Modenschauen: Die Behauptung des Neuen in der Mode [1. Aufl.] 9783839428856

How does novelty in fashion come about? Alicia Kühl shows that novelty is no longer claimed in fashion design, but in fa

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German Pages 334 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
I. Einleitung
1. »Long live the immaterial!«
2. Beschreibung des Forschungsgegenstands
3. Zentrale Fragestellungen und Vorgehensweise
4. Vorbemerkungen
II. Moden beschauen
1. Modetheoretische Grundlagen
1.1 Relevante Ansätze aus der allgemeinen Modetheorie
1.2 Theorien der Modenschau
2. Positionierung
2.1 Eingrenzung des Forschungsfeldes
2.2 Handhabbarmachung grundsätzlicher Begrifflichkeiten
III. Die Modenschau
1. Abriss der Modenschaugeschichte
2. Entwicklungstendenzen seit Mitte der 1980er Jahre bis heute: Begründung eines Paradigmenwechsels
3. Werbestrategische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen einer zeitgenössischen Modenschau
IV. Die Behauptung des Neuen
1. Das Neue in der Modetheorie und -geschichte
2. Weitere Gesichtspunkte des Neuen
3. Das Neue behaupten
4. Die Atmosphäre als das immaterielle Neue
5. Synthese: Versuch einer Theorie des Neuen der Mode
V. Die Atmosphäre der Modenschau
1. Die Modenschau als performatives Ereignis
2. Mögliche Typisierungen von Modenschau-Atmosphären
3. Dimensionen der Erfahrung von Modenschau-Atmosphären
3.1 Grundgedanken zum atmosphärischen Erleben sowie zu kognitiven und emotionalen Prozessen
3.2 Raumerfahrung
3.2.1 Überschachtelung von Ort, Location und Imaginärem Raum
3.2.2 Formen der Nutzung von räumlich gegebenen Atmosphären
3.2.3 Der Verräumlichungsprozess und weitere Rahmen- und Grenzüberschreitungen
3.3 Distanzerfahrung zum Objekt
3.4 Die Erfahrung des Anderen
3.5 Exkurs: Die Modenschau – ein Ritual?
VI. Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung
1. Die Erzeugung eines synoptischen, synästhetischen Bildes
2. Die Organisation der Bilder im Atmosphären-Gedächtnis
3. Im Wettstreit der Bilder
4. Kopplungsstrategien des Bildes an die Kleidung
VII. Schluss
1. Zusammenfassung
2. Ausblick: Annäherung an eine Modenschaukritik
VIII. Literatur
IX. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
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Modenschauen: Die Behauptung des Neuen in der Mode [1. Aufl.]
 9783839428856

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Alicia Kühl Modenschauen

Fashion Studies | Band 5

Editorial Mode ist Motor und Ergebnis kultureller Dynamiken. Kleider gehören der materiellen Kultur an; Mode ist Ergebnis des Handelns mit Kleidern und wird in ästhetischen und alltagskulturellen Praktiken hervorgebracht. Als omnipräsente visuelle Erscheinung ist Mode wichtigstes soziales Zeichensystem – und sie ist außerdem einer der wichtigsten globalen Wirtschaftsfaktoren. Die Reihe »Fashion Studies« versteht sich als Forum für die kritische Auseinandersetzung mit Mode und präsentiert aktuelle und innovative Positionen der Modeforschung. Die Reihe wird herausgegeben von Gertrud Lehnert, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Universität Potsdam.

Alicia Kühl (Dr.) promovierte an der Universität Potsdam in Kulturwissenschaften und war Promotionsstipendiatin des DFG-Graduiertenkollegs »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens«. Ihre Forschungsinteressen liegen in der Modetheorie und -geschichte sowie in den Theorien über Raum, Performativität, Atmosphären und über das Neue. In der Reihe »Fashion Studies« gab sie zusammen mit Gertrud Lehnert und Katja Weise 2014 den Band »Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten« heraus. Sie arbeitet als Marketing Managerin bei einem Berliner Modelabel.

Alicia Kühl

Modenschauen Die Behauptung des Neuen in der Mode

Dissertation eingereicht an der Universität Potsdam. Erste Gutachterin: Prof. Dr. Gertrud Lehnert. Zweite Gutachterin: Prof. Dr. Petra Leutner. Datum der mündlichen Prüfung: 11.04.2014. Druckkostenzuschuss durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Graduiertenkolleg 1539 »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld, nach einer Idee von Christopher Kühl Umschlagabbildung: Susanne O. Beckmann, 2014 Satz: Justine Haida, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2885-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2885-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung  | 9 I. Einleitung 1. »Long live the immaterial!« | 11 2. Beschreibung des Forschungsgegenstands | 15 3. Zentrale Fragestellungen und Vorgehensweise | 16 4. Vorbemerkungen | 19

II. Moden beschauen 1. Modetheoretische Grundlagen | 21 1.1 Relevante Ansätze aus der allgemeinen Modetheorie | 21 1.2 Theorien der Modenschau | 52 2. Positionierung | 84 2.1 Eingrenzung des Forschungsfeldes | 85 2.2 Handhabbarmachung grundsätzlicher Begrifflichkeiten | 86

III. Die Modenschau 1. Abriss der Modenschaugeschichte | 115 2. Entwicklungstendenzen seit Mitte der 1980er Jahre bis heute: Begründung eines Paradigmenwechsels | 135 3. Werbestrategische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen einer zeitgenössischen Modenschau | 151

IV. Die Behauptung des Neuen 1. Das Neue in der Modetheorie und -geschichte | 159 2. Weitere Gesichtspunkte des Neuen | 177 3. Das Neue behaupten | 197 4. Die Atmosphäre als das immaterielle Neue | 202 5. Synthese: Versuch einer Theorie des Neuen der Mode | 208

V. Die Atmosphäre der Modenschau 1. Die Modenschau als performatives Ereignis | 213 2. Mögliche Typisierungen von Modenschau-Atmosphären | 219 3. Dimensionen der Erfahrung von Modenschau-Atmosphären | 225 3.1 Grundgedanken zum atmosphärischen Erleben sowie zu kognitiven und emotionalen Prozessen | 225 3.2 Raumerfahrung | 230 3.2.1 Überschachtelung von Ort, Location und Imaginärem Raum | 230 3.2.2 Formen der Nutzung von räumlich gegebenen Atmosphären | 234 3.2.3 Der Verräumlichungsprozess und weitere Rahmen- und Grenzüberschreitungen | 241 3.3 Distanzerfahrung zum Objekt | 250 3.4 Die Erfahrung des Anderen | 257 3.5 Exkurs: Die Modenschau – ein Ritual? | 265

VI. Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung 1. Die Erzeugung eines synoptischen, synästhetischen Bildes | 273 2. Die Organisation der Bilder im Atmosphären-Gedächtnis | 275 3. Im Wettstreit der Bilder | 279 4. Kopplungsstrategien des Bildes an die Kleidung | 285

VII. Schluss 1. Zusammenfassung | 295 2. Ausblick: Annäherung an eine Modenschaukritik | 299

VIII. Literatur  | 305 IX. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis  | 331

»Fashion doesn’t have to be something people wear, fashion is also an image.« (V iktor & R olf, zitiert in S tephen G an 1999)

Danksagung

Meinem Mentor Prof. Dr. Xavier Costa Granell (Universität Valencia) habe ich die Hinwendung zur Modetheorie und die Begeisterung für Modenschauen zu verdanken. Dieses Buch wäre niemals ohne seine Anregungen und die Unterstützung anderer Menschen entstanden, denen ich hiermit meinen Dank aussprechen möchte. Zuallererst danke ich Prof. Dr. Gertrud Lehnert, die mich aufgrund ihrer herzlichen, offenen Art aus Spanien an die Universität Potsdam gelockt hat und mir stets mit spannenden Ideen und Gesprächen, konstruktiver Kritik und Verständnis den Weg gewiesen hat. Auch haben mich die Treffen in unserer Arbeitsgemeinschaft zur Modetheorie inspiriert, insbesondere der Austausch mit Katja Weise und Charlotte Silbermann, denen ich hiermit ausdrücklich danken möchte. Die Einbindung in das DFG-Graduiertenkolleg »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens« bot mir interessante neue Perspektiven, eine starke und effektive Forschungsanleitung und die maßgebliche Motivation, die ich für das Vorankommen benötigt habe. Mein Dank gilt hier insbesondere Dr. Fabian Goppelsröder, Dr. Mira Fliescher und Prof. Dr. Dieter Mersch. Prof. Dr. Petra Leutner danke ich für die Betreuung der Arbeit als Zweitgutachterin. Auch haben mich aus dem Familien- und Freundeskreis viele tolle Menschen durch die Höhen und Tiefen der letzten Jahre begleitet. Ich danke hier vor allem und von tiefstem Herzen meinen Eltern Dr. Thomas und Dr. Karen Kühl, meinem lieben Bruder Christopher Kühl und meinem wunderbaren Partner Dr. Florian Lörsch. Sie haben mir vom ersten bis zum letzten Satz mit Rat, Tat und Liebe beigestanden. Berlin im November 2014, Alicia Kühl

I. Einleitung 1. »L ong live the immaterial !« Führen wir uns vergangene Kleider-Moden vor Augen, etwa den aufgebauschten und meterweise Stoff raffenden Cul de Paris, die seidig glänzenden Haremshosen von Paul Poiret oder die blütenkelchförmigen, straffen Linien des »New Look« von Christian Dior, dann erinnern wir uns vor allem an ihre materielle Beschaffenheit. Es scheint, dass Form, Farbe und Material drei Komponenten sind, ohne die Mode nicht zu denken ist. Abbildung 1: Viktor & Rolf H/W 2002 »Bluescreen – long live the immaterial!«

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Eine Modenschau des Designerduos Viktor & Rolf mit dem Titel »Bluescreen – long live the immaterial!« im Jahre 2002 soll vom Gegenteil überzeugen. Der Blick der ZuschauerInnen auf die aus schweren Stoffen bestehenden Kollektionsteile glitt hier durch das Material und den Körper der Models hindurch und wurde auf eine imaginäre Reise geschickt. Er streifte über Gebirgslandschaften, texanische Ölfelder und die Skyline von Manhattan, fand sich inmitten des dichten Verkehrs einer Großstadt, in einem reißenden Meeresstrudel, auf dem Rücken eines Vogels oder schwebend im Weltall wieder. Mit dem Blick auf die Materie war der Blick ins Nichts und zur gleichen Zeit in Alles möglich. Das, was man dort auffand, waren bewegte und bewegende Bilder, die die Materialität der Kleider verschluckten und in Immaterialität auflösten. Das forschungsleitende Modenschaubeispiel ist diese Prêt-à-porter-Show, die von Viktor Horsting und Rolf Snoeren für H/W 2002 in Paris aufgeführt wurde. Der Titel »Long live the immaterial!« geht erklärtermaßen auf einen Ausruf des französischen Avantgarde-Malers und Performancekünstlers Yves Klein zurück, der als Mitbegründer des Nouveau Réalisme 1960 bekannt für seine monochromen Bilder und seine Konzeptkunst wurde. Ausstellen, ohne etwas Materielles geschaffen zu haben (wie beispielsweise in Kleins ›inhaltslosen‹ Ausstellung »Le Vide«), scheint auch der Ausgangspunkt der künstlerischen Modeschöpfung von Viktor & Rolf zu sein. Bis zum Jahr 2000 wurden ihre Kollektionen, die eher »virtueller Natur« (Grumbach 2000, 5) waren, als Teil künstlerischer Installationen gezeigt und wanderten meist direkt in den Fundus eines Museums oder des eigenen Ateliers – seltener in den Kleiderschrank einer zahlenden Kundin. Dies lag neben ihrer anfänglichen Unbekanntheit auch maßgeblich an ihrem eigenen Selbstverständnis: »Wir haben unsere Couture-Kollektionen nie als tragbare Kleidung betrachtet, auch wenn wir großen Wert auf Passform, Details und die technische Ausführung gelegt haben. Wenn ein Stück oder eine Kollektion fertig war, war es das für uns. Wir betrachteten unsere Arbeiten wie ein Bildhauer seine Skulptur.« (Viktor & Rolf in Frankel 2009, 31)

In Interviews betonen Viktor & Rolf ihre Identität als Künstler, die ganzheitliche Konzepte haben und die Mode als ihr Kommunikationsmedium gewählt haben. Dabei sei es die größte Herausforderung, »das Gleichgewicht zwischen dem Medium, also Kleider und Mode, und der Botschaft zu halten« (ebda., 30). Die Mode fungiert für sie, wie für andere KonzeptdesignerInnen auch, als Projektionsfläche ihrer Ideen. Gertrud Lehnert spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die »vestimentären Objekte ohne weiteres als sichtbares Interface verstanden werden [können], eine Schaltstelle also, die in die verschiedenen Richtungen operiert statt ein-

I. Einleitung dimensional nur in eine einzige: Eine Schaltstelle zwischen Körpern, Wünschen, Ideen, Identitäten, Bildern, Vorschlägen und so weiter.« (Lehnert 2008, 91)

Die Bluescreen-Show von Viktor & Rolf ist hierfür ein eindrückliches Beispiel, denn in ihr verschwinden die Kleider, werden unsichtbar, und allein die immaterielle Idee wird – für die Dauer der Modenschau – sichtbar. Dieses Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Materialität und Immaterialität, Realität und Fiktion, gelang durch eine aus Kino und Fernsehen längst bekannte Technik. Die vorgeführte Kleidung wurde überwiegend aus blau-schwarzem oder gänzlich blauem Material angefertigt. Während die Models auf dem Laufsteg liefen, wurden sie gefilmt und die Aufnahmen auf zwei Leinwänden links und rechts vom Laufsteg abgespielt. Durch die sogenannte Bluescreen-Methode wurden dabei die Blauanteile herausgefiltert und durch Bewegtbilder ersetzt. Aufgrund des Unsichtbarwerdens der Materialität, Farbigkeit, Gestalt(ung) und Verarbeitung der Kleidung in dieser Modenschau ist ein ›Verlust‹ auf zwei Ebenen aufzuzeigen: Erstens fehlt der Verweis oder die Verbindung zu einem tragenden Körper, der geschmückt, geschützt, entstellt oder prothetisch erweitert werden könnte. Stattdessen wird der Körper zusammen mit der Kleidung als Projektionsfläche ›missbraucht‹ und erscheint als äußere Umrahmung nur noch als Abgrenzung der Projektion von ihrer Umgebung. Zweitens verschwinden etwaige Verweise, Zitationen und Dekonstruktion vergangener Moden, die als Interpretationsgrundlage der Kollektion als – bestenfalls neuartige – Kreation dienen könnte. Die Unsichtbarkeit von Materialität entzieht den ZuschauerInnen gänzlich ihr Wissen oder Bewusstsein für Mode, welches sie für die Einordnung oder Bewertung dieser Kollektion anzuwenden gedachten. Einzig die Illusion eines Blicks aus der Vogelperspektive im Flug über die Erde bleibt als sinnliche und ästhetische Erfahrung übrig und ist das, was zählt (vgl. Kühl 2013, 95). Mit der Erklärung der Designer, dass ihre »Kleider entworfen [wurden], um betrachtet, nicht um getragen zu werden« (Viktor & Rolf in Frankel 2009, 29), verwandelt sich die Kleidung nicht nur in eine Projektionsfläche für Bilder, sondern selbst in ein Bild. An anderer Stelle heißt es entsprechend: »Wir wollten zeigen, dass Mode ein Tor in eine andere Welt ist. Wir wollten etwas Immaterielles zeigen, etwas, das man nicht besitzen kann. […] Und wir sind immer noch am Immateriellen interessiert, an der Möglichkeit, Schönheit zu genießen, ohne sie notwendigerweise besitzen zu müssen.« (Viktor & Rolf in Frenzel 2009)

Die Arbeiten von Viktor & Rolf werfen stets die interessante Frage nach dem noch ungeklärten Verhältnis von Kunst und Mode auf. Womöglich kann von einer Hybridform oder sogar Synonymie ausgegangen werden. Richard Martin (1999, 115) diskutiert beispielsweise die Bezeichnung des Designs von Viktor & Rolf als »Meta-Fashion«, die der Kritiker Oliver Zahm in der Dezember-Ausgabe

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

von Artforum NY 1995 prägte und schlägt vor, bei Viktor & Rolf von »Meta-Art« zu sprechen. Die Designer hingegen lehnen eine solche Kategorisierung ab: »Ob das Kunst ist oder Mode, ist für uns nicht die Frage. Es geht eher darum, zu zeigen, dass Mode mehr ist als die nächste Frühjahrskollektion. Wenn wir uns von Kunst inspirieren lassen, geht es immer um eine bestimmte Geschichte und nicht so sehr um einen bestimmten Stil. Manchmal mögen wir abstrakte Kunstwerke, manchmal gegenständliche – aber es muss eine Erzählung dabei sein, die uns anspricht.« (Rolf Snoeren in Frenzel 2009)

Die im Zitat aufgeworfene Diskussion um das Verhältnis von Kunst und Mode kann in diesem Buch nicht explizit verfolgt werden. Hier interessiert die erwähnte Erzählung, die an anderer Stelle auch »Aura« und »magischer Raum« (Frankel 2009, 36) oder auch »Traum« genannt wird: »The show reflected our desire to go beyond the product, to design something that is immaterial, to seize a dream, which we believe fashion is about.« (Viktor & Rolf)1

Welchen Einfluss haben diese Aspekte auf die in der Modenschau erwartete Präsentation von Neuem? Die Bluescreen-Show veranschaulicht in kaum zu übertreffender Weise die Relevanz der Modenschau für die Produktion von etwas Neuem in situ. Das Neue, das hier aus einem (bewegten) Bild besteht, macht das Kleidungsstück zeitweise selbst zu einem Bild und bleibt nach der Beendigung der Projektion in Form eines Bildes in Erinnerung. Es ist unabhängig von dem Design des Kleidungsstücks, das während der Show in die Unsichtbarkeit tritt und danach als scheinbar lebloses Artefakt zurückbleibt. In der vorliegenden Untersuchung wird eine Verlagerung der Inventivität 2 vom Modedesign zum Modenschaudesign vermutet und diskutiert. Das forschungsleitende Modenschaubeispiel von Viktor & Rolf stellt das äußerste 1  |  Zitat von Viktor & Rolf aus dem Video »Kodachrome«, einzusehen unter: http://show studio.com/project/viktor_rolf/films, 0:20 min., zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 2  |  Im vorliegenden Buch wird der Unterscheidung von Invention und Innovation gefolgt, die u.a. Ingrid Loschek folgendermaßen vornimmt: »Inventionen umfassen neue Ideen vor der Phase der Vermarktung. […] Erst aus der verkäuflichen Umsetzung beziehungsweise der ›Verwertung‹, im Sinne einer Wertschätzung, von Inventionen ergeben sich – nach der klassischen Innovationstheorie – Innovationen.« (Loschek 2007, 41). Um stringent bei dieser Zweiteilung zu bleiben, werden folglich in der eigenen Argumentationsführung die Begriffe Invention, Inventivität und inventiv den Begriffen Innovation, Innovativität und innovativ entgegengestellt. Inventionen sind demnach also Ideen vor ihrer Vermarktung, und mit Inventivität ist die Fähigkeit von DesignerInnen zu inventivem Schaffen gemeint, d.h. zur Hervorbringung von Inventionen.

I. Einleitung

Extrem dieser Überlegung dar und (ver-)führt gar zu der Behauptung, es gäbe nichts Neues mehr im Modedesign, sondern das Neue der Mode sei ein aus der atmosphärisch inszenierten Modenschau erzeugtes, immaterielles Neues. Diese These ermöglicht eine neue Sicht auf die Modenschau und unter Umständen sogar eine Neubewertung ihrer Bedeutung und Position im Modezyklus.

2. B eschreibung des F orschungsgegenstands Forschungsgegenstand der vorliegenden modetheoretischen Untersuchung ist die Modenschau als Form der Präsentation von Kleidung im westlichen Kulturkreis. Das oben beschriebene Beispiel zeigt auf anschaulichste Weise die Problematik, welche sich bei der Beschäftigung mit der Modenschau ergab: Welche Funktion hat sie? Die Modenschau scheint ein zentrales Ereignis zu sein, in dem Dinge passieren oder zum Vorschein kommen bzw. Prozesse ablaufen, die den restlichen Modezyklus maßgeblich beeinflussen. Es wird nicht explizit danach gefragt, inwiefern die Modenschau zur Imagepflege von DesignerInnen eingesetzt wird oder als Mittel zur Absatzsteigerung, auch wenn diese Punkte vereinzelt zur Sprache kommen werden. Auch etwaige andere Fragestellungen, die z.B. aus der Perspektive von MedienwissenschaftlerInnen oder GendertheoretikerInnen aufkommen könnten, werden hier außen vor gelassen. Die Perspektive ist die einer Kulturwissenschaftlerin, die ein in der deutschen Wissenschaft nur spärlich beachtetes und dennoch allseits präsentes Alltagsphänomen – die Mode – aus einer theoretischen Warte heraus auf diejenigen Mechanismen abklopfen möchte, die die Bedeutung der Modenschau offenlegen. Wie in Kapitel III.2 dargelegt werden wird, bezieht sich die Argumentation auf eine bestimmte Zeitspanne (1984-2013), in der die Modenschau eine Funktionsverschiebung erfuhr. Die Modenschaubeispiele also, die hier zur Veranschaulichung der Überlegungen hinzugezogen werden, entstammen dieser bestimmten Zeit und auch einer Gruppe ausgewiesener Haute Couture und Prêt-à-porter DesignerInnen. Betont sei, dass der Argumentationsstrang im Vordergrund steht und nicht eine Analyse oder Bestandsaufnahme aller Modenschauen besagter DesignerInnen. Auch geht es nicht, wie man vielleicht vermuten mag, um das Modedesign, das in den Modenschauen gezeigt wird, sondern um das Design von Modenschauen, also um das Einsetzen konkreter Inszenierungsstrategien, die Kleider und Körper im Raum positionieren und bewegen. Ähnlich wie in der Theaterwissenschaft, die unter anderem neuartige Inszenierungen klassischer Stücke untersucht, rückt die Modenschau als Untersuchungsobjekt in den Vordergrund und belässt die Kleidung im Hintergrund. Diese neue Perspektive basiert auf der Vermutung, dass die Kontextua-

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

lisierung von Kleidung durch die Modenschau zu einem wichtigeren Aspekt für die Erschaffung von Neuem geworden ist als die Kleidung allein. Es sei darauf hingewiesen, dass die Thesen teilweise überspitzt formuliert und nicht für die Modenschauen aller DesignerInnen gültig sind und gegebenenfalls von einigen als Missachtung ihrer Kreativität im Modedesign verstanden werden könnten. Der Wert dieser Untersuchung besteht darin, ein Gedankenexperiment zuzulassen, das die Modenschau auf eine spezifische Weise beleuchtet und Erklärungsmuster für eine Veränderung anbietet, die als paradigmatisch erachtet wird.

3. Z entr ale F r agestellungen und V orgehensweise Die Recherchephase für dieses Buch begann mit einem Besuch der Ausstellung »Catwalks« im NRW-Forum in Düsseldorf (26.7.-1.11.2009), in der die aus der Sicht der KuratorInnen 18 spektakulärsten Modenschauen im Zeitraum von 1995-2009 medial rekonstruiert wurden. Im Ausstellungskatalog erregt ein Gedankengang von Werner Lippert Aufmerksamkeit: »Der Catwalk ist die eigentliche, bildgebende, sinnstiftende Leistung der innovativen Modeschöpfer. Mode definiert sich im Catwalk als eine Kunst in Raum und Zeit.« (Lippert 2009, 16)

Die nachfolgende Erläuterung, mit der der Artikel schloss, warf weitere Fragen auf: »Der spektakuläre Catwalk markiert damit den Paradigmenwechsel der Mode und ist so zu einem der kulturellen Leitmedien des 21. Jahrhunderts geworden. Er bezeichnet den Wechsel zur Konzeptualisierung der Mode, die Abkehr vom Outfit, und krönt sich (versuchsweise) in jenen Räumen, die die Modeindustrie heute selber schafft, um Raum und Zeit ihrer Performances total zu definieren, wie in Pradas ›Transformer‹ 3 .« (Ebda.)

Die folgenden Fragestellungen ergaben sich aus der Auseinandersetzung mit dieser Aussage und spiegeln das Vorgehen und Inhaltsverzeichnis dieses Buches wider. Zunächst gilt es, die Untersuchung modetheoretisch zu fundieren und einen Forschungsüberblick zu geben. In Kapitel II.1 »Modetheoretische Grundlagen« werden dabei einerseits Ansätze aus der allgemeinen Modetheorie (II.1.1) unterschieden, andererseits Ansätze, die für eine Theorie der Modenschau hilfreich sind (II.1.2). An die allgemeine Modetheorie wird chronologisch 3  |  Hierbei handelt es sich um eine von Rem Kolhaas entworfene Ausstellungshalle in Seoul, die gleichzeitig als Kino und Laufsteg genutzt wird und – je nach Benutzung – ihre architektonische Form verändern kann.

I. Einleitung

herangegangen und herausgearbeitet, welche Aspekte für ein allgemeines, wissenschaftliches Verständnis von Mode wichtig sind und wie die einzelnen Ideen aufeinander auf bauen. Der zweite Teil basiert auf zahlreichen, relativ weit verstreuten Artikeln, die die Modenschau als Präsentationsform von Mode thematisieren oder anderweitige Hinweise geben. Nach diesem Überblick war es nötig, das Forschungsfeld einzugrenzen und vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Definitionen modetheoretischer Termini festzuhalten, welche Begriffe wie verwendet werden. Diese Punkte sind in den Kapiteln II.2.1 »Eingrenzung des Forschungsfeldes« sowie II.2.2 »Handhabbarmachung grundsätzlicher Begrifflichkeiten« zu finden. Danach wird die Geschichte der Modenschau aufgearbeitet. Dazu ist es notwendig, aufzudecken, aus welchen Gründen und ab wann überhaupt eine Präsentation von Moden vor einem (ausgewählten) Publikum üblich war. Welche Komponenten haben sich mit der Zeit verändert und warum? Gab es auch andere Formen der Präsentation von Mode? Warum hat sich die der Modenschau durchgesetzt? Aus der Rekonstruktion der Modenschaugeschichte (III.1) ergibt sich die Beobachtung, dass sich die Modenschau über die Zeit gewandelt hat und mittlerweile zu einem spektakulären Event geworden ist, in dem die Kleidung nur noch eine sekundäre Rolle einnimmt (vgl. These von Lippert). Aber wer oder was spielt nun die primäre Rolle, d.h. wer oder was ist in den Vordergrund getreten? Die Ermittlung einer bestimmten Zeitspanne, in der der Paradigmenwechsel vollzogen wurde, klärte die Fragen, woran der Wechsel festzumachen war und welche Modenschauen typisch für das neue Paradigma sind (III.2). Nachdem die zeitgenössische Modenschau als die Form, um die es in diesem Buch geht, herausgearbeitet wird, ist ihre Einbettung in werbestrategische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen erforderlich. Das Kapitel III.3 dient deswegen der Einschätzung der Position und Relevanz der Modenschau im ›realen‹ Modebusiness. Nachdem die Kapitel II. und III. also einen Überblick über Mode- und Modenschautheorien sowie über die Geschichte und Beschaffenheit der Modeschau anbieten, wird der Weg frei für eine eigene Theoriebildung, die ab Kapitel IV. einsetzt. Die Beschäftigung mit der Frage nach dem Sinn und der Funktion der Modenschau führt schnell zur Problematik des Neuen. Ist das Neue ein Produkt, ein Phänomen oder eine Zuschreibung? Wo kommt es her? Entstammt es der Genialität der DesignerInnen? Wie wird das Neue transportiert, wie und von wem wird es erkannt? Warum ist das Neue so wichtig für den Modezyklus? Hat das Alte und das Neue mit alten und neuen Moden zu tun? Es führt kein Weg vorbei an der Analyse dessen, was in der Modetheorie und -geschichte als Neuheit definiert bzw. an welchen modischen ›Erfindungen‹ sie festgemacht wurde (IV.1). Aufgrund der spärlichen Literatur in diesem Bereich werden allgemeinere Konzepte der Neuheit hinzugezogen, vorwiegend aus der Philosophie (IV.2). In Verbindung mit dem angenommenen Para-

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

digmenwechsel ergeben sich daraus neue Fragen: Gibt es eine kausale Verbindung zwischen der sich mittlerweile als schwierig zu erweisenden Erfindung von Neuem im Modedesign einerseits und der Veränderung der Modenschau als Präsentationform andererseits? Es scheint so, dass letztere Entwicklung eine Folge der Ersten ist: Die Modenschau hatte sich deswegen verändert, weil sich der ›Erfindergeist‹ im Modedesign verlagert hatte. Was ist, wenn in der Modenschau das Neue behauptet wird, unabhängig davon, was präsentiert wird? Ist die Modenschau als eine Art Verhandlungsplattform zu sehen, in der sich die wichtigsten AkteurInnen des Modebusiness treffen, um das Neue zu verhandeln und nicht allein, um die Kollektion der DesignerInnen zu beurteilen? Wenn es so sein sollte, dass das Neue nicht etwas Materielles ist, also etwas, dass an einer bestimmten Farbe, Form oder Materialität festzumachen ist, sondern etwas Immaterielles – wie kann es dann behauptet werden und wie können die ZuschauerInnen das immaterielle Neue erkennen (Kapitel IV.3)? Die Modenschau als ein performatives Ereignis bringt das Neue hervor, und zwar durch die Schaffung einer Atmosphäre, eines »Traums«, eines »magischen Raums« – um bei den Beschreibungen der Modenschauen von Viktor & Rolf zu bleiben –, welche die zu präsentierende Kleidung umgibt. In Kapitel IV.4 wird versucht, das erarbeitete Konzept von dem Neuen mit dem, was unter einer Modenschau-Atmosphäre verstanden wird, zusammenzubringen. In Kapitel IV.5. wird abschließend eine Theorie des Neuen der Mode entwickelt, die auch auf andere Bereiche der Kreativwirtschaft anwendbar sein soll. Zwar wird dann geklärt sein, wie das Neue in Form einer Atmosphäre behauptet werden kann, jedoch bleibt die Frage, wie eine solche Atmosphäre von den ZuschauerInnen erfahren wird. In Kapitel V.1 wird auf die Charakterisierung der Modenschau als performatives, ephemeres Ereignis eingegangen. Hier werden die weitreichenden Diskussionen über Performativität und Inszenierung zusammengebracht und für die Modenschau fruchtbar gemacht. Der Notwendigkeit einer Typisierung von Modenschau-Atmosphären wird im folgenden Kapitel V.2 versucht, gerecht zu werden, wobei mehrere Möglichkeiten aufgezeigt und besprochen werden. Das größere Kapitel V.3 setzt sich mit den möglichen Erfahrungen von Modenschau-Atmosphären auseinander – d.h. neben der sinnlichen (V.3.1) auch mit der Raumerfahrung (V.3.2), der Erfahrung des gezeigten Kleides (V.3.3) sowie der Erfahrung, die mit anderen Anwesenden gemacht wird (V.3.4). Insbesondere bei der Beschäftigung mit dem Raum und den Menschen, die sich in ihm bewegen und agieren, kam die Frage auf, inwiefern eine Modenschau rituelle Züge aufweist, was in Kapitel V.3.5 in einem Exkurs diskutiert wird. In Kapitel V. und den folgenden Kapiteln wird verstärkt mit konkreten Modenschaubeispielen gearbeitet, die die Ausführungen illustrativ belegen sollen. Die Modenschaubeispiele liegen als Video-Dateien vor, die auf den Seiten der DesignerInnen, des Modehauses bzw.

I. Einleitung

auf anderen einschlägigen Videoplattformen, wie youtube.de oder style.com eingesehen wurden (die einzelnen Quellen werden an der entsprechenden Stelle angegeben). Dabei musste reflektiert werden, dass durch die Nicht-Anwesenheit die Modenschau nur aus der begrenzten Perspektive des Videomanns bzw. der Videofrau gesehen werden kann, und infolgedessen, sowie durch die spezifische Bearbeitung und Qualität der Aufnahme, die Wahrnehmung der Modenschau-Atmosphäre manipuliert und niemals mit einer tatsächlichen Wahrnehmung vergleichbar ist. Daher wurde davon abgesehen, eine ganzheitliche Analyse einer Modenschau durchzuführen – aufgrund ihres einmaligen, ephemeren Charakters ist dies per definitionem auch nicht möglich. Stattdessen wurde eine Auswahl an Modenschauen getroffen, die auf die jeweiligen Aspekte, die veranschaulicht werden sollten, basiert. Der kritische Punkt des Theoriegerüstes liegt darin, zu erklären, wie die Atmosphäre als das Neue wieder zurück an die Kleidung gekoppelt werden kann, damit die Kleidung zur neuen Mode erklärt wird. Denn auch wenn man es zeitweilig bei der Beschäftigung mit Modenschauen vergessen mag, verpufft die Modenschau bereits nach 15 Minuten und die Kleidung bleibt als ihr ›Relikt‹ übrig. Kapitel VI.1 erklärt zunächst, wie die Atmosphäre in einem synoptischen, synästhetischen Bild festgehalten werden kann und wie diese Bilder in einem kollektiven Gedächtnis organisiert sind, welches das AtmosphärenGedächtnis genannt wird (VI.2). Hier werden die in den Modenschauen erzeugten Bilder ins Verhältnis zueinander gesetzt, miteinander verbunden, verglichen und gegenübergestellt. Dies entfacht unter den DesignerInnen einen Wettstreit um Bilder, worauf in Kapitel VI.3 eingegangen wird. Im Anschluss untersucht Kapitel VI.4 konkrete Kopplungsstrategien, die die Elemente dieses Bildes mit der gezeigten Kleidung in Verbindung bringen. Dieses Kapitel stellt die vorangegangenen Ausführungen auf den Prüfstand: Da die Relevanz der Schaffung einer Atmosphäre für die Erzeugung des Neuen bekräftigt wird, gilt es nun zu überprüfen, inwiefern tatsächlich im weiteren Verlauf nach der Modenschau die Erhaltung dieser Atmosphäre beabsichtigt ist und forciert wird. Das Schlusskapitel fasst alle erworbenen Erkenntnisse zusammen (VII.1) und gibt einen Ausblick darüber, wie mit ihnen in Modetheorie und -praxis umgegangen werden kann (VII.2).

4. V orbemerkungen Der kurze Überblick über die Struktur des Buches hat bereits Hinweise auf die Argumentationsführung gegeben. Dennoch soll hier ein paar Gedanken Raum gelassen werden, die in Anbetracht der folgenden theoretischen Ansätze anderer WissenschaftlerInnen im Hinterkopf behalten werden können. Wenn man davon ausgeht, dass eine Kollektion von einer Gruppe von SpezialistIn-

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nen (FotografInnen, JournalistInnen, EinkäuferInnen) zur neuen Mode erklärt wird (Trickle-Down-Theorie), dann muss ihre Macht auf etwas basieren, was nur sie können. Entweder sie wissen etwas, was andere Menschen nicht wissen, oder sie finden etwas heraus, was andere Menschen nicht oder erst später herausfinden können. Wie in allen anderen Bereichen des Lebens ist Wissen zu einem Gut geworden, auf das der Großteil der Menschen in unserem Kulturkreis mittels Internetzugang zugreifen kann. Das, was jedem Menschen dennoch eigen bleibt, ist die Erfahrung und Erinnerung. Erfahrung kann weder von den DesignerInnen genauestens geplant und auch nicht von den ZuschauerInnen vorhergesehen werden. Der Moment der Überraschung als die Konfrontation mit etwas Neuem oder Unerwartetem liegt in der Erfahrung – und Erfahrung setzt die leibliche Anwesenheit von denen voraus, die überrascht werden sollen. Überraschung, Erfahrung und Anwesenheit sind drei Aspekte, die in der exklusiven, ephemeren und spektakulären Modenschau zusammenkommen. Das dualistische Prinzip der Mode, nämlich Anpassung und/trotz/durch Distinktion (siehe im Folgenden), basiert nicht (mehr nur) auf neue Kleider tragen oder nicht tragen, sondern Kleider im Kontext einer Modenschau erfahren zu haben bzw. sie in ihr verorten zu können oder nicht. Das, was von den DesignerInnen über die SpezialistInnen zu den KonsumentInnen heruntersickert, ist nicht eine Mode im Sinne von konkreten Kleidern, sondern Erinnerungsbilder, die die Atmosphäre der Modenschau einfangen und die gezeigte Kleidung kontextualisieren.

II. Moden beschauen 1. M ode theore tische G rundl agen 1.1 Relevante Ansätze aus der allgemeinen Modetheorie Die vorliegende, in der Modetheorie zu verortende Untersuchung leistet in ihrer Fokussierung auf die Modenschau einen Beitrag zu einem Forschungsfeld, das sich seit ca. 220 Jahren der wissenschaftlichen Charakterisierung und Analyse von Mode(n) als kulturelles Phänomen widmet. Am Anfang soll daher ein historischer Abriss der Modetheorie stehen, der das Thema in dieses Forschungsfeld einbettet. Am Ende des 18. Jahrhunderts beginnend, werden in chronologischer Reihenfolge ausgewählte Ansätze dahingehend beleuchtet, welche Konzepte für ein Verständnis von Mode relevant sind und inwiefern die Modenschau als eine spezielle Form der Präsentation in der Arbeit der dargestellten AutorInnen eine Rolle spielt. Die wissenschaftlichen Publikationen, die sich dem Thema Modenschau widmen, d.h. es nicht nur peripher streifen, werden im nächsten Unterkapitel (II.1.2) ausführlich besprochen. Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass es bislang nur wenige deutschsprachige Publikationen gibt, die die Modetheorie in ihren Grundzügen überblicksartig aufzuarbeiten versuchen. Zunächst wäre der Sammelband Die Listen der Mode von Silvia Bovenschen (1991 [1986]) zu nennen, der einige Ausschnitte von Originaltexten bzw. Essays einschlägiger ModetheoretikerInnen anführt, jedoch nicht durchgängig kommentiert und mittlerweile auch nicht mehr aktuell ist. Im Herbst 2012 kam des Weiteren eine Publikation von Sonja Eismann heraus, die ebenfalls Auszüge aus Originaltexten abdruckte, diesmal jedoch thematisch untergliedert, mit Einleitungen versehen und ergänzt durch eine Auswahl an zeitgenössischen Texten zu aktuellen Themen wie beispielsweise Modeblogs. Besonders hingewiesen sei auf die 2014 erschienene Publikation von Gertrud Lehnert, Katja Weise und Alicia Kühl, die als Veröffentlichung der Reihe Fashion Studies des transcript Verlages eine als Handbuch konzipierte chronologische und thematische Aufarbeitung der Modetheorie – ebenfalls anhand von Auszügen aus Originaltexten – anbietet.

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Die hier vorliegende modetheoretische Einführung liefert eine überblicksartige und kurze Geschichte der Modetheorie, kann daher nicht dem Anspruch gerecht werden, die Ansätze aller relevanten AutorInnen – ihrer jeweiligen Bedeutung und Tragweite entsprechend – darzustellen.1 Nur wenige ModetheoretikerInnen widmen sich nicht der ganz grundsätzlichen Frage, was Mode überhaupt sei, oft in Abgrenzung zur Tracht, zum Stil oder zur Kleidung. Darüber hinaus ähneln sie sich in den Fragen nach einem Motor des Modewechsels, nach einer Instanz, die das Modediktat angibt, nach den Gründen eines Individuums oder einer Gruppe, Moden zu folgen und nach den Auswirkungen, die die Befolgung auf die Identitäts- und Genderkonstruktion sowie auf Positionierungen in sozialen Gefügen haben kann. Die AutorInnen, die im Anschluss berücksichtigt werden, finden oft Antworten auf diese Fragen – diejenigen AutorInnen, die in Fußnote 1 zusätzlich genannt sind, führen in andere Richtungen (z.B. Roland Barthes semiologische Untersuchung der Bildkommentare in Modezeitschriften) und sprengen den Rahmen dieser modetheoretischen Einführung. Als erster Modetheoretiker dürfte m.E. der deutsche Philosoph und Mathematiker Christian Garve gelten, der kurz nach der französischen Revolution im Jahre 1792 ein Traktat Über die Moden herausbrachte, in dem er, anders als ein Großteil seiner Nachfolger im 19. Jahrhundert, nicht über die Spezifika der damaligen Moden urteilte, sondern den Wechsel und das scheinbar natürliche Interesse der Menschen an Moden in spätaufklärerischer Manier zu analysieren versuchte. Das modische Verhalten sei Teil der »geselligen Natur« des Menschen2, und zur Untersuchung des Menschen biete sich infolgedessen die Untersuchung der Moden an, »[d]enn im steten Wechsel der Moden offenbarte sich […] eine tiefsitzende Unruhe dieser Natur, eine Veränderungslust des Menschen«, wie Thomas Pittrof im Nachwort feststellt (Pittrof in Garve 1987 [1792], 183). Laut Garve erstreckt sich die Mode auf ein »weites unabsehbares 1  |  M.E. würde eine solche Abhandlung folgende Autoren umfassen: Christian Garve, Charles Baudelaire, Friedrich Theodor Vischer, Rudolph von Ihering, Thorstein Veblen, Werner Sombart, Georg Simmel, Walter Benjamin, John Carl Flügel, René König, Roland Barthes, Theodor W. Adorno, Jean Baudrillard, Richard Sennett, Anne Hollander, Pierre Bourdieu, Elisabeth Wilson, Gilles Lipovetsky, Ingrid Loschek, Jennifer Craik, Barbara Vinken, Gertrud Lehnert, Joanne Entwistle, Caroline Evans, Elena Esposito und Yuniya Kawamura (kursiv markiert sind die hier in Kap. II.1.1 besprochenen AutorInnen). 2 | So heißt es beispielsweise: »Daher hat es Moden unter den Menschen gegeben, solange Menschen existieren. Es gibt deren unter den Wilden« (Garve 1987 [1792], 12). Er könnte damit als Begründer der kulturanthropologischen Modetheorie gelten, die im 20. Jahrhundert z.B. von René König (1999), Erika Thiel (1980) oder Ingrid Loschek (1991) weiterentwickelt wurde.

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Gebiet von Formen«, das nichts Natürliches an sich hat, sondern gänzlich unnatürlich ist, künstlich vom Menschen erschaffen und noch dazu kriterienlos (vgl. ebda., 38f.). Obwohl menschenerschaffen, ermächtige sich die Mode ihrer Schöpfer: »Also je weiter die Herrschaft der Mode um sich greift: desto mehr schränkt sie das eigne Urteil des Menschen ein; desto weniger Wahl, Freiheit und Moralität bleibt in seinen Handlungen.« (Ebda., 94)

Dementsprechend seien nur Menschen mit »einem schwachen Geiste« ihrer Macht unterworfen (vgl. ebda., 96). Der Mode ständiger Wechsel lasse sich durch den Drang der Menschen erklären, ihr Leben verschönern zu wollen und somit eine »Bindung an eine Existenz im Komparativ, an das zeit- und vergleichsweise Schöne« einzugehen (Pittrof in ebda., 186). Außerdem diene die Mode der Anzeige ihrer Klassenzugehörigkeit und ihres Wohlstandes (ebda., 63; vgl. die Ausführungen zu Veblen weiter unten). Weiterhin erkennt Garve die wechselseitige Triebkraft von Nachahmung und Differenzierung und nimmt damit das im Allgemeinen Georg Simmel zugeordneten Prinzip der Mode vorweg, als es heißt: »Ja, sie [die Moden] werden ebensogut Mittel der Absonderung, als der Vereinigung. Der gemeinschaftliche Ehrgeiz Vieler sucht sich ebensosehr durch ein ähnliches Äußeres von denen, die unter ihnen sind, zu unterscheiden, als die Zuneigung und Vertraulichkeit derer, die sich einander für gleich halten, sie bewegt, alle Unterschiede soviel als möglich zu vermeiden.« (Ebda., 13)

Christian Garve erkennt damit einen relevanten Motor des Modewechsels: Andere durch Beobachtung nachzuahmen (vgl. auch ebda., 59) und sich von anderen zu differenzieren als prädispositionaler Mechanismus der Menschen, prägt den sozialen Umgang miteinander. Durch ihn bilden Menschen Gruppen und Hierarchien heraus sowie ihre damit verbundenen Identitäten und sozialen Positionen. Bestimmte Formen von Kleidung, Körperschmuck, Gesten, Möbel und andere Praktiken und Gegenstände, die Moden unterworfen sind, entstehen zuallererst durch diesen Mechanismus, sind jedoch gleichzeitig auch sein Instrument. Durch die Beiträge von Georg Simmel und Elena Esposito wird die Charakterisierung des Mechanismus als Dualismus und als Paradoxie verfeinert, wie später dargelegt wird. Während Mitte des 19. Jahrhunderts einige Kultur- und Kunsthistoriker wie Jakob von Falke (1858) und Hermann Weiss (1860-1872) die Geschichte von Moden und Trachten seit der Antike aufzuarbeiten begannen und damit die Kostümkunde etablierten, gründete sich die Modetheorie dieses Jahrhunderts überwiegend auf moral-doktrinäre, soziologische und wirtschaftliche Abhandlungen

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zur französischen »modernen Mode«3 des 19. Jahrhunderts. So beschäftigte sich neben Rudolf Schultze (1868) und Julius Lessing (1884) insbesondere Friedrich Theodor Vischer als Gelehrter der Literaturwissenschaft und Philosophie in mehreren, meist zynischen und belehrenden Schriften mit dem scheinbar willkürlich wechselnden Modemandat. Bevor auf Vischer eingegangen wird, soll an dieser Stelle Charles Baudelaire eingeschoben werden, der sich zeitgleich zu Vischer der Mode (sowie dem Schmuck und dem Dandy) widmete, jedoch aus einem künstlerisch-literarischen Standpunkt heraus. In dem 1863 erschienenen Essay über Das Schöne, die Mode und das Glück, ein Werk zur Würdigung des Malers Constantin Guys, verdammt er nicht, wie sein Lebensgenosse Vischer, die Mode als Auswucherung menschlicher Dummheit und Oberflächlichkeit, sondern enttarnt sie als das Bestreben des Menschen, die (hässliche) Natur zu überwinden, indem er sie verkünstele. So muss die Mode als »ein Symptom des Strebens nach dem Ideal angesehen werden – nach jenem Ideal, das im menschlichen Gehirn alles überflutet, was das natürliche Leben an Grobem, Irdischem und Unsauberem dort aufhäuft –, jenem Ideal, als eine erhabene Umgestaltung der Natur oder vielmehr als ein fortwährender und allmählich fortschreitender Versuch einer Neugestaltung der Natur sich darstellt.« (Baudelaire 1988 [frz. 1863], 38)

Im Hintergrund seiner Gedanken zur Mode steht Baudelaires grundsätzliches Verständnis vom Schönen, das besagt, dass das Schöne »aus einem ewigen, unveränderlichen Element gebildet [wird], dessen Quantität außerordentlich schwierig zu bestimmen ist, und aus einem relativen, bedingten Element, das, wenn man will, um und um oder allzugleich, von dem Zeitabschnitt, der Mode, dem geistigen Leben, der Leidenschaft dargestellt wird. Ohne dieses zweite Element, als 3 | »Mode«, so sind sich Friedrich Theodor Vischer und Werner Sombart einig, »ist ein Allgemeinbegriff für einen Complex zeitweise gültiger Culturformen« und beinhaltet somit neben der Kleider-Mode auch andere Ausdrucksformen der Lebensführung, wie Einrichtungs-Moden, Hygienegewohnheiten und Benimmregeln. Die »moderne Mode« ist laut Werner Sombart eine Weiterentwicklung der »echten Mode«, die sich im 15. Jahrhundert in Italien und im 16. Und 17. Jahrhundert auch im Norden verbreitet hat. Das, »[w]as aber die moderne Mode vornehmlich charakterisirt und was die Mode früherer Zeiten entweder gar nicht oder doch nur in einer unendlich viel geringeren Intensität besass, ist folgendes: 1. die unübersehbare Fülle von Gebrauchsgegenständen, auf die sie sich erstreckt. […] 2. die absolute Allgemeinheit der Mode, die erst in unserer Zeit sich eingestellt hat. […] Die Egalisirungstendenz ist heute durchaus eine allgemeine und wird durch keine räumliche und keine ständige Schranke mehr aufgehalten. Endlich ist 3. das rasende Tempo des Modewechsels ein ebenfalls der Mode unserer Zeit charakteristisches Merkmal.« Aus: Sombart 1902, 12-13.

II. Moden beschauen welches gleichsam der amüsante, glänzende Überguß ist, der den göttlichen Kuchen uns verdaulich macht, wäre das erste Element für die menschliche Natur unzuträglich, ungeeignet, unverdaulich.« (Ebda., 10) 4

Revolutionär an diesen Ausführungen ist, wie Doris Kolesch herausarbeitet, dass Baudelaire erkannte, dass der »glänzende Überguß« im 20. Jahrhundert wichtiger wird als das Ewige selbst. Anders ausgedrückt: Die Art und Weise der Darstellung spielt nun eine wichtigere Rolle als das Dargestellte selbst (vgl. Kolesch 1998, 24). Gerade in Hinblick auf die Untersuchung der modernen Modenschauen, die als Kontextualisierung der Mode fungieren und selbst zum neumodischen Element der Kleidung avancieren, ist diese Erkenntnis von Bedeutung. Friedrich Theodor Vischer (1859 u. 1879) gesteht dem Menschen keine »ästhetische Raffinesse« zu, sondern sieht in allen Überwindungen der Natur eine Misshandlung des menschlichen Körpers und Ausgeburt menschlicher Unvernunft. Am Beispiel der Krinoline stellt Vischer fest, dass »[d]er Maßstab aller Schönheit für die Formen der Kleidung […] natürlich nichts Anderes als der menschliche Körper selbst [ist]. […W]as die Natur gebaut hat, darf nicht allzuweit übersprungen, nicht mißhandelt, verzerrt werden, und wir behaupten: die Krinoline gehört nicht unter jene Ausweichungen, welche innerhalb des zulässigen Spielraums liegen.« (Vischer 1922 [1859], 340f.)

Die Missachtung dieses »Naturgesetzes« werde sowohl in der Frauen- als auch partiell in der Männermode im 19. Jahrhundert überstrapaziert. Die Modenarrheit der Frauen, und dadurch der Wechsel der Moden, diene ursprünglich dem Zwecke des Männerfangs (vgl. Vischer 1879, 15). Die »nachdenklichere und thätigre Natur des Mannes« besinne sich dagegen, »am athemlosen Wettrennen der Weiber sich ein warnendes Beispiel« zu nehmen und »in stiller Übereinkunft die allgemeine Entsagung (zwar mit etlichem Vorbehalt) zur Regel« zu machen (ebda., 32). Des Weiteren fungiere die Mode als Spiegel der Gesellschaft und passe sich den jeweiligen sozialen Veränderungen an: »Entschwundene Moden reihen sich als Glied in eine ganze Kette vergangener Culturformen. Halten wir diese mit den gleichzeitigen Zuständen der Gesellschaft, des ganzen Ge4 | In dieser doppelten Beschaffenheit liegt nach Gertrud Lehnert eine Bestimmung der Modernität der Mode: »Mode entspringt dem dauerhaften Streben nach Schönheit (ganz gleich, wie man Schönheit unter wechselnden historischen Bedingungen definiert), und sie wandelt sich ständig. Man könnte den Begriff ›Schönheit‹ modifizieren zu ›ästhetisierende Selbstgestaltung‹ oder ›ästhetisierende Selbst-Inszenierung‹, und diese hat ganz wesentlich mit der Flüchtigkeit der Mode zu tun.« Aus: Lehnert 2005, 254.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode meinlebens zusammen, so erscheinen sie dem klargewordenen gegenständlichen Blick als ein Ausdruck dieser Zustände, der gar nicht anders sein konnte, als er war, und die tollsten Auswüchse, in denen sich gar kein Sinn mehr entdecken läßt, als ein nicht minder nothwendiger Ausdruck der Kinderei, welche unvertilgbar dem Sterblichen anhängt.« (Ebda., 35)

Somit macht Vischer zwei Motoren der Mode fest: zum einen den Distinktionswunsch der Individuen (in Form von weibischer Wettsucht und Neid) und zum anderen einander ablösende »Culturformen«, unter die man Formen des sozialen Zusammenlebens verstehen mag, die die Moden hervorbringen. Der Soziologe Georg Simmel wird 20 Jahre später Vischers ersten Aspekt anhand der Idee des Dualismus der Mode spezifizieren. Auf die Kulturformen nimmt Werner Sombart Bezug, indem er die Mode als »des Capitalismus liebstes Kind« (Sombart 1902, 23) definiert. Vischer, Veblen und Simmel bilden im modetheoretischen ›common sense‹ die frühen Grundsäulen einer Modetheorie. Nach Vischer tragen die Frauen die Verantwortung für den Modewechsel – auch nach Veblen konzentriert sich das modische Verhalten bei der Frau, allerdings nicht um dem Mann zu gefallen, sondern um seinen Reichtum stellvertretend für ihn zur Schau zu stellen. Simmel dagegen sieht in der Dominanz der weiblichen Mode den Versuch der Frau, ihrer passiven Position und Rolle in der Gesellschaft, die ihr über die Jahrhunderte zuteil war, etwas Aktives entgegenzusetzen. Im Fokus der Modetheorie stehen also mittlerweile nicht nur grundlegende Mechanismen der Mode, sondern auch die Geschlechterkonstitution durch Mode. Die weibliche Dominanz prägt noch immer unser Modeverständnis und schlägt sich auch in den Kollektionen nieder: Für ›die Frau‹ wird mehr Kleidung entworfen, demnach gibt es auch mehr Modenschauen, in denen weibliche Models Mode vorführen – und das Modeln ist einer jener Berufe, in denen ausnahmsweise Frauen im Schnitt weitaus besser verdienen als Männer. Auch wenn dieses Buch nicht dem Genderaspekt von Modenschauen gewidmet ist, so soll im Hinterkopf behalten werden, dass Mode gemeinhin ›weiblich‹ ist und Modenschauen eventuell auch für den ›weiblichen Blick‹ konstruiert sind – das wäre zumindest eine These, die überprüft werden könnte. Der in der Modetheorie wenig beachtete Rechtswissenschaftler Rudolph von Ihering (1877) beschäftigte sich beinahe zeitgleich zu Vischer mit der Mode als eine der »vier Arten des sozialen Imperativs«, neben der Sitte, der Moral und dem Recht.5 Die Mode hat, so von Ihering, »keine individuellen 5  |  »Unsere sprachlichen Untersuchungen haben uns vier Arten von sozialen Imperativen ergeben, d.h. von Normen, welche die Gesellschaft ihren Mitgliedern vorzeichnet, die Mode, die Sitte, die Moral, das Recht. […] Die Mode stimmt darin mit der Sitte überein, daß sie für diejenigen Kreise, für welche sie überhaupt in Betracht kommt, eine zwingende Gewalt ausübt, sie ist also nicht der Gewohnheit zuzuzählen.« (von Ihering 1905 [1877], 180f.)

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Motive, sondern ein soziales Motiv«, das sich in dem »Bestreben der Abscheidung der höheren Gesellschaftsklassen von den niederen oder richtiger den mittleren«, also in dem »Bestreben des einen Teils, einen wenn auch noch so kleinen Vorsprung zu gewinnen, der ihn von seinem Verfolger trennt, und das des anderen, durch sofortige Aufnahme der neuen Mode denselben wiederum auszugleichen« festmachen lässt (von Ihering 1905 [1877], 186). Von Ihering stellt zum einen also fest, dass das Befolgen von Mode die Zugehörigkeit zu bestimmten »Kategorien von Personen« gewährleistet, zum anderen aber auch, dass Mode ein Mittel ist, um sich von unteren Schichten abzugrenzen. Den zuvor genannten Mechanismus von Nachahmung und Differenzierung sieht von Ihering nun also in einem größeren sozialen Zusammenhang und erkennt in der Aneinanderkettung mehrerer dieser durch den Mechanismus hervorgerufenen Prozesse eine der Mode eigentümliche Dynamik: Sie führt zum Heruntersickern von Moden der höheren Schichten in die nächst unteren, was man später das Trickle-Down-Prinzip6 nennen wird. Des Weiteren stellt von Ihering einen Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen Kommunikationsmitteln und der Dauer einer Mode fest: »Die Lebensdauer der Mode bestimmt sich im entgegengesetzten Verhältnis zur Raschheit ihrer Verbreitung; ihre Kurzlebigkeit hat sich in unserer Zeit in demselben Maße gesteigert, als die Mittel zu ihrer Verbreitung durch unsere vervollkommneten Kommunikationsmittel gewachsen sind.« (Ebda., 187)

In Zeiten der Live-Übertragungen von Modenschauen ist diese Überlegung hochinteressant: Wenn die Verbreitung nicht mal eine Sekunde dauert, wie kann man dann die Lebensdauer einer Mode bestimmen? Oder gelten nun andere Gesetze? Wie später argumentiert wird, wird eine Kleidung nicht erst dann Mode, wenn sie massenhaft verbreitet ist, sondern dann, wenn sich das in der Modenschau entstandene Bild im kollektiven Mode-Gedächtnis einprägen konnte. Zur Bedeutung von Rudolph von Ihering lässt sich sagen, dass er sich durch seine nüchterne, keinesfalls polemische Art von der provokativen Friedrich Theodor Vischers abgrenzt und Simmel und weiteren soziologischen Betrachtungen des 20. Jahrhunderts7 vorausgreift.

6 | Dem Trickle-Down-Prinzip stehen später in der Modetheorie folgende Prinzipien entgegen: Trickle-Up-Prinzip, Trickle-Up-And-Down-Prinzip, Trickle-Across-Prinzip (horizontale Verbreitung), Virulenzmodell (spiralförmige Ausbreitung von der Mitte her). 7  |  So stellt er beispielsweise auch fest, dass ein wesentliches Merkmal der Mode ist, dass sie »stets ihr eignes Werk rasch wieder zerstört« (von Ihering 1905, 183f.) und greift somit den Gedanken der Mode als »Totengräber und Geburtshilfe« des Soziologen René König (1999) voraus.

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Der amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen untersuchte 1899 die Mode ebenfalls im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Wirkung in sozialen Schichten. Der Begriff »Vebleneffekt« (auch Snob-, Konsum-, Nachfrageeffekt) bezieht sich auf die in The theory of the leisure class entwickelte Bezeichnung des Geltungskonsums (auch Repräsentations- oder Prestigekonsum, demonstrativer oder ostentativer Konsum) als Umschreibung für öffentlichkeitswirksames, Güter verbrauchendes oder Güter zur Schau stellendes Handeln. In Zeiten der Industrialisierung, in der die Kluft zwischen Proletariat und Bourgeoisie immer klarer zutage trat, kritisiert Veblen die »feinen Leute« aus der (das englische Originalwort »leisure« besser treffenden) müßigen Klasse. Er wirft ihnen vor, zur Schau zu stellen, dass sie sich von der Arbeit befreit haben und so ihr Ansehen in der Gesellschaft steigt – konkret kritisiert er ihren demonstrativen Müßiggang, also die nicht-produktive Verschwendung der Zeit und ihren betonten Konsum von Luxusgütern. Die Kleidung als die offensichtlichste und einfachste Art der demonstrativen Muße und Verschwendung hat, so Veblen, teuer, unbequem und modisch (im Sinne von den wechselnden Moden folgend) zu sein. Die Kostspieligkeit der Kleidung stelle die finanzielle Situation (des Mannes) zur Schau, ein unbequemer oder (die Frau) gar bewegungseinschränkender Kleiderschnitt symbolisiere die fehlende Notwendigkeit der körperlichen Arbeit. In ihrer Unbeweglichkeit und Passivität fungiere die Frau als Statussymbol des Mannes, da sie stellvertretend für ihn konsumiere und somit sein Vermögen zur Schau stelle. Um aufzufallen, müsse stets das Neuste auf dem Markt konsumiert werden – Veblen führt das ständige Abwechseln der Moden darauf zurück, dass die feinen Leute in dem Moment, in dem ihr Umfeld auch das Neue hat, sich wieder etwas anderes suchen müssen, um aufzufallen. Dies habe zur Folge, dass die neue Mode einfach nur anders und nicht unbedingt schöner oder besser sein müsse als die vorherige. So erklärt sich Veblen die vielen »Modetorheiten der Damen«: »Somit kann allgemein gesagt werden, dass die Mode in jenen Gesellschaften, in denen sich das Prinzip der demonstrativen Verschwendung am gebieterischsten durchsetzt, am wenigsten dauerhaft und am wenigsten schön ist.« (Veblen 2007 [1899], 171)

Veblens Behauptung, dass Frauen zur Zurschaustellung des Reichtums der Männer instrumentalisiert werden (sollen und können), wurde mit der ›ersten‹ Feminismuswelle Anfang des 20. Jahrhunderts und insbesondere durch den Aktivismus der Suffragetten in Frage gestellt (vgl. Kaplan u. Stowell 1994, Kap. 5; Günther 2009). In der Modetheorie scheint sich diese Diskussion in die bis heute andauernde Debatte über den ›männlichen Blick‹ auf die Frau verlagert zu haben. Dennoch sei festzuhalten, dass die Mode Raum für den

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demonstrativen Konsum und Müßiggang, auch wenn er nicht stellvertretend ist, zu geben scheint.8 Den Modewechsel und die Modetorheiten der Menschen bringt der deutsche Soziologie und Volkswirt Werner Sombart in Zusammenhang mit der Industrialisierung und Kapitalisierung Europas im ausgehenden 19. Jahrhundert. Er beobachtet in seiner 1902 entstandenen Abhandlung über Wirtschaft und Mode die »Uniformierung des Geschmacks, wie sie sich im Gefolge der Ausbreitung grossstädtischen Wesens mit dem zunehmenden Commercium in den modernen Städten einzustellen pflegt« (Sombart 1902, 6f.). In Anlehnung an Vischers Definition von Mode als »ein Allgemeinbegriff für einen Complex zeitweise gültiger Culturformen« (ebda., 12) filtert Sombart zwei Begleiterscheinungen der Mode heraus, nämlich zum einen die durch sie erzeugte Wechselhaftigkeit und zum anderen die von ihr bewirkte Vereinheitlichung der Bedarfsgestaltung. Jede Geschmacksveränderung, so schlussfolgert Sombart, die zu einer Umgestaltung des Bedarfs während der Lebensdauer einer Generation führt, sei infolgedessen Mode (vgl. ebda., 12). Charakteristisch für die Mode nach der Industrialisierung sei, dass sie sich »gasförmig binnen kürzester Zeit« über die ganze Kulturwelt erstrecke und umso schneller Gegenstände ergreife, je unnützer sie sind (vgl. ebda., 14).9 Die Mitwirkung der Konsumenten an der vehementen Ausbreitung der Mode sei dabei auf ein Minimum beschränkt (vgl. ebda., 20), da der kapitalistische Unternehmer, genauer die großen Detailhandelsgeschäfte, die Moderaserei in der Hand haben. Sombart kommt zu dem vielzitierten Schluss:

8 | In der Modenschau als eine konzentrierte Form der modischen Demonstration könnte es sich folgendermaßen verhalten: Hier konsumieren die Models – stellvertretend für die ZuschauerInnen – die Kleider der DesignerInnen. Sie demonstrieren damit in gewisser Weise neben der vermeintlichen Genialität der DesignerInnen den (vermuteten) Reichtum der ZuschauerInnen, die im Idealfall in der Lage sind, sich die Kleidung zu kaufen. Diesen Gedanken weitergesponnen könnte zu der Annahme führen, bei der Modenschau handle es sich um ein ›manipulatives Manöver‹: Die bloße Präsenz der ZuschauerInnen als potentieller KäuferInnen erweckt in ihnen eine ›Bringschuld‹ und verpflichtet sie zum Kauf. 9 | Wie Sombart beobachtet Simmel auch, dass die ständig wechselnden Moden Indiz für eine dynamische, moderne und sozial differenzierte Gesellschaft sind: »Der Wechsel der Mode zeigt das Maß der Abstumpfbarkeit der Nervenreize an, je nervöser ein Zeitalter ist, desto rascher werden sein Moden wechseln, weil das Bedürfnis nach Unterschiedsreizen, einer der wesentlichen Träger aller Mode, mit der Erschlaffung der Nervenenergien Hand in Hand geht.« (Simmel 1998b [1911, 1905], 45)

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »Die Mode ist des Capitalismus liebstes Kind; sie ist aus seinem innersten Wesen heraus entsprungen und bringt seine Eigenart zum Ausdruck wie wenig andere Phänomene des socialen Lebens unserer Zeit.« (Ebda., 23)

Den Ausgangspunkt des modernen Modediktats verortet Sombart in den Kreisen kapitalistischen Unternehmertums und nicht, wie beispielsweise Simmel, in der individuellen Modenarrheit des »Modehelden«. Die »Leistungen der Pariser Cocotte und des Prinzen von Wales« tragen bestenfalls »den Charakter der vermittelnden Beihilfe« (ebda., 19). Das mache Mode zu einem von einem kleinen Personenkreis steuer- und berechenbaren Faktor, der den Geschmack ganzer Generationen nivelliere und ihre Bedarfsgestaltung vereinheitliche. Im vorliegenden Buch wird gegen ein Modediktat argumentiert: Die DesignerInnen – als ModenärrInnen und UnternehmerInnen in einer Person – präsentieren in ihrer Modenschau kein Diktum, sondern einen Vorschlag für das, was sie als neue Mode anzubieten haben. Dabei nehmen sie zwar eine zentrale Rolle ein, sind jedoch auf die Akkreditierung durch ihre ZuschauerInnen angewiesen. Werden mehrere Vorschläge verschiedener DesignerInnen vom Publikum verhandelt und akzeptiert (beispielsweise während einer Fashion Week), entsteht eine Art Collage aus Bildern unterschiedlicher Kollektionen, die die Mode der heutigen Zeit umreißt. Dabei reformiert und ändert sich die Collage, wächst und schrumpft unentwegt, bleibt nie gleich, ist in einem ständigen Prozess des Werdens. Es kann demzufolge nicht von einer homogenen oder der Mode gesprochen werden (zu genaueren Begriffsdefinitionen, wie sie der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, vgl. Kapitel II.2.2). Georg Simmel arbeitet in seinem 1905 erschienen Aufsatz über die »Philosophie der Mode« den maßgeblichen Motor des Modewechsels heraus und untermauert seine Argumentation mit zahlreichen Beispielen aus verschiedenen Epochen, Kulturkreisen und Gegenstandsbereichen (so schließt er beispielsweise auch – was für die frühe Modetheorie nicht unüblich ist – die Möbelmode mit ein). Er stellt fest, dass die Mode nach dem dualistischen Prinzip von Nachahmung und Differenzierung funktioniert. Er beobachtet, dass die Menschen auf zweierlei Weisen auf ihr soziales Umfeld reagieren, d.h. grundsätzlich zwei fundamentale Bedürfnisse in Hinblick auf ihre Mitmenschen haben: Einerseits wollen sie einer Gruppe zugehören und andererseits sich von anderen differenzieren, da sie sich für etwas Besonderes halten. Die zwei genannten Bedürfnisse der Nachahmung und Differenzierung beeinflussen das Modeverhalten der Menschen, das als Kreislauf oder Zyklus charakterisiert werden kann. Ausgangspunkt des Kreislaufs ist die alte Mode, in der sich – vereinfacht dargestellt – alle Individuen stände- und schichtübergreifend10 befinden. Die sogenannten 10  |  Soziale Schichten sind nach Simmel hierarchische Abstufungen innerhalb eines sozialen Standes.

II. Moden beschauen

»Modenarren« bzw. »Modehelden« – meist aus dem obersten Stand – heben sich nun von dieser Masse ab, indem sie ihr modisches Verhalten so verändern, dass eine Differenz zu ihrem Umfeld deutlich wird, wobei dies nicht nur die Bekleidung ihrer Körper betrifft, sondern auch andere Körpertechniken, wie beispielsweise ihre Gebärden, ihr Benehmen oder ihre Bewegung im Raum, aber auch die Wahl ihrer Inneneinrichtung – im Grunde alle Maßnahmen, mit denen sie sich über ihren Körper zu ihren Mitmenschen in ein Verhältnis setzen. Der Differenzierung folgt der Prozess der Nachahmung, in dem die anderen Individuen ihren Abstand zu den »Modehelden« durch das Kopieren ihres modischen Verhaltens zu minimieren versuchen. Diese Dynamik entfaltet sich zuerst innerhalb der eigenen Schicht und wirkt dann ständeübergreifend. Das punktuelle modische Verhalten der »Modehelden« verbreitet sich also in Form einer rieselnden, tröpfchenweisen Abwärtsbewegung, da die Differenzierung immer gegen die eigene und die nächst niedere soziale Stufe gerichtet ist und die Nachahmung immer an die eigene und an die nächst höhere (Trickle-Down-Prinzip): »Sobald die unteren sich die Mode anzueignen beginnen und damit die von den oberen gesetzte Grenzmarkierung überschreiten, die Einheitlichkeit in dem so symbolisierten Zusammengehören jener durchbrechen, wenden sich die oberen Stände von dieser Mode ab und einer neuen zu, durch die sie sich wieder von den breiten Massen differenzieren und an der das Spiel von neuem beginnt. Denn naturgemäß sehen und streben die unteren Stände nach oben und können dies noch am ehesten auf den Gebieten, die der Mode unterworfen sind, weil diese am meisten äußerlicher Nachahmung zugänglich sind.« (Simmel 1998b [1911, 1905], 43)

Die Mode wird also im selben Moment ihrer Verbreitung wieder unmodisch und ihrer Anziehungskraft und Macht entledigt und ist somit, wie später der Modesoziologe René König treffend geschrieben hat, ihr eigener Totengräber. Dies macht, laut Simmel, den Reiz der neuen Moden aus: »Wenn in der jeweiligen Aufgipfelung des sozialen Bewußtseins auf den Punkt, den sie bezeichnet, auch schon ihr Todeskeim liegt, ihre Bestimmung zum Abgelöst-werden, so deklassiert diese Vergänglichkeit sie im ganzen nicht, sondern fügt ihren Reizen einen neuen hinzu.« (Ebda., 47)

Die Faszination der neuen Mode liegt eben gerade in der Verbindlichkeit des Vorübergehenden, wie Simmel und 100 Jahre später insbesondere Elena Esposito mit großem Nachdruck herausstellen: »Gegenüber diesem Charakter [dem eines fieberhaften Wechsels] aber zeigt die Mode nun die höchst merkwürdige Eigenschaft, dass jede einzelne Mode doch gewissermaßen auftritt, als ob sie ewig leben wollte.« (Ebda., 61)

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Simmels Abhandlung über die Mode bietet aber noch eine Vielzahl anderer Beobachtungen über Mode als soziale Praxis an. So zeigt er auf, dass sich als Folge des ständigen Modewechsels die neue Mode durchaus auch alter Moden bedient, sie zitiert und miteinander kombiniert. Simmel unterstreicht hier einmal mehr, dass es »der Mode freilich nur auf den Wechsel an[kommt]; allein sie hat wie jedes Gebilde die Tendenz auf Kraftersparnis, sie sucht ihre Zwecke so reichlich wie möglich, aber dennoch mit den relativ sparsamsten Mitteln zu erreichen. Eben deshalb schlägt sie – was besonders an der Kleidermode klar wird – immer wieder auf frühere Formen zurück, so dass man ihren Weg direkt mit einem Kreislauf verglichen hat.« (Ebda., 61)

Wie Veblen interessiert Simmel die Bedeutung der Frau innerhalb des Modezyklus. Er stellt fest, dass im Gegensatz zu der dem Mann eröffneten »individualistischen Entwicklung […] die Frauen noch keinen Platz [fanden], ihnen wurde noch die Freiheit persönlicher Bewegung und Entfaltung versagt. Sie entschädigten sich dafür durch die denkbar extravagantesten und hypertrophischsten Kleidermoden« (ebda., 52). Als logische Konsequenz folgt die Mode-Indifferenz des Mannes, der seine Bedürfnisse nach sozialer Dazugehörigkeit und nach dem Anderssein in ›seinen‹ Bereichen, wie beispielsweise im Berufsleben oder in der Politik, befriedigen kann. Simmel kommt zu dem Ergebnis, dass die Mode, unabhängig vom Geschlecht, im Allgemeinen die soziale Unbedeutsamkeit einer Person auszugleichen weiß, denn sie entgegne der »Unfähigkeit, rein aus sich heraus die Existenz zu individualisieren, durch die Zugehörigkeit zu einem durch eben die Mode charakterisierten, herausgehobenen, für das öffentliche Bewusstsein irgendwie zusammengehörigen Kreis« (ebda., 53). Feine und eigenartige Menschen erkennen diese Macht des modischen Bewusstseins und bedienen sich ihrer »als eine Art Maske« (ebda., 54). Auch beschäftigt sich Simmel mit dem Unmodischen, mit dem Anti-Modischen und entlarvt es als Pendant zum Modeheldentum: »Wer sich bewusst unmodern trägt oder benimmt, erreicht das damit verbundene Individualisierungsgefühl nicht eigentlich durch eigene individuelle Qualifikation, sondern durch bloße Negation des sozialen Beispiels: wenn Modernität Nachahmung dieses letzteren ist, so ist die absichtliche Unmodernität seine Nachahmung mit verkehrtem Vorzeichen, die aber darum nicht weniger Zeugnis von der Macht der sozialen Tendenz ablegt, die uns in irgend einer positiven oder negativen Weise von sich abhängig macht. Der absichtlich Unmoderne nimmt genau den Inhalt wie der Modenarr auf, nur dass er ihn in eine andere Kategorie formt, jener in die der Steigerung, dieser in die der Verneinung.« (Ebda., 50)

II. Moden beschauen

Simmels Scharfsinn und literarischer Eleganz verdankt die Modetheorie ihre theoretische Basis: Seine Darstellungen wurden seitdem weder grundlegend in Frage gestellt noch wurde ein überzeugenderes Gegenmodell angeboten, sondern genießen noch immer Gültigkeit. Wie im weiteren Verlauf des Buches herausgearbeitet wird, soll dennoch entgegen der Simmelschen Argumentation gezeigt werden, dass der Maßstab einer neuen Mode nicht mehr derjenige ist, wie weit sich ein neuer Trend in der Masse verbreitet hat, sondern wie stark sich das in der Modenschau vorgeschlagene Neue als ›Bild‹ in das kollektive Mode-Gedächtnis eingespeichert hat. Fahren wir fort mit den fragmentarischen, aus Zitatmontagen konstruierten Überlegungen des deutschen Philosophen und Literaturkritikers Walter Benjamin zur Mode im Passagenwerk, das in der Zeit von 1927-1929 sowie von 1934-1940 entstanden ist. Benjamin eröffnet seine Zusammenstellung mit der These, dass sich die Mode durch ihren antizipatorischen Charakter auszeichnet. Die Mode sei »in weit konstanterem, weit präsziserm Kontakt mit den kommenden Dingen kraft der unvergleichlichen Witterung, die das weibliche Kollektiv für das hat, was in der Zukunft bereitliegt. Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. – Zweifellos liegt hierin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen.« (Benjamin 1983 [1928-1929, 1934-1940], 112)

Im weiteren Verlauf entwickelt Benjamin noch weitere zentrale Motive und Eigenschaften, die zur Charakterisierung der Mode beitragen. So äußert er sich beispielsweise zur Dialektik von Neu und Alt in der Mode: Das Neue einer Mode werde nur sichtbar, wenn es im »Medium des Ältesten, Gewesensten, Gewohntesten auftaucht« (ebda., 112) und sich von ihm abgrenzt. Diesen Prozess der Abhebung nennt Benjamin das »eigentliche dialektische Schauspiel der Mode«. Festzuhalten ist also, dass die Mode durch ihre Prozesshaftigkeit und Performativität ausgezeichnet ist, das heißt, dass sie nicht einfach nur (da) ist, sondern als ein Ergebnis sozialer Verhandlungen zu verstehen ist. Doris Kolesch pointiert diesen Gedankengang folgendermaßen: »Mode ist die Inszenierung, die Vorführung von Vergänglichkeit selbst, da sie nur zu sich kommt, indem sie sich selbst abschafft. Die Existenzform der Mode ist – wie die der radikalen Moderne – die reine Performanz, eine Präsenz, die um ihre Vergänglichkeit weiss. […] Die Mode ist für Benjamin Austragungsort gesellschaftlich-ökonomischer wie existenzieller Kämpfe, die im Medium der Geschlechterverhältnisse verhandelt werden.« (Kolesch 1998, 34)

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Für die ständige Auseinandersetzung des Neuen mit dem Alten, des Nie-Dagewesenen mit dem Da-Gewesenen bietet die Mode für alle gesellschaftlichen Bereiche eine Plattform, auf der experimentiert werden kann. In »Versuchsanordnungen« geht das Neue aus dem Alten hervor, wird von ihm kontrastiert, oder auch vermengt, indem es das Alte zitiert, abändert, dekonstruiert, neu kombiniert. Die daraus resultierende neue Mode ist, wie Benjamin schlussfolgert, »ein Medikament, das die verhängnisvollen Wirkungen des Vergessens, im kollektiven Maßstab, kompensieren soll« (Benjamin 1983, 131). Wenn die Mode als Speichermedium für eine Gesellschaft fungiert, dann richten sich die Menschen eher nach ihr, je kurzlebiger ihre Zeit ist (ebda.). Um die Definition und Handhabbarmachung der Begriffe ›neu‹ und ›alt‹ bzw. ›neue Mode‹ und ›alte Mode‹ dreht sich die vorliegende Untersuchung, da sie in der Vergangenheit m.E. nicht ausreichend geklärt worden sind11 und sich scheinbar auch im Wandel befinden. Das »dialektische Schauspiel der Mode«, von Benjamin verstanden als Prozess der Abhebung des Neuen vom und aus dem Alten, wird in der Modenschau auf die Spitze getrieben. Daher müssen die Termini ›das Neue‹ und ›das Alte‹ in Bezug auf die Mode neu gedacht werden (vgl. Kapitel IV.). Der britische Psychoanalytiker John Carl Flügel gilt in der Modetheorie als der Erste seines Fachs, der sich in seiner Publikation The Psychology of Clothes 1930 mit Kleidung auseinandergesetzt hat, obwohl er selbst an mehreren Stellen auf bereits existierende Artikel von Kollegen Bezug nimmt, unter anderem von L.W. Flaccus (1906), F.A. Parsons (1920) und Knight Dunlap (1928). Seine Ausführungen12 gründen auf der Annahme, dass die Kleidung, obwohl sie »scheinbar eine unwesentliche Zugabe ist«, »zutiefst unsere Existenz als gesellschaftliche Wesen« prägt (Flügel 1991 [1986], 209). Flügel erkennt, dass Kleider Leute machen, denn »das, was wir tatsächlich sehen und worauf wir reagieren, [ist] nicht der Körper, sondern die Kleidung unserer Mitmenschen. Anhand ihrer Kleidung bilden wir uns, wenn wir ihnen begegnen, unseren ersten Eindruck von ihnen. […] Im Fall eines uns bislang unbekannten Menschen sagt uns die Kleidung, die er trägt, sofort etwas über sein Geschlecht, seinen Beruf, seine Nationalität und seinen gesellschaftlichen Status« (ebda., 208).

