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German Pages 309 [268] Year 2004
Johannes Hattler Monadischer Raum
Johannes Hattler
Monadischer Raum Kontinuum, Individuum und Unendlichkeit in Leibniz’ Theorie des Raumes
ontos verlag Frankfurt
.
Lancaster
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2004 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 3-937202-62-5
2004
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für Lorena und Anna
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Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand auf Grund der einfachen Frage nach der Natur des Raumes. Bei der Beschäftigung mit dieser Frage stieß ich auf Leibniz, der das Problem des Raumes in einer der umfassendsten Weisen behandelt und dabei das Begreifen desselben geprägt hat. Dem Leser, der eine ähnliche Frage hat, sei es über den Raum im allgemeinen oder über Leibniz und seine Theorie bzw. Theoriestücke, die damit in Verbindung stehen, im konkreten, wünsche ich, daß er einige nützliche Gedanken findet. Sowohl im eigenen Interesse als auch im Interesse des Gedankens bitte ich um Nachsicht und Geduld. Mein Dank gilt meinen Eltern; sie haben mir diese Möglichkeit eröffnet. Weiter bin ich meinen akademischen Lehrern zu Dank verpflichtet: Frau Alma von Stockhausen, der ich die Entfaltung meiner Liebe zur Weisheit verdanke, Herrn Karel Macha, von dem ich gelernt habe, daß nur die nackte Wahrheit von wirklichem Interesse ist und Herrn Klaus Jacobi, der diese Arbeit betreute und mir Philosophie als Wissenschaft vermittelte. Ferner danke ich allen, deren Namen ich hier nicht einzeln nennen kann – sie wissen wieviel ich ihnen schulde. Und ich danke meiner lieben Frau und unserer Tochter. Auch dafür, daß sie, jede auf ihre eigene Weise, meinem Geist immer wieder die Fenster geöffnet haben. Kevelaer, 4. September 2004
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Inhalt Einleitung
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I. Das Labyrinth der Zusammensetzung des Kontinuums
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1. Das Labyrinth des Kontinuums und das Problem des Raumes
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2. Kontinuum und potentielle Unendlichkeit
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3. Kontinuum und Atom
31
3.1 Unendliche Teilbarkeit und das Problem der Bewegung
31
3.2 Die Mechanik des Atomismus und das Kontinuitätsprinzip
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4. Das mathematische Kontinuum
47
4.1 Das Unendliche als Ganzheit
47
4.2 Die Idealität und die These der phaenomena bene fundata
53
4.3 Die Infinitesimalien
56
5. Das Kontinuum und die res extensa
69
5.1 Die Phänomenalität der Ausdehnung
69
5.2 Die Duplizität des Kraftbegriffs
85
II. Raum, Kontinuum und Koexistenz
105
1. Absoluter und relationaler Raum
105
2. Der Raum und die möglichen Ordnungen
115
2.1 Absoluter Raum, Punktualität und das Verhältnis der Lage
115
2.2 Der Raum der Phänomene
124
3. Idealität des Raumes und Individualität der Substanz
133
3.1 Leibniz’ prätranszendentale Raumtheorie
133
3.2 Relationaler Raum und individuelle Substanz
141
4. Die Dimensionalität des Raumes
159
5. Das Kontinuum des Raumes und die Weisen des Unendlichen
163
III. Das Labyrinth des Individuums
179
1. Das Labyrinth des Individuums und der Raum
179
2. Die Wurzeln der individuellen Substanz
187
2.1 Die nominalistische Definition der Substanz
187
2.2 Freiheit des Individuums und externes Individuationsprinzip
196
2.3 Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
202
3. Die Fensterlosigkeit der Monade
209
4. Der vollständige Begriff
225
4.1 Die analytische Urteilstheorie und die kontingenten Wahrheiten 225 4.2 Der vollständige Begriff der individuellen Substanz
234
4.3 Die individuelle Substanz im Wissen der unendlichen Vernunft
244
Literaturverzeichnis
259
Anmerkungen zu den Abkürzungen und zur Zitierweise
259
Primärliteratur
260
Sekundärliteratur
262
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Einleitung Die Definition des Raumes als relationaler Ordnung der gleichzeitig existierenden Dinge, die als heute allgemein akzeptierte Diskussionsgrundlage der verschiedenen Raumtheorien gelten kann, geht im wesentlichen auf Leibniz zurück. Er hat, insbesondere in der Auseinandersetzung mit Newton, als erster in einer umfassenden Weise eine solche Theorie vertreten. Eine relationale Raumauffassung ist jedoch tendenziell antirealistisch und antisubstantialistisch. Für Leibniz’ Metaphysik im Ganzen trifft dies aber nicht zu. Für ihn ist, wie sich zeigen läßt, eine relationale Theorie des Raumes und der Zeit nur konsistent möglich, wenn die grundlegenden Entitäten auf eine spezifische Weise nicht relational sind. Leibniz setzt sich in allen drei Wissenschaften, die den Raum zu ihrem Objekt haben, d. i. die Mathematik bzw. Geometrie, die Physik und die Philosophie, mit diesem auseinander. Jede dieser Wissenschaften hat eigene Prinzipien und eine eigene Methode. Eine jede formuliert einen anderen Aspekt des Raumbegriffs. Die Metaphysik fordert individuelle Substanzen, die Physik das System funktionaler Kräfte, die Mathematik den reinen absoluten Raum und die Konstruktion räumlicher Objekte mittels der Verhältnisse der Lage. Prinzipiell lassen sich, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis von metaphysischem und mathematisch-physikalischem Raum, drei unterschiedliche Interpretationsansätze für Leibniz’ Raumtheorie unterscheiden: 1. Mathematisch-physikalisch ausgerichtete Analysen, die von den metaphysischen Grundannahmen absehen und auf diese nur im Sinne von unhinterfragbaren Voraussetzungen rekurrieren bzw. nicht analysierend auf sie eingehen1.
1
Vgl. z. B. JOHN EARMAN. World Enough and Space-Time. Absolute versus Relational Theories of Space and Time. Cambridge / Massachusetts 1989; DERS.. Leibniz and the Absolute vs. Relational Dispute. In: Leibnizian Inquiries. A Group of Essays. Hrsg. v. Nicholas Rescher. Lahnham / London / New York 1989. 9-22; DIONYSIOS A. ANAPOLITANOS. Leibniz: Representation, Continuity and the Spatiotemporal (Science and Philosophy 7). Dodrecht / Boston / London 1999; z. T. auch: CHRISTINA SCHNEIDER. Leibniz’s Theory of SpaceTime: An Approach from His Metaphysics. In: Monist 81. 4 (1998) 612-632
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2. Darstellungen, die von Leibniz’ Logik und Metaphysik aus argumentieren und aus dem Substanzbegriff bzw. dem vollständigen Begriff einer individuellen Substanz und der damit verbundenen Auffassung interner Relationen, in materialer Erweiterung durch Leibniz’ Aussagen über die prästabilierte Harmonie und den Phänomenbegriff, die Theorie des Raumes ableiten2. 3. Untersuchungen, die von einer gewissen Duplizität im Gesamtsystem ausgehen. Durch die Unterscheidung einer phänomenal-mathematischen und einer metaphysisch-substantiellen Struktur können hierbei die disparaten Aussagen der jeweiligen ontologischen Dimensionen zugeordnet werden3. Die vorliegende Untersuchung kann der letzteren Richtung zugeordnet werden, die am konsequentesten durch Rombachs These einer impliziten Doppelontologie bei Leibniz vertreten wird. Eine Übernahme dieser These für das Verständnis der Theorie des Raumes bei Leibniz beruht zu wesentlichen Teilen auf ihrer Analogie zu Leibniz’ Lösung des Kontinuumproblems, der eine zentrale Bedeutung für sein System im Ganzen zukommt4. Der Ausweg aus dem Labyrinth des Kontinuums erfordert nach Leibniz die Un2
Vgl. z. B. BERTRAND RUSSEL. A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz. Cambridge 1900; G. H. R. PARKINSON. Logic and Reality in Leibniz’s metaphysics. Oxford 1965; HANS POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe bei G. W. Leibniz (SL Sonderh. 6). Wiesbaden 1969; NICHOLAS RESCHER. Leibniz, an Introduction to his Philosophy. Oxford 1979; DERS.. Leibniz’s Metaphysics of Nature. Dodrecht / Boston / London 1981 3 Vgl. HEINRICH ROMBACH. Substanz, System, Struktur. Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaften. 2 Bde. Freiburg / München 1965. Es sei darauf hingewiesen, daß der Verf. unabhängig von Rombach, jedoch mit Hilfe von Cassirers Arbeiten, die Analyse des Kontinuumproblems, die hierbei von entscheidender Bedeutung ist, herausgearbeitet hat. Dieser Tatsache wird in der Untersuchung dadurch Rechnung getragen, daß erst bei der Analyse des Leibnizschen Kraftbegriffs Rombachs These Erwähnung findet. In Bezug auf die Unterscheidung zweier Methoden in Leibniz’ System, die das Fundament der alternativen Strukturen darstellen, sind auch zu nennen: GOTTFRIED MARTIN. Leibniz. Logik und Metaphysik. Köln 1960; MARTIN SCHNEIDER. Analysis und Synthesis bei Leibniz. Bonn 1974. Rombach verweist darüber hinaus auf: ANDRÉ ROBINET. Leibniz et la racine de l’existence. Paris 1962. Die grundsätzliche Mehrschichtigkeit in Leibniz’ System wird auch thematisiert bei: VITTORIO MATHIEU. Die drei Stufen des Weltbegriffes bei Leibniz. In: SL I (1969) 7-23 4 Vgl. RUSSEL. A. a. O. 100: „The most distinctive feature of Leibniz’s thought is its preoccupation with the labyrinth of the continuum.“
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terscheidung zweier fundamental unterschiedlicher ontologischer Dimensionen: des Realen und des Idealen. Diese Unterscheidung muß daher für eine konsistente Interpretation des Raumbegriffes, d. h. für das Verhältnis der Ordnung der Phänomene mit der Harmonie der Monaden, berücksichtigt werden. Vom Standpunkt der endlichen Vernunft aus und für ihre Methode5, führt dies, im Ausgang von der Untersuchung der Theorie des Kontinuums – bei bewußter Ausklammerung der speziellen Substanzontologie – schließlich zu einem prätranszendentalem Raumkonzept bei Leibniz, wie dies schon in Cassirers Interpretation der Fall ist6. Dennoch bleibt die Theorie der individuellen Substanzen – zumal in der Form der Monade – für eine Interpretation des Raumbegriffs zentral, denn für Leibniz garantieren nur diese eine Vielheit der Dinge und damit indirekt den Raum als Ordnung des Gleichzeitigen. Raum und Monade stehen bei Leibniz in einem unzertrennlichen Zusammenhang, auch wenn dieser zu wesentlichen Teilen ein Ausschließungsverhältnis dieser beiden Bereiche seiner Philosophie bedeutet. Eine umfassende Untersuchung des Leibnizschen Raummodells muß daher auf die Theorie der individuellen Substanz selbst Bezug nehmen. Mit ihrer Konzeption, die Leibniz aus dem spätscholastischen Nominalismus übernimmt und mit der Rezeption des cartesischen cogito zur Monade weiterentwickelt, ist ein Begründungskomplex gegeben, der schließlich nicht in seinem vollen Umfang durch die Doppelontologie gedeutet werden kann. Die Metaphysik, als Wissenschaft von den ersten Prinzipien und bei Leibniz als System der Harmonie bzw. Harmonien, muß zumindest prinzipiell in der Lage sein, eine Synthese der disparaten Dimensionen zu leisten. Dies ist dadurch möglich, daß Leibniz in teilweiser Durchdringung mit den beiden in Harmonie stehenden Ontologien eine weitere fundamentale Unterscheidung zugrundelegt, die für die Theorie des 5
Vgl. zur Methode der leibnizschen Philosophie auch: KLAUS ERICH KAEHLER. Leibniz – der methodische Zwiespalt der Metaphysik der Substanz. Hamburg 1979; vgl. dazu: DERS.. Leibniz’ Position der Rationalität. Die Logik im metaphysischen Wissen der „natürlichen Vernunft“. Freiburg / München 1989. 60 ff 6 Vgl. ERNST CASSIRER. Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen. Marburg 1901; vgl. auch: RUSSEL. A. a. O.. Wenngleich Russel die Idealität der Relation bei Leibniz im Verhältnis zu seiner analytischen Logik und Substanzontologie als fehlerhafte Konzeption interpretiert, so hat er doch als erster darauf hingewiesen, daß Leibniz besonders in den mathematischen Wissenschaften den synthetischen Charakter der Relation herausgearbeitet hat.
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Raumes in metaphysischer Hinsicht nicht vernachlässigbar ist: Leibniz’ Metaphysik in ihrer Gesamtheit und damit auch in der Begründung der endlichen Vernunft selbst ist ihrem Selbstverständnis nach eine Ontologie sub specie aeternitatis. Die individuelle Substanz erfährt hierbei ihre Begründung als Monade nicht zuletzt aus der Entgegensetzung zur Relationalität des Phänomenalen. Für die Untersuchung wird demzufolge davon auszugehen sein, daß die (prä-)transzendentale Subjektivität der Monade in ihrer Natur, d. h. in ihrer individuellen Substantialität, begründet ist. Die individuelle Substanz muß folglich im Unterschied zu einer nur relationalen Position ohne Subsistenz definiert werden. Dieser Zusammenhang führt schließlich zur Frage, in welchem Sinne der Substanz Individualität zugesprochen werden kann. Um diese Frage umfassend beantworten zu können, ist es erforderlich, die Prämissen, die Leibniz für das Konzept des Individuums als vollständigem Begriff heranzieht, ebenfalls möglichst rein für ihre eigene ontologische Dimension herauszuarbeiten, bevor abschließend Leibniz’ spezifische Synthese von relationalem Raum und individueller Monade untersucht werden kann. Obgleich bei Leibniz der Zeitbegriff und der Raumbegriff in einem engen Zusammenhang stehen – der Raum wird als Ordnung des Gleichzeitigen definiert –, kann von einer direkten Untersuchung des Zeitbegriffs systematisch abgesehen werden. Es ist nicht die Zeit, die für die Behandlung des Raumes relevant ist bzw. mitbehandelt werden muß, sondern die Vielheit. Die Ausklammerung des Zeitproblems wird auch auf Grund von Leibniz’ eigenem Unendlichkeitsbegriff ermöglicht. Mit der Postulierung einer aktualen Unendlichkeit der realen Entitäten hat Leibniz den Versuch unternommen, den stark physisch gefärbten unendlichen Raum der Neuzeit in einem alternativen Sinne metaphysisch zu fundieren. Die These der aktualen Unendlichkeit bedeutet dabei eine Absetzung von der sukzessiven Unendlichkeit der Zeit. Neben der Bedeutung für das Labyrinth des Kontinuums steht der Unendlichkeitsbegriff auch mit dem Labyrinth der Freiheit, womit wesentlich gerade das Individuum – und damit die Vielheit – angesprochen ist, in einem systematisch strengen Zusammenhang7.
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Vgl. LEIBNIZ. Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal [künftig zitiert als Théodicée] (1710) Préface, GP VI 2. Erst in jüngster Zeit hat ANAPOLITANOS (a. a. O.) eine umfassende Untersuchung über das Kontinuumspro-
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I. Das Labyrinth der Zusammensetzung des Kontinuums 1. Das Labyrinth des Kontinuums und das Problem des Raumes Das Raumproblem hängt mit dem gesamten Leibnizschen System, und insbesondere auch mit seiner Monadologie, zusammen. Historisch wie systematisch geht Leibniz’ Metaphysik zu wesentlichen Teilen die Auseinandersetzung mit dem Kontinuumsproblem voraus8. Die bekannte Stelle aus der Théodicée hierzu lautet: „Es gibt zwei berühmte Labyrinthe, in denen sich die menschliche Vernunft oft verwirrt, das eine betrifft die große Frage der Freiheit und Notwendigkeit, besonders bei der Erzeugung und dem Ursprunge des Bösen; das andere besteht in der Erörterung der Kontinuität und deren als unteilbar anzusehenden Elemente, womit auch das Problem des Unendlichen eng zusammenhängt. Die erstere Frage bringt fast das ganze Menschengeschlecht in Verwirrung, die letztere beschäftigt nur die Philosophen. Ich werde [...] zeigen, daß man, auf Grund falscher Vorstellungen über das Wesen (la nature) der Substanz und der Materie, falsche Behauptungen aufgestellt hat, die dann zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen, wobei eine richtige Anwendung zu einer Beseitigung [Umkehrung] eben dieser Behauptungen führen müßte.“9
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blem vorgelegt, in der die Beschäftigung mit den verschiedenen Unendlichkeitsbegriffen von zentraler Bedeutung ist. Vgl. LEIBNIZ. De usu geometriae (Frühjahr–Sommer 1676) A VI 3 449: „Nam filum Labyrintho de Compositione Continui, deque maximo et minimo, ac indesignabili atque infinito, non nisi Geometria praebare potest, ad Metaphysicam vero solidam nemo veniet, nisi qui illac transiverit.“ LEIBNIZ. Théodicée (1710) Préface, (B&C* 8 f) GP VI 29: „Il y a deux labyrinthes fameux où notre raison s’égare bien souvent: l’un regarde la grande question du Libre et du Nécessaire, sur-tout dans la production et dans l’origine du Mal; l’autre consiste dans la discussion de la continuité, et des indivisibles, qui en paroissent les Elémens, et où doit entrer la considération de l’infini. Le premier embarasse presque tout le genre humain, l’autre n’exerce que les Philosophes. J’auray [...] l’occasion [...] de faire remarquer, que faute de bien concevoir la nature de la substance et de la matiere, on a fait de fausses positions qui menent à des difficultés insurmontables, dont le veritable usage devroit estre le renversement de ces positions mêmes.“; vgl. auch: Vindicatio Justitiae Divinae et Libertatis humanae (Anfang 1686) A VI 4 B 1528: „Duo sunt famosi erroribus Labyrinthi quorum unus Theologos potissimum alter Philosophos exercuit; ille de libertate, hic de continui compositione;
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Dem Labyrinth der Zusammensetzung des Kontinuums10 hat Leibniz, im Unterschied zum Labyrinth der Freiheit, mit dem er sich umfassend in der Théodicée auseinandersetzt, kein eigenes Werk gewidmet. Leibniz formuliert die Schwierigkeiten, die das Kontinuum betreffen in immer neuen Wendungen und im Zusammenhang mit den verschiedenen Zentralproblemen seines Systems. Das Problem, das Leibniz als Labyrinth beschwört, stellt sich in der seit Zenon altbekannten Weise dar: Im Ausgedehnten können wir keine wirklichen Teile finden, denn wir würden damit die Ausdehnung aus endlichen Teilen aufbauen, was der (mathematischen) Forderung der unendlichen Teilbarkeit derselben widerspräche. Fordern wir aber unausgedehnte Elemente, dann könnten diese, wie es bei der Zusammensetzung der Linie aus Punkten der Fall ist, niemals eine ausgedehnte Linie erzeugen, da sie selbst entweder unausgedehnt, oder aber ausgedehnt sind, womit sich wiederum die Anfangssituation einstellen würde11. Dies ist der Grundgequoniam illa mentis haec corporis interiorem naturam attingit. Quemadmodum tamen Geometrae et Physici esse possumus, etiamsi non consideremus utrum linea componatur ex punctis, modo pro indivisibilibus assumamus quantitates tam parvas, ut error qui inde nasci potest sit minor dato, seu tam exiguus quam volumus; ita Theologicae veritati satisfacere licebit, licet modum ignoremus quo res rerumque actus a Deo atque a se invicem dependent, dummodo pro rebus actualibus ipsis assumamus integras rerum possibilium notiones sive ideas, quas in Divina Mente esse ante omne decretum voluntatis rerumque existentiam negari non potest.“; De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) A VI 4 B 1654 f; vgl. Guilielmi Pacidi de rerum arcanis (Frühjahr 1676) A VI 3 276: „Labyrinthus prior, seu de Fatu, Fortuna, Libertate. [...] Labyrinthus posterior, seu de Compositione continui, tempore, loco, motu, atomis, indivisibili et infinito.“ 10 Diesen Terminus gebraucht Leibniz in Anlehnung an FROMONDUS. Labyrinthus de compositione continui liber unus, Philosophis, Mathematicis, Theologis utilis et iucundus (Antwerpen 1631). Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais sur l’entendement humain [künftig zitiert als Nouveaux Essais] (1704) II 23 §31, A VI 6 225: „[...] Fromondus qui a fait un livre exprés de Compositione continui, a eu raison de l’intituler Labyrinthe. Mais cela vient d’une fausse idée, qu’on a de la nature corporelle, aussi bien que de l’espace.“; vgl. De arcanis sublimum vel de summa rerum (11. Februar 1676) A VI 3 476. Leibniz erwähnt Fromondus in: De Usu et Necessitate Demonstrationum Immortalitatis Animae; Beilage zu: An Herzog Johann Friedrich (21. Mai 1671) A II 1 111; vgl auch: PHILIP BEELEY. Kontinuität und Mechanismus: zur Philosophie des jungen Leibniz in ihrem ideengeschichtlichen Kontext. (SL Suppl. 30) Stuttgart 1996. 285-312 11 Auch für die moderne Mathematik ist diese Schwierigkeit nicht in einem ontologisch befriedigenden Sinne gelöst, wie sich an der problematischen Auffassung der „Natur“ des Punktes zeigen läßt. Vgl. ANAPOLITANOS. A. a. O. 131 f. Hegel z. B. formuliert
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danke dessen, was Leibniz das Labyrinth des Kontinuums nennt. Der Schlüsselgedanke zur Beseitigung der theoretischen Schwierigkeiten wird von Leibniz durch die Unterscheidung zweier Hinsichten auf den Sachverhalt angegeben. Die Annahme und Distinktion zweier Ebenen ist zur Vermeidung der besagten Schwierigkeiten unumgänglich: „Im Aktualen sind die Einfachen vor den Zusammengesetzten, im Idealen ist das Ganze früher als der Teil. Wer diese Überlegungen mißachtet, bringt das berühmte Labyrinth des Kontinuums hervor.“12
Die Unterscheidung eines idealen Kontinuums mit unendlich vielen möglichen Teilen, somit ganz im aristotelischen Sinne, und einer realen diskreten Vielheit – der von Leibniz bekanntermaßen postulierten aktualen Unendlichkeit –, die jeglicher Teilung und Teilbarkeit voraufgeht, soll den Ariadnefaden für dieses Labyrinth an die Hand geben. Diese grundsätzliche Distinktion, die in der Auseinandersetzung mit dem Kontinuum ihre systematische Wurzel hat, findet darüber hinaus in nahezu allen weiteren Systemstücken Anwendung. Die Forderung nach einer Untersuchung, die die bei Leibniz verstreuten, aber wesentlichen Aussagen zum Kontinuum ordnet und von dort aus eine Interpretation unternimmt, besteht daher schon seit längerem13.
die durch Kant vermittelte prinzipielle Schwierigkeit folgendermaßen (G. W. F HEGEL. Wissenschaft der Logik. Erster Teil. In: Werke in 20 Bänden. Frankfurt a. M. 4 1996. Bd. V 216): „In die Natur der Quantität, diese einfache Einheit der Diskretion und der Kontinuität zu sein, fällt der Streit oder die Antinomie der unendlichen Teilbarkeit des Raumes, der Zeit, der Materie, usf. Diese Antinomie besteht allein darin, daß die Diskretion ebensosehr als die Kontinuität behauptet werden muß. Die einseitige Behauptung der Diskretion gibt das unendliche oder das absolute Geteiltsein, somit ein Unteilbares zum Prinzip; die einseitige Behauptung der Kontinuität dagegen die unendliche Teilbarkeit.“ 12 LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 379: „In actualibus simplica sunt anteriora aggregatis, in idealibus totum est prius parte. Hujus considerationis neglectus illum continuum labyrinthum peperit.“ 13 Vgl. RUSSEL. A. a. O. 100: „And the problem of continuity might very well be taken, as Mr. Latta takes it (L. 21) as the starting-point for an exposition of Leibniz: „How can that which is continuous consist of individible elements“? To answer this question was, I think, one of the two chief aims of Leibniz´s doctrine of substance and of all that is best in his philosophy. That I did not begin with this question, was due to motives of logical priority.“
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Die Forschung übernimmt in der Regel die von Leibniz vorgeschlagene Ebenentrennung. Schwierigkeiten, die auf den ersten Blick damit verbunden sind – wie z. B., daß wissenschaftliche und d. h. insbesondere mathematisch fundierte Aussagen generell nur für Gegenstände gelten, insofern sie phänomenale Entitäten sind, diese jedoch, unter anderer Hinsicht, substantielle Grundlagen besitzen sollen, wie es ebenfalls durch das Leibnizsche Selbstverständnis nahegelegt wird –, können anhand seiner eigenen Überlegungen vermieden werden. Die deutliche Unterscheidung der Dimensionen wird wiederum durch eine quasi methodische Durchdringung beider überbrückt, wie es Leibniz in der folgenden bekannten Passage formuliert: „Ganz allgemein kann man [jedoch] sagen, daß die Kontinuität überhaupt etwas Ideales ist, und es in der Natur nichts gibt, das vollkommen gleichförmige Teile hat; dafür aber wird auch das Reale vollkommen von dem Ideellen und Abstrakten beherrscht [und so ergibt sich, daß] die Regeln des Endlichen […] [für das Unendliche gelten], wie wenn es Atome, – d. h. Elemente der Natur von angebbarer fester Größe – gäbe, obgleich dies wegen der unbeschränkten, wirklichen Teilung der Materie nicht der Fall ist, und [daß] umgekehrt […] die Regeln des Unendlichen für das Endliche [gelten], wie wenn es metaphysische Unendlichkeiten gäbe, obwohl man ihrer in Wahrheit nicht bedarf, und [daß] die Teilung der Materie niemals zu solchen unendlichkleinen Stückchen gelangt. Denn alles untersteht der Herrschaft der Vernunft, und es gäbe sonst weder Wissenschaft noch Gesetz, was der Natur des obersten Prinzips widerstreiten würde.“14
14
LEIBNIZ. An Varignon (2. Februar 1702) (B&C* 76) GM IV 93 f: „Cependant on peut dire en general que toute la continuité est une chose ideale et qu’il n’y a jamais rien dans la nature, qui ait des parties parfaitement uniformes, mais en recompense le reel ne laisse pas de se gouverner parfaitement par l’ideal et l’abstrait, et il se trouve que les regles du fini reussissent dans l’infini, comme s’il y avait des atomes (c’est à dire des elemens assignables de la nature), quoyqu’il n’y en ait point la matiere estant actuellement sousdivisée sans fin; et que vice versa les regles de l’infini reussissent dans le fini, comme s’il y avoit des infiniment petits metaphysiques, quoyqu’on n’en ait point besoin; et que la division de la matiere ne parvienne jamais à les parcelles infiniment petites: c’est par ce que tout se gouverne par raison, et qu’autrement il n’y auroit point de science ny regle, ce qui ne seroit point conforme avec la nature du souverain principe.“; vgl. An de Volder (19. Januar 1706) GP II 282 f: „[...] scientia continuorum hoc est possibilium continet aeternas veritates, quae ab actualibus phaenomenis nunquam violantur, cum differentia semper sit minor quavis assignabili da-
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Wenngleich also Leibniz’ Lösung des Problems der Zusammensetzung des Kontinuums strenggenommen zwei gesonderte ontologische Dimensionen voraussetzt, sind sie vom Standpunkt der Vernunft, insofern ihr Ziel eine Wissenschaft von den Phänomenen ist, wiederum in gewisser Weise methodisch vereinbar. Durch die Verschränkung des Idealen und Realen im Phänomenalen ist es nun naheliegend, wie dies in der Forschung mehrfach vertreten wird15, eine dritte Dimension, nämlich die der Phänomene, zu den beiden ersteren hinzuzufügen und somit von drei Ebenen auszugehen16. Das Ideale und das meint hier das Kontinuum im Sinne einer Ganzheit möglicher Teile, ist nicht zusammensetzbar. Die Forderung einer Vielheit diskreter Realität, welche wiederum als unzusammengesetzt und folglich als unausgedehnt aufzufassen sind, steht dem gegenüber. Der Grund für die Unmöglichkeit einer einfachen Korrelation beider Dimensionen findet sich schon auf der Ebene des Kontinuumproblems in einer einfachen mathematisch-geometrischen Hinsicht, nämlich der Tatsache, die Leibniz des öfteren selbst ausspricht, daß Punkte, die nach der euklidischen Definition keine Ausdehnung besitzen, auch in einer unendlichen Anzahl keine ausgedehnte Linie zusammensetzen können.17 Bekanntlich führt Leibniz den besagten Gedanken des unausgedehnten mathematischen Punktes schließlich auf den sogenannten metaphysischen Punkt, die Monade zurück. Die Monade, die, wie Leibniz zu Anfang der Monadologie und an anderen Stellen ausführt, keine Teile hat, ist das primär Seiende und findet ihre adäquate Definition anhand des vollständigen Begriffs eines Individuums.
ta. Neque aliam in phaenomenis habemus aut optare debemus notam realitatis, quam quod inter se pariter et veritatibus aeternis respondent.“ 15 Vgl. z. B. JOHN EARMAN. World Enough and Space-Time. Absolute versus Relational Theories of Space and Time. Cambridge / Massachusetts 1989; VITTORIO MATHIEU. L’infinito in metafisica. In: L’infinito in Leibniz. Problemi e terminologia (Lessico intellettuale europeo 52). Hrsg. v. Antonio Lamarra. Rom 1990. 119-124; ANAPOLITANOS. A. a. O. 16 Vgl. hierzu die ausführlichere Analyse: s. u. Kap. I. 4.2 u. 4.3 17 Vgl. LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1648: „[Continuum] non in puncta [dividitur], quia puncta non sunt partes sed termini […].“; vgl. Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union qu’il y a entre l’âme et le corps [künftig zitiert als Système nouveau] (1695) GP IV 478; Nouveaux Essais (1704) II 14 §10, A VI 6 152; An des Bosses (16. Mai 1712) GP II 451
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Der scheinbar große Sprung vom Problem des Kontinuums und der mathematischen Schwierigkeit seiner Zusammensetzung zur individuellen Substanz deutet auf eine getrennte Behandlung beider Ebenen hin. Dies ist um so naheliegender, betrachtet man Leibniz in seiner historischen Stellung zwischen Descartes und Kant. Aber weder Leibniz selbst, noch die Mehrzahl der Interpreten, führt die Distinktion so radikal durch. Wie im letzten Zitat deutlich wurde wird dem durch eine methodische Vereinigung im Phänomenalen entgegengewirkt. Daher ist es auch zum Gesamtverständnis der Leibnizschen Theorie des Raumes nicht ausreichend, das ideale Kontinuum als Abstraktion im schlechten Sinne aufzufassen und in seiner eigenständigen Bedeutung zu eliminieren. Zu den bisherigen Argumenten kommt hinzu, daß das ideale Kontinuum als unbestimmte Vielheit in einer gewissen erkenntnistheoretischen Unbestimmtheit im Vergleich zur individuellen Substanz definiert wird. Das Kontinuum als ideales ist eine homogene, da unbestimmte Vielheit. Das Individuum, welches als das eigentlich Reale verstanden werden soll, ist demgegenüber vollbestimmt und konkret. Die Unterscheidung der beiden Ebenen des Realen und des Idealen erhält dadurch eine neue Akzentuierung. Das vollbestimmte Individuum, das letztlich die fensterlose Monade darstellt, steht nicht mehr in direkter Beziehung zu anderen. In ihrer logischen Struktur drückt sie alle Relationen und damit alle Möglichkeit ihrer Verhältnisse zu einer Vielheit nur in Bezug auf ihre eigenen Prädikate aus. Diese stellen ihre Perzeptionen dar. Die Monaden sind autonom und diskret. Die Monaden sind nicht im Kontinuum angesiedelt, sie repräsentieren jedoch die reale Vielheit. Die Monaden sind nicht Teile sondern die Fundamente des Kontinuums18. Da wir aber phänomenal kontinuierliche Objekte haben, muß eine Erklärung für die Kontinuität der Erscheinungen angegeben werden. Diese Tatsache wird durch die Apriorizität des idealen Kontinuums für die Erkenntnis des Phänomenalen teilweise geklärt. Ausreichend ist dies jedoch nicht, denn sie würde nicht zur Annahme realer unteilbarer Fundamente des Kontinuums führen. Leibniz selbst verschiebt die Akzentuierung in der Auffassung des Kontinuums, indem er sie als abstrakte Ordnungen definiert19. 18
Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (16. Mai 1712) GP II 450 f: „Certe Monades non ideo proprie erunt in loco absoluto, cum revera non sint ingredientia, sed tantum requsita materiae.“ 19 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (27. Dezember 1701) GP II 233 f
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Ordnungen lassen sich auf Relationen zurückführen. Relationen beruhen nach Leibniz auf Leistungen des Verstandes und sind somit – im obigen Sinne – idealer Natur. Die ideale Ordnung soll aber zugleich in einer quasi realen Ordnung der Monaden ihr Fundament haben. Diese stehen als konkrete und vollbestimmte Entitäten in Harmonie zueinander. Diese Ordnung der Harmonie ist durch das göttliche Wissen garantiert. Das Verhältnis von mathematisch relationalem Raumbegriff und der substantiellen Vielheit analytisch vollständiger Entitäten ist eines der für das Verständnis anspruchsvollsten Systemstücke des Leibnizschen Systems. Die Ansetzung des systematischen Ortes für eine Synthese oder Unterscheidung beider Ordnungen bzw. Dimensionen entscheidet über die Auffassung des für die Untersuchung zentralen Fragehorizontes: des Verhältnisses von Raum bzw. Räumlichem und Realität. Zur Analyse der Theorie des Raumes soll nun, soweit dies möglich ist, jede der beiden Dimensionen gesondert untersucht werden. Als erstes wird das ideale Kontinuum analysiert. Dieses muß verstanden werden als ein homogenes zusammenhängendes Ganzes, das seine Teile nur virtuell enthält und dem nach Leibniz eine apriorische Geltung für die Konstituierung der phänomenalen Objekte zukommt. Das ideale Kontinuum korrespondiert, gemäß der engen Beziehung beider Fragen, mit dem potentiell Unendlichen. Das ist entsprechend der aristotelischen Definition des Kontinuums als Stetigem, das der Möglichkeit nach unendlich Teilbare.
2. Kontinuum und potentielle Unendlichkeit Leibniz’ Beziehung zu Aristoteles ist eine ambivalente. Nicht nur aufgrund seiner integrativen Geisteshaltung, die allen Philosophen ihr Recht und ihre Beschränkung in seinem System zukommen läßt, sondern in diesem Zusammenhang auf eine ganz konkrete Weise. Von seinen jugendlichen atomistischen Studien aus wendet er sich gegen Aristoteles’ Philosophie im allgemeinen und gegen seine Physik im besonderen. Mit der aufkommenden Kritik an der atomistischen Theorie der Materie als real existierender materieller Minima und der folgenden Zuwendung zur klassischen Substanztheorie, macht er wiederum Anleihen bei Aristoteles, wenngleich eine Differenz bestehen bleibt20. Anschaulich schildert Leibniz seinen eigenen gedanklichen Werdegang inklusive seiner Rückkehr zur aristotelischen Substanztheorie 1695 in der bekannten Passage aus dem Système nouveau. „Im Anfang, als ich mich vom Joche des Aristoteles befreit hatte, war ich für das Leere und die Atome, weil diese Prinzipien die sinnliche Anschauung [Einbildungskraft] am besten befriedigen. Als ich aber davon nach vielem Nachdenken zurückgekommen war, sah ich ein, daß es nicht möglich ist, die Prinzipien einer wahrhaften Einheit in der bloßen Materie oder im Passiven zu finden, weil hier alles nur eine Ansammlung oder Anhäufung von Teilen bis ins Unendliche ist. Nun kann die Vielheit ihre Realität nur von den wahrhaften Einheiten haben, die einen andren Ursprung haben und ganz etwas andres sind als die mathematischen Punkte, die nur die Grenzen und Modifikationen des Ausgedehnten sind, und zweifellos das Kontinuum nicht durch Zusammensetzung aus sich hervorgehen lassen können. Um also diese reellen Einheiten zu finden, mußte ich zu einem reellen und sozusagen beseelten [lebendigen] Punkte zurückgehen, d. h. zu einem substantiellen Atom, das etwas Formales oder Aktives einschließen muß, um ein vollständiges Wesen zu bilden. Ich sah mich also gezwungen, die heute so verschrieenen substantiellen Formen zurückzurufen und gewissermaßen wieder zu Ehren zu bringen. [...] Aristoteles nennt sie erste Entelechien; ich bezeichne sie, vielleicht verständlicher, als ursprüngliche Kräfte (forces primitives), da sie 20
Der zentrale Unterschied liegt in der Definition der Substanz. In Anlehnung an Aristoteles und dessen Rezeption in der Scholastik, definiert sie Leibniz mit einer kleinen aber wesentlichen Nuance als potentiellen Akt. Vgl. LEIBNIZ. Gegen Descartes (Original ohne Titel) (1702) GP IV 395; Théodicée (1710) II §87, GP VI 150. Eine frühe Stellungnahme zu Aristoteles findet sich z. B. in: An Conring (19. März 1678) A II 1 400.
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nicht nur die Aktualität oder die Ergänzung zur Möglichkeit, sondern außerdem eine ursprüngliche Tätigkeit enthalten.“21
Die Argumentation ist offensichtlich verwandt. Insbesondere was die Annahme unteilbarer Einheiten als Grundlage für die unbestimmte Vielheit des Materiellen betrifft22. Infolgedessen übernimmt Leibniz auch die Definition des Kontinuums als der Möglichkeit nach unendlich teilbar23. Aristoteles definierte das Kontinuum als teilbar in immer weiter Teilbares24. Da Kontinuum und Unendlichkeit zusammenhängen und das Stetige das ist, worüber hinaus noch immer etwas ist25, wird es potentiell unendlich26 genannt. Leibniz anerkennt diese aristotelische Definition27, behauptet aber
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LEIBNIZ. Système nouveau (1695) (B&C* 448 f) 3, GP IV 478: „Au commencement, lorsque je m’estois afranchi du joug d’Aristote, j’avois donné dans le vuide et dans les Atomes, car c’est ce qui remplit le mieux l’imagination. Mais en estant revenu, après bien des meditations, je m’apperceus, qu’il est impossible de trouver les principe s d’une veritable Unité dans la matiere seule ou dans ce qui n’est que passif, puisque tout n’y est que collection ou amas de parties jusqu’à l’infini. Or la multitude ne pouvant avoir sa realité que des unités véritables qui viennent d’ailleurs et sont tout autre chose que les points mathematiques qui ne sont que des extremités de l’étendu et des modifications dont il est constant, que le continuum ne sçauroit estre composé. Donc pour trouver ces unités reelles, je fus contraint de recourir à un point reel et animé pour ainsi dire, ou à un Atome de substance qui doit envelopper quelque chose de forme ou d’actif, pour faire un Estre complet. Il fallut donc rappeller et comme rehabiliter les formes substantielles, si décriées aujourd’huy. [...] Aristote les appelle entelechies premieres, je les appelle peutestre plus intelligiblement forces primitives, qui ne contiennent pas seulement l’acte ou le complement de la possibilité, mais encor une activité originale.“ 22 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1077a 20-24 23 Vgl. LEIBNIZ. An Thomasius (20/30. April 1669) A II 1 20 f. Später bezeichnet er es einschränkend als mathematisches; vgl. An des Bosses (24. Januar 1713) GP II 475: „Continuum vero Mathematicum consistit in mera possibilitate [...].“ 24 ARISTOTELES. Physik 231b 16: „διαιπετὸν εἰς αἰεὶ διαιρετά·“; vgl. ebd. 185b 10 25 Vgl. ARISTOTELES. Physik 207a 1 26 Vgl. ARISTOTELES. Physik 206a 18 ff; 200b 17 ff 27 Vgl. LEIBNIZ. Contemplatio de historia literaria statusque praesenti eruditionis (Frühjahr 1682) A VI 4 A 482: „[...] laudo quod continui divisionem in infinitum asseruit, et contra Atomos et Vacuum disputavit.“ Leibniz bezieht sich im Zusammenhang der zitierten Stelle direkt auf Aristoteles.
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demgegenüber auch eine wirkliche Geteiltheit28. Dieses ist die aktuale Unendlichkeit29. „[...] Ich halte dafür, daß die Materie tatsächlich in Teile geteilt ist, die kleiner sind als jeder beliebige gegebene Teil, oder daß es keinen Teil gibt, der nicht tatsächlich in andere geteilt ist, die unterschiedliche Bewegungen ausüben. Das verlangt die Natur der Materie und der Bewegung und die ganze Vereinigung der Dinge aus physikalischen, mathematischen und metaphysischen Gründen.“30
Wie wir aber bereits gesehen haben ist eine einfache Gegenüberstellung eines einheitlichen Kontinuums mit virtuellen Teilen und einer Vielheit ohne Einheit unzureichend. Leibniz kennt ebenfalls ein Kontinuum, das als zusammenhängend und ununterbrochen, da homogen charakterisiert wird, das ideale Kontinuum, welches auch oft in seinen Aussagen als das eigentliche Kontinuum fungiert31. Leibniz benötigt das Kontinuum in diesem Sinne zur Erklärung der Phänomene. Körper, Bewegungen und noch viel mehr Raum und Zeit gelten uns als zusammenhängend und kontinuierlich. Seine These der Unterscheidung der Ebenen erlaubt das ideale Kontinuum zu rechtfertigen. Andererseits erklärt es die Unmöglichkeit, die Kontinuität
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Vgl. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) P. S., GP VII 377: „Le moindre corpuscule est actuellement subdivisé à l’infini […].“ 29 Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (14 Februar 1706) GP II 300: „Infinitum actu in natura dari non dubito […].“ 30 LEIBNIZ. An des Bosses (11./17. März 1706) (WIATER 231) GP II 305: „[...] statuo materiam actu fractam esse in partes quavis data minores, seu nullam esse partem, quae non actu in alias sit subdivisa diversos motus exercentes. Id postulat natura materiae et motus et tota rerum compages, per physicas, mathematicas et metaphysicas rationes.“; wesentlich war beim jungen Leibniz für diese Ansicht der Einfluß von Hobbes’ De corpore. Im Unterschied zu Hobbes wird aber Leibniz den Punkt nicht als Größe definieren, deren Ausdehnung nicht in Betracht kommt, sondern schließlich im Sinne der Infinitesimalien als ideale Entität annehmen. Vgl. dazu: s. u. Kap. I. 4.3 31
Die Betonung des Kontinuums als Idealem, ist bei Leibniz so stark, daß Russel es als das einzige anerkennt und die Realität im Unterschied dazu als diskret versteht. Vgl. RUSSEL. A. a. O. 111; vgl. auch: ANAPOLITANOS. A. a. O. 150: „[...] genuine continuity is equated with the uninterruptedness and the priority of the whole over its parts of the ideal continua.“
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und Einheit der phänomenalen Objekte, wie z. B. eines Körpers, aus der Realität völlig selbständiger Monaden abzuleiten32. Nach Aristoteles kann das Kontinuum ebensowenig aus Punkten, d. h. Unteilbarem bestehen33. So besteht etwa eine Linie nicht aus Punkten. Raum, Zeit, Materie und Bewegung sind kontinuierlich. Kontinuierliches ist zusammenhängend, d. h. seine Teile besitzen eine gemeinsame Grenze. Vor einer tatsächlichen Teilung ist das Kontinuierliche eine Einheit34. Die Vielen, die der Einheit des Kontinuums entgegengesetzt und darin enthalten zu sein scheinen, können selbst nicht wirklich sein. Das Kontinuum besteht nicht aus Teilen, sondern kann in diese unterteilt werden. Es hat der Möglichkeit nach unendlich viele Teile. Aktuell, wenn wir also eine tatsächliche Teilung vornehmen, hat es nur endlich viele35. Nach Aristoteles kann das 32
Das Kontinuum kann nicht aus mathematischen Punkten zusammengesetzt werden: Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (24./30. April 1709) GP II 370: „Sed punctam non est certa pars Materiae, nec infinita puncta in unum collecta extensionem facerent.“ Es kann auch nicht aus den metaphysichen Punkten, den Monaden, zusammengesetzt werden: Vgl. An des Bosses (16. Mai 1712) GP II 451: „Certe Monades non ideo proprie erunt in loco absoluto, cum revera non sint ingredientia, sed tantum requisita materiae. Itaque non ideo necesse erit indivisibila quaedam localia constitui, quae in tantas difficultates conjiciunt. Sufficit, substantiam corpoream esse quiddam phaenomena extra Animas realizans; sed in quo nolim concipere partes actu, nisi quae actuali divisione fiunt, nec individibilia, nisi extrema.“ In der modernen Theorie des Kontinuums wird in analoger Weise eine reale Vielheit ohne Einheit behauptet. Vgl. ANAPOLITANOS. A. a. O. 172: „An infinitude of points can make an extension if they are considered as already possessing a certain positional structure, each one having its own, so that all together form a continuous real aggregat which does not have to be substantially unitary.“ Diese Alternative übersieht jedoch m. E. die bereits geleistete Reduktion der abstrakten Relationalität, die, wie Leibniz herausstellt, eine Leistung a priori unseres Verstandes ist (dazu: s. u. Kap. I 4.2; 5.1; II 2.2; 3.1), in ihrer eigenen Theorie und meint daher, sie als bloße Abstraktion vernachlässigen zu können. Demgegenüber interpretiert Breger (HERBERT BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. In: L’infinito in Leibniz. Problemi e terminologia. A. a. O. 53-67; 59 f) diesen zentralen Sachverhalt im obigen Sinne: „Weder ist das Kontinuum aus aktual-unendlich vielen Punkten zusammengesetzt noch darf die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums mit einer faktisch schon vollzogenen unendlichen Geteiltheit verwechselt werden.“ 33 Vgl. ARISTOTELES. Physik 231a 24 34 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1069a 4 f 35 Man kann folgern, daß für Aristoteles das wirklich Geteilte nicht mehr als ein Kontinuierliches angesprochen werden kann; d. h. nach der Teilung liegt nicht ein Kontinuierliches mit zwei Teilen, sondern es liegen zwei separate Kontinua vor. Vgl.
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Stetige nicht aktual unendlich sein, da eine an ihrem Ende angekommene unendliche Teilung der Definition des immer wieder Teilbaren widersprechen würde. Aus diesem Grund kann u. a. auch kein unendlich großer Körper existieren. Ein Körper hat immer eine begrenzte Größe. Er ist unendlich teilbar, jedoch nicht unendlich groß36. Ein unendlich großer Körper, im Sinne einer möglichen Grundlage für die vielen Körper, kann zugleich mit dieser Bestimmung nicht bestehen, da damit die eigentümliche Bewegung der vielen Körper aufgehoben wäre37. Außerdem ist der Raum bzw. der Ort nur definierbar als Grenze des umschließenden Körpers gegen den umschlossenen, d. h. durch eine Begrenzung38. Da die Ausdehnung nicht aus Unteilbarem resultieren kann39, ist es für Aristoteles unmöglich, von einer Zusammensetzung des Kontinuums zu sprechen. Das Kontinuum ist als das immer wieder in Teile Teilbare ein reales Ganzes. Es ist nicht zusammengesetzt. Die Unendlichkeit des Kontinuums besteht damit nur im Akt der Tätigkeit und niemals im Aktuellen des Substrats der Tätigkeit. Exemplarisch dazu ist das Problem der Zeit. Es ist der Lösung der Kontinuumsproblematik äquivalent. Das Kontinuum ist für Aristoteles genuin zeitlich, denn beide sind unbegrenzt aktualisierbar40. Die Zeit besteht nicht aus Jetztpunkten. Das Jetzt ist zwar das eigentlich Reale im Zeitkontinuum41, aber es ist nicht alleine ausreichendes Prinzip. Es ist nuierliches mit zwei Teilen, sondern es liegen zwei separate Kontinua vor. Vgl. WOLFGANG WIELAND. Die aristotelische Physik. Göttingen 21970. 302. Er verweist auf: ARISTOTELES. De anima 430a 26 f; b 27 f; 430b 8 f 36 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1066b 28 f 37 Vgl. ARISTOTELES. Physik 205a 7 38 Vgl. ARISTOTELES. Physik 212a 31, b 14; 212a 20-22: „ὤστε τὸ τσῦ περιέχοντος πέρας ἀκίνητον πρῶτον, τοῦτ’ ἔστιν ὁ τὀπος.“ Ein weiterer Grund ist, daß nach Aristoteles die Orte nach den Elementen und der daraus abgeleiteten Bestimmung des Oben und Unten definiert werden. Diese sind wiederum Begrenzungen (vgl. Metaphysik 1066b 30 f). Das Unendliche kann aus sich diese Lagen nicht bestimmen, es ist dazu indifferent. Eine gute und vielschichtige Darstellung der Theorie des Raumes bzw. des Ortes bei Aristoteles bietet: ALEXANDER GOSZTONYI. Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie und Wissenschaften (2 Bde.). (Orbis academicus I 14) Freiburg / München 1976; I 90-110 39 Vgl. ARISTOTELES. Physik 234a 8; man erhellt immer nur wieder Kontinua. 40 Vgl. WIELAND. A. a. O. 300 f 41 Die Zeit besteht nicht aus „Jetzten“ (vgl. ARISTOTELES. Physik 231b 18; 218a 7 ff; 220a 19); das Jetzt ist kein Teil derselben ( ebd. 218a 6) nur Grenze (ebd. 218a 24); dasselbe gilt für die Bewegung (ebd. 241a 3 ff).
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die Grenze des Zeitkontinuums; als solches ist es unteilbar. Die Dauer entsteht durch die Begrenzung des Zeitflusses. Das Kontinuum ist bezogen auf einen Akt, welcher es aktualisiert. Das Kontinuum selbst bleibt immer potentiell42. Die Verbindung von Kontinuumsproblem und Zeit liegt natürlich nahe, da beide unter die Bestimmung desjenigen „worüber hinaus immer noch etwas ist“, also unter die potentielle Unendlichkeit, fallen. Leibniz wird ebenso durch den Zeit- bzw. den Bewegungsbegriff zu einer Lösung gelangen. Die These der aktualen Unendlichkeit aber, v. a. im Zusammenhang mit der Frage nach der Natur des Raumes, bezieht sich dagegen auf die Unendlichkeit eines Kontinuums koexistierender Elemente. D. h. es steht hierbei die Frage nach der Möglichkeit einer potentiellen Unendlichkeit im Sinne der Zeitlichkeit erst an zweiter Stelle. Für Aristoteles ist eine aktuale Unendlichkeit unmöglich eine innerweltliche Bestimmung43. Dieser Begriff ist für das Absolute alleine reserviert. Es gibt keine Möglichkeit der Vergleichbarkeit der beiden „Unendlichkeiten“. Das wahre Unendliche ist für Aristoteles jenseits aller Meß- und Zählbarkeit44. Leibniz hat eine grundsätzliche andere, neuzeitliche Voraussetzung: die Welt ist unendlich45. Dies drückt sich hier v. a. in einer atomistisch begründeten Opposition zur Materie als Potentialität aus. Auf diese Weise ergibt sich das Leibnizsche Konzept des Kontinuums. Leibniz behauptet deshalb gegen Aristoteles, daß der un42
Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1048b 14 f Vgl. ARISTOTELES. Physik 207a 7-8: „οὗ δὲ μηδὲν ἔξω, τοῦτ’ ἔστι τέλειον καὶ ὅλον·“ 44 ARISTOTELES. Metaphysik 1073a 3-11. Damit ist das metaphysische streng vom mathematischen Unendlichen geschieden. Es hat keinerlei Beziehung zur Quantität. Es ist Vernunft und Tätigkeit. 45 Vgl. FRANK BURBAGE / NATHALIE CHOUCHAN. Leibniz et l’infini. Paris 1993, 21-33. Sie geben fünf Weisen des Unendlichen bei Leibniz an: 1. Unendlichkeit Gottes 2. Unendlichkeit der möglichen Welten 3. Unendlichkeit der Substanz 4. Unendlichkeit des Universums 5. Unendliche Teilbarkeit der Materie. Sie führen die These der Unendlichkeit der Welt bei Leibniz zu wesentlichen Teilen auf den Einfluß Pascals zurück. Vgl. dazu ebd. 39-44. Es ist sicherlich richtig, Pascal einen großen Einfluß zuzuschreiben, aber nicht minder dürften Cusanus und Bruno hierfür in Betracht zu ziehen sein. Vgl. zum Einfluß des Cusaners auf die neuzeitliche Theorie der unendlichen Welt: DIETRICH MAHNKE. Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt. Halle 1937, 76 ff. Vgl. zu den genannten Vorläufern: ROMBACH. A. a. O.; vgl. speziell zum Einfluß Pascals: ebd. II 299 ff 43
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endlichen Teilbarkeit eine aktuale Unendlichkeit zugrunde liegt 46. Den schon erwähnten Einwänden begegnet er seinerseits mit Kritik, nämlich daß das Problem des Kontinuums, bzw. der Unendlichkeit, deshalb niemals befriedigend gelöst worden ist, weil man das Unendliche als Ganzes von Teilen verstanden hat und ihm als solchem reale Existenz zuschrieb. Die aktuale Unendlichkeit, die der Teilung zugrunde liegen soll, um den mathematischen Problemen und der Forderung der Vernunft zu genügen, wird von Leibniz nicht in diesem Sinne definiert. Eine solche Unendlichkeit als abgeschlossene existiert nicht47. In anderer Weise jedoch ist eine aktuale Unendlichkeit möglich, nämlich als unendliche Vielheit. Diese ist das reale Fundament der phänomenalen Kontinua. Das ideale, potentiell unendliche Kontinuum muß jedoch ebenfalls angenommen werden. Dieses kann nicht real existieren, was Aristoteles auch so nicht behauptet48. Leibniz tritt hier vielmehr in Opposition zu Descartes49.
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Vgl. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) P. S., GP VII 378: „[...] qu’il n’y a point de corpuscule, qui ne soit subdivisé.“; Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 21, GP VII 393 f; Nouveaux Essais (1704) Préface, A VI 6 59; An Bernoulli (12. Juli 1698) GM III 516; An des Bosses (11/17. März 1706) GP II 305 47 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 13 §21, A VI 6 151: „[...] il n’y a jamais un tout infini dans le monde quoyqu’il y ait tousjours des touts plus grandes les uns que les autres à l’infini; et l’univers même ne sauroit passer par un tout, comme j’ay monstré ailleurs.“ 48 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1066b 18-19: „ἀλλὰ ἀδύνα τὸ ἐντελεχείᾳ ὂν ἄπειρον· (προσὸν γὰρ εἷναι ἀνάγκη)·“ 49 Zu Leibniz’ Auseinandersetzung mit Descartes: s. u. Kap. I. 5. Neben der Opposition zu Descartes, scheint m. E. Leibniz’ These der aktualen Unendlichkeit insbesondere gegen Brunos These des unendlichen Raumes als realer physischer Unendlichkeit gerichtet zu sein, die die Vielheit der Substanzen aufhebt. Vgl. dazu: ROMBACH. A. a. O. I 275 ff
3. Kontinuum und Atom 3.1 Unendliche Teilbarkeit und das Problem der Bewegung Leibniz’ Rezeption der aristotelischen Kontinuumsdefinition führt auf eine Schwierigkeit. Er übernimmt die aristotelische Definition des Kontinuums als der Möglichkeit nach unendlich teilbar, behauptet aber ebenso eine reale aktuale Geteiltheit des Kontinuums. Beide Definitionen können nicht in gleicher Hinsicht Gültigkeit beanspruchen. Die letztere Position ist der des Atomismus verwandt. Dem Kontinuum korrespondiert eine reale Vielheit unteilbarer Elemente. Im Gegensatz zur griechischen Auffassung ist das Unendliche für Leibniz nicht vorrangig von negativer Bedeutung. Er reiht sich in die neuzeitliche Linie des Cusaners und Brunos ein und wird durch die These des aktual Unendlichen einer ihrer Exponenten50. „Hieraus folgt auch, daß nach mir die Feinheit und Mannigfaltigkeit der Geschöpfe bis ins Unendliche fortgeht, was der Vernunft und der Ordnung entspricht – denn ich bin für ein Axiom, das dem gemeinen, nach dem die Natur vor dem Unendlichen zurückschreckt (naturam abhorrere ab infinito), durchaus entgegengesetzt ist. Die Atomistik dagegen schränkt den Fortschritt der Feinheit und Veränderung auf die Größe des Atoms ein, was ebensowenig vernünftig ist, wie wenn man den Dingen dadurch Schranken setzt, daß man die Welt in eine Kugel einschließt.“51
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Vgl. auch: ALEXANDRE KOYRÉ. From the closed world to the infinite universe. Baltimore 1957 LEIBNIZ. An Huygens (10./20. März 1693) (B&C* 302) GM II 156: „D’où il s’ensuit aussi que selon moy la subtilité et varieté va à l’infini dans les creatures, ce qui est conforme à la raison et à l’ordre (car je suis pour un axiome tout opposé à cet axiome vulgaire, qui dit naturam abhorrere ab infinito). Mais selon les atomes le progres de la subtilité et de la variation se borne à la grandeur de l’atome, ce qui est aussi peu raisonnable que cette autre maniere de borner les choses par des extremités en enfermant le monde dans une boule.“; vgl. An Foucher (Januar 1692) GP I 416: „Je suis tellement pour l’infini ac tuel, qu’au lieu d’admettre que la nature l’abhorre, comme l’on dit vulgairement, je tiens qu’elle l’affecte par-tout, pour mieux marquer les perfections de son auteur. Ainsi je crois qu’il n’y a aucune partie de la matiere qui ne soit, je ne dis pas divisible, mais actuellement divisée, et par consequent, la moin-
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Trotz anfänglicher Sympathie argumentiert Leibniz gegen die Realität materieller Minima. Wie für die Atomisten wird aber ein Körper für Leibniz auch später aus einer unendlichen Vielheit realer unteilbarer Entitäten konstituiert. Diese Elemente sind für Leibniz jedoch keine materiellen Atome52. Aufgrund der Synthese beider Konzepte – des Atoms und der individuellen Substanz – bezeichnet Leibniz seine Monade später auch als substantielles Atom53. Die Kritik am Atomismus, die Leibniz in seiner Frühzeit auf verschiedenen Umwegen argumentativ erarbeitet, hat mehrere Aspekte. Diese entwikkeln sich erst im Laufe der Zeit zu einer einheitlichen und klaren Gegenposition. Das logisch-ontologische Hauptargument lautet: Atome sind homogene und daher abstrakte Entitäten, die nur eine theoretische Geltung beanspruchen können, die Natur der wahrhaften Realität hingegen ist konkret und individuell. Nur unter Voraussetzung so definierter Elemente der Dinge kann eine den Erscheinungen entsprechende Physik formuliert werden. „Die Annahme zweier ununterscheidbarer – wie zweier völlig gleicher materieller Teile – scheint, abstrakt betrachtet, möglich, ist jedoch tatsächlich weder mit der Ordnung der Dinge noch mit der göttlichen Weisheit, die nichts Grundloses zuläßt, verträglich. Die gewöhnliche Anschauung, die bei unvollständigen Begriffen stehen bleibt, läßt solche Vorstellungen zu: es ist dies [einer] der Fehler der Atomisten. Ich gebe sodann auch das Dasein vollkommen fester Elemente der Materie nicht zu, d. h. das Dasein von Elementen, die wie die vorgeblichen Atome ganz
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dre particelle doit estre considerée comme un monde plein d’une infinité de creatures différentes.“ Bereits in der Theoria motus abstracti ((Winter 1670/71) A VI 2 258-276) setzt sich Leibniz kritisch mit einem materiellen Minimum auseinander. Vgl. zur historischen Problemlage: OTTO BRADLEY BASSLER. The Leibnizian Continuum in 1671. In: SL XXX (1998) 1-23; DERS.. Labyrinthus de compositione continui: The origins of Leibniz’ Solution to the Continuum Problem (1666-1672) Chicago 1995. Bis zur Zeit der Theoria motus abstracti, schwankt Leibniz noch stark zwischen einer potentiellen Teilbarkeit im Sinne Aristoteles’ und einer aktuellen Geteiltheit im Sinne Gassendis. Vgl. zum Verhältnis von Atom und Monade bzw. Individuum bei Leibniz: JOSEF ESTERMANN. Individualität und Kontingenz. Bern / Frankfurt a. M. / New York / Paris 1990. 63. Estermann führt aus, daß Leibniz die beiden historisch aufeinander folgenden Definitionen des Individuums (Individuum im Sinne des Ungeteiltem und des inhaltlich qualitativ bestimten Seienden) mit dem physischen Atom in der Monade zu einer neuen Synthese bringt.
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aus einem Stück und ohne irgendeine Mannigfaltigkeit oder Besonderung in der Bewegung ihrer Teile sind. Die Annahme solcher Körper ist ebenfalls eine populäre, schlecht begründete Ansicht. Jedes materielle Teilchen ist, wie ich bewiesen habe, aktuell in weitere, verschiedenartig bewegte Teile geteilt, von denen kein einziges dem anderen vollständig gleicht.“54
Für Leibniz ist der Atomismus eine abstrakte und vereinfachte Theorie der Wirklichkeit. Er verkennt die wahre Natur der Dinge. Nur auf Grund einer solchen Voraussetzung ist es möglich, homogene Elemente anzunehmen, die das Zusammengesetzte konstituieren. Das Atom schränkt den Fortschritt der unendlichen Teilung durch eine unbegründete Voraussetzung ein, und verschließt sich damit die Möglichkeit der Erkenntnis der wirklichen Zusammenhänge der Physik. Die Individualität und Substantialität der Elemente der Dinge, die in der vorherigen späten Stelle aus dem Briefwechsel mit Clarke angedeutet ist, bedarf noch einer ausdauernden Arbeit des Begriffs, bevor es möglich wird, sie als Argument anzuwenden. Leibniz wendete sich in seiner Jugend vorerst von den substantiellen Formen der scholastischen Tradition ab und übernimmt, zur Erklärung der Erscheinungen der Körperwelt, die Ansätze des Atomismus55. „Als ich mich von der trivialen Schulphilosophie befreit hatte, verfiel ich auf die Modernen und ich erinnere mich noch, daß ich im Alter von 15 Jahren allein in einem Wäldchen nahe bei Leipzig, dem sogenannten Rosental, spazie54
LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 21/22, (B&C* 126) GP VII 393 f: „Cette supposition de deux indiscernables, comme de deux portions de matiere qui conviennent parfaitement entre elles, paroist possible en termes abstraits; mais elle n’est point compatible avec l’ordre des choses, ny avec la sagesse Divine, où rien n’est admis sans raison. Le vulgaire s’imagine de telles choses, parce qu’il se contente de notions incompletes. Et c’est un des defauts des Atomistes. (22.) Outre que je n’admets point dans la matiere des portions parfaitement solides, ou qui soyent tout d’une piece, sans aucune varieté ou mouvement particulier dans leur parties, comme l’on conçoit les pretendus Atomes. Poser de tels corps, est encore une opinion populaire mal fondée. Selon mes demonstrations, chaque portion de matiere est actuellement sousdivisée en parties differement mues, et pas une ne ressemble entierement à l’autre.“; vgl. ebd. 25, GP VII 394 f; An de Volder (20. Juni 1703) GP II 249 f; Nouveaux Essais (1704) Préface, A VI 6 58 55 Physik war für Leibniz Korpuskularphysik eines Boyle, Descartes, Gassendi, Hobbes etc.; vgl. LEIBNIZ. An Thomasius (20/30 April 1669) A II 1 14 ff; vgl. An Hobbes (13./23. Juli 1670) A II 1 57 f
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ren ging und bei mir erwog, ob ich die substantiellen Formen beibehalten sollte. Schließlich trug der Mechanismus den Sieg davon [...].“ 56
Der Mechanismus, der für Leibniz in vielerlei Hinsicht entscheidend blieb, war bestimmend für die weitere Beschäftigung mit dem Problem der Zusammensetzung des Kontinuums57. Leibniz erreichte schließlich mit der Ausarbeitung des Infinitesimalkalküls, der Formulierung des Gedankens der Kraft erst in reifer Zeit die völlige Darstellung dessen, was den Kern seiner Raumtheorie und der Zusammensetzung des Kontinuums betrifft. Über Etappen, die nicht einfach als eine Verschiebung von Gassendi zu Aristoteles oder umgekehrt festzumachen sind, gelingt ihm die Loslösung vom Begriff der Quantität als Elementarbestimmung der Natur. Bis zur reifen Formulierung der Monade als dem wahren Atom der Natur, hatte Leibniz verschiedene Versuche unternommen, das Problem der Zusammensetzung des Kontinuums auf physikalischer und mathematischer Ebene zu lösen. Bereits in der Dissertatio de Arte combinatoria von 1666, findet sich eine kritische Bezugnahme zur Unteilbarkeit der Atome. Leibniz definiert dort das Kontinuum als unendlich teilbar58. In der Theoria motus abstracti aus dem Jahre 1670/71 scheint Leibniz schließlich den Atomismus überwunden zu haben. Vor dieser Zeit hatte Leibniz eine noch unausgewogene Auffassung des Kontinuums59. Erst in den Pariser Jahren bzw. kurz vorher, durch Auseinander-
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LEIBNIZ. An Remond (10. Januar 1714) (B&C* 623) GP III 606: „Etant emancipé des Ecoles Triviales, je tombay sur les modernes, et je me souviens que je me promenay seul dans un boscage aupres de Leipzig, appellé Rosendal, à l’âge de 15 ans, pour delibérer si je garderois les Formes Substantielles. Enfin le Mechanisme prevalut [...].“; vgl. An de Kemney (8./18. Mai 1697) GP III 205: „La pluspart de mes sentimens ont esté enfin arrestés apres un deliberation de 20 ans: car j’ay commencé bien jeune à mediter; et je n’avois pas encor 15 ans quand je me promenois des journées entieres dans un bois pour prendre parti entre Aristote et Democrite.“; zur zeitlichen Zuordnung des „Rosental-Dilemmas“ vgl. WILLY KABITZ. Die Philosophie des jungen Leibniz. Heidelberg 21974. 49 ff; ESTERMANN. A. a. O. 52 f 57 Vgl. zum Problem des Kontinuums unter dieser Hinsicht, die ausgezeichnete Studie: BEELEY. A. a. O. 58 LEIBNIZ. Dissertatio de Arte combinatoria (1666) A VI 1 169: „Cujuscunque corporis infinitae sunt partes, seu vulgò loquuntur, Continuum est divisibile in infinitum [...].“ 59 Vgl. LEIBNIZ. An Thomasius (20./30. April 1669) A II 1 22. Leibniz erwähnt dort im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Verbindung von Aristoteles und der seinerzeit vorherrschenden Physik die letzten Teile der Materie. Sie sind durch Wider-
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setzung mit Galilei und anderen Mathematikern, kommt es zu einer neuerlichen Wendung, die, nicht unwesentlich durch logische und ontologische Überlegungen ergänzt, als erster früher Ansatz zur Lösung des Problems angesehen werden muß. Vor allem wird der Infinitesimalkalkül, seine Verbindung und Entwicklung mit und zum Kraftbegriff und schließlich der individuellen Substanz eine ganz neuartige Weise der Betrachtung ermöglichen. Um diese Überlegungen zu würdigen, ist nun zuerst die Kritik am Atom zu untersuchen. Leibniz hatte sich für eine mögliche Verbindung von Aristoteles und zeitgenössischer Physik ausgesprochen. Im Laufe dieses Versuches wandte er sich zu unteilbaren aber unausgedehnten Punkten, einem Konzept das sich später in gewisser Weise sowohl in der Infinitesimalrechnung als auch im Begriff des mathematischen, wie metaphysischen Punktes wiederfinden wird60. Er hatte hierfür eine Trennung von räumlichem Kontinuum und diskreter Materie in Anspruch genommen61. In der Theoria motus abstracti unternimmt Leibniz den Versuch das Kontinuum mit der Hilfe von Punkten zu analysieren62. Diese haben noch eine gewisse Größe, wenngleich keistand und Härte gekennzeichnet. Diese wird er später als wesentliche Bestimmungen des Atoms kritisieren. 60 Vgl. ESTERMANN. A. a. O. 69 f: „Die Existenz eines räumlichen oder materiellen Minimums hat Leibniz bereits in der Theoria Motus Abstracti überzeugend widerlegt; es gibt keinen (physischen) Teil, dessen Größe Null wäre: Das Minimum im Sinne eines ‘metaphysischen Punktes’ dagegen ist für Leibniz ein Konzept, mit dem er dem ‘Labyrinth’ entkommen kann, ohne die Diskretheit als solche aufzugeben. Der offensichtliche Widerspruch – „sequntur non resolvi liquidum in indivisibilia. Posset tamen defendi liquidum componi ex punctis perfectis“ [LEIBNIZ. De arcanis sublimum vel de summa rerum (11. Februar 1676) A VI 3 474] – kann nur insofern gelöst werden, als die indivisibilia im Sinne von Cavalieri (also mathematisch), die puncta perfecta dagegen metaphysisch, am ehesten vielleicht als ‘regulative Idee’ im Sinne Kants, aufgefaßt werden.“ Eine Einschränkung zu der Aussage, daß Leibniz bereits in der Theoria motus abstracti „die Existenz eines räumlichen oder materiellen Minimums [...] überzeugend widerlegt“ hat, wird im Text gegeben. 61 Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (November 1671) GP I 72; vgl. BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. A. a. O. 59 f. 62 Diese Schrift, die sehr stark durch Hobbes’ De corpore beinflußt ist, zeigt ihre Bezugnahme durch die wörtliche Übernahme zentraler Definitionen. Vgl. dazu: WOLF VON ENGELHARDT. Schöpferische Vernunft. Schriften aus den Jahren 1668-1686. Marburg 2 1955. 427 ff; Der Punkt wird aber schon hier von Leibniz, auch in Bezug auf Hobbes’ conatus, neuartig zu definieren versucht. Er besitzt eine mathematische Größe.
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ne Teile, noch Ausdehnung63. Für den Raum und die Materie postuliert er anderseits die unendliche Teilbarkeit64. Mit den Punkten als Indivisibilien sollte es nach Leibniz möglich sein, dem Problem zu entkommen, daß einerseits keine Minima gegeben sein dürfen, aber anderseits für die Erklärung der Bewegung ein Anfang angegeben werden muß65. Leibniz wird in Auseinandersetzung mit dem mathematischen Unendlichen in der Folgezeit das Konzept des Punktes, bzw. das der Indivisibilien, welches er mit Cavalieri annahm, für unzureichend erklären66. Die Frage, mit der sich Leibniz konfrontiert sieht, ist die Vereinbarkeit der unendlichen Teilbarkeit der Materie wie des Kontinuums überhaupt und der von ihm geforderten Notwendigkeit letzter Einheiten. Die Auflösung in Teile ist eine unzureichende Vorgehensweise, da die Punkte Grenzen und nicht Elemente des Zusammengesetzten sind. Für das physikalische Kontinuum entsteht die Schwierigkeit wie die Unendlichkeit der Zwischenphasen eines Bewegungsablaufes, die ebenfalls nur als Grenzen widerspruchslos definiert werden können, in sich selbst bestimmt sein können. Dies wird für das Kontinuumsproblem hier noch wesentlich als Frage nach dem Anfang der Bewegung begriffen. In der Schrift Pacidius Philalethi aus dem Jahre 167667 faßt Leibniz die Fragen, die
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Vgl. LEIBNIZ. Theoria motus abstracti (Winter 1670/71) A VI 2 265: „Punctum non est, cujus pars nulla est, nec cujus pars non consideratur; sed cujus extensio nulla est [...] hoc est fundamentum Methodi Cavalerianae [...].“; vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (November 1671) GP I 73 64 Vgl. LEIBNIZ. Theoria motus abstracti (Winter 1670/71) A VI 2 264: „Nullum est minimum in spatio aut corpore, seu cujus magnitudo vel pars sit nulla [...].“ 65 Vgl. LEIBNIZ. Theoria motus abstracti (Winter 1670/71) A VI 2 264: „Dantur indivisibila seu inextensa, alioquin nec initium nec finis motus corporisve intelligi potest.“; ebd. 265: „Conatus est ad motum, ut punctum ad spatium [...].“ Bereits 1669 taucht der Gedanke einer aktualen Unendlichkeit für die Erklärung der Bewegung auf. Vgl. De rationibus motus (August–September 1669) A VI 2 157-176 66 Vgl. dazu: s. u. Kap. I. 3.2. Es sei hier noch auf die spätere Verwendung des Punktes hingewiesen. In Initia rerum mathematicarum metaphysica ((1715) GM VII 20) werden Punkt und Ausdehnung, Moment und Zeit als homogon definiert. Dies entspricht der Möglichkeit eines Übergangs dieser Entitäten in der mathematischen Konstruktion. Der mathematische Punkt wird für Leibniz zur Grenze des Kontinuums, andererseits aber im Infinitesimalkalkül zu einem operationalen Symbol, dem schließlich idealer Charakter zugeschrieben wird. 67 Vgl. LEIBNIZ. Pacidius Philalethi (29. Oktober–10. November 1976) A VI 3 528-88. Es handelt sich hierbei möglicherweise um die Ausführung des Punktes 7 des Planes in:
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die Zusammensetzung des Kontinuums betreffen, zusammen. Er kommt darin mit dem Konzept der „Transcreatio“ zu einer Lösung der Bewegungsproblematik, die er in späteren Jahren mehrmals als mangelhaft darlegt68. Die Lösung ist aber, betrachtet man ihre metaphysische Implikation, wegweisend69. Er läßt in dieser Schrift sämtliche Lösungen für die Antinomien des Stetigen vorüberziehen, um sie schließlich allesamt zu verwerfen. Leugnet man die Elemente des Kontinuums, bzw. die einzelnen Zustände im Prozeß der stetigen Veränderung, dann droht damit auch das Ganze des übergreifenden Zusammenhanges, das Kontinuum als solches sich aufzulösen. Läßt man sie hingegen zu, dann gerät man in die Gefahr der Abstraktion und Hypostatisierung des nur Relativen70. Um dieser grundsätzlichen Schwierigkeit des Kontinuums zu entgehen, formuliert Leibniz eine Lösung, die metaphysisch genannt werden muß. Sie bezieht sich direkt auf das Kontinuum der Bewegung und der Zeit. Die „Transcreatio“ und das, wofür sie steht, bedeutet das ständige Eingreifen Gottes in den Bewegungsablauf eines Körpers durch die Neuschaffung. Die „Hinüberschaffung“ soll nach Leibniz’ Worten gerade den Schöpfer der Dinge, als Ursache und Lösung des Problems des Stetigen aufweisen71. Daß Guilielmi Pacidi de rerum arcanis (Frühjahr 1676) A VI 3 527: „Labyrinthus posterior, seu de Compositione continui, tempore, loco, motu, atomis, indivisibili et infinito.“ 68 Vgl. zur impliziten Kritik dieses Konzepts und seiner späteren Fassung: s. u. Kap. I. 3.2 69 Die „Transcreatio“, obgleich sie sie hier wesentlich eine „Hinüberschaffung“ bedeutet, läßt auch auf eine Analogie zur „creatio continua“ schließen. Leibniz’ System der Harmonie versteht sich nicht unwesentlich in diesem Sinne. Vgl. z. B. LEIBNIZ. Monadologie (1714) §47, GP VI 614: „Ainsi Dieu seul est l’Unité primitive […] dont toutes les Monades creées […] sont des productions, et naissent […] par des Fulgurations continuelles de la Divinité de moment à moment […].“ 70 Vgl. LEIBNIZ. Pacidius Philalethi (29. Oktober–10. November 1976) A VI 3 548. Nachdem Leibniz dargelegt hat, daß für die Bewegung unmöglich von Ruhestücken zwischen den aufeinander folgenden Zuständen ausgegangen werden kann, aber auch nicht die Bewegung aus Punkten zusammengesetzt werden kann – was ebenso für alles Stetige gilt –, da ansonsten das berühmte Labyrinth des Kontinuums mit all sein Schwierigkeiten folgt, schreibt er, um die Grundsätzlichkeit seiner Überlegung zu unterstreichen: „Neque Aristoteles neque Galilaeus neque Cartesius vitare nondum potuere, tametsi alius dissimularit alius pro desperato reliquerit, alius abruperit.“; vgl. hierzu auch: ERNST CASSIRER. Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. 4 Bde. Darmstadt 31994. II 151 f 71 Vgl. LEIBNIZ. Pacidius Philalethi (29. Oktober–10. November 1676) A VI 3 567
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Leibniz mit einer solchen Zuhilfenahme eines Deus ex machina nicht zufrieden sein kann, ist nicht verwunderlich72. Dennoch liegt m. E. in diesem frühen Gedanken der Grundstein für die spätere Theorie der Monade. Die „Transcreatio“ vereinigt für Leibniz die Möglichkeit, sowohl die Kontinuität der Bewegung, als auch ihre Gegenwärtigkeit in jedem möglich anzunehmenden Punkt, zu vereinigen. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man annimmt, daß die Bewegung von Punkt zu Punkt Sprünge machen müßte, wird dadurch vermieden, daß das Bewegungsobjekt in jedem Punkt neu geschaffen wird. Um Zwischenräume bzw. Zwischenphasen zu vermeiden, war der Sprung die einzige Alternative. Die Einheit, die der Schöpfer dem Seienden verleiht, erlaubt die Sprünge durch eine zumindest metaphysische Kontinuität des Trägersubjektes zu gewährleisten. Im Konzept des Infinitesimalen und der mathematischen Funktion, die als Einheit der Zustände einerseits das Gesetz der Entwicklung und anderseits in jedem Zustand derselben ihren Ausdruck findet, wird Leibniz die mathematische Aufhebung der „Transcreatio“ vollziehen. In Entsprechung dazu steht schließlich die Monade, als spontane Selbstentfaltung ihres vollständigen Begriffs.
3.2 Die Mechanik des Atomismus und das Kontinuitätsprinzip In der Auseinandersetzung mit Huygens, dem seinerzeit bedeutendsten Vertreter des Atomismus, speziell eines kinetischen, sind die bis dato von Leibniz vorgebrachten Argumente versammelt. In dieser leistet Leibniz, was er Descartes vorwirft unterlassen zu haben, nämlich eine immanente Kritik an den physikalischen Voraussetzungen dieser Theorie zu liefern73. 72
Die Transcreatio bedeutet ein immerwährendes Wunder zur Erhaltung der Welt. Der Einfluß Malebranches ist unverkennbar. Vgl. Leibniz’ spätere Stellungnahme bezüglich einer aktiven Einwirkung Gottes: LEIBNIZ. An Arnauld (April 1687) GP II 92 f; Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1716) 17, GP VII 366 f Vgl. die Alternative der apriorischen Bedeutung des Kontinuitätsprinzips für die Lösung der Schwierigkeit der Sprünge: An de Volder (1699) GP II 192 f 73 Vgl. LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) II 20, GP IV 368 f. Es ist nach Leibniz nötig, sich für eine Kritik des Atomismus mit der These einer unendlichen Härte auseinanderzusetzen.
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„Der Beweisgrund gegen die Atome, den ich aus den Bewegungsgesetzen hergeleitet habe, schien mir immer einer der stärksten zu sein.“74
Die Kritik an den Bewegungsgesetzen stellt für Leibniz die Vorraussetzung der Widerlegung der Unteilbarkeit des Atoms dar. Erstere hat für Leibniz insofern Vorrang, als sie eine immanente physikalische Kritik erlaubt. Leibniz erarbeitet parallel dazu mathematische und logische Prinzipien, die er schließlich als apriorische Prinzipien dieser Wissenschaften formuliert. Er fordert diese aber aus der Notwendigkeit der widerspruchsfreien Erklärung der Tatsachen75. Der Atomismus nimmt neben der bloßen Ausdehnung eine unendliche Härte der Atome an. Auf Grund dieser Voraussetzung kann erklärt werden, wie die verschiedenen Atome in ihrer Eigenart einander Widerstand leisten können76. Diese Härte ist unendlich groß, da kein Grund angegeben werden kann, unterschiedliche Grade zuzulassen. Es ist nun für eine vollständige Kritik am Atomismus notwendig, diese Prämisse zu widerlegen. Wäre nämlich die Theorie der unendlichen Härte konsistent, dann wäre die minimale Ausdehnung des Atoms und seine spezifische Gestalt, die konsequentermaßen wissenschaftlich einfachste Grundlage für die Erklärung der mechanischen Physik. Die Kritik an der unendlichen Härte ist in gewisser Weise eine Kritik des Atoms als Substanz. Wenn auch gemeinhin das Atom der Substanz entgegengesetzt ist, so enthebt doch die unendlich Härte die Quantität des Materiellen ihrer Zerlegbarkeit und definiert in dieser wesentlichen Eigenschaft das Atom als Grundprinzip der Dinge. Erst nachdem die unendliche Härte des Atoms widerlegt ist, kann die Widersprüchlichkeit in seiner Definition aufgezeigt werden.
