Motiv der Verantwortung noch wiederholt auf. Das gilt für Nimm und denk daran, Warum weinst du, Tanne?, vor allem jedoch für Erzählungen wie Schäfer und Schäferin und Die Nacht des Kosmonauten. Die Anregung zu der Erzählung Schäfer und Schäferin (1971) geht auf das Jahr 1954 zurück 472 , doch erst am Anfang der siebziger Jahre hat sich Astafjew zur Niederschrift dieser Pastorale aus unserer Zeit (so lautet der Untertitel) entschlossen. Die tragischen Motive, die schon in Am hellichten Tag angeklungen sind, treten in der neuen Erzählung verstärkt auf. Der Krieg zerstört nicht nur die Liebe Lussjas und Boris Kostjajews, sondern auch das Leben des jungen Leutnants und alle Hoffnung der Frau. Zwanzig Jahre nach der „Begegnung" bleibt ihr nur das Grab „mitten in Rußland". Der Kampf auf Leben und Tod, die „Schlacht", die Astafjew in erregenden Bildern zeigt, kann durch das Erlebnis der Liebe und die Erinnerungen an Kindheit und Jugend nur für einen kurzen Augenblick in den Hintergrund gedrängt werden. Doch der Krieg geht an niemandem vorbei, auch nicht an den Arglosen und Wehrlosen, die das konkrete Bild des getöteten Paares und das Symbol von Schäfer und Schäferin verallgemeinern. Durch die Einbeziehung der Atmosphäre der Vorkriegsjahre und die Charakterisierung markanter Gestalten aus dem Zug Kostjajews erhält diese mahnende Biographie einer Generation die epische Ausweitung jenes Typs der Erzählung, der sich nach Astaf169

jews Auffassung den Dimensionen des „kleinen Romans" 473 annähern kann. In Die Nacbt des Kosmonauten (1972) zeigt Astafjew die realen Möglichkeiten des sowjetischen Menschen zur großen humanistischen Tat. Der Kosmonaut Oleg Dmitrijewitsch erlebt die Erde aus der Perspektive des Raumfliegers besonders intensiv als „Planet des Lebens". Aus der Liebe zum Leben und aus dem „unerbittlichen Gedächtnis", der Erinnerung an den schweren Weg der Menschheit, erwächst sein hohes Verantwortungsbewußtsein, das nach den Worten des Erzählers Entscheidungen über Ende oder Fortbestand der Erde impliziert. Gerade in dieser Erzählung ist es Astafjew besonders gut gelungen, Neuartiges und Ungewöhnliches, eine Spitzenleistung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, und Gewohnt-Alltägliches, die Lebenssphäre des Waldhüters in der sibirischen Taiga, in seinem inneren Zusammenhang zu erfassen. Das Wesentliche in den Beziehungen zwischen dem Gast aus dem Weltraum und dem alten Sachar Kuprijanowitsch ist ihre geistig-weltanschauliche Übereinstimmung. Äußerliche Unterschiede in ihren Lebensgewohnheiten und Arbeitsbedingungen erweisen sich als unwesentlich. Der „einfache" Sibirier, unerfahren im Umgang mit diesem vom Himmel gefallenen „Samowar", ist in seinem Urteil über Grundfragen des Lebens ein ebenbürtiger Partner und echter Zeitgenosse des Kosmonauten. Beide verbindet außerdem die gemeinsame historische Erfahrung, die Erfahrung ihres Volkes, die sie in menschheitsgeschichtlichen Dimensionen denken lehrte. Beide empfinden sich als „gewöhnliche Soldaten" — der Kriegsveteran und der „Arbeitsmann des Universums". Gleichzeitig gehören die beiden aber auch zu den ungewöhnlichen neuen Menschen, die — von der sozialistischen Wirklichkeit geformt — sich ihrer Verantwortung vor der Zukunft der Menschheit bewußt sind. Gemeinsam haben sie die Zeit hinter sich gelassen, „als der Mensch noch nicht fliegen gelernt hatte, sondern gerade erst lernte, von seinem Gesichtssinn Gebrauch zu machen, und er weder sich selbst noch die Welt begriff" 474 . Einig sind sie sich auch in dem Wunsch, jeden Menschen wenigstens einmal in die Dunkelheit und Leere des Kosmos hinaus zu schicken, „damit er merkt, wie schön es zu Hause ist, wie wunderbar wohlgefügt alles auf Erden ist, geschaffen zum Leben und Blühen". 475 Und schließlich vereint beide der Wille, jenen zu wehren, die das „harmonische Gefüge" niederreißen, die „Lebenskette" zerreißen wollen. 170

Der belorussische Literaturwissenschaftler Alexander Adamowitsch führte die Erzählungen seines Landsmannes Wassil Bykau auf die Tradition Kusma Tschornys zurück, in dessen Werken die belorussische Prosa sich mit dem humanistischen Streben vieler hervorragender Schöpfungen der Weltliteratur nach einer wirksamen Verteidigung des Menschen und des Lebens gegen Krieg und Zerstörung verbunden hatte. Tschorny lehrte die belorussischen Schriftsteller, sich produktiven weltliterarischen Einflüssen, thematischen und stilistischen Tendenzen zu öffnen und gleichzeitig spezifische nationale Züge, z. B. die tiefe Verbundenheit mit dem Leben des Volkes, seiner Sprache, Kultur und Mentalität, zu bewahren. Ein Wesenszug der Prosa Tschornys hat nach der Ansicht Adamowitschs das Schaffen jüngerer belorussischer Erzähler besonders bestimmt, nämlich „die Intellektualität, das exakte, zuweilen schonungslose analytische Vorgehen bei der Erkundung des Lebens und der Psyche des Menschen, wie sie die besten Erzählungen W. Bykaus charakterisieren" 476. Ähnlich wie in Wladimir Tendrjakows langen Erzählungen Drei Sack Abfall weisen (1973) und Venvandlungsspiele des Frühlings (1973) oder Boris Wassiljews tragischer Kriegserzählung Im Morgengrauen ist es noch stille (1969), steht in Bykaus Erzählungen, z. B. Die dritte Leuchtkugel (1961), Alpenballade (1963), Die Krücke von Kruhljany (1969), Die Schlinge (1970), Der Obelisk (1972), Durchhalten bis %um Morgen! (1973) und Wolfsrudel (1974), der Gedanke im Vordergrund, daß in bestimmten Situationen alles vom einzelnen abhängt: sein Leben oder Tod, das Schicksal anderer, die Geschicke der Menschheit. Bykau verlangt nach „Shakespeareschen Farben und Leidenschaften", um den heute Lebenden aus dem „unerbittlichen Gedächtnis" berichten zu können, was von. 1941 bis 1945 in Belorußland geschah, wo sich die „Tragödie eines Volkes"/i77 vollzog, das ein Viertel seiner Menschen verlor. Wie in den meisten seiner anderen Erzählungen zeigt Bykau in Die Schlinge (1970) eine winzige Episode des Krieges. Eine Gruppe belorussischer Partisanen operiert in Wäldern und Sümpfen. Die Männer sind von den Kämpfen zermürbt, Polizei und Gendarmerie haben sie dicht eingekreist. Die Vorräte gehen zu Ende. Rybak und Sotnikau sollen in irgendeinem Dorf Lebensmittel beschaffen. Sie fallen dem Feind in die Hände und stehen vor der Gewißheit, der Hinrichtung nicht mehr entgehen zu können. Bykau zeigt das Tragische, Heroische und Erhabene, aber auch das Niedrige an 171

diesem episodischen Geschehen. Er rückt zwei Charaktere in einer Situation der Wahl und Entscheidung in den Vordergrund. Gerade während des Krieges offenbarten solche Situationen nach Bykaus Auffassung „das wahre sozialpsychologische und sittlich-ethische Wesen der Persönlichkeit" 478 . Sotnikau hat anfangs gar nichts Heldenhaftes. Er ist schweigsam und mürrisch, sein Husten lockt den Feind herbei. Als ihn der Kommandeur zu diesem Dienst eingeteilt hat, denkt er nicht an seine Krankheit, sondern freut sich über die Möglichkeit, sich irgendwo ein Stündchen aufwärmen zu können und etwas zu essen zu bekommen. Vor dem Krieg war er Lehrer, in der Armee Batterieführer. Sein erstes Frontgefecht war zugleich sein letztes. Dreimal hatte er nach der Einkesselung vergeblich den Versuch unternommen, die Frontlinie zu durchbrechen. Den Tod im Kampf fürchtete er nicht. Als er noch Kommandeur war und Machtbefugnis hatte, von der das Schicksal anderer abhing, schien ihm sein Leben wichtiger als jetzt. Verwundet und völlig entkräftet, wäre er bereit, seinem Leben ein Ende zu setzen, doch er fühlt sich den Bemühungen Rybaks verpflichtet. Als sie gefaßt worden sind, bedrückt ihn das Gefühl der Schuld gegenüber Rybak, noch mehr jedoch das Schuldgefühl gegenüber der Frau und ihren Kindern, in deren Haus sie Unterschlupf gefunden haben. Vor dem Tod durchdenkt Sotnikau sein Leben: „. . . was hatte er den Menschen Gutes gebracht? Er hatte keinen Baum gepflanzt, keinen Brunnen gegraben, keine Schlange getötet — drei Dinge, ohne die nach einem orientalischen Volksglauben niemandes Leben auf Erden als erfolgreich gelten darf" 4 7 9 . Die einzige Rechtfertigung sieht der fünfundzwanzigjährige Partisan darin, daß er wenigstens in der kurzen Zeit des Partisanendaseins seine „Pflicht als Staatsbürger und Soldat" getan hat. Vor dem Tod sucht Sotnikau seine Beziehungen zur „Welt" zu klären. Was würde die „Welt" mit seinem „nicht sehr bedeutenden Leben" verlieren? Wer ist überhaupt die „Welt"? Wenn er „Welt" denkt, kommen ihm Menschen in den Sinn. Seine Beziehungen zu ihnen sind „die letzte Erscheinungsform seines Ichs". Er beschließt, seinem Sterben Sinn zu verleihen, sich zu opfern, um andere zu retten. Sein Tod sollte kein „dummer Zufall" sein, sondern „etwas bestätigen, etwas widerlegen und nach Möglichkeit das vollenden, was das Leben nicht hatte verwirklichen können. Wozu war das Leben sonst da? Zu schwer wird es dem Menschen gegeben, als daß er seinem Ende gelassen entgegentreten könnte." 4 8 0 Aus dieser Re172

flexion gewinnt Sotnikau die Überlegenheit vor seinem Gewissen, die er braucht, um aufrecht sterben zu können, und seine große Überlegenheit über die Henker. Rybak gewinnt diese Überlegenheit nicht, versagt in der Entscheidungssituation. Er wirkt anfangs kraftvoll und entschlossen, verhält sich jedoch in verschiedenen Situationen kompromißlerisch. Er war als Oberfeldwebel einer Schützenkompanie leicht verwundet worden und in einem Dorf untergekrochen. Er zweifelte nicht daran, daß sich Kräfte finden würden, Moskau zu verteidigen. Er ging mit zu den Partisanen, als sich andere Eingekesselte im Dorf einfanden. Aber er dachte über all diese Dinge nicht viel nach, ließ sich treiben. „Wenn man als richtig anerkannte, daß der Sinn des Kampfes darin bestand, das eigene Leben zu schützen und dem Feind Schaden zuzufügen, dann hatte er allen Grund, sich für einen vollwertigen Partisanenkämpfer zu halten . . . " 481 So versucht sich Rybak von der Richtigkeit seines Handelns zu überzeugen. Die Instabilität seiner Moral wird jedoch auch daran sichtbar, daß er eine Verantwortung für andere grundsätzlich ablehnt. „Schwache, Kranke und Pechvögel aller Art" trifft seine Geringschätzung. Nach der Gefangennahme überlegt er, ob sich seine Chancen durch einen vorzeitigen Tod Sotnikaus vergrößern würden. Er glaubt, auf ein „Spiel" einzugehen, eine „List" anzuwenden, als er das Angebot zur Kollaboration mit den Faschisten annimmt. Er weiß jedoch, daß ihn die gleiche erbärmliche Angst dazu treibt wie einst in der Kindheit. Was damals die Angst vor der „Schlucht" gewesen ist, ist diesmal die Angst vor der „Schlinge". Der wesentliche Gegensatz zwischen Rybak und Sotnikau wird für den Leser erst allmählich sichtbar, vor allem durch die unterschiedliche Wertung der Vorgänge durch beide Gestalten. Die neunzehn Kapitel der Erzählung sind abwechselnd aus der Perspektive Rybaks und aus der Perspektive Sotnikaus geschrieben, so daß alle Phasen des dramatischen Geschehens einer doppelten Spiegelung unterliegen. Die Wertung des Autors geht aus der Konfrontation der gegensätzlichen Bewußtseinsinhalte seiner Gestalten hervor. An zwei Stellen hebt er das Gleichnishafte der Erzählung ganz im Sinne seiner künstlerischen Absicht 482 besonders stark hervor. So gelangt er zu einer großen „allegorischen Verallgemeinerung" 4 8 3 . An der einen Stelle sagt der Erzähler unumwunden von Rybak, daß er sicher „kein schlechter Partisan" gewesen sei und vermutlich bei der Armee als „erfahrener Oberfeldwebel" gegolten habe, „doch 173

als Mensch und Staatsbürger fehlte ihm zweifellos so manches". Damit wird deutlich, worin der entscheidende Gegensatz zwischen Rybak und Sotnikau besteht. Rybaks geistig-weltanschauliche Entwicklung hat nicht das „sittliche Niveau" erreicht, „welches anderen das Recht gegeben hätte, seine Taten nach dem höchsten Kodex der Menschlichkeit zu beurteilen" 484 . Dieser Gedanke des Erzählers korrespondiert mit Bykaus Ansicht, die Literatur sei es sich selber schuldig, den Menschen im Krieg „als Persönlichkeit und in seiner ganzen seelischen Vielschichtigkeit" 485 zu gestalten. Die andere Stelle, mit der sich der Erzähler in die inneren Monologe seiner Gestalten einmischt, setzt dem existentialistischen Gedanken von der Einsamkeit und Todesangst als Triebkraft menschlichen Verhaltens ein wahrhaft menschheitsgeschichtliches humanistisches Programm entgegen: „. . . das Leben ist der einzige reale Wert für alles Existierende und auch für den Menschen. Später einmal, in einer vollkommenen menschlichen Gesellschaft, wird es zur absoluten Kategorie, zum Maß und Preis aller Dinge werden. Jedes einzelne Leben, oberster Sinn für den, der es lebt, wird den gleichen Wert für die Gesellschaft als Ganzes haben, deren Stärke und Harmonie vom Glück aller ihrer Mitglieder bestimmt wird . . ." 48 6 Solche Stellen lassen Bykaus Anspruch auf universale Verallgemeinerungen erkennen, Verallgemeinerungen, die weit hinausgehen über den konkreten Gegenstand seiner Kriegserzählungen, Parabeln allgemeinen menschlichen Verhaltens darstellen und gleichzeitig die neuen Qualitäten sichtbar machen, die das sittliche Niveau der kommunistischen Persönlichkeit auszeichnen. Der Autor macht aus seinem universalen Anspruch, der das Streben nach dem menschheitsgeschichtlichen Gleichnis rechtfertigt, gar kein Hehl: „. . . dieser Krieg war von ganz besonderer Art; nicht nur daß wir unser Heimatland und unsere Gesellschaftsordnung verteidigten, wir retteten das Menschengeschlecht in den bittersten und blutigsten Gefechten der Weltgeschichte vor dem schrecklichsten Unrecht, das sich je über die Erde zu ergießen drohte." 487 Aus dieser Sicht leitet Bykau den Gedanken ab, die künstlerische Aufarbeitung der Lehren des Krieges sei eine der wirksamsten Formen der Erziehung des Menschen von morgen. Vor allem ist er sich darüber im klaren, daß das Wachstum der materiellen Werte und der vervielfachte Einsatz von Wissenschaft und Technik allein noch nicht zu einer „höheren Sittlichkeit" führen. Deshalb sucht er immer wieder nach der „phi174

losophischen Wurzel"/l88 jener Kraft, die Menschen wie Sotnikau geprägt hat und auch für die Gegenwart und die Zukunft des Sozialismus und der Menschheit gültig ist.

Lebren der Geschichte Gerade der Krieg erscheint im Schaffen sowjetischer Schriftsteller immer wieder als Prüffeld, auf dem alle Potenzen des Menschen größten Belastungen ausgesetzt waren und ihnen standhielten. Das Heldentum der Kriegsjahre ist für die meisten Erzähler nicht nur ein Ausdruck der vollbrachten weltgeschichtlich bedeutsamen Leistung des Volkes, sondern auch eine Bestätigung für seine Standfestigkeit und Leistungsfähigkeit in Gegenwart und Zukunft. Zeitgenössische sowjetische Kriegserzählungen sind durchaus nicht nur historische Reminiszenzen. Deshalb werden die Ereignisse aus dem dreißigjährigen Abstand häufig auch gar nicht als Auseinandersetzungen militärischer Formationen auf dem Schlachtfeld dargestellt, sondern in Form geistig-weltanschaulicher Entscheidungskämpfe und ethischmoralischer Auseinandersetzungen, wie sie auch gegenwärtig geführt werden müssen. Aus der historisch reiferen Position der Gegenwart sucht z. B. der Este Paul Kuusberg in seinen Kriegserzählungen die geistig-weltanschaulichen Auseinandersetzungen der Gestalten ausgewogen und beziehungsreich zu erfassen. Ähnlichen Fragen geht er aber auch in seinen Gegenwartserzählungen, z. B. Die verrostete Gießkanne (1970)'i89, nach. In der Erzählung Das Lächeln (1970) berichtet Paul Kuusberg von der illegalen Tätigkeit des Arbeiters Jaan Ennok während der Okkupation und von seinem moralischen Sieg über die faschistischen Polizeibüttel. An dieser Erzählung beeindruckt in erster Linie die subtile und differenzierte Zeichnung der Charaktere und ihrer geistigen Welt. Ennok ist mit seinem ganzen Wesen Kommunist und Internationalist. Seine Sorge um das Leben der alten Frau Greenberg, die ihm Unterschlupf gewährt hat, um das Schicksal Estlands, der Sowjetunion und der Menschheit wird aus ein und demselben Kraftquell gespeist — seiner kommunistischen Weltanschauung. Sie heißt ihn, ohne Auftrag und Aufforderung den Widerstand gegen die Faschisten zu organisieren. Während der Folter hilft sie ihm, die körperliche Schwäche zurückzudrängen. So konsequent kann diesen Kampf nur 175

ein Mensch führen, der von dem Bewußtsein fest durchdrungen ist, einer unüberwindlichen großen geschichtlichen Kraft anzugehören. Sich immer wieder mit dieser geschichtlichen Kraft in Einklang zu bringen, sie auch unter den schwersten Bedingungen zu fördern und zu unterstützen, erfordert viel Mut und Charakterstärke. Notwendig ist aber auch die Fähigkeit, die Einzelerscheinung an der geschichtlichen Kraft zu messen. Das gilt ganz besonders für die Menschen, mit denen Ennok zusammentrifft. Der Fleischer, der ihm im Gefängnis hilft, obwohl er die „Roten" nicht versteht, wird sich vielleicht eines Tages als bewußter Bündnispartner Ennoks erweisen. Der Sattler hingegen, der sich trotz seiner sozialen Erfahrungen als Henkersknecht der Faschisten betätigt, ist sein Feind. Kuusbergs Held Jaan Ennok kann mit solchen Widersprüchen fertig werden, weil er erkannt hat, daß „das Proletariat als Ganzes"490 sie überwindet und die Geschichte vorantreibt, und weil er seine Verantwortung vor der Geschichte aktiv und selbstlos wahrnimmt. Einige biographische Fakten haben das literarische Werk Jewgeni Nossows wesentlich beeinflußt — die Kindheit im Dorf Tolmatschowo, die Lehrzeit in einer Kursker Fabrik, das Kriegserlebnis, die schwere Verwundung, der monatelange Lazarettaufenthalt. Felix Kusnezow wies einmal darauf hin, daß die „innerliche Bindung an alles Lebendige" 491, die man bei Nossow findet, durch seine feste Bindung an konkrete soziale und historische Inhalte allgemeine Bedeutung erlangt hat. Dies kommt auch in der Art und Weise zum Ausdruck, in der Nossow das Motiv der Verantwortung vor dem Menschen und der Menschheit in seinen Erzählungen verwendet. In Der rote Wein des Sieges (1969) stirbt der Soldat Kopjoschkin am 9. Mai 1945 in einem Lazarett bei Moskau. Das Gespräch der Verwundeten, das die eigenartige Spannung eines Tages zwischen Krieg und Frieden vermittelt, bewegt sich allmählich auf philosophische Fragen zu, wie sie für Nossows Helden charakteristisch sind. Es berührt den Zusammenhang zwischen dem Schicksal des einzelnen und dem des Volkes, der „kleinen" Welt des Individuums und der „großen" Welt der Völker, den Widersinn des Sterbens kurz vor dem Sieg und schließlich auch die Frage, wofür der einzelne sowjetische Soldat während des Großen Vaterländischen Krieges gekämpft hat. Die entscheidende Erkenntnis, zu der dieses Gespräch führt, ist in einer Reflexion des Erzählers enthalten: „.. . Auch diejenigen, die nie mehr zurückkehren würden, hatten eine Heimat gehabt. Jeder hatte im Krieg seinen Mann gestanden, in Gedanken bei 176

seinem Zuhause, dem von Kind auf vertrauten, und es zeigte sich, daß jeder Fußbreit Bodens seinen Beschützer hatte . . ." 492 Diese Verallgemeinerung macht begreiflich, daß Kopjoschkins Heimatdorf Suchoi Shiten, irgendwo bei Pensa, das keiner der anderen kannte und erst recht keiner sich vorstellen konnte, für Kopjoschkin selbst tatsächlich „der Mittelpunkt des Universums" 493 gewesen sein mußte. So wird die Aufnahme des tiefen Ideengehalts der Erzählung sehr stark durch die verallgemeinernden Reflexionen des Erzählers gefördert. Mit der Frage des Erzählers nach dem Sinn des Lebens für den einzelnen und nach seinem Beitrag für den Geschichtsfortschritt in seiner Gesamtheit teilt sich dem Leser unaufdringlich die Mahnung mit, die Lehren der Geschichte auf die Gestaltung des eigenen Lebens anzuwenden. Mit der Erzählung Chopin. Sonate Nr. 2 (1973) findet Astafjews Vermutung, Nossow habe sich lange darauf vorbereitet, „würdig über das Erhabenste in unserem Leben, den Vaterländischen Krieg" 494 zu schreiben, ihre volle Bestätigung. Die Handlung entwickelt sich auf zwei Zeitebenen. Auf beiden sind tragische und komische Momente, heroische Ereignisse und erhabene Gedanken sowie alltägliche Begebenheiten und Gespräche eng miteinander verknüpft — so wie es nach Nossows Auffassung der Praxis des Lebens entspricht und generell als charakteristischer Zug der sowjetischen Gegenwartsliteratur zu beobachten ist. Die äußere Handlung verläuft auf der Gegenwartsebene. Zwölf Musiker, Arbeiter einer Zuckerfabrik, fahren unter der Leitung Sascha Polosuchins in ein Dorf im Kursker Bogen, in dem ein Obelisk für gefallene sowjetische Soldaten eingeweiht werden soll. Die jungen Musiker nehmen an diesem Ereignis zunächst ohne besondere innere Bewegung teil. Die Enthüllung des Denkmals, die Worte der Redner, die Gespräche der ehemaligen Kriegsteilnehmer — nichts davon berührt sie besonders tief. Sie spielen die Hymne und glauben, damit ihre Pflicht getan zu haben. Sie murren, als sie im Regen auf die Rückkehr des Lastwagens warten müssen, den Polosuchin nach dem Abschluß der Veranstaltung den ehemaligen Frontsoldaten zur Verfügung gestellt hat. Ihr Unwille wächst, als er sie in Marschordnung durch Nacht und Regen in das nächste Dorf laufen läßt. Dort, im Hause Pelagejas, flirten sie mit den Erntehelferinnen und erwägen, was sie zum Tanz aufspielen werden. Polosuchin aber läßt sie den dritten Satz aus Chopins Sonate Nr. 2 spielen. Die Musik verändert, „läutert" die Menschen. Pelageja, die im 12