11 | Einen Ansatz bietet beispielsweise Ingrid Loschek 2007, der u.a. in Kapitel IV.1 besprochen wird. 12  |  Im Folgenden wird ein ins Deutsche übersetzter und sehr viel später erschienener Auszug von The Psychology of Clothes zur Grundlage gelegt: Flügel 1991 (1986).

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Die Persönlichkeit der Menschen, wie er an gleicher Stelle in Berufung auf die etymologische Wurzel des Begriffes13 betont, kleide sie gleichsam wie eine Maske – insofern sei die Persönlichkeit ein Teil der Kleidung und die Mode ein von der Psychologie ernstzunehmendes Phänomen. Als grundsätzliche Motive der Mode zivilisierter Gesellschaften untersucht Flügel die drei Hauptzwecke Schmuck, Scham und Schutz – wobei er jedoch den Schmuck als »das ausschlaggebende Motiv für die Einführung der Kleidung betrachtet« (ebda., 210). Neben einigen intentionalen Aspekten des Schmucks wie die Hervorhebung und Symbolisierung der Sexualorgane, das Tragen von Trophäen als Erfolgssymbole, das Schmücken zur Einschüchterung oder zur Demonstration eines Ranges oder Berufs, als Zeichen für eine bestimmte regionale oder nationale Zugehörigkeit und zur Zurschaustellung von Reichtum (vgl. Veblen), führt Flügel den Aspekt der Erweiterung des Körper-Ichs besonders aus. Dabei handelt es sich »im wesentlichen um ein psychologisches Motiv, das, sehr vereinfacht ausgedrückt, folgendes bedeutet: Indem Kleidung die offenkundige Größe des Körpers in der einen oder anderen Sache steigert, vermittelt sie uns ein erhöhtes Machtgefühl, ein Gefühl der Erweiterung unseres Körper-Ichs, und zwar letztlich, weil wir mehr Raum auszufüllen vermögen« (ebda., 224).

Der Gedanke der Erweiterung des Trägerkörpers wird gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen im Rahmen der Diskussionen über modische Körper und (Kleider-)Puppen (z.B. Lehnert 1998b), Prothesen, Roboter und Cyborgs (z.B. Müller-Tamm u. Sykora 1999), sowie über das Verhältnis von Mode und Raum (z.B. Lehnert 2001a oder Kühl 2012). Auch in dem vorliegenden Buch ist im Rahmen der Diskussion über die Raumerfahrung in Modenschauen dem modischen Körper als raumfüllendes und raumschaffendes Element ein gesonderter Abschnitt gewidmet (Kap. V.3.2.2). In der Publikation Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß (1999) bringt René König verschiedene Gesichtspunkte der Mode als »soziales Totalphänomen«14 zusammen, denn »[h]ier stoßen in der Tat wirtschaftliche, soziologische, sozialpsychologische, ethnologische, tiefenpsychologische und psychoanalytische, allgemein-ästhetische und kulturanthropologische, 13  |  Das Wort ›Person‹ kommt aus dem mittelhochdeutschen »person(e)«, und stammt vom lateinischen »persona« (=Maske des Schauspielers, der Schauspieler selbst und die von ihm dargestellte Rolle) sowie von dem lateinischen Verb »personare« (=hindurchtönen) ab. Vgl. Eintrag zu ›Person‹ in der Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 21, 237). 14  |  König gebraucht hier einen Begriff, den Marcel Mauss geprägt hat. Nach ihm können soziale Totalphänomene juristischer, wirtschaftlicher, religiöser oder auch ästhetischer Art sein. Bei der Analyse solcher Phänomene werden sie als Ganzes und gleichzeitig als Teil einer Gesellschaft gesehen. Vgl. Krämer 2006, 260.

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biovitale und ethologische Methoden (Tier- und Humanethologie umfassend), endlich auch die Kommunikationstheorie zusammen; denn Mode ist ja auch eine ›Körpersprache‹« (König 1999, 7). Königs Werk basiert auf einer dreißigjährigen Auseinandersetzung mit Mode und einer ständigen Überarbeitung seiner Schriften über sie – die oben genannte letzte Fassung von 1999 resultiert aus einer Kombination des 1958 erschienenen Monumentalbands Die Mode in der menschlichen Gesellschaft (Carl Hanser Verlag) mit den Werken Kleider und Leute. Zur Soziologie der Mode (Fischer, 1967) und Macht und Reiz der Mode (Econ, 1971). Zwischen Flügel und König sind inzwischen knapp 30 Jahre verstrichen und in der Tat scheint die Modetheorie eine Pause gebraucht zu haben: König resümiert in seinen Publikationen wesentliche Aspekte der vorangegangenen Entwicklungen, indem er den die Mode auszeichnenden, verborgenen, höchst komplexen »Mechanismus von Innovation und Experiment« (ebda., 8) skizziert und ihm einen modegeschichtlichen Galoppritt seit den prähistorischen Primitivkulturen zugrunde legt.15 Seine Überlegungen zur Mode basieren auf der folgenden dem Werk in der Einleitung vorangestellten Feststellung: »Es wurde aber bisher nicht annähernd adäquat beachtet, dass sich hinter dem Wechselspiel von Innovation und Experiment noch ein anderer Vorgang verbirgt, nämlich das Problem der Selbstzerstörung der Mode.« (Ebda., 8)

Die Selbstzerstörung als Königs Leitmotiv der Mode macht er an dem Grundproblem fest, »dass jede einmal zur Existenz gelangte Mode, die sich als die adäquate Lösung einer Aufgabe versteht, worin ihre wesentliche subjektive Rechtfertigung, gewissermaßen ihre ›Ideologie‹ liegt, einer zukünftigen Innovation im Grunde im Weg stehen muss, die also auf irgendeine Weise mit einer ständigen Kulturrevolution im kleinen einhergehen muss« (ebda., 8f.). Das Faszinosum der Mode liege in ihrer ununterbrochenen Reflexivität, in ihrer kontinuierlichen Selbstprüfung und immerwährenden Renovierung ihrer selbst. Mit der Charakterisierung der Mode als ihre eigene Totengräberin 15 | Der Galoppritt besteht darin, dass er vier Ausbreitungsstile herausarbeitet, die für bestimmte Epochen der Menschheitsgeschichte typisch sein sollen. Grob eingeteilt bezieht sich der erste Ausbreitungsstil auf die prähistorischen Primitivkulturen und die archaischen Hochkulturen Ägyptens, Persiens, Griechenlands, Roms, aber auch Indiens, Chinas und des Mittleren und Fernen Ostens; der Zweite findet seinen Höhepunkt im europäischen Feudalismus, der dritte Ausbreitungsstil dominiert in der Zeit zwischen der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg, und der vierte von 1918 bis 1985 (vgl. König 1999, 11-27). Zusammenfassend stellt er fest: »Es ist höchst erstaunlich zu sehen, in welchem Ausmaß diese Perioden der Modeentwicklung mit bestimmten geschichtlichen Entwicklungen übereinstimmen und entsprechend durch andere geschichtliche Wechselimpulse unterstrichen werden« (ebda., 40).

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und Geburtshilfe (vgl. ebda., 42) enthüllt König also ein weiteres Paradox, auf dem die Mode basiert. Er nennt diesen Charakterzug den »Doppelaspekt des Entfaltungsprozesses des modischen Bewusstseinssystems«: Der Auf bau des Neuen (einer neuen Botschaft, einer neuen Sprache, d.h. eines neuen Kommunikationssystems ›Mode‹) impliziert gleichzeitig die Negierung bzw. Löschung des Alten (vgl. ebda., 64f.). Das Einzige, was an und in der Mode dauerhaft und konstant ist, sei ihr Wandel, wie auch Elena Esposito 2004 betont.16 Ihr Wandel unterliege einer gewissen sozialen Regelung, die verpflichtend sei – verpflichtend oder zwingend im doppelten Sinne, denn nicht nur der Wechsel sei obligatorisch, sondern auch das Verharren in einer Mode, bis der nächste Wechsel im »modisch richtigen Moment« (ebda., 50) eintrete. Das Verharren begründet König mit der sogenannten Signalzeit: »Da das soziale Geschehen kein mechanischer Prozess, sondern wesentlich vom Denken, Fühlen und Wollen, vor allem aber von der Wahrnehmungsfähigkeit der einzelnen abhängig ist, verfließt regelmäßig eine gewisse ›Signalzeit‹, bis die Menschen ein neuartiges Geschehen aufgenommen, verstanden und in ihren jeweils gegenwärtigen Meinungshaushalt eingeordnet haben. […S]o ist also notwendigerweise der Wandel ganz unmittelbar begleitet von einem Stillhalten, bis der Sinn des Modewandels apperzipiert, ergriffen, gedeutet, und interpretiert sowie manipulierbar und damit schließlich gleichsam ›verdaut‹ ist.« (Ebda., 51)

Die Signalzeit bezeichnet König also als eine Zeit, die eine Mode braucht, um von allen Individuen einer Gesellschaft angenommen zu werden. Damit führt er das von Simmel begründete Modeverständnis fort, das noch bis in die Gegenwart insbesondere durch Kulturanthropologen (wie z.B. Ingrid Loschek 2007) vertreten wurde, nachdem die gesamte Gesellschaft Teil an dem Anerkennungsprozess einer Mode hat.17 M.E. ist diese These heutzutage nicht 16  |  Dort heißt es: »In Wahrheit befindet sich die Mode in ihrer permanenten Produktion von Neuheit auf der Suche nach einer Form von Beständigkeit und legt damit einen ihrer rätselhaftesten Züge frei: eine Art ›Institutionalisierung des Vergänglichen‹, bei der die ständige Veränderung zur einzigen Konstante gerät.« (Esposito 2004, 16) 17  |  So heißt es im Detail: »Die Durchsetzung von Produktinnovationen ist an die Akzeptanz gekoppelt. Sie erfolgen durch einen schrittweisen Verbreitungs- beziehungsweise Anpassungsprozess, den man mit primär (Modeinsider, Freaks) – sekundär (Popstars, Celebrities als Leitfiguren) – tertiär (Beginn der eigentlichen Verbreitung; Szenepublikum und Jugend) – quartär (modebewusste Masse) beschreiben kann« (Loschek 2007, 117). Man könnte diese Einteilung als (recht vereinfachte) Übertragung der Rogers’schen Diffusionsmodells sehen, nachdem sich der Grad der Annahme (»adoption«) von Innovationen glockenförmig in einer Gesellschaft verteilt, wenn auf der x-Achse die Zeit und auf der y-Achse die Anzahl der Personen in Prozent, die eine Innovation angenommen haben, festgehalten wird (vgl. Rogers 2003 [1962], 281).

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mehr haltbar. Wie viele ModetheoretikerInnen insbesondere in Feldstudien herausgearbeitet haben, ist die Existenz eines starken, relativ geschlossenen Spezialistentums, das die Lenkungsgewalt innehat, nicht zu leugnen (z.B. Kawamura 2004 u. 2005; Entwistle 2009 u. 2010; Entwistle u. Wissinger 2012; Leutner 2011). So gibt auch Gertrud Lehnert zu Bedenken: »Die oft vertretene These, dass nur das Mode sei, was von der Mehrheit als solche angenommen und getragen werde, trifft nur dann zu, wenn man die Massenmode als Maßstab setzt, also das eine Ende des Spektrums dessen, was ich als Mode betrachten würde. Je mehr man vom anderen Ende des Spektrums aus argumentiert, also je höher das Niveau der jeweiligen Moden ist und je mehr Mode sich künstlerischen Verfahren annähert, desto weniger Sinn hat eine solche Definition. Sie würde absurderweise Modeschöpfer und Modeschöpferinnen wie Hussein Chalayan oder Rei Kawakubo (zumindest vor ihrer Vermarktung durch H&M) ausschließen.« (Lehnert 2009, 274)

Über den Begriff der Signalzeit und den Überlegungen zum modisch richtigen Moment führt König den Leser zu einer weiteren Eigenschaft der Mode, nämlich zu ihrem Exhibitionismus. Mode sei ein Phänomen, das seine Dynamik nur innerhalb sozialer Strukturen entfalten könne, ja erst durch sie entstehe. Modisches Verhalten mache somit nur in Zusammenhang mit Sich-Zeigen, Gesehen-Werden und Beobachten Sinn, wie in dem folgenden Zitat deutlich wird: »Im Übrigen wird bereits hier begreiflich, dass die Ausbreitung der Mode wesentlich mit dem Vorhandensein eines gewissen Schauplatzes zusammenhängt, auf dem das Neue vorgeführt wird, Schaustellung und Darbietung gehören wesentlich zur Mode mit dazu; und die Verbreitungsweisen der Moden wandeln sich auch mit den verschiedenen Formen der Schaustellung und Darbietung. Eine Mode im geheimen Kämmerlein gibt es nicht; die Mode will immer zur Welt. Sie will sehen und gesehen werden; es haftet ein unbestreitbarer Zug von Exhibitionismus an ihr.« (König 1999, 52)

Zur Schaustellung und Darbietung kultivierte jede Epoche ihren eigenen »besonderen Laufsteg« (ebda.), die Agora und der Markt in der Antike, der Hof und das Theater im Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, seitdem vornehmlich städtische Plätze allergrößter Öffentlichkeit wie Boulevards und Strandpromenaden sowie sportliche Veranstaltungen wie Pferderennen oder Corsos. Abschließend stellt König fest, dass »[g]egenüber diesen Riesenbühnen […] die ›spezialisierten‹ und ›professionellen‹ Modeschauen zweifellos eine geringere Bedeutung [haben], die höchstens für jene Kreise wichtig wird, die als Pioniere der Mode auftreten. Das ›große Publikum‹ sprechen sie aber unmittelbar nicht an« (ebda., 53). Gegen diese Abschwächung der Modenschau als exklusives, und damit scheinbar unbedeutenderes Ereignis wird in der vorliegenden Untersuchung argumentiert und begründet, warum die Modenschau im Gegenteil sogar als Knotenpunkt des Modeprozess fungiert. Selbst wenn sie auf den ersten

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Blick keine sofortige Breitenwirkung entfalten kann, funktioniert sie trotzdem als Zeitraffer für die König’sche Signalzeit – eine Eigenschaft, die König vor allem öffentlichen Festen zurechnet (vgl. ebda., 55) – wenn man unter ihr den Prozess der Verhandlung und Abspeicherung des in der Modenschau erschaffenen Bildes in das Mode-Gedächtnis versteht. Für die Modenschau stellt König noch einige interessante Überlegungen zum Verhältnis von ZuschauerInnen und AkteurInnen an, die auf den regen Austausch mit seinem Freund Herbert Blumer, einem Vertreter des symbolischen Interaktionismus, zurückzuführen sind. In Berufung auf den deutschen Soziologen Alfred Vierkandt spricht König vom »Rollenwechsel zwischen Akteuren und Zuschauern« und meint damit, dass die ZuschauerInnen, die zuvor für die AkteurInnen Beifall geklatscht haben, nun selber die Position der Beklatschten einnehmen und durch Nachahmung zu AkteurInnen werden möchten. Damit stellen die ZuschauerInnen »gewissermaßen die öffentliche Meinung in einer Gruppe dar, die aber – indem sie über die anderen (Akteure) urteilt – gleichzeitig sich selbst bindet; denn das Verhältnis von Zuschauer und Akteur kann jederzeit im Sinne der Gegenseitigkeit des Verhältnisses umgekehrt werden« (vgl. ebda., 127). Scharfsinnig bringt König diese Dynamik mit der allgemeinen des Modewechsels zusammen und erklärt, wie das modische Verhalten als Interaktion zwischen Anwesenden Ursache für die oben genannte Selbstzerstörung der Mode sein kann: »In dieser dauernden Umkehrung des Verhältnisses von Akteuren und Zuschauern geschieht es nämlich sehr bald, dass jeder einer bestimmten Auszeichnung teilhaftig geworden ist, was zugleich bedeutet, dass niemand mehr ausgezeichnet ist. So kann man von hier aus gesehen von einem sozialen Grundverhältnis des Wechselspiels zwischen Akteuren und Zuschauern selber nahegelegten kontinuierlichen Selbstmord der Mode im modischen Wettbewerb sprechen.« (Ebda., 128)

Die allseits diskutierte, teilweise sogar mystifizierte, da verborgene Logik des Modewechsel als Resultat einer Dynamik, die in einer geschlossen, exklusiven Gruppe vonstattengeht, ist ein Grund für die Annahme, dass die Modenschau maßgeblich an der Geburt einer neuen Mode beteiligt ist und nicht erst, wie an manchen Stellen auch König darlegt, im Moment ihrer massenhaften Verbreitung. Mit Nachdruck sei erwähnt, dass die in den folgenden drei Jahrzehnten erschienenen Publikationen von Roland Barthes18, Theodor W. Adorno19, Jean 18  |  Eine zeichentheoretische Analyse über Modekommentare in Zeitschriften wie der Elle, Echo de la Mode, Jardin des Modes und Vogue des Jahrgangs 1958/59 bietet Barthes 2004 (frz. 1967). 19  |  Über das Verhältnis von Mode und Kunst schreibt Adorno in seiner Ästhetischen Theorie 1990 (1970) auf den Seiten 265f., 286f. u. 467ff.

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Baudrillard 20, Richard Sennett 21, Anne Hollander22, Pierre Bourdieu 23, Elisabeth Wilson24, Gilles Lipovetsky25, Ingrid Loschek26 und Jennifer Craik27 ohne 20  |  Über die Zeichenhaftigkeit der Mode und die ständige Wiederaufnahme von Elementen alter Moden schreibt Baudrillard 1982 (frz. 1976) auf den Seiten 131-152. 21 | Das 19. Jahrhundert ist laut Sennett von einem Verfall der öffentlichen Sphäre durch die Ausweitung des privaten Bereichs geprägt. Da Kleider nicht mehr (wie in Zeiten der Kleiderordnungen) eindeutig lesbar sind, beruhen Identitätsbildungen (u.a.) auf selbstdarstellerischen (modischen) Inszenierungen Einzelner auf der Straße (zugespitzt im Phänomen des Dandytums) und der Herausbildung von sich ständig wechselnden Kleidercodes. Vgl. Sennett 1983 (engl. 1977), insb. S. 85ff. und 187ff. 22  |  Anhand von Kunstwerken seit der Antike arbeitet Hollander (1978) den Einfluss der zeittypischen Kleidung auf die Darstellung von Körpern und Silhouetten heraus. 23  |  Über Geschmacksbildungen als Produkt von Sozialisierungen und der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Feldern, über die Herausbildung von Lebensstilen und über Mode als Mittel der sozialen Distinktion schreibt Bourdieu 1987 (frz. 1979) insb. auf den Seiten 367ff. 24  |  Aus feministischer Sicht zeichnet Wilson (1989 [engl. 1985]) die Entwicklung der Mode in Wechselwirkung mit der Industrialisierung, Kapitalisierung und Modernität nach. 25 | Der französische Philosoph Gilles Lipovetsky untersucht in L’Empire de l’éphémère 2002 (frz. 1987) das Verhältnis der Demokratisierung der westlichen Gesellschaften zur Verbreitung und Bedeutung der Mode in ihnen. Beginnend mit der Feststellung, dass das Phänomen der Mode als integraler und konstitutiver Bestandteil moderner westlicher Gesellschaften wesentlich zum Verständnis ihrer heutigen individualistischen und demokratischen Grundzüge beiträgt, plädiert er dafür, dass es genau deswegen in den Wissenschaften stärker untersucht werden soll. Das Prinzip der Mode, egal in welchem Bereich (denn unter Mode subsumiert er nicht nur Kleider-Mode), sei die Leidenschaft für das Ephemere und für die Neuheit sowie die Ablehnung des Traditionellen und Gleichbleibenden. Über eine Zeitspanne von 2000 Jahren zeigt Lipovetsky, wie die Entwicklung der Kleidermode von einem Privileg der Oberklasse zu einem Instrument sozialen Ausdrucks parallel zum Bedeutungswachstum demokratischer Werte verläuft. In den modernen Demokratien sei die Mode als Phänomen der Massenkultur nun nicht Ursache von Nivellierungsprozessen und der Unterdrückung individueller Kreativität, sondern fördere gerade die Freiheit und den Individualisierungsdrang der Menschen. Ein besonderer Charakterzug der Mode sei ihre Fähigkeit, oberflächliche Beziehungen zwischen Individuen durch die Trivialisierung von Lust und Begierde zu schaffen. Diese unpersönliche soziale Struktur führe dazu, dass ein idealer Rahmen für gegenseitige Toleranz, für die Reduktion von Konflikten und die Förderung sozialer Integration geschaffen wird. Mode fungiere, so Lipovetsky, infolgedessen als Bewahrer des sozialen Friedens in demokratischen Gesellschaften. 26  |  Loschek (1991) leistet eine kulturanthropologische Aufarbeitung des Phänomens Mode über die Jahrhunderte. 27  |  Craik (1993) bespricht Mode, Schmuck und Make-up als Körpertechniken.

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Zweifel wertvolle Beiträge zu einer Modetheorie leisten, jedoch hier keine Berücksichtigung finden, da sie keine wesentlichen Aspekte zu einer Theorie der Modenschau beisteuern. Die in den jeweiligen Fußnoten mal länger, mal kürzer skizzierten Forschungsschwerpunkte dienen einer Übersicht. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken bietet neue Ansätze für die Modetheorie. Zentral in ihrem Buch Mode nach der Mode. Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts von 1993 ist die Untersuchung der Mode, die sie in zwei Phasen einteilt: die »mode de cent ans«28, die bis in die Siebziger des 20. Jahrhunderts reicht, und die Mode danach: »Ich nenne es die Mode nach der Mode. Mit den siebziger Jahren ist die mode de cent ans, die von Worth bis Saint Laurent reichte, zu Ende gegangen. Als Mode der Moderne fand sie in Schiaparelli und Chanel ihre Höhepunkte. 1981 markiert das Pariser défilé von Comme des Garcons spektakulär das Ende einer alten und den Anfang einer neuen Ära.« (Vinken 1993, 33; kursiv i.O.)

Zu Beginn der Ära der »mode de cent ans« (um 1860) »entstehen drei Phänomene fast gleichzeitig – eine neue ästhetische Doktrin: l’art pour l’art; ein neuer Typus Mann: der Dandy; eine neue Form der Schöpfung: der Modeschöpfer wird autonom« (Vinken 1993, 25; kursiv i.O.). Der als erster autonomer Modeschöpfer gefeierte Charles Frederick Worth parodiere wie alle seine Nachfolger dieser Ära »die Rolle des absolutistischen Herrschers. Auf ihn fällt der Schatten des Adels und dessen Korrelat: das der Unmännlichkeit« (ebda., 28). Die hundertjährige Ära werde von dem Bestreben bestimmt, die Dandymode des Mannes für die Frau zu entwerfen und finde nach der Erfindung des Damensmokings von Yves Saint Laurent schließlich in den 1970er Jahren ihren Abschlusspunkt (vgl. ebda., 29). Die Mode der »cent ans« ist also davon geprägt, mittels Kleider »über Kleider und über die Verrückung der in Kleidern etablierten Geschlechtsgrenzen« zu diskutieren. Seit den siebziger Jahren verlagerte sich diese »transgressive Potenz« von der Haute Couture auf das Prêt-à-porter (vgl. ebda., 25). In der neuen Ära, eingeläutet von der ›Invasion‹ japanischen Designs in Paris (vgl. Kawamura 2004), wird die alte zum »Inbegriff des Unmodernen, die ihre Nachfolger nicht heimzusuchen aufhört in Verkleidungen ihrer Klassen-und Geschlechterstereotypen« (Vinken 1993, 34). Neben den Neuerungen, die konkreten ModeschöpferInnen angerechnet werden können und die Vinken in dem zweiten Teil ihres Buches ausführt, zeichne sich die »Mode nach der Mode« als Koproduktion zwischen den DesignerInnen und den TrägerInnen aus. Die Mode 28 | Hierbei lässt sich eine Parallele zu Lipovetskys grober Einteilung der Modegeschichte aufzeigen. Er unterscheidet nämlich zwischen der »aristokratischen Epoche« (frühes Mittelalter – ca. 1850), der »hundertjährigen Mode« (ca. 1850-1950), der Epoche der »Offenen mode« (ca. 1950-1980) und der »Vollendeten Mode« (seit ca. 1980).

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werde seit den Siebzigern nicht mehr »von der Aristokratie oder Bourgeoisie lanciert, um langsam nach unten zu sinken; sie steigt vielmehr von der Straße in die Salons der haute couture auf, wird von ihr adaptiert und ihrerseits nachgeahmt« (ebda., 59; kursiv i.O.) – ein Trend, der heutzutage beispielsweise in den Eigendesigns von Adidas-Schuhen auf der Homepage von Adidas kulminiert29. Ein weiteres Charakteristikum der »Mode nach der Mode« sei die Offenlegung ihrer inneren Struktur, nämlich die des Fetisches. Während zuvor in der hundertjährigen Ära immer danach gesucht wurde, den wahren, »fetischistischen Kern des Begehrens« (ebda., 41) durch immer andere Kleider neu zu verhüllen, spielen die DesignerInnen nun in der neuen Ära direkt mit ihm – man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die Korsage mit Kegelkörbchen von Jean Paul Gaultier für Madonna im Jahre 1990. Die Konstruktion von Geschlechtern, die Selbstinszenierung und -stilisierung lag nun in den Händen der Träger selbst. Wichtig war dabei, die so konstruierte Individualität und Identität als Produkt der Zivilisation zur Schau zu stellen und nicht als etwas Naturgegebenes (vgl. ebda., 61). Ein letztes Unterscheidungsmerkmal zwischen der »mode de cent ans« und der »Mode nach der Mode« stellt das Verhältnis von Mode und Zeit dar: »Bestand die bestimmende Struktur der mode de cent ans darin, vergessene Moden zyklisch wiederzubeleben, so tendiert die Mode nach der Mode dazu, Zeit als die Dauer zu ihrem Stoff zu machen, in der dieser verschleißt: in der der Stoff sich verfärbt, in der er ausgewaschen wird, in der er die Spuren der in ihn investierten Arbeit trägt, in der andere Körper sich in ihn einprägen.« (Ebda., 65; kursiv i.O.)

Zentral ist hier das postmoderne Verfahren der Sichtbar- und Kenntlichmachung des Reflexionsprozesses. Während in der alten Ära vergangene Moden wiederbelebt wurden, dieser Vorgang jedoch nicht offensichtlich reflektiert, sondern als Neuheit inszeniert wurde, wird nun Zeitlichkeit und Vergänglichkeit in das Kleidungsstück eingeschrieben und zum Thema gemacht.30 Vinken fasst zusammen: 29  |  Vgl. www.adidas.de/personalisieren, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 30  |  Ein drastisches Beispiel hierfür ist die Ausstellung von Martin Margiela im Museum Boijmans van Beuningen (Rotterdam) mit dem Titel »9/4/1615« im Jahre 1997, in der Kleider vergangener Kollektionen mit Bakterienkulturen versehen wurden, die die Textilien im Verlaufe des Ausstellungszeitraums zersetzten. Die Selbstzerstörung als zwingender Effekt des Modephänomens wird hier ad absurdum geführt. Auf der anderen Seite schafft Margiela jedoch eine Art Revitalisierung des Materials, indem er durch das Wirken der Bakterien seinen Einfluss auf das Textil über die eigentliche Schaffung hinaus verlängert – die Kleidung erhält ein Eigenleben. Als Lebewesen wiederum parodiert das Kleidungsstück seine Qualität als Erweiterung des Körpers und als den Körper schützende, zweite Haut, denn sie stellt in ihrer Dysfunktionalität eine Erkrankungsgefahr für den Menschen dar.

II. Moden beschauen »Es ist up to date, dezidiert nicht mehr up to date zu sein. Es ist an der Zeit, ›Zeit‹ mitzutragen – eine Zeit, die nicht das hektisch herbeigebrachte Neue, auch nicht mehr das vermißte Alte, sondern ein vergessenes Anderes, Fremdes ist.« (Ebda., 67; kursiv i.O.)

Das Eintreten japanischen Designs und anderer dekonstruktivistischer Entwürfe westlicher DesignerInnen in das Pariser Modesystem stellte die zuvor geltende Haute Couture in Frage. Vinken nahm diese Umwälzungen zum Anlass, über Änderungen in den Inventionstechniken der DesignerInnen nachzudenken. Sie wird oftmals so interpretiert, dass die »Mode nach der Mode« nur noch Kommentare über vergangene Moden seien. In diesem Buch wird Vinken so verstanden, dass (lediglich) die Zitierweise seit den 1970/80ern eine offensichtlichere und problematisierendere geworden ist. Die vorliegende Untersuchung zielt ebenfalls auf Inventionsstrategien von DesignerInnen ab, die sich, so die These, mittlerweile aus einer Art Resignation heraus vom Kleid gelöst haben. Untersuchungsgegenstand ist, wenn man Vinken folgen mag, die ›Mode nach der Mode nach der Mode‹, die sich nicht mehr leisten kann, nur noch alte Moden zu zitieren, zu kombinieren, zu dekonstruieren etc., sondern ihre Neuheit in anderen Bereichen (nämlich in der Inszenierung der Modenschau) behaupten muss. Diese aus einer ›Bredouille‹ resultierende Strategie wird jedoch als Übergangsmodell gesehen, als Behelfslösung, denn es wird eine neue Etappe kommen, in der womöglich die Technisierung und Multifunktionalisierung der Textilien im Zentrum der Modeinvention steht. Noch bedienen sich Haute Couture und Prêt-à-porter nicht dieser Neuerungen – dazu fehlen hinreichende, interdisziplinäre Strukturen. Zur selben Zeit begann die Literaturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert sich der Rolle der Mode als Mittel zur Konstruktion von Geschlechtsidentität und zur Inszenierung von Weiblichkeit zu widmen. Seit ihrer Habilitation (1994) zieht sich ein roter Faden durch ihre Publikationen, in denen sie sich schwerpunktmäßig mit der gesellschaftlichen Position der Frau in der Literatur, Mode und Malerei beschäftigt. Über die Genderstudies (und insbesondere über den 1990 präsentierten, richtungsweisenden Ansatz von Judith Butler31) 31  |  Den Ansatz von Butler bespricht Lehnert wie folgt: »Ganz gängig ist auch die Meinung, Mode drücke den Menschen aus – sein wahres Wesen ebenso wie seinen wirklichen Körper. Manche Modefirmen (wie Jil Sander oder Donna Karan) gründen ihren Erfolg gerade auf solchen Versprechungen. Das ist ein paradoxes Versprechen, denn Identität – und damit auch Geschlechtsidentität – ist ihrer Inszenierung nicht vorgängig, sondern konstituiert sich in Serien performativer Akte (vgl. Butler 1990). […] Judith Butler [stellt] in Gender Trouble (1990) die inzwischen weithin bekannte und für die Gender Studies bahnbrechende These auf, das ›natürliche Geschlecht‹ (sex) sei nicht die Ursache, sondern die Folge des sozialen Geschlechts bzw. der Geschlechtsidenti-

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eröffnete sie sich den Zugang zur Modetheorie und prägte diese nachhaltig durch Publikationen über die Modegeschichte, über das Verhältnis von Gender und Kleid, Körper und Kleid, Raum und Mode, Malerei/Kunst und Mode sowie über das Phänomen der ›Supermodels‹. Lehnert bietet für dieses Buch neben historischem Material über die Geschichte der Modenschau (vor allem Lehnert 1996) auch das Grundverständnis von Mode als performative Handlung im sozialen Kontext, was unter anderem auf den allgemeinen »performative turn« in den Kulturwissenschaften in den 1990er Jahren, sowie damit verbunden auf Lehnerts Geschäftsleitung des Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« an der Freien Universität Berlin zwischen 1999 und 2002 zurückzuführen ist. Die Theorie des Performativen auf die Mode zu übertragen32 hob die deutsche Modetheorie wieder in den Vordergrund der globalen Modetheorie, die seit den 1990ern immer mehr von britischen und amerikanischen WissenschaftlerInnen dominiert wird. Im folgenden Zitat kommt der Grundgedanke einer ›Mode-Performanztheorie‹, wie sie hier behelfsmäßig genannt werden soll, zur Sprache, nämlich der, dass Kleidung erst dann zu Mode wird, wenn sie von Menschen verhandelt wird – durch ein ihr (und allen anderen kulturellen Artefakten) inhärentes »performatives Potential«, welches zu Handlungen und Interpretationen führen kann: »Unter ›Performativität‹ verstehe ich die Prozesshaftigkeit kultureller Phänomene; die Inszenierung von Formen, Farben, Bewegungen im Hier und Jetzt, das Erzeugen und das Verschieben von Bedeutungen in und durch solche Inszenierungen, kurz: ein produktives und rezeptives Tun. Performativ ist also unser Umgang mit der Mode; die Kleidung selbst ist nicht performativ: Denn sie kann nicht handeln. Ihr performatives Potential besteht darin, dass sie Handlung und Bedeutungszuweisungen zu provozieren vermag und so Medium der Inszenierung bzw. der Selbstinszenierung ist. Sie benötigt die Inszenierung (im Alltag, auf dem Laufsteg, im Foto etc.) um überhaupt zur Mode zu werden; umgekehrt ist Mode unabdingbarer Bestandteil unserer alltäglichen Performances. […] Auf dieser Prämisse kann Mode im Sinne von Kleidern verstanden werden als eines der tät (gender). Sie beschreibt ›Geschlecht‹ als eine Serie performativer Akte, die überhaupt erst hervorbringen, was wir als ›Natur‹ zu sehen gelernt haben. Geschlecht wird demnach inszeniert, re-inszeniert, und jede Re-Inszenierung variiert ein wenig, so dass keine Re-Inszenierung mit einer andern Inszenierung vollständig identisch ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass man sein Geschlecht wechseln könnte wie ein Kleid: Butler differenziert später, Performanz sei ein ›tiefverwurzeltes‹ psychisches Spiel und mithin keineswegs beliebige, jederzeit revidierbare Entscheidung des Subjekts (Butler 1996).« Aus: Lehnert 2003, 215f.; kursiv i.O. Im Zitat Verweis auf: Butler 1996, 15-37. 32  |  Dieses Vorhaben formuliert sie in Lehnert 2002, 54. Das theoretische Fundament ihrer modewissenschaftlichen Forschungen pointiert Lehnert in der hier leider nicht mehr berücksichtigten Monografie Lehnert 2013.

II. Moden beschauen wesentlichen Medien unserer kreativen Weltaneignung, Weltwahrnehmung und Weltgestaltung; Mode im Sinne unseres Umgangs mit Kleidung ist Vollzug, Inszenierung, Spiel, theatrales Ereignis. Mit Hilfe der Mode situieren und re-situieren wir uns – und sei es noch so flüchtig – einerseits sozial, als Individuen in einer Gemeinschaft, aber auch ästhetisch als Formen im Raum […] und in der Zeit. Denn Mode bedeutet immer eine Ästhetisierung unserer Lebenswelt und natürlich unserer selbst. Ohne Zweifel: Mode ist ein soziales Phänomen, sie ist außerdem ein Konsumprodukt, das marktwirtschaftlichen Gesetzen gehorcht: Aber: Sie ist darüber hinaus ein ästhetisches Phänomen, dessen Bedeutung man für unsere Alltagsgestaltung nicht unterschätzen sollte.« (Lehnert 2003, S. 216f.; kursiv i.O.)

Die letztgenannte Aufforderung, Mode (auch) als ästhetisches Phänomen oder, wie sie später sagt, ästhetische Praxis bzw. ästhetische Arbeit durch Verkörperung (vgl. Lehnert 2008, 92f.) zu begreifen, vertieft Lehnert in ihren neueren Publikationen. In Berufung auf den Atmosphärenbegriff von Gernot Böhme bedeutet ästhetische Arbeit die Produktion von Atmosphären und daher konstatiert Lehnert: »Mode, ganz gleich auf welcher Ebene ihrer Aufführung (auf dem Laufsteg, in einer Modezeitschrift, im Alltag), funktioniert vornehmlich über bzw. als die Erzeugung von Atmosphären.« (Lehnert 2008, 92; kursiv i.O.)

Wie bereits mehrfach angedeutet, wird hier untersucht, inwiefern Invention in Modenschauen dargeboten werden kann, wenn sie nicht durch die Gestaltung des Kleides selbst präsentiert werden kann. Der Leitgedanke dabei ist, die Invention als performatives Ereignis – also als ein Ereignis, in der Kleidung zu Mode verhandelt wird – zu verstehen, das trotz seiner Ephemeralität als der Kleidung anzuheftendes Bild festgehalten wird. Die Auseinandersetzung mit Atmosphären wird insofern relevant sein, da sie in Modenschauen bewusst erzeugt werden, um die Kleider mit einer Aura aufzuladen, sie gewissermaßen in eine Stimmung einzuhüllen. Zu guter Letzt werden noch vier Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland angeführt, die aus der gegenwärtigen Modetheorie ebenfalls nicht wegzudenken sind. Die britische Soziologin Joanne Entwistle betrat das modetheoretische Forschungsfeld mit ihrer im Jahre 2000 publizierten Dissertation mit dem Titel The Fashioned Body: Fashion and Dress in Modern Social Theory. In ihren ersten Untersuchungen und Publikationen erarbeitete sich Entwistle ein Theoriegerüst für eine Soziologie des bekleideten Körpers als kulturelle Praxis. Basierend auf den philosophischen und soziologischen Werken von Foucault, Mauss, Merleau-Ponty, Goffman und Bourdieu kombinierte sie modetheoretische mit körpertheoretischen Ansätzen – dabei konstatierte sie, dass »body and dress operate dialectically: dress works on the body, imbuing it with

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social meaning while the body is a dynamic field which gives life and fullness to dress« (Entwistle 2001, 36). Sie argumentiert, dass Mode nur als Ergebnis des Zusammenspiels sozialer Faktoren und individueller Handlungen verstanden werden kann und affirmiert damit den Einzug der Theorie des Performativen in die britische Modetheorie, der mit den feministischen Arbeiten von Elisabeth Wilson (z.B. 1989 [engl. 1985]) bereits begonnen hatte. Um den bekleideten Körper zu definieren müsse man, so schlägt Entwistle vor, diskursive Aspekte der Mode mit den individuellen Erfahrungen verbinden, die man mit ihr als ein Instrument der Positionierung in sozialen Gefügen sammeln kann. Das bedeutet, dass Mode nicht eine passive, sondern eine aktiv produzierte Erscheinung ist: Die Erschaffung des bekleideten Körpers resultiert aus persönlichen Aktionen und Routinen und gleichzeitig sind diese das Ergebnis von Verkörperung – Mode und Praxis interagieren also kontinuierlich miteinander (vgl. Entwistle 2001, 45). In neueren, größtenteils empirisch belegten Studien analysiert Entwistle die Modewirtschaft als ein kohärentes System – so bediente sie sich in The aesthetic economy: Markets in clothing and fashion modelling (2009) neuer soziologischer Theorien über Wirtschaftsmärkte und Netzwerke um die Prozesse und Kalküle aufzudecken, die die Modemaschinerie in Gang halten. Ihr Ziel ist es, darzulegen, wie innerhalb dieser Maschinerie ästhetische Produkte definiert, verteilt und bewertet werden. In ihrem Artikel »Global flows, local encounters: Spatializing tacit aesthetic knowledge in high fashion« (2010) wendet sie ihre zuvor entwickelte KleiderKörper-Theorie an, um zu erklären wie ästhetisches Wissen global verbreitet wird. Sie zeigt auf, dass dieses spezielle Wissen an den Körper gekoppelt ist und es daher zugleich lokal und global operiert, denn die AkteurInnen der Modewelt wechseln ständig von einer Modemetropole zur nächsten. Modewissen, oder auch das sogenannte »Modekapital«, sei »tacit in form, in that it is uncodified and experiential knowledge garnered from being inside the field; embodied, in that it is worn on the body; and aesthetic, in that it concerns the ability to translate fashion knowledge into a suitably fashionable style and demeanour.« (Entwistle 2010, 11; kursiv i.O.)

Entwistle berücksichtigt auch die Modenschauen als den Schauplatz, an dem Models, Booker, JournalistInnen und EinkäuferInnen aufeinander treffen – dies ist der Ort, an dem das Wissen am dichtesten ist und ausgetauscht wird. Eventuell ist das Wissen um das Neue der Mode, das auf den Modenschauen präsentiert wird (werden soll), also auch ein Wissen, das an Körper gekoppelt ist, und zwar nicht nur an die Körper der defilierenden Models, sondern auch an die Körper aller anderen Beteiligten. Dieser Aspekt und der damit verbundene des Mode-Gedächtnisses als epistemologisches Konstrukt soll, neben anderen, im Verlaufe des Buches diskutiert werden.

II. Moden beschauen

Die britische Kunstwissenschaftlerin Caroline Evans kann als Koryphäe der Modenschautheorie gesehen werden; sie soll hier nur kurz vorgestellt und im folgenden Kapitel näher beleuchtet werden, sowie im Kapitel III.1 zur Modenschaugeschichte. Wie Entwistle lehrt sie an der University of the Arts in London, allerdings nicht an der London College of Fashion, sondern an der Central Saint Martins College of Arts and Design. An beiden Schulen versammeln sich mittlerweile namhafte ModehistorikerInnen, -kuratorInnen und -theoretikerInnen33, sodass England, auch in Verbindung mit der Londoner Fashion Week und dem Oxforder Verlag Berg34 zum Zentrum der Modewissenschaft avanciert ist. Während Evans erste Publikation über Women & fashion (Evans u. Thornton 1989) noch von einer feministischen Sicht geprägt war, beschäftigte sie sich zehn Jahre später verstärkt mit Theorien von Walter Benjamin, Georg Simmel, Karl Marx und Charles Baudelaire und verfasste einige Artikel über einschlägige DesignerInnen wie Elsa Schiaparelli, Martin Margiela und Alexander McQueen, was in der Veröffentlichung ihres bisher erfolgreichsten Buches Fashion at the Edge (2003) kulminierte. Darin bespricht sie experimentelle Moden und ihre Präsentationen in der Fotografie und auf Modenschauen seit den 1990er Jahren im Hinblick auf ihre Fähigkeit, die Pathologien unserer Kultur widerzuspiegeln, die von Verfremdung und Nihilismus charakterisiert seien. Die avantgardistische Mode, vor allem vertreten durch Alexander McQueen, Hussein Chalayan und Martin Margiela35, fungiere als »a form of catharsis, perhaps a form of mourning. Perhaps it is a coping stratagem, a way of both articulating and containing trauma« (Evans 2003, 308). In den letzten knapp zehn Jahren beschäftigte sich Evans in vielen Artikeln mit der Entstehung der Modenschau in Amerika und Frankreich und untersuchte die Rolle der DesignerInnen bei der Institutionalisierung des Modelberufs.36 Ihre Spezialisierung auf diesen Bereich sicherte ihr die Position an der Spitze der Modenschauforschung (wenn man von einer solchen sprechen kann), wie im folgenden Kapitel dargelegt werden soll. 33  |  An der CSM beispielsweise Nathalie Khan und Alistair O’Neill, and der LFC Pamela Church Gibson, Amy de la Haye, Agnès Rocamora und einst Christopher Breward, um nur einige zu nennen. 34 | Berg versteht sich als Verlag für Publikationen zur visuellen Kultur. Im Modebereich stechen insbesondere die Journale Fashion Theory (seit 1997; hg. v. Valerie Steele) und Fashion Practice (seit 2009; hg. v. Sandy Black und Marilyn DeLong) hervor. 35  |  Als ein entscheidendes Beispiel für eins der »dunklen« Leitmotive der Avantgarde-Mode, für den Verfall, bringt Evans etwa die zuvor besprochene Ausstellung von Martin Margiela 1997 in Rotterdam an (vgl. Fußnote 30 in diesem Kapitel). 36 | Ihre Forschungen zur Modenschau wurden in Evans 2013 gebündelt. Diese Publikation konnte aufgrund der gleichzeitigen Fertigstellung dieses Buches leider nicht berücksichtigt werden.

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Die italienische Politikwissenschaftlerin, Philosophin und Soziologin Elena Esposito beschäftigte sich in ihrer Monographie Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode (2004) und einigen Artikeln (z.B. 2011) erstmals mit der Mode aus systemtheoretischer Sicht37. Im Schutze des »Scheins des Banalen« (Esposito 2004, 9) spiegele die Mode alle klassischen Paradoxien moderner Individualität wider: Menschen versuchen individuell zu sein, indem und obwohl sie andere, die einzigartig und authentisch zu sein scheinen, nachahmen (»the imitation of the refusal of imitation«; Esposito 2011, 609). Die Nachahmenden halten sich trotz ihres Verhaltens für originell, obwohl sie sich einem Konsens anschließen. Außerdem empfinden sie das Transitorische und Ephemere der Mode als verbindlich, was sie zur Spontaneität zwingt – und selbst die, die sich der Mode erwehren wollen, beziehen sich in ihrer Gegenwehr doch auf die Mode und erkennen ihre Macht implizit an. Der Mode Paradoxität gipfele darin, dass sie »in dem Moment, in dem Abweichung zur Normalität wird, […] ihr Wesen ein[büßt]; sie kann ihre Identität nur bewahren, wenn sie ins Extreme getrieben wird« (Esposito 2004, 16). Esposito resümiert, dass die Rationalität der Mode in der Produktion und Gebrauch von Irrationalitäten liegt – eine weitere Paradoxie (vgl. Esposito 2011, 604). Um diese Komplexität der (auch ineinander greifenden) Paradoxien zu fassen, nähert sich Esposito der Mode mithilfe der von ihrem Mentor Niklas Luhmann geprägten Theorie sozialer Systeme. Ausschlaggebend für die Herausbildung der Mode sei der Umbruch zur Moderne, der durch den Übergang von der Stratifikation zu einer Differenzierung in Funktionssystemen sowie durch die Erfindung des Buchdrucks geprägt sei und zur Folge habe, dass Individuen nun in einer unstabilen Welt aufgrund fehlender Strukturen dazu gezwungen seien, sich selbst und andere zu beobachten und Perspektivenwechsel zu erlernen. Die zuvor geltende Sachdimension (Bezug auf die Dinge selbst) mache nun zunehmend einer Sozialdimension (perspektivische Beobachtung der Dinge) Platz, die jedoch auch Allianzen, »moderne Symbiosen«, wie die Mode, hervorrufen können. Mode sei in dem Sinne »eine semantische Lösung, die das Problem des Einbruchs von Kontingenz und zugleich die Notwendigkeit, Formen der Kontrolle auszubilden, erbt und reflektiert. […] Noch bevor die Einförmigkeit der Abweichung offensichtlich zutage tritt, ändert sich schon die Richtung und erscheint wiederum neu, anders und abweichend, bis zur nächsten Neuheit. Auf diese Weise greift die soziale Unbestimmtheit auf die Zeitdimension zurück, die aber genauso unbestimmt ist und ihrerseits auf die Sozialität zurückgreift, um ihre Paradoxien zu neutralisieren.« (Esposito 2004, 27)

37  |  Dadurch angestoßen folgten Publikationen anderer AutorInnen aus ähnlicher Perspektive, z.B. Loschek 2007, Schmidt 2007 und Schiermer 2010.

II. Moden beschauen

Esposito beobachtet, dass sich die Menschen der Paradoxien der Mode durchaus bewusst seien, sie aber als unproblematisch einstufen. Das liege daran, dass sich die Paradoxien gegenseitig neutralisieren. Zum Beispiel löse die Verbindlichkeit des Vorübergehenden das Paradox der Normalität des Originellen: Bevor wir merken, dass wir in unserer Originalität gar nicht originell sind, sondern dass jede/r andere sich mit denselben Verhaltensweisen originell rühmt, ändere sich die Mode und das Dilemma löse sich von selbst (vgl. Esposito 2011, 610). Esposito pointiert die Überlegungen über die Dualismen und Paradoxien der Mode, die von Garve und Simmel erkannt wurden, findet neue und bringt sie alle in einen Bezug zueinander. Für die vorliegende Untersuchung zur Modenschau, die als ephemeres und performatives Ereignis definiert wird, ist die Idee der Stabilität und Institutionalisierung des Instabilen und Transitorischen essentiell. Die Obsession der modernen Gesellschaft mit dem Neuen führt so weit, dass man nicht nur das Neue mag, sondern nur noch das Neue mag, was sich, so Esposito, überall niederschlägt – in der Kunst, in der Mode, sogar in der Wissenschaft (vgl. Esposito 2011, 607). Die Besonderheit in der Mode sei, dass man das Neue (nur) deswegen so leichtfertig herbeiwünschen und akzeptieren könne, weil man sich sicher sein kann, dass es bald wieder durch das nächste Neue abgelöst wird. Dabei sei dieser Reformzwang keine Schwäche des Systems, sondern als »Reformwille« (ebda., 608) der Garant für seine Lebensfähigkeit. Der Reformwille schlage sich auch in der ständigen Reform der Modenschauen nieder, was hier insbesondere im Zusammenhang mit den ritualtheoretischen Perspektiven auf das Neue verfolgt wird (Kapitel IV.2 und V.3.5). Dieses Kapitel abschließen soll die japanische Soziologin Yuniya Kawamura, die Mode als ganzheitliches System aller Institutionen, Organisationen, Gruppen, Individuen, Events und Praktiken versteht, die auf eine »Modekultur« Einfluss haben. Ausgehend von einer empirischen Untersuchung, wie die japanische Mode die Pariser Modewelt revolutionierte (Kawamura 2004), skizziert sie in ihrer theoriegeleiteten Publikation Fashion-ology (2005) die Stadt Paris als den Prototyp eines solchen Systems, das 1868 durch die Gründung der Chambre Syndicale de la Confection et de la Couture pour Dames et Fillettes (heute unter dem Namen Chambre Syndicale de la Haute Couture Bestandteil der Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-porter des Couturiers et des Créateurs de Mode38) erschaffen wurde und später für andere Modemetropolen Vor38 | Die Fédération besteht seit 1973 aus den drei Institutionen: Chambre Syndicale de la Haute Couture, Chambre Syndicale du Prêt-à-porter des Couturiers et des Créateurs de Mode und Chambre Syndicale de la Mode Masculine. Die Gründung 1868 geht auf eine Initiative von Worth zurück zur Bekämpfung von Raubkopien, vgl. Parmal 2006, 68. – Einen Überblick über die Geschichte der französischen Institutionen, die die Modenschauen koordinieren, findet man bei Grumbach 2007.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

bild sein sollte. Kawamura konstatiert, dass modische Objekte einen Prozess der Transformation durchlaufen müssen, an dem die im System versammelten Institutionen und AkteurInnen alle auf ihre Weise teilhaben, um als Mode gekennzeichnet zu werden (dies geschieht bevor das Produkt die KonsumentInnen erreicht). Damit argumentiert sie gegen den Mythos, dass kreative DesignerInnen Genies seien, denen das Neue – einer Eingebung gleich – in den Sinn komme: »Creativity, I argue, is a legitimation and a labeling process. One is not born creative but one becomes, that is, one is identified as, creative.« (Kawamura 2005, 60)

Sie erklärt, dass Mode nicht von einem einzelnen Individuum erschaffen werden kann, sondern eine kollektive Aktivität am und um das Produkt herum ist: »Fashion is not visual clothing but is the invisible elements included in clothing.« (Ebda. 2005, 4)

Das hat zur Folge, dass nur die Inhalte (also die Kleider) ständig wechseln, Mode jedoch als Form immer gleich abläuft, wenn man diese als Etikettierungsprozess versteht (vgl. ebda., 6). Die eigentliche kreative Aufgabe der DesignerInnen ist die Perfektionierung ihres Images: »Today’s designers place the strongest emphasis in recreating and reproducing their image, and the image that is projected through clothing is reflected on the designer’s personal image as an individual.« (Ebda., 35)

Kawamura unterscheidet zwischen der Kleidung als materiellem Produkt und der Mode als immaterieller Zuschreibung – demnach gäbe es auch analog dazu zum einen eine Kleiderproduktion und zum anderen eine Modeproduktion, die die Idee der Mode hervorbringt (vgl. ebda., 50). Daran habe auch die Modenschau teil, die im Gesamtzusammenhang des Systems gesehen werden müsse: Sie wird dazu gebraucht, die AkteurInnen zu versammeln, die an der Produktion und Distribution der materiellen Kleidung und der Mode als Idee beteiligt sind. Ihre Anwesenheit und Mitgestaltung werte die Kleidung zur Mode auf: »One of the purposes of fashion shows is to show new styles to journalists, editors and buyers. But the unintended consequence of those events is that the site of mobilization confirms that that is where fashion emerges from. That contributes to adding value to clothing and transforming it into fashion although this happens only in people’s minds.« (Ebda., 41)

II. Moden beschauen

Auch in der vorliegenden Untersuchung wird Mode als eine Idee gesehen, die getrennt von der Kleidung produziert wird. Das Neue als Indiz der Mode, als das Etikett, das der Kleidung angehaftet werden kann, ist immateriell und kann mithilfe von Inszenierungsstrategien in der Modenschau erschaffen werden. Während Kawamura die Modenschau als ein Rad im Gesamtgefüge des Aushandlungsprozesses sieht, wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Modenschau als sein Motor verstanden, ohne den sich alle anderen Räder nicht bewegen würden. Am Ende dieses Kapitels angelangt lassen sich folgende Ideen zusammenfassen: Garve, von Ihering, Simmel und Esposito skizzierten die Paradoxien der Mode (auch Mechanismen, Dualismen, Prinzipien, Motor genannt), allen voran die Nachahmung durch Differenzierung, die Verbindlichkeit des Vorübergehenden und der Tod der Mode im Moment ihrer Konsolidierung (hier auch König). Baudelaire konstatiert die Teilung des Schönen in die zwei Elemente des Ewigen und des Veränderlichen, wobei das Letztere als glänzender Überfluss in der Moderne wichtiger wird als das Erstere – ein perfektes Sinnbild für die Modenschau, die die Kleidung mit ihrem ästhetischen Überschuss versieht. Damit verbunden werden kann Benjamin, der erstmals die zentrale Frage nach der Definition des Neuen und des Alten auf bringt. Als dialektisches Schauspiel der Mode hebt sich das Neue von dem Alten ab; die Modenschau stellt für diesen Prozess ein wichtiges Instrument dar, da hier die Abhebung direkt und in komprimierter Form vor Augen geführt wird. Auf Vinken verweisend würde hier die ›Mode nach der Mode nach der Mode‹ untersucht werden, deren Neuheit nicht mehr an ihrer Expressivität von Rückbesinnung und/oder Zeitlichkeit festzumachen ist (so Vinken in den 1990ern), sondern an ihrem ›ästhetischen Überfluss‹ – an der Modenschau. Das Neue der Mode entsteht durch die Inszenierungsstrategien der Modenschau als Atmosphären nutzendes und produzierendes Ereignis, in dem Mode zu Kleidung verhandelt wird (performativer Ansatz von Lehnert). In ihr wird nicht nur die Kleidung als Produkt der Kleiderproduktion vorgeführt, sondern auch das immaterielle Neue als Produkt der Modeproduktion (vgl. Kawamura). Veblens Erklärungsansätze provozieren die interessante Frage, ob die defilierenden Models für die ZuschauerInnen demonstrativ und stellvertretend konsumieren, was durch das Prinzip des Rollenwechsels von König bestärkt werden könnte. Flügel und Entwistle geben weitere Denkanstöße zum Mode tragenden Körper: Während Flügel Kleidung als Erweiterung des Körper-Ichs sieht, was in Modenschauen zu neuartigen, teilweise absurden oder skulpturalen Modekörpern führen kann, sieht Entwistle den Körper nicht nur als Kleider prägende und von Kleidern geprägter Träger, sondern verortet in ihm auch das Wissen um (das Neue der) Mode. Sombart kritisiert das Modediktat, das von einer kleinen, umsatzorientierten Unternehmerelite angegeben wird. Dagegen wird in diesem Buch argumentiert: Es herrscht kein Diktat (mehr), sondern viele Vorschläge, die

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

ratifiziert werden müssen – wenn auch von einem relativ konstanten Spezialistentum, das eine Art ›oligarchische‹ Machtposition innehat. Von der Macht einer solchen geschlossenen Gruppe spricht auch der Soziologe Peter Braham: »In other words, we may need to distinguish between the rather narrow conception that fashion is determined solely by the prestige of a social elite and the apparently more sophisticated view that fashion is generally determined by a relatively small number of ›players‹ who really count a small group of fashion designers, a larger group of fashion buyers, those publicists and editors who inform the ›fashion concious‹ about the direction that fashion is taking, as well as a small minority of fashion consumers […].« (Braham 1997, 142)

Ähnlich argumentiert Kawamura, indem sie die Etikettierung einer Kleidung als Mode als einen Prozess sieht, an dem viele Institutionen und AkteurInnen teilhaben. Dies führt zu einer flexiblen Modekultur, die Esposito durch den sog. »Reformwillen« charakterisiert, der sich auch in der kontinuierlichen Veränderung des Modenschaudesigns manifestiert. Evans geht sogar so weit, zu sagen, dass avantgardistische Modenschauen eine Form der Kontingenzbewältigung im ausklingenden 20. Jahrhundert darstellen würden. Es dürfte evident geworden sein, mit welch einer Bandbreite von Zugängen zur Mode hier umgegangen werden muss. Der fruchtbarste Zugang erscheint derjenige zu sein, nach einer Erklärung zu suchen, wie Modenschauen Neues hervorbringen können, da das Neue das ist, was Kleidung als Mode etikettiert. Die Modenschau ist der Ort, an dem diese Etikettierung stattfindet.

1.2 Theorien der Modenschau Nachdem die ›allgemeine‹ Modetheorie nach nützlichen Ansätzen untersucht wurde, soll nun auf die Monografien und Artikel eingegangen werden, die sich dezidiert mit Modenschauen beschäftigen. Hier gilt es, in der fach- und populärwissenschaftlichen Literatur einige thematische Unterscheidungen zu machen: so zwischen Literatur über die Geschichte der Modenschau (a), über die Kategorisierungen von Modenschauen (b), die Positionierung der Modenschau innerhalb des »fashion system« (c), über die Modenschau als Raum der Produktion und Kommunikation von Bildern, Ideen, Werten und Wissen (d), über die Modenschau als massenmediales Spektakel (e), als theatrale Aufführung/Performance (f), über das Verhältnis von Kunst und Mode in der Modenschau (g), über die Verbindung von Modenschauen und Ausstellungen (h), über Posen und Bewegungen in der Modenschau (i) sowie über die Modenschauen spezifischer DesignerInnen (j). Abschließend wird ein Überblick über angekündigte Publikationen bzw. Publikationen in Arbeit gegeben.

II. Moden beschauen

(a) Die Geschichte der Modenschau Die Geschichte der Modenschau lässt sich anhand von einigen wenigen Monografien, mehreren Artikeln sowie vier Ausstellungskatalogen rekonstruieren. Die Publikationen unterscheiden sich insofern, als sie entweder die gesamte Geschichte zu skizzieren versuchen, sich auf die Anfänge der Modenschau oder auf die modernen und zeitgenössischen Modenschauen konzentrieren.39  Gesamte

Geschichte:

Gertrud Lehnert (1996) und Harriet Quick (1997) zeichnen in ihren Monografien die Ursprünge der Modenschau anhand der Rekonstruktion der Geschichte des Modelberufs nach. Dabei fächern sie mehrere Zugänge zum Phänomen des Models auf, die teilweise kausal zusammenhängen: so z.B. über den Beruf der Malermuse und später der Modelle für die Modeillustrationen und Modefotografien in den frühen Modejournalen, über die Modepuppen, über die ersten Vorführdamen in den Ateliers sowie über die Schauspielerinnen und Damen der Gesellschaft Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts.40 Pamela A. Parmal (2006) und Didier Grumbach (2006) umreißen die Geschichte der französischen Modeindustrie aus institutioneller Perspektive in einem Katalog zur Ausstellung »Fashion Show: Paris Collection 2006«41. In zwei weiteren Ausstellungskatalogen, die die Wanderausstellung »Showtime. Le défilé de mode«42 bzw. »Fashion show. Les desfilades de moda« 43 begleitend erschienen sind, gibt Didier Grumbach (2007) wiederholt einen Überblick und untersucht Sylvie Lécallier (2007) die Entwicklung der fotografischen Berichterstattung über Modenschauen der vergangenen Jahrzehnte. Anne Zazzo (2007) bietet eine chronologische Übersicht aller wichtigen Ereignisse in Bezug auf die Pariser Modenschauen von 1870 bis 2006. Schließlich gibt ein Artikel von Pamela Golbin (2009) in einem Katalog anlässlich der Ausstellung »Catwalks. Die

39  |  Mit modernen Modenschauen sind die Präsentationen seit dem ersten Paradigmenwechsel in den 1960er Jahren gemeint, mit zeitgenössischen die seit dem zweiten Paradigmenwechsel Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Vgl. Begriffsklärungen in Kap. II.2.2 und die Nachzeichnung der Modenschaugeschichte in Kap. III.1 und III.2. 40  |  Einen knappen Rundumschlag um die Geschichte des Models gibt derweil Morgan 2006. 41 | Museum of Fine Arts, Boston, 12.11.2006-18.3.2007. 42 | Musée Galliera, Paris, 3.3.-30.7.2006. 43 | Museu Tèxtil i d’Indumentària, Barcelona, 6.7.-28.10.2007.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

spektakulärsten Modeschauen der Welt«44 einen Überblick über die Modenschaugeschichte anhand zentraler ModedesignerInnen und Models.  Konzentration

auf die Anfänge der Modenschau:

Joel H. Kaplan und Sheila Stowell (1994) weisen die theatralen Formen früherer Modenschauen beispielsweise bei Lady Lucy Duff Gordon auf, die als sogenannte »fashion plays« in die Literatur eingingen. Darauf auf bauend interessiert sich Caroline Evans in zahlreichen Publikationen (2001a, 2005, 2007, 2008, 2010, 2011 u. 2013) für die ersten Modenschauen in Frankreich und den USA von 1900-1920 (dabei insbesondere für die Initiativen der Designer Paul Poiret und Jean Patou) sowie für die Parallelen zur aufkommenden Kinematografie. Nancy L. Troy (2002, 2004 u. 2010) fokussiert sich in ihrem Buch und den daraus resultierenden Artikeln auf die Modenschauen und Theaterbeteiligungen von Paul Poiret und auf die Probleme des Urheberrechts im Modedesign Anfang des 20. Jahrhunderts. Brunhilde Dähn (1968) und Mila Ganeva (2008, 2009 u. 2013) zeichnen die Berliner Konfektionsmode und ihre Präsentationsformen seit ca. 1850 nach.45 Florence Brachet-Champsaur (2006) gibt eine übergreifende Zusammenfassung der Modenschauen in Warenhäusern von den Anfängen bis in die 1960er Jahre.  Konzentration

auf moderne und zeitgenössische Modenschauen:

Lydia Kamitsis (2009) konzentriert sich in ihrem Artikel auf die Modenschauen seit den 1960er Jahren, wo sie einen Wendepunkt festmacht. Anhand ausgesuchter DesignerInnen, die für einen Wandel von einer für die Haute Couture typischen Modenschau hin zu einem künstlerischen Happening oder einer Performance verantwortlich seien, erzählt sie die Modenschaugeschichte bis zur Gegenwart (2009) nach. Ihre Prognose für die Zukunft ist, dass sich Modenschauen wieder zurückentwickeln werden zu einem intimen und exklusiven Ereignis, bei dem die Mode wieder im Zentrum der Präsentation steht und nicht die Präsentationsform selbst (vgl. Kamitsis 2009, 101). Weitere Autorinnen, wie Caroline Evans, Ginger Gregg Duggan und Nathalie Khan, beschäftigen sich mit den Modenschauen der letzten 20 Jahre. Da diese Publikationen jedoch danach streben, Kategorien zu bilden, in denen die DesignerInnen und ihre Shows eingeordnet werden können, werden sie im Folgenden in (b) Kategorisierungen von Modenschauen näher besprochen. Es sei darauf 44 | NRW-Forum, Düsseldorf, 26.07.-01.11.2009. In der Ausstellung wurden einschlägige Modenschauen dergestalt nachgebaut, dass die Besucher in diesen Rauminstallationen das Defilee der Models nachempfinden konnten. 45  |  Eine Dissertation von Marie Helbing (Universität Dortmund) mit dem Titel »Mode für die Massen. Die Modenschauen der Berliner Konfektion, 1902-1936« (AT) ist in Arbeit.

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hingewiesen, dass auch das vorliegende Buch einen Abriss der Modenschaugeschichte (Kapitel III.1) sowie eine Skizzierung der Entwicklungen seit den 1980er Jahren (Kapitel III.2) anbietet.

(b) Kategorisierungen von Modenschauen Die Beschreibungen moderner und zeitgenössischer Modenschauen gehen interessanterweise mit den Versuchen einher, sie zu kategorisieren. Caroline Evans (2003) untersucht die Modedesigns seit den späten 1980er Jahren als auch ihre Präsentation in der Modenschau und Repräsentation in der Fotografie dahingehend, inwiefern sie Bilder produzieren, die die Ängste unserer westlichen Gesellschaft vor Tod, Trauma und Exil wiederspiegeln, verarbeiten und kommentieren. Dafür macht sie die zwölf Kapitel (und Kategorien) »history«, »haunting«, »spectacle«, »phantasmagoria«, »glamour«, »cruelty«, »deathliness«, »disconnection«, »trauma«, »dereliction«, »exploration« und »modernity« auf, die der Charakterisierung der Designs und Bilder dienen. Dabei könne die Mode eines Designers oder einer Designerin mehreren Kategorien zugeordnet werden. Die Kategorisierung bezieht sich einerseits auf einzelne Entwürfe von DesignerInnen, andererseits auf die Bildsprache, die der jeweilige Künstler in dem Moment (der Modenschau oder der Fotoproduktion) gewählt hat. Wie Evans betont, bieten die ermittelten »dunklen Motive« nicht nur Raum zur Reflektion, sondern auch für Sinn- und Identitätsstiftungen in unserer schnelllebigen und unsicheren Zeit. Evans räumt der Mode damit einen zentralen Platz in den Maßnahmen zur postmodernen, westlichen Problembewältigung ein.46 In Hinblick auf eine zu beobachtende Annährung zwischen Modenschauen und künstlerischen Performances bietet Ginger Gregg Duggan (2001) fünf Kategorien (»spectacle«, »substance«, »science«, »structure« und »statement«) an, die eine Einteilung der Modenschauen seit den 1990ern ermöglicht sowie ihre Ähnlichkeit mit Performances erklärt.47 Typisch für »spectacles« seien Modenschauen, die einem bestimmten Thema untergeordnet sind und für dessen Realisierung alle möglichen Parameter einer Modenschau (Wahl der Location, Modelwahl, Entwicklung von Narrativen und die Gestaltung des Finales) abgestimmt werden. DesignerInnen dieser Shows scheuen keine Kosten – Gregg Duggan spricht von Ausgaben bis zu fünf Millionen im Fall von 46  |  Vgl. diesbezüglich die Publikation von Matthias Sellmann (2002b), der ebenfalls von der Mode als Form der Kontingenzbewältigung spricht. 47  |  Interessanterweise gab es zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Gregg Duggans Artikel eine Ausstellung mit dem Titel »Beyond the Catwalk« im Bellevue Art Museum in Seattle (USA) von April bis September 2003, die genau diese Kategorien für die Ausstellungsgestaltung benutzte.

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Chanel oder Dior – und sehen die Modenschau als zentrales Marketinginstrument an. »Substance«-Shows seien einem abstrakteren Thema bzw. dem übergeordneten Konzept der Kollektion oder des Modehauses gewidmet. Die DesignerInnen, wie Viktor & Rolf oder Hussein Chalayan, setzen ihre anti-narrativen Modenschauen nicht vornehmlich als Marketingtool ein, sondern sehen sie eher als unabdingbare Events, bei denen die Ideen des Hauses mithilfe der Kleidung vermittelt werden können. »Science«-Modenschauen dienen der Kundgebung des Interesses der DesignerInnen (z.B. Yunya Watanabe oder Issey Miyake) an neuen Technologien. Die Bühne sei dabei Experimentallabor, in dem die Funktionen der Textilien überprüft und vorgeführt werden können. Die Kategorie »structure« umfasse Modenschauen, in denen das Konzept des Designs über die Form des Kleidungsstückes kommuniziert wird. Dabei entstünden oft, wie bei Martin Margiela oder Rei Kawakubo, Raumskulpturen, die nicht tragbar sind, sondern von Kuratoren für Sammlungen aufgekauft werden. »Statement«-Modenschauen böten Kommentare zu sozialen oder politischen Missständen, die entweder über die Kleidung oder über die Manipulation bestimmter Showelemente (z.B. Wahl von ungewöhnlichen Models) tradiert werden. Nathalie Khan (2000) unternimmt einen ähnlichen Versuch und ermittelt anhand der Shows der drei Designer Alexander McQueen, Hussein Chalayan und Martin Margiela drei Zuschreibungen, anhand derer sie neue Tendenzen der Modenschaugestaltung seit den 1990er Jahren skizziert. McQueen steht dabei für den »emotional catwalk« (die ZuschauerInnen sollen bewegt oder sogar aufgewühlt werden), Chalayan für den »runway of ideas« (vergleichbar mit Gregg Duggans »substance«) und Margiela für »new realities« (als eine Art Antibewegung gegen den sonst so gepflegten Glamour der Modewelt). In aktuelleren Publikationen (z.B. 2012) beschäftigt sich Khan mit dem aufkommenden Trend unter DesignerInnen und ModefotografInnen, sog. »fashion short films« zu produzieren und wirft die Frage auf, ob diese Filme Modenschauen ersetzen könnten.48

48  |  Neben Khan beschäftigt sich auch Sabina Muriale an der Akademie der Bildenden Künste in Wien mit »fashion short films« in ihrer Dissertation mit dem Arbeitstitel »Modepräsentationen im digitalen Zeitalter – Vom Catwalk zum Netwalk«. In diesem Zusammenhang sollte auch auf zwei Publikationen von Gunnar Schmidt (2013 u. 2014) hingewiesen werden, der sich ebenfalls mit digitalen Modekörpern beschäftigt.