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LEIBNIZ. An Huygens (10./20. März 1693) (B&C* 303) GM II 157: „J’avois crû que ma raison contre les atomes prise des loix du mouvement estoit une des plus fortés.“ 75 In diesem Sinne hat CASSIRER (Leibniz’ System. A. a. O.) Leibniz erstmals umfassend interpretiert. Dellian (ED DELLIAN. Vorwort. In: SAMUEL CLARKE. Der Briefwechsel mit G. W. Leibniz von 1715/1716. Übers. und mit Einf., Erl. und Anhg. hrsg. von Ed Dellian. Hamburg 1990; IX ff) kritisiert diese Tendenz, indem er Leibniz’ Naturphilosophie als rationalistisch im negativen Gegensatz zu einer realistischen kennzeichnet und darin den Grund für die moderne Trennung von Philosophie und Naturwissenschaft sieht. 76 Vgl. Huygens an Leibniz (11. Juli 1692) GM II 139
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Das Hauptargument gegen die Atome, das Leibniz aus den Bewegungsgesetzen ableitet, ist ein zweifaches. Einerseits würde die Bewegung bei identisch harten Körpern verloren gehen. Sie müßten demgegenüber elastisch sein, bzw. verschiedene Grade zulassen, um überhaupt die Bewegungserscheinungen in ihrer Verschiedenheit erklären zu können77. Andererseits verletzt die Voraussetzung einer absoluten Härte das von Leibniz später als Kontinuitätsgesetz bezeichnete Grundprinzip der Natur. Die Bewegung der Körper müßte schließlich sprunghaft vor sich gehen. Das widerspricht jedoch ebenfalls den Erscheinungen78. Leibniz kritisiert damit die Vorraussetzung des Atomismus, indem er die Unfähigkeit ihres Axioms für die Erklärung der Phänomene darlegt. Das Gesetz der Kontinuität ist in dieser Anwendung die aristotelische Stetigkeitsdefinition als Grundlage zur konsistenten Beschreibung der Naturerscheinungen. Es zählt zu den ersten Prinzipien der Natur. „Kontinuität aber kommt der Zeit wie der Ausdehnung, den Qualitäten wie den Bewegungen, überhaupt aber jedem Übergang in der Natur zu, da ein solcher niemals sprungweise vor sich geht.“79
Die Kontinuität der Naturvorgänge darf niemals verletzt werden. In einer Schrift aus dem Jahre 1687, in der Leibniz das Kontinuitätsprinzip erstmals in seiner umfassenden Bedeutung darlegt, bezeichnet er das Kontinuitätsgesetz daher als Prüfstein für mathematische und physikalische Theorien80. Leibniz formuliert diese allgemeine Geltung aus einer einfachen Überlegung heraus: wie die Erscheinungen der Materie und ihre Vorgänge sich nicht diskontinuierlich verhalten können, so auch nicht ihre Konstituentien. Letzteres ist Kriterium für die Ablehnung des Atoms als unendlich hartem ausgedehntem Materiestück. Man kann in diesem Zusammenhang die mathematische Formulierung des Kontinuitätsgesetzes, nachdem einer geregelten
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Vgl. LEIBNIZ. An Huygens (16./26. September 1692) GM II 146 Vgl. LEIBNIZ. An Huygens (10./20. März 1693) GM II 156; vgl. An Foucher (1692) GP I 403: „Mon axiome que la nature n’agit jamais par saut [...] détruit atomos [...] et autres chimères semblables [...] je ne conçoit point d’indivisibles physiques [...].“ 79 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) (B&C* 44) GM VII 25: „Continuitas autem in tempore, extensione, qualitatibus, motibus, omnique naturae transitu reperitur, qui numquam fit per saltum.“ 80 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 25 78
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Ordnung im Gegebenen eine geregelte Ordnung im Gesuchten entspricht81, in dieser Weise übertragen. Wenn die Natur keine Sprünge in ihren Wirkungen macht82, dann kann sie es auch nicht in ihren Ursachen. Das Kontinuitätsgesetz, das ursprünglich aus der Auseinandersetzung mit der unendlichen Teilbarkeit des Kontinuums und der Erklärung der Bewegung entstand, wird später für Leibniz zum allgemeinen Prinzip der Ordnung. „Derart ist das Axiom, dessen ich mich bediene, »daß nämlich kein Übergang sprungweise vor sich geht«. Dieser Satz fließt meiner Ansicht nach aus dem Gesetz der Ordnung und stützt sich auf den gleichen Vernunftgrund, kraft dessen allgemein anerkannt wird, daß die Bewegung nicht sprungweise vor sich geht, d. h. daß ein Körper, um von einem Orte zum anderen zu gelangen, bestimmte Zwischenstellen passieren muß. Nun können wir freilich, wenn wir einmal die Kontinuität der Bewegung als gewiß und vom Urheber der Dinge gewollt annehmen, damit ohne weiteres Sprünge auch überall sonst ausschließen, wie aber wollen wir diese selbst beweisen, wenn nicht vermöge der Erfahrung oder aus rationalen Gründen der Ordnung? Denn da alle Dinge aus Gott kraft einer dauernden Neuerzeugung oder, wie man sagt, kraft eines beständigen Schöpfungsaktes hervorgehen: warum hätte er da nicht den Körper sozusagen von einem Orte nach einem entfernten umschaffen und eine Lücke, sei es in der Zeit oder im Raume, offen lassen können, indem er z. B. den Körper erst in A, dann sogleich in B usw. erschuf. Daß dies nicht geschieht, lehrt die Erfahrung, zugleich aber läßt es sich durch das rationale Ordnungsprinzip erweisen, wonach nämlich die Dinge, je weiter wir sie gedanklich zerlegen, umsomehr dem Verstande Genüge leisten. Dies würde für die
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Vgl. LEIBNIZ. Principium quoddam generale non in mathematicis tantum sed in physicis utile ... (1687) GM VI 129: „Datis ordinatis etiam quaesita sunt ordinata.“; vgl. die identische Formulierung in: Sur un principe general utile a l’explication des loix de la nature par la consideration de la sagesse divine ... (1687) GP III 52 82 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) Préface, A VI 6 56: „Rien ne se fait tout d’un coup, et c’est une des mes grandes maximes et des plus verifiées que la nature ne fait jamais des sauts: ce que j’appelois la Loy de la continuité [...].“; vgl. die bekanntere Formulierung: An de Volder (24.März/3. April 1699) GP II 168: „[...] natura non facit saltus.“ Diese Formulierung des Kontinuitätsprinzips kann auf die erste zurückgeführt werden; vgl. zur speziell mathematischen Darstellung: ANAPOLITANOS. A. a. O. 51 f
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Sprünge nicht zutreffen, da hier die Analysis schließlich zu ἄῤῥητα, zu etwas Letztem und Unauflöslichem gelangt.“83
In dieser Stelle aus einem Brief an de Volder schließt Leibniz, ausgehend von der Notwendigkeit der Annahme des Kontinuitätsprinzips zur Erklärung der Erscheinungen und der Natur, bereits auf die Apriorizität dieses Prinzips84. Dieser Sachverhalt wird insbesondere bei der Formulierung des Kraftbegriffes von Bedeutung sein. Bevor jedoch dieser untersucht werden kann, müssen noch weitere Voraussetzungen analysiert werden. Festzuhalten ist, daß für Leibniz die Annahme von Atomen nicht nur den Erscheinungen, sondern auch der Vernunft widerspricht. Ausgehend vom Nachweis der Inkonsistenz der Begründung der absoluten Härte folgert Leibniz, daß in der Natur nichts vorhanden sein kann, das „[...] so fest ist, daß es nicht einen gewissen Flüssigkeitsgrad hätte [...].“ 85. Er nimmt daraufhin zwischenzeitlich ein flüssiges, elastisches Fluidum an, 83
LEIBNIZ. An de Volder (24. März/3. April 1699) (B&C* 471 f) GP II 168: „Tale est Axioma quo utor: nullam transitionem fieri per saltum. Id fluere arbitror ex ordinis lege et pari ratione niti, quo id quod agnoscunt omnes, motum non fieri per saltum, id est corpus a loco ad alium locum remotum non nisi per intermedia pervenire. Fateor si semel assumserimus, continuitatem in motu autori rerum placuisse, eo ipso excludi saltus; sed illam placuisse unde comprobabimus, nisi vel per experientiam vel per ordinis rationem? Cum enim omnia perpetua Dei productione et, ut loquuntur, continua creatione fiant, quidni potuisset ille corpus, ut ita dicam, transcreare de loco in locum distantem, hiatu relicto vel in tempore vel in loco, verbi gratia producendo corpus in A, deinde in B etc. Hoc non fieri docet experientia, sed idem comprobat ratio ordinis quae efficit ut quanto res disc utiuntur magis, tanto magis intellectui satisfiat, quod in saltibus non fit, ubi tandem analysis nos ut sic dicam ad ἄῤῥητα ducit.“ 84 In der Forschung unterscheidet man in Anlehnung an RUSSEL (a. a. O. 63.) drei Anwendungen des Kontinuitätsprinzips: 1. Kontinuität von Raum und Zeit. 2. Kontinuität der Veränderung der Dinge in Raum und Zeit. 3. Kontinuität der Formen. Russel äußert sich über die generelle Bedeutung des Kontinuitätsprinzips folgendermaßen (ebd.): „This law usually holds a prominent place in expositions of Leibniz, but I cannot discover that, except as applied to Mathematics, it has any great importance.“ Über diese Beurteilung hinaus sei auf die grundlegende Bedeutung dieses Prinzips hingewiesen, die es im allgemeinen für die scientia generalis und im besonderen für die Formulierung der möglichen Individuen hat. Vgl. dazu: CASSIRER. Erkenntnisproblem. A. a. O. II 158 85 LEIBNIZ. An Arnauld (April 1687) (B&C* 422) GP II 100: „[...] rien n’est si solide qu’il n’ait un degré de fluidité [...].“
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das den Weltraum kontinuierlich erfüllt. Aus dieser Zeit stammt folgende Aussage über das materielle Kontinuum; sie ist einer Studie über den Vergleich zwischen Aristoteles’ und Descartes’ Theorie der Materie entnommen. „Die Materie ist aktuell in unendliche Teile geteilt. In jedem beliebigen Körper sind unendlich viele Geschöpfe. Alle Körper stehen miteinander in Zusammenhang. Unstreitig werden alle von allen getrennt, jedoch nicht ohne Widerstand. Es gibt keine Atome oder Körper, deren Teile niemals getrennt werden.“86
Diese Schlußfolgerungen, die Leibniz bereits 1670/71 gezogen hat, werden nicht wieder zurückgenommen. Die atomistische Voraussetzung einer Dualität von leerem Raum und Atomen hat für ihn keinen Anspruch auf Erklärung der physikalischen Phänomene mehr. Zu einer zufriedenstellenden und bleibenden Lösung des Kontinuumproblems, insbesondere in Bezug auf die Realität der Substanzen, wie sie im späteren formuliert wird, ist Leibniz zu dieser Zeit damit jedoch noch nicht gelangt. Die Natur der letzten Elemente, die es trotz aller Kritik am Atom dennoch geben muß, um von einer aktualen Unendlichkeit sprechen zu können, wird als Geist (mens) bestimmt. Obgleich Leibniz noch nicht zur Erkenntnis der Phänomenalität des Körperlichen im strengen Sinne gelangt ist, formuliert er bereits 1672/73: „Wenn es keine Geister gäbe, wären alle Körper nichts.“87
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LEIBNIZ. De materia prima (1670–71) A VI 2 280: „Materia actu dividitur in partes infinitas. Sunt in quolibet corpore dato creaturae infinitae. Omnia corpora inter se cohaerent. Distrahuntur quidem omnia ab omnibus, sed non sine renisu. Nullae sunt Atomi, seu corpora quorum partes numquam distrahuntur.“; zu Beginn des Vergleiches merkt Leibniz an (ebd. A VI 2 279): „Materia prima Aristotelis, cum Materia subtili Cartesii idem est. Utraque est divisibilis in infinitum.“; vgl. ebd. A VI 2 280: „Omnia esse plena, quia materia prima et spatium idem est.“; vgl. die spätere Stellungnahme: An des Bosses (7. November 1710) GP II 412: „Ego materiam ubique sua natura divisibilem statuo, nec Atomos nisi per miraculum induci posse, fluiditatem etiam transire in quosdam connexionis gradus per motus varios in materia inter se conspirantes.“ 87 LEIBNIZ. De minimo et maximo. De corporibus et mentibus (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 100: „Si nullae essent mentes, omnia corpora essent nihil.“
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Es ist wiederum die Erklärung der Bewegung, die die Einführung von unkörperlichen Prinzipien verlangt88. „Deshalb ist es notwendig der Materie einen Geist hinzuzufügen bzw. unkörperliche Substanzen zugrunde zulegen.“89
Leibniz ist zu dieser Zeit aber noch nicht in der Lage, das Kontinuum und die unkörperlichen Substanzen in einer befriedigenden Weise zu vereinbaren. Das zeigt sich z. B. daran, daß er Raum und Materie in Bezug auf ihre Kontinuität in einer noch sehr physischen Weise unterscheidet90. Abschließend sei nun noch einmal auf das wesentliche Argument für die weitere Auseinandersetzung hingewiesen. Die logisch vorrangigste Kritik am Atom ist der immanente Widerspruch seines Konzepts. Das Atom ist unteilbares Element der als teilbar definierten Materie91. Auf Grund dieser Schwierigkeit ist das Atom für Leibniz nur ein heuristisches Modell, ein abstrakter Begriff zur Erklärung der Erscheinungen. „Wenn ich bestritt, daß man zu den kleinsten Teilchen gelangen könne, so bezog sich dies, wie man leicht sehen konnte, nicht nur auf die von uns vollzogenen Teilungen, sondern auch auf die, die tatsächlich in der Natur vor sich gehen. Denn wiewohl ich davon überzeugt bin, daß jeder beliebige Teil der Materie wiederum tatsächlich weitergeteilt ist, so folgt daraus meiner Meinung nach dennoch nicht, daß es ein unendlichkleines materielles Teilchen gibt, und noch weniger kann ich zugeben, daß daraus folgt, daß es irgendein allerkleinstes Teilchen gebe. Wenn man den Schluß auf eine logische Form bringen wollte, so würde man auf die Schwierigkeiten aufmerksam werden.“92 88
Vgl. LEIBNIZ. Propositiones quaedam physicae (Frühjahr–Herbst 1672) Dritter Entwurf, A VI 3 66: „Si omnes substantiae corporeae sunt, motus sensibilis cessavit ante datum quodlibet, id est ab aeterno, ac proinde nunquam fuit.“ 89 LEIBNIZ. Propositiones quaedam physicae (Frühjahr–Herbst 1672) Dritter Entwurf, A VI 3 67: „Ergo necessarium est Materia addi mentem, seu supponi substantias incorporeas.“ 90 Vgl. LEIBNIZ. Specimem Demonstrationum de Natura Rerum Corporearum (2. Hälfte 1671) Zweiter Entwurf, A VI 2 305 91 Vgl. LEIBNIZ. Actu infinitae sunt creaturae (Sommer 1678–Winter 1680/81) A VI 4 B 1393: „Et quaelibet pars corporis est corpus ex ipsa corporis definitione.“; vgl. dazu auch: RUSSEL. A. a. O. 105: „Atoms of matter are contrary to reason, because they would have to be indivisibles whose essence is divisibility.“ 92 LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) (B&C* 543) GM III 536: „Cum negavi, ad minimas portiones deveniri, facile judicari poterat me non locutum de nostris divisioni-
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Man kann die atomistische Sichtweise eine realistische nennen. Sie fordert für die materiell und ausgedehnt erscheinenden Körper letzte Bausteine, die in Bezug auf die spezifischen Eigenschaften der Materialität – insbesondere betrachten wir hier die der Ausdehnung, und für Leibniz kommt noch die der Undurchdringlichkeit hinzu –, identische Qualitäten besitzen. Nur so kann ein Kompositum als Vielheit von Teilen begriffen werden. Jedoch verlangt der Atomismus, daß die Eigenschaft der Teilbarkeit den Atomen notwendigerweise nicht zugeschrieben werden darf. Das Atom ist konzeptionell immer wesentlich Unteilbares. Konsequent wird also die unendliche Härte als Attribut einer solchen Entität angenommen, um die Differenz zum Kompositum zu sichern. Indem Leibniz aber die mathematischphysikalischen Konsequenzen dieser Annahme ad absurdum führt, kann er die Annahme eines solchen Attributs entscheidend kritisieren. Da es ein solches Attribut nicht gibt, ist das materielle Atom als unteilbar Teilbares eine contradictio in adjecto. Das Prinzip zur Widerlegung ist aber neben dem Satz des Widerspruchs das Gesetz der Kontinuität. Nach diesem ist es unmöglich in der Natur die Kontinuität in irgendeiner Weise zu beschränken.
bus, sed etiam de illis, quae actu fiunt in natura. Etsi igitur pro certo habeam, quamlibet partem materiae esse rursus actu subdivisam, non ideo tamen hinc sequi puto, quod detur portio materiae infinite parva, et minus adhuc sequi concedo, quod ulla detur portio omnino minima. Si quis consecutionem in formam redigere velit, sentiet difficultatem.“
4. Das mathematische Kontinuum 4.1 Das Unendliche als Ganzheit Leibniz’ weitere Beschäftigung mit der Zusammensetzung des Kontinuums führte ihn schließlich, nach eingehendem Studium der Mathematik, zur Mitbegründung der Infinitesimalrechnung93. Die hierfür nötigen mathematischen Kenntnisse erwarb er sich erst während seines Aufenthaltes in Paris in den Jahren zwischen 1672 und 1676. In diese Zeit fällt auch das intensive Studium der cartesischen Schriften. Leibniz hatte die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums nach Aristoteles zugestanden. Dem mechanischen Geist seiner Zeit folgend, konnte er aber die physikalischen Vorgänge der Materie nicht mit Hilfe der substantiellen Formen der aristotelischen Theorie erklären. D. h. er kann die Bewegung der Körper nicht aus der einheitsstiftenden substantiellen Form dieser Entitäten erklären94. Er sieht sich genötigt, die atomistische These zu übernehmen, nach der eine Vielheit unteilbarer Elemente die Ursache für die zu erklärenden Phänomene darstellt. Als Synthese beider Überlegungen fordert er eine unendliche Vielheit von Entitäten in jedem materiellen Seienden. Dennoch soll das Kontinuum potentiell unendlich sein, d. h. daß wir bei der Teilung von Körpern niemals zu letzten Teilen gelangen. Diese Antinomie verlangt eine Beschäftigung mit Leibniz’ Ausführungen zur Mathematik des Unendlichen und über das Konzept des Unendlichkleinen. Bereits vor die mathematisch fruchtbarste Zeit der Pariser Jahre fällt die für alles spätere entscheidende Definition über das unendliche Ganze, bzw. unendlich Große. Leibniz übernimmt Euklids Axiom, daß das Ganze größer 93
Vgl. ALEXANDRE KOYRÉ / I. BERNARD COHEN. Newton and the Leibniz-Clarke Correspondence with Notes on Newton, Conti, and des Maizeaux. In: Archives Internationales d’Histoire des Sciences 15 (1962) 63-126. Der Sieg Newtons im Prioritätenstreit hatte in der Folgezeit zur Konsequenz, daß nicht bewußt wurde, inwieweit man sich in Schreibweise und Begründung des Kalküls aber tatsächlich an Leibniz und nicht an Newton orientierte. Vgl. dazu: DELLIAN. A. a. O. XXII ff 94 Für Aristoteles ist die Realität eines Körpers in der letzten Begründung durch die Entelechie der gesamten Entität gegeben. Dies Auffassung steht in direkter Entsprechung zu seiner Definition des materiellen Kontinuums: es hat nur der Möglichkeit nach Teile.
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als sein Teil ist. Dies ist die zentrale These für alle weiteren Überlegungen, die die Unendlichkeit des Kontinuums und des Raum betreffen. Zu Leibniz’ Zeit war bereits formuliert worden, daß im Unendlichen dieses Axiom keine Geltung haben kann, um die damit verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden. In einem Brief an Bernoulli aus dem Jahre 1698 bezieht sich Leibniz direkt auf diesen Sachverhalt und hält ihm seine eigene Ansicht entgegen. „Wie jetzt de Volder, so hat schon früher Gregor von St. Vincentius irgendwo gesagt, im Unendlichen habe der Grundsatz, daß das Ganze größer ist als der Teil, keine Geltung. Hier muß man indes, wie mir scheint, entweder sagen, daß das Unendliche kein wahrhaftes einheitliches Ganzes ist, oder aber, daß es, wenn es ein Ganzes ist und trotzdem nicht größer als sein Teil, etwas widersinniges ist. Ich habe schon vor langen Jahren bewiesen, daß die Anzahl oder Menge aller Zahlen einen Widerspruch einschließt, wenn man sie als ein einziges Ganzes nimmt. Dasselbe gilt von der größten und der kleinsten Zahl oder auch dem kleinsten Bruch. Diese Dinge gehören zu derselben Kategorie wie die schnellste Bewegung und dergleichen. Auch das Universum ist kein einheitliches Ganzes […].“95
Die Schwierigkeiten, die mit der Anerkennung des erwähnten euklidischen Axioms für das Unendliche verbunden sind, kann man sich anhand eines grundlegenden Sachverhaltes der Leibnizschen Philosophie verdeutlichen. Leibniz fordert in jedem Körper unendlich viele Lebewesen. „Ich glaube sogar, daß die Materie wesentlich ein Aggregat ist und folglich, daß es immer aktuelle Teile gibt. So urteilen wir mittels die Vernunft und nicht nur mittels der Sinne, daß sei geteilt ist, oder vielmehr, daß sie ursprünglich nichts anderes ist als eine Vielheit. Ich glaube, daß es wahr ist, daß die Materie (und gleichermaßen jeder Teil der Materie) in eine größere Zahl von Teilen geteilt ist wie es möglich ist, sich vorzustellen. Dies veranlaßt mich häufig zu sagen, daß 95
LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) (B&C* 542) GM III 535: „Uti Dn. Volderus, ita olim Gregorius a S. Vincentio alicubi dixit, in infinito non habere locum Axioma, quod Totum sit majus parte. Sed mihi videtur alterutrum dicendum, vel infinitum revera non esse unum totum, vel infinitum, si totum sit, et tamen non sit majus sua parte, esse aliquid absurdum. Sane ante multos annos demonstravi, numerum seu multitudinem omnium numerorum contradictionem implicare, si ut unum totum sumatur. Idem de numero maximo et numero minimo, seu fractione omnium infima. Et de his dicendum, quod de motu celerrimo, et similibus. Etiam Universum non est unum totum [...].“
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jeder Körper, wie klein er auch sei, eine Welt von Geschöpfen ist, die unendlich in ihrer Zahl sind.“96
Man interpretiert nun gewöhnlich, Leibniz folgend, die Körper als Aggregate von Monaden. Nehmen wir nun zwei Körper, dann hätten wir zwei „Unendlichkeiten“. Dies potenziert sich wiederum, wenn man alle Entitäten der Welt in Betracht zieht. Es bietet sich nun direkt kein Kriterium, wie etwa Cantors Mächtigkeit97, um durch eine Differenzierung den Widersprüchen zu entgehen. Somit wäre jeder Teil, d. h. ein jeder Körper, gleich dem Ganzen, d. h. allen Körpern. Auf Grund analoger Schlüsse sahen sich obengenannte Mathematiker veranlaßt, dieses Axiom bezüglich des Unendlichen für ungültig zu erklären. Leibniz folgert hingegen, daß das Axiom auch für das Unendliche gültig ist und daß daher das Unendliche nicht als Ganzes möglich ist, sondern als Vielheit verstanden werden muß. Diese Vielheit hat kein Maximum, ist aber sehr wohl unendlich. Was wir heute überabzählbar unendlich nennen, abgesehen von den Mengenantinomien, sofern sie hiermit in Verbindung stehen, dürfte dem Leibnizschen Gedanken entsprechen. Hobbes, dessen Schrift De corpore Leibniz schon vor Galilei’s Discorsi studierte, hatte bezüglich des Unendlichen sehr ähnliche Positionen vertreten, wie sie Leibniz später selbst ausarbeitet98. Eine infinite Zahl, so Hobbes, 96
LEIBNIZ. Extrait d’une lettre de M. D. Leibniz sur son hypothèse de philosophie ... (1696) GP IV 502 f: „Je crois même que la matiere est essentiellement un aggregé, et par consequent, qu’il y a tousjours des parties actuelles. Ainsi c’est par la raison, et non pas seulement par le sens, que nous jugeons qu’elle est divisée, ou plustost qu’elle n’est autre chose originairement qu’une multitude. Je crois qu’il est vray que la matiere (et même chaque partie de la matiere) est divisée en plus grand nombre de parties qu’il n’est possible d’imaginer. C’est ce qui me fait dire souvant que chaque corps, quelque petit qu’il soit, est un Monde de creatures infinies en nombre.“ 97 Dieses Beispiel dient der Veranschaulichung. Leibniz selbst formuliert ähnlich wie in der modernen Mathematik die Nichtidentität der Mengen gerader und ungerader Zahlen. Dazu s. u.: Kap. III. 6 98 Vgl. Leibniz’ Formulierung im 3. Axiom der Fundamenta praedemonstrabilia (Theoria motus abstracti (1670/71) A VI 2 264): „[…] nec poni Minimum potest, quin sequatur tot esse totius, quot partis minima, quod implicat.“; vgl. auch den syllogistischen Beweis von Ganzem und Teil, der zugrundeliegt: Hypothesis physica nova (1670/71) A VI 2 248; Initia rerum mathematicarum metaphysicae (1715) GM VII 20: „Quicquid ipsius A parti aequale est, id ipso A minus est, ex definitione, [–] B est aequale parti ipsius A, nempe sibi, ex hypothesi, [–] ergo B est minus ipso A.“; vgl. zur großen Bedutung
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ist ein Widerspruch, es gibt keine letzte unendliche Zahl sondern nur eine immer größere, also schließlich nur eine indefinite99. Daraus folgt im weiteren, daß eine unendliche Ganzheit oder Einheit nicht existieren kann, sei es als Raum oder als Zeit100. Keine Quantität kann daher so groß oder klein sein, daß sie nicht noch größer oder kleiner möglich wäre101. Leibniz übernimmt diese Thesen vorläufig von Hobbes. Entscheidend werden sie aber erst durch die vertiefte Auseinandersetzung mit Galilei102, die wahrscheinlich im Herbst 1672103 mit dem Studium von dessen Discorsi einsetzt. Dadurch gelangt Leibniz zu einer selbständigen und gefestigten Position. Galilei nimmt eine unendliche Zahl an. Er identifiziert sie anhand mathematischer Operationen mit der 1. Die Zahl 1 erlaubt die Gleichheit der Geraden und ungeraden Zahlen aus sich abzuleiten104. Demzufolge kann für Galilei das euklidische Axiom für das Unendliche nicht gelten. Die Teile der unendlichen Menge sind für Galilei folglich unbestimmt, d. h. sie liegen ihrer Größe und Anzahl nach jenseits von unendlich und endlich105. Leibniz notiert an den Rand des Textes, wo Galilei dieses Unendliche als infinit definiert, da dieser Schluß für Leibniz nicht gültig sein kann: „oder indefi-
dieses Axioms: Historia et origio calculi differentialis (undat./ ca. 1712) GM V 395: „[…] Axioma illud magnum, Totum esse majus parte, demonstrari per syllogismum […].“ 99 Vgl. HOBBES. De corpore I 5 5; II 7 11 100 Vgl. HOBBES. De corpore II 7 11 f 101 Vgl. HOBBES. De corpore II 7 13 102 Vgl. zum Einfluß Galileis auf Leibniz: Joseph E. Hofmann. Leibniz in Paris 1672-1676: His Growth to Mathematical Maturity. Cambridge 1974 (deutsch: München 1949); vgl. ebd. 20: „Galilei’s Discorsi seems to lie open on Leibniz’s desk while he writes.“; vgl. OTTO BRADLEY BASSLER. Towards Paris: The Growth of Leibniz’s Paris Mathematics out of the Pre-Paris Metaphysics. In: SL XXXI (1999) 160-180 103 Vgl. Leibniz’ Notizen zur Lektüre des Discorsi: LEIBNIZ. Aus und zu Galileis Discorsi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 164-168 104 Vgl. GALILEI. Discorsi e dimonstrazioni matematiche, intorno a due nouve scienze. Opere VIII 78-85; angegeben nach: OTTO BRADLEY BASSLER. Leibniz on the Indefinite as Infinite. In: Review of Metaphysics (1998): 51(4) 849-874; 858. Zur Auseinandersetzung mit der 1 als Zahl aller Zahlen und Leibniz’ Alternative der 0, vgl. LEIBNIZ. Accessio ad Arithmeticam Infinitorum (Ende 1672) A II 1 226 105 BASSLER. Towards Paris. A. a. O. 170: bezeichnet diese daher sehr treffend mit dem Begriff „parafinit“ und weist darauf hin, daß Leibniz diesen Terminus inhaltlich für sein Konzept des Infinitesimalen übernehmen wird.
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nit“106. Für Leibniz ist also auf Grund des Widerspruchs mit dem euklidischen Axiom Galileis Infinites nur indefinit. Ebenso führt für Leibniz eine Überprüfung von Galileis mathematischem Argument, demzufolge die Zahl 1 als unendliche Zahl angegeben wird, zu Schwierigkeiten. Die Zahl aller Zahlen entspricht nach Leibniz vielmehr der 0 bzw. ist nichtig107. Diese Folgerung gilt in Bezug auf die Möglichkeit einer unendlichen Ganzheit. Sie kann nicht als Infinites, sondern nur als unbestimmt, indefinit aufgefaßt werden. So formuliert Leibniz zu dieser Zeit: „Es gibt kein Maximum in den Dingen, oder was Dasselbe bedeutet, die unendliche Zahl aller Einheiten ist nicht ein Ganzes, sondern wird mit Nichts identifiziert.“108
Das Argument gegen die unendliche Einheit ergibt sich, wie gesagt, für Leibniz aus dem Widerspruch zum Axiom, daß das Ganze größer als der Teil ist. „Denn wenn die unendliche Zahl aller Einheiten, oder was Dasselbe ist, die unendliche Zahl aller Zahlen ein Ganzes ist, dann folgt, daß etwas seinem Teil gleich ist. Das ist widersprüchlich.“109
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LEIBNIZ. Aus und zu Galileis Discorsi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 168: „Ad quaestionem an partes continui sint finitae, an infinitae respondet Galilaeus neutrum esse, sed tales ut respondeant cuilibet numero dato (+ seu indefinitas +).“ 107 Galileis Argumente für die unendliche Zahl als 1 werden von Leibniz durch Erweiterung des Spektrums widerlegt. Interessant ist diese These insofern, als Leibniz später mit dem dyadischen Modell (0, 1) ein Modell zur Hand zu haben meint, mit dem er seine Kombinatorik zu verallgemeinern sucht. Wenngleich er es wieder verwirft, bleibt dieser Gedanke tragend. Er impliziert, daß eine Unendlichkeit von Einheiten nur gegeben sein kann, aber keine Unendlichkeit als Einheit. In diesem Zusammenhang sei auch auf die phytagoräischen Wurzeln dieser Einheiten und der Harmonielehre hingewiesen, die Leibniz durch seinen Jenaer Professor Erhard Weigel vermittelt bekam. Vgl. dazu ESTERMANN. A. a. O. 64 ff 108 LEIBNIZ. De minimo et maximo (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 98: „Nullum datur Maximum in rebus, vel quod idem est Numerus infinitus omnium unitatum non est unum totum, sed nihilo aequiparatur.“ 109 LEIBNIZ. De minimo et maximo (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 98: „Nam si numerus infinitus omnium unitatum, seu quod idem est, Numerus infinitus omnium numerorum est aliquod totum, sequetur aliquam eius partem esse ipsi aequalem. Quod est absurdum.“
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Auf diese Widerlegung bezog sich die eingangs zitierte Passage aus dem Brief an de Volder, in der Leibniz sagte, daß er bereits vor langen Jahren die Unmöglichkeit eines unendlichen Ganzen bewiesen hat. Leibniz’ Kritik an einer schnellsten Bewegung, oder wie schließlich der Unmöglichkeit des sogenannten kategorematisch Unendlichen, folgt dem gleichen Grundsatz110. Die Menge aller Zahlen, oder die unendliche Zahl ist für Galilei, wie er selbst ausführt, zwar unbestimmt111, er bestimmt sie aber dennoch als infinit und als real existierendes Maximum. Leibniz, der annimmt, daß zu jeder möglichen Zahl immer eine größere gegeben werden kann112, löst diese Schwierigkeit, indem er folgert, daß eine unendliche Einheit nicht als reale sondern nur als mögliche gegeben sein kann. Galileis Infinites wird somit für Leibniz zum Indefiniten113. Das Indefinite bezeichnet eine ideale Einheit möglicher Teile, bzw. die Möglichkeit stetiger Fortsetzung. Das Infinite steht demgegenüber für die reale Vielheit von Dingen, die niemals eine Einheit bildet. Diese Unterscheidung wird Leibniz von nun an prinzipiell beibehal110
Vgl. LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) GM III 535. Zur Widersprüchlichkeit der schnelllsten Bewegung vgl. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (November 1684) GP IV 424: „Soleo autem ad hoc declarandum uti exemplum motus celerrimi qui absurdum implicat; ponamus enim rotam aliquam celerrimo motu rotari; quis non videt, productam aliquem rotae radium extremo suo celerius motum iri, quam in rotae circumferentia clavum; hujus ergo motus non est celerrimus, contra hypothesin.“; vgl. zur unendlichen Linie: Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 593: „Mais quoyque nous en puissions conclure qu’il n’y a point de dernier tout fini, il ne s’ensuit pas encor que nous voyons un tout infini. Il n’y a point de ligne droite infinie, mais toute ligne droite peut toujours être prolongée ou surpassée par une autre plus grande.“ 111 Vgl. GALILEI. Discorsi e dimonstrazioni matematiche, intorno a due nouve scienze. Opere VIII 81; angegeben nach: BASSLER. Leibniz on the Indefinite as Infinite. A. a. O. 858 112 Vgl. LEIBNIZ. An Malebranche (22. Juni 1679) A II 1 476 113 Der Unterschied von infinit und indefinit wird durch den negativen oder privativen Gebrauch in der Aussage definiert. Ersteres wird in vollständiger Negation aller Endlichkeit ausgesagt, letzteres in Ermanglung der Endlichkeit. Das Infinite ist dasjenige was realiter keine Grenze hat und haben kann, das Indefinite dasjenige, welches keine Grenze hat, obgleich es eine haben könnte. Noch bis Descartes hat sich die Unterscheidung einer endlichen aber unbegrenzten Welt gegenüber ihrer vollumfänglich unendlichen Ursache gehalten. Leibniz wird mit der aktualen Unendlichkeit, die er auf die unendliche Vielheit der Monaden bezieht, diesen Unterschied in gewisser Hinsicht aufzuheben versuchen. Dies gelingt ausschließlich auf Grund der Ablehnung des Unendlichen als Ganzheit bzw. der Enthebung des Unendlichen aus dem Bereich der Quantität.
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ten. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung des Kontinuumproblems.
4.2 Die Idealität und die These der phaenomena bene fundata Es stellt sich nun im Folgenden die Frage wie Leibniz nach dieser Kritik an einer unendlich großen Zahl die unendlich kleinen Größen, die im Infinitesimalkalkül benötigt werden, aufrechterhalten kann. Zur Zeit der Beschäftigung mit dem Unendlichgroßen hatte Leibniz noch für das Unendlichkleine die Möglichkeit verschieden großer Punkte angenommen114, und damit quantitative Differenzen im Begriff des Punktes impliziert. Diese Möglichkeit verschwindet in den Pariser Jahren. Daher soll nun mit der reiferen Auffassung fortgeschritten werden, v. a. wie sie im Briefwechsel mit Bernoulli auseinandergelegt wird115. Leibniz definiert die Infinitesimalien schlußendlich als ideale Entitäten. Diese Tatsache macht eine Darlegung des Idealen in Bezug auf das Kontinuum nötig. Das Ideale wird wesentlich im Unterschied zum Realen ausgesagt, wie es in Bezug auf das Kontinuum durch folgende bereits zitierte Stelle programmatisch zum Ausdruck kommt. „Im Aktualen sind die Einfachen vor den Zusammengesetzten, im Idealen ist das Ganze früher als der Teil. Wer diese Überlegungen mißachtet, bringt das berühmte Labyrinth des Kontinuums hervor.“116
Diese Leibnizsche „Regel“ für den Ausweg aus dem Labyrinth des Kontinuums enthält implizit noch eine weitere Dimension, nämlich die des Phänomenalen. Die Einfachen, womit die realen Entitäten gemeint sind, sollen, wie es heißt, vor den bzw. dem Zusammengesetzten sein. Dieser Vorrang ist ontologisch zu verstehen. Der Begriff des Zusammengesetzten (aggregatum) ermöglicht den Übertrag auf die ideale Ganzheit, welche vor ihren Teilen 114
Vgl. LEIBNIZ. De minimo et maximo. De corporibus et mentibus (Herbst–Winter 1672/73) A VI 3 99. „Datur Punctum puncto minus.“ 115 Vgl. dazu: s. u. Kap. I. 4.3 116 LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 379: „In actualibus simplica sunt anteriora aggregatis, in idealibus totum est prius parte. Hujus considerationis neglectus illum continuum labyrinthum peperit.“
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ist. Das Zusammengesetzte kann nun nicht selbst real sein. Ein Zusammengesetztes oder ein Aggregat ist immer eine – zumindest mentale – Einheit117; klassisch eine Substanz per accidens118. Im Realen gibt es aber keine Einheiten von Vielen. Das Aggregat ist demnach eine phänomenale Entität. Für den menschlichen Intellekt erscheinen Körper als Einheiten. Durch Vernunftschlüsse zerlegen wir sie in Teile. Für Leibniz ist eine Unendlichkeit solcher „Teile“ notwendig. Diese Vielheit liegt auf einer metaphysischen Ebene, genau genommen transzendent zu den Erscheinungen. Sie stellt aber die eigentliche Realität dar. Die Vielheit kann niemals eine Einheit konstituieren, welche aber für uns in der Erscheinung gegeben ist119. Dies ist dadurch ausgeschlossen, daß wir damit eine unendliche Ganzheit annehmen müßten. Die Einheit, die wir im Phänomenalen wahrnehmen, kommt damit aus der Anwendung des Idealen, als Ganzem von Teilen. Das ideale Kontinuum ist, hinsichtlich seiner mathematischen Auffassung – und deswegen ist dieser Sachverhalt hier von Bedeutung – immer weiter teilbar. Leibniz postuliert eine reale „Geteiltheit“, die aber niemals als möglicher Übergang nachvollzogen werden kann. Weder mental, noch in der Natur120. Im Phänomenalen haben beide unvereinbaren Ebenen ihre spezifische Geltung. Wenn man das Verhältnis dieser drei Dimensionen schematisieren will, dann muß man die Dimension oder Ebene der Phänomene zwischen Realität und Idealität ansiedeln. Die Phänomene bilden die eigentliche Dimension unserer Erkenntnisobjekte. Der Bereich des Idealen bildet den der Wissenschaft. Die Idealität stellt die apriorischen Prinzipien, welche die Struktur der Phänomene konstituiert, wie es am Beispiel des Aggregates ersichtlich 117
Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (10. November 1703) GP II 256: „Aggregatum enim nihil aliud est quam ea omnia simul sumta ex quibus resultat, quae sane Unitatem suam habent a mente tantum ob ea quae habent communia […].“; Nouveaux Essais (1704) II 12 §7, A VI 6 146: „Ainsi ces Estres par Aggregation n’ont point d’autre unité achevée que la mentale et par consequent leur entité aussi est en quelque façon mentale, ou de phenomene, comme celle de l’arc en ciel.“ 118 LEIBNIZ. An des Bosses (29. Mai 1716) GP II 520: „Caetera [corpora] mihi sunt mera aggregata aubstantiarum, quae appello substantiata; aggregatum vero non constituit nisi unum per accidens.“; vgl. auch: An des Bosses (29. Mai 1716) GP 517 119 ANAPOLITANOS (a. a. O. 73 f; 117) folgert eine reale aktual unendliche Vielheit als Realität. Die Einheit der Erscheinungen wird demgegenüber als Abstraktion charakterisiert. 120 Vgl. LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) GM III 535
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ist. Die Realität ist in gewisser Weise ebenfalls mit dem Phänomenalen intendiert, transzendiert sie jedoch, indem sie ihm zugrunde liegt. Im Begriff des Aggregats darf die Idealität nicht vernachlässigt werden. Dies ist in der Leibnizrezeption gelegentlich der Fall. Indem die Phänomene als diskret bestimmt werden, wird die Unterscheidung von Realität und Phänomenalität aufgehoben. In letzter Konsequenz kann dann die Idealität als Abstraktion im schlechten Sinne aufgefaßt werden. Die sachliche Grundlage hierfür ist ausschließlich Leibniz’ These von den phaenomena bene fundata121. Durch die Analyse des Aggregatbegriffes wird aber deutlich, daß Leibniz’ Aussage nur durch die Verbindung mit der Dimension des Idealen sinnvoll sein kann, welche das Aggregat als phänomenale Entität begründet. Übersieht man das implizite Enthaltensein der phänomenalen Ebene in der obigen Aussage von Leibniz, dann ist es tatsächlich möglich, die Einheit des Vielen, wie sie uns dort gegeben ist, als bloße Abstraktion zu sehen. Denn ein Aggregat bildet für uns immer schon eine gewisse Einheit. Somit muß man Körper in erster Linie als phänomenale Entitäten definieren und damit als Aggregate. Der Bezug auf Substanzen kann erst darauf folgend hergestellt werden. Dies entspricht auch Leibniz’ Auffassung. Monaden setzen keine Körper zusammen, sondern sie repräsentieren Körper. Das Mathematische und das Körperliche können nicht undifferenziert mit dem Metaphysischen in derselben Dimension angesiedelt werden. Folgende Aussage, die einer Aufzeichnung der Unterhaltungen mit Fardella entstammt, exemplifiziert diesen Sachverhalt sehr deutlich: „Die Linie ist kein Aggregat aus Punkten, weil die Linie keine aktualen Teile hat. Aber die Materie ist ein Aggregat von Substanzen, weil in der Materie aktuale Teile sind.“122
Die terminologische Ungenauigkeit123, um nicht zu sagen Fehlerhaftigkeit, die in der Bezeichnung der Substanzen als aktualer Teile vorliegt, erlaubt zu 121
Vgl. z. B. LEIBNIZ. An des Bosses (5. Februar 1712) GP II 435: „Extensio corporis nihil aliud esse videtur quam materiae continuatio per partes extra partes, seu diffusio. Ubi autem supernaturaliter cessabit τὸ extra partes, cessabit etiam extensio quae ipsi corpori accidit; solaque supererit extensio phaenomena, in monadibus fundata, cum caeteris quae inde resultant, et quae sola existerent, si non daretur substantia unionalis.“; An de Volder (20. Juni 1703) GP II 251; An de Volder (30. Juni 1704) GP II 268 122 LEIBNIZ. De serie rerum, corporibus et substantiis, et de praedeterminatione (März 1690) A VI 4 B 1671: „Linea non est aggregatum punctorum, quia in linea non sunt partes actu. Sed materia est aggregatum substantiarum, quia in materia sunt partes actu.“
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folgern, daß Leibniz dadurch die Schwierigkeit zu übergehen versucht, die oben mit Hilfe der Dimension des Phänomenalen analysiert wurde. Obwohl schon beim Aggregat strenggenommen nicht von Teilen, sondern vielmehr von verhältnismäßig selbständigen Einheiten gesprochen werden muß, so bilden diese doch eine vorübergehende akzidentelle Einheit. Man kann diesen Zustand zwar in gewisser Weise auch den Substanzen zuschreiben, zumal sie eben die Grundlagen für die erscheinenden Körper darstellen, die Ausgangstatsache jedoch, nämlich daß es ein phänomenaler Körper ist, der eine sinnliche Einheit darstellt, legt die Vermutung nahe, daß sich Leibniz mit dem „Aggregat aus Substanzen“ auf die phänomenale Einheit des Körpers bezieht. Im Zusammenhang mit dem mathematischen Kontinuum, erleichtert dies das Vorverständnis der Infinitesimalien.
4.3 Die Infinitesimalien Nach diesen Vorüberlegungen im Zusammenhang mit der phaenomena bene fundata These wollen wir uns der Frage der Zusammensetzung des Kontinuums und den Infinitesimalien zuwenden. Johann Bernoulli, den Leibniz zu gewinnen suchte, den Kalkül zu vervollständigen, konfrontiert ihn mit den Ansichten der Mathematik seiner Zeit. Wie sich zeigt, ist die Differenz der beiden Ansichten ausschließlich mit der Übernahme oder Ablehnung des euklidischen Axioms für das Unendliche verbunden124. Bernoullis Position bezüglich des Unendlichgroßen wie des Unendlichkleinen kann nach den vorangegangenen Darlegungen überraschend unreflektiert erscheinen. Jedoch vertritt er die Position, wie sie für die Mathematik vorerst entscheidend bleibt. Bekanntermaßen fordert Leibniz eine aktuale Unendlichkeit. Diese kann aber letztlich nur metaphysisch begründet werden und erfordert damit die Transzendierung der Ebene der Mathematik. Eine für den Mathematiker schwer nachvollziehbare These. 123
Vgl. LEIBNIZ. De serie rerum, corporibus et substantiis, et de praedeterminatione (März 1690) A VI 4 B 1670: „Utique autem substantiae illae quarum aggregatum est [constituunt] corpus, vel si ita loqui velit aliquis componunt. Et si quis talia velit partes appellare per me licet.“ 124 Vgl. BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. A. a. O. 59 f; BASSLER. Towards Paris. A. a. O. 161 f; HOFMANN. A. a. O. 12 ff
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Ein Körper bildet nur phänomenal ein Kontinuum. Dieses ist eine Ganzheit. Nun gilt, daß weder das Kontinuum aus aktual unendlich vielen Punkten zusammengesetzt, noch die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums mit einer faktisch schon vollzogenen unendlichen Geteiltheit verwechselt werden darf. Das wurde daraus geschlossen, daß die aktuale Unendlichkeit nur im Sinne einer unendlichen Vielheit möglich sein soll. Eine unendliche Zahl ist ein Nichts, gleichbedeutend mit der Null (0).125 Bernoulli konnte das Euklidische Axiom für das Unendliche nicht gelten lassen und hatte daher niemals die Möglichkeit, Leibniz’ Thesen zu übernehmen. Er kann daher auch die These der Unzusammensetzbarkeit des Kontinuums nicht teilen. Demnach muß für Bernoulli die unendliche Teilung des Kontinuums zu Infinitesimalien führen, die es aufbauen. „Sie geben zu, daß ein endliches materielles Partikelchen tatsächlich bereits in unendlich viele Teile geteilt ist und bestreiten trotzdem, daß eins dieser Partikelchen unendlich klein sein kann: wie hängt das miteinander zusammen? Denn wenn keins unendlich klein ist, so werden also alle einzelnen Teile endlich sein, sind sie dies aber, so werden sie alle zusammen eine unendliche Größe ausmachen, was gegen die Voraussetzung verstößt.“126
Aus Bernoullis Sicht ist dieser Einwand konsistent. Für ihn behauptet Leibniz eine Unendlichkeit von endlichen Größen, die eine phänomenal endliche Ganzheit erklären sollen. Das ist ein impliziter Widerspruch, denn eine unendliche Summe von endlichen Größen ergibt eine unendliche Größe. Das ist wider die Voraussetzung einer endlichen Größe des Zusammengesetzten Ganzen. Nachdem Leibniz in seiner Antwort einleitend die Kritik am unendlichen Ganzen formuliert, in der er auf de Volder und Gregor von St. Viktor Bezug nimmt127, wendet er sich dem Unendlichkleinen zu128. Dieser Schluß ist letztlich der negative Beweis für das unendliche Ganze. Modi125
Vgl. LEIBNIZ. Aus und zu Galileis Discorsi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 168 Johann Bernoulli an Leibniz (16./26. August 1698) (B&C* 541) GM III 529: „Concedis materiae portionem finitam actu jam divisam esse in partes numero infinitas, et tamen negas aliquam istarum particularum posse esse infinite exiguam: quomodo haec cohaerent? Nam, si nullae est infinite exigua, ergo singulae sunt finitae; si singulae sunt finitae, ergo omnes simul sumtae constituent magnitudinem infinitam, contra hypothesin.“ 127 Vgl. die in FN 95 zitierte Stelle 128 Vgl. LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) GM III 535 126
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fiziert gilt er ebenso für das Minimum. Denn wie es ein immer Größeres gibt, so auch ein immer Kleineres. Demnach ist es nicht nötig hierfür ein infinitesimales Glied anzunehmen. „Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß es zu jedem beliebig kleinen Teil einen andren gibt, der noch kleiner, nichtsdestoweniger endlich ist.“129
Wie Leibniz noch zu Anfang des Briefwechsels einräumt, ist ihm die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit des Unendlichkleinen noch nicht bewiesen. Er operiert daher vorerst mit der Nichtnotwendigkeit einer solchen Annahme für die Anwendung im Kalkül. Im weiteren Verlauf des Briefwechsels stellt er aber fest, daß die unendlichkleinen Größen etwas Imaginäres sind. Würden sie als möglich angenommen, müßten sie schließlich auch wirklich sein130. Aus der Voraussetzung, daß es immer kleinere, aber endliche Glieder gibt, folgt für Leibniz nicht, daß sie zusammen eine Unendlichkeit ergeben müssen. Die Voraussetzung ist also die Unmöglichkeit eines unendlichen Ganzen. Denn nur wenn man annimmt, daß eine endliche Ganzheit aus einer Unendlichkeit von Teilen besteht, ist man gezwungen die Folgerung zuzugestehen, daß sie aus einer Unendlichkeit infinitesimaler Größen zusammengesetzt ist. Bernoullis Beharren auf dem Infinitesimalen kann also nur daher rühren, daß er die Zusammensetzung des Kontinuums fordert. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wieso Leibniz, nach dem anfänglichen Zugeständnis der Möglichkeit der Infinitesimalien, dann dazu übergeht sie als fiktive Entitäten zu definieren: Ansonsten müßten sie nämlich als reale Teile des Kontinuums verstanden werden. Leibniz’ Theorie des Kontinuums, wie sie eingangs wiedergegeben wurde, präzisiert sich in der Auseinandersetzung mit Bernoulli. Zum einen muß man ein ideales Ganzes annehmen, welches indefinit ist; zum anderen ist eine Vielheit gefordert, die den Charakter der Realität besitzen soll. Die beiden Ebenen dürfen niemals verwechselt werden, ansonsten gelangt man in das Labyrinth des Kontinuums. Genau dieser Fehler unterläuft Bernoulli, 129
LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) (B&C* 543) GM III 535: „Sed constat, quavis parte aliam minorem finitam dari.“ 130 Vgl. LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (18. November 1698) GM III 551; vgl. das Zitat in FN 142
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der die Einheiten im Kontinuum anzusiedeln versucht. Leibniz ist aber, und dies ist zur Verteidigung Bernoullis zu sagen, nicht immer deutlich in Bezug auf seine Voraussetzung der aktualen Unendlichkeit als Vielheit131. Die Vielheit, die Leibniz vertritt und die, die Bernoulli ihm entgegenhält, ist inkompatibel. Bernoulli nimmt aber an einer Stelle Leibniz’ Argumentation auf und führt sie zu der einzig möglichen Lösung, wenngleich er sie selbst für unmöglich hält. Hier hätte Leibniz die Chance, seine eigene These der Vielheit zu präzisieren, er weicht jedoch aus. Bernoulli fragt sehr verständig nach den nicht-quantitativen Elementen des Kontinuums, nachdem Leibniz ihn über seine These der Vielheit in jeder phänomenalen Einheit unterrichtet hat. „Wie weit soll ich nun aber fortschreiten, um zu der einfachen, besonderen und individuellen Einheit zu gelangen, von der ich endlich sagen kann, daß sie eine Substanz, nicht eine Mehrheit von Substanzen ist? Dazu müßte in der Tat die Materie nicht nur in unendlich kleine, sondern in kleinste Teile geteilt werden, d. h. in Punkte oder »non quanta«, die es indessen nicht gibt.“132
Für Bernoulli ist es unmöglich, wie er selbst sagt, solche non quanta anzunehmen, die Punkten gleichkämen und demnach niemals eine ausgedehnte quantitative Ganzheit ermöglichen würden. Leibniz böten sich nun zwei Möglichkeiten, seine Theorie verständlich zu machen. Die erste und einfachere hatte er bereits vergeben. Die Erklärung des Kontinuums aus der Dynamik, die er parallel zum Briefwechsel mit Bernoulli, mit de Volder führt, und die Bernoulli teilweise mitverfolgt, hätte eine vorläufig verständliche, d. h. mathematisch-physikalisch befriedigende Theorie präsentiert, ohne daß man sich mit den metaphysischen Details hätte auseinandersetzen
131
Diese Tatsache ist m. E. auch Grund für die Schwierigkeit in vielen Interpretationen; vgl. z. B. BASSLER. Leibniz on the Indefinite as Infinite. A. a. O. 872 ff. Bassler analysiert den Sachverhalt in einer ausgezeichnet detailierten Weise. Er macht auf eine ähnliche Problematik aufmerksam. Es liegt der Untersuchung jedoch implizit die mathematische Forderung nach einer aktualen Vielheit von Elementen im Kontinuum zugrunde. 132 Johann Bernoulli an Leibniz (1698) (B&C* 546) GM III 540: „[...] quousque ergo progrediendum, ut perveniam ad simplicem unitatem singularem et individuam, ut possim dicere hanc esse substantiam, non substantias? Sane materia non modo dividenda erit in partes infinite exiguas, sed in minimas, id est, in puncta seu non quanta, quae non dantur.“
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müssen133. Die zweite Möglichkeit wäre, die Sache schließlich beim Namen zu nennen und zuzugestehen, daß tatsächlich non quanta die metaphysische und reale Vielheit ausmachen. Hier ist Leibniz aber in seiner eigenen Ebenenunterscheidung gefangen, da er zum einfacheren Verständnis das Bessere gelegentlich unterdrückt. Mathematische und metaphysische Vielheit erscheinen hier als viel zu identisch, um Bernoulli die Möglichkeit zu geben, Leibniz’ Gedanken nachzuvollziehen. Man kann diese Unterlassung teilweise dadurch rechtfertigen, daß Bernoulli das grundlegende Axiom, nämlich daß auch im Unendlichen das Ganze größer als der Teil ist, nicht anerkennen wollte, womit jeder weitere Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Leibniz antwortet nun auf die Frage nach den non quanta in zweierlei Hinsicht. In Bezug auf die metaphysische Dimension ist seine Aussage eher ausweichend als erklärend. „Sie fragen, wie weit man fortschreiten muß, um zu etwas zu kommen, was eine Substanz, nicht eine Mehrheit von Substanzen, ist. Ich erwidere, daß sich uns etwas derartiges unmittelbar und ohne Teilung darbietet, da nämlich jedes tierische Geschöpf etwas derartiges ist. Auch setzen doch ich selbst, Sie oder irgendein Mensch sonst uns nicht aus den Teilen unseres Körpers zusammen. Sie fürchten, daß die Materie nach meiner Lehre aus größenlosen Elementen zusammengesetzt werden soll: ich erwidere, daß sie sich ebensowenig aus Seelen wie aus Punkten zusammensetzt.“134
Für Bernoulli ist diese Antwort unzureichend und wenig hilfreich. Da er das Kontinuum, wie wir gesehen haben, zusammensetzen will, dürfte er mit der ausweichenden Antwort, daß es nicht aus Seelen oder Punkten zusammengesetzt wird, nichts Positives verbinden können. Er wird also auf dem Standpunkt beharren, daß die realen Elemente des Kontinuums, wenn133
Wie Leibniz mehrfach betont, hat sich die Mathematik mit dieser Problematik nicht auseinanderzusetzen. Vgl. z. B. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §10, GP IV 435. Die Parallele zu ARISTOTELES (Physik 207b 27-34) belegt, daß Leibniz sich damit auf die das potentielle bzw. ideale Kontinuum bezieht. Zum Kontinuum und der Dynamik s. u. Kap. I. 5 134 LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (20./30. September 1698) (B&C* 547) GM III 542: „Quaeris, quousque progrediendum, ut habemus aliquid, quod sit substantia, non substantiae. Respondeo, talia statim offerri etiam sine subdivisione, et unumquodque animal tale esse. Neque enim ego, Tu, ille componimur ex partibus corporis nostri. Vereris ne materia componatur ex non-quantis. Respondeo, non magis eam componi ex animabus, quam ex punctis.“
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gleich unvergleichlich klein, so doch quantitativ sein müssen. Aus diesem Grund sieht sich Leibniz auch genötigt im folgenden Dasselbe in anderen Worten zu wiederholen. „Meiner Meinung nach gibt es kein kleinstes Tier oder Lebewesen, keines ohne organischen Körper, keines, dessen Körper nicht wiederum in mehrere Substanzen geteilt wäre. Also gelangt man niemals zu lebenden oder mit Formen begabten Punkten.“135
In dieser Stelle finden sich aber noch weitere wichtige Aussagen über das Kontinuum. Das Kontinuum ist niemals aufteilbar, es bleibt potentiell unendlich. Die Substanz, die als Grundlage des Kontinuums zu suchen aufgegeben ist, bietet sich uns ganz ohne Teilung dar. Jede klassische anima, so kann man m. E. der Aussage entnehmen136, ist eine solche unteilbare Einheit. Diese setzt sich natürlich nicht aus ihren Teilen zusammen. Und wie ein beseelter Organismus – so muß man m. E. die Stelle verstehen – sich nicht aus seinen Teilen zu einer Einheit aufbaut, so baut sich auch kein anderer phänomenaler Körper aus seinen Teilen auf. Diese Aussage wirkt natürlich etwas aus dem Zusammenhang gerissen und es ist verständlich, daß Bernoulli damit wenig anzufangen wußte, wenn es darum ging, Leibniz’ unendliche Vielheit realer Elemente des Kontinuums zu verstehen. Das Ganze ist auch nur mit Hilfe weiterer Aussagen verständlich. Die unendliche Vielheit, die für Leibniz ex negativo zur Bestimmung des Unendlichen übrig blieb, wird in diesem Briefwechsel ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Die Alternative für Bernoulli ist: entweder gibt es der Anzahl nach endlich viele endliche Größen zur Erklärung einer endlichen Größe, oder aber wenn, wie Leibniz es fordert, unendlich viele, dann nur infinitesimale. Dies hat Bernoulli mehrfach und auch nochmals zum Schluß auf Grund des Widerspruchs von Leibniz’ Folgerungen formuliert. Aus der Sicht Bernoullis steht schließlich in Frage, ob Leibniz überhaupt eine un-
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LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (18. November 1698) (B&C* 549) GM III 552: „Puto nullum dari minimum Animal vel vivens, nullum sine corpore organico, nullum cujus corpus non dividatur rursum in plures substantias. Ergo nunquam devenitur ad puncta viva seu formis praedita.“ 136 Vgl. auch: LEIBNIZ. De serie rerum, corporibus et substantiis, et de praedeterminatione (März 1690) A VI 4 B 1671
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endliche Vielheit der Elemente zugibt137. Diese Frage Bernoullis ist nicht so abwegig, wie sie nach dem Gesagten erscheint. Wenn man sich vor Augen führt, daß Leibniz von der Teilung der Größe und deren potentieller Unendlichkeit, die als solche natürlich ad infinitum bestehen bleibt, zu einer realen Unendlichkeit von Elementen überzugehen scheint, dann kann er dies nur, indem er von der Größe auf die Zahl übergeht. Für Leibniz führt sich die Größe als Quantität auf die Zahlen als Proportionen und Qualitäten zurück. Für Bernoulli hingegen, ist die Erklärung der phänomenalen Größe das wesentliche. Eine unendliche Reihe von Zahlen muß für Bernoulli eine endliche Summe ergeben. Gerade das ist für Leibniz das, was per definitionem nicht möglich ist. Leibniz Theorie der unendlichen Zahlen ist also eine begrifflich mathematische. „Ich gebe die unendliche Vielheit zu, aber diese Vielheit bildet kein einheitliches Ganzes. Sie bedeutet lediglich, daß es mehr Glieder gibt, als durch irgendeine Zahl bezeichnet werden können, genauso wie es eine Vielheit – oder einen Inbegriff – aller Zahlen gibt; diese Vielheit aber ist selbst weder eine Zahl, noch ein einheitliches Ganzes.“138
Im Zusammenhang wird deutlich, daß es sich hier nur um begriffliche Konstruktion einer Unendlichkeit von Zahlen der Reihe bzw. der Teilung handelt139. Diese kann ohne Widerspruch aus endlichen Gliedern bestehen140. Es stellt sich nun die Frage nach der Natur der Infinitesimalien. Im Laufe des Briefwechsels finden sich die bekannten Aussagen, daß sich das Unendlichkleine vom Kleinsten in derselben Weise unterscheidet, wie das Unendlichgroße vom Größten. Für das Maximum wie das Minimum gilt, daß es 137
Vgl. Johann Bernoulli an Leibniz (8. November 1698) GM III 545 f LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (21. Februar 1699) (B&C* 554) GM III 575: „Concedo multitudinem infinitam, sed haec multitudo non facit numerum seu unum totum; nec aliud significat, quam plures esse terminos, quam numero designari possint, prorsus quemadmodum datur multitudo seu complexus omnium numerorum; sed haec multitudo non est numerus, nec unum totum.“ 139 Vgl. Leibniz’ Definition des aktual Unendlichen: LEIBNIZ. An des Bosses. (1. September 1706) GP II 315 / Anm.: „Datur etiam infinitum actuale per modum totius distributivi, non collectivi. Ita de omnibus numeris aliquid enuntiari potest, sed non collective.“; dazu s. u. Kap. II. 6 140 Vgl. LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (21. Februar 1699) GM III 575 138
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unmöglich existieren kann. Unentschieden läßt Leibniz aber vorläufig die Möglichkeit der Infinitesimalien. „Wie es aber kein numerisches Element, d. h. keinen kleinsten Teil der Einheit und kein Minimum bei den Zahlen gibt, so gibt es auch keine kleinste Linie; denn die Linie läßt sich, ebenso wie die Einheit, immer von neuem in Teile bzw. Brüche teilen. Ich muß allerdings gestehen, daß damit allein die Möglichkeit unserer unendlichkleinen Größen noch nicht widerlegt ist; denn ebenso wie der Begriff des Größten vom »Unendlichgroßen«, so ist auch der des Kleinsten vom »Unendlichkleinen« verschieden.“141
Im Laufe der Auseinandersetzung formuliert Leibniz dann: „Was die infitesimalen Glieder angeht, so glaube ich nicht nur, daß wir nicht bis zu ihnen gelangen können, sondern auch, daß es sie in der Natur nicht gibt; d. h. daß sie nicht möglich sind; denn wenn ich nur ihre Möglichkeit zugeben könnte, so würde ich – wie bereits gesagt – auch ihr Dasein zugestehen.“142
Aus den bisherigen Überlegungen kann man schließen, daß der Unterschied zwischen minimal und infinitesimal nur noch darauf beschränkt bleibt, daß es jeweils verschiedene Weisen des einen, nämlich des Idealen sind. Bekanntermaßen sind die Infinitesimalien für Leibniz ideal oder sogar fiktiv. Leibniz bestimmt sie aber auch wieder im Verhältnis zu den bekannten Größen, und somit als endliche143. Einerseits gibt es die Möglichkeit, wie 141
LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (1698) (B&C* 542) GM III 535 f: „Quemadmodum autem non datur Elementum Numericum seu minima pars unitatis, vel minimum in Numeris, ita nec datur linea minima, seu elementum lineale; linea enim, ut Unitas, secari potest in partes vel fractiones. Interim fateor, cum aliud sit maximum ab infinito et minimum ab infinite parvo, non hinc statim refutari possibilitatem nostrorum infinite parvorum.“ 142 LEIBNIZ. An Johann Bernoulli (18. November 1698) (B&C* 548) GM III 551: „Quod terminos infinitesimos attinet, videtur mihi non tantum ad eos non posse a nobis perveniri, sed etiam eos non esse in natura, id est, non esse possibiles; alioqui fateor, ut jam dixi, si concederem esse posse, concederem esse.“ 143 Auf Grund von Leibniz’ Aussagen über die relativ zu unseren Größen unendlichen und unendlichkleinen, fordert Earmen (JOHN EARMEN. Infinities, Infinitesimals and Indivisibles: The Leibnizian Labyrinth. In: SL VII (1975) 236-251), von zwei Arten des Infinitesimalen zu sprechen. Das ist jedoch nicht nötig, wenn man grundsätzlich die Idealität der Infinitesimalien anerkennt. Vgl. dazu auch: HERBERT BREGER. Leibniz, Weyl und das Kontinuum. In: SL Suppl. 26 (1986) 316-330; 327 ff
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wir bei Bernoulli gesehen haben, sie als reale Entitäten bestimmter unvergleichlich kleiner Größe anzunehmen. Diese Ansicht stand im Widerspruch mit Leibniz’ Grundaxiom. Ebenso widerspricht sie der klassisch realistischen Auffassung der potentiellen Unendlichkeit des Kontinuums. Andererseits gibt es die Auffassung von Wallis, mit dessen Arbeiten zu diesem Problem sich Leibniz frühzeitig auseinandergesetzt hat, und von dem die Infinitesimalien, soweit man die beiden Konzepte vergleichen kann, als »non quanta« bestimmt werden. Leibniz’ eigenes Konzept des Infinitesimalen erscheint als eine Art Synthese beider Sichtweisen und sucht so die Widersprüche zu vermeiden144. „Hierbei
ist jedoch zu berücksichtigen, daß die unvergleichlich kleinen Größen, selbst in ihrem populären Sinn genommen, keineswegs konstant und bestimmt sind, daß sie vielmehr, da man sie so klein annehmen kann, als man nur will, in geometrischen Erwägungen dieselbe Rolle wie die Unendlichkleinen im strengen Sinne spielen. [...] Man kann somit die unendlichen und unendlich kleinen Linien – auch wenn man sie nicht in metaphysischer Strenge und als reelle Dinge zugibt, – doch unbedenklich als ideale Begriffe brauchen, durch welche die Rechnung abgekürzt wird. [...] Mag man diese auch als imaginär bezeichnen, so sind sie dennoch nützlich und bisweilen sogar unentbehrlich, um auf analytische Weise reelle Größen auszudrücken.“145
Die infinitesimalen Größen sind also im Kalkül nur symbolische Verkürzungen, unter dieser Voraussetzung sind sie möglich und erlaubt146. Unmöglich und damit fiktiv werden sie nur, wenn man sie als wirklich gegeben annimmt. Größen sind immer nur als endliche gegeben und damit immer 144
Vgl. DOUGLAS M. JESSEPH. Leibniz on the Foundations of the Calculus: The Question of the Reality of Infinitesimal Magnitudes. In: Perspectives on science 6.1&2 (1998) 6-40; 32 f 145 LEIBNIZ. An Varignon (2. Februar 1702) (B&C* 74) GM IV 92: Mais il faut considerer en même temps, que ces incomparables communs mêmes n’estant nullement fixes ou determinés, et pouvant estre pris aussi petits qu’on veut dans nos raisonnemens Geometriques, font l’effect des infiniment petits rigoureux [...] D’où il s’ensuit, que si quelcun n’admet point des lignes infinies et infiniment petites à la rigueur metaphysique et comme des choses reelles, il peut s’en servir seurement comme des comme des notions ideales qui abgregent le raisonnement [...] lesquelles toutes imaginaires qu’on les appelle, ne laissent pas d’estre utiles, et même necessaires à exprimer analytiquement des grandeurs reelles […].“ 146 LEIBNIZ. An Fontanelle (12. Juli 1702) FC 215: „[...] les infiniment petits […] que […] considère comme quelque chose de plus idéal.“
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größer oder kleiner möglich. Es handelt sich also wiederum um die unerlaubte Verbindung von Realität und Idealität, wie sie für das Kontinuum selbst bereits festgestellt wurde. Die Infinitesimalien sind mathematisch symbolische Verkürzungen der Größe und Quantität, die indefinit ist 147. Setzt man das voraus, dann versteht sich Leibniz’ Erklärung, daß er die Infinitesimalien durch Größen angeben kann, die zu unseren unvergleichlich, aber dennoch endlich sind. Leibniz’ Theorie des Infinitesimalen beruht in seinen ontologischen Aussagen ganz auf seiner Theorie des Kontinuums148. Da es nicht aus Punkten aufgebaut werden kann, ist jeder beliebige Teil, den wir mathematisch fixieren wollen, immer nur eine Unterteilung und niemals eine reale Entität. Jeder solcher Teil bildet von dieser mathematischen Betrachtung aus eine unendliche Summe unendlichkleiner, aber endlicher Größen. Verkürzt stellt dies das Infinitesimale als dynamisches Integral dar. Somit ist vom Kalkül aus niemals von »non quanta« auszugehen, da ansonsten eine mathematische Unmöglichkeit folgen würde. Das Mathematische ist also gänzlich, wie es ja von Leibniz immer formuliert wird, vom Idealen beherrscht und folglich hat es seine Geltung für das Phänomenale, denn wir können es nur unter der Regelhaftigkeit der Prinzipien, in diesem Fall der Mathematik, d. h. des Kontinuitätsprinzips erkennen149. Damit ist das Unendlichkleine zwar nur eine Fiktion, eine, die nur eine Bedeutung in den imaginären Räumen des Kalküls besitzt, aber es hat seine reale Grundlage150. Physik und Mathematik besitzen Vernunftgeltung, die Realität liegt jenseits der Vernunft, aber ihr zu Grunde. Im Phänomenalen also sind die Größen 147
Vgl. LEIBNIZ. An Varignon (2. Februar 1702) GM IV 93. Dort heißt es auch: „Cependant il ne faut point s’imaginer que la science de l’infini est degradée par cette explication et reduite à des fictions; car il reste tousjours un infini syncategorematique, comme parle l’ecole [...].“; zum synkategorematisch Unendlichen bei Leibniz s. u.: Kap. III 6 148 Vgl. LEIBNIZ. An Varignon (2. Februar 1702) GM IV 93. Vgl. BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. A. a. O. 60 149 Vgl. LEIBNIZ. An Masson (1716) GP VI 629: „Le Calcul infinitesimal est utile, quand il s’agit d’appliquer la Mathematique à la Physique, cependant ce n’est point par là que je pretends rendre compte de la nature des choses. Car je considere les quantités infinitesimal comme des fictions utiles.“; vgl. zur Bezeichnung des Infinitesimalen als Fiktion auch: An des Bosses (1706) GP II 305 150 Vgl. LEIBNIZ. An Varignon (14. April 1702) GM IV 98: „[...] ces fictions estant utiles et fondées en realité.“; vgl. An Varignon (20. Juni 1702) GM IV 110: „[...] fictiones bien fondées.“
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immer nur potentiell, sie sind damit immer endlich. Wie der Bruch enthalten sie aber die Möglichkeit zu weiterer Verminderung151. Die Infinitesimalien sind Symbole des Kalküls. „Es ist wahr, daß für mich die Unendlichen (infinis) keine Größen sind. Meine Metaphysik hat sie aus ihrem Bereich verbannt. Sie gibt ihnen nur den Rückzug in die imaginären Räume des geometrischen Kalküls, wo diese Begriffe nur die Bedeutung haben wie die Wurzeln, die man imaginär nennt.“152
Von metaphysischer Sicht aus gibt es demnach keine Quantität; nur im Kalkül, und, wie man hinzufügen muß, in den Phänomenen, die durch diesen ihre rationale Bestimmung erfahren. Das Infinitesimale, das alleine die Größe garantieren und fundieren könnte, hat seinen Platz nur in den idealen Gründen, von denen als ihren Gesetzen die Dinge regiert werden. Die Infinitesimalien finden sich damit aber nicht in den Teilen der Materie. Es bleibt, obgleich auf die oben gezeigte Weise die Widersprüche eine Auflösung finden, dennoch eine gewisse Unklarheit. Abgesehen von der Tatsache, daß Bernoulli das euklidische Axiom für das Unendliche prinzipiell niemals übernehmen konnte, hat seine Kritik auch eine gewisse sachliche Berechtigung. Leibniz formuliert seine Lösung in der Weise, daß das Kontinuum ideale Geltung besitzt. Diese Idealität muß in ihrer Bedeutung und Geltung auch auf die Phänomenalität übertragen werden. Die Teilung wird niemals zu Teilen gelangen, lautet die These, die eine konsistente Interpretation der Leibnizschen Theorie des Kontinuums und zumal des Infinitesimalen, gewährleistet. Auf Grund dieser These gelangen wir aber nicht zu einer aktualen Unendlichkeit von realen Elementen des Kontinuums. Das, so Leibniz, kann auch nicht der Fall sein, da die Elemente eben keine Teile sind153. Die Elemente müssen daher als dem Kontinuum transzendent ange151
Vgl. LEIBNIZ. An Wolff (1711) GW IV 141: „Non probo materiae divisionem in partes infinitesimas et multo minus in infinities infinitum. Et ut infiniti sunt numeri fracti assignabiles, alii aliis majores [minores?], ut tamen non sit necesse venire ad infinite parvos, ita idem de lineis sentio. Geometria non probat dari quantitates infinitesimas, sed extensionem semper dividi posse manifestum est.“ 152 LEIBNIZ. An Fontanelle (1704) FC 234: „Il est vrai que chez moi les infinis ne sont pas des grandeurs. Ma métaphysiques les bannit de ses terres. Elle ne leur donne retraite que dans les espaces imaginaires du calcul géométrique, où ces notions ne sont de mise que comme les racines qu’on appelle imaginaires.“ 153 Vgl. LEIBNIZ. An Bourguet (5. August 1715) GP III 583
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sehen werden. In diesem Sinne muß man Leibniz verstehen, wenn er sagt, daß die Teilung nicht nur für uns, sondern auch in der Natur niemals zu einem Ende kommt. Würde man die Aussage der aktualen Geteiltheit hierzu gegenteilig lesen, würden sich wiederum alle Widersprüche ergeben. Wie die potentielle Unendlichkeit zur aktuellen, so verhält sich die unendliche Teilung des Kontinuums zur aktuellen Aufgeteiltheit, in einer deutlich unterschiedenen Hinsicht auf die Natur der Sache. Dieser Zusammenhang ist es, den Leibniz aber auch gelegentlich undeutlich wiedergibt, wie z. B. in einer Erläuterung für de Volder: „Die wirklichen Dinge setzen sich wie die Zahl aus Einheiten zusammen, die idealen wie die Zahl aus den Brüchen: wirkliche Teile gibt es nur im realen, nicht im idealen Ganzen.“154
Daß es für Leibniz unmöglich reale Teile geben kann, wurde bereits gezeigt. Er vermischt hier eindeutig die Hinsichten seiner Aussage. Man könnte diese Aussage, würde sie alleine stehen, vernachlässigen. Dies ist aber nicht der Fall. Solche Stellen nötigen m. E. dazu anzunehmen, daß die Komplexität des Kontinuumproblems, mit der generell tragfähigen Distinktion von Realität und Idealität, nicht vollständig gelöst ist. Möglich ist auch die Interpretation, daß wir es, bei solchen und ähnlichen Stellen, nicht nur mit einer systematischen Schwierigkeit zu tun haben, sondern auch die historischen Hintergründe von Einfluß bleiben155. Diese Schwierigkeiten erklären auch z. T., warum man wie Bernoulli versucht ist, die aktuale Vielheit als Realität des Kontinuums zu fordern. Daß Leibniz eine solche These nicht vertreten hat, wurde mehrfach durch deren Unmöglichkeit gezeigt. Was letztlich damit positiv ausgesagt ist, ist bisher noch nicht deutlich geworden. Eine strikte Trennung von Mathematik und Metaphysik kann, wie es auch für die bisherige Interpretation implizit geschehen ist, notwendig 154
LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) (B&C* 533) GP II 282: „Actualia componuntur ut numerus ex unitatibus, idealia ut numerus ex fractionibus: partes actu sunt in toto reali, non in ideali.“ 155 Vgl. RUSSEL. A. a. O. 124. Zieht man die Formulierungen der Zwischenzeit (vgl. z. B. LEIBNIZ. An Thomasius (20/30 April 1669) A II 1 14-24; De unione animae et corporis (Februar 1676) A 6 3 479-480.) heran, sowie die verschiedenen Konzepte von Punkten und Leibniz’ eigene Aussage, daß er vormals die Seelen in Punkten anzusiedeln versuchte (vgl. z. B. An des Bosses. (24. April 1709) GP II 372), dann kann man dem Urteil Russels, daß Leibniz vom Atomismus beeinflußt geblieben ist, teilweise zustimmen.
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sein, um Schwierigkeiten zu vermeiden, aber sie ist nicht ausreichend, um allen Facetten gerecht zu werden. Einerseits sind die Infinitesimalien fiktiv bzw. ideal, andererseits haben sie, wie die Körper, ein fundamentum in re. Die Physik, als Dynamik, wird im folgenden weitere Aufschlüsse liefern.
5. Das Kontinuum und die res extensa 5.1 Die Phänomenalität der Ausdehnung Descartes’ neue Methode ist für Leibniz, trotz aller Kritik die er an ihm übt, von großem Einfluß auf sein Denken156. Er hat in Paris begonnen intensiv Descartes und Malebranche zu studieren. Leibniz’ reife Dynamik entsteht zu dieser Zeit vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Descartes’ Bewegungsgesetzen und seiner Konzeption einer mathesis universalis157. Der Kraftbegriff der Dynamik führt schließlich zu einem plausiblen physikalischen Modell, das zur Beseitigung der Schwierigkeiten des Kontinuumproblems in neuartiger Weise fruchtbar gemacht werden kann. Wesentliche Voraussetzungen dafür wurden bereits im vorherigen Kapitel dargelegt. Der Schlüssel zur Lösung des Kontinuumproblems – anhand der Theorie der Kräfte und der individuellen fensterlosen Monade – entsteht jedoch eben erst in Auseinandersetzung mit Descartes. Die Bestimmung des Verhältnisses beider Systeme ist davon abhängig, welche Position Descartes’ man zugrundelegt und unter welchem Aspekt man Leibniz’ Aussagen analysiert. Prinzipiell kann man sagen, daß Leibniz an Descartes’ Ansatz der mathesis universalis festhält und ihn zu erweitern und verbessern sucht. Letzteres ist ohne eine Kritik der cartesischen Prinzipien selbst, bzw. einiger ihrer fundamentalen Sätze, nicht möglich. Die vielen kritischen Schriften gegen Descartes, die unter Leibniz’ Aufzeichnungen 156
Vgl. z. B. die Rezeption des cartesischen cogito in: LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683–Winter 1685/86) A VI 4 B 1499-1503. Descartes’ regula generalis, daß alles, was ich klar und deutlich erkenne wahr ist (DESCARTES. Meditationes de prima philosophia II 4), ist nach Leibniz ein unzureichendes Kriterium. Der archimedische Punkt zur Errichtung der ersten Wissenschaft ist für Leibniz nicht das cogito, sondern der Satz des Widerspruchs. Vgl. z. B. LEIBNIZ. Principium scientiae humanum (Winter 1685/86) A VI 4 A 670. 157 Wie Cassirer (ERNST CASSIRER. Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik. Darmstadt 41976; 93 ff, 125 ff) dargelegt hat, führt Leibniz die Richtung der cartesischen mathesis universalis durch die Operationalisierung des Größenbegriffs in der Zurückführung auf den Zahlbegriff fort. Die damit ermöglichte Infinitesimal-Geometrie und das in De analysi situs dargelegte topologische Raummodell resultieren u. a. daraus.