Kasper. Sowj. Erzählung

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Krieg zwei Männer und zwei Brüder verloren hat, „zuckte bei den ersten Tönen zusammen, als hätte sie der Schlag getroffen" 495 . Ihre Mutter, die Chopins Musik als „letztes Geleit" empfindet, „nahm die Wehmut und Trauer der gequälten Seele des ihr unbekannten Musikers mit dem gequälten Herzen einer Mutter auf" 4 9 6 . Wera, die Enkelin, kann die Tränen nicht zurückhalten. Am stärksten aber wirkt diese Musik auf die jungen Musiker. Was bisher nur in der Erinnerung Polosuchins lebte, dringt machtvoll in ihr Bewußtsein ein. Die Erinnerung an das Kriegsjahr 1943, die sich als Leitmotiv durch die Erzählung zieht, am Anfang aber nur im Bewußtsein Polosuchins hat Gestalt annehmen können, greift jetzt auf die Gegenwart über: „Sie gingen schweigend, in Gedanken versunken und wechselten nur hin und wieder ein Wort. Und der Alte spürte in seinem Rücken den schweren Atem des Zuges. Wie damals, 1943." 497 Auffällig ist der scharfe Kontrast dieser Szene zu den vorangegangenen, in denen sich Polosuchin vergeblich darum bemüht hat, eine derartige Einheit und Geschlossenheit, geistige und emotionale Übereinstimmung zu erreichen. Freilich ist es nicht allein die Melodie, die alt und jung zusammenschweißt. Vielmehr sind es das Vermächtnis der Toten und die im Krieg gewonnene historische Erfahrung der Älteren, die sich den jungen Arbeitern über dieses Erlebnis mitteilen und auf sie wirken. Die Vergangenheitsebene wird sowohl durch einzelne Episoden als auch durch die im Bewußtsein lebendige Erinnerung gestaltet. Dabei überwiegt die innere Handlung. 1943 führte Polosuchin als junger Leutnant eine Kompanie Rekruten an die Front, die nicht weit vom Schauplatz der Gegenwartshandlung entfernt gewesen ist. Aber nur ihm ist die Parallelität der Situationen bewußt. Für ihn ist die Landschaft am Kursker Bogen eine wahrhaft „historische Landschaft", in der dreißig Jahre zuvor eine Schlacht entbrannt war, mit der nach seiner Meinung für die vom Faschismus befreiten Völker „eine neue Zeitrechnung" begann. Auch in dieser Erzählung Nossows wird die universalgeschichtliche Fragestellung nach dem Schicksal des Menschen und der Menschheit in den Reflexionen der Gestalten und des Erzählers sichtbar. Polosuchins Reflexionen stellen auch das Bindeglied zwischen den beiden Zeitebenen der Erzählung dar. Erinnerung und Vermächtnis sowie Verantwortung vor der Gegenwart und Zukunft vereinen sich in seinem Bewußtsein. So werden allgemeine historische Erfahrungen der Völker als individuelle Erfahrung der von der Ge178

schichte geformten kommunistischen Persönlichkeit an den Leser •weitergereicht. Nossow vermag dabei das Motiv der Verantwortung vor allem auch deshalb überzeugend zu entwickeln, weil er die epische Substanz der Gestalt Polosuchins durch die Einführung weiterer, wenn auch episodischer Gestalten in die Handlung verstärkt hat. Das sind die Gestalten der ehemaligen Frontsoldaten aus der Generation Polosuchins sowie die Festredner, die zur Einweihung des Obelisken sprechen. In den Gesprächen der Kriegsteilnehmer Stepan Cholodow, Tichon Aljapin, Fjodor Babkin, Iwan Seiiwanow u. a. werden Erinnerungen an die Kämpfe „um Orjol", „an der Oder" und „um Berlin" lebendig. Polosuchins Erfahrung wird dadurch um ein Vielfaches vermehrt. Es ist verständlich, daß der Erzähler seine Sympathie für diese Männer nicht verbirgt: „Bald kam das Gespräch der Männer in Gang. Ihre Gesichter röteten sich, die Augen strahlten. Nein, nicht vom Wodka! Wenn das Gedächtnis leer ist, hilft auch kein Wodka. Doch ihr Gedächtnis -\var übervoll, brachte Heroisches und Bitteres in Erinnerung . . . " 4 9 8 Zu dem „Bittersten" gehört die Erinnerung an die zwanzig Millionen Toten, die die Völker der Sowjetunion im Krieg verloren haben. Die Reden des Kolchosvorsitzenden Ossinkin, dem es hauptsächlich um die Nennung seines Dorfensembles geht, der kleinen Pionierleiterin, die sich ganz darauf konzentriert, sich auch nicht ein einziges Mal zu versprechen, und des Geschichtslehrers, der so weit ausholt, daß er nicht wesentlich über die Zeit Alexander Newskis hinauskommt, gibt der Erzähler aus ironischer Distanz wieder. Sie enthalten nichts Falsches, doch nicht das Entscheidende, nicht das, was in dieser Situation gesagt werden muß. Voll und ganz aber steht der Erzähler hinter den Worten Iwan Seiiwanows. Der ehemalige Regimentskommandeur, der von den Gräbern zwischen Woronesh und Belgrad spricht, die den „Weg zum Sieg" wie eine „Kette" markieren, vermag das Anliegen des Erzählers zum Ausdruck zu bringen. Nicht auf den Marmor und die Höhe des Denkmals komme es an, sagt der alte Soldat, sondern auf das Gedächtnis, das Wissen darum, welcher Preis für den Sieg gezahlt werden mußte.

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Menschheitsfragen in ihrer revolutionären Bedeutung Die zeitgenössische sowjetische Erzählung erhielt u. a. auch von der Prosa der Lyriker starke Anregungen, von Olga Bergholz' Tagessterne (1959), Jewgeni Jewtuschenkos Die Straße (1959), Justinas Marcinkevicius' Die Fichte, die gelacht bat (1965), Rassul Gamsatows Mein Dagestan (1967/71) und zahlreichen anderen, sehr unterschiedlichen und z. T. kaum miteinander vergleichbaren Werken, die von manchen Kritikern pauschal mit dem Schlagwort „lyrische Prosa" 499 belegt wurden. Wesentlich ist dabei, daß in den sechziger und auch noch in den siebziger Jahren tatsächlich ein „Einbruch der Poesie" in die sowjetische Prosa erfolgte, der sich z. B. im leitmotivischen Gebrauch poetischer Bilder, in einer emotional betonten Erzähl weise sowie in der verstärkten Hinwendung zu „lyrisch-philosophischen" Reflexionen äußerte.500 Diese Erscheinungen traten jedoch nicht nur in der Prosa der Lyriker auf, sondern auch in den Erzählungen Fasil Iskanders und Hrant Matewosjans, Evalds Vilks' und Tschingis Aitmatows, Wiktor Astafjews und Boris Wassiljews. Eine besondere Bedeutung erlangten sie in der Prosa Valentin Katajews und Tschingis Aitmatows, die in ihren neuen Werken Menschheitsfragen in ihrer revolutionären Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft aufgeworfen haben und dabei das Genre der Erzählung zu größten Erfolgen bei der epischen Epochengestaltung geführt haben. 1961, also während der Arbeit an der Lenin-Erzählung Die kleine eiserne Tür (1964), betonte Katajew, daß die Aufgaben des zeitgenössischen Prosaschriftstellers „wesentlich komplizierter geworden" seien: „Auf alte Art schreiben kann man nicht mehr. Wir folgen noch allzu sklavisch den klassischen Mustern, wiederholen häufig längst Erreichtes. Doch der heutige Tag wird auf neue Art gemacht. . ." 501 Am Ende dieses Aufsatzes stand eine Prophezeiung, deren Sinn sich erst später erschließen ließ, nämlich der Gedanke, daß früher oder später Majakowski in die sowjetische Prosa Einzug halten würde. 1965 erläuterte Katajew diesen Gedanken in der Rezension über den Band Keinen Tag ohne eine Zeile von Juri Olescha. Majakowski, Mandelstam, Pasternak, Chlebnikow und Marina Zwetajewa haben nach seiner Ansicht „unübertroffene Beispiele einer wahrhaft . . . neuartigen Prosa" 502 geschaffen. Im Aufsatz über Herbert Wells von 1966 hieß es: „Echte Neuererliteratur betrachtet die Dinge und Ereignisse durch ein Glas, das vorher noch niemand benutzt hat." 503 180

Diesen Gedanken hatte Katajew zwar von den Brüdern Goncourt übernommen, er maß ihm jedoch für die Entwicklung der zeitgenössischen Prosa eine besondere Bedeutung bei. Katajews Erzählung Der beilige Brunnen (1966) war ein klares Zeugnis vom kompromißlosen Streben des Autors nach einer Erneuerung der Erzählprosa. „Zeit ist eine sonderbare Substanz, die nicht einmal in philosophischen Handbüchern selbständig erscheint, sondern immer mit dem Begriff Raum gekoppelt wird." 504 Diese Worte des Erzählers liefern einen Schlüssel zum Erfassen der vielfach gebrochenen realen Zeit in der poetischen Welt der Erzählung. Es sind aber auch noch andere Textstellen heranzuziehen, um den Intentionen des Autors auf die Spur zu kommen. Da wird z. B. gegen André Maurois polemisiert, der behauptet, „man könne nicht gleichzeitig in zwei Welten leben, in der wirklichen und in der eingebildeten" 50S. Katajew erhebt auf beide Dimensionen Anspruch. Wer nur in einer von ihnen lebt, „bestiehlt sich selbst, da er um die gute Hälfte der Schönheit und der Wahrheit des Lebens kommt". Das ist für ihn eine wichtige kunsttheoretische Frage. Die Trennung der „wirklichen" von der „eingebildeten" Welt würde die Kunst ihrer Spezifik berauben, ein Bild von der Welt zu sein, würde sie entweder zur „Abstraktion" oder zum platten „Protokoll" machen. Erst die Verschmelzung beider Dimensionen schafft die „wahrhaft große Kunst", die der Erzähler ironisch als „ Mauvismus" 506 bezeichnet. Diese „ neueste literarische Richtung" erläutert er einer alten Dame in Texas voller Ironie: „Da gegenwärtig alle Welt sehr gut schreibe, müsse man sich bemühen, schlecht zu schreiben, so schlecht es geht, nur dann würde die Welt auf einen aufmerksam, natürlich sei das Erlernen des Schlechtschreibens gar nicht leicht, weil man da gegen eine höllische Konkurrenz anzukämpfen habe, letzten Endes lohne es sich aber, und wenn man schließlich gelernt habe, miserabel zu schreiben, miserabler als alle anderen, ja dann sei einem Popularität in der ganzen Welt gewiß." 507 Mindestens an dieser Stelle wird dem Leser klar, daß dieser Erzähler keineswegs identisch mit Valentin Katajew ist. Er merkt schließlich auch, daß der „Mauvismus" gar nicht so schlecht sein kann, wie er der alten Dame aus Texas erklärt wird. Damit erweist sich die Erzählerfigur als wichtigste Komponente bei der Erschließung der Aussage. Am Anfang der Erzählung heißt es, jetzt beginne die „Zeit der großen Wandlungen". Später wird die Frage gestellt: „Wie, wenn das ganze Menschenleben nichts anderes ist als eine Kette unauf181

hörlicher Verwandlungen?" Und „Buch der Verwandlungen. Konzert. Reportage" heißt einer der eingerückten Sätze in dem Buch, denen eine leitmotivische Funktion zukommt. Was bezweckt der Erzähler mit diesen Andeutungen? Manche Leser haben über sie hinweggelesen und sind im Labyrinth der sich ständig wandelnden Zeit steckengeblieben. Der beilige Brunnen entstand 1962/65 in Peredelkino. 1963 erschien Alexander Twardowskis Poem Tjorkin im Jenseits, in dem sich die Titelgestalt nach einem beklemmenden Aufenthalt im „Jenseits", einer satirisch gezeichneten, aber durchaus realen Welt des „Konservatismus, Bürokratismus, Formalismus" 508 , als „Mensch" auf dem Operationstisch wiederfindet. 1966/67 kam Michail Bulgakows Roman Der Meister und Margarita heraus. Katajews Erzählung muß im Kontext dieser beiden Werke gesehen werden. Hingegen scheint es weniger angebracht, Parallelen zu den Filmen Bergmans und Fellinis ziehen zu wollen und gleichzeitig von einem „qualvollen Versuch" zu sprechen, „zu den Quellen der russischen Kultur zurückzukehren" 509 . Für Katajew, der sich seiner Zeitgenossenschaft mit Twardowski und Bulgakow nicht ausdrücklich zu versichern brauchte, war auch der Weg zur produktiven Verarbeitung Gogolscher Traditionen kein Weg zurück. Alle direkten Bezüge auf Gogol in der Erzählung Der beilige Brunnen hängen mit Erscheinungen zusammen, die der Erzähler ablehnt, weil sie seiner Mentalität und seinem Charakter widersprechen. „Aalglattkin", der sonderbare Reisebegleiter des Erzählers, „ein widerlicher Zwitter, halb Mensch, halb Specht . . . ein Possenreißer und Speichellecker, ein Denunziant und Ohrenbläser, ein Kriecher, Raffer und Nimmersatt, der typische Radfahrer, kurz die scheußliche Ausgeburt jener entfernten Zeit", der Doppelgänger des „sprechenden Katers" und des „intellectual" Alfred Parasjuk, provoziert den Stoßseufzer des Erzählers: „Hätte Nikolai Gogol ihn gesehen, er hätte nicht Das Porträt geschrieben 510 , sondern etwas millionenmal Schrecklicheres." 511 In Manhattan begegnet dem Erzähler ein Doppelgänger der Nase Kowaljows aus Gogols Erzählung Die Nase. Dort fährt an einem Sonntagmorgen ein Anzug — „nicht etwa ein Mensch im Anzug, sondern ein Anzug für sich" — im Fond eines Autos spazieren. Der Erzähler fühlt sich durch ihn gedemütigt, weil er sich bei ihm nicht einmal dafür entschuldigt, daß er ihn „mit seinem englischen Lavendelduft . . . angehaucht" 512 hat, Katajew sagte in einem Gespräch mit Wilhelm Girnus und Nyota 182

Thun: „ . . . auch ein Traum und meine Erfindung, mein Tod und meine Auferstehung, jeder Moment meines Lebens kann ein Element des Kunstwerks sein." 513 Das mag der Kern jener Überlegungen gewesen sein, zu denen der Autor eines Tages am vertrauten „Heiligen Brunnen" in Peredelkino gelangt ist, Überlegungen über die unaufhörliche Veränderung und Erneuerung des Lebens. Wladimir Dudinzew hat Katajew vorgeworfen, er sei in Der beilige Brunnen beim Nachzeichnen subtilster psychischer Regungen stehengeblieben, so daß sich der Leser außerstande sehe, den „zweiten Zauber der Kunst" zu erleben, nämlich mit dem Autor mitzuempfinden, wie er zu leiden, zu lieben oder zu hassen.514 B. Sarnow kam sogar zu dem Schluß, Katajew hätte die Mission des „Propheten", die er mit den verstreuten Zitaten aus Puschkins gleichnamigem Gedicht anerkenne, nicht erfüllt, in seiner Brust brenne keine Kohle, die des Lesers Herz zum „Glühen" bringt. 515 Dudinzew und Sarnow gingen von der Annahme aus, Katajew hätte eine Art autobiographische Prosa geschrieben und wäre das „Ich" der Erzählung, das sich zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her bewegt. Aus dieser Prämisse resultierten ihre Mißverständnisse. Katajew hat keine autobiographische Prosa und keine Memoiren geschrieben. Dennoch reflektiert er buchstäblich „über alles, über Insekten, über mich und den Menschen". Auch die Puschkin-Zitate sind für ihn „ein accessoire, ein Element des nature morte . . ." 516 Das „dritte Signalsystem", d. h. der Einsatz der sprachlichen Zeichen zu einer phantastischen Projektion der Wirklichkeit im Bewußtsein des Erzählers, schafft eine faszinierende, gedankensprühende Prosa. Alle Projektionen gehen von jenem realen „Heiligen Brunnen" aus, dem Quell in der Nähe der Bahnstation Peredelkino, „an dem ich" — diesmal das Ich des Autors — „dieses Buch überdachte und über mein Leben meditierte" 517 . Das Krankenzimmer und die Operation schaffen den „Rahmen" für die Exkurse des Erzählers in Zeit und Raum, die Narkose ermöglicht „paradiesische Träume". Das Bewußtsein des Autors wird ausgeschaltet; es erwacht erst am Ende der Erzählung wieder und kehrt in die Realität jenes „Heiligen Brunnens" zurück, in der „sicher nach wie vor der alte Mann stand und geduldig seine Flaschen spülte" 518 . Zwischen den beiden Teilen des „Rahmens" liegt das „Jenseits", in dem man in einem „Knusperhäuschen" wohnt, „Paradiesvögel und synthetische Omeletten" ißt, sich „an keine Diät mehr zu halten" braucht, „lediglich zum Fenster hinaus" blickt und Beobachtungen 183

sammelt, „die weder wissenschaftlichen noch künstlerischen noch philosophischen Wert" besitzen. In dieses „Jenseits" kann man Personen einladen — solche, die einem nahegestanden haben (die Enkeltochter Valentinotschka, die Kinder „Schakal" und „Hyäne", Ossip Mandelstam und Juri Olescha), oder solche, die einem irgendwann auf die Nerven gegangen sind und über die man in den „paradiesischen Gefilden" nach Herzens Lust seinen Spott ausschütten kann (die Koslowitschs, die Ostapenkos). Allerdings schleppen die Besucher auch „Bazillen" ein: die „Erreger völlig überflüssiger Erinnerungen, unnützer Reminiszenzen, bedrückender Assoziationen, vielleicht sogar alter Träume". Dazu gehören die Alpträume vom Specht-Menschen „Aalglattkin" und vom „sprechenden Kater". Der Erzähler nutzt auch die Möglichkeit, das „Jenseits" zu „Erinnerungsreisen" zu verlassen. So fliegt er nach den USA, um seine Jugendliebe wiederzusehen, jene Gymnasiastin aus Odessa, mit der er vor vierzig Jahren den Osterkuß getauscht hat und mit der ihn nichts mehr verbindet. Der Aufenthalt in den USA (seine Darstellung nimmt zwei Drittel der Erzählung ein) versetzt den Erzähler in die Lage, die Realität der Welt des Imperialismus mit maximaler Detailtreue und Aktualität nachzuzeichnen. Er stellt den amerikanischen Besatzer in Europa, den Schuhputzer in New York, die Städte Washington, Los Angeles, San Francisco und Houston, Weiße und Schwarze vor, erlebt den Mord an John F. Kennedy „ein Jahr, bevor er begangen wurde" und den Tod des neunzigjährigen Dichters Robert Frost. So fügen sich in der Erinnerung des Erzählers, die nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf Gegenwart und Zukunft gerichtet ist, scheinbar rein persönliche Probleme und Fragen von welthistorischer Bedeutung, z. B. das Schicksal der Erde unter den Bedingungen der Kernspaltung, zu einem Ganzen, dem Bild unserer Epoche zusammen. Die Synthese erfolgt im wesentlichen assoziativ-metaphorisch, d. h. ähnlich wie in der Lyrik Majakowskis oder Wladimir Lugowskois, der in seinem Poem Jahrhundertmitte sagt: Ich nahm da teil an mächtigem Geschehen Der menschlichen Geschichte. Was denn tun, Ich, einfacher Sohn des Jahrhunderts? Sprechen Über die Zeit, die unumkehrbar ist Als einziges auf der Welt . . . 5 1 9 184