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(c) Die Positionierung der Modenschau innerhalb des »fashion system« Über das »fashion system«, also den Versuch, die (westliche) Modewirtschaft im Allgemeinen zu umreißen und ihre Mechanismen aufzuzeigen, gibt es einige Veröffentlichungen, allen voran die bereits besprochene Monografie von Yuniya Kawamura Fashion-ology (2005), zudem eine Publikation von Angela McRobbie (1998) und ein Artikel von Petra Leutner (2011)49. Die Modenschau spielt dabei als eine unter vielen Marketingstrategien keine zentrale Rolle. Der Fokus dieser Publikationen liegt eher darauf, allen Institutionen und Unternehmen (wie den »fashion councils«, z.B. der Chambre Syndicale, Modefachschulen, Luxusgüterkonzernen etc.), den Events und einzelnen AkteurInnen (wie den DesignerInnen, JournalistInnen, EinkäuferInnen usw.) eine Position im System zuzuordnen sowie die Interaktionen zwischen ihnen aufzudecken. Kawamura beispielsweise ordnet die Modenschau folgendermaßen ein: »The fashion show is a tool of retailing with one basic purpose, that is to sell merchandise. The show must have entertainment value to hold the audience’s attention. Another reason for a show might be public relations. […] Fashion shows have been particulary important for fashion dissemination.« (Kawamura 2005, 84f.)

Angela McRobbie räumt den Modenschauen eine größere Bedeutung ein als die der Verbreitung und Verkaufsbeschleunigung von Mode, wenn sie schreibt, dass sie (auch) dazu da sind, größere Ideen zu schaffen, die allein durch die Mode, die dann zum Verkauf zur Verfügung steht, nicht vermittelt werden können: »This implies that ›designer fashion‹ provides striking ideas on the catwalk which are too avant garde for the street, but which stimulate interest and gain publicity for the industry and, by extension, the country as a whole fashion design is a kind of spectacle, a form of entertainment which connects with the world of pop music, show business and celebrity culture and which keeps the public interest in fashion alive […].« (McRobbie 1998, 69)

Erhellend sind weiterhin die Publikationen, die dem Inventionsprozess der DesignerInnen auf den Grund gehen möchten, indem sie die einzelnen Produktionsschritte und Marketingstrategien eines Modehauses untersuchen. Zum einen gibt es Anleitungen in Bücher- und Artikelform, die in der Praxis zur Planung und Durchführung von Modenschauen behilflich sein sollen. Zwar sind diese Publikationen (Guerin 1987 u. 2005; Everett u. Swanson 2004; Camps 2007 u. Vilaseca 2010) nicht wissenschaftlicher Qualität, jedoch 49 | Dieser Text wird allerdings unter g) Das Verhältnis von Kunst und Mode in der Modenschau besprochen.

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geben sie Aufschluss über die Parameter, die bei einer Modenschau berücksichtigt werden müssen (von den Terminen der Modewochen bis hin zu Tipps für die Locationsuche, Show-Gestaltung, Budget, Technik, Teamarbeit, Public Relations etc.), sowie Rahmendaten zur aktuellen (wirtschaftlichen) Situation der einzelnen Modemetropolen. Zum anderen gibt es auch Publikationen, die diese Prozesse und Mechanismen eher auf theoretischer Ebene untersuchen und herausarbeiten, wie eine neue Mode entsteht. Dies tun beispielsweise Ingrid Loschek (2007), Annette Lynch und Mitchell Strauss (2007) und Veronika Haberler (2012). Diese Publikationen werden in aller Ausführlichkeit in Kapitel IV.1 »Das Neue in der Modetheorie und -geschichte« besprochen.

(d) Die Modenschau als Raum der Produktion und Kommunikation von Bildern, Ideen, Werten und Wissen Näher kommen wir der Bedeutung der Modenschau erst, wenn wir den »striking ideas«, von denen McRobbie gesprochen hat, auf die Spur zu kommen versuchen. Mit Ideen können Bilder gemeint sein, die eine neue Ästhetik, bestimmte Werte, Identitäten oder epistemische Inhalte vermitteln und/oder Emotionen und Erinnerungen hervorrufen sollen. Caroline Evans (2000) definiert die Modenschau der letzten zwanzig Jahre als modernes Spektakel, in dem Mode im Zuge der Medialisierung nicht mehr nur als Objekt, sondern als »image« – also als Bild 50 – zugänglich gemacht wird. Nachfolgend soll dieser Artikel etwas ausführlicher besprochen werden, weil es sich hier um den recht seltenen Fall handelt, dass in einer Publikation die Modenschau und eine bildbegriffliche Diskussion zusammengebracht werden, was auch für die vorliegende Untersuchung von großer Relevanz ist (vgl. Kapitel VI. »Kopplung 50 | Die Übersetzung von engl. »image« als Bild ist nicht selbstverständlich. Gernot Böhme unterscheidet beispielsweise beim Bild zwischen Bilddingen (entspricht seiner Meinung nach dem frz. »tableau«) und Bildnissen (entspricht frz. »image«). Bilddinge sind materielle Bilder, also Fotografien auf Papier oder Malereien auf der Leinwand. Bildnisse sind das, was auf bzw. in den Bilddingen zu sehen ist (vgl. Böhme 2010, 211). Evans folgende Spezifikationen zum Bild beziehen sich mal auf das Bildnis, mal auf das Bildding. Daher wird hier ihr Gebrauch von engl. »image« als Oberbegriff von Bildnissen und Bilddingen verstanden. – In den letzten Jahren beschäftigten sich auch andere WissenschaftlerInnen in den sog. »visual studies« mit der Differenzierung der Begriffe Bild, Bildlichkeit, Visualisierung, Sichtbarkeit, Diagramm, Schriftbild usw. Hier sei auf die Arbeiten des DFG-Graduiertenkollegs »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens« hingewiesen, die sich alle aus unterschiedlichen Disziplinen und Blickwinkeln mit Formen der Visualisierung und/oder visuellen Denkens beschäftigen. Forschungsprogramm und Projekte sind einzusehen unter: www.sichtbarkeit-sichtbarmachung.de, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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des immateriellen Neuen an die Kleidung«). Beginnend mit dem auch diesem Buch voranstehenden Zitat des Designerduos Viktor & Rolf, »fashion doesn’t have to be something people wear, fashion is also an image«, lenkt Evans den Blick auf Mode als Bild, wobei sie eine Fülle von Bildtypen aufmacht: »Like all the designers discussed below, I have privileged visual over verbal communication in my references to fashion images as, variously, emblems, ›thought-images‹, hieroglyphs, and, citing Benjamin, ›dialectical images‹. The exploration of fashion as a ›dialectical image‹ is the central crux of my argument, for it is intended to serve not only as an interpretative tool but also to offer a meta-narrative of the operations of fashion today through the process of historically referencing it. The way in which the fashion object mutated into an image in the last ten years of the twentieth century gives us an insight into how the industry works, and the focus on the image does not occlude ›the real‹ so much as recontextualise that ›the real‹ is in digital culture.« (Evans 2000, 94)

Der Fokus auf die Mode als Bild resultiert nach Evans aus einer Verlagerung des Warenfetischismus des Objekts (hier verweist sie auf Marx) hin zur Fetischisierung der Repräsentation des Objekts, also zu seinem Bild seit dem späten 20. Jahrhundert (vgl. ebda.). Damit ist also nicht nur gesagt, dass das Bild nun fetischisiert wird, sondern dass das Bild auch die eigentliche Ware ist: »From its existence primarily as an object, the fashion commodity has evolved into a mutant form with the capacity to insert itself into a wider network of signs, operating simultaneously in many registers. Whereas it used to exist as, for example, a dress, which preceded its single represenation in the form of an advertisement or fashion photograph, it is now frequently disembodied and deterritorialised. As such, it can proliferate in many more forms, within a larger network of relations: as image, as cultural capital, as consumer goods, as fetish, art exhibition, item on breakfast television, show invitation, or collectable magazine. […] Modern fashion is part of a network of themes, ideas and motifs that spread, viruslike, by contact with and colonisation of their subjects.« (Ebda., 96)

Wenn das Verständnis von Mode als Bild mit einer Entfernung vom eigentlichen materiellen Kleid einhergeht und das Bild sogar zur Ware wird, wie Evans hier proklamiert, könnte die These gewagt werden, dass das Bild, das in der Modenschau erzeugt wird, das Neue, also Mode ist. Mit Mode als Bild meint Evans nämlich, dass das Bild die Mode repräsentiert oder ihr Stellvertreter ist. Man könnte jedoch weitergehen und sagen: Bild ersetzt Mode oder gar Bild ist Mode. Evans kommt schließlich auch auf die Modenschau zu sprechen: »Thus, in the technological and information revolution of the late twentieth century, the role of image in fashion shifted. No longer mere respresentation, the image frequently

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode became the commodity itself, in the form of exclusive fashion shows, Internet web sites, television programmes and a new kind of fashion magazine, such as Tank, Purple and Visionaire. New media and increased fashion coverage made previously elite fashion accessible to a mass audience, but only as image, never as object. Throughout the 1990s the fashion show as a genre became increasingly spectacular, sometimes seeming to have evolved into pure performance in the extravagant shows of designers like Alexander McQueen and John Galliano, evoking Susan Sontag’s claim that ›a society becomes »modern« when one of its chief activities is producing and consuming images‹. For the public, it became possible to acquire a high degree of familiarity with such contemporary fashions, even a kind of ›ownership‹ of them, through the power of the image. […T] he spectacle, far from simply seducing us visually, has become a regime, or practice, through which we are ›fashioned‹ as modern subjects.« (Ebda., 97)

Interessant ist der Gedankengang, dass der Massenkonsum der in der Modenschau produzierten Bilder für die EndkonsumentInnen zu einem Ersatz für den Kleiderkauf geworden ist. Der Konsum von Bildern könnte hier als Finden, Ansehen, Verhandeln, Interpretieren, Nachdenken über, Vergleichen, Abspeichern, Zeigen und (Ver-)Kaufen von Bildern durch ProduzentInnen und RezipientInnen verstanden werden. Diese Überlegung könnte die Hypothese bestätigen, dass die Modenschau-Atmosphäre in einem Bild konserviert wird, welches von den SpezialistInnen verhandelt und abgespeichert wird. Die Zuschreibung der Kleidung als die neue Mode erfolgt dann, wenn das Bild in Abgleich mit den bereits abgespeicherten Bildern im kollektiven Mode-Gedächtnis als neu erscheint, im Sinne von ›bisher noch nicht so gesehen‹. Die Modenschau als Spektakel fungiert als »Regime«, d.h. als Ordnungsgefüge, als Machtinstitution, als Handlungsanweisung, die neue Moden hervorbringt und die ZuschauerInnen ›mode-rnisiert‹. Es stellt sich die Frage, auf welchen Bildbegriff Evans hier genau rekurriert. Ihre Verweise reichen von Renaissance-Emblemen über Denkbilder, Hieroglyphen, Traumbilder, Metaphern bis hin zu Benjamins dialektischen Bildern, welche sie tiefer diskutiert: »As such, fashion is a paradigm of a mutated commodity form in a society of the spectacle in transition. The new, and still evolving, visual economy in which fashion operates feeds on instability and alteration, always the difining characteristics of fashion. Now, however, those characteristics typify the modern world, not just fashion, so that it becomes an emblem of modernity itself. In this it functions as what Walter Benjamin called a dialectical image.« (Ebda., 102)

Diese dialektischen Bilder, so führt sie fort, basieren nicht auf dem einfachen Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern funktionieren als eine Art kinematografische Montagetechnik, um eine dritte Bedeutung bei der Gegenüberstellung zweier Bilder zu erschaffen. Benjamin nennt diese Be-

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ziehung zweier Bilder dialektisch: Die Motive der Vergangenheit und die der Gegenwart funktionieren als These und Antithese und bilden in ihrer Kombination eine Synthese. So sagt Evans: »[…C]ontemporary fashion images are bearers of meaning and, as such, stretch simultaneously back to the past and forward into the future. Not just as documents or records but fertile primary sources, they can generate new ideas and meanings and themselves carry discourse into the future, so that they take their place in a chain of meaning, or a relay of signifiers, rather than being an end product of linear history. In other words, images are a cultural archive which can be raided to make sense of the present.« (Ebda., 107)

Evans fasst zusammen, dass das Konzept des dialektischen Bildes von Benjamin nicht nur als hermeneutisches Werkzeug zur Interpretation von Modedesign dient, sondern erklärt, wie dieses Design dazu verhelfen kann, den Problemen, die aus unserer zeitgenössischen Gesellschaft und Kultur resultieren, Sinn zu verleihen (vgl. ebda., 108). Kurz gefasst ist das Bild für Evans ein Mittel der Bewältigung von Problemen, die aus einer kapitalistischen Gesellschaft heraus entstehen und uns seit den 1990ern heimsuchen (vgl. ebda., 102 u. Evans 2003). Der Aufsatz von Evans erweist sich als fruchtbar, was die Bedeutung der Modenschau für die Produktion und Konsumption von Bildern angeht, jedoch nicht in Bezug auf die Annäherung an einen geeigneten Bildbegriff (vgl. daher Kapitel II.2.2 »Handhabbarmachung grundsätzlicher Begrifflichkeiten« und VI.1 »Die Erzeugung eines synoptischen, synästhetischen Bildes«). Neben der Modenschau als Produzentin und Vermittlerin von Bildern ist auch die Zirkulation von Wissen durch die Modenschau untersuchenswert. Joanne Entwistle (2004, 2009 u. 2010; mit Wissinger 2006 u. 2012) und Ashley Mears (2011a51) haben in zahlreichen Publikationen Körper im Blick, die Träger und Vermittler von Informationen verschiedener Art sind. Entwistles Interesse liegt dabei in der Produktion und Verbreitung des sog. »tacit aesthetic knowledge«. Die Besonderheit des »tacit aesthetic knowledge« ist, dass es an den Körper gebunden, d.h. verkörpert (»embodied«) ist und durch die Bewegung der Körper im Raum und in der Welt in Umlauf kommt: »To calculate inside a market, one must know something about it. […] Knowledge is about making sense, but in aesthetic markets like fashion, sense-making engages noncognitive abilities rather than cognitive and rational forms of economic knowledge […]. It is partly sensual knowledge, formed through sensual encounters with the material objects themselves in marketplace experience, and it is embodied since this knowledge is 51 | Diese Publikation setzt sich u.a. aus den folgenden Artikeln zusammen: Mears 2008, 2009, 2010, 2011b. Vgl. des Weiteren Mears u. Finley 2005.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode performed on the body. Aesthetic knowledge is difficult to verbalize precisely because it is largely tacit in nature.« (Entwistle 2009, 13)

Als zentrales Beispiel für eine Art des »tacit aesthetic knowledge« bespricht Entwistle an vielen Stellen die Herausbildung von »the look«, also die Popularisierung eines spezifischen Modeltyps, welcher wie eine Ware im Model-Business verhandelt und verkauft wird und Einfluss auf die prominente Auffassung von Schönheit hat (z.B. Entwistle u. Slater 2012). Nach Entwistle ist die Modenschau dazu da, die Kleider in einem ästhetischen Umfeld zu präsentieren. Modenschauen rufen durch das Anbieten von Bildern Sinneseindrücke und Emotionen hervor, die als Konglomerat den ästhetischen Wert ausmachen, der in dem sonst von kognitiven Prozessen und ökonomischer Rationalität geprägten Markt nicht entstehen könne (vgl. Entwistle 2009, 134). Dass die Modenschau kein Verkaufsinstrument sei, macht Entwistle daran fest, dass die EinkäuferInnen im Showroom der DesignerInnen vor oder nach der Show ihre Bestellungen aufgeben, unabhängig von der Modenschau, die sie aber dennoch besuchen. Der Besuch habe folgenden Grund, wie Entwistle ausführt: »Shows are promotional events, serving to promote the designer and the brand/label, but the event itself is also much more than this: a show attempts to weave meanings and associations around the clothes, albeit ambiguous ones. According to the buyers, shows help them contextualize or make sense of the individual items and the designer’s ›vision‹ for the collection, since shows are often organized in terms of a ›concept‹ or theme for the season that is then carried through to the shop floor.« (Entwistle 2009, 134)

Die Modenschau als reines Marketinginstrument zur Imagepflege der DesignerInnen zu sehen, greift zu kurz; die Funktion der Modenschau als ästhetische Kontextualisierung von Kleidung m.E. ebenfalls. Die Mode wird nicht nur durch die Modenschau kontextualisiert, sondern die Modenschau ist konstitutiv für die Hervorbringung von Kleidung als die neue Mode. Das ehemalige Model und die jetzige Soziologin Ashley Mears beschäftigt sich in Anlehnung an und Zusammenarbeit mit Entwistle ebenfalls mit dem Entstehen von und dem Geschäft mit den »looks«. Sie seien nicht nur an physischen Attributen eines Menschen festzumachen, sondern »the flexible outcomes of social processes, in which bookers and clients attempt to assign objective value to a symbolic product« (Mears 2011b, 156). Wie Geschlechter und Schönheit sei also auch der gefragte »look« des Modelbusiness sozial konstruiert und verhandelbar und zusätzlich von Unvorhersehbarkeit und Flüchtigkeit gezeichnet, wie alle Werte und Güter, die in der Modeindustrie entstehen (vgl. ebda., 157). Der Preis, den Models mit ihren »looks« erzielen, sei erst einmal

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abhängig davon, ob sie im Bereich des »commercial«-Business (Werbung, TVSpots, Modekataloge usw.) oder im »editorial«-Business (Magazin-Cover, Modenschauen usw.) arbeiten. Je nach Zuordnung sei ihr Wert ein Ergebnis des Zusammenspiels von Prestige und Profit. Die Arbeit im »editorial«-Business beispielweise bringe ein hohes Prestige für die Models, die BookerInnen und die Agentur, aber verhältnismäßig wenig Geld ein. Dennoch sei die Annahme solcher Jobs maßgeblich für die Erzielung höherer Gagen auf lange Sicht und für die Durchsetzung des spezifischen »looks«. Als Konsequenz dieser Aushandlungsprozesse, in denen insbesondere die BookerInnen und AuftraggeberInnen ihre Hände im Spiel haben, sieht Mears die schwierige Auseinandersetzung der betroffenen Models mit dem ständigen Beobachtetwerden und mit der stetigen Unsicherheit über die Kriterien der Fremdurteile. Ihnen zum Trotz müssen Models ihrem zugeordneten »look« treu bleiben, oder sich ggf. neu erfinden (d.h. den »look« wechseln), um sich langfristig auf dem Markt interessant zu machen. Dies bewerkstelligen sie durch Disziplin, körperliche Arbeit und die sogenannte »emotional labour«. Unter dieser emotionalen Arbeit versteht Mears den Umgang mit dem eigenen Körper als verkäufliche Ware, den gleichzeitigen Einsatz von »personality«, um die KundInnen mit einer »strategic friendliness« zu überzeugen, sowie die Fähigkeit, mit Kritik und Ablehnung umgehen zu können – eine ständige Gratwanderung zwischen Authentizität und Selbstvermarktung also (vgl. Mears u. Finley 2005, 335ff.). Mears gibt zu bedenken, dass diese Zuschreibungen gerade im Teenage-Alter großen Einfluss auf die Konstruktion von (Geschlechts-)Identität üben (vgl. insb. Mears 2008). Die Modenschau spielt bei Mears’ Untersuchungen neben anderen Schauplätzen wie den Casting-Räumen der DesignerInnen, den Büros der Modelagenturen etc. insofern eine Rolle, als sie die AkteurInnen, die zu der Formierung des »looks« der Models und des Rufs der Agenturen beitragen, an einem Ort zusammenbringt und diese so auf sich aufmerksam machen können: »When it comes to the catwalk, agents, like the designers they service, don’t expect to see profits immediately. Agencies don’t put much stock in catwalk revenues. One agent in London explained, ›London Fashion Week takes a lot of effort but represents less than 1 percent of my sales‹. The shows are vital, however, in generating prestige for models and agencies alike, for whom the catwalk is an ›endorsement‹, as one casting director put it. As a former agent and scout told me, the shows are a launching pad into editorial notoriety: ›A girl gets noticed if she has a really great show season‹. Her agency will get noticed too.« (Mears 2011a, 64)

Mears unterstreicht also die Funktion der Modenschau als Instrument zur Imagebildung für alle daran beteiligten AkteurInnen und konstatiert, dass sie nicht direkt auf die Verkaufsförderung von Kleidern abzielt.

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(e) Die Modenschau als massenmediales Spektakel Nadine Frey (1998) definiert die Modenschau als »deliberately inverted theater«, bei dem die Tickets umsonst sind, aber alles, was auf der Bühne ist, zum Verkauf steht. Die Modenschau ist ihres Erachtens eine Verkaufs-Show: War sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dazu da, Kleidungen zu verkaufen, gehe es seit den 1970er Jahren zunehmend um den Verkauf einer Vision, die durch theatrale Inszenierungen und den gezielten Einsatz von Massenmedien erschaffen wurde. In den 1990ern reichte schließlich allein die Buchung von ›Supermodels‹ als bemerkenswerte Botschaft der DesignerInnen aus. Frey schließt ihren kurzen Artikel mit dem Hinweis, dass Modenschauen zudem bewirken, »[to change the] way we see fashion and the way we are likely to be seeing fashion in the future« (Frey 1998, 39) – ein Gedanke über die Reflexivität von Modenschauen, den sie leider nicht weiter ausführt. Die Modenschau lenkt den Zuschauerblick nicht nur auf die gezeigten Kleider oder auf die zeigenden DesignerInnen und ihr Image, sondern regt auch dazu an, über Mode im Allgemeinen, über ihre Mechanismen und über ihren in die Zukunft weisenden Charakter nachzudenken. Auch bei dieser Perspektive auf die massenmediale Modenschau könnte man Caroline Evans mit dem oben besprochenen Artikel über die Fetischisierung der Repräsentation von Mode als Bild und die Konsumption von Bildern anführen, wenn man das Bild nur als »picture« oder »photograph« verstehen würde – was nicht Evans Intention war. Sylvie Lécallier (2007) dagegen bespricht die Verbreitung von Fotografien, die auf den Pferderennbahnen – eine der Schauplätze, die die ersten ModeschöpferInnen seit Ende des 20. Jahrhunderts zur Vorführung ihrer Kreationen nutzten – und in den Modenschauen entstanden sind. Dabei arbeitet sie heraus, dass die Geschichte der Modenschauen von einem Dilemma der zeigenden DesignerInnen geprägt ist: auf der einen Seite die Exklusivität ihrer Shows und Originalität ihrer Entwürfe zu wahren und Kopien, insbesondere aus Amerika, vorzubeugen (vgl. hier insb. Troy 2004) und auf der anderen Seite die Vervielfältigung für eine Absatzsteigerung ihrer Kollektionen zu nutzen (vgl. Lécallier 2007, 160). Lécallier macht zwei Phasen fest, in denen den FotografInnen der Zugang zu den Präsentationen verwehrt wurde: zuerst im Jahre 1913 als Reaktion auf den ungebändigten Ansturm auf die Damen, die von namhaften DesignerInnen eingekleidet und auf gesellschaftliche Events wie Pferderennen oder Theatervorführungen geschickt wurden, und dann wieder vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren. Auch die Chambre Syndicale de la Haute Couture in Paris trug dazu bei, dass die Modenschauen ihre Exklusivität bewahrten und dennoch ausgewählte JournalistInnen an vom Modehaus autorisierte Fotografien gelangten (vgl. ebda., 162). Als Reaktion auf die Gründung von Prêt-à-porter-Linien und den

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Verkauf von Lizenzen an Firmen im Ausland seit den 1950er Jahren sahen sich die Haute Couture-Häuser einem größeren Wettbewerb ausgesetzt und gezwungen, effektiver Werbung zu machen. Seitdem seien der Medialisierung der Modenschau keine Grenzen gesetzt. Allein die »Verbannung« der FotografInnen an die Spitze des Laufstegs Anfang der 1990er Jahre lasse sich noch als letzte Abwehrreaktion der italienischen DesignerInnen auf das Übergewicht der FotografInnen interpretieren (ebda.). Dies führte einerseits dazu, dass die Modenschauinszenierungen zunehmend auf diese Perspektive ausgerichtet wurden (man denke hier beispielsweise an den Schneetunnel von John Galliano H/W 2009, den man tatsächlich nur aus der Frontalperspektive erkennen konnte), aber andererseits auch dazu, dass sich fortan die Fotografien aller Modenschauen durch die festgesetzte Perspektive ähnelten. Um sich hier wiederum von den Fotografien der Entwürfe anderer DesignerInnen abzusetzen, wäre es denkbar, dass einige DesignerInnen theatrale Inszenierungsstrategien entwickelten, deren ästhetische Sprache und Einmaligkeit auch auf dem Foto sichtbar sein würden. Hierzu aber mehr in Kapitel VI. »Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung«.

(f) Die Modenschau als theatrale Aufführung/Performance Die Modenschau kann neben ihrer Funktionszuweisung als Marketing- oder Verkaufsinstrument auch aus einer theaterwissenschaftlichen Perspektive heraus betrachtet werden. Eine gesamte Ausgabe der Fachzeitschrift Fashion Theory von 2001 wurde dem Thema »Fashion and Performance« gewidmet, aus dem die bereits besprochenen Artikel von Ginger Gregg Duggan und Caroline Evans hervorgingen, sowie ein weiterer, der hier angeführt werden soll: Catherine Morris und Dara Meyers-Kingsley (2001) beleuchten die gegenseitige Beeinflussung von Performance-Kunst und Mode aus der Sicht des amerikanischen Künstlers Robert Kushner und seiner Arbeit von 1970 bis 1976. Er kreierte textile Kunstwerke, die während der Ausstellung oder Performance angezogen und danach wieder an die Wand gehängt wurden. Während er anfänglich mit der Beschaffenheit der Textilien experimentierte – so z.B. eine essbare Kollektion herstellte, die im Akt der Aufführung von Models und ZuschauerInnen gegessen wurde (»Costumes Constructed and Eaten«, 1972, New York und Kalifornien) –, beschäftigte er sich gegen Ende dieser Periode insbesondere mit der Haute Couture bekannter DesignerInnen, wie Paul Poiret oder Cristobal Balenciaga, dem er sogar 1973 eine Präsentation widmete. Interessant ist der performative Charakter, der jeder künstlerischen Performance eigen ist: Das Kunstwerk entsteht erst im Akt und/oder Interaktion. Bei Kushner geschieht dies durch die Verkörperung der Kunstwerke, d.h. durch die körperliche Aneignung und damit das Spurenhinterlassen in und auf dem Textil. So gesehen könnte jedes Tragen von Kleidung als ein künstlerischer Akt

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und das ausgezogene, getragene Kleid als Kunstwerk gesehen werden. Hierum drehen sich die Diskussionen, die in Das Verhältnis von Kunst und Mode in der Modenschau (g) angeführt sind. Auch in anderen Sammelwerken finden sich vereinzelt Artikel zum Thema. So beispielsweise von Luca Marchetti und Emanuele Quinz, die sich in einem Artikel (2009) sowie im Begleitkatalog (2007) der von ihnen kuratierten Wanderausstellung »Dysfashional« (u.a. vom 24.06.-17.07.2010 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin) mit Projekten von KünstlerInnen und DesignerInnen auseinandersetzen, die sich der Performance zur Bedeutungsgenerierung bedienen. Sie konstatieren, dass »[b]eyond the materiality of the product or the signification of the images, the experimental perspective requires a different perceptive and cognitive implication. Senses other than just sight are being stimulated« (Marchetti u. Quinz 2009, 121). Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ergänze bzw. verdränge die neue »aesthetic of relations« (ebda., 122) die Ästhetik des Materials, der Silhouette oder anderer Kleid- und Körper-bezogener Eigenschaften sowie die sonst als substantiell erklärte Bildersprache (sog. »visual language of style«; ebda., 119). Nun gehe es in erster Linie um Erfahrung und Partizipation zur Bedeutungsgenerierung: »The participation of the public, substituting the position of the simple observer, becomes a form of performance in which what happens, the form, is not as important as the experience, the fact that we are sharing a space and time, we are part of an event, we are creating a community. In this context clothes take on a different value: they become interface. […] Riding the wave of this shift as it progressively develops in art and dance, from image to experience, fashion also becomes detached from the product and the image, thus losing tangibility. A radical transformation is in its being a paradox, given that in the collective imagination fashion is regarded as the realm where image triumphs. Today a different notion of fashion is emerging, linked to the immaterial dimension of experience, beyond clothes and even bodies.« (Ebda., 122)

Das abschließende Statement »Experience takes the place of style« (ebda., 124) ermöglicht die folgende Überlegung: Die Erfahrung, die in der Modenschau gemacht wird, ist das Neue, und nicht mehr der Stil oder das Kleid an sich. Damit wird das Neue immateriell. Dem gegenüber steht jedoch die unbestreitbare Absicht der DesignerInnen, die Modenschau zur Verkaufsförderung der aktuellen Kollektion oder zur Imagepflege zu nutzen. Daher wird in der vorliegenden Untersuchung nicht, wie bei Marchetti und Quinz, die Rolle der Bilder abgewertet, sondern untersucht, inwiefern das Immaterielle, das Erfahrbare der Modenschau, wieder als eine Art Bild an die Kleidung zurückgekoppelt werden kann. Marga van Mechelen (2009) untersucht ebenfalls die Veränderung der Modenschauen seit den neunziger Jahren und ihre Anlehnung an die Perfor-

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mance-Kunst. Sie erklärt, dass während die Modenschau und die Modefotografie noch vor den Neunzigern dazu eingesetzt wurden, die Kollektionen der DesignerInnen zu promoten, sie nun eine autonome Position einnehmen. Dabei stellt sie die Modenschauen, die eher als sog. »signs of spectacle« fungieren, in der die Kleidung und Accessoires im Mittelpunkt stehen, in Opposition zu den nun aufkommenden Modenschauen als »blank signs« (vgl. van Mechelen 2009, 107). In den Performances als »blank signs« gehe es darum, möglichst nichts zu bedeuten (»to express as little as possible«, ebda.), sondern ausgangsoffen gegenüber den Erfahrungen und Interpretationen der TeilnehmerInnen und ZuschauerInnen zu sein. Die Beispiele, die van Mechelen für diese Kategorie anbringt, scheinen jedoch Mischtypen beider zu sein, was ihre Argumentation weniger stringent macht. Die Modenschau muss m.E. im Spannungsfeld von Planung und Emergenz erörtert werden und ist nicht entweder der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen (vgl. Kapitel V.1). Gegen Ende zieht sie folgendes Fazit, in dem sie die anfängliche Opposition abschwächt und lediglich eine Verschiebung des Schwerpunktes festmacht: »These are just a few examples showing that in the spectacular shows of the nineties the accent shifted from what was presented to how it was presented, and how this presentation as such gained a new dimension of content.« (Ebda., 113)

Angela McRobbie (1999), Christopher Breward (2013)52 und Noel McLaughlin (2000) beschäftigen sich mit den Parallelen und Schnittstellen von (Pop-)Musik und Mode, meistens in Hinblick darauf, wie einzelne SängerInnen oder Bands ihre künstlerische, geschlechtliche, nationale und religiöse Identität und so auch Originalität über ihren Kleidungsstil konstruieren und manifestieren (vgl. McLaughlin 2006, 269). Ein Vergleich von Inszenierungsstrategien bei Pop-Konzerten und Modenschauen muss als Desiderat formuliert werden. Diesbezüglich sei auf die Forschungsarbeit der Musikwissenschaftlerin Christina Zenk (Universität Siegen) verwiesen, deren Dissertation mit dem Titel »Musik der Laufstege. Merkmale der Modenschaumusik« sich gerade im Druck befindet und in welcher sie sich mit der musikalischen Untermalung von Modenschauen beschäftigt.53 Im deutschsprachigen Raum ist Gertrud Lehnert die prominenteste Wissenschaftlerin, die in den 1990er Jahren die Theorie des Performativen mit 52  |  Hier wird sich auf Brewards Vortrag mit dem Titel »We are the goon squad: Bowie, Style and the power of the cover shot 1967-1983« bezogen, vorgetragen auf der Tagung »Fashion Tales« an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand am 09.06.2012, welcher im Katalog zur Ausstellung David Bowie is im Victoria and Albert Museum in London vom 23.3.-28.7.2013 publiziert ist (Breward 2013). 53  |  Anhaltspunkte für eine solche Untersuchung gibt im Übrigen Seantier 2006.

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der Modetheorie verbunden hat (vgl. vor allem Lehnert 2001b, 2002, 2003 u. 2004). Wie in Kapitel II.1.1 kurz angedeutet, argumentiert sie vor ihrem literatur- und theaterwissenschaftlichen Hintergrund für eine Erweiterung der Sichtweise auf Mode als »Sammlung bedeutungsgeladener Artefakte«, mit deren Hilfe der Mensch sich eine Identität anlegt und die Identitäten anderer leicht entschlüsseln kann. Dies geschieht durch eine neue Perspektive, nach der Identitäten erst in »Serien performativer Akte« hervorgebracht werden. Mode wirke auf den Körper und schreibe sich in ihn ein, kreiere sogar neue fiktionale, modische Körper: »Mode im Sinne von Kleidermode gehört zu den bedeutenden Medien der Inszenierung von Identitäten, und das mitnichten nur deshalb, weil sie Zeichen für Geschlechtszugehörigkeit, soziale Zugehörigkeit etc. sein kann, sondern auch, weil sie auf die TrägerInnen und deren Körper zurückwirkt. Die Mode drückt nicht nur aus, sondern sie produziert auch: Körperbilder, Geschlechterbilder, Bilder von Schönheit und Hässlichkeit, von Erfolg oder Unglück. Mode produziert fiktionale Körper, die den anatomischen Körper verändern, verdecken, prothetisch in den Raum erweitern oder umgekehrt auf ein flächiges Ornament reduzieren – die aber doch immer auf den anatomischen Körper angewiesen sind, auch wenn sie ihm noch so sehr zu widersprechen suchen.« (Lehnert 2003, 216; vgl. auch Lehnert 1998c, 9)

Lehnert geht über die einseitige Beeinflussung Kleid — Körper hinaus und erklärt, dass der performative Akt, d.h. der soziale Umgang in und mit Kleidern, auch Einfluss auf den Status von Kleidung habe – erst durch ihn werde Kleidung zur Mode: »Denn erst das Zusammenspiel von dreidimensionalem, beweglichem Körper und ursprünglich lebloser, manipulierbarer Materie macht Kleider lebendig. Auf dem Bügel oder im Regal ist kein Kleidungsstück interessant, ja, man kann sich fragen, ob es da überhaupt schon Mode ist. Es muss getragen, durch Körper (seinen es lebende Menschen oder unbelebte Puppen) und im Raum inszeniert werden, damit es sein performatives Potential entfalten kann. […] Performativ ist also unser Umgang mit der Mode; die Kleidung selbst ist nicht performativ: Denn sie kann nicht handeln. Ihr performatives Potential besteht darin, dass sie Handlung und Bedeutungszuweisungen zu provozieren vermag und so Medium der Inszenierung bzw. der Selbstinszenierung ist. Sie benötigt die Inszenierung (im Alltag, auf dem Laufsteg, im Foto etc.) um überhaupt zur Mode zu werden; umgekehrt ist Mode unabdingbarer Bestandteil unserer alltäglichen Performances.« (Lehnert 2003, 216, kursiv i.O.; vgl. auch 2001b, 127; 2002, 54 sowie 2004, 265)

Die Bedeutungsgenerierung (also beispielsweise die Produktion einer Identität) geschehe erst im Gebrauch von Mode – »der Rückgriff auf feste Bedeutun-

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gen modischer Zeichen wird […] immer hinfälliger« (vgl. Lehnert 2003, 217). Dies bedeutet, dass sich Kleidung einer »eindeutigen Deutung fast immer entzieht« und nur individuell und subjektiv im jeweiligen Handlungskontext gelesen und interpretiert werden kann, was zu einer unendlichen Bandbreite von Bedeutungszuweisungen führt. Darüber hinaus weist Lehnert auf einen Überschuss (vgl. Baudelaires »Überguß«) hin, der die »Lust am Schönen, am Bizarren, am Überraschenden« weckt (vgl. Lehnert 2002, 55 u. 2006, 10). Ein ästhetisches ›surplus‹ also, das das Design zu etwas Besonderem, Unverwechselbarem mache und das vor allem durch die Sinne erfahrbar sei. An anderer Stelle heißt es diesbezüglich auch, dass dieses Überraschende als das Neue »wichtiger [wird] als ein traditionelles, festgeschriebenes Schönes; das Bizarre reizt die Sinne im Moment mehr als die erwartete Harmonie der Linien und Farben. Anders gesagt, das Überraschende, das Neue wird zum Schönen, weil es sinnlich erlebt wird« (Lehnert 2004, 270 sowie 2001b, 128). Zur Modenschau als Sinneserfahrung äußert sich Lehnert folgendermaßen: »Modische Performativität besteht im unablässigen Prozess der Konstruktion und Dekonstruktion von Bedeutungen. Wichtig ist der Prozess der Inszenierung selbst, in dem das Spiel mit Bedeutungen seine eigene Fiktionalität und Vergänglichkeit zur Schau stellt. Im Idealfall sind diese Inszenierungen ästhetisch so reizvoll, dass sie – wenigstens für einige Augenblicke – die Sinne befriedigen. Manchmal ermöglichen sie sogar neue Sinneserfahrungen.« (Lehnert 2003, 224)

Lehnert konstatiert also, dass das überraschende, phantasievolle Element der Kleidung, welches in einer Inszenierung zutage tritt, das Neue ist, das durch die Sinne erfahrbar wird.54 In eine ähnliche Richtung geht ein weiteres Zitat gegen Ende ihres Artikels von 2004: Darin sieht sie »Modenschauen, die in den letzten Jahren zunehmend zu theatralen Aufführungen mit großem Unterhaltungs- und geringem Informationswert geworden sind«, als Verkaufsankurbler – allerdings »tun [sie] das, indem sie sich als scheinbar nicht zweckgebundene Inszenierungen mit einem eigenständigen ästhetischen Wert präsentieren« (Lehnert 2004, 267). Interessant ist der Gedanke, wie die Modenschau an sich einen ästhetischen Wert produzieren kann und wie möglicherweise dieser Wert an die Kleidung gekoppelt werden kann, die selbst nichts Neues hervorbringt. Diese hier zu entwickelnde These findet auch an zwei anderen Textstellen von Lehnert Nährboden, wenn sie, unter anderem in 54  |  Dies ist eine These, die Lehnert Anfang der 2000er entwickelt hat. Davor hieß es noch: »Die Mode vergeht ständig und macht dem Neuen Platz, das oft doch nur das Alte in neuer Gestalt ist. Das ganz Neue, Unerwartete gibt es heute nur noch in der überraschenden Kombination des schon Dagewesenen.« (Lehnert 1998c, 11)

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Berufung auf Gernot Böhme, von einer sog. ästhetischen Arbeit spricht, die für die Erschaffung von Mode maßgeblich sei: »Mode, ganz gleich auf welcher Ebene ihrer Aufführung (auf dem Laufsteg, in einer Modezeitschrift, im Alltag) funktioniert nur über die Erzeugung von Atmosphären. […] Die in und als Mode produzierte Atmosphäre birgt immer ein Versprechen […]. Das Versprechen ist niemals konkret, sondern notwendigerweise vage, ungreifbar und vieldeutig. Letzten Endes besteht das Versprechen darin, die Atmosphäre, die den Gegenständen aufgrund der Wahrnehmung durch Menschen eignet, fixieren zu können: ein paradoxes und uneinlösbares Versprechen.« (Lehnert 2006, 15f.)

Lehnert schließt den Artikel von 2008 mit der Beobachtung eines diskursiv vermittelten Bedeutungszuwachses der Kleidung durch ihre Präsentationsform selbst: »[…] es scheint, als werde durch die Inszenierungen/Performances von/mit/durch Mode den vestimentären Objekten jenseits ihrer konkreten Beschaffenheit und jenseits ihres Gebrauchs durch KonsumentInnen eine zusätzliche, dezidiert künstlerische und/ oder politische Dimension ›hinzugefügt‹. Man kann sie den Objekten häufig nicht an-sehen [sic!]; sie wird diskursiv vermittelt: durch Titel, durch Erklärungen, durch Kommentare, die den Objekten oder Inszenierungen beigefügt werden. Damit wird ein Prinzip der modernen Kunst auf die Mode bzw. die modische Performance übertragen, die nicht zuletzt durch diese Gleichsetzung ihrerseits zur Kunst avanciert. Und darüber hinaus zum politischen Kommentar. Ist das ein Prozeß, in dem eine ›Botschaft‹ als Oberfläche auf ein Phänomen gesetzt wird, oder ist es eine spezifisch moderne, performativ orientierte Form ästhetischer Arbeit? Mir scheint eher letzteres zuzutreffen.« (Lehnert 2008, 98)

(g) Das Verhältnis von Kunst und Mode in der Modenschau In der Literatur gibt es keine Einigkeit über den Kunstcharakter von Mode, dem – so eine gängige Argumentation – der Gebrauchscharakter widerspricht. Diesbezüglich positioniert sich beispielsweise Gertrud Lehnert folgendermaßen: »Tatsächlich wäre Mode keine Mode ohne ein gewisses Maß von Zweckfreiheit, das ihr grundsätzlich und immer eigen ist, ohne jenen ästhetischen Überschuss, der mit Nützlichkeit und Tragbarkeit nichts zu tun hat. Je stärker dieser Aspekt wird, das heißt je mehr Modeschöpfer/innen künstlerische Prinzipien des Entwurfs von Formen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen und je mehr sie auf die Zweckfreiheit ihrer Entwürfe setzen und damit darauf verzichten, verkäufliche, tragbare Kleider zu produzieren, desto mehr bewegen sie sich mit ihrer Arbeit auf der Grenze zur Kunst, und umso mehr können sie sich kommentierend und kritisch reflektierend auf eine Vielzahl anderer kultureller Praktiken beziehen. Sie werden als Modekünstler/innen rezipiert und immer schneller

II. Moden beschauen ins Museum gebracht, wo ihnen paradoxerweise endgültig die Weihen der Ewigkeit verliehen werden.« (Lehnert 2009, 274f.)

Barbara Vinken argumentiert ähnlich: »Das paradoxe Durchstreichen von Tragbarkeit überführt das Kleid vom Gebrauchsgegenstand in einen Kunstgegenstand. Als ein solcher kann er nicht umhin eine Aussage über Mode und Kleider zu machen. Die Untragbarkeit im eigentlichen und übertragenen Sinne hat ganz verschiedene Funktionen. Sie ist grundsätzlicher Art und liegt in einer Reflexion dessen, was die Mode tut. Sie kann im Modus der Kritik geschehen, sie kann aber auch schlicht in der Entblößung, der Überzeichnung, dem Heraustreiben konstitutiver Verfahren liegen, die von Künstlern, aber auch von Modeschöpfern auf der Höhe ihrer Kunst geleistet werden kann.« (Vinken 2009, 244)

Lehnerts zuvor beschriebene Annahme von der Schaffung eines eigenständig ästhetischen Werts in der Modenschau suggeriert, dass man die Show selbst als l’art pour l’art identifizieren könnte. Man kann also auch darüber nachdenken, ob die Modenschau nur als Rahmen der gezeigten Kleidung fungiert oder als Teil eines Gesamtkunstwerks, in dem die Kleidung, die AkteurInnen und die Inszenierung in ihrer Einheit eine Kunstform bilden – ganz so, wie die Form der Inszenierung von Theaterstücken als darstellende Kunst gewürdigt wird. Insofern wäre es auch denkbar, eine Verselbstständigung der Inszenierung als Kunstform anzunehmen. Man könnte also behaupten, dass das einzig Künstlerische einer Modenschau ihr Rahmen ist und nicht unbedingt der gezeigte Inhalt. Die vorliegende Untersuchung wird sich nicht mit einer Klärung der Charakterisierung von Mode bzw. der Modenschau als Kunst oder Nicht-Kunst beschäftigen, jedoch mit der Inszenierungsstrategie der künstlerischen Rahmung (vgl. Kapitel V.3.2.3). Nichtsdestotrotz sollen im Folgenden aus einigen einschlägigen Artikeln von Gertrud Lehnert (1998c, 2001a, 2005, 2006, 2008 u. 2009) und Petra Leutner (2011) einige Kerngedanken zur Mode als Kunst aufgezeigt werden. Auch zahlreiche andere Modetheoretiker und -historiker haben sich mit dem Verhältnis von Mode und Kunst auseinandergesetzt, die aber hier nicht im Einzelnen besprochen werden können.55 Lehnert konstatiert, dass »Schönheit, Eleganz und Funktionalität keine sinnvollen Kriterien mehr sind, um Mode zu beurteilen«, sondern es vielmehr um »ästhetische Entwicklungen und um unsere Sehgewohnheiten [geht], nicht anders als in der bildenden Kunst. Mode ist angewandte Kunst« (Lehnert 1998c, 10). In der Zuschreibung von Mode als angewandte Kunst ist es nicht in Lehnerts Sinne, die Mode als Kunstgewerbe 55  |  Z.B. Graw 2004; Kommentisch 2008; von Pape 2008; Muriale 2009; Teunissen 2009; Büderlin u. Lütgens 2011.

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in Abgrenzung zur Kunst zu verstehen, sondern darum, aufzuzeigen, dass Mode gerade in ihrer An- und Verwendung Kunst ist. Als »cultural performance« (Alltagspraxis) »vermag sie eine Kunst zu sein: die Kunst, mit Mode umzugehen, sich die Mode anzueignen im buchstäblichen Sinne von: etwas Eigenes daraus machen, die eigene Identität mit Hilfe der Mode zu gestalten« (Lehnert 2006, 12). Dieses Verständnis von Mode hängt wiederum mit Lehnerts bereits ausgeführtem, performanztheoretischen Verständnis zusammen, dass ästhetischer Wert erst im Vollzug einer Handlung oder Interaktion entstehen kann. Gerade ihr Vollzug, also ihr Gebrauch, ist die künstlerische Besonderheit der Mode: »Sie bezieht ihre Kraft gerade aus der Spannung zwischen Kunst und Kommerz, Individualität und Gruppenzwang, Natürlichkeit und Künstlichkeit, ästhetischer Innovationskraft und praktischem und sozialem Nutzen. Denn modern ist die Mode schließlich auch deshalb, weil sie es fertigbringt, die Kleidung von ihrer nützlichen Funktion zu emanzipieren – beziehungsweise weil es ihr gelingt, die nützliche Funktion untrennbar mit einer ästhetischen zu verknüpfen und so, wie die Avantgarde es immer gefordert hat, die Kunst ins Leben und das Leben in die Kunst zu überführen.« (Lehnert 1998c, 13f.)

»Mode wird als Ware vertrieben, indem sie als Kunst inszeniert wird«, bringt Lehnert diesen Gedankengang an anderer Stelle auf den Punkt (Lehnert 2005, 257). Wie die Mode ist die Kunst auch den Gesetzen des Marktes unterworfen, nur versucht jene es nicht derart zu verheimlichen (vgl. ebda., 256f.). Analog zum Duchamp’schen, im Ausstellungskontext als »Fountain« erklärten Pissoirs von 1917, werde Kleidung im Präsentationskontext erst als Mode inszeniert (ebda., 257). Der hier gut anknüpfende Artikel von Petra Leutner löst sich ebenfalls von der Herangehensweise, Kleider und Kunstwerke als (materielle) Artefakte gegenüberzustellen und arbeitet die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Anerkennungsmechanismen im Kunst- und Modesystem heraus. Kawamura folgend hält Leutner fest, »dass ›in Mode sein‹ oder ›ein Kunstwerk sein‹ keine substantiellen Eigenschaften von Dingen sind, sondern dass diese Attribute jeweils einer symbolischen Zuschreibung bedürfen« (Leutner 2011, 1). Das heißt, dass Mode wie Kunst nicht materiell einem Kleidungsstück bzw. Objekt anhaftet, sondern eine Etikettierung durch eine Gemeinschaft ist. Dieser Punkt wird hier immer wieder hervorgehoben werden.56 Im Unterschied zur Mode 56 | Wenn der Kontext die Kleidung erst zur Mode macht, wie das Objekt zur Kunst, dann ist es möglich, dass sich der Kontext als das künstlerisch-inventive Element dieses Zusammenspiels verselbstständigt, wenn das Objekt nur noch als seine Projektionsfläche fungiert. Dies ist die hier vertretene Argumentation, wenn es zu der Bedeutungsbemessung der Modenschauen seit Mitte der 1980er Jahre kommt (vgl. Kapitel III.2).

II. Moden beschauen

sei es in der Kunst jedoch nicht üblich, Zuschreibungen wieder zurückzuziehen (vgl. ebda., 2). Im weiteren Verlauf des Artikels attestiert Leutner dem Modesystem eine dem Kunstsystem ähnliche Herausbildung von Anerkennungsinstanzen und -prozeduren (wie die Verleihung von Preisen), die Etablierung eines Spezialistenkreises und die Autonomisierung der Vorstellung von Schönheit (vgl. ebda., 3f.). Sie kommt zu dem Schluss, dass das Modesystem ein in sich geschlossenes und für sich funktionierendes System ist, »das an gesellschaftlicher Wert- und Konsensbildung teilhat und das nicht nur eingegrenzten Konsumbedürfnissen dient, sondern eine umfassende kulturelle, wirtschaftliche und politische Bedeutung hat« (ebda., 5). Leutner vertritt damit das Verständnis von einem ausdifferenzierten Modesystem, das von anderen Systemen (auch vom Kunstsystem) unabhängig existieren kann, selbst wenn es einige ähnliche Strukturen und Mechanismen vorweisen kann. Einen letzten Aspekt zum Verhältnis von Kunst und Mode macht Lehnert in ihrer Betrachtung von modischen Körpern als Raumskulpturen auf.57 Insbesondere an Beispielen des japanischen Modedesigns, das Ende der 1970er, Anfang der 1980er die Pariser Haute Couture revolutionierte, zeigt Lehnert, »daß Mode eines der bedeutendsten Mittel dafür ist, wie Menschen sich selbst als Raumkörper konstituieren und sich als Körper im umgebenden Raum situieren« (Lehnert 2001a, 529). Als dreidimensionale Prothese erweitere sie den tatsächlichen, anatomischen Körper und erschaffe so einen neuen, fiktionalen Modekörper, der trotz seiner Konstruiertheit in manchen Epochen als natürlich empfunden wurde (vgl. ebda., 530; 2002, 53 u. 2008, 91f.). Wie die modische Körperskulptur geschaffen werde, richte sich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten des Zugangs in dem sie umgebenden Raum, nach der zu verrichtenden Arbeit, nach dem Interaktionsgrad mit anderen Menschen, nach geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen sowie nach dem Verständnis von Hygiene, Nacktheit, Sexualität usw. (vgl. Lehnert 2001a, 531ff.). Neben diesen Beobachtungen zur Wechselwirkungen von Raum und Kleidung58 steht aber noch die Bezeichnung der Skulptur zur Diskussion, die im Kunstkontext zu verorten ist. Als additives Bekleidungsverfahren (dem Körper wird etwas hinzugefügt), müsste man aber hier eher von einer Plastik als von einer Skulptur als subtraktives Verfahren sprechen. Die DesignerInnen als Bildhauer konstruieren demnach auf dem bestehenden anatomischen Körper als zweite, übergestülpte Haut oder als Gerüst einen neuen, fiktionalen Körper. Die Bezeichnung des Ergebnisses als Skulptur mutet jedoch eine Immobilität an, die nur 57 | Lehnerts Überlegungen zur Erweiterung des Körpers durch Kleidung führen den bereits besprochenen Ansatz von J.C. Flügel aus dem Jahre 1930 fort. Für eine weiterführende Diskussion sei auf folgende Publikationen hingewiesen: Anna 2001a und Vinken 2009. 58  |  Vergleiche hier auch Richard Sennett (1983) zur Kleidung im öffentlichen Raum.

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in manchen Epochen angestrebt wird, beispielsweise im 17. Jahrhundert, in dem die Körper »zu Objekten der Dekoration des Parks oder des Interieurs« werden (Lehnert 2001a, 538). Für die vorliegende Untersuchung ist der Gedanke der Anordnung und Bewegung von Körpern im Raum als eine Inszenierungsstrategie der Modenschau von Interesse, wobei nicht die Künstlichkeit der modischen Körper selbst im Fokus steht, sondern die künstliche und künstlerische Choreografie von ihnen im Raum (vgl. Kühl 2015).

(h) Die Verbindung von Modenschauen und Ausstellungen Eng mit der Diskussion um den künstlerischen Status von Mode ist die Untersuchung von Mode innerhalb einer Ausstellungpraxis verknüpft. Mode im Museum, auch »fashion curation« genannt, avancierte in den letzten 20 Jahren zu einem beliebten Forschungsgegenstand. Neben kostümhistorischen Sammlungen und Ausstellungen über einflussreiche DesignerInnen der Vergangenheit, findet man nun auch Ausstellungen zu zeitgenössischen ModeschöpferInnen. Dies kann unter anderem als gezielte Marketingstrategie gewertet werden. Hierzu beobachtet Markus Heinzelmann: »Wer erkennt im postmodernen Stilpluralismus schon ein hochwertiges Designerstück, wenn ihm nicht die dazu passende Community, journalistisch eingebettet, mitgeliefert wird? Das höchste Ziel der Vermarktung aber bildet der Einzug in die Museen, die von den führenden Modedesignern so freundlich wie klug mit den jeweiligen Prototypen ihrer Kollektionen beliefert werden. Dort können wir schließlich dem verwirrend heterogenen Bild ständig wechselnder Moden entfliehen und die langen historischen Linien entdecken, die eine Geschichte der Innovation und des Stils beschreiben. In letzter Konsequenz handelt es sich bei dem White-Cube-Marketing der Modeindustrie um ein taktisches Heraustreten aus dem Markt in das Museum, ›denn nur dieses, nicht die Straße, scheint die Definitionsmacht über das Moderne zu verkörpern‹.« (Heinzelmann 2001, 11 mit einem Zitat v. Link-Heer 1998, 144)

Die zahlreichen Publikationen, die sich hiermit beschäftigen59, untersuchen beispielsweise die verschiedenen möglichen Ausstellungsgestaltungen, die zum einen der Vermittlung von Wissen über die gezeigte Kleidung, ihren geschichtlichen Kontext sowie Wissen über den Träger-Körper dienen, zum an59 | Beispielsweise bearbeitet von Link-Heer 1998; Fashion Theory 2008, Sonderheft »Exhibitionism «; Fashion Theory 2008, Sonderheft »Fashion Curation«; Clark 2009 und Weise 2012. Vgl. hierzu auch das Dissertationsprojekt von Katja Weise an der Universität Potsdam mit dem Arbeitstitel »Das gezähmte Kleid, der gebändigte Körper – Taktilität und implizites Wissen der Kleidermode in zeitgenössischen Ausstellungsinszenierungen«.

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deren sinnliche Erfahrungen der MuseumsbesucherInnen evozieren wollen. Es hat sich noch keiner der Autoren um einen Vergleich von Modenschauen und Ausstellungen bemüht, was insofern erwähnenswert ist, als beide Ereignisse im Englischen dieselbe Bezeichnung tragen: »fashion show«. Interessant erscheint die Einordnung zweier Modenschauen (Yohji Yamamoto für Adidas im Februar H/W 2007 auf einem Basketballfeld in New York, sowie Dries Van Notens Galadinner F/S 2005) in einer Publikation über Ausstellungsgestaltungen im Allgemeinen von Uwe J. Reinhardt und Philipp Teufel (2008).60 Hier stellt sich die Frage, inwiefern die Modenschau als Ausstellungsmethode nach musealen Prinzipien untersucht werden kann. Diese Vorgehensweise impliziert, dass die Modenschau den Kriterien einer Ausstellung im Sinne einer modernen multimedialen Präsentation von Kulturgegenständen oder -zusammenhängen erfüllen kann. Der sich in den letzten Jahrzehnten abzeichnende Trend von Museums- und Ausstellungskonzeptionen hin zu einem Kulturevent, bei dem vor allem auf Interaktion, Reflektion und Experiment abgezielt wird, begünstigt den Vergleich. Anzeichen der Aktualität eines solchen Vergleichs sind einige in den letzen 10 Jahren durchgeführte Ausstellungen, die Modenschauen selbst in den Fokus gerückt haben. So sei auf deutschsprachigem Boden auf die Ausstellung »Catwalks« im NRWForum Düsseldorf (26.7.-1.11.2009) hingewiesen, sowie auf die Ausstellungen »Fashion Show: Paris Collection 2006« (Museum of Fine Arts, Boston, 12.11.2006-18.3.2007), »Showtime. Le défilé de mode« (Musée Galliera, Paris, 3.3.-30.7.2006) und »Fashion Show. Les desfilades de moda« (Museu Tèxtil i d’Indumentària, Barcelona, 6.7.-28.10.2007). Sie alle thematisierten Modenschauen mit Hilfe von Texten, Fotografien, Filmen und gar Nachbauten der Modenschau-Bühnenbilder. Mode wird also, wie man in der englischen Bezeichnung nachvollziehen kann, sowohl in der Modenschau als auch in der Ausstellung bewusst exponiert und inszeniert. Dabei ist bei der Modeausstellung das größte Problem, dass den Kleidern der Körper, das natürliche Volumen und die Bewegung entzogen wird. Diesen ›Mangel‹ auszugleichen, ist eine wesentliche Herausforderung des Ausstellungskonzeptes im Modemuseum. Der Kontext, in den die Mode dabei gestellt wird, kann so zum wesentlichen Element werden, um sie überhaupt zur Erscheinung zu bringen. Diese tragende Rolle, die die Kontextualisierung von Mode hierbei erfährt, kann ebenso bei der Modenschau festgestellt werden. Die offensichtlichste Gemeinsamkeit beider Kontexte ist dabei die Tatsache, dass Objekte (an belebten/unbelebten Körpern) exponiert, d.h. zur Schau gestellt werden und dass sie gleichzeitig beschaut, d.h. rezipiert werden. Die Kontextgestaltung beider Ereignisse schließt im Normalfall bild60 | Die zwei von den Herausgebern ausgewählten Modenschauen verbindet ein gemeinsamer Modenschauproduzent: Etienne Russo der Agentur Villa Eugenie (Brüssel).

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gebende, textuelle, auditive und olfaktorische Elemente ein, haptische dagegen aus: Eine weitere Gemeinsamkeit ist also die gewahrte Distanz zwischen den BetrachterInnen und dem Exponat während der Zurschaustellung.61 Im Unterschied zur Ausstellung ist die Mode in der Modenschau allerdings bewegt und mit einem natürlichen Körper gefüllt. In der Ausstellung bewegen sich die BetrachterInnen um die Mode herum und sind so in der Lage, Perspektive und Dauer ihrer Blicke selbst zu steuern, während die Modenschaugäste zu einer bestimmten Perspektive und Dauer ›gezwungen‹ werden. Die Besonderheit der Modenschau liegt darin, dass diese Distanz später von den ZuschauerInnen im Falle eines Kaufes aufgebrochen werden kann – die MuseumsbesucherInnen werden in den meisten Fällen nicht dazu in der Lage sein. Die DesignerInnen und ihre ModenschauproduzentInnen haben folglich die Aufgabe, auf der einen Seite die Exponate als etwas Begehrenswertes, Distanziertes zu inszenieren, auf der anderen Seite soll jedoch auch suggeriert werden, dass diese Distanz überbrückt werden kann (vgl. Diskussion in Kapitel V.3.3). Der Raum spielt bei dieser distanzierten Beziehung eine sehr wichtige Rolle: Es werden Orte bewusst ausgewählt und umfunktioniert, neue Räume erschaffen, Bewegungen dirigiert und andere Inszenierungsstrategien zur Beeinflussung der ZuschauerInnen eingesetzt (vgl. Kapitel V.3.2). Des Weiteren besteht in beiden Präsentationskontexten generell ein recht kurzweiliges Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt – also neben der räumlichen auch eine zeitliche Distanz, wenn man so will. Daher ist für die Vermittlung der Informationen und Botschaften eine zeitliche und inhaltliche ›Komprimierung‹ nötig. In der Modenschau bedeutet die zeitliche Komprimierung, ein Mittelmaß zu finden, um den BetrachterInnen genau so viel Zeit zu geben, das Detail der Kollektion erkennen zu können, aber auch genauso so wenig Zeit zu lassen, dass ein ›Wiedersehen‹ wünschenswert wird. Strategien für die zeitliche Komprimierung sind z.B. die Bestimmung einer bestimmten Laufgeschwindigkeit und -richtung der Models, die Anzahl der Models, die Gestaltung des Finales oder auch die zeitgleiche Übertragung der Show auf Leinwänden. Die inhaltliche Komprimierung wird durch Übertreibung und Wiederholung gewährleistet. Wenn, um ein einfaches Beispiel zu wählen, das Thema einer Kollektion Samt und Samtrosen sein soll, dann ist es sinnvoll, die 61  |  Dem Wunsch nach einem haptischen Kontakt mit den Exponaten wird im Falle der Modenschau durch die Ergänzungen durch anschließende Showroom-Präsentationen nachgegangen. Im Falle der Museen finden die KuratorInnen neue Ausstellungsgestaltungen, durch die die BesucherInnen mit den Textilien stärker in Kontakt treten können, wie beispielsweise Modeausstellungen mit integrierten Modenschauen; Ausstellungen, in denen die Kleidungsstücke (maschinell) bewegt werden oder auch Ausstellungen mit der Möglichkeit, die betreffenden Kleidungsstücke selber anzuprobieren und ggf. zu kaufen. Vgl. diesbezüglich Weise 2012.

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Samtrose übergroß (d.h. größer als in der späteren Verkaufskollektion) zu gestalten und auch an mehreren Modellen wiederholt vorzuführen.62 Zu weiteren Aspekten im Vergleich von Modenschau und -ausstellung: Im Museum ist Musealität eine Qualität des Exponats. Unter Musealität versteht man »die Beziehung des Menschen zur Realität, in der er in Übereinstimmung mit seiner Gesellschaft erkennt und bewertet, welche Teile der ihn umgebenden natürlichen und gestalteten Welt imstande sind, als Nachweise dieser Gesellschaft zu fungieren und es daher verdienen, als Träger dieser Beziehung erhalten, systematisiert, erforscht, vermittelt und tradiert zu werden« (Waidacher u. Raffler 2005, 320). Wenn ein Objekt diese Kriterien der Musealität erfüllt, dann bezeichnet man es als Musealie. Musealität in Modeausstellungen festzustellen ist unkompliziert: Die BesucherInnen rekonstruieren in einem Museum eine vergangene Beziehung des Menschen zur Realität und der Ausstellungskontext hilft mehr oder minder dabei. Aber gibt es auch Musealität in Modenschauen? Im Unterschied zum Museum ist der Blick der BesucherInnen nicht rückwärtsgerichtet, sondern zukunftsgerichtet, da die Modenschau das Neue zeigen soll. In der Modenschau werden also Objekte gezeigt, die eine künftige Beziehung zwischen BetrachterInnen und Wirklichkeit evozieren sollen. Daher ist der Begriff der Musealität nicht zutreffend. Die Modenschau als eine neue Form der Ausstellung aufzufassen, ist aufgrund dieser Schwierigkeit nicht haltbar, jedoch liefert ein Vergleich zumindest ein Vokabular zur Beschreibung von Modenschauen und gewisse Ausstellungsprinzipien (wie Strategien zur Aufmerksamkeitslenkung) können durchaus von den Modenschauproduzenten berücksichtigt werden. Auch wäre es denkbar, eine Art Modenschaukritik in Anlehnung an eine Ausstellungsevaluation durchzuführen (vgl. Ausblick in Kapitel VII.2). Des Weiteren könnten sich Kuratoren der Strategien und Bilder, die in einer Modenschau entstanden sind, bedienen, d.h. den Kontext von Modenschauen in die Ausstellungsgestaltung übernehmen. Es hat sich herausgestellt, dass eine Gegenüberstellung von Modenschauen und -ausstellungen durchaus fruchtbar sein kann. In dem vorliegenden Buch werden nur zwei Aspekte, und zwar den der Subjekt-Objekt-Beziehung und den der Raumnutzung, berücksichtigt.

62  |  Ähnlich führt der Soziologe Fred Davis (1992, 151) aus: »It is rare for the garment or styling or apparel combination, or whatever it is that has become the object of fashion, to make it through the period of increasing social visibility in an unmodified state. Almost inevitably, as the fashion becomes more popular some of its more ›extreme‹ features are toned down.« Eine weiterführende Diskussion zum Vergleich von auf dem Laufsteg präsentierten Entwürfen und den später zum Verkauf stehenden Kleidern derselben Kollektion bietet Sackrider 2006.

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(i) Posen und Bewegungen in der Modenschau Dem Thema Mode und Bewegung kann man sich auf verschiedene Weisen nähern, wie die gleichnamige Tagung der Zürcher Hochschule der Künste (22.-24.9.2011) unter Beweis stellte (vgl. Tagungsbeiträge in Schlittler u. Tietze 2013). Zunächst kann man den Zugang über die Textilie selbst suchen: über bestimmte Schnitte, die ein Faltenspiel (z.B. Brandstetter 1998; Anna 2001b) oder ungewöhnliche Volumina (z.B. Leutner 2012) zulassen, die Bewegungsfreiheit ermöglichen oder sie eingrenzen (z.B. Wolter 2011b) oder Skulpturalität erzeugen (z.B. Anna 2001a; Lehnert 2001a; Vinken 2009), oder auch über Farben und Prints hervorgerufene Dynamik (z.B. Til 2009). In engem Zusammenhang stehen die Publikationen über die bewegte Mode mit der Erforschung der Mode in der Literatur63, im Film (z.B. Foucher 2006), im (Tanz-) Theater (z.B. Weiler 1998; Stromberg 2003; Brandstetter 2012) und im Sport (z.B. Salazar 2008) sowie der Versuch, in der Fotografie die Bewegung des Kleides festzuhalten (Holschbach 2006; Brandstetter 2007; G. Schmidt 2010; Brandl-Risi, Brandstetter u. Diekmann 2012), da es stets darum geht, inwiefern Mode Bewegung zulässt, erleichtert oder behindert und inwiefern das bewegte Kleid zur Ausführung der Tätigkeit auf ästhetische, informative oder kommunikative Weise beiträgt. Die Literatur zur Bewegung und Pose in der Modenschau ist weit übersichtlicher. Neben einer Autobiografie der Choreografin, Tänzerin und Sängerin Petra Nova (2000), die anhand der Geschichte ihrer Event- und Modelagentur berichtet, wie Tanzeinlagen Einzug in die Präsentionen von Kleidung in (West-)Deutschland hielten, gibt es nur wenige wissenschaftlichen Publikationen zu den Modenschau-Defilees und -Choreografien. Zentral ist wieder einmal ein Artikel von Caroline Evans (2005), der Parallelen zwischen der dem Film vorausgehenden Chronofotografie (Fotografieserien von Bewegungsabläufen) und den Bewegungen der Models bei den ersten »mannequin parades« in den Ateliers der DesignerInnen aufweist. Der Artikel wird an betreffender Stelle in Kapitel III.1 besprochen, in dem die Geschichte der Modenschau rekonstruiert wird. Des Weiteren widmet sich ein Artikel des Modefotografen Vincent Lappartient (2006) der Bewegung in der Modenschau. Er betrachtet neben dem Haarstyling und Make-up, den Models und der Laufstegmusik auch den Einsatz von bewegten Körpern und bewertet ihn als zentralen Aspekt in der Modenschau. An Modenschaubeispielen verschiedener DesignerInnen stellt er heraus, wie das Laufen, der Tanz oder auch die Immobilität gezielt 63 | Zu den Bewegungen modischer Damen im öffentlichen Raum (vgl. Baudelaires »la passante«) findet man in Chenoune 2006 eine Ansammlung von Textausschnitten aus Dichtungen, Romanen und Essays des 19.-20. Jahrhunderts. Vgl. zu einer ähnlichen Thematik im selben Band Lochmann 2006.

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eingesetzt werden – geht jedoch dabei nicht über eine deskriptive Auflistung hinaus. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema scheint immerhin geweckt zu sein: So thematisierte auf der besagten Tagung in Zürich Gunnar Schmidt (vgl. 2013) in seinem Vortrag die Auflösung des Körpers und somit der Kleidung auf dem Laufsteg, und zwar am Beispiel der Medieninstallation von Kate Moss bei der Show von Alexander McQueen H/W 2009, die nach Schmidt fälschlicherweise als Hologramm bezeichnet wird. John Potvins Vortrag über die Modenschauen von Giorgio Armani, die in seinem zu einem Theater umgebauten Villakeller sowie im »Armani/Teatro« im Porta Genova stattfinden, fokussiert ebenfalls die Bewegung im Raum (vgl. Potvin 2013a, 319ff. u. 2013b). Armani wandte sich früh in seiner Karriere (Anfang der Achtziger) von den offiziellen Mailändischen Messeterminen ab und zog es vor, – eine Zeit lang auch ohne die Presse, der er aufgrund ihrer Sensationsgier abgeneigt war – seine Kollektionen nur den EinkäuferInnen in seinen Showrooms zu zeigen. Wenige Saisons später ging er dennoch dazu über, sehr intime, schlichte Modenschauen in seinen eigenen Räumlichkeiten, nicht als »freak shows« zu veranstalten, sondern als Präsentationen von Kollektionen, die sich »less about fashion and more about clothes« drehen sollten (vgl. Zitat von Armani in Potvin 2013a, 330). Seine Modenschauen organisierte er als »Gesamtkunstwerke« vollständig in Eigenregie und kreierte, insbesondere durch die minutiöse Kontrolle der Bewegungen und Gesten der Models auf dem Laufsteg, einen unverwechselbaren Armani-Stil, der sich bis heute erhalten hat. Auch wenn sein Motto »My atmosphere is everything!« (ebda., 349) lautet, distanziert er sich in zahlreichen Zitaten von den spektakulären Präsentationen seiner KonkurrentInnen. Es ist allerdings zu bedenken, dass Armanis Konzept nur deswegen aufzugehen scheint, weil er einen Kontrast zu den pompösen Modenschauen anderer DesignerInnen anbietet. Als Anti-Spektakel affirmiert Armani den Trend des Spektakels und sichert seine Existenz durch ihn. Das Beispiel Armani sollte an dieser Stelle nicht unbemerkt bleiben, da seine Show sich gerade durch eine explizite, bewusste Ausformulierung von Gesten und Bewegungen im Raum auszeichnet und diese besonders in den Mittelpunkt rückt, um sich quasi auf das Wesentliche der Modenschau zu konzentrieren: Die inszenierte Bewegung bekleideter Körper im Raum. Die Untersuchung der Bewegungen in Modenschauen birgt eine Vielfalt an Erkenntnissen über das Verständnis vom (modischen) Körper, über Körperpraktiken sowie über Machtverteilungen, die durch diese Praktiken manifestiert werden und auf das gesamte Modebusiness Einfluss haben. So vermuten auch Joanne Entwistle und Agnès Rocamora (2006, 738), dass die Modenschauen als Ort der Zusammenkunft vor allem dazu da sind, die Ordnungsstrukturen und Machtverhältnisse des globalen »fashion system« an Ort und Stelle zu bestätigen oder neu auszurichten (vgl. hier auch Kawamura 2004,

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62). ModedesignerInnen setzen die von den Models ausgeführten Bewegungen, die meist aus einfachem Defilieren und gezieltem Pausieren/Posieren, seltener aus einer aufwendigen Choreografie mit Tanzelementen bestehen, gezielt ein (vgl. weiterführend Kühl 2015). Oft behelfen sie sich motorisierter (Fort-)Bewegungsmittel, wie Karussells, Flugzeugen, Rolltreppen oder Eisenbahnen, oder nutzen Projektionen, die Bewegung simulieren (vgl. hier Kühl 2013). Die Bewegung und das Posieren in der Modenschau sind immer an die Form und Beschaffenheit des Laufstegs gebunden. Er bestimmt zum einen die ›Modeldichte‹, ihre Laufrichtung und -geschwindigkeit sowie die Möglichkeiten für eine (getanzte/geschauspielerte) Choreografie, Interaktion oder Improvisation, zum anderen die Sitzpositionen der ZuschauerInnen und ihre Blickführung. Im Folgenden sollen einige Gedanken festhalten werden, die sich auf die typische ›T‹-Form des Laufstegs beziehen, um die Relevanz einer Untersuchung von Bewegung auf dem Laufsteg aufzuzeigen. Zu Beginn der Modenschaugeschichte waren in den Ateliers der DesignerInnen die Präsentationen ebenerdig und auf die sitzenden KundInnen ausgerichtet: Abgesehen davon, dass die Models ihnen ähneln sollten (sog. »sosies«, vgl. Kapitel III.1), wurde auch ihre Bewegung der Anordnung der Sitze angepasst. Die Erhöhung des Laufstegs um die Jahrhundertwende vollzog sich mit den oft theatralen Präsentationen beispielsweise einer Lady Lucy Duff Gordon, die gelegentlich mit kleineren, runden Bühnen arbeitete, vor denen das Publikum – ähnlich der Sitzsituation in einem klassischen Theater – in mehreren Reihen saß. Der längliche Laufsteg mit seiner in das Publikum hineinragenden Gestalt hat sich laut Christel Weiler aus der ähnlich geformten Bühne des japanischen Kabuki-Theaters, Hanamichi genannt, entwickelt.64 Es könnte jedoch auch mit den ersten Modenschauen in Kaufhäusern Anfang des 20. Jahrhunderts zusammenhängen, die für ein größeres Publikum zugänglich waren und demnach eine sinnvollere Sitzanordnung verlangten. Die jahrzehntelange Beibehaltung dieser traditionellen Laufstegform muss einige Vorteile vorweisen können, die für die Präsentation von Mode entscheidend sind. Das offensichtlichste Kriterium ist das der besten Platzierungsmöglichkeit, denn die ›T‹-Form ist die 64 | In ihrem Artikel heißt es: »Auch die Verwendung des (Lauf-)Stegs als Bühne ist bekannt: das japanische Kabuki-Theater nutzt einen Steg als festen Bestandteil der Theaterarchitektur. Der Hanamichi ist primär als Ort der Präsentation für die Akteure errichtet. Sie zeigen dort ihre prächtigen Kostüme und dürfen Geschenke aus dem Publikum entgegennehmen, besonders hervorgehobene Spielszenen, Auftritte und Abgänge finden dort statt. Zu Beginn des Jahrhunderts verwendete Max Reinhardt den Steg, in neuerer Zeit die französische Regisseurin Arina Mnouchkine ebenso wie der amerikanische Theaterkünstler Robert Wilson, um nur wenige bedeutende Namen zu nennen« (Weiler 1998, 196). Der Hanamichi wird auch in Fischer-Lichte 1999, 50-63 diskutiert.