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erhalten geblieben sind, müssen daher nicht ausschließlich als Kritik an Descartes selbst, sondern auch als eine an der cartesischen Schule verstanden werden. Der zentrale Kritikpunkt, der für die Untersuchung von Interesse ist, ist die Substantialität der Ausdehnung bzw. der Raummaterie. Descartes hat in seinen späteren Schriften die Identifizierung des geometrischen und des physikalischen Raumes durch die Postulierung der Substantialität der res extensa vertreten. Daneben finden sich bei ihm aber auch Ansätze, die dem gegenüber in die Richtung weisen, die Leibniz erst erarbeitet. So sind z. B. in den Arbeiten zur analytischen Geometrie, die teilweise Aufhebung der Unterscheidung von Ausdehnung und Qualität 158 und die Konstruktion der räumlichen Figur, Theoriestücke gegeben, welche sich schwerlich mit der Substantialität der Ausdehnung in Einklang bringen lassen. Diese verweisen auf die weiteren Entwicklungsschritte bei Leibniz159. Darüber hinaus definiert Descartes die Orte als relative Lagen, den Raum als reine Ausdehnung160. Der Ausgang vom denkenden Subjekt als dem Fundament aller Wissenschaft erlaubt keinen unmittelbaren Schluß von den Prinzipien bzw. Ideen der mathematischen Wissenschaften zur Erkenntnis der wirklichen Körper. Die Definition der elementaren Raumgebilde, z. B. durch Konstruktion im gedanklichen Raum, läßt ihre Objekte selbständig entstehen. Die These der Substantialität der res extensa ermöglicht hingegen den Geltungsbereich auf die physische und ontologisch selbständige Realität der räumlichen Gegenstände zu übertragen. Die Idee der Ausdehnung ist nach Descartes eine erste und grundlegende161. Als eine solche Idee muß sie, so folgert er, Substanz sein162. Die Begründung dafür lautet, daß sie ein Attribut ist, das nicht real sondern nur begrifflich von der Substanz unterschieden werden kann. Die res extensa ist damit Substanz, Prinzip der Geometrie und real existierende kontinuierliche Raummaterie. Leibniz’ bezieht sich in seinen kritischen Stellungnahmen regelmäßig auf diesen Sachverhalt. Seiner Auffassung zufolge sind in dieser 158
Vgl. DESCARTES. Regulae ad directionem ingenii XIV Vgl. GOSZTONYI. A. a. O. I 237 ff 160 Vgl. DESCARTES. Regulae ad directionem ingenii XIII 6; Principia philosophiae II 14 f 161 Vgl. DESCARTES. Regulae ad directionem ingenii XII; Discours de la Méthode IV 2 ff 162 Vgl. DESCARTES. Principia philosophiae II 4 159
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Verbindung die Begriffe Ausdehnung, Substanz, Kontinuum fehlerhaft gefaßt. Darüber hinaus betrifft dieser Mangel auch den Begriff der Unendlichkeit. Descartes nennt die Welt „unendlich“. Nach der präziseren Terminologie wird die Welt als indefinit definiert, und zwar im Unterschied und in bewußter Abgrenzung zum Absoluten, das infinit genannt wird163. Damit bezieht er sich auf die traditionelle Position seit Aristoteles, von dem das aktual Unendliche als metaphysische Einheit jenseits aller Zähl- und Meßbarkeit definiert wurde164. Wenngleich Descartes die Mathematik zur vollgültigen Wissenschaft des Realen erhebt, indem er durch die res extensa das Objekt dieser Wissenschaft zur Substanz erklärt, hält er die klassische Unterscheidung von potentieller und aktualer Unendlichkeit aufrecht165. Das wesentliche Argument in seiner Darlegung ist, daß für uns der Begriff der Unendlichkeit jenseits des Begreifens liegt166. Die cartesische Auffassung des Unendlichen steht mit der klassischen aber insofern in einem gewissen Widerspruch, da die potentielle Unendlichkeit des Quantitativen zur Substanz erhoben wird. Bereits im Jahre 1672 hat Leibniz eine Aussage über Descartes’ Indefinites getroffen, die auch späteren Umwandlungen standhält. Descartes’ Indefinites ist für ihn mental167. Für Leibniz ist die Hypostatisierung der indefiniten Ausdehnung unzulänglich. Es liegt diesem Schluß ein fal-
163
Vgl. DESCARTES. Principia philosophiae I 26, u. 27; vgl. An Henry More (5. Februar 1649) AT V 247 ff; vgl. Principia philosophiae I 27: „Haecque indefinita dicemus potius quam infinita; eum ut nomen Infinita soli Deo reservemus, quia in eo solo omni ex parte, non modo nullos limites agnoscimus, sed etiam positive intelligimus; tum etiam, quia non eodem modo positive intelligimus, alias res aliqua ex parte limitibus carere, sed negative tantum eorum limites, si quos habeant, inveniri a nobis non posse confitemur.“ 164 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1073a 4 ff 165 Vgl. CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 204; HANS POSER. Die Idee des Unendlichen und die Dinge. Infinitum und Immensum bei Leibniz. In: L’infinito in Leibniz. Problemi e terminologia. A. a. O. 225-233. Ebd. 226 weist Poser darauf hin, daß zum Verständnis des Unendlichkeitsbegriffs bei Leibniz die Tradition berücksichtigt werden muß. 166 Vgl. DESCARTES. Principia philosophiae I 27 167 LEIBNIZ. Theoria motus abstracti (1670/1671) A VI 2 264: „[...] indefinitum enim Cartesii non in re est, sed [in] cogitante.“
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sches Verständnis des Unendlichen zugrunde168. Dies hat Folgen für die Physik und Geometrie. Die Ausdehnung kann nicht Substanz sein. Dies führt Leibniz über die Jahre hin immer wieder aus. Die res extensa stellt das Prinzip zur Erklärung des Raumes, der Körper und ihrer Bewegungen dar169. Möglich wird dies dadurch, daß die res extensa mit dem physischen Kontinuum gleichgesetzt wird, wobei die unendliche Teilbarkeit ihre Gültigkeit behält. Die Korpuskulartheorie, die Descartes als Alternative zum Atomismus ausarbeitet, hat darin ihre Grundlage: Die Korpuskeln sind als Elemente der Körper realiter nicht mehr teilbar. Unter mathematischer Hinsicht sind sie jedoch bis ins Unendliche teilbar, so daß es keine Atome geben kann170. Er folgert daraus auch die Unmöglichkeit eines leeren Raumes und die Unendlichkeit der Körper. Die Unendlichkeit des Kontinuums kann nach Descartes niemals erkannt werden, jedoch müssen die Teile des Kontinuums als trennbar angenommen werden171. Auf diese Voraussetzung nimmt Leibniz in seiner Théodicée bezug. 168
Vgl. LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 593: „Cette maniere de connoitre l’infni est certaine et incontestable: elle prouve aussi que les objets n’ont point de bornes. Mais quoyque nous en puissions conclure qu’il n’y a point de dernier tout fini, il ne s’ensuit pas encor que nous voyons un tout infini. Il n’y a point de ligne droite infinie, mais toute ligne droite peut tousjours être prolongée ou surpassée par une autre plus grande. Ainsi l’exemple de l’espace ne prouve point particulierement que nous ayons besoin de la presence de certaines idées subsistantes et differentes des modifications passageres de notre pensée; car il semble d’abord que nos pensées y suffisent.“ 169 Vgl. DESCARTES. Discours de la Méthode IV 5: „Je voulus chercher, après cela, d’autres vérités. Et m’étant proposé l’objet des géomètres, que je concevais comme un corps continu, ou un espace indéfiniment étendu en longueur, largeur et hauteur ou profondeur, divisible en diverses parties, qui pouvaient avoir diverses figures et grandeur et être mues ou transposées en toutes sortes, car les géomètres supposent tout cela en leur objet […].“ Nach Principia philosophiae II 4 besteht der Körper nur in seiner Ausdehnung; Härte, Schwere, Farbe etc. sind nicht erforderlich zu seiner Definition. Sein Wesen besteht allein darin, eine ausgedehnte Substanz zu sein. Der Bewegung kommt jedoch in der cartesischen Geometrie und in den darauf aufbauenden Disziplinen eine zentrale und neuartige Bedeutung zu; vgl. dazu: CASSIRER. Substanzbegriff und Funktionsbegriff. A. a. O. 91 ff 170 Vgl. DESCARTES. Principia philosophiae II 26 171 Vgl. DESCARTES. Principia philosophiae II 35: „Et quamvis, quomodo fiat indefinita ista divisio, cogitatione comprehendere nequeamus, non ideo tamen debeamus dubitare quin fiat: quia clare percipimus illam neccesario sequi ex natura materiae nobis
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„In die nämliche Verlegenheit [wie bei der unendlichen Teilung] bringt man sich mit dem ins Unendliche gehenden Zahlenreihen. Man ersinnt ein Endglied, eine unendlich große oder unendlich kleine Zahl: aber das sind alles nur Fiktionen. Jede Zahl ist endlich und bestimmbar, jede Linie ebenfalls, und das Unendlichgroße oder Unendlichkleine bezieht sich nur auf [bezeichnet nur] die Größen, die so klein und groß angenommen werden können wie man will, um zu zeigen, daß ein Irrtum kleiner ist als man annahm, d. h. daß es gar kein Irrtum ist; oder aber man meint mit dem Unendlichkleinen einen Zustand einer Größe bei ihrem Dahinschwinden oder bei ihrem Entstehen, verglichen mit den schon gebildeten Größen.“172
Leibniz beginnt die reale Teilung Descartes’ in trennbare Minima zu kritisieren und endigt mit der Feststellung, daß die mathematischen Minima, die wir zurecht fordern, auch nur solche sind, nämlich: „[...] Zustand einer Größe bei ihrem Dahinschwinden oder bei ihrem Entstehen, verglichen mit den schon gebildeten Größen“. Leibniz gibt also Descartes Recht, daß das quantitativ Unendliche nicht vollständig begriffen werden kann. Jedoch mit dem Zusatz: insofern wir es als Realität bzw. als real existierendes Ganzes mit wirklichen Teilen verstehen wollen173. Damit würden sich nämlich die bekannten Widersprüche unweigerlich einstellen. Leibniz’ Vorwurf kann also auch so verstanden werden, daß Descartes eine Theorie vertritt, die in gewisser Weise mit der des Atomismus vergleich-
evidentissime cognita, percipimusque etiam eam esse de genere eorum, quae a mente nostra, utpote finita, capi non possunt.“; vgl. auch: Principia philosophiae II 34; dort fordert Descartes, daß zum Verständnis der Bewegung der Körper eine reale Trennung der Minima des Kontinuums anzunehmen sei, wenngleich sie letztlich in ihrer Natur unerklärlich bleibt. Sie wird schließlich auf die Unbegreifbarkeit des Unendlichen im Bereich des Quantitativen überhaupt zurückgeführt. 172 LEIBNIZ. Théodicée (1710) Discours Préliminaire §70, (B&C* 79) GP VI 90: „On s’embarrasse de même dans les Series de Nombres qui vont à l’infini. On conçoit un dernier terme, un nombre infini, ou infiniment petit; mais tout cela ne sont que de fictions. Tout nombre est fini et assignable, toute ligne l’est de même, et les infinies ou infiniment petits n’y signifient que les grandeurs qu’on peut prendre aussi petites que l’on voudra, pour montrer qu’une erreur est moindre que celle qu’on a assignée, c’est a dire qu’il n’y a auccune erreur: ou bien on etend par l’infiniment petit, l’état de l’evanouissement ou du commencement d’une grandeur, conçus à l’imitation des grandeurs déja formées.“ 173 Vgl. für eine alternative Leseweise dieser Stelle: BASSLER. Leibniz on the Indefinite as Infinite. A. a. O. 867 f / FN 57
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bar ist174. Tatsächlich muß man sagen – betrachtet man nicht die mathematischen Neuerungen, sondern die Begründung der res extensa als Substanz – , daß beide das quantitativ Ausgedehnte hypostatisiert haben175. Für Leibniz ist das, wie aus dem vorherigen deutlich wurde, eine petitio principi176. Anstelle dessen muß die Ausdehnung in ihrer systematischen Bedeutung relativiert werden. Sie besitzt keinen wesentlich realitätsstiftenderen Charakter als die cartesischen sekundären Qualitäten. Es ist wiederum das Labyrinth des Kontinuums, das als Maßstab genommen, eine alternative Lösung des Problems verlangt177. Leibniz bedient sich zu diesem Zweck des einfachen Ar174
Die trennbaren Minima, die als Voraussetzung für die Physik unerläßlich sind, indem sie die Vielheit der Bewegungselemente begründen, führen in das Labyrinth, das Leibniz immer wieder beschwört. Descartes hatte Galileis Bestimmung des positiv Unendlichen nicht übernommen. Sowohl bei den Zahlen, als auch bei der Bewegung (DESCARTES. Principia philosophiae II 34 u. 35) usw. zeigt sich, daß das Unendliche unsere Erkenntnis übersteigt. Dem widerspricht Leibniz insoweit auch nicht, als er den konkreten Inhalt der Unendlichkeit ebenfalls für unerkennbar hält. Formal aber ist diese Unendlichkeit erkennbar. Für Leibniz stellt Descartes’ res extensa eine unendliche Einheit und demnach eine Ganzheit dar, die durch die trennbaren Minima reale Teile besitzt. 175 Vgl. GILLES DELEUZE. Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt 1995. 15*: „Die atomistische Hypothese einer absoluten Härte und die cartesianische Hypothese einer absoluten Flüssigkeit verbinden sich um so besser, als sie in demselben Fehler befangen sind, indem sie trennbare Minima setzen, entweder in Form endlicher Körper oder ins Unendliche in Form von Punkten (die cartesische Linie als Ort ihrer Punkte, die analytische Punktgleichung).“; vgl. dazu und zum folgenden auch: ERNST CASSIRER. Zur Einsteinschen Relativitätstheorie. In: DERS.. Zur modernen Physik. Darmstadt 71994. 1-125; 12 f. 176 Vgl. auch: LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 579. 177 Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (8. November/8. Dezember 1686) GP II 77: „Je tiens que celle de l’étendue l’est encor bien moins, témoin les estranges difficultés de la composition de continu; et on peut mêmes dire qu’il n’y a point de figure arrestée et precise dans les corps à cause de la subdivision actuelle des parties. De sorte que les seroient sans doute quelque chose imaginaire et d’apparent seulement, s’il n’y avoit que de la matiere et ses modificationes.“; An de Volder (19. Januar 1706) aus dem Briefentwurf, GP II 282: „Extensionem autem ut tempus, et molem et qui ex his variatis constat, motum, non minus quam qualitates reales in phaenomena abire, et existere νόμῳ magis quam φύσει, ut Democritus loquebatur. Quod aliunde etiam satis comprobat natura motus transitoria et respectiva, et famosus ille Continui labyrinthus, in quem ipsi nos induimus falso temporis et spatii et molis conceptu.“; vgl. An Arnauld (September 1687) GP II 119; An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 378 f. Die Ausdehung alleine würde die Kör-
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guments, daß die Ausdehnung ein Attribut ist. Das bedeutet, daß sie nicht mit der Substanz identisch ist. Die Ausdehnung ist etwas abstraktes. D. h. sie ist von einem Konkreten abstrahiert178. In der Natur ist kein Beispiel für die Identität von Abstraktem und Konkretem zu finden179. Die Substanz ist nach Leibniz konkret. So heißt es noch in Initia rerum mathematicarum metaphysica, daß „[…] es falsch ist, die Ausdehnung, wie dies gemeinhin geschieht mit dem Ausgedehnten selbst zusammenzuwerfen und sie als Substanz anzusehen.“180 Das bedeutet jedoch nicht, daß Leibniz damit einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Ausdehnung und dem Ausgedehnten behaupten will. Es bedeutet schlicht nur, daß die Bestimmung der Ausdehnung nicht den Substanzcharakter einer Entität zum Ausdruck bringen kann. Jeder Körper ist ausgedehnt. Daneben kommen ihm noch weitere Bestimmungen zu181, neben „physikalischen“ insbesondere ontologische. Mehrfach macht Leibniz auf letzteres aufmerksam, indem er der Ausdehnung den Charakter des Grundbegriffs abspricht. „Ich glaube nicht, daß die Ausdehnung allein die Substanz ausmacht, denn ihr Begriff ist unvollständig. Ebensowenig kann, wie mich dünkt, die Ausdehnung aus sich selbst begriffen werden, vielmehr ist sie ein weiter auflösbarer und relativer Begriff. Denn man kann sie in Mehrheit, Kontinuität und Koexistenz, d. h. gleichzeitigen Bestand der Teile, auflösen. Die Mehrheit haftet auch der Zahl an, die Kontinuität auch der Zeit und der Bewegung, die Koexistenz dagegen ist das einzige, was bei dem Ausgedehnten hinzukommt. [...] Eine Einheit des Ausgedehnten gibt es meiner Überzeugung nach nur in abstracto, solange wir
per zu bloßem Schein, zu Imaginärem machen. Diese Auffassung scheint implizit einen wesentlichen Aspekt der Kritik an Descartes auszumachen. Die richtige Substanzauffassung soll hingegen ermöglichen, die Körper als reale Phänomene bzw. wohlbegründete Erscheinungen interpretieren zu können. 178 Vgl. LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 584: „J’insiste [...] que l’Etendue n’est autre chose qu’un Abstrait, et qu’elle demande quelque chose qui soit étendu.“; vgl. ebd. auch zur realen Verschiedenheit von Attribut und Substanz. 179 Vgl. LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 583: „[…] il n’y a point d’exemple dans les creatures de l’identité de l’abstrait et du concret.“ 180 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Male Extensionem vulgo ipsi extensum confundunt, et instar substantiae considerant.“ 181 Vgl. LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 580
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nämlich absehen von der inneren Bewegung der Teile, wodurch ein jeder Teil der Materie tatsächlich wieder in verschiedene Teile zerlegt wird.“182
Die Ausdehnung ist deswegen ein abstrakter Begriff, weil sie auf eine reale Vielheit kontinuierlicher Koexistenzen verweist. Ausgehend von diesem Standpunkt ist der cartesische Körper als mathematische Idee zu verstehen, die nur der Möglichkeit nach Teile hat, d. h. in der die Vielheit unbestimmt bleibt183. „In der Masse der Ausdehnung oder vielmehr der ausgedehnten Körper, oder, wie ich mich lieber ausdrücke, in der Vielheit der Dinge existiert nicht eine Einheit, sondern unendlich viele Einheiten.“184
Der Körper, so Leibniz’ häufig ausgesprochene Lehre, ist keine Substanz, sondern ein Aggregat von Substanzen185. Die Ausdehnung bezieht sich demnach auf die Substanzen in folgender Weise: „Die Ausdehnung ist für mich ein Attribut, das aus vielen kontinuierlich und zugleich existierenden Substanzen resultiert.“186
182
LEIBNIZ. An de Volder (24. März/3. April 1699) (B&C* 472 f) GP II 169f: „Extensione sola non puto constitui substantiam, cum conceptus exstensionis sit incompletus: nec arbitror extensionem per se concipi, sed esse notionem resolubilem et relativum; resolvitur enim in pluralitatem, continuitatem et coexistentiam seu extensiam partium tempore uno eodemque. Pluralitas etiam numero inest, continuitas etiam tempori et motui, coexistentia vero accedit in solo extenso. [...] Unitatem extensi puto nullam esse nisi in abstracto, dum scilicet animum abstrahiimus ab intestino partium motu, quo unaquaeque materiae pars rursus in diversas actu partes subdivisa est […].“; vgl. An de Volder (27. Dezember 1701) GP II 233 f: „Concedis existentiam et continuitatem quae notionem Extensionis ingrediuntur, differre formaliter, nec aliud volo; at vero cujus notio ex diversis conceptibus formalibus componitur, primitiva non est. Inter primarios Cartesianorum errores est, quod extensionem tanquam aliquid primitivum et absolutum concepere et quod constituat substantiam.“ 183 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (30. Juni 1704) GP 267 f 184 LEIBNIZ. An de Volder (1705) (B&C* 527) GP II 276: „In Massa Extensionis vel potius extensorum, sive ut malim, in multitudine rerum existere ajo non unitatem, sed unitates innumerabiles.“ 185 Vgl. LEIBNIZ. De serie rerum, corporibus et substantiis, et de praedeterminatione (März 1690) A VI 4 B 1671: „Sed materia est aggregatum Substantiarum, quia in materia sunt partes actu.“ 186 LEIBNIZ. An de Volder (23. Juni 1699) GP II 184: „[...] Extensio mihi attributum est resultans ex pluribus substantiis continue simul existentibus.“
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Durch diese Umstrukturierung im Begründungsverhältnis kann Leibniz Körper und Ausdehnung als Phänomen bezeichnen. Zusätzlich zur oben gegebenen Begründung der Phänomenalität aus der Idealität, muß mit Leibniz auch der aggregative Charakter der Realität für die Konstituierung der Phänomene verantwortlich gemacht werden. „Erstens: Was in eine Mehrheit geteilt werden kann, besteht aus einer Mehrheit von Dingen und ist ein Aggregat. Zweitens: Alle Aggregate sind nur in Gedanken eins und haben bloß eine entlehnte Realität, die sie von den Dingen, aus denen sie sich zusammensetzen, entnehmen. [Also] Drittens: Die teilbaren Dinge besitzen […] keinerlei Realität, wenn nicht in ihnen Dinge vorhanden sind, die nicht mehr in Teile geteilt werden können; ja, sie haben gar keine andre Realität als die der Einheiten, die in sie eingehen [...]. Meine Meinung geht daher dahin, daß die Körper, die man gemeinhin als Substanzen ansieht, nichts sind als reale Phänomene und ebensowenig Substanzen wie die Nebensonnen oder der Regenbogen [...]. Auf keine andre Weise läßt sich auch ein Ausgang aus den Schwierigkeiten über die Zusammensetzung des Kontinuums und aus ähnlichen Problemen finden.“187
Auf die Schwierigkeiten einer konsistenten Lösung des Kontinuumproblems anspielend, erläutert Leibniz verhältnismäßig deutlich die drei Ebenen seines Systems. Das Attribut der Ausdehnung wird zuerst dem Körper zugesprochen. Körperlichkeit und Ausdehnung stehen in konstitutiver Verbindung. Dieser Tatsache kann auch der Fehlschluß Descartes’ angerechnet werden, die Ausdehnung zu substantialisieren. Die res extensa ist für Leibniz jedoch gerade keine Substanz, sondern eine phänomenale Entität. Die Einheit, die für Descartes u. a. für die Substantialität verantwortlich gemacht wurde, stellt nach Leibniz eine mentale Leistung dar. Neben der Leistung des Verstandes, d. h. des Einflusses des Idealen auf die Konstituierung des Erkenntnisgegenstandes, gründet die Phänomenalität der res extensa darin – 187
LEIBNIZ. An de Volder (21. Januar 1704) (B&C* 513 f) GP II 261 f: „[...] primo, quae in plura dividi possunt, ex pluribus constantia seu aggregata sunt. Jam secundo quaecunque ex pluribus aggregata sunt, ea non sunt unum nisi mente, nec habent realitatem aliam quam mutuatam seu rerum ex quibus aggregantur. Ergo tertio quae in partes dividi possunt nullam habent realitatem nisi sint iis quae in partes dividi non possunt. Imo nullam habent aliam realitatem quam eam quae est Unitatem quae insunt. [...] Itaque sic sentio, corpora quae vulgo pro substantiis habentur, non nisi phaenomena esse realia nec magis substantias esse quam parhelia vel irides [...] neque aliter difficultatibus de compositione continui et quae sunt hujusmodi exiri posse.“
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denn so scheint Leibniz unterstreichen zu wollen: eine Realität muß es dennoch geben –, daß ihr eine reale Vielheit zugrunde liegt. Leibniz betont diesen letzteren Punkt im Zitat entschieden. Die spezifisch komplementäre Bedeutung des Idealen für die Phänomenalität kommt jedoch ebenfalls in der vorgegebenen Einheit des Gegenstandes zum Tragen. Diese Kritik an der Substantialität der res extensa stellt die ontologische Grundlage für eine weitere Umstrukturierung des Begriffes des Extensionalen dar. Die Ausdehnung wird zu einem relativen Begriff, der sich auf das bezieht, was ausgedehnt ist. Dies kann nun ein Vielfaches sein. Auch die sekundären Qualitäten können in diesem Sinne ein solches Etwas bilden. Sie sind ebenfalls Attribute der Dinge188. Für den Körper kommen nun wesentlich die Härte und die Undurchdringlichkeit wieder in Betracht, wie es folgendes Zitat belegt: „[...] Im Körper gibt es eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen, die zugleich ausgebreitet sein können. Da nämlich die Ausdehnung die kontinuierliche und gleichzeitige, die Dauer die sukzessive Wiederholung ist, so kann man überall dort von Ausdehnung sprechen, wo dieselbe Wesenheit über eine Vielheit verteilt ist, wie dies beim Gold mit der Dehnbarkeit, der spezifischen Schwere und der gelben Farbe, in der Milch mit der Weiße, im Körper ganz allgemein mit dem Widerstand oder der Undurchdringlichkeit der Fall ist. [...] Hieraus erhellt aber, daß die Ausdehnung kein absolutes Prädikat ist, sondern relativ zu dem Inhalt ist, der ausgedehnt oder ausgebreitet ist, und daß sie sich daher von diesem Inhalt und dieser Wesenheit so wenig abtrennen läßt wie die Zahl vom gezählten Gegenstand.“189
Leibniz bezeichnet die Ausdehnung häufig als etwas, das relativ zu seinem Inhalt ausgedehnt ist. Damit will er keine Ableitung der phänomenalen
188 189
Vgl. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §12, A VI 4 B 1545. LEIBNIZ. Gegen Descartes (Original ohne Titel) (Mai 1702) GP II 394: „[...] in corpore varia sunt quae simul diffundi possunt. Nam quia extensio est repetitio continua simultanea, uti duratio successiva, hinc quoties eadem natura per multa simul diffusa est, velut in auro ductilitas aut gravitas specifica aut flavedo, in lacte albedo, in corpore generaliter resistentia seu impenetrabilitas [...] Ex his autem patet, extensionem non esse absolutam quoaddam praedicatum, sed relativum ad id quod extenditur sive diffunditur, atque adeo a natura cujus fit diffusio non magis divelli posse quam numerum a re numerata.“
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Ausdehnung aus einer realen Tätigkeit geben190. Sukzessive Wiederholung ist die Bestimmung der Zeit. Das Kontinuum des Ausgedehnten ist durch die Bestimmung der Gleichzeitigkeit davon unterschieden191. „[...] Die Ausdehnung ist das Abstraktum des Ausgedehnten und ist ebensowenig eine Substanz, wie man die Zahl oder die Vielheit für eine Substanz halten kann. Sie drückt nichts andres aus als eine bestimmte, nicht (wie die Dauer) sukzessive, sondern gleichzeitige Ausbreitung oder Wiederholung einer bestimmten Wesenheit, oder, was auf Dasselbe hinausläuft, eine Vielheit gleichartiger Dinge, die in einer bestimmten Ordnung nebeneinander bestehen. »Gleichartige« Dinge, sage ich, weil sie alle dieselbe Wesenheit besitzen: nämlich eben die, von der man sagt, daß sie […] ausdehnt oder ausbreitet [ist]. Der Begriff der Ausdehnung ist daher relativ oder die Ausdehnung ist die Ausdehnung von etwas, ebenso wie man auch die Vielheit oder die Dauer als die Vielheit bzw. die Dauer von etwas denkt [bezeichnet].“192
Leibniz definiert an dieser Stelle aus einem Brief an de Volder, die Ausdehnung als Ordnung der koexistierenden Inhalte im Unterschied zur Zeit. Mit dem Begriff der Ordnung hat Leibniz die cartesische res extensa in verschiedener Hinsicht übertroffen. Wird die Ausdehnung als Ordnung der Koexistenz definiert, die kontinuierlich ist, dann ist der Bereich dessen was Grundlage und jeweiliges „Etwas“ der Ausdehnung darstellen kann, wesentlich erweitert. Die Koexistenz von Vielen im Verhältnis der Ordnung ist ein Charakteristikum, das auch anderen Qualitäten zugesprochen werden
190
Diese Interpretation wird auch durch die Übersetzungen in B&C* nahegelgt. Buchenaus Übersetzungen geben prinzipiell die Begriffe „diffundi“, „diffundi est“, „extendi“, „diffunditur“ etc. aktivisch wieder. 191 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (31. Dezember 1700) GP II 221: „Extensio mihi nihil aliud esse videtur, quam continuus ordo coexistendi, ut tempus continuus ordo existendi successive.“ 192 LEIBNIZ. An de Volder (30. Juni 1704) (B&C* 521) GP II 269: „[...] Extensio est abstractum Extensi nec magis est substantia quam numerus vel multitudo substantia censeri potest, exprimitque nihil aliud quam quandam non successivam (ut duratio) sed simultaneam diffusionem vel repetitionem cujusdem naturae, seu quod eodem redit multitudinem rerum ejusdem naturae, simul cum aliquo inter se ordine existentium, naturae, inquam, quae nempe extendi seu diffundi dicitur. Itaque extensionis notio est relativa seu extensio est alicujus extensio, ut multitudinem durationemve alicujus multitudinem, alicujus durationem dicimus.“
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kann193. Es kann sich dabei nun um bestimmte Qualitäten handeln, wie in den Beispielen die weiße Farbe der Milch oder die Masse. Sie bedürfen keiner zugrundeliegenden res extensa mehr. Sie konstituieren das ausgedehnte Phänomen. Die Körper und der Raum sind damit von einer vorausgehenden Ausdehnung unabhängig geworden. Auch unausgedehnte Entitäten, wie insbesondere die Substanzen bzw. die Kräfte, können unter der Hinsicht der Ordnung Ausdehnung konstituieren. Auf Grund dieser Tatsache muß man schließen, daß Leibniz, wenn er von ausgedehnten realen Entitäten spricht, nur phänomenal reale meinen kann. Auf dieser Ebene liegt auch die Bestimmung der Ausdehnung als Wiederholung. Einen weiteren systematisch relevanten Beleg diesbezüglich gibt Leibniz in einer Erläuterung an de Volder. „Die Ausbreitung, die ich in der Ausdehnung annehme und die in Ihnen den Argwohn irgendeiner verborgenen Paradoxie erweckt zu haben scheint, soll meiner Absicht nach nichts andres sein, als jene gleichmäßige Wiederholung ein und derselben Qualität, vermöge deren der Teil dem Ganzen ähnlich ist. In diesem Sinne denken wir in der Milch die weiße Farbe ausgebreitet, denken wir ein und dieselbe Richtung in der Geraden und ein und dieselbe Krümmung der Kreislinie vorhanden. Meine Einheiten oder einfachen Substanzen dagegen breiten sich nicht in dem Sinne aus, in dem man gemeinhin vom »Fließen« eines Punktes spricht, noch bilden sie ein homogenes Ganzes; denn die Homogeneität der Materie besteht nur in der Abstraktion, sofern man die Dinge bloß als passiv, d. h. nicht ihrem vollständigen Sein nach, betrachtet.“194
193
Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (23. Juni 1699) GP II 183: „Nec putem extensionis conceptum esse primitivum seu cui nihil detrahi possit, cum resolvatur in pluritatem, quam communem habet cum numero, continuitatem quam cum tempore, coexistentiam quam cum rebus etiam non extensis.“ Leibniz bezieht sich in dieser Stelle in abstrakter Weise auf die Substanzen, diese bilden die reale Ordnung der Koexistierenden. Mit dem so verstandenen Ordnungsbegriff ist auch die Möglichkeit gegeben, weitere Prädikate, die im cartesischen Modell „unausgedehnt“ bzw. nicht unmittelbar geometrisch aufgefaßt werden können, der Ausdehnung bzw. der Extensionalität zugrundezulegen. 194 LEIBNIZ. An de Volder (1705) (B&C* 528 f) GP II 275: „Diffusionem quam in extensione concipo et quae Tibi suspicionem nescio cujus paradoxi latentis injecisse videtur, nihil aliud esse volo quam continuationem qua pars est similis toti, ut albedinem concipimus in lacte diffusam, et eandem ubique directionem in recta, et in circuli peripheria aequalem curvitatem. Neque vero unitates meae seu substantiae simp-
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Diese Aussage liefert einen entscheidenden Zusatz zur Präzisierung des Sachverhaltes. Die reale Vielheit der Substanzen ist von der Wiederholung der jeweiligen Qualitäten der ausgedehnten Ganzheit zu unterscheiden. Die Wiederholung ist keine Bestimmung der Realität im Sinne der Substanzen. Leibniz bringt die Wiederholung oder Kontinuation in direkte Verbindung mit dem idealen Kontinuum, wenn er schreibt, daß die Qualitäten nur abstrakt genommen sind, sofern sie verglichen werden können. So nur können sie als Teile eines Ganzen aufgefaßt werden. Dieses Kontinuum ist von dem, das die Substanzen bilden, zu unterscheiden. Die Substanzen sind nicht unbestimmt, sie stehen als solche niemals wie Teile im Verhältnis zu einem Ganzen. Dieses Verhältnis ist dem Bereich des Idealen vorbehalten und gilt auch für die Phänomene insofern sie vom Idealen bestimmt sind. Die Körper unterschieden sich zwar von den idealen Entitäten mathematischer Natur, die ihre Teilungen nur der Möglichkeit nach besitzen, dadurch, daß sie in Wirklichkeit geteilt sind. Wie Leibniz eigene Ausführungen aber nahe legen, sind für unsere Erkenntnis diese realen „Teilungen“ nicht im selben Sinne nachvollziehbar. Die Vernunft, die die aktuale Vielheit fordert, ist dieselbe, die unter anderer Hinsicht, aber in Bezug auf dasselbe Objekt, immer weitere Teilungen vornimmt. Dabei bleibt der Körper immer ein Ganzes bzw. es bleiben immer Körper. Das bedeutet, daß wir die ausgedehnte Sache nur unter der Hinsicht der idealen Einheit als ausgedehnt erfahren können. Das deckt sich auch mit der Aussage, die oben wiedergegeben wurde, daß die Einheit eines Körpers auf eine Leistung des Verstandes zurückzuführen ist195.
lices diffunditur (ut vulgo fluxum puncti concipimus), aut totum homogeneum constituunt, homogeneitas enim materiae non nisi abstractione mentis habetur, dum passiva tantum atque adeo incompleta consideratur.“ 195 Leibniz formuliert erstmals im Jahre 1679 explizit die Phänomenalität des Körpers: Vgl. LEIBNIZ. Calculus Rationatur seu artificium facile et infallibiliter ratiocinandi. Res hactenus ignorata (Frühjahr–Sommer 1679) A VI 4 A 279: „Corpora sunt apparitiones cohaerentes. Mens unaquaeque apparitionem mundi habet, ex apparitione non sequitur nisi apparitio. Necesse est igitur omnem mentem perpetuo existere, neque enim ipsa se destruet, nunquam obliviscitur priorum, sed semper si per priora vestigia ducatur meminisse potest. Non potuit explicari compositio continui, quia nec quid materia.“; noch im Jahre 1678 schreibt Leibniz (LEIBNIZ. Ad Ethicam Benedicti de Spinoza (1678) A VI 4 B 1771): „Mihi nondum certum videtur corpora esse substantias. Secus de mentibus.“
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Zu Anfang der Untersuchung wurde das ideale Kontinuum mit Leibniz als Ganzes von Teilen definiert. In der Auseinandersetzung mit Descartes erarbeitet Leibniz das Konzept des idealen Kontinuums als Ordnung einer koexistierenden Vielheit. Es stellt sich nun die Frage, wie sich die beiden Definitionen zueinander verhalten. Aus Leibniz’ Ausführungen läßt sich schließen, daß auf den ausgedehnten Körper, und in gewisser Weise auch auf den Raum, beide Definitionen anwendbar sein müssen. Ideales Kontinuum bedeutet prinzipiell die Einheit von Vielen. Dies kann nicht real gegeben sein, wie durch die Analyse des Labyrinths des Kontinuums ausreichend gezeigt wurde. Die Idealität im Sinne des Ganzen von Teilen stellt das ursprünglichere Modell zur Deutung des Sachverhalts dar. Das Konzept der Ordnung ist demgegenüber komplexer und leistungsfähiger. Beide Schemata behalten jedoch ihre Geltung. Ein Körper muß in einer mathematisch-physikalischen Untersuchung in immer weitere Elemente zerlegt werden, dennoch erscheint er immer als ausgedehnte und zusammenhängende Entität. Dasselbe gilt in ähnlicher Weise auch für den Raum. Gerade der Zusammenhang der vielen Entitäten, die miteinander in einem Verhältnis der Ordnung stehen, bedeutet, daß sie diesbezüglich eine Einheit bilden. Auch Zeit und Bewegung kommen nicht ohne diese Einheit aus, die Leibniz als apriorische Leistung des Verstandes definiert. Durch und hinsichtlich dieser Einheit sind die Vielen, ob sie nun als Teile oder Elemente einer Ordnung definiert werden, jeweils auf ihre Weise unbestimmt. Aus dieser Tatsache folgt, daß es sich nicht um eine reale Vielheit handeln kann. Womit das Schema der Ordnung durch das des Ganzen von Teilen ergänzt werden muß, weil somit immer phänomenale Entitäten unsere Erkenntnisobjekte darstellen. Diese erscheinen notwendig als Ganzheiten. Leibniz’ bekannte Ausführung über das Verhältnis der Substanzen zu den Phänomenen kann, nach den bisherigen Überlegungen, die gelegentlich in der Literatur auftretende Ungenauigkeit bei der Interpretation dieses Sachverhalts beleuchten helfen. „Um aber genau zu sprechen, so setzt sich die Materie nicht aus den konstitutiven Einheiten zusammen, sondern sie resultiert aus ihnen, da die Materie oder die ausgedehnte Masse nichts wäre, es sei denn ein Phänomen, das in den Dingen gründet, wie der Regenbogen oder die Nebensonne, und die gesamte Realität nicht wäre, es sei denn in den Einheiten. Die Phänomene lassen sich also immer in kleinere Phänomene teilen, die möglicherweise den Vorstellungsinhalt anderer, feiner organisierter Geschöpfe bilden können, und niemals wird
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man zu kleinsten Phänomenen gelangen. Die substantiellen Einheiten aber sind nicht die Teile, sondern die Grundlagen der Phänomene.“ 196
Leibniz betont die Bedeutung der Realität der Substanzen zum Zwecke der Absetzung von der cartesischen res extensa. Dies kann dazu veranlassen, diese Bedeutung überzubewerten und die Ausdehnung auf die Ordnung der realen Entitäten zurückzuführen. Dem steht jedoch entgegen, daß wir es, wie es ebenfalls im Zitat zum Ausdruck kommt, immer mit Phänomenen zu tun haben. Diese sind Ganzheiten möglicher Teile. Trotz dieser Einschränkung des Geltungsbereiches des Ordnungsbegriffes in Bezug auf das Kontinuum besteht kein Zweifel daran, daß dieser auf die von Leibniz postulierte aktuale Unendlichkeit realer Entitäten verweist. Das ideale Kontinuum als Ordnung und die reale Vielheit können jedoch nicht direkt verglichen werden. Unmittelbar erlaubt der Ordnungsbegriff eine wissenschaftlich befriedigendere Erklärung der Phänomene. Trotz der Unbestimmtheit der Elemente, die immer eine wesentliche qualitative Identität bedeutet, kann durch das Schema der Ordnung von einer Vielheit ausgegangen werden. Das ist eine Voraussetzung, die unerläßlich für eine Wissenschaft von den Körpern und ihren Bewegungen ist. Leibniz betont das wiederum in kritischer Bezugnahme auf Descartes. „Setzt man daher, wie es gewöhnlich geschieht, den Körper mit der Ausdehnung gleich, und faßt man die Ausdehnung als ein einfaches und ursprüngliches Attribut auf, so läßt sich in keiner Weise erklären, wie überhaupt eine Mannigfaltigkeit in dem Körper entstehen soll oder wie eine Mehrheit von Körpern existieren kann.“197
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LEIBNIZ. An de Volder (30. Juni 1704) GP II 268: „Accurate autem loquendo materia non componitur ex unitatibus constitutivis, sed ex iis resultat, cum materia seu massa extensa non sit nisi phaenomenon fundatum in rebus, ut iris aut parhelion, realitasque omnis non sit nisi unitatum. Phaenomena igitur semper dividi possunt in phaenomena minora que aliis subtilioribus animalibus apparere possent, nec unquam pervenietur ad minima phaenomena. Unitates vero substantiales non sunt partes, sed fundamenta phaenomenorum.“; vgl. zur Idealität und Apriorizität der Ausdehnung: An de Volder (6. Juli 1701) GP II 227 197 LEIBNIZ. An de Volder (6. Juli 1701) (B&C* 493) GP II 226 f: „Ita certe si, ut vulgo fit, corpus dicatur nihil aliud continere quam extensionem, extensio autem concipiatur velut attributum quoddam simplex et primitivum, nulla ratione explicare potest quomodo ulla in corporibus variatio oriatur, aut quomodo plura corpora existant.“;
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Bei der Widerlegung des Atomismus hatte sich Leibniz eines ähnlichen Arguments bedient. Wenn die Atome alle durch dieselbe unendliche Härte bestimmt wären, dann gäbe es keine Bewegung. Wie dort das Prinzip der Kontinuität die Heterogenität der Elemente fordert, so auch hier, denn „[...] es ist nicht einzusehen, woraus die Verschiedenartigkeit entspringen sollte, da sich aus Einem nur Eines ergibt.“198 Die Bewegung, die für Leibniz relativ ist, würde, zieht man nur die Ausdehnung und homogene Teile in Betracht, in dieser angenommenen Relativität völlig aufgehoben sein. D. h. man könnte keiner Entität die Ursächlichkeit und einer anderen das Leiden zusprechen, da es nur Relativität gäbe199. Leibniz bezieht sich in dieser Aussage bereits auf die Kraft, wie sie im folgenden untersucht werden soll. In diesem Sinne schreibt er auch an Arnauld: „In der Physik muß man zur Einsicht des Wesens der Kraft gelangen, das von der Bewegung, die etwas mehr Relatives bezeichnet, durchaus verschieden ist.“200
Der Grund hierfür ist nach Leibniz darin zu finden, daß die Bewegung tatsächlich, wird sie unabhängig von den Ursachen betrachtet, nichts Absolutes und Reales ist201. Sie ist eine Veränderung der Lage oder der Teile zueinander. Auch sie wird auf der Ebene der Phänomene berechnet. So kann
vgl. An de Volder (1705) GP II 277: „Et licet impenetrabilitas extensioni addatur non ideo tamen quicquam completum conficitur, unde ratio motus et inprimis ratio legum motus, imo ipsius dissimilitudinis utique apparentis reddi potest.“ 198 LEIBNIZ. An de Volder (6. Juli 1701) (B&C* 493) GP II 226: „[…] non [...] apparet origio diversitatis, quia ex unum non nisi unum […].“ 199 Vgl. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §18, A VI 4 B 1559; Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) II 25, GP IV 369 200 LEIBNIZ. An Arnauld (März 1690) (B&C* 446) GP II 137: „A l’égard de la physique, il faut entendre la nature de la force, toute différente du mouvement, qui est quelque chose de plus relatif.“ 201 Vgl. LEIBNIZ. Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii ... (1686) GM VI 123: „Ratio autem ultima est, quod ipse motus per se non est aliquid absolutum et reale.“ Diese Schrift, die dem cartesischen Postulat der Erhaltung der Bewegungsquantität das der Erhaltung der Kraft gegenüberstellt, formuliert, daß die Bewegung insofern etwas Relatives ist, als sie sich, wie die Ausdehnung, auf ein Etwas beziehen muß, das ihr Prinzip ist. Vgl. auch: An Arnauld (April 1687) GP II 92: „Et en effect les mouvemens estant des phenomenes reels plustot que des estres [...].“
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auch die Bewegung, für sich genommen, nicht eine reale Vielheit von Ursachen der Bewegung, die angenommen werden muß, erklären202. Die Prinzipien der gesamten Kritik an der cartesischen res extensa, und eine Bestätigung der bisherigen Darlegung, bringt Leibniz sehr prägnant in der folgenden Stelle aus einem Brief an Arnauld aus dem Jahre 1687 zum Ausdruck: „Man kann – das leugne ich nicht – die Besonderheiten der Natur rein mechanisch erklären, jedoch erst nachdem man die Prinzipien der Mechanik selbst anerkannt oder vorausgesetzt hat. Diese aber kann man a priori nur dadurch begründen, daß man auf metaphysische Erwägungen zurückgeht, ja selbst die Schwierigkeiten de compositione continui werden niemals ihre Auflösung finden, solange man die Ausdehnung als die Substanz des Körpers ansieht und solange uns daher unsre eigenen Trugbilder zu schaffen machen.“203
5.2 Die Duplizität des Kraftbegriffs Mit dem Konzept der Kraft entwickelt Leibniz eine neue und um Wesentliches erweiterte Theorie zur Lösung des Kontinuumproblems. Der Kraftbegriff soll sowohl für die physikalische Praxis als auch für die theoretischen Fragen der Philosophie konsistente Lösungen garantieren. Die Ausdehnung, so lautet die Forderung, soll sich auf eine Vielheit koexistierender Entitäten beziehen. Für Leibniz’ Physik bedeutet das, daß die Analyse des ausgedehn-
202
Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (2. Februar 1706) GP II 296: „[…] ergo nec in phaenomenis varietas existere posset: adeoque praeter figuram, magnitudinem et motum admittendas esse formas, per quas distinctio apparentiarum in materia oriatur, quae non video unde intelligibiliter peti queant nisi ab Entelechiis.“ 203 LEIBNIZ. An Arnauld (April 1687) (B&C* 419) GP II 98: „On peut expliquer machinalement (je l’avoue) les particularités de la nature, mais c’est apres avoir reconnu ou supposé les principes de la mecanique même, qu’on ne sçauroit establir a priori que par des raisonnemens de Metaphysique, et mêmes les difficultés de compositione continui ne se resoudront jamais, tant qu’on considerera l’étendue comme faisant la substance des corps, et nous nous embarrassons de nos propres chimeres.“
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ten Körpers auf eine kontinuierlich angeordnete Vielheit von Kräften führen soll204. Der Kraftbegriff bedeutet eine Erweiterung der cartesischen mathesis universalis, der Idee einer mathematischen Naturerfassung nach einem einheitlichen Prinzip, das in der Lage ist die vielen Phänomenen einheitlich und exakt zu bestimmen205. Descartes’ analytischer Geometrie muß im Gebäude der leibnizschen Wissenschaft ihre fundamentale Bedeutung abgesprochen werden. Leibniz wendet sich nun in der Mathematik von den Elementen zu den Formen der Verknüpfung, vom Zahlbegriff zum Funktionsbegriff206. Dem Begriff der Größe ist der der Ordnung, der Algebra als Wissenschaft der Zahl die Kombinatorik als Wissenschaft der Formen des Geistes übergeordnet207. Die neue mathesis führt zu einem System der reinen Verknüpfungsformen, ohne Berücksichtigung der extensiven Größen selbst. Hierbei kommt insbesondere der Infinitesimalmethode eine entscheidende Bedeutung zu. Das allgemeine Grundprinzip ist die Kontinuität der Natur. Kontinuität bedeutet, wie es anhand des Modells der Kräfte deutlich wird, Relativität. Die physikalische Körperwelt ist ein System wechselwirkender, funktionaler Kräfte208.
204
Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 13 §15, A VI 6 149: „[...] l’Etendu est un continu dont les parties sont coëxistantes, ou existent à la fois.“ 205 Vgl. CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 234 206 Vgl. CASSIRER. Erkenntnisproblem. A. a. O. II 145 ff; ROMBACH A. a. O. II 310 ff 207 Vgl. LEIBNIZ. De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 545: „Caeteroqui Ars Combinatoria speciatim mihi illa est scientia (quae etiam generaliter characteristica, sive speciosa dici posset), in qua tractatur de rerum formis sive formulis in universum, hoc est de qualitate in genere sive de simili et dissimili, prout aliae atque aliae formulae ex ipsis a, b, c, etc. (sive quantitates sive aliud quoddam repraesentent) inter se combinatis oriuntur, et distinguitur ab Algebra quae agit de formulis ad quantitatem applicatis, sive de aequali et inaequali, itaque Algebra subordinatur Combinatoriae, ejusque regulis continue utitur [...] in omnibus ubi similitudines ratio habetur locum habent.“; vgl. auch: Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 24; De analysi situs (1693) GM V 179 208 Vgl. ROMBACH. A. a. O. II 323: „Kontinuität ist nichts anderes als absoluter Funktionalismus, totaler Zusammenhan g von allem, Repräsentation des Ganzen in jedem Teile und jeden Teiles im Ganzen.“
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Die extensive Größe wird damit nicht mehr als primäre Seinsbestimmung oder als von der Substanz ununterscheidbares Attribut aufgefaßt. Das Kontinuum wird als Ordnung von Vielen definiert. Die Ordnung ist abstrakt und unabhängig vom konkreten Inhalt mögliches Verhältnis von Vielen. Zur konkreten Erfassung eines wissenschaftlichen Objektes bleibt dieser Begriff unbestimmt, bis die nähere Definition des Etwas, das in dieser Vielheit wiederholt werden soll, angegeben werden kann. Dieses Etwas kann nun sowohl für die verschiedenen Qualitäten stehen, als auch für die Kraft selbst. In Absetzung zur res extensa formuliert Leibniz mehrmals, daß die Substantialität bzw. Realität des Körpers – da sie nicht durch die Ausdehnung definiert werden kann – mit Hilfe des Kraftbegriffes erfaßt werden soll. „Ich glaube daher, daß unser Denken erst im Begriffe der Kraft [τῶν δυναμικῶν], nicht in dem der Ausdehnung zur Vollendung und zur Ruhe kommt. Auch dürfte für den Begriff des Vermögens oder der Kraft keine andre Erklärung zu suchen sein, als daß die Kraft das Attribut ist, aus dem die Veränderung folgt und dessen Subjekt die Substanz selbst ist. Ich wüßte nicht, was hierbei unbegreiflich sein sollte. Eine noch genauere Ausmalung verträgt die Natur der Sache nicht. Eine Einheit des Ausgedehnten gibt es meiner Überzeugung nach nur in abstracto, solange wir nämlich absehen [abstrahieren] von der inneren Bewegung der Teile, wodurch ein jeder Teil der Materie tatsächlich wieder in verschiedene Teile zerlegt wird.“209
In der zitierten Stelle bezeichnet Leibniz die Kraft als Attribut der Substanz. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß er damit die Kraft als Wirkung von der der Ursache unterscheidet. Die Kraft als Ursache ist dasjenige, was er als Ziel der Analyse des Kontinuums angibt. Sie erst garantiert, unter anderem, daß die abstrakte Einheit des Ausgedehnten überwunden werden kann.
209
LEIBNIZ. An de Volder (24.März/3. April 1699) (B&C* 472 f) GP II 170: „Itaque magis in τῶν δυναμικῶν quam extensionis cogitationem nostram compleri et terminari credo, nec potentiae vel vis aliam notionem quaerendam quam ut sit attributum ex quo sequitur mutatio, cujus subjectum ipsa est substantia. Nec video quid hic fugiat intellectum. Expressiorem quandam velut picturam natura rei non capit. Unitatem extensi puto nullam esse nisi in abstracto, dum scilicet animum abstrahimus ab intestino partium motu, quo unaquaeque materiae pars rursus in diversas actu partes subdivisa est [...].“
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Die Ausdehnung ist eine geometrische Bestimmung. Prinzipiell kann man Leibniz’ Kritik an Descartes, vom Gang der Untersuchung her, als Erweiterung des mathematischen auf das physikalische Kontinuum auffassen. Das abstrakte Modell der Ausdehnung ist die Linie. Eine Linie ist in zweierlei Hinsicht eine Abstraktion. Erstens ist eine Linie eindimensional, ein Körper, der in concreto gegeben ist, ist dreidimensional. Zweitens ist die Linie eine mathematische, ein Körper eine physikalische Entität. Der Unterschied zwischen beiden beruht jedoch nicht alleine auf der Anzahl der Dimensionen. Die Abstraktion kann auch auf der Reduktion einer weiteren Wesenseigenschaft beruhen. Diese nun wäre die genuin körperliche oder, im Beispiel, eine physikalische Eigenschaft. Bereits in der Diskussion mit Huygens lag die atomistische Variante einer solchen „physikalischen“ Eigenschaft vor, nämlich die der Härte. Diese war nach Leibniz insofern unzureichend, als sie nicht elastisch bzw. variabel ist. D. h. sie kann die unterschiedlichen Bewegungsabläufe nicht erklären, da sie als Atom ein zu sehr starres ausgedehntes Ding ist, das über kein dynamisches Potential verfügt. Bisher war jede Möglichkeit einer positiven Bestimmung der wahren Elemente des Kontinuums gescheitert. Alleine das Problem der Bewegung fordert immer wieder, an der Unendlichkeit des Kontinuums festzuhalten. Es sind daher auch die Bewegungsgesetze Descartes’, an deren Verbesserung Leibniz sein Konzept der Kraft ausarbeitet und erprobt. Er ersetzt bzw. ergänzt Descartes’ Bewegungsgesetze anhand des Kontinuitätsprinzips. Wie in der atomistischen Physik so sind auch in der cartesischen Mechanik bzw. Dynamik Sprünge unvermeidlich. Darüber hinaus muß Descartes unterschiedliche Fälle der Bewegung und des Stoßes gesondert behandeln210. Dies sind Folgen, die dem leibnizschen Axiom der durchgängigen Kontinuität der Naturerfahrung bzw. der größtmöglichen Einfachheit der Prinzipien der wissenschaftlichen Methode widerstreiten211. Die konkrete einzelwissenschaftliche Anwendung des Kontinuitätsprinzips ermöglicht demgegenüber, alle Fälle unter sich zu vereinigen. Der Übergang aller Einzelfälle wird postu210
Vgl. die sieben Regeln der Bewegungsgesetze DESCARTES’: Principia philiosophiae III 46-52.; Leibniz geht in seinem Kommentar zu dieser Schrift ausführlich und einzeln auf diese Regeln ein: Vgl.: LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) II 46-52, GP IV 376 ff 211 Vgl. LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) II 45, GP IV 375 f
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liert und kann aus diesem einen Prinzip abgeleitet werden212. Bei den Bewegungsgesetzen folgt daraus, daß Ruhe und Bewegung relative Bestimmungen sind. Diese konkrete Ableitung aus dem Prinzip der Kontinuität garantiert zu wesentlichen Teilen erst die methodisch geforderte Einheit der Dynamik. „So geht die allmählich abnehmende Bewegung schließlich in die Ruhe und die stetig verminderte Ungleichheit in die genaue Gleichheit über, so daß die Ruhe als unendlich kleine Bewegung oder unendlich große Langsamkeit, die Gleichheit als eine unendlich kleine Ungleichheit angesehen werden kann, somit alles, was von der Bewegung oder Ungleichheit überhaupt erwiesen ist, nach dieser Auffassung auch von der Ruhe und der Gleichheit gelten muß, und die Regeln für beide in gewisser Weise als ein Sonderfall der Regeln für die Bewegung oder für die Ungleichheit gedacht werden können. Gelingt dies nicht, so kann man sicher sein, daß die Regeln nicht miteinander übereinstimmen und schlecht gefaßt sind.“213
Wie im Zitat ausgesprochen wird, sind die Bewegungen Sonderfälle der allgemeineren Verhältnisse der Gleichheit und Ungleichheit. Dieses Verhältnis stellt die Grundlage für die Erweiterung der mathesis insgesamt dar und entstammt u. a. der characteristica universalis. Wir beschränken uns hier jedoch auf die Bewegung im besonderen. Diese kann mittels dreier Vorraussetzungen systematisiert werden: Alle Bewegung vollzieht sich stetig, jeder Wirkung entspricht eine Gegenwirkung und neue Kraft kann nur durch Verminderung der Kraft an anderer Stelle entstehen. Dies sind Leibniz’ systematische Regeln der Bewegung214. Im Unterschied zur cartesischen 212
Vgl. LEIBNIZ. Justification du calcul des infinitesimales par celuy de l’algèbre ordinaire (1702) GM IV 105 f 213 LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) II 45, (B&C* 244) GP IV 376: „Sic Motus paulatim decrescens tandem evanescit in quietatem, et inaequalitas continue diminuta in accuratam aequalitatem abit, ita ut quies considerari possit tanquam motus infinite parvus, aut tanquam tarditas infinita, et aequalitas tanquam inaequalitas infinite parva; atque ea ratione quicquid vel de motu in genere vel de inaequalitate in genere demonstratum est, etiam de quiete aut aequalitate secundum hanc interpretationem verificari debet, ita ut regula quietis aut aequalitatis certo modo concipi possit tanquam casus specialis regulae de motu aut de inaequalitate. Si vero id non succedat, pro certo habendum est, regulas esse inconcinnas et male conceptas.“ 214 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 241: „[...] omnis mutatio fiat per gradus, et omnis actio sit cum reactione, et nova vis non prodeat sine detrimento prioris [...].“
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Theorie wird hiermit die Erhaltung der Kraft im Gesamtsystem definiert. Es ist nicht nötig und auch unzulässig, neue Bewegungsenergie von außen einzuführen. Der Satz von der Erhaltung der Kraft stellt dabei die direkte Anwendung des Kontinuitätsprinzips dar. Er erlaubt die Gesetzmäßigkeit aller Veränderungen der Natur als stetige und damit mathematisch beschreibbare Vorgänge zu formulieren. Weiterhin bedeutet dies die Möglichkeit einer Rückführung aller stetigen Zustandsänderungen auf einzelne Gesetzesstrukturen, die aus dem Krafterhaltungsgesetz als allgemeiner idealer Regel für alle Zustände eines Systems deduziert werden können. Diese Ableitung aus einem idealen Gesetz macht Leibniz zum Prüfstein aller vorhandenen Gesetze. Das Kontinuitätsprinzip erlaubt außerdem, da es ein Prinzip a priori ist, weitere noch unbekannte Fälle zur Bestimmung zu bringen. „Es ist sicher, daß, was ich über die sinnlichen Körper gesagt habe, sich nicht auf meine Anschauung von der Erfahrung beim Stoß, sondern auf Prinzipien bezieht, die imstande sind, von diesen Erfahrungen selbst Rechenschaft zu geben, und die Fälle, für die es noch keine Experimente oder Regeln gibt, zur Bestimmung bringen können, und zwar eindeutig und allein aus dem Prinzip der Gleichheit von Ursache und Wirkung.“215
Durch die umfassende Geltung des Kontinuitätsprinzips und auf Grund seiner Idealität wird die Natur relational. Sowohl die zeitliche wie die räumliche Kontinuität kann nur mittels Relationen definiert werden. Unter der Prämisse der Konstanz des Gesamtsystems erhalten alle Zustände und Veränderungen ihre Berechenbarkeit auf Grund ihrer relativen Position. Die Kräfte werden dabei als Relationszentren gefaßt. Die Kraft ist die mathematische Einheit der Abfolge der Zustände auf zukünftige Zustände hin, wobei für jeglichen einzelnen Zustandskomplex das Verhältnis zu allen anderen berücksichtigt werden muß. Leibniz faßt damit die Kraft als relationale Position, d. h. als Funktion.
215
LEIBNIZ. An de l’Hospital (15. Januar 1696) GM II 308: „Il est manifeste aussi que ce que je dis sur ces corps sensibles n’est point fondé sur les experiences du choc, mais sur des principes qui rendent raison de ces experiences mêmes; et qui sont capables de determiner les cas dont on n’a pas encor ny experiences ny regles: et cela par ce seul princip de l’egalité de la cause et de l’effect.“
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Mit Hilfe dieser Voraussetzung kann Descartes’ Ausdehnung auf eine Vielheit koexistenter und kontinuierlicher Kraftpunkte216 zurückgeführt werden, die ermöglicht, die Kontinuität der Bewegung und der Materie in ihrer Koexistenz mathematisch konsistent zu beschreiben. Für die Anforderungen der Komplexität der Naturvorgänge unterscheidet Leibniz die Kraft grundlegend in eine aktive und eine passive. Jede der beiden wird wiederum, in einer weiteren Differenzierung, als einerseits primitiv und andererseits derivativ bestimmt. Die erscheinende tätige Kraft, d. i. die derivative aktive, steht immer im Verhältnis der Wechselwirkung mit anderen Kräften. Die primitive aktive Kraft ist die Form oder Entelechie. Ihr kommt keine Bedeutung für die Formulierung der physikalischen Gesetze zu, da sie für die Erklärung der Erscheinungen unzureichend ist217. Die primitive passive Kraft konstituiert den Widerstand eines Körpers. Die derivative passive Kraft ist die Gegenwirkung eines Körpers im Verein seiner Kräfte, wiederum im Verhältnis mit allen anderen218. Die derivative Kraft ist das eigentliche Objekt der Wissenschaft der Bewegung; nur sie ist relational, d. h. in Wechselwirkung mit allen anderen definiert. Sie ist eine funktionale Entität und kann nicht als Substanz bezeichnet werden. Dennoch soll für Leibniz, wie er mehrmals formuliert, die Betrachtung der Kraft die Pforte zur wahren Metaphysik darstellen219. Mit gewissen Einschränkungen kann von einer Analogie zwischen Kraft und Substanz gesprochen werden. Die Forderung der Krafterhaltung, die eine mathematische Gesetzmäßigkeit für das gesamte System postuliert, fordert die gesetzmäßige Struktur eines jeden einzelnen seiner Momente und kann dadurch mit der Voraussetzung einer selbsttätigen Substanz verglichen werden, da aus beiden ihre Zustandsänderungen selbständig fließen. Dennoch lassen sich die Substanz und die Kraft als funktionale Einheit nicht ohne weiteres identifizieren. Mit Leibniz muß auf den wesentlichen Unterschied beider Begriffe hingewiesen werden. 216
Z. B. kann der Massepunkt, der als primitive passive Kraft definiert wird, als eine solche Singularität aufgefaßt werden. Das genuine Objekt der Dynamik ist jedoch, wie auch die Regeln zeigen, das Masseaggregat. 217 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 236: „Et primitiva quidem (quae nihil aliud est, quam έντέλεχεια ἡ πρώτη) animae vel formae substantiali respondet, sed vel ideo non nisi ad generales causas pertinet, quae phaenomenis explicandis sufficere non possunt.“ 218 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 237 219 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (1699) GP II 195
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„Eine eigentliche Einwirkung der Substanzen aufeinander gebe ich nicht zu, da sich begrifflich nicht einsehen läßt, wie eine Monade die andre beeinflussen könnte. Im Bereich der Erscheinungen und der Vielheit [Aggregate] aber, in dem wir es schlechterdings mit Phänomenen zu tun haben – […] [die jedoch gegründet] und regelmäßig sind – wird niemand das Zusammenprallen und den Stoß bestreiten.“220
In dieser Stelle wird deutlich, daß Leibniz, den Begriff der Monade benutzend, eine Interaktion in den Bereich der Erscheinungen verlegt. Zusätzlich gibt er einen weiteren entscheidenden Hinweis, der das Verständnis des Problems vertieft. Er sagt, daß die Interaktion in den Bereich der Phänomene und der Aggregate gehört. Interaktion gibt es nur im Phänomenalen, weil das Reale aus sich selbst alle Zustände produziert. Es steht damit nicht im Verhältnis der Wechselwirkung, weil es keine Entitäten gibt, auf die es sich beziehen könnte. Die freie Übersetzung von Buchenau, der aggregatum mit Vielheit wiedergibt, unterstreicht diesen Sachverhalt. Die Interaktion, von der Leibniz spricht, also die durchgängige Wechselwirkung und Funktionalität der Natur, erlaubt als notwendig kausales Geschehen keine Substanzen im Sinne von Monaden zuzulassen. Die Monade, insofern sie als Agens im Reich der Zwecke und nicht als Durchgangstelle im Reich der Wirkursachen aufzufassen ist, ist Prinzip ihrer Handlungen. Sie ist fensterlos und autonom221. Betrachtet man nun demgegenüber die Seinsbestimmung der Kraft als funktionaler Entität, dann stellt sich folgende Schwierigkeit ein. Im Reich der Phänomene und der phänomenalen Kraft ist alles geregelt und kausal. Dies folgt aus dem Prinzip der Kontinuität. Es folgt aus ihm aber keine wirkliche Vielheit. Kontinuität als Relativität der Natur erlaubt eine maximale Menge von Entitäten unter einem kausalen Zusammenhang zu denken. Die Kontinuität ermöglicht es jedoch nicht, aus ihr alleine diese Vielheit in irgendeiner konkreten Weise zu deduzieren. Sie stellt nur die Regel auf, die a priori für die Phänomenalität gilt. Somit ist die phänomenale Kraft immer
220
LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) (B&C* 505 f) GP II 251: „Substantiarum proprie in se invicem actionem non admitto, cum nulla appareat ratio qua Monas in monadem influat. Sed in apparentiis aggregatorum, quae utique non nisi phaenomena sunt (fundata tamen ac regulata) concursus atque impulsus quis neget?“ 221 Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 11, GP VI 603; Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) GP VI 588
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aggregativ, d. h. der Zahl wie dem Inhalt nach unbestimmte Menge, welche hypothetisch auf eine diskrete Vielheit zurückgeführt wird. Das Verhältnis von funktionaler Kraft und Substanz ist noch in weiterer Hinsicht miteinander verwachsen. So schreibt Leibniz wiederum auch der derivativen Kraft eine gewisse Vollbestimmtheit zu. „Indessen trifft es, soviel ich sehe, selbst für die Phänomene und die derivativen Kräfte zu, daß die eine Masse der andren nicht sowohl eine neue Kraft zuführt, als vielmehr eine, die in ihr schon innerlich vorhanden war, bestimmt, so daß ein Körper eher vermöge seiner eignen Kraft von dem andren zurückprallt, als daß er von ihm gestoßen wird.“222
Solche und ähnliche Stellen, die die derivative Kraft, bzw. das Gesetz derselben quasi autonom definieren, unterstützen die Möglichkeit einer Identifizierung von Kraft und Substanz223. Im Briefwechsel mit de Volder kommt Leibniz ebenfalls auf diesen Punkt zu sprechen. Die derivative Kraft wird dort deutlich von der Bewegung unterschieden. Die Bewegung ist der momentane Zustand eines physikalischen Objekts, die derivative Kraft ist die grundlegende Tendenz des Körpers, die den bloßen Bewegungszustand überspannt und ihm seine gesetzliche Ordnung erst vermittelt. Die primitive Kraft soll diesen beiden nochmals übergeordnet sein. „Das Beharrende selbst aber, sofern es die Gesamtheit der Fälle in sich schließt, besitzt eine ursprüngliche Kraft, so daß die ursprüngliche Kraft gleichsam das Gesetz der Reihe ist, die derivative Kraft gleichsam eine einzelne Bestimmtheit durch die ein besondres Einzelglied in der Reihe bezeichnet wird.“224
222
LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) (B&C* 505 f) GP II 251: „Interim verum comperio in phaenomenis quoque et viribus derivativis ut massae massis non tam dent novam vim, quam determinent jam inexistentem, ita ut corpus potius se propria vi ab alio repellat quam ab eo propellatur.“ 223 Eine solche Interpretation hat z. B. in umfassender Weise Janke (WOLFGANG JANKE. Die Emendation der Metaphysik. Frankfurt a. M. 1963) gegeben; vgl. ebd. 7: „Der Gedanke, in welchem sich das Leibnizsche Philosophieren gründet, lautet: die Natur der Substanz ist Entelechie, und d. i. ursprünglich wirkende und einfach einigende Kraft (entelchia prima seu vis primitiva activa).“ 224 LEIBNIZ. An de Volder (21. Januar 1704) (B&C* 514) GP II 262: „Sed ipsum persistens, quatenus involvit casus omnes, primitivam vim habet, ut vis primitiva sit velut lex seriei, vis derivativa velut determinatio quae terminum aliquem in serie designat.“
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Um den Begriff der primitiven Kraft in ihrer Stellung zur abgeleiteten zu fixieren, stellt Leibniz einen Vergleich zwischen der ursprünglichen Kraft und dem Gesetz der Reihe aller Zustände einer phänomenalen Entität her225. Dabei unterscheidet er sie von der derivativen Kraft als partieller Bestimmtheit. Für die Phänomene soll jedoch das Gesamtgesetz als Funktion der derivativen Verhältnisse aufgefaßt werden, denn diese sind alleine das Objekt der Dynamik226. Die primitive Kraft soll hier gleichsam als die aktive Ursache der Phänomene dargestellt werden. Es liegt im Begriff der Funktion als synthetischer Einheit aller relativen Bestimmungen – speziell wenn sie anhand des Infinitesimalkalküls mathematisch formuliert werden kann –, daß aus ihrer „Formel“ ihre sämtlichen relativen Zustände deduzierbar sein müssen. Genau das ist ihr Begriff. Dadurch kommt es jedoch nicht zur Identifizierung von Substanz und Funktion, wobei m. E. die Funktion die treffendste Deutung der phänomenalen Kraft bei Leibniz darstellt. Eine funktionale Entität ist eine dynamisch relative Position und hat keinerlei Selbstand. Auch deswegen bezeichnet sie Leibniz vielleicht als abgeleitete Kraft. Sie muß diesen Selbstand auf andere Weise voraussetzen. Die reale Vielheit, die Leibniz unter dem Titel der aktualen Unendlichkeit zur Entwirrung des Labyrinths des Kontinuums regelmäßig als zusätzliche Dimension heranzieht, kann nicht durch die Funktion erklärt werden. Die Funktion ist keine reale, sondern nur eine mögliche Einheit. Dies wird auch dadurch deutlich, daß eine Kraft sich als Kräfteaggregat entpuppen kann. Die durchgängige Kontinuität der Natur, die in immer kleinere und subtilere Bereiche vorstoßen muß fordert dies geradezu. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb die derivative Kraft nur auf Aggregate angewendet werden kann. Das Aggregat ist die eigentliche Dimension des Phänomenalen.
225
Cassirer (Leibniz’ System. A. a. O. 300 f) interpretiert diese Stelle so, daß das Beharrende, das in der primitiven Kraft bezeichnet ist, nicht als Substanz, sondern als die beharrende Identität eines übergeordneten Gesetzes verstanden werden muß. Damit ist für Cassirer letztlich die prinzipielle Aufhebung der Substanz verbunden. 226 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 237: „[...] in hac doctrina de virtutibus et resistentiis derivativis tractare [...] his enim accommodatur leges actionum, quae non ratione tatum intelliguntur, sed et sensu ipso per phaenomena comprobantur.“
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„Im eigentlichen und strengen Sinne darf man nicht sagen, daß die ursprüngliche Entelechie die Masse ihres Körpers antreibt und bewegt. Vielmehr steht sie nur im Zusammenhang mit der passiven ursprünglichen Kraft, die sie ergänzt und mit der zusammen sie eine Monade ausmacht, nicht dagegen kann sie auf die andren Entelechien d. h. auf die Substanzen, die in derselben Masse vorhanden sind, einen Einfluß ausüben. Innerhalb der Phänomene indes, d. h. an dem resultierenden körperlichen Aggregat, ist alles mechanisch zu erklären, und hier wird man also die Massen als wechselseitig aufeinander einwirkend zu denken haben. Auch braucht man bei diesen Phänomenen stets nur die derivativen Kräfte in Betracht zu ziehen [...].“ 227
In einem naturwissenschaftlichen Modell raumzeitlicher Zusammenhänge, so muß man folgern, haben wir es nur mit der abgeleiteten Kraft zu tun. Die begrifflich-mathematische Formulierung der derivativen Kraft kann am Beispiel des conatus verdeutlicht werden228, den Leibniz über Hobbes hinaus mathematisch präzisiert hat. Der conatus ist das Moment der aktiven Kraft im momentanen Punkt der Geschwindigkeit229. Erst die Zurückführung auf ideale Größen der Mathematik, die, verbessert durch die Analysis des Unendlichen, den cartesischen Bewegungsgesetzen überlegen ist, erlaubt eine mechanische Erklärung der Erscheinungen, ohne auf die sogenannten okkulten Größen und Qualitäten vormathematischer Physik zurückzugreifen. Im Specimem dynamicum aus dem Jahre 1695, in dem Leibniz seine Dynamik in groben Zügen sowohl den mathematischen Physikern als auch den scholastisch geprägten Philosophen und Theologen nahe bringen will, führt er den Zusammenhang von Mathematik und Metaphysik mehrfach aus. Die mathematischen Entitäten, die als Funktionen verstanden wurden, werden deutlich von den Substanzen abgesetzt.
227
LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) (B&C* 504) GP II 250: „Proprie et rigorose loquendo forte non dicetur Entelechiam primitivam impellere massam sui corporis, sed tantum conjungitur cum passiva potentia primitiva quam complet, seu cum qua Monadem constituit, non vero influere potest in alias Entelechias, substantiasque adeo in eadem massa existentes. At in phaenomenis seu aggregato resultante omnia jam mechanice explicantur, massaque se mutuo impellere intelliguntur: neque opus est in his phaenomenis nisi consideratione virium derivativarum [...].“; vgl. auch: ebd. GP II 251 228 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 238 229 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 237 f
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„Ich meine jedoch damit nicht, daß diese mathematischen Wesenheiten sich wirklich so in der Natur der Dinge vorfinden, sondern halte sie nur für ein Mittel der abstraktmathematischen, exakten Berechnung.“230
Die mathematische Formulierung der Summierung unendlicher Reihen tendenzieller Antriebe und Momente und der weiteren Verhältnisbestimmungen in der Funktion ist das Schema der exakten Berechnung und damit Bedingung a priori für die Konstituierung der Phänomene. Real hingegen, wie Leibniz ergänzt, ist nur die lebendige Kraft. Wenn Leibniz fordert, daß die phänomenale Kraft quasi selbsttätig sein soll, da sie vollbestimmt zu sein hat, dann weist er schon mit der Funktionalität über sie selbst hinaus. Denn damit ist ein selbsttätiges Moment innerhalb des Wechselwirkungsverhältnisses der derivativen Kraft gefordert, das dabei dieses eigentlich transzendiert, d. h. außerhalb des Verhältnisses steht. Dieser Sachverhalt steht in Analogie zur Duplizität, die in der Untersuchung des Kontinuums wiederholt in ihrer zentralen Bedeutung herausgestellt wurde. Beim Kraftbegriff ergibt sich diese nun auf eine neuerliche Weise. Einer Funktion kann kein Sein zugesprochen werden, da sie nur einen Beziehungsknotenpunkt des Ganzen darstellt231. Wie Rombach232 im Anschluß an Cassirer ausgeführt hat233, ist der Begriff der Funktion bei Leibniz von systematisch grundlegender Bedeutung. Obgleich der Funktionsbegriff und der Substanzbegriff sich gegenseitig ausschließen, so bedingen sie sich wiederum in gewisser Weise wechselseitig. Die Kraft hat in ihrem phänomenalen Charakter als Funktion kein Sein. Sie kann ausschließlich in völliger Relativität begriffen werden. Sie besitzt weder Selbststand noch einen Inhalt, der ihr unabhängig von der Abfolge der Verhältnisbestimmungen zukommen würde. Für Leibniz bedeutet dies, daß eine solche Entität, wie er es für 230
LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) (B&C* 199) GM VI 238: „[...] quandam non ideo velim haec Entia Mathematica reapse sic reperiri in natura, sed tantum ad accuratas aestimationes abstractione animi faciendas prodesse.“ 231 Vgl. ROMBACH. A. a. O. II 176: „Die Idee der Funktion besagt, daß das Seiende allein nur ein Beziehungsknotenpunkt ist. Die Sache ist ihre Stelle im Ganzen; sie ist diese Stelle.“ 232 Vgl. zum Verhältnis Funktion und Substanz in Bezug auf die Kraft: ROMBACH. A. a. O. II 331 ff 233 Eine prägnante Darstellung von Cassirers These, findet sich in der nachträglichen Kritik zu Russels Leibnizinterpretation: Vgl. CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 53242
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die Bewegung mehrfach ausgeführt hat, eben nur phänomenal ist. Andererseits, und das belegt die spezifische Komplementarität beider Konzepte, wären die Körper nach Leibniz’ Aussagen, nicht einmal Phänomene, wenn es keine reale Grundlage, keine Substanzen geben würde234. Man kann, wie es Leibniz selbst getan hat, die Substanz mit dem übergeordneten Gesetz der beharrenden Identität der wechselnden Zustände vergleichen. Dies stünde insbesondere in Analogie zum vollständigen individuellen Begriff235. Der Gesetzescharakter erlaubt jedoch weder eine teilweise noch eine prinzipiell ausreichende gültige Definition der Substanz. Die Substanz ist wesentlich gerade nicht durch Wechselwirkung bestimmt, sondern Prinzip der Tätigkeit. Leibniz definiert sie daher auch ganz aristotelisch als Ursache der Bewegung und Ruhe. „Wir behaupten nun, daß seine Wesenheit einzig und allein ἐν τῷ δυναμικῷ, d. h. in einem ursprünglichen, inneren Prinzip der Veränderung und Beharrung bestehen kann.“236
In einer weiteren Bezugnahme auf Aristoteles wird die Substanz auch als Entelechie definiert237. Man kann es als Absetzung vom funktionalen Charakter der Phänomenalität verstehen, wenn Leibniz die Substanz als Monade gänzlich ohne ein Verhältnis auf ein Außen definiert. Sie in den Erscheinungen selbst ansichtig zu machen, kommt für Leibniz deshalb einer Suche nach Wahnbildern unseres Geistes gleich. „Ich halte dafür, daß die ursprüngliche oder abgeleitete Kraft, die man sich in der Ausdehnung und Masse als außerhalb der vorstellenden Subjekte vorhanden denkt, kein Ding, sondern eine Erscheinung ist, genau ebenso wie Aus234
Vgl. z. B. auch: LEIBNIZ. An Arnauld (April 1687) GP II 97: „Vous objectés […] qu’il pourra estre de l’essence du corps de n’avoir pas un vraye unité, mais il sera donc de l’essence du corps d’estre un phenomene, depourvue de toute realité, comme seroit un songe reglé, car les phenomenes mêmes comme l’are en ciel ou comme un tas de pierres seroient tout à fait imaginaires, s’ils n’estoient composés d’estres qui ont une veritable unité.“ 235 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Système nouveau (1695) 14, GP IV 484 236 LEIBNIZ. Gegen Descartes (im Original ohne Titel) (Mai 1702) (B&C* 254) GP IV 394: „Eam ergo dicimus non in alio posse consistere quam ἐν τῷ δυναηιχῷ seu principio mutationis et perseverantiae insito.“ 237 Vgl. LEIBNIZ. De primae philosophiae emendatione, et de notione substantiae (1694) GP IV 469; vgl. auch: De mundo praesenti (Frühjahr 1684–Winter 1685/86) A VI 4 B 1508: „Forma substantialis est principium actionis seu vis agendi primitiva.“
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dehnung, Masse und Bewegung überhaupt, die ebensowenig Dinge sind wie das Bild im Spiegel oder der Regenbogen in der Wolke. Hier aber noch etwas hinter den Erscheinungen suchen, kommt mir ebenso vor, wie wenn jemand, dem man den Grund der Spiegelung angegeben, sich damit nicht zufrieden geben, sondern noch irgendwelche verborgene Wesenheit des Spiegelbildes erklärt haben wollte.“238
Die Kraft kann nicht in der Erscheinung ansichtig gemacht werden. Die primitive Kraft ist das Prinzip der Tätigkeit und als solches nur in den Tätigkeiten, die in den Erscheinungen sichtbar werden, phänomenal gegeben. Es wäre also unsinnig, die Kraft in noch etwas anderem als in eben ihren Äußerungen sichtbar machen zu wollen, besonders da die primitive Kraft als Monade nicht in einem realen Verhältnis zu einer externen Vielheit steht. Die Kraft als Funktion kann selbstverständlich ebenso wenig ansichtig gemacht werden, weil sie die Einheit des Phänomenalen nach den idealen Regeln darstellt und in der Funktion letztlich erst die Gegenstandserkenntnis ermöglicht wird. Das Verhältnis von Phänomenalität und Substantialität ist nicht in einer eindeutigen Weise zu bestimmen. Zum einen fordert Leibniz gegenüber der cartesischen Ausdehnung Substanzen. Dadurch werden die Phänomene zu etwas Nachgeordnetem. Zum anderen sollen die Phänomene aber – gerade in ihrer Unabhängigkeit von substantiellen Formen – in sich selbst streng gesetzmäßig und damit überhaupt erst wissenschaftlich erfaßbar sein. Dies leistet das Kontinuitätsprinzip in seinen Ableitungen, speziell durch die Funktionalität der Natur. Die Funktionalität kann aus den idealen Prinzipien der Wissenschaft und Vernunft deduziert werden und ermöglicht damit strenge Wissenschaft. Zumindest die wissenschaftstreibende Vernunft aber, der Sitz der idealen Prinzipien, muß eine reale Entität, und d. h. für Leibniz eine Substanz sein. Diese beiden Dimensionen lassen sich – mindestens unmittelbar – nicht aufeinander zurückführen. Es handelt sich vielmehr um 238
LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) aus dem Briefentwurf, (B&C* 531) GP II 281: „Ego virtutem illam primitivam vel derivativam quae in Extensione Moleque concipitur, tanquam extra percipientia non rem sed phaenomenon esse censeo, quemadmodum et ipsam Extensionem Molemque et Motum, quae non magis res sunt, quam imago speculi aut iris in nube, at vero ultra phaenomena hic aliquid quaerere, perinde mihi videtur ac si quis ratione phaenomenorum imaginis reddita satisfactum sibi neget, tanquam imaginis essentia nescio quae explicanda restaret.“
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eine Parallelität zweier prinzipiell unterschiedener Betrachtungsweisen. Rombach hat dieses Verhältnis treffend als Doppelontologie interpretiert239. Die Phänomenologie ist die Wissenschaft der Relationen und des Vielen als funktionaler Einheiten. Die Monadologie ist, in Unterscheidung dazu, nicht die Wissenschaft der äußeren Natur als unbestimmter Vielheit, sondern der individuellen Monaden. Diese sollen die gesuchte Realität sein. „Meiner Ansicht nach läßt sich keine andre Existenz zwingend erweisen als die der vorstellenden Subjekte und ihrer Perzeptionen – wenn man von der gemeinsamen Ursache absieht – ferner aber die Existenz alles dessen, was damit zugleich gesetzt ist: nämlich auf der einen Seite in dem vorstellenden Subjekte bestimmte Übergänge von Perzeption zu Perzeption, wobei doch das Subjekt mit sich identisch bleibt, andrerseits, mit Rücksicht auf den Vorstellungsinhalt, die Harmonie zwischen allen Vorstellenden. Alles übrige denken wir tatsächlich in die Natur der Dinge hinein und kämpfen dann, wie mit Gespenstern, mit den Wahngebilden unsres eignen Geistes. In jedem Vorstellenden ist eine tätige und eine leidende Kraft vorhanden: die tätige beim Übergang zu einem vollkommeneren Zustand, die leidende beim entgegengesetzten Übergang. Vorstellende Subjekte aber gibt es in unendlicher Anzahl, nämlich ebensoviele als es einfache Substanzen oder Monaden gibt. Die Ordnung zwischen diesen konstituiert, sofern sie durch unsre Erscheinungen ausgedrückt wird, die Begriffe des Raumes und der Zeit. [Was aber] aus den leidenden Zuständen der vorstellenden Subjekte […] [hervorgeht und die Erscheinungen selbst] […] [im allgemeinen genommen umschreibt], […] [das bewirkt] das Scheinbild der Masse oder [die passive Kraft] der Körper […].“240
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ROMBACH (a. a. O. II 303 ff) interpretiert dieses Verhältnis von Phänomenologie und Monadologie – und damit Leibniz’ Metaphysik im Ganzen – als Doppelontologie. 240 LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) aus dem Briefentwurf, (B&C* 531) GP II 281: „Nullius alterius rei, meo judicio, comprobari existentia argumentis potest quam percipientium et perceptionum (si causam communem demas) eorumque quae in his admittere oportet, quae sunt in percipiente quidem transitus de perceptione in perceptionem, eodem manente subjecto, in perceptionibus autem harmonia percipientium. Caetera nos rerum naturae affingimus et cum chimaeris nostrae mentis tanquam larvis luctamur. In omni percipiente vis activa passivaque est: activa in transitu ad perfectius, passiva in contrario; percipientia autem infinita sunt, nempe quot simplices substantiae sive Monades. Horum ordo inter se nostris phaenomenis expressus constituit temporis spatiique notiones. Quod vero ex passionibus percipientium re-
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Die Vielheit der Monaden ist so nur unter den Bedingungen der Phänomenologie erkennbar. Streng genommen ist es jedoch nicht möglich, aus den Phänomenen auf ihre Ursache zu schließen, da die Phänomene vollständig wechselseitig erklärt werden müssen. Infolgedessen kann man auch nicht auf eine zugrundeliegende reale Vielheit schließen. Dennoch fordert Leibniz, daß es aktual unendlich viele Substanzen geben muß241. Die Substanzen sind ihrer Definition nach Prinzipien der Tätigkeit. Und die Substanz, die Leibniz anzunehmen gehalten ist, ist letztlich die des cartesischen cogito242. „Daß in den Dingen Veränderungen vor sich gehen, lehrt uns die Erfahrung sowie die seelischen Operationen selbst, die uns innerliche Veränderungen kennen lehren. [...] Auch läßt sich um das Prinzip der inneren Veränderung nun einmal nicht herumkommen […].“243
Leibniz spricht von der inneren Veränderung als unbezweifelbarem Faktum. Diese Grundtatsache der selbständigen inneren Tätigkeit wird auf die äußeren Veränderungen angewendet. Generell existieren unzählige Monaden. Sie können durch eine graduelle Stufung unterschieden werden244. Sie sind tätige Wesen245. Tätigkeit kommt der Substanz notwendig zu, sie folgt sultat phaenomenaque ipsa circumscribit, universum sumtum, molis seu vis corporum passivae idolum facit.“ 241 Leibniz leitet in späteren Jahren, die aktuale Vielheit aus dem Prinzip des zureichenden Grundes oder des Besten ab. So urteilt z. B. auch ANAPOLITANOS . A. a. O. 56: Das Kontinuum, dort als aktuale Unendlichkeit verstanden, hängt alleine von diesem Prinzip ab. Vgl. auch: PARKINSON. A. a. O. 140; 158. Vgl. aber auch: LEIBNIZ. An des Bosses (24. Januar 1713) GP II 475: „Infinitudo continui physici, in Hypothesi merarum Monadum, non tam penderet ex ratione optimi, quam ex principio rationis sufficientis, quia nulla est ratio limitandi seu finiendi, sive alicubi sistendi.“ 242 Vgl. zu Leibniz’ Rezeption des cartesischen cogito: s. u. Kap. III. 3 243 LEIBNIZ. An de Volder (10. November 1703) (B&C* 512) GP II 258: „[...] mutationes adesse in rebus experientia phaenomenorum edoceamur et ab intrinseco mutationes exhibeant vel ipsae operationes mentis. [...] Nec tute effugere poteris principium intrinsecae [...].“ 244 Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 4, GP VI 559: „Ainsi il n’y a pas seulement de la vie par tout, jointe aux membres ou organes, mais même il y en a une infinité de degrés dans les Monades, les unes dominant plus ou moins sur les autres.“ 245 Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 1, GP VI 598: „La Substance est un Etre capable d’Action.“
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aus ihrem Begriff. Es ist nach Leibniz, wie er es an de Volder schreibt, folglich keine Hypothese, die Substanzen als tätige Wesen und als Grundlagen der Phänomene aufzufassen246. Andererseits ist es – da die Phänomene anhand der idealen Prinzipien a priori bestimmt werden – für die Erklärung der Erscheinungen in ihrer Gesetzmäßigkeit und Berechenbarkeit in gewisser Hinsicht nicht erforderlich, Substanzen vorauszusetzen247. Für die Berechnung der Naturvorgänge kann man die Kräfte sehr wohl als Hypothesen auffassen, wie es de Volder getan hat. Die Dynamik beruht auf der Hypothese der funktionalen Relativität wechselwirkender Kräfte. Leibniz benötigt die Substanz u. a. aber wesentlich für die einfache Tatsache des Bewußtseins bzw. des Geistes. Er überträgt mit dem klassischen Substanzbegriff als Prinzip der Tätigkeit diese Forderung in die gesamte Äußerlichkeit, indem er allem eine dem menschlichen Bewußtsein analoge Innerlichkeit zuschreibt. Dadurch wird es möglich das Bewußtsein zwar nicht in die Natur, aber in Harmonie zur Natur zu setzen248. Leibniz hat mit dem Kraftbegriff, vorzüglich in Bezug auf die Kontinuität der Bewegung, das Kontinuumsproblem dahingehend gelöst, daß er die Kraft als Gesetz der Unendlichkeit von Zuständen erklärt, das mathematisch beschreibbar ist. Unter Einbeziehung der Infinitesimalmethode wird die Kraft zur Funktion, das Kontinuum koexistierender Elemente zu einem System harmonischer Funktionen. Die Funktion liegt jenseits der Differenz von ausgedehnt und unausgedehnt. Sie kann quasi punktuell aufgefaßt wer246
Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (10. November 1703) GP II 256: „Haud dubie rem actu tetigisti, cum judicas ex sententia mea veri nominis substantias (id est Monades seu perfectas Unitates substantiales ex quibus caetera omnia resultare necesse est) nullum in se invicem influxum habere, et quod secus fieri censemus, ad phaenomena pertinere. In eo tamen a mente mea videris abire diversus, quod hypothesin tantum afferri judicas, cum ego necessariam esse doctrinam putem.“; vgl. An Arnauld (April 1687) GP II 96 247 Vgl. auch: LEIBNIZ. Système nouveau (1695) 3, GP IV 479: „[…] je jugeay […] qu’il ne falloit pas employer ces formes [substantielles] pour expliquer les problemes particuliers de la nature, quoyqu’elles soyent necessaires pour établir des vrays principes generaux. Aristote les appelle entelechies premieres, je les appelle peutestre plus intelligiblement forces primitives […].“ 248 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 234: „Et in universum tenendum est, omnia in rebus dupliciter explicari posse: per regnum potentiae seu causas efficientes, et per regnum sapientiae seu per finales […].“
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den, als positionaler Inbegriff aller Relationen. Die frühere Duplizität von idealem homogenen Kontinuum und realer Vielheit hat sich in einer neuen und verwandelten Weise wiederum eingestellt. Das System der Natur als System der Funktionen ist ebenfalls ideal. Dabei kann die Relativität aller funktionalen Entitäten auch als Unbestimmtheit aufgefaßt werden, wie sie den Teilen eines kontinuierlichen Ganzen zukommt. Es sind beliebig viele funktionale Einheiten in der idealen Ordnung konstruierbar. Ihre spezifisch konkrete Struktur hängt von den faktischen Bedingungen ab, die in der Ordnung berechenbar gemacht werden sollen und setzt somit die Erfahrung voraus. Die Ordnung ist der neue Begriff für das ideale Kontinuum. Schließlich muß man neben der Kraft auch die Masse anhand der Duplizität verstehen. Zum einen repräsentiert die Masse in mehreren Aussagen die reale substantielle Vielheit, die daher diskret genannt wird249. Dabei wird die Masse mit den Monaden in eine gewisse Verbindung gebracht250. Wird die Masse aber – wie dies auch bei der Kraft der Fall ist – im Verhältnis zu allen anderen bzw. zu den Massen einer bestimmten anderen Entität betrachtet251, dann muß sie als Phänomen bezeichnet werden252. Denn „die Masse ist [unter dieser Hinsicht] nichts anderes als ein Phänomen wie der Regenbogen.“253 „Zwischen Substanz und Masse besteht nämlich ein ebenso großer Unterschied wie zwischen den vollständig bestimmten Dingen, wie sie an sich selbst sind und den unvollkommenen Gebilden unsrer Abstraktion. Diese letzteren ermöglichen es uns, in den Phänomenen zu bestimmen, welche Wirkung jedem 249
Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 378: „[…] Massa est discretum, nemque multitudo actualis, seu Ens per aggregationem, sed ex unitatibus infinitis.“ 250 Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 377: „Massa ejusque diffusio resultat ex monadibus, sed non spatium.“ 251 Vgl. An des Bosses (24. April 1709) GP II 370: „Per Materiam autem hic intelligo Massam seu materiam secundam, ubi est extensio cum resistentia. Nec recordor me (sumendo materiam hoc sensu) ulli animae assignasse materiam propriam [...].“ Der Zusatz macht im Unterschied zu vorheriger Aussage deutlich, daß Leibniz tatsächlich seine Aussagen in verschiedener Hinsicht trifft. 252 Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (September 1687) GP II 126 253 LEIBNIZ. An des Bosses (8. September 1709) GP II 390: „Massa nihil aliud est quam phaenomenon, ut Iris.“; vgl. auch: An Arnauld (September 1687) GP II 118: „[...] la matiere prise pour la masse en elle même n’est qu’un pur phenomene ou apparence bien fondée [...].“
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Massenteil zuzuschreiben ist und führen uns zur distinkten rationalen Erklärung aller Erscheinungen: eine Aufgabe, zu der notwendig Abstraktionen erforderlich sind.“254
Kraft und Masse teilen somit die Doppelnatur. Sie sind zentral für ein konsistentes und umfassendes Verständnis des Raumbegriffs. Indem sie in beiderlei Dimension fungieren, ist es möglich, die theoretisch geforderte Unterscheidung mit der natürlichen Erfahrung in Einklang zu bringen. In dieser Weise garantieren und repräsentieren sie das Phänomenal-Reale255.