Katajew selber wies auf den „strophischen", „rhythmischen" Charakter seiner Prosa und ihre enge Beziehung zur Musik, zu Chopin, Rachmaninow und Skrjabin hin. 520 In den letzten Jahren betonte Valentin Katajew häufig, daß er sich „von der beengenden Form des Romans und überhaupt von der gattungsmäßigen Bestimmung eines Werkes" 521 abgewandt habe. In Das Gras des Vergessens zitiert er: „. . . ich suche . . . etwas, das in seiner Art kein Roman mehr ist. Das Fehlen einer durchgehenden Handlung befriedigt mich nicht. Selbst die Struktur, die Form soll anders sein, gewissermaßen die Memoiren einer Person, geschrieben von einer andern . . . Der Ausdruck Roman bezeichnet entschieden nicht mehr die Bücher, die wir schreiben. Ich brauche eine neue Benennung dafür . . ." Danach ergänzt der Erzähler: „. . . Wenn keine Memoiren, keinen Roman, was schreibe ich dann? Fragmente, Erinnerungssplitter, Gedanken, Sujets, Essayistisches, Notizen, Zitate . . ." 522 Auch in diesem Buch, das kein „autobiographischer Roman" und kein „Memoirenroman" ist, wie Michail Kusnezow behauptet 523 , spricht der Erzähler immer wieder ironisch von der neuen Kunst des „Mauvismus". In Wirklichkeit aber weist Katajews Buch die strengste Form auf, die je eines seiner Werke besessen hat. Am Anfang und am Ende des Buches steht das Bild der tropischen Bignonie, die den Erzähler „an etwas höchst Wichtiges, mir Wertvolles" erinnert —: die „family von Lebenden und Toten". Mandelstams Vers („Der Kätzenkopf im Rachen / spiel auf, daß die Aorta kracht! / Drei Teufel gab's, du bist der vierte, / der letzte beste deiner Art" 524 ), der das 1964/67 geschriebene Werk beschließt, hebt vier Gestalten aus den „Lebenden und Toten" heraus: Bunin, Majakowski, Klawdija Saremba und Valentin Katajew. Katajew schreibt keine Memoiren, erzählt nicht von Begegnungen mit seinen beiden „Lehrern" und dazwischen die Geschichte der Revolutionärin. Er berichtet auch nicht als Chronist über Bunin und Majakowski, schreibt keine neue Dichterbiographie, sondern setzt „Fragmente, Erinnerungssplitter, Gedanken" usw. als Erzähler zusammen. Wie Fritz Mierau einmal bemerkt, ist der Unterschied dieses Verfahrens zur herkömmlichen Dichterbiographie ganz beträchtlich : „Es entstehen die epischen Figuren Iwan Bunin und Wladimir Majakowski. Genau betrachtet arbeitet Katajew mit Majakowskis Poem-Methode. Wie Majakowski setzt er poetisches Programm, persönliche Reminiszenz, historisches Bild usw. in ihrer Selbständig185

keit nebeneinander. Das verstreute Zufällige wird nicht gewaltsam in ein System gepreßt, sondern in seinen Kontakten markiert. . , " 5 2 5 Die Gestalt Iwan Bunins erscheint von Anfang an so, wie sie der Erzähler gesehen hat, nicht wie sie andere beschrieben haben. Der Erzähler erwähnt absichtlich, daß Andrej Bely das „Kondorprofil" und „verweinte Augen" an Bunin hervorgehoben und Tschechow ihn ironisch „Monsieur Bouquichon" genannt hat. Doch er grenzt sich sofort von dem Bunin-Bild der anderen ab: „Später hörte ich, Bunin hätte Augen von einem hinreißenden Blau besessen. Ist mir nicht aufgefallen, halte es jedoch für möglich." 5 2 6 Im übrigen sind das Einzelheiten, die diesen Erzähler nicht interessieren. Ihm geht es um die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Bunin, um das, was ihn 1914 angezogen hat, und um die Gegensätze, die mit der Herausbildung seiner weltanschaulich-ästhetischen Ansichten unter dem Einfluß der sozialistischen Revolution zu ihrer Trennung geführt haben. Reicht der Lehrsatz: „Beschreiben Sie!" 5 2 7 , den er von Bunin erhält? Genügt es, die Natur zu beobachten und genau zu beschreiben, z. B. den Hund — „aber genau, konkret, eben diesen und nicht irgendeinen" —, das Mädchen am Strand oderdieBlütenderBignonie? In der Zeit, in der der Erzähler noch von Bunin zu lernen bemüht ist, kann er diese Fragen nicht beantworten. Er muß anerkennen, daß Bunin sehr oft recht hat. Er hat ihn z. B. die Selbständigkeit gelehrt, ohne die keine Kunst entsteht, hat ihm die Augen für das Poetische im Leben geöffnet: „Jedes Ding, das Sie sehen, jedes Gefühl, das Sie empfinden, ist ein Thema für die Poesie. Horchen Sie in sich hinein, machen Sie die Augen auf und schreiben Sie. Doch so, wie Sie selber empfinden und sehen, nicht wie andere, selbst geniale Dichter, vor Ihnen empfunden und gesehen haben." 5 2 8 Einige Ratschläge Bunins hat sich der Erzähler wirklich „fürs Leben eingeprägt": Takt, Genauigkeit, Kürze, Einfachheit als Resultat intensiver Arbeit am Satz, am Wort, das momentane Reagieren auf alle äußeren Reizfaktoren und die Suche nach dem absolut adäquaten sprachlichen Ausdruck dafür. Doch diese Ratschläge müssen wieder in Frage gestellt werden, als das Leben des Ratgebers anachronistisch wird und die Angst vor der Erneuerung durch die Revolution Bunin in die Tragödie treibt. Bunin hat diese Tragödie auf sich zukommen sehen, und der Erzähler merkt, wie ihn dieses Bewußtsein immer ungerechter macht. Hat Bunin vorher an Tschechow und anderen nur Unzulänglichkeiten zu entdecken gesucht, um seine eigene Leistung höher bewerten 186

zu können, so beginnt er die anderen jetzt zu hassen. Dostojewski interpretiert er aus diesem Haß heraus als Quelle und Ursprung „von allem, was über Rußland gekommen ist: Dekadenz, Modernismus, die Revolution . . . " 529 Obzwar er kein Emigrant sein möchte, klammert er sich starrsinnig an die Hoffnung auf ein „Wunder". Aus seinen konterrevolutionären Anschauungen macht er kein Hehl. Lunatscharski schickt ihm eine Schutzurkunde, die sein Leben und Eigentum garantiert, doch er geht außer Landes. Der Erzähler wertet diesen Schritt später so: „Das Kostbarste, was einem Menschen gegeben ist, das Land, in dem er wurzelt, und die Revolution, hatte Bunin für das Linsengericht einer angeblichen Freiheit und Unabhängigkeit fortgeworfen . . ." 530 Bunin hat vielleicht tatsächlich geglaubt, er könnte in Frankreich völlig ungehindert schreiben, vermutlich hat er sogar geschrieben, „wozu es ihn drängte, ungehemmt von moralischen Verpflichtungen, mitunter sogar von den Schranken elementaren Anstands". Auf diese Weise hat er zwar seine Gestaltungsweise weiter vervollkommnen können, doch er „verlor das Unterscheidungsvermögen dafür, welcher Gegenstand den Aufwand seiner künstlerischen Fähigkeiten und seelischen Kräfte wert war . . . Das Beschreiben wurde ihm zur liebgewohnten Beschäftigung, einer Art Geistesgymnastik" 531 . In Majakowski sieht der Erzähler „den Futuristen, Kunstumstürzler und Leader", also „nur das", was er für erwähnenswert hält. Er „erzählt Majakowski", indem er seine Gedichte und Poeme sprechen läßt und Majakowskis Beziehungen zu Block, Mandelstam, Bulgakow und anderen Personen sichtbar macht. Im wesentlichen aber ist die Erzählung auf einen Punkt gerichtet, die Querelen um die Aufführung der Satire Das Schwitzbad im Theater Meyerholds, die Situation des Dichters in den Fesseln der LEF und der RAPP, und den letzten Abend in seinem Leben, die Liebe zu Nora Polonskaja und den Freitod. Der Majakowski, der sein ganzes Leben vorbehaltlos für die Sache der Revolution eingesetzt hat, rückt dabei ein wenig in den Hintergrund. Doch das Leitmotiv des Dichterlebens — „Vorwärts die Zeit!" — überträgt sich mehr und mehr auf den Erzähler. Er ist für ihn mehr als jener „fabelhafte Titel für einen Roman über den Fünfjahrplan" 532 , den ihm Majakowski schenkt. Bunin und Majakowski sind zwei Erscheinungen, die einander ausschließen, doch in der Erinnerung des Erzählers stehen sie „unverrückbar nebeneinander". Bunin hat ihn „das Mädchen beschreiben" gelehrt, seine eigene Lebenser187

fahrung und Weltanschauung veranlassen ihn jedoch, das Mädchen als Heldin der Revolution darzustellen. In der Revolution aber ist Majakowski sein Lehrer: „Beschreiben Sie Magnitogorsk. Vorwärts die Zeit!" Unter diesem neuen Impuls verwandelt sich das „Mädchen aus der Sowpartschule" im Bewußtsein des Erzählers in die Leiterin einer Magnitogorsker Betonarbeiterbrigade. „Bunin und Majakowski — beide waren meine Lehrer. Von beiden lernte ich die Welt sehen. Aber ihre Welten waren verschieden." 533 Damit wirft der Erzähler die Grundfrage des Buches auf — die Frage nach dem Verhältnis des Künstlers zur Wirklichkeit, zur Natur und Gesellschaft. Er kann der Gefahr, daß aus dem perfektionierten Beschreiben eine reine „Geistesgymnastik" wird, entgehen, weil er das Ziel des Beschreibens in der revolutionären Veränderung der Wirklichkeit sieht. Dieses Ziel ist nicht allein durch eine zeitgemäße Themenwahl zu erreichen. Die Geschichten der Klawdija Saremba und des jungen Dichters Rjurik Ptscholkin, eines alter ego des Erzählers, verdeutlichen dies. Aus dem Werkstattbericht über den Roman Der Todesengel geht hervor, wie schwer die Widersprüche des Lebens und der menschlichen Psyche zu ergründen sind und daß die Veränderung der Wirklichkeit den vollen Einsatz der Künstlerpersönlichkeit erfordert. Rjurik Ptscholkin („Ich gab ihm meine leibliche Hülle und mein lebendiges Ich, meinen Namen gab ich ihm nicht, ich wollte kein Mann ohne Schatten werden" 534 ), der sich in Klawdija Saremba verliebt, wird durch einen banalen „Dienstauftrag" daran gehindert, ihr auch seine Liebe zu erklären. Später entläßt ihn der Erzähler kurzerhand aus seinem Bericht. Er sucht aber die Frage zu beantworten, was für ein Mensch diese Heldin der ersten Revolutions- und Aufbaujahre denn eigentlich gewesen ist. Doch es sind nur Bruchstücke ihres Lebens und ihres Wesens, die er reproduzieren kann. Mit der Erzählung Veilchen (1973) griff Katajew wichtige Motive der vorangegangenen Werke und einige ihrer „ungelösten" Fragen auf. Jekaterina Gerassimowna, die vor 1917 unter dem Decknamen „Veilchen" illegale Parteiarbeit geleistet und sich bis ins hohe Alter ihre revolutionäre Aktivität bewahrt hat, scheint aus der Gestalt der Klawdija Saremba hervorgegangen zu sein. Sie ist ein „Kind des Jahrhunderts", dessen Lebensbilanz ebenso positiv ist wie die historische Bilanz der Sowjetgesellschaft sechzig Jahre nach der Oktoberrevolution. Jekaterina empfindet sich als Teil der Geschichte ihres Landes, und dieses Bewußtsein ist die feste Grundlage 188

jener Souveränität, mit der sie ihr Leben gestaltet und die Lebensfragen anderer lösen hilft. Jekaterina weiß jedoch auch um die Widersprüche, von denen historische Bewegungen begleitet werden, und um ihre Auswirkungen auf den einzelnen und die Gesellschaft. Vor allem weiß sie, mit welchen Opfern und unter welchen tragischen Umständen subjektive Fehler und Irrtümer, die in bewegten historischen Prozessen vermutlich unvermeidlich sind, beglichen werden müssen. Sie hat sieh z. B. in Iwan Nowossjolow getäuscht, in ihm lange Zeit nur den „Jungen aus dem Volk" gesehen und nicht zugeben wollen, daß sie sich eine Zeitlang von Klischeevorstellungen, nicht aber von den Realitäten leiten ließ. Dieser Nowossjolow mutet wie eine Weiterentwicklung des „Specht-Menschen" Aalglattkin aus Der beilige Brunnen an. Sicher läßt ihn der Autor nicht zufällig auf der Bahnstation „Heiliger Brunnen" aussteigen, wo Nowossjolow seine ehemalige Frau im Altersheim zu besuchen gedenkt. Nowossjolow ist mit dem' historischen Fortschritt stets nur oberflächlich und peripher verbunden gewesen. In den dreißiger Jahren hat er Jekaterina denunziert und verraten, um seine Karriere nicht zu gefährden, die ihn schließlich in unlösbare ethisch-moralische Verstrickungen führte. Die „Dostojewski-Frage" dieser Erzählung lautet, ob Jekaterina diesem Mann vergeben kann, als er sie am Ende seines Lebens aufsucht, ob sie inhuman handelt, als sie ihn abweist und auch nach seinem Tode nicht bereit ist, ihm zu verzeihen. Fragen, die an die großen philosophischen Probleme in Aitmatows Dsbamila oder Leonows Evgenia Ivanovna erinnern, werden mit großer Offenheit und Konsequenz von Katajew zur Diskussion gestellt. Jekaterina Gerassimowna wirft Nowossjolow nicht den Verrat an ihr vor, sondern den Verrat an den revolutionären Idealen der Epoche und an dem von ihr ersehnten Menschen- und Gesellschaftsbild. Deshalb sieht sie in diesem Mann, den sie in einer „volkstümlerischen" Anwandlung einst mit dem „Menschen der Zukunft" identifiziert hat, einen ideologischen Gegner, einen Feind der sozialistischen Ethik und Moral. Ihre scharfe Reaktion auf die Charakterlosigkeit Nowossjolows schließt aber auch Kritik an ihrer eigenen Inkonsequenz und Vertrauensseligkeit ein. Auch aus dieser Selbstkritik resultiert ihre Überlegenheit über den von Nowossjolow apostrophierten Verzeihungsgedanken des Christentums. Valentin Katajew hat mit der Erzählung Veilchen u. a. auch den 189

Nachweis erbracht, daß seine intensive Suche nach einer Erneuerung der Prosa sich nicht auf formale Neuerungen richtet, wie das nach dem Erscheinen der Erzählung Würfelcben (1969) den Anschein haben konnte. Neu und in ihrer Neuartigkeit überzeugend sind seine geistig-weltanschaulichen Fragestellungen, die er in der positiven „Lebensbilanz" 535 der Jekaterina Gerassimowna aufgeworfen und mit denen er sich aktiv in die großen Auseinandersetzungen der Epoche eingeschaltet hat. Ähnliche Fragen bewegen den Moskauer Juri Trifonow, dessen Erzählungen Im pilyeicben Herbst (1968), Der Tausch (1969), Zwischenbilanz (1970) und Ein langer Abschied (1971) große Diskussionen ausgelöst haben 536 , den Aserbaidshaner Maksud Ibragimbekow {Es gab keinen besseren Bruder, 1973), den Esten Enn Vetemaa (Kleines Requiem für eine Mundbarmonika, 1968), den Wologdaer Fjodor Abramow (Velageja, 1969) und andere sowjetische Erzähler der Gegenwart, die mit Katajew gleichsam im Dialog stehen. Einer seiner profiliertesten Dialogpartner ist zweifellos der Kirgise Tschingis Aitmatow, dessen Erzählungen vom Anfang der siebziger Jahre die Weltgeltung der Sowjetliteratur in hervorragender Weise unter Beweis gestellt haben. In seiner Rede über Shakespeare stellte Tschingis Aitmatow die Frage, wie ein „echter Mensch" sein müsse, was seine höchste Bestimmung sei, worin der Sinn seines Lebens bestehe. Das sind nach Aitmatows Ansicht „jene schlichten und ewigen Probleme, die Shakespeare beschäftigten und die auch uns, seine Nachfahren, ständig bewegen" 537 . Die Suche nach dem Sinn des Lebens, der Ausbruch aus patriarchalischer Enge, das Ringen um Menschenwürde und historische Größe, auch bis zu einem tragischen Ende des einzelnen, das immer wieder erforderliche Sich-in-Übereinstimmung-Bringen mit der, Epoche ist ein Grundthema im Schaffen des kirgisischen Erzählers. Er hat es in Dsbamila, Das Kamelauge, Der erste Lehrer, Das Wiedersehen mit dem Sohn und anderen Werken mehrfach variiert. Die Konfliktlösungen, die Aitmatow in den genannten Erzählungen gefunden hat, bestätigen seinen Gedanken, daß „die uralten Probleme von Humanismus, Gut und Böse, Persönlichkeit und Kollektiv, staatsbürgerlicher Verantwortung und Menschenliebe" sich in der sowjetischen Literatur auf neue Weise stellen, nämlich „in ihrer revolutionären und, wie die Geschichte zeigt, in ihrer wahrhaft menschlichen Bedeutung". 538 Die Erzählung Der weiße Dampfer (1970) ist ganz aus dem Bewußt190

sein der Verantwortung des sozialistischen Schriftstellers vor dem Menschen und der Menschheit entstanden. Sie wird von der Überzeugung getragen, daß die Parteilichkeit und Volksverbundenheit den sozialistischen Künstler dazu verpflichten, den Realismus und Humanismus der Sowjetliteratur durch die Behandlung der wichtigsten Fragen der Epoche ständig weiter zu vertiefen. Gerade der humanistischen Verantwortung des Schriftstellers kommt nach Aitmatows Auffassung gegenwärtig immer mehr Bedeutung zu. „Die humanistische, progressive Literatur unserer Zeit muß dem Menschen seine Größe bewußt machen, ihn daran erinnern, daß er die Größe nicht nur seinem Intellekt und seinen Schöpfungen, sondern der Gesamtheit aller seiner Qualitäten verdankt — früher, in alter Zeit, nannte man das Seele. Und wie mir scheint, ist eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart der Schutz der menschlichen Emotionen vor überflüssiger Rationalisierung, vor dem Pragmatismus, der zum Selbstzweck wurde und, bis zur Absurdität getrieben, sich in das Gegenteil verkehrt."539 Die Erzählung Der weiße Dampfer — J. Lukin sprach von einer „Ballade in Prosa"540, N. Gej von einem „neuen Genre zwischen Gleichnis und Erzählung" 541 — baut auf zwei „Märchen" auf und ist gleichzeitig gegen sie geschrieben: gegen Momuns Märchen von der „Gehörnten Hirschmutter" und gegen das Märchen des Jungen vom „Fisch", der zum „weißen Dampfer" gelangen möchte. Damit beginnt die Erzählung: „Er hatte zwei Märchen. Das eine war sein eigenes, von dem niemand wußte. Das andere pflegte der Großvater zu erzählen. Am Ende blieb kein einziges. Davon soll hier die Rede sein."542 Durch den Spannungsbogen, der zwischen diesen beiden Märchen und der Realität des Lebens entsteht, wird die tiefe Historizität der Erzählung, ihr menschheitsgeschichtlicher Ansatz, verstärkt. Der Junge findet den Tod. Vom Fieber erschöpft und entsetzt vom Anblick des besudelten, entmenschlichten Momun und von den wütenden Axthieben Oroskuls auf den blutigen Kopf der weißen Hirschkuh, tritt er ins Wasser des Flusses und „verwandelt sich in einen Fisch". Mit seinem kindlichen Verstand hat er sicher nicht begriffen, daß beide Märchen an der „Prosa des Lebens" zerschellt sind. Der Erzähler läßt am Ende bewußt einige Fragen offen. Das ist die Frage, ob der Junge gewußt hat, daß „der alte Momun hier zur Sühne für sein Märchen von der Gehörnten Hirschmutter lag, daß er wider seinen Willen das angetastet hatte, was er selbst dem 191

Jungen sein ganzes Leben lang eingegeben — Andenken an die Vorfahren, Gewissen und Vermächtnis . . ," 543 Das ist auch die Frage, ob der Junge gewußt hat, daß er sich „nicht in einen Fisch verwandeln" und „nicht den weißen Dampfer sehen" kann. Historische Erfahrungen werden bekanntlich oft nur durch große Opfer erkauft, historischen Lehren gehen mitunter große Tragödien voraus. Und Tragödien gibt es genug im widerspruchsvollen Prozeß der endgültigen Selbstverwirklichung des Menschen. Der Erzähler und der Leser ergreifen Partei für den Jungen. Darin liegt die „läuternde" Wirkung dieser Tragödie: „Du bist weggeschwommen. Hast nicht auf Kulubek gewartet. Schade . . ." 544 Schade, denn in Wirklichkeit ist der Junge nicht einsam und allein gewesen in seiner San-Tasch-Schlucht, in der abgelegenen Försterei mit den drei Höfen zwischen Fluß, Wald und Bergen, wo die Macht des Forstwarts Oroskul oberstes Gesetz zu sein schien. Der Junge lebt nicht nur im „Kreis der einfachen Dinge", der Steine und Pflanzen, die in seinen Spielen menschliche Eigenschaften annehmen. Er sieht die Felder, Gärten, Siedlungen und Autos, die Milchfarm, die Schule und den Sowchos nicht bloß mit dem Fernglas vom Gipfel des Karaulbergs. In ihm ist das Erbe der Vergangenheit aufgehoben, die „positive Patriarchalität" S45, wie A. Metschenko sagt. Das pulsierende Leben in seinem Land, die Wärme seiner Menschen begegnet ihm in Kulubek, der ein „Bugu" ist wie er und nach der Entlassung aus dem Armeedienst im Sowchos als Kraftfahrer arbeitet. Der Junge trägt das Abzeichen, das ihm Kulubek geschenkt hat. Er vollbringt „Heldentaten", als er Kulubek und seinen Genossen während des Schneesturms helfen kann: „Kühnheit und Entschlossenheit erfüllten sein Herz. Er fühlte sich mächtig und unbesiegbar, . . . vollbrachte . . . Heldentaten, die einem den Atem verschlugen. Er sprang über Abgründe von Berg zu Berg, schlug mit dem Schwert auf feindliche Heerscharen ein, rettete Verbrennende aus dem Feuer und Ertrinkende aus dem Fluß . . . " 546 Mit Kulubek und seinen Freunden findet der Junge das Leben „schön" und „interessant", pocht ihm das Herz „vor Freude und Stolz". Als Kulubek von ihm spricht, weiß der Junge: Das ist „der stärkste, kühnste und schönste von diesen Burschen. So einer möchte er werden!" 5 4 7 Doch er hat „nicht auf Kulubek gewartet". Daraus ergibt sich die besonders zugespitzte, novellenhafte Situation des Jungen. Auf einem ganz schmalen Raum und innerhalb einer extrem kurzen 192