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Form, bei der die meisten ZuschauerInnen am meisten sehen. Eine weitere Vermutung ist eine ästhetische: Das Verhältnis des hinteren Teils (b), also der Teil, der als Auf- und Abgang der Models dient, zum länglichen, in das Publikum ragende Teil (a) könnte das des goldenen Schnittes sein [a:b = (a+b):a]. Dieser Überlegung widerspricht jedoch die Tendenz, dass mit der Weitläufigkeit der Location der Modenschau auch die Laufsteglänge (Teil a) zunimmt. Der berühmte von Galeria Kaufhof organisierte »Catwalk Kö« auf der Königsallee in Düsseldorf beispielsweise ragte im Jahre 2005 700 Meter in das Publikum hinein. Eine weitere Erklärung könnte in die Richtung gehen, dass die durch die ›T‹-Form vorgegebene Anordnung der laufenden und sitzenden Personen zueinander an Anordnungen anderer Institutionen erinnern soll, wie an die eines Kircheninnern oder eines prototypischen Klassenzimmers. Man könnte sich durchaus fragen, ob es zwischen ihnen funktionale oder ästhetische Parallelen gibt.65 Des Weiteren, vielleicht aus einer eher kulturhistorischen Perspektive heraus, könnte man argumentieren, dass der Zauber der Baudelaireschen »Passante« (Baudelaire 1976 [frz. 1857], 140) oder der Simmelschen »Kokette« (1998a [1911]) nur durch die Situation des Vorübergehens und der »Gleichzeitigkeit von Entgegenkommen und Versagen« (ebda., 94) erschaffen werden kann, die durch diese Form des Laufstegs begünstigt ist. Die ›T‹-Form des Laufstegs könnte jedoch auch eine ›modetheoretische‹ Erklärung haben. Das Model schnellt über den langen, ins Publikum ragenden Teil des ›T‹-förmigen Laufstegs in die Menge hinein, was durch den geradlinigen Gang und die rhythmische Musik unterstrichen wird. Es konfrontiert das Publikum mit seiner plötzlichen Präsenz und mit dem gezeigten Kleid und macht dann postwendend kehrt, um über den kurzen, hinteren Teil des ›Ts‹, der auf beiden Seiten den Abgang hinter die Kulissen ermöglicht, zu verschwinden. Ein direktes, schnelles Auftauchen gefolgt von einem plötzlichen Verschwinden wird durch die ›T‹-Form begünstigt und versinnbildlicht die Mode als Wechselphänomen: Das Model leitet eine Art Löschvorgang ein, überschreitet das vorherrschende Modeverständnis und unterbreitet einen neuen Vorschlag. Ähnlich wie Walter Benjamin stellt René König die Dialektik dieses Vorgangs heraus: »Genau damit enthüllt sich aber der Doppelaspekt des Entfaltungsprozesses des modischen Bewusstseinssystems: Er bringt nicht nur die Mode zu ihrer Vollendung, sondern – indem er das tut – löscht er auch die vorhergehende, weil er der alten Botschaft eine neue gegenüberstellt. Wenn man will, kann man diesen Komplex als dialektischen Prozess erfassen, in dem der Aufbau des Neuen gleichzeitig die Negierung und Löschung des Alten bedeutet.« (König 1999, 63) 65  |  Exemplarisch bietet sich für einen Vergleich die Modenschau von Michael Michalsky H/W 2009 an, die in der Zionskirche in Berlin aufgeführt wurde. Vgl. Kühl 2014.

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Das Ziel einer Modenschau ist unter anderem, (Kauf-)Begehren zu erzeugen. Gertrud Lehnert spricht in diesem Zusammenhang von einem durch Atmosphären erschaffenen, paradoxen und uneinlösbaren Versprechen (vgl. Lehnert 2006, 15f.). Das Defilee bzw. die Choreografie der Models ist – genauso wie die Höhe des Laufstegs und seine Form – Teil einer Inszenierung dieses Versprechens. Begehren wird durch Mangel oder Verbot erzeugt; die Laufrichtung des Models – hin zum Publikum, dann eine schnelle Drehung und wieder zurück – soll bei den ZuschauerInnen das Gefühl hinterlassen, das Vorgeführte noch einmal sehen zu müssen, weil das Model so schnell mit dem begehrten Kleidungsstück wieder kehrtgemacht hat. Das Kleidungsstück ist für das Publikum und die FotografInnen nur während eines kurzen Moments greif bar, wenn das Model am Laufstegende Halt macht, und wird ihnen Sekunden später wieder entrissen. Um den ZuschauerInnen noch ein letztes Mal alle Kleidungsstücke in Erinnerung zu holen und um das Begehren erneut aufzufrischen, lassen die DesignerInnen alle Models im Finale abermals auftreten (auch aus dem bereits genannten Grund der inhaltlichen Komprimierung durch Wiederholung). Die ›Sehnsucht‹ nach einem ›Wiedersehen‹ endet dann im Kauf. Die Erzeugung dieser Ephemeralität ist außerdem ein Grund, warum DesignerInnen nicht auf Modenschauen verzichten wollen: Eine derartige Beeinflussung des Zuschauerbegehrens ist im Showroom, im Geschäft, in der Werbeanzeige oder in immer wieder abspielbaren Werbefilmen nicht so eindrucksvoll möglich. In diesem kurzen Gedankenspiel lässt sich die Bewegung des Models auf einem ›T‹-förmigen Laufsteg als eine Visualisierung des Lösch- und Geburtsprozesses der Moden (im Sinne von König) interpretieren. Als Forschungsdesiderat, das allerdings in diesem Buch nicht behandelt werden kann, seien folglich die Untersuchung von choreografierten Bewegungen, die Laufstegformen (wie z.B. U-förmige) auslösen, sowie der Versuch einer Deutung dieser, formuliert (vgl. hier Kühl 2015).

(j) Modenschauen spezifischer DesignerInnen Neben den bereits angeführten Ausstellungskatalogen, die sich auf die Geschichte der Modenschauen beziehen, sowie den Artikeln, die sich der Kategorisierung von Modenschauen widmen, gibt es vereinzelt Publikationen, die die Modepräsentationen spezifischer DesignerInnen in Augenschein nehmen. Caroline Evans beschäftigte sich beispielsweise eingehend mit den Modenschauen von Elsa Schiaparelli (1999), Alexander McQueen (2001b) und Jean Patou (2008); Nancy Troy (2002, 2004 u. 2010) mit Paul Poiret und Charlotte Silbermann (2012) ebenfalls mit Alexander McQueen. Diese Publikationen werden zurate gezogen, wenn bei einzelnen Modenschaubeispielen Hintergrundinformationen benötigt werden.

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Schlussendlich soll ein Überblick über die Artikel und Bücher über Modenschauen gegeben werden, die zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Buches noch in Planung sind. Von denen uns bereits bekannten AutorInnen sei auf einen hier nicht mehr berücksichtigten Artikel von Nathalie Khan (2013) hingewiesen, der in einem zweiten Band des Sammelwerks Fashion Cultures gewissermaßen als Antwort auf ihren Artikel in der ersten Auflage fungieren könnte. In diesem Artikel spricht sie über den Einfluss des Selbstmordes von Alexander McQueen auf die Tradition der spektakulären Modenschauen, deren Ende sie in einigen Vorträgen66 zur Diskussion gestellt hat. Die viel zitierte Caroline Evans hat zur der Zeit der Fertigstellung dieses Buches eine Monografie (2013) über die Anfänge der Modenschau publiziert, die hier leider nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Die Modenschau als wissenschaftliches Thema findet nun auch in Doktorandenkreisen größeren Zuspruch. An der Universität Dortmund verfasst Marie Helbing ihre Dissertation67 über die ersten Modenschauen Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin anhand der Auswertung von Zeitungsmaterial in Erweiterung ihrer Magisterarbeit, die in einem Artikel auch als Kurzfassung publiziert wurde (Helbing 2012). Die Musikwissenschaftlerin Christina Zenk (2014) untersuchte an der Universität Siegen den Gebrauch von Musik in Modenschauen, Sabina Muriale68 von der Akademie der bildenden Künste in Wien beschäftigt sich mit den Präsentationsformen von Mode im digitalen Zeitalter (z.B. in »fashion short films«). Schließlich sei noch auf die Forschungen von Daniëlle Bruggeman69 hingewiesen: Anhand der Mode und den Modenschauen ausgesuchter niederländischer DesignerInnen, unter anderem von Viktor & Rolf, untersucht sie, wie das Verständnis von »kultureller Performance« dazu beitragen kann, zu verstehen, wie Mode individuelle und nationale Identität konstruiert. Was ist nun zusammenfassend über eine Theorie der Modenschau zu sagen? Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass die Modenschau historisch 66  |  Zum Beispiel bei der Tagung »Fashion Tales« an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand am 08.06.2012 sowie in dem Workshop »Theorizing Fashion« mit Elena Esposito und Joanne Entwistle, der von Katja Weise und Alicia Kühl an der Universität Potsdam am 18.12.2012 organisiert wurde. 67 | Helbing, Marie (in Vorbereitung): Mode für die Massen. Die Modenschauen der Berliner Konfektion, 1902-1936 (AT). Dissertation. TU Dortmund, Dortmund. Institut für Kunst und Materielle Kultur. 68 | Muriale, Sabina (in Vorbereitung): Modepräsentationen im digitalen Zeitalter – Vom Catwalk zum Netwalk (AT). Dissertation. Akademie der bildenden Künste, Wien. Department für Moden & Styles. 69 | Bruggemann, Daniëlle (in Vorbereitung): The performance of identity through fashion (AT). Dissertation. Universität Radboud, Nimwegen.

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verhältnismäßig umfassend aufgearbeitet wurde, was vor allem Caroline Evans zu verdanken ist. Evans, Gregg Duggan, Kamitsis und Khan haben zudem versucht, Kategorien oder Motive zu finden, nach denen zeitgenössische Modenschauen eingeteilt werden könnten – häufig gehen diese Kategorisierungen jedoch nicht auf und zudem oft nicht über eine Deskriptionsebene hinaus. Konstruktiver erscheint das Vorgehen, Modenschauen mit Performances zu vergleichen oder als Gesamtkunstwerke zu verstehen, da man in diesen Fällen auf das Vokabular anderer Disziplinen zurückgreifen kann. Was wäre von einer Modenschautheorie ansonsten zu erwarten? Erstrebenswert ist m.E. eine Erklärung der Funktion, Position und Wirkung einer Modenschau innerhalb des Modezyklus. Daher wird sie hier nicht als zusammenhangsloses Ereignis betrachtet – wozu eine theater- oder kunstwissenschaftliche Analyse verleiten könnte –, sondern als integralen Bestandteil des gesamten Modesystems. Ihre Besonderheit liegt im Zeigen von Neuem, was sich in den letzten 30 Jahren in ein Erzeugen von Neuem verwandelt hat. Die vorliegende Untersuchung möchte also eine modesystemische Theorie der Modenschau entwickeln. Diese Perspektive ist neu und vielversprechend, denn sie läuft auf eine Argumentation hinaus, die eine Neubewertung des gesamten Modesystems nach sich ziehen könnte. Falls die Modenschau tatsächlich das Neue hervorbringen sollte, ist eine Funktionszuweisung als neuer Motor des Modeprozesses zulässig. Dies stellt nicht nur die Genialität und Inventivität der DesignerInnen in Frage, sondern auch die anderen Mechanismen, die bisher für eine Diffusion von Mode herausgearbeitet wurden. Wenn alles – unabhängig davon, ob es von den DesignerInnen oder ›von der Straße‹ kommt – erst das Nadelöhr der Modenschau passieren muss, um Mode zu werden, weil es hier erst die Zuschreibung des Neuen erhält, kann die Modenschau als Knotenpunkt des Modeprozesses identifiziert werden.

2. P ositionierung In Anbetracht der vielfältigen, zuvor genannten Ansätze, die zum einen auf allgemeiner modetheoretischer Ebene, zum anderen speziell auf Modenschauen bezogen, zur Erarbeitung des Themas hilfreich waren, gilt es nun, sich ihnen gegenüber zu positionieren. Diese Positionierung ist zweigeteilt: in eine Begrenzung des Forschungsfeldes, womit eine Fokussierung auf die Modenschauen einer bestimmten Zeitspanne und bestimmter DesignerInnen gemeint ist, sowie in eine Handhabbarmachung von Begrifflichkeiten, die für die Untersuchung grundlegend sind.

II. Moden beschauen

2.1 Eingrenzung des Forschungsfeldes Die DesignerInnen befinden sich seit Mitte der 1980er Jahre in einer ›Bredouille‹, da es schwierig geworden ist, im Bereich des Modedesigns etwas Neues zu erfinden. Sie sind gewissermaßen in der »Mode nach der Mode« (Vinken) verharrt, die entweder auf vergangene Moden anspielt und/oder sie kommentiert bzw. selbstreflexiv ist, indem sie auf ihren Herstellungsprozess oder ihre Vergänglichkeit verweist. Die Interpretation dieses Stadiums als Phase des ›Verharrens‹ und als Zeichen mangelnder Inventivität stößt in Diskussionen oft auf zwei Gegenargumente: erstens darauf, dass alles Alte, selbst wenn es nicht einmal materiell verändert wurde, in einem aktuellen Kontext automatisch neu sei. Zweitens sei jede Neuproduktion eines Kleidungsstückes, egal ob es modisch neu ist oder nicht, neu im Sinne von ›neu auf der Welt‹. Hier wird allerdings ›neu‹ als eine Wertung im Sinne von ›bisher so noch nicht gesehen‹ verstanden, die aus einem Abgleich des vermeintlich Neuen mit bereits Abgespeichertem im kollektiven Mode-Gedächtnis resultiert. Der Grad der Wiedererkennung eines Kleidungsstückes mindert infolgedessen den Grad der Inventivität (vgl. Begriffsbestimmung des Neuen weiter unten). Neuerungen in der Textilherstellung, insbesondere das sog. ›technische Kleid‹ 70 betreffend, sowie Maßnahmen zur Nachhaltigkeit, die man ggf. als neuheitliche Ansätze verstehen könnte, sind im Bereich der »high end fashion« 71 bislang nur vereinzelt aufgetreten – wobei eine zukünftige Aufnahme dieser Ideen natürlich nicht auszuschließen ist. Stattdessen behelfen sich die DesignerInnen der Erfindung immer ausgeklügelter Inszenierungen ihrer Kleider. Die in diesem Buch untersuchte Zeitspanne beginnt mit der Präsentation von Thierry Mugler zu seinem zehnjährigen Jubiläum 1984 und dauert bis heute an. Die Wahl dieser konkreten Modenschau wird in Kapital III.2 begründet. Die Modenschaubeispiele, die im Folgenden angeführt werden, entstammen einem Pool ausgewählter DesignerInnen, die in der fach- und populärwissenschaftlichen Literatur als zentrale Figuren zeitgenössischer Mode angesehen werden: Alexander McQueen, Dries van Noten, Hussein Chalayan, John Galliano, John Galliano für Dior, Karl Lagerfeld für Chanel, Karl Lagerfeld für Fendi, Maison Martin Margiela, Michael Michalsky, Sonia Rykiel, Thierry Mugler und Viktor & Rolf. Diese DesignerInnen zielen nicht auf den Massenabsatz ihrer Kleidung ab, sondern sprechen aufgrund ihrer hohen Preise nur einen kleinen Konsumentenkreis an. In der Mode fallen oft die Kriterien hoher Preis, gehobene Qualität der Textilie und ihrer Verarbeitung sowie ein künstlerischer Anspruch 70  |  Hiermit bezeichnet man Textilien, die beispielsweise mit LED-Leuchten oder Sensoren zur Wärmeregulierung, Farbveränderung oder Bewegungsübertragung versehen sind. Vgl. hierzu u.a. Wolter 2009; Quinn 2010 u. 2012. 71  |  Hiermit bezeichnet man den gehobenen und Luxus-Bekleidungsmarkt.

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am Design zusammen. Wie Petra Leutner bemerkt, erstreckt sich »[d]ie Anerkennung auf dem Feld der Mode […] folglich keineswegs nur auf kommerziellen Erfolg, sondern auch auf genuin künstlerische Aspekte, deren Akzeptanz sich als eine der Gemeinsamkeiten zwischen Kunstsystem und Modesystem herausstellt« (Leutner 2011, 5f.). Das, was sich in der Kunst als Konzeptkunst oder Performance-Kunst in den 1960er Jahren entwickelt hat, scheint teilweise auch zur selben Zeit in der Mode Anklang gefunden zu haben, fungierte jedoch als Untermalung und Inszenierung modischer Neuheiten, wie die Präsentation der »Space-Age«-Kollektion von André Courrège (1964) oder die karnevalesken Shows von Vivienne Westwood (ab 1981). Die Verselbstständlichung der Inszenierung allerdings kann als eine Folge des Mangels kleidungsbezogener Neuheiten gesehen werden und ist ab Mitte der 1980er zu verzeichnen. Zusammengefasst haben wir es also mit einem knapp 30-jährigen Zustand zu tun (1984-2013), der vor allem traditionelle Modehäuser betrifft, die an der ›ideellen‹ Spitze des Modebusiness stehen und die aufgrund dieser zentralen Stellung am Stärksten mit der Erwartung konfrontiert werden, modische Neuheiten zu präsentieren. Das Forschungsmaterial ist, wie bereits in Kapitel I.3 »Vorgehensweise« beschrieben, das Videomaterial, das die betreffenden DesignerInnen bzw. DrittanbieterInnen auf ihren Internetplattformen zur Verfügung stellen. Dabei geht es nicht um eine vollständige Bestandsaufnahme aller Modenschauen der genannten DesignerInnen, sondern um eine Argumentationsführung mithilfe ausgesuchter Schauen.

2.2 Handhabbarmachung grundsätzlicher Begrifflichkeiten Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass in der Modetheorie aufgrund ihrer ›Jugend‹ 72 und ihres interdisziplinären Charakters wenige Begriffe klar und einstimmig definiert sind. Im Folgenden sei daher offengelegt, wie hier zentrale Termini verstanden und gebraucht werden. Sicherlich stimmen sie dabei in einigen Punkten mit den definitorischen Ausführungen zuvor angeführter ModetheoretikerInnen überein, in anderen Punkten wiederum nicht. In diesem Kapitel sind also zunächst Erläuterungen zu den Begriffen bzw. Begriffsfeldern  Mode;  Mode vs. Kleidung, Nicht-Mode, Einst-Mode, AntiMode, Trend, Stil, Tracht; und  Modenschau zu finden. Es mögen bei der Besprechung der Ansätze der ModetheoretikerInnen stellenweise Fachwörter aufgefallen sein, die nicht unbedingt der Modetheorie zuzuordnen sind. Die Begriffe  Performativität, Inszenierung und Aufführung;  Das Neue;  At72 | Beispielsweise gibt es immer noch keine Einträge zur »Modetheorie« oder »Modewissenschaft« in den bekannten deutschen Nachschlagewerken (z.B. Brockhaus Enzyklopädie 2006) und auch nicht im deutschen oder englischen Wikipedia (Stand September 2014).

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mosphäre;  Raum;  Bild und  Kollektives Mode-Gedächtnis sind wegweisend für die Recherchen zu diesem Buch gewesen. Ihnen wird sich in diesem Kapitel ebenfalls definitorisch angenähert – im Verlauf des Buches werden sie zunehmend eine Rolle spielen und eine immer stärkere Konturierung erhalten.  Mode:

Mode ist aus vielen verschiedenen Perspektiven zu betrachten, aus denen sich die Modetheorie letztendlich zusammensetzt: aus der kulturanthropologischen (z.B. Simmel, König, Loschek), aus der psychologischen (z.B. Flügel), der semiologischen (z.B. Barthes), der ökonomischen (z.B. Sombart), der systemtheoretischen (z.B. Esposito), der gendertheoretischen (z.B. Lehnert) oder auch der ästhetischen und/oder performanztheoretischen Perspektive (z.B. Lehnert, Evans). Die Modetheorie stellt sich also als ein interdisziplinäres Forschungsfeld dar, das keine einstimmigen Definitionen anbieten kann, sondern gerade davon lebt (wie ihr Forschungsobjekt selbst), mit der Veränderung der Gesellschaft, der Individuen und ihrer Bedürfnisse selbst im ständigen Wandel zu sein. Dem Begriff der Mode kann man sich zunächst einmal mithilfe seiner etymologischen Wurzel nähern. Mode kommt vom lateinischen »modus« und bedeutet rechtes Maß bzw. Art und Weise. Wie Loschek (2011, 379) erklärt, brachte Maria de Medici 1600 ihren Kleidungsstil »al moda italiana« nach Frankreich. Da Frankreich in der Folgezeit kulturell tonangebend war, wurde der Begriff »Alamode« bzw. »à la mode« auch in Deutschland gebräuchlich. Mode bedeutete seitdem Sitte und Brauch, insbesondere im Bereich der Kleidung. Loschek ist es auch, die aus ihrer kulturanthropologischen Perspektive eine recht umfassende Definition hervorgebracht hat, die die Komplexität des Begriffs Mode verdeutlicht: »Mode ist eine auf Imponier-, Geltungs- und Nachahmungstrieb, auf Schmuckbedürfnis (schöpferische Phantasie), erotische Anziehung, seit geschichtlicher Zeit auf Äußerung sozialer, seit der Neuzeit auch finanzieller Unterschiede, auf Zeitgeschmack, Sitte und Gesellschaftsform beruhende Art und Weise der äußeren Lebenshaltung. Mode ist somit Selbstdarstellung ebenso wie Ausdruck der Lebens- und Denkweise zumindest einer Gruppe von Menschen in einer Zeit. Die Lebensweise ihrerseits ist von sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und technischen Faktoren bestimmt. Ein ModeVorschlag vermag sich durchzusetzen, wenn er mit dem Zeitgeist korrespondiert, aber erst dann: z.B. hatte Mary Quant mit ihrem bereits 1958/59 kreierten Mini erst 1964 Erfolg. Ein Kleidungsstil gilt als Mode, sobald er zumindest von einer größeren Gruppe der Gesellschaft angenommen worden ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Mode oft mit Kleidung gleichgesetzt.« (Loschek 2011, 379f.)

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Über die Datierung des Auftauchens des Begriffes ist man sich einig, jedoch nicht über die des Phänomens. Modisch tonangebend ist immer jeweils die politisch oder kulturell dominierende Schicht, so Loschek (ebda.), daher könne man bis in das Altertum zurückgehen, um modische Strömungen zu verfolgen. Hollander (1995 [engl. 1994], 31) und Lynch und Strauss (2007, 2) datieren die Geburt der Mode im späten Mittelalter.73 Esposito ist da anderer Meinung: Erst mit der Zerrüttung des mittelalterlichen Ordnungssystems im 17. Jahrhundert veränderten sich die interindividuellen Verhaltensweisen, die hierarchischen Beziehungen und die Abhängigkeitsverhältnisse, sodass die Individuen in anderen Bezugssystemen Halt suchten, unter anderem in dem Bezugssystem Mode, das trotz seiner Paradoxien verbindlich sei (vgl. Esposito 2011, 606). Lehnert wiederum sieht den Beginn der Mode erst seit der durch die Französische Revolution erreichten Abschaffung der Kleiderordnungen, da ab diesem Zeitpunkt die bürgerlichen Schichten ein eigenes Spezialistentum herausbilden konnten, was in die Herausbildung des Modeschöpferberufs Mitte des 19. Jahrhunderts mündete (vgl. Lehnert 1996, 48ff; sowie 1998a, 10). Die zeitliche Festsetzung der Geburt der Mode als Phänomen erweist sich offensichtlich als schwierig.74 Daher bemühen sich die WissenschaftlerInnen auch um andere zeitungebundene Definitionen, die im Folgenden skizziert werden: Mit Mode kann zunächst eine objektübergreifende Aktualität oder Veränderung gemeint sein, die nicht nur an Kleidern, sondern auch am Körper (mit seiner Form und Beschaffenheit, mit seinen Haaren und Nägeln), an Gewohnheiten in der Gestikulation und im Gang, an häuslichen Einrichtungsstilen etc. festgemacht werden kann. Dieses Verständnis von Mode findet man insbesondere bei den frühen Modetheoretikern (z.B. bei Vischer oder Simmel) und in den heutigen Megatrendanalysen. Im Verlaufe des frühen 20. Jahrhunderts jedoch ging man zunehmend dazu über, unter Mode (Frauen-)Kleidung zu verstehen, also die vestimentären Objekte an sich, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dieses Verständnis wird häufig mit den Komposita Kleidermode oder Kleider-Mode umschrieben. Laut Lehnert handelt es sich dann um KleiderMode, wenn die Kleidung »nicht in ihrer Funktionalität aufgehen, sondern einen ästhetischen Überschuss haben« (Lehnert 2001b, 127f.). Wenn man sich von einer einzelnen Kleider-Mode löst und mehrere hintereinander oder in anderen Zusammenhängen auf einer Metaebene betrachtet, kann man unter Mode auch die stetige Veränderung der (Frauen-)Kleidung verstehen, also als 73  |  Hollander begründet diese Datierung damit, dass die Mode sich in dieser Zeit von der Bekleidung insofern abgrenzte, als sie sich nun mit dem Körper und seiner Form befasste. 74  |  Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Datierung des Mode-Phänomens sind an dieser Stelle bündig zusammengefasst: Loschek 2007, 163-165.

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ein Wechselphänomen, welches von vielen Paradoxien gezeichnet ist, die beispielsweise Simmel, König oder Esposito herausgearbeitet haben. Des Weiteren kann man von der Mode als System sprechen, das in sich geschlossen ist und seine eigenen Regeln, Mechanismen, Gewohnheiten, Codes und Anerkennungspraktiken hat (z.B. Leutner 2011). Innerhalb dieses Systems kann es eine bestimmte Art der Kommunikation durch und mit Kleidern geben. Daher könnte man Mode als eine Sprache, als ein Zeichensystem verstehen, mit dessen Hilfe die TrägerInnen – bewusst oder unbewusst – Botschaften vermitteln. Auf einer modesystemischen Ebene, die versucht, die wirtschaftlichen und marktstrategischen Verhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren, versteht man Mode als eine Gruppe von Institutionen und AkteurInnen, die Kleider produzieren, in Umlauf bringen und somit an der Bestimmung von dem, was ›in‹ und ›out‹ ist, teilhaben (z.B. Entwistle, Kawamura, Kühl). Klammert man bei dieser Perspektive die kulturwissenschaftlichen und soziologischen Fragestellungen aus, hätte man es mit einem Verständnis von Mode als reine Mode-Industrie zu tun. Eine typische kulturwissenschaftliche Fragestellung ist die nach der Mode als kulturelle (Alltags-)Praxis, also als eine Form des Umgangs mit Kleidern in sozialen Gefügen: Alleine das Anziehen ist bereits ein performatives Handeln, da wir mit der Kleidung bestimmen, wie wir uns an dem Tag fühlen, wie wir auftreten und uns verhalten werden (vgl. Lehnert). Diese Fragestellung ist insofern besonders fruchtbar, als sie sich aus verschiedenen, interdisziplinären Perspektiven heraus bearbeiten lässt, beispielsweise aus der Soziologie, Gendertheorie, Philosophie (Anthropologie, Ästhetik), aus den Theaterwissenschaften oder der Psychologie. Ein letztes Verständnis des Begriffs Mode stärkt den Aspekt der Neuheit, Flüchtigkeit und Unvorhersehbarkeit (vgl. Lehnert 2008, 89) – sicherlich ein Gesichtspunkt, der in allen Definitionen eine Rolle spielt, der an dieser Stelle jedoch betont werden soll, um das dem vorliegenden Buch zugrunde liegende Verständnis von Mode herauszustellen: Mode ist eine Zuschreibung, die ein Kleidungsstück dann erhält, wenn es von einem modeversierten Publikum als etwas Neues anerkannt wird. Die Schaffung des Neuen liegt in der Aufgabe der DesignerInnen, also auf Produktionsebene. Die Zuschreibung einer Kleidung als Mode erfolgt durch das Anerkennen dieses Neuen von Seiten des Publikums, also auf der Rezeptionsebene. Das Neue muss nicht unbedingt eine neue Beschaffenheit oder Form des Objekts sein, an das die Zuschreibung gerichtet ist, jedoch muss es an ihn gebunden (›gekoppelt‹) werden. Das modeversierte Publikum besteht nicht aus EndkonsumentInnen, sondern zeichnet sich durch sein Spezialistentum aus. Damit wird gegen eine Auffassung von Mode argumentiert, nach der die Kleidung erst zur Mode werde, wenn alle bzw. eine größtmögliche Gruppe sie trägt (so z.B. Loschek 1991, 261 o. 2011, 379f.) und gegen eine Auffassung von Mode, die unabhängig von

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der Einflussnahme der ProduzentInnen und KonsumentInnen existieren soll (so z.B. Hollander75). Wie Kawamura, Entwistle und Leutner wird in diesem Buch von einer kleinen Gruppe von EntscheidungsträgerInnen ausgegangen, die innerhalb des Modesystems die Macht und das Know-how hat, das Neue von dem Alten zu unterscheiden und diese Entscheidung publik zu machen. Die EndkonsumentInnen meinen zwar, durch subkulturelle Straßentrends oder durch die Praxis des DIY (»do it yourself«) an den Entscheidungen teilzuhaben, jedoch setzen sich solche Trends nur durch, wenn sie wiederum von DesignerInnen und SpezialistInnen ›hochgeholt‹ werden (durch den Gebrauch der Dienste von Trend-Forecasting-Agenturen, wie den WGSN beispielsweise), um als Mode dann herunterzusickern. Im Grunde wird hier also das Trickle-Down-Prinzip verfochten, an dessen Spitze jedoch nicht eine bestimmende Klasse, ein Stand, eine Schicht oder das Unternehmertum steht und auch nicht der oder die geniale DesignerIn alleine, sondern ein Spezialistentum, das als ein Kreis ›oligarchisch‹ organisierter EntscheidungsträgerInnen die Modenschau als Ausgangspunkt für seine Entscheidungsfällung nimmt (vgl. Kawamura 2004, 13). Die diese Untersuchung leitende Definition von Mode lautet folglich: Mode ist eine Zuschreibung, die vom Spezialistentum eines Modesystems für eine bestimmte Kleidung verhandelt und ggf. erteilt wird. Hauptkriterium des Aushandlungsprozesses ist die Inventivität der Kleidung bzw. ihres Kontextes, in dem sie präsentiert wird. Da sich eine Verlagerung der Inventivität von der Kleidung hin zum Kontext seit den 1980ern beobachten lässt, ist die Modenschau als Ausgangsbasis des Aushandlungsprozesses zum entscheidenden Ort, Moment und Instrument der Aushandlung avanciert.  Mode



vs. Kleidung, Nicht-Mode, Einst-Mode, Anti-Mode, Trend, Stil, Tracht:

Kleidung ist das vestimentäre Objekt selbst noch vor jeglicher Zuschreibung. Das vestimentäre Objekt kann im Prozess der Zuschreibung das Etikett Mode erhalten, oder aufgrund des Mangels von Neuheit das Etikett Nicht-Mode. Zu 75  |  »Innovativer Genius im modernen Kleidungsdesign ist so selten wie auf allen anderen Gebieten, und die Welt holt ihn oft erst dann ein, wenn der allgemeine Geschmack es zuläßt. Inzwischen sind Armeen von Designern am Werk und demonstrieren, daß die Mode sie beherrscht, genau wie uns andere auch, und daß es ihr eigentliches Ziel ist, uns – wenn möglich – mit ihrer spezifischen Version zu gefallen. Ich werde also so tun, als ob die Mode in der Kleidung eine Kraft mit eigenem Willen sei, die der kollektive Wunsch westlicher Menschen ins Leben gerufen hat und die deshalb eine unabhängige Existenz führen kann. Es scheint so, als ob Designer und Publikum zusammen die Mode nur auf diesem Weg energisch weitertreiben können.« (Hollander 1995, 25)

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unterscheiden ist die Mode und die Nicht-Mode von der Einst-Mode und der Anti-Mode. Einst-Mode ist, wie der Name schon sagt, Kleidung, die einmal die Zuschreibung Mode erhalten hat und im nächsten oder den Folgezyklen von einer neuen Mode ersetzt wurde. Unter einem Modezyklus ist demzufolge eine Periode zu verstehen, die dann beginnt, wenn eine Kleidung als Mode etikettiert wird bis hin zum nächsten Zeitpunkt, bei dem der nächste Zuschreibungsprozess in Gang gesetzt wird. Die Einst-Mode bleibt im kollektiven Mode-Gedächtnis eingespeichert und wird erkannt, wenn sie in neuen Moden wieder aufgegriffen wird, und zwar oft als sogenannter Stil (siehe Trend). Die Anti-Mode ist eine Gegenbewegung zur Mode, die, wie Simmel schon erkannte, die gültige Mode gerade bestärkt, weil sie als absichtliche Unmodernität eine Nachahmung der Mode ist mit »verkehrtem Vorzeichen« (Simmel 1998b [1911, 1905], 50). Der Begriff des Trends sei in zweierlei Phänomenen verortet, die auch im allgemeinen Sprachgebrauch üblich sind: Zum einen sei ein Trend als das bezeichnet, was in der Trickle-Up-Theorie mit kleiderbezogenen Auffälligkeiten ›von der Straße‹ gemeint ist. Wie oben erklärt, setzen sich solche Trends erst als Moden durch, wenn sie vom Spezialistentum erkannt, als Mode erklärt und so publik gemacht werden. Ein Trend von der Straße durchläuft so zwingend die Entscheidungsmaschinerie auf dem Weg zur Mode. Zum anderen wird Trend im Sinne des sog. ›Megatrends‹76 als eine besonders tiefgreifende und nachhaltige Entwicklung verstanden. Mehrere Moden, die hintereinander auf ähnlichen Neuheiten basieren, kann man so als Megatrend zusammenfassen (so scheint sich seit den 1980er Jahren die Leggins und im Anschluss dazu die Röhrenhose als Megatrend, d.h. über verschiedene Moden hinweg, etabliert zu haben). Wenn ein Trend in der Vergangenheit liegt, kann er im kollektiven Mode-Gedächtnis zu einem Stil abgespeichert werden. Die Institute oder Agenturen, die Trendforschung betreiben, beschäftigen sich also zum einen mit den in subkulturellen Milieus ›versteckten‹ Trends (den sog. »street styles«) oder mit kulturellen Veränderungen anderer Gesellschaftsbereiche (z.B. »slow food« – »slow fashion«), die richtungsweisend sein können für die Kollektionen der DesignerInnen und Modehäuser. Zum anderen auch mit Moden, die sich über mehrere Modezyklen hinweg erhalten und sich so als langfristige Orientierungen für ModeschöpferInnen erweisen. Somit ergibt sich folgendes Schema:

76  |  Dieser Begriff wurde von John Naisbitt (1986 [engl. 1982], 12) geprägt.

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Abbildung 2: Schema Mode und Nicht-Mode, eigener Entwurf

Die Tracht fällt nicht in dieses System hinein, da sie einem eigenen Mechanismus unterworfen ist und spielt deswegen hier keine Rolle. Der Vollständigkeit halber sei aber vermerkt, dass Tracht die »Kleidung einer sozialen Gruppe [ist], die den Stand, das Geschlecht, den Beruf, die Heimatregion oder ähnliches anzeigt und, im Gegensatz zur wechselnden und individuellen Mode, auf Dauer und Gemeinsamkeit abzielt. Die Tracht übernimmt in abgeschwächter Form modische Impulse, allerdings oft erst verspätet« (Lehnert 1998a, 184).  Modenschau:

Die Modenschau ist eine Form der Präsentation von Kleidung. Neben ihr gibt es noch viele weitere, die sich zum einen in Präsentationsformen und zum anderen in Repräsentationsformen aufteilen. Repräsentationen von Kleidern finden wir z.B. als Abbildungen in Fotografien, Filmen oder Kunstwerken sowie als Beschreibung in geschriebener und gesprochener Sprache. Neben der Modenschau sind weitere Präsentationsformen beispielsweise die Vorführung der Kleidung in Showrooms, Ateliers oder auf Messen, die Exposition in Museen und Ausstellungen, das Tragen der Kleider durch Personen, die in öffentlicher Aufmerksamkeit stehen (z.B. Oskar-Verleihung) sowie ihr Gebrauch in Kunst-, Musik- oder Theaterperformances. Generell wird eine Kleidung dann präsentiert, wenn sie in der Öffentlichkeit, Halböffentlichkeit, im Internet oder in privaten Kreisen anderen Menschen vorgeführt wird – somit

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kann das allmorgendliche bekleidete Erscheinen am Frühstückstisch bereits eine Präsentation sein, was die Auffassung von Gertrud Lehnert bestärkt, nach der Mode soziales Handeln sei. Die Modenschau grenzt sich von anderen Präsentationsformen aber insofern ab, als sie der Ort ist, an dem sich überhaupt eine erste öffentliche Zuschreibung von Kleidung zu Mode vollzieht. Wie dieser Prozess funktioniert, soll im weiteren Verlauf des Buches deutlich werden. Die Modenschau ist eine halböffentliche oder öffentliche Veranstaltung, in der zu einem bestimmten Termin an einem bestimmten Ort eine Kollektion eines oder einer DesignerIn oder die Zusammenstellung von Entwürfen mehrerer DesignerInnen vor einem Publikum an Profi- oder Amateur-Models vorgeführt wird. Eine Modenschau funktioniert dabei nur dann, wenn das Publikum in dem Bewusstsein über die stattfindende Präsentation ist – das bedeutet, dass die bekleideten Models sich in irgendeiner Weise von den bekleideten ZuschauerInnen abheben müssen. Die Modenschau ist demnach eine Inszenierung, die sensu Martin Seel als ein absichtlich ausgeführter, sinnlicher Prozess vor einem Publikum in der Form dargeboten wird, dass sich eine auffällige räumliche und zeitliche Anordnung von Elementen ergibt, die auch ganz anders hätte ausfallen können (vgl. Seel 2001, 49). Zur Entwicklung der Modenschau, des Berufs der ModeschöpferInnen und der Models und Mannequins sei auf das Kapitel III.1 »Abriss der Modenschaugeschichte« verwiesen. Hier wird ein Paradigmenwechsel in der Modenschaugeschichte konstatiert, und zwar seit 1984 mit der Jubiläumsshow von Thierry Mugler. Die seit diesem Paradigmenwechsel aufgeführten Modenschauen werden hier zeitgenössische Modenschauen genannt. Auf den Paradigmenwechsel wird in Kapitel III.2 »Entwicklungstendenzen seit Mitte der 1980er Jahre bis heute: Begründung eines Paradigmenwechsels« eingegangen.  Performativität,

Inszenierung, Aufführung:

Die Begriffe aus der Theaterwissenschaft wie Inszenierung, Aufführung, Performativität, Theatralität, Ko-Präsenz, Ritual etc. sind weitgehend den Forschungen der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte (vgl. insb. 2004) sowie den Übertragungen in die Modetheorie durch Gertrud Lehnert (z.B. 2003) übernommen. Der »performative turn« markiert in den 1990ern eine Wende in den Kulturwissenschaften, in denen die aus der Linguistik seit 1955 bekannte Sprechakttheorie auf die Untersuchung von Handlungsstrukturen von AkteurInnen übertragen wurde. Die Sprechakttheorie (nach John L. Austin) untersucht gesprochene Sätze dahingehend, inwiefern sie im Moment des Aussprechens eine Handlung vollziehen und somit Wirklichkeit konstituieren (wie im Satz »Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau«). Zentral für den »turn« in den Kulturwissenschaften war Judith Butler, die mit Gender trouble 1990 auf für die Gender Studies einschlägige Weise konstatierte, dass das natürliche Geschlecht (»sex«) die Folge des sozialen Geschlechts (»gender«) sei. Gender sei

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dabei etwas, das durch Handeln erschaffen, d.h. konstruiert werde – performativ sei. Aus dieser Auffassung resultierte eine Welle von Forschungen, die sich mit der Konstruktion von (Geschlechts-)Identitäten auseinandersetzte. Während vor den 1990ern Kultur eher als Text verstanden wurde, sah man nach dem »performative turn« Kultur als Performance. Zentral hierbei ist der Wegfall von Referenzen: Performative Akte verweisen nicht auf etwas Vorgegebenes, wollen nicht etwas ausdrücken (laut Fischer-Lichte ist das »Expressivität«), sondern die Akte bringen ihrerseits Bedeutung erst hervor (vgl. Fischer-Lichte 2004, 37). Den Link zu den Theaterwissenschaften leistet Butler selber, indem sie »[…] die Konstitution von Identität durch Verkörperung mit der Inszenierung eines vorgegebenen Textes [vergleicht]. So wie ein und derselbe Text auf verschiedene Weise inszeniert werden kann und die Schauspieler im Rahmen der textuellen Vorgaben frei sind, ihre Rolle jeweils neu und anders zu entwerfen und zu realisieren, agiert der geschlechtsspezifische Körper innerhalb eines körperlichen Raumes, der durch bestimmte Vorgaben eingeschränkt ist, und setzt Interpretationen innerhalb der Grenzen vorgegebener Regieanweisungen in Szene. Die Aufführung geschlechtlicher – oder anderer – Identität als Prozess einer Verkörperung wird also analog einer theatralen Aufführung vollzogen. Die Verkörperungsbedingungen lassen sich in diesem Sinne als Aufführungsbedingungen genauer beschreiben und bestimmen.« (Fischer-Lichte über Butler in ebda., 39)

Im Theater wurde die Abkopplung der Repräsentation von der Präsenz insofern vollzogen, als die bis dahin postulierte Einheit von SchauspielerIn und Figur aufgehoben wurde (vgl. ebda., 168). Performances sind laut Fischer-Lichte Aufführungen, in denen die Figuren weitgehend verschwinden und nur noch die SchauspielerInnen und ihre leibliche Präsenz sowie ihre ausgeführten Handlungen zählen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen von Performances führten zu einem erweiterten Performativitätsbegriff, den Fischer-Lichte für die Kulturwissenschaften fruchtbar machte. Die Übertragung der Theorie des Performativen in die Modetheorie leistete Gertrud Lehnert. Performativ ist laut Lehnert nicht die Kleidung selbst, sondern der Umgang mit ihr, der Handlungen und Bedeutungszuweisungen zu provozieren vermag. Zum Begriff der Inszenierung greift Fischer-Lichte auf Gernot Böhme zurück, nach dem Inszenierung die ganze Bandbreite ästhetischer Arbeit umfasst. Laut ihr sind Inszenierungen alle »Kulturtechniken und -praktiken, mit denen etwas zur Erscheinung gebracht wird«, und zwar nichts Geringeres als eine ästhetische oder ästhetisierte Wirklichkeit (Fischer-Lichte 2001, 285). In diesen schöpferischen Prozessen sollen »in spezifischer Weise Imaginäres, Fiktives und Reales (Empirisches) zueinander in Beziehung« gesetzt werden (ebda., 286). Die Inszenierung sei Inbegriff performativen Handelns. Sie lässt sich als »Schein, eine Simulation, ein Simulakrum« begreifen und ist dennoch dazu »fähig […], Sein, Wahrheit, Authentizität zur Erscheinung zu bringen«

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(ebda., 300). Die Aufführung wird laut Fischer-Lichte grundsätzlich durch ihre Performativität und Ephemeralität charakterisiert. Des Weiteren bemerkt sie, dass Aufführungen keine Artefakte benötigen, wobei sie später spezifiziert, dass es in einer Aufführung zwar keine fixier- und tradierbaren Artefakte gibt, hingegen aber materielle Objekte, die in der Aufführung verwendet werden, nach der Aufführung zurückbleiben und als Spur auf bewahrt werden können (vgl. Fischer-Lichte 2012b, 12). Als wesentliche Aspekte der Aufführung erachtet Fischer-Lichte außerdem die leibliche Ko-Präsenz von AkteurInnen und ZuschauerInnen, die damit verbundene Körperlichkeit und Selbsterfahrung, sowie die Interaktionen untereinander. Die damit einhergehenden »sozialen Prozesse«, sowie entstehenden Räumlichkeiten können ebenfalls als Spezifika der Aufführung herausgearbeitet werden. Von der Inszenierung unterscheide sich die Aufführung durch ihren unplanbaren und unwiederholbaren Ablauf, durch die erst im Ablauf entstehenden Bedeutungen sowie durch die unmittelbare ästhetische Erfahrung oder gar Schwellenerfahrung seitens der ZuschauerInnen (vgl. Kapitel V.3.5). Der Begriff der Inszenierung (und der bei Lehnert oft analog dazu verwendete Begriff der Aufführung, vgl. Lehnert 2006, 19) ist in der Mode zentral, vor allem wenn es um Modenschauen geht. Laut Lehnert muss die Kleidung »inszeniert und aufgeführt werden, um überhaupt Mode zu werden, das heißt, die Kleider werden in ihren ästhetischen, räumlichen und zeitlichen Dimension zur Erscheinung gebracht – einerseits als Zeichen innerhalb des kulturellen Kommunikationszusammenhangs, die immer zur Deutung aufrufen und nie endgültig und klar gedeutet werden können. Andererseits werden die Kleider, so meine These, vor allem als ästhetische Artefakte zur Erscheinung gebracht, die in Wechselwirkung zu den dreidimensionalen Körpern der Trägerinnen stehen, Raum und Zeit spürbar machen und zu einer ästhetischen Wahrnehmung jenseits aller Deutung aufrufen. Das gilt für die Aufführung im Alltag ebenso wie für die Modenschauen, die in den letzten Jahren zunehmend zu theatralen Aufführungen mit großem Unterhaltungs- und geringem Informationswert geworden sind. Natürlich sollen sie den Verkauf ankurbeln – aber sie tun das, indem sie sich als scheinbar nicht zweckgebundene Inszenierungen mit einem eigenständigen ästhetischen Wert präsentieren.« (Lehnert 2004, 267)

Es bleibt anzumerken, dass Modenschauen in ihren Abläufen nicht vollends planbare Aufführungen sind, die allerdings auf von den DesignerInnen minutiös geplanten Inszenierungen beruhen. Sie oszillieren zwischen Planung und Emergenz, sind aufgrund ihrer kurzen Dauer ephemer und performativ in dem Sinne, dass in ihnen etwas Neues – das Neue der Mode – hervorgebracht wird.

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Neue:

Das Neue ist ein Schlüsselbegriff in dem vorliegenden Buch. Es ist das Etikett, mit dem die Kleidung versehen wird, damit es zur Mode wird. Dabei ist es wichtig, dass das Neue in der Form, in der es auftritt, nicht mit den Formen, die das kollektive Mode-Gedächtnis abgespeichert hat, übereinstimmt. Die Präsentation des Neuen ist wesentlich für den Modemechanismus, der auf Wechsel, d.h. die Ablösung von Altem durch Neues, beruht. Hier wird argumentiert, dass das Neue nicht mehr vornehmlich an Eigenschaften der Kleidung und auch nicht an neuen Kompositionen festgemacht werden kann, da es seit geraumer Zeit auf diesen Gebieten kaum Neuerungen mehr gibt. Stattdessen entsteht das Neue zunehmend aus der Kontextualisierung der Mode durch die Modenschau. Die Modenschau als Kontextualisierung von Kleidung bringt das Neue selbst hervor und soll von dem Dilemma ablenken, dass Neuerungen im Bereich des Kleiderdesigns nur noch schwer möglich sind. Das Alte ist das, was schon gesehen wurde; es ist als Einst-Mode oder Stil (Trend in der Vergangenheit) abgespeichert. Kleider, die in der Vergangenheit im Zuschreibungsprozess nicht zur Mode wurden, sondern zur Nicht-Mode, wurden im kollektiven Mode-Gedächtnis nicht abgespeichert. Daher haben sie in späteren Zyklen die Chance auf eine neue Berücksichtigung im Zuschreibungsprozess und somit auf die Etikettierung Mode.77 Das Dilemma oder die ›Bredouille‹ der DesignerInnen besteht darin, dass nach der »mode de cent ans« in der sog. »Mode nach der Mode« (Vinken 1993, 33) die vergangenen, abgespeicherten Moden und Stile sowie das, was bislang ›durch das Raster‹ gefallen war, maximal ›verwertet‹ wurde. Die Strategie, Altes in neuem Gewand oder im aktuellen Kontext zu zeigen (z.B. Westwood oder Galliano), oder selbstreflexive Mode zu erschaffen (z.B. Margiela), hat einige Jahre funktioniert.78 Aber irgendwann ist auch dieses Repertoire ausgeschöpft. Bislang ist auf materieller Ebene keine 77 | Vgl. Boris Groys’ Definition des »profanen Raums«, die zu dem passt, was hier unter der Nicht-Mode, die in späteren Zyklen verwertet werden kann, verstanden wird: »Den Bereich, der aus all den Dingen besteht, die von den Archiven nicht erfasst sind, kann man als den profanen Raum bezeichnet. […D]ie Dinge des profanen Raums werden nicht eigens aufbewahrt; wenn sie nicht durch Zufall erhalten bleiben, verschwinden sie im Laufe der Zeit. […] Doch gerade der profane Raum dient als Reservoir für potentiell neue kulturelle Werte, da er in Bezug auf die valorisierten Archivalien der Kultur das Andere ist. Der Ursprung des Neuen ist deshalb der valorisierende Vergleich zwischen den kulturellen Werten und den Dingen im profanen Raum. […] Die Mechanismen des Neuen sind somit jene Mechanismen, die das Verhältnis zwischen dem valorisierten, hierarchisch aufgebauten kulturellen Gedächtnis einerseits und dem wertlosen profanen Raum andererseits regeln.« (Groys 1992, 56) 78  |  Die »Mode nach der Mode« ist, in Anbetracht dieser zwei genannten Spielarten, vor allem eine ›Mode über Mode‹, also im Grunde eine ›Meta-Mode‹.

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Lösung gefunden worden, auch wenn das Ende höchstwahrscheinlich mit der Durchsetzung des ›technischen Kleids‹ in Sicht ist. Nichtsdestotrotz bemüht man sich in der Zwischenzeit, sich auf anderen Ebenen inventiv zu zeigen. Es gilt nun, sich dem komplexen Begriff des Neuen zu nähern. Im Folgenden wird versucht, alle Facetten dieses Wortes in einen Zusammenhang zu bringen. Dabei erschien es sinnvoll, danach zu fragen, auf welche Bereiche sich die Inventivität als Hauptcharakteristikum des Neuen bezieht. Es hat sich eine Aufteilung in sechs Bereiche ergeben, in denen das Neue jeweils mit anderen Begrifflichkeiten besser zu fassen ist: Abbildung 3: Das Neue und seine Bezüge, eigener Entwurf

All diese gefundenen Begriffe wie Autorschaft, Originalität, Singulariät etc., sind sicherlich wichtig für eine Bestimmung des Neuen – zentral jedoch ist, dass es in der Modenschau um die Präsentation von Neuheit geht; das heißt von einem Neuen, dass den RezipientInnen (d.h. den EntscheidungsträgerInnen) nicht geläufig bzw. fremd ist, das es in dieser Form, in dieser Farbe, in dieser Kombination, in dieser Präsentationsform usw. zuvor nicht gesehen hat oder im kollektiven Mode-Gedächtnis nicht abgespeichert ist. Warum ist die Rezipientenperspektive so wichtig? Es wird von einem Trickle-Down-Prozess ausgegangen, bei dem die Entstehung von Mode auf der Zuschreibungsgewalt eines Spezialistentums, also den primären RezipientInnen in der Modenschau, beruht. Die DesignerInnen sind sich der Zentralität der Perspektive dieser SpezialistInnen für die Entstehung von Mode bewusst. Um für die Show zu entwerfen, versetzen sich die DesignerInnen deshalb in die Re-

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zipientenperspektive. Hieraus ergibt sich, auf die Modenschau bezogen, ein neues Schema: Abbildung 4: Bezüge des Neuen in der Modenschau, eigener Entwurf

Die DesignerInnen haben bei der Produktion und Präsentation des Neuen also eine Auswahl an Möglichkeiten, die auch in Kombination genutzt werden können. Die offensichtlichste und die, die die »mode de cent ans« am meisten ausgezeichnet hat, ist die objektbezogene Invention: Das Publikum hat noch nie eine solche Form oder ein solches Muster gesehen (beispielsweise der »New Look« von Dior). Eng damit verbunden ist der Aspekt der Originalität und Autorschaft: Neuheit wird mit einem einzelnen Namen verbunden. Noch Jahre und Jahrzehnte später können DesignerInnen von dieser Verbindung zehren, obwohl sie vielleicht in der Zwischenzeit keine weiteren Neuheiten hervorgebracht haben (beispielsweise Mary Quant und ihr Minirock). Die Andersartigkeit als weitere Spielart von Neuheit manifestiert sich erst im Vergleich zu den Entwürfen anderer DesignerInnen, auch wenn das Präsentierte nicht wirklich neu ist, sondern lediglich eine Abwechslung bietet (z.B. das Wiederaufkommen der Schlaghose, Palazzohose und Haremhose 2010-2011 als Abwechslung zur immerwährenden Röhrenhose). Die zeitbezogene Neuheit bezieht sich auf dreierlei Phänomene: erstens auf die Aufnahme und Adaption zeitgenössischer politischer, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Bewegungen und Megatrends (beispielsweise das Palästinensertuch), zweitens aber auch auf die Zitation und Kombination von Codes alter Moden oder Stile (z.B. Vivienne Westwood) und drittens auf die Zeitlichkeit und Reflexivität der Mode an sich (z.B. »stone washing« bei Jeans, der dekonstruktivistische Stil von Margiela oder aktuell »upcycling«-Moden). Aufgrund der tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft hin zu einer Informationsgesellschaft und der in der Mode weitgreifenden Globalisierungstendenzen ist das kollektive Mode-Gedächtnis an seine Grenzen gekommen und zudem angesichts vielfältiger neuer Abspeicherungs- und

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Abrufungsmöglichkeiten in eine neue Form übergegangen. Diese Entwicklungen begannen in denselben Jahren, in denen ein Paradigmenwechsel in der Modenschaugeschichte datiert werden kann – und wie in Kapitel III.2 darlegt wird, ist dieser Wechsel eine Antwort auf jene allgemeinen Veränderungen. Die ab diesem Zeitpunkt auf kommende Strategie der Schaffung von Neuem ist die vermittlungsbezogene Neuheit, was in Abbildung 4 als ›Neuigkeit‹ markiert ist. Das Neue ist zunehmend nicht mehr das, was vermittelt wird, sondern das Neue ist die Art und Weise der Vermittlung, also das Wie. Die Verlagerung der Neuheit auf das Wie der Vermittlung resultiert aus einer Vereinfachung der Komplexität, die ein wesentliches Merkmal der Informationsgesellschaft ist. Kollektionen verschiedener DesignerInnen oder auch eines Designers bzw. einer Designerin aus verschiedenen Saisons sind auf textiler und stilistischer Ebene oft schwer voneinander zu unterscheiden, was eine Folge der mangelnden objektbezogenen Neuheit ist. Das Wie als die Atmosphäre, die die Kleidung in einer Modenschau einhüllt, ist derweil einfacher und effektvoller zu gestalten. Getreu dem Ausruf von Armani »My atmosphere is everything!« kann die Atmosphäre als vermittlungsbezogene Neuheit eben alles sein – sogar, und das ist der ›Trick‹, eine vermeintlich objektbezogene Invention (vgl. Kapitel VI. »Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung«).  Atmosphäre:

Der Begriff der Atmosphäre wurde wesentlich von Gernot Böhme geprägt. Für ihn sind Atmosphären »[…] Räume, insofern sie durch die Anwesenheit von Dingen, von Menschen oder Umgebungskonstellationen, d.h. durch deren Ekstasen ›tingiert‹ sind. […] Die Atmosphären sind so konzipiert weder als etwas Objektives, nämlich Eigenschaften, die die Dinge haben, und doch sind sie etwas Dinghaftes, zum Ding Gehöriges, insofern nämlich die Dinge durch ihre Eigenschaften – als Ekstasen gedacht – die Sphären ihrer Anwesenheit artikulieren. Noch sind die Atmosphären etwas Subjektives, etwa Bestimmungen eines Seelenzustandes. Und doch sind sie subjekthaft, gehören zu Subjekten, insofern sie in leiblicher Anwesenheit durch Menschen gespürt werden und dieses Spüren zugleich ein leibliches Sich-Befinden der Subjekte im Raum ist.« (Böhme 1995, 33f.)

Laut Böhme sind Atmosphären der primäre Gegenstand der Wahrnehmung, »auf deren Hintergrund dann durch den analytischen Blick so etwas wie Gegenstände, Formen und Farben usw. unterschieden werden können« (vgl. ebda., 48). Diese Argumentation schließt die Produktion von Atmosphären aus, die auf etwaigem Vorwissen, auf Zuschreibungen oder vorangegangenen Erfahrungen mit dem Objekt basieren und erst durch seine Gestalterkennung hervorgerufen werden. Dementgegen untersucht Peter Geimer

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(2005) die Aura, die als »Rest« einer Persönlichkeit einem Ding anhaftet und die immer auch Teil einer intentionalen Bedeutungszuschreibung ist. Der Begriff der Aura, auf den Gernot Böhme in der Entwicklung seines Atmosphärenbegriffs verweist, wurde maßgeblich von Walter Benjamin in den 1930er Jahren geprägt. Demnach sei eine Aura in der Natur und in der Kunst zu finden und als eine »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag« zu verstehen (1981 [frz. 1936], 15).  Die Aura sei also ein Phänomen des Fernseins, der Unerreichbarkeit und Distanz, das man selbst an Objekten erfährt, welche den BetrachterInnen nah sind (vgl. Konzept der Musealität). Das Erfahren einer Aura sei nur in einer »Situation der Muße, der arbeitsenthobenen, leiblich entspannten Betrachtung« (Böhme 1995, 27) möglich – hier verbirgt sich bereits der Gedanke der Performativität, nach dem das Erleben des Augenblicks Voraussetzung der künstlerischen Rezeption ist. Die Reproduzierbarkeit der Kunstwerke zeichnet Benjamin in einem historischen Überblick seit der Antike anhand verschiedener Etappen nach, die durch einschlägige Erfindungen eingeleitet wurden (z.B. Buchdruck oder später Lithografie). Die technische Massenreproduktion gehe in der Moderne insbesondere mit der Erfindung der Fotografie79 und darauf der des Films einher und ziehe die Verkümmerung der Aura nach sich (vgl. Benjamin 1981, 13). Böhme zieht neben der Benjaminschen Aura auch die Philosophie von Hermann Schmitz80 hinzu. Bei Schmitz sind Atmosphären räumlich »randlos, ergossen, dabei ortlos, d.h. nicht lokalisierbar« (Böhme 1995, 29; vgl. auch Schmitz 1969, Bd. III.2, 98). Als »räumliche Träger von Stimmungen« sind Atmosphären nach Schmitz selbstständig, sie haften also weder an den Dingen noch an den Subjekten (vgl. ebda., Bd. III.2, 100-103). Das Subjekt nimmt eine Atmosphäre wahr, wenn die Atmosphäre sich einem Ding ermächtigt hat – »ein Tal bezeichnen wir danach als heiter, weil es so aussieht, als ob es leiblich von Heiterkeit ergriffen sei« (Schmitz zitiert in Böhme 1995, 31). Diese Argumentation kommt der Böhmeschen schon nahe, nach der eine Atmosphäre zwischen Ding und Mensch in seiner leiblichen Anwesenheit erst im Raum entstehe und so weder der einen noch der anderen Seite zuzuordnen sei. Jedoch sieht Böhme im Schmitz’schen Ansatz der Produktion nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Denn auch wenn die Atmosphäre im Raum erst entstehe, könne sie dennoch in den Dingen »angelegt« werden. Das (künstlerische) Produzieren von Atmosphären als sog. »ästhetische Arbeit« erfolgt 79  |  Bereits vor seinem Kunstwerk-Aufsatz bespricht Benjamin (1977 [1931]) den Verlust der Aura in einem Aufsatz über die Fotografie. 80 | Dabei bezieht er sich auf Schmitz 1964ff., Band III.2 (1969, Der Gefühlsraum) und III.4 (1977, Das Göttliche und der Raum). Schmitz Kerngedanken sind knapp zusammengefasst Schmitz 2009.

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laut Böhme dadurch, dass Räumen, Dingen oder sogar Menschen Eigenschaften gegeben werden, die »von ihnen etwas ausgehen lassen« (ebda., 35). Das künstlerische Machen von Atmosphären stille das Grundbedürfnis des Menschen nach Ästhetik, denn »zu einem menschenwürdigen Dasein [gehöre] auch eine ästhetische Dimension« (ebda., 42). Weiter erklärt er, dass es »nicht nur ein ästhetisches Grundbedürfnis [gibt], in einer Umgebung zu leben, in der ich mich wohlbefinde, sondern auch ein Grundbedürfnis, mich zu zeigen und durch meine Anwesenheit meine Umgebung atmosphärisch mitzubestimmen« (ebda.). Somit markiert er die Ästhetisierung des Alltaglebens und das Phänomen der Mode als ernst zu nehmende Kulturpraxis. Außerdem macht Böhme eine weitere Beobachtung (am Beispiel des Faschismus), die für die Betrachtung der Modenschau relevant ist: Durch die Beschwörung von Atmosphären ist Macht inszenier- und ausübbar (ebda., 43). Was ist das Machtvolle an der Atmosphäre? Eine Atmosphäre hat die Besonderheit, dass sich ihr niemand, der sich in sie begibt, entziehen kann. Auch wenn sie individuell unterschiedlich wahrgenommen werden kann, ist es unmöglich, alle Sinne dergestalt zu verschließen, dass sie gar nicht wahrgenommen wird. Nach Böhme muss der Betrachter sogar »seine Selbstmächtigkeit aufgeben, indem er in die Atmosphäre des Kunstwerkes eintritt« (Böhme 2006, 23). Die Erfahrung einer Atmosphäre geschieht durch alle fünf Sinne sowie durch die Distanzerfahrung zum Objekt (der gezeigten Kleidung), durch die propriozeptive Raumerfahrung und – auf sozialer Ebene –, durch die Erfahrung des Anderen und durch eine rituelle Schwellenerfahrung (vgl. Aufteilung des Kapitels V.3 »Dimensionen der Erfahrung von Modenschau-Atmosphären«). In dieser Vielschichtigkeit kommt die Atmosphärenerfahrung, wie sie hier verstanden wird, dem Böhmeschen Begriff der »Befindlichkeit« relativ nahe (vgl. Böhme 2006, 121ff.). Demnach werden durch drei Gruppen von Charakteren Befindlichkeit erzeugt: erstens durch Bewegungsanmutungen (geometrische Strukturen, körperliche Konstellationen, Massigkeit, Lastcharakter, Enge, Weite), was der propriozeptiven Raumerfahrung ähnelt; zweitens durch Synästhesien, was später als intersensorielle Erfahrung besprochen wird und drittens durch gesellschaftliche Charaktere (z.B. Gemütlichkeit, Heiligkeit, Herrschaft, Macht etc.), was dem nahe kommt, was hier die Erfahrung des Anderen und die rituelle Erfahrung genannt wird. In dieser Dreiteilung fehlt m.E. jedoch die Distanzerfahrung zum Objekt, womit keineswegs nur die räumliche Entfernung gemeint ist, sondern eine auratische Nah-Fern-Beziehung zum Objekt/Kunstwerk. Zentral für ein Verständnis von Atmosphären ist die leibliche Anwesenheit. Modenschau-Übertragungen im Fernsehen oder Internet können auf keinen Fall die Atmosphäre übertragen, die an Ort und Stelle erfahrbar gewesen ist. Durch die Mediatisierung und Reproduktion geht die Atmosphäre abhanden (vgl. Benjamins Aura-Verlust), da alle Erfahrungsdimensionen auf das Sehen

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und Hören reduziert werden.81 Im Umkehrschluss verleiht die leibliche Erfahrung der Atmosphäre der Modenschau eine Einmaligkeit und Exklusivität und den TeilnehmerInnen das Erlebnis des ›Dabeigewesenseins‹. Nicht umsonst werden Modenschauen im Normalfall auch nicht zweimal aufgeführt; manche ModenschauproduzentInnen verzichten – ihren eigenen Angaben zufolge – sogar auf Generalproben, um die Spontaneität der Aufführung nicht zu schmälern.82 Jetzt stelle man sich vor, dass sich seit knapp 30 Jahren die Inventivität, die die DesignerInnen unter Beweis stellen wollen, von der Gestaltung der Kleidung zur Gestaltung der Modenschau verschoben hat. Die Atmosphäre einer Modenschau ist also nicht mehr nur zur ›Exklusivierung‹ da, sondern erhält nun eine viel fundamentalere Funktion, nämlich die der Schaffung von Neuem. Die Bedeutung der Atmosphäre einer Modenschau ist somit evident: Sie ist als wichtigstes Argument der DesignerInnen Ausgangsbasis des Zuschreibungsprozesses durch das Spezialistentum. Die Macht der DesignerInnen liegt in der Atmosphäre. Zusammenfassend sei eine Definition von Atmosphäre folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

81 | So antwortet der Modenschauproduzent Alexandre de Betak in einem Interview mit Alix Browne auf die Frage, wie er damit umgeht, dass eine halbjährige Arbeit in 20 Minuten vorbei ist, folgendermaßen: »Das ist wohl schlicht meine Droge. Es ist Jubel und Jammer meiner Arbeit zugleich. Jubel in dem Sinn, dass es mich aufputscht und Adrenalin freisetzt, und gleichzeitig ist es die größte Frustration, weil so ziemlich nichts bleibt, wenn man fertig ist. Und selbst wenn die Presse Bilder und das Fernsehen Filmausschnitte bringt, und wenn es Videos gibt – um ehrlich zu sein: Ich sehe mir selten Videos von unseren Arbeiten an, und wenn doch, geben sie mir nicht viel. Allerdings versuche ich in unseren Produktionen die Menschen zu bewegen, ich möchte, dass sie Emotionen spüren, gleich welcher Art. Und das kann man nur live erreichen. Man kann das Visuelle übermitteln, das Gefühl aber oft nicht. Dazu muss man dabei sein. Ich glaube, wenn ich je für Film oder Schauspiel, Ballett oder Werbung oder wer weiß was arbeiten würde, wäre der Adrenalinstoß weg. Wenn man ein Stück oder ein Ballett inszeniert, probt man sechs Monate lang. Für einen Film kann man so viele Aufnahmen machen wie man will.« (de Betak in Browne 2009, 85) 82  |  So heißt es weiter in diesem Interview: Browne: »Ihr dagegen bekommt nur eine einzige Chance.« Und Betak: »Richtig. Wir haben nur eine Aufnahme. Und wir proben auch nicht.« Browne: »Auch nicht bei einer Schau von Hussein Chalayan, bei der die Choreografie sehr anspruchsvoll ist?« Betak: »Nein, auch da nicht. Und das ist etwas, was zur Regel, sogar zu einer Technik geworden ist, das ist eins meiner Geheimnisse. Es schafft mehr Spontaneität. Gerade bei Hussein gibt es viel Raum für Fehler, und das ist gewollt, glaub mir.« (de Betak in Browne 2009, 85)

II. Moden beschauen Eine Atmosphäre ist von den DesignerInnen kreiert und intendiert und wird durch die leibliche Anwesenheit der ZuschauerInnen individuell erfahren. Sie ist nur von kurzer Dauer, und viele verschiedene Parameter tragen zu ihrer Schaffung bei. Sie ist als Ergebnis des Zusammenspiels von Planung, Emergenz und individueller sinnlicher Erfahrung zu verstehen. Die Schaffung einer Atmosphäre ist zu einem zentralen Instrument avanciert, mit dem die DesignerInnen versuchen können, Neues zu erzeugen. Die Erfahrung der Atmosphäre der Modenschau ist wesentlich für das Spezialistentum, da sie die Verhandlungsbasis für die Zuschreibung einer Kleidung als neue Mode darstellt.  Raum:

Das Verhältnis von Atmosphäre und Raum ist sehr vielschichtig und wurde beispielsweise von Gernot Böhme in einer Publikation über Architektur und Atmosphäre (2006) besprochen. In diesem Buch wird davon ausgegangen, dass Atmosphären räumlich begrenzt sind, oder zumindest nach ›außen‹ hin ausfransen, ›dünner‹ oder schwerer wahrnehmbar werden. Demnach müsste es auch einen Atmosphären-Mittelpunkt geben, also einen Punkt, an dem die Atmosphäre am intensivsten ist. Ähnlich dem Licht einer Glühlampe erfasst die Atmosphäre eine räumliche Sphäre und bildet in dieser Sphäre (die oft ein begrenzter Raum ist) einen eigenen Raum. Sie ist im Grunde Raum. Atmosphären bilden folglich Räume in Räumen. Gleichzeitig haften bestimmten Räumen Atmosphären bereits an, sodass wir es mit einer Überlagerung von zwei oder mehreren Atmosphären zu tun haben können. Hilfreich für die Kategorisierung der Überlagerungsmöglichkeiten bei einer Modenschau ist eine Unterteilung des Raumes in drei Raumtypen, die hier vorgeschlagen werden, und zwar in den ›Ort‹, der ›Location‹ und dem ›Imaginären Raum‹. Alle drei bilden während der Modenschau eine Einheit, verschmelzen miteinander zu einem gesamten, erfahrbaren ›Modenschauraum‹. Bevor jedoch auf die einzelnen Raumtypen eingegangen wird, sei der Begriff des Raums näher erörtert. Die Theorie vom Raum beschäftigt sich hauptsächlich mit der Abkehr vom absoluten hin zum relationalen Raumverständnis bzw. mit der Kombination beider Lehren. Die Prämisse des relationalen Raumverständnisses lautet, dass der Raum nicht natürlich gegeben und auch nicht als starrer Container zu verstehen ist, sondern durch soziales Handeln hergestellt und dadurch mit Bedeutungen versehen wird. Dieses neue Raumverständnis ist Teil des »spatial«, »topografical« oder »topological turns« – die Bezeichnung hängt von der jeweiligen Fachrichtung ab, aus der man argumentiert. Der »spatial turn« beruht laut Laura Kajetzke und Markus Schroer (2010, 193) auf drei Achsen: erstens der Veränderung des Verhältnisses vom physischen zum sozialen Raum, zweitens auf der Veränderung vom Container-Modell zur relationalen Raumauffassung und drittens auf einer Veränderung des Verhältnisses von Raum und Zeit – beide werden

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als prozesshaft und in Bewegung verstanden. Eine Vorherrschaft der Zeit gegenüber dem Raum wird nunmehr ausgeschlossen. Auch wenn der »spatial turn« Ende der Achtziger festgemacht wird, gab es schon vorher raumtheoretische Ansätze, die diese Wende in die Wege leiteten. Schon Georg Simmel propagierte in seiner 1903 erschienenen »Soziologie des Raums«, dass sowohl die Erzeugung des Raums durch menschliche Aktivitäten als auch die Wirkungen räumlicher Konfigurationen auf Handlungen in einer soziologischen Raumanalyse berücksichtigt werden müssen. Auch sein Zeitgenosse Émile Durkheim (1981 [frz. 1912], 28ff.) bemerkte, dass es eigentlich keine natürlichen Raumeinteilungen gebe wie oben und unten oder Norden und Süden, genauso wenig wie natürliche Zeiteinteilungen wie Minuten und Monate – all diese seien menschengemachte Konstrukte. Henri Lefebvre führte mit La production de l’espace (1974)83 aus dem Jahre 1974 die sozialkonstruktivistische Raumauffassung von Simmel fort. Dabei distanzierte er sich von der binären Differenzierung von physischem und sozialem Raum und schlägt drei Zwischenkonfigurationen vor: die räumliche Praxis, die Repräsentation von Raum und der Raum der Repräsentation. Räumliche Praxis bezeichnet den wahrgenommenen, erlebten und benutzten Raum, den die AkteurInnen in ihrem Alltag (re)produzieren; die Repräsentation von Raum ist der Raum des Wissens, der Zeichen und Codes (beispielsweise topographische Karten oder Modelle von Architekten). Die Räume der Repräsentation verweisen nicht auf den Raum selbst, sondern geben gesellschaftlichen Bedeutungen und Traditionen, kollektiven Erinnerungen und Erfahrungen Ausdruck (z.B. der Raum, den ein Individuum als seine Heimat bezeichnet). Lefebvre betont, dass alle drei Raumebenen nicht für sich existieren, sondern dialektisch miteinander zusammenspielen. Des Weiteren erscheinen die Konzepte des Spacings und der Synthese von Anthony Giddens und Norbert Elias84 interessant, die von Martina Löw 2001 zu einer neuen Raumsoziologie kombiniert wurden: Im Spacing werden »Lebewesen und soziale Güter« vom Menschen zu einem Raum zusammengeführt. Die Abspeicherung dieser Anordnung als Gesamtkonfiguration (wie z.B. als Konfiguration »Straße«) nennt sie Synthese. Einen Ansatz aus der Theaterwissenschaft bietet Erika Fischer-Lichte (2012a, 58ff.): Nach ihr entsteht Räumlichkeit erst in der Aufführung durch die im Raum erschaffene Atmosphäre sowie durch das Zusammenwirken der Anwesenheit und Handlungen der AkteurInnen und ZuschauerInnen.

83  |  Ein von Jörg Dünne übersetzter Auszug ist zu finden in Lefebvre 2006. 84 | Spacing wird bei Giddens (1992 [engl. 1984], 129) im Deutschen mit »aktives Organisieren des Raums« übersetzt. Synthese versteht Elias (1987 [engl. 1984], 14) als Fähigkeit der Menschen, verschiedene Geschehensabläufe und Erfahrungen in Beziehung zueinander zu setzen, was zu einem Bewusstsein für Zeit führt.