254
LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) (B&C* 507) GP II 252 f: „Tantum nempe interest inter substantiam et massam, quantum inter res completas, ut sunt in se, et res incompletas, ut a nobis abstractione accipiuntur, quo definere liceat in phaenomenis quid cuique parti massae sit ascribendum, cunctaque distingui et rationibus explicari possint, quae res necessario abstractiones postulat.“ 255 Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (16. März 1709) GP II 368: „Caeterum materia prima propria, id est potentia passiva primitiva, ab activa inseparabilis, ipsi Entelechiae (quam complet, ut Monada seu substantiam completam constituat) concreatur. Ea vero massam, seu Phaenomenon ex Monadibus resultans, non auget, non magis quam punctum lineam.“
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II. Raum, Kontinuum und Koexistenz 1. Absoluter und relationaler Raum Leibniz’ später Briefwechsel mit Clarke, der erst durch seinen Tod im Jahre 1716 beendet wurde, ist die zentrale Quelle für Leibniz’ Theorie des Raumes. Newton stand Clarke in diesem Schriftwechsel erwiesenermaßen selbst zur Seite256, so daß die Argumentation auch als die seine angesehen werden muß. Die Diskussion, die zwischen Leibniz und Clarke / Newton entsteht, entwickelt einen sehr komplexen Rahmen. Unter dem Aspekt einer Naturphilosophie nach mathematischen Prinzipien, kann man den Streit der beiden großen Physiker und Mathematiker darauf reduzieren, daß Leibniz ein, wie man es heute nennt, geschlossenes physikalisches System und Newton ein offenes vertritt257. Leibniz’ Argumente für ein geschlossenes System wurden bereits im vorherigen Kapitel, in der Erweiterung der cartesischen Physik durch den Krafterhaltungssatz, dargelegt 258. Leibniz hat die mit dem Krafterhaltungssatz zusammenhängenden Theoriestücke in Auseinandersetzung mit den damaligen Positionen der Leib-Seele Diskussion konzipiert. Das Reich der Wirkursachen, d. h. die Dimension der physikalischen Kausalität, ist in sich selbst vollständig autark und gesetzmäßig. Es steht in harmonischer Entsprechung zum Reich der Zweckursachen. Dieses ist das der Seele259. Jegliche Art einer direkten Interaktion schließt Leibniz – im 256
Die Entwürfe zu Clarkes Antworten haben sich in Newtons eigenen Manuskripten erhalten. Vgl. KOYRÉ / COHEN. A. a. O. 257 Vgl. demgegenüber die neuere Darstellung: DELLIAN (Einleitung und Kommentar). A. a. O. 258 Vgl. LEIBNIZ. Monadologie (1714) §80, GP VI 620 f: „Des Cartes a reconnu, que les Ames ne peuvent point donner de la force aux corps, parce qu’il y a tousjours la même quantité de force dans la matiere. Cependant il a crû, que l’ame pouvoit changer la direction des corps. Mais c’est par ce qu’on n’a point sû de son temps la loy de la nature, qui porte encor la conservation de la même direction totale dans la matiere. S’il l’avoit remarquée, il seroit tombé dans mons Systeme de l’Harmonie préétablie.“ 259 Vgl. LEIBNIZ. Considérations sur les principes de vie et sur les natures plastiques (1705) GP VI 539 ff; Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) §3, GP VI 598 f; §11, GP VI 603; Monadologie (1714) §§79, 81, 87; §81 GP VI 621: „Ce system fait, que les corps agissent comme si (par impossible) il n’y avoit point d’Ames, et que les
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Unterschied zu Descartes – aus. Deutlicher noch als bei Descartes ist für Newton die physikalische Wirklichkeit kein System, welches in sich selbst wie ein Uhrwerk ablaufen könnte. Dies gilt insbesondere in Abhängigkeit von metaphysischen Voraussetzungen, die für seine Auffassung vom Raum entscheidend sind. Newton ist in zentralen Punkten seiner Raumtheorie von Henry More beeinflußt260. Relevant ist hierfür u. a. dessen Kritik an Descartes’ Identifikation von Raum und Materie. Neben der Ausdehnung kommt dem Körper wesentlich Undurchdringlichkeit zu, dem Raum hingegen nicht261. Die Undurchdringlichkeit wird von More daher als unterscheidendes Kriterium angegeben262. Demgegenüber gilt die Durchdringbarkeit des Raumes als Beweis seiner spezifisch immateriellen Natur263. Die Immaterialität des Raumes hat bei More darüber hinaus noch weitere, metaphysische Grundlagen. Dem Raum kommt eine gewisse vermittelnde Funktion zwischen endlicher materieller Realität und der unendlichen Wirklichkeit Gottes zu264. Die Attribute des Raumes sind daher auch mit denen Gottes identisch265. Newton, der sich in Bezug auf die Identifikation des Raumes mit Gott vorsichtiger auszudrücken sucht266, bleibt diesbezüglich dennoch von More beeinflußt. Ames agissent comme s’il n’y avoit points de corps, et que tous deux agissent comme si l’un inflouit sur l’autre.“ 260 Vgl. MAX JAMMER. Das Problem des Raumes. Darmstadt 1960. 41 ff; 102 ff 261 Vgl. dazu: LEIBNIZ. Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 585: „Optima demonstratio, quod corpus a spatio seu extensione differat, ex eo sumitur, quod ex ea sola extensione […] demonstrari non potest impenetrabilitas […].“ 262 Vgl. More an Descartes (11. Dezember 1648) In: Œvres de Descartes. AT V 246 f. 263 Vgl. More an Descartes (5. März 1649) In: Œvres de Descartes. AT V 298 ff. 264 Vgl. zu den kabbalistischen und neuplatonischen Einflüsse in Mores Werk: JAMMER. A. a. O. 40 ff 265 HENRY MORE. Enchiridium Metaphysicum sive de rebus incorporeis. VII §§5-8. Vgl. zur Raumtheorie Mores und zur Identifikation der Attribute des Raumes mit den Attributen Gottes auch: CASSIRER. Erkenntnisproblem. A. a. O. II 442-452; GOSZTONYI. A. a. O. I 266-272. 266 Vgl. Clarkes drittes Schreiben (25. Februar 1715) 3, GP VIII 368: „Space is not a Being, an eternal and infinite Being; but a Poperty, or a consequence of the Existence of a Being infinite and eternal. Infinite Space is Immensity: But Immensity is not God: And therefore Infinite Space is not God.“; auch wenn man diese Aussage Clarke und nicht Newton zuschreiben kann, insbesondere da jener ei-
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Newtons Theorie des absoluten Raumes stellt eine Synthese von spekulativ theologischen Überlegungen und dem Begründungsversuch der physikalischen Phänomene mittels ontologischer Prinzipien dar267. Von der wissenschaftlichen Mechanik aus ist es wesentlich die Tatsache der Bewegung, zu deren umfassender Erklärung Newton die Annahme eines absoluten Raumes für notwendig erachtet. Nach seinem Wissenschaftsbegriff untersucht die Naturphilosophie, im Sinne der modernen Naturwissenschaft, die Erscheinungen. Sowohl metaphysische wie naturwissenschaftliche Hypothesen sind für die Erklärung der Phänomene der Natur ausgeschlossen, wie es in Philosophiae naturalis principia mathematica heißt268. Dies gilt jedoch nur soweit, als sich die Untersuchung auf die relative Bewegung und die relativen Räume bezieht. Eine konsistente Erklärung der Naturphänomene im ganzen verlangt, daß „[…] bei der philosophischen Grundlegung […] von den Sinnen abstrahiert werden [muß]“269. Beobachtbar sind nur die relative Bewegung und mit ihr relative Räume. Der relative Raum ist ein beweglicher Teil des absoluten und wird im Verhältnis zu anderen wahrgenommen und definiert. Der absolute Raum ist
ne diesbezügliche Schrift verfaßt hat (A Demonstration concerning the Being and Attributes of God. London 1705-1706.), so steht doch obige Charakterisierung mit der Funktion des Raumes als Sensorium Dei in Einklang. Vgl. auch: NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Scholium generale; III 172: „[...] [Deus] non est aeternitas et infinitas, sed aternus et infinitus; non est duratio et spatium, sed durat et adest.“ 267 GOSZTONYI (A. a. O. I 329 ff) z. B. hält, im Unterschied dazu, diesen doppelten Begründungszusammenhang in Newtons Raumbegriff für subjektivistisch und nicht systematisch bzw. systematisierbar. Ähnlich charakterisiert es auch z. B. JAMMER (a. a. O. 2; 102 ff), bietet dabei aber auch viele Ansätze für eine Integration beider Teilaspekte. In differenzierterer Weise, wie z. B. bei ROMBACH (a. a. O. II 326), stellt Newtons absoluter Raum wissenschaftlich gesehen einen Fortschritt gegenüber dem Raum des Spätmittelalters dar. Die Fundierung der Physik in der Geometrie des absoluten Raumes führt zu einer systematischeren Berechungsgrundlage der Körper und ihrer Zustände. Der Raum ist dabei mehr als eine Arbeitshypothese, nämlich auch eine metaphysische Entität. 268 Vgl. NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Scholium generale; III 173 f; ebd. (III 174) findet sich auch, in Bezug auf die Schwere, der berühmte Auspruch: „hypotheses non fingo.“ 269 NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Def. VIII; Scholium IV; II 8: „[...] in Philosophicis autem abstrahendum est a sensibus.“
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unbeweglich und ohne Beziehung zu äußeren Gegenständen270. Für die wissenschaftliche Erfassung der relativen Bewegungen sind die relativen Räume ausreichend271. Der reine Raum kann nicht wahrgenommen werden, er soll aber als Bezugssystem für die relativen angenommen werden. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme folgt für Newton aus der absoluten Bewegung. Das bekannteste Beispiel für eine solche absolute Bewegung stellt der Eimerversuch dar: Die relative Ruhe des Wassers zu einem rotierenden Eimer – nach anfänglicher Rotation beider – ist für Newton Indiz für eine absolute Bewegung. Die sich dabei einstellende Deformation der Wasseroberfläche fordert anzunehmen, daß die Rotation eine absolute Bewegung in Bezug auf den absoluten Raum darstellt. Die grundsätzliche Voraussetzung – kontrastiert man Newtons Überlegungen mit denen von Leibniz – ist bereits in Newtons, von Galilei übernommenem ersten Bewegungssatz enthalten. Das Axiom, daß „jeder Körper [...] in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen [und] geradlinigen Bewegung [verharrt], wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seine Zustand zu ändern“272, beinhaltet bereits tendenziell die Notwendigkeit, einen absoluten Raum vorauszusetzen. Denn translative (gleichförmig geradlinige) Bewegung und absolute Ruhe sind nur in einem absoluten Raum denkbar. Im Unterschied dazu postuliert Leibniz die Relativität von Ruhe und Bewegung. Dadurch wird die Vorraussetzung eines absoluten Bezugssystems prinzipiell überflüssig. Denn Newton argumentiert zu Recht, daß, wenn absolute Ruhe und absolute Bewegung als reale gegeben sind, die Realität eines absoluten Raumes als Bedingung ihrer Möglichkeit angenommen werden muß. Absolute Bewegung kann nur in Bezug auf diesen definiert werden, wie auch absolute Ruhe, die mit ihm in gewisser Weise sogar identifiziert werden kann273. 270
NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Def. VIII; Scholium II; II 6: „Spatium absolutum, natura sua sine relatione, semper manet similare & immobile.“ 271 Vgl. NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Scholion Def. VIII; Scholium I ff; II 6 ff 272 NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Axiome; 1. Bewegungsgesetz; II 13: „Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directum, nisi quatenus illud a viribus impressis cogitur statum suum mutare.“ 273 Der absolute Raum ist das „ruhende“ Bezugssystem. Für diese Identifikation spricht auch Newtons Versuch das Gravitationszentrum des Kosmos als Bezugspunkt für die Bestimmung des absoluten Raumes mit Hilfe seiner Gravitationstheorie aufzufinden. Er nahm an, daß dieses in der Nähe der Sonne liegt, jedoch nicht mit ihr zusammen-
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Der absolute Raum wie auch die Zeit, sind unabhängig von den einzelnen Körpern und ihren Bewegungen. Sie stellen Quantitäten bzw. deren absolutes Maßsystem dar. Zwar soll sich nach Newton, wie Clarke im Briefwechsel mit Leibniz ausführt, der Raum als absolute Einheit niemals aus seinen Teilen zusammensetzen, dennoch aber beinhaltet er als Maßsystem die Vielheit der Unterräume bzw. der Körper274. Somit bildet der absolute Raum, wenngleich er von der Existenz der Körper und ihrer Lage unabhängig ist275, die Grundlage für Newtons experimentelle Physik. Die metrische Struktur des Raumes, die Newton für die Bestimmung der relativen Bewegungen und Räume heranzieht, kann nur durch die unendliche Größe des absoluten Raumes systematisch fundiert werden. Wenn der Raum auch nicht aus den vielen Teilen resultiert – was auch von der spekulativen Ableitung her für Newton unmöglich ist, da er zumindest analog den göttlichen Attributen angenommen wird – so wird er doch als unendliche Quantität definiert276. Für Leibniz ist nach den bereits bekannten Kriterien – insbesondere in Bezug auf diese Bestimmung – Newtons absoluter Raum eine chimärische Idee, ein Idol im Sinne Bacons277. Wenn Newton auch Raum und Materie zu unterscheiden sucht, so hypostatisiert er doch wie Descartes ebenso nur die Ausdehnung der phänomenalen Körper. Leibniz argumentiert demgegenüber, daß der Raum nicht metrisch, sondern topologisch definiert werden muß. Dafür spricht die grundlegende Tatsache, daß der Größe keine Realität zugesprochen werden kann, da ihr theoretisch unmöglich ein absoluter Wert zukommen kann, wie dies von Leibniz in seiner Analyse des Kontinuums- und Unendlichkeitsbegriffs immer wieder aufgezeigt wurde. Am anschaulichsten stellt er dies im Beispiel der Marmortempel in De analysi si-
fällt, da diese sie sich bewegt: Vgl. NEWTON. Philosophiae naturalis principia mathematica. Weltssystem; Hypothese I; Propos. 12; Korrolarium; vgl. alternativ dazu: EARMEN. Leibniz and the Absolute vs. Relational Dispute. A. a. O. 274 Vgl. Clarkes drittes Schreiben (25. Februar 1715) 3, GP VIII 368; vgl. auch: DELLIAN A. a. O. LVII 275 Vgl. Clarkes drittes Schreiben (Mai 1716) 16, GP VII 371: „That Space, does not at all depend on the Existence or Order or Situation of Bodies.“ 276 Vgl. Clarkes drittes Schreiben (Mai 1716) 4, GP VII 369: „Space and Time are Quantities […].“ 277 Vgl. LEIBNIZ. Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1715) 2, GP VII 363; vgl. auch: Motum non esse absolutum quiddam (März 1689–März 1690) A VI 4 B 1638: „Spatium absolutum non magis res est quam tempus, etsi imaginationi blandiatur.“
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tus dar278. Die beiden Tempel des Beispiels werden ähnlich genannt, insofern sie in ihren Proportionen identisch sind, also ihre Elemente dieselbe Lage zueinander haben. Die Größe der beiden Tempel, und d. i. die Bestimmung hinsichtlich der Gleichheit, soll nicht identisch sein279. Das Marmortempelbeispiel dient letztlich der Veranschaulichung der Definitionen. Ohne die Möglichkeit des direkten Vergleiches beider Tempel ist keine Unterscheidung möglich. Das Maß bzw. die Größe ist folglich eine sinnliche Gegebenheit und kein reiner Begriff280. Diesen Sachverhalt führt Leibniz auch in Initia rerum mathematicarum metaphysica aus. „Die Quantität oder Größe ist diejenige Bestimmung der Dinge, die ihnen nur durch ihr unmittelbares, gleichzeitiges Beisammensein (oder durch ihre gleichzeitige Wahrnehmung) erkannt werden kann. So ist es z. B. unmöglich, zu erkennen, was der Fuß und die Elle ist, wenn man nicht ein wirklich gegebenes Objekt als Maßstab zugrundelegt […]. Was »ein Fuß« ist, kann daher durch keine Definition vollständig erklärt werden, d. h. durch keine, die nicht wiederum eine Bestimmung derselben Art einschlösse.“281
278
LEIBNIZ. De analysi situs (1693) GM V 180 f Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 19: „Aequalia sunt ejusdem quantitatis. Similia sunt ejusdem qualitatis.“ Die Definition der Ähnlichkeit und Gleicheit stellen die Grundlage für die Analysis situs dar und entstammen der allgemeinen Charakteristik. Vgl.: De analysi situs (1693) GM V 179: „Figura in universum praeter quantitatem continet qualitatem seu formam; et quemadmodum aequalia sunt quorum eadem est magnitudo, ita similia sunt quorum eadem est forma. Et similitudinum seu formarum consideratio latius patet quam mathesis, et ex Metaphysica repetitur, sed tamen in mathesi quoque multiplicem usam habet, inque ipso Calculo algebraico prodest, sed omnium maxime similitudo spectatur in sitibus seu figuris Geometriae.“ 280 Vgl. LEIBNIZ. De analysi situs (1693) GM V 179: „Sed si spectatorem non nisi ut mentem oculatam consideres, tanquam in puncto constitutam, nec ullas secum magnitudines aut re aut imaginatione afferentem, eaque sola in rebus considerantem, quae intellectu consequi licet, velut numeros, proportiones, angulos, discrimen nullum occurret. Similia igitur dicentur haec templa, quia non nisi hac coobservatione vel inter se, vel cum tertio, minime autem sigillatim et per se spectata discerni potuere.“ 281 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) (B&C* 36 f) GM VII 19 f: „Quantitas seu Magnitudo est, quod in rebus sola compraesentia (se u perceptione simultanea) cognosci p otest. Sic non potest cognosci, quid sit pes, quid ulna, nisi actu habeamus aliquid tanquam mensuram […]. Neque adeo pes ulla definitione satis explicari potest, nempe quae non rursus aliquid tale involvat.“ 279
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In beiden Schriften folgt auf diese Definitionen und Beispiele die Einführung der neuen geometrischen Methode, die anstelle des metrischen Raumes den topologischen aufzuspannen vermag282. An die Stelle der Größe treten die Ordnung und das Verhältnis der Lagen. Die metrischen Bestimmungen werden dabei aus den neuen Begriffen deduziert. So kann z. B. der Abstand zweier Körper als Relation zweier Punkte, die Größe als Relation von Strecken bzw. Flächen definiert werden. Die Quantität kann aus dem Begriff der Ordnung abgeleitet werden, insofern die Ordnung eine Anzahl von Elementen bzw. Gliedern beinhaltet283. Newtons absoluter Raum ist deswegen für Leibniz eine Unmöglichkeit, weil jener den Raum als Realität und Quantität auffaßt bzw. die Ausdehnung – die nun auf Relationen zurückgeführt wird – in ihrer Gesamtheit als Realität nimmt. Die Weise wie Newton sein Anliegen darlegt, wie er versucht, der Naturwissenschaft eine ontologische Basis zu geben, die außerdem die mathematischen Prinzipien begründet – dies eben garantiert der absolute Raum als Maß- und Bezugssystem – ist für Leibniz verfehlt. Alternativ muß der Raum als Ordnung der relativen Lagen definiert werden284. Newton nennt seinen absoluten Raum nicht ohne Grund Sensorium Dei. Die Gründe sind mehrere. Sie stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis und lassen sich in vereinfachter Weise folgendermaßen darstellen: Der absolute Raum ist das Bezugssystem der Körper. Er garantiert Ihre Bewegungen und ihre Realität, indem er den physikalischen Erscheinungen ein unumstößliches Fundament mit denselben Konditionen zugrundelegt. In diesem Sinne kann man den absoluten Raum, wie dies in Newtons metaphysischer Argu282
Die Methode, Abstände abstrakt zu definieren stellt die Grundlage für ein topologisches Raummodell wie in De analysi situs dar. Vgl. RESCHER. Introduction. A. a. O. 93; CHRISTINA SCHNEIDER. Leibniz. Ein formaler Zugang. München 2001. 48 ff 283 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Sec undum utrumque ordinem (temporis vel spatii) propiora sibi aut remotiora censentur, prout ad ordinem inter ipsa intelligendi plura paucioraque correquiruntur.“; vgl. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 54, GP VII 403: „Les choses Relatives ont leur quantité, aussi bien que les Absolues: par exemple, les Raisons ou proportions dans les Mathematiques ont leur quantité, et se mesurent par les Logarithmes; et cependant ce sont des Relations.“; vgl. auch: ebd. 104 ff, GP VII 115 284 Vgl. z. B.: LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Spatium est ordo coexistendi seu ordo existendi inter eas quae sunt simul.“
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mentationsweise denkbar ist, als die Bedingung der Möglichkeit für die Existenz und die spezifische „Tätigkeit“ der körperlichen Dinge ansehen. Und damit steht er in einer gewissen Analogie zur göttlichen Ursache. Darüber hinaus ist der Raum die Grundlage jeglicher Metrik und damit selbst eine unendliche Quantität. Sofern er jedoch in Beziehung bzw. Identität zu den göttlichen Attributen steht, kann ihm diese Bestimmung nur hinsichtlich der endlichen Entitäten zukommen. Der absolute Raum ist damit eine vermittelnde Entität, und zwar zwischen den körperlichen und körperlichgeistigen Dingen und den rein geistigen285. In dieser Zwischenstellung kann man auch eine Grundlage für das Verständnis des Raumes als Sensorium Dei finden. Da Gott, gemäß seiner Natur, die Dinge nur unmittelbar auf intellektuelle Weise erfaßt, die Dinge aber dem hinsichtlich ihrer Endlichkeit, die mit der Räumlichkeit in direkter Verbindung steht, in gewisser Weise entgegenstehen, kann der Raum wiederum als Vermittelndes verstanden werden. Der absolute Raum als Sensorium Dei wäre das Vermittelnde zwischen Gott und Welt gemäß dem göttlichen Sein als Erkennen und hätte auf diese Weise dieselbe komplementäre Natur. Er wäre absolut gesehen und hinsichtlich Gottes einfach, bestimmt und unteilbar, und hinsichtlich der körperlichen Entitäten mannigfaltig, unbestimmt und teilbar. Diese vereinfachte Begründung wird in dieser Weise nicht von Newton vorgebracht. Ähnliche Gedanken dürften jedoch von Einfluß gewesen sein. Leibniz kommt nicht zu einer solchen Begründung des Raumes, da er ihn nicht als Größe, sondern als Ordnung zu definieren sucht. Ausgangspunkt für die alternative Theorie des Raumes sind u. a. die besagten Schwierigkeiten in Bezug auf Ganzheit, Größe und Unendlichkeit. Eine ontologische Fundierung der Körper und der Bewegung ist jedoch auch für ihn notwendig. Sie wird nicht durch den absoluten Raum, sondern durch die Harmonie der Monaden begründet. Die sogenannte prästabilierte Harmonie bzw. die Universalharmonie286 fungiert bei Leibniz als die Vermittlung zwischen 285
Dies ist u. a. auch der Grund dafür, daß Newton bei der Entscheidung der Frage, ob der absolute Raum geistig oder materiell sei, sich für eine dazwischen liegende Beschaffenheit ausspricht. Vgl. NEWTON. Optik (21717) 18-24, Op. IV 223-226; angegeben nach GOSZTONYI. A. a. O. I 341. 286 Universalharmonie im Unterschied zu prästabilierter Harmonie kann begrifflich die Differenz zwischen der Entsprechung der beiden Reiche (Geist und Materie) zueinander und der der fensterlosen Monaden als vollständiger Begriffe untereinader, zum
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den Vielen und darüber hinaus auch als allgemeines Prinzip der wissenschaftlichen Erkenntnis. Denn auch für Leibniz ist eine Realität notwendig anzunehmen. Die Realität ist hierbei nicht ein absoluter Raum, der den Substanzen ihre Stelle und damit ihr spezifisches Sein zumessen könnte. Die Realität sind die individuellen Substanzen bzw. Monaden. Von diesen behauptet Leibniz, daß sie nicht im Raum sind. Ihnen kommt zwar in einem noch zu klärenden Sinne eine Stelle zu, denn sie werden als Perspektiven bestimmt. Sie haben jedoch keine Stellung im euklidisch-geometrischen Raum. Es ist richtig wenn man, wie es angedeutet wurde, hierin Leibniz’ Begründung einer Topologie des Raumes ansetzt287. Daß die individuellen Substanzen nicht im Raume sind, hat jedoch noch einen weiteren Grund. Alle Bestimmungen der herkömmlichen Geometrie sind für Leibniz nicht fundamental. Von einer Metaphysik des Raumes aus muß er daher allererst nach einer Bedingung der Möglichkeit für Räumliches fragen. Dadurch ist eine Topologie als neues Modell der Erkenntnis räumlicher Gegenstände zwar nicht nur ein vernachlässigbares Zusatzergebnis, sie stellt aber auch keine ausreichende Grundlage für eine Theorie des Raumes dar. Die Monaden sind nicht im euklidischen Raum, weil sie als reale Bedingungen für Wirklichkeit überhaupt als metaphysische Bedingungen den Raum allererst begründen.
Ausdruck bringen. Sachlich sind beide „prästabiliert“; vgl. dazu auch: s. u. Kap. II. 3.2 287 Vgl. auch: SCHNEIDER. Leibniz. Ein formaler Zugang. A. a. O. 49
2. Der Raum und die möglichen Ordnungen 2.1 Absoluter Raum, Punktualität und das Verhältnis der Lage Für ein integrales Verständnis von Leibniz’ Theorie des Raumes müssen – in noch größerem Maße als bei Newton – mehrere Aspekte in Betracht gezogen werden. Leibniz’ Raumbegriff ist trotz seiner Systematik nicht durchweg einheitlich. Die Einheit der mathesis, in Ableitung aus dem Prinzip der Kontinuität, vermag den Raum nicht in jeder möglichen Hinsicht zu begründen. Drei Dimensionen müssen mindestens angenommen werden, um den Zusammenhängen des Systems und den Aussagen von Leibniz gerecht zu werden. Die Dreigliederung von Idealität, Phänomenalität und Realität kommt im Begriff des Raumes in besonderer Weise zum Tragen. Dabei beruht die Verwobenheit des Raumproblems mit fast allen Theoriestücken des Leibnizschen Systems288 auf der jeweils grundlegenden Bedeutung des Begriffs der Ordnung. Die drei Dimensionen können vereinfacht und unter einer spezifisch partiellen Betrachtung, mit den drei Wissenschaften identifiziert werden, die sich des Raumproblems annehmen: Mathematik, Physik und Philosophie. Keine von diesen ist in ihren Axiomen und Aussagen unabhängig von mindestens einer anderen. So ist eine Geometrie des Raumes prinzipiell darauf ausgelegt, indirekt empirisch verifizierbar bzw. falsifizierbar zu sein. Ohne die Möglichkeit einer – im weitesten Sinne – physikalischen Anwendung, ist sie überhaupt nicht konzipierbar. Eine physikalische Theorie des Raumes muß auch mathematischen Bedingungen genügen. Eine philosophische Theorie kann ebenfalls nicht ohne eine Bezugnahme auskommen. Wenn auch die berücksichtigten Elemente vom jeweiligen Wissenschaftsbegriff abhängen, so gilt, daß keine einzelwissenschaftliche Theorie in Widerspruch mit einer anderen formuliert werden kann. Bei der Fülle der Voraussetzungen ist eine vollständig integrale Theorie des Raumes praktisch unmöglich. Eine prinzipielle Restriktion auf eine Methode ist daher sinnvoll. Sie muß sich aber dieser Voraussetzung bewußt sein.
288
Vgl. RUSSEL. A. a. O. 112: “This theory [of space] is more or less involved in everything that can be said about his philosophy.“
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Leibniz hat sich in allen drei Wissenschaften mit dem Raum beschäftigt289. In der Auseinandersetzung mit Descartes und seiner Theorie der res extensa wurden bereits Argumente des Leibnizschen Raumbegriffs vorweggenommen. Diese sind die Duplizität des Kraftbegriffs bzw. auch des Massebegriffs, sowie die Definition der Ausdehnung als Ordnung einer koexistierenden, kontinuierlichen Vielheit. Systematisch und historisch kann man mit diesem Komplex die unterschiedlichen Auffassungen des Punktes in Verbindung bringen: den mathematischen, den physikalischen und den sogenannten metaphysischen Punkt. Zusätzlich zum Begriff des Punktes sind – hier speziell für den geometrischen Raum – zwei weitere Begriffe von grundlegender Bedeutung: die Lagebeziehung (sowohl in statischem als auch in konstruktiv-dynamischen Sinne) und der reine absolute Raum bzw. die reine Relationalität als Möglichkeit einer Ordnung nach den Prinzipien der Geometrie. Leibniz hat – explizit zumindest in der Frühzeit290 – einen absoluten, reinen Raum der Geometrie postuliert, der, als Möglichkeit für die Vielheit und Lagebeziehung der Punkte, zugrundegelegt werden muß. „Wohlgemerkt und wenn wir alles behandeln wollen, muß zuerst der Raum selbst in Betracht gezogen werden, d. h. die reine absolute Ausdehnung, rein, sage ich, von Materie und Veränderung, aber absolut, d. h. unabgegrenzt als auch jegliche Ausdehnung beinhaltend. Somit sind alle Punkte in demselben 289
Kaulbach (FRIEDRICH KAULBACH. Die Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant (Kantstudien Ergänzungsheft 79) Wiesbaden 1960. 7 ff) stellt zu Recht heraus, daß Leibniz’ Raumbegriff, im Unterschied zu modernen Untersuchungen (z. B. in philosophischer Hinsicht: RUDOLF CARNAP. Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre (Kantstudien Ergänzungsheft 56) Berlin 1922.) wesentlich metaphysisch fundiert und motviert ist. Demgegnüber muß aber festgehalten werden, daß Leibniz die mathematischen und physikalischen Aspekte keinesfalls vernachlässigt, er erarbeit vielmehr gerade auf diesen Gebieten wesentlich Neues. Vgl. dazu auch: GOSZTONYI. A. a. O. I 374: „Bei ihm [Leibniz] taucht ein Raumbegriff auf, der geeignet ist, als Fundament für den Raumbegriff in allen Erscheinungsformen des Raumes zu figurieren und bis zu einem gewissen Grade eine einheitliche Fassung des Raumes zu ermöglichen.“ 290 Im großen Brief an Jakob Thomasius aus dem Jahre 1669 fordert Leibniz den Substanzcharakter des Raumes. Vgl. LEIBNIZ. An Thomasius (20/30. April 1669) A I 11 122; vgl. auch: Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 585; vgl. auch die etwas ungewöhnlichen Aussagen: De tempore locoque, duratione ac spatio (Márz 1689–Márz 1690) A VI 4 B 1641
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Raum und können sich wechselseitig aufeinander beziehen. Ob aber der Raum ein von der Materie unterschiedenes und gewisses Seiendes [res] ist, oder nur eine konstante Erscheinung bzw. ein Phänomen, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang.“291
Für die Geometrie wird ein absoluter Raum angenommen, ungeachtet dessen, daß er in anderer Hinsicht auf andere Weise bestimmt werden könnte bzw. müßte. In diesem Raum ist der Punkt das einfachste Element, der unendlich oft gesetzt und durcheinander ersetzt werden kann292. Der Raum der Geometrie ist homogen. Da der reine Raum, wie anhand der Einwände gegen Newton gezeigt wurde, keine Realität besitzen und deshalb keine Grundlage für die Erklärung der räumlichen Dinge und kein Prinzip sein kann, müssen die Gestalten und die Ausdehnung der Körper auf eine andere Weise deduziert werden. Dies geschieht durch die Verhältnisse der Lage. Die Definition der Lage ist dabei folgende: „Die Lage ist eine gewisse Beziehung der Koexistenz unter einer Mehrheit von Elementen […].“293
Der absolute Raum kann damit als vollster Ort oder Ort aller Örter294 definiert werden. Im Hinblick auf die methodisch primäre Rolle des Begriffs der Ordnung lautet seine Definition: „Der Raum ist die Ordnung des Koexistierenden, oder die Ordnung der Existenz für alles, was zugleich ist.“295
291
LEIBNIZ. Characteristica Geometrica (10. August 1679) 9, GM V 144: „Verum ut omnia ordine tractemus, sciendum est primam esse considerationem ipsius Spatii, id est Extensi puri absoluti: puri, inquam, a materia et mutatione, absoluti autem, id est illimitati atque omnem extensionem continentis. Itaque omnia puncta sunt in eodem spatio, et ad se invicem referri possunt. An autem spatium hoc a materia distinctum res quaedam sit, an solum apparitio constans seu phaenomenon, nihil refert hoc loco.“ 292 Vgl. auch: LEIBNIZ. Characteristica Geometrica (10. August 1679) 10 f, GM V 144 f 293 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 25: „Situs quaedam coexistendi relatio est inter plura […].“; vgl. ebd. 18: „Situs est c oexistentiae modus. Itaque non tantum quantitatem, sed et qualitatem involvit.“ 294 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 21: „Spatium absolutum est locus plenissimus seu locus omnium locorum.“ 295 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Spatium est ordo coexistendi seu ordo existendi inter es que sunt simul.“
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Die Größe und die Ausdehnung kommen den räumlichen Dingen, wie bereits gezeigt worden ist296, durch die Anzahl der Elemente zu. Diese Elemente sind – in der einfachen abstrakten Betrachtungsweise – Punkte297. Dabei erfährt der Punkt eine mehrfache Erweiterung seines Begriffs298. Der Punkt ist nicht mehr nur einfach die Grenze des Kontinuums und der Ausdehnung, sondern ihr Prinzip299. Die Bewegung des Punktes erzeugt die Linie, die der Linie die Fläche usw.300. Begrifflich beruht diese Konstruktion – die dabei eine rein gedankliche bleibt – auf dem Prinzipiencharakter des Punktes, der zur Ausdehnung selbst im Verhältnis der Homogonität steht, d. h. Punkt und Ausdehnung sind zwar nicht homogen (wesensverwandt) aber sie können durch kontinuierliche Veränderung ineinander übergehen. Dies bezeichnet Leibniz als Homogonität 301. Die Ableitung der Ausdehnung beruht weiterhin auf dem apriorischen Charakter der mathematischen Operation, mittels welcher diese Kontinuation durchgeführt wird. Diese mathematische Konzeption der Punktualität ist insbesondere für die fruchtbare Auffassung des Punktes als dem Erzeugungsprinzip für die Kurve, speziell beim Tangentenproblem – bzw. der Konstruktion der Kurve aus der Gesamtheit ihrer Tangenten, wie die Infinitesimalgeometrie sie angibt – von
296
S. o. gegen Ende des Kap. II 1 und die Anmerkungen ab FN 282 Vgl. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 21: „P unctum (spatii scilicet) est locus simplicissimus, seu locus nullius alterius loci. “ 298 EUKLID (Elemente I. Buch 1. Def.; angegeben nach GOSZTONYI. A. a. O. I 359) definiert den Punkt als dasjenige, das keine Teile hat. 299 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18 300 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 20 f 301 Das Verhältnis der Homogonität kommt noch weiterem zu: vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 19: „Tempus et Momentum, Spatium et Punctum, Terminus et Terminatum, etsi non sint Homogenea, sunt tamen homogona, dum unum in alterum continua mutatione abire potest.“ Hieran zeigt sich wiederum die grundlegende Bedeutung des Kontinuitätsgesetzes. Leibniz sagt in Initia rerum mathematicarum metaphysica auch, daß es eine Eigentümlichkeit dieses Prinzips ist, Entgegengesetztes zu vereinbaren: Vgl. ebd. 25: „Et hic pertinet illa ratiocinatio quam Geometrae dudum admirati sunt, qua ex eo quod quid ponitur esse, directe probatur id non esse, vel contra, vel qua quod velut species assumitur, oppositum seu disparatum reperitur. Idque continui privilegium est […].“; vgl. auch: BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. A. a. O. 54 f; DERS.. Leibniz, Weyl und das Kontinuum. A. a. O. 324; 329 f 297
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größter Relevanz. Punktualität bedeutet damit Funktionalität302. Determinationen (Angabe der Lageverhältnisse) in sozusagen statischem Sinne sind z. B. der Kreis als Ort aller Punkte, die einen konstanten Abstand von einem festen Punkt haben303. Das begriffliche Verhältnis der Homogonität wird somit durch die mathematische Konstruktion der Ausdehnung aus dem Punkt bestätigt. „Die Ausdehnung ist die Größe des Raumes. Es ist falsch, die Ausdehnung, wie dies gemeinhin geschieht, mit dem Ausgedehnten selbst zusammenzuwerfen und sie als Substanz anzusehen. Wird die Größe des Raumes gleichförmig kontinuierlich vermindert, so geht sie in den Punkt über, dem keine Größe zukommt.“304
Die Kontinuation, als Fließen des Punktes305, besitzt ihre Evidenz in der idealen Natur der Begründung, der Ableitung aus einer apriorischen Regel. 302
Vgl. CASSIRER. Erkenntnisproblem. A. a. O. II 154 ff; ESTERMANN. A. a. O. 66 ff. Obwohl Estermann in den frühen Konzeptionen des Punktes noch keinen Bezug zur Monade grundgelegt sieht, wird nach ihm die spätere Ausarbeitung des Punktes anhand der Infinitesimalgeometrie zur direkten mathematischen Vorlage für den Begriff der Monade. Leibniz selbst verwendet die mathematischen Beispiele um seine Theorie der spontanen fensterlosen Monade zu veranschaulichen, so z. B.: LEIBNIZ. Réponse aux réflexions contenues dans la seconde édition du Dictionaire critique de M. Bayle ... (1702) GP IV 560; An de Volder (20. Juni 1703) GP II 252. Durch die Herausstellung dieses Zusammenhangs will ESTERMANN (a. a. O. 66), den von Loemker (LOEMKER. Philosophical Papers and Letters. Chicago 21969. 29) angegebenen dreifachen Erkenntnisgewinn der Pariser Jahre, der sich in den Konzepten der Funktionalität, Kontinuität und Individualität manifestiert, um den der Punktualität ergänzen. 303 Die Lageverhältnisse als Ordnungsstrukturen stellen dabei auch und im eigentlichen Sinne die Qualitäten dar, die Leibniz von der Quantität in diesem Zusammenhang unterscheidet. Denn das eigentümliche der Qualität (Vgl. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 19), daß sie aus sich und ohne Vergleich, d. h. rein intellektuell erkannt werden kann, kommt gerade den Konstruktionsregeln und Verhältnisbestimmungen der neuen Analysis zu. 304 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Extensio est spatii magnitudo. Male Extensionem vulgo ipsi extenso confundunt, et instar substantiae considerant. Si spatii magnitudo aequabiliter continue minuatur, abit in punctum cujus magnitudo nulla est.“ 305 Zur Erklärung der physischen und metaphysischen Ausdehnung hat Leibniz, wie bereits gezeigt wurde, diese mathematische Konstruktion mehrmals herangezogen: Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (21. Juli 1707) GP II 339; Analysin Geometricam propriam eique connexum calculum situs (1698) GM V 172. An anderer Stelle hat er aber darauf hin-
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Der Punkt wird damit als mögliche Lage begriffen. Aber obgleich er das Fundament der Ausdehnung ist, ist der Punkt als einzelner und solcher nichts306. Als Prinzip der Geometrie stellt der Punkt eine Abstraktion dar. Zudem muß er in einer Vielzahl, und d. h. zumindest der Möglichkeit nach, vorausgesetzt werden. Deshalb formuliert Leibniz auch zu Beginn der Initia rerum mathematicarum metaphysica: „Gesetzt, es existiert eine Mehrheit dinglicher Zustände, die einander nicht ausschließen, so werden sie als zugleich existierend bezeichnet.“307
Diese Vielheit aber ist nur als Ordnung denkmöglich. Gegen Ende der Abhandlung fügt Leibniz, nachdem er anhand der besprochenen Operationen die Ausdehnung und den Raum als Verhältnis der Lage analysiert hat – hier anhand des von der Metrik her relevanten Sachverhaltes der Entfernung – folgendes hinzu: „Um dies zu verdeutlichen, wollen wir jetzt von aller besonderen Beschaffenheit der Elemente, von deren Entfernung hier die Rede ist, absehen und sie betrachten, als gäben sie in sich selbst keiner Mehrheit von Bestimmungen Raum, d. h. wir wollen sie gleichsam als Punkte ansehen. Punkt nämlich heißt ein Element, in dem sich nichts anderes mehr als koexistent setzen läßt, so daß alles, was in ihm ist, er selbst ist.“308
In der abstrakt-mathematischen Analyse wird die Quantität auf eine Vielheit unbestimmter Elemente zurückgeführt. Der Punkt ist in dieser Hinsicht, wie Leibniz sagt, nur er selbst. Im Punkt sind auch keine Winkel ent-
gewiesen, daß eine solche Redeweise diesbezüglich nur unvollkommen ist: Vgl. z. B. An de Volder (1705) GP II 277 306 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 21: „Ex uno puncto nihil prosultat.“ 307 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18: „Si plures ponantur existere rerum status, nihil oppositum involventes, dicentur existere simul.“ 308 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 25 f: „Haec ut melius intelligantur, nunc quidem abstrahemus animum ab his quae in singulis spectari possunt, de quorum distantia agitur: ita considerabimus ea, tanquam in singulis plura spectanda non essent, seu considerabimus ea tanquam Puncta. Nam punctum est, in quo nihil aliud ei coexistens ponitur, ita ut quicquid in ipso est, ipsum sit.“
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halten, denn ihm käme ansonsten Größe zu309. Strenggenommen ist für die Analysis der Lage jedoch ein einzelner Punkt kein Element, denn erst zwei Punkte können in einem Verhältnis stehen. Die neue Geometrie definiert die Punkte als Lagen aus den Verhältnissen. „Und das was alle diese Orte zusammenfaßt, wird Raum genannt. Daraus läßt sich ersehen, daß es, um den Begriff des Ortes und folglich den des Raumes zu bilden, genügt, diese Beziehungen und die Regeln ihrer Veränderung zu betrachten, ohne daß man nötig hätte, sich hier eine absolute Realität außerhalb der Dinge, deren Stellung man betrachtet, vorzustellen.“310
Leibniz präzisiert diesen Zusammenhang jedoch nochmals deutlicher. Der Raum, auch wenn es sich hier um den abstrakten geometrischen handelt, ist nicht so aufzufassen, daß er ausschließlich die Ordnung bzw. die Relation an sich darstellen würde. Dies ist die implizit fehlerhafte Auffassung Newtons. Die Relation bzw. die Ordnung bezieht sich auf ihre Elemente und Relate. „Ich sage also nicht, daß der Raum eine Ordnung oder Stellung, sondern daß er eine Ordnung von Stellen [Stellenordnung] ist, oder etwas, gemäß der die Stellen verteilt sind, und daß der abstrakte Raum diese Ordnung von Stellen – begriffen als mögliche – ist.“311
Diese Aussage stellt eine gewisse Erweiterung gegenüber der im vorherigen wiedergegeben Bestimmung dar, nach welcher die Beziehungen und Regeln der Veränderung alleine genügen, um zur Erkenntnis über die räumlichen Dinge zu gelangen. Die Beziehungen müssen nämlich hinsichtlich ihrer Relate bestimmt sein. Die Relationen der Lage gliedern die Positionen, und diese können nur aus eben diesen Verhältnissen begriffen und berechnet werden. Dabei darf aber das Relat nicht unberücksichtigt bleiben. Der 309
Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 20 LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 47, GP VII 400: „Et ce qui comprend toutes ces places, est appellé Espace. Ce qui fait voir que pour avoir l’idée de la place, et par consequent de l’espace, il suffit de considerer ces rapports et les regles de leur changemens, sans avoir besoin de se figurer icy aucune realité absolue hors des choses dont on considere la situation.“ 311 LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 104, GP VII 415: „Je ne dis donc point que l’espace est un ordre ou situation, mais un ordre des situations, ou selon lequel les situations sont rangées et que l’espace abstrait est cet ordre des situations, conçues comme possible.“ 310
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abstrakte Raum ist damit die Gesamtheit aller möglichen Ordnungen von Lageverhältnissen. In diesem Sinne ist er ideal312. Zum Begriff der Stelle im Unterschied zu dem der Lage, der im Vorherigen verwendet wurde, ist folgendes zu sagen: Leibniz definiert beide Begriffe in Initia rerum mathematicarum metaphysica. Die Lage ist die statische Position des relativen Beisammen313. Die Stelle ist die dynamische bzw. die momentane Position314 und bedarf damit teilweise schon der Ordnung des Nacheinanders, der Zeit bzw. impliziert eine weitergehende Konkretion. Im Briefwechsel mit Clarke verwendet Leibniz die Begriffe „place“ und „situation“. Dabei kann „place“ sowohl Newtons identische Position im absoluten Raum bedeuten, wird aber auch im Sinne von Lage verstanden. „Situation“ bedeutet tendenziell die konkretere relative Position315. Der geometrische Raum kann nach den Darlegungen als prinzipiell abstrakt verstanden werden. Er ist die Ordnung oder die Beziehung, sofern sie hinsichtlich der Gleichzeitigkeit in Betracht gezogen wird. Der geometrische Raum kann aber auch weiterhin als rein und absolut gedacht werden. Neben der reinen Relationalität in geometrischer Weise kann er auch als indefinite Punktmannigfaltigkeit aufgefaßt werden bzw. als homogenes Kontinuum. „Der Raum ist etwas durchaus Gleichförmiges und sieht man von den Dingen ab, die sich in ihm befinden, so ist jeder seiner Punkte von einem beliebigen anderen Punkt in nichts verschieden. [...] [So] ist aber der Raum nichts ande-
312
Vgl. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 104, GP VII 415 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 18 314 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 20: „Vestigium est locus rei mobilis, quem aliquo momento occupat.“ 315 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 47, GP VII 400. Buchenau (B&C*) übersetzt „place“ und „situation“ gelegentlich gleichermaßen mit „Stelle“ und „situation“ wiederum auch mit „Lage“, wodurch die vorgegebene Differenzierung – wenn diese auch inhaltlich nicht in jedem Fall sinnvoll ist – verloren geht. Dellian (DELLIAN) übersetzt „situation“ mit „Lage“, „place“ mit „Ort“. Vorliegende Übersetzung gibt „place“, in dem erforderlichen weiten Sinn, mit „Ort“ wieder. „Situation“ kann einheitlich am adäquatesten mit „Stelle“ bzw. „Stellung“ übersetzt werden. Sofern es einem besseren Verständnis dienlich ist, wird zusätzlich eine Alternative angegeben. 313
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res als die Ordnung oder Beziehung selbst, und [er] ist [...] ohne die Körper gar nichts als die Möglichkeit, ihnen eine bestimmte Stellung zu geben [...].“ 316
Diese Bestimmung des Raumes, mit der Leibniz auf den Aspekt der prinzipiellen Unbestimmtheit des abstrakten Raumes hinweist, steht in einem gewissen komplementären Verhältnis zu der Definition des Raumes als Stellenordnung. In der eben zitierten Aussage handelt es sich um den homogenen, rein potentiellen, einheitlichen Raum, der für die Konstruktion geometrischer Lageverhältnisse vorausgesetzt ist. Diesem kommt kein Sein zu. Er stellt aber in gewisser Weise die Bedingung für die einheitliche Erfahrung der räumlichen Dinge in ihrer phänomenalen Gegebenheit dar. Mit der Homogenität und der Einheitlichkeit dieses Raumes ist wiederum auch der Bezug zum idealen Kontinuum im Sinne der potentiell unendlichen Ausdehnung gegeben317. Diese scheint mit der Definition des Raumes und des Kontinuums als Ordnung nicht vollständig aufgehoben zu sein318, und das zeigt sich auch an der Bestimmung des Punktes als indifferentem Ort. Dabei soll nach Leibniz das Ideale a priori die konkrete Gestalt der Phänomene konstituieren können319. Wie der Raum ein Kontinuum ist, welches durch zwei unterschiedene Hinsichten erklärt werden muß, so ist auch die ideale Relationalität als umfassende Definition des Raumes nicht ausreichend. Die Realität bedeutet eine grundsätzlichere Vielheit320. Der ideale Raum bleibt 316
LEIBNIZ. Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1715) 5, (B&C* 94) GP VII 364: „L’Espace est quelque chose d’uniforme absolument, et sans les choses y placées, un point de l’espace ne diffère absolument en rien d’un autre point de l’espace. […] l’espace n’est autre chose que cet ordre ou rapport, et n’est rien du tout sans les corps, que la possibilité d’en mettre […].“ 317 Vgl. LEIBNIZ. De Extenso, spatium, corpore et puncto (1685–1687) Erste Fassung, A VI 4 A 668: „Extensum est continuum habens partes coexistentes. Continuum est cujus partes sunt indefinitae.“; ebd. Zweite Fassung, A VI 4 A 669: „Extensum est continuum cujus partes sunt indefinitae.“ 318 Vgl insbesondere auch: LEIBNIZ. Catalogus notionum primarium, ex quibus caetere pleraeque omnes componuntur (Mitte 1685–Ende 1688): „Positio. Continuum seu Totum potentiale (seu cujus partes sunt indefinitae) cum positione. Positio consitit in modo existendi cum aliquo. Extensum involvit positionem quae dicitur situs, coexistentiam simul et partes habentium et partes similiter componentium.“ 319 Vgl. z. B. LEIBNIZ. An Huygens (8. September 1679) GM II 20. Dort führt Leibniz aus, daß die neue Charakteristik die methodisch reine Konstruktion der anschaulichen Gegenstände leistet. 320 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (11. Oktober 1705) GP II 279
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damit in seiner Abstraktheit in verschiedener Hinsicht hinter (dem) der Realität zurück321.
2.2 Der Raum der Phänomene Der phänomenale Raum kann als der konkrete Gegenstandsraum der physischen Körper verstanden werden. Dieser wird von Leibniz als physikalischer untersucht und in Analogie zum geometrischen bestimmt. „Ich möchte immer unterschieden wissen zwischen der Ausdehnung oder Extension und dem Attribut, auf das [sich die Ausdehnung oder die Verbreitung] [...] als relativer Begriff […] zurück bezieht. Dies wäre in diesem Falle die Lage oder örtliche Bestimmtheit. Es würde also die Ausbreitung des Ortes den Raum erzeugen, der gleichsam das πρῶτον δεκτικόν, die erste Grundlage der Ausdehnung darstellte, vermöge derer sie sich erst auf andere Dinge im Raum beziehen ließe. So ist die Ausdehnung, als Attribut des Raumes, die Verbreitung oder stetige Wiederholung der Lage oder der örtlichen Bestimmtheit; – als Attribut des materiellen Körpers dagegen die Verbreitung des Widerstandes oder der stofflichen Bestimmtheit. Denn das Prädikat des Ortes kommt dem Punkte sowohl wie dem Raume zu, kann also ohne Ausdehnung oder Verbreitung gedacht werden. Die Verbreitung nach der bloßen Längendimension erzeugt sodann eine räumlich ausgedehnte Linie. Das Gleiche gilt von der materiellen Bestimmtheit, auch sie kommt wie dem Körper ebenso bereits dem Punkte zu, und ihre Verbreitung in der Längendimension erschafft eine materielle Linie. Die anderen stetigen Wiederholungen nach Breite und Tiefe bilden sodann die Fläche und den Körper der Geometrie; sie erzeugen, kurz gesagt, im Bereich der bloßen Ortsbeziehungen den Raum, im Bereich der Materie den physischen Körper.“322
321 322
Vgl. z. B. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 1 §2, A VI 6 110 LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) (B&C* 263) GP VI 585: „Je distinguerois tousjours entre l’étendue ou l’extension, et entre cet attribut auquel l’étendue ou la diffusion (notion relatif) se raport, qui seroit la situation ou la localite. Ainsi la diffusion du Lieu formeroit l’Espace, lequel seroit comme πρῶτον δεκτικόν ou le premier sujet de l’étendue, et par lequel elle conviendroit encor à d’autres choses qui sont dans l’espace. Ainsi l’étendue, quand elle est l’attribut de l’Espace, est la diffusion ou la continuation de la situation ou de la localité, comme l’étendue du corps
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Der geometrische Raum verhält sich zum physikalischen wie die mögliche Ordnung zur wirklichen323. So schreibt Leibniz an Clarke, daß „der Raum […] unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit eine Ordnung der gleichzeitigen Dinge [bezeichnet], insofern als sie zusammen existieren, ohne über ihre besondere Art des Daseins etwas zu bestimmen.“324 Der physikalische Raum ist nur konzipierbar und konsistent, soweit er auf der mathematischen Struktur, d. h. speziell der Geometrie der Lage und generell der allgemeinen Ordnung als Relationalität, aufbaut. Da die Relationalität ideal ist – denn die Ordnung der Koexistierenden wird aus vollständig intelligiblen Begriffen deduziert –, ist der Raum in diesem Sinne ein apriorisches Konzept. „Man sagt der Raum hänge nicht von der Stellung der Körper ab: darauf erwidere ich, daß er allerdings nicht von dieser oder jener Stellung der Körper abhängt, gleichwohl aber die Ordnung ist, welche die Lage der Körper überhaupt erst ermöglicht, und vermöge deren sie in ihrem Beisammensein ein Lageverhältnis gegeneinander haben, – ebenso wie die Zeit diese Ordnung mit Bezug auf die Setzung im Nacheinander ist.“325
est la diffusion de l’antitypie ou de la materialité. Car le lieu est dans le point aussi bien que dans l’espace, et par consequent le líeu poit être sans étendue ou diffusion, mais la diffusion en simple longeur fait une ligne locale douée d’étendue. Il en est de même de la matiere; elle est dans le point aussi bien que dans le corps, et sa diffusion en simple longeur fait une ligne materielle. Les autres continuations ou diffusions en largeur et en profondeur forment la superficie et le solide des Geometres, et en un mot l’espace dans le lieu, et le corps dans la matiere.“; vgl. auch: An des Bosses (21. Juli 1707) GP II 339 323 Vgl. z. B. RAILI KAUPPI. Einige Bemerkungen zum principium identitatis indiscernibilium bei Leibniz. In: Zeitschrift für Philosophische Forschung XX (1966) 497-506; 503; GOSZTONYI. A. a. O. I 364 f 324 LEIBNIZ. Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1715) 4, (B&C* 93) GP VII 363: „[…] l’espace marque en termes de possibilité un ordre des choses qui existent en même temps, en tant qu’elles existent ensemble, sans entrer dans leur manieres d’exister particulieres […].“ 325 LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 41, GP VII 376: „On dit que l’Espace ne depend point de la situation des corps. Je reponds qu’il est vray qu’il ne depend point d’une telle ou telle situation des corps; mais il est cet ordre qui fait que les corps sont situables, et par lequel ils ont une situation entre eux en existant ensemble, comme le temps est cet ordre par rapport à leur position successive.“; vgl. zur auf die zitierte Passage direkt folgenden metaphysischen Fundierung der Relationen im göttlichen Intellekt s. u.: Kap. II. 4.2
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Die hier ausgesprochene apriorische Begründung des phänomenalen Raumes kann man eine prätranszendentale nennen. Die Ordnungsverhältnisse, die die Vernunft a priori besitzt und anwendet326, bedingen den phänomenalen Raum und die räumlichen Entitäten. So schreibt Leibniz in den Nouveaux Essais – in denen in Entgegensetzung zu Lockes Empirismus die Vernunftprinzipien betont werden – über Raum und Zeit: „Wie ich schon gesagt habe, kommt es daher, daß Zeit und Raum Möglichkeiten außerhalb der Setzung des Wirklichen bezeichnen. Zeit und Raum sind von Natur ewige Wahrheiten, die gleicherweise das Mögliche und das Wirkliche bezeichnen.“327
In ähnlicher Weise formuliert es eine Aussage aus derselben Schrift: „Genau so kann man sagen, daß man sich nicht zwei Ausdehnungen vorstellen darf, eine abstrakte des Raumes und eine konkrete des Körpers. Denn das Konkrete ist nur so durch das Abstrakte.“328
Wenn Leibniz einen Unterschied zwischen der konkreten Ausdehnung des Körpers und der abstrakten bzw. idealen des Raumes hervorhebt, dann bedeutet das in der Regel eine Absetzung von Descartes, Newton und verwandten Positionen. „Dauer und Ausdehnung sind Attribute der Dinge, Zeit und Raum jedoch gelten uns gleichsam als etwas außerhalb der Dinge und dienen dazu, diese zu messen.“329 326
Vgl. in geometrischer Hinsicht auch: LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr– Herbst 1689) A VI 4 B 1648: „Non datur ulla in rebus actualis figura determinata, nulla enim infinitis impressionibus satisfacere potest. Itaque nec circulus, nec ellipsis, nec alia datur linea a nobis definibilis nisi intellectu, ut lineae antequam ducantur, aut partes antequam abscindantur.“ 327 LEIBNIZ. Nouveaux Essais. (1704) II 14 §26, (E&H I 203) A VI 6 154: „C’est comme je viens de dire que le temps et l’espace marquent des possibilités au delà de la supposition des existences. Le temps et l’espace sont de la nature des verités eternelles qui regardent egalement le possible et l’existant.“; vgl. auch: Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 106, GP VII 415: „S’il n’avoit point de creatures, il n’y auroit ny temps ny lieu; et par consequent point d’espace actuel. […] ils [le temps et l’espace] ne seroient que dans les idées, comme les simples possibilités.“ 328 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 4 §5, (E&H I 138) A VI 6 127: „On peut dire de même qu’il ne faut point s’imaginer deux étendues, l’une abstraite, de l’espace, l’autre concrete, du corps; le concret n’estant tel que par l’abstrait.“
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Die Abhängigkeit von konkreter und abstrakter Ausdehnung ist dadurch gewährleistet, daß erstere Attribut des Körpers als phänomenalem ist330. Die apriorischen Ordnungsstrukturen dienen dazu die Dinge zu messen331, anhand der Regeln, die oben für die Erklärung metrischer Verhältnisse dargelegt wurden. Die mathematische und geometrische Struktur und ihre Erkenntnisweise bedingt somit den phänomenalen Raum und den phänomenalen Körper332. Die Erklärung der geometrischen Entitäten ist nach Leibniz in einem sehr bestimmten Sinne ein rein apriorisches Verfahren. Sie unterscheidet sich von der in der Logik vornehmlich angewendeten und dort bekannten analytischen Methode. Leibniz selbst bezeichnet das Verfahren, welches er z. B. bei der Definition des Kreises anwendet333, als eine Konstruktionsregel bzw. eine Produktionsanweisung334. Diese sogenannte genetische Definition335 muß als ein synthetisches Verfahren verstanden werden, 329
LEIBNIZ. Entretien de Philarète et d’Ariste ... (1711) (B&C* 262) GP VI 584: „La durée et l’étendue sont les attributs des choses, mais le temps et l’espace sont pris comme hors des choses et servent à les mesurer.“ 330 Vgl. auch: LEIBNIZ. An Remond (14. März 1714) GP III 612: „La source de nos embarras sur la composition du Continu vient de ce que nous concevons la matiere et l’espace comme des substances, au lieu que les choses materielles en elles mêmes ne sont que des phenomenes bien reglés: et Spatium nihil aliud est praecise quam ordo coéxistendi […].“ 331 Vgl auch: LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §16, A VI 6 152 332 Der bekannte Vorwurf KANTs (Kritik der reinen Vernunft B 65), daß Leibniz den Raum als undeutliche und verworrene Vorstellung der Erscheinungen auffassen würde, hat damit keine Berechtigung. Zur späteren Relativierung dieser Einschätzung und zu Kants Leibnizrezeption insgesamt vgl. die profunde Darstellung bei: CASSIRER. Erkenntnisproblem. A. a. O. II 585 ff; v.a. 597 f; 621 ff 333 Vgl. LEIBNIZ. De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 541: „Sed notio circuli ab Euclide proposita, quod sit figura descripta motu rectae in plano circa extremum immotum, definitionem praebet realem, patet enim talem figuram esse possibilem. Hinc utile est habere definitiones involventes rei generationem vel saltem, si ea caret, constitutionem, hoc est modum quo vel producibilem vel saltem possibilem esse apparet.“; zur hier angegebenen Realdefinition: s. u. Kap. III. 4.3 334 Vgl. LEIBNIZ. Colloquium cum ... Eccardo et ... Molanus (5. April 1677) GP I 213: „[...] modus […] generandi vel producendi.“ 335 Der Begriff der „genetischen Definition“, der von Cassirer (CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 113; 116) und von Pape (INGETRUD PAPE. Tradition und Transformation (2 Bde.). Hamburg 1966. Bd. 1 (Möglichkeit – Unmöglichkeit) 156 ff) für die leibnizschen Kausaldefinition verwendet wird, kommt bei Leibniz selbst nicht vor, unter-
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in dem Sinne, daß es seinen Gegenstand nicht durch Auflösung in seine Begriffe analysiert und definiert, sondern es erzeugt ihn aus den Bedingungen, die – obzwar Bestandteile des Definiendums – die Regel angeben, nach welcher sich ein einheitlicher Gegenstand allererst produzieren läßt336. Leibniz bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf die faktische Produktion eines bestimmten Gegenstandes, sondern generell auf die allgemeine Bedingung für die Erfahrbarkeit solcher Gegenstände überhaupt. Dies zeigen die wiedergegeben Definitionen aus De analysi situs und Initia rerum mathematicarum metaphysica, so z. B. die Definition der Linie als Bewegung des Punktes337. Sie setzen dabei die Ordnungsstrukturen voraus, nach welchen die Gegenstände der Anschauung überhaupt erst gegeben sein können338. Der physikalische Raum bezieht sich im Unterschied zur Geometrie wesentlich auf die Kraft. In der Physik bzw. der Dynamik unternimmt Leibniz den Versuch der phänomenalen Wirklichkeit, die sich in noch weiteren Aspekten zeigt, gerecht zu werden. Masse, Kraft, Widerstand, Aktion, Reaktion, um nur einige zu nennen, sind solche Attribute der Dinge die noch integriert werden müssen. Dazu bedarf es ebenfalls der Analyse und Systematisierung dieser Begriffe. Schließlich ist es erforderlich die grundlegenden Attribute und Begriffe wiederum a priori zu bestimmen. Unternommen hat Leibniz dies inhaltlich anhand des Kraftbegriffes. Dabei wird die Ausdehnung des Körpers wie die des Raumes als dynamisches System der koexistie-
streicht aber die spezifisch synthetische Natur dieser Definitionsweise. Vgl. auch: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 113 ff 336 MARTIN (a. a. O. 90) weist darauf hin, daß die Einführung dieser Definitionsweise zu einem tendenziell konstruktivistischen Standpunkt führt. 337 Vgl. auch: LEIBNIZ. Characteristica Geometrica (10. August 1679) GM V 147: „Modus generandi lineam rectam simplicissimus hic est. Sit corpus aliquod, cujus duo puncta sint immota et fixa, ipsum autem corpus nihilominus moveatur, tunc omnia puncta corporis quiescentia incident in rectam, quae per duo puncta fixa transit. […] Aliter generari potest linea recta, si qua detur linea flexilis, sed quae in majorem longitudinem extendi non possit.“ 338 Vgl. zur Bedeutung der genetischen Definition in diesem Sinne: KANT. Kritik der reinen Vernunft A 242 f Für eine ausführliche Analyse (auch in Bezug auf die Differenz zur Kants Auffassung) vgl.: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 113-128; vgl. dazu auch: s. u. Kap. III 4.2
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renden und kontinuierlichen Vielheit der Kräfte definiert339. Das Prinzip der apriorischen und systematischen Einheit der damit charakterisierten Phänomenalität wird durch den Satz von der Erhaltung der Kraft gewährleistet. Zusammen mit dem Kontinuitätsprinzip und den Ordnungsverhältnissen der koexistierenden Dinge nach der Geometrie der Lage wird der Raum der Phänomene aufgespannt. Die Vielen werden als funktionale Entitäten bestimmt. Raum bzw. Raum und Zeit garantieren in diesem Sinne die Struktur die Phänomenalität340. Es ist die spezielle ideale Natur der Relation, die die komplexen Zusammenhänge des Leibnizschen Raumbegriffes im wesentlichen bedingt. Denn die Monaden, welche die eigentliche Realität darstellen und damit, so müßte man schließen, auch die Relate der Relationen darstellen, stehen eben gerade nicht in realem Verhältnis zueinander. Ebensolches gilt für die substantielle Kraft und die diskrete Masse. Beide sind als subsistente Basis der Relationalität für deren Erklärung nötig und, wie gezeigt wurde, doch nicht in dieser formulierbar. Wie der Kraft als primitiver aktiver, so kommt auch der Masse als primitiver passiver die dargelegte substantielle Natur zu341. Analysiert man die Phänomene von der Relationalität aus, dann stellen beide – wenn überhaupt – Grenzbegriffe dar. Wie dies in ähnlicher Weise beim mathematischen Punkt in der Analyse der Lage der Fall ist, sind die primitiven Kräfte als solche damit ohne jegliche Bestimmung. Im Phänomenalen bezieht sich Leibniz außerdem aber auch auf den Raum in einem Sinne, der der cartesischen Auffassung nahekommt. Dies scheint dann der Fall zu sein, wenn er die Körperlichkeit als phänomenale Ausdehnung zu bestimmen sucht342. Wenn diese dabei auch aus der Idealität der Ordnung hergeleitet wird, so erhält die phänomenale Räumlichkeit, 339
Vgl. z. B. auch: LEIBNIZ. An Lady Masham (30. Juni 1704) 14, GP III 357: „[…] l’étendue, c’est a dire […] une varieté continuelle et ordonnée des choses existentes à la fois […].“ 340 ROMBACH (A. a. O. I 351 ff) bezeichnet in diesem Sinne die Natur bei Leibniz als Phänomenalität. Die damit verbundene Auffassung des Phänomenbegriffs beruht auf der Apriorizität der Ordnung bzw. Relationalität und der dadurch gewährleisteten Wissenschaftlichkeit. 341 Vgl. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 136 ff 342 Hierbei ist zu bemerken, daß Leibniz den Punkt weiterhin im Sinne von Grenze versteht. Vgl. z. B.: LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1648; An Foucher (Januar 1692) GP I 416; An de Volder (11. Oktober 1705) GP II 279; An des Bosses (24. April 1709) GP II 370; An des Bosses (29. Mai 1716) GP II 520
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in der Entgegensetzung zur realen diskreten Vielheit wiederum ihre spezifische potentielle Unendlichkeit und Homogenität zugesprochen. „Wenn auch die Orte der Monaden durch die Modifikationen oder die Begrenzungen der Teile des Raumes bestimmt sind, so sind die Monaden selbst trotzdem nicht die Modifikationen der fortdauernden Sache. Die Masse und deren Verteilung resultiert aus den Monaden, aber nicht der Raum. Denn der Raum, wie auch die Zeit, ist eine gewisse Ordnung, nämlich (für den Raum) die des Koexistierenden, der damit nicht nur das Wirkliche, sondern auch das Mögliche umfaßt. Daher ist er etwas Unendliches [Indefinites], wie jedes Kontinuum dessen Teile nicht aktuell sind, sondern die frei gesetzt werden können, gleich wie die Teile der Einheiten oder Brüche. Wenn es in der Natur der Dinge andere Unterteilungen der organischen Körper in organische Körper gäbe, wären die Monaden andere, wäre die Masse eine andere, obwohl der Raum der damit angefüllt wäre, derselbe wäre. Der Raum ist nämlich ein gewisses Kontinuum, aber ein ideales, die Masse ist diskret, also eine aktuale Vielheit oder ein Seiendes durch Aggregation, aber eines, das aus einer Unendlichkeit von Einheiten besteht. Im Aktualen sind die Einfachen vor den Zusammengesetzten, im Idealen ist das Ganze früher als der Teil. Wer diese Überlegungen mißachtet, bringt das berühmte Labyrinth des Kontinuums hervor.“343
Das physische Kontinuum bedarf trotz der Errungenschaften des Funktionsbegriffes und der Definition des Raumes als Ordnung weiterhin, so hat es den Anschein, einer vertieften Erklärung. Die Unbestimmtheit, welche dem Kontinuum eigen ist, kann theoretisch auf die Undurchführbarkeit einer vollständigen Analyse der funktionalen Zusammenhänge zurückgeführt werden. Ein Erreichen der vollständigen Aufschlüsselung aller Zusammen343
LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 378 f: „Etsi monadum loca per modificationes seu terminationes partium spatii designentur, ipsae tamen Monades non sunt rei continuae modificationes. Massa ejusque diffusio resultat ex monadibus, sed non spatium. Nam spatium, perinde ac tempus, ordo est quidam, nempe (pro spatio) coëxistendi, qui non actualia tantum, sed et possibilia complecitur. Unde indefinitum est quiddam, ut omne continuum cujus partes non sunt actu, sed pro arbitrio accipi possunt, aeque ut partes unitatis seu fractiones. Si aliae essent in natura rerum subdivisiones corporum organicorum in corpora organica, aliae essent Monades, alia massa, etsi idem foret spatium quod impleretur. Nemque spatium est continuum quoddam, sed ideale, Massa est discretum, nemque multitudo actualis, seu Ens per aggregationem, sed ex unitatibus infinitis. In actualibus simplica sunt anteriora aggregatis, in idealibus totum est prius parte. Hujus considerationis neglectus illum continuum labyrinthum peperit.“
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hänge und damit die Erkenntnis der individuellen Substanzen ist vom dargelegten Standpunkt aus – für die menschliche Vernunft – unmöglich344. Der phänomenale Raum und das phänomenale Kontinuum würden dadurch aus der realen aktualen Vielheit deduziert werden. Der phänomenale Raum, d. h. der Raum der Körper und ihrer Wechselwirkungen, bedarf in Bezug darauf zu seiner Erklärung immer der Tatsache, daß jeder Substanz bzw. Monade ein Körper zugeordnet ist345. „Alle endlichen Geister sind immer mit einem organischen Körper verbunden und sie stellen die anderen Körper gemäß der Beziehung zu ihrem dar. So ist ihre Beziehung zum Raum ebenso bestimmt wie die der Körper.“346
Damit ist nun die Verhältnisbestimmung der Geometrie der Lage und des Modells funktionaler Kräfte zwar Bedingung für die Erkenntnis der Dinge als Erscheinungen, reicht jedoch nicht aus, um die wirklichen Dinge – sofern sie als individuelle Substanzen Prinzipien der Körper sind – in ihrer eigenen Seinsweise zu erfassen347. 344
Vgl. dazu: s. u. Kap. III 4.2; 4.3 Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (16. März 1709) GP II 368 „Caeterum materia prima propria, id est potentia passiva primitiva, ab activa inseparabilis, ipsi Entelechiae (quam complet, ut Monada seu substantiam completam constituat) concreatur.“; An des Bosses (24. April 1709) GP II 371: „Fortasse aliquis diceret, eas [animas/monades] non esse in loco nisi per operationen, nempe loquendo secundum vetus systema influxus, vel potius (secundum novum systema harmoniae praestabilitate) esse in loc o per corresponsionem, atque ita esse in toto corpore organico quod animant.“ 346 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 15 §11, A VI 6 155: „Tous les esprits finis sont toujours joints à quelque corps organique, et ils se representent les autres corps par rapport au leur. Ainsi leur rapport à l’espace est aussi manifeste que celuy des corps.“ 347 Zum einen ist grundsätzlich gegen Cassirers Interpretation, der hier teilweise zugestimmt wird, zu sagen, daß Leibniz, wie auch Kant, die Substanz als solche aufrechterhalten will. Der Raum muß zwar auch bei Leibniz „[…] als bestimmte Seite […] der Gesetzlichkeit der Ordnungsbeziehungen überhaupt“ (PAUL NATORP. Allgemeine Psychologie in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen. Marburg 21910. 270; zitiert nach GOSZTONYI. A. a. O. II 725) verstanden werden, ist damit aber nicht vollständig erfaßt. Zumindest nicht, wenn man den Raum nur als vom Denken – einer endlichen Vernunft – erzeugte Kategorie versteht (Vgl. HERMANN COHEN. Logik der reinen Erkenntnis. Berlin 1922. 162; angegeben nach GOSZTONYI. A. a. O. II 725). Hier trifft Rombachs Interpretation, die dieser im Anschluß an Cassirer vorgenommen hat, Leibniz’ Standpunkt weit besser. ROMBACH (a. a. O. II 303 f) merkt zwar ebenfalls an, daß es ein Fehler ist, Leibniz nur von seiner Metaphysik her verstehen zu wollen, und nicht auch gerade seine Wissenschaftslehre in Betracht zu ziehen. Gegen eine 345
einseitige Überbetonung der Wissenschaftslehre aber spricht, daß, wie es Rombach in umgekehrter Betonung in Bezug auf Kant sagt, dies nicht zur Aufhebung der Metaphysik führen darf; und eben das gilt auch für Leibniz.
3. Idealität des Raumes und Individualität der Substanz 3.1 Leibniz’ prätranszendentale Raumtheorie Der Briefwechsel mit Clarke führt in besonderem Maße zur Beschäftigung mit der These der individuellen Substanz. Die individuelle Substanz bzw. die Monade ist die Konzentration der Leibnizschen Philosophie. Sie hat ihre Wurzeln noch in anderen Problemgebieten seiner Philosophie, wie im folgenden noch zu untersuchen sein wird. An ihrer Bestimmung hängt aber eben wesentlich auch die Theorie des Raumes. Leibniz konfrontiert Newtons Theorie des absoluten Raumes – der im Sinne einer „Weltschachtel“ 348 unbestimmt, unendlich ist und doch die Dinge bestimmen soll – mit der realen unverwechselbaren Vollständigkeit der individuellen Substanzen. In Entgegensetzung und Ergänzung zur individuellen Substanz erklärt sich auch die Idealität des Raumes. Der Begriff des Idealen wurde bereits hinsichtlich seiner prätranszendentalen Bedeutung dargelegt. In Bezug auf Leibniz’ Auffassung des Raumes als relativer Ordnung stellt sich dies folgendermaßen dar: „Ich habe mehrfach betont, daß ich den Raum ebenso wie die Zeit für etwas rein Relatives halte; für eine Ordnung der Existenzen im Beisammen, wie die Zeit eine Ordnung des Nacheinander ist. Denn der Raum bezeichnet unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit eine Ordnung der gleichzeitigen Dinge, insofern als sie zusammen existieren, ohne über ihre besondere Art des Daseins etwas zu bestimmen. Wenn man mehrere Dinge zusammen sieht, so wird man sich dieser Ordnung der Dinge untereinander bewußt.“349
Der Raum ist ideal, d. h. transzendental, da er selbst keine Realität, sondern nur die mögliche Ordnung bedeutet. Wenn Leibniz formuliert, daß 348
Diesen Begriff verdanke ich KAULBACH (A. a. O. 17), der ihn Kuno Fischer zuschreibt. 349 LEIBNIZ. Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1715) 4, (B&C* 93) GP VII 363: „Pour moy, j’ay marqué plus d’une fois, que je tenois l’Espace pour quelque chose de purement relatif, comme le Temps; pour un ordre des Coexistences, comme le temps est un ordre de successions. Car l’espace marque en termes de possibilité un ordre des choses qui existent en même temps, en tant qu’elles existent ensemble, sans entrer dans leur manieres d’exister particulieres: et lors qu’on voit plusieurs choses ensembles, on s’apperçoit de cet ordre des choses entre elles.“
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man sich dieser Ordnung bewußt wird, sofern man mehrere Dinge zugleich sieht, so bedeutet das, daß die Dinge vermittels der idealen Relationalität begriffen werden und nicht hinsichtlich einer ihnen unabhängig hiervon zukommenden Bestimmung. Das Verhältnis von Raum und Materie betreffend, das im Briefwechsel ebenfalls von Bedeutung ist, da Newton den leeren und auch außerhalb der Welt existierenden Raum annimmt, schreibt Leibniz „[...] daß es keinen Raum gibt, wo es keine Materie gibt; und daß der Raum an sich selbst keine absolute Realität ist. Raum und Materie unterscheiden sich voneinander wie die Zeit und die Bewegung. Diese Dinge zeigen sich, wenngleich verschieden, so doch als voneinander untrennbar“350. Der Raum ist die mögliche Ordnung von Dingen und bezieht sich daher immer auf faktisch gegebene Entitäten. Leibniz widmet die Mehrzahl seiner Ausführungen im Briefwechsel mit Clarke der Darlegung der Unbestimmtheit des von diesem angenommenen absoluten Raumes. Der Begriff der Ordnung, der alternativ zur Unbestimmtheit der Größe bzw. Ausdehnung von Leibniz vorausgesetzt wird, bedeutet demgegenüber jedoch keine Vollbestimmtheit, wie sie dem Individuum zukommen soll. „Die Teile der Zeit und des Ortes sind an und für sich etwas Ideelles, gleichen sich daher vollkommen wie zwei abstrakte Einheiten [unités]. Anders verhält es sich dagegen mit zwei konkreten Ein[s]heiten [Uns], zwei tatsächlichen Zeiten oder zwei erfüllten, d. h. wahrhaft wirklichen Räumen.“351
350
Vgl. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 62, GP VII 406: „[…] qu’il n’y a point d’espace, où il n’y a point de matiere; et que l’espace en luy même n’est point une realité absolue. L’espace et la matiere différent comme le temps et le mouvement. Cependant ces choses, quoyque différentes, se trouvent inseparables.“; vgl. zur Kritik am leeren Raum innerhalb wie außerhalb der Welt: Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1706) 7, GP VII 372: „La même raison qui fait que l’espace hors du monde est imaginaire, prouve que tout espace vuide est une chose imaginaire, car ils ne différent que du grand au petit.“ 351 LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 27, (B&C* 127) GP VII 395: „Les parties du temps ou du lieu, prises en elles mêmes, sont des choses ideales; ainsi elles se ressemblent parfaitement, comme deux unités abstraites. Mais il n’en est pas de même de deux Uns concrets, ou de deux temps effectifs, ou de deux espaces remplis, c’est à dire, veritablement actuels.“
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Der ideale Raum ist, was seine Elemente anbetrifft, unbestimmt352. Die Relationen, welche der Intellekt denkt, konstituieren die Gegenstände des Denkens und der Erfahrung. Leibniz sagt hierzu in den Nouveaux Essais, daß aus dieser Tatsache, d. h. der Hinzufügung der Relationen durch den Verstand, mehr folgt als man denkt353. Er trifft in diesem Zusammenhang auch folgende grundsätzliche Aussage: „Die Einheiten bestehen gesondert, aber der Verstand faßt sie zusammen, wie zerstreut sie auch sein mögen.“354
Die Relation ist demnach eine Leistung des Verstandes, die die reale Beschaffenheit der individuellen Sache, sofern man von einer solchen ausgehen kann, unberücksichtigt läßt. Sie ist unbestimmt, insofern sie nur Bedingung der Erkenntnis und nicht Bedingung des spezifischen Seins eines Dinges ist. Diesen Sachverhalt versucht Leibniz mit seiner Argumentation Newton gegenüber hauptsächlich stark zu machen. Demnach erkennen wir nur Dinge in Raum und Zeit sofern wir sie relational bestimmen. Diese wissenschaftlich strenge Methode erlaubt aber keine Aussage über reale Entitäten, besonders nicht über einen realen Raum. Denn der Raum ist nur die abstrakte Relationalität. Leibniz konfrontiert Newtons absoluten Raum aber auch und wesentlich mit der individuellen Substanz, indem er die Relationen als Akzidenzien bestimmt. Aber auch in diesem Zusammenhang, der im folgenden Kapitel zu untersuchen sein wird, stellt er die zentrale Bedeutung der idealen Relation heraus. „Man muß demnach sagen, daß die Beziehung […] allerdings außerhalb der Subjekte ist, daß sie aber, da sie weder Substanz noch Akzidens ist, etwas rein
352
Vgl. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1706) 18, GP VII 374: „L’uniformité de l’espace fait qu’il n’y a internal ny external reason, pour en discerner les parties […].“ 353 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 12 §3, A VI 6 145: „Je crois que les qualités ne sont que des modifications des substances et l’entendement y adjoute les relations. Il s’en suit plus qu’on ne pense.“ 354 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 12 §3, A VI 6 145: „Les unités sont à part et l’entendement les prend ensemble quelques dispersées qu’elles soyent.“; vgl. auch: De illatione et veritate atque de terminis (Sommer 1687–Ende 1696) 2. Entwurf, A VI 4 A 866: „Relatio est accidens quod est in pluribus subjectis, estque resultans tantum seu nulla mutatione facta aliis supervenit, si plura simul cogitentur, est concogitabilitas.“
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Ideales sein muß, dessen Betrachtung jedoch darum nicht minder fruchtbar ist.“355
Die ideale Bedingung der wissenschaftlichen Erkenntnis, die durch die Aufhebung eines absoluten Raumes gerade nicht geschmälert, sondern unterstützt wird, bedeutet, daß die Gegenstände, wie dies bereits ausgeführt wurde, relativ zueinander und schließlich als Relationsgefüge bzw. Relationszentren aufgefaßt werden müssen. Der Raum Newtons kann demgegenüber als unreflektierter Begriff, nämlich als abstrahierte Relationalität, welche die wirkliche Realität nicht berücksichtigt, verstanden werden. Hierbei ist zu bemerken, daß Leibniz durch die Entgegensetzung von abstrakt und konkret neben dem als zentral herausgearbeiteten Aspekt der Idealität eines solchen Raumes noch auf eine weitere Grundtatsache aufmerksam macht bzw. diese als Voraussetzung seiner Argumentation immer wieder heranzieht. Der Raum der realen Entitäten, und dasselbe gilt für den physikalischen, da dieser den Raum der konkreten Gegenstände der Erfahrung darstellt, ist eine konkrete Ordnung. Der ideale Raum ist die abstrakte Möglichkeit von Stellen. Der Raum als Möglichkeit der Ordnung ist unabhängig von diesen durchgehend unbestimmt, d. h. potentiell unendliches, homogenes Kontinuum356. Der reine und absolute Raum, wie dies für den Raum der Geometrie bereits zitiert wurde357, ist immer die allgemeine und abstrakte Möglichkeit. Als Bedingung jeglicher Konstruktion 355
LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 47, (B&C* 135 f) GP VII 401: „Donc il faut dire, que ce rapport […] est bien hors de sujets; mais que n’étant ny substance ny accident, cela doit etre une chose purement ideale, dont la consideration ne laisse pas d’etre utile.“; vgl. den ähnlichen, aber auf Grund der problematischen Bestimmung der Realtion wahrscheinlich sehr frühen, unpublizierten Text: (LEIBNIZ.) LH IV 7C Bl. 76 v. (zitiert nach: MUGNAI. On Leibniz’s Theory of Relations. A. a. O. 149 f): „Ens est vel subsistens quod tantum subiectum esse potest, vel attributum, quod est constituens pradicati alterius Entis. Ut scientia constituit ut aliquis sit sciens. Actio agens. Sed nonne datur tertium? Sic tempus, locus, nec est subsistens nec attributum. Idem est de Numero ordine. Sic decem non est attributum ullius rei. Neque enim de aggregato neque de singulis dici potest Numerus Denarius. Idem est de relatione quae communis v. g. simultudo duorum. Datur itaque attributum quod est simul in pluribus subjectis. Talia ergo sunt ordo, adeoque tempus et locus.“ 356 Vgl. auch: LEIBNIZ. An des Bosses (21. Juli 1707) GP II 336: „Spatium per se est indeterminatum ad quascunque possibiles divisiones; res enim est idealis, ut unitas numerica, quam pro arbitrio in fractiones secare possis, at massa rerum actu divisa est.“ 357 Vgl. LEIBNIZ. Characteristica Geometrica (10. August 1679) 9, GM V 144; ; vgl die zitierte Stelle: s. o. FN 291
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abstrakte Möglichkeit. Als Bedingung jeglicher Konstruktion der Lagen geht er den vielen konkreten bzw. alternativ möglichen Lageverhältnissen vorauf. Dies wird auch dadurch unterstrichen, daß nach Leibniz die Ordnung ihrem möglichen Inhalt gegenüber indifferent ist. Das ist insofern ein relevanter Zusammenhang, da Leibniz in seiner Theorie der möglichen Welten letztlich bereits von immer vollbestimmten Mengen von Individuen ausgeht. Wenn man hierzu den reinen Raum in ein sinnvolles Verhältnis bringen möchte, dann muß man sagen, daß der reine Raum quasi die Vernunft selbst ist – in Bezug auf ausgedehnte Gegenstände. Denn wie zur Genüge gezeigt wurde, kann ein solcher Raum nur ideal sein. Er ist kein real existierendes physisches Kontinuum358 – wie etwa teilweise bei Descartes – muß aber im und für das Denken vorausgesetzt werden. So sagt Leibniz in den Nouveaux Essais, daß die Leere, welche man sich gewöhnlich im Raum und in der Zeit vorstellt, gerade zeigt, daß der Raum ideal ist und sich gleichermaßen auf Mögliches wie Wirkliches bezieht359. An einer anderen Stelle der Nouveaux Essais heißt es hierzu: „Tatsächlich sind Zeit und Raum nur Ordnungsgattungen und in diesen Ordnungen ist der freie Ort (den man in Bezug auf den Raum leer nennt), wenn es ihn gibt, nur die Möglichkeit dessen was ihm in Bezug auf das Wirkliche fehlt.“360
Eine weitere Formulierung aus den Nouveaux Essais – die bereits zitiert wurde und die sich direkt an die an vorletzter Stelle zitierte Passage anschließt – kann ebenfalls im Sinne einer prätranszendentalen Raumtheorie gelesen werden. „Wie ich schon gesagt habe, kommt es daher, daß Zeit und Raum Möglichkeiten außerhalb der Setzung des Wirklichen bezeichnen. Zeit und Raum sind
358
Vgl. z. B. auch: LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 23 §23, A VI 6 222 f Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §24, A VI 6 154: „Ce vuide qu’on peut concevoir dans le temps, marque comme celuy de l’espace, que le temps et l’espace vont aussi bien aux possibles, qu’aux existans.“ 360 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 4 §5, A VI 6 127: „En effect le temps et le lieu ne sont que des especes d’ordre, et dans ces ordres la place vacante (qui s’appelle vuide à l’egard de l’espace) s’il y en avoit, marqueroit la possibilité seulement de ce qui manque avec son rapport à l’actuel.“ 359
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von Natur ewige Wahrheiten, die gleicherweise das Mögliche und das Wirkliche bezeichnen.“361
Zum Abschluß dieser Ausführungen in den Nouveaux Essais sagt Leibniz, daß die Sinne alleine unzureichend sind, um solche Begriff zu bilden362. Wir gelangen jedoch erst durch die Reflexion auf endliche Gegenstände zur Idee des Absoluten. Wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, trifft Leibniz diese Aussage in Bezug auf die unendliche Ursache bzw. auf deren Ewigkeit. Sie kann indirekt jedoch auch als Begründung der dargelegten prätranszendentalen Raumtheorie verstanden werden. „Im Grunde kann man sagen, daß die Idee des Absoluten früher ist in der Natur der Dinge als die der Schranken, die man hinzufügt; aber wir bemerken erstere nur, wenn wir mit dem beginnen, was beschränkt ist und unsere Sinne beeindruckt.“363
In Bezug auf die Idee des Unendlichen im allgemeinen und schließlich des Kontinuums formuliert Leibniz diese These in einer Schrift, die Bemer-
361
LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §26, (E&H I 203) A VI 6 154. „C’est comme je viens de dire que le temps et l’espace marquent des possibilités au delà de la supposition des existences. Le temps et l’espace sont de la nature des verités eternelles qui regardent egalement le possible et l’existant.“; diese und ähnliche Ausführungen legen den Vergleich mit Kants Auffassung nahe, wenn man sich auch der Differenzen bewußt bleiben muß, die in Leibniz’ Theorie der individuellen Substanz, die im folgenden behandelt werden wird, ihre wesentliche Grundlage hat. Vgl. z. B.: KANT. Kritik der reinen Vernunft A 24; B 38 f: „Der Raum ist eine notwenige Vorstellung, a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendiger Weise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt.“ Vergleichbar ist schließlich auch die Apriorizität, die die Wissenschaftlichkeit der Geometrie verbürgt. Vgl. ebd. A 25; B 39. 362 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §27, A VI 6 145: „Ainsi les senses seuls ne sauroient suffire à faire former ces notions.“ 363 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §27, A VI 6 145: „Et dans le fonds on peut dire, que l’idee de l’absolu est anterieure dans la nature des choses à celle des bornes qu’on adjoute, mais nous ne remarquons la premiere qu’en commençant par ce qui est borné et qui frappe nos sens.“; vgl. auch: ebd. II 17 §3, A VI 6 158. Leibniz setzt dort die Idee des Raumes und die Idee Gottes in direkte Beziehung.