Zeitspanne muß sich das Kind entscheiden. Der Konflikt aber ist der des Menschen überhaupt. Wie ist die Ausgangssituation des Henri Quatre? „Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer." 548 Bei Aitmatow heißt es: „Und die Berge standen so gewaltig und grenzenlos. Der Junge fühlte sich in diesem Augenblick sehr klein, sehr einsam, ganz verloren. Nur er und die Berge, Berge, überall hohe Berge." 549 Und der Blick durch das Fernglas trügt ihn. Die Steine wirken „groß", die menschlichen Behausungen „wie Spielzeugschächtelchen", der Dampfer auf dem Issyk-Kul „lang, gewaltig, schön". Um sich in dieser Welt zurechtzufinden, Zusammenhänge und Widersprüche zwischen Realem und Idealem, objektiven Tatbeständen und subjektiver Sicht, individueller Güte und gesellschaftlicher Macht zu begreifen, braucht man Erfahrungen, persönliche sowie gesellschaftliche, geschichtliche Erfahrungen. Kulubek und seine Genossen verfügen über solche Erfahrungen, der Junge aber nicht. Er klammert sich an die Märchen. Nicht alle Märchen sind für das reine kindliche Bewußtsein gefährlich. Das Märchen vom Däumling Tschypalak z. B., ein „lustiges" Märchen, belastet die Seele des Jungen nicht. Doch das „traurige" Märchen des Großvaters, das Märchen von der Gehörnten Hirschmutter, und sein Märchen vom Fisch und vom weißen Dampfer werden ihm zum Verhängnis. Nicht weil sie a priori falsch oder schlecht wären, wirken sie so, sondern weil sie verkehrt interpretiert werden und von dem Jungen in seiner besonderen Situation nicht an der Praxis überprüft, nicht an der gesellschaftlichen Erfahrung relativiert werden können. Das Märchen von der Gehörnten Hirschmutter weist eine tiefe Beziehung zum biblischen Mythos von der Erschaffung des Menschen auf.550 Das „paradiesische" Leben endet zu dem Zeitpunkt, wo Reichtum und Hoffart die Bugus zur Überschreitung des „göttlichen" Gebotes führen. Die Gehörnte Hirschmutter zürnt den Bugus, weil sie die Marale töten, und verläßt daraufhin Kirgisien. Für den Erzähler ist das ein realistischer Ansatz für den Gedanken, daß der Sozialismus die Vorzüge seines Gesellschaftssystems nutzen muß, um das Verhältnis von Mensch und Natur menschheitsgeschichtlich neuartig und vorwärtsweisend zu lösen. 551 Momun interpretiert die Märchen auf seine Art, vor allem das Vermächtnis der Hirschmutter, „im Leben und im Gedenken Freundschaft zu halten". Er ist nicht nur ständig bereit, „zu helfen und gefällig zu sein", sondern ist „demütig" und „unverbesserlich gut", 13 Kasper. Sowj Erzählung

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gehorcht ohne Widerspruch. Er ist nicht ein bißchen „listig" wie der Däumling in dem „lustigen" Märchen, der seinem Widersacher, dem Wolf, selbst dann noch zu schaffen macht, als er in dessen Bauch sitzt. Nur ein einziges Mal lehnt sich Momun gegen seinen Widersacher Oroskul auf, meutert der „Rührige Momun". Doch das ist nur ein kurzes Aufflackern menschlicher Würde, jenes „Menschseins", um das der Erzähler ringt. Gleich darauf kommt bei Momun die absolute Selbsterniedrigung. Der Junge sieht den Bewahrer des Märchens vom „paradiesischen" Leben und von den guten Menschen „wie einen ergebenen Hund, den sein Herr verprügelt hat, hinterhertrippeln". Das schwache, demütige Gute wird mit Füßen getreten, die „Philosophie der Passivität" 5 5 2 hält der Überprüfung am Leben nicht stand. Der Junge aber wächst über den Bewahrer der Tradition hinaus, sucht sie nicht nur aufzuheben, sondern auch ihren für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit produktiven Kern zu bewahren und zu verteidigen. Ihn quält „das Bewußtsein der eigenen Hilflosigkeit". Deshalb erträumt er „Formen der Rache", ruft er „in Gedanken" Kulubek zu Hilfe und geht gemeinsam mit ihm daran, Oroskul zu vertreiben. Der Junge träumt davon, die Macht des Guten zu gebrauchen. In seinem Traum offenbart sich die volle Dialektik von individueller Güte und gesellschaftlicher Macht, individueller Macht und dem aktiven Humanismus der sozialistischen Gesellschaft. Im Traum ist der Junge stärker als sein Großvater im Leben. Im Leben des Jungen spielt jedoch das Märchen vom Fisch die größere Rolle. Wie soll auch ein Kind, das von den geschiedenen Eltern zurückgelassen wird und mit sieben Jahren in die erste Klasse kommt, die Gefahren erkennen, die in diesem Märchen verborgen sind? Der Fluß gehört zu seinem Erfahrungsbereich, in ihm badet er ohne jeden Argwohn, vor allem seit Großvater das Planschbecken gebaut hat. Sein Wunsch, sich in einen Fisch zu verwandeln und davonzuschwimmen, hängt mit seiner Sehnsucht nach dem weißen Dampfer zusammen. Auf ihm glaubt er den Vater zu finden, Menschen zu finden, für die er kein „Fremder" ist, die nicht nur „gut", sondern auch „stark" sind. Diese Sehnsucht verurteilt der Erzähler nicht. Ohne sie würde das „Rationale" und „Pragmatische" die Seele beherrschen, und das wäre zu wenig. Doch die Sehnsucht darf sich nicht nur auf den „weißen Dampfer", das Streben der Menschen nicht nur auf das Ideale richten. „Nach dem Märchen" — diesen ursprünglichen Untertitel der Erzählung 5 5 3 setzte Aitmatow 194

nach den ersten Diskussionen um die Erzählung an die Spitze, als die Buchausgabe vorbereitet wurde: „Nach dem Märchen (Der weiße Dampfer)". Im Text der Erzählung gibt es eine Stelle, die den tiefen Sinn dieser Korrektur verdeutlicht: „Für den Jungen "war es jetzt an der Zeit, sich für seine Fahrt auf Vaters Dampfer ein Ende auszudenken. Alles war sehr schön geraten, bloß der Schluß wollte nicht glücken. Wie er sich in einen Fisch verwandelt, wie er durch den Fluß zum See schwimmt, wie ihm der weiße Dampfer entgegenkommt und wie er dem Vater begegnet, konnte er sich leicht vorstellen. Auch alles, was er dem Vater erzählt. Aber weiter kam er nicht . . . Der Dampfer fuhr davon und verschwand. Damit war auch das Märchen vom weißen Dampfer zu Ende . . . " 5 5 4 Der Junge kann nicht weiterkommen, kann noch nicht den „Kreis der einfachen Dinge", den Kreis der Märchen überspringen. Doch was er tun kann, geschieht. Er „verwirft", womit sich sein „kindliches Herz" nicht abfinden kann, und bestätigt damit — „wie der Keim im Samenkorn" — die Kraft des Menschen, der für das Gute und Menschliche den Kampf aufnimmt. Wie der Erzähler betont, ist das ein „ewiges" Gesetz, das in dem kurzen Dasein des Jungen, der „wie ein Blitz gelebt" hat, seinen Ausdruck findet. Die Antwort darauf, was „nach dem Märchen" geschieht, muß aber vom Leser gefunden werden, genauso wie er das „philosophische Gleichnis" und die „soziale Analyse" 5 5 5 zueinander in Beziehung setzen muß. Aitmatow entgegnete auf den Vorwurf des Kasachen Alimshanow, die Erzählung ende „ausweglos" 5 5 6 , er habe sich der Methode der indirekten Beweisführung bedient, nach dem tragischen Schluß bleibe der Leser, dessen Gefühle und Gedanken auch durch das Erlebnis einer Niederlage zum „Kampf für die Wahrheit" 5 5 7 aktiviert werden können. Die tragisch endende Auflehnung des Kindes ist ein überzeugendes Gleichnis für den Gedanken des aktiven Humanismus, wie ihn Aitmatow versteht: „Der sozialistische Humanismus ist aktiv: Die Künstler sind nicht nur gütig zu den Menschen, sie fordern auch etwas von ihnen, denn sie glauben daran, daß der Mensch die Welt und sich selbst zu verändern vermag. Der Held in den Büchern unserer Schriftsteller will Einfluß nehmen auf die .Umstände'. Das ist meines Erachtens einer der Hauptvorzüge der Sowjetliteratur." 5 5 8 Tschingis Aitmatow weiß um den Einfluß der Literatur auf das Fühlen und Denken, das Bewußtsein, die ganze Persönlichkeit. Literatur und Kunst schaffen nach seiner Ansicht „Modelle, nach 13»

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welchen später Millionen Menschen ihr Leben formen" 559 . Solche realistischen Abbilder des Lebens zeigen den Menschen in seiner ganzen Vielschichtigkeit, die Vielfalt seiner Beziehungen zur Wirklichkeit. Lew Arutjunow hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Gestalt des Jungen in Aitmatows Erzählung uns nicht nur auf einer künstlerischen Ebene entgegentritt, daß sie als „reale" Gestalt tragisch zugrunde geht, als „allegorische" Gestalt die prinzipielle Möglichkeit und Notwendigkeit des Ausbruchs aus dem patriarchalischen Bewußtsein verkörpert und schließlich auch ein allgemeingültiges Moralgesetz symbolisiert, das menschheitsgeschichtliche Dimensionen aufweist. 560 Aitmatows Erzählungen setzen voraus, daß der Leser keine Anstrengungen scheut und vielfältige individuelle und gesellschaftliche Erfahrungen in den Rezeptionsprozeß einbringt. Nach der Ansicht Aitmatows tragen Schriftsteller und Leser nur dann zum moralischen Fortschritt der Menschheit bei, wenn sie sich selbst immer neue Fragen stellen und konstruktive Antworten auf sie zu finden suchen. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß Aitmatow mit der Erzählung Frühe Kraniche (1975) die ethisch-moralischen Grundfragen aus Der weiße Dampfer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Der fünfzehnjährige Sultanmurat verläßt im Kriegswinter 1943 die siebente Klasse der Dorfschule, um mit vier gleichaltrigen Klassenkameraden Pflüger zu werden, die gefallenen oder an der Front stehenden Väter zu ersetzen, den Hungernden Brot zu geben. Obwohl die Vorgänge in der neuen Erzählung Aitmatows im sozialen und historischen Bereich konkreter lokalisiert sind als in dem vorausgegangenen Werk, ist der Anspruch des Kirgisen, ein menschheitsgeschichtliches Gleichnis zu schaffen, nicht weniger evident. Das wird schon an den drei Vorsprüchen zu der Erzählung sichtbar, dem Zitat aus dem kirgisischen Volkslied, das von der ewigen Faszination der Liebe singt, dem altindischen Vers von der Hoffnung des Menschen, zu ernten, was er gesät hat, und nicht zuletzt in dem Spruch aus dem Buch Hiob: „Kam ein Bote zu Hiob und sprach: . . . und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts . . ." 561 Noch mehr aber offenbart der Inhalt der Erzählung Aitmatows feste Überzeugung, daß der Weg der Menschheit zum historischen Fortschritt von einer Vielzahl erschütternder Tragödien markiert wird, die das humanitäre Streben und den Schöpferdrang des Menschen jedoch nicht vernichten und seinen Willen zur 196

kämpferischen Auseinandersetzung mit seiner Lebenswirklichkeit nicht zerbrechen können. Sultanmurat muß an den Krieg denken, ob Inkamal-Apai, die Lehrerin, in der Geographiestunde von Ceylon berichtet oder die Bewohner des Ails sich zusammenfinden, um des gefallenen Vaters von Anatai zu gedenken. Alles, was vor dem Krieg war, „erscheint ihm wie eine ganz andere Welt" 562 . Einst hat diese andere Welt sein Leben ausgefüllt. Das war, als Vater beim Kanalbau Stachanowarbeiter wurde oder ihn später zum erstenmal mit nach Dshambul nahm. Durch diese Ereignisse hatte er sich damals fest mit dem ganzen Land verbunden gefühlt. Inzwischen hat der Krieg alle Erinnerungen überschattet. Daß er in einem noch höheren Maße die. Verbundenheit aller mit dem Land und seinem Schicksal erfordert, wird Sultanmurat im Winter 1943 bewußt. Als der Kolchosvorsitzende Tynalijew den Jungen klarmacht, daß sie gebraucht werden, damit das Land den Feind besiegen kann, noch mehr aber in der Stunde der Trauer um den gefallenen Vater Anatais begreift der Fünfzehnjährige, welch große Verantwortung ihm auferlegt \yordcn ist. Danach spielt er nicht nur den „Kommandeur" der AksaiBrigade, sondern bereitet sich und seine Freunde mit einem bis dahin unbekannten Ernst auf die Feldarbeiten vor, die mit dem Beginn des Frühjahrs einsetzen sollen. Der Streit mit Anatai wegen des Tüchleins von Myrsagul, der ihm kurz zuvor noch als eine „Prüfung", ein Kampf auf Leben und Tod erschien, verliert für ihn jede Bedeutung, nachdem er die größeren Zusammenhänge zwischen seinem Leben und dem Weg seines Landes und der Menschheit begriffen hat. Große Teile der Erzählung sind der aufkeimenden Liebe zwischen Sultanmurat und Myrsagul gewidmet. Das sind die „hellen" Farben in dem von Aitmatow gezeichneten Lebensbild, die an die emotional gespannte Atmosphäre erinnern, in der die Gefühle Djuschka Tjagunows aus Wladimir Tendrjakows Erzählung Verwandlungs spiele des Frühlings reifen. In einem scharfen Kontrast dazu stehen die „düsteren" Farben: der Überfall der beiden Pferdediebe auf die nach langer Feldarbeit erschöpften Jungen, das brutale Besitzstreben dieser beiden Verbrecher, die wohl nicht zufällig gesichtsund namenlos bleiben und lediglich dadurch charakterisiert werden, daß sie den Wert des Geldes höher ansetzen als den Wert des Menschen. Sultanmurat weiß, als die Verbrecher in dem ungleichen Kampf, 197

den er aufgenommen hat, sein Pferd getötet haben, daß manche Hoffnung sich nun nicht mehr erfüllen wird: „Nun würden Adshimurat und er nicht nach dem Bahnhof reiten und Vater auf seinem Pferd Tschadbar empfangen. Nun würden sie auf dem Aksai nicht soviel Getreide anbauen können, wie es nötig gewesen wäre. Und es würde auch jenen Freuden- und Feiertag nicht geben, an dem sie von den Aksai-Feldern mit spiegelblanken Pflugscharen heimkehren. Und sie (Myrsagul — K. K.) . . . würde nicht seinen Einzug in den Ail bewundern und auf ihn stolz sein können . . ." 563 Doch das Bewußtsein seiner Verantwortung ist stärker als die Enttäuschung und Verzweiflung. Sultanmurat gibt den Kampf auch dann nicht auf, als der alte Wolf, vom Blut des Pferdes angelockt, zum Sprung ansetzt. Der Junge ist bereit, mit Zaumzeug und Trense, seinen einzigen Waffen neben seiner geistig-weltanschaulichen Haltung und seinen ethisch-moralischen Überzeugungen, den Kampf aufzunehmen. Er glaubt auch an die symbolische Bedeutung der frühen Kraniche, die er beim Pflügen beobachtet hat: „Es wird eine gute Ernte geben!" 564 Aitmatow hat in den Erzählungen Der weiße Dampfer und Frühe Kraniche tatsächlich Fragen gestellt, die „höchste moralische Maßstäbe setzen", weil sie sich „an sozialen und geistigen Errungenschaften der Menschheit insgesamt orientieren".565 In seinem 1972 gemeinsam mit dem kasachischen Schriftsteller Kaltai Muhamedshanow verfaßten Drama Der Aufstieg auf den Fudschijama wird dieser Gedanke in der Interpretation deutlich, die der Geschichtslehrer Mambet dem Gedicht Was tut der Mensch, um Mensch sein? gibt: „Unsere soziale Erfahrung erlaubt uns, bereits im Namen aller, im Namen des ganzen Menschengeschlechts zu sprechen. Schließlich hat noch niemand, noch keine Gesellschaft einen solchen Weg zurückgelegt wie wir . . . " 566

Das Bild der Zeit

Die multinationale sowjetische Erzählung war nicht nur ein „Tropfen" im „Ozean" der Literatur, wie Aitmatow formulierte, sondern in dem untersuchten Zeitraum von 1945 bis 1975 zuweilen sogar ein besonders scharf geschliffener Spiegel, der — auf einen prägnanten Punkt konzentriert — das Bild der Zeit außergewöhnlich deutlich reflektierte.567 Darin bestätigt sich ein Gedanke Thomas Manns, der in seinem Versuch über Tschechow darauf hinwies, daß die Erzählung, das Kurze und Knappe, trotz des ihm innewohnenden Zwanges zur Beschränkung „die ganze Fülle des Lebens in sich aufnehmen, sich durchaus zu epischem Range erheben . . . kann" 568 . In den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Großen Vaterländischen Krieges brachte gerade die Erzählung den menschheitsgeschichtlichen Anspruch der Sowjetliteratur in hoher künstlerischer Qualität zum Ausdruck. Autoren wie Konstantin Paustowski und Andrej Platonow, die bereits in den dreißiger Jahren als Erzähler wertvolle Erfahrungen hatten sammeln können, erkannten nach 1945 die großen Möglichkeiten des kleinen Genres zu künstlerischen Verallgemeinerungen „im Unions- und Weltmaßstab". Paustowskis poetisches Prinzip, das „Ungewöhnliche" im „Gewöhnlichen" zu entdecken, erwies sich bei der Gestaltung der Wechselbeziehungen von Gesellschaft und Persönlichkeit als außerordentlich produktiv. Paustowski und Platonow verstanden den realen Humanismus des Sozialismus als universales Programm der Persönlichkeitsformung und Menschheitserziehung. Die ideelle und ästhetische Gemeinsamkeit dieser beiden Erzähler erwuchs aus ihrem kritisch-fordernden Verhältnis zueinander. Sie übten einen nachhaltigen Einfluß auf jüngere Prosaiker wie Juri Nagibin und Sergej Antonow aus. Diese Autoren, die erst nach dem Krieg zu schreiben begannen, vermochten ebenfalls anregend zu wirken. Nagibins Stärke lag in der Erkundung der verborgenen, noch unerschlossenen 199

Möglichkeiten der Persönlichkeit. Antonow interessierte die Subjektrolle des Individuums in den sozialen Prozessen. Beiden gelang es, reale Widersprüche tiefer zu erfassen. Sie erkannten auch ihre besondere Rolle für das Genre der Erzählung — als Grundlage eines konfliktreichen Sujets, als Aufgabe für den literarischen Charakter und als Denkanstoß für den Leser. Wladimir Tendrjakow und Galina Nikolajewa prägten diese Züge der Erzählung noch weiter aus und verstärkten den sozialen Problemgehalt des kleinen Genres. Gerade diesen Autoren gelang es in einem besonderen Maße, den Leser und das gesellschaftliche Bewußtsein zu aktivieren. Nikolajewas Orientierung auf die Darstellung des Menschen „als soziales Wesen mit dem ganzen Reichtum und der Fülle seines Handelns, seiner Gefühle und Gedanken" war von Bedeutung für die Entwicklung der gesamten Sowjetliteratur. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre gehörten Erzählungen von Michail Scholochow, Tschingis Aitmatow, Alexander Twardowski und Wera Panowa zu den Werken, in denen neue Züge des Gesellschafts- und Menschenbildes den höheren Reifegrad des sozialistischen Realismus erkennen ließen. Diese Autoren verstanden es, die Taten sowjetischer Menschen in Krieg und Frieden in ihrer welthistorischen Tragweite sichtbar zu machen, und schufen eindrucksvolle „epochale Charaktere". Sie veränderten das Verhältnis von Aktion und Reflexion in der Erzählung und erhöhten die Funktion des Details durch seine „Poetisierung" und „Historisierung". Sie motivierten das Verhalten ihrer Helden sozial und historisch als repräsentativ für nationale, sozialistische und. allgemeinmenschliche Normen. Insbesondere zeigte das Schaffen von Scholochow, Aitmatow, Twardowski und Panowa, welche Bedeutung das mit überzeugenden Konfliktlösungen verbundene Erfassen des literarischen Charakters als „Grundkomponente realistischen Erzählens" hat. In verschiedenen nationalen Literaturen der UdSSR trat gerade im Genre der Erzählung gegen Ende der fünfziger Jahre die neue Qualität der sozial determinierten höheren gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen als geschichtlich bedeutsamer sozialistischer Inhalt des Nationalen stärker hervor. Als die Sowjetunion Ende der fünfziger Jahre in die Phase der entwickelten sozialistischen Gesellschaft eintrat, leistete die Erzählung einen hervorragenden Beitrag zur Diskussion des Moralkodex der kommunistischen Persönlichkeit. Die Erzählungen aus