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Für die Betrachtung der Modenschau ist m.E. eine Einteilung in die drei Raumtypen Ort, Location und Imaginärer Raum sinnvoll. Wir haben es bei dieser Dreiteilung mit Räumen zu tun, die unterschiedlich entstehen oder konstruiert werden. Da sich das Unterfangen, Ähnlichkeiten zu den Raumtypen anderer TheoretikerInnen zu finden, als schwierig erwiesen hat, werden diese Termini durch eigene Definitionen handhabbar gemacht. Da im Modebusiness die Wahl des Landes und der Stadt eine wichtige Rolle spielt, ist der erste Raumtyp, nämlich der Ort, die Basis der hier vorgestellten, dreigliedrigen Raumkonstellation. Mit dem Ort ist also tatsächlich der geographische Ort der Aufführung gemeint, der jedoch in seiner Färbung, die er im Modebusiness erhalten hat, auch soziale, politische und wirtschaftliche Konnotationen hat. So steht bekanntlich Paris für Haute Couture, London für Avantgarde-Mode und Berlin als angehende Modestadt für »streetwear«, grüne Mode oder auch für »anything goes«. Das Modegesicht Berlins ist noch in keinem speziellen Profil festzuhalten, was für die relationale Beschaffenheit dieses Raumtyps Ort spricht. Seit den späten achtziger Jahren ist man verstärkt dazu übergegangen, in den ausgewählten Städten ungewöhnliche Locations (Raumtyp 2) zu finden, in denen die Modenschauen inszeniert werden – dies können Bahnhöfe (z.B. John Galliano für Dior), die Chinesische Mauer (Karl Lagerfeld für Fendi), die Zionskirche in Berlin (Michael Michalsky) oder die Conciergerie in Paris (Alexander McQueen) sein. Von der Location wird also dann die Sprache sein, wenn sich auf einen konkreten Punkt innerhalb des Ortes bezogen wird, an dem oder in dem die Modenschau aufgeführt wird. Darunter fallen geschlossene Räume (wie Zelte, Industriehallen, Bahnhöfe, Schwimmbäder, Kirchen etc.) sowie öffentlich zugängliche oder private Räume im Freien (wie ein Park oder Garten, ein Strand, eine Fußgängerzone etc.). Hauptgrund für die Auslagerung der Aufführungen aus den feststehenden Zelten oder Veranstaltungsräumen der lokalen Fashion Week Verwaltung war und ist, dass diese Räume, die Beschaffenheit und Form der Bühnen, die Sitzanordnungen, die Technik und oft auch die Wahl der Models nicht von jedem bzw. jeder einzelnen DesignerIn neu zusammengestellt werden können, sondern aufgrund der hohen Taktung und aus Gründen der Kosteneinsparung nur minimal verändert werden können. In Zeiten, in denen die DesignerInnen vor allem auf Atmosphären setzen, ist die Wahl einer außergewöhnlichen Location von großer Relevanz.85 Der Imaginäre Raum (Typ 3) ist nicht topografisch verortbar, sondern ein Produkt des phantasievollen Schaffens der DesignerInnen und ihrer Produktionsteams. 85  |  Vgl. die Feststellung eines Zuschauers nach der Show von Michalsky H/W 2009 in der Zionskirche in Berlin: »Die Location unterscheidet sich und damit unterscheidet sich auch die Marke.« (Making-of-Video der Show, 2: 55 min, www.youtube.com/ watch?v=HR-2ZuS-uV8, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014)

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Der Traum, den Karl Lagerfeld von seiner Chanel-Eisberglandschaft (H/W 2010) hatte, wie er in einem Interview 86 erklärte, ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Der Imaginäre Raum wird im Akt der Aufführung zum erfahrbaren Modenschauraum als Ergebnis eines ›Verräumlichungsprozesses‹, in dem die Raumgrenzen zur Location und zum Ort aufgelöst werden. Der Modenschauraum ist performativ; seine Räumlichkeit entsteht in der Aufführung, durch die Handlungen der AkteurInnen und durch das Zusammenwirken von Ort, Location und Imaginärem Raum. Dieser Prozess ließe sich als ›räumliche Praxis‹ bezeichnen. Der Raum ist nicht vorher und nicht nachher existent (d.h. erfahrbar), sondern nur während der bestimmten, begrenzten Zeit der Modenschau. Fischer-Lichtes Begriff des Aufführungsraumes ist m.E. keine zufriedenstellende Beschreibung des Modenschauraums, da seine ephemere Qualität nicht deutlich wird. Allen Raumtypen der Modenschau gemein ist ihre konstruktivistische Beschaffenheit – ihre Erscheinungen jedoch differieren voneinander. Der Ort und die Location sind topografisch verortbare Räume. Ihre Konstruktivität ist mit Martina Löw zu erklären: Die Produktion von Raum als das Platzieren und Anordnen von Lebewesen und sozialen Gütern ist nach Löw an den konkreten Ort gebunden. Umgekehrt wird der Ort über diese symbolische und materielle Besetzung erst als solcher kenntlich (vgl. Löw 2001, 224). Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Das Platzieren von Haute Couture-Häusern und die Veranstaltung von Modenschauen muss an einem Ort geschehen, an dem sich das Modespezialistentum regelmäßig treffen kann und so hat sich Paris (Ort) und in Paris unter anderem das Carrousel du Louvre (Location) etabliert. Umgekehrt wird Paris erst durch dieses Konglomerat der ›modischen Lebewesen‹ und ›sozialen Gütern der Mode‹ als Modemetropole kenntlich. Der Imaginäre Raum ist zunächst nicht topografisch verortbar, sondern in der Vorstellungskraft der DesignerInnen und ihrer Teams existent. Den Imaginären Raum einfach nur als Plan, Skizze oder Modell einer Modenschau zu bezeichnen, umfasst nicht den vollen antizipatorischen Charakter dieses Vorstellungsraums. Aspekte dieses Raumes sind nicht nur seine zukünftige Form, seine Beschaffenheit oder die Anordnung von Lebewesen und Gütern in ihm, sondern auch das, was in diesem Raum geschehen soll, wie es wahrgenommen werden soll, was alles erfahrbar gemacht werden soll. Es ist ein in die Zukunft gedachter Raum, in dem eine Atmosphäre kreiert, eine Geschichte erzählt, eine Botschaft vermittelt wird. Wenn dieser Raum in der Vorstellung erschaffen worden ist, beispielsweise mithilfe von »mood boards«, beginnt die Suche nach einer passenden Location. Oft ist es jedoch auch so, dass 86  |  Karl Lagerfeld im Interview mit Tim Blanks/style.com. Einzusehen unter: www.style. com/fashion-shows/fall-2010-ready-to-wear/chanel/video, zuletzt aufgerufen am 27.9. 2014.

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außergewöhnliche Locations, die DesignerInnen bereits im Kopf haben, die Bildung der Imaginären Räume beeinflussen, oder die Imaginären Räume nur in Kombination mit bestimmten Locations funktionieren. Man mag sich vielleicht fragen, ob nicht auch die Kollektion, also die zu präsentierenden Objekte, Einfluss auf die Auswahl der Location oder auf die Gestaltung des Imaginären Raumes hat. So bedingten sich beispielsweise bei der Michalsky-Show H/W 2009 die Kirchenfenster-Prints und -Applikationen auf den Kleidern, die Wahl des Songs »Personal Jesus« (Depeche Mode) und die Entscheidung für die Zionskirche in Berlin als Location gegenseitig. Man könnte sogar in diesem Falle darüber spekulieren, ob nicht die Suche nach einer außergewöhnlichen Location dem Designprozess vorangestellt war bzw. diesen erst in eine konkrete Richtung lenkte. Hierzu sei der Modenschauproduzent Alexandre de Betak im Interview mit Alix Browne zitiert. Auf die Frage von Browne, ob de Betak ein Beispiel nennen könne, in dem seine Ideen für die Show den DesignerInnen halfen, sich über die Kollektion klar zu werden, antwortete de Betak: »[… E]s gibt einige praktische und technische Vorgaben, wie z.B. den Schauplatz, die mich zwingen, an bestimmten Aspekten der Show schon frühzeitig zu arbeiten. So beginnen wir oft schon, wenn der Designer noch gar nicht angefangen hat, seine Kollektion zu entwerfen. Der Designer füttert uns mit seinen Inspirationen, Worten und Ideen, bevor er uns wirklich Kleidungsstücke zeigen kann. Ich denke, wenn ein Designer an einer Modenschau arbeitet, zwingt ihn das letztendlich, eine Geschichte zu erzählen; gäbe es dagegen keine Schau, auf die man hinarbeitet, könnte es leicht eine Kollektion aus zusammenhangslosen Einzelstücken werden. Viele Designer hatten aus verschiedenen Gründen Gelegenheit, in einer Saison einmal keine Modenschau zu machen, und wenn man diese Kollektionen objektiv betrachtet, stellt man fest, dass sie weniger gelungen sind. Oder beispielsweise die Shows von Hussein Chalayan – stell dir vor, du gehst zu einer Präsentation, um ein mechanisches Kleid zu sehen… hätte es die Show nicht gegeben, hätte er dieses mechanische Kleid vielleicht gar nicht geschaffen.« (de Betak zitiert in Browne 2009, 84)

Die hier angeführten »Inspirationen, Worte und Ideen« der DesignerInnen sind Teil des Imaginären Raumes, der in der Vorstellung der DesignerInnen existiert. In der Analyse einer Modenschau wird untersucht, wie sich alle drei genannten Räume überlappen.

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Abbildung 5: Überlappung der drei Raumtypen, eigener Entwurf

Dabei muss berücksichtigt werden, dass dem Ort und der Location bereits Atmosphären anhaften. Ein konstitutiver Bestandteil des Imaginären Raums ist hingegen die erdachte Atmosphäre. Es entsteht so ein vielschichtiges, sich aufeinander beziehendes Konstrukt, das in seinen unterschiedlichen Ausprägungen kategorisiert werden kann. Wie in Kapitel V.3.2.2 »Formen der Nutzung von räumlich gegebenen Atmosphären« dargelegt wird, kann man unter der Berücksichtigung ausgewählter Modenschauen der letzten Jahre mindestens sieben Typen herausarbeiten, die unterschiedliche Nutzungen von Atmosphären dokumentieren.  Bild:

Der Gebrauch des Wortes ›Bild‹ ist in dieser Untersuchung als eine Art synoptische, synästhetische Repräsentation von dem zu verstehen, was in der Modenschau passiert und mit den Sinnen erfasst werden kann. Das Bild ist hier nicht ein fotografisches Bild, das visuelle Schlüsselelemente der Show repräsentiert, sondern eher ein Erfahrungsbild der Show, angereichert durch etwaige Hintergrundinformationen oder individuelles Vorwissen, Erinnerungen oder Assoziationen und weitere nicht-visuelle Elemente wie Gerüche, Klänge, Empfinden von Wärme/Kälte usw. – eine Synopsis aller Dimensionen der Erfahrung also (vgl. Kapitel V.3, in dem die einzelnen Dimensionen besprochen werden). Grafisch könnte dieses Bild in einem Schema dargestellt werden, das allerdings nur einige, nicht alle Aspekte eines solchen Erfahrungsbildes wiedergeben und auch nicht die gesamte Komplexität und sämtliche Korrelationen darstellen kann:

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Abbildung 6: Elemente eines möglichen synoptischen, synästhetischen Bildes; eigener Entwurf

Festzuhalten gilt, dass die DesignerInnen und ihre Teams auf Produzentenseite nicht auf alle genannten Aspekte dieses Bildes Einfluss haben, sondern es nur teilweise mit-bilden können. Die Erfahrung der Atmosphäre ist individuell und all das, was die ZuschauerInnen mit dem Erlebten assoziieren, an was sie erinnert werden oder inwiefern ihr (Vor-)Wissen ihre Erfahrung verändert, steht nicht in der Macht der ProduzentInnen. Warum ist die Beeinflussung dieses Bildes für sie so wichtig? In der vorliegenden Untersuchung wird argumentiert, dass sich das Präsentieren des Neuen, von dem der Modezyklus lebt, von einem Am-Kleid-Zeigen zu einem In-der-Modenschau-Erzeugen verlagert hat. Das Erzeugen gelingt durch die Erschaffung einer unverwechselbaren Atmosphäre, die durch ihre Ephemeralität schwer wiederholbar ist (und somit auch schwer kopierbar, also einzigartig). Die Atmosphäre ist das schlagende Argument der DesignerInnen. In der Modenschau versuchen sie, möglichst viele Aspekte der Erfahrung der ZuschauerInnen zu beeinflussen. Je intensiver und umfassender sie die Erfahrung der ZuschauerInnen beeinflussen, desto steuerbarer sind die Wahrnehmungsbilder der ZuschauerInnen von der Modenschau. Diese Bilder sind jene, die im Nachhinein von den ZuschauerInnen verhandelt werden, wobei mit Verhandlung die Kommunikation über die unterschiedlichen Wahrnehmungsbilder und das Abgleichen dieser mit den bereits abgespeicherten Bildern im Mode-Gedächtnis gemeint ist. Schlussendlich wird ein mehr oder weniger kohärentes kollektives Erinnerungsbild von der Modenschau abgespeichert und für die KonsumentInnen vermittelbar gemacht (vgl. Ausführungen in Kapitel VI.).

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Mode-Gedächtnis:

Unter dem Begriff des kollektiven Mode-Gedächtnisses wird der Bestand aller Bilder zusammengefasst, der von jeder Gesellschaft retrospektiv gebildet wurde, um bestimmte Moden der jeweiligen Epoche zuordnen zu können. Die Bilder können aus Texten und sonstigen Überlieferungen über Mode, visuellen Darstellungen von Mode (Malereien, Illustrationen, Fotografien, Filmen usw.) sowie aus Erinnerung an Ereignisse und Rituale mit Mode hervorgehen. Daraus bildet sich eine (zunächst chronologische, später rhizomatische) Organisation oder Struktur, aus denen einzelne Schlüsselelemente hervorstechen, wie beispielsweise der Maxi-Rock und die Schlaghose in den 1970er Jahren, oder der von Christian Dior geprägte »New Look« nach dem 2. Weltkrieg. Maßgeblich beteiligt am Auf bau des kollektiven Mode-Gedächtnisses sind die bereits häufig erwähnten ModespezialistInnen, d.h. die EntscheidungsträgerInnen, die an der Zuschreibung als Mode ständig beteiligt sind (JournalistInnen und BloggerInnen, EinkäuferInnen, FotografInnen) sowie ModehistorikerInnen und -theoretikerInnen, die an der Rekonstruktion der Moden einzelner Epochen Interesse haben. Die (chronologische) Strukturierung dient der Selektion relevanter Moden und DesignerInnen, der Zusammenfassung von vergangenen Moden zu Stilen, die typisch für eine bestimmte Epoche oder einen bestimmten Designer bzw. eine bestimmte Designerin sind, sowie der Verlinkung von Epochen, Moden und Stilen, die aufeinander verweisen. Außerdem dient sie der Situierung aktueller Moden im Vergleich zu den vergangenen – also als Möglichkeit der Aufschlüsselung von dem, was als Neues präsentiert wird in einzelne Teile, die teilweise als Altes identifiziert werden können (sogenannte Zitate). Boris Groys liefert in seiner Publikation Über das Neue (1992) hilfreiche Gedanken zur Erörterung und Begründung eines kollektiven Mode-Gedächtnisses. Ihm zufolge wird erst durch die Archivierung von Tradition das Interesse an Innovation geweckt. Archiv und Neuheit stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander und bedingen sich gegenseitig: »Oft hört man […] in der Moderne die Meinung, das Alte behindere das Neue, und wenn man das Alte zerstöre, dann werde der Weg für das Neue frei. Tatsächlich aber werden das Bedürfnis nach Neuem und die Möglichkeit des Neuen von der Erhaltung des valorisierten kulturellen Gedächtnisses bestimmt. Wenn man auf kulturelle Aufbewahrung verzichten könnte, dann würde der ›Zwang des Neuen‹ in der Tat entfallen. Man könnte wieder ›alles Alte machen‹. In der Praxis wird dies jedoch niemals geschehen, dass die Abwertung der Kultur die unmittelbare Aufwertung des Profanen nach sich zieht. Auf jede Zerstörung des kulturellen Archivs folgt unausweichlich sein Wiederaufbau.« (Groys 1992, 125)

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Wie wird ein derartiges kollektives Archiv aufgebaut? Grundprinzip der Gestaltung ist laut Groys das Ignorieren von Nachahmendem – Innovation wird aufgenommen, Reproduktion abgelehnt (vgl. ebda., 55). Schnell wird deutlich, dass das kollektive Gedächtnis sich nicht von selbst bildet, sondern dass es AkteurInnen bedarf, die die ›neuen Zugänge‹ auf ihre Ähnlichkeit zu bereits Vorhandenem überprüfen. Die Entscheidung über Aufnahme oder Ablehnung wird durch den Vergleich gefällt: »Jedes Ereignis des Neuen ist im Grunde der Vollzug eines neuen Vergleichs von etwas, das bis dahin noch nicht verglichen wurde, weil niemandem dieser Vergleich früher in den Sinn kam. Das kulturelle Gedächtnis ist die Erinnerung an diese Vergleiche, und das Neue findet nur dann Eingang ins kulturelle Gedächtnis, wenn es seinerseits ein neuer derartiger Vergleich ist.« (Ebda., 49)

Groys betont, dass der Abgleich nicht nur von einer einzelnen Person bewerkstelligt werden kann, sondern kollektiv vonstattengeht. Das bedeutet, dass sich alle oder eine Gruppe von EntscheidungsträgerInnen darüber einig werden müssen, wie das Ergebnis des Vergleichs – Annahme oder Ablehnung – lauten soll: »Das Neue ist ein kulturökonomisches Phänomen, deshalb kann es nicht nur auf dem individuellen Gedächtnis und individuellen Unterscheidungsvermögen beruhen. Das Neue ist nur dann neu, wenn es nicht einfach nur für irgendein bestimmtes individuelles Bewusstsein neu ist, sondern wenn es in Bezug auf die kulturellen Archive neu ist. Zu diesem historischen Gedächtnis haben nicht nur der Autor, sondern auch sein Kritiker gleichermaßen Zugang. Deshalb kann man das Neue individuell beurteilen und zugleich eine öffentliche Diskussion darüber führen.« (Ebda., 44)

Wenn die KünstlerInnen um diesen Prozess des Vergleichens und Aushandelns wissen, ist ihnen der Weg zur Produktion von Innovation durch die sog. »negative Anpassung« offenbar: »Innovation ist […] ein Akt der negativen Anpassung an die kulturelle Tradition. Die positive Anpassung besteht darin, das neue Werk den traditionellen Vorbildern ähnlich zu gestalten. Die negative Anpassung besteht darin, das neue Werk den traditionellen Vorbildern unähnlich zu gestalten, in Kontrast zu ihnen zu setzen. In jedem Fall steht es in einem bestimmten Verhältnis zur Tradition – gleichgültig ob positiv oder negativ. […] Die zentrale Frage bei der Beurteilung des Wertes eines kulturellen Werkes ist also sein Verhältnis zur kulturellen Tradition, der Erfolg seiner positiven oder negativen Anpassung an dieses.« (Ebda., 19)

Die negative Anpassung der DesignerInnen und der Vergleich von Neuem mit bereits Bekanntem durch das Spezialistentum erfolgt als erstes in der Moden-

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schau, daher wird ihr hier eine so zentrale Bedeutung im Modezyklus beigemessen. Dabei ist die negative Anpassung nicht mehr ausschließlich über das Kleid möglich, sondern wird seit Mitte der 1980er Jahre insbesondere durch die Modenschaugestaltung vollzogen. Diese Entwicklung beruht vor allem auf zwei Veränderungen in den letzten 30 Jahren, die das Mode-Gedächtnis als kollektive Erinnerungsstruktur betreffen. Zum einen kamen, wenn man sie als eine Art Mode-Enzyklopädie begreift, keine ›neuen Einträge‹ mehr hinzu, sondern immer nur mehr Verlinkungen, da in der Mode nur noch zitiert und kombiniert wurde und wird. Zum anderen hat sich das Gedächtnis seit den frühen 2000ern in das Internet verlagert, was eine Sprengung seiner Grenzen mit sich führte. Neben den SpezialistInnen und WissenschaftlerInnen fühlen sich nun BloggerInnen und KonsumentInnen dazu berufen, ›Einträge‹ vorzunehmen, was die Selektion und Abspeicherung von Schlüsselelementen erschwert. Generelle Demokratisierungstendenzen (wie Live-Übertragungen von Modenschauen, direktes Bloggen und Twittern aus der Modenschau heraus etc.) begünstigen diese Unübersichtlichkeit und den Kontrollverlust des Spezialistentums. Die Schaffung von Neuheit durch die Art und Weise der Vermittlung (s.o.) ist ein möglicher Austritt aus dieser ›Bredouille‹. Neu ist nicht mehr das, was fotografiert oder getwittert werden kann, sondern die Atmosphäre der Modenschau, die erlebt werden muss. Mehr denn je geht es nun um Anwesenheit, um Exklusivität und um Erfahrung. Die eigentliche Neuheit ist nun also die Atmosphäre der Modenschau, die von den ZuschauerInnen in ein Bild (im oben genannten Sinne) erfasst, erinnert und verglichen wird, um ihre tatsächliche Neuheit zu bewerten. Da der Vergleich auch so ausfallen kann, dass kein Unterschied des Gezeigten vom Abgespeicherten festzustellen ist, bleibt die gezeigte Neuheit als bloße ›Behauptung‹ (vgl. Kapitel IV.3) zurück, die nicht bestätigt werden konnte. Mit den Worten des Ritualwissenschaftlers Burckhard Dücker: »Damit erweist sich ›neu‹ primär nicht als sichtbare materiale Eigenschaft eines Phänomens, die dieses immer schon mitbringt, sondern als soziale Kategorie, die einem Phänomen in einer inszenierten symbolischen Präsentationshandlung, d.h. einer rituellen oder ritualisierten Aufführung erst zugeschrieben wird. Die Anerkennung als ›neu‹ vollzieht sich in der Form einer rituellen Aushandlung […] Erscheint dieser den potentiellen Nutzern oder Anhängern nicht überzeugend, so wird die angebotene Zuschreibung ›neu‹ für einen Gegenstand oder eine Person nicht akzeptiert, die Aushandlung ist misslungen, eine Serialität ist an ihr Ende gekommen oder kann nicht begonnen werden, eine Erzählung ist dann nur als Bericht eines einmaligen Scheiterns möglich.« (Dücker 2008a, 23)

Wenn die Behauptung »legitimiert« wird, wie Dücker es formulieren würde, wäre eine Abspeicherung des Gezeigten als Neuheit die Folge. Modenschauen dagegen, die die Atmosphären von bekannten Modenschauen reproduzieren,

II. Moden beschauen

werden beim Vergleich der Modenschau-Bilder als Nachahmung entlarvt (vgl. Beispiele hierfür in Tab. 1). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Groys darauf hinweist, dass das, was archiviert wird, von der Innovation aufgewertet und »als Zeugnis dieser Innovation« abgespeichert wird (vgl. Groys 1992, 63f.) – nicht aber die Innovation an sich!87 Dies eröffnet die sehr spannende Frage nach den gezeigten Kleidern in der Modenschau. Die DesignerInnen verfolgen zwei Ziele: Zum einen ist es ihr Anliegen, dass das ModenschauBild als Zeugnis der Atmosphäre verglichen und als inventiv beurteilt wird. Zum anderen möchten sie grundsätzlich ihre Kollektion auch verkaufen, und so sollten eigentlich die Kleider als ›Relikte‹ der Modenschau als Zeugnis der Neuheit befunden werden. Um zu erreichen, dass beides – sowohl das Bild als auch die gezeigte Kollektion – im kollektiven Mode-Gedächtnis als Neuheit abgespeichert wird, müssen sie in einen ständigen assoziativen Zusammenhang gebracht werden. Denn oft kommt es vor, dass zwar das Bild als Zeugnis der Atmosphäre und auch als etwas Neues abgespeichert wird, die Kleidung jedoch nicht. Im einfachsten Beispiel führt das dazu, dass man mit der ›Unterwasserwelt‹-Modenschau von Chanel F/S 2012 ein Bild vor sich hat, sich jedoch nicht an die gezeigte Kollektion erinnern kann. Um dem entgegenzuwirken, entwickeln die DesignerInnen gesonderte Kopplungsstrategien, die Bild und Kleidung – beide als Zeugnisse der inventiven Atmosphäre – miteinander verbinden (vgl. Kapitel VI.4).

87 | Wie hier und insbesondere in Kapitel IV. deutlich wird, nehmen einige AutorInnen keine klare Trennung der Begriffe Innovation und Invention vor. In der vorliegenden Untersuchung wird das folgendermaßen gehandhabt: Bei der Wiedergabe der Argumentation anderer AutorInnen werden die Begriffsverwendungen der AutorInnen beibehalten. Bei eigener Argumentation wird sensu Loschek (Inventionen sind »Ideen vor der Phase der Vermarktung«) durchgängig von Invention und Inventivität gesprochen. Vgl. Fußnote 2 in Kapitel I.

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III. Die Modenschau 1. A briss der M odenschaugeschichte Die Modenschauen entwickelten sich aus den Ateliersvorführungen der ersten ModeschöpferInnen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Aber schon vor der Etablierung des Berufs der ModeschöpferInnen gab es Mittel und Wege, europa- und weltweit einen bestimmten Kleiderstil zur geltenden Mode zu machen. Die französischen Königshäuser verbreiteten die Entwürfe ihrer höfischen SchneiderInnen durch das Versenden von kleinen Püppchen, den sogenannten Pandoras – laut Lehnert (1996, 45) sind bereits seit dem 14. Jahrhundert solche Puppen in den Rechnungsbüchern der französischen KönigInnen belegt. So ließ sich z.B. im Jahre 1391 die Königin von England Modepuppen aus Frankreich zuschicken, um über die Kleider der Isabeau de Bavière unterrichtet zu sein (vgl. Hillier u. von der Marwitz 1968, 44). Ingrid Loschek (2011, 394) und Erika Thiel (1980, 245) datieren ihr Auftreten in kleiner Form erst seit dem 17. Jahrhundert, in großer Form seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Ihre Größen variierten zwischen lebensgroß und ca. 60 cm. Sie waren aus Wachs, Holz, Porzellan, Papiermaché oder Leder gefertigt und von den Damen des französischen Hofes im Pariser Hôtel Rambouillet bekleidet. Man gab ihnen die Namen ›Große Pandora‹ und ›Kleine Pandora‹, je nachdem, was sie trugen: Die Große trug die Staatstoilette, die Kleine die Tages- und Unterbekleidung. Für sechs Louis d’or wurden die Puppen verschickt.1 SchneiderInnen und ModistInnen anderer Höfe und Länder empfingen die Puppe, kopierten den Schnitt und übertrugen ihn auf die menschliche Körpergröße. Dabei wurden landestypische Veränderungen eingearbeitet, oder auch Umgestaltungen in der Stoffwahl und im Detailreichtum vorgenommen. Auf diese Weise verbreitete sich die Mode nicht nur, sondern sie entwickelte sich gleichzeitig auch weiter, wurde immer tragbarer 1  |  Ein Louis d’or würde laut Kleinert einer Summe von 600 Francs im Jahre 1965 entsprechen, was im selben Jahr in Deutschland 491 DM gewesen wären. Vgl. Kleinert 1980, 22 und historischer Währungsumrechner unter: http://fxtop.com/en/currencyconverter-past.php, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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und günstiger. In der griechischen Mythologie war Pandora die erste Frau der Schöpfung. Pandora wurde von ihrem Schöpfer Hephaistos mit vielen Reizen ausgestattet: mit einem wohlproportionierter Körper, mit Schönheit und Jugendlichkeit. Bevor sie auf die Erde kam, gab Zeus ihr ein Tongefäß (die sog. ›Büchse der Pandora‹), die alle Übel und Krankheiten enthielt. Pandora schenkte dieses Gefäß den Menschen mit der Warnung, sie nicht zu öffnen – die Neugier der Menschen überwog jedoch und so ergoss sich das Schlechte über die Welt (nur die Hoffnung blieb in der Büchse zurück). Die NamensgeberInnen der Modepuppen bedienten sich diesem Mythos und thematisierten dadurch die Paradoxität der Mode: Die Puppe war Leitbild der schönen Frau, aber auch Inbegriff aller Schrecken und Modetorheiten (vgl. Lehnert 1996, 46). Die Puppen waren Modebotschafterinnen, da sie die französischen (und italienischen) Moden monatlich in andere Städte und Länder überlieferten – zunächst nach England, später auch nach Deutschland, Italien, Russland und sogar nach Nordamerika. Da die Puppen als Versteck zu Spionagezwecken benutzt wurden, verbot Napoleon im Jahre 1804 die Belieferung von Großbritannien (vgl. Thiel 1980, 245). Laut Kleinert (1980, 23) büßten die Puppen jedoch auch nach Auf hebung des Verbots und trotz florierender Puppenindustrie seit Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Popularität ein und wurden von den seit Ende des 18. Jahrhunderts auf kommenden Modejournalen abgelöst, die in der Produktion billiger waren und durch den vereinfachten Transport ein größeres Publikum erreichen konnten. Durch die Distribution von Modepuppen, zwischendurch Papierpuppen und später Modejournalen, setzte sich nicht nur eine adlige Mode gegenüber adligen Moden anderer Königshäuser durch, sondern sickerte so auch innerhalb eines Landes von den oberen in die unteren Stände – das schon erwähnte Trickle-Down-Prinzip. Vorausgesetzt wird dabei, dass ständig das Bedürfnis vorherrschte, so zu sein und sich so zu kleiden wie die nächst höheren Stände. Dies ist, wenn man sich die Geschichte der Mode anschaut, nicht immer möglich oder erwünscht gewesen, beispielsweise aufgrund von Kleiderordnungen. Auch gab es durchaus Zeiten, in denen sich die oberen Stände vom Lebensstil der einfachen BürgerInnen inspirieren ließen, z.B. im Biedermeier, oder sogar von der anrüchigen Demimonde (der Welt der Prostituierten, der GauklerInnen usw.). Dennoch gilt, und dies hat Simmel in seinen Gedanken zum Dualismus der Mode herausgearbeitet, die ständige Sehnsucht nach dem Anderssein. Das Prinzip des Trickle-Down änderte sich grundlegend erst ab der französischen Revolution, in der unter anderem die herrschenden Kleiderordnungen angefochten wurden. Mode galt nun zunehmend als Mittel zur Selbstverwirklichung, immer weniger als Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Stand. Mit der Verbreitung der Mode auf die bürgerlichen Schichten kam bei ihnen auch das Bedürfnis auf, mit den aristokratischen Lebens- und Luxusformen zu konkurrieren, statt sie nachzuahmen. Leider war das Bürger-

III. Die Modenschau

tum nicht besonders stilsicher, da es auf keine eigene Modetradition zurückgreifen konnte – daher suchten sie sich Fachleute, die sich mit dem Schneiderhandwerk und mit Design auskannten (vgl. Lehnert 1996, 50). Aus dem Beruf der SchneiderInnen entwickelte sich so der Beruf der ModeschöpferInnen und aus dem Schneiderstüblein wurde das Atelier. Anstatt Modepuppen zu verschicken, lud man die KundInnen in die Ateliers ein und ließ die Kleidung von den dort arbeitenden Verkaufsdamen vorführen. Als erstes Mannequin (in Abgrenzung zum Fotomodel – eine Kombination beider Berufe war erst seit den 1960ern gängig) wurde die Vorführdame Marie Vernet bekannt, die mit dem in England geborenen und nach Paris ausgewanderten Designer Charles Frederick Worth arbeitete und ihn 1850 heiratete. Laut Evans (2010, 470) zeigte Vernet zusammen mit anderen Damen in Worths 1858 mit dem Schweden Otto Bobergh gegründeten Atelier zahlungskräftigen KundInnen die Kreationen ihres Mannes; allgemein gängig war diese Praxis in Pariser Modehäusern erst ab 1880. Laut Kaplan und Stowell (1994, 116) und Parmal (2006, 63) gibt es jedoch auch Hinweise darauf, dass das Modehaus Gagelin, bei dem Worth zuvor als Schneider und Vernet als Verkaufsdame gearbeitet hatte, bereits 1849 aus den Verkaufsdamen »demoiselles de magasin« auswählte, die Tücher und Mäntel vorführten.

E xkurs zur Herkunft des Berufs des Fotomodels Um die Geschichte der Modenschau zu erfassen, bietet es sich an, nicht nur die Geschichte der Haute Couture- und Prêt-à-porter-DesignerInnen in Augenschein zu nehmen, sondern auch die Geschichte des Berufs des Models. Neben der naheliegenden Erklärung, dass die lebendigen Models einfach die Modepuppen ablösten und sich daraus der Beruf des Laufstegmodels entwickelte, lässt sich der Modelberuf auch aus der Perspektive der Entwicklung bildgebender Verfahren (Malerei, Illustrationen, Fotografien etc.) rekonstruieren – beide Zugänge haben ihre Berechtigung, denn zunächst unterschied man auch zwischen Laufsteg- und Fotomodels (früher auch Mannequins bzw. Fotomodelle genannt).2 Nach Harriet Quick sind die Vorgängerinnen des Fotomodels die Künstlermusen – sie geht in ihren Ausführungen sogar bis in die Antike zurück. Die Frauen, die den Steinhauern und Malern3 Modell standen, 2 | Die Bezeichnung Mannequin kommt übrigens vom mittelniederländischen »mannekijn« und bedeutete Männchen. Zunächst wurde damit die hölzerne Gliederpuppe der Maler und Schneider bezeichnet, ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff auf die Vorführdamen übertragen. Die Bezeichnung Model kommt über das italienische »modello« vom lateinischen »modulus« und bedeutet Maß. Vgl. die jeweiligen Einträge in der Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 17, 619 ›Mannequin‹ und Bd. 18, 625 ›Model‹). 3  |  Die männliche Form wurde hier gewählt, da nur sehr wenige Künstlerinnen bis ins 19. Jahrhundert bekannt geworden sind. Für eine differenzierte Diskussion vergleiche

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waren vor allem wegen einzelner Körperteile interessant: So standen für eine Statue mehrere Frauen Modell (vgl. Quick 1997, 10). Erst in der italienischen Renaissance gab es eine bedeutende Weiterentwicklung: Die Körper wurden in der Malerei plastisch dargestellt und wie in den zahlreichen Anatomie- und Bewegungsstudien von Leonardo da Vinci auch vermessen. Außerdem wurde in einigen Malereien, Skizzen und Stichen der Entstehungsprozess der künstlerischen Tätigkeit thematisiert und somit auch das Verhältnis des Künstlers zum Model. Dies erklärt, warum sich seit der Renaissance starke Beziehungen zwischen einzelnen Frauen als Musen und ihren Malern entwickelten, des Öfteren waren es Liebesbeziehungen (beispielsweise Raphaels Liebe zu Margherita Luti). Eine ansatzweise Professionalisierung des Berufs der Malermuse begann im 18. Jahrhundert als Ergebnis zweier Entwicklungen: Erstens nahm das Interesse der Mätressen der Könige zu, portraitiert zu werden. Zweitens lockte die Bezahlung für Aktmodelle an Künstlerschulen: An der Royal Academy in London betrug sie 1752 vier Schillinge für männliche, acht für weibliche Models (vgl. ebda., 16). Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Malermusen bei den impressionistischen MalerInnen selbst zum Thema des Bildes; d.h. nicht als Verkörperungen anderer Figuren, sondern in ihrer Funktion als Model (beispielsweise in Georges Seurats »Les Poseuses« um 1885). Zeitgleich mit der Entstehung des Berufs der ModeschöpferInnen entwickelte sich in Anlehnung zur Malermuse der Beruf des Models heraus. Zunächst posierten die Models für die Illustrationen der Modejournale, d.h. für Kupfer-, Holzstiche und Lithografien.4 Für fotografische Abbildungen in Modezeitschriften, die anfangs aufgrund der technischen Möglichkeiten sehr rar waren, griff man bis in die 1920er Jahre insbesondere auf ausdrucksstarke Schauspielerinnen und bekannte Persönlichkeiten zurück. Die Models, die für die Illustrationen Modell gestanden hatten, hielten erst ab den zwanziger Jahren Einzug in die Modefotografie. Bald widmeten sich die bei den Modezeitschriften angestellten Fotografen wie Cecil Beaton, Edward Steichen, George Hoyningen-Huene, Horst P. Horst oder Man Ray selbst der Modelsuche und so entstanden oft wie bereits in der Malereiszene der Renaissance (Liebes-)Beziehungen zwischen FotografInnen und Fotomodels. Durch die Professionalisierung des Laufstegmodels im Verlauf des beginnenden 20. Jahrhunderts, durch die Verlagerung des Modebusiness in die USA und durch die wachsenden Auflagenzahlen der amerikanischen Vogue und Harper’s Bazaar boomte das Modelgeschäft in Amerika. Dies hatte man Linda Nochlin (1996 [engl. 1971]), die als Begründerin der feministischen Kunstgeschichtsschreibung gilt. 4 | Das bekannteste deutsche Modejournal ist das monatlich zwischen 1786 bis 1827 erschienene Journal des Luxus und der Moden des Verlegers Friedrich Justin Bertuch (Weimar).

III. Die Modenschau

die Gründung der ersten Modelagentur zur Folge: John Robert Powers eröffnete als arbeitsloser Schauspieler 1923 eine Agentur in New York, in der Schauspielerinnen, Mannequins und Fotomodels, wie Carmen dell’Orefice und Dovima vertreten wurden (die sog. »Power-Girls«). Nach anfänglichen, vor allem rechtlichen Schwierigkeiten bekam die Agentur nach der Weltwirtschaftskrise 1929 enormen Zuwachs: Die Töchter und Damen höherer Gesellschaftsschichten wurden dazu angehalten, aus finanziellen Gründen als Model zu arbeiten. Mit der Zeit öffnete das Engagement in einer Modelagentur auch das Türchen zum Hollywoodbusiness: Powers brachte unter anderem Henry Fonda,  Cary Grant,  Clayton Moore, angeblich sogar Marilyn Monroe als Stars heraus. In London reagierte man auf die amerikanische Bewegung mit der Eröffnung von sog. »charm schools« – Pionierin war hier Lucie Clayton im Jahre 1928, die ihren Schülerinnen gegen Gebühren einen sicheren modischen Geschmack, gutes Benehmen, elegantes Laufen und eine ausgewogene Ernährung beibrachte. Solche Schulen brachten zwar nicht unbedingt Topmodels hervor, aber sie verbesserten das Image des Modelberufs.5 Kehren wir nun zu den Anfängen der ersten großen ModeschöpferInnen zurück, so muss an erster Stelle der Modeschöpfer Charles Frederick Worth erwähnt werden. Er gilt als erster Modeschöpfer der Geschichte, der seine Tätigkeit nicht mehr bloß als Handwerk verstand, sondern als Kunst. Er versah seine Entwürfe – wie ein Maler – mit seinem eigenen Namen, was die Geburt des Markenzeichens in der Mode bedeutete. Außerdem trennte er erstmals den kreativen vom handwerklichen Teil der Arbeit; er selber entwarf und drapierte, worauf die Kundinnen wenig Einfluss hatten, und seine NäherInnen fertigten das Kleid für die Kundinnen an. Worths Frau Marie arbeitete als Vorführdame in seinem Atelier und wurde auch, wie damals die Puppen, zum französischen Hof geschickt, um Worths Kreationen der Kaiserin Eugénie de Montijo zu zeigen. Die Vorführdamen wurden zunehmend nach dem Kriterium der Ähnlichkeit mit den Kundinnen ausgesucht: Da es sich als Kundin nicht schickte, während den Vorführungen selbst die Kleider anzuprobieren, sollten die Mannequins als ihr Spiegel fungieren, was ihnen bei Worth die Bezeichnung »sosies«, also Doppelgängerinnen, einbrachte (vgl. Golbin 2009, 21).6 Dabei trugen die Damen zum Schutz der Textilien einen Ganzkörperanzug aus schwarzer Seide oder hautfarbenem Strick (vgl. 5  |  Zur weiterführenden Lektüre siehe Gross 1996 sowie Autobiografien aus den Anfangsjahren, z.B. Praline 1951, Dawnay 1958 und Carlier 1958. 6  |  Es sei hier auf den Unterschied zum jetzigen Verhältnis Model  Zuschauerin hingewiesen, der genau darauf basiert, durch einen unerreichbaren, scheinbar perfekten und (größtenteils) ungesund dünnen Modelkörper dem Körper der Käuferin so entfernt wie möglich zu sein, um das Verlangen nach dem Kleid zu vergrößern.

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Zazzo 2007, 172f.). Außerdem schickte Worth seine Frau in seinen Entwürfen auf die Pferderennbahn Longchamp im Bois de Boulogne und zu anderen gesellschaftlichen Ereignissen, um für sein Label Werbung zu machen und für die Zeitungen abgelichtet zu werden – laut Evans (2011, 113) war diese Praxis generell ab 1908 üblich.7 Worths Marketingideen wurden vielfach von seinen zeitgenössischen DesignerkollegInnen kopiert, beispielsweise von Jeanne Paquin, Paul Poiret oder Jean Patou. Die englische Designerin Lady Lucy Duff Gordon, die seit 1894 das Maison Lucile betrieb, organisierte ihre Modenschauen seit der Jahrhundertwende als festliche Spektakel mit Einladungskarten, Programmen, Podium (als Vorläufer des Laufstegs), Bühnenvorhang, Orchestermusik und Rampenlicht – die sog. »mannequin parades« waren geboren.8 Sie trainierte ihren rund 30 »glorious, godess-like girls« aus der Londoner Arbeiterklasse dramatische Posen aus dem Theater an und gab ihnen und jedem einzelnen Kleidungsstück einen griffigen Namen, der bei der Präsentation ausgerufen wurde – ein Kleidungsstück nannte Lucile beispielsweise »Do you love me?« (vgl. Kaplan u. Stowell 1994, 117ff.). Die Models hießen auf der Bühne dann »Hebe«, »Gamela« oder »Dolores«, um laut Vilaseca (2010, 34) einen Rückschluss des Publikums auf ihre nicht-adlige Herkunft zu vermeiden. In der Namensgebung war sie inspiriert von literarischen Werken, die sie gelesen hatte, von der aufkommenden Populärpsychologie des frühen 20. Jahrhunderts und von den Persönlichkeiten ihrer Kundinnen; Kommentare und Texte schrieb oft ihre Schwester, die Autorin Elinor Glyn.9 Lucy Duff Gordons Ideenreichtum kulminierte in der Etablierung des Genres der sogenannten »fashion plays«. Die Aufführung kurzer Theaterstücke wurde dazu genutzt, möglichst viele Kleiderstücke einer Kollektion in eine witzige oder dramatische Geschichte einzubinden und auf diese Weise auf den Markt zu lancieren – so z.B. in dem 1909 aufgeführten 7  |  Brevik-Zender (2009) beschäftigt sich eingehender mit den Präsentation auf den Pferderennen von Longchamp. 8  |  Luciles erste Modenschau mit dem Kollektions-Titel »Gowns of emotion« wird auf das Jahr 1901 datiert (vgl. Zazzo 2007, 172). Parmal gibt dagegen zu bedenken, dass Lucile bereits seit 1897 »parades« aufgeführt haben könnte (vgl. Parmal 2006, 78). Lucile designte außerdem nicht nur Kleider und Accessoires, sondern achtete auch auf die angemessene Präsentation ihrer Entwürfe in einem modernen Interieur. Daher ging sie, wie später auch Paul Poiret, dazu über, eigene Möbel zu designen, und für jede Form der Modenschau einen konkreten Aufführungsraum in ihrem Atelier zu kreieren. Näheres in Safer 2011. 9  |  Laut Helbing gab auch Poiret seinen Entwürfen einprägsame Namen. Für seine Kollektion 1901 wählte er Städtenamen in Bezug auf die europäischen Städte, in denen er die betreffende Kollektion im selben Jahr zeigen wollte: Frankfurt, Berlin, Potsdam, Warschau, Moskau, St. Petersburg, Bukarest, Wien (vgl. Helbing 2012, 11).

III. Die Modenschau

Stück »Seven Ages of Woman«, in dem in sieben Akten von der Geburt bis zum Tod der Kleiderzyklus einer Society-Dame nachgezeichnet wurde (vgl. Kaplan u. Stowell 1994, 119). Hervorzuheben sei hierbei auch, dass dieses Frauenmode zeigende Spektakel auch für Männer zugänglich war. Die Darbietung stieß auf große Befürwortung seitens der Männer, da es nicht nur Mode, sondern auch schöne Frauen in erotischen Posen zu sehen gab, worauf Duff Gordon bewusst abzielte. Ihr Coup lag darin, Sinnlichkeit zur Ware zu machen, was sie unter anderem dadurch bewerkstelligte, sowohl ihre Entwürfe als auch ihre Mannequins als »models« zu bezeichnen. Der Kunde wurde so im Unklaren darüber gelassen, welche ›Ware‹ – das Kleid oder das Mannequin – nun zu (ver)kaufen sei. Paul Poiret, ein Schüler von Worth, wurde nicht nur durch seine die Frauen vom Korsett befreienden Entwürfe bekannt10, sondern auch durch seine experimentellen Modenschauen, besonders jene im Freien. Ähnlich wie Lucile inszenierte er ganze Feste, die sich um ein bestimmtes Thema drehten, z.B. eine orientalische Party unter dem Motto »Die Tausendundzweite Nacht« am 24. Juni 1911.11 Auch Poiret orientierte sich an Inszenierungsstrategien, die er aus dem Theater kannte: Hiervon zeugt beispielsweise seine Partizipation am Theaterstück »Das Minarett«, das im März 1913 in Paris uraufgeführt und ein halbes Jahr später von ihm in eine raffinierte Modenschau umgestaltet und in zahlreichen amerikanischen Warenhäusern präsentiert wurde. Für die SchauspielerInnen des Theaterstücks entwarf er zusammen mit seinen Angestellten Erté und José de Zamora mehrere hundert Kostüme; für ausgewählte BesucherInnen des Premierenabends eine tragbarere Linie, die unter dem Namen »Minaret-Stil« bekannt wurde. Die Grenze zwischen Publikums- und Bühnenraum wurde somit verwischt, man wurde als ZuschauerIn beinahe Teil der Aufführung (vgl. Troy 2004, 47ff.). Neben seiner Partizipation am Theater entwarf er auch Kostüme für französische Kinofilme – z.B. kleidete er Sarah Bernhardt für »Die Königin Elisabeth« 1912 ein, später sogar für Hollywood-Filme, erstmals für »The Enemy of Women« 1923 (vgl. Devoucoux 2007, 263). Nicht nur diente er dem Film, sondern der Film diente auch ihm als Marketingtool: 1913 nahm er eine seiner Garten-Modenschauen in Paris 10  |  Dafür fesselte er mit seinen Entwürfen ihre Beine, wie er selber bemerkte: »I freed the bust and I shackled the legs.« Vgl. Eintrag zu ›Paul Poiret‹ in der Encyclopædia Britannica Online, www.britannica.com/EBchecked/topic/466443/Paul-Poiret, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 11  |  Ein Foto sowie ein Abdruck der Einladung zur Party »Die Tausendundzweite Nacht« ist in Poirets Autobiografie (1930, 97 u. 147) zu finden. Mit der fotografischen Dokumentation früher Modenschauen sowie der damit verbundenen Angst der DesignerInnen vor Kopien und ihr Umgang mit der Presse über die Jahrzehnte beschäftigt sich Lécallier 2007.

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auf und zeigte sie im Herbst desselben Jahres in verschiedenen Großstädten Amerikas einem Publikum aus »buyers and men and women interested in women’s dress in a business way«. Anstatt, wie bereits üblich, mit seinem Stab von in Poiret-Mänteln uniformierten Models von Stadt zu Stadt zu reisen (u.a. in das Berliner Kaufhaus Gerson 191012), zog Poiret es diesmal vor, den Film im Hintergrund laufen zu lassen und in einer Art Vortrag die Bewegtbilder zu kommentieren (vgl. Evans 2011, 121). Außer den Filmvorstellungen für ein ausgewähltes Publikum wurde es auch üblich, zwischen 1910 und 1920 Reportagen über und Ausschnitte von Modenschauen in den »newsreels« vor den Kinofilmvorstellungen zu zeigen (vgl. ebda., 123ff.). Poirets Talent zeigte sich darin, verschiedene Künste und Kulturbereiche sowie deren Marketingstrategien miteinander zu verbinden und fruchtbar zu machen. Insbesondere die Idee, Modenschauen durch kurze Modefilme zu ersetzen oder zu ergänzen, ist in den letzten Jahren wieder aufgekommen, beispielhaft dafür sind die Produktionen von Showstudio für Gareth Pugh.13 Vor dem Hintergrund ihrer Recherchen über die mannigfaltigen Marketingstrategien von Poiret zeigt Evans einige interessante Parallelen zwischen der Erfindung der Modenschau und den ersten Kinofilmen des Genres »cinema of attractions« seit 1890 auf, insbesondere in Hinblick auf das herrschende Bild von ›der Frau‹.14 Wie Evans darlegt, ist aber bereits ein Vergleich der Modenschau mit der dem Film vorausgehenden Chronofotografie – Fotografieserien von Bewegungsabläufen – beispielsweise von Étienne-Jules Marey oder Eadweard Muybridge möglich. Evans führt die Ähnlichkeit beider Entwicklungen darauf zurück, dass ihre zwei wichtigsten Aspekte »multiple« und »movement« sind, die eine neue Wahrnehmung von Zeit und Raum möglich machen. Die neuen visuellen Technologien haben nämlich für den Körper nach Evans zwei Dinge zur Folge: Einerseits bestehe ein Film aus statischen, aneinandergereihten Einzelsequenzen, was eine Rahmung, Erstarrung und in der Serie eine Multiplikation des Körpers bedeutet, andererseits zeige er bei einer Beschleunigung der einzelnen »freeze frames« die abgebildeten Personen in 12  |  Zur weitergehenden Lektüre zum Besuch von Poiret, Paquin und Lucy Duff Gordon in Berlin siehe Dähn 1982 und Ganeva 2009. Außerdem sei nochmals auf die Dissertation von Marie Helbing (Universität Dortmund) mit dem Arbeitstitel »Mode für die Massen. Die Modenschauen der Berliner Konfektion, 1902-1936« hingewiesen. 13 | Eine kritische Auseinandersetzung mit dem neuen Genre »fashion short films« (seit ca. 2000) findet man beispielsweise in Khan 2012. 14  |  So war beispielsweise ihre Stummheit ein Merkmal, welches die Mannequins und Schauspielerinnen zu Beginn teilten. Während sich das »cinema of attractions« zum »cinema of narrative integration« weiterentwickelte und durch Tonspuren ergänzt wurde, veränderte sich an der Modenschau in dieser Hinsicht nichts (vgl. Evans 2011, 114ff. u. 124).

III. Die Modenschau

Bewegung (vgl. Evans 2005, 128). Diese beiden Aspekte macht Evans auch bei der Arbeit der Mannequins fest: »multiple« deswegen, weil die Mannequins zuerst als »sosies«, d.h. als Doubles der Kundinnen auftraten, dann zunehmend als Doubles ihrer selbst, denn mit der Zeit verlangte man nach identischen Modelkörpern, die alle in jedes beliebige Kleidungsstück passten und sich in ihnen gleich gut bewegen sollen, was man mit antrainierten Gesten und Choreografien, Diäten und uniformeller Bekleidung (Poiret!), Schminke und Haarstyling bewerkstelligen konnte. Diese Multiplikation wurde in den Ateliers durch das Verspiegeln der Wände verstärkt, sowie mit der zunehmenden Verbreitung von Fotografien der defilierenden Models – und in der Tat erinnern die auf den Webseiten heutiger DesignerInnen abgebildeten Fotos von Modenschauen in ihrer Aneinanderreihung stark an die Fotoreihe »Woman dressing« von Muybridge aus dem Jahre 1887 (vgl. in diesem Zusammenhang Lécallier 2007, 163). Der Vergleich dieser Multiplikation mit der vom Fordismus und Taylorismus geprägten Massenproduktion des jungen 20. Jahrhunderts liegt nahe. So macht Evans an anderer Stelle 2007 deutlich, wie die Automatenhaftigkeit der Models zu einer Art Marx’schen Entfremdung führe, die – und hier argumentiert sie mit Freud – eine beunruhigende Unheimlichkeit auslöse (vgl. Evans 2007, 158f.). Dem »multiple« wird das »movement« zur Seite und gegenübergestellt, denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts wollte man die Kleidung in Bewegung sehen. Das Laufen und Drehen wurde geübt und mit der Zeit bildeten sich für bestimmte Modehäuser typische Körperhaltungen, Gesten und Schrittabfolgen heraus – beispielsweise die dramatischen Posen bei Lucile, imposante Drehungen von Poirets Lieblingsmodel Andrée, das gelangweilte Schlendern der Chanel-Models oder das Defilieren in Reih und Glied bei Patou (vgl. Evans 2005, 134 u. 2010, 470). In der Pose als eine aus der Bewegung in die Kurzstarre geführte Position vereinen sich die beiden Aspekte »multiple« und »movement«.15

15 | Eine ähnliche Charakterisierung der Pose bietet auch Gabriele Brandstetter, jedoch als Ergebnis einer theaterwissenschaftlichen Analyse. Nach ihr ist die Pose »als Figuration eines Figuralen […], eine herausgehobene Raum-Zeit-Figur, die zwischen dem Einhalt und der Bewegung angesiedelt ist. Und eben in dieser Zwischen-Situation markiert die Pose jene Stelle, in der die Zeitlichkeit des Bildes sich einträgt. […] Die Pose erscheint als Umspring-Zone und als Passage zwischen Bild und Korporalität, zwischen picture und performance; als Relais jener Bild-Bewegung, in der sich das Paradox des Prinzips Tableau vivant verkörpert, nämlich das ›Lebendig-(sich-)Totstellen‹.« Aus: Brandstetter 2007, 257; kursiv i.O.

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Mit der Neugier auf Bewegung und Beschleunigung kam auch zunehmend das wachsende Interesse am Sport und insbesondere am sportlichen Körper, für den weniger die französischen, sondern eher die amerikanischen Frauen bekannt waren. Jean Patou war der Meinung, dass Französinnen seinen Kleiderstil aufgrund ihrer Statur nicht optimal verkörpern können. Deswegen schrieb er 1924 einen Wettbewerb in der New York Times aus. Er suchte sich bei einem Casting im Büro der Vogue sechs seinem Idealbild entsprechende Mädchen (ab 16 Jahre, schmale Hüften und Fußknöchel) aus 500 Bewerberinnen heraus und bezahlte sie ein Jahr lang für das Herumreisen und Vorführen seiner Kleidung in Europa. Er förderte damit nicht nur die seit Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Tradition der nationalen und seit 1909 internationalen Schönheitswettbewerbe16, sondern legte auch das Fundament für die bald folgenden Gründungen von Modelagenturen (s.o. Exkurs zur Herkunft des Berufs des Fotomodels). Patou steht für den aufkommenden »américanisme«, der neben dem Jazz, Charleston und den Cocktails auch ein neues Frauenbild nach Europa brachte. Die Tatsache, dass der große Absatzmarkt in den USA lag, war sicherlich auch ein Grund der Begeisterung für Nordamerika. Paradox erscheint dabei, dass amerikanische EinkäuferInnen nach Paris reisten, um die für die amerikanische Frau zugeschneiderten Entwürfe an amerikanischen Models zu sehen. Wie auch heute noch, lebte die Mode (allein) von dem Theater, das um sie herum veranstaltet wurde. Das neue Bild von der »American woman« war das einer sportlichen, hochgewachsenen, flachbrüstigen, sehr schlanken und jungen Frau. Patou ermunterte die französischen Frauen, durch einen aktiveren Alltag ihren runderen, kürzeren Körper dem amerikanischen Ideal anzupassen (vgl. ausführlicher Evans 2008). Während die zehner Jahre des 20. Jahrhunderts noch durch theatrale Modenschauen, wie die von Poiret oder Lucile, aber auch von den »tango teas« oder Foxtrott-Veranstaltungen von Paquin (vgl. Evans 2007, 154) geprägt waren, führte Patou seit seiner Expansion nach Amerika nun zusätzlich für die amerikanischen EinkäuferInnen weniger luxuriöse Defilees ein, in denen 16  |  Laut Didczuneit ließ 1854 erstmals der Amerikaner Phineas T. Barnum Tiere und Babies öffentlich nach ihrer Schönheit beurteilen. Da die Damen eine öffentliche Zurschaustellung noch fürchteten, wurden zunächst nur Fotografien von ihnen bewertet. Diese Idee wurde von den amerikanischen Zeitungen kopiert, sodass bis Ende des 19. Jahrhunderts Fotowettbewerbe gängig waren. Der erste nachgewiesene Wettbewerb fand 1880 in einem Badeort in Delaware, 1888 dann in Europa in einem belgischen Spa statt. Der erste internationale Wettbewerb »Miss Universum« wurde 1909 in Hamburg zwischen Kandidatinnen aus 36 Ländern ausgetragen. Als Siegerin ging die Deutsche Gertrud Dopieralski hervor, die sich daraufhin den Künstlernamen Gerda Sieg gab (in der Literatur aber teilweise auch als gebürtige Gertrud Siegmund angeführt; z.B. Ganeva 2013, 115). Vgl. Didczuneit 2000, 8f.

III. Die Modenschau

die 350-450 Kollektionsteile über zwei Stunden lang von ca. 30 französischen und amerikanischen Models aufgeführt wurden (vgl. Evans 2001a, 287).17 In den USA und anderen europäischen Ländern boten sich hier als Aufführungsort die großen Warenhäuser an.18 Patou hatte es dabei auf den Massenmarkt abgesehen, denn mit dem Verkauf von Lizenzen an amerikanische Schneidereien und Kaufhäuser wurde er reich und löste so teilweise das Problem der Raubkopien – das Prêt-à-porter steckt hier in seinen Kinderschuhen (vgl. Troy 2010). Die Entwicklung zum einheitlichen Defilee und Patous Einfluss auf den Modelkörper als Form der »social and economic rationalization of the body« sieht Evans wieder als Zeichen für die Fordistische Ästhetik und die Tayloristische Managementphilosophie, die auch in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht vor den Häusern der französischen Couturiers Halt machte (vgl. Evans 2008, o.S.). Mit Verweis auf Sigfried Kracauer spricht Evans in Bezug auf die kettenförmige Anordnung und das gleichförmige Aussehen der (amerikanischen) Models von einem Sinnbild industrieller Massenproduktion. In der Modenschau träten laut Evans zwei Formen der Entfremdung zutage: »In the fashion show two kinds of alienation converged: the alienation of the worker in the production line, and the alienated and alienating form of the New Woman.« (Evans 2008, o.S.)

17  |  Sich auf die Autobiografie von Lucy Duff Gordon beziehend berichtet Evans auch von dreistündigen Modenschauen von Lucile in New York, die von 2000-3000 Menschen besucht wurden. Noch bis in die 1950er Jahre waren Modenschauen mit einer Dauer von 1-1½ Stunden üblich (vgl. Evans 2001a, 279 u. 282). Die Dauer der Modenschauen hat u.a. mit den Regulationen der Chambre Syndicale de la Haute Couture zu tun: am 19. Juni 1942 wurde beispielsweise entschieden, dass jede Kollektion der Haute CoutureDesignerInnen nicht 75 Entwürfe übersteigen dürfe, was die Vorführungszeit natürlich dezimierte. Diese und andere Regelungen sollten die hohe Schneiderkunst vom sich etablierenden Prêt-à-porter schützen (vgl. Grumbach 2007, 166). Die gegenwärtige Dauer von 15-30 Minuten wurde laut Evans von Mary Quant in den 1960ern eingeführt (vgl. Evans 2001a, 283). 18  |  Die erste Modenschau in einem Warenhaus datiert Zazzo auf das Jahr 1903 in den Filialen des belgischen Bekleidungsunternehmens Hirsh & Cie. Paul Poiret eröffnete 1933 im Pariser Warenhaus Printemps den ersten Raum, der kontinuierlich für Modenschauen genutzt wurde und »Le pont d’argent« genannt wurde (vgl. Zazzo 2007, 173f.). Laut Evans sind die ersten vermerkten Warenhausmodenschauen die Folgenden: 1904 im Department Store Peter Robinson in London, 1909 »Theatre of Dress« im Harrods in London und 1910 im Wanamaker in Philadelphia (vgl. Evans 2011, 283). Eine übergreifende Zusammenfassung der Modenschauen in Warenhäusern von den Anfängen bis in die 1960er Jahre gibt Brachet-Champsaur (2006).

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Das Model versinnbildliche außerdem die Kommerzialisierung der schönen Frau und die Objektivierung durch den Blick des (männlichen) Betrachters: »The look itself became a distancing device, and industrial aesthetics provided the ideal packaging for the estranged body-object of the New Woman, both a defence and a social sign of a new professional ›type‹: cold, unavailable, detached, at work.« (Evans 2008, o.S.)

Trotzdem schreibt sie den modernen »working girls«, die als Mannequins arbeiten, eine soziale und symbolische Präsenz zu: Obwohl sie stumm waren, entwickelten sie sich zu eloquenten Ikonen der Moderne. Konträr zur Frauenmode und zur Vorführpraxis, die aus Paris und England nach Amerika exportiert wurde, verhält es sich mit der Männermode: Die ersten Männermodenschauen wurden laut Zazzo schon 1914 in den USA gezeigt, in Paris erst viele Jahre später, 1929. Offiziell waren sie erst 1973 Teil des Pariser Modenschaukalenders, der von der Chambre Syndicale de la Haute Couture zusammengestellt wurde (vgl. Zazzo 2007, 175 u. Parmal 2006, 82). Vor dem 2. Weltkrieg waren noch zwei nicht weniger bekannte Designerinnen maßgeblich an der Formung der Modenschau und des Modelberufs beteiligt: die Französin Gabrielle Bonheur Chasnel (Coco Chanel) und die Italienerin Elsa Schiaparelli. Chanel entwarf moderne und einfache Damenmode, die sich durch die noch nie dagewesene Kombination von Funktionalität und Eleganz auszeichnete und der Haute Couture beispielsweise mit dem »Kleinen Schwarzen« oder mit dem Modeschmuck neue Wege aufzeigte. Für die Präsentation ihrer Mode bei gesellschaftlichen Events wählte sie erst ihre Tante Adrienne und Cousine Antoinette und später für die Modenschauen stets Models aus, die ihr ähnlich sahen und sich ähnlich bewegten: So entstand der »Coco look« und die »Coco posture«: ein Fuß vor den anderen gesetzt, die Hüften nach vorne gekippt, eine Hand in der Tasche, die andere frei gestikulierend (vgl. Quick 1997, 32). Auf diese Weise kreierte sie ein Label, das nicht nur für moderne Mode stand, sondern für ein Gesamtkonzept von ›Frau‹, das von einem/r bestimmten Körper(haltung), Gestik, Mimik und Bewegung bestimmt wurde. Für Evans ist dies wieder ein Beispiel dafür, dass Chanel, wie Patou, den Körper als »fordistisches Produkt« versteht (Evans 2001a, 287). Während zu Beginn der Ateliersvorführungen bei Worth und Poiret darauf geachtet wurde, dass die Vorführdamen den Kundinnen ähnelten, kreierten Patou und Chanel eigene Typologien von Frauen – so war das französische Mannequin für Patou die »Venus« und das amerikanische die »Diana« und Chanel multiplizierte sich in ihren Mannequins einfach selbst. Auch Chanels Modenschauen im verspiegelten Treppenaufgang ihres Ateliers in der Rue Cambon Nr. 31 verweisen wieder auf Evans Konzept des »multiple« und »movement«:

III. Die Modenschau

Die mehrfache Spiegelung des Körpers in Bewegung bringt eine ähnliche Ästhetik hervor wie die der Chronofotografie von Marey und Muybridge. Elsa Schiaparelli, eine Designerin römischer Abstammung, ist neben ihren surrealistischen Modekreationen auch bekannt für ihre bizarren Modenschauen, die wegweisend für die französischen Modeperformances der Sechziger waren und auch noch später große DesignerInnen wie Alexander McQueen, Vivienne Westwood oder John Galliano beeinflussten. Ihre sieben Modenschauen zwischen 1936 und 1939 waren immer einem bestimmten Thema gewidmet. Sie hießen »Stop, Look and Listen«, »Musique«, »Cirque«, »Papillons«, »Commedia dell’arte«, »Astrología« und »Cash and Carry« (vgl. Zazzo 2007, 174). Obwohl leider keine Fotografien von den Modenschauen erhalten sind, hinterließ insbesondere die Zirkus-Kollektion im Februar 1938 bleibenden Eindruck in den Berichterstattungen: Akrobaten und Clowns, darunter die berühmten Fratellini-Brüder und Charles Adrien Wettach (»Grock«), sollen die Modenschau und das Publikum mit Kunststücken und Witzen aufgemischt haben (vgl. Zazzo 2007, 174 u. Evans 1999, 27f.). Während des Krieges war es in den europäischen Ländern fast unmöglich, den normalen Betrieb weiterzuführen. Dominique Veillon (2006, 160) berichtet von einer Ausnahme: Der damalige Leiter der Chambre Syndicale de la Haute Couture und Designer Lucien Lelong, der unter anderem damit beschäftigt war, sich gegen die Versuche der NationalsozialistInnen zu behaupten, die Pariser Modehäuser nach Berlin oder Wien zu verlagern, organisierte am 6. März 1942 eine Modenschau im besatzungsfreien Lyon, an dem 18 Modehäuser und 300 EinkäuferInnen aus kriegsneutralen Ländern teilnahmen (vgl. ebda.). Außerdem erließ er in den Kriegsjahren einige Dekrete zur stärkeren Konturierung der Sparten Haute Couture und des Prêt-à-porter. Am 20. Juli 1942 wurden die Bezeichnungen »couture«, »haute couture« und »couturier« reguliert.19 Am 6. April 1945 wurde zudem verordnet, dass die Häuser der Haute Couture mindestens zwei Mal im Jahr eine Kollektion in Paris zeigen mussten an den Tagen, die von der Chambre Syndicale in einem Kalender festgelegt wurden. Eine Kollektion soll 75 Entwürfe beinhalten und von mindestens drei Mannequins vorgeführt werden. Im Atelier selbst sollen, in einem kleineren Rahmen, mindestens 45 Modenschauen pro Jahr ausgerichtet werden. Im Jahr des Kriegsendes kehrte überraschend die Modepuppe zurück: Aus finanzieller und materieller Not heraus stellten im »Théatre de la Mode« 58 19  |  Bis dahin war es üblich, »grand couture« (= von der Chambre Syndicale anerkannte Modehäuser mit Modenschaupräsentationen), »moyenne couture« (= Modehäuser mit Verkauf an ausländische KundInnen, keine Modenschaupräsentationen) und »petite couture« (= NäherInnen) voneinander zu unterscheiden (vgl. Grumbach 2006, 87). Eine detaillierte Institutsgeschichte geben Parmal (2006) und Grumbach (2006 u. 2007); Zazzo (2007) listet die relevantesten Ereignisse auf.

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ModeschöpferInnen ihre Kollektion an Puppen vor, darunter Cristóbal Balenciaga, Jean Patou, Nina Ricci, Elsa Schiaparelli, Marcel Rochas, Jacques Fath, Madame Grés, Jeanne Lanvin und Pierre Balmain. Ihre Entwürfe wurden an ca. 68 cm großen Drahtpüppchen inmitten theatraler Arrangements berühmter Bühnenbildner wie Jean Cocteau oder Christian Bérard inszeniert. Die Ausstellung wanderte ein Jahr lang durch ganz Europa, 1946 sogar nach New York und San Francisco. 1990/91 entdeckte man die Puppen, Kleider und die Bühnenbilder wieder und rekonstruierte die Ausstellung nochmals im Pariser Musée des Arts et de la Mode sowie im New Yorker Metropolitan Museum.20 Unsere moderne Modepuppe ist die Barbie, die im Jahre 1959 geboren wurde. In Rückbesinnung auf die Pandoras und das »Théâtre de la mode« existieren zahlreiche Sonderausgaben: Zeitgenössische Designer wie Jean Paul Gaultier, Marc Jacobs oder Giorgio Armani bildeten für die Barbie ein Kleid aus einer ihrer vergangenen Kollektionen nach.21 In Amerika dagegen blühte New York während des 2. Weltkrieges als neue Modemetropole auf, da die Lizenzverkäufe und Inspirationen aus Paris fehlten. Helbing (2009, 34) weist diesbezüglich auf die wachsende Zahl der Manufakturen in New York hin, auf einen Event im Frühjahr 1941 mit dem Titel »New York’s Fashion Futures«, sowie auf den Beginn einer festen Modenschauserie ab 1942. Während Paris Inbegriff der Haute Couture war und ist, konnte sich New York den Ruf der Stadt des »casual chic« und Prêt-à-porter sichern. Italien konnte zwar auch, wie Frankreich, einen traditionsreichen Modehandel vorweisen – dennoch wurden die Modenschauen der ansässigen DesignerInnen durch die italienische Regierung erst 1951 an festen Terminen in die florentinischen Palazzi Pitti und Strozzi gebündelt (vgl. Zazzo 2007, 174). Im Jahre 1971 siedelte die italienische Modewoche unter Leitung der 1958 gegründeten Camera Sindacale della Moda Italiana (später Camera Nazionale della Moda Italiana) zuerst nach Rom, dann nach Mailand über; der Palazzo Pitti beherbergt seitdem die florentinischen Präsentationen und Messen, die heute unter der Dachorganisation Pitti Immagine zusammengefasst werden. Neuerungen in Bezug auf die Präsentationsformen kamen jedoch, wie gehabt, in den Nachkriegsjahren aus Paris und in den sechziger Jahren aus London. Charakteristisch für den »New Look« – Carmel Snows Bezeichnung für die 1947 lancierte Dior-Kollektion »Corolle« – war eine enge Taille, schmale Schultern sowie ein weiter, wadenlanger Rock. Die neu entstandene Silhouette erinnert – und dies erklärt Christian Diors Namensgebung – an eine umgedrehte Blüte. Mit dem »New Look« kehrte sich Dior von der eher rationalen und 20 |  Vgl. weiterführend Charles-Roux, Lottman, Garfinkel und Gasc 2002; Lehnert 2012. 21  |  Abgebildet beispielsweise in: Beigbeder 1998. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Barbie vgl. das letzte Kapitel »Supermodel Barbie« in Lehnert 1996, 137-147.

III. Die Modenschau

durch Materialknappheit geprägten Mode der Kriegsjahre ab und suchte den Anschluss an den Luxus der Vorkriegsjahre. Der »New Look« war also eigentlich nicht revolutionär, sondern eher reaktionär: Das Frauenideal wandelte sich zurück vom emanzipierten »working girl« zur Prinzessin und Dame. Dior suchte sich feste Models22, die er zur sogenannten »cabine« zusammenschloss, eine Gruppe von maximal vierzehn bis achtzehn fest angestellten Models (vgl. Evans 2001a, 293). Die Erfolgreichsten dieser »cabines« wurden über mehrere Saisons gebucht und avancierten zu sog. »house models« und mit der Zeit zu den Gesichtern eines Labels. Durch das monatelange Zusammenleben und Reisen kam es innerhalb der »cabines« zu einem ausgeprägten Gefühl der Zusammengehörigkeit, was die Hervorbringung von Kosenamen zur Folge hatte – das Givenchy-Model Germaine Lefebvre wurde beispielsweise bekannt als »Capucine«.23 Dior steht in der Modenschaugeschichte an einer Umbruchstelle – trotz der Rückbesinnung auf Eleganz und Damenhaftigkeit sollte der »New Look« eine neue Leichtigkeit vermitteln. Daher leitete er seine Mannequins dazu an, seine Entwürfe dynamisch, beschwingt und in einer erhöhten Geschwindigkeit zu präsentieren – statt wie es bislang Tradition war, als Teil einer theatralen »mis-en-scène«. In dieser Zeit etablierte sich auch die strategische Besetzung der »front row« mit wichtigen EinkäuferInnen sowie angesehenen JournalistInnen und Fashion Editors. Der große Wandel vollzog sich Ende der 1950er Jahre: Britische DesignerInnen wie Marion Foale, Sally Tuffin, Ossie Clark und Mary Quant nahmen die Impulse der Straße auf und revolutionierten die Mode.24 Mit ihr propagierten sie Jugendlichkeit, Spontaneität, Sportlichkeit und Freizügigkeit – ein neues Verständnis von Mode, welches auch das vom Körper und den Umgang mit ihm veränderte. Der ideale Körper war jung, hochgewachsen und schlank und 22 | Laut Lehnert soll Dior noch mehrere seiner Mannequins aus dem Bordell geholt haben (vgl. Lehnert 1996, 71) – eine Praxis, die erst langsam durch die Institutionalisierung des Modelberufs obsolet wurde. 23 | Models, die heutzutage nicht den ›Topmodelstatus‹ erreichen, sind meist nur unter ihrem Vornamen bekannt, und werden auch oft nur unter ihrem Vornamen auf den Websites der Modelagenturen und den Credits der Modezeitschriften (wenn überhaupt) gelistet. Erfolgreiche Models, die nicht mehr an Castings teilnehmen müssen, sondern direkt gebucht werden, sind mit ihren vollen Namen häufig unter der Rubrik »direct bookings« oder »special bookings« zu finden. Frauen oder Mädchen, die einen komplizierten Namen haben, werden oftmals zur Vereinfachung von ihren Modelagenten umbenannt – so wurde beispielsweise die erfolgreiche Newcomerin Monika Jagaciak zu JAC. 24  |  So soll Mary Quant die Erfinderin des Minirocks gewesen sein – aber auch André Courrèges beanspruchte zeitgleich diese Position für sich. Quant soll darüber gesagt haben: »Es waren weder er noch ich die ihn erfunden haben – sondern die Mädchen auf der Straße.« Quant zitiert in Schütte 2011, 37.