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kungen zu Lockes Kritik der Prinzipien des Malebranche enthält, in ähnlicher Weise. „Der Pater [Malebranche] behauptet, daß die Idee des Unendlichen der des Endlichen vorausgehe. Locke entgegnet, daß ein Kind viel früher die Idee einer Zahl oder eines Vierecks als die des Unendlichen besitzt. Er hat recht, nimmt er die Ideen für sinnliche Bilder; nimmt er sie aber als die Grundlagen der Begriffe, so wird er finden, daß im Kontinuum der Begriff eines Ausgedehnten, absolut genommen, dem Begriff eines Ausgedehnten vorausgeht, in dem irgendeine Modifikation oder Beschränkung hinzugefügt ist.“364
In Bezug auf das Kontinuum als Ordnung ist die Erkenntnis sehr deutlich auf die Verhältnisse beschränkt. „Die Ordnungen nämlich bzw. die Relationen, die zwei Monaden verbinden, sind nicht in einem von beiden Monaden, sondern in jeder von beiden gleichermaßen zugleich, d. h. tatsächlich neutral, aber nur im Geiste […]. Ich denke nicht, daß Du ein Akzidens so auffaßt, daß es gleichzeitig zwei Subjekten inhäriert und, wie ich es nenne, einen Fuß in einem und den anderen im anderen hat.“365
Damit aber bedeutet die Transzendentalität nicht die Negierung einer realen Ordnung, wie immer diese auch aufzufassen ist. Sie konstituiert nur die Phänomene einer wissenschaftlichen Erkenntnis und ist hierbei als Möglichkeit der Erfahrung an die wirklichen Bedingungen verwiesen, die vorauszusetzen sind. Eine Erläuterung von Leibniz an des Bosses, die in der Auseinandersetzung mit einer möglichen Komposition des idealen Ganzen bereits kritisch interpretiert wurde, kann nun in diesem Zusammenhang den Sachverhalt verdeutlichen.
364
LEIBNIZ. Ohne Titel (nach 1706) GP VI 577: „Le Pere soutient que l’idée de l’infin i est anterieure à celle du fini. M. Locke objecte […] qu’un enfant a plustot l’idee d’un nombre ou d’un quarré que celle de l’infini. Il a raison en prenant les idées pour des images; mais en les prenant pour les fondemens des notions, il trouvera que dans le continuum, la notion d’un étendu, pris absolument, est anterieure à la notion d’un étendue, où la modification est adjoutée.“ 365 LEIBNIZ. An des Bosses (29. Mai 1716) GP II 517: „Ordines enim, seu relationes, quae duas monades jungunt, non sunt in alterutra monade, sed in utraque aeque simul, id est, revera in neutra, sed in sola mente […]. Neque enim puto a te statui accidens, quod simul insit duobus subjectis, et unum, ut sic dicam, pedem in uno, alterum in altero habeat.“
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„Die Masse und deren Verteilung resultiert aus den Monaden, aber nicht der Raum. Denn der Raum, wie auch die Zeit, ist eine gewisse Ordnung, nämlich (für den Raum) die des Koexistierenden, der damit nicht nur das Wirkliche, sondern auch das Möglichem umfaßt. Daher ist er etwas Unendliches [Indefinites], wie jedes Kontinuum dessen Teile nicht aktuell sind, sondern die frei gesetzt werden können, gleich wie die Teile der Einheiten oder Brüche. Wenn es in der Natur der Dinge andere Unterteilungen der organischen Körper in organische Körper gäbe, wären die Monaden andere, wäre die Masse eine andere, obwohl der Raum der damit angefüllt wäre, derselbe wäre. Der Raum ist nämlich ein gewisses Kontinuum, aber ein ideales, die Masse ist diskret, also eine aktuale Vielheit oder ein Seiendes durch Aggregation, aber eines das aus einer Unendlichkeit von Einheiten besteht.“366
Die Transzendentalität des Raumes bei Leibniz bedeutet Wissenschaftlichkeit. Darauf hat die Untersuchung im Begriff des Idealen hingewiesen. Die Gegenstände der wissenschaftlichen Erkenntnis sind von den apriorischen Gesetzen und Prinzipien bedingt und können somit allgemeingültig beschrieben und berechnet werden367. Der Ursprung und der Zusammenhang der damit einhergehenden funktionalen Auffassung der Natur liegt bei Leibniz teilweise jedoch auch in seiner noch zu untersuchenden Rezeption 366
LEIBNIZ. An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 378 f: „Massa ejusque diffusio resultat ex monadibus, sed non spatium. Nam spatium, perinde ac tempus, ordo est quidam, nempe (pro spatio) coëxistendi, qui non actualia tantum, sed et possibilia complecitur. Unde indefinitum est quiddam, ut omne continuum cujus partes non sunt actu, sed pro arbitrio accipi possunt, aeque ut partes unitatis seu fractiones. Si aliae essent in natura rerum subdivisiones corporum organicorum in corpora organica, aliae essent Monades, alia massa, etsi idem foret spatium quod impleretur. Nemque spatium est continuum quoddam, sed ideale, Massa est discretum, nemque multitudo actualis, seu Ens per aggregationem, sed ex unitatibus infinitis.“ 367 Vgl. LEIBNIZ. An Varignon (2. Februar 1702) GM IV 93 f: „Cependant on peut dire en general que toute la continuité est une chose ideale et qu’il n’y a jamais rien dans la nature, qui ait des parties parfaitement uniformes, mais en recompense le reel ne laisse pas de se gouverner parfaitement par l’ideal et l’abstrait, et il se trouve que les regles du fini reussissent dans l’infini, comme s’il y avait des atomes (c’est à dire des elemens assignables de la nature), quoyqu’il n’y en ait point la matiere estant actuellement sousdivisée sans fin; et que vice versa les regles de l’infini reussissent dans le fini, comme s’il y avoit des infiniment petits metaphysiques, quoyqu’on n’en ait point besoin; et que la division de la matiere ne parvienne jamais à les parcelles infiniment petites: c’est par ce que tout se gouverne par raison, et qu’autrement il n’y auroit point de science ny regle, ce qui ne seroit point conforme avec la nature du souverain principe.“
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des spätscholastischen Nominalismus368. Die prätranszendentale Theorie des Raumes ist daher komplementär zur realen Vielheit der individuellen Substanzen. Diese sind damit nicht aufgehoben, sondern gefordert369.
3.2 Relationaler Raum und individuelle Substanz Die Idealität des Raumes bedeutet, so wurde gezeigt, reine Relationalität und einheitliche Absolutheit unbestimmter möglicher Stellensetzungen. Wie Leibniz mehrfach betont, wird man sich dieser Tatsache bewußt, wenn man mehrere Dinge zugleich betrachtet, d. h. der Raum ist die Ordnung von Vielen unter der Hinsicht der Gleichzeitigkeit. Das Individuum, das Leibniz demgegenüber jedoch auch postuliert und herausstellt, wird im eigentlichen Sinne nicht durch seine Verhältnisse definiert, denn dies würde gerade die Leugnung seiner Substantialität bedeuten. Die Substanzen müssen als spontane, aktive Wesen definiert werden, die nicht von außen bestimmt werden können und nicht in einem Wechselwirkungsverhältnis stehen. Aus diesem Grund wurde eine direkte Inanspruchnahme der Substanzen für die Erklärung des Kontinuums und des Raumes ausgeschlossen, wodurch die Idealität als prätranszendentale Raumtheorie vor der Ordnung der Individuen rein herausgestellt werden konnte. Trotz der damit einhergehenden Deduktion des Phänomenalen aus dem Idealen wurde die uneinholbare Individualität des Realen betont. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß Leibniz drei unterschiedliche Dimensionen kennt: Die Idealität, die Phänomenalität und die Realität. Leibniz bringt das noch nicht vollständig geklärte Verhältnis von Idealität und Realität im Briefwechsel mit Clarke häufig mit dem Gegensatz von abstrakt und konkret in Verbindung. In Bezug auf die Ausdehnung, d. h. die phänomenale Körperlichkeit und einheitlich homogene Kontinuität, ist das Abstrakte, wie gezeigt werden konnte, Bedingung des Konkreten; dies gilt jedoch nicht, wie man betonen muß, was das Sein und die Sache selbst betrifft. 368 369
Vgl. dazu: s. u. Kap. III. 2.1 Vgl. zum Nominalismus als Quelle des Funktionalismus auch: ROMBACH. A. a. O. I 135 ff, 229 ff, 340 ff, II 476 ff
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Auf Grund des Zusammenhanges von konkreter körperlicher Ausdehnung und abstrakter Räumlichkeit kann die Bestimmung des Aggregatbegriffs eine erste Verständnishilfe für diesen Sachverhalt bieten. In einer Stelle aus einem Brief an des Bosses, in der Leibniz die Aggregate als phänomenale Gebilde anspricht, bezieht er sich auf die Duplizität von Realität und ideal bedingter Phänomenalität. „[…] Die Aggregate selbst sind nichts anderes als Phänomene, da außer den Monaden, die ihre Bestandteile sind, das übrige nur durch die Perzeptionen allein hinzugefügt wird, dadurch nur, daß es zugleich perzipiert wird.“370
Diese Stelle belegt wiederum deutlich, daß alles Aggregative als Phänomenales vom Idealen her zu interpretieren ist. Dies wird durch die Leistung des Intellekts bzw. der Perzeption angegeben, die das Viele als Gleichzeitiges wahrnimmt und damit nach ihren Bedingungen formt. Jedoch werden ebenfalls die Monaden erwähnt, nämlich als Bestandteile der Aggregate. Es wurde bei der Analyse des Aggregatbegriffs bereits darauf hingewiesen, daß er selbst eine Duplizität der Dimensionen zu seinem Verständnis erfordert. Die Perzeption, durch welche die erfahrbare Ordnung der Dinge vorgegeben ist, verstellt eine mögliche Erkenntnis der Dinge an sich selbst, indem sie nur äußerliche funktionale Erkenntnisse vermitteln kann. Da ihre Objekte aber als Vielheiten bestimmt werden müssen, bedeutet dies, daß der Begriff des Aggregats, da er eine Vielheit impliziert, quasi eine Transzendierung der transzendentalen Bedingungen erfordert. Für Leibniz ist dies der grundlegende Sachverhalt, den er als Unterschiedenheit der Realität und Idealität formuliert und damit als Schlüssel für den Ausweg aus dem Labyrinth des Kontinuums angibt. Bisher wurde die mit dem Begriff der Realität intendierte Substanz wesentlich negativ bestimmt, nämlich als nichtfunktionale Entität. Es wurde darauf verwiesen, daß Leibniz diese negative Charakterisierung mit der Definition der Substanz als tätigem Wesen verbindet. Ein umfassendes Verständnis dessen, was Leibniz mit ihrer Definition als Monade bzw. als individueller Substanz intendiert, konnte bisher nicht gegeben werden. Die individuelle Substanz ist aber für Leibniz’ Theorie des Raumes von grundlegender Bedeutung und wird deshalb im Briefwechsel mit Clarke regelmäßig an zentralen Stellen als Argument gegen die These der Absolut370
LEIBNIZ. An des Bosses (29. Mai 1716) (WIATER 279) GP II 517: „[…] ipsa aggregata nihil aliud sunt quam phaenomena, cum praeter monades ingredientes, caetera per solam perceptionem addantur, eo ipso dum simul percipiuntur.“
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heit des Raumes eingeführt. In Absetzung zu seiner Auffassung der Relation als abstrakt idealer Entität, behauptet Leibniz das Gegebensein einer akzidentellen Relation bzw. eines individuellen Akzidens. Leibniz weist damit auf ein Verständnis hin, das sich auf die Dinge unabhängig von ihren äußeren Verhältnissen beziehen soll. „Schließlich ist der Raum das, was sich aus allen Orten zusammengenommen ergibt. Und es ist gut dabei den Unterschied zwischen dem Ort und der Beziehung der Stelle (Lagebeziehung) des Körpers, der den Ort einnimmt, zu erwägen. Denn der Ort von A und B ist derselbe, während die Beziehung von A zu den fixierten Körpern nicht genau und individuell mit der Beziehung identisch ist, die B (das seinen Ort einnimmt) zu eben diesen fixierten Entitäten besitzt; vielmehr stimmen diese Verhältnisse nur überein. Denn zwei verschiedene Subjekte wie A und B können nämlich nicht dieselbe individuelle Beschaffenheit haben, da ein und dasselbe individuelle Akzidens sich weder in zwei Subjekten vorfinden, noch von Subjekt zu Subjekt hinüberwandern kann. Aber der Geist, mit dieser Übereinstimmung nicht zufrieden, sucht eine Identität, ein Ding, das wahrhaft dasselbe wäre, und er erfaßt sie wie etwas außerhalb dieser Subjekte; und das ist das, was man hier Ort oder Raum nennt. Indessen kann dies nur ideal sein; eine gewisse Ordnung enthaltend, in der der Geist eine Anwendung von Beziehungen begreift.“371
Die erwähnte individuelle Relation setzt bereits Leibniz’ gesamte Theorie der individuellen Substanz voraus, nach welcher die Substanz als Monade so zu verstehen ist, daß sie als Bewußtsein und Aktivität alle äußeren Verhältnisse aus ihrem eigenen Inneren produziert. Diese Theorie, die das Fundament der prästabilierten Harmonie darstellt, kann jedoch nur durch ein un371
LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 47, GP VII 400 f: „Enfin Espace est ce qui resulte des places prises ensemble. Et il est bon icy de considerer la différence qu’il y a entre la place et entre le rapport de situation du corps qui occupe la place. Car la place d’A et de B est la même, au lieu que le rapport d’A aux corps fixes, n’est pas precisement et individuellement le même que le rapport que B (qui prendra sa place) aura aux mêmes fixes; et ces rapports conviennent seulement. Car deux sujets differens, comme A et B, ne sauroient avoir precisement la même affection individuelle, un même accident individuel ne se pouvant point trouver en deux sujets, ny passer de sujet en sujet. Mais l’esprit non content de la convenance, cherche une identité, une chose qui soit veritablement la même, et la conçoit comme hors de ces sujets; et c’est ce qu’on appelle icy place et espace. Cependant cela ne sauroit etre qu’ideal, contenant un certain ordre où l’esprit conçoit l’application des rapports […].“
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endliches Wissen begründet werden. Das unendliche Wissen Gottes hat von allen möglichen Dingen einen Begriff – vor ihrer selbständigen Existenz – in welchem ihre gesamte Geschichte und alle ihre äußeren Beziehungen inbegriffen sind. Dieser Begriff ist die Grundlage der individuellen Substanz als Monade und damit des substantiellen und individuellen Relats der phänomenalen räumlichen Ordnung. „Alles, was der Seele und allgemein jeder Substanz zustößt, ist […] eine Folge ihres Begriffes. Also bringt die Idee selbst oder das Wesen der Seele es mit sich, daß alle ihre Erscheinungen oder Perzeptionen ihr lediglich [spontan] aus der eigenen Natur entstehen müssen, und zwar genau so, daß sie von selbst allen Ereignissen im gesamten Universum entsprechen, im besonderen aber in vollkommener Weise den Veränderungen des Körpers, der ihnen zugeordnet ist. Denn die Seele drückt in bestimmter Art und Weise und für eine bestimmte Zeit den Stand des Universums gemäß der Beziehung aus, die die anderen Körper zu dem eigenen haben. Dies läßt auch erkennen, inwiefern unser Körper uns zugehört, ohne doch mit unserem Wesen verknüpft zu sein.“372
Obgleich die Monade nicht im Raume angesiedelt werden kann, hat sie eine gewisse Beziehung zum Raum. Diese wird durch ihr Verhältnis zu ihrem eigenen Körper gestiftet. Leibniz bezeichnet sie deshalb auch als Perspektive. Damit ist jedoch kein externes, sondern ein internes Verhältnis ausgesprochen. „Die Monaden haben nämlich durch sich keinesfalls ein Lageverhältnis zueinander – [k]ein reales versteht sich, das über die Ordnung der Phänomene hinausginge. Jede einzelne ist gleichsam eine in gewisser Weise abgetrennte Welt und darin stimmen sie durch ihre Phänomene miteinander überein, ohne andere Übereinstimmung und Verknüpfung.“373 372
LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) (B&C* 382) §33, A VI 4 B 1582: „[…] tout ce qui arrive à l’ame et à chaque substance, est une suite de sa notion, donc l’idée même ou essence de l’ame porte que toutes ses apparences ou perceptions luy doivent naistre (sponte) de sa propre nature, et justement en sorte qu’elles répondent d’elles mêmes à ce qui arrive dans tout l’univers, mais plus particulierement et plus parfaitement à ce qui arrive dans le corps qui luy est affecté, parce que c’est en quelque façon et pour un temps, suivant le rapport des autres corps au sien, que l’ame exprime l’estat de l’univers. Ce qui fait connoistre encor, comment nostre corps nous appartient sans estre neantmoins attaché à nostre essence.“ 373 LEIBNIZ. An des Bosses (26. Mai 1712) GP II 444: „Monades enim per se ne situm quidem inter se habent, nempe realem, qui ultra phaenomenorum ordinem porriga-
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Ein reales und externes Verhältnis unter den Monaden ist dadurch ausgeschlossen, da vorausgesetzt ist, daß sie die externen Verhältnisse mittels ihrer inneren Perzeptionenstruktur in ihrer Abgeschlossenheit vorstellen. Für die damit ausgesprochene Harmonie aller in solcher Weise zu verstehenden fensterlosen Monaden ist die Annahme eines unendlichen Intellekts konstitutiv. „Denn der erste Verstand ist der Ursprung der Dinge; und selbst die Realität aller Dinge, ausgenommen der einfachen Substanzen, besteht im Grunde nur aus Perzeptionen der Phänomene der einfachen Substanzen.“374
Der damit in das System einzuführende Standpunkt des unendlichen Intellekts bedeutet auch, daß bereits in Aussagen, die im vorherigen als Belege für die Transzendentalität des Raumes angeführt wurden, dieser ebenfalls zu berücksichtigen ist. So z. B. wenn Leibniz sagt, daß Raum und Zeit ewige Wahrheiten sind, die gleichermaßen das Mögliche wie das Wirkliche umfassen375. Wenn dieser unendliche und sozusagen unperspektivische Standpunkt vorrangig und alleine für die Theorie des Raumes herangezogen wird, kann dies jedoch zu Verkürzungen in der Auslegung der Theorie führen376. Aus diesem Grund wurde er für die vorliegende Untersuchung bisher zurückgestellt. Für den menschlichen Intellekt sind die Relationen ideal. Für den göttlichen Intellekt ist, mit der Erkenntnis des vollständigen Begriffs einer individuellen Substanz gewissermaßen ihre Beziehung indirekt erkannt. Und in Bezug auf dessen Erkenntnisweise kann Leibniz beide unterschiedlichen Auffassungen über die Relation in Verbindung bringen. tur. Unaquaeque est velut separatus quidam mundus, et hi per phaenomena sua consentiunt inter se, nullo alio per se commercio nexuque.“; vgl. auch: ebd. 450 f 374 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 12 §3, (E&H I 183) A VI 6 145: „Car le premier entendement est l’origine des choses; et même la realité de toutes choses, excepté les substances simples, ne consiste que dans le fondements des perceptions des phenomenes des substances simples.“ 375 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 14 §26, A VI 6 154 376 Vgl. z. B. RESCHER. Introduction. A. a. O. 84 ff. In Reschers Analysen, die prinzipiell umfassend sind und eine konsistente und realistische Interpretation der Leibnizschen Metaphysik geben wollen, wird die Idealität als allgemeine und abstrakte Struktur der realen Vielheit interpretiert. Vgl. ebd. 85: „Time as well as space is derivative from the primitive characteristics of the individual monads.“
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„Die Relationen haben wie die Wahrheiten eine vom Geist abhängige Wirklichkeit, nicht jedoch vom menschlichen Geist, weil es einen höchsten Verstand gibt, der sie alle zu jeder Zeit bestimmt.“377
Für den endlichen Intellekt sind externe Relationen prinzipiell ideal. Dies muß auch für die göttliche Erkenntnis gelten, jedoch vermag dieser die realen Grundlagen der Relationen zu erkennen, so daß das ideale Verhältnis der Individuen dabei gelegentlich von Leibniz als reales Verhältnis angesprochen wird378. „Gott sieht nicht nur die einzelnen Monaden und die Modifikationen einer jeden Monade, sondern auch deren Beziehungen, und darin besteht die Realität der Beziehungen und Wahrheiten. Eine der ersten hiervon ist die Dauer oder die Ordnung der sukzessiven Dinge und die Lage oder die Ordnung der Koexistenz und den Zusammenhang oder die Wechselwirkung, wenn wir nämlich die Monaden in wechselseitiger idealer Abhängigkeit erfassen […].“379
Grundsätzlich müssen jedoch zwei Hinsichten unterschieden werden380. Das eine sind die vom Verstand hinzugefügten externen Relationen, das andere die internen Grundlagen.
377
LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 30 §4, (E&H I 477) A VI 6 265: „Les Relations ont une realité dependante de l’Esprit come les Verités; mais non pas de l’Esprit des hommes, puisqu’il y a une supreme intelligence qui les determine toutes de tout temps.“; vgl. auch: Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 41, GP VII 376: „Mais s’il n’y avoit point de creatures, l’espace et le temps ne seroient que dans les idées de Dieu.“ 378 Vgl. z. B. LEIBNIZ. De tempore locoque, duratione ac spatio (März 1689–März 1690) A VI 4 B 1641: „Tempus et Locus, seu duratio et spatium sunt Relationes reales, seu existendi ordines.“ 379 LEIBNIZ. An des Bosses (5. Februar 1712) GP II 438: „[…] Deus non tantum singulas monades et cujuscumque Monadis modificationes spectat, sed etiam earum relationes, et in hoc constitit relationum ac veritatum realitas. Ex his una ex primariis est duratio seu ordo successivorum, et situs seu ordo coexistendi, et commercium seu actio mutua, dum nempe concipitur Monadum dependentia invicem idealis […].“ 380 Vgl. zu Leibniz‘ Theorie der Relationen: MASSIMO MUGNAI. On Leibniz’s Theory of Relations. In: SL Sonderh. 15 (1988) 145-161. Mugnai weist (ebd. 146) für die alternative Auffassung der Realtion auf den nominalistischen Substanzbegriff bei Leibniz hin. Vgl. hinsichtlich der Reduktion relationaler Bestimmungen auf einstellige Prädikate im besonderen: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 309 ff
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„Obwohl indessen die Relationen dem Verstand angehören [aus dem Verstand stammen], sind sie nicht ohne Grund und Realität.“381
Eine der bekanntesten Stellen aus dem Briefwechsel mit Clarke, die auf die Relation direkt Bezug nimmt, wurde bereits erwähnt. Den ganzen Zusammenhang formuliert Leibniz folgendermaßen: „Ich will noch ein Beispiel von der Gewohnheit unseres Geistes geben, zu Eigenschaften, die nur in den Subjekten selbst Bestand haben, ein Etwas, das ihnen außerhalb der Subjekte entspricht, hinzuzudenken. Das Verhältnis oder die Proportion zwischen zwei Linien L und M kann man sich auf drei Weisen vorstellen: als Verhältnis der größeren (L) zur kleineren (M), als Verhältnis der kleineren (M) zur größeren (L) oder endlich als etwas von beiden Losgelöstes, d. h. als das Verhältnis zwischen L und M, ohne dabei zu erwägen, welches Glied das Vorhergehende oder Folgende, das Subjekt oder Objekt ist. Auf diese Art betrachtet man die Proportionen z. B. in der Musik. In der ersten Betrachtungsweise ist die größere Linie L, in der zweiten die kleinere M das Subjekt für dieses Akzidens, das die Philosophen als Verhältnis oder Beziehung bezeichnen. Was aber wird in dem dritten Sinne sein Subjekt sein? Man kann nicht sagen, daß alle beide, L und M zusammengenommen, das Subjekt für ein solches Akzidens bilden, denn wir hätten dann ein Akzidens in zwei Subjekten, das also gleichsam mit einem Fuße im einen, mit dem anderen im anderen Subjekt stände, was mit dem Begriff des Akzidens unvereinbar ist.“382
381
LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 12 §3, (E&H I 183) A VI 6 145: „Cependant quoyque les relations soyent de l’entendement elles ne sont pas sans fondement et realité.“ 382 LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 47, (B&C* 135) GP VII 401: „Je donneray encore un exemple de l’usage de l’esprit de se former, à l’occasion des accidens qui sont dans les sujets, quelque chose qui leur reponde hors des sujets. La raison ou proportion entre deux lignes L et M peut etre conçue de trois façons: comme raison du plus grand L au moindre M, comme raison du moindre M au plus grand L, et enfin comme quelque chose d’abstrait des deux, c’est à dire comme la raison entre L et M, sans considerer lequel est l’anterieur ou le posterieur, le subjet ou l’object. Et c’est ainsi que les proportiones sont considerées dans la Musique. Dans la premiere consideration, L le plus est le sujet; dans la seconde, M le moindre est la sujet de cet accident, que les philosophes appellent relation ou rapport. Mais quel en sera le sujet dans la troisieme sens? On ne sauroit dire que tous les deux, L et M ensemble, soyent le sujet d’un tel accident, car ainsi nous aurions Accident en deux sujets, qui auroit un jambe dans l’un, et l’autre dans l’autre, ce qui est contre la notion des accidens.“
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Ohne den bereits zitierten Schlußsatz, der die Bedeutung der Idealität der Relation für die Erkenntnis wiederum betont, zeigt sich eine ganz deutliche Verschiebung der Argumentation. Die Relation erscheint nunmehr als eine abstrakte und derivative Bestimmung. Ihr wird eine „akzidentelle Relation“ gegenübergestellt. Gegen die ideale Relation wendet Leibniz ein, daß es mit dem Begriff des Akzidens unvereinbar ist, in zwei Subjekten zugleich zu sein. Der Grund für die spezielle Auffassung der individuellen Relation als Akzidens liegt grundsätzlich in Leibniz’ nominalistischer Substanzauffassung begründet. Nach dieser kann im strengen Sinne überhaupt nicht von Akzidenzien ausgegangen werden383. Zum einen, weil die Relation, sofern sie a priori ist, niemals die reale, sondern nur die jeweils phänomenale Entität zu bestimmen vermag. Zum anderen, weil eine Substanz, wie dies bereits in der Auseinandersetzung mit dem Kraftbegriff deutlich wurde, als solche nicht in einem Verhältnis steht. Eine akzidentelle und individuelle Relation ist damit nur eine façon de parler. Relationen sind immer eine mentale Leistung. Ihre reale Grundlage sind nicht akzidentelle Relationen, sondern Modifikationen bzw. Prädikate. „Ich glaube, daß die Qualitäten nur Modifikationen der Substanzen sind und der Verstand die Relationen hinzufügt.“384 „Meine Meinung in Bezug auf Relationen ist, daß etwas anderes die Vaterschaft Davids und etwas anderes die Sohnschaft Salomons ist, jedoch die den beiden gemeinsame Relation etwas rein Mentales ist, dessen Fundament die Modifikationen der Einzelnen sind.“385
Es stellt sich nun die Frage, in welchem Sinne diese Erweiterung der Auffassung der Relation in die Theorie des Raumes eingegliedert werden kann. In einer Stelle aus einem Brief an de Volder gibt Leibniz einen Hinweis für die Beantwortung dieser Frage. 383
Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (20. September 1712) GP II 458: „Et omne accidens est abstractum quoddam, sola vero substantia est concretum.“; vgl. ebd. GP II 459 384 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 12 §3, (E&H I 183) A VI 6 145: „Je crois que les qualités ne sont que des modifications des substances et l’entendement y ajoute les relations.“ 385 LEIBNIZ. An des Bosses (21. April 1714) GP II 486: „Ita de Relationibus censeo, aliud esse paternitatem in Davide, aliud filiationem in Salomone, sed relationem communem utrique esse rem mere mentalem, cujus fundamentum sint modificationes singulorum.“
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„Die wesentliche Ordnung der Einzeldinge oder ihre Beziehung auf Raum und Zeit ist als eine Beziehung zwischen den Inhalten in Raum und Zeit – den nahen wie den entfernten – zu denken. Diese allumfassende Beziehung muß notwendig von jedem Einzelgliede ausgedrückt werden, so daß man in ihm das ganze Universum lesen könnte, wenn der Leser mit unendlich großem Scharfsinn begabt wäre.“386
Leibniz spricht hier von der wesentlichen Ordnung der Einzeldinge, was man im Sinne der realen Ordnung der Individuen zu verstehen hat. Er bezeichnet diese Ordnung daher auch als eine der Inhalte in Raum und Zeit. Daß diese Inhalte bzw. die damit letztlich intendierten Individuen nicht in einem realen Verhältnis stehen können wurde herausgestellt. Dennoch stehen sie in einem Verhältnis zu allen anderen Individuen ihrer Welt. Die Tatsache, daß eine jede Monade für Leibniz gerade alle anderen in ihrer inneren Perzeptionenstruktur repräsentiert – und somit ihre Phänomene, obgleich sie ein fensterloses Bewußtsein ist, mit denen aller anderen übereinstimmen – wird in obigem Zitat für die Charakterisierung ihrer inhaltlichen Individualität herangezogen. Es heißt, daß die allumfassende Beziehung von jedem Einzelglied solchermaßen ausgedrückt wird, daß in ihm das ganze Universum (indirekt) repräsentiert ist. Zwei Interpretationsschemata bieten für diesen Sachverhalt und in Bezug auf die Frage nach der Individualität der Substanz eine mögliche Verständnishilfe: Kaulbach hat Leibniz’ Argument der perspektivischen Repräsentation der Welt durch eine jede individuelle Entität als ein dialektisches Argument bezeichnet, welches durch die Negation der Totalität der Beziehungen die Einzelnen definiert387. Dieser Gedanke ist naheliegend, insbesondere 386
LEIBNIZ. An de Volder (1705) (B&C* 529) GP II 277 f: „Singularium Essentialis ordinatio seu relatio ad tempus et locum intelligenda est de relatione ad contenta in tempore et loco tam vicino quam remoto, quae a quovis singulari exprimi necesse est, ita ut in eo legi posset universum, si lector sit infinitae perspicaciae.“ 387 Vgl. KAULBACH. Die Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant. A. a. O. 30 ff, 36: „Indem nämlich das Denken des mathematischen Kontinuums die graduell verschiedenen Fälle als gleich vor dem mathematischen Gesetz ansieht, scheidet es unendlich viele individuelle Verschiedenheiten aus, welche in Wirklichkeit zwischen den realen Dingen bestehen. Daher muß es beim Übergang von der Idealität zur Realität negiert werden, damit das Individuelle wieder hergestellt wird: der dialektische Gegensatz gegen den Satz der Kontinuität ist damit gegeben. Die wirklichen Dinge sind diskret und unvergleichbar. Sie sind außerdem von Natur aus (φύσει) aufgeteilt, während die
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wenn man die Analogie zwischen der Perspektivität der Monade und der Funktion als Beziehungsknotenpunkt der universellen Relationalität mitberücksichtigt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Leibniz beide Aspekte in einer gewissen Verbindung sieht. Eine direkte Identifikation bzw. Integration der Funktion in das Innere der Substanz kann jedoch damit nicht gegeben sein, denn dies würde die Substantialität des Individuums in Frage stellen. Relational sind die Phänomene und nicht die Substanzen. Alternativ dazu bietet sich die Auslegung von Rombach an, der die Substanz gerade in Absetzung zur Funktion und als deren komplementäre ontologische Dimension herausstellt. Die Substanz ist Vernunft und Freiheit, darin ist sie das Zugrundeliegende und Selbsttätige. Sie ist unteilbar und unterschieden von anderen; letztlich indem sie von anderen nicht unterschieden werden kann388. Wie Rombach jedoch selbst bemerkt, läßt sich diese Interpretation nicht mit Leibniz’ Theorie der Monade vollständig zur Deckung bringen. Die in der Perspektivität der Monade enthaltene Beziehung auf das gesamte Universum und die vielfach geforderte inhaltliche Unterschiedenheit der Individuen, sind damit nicht vereinbar389. Zwar muß man festhalten, daß eine Unterscheidung (oder Vergleichung) von Individuen nur sinnlich und d. h. nur im Phänomenalen möglich ist, d. h. jedoch nicht umgekehrt, daß die Individuen keinen inhaltlichen Unterschied auf substantieller Ebene aufweisen, auch wenn dieser nicht durch Differenzbestimmungen definiert ist. Für Leibniz müssen die individuellen Entitäten inhaltlich verschieden sein. Es ist letztlich gerade diese ihre Individualität, die nach Leibniz allererst die Begründung für die Realität des Räumlichen garantieren kann, Teilung im mathematischen Kontinuum durch bloße Setzung (νόμῳ) geschieht: es bestehen z. B. unbestimmt viele Möglichkeiten, eine Strecke ins Endlose mathematisch zu unterteilen.“ 388 Vgl. ROMBACH. A. a. O. II 360 ff. Rombach bringt die Haecceität der Monade mit dem „Non aliud“ des Cusaners in Verbindung und führt darauf auch das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren zurück. Dieser auf den ersten Blick paradoxe Begründungszusammenhang hat seine Berechtigung darin, daß für Leibniz teilweise tatsächlich die Haecceität eine Unvergleichbarkeit bedeutet, zumindest aufgrund seines nominalistischen Ansatzes. 389 Vgl. ROMBACH. A. a. O. 373 ff. So weist Rombach auch darauf hin, daß die Repräsentation, d. h. die Perspektive, beiden ontologischen Dimensionen, der Funktionenund der Substanzontologie zuzuweisen ist. Er schließt daraus im späteren, daß dies die Identifikation von Phänomenologie und Monadologie zur Folge hätte, was Leibniz in dieser Konsequenz aber nicht bewußt gewesen sein soll.
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denn das Kontinuum des Raumes erfordert als reale Grundlage die Vielheit individueller Substanzen. „Die Entelechien müssen notwendig voneinander abweichen und dürfen einander nicht gänzlich ähnlich sein, ja sie müssen die Prinzipien der Verschiedenheit enthalten, da sie ja nach ihrem Gesichtspunkt das Universum verschieden zum Ausdruck bringen. Eben dies ist ihre eigentliche Aufgabe, damit sie ebensoviele lebendige Spiegel der Dinge oder ebensoviele konzentrierte Welten sind.“390
Wie Leibniz formuliert, müssen diese Substanzen innerlich von einander verschieden sein. Die Betonung des inneren Unterschiedes weist natürlich u. a. auch darauf hin, daß das In-Beziehung-Stehen der Monaden auf ihrer Spontaneität beruhen muß391. Die Beziehung unter den Monaden ist ideal, eine direkte Abhängigkeit besteht nur gegenüber Gott392. Die Harmonie, welche zwischen den in dieser Weise zu definierenden Monaden besteht und die man im Unterschied zur prästabilierten Harmonie der beiden Reiche als universelle Harmonie bezeichnen kann393, ist in der metaphysischen Ordnung fundamentaler, besonders, da jeglichem Materieaggregat eine Vielzahl von Monaden zugrunde liegt. „Ja, bei genauerer Erwägung der Sachlage ergibt sich, daß es in der Welt nichts als einfache Substanzen und in diesen Vorstellung und Streben gibt, daß dagegen Materie und Bewegung nicht sowohl Substanzen oder Dinge als vielmehr 390
LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) (B&C* 506) GP II 251 f: „Entelechias differre necesse est, seu non esse penitus similes inter se, imo principia esse diversitatis, nam aliae aliter exprimunt universum ad suum quaeque spectandi modum, idque ipsarum officium est ut sint totidem specula vitalia rerum seu totidem Mundi concentrati.“ 391 Es ist daher wie KAULBACH (a. a. O. 7 f) schreibt die Freiheit der vernünftigen Person, die bei Leibniz, wie bekanntermaßen bei Kant – und man muß hinzufügen, ähnlich schon bei Descartes –, die Problematik von Natur und Geist in tendenziell derselben Hinsicht zum Thema und zur Grundlage für die Behandlung des Raumproblems als Metaphysik des Raumes macht. 392 Vgl. LEIBNIZ. An des Bosses (5. Februar 1712) GP II 436: „Et Monas, ut anima, est velut mundus quidam proprius, nullum comercium dependentiae habens nisi cum Deo.“; vgl. An Arnauld (April 1687) GP II 94 393 Vgl. AARON GURWITSCH. Leibniz. Philosophie des Panlogismus. Berlin / New York 1974. 253 ff. Gurwitsch hat ausführlich dargelegt, inwiefern die prästabilierte Harmonie auf der Harmonie aller vorstellender Subjekte und d. h. der universellen Harmonie aufruht.
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bloße Erscheinungen der vorstellenden Subjekte sind, deren Realität in nichts andrem besteht, als in der Harmonie der vorstellenden Subjekte mit sich selbst (zu verschiedenen Zeiten) und in der Harmonie, die unter der Gesamtheit der vorstellenden Subjekte besteht.“394
Diese universelle Harmonie kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck als beim Raum, wo die Verwachsung der Teile zu einem Ganzen bzw. das Verhältnis aller Stellen zueinander so grundlegend mit der Selbständigkeit der vielen anzunehmenden Substanzen in Widerstreit zu geraten droht. Der Raum als relative Ordnung der Phänomene stellt hierbei die von der perspektivischen Monade erkennbare allgemeine Struktur der Dinge dar. Diese Dimension – d. h. die Phänomenalität – korrespondiert mit der realen Ordnung der Individuen, welche jedoch nur vom unendlichen Intellekt in ihrer eigenen Seinsweise erkannt werden kann395. Die prästabilierte Harmonie regelt das Verhältnis von äußerer und innerer Natur. Sie postuliert dabei die Korrespondenz beider Dimensionen. Es 394
LEIBNIZ. An de Volder (30. Juni 1704) (B&C* 523 f) GP II 270: „Imo rem accurate considerando dicendum est nihil in rebus esse nisi substantias simplices et in his perceptionem atque appetitum; materiam autem et motum non tam substantias aut res quam percipientium phaenomena esse, quorum realitas sita est in percipientium, secum ipsis (pro diversis temporibus) et eum caeteris percipientibus harmonia.“ 395 Mahnke, der sich – wie der Titel des zitierten Werkes anzeigt – mit diesem Zusammenhang auseinandergesetzt hat und eine sehr ausgewogene Interpretation vornimmt, schreibt hierzu (DIETRICH MAHNKE. Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. Halle 1925 (Nachdruck: Stuttgart-Bad Cannstatt 1964) 364: „In Wahrheit aber stellt Leibniz den Charakteren, die wissenschaftlich brauchbar sein wollen, die wichtige Bedingung, daß sie wenn auch nicht die Dinge selbst, so wenigstens die objektiven Relationen zwischen ihnen formal-äquivalent, also logisch treu wiedergeben. Diese Bedingung erfüllen die Sinnesempfindungen nicht, sie sind nur verworrene Symbole der wahren Wirklichkeit. Dagegen genügen die distinkten wissenschaftlichen Begriffe, namentlich die mathematisch-naturwissenschaftlichen, dieser Forderung durchaus. Mit ihrer Hilfe erlangen wir also nach Leibniz doch eine adäquate Erkenntnis der wirklich geltenden, objektiv-ideellen Beziehungen zwischen den Substanzen und damit (da Sein gleich Stehen-in-Beziehung ist) zugleich eines Hauptstücks des wahren Wesens der metaphysischen Wirklichkeit. Die ganze Innerlichkeit und volle Individualität der anderen Monaden kann ich allerdings so nicht erfassen und wirklichkeitsgetreu abbilden, sondern nur meiner eigenen Natur entsprechend in selbstgebildeten Charakteren repräsentieren; und insofern bleibt die menschliche Erkenntnis im Gegensatz zur göttlichen immer nur symbolischer statt intuitiver Art. Aber das hindert nicht, daß wir die universelle Gesetzlichkeit und begriffliche Form des Universums trotzdem adäquat erkennen.“
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handelt sich hierbei um dieselbe Struktur wie bei der Doppelontologie. Die Harmonie ist zu wesentlichen Teilen mit der Doppelontologie identisch. Die Eigenständigkeit der Dimensionen bedeutet jedoch nicht den Primat der Idealität bzw. Phänomenalität über die Realität. Speziell vom Standpunkt Gottes aus ist vielmehr der umgekehrte Fall anzunehmen. Primär ist, wie bereits gezeigt wurde, die wechselseitige Übereinstimmung der vorstellenden Substanzen. „Gesteht man mir also zu, daß es eine Unendlichkeit vorstellender Subjekte gibt, in deren jedem ein bestimmter gesetzlicher Fortschritt von Phänomenen vor sich geht, daß weiterhin alle diese verschiedenen Reihen von Erscheinungen untereinander übereinstimmen, und daß der gemeinsame Grund sowohl für die Existenz dieser Erscheinungen wie für ihre Übereinstimmung in der Sache gesucht werden muß, die wir Gott nennen, so ist das alles, was ich will und was man, wie ich glaube, in den Dingen vorauszusetzen hat.“396
In Bezug auf Raum und Zeit als Ordnungen gibt Leibniz in Folge dieser Vorraussetzung eine deutliche Rangfolge der Dimensionen seiner Metaphysik an: „Der ganze Begriff, den wir von einer zeitlichen und räumlichen Ordnung haben, gründet sich auf diese Übereinstimmung […].“397
Diese Stellen belegen deutlich, daß nach Leibniz die Ontologie der Substanzen nicht vollständig von der Definition des Raumes auszuschließen ist. Dieser Ordnung der Dimensionen entspricht auch Leibniz’ Definition des Begründungsverhältnisses von Individualität und raumzeitlicher Position, das für die Klärung des Raumbegriffes von zentralem Interesse ist. „Es ist immer nötig, daß es außer dem Unterschiede von Ort und Zeit auch ein inneres Unterscheidungsprinzip gibt, und wenn es auch mehrere Dinge der gleichen Gattung gibt, so trifft es dennoch zu, daß es unter ihnen niemals vollkommen ähnliche gibt. Obgleich uns derart Zeit und Ort (das heißt die Beziehungen auf die Außenwelt) dazu dienen, die Dinge zu unterscheiden, welche 396
LEIBNIZ. An de Volder (21. Januar 1704) (B&C* 517) GP II 264: „Et si quis mihi concedat, infinita esse percipientia, in quibus lex sit certa progressus phaenomenorum diversorumque phaenomena conspirare inter se, rationemque et existentiae horum et conspirationis esse communem in ea re quam Deum dicimus, nihil aliud ego vel pono in rebus vel ponendum puto.“ 397 LEIBNIZ. An Arnauld (September 1687) (B&C* 429) GP II 115: „Toute la notion que nous avons du temps et de l’espace est fondée sur cet accord […].“
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wir nicht gut aus sich heraus unterscheiden können, so bleiben die Dinge doch in sich unterscheidbar. Der genaue Begriff der Identität und der Verschiedenheit besteht also nicht in Zeit und Ort, obwohl es zutrifft, daß die Verschiedenheit der Dinge mit einer solchen von Zeit und Ort verbunden ist, weil sie verschiedene Eindrücke auf die Sache nach sich ziehen. Man könnte eher sagen, daß man durch die Dinge einen Ort oder eine Zeit von anderen Orten oder Zeiten unterscheiden müsse, weil sie selbst [die Orte und die Zeiten] untereinander vollkommen ähnlich sind, aber keine Substanzen oder vollständigen Realitäten darstellen.“398
Wie Leibniz hier deutlich ausspricht, vermögen die Orte keine Individuen zu konstituieren, da sie an sich selbst ununterscheidbar sind. Erst die vollständige Realität der Substanz kann das Prinzip der Individuation als ein inneres Unterscheidungsprinzip der Seienden verbürgen. Daß es individuelle, und d. h. unterschiedene Entitäten gibt, wird von Leibniz einleitend dadurch belegt, daß es vollkommen ähnliche bzw. identische Seiende in der Natur nicht gibt. Leibniz bezieht sich hierbei auf sein Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (principium identitatis indiscernibilium). Dies ist ein Grundaxiom, das Leibniz gerade auch im Briefwechsel mit Clarke an zentraler Stelle immer wieder anführt, z. B. wenn es heißt: „es gibt keine zwei ununterscheidbaren Einzeldinge“399 bzw. „zwei ununterscheidbare Dinge setzen, heißt dieselbe Sache unter zwei Namen setzen“400. Ein nur numerischer Unterschied, der dadurch ausgeschlossen ist, würde bedeuten, daß sich die Dinge völlig ähnlich und damit identisch wären. Sie unterscheiden 398
LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 27 §1, (E&H I 391 f) A VI 6 230: „Il faut toujours qu’outre la difference du temps et du lieu, il y ait un principe interne de distinc tion, et quoiqu’il y ait plusieurs choses de même espece, il est pourtant vrai qu’il n’y en a jamais de parfaitement semblables: ainsi quoique le temps et le lieu (c’est à dire le rapport au dehors) nous servent à distinguer les choses, que nous ne distinguons pas bien par elles mêmes, les choses ne laissent pas d’estre distinguables en soi. Le precis de l’identité et de la diversité ne consiste donc pas dans le temps et dans le lieu, quoiqu’il soit vrai, que la diversité des choses est accompagnée de celle du temps ou du lieu, parce qu’ils amenent avec eux des impressions differentes sur la chose. Pour ne point dire que c’est plustot par les choses qu’il faut discerner un lieu ou un temps de l’autre: car d’eux mêmes ils sont parfaitement semblables, mais aussi ce ne sont pas des substances ou des realités completes.“ 399 LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 4, GP VII 372: „Il n’y a point deux indivdus indiscernables.“ 400 LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 6, GP VII 372: „Poser deux choses indiscernables, est poser la même chose soux deux noms.“
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sich aber auch nicht durch ihre Position im Raum (und in der Zeit) – auch wenn für den endlichen Intellekt dies die einzig direkte Unterscheidungsmöglichkeit darstellt –, denn diese sind nur abstrakte und äußerliche Bestimmungen, weshalb für ihre phänomenale Verschiedenheit gerade das Individuationsprinzip als innerliches gefordert wird. Die raumzeitliche Position ist damit nicht Prinzip, sondern Indiz der Individuation. Wenn Leibniz ausführt, daß die unterschiedlichen Positionen verschiedene Eindrücke auf die Seele nach sich ziehen, so darf man dies nicht gegenteilig verstehen. Orte und Zeitpunkte sind an sich selbst betrachtet abstrakt. „Die Teile der Zeit und des Ortes sind an und für sich etwas Ideelles, gleichen sich daher vollkommen wie zwei abstrakte Einheiten. Anders verhält es sich dagegen mit zwei konkreten Einheiten, zwei tatsächlichen Zeiten oder zwei erfüllten, d. h. wahrhaft wirklichen Räumen.“401
Wenn der menschliche Intellekt zu einer Erkenntnis, die diese Tatsache direkt und unvermittelt zum Gegenstand hat, auch nicht fähig ist, so folgt doch aus dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren die grundlegende Bedeutung der Individualität der Substanz für die Theorie des Raumes. Denn daß es Substanzen geben muß, wurde von Leibniz gerade auch für eine konsistente relationale und phänomenale Theorie des Raumes dargelegt. Substanzen müssen jedoch individuell sein. „Wenn zwei Individuen vollkommen ähnlich und gleich sind und (mit einem Worte) an sich selbst ununterscheidbar wären, so gäbe es für diese kein Prinzip der Individuation. Und ich wage sogar zu sagen, daß es unter dieser Bedingung keine individuelle Unterscheidung oder verschiedene Individuen gibt.“402
401
LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 27, (B&C* 127) GP VII 395: „Les parties du temps ou du lieu, prises en elle même, sont des choses ideales; ainsi elles se ressemblent parfaitement, comme deux unités abstraites. Mais il n’en est pas de même de deux Uns concrets, ou de deux temps effectifs, ou de deux espaces remplis, c’est à dire, veritablement actuels.“; vgl. auch: ebd. 57, GP VII 405: „[…] le temps […] [et] la place […] n’ont rien de reel en eux à part, et rien de determinant, ou même rien de discernable.“ 402 LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 27 §3, (E&H I 393) A VI 6 230: „Si deux individus étoient parfaitement semblables et égaux et (en un mot) indistinguables par eux mêmes, il n’y auroit point de principe d’individuation; et même j’ose dire, qu’il
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Die vorsichtige Formulierung darf nicht darüber hinweg täuschen, daß der Schluß, der gegeben wird, unmittelbar und notwendig aus den Voraussetzungen folgt. Denn der Raum, der phänomenale wie der ideale, kann die Dinge nicht differenzieren, sondern nur ihre Verschiedenheit phänomenal zum Ausdruck bringen. Die eben zitierte Stelle folgt in den Nouveaux Essais auf den Hinweis des Gesprächspartners, indem es heißt, daß das Prinzip der Individuation in der Existenz liegt, die jedes Seiende an eine Position des Raumes und der Zeit bindet, und die nicht von zweien geteilt werden kann. Daraufhin formuliert Leibniz gerade die eben erwähnte Erläuterung, daß nämlich das Prinzip der Individuation auf einen inneren Unterscheidungsgrund zurückgehen muß. Im Briefwechsel mit Clarke wird in diesem Zusammenhang auch das Prinzip vom zureichenden Grund regelmäßig herangezogen403. Der Satz vom Grund verbürgt einerseits die logische Vollständigkeit des Begriffs des Individuums. Andererseits fordert dieses Prinzip aber auch, daß nur innerlich unterschiedene Seiende den Grund für phänomenale Verschiedenheit garantieren können. Für die göttliche Erkenntnis bzw. für die göttliche Wahl der Individuen bezüglich ihrer Erschaffung, formuliert Leibniz dies folgendermaßen404: „Aus der Gleichförmigkeit des Raumes folgt, daß es weder einen inneren noch einen äußeren Grund gibt, um die Teile voneinander zu unterscheiden und aus ihnen zu wählen. Denn der äußere Unterscheidungsgrund kann nicht gen’y auroit point de distinction individuelle ou de differens individus à cette condition.“ 403 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 13, GP VII 373; vgl. insbesondere auch den Zusammenhang zwischen dem Prinzip des zureichenden Grundes und dem der Identität des Ununterscheidbaren: Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 25 f, GP VII 394 f: „(25) Quand je nie qu’il y ait deux gouttes d’eau entierement semblables, ou deux autres corps indiscernables, je ne dis point qu’il soit impossible absolument d’en poser; mais que c’est une chose contraire à la sagesse divine; et qui par consequent n’existe point. (26) J’avoue que si deux choses parfaitement indiscernables existoient, elles seroient deux. Mais la supposition est fausse, et contraire au grand Principe de la raison.“ 404 Für den göttlichen Intellekt gilt prinzipiell, daß er nicht von äußeren, sondern nur von inneren Gründen in seiner Erkenntnis der Dinge bestimmt sein kann. Der Begriff eines möglichen Individuums bedingt – zusammen mit denen aller anderen – alleine seine Wahl. Vgl. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 20, GP VII 374: „Dieu n’est jamais determiné par les choses externes, mais toujours par ce qui est en luy, c’est a dire, par ses connoissances, avant qu’il y ait aucune chose hors de luy.“
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geben sein, außer in dem er in einem inneren begründet ist; ansonsten ist das ein Unterscheiden des Ununterscheidbaren, oder ein Wählen ohne unterscheiden.“405
Aus den Darlegungen folgt, daß es ein inneres Prinzip der Individuation geben muß, welches nicht anhand der Verbindung der Substanz mit der äußerlichen und phänomenalen Natur erklärt werden kann, sondern gerade deshalb als innerlich angenommen werden muß, weil die Relativität des Raumzeitlichen einer substantiellen Grundlage bedarf, welche die individuelle Verschiedenheit der Substanzen miteinbezieht. Der unendliche Intellekt alleine vermag diese Individuen adäquat zu erkennen. Seine Erkenntnis bezieht sich dabei aber auf die Realität der Dinge und begründet diese allererst. „Die Teile des Raumes sind nur durch die darin enthaltenen Dinge bestimmt und unterschieden […]. Ohne alle Dinge aber enthält der Raum nichts Bestimmendes, ja ist alsdann nichts wirkliches.“406
Leibniz spricht hier aus, daß es ohne individuelle Substanzen auch keinen Raum geben würde. Wie man aus dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren folgern muß, kann nur in einer Verschiedenheit der Substanzen der Grund für ihre Vielheit gegeben sein. Diese Tatsache zeigt die enge Verbindung des Individuums mit dem Kontinuum des Raumes auf, das als seine konstitutive reale Dimension die aktuale Unendlichkeit von Substanzen fordert. Wie diese Individualität von Leibniz näherhin definiert wird, wird im weiteren einer separaten Untersuchung bedürfen. Zuvor sollen noch einige Ausführungen zum Raum und zur Unendlichkeit im Rahmen des Kontinuumproblems gegeben werden.
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LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 18, GP VII 374: „L’uniformité de l’espace fait qu’il n’y a internal ny ex ternal reason, pour en discerner les parties et pour y choisir. Car cette raison externe de discerner l’indiscernable, ou c’est choisir sans discerner.“ 406 LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 67, (B&C* 142) GP VII 407: „Les parties de l’espace ne sont determinées et distinguées que par les choses qui y sont […]. Mais l’espace pris sans les choses, n’a rien de determinant, et même il n’est rien d’actuel.“
4. Die Dimensionalität des Raumes Wie die Analyse der Definitionen des Raumes gezeigt hat, ist Leibniz’ Raumtheorie mehrschichtig407. Die systematische Einheit, die Leibniz intendiert, kann vom Rahmen der Untersuchung nur philosophisch gegeben werden. Einerseits ist der Raum eine transzendentale Bedingung. Andererseits bezieht er sich auf reale individuelle Substanzen. Eine mathematische fundierte Theorie des Raumes läßt sich auf Grund dieser weiteren Vorraussetzungen, die zur umfassenden Raumtheorie bei Leibniz notwendig gehören, nicht konstruieren. Die Anzahl der Koordinaten, die nötig sind, um einen Punkt im Raum eindeutig zu bestimmen, wird seine Dimensionenzahl genannt. In der analytischen Geometrie wird dieses Wertsystem mittels der Koordinaten x, y, z definiert. In der Differentialgeometrie, in der ein Punkt im Raum durch ein Wertsystem von Funktionen bestimmt wird, wird die Dimensionenzahl durch die für die Bestimmung eines Punktes notwendige Zahl der Funktionen definiert. Der damit gegebene Raum kann n-dimensional sein408. Nach Leibniz’ Definition ist der geometrische Raum dreidimensional, denn es wird, wie er sagt, in der Geometrie bewiesen, daß es nur drei Dimensionen gibt409. Er vertritt auf Grund der Vorraussetzung, daß in einem Punkt nur drei aufeinander senkrecht stehende Linien möglich sind einen euklidischen Raum. Vom Standpunkt nicht-euklidischer Geometrie aus ist dies ein Zirkelschluß, insofern der Raum mit Null-Krümmung, der hierfür angenommen wird, nicht voraussetzungslos ist. 407
Die im vorherigen dargelegte Unterscheidung der „Raumarten“ bei Leibniz, d. h. des geometrischen, des physikalischen und des philosophischen findet eine gewisse Entsprechung in der Theorie der Raumarten bei Hartmann (NICOLAI HARTMANN. Philosophie der Natur. Berlin 1950; vgl. GOSZTONYI. A. a. O. II 980-989); dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Leibniz die Unterscheidungen nicht in diesem strengen Sinne durchführt – letztlich durch die Begründung der individuellen Substanz aus dem göttlichen Wissen, wobei die idealen Prinzipien zu realitätsbegründenden werden. Es mußten jedoch trotzdem Unterscheidungen von Ontologien angenommen werden, wie sie ähnlich in Hartmanns „Sphärenunterschieden“ Anwendung finden. 408 Vgl. GOSZTONYI. A. a. O. II 1064 409 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 21: „[…] vocantur longitudo, latitudo, profunditas. Vocantur dimensiones, et in Geometria ostenditur non nisi tres dari.“
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Andererseits ist Leibniz’ Raum, wenngleich nicht der genuin geometrische, wesentlich mehrdimensional410. Inhaltlich wie formal hat Leibniz mit der Konzipierung der Funktionalität der Wissenschaften diese vertreten und muß als einer ihrer Wegbereiter aufgefaßt werden411. Ein Leibnizscher Körper hat mehr als die drei „geometrischen“ Dimensionen. Die Schrift De analysi situs stellt den Entwurf einer abstrakten Geometrie dar. Es ist Leibniz sehr wohl bewußt, daß die Entitäten in noch weiterem Sinne bestimmt sind. Die zusätzlichen Bestimmungen, z. B. der Kräfte, der Masse und die weiteren Qualitäten, die erst in maximaler Erfassung die relative Position eines Körpers bedingen, werden von Leibniz berücksichtigt412. Außerdem steht die Dimension der Zeit, sowohl in der abstrakten Definition der Stelle, als auch auf Grund der Funktionalität physikalischer Entitäten – nach Leibniz ist kein realer Körper jemals ohne Bewegung413 – in konstitutiver Verbindung mit den „räumlichen“ Dimensionen. Leibniz hat diese Erkenntnisse nicht in eine Geometrie im modernen Sinne transformiert bzw. die alternative Begründung des Parallelenaxioms nicht geleistet. Mit der abstrakten Definition des Raumes als Ordnung des Koexistierenden steht er aber nicht im Gegensatz zur modernen Geometrie, er hat damit vielmehr erst die begrifflichmathematische Grundlage für diese geschaffen414. Mit der Analysis der Lage wäre Leibniz die prinzipielle Möglichkeit gegeben, den Raum, der als reine Beziehung aufgefaßt wird, mehrdimensional zu
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Vgl. zu Leibniz’ Ansätzen einer Differentialgeometrie und ihre Beziehung zu späteren Entwürfen: CASSIRER. Substanzbegriff und Funktionsbegriff. A. a. O. 88 ff 411 Die Mehrdimensionalität des Raumes, z. B. bei Riemann, beruht auf der Zuordnung von n-Arten von Funktionen, zusätzlich zu den drei Koordinaten eines Inertialsystems. Vgl. GOSZTONYI. A. a. O. I 480 f 412 Vgl. ROMBACH. A. a. O. II 312 f. Rombach sieht hierin bei Leibniz eine Weiterentwicklung seiner teilweise eigenen Interpretation der Dimensionenlehre Descartes und der Potenzlehre Pascals. Diese findet bei Leibniz ihre Ausarbeitung in der scientia generalis als Wissenschaft der Ordnungen. 413 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Specimem dynamicum (1695) GM VI 236 414 Vgl. RESCHER. Metaphysics of Nature. A. a. O. 96: „Leibniz would surely have been neither surprised nor dismayed of non-Euclidian geometries, and […] he would have had no difficulty in assimilating such a diversity of spatial structures to his own theory of space.“
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formulieren415. Aber auch hier gibt er die gegenteilige „eingeschränkte“ Definition; folgendermaßen: „Aus vier Punkten, die nicht in dieselbe Ebene fallen, resultiert der absolute Raum.“416
Da Leibniz hier nicht den geometrischen Raum im besonderen, sondern den absoluten Raum zu definieren vorgibt, stellt sich umsomehr die prinzipielle Frage, weshalb er an der Dreidimensionalität festgehalten hat. Vollständig beantworten kann man solcherlei wissenschaftshistorische Fragen ohne Hinzunahme der relevanten fachspezifischen Zusammenhänge nicht. Folgende Aspekte können jedoch u. U. für das Verständnis hilfreich sein: Die zitierte Definition stammt tatsächlich nicht aus einer speziellen Arbeit zur Analyse der Lage, sondern aus den – zumindest dem Titel nach – sehr allgemein angelegten Initia rerum mathematicarum metaphysica. Der physikalische Raum ist, wie gezeigt wurde, auch bei Leibniz, wollte man ihn rekonstruieren, nicht mit drei Dimensionen ausreichend darstellbar. Es scheint demnach, daß sich Leibniz mit dem hier definierten absoluten Raum teilweise auf den faktischen „Anschauungsraum“ bezieht. Dieser ist dreidimensional und die Tatsache seiner Dreidimensionalität ist hinzunehmen und dennoch zu begründen. Eine Begründung für die Dreidimensionalität gibt Leibniz. Eine alternative Mehrdimensionalität ist gerade, wie es neuere Modelle zeigen, nicht mehr anschaulich. Die Beschränkung auf drei Dimensionen wäre für Leibniz – wohl wissend, daß seine Theorie des Raumes als reine Beziehung von Lagen mehr als drei Werte in Beziehung setzt – demnach gar nicht sinnvoll, wenn er den Raum der Erscheinungen erklären will. Hartmann hat eine ähnliche Begründung für die Dreidimensionalität des Raumes gegeben, die überdies in noch einem weiteren Aspekt direkt auf Leibniz Bezug nimmt417. Diese Begründung wird von Leibniz so nicht gegeben, enthält jedoch ein interessantes Argument. Die Dreidimensionalität ist – nach dem Prinzip der Ökonomie – die minimalste Voraussetzung für die 415
So sind z. B. Leibniz’ Definitionen (LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 25: „Situs quaedam coexistendi relatio est inter plura […].“; ebd. 18: „Situs est coexistentiae modus.“) offen für eine Erweiterung der Dimensionenzahl. 416 LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GP VII 21: „Ex quatuor punctis non in idem planum cadentibus prosultat Spatium abso1utum.“ 417 Vgl. NICOLAI HARTMANN. A. a. O. 87 f; vgl. GOSZTONYI. A. a. O. II 1076 f
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verhältnismäßig maximalste Mannigfaltigkeit der Körperwelt und ihrer Bewegungen. M. a. W. Länge, Breite und Tiefe ermöglichen eine einfache und doch ausreichende Voraussetzung für die Erklärung der Erscheinungen418. Eine weitere Frage, nämlich die nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit des Leibnizschen Raumes kann erst im folgenden Kapitel beantwortet werden. Diese Frage stellt sich in modernen Untersuchungen meist als Ausgangspunkt des Versuchs, eine historische Position in ein einfaches Schema einzuordnen. Dies geschieht angesichts der Entwicklung, die vom geschlossenen Weltgebäude der Antike und des Mittelalters über das unendliche Universum der Neuzeit in letzter, standardisierter Form zu Einsteins (gekrümmter, geschlossener) endlicher und unbegrenzter Raum-Zeit führte. Ein Vergleich, z. B. mit Einstein, ist auf Grund des Fehlens einer mehrdimensionalen Geometrie bei Leibniz nicht adäquat möglich und setzt zumindest voraus, daß von den spezifisch metaphysischen Voraussetzungen bei Leibniz abgesehen werden muß419.
418
Vgl. dazu auch: LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GP VII 28: „Datis quatuor punctis in idem planum non cadentibus resultat profundum, seu id in quo sumi potest aliquid quod Terminus non est, seu quod non potest ei esse commune cum altero nisi pro parte in ipsum immerso.“ Die Tiefendimension des Raumes kommt in den sonstigen Definitionen als Ordnung des Beisammen nicht in dieser Weise zur Geltung. Sie ist zwar mit der aktualen Unendlichkeit der Elemente des „realen Raumes“ intendiert, wird aber durch die Erfaßbarkeit derselben anhand der Ordnungsstrukturen des Zugleich- bzw. Nebeneinaderseins nicht eigens thematisiert. Vgl. zur Unendlichkeit der Tiefendimension des Raumes: HEDWIG CONRADMARTIUS. Der Raum. München 1958. 72 ff 419 Vgl. für die Möglichkeit eines Vergleichs von Einsteins relativistischer Theorie der Raum-Zeit und Leibniz’ relativer Auffassung in mathematisch-physikalischer Hinsicht: EARMAN. Leibniz and the Absolute vs. Relational Dispute. A. a. O.; hinsichtlich der metaphysischen Grundlagen und einer diesbezüglichen Unvergleichbarkeit: RESCHER. Introduction. A. a. O. 84: „[…] Leibniz’s thesis that „space is relative to things in it“ relates to the perspective of various alternative possible worlds taken as a whole.“
5. Das Kontinuum des Raumes und die Weisen des Unendlichen Eine Untersuchung des Begriffs des Unendlichen bei Leibniz kann ohne zu Hilfenahme der Mathematik und ihrer Geschichte sicher nicht vollständig durchgeführt werden. Aber auch eine mathematische Untersuchung ist bei Leibniz unzureichend, da er ein mehrschichtiger Denker war420. Eine Zuordnung seiner Position zu modernen mathematischen Theorien des Unendlichen und des Kontinuums ist damit prinzipiell nur unter Vorbehalt möglich421. Schon in der Frühzeit hat Leibniz einen unendlichen Raum vertreten. Die spezielle Bestimmung dieser Unendlichkeit hat sich aber im Laufe der Jahre gewandelt. So schreibt er z. B. in Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum, nachdem er einen vollkommenen Beweis für die Unendlichkeit des Raumes fordert – obgleich die Wirklichkeit dieser Unendlichkeit und damit die Möglichkeit eines Beweises vorausgesetzt sind422 –, folgendes:
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Vgl. BREGER. Leibniz, Weyl und das Kontinuum. A. a. O. 316 ff. Breger weist auf diesen Aspekt hin, den er zu vereinfachten mathematischen Bezugnahmen auf Leibniz’ Thesen gegenüberstellt. Er betont aber auch, inwieweit namhafte moderne Mathematiker (hier: Russel, Gödel, Weyl) Anleihen bei Leibniz gemacht haben. 421 So hat z. B. BREGER (Leibniz, Weyl und das Kontinuum. A. a. O.) den Versuch unternommen Leibniz im Sinne des Intuitionismus Weyls konsistent zu deuten, wodurch das Kontinuum als potentiell unendlich zu charakterisieren ist. Die Gegenposition vertritt – in der bisher umfassendsten Untersuchung zu diesem Thema – ANAPOLITANOS (a. a. O.), der die cantor-dedekindsche Theorie des Kontinuums in der Konzeption der aktualen Unendlichkeit angelegt sieht. 422 Vgl. LEIBNIZ. Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 584: „Spatium et tempus esse infinita quaerenda demonstratio perfecta.“; in dieser frühen Schrift findet sich bereits das Argument zur Unterscheidung von Raum und Zeit, das Leibniz in den Nouveaux Essais (Nouveaux Essais (1704) II 15 §11, A VI 6 155) anführt. Vgl. ebd. (A VI 3 584): „Dicere tempus fuisse sine rebus, est nihil dicere, quia eius temporis quantitas per nullam notam determinari potest. [...] Magnum discrimen inter tempus et lineam, intervallum inter duos status momentaneos inter quos nihil intercessit nullo posset modo determinari, nec dici potest quot res interjici potuerint, cur enim non plures. Quod non est in spatio, ut si globus sit intus vacuus. Itaque quae in tempore inter quae nihil [intercedit], ea se tangunt, quod non est in spatio ob situm.“
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„Daß der Raum unendlich ist, wird besonders dadurch bewiesen, daß, wie beschaffen er auch immer angenommen wird, es keinen Grund gibt, warum er nicht größer geschaffen sein sollte. Es ist aber offensichtlich, daß kein Grund angegeben werden kann, weil die höchste Gleichartigkeit in ihm ist und seine Existenz anderen Dingen nicht widerstreitet. Daraus ist offensichtlich, daß etwas geschaffen werden mußte, weil etwas geschaffen worden ist, und weil es keinen Grund gibt die Quantität zu bestimmen oder zu begrenzen, wird es so groß sein, wie es maximal sein kann oder absolut unendlich“423
Leibniz argumentiert hier aufgrund der zu dieser Zeit schon teilweise entwickelten Lehre der möglichen Welten und deduziert die absolute Unendlichkeit des Raumes letztlich aus dem Begriff der Schöpfung und der Vollkommenheit der ersten Ursache. Dieser Gedanke ist möglich, weil der Raum dabei in gewisser Weise als Welt gedacht wird424. Diesen Aspekt wird er im späteren nicht mehr in dieser unvermittelten Weise mit der Unendlichkeit eines homogenen Raumes in Verbindung bringen. Das wurde bereits an der Problematik deutlich, die sich durch eine solche Verbindung als Frage nach der Seinsweise dieses Raumes stellt. Die hier noch relativ vermischten Argumente werden, wie bereits gezeigt wurde, im folgenden unterschieden. Es ist einerseits ein homogener und potentiell unendlicher idealer Raum425, und andererseits eine ontologisch reale diskrete Vielheit als aktuale 423
LEIBNIZ. Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 585: „Spatium esse infinitum vel hinc demonstratur, quia quaelcunque ponantur nulla est ratio cur non factum sit majus. Nullam autem rationem reddi posse patet, quia summa in eo homogeneitas, et eius existentia aliis rebus non obstat. Aliquid faciendum fuisse ex eo patet quia aliquid factum est, et quia nulla ratio determinans quantum, seu limitans, erit quantum maximum esse potest seu absolutum infinitum.“ 424 Vgl. LEIBNIZ. Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 584; Burbage und Couchan (BURBAGE / CHOUCHAN. Leibniz et l’infini. A. a. O. 39-44) machen den Einfluß Pascals für die These der Unendlichkeit der Welt bei Leibniz geltend. Prinzipiell ist die Frage nach der Unendlichkeit oder Endlichkeit des Raumes für Leibniz eine letztlich nur metaphysisch zu entscheidende Frage. Vgl. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 30, GP VII 396: „Absolument parlant, il paroist que Dieu peut faire l’univers materiel fini en extension, mais le contraire paroist plus conforme à sa sagesse.“ 425 Vgl. z. B. LEIBNIZ. An des Bosses (21. Juli 1707) GP II 336: „Spatium per se est indeterminatum ad quascunque possibiles divisiones […].“; An des Bosses (31. Juli 1709) GP II 379: „Unde [spatium] indefinitum est quiddam, ut omne continuum cujus par-
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Unendlichkeit anzunehmen. Man kann folglich – und dies korrespondiert wiederum mit Leibniz’ Diktum der Unterscheidung ontologischer Dimensionen für das Kontinuum – das abstrakt mathematische Kontinuum und die diskrete Vielheit realer Entitäten prinzipiell unterscheiden. Somit vermeidet man die in solchen Zusammenhängen regelmäßig auftretenden Antinomien, die Leibniz mit dem Titel des Labyrinths des Kontinuums belegt hat, d. h. man operiert mit unterschiedlichen „Räumen“. Die unendliche Teilbarkeit ist dabei als operationaler Begriff zu verstehen. Sie gilt nur für den abstrakten Raum, den Leibniz ideal nennt. Punkte und Begrenzungen höherer Dimensionenzahl sind nur als Grenzen bzw. Grenzoperationen möglich. Demgegenüber sind Punkte als null-dimensionale Entitäten keine möglichen Konstituentien des Kontinuums. Wenn man diese dennoch in irgendeiner Weise aufzufassen versucht – wie etwa mit Leibniz als symbolische Repräsentanten monadischer Realität –, dann muß man ihnen eine eigene Dimension zuschreiben. Genau das hat Leibniz getan, wenn er in einfacher Weise eine Lösung des Problems angibt. Diese strenge Unterscheidung bietet nun direkt keinerlei Ansatzpunkt für die Behandlung der These der aktualen Unendlichkeit in mathematischer Weise. Auch die Möglichkeit – wie z. B. im Verständnis der Theorie des Kontinuums durch Bernoulli –, daß Leibniz das Kontinuum als Menge aktual unendlich vieler infinitesimaler Größen bzw. Glieder zusammensetzt426, wurde zur Genüge widerlegt. Das Kontinuum baut sich nicht aus Teilen oder Punkten auf. Es ist selbst ein Grundbegriff. Es geht als Ganzes seinen Teilen voraus und ist als Ganzes nur als Ideales denkbar. Die Teile sind in ihm nur der Möglichkeit nach. „Richtig gesagt gibt es zwar eine Unendlichkeit von Dingen, d. h. es gibt immer mehr, als man angeben könnte. Aber es gibt keine unendliche Zahl, noch eine unendliche Linie oder andere Quantität, wenn man sie als wahrhaft Ganze nimmt, wie leicht bewiesen werden kann. Das wollte die Scholastik wohl sagen (oder hätte sagen sollen), als sie ein (nach ihrer Sprache) synkategorematisches und kein kategorematisches Unendliches zuließ. Streng genommen ist wahre
tes non sunt actu, sed pro arbitrio accipi possunt, aeque ut partes unitatis seu fractiones.“ 426 In heutiger Terminologie entspräche dies einem aktual unendlichen nicht archimedischen Zahlensystem. Vgl. BREGER. Leibniz, Weyl und das Kontinuum. A. a. O. 320.
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Unendlichkeit nur im Absoluten, das vor jeder Zusammensetzung besteht und nicht durch Addition der Teile gebildet wird.“427
Leibniz erläutert hier in den Nouveaux Essais wie auch in den Briefen an des Bosses seine Definitionen des Unendlichen anhand der Begriffe kategorematisch und synkategorematisch. Ein kategorematisches Unendliches, d. h. ein reales Ganzes wirklicher Teile ist nicht möglich. Ein synkategorematisch Unendliches ist hingegen möglich. Synkategorematisch sind Aussagen bzw. Sachverhalte, die nicht für sich alleine sondern nur zusammen mit anderem sinnvoll und möglich sind; d. h. hier, daß ein Unendliches möglich ist, sofern es auf faktisch endliche Größen Bezug nimmt, die jedoch unendlich fortsetzbar sind. Diese Bestimmung ist identisch mit der Bedeutung des Unendlichen als Idealem. Dieses war unter bestimmter Betrachtung als Ganzes denkmöglich, jedoch nicht als reales unendliches Ganzes. M. a. W. heißt das, daß die unendliche Ganzheit transzendental ist. Die Bestimmung der Unendlichkeit, die Leibniz zu Anfang des Zitats gibt, liefert keine wirklich Erweiterung des Verständnisses der aktualen Unendlichkeit. Er bezieht sie auf Dinge und intendiert damit letztlich die Substanzen. Die Bestimmung, daß diese mehr seien, als durch eine Zahl angegeben werden kann, steht zwar in Analogie zu dem, was die Mathematik abzählbar bzw. überabzählbar unendlich428 nennt; Leibniz geht darauf folgend jedoch 427
LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 17 §1, (E&H I 211) A VI 6 157: „A proprement parler, il est vray qu’il y a une infinité de chose, c’est à dire qu’il y en a tousjours plus qu’on n’en puisse assigner. Mais il n’y a point de nombre infini ny de ligne ou autre quantité infinie, si on les prend pour des veritables Touts, comme il est aisé de demonstrer. Les écoles ont voulu ou dû dire cela, en admettant un infini syncategorematique, comme elles parlent, et non pas l’infini categorematique. Le vray infini à la rigeur n’est que dans l’absolu qui est anterieur à toute composition, et n’est point formé par l’addition des parties.“ 428 Eine Menge heißt genau dann abzählbar unendlich, wenn sie nicht endlich ist und wenn jedem ihrer Elemente eine natürliche Zahl zugeordnet werden kann, d. h. wenn jeder ihrer Elemente genau eine natürliche Zahl und jeder natürlichen Zahl genau ein Element dieser Menge entspricht. Eine Menge heißt überabzählbar unendlich, wenn sie weder endlich noch abzählbar ist. Vgl. ERICH KAMKE. Mengenlehre. Berlin 61969. 8; angegeben nach: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 135/11. Von der Formulierung des Zitats ausgehend, nämlich, daß es mehr gibt als man durch eine Zahl angegeben kann, ist die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen – und damit eine abzählbar unendliche Menge – m. E. als Interpretationsgrundlage ausreichend. Die modernen (cantorschen) mathematischen Theorien definieren das Kontinuum als diskrete Menge der reellen Zahlen. Der überabzählbare Objektbereich, der dafür kon-
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nicht weiter ein. Im Gegenteil, er bezieht sich vielmehr mit dem synkategorematisch Unendlichen auf die potentiell unendliche Fortsetzbarkeit, die aus ihrem idealen Ursprung folgt. Von aktual unendlichen Teilen oder Elementen hinsichtlich des Kontinuums kann daher keine Rede sein. Vielmehr ist diesbezüglich die Potentialität die entscheidende Bestimmung, so daß Leibniz sagen kann: „Die Wissenschaft des Kontinuierlichen, d. h. des Möglichen, enthält indes ewige Wahrheiten, die von den wirklichen Erscheinungen niemals verletzt werden, da der Unterschied stets geringer als irgendeine angebbare Größe ist. Ja, wir besitzen in den Erscheinungen kein andres Merkmal der Realität und dürfen auch kein andres verlangen, als daß sie sowohl untereinander wie mit den ewigen Wahrheiten übereinstimmen.“ 429
Teilungen und Verhältnisbeziehungen sind immer nur potentiell, ihre Teile bzw. Relate jeweils nur operational bzw. ideal430. Demgegenüber kann die aktuale Unendlichkeit nur auf metaphysisch-substantiale Weise sinnvoll ausgesagt werden431. Denn nur dort kann von realen „Teilen“, die Rede sein432. Damit steht die aktuale Unendlichkeit niemals in Beziehung zur Quantität, auch nicht zur infinitesimalen433. Diesen Überlegungen zufolge kommt dem synkategorematisch Unendlichen eine entscheidende Bedeutung zu. Zusätzlich zur Bedeutung im Sinne des potentiell Unendlichen – d. h. in der Aussage der Unendlichkeit für immer wieder nur endliche Glieder, wie bei der schnellsten Bewegung – stitutiv ist, wurde von Leibniz erarbeitet. Die euklidische und die cartesische Mathematik kam mit algebraischen Zahlen bzw. Punkten aus. Vgl. dazu: HERBERT BREGER. Leibniz’ Einführung des Transzendenten. In: SL Sonderh. 14 (1987) 119-132 429 LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) (B&C* 532) GP II 282 f: „Scientia continuorum hoc est possibilium continet aeternas veritates, quae ab actualibus phaenomenis nunquam violantur, cum differentia semper sit minor quavis assignabili data. Neque aliam in phaenomenis habemus aut optare debemus notam realitatis, quam quod inter se pariter et veritatibus aeternis respondent.“ 430 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (11. Oktober 1705) GP II 279: „Itaque nullae ibi divisiones nisi quas mens facit, et pars toto posterior est.“ 431 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (11. Oktober 1705) GP II 279: „[…] in realibus unitates multitudine sunt priores, nec existunt multitudines nisi per unitates.“ 432 Vgl. LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) GP II 282 433 Auf diese Weise hat BREGER (Leibniz. Weyl und das Kontinuum. A. a. O. 322 ff) – mittels der Bestimmung der Möglichkeit – diese Auffassung des Kontinuums als aristotelisch-leibnizsche charakterisiert und der cantor-dedekindschen entgegensetzt.