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der ersten Hälfte der sechziger Jahre wiesen eine unübersehbare Tendenz zum „Gespräch" mit dem Leser und zur gründlichen sozialen Erkundung auf. Das veränderte auch die Erzählweise erfahrener Autoren wie Sergej Antonow, Emmanuil Kasakewitsch und Galina Nikolajewa. Die genannte Tendenz prägte aber auch das Schaffen von Schriftstellern, die erst in diesem Zeitraum mit Erzählungen hervorzutreten begannen. So ließen z. B. die Werke von Georgi Wladimow, I. Grekowa und Vytautas Petkevicius erkennen, in welchem Maße in der Sowjetgesellschaft das Verhältnis des Menschen zur Arbeit bereits generell zum entscheidenden Maßstab der Persönlichkeit geworden war. Erzähler wie Leonid Leonow und Grigori Baklanow maßen die Konflikte ihrer Helden an den Koordinaten der Epoche und stellten dem Zwang zur Enthumanisierung, der die Wirklichkeit und die Kunst des Imperialismus beherrscht, den humanistischen Anspruch der Sowjetliteratur in besonders markanter Weise entgegen. Mitte der sechziger Jahre wurde die Bewegung des Lebens, der Fortschritt in der Entwicklung von Gesellschaft und Persönlichkeit, eindrucksvoll von solchen Erzählungen reflektiert, in denen die Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis fünfzig Jahre nach dem Roten Oktober sowie neuartige Beziehungen zwischen Stadt und Land, Mensch und Natur im reifen Sozialismus gestaltet wurden. Theoretische und praktische Erfahrungen Paustowskis und Twardowskis regten Schriftsteller wie Wassili Axjonow, Wiktor Konezki, Andrej Bitow, Daniii Granin, Juri Kasakow, Wiktor Lichonossow, Georgi Semjonow und Wassili Below zu intensiveren und extensiveren Wirklichkeitsbeziehungen an und förderten die bereits in den vierziger und fünfziger Jahren sich anbahnende genremäßige „Offenheit" der sowjetischen Erzählung weiterhin. Im literarischen Gesamtprozeß dieses Zeitraums waren Erzählungen immer dann herausragende Erscheinungen, wenn sie den Leser befähigten, die beschleunigten gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse besser zu begreifen, tiefer in ihre Widersprüche einzudringen und mutiger Wege zu ihrer Lösung zu suchen. Manche Fragestellung Granins, Semjonows, Belows und anderer Erzähler hing auch mit dem um die Mitte der sechziger Jahre zunehmenden Interesse der Gesellschaft an den Traditionen und Erfahrungen der nationalen Geschichte und des revolutionären Weges des Sowjetvolkes zusammen. Dieser Bezug trat Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre im Zusammenhang mit dem fünf201

zigsten Jahrestag der Oktoberrevolution und dem Jubiläum der Gründung der UdSSR noch deutlicher hervor. Die Aufhebung und "Weiterführung nationaler Traditionen im Verein mit der Ausbildung übernationaler sozialistischer Gemeinsamkeiten wurde in •diesem Zeitraum für die sowjetische Erzählung zum Hauptgegenstand. Dadurch erhielt sie z. B. im Schaffen von Sain Muratbekow, Fasliddin Muchammadijew, Anatol Kudrawez, Hryhir Tjutjunnyk, Fasil Iskander, Hrant Matewosjan, Evalds Vilks und Wassili Schukschin einen großen Zuwachs an künstlerisch reproduzierter sozialer und historischer Erfahrung. Ihre Reife äußerte sich auch darin, daß immer mehr Vertreter der rund fünfundsiebzig nationalen Sowjetliteraturen im Bereich des kleinen Genres internationale Ausstrahlung erlangten. Ihnen gelang es, nationale Stoffe aus der Perspektive der fortschrittlichsten Tendenzen der Menschheitsentwicklung aufzuarbeiten. Dabei standen Probleme der „inneren Reife" des Menschen als eine für die Schaffung des Kommunismus erstrangige sittliche Größe im Vordergrund variantenreicher Konfliktlösungen. Die Tendenz zur Zyklisierung von Erzählungen um bestimmte Typen, Gestaltengruppen, Milieus oder Themenkreise, wie sie z. B. im Schaffen von Iskander, Matewosjan oder Schukschin auftrat, erwies sich als ansprechendes Verfahren zur gründlichen Analyse der Wirklichkeit. Damit stellte die Erzählung ebenso wie der sowjetische Roman dieser Zeit (Abramow, Simonow, Salygin, Markow, Lipatow, Bondarew, Fomenko u. a.) ihre Fähigkeit unter Beweis, durch ständige Erneuerung der Beziehungen zur Lebenswirklichkeit neue Elemente der Produktivität des Genres zu entwickeln. In den siebziger Jahren war das wachsende Verantwortungsbewußtsein des Menschen im gesellschaftlichen und persönlichen Bereich ein zentrales Problem der sowjetischen Erzählung. Autoren wie Wiktor Astafjew, Wassil Bykau, Paul Kuusberg, Jewgeni Nossow, Valentin Katajew und Tschingis Aitmatow griffen unter diesem Aspekt Probleme der Verwirklichung der ethisch-moralischenNormen des Kommunismus als menschheitsgeschichtlich bedeutsame Fragestellungen auf. Sie untersuchten die realen Möglichkeiten des Zeitgenossen zur großen humanistischen Tat, schufen Parabeln eines hohen sittlichen Verhaltens, arbeiteten die Lehren der Geschichte weiter auf und machten dabei die großen Anstrengungen sichtbar, die notwendig sind, damit die Menschheit, unter Einschluß härtester Prüfungen und tragischer Opfer, auf dem Weg zu wahrer Humanität 202

weiter voranschreiten kann. Probleme von größter Aktualität, wie z. B. das Verhältnis von Gesellschaft und Persönlichkeit, sozialem Fortschritt und wissenschaftlich-technischer Revolution, Mensch und Technik, Mensch und Natur wurden von den sowjetischen Erzählern als weltbewegende ethisch-moralische Fragen aufgefaßt und ausgewogen dargestellt. Vielen von ihnen gelang es, Weltprobleme „in ihrer revolutionären und . . . wahrhaft menschlichen Bedeutung" 569 zu gestalten.

Anmerkungen

Abkürzungen Aitmatow, Abschied Gesichter Katajew, Gras Lenin MEW Nacht Ninov Soskin

1 2 3 4 5 6 7 8

9

T. Aitmatow: Abschied von Gülsary. Der weiße Dampfer. Über Literatur. Berlin 1974. Gesichter des Krieges. Der Große Vaterländische Krieg im Spiegel sowjetischer Prosa. Berlin-Weimar 1970. V. Katajew: Das Gras des Vergessens. Berlin 1969. W . I. Lenin: Werke, Bd. 1 - 4 0 u. 2 Erg.-Bde. Berlin 1959-1972. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 1 - 3 9 (u. 2 Erg.-Bde., 2 Verz.-Bde.) Berlin 1957-1968. Die Nacht des Kosmonauten. Zwanzig Erzählungen aus dreizehn Sowjetrepubliken. Berlin-Weimar 1975. A. Ninov: Sovremennyi rasskaz. Leningrad 1969. A. Soskin: Vozmoznosti zanra. In: Zvezda (1953) 3.

S. M. Tretjakow: Lyrik. Dramatik. Prosa. Leipzig 1972, S. 195. Aitmatow, Abschied, S. 327. V. Oskockij: Zacem ze krajnosti? In: Literaturnaja gazeta vom 10. 1. 1973. Ja. £l'sberg: S siloj vzryva. In: Literaturnaja gazeta vom 27. 7. 1973. M . Cudakova/A. Cudakov: . . . i togda prichodit povest'. In: Literaturnaja gazeta vom 29. 8. 1973. Vremja sinteza? In: Literaturnaja gazeta vom 31. 10.1973. C. Ajtmatov: Bez kapli net okeana. In: Literaturnaja gazeta vom 5. 12. 1973. A. Cicerin: Vozniknovenie romana-epopei. Moskva 1958; Puti razvitija sovremennogo sovetskogo romana. Moskva 1961; M. Kuznecov: Sovetskij roman. Moskva 1963; Istorija russkogo-sovetskogo romana. Moskva-Leningrad 1965; Sovetskij roman, ego teorija i istorija. Bibliograficeskij ukazatel'. 1917—1964.Leningrad 1966; A. Bucys: Romanasir dabartis.Lietuviu tarybinio romano raida iki 1970 m. Vilnius 1973 u. a. T. Zamorij: Sovremennyi russkij rasskaz. Kiev 1968; M. Romenec: Problema gumanizma v sovremennom russkom rasskaze. Char'kov 1969; A. Ninov: Sovremennyi rasskaz (1956—1966). Leningrad 1969; Russkij sovetskij rasskaz.

204

Ocerki istorii zanra. Leningrad 1970; A. Ognev: O poetike sovremennogo russkogo rasskaza. Saratov 1973; Subin: Sovremennyi russkij rasskaz. Leningrad 1974 u. a. 10 Sovremennaja russkaja sovetskaja povest'. Leningrad 1975. 11 Istorija sovetskoj mnogonacional'noj literatury. Bd. 1—6. Moskva 1970—74. 12 A. Metcenko: Vremja. Pisatel'. Literaturnyj process. In: Nas sovremennik 17 (1973) 4, S. 175. 13 Vgl. L. I. Timofeev: Osnovy teorii literatury. Moskva 1971, S. 358ff. 14 L. I. Timofeev/S. V. Turaev: Slovar' literaturovedceskich terminov. Moskva 1974, S. 309. 15 Vgl. A. A. Reformatskij: Opyt analiza novellisticeskoj kompozicii. Moskva 1922; M. A. Petrovskij: Morfologija novelly. In: Ars poetica. T. 1. Moskva 1927; B. M. ßjchenbaum: O'Genri i teorija novelly: In: ders.: Literatura. Leningrad 1927; V. B. Sklovskij: Teorija prozy. Moskva 1929; den Artikel Novella von M. Junovic. In: Literaturnaja enciklopedija. Bd. 8. Moskva 1934; L. I. Timofeev: Teorija literatury. Moskva 1934; V. Goffensefer: Sud'by novelly. In: Literaturnyj kritik 1935, 11; I. fiventov: Vozvysenie novelly. In: Literaturnyj sovremennik 1935, 12. 16 In dem postum veröffentlichten Buch I. A. Vinogradovs: Bor'ba za stil'. Leningrad 1937. Neuabdruck in: Ders: Voprosy marksistskoj poetiki. Moskva 1972; Vinogradov gebraucht „Novelle" als Synonym für „Erzählung". 17 I. A. Vinogradov: Voprosy marksistskoj poetiki. Moskva 1972, S. 241. 18 Ebenda, S. 298. 19 Ebenda, S. 301 f. 20 Ebenda, S. 302f. 21 Ebenda, S. 305. 22 Ebenda, S. 306. 23 Zanr korotkogo rasskaza. In: Literaturnaja gazeta vom 31. 3.1945. 24 B. fijchenbaum: O proze. Leningrad 1969, S. 365. 25 Ebenda, S. 366. 26 Ebenda, S. 367. 27 K. Paustovskij: Rasskazy. Ocerki i publicistika. Stat'i i vystuplenija po voprosam literatury i iskusstva. Moskva 1972, S. 372. 28 Ebenda, S. 374. 29 Ebenda, S. 376. 30 Ebenda, S. 381. 31 Vgl. E. Aleksanjan: Konstantin Paustovskij — novellist. Moskva 1969, S. 86ff. 32 K. Paustovskij: Rasskazy. Ocerki i publicistika. Stat'i i vystuplenija po voprosam literatury i iskusstva. Moskva 1972, S. 374. 33 K. Paustowski: Jenseits des Regenbogens. Erzählungen. Berlin-Weimar 1968, S. 239. 34 V. Grecnev, in: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970, S. 546. 35 E. Aleksanjan: Konstantin Paustovskij — novellist. Moskva 1969, S. 102.

205

36 Ion Dru(ä: Vlast' chudoznika. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 8. Moskva 1968, S. 336. 37 K . Paustowski: Jenseits des Regenbogens. Erzählungen. Berlin-Weimar 1968, S. 296. 38 Ebenda, S. 307. 39 Ebenda, S. 308. 40 L. Subin: Andrej Platonov. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 8. Moskva 1968, S. 316. 41 A. Platonov: Razmyslenija citatelja. Moskva 1970, S. 35. 42 Ebenda, S. 36. 43 So Barbara Hiller in: Geschichte der russischen Sowjetliteratur. Bd. 1. Berlin 1973, S. 418. 44 A. Platonov: Razmyslenija citatelja. Moskva 1970, S. 166, 171. 45 Stephan Hermlin: Lektüre. In: Sinn und Form 22 (1970) 1, S. 223. 46 A. Platonov: Razmyslenija citatelja. Moskva 1970, S. 118f. 47 Vgl. V. Dorofeev: Vorwort zu A. Platonov: V prekrasnom i jarostnom mire. Moskva 1965, S. 33. 48 Alle Zitate aus der Erzählung wurden vom Verfasser übersetzt nach: A. Platonov: V prekrasnom i jarostnom mire. Moskva 1965, S. 581—597. 49 V. Dorofeev: Vorwort zu A. Platonov: V prekrasnom i jarostnom mire. Moskva 1965, S. 32f. 50 L. Subin: Andrej Platonov: In: Literatura i sovremennost'. Bd. 8. Moskva 1969, S. 296. 51 V. Amlinskij: Jurij Nagibin. Literaturnyj portret. In: Literaturnaja gazeta vom 14. 1.1970. 52 J . Nagibin: Kurz über mich. In: Sowjetliteratur 26 (1974) 8, S. 30. 53 Ebenda, S. 31. 54 Ebenda, S. 30. 55 J . Nagibin: Izbrannye proizvedenija v 2 tt. Bd. 1. Moskva 1973, S. 43. 56 Ebenda, S. 48. 57 Ebenda, S. 49. 58 Ebenda, S. 51. 59 A. Pavlovskij. In: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970. S. 591. 60 S. Antonov: Pis'ma o rasskaze. Moskva 1964, S. 93. 61 Ebenda, S. 94. 62 Ebenda, S. 160. 63 T. P. Zamorij: Sovremennyj russkij rasskaz. Kiev 1969, S. 109. 64 S. Antonov: Pis'ma o rasskaze. Moskva 1964, S. 163. 65 Antonow hat sich in einem Gespräch auf der Allunionstagung junger Schriftsteller entschieden gegen diesen Terminus und seinen Inhalt ausgesprochen. 66 Ninov, S. 212. 67 S. Antonov: Po dorogam idut masiny. Moskva 1951, S. 32. 68 Ninov, S. 214.

206

69 Irmtraud Gutschke: Des Menschen Schöpferkraft. Begegnung mit dem Schriftsteller Sergej Antonow. In: Neues Deutschland vom 22.10.1971. 70 Soskin, S. 145-158. 71 K. Barskaja/M. Sneerson: Za osvoenie masterstva. In: Zvezda 29 (1953) 3, S. 159-168. 72 L. Gladkovskaja: Sovetskij rasskaz. In: Ebenda, S. 169—175. 73 Soskin, S. 146. 74 Vgl. L. Sejfullina: Neobchodimoe i lisnee. In: Novyj mir 26 (1950) 12. 75 M. Gorki: Über Literatur. Berlin-Weimar 1968, S. 370. 76 Soskin, S. 147. 77 R. Bersadskij: Odarennyj novellist i ego zabluzdenija. In: Novyj mit 24 (1948) 7. 78 A. Makarov: Poezija obyknovennoj zizni. In: Znamja 20 (1950) 12. 79 Soskin, S. 150. 80 Vgl. V. Panova:Neskol'ko slov o technologii nasego remesla. In: Literaturnaja gazeta vom 8. 8. 1950; S. Antonov: Mysli o rasskaze. In: Literatumaja gazeta vom 24.11.1951. 81 Soskin, S. 158. 82 L. Gladkovskaja: Sovetskij rasskaz. In: Zvezda 29 (1953) 3, S. 169-175. 83 Ebenda, S. 175. 84 Ebenda. 85 A. Tvardovskij: Sobranie socinenij v 5 tomach. Bd. 5. Moskva 1971, S. 381. 86 Ebenda, S. 382. 87 V. Oveckin: „Lavulirujuscie". In: Stat'i, dnevniki, pis'ma. Moskva 1972, S. lOf. 88 Ebenda, S. 12. 89 Preodolet' otstavanie dramaturgii. In: Pravda vom 7. 4. 1952. 90 A. Surkow: Einige Probleme der Entwicklung der Sowjetliteratur. In: Beiträge zum sozialistischen Realismus. Berlin 1953, S. 220. 91 K. Simonow: Probleme der Entwicklung der Prosa. In: Kunst und Literatur 3 (1955) 2, S. 221. 92 A. Tvardovskij: Stat'i i zametki o literature. Moskva 1963, S. 244. 93 Otto Gotsche: Er will verändern. In: Die Parteilichkeit des Schriftstellers von heute. Berlin 1959, S. 161. 94 Je mehr Leser ein Schriftsteller hat. In: Sonntag Nr. 30/1958. 95 V. Oveckin: „Lavulirujuscie". In: Stat'i, dnevniki, pis'ma. Moskva 1972, S. 130. 96 Ebenda, S. 374. 97 Ebenda, S. 23. 98 A. Pavlovskij: In: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970, S. 582f. 99 I. Solov'eva: Problemy i proza. Zametki o tvorcestve V. Tendrjakova. In: Novyj mir 38 (1962) 7. 100 Ninov, S. 238. 101 Ebenda, S. 254f.

207

102 R. Nedosekin: Glazami postoronnego nabljudatelja. In: Moskorskij komsomolec vom 17. 7.1954. 103 V. Dorofeev: Duchovnyj mir geroja. In: Komsomol'skaja pravdavom23.10. 1954. 104 A. Petrosjan: O dogmatizme v kritike. In: Russkaja sovetskaja literatura 1954-1955 gg. Moskva 1956, S. 218. 105 Ebenda, S. 224. 106 Vgl. dazu auch B. Sutschkow: Historische Schicksale des Realismus. Berlin-Weimar 1972, S. 392f. 107 V. Tendrjakov: Ucitel'. In: Literaturnaja gazeta vom 31. 5. 1967. 108 V. Sugaev: „Ne pozvoljaj duse lenit'sja! . . . " In: Literaturnaja gazeta vom 9.1.1974. 109 G. Nikolajewa: Über die Spezifik der schöngeistigen Literatur (Bemerkungen eines Schriftstellers). In: Kunst und Literatur 2 (1954) 3, S. 401. 110 Ebenda, S. 407. 111 MEW, Erg.-Bd., Teil 1, S. 541. 112 G. Nikolajewa: Über die Spezifik der schöngeistigen Literatur (Bemerkungen eines Schriftstellers). In: Kunst und Literatur 2 (1954) 3, S. 410. 113 Ebenda, S. 411. 114 A. Surkow: Stand und Aufgaben der Sowjetliteratur. In: Kunst und Literatur 3 (1955) 2, S. 202. 115 K. Simonow: Probleme der Entwicklung der Prosa. In: Ebenda, S. 229—231. 116 Ebenda, S. 233. 117 Bol'soj Charakter ili 'srednij' celovek (Briefwechsel zwischen S. Dmitricenko und G. Nikolaeva). In: Literaturnaja gazeta vom 18. 10.1955. 118 G. Nikolajewa: Das Geständnis. Berlin 1956, S. 70. 119 Ebenda, S. 70f. 120 Ebenda, S. 93. 121 Ebenda, S. 92. 122 M. Kuznecov: Russkaja sovetskaja proza 1954 goda. In: Russkaja sovetskaja literatura 1954-1955 gg. Moskva 1956, S. 31. 123 Z. Kedrina: Literatura vtorgaetsja v zizn'. In: Ebenda, S. 140. 124 V. Oveckin: „Lavulirujuscie". In: Stat'i, dnevniki, pis'ma. Moskva 1972, S. 15. 125 Ebenda. S. 52. 126 In einem Brief an seinen Sohn Walentin vom 26. 8. 1955 sprach Owetschkin z. B. von einem „Meisterwerk", das „im Sujet und in den Charakteren völlig originell" sei — vgl. ebenda, S. 322f. 127 Ebenda, S. 55f. 128 A. Fadeev: Pis'ma 1916-1956. Moskva 1967, S. 666. 129 L. Sobolew: Die Gegenwart und ihr Held. In: Kunst und Literatur, 7(1959) 3, S. 247. 130 Tretij s-ezd pisatelej SSSR. Stenograficeskij otcet. Moskva 1959, S. 14. 131 M. Kokta: O krasote celoveceskoj. In: Pod-em 2 (1958) 4, S. 185.