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erstmals auch androgyn – im Gegensatz zu vorherigen Jahrzehnten mussten Models nicht ultrafeminin sein. Man bevorzugte Kindfrauen, die keine Körperkurven hatten, sondern eine möglichst schmale Figur mit flacher Brust.25 Der neue Körper war bewegt und sprunghaft: Quant ließ 1956 ihre Models im Palace Hotel in St. Moritz zu Jazzmusik rennen und tanzen, wobei sie innerhalb von 14 Minuten 40 Entwürfe vorführte – später schaffte sie sogar 60 in 15 Minuten (vgl. Zazzo 2007, 175 u. Evans 2001a, 297). In den folgenden Schauen unterstützte sie die lebendigen Präsentationen durch den Einsatz von Windmaschinen und von ungewöhnlichen Bühnenrequisiten und Accessoires, wie Schrotflinten und toten Fasanen. Außerdem wechselte sie von ihrem anfänglichen Engagement von Mannequins hin zu dem von Fotomodels, was maßgeblich zur Vereinigung der beiden Berufe in den 1970er Jahren zu einem Berufsbild führte (vgl. Evans 2001a, 299). Mitte der sechziger Jahre reagierte man auch in Frankreich auf die neuen Ideen aus London. Als Antwort auf den Erfolg dieser einfach herzustellenden Designs und der bereits seit Jahren etablierten Prêt-à-porter-Mode aus Amerika unterschrieben französische DesignerInnen, wie Yves Saint Laurent im Jahre 1966, Ungaro 1967, Givenchy 1968 und Chanel 1976 weltweite Verträge, in denen die Lizenzen für ihre Prêt-à-porter-Linien an die Manufaktur C. Mendès S.A. vergeben wurde (vgl. Grumbach 2006, 93). In diesem Zusammenhang war es André Courrèges, der 1965 als erster Designer eine kombinierte Präsentation seiner Haute CoutureLinie F/S 1966 »Prototype«, seiner Prêt-à-porter-Linie »Couture Future« sowie seiner zweiten, noch günstigeren Strickwaren-Linie »Hyperbole« zeigte (vgl. ebda.). Bereits die Präsentation seiner »Space-Age«-Kollektion im Jahre 1964 bekräftigte den in London eingeleiteten Wendepunkt in der Modenschaupraxis. Nicht nur experimentierte Courrèges wie seine Mitstreiter Paco Rabanne und Yves Saint Laurent mit neuen, futuristischen Stoffen und Silhouetten, sondern auch in der Gestaltung der Modenschau mit seltsam anmutenden Tanzchoreografien oder surrealen, roboterhaften Bewegungen.26 Außerdem leiteten die DesignerInnen die Models an, nicht mehr auf dem Laufsteg zu lachen (vgl. Zazzo 2007, 175) und erlaubten ihnen teilweise den öffentlichen Konsum von Marihuana auf dem Laufsteg (vgl. Quick 1997, 98). Laut Zazzo engagierte Jacques Esterel 1964 erstmals ein schwarzes Model für seine Modenschau, zeitnah wohl auch Paco Rabanne und Pierre Cardin (vgl. Zazzo 25  |  Lesley Hornby alias »Twiggy« verkörperte dieses Ideal zur Perfektion und war trotz ihrer kurzen Karriere (sie arbeitete erfolgreich im Alter zwischen 16 und 21 Jahren) das Symbol einer ganzen mode-, musik- und kunstaffinen Generation in den »swinging sixties«. 26 | Der Kultfilm »Qui êtes-vous, Polly Maggoo?« von William Klein aus dem Jahre 1966 zeigt in der Anfangsszene eine Persiflage auf die Kollektionen und Präsentationen von Paco Rabanne 1965 und 1966.

III. Die Modenschau

2007, 175; Evans 2001a, 301; Golbin 2009, 34) – damit wurde eine Tradition gebrochen, nach der bislang weißhäutige Models bevorzugt wurden.27 Im Juni 1969 wurde Jane Hoffman als erstes farbiges Covergirl auf der Cosmopolitan gezeigt. Danach stieg langsam die Anzahl der unter Vertrag genommenen ›exotischen‹ Models. Bis zum heutigen Zeitpunkt erreichen sie jedoch nicht dasselbe Niveau der weißhäutigen KollegInnen – weder in Bezug auf die Auftragsanzahl noch auf die Gagenhöhe (vgl. ausführlich in Summers 1998). Nun hielten zudem Männer Einzug in den Modenschauzirkus: Auch wenn offiziell erst 1973 – parallel zu der Eingliederung der Prêt-à-porter-Modenschauen (vgl. Parmal 2006, 82) – die Aufnahme der Männermodenschauen in den Kalender der Chambre Syndicale erfolgte, zeigte Pierre Cardin laut Evans (2001a, 298) schon 1960 im Pariser Hôtel de Crillon seine erste Haute Couture für Männer, 1961 folgte eine Prêt-à-porter-Linie und seit Mitte der sechziger Jahre auch Präsentationen in New York. Man öffnete sich nicht nur dem anderen Geschlecht, sondern gab auch Raum für Geschlechtsidentitäten, die sich nicht der konventionellen, konstruierten, binären Struktur unterwarfen: So engagierte laut Grumbach (2006, 95) Tan Giudicelli 1971 statt professionelle Models Transvestiten für seine Modenschau – die sexuelle Revolution hatte nicht nur auf das Modedesign, sondern auch auf den Umgang mit Geschlecht und Körper in der Modebranche großen Einfluss. Zusammenfassend lässt sich für die 1960er Jahre eine tiefgreifende Veränderung in der Modenschaupraxis festhalten: Die traditionellen, theatralen Modenschauen wurden durch von Schnelligkeit und Spontaneität geprägte Modenschau-Performances abgelöst. Ausschlaggebend waren nicht nur die gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen in der Politik und in vielen kulturellen Bereichen, sondern auch, so betont Evans (2001a, 299), die strukturellen Veränderungen im Modebusiness, d.h. das veränderte Verhältnis von Haute Couture zu Prêt-à-porter durch die Lizenzverkäufe. Die zum Spektakel veränderte Modenschau fungierte nicht mehr nur als Verkaufs-, sondern zunehmend auch als Marketinginstrument des Modehauses. Der japanische Prêt-à-porter-Designer Kenzo Takada brachte seit Anfang der siebziger Jahre die traditionelle Tracht Japans nach Paris – laut Fashion Editor Hebe Dorsey erweiterte er das westliche Repertoire durch die Kimonoärmel sowie die für Kimonos typische Zweidimensionalität, den Lagen-Look, bunte, folkloristische Muster, die Baggy Pants und den Arbeiter-Look (vgl. Kawamura 2004, 116). Seine erste offizielle Modenschau 1973 mit dem Titel »Cover Girls«, die sich als Riesenspektakel durch eine imposante Lichtshow, eine runde statt längliche Bühnengestaltung und durch eine improvisierte Modepräsentation auszeichnete, war einem viermal größeren Publikum zugänglich als in Pa27  |  Eine Ausnahme stellt Pierre Cardins Favorisierung des japanischen Models Hiroko Matsumoto seit 1960 dar (vgl. Evans 2001a, 293).

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ris bislang üblich (vgl. Golbin 2009, 36). Kenzo ist laut Evans die Tradition einer eigenständigen Präsentationsform für Prêt-à-porter zu verdanken, die sich nicht mehr als Rivalin der Haute Couture versteht und ihre Daseinsberechtigung zu verteidigen weiß (vgl. Evans 2001a, 300). Thierry Mugler überbot Kenzo in Bezug auf die Demokratisierung der Modenschau einige Jahre später mit der Prêt-à-porter-Show zu seinem zehnjährigem Jubiläum 1984 für 6000 zahlende BesucherInnen, sowie zu seinem zwanzigjährigen Jubiläum 1995 mit der erstmaligen Live-Übertragung auf dem Sender Paris Première und anderen internationalen Sendern (vgl. Grumbach 2006, 101). Evans konstatiert eine seitdem zunehmende Ähnlichkeit der Modenschau zu Rockkonzerten, da die DesignerInnen renommierte ProduzentInnen solcher popkulturellen Veranstaltungen für die Organisation ihrer Modenschauen beauftragten (Evans 2001a, 301).28 Der Spektakularität der Modenschauen ist seitdem keine Grenzen gesetzt. Die japanische ›Revolution‹ in Paris wird durch die drei als Avantgarde gefeierten DesignerInnen Rei Kawakubo, Yohji Yamamoto sowie Issey Miyake (der allerdings vorher schon u.a. für Givenchy gearbeitet hatte) fortgeführt. Die Auswirkungen dieser Revolution werden sogleich noch näher betrachtet. Zuvor sei jedoch festzuhalten, dass wie in den sechziger Jahren nun auch in den Achtzigern wieder einmal entscheidende Impulse aus London kamen. Die britische Mode war vom aufkommenden Punk geprägt, wie die Sechziger vom Jazz, R&B/Soul, Ska und Psychedelic Rock. Die Ästhetik des Londoner Punkrocks, seiner Gegenbewegung der New Romantics sowie der sich emanzipierenden Transvestitenszene prägten die Mode und die Modelauswahl. Die Designer von Body Map oder auch Vivienne Westwood entdeckten ihre Models auf der Straße oder in den bekannten Nachtclubs Blitz, Taboo oder Billy’s (vgl. Quick 1997, 133f.). Die karnevalesken und tabubrechenden Shows sowie die übertriebenen Posen waren Vorbild eines neuen, in homosexuellen, schwarzen Kreisen in New York herausgebildeten Tanzstils, des Voguing und fanden in Madonnas Song »Come on, vogue« 1993 ihren Höhepunkt. In der Geschichte der britischen Mode und Modenschau waren Vivienne Westwood, John Galliano und später auch Alexander McQueen, Hussein Chalayan und Gareth Pugh für London prägend. Vivienne Westwood zeigte in ihren Modenschauen unter anderem nackte und drogensüchtige Körper, die auf der Bühne von erotischen Gesten und Anspielungen Gebrauch machten. Ihrer Mode, eine Kombination aus Punk, historischen Kostümen, ethnischen Textilien und Schnittmustern, 28 | Laut Zazzo (2009, 175) etablierte sich der Beruf des Modenschauproduzenten jedoch bereits seit 1967. In der Tat kann man beispielsweise in der französischen Modezeitschrift L’Officiel de la Mode (Heft Nr. 589, 1971, S. 30) von einer Inszenierung des Duos Norbert Schmitt und Bernard Trux lesen, die eine Pelzkollektion des Designers André Sauzaie zeigte.

III. Die Modenschau

wurde in jeder Saison ein Thema gewidmet: Bahnbrechend war Westwood bereits mit ihrer ersten Modenschau 1981 unter dem Motto »Pirate«, die sie in London zeigte. Wie bereits bei Lucile und Schiaparelli lässt sich bei Westwood eine Liebe zu Betitelungen und Namensgebungen von Kollektionen, Schaffensphasen und einzelnen Entwürfen feststellen. Die Benennung von Modenschauen basierten meistens auf den Kollektionsnamen – diese Praxis ist nicht durchgängig in der Haute Couture oder im Prêt-à-porter üblich. Sie signalisiert jedoch, dass das In-Szene-Setzen einer Mode durch eine thematisch ausgerichtete Modenschau eine Strategie sein kann, die den KundInnen eine bessere Zuordnung und Erinnerung an einzelne Kollektionen ermöglicht. Der von der Londoner Club- und Straßenszene stark beeinflusste Franzose Jean Paul Gaultier leistete denselben Umbruch in Paris. Auch er engagierte tätowierte, gepiercte und semiprofessionelle Models für seine Modenschauen (vgl. Golbin 2009, 37). Auffällig ist also, dass sich die Modenschauen der 1980er Jahre vor allem über ein neues, vermeintlich toleranteres Verständnis vom Körper definierten, was mit den japanischen und bald auch belgischen DesignerInnen in ein dekonstruktivistisches Verständnis von Kleid und Körper münden sollte. Was Kenzo in Paris in die Wege geleitet hatte, führten Issey Miyake ab 1973, Rei Kawakubo für Comme des Garçons und Yohji Yamamoto ab 1981 fort. Laut Kawamura zeichneten sich alle drei durch die Neubestimmung modischer Konventionen, durch neue Handwerkstechniken und durch die Neudefinition der Konzepte Mode, Körper und Schönheit aus (vgl. Kawamura 2004, 91ff.). Sie standen für eine Rebellion gegen alles, was in der westlichen (und japanischen!) Gesellschaft Bedeutung hatte; sie identifizierten sich nicht eindeutig mit einer Tradition, mit einem Brauch oder einem Land, sondern machten von einer totalen Wahlfreiheit bezüglich Formen, Farben und Texturen Gebrauch. Das Extravagante bei den japanischen Shows war die noch nie dagewesene Schlichtheit und Konzentration auf das Mode- und Modenschaudesign: Auf bekannte Models legte man wenig Wert, sie waren nur die TrägerInnen der Kreationen. Diese Einstellung stand ganz im Gegensatz zu der Körperfixierung der BritInnen in den achtziger Jahren sowie zu der allgemeinen Konzentration auf einige wenige ›Supermodels‹ und ihre scheinbar perfekten Körper in den Neunzigern. Die japanische Mode schuf gänzlich neue Körper – »modische Körper«, wie Lehnert (2008, 91f.) sie nennt –, die unabhängig vom anatomischen sind und ihre Form und Gestalt durch die Mode erst erhalten. Durch die Mode wurde der auswechselbare Körper ›darunter‹ dekonstruiert und ein neuer, modischer Körper konstruiert, der auch drei Ärmel, zwei Halsausschnitte und einen Buckel an der Schulter vorsehen konnte. Der belgische Designer Martin Margiela, die sogenannten »Antwerp Six« (Dries Van Noten, Dirk Bikkembergs, Ann Demeulemeester, Walter Van Beirendonck, Dirk Van Saene und Marina Yee) und die Holländer Viktor & Rolf sowie Alexander McQueen, John Galliano und

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Hussein Chalayan bilden die Folgegeneration der ›Rebellen‹ der 1980er, die als sogenannte ›KonzeptdesignerInnen‹ gehandelt werden. Befasst man sich mit ihren Inszenierungen seit den späten 1980er/frühen 1990er Jahren, so wird deutlich, dass die Modenschau unabhängig von der eigentlichen, präsentierten Kollektion Bedeutung generieren kann. Mit Evans Worten spaltet sich die Benjaminsche Aura nun vom Kunstwerk ab und steht fortan für die ›Vision‹ der Designerin bzw. des Designers (vgl. Evans 2001a, 303). Parallel zu dieser Entwicklung vermerkt Evans zwei andere, die für einen Umbruch gesorgt haben. Zum einen das Bestreben der konzeptuell arbeitenden ModedesignerInnen, Analogien zwischen ihrer Mode und der Gegenwartskunst aufzuzeigen. Als erster Designer dieser Art nennt Evans Miyake: Neben dem Ablauf seiner Shows, die künstlerischen Happenings ähnlich waren, war Miyake auch der Erste, der ungewöhnliche Orte und Locations für seine Veranstaltungen suchte – z.B. ein Schwimmbad in New York (1988) oder eine Metrostation in Paris (1989; vgl. Evans 2001a, 303).29 Zum anderen vermutet Evans, dass die Modenschau seit den 1990er Jahren als ein Ort fungiert, an dem die Theatralisierung von sozialer Realität und des Selbst möglich wird und die Modenschau damit die Funktion einer Schaltstelle für postmoderne Identitäten einnimmt (Evans 2001a, 306 u. Evans 2003). Augenscheinlich haben sich einige Änderungen seit den 1980ern ergeben, die genauer untersucht werden müssen. Hier interessiert insbesondere die Veränderung der Modenschau im Hinblick auf die Veränderung im Modedesign. Gibt es diesbezüglich einen Zusammenhang? Hierzu wird weiterhin in chronologischer Reihenfolge rekonstruiert, welche einschlägigen DesignerInnen ihre Kollektionen in welcher Form präsentiert haben. Darauf basierend soll 29  |  Diese Behauptungen sind in Anbetracht der Innovation der DesignerInnen in den 60er Jahren nicht richtig. Wie Golbin (2009, 34) ausführt, sind die Performances von Rabanne und Courrèges bereits als künstlerische Happenings zu werten und auch sie waren es, die bereits ungewöhnliche Räumlichkeiten für ihre Shows suchten. So zitiert Golbin ebda. einen (durch Sophia Marzolff übersetzten) Bericht in der Zeitschrift Le Nouveau Candide, Nr. 262, Mai 1966: »Man drängte sich in Höhlen zusammen. Kein feierlicher Rahmen mehr – das Crillon, das Royal-Monceau und das Georges V. sind dem Bus Paladium, dem Crazy Horse und dem New Jimmys gewichen. Die Musik ist ohrenbetörend laut. Der Whiskey fließt in Strömen, hysterisches Gekreische ist durchaus willkommen. Manchmal liegt der Raum völlig im Dunkel und nur die Bühne ist erleuchtet… Bei Christiane Bailly liefen junge Frauen unter Kanonendonner mal hierhin, mal dorthin und zogen je nach Farbe ihres Minirocks Birnen und Karotten oder Artischocken an einer Leine hinter sich her.« Auch Grumbach (2006, 95) weist auf eine Modenschau von Karl Lagerfeld für Mario Valentino 1971 hin, die mittags in einem Club in Paris stattfand, und bei der die Models auf den Esstischen defilierten – eine Idee, die man eher viel später mit Dries van Noten (F/S 2005) in Verbindung bringt.

III. Die Modenschau

dargelegt werden, inwiefern von einem Mitte der 1980er Jahre einsetzenden Paradigmenwechsel in der Modenschaugeschichte gesprochen werden kann.

2. E nt wicklungstendenzen seit M it te der 1980 er J ahre bis heute : B egründung eines P ar adigmenwechsels Die Meilensteine in der Modenschaugeschichte seit Anfang der 1980er seien folgendermaßen zusammengefasst: Seit den achtziger Jahren waren die DesignerInnen verstärkt um ihre ständige Medienpräsenz, um die Vermarktung eines »total look« und damit verbunden um ein wiedererkennbares Corporate Design bemüht (Golbin 2009, 36f. u. Quick 1997, 142). Mit der Aufnahme von Prêt-à-porter-Modenschauen in den offiziellen Pariser Modekalender seit 1973 sahen sich die Haute Couture-DesignerInnen, die keine tragbarere Zweitlinie anboten, von den medienwirksamen Aufführungen der Prêt-à-porter-DesignerInnen bedroht. Laut Parmal (2006, 83) gingen sie daher sukzessive dazu über, ihre Kollektionen nicht mehr im Ambiente ihres Ateliers zu zeigen, sondern in Konkurrenz zu den Modenschauen des Prêt-à-porter zu treten und ebenfalls spektakuläre Inszenierungen zu veranstalten. Die Vermischung von Haute Couture und Prêt-à-porter führte dazu, dass nun andere Mittel und Methoden gefunden werden mussten, um sich voneinander abzugrenzen. Die Modenschau als Kontextualisierung ihrer Kollektionen bot eine willkommene Möglichkeit zur Differenzierung. Weitere Erschütterungen der Modenschaupraxis ergaben sich durch die Vorführungen von Vivienne Westwood und durch die Ankunft der (bzw. im Falle von Miyake und Kenzo der Wiederentdeckung der) japanischen DesignerInnen. 1981 zeigte Westwood in London ihre erste Modenschau mit dem Titel »Pirates«, womit sie den performativen, surrealistischen Charakter von Elsa Schiaparelli wieder aufnahm; ein Jahr später schockierten Yamamotos und Kawakubos minimalistische Modenschauen die Pariser Modewelt, in denen die Models »wie Überlebende einer nuklearen Katastrophe«30, bald bekannt als »Hiroshima chic«, aschfahl und mit steinernem Ausdruck ihre Mode präsentierten. Auch Jean Paul Gaultier orientierte sich in seiner Modelauswahl um und ließ seine Entwürfe an Transvestiten, alten, sowie von Piercings und Tattoos übersäten Menschen präsentieren. Der Erfolg weiterer avantgardistischer DesignerInnen aus dem Ausland, wie Azzedine Alaïa aus der Türkei (seit 1980 mit eigenem Label), Helmut Lang aus Österreich (1986) oder Martin Margiela aus Belgien (1984 als Assistent von Gaultier, eigenes Label seit 1988) markierte den Anfang einer bis heute nicht zu enden scheinenden Migration ausländischer Designe30  |  Laut Zazzo (2007, 176) lautete so eine Beschreibung der Modejournalistin Janie Samet in der französischen Zeitung Le Figaro vom 21.10.1982.

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rInnen nach Paris. In den 1990er Jahren folgten aus England John Galliano (ab 1995 bei Givenchy, von 1997-2011 bei Dior) sowie Alexander McQueen (ab 1993 Eigenmarke, von 1997-2005 bei Givenchy), Dries van Noten aus Belgien (Label seit 1986, seit 1993 in Paris), Viktor & Rolf aus Holland (seit 1993 in Paris) und später der Brite Hussein Chalayan türkisch-zypriotischer Herkunft (Label seit 1993, in Paris seit 2001) – um nur die Einschlägigsten zu nennen. Seit den 1980er Jahren erhöhte sich die Designerdichte im Modeolymp und die Modebranche boomte, einige Labels gingen sogar an die Börse (z.B. Yves Saint Laurent 1989). Es schien immer mehr Geld zur Verfügung zu stehen, das man in immer spektakulärere Modenschauen zu investieren wusste (vgl. Quick 1997, 142ff.). Spätestens in dieser Zeit entwickelte sich die Modenschau zu einem Event, für das eine Vielzahl von SpezialistInnen und TechnikerInnen beauftragt werden musste (vgl. Golbin 2009, 38). Auch das Medieninteresse wuchs beständig: Während 1976 noch im Schnitt ›nur‹ 65 FotografInnen die Pariser Fashion Week dokumentierten, waren es 1989 150 und 2004 bereits 300 (vgl. Lécallier 2007, 162), was sicherlich auch mit dem Medienrummel um die sogenannten ›Supermodels‹ zusammenhing, der seinen Höhepunkt laut Zazzo 1992 hatte, sowie mit der Einführung des Autozooms im Jahre 1989 und der Digitalkamera ab 2000 (vgl. Zazzo 2007, 176). Lécallier (2007, 163) erklärt, dass die wachsende Zahl der JournalistInnen und FotografInnen dazu führte, dass diese am Ende des Laufstegs in einer geschlossenen Gruppe positioniert wurden, zu ihrem eigenen Schutze wie auch zu dem der anderen Gäste und Models. Diese Reglementierung, die für die JournalistInnen und FotografInnen eine Monoperspektive zur Folge hatte, bestimmte schließlich die mittlerweile für eine Modenschau typische Ikonografie – weißer Laufsteg, mittig laufendes Model mit sich überkreuzenden Beinen. Dieser einprägsamen Ikonografie haben sich auch Modehäuser wie beispielsweise H&M 2005 für die Produktion ihrer Kampagnen bedient, obwohl sie ihre Kleider nicht auf Laufstegen zeigen (ebda., 164). Zunehmend wussten auch die DesignerInnen von den neuen medialen Möglichkeiten Gebrauch zu machen: Jean Paul Gaultier ließ beispielsweise 1992 seine Prêt-à-porter-Modenschau beim Fernsehsender Paris Première übertragen (vgl. Lécallier 2007, 163), was ihm Thierry Mugler für seine Show zum zwanzigjährigen Jubiläum 1995 nachmachte – diesmal sogar live (vgl. Grumbach 2006, 101). Yves Saint Laurent projizierte live seine als Abschied gedachte, retrospektive Modenschau 2002 auf die Außenwand des Centre Pompidou für diejenigen, die nicht eingeladen waren. Helmut Lang ging einige Jahre zuvor sogar soweit, überhaupt keine Modenschau zu zeigen und stattdessen seine Kollektion »Seance de travail« H/W 1998 nur in Form einer CD-ROM an die RedakteurInnen und EinkäuferInnen zu verschicken (vgl. Lippert 2009, 12). Laut Evans (2003, 76) kam ihm in dieser Sache bereits Walter van Beirendonck für seine F/S Kollektion 1996 zuvor. Heutzutage ist die »digitale Modenschau«, die auf Internetplattformen wie Showstudio zugäng-

III. Die Modenschau

lich ist, zu einer beliebten und dennoch umstrittenen Praxis geworden (vgl. Diskussion bei Khan 2012). Das Internet spielte spätestens seit 1995 eine Rolle, als die erste Online-Plattform ( firstview.com) die »looks« der Modenschauen zeitnah veröffentlichte – der Startschuss einer nicht enden wollenden Flut von statischen und bewegten Bildern von Modenschauen, die seither über die junge Informationsgesellschaft rollt. Auch im Fernsehen begannen seit den 1990er Jahren Modenschauen in den Fokus der ProduzentInnen zu rücken: Robert Altman verfilmte 1994 eine Modewoche in seiner Satire »Prêt-à-porter« und 1997 wurde Fashion TV von Michel Adam Lisowski gegründet – ein Sender, der die Modenschauen meist unkommentiert und in kurzen Clips in 130 Länder transmittiert. Zudem erschien 2004 laut Zazzo (2007, 178) die erste DVD, »Play M« genannt, mit Zusammenschnitten von Modenschauen. Zazzo berichtet an gleicher Stelle auch von den ersten Zeitungsartikeln seit 2000, die sich hauptsächlich mit den Inszenierungen der Modenschauen beschäftigen (vgl. auch Kamitsis 2009, 96), was in der wissenschaftlichen Beschäftigung sowie in verschiedenen Ausstellungsformaten ab 2006 kulminierte. In den 1980ern brach folglich eine Zeit an, in der zusammenfassend mehrere Entwicklungen gleichzeitig zusammenliefen:  Konfrontation der traditionellen Pariser Haute Couture mit neuem (›Kon-

zept‹-)Design aus Japan und Nordeuropa, das sich vor allem durch Zitation, Kombination und Dekonstruktion auszeichnete (Vinkens sog. »Mode nach der Mode«).  Verwischung der Grenzen von Haute Couture und Prêt-à-porter in Paris durch die Lockerungen der Aufnahmebedingungen von Prêt-à-porterShows in den offiziellen Kalender und später auch von DesignerInnen in den ausgewählten Kreis der Chambre Syndicale. • Übernahme der Stilbildung durch das Prêt-à-porter. • Umsatzgenerierung zunehmend durch Prêt-à-porter-Linien und Kosmetika; Haute Couture fungiert als Werbeträger der großen Modehäuser (vgl. Lehnert 1998a, 171).  Konfrontation mit neuen Präsentationsformen vornehmlich aus Japan und Nordeuropa (England, Holland, Belgien). • Notwendigkeit der Veränderung der Pariser Haute Couture- und Prêt-àporter-Schauen, um konkurrenzfähig zu bleiben. • Übernahme von Strategien, Organisationsstrukturen und Techniken, die von Rockkonzerten bekannt sind. • Spektakularität der Modenschau als neues Konkurrenzbarometer. • Verlangen der EndkonsumentInnen nach einem »total look«, welches sich unter anderem durch ein Corporate Design eines Modelabels verwirklichen ließ. • Markenfixierung der Konsumenten.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode  Neuer Umgang mit dem Körper seit den 1980ern: Körperfixierung/Kör-

perkult im Zusammenspiel mit dem Erfolgskult der 1980er (beispielsweise das Motto »dress for success«, der Bodybuilding- und Aerobicwahn, die Bezeichnung von Elle McPherson als »The Body«; vgl. Lehnert 1998a, 166f.). Später Körpernegation als Pendant der kleiderbezogenen Dekonstruktion (beispielsweise die Verhüllung der Gesichter bei Margielas Modenschauen, der »Hiroshima chic« und »heroin chic«), danach Naturalismus (beispielsweise die Modefotografien von Corinne Day oder der »nude look«). • Damit verbunden: Die »Ära der verhandelbaren Identitäten«: Über und mit der Kleidung werden seit der Jahrtausendwende alle Möglichkeiten der Identitätskonstruktion und des -wechsels ausgeschöpft (Lynch u. Strauss 2007, 3f.). Exemplarisch führen die Autoren die Verwandlungen der Sängerin Madonna an. In Reaktion darauf beobachten sie eine (plakative) Kategorisierung von Identitäten und die gezielte Ansprache dieser seitens der MarketingstrategInnen des Modebusiness.  Neue Medienpräsenz: Neben dem Design stehen zunehmend die DesignerInnen, ModefotografInnen und -journalistInnen als Stars und Personifikation ihrer Ideen im Fokus (vgl. Kawamura 2005, 57ff.). In Kombination mit dem Medienhype um eine Handvoll ›Supermodels‹ rückten auch die Modenschauen, die alle diese Figuren örtlich zusammenführten, zunehmend in das öffentliche Interesse. • Auch den ›normalen‹ Menschen stehen neue Wege offen, binnen kürzester Zeit im Zentrum des Medieninteresses zu stehen. TV- bzw. WebFormate wie America’s Next Topmodel, Runway Project, Mode-Blogs oder -Vlogs sind unter anderem danach ausgerichtet.  Internationaler, finanzieller Boom des Modebusiness, was sich unter anderem in der weltweiten Eröffnung von Filialen und Boutiquen niederschlug, in den Börsengängen großer Modehäuser, in den Gagen der Exklusivmodels sowie in den Budgets, die für die Modenschauen zur Verfügung standen. Einbüßen erst wieder seit 9/11 und insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise 2008.  Medialisierungs- und Digitalisierungstendenzen: • Nutzung aller Möglichkeiten des Internets (Online-Präsenz, OnlineShopping, Social Networks, Live-Übertragungen, Bloggen, Twittern). • Neue technische Möglichkeiten bei der fotografischen Dokumentation der Modenschau (Autozoom, Digitalkamera, Videoaufnahme, Live-Übertragung). • Dokumentation und Abspeicherung der Modenschauen auf den Websites der DesignerInnen, aber auch in Nachrichtenportalen, Blogs, Foren und Austauschplattformen für Fotos (z.B. firstview.com und Videos z.B. style.com).

III. Die Modenschau

• Neue technische Möglichkeiten in der Modenschaugestaltung (z.B. Bluescreen-Methode bei Viktor & Rolf H/W 2002). • Produktion von »digitalen Modenschauen« in Form von »fashion short films« (z.B. Showstudio).  Generelle Demokratisierungstendenzen in der Mode (im Sinne von einem vereinfachten Zugang der Massen in das sonst auf Exklusivität basierende Modebusiness): • Zunahme von Prêt-à-porter-Linien als Zweitlinien von vormals reinen Haute Couture-Häusern. • Einige öffentliche Modenschauen (zuerst in den amerikanischen Kaufhäusern seit Anfang des 20. Jahrhunderts, erste Prêt-à-porter-Shows im öffentlichen Raum ab den 1960ern, im privaten Raum gegen Eintritt erstmals bei Thierry Mugler 1984). • Online-Shopping, zunehmend auch auf den eigenen Websites der DesignerInnen. • Live-Übertragungen der Modenschauen; vereinzelt sogar sofortige Überleitung zum Online-Shop (z.B. bei der Live-Übertragung von Burberry Prorsum am 23.2.2010). • Wachsendes Bloggertum seit der Jahrtausendwende. • Kooperationen multinationaler Einzelhandelsketten mit DesignerInnen (wie H&M ab 2004 unter anderem mit Viktor & Rolf 2006, Comme de Garçons 2008, Maison Margiela 2012). • Customizing von Modeprodukten (Anpassung eines Serienprodukts an die individuellen Kundenwünsche; z.B. mi adidas). • Modehäuser pflegen zunehmend ihre Social Networks (beispielsweise in Facebook).  Generelle Globalisierungstendenzen in der Mode: • Filialeröffnungen von Modehäusern und Modelagenturen im Ausland. • Abkopplung der Textilfabrikation vom übrigen Herstellungsprozess (Design, Marketing, Logistik) und Verlagerung in Niedriglohnländer. Infolgedessen stieg auch das Interesse der EndkonsumentInnen an den Produktionsverhältnissen (z.B. PETA-Kampagnen und Trend zur Nachhaltigkeit). • Starke Segmentierung der Modemärkte zur schnelleren Reaktion auf Veränderungen im Markt. • Vernetzung und Anpassung der Modemärkte der verschiedenen Modemetropolen; starke Reisebereitschaft der JournalistInnen, Models und EinkäuferInnen. • »fast fashion«: erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit des Großhandels (wie z.B. H&M) bei der Produktion von Kopien des Prêt-à-porter-Designs. • Lokalisierung durch Globalisierung: Hype lokaler Trends, die global einsehbar sind durch Trendforschungsdienste wie WGSN (Worth Global Style Network) und Blogs.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode  Entwicklung hin zu einer Erlebnisgesellschaft/Spaßgesellschaft:





Laut Gerhard Schulze ist in einer Spaßgesellschaft die Erlebnisorientierung bzw. Innenorientierung der Menschen ausschlaggebend. Trotz der Individualisierung generiert diese Entwicklung soziale Gemeinsamkeit. Bezüglich des Konsums wird der Erlebniswert einer Ware wichtiger als der Gebrauchswert, d.h. Produkte sind nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Dies hat zur Folge, dass Design und Produktimage zur Hauptsache werden – Nützlichkeit und Funktionalität zum Accessoire (analog dazu wird die Kontextualisierung der Kleidung immer wichtiger als die Kleidung selbst). Eine Ästhetisierung des Alltagslebens setzt ein, das Leben selbst wird zum Erlebnisprojekt (vgl. Schulze 1992, 13ff.). Mode wird zum ›Erlebnis‹: »Customizing« der Produkte; architektonisch ansprechendes (Innen-)Design der Flagship-Stores; Parties, Lesungen, Konzerte usw. bei Shop-Eröffnungen; Modenschau als Erlebnis, vermehrt Modenschauen in Warenhäusern, Einkaufszentren und im TV; Modelcastings in Warenhäusern und im TV; Designercastings im TV (z.B. Project Runway von Heidi Klum seit 2004); Ausstellungen über Mode und DesignerInnen sowie über Modefotografie.

Aus der Liste wird deutlich, dass das Modebusiness seit den 1980er Jahren von vielen Entwicklungen betroffen war, die nicht allein auf das Modedesign Einfluss ausübten, sondern auf das gesamte Modesystem. Im Modewettbewerb zu stehen bedeutete fortan, dass den DesignerInnen weit mehr Parameter zur Verfügung standen, um Neuheiten zu präsentieren, als allein inventives Modedesign: beispielsweise ein bewussterer Umgang mit Ressourcen (Megatrend zur Nachhaltigkeit), das gezielte Einbinden der Käuferwünsche oder das Ausrichten spektakulärer Modenschauen. Diese gravierenden Entwicklungen des Modesystems wirken sich nun vor allem auf den Schöpfungsreichtum der DesignerInnen und ihr Verhältnis zum kollektiven Mode-Gedächtnis aus. Dabei sind zwei bereits genannte Problematiken zu beobachten: Erstens bediente sich die »Mode nach der Mode« der bereits eingetragenen Formen, zitierte, kombinierte oder dekonstruierte sie, was zur Folge hatte, dass in der ›ModeEnzyklopädie‹ keine ›neuen Einträge‹ mehr hinzukamen, sondern immer nur mehr Verlinkungen untereinander: »Der modische Rückgriff findet nun nicht mehr in der Massenmode statt, sondern in Haute Couture und Prêt-à-porter. Ihm liegt eine gründliche Kenntnis der Modegeschichte zugrunde, außerdem das Wissen, daß alles schon einmal dagewesen und daß Originalität nur noch im bewußten und veränderten Umgang mit dem Zitat zu finden ist. In der Postmoderne ist ›Authentizität‹ zu einem veralteten Konzept geworden, obgleich alle mehr denn je ›authentisch‹ sein wollen.« (Lehnert 1998a, 174)

III. Die Modenschau

Auf eindrückliche Weise umreißt Vinken diesen Umstand am Beispiel der Marke Chanel seit der Übernahme durch Karl Lagerfeld 1983: »Lagerfeld tut für Chanel jedenfalls eines nicht, was man von einem Designer erwarten sollte: Er präsentiert keinen eigenen Stil. Bekanntes, allzu Bekanntes defiliert über den Laufsteg, der ein einziges Déjà-vu-Experiment ohne Überraschungen bietet. Populäre Mode recycled chez Chanel. Zunächst zitiert das Haus sich selbst und seinen eigenen Beitrag zur Mode, das Chanelkostüm […] Alles passiert bunt revue: der Tüllrock und die Ballerinenschuhe, ein bißchen Westernstyle, ein bißchen Sadomaso mit vielen silbernen Reißverschlüssen, schwarzem Leder und den dazugehörigen Uniformphantasien, ein bißchen Hells Angels und Motorrad-Sex, ein bißchen Tropenlook, ein bißchen bleu/ blanc bon chic bon genre, croisière und Deauville, ein bißchen spanische Folklore mit den Pailletten der Torreros, ein paar Wald- und Naturnymphen mit Plastikschmuck, das Unterhemd der Teenager. Die ikonisch gewordenen Stilzitate der Modeszene purzeln durcheinander: Muglerartige Comicwesen, das Geschlecht kaschierendes Efeu von Viviane [sic!] Westwood, die spitzen Zipfel des Romeo Gigli. […] Er [Karl Lagerfeld] verwandelt Chanel in ein hyperbolisches pastiche der haute couture. Er macht nicht nur Kitsch, er zeigt auch noch, das es Kitsch ist, was er macht: eine teure Kostümklamotte, getrieben von dem Gespenst, das sie einmal war, die Mode. Lagerfeld sucht sich diese leere Aura weniger anzueignen, als daß er sie als eine Leere spiegelt. Der wenig gebildete Kunde, der geblendet vom unheimlichen Glanz, das Herbeizitierte käuflich findet, sieht in einem leeren Spiegel die Versinnlichung abstrakten Geldes.« (Vinken 1993, 83ff.; kursiv i.O.)

Zweitens hat sich das Mode-Gedächtnis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in das Internet verlagert, was eine Kontrollminderung des Spezialistentums zur Folge hatte: Modenschauen waren und sind sofort auf Youtube zu sehen oder werden umgehend in Facebook oder Twitter von Bloggern kommentiert. Dem halbjährigen Vorlauf einer Kollektionsvorführung wird seine Legitimation entzogen, wenn die Idee sofort publik gemacht wird – außerdem wird die Daseinsberechtigung der ›natürlichen Filter‹, wie die journalistische Kritik, die Auswahl der EinkäuferInnen und der Geschmack der Fashion Editors, in Frage gestellt. Eine schwierige Situation, zumal keine(r) im Modesystem Interesse daran hat, durch diese direkte Kontaktaufnahme der DesignerInnen mit den EndkonsumentInnen überflüssig zu werden. Die DesignerInnen haben den unliebsamen Platz zwischen zwei Stühlen: Einerseits sehen sie sich gezwungen, dem starken Bedürfnis nach der Einbindung der KonsumentInnen nachzukommen, andererseits wissen sie um die Bedeutung des Spezialistentums, das ihre Kollektion in einem Aushandlungsprozess von anderen Kollektionen hervorheben kann. Eine Lösung des Problems – und dies ist eine, die sich m.E. am leichtesten und effektvollsten durchführen ließ – war die Berücksichtigung beider Seiten durch eine zunehmende Spektakularisierung exklusiver Modenschauen.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Durch die Wahrung der Exklusivität (im Sinne des beschränkten Einlasses) wurde das Spezialistentum seiner Position nicht beraubt – und gleichzeitig der performative Charakter hervorgehoben: Dabei sein ist alles. Denn nur in der Modenschau ist das Neue zu sehen, zu erleben, und zwar als Atmosphäre, welche nur in der Anwesenheit erfahrbar ist und nicht vollends durch mediale Übermittlungen transportiert werden kann. Nicht nur respektieren die DesignerInnen damit die Stellung des Spezialistentums, sondern unterminieren den notwendigen Aushandlungsprozess auch nicht, denn auch für die Vermittlung dieses Neuen als Atmosphäre brauchen sie das Spezialistentum (siehe Kopplungsstrategien in Kapitel VI.). Den EndkonsumentInnen vermitteln die DesignerInnen mit einer Live-Übertragung der Modenschau einerseits das Gefühl, »up to date« zu sein, andererseits jedoch suggerieren sie ihnen, etwas nicht im vollen Maß mit- bzw. nacherleben zu können. Das Begehren der KonsumentInnen nach Information kann hierdurch angefacht, aber – und dies ist ganz im Sinne der DesignerInnen – nicht vollends befriedigt werden. Die späten achtziger Jahre markieren also insofern einen Paradigmenwechsel, als eine Verschiebung des Inventionsschwerpunktes zu verzeichnen ist. Die DesignerInnen bedienen sich zunehmend anderer Strategien, um Neuheit anzubieten: durch neue Produktionsabläufe, neue Informationskanäle oder neue Präsentationsformen. Der Weg, der am energischsten begangen wurde, ist der der Spektakularisierung der Modenschau – nicht zuletzt auch als eine Antwort auf die ›Eventisierung‹31 der gesamten Kultur. Bevor einige Modenschauen hervorgehoben werden, die in den letzten 30 Jahren richtungsweisend gewesen sind, soll erklärt werden, warum der Paradigmenwechsel gerade an der zehnjährigen Jubiläumsshow von Thierry Mugler festgemacht wird. Zur Erinnerung: Am 22.3.1984 zeigte Thierry Mugler im Zénith Paris die erste öffentliche und kostenpflichtige Modenschau in Paris zur Feier seines zehnjährigen Jubiläums. 6.000 Besucher kamen an diesem Abend und wurden Zeugen eines Megaspektakels, das angeblich eine Millionen Dollar kostete und die Jungfrauengeburt Christi nachstellte. In fast allen Artikeln, die sich mit der Geschichte der Modenschau auseinandersetzen, wird Thierry Mugler als großer Meister der Inszenierung besonders hervorgehoben 31 | Eventisierung wird hier verstanden wie bei Ronald Hitzler: »Den Begriff ›Eventisierung‹ verwende ich dabei mit zweierlei Konnotationen. Zum einen soll er eine gesellschaftliche Entwicklung bezeichnen, bei der immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Miteinanders mit einer bestimmten Art kultureller Erlebnisangebote durchzogen und dergestalt sozusagen ›verspaßt‹ werden. […] Die andere Konnotation des Begriffs ›Eventisierung‹ meint die Projektion und Produktion, kurz: das Machen irgendeines konkreten Events der einen oder anderen Art, also sowohl der der angereicherten kulturellen Traditionsveranstaltung als auch der der strategischen Neuschöpfung.« Vgl. Hitzler 2011, 19f.; kursiv i.O.

III. Die Modenschau

(z.B. Quick 1997, 145; Evans 2001a, 301 u. 2003, 67; Grumbach 2006, 101 u. 2007, 170; Zazzo 2007, 176; Golbin 2009, 38; Kamitsis 2009, 97). In einer Diskussion um John Galliano als »the greatest image-maker in the world«32 weist Caroline Evans darauf hin, dass er in der Modepresse nicht nur für seine Kreativität und Visionen, die er in seinen Shows für Givenchy und Dior entfaltete, gelobt wurde, sondern auch phasenweise »for overreaching himself in substituting showmanship and pantomime for fashion design itself, making clothes that were utterly unwearable« kritisiert wurde (Evans 2003, 69). Im Anschluss darauf bemerkt sie, dass es nicht zum ersten Mal vorgekommen war, »that a designer had been criticised for excessive theatricality«, und kommt auf die besagte Show von Mugler 1984 zu sprechen, in der »the show overshadows the clothes«, wie sie einen Besucher zitierte.33 Diese Show markiert, um mit Ludwig Feuerbach zu sprechen, den Anfang einer »Zeit, welche das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht […]; denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wahrheit« – ein Merkmal der Gesellschaft des Spektakels, wie Guy Debord konstatiert.34 Mugler hat die Zeichen der Zeit als Erster erkannt und sich den Strategien eines Massenspektakels bedient, um sein zehnjähriges Jubiläum 1984 zu begehen: Diese opulente, von Größenwahn geprägte Show zeichnet sich durch eine zuvor unbekannte räumliche Dimension aus, durch ihre theatrale, narrative Inszenierung35, durch den Einsatz einer ganzen Schar von weiblichen, männlichen und Kinder-Models sowie durch ihre Öffnung an ein allgemeines (zahlendes) Publikum von 6.000 Personen. Mugler war Ende der siebziger Jahre – zusammen mit Claude Montana – maßgeblich an der Lancierung der breitschultrigen Linie beteiligt, die eine sanduhrförmige Silhouette erzeugte, sowie an der Kreation einzigartiger Korsetts. Im weiteren Verlauf seiner Karriere sind jedoch keine weiteren Neuerungen zu verzeichnen bzw. ›nur‹ die Verarbeitung dieser zwei Motive. Aufsehen erregte er jedoch weiterhin durch seine Modenschauen, die er selbst, genauso wie übrigens die Gestaltung seiner 32  |  Laut Evans (2003, 68) war dies eine Beschreibung der Journalistin Sally Brampton in Frankel 1999, 12. 33  |  Evans (2003, 69) bezieht sich hier auf einen Kommentar eines Zuschauers, welcher in Guerin (1987, 230) angeführt ist. 34 | Zitat aus Ludwig Feuerbachs Vorrede zur zweiten Auflage von Das Wesen des Christentums (Leipzig: Otto Wiegand, 1841) zitiert in: Debord 1996 [frz. 1967], 11. 35 | Es handelte sich hierbei um mehrere, thematisch unterschiedliche Sequenzen. So gab es beispielsweise eine Szene, in der Männer und Frauen im Schneekostüm auf (rollenden) Schlitten hereinfuhren; des Weiteren eine Szene, in der ein Arbeitsalltag nachgestellt wurde; die Abschlussszene stellte die Ankunft der Madonna dar, die, an Seilen von der Decke herabgelassen und umringt von goldenen Engeln, inmitten eines Rosenblütenschauers die Show beendete.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Geschäfte und seiner Kampagnen, bis ins letzte Detail plante, organisierte und durchführte. Seinen Höhepunkt fand Muglers Karriere in der damals umgerechnet drei Millionen DM teuren Show zum zwanzigjährigen Firmenjubiläum im Cirque d’Hiver, in der er vor einem exklusiven sowie im französischen Fernsehen live zugeschalteten Fernsehpublikum in einer »extraterrestrischen Porno-Oper« (Loschek 1998, 152) sein gesamtes Schaffen der vergangenen 20 Jahre Revue passieren ließ. Seit 1997 besitzt der Modekonzern Clarins das Label Thierry Mugler, stellte jedoch wegen großen Verlusten 2002 die Modeproduktion ein (die Kosmetikproduktion derweil blieb bestehen). Seitdem arbeitet Mugler am Theater und entwirft Kostüme und Bühnenbilder – sein Modelabel wurde 2010 unter der Leitung seither wechselnder DesignerInnen wieder ins Leben gerufen. Die Show von 1984 markierte den Anfang einer Strategieentwicklung, die Mugler aufgrund der Schwierigkeit, sich im Modedesign weiterzuentwickeln, (bewusst oder unbewusst) forcierte, um sein Label am Leben zu erhalten. Seine Karriere, bzw. die Entwicklung seines Labels von 1974-2002 ist paradigmatisch für die ›Bredouille‹, die hier beschrieben werden soll: Auf eine anfänglich äußerst inventive Phase folgte eine zwanzigjährige Periode, in der Mugler (meistens sich selbst) zitierte und sich sein Ideenreichtum eher in der Kontextualisierung seiner Mode zeigte, d.h. in der Produktion der Shows, in der Fotografie seiner Kollektionen, in der Gestaltung seiner Boutiquen etc. Daher fungiert Muglers Show für die vorliegende Untersuchung als symbolischer Anfangspunkt einer bis heute andauernden Zeitspanne, in der sich die DesignerInnen über die Jahre in zunehmendem Maße dieser Strategie bedienen. Im Folgenden sollen chronologisch ein paar ausgesuchte Modenschauen angeführt werden, die richtungsweisend für die neue Phase gewesen sind. Dabei wird auf eine umfassende Beschreibung verzichtet und stattdessen auf das Element, das für den inventiven Charakter der Modenschau ausschlaggebend war, verwiesen.

III. Die Modenschau

Tabelle 1: Auswahl einschlägiger Modenschauen der letzen 30 Jahre Kollektion

DesignerIn

Neuheit

1984, H/W

Thierry Mugler

Öffentliche Show vor 6.000 zahlenden ZuschauerInnen.

1989, F/S

Martin

Die zuvor in roter Farbe eingetauchten Schuhe der

Margiela

Models ›bedruckten‹ die weiße Baumwollbespannung des Laufstegs. Aus diesem Material fertigte Margiela seine darauf folgende Kollektion an.

1989, H/W

Issey

Modenschau in der Metrostation Porte des Lilas in

(Männer)

Miyake

Paris.  Idee tauchte unter anderem bei Martin Margiela F/S 1992 (Metrostation Saint Martin), bei Chanel Cruise 2006/7 (im Restaurant Metrazur der New Yorker Grand Central Station), sowie in Robert Altmans Film »Prêt-à-porter« 1994 wieder auf.

1989, H/W

Jean Paul

Ungewöhnliche Location: Boxring.

(Männer)

Gaultier

 Idee nahm Gaultier selbst für H/W 2010 (Männer)

1993, H/W

Martin

Statt einer Modenschau zeigte Margiela einen Film,

Margiela

in dem sieben Frauen in Alltagssituationen gezeigt

wieder auf.

wurden, bekleidet mit den Teilen der Kollektion. 1993, Abschluss-

Hussein

»The Tangent Flows«: die mit Eisenfäden versehene

kollektion

Chalayan

Textilie der Kollektion wurde von Chalayan zuvor in einem Garten vergraben, was eine flächendeckende Verrostung des Materials zur Folge hatte.  Idee tauchte in ähnlicher Form bei Martin Margielas Ausstellung mit dem Titel »9/4/1615« im Museum Boijmans van Beuningen (Rotterdam) im Sommer 1997 wieder auf, in der er jeweils ein Kleid aus seinen 18 vergangenen Kollektionen derart mit Bakterienkulturen versah, dass sich die Kleidungsstücke im Verlauf der Ausstellung zersetzten.

1995, H/W

Thierry Mugler

Live-Übertragung der Jubiläumsshow im französischen Fernsehen.

1995, H/W

Alexander

»Highland Rape«: In Erinnerung an die »Vergewal-

McQueen

tigung von Schottland durch England« während der jakobitischen Rebellion Anfang des 18. Jahrhunderts erschienen die Models blutverschmiert und mit ›zerfetzten‹ Kleidern auf dem Laufsteg.  Thematik nahm McQueen selbst für H/W 2006 wieder auf.

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146

Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode 1997, H/W

Martin

Margiela verschickte mit der Einladung zur Show

Margiela

einen Stadtplan von Paris an seine Gäste, in dem drei Vorführungsorte der Kollektion markiert waren. Models, Team und MusikerInnen tourten in Bussen von Ort zu Ort.  Idee wurde von Karl Lagerfeld für Chanel Cruise 2005/6 wieder aufgenommen: In mehreren Oldtimer-Bussen fuhr er seine Gäste zusammen mit den Models durch Paris und stoppte an ausgesuchten Plätzen, an denen die Models ausstiegen und vor der überraschten Öffentlichkeit defilierten. Ein Jahr zuvor (Chanel Cruise 2004/5) fuhr die ganze Modenschau-Gesellschaft auf einer Fähre entlang der Seine.

1998, H/W

Yohji

Die meterweite Krinoline des gezeigten Hochzeits-

Yamamoto

kleids überdeckte die erste Zuschauerreihe und der zugehörige Hut musste von AssistentInnen durch Stangen gestützt werden.

1998, H/W

John Galliano

»A Voyage on the Diorient Express«: Galliano fuhr

HC

für Dior

die Models auf einer Dampflokomotive in den Pariser Gare d’Austerlitz ein.  Idee tauchte bei Marc Jacobs für Louis Vuitton H/W 2012 wieder auf.

1998, Juli

Yves Saint Laurent

Im Vorfeld des Fußball-WM-Endspiels  im Stade de France zeigte Laurent an 300 Models eine Retrospektive seines 40-jährigen Schaffens.

1998, F/S

Hussein

»Between«: Die Models traten in immer kürzer wer-

Chalayan

denden schwarzen Burkas auf, die zunächst die Knie, dann den Schambereich, zuletzt den ganzen Körper entblößten und lediglich das Gesicht stets bedeckt hielten.

1999, F/S

Alexander

»#13«: Auftritt des beinamputierten Models Aimee

McQueen

Mullens, für das McQueen Prothesen in der Form von Holzstiefel anfertigte. Am Ende der Show wurde das ein weißes Kleid tragende Model Shalom Harlow von zwei Robotern mit gelber und schwarzer Farbe bespritzt.

1999, F/S

Martin

Margiela ließ die Kollektionsteile abfotografieren

Margiela

und auf Reklametafeln drucken, die sich die Models auf dem Laufsteg umhängten.

III. Die Modenschau 1999, H/W

Alexander

»The Overlook«: McQueens Models defilierten in

McQueen

einer Glasbox, in der eine karge Winterlandschaft durch Schneefall simuliert wurde.  Idee nahm McQueen selbst für H/W 2003 »Scanners« wieder auf: Die Models defilieren in einer kargen, schneebedeckten Tundralandschaft. Gegen Ende kämpfte sich ein Model den Weg durch einen Schneesturm, der in einem gläsernen Tunnel an der Decke simuliert wurde.  Für Moncler Gamme bleu H/W 2013 ließ Thom Browne die Männermodels durch eine schneebedeckte Landschaft laufen.  Die Idee der Glasbox nahm McQueen selbst wieder für F/S 2001 »Voss« auf.  Die Idee des Schneetunnels wurde in abgewandelter Form von Galliano H/W 2009 wieder aufgenommen, in der er durch den Einsatz von Schneeflocken und eines Laserstrahles eine Schneespirale schaffen konnte, in der sich die Models fortbewegten.

1999, H/W,

Viktor & Rolf

HC

»Russian Doll«: Die Designer kleideten das Model Maggie Rizer, das auf einer sich drehenden Plattform zu Beginn beinahe unbekleidet stand, mit jeder Umdrehung mit einer weiteren von 10 Kleiderschichten ein.  Idee nahmen Viktor & Rolf selbst wieder in der Kollektion »Glamour Factory« H/W 2010 auf.

2000, F/S

Junya

»Function and Practicality«: Watanabe ließ auf dem

Watanabe

Laufsteg einen Wasserschauer auf die neuartigen, wasserfesten Textilien herunterfallen.

2000, H/W

Hussein

»Afterwords«: Chalayan fertigte Wohnzimmermö-

Chalayan

bel an, die in der Finalsequenz der Show zu Kleidungsstücken wurden (die Stuhlbezüge wurden zu Kleidern, die Stühle zu Koffern, ein Tisch wurde zu einem Rock).

2001, F/S

Junya

»Digital Modern Lighting for the Future«: Die bei

Watanabe

Licht weißen Kleidungsstücke waren mit pulverisierten, natürlich schimmernden Mineralien versehen, die in der Dunkelheit neonfarben leuchteten.

2001, F/S

Alexander

»Voss«: Spiel mit Spiegelungen durch ineinander

McQueen

verschachtelte, verglaste Boxen. Am Ende der Modenschau öffnete sich in der Glasbox eine weitere Box, in der sich das mollige Model Michelle Olley mit Gasmaske inmitten eines Mottenschwarms befand.

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148

Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode 2001, H/W

Alexander

»What a merry go round«: McQueen inszenierte eine

McQueen

an Schiaparelli erinnernde Zirkusshow mit Karussell.  Die Idee der Zirkusmanege könnte McQueen bei John Galliano F/S 1997 gesehen haben.  Die Idee des Karussells tauchte bei John Galliano F/S 2008, bei Chanel H/W 2008, bei Sonia Rykiel für H&M 2009, bei Louis Vuitton F/S 2012, sowie bei der Männerkollektion H/W 2013 von Saint Laurent wieder auf.

2002, H/W

Alexander

»Supercalifragilistic«: McQueen veranstaltete diese

McQueen

Modenschau in der Conciergerie in Paris, wo unter anderem Marie Antoinette bis zu ihrem Tod gefangen gehalten wurde. Das erste Model wurde von zwei Wölfen begleitet.

2002, H/W

Viktor & Rolf

»Bluescreen – Long live the immaterial!«: Auf die blauen Materialien der Kleider wurden durch die Bluescreen-Methode Filme von Landschaften und Städten projiziert.

2005, F/S

Dries

Die Models defilierten auf einem 125 Meter langen,

van Noten

weißgedeckten Esstisch, an dem die 500 Gäste zuvor diniert hatten.  Idee wurde bereits 1971 von Karl Lagerfeld für Mario Valentino verwirklicht.

2005, F/S

Alexander

Inspiriert von dem Film »Harry Potter and the Sor-

McQueen

cerer’s Stone« (2001) bewegten sich die Models spielzugartig auf einem auf den Boden projizierten Schachbrett.

2005, H/W

John Galliano für

Zum hundertjährigen Geburtstag von Christian

HC

Dior

Dior schuf Galliano einen englischen Garten  im Stile Edwards  VII., in den das erste Model in einer Kutsche hereingefahren wurde.

2005, H/W

Viktor & Rolf

»Bedtime Story«: Begleitet von einem Live-Auftritt der Sängerin Tori Amos traten Models gegen Ende der Show mit Kleidern auf, die schlafsackähnlich Bettdecken- und Kissenelemente aufwiesen. Die Models schienen so stehend im Bett zu liegen.  Martin Margiela hatte in seiner H/W Kollektion 1999 bereits einen Mantel (sog. ›Duvet Coat‹) entworfen, der einer Steppdecke glich. Er wurde auch als Teil der Kollektion in Kollaboration mit H&M 2012 wieder aufgenommen.

III. Die Modenschau 2006, F/S

Viktor & Rolf

»Upside Down«: Die Designer drehten den gesamten Showablauf um: Begonnen wurde mit dem Sich-Zeigen der Designer, darauf folgte das Finale der Models und das Brautkleid und danach die übrige Modenschau bis hin zum »first look«. Die Requisiten der Bühne waren an der Decke befestigt (wie im Übrigen in dieser Saison auch in der Mailändischen Boutique) und Diana Ross’ Lied »Upside Down« wurde verzerrt wiedergegeben.  Marc Jacobs übernahm die Idee des umgedrehten Showablaufs für F/S 2008.

2006, H/W

Alexander

»The widows of Culloden«: Am Ende dieser Moden-

McQueen

schau, die die Thematik des Highland Rape wieder aufnahm, erschien eine blaue Projektion von Kate Moss.

2007/8, Cruise

Karl Lagerfeld

Lagerfeld inszenierte die Show in einem Hangar des

für Chanel

Flughafens von Santa Monica. Die Models wurden in einem Chanel-Flugzeug zum Laufsteg gefahren.  Idee nahm Lagerfeld selbst wieder für HC F/S 2012 auf: Die Models defilierten im Gang eines futuristischen Flugzeuges, aus dessen Cockpit am Ende Lagerfeld heraustrat.

2007, H/W

Viktor & Rolf

»Fashion Show«: Die Lichttechnik (Gerüst und Scheinwerfer) war Teil der gezeigten Kleider und wurde so von den einzelnen Models am Körper getragen.

2008, F/S,

Alexander

»Please Sur«: Modenschau in einem Schwimmbad;

(Männer)

McQueen

die letzten Models defilierten in nassen Anzügen.

2008, F/S

Karl Lagerfeld

Karl Lagerfeld inszenierte diese Modenschau auf

für Fendi

einem Abschnitt der Chinesischen Mauer.

Alexander

»Natural Dis-tinction, un-natural Selection«: In-

McQueen

spiriert von Charles Darwins Evolutionstheorie

2009, F/S

veranstaltete McQueen diese Show inmitten von lebensgroßen Nachbildungen wilder Tiere. Er selbst erschien als überdimensional großer Hase auf dem Laufsteg.  Viktor & Rolf übernahmen für F/S 2010, Karl Lagerfeld für Chanel H/W 2013 die Idee der übergroßen Weltkugel (sowie zur selben Zeit Dior H/W 2013 als sphärische Kugel), die den Hintergrund dieser Show zierte.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode 2009, F/S

Karl Lagerfeld

Lagerfeld ließ im Grand Palais eine Straße errichten,

für Chanel

an dessen Anfang die erste Boutique von Coco Chanel in der Rue Cambon Nr. 31 nachgebaut wurde, aus der die Models heraustraten, um die Straße hinauf und hinab zu defilieren.

2009, H/W

Sonia Rykiel

In ihrer Boutique ließ Sonia Rykiel ihre Models die Gäste während der Show ansprechen, beispielsweise mit: »Unzip me and follow me«, oder »Hello, my name is Julia, and I am a foxy girl«, oder »I stole my boyfried’s jacket, and I will never give it back«.

2009, H/W

John

Durch ein Zusammenspiel von Schneeflocken und

Galliano

einer Laserprojektion schien es so, also ob die Models durch einen kreisrunden Schneetunnel defilieren (vgl. McQueen H/W 2003).

2009

Sonia Rykiel

Im Grand Palais veranstalteten Rykiel und H&M eine

für H&M

Straßenparade, die durch die in Miniaturform nachgebauten Wahrzeichen von Paris (z.B. der Eiffelturm und der Arc de Triomphe) verlief.

2009, H/W

Michael

»Saints and Sinners«: Michalsky zeigte seine Show

Michalsky

in der Zionskirche in Berlin.  Alexander McQueen zeigte zuvor schon für H/W 1996 seine Kollektion »Dante« in einer Kirche in Spitalfields, England.

2010, H/W

Karl Lagerfeld

Lagerfeld ließ 30 Tonnen schwere Eisstücke aus

für Chanel

Schweden im Grand Palais aufstapeln und durch Eisbildhauer dergestalt bearbeiten, dass ein großer Eisberg mit ihn durchquerenden Tunnel entstand, durch die die Models hindurch liefen.  Diese Idee wurde von Giambattista Valli für Moncler H/W 2013 aufgenommen.

2012, F/S

Karl Lagerfeld

Lagerfeld baute eine weiße Unterwasserwelt mit Al-

für Chanel

gen und Muscheln nach und aus einer Muschel trat die Sängerin von Florence and the Machine heraus, die die Modenschau musikalisch begleitete.

2013, F/S

Karl Lagerfeld

Lagerfeld baute eine Waldkulisse auf, durch die die

HC

für Chanel

Models defilieren.  Zur selben Zeit hatte Raf Simons für Dior dieselbe Idee (HC F/S 2013), obwohl John Galliano für Dior HC H/W 2006 bereits ein ähnliches Bühnenbild kreiert hatte sowie Kris van Assche für Dior Homme H/W 2009.

Die hier beschriebenen Neuheiten können sich in folgende Kategorien einordnen lassen:

III. Die Modenschau

(1) Außergewöhnliche Locationwahl (z.B. Margiela, McQueen, Michalsky, Miyake) (2) Erzählen einer Geschichte (z.B. Galliano, McQueen) (3) Außergewöhnliche Modelwahl und Einsatz anderer AkteurInnen (z.B. Chalayan, Gaultier, Margiela, McQueen, Rykiel, Viktor & Rolf, Yamamoto) (4) Außergewöhnliche Technik/Spezialeffekte (z.B. Galliano, McQueen, Viktor & Rolf, Watanabe) (5) Raumeinnehmendes Modedesign (z.B. Chalayan, Kawakubo, Miyake, Viktor & Rolf, Yamamoto) (6) Besondere Requisiten/besonderes Bühnenbild (z.B. Chalayan, Chanel, Dries van Noten, Galliano, McQueen, Viktor & Rolf) (7) Besondere Choreografie (z.B. Chalayan, Galliano, McQueen, Viktor & Rolf) Weitere Typisierungen von Modenschauen finden sich in Kapitel V.2. Die chronologische Auflistung zeigt das zentrale Argument dieses Buches: Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Modenschau zu einem Ereignis entwickelt, in dem nicht nur Kleidung gezeigt wird, sondern in dem noch etwas anderes passiert. Die Performanz der Show kommt zunehmend zum Tragen, da in den Modenschauen immer auf ein Highlight gesetzt wird: auf eine Thematik, eine Geschichte, auf einen (Spezial-)Effekt, auf einen intendierten Affekt oder eine Emotion, auf eine bestimmte Ästhetik oder eine (z.B. politische) Botschaft. All diese Absichten werden durch die Schaffung einer Atmosphäre in die Wege geleitet. Es zeigt sich, dass die Bilder von Modenschauen im Mode-Gedächtnis nicht nur als Erinnerungshilfe an bestimmte Kollektionen fungieren, sondern den DesignerInnen auch – wie bereits die alten Moden und Stile vergangener Zeiten – als Inspirationsquelle dienen und kopiert werden. In den Berichterstattungen zu Marc Jacobs für Louis Vuittons Kollektion H/W 2012 beispielsweise wurde darauf hingewiesen, dass bereits Galliano für Dior die Idee des Zuges hatte – eine ungünstige Feststellung, zumal Jacobs in der Show eine Saison davor bereits die Karussell-Idee von Chanel kopiert hatte. Weitere Übernahmen von Modenschauideen sind in der obigen Tabelle markiert. Es geht mittlerweile nicht mehr um einen Wettbewerb modischer Erfindungen, sondern um einen Wettstreit um neue Modenschau-Bilder.

3. Werbestrategische und wirtschaftliche R ahmenbedingungen einer zeitgenössischen M odenschau In diesem Kapitel geht es um eine kurze Darstellung der Rahmenbedingungen einer zeitgenössischen Modenschau. Dabei soll erklärt werden, welche strategische Rolle die Modenschau für ein Modeunternehmen spielt, wie sich die Organisation und Durchführung einer Schau gestaltet und welche Daten es

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

bezüglich der Anzahl der an den offiziellen Fashion Weeks teilnehmenden DesignerInnen, der Höhe der Produktionskosten sowie der Besucheranzahl gibt. Im Katalog der Ausstellung »Catwalks« im NRW-Forum in Düsseldorf 2009 ist das bereits zitierte Interview der Journalistin Alix Browne mit dem Modenschauproduzenten Alexandre de Betak enthalten, der die Shows unter anderem von Viktor & Rolf, Dior, Galliano und Rodarte produziert. Auf die Frage von Browne, ob de Betak Beispiele nennen könne, bei denen seine »Ideen für die Show dem Designer tatsächlich halfen, sich über die Kollektion klar zu werden«, antwortete de Betak, dass er bzw. sie ihn oft nur mit »Inspirationen, Worten und Ideen« füttere, bevor er bzw. sie tatsächlich Kleidungsstücke zeigen könne. Worte oder Ideen, die in Vorbereitung der Modenschauen von John Galliano richtungsweisend waren, waren beispielsweise »Sex und Gefahr« oder »Gefahr und Romantik«, wie Vilaseca (2010, 100) de Betak an anderer Stelle zitiert. Auch in Hinblick auf McQueens Vorgehensweise heißt es: »McQueen always started every collection with an idea or a concept for the runway presentation before the fashions. After the concept, he would have this elaborate sort of storyboard with these various references from art, from film, from music – his influences from everywhere.« 36

Die Planung der Modenschau beginnt also oft viel früher als das Entwerfen der Kollektion. Idealer- bzw. traditionellerweise steht jedoch die Kreation des Modedesigns am Anfang eines Zyklus und bedingt die weiteren Marketingstrategien eines Modehauses.37 So würden die inspirierten DesignerInnen zusammen mit ihren Fashion Directors oder Fashion Consultants38 die Informationen von Agenturen, die sich der Trendvorhersage widmen (z.B. WGSN), sowie die auf den Textilmessen vorgestellten Stoffe mit ihren eigenen Ideen und ihrer Verwirklichung abgleichen. Die Entwürfe, die dann daraus hervorgehen, werden vor Ort im Atelier umgesetzt (insb. für Haute Couture-Schauen) oder bei HerstellerInnen (im Ausland) in Auftrag gegeben. Eine Prêt-à-porter-Kollektion wird meist nur in wenigen Ausführungen in einer Kleidergröße hergestellt, die als Prototypen für die Modenschau bzw. die Showrooms dienen und erst später, nach den Bestellungen (den sog. »orders«), vervielfacht werden. Parallel dazu machen sie sich darüber Gedanken, wie die neue Kollektion vermarktet werden kann, d.h. 36 | Zit at aus dem Blog der Ausstellung »Alexander McQueen – Savage Beauty« im Metropolitan Museum of Art, New York (4.5.-7.8.2011); einzusehen unter: http://blog.metmuseum. org/alexandermcqueen/about/#sthash.vmj2r64v.dpuf, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 37  |  Für eine ausführlichere Beschreibung des Kreativ- und Produktionsprozesses vgl. Haberler 2012, 136-162. 38  |  Diese sind interne oder für eine bestimmte Saison von außen herangeholte Personen, die mit der Entwicklung einer Kollektion und ihrer Vermarktung beauftragt sind. Vgl. zur genaueren Tätigkeitsbeschreibung Guerin 1987, 109ff.

III. Die Modenschau

• wo sie in welcher Form präsentiert werden soll (oft in Kooperation mit einem Fashion Show Producer, also ModenschauproduzentIn39), • wie und wann sie den EinkäuferInnen (Fashion Buyers) in einem Showroom oder Atelier für die Bestellung zur Verfügung stehen sollen, • bis wann ihre Bestellungen eingehen sollen und wie schnell sie bearbeitet werden können, • wie die Print- oder Videokampagne aussehen soll, • welche (Online-)Zeitschriften die daraus resultierenden Anzeigen bzw. Teile der Kollektion für eigene »editorial shoots« erhalten sollen (in Kooperation mit den Fashion Editors der Modezeitschriften) • und welche Personen öffentlichen Interesses man mit den neuen Kleidern zu welchen Gelegenheiten einkleiden könnte. Diese recht logische Reihenfolge wird durch zwei Abweichungen in Frage gestellt und damit die Bedeutung der Modenschau: Zum einen wächst die Sensationalität der Modenschau sowie die Beschäftigung mit ihrer Gestaltung vor der eigentlichen Kollektionsgestaltung, wie de Betak konstatierte. Zum anderen handhaben es manche DesignerInnen so, dass die EinkäuferInnen die Gelegenheit bekommen, vor den Modenschauen die Kollektionen im Showroom zu begutachten und bereits Bestellungen abzugeben – wobei sie meist trotzdem an der Show teilnehmen, um im Anschluss ihre Bestellung zu bestätigen oder zu verändern. Die erste Abweichung lässt sich mit der These erklären, dass sich die Inventivität der DesignerInnen vom Modedesign zum Modenschaudesgin verlagert hat. Die zweite Abweichung weist darauf hin, dass es in der Modenschau anscheinend etwas zu sehen gibt, das man zuvor im Showroom nicht begutachten konnte: eine Atmosphäre, ohne die die Kleider ›zusammenhangslos‹ erscheinen, die der Kleidung also einen Kontext oder Sinn verleihen können. Ein Modehaus nutzt mehrere Möglichkeiten, in den Spezialistenkontakt zu treten: Neben den Vorführungen in den üblichen Räumlichkeiten einer Fashion Week, deren Zeitplan, technische Ausstattung und Kosten relativ fix sind, gibt es auch Vorführungen in eigens dazu ausgesuchten Locations (sog. »off-sites«), in kleinerem Rahmen in einem gebuchten Showroom, auf einer Messe oder im eigenen Atelier (traditionellerweise bei der Haute Couture). Manche Modehäuser haben die (finanzielle) Möglichkeit, mehrgleisig zu fahren: die Präsentation der Kleider in einem Showroom nach oder kurz vor einer Modenschau beispielsweise. Dabei sind stets drei auf die EinkäuferInnen zugeschnittene Ziele zu verfolgen: Erstens müssen die EinkäuferInnen zu den angebotenen Terminen Zeit haben, d.h. die einladenden DesignerInnen müssen sich nach 39 | Die bekanntesten, international agierenden Agenturen für Modenschauproduktionen sind: Bureau Betak (Paris), Villa Eugenie (Brüssel), Gainsbury and Whiting (London), Eyesight (Paris, NY) und La Mode en Images (Paris).

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

dem offiziellen Fashion Week Kalender (z.B. der franz. Chambre Syndicale) richten, um Überschneidungen mit den Präsentationen anderer DesignerInnen zu vermeiden. Mit einer zusätzlichen Präsentation in einem Showroom bieten die DesignerInnen den EinkäuferInnen eine Ausweichmöglichkeit an, falls sie sich zwischen den vielen zeitgleichen Angeboten entscheiden müssen und nicht zur Modenschau kommen können. Zweitens muss die ausgewählte Location (der Modenschau, des Showrooms) für die EinkäuferInnen gut erreichbar sein, damit sie ihre Anschlusstermine nicht verpassen, sonst besteht die Gefahr, dass sie gar nicht erst kommen. Drittens sollte im besten Falle erzielt werden, dass die EinkäuferInnen vor Ort noch ihre Bestellungen aufgeben (»leaving paper«), was durch eine wiederholte Präsentation der Kollektion in der Modenschau und in dem Showroom/Atelier forciert werden kann, zumal hier im Gegensatz zur Modenschau eine längere, vor allem taktile Begutachtung der Kollektion in einer entspannteren Atmosphäre ermöglicht wird. Die Organisation einer Modenschau beginnt meist ein halbes Jahr vor dem festgesetzten Termin, d.h. ein Jahr vor der Belieferung der EinkäuferInnen. Die DesignerInnen sprechen sich mit ihren Fashion Directors und ggf. mit einem für diese Show engagierten Fashion Show Producer über die Idee der Kollektion bzw., wenn diese noch nicht existiert, der Show ab sowie über das geplante Budget. Die Erstellung eines »mood boards«, an das sich auch in Folge alle Beteiligten orientieren sollen, um ein übergreifendes Design zu gewährleisten, ist dabei üblich und hilfreich (vgl. Vilaseca 2010, 101). Die Fashion Directors und Fashion Show Producer kümmern sich, zusammen mit der für das Label zuständigen PR-Agentur oder PRoder Marketing-Abteilung, um alle Elemente der Show: • • • • • •

• • • •

um die Suche nach einer geeigneten Location, um den Abschluss einer Versicherung und um die Wahrung der Sicherheitsauflagen, um die Suche nach möglichen SponsorInnen, um die Gestaltung und den Bau des Bühnenbildes, um den Versand der Einladungen, die Erstellung eines Sitzplans, um die Beauftragung von ChoreografInnen, Hostessen, »seater«, Backstage-ManagerInnen, Caterer, Anziehhilfen, Hair & Make-up-ArtistInnen, StylistInnen, Licht- und TontechnikerInnen, um die Organisation von Modelcastings und -fittings, um die Erstellung der Pressemappen und Werbegeschenke, um den Ablauf der Show, die Organisation einer Aftershowparty sowie um die fotografische und filmische Dokumentation all dieser Punkte.