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muß es schließlich in gewisser Weise auch für das Verständnis der Aussagen über die aktuale Unendlichkeit in Betracht gezogen werden. Insofern das synkategorematisch Unendliche als Ideales und damit als transzendentaler Begriff verstanden werden muß, bezieht es sich auch auf die Dinge, sofern sie in einer begrifflichen und d. h. auch einer mathematisch-begrifflichen Weise bestimmt werden können. Dieser Sachverhalt wird in dem obigen Zitat besonders deutlich ausgesagt, wenn Leibniz die Wissenschaft des Kontinuierlichen als diejenige bestimmt, die von den realen Phänomenen nicht verletzt wird. Gegen diese Auslegung ist einzuwenden, daß Leibniz bei seinen Definitionen explizit einen Unterschied zwischen der zusammenhängenden Kontinuität und der diskreten Vielheit macht. Dies kann nun auch tendenziell im Sinne der These der modernern mathematischen Theorie ausgelegt werden, die sich beim Kontinuum nicht mehr auf das Zusammenhängende bezieht, sondern von einer überabzählbaren Diskretheit ausgeht434. Leibniz formuliert diese These, und zwar auch im Vergleich zur eben betonten potentiellen Unendlichkeit des idealen Kontinuums. „In den wirklichen Dingen ist alle Größe [Quantität] diskret, d. h. eine Vielheit, die aus wahren Einheiten resultiert; die kontinuierliche Größe aber gehört, sofern sie nicht bloß scheinbar, sondern exakt sein soll, in den Bereich des Idealen und der Möglichkeiten, da sie etwas Unbestimmtes [Indefinites] oder Unbegrenztes [Unbestimmtes] in sich schließt, was die wirkliche Natur der Dinge nicht duldet.“ 435
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Vgl. zur Auffassung des Kontinuums in der modernen Mathematik z. B.: HENRI POINCARÉ. La Science et l’hypothese. Paris o.J.. 30; zitiert nach: CASSIRER. Zur Einsteinschen Relativitätstheorie. A. a. O. 116: „Von der berühmten Formel, daß das Kontinuum die Einheit des Mannigfaltigen sei, bleibt nur noch die Mannigfaltigkeit zurück. Die Analytiker haben nichtsdestoweniger recht, wenn sie die Stetigkeit so definieren, wie sie es tun, denn in all ihren Schlüssen haben sie es, sofern sie auf Strenge Anspruch machen, immer nur mit diesem Begriff des Stetigen zu tun. Aber dieser Umstand genügt, um uns darauf aufmerksam zu machen, daß das echte mathematische Kontinuum ganz etwas anderes, als das der Physiker und der Metaphysiker ist.“; vgl. zur Differenz der Auffassung der Teilungen des Kontinuums auch: BREGER. Leibniz, Weyl und das Kontinuum. A. a. O. 323 f 435 LEIBNIZ. An de Volder (19. Januar 1706) aus dem Briefentwurf, (B&C* 532) GP II 282: „In realibus non nisi discreta est quantitas, id est multitudo ex unitatibus veris resultans; continua quantitas quae non apparens sed exacta sit, pertinet ad idealia et
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Diese Stelle belegt zum einen teilweise sehr deutlich die apriorische Bedeutung des idealen Kontinuums. Sie schließt sich inhaltlich an das vorherige Zitat an und setzt dabei die Unbestimmtheit des Idealen als undeutliche Erkenntnis von der der Realität ab. Die hier ausgesprochene reale diskrete Vielheit unterstützt aber zum anderen die These, daß Leibniz bereits eine Vorform der modernen Theorie des Kontinuums vertreten hat. Belege hierfür finden sich auch in folgender Passage über das aktual Unendliche. „Das aktual Unendliche läßt sich in Bezug auf die Größe nicht in der gleichen Weise wie für die Vielheit darlegen. Die Argumente gegen das aktual Unendliche unterstellen, bei Annahme des Gegebenseins einer unendlichen Zahl, daß auch alle Unendlichen gleich wären. Man muß jedoch wissen, daß ein infinites Aggregat in Wahrheit weder ein Ganzes ist, oder mit Größe ausgestattet ist, noch eine letzte Zahl besitzt. Und um präzise zu sprechen, muß man sagen, daß wie die Zahl unendlich ist, es mehr gibt als man durch irgendeine Zahl ausdrücken könnte; oder statt von einer infiniten geraden Linie zu sprechen, daß die Gerade über jede mögliche Größe hinaus, die bestimmt werden kann, weitergeführt ist, so daß es eine immer größer und größere Gerade gibt. Es gehört zum Wesen der Zahl, der Linie und von welchem Ganzen auch immer, begrenzt zu sein.“436
Die zitierte Stelle kann ebenfalls als Beleg dafür herangezogen werden, daß Leibniz tatsächlich eine diskrete Mannigfaltigkeit realer Entitäten als Grundlage des Kontinuums annimmt. Inhaltlich setzt er die aktuale Unendlichkeit von der potentiellen ab, wenn er sagt, daß es falsch ist anzunehmen, daß alle Unendlichkeiten von der gleichen Art sind. Mit der Bestimmung der Ungleichheit ist aber auch das vergleichbar, was in der modernen Terminologie als unterschiedliche Mächtigkeit von unendlichen Mengen bezeichnet wird. In strengem Unterschied dazu muß aber darauf hingewiesen possibilitates, cum indefinitum aliquid sive indeterminatum involvat, quod non patitur actualis natura rerum.“ 436 LEIBNIZ. An des Bosses (11/17. März 1706) GP II 304: „Infinitum actu in magnitudine non aeque ostendi potest ac in multitudine. Argumenta contra infinitum actu supponunt, hoc admisso dari Numerum infinitum, item infinita omnia esse aequalia. Sed sciendum, revera aggregatum infinitum neque unum totum, aut magnitudine praeditum, neque numero constare. Accurateque loquendo, loco numeri infinitum dicendum est plura adesse, quam numero ullo exprimi possint; aut loco Linea Rectae infinitae, productam esse rectam ultra quamvis magnitudinem, quae assignari potest, ita ut semper major et major recta adsit. De essentia numeri, linea et cujuscumque Totius est, esse terminatum.“
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werden, daß für Leibniz die aktuale Unendlichkeit per definitionem keine Ganzheit sein kann. Deshalb ist es nicht möglich, daß eine unendliche Menge aktual unendlich genannt werden kann, die durch die Definition angegeben wird, daß sie einer ihrer Teilmengen gleichmächtig ist437. Indem Leibniz das infinite Aggregat bzw. prinzipiell die zu definierende Vielheit von jeglicher Ganzheit unterscheidet, unterscheidet er diese beiden Unendlichkeiten kategorial bzw. ontologisch. Weitere Hinweise zum Verständnis der aktualen Unendlichkeit gibt Leibniz im folgenden keine mehr. Die anschließende Präzisierung verlegt sich wieder auf die Bestimmung des potentiell Unendlichen und damit auf das synkategorematisch Unendliche. Das aktual Unendliche ist, wie es schließlich heißt, ein infinites Aggregat, kein Ganzes, keine Größe und besitzt keine letzte Zahl. Eine ähnliche Charakterisierung gibt Leibniz in einem späteren Brief an des Bosses. „Inzwischen meine ich, um passend zu sprechen, daß das Unendliche weder aus Teilen bestehend noch ein einiges ist, noch ist es, wenn nicht durch eine falsche Vorstellung des Geistes, eine Quantität. Allein das unteilbare Unendliche ist eines, aber ein Ganzes ist es nicht; dieses Unendliche ist GOTT.“438
Zusätzlich zu den bereits gegebenen Bestimmungen erweitert Leibniz den Bereich der Objekte, auf die der Begriff des Unendlichen anzuwenden ist, um das absolut Unendliche, nämlich Gott. Auch Gottes Unendlichkeit ist nicht die einer Ganzheit, jedoch – und dies ist der Unterschied zur aktualen Unendlichkeit als Vielheit – eine Einheit. Als Beilage fügt Leibniz an die eben zitierte Stelle folgende Erläuterung an, die die Arten des Unendlichen 437
Vgl. BREGER. Das Kontinuum bei Leibniz. A. a. O. 63. Daß Cantors Transfinites auch gegenteilig, d. h. nicht als „unendliche Zahlen“, sondern als „Zahlen von etwas Unendlichem“ verstanden werden kann, womit eine mögliche metaphysische Bedeutung dieser Begriffe nicht gegeben wäre und vielmehr im Sinne des von Leibniz definierten synkategorematisch Unendlichen argumentiert wird, wird hier außer Acht gelassen. Vgl. hierzu CASSIRER. Substanzbegriff und Funktionsbegriff. A. a. O. 83 f. Leibniz selbst bestimmt das Unendliche bei dem das Ganze seinem Teil gleich ist, als potentiell Unendliches. Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 22 438 LEIBNIZ. An des Bosses (1. September 1706) GP II 314: „Interim sentio, proprie loquendo, infinitum ex partibus constans neque unum esse neque totum, nec nisi per fictionem mentis concipi ut quantitatem. Solum infinitum impartibile unum est, sed totum non est; id infinitum est DEUS.“; vgl. auch: An des Bosses (11./17. März 1706) GP II 305: „Solum absolutum et indivisibile infinitum veram unitatem habet, nempe deus.“
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in einer gewissen Ordnung und in der bereits verwendeten scholastischer Begrifflichkeit vorlegt. „Es ist das synkategorematisch Unendliche gegeben oder die passive Potenz, die Teile hat, die Möglichkeit, d. h. weiter bei Teilung, Multiplikation, Subtraktion und Addition fortzuschreiten. Gegeben ist auch das hyperkategorematisch Unendliche oder das Vermögende, die aktive Potenz, sozusagen Teile habend, in außerordentlicher Weise, nicht formal oder aktual. Dieses Unendliche ist Gott selbst. Es ist jedoch kein kategorematisches Unendliches gegeben oder eines, das formal aktual unendliche Teile hat.“439
Diese Definitionen und ihre Gliederung entsprechen inhaltlich den Aussagen in den bereits zitierten und erläuterten Stellen. Das synkategorematisch Unendliche wird auch hier als potentielle Unendlichkeit, als Möglichkeit des Fortschritts mittels der grundlegenden arithmetischen Operationen dargelegt. Das was im Vorherigen das absolut Unendliche genannt wurde, nämlich Gott, wird nun in der vorgegebenen Terminologie als hyperkategorematisch Unendliches bezeichnet; d. h. es übersteigt die endlichen Seinsweisen. Das aktual Unendliche wird im Anschluß daran definiert. „Gegeben ist auch ein aktual Unendliches durch den Modus der Distribution des Ganzen, nicht der Kollektion. Auf diese Weise kann von allen Zahlen etwas ausgesagt werden, aber nicht in zusammenfassender Weise. So kann man sagen, daß jeder beliebigen geraden Zahl eine ungerade entspricht und umgekehrt; aber es wäre daher nicht richtig zu sagen, daß die Vielheit [Menge] der geraden und ungeraden [Zahlen] gleich sei.“440
Dieser Zusatz, den Leibniz in mathematischer bzw. logischer Formulierung vorträgt, läßt sich mit den nach Cantor zu unterscheidenden Mächtigkeiten für unendliche Mengen vergleichen. Das aktual Unendliche ist dabei 439
LEIBNIZ. An des Bosses (1. September 1706) GP II 314 f / Anm.: Datur infinitum syncategorematicum seu potentia passiva partes habens, possibilitas scilicet ulterioris in dividendo, multiplicando, subtrahendo, addendo progressus. Datur et infinitum hypercategorematic um seu potestativum, potentia activa habens quasi partes, eminenter, non formaliter aut actu. Id infinitum est ipse Deus. Sed non datur infinitum categorematicum seu habens actu partes infinitas formaliter.“ 440 LEIBNIZ. An des Bosses (1. September 1706) GP II 315 / Anm.: „Datur etiam infinitum actuale per modum totius distributivi, non collectivi. Ita de omnibus numeris aliquid enuntiari potest, sed non collective. Sic dici potest cuilibet pari respondere suum imparem, et vicissim; sed non ideo accurate dicitur aequalem esse multitudinem parium et imparium.“
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kein kollektives Ganzes, d. h. keine Summe. Die Unmöglichkeit einer kollektiven Bestimmung vermeidet das Paradox einer unendlichen Menge als Ganzheit. Der Modus der Distribution des Ganzen steht für die Definition einer Menge als eines idealen bzw. logischen, und nicht als eines arithmetischen Ganzen. Die unendliche Menge von Zahlen, die damit definiert wird, kann nicht extensional, d. h. durch Aufzählung ihrer Elemente bestimmt werden. Sie wird vielmehr intensional durch die Angabe der spezifischen Ordnungsgesetze definiert, nach denen sie strukturiert ist bzw. konstruiert werden kann. Diese mathematische Definition kann nun aber nicht mit Leibniz’ weiteren ontologischen Bestimmungen der aktualen Unendlichkeit in Einklang gebracht werden. Denn jegliche Art von Ordnungsrelation ist für Leibniz idealer Natur. In einer direkten Weise kann folglich aus dieser Definition kein fundamentaler Unterschied zwischen dem aktual Unendlichen und dem, was Leibniz als synkategorematisch Unendliches definiert hat, ausgesagt werden. Vergleichbar verhält es sich mit dem damit zusammenhängenden Begriff der Quantität. Leibniz unterscheidet eine kontinuierliche und eine diskrete Quantität441. Allgemein beruht die Quantität auf dem faktischen sinnlichen Vergleich442. Sie gehört damit zur phänomenalen Dimension, sofern sie immer nur unter der Bedingung der idealen Einheit der Beziehungsbestimmungen für die Erkenntnis gegeben sein kann. Nach diesen Kriterien kann man sagen, daß Leibniz die aktuale Unendlichkeit als eine wirklich unendliche Vielheit annimmt, die dabei jedoch nicht als Ganzheit und Totalität gedacht werden darf. Sie ist vielmehr abzählbar bzw. überabzählbar unendlich, was er auf gewisse Weise anhand der Beispiele der potentiell unendlichen Sachverhalte, d. h. der Fortsetzbarkeit einer Linie, der Zeit etc., regelmäßig andeuten will. Angesichts dieser Eigenart der Elemente der aktual unendlichen Menge, kann er keine alternative Charakterisierung vornehmen. Als mathematische Menge bleibt sie ideal.
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Vgl. auch: LEIBNIZ. Gegen Descartes (im Original ohne Titel) (Mai 1702) GP IV 394: „Repetitio enim omnis (seu multitudo eorundem) alia est discreta, ut in rebus numeratis ubi partes aggregati discernuntur, alia est continua, ubi indeterminatae sunt partes atque infinitis modis assumi possunt.“ 442 Vgl. LEIBNIZ. Initia rerum mathematicarum metaphysica (1715) GM VII 19 f: „Quantitas seu Magnitudo est, quod in rebus sola compraesentia (seu perceptione simultanea) cognosci potest.“
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Der Unterschied, der zwischen dem synkategorematischen und dem aktual Unendlichen besteht, kann nur auf Grund einer Ontologie der Substanzen garantiert werden. Das synkategorematisch Unendliche ist die potentielle Unendlichkeit als Indefinites. Die aktuale Unendlichkeit ist das Infinite443: Es bleibt aber zu unterscheiden von dem hyperkategorematischen und dem kategorematischen, d. h. es ist nicht das widersprüchliche Konzept einer realen unendlichen Quantität, noch die jenseits aller Quantität liegende absolute Einheit, sondern die unendliche Vielheit. Diese Vielheit kann jedoch vom endlichen Intellekt niemals als solche erkannt werden. Die Definition des aktual Unendlichen mittels des Modus der Distribution bezieht sich nur auf die formale Struktur dieser unendlichen Vielheit und ihrer logische Aussageweise444. Es scheint für beide Möglichkeiten – für die Interpretation einer nur potentiellen Unendlichkeit und einer aktualen – bei Leibniz Belege zu geben. Es wurde zu zeigen versucht, inwiefern dabei keine einfache Lösung, die eine von beiden negiert, angenommen werden kann. Sinnvoll erscheint, daß man eine einfache Auslegung der These der aktualen Unendlichkeit mit Hilfe einer gewissen Angleichung an die Theorie der modernen Mengenlehre ausschließen muß445. Der wesentliche Unterschied hierzu besteht darin, daß Leibniz die aktuale Unendlichkeit immer in den Zusammenhang mit Substanzen bringt. Eine mathematische Theorie des aktual Unendlichen vermag dieses Moment jedoch nicht zu begründen. Die Mathematik operiert 443
Vgl. BASSLER. Leibniz on the Indefinite as Infinite. A. a. O. Bassler weist darauf hin, daß der Versuch die aktuale Unendlichkeit in mathematischer Hinsicht zu interpretieren daran scheitert, daß Leibniz’ Infinites vom Indefiniten nicht wirklich zu unterscheiden ist. 444 Für Cassirer, für den die aktuale Unendlichkeit nicht auf eine substantielle Wirklichkeit verweist, bedeutet es keinen Widerspruch, daß dieser doppelte Aspekt unter einem Begriff subsumiert werden muß. Im Gegenteil, der universale Begriffscharakter des apriorischen und logischen Ganzen des aktual Unendlichen bedarf geradezu der Ergänzung der Anwendung auf immer weiter fortzusetzende Einzelfälle. Vgl. CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 216 f 445 So kann man zwar auch für Leibniz in gewisser Weise das Gelten des Existenzpostulats annehmen. Das Existenzpostulat besagt, daß jedes Element einer unendlichen Menge mit der Menge als fertiger Gesamtheit existiert, wenn es den definierenden Bedingungen genügt, ohne daß dafür alle Elemente angegeben werden müssen. Für Leibniz werden die unendlichen Mengen – d. h. die Welten – von Gott ebenfalls mittels Ordnungsrelationen definiert, dies steht jedoch im Widerspruch mit seiner analytischen Begriffsauffassung. Vgl. dazu: s. u. Kap. III. 4.3
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in einer solchen Theorie nur mit Zahlen, wenngleich mit transfiniten. Nur Gott ist es nach Leibniz möglich, die Unendlichkeit als aktuale zu erkennen446. Für ihn könnten damit aktual unendliche Mengen als Realität unmittelbar gegeben sein; d. h. eine platonische Theorie des wirklichen Gegebenseins einer aktualen Unendlichkeit ist nur vom Standpunkt Gottes aus sinnvoll aussagbar. Vom Standpunkt der endlichen Vernunft gilt eine aristotelisch potentielle Auffassung des Unendlichen447. Diese Deutung unterstützt Leibniz auch mit einer Bemerkung, die auf diesen Unterschied des epistemischen Standpunkts hinweist. „Denn man kann auch nicht leugnen, daß die Naturen aller möglichen Zahlen wahrhaftig gegeben sind, wenigstens im göttlichen Geist.“448
Damit ist gesagt, daß für Gott die aktuale Unendlichkeit gegeben ist. Leibniz’ Hauptanliegen war – auch in Bezug auf die göttliche Erkenntnis des Unendlichen –, daß es sich um eine Vielheit und nicht um eine Ganzheit handeln kann449. Für Gott kann diese Vielheit nicht ursprünglich mittels eines Modus der Distribution, d. h. nach synthetischen Regeln gegeben sein. Denn es ist gerade die Auszeichnung der göttlichen Erkenntnis, jedes Indi446
Vgl. LEIBNIZ. Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum [künftig zitiert als Generales Inquisitiones] (1686) §§134; 136, A VI 4 A 776 447 Vgl. SCHNEIDER. A. a. O. 146. Schneider nimmt an, daß es für Gott abgeschlossene aktual unendliche Mengen gibt, wie in der modernen Theorie des transfiniten Kontinuums. Zweifelsohne erkennt Gott alle Individuen, die möglichen wie die wirklichen. Jedoch wird eine Welt – vom Standpunkt Gottes aus – nicht ursprünglich als Totalität erkannt, sondern als Vielheit. Die Beziehungen sind den individuellen Substanzen nachgeordnet. 448 LEIBNIZ. An des Bosses (11./17. März 1706) (WIATER 231) GP II 305: „Neque enim negari potest, omnium numerorum possibilium naturas revera dari, saltem in divina mente, adeoque numerorum multitudinem esse infinitam.“ 449 Vgl. LEIBNIZ. An Grandi (6. September 1713) GM IV 218: „Equidem infinitae numero (id est quovis numero plures) magnitudines nunquam componunt unum totum infinitum, et infinitudo vera non cadit nisi in infinitum virtutis, omni parte carens.“; vgl. auch: LEIBNIZ. An des Bosses (11./17. März 1706) GP II 305: „Est igitur loquendi compendium, cum unum dicimus, ubi plura sunt quam uno toto assignabili comprehendi possunt, et magnitudinis instar efferimus, quod proprietatis ejus non habet. Quemadmodum enim de Numero infinito dici nequit, par sit impar, ita nec recta infinita, utrum datae rectae sit commensurabilis an secus; ut adeo impropriae tantum hae de infinito velut una magnitudine sint locutiones, in aliqua analogia fundatae, sed quae si accuratius examines, subsistere non possunt.“
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viduum unabhängig von allen anderen erkennen zu können, d. h. rein aus seinem Begriff. Der Ansatz, der die aktuale Unendlichkeit hervorhebt kann sich mit gutem Recht teilweise auf die Realität der Individuen beziehen. Hierzu muß er sich jedoch der göttlichen Erkenntnisweise bedienen. Damit geht der Umstand einher, daß für Leibniz Gott alle möglichen Individuen erkennt. Man kann diese Menge als aktual unendliche ansprechen. Leibniz selbst bezieht sich jedoch in seinen Aussagen über die aktuale Unendlichkeit selbst weniger auf die Unendlichkeit der möglichen Welten. Er bezieht sich in der Regel direkt auf die faktische Welt und damit auf die wirklichen Individuen. Darüber hinaus sagt er an vielen Stellen aus, daß jeder einzelne Körper aktual unendlich viele Substanzen beinhaltet. Dies ist, wie dargelegt wurde, der ursprüngliche Ausgangspunkt der These von der aktualen Unendlichkeit. „Das winzigste Körperchen ist aktuell bis ins Unendliche geteilt und enthält eine Welt von neuen Geschöpfen […].“450 „Allerdings gibt es nach meinem System keinen Teil der Materie, in dem nicht eine unendlich Anzahl von organischen und beseelten Körpern, – worunter ich nicht nur die Tiere und Pflanzen, sondern auch möglicherweise noch andre, uns gänzlich unbekannte Arten einbegreife, – enthalten ist.“451
Ein Verständnis, das die aktuale Unendlichkeit auf die Menge aller Individuenbegriffe überhaupt bezieht, ist direkt nicht in der Lage, diese Sachverhalte zu begründen452. Leibniz intendiert mit der aktualen Unendlichkeit 450
LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) P. S., GP VII 377: „Le moindre corpuscule est actuellement subdivisé à l’infini, et contient un monde de nouvelles creatures […].“; Vgl. De serie rerum, corporibus et substantiis, et de praedeterminatione (März 1690) A VI 4 B 1668: „Corpus […] est […] semper […] ulterius divisibile, et quaelibet pars semper aliam partem habeat in infinitum.“ 451 LEIBNIZ. Considérations sur les principes de vie et sur les natures plastiques ... (1705) (B&C* 317 f) GP VI 539: „Il est vray (selon mon Systeme) qu’il n’y a point de portion de la matiere, où il n’y ait une infinité de corps organiques et animés; sous lesquels je comprends non seulement les animaux et les plantes, mais encor d’autres sortes peutestre, qui nous sont entierement inconnues.“; vgl. auch: An Kurfürstin Sophie (4. November 1696) GP VII 542: „Les corps sont des multitudes, mais infinies, tellement que le moindre grain de poussière continent un monde d’une infinité de créatures.“ 452 Eine solche Interpretation hat SCHNEIDER (A. a. O. 129-150) im Anschluß an Yost (ROBERT MORRIS YOST. Leibniz and philosophical Analysis. Berkeley / Los Angeles 1954) vorgetragen. Trotz der prinzipiellen Kritik an einer solchen spekulativen Ausle-
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u. a. einen Aspekt, der bisher noch nicht zum Tragen gekommen ist, nämlich den der Realität453. Wie in der Kontroverse mit Newton deutlich wurde, bedeutet die Idealität bzw. Potentialität einerseits die apriorischen Erkenntnisbedingungen und verbürgt damit die Wissenschaftlichkeit der Aussagen über die Gegenstände der Natur. Sie unterscheidet dadurch aber andererseits auch ihren Objektbereich von der Realität an sich. In Bezug auf das Problem des Kontinuums hinsichtlich einer potentiellen oder einer aktuellen Teilung ist dies ebenfalls ein relevanter Sachverhalt. Leibniz unterscheidet mehrmals deutlich zwischen der mathematischen und einer realen „Teilung“ der Materie. „Dies ist der Unterschied, der zwischen der Weise wie eine Linie aus Punkten und der wie die Materie aus Substanzen, die in ihr enthalten sind, besteht; nämlich, daß die Anzahl der Punkte nicht bestimmt ist, und die Anzahl der Substanzen, wenngleich unendlich, so doch sicher und bestimmt ist; dies erwächst nämlich aus der aktualen Teilung der Materie nicht aus der nur möglichen. Die Materie ist nämlich nicht auf alle möglichen Weisen teilbar [...].“454
Diese Bestimmung der Unendlichkeit der Substanzen eines Körperaggregats, ändert die Problemstellung zum Teil wesentlich. Die Anzahl der Substanzen ist unendlich, jedoch nicht in einer Weise, wie sie durch alle möglichen Teilungen gegeben wäre. Damit besteht auch die Möglichkeit, die natürlichen Zahlen, d. h. eine abzählbar unendliche Menge, für alle Substanzen einer Welt in Betracht zu ziehen. Leibniz selbst hat diesen Vergleich herangezogen, wenn er die Substanzen mit den Einheiten vergleicht und von den Brüchen absetzt. Für diese Bestimmung der Unendlichkeit ist eine eingung sind die dort gegebenen Ausführungen für das umfassende Verständnis sehr hilfreich. 453 Vgl. dazu auch: MATHIEU. L’infinito in metafisica. A. a. O. 454 LEIBNIZ. Differentia inter constitutionem lineae ex punctis et materiae ex substantiis (1690) A VI 4 B 1673: „Hoc interest inter modum quo Linea constituitur punctis, et quo Materia constituitur ex substantiis quae in ea sunt, quod punctorum numerus non est determinatus, at substantiarum numerus etsi infinitus sit tamen est certus ac determinatus, nascitur enim ex actuali divisione materiae non ex possibili tantum. Neque enim materia divisa est omnibus modis possibilibus [...].“; vgl. auch: Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1648: „Non tamen continuum in puncta dividitur, nec dividitur omnibus modis possibilibus. Non […] omnibus modis possibilibus, quia non omnes creaturae insunt in eodem, sed certus tantum earum in infinitum progressus.“
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deutige Identifikation des aktual Unendlichen mit der Menge aller möglichen und wirklichen Individuenbegriffe unzutreffend455. Ebenfalls ist diese Auffassung nicht mit dem Verständnis einer tatsächlich diskreten Vielheit zur ausschließlichen Erklärung des Kontinuums und seiner Unendlichkeit zu vereinbaren456. Die Frage, in welchem Sinne Leibniz von einer aktualen Unendlichkeit jenseits der potentiellen sprechen kann, bleibt bestehen. Prinzipiell muß 455
Ähnlich wie SCHNEIDER (a. a. O.) und YOST (a. a. O.), jedoch mit dem Unterschied der Betonung der eingeschränkten Unendlichkeit für die wirkliche Welt, versucht auch Mahnke das Problem der aktualen Unendlichkeit zu klären. Vgl. MAHNKE. Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. A. a. O. 462: „Der Ursprung diskreter Wirklichkeit liegt in dem transfiniten Kontinuum der ewigen Ideenwelt, die von der göttlichen Vernunft einerseits als eine transfinite Menge aktual unendlich vieler Elemente, andererseits als eine gesetzmäßig zusammenhängende, lückenlose Einheit ohne irgendein ››vacuum formarum‹‹ erkannt wird. Es sind nun unendlich viele Perspektiven dieser göttlichen Ideenwelt ››möglich‹‹, bei denen je ein bestimmtes ihrer Elemente Projektionszentrum ist. In all diesen Perspektiven verkürzt sich sozusagen die transfinite zu bloß indefiniter Unendlichkeit, die nicht aktual aus unzähligen Elementen besteht, sondern nur ideal in beliebig kleine Differentiale geteilt werden kann. (Die ››Projektion‹‹ und ››Verkürzung‹‹ ist natürlich nicht wörtlich im geometrisch-quantitativen Sinne gemeint, sondern, entsprechend der geistigen Differenzierung der Ideenwelt, auf das Qualitative übertragen zu denken.) Jede solche Perspektive ist eine ››mögliche‹‹ Monade oder individuelle Substanz. Daß ››wirkliche‹‹ Universum aber ist die sinnliche Verlebendigung und willensmäßige Realisierung der größtmöglichen Mannigfaltigkeit miteinander ››verträglicher‹‹ und zu einander ››harmonischer‹‹ Individuen. Da nicht alle Monadenbegriffe ››zusammen möglich‹‹ sind, so ist die Menge der Elemente der wirklichen Welt weniger dicht als die der ideellen Möglichkeiten, aber immerhin noch unzählbar groß, sodaß sie dem sinnlichen Erleben als eine stetig zusammenhängende Raum-Zeit-Welt erscheint und auch von der wissenschaftlichen Vernunft mit Hilfe der stetigen mathematischen Funktionen hinreichend genau berechnet werden kann.“ 456 ANAPOLITANOS (a. a. O.; v. a.: 168 ff) definiert das Kontinuum als Mannigfaltigkeit relationaler Positionen; d. h. indem einer jeden Punkt-Entität bereist ihre genaue relative Position zugeschrieben werden kann, und die Menge dieser Entitäten eine überabzählbar unendliche Menge ist, ist es möglich, eine diskrete Mannigfaltigkeit als Kontinuum aufzufassen, ohne in das Labyrinth desselben zu geraten. Dieses entsteht, so Anapolitanos, nur dadurch, daß die Punkt-Entitäten bei Leibniz nicht als relationale Position verstanden sind. Diese Ableitung übersieht m. E., was Leibniz in der Definition des aktual Unendlichen als Modus der Distribution des Ganzes zum Ausdruck bringt, nämlich daß die aktuale Unendlichkeit der Elemente der Menge niemals als abgschlossene gedacht werden kann.
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man berücksichtigen, daß diese Aktualität die substantielle Realität repräsentiert und daß sie vollständig nur für den unendlichen Intellekt, in einer ihm eigenen Erkenntnisweise, gegeben ist. Auf Grund dieser Tatsache handelt es sich m. E. bei der aktualen Unendlichkeit schlicht um die Realität und Individualität jenseits der Phänomenalität, ohne daß damit die weiteren Charakterisierungen gänzlich zu verwerfen wären, denn die Unendlichkeit aller möglichen Individuen stellt ohne Zweifel eine Unendlichkeit von noch größerer Mächtigkeit dar. Wenn Leibniz die aktuale Unendlichkeit nur nach dem Modus der Distribution definieren kann, dann bedeutet dies, daß er sie mittels Ordnungsrelationen definiert. Damit sind aber die Entitäten mittels Verhältnisbeziehungen und nicht in ihrer substantiellen Realität angesprochen. Die geforderte aktuale Unendlichkeit verbindet sich bei Leibniz – entgegen der teilweise von Leibniz vorbereiteten transfiniten Mengenlehre – mit der Voraussetzung, daß die Realität dieser Elemente nicht wiederum mathematisch gegeben werden kann. Diese Weise des Verhältnisses von mathematischem und philosophischem Kontinuum entspricht Leibniz’ Ausführungen sehr gut. Sein Versuch diese beiden Dimensionen aneinander anzunähern, kann dann nicht bedeuten, daß sie im Unendlichen zur Deckung kommen457. Vielmehr stellt dies den Versuch dar – von der endlichen Erkenntnis aus – die Differenz zwischen dem, was uns zu erkennen möglich ist und dem, was wirklich ist, so gering wie möglich zu halten, d. h. daß der „Fehler“ nicht mehr ausschlaggebend für ein falsches Urteil über die Natur der phänomenalen Realität ist.
457
In diesem Sinne versucht z. B. Roth (ULLI ROTH. Die Bestimmung der Mathematik bei Cusanus und Leibniz. In: SL XXIX (1997) 62-80) Leibniz’ Mathematik des Unendlichen im Verhältnis zu seiner Metaphysik zu interpretieren.
III. Das Labyrinth des Individuums 1. Das Labyrinth des Individuums und der Raum Eine Untersuchung der vollständigen Theorie des Raumes bei Leibniz erfordert eine Untersuchung seiner Metaphysik, insbesondere eine Beschäftigung mit seiner Theorie der individuellen Substanz. Dadurch, daß Leibniz das Individuum als perspektivische Monade definiert, gelangen die Probleme des Labyrinths der Zusammensetzung des Kontinuums prinzipiell auch in die Überlegungen zum Begriff der individuellen Substanz. Darüber hinaus steht die Monade in direktem Zusammenhang mit dem zweiten Labyrinth, dem der Freiheit. In seiner frühen großen Stellungnahme zum Freiheitsproblem, der Confessio philosophi aus dem Jahre 1676, führt dessen Lösung daher auch auf die „[…] dornige Untersuchung des Prinzips des Individuums“458. Es ist demnach naheliegend, wenn auch Leibniz selbst diesen Terminus m. W. explizit nicht verwendet, von einem Labyrinth des Individuums zu sprechen459. Das Labyrinth des Kontinuums entspricht dem Reich der Wirkursachen, das der Freiheit dem der Zweckursachen. Das Individuum nun integriert in gewisser Weise beide Dimensionen. Die Monade als Leibniz’ Fassung der individuellen Substanz ist eine Synthese von Geist und Körper460. Als Be458
Vgl. LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 147: „[…] spinosissima tractatio de principio individui [...].“ 459 Leibniz selbst spricht auch vom „Labyrinth des Denkens“. Vgl. LEIBNIZ. Filum cogitandi sive de logica nova condenda (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 532-537 460 Vgl. LEIBNIZ. Monadologie (1714) §§62 f, GP VI 617 f: „(62) Ainsi quoyque chaque Monade creée represente tout l’univers, elle represente plus distinctement le corps qui luy est affecté particulierement et dont elle fait l’Entelechie: et comme ce corps exprime tout l’univers par la connexion de toute la matiere dans le plein, l’ame represente aussi tout l’univers en representant ce corps, qui luy appartient d’une maniere particuliere. (63) Le corps appartement à une Monade, qui en est l’Entelechie ou l’Ame, constitue avec l’Entelechie ce qu’on peut appeller un vivant, et avec l’Ame ce qu’on appelle un Animal. Or ce corps d’un vivant ou d’un Animal est tousjours organique, car toute Monade étant un miroir de l’univers à sa mode, et l’univers étant reglé dans un ordre parfait, il faut qu’il y ait aussi un ordre dans le representant, c’est à dire dans les perceptions de l’ame et par consequent dans le corps, suivant lequel l’univers y est representé.“; die intramonadische Ordnung der Struktur der Perzep-
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wußtsein stellt sie alles Äußere in ihrem Inneren dar, insoweit ist sie ausnahmslos als Innen zu charakterisieren. Sie stellt jedoch auch in besonderer Weise ihren Körper dar, indem sie ihn als ihr Äußeres vorstellt und durch diesen repräsentiert wird461. Die Monade kann damit primär und grundlegend als Person462 aufgefaßt werden, wenn man Person als selbstverfügende Freiheit und als damit in Verbindung stehende, spezifische Einheit von Körper und Geist versteht463. Daß Leibniz hier die menschliche Person intendiert, wird aus mehrerem deutlich. Zentral ist – neben dem Ausgang vom cartesischen cogito und damit dem menschlichen Bewußtsein – die Tatsache der Kombination des Kontinuumproblems und damit der Struktur von Raum und Zeit mit dem Labyrinth der Freiheit. Beides ist für Leibniz im vollständigen Begriff der individuellen Substanz integriert. Er spricht destionen entspricht damit wesentlich bzw. in ihrer wahrnehmbaren Deutlichkeit der organischen Ordnung ihres jeweiligen Körpers. Vgl. ebd. §60, GP VI 616. In diesem Sinne läßt sich die Monade als „Form“ ihres Körpers ansprechen und kann als das „vinculum substantiale“ der vielen untergeordneten unbewußten Monaden, die als reale Bestandteile des Körpers gefordert sind, interpretiert werden. 461 Vgl. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §33, A VI 4 B 1582. Es hat den Anschein, daß Leibniz mit der „Zentralmonade“, im Sinne des „vinculum substantiale“ eines Körperaggregats, die personale Monade intendiert. Vgl. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 3, GP VI 599: „[…] et chaque substance simple ou Monade distinguée, qui fait le centre d’une substance composée (comme par exemple, d’un animal) et le principe de son Unicité, est environnée d’une Masse composée par une infinité d’autres Monades, qui constituent le corps propre de cette Monade centrale, suivant les affections duquel elle represente, comme dans une maniere de centre , les choses qui sont hors d’elle.“ In der Auseinandersetzung mit des Bosses, in welcher Leibniz diese Frage speziell behandelt, bringt er diese Theorie (wenn auch nicht zuletzt zum besseren Verständnis für des Bosses) in Analogie zur hypostatischen Union, wodurch gerade das Problem der Person berührt wird. Vgl. An des Bosses (5. Februar 1712) GP II 439: „Et in hoc consistit vinculum metaphysicum animae et corporis, quae constituunt unum suppositum, et huic analoga est unio naturarum in Christo.“ 462 ROMBACH (a. a. O. II 380 ff) weist in ähnlicher Weise darauf hin, daß Leibniz als dritte Dimension zusätzlich zur Phänomenologie und Monadologie, die der Person kennt. Ebd. 382 bezeichnet er Leibniz als den ersten expliziten Vertreter eines Personalismus im Sinne der Auffassung der Person als Selbstschöpfung der Identität. 463 Die Begrenztheit und Partialität des Körperlichen und Leiblichen ist bei Leibniz systematisch eine Konsequenz der Substantialität und Perspektivität der individuellen Monade: Der Körper einer individuellen Substanz repräsentiert einen Teil des Universums entsprechend ihrer Perspektive.
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halb im Zusammenhang mit dem vollständigen Begriff auch gelegentlich von der Person464. Diese Synthese der beiden Labyrinthe bedeutet jedoch nicht, daß die Unterscheidung von Ontologien, die im vorherigen als Voraussetzung für das Verständnis von Leibniz’ Theorie des Raumes herausgestellt wurde, damit aufgehoben ist. Wie bereits deutlich wurde, kommt es vielmehr zu einer neuerlichen und ontologisch fundamentaleren Unterscheidung. Die individuelle Substanz bzw. ihr vollständiger Begriff ist nur für den unendlichen Intellekt denkmöglich. Die endliche Vernunft ist darauf beschränkt – die Realität des Individuums durch einen solchen Begriffs vorausgesetzt – die Wahrheit ihrer Aussagen über Individuen mit deren Faktizität als begründet anzunehmen. Wenn Leibniz sagt, daß seine grundlegenden Überlegungen um das Wissen um die Einheit und die Unendlichkeit kreisen465, dann muß man dies auf die Monade und damit die individuelle Substanz beziehen. Und in diesem Doppelaspekt – einerseits grundlegendste Einheit zu sein und andererseits mit der Unendlichkeit aller anderen individuellen Einheiten auf irgendeine Weise in Beziehung stehen zu müssen – liegt wesentlich das Labyrinthische der individuellen Substanz bei Leibniz. Das generelle Problem einer Metaphysik des Individuums kann dies verdeutlichen. Die Substanz wird von Aristoteles als dasjenige definiert, was nicht von einem Zugrundeliegenden ausgesagt werden kann und nicht in einem Zugrundeliegenden ist466. Die Substanz wird deshalb als dasjenige bestimmt, das als Beharrendes wechselnde Eigenschaften annehmen kann467. Sie ist damit das einzelne und konkrete Seiende468. Sie kann jedoch nicht durch eine angebbare Bestimmung von den anderen unterschieden werden, da jede Bestimmung vom Zugrundeliegenden ausgesagt werden muß, welches selbst per definitionem
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Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1986) GP II 48: „[…] que la notion individuelle de chaque personne enferme une fois pour toutes ce qui luy arrivera à jamais.“ 465 Vgl. LEIBNIZ. An Kurfürstin Sophie (4. November 1696) GP VII 542: „Mes meditations fondamentales roulent sur deux choses, sçavoir sur l’unité et sur l’infini.“ 466 Vgl. ARISTOTELES. Kategorienschrift 2a 11-13; vgl. LEIBNIZ. Notationes Generales (Sommer 1683–Anfang1685) A VI 4 A 554: „Porro Substantia Singularis est quae de alio dici non potest. Seu si substantia singularis de aliquo dicatur erunt idem.“ 467 Vgl. ARISTOTELES. Kategorienschrift 4a 10-11 468 Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1086 b 21
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nicht aussagbar ist469. Ontologisch wird das Prinzip der Individuation in der Folge durch die bestimmende Materie, d. h. durch die in Raum und Zeit vereinzelte Materie, angegeben470. Die Individuation durch die Materie steht für Leibniz in direktem Bezug zum Labyrinth des Kontinuums und kann daher, wie bereits gezeigt wurde471, nicht als gültige Lösung angesehen werden. Die prinzipielle logische Problematik der Aussagbarkeit des Individuellen kann ebenfalls als Labyrinth bezeichnet werden472, für dessen Handhabung Leibniz gerade seine Theorie des vollständigen Begriffs ausgearbeitet hat. Eine weitere Möglichkeit das Prinzip der Individualität anzugeben, besteht darin, sie in der Freiheit und Autonomie der Person zu fundieren. Für Leibniz stünde diese Auffassung in direktem Bezug zum Labyrinth der Freiheit, bei deren Behandlung er auch darauf eingeht. Trotz aller Vorteile und Stimmigkeit, die diese These für sich hat, scheint Leibniz’ Argumentation, wendet man sie hierauf an, die wesentliche Schwierigkeit offenzulegen. Obgleich nämlich diese Auffassung die Bestimmung des Individuums in die praktische Philosophie verlegt473, muß sie für die hierfür doch notwendige Berücksichtigung der Bedingungen der Handlungen, auf die Position des handelnden Subjekts in Raum und Zeit rekurrieren, die wiederum zur theoretischen Philosophie gehört. Damit sind wieder alle Schwierigkeiten des Kontinuumproblems aufgeworfen. Es zeigt sich somit, daß der Versuch der Bestimmung des Individuationsprinzips in ein Labyrinth führt. 469
Vgl. ARISTOTELES. Metaphysik 1037 b 9–1040 b; 1086 b 16–1087 a 25. In der Scholastik wurde hierfür der Satz geprägt: Individuum est ineffabile. Dies führt u. a. auch bei Aristoteles zur Folgerung, daß es keine Wisssenschaft vom Individuellen geben kann, obgleich es das Reale ist. 470 Vgl. z. B. THOMAS VON AQUIN. Summa Theologica I q. 75, 2; In De anima II; Lectio XII (377): „Individuatio autem naturae communis in rebus corporalibus et materialibus est ex materia corporali sub determinatis dimensionibus contenta.“; angegeben nach: WILHELM METZ. Raum und Zeit bei Thomas von Aquin. In: Miscellanea Mediaevalia 25 (1998) 304-313; 307 471 Vgl. dazu auch: s. u. Kap. III. 2. Für Leibniz kann die Mateire nicht Prinzip der Individuation sein, sondern sie ist ein Indiz für die Individualität. 472 Vgl. auch: RUSSEL. A. a. O. 60: „Thus we necessarily incur a vicious circle. The substance must be numerically determinate before predication, but only predicates give numerical determination.“ 473 Vgl. Zur Problematik des Individuums: ANNEMARIE PIEPER. Individuum. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe. 6 Bde.. Hrsg. v. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild. München 1973. Bd. III 728-737
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In Bezug auf die zu behandelnde Fragestellung – in welcher Weise die Substanz als Individuum aufgefaßt werden kann bzw. wie sich das Verhältnis von Individualität und Substantialität bestimmen läßt, insbesondere in Verbindung mit der Monadologie als realer Ordnung vollständiger Begriffe – lassen sich verallgemeinert drei Interpretationsmodelle feststellen474: 1. Eine mögliche Trennung von Individualität und Substantialität. Dies trifft sowohl für die herangezogene Theorie der Doppelontologie zu475, als auch für Interpretationen, die die Einheit der Substanz als nur formale annehmen476. 2. Die Kritik der Substantialität der individuellen Entitäten. Hierunter fallen zwei Varianten: Die Auffassung des Individuums als „set of all predicats“, wie sie im Anschluß an Russel vertreten wird, aber auch Cassirers Kritik, daß die Einheit der Monade nur im Gesetz gegeben ist477.
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In den letzten Jahren wurde die Frage nach dem Prinzip der Individuation und der individuellen Substanz bei Leibniz, insbesondere ihre frühe Fassung, eingehender untersucht. Vgl. MASSIMO MUGNAI. Leibniz on Individuation: From the Early Years to the “Discours“ and Beyond. In: SL XXXIII (2001) 36-54; LARRY B. MCCULLOUGH. Leibniz on Individuals and Individuation: The Persistence of Premodern Ideas in Modern Philosophy. (Philosophical Studies in Contemporary Culture 3). Dodrecht / Boston / London 1996; ESTERMANN. A. a. O. 475 Es ist für die Monadologie in Rombachs Verständnis nicht möglich, inhaltlich unterschiedene Substanzen anzunehmen, da sich Unterschiede nur in der Phänomenologie angeben lasssen. Ebenso führt die Inanspruchnahme der Person nur zur Identifikation des Individuums mit der Freiheit. Rombachs Interpretation ist insofern konsistent und hilfreich für das Leibnizverständnis, da er, ausgehend vom neuzeitlichen Subjekt, die Notwendigkeit für eine Ontologie der Substanzen als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung aufzuzeigen versucht. 476 MCCULLOUGH (a. a. O. 70; 120 ff) bezeichnet die Unteilbarkeit der Natur der individuellen Substanz bei Leibniz als formales Individuationsprinzip. McCullough sieht in dieser Interpretation eine Analogie zur Theorie der bare particulars, wie sie in der analytischen Philosophie teilweise vertretenen wird. Diese formale Individuation beruht jedoch auch auf der ursprünglichen Auffassung des Individuums als dem Ungeteilten (atomon), das erst durch die Betonung der nicht reduzierbaren qualitativen Identität eine Erweiterung des Inhalts seiner Definition zum inhaltlich bestimmten Individuum erfahren hat. 477 Vgl. auch: MARTIAL GUEROULT. Leibniz Dynamique et Metaphysique. Paris 1967
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3. Eine im engeren Sinne metaphysische Auffassung der individuellen Substanz. Ihr gegenüber sind epistemische und logische Analysen Erkenntniszugänge der endlichen Vernunft. Alleine die unendliche Substanz vermag intuitiv Individualität und Substantialität zu verbinden. Als neuerer und umfassender Repräsentant kann hier Rescher genannt werden478. In Absetzung zur grundlegenden These der Harmonie ist noch die moderne Interpretation von Deleuze zu erwähnen, die jedoch als Ausnahme zu gelten hat. Die Singularität wird hierbei im Gegensatz zur Ordnung auf die Disharmonie gegründet. Diese Rezeption weist implizit eine starke Betonung der Unvergleichlichkeit und auch der Monadizität der Individuen auf479. Prinzipiell ist die Individualität der Substanz nur für Gott erkennbar und für den menschlichen Intellekt eine anzunehmende Voraussetzung, die sich aus den Prinzipien der Vernunft formal begründen läßt. Daß Leibniz eine inhaltlich bestimmte Auffassung des Individuums vertritt, kann nicht bezweifelt werden. Leibniz gibt, um diese zu veranschaulichen bzw. zu begründen, verschiedene Erklärungsmodelle an, so z. B. wenn er eine gewisse graduelle Verschiedenheit der Monaden als Erklärung heranzieht480. Er vergleicht die Verschiedenheit der Individuen mit der Abfolge der Koordinaten auf einer Kurve481. Am anschaulichsten, besonders in Bezug auf das Raumproblem, ist die Stadtmetapher. „Es sind sogar alle einzelnen geschaffenen Substanzen verschiedene Darstellungen desselben Universums und der universalen Ursache desselben, nämlich Gottes; jedoch wechseln die Darstellungen hinsichtlich der
478
Vgl. RESCHER. Introduction. A. a. O. Vgl. DELEUZE. Die Falte. A. a. O. 480 Vgl. z. B.: LEIBNIZ. Monadologie (1714) §60, GP VI 617: „Ce n’est pas dans l’objet, mais dans la modification de la connoissance de l’objet, que les Monades sont bornées. Elles vont toutes confusement à l’infini, au tout, mais elles sont limitées est distinguées par les degrés des perceptions distinctes.“ 481 Vgl. LEIBNIZ. Infiniti possunt gradus esse inter animas (1686) A VI 4 B 1524 ff; diese Bestimmungsweise, die im wesentlichen eine funktionale Auffassung der Seienden bedeutet, liegt auch der von Leibniz vertretenen Kontinuität der Formen zugrunde. 479
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Vollkommenheit wie die verschiedenen Abbildungen oder Beschreibungen derselben Stadtansicht von verschiedenen Standpunkten aus.“482
Es läßt sich gegen Leibniz’ Theorie der Monaden als verschiedener Spiegelungen der Welt einwenden, daß damit der Inhalt der Monaden letztlich aufgehoben wäre, denn der Inhalt ist nur die Spiegelung der potenzierten Spiegelung483. Damit wären auch die Monaden selbst aufgehoben. Leibniz selbst scheint auf diesen Einwand zu antworten, wenn er, wie im obigen Zitat, sagt, daß die Monaden nur die Unendlichkeit Gottes auf verschiedene Weise spiegeln. Dies ist eine Erklärung, die den Einwand teilweise entkräftet, denn sie erklärt die Realität eines allgemeinen realen Inhalts, welcher anzunehmen ist, obgleich er niemals adäquat erfaßt werden kann; d. h. der Inhalt, der von den Monaden gespiegelt wird, ist nicht der der Welt, sondern der Gottes. Dies verbindet sich auch mit einem weiteren Aspekt, nämlich, daß die Monade kein passiver, sondern ein aktiver Spiegel 484 ist. Damit ist sie grundsätzlich als Substanz definiert. Diese Argumentation läßt jedoch ebenfalls die Frage nach dem individuierenden Faktor offen, mithin, nach dem dargelegten Zusammenhang, die Begründung für die Unendlichkeit des Raumes und seiner substantiellen Grundlagen. Wenn nämlich eine unterschiedliche Lage der Monaden vorauszusetzen ist, diese aber nicht als Lage im geometrischen Raum verstanden werden kann und in einem relationalen Raum auch nicht durch eine solche bestimmbar ist, dann stellt sich die Frage, wodurch die Vielen unterschieden sind, als Frage nach dem individuierenden Prinzip. Bevor sich die Untersuchung dem vollständigen Begriff zuwenden kann, müssen im folgenden die Entwicklungsschritte in Leibniz’ Individuumsauffassung – ebenfalls möglichst in ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit vom Kontinuum- und Raumproblem – analysiert werden. 482
LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) (SCHMIDT 442) A VI 4 B 1646: „Imo omnes substantiae singulares creatae sunt diversae expressione s ejusdem universi, ejusdemque causae universalis, nempe Dei; sed variant perfectione expressionis ut ejusdem oppidi diversae repraesentationes vel scenographiae ex diversis punctis visus.“; vgl. Aufzeichnungen zur Metaphysik (Dezember 1676) A VI 3 399; Monadologie (1714) §57, GP VI 616 483 Vgl. MAHNKE. Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. A. a. O. 563 484 Vgl. z. B. LEIBNIZ. An de Volder (20. Juni 1703) GP II 252 : „[…] specula vitalia […].“
2. Die Wurzeln der individuellen Substanz 2.1 Die nominalistische Definition der Substanz Leibniz’ erste schriftliche Auseinandersetzung mit der Individuationsproblematik ist zugleich der erste Text, der uns von ihm überliefert ist. Die Disputatio metaphysicae de principio individui aus dem Jahre 1663 bietet, unabhängig davon wie man ihre Bedeutung bewerten will, interessante Einsichten in Leibniz’ Auffassung über die individuelle Substanz. Es gibt Untersuchungen, die tendenziell eine grundlegende Stellung der dort vertretenen Auffassung betonen485, wie solcher, die diese Möglichkeit relativieren486. Zwei Aspekte sind in dieser Schrift für das weitere von Bedeutung: Zum Ersten untersucht Leibniz, in sehr enger Anlehnung an die von Francisco Suárez in seinen Disputationes metaphysicae487 vorgetragene Lösung, die Frage nach dem Prinzip der Individualität des Seienden. Die individuelle Substanz wird als ein real vor aller Erkenntnis und unabhängig von logischer Analyse existierende Entität aufgefaßt488. Die vertretene Theorie ist nominalistisch und kommt durch eine gewisse Vereinfachung der Position des Suárez zustande489. Zum Zweiten ist in der Disputatio ein Interesse festzustellen, die Frage nach dem Individuationsprinzip in den Zusammenhang mit der Problematik zu bringen, die Leibniz in der folgenden Zeit beschäftigt, d. h. mit der Frage nach der Berechtigung der substantiellen Formen und der Natur der Materie490. 485
Vgl. ESTERMANN. A. a. O. 38 ff So hat Marschlich (ANNETTE MARSCHLICH. Die Substanz als Hypothese. Leibniz’ Metaphysik des Wissens. Berlin 1997) geäußert, daß die Theorie des vollständigen Begriffs der individuellen Substanz in der reifen Philosophie, insbesondere in Hinblick auf die analytische Urteilstheorie, nicht von diesem frühen Verständnis her abgeleitet werden könnte. 487 Vgl. FRANCISCO SUÁREZ. Disputationes Metaphysicae V 488 Darauf hat schon MAHNKE (Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. A. a. O. 382 f) aufmerksam gemacht. 489 Vgl. MCCULLOUGH. A. a. O. 90 ff 490 Vgl. dazu auch Leibniz späteres Urteil über diese Zeit: LEIBNIZ. An Conring (19. März 1678) GP I 198: „Vidisses me de principio individuationis, de compositione continui, de concursus Dei singularia quaedam et ut tunc etiam aliis videbatur profunda commentantem, nec postea unquam haec studia degustasse poenituit. “ 486
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Es ist bereits mehrfach nachgewiesen worden, daß die Argumentation der Disputatio keine originellen oder eigenen Gedanken und Beweisführungen des jungen Leibniz enthält491. Er vertritt, häufig wörtlich, die Argumente Suárez’ und der Tradition der protestantischen Schulphilosophen seit Melanchton492. Dies ist auch die Position von Jacob Thomasius, Leibniz’ damaligem Lehrer. Thomasius trifft in seiner, der Disputatio vorangehenden Einleitung, eine Unterscheidung. Bei den materiellen Seienden, die eine gemeinsame Art bilden, wird die spezifische Differenz durch die jeweilige Materie angegeben. Diese Auffassung nennt Thomasius „sporadisch“. Die zweite Art der Individuation ist die der nichtmateriellen Seienden, der rein geistigen Wesen bzw. Engel. Da hier keine Materie gegeben ist, die eine spezifische Differenz bedingen könnte, bildet jeder dieser Seienden eine eigene Art. Diese Individuationsauffassung nennt Thomasius „monadisch“493. Leibniz bezieht sich in der Disputatio auf diese Optionen. Dazu heißt es, daß die eine (die monadische) sich auf alle Individuen anwenden läßt – für diese nennt er exemplarisch Scotus – die andere (die sporadische) – für die Thomas als Repräsentant steht – kennt eine doppelte Weise der Individuation494. Diese Bezugnahme auf die beiden Scholastiker ist insofern interessant und erwähnenswert, da Leibniz in den späteren Schriften zur Verdeutlichung seiner eigenen Auffassung häufig einen der beiden als Beispiel heran491
Vgl. z. B.: KABITZ. Die Philosophie des jungen Leibniz. A. a. O. 5; ESTERMANN. A. a. O. 38 ff; MUGNAI. Leibniz on Individuation. A. a. O. 36 ff. In Bezug auf Leibniz’ reifes System wurde zuletzt von Robinet (ANDRÉ ROBINET. Suárez im Werk von Leibniz. In: SL XXIII (1981) 76-79) darauf hingewiesen, daß Suárez nicht von großem inhaltlichem Einfluß ist. 492 Vgl. KARL ESCHWEILER. Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts (Spanische Forschungen der GörresGesellschaft I) Münster 1928. 251-325; 252 ff 493 Vgl. THOMASIUS. Praefatio. Origio controversiae de principio individuationis (30. Mai 1663) A VI 1 7: „Is ergò duo videtur individuorum agnovisse genera: qvorum unum liceat monadicum vocare, qvod in suâ scilicet specie solum est; alterum sporadicum, qvod sub eâdem specie vel innumera complectitur. Prioris exemplum Angeli; posterioris corpora qvævis sublunaria.“ Der Begriff der Monade bei Leibniz hat hat darin nicht seinen wesentlichen Ursprung, es sei u. a. auf diesen Begriff bei Bruno und den Phytgaoräern hingewiesen. 494 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §3, A VI 1 11: „Sunt autem duo genera opinionum; alii hypotheses habuêre ad omnia individua applicabiles, ut Scotus; alii secus, ut Thomas, qvi in corporibus materiam signatam, in Angelis eorum entitatem principium posuit.“
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zieht. In der Argumentation der Disputatio werden ihre Thesen jedoch widerlegt. Für Leibniz scheidet nun eine unterschiedliche Definitionsweise für die Individuation aus495. Mit dieser Voraussetzung ist die Formulierung der vier möglichen Individuationstypen, die er behandelt, vorbestimmt. Formal stellt sich hierbei die Frage, ob es sich beim Prinzip der Individuation um die ganze Seiendheit handelt, dies ist die erste und zu beweisende These, oder ob es sich um ein Teilprinzip handelt. Das Teilprinzip kann nun entweder negativ verstanden werden – das ist die zweite Position – oder als eine positive Bestimmung. Für die These der Definition des Individuationsprinzips als eines positiven Teilprinzips kommen nun schließlich die zuerst erwähnten Weisen bei Thomas und teilweise auch Scotus zur Behandlung. Die dritte Möglichkeit faßt zwei Weisen zusammen, d. i. die Individuierung der Essenz durch ein physisches Teilprinzip oder durch die Existenz. Die vierte These ist schließlich diejenige, die die Art durch ein metaphysisches Prinzip, die Haecceität, begrenzt496. Entscheidend für die Theorie der individuellen Substanz ist die Vorraussetzung einer realen Undifferenziertheit des Seienden. Jedes Seiende ist ein Individuum. Jedes Seiende ist in derselben Weise – monadisch – individuiert. Die Definition des Prinzips der Individuation, die sich ebenfalls auf die Autorität von Suárez stützt497, lautet: „[...] Ein jedes Individuum ist durch seine ganze Seiendheit individuiert.“498
495
Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §3, A VI 1 11: „Nos qvoniam hîc abstrahemus à substantiâ materiali et immateriali, speciales opiniones aliô tempore consideraturi, nunc generales tantùm excutiemus.“ 496 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §3, A VI 1 11: „Qvas præcipuè qvatuor numerare licet. Aut enim Principium Individuationis ponitur Entitas tota (1), aut non tota. Non totam aut Negatio exprimit (2), aut aliqvid positivum. Positivum hoc aut pars Physica est essentiam terminans, Existentia (3); aut Metaphysica speciem terminans, Hæcceitas (4).“ 497 Vgl. SUÁREZ. Disputationes metaphysicae V Sectio VI 1 (I 180): „[...]relinqui omnem substantiam singularem, neque alio indigere individuationis principio praeter suam entitatem, vel praeter principia intrinseca quibus ejus entitas constat.“; zitiert nach: ESTERMANN. A. a. O. 48 498 LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §4, A VI 1 11: „[…] omne individuum suâ totâ Entitate individuatur.“
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Die Prämisse, die diese These stützt und die Theorien abweist, die ein Teilprinzip als Individuationsprinzip annehmen, lautet: „Wodurch jegliches etwas ist, dadurch ist es eines der Zahl nach. Aber ein Ding ist dies ohne Ausnahme durch seine Seiendheit. Der Obersatz wird dadurch bestätigt, daß das Eine dem Sein nichts hinzufügt.“ 499
Damit ist abzuleiten, daß ein Seiendes durch sich selbst determiniert bzw. individuiert ist, und nicht durch etwas Hinzukommendes500. Leibniz beweist dies negativ durch eine reductio ad absurdum: Vorausgesetzt, daß das numerisch Eine dem Sein etwas Reelles hinzufügt, müßte jenes als aliquid wiederum ein Seiendes sein. Es müßte also dieses Etwas sich selbst etwas hinzufügen, was zu einem Widerspruch führt. Oder diesem Etwas müßte wiederum etwas Reelles hinzugefügt werden, welches wieder ein Seiendes wäre usw.. Dies würde zu einem infiniten Regreß führen501. Daraus folgt, daß die Voraussetzung, daß das numerisch Eine dem Sein etwas Reelles hinzufügt, falsch ist. Zwar können die beiden Bestimmungen, Einheit und Sein, mental unterschieden werden, sie sind realiter aber ununterscheidbar. Für das Individuationsprinzip bedeutet dies, wie es im weiteren Text exemplifiziert wird, daß weder etwas Hinzukommendes im Sinne eines aliquid – denn dies müßte wiederum ein individuelles Seiendes sein – noch irgendein Teil, Individuationsprinzip sein kann. Die zweite Position, die das Individuationsprinzip als Negation auffaßt, wird verhältnismäßig kurz abgehandelt. Die Individualität kann nicht durch die Negation erklärt werden. Jedoch können in einem (ontologisch-) transzendentalem Sinne Aussagen mit Negation über die Individuen bzw. die Individualität getroffen werden. So ist das Individuum allgemein durch die Verneinung der Teilbarkeit bestimmt502. Zum anderen ist durch „[…] die Negation der Identität mit anderen das Individuum von den anderen wahr499
LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §5, A VI 1 12: „Per qvod qvid est, per id unum numero est. Sed res qvælibet per suam Entitatem est. […] Major probatur, qvia unum supra Ens nihil addit reale.“ 500 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §8, A VI 1 13: „[...] natura sit determinata in se per seipsam, non per aliqvid additum.“ 501 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §6, A VI 1 12. 502 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §11, A VI 1 14: „[...] negatio divisionis, est quasi generalis individui […].“
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haft unterschieden […]“503. Diese kurze Behandlung zeigt wie Leibniz, bewußt oder unbewußt, die scholastischen Transzendentalien504, hier insbesondere res, unum und aliquid, in einem, nämlich sozusagen dem „individuum“ konzentriert. Für die Negation der Teilung wird das unum herangezogen. Der Begriff des Individuums legt darüber hinaus eine Washaftigkeit nahe, die man mit der transzendentalen Bestimmung des res anspricht. Individuum impliziert außerdem noch eine je spezifische Washaftigkeit. Die Unterschiedenheit von anderen, die man mit dem aliquid, im Sinne eines anderen Was, angeben kann, wird von Leibniz ebenfalls durch das „individuum“ zum Ausdruck gebracht. Die Bedingung für diese Konzentration der transzendentalen Bestimmungen liegt in der nominalistischen Tendenz begründet, mit der Leibniz das Seiende generell als Individuum auffaßt. Ein numerischer Unterschied bedeutet nach dieser Voraussetzung, daß es sich um eine individuelle Substanz handelt505. Man kann in gewisser Weise die Unteilbarkeit als ein formales Prinzip der Individuation lesen506. Leibniz, der die individuelle Substanz physisch auffaßt, dürfte dies nicht bewußt geworden sein. Die formale Einheit des Individuums ist für Leibniz mit dem Individuum bereits gegeben, wie es sich aus den angeführten Axiomen leicht folgern läßt. Diese implizite Identifizierung von individueller Bestimmtheit und Unteilbarkeit wird sich auch später im vollständigen Begriff der individuellen Substanz wieder finden, sofern der Begriff durch das Wissen des unendlichen Intellekts garantiert ist. 503
LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §11, A VI 1 14: „[...] negatio identitatis cum alio, [...] hoc individuum ab alio verè distinctum.“; vgl. dazu auch: THOMAS VON AQUIN. Summa theologica I 29 4 c: „Individuum […] est quod est in se indistinctum, ab aliis vero distinctum.“ 504 Die klassischen Transzendentalien sind: ens, res, unum, aliquid, verum und bonum. Sie alle sind miteinander vertauschbar, d. h. sie fügen dem Sein nichts Neues hinzu, sondern bringen nur einen bestimmten Aspekt zum Ausdruck und können insofern ausgetauscht werden, als sie sich auf Eines, nämlich das Seiende beziehen. Vgl. THOMAS VON AQUIN. De veritate q. 1, a. 1.; angegeben nach: LEO ELDERS. Die Metaphysik des Thomas von Aquin in historischer Persepktive. 2 Bde. Salzburg / München 1985. I 52, 58 f 505 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §9, A VI 1 13: „Si differt numero intrinsecè, individuat seipsam.“; dies stützt Leibniz auf die These von Durandus, ebd. §7: „[…] universale et singulare non differunt realiter. […] habeant eadem principia. […] Entitas tota, quae est principium universalitas, erit singularitas.“ 506 Vgl. MCCOLLOUGH. A. a. O. 117 ff
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Die dritte Position, die die Existenz als Individuationsprinzip annimmt, wird grundsätzlich dadurch zurückgewiesen, daß es keine Möglichkeit der Unterscheidung von Essenz und Existenz geben kann507. Die weitere Kritik dieser Position ist dabei auch aufschlußreich für das Verständnis der Materie. Entweder ist die Essenz unabhängig von der Existenz ein ens reale, oder sie ist nichts. Da sie aber weder selbst existieren kann – da es ansonsten zu einer Zusammensetzung von zwei Seienden kommen würde – noch nichts sein kann, wird sie als potentiell angenommen. „Wenn folglich die Essenz rein potentiell ist, dann sind alle Essenzen erste Materie. Denn zwei reine Potenzen unterscheiden sich nicht, außer in Beziehung auf ihren Akt; weil diese Relation mit einem Seienden in Potenz besteht, ist sie nicht real.“508
Eine jede Essenz muß demnach, um diesen Konsequenzen zu entgehen, als individuiert und existierend angenommen werden. Die thomasische Lehre der Individuation durch die Materie betreffend, die hier ebenfalls indirekt kritisiert wird, hatte Leibniz bereits anfangs eingewendet, daß der materiale und der formale Aspekt des Individuums bzw. Art und Individuum nicht real unterschieden seien509. Wie man aus dieser kurzen Darlegung ebenfalls folgern kann, ist es nicht möglich, daß die Materie im scholastischen Verständnis Individuationsprinzip sein kann. Sie wird als potentiell definiert. Leibniz’ implizite Voraussetzung ist, daß es kein potentielles Sein geben kann. Die scholastische Materie ist für ihn demnach nichts. Folglich muß die Materie, um dieser Konsequenz zu entgehen, einen Seinsakt besit-
507
Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §14, A VI 1 15: „Sed essentia et existentia non possunt separari [...].“; vgl. zu diesem Argument bei Scotus und Suárez: LUDGER HONNEFELDER. Scientia transcedens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus – Suárez – Wolff – Kant – Peirce). Hamburg 1990. 281 508 Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §15, A VI 1 15: „Si igitur essentia est purè potentialis, omnes essentiæ sunt materia prima. Nam duo purè potentialia non differunt, ne relatione ad actum quidem, qvia hæc Relatio cum sit ad Ens in potentiâ, non est realis.“ 509 Vgl. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §10, A VI 1 13: „[...] materiale et formale individui seu species et individuum non differunt realiter.“
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zen510. Diese Folgerung ist bereits von vorneherein dadurch festgelegt, daß Leibniz durch die anfängliche Abstraktion von jeglicher Materialität die materiellen Entitäten unter einem formellen Aspekt betrachten kann. Er hat sich damit die Möglichkeit geschaffen, von der Problematik der substantiellen Formen in der Physik abzusehen. Andererseits können nun physikalische Entitäten, da ihnen ihr eigenes Sein zugeschrieben werden kann, hinsichtlich ihrer faktischen Operationen einer „Wesensanalyse“ unterzogen werden511. Als letzten und vierten Punkt behandelt Leibniz die scotistische Individuationstheorie, die Individuation durch die Haecceität, die er als eine metaphysische These bezeichnet. Sie nimmt den größten Umfang der Untersuchung ein und stellt die eigentliche Antithese dar512. Die Haecceität ist nach Scotus die letzte Vollkommenheit und Differenz der individuellen Substanz513. Sie ist in keinem Fall eine additive Ergänzung zur Essenz oder ein einfaches Teilprinzip, wie Leibniz es interpretiert. Man kann hier ergänzen, daß auch für Thomas das materiale Prinzip, als materia quantitate signata, kein Teil des Seienden im physischen Sinne, sondern ein Teilprinzip der
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Vgl. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) Corollaria I, A VI 1 19: „Materia habet de se actum Entitativum.“ Diese Auffassung vertreten auch Scotus und Suárez, auf Grund derselben Kritik an der thomasischen Materiedefinition als Potentialität. Vgl. HONNEFELDER. Scientia Transcendens. A. a. O. 282 511 In ähnlicher Weise stellt ESTERMANN (a. a. O. 45 f) dar, daß Leibniz mit seiner Disputatio indirekt in Auseinandersetzung mit dem Problem der substantiellen Formen tritt, bzw. dem Problem eines Mechanismus vs. Aristotelismus. Er bezieht sich hierbei auf: QUILLET. Disputation Métaphysique sur le principe d’individuation de G. W. Leibniz (1663). In: Les Etudes Philosophiques. 1/1979. 97-105 512 Dies ist nicht zuletzt darin begründet, daß Scotus, wie es Leibniz selbst voraussetzt, keinen Unterschied zwischen numerischer und indiviudeller Einheit annimmt. Für Scotus ist jedoch die Haecceität als Individuationsprinzip nicht mit dem Seienden einfachin identisch. Vgl. JORGE J. E. GRACIA. Individuality and the Individuating Entity. In: Johannes Duns Scotus. Metaphyiscs and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood, Mechthild Dreyer. Leiden / New York / Köln 1996. 229-249; 230 ff 513 Vgl. JOHANNES DUNS SCOTUS. Ordinatio II d. 3 p. 1 q. 5-6 n. 180, ed. Vat. VII 479: „Quoad hoc ista realitas individui est similis realitati specificae, quia est quasi actus, determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem, – sed quod hoc dissimilis, quia ista numquam sumitur a forma addita, sed praecise ab ultima realitate formae.“; zitiert nach: HONNEFELDER. A. a. O. 131 / FN 112
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Substanz als Ganzheit ist514. Für Scotus kommen ebenfalls weder akzidentelle Bestimmungen, noch die thomasische materia quantitate signata für die Individuation des Seienden in Frage. Ebenso verwirft er die Individuation durch die Existenz wie auch durch Formen und Washeiten, da diese für Scotus ihrer Natur nach allgemein sind515. Scotus folgert aus der Notwendigkeit eines Individuationsprinzips und der Tatsache, daß keine der Möglichkeiten konsistent ist, daß ein eigenständiges und nicht mehr qualitatives Prinzip hierfür anzunehmen ist. Die Individualität des Individuums kann nicht mehr durch Bestimmungen ausgedrückt werden, was einen Zirkelschluß bedeutet; sie kann aber auch nicht nur als bloßes Zugrundeliegen definiert werden. In diesem Sinne ist die Haecceität keine Bestimmung mehr, dennoch wird sie als Prinzip der Individuation definiert, da sie die tatsächlich existierende Substanz individuiert. Die Haecceität leistet dabei die Einheit des Individuums, die letzte Kontraktion aller Bestimmungen des Seienden. Leibniz’ Widerlegung dieser Ansicht bezieht sich auf Scotus’ Annahme realer Universalien und formaler Differenzen im Seienden516, Voraussetzungen, die aufgrund des Vorherigen bereits als unzureichend dargelegt sind. Ist 514
Vgl. auch: H. BECK. Das Individuationsprinzip bei Duns Scotus und Thomas von Aquin. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie VII (1964) 115-132; 125 ff; angegeben nach: METZ. A. a. O. 308 515 Vgl. HONNEFELDER. A. a. O. 129 ff; GRACIA. A. a. O.; v. a. 240-244 516 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §§16 f, A VI 1 15; §24, A VI 1 18. Dieser Sachverhalt ist m. E. deshalb relevant, da Leibniz in der späteren Formulierung der individuellen Substanz eine implizite Differenz annimmt, die in gewisser Analogie zur formalen Differenz bei Scotus steht. Dies gilt für das Gesetz der Prädikate, das diese individuiert, obgleich die individuellen Bestimmungen nicht gesondert betrachtet werden können, bzw. zumindest nicht als einfache Begriffe erkannt werden können. Desweiteren besteht eine Analogie zur Differenz zwischen Einheit des Gesetzes und Vielheit der Phänomene, die individuelle Subjektivität in Bezug auf ihre Perzeptionenfolge betreffend. Vgl. dazu auch: KAEHLER. Leibniz – Der methodische Zwiespalt der Metaphysik der Substanz. A. a. O. 23 f; 50. Leibniz wird diese Differenz niemals als solche charakterisieren. Dennoch bleibt unklar, auf welche Weise der vollständige Begriff in seinem ganzen Umfang und seiner Individualität konsistent definiert werden kann, wenn die einfachen Begriffe allen zukommen und in dieser Hinsicht Universalien darstellen und dennoch im vollkommenen Begriff individuiert bzw. in ihrer jeweiligen Komplexion individuierend sein sollen. Dazu: s. u. Kap. III 4.3
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die Substanz durch die gesamte Seiendheit individuiert und existiert real nur das Individuum, sind alle Unterscheidungen für Leibniz hinfällig. Die Essenzen sind für sich individuell bzw. einzelne (numeri), wie es Leibniz in den Corollaria formuliert.517 Die Haecceität ist für Leibniz wiederum eine Entität und würde eine Verdoppelung des Seienden bedeuten. Die individuelle Substanz wird in der Disputatio in einer entschieden nominalistischen Weise definiert, die für alle späteren Probleme von Einfluß bleiben wird. Kein Teilprinzip und keine externe Bestimmung individuiert die Substanz, sie ist für sich aufgrund ihrer ganzen Seiendheit individuiert. Leibniz bezieht hier, der scholastischen Tradition folgend, die Akzidenzien nicht mit ein, wie es beim vollständigen Begriff der Fall sein wird518. Dadurch, daß er jedoch das physische Individuum in seiner ganzen Seiendheit als Prinzip der Individualität anspricht und die Unterscheidungen als nur mentale gelten läßt, wird die spätere Aufhebung von akzidentellen und essentiellen Bestimmungen vorgeprägt519. Indem Leibniz sich auf die tatsächliche individuelle Substanz bezieht, wie dies für den Nominalismus konstitutiv ist, führt er auch noch ein Argument ein, das im späteren immer wieder auftreten wird. Die endliche Vernunft kann die Individualität nicht erkennen bzw. nicht die individuellen Eigenschaften aus ihrer Ursache ableiten. Dadurch daß ihr aber eine individuelle Entität in ihrer Perzeption gegeben ist, kann sie a posteriori schließen, daß es sich um ein Individuum handelt. Damit ist die Einheit bzw. die Ungeteiltheit des Individuums die Einheit des Seienden selbst. Das Individuum 517
Vgl. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) Corollaria III, A VI 1 19: „Essentiae rerum sunt sicut numeri.“ 518 Vgl. LEIBNIZ. Disputatio metaphysica de principio individui (1663) §10, A VI 1 14: „Verùm nos accidentia et entia incompleta removimus à nostrâ tractatione.“; im letzten Paragraphen der Widerlegung der scotistsichen These schreibt Leibniz (ebd. §29, A VI 1 18): „Inexplicabile est qvomodo accidentia individualia ab Hæcceitate oriantur, ex nostrâ enim sententiâ facilè explicari potest, qvia dantur dispositiones materiae ad formam, nullæ verò speciei ad Hæcceitatem.“ 519 In ähnlichem Sinne folgert auch ESTERMANN. A. a. O. 101: „Diese eigentlich suárez’sche Lösung des Individuationsproblems enthält in sich bereits die späteren Konzeptionen eines vollständigen individuellen Begriffs (notio completa vel individua), der Essentialität aller Eigenschaften eines Individuums, der Fensterlosigkeit der Monade, bis hin zum Principium identitatis indiscernibilium und der Geschlossenheit der möglichen Welten. Ist die Gesamtheit der Eigenschaften (tota entitas) eines Individuums für dessen Individualität konstitutiv, fällt jede Möglichkeit, zwischen essentiellen und akzidentellen Eigenschaften zu unterscheiden, dahin.“
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zerfällt nicht in die Summe seiner Bestimmungen, weil es tatsächlich nur als Individuum ein Seiendes sein kann und als solches immer unteilbar ist. Die im reifen System durch den vollständigen Begriff gegebene Einheit hat demnach in der tatsächlich existierenden Substanz ihren Vorläufer. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn die Freiheitsproblematik zur Definition des Individuums hinzukommt und sich zeigt, daß der vollständige Begriff als eine gewisse Integration der tatsächlichen Geschichte eines Individuums aufgefaßt werden muß. Die nominalistische Theorie der Substanz, die Leibniz hier vorlegt, bleibt im wesentlichen die Grundlage der weiteren Überlegungen520.
2.2 Freiheit des Individuums und externes Individuationsprinzip Für die Folgezeit kommt der Confessio philosophi aus dem Jahre 1672/73 521 für das Verständnis des Individuationsprinzips bei Leibniz eine besondere Bedeutung zu. Die Confessio ist, wie es Leibniz ähnlich auch in anderen Dialogen handhabt, ein Gespräch zwischen einem Theologen und einem Philosophen. Leibniz legt seine eigene Position dabei dem Philosophen in den Mund, der die Streitigkeiten der Theologie rational zu lösen unternimmt522. 520
Wenn HONNEFELDER (a. a. O. IX; 202 ff) darauf hinweist, daß Leibniz’ Metaphysik keine Wissenschaft vom „ens inquantum ens reale“ darstellt, da die Monade wesentlich vom cartesischen cogito bestimmt ist, so ist dies teilweise richtig und berechtigt dazu, Leibniz aus einer Untersuchung der Vertreter eines solchen Metaphysikverständnisses auszuschließen. Andererseits übersieht diese Argumentation, daß die Faktizität des Individuums von Leibniz als Tatsachenwahrheit von den Vernunftwahrheiten unterschieden wird. Vgl. dazu: s. u. Kap. III. 3 521 LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter1672/73) A VI 3 115-149. In dieser Schrift finden sich bereits einige der wesentlichen Prinzipien der Leibnizschen Philosophie: Der Satz vom Grund, der Satz von der Äquipolenz von Ursache und Wirkung, das Gesetz der Kontinuität, die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums und die „Weltenschachtelung“, die Harmonie aller Dinge und das Prinzip des Besten als Begründung für die wirklichen Welt, die These der Kontingenz als hypothetische Notwendigkeit und schließlich das Prinzip der Individualität. 522 Leibniz hat dieser Schrift auch den Titel Fragmentum Dialogi de Humana libertate et justitia Dei (A VI 3 118) gegeben. Sie wurde daher und wegen ihres Inhalts auch erste Theodicee genannt.