208

132 133 134 135 136 137 138 139' 140 141 142 143 144

M. Scholochow: Erzählungen und Publizistik. Berlin 1967, S. 288. Vgl.L. Jakimenko: Tvorcestvo M. A. Solochova. Moskva 1964, S. 800. M. Scholochow: Erzählungen und Publizistik. Berlin 1967, S. 49. Ebenda, S. 50. Ebenda, S. 56. Ebenda, S. 57. Ebenda, S. 56. Ebenda, S. 57. Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 71. Ebenda, S. 67. Ebenda, S. 73. Vgl. D. Blagoj: Sedevr socialisticeskogo realizma. In: Tvorcestvo M. A. Solochova. Moskva 1964, S. 152. 145 A. Chvatov: Chudozestvennyj mir Solochova. Moskva 1970, S. 355. 146 J. Lukin: Das Schicksal und der Charakter eines Menschen. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur (1959) 16, S. 97. 147 M. Sojfer: Masterstvo Solochova. Taschkent 1961, S. 302f, 148 A. Vaclavík: Iskusstvo psichologiceskogo analiza v tvorcestve Michaila Solochova. Praha 1962, S. 100. 149 D. Blagoj: Sedevr socialisticeskogo realizma. In: Tvorcestvo M. A. Solochova. Moskva 1964, S. 149. 150 M. Scholochow: Erzählungen und Publizistik. Berlin 1967, S. 55. 151 Ebenda, S. 90. 152 B.Suckov: Sovremennye aspekty teorii socialisticeskogo realizma. In: Voprosy literatury 18 (1974) 5, S. 11. 153 Vgl. Istorija sovetskoj mnogonacional'noj literatury. Bd. 4, Moskva 1972, S. 468f. 154 Aitmatow, Abschied, S. 369. 155 Ebenda, S. 370. 156 Ebenda, S. 372. 157 M. Auesow: Eine widerstandsfähige Rasse. In: Preis des Sieges. Sowjetische Kriegserzählungen. Hg. v. K. Kasper. Berlin 1975, S. 247. 158 Des Menschen Flügel ist das Pferd (Gespräch zwischen T. Aitmatow und N. Thun). In: Sonntag Nr. 40/1968. 159 Ebenda. 160 Ebenda. 161 Vgl. L. Aragon: Samaja prekrasnaja povest' o ljubvi v mire. In: Kul'tura i zizn' (1959) 7, S. 13. 162 Vystuplenie 1969.

Cingiza

Ajtmatova. In:

Literaturnaja gazeta vom 17. 12.

163 Ebenda. 164 Alexej Tolstoi: Der russische Charakter. In: Ders.: Bund der Fünf und andere Erzählungen. Berlin 1953, S. 381. 14

Kasper, Sowj. Erzählung

209

165 Vgl. A. Kondratovic: O proze Tvardovskogo. In: Novyj mir 50 (1974) 2, S. 227ff. 166 A. Tvardovskij: Sobranie socinenij v 5 tt. Bd. 5. Moskva 1971, S. 90f. 167 Ebenda, Bd. 4. Moskva 1967, S. 471. 168 A. Makarov: Proza Tvardovskogo. In: Literaturnaja gazeta vom 9. 2. 1960. 169 V. Panova: Nemnogo o sebe i svoej rabote. In: Dies.: Zametki literato ra. Leningrad 1972, S. 23. 170 E . Kal'manovskij:

Stil'

otvecajuscij

vremeni.

In:

Sovetskaja

literatura

nasich dnej. Moskva-Leningrad 1961, S. 214ff. 171 Z. Boguslavskaja: Vera Panova. Ocetk tvorcestva. Moskva 1963, S. 191ff. 172 L. Skorino:

Tak Ii prost 'prostoj celovek'? In: 2izn'. Geroj. Literatura.

Moskva 1961, S. 326. 173 L . Plot kin: Tvorcestvo Very Panovoj. Moskva-Leningrad 1962, S. 177ff. 174 Gesichter, S. 70. 175 Ebenda. 176 L . Plotkin: Tvorcestvo Very Panovoj. Moskva-Leningrad 1962, S. 178. 177 Gesichter, S. 78. 178 Ebenda, S. 80. 179 Ebenda, S. 95. 180 Ebenda, S. 108. 181 Z. Boguslavskaja: Vera Panova. Ocerk tvorcestva. Moskva 1963, S. 194. 182 Ebenda, S. 188; vgl. dazu auch F. Kuznecov, Nravstvennaja atmosfera vremeni, In: 2izn'. Geroj. Literatura* Moskva 1961, S. 586f. 183 J. Nagibin: Zanr — ne uslovnost'. In: Literaturnaja gazeta vom 22. 12. 1959. 184 V. Panova: Zametki literatora. Leningrad 1972, S. 30. 185 Vgl. dazu A. P. Butenko: Die Sowjetunion auf dem Wege zum Kommunismus. In: Einheit 30 (1975) 6, S. 610. 186 Vgl. Programm und Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Berlin 1961, S. 1 1 1 - 1 1 6 . 187 L . Sobolev: Sovetskaja literatura i vospitanie novogo celoveka. In: Literaturnaja gazeta vom 4. 3 . 1 9 6 5 . Sobolews Formulierung lehnt sich an den Roman Tritt ein in jedes Haus (1960) von J. Malzew an. 188 Vgl. E. Doros: Estestvennost' prozy. In: Voprosy literatury 11 (1967) 2, S. 126ff. 189 S. Antonow: Leerfahrt. In: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 307. 190 Ebenda, S. 382f. 191 Ebenda, S. 303. 192 G. Brovman: Nravstvennye kriterii i chudozestvennaja koncepcija. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 6. Moskva 1965, S. 325. 193 S. Antonow: Leerfahrt. In: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 275. 194 Ebenda, S. 301. 195 A. Tvardovskij: Sobranie socinenij v 6 tt. Bd. 5. Moskva 1971, S. 357f.

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196 £ . Kazakevic: Neizvestnyestranicy. In:Literaturnajagazeta vom 11. 1. 1967. 197 G . Brovman: Problemy i geroi sovremennoj prozy. Moskva 1966, S. 256. 198 E . Kasakewitsch: Im Licht des Tages. In: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 35. 199 £ . Kazakevic: Neizvestnye stranicy. In: Literaturnaja gazeta vom 11. 1. 1967. 200 E . Kasakewitsch: Im Licht des Tages. In: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 31 f. 201 Ebenda, S. 52. 202 Ebenda, S. 53. 203 A. Kogan: Prodolzaja razgovor . . . In: Literatura i sovremennost'. Bd. 6. Moskva 1965, S. 301f. 204 E . Kasakewitsch: Im Licht des Tages. In: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 53. 205 G. Brovman: Problemy i geroi sovremennoj prozy. Moskva 1966, S. 258. 206 G. Nikolaeva: Nas sad. Moskva 1966, S. 11. 207 Ebenda, S. 17. 208 Ebenda, S. 32. 209 Ebenda, S. 73. 210 Ebenda, S. 84. 211 Ebenda. 212 Ebenda, S. 85. 213 Ebenda, S. 86. 214 G . Nikolaeva: V celoveke ne bez euda. Moskva 1963, S. 131. 215 Ebenda, S. 132. 216 Ebenda, S. 179. 217 Bol'soj Charakter ili 'srednij' celovek? I n : Literaturnaja gazeta vom 18. 10. 1955. 218 L. Sobolev: Sovetskaja literatura i vospitanie novogo celoveka. I n : Literaturnaja gazeta vom 4. 3. 1965. 219 M E W , Bd. 20, Berlin 1962, S. 444. 220 L . Sobolev: Sovetskaja literatura i vospitanie novogo celoveka. I n : Literaturnaja gazeta vom 4. 3. 1965. 221 E . Starikova: 2izn' i gibel' sofera Pronjakina. I n : Znamja 32 (1962) 1, S. 211. 222 F. Swetow: Der Moralkodex des Helden. In: Kunst und Literatur 10 (1962) 7, S. 672. 223 Ebenda, S. 791. 224 Vgl. N. Thun: Nachwort zu: Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963, S. 548. 225 A. Marcenko: Putesestvija i vozvrascenija. Zametki o sovremennoj proze. In: Voprosy literatury 8 (1964) 5, S. 1 8 - 3 8 , 226 M. V. Romenec: Problema gumanizma v sovremennom russkom rasskaze. Char'kov 1969, S. 57. 227 Vgl. J . Nagibin: Rezension zu: Stancija pervoj ljubvi. I n : Znamja 32 (1962) 4, S. 2 1 6 - 2 1 9 . 14*

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F. Levin: Otkrytie. In: Literatura i sovcemennost'. Bd. 6. Moskva 1965, S. 332. I. Grekowa: Ein Sommer in der Stadt. Erzählungen. Berlin 1972. S. 7. Ebenda, S. 31. Vgl. Ninov, S. 268. Ebenda, S. 258. I. Grekowa: Ein Sommer in der Stadt. Erzählungen. Berlin 1972, S. 40. Ebenda, S. 44. A. Tvardovskij: O literature. Moskva 1973, S. 377. Nacht, S. 449. Ebenda, S. 454. V. Petkevicius in: Druzba narodov 34 (1972) 12, S. 37. W. Stscherbina: Der Mensch und die Menschheit. In: Kunst und Literatur 10 (1962) 10, S. 1001. Sterneriflug und Apfelblüte. Berlin 1963, S. 264. Diskussion über Humanismus in der modernen Literatur. In: Sowjetliteratur 14(1962) 10, S. 161-173. K. Simonov: Razgovor s tovariscami. Moskva 1970, S. 155. M. Solochov: Po veleniju dusi. Moskva 1970, S. 315. Cetvertyj s-ezd pisatelej SSSR. Stenograficeskij otcet. Moskva 1968, S. 12. G. Baklanov: O nasem prizvanii. Moskva 1972, S. 109. G. Baklanov: Po samomu strogomu scetu. In: Novyj mir 43 (1967) 11, S. 220. Ebenda. Literatura i podvig naroda (Gespräch mit I. Kozlov). In: Literaturnaja gazeta vom 22. 2.1967. Ebenda. Dostoinstvo i muzestvo mirnych dnej (Gespräch G. Baklanovs mit V. Pomazneva). In: Literaturnaja gazeta vom 7. 8.1974. G. Baklanov: Kaplja, v kotoroj mir. In: Ders.: O nasem prizvanii. Moskva 1972, S. 41. G. Baklanov: Byl mesjac maj. In: Ebenda, S. 28. Gesichter, S. 325. Ebenda, S. 324. Marlen Chuciev: Sbyvseesja ozidanie. In: G. Baklanov: Byl mesjac maj. Mosskva 1971, S. 101. Gesichter, S. 336. Auf daß die Menschheit lebe. In: Sowjetliteratur 17 (1965) 9, S. 138. G. Baklanov: Byl mesjac maj. Kak voznik etot sjuzet. In: Ders.: O nasem prizvanii. Moskva 1972, S. 29. L. Leonov: Literatura i vremja. Moskva 1967, S. 306f. Ebenda, S. 307. Ebenda, S. 214. L. Leonov: Po koordinatam zizni. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 7. Moskva 1967, S. 355.

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L.Leonow: Erzählungen. Berlin 1967, S. 673f. Interview mit L. Leonow. In: Der Bücherkarren (1969) 4, S. 4. L. Leonow: Erzählungen. Berlin 1967, S. 623. Leonid Leonow über Kunst. In: Sowjetliteratur 17 (1965) 4, S. 155f. Ebenda. V. Kovalev: Realizm vyssej tocnosti. In: Russkaja literatura 12 (1969) 2, S. 76. 269 L. Leonow: Erzählungen. Berlin 1967, S. 614. 270 Ebenda, S. 620. 271 Vgl. N. P. Ljul'ko: Leonovskoe slovo („Evgenia Ivanovna"). In: Tvorcestvo Leonida Leonova. Leningrad 1969, S. 242ff. 272 L. Leonow: Erzählungen. Berlin 1967, S. 673. 273 Ebenda, S. 642. 274 Ebenda, S. 694. 275 L. Leonov: Po koordinatam zizni. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 7. Moskva 1967, S. 359. 276 L.Leonow: Erzählungen. Berlin 1967, S. 693; der abschließende Vergleich wurde vom Verfasser nach dem Original übersetzt. 277 Ebenda. 278 L. Leonov: Literatura i vremja. Moskva 1967, S. 222f. 279 Ebenda, S. 327. 288 A. Tvardovskij: Sobranie socinenij v 5 tt. Bd. 4. Moskva 1967, S. 226f. 281 Ebenda, Bd. 3, S. 89. 282 K. Paustovskij: Izbrannaja proza. Moskva 1965, S. 4. 283 Ebenda, S. 3. 284 V. Aksenov: Mnedorogi su'dby romana. In: Literaturnaja gazeta vom 27. 8. 1963. 285 V. Aksenov: Katapul'ta. Rasskazy i povest'. Moskva 1964, S. 41. 286 Ebenda, S. 45. 287 Nedostovernaja dostovernost'. In: Literaturnaja gazeta vom 20. 3.1974. 288 M. Cudakova/A. Cudakov: Iskusstvo celogo. Zametki o sovremennom rasskaze. In: Novyj mir 39 (1963) 2, S. 249. 289 Vgl. G. Brovman: Problemy i geroi sovremennoj prozy. Moskva 1966,S. 201. 290 A. Makarov: Iduscim vosled. Moskva 1969, S. 680. 291 W. Axjonow: Genosse Prachtmütze. Erzählungen. Berlin 1966, S. 56. 292 L. Anninskij: Tak prosto, cto ne veritsja. In: Voprosy literatury 9 (1965)10, S. 36. 293 Ebenda, S. 39. 294 F. Levin: Dejstvitel'no — ne veritsja. In: Ebenda, S. 46. 295 A. Makarov: Iduscim vosled. Moskva 1969, S. 680. 296 V. Solov'ev: Sud'baceloveka v zanre rasskaza. In: Junost* 20(1974) 10, S. 71. 297 Nedostovernaja dostovernost'. In: Literaturnaja gazeta vom 20.3.1974: „ . . . der Schriftsteller muß vor allem seinen Leser sehen. Davon bin ich überzeugt. Ihn muß er formen. Aktiv " 213

298 Die Größe der Arbeitstaten des sowjetischen Volkes würdig darstellen. In: Neues Deutschland vom 13.1. 1965. 299 V. Aksenov: Skola prozy. In: Voprosy literatury 13 (1969) 7, S. 85. 300 S. Zalygin: Literatumye zaboty. Moskva 1972, S. 147. 301 V. Aksenov: Skola prozy. In: Voprosy literatury 13 (1969) 7, S. 85. 302 Vgl. die Diskussion in: Ebenda, S. 5 5 - 9 3 . 303 Vgl. V. Koneckij: Iz knigi putevych zametok. In: Ebenda 19 (1975) 9, S. 166-182. 304 W. Konezki: Salziges Eis. Berlin 1971, S. 128f. 305 V. Koneckij: Solenyj led. Leningrad 1969, S. 308. 306 Vgl. dazu auch V. Akimov: Cto otkryvaet 'putevaja proza'? In: V nacale 70-ch. Leningrad 1973, S. 135f. 307 I. Kuz'micev: O proze Viktora Koneckogo. In: V. Koneckij: Povesti i rasskazy. Leningrad 1970, S. 388. 308 Tretij s-ezd pisatelej RSFSR. Moskva 1972, S. 180. 309 V. Koneckij: Iz knigi putevych zametok. In: Voprosy literatury 19 (1975) 9, S. 174. 310 B. Bursov: Vecernye dumy. In: Liter at ura i sovremennost'. Bd. 9. Moskva 1969, S. 214. 311 A. Bitov in: Sowjetliteratur 20 (1968) 1, S. 204. 312 I. Zolotusskij: Teplo dobra. Moskva 1970, S. 193. 313 Subin in: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970, S. 673—675. 314 A. Bitov in: Literaturnaja Rossija vom 21. 8. 1964 und vom 25. 9. 1964. 315 A. Bitov: Granicy zanra. In: Voprosy literatury 13 (1969) 7, S. 74. 316 A. Marcenko: „ Metalliceskij vkus podlinnosti . . . " und V. Sacharov: Alchimija prozy. In: Literaturnaja gazeta vom 3. 10. 1973. 317 A. Bitov: Uroki Armenii. Sentimental'noe putesestvie. In: Druzba narodov 22 (1960) 9, S. 226. 318 Ebenda, S. 193f. 319 J.ßl'sberg: Kul'turaperezivanija. In:Literaturnoeobozrenie 1(1973) 10, S.4U 320 A. Bitov in: Literaturnaja Rossija vom 21. 8. und vom 25. 9. 1964. 321 Astrid Kloock: Gespräch mit D. Granin am 30. 5. 1969. In: Der Bücherkarren 6/1969. 322 Irmtraud Gutschke: Gespräch mit D. Granin. In: Neues Deutschland vom 17.9.1972. 323 D. Granin: Garten der Steine. Reisebilder. Berlin 1973, S. 213. 324 Ebenda, S. 212. 325 Ebenda, S. 210. 326 Ebenda, S. 270f. 327 Nachdenken über sich und über die Welt. Mit Daniil Granin sprach Irmtraud Gutschke. In: Neues Deutschland vom 2. 3. 1974. 328 D. Granin: Garten der Steine. Reisebilder. Berlin 1973, S. 398. 329 M. Prisvin: Izbrannye proizvedenija v 2 tt. Bd. 2. Moskva 1972, S. 226. 330 A. Tvardovskij: O literature. Moskva 1973, S. 373.

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J. Kasakow: Gespräch mit Ernst Dotnhof. In: Der Bücherkarren 2/1968. Vgl. Molodye o sebe. In: Voprosy literatury 6 (1962) 9, S. 134f. Christa Wolf: Vorwort. In: J. Kasakow: Larifari. Berlin 1966, S. 5. Ebenda, S. 7. Gespräch mit Ernst Dornhof. In: Der Bücherkarren 2/1968. J. Kazakov: Severnyj dnevnik. Moskva 1973, S. 65. A. Ninov: Ljudi severnogo kraja. In: Literaturnaja gazeta vom 13. 3. 1974. J. Kazakov: Severnyj dnevnik. Moskva 1973, S. 117. Ebenda, S. 204. Ebenda, S. 202. Ebenda, S. 204. J. Kazakov in: V. Lichonosov: Golosa v risine. Moskva 1967, S. 7. Vgl. S. Surtakov: O glavnom celoveke na zemle. In: Literaturnaja gazeta vom 5.12.1967. V. Lichonosov : Golosa v risine. Moskva 1967, S. 332. Ebenda, S. 326. M. R o s c i n : . . . i choroso, i grustno. In: Literaturnaja gazeta vom 26. 7. 1967. V. Lichonosov : Golosa v risine. Moskva 1967, S. 334. M. Roscin: . . . i choroso, i grustno. In: Literaturnaja gazeta vom 26. 7.1967. V. Lichonosov: Golosa v risine. Moskva 1967, S. 14. Ebenda, S. 131. Vgl. D. Zukov: Samoe kolybel'noe. O tvorcestve Viktora Lichonosova In: Nas sovremennik 18 (1974) 4, S. 168f. V. AstaPev: Cistaja dusa. In: V. Lichonosov: Cistye glaza. Moskva 1973, S. 526. V. Kamnjanov: Ne dobrotoj edinoj . . . In: Literatumaja gazeta vom 22.11. 1967. V. Kozinov: Pravota ljubvi. In: Literaturnaja gazeta vom 26. 8.1970. V. Lichonosov : Golosa v risine. Moskva 1967, S. 330. Gespräch mit Annegret Herzberg. In: Sonntag Nr. 51/1973. A. Rekemcuk: Da ne oskudeet. In: Voprosy literatury 13 (1969) 7, S. 92. G. Semjonow : Der klingende Mond. Berlin-Weimar 1971, S. 16. Skol'ko raz podnimat' mesok? Dialog zwischen Lev Anninskij und Georgij Semenov. In: Literaturnaja gazeta vom 16. 1. 1974. Ebenda. Abends nach dem Regen. Moderne sowjetische Erzählungen. Berlin-Weimar 1969, S. 67f. G. Brovman: Problemy i geroi sovremennoj prozy. Moskva 1966, S. 238. F. Kuznecov: Otcij rodnik. In: Komsomol'skaja pravda vom 23. 7.1965. È . Subin in: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970, S. 630f. Zit. nach L. Emel'janov: Edinica izmerenija. In: Nas sovremennik 17 (1973) 10, S. 176. V. Belov : Derevenskaja tema obscenacional'na. In : Druzba narodo v 32 (1970) 9, S. 254.