Laut Vilaseca (2010, 124) können dabei Teams mit Hunderten von SpezialistInnen gebildet und beauftragt werden. Die Prêt-à-porter-Modenschauen finden dann traditionellerweise – entsprechend dem Sitz des Modehauses oder ent-

III. Die Modenschau

sprechend des Zielpublikums – in New York, London, Mailand oder in Paris im Rahmen der Fashion Weeks statt. In Paris, Mailand und London werden die Fashion Weeks von übergreifenden Organisationen durchgeführt: von der Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-porter des Couturiers et des Créateurs de Mode, von der Camera Nazionale della Moda Italiana und vom British Fashion Council. In New York, wie unter anderem auch in Berlin und Sydney, vom Hauptsponsor Mercedes-Benz meist in Kooperation mit der Produktionsfirma IMG. Etwaige Cruise-Kollektionen großer Modehäuser (auch Resort- oder Pre-Spring-Kollektionen genannt) werden als Vorgeschmack der regulären F/S Kollektionen im Frühsommer des Vorjahres gezeigt und richten sich an KundInnen, die im Oktober ihre Wintereinkäufe abgeschlossen haben und sich im November für den winterüberbrückenden Urlaub in wärmeren Ländern ausstatten möchten. Des Weiteren gibt es Pre-Fall-Kollektionen, die im Winter für den frühen Herbst des kommenden Jahres gezeigt werden. Cruise- und PreFall-Kollektionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie weniger Entwürfe als die regulären halbjährlichen Kollektionen enthalten, dementsprechend in der Produktion aufgrund der Kürze der Vorlaufzeit nicht so aufwendig sind, und dadurch, dass sie auf die kurz darauf folgende reguläre Kollektion inhaltlich verweisen. Die Präsentation der Zwischenkollektionen nehmen die DesignerInnen oft zum Anlass, die Professionellen der Modebranche an ungewöhnliche Orte zu locken. Die Haute-Couture-Modenschauen finden im Januar und im Juli eines jeden Jahres in Paris statt, jeweils für die direkt anschließenden Saisons (also im Januar für F/S und im Juli für H/W), da keine Produktionsvorlaufzeiten nötig sind. Daraus ergibt sich, wenn man sich nur auf die »Big Four«Städte sowie nur auf Damenkollektionen beschränkt, folgender Rhythmus: Tabelle 2: Rhythmus der Modenschautermine eines Jahres Januar

F/S Haute Couture in Paris

Februar bis März

H/W Prêt-à-porter in New York H/W Prêt-à-porter in London H/W Prêt-à-porter in Mailand H/W Prêt-à-porter in Paris

Mai bis Juni

Cruise/Resort/Pre-Spring Prêt-à-porter an unterschiedlichen Orten

Juli

H/W Haute Couture Paris

September bis Oktober

F/S Prêt-à-porter New York F/S Prêt-à-porter London F/S Prêt-à-porter Mailand F/S Prêt-à-porter Paris

Dezember bis Januar

Pre-Fall Prêt-à-porter an unterschiedlichen Orten

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Die Kosten einer Modenschau sind dabei sehr divers. Laut Vilaseca (2010, 18) belaufen sie sich auf mindestens 30.000  € im Rahmen der bereitgestellten und technisch meist vollausgestatteten Zelte einer Fashion Week, bei »offsite«-Modenschauen eher auf 150.000-300.000  €. Eine aufwendige Haute Couture-Show dagegen kann auch 1.000.000 € teuer werden, im Falle einer Victoria’s Secret Modenschau sogar 10.000.000 € (vgl. ebda., 102f.; vgl. ähnliche Zahlen in Guérin 2005, 272). Während der Weltwirtschaftskrise, die seit 2008 auch die Budgets der Modehäuser minimierte, kam man im Schnitt auch mit 20.000-80.000  € aus (vgl. Michael Brown in Vilaseca 2010, 73). Guérin dröselt (allerdings für das Jahr 1987) die Produktionskosten einer Standard-Show im Rahmen der New Yorker Fashion Week folgendermaßen auf: Das Buchen einer Location kostet zwischen 2.000-25.000 $, das Engagement eines Fashion Directors 2.500-5.000 $, von 12 Models ca. 12.000 $, einer Backstage-Crew 1.000 $, Accessoires 500 $, das Engagement eines Fashion Show Producers 2.500  $, sowie eines/r BühnenbildnerIn 1.600  $; die Kosten für Transport belaufen sich auf 400 $, für die Lichttechnik auf 1.200 $, für das Bühnenbild und die Bühne auf 1.500 $, für die Musiktechnik auf ca. 1.200 $ (insg. knapp 40.000 $; bei dem damaligen Dollarkurs entsprach diese Summe knapp 72.000 DM). In dieser Liste fehlen jedoch die Kosten für StylistInnen und Hair & Make-up-ArtistInnen, die bis zu 4.000 € am Tag verlangen können (Vilaseca 2010, 125), weiterhin die Kosten für alle Leistungen und Materialien, die für die PR anfällt, sowie die für ein etwaiges Catering und die filmische/ fotografische Dokumentation der Show. Die Kosten für die Show rentieren sich nicht sofort, sondern erst mit dem Empfang der Bestellungen der EinkäuferInnen nach (bzw. in seltenen Fällen vor) der Show. Laut den Showcase-Unterlagen des British Fashion Council für H/W 201340 kann man bei einer Londoner Fashion Week, die 60 offizielle und 75 begleitende Shows und Präsentationen beherbergt und dabei 5.000 internationale BesucherInnen anlockt, Bestellungen in der Höhe von gut 100 Mio. £ (umgerechnet knapp 116 Mio. €) pro Saison erwarten, was im Durchschnitt einen Bestellwert von knapp 860.000  € pro Show bedeuten würde. Die Fashion Week in New York wartet indessen mit viel höheren Zahlen auf: Laut einer Pressemitteilung des New Yorker Bürgermeisteramts und des Council of fashion designers of America im Februar 2012 41 besuchen 232.000 BesucherInnen mehr als 500 Modenschauen im Jahr (also 116.000 BesucherInnen 250 Modenschauen in einer Saison). Die gesamte öko40  |  Die Showcase-Unterlagen des British Fashion Council für H/W 2013 sind einzusehen unter: http://issuu.com/britishfashioncouncil/docs/aw13showcasepack, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 41 | Die Pressemitteilung des New Yorker Bürgermeisteramts und des Council of fashion designers of America im Februar 2012 ist einzusehen unter: www.nyc.gov/html/ om/html/2012a/pr054-12.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

III. Die Modenschau

nomische Auswirkung – d.h. die Ausgaben für Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche, für das Mieten von Veranstaltungsorten und für sonstige Einkäufe – beträgt jährlich für die gesamte Stadt 865 Mio. $, wobei rund 40 Mio. $ den Lincoln Square betreffen, den Schauplatz der meisten Modenschauen der New Yorker Fashion Week (vgl. Wilson 2011). Zusammenfasssend lässt sich feststellen: Die Modenschau ist für die Kürze ihrer Dauer eine sehr teure Angelegenheit, aufgrund ihrer Positionierung im Rahmen einer zentralen und international gut besuchten Fashion Week jedoch sowohl für die DesignerInnen als auch für die ausrichtenden Städte eine lukrative Präsentationsform der neuen Kollektionen. Dabei sind zweierlei Beobachtungen weiter auszuführen: zum einen die, dass alle anderen Tools einer ganzheitlichen Marketingstrategie, in der die Modenschau eingebunden ist, auf eben diese verweisen (vgl. Kapitel VI. über Kopplungsstrategien) und zum anderen die, dass die Modenschau für den Inventionsprozess der DesignerInnen unabdingbar geworden ist (vgl. folgendes Kapitel).

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IV. Die Behauptung des Neuen 1. D as N eue in der M ode theorie und - geschichte Mit der Nachzeichnung der Modenschaugeschichte konnte dargestellt werden, dass sich Inventivität vom Modedesign zum Modenschaudesign verschoben hat; es stellt sich jedoch die Frage, was Inventivität bedeutet oder was unter dem ›Neuen‹ zu fassen ist. In diesem Kapitel soll untersucht werden, wie auf modetheoretischer und modehistorischer Ebene bis zum heutigen Zeitpunkt mit den Begriffen des Neuen, der Invention und Innovation, Originalität, Authentizität oder der Kreativität umgegangen wurde. Wie wir sehen werden, bieten uns die betreffenden AutorInnen neben Begriffsdefinitionen und Prozessbeschreibungen auch Besprechungen konkreter, als innovativ angesehener Kleidungsstücke oder Stile an. Es sei an dieser Stelle nochmals hervorgehoben, dass in dem vorliegenden Buch mit der Terminologie Invention – Inventivität – inventiv gearbeitet wird. Diese Begriffe machen deutlich, dass es um die Phase der Ideengebung vor der Verwertung und vor dem Gebrauch durch EndkonsumentInnen geht. Werden Inventionen verwertet und vom Endkonsumenten gebraucht und für innovativ befunden, kann man von Innovationen und Innovativiät sprechen. Hier wird Loschek (vgl. weiter unten) gefolgt, die sich wiederum auf ökonomische Theorien stützt (vgl. hier auch Rogers 2009 [1962] und Davis 1992). Wie im weiteren Verlauf offenkundig wird, unternehmen nicht alle AutorInnen diese Trennung. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Problem folgendermaßen gehandhabt: Bei der Wiedergabe der Argumentation anderer AutorInnen werden ihre Begriffsverwendungen beibehalten; bei eigener Argumentationführung wird von Invention, Inventivität und inventiv gesprochen (vgl. Fußnote 2 in Kap. I). Bislang wurde ein Schwerpunkt auf die Argumentation von Barbara Vinken gelegt, die die Modegeschichte in zwei Phasen einteilt, und zwar in die »mode de cent ans« (ca. 1860/70 bis 1960/70) und in die »Mode nach der Mode« (1960/70 bis zum Jahr der Veröffentlichung 1993). Während die erste Phase von inventiven Kleiderdesigns geprägt ist, weist sich die zweite Phase durch das Zitieren und Kombinieren alter Moden aus (als »Kommentare

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über Kleider«, vgl. Lehnert 2005, 255) sowie durch ein neues Verhältnis des Kleides zur Zeitlichkeit. Insbesondere vier weitere AutorInnen haben die Diskussion um das Neue in der Mode vorangetrieben: Ingrid Loschek (2007), Anette Lynch und Mitchell D. Strauss (2007) sowie Veronika Haberler (2012). Während sich Loschek Anfang der 1990er noch einer anthropologischen Perspektive verschrieben hatte und aus diesem Blickwinkel Publikationen entstanden, die zum einen die Mode historisch und zum anderen das Modeverhalten humanethologisch zu erklären versuchten (z.B. Loschek 1991), ging sie in den 2000ern dazu über, sich zudem mit der (Luhmann’schen) Systemtheorie sowie mit der Innovationsforschung zu beschäftigen. Loschek unterscheidet in ihrem 2007 erschienenen Buch Wann ist Mode? zwischen Invention und Innovation, die folgendermaßen in Zusammenhang stehen: »Inventionen umfassen neue Ideen vor der Phase der Vermarktung. Inventionen äußern sich als Entwurf, in welchem Medium auch immer, einschließlich der Realisation von Prototypen. In der Modebranche sind dies Zeichnungen oder Modelle einschließlich der auf dem Laufsteg gezeigten Kollektion. Erst aus der verkäuflichen Umsetzung beziehungsweise der ›Verwertung‹, im Sinne einer Wertschätzung, von Inventionen ergeben sich – nach der klassischen Innovationstheorie – Innovationen. Der Wunsch, Neues im Sinne von Invention zu schaffen, basiert auf dem schöpferischen Experimentierdrang, dem Wunsch nach ästhetischer Abwechslung und der Neugier des Menschen, die die Humanethologie als biologische Veranlagung des Menschen ausmachte.« (Loschek 2007, 41) Voraussetzung (sog. »Schlüsselfaktor«) der Invention ist nach Loschek die Kreativität der ModedesignerInnen, die ihrerseits nicht nur auf imaginativen und intuitiven Dispositionen beruht, sondern auch auf Erfahrung, Wissen und gestalterischer Freiheit. Kreativität finde in der Interaktion zwischen dem »individuellen Denken und seinem Umwelt- oder emotionalen Kontext« statt und komme dann besonders zum Tragen, wenn bei den DesignerInnen »ein Überschuss an Aufmerksamkeit oder an Frustration vorhanden ist« (ebda., 49). Im weiteren Verlauf des Buches skizziert Loschek fünf Inventionsstrategien (an anderer Stelle spricht sie von Kreativitätstechniken), deren sich die einschlägigen DesignerInnen der letzten 20 Jahre (ca. 1985-2005) bedienen. Die Strategien bieten zwar interessante Anhaltspunkte zur Schaffung von Neuem, sind aber leider inhaltlich nicht konsequent voneinander trennbar. Strategie 1, die Provokation, »liegt im Überschreiten von Grenzen und Regeln, sowohl auf realer wie auf geistiger Ebene, sowie in der Abweichung von Normen, sowohl auf perzeptiver, also auch auf emotionaler Ebene« (ebda.). Dabei gibt Loschek zu bedenken, dass alle Beispiele für provokative Inventionen immer im jeweiligen zeitlichen und örtlichen Kontext gesehen werden müssen. Die Provokationsstrategie realisiere sich in der Überformierung von Entwürfen (z.B. Vivienne Westwood, Jean-Paul Gaultier oder Rei Kawakubo), Deformierung (z.B.

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Maison Margiela), Multiformierung (im Sinne von Addition und Subtraktion, z.B. Bernhard Willhelm), in der Skulpturalisierung (z.B. Viktor & Rolf), in der Subtraktion und Inversion (z.B. Hussein Chalayan), in organischen wirkenden Entwürfen (z.B. Yohji Yamamoto), in der (De-)Konstruktion von Erotik (z.B. Alba d’Urbano) und der sog. »Ästhetisierung des Unbewussten« (wie der Thematisierung von Ängsten, z.B. Alexander McQueen, vgl. ebda., 71 und Evans 2003). Während diese Aufzählung und Abgrenzungen relativ nachvollziehbar sind, birgt die zweite Inventionsstrategie, nämlich die Deviation »im Sinne von Abweichung, Umkehrung oder Verdrehung« (ebda., 73), ähnliche provokative Aspekte, sodass die Unterscheidung irreführend wird. Typisch für die Deviation sei beispielsweise Moschino mit seiner »Pervertierung der Mode« und seinen Trompe l’oeil-Effekten, Bernard Willhelm für den Gebrauch von Kitschelementen, Walter van Beirendonck für den von Comic- und Computergame-Elementen. Die dritte Strategie ist die, die Loschek mit »Idee – Konzept – Prozess« überschreibt. Hierunter fallen DesignerInnen, die »nicht Mode machen, sondern Ideen designen«, wie Loschek Chalayan zitiert (ebda., 78) – man denke an das Vergraben seiner Abschlusskollektion 1993. Kreationen, bei denen die Accessoires oder Teile der Kleidung ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen (z.B. von Issey Miyake), ordnet Loschek der vierten Strategie des Experiments zu. Die Kleider von Chalayan, die sich während der Show über eine Fernbedienung auseinanderfahren ließen, nennt Loschek »transformables« als Unterkategorie des Experiments. Weitere Experimente verzeichnet sie im Bereich Licht, Farbe, Muster, Ornament (z.B. LED-bestückte Kreationen von Chalayan), Klang (z.B. Schellen-bestückte Kleider von Viktor & Rolf), Material (sog. Hightech Couture), »second skin« (Verwendung eines der menschlichen Haut ähnlichen synthetischen Material) sowie im Bereich des Neurocomputing (z.B. in die Kleidung integrierte digitale Systeme). Die fünfte und letzte Strategie ist die der sog. »Performativen Invention« und bezieht sich auf das, was in dem vorliegenden Buch unter vermittlungsbezogener Neuheit verstanden wird, als es da heißt: »Um die intellektuelle Aussage beziehungsweise die ›Allüre‹ einer modischen Kreation deutlich zu machen beziehungsweise diverse Kreationen als Kollektion visuell mitzuteilen, bedient sich der Designer der performativen Realisation. Diese ist für ihn die einzige und gleichsam die letzte Möglichkeit, den Charakter der Kleidung aus der Sicht des Kreateurs darzustellen. Danach werden seine Kreationen ›freigegeben‹, einerseits für eine fotografische Inszenierung für Werbung und Medien, andererseits als Orderware, ob für Vervielfältigung und Distribution, als Unikat für eine einzelne Trägerin oder einen einzelnen Träger oder als Ausstellungsstück für ein Museum.« (Ebda., 95) Als Beispiele bringt Loschek unter anderem die Modenschauen »Voss«, »#13« und »The widows of Culloden« von Alexander McQueen, Viktor & Rolf »Fashion Show« und Präsentationen von Galliano, Margiela, van Beirendonck

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und Willhelm. Interessant ist, dass hier unter anderem dieselben und ähnliche Modenschauen aufgelistet werden, die bereits in den anderen Kategorien zu finden waren, beziehungsweise dass die Beispiele aus anderen Kategorien gar nicht ohne Performativität funktionieren würden – so z.B. Chalayans »Afterwords«, welche Loschek bei Strategie 3 »Idee – Konzept – Prozess« eingeordnet hatte. Loschek betont, wie in dem oben stehenden Zitat deutlich wird, dass die Performativität die anderen Strategien sichtbar mache oder visuell unterstütze. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht alle vier ersten Strategien von der Sichtbarmachung und Performativität als fünfte Strategie abhängig sind. Denn schließlich sei die Modenschau für die DesignerInnen »die einzige und gleichsam die letzte Möglichkeit, den Charakter der Kleidung« aus ihrer Sicht darzustellen, wie es oben heißt. Diese Hierarchie schlägt sich in der Abb. 4 »Bezüge des Neuen in der Modenschau« nieder, in der die vermittlungsbezogene Neuheit als die zentrale Strategie zur Hervorbringung von Neuem in der Modenschau besprochen wurde.1 Kommen wir jedoch zum Begriff der Innovation, mit dem Loschek zunächst die publik gemachte Invention meint, wobei sie sich auf die Erläuterungen des Ökonomen Joseph Alois Schumpeter in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung von 1911 bezieht (vgl. Schumpeter 1988 [1911] in Loschek 2007, 103ff.). Die Innovation ist demnach der Invention logisch und zeitlich nachgestellt: Die Invention liegt in der Hand der DesignerInnen, die Akzeptanz und Würdigung der Invention als Innovation in den Händen der ZuschauerInnen und KonsumentInnen. Zentral für die Durchsetzung einer Invention ist der Umgang mit dem Alten: Hier setzt Loschek (plötzlich) Innovation mit dem Neuen gleich und erklärt, dass Invention dann zur Innovation bzw. zum Neuen wird, wenn sie auf der einen Seite der Imagination der SchöpferInnen entspringt und andererseits auf schon Vorhandenes bzw. Altes Bezug nimmt. An dieser Stelle argumentiert sie gegen Schumpeters These, dass das Neue durch eine Neukombination von  spezifischen Produktionsfaktoren alte Strukturen notwendigerweise zerstören muss, sondern mit Boris Groys, nach dem das Neue nicht ohne das Alte entstehen kann: »Wenn das Neue keine Offenbarung des Verborgenen ist – also keine Entdeckung, keine Schaffung und keine Hervorbringung des Inneren –, dann bedeutet das auch, dass für die Innovation alles von Anfang an offen, unverborgen, sichtbar und zugänglich liegt. Die Innovation operiert nicht mit den außerkulturellen Dingen selbst, sondern mit den kulturellen Hierarchien und Werten. Die Innovation besteht nicht darin, dass etwas zum Vorschein kommt, 1 | Im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Metaphern bei der Umschreibung von Neuem, um es mit etwas bereits Bekanntem zu verbinden, konstatiert Loschek: »Allerdings geht es der medialen Öffentlichkeit eher um die Neuigkeit als um das Neue.« (Loschek 2007, 115)

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was verborgen war, sondern darin, dass der Wert dessen, was man immer schon gesehen und gekannt hat, umgewertet wird.« (Groys 1992, 13f.) Daraus schlussfolgert Loschek, dass das Neue die »Differenz zur Erwartung« ist (Loschek 2007, 107). Das Erkennen des Neuen fällt, wie auch in diesem Buch argumentiert wird, dem Modespezialistentum zu, worunter Loschek ModewissenschaftlerInnen, ModejournalistInnen, HerstellerInnen und HändlerInnen zählt. Ihr »Wissen bestimmt entscheidend die Fähigkeit, Neues zu entdecken« (ebda., 108f.). Demnach sei »ein wesentliches Charakteristikum des Neuen seine Wissensabhängigkeit: sowohl, indem man unterschiedlich denkt oder handelt, oder indem man das Neue als solches erkennt und es – als das wertvolle Andere – evaluiert aufgrund historischer oder aktueller Vergleiche« (ebda., 109). Wie sich im weiteren Verlauf ihres Buches zeigt, stellt sich die Innovation doch nicht als verwertete oder gewürdigte Invention heraus, wie Loschek zuvor eindeutig argumentiert hatte. Stattdessen macht Loschek nun einen Fächer von Innovationsstrategien auf, die auf »crossings« von Aspekten aus anderen Bereichen einer Kultur oder fremder Kulturen beruhen. So berichtet sie von »art crossing«, von »border crossing«, »fashion crossing« und von »cross dressing«, »social crossing«, »technic crossing« und »reality crossing«. Der Unterschied zwischen Loscheks Inventions- und Innovationsstrategien besteht also darin, dass sich Inventivität im ersten Falle eher durch werkimmanente Veränderungen zeigt, im zweiten Falle durch einen Bezug (Vergleich, Kommentar, Zitation etc.) zu anderen Werken. Leider ist diese Aufteilung nicht stringent – beispielsweise findet man in Loscheks Aufzählungen ähnliche Beispiele für die Inventionsstrategie »Experiment« sowie für die Innovationsstrategie »technic crossing«. Die Beantwortung der Frage Wann ist Mode?, die laut Loschek gleichzeitig die Frage »Was ist Mode?« beantwortet, ist ambivalent. Zum einen sei Mode »a priori das kreativ Antizipierte, wie die stoffgeformten Ideen eines John Galliano«, zum anderen »a posteriori jene Kleidung, auf die sich eine Gemeinschaft geeinigt hat, dass sie in Mode ist« (ebda., 163). Der letztere Aspekt wird folgendermaßen spezifiziert: »Insofern unterliegt die semiotische Festlegung von ›Mode‹ einem kommunikativ verhandelten, sozialen Prozess. Mode reicht weit über das Gegenständliche des Produkts Kleidung hinaus. Sie gibt der Kleidung einen ›sozialen Zweck‹, über den von Funktion und Ästhetik hinaus. Der Kleidung werden Schein und Illusion hinzugefügt, die als Mehrwert oder Zusatznutzen, kurz als Mode definiert werden. Der erste Schritt in Richtung Mode erfolgt durch die Inszenierung der Kleidung auf dem Laufsteg sowie durch Fotografie und Werbung, die unter anderem durch Magazine einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. Reale Kleidung trifft auf artifizielle Inszenierung. Signifikant ist, dass nicht von ›Kleidungsschau‹ oder ›Kleidungsfotografie‹ die Rede ist, sondern von ›Modenschau‹ und ›Modefotografie‹, denn sie geben der Kleidung den Schein und die Illusion von Mode.« (Ebda., 161, kursiv i.O.)

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Anbetracht der Tatsache, dass das gesamte Buch von Inventions- und Innovationsstrategien handelt, die die Kreativität im Designprozess erklären sollen, nehmen hier in Loscheks Fazitkapitel ZuschauerInnen bzw. KonsumentInnen als EntscheidungsträgerInnen, sowie die Modenschau als Ausgangsbasis des Entscheidungsprozesses, zentrale Rollen ein. So heißt es beispielsweise: »Die Festlegung, wann eine Kleidung Mode ist, geht vom Betrachter aus.« (Ebda., 166)

Festzuhalten gilt, dass das Neue als notwendige Bedingung bei der Entstehung von Mode sozial verhandelt wird. Man könnte Loschek so verstehen, dass das Neue der Kleidung in der Modenschau präsentiert wird und das Spezialistentum vor dem Hintergrund seines Wissens und seiner Erfahrung anhand des Präsentierten bewertet, ob die Kleidung nun zur Mode wird oder nicht. In der vorliegenden Untersuchung werden die Tendenz der Ablösung des Neuen von der Kleidung und die Verlagerung der Inventivität vom Modedesign zum Modenschaudesign konstatiert. DesignerInnen bringen – auf welchem Wege auch immer – Vorschläge für Inventionen auf die Welt. In Kapitel IV.3. wird sich herausstellen, dass es sich bei diesen Vorschlägen um Behauptungen handelt. Die Aushandlung der als Invention behaupteten Vorschläge durch das Spezialistentum bewirkt, dass diese überhaupt erst registriert, markiert und verglichen werden. Die so ausgehandelten Vorschläge werden den EndkonsumentInnen in gefilterter Form weitergereicht – und ihre Akzeptanz und Anwendung könnte infolgedessen zu einer nachhaltigen Innovation führen. Die Geburt des Neuen der Mode ist m.E. in der Unterbreitung von Vorschlägen und der Aushandlung dieser zu verorten, und nicht erst in der Verwertung durch EndkonsumentInnen. Anette Lynch und Mitchell D. Strauss gehen an das Thema anders heran. Sie kristallisieren vier Motoren heraus, die ihres Erachtens den Wechsel der Mode auslösen: das nicht zu sättigende Bedürfnis des Menschen nach Neuheit, seine Identitätskonflikte, das Bedürfnis seinen Status zu markieren und die Nachahmung Anderer (vgl. Lynch u. Strauss 2007, 165). Hier wird schon deutlich, dass Lynch und Strauss den Wechsel als eine Folge psychologischer und sozialer Bedürfnisse bzw. Verhaltensweisen sehen und dass derweil andere Aspekte eher untergeordnet werden, wie beispielsweise Marktmechanismen, kulturelle Umwälzungen oder etwa die (vermeintliche) Kreativität der DesignerInnen, die Loschek so stark macht. »The never-ending search for novelty« begründen die AutorInnen mit Verweis auf J.C. Flügel (1930), René König (1973 [dt. 1971]), Anne Hollander (1978) und Valerie Steele (1985) durch einen angeborenen, sexuellen Wunsch nach neuen, visuellen Reizen. Steele spricht hier – in Anlehnung an Freud – von der »libido for looking« (Steele 1985, 27), welche insbesondere durch die visuelle Reizüberflutung im Internet hervorgerufen und befriedigt wird. Dieselbe Energie führe auch dazu, dass das

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Verhältnis der eigenen Körperform zu der Form der sie umgebenden Kleidung immer wieder neu überdacht werden würde (vgl. Hollander 1978). Die Identitätskrisen als zweiter Motor, der zu neuen Moden führt, begründen Lynch und Strauss mit ihrer Beobachtung, dass seit der Jahrtausendwende der Wechsel von Identitäten leichter durchführbar sei und gesellschaftlich sogar erwünscht – man denke nur an die ›postmoderne Frau‹, die sich gleichzeitig als Karrierefrau, erotische Liebhaberin, treue Ehefrau, Mutter und beste Freundin verstehen soll.2 Analog dazu müsste man auch die Identitätskrisen der Männer z.B. innerhalb des Diskurses über die sog. »polymorphe Männlichkeit« thematisieren (vgl. Schmale 2003, 233ff.). Diese (nicht nur genderspezifischen) Konflikte resultieren aus einer generellen gesellschaftlichen und kulturellen Instabilität: beispielsweise aus instabilen politischen Strukturen, instabilen religiösen Zugehörigkeiten oder instabilen Arbeitsmärkten. Der Kleiderwechsel biete sich als ein möglicher Umgang mit oder gar Lösung derselben an und avanciere zu einem Mittel der Kontingenzbewältigung.3 Basierend auf Veblens Theorie des demonstrativen Müßiggangs sowie auf Simmels Prinzip der Differenzierung und Nachahmung sehen die AutorInnen ein großes Bedürfnis der Menschen darin, ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe sichtbar zu machen. Der Hype um Markenkleidung und -accessoires vereinfache dieses Unterfangen maßgeblich. Verstärkt werde dieses Bedürfnis durch die Tendenz seit den 1980ern, dass die Kluft zwischen »have« und »have-nots« immer drastischer wird – Lynch und Strauss belegen diese Entwicklung mit Studien des Wirtschaftwissenschaftlers Paul Krugman, in denen das Verschwinden der (amerikanischen) Mittelschicht dokumentiert wird (vgl. Lynch u. Strauss 2007, 76). Der Wunsch, zur oberen Schicht zu gehören, wird stärker und zugleich schwieriger, da sich das Marketing und Preisniveau an eben diese »CEO elite« richtet. Das Pendant dazu seien die Versuche, Produkten aus der »Subkultur«, aus Dritte-Welt-Ländern oder aus ländlichen Gebieten eine vergleichbare Wertigkeit zuzusprechen – man denke da nur an die Second2  |  In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass Loschek die Vermutung angestellt hat, dass der Wechsel von Stilen mit den unterschiedlichen Phasen des Abhängigkeitsverhältnisses der Frau vom Mann zusammenhängt (vgl. Loschek 1991, 272). 3  |  Hierzu passt die Funktionszuweisung von Mode durch die Soziologin Cornelia Bohn: »Mode wird gerade deshalb zu einer typischen Form der Kontingenzbewältigung, die das Kontingente, Willkürliche, Kapriziöse akzeptabel macht, da sie dessen Untergang und Vergänglichkeit gleich mitkommuniziert.« (Bohn 2000, 131) – Frank Berzbach (2011) sieht in der Mode ebenfalls ein Mittel zur Kontingenzbewältigung, indem sie und die Beschäftigung mit ihr von der Tatsache ablenkt, dass der Mensch früher oder später sterben muss. Diejenigen Menschen, die sich nicht der Todesangst ausgesetzt sehen, folgen keiner Mode, wie beispielsweise Mönche und Nonnen. Vgl. diesbezüglich auch die Diskussion in Sellmann 2002b.

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handshops, Flohmärkte und den »ethno look« seit den 1970er Jahren, an die in den späten 1980ern aufkommenden Dritte-Welt-Läden, an die Anti-PelzKampagnen der PETA seit 1989 oder an die Öko-Mode, »slow fashion«, »upcycling«-Moden und andere Nachhaltigkeits-Projekte von heute. Der vierte Motor, der der Nachahmung, den die AutorInnen auch »mimetic behavior« nennen, sei ein angeborener Mechanismus des Menschen und stehe im dialektischen Zusammenhang zum o.g. Motor der Status-Markierung im Sinne von Abgrenzung. Ohne die Nachahmung käme es gar nicht zur Verbreitung von Mode. Die Kommunikation über das Internet, die Globalisierung von Geschmack und die aus der Urbanisierung resultierende Nähe der Menschen erleichtern diesen Prozess (vgl. ebda., 168). Die Ausgangsannahme von Lynch und Strauss ist, dass eine Kleidung dann Mode ist, wenn sie von einer Bevölkerungsmehrheit übernommen wurde. Argumentativ beziehen sie sich dabei auf die Diffusionstheorie von Everett Rogers, nach der sich die Annahme eines innovativen Produkts in der Gesellschaft glockenförmig darstellen lässt, wenn auf der x-Achse die Zeit und auf der y-Achse die Anzahl der Personen in Prozent, die eine Innovation angenommen hat, festgehalten wird (vgl. Rogers 2003 [1962], 281). M.E. ist aber nicht davon auszugehen, dass sich eine Mode erst durch ihre größtmögliche Verteilung begründet, vor allem wenn man sich auf die Mode der letzten Jahrzehnte bezieht. Wie in allen einschlägigen Werken (und auch bei Loschek 2007) festgestellt wird, haben wir es mit einem Modepluralismus zu tun, d.h. einer Gültigkeit vieler Moden zur selben Zeit. So ist es überhaupt nicht möglich, dass alle angebotenen Kleider von so vielen Individuen getragen und verhandelt werden, um sie dadurch als Mode zu deklarieren. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Designs auf den Modenschauen oder die alle zwei Wochen erneuerte Kollektion eines großen Modeunternehmens wie H&M überhaupt in ihrer Fülle von den KonsumentInnen registriert werden können. Den KonsumentInnen eine solche Entscheidungsgewalt zuzusprechen, ist m.E. ein Irrtum. Dabei werden hier nicht die in der Modetheorie besprochenen Diffusionsmodelle von Innovationen eines Everett Rogers oder Fred Davis in Frage gestellt. Sicherlich kann man anhand von nacheinander folgenden und aufeinander bauenden Phasen (vgl. Davis4) oder anhand eines glockenförmigen 4  |  Vgl. Davis 1992, 123-158: Davis wandelt hier das Sechs-Phasen-Modell von George B. Sproles (1.invention and introduction, 2. fashion leadership, 3. increasing social visibility, 4. conformity within and across social groups, 5. social saturation, 6. decline and obsolence) in eine Fünf-Phasen-Modell um: 1. invention, 2. introduction, 3. fashion leadership, 4. increasing social visibility und 5. waning (als Kombination der drei letzten Phasen von Sproles). Die erste Phase der invention sei momentan (1992) davon geprägt, dass sich DesignerInnen den Moden der Vergangenheit bedienen. Dabei sei es trotzdem wichtig, dass sich die neue Kreation von der gerade herrschenden Mode

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Graphen (Rogers) in der Theorie nachvollziehen, wie sich eine Mode verbreitet. Allerdings wird sie nicht erst durch diese – wie auch immer geartete – Ausbreitung zur Mode, sondern ist es bereits, wenn sie vom Spezialistentum als solche ›freigegeben‹, d.h. ausgehandelt wurde. In diesem Buch wird also vom Wirken eines starken Modespezialistentums ausgegangen, welches für die KonsumentInnen diese Verhandlung ausführt und die getroffenen Entscheidungen an sie weitervermittelt. Ihre Funktion und Position als Filter ist trotz aller Demokratisierungs- und Mediatisierungstendenzen ungebrochen. Denn nicht nur die KonsumentInnen, sondern auch die DesignerInnen haben ein Interesse daran, dass Mode vom Spezialistentum registriert und gefiltert wird, um nicht in der Flut der vielen Angebote unterzugehen. Das bislang Besprochene soll zusammengefasst werden: Um das Neue in der Mode zu untersuchen, sind verschiedene Herangehensweisen möglich. Während Loschek die Inventions- und Innovationsstrategien der DesignerInnen sehr stark gemacht hat und an vereinzelten Stellen auf den »Betrachter« zu sprechen kommt, umgehen Lynch und Strauss die schwierige Frage danach, wie das Neue in die Mode kommt, indem sie Motoren des Modewechsels herausarbeiten. Dabei weisen sie den KonsumentInnen alle Entscheidungsgewalt zu, die getrieben werden von verschiedenen intra- und interindividuellen Energien und Mechanismen. Die Soziologin Veronika Haberler untersucht in ihrer Dissertation anhand einer empirischen Studie Mode(n) als Zeitindikator. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die These, Mode sei die Manifestation von Zeitgeist: »Erfolgreich werden Moden also dann – so meine These – wenn sie die kollektiven ReizThemen antizipieren und ihnen einen expliziten Ausdruck verleihen. Nur in diesem Fall werden aus potenziellen auch tatsächliche Moden. Dann nämlich, wenn die Saat der potenziellen Mode-ProduzentInnen auf den schon gesellschaftlich bearbeiteten und deshalb modefruchtbringenden Boden fällt. Die Fähigkeit, diese (Nähr-)Böden – von den KreateurInnen als Stimmung bezeichnet – einer Gesellschaft zu erkennen, ist sowohl als intuitives, aber auch als explizites Wissen bei Mode-ProduzentInnen gegeben. […] Modisch wird, was einen Nerv der Zeit trifft, denn potenzielle Moden keimen nur auf passendem Grund und Boden. […] Mode reflektiert, interpretiert, kommentiert Zeitgeschehen.« (Haberler 2012, 19f.)

differenziere: »Inevitably, therefore, the new fashion finds itself in a kind of dialectical relationship with the extant one« (ebda., 130). Davis betont außerdem in Berufung auf Hollander (1978, 351), dass die Inspiration der DesignerInnen darin liegen, genau das zu erschaffen, was die (weiblichen) Konsumenten unbewusst wollen (Davis 1992, 132). Näher geht Davis jedoch nicht auf das Wesen des Neuen ein.

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Um sich der Mode als »Zeit-gemäßes Verhalten« (ebda., 77) zu nähern, beschäftigt sich Haberler mit den Techniken, Instrumenten und »Logiken« von Kreativität, deren sich die ModeschöpferInnen im Designprozess bedienen, um Neues zu präsentieren. Wie das Neue mit dem Zeitgeist in Verbindung steht wird nur teilweise deutlich, allerdings sind die Begrifflichkeiten in Bezug auf das Neue, die Haberler entwickelt, durchaus brauchbar, da sie nicht von bestimmten Beispielen vergangener Moden abgelesen wurden als gewissermaßen induktives Verfahren, sondern deduktiv entwickelt wurden. Haberler weist zunächst darauf hin, dass »trotz des durchwegs hohen Professionalisierungsgrades des Modedesigns« der kreative Akt von Seiten der Kreativen »zum Teil als unerklärlich oder einfach gegeben beschrieben und reflektiert« und von Seiten der KonsumentInnen für einen mystischen und undurchsichtigen Prozess gehalten wird (vgl. ebda., 138). Dabei sei der Ablauf der Inspirationssuche immer gleich, wie Haberler feststellt: »Salopp gesagt: Das Rad wird zwar (teilweise) neu erfunden, jedoch nicht die Art und Weise, wie es zu der neuen Rad-Erfindung kommt.« (Ebda., 162)

Dieser Ablauf der Erfindung sei von der Ausübung kreativer Techniken mittels der Anwendung kreativer Instrumente nach bestimmten kreativen Logiken bestimmt. Die kreativen Techniken (ebda., 163ff.) sind relativ selbsterklärend: Die DesignerInnen beginnen mit der Suche eines Themas (bzw. einer Stimmung, eines Referenzpunktes). Sie halten aktiv Ausschau nach gegenwärtigen, inspirativen Themen, fragen ihre Archive ab; filtern, systematisieren und ordnen diese gesammelten Informationen (beispielsweise in Form von »mood boards«), kombinieren sie miteinander neu durch die Technik des »interpretativen Synthetisierens«, visualisieren die daraus entstandenen Ideen in Skizzen, Texten, textilen Drapierungen oder Modellen, probieren immer wieder alternative Kombinationen und unterziehen das Endergebnis letzten Endes einem ästhetischen und sinnlichen Urteil. Um sich diesen Prozess zu erleichtern, verwenden sie verschiedene Hilfsmittel (ebda., 169ff.), wie beispielsweise das Anlegen eines eigenen Fundus (mit Stoffproben, modehistorischen Büchern, Fotografien etc.), das Erstellen einer Collage oder eines »mood boards«, die Anfertigung von Prototypen mithilfe von Visualisierungsinstrumenten (Papier und Stift, PC, Schneiderpuppe) oder auch der kreativen Austausch mit anderen modeaffinen Personen im eigenen Umfeld. Interessant sind Haberlers Überlegungen zu den Inspirationsquellen der Kreation. Sie macht eine sehr sinnvolle Unterscheidung zwischen erstens den system-internen Quellen (Zitation und Kombination alter Moden), zweitens den system-affinen Quellen (Bezugsquellen aus Bereichen der Kunst oder des Theaters beispielsweise), drittens den system-fremden Quellen (wie Politik, Weltgeschehen, Religion oder Wirtschaft) und viertens den nicht-archivierten

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Quellen (alles andere, was nicht in kollektiven Gedächtnissen abgespeichert wurde, wie z.B. eigene Erinnerungen). Diese vier Quellen stehen in einem eigentümlichen Verhältnis zueinander, welches Haberler in der folgenden Skizze visualisiert: Abbildung 7: Inspirationsquellen nach Haberler (2012, 176)

Haberler macht in diesem Schema deutlich, dass der Grad des Neuen mit der Entfernung zum Textilen wächst und andersherum das Neuschöpfen mittels system-interner Quellen relativ schwierig, wenn nicht gar mittlerweile unmöglich ist. Diesbezüglich heißt es: »Das kreative Schaffen ist nicht gänzlich frei, sondern gewissermaßen in seinen Möglichkeiten durch charakteristische Determinanten eingeschränkt. Die zu umhüllende menschliche Körperform ist eine solche. Weiters [sic] werden die vorhandenen kreativen Kleidungsschöpfungen bereits als so vielfältig, die kreativen Ausdrucksfelder bereits als so stark bearbeitet wahrgenommen, dass die KreateurInnen kaum mehr Spielraum für ›tatsächlich oder grundlegend Neues‹ sehen. Da es aber ein Gebot der Mode ist, stets auch etwas Neues zu bieten, müssen die kreativen AkteurInnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch das Neue schaffen und in ihren Arbeiten zum Ausdruck bringen.« (Ebda., 194f.)

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Mit dem Steigen des Neuheitscharakters nehme der Anschlusscharakter diametral ab – damit ist gemeint, dass der Übergang von der vorherigen zur neugeschöpften Mode mit dem Grad der Neuheit immer unsanfter wird: »In dem Maße, wie die Entfernung zum Mode-System zunimmt, nimmt in der Regel auch das potenziell Neue zu. Gegenläufig dazu verhält sich die interne Anschlussfähigkeit der Inspirationsquellen: Je näher diese dem Mode-System sind, umso höher ist die interne Anschlussfähigkeit. Man könnte es auch so formulieren: Je größer der Grad der Neuheit, umso größer die Gefahr, dass das (Mode-)Produkt 5 nicht anschlussfähig ist. Folglich muss ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Anschlussfähigkeit und der Notwendigkeit, Neues zu kreieren von den KreateurInnen erfunden werden.« (Ebda., 122)

Bezogen auf die ersten drei Bezugssysteme stellt sich Haberler die Frage, wie das Neue nun aus dem Alten geschöpft werden kann. Sie erklärt, dass das Neue und auch das Alte »eine Frage des Systemstandpunktes« ist (ebda., 121). Je nachdem, in welchem System – d.h. in welchem Archiv – man sich befinde und je nachdem, wie fundiert dieses System sei und welche kollektive Gültigkeit dieses Referenzsystem habe, könne das Eine als alt, das Andere als neu bewertet werden. Das bringe zwar zwangsweise Unsicherheiten mit sich, berge aber auch die Chance, sich durch das Ansammeln von internen, affinen oder externen Wissen abzusichern. Des Weiteren äußert sie sich über das Verhältnis von externen zu internen Quellen. Um das Externe anhand textiler Kreationen vermitteln zu können und damit die Anschlussfähigkeit zu sichern, sei es unumgänglich, die »internen Quellen als Zeichen« zu gebrauchen, um den externen Ausdruck zu verleihen (ebda., 122). Um sich in den Weiten der Möglichkeiten zu orientieren, entwickelt Haberler drei Logiken der Kreation (ebda., 190ff.). Die erste ist die »Logik der einzigartigen Positionierung und individuellen Handschrift«. Hier rät sie, sich in der Modewelt eine Position zu sichern und eine Handschrift zu entwickeln, die den Wiedererkennungswert, die Authentizität und Originalität des Designs gewährleistet. Diese Logik erzeugt zwar eine Kontinuität, die ein Label braucht, grenzt jedoch gleichzeitig die kreative Entfaltung ein. Denn die zweite Logik, die »des Neuen oder des so noch nicht Bekannten« besagt, dass etwas erschaffen werden muss, dass in Abgleichung mit den oben genannten Systemen als neu erscheint. Die Lösung sieht sie in der Einhaltung der dritten Logik, der der »multiplen Anschlussfähigkeit«. Diese Logik – oder Strategie könnte 5  |  Das (Mode-)Produkt ist laut Haberlers Definition ein Produkt, welches das Potential hat, zur Mode zu werden. Wenn sich ein (Mode-)Produkt durchsetzt – und hier steht Haberler klar in der Tradition der soziologischen Diffusionstheoretiker Everett und Davis – dann ist es ein Mode-Produkt, geschrieben ohne Klammern (vgl. Haberler 2012, 24).

IV. Die Behauptung des Neuen

man vielleicht treffender sagen – teilt sie wiederum in die »anwendungsbezogene Anschlussfähigkeit«, in die »mediale Anschlussfähigkeit« sowie die »historische Anschlussfähigkeit«, die in einer ausgewogenen Kombination – zumindest theoretisch – zum Erfolg führen müssten (vgl. ebda., 216). Die anwendungsbezogene Anschlussfähigkeit, die man einerseits durch vornehmlich system-interne Bezüge und andererseits durch die Wahrung der eigenen Identität (Logik 1) erreiche, ziele auf die KonsumentInnen ab, die zwar etwas Neues, jedoch nichts Untragbares, Unkombinierbares oder Unbezahlbares kaufen wollen. Die mediale Anschlussfähigkeit ziele, wie der Name schon sagt, auf die MedienvertreterInnen ab, die insbesondere durch das Neue schockiert, verzaubert, wach gerüttelt werden wollen. Man erzielt sie, indem man wenige system-interne Verweise anbringt und darauf achtet, dass das Neue tatsächlich in einem Gegensatz zum Alten steht (Logik 2). Die dritte, »historische Anschlussfähigkeit« beziehe sich auf ihre Ausgangsthese, dass das Neue als Spiegel des Zeitgeistes fungiere (ebda., 208ff.), was insbesondere durch Referenzen auf system-affines und -fremdes Wissen bewerkstelligt werden könne. Dabei problematisiert Haberler den sog. »reziproken Kreationsprozess«, mit dem gemeint ist, dass das in der Kreationsphase aufgenommene Zeitgeschehen in der Phase des Verkaufs ja bereits mindestens ein halbes Jahr alt ist. Durch die kreative Neu-Interpretation von alten und gegenwärtigen Versatzstücken (vgl. Techniken) schaffen es die DesignerInnen jedoch, etwas Neues und somit Zukunftsweisendes zu entwerfen. Haberler kommt zu dem Schluss, dass sich in der Mode »das Historische, als grundlegender kommunikativer Sprachsatz, das Gegenwärtige – in der jeweils getroffenen Selektion ihrer Elemente – und das Künftige, als produktive Antwort auf die aktuelle Zeit« begegnen und sie somit »ein dreifacher Indikator von Zeit [sind]: Von einer Zeit, die war, einer Zeit, die ist und einer Zeit, die noch kommen wird« (ebda., 235). Die Annahme des vorliegenden Buches, dass die Atmosphäre einer Modenschau als das Neue der Mode fungieren kann, könnte am ehesten mit der Logik der medialen Anschlussfähigkeit verglichen werden. Haberler geht davon aus, dass die Modenschau insbesondere für die Medien abgehalten wird: »Die Modeschau [sic!] ist in erster Linie ein Mittel zum Erlangen von Aufmerksamkeit und orientiert sich an den Erwartungen der ModeakteurInnen. Diese selektieren die auf den Modewochen gezeigten Modekollektionen, wobei der Befund der MedienakteurInnen darüber entscheidet, ob eine Kollektion als berichtenswert oder nicht [… erachtet wird]. […] Um die Wahrscheinlichkeit der medialen Aufmerksamkeit […] zu erhöhen, […] konzipieren [die KreateurInnen] ein möglichst auffälliges (Medien-)Ereignis rund um ihre Kollektion. Dies bedingt, dass die Modenschau in ihrer Inszenierung und ihrem Ablauf vielmehr einer einmaligen Theaterveranstaltung ähnelt. Faktoren, die das Interesse

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode der Medien erhöhen, sind einerseits der Grad an Originalität der Schau (darunter auch die Kollektion) und andererseits auch der mediale Mehrwert des Ereignisses Modeschau [sic!], der sich beispielsweise in den prominenten Gästen der ›front row‹ ausdrückt.« (Ebda., 158)

In der Modenschau werden folglich die MedienakteurInnen zum einen mit einer spektakulären Show angesprochen, zum anderen mit einer überspitzten Kollektion (bestehend aus den sog. »showpieces«), die wenig damit zu tun hat, was später von den EinkäuferInnen bestellt wird.6 Interessant ist der Punkt, dass Haberler die Originalität der Show unterstreicht. Wie ist die Originalität einer Modenschau zu gewährleisten? Muss nicht auch eine Art kollektives Gedächtnis der vergangenen Shows vorhanden sein, um zu beurteilen, ob eine Inszenierung originell ist oder nicht? In welcher Form werden Atmosphären abgespeichert, wie verglichen? Auf die Atmosphäre kommt Haberler ebenfalls zu sprechen, benutzt jedoch den Begriff der Stimmung. Wichtig sei nämlich, dass das in der Inspirationsphase gewählte Thema, bzw. die Stimmung in der Modenschau vermittelt werde: »Der Inszenierung der Kollektion wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da dieser Präsentationsrahmen wesentlich die Wahrnehmung der gesamten Kollektion seitens des Publikums bzw. der weiteren Mode-AkteurInnen beeinflusst […]. Das Umfeld und der Rahmen der Präsentation formen die Wahrnehmung der AkteurInnen in hohem Maße mit. Sie bilden den Kontext, vor dem das Gesehene – also die eigentliche (Mode-) Kollektion – zu interpretieren ist. Insbesondere soll dies der zu Beginn festgelegte Ausgangspunkt der Kollektion sein: die Stimmung.« (Ebda., 156)

Die Stimmung, die in der Modenschau erschaffen wird, fungiert laut Haberler als eine Art Köder. Durch sie soll ein Image aufgebaut werden, welches sich auf die Produkte überträgt, die den eigentlichen Umsatz des Unternehmens ausmachen (Parfüme und Kosmetika): »Dieser Aufwand wird in erster Linie der MedienakteurInnen bzw. der medialen Aufmerksamkeit wegen betrieben, um das Label (und dessen Produkte) entsprechend medial zu positionieren. Dabei ist das Image der Marke von größerer Bedeutung als die eigentliche Kollektion. Denn das allgemeine Image der Modemarke überträgt sich auf sämtliche Produkte, die unter diesem Markennamen vertrieben werden; insbesondere Kosmetikartikel und Parfüm. Und diese wiederum sind – anders als die eigentliche Bekleidungskollektion einer hochpreisigen Marke – tatsächlich für den Massenmarkt 6  |  Haberler bezieht sich hier auf eine Aussage der Einkäuferin Liane Taucher Hohenbichler, wonach 50-80 % der Laufstegkollektion in der gezeigten Form nicht zu erwerben sei (vgl. Haberler 2012, 207).

IV. Die Behauptung des Neuen gemacht. All diese Konsumprodukte profitieren von der sorgfältigen medialen Inszenierung der einzelnen Kollektionen und stellen eine (wenn nicht sogar die wichtigste) Einnahmequelle dieser großen Modehäuser dar. Insofern kann man mutmaßen, dass die eigentliche Kollektion nur Mittel zum Zweck ist; zumindest bei den ganz großen Mode-Konzernen. Dies soll nur als Randnotiz an dieser Stelle Erwähnung finden.« (Ebda., 159) 7

Diese »Randnotiz« ist m.E. jedoch der springende Punkt und öffnet eine Umwertung und Repositionierung der Modenschau im Modezyklus. Wie kann eine Atmosphäre bzw. Stimmung derart selbstständig existieren, wie sich auf die Produkte übertragen? Wer vollzieht diese Übertragung bzw. Kopplung? Es seien noch einige Autoren genannt, die sich in Artikeln mit dem Neuen beschäftigt haben. Hierbei handelt es sich um einen Aufsatz der uns bereits bekannten Ingrid Loschek (2008), ein Jahr später entstanden als ihre oben besprochene Monografie, sowie um einen des Designers Dirk Schönberger (2011), der für Joop! designte und nun für Adidas (»sport style division«) tätig ist. Beiden geht es um den Begriff der Avantgarde, der hier bislang noch nicht beleuchtet wurde. Loscheks zu Beginn angeführte Feststellung, innovatives Design zeichne sich durch einen antizipatorischen Anspruch aus (vgl. Loschek 2008, 46), war bislang nur von Benjamin im Passagenwerk angesprochen worden (vgl. Kapitel II.1.), jedoch in keiner Arbeit – außer ansatzweise in der oben genannten Dissertation von Haberler – eingehender untersucht wor-

7  |  Diese Vermutung wird in einem Interview mit Michael Michalsky bestätigt. Auf die Frage von Journalist Gregor Isenbort, was Michalsky in einem Zeitungsartikel mit »Mode ist Unterhaltung« meint, antwortet Michalsky: »Wenn man eine Fashion-Show macht – und ich mache alle sechs Monate eine –, dann tauchen dort Medien auf, die früher nicht aufgetaucht sind. Vor zehn, fünfzehn Jahren war ein Mode-Event ein exklusiver Event für Einkäufer und Fachkräfte. Heutzutage ist er aber ein genauso wichtiger Event für die Yellow Press oder für irgendwelche Promis, die dort aufschlagen. Das hat einfach damit zu tun, dass sich Mode sehr erweitert hat und dass viele eine Fashion-Show auch als Marketing-Tool benutzen. Hier kann man viel Aufmerksamkeit erhalten Und viele, die eine große Fashion-Show machen, die verdienen ihr Geld nicht mit Kleidung, sondern mit Kosmetik oder Lizenzen auf Sonnenbrillen, Parfüm, Socken oder Unterwäsche. Und wenn das dann bei ›RTL Exklusiv‹ rauf und runter läuft, oder in der ›Bunten‹ oder der ›Gala‹ erscheint und von Frauen gelesen wird, die sonst keinen Bezug zu dieser exklusiven Welt haben, dann haben die natürlich einen Aufhänger für den Muttertag und wünschen sich einen Lippenstift von Chanel, weil sie gesehen haben, was das für eine tolle Show war.« (Michalsky u. Isenbort 2011, 161)

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

den.8 In diesem Artikel beschäftigt sich Loschek mit dem Begriff der Avantgarde, den sie nicht als zeitliche, sondern als »inhaltliche Positionierung ästhetischer Experimente aus der Gegenwart heraus, um Zukünftiges vorzubereiten«, versteht (ebda., 47). Dadurch, dass die Avantgarde Konventionen in Frage stellt, Traditionen verlässt und neue Entwicklungen anstößt, »ist [sie] die Vorhut einer neuen Wirklichkeit« (ebda.). Die letzte Avantgarde-Welle, die Loschek identifiziert, sei die der japanischen DesignerInnen und dekonstruktivistischen DesignerInnen der 1990er Jahre. Seitdem habe sich der Begriff der Avantgarde verschoben. Dies macht Loschek daran fest, dass der Begriff der »Designermode« an die Stelle von »Avantgarde« getreten sei, was eine Kommerzialisierung der extremen Position der Avantgarde verdeutliche: »Avantgarde ist eine Bewegung, die einen gesellschaftlichen Neuanfang mit künstlerischen Utopien versucht. Jedoch ist in westlichen Kulturen die Skepsis gegenüber Utopien größer denn je, so dass sich die Gesellschaft mit ›Designermode‹ anstelle von ›Avantgarde‹ zufrieden gibt.« (Ebda.)

Wenn man die Avantgarde tatsächlich nur auf die Kleider-Mode bezieht, ist diese Argumentation nachzuvollziehen. Hier wird dagegen der Standpunkt vertreten, dass sich der Ort der Inventivität, d.h. die Quelle des Avantgardistischen, vom Modedesign zum Modenschaudesign verschoben hat. Loscheks Annahme, die Avantgarde dekonstruiere »vertraute Formen und bring[e] eine unvertraute Sichtweise mit ein, in der man ›seinen Augen nicht trauen kann‹, das heißt nichts Abruf bares im Gehirn gespeichert ist« (ebda.), ist ein griffiger Gedanke für das, was die ZuschauerInnen in der Modenschau zu sehen bekommen. Die Atmosphäre einer Modenschau als etwas Avantgardistisches, mit Traditionen Brechendes zu verstehen, ist eine Überlegung wert. Bei der Betrachtung von Dirk Schönbergers Gedanken zur Avantgarde-Mode wird deutlich, dass vor allem der Tabubruch ausschlaggebend ist: 8  |  Loschek ging allerdings schon selber an einer Stelle der 1991 entstandenen Monografie im Rahmen einer Diskussion des Begriffs der Kreation auf den bzw. die DesignerIn als »Antizipator« ein: »Der Modeschöpfer ist Vordenker, ›Antizipator‹, das heißt, seine gedankliche Schöpfung erfolgt vor der Erfahrung mit dem Neuen! Vom Modeschöpfer wird ein Vorgriff auf die Zukunft erwartet. Sein Schaffen ist immer Teil der Zukunft. Er muß Gedanken des Publikums – nicht unbedingt Meinungen, die ihn zu sehr erfolgsabhängig machen würden – vorausdenken. […] Akzeptanz kann [jedoch] nur erreicht werden, wenn sich eine Mode mit der gegenwärtigen Lebens- und Denkart deckt. […] Da die Arbeit des Modeschöpfers auf Ideen und Intuition beruht, werden nicht alle seine Kollektionen gleichmäßig erfolgreich sein. Es gibt genug Beispiele, da Modevorschläge keine Anerkennung fanden, sich nicht durchsetzten. Der Designer muß Traditionen sprengen, aber innerhalb der kulturimmanenten ›Verzerrungsgrenze‹.« (Loschek 1991, 237f.)

IV. Die Behauptung des Neuen »Es ist einfach zu sagen, dass es alles schon mal gegeben hat und es deshalb keine Neuerungen mehr geben kann. Sicher, zu den Zeiten von Chanel, Dior, Vionnet war es vielleicht einfacher, etwas Neues zu bringen, weil es in der Gesellschaft noch viele Tabus bzw. strengere Werte und Normen gab. Eine Frau wie Marlene Dietrich in Herrenkleidung war ein fast revolutionäres Signal. Heute sind diese Grenzen weitestgehend abgeschafft. Modemacher, die mit ihren Kollektionen ›Geschichten‹ erzählen, wie Alexander McQueen und John Galliano, arbeiteten sich an Historischem, gemischt mit Cinemascope-Gefühlen, ab. Dabei wurden im Fall von McQueen extremste Gefühlswelten kreiert, die als Bilder immer bei uns bleiben. Oft war es aber auch eher die Inszenierung als das einzelne Kleidungsstück.« (Schönberger 2011, 243)

Das System kann diesem Zitat zufolge dann erneuert werden, wenn die Aussagen (»Werte und Normen«), durch die es formiert wird, in Frage gestellt werden können, was er mit einem Tabubruch umschreibt. Schönberger weist jedoch darauf hin, dass das System, das heutzutage gültig ist, keine Tabubrüche mehr zulässt, weil keine restriktiven Aussagen mehr vorhanden sind. Er beobachtet eine Verschiebung dahingehend, dass die DesignerInnen mit ihren Modenschauen Gefühlswelten evozieren, die als Bilder »immer bei uns bleiben« – d.h. in einem kollektiven Gedächtnis archiviert werden. Das Gedächtnis der Bilder von Modenschauen wird hier als ein neues Subsystem innerhalb des Mode-Gedächtnisses verstanden, welches (noch) Tabubrüche zulässt, da es erst vor wenigen Jahrzehnten (seit den 1980ern) formiert wurde. Zum Schluss sei noch auf einige Publikationen hingewiesen, die Innovationen der Modegeschichte anhand konkreter Kleidungsstücke retrospektiv nachzeichnen. Joachim Bessing (2011) beispielsweise bespricht den »Monokini« von Rudi Gernreich aus dem Jahre 1964 in Hinblick darauf, wie die Rezeption und Akzeptanz einer Innovation im Modebereich von der Darstellung in einer bestimmten Fotografie mit einem bestimmten Model (Peggy Moffitt) abhängig ist. Gundula Wolter (2011a) erörtert Kleiderprovokationen des 19. und 20. Jahrhunderts und ihren Erfolg respektive Misserfolg. Anhand des Bloomer-Kostüms von 1851, der Reformkleidung der 1880er Jahre, des Hosenrocks der 1920er Jahre, des »New Looks« und des Bikinis nach dem 2. Weltkrieg sowie anhand des Minirocks und den Hotpants in den 1960/70er Jahren erklärt Wolter, dass »Kleidung auf das Engste mit Vorstellungen von Idealkörpern, Rollenzuweisungen und Lebensrealitäten verbunden ist« (Wolter 2011a, 229). Bei »radikalen gesellschaftlichen Veränderungen«, die diese Kategorien betreffen, waren es »häufig zuerst die Kleider, die geändert wurden« (ebda.) – womit wieder auf den antizipatorischen Charakter der Mode angespielt wird. Den Erfolg bzw. Misserfolg einer solchen modischen Veränderung macht sie daran fest, dass sie manchmal nicht in ihre Zeit passen:

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »Stellen sie in grenzverletzender oder verstörender Weise tradierte Werte in Frage, ohne dass eine Mehrheit zum Wechsel bereit ist, […] sind Fehlschläge vorprogrammiert.« (Ebda., 230)

Der von Schönberger angeführte Tabubruch kann also erst Jahre oder Jahrzehnte später Früchte tragen – früher und später setzen sich Erfindungen durch, wie Wolter demonstriert.9 Adelheid Rasche (2008) gibt einen Überblick darüber, wie die Mode des Rokoko, und insbesondere der Reifrock, in seiner Entstehungszeit rezipiert wurde (z.B. durch Karikaturen) und ModeschöpferInnen der Moderne (z.B. Dior) und Postmoderne (z.B. Galliano) als Inspirationsquelle diente. Die Liste der AutorInnen, die sich mit bestimmten »modischen Errungenschaften« deskriptiv auseinandersetzen, ließe sich noch beliebig fortsetzen. Einen knappen Überblick gibt indes Harriet Worsley (2011) über die 100 bemerkenswertesten Innovationen des Modedesigns: Während ein Großteil dieser Aufzählung bestimmte Kleider betrifft, gibt es auch hier und dort Modesystem-bezogene Neuerungen, wie die Einträge über »Die Modenschau als Theaterspektakel«, »Celebrities« oder »Das Internet« belegen. Zusammenfassend seien alle Aspekte des Neuen, die hier bislang besprochen wurden und relevant erscheinen, in Beziehung zueinander gesetzt: Für das Neue wurden explanatorisch und teilweise synonym andere Begrifflichkeiten benutzt, wie »das Modische«, »Avantgarde«, »Innovation«, »Invention« und »Kreation«. Das Neue entsteht in Folge einer Inspiration und diese Inspiration ist nur dann möglich, wenn der Inspirierte eine bestimmte Freiheit genießen kann. Voraussetzung für die Geburt von Neuem ist die Eingebundenheit in bzw. die Opposition zu einem System, einer Theorie, einem kulturellen Gedächtnis bzw. einer Ordnung, in der Altes und Neues in einem dichotomischen und/oder dialektischem Verhältnis zueinander stehen. Das Neue ist nur dann erkennbar, wenn es Regeln oder Tabus des Systems bricht oder in Abgleich mit dem Alten hervorsticht, dabei aber trotzdem nicht seine Anschlussfähigkeit zum System riskiert, denn sonst wird es nicht erkannt und ist nicht eingliederungsfähig. Die Funktionen des Neuen sind zum einen die Destabilisierung und gleichzeitig Stabilisierung des Systems (denn nur wandlungsfähige Systeme sind überlebensfähig), das Zitieren von Vergangenem, das Anzeigen von Gegenwärtigem oder auch das Antizipieren von Zukünftigem sowie die Bewältigung der daraus resultierenden Kontingenz. Je nachdem, auf welches System sich das Neue bezieht, können sich vier Kategorien des Neuen unterscheiden lassen: das modesystem-interne, das modesystemaffine, das modesystem-fremde und das nicht-archivierte Neue. Stellenweise wird die Generierung von Neuem als ein mystischer Prozess beschrieben, 9 | Hiervon geht im Übrigen auch Ingrid Loschek aus (vgl. beispielsweise Loschek 2007, 159).

IV. Die Behauptung des Neuen

dann wiederum als vorhersehbar (oder offensichtlich) oder als rückschrittlich, wenn es als Zitat daherkommt. Auch wenn die bislang zusammengetragenen Aspekte des Neuen aus der Modetheorie und -geschichte nicht ausschließlich auf kleidungsgebundene Merkmale reduziert sind, sondern auch auf andere Bereiche des kreativen Schaffens übertragbar zu sein scheinen, bilden sie m.E. keine ausreichende Argumentationsbasis, um zu erklären, wie Modenschau-Atmosphären das Neue der Mode erschaffen. Aus diesem Grund soll das Neue weiterhin im Fokus der Analyse stehen. Im Folgenden werden weitere Aspekte zur Bestimmung des Neuen der Mode aus überwiegend kunstphilosophischen Schriften herausgearbeitet, um dann den Gegensatz zwischen dem Erscheinen eines ›wahren‹ Neuen und der Behauptung des Neuen zu diskutieren. Im Anschluss folgt die Übertragung der Erkenntnisse über das Neue auf den Bereich des kreativen Erschaffens einer Atmosphäre und somit die Behauptung eines immateriellen Neuen. Das bis dahin Entwickelte wird im letzten Punkt dieses Kapitels in Form einer Theorie des Neuen der Mode resümiert.

2. W eitere G esichtspunk te des N euen In der Philosophie, der Medientheorie und den Kunst- und Ritualwissenschaften kam die Diskussion über das Neue Anfang der 2000er ins Rollen. Anlass gab die Publikation von Boris Groys Über das Neue aus dem Jahre 1992, welche seitdem ausführlich rezipiert wird. Dabei unterscheiden sich diese Diskussionen von den soziologischen und ökonomischen Debatten der 1960er Jahre (z.B. Everett Rogers) dahingehend, dass nun die Konturierung des Wesens des Neuen stärker im Fokus steht sowie die Übertragbarkeit der Konzepte auf andere Bereiche kreativen Schaffens. Zuvor hingegen wurden insbesondere die Phasen der Verbreitung und die Typifizierung von (oft technischen) Inventionen durch verschiedene »adopters« untersucht. Im Folgenden werden einige Gesichtspunkte des Neuen besprochen, die auf dem Weg zu einer Bestimmung des Neuen der Mode als richtungsweisend erachtet werden. Auch wenn die meisten Ansätze zum Neuen in der Philosophie zu finden sind, kann an dieser Stelle weder eine gemeingültige philosophische Begriffsbestimmung des Neuen erbracht werden noch eine umfassende Rekonstruktion der Begriffsgeschichte. Im Zentrum steht nach wie vor das Neue der Mode, das nicht mehr als das kleidungsspezifische Neue gefasst wird – wie das Gros der Modetheoretiker und -historiker es bislang getan haben –, sondern in seiner vermuteten Immaterialität anders definiert werden muss. Um die Gesichtspunkte adäquat und überblicksartig zu skizzieren, bietet es sich an, nicht chronologisch vorzugehen, sondern verschiedene Begriffsbündel zu bilden, von denen die kursiv gedruckten als Schwerpunkte betrachtet

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

werden können und im Folgenden ausgeführt werden: Qualität/Wert/Interpretation/Sinn; Kreativität/Genialität; Originalität/Das wahre Neue; Das Alte/Das Traditionelle/Das Ritual; Emergenz; Andersartigkeit/Differenz; Erkennen vs. Erfahren/Aufmerksamkeit/Staunen; Modernität und Experiment.  

Qualität/Wert/Interpretation/Sinn:

Vor Groys’ Über das Neue erschien eine Publikation des Kunsthistorikers Michael Langer (1989) über die Kategorien des Neuen in der Kunst, die einige von Groys’ Gedanken vorwegnimmt. Langer konstatiert, dass der Wert eines Kunstwerkes in dem Verhältnis von Qualität und Innovation liegt. Seit der Kunst des alten Ägyptens, so Langers Vermutung, orientiere sich der Wert eines Kunstwerkes vor allem an einem tradierten Formenkanon, über den eine bestimmbare Qualität gewährleistet werden konnte. Innovation sei dabei lediglich ein Manöver gewesen, um den Kanon an neue Gegebenheiten anzupassen und damit die Kunstqualität zu verbessern. In der modernen und postmodernen Kunst seit 1910 tritt nach Langer die künstlerische Innovation an die Stelle der Qualität. Das Talent der KünstlerInnen werde nun nicht mehr daran gemessen, wie sauber sie sich in eine Tradition integrieren oder wie ›gut‹ sie sie umsetzen oder weiterführen, sondern darin, wie oft und in welcher Form sie sich und ihre Kunst neu erfinden (vgl. Langer 1989, 8). Diese Entwicklung bahnte der Geniekult, der in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt fand. Dennoch existierten neben den ›Genies‹ Schulen, die das Handwerk, die Sujets oder die Handschrift des Meisters kopierten. Erst als die Handfertigkeit der Künstler keine Rolle mehr spielte (Langer nennt die Arbeiten von Marcel Duchamp, Lucio Fontana oder Kasimir Malewitsch) und das Kopieren mit handwerklichem Können nicht mehr notwendigerweise in Verbindung stand, sondern vielmehr die originäre Idee zum Inbegriff der Kunst wurde, stünden Innovationen für sich und erzielten eine »autonome Bedeutung« (vgl. ebda., 137f.): »Für einen großen Teil avantgardistischer Künstler unseres Jahrhunderts hat sich die traditionelle Abhängigkeit der Kunstqualität von der Innovation ins Gegenteil gekehrt. Offenbar getrieben von einer prinzipiell gewandelten Auffassung sahen sie sich zu Innovationen veranlaßt, die ihre Lust zu hoher Kunstqualität unterdrückten.« (Ebda., 141; kursiv i.O.)

Warum kehren die KünstlerInnen der Qualität den Rücken und wenden sich verstärkt der bloßen Innovation zu? »Da die Innovation den finanziellen Wert eines Kunstwerks mitbestimmt, scheint sie eine werthafte Qualität zu sein. Sie ist es jedoch nicht als Qualität des Werkes an sich, sondern nur als Zeugnis der innovierenden Leistungsfähigkeit des Künstlers. Sie be-

IV. Die Behauptung des Neuen weist seine Sensibilität für neue Weltauffassungstendenzen, die der künstlerischen Innovation zugrundliegen, und bildet dadurch meistens eine Voraussetzung für größtmögliche Kunstqualität in einer bestimmten Zeit.« (Ebda., 138)

Der Gedanke, den Langer Groys vorwegnimmt, ist der des Erkennens des Neuen durch ein Abgleichen mit dem Alten. Dies funktioniere allerdings nur, wenn es sich bei dem Neuen um einen innovativen Charakter handele und nicht um eine Verbesserung der künstlerischen Qualität: »Eine kunstinnovative Leistung ist immer nur im Vergleich mit der schon vorhandenen, bereits historischen Kunst festzustellen. Die Größe der Innovation ist wesentlich von der unmittelbar zuvor entstandenen Kunst abhängig. Sie wird daran gemessen, wie weit sie die überlieferte Kunsttradition ändert. […] Kunstqualität wird nicht mit dieser Einsicht in die Abhängigkeit von der zum Vergleich stehenden Tradition als eine relative Größe festgestellt. Kriterien zur Erfassung der Kunstqualität sollen nach Möglichkeit objektive und nicht von vornherein zu relativierenden Gültigkeit haben, auch wenn sich immer wieder erweist, daß sie diesen Anspruch verfehlen. […] Die Qualität eines Kunstwerks soll an ihm selbst ohne Vergleiche mit anderen festzustellen sein. Ob intuitiv oder reflektorisch, immer folgt die Beurteilung der Kunstqualität letztendlich nur aus dem Erlebnis des Werkes durch den Betrachter.« (Ebda., 138f.; kursiv d. AK)

Innovation sei relativ (erkennbar) – Qualität dagegen absolut (erfahrbar). Damit ist gemeint, dass die Innovation nicht direkt erfahrbar ist, sondern erst durch ein kognitives Abgleichen als solches erkannt wird. Da das kognitive Abgleichen nicht jedermanns Stärke ist, wird »[d]ie moderne Kunst des kommenden Jahrhunderts […] der Mehrheit der Bevölkerung weiterhin unverständlich bleiben« (ebda., 215), wie Langer sein Buch schließt. Die Kunstfertigkeit (= Qualität) der ModeschöpferInnen ist zwar nicht, wie Langer für die Kunst behauptet, unwichtig geworden, jedoch ist sie für die Präsentation von Neuem nicht mehr relevant. Der Wert einer Kollektion bemisst sich nicht mehr (nur) an der Qualität oder Inventivität des Modedesigns, sondern an der Qualität oder Inventivität des Modenschaudesigns – so als ob die Rahmen- und Ausstellungsgestaltung eines Kunstwerkes in ihrer Beschaffenheit nun als qualitativ hochwertig/inventiv oder auch nicht bewertet werden würde, während das Kunstwerk selbst es ggf. nicht ist. In der Rahmen- bzw. Ausstellungsgestaltung einer Kleidung – wenn wir bei diesem Gleichnis bleiben – könnte man das von Langer beschriebene Phänomen erkennen: Der Rahmen kann nicht mehr nur über seine Qualität (= eine gut inszenierte Modenschau) überzeugen, sondern muss in Abgleich zu alten Rahmen neu erscheinen. Der schon oft zitierte Boris Groys (1992) brachte zentrale Gedanken zum Wesen des Neuen hervor, die bereits in Kapitel II.2.2. besprochen wurden und – insbesondere die Überlegungen zum Archiv betreffend – von den bislang

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

zitierten AutorInnen in unterschiedlicher Form vorweg-, über- bzw. aufgenommen wurden (vgl. Überlegungen zum dialektischen Verhältnis von Alt und Neu, zum kulturellen Gedächtnis und zum System). Daher seien an dieser Stelle nur die Kernpunkte ins Gedächtnis gerufen: Ausgehend davon, dass das Neue »keine Offenbarung des Verborgenen ist – also keine Entdeckung, keine Schaffung und keine Hervorbringung des Inneren«, sondern etwas, das »von Anfang an offen, unverborgen, sichtbar und zugänglich liegt«, argumentiert Groys, dass Innovationen nicht Objekte selbst sind, die auftauchen oder geschaffen werden, sondern Umwertungen, die bereits bekannte Objekte betreffen (vgl. Groys 1992, 13f.). Wie bei Langer kommen hier bei Groys zwei neue Dimensionen des Neuen zur Sprache, die in den modetheoretischen Abhandlungen nicht betont werden, und zwar die des Wertes und die der Wahrheit: »Die Umwertung der Werte ist die allgemeine Form der Innovation: das als wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und das früher als wertlos angesehene Profane, Fremde, Primitive oder Vulgäre aufgewertet. Als Umwertung der Werte ist die Innovation eine ökonomische Operation. Die Forderung nach dem Neuen gehört somit in den Bereich der ökonomischen Zwänge, die das Leben der Gesellschaft insgesamt bestimmen. Ökonomie ist der Handel mit Werten innerhalb bestimmter Werthierarchien. Dieser Handel ist von allen gefordert, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen.« (Ebda., 14)

Mit dieser Feststellung spricht er sich gegen die Existenz einer absoluten, wahren Innovation aus: »Die Frage nach dem Wert des Werkes ist die Frage nach seinem Verhältnis zu den traditionellen Vorbildern und nicht zum außerkulturellen Profanen, d.h. nicht die Fragen nach seiner Wahrheit oder seinem Sinn. Nicht die Wahrheit begründet den Wert, sondern der Wert eines Werkes macht auch seinen Bezug zur Wahrheit interessant.« (Ebda., 161)

Resümierend ist das Neue für Groys ein in Bezug auf das archivierte Traditionelle Differentes, das erst durch eine von KünstlerInnen eingeleitete Umwertung sichtbar gemacht wird. Die Umwertung erfolgt laut Groys durch den Akt der »negativen Anpassung« (ebda., 23) an die kulturelle Tradition. Die Umwertung eines jeden beliebigen Gegenstandes zu einem »wertvollen Anderen« (ebda., 43) entkräftet die Annahme, das Neue sei eine verborgene Wahrheit, die ans Licht gebracht wird. Das Erkennen des Neuen von Seiten der RezipientInnen geschieht durch die Abgleichung mit dem Tradierten und Archivierten. Somit ist die Archivierung von Traditionellem der Schlüssel zur Produktion von Neuem. Nicht nur wird die genuine Neuheit der Objekte in Frage gestellt, auch relativiert Groys die Genialität der KünstlerInnen, da alle, die das Prinzip der Umwertung und des Abgleichs verstanden haben, etwas Neues schaffen können.