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In diesem Dialog wird das Prinzip der Individuation gegen Ende der Abhandlung als Lösung der bisher aufgeworfenen Probleme behandelt und explizit als extern bezeichnet. In den Kontext führt folgende Frage des Theologen treffend ein. „Da die Seelen untereinander sehr ähnlich sind oder, um scholastisch zu sprechen, da sie sich nur der Zahl oder höchstens dem Grad nach unterscheiden und infolgedessen nur durch äußere Eindrücke verschieden geprägt sind, welchen Grund für die Verschiedenheit kann es in dieser Universalharmonie geben, weshalb eher diese Seele als jene den Umständen ausgesetzt wird, die ihren Willen verführen, oder (was auf Dasselbe hinausläuft) warum wird gerade sie in diese Zeit und an diesen Ort gestellt?“523
Die Fragestellung des Theologen steht in dieser Formulierung ganz auf dem Boden der von Leibniz entwickelten Problemlage. Wie es in der voraufgehenden Diskussion entwickelt wird, ist die Welt für Leibniz bereits ein harmonisches System individueller Substanzen. Die Frage nach der Individualität der Einzelnen steht damit im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Vorherwissen Gottes und der Freiheit der Geschöpfe. Die Beantwortung nun „berührt […] die dornige Untersuchung über das Prinzip der Individuation“524. Die Lösung, die Leibniz folgend formuliert, nämlich die eines externen Individuationsprinzips, bedeutet eine gewisse Absetzung von der These der Disputatio. Das Individuum kann, nach den dortigen Ausführungen, nicht durch ein zusätzliches Prinzip erklärt werden, da dies die Verdoppelung des Seienden zur Folge hätte. Im Unterschied zur Disputatio ist auch der Begriff der numerischen Verschiedenheit zu lesen. Die hier als scholastische Auffassung vertretene numerische Verschiedenheit unterscheidet sich von der in der Disputatio vertretenen. Dort ist der Begriff noch verhältnismäßig unpräzise. Er kann sowohl die unbestimmte substantielle Einheit, als auch die inhaltliche, individuelle Bestimmtheit bedeuten. Die numerische Verschie523
LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) (SAAME 125) A VI 3 147: „Hoc tamen alterum expedias superest, cum animae sibi per se sint simillimae, vel ut scholae loquuntur, solo numero aut certe gradu differant, ac proinde solis externis impressionibus varientur, quae possit in harmonia illa universali ratio diversitatis esse, cur haec potius quam illae circumstantiis voluntatem depravaturis obiiciatur, vel (quod idem est) hoc tempore constituatur in hoc loco.“ 524 LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) (SAAME 125) A VI 3 147: „Tangitur […] spinosissima tractatio de principio individui [...].“
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denheit in der Confessio bedeutet hingegen eine gegen jegliche inhaltliche Bestimmtheit indifferente Natur aller in dieser Weise verstandenen Entitäten. Die so verstandene numerische Verschiedenheit ist eine wesentliche Voraussetzung der Argumentation. Eine weitere Voraussetzung ist, daß die Umstände des jeweiligen Weltzusammenhanges die Handlungen und das Schicksal einer jeden Substanz determinieren. Die Schnittstelle zwischen diesen beiden Konstituentien des faktischen Individuums sind die konkreten Raum- und Zeitstellen. Diesen kommt damit die entscheidende Bedeutung für die Erklärung des Individuationsprinzips zu. Leibniz gibt nun folgende These: „Zwei Eier mögen sich so ähnlich sein, daß nicht einmal ein Engel (unter der Voraussetzung der größten Ähnlichkeit) einen Unterschied bemerken könnte, und trotzdem, wer wollte es leugnen, unterscheiden sie sich voneinander. Zumindest darin, daß das eine dieses, das andere jenes ist, d. h. durch die Diesheit bzw. weil sie je das eine oder das andere sind, d. h. durch die Zahl. Allein was bedeutet es uns, wenn wir zählen oder wenn wir Dies sagen? (Zählen heißt ja Dies wiederholen.) Was ist Dies bzw. die Bestimmung? Was anders als Wahrnehmung der Zeit und des Ortes [...].“ 525
Anders als es z. B. aus dem Briefwechsel mit Clarke bekannt ist, wird der Unterschied, der festzustellen ist, als nur numerischer bestimmt; d. h. die Entitäten unterscheiden sich nicht inhaltlich. Jedoch wird, wie man präzisieren kann, ein Unterschied wahrgenommen. Er zeigt sich durch die unterschiedliche Position in Raum und Zeit. Daraus folgert Leibniz nun die Externität des Individuationsprinzips. „Hier sind also – worüber Du Dich wundern kannst – die Prinzipien der Individuation außerhalb des Dinge selbst: denn es ist weder einem Engel noch, wie ich zu sagen wage, Gott möglich, zwischen den besagten Eiern (unter Voraus-
525
LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) (SAAME 124) A VI 3 147:„Sint duo ova, ita sibi similia ut ne Angelus quidem (ex hypothesi summae similitudinis) observare differentiam possit, et differre tamen quis neget? Saltem eo quod unum est hoc, alterum hoc, seu haecceitate, vel quod sunt unum et alterum, seu numero. Sed quid volumus nobis cum numeramus, seu cum dicimus hoc (numerare enim est repetitum hoc), quid est hoc? seu determinatio? Quid? nisi sensus temporis et loci [...] .“
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setzung der größten Ähnlichkeit) einen anderen Unterschied festzustellen, als daß im jetzigen Augenblick dieses am Ort A, jenes am Ort B liegt […].“526
Die Tatsache, daß Leibniz hier das Individuationsprinzip als äußerlich definiert, ist von allen späteren Aussagen her, wie sie bereits teilweise wiedergegeben wurden, ungewöhnlich. Das Verwunderliche für seinen Dialogpartner ist jedoch etwas anderes. In der Schulphilosophie ist das Prinzip der Individuation innerlich. Auch Thomas’ materia quantitate signata ist ein inneres Prinzip. Bestimmungen des Ortes und der Zeit sind akzidentell und sie werden, wie es in der Disputatio auch der Fall war, nicht für die Individuation der Substanz in Betracht gezogen. Indem Leibniz betont, daß es auch für Gott unmöglich sein soll die beiden Eier des Beispieles, unabhängig von ihrer unterschiedlichen Position im Raum, voneinander zu unterscheiden, steht fest, daß der zahlenmäßige Unterschied auf keinem inneren beruhen kann527. Diese These unterscheidet sich in gewisser Weise auch von der der Disputatio. Da andererseits die beiden materiellen Entitäten von der größten anzunehmenden Gleichheit sein sollen, wie Leibniz dies zweimal betont, läßt sich der Gegensatz jedoch auch relativieren. Das Individuum war dort als physisches individuiert. Entfallen alle Unterschiede, so bleibt zuletzt nur der Unterschied, der sich in der Position in Raum und Zeit zeigt. Dieser Unterschied ist für solche idealisierten materiellen Entitäten der einzig anzunehmende. Eine vollständige Antwort auf die eingangs zitierte Frage hat Leibniz damit aber nicht gegeben. Dadurch daß er sich an die Einfachheit der Sache hält, verspricht er sich jedoch auch die Lösung für die Frage nach dem Indi-
526
LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) (SAAME 125) A VI 3 147: „En ergo tibi quod mireris, principia individuationis, extra rem ipsam: neque enim inter illa ova aliud discrimen assignare vel Angelo vel ut audacter dicam Deo possibile est (ex hypothesi summae simmilitudinis) quam quod praesenti tempore hoc est in loco A, illud in loco B [...].“ 527 Vgl. J. A. COVER / J. O’ LEARY-HAWTHORNE. Substance and Individuation in Leibniz. Cambridge 1990. 60: „Leibniz is fully aware of committing himself thereby to the idea that the principle of individuation of a thing is not internal to it.“; zitiert nach: MUGNAI. Leibniz on Individuation. A. a. O. 39
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viduationsprinzip für die Seelen, oder wie er sie lieber nennen will, die Geister528. Auch die Geister sind durch Raum und Zeit individuiert. „Nimmt man dies an, so löst sich die ganze Frage auf. Denn zu fragen, warum diese Seele vor einer anderen zuerst diesem Ort und diesem Zeitumstand ausgesetzt wird (wovon die ganze Kette von Leben, Tod, Heil oder Verdammung herrührt) und warum sie infolgedessen von den einen zu den anderen Umständen kommt, wenn die Reihe der Dinge, die außerhalb ihrer ist, es so mit sich bringt, heißt fragen, warum diese Seele diese Seele ist. Stell Dir vor, eine andere Seele hätte in diesem Körper (d. h. einem Körper am selben Ort und zur selben Zeit) am selben Ort und zur selben Zeit angefangen zu existieren, wie diese angefangen hat; jene selbe Seele, die du eine »andere« nennst, ist dann keine andere, sondern diese.“529
Wendet man die Argumente aus den vorherigen Aussagen, die Leibniz dieser Antwort vorausgeschickt hat, an, dann sagt Leibniz aus, daß eine jede Seele bzw. eine Substanz durch ihre jeweilige Raumzeitstelle individuiert wird. Wenn sie durch diese damit einhergehenden Umstände determiniert wird, dann wird sie durch diese als einem externen Prinzip individuiert. Dies folgt aus der allgemeinen Gültigkeit der voraufgegangenen Thesen. Der Zusammenhang mit dem Freiheitsproblem und dem Vorherwissen Gottes, der das Thema des Dialog insgesamt und auch vorliegender Antwort ist, läßt jedoch an der tatsächlichen Annahme der Externität des Individuationsprinzips zweifeln. Würde nämlich die Seele von den äußeren Umständen individuiert, dann könnte Leibniz keine Antwort auf die Frage geben, die eingangs gestellt wurde, nämlich welchen Grund es für die unterschiedliche Stellung in der Universalharmonie gibt. Da eine Seele indifferent zu allen diesen Stellen ist, kann in ihr selbst kein Grund für die spezifische Stellung gefunden werden. Sie kann aber, was wesentlicher ist, nicht mehr als 528
Vgl. LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 148: „[…] nisi animas quoque, seu ut appellare malo, mentes, loco et tempore velut individuari seu fieri, has.“ 529 LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 148: „Hoc posito tota quaestio evanescit. Quaerere enim cur haec anima prae alia his loci temporisque circumstantiis (unde tota vitae mortis salutisque aut damnationis series oritur) sit primum objecta, et per consequens ex aliis in alias, serie rerum extra ipsam ita ferente, transeat; est quaerere, cur haec anima sit haec anima. Finge aliam animam in corpore hoc (seu eiusdem loci temporisque) eodem, quo haec inceperat, loco et tempore, existere incepisse; illa ipsa anima quam tu aliam vocas, erit non alia, sed haec.“
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frei bezeichnet werden, da sie durch die Umstände determiniert würde. Denn mit der externen Individuation geht eine strenge Determination einher. Leibniz zieht diesen Schluß nicht in der Deutlichkeit wie im reifen System, wo die Individuation durch den vollständigen Begriff gegeben ist. Diese Möglichkeit ist jedoch in der zitierten Passage auch nicht ausgeschlossen. Es heißt explizit, daß eine Seele durch den Ort determiniert bzw. individuiert wird. Er sagt nicht aus, daß der Ort nicht wiederum anderweitig individuiert ist. Hinzukommt, daß vom Wissen Gottes aus mit der Seele zugleich ihre Umstände gegeben sind, d. h. das Individuationsprinzip nicht extern ist. Folgende Marginalie530 kann diese Auslegung unterstützen: „Die selbe Seele, die noch gänzlich unausgeprägt ist, würde, in dieselben Umstände versetzt, genauso handeln, denn in Wirklichkeit wäre es keine andere, sondern dieselbe, weil kein Unterschied besteht.“531
Die Aussage unterscheidet sich inhaltlich nicht von der aus dem Text der Confessio. Leibniz argumentiert hier jedoch bereits terminologisch in der Weise des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren. Daß Leibniz hier bereits mittels des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren argumentiert, welches ein internes Prinzip der Individuation voraussetzt, ist wahrscheinlich, da das Abfassungsdatum der Marginalie nach der Meditatio de principio individui532 liegt, in der er bereits dieses Prinzip explizit einführt und anwendet. In der Marginalie spricht Leibniz zwar zu Beginn die Seelen als „gänzlich unausgeprägte“ an und das bedeutet, daß man sie als nur numerisch verschieden aufzufassen hat. Schließlich folgert er aber, daß jede Seele in den selben Umständen die selbe wäre, weil „kein Unterschied besteht“. Ganz ähnlich lautet die Aussage im Text der Confessio. Der ursprünglich angenommene numerische Unterschied muß durch den Umstand, daß eine andere Seele in derselben Raumzeitstellung eben keine andere, sondern dieselbe ist, als sozusagen überformt und letztlich aufgehoben angesehen wer530
Die Marginalien zur Confessio sind, wie nachgewiesen wurde, handschriftliche Einwände von Nils Stensen und Leibniz’ Antworten darauf. Sie sind wahrscheinlich zwischen 1676 und Ende 1678 entstanden. Vgl. OTTO SAAME. Confessio philosophi. Frankfurt 1967. 20 ff 531 LEIBNIZ. Confessio philosophi (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 148: „Eadem anima plane non imbuta, in iisdem circumstantiis posita idem ageret, revera enim non esset alia sed eadem, quia nullum discrimen.“ 532 LEIBNIZ. Meditatio de principio individui (1. April 1676) A VI 3 491. Vgl. dazu das folgende Unterkapitel
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den. Leibniz wird sich dessen m. E. erst später bewußt und formuliert daraufhin sein Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren. Vom Freiheitsproblem her ist dieser Schluß jedoch bereits unvermeidlich. Dies wird auch an einer Stelle deutlich, die Leibniz erst um 1690 geschrieben hat und die sich auf eben diesen Sachverhalt bezieht. Dieser Satz könnte bereits ebenso in der Confessio stehen. „Die Wurzel der Freiheit liegt in den ursprünglichen Anlagen. Du wirst darauf bestehen: du wirst beklagen können, warum Gott dir nicht mehr Kräfte gegeben hat. Ich antworte: wenn er das getan hätte, so wärest du nicht du, denn dann hätte er nicht dich, sondern ein anderes Geschöpf hervorgebracht.“533
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Entscheidende der Confessio nicht die These eines externen Individuationsprinzips, sondern vielmehr die Vorarbeit zu Internalisierung aller externen Bestimmungen ist534. In dieser Hinsicht kommt es damit schließlich auch zu der im Text ausgesagten Absetzung von der von den scholastischen Philosophen und Theologen allgemein vertretenen These der Individuation. Für Leibniz müssen die akzidentellen Umstände in das Prinzip der Individuation integriert werden, denn die Umstände von Zeit und Raum sind konstitutiv für die Individualität des Individuums.
2.3 Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (principium identitatis indiscernibilium) ist die formale Grundlage der Theorie der individuellen Substanz. Um die damit begründete individuelle Substanz zu veranschauli533
LEIBNIZ. Mentes ipsae per se dissimiles sunt inter se (März 1689–März 1690) A VI 4 B 1639: „Radix libertatis est in dispositionibus primitivis. Instabis: queri te posse, cur Deus tibi non plus virium dederit. Respondeo: si hoc fecisset, tu non esses, nam non te, sed aliam creaturam produxisset.“ 534 Man kann als Bestätigung für die These auch den Umstand ansehen, daß Leibniz diesen Text Nils Stensen im Jahre 1676/77 als Diskussionsgrundlage übergeben hat. Da er um diese Zeit bereits die Internalisierung sämtlicher externer Bestimmungen in entschieden stärkerer Weise explizit vertitt, kann die Confessio in den Augen ihres Verfasser wahrscheinlich in einem so zentralen Punkt nicht eine gegenteilige Position vorlegen.
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chen, bedient sich Leibniz in den reifen Schriften mehrmals des Vergleichs mit der thomasischen Lehre von der Individuation der Engel535, so z. B. wenn er an Arnauld schreibt, daß er diese für allgemeingültig halte. Dieser Vergleich steht nicht in prinzipieller Differenz zur Absetzung von den scholastischen Definitionsweisen, wie sie in der Confessio betont wurde. Wie es bereits in der Disputatio grundgelegt wurde, muß ein numerischer Unterschied prinzipiell auf einen individuellen zurückzuführen sein536. Dies steht in Analogie zur individuierenden Differenz bei den rein geistigen Wesen, wie dies von Thomas vertreten wird. Die Artdifferenz ist hier die letzte Differenz. Somit können diese Entitäten nicht mehr als numerisch verschiedene ohne bereits inhaltlich individuierenden Faktor angesprochen werden. Leibniz vergleicht seine These mit diesem Modell. Im Discours de métaphysique formuliert er sein Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren in Bezug darauf mit folgenden allgemeinen Worten: „Daraus folgen verschiedene wichtige Paradoxa, so z. B. daß niemals zwei Substanzen vollkommen gleichen und nur der Zahl nach voneinander verschieden sind, daß somit, was der heilige Thomas von den Engeln und Intelligenzen behauptet (quod ibi omne individuum sit species infima), von allen Substanzen überhaupt gilt, wobei man indes die spezifische Differenz so zu nehmen hat, wie es die Geometer bei ihren Figuren tun.“537
535
Vgl. LEIBNIZ. Notizen zur Wissenschaft und Metaphysik (18. / 22. März 1676) A VI 396: „Porro tale Ens esse unicum manifestum est. Nam duo illimitata si numero differant, etiam specie different certe. Et recte D. Thomas substantias a materia separatas (qualis Deus est solus) statuit si plures essent, specie different.“ In vollem Sinne geschieht dies erstmals in: Notationes Generales (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 553: „[...] principium individuationis semper esse differentiam Specificam, quod S. Thomas ajebat de intelligentiis [...].“ Leibniz bedient sich auch des scotistsichen Begriffes der Haecceität z. B. im Discours de métaphysique (1686) §8, A VI 4 B 1540: „[…] Dieu voyant la notion individuelle ou la hecceité d’Alexandre […]. 536 LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1986) GP II 54: „Au reste je suis si éloigné de la pluralité d’un même individu, que je suis même tres persuadé de ce que S. Thomas avoit déja enseigné à l’égard des intelligences et que je tiens estre general, sçavoir qu’il n’est pas possible qu’il y ait deux indivdus entierment semblables ou differens solo numero.“ 537 LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §9, (B&C* 351) A VI 4 B 1541: „[…] qu’il n’est pas vray que deux substances se ressemblent entierement, et soyent differentes solo numero, et que ce que S. Thomas asseure sur ce point des anges ou intelligences (quod ibi omne individuum sit species infima) est vray de toutes les substances, pour-
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In der Schrift Meditatio de principio individui aus dem Jahre 1676 unternimmt Leibniz einen Versuch der Definition des Individuums anhand der Methode der Geometrie. Diese Schrift ist ihrer Abfassungszeit nach interessant für den Umschlag des Substanzbegriffes, wie er im folgenden als vollständiger Begriff vertreten wird538. In ihr kommt erstmals das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren zur Anwendung. Der Methode folgend beginnt die Meditatio mit dem Axiom der analytischen Inhärenz der Wirkung in der Ursache. „Wir sagen, daß die Wirkung ihre Ursache beinhaltet.“539
Den Untersuchungsgegenstand der Meditatio bildet ein Quadrat. Nun kann aber ein Quadrat aus zwei Parallelogrammen oder zwei Dreiecken aufgebaut werden. Zwischen diesen beiden Quadraten kann nun materialiter, entgegen dem vorangestellten Axiom, kein Unterschied festgestellt werden. Diese Tatsache widerspricht dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren, das besagt, daß zwei Entitäten, die in allen ihren Bestimmungen übereinstimmen, nicht zwei numerisch verschiedene, sondern ein identisches Individuum sind540. In diesem Sinne führt Leibniz dieses Argument hier erstmals ein, indem er schreibt, „[...] daß es ist unmöglich, daß zwei Entitäten vollständig übereinstimmen […].“541
Dieser nach dem Prinzip geforderte Unterschied kann jedoch in der Wirkung nicht aufgefunden werden. Dennoch muß sich, soll es sich um zwei unterscheidbare Entitäten und damit um zwei Individuen handeln, der Un-
veu qu’on prenne la difference specifique, comme la prennent les Geometres à l’égard de leurs figures.“ 538 Vgl. auch: LEIBNIZ. De perfecta notione substantiarum (1677) A VI 4 B 1351 f 539 LEIBNIZ. Meditatio de principio individui (1. April 1676) A VI 3 490: „Dicimus effectum involvat causam suam.“; vgl. auch die analogen Formulierungen dieser Zeit in den einleitenden Axiome zu: Catena mirabilium demonstrationum de summa rerum (2. (12.) Dezember 1676) A VI 3 385: „Nihil est sine causa […]. Effectus integer aequipollet causae plenae […].“ 540 Vgl. LEIBNIZ. Viertes Schreiben an Clarke (2. Juni 1716) 6, GP VII 372: „Poser deux choses indiscernables, est poser la même chose sous deux nomes.“ 541 LEIBNIZ. Meditatio de principio individui (1. April 1676) A VI 3 491: „[...] impossibilie esse duo sint perfecte similia […]. “
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terschied finden lassen. Als Schluß aus den beiden zitierten Voraussetzungen folgt nun die Lösung in folgender Weise: „[…] Daraus folgt, daß das Prinzip der Individuation demnach außerhalb des Dinges in seiner Ursache gegeben sein muß.“542
Mit diesem Argument führt Leibniz auf das zu Beweisende zurück. Die Differenz liegt nicht eigentlich im Gegenstand, denn dieser wurde in seiner abstrakten Seinsweise als ununterscheidbar angesehen. Leibniz bestimmt daher das Prinzip der Individuation als außerhalb des Dinges. Da vorausgesetzt ist, daß die Wirkung die Ursache beinhaltet und, daß die Ursache in beiden Fällen eine unterschiedliche ist, muß diese Ursache als Prinzip der Individuation angenommen werden. Die Ursache ist nun der Geist, denn die Konstruktion der beiden Quadrate erfordert konstitutiv den Geist. Er ist es, der die externe Ursache erkennen kann, insofern er die Bedingung der Möglichkeit ist, durch die Rekonstruktion der Genese der Quadrate ihre Differenz auszusagen. In diesem Sinne muß man diese Beweisführung eine transzendentale nennen543. Würde man voraussetzen, daß es sich um zwei gleiche Quadrate handelt, in dem Sinne, daß beide nicht durch eine unterschiedliche Produktionsregel unterscheidbar wären, dann würden sie nach dem Prinzip der Ununterscheidbarkeit auch nicht zwei, sondern nur eines sein. Einer zu einseitigen Auslegung der Einführung des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren muß jedoch anhand einiger anderer Aspekte widersprochen werden. Die Tatsache, daß Leibniz daß Prinzip der Individuation als den Geist bestimmt, kann auch in einem anderen Sinne gelesen werden. Leibniz steht zu dieser Zeit in Auseinandersetzung mit der cartesischen res extensa. Wie die Ausführungen diesbezüglich gezeigt haben, stellt er dabei in einer metaphysischen Weise der Homogenität der res extensa eine reale Vielheit substantieller geistiger Entitäten gegenüber. Denn die Materie kann nicht als selbständige Entität bestimmt werden. Sie benötigt den
542
LEIBNIZ. Meditatio de principio individui (1. April 1676) A VI 3 491: „[…] sequetur, principium individuationis, esse extra rem in eius causa. 543 Dies wird insbesondere dadurch unterstrichen, daß Leibniz angibt, daß er die spezifische Differenz in dem Sinne definieren will, wie es die Geometer tun. Vgl. CASSIRER. Leibniz’ System. A. a. O. 113; ESTERMANN. A. a. O. 41 ff
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Geist544. Leibniz besitzt zu dieser Zeit bereits eine Vorform des vollständigen Begriffs, in einer Schrift aus dem gleichen Jahr bezieht er diesen auf die Argumentation der Meditatio. „Die Substanz oder das vollständige Seiende ist für mich das, was allein alles einschließt oder zu dessen vollkommenen Verständnis die Erkenntnis von nichts anderem nötig ist. Solcherart ist nicht die Gestalt, denn damit wir einsehen, woraus eine irgendwie geartete Gestalt entsteht, müssen wir auf die Bewegung zurückgehen. Jedes vollständige Seiende kann nur auf eine Weise erzeugt werden. Daß die Gestalten auf verschiedene Weise erzeugt werden können, ist Anzeichen genug, daß sie nicht vollständige Seiende sind.“545
Die Gestalt, und hiermit ist eine direkte Bezugnahme auf die Meditatio gegeben, ist nicht aus sich selbst evident, sondern muß aus der Bewegung erklärt werden. Die „Erzeugung“ also liefert die Erkenntnis. In diesem Sinne kann man von einer Relation546 zwischen der res extensa und dem Geist sprechen, der diese „Genese“ leistet. Für das Verhältnis zum Problem der Materie bzw. des Kontinuums ist aber auch die Unterscheidung von Bedeutung, die Leibniz im Weiteren gibt. In der Tatsache, daß die Gestalten auf verschiedene Weise erzeugt werden können, sieht er einen Beleg für ihre unvollkommene Seinsweise. D. h., daß durch die Bestimmung der Gestalt und damit der Geometrie keine Erkenntnis über die Realität der Dinge erlangt werden kann. Man muß diesen Satz als Kritik an Descartes’ res extensa verstehen. Das kritische Argument stützt sich dabei aber auf die positive 544
Vgl. LEIBNIZ. Propositiones quaedam physicae (Frühjahr–Herbst 1672) Dritter Entwurf, A VI 3 67: „Ergo necessarium est Materia addi mentem, seu supponi substantias incorporeas.“; De minimo et maximo. De corporibus et mentibus (Herbst 1672–Winter 1672/73) A VI 3 100: „Si nullae essent mentes, omnia corpora essent nihil.“ 545 LEIBNIZ. Aufzeichnungen zur Metaphysik (Dezember 1676) (HOLZ 15 f) A VI 3 400: „Substantia seu Ens completum mihi est illud quod solum involvit omnia, seu ad cujus perfectam intelligentiam nullius alterius opus est intellectione. Talis non est figura, nam ut intelligamus unde orta sit eiusmodi figura recurrendum ad motus. Unumquodque Ens completum non nisi uno modo produci potest: Figurae quod diversis produci possunt modis, satis hoc indicio est non esse Entia completa.“ 546 Vgl. LEIBNIZ. Notizen zur Wissenschaft und Metaphysik (18. März 1676) Erste Aufzeichnung, A VI 3 392: „Quoniam [materia] ipsa non nisi in relatione existit, ut alibi vel ex individuationis principio omnium rerum ostendi.“; die Stelle, auf die sich Leibniz hier bezieht, kann nicht angegeben werden. Vgl. dazu auch: MUGNAI. Leibniz on Individuation. A. a. O. 40. Inhaltlich käme die Meditatio hierfür in Frage, sie ist jedoch von Leibniz’ eigener Hand auf knapp zwei Wochen später datiert.
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Voraussetzung, nämlich auf den Begriff des vollständigen Seienden (ens completum). Dieser kann nur auf eine Weise produziert werden. Diese Produktion, und daran besteht kein Zweifel, kann nur der unendliche Intellekt leisten, d. h. aber, daß damit eine individuelle Substanz mittels der Erkenntnis ihrer unendlich komplexen „Geschichte“ erzeugt wird. In diesem Sinne belegt die Bezugnahme auf die Argumentation in der Meditatio, daß Leibniz hier auf die individuelle Substanz in der Weise der tendenziell nominalistischen Grundlegung der Disputatio und ihrer Erweiterung in der Confessio rekurriert547. Im besonderen Maße besteht der Bezug zur Confessio auch in der bisher noch nicht berücksichtigten spezifischen Äußerlichkeit des Individuationsprinzips, das hier als Lösung vorgeschlagen wird548. In der Confessio bedeutete die Externität des Individuationsprinzips ein Verhältnis der unbestimmten Seele zur determinierenden Raumzeitstelle. Diese Raumzeitstelle, das hatte das Beispiel mit den ununterscheidbaren Eiern gezeigt, führte in dieser Hinsicht einerseits ebenfalls nur zu numerischer Verschiedenheit. Andererseits bedeutete die Raumzeitstelle den Kulminationspunkt der Universalharmonie und damit den bedingenden Zusammenhang für die Individualität der Seelen. Die Meditatio nimmt dieses Problem auf, indem sie, ebenfalls im Sinne einer Externität des Individuationsprinzips auf der Ebene der abstrakten mathematischen Entitäten, die Ursache als Genese der zu unterscheidenden Objekte formuliert. Die analytische Inhärenz der Ursache in der Wirkung bedeutet auch hier die Relativierung der Äußerlichkeit des Individuationsprinzips. Die Meditatio muß damit als Niederschlag der Bemühungen verstanden werden, die noch offene Frage zu lösen, wie das Verhältnisses zwischen der Erkenntnis Gottes von allen Umständen und damit der „Geschichte“ einer individuellen Substanz und der vom menschlichen Wissen aus dazu im Gegensatz stehenden Homogenität der Materie bzw. der Homogenität von Raum und Zeit zu vereinbaren ist. Diese Diskre-
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Darauf hat schon MAHNKE (Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik. A. a. O. 382 f) hingewiesen. In diesem Zusammenhang kann auch folgende Stelle diese These stützen: LEIBNIZ. Notizen zur Wissenschaft und Metaphysik (18. März 1676) Zweite Aufzeichnung, A VI 3 396: „Porro tale Ens esse unicum manifestum est. Nam duo illimitata si numero differant, etiam specie different certe. Et recte D. Thomas substantias a materia separats (qualis Deus est solus) statuit si plures essent, specie different.“ 548 Auf diese Parallele wurde bisher in der Forschung nicht speziell eingegangen. Vgl. ESTERMANN. A. a. O. 41 ff; MUGNAI. Leibniz on Individuation. A. a. O. 41 f
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panz von der Seite der Materie her einer Lösung zuzuführen, ist die Aufgabe der Meditatio. Dies belegen gerade die letzten Sätze dieser Schrift selbst. „Es ist eine sehr schöne Beweisführung und sie zeigt, daß die Materie nicht homogen ist, noch daß von uns wahrhaft erkannt werden kann, worin sie sich unterscheidet, außer durch den Geist. Wenn unser Geist innerlich ist, sich und der Materie, folgt, daß ihnen nichts hinzugefügt werden kann, was von uns nicht auf irgendeine Weise verstanden werden kann.“549
Daraus folgt nun, daß der Verstand ein formales Mittel an die Hand bekommt, um Individuen zu unterscheiden. Der Beweis ist dadurch erbracht, daß die scheinbar ununterscheidbare Materialität der Physis schon auf der Ebene mathematischer Entitäten als unterscheidbar bewiesen werden kann. Insofern der Verstand nun als Ursache dieser Verschiedenheit erklärt wird, ist er es im Sinne einer Bedingung im transzendentalen Sinne. Trotz der Einwände, die gegen eine einseitige transzendentale Auslegung gegeben wurden, muß bemerkt werden, daß dieser Gedanke der apriorischen Konstruktion tragend wird. Die Definition des Unterschiedes aus der Konstruktion bildet schließlich mittels des Gesetzesbegriffs der unendlichen Reihen den Schlüssel für die Einheit und Individualität der unendlich komplexen Individuenbegriffe.
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LEIBNIZ. Meditatio de principio individui (1. April 1676) A VI 3 490: „Pulcherrima ratiocinatio est, probatque, materiam non esse homogeneam, nec vero cogitari a nobis potest, quo differat nisi mente. Cum Mens nostra intima adsit, sibi et materia, sequitur nihil in iis introduci posse, quod non a nobis possit intelligi quodamodo.“
3. Die Fensterlosigkeit der Monade Bevor die eigentliche Auseinandersetzung mit der individuellen Substanz anhand des vollständigen Begriffs durchgeführt werden soll, die zu wesentlichen Teilen nur durch die Rückbeziehung auf eine unendliche Vernunft möglich ist, muß eine Betrachtung der Ausgangslage der endlichen Vernunft selbst angesetzt werden. Die wissenschaftstreibende Vernunft ist die endliche des Menschen. Leibniz bestimmt sie daher als Prinzip der Prinzipien bzw. den intellectus ipse550. Sie ist zur allgemeinen Erkenntnis der Wahrheiten und Prinzipien fähig. Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich vom Tier. Sie verfügt nicht nur über Perzeptionen sondern auch über Apperzeption551. Sie vermag durch Reflexion die notwendigen Wahrheiten bzw. die Verknüpfung derselben552 zu erkennen. Die Wahrheit der Dinge ist aber keine allgemeine, sondern diese sind unvergleichlich individuell. Die endliche Vernunft selbst – sie ist als Monade der Prototyp der konkreten Wirklichkeit – muß zur eigenen Begründung ein Mittel finden, um diese ihre Individualität zumindest formal zu erkennen553. Die erkenntnistheoretische Ausgangslage ist: ich denke und denke Mannigfaches. Ontologisch heißt das, daß ich als ein solches Subjekt Substanz bin. Diese Substanz wird schließlich sub specie aeternitatis mittels des vollständigen und individuel-
550
Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) II 1 §2, A VI 6 110 f: „[L]’ame at-elle des fenêtres, ressemblet-elle à des tablettes, est-elle comme de la cire? Il est visible que tous ceux qui pensent ainsi de l’ame, la rendent corporelle dans le fonds. On m’opposera cet axiome receu parmy les philosophes, que rien n’est dans l’ame qui ne vienne des sens. Mais il faut excepter l’ame même et ses affections. Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, excipe: nisi ipse intellectus. Or l’ame renferme l’estre, la substance, l’un, le même, la cause, la perception, la raisonnement, et quantité d’autres notions que les sens ne sauroient donner.“ 551 Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 4, GP VI 599 f; Monadologie (1714) §§29 f, GP VI 611 f 552 Vgl. LEIBNIZ. Théodicée (1710) Discours Préliminaire §65, GP VI 87 553 Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 7, GP VI 602: „Ce principe [que rien ne se fait sans raison suffisante] posé, la premiere question qu’on a droit de faire, sera, Pourquoy il y a plustôt quelque chose que rien? Car le rien est plus simple et plus facile que quelque chose. De plus, supposé que des choses doivent exister, il faut qu’on puisse rendre raison, pourquoy elles doivent exister ainsi, et non autrement.“
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len Begriffs bestimmt und ist als solcher die Grundlage für den voraufgehenden epistemischen Standpunkt554. In der kleinen Schrift De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis555, die auf die Umbruchszeit zum reifen System datiert werden muß, findet sich eine sehr prägnante Zusammenfassung des Standpunkts der endlichen Vernunft, die in Anlehnung und in Auseinandersetzung mit Descartes steht, jedoch über diesen in den angedeuteten Punkten hinauszugehen versucht. Der Text ist insofern interessant, da er einen etwas anderen Ausgangspunkt wählt als spätere Ausführungen556. 554
Vgl. KAEHLER. Leibniz – der methodische Zwiespalt der Metaphysik der Substanz. A. a. O. Kaehler bezeichnet den geschilderten Zusammenhang als methodischen Zwiespalt der Metaphysik der Substanz, und bezieht sich damit auf die Unmöglichkeit der Erfassung des vollständigen Begriffs einer individuellen Substanz bei gleichzeitiger Begründung der Realität derselben aus dem Wissen der Vernunft als solcher. Vgl. ebd. 111: „So soll die Philosophie ein wahres Wissen von der unendlichen Realisierung des methodisch Wißbaren überhaupt haben und zugleich von dieser Realisierung selbst ausgeschlossen sein. Dieser Zwiespalt entspringt also allein aus der methodischen Bestimmung des Wahren und ist deshalb auch nur als ein selbst methodischer Zwiespalt überhaupt erkennbar.“ Alternativ zu Kaehlers Interpretation läßt sich darauf hinweisen, daß die Substanz von Leibniz gerade durch ihre Individualität definiert sein will. Das bedeutet, daß der „methodische Zwiespalt“ nicht darin liegen muß, daß die Substanz in ihrer Singularität gegen die Allgemeinheit des Begriffs bzw. der Vernunft steht, sondern daß sie in ihrer Individualität im Unterschied dazu, nicht in die Allgemeinheit des Begriffs aufgehoben werden kann. Dies ist. m. E. auch gerade in der Monade als Perspektive zum Ausdruck gebracht, d. h. daß sie untrennbar Individualität und Geist ist; dazu: s. u. Kap. III. 4.3. Kaehler selbst weist indirekt darauf hin, indem er sehr klar formuliert, daß Leibniz’ System die Irreduzibilität von Methode und Metaphysik verlangt, die die Substanz in ihrer Wirklichkeit als uneinholbar für die Vernunft und damit als außerhalb des Begriffs annehmen muß. Vgl. ebd. 103 ff 555 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1499-1503. Auch RESCHER (Introduction. A. a. O. 130) weist auf die Bedeutung dieses Textes hin. 556 Die Akademieausgabe datiert De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis auf den wahrscheinlichen Zeitraum von Sommer 1683 bis Winter 1685/86. Der zentrale Text für den Übergang zum vollständigen Begriff der individuellen Substanz des reifen Systems, De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeteminatione (A VI 4 B 1514-1524), wird mit Wahrscheinlichkeit auf den direkt anschließenden Zeitraum von Ende 1685 bis Mitte 1686 datiert. Vgl. dazu: s. u. Kap. III 4.1
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Leibniz beginnt die Abhandlung mit der Definition einer Wesenheit bzw. eines Seienden als demjenigen, dessen Begriff etwas Positives einschließt und das von uns begrifflich erfaßt werden kann, vorausgesetzt, daß es keinen Widerspruch einschließt. Die vollständige Analyse eines solchen Begriffes einerseits und die distinkte Perzeption, d. h. die einfache Wahrnehmung des entsprechenden Gegenstandes andererseits, liefern uns schließlich den Beweis des Nichtwiderspruchs einer solchen Wesenheit. Ersteres, was hier nicht erläutert ist, ist der endlichen Vernunft in der Regel nicht möglich, da eine Wesenheit, die uns durch eine distinkte Perzeption vermittelt gegeben ist, so komplex ist, daß wir die unendliche Reihe ihrer Prädikate nicht durchlaufen können557. Zur distinkten Perzeption fügt Leibniz nun hinzu, daß sie daher den Beweis der Widerspruchslosigkeit des korrespondierenden Begriffs liefern kann, da, was existiert, unter allen Umständen eine Wesenheit haben, und also auch möglich, d. h. ohne Widerspruch, sein muß558. Damit ist die Wesenheit durch einen distinkten Begriff, die Existenz durch eine distinkte Perzeption zu erläutern559. Um nun näheren Aufschluß über die Existenz zu gewinnen, bzw. die Mittel aufzufinden, mit welchen diese zu beweisen ist, wendet sich Leibniz dem cartesischen cogito zu. „Da urteile ich nun erstens ohne weiteren Beweis, gemäß er einfachen Perzeption oder Erfahrung, daß das existiert, dessen ich mir als in mir selbst bewußt bin, d. h. erstens Ich selbst, der ich eine Mannigfaltigkeit denke, und zweitens
557
Vgl. z. B. LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) A VI 4 B 1656 : „Sed in veritatibus contingentibus, etsi praedicatum insit subjecto, nunquam tamen de eo potest demonstrari, neque unquam ad aequationem seu identitatem revocari potest propositio, sed resolutio procedit in infinitum […].“ 558 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1500: „Ens est, cujus conceptus aliquid positivi involvit sive quod a nobis concipi potest, modo id quod concipimus sit possibile nec involvat contradictionem, quod cognoscimus tum, si conceptus sit perfecte explicatus nihilque involvat confusi, tum compendio, si res actu extiterit, quod enim existit utique est Ens vel possibile.“ Der Zusammenhang legt nahe „ens“, wie dies Buchenau getan hat, mit „Wesenheit“ wiederzugeben. 559 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1500: „Quemadmodum autem Ens explicatur per distinctum conceptum, ita Existens per distinctam perceptionem […]. “
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diese mannigfaltigen Phänomene oder Erscheinungen, die in meinem Geiste vorhanden sind.“560
Beide Tatsachen, nämlich, daß ich existiere und, daß ich mannigfache Bewußtseinsinhalte habe, müssen durch die grundlegende Bedeutung dieser Perzeption als gegeben angenommen werden und bedürfen somit keines Beweises. Von dieser Aussage aus geht Leibniz nun dazu über, den eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu behandeln. Mit Hilfe des erweiterten Spektrums des faktisch Existierenden übt Leibniz nun Kritik an Descartes’ Wahrheitskriterium. Denn es ist nun ebenso gewiß, daß ich existiere, wie, daß mir in meinem Bewußtsein ein Kentaur bzw. ein goldener Berg erscheint, wenn ich hiervon träume. Beides stellt sich gleichermaßen direkt und unvermittelt unserem Bewußtsein dar561. „[…] beides ist nämlich in dem enthalten, daß es gewiß ist, daß mir ein Kentaur erscheint.“562
Leibniz schränkt im folgenden diese Gleichsetzung wieder teilweise ein, denn der Unterschied liefert das Kriterium für die Differenz von realen und imaginären Phänomenen. Bevor wir uns aber diesem zuwenden, muß noch einiges zum Ausgangspunkt des individuellen Bewußtseins hinzugefügt werden, was von Leibniz hier noch nicht eingeführt wird, aber für das Verständnis hilfreich ist. In seinem Kommentar zu Descartes’ Principia philosophiae aus dem Jahre 1692 formuliert Leibniz denselben Gedanken wie im letzten Zitat.
560
LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (B&C* 331) (Sommer 1683–Winter 1685/86) A VI 4 B 1500: „Et primum sine probatione ex simplici perceptione sive experientia existere judico, quorum intra me conscius sum, hoc est primo me varia cogitantem, deinde ipsa varia phaenomena sive apparitiones, quae in mente mea existunt.“ 561 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1500: „Haec enim duo cum immediate a mente percipiantur nullius alterius interventu comprobari possunt et aeque certum est existere in mente mea speciem montis aurei aut centauri cum ista somnio quam certum est, existere me qui somnio […].“ 562 LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683–Winter 1685/86) (B&C* 332) A VI 4 B 1500: „[…] utrumque enim continetur in hoc uno, quod certum est centaurum mihi apparere.“
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„Ich bin nicht nur meiner selbst als des denkenden Subjekts, sondern auch meiner Gedanken bewußt und ebenso wahr und gewiß, als ich denke, wird auch dieses oder jenes von mir gedacht. Man kann somit die primitiven Tatsachenwahrheiten passend auf folgende zwei zurückführen: ich denke und Mannigfaches wird von mir gedacht. Hieraus folgt nicht nur daß ich existiere, sondern auch, daß ich auf mannigfache Art bestimmt bin.“563
Leibniz stimmt mit Descartes darin überein, daß der Satz „Ich denke, also bin ich“ zu den ersten Wahrheiten gehört. Jedoch gibt es neben dieser noch weitere. Allgemein werden die Wahrheiten von Leibniz in Vernunft- und Tatsachenwahrheiten eingeteilt. Vernunftwahrheiten sind durch den Satz vom Widerspruch bzw. den der Identität bestimmt564. Diese Wahrheiten sind notwendig, ihr Gegenteil ist unmöglich. „Notwendig sind die Wahrheiten, die aus der Analyse der Begriffe bewiesen werden können, so daß sie schließlich in identische übergehen, so wie in der Algebra schließlich aus für einander eingesetzten Werten eine identische Gleichung hervorgeht. Das heißt, die identischen Wahrheiten hängen vom Satz des Widerspruchs ab.“565
Vernunftwahrheiten sind ewige Wahrheiten, Tatsachenwahrheiten beziehen sich prinzipiell auf die wirkliche Welt. Bei Tatsachenwahrheiten bzw. kontingenten Wahrheiten ist das Gegenteil ebenfalls möglich. Ihre Identität – denn jede Wahrheit beruht für Leibniz auf einer Identität von Prädikat und Subjekt566 – ist nicht beweisbar, denn mit der faktischen Existenz ist ei563
LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) I 7, GP IV 357: „Non tantum autem mei cogitantis sed et meorum cogitatorum conscius sum, nec magis verum certumve est me cogitare, quam illa vel illa me cogitari. Itaque veritates facti primas non incommodo referre licebit ad has duas: Ego cogito, et: Varia a me cogitantur. Unde consequitur non tantum me esse, sed et me variis modis affectum esse.“ 564 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) §67, A VI 4 A 761 565 LEIBNIZ. De contingentia (Frühjahr–Herbst 1689) (HOLZ 179) A VI 4 B 1649: „Veritates necessariae sunt, quae possunt demonstrari per Analysin Terminorum, ita ut tandem evadant in identicas quemadmodum in Algebra substitutis valoribus aequatio tandem identica prodit. Seu veritates necessariae pendent ex principio contradictionis.“ 566 Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1686) GP II 56 „[...] c’est toujours, dans toute propositions affirmative, veritable, neccessaire, contingente, universelle ou singulaire, la notion du predicat est comprise en quelque façon dans celle de sujet, praedicatum inest subjecto; ou bien je ne sçay que c’est la verité.“; vgl. De contingentia (Frühjahr–Herbst
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ne Unendlichkeit von Bestimmungen und deren Verknüpfungen gegeben. Die Tatsachenwahrheiten garantiert der Satz vom Grund567. Leibniz zählt nun die beiden genannten Tatsachenwahrheiten – das Ich und seine Bewußtseinsinhalte – zu den unmittelbar bekannten Sätzen. Insofern sie aber Tatsachenwahrheiten sind, kann für eine endliche Vernunft der Beweis der Identität des Subjekts mit allen von ihm auszusagenden Prädikaten nicht geleistet werden. Der Satz des cogito muß zu den Axiomen gezählt werden, insofern er als unmittelbare und nicht beweisbare Wahrheit anzunehmen ist. Er ist jedoch kein Axiom im Sinne der Prinzipien als solcher, denn er ist kein notwendiger Satz, sondern beruht zu wesentlichen Teilen auf der Erfahrung. Nur für Gott ist es möglich, die beiden Bestimmungen Ich und Dasein in einem Begriff verbunden zu denken; nur für ihn ist es möglich, den Grund anzugeben, warum eine mögliche Entität faktisch existiert568. Diese Ausführungen legen nahe, daß Leibniz die Übernahme des cartesischen cogito bereits mit seinem Konzept der Monade in Verbindung gebracht hat. Diese bedarf zu ihrer Tätigkeit keinerlei realer Außenwelt, sondern entwickelt spontan all ihr Vorstellungen aus ihrem eigenen Grund. Wie Leibniz schreibt, ist es deshalb auch möglich anzunehmen, daß ein so charakterisiertes Bewußtsein alles nur träumt, was es für wirklich hält569. In diesem Sinne ist Leibniz mit Descartes einig. Der Unterschied ist nun nicht weniger entscheidend. Es soll von der Möglichkeit des Traumes aus, die Un1689) A VI 4 B 1650: „Commune omni veritati mea sententia est, ut semper propositionis (non identicae) reddi possit ratio, in necessariis necessitans, in contingentibus inclinans.“ ; dazu: s. u. Kap. III. 4.1 567 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) §74, A VI 4 A 763; dazu: s. u. Kap. III. 4.1 568 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) IV 7 §7, A VI 6 411: „[…] il n’y a que Dieu qui voye, comment ces deux termes, Moi et l’Existence, sont liés, c’est à dire pourquoy j’existe.“ 569 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1502: „Quid vero si tota haec brevis vita non nisi longum quoddam somnium esset; nosque moriendo evigilaremus, quale quid Platonici concipere videntur. Cum enim aeternitati destinati simus et tota haec vita, etsi multa annorum millia contineret, respectu aeternitatis puncti instar habeat, quantulum erit tam amplae veritati tantillum somnium interponi, cujus multo minor ratio est quam somnii ad vitam […].“
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terscheidung von realen und imaginären Phänomenen unternommen werden. Da wir die Vorstellungen bzw. Erscheinungen ebenso im Traum haben und sie uns folglich kein direktes Kriterium zur Bestätigung unseres naiven Realitätsbewußtseins liefern können – denn wir könnten auch all das nur träumen, was wir für Realität halten – , muß eine Untersuchung diesen Unterschied erst offen legen. Daß Gott ein Betrüger wäre, wenn unsere deutlichen Wahrnehmungen nicht einer objektiven Realität entsprechen würden, wie Descartes argumentiert, ist für Leibniz kein Gegenargument, zumindest keines, das metaphysische Gewißheit vermittelt. Wir werden, so Leibniz, ja nicht durch Gott getäuscht, sondern durch unser Urteil, wenn wir annehmen, daß unseren Phänomenen eine objektive Realität entspricht570. Dennoch gibt es Kriterien zur Unterscheidung von realen und imaginären Phänomenen. Diese beurteilen wir, so Leibniz, aus den einzelnen Phänomenen selbst wie aus ihrem Zusammenhang mit anderen. Kriterien für die Realität einzelner Phänomene sind Intensität, Vielfältigkeit und Lebhaftigkeit. Indem diese Kriterien in einer Perzeption eines Objektes mit einander korrelieren und eine gewisse Gesetzmäßigkeit der Zusammenhänge in den Phänomenen und untereinander feststellen lassen, wird es möglich, mittels Hypothesen Wissenschaften zu konzipieren571. Dies ist ein wesentliches Kriterium für die Realität der Phänomene. Stärkstes Argument für die Realität der Erscheinungen bleibt jedoch die schlichte Tatsache der prinzipiellen Annahme der Realität der Phänomene über den Zeitraum des ganzen Lebens und in Hinblick auf die Verständigung mit allen anderen vernünftigen Wesen572. Das überzeugendste Zeichen schließlich – von dem Leibniz sagt, daß es alleine ausreichen würde – ist aber die Tatsache der 570
Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1503: „Nec magni momenti argumentum est, quod vulgo afferunt ita Deum fore deceptorem; certe quantum id absit a demonstratione certitudinis metaphysicae nemo non videt; nam nos non a Deo, sed a judicio nostro decipiemur, asserentes aliquid sine probatione accurata. Et quanquam magna adsit probabilitas, non ideo tamen Deus est deceptor qui eam nobis objecit. Quid enim si natura nostra non erat forte capax phaenomenorum realium; profecto non tam accusandus foret Deus quam gratiae ei agendae, efficiendo enim ut phaenomena illa cum realia esse non possent, saltem consentientia essent, praestitit nobis quod in omni vitae usu realibus phaenomenis aequipolleret.“ 571 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1500 f 572 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1501: „Validissimum autem utique indicium est consen-
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daß es alleine ausreichen würde – ist aber die Tatsache der strengen Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen, d. h. die Voraussagbarkeit zukünftiger Ereignisse573. Mit diesen Kriterien lassen sich reale Phänomene von imaginären unterscheiden, sofern imaginäre diese Kennzeichen nicht aufweisen. Mit dieser Charakterisierung der realen Phänomene ist jedoch keinerlei Beweis für eine Realität an sich gegeben. Leibniz wendet sich erst im folgenden diesem Problem zu, d. h. der Frage, inwiefern außerhalb unserer Subjektivität eine objektive Realität anzunehmen ist574. „Es läßt sich indessen nicht leugnen, daß die bisher für die Realität der Phänomene angegebenen Kriterien, selbst in ihrer Gesamtheit, nicht streng beweisend sind. Wenngleich sie nämlich die größte Wahrscheinlichkeit oder, nach gewöhnlicher Ausdrucksweise, die größte moralische Gewißheit hervorzubringen vermögen, so erzeugen sie doch keine metaphysische Gewißheit derart, daß die Setzung des Gegenteils einen Widerspruch einschlösse. Es gibt daher kein Argument, durch das sich mit absoluter Sicherheit beweisen ließe, daß Körper existieren, und nichts hindert, daß bestimmte, wohlgeordnete Träume sich unserem Geist darbieten, die von uns für wahr gehalten werden und es vom Standpunkt der Praxis wegen ihrer durchgängigen Übereinstimmung auch sind.“575 sus cum tota serie vitae, maxime si idem suis quoque phaenomenis congruere alii plurimi affirment […].“ 573 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1501 f: „Sed potissimum realitatis phaenomenorum indicium quod vel solum sufficit, est successus praedicendi phaenomena futura ex praeteritis et praesentibus, sive illa praedictio in ratione aut hypothesi hactenus succedente, sive in consuetudine hactenus observata fundetur.“ 574 Vgl. auch: LEIBNIZ. De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 542: „Percipio autem intra me non tantum qui me ipsum qui cogito, sed et multas in cogitationibus meis differentias, ex quibus alia praeter me esse colligo [...], nam in talibus quae non sunt metaphysicae necessitatis, pro veritate habendus est nobis consensus phaenomenorum inter se, qui temere non fiet sed causam habebit […].“ 575 LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683–Winter 1685/86) (B&C* 333) A VI 4 B 1502: „Verum fatendum est quae hactenus allata sunt phaenomenorum realium indicia utcunque in unum collecta, non esse demonstrativa, licet enim maximam habeant probabilitatem sive ut vulgo loquuntur certitudinem pariant moralem, non tamen faciunt Metaphysicam, ita ut contrarium poni implicet contradictionem. Itaque nullo argumento absolute demonstrari potest, dari corpora, nec quicquam prohibet somnia quaedam bene ordinata Menti nostrae ob-
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Leibniz nennt die Gewißheit, mit der wir auf eine reale objektive Außenwelt schließen, eine nur moralische, d. h. daß sie in und für die Praxis hinreichend ist. Mit einer solchen Aussage über eine objektive Realität jenseits unserer Phänomene ist keine metaphysische Gewißheit verbunden. Die Setzung eines Gegenteils würde keinen Widerspruch einschließen: d. h. ein Solipsismus bleibt möglich576. Selbstverständlich gebietet Leibniz dem Solipsismus gerade durch seine vollständige Theorie der Monade als fensterloser, aber prästabilierter Perspektive Einhalt. Diese ist sozusagen an der Grenze der Autonomie wiederum mit allen anderen verbunden, denn sie wird durch den göttlichen Intellekt begründet, welcher in jeder Einzelnen ihr Verhältnis zu allen anderen und alle ihre Übereinstimmungen erblickt und sie dadurch zu prästabilieren vermag. Gott allein also, aus dem alle Individuen unaufhörlich hervorgehen, und der das Universum nicht nur so sieht, wie sie es selbst tun, sondern es noch auf ganz andere Weise, als sie alle in ihrer Gesamtheit erblickt – Gott allein ist die Ursache dieser Übereinstimmung ihrer Phänomene und bewirkt, daß das, was für einen besonders gilt, allgemeine Geltung erlangt; sonst würde es keinerlei Verknüpfung geben.“577
Dieser Rekurs auf die göttliche Erkenntnis bedeutet jedoch auch im Discours de métaphysique, aus dem dieses Zitat stammt, nicht die Aufhebung der Beschränkung des endlichen Wissens, d. h. die Monadizität als Fensterlosigkeit bleibt prinzipiell bestehen. Die Monade stellt die Welt vor, gleich ob diese realiter außerhalb ihrer selbst existiert oder nicht. So heißt es bei Leibniz folgend in Bezug auf ihre Vorstellungen:
jecta esse, quae a nobis vera judicentur et ob consensum inter se quoad usum veris aequivaleant.“ 576 Vgl. LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683– Winter 1685/86) A VI 4 B 1502: „Imo etsi tota haec vita non nisi somnium, et mundus aspectabilis non nisi phantasma esse diceretur, hoc sive somnium sive phantasma ego satis reale dicerem, si ratione bene utentes nunquam ab eo deciperemur.“ 577 LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §14, (B&C* 359) A VI 4 B 1550 f: „Or il n’y a que Dieu, de qui tous les individus emanent continuellement, et qui voit l’univers non seulement comme ils le voyent, mais encor tout autrement qu’eux tous, qui soit cause de cette correspondance de leur phenomenes, et qui fasse, que ce qui est particulier à l’un, soit public à tous, autrement il n’y auroit point de liaison.“
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„Und dies würde auch dann nicht ausbleiben, vielmehr genau ebenso eintreffen, wenn alle außer mir vernichtet würden, so daß nur Gott und ich zurückblieben.“578
In De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis geht Leibniz auf diesen Punkt in etwas anderer Weise ein, er spricht von Inhalten der Phänomene und von solchen, die sich aus diesen erschließen lassen. „Bisher habe ich von den Inhalten der Erscheinung gesprochen; es gilt nun, solche Inhalte zu betrachten, die zwar selbst nicht in die Erscheinung treten, sich aber dennoch aus dem Erscheinenden erschließen lassen. Nun hat sicherlich jedes Phänomen irgendeine Ursache. Behauptet jemand, diese Ursache der Phänomene liege in der Natur unseres Geistes, dem die Phänomene einwohnen, so ist dies zwar nicht falsch, enthält aber doch nicht die ganze Wahrheit. Erstlich muß nämlich notwendig ein Grund vorhanden sein, warum wir selbst eher sind als nicht sind, und wenn wir selbst als von Ewigkeit her seiend gesetzt würden, so muß dennoch der Grund für diese ewige Existenz aufgefunden werden, der entweder im Wesen unseres Geistes selbst oder außerhalb desselben zu suchen ist.“579
Das Argument, das Leibniz vorträgt, ist problematisch. Nach Leibniz garantiert der Satz vom zureichenden Grund, der hier Anwendung findet, den Übergang vom epistemisch-phänomenalen zum metaphysischen Wissen. Das Objekt auf welches er nach den gegebenen Voraussetzungen schließen kann, ist die Ursache der Phänomene. Diese werden nun, entgegen den früheren Aussagen, als externe bestimmt. Ein direkter Schluß auf eine Vielzahl solcher Ursachen ist nicht möglich, denn es kann vom Standpunkt der endlichen Vernunft nur eine moralische Gewißheit hierüber geben. Möglich 578
LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §14, (B&C* 359) A VI 4 B 1551: „Ce qui ne manqueroit pas, et m’arriveroit tout de même, quand tout ce qui est hors de moy seroit détruit, pourveu qu’il ne restât que Dieu et moy.“ 579 LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683–Winter 1685/86) (B&C* 333) A VI 4 B 1503: „Hactenus dixi de his quae apparent, nunc videndum est de non apparentibus, quae tamen ex apparentibus colligi possunt. Et quidem certum est omne phaenomenon habere aliquam causam. Quod si quis dicat causam phaenomenorum esse in natura Mentis nostrae cui phaenomena insunt, is nihil quidem falsi affirmabit, sed tamen nec dicet totam veritatem. Primum enim necesse est rationem esse cur nos ipsi simus potius quam non simus, et licet poneremur fuisse ab aeterno, tamen ratio aeternae existentiae reperienda est, quae reperiri debet vel in essentia mentis nostrae, vel extra ipsam.“
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hingegen ist der Schluß auf Gott als externe Ursache des Bewußtseins580. Dieser ist nach Leibniz notwendig, da ein Grund für unsere eigene Existenz angenommen werden muß und dieser nicht in uns selbst liegen kann, da es nicht ontologisch notwendig ist, daß wir existieren. Auf der Grundlage dieser Überlegungen fährt Leibniz fort die Existenz anderer Entitäten, gleich der unseren, zu beweisen. „Nun steht unstreitig dem nichts im Wege, daß unzählige viele andre Geister, gleich dem unsren, existieren, nicht aber existieren alle möglichen Geister, was ich daraus beweise, daß alles existierende untereinander in durchgängiger Verknüpfung steht. [...] Daß aber alles Existierende untereinander in Verbindung stehen muß, wird einmal dadurch bewiesen, daß sich sonst nicht sagen ließe, ob ein bestimmtes Ereignis jetzt vor sich geht oder nicht und daß es somit für eine solche Aussage weder Wahrheit noch Falschheit gäbe, was widersinnig ist; sodann weil es keinerlei rein äußerliche Bestimmung gibt, und niemand in Indien Witwer wird, wenn seine Gattin in Europa stirbt, ohne daß dabei eine reale Veränderung vor sich ginge. Jedes Prädikat ist nämlich tatsächlich in der Natur des Subjektes enthalten. Wenn nun einige mögliche Geister existieren, so ist die Frage, warum nicht alle; da ferner alles Existierende notwendig in Verbindung untereinander steht, so muß es auch notwendig für diese Verbindung eine Ursache geben, ja es muß notwendig alles ein und dieselbe Natur, wenngleich auf verschiedene Art, ausdrücken. Die Ursache nun, vermöge derer alle Geister in Verbindung stehen oder Dasselbe ausdrücken und somit existieren, ist eben dieselbe, die das Universum in vollkommener Weise ausdrückt, nämlich Gott. Sie ihrerseits hat keine Ursache und ist einzig. Hieraus erhellt nun sogleich, daß eine Menge Geister außer dem unseren existieren, und da sich leicht denken läßt, daß die mit uns in Verkehr stehenden Menschen ebensogroße Ursachen haben mögen, an uns zu zweifeln, wie wir an ihnen, sich
580
Vgl. LEIBNIZ. Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 8, GP VI 602. Vgl. zu Leibniz’ spezielleren Form des Gottesbeweises (in Auseinandersetzung mit Descartes) – d. h. daß Gott für die Existenz der Substanz vorauszusetzen ist, seine Wirklichkeit jedoch nur aus der Idee eines vollkommenen Wesens folgt, sofern die Möglichkeit derselben bewiesen werden kann: LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November 1684) A VI 4 A 588. Vgl. dazu z. B.: PARKINSON. A. a. O. 77 ff; vgl. zur damit sich ergebenden Zirkularität des Begründungszusammenhangs in erweitertem Sinne ebd. 107: „If, and only if, there is such and such a contingent thing, there exists the best possible world; if there is a God, the best possible world exists; and there is a God.“
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auch kein gewichtigerer Grund für uns ins Feld führen lassen wird, so werden auch sie existieren und Bewußtsein haben.“581
Leibniz gibt in dieser Passage vor, einen Beweis für die Realität der Existenz anderer Entitäten zu liefern. Vom Standpunkt der endlichen monadischen Vernunft aus stellt sich dies jedoch nur als Wahrscheinlichkeitsbeweis dar. Das Argument, das Leibniz zu Beginn dieser Passage vorlegt, ist identisch mit dem, das am Ende formuliert wird. Man kann diese Argumentation, entgegen der Intention, jedoch in Übereinstimmungen mit den Prämissen, folgendermaßen ad absurdum führen. Die Existenz anderer monadischer Entitäten hypothetisch gesetzt, folgt, daß ihr Urteil über uns ebenso ausfallen würde; d. h. es ist von ihrer Warte aus gleichermaßen möglich anzunehmen, daß wir existieren, aber ebenso könnten sie daran zweifeln, da es nicht notwendig ist, daß wir existieren. Für Leibniz sind Sachverhalte, die möglich sind, d. h. sich selbst nicht widersprechen, und die kompossibel sind582, d. h. zusammen mit anderen nicht 581
LEIBNIZ. De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Sommer 1683–Winter 1685/86) (B&C* 333) A VI 4 B 1503: „Et quidem nihil prohibet Mentes alias innumerabiles existere, aeque ac nostram, non autem existunt omnes Mentes possibiles, quod ex eo demonstro, quia omnia existentia inter se commercium habent. […] Omnia autem Existentia commercium habere inter se demonstratur tum ex eo quod alioqui non potest dici utrum aliquid in ea contingat nunc an non, adeoque talis propositionis non daretur veritas aut falsitas quod absurdum est, tum quia nullae denominationes extrinsecae dantur, nec quisquam viduus fit in India, uxore in Europa moriente, quin realis in eo contingat mutatio, omne enim praedicatum revera in subjecti natura continetur. Si jam aliquae Mentes possibiles existunt, quaeritur cur non omnes; deinde quia necesse est omnia existentia habere commercium, necesse est ejus commercii esse causam, imo necesse est omnia exprimere eandern naturam sed diverso modo; Causa autem per quam fit ut omnes Mentes commercium habeant seu idem exprimant, adeoque existant, est ea quae perfecte Universum exprimit, nempe Deus. Eadem causam non habet et unica est. Hine statim patet plures Mentes existere praeter nostram et cum facile cogitatu sit homines qui nobiscum conversantur tantundem causae habere posse dubitandi de nobis quantum nos de illis, nec ratio major pro nobis militet, etiam illi existent et mentes habebunt.“ 582 Vgl. die frühe Fassung der Kompossibilität: LEIBNIZ. Principium meum est, quicquid existere potest et aliis compatibile est, id existere (2./12. Dezember 1676) A VI 3 581-82. Kompossibilität ist der Begriff, der die Erweiterung des logisch Möglichen, das alleine durch den Satz des Widerspruchs bestimmt ist, auf das real Mögliche leistet, indem es einen Begriffskomplex hinsichtlich der Widerspruchsfreiheit zur Menge aller anderen zugleich möglichen Begriffe formal definiert. Vgl. Definitiones: ens, possibiles, existens
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widersprüchlich sind, real möglich. Was immer nun in Bezug auf unser eigenes Bewußtsein, welches die faktische Ausgangslage für jedes Urteil darstellt, steht, kann mit uns zusammen auch wirklich sein583. Diese Argumentation, die die zentralen Argumente im Mittelteil der Passage noch unberücksichtigt läßt, besagt aber nur, daß wir nicht beweisen können, daß andere Entitäten außer uns existieren. Der Schluß auf ihre Existenz, den Leibniz vorbringt, ist eine Abwandlung desselben Argumentes. Nämlich daß deshalb ihrer Existenz nichts im Wege steht, weil sich dadurch für uns nichts ändert und sie somit ebenfalls existieren können. Denn alles ist möglich, was durch nichts anderes daran gehindert wird zu existieren584. Das will Leibniz jedoch in seinem Beweis nicht sagen, denn alle Entitäten sollen miteinander verknüpft sein. Ausgehend von den Phänomenen hat Leibniz den Aspekt der Verbundenheit (commercium) bereits behandelt. Unter der Voraussetzung der Fensterlosigkeit der Monade und der im Vorherigen dargelegten Restriktion der Erkenntnisfähigkeit auf die Realität von Phänomenen war hier das Argument jedoch nicht metaphysisch beweisend585. Für den „Beweis“ weiterer Entitäten bzw. ihrer Realität jenseits unseres eigenen Bewußtseins rekurriert Leibniz auf die unendliche Vernunft. Einige der Voraussetzungen, die dabei Anwendung finden, wurden bereits eingeführt. Die Möglichkeit dieser Entitäten wird mittels der durchgängigen Verknüpfung der Wahrhei(Sommer 1687–Ende 1696) A VI 4 A 867: „Possibile quod non implicat contradictionem. [...] Compossibile quod cum alio non implicat contradictionem.“; POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 67 ff. 583 Vgl. LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November1684) A VI 4 A 589: „[…] cum rem actu existere experimur, quod enim actu existet, vel extitit, id utique possibile est.“ 584 Vgl. auch: LEIBNIZ. An des Bosses (29. Mai 1716) GP II 516: „At ratione rerum (etiam sine respectu ad sapientiam divinam) judicamus, nos non solus existere, quia nulla apparet privilegii pro uno ratio. Nec ipse aliter ratione convincere poteris aliquem, qui contenderet se solum existere, alios a se tantum somniari. Sed ratio datur privilegii existentium prae non existentibus, seu cur non omnia possibilia existent. Caeterum etsi nullae existerent creaturae praeter percipientem, ordo perceptus ostenderet sapientiam divinam. Itaque nullus hic circulus, quamquam etiam sapientia Dei a priori, non ex solo phaenomenorum ordine habetur.“ 585 Gegenteilig zu der gegebenen Interpretation wird die Verknüpfung (commercium) auch gerade als Lösung des Solipsismusproblems, das seit Descartes droht, verstanden. Vgl. z. B. HEINRICH SCHEPERS. Einleitung zu A VI 4 A LIX). RESCHER (Introduction. A. a. O. 130; 134.) interpretiert dies als streng metaphysisches Argument, welches den Realitätsbezug sichert.
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ten und Begriffe auf eine reale Möglichkeit hin ausgelegt, indem sie im Sinne der Kompossibilität verstanden wird. Die Kompossibilität garantiert die Konsistenz der Theorie der möglichen Welten, indem die Allheit aller möglichen Begriffe zu Mengen miteinander verträglicher Begriffe, d. h. zu Welten konzentriert wird. Leibniz bezieht sich im Text darauf, führt jedoch den Beweis für die Bildung von Welten aus allen möglichen Begriffen wiederum auf die reale Verknüpfung in der faktischen Welt zurück. Den Beweis hierfür liefert er anhand seines analytischen Wahrheitskriteriums, das, wie er sagt, die Annahme rein externer Bestimmungen ausschließt. Diese Aussage ist nur unter der Voraussetzung eines unendlichen Intellekts sinnvoll, deshalb nimmt Leibniz anschließend auch darauf Bezug. Dieser vermag die phänomenalen Zusammenhänge in ihrer jeweiligen realen Grundlage zu erkennen, da er nicht nur auf distinkte Perzeptionen, sondern auf distinkte Begriffe rekurrieren kann. Für eine menschliche Rekonstruktion der Logik des vollständigen Begriffs als einer formalen Definition des Individuums muß Leibniz eine alternative Bestimmung des Verhältnisses von Phänomen und Realität annehmen. Im Briefwechsel mit Clarke, ebenfalls im Zusammenhang mit der These der Begründetheit externer Bestimmungen in internen, heißt es deshalb auch gegenteilig zur Vorraussetzung in De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis: „Ich glaube, daß die allgemeinen Beobachtungen, die sich für die Sinnendinge ergeben, entsprechend auch auf das Unsinnliche zutreffen.“586
Diese Argumentation, die im folgenden zu behandeln sein wird, steht in einem Widerspruch zur Kritik an Descartes’ Argument, daß Gott zum Betrüger würde, wenn unsere Erkenntnisse sich nicht auf reale Entitäten und ihre Bestimmungen beziehen würden. Leibniz hatte hiergegen eingewendet, daß dies nicht der Fall ist, solange wir nicht annehmen, daß unsere Perzeptionen sich auf Realität, sondern nur auf Phänomene beziehen587. Nun jedoch soll die Wahrheit als eine real objektive verstanden werden. Es ist prinzipiell für eine fensterlose Monade problematisch, und dies hat Leibniz 586
LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 24, GP VII 394: „Je crois que ces observationes generales qui se trouvent dans les choses sensibles, se trouvent encore à proportion dans les insensibles.“ 587 Von den Phänomenen läßt sich nur ihre Gesetzmäßigkeit beweisen. Vgl. auch: LEIBNIZ. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (1692) I 4, GP IV 356
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im Text vorher ausgeführt, anzunehmen, daß die Phänomene anderer vernünftiger Substanzen mit den ihrigen übereinstimmen588. Wir müssen dies als sicher annehmen, d. h. es ist für eine sinnvolle Praxis conditio sine qua non, aber es folgt daraus kein wahres Wissen über kontingente Sachverhalte, d. h. über uns selbst und über die Existenz anderer. Der Grund hierfür wird von Leibniz in der Undurchführbarkeit der unendlichen Analyse des vollständigen Begriffs einer individuellen Substanz angegeben. Er liegt darüber hinaus aber auch in Identifizierung der prinzipiell vorausgesetzten Individualität der Substanz als vollständigem Begriff mit der Fensterlosigkeit der Monade. Die individuelle Substanz ist damit Identität jenseits der Relationalität und zugleich funktionale Repräsentation der Totalität.
588
Vgl. MATHIEU. Die drei Stufen des Weltbegriffes bei Leibniz. A. a. O. 12
4. Der vollständige Begriff 4.1 Die analytische Urteilstheorie und die kontingenten Wahrheiten Bei der Untersuchung der historischen Entwicklung des Konzepts der individuellen Substanz anhand einiger zentraler Texte zeigte sich, daß die unterschiedlichsten Problembereiche der Leibnizschen Philosophie einfließen und sich zu einem gewissen Grad noch nicht zur Deckung bringen lassen. Der Umbruch zum sogenannten reifen System seiner Philosophie wird auf den Jahreswechsel 1685/86 bzw. den Beginn des Jahres 1686 datiert. Mit diesem Zeitpunkt gelingt es Leibniz erstmals, diese noch teilweise disparaten Systemstücke im vollständigen oder individuellen Begriff (notio completa vel individua) zu einer Synthese zu bringen. In der Confessio aus dem Jahre 1672, jedoch spätestens im Jahre 1676, wie dies in der Meditatio und den zur selben Zeit verfaßten Schriften deutlich wurde, hat Leibniz die Kernargumente hierfür bereits erarbeitet589. Die Substanz, und dies ergab sich aus der Grundlegung in der Disputatio, ist von sich aus vereinzelt. Die damit tendenzielle Identifikation von Substantialität und Individualität bleibt für das weitere entscheidend. Die Confessio bringt die Überlegungen in den Zusammenhang mit dem Wissen Gottes, das aus theologischen Problemen erwachsen, die Frage nach der Individualität der – hier zentral personalen – Substanz, mit ihrer Geschichte und dem Problem der Freiheit verbindet. Gott besitzt das Wissen um alle, d. h. vornehmlich um die zukünftigen Bestimmungen eines Individuums. Dieses Wissen unterscheidet sich vom Individuum selbst nicht. Die behauptete Externität des Individuationsprinzips muß auf Grund dieser Zusammenhänge relativiert werden. Diese Äußerlichkeit, die teilweise auf der noch im Gegensatz zur Substantialität stehenden abstrakten Bestimmung der Materie beruhte, wurde schließlich mit der Meditatio aufgehoben. Die Möglichkeit der Definition 589
Vgl. z. B.: RESCHER. Metaphysics of Nature. A. a. O. 107. Bis auf die Begründung der Kontingenz, sind alle Argumente bereits vorhanden. Vgl. z. B. die etwas spätere aber sehr prägnante Formulierung in: LEIBNIZ. Definitiones: aliquid, nihil (Frühjahr– Sommer 1679) A VI 4 A 306 „Hinc termino completo nihil inest per accidens, seu omnia ejus praedicata possunt ex ejus natura demonstrari. […]. Item tot posse esse substantias singulares quot sunt diversae combinationes omnium attributorum compatibilium. Et hinc patet principium individuationis, de quo irritae habentur multorum Scholasticorum concertationes.“
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des Unterschiedes mathematischer Entitäten eröffnete den Weg zur gedanklichen Zurückführung der extensionalen Natur auf die substantielle Realität vollständiger Entitäten. Es stellt sich die Frage, was Leibniz bis dato davon abgehalten hat, den vollständigen und individuellen Begriff der Substanz im allgemein geltendem Sinne zu formulieren. Die Antwort lautet, daß für Leibniz die Vereinbarkeit von Wahrheitsbegriff und Freiheitsbegriff noch prinzipiell problematisch war, denn wenn alle Wahrheiten analytisch sind, dann sind sie alle notwendig, es gäbe mithin keine Freiheit mehr. Die analytische Urteilstheorie besagt, wie dies schon teilweise ausgeführt wurde, daß bei jedem wahren Urteil der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist590. Dieses Prinzip als allgemeines Wahrheitskriterium aufzustellen, ist Leibniz jedoch erst mit dem Jahreswechsel 1685/86 in der Lage. Für notwendige Wahrheiten ist das analytische Enthaltensein der Teilbegriffe im Subjektbegriff als Identität per definitionem gegeben591. 590
Vgl. LEIBNIZ. Radix contingentiae est infinitum in rationibus (1689) A VI 4 B 1659: „Veritas […] est praedicatum inesse subjecto […] ostenditur reddendo rationem […] quod fit per quandam analysin terminorum […] in notiones communes utrique.“; vgl. u. a. auch: Generales Inquisitiones (1686) §132, A VI 4 A 776; Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1644. Die Bezeichnung „analytische Urteilstheorie“ stammt bekanntlich nicht von Leibniz selbst, dieser spricht vom Urteil als identischem Satz. KANT hat diesen Begriff geprägt (Kritik der reinen Vernunft. A 7 / B 10), und dies, wie z. B. MARTIN (a. a. O. 211 ff) nachgewiesen hat, in Auseinanderstzung mit Leibniz. Mit Couturat ist dieser Terminus zur allgemeinen Bezeichnung geworden. 591 Vgl. LEIBNIZ. Calculi universalis investigationes (April 1679) A VI 4 A 219: „Propositio vera est cujus praedicatum continetur in subjecto seu ei inest.“ In Bezug auf die Identität bzw. Widerspruchsfreiheit geht das analytische Enthaltensein, so KAEHLER (Leibniz – der methodische Zwiespalt der Metaphysik der Substanz. A. a. O. 18), auf ARISTOTELES (Kategorienschrift 2 a 12; Metaphysik 1028 b 36 f) zurück. Vgl. z. B. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1644: „Semper igitur praedicatum seu consequens inest subjecto seu antecedenti, et in hoc ipso consistit natura veritatis in universum seu connexio inter terminos enuntiationis, ut etiam Aristoteles observavit.“ Leibniz vergleicht seine Auffassung auch mit der der „Scholastiker“; vgl. De principiis praecipue contradictionis et rationis sufficientis (Frühjahr–Winter 1686/87) A VI 4 A 805: „Unde et Scholastici notarunt veritates quae sunt absolutae seu metaphysicae necessitatis ex terminis posse demonstrari, oppositio quippe contradictionem involvente.“
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„Ein schlechthin notwendiger Satz ist derjenige, der in identische Sätze aufgelöst werden kann, oder dessen Gegenteil einen Widerspruch einschließt. […] Diese Notwendigkeit nenne ich deshalb die metaphysische oder geometrische“592.
Kontingente Wahrheiten, d. h. Urteile über Begriffskomplexe, die nicht notwendig sind593, können daher nicht im selben Sinne als identische Sätze verstanden werden, denn dies würde die Kontingenz bzw. die Freiheit der Entitäten in Frage stellen bzw. negieren, die unter solchen Begriffen gedacht werden. In einer Antwort auf einen fiktiven Einwand formuliert Leibniz dieses Problem im Discours de métaphysique folgendermaßen: „Aber, wird man einwenden, wenn ein Schluß mit untrüglicher Sicherheit aus einer Definition oder einem Begriffe abgeleitet werden kann, so ist er eben damit notwendig. Nun behaupten wir, daß alles, was einer Person zustoßen soll, virtuell schon in ihrer Natur oder ihrem Begriffe eingeschlossen ist, so wie die Eigenschaften des Kreises in seiner Definition enthalten sind. Die Schwierigkeit bleibt also nach wie vor bestehen.“594
Die Lösung für dieses Problem und für die Einführung dessen, was Leibniz in den Schriften des Jahres 1686 – d. i. der Discours de métaphysique, der Briefwechsel mit Arnauld und die Generales Inquisitiones – als vollständigen oder individuellen Begriff bezeichnet, wird erstmals in der Schrift, die den 592
LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) (SCHMIDT 426) A VI 4 A 1516: „Abso1ute Necessaria propositio est, quae resolvi potest in identicas, seu cujus oppositum implicat contradictionem. […] Hanc ergo Necessitatem appello Metaphysicam vel Geometricam.“ 593 Vgl. z. B. die sehr frühen Definitionen aus: LEIBNIZ. Specima juris (1669) A VI 1 398: „[…] vera determinata dicitur necessaria, falsa determinata dicitur impossibilis, vera indeterminata dicitur contingens, falsa indeterminata dicitur possibilis.“; vgl. zur Differenzierung der Modalisatoren „kontingent“ und „möglich“ auch: POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 15 594 LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §12, (B&C* 355) A VI 4 B 1546: „Mais, dirat-on, si quelque conclusion se peut deduire infalliblement d’une definition ou notion, elle sera necessaire. Or est il, que nous soutenons que tout ce qui doit arriver à quelque personne est deja compris virtuellement dans sa nature ou notion, comme les proprietés le sont dans la definition du cercle. Ainsi la difficulté subsiste encor.“; vgl. zum Verhältnis des Freiheitsproblems und der analytischen Urteilstheorie bei Leibniz auch: DIETRICH J. SCHULZ. Die Bedeutung der analytischen Urteilstheorie für die Entwicklung des Rationalismus bei Leibniz. In: SL III (1971) 115-135.