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I. Zolotusskij: Teplo dobra. In: Literaturnaja gazeta vom 24.1. 1968. V. Belov: Za tremja volokami. Povest' i rasskazy. Moskva 1968, S. 239. Ebenda, S. 213. I. Zolotusskij: Teplo dobra. In: Literaturnaja gazeta vom 24.1. 1968. V. Belov: Za tremja volokami. Povest' i rasskazy. Moskva 1968, S. 350. V. Gusev: O, pamjat' serdca . . . In: Literaturnaja gazeta vom 17.7.1968. E. Nosov: Zadolami, zalesami. Rasskazy i povest'. Moskva 1967, S. 100. Vgl. dazu auch J. fil'sberg: Literatura — priroda — kul'tura. In: Kontekst. 1972. Moskva 1973, S. 260-275. Auch in Belows Erzählungen Mein Leben und Erhebung nacb Doktor Spok (beide 1974) geht dieser „Dialog" weiter; vgl. dazu Ju. Seleznev: Sovremennost' tradicii. In: Nas sovremennik 18 (1974) 11, S. 162—172. V. Belov: Sel'skie povesti. Moskva 1971, S. 319. J. fil'sberg: Bogatstvo zizni ili 'zizn' ducha'? In: Literaturnaja gazeta vom 9. 7.1969. S. Zalygin: Rasskaz i rasskazcik. In: Literaturnye zaboty. Moskva 1972, S. 132. Vgl. Klepikova: Ot byta k eposu. In: Kriticeskij ezegodnik „Sovremennika". 1971, Moskva 1973, S. 259f. V. Belov: Sel'skie povesti. Moskva 1971, S. 319. J. El'sberg: Literatura — priroda — kul'tura. In: Kontekst. 1972. Moskva 1973, S. 261. M. Prisvin: Izbrannye proizvedenija v 2 tt. Bd. 2, Moskva 1972, S. 227. Lenin, Erg.-Bd. Berlin 1971, S.211. Rechenschaftsbericht des ZK der KPdSU an den XXIV. Parteitag der KPdSU, Moskau-Berlin 1971, S. 103f. L. I. Breshnew: Unser Kurs: Frieden und Sozialismus! Moskau 1975, S. 327. Geschichte der russischen Sowjetliteratur. Bd. 2: 1941—1967. Berlin 1975. S. 408. G. Markov: Sovetskaja literatura v bor'be za kommunizm. In: Literaturnaja gazeta vom 30. 6.1971. Vgl. dazu P. Sermuchamedov: Vybor geroja. In: Druzba narodov 34 (1972) 7, S. 262. Nacht, S. 303. N. Rovenskij rezensiert Muratbekovs Erzählungsband Dom molodycb, AlmaAta 1969 in: Druzba narodow 33 (1971) 4, S. 273f. G. Markov: Sovetskaja literatura v bor'be za kommunizm. In: Literaturnaja gazeta vom 30. 6.1971. Nacht, S. 414. J.Bryl': Pervyj ekzamen. In: Druzba narodov 31 (1969) 3, S.248. Nacht, S. 194. Störche über den Sümpfen. Belorussische Erzähler. Berlin 1971. S. 450. Vgl. V. Doncik: Primety sinteza i mnogomernosti. In: Edinstvo. Moskva 1972, S. 278f. 216

397 V. Lysenko: Rezension über den Sammelband „Derevej". In: Druzba narodov 32 (1970) 2, S. 266f. 398 V. Doncik: Primety sinteza i mnogomernosti. In: Edinstvo. Moskva 1972, S. 279. 399 Nacht, S. 341. 400 Lew Arutjunow: Über Iskander. In: Sonntag (1967) 39. 401 J. Él'sberg: Diapazony tvorcestva. In: Literaturnoe obozrenie 3 (1975)9, S. 27. 402 Die verbotene Frucht. Erzählungen über Kinder. Berlin 1972, S. 111. 403 Ebenda, S. 145. 404 I. Grekova: Pod znakom kozlotura. In: Literaturnaja gazeta vom 15. 11. 1966. 405 Nacht, S. 177. 406 Lew Arutjunow: Über Iskander. In: Sonntag (1967) 39. 407 Ebenda. 408 V. Solov'ev: Sud'ba celoveka v zanre rasskaza. In: Junost' 20 (1974) 10, S. 73. 409 S. Agababjan: Kritika v otstuplenii. In: Druzba narodov 32 (1970) 10, S. 261. 410 H. Matewosjan: Das Schelmenstück der Hammeldiebe. Berlin 1969, S. 7. 411 Zit. nach A. Bucis: Paralleli i peresecenija. In: Druzba narodow 34 (1972) 11, S. 250. 412 S. Agababjan: Novoe ésteticeskoe kacestvo armjanskoj literatury. In: Edinstvó. Moskva 1972, S. 139f. 413 Vgl.L. Terakopjan: Raznoobrazie krasok i resenij. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 10. Moskva 1970, S. 287. 414 H. Matewosjan: Das Schelmenstück der Hammeldiebe. Berlin 1969, S. 18. 415 Suren Gaissarjan: Über Hrant Matewosjan. In: Sowjetliteratur 25 (1973) 4, S. 115f. 416 H. Matewosjan: Das Schelmenstück der Hammeldiebe. Berlin 1969, S. 19. 417 Ebenda, S. 28. 418 Ebenda, S. 29. 419 Ebenda, S. 27. 420 L. Arutjunov: Nacional'nyj mir i celovek. In: Sovetskaja literatura i mirovoj literaturnyj process. Izobrazenie celoveka. Moskva 1972, S. 198. 421 Zit. nach S. Gaissarjan: Über Hrant Matewosjan. In: Sowjetliteratur 25 (1973) 4, S. 116. 422 Nacht, S. 373. 423 Ebenda, S. 386. 424 H. Matewosjan: Das Schelmenstück der Hammeldiebe. Berlin 1969, S. 302. 425 Aitmatow, Abschied, S. 353. 426 Ebenda. 427 E . Vilks: Regen im Dezember. Berlin-Weimar 1973, S. 128. 428 H. Krempien: Nachbemerkung. In: Ebenda, S. 201. 429 É. Vilks: Prosloe i nastojascee. In: Druzba narodov 32 (1970) 9, S. 256.

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430 E . Vilks: Regen im Dezember. Berlin-Weimar 1973, S. 96f. 431 H. Conrad: Rezension über „Regen im Dezember. In: Weimarer Beiträge 21 (1975) 1, S. 149. 432 A. Cakovskij in: Literaturnaja gazeta vom 9.10.1974. 433 L. Emel'janov: Edinica izmerenija. Zametki o proze Vasilija Suksina. In: Nas sovremennik 17 (1973) 10, S. 177f. 434 Begriffe wie „Dorfthema", „Dorfliteratur" usw. sind überhaupt unscharf und falsch — vgl. dazu das Rundtischgespräch: Novoe selo — novye geroi. In: Literaturnaja gazeta vom 23. 10.1974. 435 Subin in: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970. S. 636. 436 V. Suksin: Besedy pri jasnoj lune. Rasskazy. Moskva 1974, S. 312. 437 Ebenda. 438 Ebenda, S. 313. 439 A. Marcenko: Iz kniznogo raja . . . In: Voprosy literatury 13 (1969) 4, S. 67. 440 Zit. nach L. Emel'janov: Edinica izmerenija. Zametki o proze Vasilija Suk j sina. In: Nas sovremennik 17 (1973) 10, S. 179. 441 Nacht, S. 244. 442 Zit. nach L. Emel'janov: Edinica izmerenija. Zametki o proze Vasilija Suksina. In: Nas sovremennik 17 (1973) 10, S. 181. 443 G. Brovman: Problemy i geroi sovremennoj prozy. Moskva 1966, S. 193f. 444 G. Brovman: Talant i napravlenie. Moskva 1971, S. 225ff. 445 „Bewegung" ist für V. Suksin das „Grundgesetz" des Films und der Literatur — vgl. V. Suksin: Kak ja ponimaju rasskaz. In: Literaturnaja Rossija vom 20.11.1964. 446 V. Suksin: Tam, vdali. Rasskazy, povest'. Moskva 1968, S. 232. 447 Ebenda, S. 236. 448 Ebenda. 449 Vgl. E . Subin in: Russkij sovetskij rasskaz. Leningrad 1970, S. 638. 450 V. Kantorovic: Novye tipy, novyj slovar', novye otnosenija. In: Kriticeskij ezegodnik „Sovremennika" — 1971. Moskva 1973, S. 254. 451 Vgl. J . El'sberg: Byt i duchovnaja zizn'. In: Literaturnaja gazeta vom 11. 12. 1968; Stil' Gor'kogo i stilevye iskanija sovetskoj prozy. Moskva 1968; S siloj vzryva. In: Literaturnaja gazeta vom 27. 7. 1973. 452 V. Suksin: Vozrazenija po suscestvu. In: Voprosy literatury 18 (1974) 7, S. 86. 453 V. Suksin: Besedy pri jasnoj lune. Rasskazy. Moskva 1974, S. 17. 454 Zit. nach V. Kantorovic: Novye tipy, novyj slovar', novye otnosenija. In: Kriticeskij ezegodnik „Sovremennika" — 1971. Moskva 1973, S. 247. 455 V. Suksin: Besedy pri jasnoj lune. Rasskazy. Moskva 1974, S. 9. 456 Ebenda, S. 18. 457 Rechenschaftsbericht des Z K der KPdSU an den X X I V . Parteitag der KPdSU. Moskau-Berlin 1971, S. 112. 458 Literatura, rozdennaja bratstvom. In: Literaturnaja gazeta vom 15. 11. 1972.

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459 Rechenschaftsbericht des Z K der KPdSU an den X X I V . Parteitag der KPdSU. Moskau-Berlin 1971, S. 114. 460 Der X X I V . Parteitag der KPdSU und die Entwicklung der marxistisch-lem1nistischen Theorie. Berlin 1971, S. 59. 461 Lenin, Bd. 27. Berlin 1960, S. 398. 462 Sowjetische Zeitstücke. Berlin 1975, S. 514. 463 V. Surganov: Svet v okne. Portret pisatelja. In: Literaturnaja gazeta vom 22. 5.1968. 464 A. Makarov: Iduscim vosled. Moskva 1969, S. 718. 465 V. Astaf'ev: Izlucina. Moskva 1972, S. 22. 466 A. Makarov: Iduscim vosled. Moskva 1969, S. 706. 467 Gesichter, S. 363. 468 Ebenda, S. 353. 469 Ebenda, S. 374. 470 Ebenda, S. 369. 471 Vgl. Astaf'ev in: Literaturnaja Rossija vom 3. 7.1964: „rasskaz-razdum'e". 472 V. Astaf'ev: Sopricastnyj vsemu zivomu. In: Nas sovremennik 17 (1973) 8, S. 174. 473 V. Astaf'ev in: Literaturnaja Rossija vom 3. 7. 1964. 474 Nacht, S. 491. 475 Ebenda, S. 492. 476 A. Adamovic: Goizionty belorusskoj prozy. Moskva 1974, S. 97. 477 V. Bykov: Velikaja akademija — zizn'. In: Voprosy literatury 19 (1975) 1, S. 133. 478 Ebenda, S. 127. 479 W. By kau: Die Schlinge. Berlin 1972, S. 151. 480 Ebenda, S. 153. 481 Ebenda, S. 81. 482 Vgl. V. Bykov: Kak sozdavalas' povest' 'Sotnikov'. In: Literaturnoe obozrenie 1 (1973) 7, S. 102. 483 L. Arutjunov: Vzaimodejstvie literatur i problema novatorstva. In: Edinstvo, rozdennoe v bor'be i trude. Moskva 1972. S. 204. 484 W. Bykau: Die Schlinge. Berlin 1972, S. 173. 485 W.Bykow in: Sowjetliteratur 17 (1965) 9, S. 141. 486 W. Bykow: Die Schlinge. Berlin 1972, S. 69. 487 W. Bykau in: Sowjetliteratur 17 (1965) 9, S. 140. 488 V. Bykov: Velikaja akademija — zizn'. In: Voprosy literatury 19 (1975) 1, S. 130. 489 Vgl. E. Mallene: Nachwort. In: Der letzte Strandräuber. Estnische Erzählungen aus sieben Jahrzehnten. Berlin 1975, S. 453. 490 Nacht, S. 124. 491 F. Kuznecov: I ostajutsja berega . . .In: Literaturnoe obozrenie 2 (1974) 3, S. 31. 492 J. Nossow: Der rote Wein des Sieges. Berlin-Weimar 1974, S. 170.

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Ebenda, S. 171. V. Astaf'ev: O moem druge. In: E. Nosov: Berega. Moskva 1971, S. 7. E. Nosov: Sopen, Sonata nomer dva. In: Nas sovremennik 17 (1973) 3, S. 103. Ebenda. Ebenda, S. 104. Ebenda, S. 91. S. A. Lipin: Liriceskaja proza kak stilevoe tecenie v sovremennoj sovetskoj literature. In: Idejnoe edinstvo i chudozestvennoe mnogoobrazie sovetskoj prozy. Moskva 1974, S. 243-305. Vgl. dazu A. Marcenko: Dlja vospolnenija ob'ema. Zametki o chudozestvennom opyte sovremennoj prozy. In: Voprosy literatury 18 (1974) 8, S. 56-94. V. Kataev: Sobranie socinenij v 9 tt. Ed. 8. Moskva 1971, S. 422. Ebenda, S. 437f. Ebenda, S. 453; der Gedanke findet sich als „Zitat" auch in: Katajew, Gras, S. 102. V. Katajew: Der heilige Brunnen. Berlin 1968, S. 47. Ebenda, S. 77. Ebenda. Ebenda, S. 99f. A. Tvardovskij: Sobranie socinenij v 5 tt. Bd. 3. Moskva 1967, S. 326. B. Sarnow: Feurige Kohle und klingende Schelle. In: Kunst und Literatur 17 (1969) 2, S. 167. Gogol zeigt in Tschartkow einen Künstler, der für Ruhm und Profit die Wahrheit verrät und als „Modekünstler" seine Seele verkauft. V. Katajew: Der heilige Brunnen. Berlin 1968, S. 27. Ebenda, S. 54. Gespräch mit Valentin Katajew in: Sinn und Form 19 (1967) 5, S. 1144. V. Dudincev: Dve magii iskusstva. In: Literaturnaja gazeta vom 13. 8. 1966. B. Sarnow: Feurige Kohle und klingende Schelle. In: Kunst und Literatur 17 (1969) 2, S. 167. Katajew zitiert zweimal die Zeile „Ich lag im Wüstensand wie tot", ferner: „Und riß die Zunge aus dem Mund" und: „Des Meergetiers verborgnen Zug, Das Tasten erdennaher Reben" — vgl. A. Puschkin: Gedichte. Berlin 1968, S. 268. Gespräch mit Valentin Katajew in: Sinn und Form 19 (1967) 5, S. 1143. V. Katajew: Der heilige Brunnen. Berlin 1968, S. 7. Ebenda, S. 127; Anna Seghers' Erzählung Der Aasflug der toten Mädchen ist ähnlich aufgebaut. Die Erzählerin Netty versinkt auf der Bank vor einem mexikanischen Gasthaus in einen Halbschlaf, der die Übergänge von einer Zeitebene zur anderen motiviert. V.Lugovskoj: Seredina veka. Moskva 1965, S. 14. V. Kataev: Ne povtorjat' sebja i drugogo. In: Literaturnaja gazeta vom 1.1.1972. Gespräch mit Valentin Katajew in: Sinn und Form 19 (1967) 5, S. 1143. 220

522 Katajew, Gras, S. 205. 523 M. Kuznecov: Memuarnaja proza. In: Zancovo-stilevye iskanija sovremennoj sovetskoj prozy. Moskva 1971, S. 142f. 524 Katajew, Gras, S. 311. 525 Fritz Mierau: Ein neuer Typ Biographie. In: Der Bücherkarren (1970) 3. 526 Katajew, Gras, S. 9. 527 Ebenda, S. 34. 528 Ebenda, S. 37. 529 Ebenda, S. 131. 530 Ebenda, S. 286. 531 Ebenda, S. 291. 532 Gemeint ist Katajews Roman Im Sturmschritt vorwärts!, der 1932 erschien. 533 Katajew, Gras, S. 290. 534 Ebenda, S. 151. 535 V. Kardin: Sjuzet dlja nebol'soj stat'i. „Novyj" V. Kataev i ego rasskaz „Fialka". In: Voprosy literatury 18 (1974) 5, S. 91. 536 Vgl. dazu F. Kuznecov: Za vse v otvete. Nravstvennye iskanija v sovremennoj proze. Moskva 1975, S. 224—258. 537 Aitmatow, Abschied, S. 355. 538 Ebenda, S. 302. 539 T. Aitmatow zu internationalen Problemen der Literaturentwicklung in: Sonntag (1973) 52. 540 J. Lukin: Glaza skazki. In: Pravda vom 23. 7.1970. 541 N. Gej: Mir, celovek i pozicija pisatelja. In: Sovetskaja literatura i mirovoj literaturnyj process. Izobrazenie celoveka. Moskva 1972, S. 241. 542 Aitmatow, Abschied, S. 163. 543 Ebenda, S. 296. 544 Ebenda, S. 297. 545 A. Metcenko: Vremja. Pisatel'. Literaturnyj process. In: Nas sovremennik 17 (1973) 4, S. 175. 546 Aitmatow, Abschied, S. 256. 547 Ebenda, S. 261. 548 Heinrich Mann: Die Jugend des Königs Henri Quatre. Berlin 1951, S. 5. 549 Aitmatow, Abschied, S. 189. 550 Vgl. W. Beltz: Gott und die Götter. Biblische Mythologie. Berlin-Weimar 1975, S. 85-93. 551 Neizbeznost' garmonii (Gespräch zwischen C. Ajtmatov und L. Novicenko). In: Literaturnaja gazeta vom 1. 1.1973. 552 V. Solouchin: Skazki pisut dlja chrabrych. In: Literaturnaja gazeta vom 1. 7. 1970. 553 Vgl. Novyj mir 1/1970. 554 Aitmatow, Abschied, S. 199f. 555 B. Pankin: Posle skazki. In: Literatura i sovremennost'. Bd. 11. Moskva 1972, S. 450. 221

556 A. Alimzanov : Tragedija na lesnom kordone. In : Literaturnaja gazeta vom 8. 7.1970. 557 C. Ajtmatov: Neobchodimye utocnenija. In: Literaturnaja gazeta vom 29. 7. 1970. 558 T. Aitmatow, Abschied, S. 314. 559 T. Aitmatow zu internationalen Problemen der Literaturentwicklung in: Sonntag (1973) 52. 560 L. Arutjunov: Nacional'nyj mir i celovek. In: Sovetskaja literatura i mirovoj literaturnyj process. Izobrazenie celoveka. Moskva 1972, S. 192f. 561 C. Ajtmatov: Rannie zuravli. In: Novyj mir 51 (1975) 9, S. 37. 562 Ebenda, S. 49. 563 Ebenda, S. 93f. 564 Ebenda, S. 88. 565 T. Aitmatow zu internationalen Problemen der Literaturentwicklung in: Sonntag (1973) 52. 566 Sowjetische Zeitstücke. Berlin 1975, S. 504f. 567 Diese positive Bilanz unterstreicht auch die Vielzahl der in der DDR publizierten Anthologien mit Erzählungen vorwiegend aus den Jahren 1945 bis 1975 : Ukrainische Erzähler. Berlin 1963 ; Im Licht des Tages. Neue sowjetische Prosa. Berlin 1963; Die Meergeborene. Sowjetische Erzählungen um Frauen und Liebe. Berlin 1963; Musik auf dem Bahnhof. Vierzehn neue sowjetische Erzähler. Berlin 1964; Abends nach dem Regen. Moderne sowjetische Erzählungen. Berlin-Weimar 1969; Gesichter des Krieges. Der Große Vaterländische Krieg im Spiegel sowjetischer Prosa. Berlin-Weimar 1970; Fische haben kein Gedächtnis. Litauische Erzählungen aus sieben Jahrzehnten. Berlin 1970; Störche über den Sümpfen. Belorussische Erzähler 1971 ; Die verbotene Frucht. Erzählungen über Kinder. Berlin 1972 ; Erlesenes 1. Novellen. Berlin 1972 ; Verwandlungen. Neue russische Novellen. Berlin 1974 ; Preis des Sieges. Sowjetische Kriegserzählungen. Berlin 1975; Der letzte Strandräuber. Estnische Erzählungen aus sieben Jahrzehnten. Berlin 1975; Die Nacht des Kosmonauten. Zwanzig Erzählungen aus dreizehn Sowjetrepubliken. BerlinWeimar 1975 ; Die negative Giselle. Moderne sowjetische Liebesgeschichten. Berlin-Weimar 1975; Erlesenes 2. Novellen. Berlin-Weimar 1975; Die Novitätenkassette. Berlin 1975. 568 Thomas Mann: Gesammelte Werke. Bd. 11. Berlin-Weimar 1965, S. 312. 569 Aitmatow, Abschied. S. 302.