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bezeichnenden Titel De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione trägt, behandelt. Dort heißt es nach einer kurzen Einführung des neuen Gedankens: „Indessen glaube ich, daß damit ein Problem von mir klargestellt worden ist, das mich selbst lange Zeit in Verwirrung gehalten hat, der ich nicht einsah, wie das Prädikat im Subjekt sein könnte, und der Satz trotzdem nicht notwendig würde. Doch die Kenntnis der geometrischen Gegenstände und die Analysis des Unendlichen zündeten mir dieses Licht an, so daß ich einsah, auch die Begriffe seien bis ins Unendliche auflösbar.“595
Die Übertragung der unendlichen Analyse der Infinitesimalgeometrie ist dasjenige Mittel, das Leibniz die Möglichkeit an die Hand gibt, ein allgemeines Wahrheitskriterium aufzustellen596. Der Unterschied zwischen den notwendigen und den kontingenten Wahrheiten bleibt bestehen, es kann jedoch in beiden Fällen die Inklusion des Prädikatbegriffes im Subjektbegriff angenommen werden. Durch die Differenz ist die Zufälligkeit der kontingenten Sachverhalte und somit die Freiheit der zu untersuchenden vollständigen Begriffe individueller Substanzen gesichert. „[In der zufälligen Wahrheit,] auch wenn hier das Prädikat tatsächlich im Subjekt ist, gelangt man durch die unbegrenzte fortgesetzte Auflösung jedes beliebigen der beiden Ausdrücke doch niemals zu einem Beweise oder zu einer Identität; und nur dem das Unendliche auf einmal begreifenden Gott ist es vorbehalten, zu erkennen, wie das eine im anderen ist, und den vollendeten Grund a priori der Zufälligkeit einzusehen, was bei den Geschöpfen durch die Erfahrung a posteriori ersetzt wird.“597 595
LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) (SCHMIDT 428) A VI 4 A 1516: „Atque ita arcanum aliquod a me evolutum puto, quod me ipsum diu perplexum habuit; non intelligentem, quomodo praedicatum subjecto inesse posset, nec tamen propositio fieret necessaria. Sed cognitio rerum Geometricarum atque analysis infinitorum hanc mihi lucem accendere, ut intelligerem, etiam notiones in infinitum resolubiles esse.“ 596 Vgl. auch: LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) A VI 4 B 1654: „Tandem nova quaedam atque inexpectata lux oborta est unde minime sperabam; ex considerationibus scilicet Mathematicis de natura infiniti.“ 597 LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) (SCHMIDT 427) A VI 4 A 1516: „In Contingenti Veritate, etsi praedicatum revera insit subjecto, tamen resolutione utriusque licet termini indefinite continuata, nunquam pervenitur ad demonstrationem seu identitatem,
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Ein kontingenter Begriff erfordert damit eine unendliche Analyse, die nur von Gott geleistet werden kann. Leibniz exemplifiziert diese Theorie der Inklusion anhand des für ihre Einführung maßgeblichen mathematischen Zusammenhangs. Dazu dienen ihm die irrationalen Proportionen. Bei kommensurablen Größen, die den notwendigen Wahrheiten entsprechen, ist nach einfachem Exhaustionsverfahren, nach einer endlichen Zahl von Divisions- bzw. Exhaustionsschritten, das gemeinsame Maß bestimmt. Bei inkommensurablen Größen und damit analog dazu bei den kontingenten Wahrheiten führt dieses Verfahren zu keinem gemeinsamen Maß; d. h. daß sich kontingente Wahrheiten niemals im Beweisverfahren auf eine Identität zurückführen lassen598. Bei den betreffenden mathematischen Gegenständen ist die Aufstellung von Beweisen jedoch realisierbar, indem gezeigt werden kann, daß der Fehler kleiner als ein beliebig angebbarer ist. Dies ist dem endlichen Intellekt bei den kontingenten Wahrheiten nicht möglich599. Hierbei ist die endliche Vernunft, wie bereits zitiert wurde, auf die Erfahrung a posteriori angewiesen. In zwei Schriften aus dem Jahre 1689, die in der Akademieausgabe unter dem gemeinsamen Titel Origio veritate contingentiae zusammengefaßt sind600, führt Leibniz diesen Vergleich mit der mathematischen Bestimmung des Unendlichen u. a. ebenfalls durch. Wie in De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione korrespondiert der fortgesoliusque Dei est infinitum semel comprehendentis perspicere quomodo unum alteri insit, perfectamque a priori intelligere contingentiae rationem quod in creaturis suppletur experimento a posteriori.“ 598 Vgl. LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) A VI 4 A 1516: „At quemadmodum Numerus major alterum incommensurabilem continet quidem, licet resolutione utcunque in infinitum continuata, nunquam ad communem mensuram perveniatur, ita in contingente veritate, nunquam pervenitur ad demonstrationem quantumcunque notiones resolvas.“; vgl. die ausführliche Darstellung eines Vergleichs dieser mathematischen Verfahrensweise mit dem analytischen Beweisverfahren bei: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 292 ff 599 Vgl. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) A VI 4 A 1516: „Hoc solum interest, quod in rationibus surdis nihilominus demonstrationes instituere possumus, ostendendo errorem esse minorem quovis assignabili, at in Veritatibus contingentibus ne hoc quidem concessum est menti creatae.“ 600 Vgl. LEIBNIZ. Origio Veritatum contingentiae (1689) A VI 4 B 1659-1664
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setzten Analyse eine unendliche Reihe von Elementen. Beide Verfahren ermitteln in gleicher Weise, d. h. nicht empirisch bzw. a posteriori, sondern a priori ihre „Werte“. Der Unterschied der Verfahren wird ebenfalls betont, nämlich, daß in der Geometrie durch notwendige Beweise die Progression erkannt wird; hingegen bei den unendlichen Reihen in Bezug auf die Begriffe, dies nur durch – wie es heißt – sichere, aber nicht notwendige Gründe zu leisten ist601. Die Instanz für das letztere Verfahren ist ausnahmslos die Wissenschaft der Schau bzw. das schauende Wissen (scientia visionis), die von der Wissenschaft des endlichen bzw. einfachen Verstandes unterschieden ist602. Wie diese göttliche Erkenntnisweise konkret zu denken ist – die prinzipielle Möglichkeit einer Charakterisierung vorausgesetzt – ist eine für das weitere relevante Frage. Leibniz spricht diese Erkenntnisweise mit mehreren vergleichbaren Termini an. Er nennt sie scientia visionis603, sofern es sich um die Beweise kontingenter Wahrheiten der faktischen Welt handelt, allgemein infallibilis visio oder auch intuitio. Die entsprechende Erkenntnis ist nicht diskursiv analytischer Art. Sie ist intuitiv synthetisch, da sie die Einheit ihres Objektes nicht vermittels der Elemente additiv erfaßt, sondern aus dieser Einheit heraus die Verknüpfung der Termini erkennt. Für die kontingenten Wahrheiten ist diese Erkenntnisweise konstitutiv, denn sie kann alleine die allgemeine Geltung der analytischen Wahrheitstheorie begründen. „In den zufälligen Wahrheiten indes ist das Prädikat zwar im Subjekt enthalten, kann aber trotzdem niemals als zu ihm gehörig erwiesen werden, so daß sich hier das Urteil niemals auf eine Gleichung oder Identität zurückführen läßt, die Auflösung vielmehr ins Unendliche weitergeht. Gott sieht zwar nicht das Ende der Auflösung – denn ein solches Ende gibt es nicht – wohl aber die
601
Vgl. LEIBNIZ. Radix contingentiae est infinitum in rationibus (1689) A VI 4 B 1660 f; vgl. Origio Veritatum contingentiae ex processu in infinitum (1689) A VI 4 B 1662 f; vgl. auch: De propositionibus existentialibus (1688) A VI 4 B 1633 602 Vgl. LEIBNIZ. Radix contingentiae est infinitum in rationibus (1689) A VI 4 B 1660: „[…] haec est scientia visionis […] distincta a scientia simplicis intelligentiae […].“; vgl. Origio Veritatum contingentiae ex processu in infinitum (1689) A VI 4 B 1662 603 LEIBNIZ. Radix contingentiae est infinitum in rationibus (1689) A VI 4 B 1660: „[…] veritas dicitur contingens […] quae infinitas involvit rationes […] ita tamen ut semper a Deo perfecte cognoscitur. […] Et haec est scientia visionis […].“; vgl. auch: De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685– Mitte 1686) A VI 4 A 1522; An des Bosses (5. Februar 1712) GP II 438
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Verknüpfung (zwischen den Termini) oder die Art, in der das Prädikat im Subjekt eingeschlossen ist, da er alles überschaut, was in der Reihe enthalten ist.“604
Das Enthaltensein des Prädikats im Subjektbegriff, obgleich es nicht auf eine Identität zurückgeführt werden kann und daher auch keines Beweises fähig ist, muß dennoch auf einer gewissen Verbindung beruhen. „Legt man nämlich den allgemein zugestandenen Begriff der Notwendigkeit zugrunde, daß im letzten Sinne dasjenige notwendig heißt, dessen Gegenteil einen Widerspruch einschließt, so folgt ohne weiteres aus dem Wesen des Beweises und aus der Analysis, daß es Wahrheiten geben kann, ja muß, welche sich durch keine Analysis auf identische Sätze zurückführen lassen, die vielmehr eine unendliche Reihe von Gründen als Stütze brauchen: eine Reihe, die allein für Gott durchsichtig ist.“605
Auch wenn die Reihe der Gründe ins Unendliche geht606 und sie damit nicht „durchlaufen werden kann“, sofern man dies als einen Durchgang bis auf ihr Ende versteht, so muß sie von der göttlichen Intuition607, welche in
604
LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) (B&C* 659) A VI 4 B 1656: „Sed in veritatibus contingentibus, etsi praedicatum insit subjecto, nunquam tamen de eo potest demonstrari, neque unquam ad aequationem seu identitatem revocari potest propositio, sed resolutio procedit in infinitum; Deo solo vidente non quidem finem resolutionis, qui nullus est, sed tamen connexionem terminorum, seu involutionem praedicati in subjecto, quia ipse videt quicquid seriei inest […].“ 605 LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) (B&C* 659) A VI 4 B 1658: „Admissa enim hac notione Necessitatis, quam admittunt omnes, quod scilicet ea demum necessaria sint, quorum contrarium implicat contradictionem, facile apparet naturam demonstrationis atque analyseos consideranti dari posse imo debere veritates, quae nulla analysi ad veritates identicas vel contradictionis principium reducantur, sed infinitam rationum seriem suppeditent uni Deo perspectam.“ 606 Vgl. LEIBNIZ. Radix contingentiae est infinitum in rationibus (1689) A VI 4 B 1661: „[…] radicem contingentiae esse infinitum in rationibus.“ 607 Vgl. LEIBNIZ. De contingentia (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1650: „[…] ratio tamen veritatis semper subsit, etsi a solo Deo perfecte intelligatur, qui unus seriem infinitam uno mentis ictu pervadit.“; vgl. auch: Specimem inventorum de admirandis naturae generalis arcanis (1688) A VI 4 B 1616: „[...] itaque certitudo et perfecta ratio veritatum contingentium, soli Deo nota est, qui infinitum uno intuitu complecitur.“
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Einem alles zugleich erkennt, prinzipiell erkannt werden können608. Bezüglich der Struktur des vollständigen Begriffes ist die Tatsache der göttlichen intuitio als Garant seiner Rationalität und damit seiner Realität für dessen Verständnis aufschlußreich. Das analytische Enthaltensein, das dennoch durch diese Erklärungen tendenziell immer die Vorstellung einer unendlichen Summe von Bestimmungen impliziert, kann jedoch definitiv nicht mit einer Theorie des vollständigen Begriffs als Summe seiner Eigenschaften bzw. Prädikate verstanden werden. Diese von Russel und in seiner Nachfolge vertretene These scheitert an der spezifisch synthetischen Einheit des vollständigen Begriffs609. Die Prädikate sind in ihm enthalten, aber sie können niemals im Sinne einer Identität bewiesen werden; d. h. daß der Begriff, den Gott von den Entitäten hat, die ratio a priori ist, aus dem die Prädikate deduziert werden können, nicht aber daß im Sinne einer noch so komplexen Kombinatorik dieser aus den Prädikaten zusammengesetzt werden könnte610. Die Analogie zum Problem des Unendlichen beim Labyrinth des Kontinuums ist offensichtlich, auch dort ist die Realität niemals als Summe bzw. als Ganzes von Teilen real-möglich. Leibniz weist darauf hin, daß bei kontingenten Wahrheiten nicht mehr der Satz der Identität, sondern das Prinzip des zureichenden Grundes seine Anwendung findet und Wahrheit und Realität begründet611. Auch dadurch wird dem vollständigen Begriff eine 608
Vgl. LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) A VI 4 B 1655: „[…] neque ulla est veritas facti seu rerum individualium quin ab infinitarum rationum serie dependeat, cui seriei quicquid inest a Deo solo pervideri potest, quae etiam causa est, quod solus Deus veritates contingentes a priori cognoscit, earumque infallibilitatem aliter quam experimento videt.“ 609 Vgl. RUSSEL. A. a. O. 60; Vgl. dazu: HIDE ISHIGURO. Leibniz’s Philosophy of Logic and Language. London 1990. 38 f: „[...] Leibniz never held the view, ascribed to him by Russel as well as by several recent commentators, that a substance or a thing is the sum of its predicates. An individual concept or an individual term is a concept of an individual, and such a concept is not made up of the sum of all the predicates that are true of the individual. The individual has all the properties which these predicates ascribe to him, but is not the sum of the properties. Properties can not exist of their own, not even as a conglomeration.“ 610 Vgl. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §8, A VI 4 B 1540: „Cela estant, nous pouvons dire que la nature d‘une substance individuelle ou d‘un Estre complet, est d‘avoir une notion si accomplie, qu‘elle soit suffisante à comprendre et à en faire deduire tous les predicats du sujet à qui cette notion est attribuée.“ 611 Vgl. LEIBNIZ. De principiis praecipue contradictionis et rationis sufficientis (1686/87) A VI 4 A 806: „Constat ergo omnes veritates etiam maxime contingentes probationem a
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Struktur zugesprochen, die über eine einfache kombinatorische Synthese als Erklärungsmodell hinausgeht. „Für uns gibt es nur zwei Wege, um die zufälligen Wahrheiten zu erkennen: der eine ist der der Erfahrung, der andere der der Vernunft. Auf dem Weg der Erfahrung erkennen wir eine solche Wahrheit, wenn wir ihren Gegenstand vermöge der Sinne mit genügender Deutlichkeit erfassen, der Weg der Vernunft aber beruht auf dem allgemeinen Prinzip, daß nichts ohne Grund geschieht oder daß stets das Prädikat in irgendwelcher [gewisser] Weise dem Subjekte innewohnt.“612
Die Betonung liegt hier, wie in den schon zitierten Stellen, auf der gewissen Weise (aliqua ratione) des Enthaltenseins. Das Enthaltensein ist nur im und aus dem vollständigen Begriff allein begründet und dieser wiederum nur in dem alles zugleich überschauenden Wissen Gottes. Es bleibt noch auf den Unterschied des expliziten und impliziten bzw. des formellen und virtuellen Enthaltenseins hinzuweisen. Im Anschluß an Couturat, der die Analytizität der Wahrheit bei Leibniz in umfassender Weise herausgestellt hat, führt dies dazu, daß alle Sätze als notwendig ausgelegt werden müssen und damit die von Leibniz intendierte Kontingenz aufgehoben wäre. Ohne auf die speziellen Details dieses Problems einzugehen, läßt sich die Schwierigkeit aus dem Gesagten in folgender Weise leicht beheben. Es wurde bereits deutlich, daß die Identität der Termini infiniter Sätze nicht beweisbar ist; d. h. daß die Virtualität der Inklusion in diesen Fällen auch priori seu rationem aliquam cur sint potius, quam non sint, habere. Atque hoc ipsum est quod vulgo dicunt, nihil fieri sine causa, seu nihil esse sine ratione.“; Specimem inventorum de admirabilis naturae Generalis arcanis (1688) A VI 4 B 1616: „Itaque duo sunt prima principia omnium ratiocinationum; Principium nempe contradictionis, quod scilicet omnis propositio identica vera et contradictora falsa est; et principium reddendae rationis, quod scilicet omnis propositio vera , quae per se nota non est, probationem recipit a priori, sive quod omnis veritatis reddi ratio potest, vel et vulgo ajunt, quod nihil fit sine causa.“; vgl. zum Begriff der probatio im Unterschied zur demonstratio, in Bezug auf die kontingenten Begriffe: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 280 ff 612 LEIBNIZ. De libertate, contingentia et serie causarum, providentia (Sommer 1689) (B&C* 658) A VI 4 B 1656: „Nobis autem duae sunt viae relictae veritates contingentes cognoscendi, una experientiae, altera rationis. Experientiae quidem, quando sensibus rem satis distincte percepimus; Rationis autem ex hoc ipso principio generali, quod nihil fit sine ratione; seu quod semper praedicatum aliqua ratione subjecto inest.“
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für Gott nicht auf eine formale zurückzuführen ist, wie dies für notwendige Sätze möglich sein muß. Das bedeutet, daß das virtuelle Enthaltensein bzw. die virtuelle Identität der Termini für notwendige und für kontingente Sätze nicht identisch ist. Diesem Umstand trägt auch die zuletzt zitierte Passage Rechung, indem sie von einer gewissen Weise des Verhältnisses bzw. des Enthaltenseins der Termini spricht.
4.2 Der vollständige Begriff der individuellen Substanz Die formale Bestimmung der analytischen Urteilstheorie hat die wesentlichen Grundlagen für das Verständnis der individuellen Substanz als Monade bereits vorgegeben. Die inhaltlichen Erweiterungen, die nun noch zu ergänzen sind, betreffen im wesentlichen die Stellung des Individuums zu Raum und Zeit. Hierbei ist das Konzept der Funktion wieder von zentraler Bedeutung. Bereits die Übergangsschrift De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione enthält alle wesentlichen Aspekte, die Leibniz für die Theorie der individuellen Substanz im weiteren ausarbeitet. Im Anschluß an die Einführung des allgemeinen Wahrheitskriteriums präzisiert Leibniz den Unterschied zwischen essentialen und existentialen, d. h. notwendigen und kontingenten Sätzen, inhaltlich hinsichtlich der kontingenten Sätze. Die existentialen Sätze sind von den Bedingungen aller Dinge und Umstände der faktischen Welt abhängig. Da diese Abhängigkeit eine unendliche Verkettung inhaltlicher Art zur Folge hat, kann eine Analyse und damit eine Erkenntnis des Individuellen nicht geleistet werden. Leibniz führt diesen Zusammenhang schließlich in einer sehr umfassenden Weise aus, die diesbezüglich keinen Unterschied zu späteren Ausführungen aufweist613. „Gott aber bedarf dieses Übergangs von einem Zufälligen zu einem früheren Zufälligen nicht, der keinen Endpunkt haben kann (wie auch in Wirklichkeit das eine Zufällige nicht die Ursache des anderen ist, obwohl es uns so scheint), 613
COUTURAT z. B. hat diesen Text, auch auf Grund anderer Stellen, kurz vor das Jahr 1695 datiert. Vgl. C 16-24
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sondern er erkennt in jeder beliebigen einzelnen Substanz aus ihrem Begriffe die Wahrheit aller ihrer zufälligen Eigenschaften ohne Zuhilfenahme äußerlicher Bestimmungen, weil eine jede alle anderen und das ganze Universum auf ihre Art einschließt. Daher geht in alle Sätze, in die Existenz und Zeit eingehen, eben damit die ganze Reihe der Dinge ein; denn das Jetzt und Hier kann nur durch die Beziehung auf das Übrige verstanden werden. Deshalb lassen solche Sätze einen Beweis oder eine begrenzbare Auflösung nicht zu, durch die ihre Wahrheit ans Licht käme. Dasselbe gilt bei allen zufälligen Eigenschaften der einzelnen geschaffenen Substanzen. Und auch wenn jemand die ganze Abfolge des Universums erkennen könnte, so könnte er noch nicht ihren Grund angeben außer durch Aufstellung ihres Vergleiches mit allen anderen möglichen Dingen. Daraus erhellt, warum kein Beweis eines zufälligen Satzes gefunden werden kann, wie weit auch die Auflösung der Begriffe fortgesetzt werden wird.“614
Diese Passage enthält in sehr gedrängter Form nahezu Leibniz’ gesamte Theorie der individuellen Substanz mit ihren Voraussetzungen und Ableitungen. Zu Beginn wird die intuitio Gottes als notwendige Bedingung für die Theorie der individuellen Substanz eingeführt. Gott erkennt aus dem Begriff des Individuums alle ihre zufälligen Eigenschaften. Und obgleich damit, wie es heißt, Existenz und Zeit, und d. h. Raum und Zeit, mit in alle diese Sätze und damit in den vollständigen Begriff eingehen, so erkennt Gott doch die Individuen nicht unter Zuhilfenahme äußerer Bestimmungen, sondern rein aus ihrem Begriff. Denn – und dies ist die zentrale Prämisse des Individuums hinsichtlich der logischen Struktur als vollständigem 614
LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) (SCHMIDT 429) A VI 4 A 1517 f: „Deus autem non indiget illo transitu ab uno contingente ad aliud contingens prius aut simplicius qui exitum habere non potest (ut etiam revera unum contingens non est causa alterius, etsi nobis ita videatur), sed in qualibet singulari substantia ex ipsa ejus notione omnium ejus accidentium veritatem perspicit, nullis extrinsecis advocatis, quia una quaeque alias omnes totumque universum suo modo involvit. Hinc omnes propositiones quas ingreditur existentia et tempus, eas ingreditur eo ipso tota series rerum; neque enim τὸ nunc vel hic nisi relatione ad caetera intelligi potest. Unde tales propositiones demonstrationem sive resolutionem terminabilem qua appareat earum veritas non patiuntur. Idemque est de omnibus accidentibus substantiarum singularium creatarum. Imo etsi quis cognoscere posset totam seriem universi necdum ejus rationem reddere posset, nisi ejus cum aliis omnibus possibilibus comparatione instituta. Unde patet cur nullius propositionis contingentis demonstratio inveniri possit, utcunque resolutio notionum continuetur.“
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Begriff und der ontologischen Natur als Monade – im Begriff des Individuums ist seine ganze Welt perspektivisch enthalten. Alle externen Bestimmungen bzw. raumzeitlichen Relationen sind sub specie aeternitatis mit und in ihrem Begriff gegeben. Der Begriff als ganzer ist somit das Individuationsprinzip bzw. das Individuum ist – wie es bereits in der Vorform der Disputatio hieß – durch seine ganze Seiendheit individuiert615, mit dem Unterschied, daß nun wesentlich Raum und Zeit integriert werden. Diese Integration der raumzeitlichen Verhältnisse in den vollständigen Begriff bringt Leibniz im Zitat auch dadurch zum Ausdruck, daß er ausschließt, daß die Substanzen, und mit ihnen ihre zufälligen Eigenschaften, in einem Kausalverhältnis stehen. Er fügt hinzu, daß es ausgeschlossen werden muß, auch wenn es uns anders erscheint. Vom Standpunkt Gottes aus heißt dies, daß für ihn in umgekehrter Richtung aus dem Begriff des Individuums Zeit und Raum und damit die ganze Reihe der Dinge folgt616. Schließlich erwähnt Leibniz noch den Sachverhalt der Begründung des Individuums hinsichtlich seiner Kontingenz, die durch die Theorie der möglichen Welten garantiert wird. Die Individualität die mit dem vollständigen Begriff gegeben ist, stellt für Leibniz den Grund für dessen Existenz dar, d. h. weshalb sie einen Vorzug vor anderen möglichen Individuen bedingt617. Jedoch, so heißt es deutlich, kann kein endlicher Intellekt diesen Grund angeben, denn es ist hierfür nötig alle vollständigen Begriffe miteinander zu vergleichen. Unter Absehung von der speziellen Problematik der damit zu belegenden synthetischen Natur des Existenzprädikats618 läßt sich diese Aussage auch als eine Argumentation ad hominem verstehen. Denn dieser Begründungszusam615
Vgl. LEIBNIZ. Definitiones: aliquid, nihil, non-ens, ens (August 1688–Januar 1689) A VI 4 A 932 :„Revera similia non sunt nisi Entia incompleta, nec dantur duo Entia completa ejusdem infimae speciei.“ 616 Vgl. LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) A VI 4 A 1520; 1522; vgl. LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) A VI 4 B 1647 617 Vgl. zur Theorie der möglichen Welten in diesem Zusammenhang: POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 93 ff; OLLI KOISTINEN / ARTO REPO. Compossibility and being in the same world in Leibniz’s metaphysics. In: SL XXXI (1999) 196-214 618 Vgl. z. B.: WILLIAM E. ABRAHAM. Complete Concepts and Leibniz’s Distinction between Necessary and Contingent Propositions. In: SL I (1969) 263-279; 276 f; SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 333 ff; WOLFGANG HÜBNER. „Notio completa.“ Die theologischen Voraussetzungen von Leibniz’ Postulat der Unbeweisbarkeit der Existentialsätze und die Idee des logischen Formalismus. In: SL Sonderh. 15 (1988) 107-116; 11
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menhang steht in einer gewissen Analogie zur Aussage, daß Substanzen nicht in einem Kausalverhältnis stehen. Wie der vollständige Begriff nicht durch die Unendlichkeit seiner Bestimmungen synthetisiert werden kann, so kann auch ein faktisches Individuum nicht in Relation, und d. h. in Differenz, mit allen alternativen Individuen aller anderen möglichen Welten definiert werden619. Daraus folgt, daß die ratio a priori für die Wahl eines bestimmten Individuums – zusammen mit der Welt zu der es gehört – vor einem Vergleich der Individuen mit seinem Begriff selbst gegeben ist. Dies folgt streng aus der These, daß Relationen realiter auf einem Fundament in der Sache selbst beruhen. Die Existenz kann durch einen Vergleich aller möglichen Welten bedingt sein, konstitutive Ursache ist aber – neben der Existenz des unendlichen Intellekt und seines Willens – einzig das Optimum des betreffenden individuellen Begriffs selbst620. Die individuelle Substanz, die Leibniz folglich als Monade anspricht, muß als Entfaltung dieser ihr gegebenen unendlichen Komplexität verstanden werden. Es liegt nahe in dieser Struktur des Begriffs eine Analogie zur mathematischen Struktur der Funktion zu sehen, sofern hierbei ein Gesetzescharakter ausgesprochen wird. Der funktionale Charakter stellt dabei eine plausible Erklärung für das spezifische Enthaltensein der Prädikate dar, welches bisher durch den Satz vom Grund garantiert wurde. Leibniz selbst macht auf diesen Zusammenhang aufmerksam, indem er die Identität des Individuums in einem Gesetz als begründet ansieht621.
619
Vgl. auch: LEIBNIZ. De divisione praedicati (August 1688–Januar 1689) Erster Ansatz, A VI 4 A 928: „Relationes res non differunt per se, sed ob differentias primarias.“ 620 Hierzu ist zu bemerken, daß die angenommene Möglichkeit eines absoluten Maximums im Bereich der Essenzen, einen kategorialen Unterschied zur Dimension aller Objekte setzt, die im vorherigen mit Hilfe des Labyrinths des Kontinuums behandelt wurden. Dies würde ebenfalls die These unterstützen, daß eine synthetische Bestimmung des Existenzprädikats nicht die einzige mögliche Interpretation darstellt. 621 Vgl. z. B. auch: LEIBNIZ. Réponse aux réflexions contenues dans la seconde édition du Dictionaire critique de M. Bayle ... (1702) GP IV 560
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„Daß ein bestimmtes Gesetz beharrt, welches alle zukünftigen Zustände des Subjekts, das wir als identisch denken, in sich schließt: das eben macht die Identität der Substanz aus.“622
Der Gesetzescharakter beruht auf der Erkenntnis Gottes in die Vollständigkeit des Begriffs und verbürgt damit die Identität der damit bezeichneten Substanz, unabhängig von allen äußeren Verhältnissen. Leibniz bringt den Gesetzescharakter in Analogie zur Aktivität der Substanz, schließlich zum appetitus der Monade623. Die Monade ist in ihrer Fensterlosigkeit gerade durch diese beiden realiter untrennbaren Wesenszüge definiert, d. h. daß sie die spontane und autonome Entfaltung ihres eigenen Begriffs ist. Die Unendlichkeit der räumlichen Beziehungen stellt sie hierbei verworrener, wenn sie komplexer und undeutlicher sind, und deutlicher, wenn sie distinkter sind, dar. Die Prädikatenkombinationen ihres Begriffs bedingen ihre Perzeptionen und somit die von ihr vorgestellte phänomenale Außenwelt. „Jede von ihnen enthält in ihrem Wesen das Gesetz der Fortsetzung der Reihe ihrer Tätigkeiten (legem continuationis seriei suarum operationum) und all das, was ihr jemals zugestoßen ist und was ihr noch zustoßen wird. Alle ihre Tätigkeiten kommen aus ihrem eigenen Grunde, wenn man von der Abhängigkeit von Gott absieht. Jede Substanz drückt das gesamte Universum aus, jedoch die eine in distinkterer Weise als die andre, vor allem stellt die eine gemäß ihrem Gesichtspunkte Dinge deutlicher als die andre dar. Die Vereinigung von Seele und Körper, ja, jede Einwirkung einer Substanz auf eine andre, besteht allein in der gegenseitigen vollkommenen Übereinstimmung, die ausdrücklich durch die Ordnung der ersten Schöpfung festgestellt worden ist und kraft derer jede Substanz, indem sie ihren eigenen Gesetzen folgt, mit den Erfordernissen der andren zusammenstimmt. Die Tätigkeiten der einen begleiten somit oder gehen parallel der Tätigkeit oder der Veränderung der andren.“624
622
LEIBNIZ. An de Volder (21. Januar 1704) (B&C* 517) GP II 264: „Legem quandam esse persistentem, (id) quae involvat futuros ejus quod ut idem concipimus status, id ipsum est quod substantiam eandem constituere dico.“ 623 Vgl. LEIBNIZ. An Remond (1714) Aus dem Briefentwurf, GP III 622: „L‘appetit ... n’est autre chose que la tendence d‘une perception à un autre.“ 624 LEIBNIZ. An Arnauld (März 1690) (B&C* 444 f) GP II 136: „Que chacune de ces substances contient dans sa nature legem continuationis seriei suarum operationum, et tout ce qui luy est arrivé et arrivera. Que toutes ses actions viennent de son propre fonds, excepté la dépendance de Dieu. Que chaque substance exprime l’univers tout entier, mais l’une plus distinctement que l’autre, sur tout chacune à
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Die Monade ist damit Perspektive, denn sie stellt einen Standpunkt in der phänomenalen Raumzeit dar. Die Perspektive konzentriert nun, wie die Funktion, das Ganze in ihrer Stelle625. Die perspektivische Monade ist aber Substanz, indem sie den Standpunkt in Bezug auf die deutlichen Perzeptionen der intramonadischen Entfaltung ihres vollständigen Begriffs bedeutet, der von Gott mit denen aller anderen prästabiliert ist 626. „Um schließlich meine Gedanken in wenigen Worten zusammenzudrängen, so bin ich der Ansicht, daß jede Substanz in ihrem gegenwärtigen Zustande alle ihre vergangenen und zukünftigen Zustände einschließt, ja daß sie das ganze Universum ihrem Gesichtspunkte gemäß ausdrückt, da nichts so weit vom andren entfernt ist, daß es nicht zu ihm in irgendwelchem Zusammenhang stände. Und zwar geschieht dies im besondern gemäß der Beziehung, die sie zu den Teilen ihres Körpers hat; denn diese werden von ihr in unmittelbarer Weise zum Ausdruck gebracht. Demnach stößt ihr nichts zu, was nicht aus ihrem eignen Grunde und kraft ihrer eignen Gesetze erfolgt, vorausgesetzt, daß man die Mitwirkung Gottes hinzufügt. Sie apperzipiert die andren Dinge, weil sie dieselben ihrer Natur gemäß zum Ausdruck bringt, da sie von Anfang an so geschaffen worden ist, daß sie dies in der Folge tun und sich ihnen in der erforderlichen Weise anpassen kann. In dieser von Anfang an auferlegten Notwen-
l’égard de certaines choses, et selon son point de veue. Que l’union de l’ame avec le corps, et méme l’operation d’une substance sur l’autre, ne consiste que dans ce parfait accord mutuel, establi exprès par l’ordre de la premiere création, en vertu duquel chaque substance, suivant ses propres loix, se rencontre dans ce que demandent les autres […].“ 625 Vgl. auch: LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 87, GP VII 411: „Elles [les Ames] sentent ce qui se passe hors d’elles par ce qui passe en elles, repondant aux choses de dehors, en vertu de l’harmonie que Dieu a preétablie, par la plus belle et la plus admirable de toutes ses productions, qui fait que chaque substance simple en vertu de sa nature est, pour dire ainsi, une concentration et un miroir vivant de tout l’univers suivant son pont de veue.“; An Arnauld (Juni 1686) GP II 57 626 Vgl. LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1686) GP II 391 ff; Principes de la nature et de la grâce, fondés en raison (1714) 12, GP VI 603 f: „Il suit encore de la Perfection de l’Auteur Supreme, que non seulement l’ordre de l’univers entier est le plus parfait qui se puisse, mais aussi que chaque miroir vivant representant l’univers suivant son point de veue, c’est à dire, que chaque Monade, chaque centre substantiel, doit avoir ses perceptions et ses appetits les mieux reglés qu’il est compatible avec tout le reste.“; An Arnauld (Juni 1686) GP II 391 ff
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digkeit besteht eigentlich, was man Einwirkung einer Substanz auf eine andre nennt.“627
Die These, die die Monadologie begründet, resultiert wesentlich daraus, daß Leibniz die aus dem Kontinuumsproblem entstandene funktionale Naturbestimmung mit der Annahme individueller Substanzen vereinbaren will. Leibniz bringt diesen Doppelcharakter der Monade passend im Système nouveau auf den Begriff: Sie ist Spontaneität und Konformität 628. Leibniz gelingt hiermit die Synthese der „Harmonie“ der funktionalen Natur mit der actio der Substanz und der cogitatio des Geistes. Das entscheidendste Argument, das ihm ermöglicht Raum und Zeit nun sozusagen in die Monade zu verlegen, d. h. sie als fensterlose Perspektive mittels des vollständigen Begriffs zu denken, hat noch eine andere Herkunft. Die Spontaneität bezieht sich schließlich auf das Labyrinth der Freiheit. Im Discours de métaphysique nennt Leibniz mit dem theologischen Motiv des sogenannten möglichen Adams ein sehr zentrales Argument für die Plausibilität seiner These. „[…] [Es läßt sich nicht leugnen], daß es wirklich einen vollständigen Begriff von Adam gibt, der, als möglich gedacht, alle seine Prädikate in sich schließt, und daß dieser Begriff es ist, der von Gott erkannt wird, bevor er den Entschluß faßt, Adam zu erschaffen [...].“629 627
LEIBNIZ. An Arnauld (September 1687) (B&C* 441 f) GP II 126: „Enfin pour ramasser mes pensées en peu de mots: je tiens que toute substance renferme dans son estat present tous ses estats passés et à venir et exprime même tout l’univers suivant son point de veue, rien estant si éloigné de l’autre qu’il n’ait commerce avec luy; et sera particulierement selon le rapport aux parties de son corps, qu’elle exprime plus immediatement; et par consequent rien ne luy arrive que de son fonds, et en vertu de ses propres loix, pourveu qu’on y joigne le concours de Dieu. Mais elle s’apperçoit des autres choses, parce qu’elle les exprime naturellement, ayant esté créée d’abord en sorte qu’elle le puisse faire dans la suite et s’y accommoder comme il faut, et c’est dans cette obligation imposée dès le commencement, que consiste ce qu’on (appelle) l’action d’une substance sur l’autre.“ 628 Vgl. LEIBNIZ. Système nouveau (1695) GP IV 484: „[…] Dieu a crée d’abord l’ame, ou toute autre unité de telle sorte, que tout luy doit naistre de son propre fonds, par une parfaite spontaneité a l’égard d’elle-même, et pourtant avec une parfaite conformité aux choses de dehors.“ 629 LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1686) (B&C* 392) GP II 50: „[…] ne sçauroit nier qu’il n’y ait veritablement une telle notion pleine de l’Adam accompagné de tous ses predicats et conçû comme possible, la quelle Dieu connoist avant que de resoudre de le créer […].“
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Die unmittelbare Überzeugunskraft dieses Arguments beruht auf dem für den gedanklichen Nachvollzug einzunehmenden göttlichen Standpunkt. Aus dieser These folgen die dargelegten Konsequenzen, daß im Begriff eines Individuums die zukünftigen Handlungen enthalten sind, bevor es handelt, sowie daß seine Stellung im Raum bestimmt werden kann, unabhängig davon, ob es im Raum ist bzw. obgleich es nicht im Raum ist. Wie bei der Analyse des Raumproblems gezeigt wurde, bedingen die Individuen die Positionen von Raum und Zeit, jedoch, wie nun zweifelsfrei feststeht, ohne daß sie in Raum und Zeit sind630. Interessant an diesem Argument – dessen Bedeutung für die Theorie des vollständigen Begriffs man m. E. nicht unterschätzen sollte – ist, daß es direkt nur die Integration der zeitlichen Dimension zu garantieren vermag. Es bedarf für seine Konsistenz aber, wie es die Untersuchung der Argumentation in der Confessio philosophi gezeigt hat, auch der Internalisierung der räumlichen Dimension. Dies ist, wie dargelegt wurde, notwendig, da die faktische physische Lokalisierung einer personalen Substanz ihre Handlungen zumindest bedingt. „Nun verlange ich hier keine andre Verknüpfung, als die, die a parte rei zwischen den Termini einer richtigen Aussage vorhanden ist, und allein in diesem Sinne behaupte ich, daß der Begriff der individuellen Substanz alle ihre Zustände und Bestimmungen in sich schließt, selbst die, die man gemeinhin äußerlich nennt, [(]d. h. die, die ihr nur kraft der allgemeinen Verknüpfung angehören, daß sie das ganze Universum auf ihre Weise ausdrückt[)]. Denn für die Verknüpfung der Termini einer Aussage muß doch stets ein e bestimmte Grundlage vorhanden sein, die sich in ihrem Begriff vorfinden muß. Dies ist mein großes Prinzip, mit dem, wie ich glaube, alle Philosophen einverstanden sein müssen, und von dem jenes populäre Axiom, daß nichts sich ereignet, ohne daß sich ein Grund angeben läßt, warum es eher so als anders erfolgt, nur ein Folgesatz ist.“631
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Vgl. LEIBNIZ. De divisione praedicati (August 1688–Januar 1689) Erster Ansatz, A VI 4 A 927: „Individualia seu haecceitates ubi locus et tempus.“ 631 LEIBNIZ. An Arnauld (Juni 1986) (B&C* 399 f) GP II 56: „Or je ne demande pas d’avantage de liaison icy que celle qui se trouve a parte rei entre les termes d’une proposition veritable, et ce n’est que dans ce sens que je dis que la notion de la substance individuelle enferme tous ses evenemens et toutes ses denominations, même celles qu’on appelle vulgairement extrinseques (c’est à dire qui ne luy appartiennent qu’en vertu de la connexion generale des choses et de ce qu’elle exprime tout l’univers à sa maniere), puisqu’il faut toujours qu’il y ait quelque fondement
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Bevor abschließend die Frage zu untersuchen ist, in welcher Weise Gott die Individuen erkennt bzw. ob der vollständige Begriff als solcher überhaupt möglich ist, müssen noch einige Überlegungen zum Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren angefügt werden. Wie in den bereits erwähnten Stellen aus dem Briefwechsel mit Clarke und den Nouveaux Essais, folgert Leibniz auch in den Principia logico-metaphysica dieses Prinzip aus dem des zureichenden Grundes. „Hieraus folgt auch, daß es in der Natur nicht zwei einzelne, nur der Zahl nach verschiedene Dinge geben kann; überall nämlich muß ein Grund angegeben werden können, warum sie verschieden sind, welcher Grund in irgendeinem Unterschied in ihnen selbst zu suchen ist.“ 632
Leibniz fügt hieran an, daß aus diesem Grund niemals zwei identische Dinge in der Natur zu finden sind; dies ist nur bei abstrakt-mathematischen Gegenständen der Fall, jedoch niemals bei ihren konkreten Entsprechungen. Dies gilt ebenso für die Wahrnehmung, denn auch wenn wir hierbei die Dinge für identisch halten könnten, muß diese Möglichkeit prinzipiell ausgeschlossen werden633. Aus dem Satz vom Grund folgt ferner – als eine direkte Konsequenz des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren, wie es daher bereits im vorherigen Zitat zum Ausdruck kam –, daß alle Bestimmungen innerlich sind. „Es folgt auch, daß es keine durchaus äußeren Bestimmungen gibt, die nicht weiterhin eine Grundlage im bestimmten Dinge selbst haben. Denn es ist
de la connexion des termes d’une proposition qui se doit trouver dans leur notions. C’est là mon grand principe, dont je croy que tous les philosophes doivent demeurer d’accord, et dont un des corrollaires est cet axiome vulgaire que rien n’arrive sans raison […].“ 632 LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) (SCHMIDT 440) A VI 4 B 1645: „Sequitur etiam hinc non dari posse in natura duas res singulares solo i numero differentes. Utique enim oportet rationem reddi posse cur sint diversae, quae ex aliqua in ipsis differentia petenda est.“ 633 Vgl. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 21 GP VII 394: „Cette supposition de deux indiscernables, comme de deux portions de matiere qui conviennent parfaitement entre elles, paroist possible en termes abstraites; mais elle n’est point compatible avec l’ordre des choses, ny avec la sagesse Divine, où rien n’est admis sans raison.“; vgl. ebd. 24, GP VII 394
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nötig, daß der Begriff des bestimmten Subjekts den Begriff des Prädikats einschließt.“634
Die Verbindung des analytischem Enthaltensein und des Individuationsprinzip hat immer wieder zur Behauptung veranlaßt, daß sich die Individuen in mindestens einem Merkmal unterscheiden müssen635. Dies legt die zitierte Stelle nahe, wenn es heißt, daß der anzunehmende äußere Unterschied in irgendeinem inneren seine Grundlage haben muß. Da nun die inneren Grundlagen, entsprechend der Behandlung des Individuums mittels des vollständigen Begriffs, als Prädikate zu verstehen sind, wird der Unterschied in mindestens einem solchen angenommen. Das würde erlauben, die Individualität, zumindest formal, auf einen Unterschied in mindestens einem Prädikat zurückführen; das hieße aber, ein Teil des Seienden würde seine Individualität bedingen. Diese Interpretation, zeigt sich jedoch schon darin als fehlerhaft, daß sie eine Auffassung des Begriffs als additiver Elementen-Verbindung impliziert636. Damit wird die von Leibniz betonte gegenstandskonstituierende Funktion des Begriffs vernachlässigt, die mit der notio completa vel individua intendiert ist. Die Vollständigkeit des Begriffs steht in Korrelation mit der Einheit des unter ihr gedachten Seienden. Einheit und Seiendheit sind vertauschbare Begriffe. Neben der Vollständigkeit fügt Leibniz – nicht ohne Grund – den individualitätsbildenden Charakter des Begriffs hinzu. In strenger Folge zur These aus der Disputatio sind für Leibniz auch Einheit und Individualität vertauschbare Begriffe. Das bedeutet, daß der vollständige Begriff als solcher, in seiner ungeteilten Einheit, die Individualität verbürgt und somit das Seiende individuiert. Dennoch muß natürlich auch für Leibniz ein Individuationsprinzip bzw. ein Individuationskriterium angenommen werden, schon alleine deswegen, weil alle Individuen dasselbe – und damit in gewisser Weise Allgemeines – auf verschiedene Weise repräsentieren, nämlich die Welt bzw. Gott.
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LEIBNIZ. Principia logico-metaphysica (Frühjahr–Herbst 1689) (SCHMIDT 441) A VI 4 B 1645: „Sequitur etiam nullas dari denominationes pure extrinsecas, quae nullum prorsus habeant fundamentum in ipsa re denominata.“ 635 Vgl. z. B. KAUPPI. A. a. O. 500 636 RUSSEL (a. a. O. 50; 54 ff) schreibt Leibniz selbst den Fehler zu, das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren mit Hilfe des Begriffs als Summe seiner Prädikate zu begründen.
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4.3 Die individuelle Substanz im Wissen der unendlichen Vernunft Die Analyse des Raumbegriffs hatte zu dem Ergebnis geführt, daß wir mittels der Bedingungen unserer Erkenntnis alles Räumliche immer nur in Verhältnissen erfassen können, womit der Raum als Relationalität an sich, als die Bedingung der Erfahrung des Räumlichen aufzufassen war. Die räumlichen Entitäten werden hierbei als Funktionen begriffen, als gesetzte Einheiten aller Beziehungen. Grundlegend fordert Leibniz, daß notwendigerweise Substanzen anzunehmen sind, da der Geist als erkennendes Subjekt hinsichtlich der Kausalität der Natur voraussetzungslos ist und ebenso die Freiheit637 nicht in die Dimension der Wirkursachen integriert werden kann638. Eine Erkenntnis funktionaler Art bietet sich vom Standpunkt der endlichen Vernunft aus an. Die relationalen Bestimmungen können hierbei in der Konstruktion des Gegenstandes mit der Substanz als ihrer Einheit in Verbindung gebracht werden, ohne mit ihr identifiziert zu werden. Die Konstruktion vermag die Einheit des Begriffs zu erläutern, die für eine Erkenntnis von Gegenständen nötig ist; sie vermag darüber hinaus für abstrakte mathematische Gegenstände eine tatsächliche Erzeugung zu erklären. Die Kausaldefinition bzw. die schon erwähnte genetische Definition, die Leibniz für geometrische Gegenstände anwendet und die dort sinnvoll ist, stellt jedoch nur eine von den drei möglichen Realdefinitionen dar, die Leibniz als sehr unterschiedlich voneinander bezeichnet639. Die erste ist die Realdefinition a posteriori, d. h. diejenige, die sich auf die tatsächliche Erfahrung stützt und eine Definition eines real möglichen Gegenstandes verbürgt640. 637
Vgl. LEIBNIZ. De libertate et gratia (Sommer 1680–Sommer 1684) A VI 4 B 1455: „Libertas ita explicanda est ut radicem suam habeat in natura mentis quia solae mentes sunt liberae.“ 638 Für die damit gebotene Unterscheidung von Substanz und Funktion verweist ROMBACH (a. a. AO. II 439) auf KANTs Bestimmung dieses Verhältnisses im selben Sinne (Kritik der reinen Vernunft B 321): „An einem Gegenstande des reinen Verstandes ist nur dasjenige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgendetwas von ihm verschiedenes hat. Dagegen sind die inneren Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Raume nichts als Verhältnisse und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen […].“ 639 Vgl. LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §24 A VI 4 B 1569 640 Vgl. LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November1684) A VI 4 A 589: „[…] Definitiones causales: a posteriori vero, cum rem actu existere ex-
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Die zweite Art ist die Kausaldefinition. Sie liefert den Beweis der Möglichkeit eines Gegenstandes auf apriorischem Wege, indem sie diesen erzeugt641. Sie hat, sofern wir damit die Möglichkeit des Gegenstandes aus seiner Produktion erfassen, eine vorzügliche Bedeutung642. Diese wurde bereits für die geometrischen Entitäten belegt. Dort findet sie auch ihr eigentliches Anwendungsgebiet643 und leistet zu wesentlichen Teilen die Konstruktion der phänomenalen Natur. Vollkommener als die genetische Definition ist für Leibniz schließlich die dritte Art der Realdefinition. Sie ist ebenso als eine synthetische zu kennzeichnen, da sie die Einheit des Begriffs mit allen darin enthaltenen Begriffen in einem überblickt. Sie ist jedoch damit im Unterschied zur Kausaldefinition keine produzierende, sondern eine intuitive Begriffserkenntnis644. Leibniz bezeichnet sie auch als Essentialdefinition und setzt sie höher als die Kausaldefinition an. „Führt sie aber die Analyse bis ans Ende und bis zu den ursprünglichen Begriffen durch, ohne nur das geringste vorauszusetzen, das eines apriorischen Beweises seiner Möglichkeit bedürfte, dann ist die Definition vollkommen oder eine wesentliche.“645
Die angegebene Essentialdefinition muß in diesem Sinne als Synthese der Grundbegriffe verstanden werden. Dies läßt sich schließen, denn es heißt, perimur, quod enim actu existet, vel extitit, id utique possibile est.“; vgl. auch: Discours de métaphysique (1686) §24 A VI 4 B 1569 641 LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) §24 A VI 4 B 1569: „[…] la preuve de la possibilité se fait à priori, la definition est […] [reelle et] causale, comme lors qu’elle contient la generation possible de la chose.“ 642 Vgl. LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November1684) A VI 4 A 589; De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (Sommer 1683– Anfang 1685) A VI 4 A 542 643 Vgl. dazu auch: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 121 f. Ebd. 124 ff schränkt Schneider die naheliegende Vergleichbarkeit zu KANTs Realerklärung (Kritik der reinen Vernunft A 242 f / FN) ein, da Leibniz generell die Synthesis der Analysis nachordnet. 644 Vgl. SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 127 f. Schneider charakterisiert den Unterschied im selben Sinne als einen zwischen „konstruktiv-synthetischer“ und „intuitiv-synthetischer“ Begriffserkenntnis. 645 LEIBNIZ. Discours de métaphysique (1686) A VI 4 B 1569: „Et quand elle pousse l’analyse à bout jusqu’aux notions primitives, sans rien supposer, qui ait besoin de preuve à priori de sa possibilité, la definition est parfaite ou essentielle.“
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daß die vollkommene Erkenntnis, ohne etwas vorauszusetzen, auf die Grundbegriffe führt. In der Definition des Begriffs sind damit alle diese Elementarbegriffe gegeben. Leibniz hat bereits sehr früh die Überlegungen zu den ersten Begriffen als Idee eines sogenannten Alphabets der menschlichen Gedanken verfolgt. Man kann sagen, daß der Idee der damit benannten Grundbegriffe ein quasi logischer Atomismus zugrunde liegt, zumindest vergleicht Leibniz in der Dissertatio de Arte combinatoria das Alphabet der menschlichen Gedanken mit den Atomen Demokrits646. Die Grundbegriffe sind für die Bildung der komplexen Begriffe und damit für eine essentielle Erkenntnis der Wahrheit der Dinge konstitutiv. Auf der materialen wie formalen Einheit und Ursprünglichkeit der ersten Begriffe beruht auch zu wesentlichen Teilen Leibniz’ Theorie des analytischen Enthaltenseins des Prädikats im Subjektbegriff. „[…] von den Realdefinitionen [sind] diejenigen am vollkommensten […] aus denen die Möglichkeit der Sache unmittelbar einleuchtet, ohne daß dazu die Beihilfe der Erfahrung oder der Beweis der Möglichkeit eines anderen Gegenstandes erfordert würde. Dies ist der Fall, wenn der Gegenstand in reine, primitive Grundbegriffe, die unmittelbar erkannt werden, aufgelöst ist, welche Erkenntnisart ich als adäquate oder als intuitive zu bezeichnen pflege; denn hier müßte ein etwaiger verborgener Widerspruch sofort hervortreten, da keine weitere Auflösung statthat.“647
Die komplexen und undeutlichen Begriffe müssen letztlich auf den ersten inhaltlich bestimmten „Elementen“ basieren, deren Komplexe sie darstellen648. Sie müssen sich folglich aus ihnen auch kombinieren lassen, zumindest für den unendlichen Intellekt649. 646
Vgl. LEIBNIZ. Dissertatio de Arte combinatoria (1666) A VI 1 216 LEIBNIZ. De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (Sommer 1683– Anfang 1685) (B&C* 29) A VI 4 A 542 f: „[…] ex definitionibus realibus illae sunt perfectissimae, […] ex quibus possibilitas rei immediate patet, nullo scilicet praesupposito experimento, vel etiam nulla supposita demonstratione possibilitatis alterius rei, hoc est, cum res resolvitur in meras notiones primitivas per se intellectas; qualem cognitionem soleo appellare adaequatam seu intuitivam. Ita enim si qua esset repugnantia, statim appareret, quia nulla amplius locum habet resolutio.“ 648 Vgl. LEIBNIZ. De alphabeto cogitationum humanarum (April 1679–April 1681) A VI 4 A 270: „Alphabetum cogitationum humanarum est catologus notionum primitivarum, seu earum quas nullis definitionibus clariores reddere possumus.“; vgl. zu den von Leibniz aufgestellten Tafeln der Grundbegriffe, eine Aufgabe, die er über die Jahre hin immer wieder von neuem aufgenommen hat, insbesondere: HEINRICH 647
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„Wenn nichts durch sich begriffen wird, wird überhaupt nichts begriffen. Denn was nur durch anderes begriffen wird, wird insofern begriffen, wie jenes andere begriffen wird und dieses wiederum ebenso; und deshalb wird man sagen, daß wir etwas erst dann wirklich begreifen, wenn wir zu dem gelangen, was durch sich selbst begriffen wird.“650
In einem anderen Zusammenhang formuliert Leibniz diesen für die Grundbegriffe wesentlichen Gedanken als Beweis für die Möglichkeit eines Begriffs. „[W]enn nichts durch sich selbst erkannt würde, so auch nichts durch ein anderes, es wäre also überhaupt nichts erkennbar. Um dies deutlich zu machen, muß man erwägen, daß, wenn a durch b erkannt werden soll, der Begriff von a den Begriff zu b enthalten muß. Wenn andererseits b durch c erkannt werden soll, so muß im Begriff des b der des c enthalten sein, und so fort bis zum letzten Begriff. Wollte jemand einwenden es gäbe keinen letzten Begriff, so erwidere ich, daß es alsdann auch keinen ersten gäbe, was ich folgendermaßen dartue: der gesamte Inhalt eines Begriffs, der durch einen anderen erkannt wird, ist von andersher entlehnt; bei der schrittweisen Zerlegung des Begriffs muß sich daher entweder ergeben, daß er überhaupt keinen Gehalt besitzt oder aber, daß dieser in lauter solchen Begriffen, die durch sich selbst erkennbar sind, besteht. “651
SCHEPERS. Leibniz’ Arbeiten zu einer Reformation der Kategorien. In: Zeitschrift für Philosophische Forschung XX (1966) 539-567; DERS.. Begriffsanalyse und Kategorialsynthese. Zur Verflechtung von Logik und Metaphysik bei Leibniz. In: SL Suppl. III (1969) 34-49. Die immer wieder aufgenommene Arbeit an der Aufstellung dieser Tafeln zeigt, daß Leibniz diese Aufgabe für eine grundlegende hielt. Er ist dabei aber zu keinem definitiven Ergebnis gekommen. 649 Vgl. LEIBNIZ. Dialogus (August 1677) A VI 4 A 22: „Cum Deus calculat et cogitationem exercet fit mundus.“ 650 LEIBNIZ. De Organo sive Arte Magna cogitandi (März–April 1679) A VI 4 A 157: „Si nihil per se concipitur, nihil omnino concipietur. Nam quod non nisi per alia concipitur, in tantum concipietur in quantum alia illa concipiuntur et hoc rursum ita: ac proinde tum demum actu ipso aliquid concipere dicemur, cum in ea quae per se concipiuntur incidemus.“ 651 LEIBNIZ. Ad Ethicam Benedicti de Spinoza (1678) A VI 4 B 1765: „[…] si nihil per se concipitur, nihil etiam per aliud concipietur, adeoque nihil omnino concipietur. Quod ut distincte ostendatur, considerandum est, si ponatur a concipi per b, in conceptu ipsius a esse conceptum ipsius b. Et rursus si b concipitur per c, in conceptu b esse conceptum ipsius c, et ita conceptus ipsius c in conceptu ipsius a erit, et ita porro
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Es ist somit für einen Begriff und damit für das Sein eines Dinges notwendig, daß es erste Elemente gibt, die einen nicht weiter zerlegbaren Inhalt in formaler Einheit und Einfachheit darstellen. Würde man dies leugnen, so könnte man keinen Gehalt irgendeines Begriffs annehmen können. Damit geht einher, was Leibniz ebenfalls zum Ausdruck bringt, daß eine vollständige Analyse eines Begriffs, sofern sie möglich ist, zu einer Vielheit solcher Grundbegriffe führen müßte652. Leibniz sieht spätestens ab der Mitte der 1680er Jahre für den endlichen Intellekt nicht mehr die Möglichkeit, die Grundbegriffe erkennen zu können653, obgleich sie, wie gezeigt wurde, notwendig sind. Wegen des u. a. offensichtlich atomaren Charakters der so bestimmten Grundbegriffe ist eine intuitive Erkenntnis für deren „Beweis“ notwendig654. Diesen kann die endliche Vernunft de facto nicht leisten. Leibniz kann nicht einen Grundbegriff angeben, der mit diesen Kriterien korrespondiert655. „Ob aber jemals die menschliche Analyse zu einer vollkommenen Analyse der Vorstellungen [Begriffe], also zu den ersten Möglichkeiten und unauflöslichen Begriffen gelangen wird, – ob sie, was dasselbe bedeutet, alle Gedanken jemals auf die absoluten Attribute Gottes selbst, als erste Ursachen und den
usque ad ultimum. Quid si quis respondeat non dari ultimum, respondeo nec dari primum, quod sic ostendo. Quia in ejus quod per aliud concipitur conceptu nihil est nisi alienum, ideo grandando per plura, aut nihil omnino in eo erit aut nihil nisi quod per se concipitur.“ Der Beweis ist ursprünglich als Grundlage eines Gottesbeweises konzipiert. 652 Über die „Zahl“ der Grundbegriffe herrscht Uneinigkeit. Leibniz’ Vergleich mit dem Alphabet legt eine endliche Anzahl nahe, sein Vergleich mit den Primzahlen eine unendliche. Vgl. MARTIN. A. a. O. 30 653 Vgl. dazu: SCHEPERS. Leibniz’ Arbeiten zu einer Reformation der Kategorien. A. a. O. 552 f 654 Vgl. KAEHLER. Leibniz’ Position der Rationalität. A. a. O. 299 655 Die immer wieder vorangestellten Begriffe (z. B. Generales Inquisitiones (1686) A VI 4 A 744) „ens“ (z. B. auch: De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (1683-1685) A VI 4 A 540) bzw. „possibile“ (z. B. auch: Introductio ad Encyclopediam arcanum ... (Sommer 1683–Anfang 1685) A VI 4 A 531) müssen prinzipiell zu den Grundbegriffen gezählt werden, stehen jedoch wegen ihrer Allgemeinheit teilweise in Widerstreit mit dem analytischen Ansatz der Leibnizschen Logik.
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letzten Grund der Dinge zurückführen wird, – das möchte ich für jetzt nicht zu entscheiden wagen.“656
Leibniz verlegt sich folglich, um dieser Schwierigkeit zu entgehen, auf die für die endliche Analyse auffindbaren und damit relativ letzten Grundbegriffe. „Für gewöhnlich sind wir damit zufrieden, uns der Realität gewisser Begriffe durch Erfahrung zu versichern, um sodann aus ihnen andere nach dem Vorbilde der Natur zusammenzusetzen.“657
Die relativen Grundbegriffe stammen insofern aus der Erfahrung als sie nicht unzusammengesetzt sind, wie die absoluten Grundbegriffe, denen dies eigentümlich sein muß und die daher auch erste Möglichkeiten genannt werden. Neben der formalen Einfachheit (d. h. daß sie keine Teilbegriffe enthalten können) ist es möglich, die ersten Begriffe noch nach weiteren Kriterien zu charakterisieren. Sie sind auch material einfachste Elemente der Begriffe. Sofern nichts mehr von ihnen prädiziert werden kann, müssen sie somit die Grundlagen jeglicher inhaltlicher Aussagen sein658. Strenggenommen können sie auch keine Negation enthalten, da sie rein positiv und einfach sind. Sie sind per se möglich, da keinerlei Widerspruch (der auf dem gegenseitigen Ausschluß zweier Teilbegriffe beruht) angenommen werden kann659. Diese formalen Kriterien, die die Grundbegriffe damit als nur intuitiv erkennbare Begriffe fordern, implizieren jedoch Schwierigkeiten bereits formaler Art, wenn auf ihrer alleinigen Grundlage eine göttliche Kombina-
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LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November 1684) (B&C* 13) A VI 4 A 590: „An vero unquam ab hominibus perfecta institui possit analysis notionum, sive an ad prima possibilia ac notiones irresolubiles, sive (quod eodem redit) ipsa absoluta Attributa Dei, nempe causas primas atque ultimam rerum rationem, cogitationes suas reducere possint, nunc quidem definire non aussim.“ 657 LEIBNIZ. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Sommer–November1684) (B&C* 13) A VI 4 A 590: „Plerumque contenti sumus, notionum quarundam realitatem experientia didicisse, unde postea alias componimus ad exemplum naturae.“ 658 Die Grundbegriffe stellen Kategorien und Prädikamente dar, darüber hinaus auch die qualitativ bestimmten Grundinhalte des Denkens und Seins. Letztere sind für die gegeben Fragestellung nach der Begründung der Indiviudalität der Substanz von entscheidenderem Interesse. 659 Vgl. KAEHLER. Leibniz’ Position der Rationalität. A. a. O. 279 f; SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 78 f
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torik vollständiger Begriffe der individuellen Substanzen möglich sein soll660. Es stellen sich hierbei Schwierigkeiten ein, die Leibniz u. a. auch dazu geführt haben, sich auf die relativen Grundbegriffe zu verlegen. Die einfachen Begriffe werden im damit einhergehenden kombinatorischen Begriffsmodell mittels Konjunktionen verbunden. Dies führt nun aber dazu, daß, wie bereits Russel nachgewiesen hat661, alle Grundbegriffe miteinander kompatibel bzw. kompossibel wären, d. h. daß aus den Grundbegriffen kein Kriterium für die Inkompossibilität der zusammengesetzten Begriffe abgeleitet werden kann. Leibniz selbst unternimmt den Versuch, alle Begriffe aus Gott und dem Nichts bzw. des dyadischen Modells aus 0 und 1 zu deduzieren. Dies weist darauf hin, daß die Negation zu den Grundbegriffen hinzugenommen werden muß662. Aber auch dieser Zusatz löst nicht die Schwierigkeit, die damit gegeben ist, daß die Grundbegriffe für ein analytisches Begriffsverständnis vorauszusetzen sind, jedoch wegen ihrer Einfachheit keinerlei Aussagen über sie selbst möglich sind663. Die so definierten Grundbegriffe sind in einer gewissen Weise disparate und atomare Begriffe. Ihre absolute Einfachheit erlaubt keine synthetischen Aussagen zu treffen. Die Option, daß ein Grundbegriff alle alternativen Grundbegriffe qua Negation enthält664, ist nicht sinnvoll. Eine formal logische Konstruktion von synthetischen Beziehungen, die damit ermöglicht wird, liefert keinen Erkenntnisgewinn in der Frage nach dem Inhalt der Grundbegriffe, ein solcher wird vielmehr negiert. Der von Leibniz geforderte Gehalt kann schließlich auch nicht mittels der relativen Bestimmung gegeben werden, da hierfür keine erste Grundlage vorhanden ist665. 660
Vgl. zur Annahme einer solchen Möglichkeit z. B.: LEIBNIZ. De Organo sive Arte Magna cogitandi (März–April 1679) A VI 4 A 158: „Tametsi infinita sint quae concipiuntur, possibile tamen est pauca esse quae per se concipiuntur. Nam per paucorum combinationem infinita componi possunt.“ 661 Vgl. RUSSEL. A. a. O. 18 ff; 23 662 Vgl. LEIBNIZ. De Organo sive Arte Magna cogitandi (März–April 1679) A VI 4 A 158; vgl. KAEHLER. Leibniz’ Position der Rationalität. A. a. O. 300 663 Vgl. POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 36 ff; SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 89 f; KAEHLER. Leibniz’ Position der Rationalität. A. a. O. 300 664 Vgl. MICHAEL-THOMAS LISKE. Ist eine reine Inhaltslogik möglich? Zu Leibniz’ Begriffstheorie. In: SL XXVI (1994) 31-55; 53 f. Die von Liske vorgetragene Interpretation beruht darauf, daß die Grundbegriffe nur sich selbst enthalten und somit „leer“ sind. 665 Vgl. auch ROMBACHs Interpretation (a. a. O. II 304 ff), der die Grundbegriffe ebenfalls als bloße Stellen bestimmt
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Eine in dieser Weise konzipierte Auffassung der Grundbegriffe (notiones absolute primae), läßt sich mit diesen formalen Kriterien folglich nicht vereinbaren. Sie läßt sich jedoch teilweise auf die für uns letzten bzw. ersten Begriffe (notiones secundum nos primae) anwenden. Die sekundären Grundbegriffe sind, wie dies im letzten Zitat zum Ausdruck kam, durch einen Bezug zur Erfahrung charakterisiert666. Sie sind ebenso wie die absolut ersten Begriffe nicht weiter analysierbar, d. h. es lassen sich keine weiteren direkten Unterscheidungsmerkmale angeben. Leibniz bezieht sich dabei zumeist auf die elementaren Sinnesqualitäten667. Sie sind nicht durch eine distinkte Erkenntnis, sondern durch eine konfuse gegeben. Damit sind sie sinnliche Qualitäten. Wie die notiones absolute primae durch eine intuitio bzw. eine Erkenntnis per se begründet sind, so sind die notiones secundum nos primae durch eine Erfahrung per se gegeben668. Eine wissenschaftliche Analyse der Verhältnisse dieser Sinnesqualitäten bzw. der ihnen entsprechenden Objekteigenschaften untereinander ist möglich. Eine solche Wissenschaft wäre eine mit den Mitteln mathematischer Methoden konstituierte und auf den Sinnesqualitäten basierende gemischte Wissenschaft. Sie untersucht ihre Objekte, indem sie die einzelnen Fälle analysiert und in ihren Verhältnissen untersucht. Die absoluten Werte einer solchen Analyse, und damit ihre Grundlagen, können jedoch nicht unabhängig von der Erfahrung aufgestellt werden. Bei den relativen Grundbegriffen ist deshalb kein absoluter distinkter Inhalt gegeben, sondern dieser kann nur mittels des Stellenwertes einer einzelnen faktischen Tatsache bestimmt werden. Der sinnliche Eindruck selbst bzw. die Sinnlichkeit überhaupt ist dabei mit dieser Unauflösbarkeit der faktischen Tatsachen erst gegeben669. Die notiones secundum nos primae sind demnach phänomenal. Die notiones absolute primae erlauben somit keine formal hinreichende Theorie des vollständigen Begriffs, obgleich sie für jeglichen intelligiblen In666
Vgl. auch: LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) § 61, A VI 4 A 759: „[…] terminos quos sumus experti […].“ 667 Vgl. z. B.: LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) A VI 4 A 744 f; Nouveaux Essais (1704) III 4 §4 ff, A VI 6 297 668 Vgl. LEIBNIZ. De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi (1683-1685) A VI 4 A 540: „[…] distinctae quae per se intelliguntur […] confusae […] quae per se percipiuntur […].“; vgl. dazu auch: SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 157 ff 669 Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) IV 6 §7 f, A VI 6 403 f
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halt konstitutiv sind. Vollständige Begriffe individueller Substanzen können, wie dargelegt wurde, nicht auf einfache identische Sätze zurückgeführt werden. Man kann dies so interpretieren, daß die Grundbegriffe per se für die vollständigen individuellen Begriffe keine eigentliche Bedeutung haben, außer daß sie die letzten, nicht mehr erkennbaren Inhalte der Aussagen über Dinge garantieren. Die menschliche Erkenntnis ist immer auf notiones secundum nos primae verwiesen, und d. h. auf die Sinnlichkeit670. Aber auch für die göttliche Erkenntnis von den Individuen bedarf es einer wesentlichen Ergänzung zum einfachen formalen Erklärungsmodell des vollständigen Begriffs. „Wenn die Körper Phänomene sind und auf Grund unserer Erscheinungen geschätzt werden, sind sie nicht real, weil sie anderen anders erscheinen. Deshalb besteht die Realität der Körper, des Raumes, der Bewegung und der Zeit offensichtlich darin, daß sie Phänomene Gottes sind oder das Objekt der göttlichen Schau. Und zwischen der Erscheinung der Körper ist in Hinsicht auf Gott ein Unterschied, gewissermaßen, wie zwischen Grundriß und der perspektivischen Abbildung. Es gibt nämlich entsprechend der Lage des Betrachters unterschiedliche perspektivische Abbildungen, der Grundriß oder die geometrische Repräsentation ist einzig; natürlich sieht Gott die Dinge exakt, so wie sie gemäß der wahren Geometrie sind, sowie er auch weiß, wie jeweils den Dingen die anderen erscheinen; und so sind in ihm in ausgezeichneter Weise die Erscheinungen aller enthalten.“671
Die Aussage über die Phänomenalität der Körper läßt sich in übertragenem Sinne auch auf die behandelte Problematik der sekundären Grundbegriffe anwenden. Leibniz weist jedoch im Zitat auf eine alternative Beant670
Vgl. LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) A VI 4 A 744: „At certum individuum est Hic; quem designo vel monstrando vel addendo notas distinguentes, quanquam enim perfecte distinguentes ab omni alio individuo possibili haberi non possint, habentur tamen notae distinguentes ab aliis individuis occurrentibus.“ 671 LEIBNIZ. An des Bosses (5. Februar 1712) Beilage, GP II 438: „Si corpora sunt phaenomena et ex nostris apparentiis aestimantur, non erunt realia, quia aliter aliis appareant. Itaque realitas corporum, spatii, motus, temporis videtur consistere in eo ut sint phaenomena Dei, seu objectum scientiae visionis. Et inter corporum apparationem erga Deum discrimen est quodammodo, quod inter scenographicum et ichnographiam. Sunt enim screnographiae diversae pro spectatoris situ, ichnographia seu geometrica repraesentatio unica est; nempe Deus exacte res videt quales sunt secundum Geometricam veritatem, quandam idem etiam scit, quomodo quaeque res cuique alteri appareat, et ita omnes alias apparentias in se continet eminenter.“
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wortung der Frage nach der objektiven und absoluten Erkenntnis hin. Das objektive Wissen wird hierbei mittels einer gewissen Über- bzw. Unperspektive Gottes hinsichtlich aller perspektivischen und damit subjektiven Einzelerkenntnisweisen bestimmt. Für die Definition des vollständigen Begriffs ist hiermit bereits, insofern daraus Kriterien für seine Struktur folgen, eine alternative synthetische Erklärungsweise vorgegeben. Die infiniten Sätze sind Existentialsätze und schließen deshalb in ihrem Begriff indirekt alle anderen Existierenden ein. „Alle Existentialsätze sind wenngleich wahr, so doch nicht notwendig, denn sie können nicht bewiesen werden, wenn nicht unendlich viele herangezogen werden, oder indem die Auflösung ins Unendliche durchgeführt wird, nämlich nur aus dem vollständigen Begriff eines Individuums, der unendliche Existierende einschließt.“672
Die Existentialsätze bedürfen daher, wie dies ausgeführt wurde, der Einbeziehung von Zeit und Raum673. Dies erfordert für die Definition der vollständigen Begriffe von Individuen und d. h. für die Erkenntnis, die der unendliche Intellekt von ihnen hat, eine komplexe Ordnung seiner Teilbegriffe bzw. Prädikate: Zum einen müssen die konkreten Prädikate der existierenden Individuen674, da es sich um dynamische Entitäten handelt, mittels einer zeitlichen Ordnung definiert werden. Da die Zeit für Leibniz nicht als absolute Zeit zu denken ist675, ist die Annahme eines einfachen Zeitindexes nicht ausreichend676. Für die alternative relative Bestimmung des Zeitindexes 672
LEIBNIZ. Generales Inquisitiones (1686) §74, A VI 4 A 763: „Omnes propositiones Existentiales sunt verae quidem, sed non necessariae, nam non possunt demonstrari, nisi infinitis adhibitis, seu resolutione usque ad infinita facta, scilicet non nisi ex completa notione individui, quae infinita existentia involvit.“ 673 Vgl. die bereits angegebene Stelle in FN 614: LEIBNIZ. De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione (Ende 1685–Mitte 1686) A VI 4 A 1517 674 Die im folgenden angegebene Struktur der vollständigen Begriffe besitzt gleichermaßen auch für mögliche Individuen Geltung. 675 Vgl. z. B. LEIBNIZ. Drittes Schreiben an Clarke (25. Februar 1715) 4, GP VII 363: „[…] je tenois l’Espace pour quelque choses purement relatif, comme le Temps […] le temps est un ordre de successions.“ 676 Vgl. dazu auch die ausführlichen Darstellungen der Struktur der Individuenbegriffe bei POSER (Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 79 ff) und SCHNEIDER (Analysis und Synthesis. A. a. O. 185-208)
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muß daher jedes individuelle Prädikat relativ (mit den relationalen Prädikaten: früher, gleichzeitig und später) in Bezug auf alle anderen angegeben werden. Dies ist im besonderen auch auf Grund der Voraussetzung nötig, daß alle Inhalte in Zeit und Raum indirekt die Relationen zu allen anderen vollständig, d. h. entsprechend ihrer perspektivischen Position, zum Ausdruck bringen und somit enthalten müssen677. Es muß deshalb jedes Prädikat zu allen anderen Prädikaten der unendlich vielen weiteren vollständigen Begriffe in seinem relativen zeitlichen Verhältnis angegeben werden. Analog gilt dies für die räumlichen Relationen. Alle relativen Positionen eines konkreten Prädikats in dieser noch komplexeren, da mehrdimensionalen Ordnung, müssen mit allen gleichzeitigen Prädikaten der weiteren Individuen durch relative Ortsindizes angegeben werden678. Dies ist nun von jedem einzelnen konkreten Prädikat eines jeden Individuumsbegriffs nötig, so daß in jedem (Prädikat bzw. Teilbegriff) indirekt alle enthalten sind. Wie diese formale Rekonstruktion zeigt, kann erst mittels synthetischer Relationen die Theorie vollständiger und individueller Begriffe formuliert werden. Dieser vom menschlichen Intellekt aus formalen Strukturbeschreibung entspricht die göttliche Erkenntnis der Dinge, so muß man folgern, auch in inhaltlich vollbestimmter Weise. Sie erlaubt somit auch die von Leibniz geforderte Fensterlosigkeit der Monaden zu begründen, indem sie aufzeigt, inwiefern alle alternativen Individuen und ihre Modifikationen in Bezug auf die Prädikate einer jeden einzelnen Substanz formuliert werden können und damit die immanente Perzeptionenstruktur einer jeden begründen679. Vorausgesetzt ist hierfür aber bereits die Perspektivität, die erst in dieser Rekonstruktion ihre Bestätigung erfährt. Der Perspektivität liegt nun aber, und dies hat die formale Rekonstruktion, die auf synthetischen Ordnungsrelationen beruht, gezeigt, wesentlich das Konzept der Funktion 677
Vgl. die bereits zitierte Stelle in FN 386: LEIBNIZ. An de Volder (1705) (B&C* 529) GP II 277 f 678 POSER (Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 80.) spricht hierbei von einer absoluten Geometrie des Raumes. SCHNEIDER (Analysis und Synthesis. A. a. O. 187) nennt die vorauszusetzende Struktur eine formale Lagebziehung. Beide Formulierungen umgehen die gegebene Schwierigkeit in einer sachlich richtigen Weise, deuten jedoch dadurch darauf hin, daß die damit vorausgesetzte synthetische Definitionsweise bereits die Unmöglichkeit einer konsistenten Interpretation der Theorie des vollständigen Begriffs individueller Substanzen impliziert. 679 Vgl. POSER. Zur Theorie der Modalbegriffe. A. a. O. 80
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zu Grunde. Sie ist in diesem Fall, da die göttliche Erkenntnisweise als Ausgangspunkt herangezogen werden muß, nicht als eine transzendentalkonstruktive Erkenntnis aufzufassen, sie bestimmt ihr Objekt aber dennoch als ausnahmslos relationale Position. Das bedeutet, daß die Theorie des vollständigen Begriffs mit der Gesamtheit ihrer Implikationen auf einem Zirkelschluß beruht: sie setzt die relationale Natur von Raum und Zeit für die Perspektivität, die die Relationalität von Raum und Zeit erst begründen kann, voraus. Dies zeigt sich v. a. auch an der erwiesenermaßen inkonsistenten Theorie der Relationen bei Leibniz680, wie sie in der gegebenen Struktur der vollständigen Begriffe bereits teilweise dargelegt wurde. Sie stellt das Fundament der Monadenlehre dar, indem sie davon ausgeht, daß alle relativen mehrstelligen Prädikate (relationale Ausdrücke) auf einstellige Prädikate und damit auf Modifikationen der Substanz selbst zurückgeführt werden sollen, die vom Subjektbegriff ausgesagt werden können, da sie in ihm enthalten sind681. Die Analogie zur Funktion ist offensichtlich. Für die Funktion ist eine faktische Position in Raum und Zeit vorauszusetzen, die mittels einer relativen Ordnung bestimmt werden kann. Alle Positionen sind damit als relative definiert, womit auch die jeweiligen Bestimmungen einer solchen Entität nur mittels dieser relativen Lage wissenschaftlich präzise angegeben werden können. Damit geht einher, daß eine jede Bestimmung und eine jede Position indirekt alle anderen zum Ausdruck bringen muß, da ihr „Sein selbst“ nur in dieser Relativität gegeben ist. Die wechselseitige Bestimmung von individuellen Eigenschaften und individuellem Begriff als Ganzem, die durch die These der Identität des Ununterscheidbaren teilweise nahegelegt ist, beruht ebenfalls auf der implizit funktionalen Auffassung des Individuums. Am deutlichsten ist der Einfluß des Funktionsbegriffs bei der Begründung der spezifischen Identität bzw. dem Enthaltensein von Prädikatund Subjektbegriff schließlich bei den infiniten Begriffen. Der Umstand, daß ein infiniter Begriff niemals auf eine Identität zurückzuführen ist, findet seine adäquateste Erklärung im Verhältnis der Funktion zu ihren Momenten. Leibniz weist selbst darauf hin, wenn er die Übertragung der „Mathematik des Unendlichen“ auf die Urteilstheorie wesentlich für die Formulierung der Analytizität der kontingenten Begriffe verantwortlich macht. Damit geht einher, daß auch die individuelle Substanz einen anschaulichen Gegen680
Vgl. z. B. PARKINSON. A. a. O. 42 ff; SCHNEIDER. Analysis und Synthesis. A. a. O. 307 ff 681 Vgl. auch: PARKINSON. A. a. O. 158
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stand zur Ergänzung ihrer Erkenntnis bedarf und dies ist in der begrifflichen Struktur des vollständigen Begriffs darin grundgelegt, daß die Identität niemals bewiesen werden kann, und d. h., daß es niemals zu einer Zurückführung auf identische Grundbegriffe kommen kann. Dies hat zur Folge, daß auch für den unendlichen Intellekt, sofern ihm keine andere alternative Erkenntnis des Individuums gegeben ist, in einem analogen Sinne die notiones secundum nos primae und ihre spezifische Kombination als Individualität eines Individuums gegeben sein müßten. Das würde eine logische Begründung der Sinnlichkeit und der Anschauung bedeuten, die jedoch darauf beruht, daß das funktionale Modell die eigentliche Grundlage bildet. Diese Kritik an der Theorie der individuellen Substanz ist ebenso eine Kritik an der Theorie Raumes, die in Ergänzung zum dargelegten prätranszendentalen Raumbegriff eine reale individuelle Vielheit von Substanzen forderte. Die These der Vielheit der Substanzen, die Leibniz nur durch deren Individualität begründet sieht, kann somit nicht mit der These des vollständigen Begriffs aufrechterhalten werden. Eine solche Begründung ist nicht möglich, da der vollständige Begriff in sich selbst nicht möglich ist, sofern er zwei sich widersprechende Konzepte vereint. Die Forderung, daß der unendliche Intellekt das Universum als eine perspektivische Vielheit von individuellen Substanzen geschaffen hat682, müßte folglich nur mittels einer Vielheit von durch ihre Existenz und Freiheit vereinzelten Entitäten begründet werden können, wie dies von Rombach mit seiner These der Doppelontologie vertreten wurde. Die Individualität kann dabei nur mittels der phänomenalen Verschiedenheit angegeben werden, da für uns nur auf diese Weise überhaupt eine solche Verschiedenheit gegeben ist. Ihre Grundlage in der Dimension der Realität liegt dabei einzig in der Unteilbarkeit der Substanz und der Autonomie der Freiheit, die, obgleich sie ein innerlich gut nachvollziehbares Kriterium für „Individualität“ darstellen, strenggenommen nur einen numerischen Unterschied begründen können. Die Verschiedenheit der Entitäten aber, die wir in jeder Hinsicht in den Phänomenen wahrnehmen, bleibt damit vollständig unabgeleitet. Leibniz selbst 682
Vgl. LEIBNIZ. Fünftes Schreiben an Clarke (18. August 1716) 91, GP VII 412: „Car Dieu n’a qu’à faire que la substance simple soit une fois et d’abord une representation de l’univers, selon son point de veue: puisque de cela seul il suit qu’elle le sera perpetuellement, et que toutes les substances simples auront tousjours une Harmonie entre elles, parce qu’elles representent tousjours le même univers.“
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scheint sich genau mit dieser Schwierigkeit auseinadergesetzt zu haben, wenngleich ihn die Idee der Funktion teilweise darüber hinweggetäuscht haben mag, und er hat zu deren Lösung die Theorie des vollständigen Begriffs entwickelt. Die These, daß das Individuum in einem Begriff zu begründen sei, hat nicht zuletzt darin ihren Grund, daß der Begriff den spezifischen Gehalt zum Ausdruck zu bringen vermag, der ein jedes Individuum von den anderen unterscheidet. Leibniz selbst geht sogar auf das genannte Problem explizit ein, wenn er in den Nouveaux Essais gegen einen nur numerischen Unterschied der Substanzen die Vernunft von einer tabula rasa dadurch absetzt, daß eine jede Vernunft ganz individuelle Perzeptionen haben muß, die ihr aber nicht von den äußeren Umständen her zukommen, sondern sie innerlich formieren müssen683. Einerseits bedeute dies in eben genanntem Sinne, daß die Vielen sich vor aller phänomenalen Differenz innerlich unterscheiden müssen, anderseits, daß Leibniz diese Differenz, obgleich er sie ontologisch vor dieser Differenz angesetzt wissen will, auf Grund der dargelegten Schwierigkeiten seiner Theorie des vollständigen Begriffs und der Zirkularität ihrer Begründung, aufzuheben scheint. Es ist der Fehler von Leibniz’ Individuumsauffassung, die Relationen in den Begriff der Substanz zu integrieren und sie als Perzeptionen einer damit schließlich fensterlosen Monade zu interpretieren. Dies ist auch nahezu paradox, wenn man bedenkt, daß der Raum als Beziehung definiert wurde und die einzig zu einer Interaktion fähigen Entitäten solipsistisch sind. Dies folgt zwar aus der Entgegensetzung zur rein funktionalen Naturauffassung, deutet aber gerade darauf hin, daß das Individuum nicht richtig bestimmt ist. Als Hilfe für einen dennoch möglichen und sinnvollen Ausweg aus dem Labyrinth des Individuums kann die Bestimmung der Grundbegriffe dienen. Die relativen Grundbegriffe wurden als reine Verhältnisse bestimmt, die keinerlei Inhalt aufweisen, außer ihren faktisch sinnlichen Gehalt. Sie entsprechen der phänomenalen raumzeitlichen Gegebenheit. Im selben Sinne müssen wir die Individualität der Substanzen nach dem gegebenen 683
Vgl. LEIBNIZ. Nouveaux Essais (1704) Préface, A VI 6 10; vgl. auch: De mundo praesenti (Frühjahr 1684– Winter 1685/86) A VI 4 B 1508: „Forma substantialis est principium actionis seu vis agendi primitiva. Est autem in omni forma substantiali quaedam cognitio hoc est expressio seu repraesentatio externorum in re quadam individua, secundum quam corpus est unum per se, nempe in ipsa forma substantiali, quae representatio conjuncta est cum reactione seu conatu sive appetitu secundum hanc cognitionum agendi.“
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Modell der Doppelontologie interpretieren; d. h. ihre Unterschiedlichkeit beruht nur auf der faktisch sinnlich wahrnehmbaren Position, wenngleich ihr (numerischer) Unterschied die Vielheit garantieren muß. Die absoluten Grundbegriffe, welche Leibniz nicht aufzufinden wußte, sind demgegenüber, wie die Individuen bei Leibniz selbst, nicht durch eine relative Bestimmung zu definieren, sondern sie liegen dieser zugrunde. Ihr Inhalt muß jedoch vorausgesetzt sein um überhaupt von einer Vielheit und Verschiedenheit der Denkinhalte und des Seins auszugehen. Versteht man in analoger Weise die Individualität als eine inhaltliche, aber nur intuitiv erkennbare Entität, die ebenso nicht wieder in weitere Bestimmungen zerlegbar ist, aber dennoch einen Inhalt haben kann und muß, dann würde sich damit eine Lösung für das von Leibniz aufgeworfene Problem bieten, ohne in die Schwierigkeiten des mit dem vollständigen Begriff gegebenen Zusammenhangs zu geraten. Der erste und neben Leibniz bedeutendste Denker der Individualität, Duns Scotus, hat eine Lösung vorgeschlagen, die in diese Richtung geht. Es würde sich dadurch für den Raum eine reale Vielheit denken lassen, die zum einen für eine relationale Raumauffassung offen ist, und zum anderen das Problem der Anschauung und der Sinnlichkeit in einer positiven Weise in der Dimension der Substanzen fundiert, indem sie eine Möglichkeit bietet, die diskursive und die sinnliche der intuitiven Erkenntnisweise der Individualität nachzuordnen.
Literaturverzeichnis Anmerkungen zu den Abkürzungen und zur Zitierweise Die in den Quellenangaben verwendeten Abkürzungen sind im folgenden und unter Primärliteratur aufgeführt. Die Quellenangaben zu den zitierten Leibnizstellen erfolgten einheitlich und in größtmöglicher Vollständigkeit mit Titel und Datierung, auf die kritischen Zusätze der Akademieausgabe wurde in Bezug auf letztere verzichtet. Sofern standardisierte Zählungen der Texte – Paragraphen und Abschnittszählungen – vorlagen, wurden diese auf die Datierung folgend angegeben. Im Anschluß daran findet sich der Verweis auf die Fundstellen der Originalausgaben. Mit Ausnahme der mathematischen Texte wurden diese, sofern bereits ediert, nach der Akademieausgabe zitiert. Die originalsprachlichen Texte wurden – ohne Korrektur (auch offensichtlicher Fehler), Vereinheitlichung bzw. Aktualisierung der Schreibweise – in Übereinstimmung mit der jeweilig zugrundeliegenden Edition wiedergegeben. Die verwendeten deutschen Übersetzungen wurden, was in der Regel jedoch nicht nötig war, an die neue Textgrundlage der Akademieausgabe angeglichen. Zumeist wurden die bereits existierenden Übersetzungen herangezogen und deren Quelle vor der Originalstelle vermerkt – es sei denn, der Inhalt war durch eine zu freie oder ungenaue Übersetzung unzureichend wiedergegeben bzw. die Lesbarkeit wäre durch ergänzende Präzisierungen erheblich beeinträchtigt worden. Übersetzungen ohne eine solche Angabe stammen vom Verfasser. Die Sekundärliteratur ist bei erster Erwähnung vollständig aufgeführt. Eine Ausnahme bilden die in den Studia Leibnitiana erschienenen Schriften. Diese werden unter der Abkürzung SL aufgeführt. Die SL erscheinen seit 1969 vierteljährlich, hrsg. von Kurt Müller und Wilhelm Totok (später: G. H. R. Parkinson, Heinrich Schepers, Wilhelm Totok). Daneben gibt es regelmäßig Studia Leibnitiana Supplementa (SL Suppl.) und Studia Leibnitiana Sonderhefte (SL Sonderh.). Die einschlägigen Werke anderer Autoren der Philosophiegeschichte wurden nach jeweils gängiger, einfacher Zitierweise angegeben. Briefe von und an Descartes wurden nach der Ausgabe von Charles Adam und Paul Tannery (AT) zitiert. Die vollständige Angabe zu dieser Ausgabe und den anderen jeweils zugrundeliegenden Editionen findet sich im Literaturverzeichnis.
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Primärliteratur a) verwendete originalsprachliche Leibniz-Ausgaben A Leibniz, Gottfried Wilhelm. Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. von der Preußischen (später: Berlin-Brandenburgischen) Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Leibnizforschungsstelle der Universität Münster. Akademie-Verlag. Reihe I-VII. Darmstadt (später: Leipzig, zuletzt: Berlin) 1923 ff.. Zitiert nach Reihe, Band, Teilband und Seite. Herangezogene Bände: II 1 Zweite Reihe / Philosophischer Briefwechsel: Erster Band: 1663-1685. Darmstadt 1926 VI 1 Sechste Reihe / Philosophische Schriften: Erster Band: 1663-72. Darmstadt 1930 VI 2 ... / …: Zweiter Band: 1663-72. Berlin 1966 VI 3 ... / …: Dritter Band: 1672-76. Berlin 1980 VI 4 A ... / …: Vierter Band: Teilband A: 1677-Juni 1690. Berlin 1999 VI 4 B ... / …: Vierter Band: Teilband B: 1677-Juni 1690. Berlin 1999 VI 4 C ... / …: Vierter Band: Teilband C: 1677-Juni 1690. Berlin 1999 VI 6 ... / …: (Nouveaux essais sur l’entendement humain [1704]): Berlin 1962 C Opuscules et fragments inédits de Leibniz, extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre par Louis Couturat. Paris 1903. FC Lettres et opuscules inédits de Leibniz, extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre par Louis Alexandre Foucher de Careil. Paris 1854. GM Mathematische Schriften von G. W. Leibniz (7 Bde.). Hrsg. v. C. I. Gerhardt. Berlin (später: Halle) 1849-1863 (Nachdruck: Hildesheim / New York 1971). Bd. I-VII GP Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz (7 Bde.). Hrsg. v. C. I. Gerhardt. Berlin (später: Halle) 1849-1863 (Nachdruck: Hildesheim / New York 1978). Bd. I-VII GW Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolff. Hrsg. v. C. I. Gerhardt. Halle 1860 (Nachdruck: Hildesheim / New York 1971)
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