Personen- und Werkregister

Es weiden nur künstlerische Werke angeführt, und zwar in der Reihenfolge ihres Erscheinens in der UdSSR und unter den Übersetzungstiteln, die von Verlagen in der DDR gewählt bzw. vom Verfasser geschaffen wurden. Im Text folgt nach dem Titel in Klammern das Datum der Erstveröffentlichung in der UdSSR; in einzelnen Fällen wird die Entstehungszeit angegeben. Abramow, Fjodor Alexandrowitsch 155 190 202 Velageja 190 Adamjan, Nora (d. i. Eleonora Grigorjewna Adamowa) 48 Adamowitsch, Alexander Michailowitsch 171 Aini, Sadriddin 141 Der Tod des Wucherers 141 Aitmatow, Tschingis 7 9 46 48 55 bis 60 68 69 148 180 189 190-198 199 200 202 Dsbamila 48 55-60 189 190 Das Kamelauge 190 Der erste Lebrer 190 Das Wiedersehen mit dem Sohn 190 Abschied von Cülsary 148 Der weiße Dampfer 190-196 Der Aufstieg auf den Fudscbijama 166 198 Frühe Kraniche 196-198 Alexanjan, Jelena 14 Alexejew, Michail Nikolajewitsch 70 71 Brot ist ein Hauptwort 71 Alimshanow, Anuar 195

Amlinski, Wladimir Iljitsch 23 86 Musik auf dem Bahnhof 86 Anaschenkow, Boris 108—109 Anninski, Lew 106 128 Antonow, Sergej Petrowitsch 16 25 bis 30, 34 47 71-73 199 201 Frühling 26 27 Lena 27 In der Straßenbahn 27 Auf den Straßen fahren Autos 32 33 Station Schtscbeglowo 28 Am Morgen 26 27 Was in Poddubki gesungen wird 26 27 Fernzüge 26 Regen 28-30 71 Es geschah in Penkowo 26 Die Zerstörerin 26 Tante Luscba 30 Aljonka 26 30 Leerfahrt 30 71-73 Der zerrissene Rubel 30 71 Aragon, Louis 58 Archimedes 118 Arutjunow, Lew Nikolajewitsch 148 152 196

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146

Astafjew, Wiktor Petrowitsch 124 127 166 167-170 177 180 202 Ein altes und ein neues Märchen 167 Am hellichten Tag 167-170 Nimm und denk daran 169 Warum weinst du, Tanne? 169 Schäfer und Schäferin 169—170 Die Nacht des Kosmonauten 169 170 Auesow, Muchtar 56—59 Vor Tau und Tag 56 Über Jahr und Tag 56 Eine widerstandsfähige Rasse 56—59 Avicenna 118 Axjonow, Wassili Pawlowitseh 101 102-109 150 201 Anderthalb Arztplans teilen 102-103 Drei trafen sieb wieder 102 103 Sternenfabrkarte 104 Auf halbem Weg zum Mond 104 Papa, lies vor 104 Genosse Pracht mittle 104 Der Ortsrowdy Abramascbwili 104 Der Kauz 104-107 Der Sieg 108 Defizitposten Faßleergut 108 Das Rendezvous 108 Babel, Isaak Emmanuilowitsch 11 12 Bajalinow, Kassymaly 55 Glück 55 Baklanow, Grigori Jakowlewitsch 60 92-94 201 Ein Fußbreit Erde 60 92 Verrechnet 92-94 Bakunz, Axel 149-150 Balzac, Honoré de 79 Barskaja, K. 30 33 Bashow, Pawel Petrowitsch 13 Below, Wassili Iwanowitsch 129—137 144 150 201 Ein beißer Sommer 129 130 Der Sommer der Mädchen 130 Das Brötchen 130 Flußwindungen 129

Frühling 131-132 Tiscba und Griscba 129 Sind wir ja gewohnt 132 150 Der Biberbügel 132-134 Zimmermannsgesebiebten 134—136 Bely, Andrej (d. i. Boris Nikolajewitsch Bugajew) 186 Bergholz, Olga Fjodorowna 69 180 Tagessterne 69 180 Bergman, Ingmar 182 Berschadski, Rudolf Juljewitsch 32 Bitow, Andrej Georgijewitsch 101 108 112-117 201 Die Reise des Boris Murascbow 113 Penelope 112 Sommerfrische 113 Reise zu einem Freund aus der Kindheit 112-113 Armenische Lektionen 114—117 Blagoi, Dmitri Dmitrijewitsch 53 Block, Alexander Alexandrowitsch 111 137 187 Boll, Heinrich 119 Boccaccio, Giovanni 11 Boguslawskaja, Soja Botissowna 65 Bondarew, Juri Wassiljewitsch 202 Brecht, Bertolt 111 Breshnew, Leonid Iljitsch 138 165 Browman, Grigori Abramowitsch 73 74 160 Bruegel, Pieter 97 Bryl, Janka 48 60 143 Die Mutter 60 Bulgakow, Michail Afanasjewitsch 182 187 Der Meister und Margarita 182 Bulotschnikow, F. P. 47 Bunin, Iwan Alexejewitsch 61 111 113 124 185 186 188 Bursow, Boris Iwanowitsch 112 Busch, Ernst 119 Bykau, Wassil 166 171-175 202 Die Brücke von Krubljany 171 Die Schlinge 171-175

224

Der Obelisk 171 Durchhalten bis sytm Morgen Wolfsrudel 171

171

Caldwell, Erskine 111 Chansadjan, Sero 8 Chesterton, Gilbert 12 Chlebnikow, Welimir (Wiktor Wladimiro witsch) 180 Chopin, Fryderyk 133 177 185 Conrad, Helga 156 Conrad, Joseph 20 Cousteau, Jacques 111 Dante Alighieri 111 Demitschew, Pjotr 166 Dmitritschenko, S. 43 Dontschik, W. 145 Dorofejew, W. 22 38 Dorosch, Jefim Jakowlewitsch 70 71 Dorftagebucb 70 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 96 97 112 187 189 Drechsler, Nelly 35 Drutä, Ion 17 61 Der Schlitten 61 Dudinzew, Wladimir Dmitrijewitsch 183 Ehrenburg, Ilja Grigorjewitsch 42 Tauwetter 42 Eichenbaum, Boris Michailowitsch 13 16 Einstein, Albert 92 Eisberg, Jakow Jefimo witsch 8 135 147 162 pngels, Friedrich 82 Ewentow, Isaak Stanislawo witsch 31 Fadejew, Alexander Alexandrowitsch 13 36 47 Faisi, Rachmat 60 Der Blutstropfen auf der BaummUkapsel 60 IS Kuper, Sow). F.rethlnng

225

Faulkner, William 152 Fedin, Konstantin Alexandrowitsch 13 Fellini, Federico 182 Fomenko, Wladimir Dmitrijewitsch 202 Frost, Robert 184 Furmanow, Dmitri Andrejewitsch 36 Gagarin, Juri Alexejewitsch 111 Gaissarjan, Suren 151 Gamsatow, Rassul 180 Mein Dagestan 180 Gej, Nikolai Konstantino witsch 191 German, Juri Pawlowitsch 93 Girnus, Wilhelm 182 Gladkow, Fjodor Wassiljewitsch 13 Gladkowskaja, Lidija Arsenjewna 30 33 Goffenschefer, Weniamin Zesarewitsch 11 30 Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 16 182 Das Porträt 182 Die Nase 182 Goncourt, Edmond und Jules de 181 Gorki, Maxim 11 12 19 25 26 30 31 61 91 111 Gotsche, Otto 35 Granin, Daniil Alexandrowitsch (d. i. D. A. German) 82 101 112 117 bis 120 201

Anmerkungen %um Reiseführer 117 Die schöne Uta 117-120 Garten der Steine 120 Der Gelehrte und der Kaiser 120 Regen in einer fremden Stadt 120 Dieses seltsame Leben 120 Grekowa, I. (d. i. Jelena Sergejewna Wentzel) 82 86-89 148 201 Hinter der Anmeldung 82 86-89 Grin, Alexander Stepanowitsch (d. i. A. S. Grinewski), 20 111 Grossman, Leonid Petrowitsch 13 Gussew, Wladimir 8 133

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 113 Heine, Heinrich 117 119 Hemingway, Ernest 19 48 111 In einem anderen Land 19 Haben und Nicht haben 19 Der alte Mann und das Meer 48 Henry, O. (d. i. William Sydney Porter) 12 25 Hermlin, Stephan 19 Herzen, Alexander Iwanowitsch 111 Hint, Aadu 90 Hitler, Adolf 94 Hontschar, Oles 70 71 Tronka 71 Huzalo, Jewhen 144 Ibragimbekow, Maksud 190 Es gab keinen besseren Bruder 190 Iskander, Fasil 114 139 146-149 180 202 Onkel Kjasjms Pferd 148 146—147 Die verbotene Frucht Die dreizehnte Tat des Herkules 147 bis 148 Das Sternbild des Ziegentur 148 Klumparm 114 148-149 Remsik 148 Janowski, Juri 12 Jaschin, Alexander Jakowlewitsch 108 132 Jemeljanow, L. 157 Jessenin, Sergej Alexandrowitsch 127 Jewtuschenko, Jewgeni Alexandrowitsch 180 Die Straße 180 Juno witsch, M. M. 11 Kalinnikow, Wassili Sergejewitsch 127 Kalmanowski, J. 65 Kamnjanow, W. 127 Kantorowitsch, Wladimir Jakowlewitsch 36

Karalina, J. 12 Kasakewitsch, Emmanuil Genrichowitsch 7 3 - 7 8 201 Der Stern 74 75 Frühling an der Oder 1A Das Herz des Freundes 75 Das Haus am Platz 74 Das blaue Heft 74 Im Liebt des Tages 74—78 Der Besuch des Vaters beim Sohn 74 Kasakow, Juri Pawlowitsch 16 121 bis 124 128 136 201 Nördliches Tagebuch 122-124 Der Duft des Brotes 121 Da läuft ein Hund! 121 Adam und Eva 121 Zwei im Dezember 121 Katajew, Valentin Petrowitsch 166 180-190 202 Die kleine eiserne Tür 180 Der heilige Brunnen 181—185 Das Gras des Vergessens 185—188 Veilchen 188-190 Würfelchen 190 Kedrina, Soja Sergejewna 45 Kekilbajew, Abisch 141 Ballade vergessener Zeiten 141 Kennedy, John F. 184 Kogan, A. 77 Kokta, M. 48 Konezki, Wiktor Wiktorowitsch 86 101 109-112 201 Erzählung vom Funker Kamuscbkin 86 Salziges Eis 109-112 Zwischen Mythen und K i f f e n 109 Koshewnikow, Wadim Michailowitsch 82 Koshinow, Wadim Walerianowitsch 127 Kotschat, Ratschija 48 149 Kotschetow, Wsewolod Anissimowitsch 42 Familie Sburbin 42

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Krutilin, Sergej Andrejewitsch 70 71 Das Dorf an der Walstatt 71 Kudrawez, Anatol 139 143-144 202 In den Wiesen knarrten die Wachtelkönige 143—144 So ein Tag 144 Kuranow, Juri Nikolajewitsch 108 Kusnezow, Felix Feodosjewitsch 129 176 Kusnezow, Michail Matwejewitsch 185 Kuusberg, Paul 166 175-176 202 175 Die verrostete Gießkanne Das Lächeln 175-176 Läcis, Vilis 13 Lenin, Wladimir Iljitsch 138 166 180 Leonow, Leonid Maximowitsch 12 13 92 9 4 - 9 9 189 201 Evgenia Ivanovna 95—99 189 Der russische Wald 95 95 Die Flucht des Mister McKinley Lermontow, Michail Jurjewitsch 127 Leskow, Nikolai Semjonowitsch 18 23 128 Lewin, Boris Michailowitsch 12 Lewin, Fjodor Markowitsch 86 106 Lichonossow, Wiktor Iwanowitsch 124-127 136 150 201 Brjansker 124-125 Tscbaldoninnen 125 150 Verwandte 126 Zum ewigen Gedanken 126 Ich liebe dich sehr 126-127 Herbst in Taman 126—127 Elegie 126-127 Lipatow, Wil Wladimirowitsch 202 Lomidse, Georgi 138 London, Jack 12 25 Lugowskoi, Wladim ir Alexandrowitsch 184 Jahrhundertmitte 184 Lukin, Juri Borissowitsch 15*

52 191

Lunatscharski, Anatoli Wassiljewitsch 187 Majakowski, Wladimir Wladimirowitsch 111 180 184 185 187 188 Das Schwitzbad 187 Makarenko, Anton Semjonowitsch 36 Makarow, Alexander Nikolajewitsch 32 64 104 106 167 Malzew, Terenti Semjonowitsch 45 Mandelstam, Ossip Emiljewitsch 114 180 184 185 187 Reise nach Armenien 114 Mann, Thomas 111 199 Marcinkevicius, Justinas 180 Die Fichte, die gelacht hat 180 Markow, Georgi Mokejewitsch 92 139 141 155 202 Martschenko, Alla 85 114 159 Marx, Karl 41 Matewosjan, Hrant 113 114 116 139 149-154 180 202 Das Schelmenstück der Hammeldiebe 113 114 149-154 Die Büffelkuh 114 150 Glut 152-153 Brot und Wort 150 Mutter fährt den Sohn verheiraten 150 Maupassant, Guy de 11 12 Maurois, André 181 Melville, Herman 111 Metschenko, Alexei Iwanowitsch 192 Meyerhold, Wsewolod Emiljewitsch 187 Mierau, Fritz 185 Muchammadijew, Fasliddin 139 141 bis 143 202 Der Zweikampf 141—143 Muhamedshanow, Kaltai 166 198 Der Aufstieg auf den Fudschijama 166 198 Muratbekow, Sain 139-141 202 Kussen-Kusseke 139—141

227

Nagibin, Juri Markowitsch 16 23 bis 25 33 34 68 199 Komaroi» 23—24 D/e winterliche Eiche 24 Tscbetunow, der Sohn Tscbetunows 24 Dir jpä/« G«jV 24 Im zeitigen Frühjahr 24 Der grüne Vogel mit dem roten Kopf 24 Der Fall des Hauptmanns Solowjorv 24 Irgendwo am Konservatorium 23 24 Natroschwili, Georgi 48 Naumenko, Iwan 108 Nedossekin, R. 38 Newski, Alexander 179 Newton, Isaak 118 Nikiforow, Georgi Konstantinowitsch 12 Nikolajewa, Galina Jewgenjewna (d. i. G. J. Woljanskaja) 34 4 1 - 4 5 77 7 8 - 8 2 200 201 Ernte 78 Das Geständnis 41—45 Schlacht unterwegs 78 Wassilissa und die Wunder 77 7 8 - 8 2 Ninow, Alexander Alexejewitsch 37 123 Nossow, Jewgeni Iwanowitsch 133 bis 134 136 166 176-179 202 Hinter Tälern und Wäldern 133-134 Der rote Wein des Sieges 176—177 Chopin, Sonate Nr. 2 177-179 Nowitschenko, Leonid 165 Okijanski, Juri Michailowitsch 95 98 Olescha, Juri Karlowitsch 11 12 25 180 184 Oskozki, Walentin 7 Owetschkin, Walentin Wladimiro witsch 28 30 3 3 - 3 6 37 4 5 - 4 6 Frühlingsstürme 28 30 3 3 - 3 6 Panowa, Wera Fjodorowna 60 6 4 - 6 9 88 200

32 42 48

Die Jahreszeiten 42 Leningrader Erzählungen ( Walja, Wolodja) 48 60 6 4 - 6 9 Pasternak, Boris Leonidowitsch 111 180 Paustowski, Konstantin Georgijewitsch 1 3 - 1 8 20 23 24 25 26 36 40 111 124 199 201 Heldenmut 20 Die zweite Hein; at 20 Regendämmerung 14 Das Telegramm 15—16 Im tiefen Rußland 17-18 Italienische Aufzeichnungen 101 Der Iljinsker Grund 101 Pawlenko, Pjotr Andrejewitsch 28 Glück 28 Pawlow, Iwan Petrowitsch 160 Pawlowski, Alexei Ujitsch 37 Petkevicius, Vytautas 82 8 9 - 9 1 201 Die wohlverdiente Ruhe 82 8 9 - 9 1 Petrossjan, A. 38 Pirogow, Alexander Stepanowitsch 18 167 Piaton 118 Platonow, Andrej Platonowitsch (d. i. A. P. Klimentow) 12 15 16 1 8 - 2 3 24 25 108 124 199 Fro 19 Der dritte Sohn 19 Juligewitter 19 Die eiserne Alte 23 Menseben vom Geiste beseelt 19 Die Heimkehr 19 23 Aphrodite 19-23 Plotkin, Lew Abramowitsch 65 67 Polewoi, Boris Nikolajewitsch (d. i. B. N. Kampow) 82 Polonskaja, Nora (d. i. Weronika Witoldowna) 187 Prischwin, Michail Michailowitsch 36 121 137 Puschkin, Alexander Sergejewitsch 19 23 I I I 115 116 127 183

228

Reise nach Ars rum 115 Der Gefangene im Kaukasus Der Prophet 183

116

Rachmaninow, Sergej Wassiljewitsch 185 Rasputin, Walentin Grigorjewitsch 150 Geld für Maria 150 Rekemtschuk, Alexander Jewsejewitsch 108 127 Remarque, Erich Maria 48 Zeit zu leben und Zeil sterben 48 Robbe-Grillet, Alain 102 Rosljakow, Wassili Petrowitsch 103 Rostschin, Michail Michailowitsch 125 Rowenski, N. 141 Rytchëu, Juri 61 Segel 61 Sacharow, W. 114 115 Saint-Exupéry, Antonie de 111 Salinger, Jerome David 169 Salygin, Sergej Pawlowitsch 108 135 155 202 Samori, Tamara Petrowna 26 Sarjan, Martiros 116 Sarnow, Benedikt Michailowitsch 183 Sarraute, Nathalie 102 Sbitnew, Juri Nikolajewitsch 124 Schaginjan, Marietta Sergejewna 13 Schatirjan, Michail 8 Schengelaja, Demna 48 Schklowski, Wiktor Borissowitsch 115 Sentimentale Reise 115 Schnejerson, M. 30 33 Scholochow, Michail Alexandrowitsch 12 46 47 4 8 - 55 57 68 69 77 91 140 200 Ein Menscbenschicksal 48—55 57 140 Schubin, Eduard Anatoljewitsch 113 157

Schubin, L. 19 22 Schugajew, Wjatscheslaw Maximowitsch 40 Schukschin, Wassili Makarowitsch 139 144 156-165 202 Leute vom Lande 156 157—159 Der Kosmos, das Nervensystem und ein Stück Speck 157 159-160 Grinka Maljugin 160 Vorfall in einer Gaststätte 160 Von der Seite und von vorn 160—162 Der Sonderling 162 Dort, in der Verne 156 Landsleute 156 Wie das Häschen mit den Luftballons flog 162 163-165 Charaktere 156 Schöner Schneeballstrauch {Kaiina Krassnaja) 162 Gespräche bei Vollmond 156 Schurtakow, Semjon Iwanowitsch 124 Seghers, Anna 119 Seifuliina, Lidija Nikolajewna 31 Semjonow, Georgi Witaljewitsch 124 127-129 136 201 Der klingende Mond 127—128 Shakespeare, William 154 171 190 Simonow, Konstantin Michailowitsch 12 34 42 43 91 111 202 Skorino, Ljudmila Iwanowna 65 Skrjabin, Alexander Nikolajewitsch 185 Sluckis, Mykolas 48 Smuul, Juhan 48 109 Das Eisbucb 109 Sobolew, Leonid Sergejewitsch 12 15 47 52 70 82 Soifer, M. 52 Solotusski, Igor Petrowitsch 113 131 132 Solouchin, Wladimir Alexejewitsch 69 70 71 Ein Tropfen Tau 69 71

229

Solowjow, Wladimir 106—107 Solowjowa Inna Natanowna (d. i. I. N. Basilewskaja) 37 Sorjan, Stefan 47—48 Soskin, A. 3 0 - 3 3 Sostschenko, Michail Michailowitsch 11 12 104 Starikowa, Jekaterina Wassiljewna 84 Steinbeck, John 111 Strabon 112 Stscherbina, Wladimir Rodionowitsch 91 Subawin, Boris Michailowitsch 74 Die Uhr 74 Surganow, Wsewolod Alexejewitsch 167 Surkow, Alexei Alexandrowitsch 34 42 47 48 Sutschkow, Boris Leontjewitsch 69 Swetow, Felix Grigorjewitsch 84 Sydykbekow, Tugelbai 55 Menschen unserer Tage 55—56 Tarassenkowa, N. 8 Tendrjakow, Wladimir Fjodorowitsch 34 3 6 - 4 1 43 171 197 200 Inmitten der Wälder 36 Iwan Tschuprows Fall 36 37 Der Fremde 36 3 8 - 4 0 Drei Sack Abfallweizen 171 Verwandlungsspiele des Frühlings 171 197 Thoreau, Henry David 111 Leben in den Wäldern 111 Thun, Nyota 182-183 Tichonow, Nikolai Semjonowitsch 12 15 Timofejew, Leonid Iljitsch 31 Tjutjunnyk, Hryhir 139 144-146 202 Bei Krawtschina wird z« Mittag gegessen 144—145 Katrjas Hochzeit 144 145—146 Tjutschew, Fjodor Iwanowitsch 30

Tolstoi, Alexei Nikolajewitsch 12 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 92 113 128 Toptschjan, Eduard 8 Tretjakow, Sergej Michailowitsch 7 Trifonow, Juri Walentinowitsch 82 108 190 Im pilzreichen Herbst 190 Der Tausch 190 Zwischenbilanz 190 Ein langer Abschied 190 Trojepolski, Gawriil Nikolajewitsch 27 70 71 148 Prochor XVII., König der Klempner 27 Im Schilf 71 Weißer Bim Schtvarzpbr 148 Tschakowski, Alexander Borissowitsch 156-157 Tscharenz, Egische (d. i. E. Sogomonjan) 152 Tschechow, Anton Pawlowitsch 11 13 16 25 26 30 33 113 124 186 Champagner 33 Die Köchin heiratet 33 Tschorny, Kusma 12 171 Tschudakow, Alexander Pawlowitsch 8 104 Tschudakowa, Marietta 8 104 Turgenjew, Iwan Sergejewitsch 113 128

Twardowski, Alexander Trifonowitsch 33 35 36 46 48 6 1 - 6 4 68 74 89 91 100 101 117 121 123 166 182 200 201 An heimatlichen Stätten 100 Kos/Ja 100 Wassili Tjorkin 64 100 Heimat und Fremde Ofensetzer 48 6 1 - 6 4 100 Fernen über Fernen 91 100 166 Tjorkin im Jenseits 182 Väclavik, Antonin 52 Venclova, Antanas 13

230

Vetemaa, Enn

190

Wladimow,

Kleines Requiem für eine Mundharmonika

190

Vilks, Evalds

Nikolajewitsch 82-86

88 104 201 90 139 1 5 4 - 1 5 6

180

202

Das große Erz Wolf, Christa

Der grüne Baum

154—155

Regen im Dezember Die Kränkung

Georgi

(d. i. G. N. Wolosjewitsch)

Worobjow,

155

8 2 - 8 6 104 122

Jcwgeni

Sacharowitsch

32

155-156

Woronin,

Sergej

Alexejewitsch

Ruhm

45—46

45-46 Wassiljew, Boris Lwowitsch

171 180

Im Morgengrauen ist es noch still Wells, Herbert

180

Winogradow,

Iwan

1 1 - 1 2 30

171

Archipowitsch

Nutzloser

Zwetajewa, Marina Iwanowna

180

34

In der gleichen Schriftenreihe sind u. a. erschienen: Werner Bahner

Formen, Ideen, Prozesse in den Literaturen der romanischen Völker Band 1: Von Dante bis Cervantes 1977 • 285 Seiten " 9 , - M Werner Bahner

Formen, Ideen, Prozesse in den Literaturen der romanischen Völker Band 2: Positionen und Themen der Aufklärung 1977 • 292 Seiten • 9,50 M

Ideologie — Literatur — Kritik Französische Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie 1977 • 415 Seiten • 1 3 , - M

Kürbiskerne Beiträge zu Politik und Kultur in der BRD Auswahl aus „Kürbiskern" ( 1 9 6 5 - 1 9 7 5 ) Teil 1 und Teil 2 1977 • 601 Seiten • 19,50 M

Tibor Klanic^ay Renaissance und Manierismus Zum Verhältnis von Gesellschaftsstruktur, Poetik und Stil 1977 • 274 Seiten - 9 , - M

Njota Thun Krieg und Literatur Studien zur sowjetischen Prosa von 1941 bis zur Gegenwart 1977 • 299 Seiten • 9,50 M

„Kontext" Sowjetische Beiträge zur Methodendiskussion in der Literaturwissenschaft 1977 • 216 Seiten • 7 , - M

Michael Ner/ici Kritik der Abenteuer-Ideologie Beitrag zur bürgerlichen Bewußtseinsbildung (1100—1750) 1977 • 564 Seiten • 18,50 M

ingrid Vepperle Junghegelianische Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie 1978 • 287 Seiten • 9 - M