IV. Die Behauptung des Neuen

Günter Figal (2002) bringt einen neuen Gedanken und einen neuen Begriff ins Spiel, nämlich den der Interpretation, der eventuell zu dem Verständnis von Langers Qualität, zu Groys’ Wert und zu Adornos qualitativem Aspekt10 beitragen könnte. Wie nämlich wird das Andere zu einem wertvollen Anderen? Dazu Figal: »Der Versuch einer Ersetzung oder Überbietung des Alten durch das Neue gründet im Grundverhältnis des Interpretierens; bei genauerem Hinsehen erweist er sich als selbstvergessene Spielart der Interpretation.« (Figal 2002, 102f.)

Die Interpretation präsentiert etwas, wie Figal ausführt, das nicht unmittelbar präsent ist. Sie mache etwas sichtbar, dass zwar eigentlich da sei, aber noch nicht in dieser Weise oder in diesem Zusammenhang hervorgehoben wurde: »Die Interpretation ist das Neue gegenüber dem Zusammenhang, aus dem und in dem sie hervortritt. Aber ihre Neuheit ist nichts weiter als die Erscheinungsform dessen, was sie immer schon trägt und was doch nur durch sie selbst zur Geltung gebracht werden kann: der Zusammenhang einer sich vermittelt zeigenden Sache. An diese ist das Neue des Erscheinens rückgebunden; es nimmt sich gleichsam im Sinne der Darstellung, und das heißt: der dargestellten und darin sich zeigenden Sache zurück. Eine Interpretation in diesem Sinne ist etwas Neues, das nicht um seiner selbst willen da sein will und 10  |  Über das Neue bei Adorno, das er selbst nicht als eigenständige Theorie entwickelt hat, hat Sylvia Zirden eine ganze Dissertation geschrieben. Darin heißt es: »Der Begriff des Neuen bezeichnet [bei Adorno] keine bestimmte Qualität. ›Neu‹ wird etwas genannt, was verschieden ist von einem Bestehenden. Das Neue selbst kann nicht positiv bestimmt werden, sondern nur negativ […], nämlich aus dem, wovon es abweicht. […] Die grundlegende und für Adornos Verständnis der Kategorie des Neuen wesentliche Charakterisierung betrifft die Unterscheidung, von temporealem und qualitativem Aspekt des Neuen, die Adorno von Walter Benjamin übernimmt. Das deutsche Adjektiv neu umschließt zwei Bedeutungen, […], ein qualitativ Neues, Verschiedenes […] und ein der Zeit nach Neues: das Jüngste, Frische […] Hinzu kommt noch ein zweiter temporaler Aspekt, der der Augenblickhaftigkeit. […] Die Berücksichtigung dieser verschiedenen Aspekte des Neuen hat zur Folge, daß als Gegensatz zum Neuen nicht – wie allgemein üblich – allein das Alte gelten kann, sondern ebenso das Gleiche und das Dauernde. Bei Benjamin und Adorno ist deswegen ein zweiter Gegenbegriff zum Neuen im Begriff des Immergleichen zusammengefaßt, in dem der qualitative Aspekt (gleich) und der temporale der Dauer (immer) faßbar werden.« (Zirden 2005, 15ff.; kursiv i.O.) Wir halten also fest: Man kann nicht nur das Neue als das Nicht-Alte verstehen, sondern aufgrund seiner Eigenschaften als »das qualitativ Verschiedene« und als »das gerade (jetzt!) Aufkommende« auch als das Gegenteil vom Immergleichen. Eine kürzere Abhandlung findet man bei Wesche 2002.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode höchstens peripher, gegen andere Interpretationen, als Neues gegenüber einem Alten profiliert werden könnte.« (Ebda., 106)

Dies führt Figal zu der Erkenntnis, dass Tradition »erst zu Bewußtsein [kommt] und […] erst beschworen werden [kann], wo sie durch die Innovationsdynamik angegriffen oder beschädigt ist; sie erscheint im Moment ihres Verblassens« (ebda., 102). Figal suggeriert hier, dass die Frage nach der Entstehung des Neuen aus dem Alten eine falsch gestellte ist, sondern danach gefragt werden muss, wann das Alte als das Alte erkannt wird – nämlich dann, wenn durch eine neue Interpretation das Alte oder Aspekte des Alten in einem neuen Licht erscheinen und umgewertet werden. Ekaterina Svetlova (2008) geht noch einen Schritt weiter, indem sie unter Innovation nicht nur einen Umwertungs- oder Interpretations-, sondern gar einen Sinnstiftungsprozess versteht (vgl. Svetlova 2008, 166). Der Übergang vom Alten zum Neuen sei somit ein Übergang vom Sinnlosen zum Sinnvollen, für das mehrere AkteurInnen einer Gesellschaft verantwortlich sind, die in »sinnschöpfenden Wechselwirkungen und Beziehungen« zueinander stehen (ebda.). Damit argumentiert sie gegen die Verantwortung eines einzelnen Individuums, von dem sie bezweifelt, dass es »das unsichtbare Neue wirklich alleine sehen und intendieren, die Resignifikationsprozesse ausschließlich aus eigener Kraft und eigenem Willen einleiten und steuern« kann (ebda., 170). Stattdessen plädiert sie auf die sog. »Konkreativität« mehrerer AkteurInnen, die als soziale Interaktion das Neue erzeugen. Mit der Erzeugung fängt das Neue an zu gelten – wobei Svetlova die Möglichkeit einräumt, dass das Neue bei fehlender oder negativ ausgehender Interaktion/Verhandlung unbeachtet verschwindet (vgl. ebda., 174). Dadurch, dass das Neue bei Svetlova in einem Zeit beanspruchenden sozialen Prozess entsteht, wird auf eine notwendige Dauer hingewiesen, die andere AutorInnen als Gefahr der ›Veraltung‹ sehen. Nicht so Svetlova, die, Birger Priddat (2005, 83) zitierend, konstatiert: »Vieles Neues taucht auf, aber persistiert nicht. Nicht, dass etwas neu ist, macht die Innovation aus, sondern dass es bleibt […] und neu bleibt. Das ist das entscheidende Paradox: das Neue muss bleiben, um als neu gelten zu können. Denn nicht das blitzartig als neu Aufscheinende ist von Bedeutung, sondern das bleibende Neue.« (Ebda., 175)

Die Bewertung der Dauer bzw. Beständigkeit des Neuen als Kriterium seiner tatsächlichen Neuheit betont auch der Literaturwissenschaftler und Essayist Ulrich Schödlbauer (2008), als es heißt: »Die Neuheit des Neuen findet sich an der Grenze zwischen ertüftelter Möglichkeit und Ereignis […]. Nicht das Ereignis selbst ist neu – sonst wäre, da Ereignisse Singularitäten sind, alles neu, was geschieht –, sondern das, was mit ihm eintritt: die nunmehr verbürg-

IV. Die Behauptung des Neuen te Aussicht, dass das, was sich da ereignet, immer und immer wieder geschieht oder zu geschehen vermag.« (Schödlbauer 2008, 75)

Michael Sukale (2008) sieht das anders. Er vertritt die These, dass das Neue in dem Moment, in dem es auf die Welt kommt, automatisch alt wird: »Völlig neue Dinge oder Gedanken sind nicht sogleich begreifbar oder benennbar, sie halten sich für den, der sie erfährt, in einem Niemandsland auf, und wenn sie dann schließlich aus diesem Niemandsland heraustreten und begreifbar und benennbar geworden sind, sind sie auch nicht mehr neu, denn Begriffe haben es abgegrenzt und ein Name hat es auffindbar gemacht. […] Wir wollen es [das Neue] in die Begriffe des Begriffenen und Benannten zwingen, aber dies ist unmöglich, weil es zu seiner Bedeutung gehört, gerade nicht begriffen und benannt zu sein, und sobald uns dies dennoch und schließlich gelingt, haben wir Neues – wir wissen nicht wie – zu seinem Gegenteil – zu Altem gemacht. Auch das Neue ist wie das Suchen und Lernen ein Übergangs- oder Schwellenbegriff, der logisch schwer zu fassen ist.« (Sukale 2008, 10ff.; kursiv i.O.)   Kreativität/Genialität:

Andere AutorInnen, wie der Psychologe Franz Emanuel Weinert (1997), halten im Rahmen der Diskussion um Inventionen bzw. Innovationen und Kreativität an der Idee des Genies fest sowie an dem Moment der genialen Eingebung. Das Genie, so stellt Weinert heraus, lässt sich an drei Merkmalen erkennen: erstens an sich früh in der Kindheit zeigenden Talenten und Begabungen, die zweitens die Betroffenen »zu außergewöhnlichen kulturellen Leistungen, zur Produktion völlig neuer Ideen und Werke, die im Widerspruch zum bisher Üblichen, Gewohnten und Akzeptierten stehen und die von der Mit- und Nachwelt als besonders bedeutsam und wertvoll beurteilt werden«, befähigen (vgl. Weinert 1997, 202). Die Produktion solcher genialen geistigen Erkenntnisse und künstlerischen Erzeugnisse kostet dem Genie drittens keine Kraft, sondern ist Folge »unbewußt wirksamer Kräfte«. Der schöpferische Prozess läuft dabei laut Weinert in vier Phasen ab, nämlich zuerst in der Präparationsphase, in der sich das Individuum mit einer bestimmten Frage oder Problem beschäftigt, dann in der Inkubations-Phase, in der die Lösung unterbewusst gefunden wird, darauf in der Phase des Illuminationserlebens, in der die Lösung dem Individuum bewusst wird (beispielsweise als Eingebung) und schließlich in der Verifikationsphase, in der es für seine Umwelt die Beweisführung für etwas, was ihm schon klar ist, entwickeln muss. Diese Ausführungen sind hilfreich, um das Schaffen eines Mozarts oder da Vincis nachzuvollziehen, jedoch nicht, um zu untersuchen, wie das Neue entsteht. Da Weinert jedoch die Rolle des Individuums für den kulturellen Fortschritt untersuchen will, stellt er den Bezug des Genies zu seiner Umwelt in fünf Paradoxien her:

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »[1] Nur der einzelne Mensch ist aufgrund seiner geistigen Ausstattung fähig, bedeutsam Neues zu entdecken oder zu erfinden, doch vermag er das lediglich in Form dosierter Diskrepanzen zum jeweils erreichten kulturellen Entwicklungsstand. [2] Geniale und kreative Menschen zeichnen sich durch ein besonderes Niveau angeborener Begabung aus, doch müssen sie erst Wissen erwerben, damit aus kreativen Fähigkeiten kreative Leistungen werden. [3] Kognitive Kompetenzen sind zwar notwendige Voraussetzungen kreativer Leistungen, doch spielen motivationale Faktoren eine gleichermaßen wichtige, oft unterschätzte Rolle. [4] Kreative Individuen brauchen eine kreative Umwelt, um geistige, künstlerische oder praktische Höchstleistungen zu erzielen. [5] Intelligenz, Phantasie und Kreativität sind geistige Potentiale, die zwischen Menschen sehr unterschiedlich verteilt sind, zu ihrer individuellen Entfaltung aber stets des intelligenten Wissens bedürfen. Erst die phantasievolle Nutzung intelligenten Wissens macht das menschliche Denken kreativ.« (Ebda., 206; hier gekürzt dargestellt)

Zusammengefasst sei ein Genie ein einzelner Mensch, der vor dem Hintergrund von angeeignetem Wissen (was der Idee des »angeborenen Talents« wiederspricht) sowie vor dem Hintergrund irgendeiner Motivation (z.B. die Lösung einer Problemstellung) in einem kreativen Umfeld (also doch nicht ›einzeln‹) etwas Neues in Diskrepanz zum Alten entwickelt (was den Ideen des »völlig Neuen« und der »Inkubationsphase« wiederspricht, s.o.). Insgesamt ist dieser Artikel recht widersprüchlich. Im selben Sammelband bemüht sich – in Bezug auf Groys – der Theologe und Philosoph Jürgen Werner (1997) derweil um eine differenziertere Perspektive, die der Bedeutung eines kollektiven Gedächtnisses und sozialen Umfelds gerecht wird, indem er sich auf die Rahmenbedingungen kreativen Schaffens konzentriert. Zentral in seiner Abhandlung ist die Idee des notwendigen Müßiggangs (vgl. Werner 1997, 212). Der bewusste Müßiggang (stellenweise pointiert Faulheit genannt), zu dem man sich in unserer heutigen Gesellschaft fast zwingen muss – Werner spricht hier von der Notwendigkeit der Störung von Gewohnheitsstrukturen –, ermöglicht Zeit zum Gedankenschweif, zur Kontemplation, zum Hirngespinst, zum Gedankenexperiment, zum Denken des Undenkbaren. Mit dem nötigen Ausgleich zwischen Arbeit und Ruhe wird der Geist wach gehalten – und diese »Aufgewecktheit« führt laut Werner zu Kreativität. In einem siebenteiligen Regelwerk skizziert Werner weitere Rahmenbedingungen, indem er erklärt, wo das Neue auf die Welt kommt, nämlich dort, … »wo Spannungen es herausfordern. Kreativität ist stets das Resultat einer Provokation des Gewohnten, das Ergebnis einer gelungenen Störung.« (Ebda., 212) … »wo ihm Zeit gelassen wird. Kreativität ist stets eine Kompensation von Langeweile.« (Ebda., 215) … »wo ihm Räume zur Verfügung gestellt werden. Kreativität ist immer eine Folge gesteigerter Präsenz und kann sich ausleben, wenn der Platz geschaf-

IV. Die Behauptung des Neuen

fen ist, innerhalb dessen sich die Achtsamkeit ausdehnen lässt.« (Ebda., 216) … »wo Orientierung fragwürdig werden könnte. Kreativität ist ein Akt der Umwertung alter Werte.« (Ebda., 218; Verweis auf Groys 1992, 66) … »wo Menschen gestattet ist, nicht auf alles Drängende Antwort geben zu müssen. Kreativität gedeiht am besten in Fragenschutzgebieten.« (Ebda., 219) … »wo Menschen frei assoziieren können. Kreativität ist stets auch eine Geduldsprobe.« (Ebda., 212) … »und zwar dort […], wo man es erwartet, aber selten, wie man es erwartet. Kreativität ist eine Leistung, über die Menschen nicht uneingeschränkt verfügen.« (Ebda., 222) Werner resümierend kann man die folgenden fünf Begriffsfelder als Rahmenbedingungen der Kreativität herausarbeiten: (1) Spannung/Provokation, (2) Müßiggang/Faulheit/Langeweile/Zeitlassen/Geduld, (3) Achtsamkeit/Aufgewecktheit/Neugier, (4) Umwertung alter Werte und (5) Freiheit/Freiraum/Schutzgebiet/freie Assoziation. Diese Kategorien erhellen zwar den Ablauf des schöpferischen Akts, sind aber unzulänglich in Bezug auf die Klärung des Wesens des Neuen, abgesehen von der von Groys schon erarbeiteten Einsicht, dass das Neue ein durch Umwertung entstandenes wertvolles Anderes ist sowie der Idee der Störung, die aber bei anderen Autoren, die die Rezeptionsseite stärker betonen, einleuchtender ist. Auf Viktor Šklovskij verweisend erklärt Rüdiger Bubner (2002) beispielweise, dass die »Habitualisierung von Weisen der Wahrnehmung […] kontinuierlich die Effekte formaler Gestaltung eines Werkes ab[schleift] und […] daher nach ständiger Erneuerung durch ungewohnte Kunstgriffe, welche die Werksgestalt verändern, [verlangt]« (Bubner 2002, 11). Das Neue als eine Störung der Seh- bzw. generell der Wahrnehmungsgewohnheiten zu verstehen – Šklovskij spricht hier von der Herauslösung der Gegenstände aus dem Automatismus der Wahrnehmung11 – verlangt allerdings von den ProduzentInnen des Neuen, 11  |  So heißt es bei Šklovskij: »Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln als Sehen und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ›Verfremdung‹ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, dass die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden; die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu erleben, das Gemachte hingegen ist in der Kunst unwichtig. […] In der Kunst kann der Gegenstand durch verschiedene Mittel aus dem Automatismus der Wahrnehmung heraus gelöst werden.« (Šklovskij 1988, 15)

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ihre Kunstwerke bereits vor der Entstehung in einem Rezeptionszusammenhang (den sie durchbrechen wollen) zu sehen bzw. von den RezipientInnen die Fähigkeit des reinen, von der gewohnten Wahrnehmungen abgekoppelten Sehens.12 

Originalität/Das wahre Neue:

Stark verbunden mit dem Gedanken der Genialität ist die Originalität im Sinne von »von einem Individuum als Original« geschaffen. In Berufung auf Kants Überlegungen zum Genie macht Bubner diesen Aspekt stark: »Originalität verlangt eine vorbildlose, von keiner Gegebenheit oder Schulregel abhängige Kapazität ursprünglichen Produzierens, wobei die Neuheit dadurch ein Gegengewicht erhält, daß sie sogleich exemplarisch rezipiert wird und andere zur Nachfolge anregt. Nur die Verknüpfung der Originalität mit dem Range des Exemplarischen verbürgt die Leistung des Genies. Denn es kann auch originalen Unsinn [z.B. Dadaismus, Anm. AK] geben, wie Kant klarsichtig und witzig bemerkt.« (Ebda., 9). Im selben Band ergänzt Bernhard Greiner (2002), dass für Kant das Schaffen des Genies eine doppelte Schaffung aus dem Nichts (»creatio ex nihilo«) ist, nämlich ein »Schaffen des Neuen, indem zugleich die Bedingung der Möglichkeit der Regelhaftigkeit dieses Neuen hervorgebracht wird, metaphorisch gesprochen: mit dem Werk ist die ›Sprache‹ für das Werk zu generieren […]. Und dieser Vorgang muß in jedem Kunstwerk neu statthaben, da die nachträglich durch Abstraktion an einem Werk ermittelte Regelhaftigkeit ja nicht inhaltlich zur Regel für das nächste Werk werden kann« (Greiner 2002, 43). Dieser sehr radikale Ansatz widerspricht der dominierenden Annahme, das Neue sei etwas Relatives (relativ zum Alten, relativ zu einem System/Regelwerk), sondern behauptet im Gegenteil, dass das wahrhaft Neue eben auf keine alten Regeln Bezug nimmt und kein Ergebnis einer Änderung eines bereits bestehenden Regelwerks ist. Auf die Mode übertragen, wären die Entwürfe einer Rei Kawakubo zwar Ergebnisse eines Regelbruchs – wenn man beispielsweise einen Buckel an der Hüfte als Bruch des Regelwerks ›Körperform‹ verstehen würde – jedoch keine wahre Invention. Eine wahre Invention wäre nach dieser Logik das altbekannte und vielzitierte Pissoir von Duchamp, das zwar die Regeln eines Alltagsgegenstandes und seines Gebrauchs bricht – aber innerhalb des Regelwerks der Kunst auf nichts Bezug nimmt – und somit die neue Tradition der Readymades als ein neues Regelwerk begründet. Diese Überlegungen 12  |  Vgl. die zurzeit entstehende Dissertation von Robert Schade, worin er u.a. auf die Theorien von Šklovskij eingeht: Schade, Robert (in Vorbereitung): Sehen, Anders-Sehen, Verfremden: Automatisierungen und Ent-Automatisierungen des Sehens in Kunst und Literatur der Moderne (1870-1925). Zur Geschichte und ästhetischen Aktualisierung einer Wahrnehmungsfigur der Differenz (AT). Dissertation. Universität Potsdam, Potsdam.

IV. Die Behauptung des Neuen

könnten zu der diesem Buch zugrundeliegenden These weitergeführt werden, dass das Neue der Mode nicht mehr in Beziehung zum Regelwerk der KleiderMode (auch nicht als Bruch desselben) zu sehen ist, sondern – in Form einer Atmosphäre – ein neues Regelwerk begründet. Greiner gibt weiter zu Bedenken, dass die entscheidende Regulation des schöpferischen Prozesses für Kant die Orientierung am zeitgenössischen Geschmack sei, der die Einbildungskraft mit den Regeln des Verstandes in Einklang bringe, damit nicht nur originaler Unsinn produziert werden würde (vgl. Greiner 2002, 44f.). Insofern sitze das Genie also doch zwischen zwei Stühlen (was laut Kant durch »Disziplinierung« gemeistert werden kann) und insofern stehe das Neue doch immer in Relation zum Bestehenden, da der Geschmack nicht etwas individuelles, sondern kollektiv Konzipiertes sei. Kants Überlegungen stärken die Idee der individuellen Eingebungskraft, die wahrhaft Neues aus dem Nichts hervorbringen kann, also etwas Ursprüngliches, welches durch das Vermögen des Individuums, es mit einem kollektiven Geschmacksempfinden in Einklang zu bringen, vervollkommnet wird: »Zum Behuf der Schönheit bedarf es nicht so nothwendig, reich und original an Ideen zu sein, als vielmehr der Angemessenheit jener Einbildungskraft in ihrer Freiheit zu der Gesetzmäßigkeit des Verstandes. Denn aller Reichthum der ersteren bringt in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor; die Urtheilskraft ist hingegen das Vermögen, sie dem Verstande anzupassen. Der Geschmack ist, so wie die Urtheilskraft überhaupt, die Disziplin (oder Zucht) des Genies, beschneidet diesem sehr die Flügel und macht es gesittet oder geschliffen; zugleich aber giebt er diesem eine Leitung, worüber und bis wie weit es sich verbreiten soll, um zweckmäßig zu bleiben; und indem er Klarheit und Ordnung in die Gedankenfülle hineinbringt, macht er die Ideen haltbar, eines dauernden, zugleich auch allgemeinen Beifalls, der Nachfolge anderer und einer immer fortschreitenden Kultur fähig. Wenn also im Widerstreite beiderlei Eigenschaften an einem Produkte etwas aufgeopfert werden soll, so müßte es eher auf der Seite des Genies geschehen; und die Urtheilskraft, welche in Sachen der schönen Kunst aus eigenen Prinzipien den Ausspruch thut, wird eher der Freiheit und dem Reichthum der Einbildungskraft, als dem Verstande Abbruch zu thun erlauben. Zur schönen Kunst würden also Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack erforderlich sein.« (Kant 1902 [1790], 184)

An dieser Stelle soll ein Gedanke gewagt werden, der an die Unterscheidung Baudelaires zwischen dem ewigen und dem veränderlichen Element des Schönen anschließt sowie an Gertrud Lehnerts Übertragung dieses Prinzips auf die Mode, wonach die Mode dauerhaft nach Schönheit strebt, ganz gleich, wie man Schönheit unter wechselnden historischen Bedingungen definiert (vgl. Lehnert 2005, 254). Vielleicht verhält es sich ähnlich mit dem Ursprung des Neuen: Es entsteht im Zusammenwirken beider Elemente: einerseits durch

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das wahre/ursprüngliche/originäre/ewige Element, das der Einbildungskraft eines Individuums zu verdanken ist und andererseits durch das veränderliche Element, das dem jeweiligen sozial konstruierten Geschmacksempfinden des Umfeldes entspricht, d.h. dem, was gerade bzw. früher als geltend erachtet wurde. In welchem Verhältnis könnte das ewige zum veränderlichen Element des Neuen stehen? Ist das ewige Element als ein Geheimnis des Genies zu handeln? Wäre es in seiner reinen Form tatsächlich für die »menschliche Natur unzuträglich, ungeeignet, unverdaulich« (Baudelaire 1988, 9f.) bzw. »Unsinn«, wie Kant sagt? In manchen Texten stößt man auf die Frage nach der Neuheit des Neuen. Könnte sie das wechselnde Element sein, in Abgrenzung zu einer Altheit des Neuen als das ewige Element? Man könnte argumentieren, dass das ewige Element unvermittelbar, unlesbar oder unerkennbar wäre ohne das veränderliche Element. Das Neue würde demzufolge nicht erkannt werden, wenn es nur aus seinem ewigen Element bestünde, sondern benötigt das veränderliche, an die Aktualität angepasste Element, um sichtbar oder erfahrbar zu werden. Vielleicht kommt man der Beantwortung dieser Fragen näher, wenn man das dialektische Zusammenspiel beider Elemente untersucht – ein Ansatz aus den Ritualwissenschaften sowie einer aus der Emergenz-Theorie helfen an dieser Stelle weiter.  

Das Alte/Das Traditionelle/Das Ritual:

»Das Ursprüngliche und das Neue gehörten untrennbar zusammen, sie bilden geradezu eine Symbiose. Ohne das Ursprüngliche fehlte dem Neuen sein Fundament, ohne das Neue hätte das Ursprüngliche keine Zukunft, keine der beiden Dimensionen kann ohne die andere sein obwohl sie niemals zusammentreffen können.« (Dücker 2008b, 7)

Mit diesem Gedanken beginnt der Tagungsband des Heidelberger Sonderforschungsbereichs »Ritualdynamik« aus dem Jahr 2008. Das Ursprüngliche wird in diesem Vorwort als nicht genau zu verortendes, sondern immer neu (d.h. durch das Neue!) zu bestätigendes »Quellgebiet« eines Zustandes, eines Systems, eines Glaubens, einer Kultur usw. verstanden. Die Legitimation des Ursprünglichen durch das Neue werde in Ritualen vollzogen – das Ritual sei demnach »eine Art Prüfinstrument, mit dem gesellschaftliche und politische Übereinkunft immer wieder neu getestet und Veränderungen angezeigt werden«, wie es im Anschluss in der Einleitung von Stefan Weinfurter heißt (2008, 12). Während wir es in den bislang besprochenen Ansätzen, die das Neue dem Alten gegenüberstellten, mit einem wechselhaften, sich selber mit der Zeit veränderndem Alten zu tun hatten, bildet das Ursprüngliche eine Art Fixpunkt (bzw. fixiertes Gebiet), das zwar immer wieder legitimiert und somit durchaus verändert werden kann, sich jedoch nicht von selbst mit der Zeit ändert. Könnte es sich hierbei um das ewige Element handeln? Statt dem

IV. Die Behauptung des Neuen

Ursprünglichen weiter auf den Grund zu gehen, führt Burckhard Dücker das Begriffspaar Das Rituelle/Das Neue ein: »Wie das Rituelle gehört auch das Neue zu den für jede Kultur konstitutiven sozialen Funktionsstellen, deren Aufgabe darin besteht, die Funktionsfähigkeit und Kontinuität eines Systems, einer Ordnung, Institution oder Kultur und deren Programmatik zu sichern.« (Dücker 2008a, 63)

Sowohl das Rituelle als auch das Neue seien nicht objektimmanent, sondern »Formungen« einer »sozialen Handlungssequenz« (ebda.). Eine rituelle Handlung sei dazu da, um Positionen der AkteurInnen zu festigen bzw. neu zu bestimmen, um dadurch Strukturen zu stabilisieren oder neu zu ordnen. Dazu brauche das Rituelle das Neue, um einen Anlass zu haben, sich selbst zu überprüfen und das Neue bedürfe des Rituellen, um überhaupt »auf die Welt« zu kommen: »Übereinstimmend zeigen die Beispiele als weiteres Merkmal des Neuen, dass die Kennzeichnung ›neu‹ als solche besonders vorgestellt und begründet werden muss, weil das Neue sich offenbar nicht selbst als solches präsentieren und legitimieren kann. Vielmehr braucht es dafür einen rituellen Deutungsrahmen, der die besondere Formung und die dadurch ermöglichte verbesserte Funktion des Neuen sichtbar macht oder es muss durch seinen breiten wirtschaftlichen Erfolg sozial approbiert werden.« (Ebda., 18f.)

Die Einbettung des Neuen in einem rituellen Rahmen erfolge nicht spontan, sondern sei inszeniert – Dücker bringt hier als Beispiele »Messen, Premieren, Modenschauen, Präsentationen von Neuerscheinungen usw.« an (ebda., 50). Die Zuschreibung eines Phänomens – sei es eine Handlung oder ein Objekt, welches in eine Handlung eingebettet ist – als »neu« erfolge durch einen Aushandlungsprozess, der im Ritual angestoßen wird: »Damit erweist sich ›neu‹ primär nicht als sichtbare materiale Eigenschaft eines Phänomens, die dieses immer schon mitbringt, sondern als soziale Kategorie, die einem Phänomen in einer inszenierten symbolischen Präsentationshandlung, d.h. einer rituellen oder ritualisierten Aufführung erst zugeschrieben wird. Die Anerkennung als ›neu‹ vollzieht sich in der Form einer rituellen Aushandlung, wobei zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: Erstens muss die rituelle Handlung ohne Zwischenfälle ablaufen […], zweitens muss das Publikum die Legitimationserzählung akzeptieren, wobei die Akzeptanz vom erwarteten Formungsgewinn des Neuen abhängig ist. Erscheint dieser den potentiellen Nutzern oder Anhängern nicht überzeugend, so wird die angebotene Zuschreibung ›neu‹ für einen Gegenstand oder eine Person nicht akzeptiert, die Aushandlung ist misslungen, eine Serialität ist an ihr Ende gekommen oder kann nicht begonnen werden, eine Erzählung ist dann nur als Bericht eines einmaligen Scheiterns möglich.« (Ebda., 23)

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Interessant ist der Gedanke der Serialität einer Ordnung oder Struktur, deren Kontinuität durch das Integrieren von Neuem gewährleistet wird. Serialität bedeutet, dass die verschiedenen Stadien/Zustände einer Serie, die erreicht werden, sich in einer gewissen Art ähnlich sind. Außerdem suggeriert der Begriff der Serialität, dass es einen Anfangspunkt gibt, von dem die Serie ausgeht und welcher die Möglichkeiten der Ähnlichkeit und Abweichung vorgibt. Das Ritual bzw. eine rituelle Handlung sei dazu da, von einem Zustand der Serie in den nächsten zu führen, indem zentrale Aspekte des ursprünglichen (!) Zustandes wiederholt und manifestiert werden und gleichzeitig durch das Einführen neuer Aspekte ein angepassterer, »höherer« Zustand erreicht wird. Das Neue sei demnach ein »singuläres Ereignis, indem es ein Muster bestätigt, es ist Abbild, indem es das Urbild aktualisiert« (ebda., 28). Den Grad des Neuen könne man daran erkennen, »in welchem Maße die Wiedererkennbarkeit der zugehörigen Serialität bestätigt wird« (ebda., 34). Nicht nur wird das Neue gebraucht, um eine Serialität fortzuführen, sondern, so stellt Dücker fest, ist die Serialität auch notwendig, um das Neue überhaupt als das Neue zu erkennen: »Deutlich wird, dass das jeweilige Neue Teil einer Serialität ist, dass es nur in Bezug auf diese Reihe ›neu‹ ist. Wer ›Neues‹ diagnostiziert und zur Legitimation anbietet, ordnet es in eine Geschichte (ein Erinnerungssystem) ein: indem es an die Stelle des Alten tritt und dessen Funktion übernimmt, ist es gerade die Dynamik des Neuen, das eine Ordnung in ihrer tendenziellen Statik anerkennt und weiterführt. […] Um das Neue als solches zu verstehen, wird seine Geschichte bzw. die seiner Zugehörigkeit zu einer Serialität erzählt. […] Aus dieser Bedingung von ›Wiedererkennbarkeit und Differenz‹ […] folgt, dass das einzelne Neue weder absolut noch in sich geschlossen noch unabhängig sein kann.« (Ebda., 21f.)

Somit ist geklärt, was unter dem Abhängigkeitsverhältnis des Neuen und des Rituellen zu verstehen ist. Aber was ist mit einem angepassteren, »höheren« Zustand gemeint? Dücker geht davon aus, dass Neuheiten »die Welt als defizitär unvollständig und ungeordnet, d.h. grundsätzlich verbesserungswürdig sichtbar machen« und gleichzeitig das Neue als »Kompensation dieser Funktionsdefizite anbieten« (ebda., 18). Wenn der aktuelle Zustand einer Serie die Stabilität derselben nicht mehr garantieren kann, dann ist die Introduktion des Neuen erforderlich. Die Fähigkeit der Aufnahme des Neuen in eine Serie/ Ordnung wird so zum Indikator ihrer ›Gesundheit‹: »Damit das Neue also überhaupt eine Chance hat und wirksam werden kann, muss zuvor in der Regel der Kompetenzverlust von etwas Anderem erkennbar geworden sein, dass durch das Neue dann zum Alten wird. Insofern ist das Neue auch Indikator einer gelingenden Ordnung. Es markiert Nischen und Leerstellen, die von der jeweiligen Gegenwart oder der ›jungen Generation‹ durch eine für sie spezifische Formung ausgefüllt und

IV. Die Behauptung des Neuen ›besetzt‹ werden können, d.h. das Neue sichert die Kontinuität einer Ordnung in ihrer Ausprägung als Verhältnis von Tradition und Wandel.« (Ebda.,18)

Erst dann, wenn die »Erfahrung sowie der Ge- und Verbrauch des Neuen nicht mehr möglich sind, […] gilt der geregelte Ablauf eines Funktionszusammenhangs als bedroht«, die Serie/Ordnung befindet sich in einer Krise (ebda., 29). Anders gesagt: Eine Serie muss Neues aufnehmen können und sich durch diese Aufnahme in einer ständigen Evolution befinden, nur so kann ihre Zukunft gesichert werden. Falls sie nicht zu einer Evolution fähig ist, dann deswegen, weil Neues fehlt oder weil sie nicht mehr imstande ist, Neues aufzunehmen, was eine Beendigung der Serie zur Folge hat. Außerdem kann es nicht nur passieren, dass eine Serie nichts Neues mehr aufnehmen kann, sondern andersherum auch, dass ein Neues keine passende Serie für sich findet oder eine neue begründen muss: »Entsprechend erhalten Phänomene, für deren Einordnung (noch) keine Serialität zur Verfügung steht, nicht den Harmonisierungsbegriff ›neu‹, sondern gelten als deviant und werden häufig als Bedrohung registriert. Dies trifft für kirchliche Erneuerungsansätze zu, die als häretisch für politische, die als revolutionär oder terroristisch bewertet werden, weniger für kulturelle Erneuerungen, die als Sezessionen oder Avantgarden entsprechende Serialitäten begründen (Präzedenzfall) und fortsetzen. […] ›Das ist für mich neu‹ heißt dann, ich suche noch nach einer Serialität, der ich das Phänomen zuordnen kann, sei es positiv als zugehörig, sei es negativ als deviant zugehörig.« (Ebda., 23)

Stellt sich noch die Frage, wie genau das Neue in eine Serie integriert wird. Dücker verwendet hier die Begrifflichkeiten der »Legitimation« und »Ratifizierung«. Dabei durchläuft das Neue sozusagen zuerst das Stadium der Präsentation, in dem eine Person oder eine Gruppe versucht, es zu legitimieren, um dann von den beteiligten Personen angenommen oder abgelehnt zu werden: »Ist ›das Neue‹ als solches anerkannt, hat es einen rituellen Aushandlungsprozess wie z.B. eine Modenschau, Industriemesse oder Ehrungshandlung durchlaufen, der von einem markierten Anfang (Angebot, Präsentation) bis zu dem daraus folgenden Ende (Akzeptanz oder Verwerfung) führt. So entfaltet ›das Neue‹ eine spezifische soziale Dimension, die sich als Sinn schaffender Erzählzusammenhang zeigt, in dessen Mittelpunkt die beteiligten Personen stehen.« (Ebda., 21)

Interessant ist hier, dass zwei Seiten aufgemacht werden, nämlich die der »Berechtigten« und die des »Publikums«. Der/die Berechtigte muss dazu »die notwendige Legitimationserzählung des Neuen vor einem Publikum präsentier[en], wobei seine [/ihre] eigene Reputation und Glaubwürdigkeit verbürgen, dass das Phänomen tatsächlich die Anerkennung ›neu‹ verdient« und die »Vor-

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züge des neuen gegenüber dem bestehenden ›alten‹ Phänomen[s]« darlegen (ebda., 21). Die »Hürde der rituellen Legitimation« würde dafür sorgen, dass nicht alle angebotenen Neuheiten tatsächlich eine »Chance auf einen Platz in der Geschichte« haben, sondern erst durch die Ratifizierung des Publikums, welche während der Präsentation des Neuen durch den bzw. die Berechtigte/n beginnt, geprüft werden und so nur selektiert in den Umlauf kommen (ebda., 49). Dücker betont des Weiteren, dass das Neue immer wieder neu ratifiziert werden muss, um seine Zugehörigkeit zu einer Serialität zu bestätigen: »Nicht zweifelhaft ist demnach auch, dass das Ereignis der Ratifizierung eines neuen Neuen immer wieder wiederholt werden muss. Dass Neues und Wiederholung komplementär sind, zeigt sich daran, dass zwischen Ereignis und Traditionskette ein Verhältnis der Interdependenz besteht […].« (Ebda., 41)

Die Parallelen, die von Dückers Ausführungen über das Rituelle und das Neue zum Prozess der Erneuerung im Modesystem und in der Modenschau nun gezogen werden können, sind frappierend. Das Neue entsteht vor dem Hintergrund einer es umrahmenden Serie oder Ordnung: In der Mode gibt es Systeme, an die ein Neues anknüpfen kann – auf globaler Ebene das weltweite »fashion system« mit all seinen AkteurInnen und Mechanismen, auf (inter-) nationaler Ebene ein bestimmter Kulturkreis oder eine bestimmte Generation, auf lokaler Ebene beispielsweise der Kreis der Pariser Haute Couture und auf personeller Ebene das Modehaus oder Label, das der bzw. die DesignerIn repräsentiert. Das Neue macht laut Dücker das alte System als defizitär sichtbar und bietet Verbesserungsvorschläge an – im Falle des berühmten YSL-Smokings für die Frau reagierte Saint Laurent beispielsweise 1965 auf den Wunsch der Frauen (bzw. gab er diesem Ausdruck), die traditionell zugeteilten Kleiderordnungen für die Geschlechter aufzubrechen und schlug hierfür eine vestimentäre Lösung, nämlich den Damensmoking, vor. Trotz der Präsentation von Neuem sind alle DesignerInnen darum bemüht, eine Serialität zu bewahren, um den Wiedererkennungswert einer einzelnen Kleidung zu gewährleisten und sie vor Kopien zu schützen (vgl. Haberlers Diskussion um die »Handschrift« der DesignerInnen). Dies bewerkstelligen sie unter anderem durch einen kontinuierlichen Stil, den sie jahrzehntelang pflegen, durch das Versehen ihrer Kleider mit ihrem Labelschriftzug oder Emblem oder durch das Schaffen von Bildern, welche unweigerlich mit dem Label verbunden werden (beispielsweise die Kombination von weißen Haaren im kurzen Pferdeschwanz und einer schwarzen Sonnenbrille, die sofort mit Karl Lagerfeld und somit auch mit Chanel in Verbindung gebracht wird). Auch kann man bestätigen, dass eine Serie oder Ordnung bedroht ist, wenn sie nicht regelmäßig erneuert wird. Wenn ein Label in einer Saison die Entscheidung trifft, keine Modenschau zu veranstalten und auch keine anderen

IV. Die Behauptung des Neuen

Arten von Präsentationen wählt (z.B. »fashion short films«), wird nicht nur die Zahlungsfähigkeit des Labels in Frage gestellt, sondern unweigerlich darüber spekuliert, ob das Label nicht in der Lage ist, Neues zu produzieren bzw. auf Neuheiten zu reagieren und sie in sein Design zu integrieren (laut Kawamura [2004, 62] »a matter of life and death«). Der rituelle Rahmen, in dem das Neue präsentiert wird, ist die konkrete Modenschau. Auch hier stehen Tradition und Neues im Wechselspiel zueinander: »Begründet ist dies in der Kombinationsform des Neuen aus der tendenziellen Unveränderlichkeit des rituellen Rahmens und der historischen Einmaligkeit des jeweiligen Ereignisses. Für die Teilnehmer bewirkt dies die Erfahrungsgewissheit, dass das aktuelle Ereignis so wie immer, zugleich aber auch anders als alle vorhergehenden Aufführungen sein wird.« (Ebda., 31)

Das Traditionelle einer Modenschau ist nicht nur das Eingebettet-Sein in einem bekannten Zuschauerkreis in einer bekannten Stadt in einem bestimmten Land, sondern auch die festgelegte Struktur einer Fashion Week (»schedule«) und der immer wiederkehrende Ablauf für die Vorbereitung auf und Teilnahme an einer Modenschau. Auch hier stehen die Berechtigten der Präsentation von Neuem, nämlich die DesignerInnen, ihrem Publikum gegenüber und bürgen mit ihrem Namen/Label. Die DesignerInnen bieten dem Publikum etwas Neues an – traditionellerweise eine neue Kollektion – und umhüllen sie in eine Erzählung oder Atmosphäre. Dabei ist Dücker der Ansicht, dass die rituelle Aushandlung auch in einem Geben und Nehmen beider Seiten besteht: »Jener, der Neues anbietet oder praktiziert, erwartet als Gegengabe dafür die Aufmerksamkeit und Anerkennung anderer. Im Gegenzug gehen diese, die das Angebot akzeptieren, davon aus, dass es sich für sie lohnen werde und sie von den Anbietern belohnt werden. Das Verfahren der Aushandlung funktioniert, weil alle Beteiligten wissen, dass das Neue bloß ein Übergangsphänomen von zeitlich begrenzter Geltung ist […]«. (Ebda., 30)

Der Ratifizierungsprozess durch das modeversierte Spezialistentum beginnt während der Präsentation und geht über sie hinaus. Das Neue wird durch Wiederholung immer wieder verhandelt, nämlich in nachfolgenden Fotoproduktionen, Berichterstattungen und anderen Vermarktungsstrategien. Während bis in die 1980er einfach das Neue der Kleidung weitergetragen wurde, gilt es jetzt, das immaterielle Neue der Atmosphäre in einem Bild zu transportieren und wieder an die Kleidung zurückzukoppeln. Auch Dücker sieht die Trennbarkeit des Neuen von einem bestimmten Objekt – als objektimmanente Eigenschaft muss es nämlich erst kommuniziert werden:

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »Erst nach der rituellen Präsentation des neuen Modells als Repräsentation des für die Institution programmatisch Neuen ist der Blick frei für die neuen sichtbaren Formen des neuen Modells. Damit das Neue auch als objektimmanente Eigenschaft kommuniziert werden kann, ist seine soziale Legitimation durch die rituelle Präsentation Voraussetzung.« (Ebda., 50)

Weitere erhellende Gedanken gibt Dücker zum Publikum: Als an der Präsentation Teilhabende werden sie zu »Zeitzeugen«, da sie zum einen Teil der Legitimations- und Ratifzierungshandlung sind und zum anderen Außenstehenden von diesem Ereignis berichten können (ebda., 21). Dücker macht also die Präsenz und Kopräsenz der ZuschauerInnen stark, die auch in der Theorie des Performativen – und die Modenschau ist als ein performatives Ereignis zu fassen – eine große Rolle spielen (vgl. Kapitel V.3.4. »Die Erfahrung des Anderen«). Die Teilnahme am Ritual bzw. an der Modenschau bewirkt eine »Aktualisierung ihrer Zugehörigkeitserfahrung […], deren Kontinuität auf diese Weise erneut bestätigt wird« (ebda., 30). Gültig ist diese Zugehörigkeit nur bis zum nächsten Ritual, wo sie wieder aufs Neue bekräftigt werden muss. Genauso verhält es sich auch mit der Anwesenheit auf Modenschauen und Fashion Weeks. Da der Kreis der modeversierten SpezialistInnen in seinem Umfang recht übersichtlich ist und sich die Wege und Treffpunkte halbjährlich in denselben Städten der Welt wiederholen, ist die Nicht-Anwesenheit nicht nur für die Betroffenen ein Problem, weil sie nicht ZeitzeugInnen der Präsentation werden konnten, sondern auch ein Problem hinsichtlich der Gemeinschaft, von der sie sich selbst durch Nicht-Anwesenheit ausschließen. Das Ritual bietet also nur »Zugehörigkeit auf Zeit«. Dücker fasst zusammen, dass das Neue drei Funktionen zu erfüllen hat: erstens eine zweckrationale Funktion der Problemvermeidung oder -lösung; zweitens eine symbolrationale der Generierung von Aufmerksamkeit für die Subjekte des Neuen und deren Interessen und drittens eine soziale und kulturelle Funktion zur Kontinuitätssicherung von Ordnungssystemen (vgl. ebda., 30). Ein letzter Punkt, auf den hier eingegangen wird, ist Dückers Sprache von der Proklamation und Programmatik des Neuen. Die Charakterisierung des Neuen als programmatisch leuchtet schnell ein: »Gerade wenn ›das Neue‹ verwendet wird, um ein Ereignis zu bewerten, zeigt es seine Funktion als programmatisch-appellative Dimension. Es wird angeboten als Anfang oder als Kontinuitätsmarkierung einer Handlungsserie. In jedem Fall ist es das Neue, das etwas erreichen oder möglich machen soll.« (Ebda., 16)

Die Proklamation des Neuen hat deswegen einen solch appellativen Charakter, weil das Publikum nicht nur zum Erkennen und zur Akzeptanz des Neuen aufgerufen wird, sondern auch zu einer Handlung angewiesen wird: Der bzw.

IV. Die Behauptung des Neuen

die zur Proklamation des Neuen Berechtigte fordert das Publikum auf, das Neue weiterzutragen und es auch nach der Präsentation wiederholt zu ratifizieren, damit immer wieder seine bzw. ihre Position in der Serie manifestiert wird. Aber was hat es mit der Proklamation des Neuen, also mit der Notwendigkeit einer Verkündung des Neuen, damit es auf die Welt kommt, auf sich? Es bedarf anscheinend eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen, die das Neue produzieren oder es zu integrieren versuchen, um es schließlich bekannt zu machen, indem sie es ausrufen. Das Neue bedarf der Aufmerksamkeit des Publikums, um sich als Neues zu etablieren, und dazu muss es gehört werden. Von einer schleichenden oder unmerklichen Ankunft oder Einführung des Neuen ist dabei nie die Rede, sondern eher von einer lauten und konfrontativen. Man könnte meinen, dass das Neue nun mal konfrontativ ist. Was ist aber, wenn es das eben gerade nicht ist – verändert sich dann die Art und Weise der Proklamation? Verändert sich vielleicht die Art und Weise der Proklamation mit dem Grad der Inventivität des Neuen? Inwiefern hat eine Proklamation mit einer Propaganda oder gar mit einer Behauptung zu tun? Dem wird, nach einem kurzen Exkurs in die Emergenz-Theorie, im folgenden Kapitel IV.3. nachgegangen.   Emergenz:

Thomas Wägenbaur (2002)13 schlägt vor, den Begriff der Emergenz als Alternative zum Begriff des Neuen zu verhandeln. Ähnlich wie beim ritualwissenschaftlichen Ansatz gehen Emergenz-TheoretikerInnen davon aus, dass ein System durch ein neues Zusammenwirken seiner Systemeigenschaften von einem Zustand A in einen Zustand/Stadium B geführt werden kann. Das Zusammenspiel von Eigenschaften, die freilich in ihrer Anzahl und Beschaffenheit variieren können, bewirkt neue Qualitäten, die einen neuen Zustand formieren. Die Rede von Emergenz oder Emergentismus bedeutet also die Rede vom Auftauchen (lat. »emergere«) neuer Qualitäten innerhalb eines Systems. Dabei stellt Achim Stephan (2011, 133) drei wesentliche Merkmale des Emergentismus fest: Neuartigkeit, Unvorhersagbarkeit und Irreduzibilität. Je nachdem, ob und wie stark diese Merkmale eine Rolle im Auftauchen der Qualitäten spielen, spricht man von verschiedenen Arten des Emergentismus. Stephan arbeitete in seinem Buch Emergenz (2005 [1999]) fünf zentrale Arten heraus: Die erste Art, der sog. »Schwache Emergentismus«, bildet gewissermaßen den Minimal-Fall von Emergentismus. Hier können neue Qualitäten teilweise auf einzelne Eigenschaften zurückgeführt werden, was Stephan eine »gewisse Deduzierbarkeit« nennt. Fügt man dieser Art das Merkmal »Unvorhersagbarkeit« hinzu, gelangen wir zum sog. »schwachen diachronen Emergentismus«. Hier sind die auftauchenden Qualitäten nicht nur neu und können auf gewisse 13  |  Vgl. zur weiteren Diskussion auch die Beiträge in Wägenbaur 2000.

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Eigenschaften zurückgeführt werden, sondern wurden in dieser Form auch nicht erwartet. Beim sog. »starken synchronen Emergentismus« handelt es sich um ein Aufkommen von Qualitäten, die nicht auf einzelne Eigenschaften des Systems zurückgeführt werden können, sondern nur auf das System als Ganzes (= Irreduzibilität). Die Qualitäten des »starken diachronen Emergentismus« sind zudem unvorhersagbar aufgetreten. Schließlich nennt Stephan noch den »starken diachronen Strukturemergentismus«, dessen Unvorhersagbarkeit sich nicht auf einzelne neue Qualitäten sondern auf die Herausbildung ganzer neuer Strukturteile bezieht. Das Verhältnis dieser Arten zueinander ist in dem folgenden Schema veranschaulicht: Abbildung 8: Übersicht über die Arten des Emergentismus nach Stephan (2005, 71)

Bemerkenswert ist im Emergentismus, dass sich ein System aus sich selbst heraus erneuert. Neue Qualitäten, neue Zustände und neue Systemstrukturen erscheinen durch das Zusammenwirken von Eigenschaften, die bereits zuvor im System vorhanden sind und dies konstituieren. Das Neue ist nicht in den Systemeigenschaften zu suchen, sondern in dem, was sie zusammen hervorbringen. Das bedeutet, dass es das Neue nicht ohne ein System gibt, dass es nicht einfach da ist und in das System integriert werden muss (wie bei Dücker), sondern dass es ein selbst hergestelltes Produkt des Systems ist. Das bedeutet auch, dass die potentielle Produktion von Neuem im System bereits angelegt ist. Man könnte die Emergenz-Theorie wunderbar benutzen, um Vinkens »Mode nach der Mode« zu erklären: Bestimmte alte Moden und Stile, die bereits im System/Archiv abgespeichert sind, können durch Zitation, Dekonstruktion und Neukombinationen in einer aktuellen Situation zu etwas Neuem

IV. Die Behauptung des Neuen

führen. Damit würde sich Mode gewissermaßen wie von selbst ständig erneuern. M.E. ist damit jedoch dem Modesystem eine Eigendynamik zugestanden, die es ohne die AkteurInnen, die das System steuern, nicht geben würde. Auch ist das System Mode kein abgeschlossenes System, das sich selbst ernährt, sondern von anderen Systemen speist, in die es eingebettet ist und mit denen es in Wechselwirkung tritt. Neue Impulse kommen so nicht nur von innen heraus, sondern auch aus der Kunst, aus den Wissenschaften, aus der Technik, aus der Populärkultur usw. Die diesem Buch zugrundeliegende Hypothese besteht gerade darin, zu sagen, dass man in einem »Modesystem-fremden« System, nämlich im Bereich der Bühneninszenierung, etwas (immaterielles) Neues, nämlich die Atmosphäre schaffen kann, die dann als das Neue der Mode behauptet wird.

3. D as N eue behaup ten Um der Bedeutung des Begriffs Behauptung auf die Spur zu kommen, sind etymologische und enzyklopädische Konsultationen erhellend. Das Verb behaupten entstammt dem mittelhochdeutschen Verb »behoubeten«, welches wiederum von »houbet« (Herr, Anführer) abgeleitet ist – demnach bedeutet »behoubeten« sich als Herr über etwas erweisen.14 Heutzutage sind dreierlei Aktivitäten mit behaupten gemeint: erstens etwas mit Bestimmtheit ohne Beweis für wahr zu erklären, zweitens etwas mit Erfolg zu verteidigen und drittens sich durchsetzen/überlegen sein/siegen.15 Die Bedeutungen des Substantivs Behauptung sind an die des Verbs angelehnt – demnach ist unter Behauptung eine bestimmt ausgesprochene, aber unbewiesene Meinungsäußerung, ein (in der Mathematik) zu beweisender Lehrsatz oder eine Verteidigung mit Erfolg zu verstehen.16 In einigen Enzyklopädien bzw. Lexika findet man jedoch noch ergänzende Informationen – so z.B. in der Brockhaus Enzyklopädie von 1967 (Bd. 2, 464), in der es heißt:

14  |  Vgl. Einträge zu behaupten in: Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1980 (Bd. 1, 569), Meyers grosses Universallexikon 1986 (Bd. 16, 329) und Wahrig Herkunftswörterbuch 2009 (93). 15 | Vgl. Einträge zu behaupten in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 1964 (Bd. 1, 475), Der neue Brockhaus 1978 (Bd. 1, 247), Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1980 (Bd. 1, 569), Meyers grosses Universallexikon 1986 (Bd. 16, 329), Wahrig Herkunftswörterbuch 2009 (93). 16 | Vgl. Einträge zu Behauptung in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 1964 (Bd. 1, 475), Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch, 1980 (Bd. 1, 569), Meyers grosses Universallexikon 1986 (Bd. 16, 329).

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »Behauptung ist zunächst eine mitgeteilte Überzeugung des Sprechers. Der Hörer soll durch Nachdruck selbst überzeugt werden, auch wenn Beweisgründe fehlen, und sogar dann, wenn die B. unrichtig ist oder die eigene Überzeugung fehlt.«

Etwas abstrakter erklärt Meyers enzyklopädisches Lexikon von 1971 (Bd. 3, 720), eine Behauptung sei eine »Äußerung eines Urteils, die Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke, nämlich von Sätzen, als Aussagen im Unterscheid zu Bitten, Fragen usw. Mit der B.[ehauptung] einer Aussage A ist die Bereitschaft zur Argumentation um A erklärt, mit dem Ziel, die Geltung oder Wahrheit von A zu beweisen; entsprechend wird ›B.‹17 gelegentlich auf die Metaaussagen der Form ›A ist wahr‹ beschränkt.« In den Folgejahren findet man prägnantere Erklärungen des Wortes Behauptung: »Aussage, die als wahr, bzw. logischer Ausdruck, der als allgemeingültig hingestellt wird, obgleich Wahrheit bzw. Allgemeingültigkeit nicht bewiesen sind.« »Äußerung eines als begründet oder wenigstens als begründbar angenommenen Urteils (einer entsprechenden Aussage).« »Aussage, deren Wahrheit vorausgesetzt wird, die aber nicht bewiesen ist.«18

Allen gemein ist die Verkettung dieser Wörterpaare: Aussage/Äußerung – als/ vorausgesetzt – wahr/allgemeingültig – obgleich/aber – beweisen/begründen. Es lässt sich Folgendes festhalten: Eine Behauptung ist ursprünglich ein Akt des Einer-Sache-Herr-Werdens bzw. Beherrschens, ausgeführt von einer einzelnen Person oder Personengruppe. Die Bedeutung hat sich jedoch von einem Sich-Behaupten zu einem Einen-Sachverhalt-Behaupten verschoben. Wie in dem Eintrag von 1967 deutlich wird, sind dennoch immer noch den HörerInnen voranstehende SprecherInnen von Nöten, die die HörerInnen mit Nachdruck von einer Sache überzeugen möchten, die sie (meistens) für wahr halten, aber noch nicht bewiesen haben bzw. nicht beweisen können. Das Fehlen eines Beweises ist also das, was eine Behauptung von Wissen oder einer Tatsache unterscheidet. Die HörerInnen mit einer Behauptung zu überzeugen bedeutet, dass die SprecherInnen sie dazu bringen müssen, das Fehlen eines Beweises nicht zu bemerken oder aber auch die Beweisführung als unnötig oder nicht dringlich zu bewerten. 17  |  Ob mit ›B.‹ nun eine Aussage B gemeint ist, ist unersichtlich – eine Abkürzung von Behauptung wurde im selben Satz mit B. (ohne Anführungsstriche) markiert. 18 | Vgl. Meyers neues Lexikon 1972 (Bd. 2, 157); Meyers grosses Universallexikon 1981 (Bd. 2, 299), Meyers neues Lexikon 1994 (Bd. 1, 510) sowie, gleichlautend: Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 3, 495).

IV. Die Behauptung des Neuen

Was hat es mit der Behauptung des Neuen auf sich? Das Neue zu behaupten bedeutet, dass von den SprecherInnen noch nicht bewiesen wurde, ob es sich bei dem Behaupteten um etwas tatsächlich Neues handelt. Auch wenn die SprecherInnen selbst wissen, dass es sich nicht um etwas tatsächlich Neues handelt, können sie es trotzdem behaupten, wenn sie sich z.B. im Falle einer Bestätigung der Neuheit oder im Falle einer Nicht-Überprüfung eine bestimmte Resonanz/Belohnung/Prestige versprechen. Die DesignerInnen müssen – um nun zur Mode zu kommen – das Publikum davon überzeugen, dass sie eine neue Mode präsentieren, denn die Neuheit ist das, was den Modezyklus antreibt und die Aufmerksamkeit des modeversierten Spezialistentums auf sich zieht. Das Publikum soll der Behauptung Glauben schenken – glauben im Sinne von annehmen-aber-nicht-wissen. Es ist jedoch dazu in der Lage, sich selbst in dem Glauben zu lassen, d.h. den DesignerInnen zu vertrauen oder aber selbst eine Prüfung durchzuführen. Eine Prüfung durchführen bedeutet, die Beweisführung für die DesignerInnen zu vollbringen, mit der ›Gefahr‹, die Behauptung zu falsifizieren statt zu verifizieren. Die Prüfung basiert auf dem, was die einzelnen ZuschauerInnen an Wissen, welches im individuellen und kollektiven Mode-Gedächtnis abgespeichert wurde, gesammelt haben. Das Neue ist ein ständiges Abgleichen der Behauptung der DesignerInnen in Kombination mit dem, was erfahren wird (was sich nicht unbedingt immer decken muss), mit dem abgespeicherten Wissen. Neu ist also das, was in der Form so noch nicht gesehen, erfahren und gewusst wurde. Nun scheint es so, dass das kollektive Mode-Gedächtnis – als die Prüfungsgrundlage der Behauptung – in den letzten 30 Jahren aufgrund der Entwicklung unserer Gesellschaft zu einer Informationsgesellschaft sowie aufgrund des mangelnden emergentistisch Neuen (im Sinne von aus sich selbst heraus erzeugten Neuen durch Zitation, Kombination und Dekonstruktion), sowohl einfacher zugänglich geworden ist als auch eine deutlichere, differenziertere Form angenommen hat. ZuschauerInnen – auch solchen, die nicht professionell im Modebusiness tätig sind – ist die Prüfung des Neuen deutlich vereinfacht; alle kennen sich aus, alle wissen um die Stile der Jahrhunderte und Jahrzehnte, alle kennen die Handschrift des einen oder der anderen DesignerIn und alle wissen, was von subkulturellen Bewegungen (›von der Straße‹) aufgenommen worden ist. Die Konsequenz ist, dass es die DesignerInnen nicht mehr so leicht haben mit dem Behaupten – ihr Publikum ist zu ›klug‹ geworden. Diese ›Klugheit‹ hatte seit den Achtzigern zur Folge, dass die Behauptungen der DesignerInnen falsifiziert wurden – salopp gesagt, mussten sie sich mit dem Vorwurf »Das haben wir doch alles schon mal gesehen!« auseinandersetzen. Daher behaupten sie das Neue nicht mehr nur in Form eines vermeintlich neuen Kleidungsstücks oder einer Kollektion, sondern in Form einer neuen Atmosphäre, in der Hoffnung, dass hier die Prüfungsgrundlage nicht so ausdifferenziert ist. Auf jeden Fall sind Atmosphären von Modenschauen nicht allge-

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mein zugänglich – erfahren können sie tatsächlich nur die ZuschauerInnen, die vor Ort sind; selbst Videoaufnahmen können die Atmosphäre nicht vermitteln. Der Kreis der ›Klugen‹ ist also auf die Personen begrenzt, die vor Ort sind – und die Exklusivität der Shows haben die DesignerInnen selbst in der Hand. Außerdem bedienen sich nicht alle DesignerInnen einer spektakulären Inszenierung, die eine eindrückliche Atmosphäre schafft. Der Kreis der KonkurrentInnen, die sich im ›Atmosphären-Gedächtnis‹, einer Unterkategorie des Mode-Gedächtnisses, wenn man so will, verewigt, ist sehr viel kleiner als der Kreis, der sich um kleidungsbezogene Neuheiten bemüht (hat). Die Modenschau bietet sich den DesignerInnen also als ein neues Terrain an, in dem sie Neues behaupten können.

E xkurs zur Sprechakttheorie Bevor genauer auf die Behauptung der Atmosphäre als das immaterielle Neue der Mode eingegangen wird, erscheint es notwendig, einige Worte über die Sprechakttheorie zu verlieren, zumal die Modenschau hier als ein performatives Ereignis definiert wird und die Theorie des Performativen ihren Ursprung in eben dieser Theorie hat. Die Sprechakttheorie wurde durch eine 1955 gehaltene Vorlesungsreihe mit dem Titel »How to do things with words« des Philosophen John Langshaw Austin begründet und insbesondere durch Austins Schüler, John Searle, verbreitet und weiterentwickelt. Nach Austin gibt es zwei verschiedene Arten der sprachlichen Äußerung: zum einen die konstative Äußerung, »die einen Sachverhalt beschreibt und aufgrund dieser Korrespondenz mit der Welt entweder wahr oder falsch ist« und zum anderen die performative Äußerung, »die zwar grammatisch gesehen in der Form eines Konstativums auftritt, aber den Vollzug einer Handlung darstellt, und deshalb weder wahr noch falsch, sondern qua Handlung gelungen oder misslungen ist« (aus: Villers 2011, 35; vgl. i.O. Austin 1972 [engl. 1962], 33). Ein von Austin eingeführtes Beispiel für ein solches Performativum ist die Eheschließung mit den Sätzen »Ja, ich will« und »Hiermit ernenne ich euch zu Mann und Frau«. Zu solchen Sprechaktbeispielen erklärt Austin: »Das Äußern der Worte ist gewöhnlich durchaus ein entscheidendes oder sogar das entscheidende Ereignis im Vollzuge der Handlung, um die es in der Äußerung geht […]; aber es ist alles andere als üblich […], daß nur das Äußern der Worte nötig ist, wenn die Handlung vollzogen sein soll. Ganz allgemein gesagt, ist es immer nötig, daß die Umstände, unter denen die Worte geäußert werden, in bestimmter Hinsicht oder in mehreren Hinsichten passen, und es ist sehr häufig nötig, daß der Sprecher oder andere Personen zusätzlich gewisse weitere Handlungen vollziehen – ob nun ›körperliche‹ oder ›geistige‹ Handlungen oder einfach die, gewisse andere Worte zu äußern.« (Austin 1972, 29; kursiv i.O.)

Der Kontext ist also maßgeblich für das Nachvollziehen oder Gelingen eines Sprechaktes – »Ja, ich will« als Witz zu sagen oder als Antwort auf die Frage

IV. Die Behauptung des Neuen

»Noch ein Glas Wein?« vollzieht keine Handlung. Bei einem Sprechakt unterscheidet Austin drei verschiedene Teilakte, die beim Sprechen gleichzeitig ablaufen. Beim ersten, lokutionären Teilakt (mit phonetischem, phatischem und rhetischem Aktanteil), reiht der Sprecher nach phonetischen, grammatikalischen, syntaktischen und referentiellen Prinzipien Wörter aneinander, die in der Kombination Sinn ergeben. Der zweite, illokutionäre Teilakt markiert eine soziale, z.B. zwischenmenschliche Beziehung – d.h. der Akt ist in irgendeiner Form (als Bitte, als Frage, als Behauptung etc.) gerichtet. Der dritte, perlokutionäre Teilakt markiert eine durch den illokutionären Akt hervorgerufene Wirkung (vgl. ebda., 116 u. 134). Dabei unterscheidet Austin zwischen dem illokutionären Akt mit einer spezifischen, intendierten Wirkung und dem perlokutionärem Effekt als tatsächlich eingetretene Wirkung. Je nachdem, ob Akt und Effekt übereinstimmen, ist der Sprechakt gelungen oder misslungen (sog. »Unglücksfälle«, vgl. ebda., 56ff.). John Searle unterteilt den lokutionären Teilakt nochmals in einen Äußerungsakt und einen propositionalen Akt, womit er zu vier Teilakten gelangt, was aber hier nicht weiter ausgeführt werden soll. Searle untersuchte zudem den illokutionären Akt eingehender und brachte – wie Austin, aber nicht gänzlich übereinstimmend19 – fünf Kategorien hervor, denen konkrete Verben zugeordnet waren. Diese Kategorien sind: die Representativa/Assertiva (sagen, wie es sich verhält – »Ich behaupte, dass…«), die Direktiva (jemanden zu einer Handlung/Unterlassung bewegen – »Ich bitte dich, …«), die Kommissiva (sich selbst auf eine Handlung/Unterlassung festlegen – »Ich gelobe feierlich, …«), die Expressiva (Ausdruck der eigenen Gefühlslage – »Ich bedaure, …«) und die Deklarativa (mit dem Sagen die Welt entsprechend dem Gesagten verändern –­»Hiermit ernenne ich euch…«) (Searle 1993 [engl. 1979], 31-39). Interessant für die vorliegende Untersuchung ist der illokutionäre Akt als Repräsentativa/Assertiva, unter den die Behauptung fällt. Mit welcher Behauptung, die eine Handlung vollziehen soll, haben wir es zu tun? Es ist die Behauptung der DesignerInnen »Hier ist das Neue!« – oder klarer »Ich behaupte, hier ist das Neue!«. Festzuhalten ist, dass die DesignerInnen sich zwar im Klaren darüber sind, dass es eine Behauptung ist, dies jedoch nicht in der Form artikulieren oder zu verstehen geben, denn dann würde der Mangel des Beweises offensichtlich werden (nach Austin wäre dies eine implizit performative Äußerung im Gegensatz zu einer expliziten; vgl. Austin 1972, 50). Die DesignerInnen versuchen also, nicht nur das Neue zu behaupten, sondern auch die Behauptung an sich zu vertuschen, indem sie es konstatieren – »Hier ist das Neue!«. Es handelt sich folglich um einen konstativ formulierten Satz, der jedoch keine Tatsache darlegt, sondern eine – verschlei-

19  |  Austin unterschied zwischen den verdiktiven, den exerzitiven, den kommissiven, den konduktiven und den expositiven Äußerungen. Vgl. Austin 1972, 166.

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erte – Behauptung ist. Die Behauptung soll deswegen nicht offensichtlich sein, damit das Publikum nicht augenblicklich einen etwaigen ›Betrug‹ vermutet. Welche Handlung wäre nun mit dem Satz »Hier ist das Neue!« vollzogen? Die Handlung ist die Etikettierung der gezeigten Kleidung als Mode. Das, was eigentlich das modeversierte Spezialistentum vollbringen soll, versuchen die DesignerInnen vorwegzunehmen. Was sie gewissermaßen als Entlastung des Spezialistentums propagieren, soll eine etwaige Nicht-Etikettierung der Kleidung als neue Mode – oder schlimmer noch, eine Entlarvung als simple Kopie – verhindern. Außerdem wirken sie mit der Behauptung nicht nur dem (gefürchteten) Urteil des Spezialistentums entgegen, sondern verkürzen auch die Aushandlungszeit, die es normalerweise für sich in Anspruch nimmt. Denn in der Modenschau wird die Aushandlung zwar angestoßen, sie vollzieht sich jedoch erst im Verlaufe der Nachbereitung durch Berichterstattungen der JournalistInnen oder Bestellungen der EinkäuferInnen. »Hier ist das Neue!« vollzieht also als ›verkleidete‹ Behauptung den Akt der Etikettierung der Kleidung als neue Mode und verhindert so den zeitintensiven und risikobehafteten Aushandlungsprozess des Spezialistentums. Knapp formuliert, betreiben die DesignerInnen mit dieser Behauptung eine Risikominderung. Nun ist sich das Spezialistentum dieses Mechanismus jedoch bewusst. Schon längst ist es den DesignerInnen auf die Spur gekommen, die die Behauptung in dieser Form einsetzen, und hat die Kleider als nicht wirklich neue Mode – als Zitate, Dekonstruktionen oder Kombinationen alter Moden – entlarvt. Hier setzt die Argumentation des vorliegenden Buches wieder an: Die DesignerInnen setzen also nun auf ein Feld, das der Atmosphären, in dem die Behauptung wieder funktionieren könnte. ›Funktionieren‹ heißt in diesem Fall, dass ihre Behauptungen entweder einer Beweisführung durch das Spezialistentum standhalten könnten (im Sinne von ›eine-Atmosphäre-in-der-Form-so-noch-nicht-erfahren‹) oder dass die Atmosphären durch ihre sinnliche Inanspruchnahme, die auf den unmittelbaren Effekt setzt, die SpezialistInnen so überzeugen, dass eine weitere Beweisführung für unnötig befunden wird. Wie verzaubert glaubt das modeversierte Publikum in der unmittelbaren Erfahrung der Modenschau etwas vollkommen Neues erlebt zu haben und überträgt diesen Glauben auf die Mode.

4. D ie A tmosphäre als das immaterielle N eue Bereits in Kapitel II.2.2. im Zuge der Begriffsklärungen wurde erklärt, was unter einer Modenschau-Atmosphäre verstanden wird. Die Definition, die der Begriffsdiskussion hintangestellt wurde, sei an dieser Stelle wiederholt: Eine Atmosphäre ist von den DesignerInnen kreiert und intendiert und wird durch die leibliche Anwesenheit der ZuschauerInnen individuell erfahren. Sie ist nur von kurzer

IV. Die Behauptung des Neuen Dauer, und viele verschiedene Parameter tragen zu ihrer Schaffung bei. Sie ist als Ergebnis des Zusammenspiels von Planung, Emergenz und individueller sinnlicher Erfahrung zu verstehen. Die Schaffung einer Atmosphäre ist zu einem zentralen Instrument avanciert, mit dem die DesignerInnen versuchen können, Neues zu erzeugen. Die Erfahrung der Atmosphäre der Modenschau ist wesentlich für das Spezialistentum, da sie die Verhandlungsbasis für die Zuschreibung einer Kleidung als neue Mode darstellt.

In diesem Kapitel soll besprochen werden, wie sich die Behauptung des Neuen auf eine Atmosphäre beziehen kann – das argumentative Verbindungselement ist hier der Begriff der Immaterialität. Es gilt also zu klären, was das Immaterielle einer Atmosphäre und was das Immaterielle des Neuen ist. Die Immaterialität des Neuen wird deutlich, wenn wir uns die obigen Diskussionen zum Neuen sowie den Begriff der Behauptung ins Gedächtnis rufen: Das Neue – ganz gleich, worum es sich handelt und wie es entstanden ist – ist nicht im Moment seines Erscheinens das Neue. Es muss erst als etwas Neues deklariert (bzw. behauptet) und als solches erkannt werden. So könnte man sagen, dass das Neue immer schon – gewissermaßen als leere Hülle, als umschließender Rahmen – besteht, ganz gleich, ob es sich irgendwann auf ein Objekt oder eine Erscheinung bezieht und dieses umschließt. Im Moment seiner Äußerung bezieht das Neue sich auf ein Objekt bzw. Erscheinung und macht durch seine umrahmende, markierende Art das Umschlossene sichtbar. Das Neue ist in dem Sinne ein Instrument, um Unsichtbares/Unerkanntes/Unbekanntes zu Sichtbarem/Erkanntem/Bekanntem zu machen. Die anfängliche Immaterialität, also ›Objekt- bzw. Erscheinungsunbezogenheit‹, wandelt sich in eine materielle Bezogenheit im Sinne einer Greifbarkeit, Fixierbarkeit, Definierbarkeit. An dieser Stelle könnte man für die Frage nach dem ewigen und veränderlichen Element des Neuen eine Antwort finden: Das ewige Element des Neuen ist die bloße Behauptung desselben, das veränderliche Element der konkrete Bezug der Behauptung auf ein (frei wählbares) Objekt, Ereignis oder eine Erscheinung. So gesehen ist jede Behauptung der DesignerInnen »Hier ist das Neue!« vor jeglicher Kreation existent. Natürlich werden die DesignerInnen etwas Neues erschaffen! Und zwar jede Saison! Denn das Neue ist als Instrument bereits da, bevor es etwas gefunden hat, auf das es sich beziehen kann. Die Behauptung »Hier ist das Neue!« ist als immaterielle Voraussetzung des materiellen Schaffens unabhängig von der Sache, auf die es sich beziehen wird. So kann sich die Behauptung des Neuen auf ein Dior-Kleid beziehen, das den »New Look« begründen soll, oder auch auf eine Kopie der Entwürfe von Miu Miu, die bei Zara zum Verkauf stehen. Es kann an ein Parfüm des Labels gehaftet werden, an einen »fashion short film« und eben auch an eine Atmosphäre. Man kann im Grunde von jedem Objekt, jedem Ereignis und jeder Erscheinung erst einmal behaupten, dass es sich um etwas Neues handelt. Den DesignerInnen ist in den letzen 30 Jahren bewusst geworden, dass das Spezialistentum ›klüger‹ geworden ist und die Beweisführung einfacher. Gibt

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man beispielsweise nach der Sichtung des Katzenmusters in einer Zara-Filiale »Katzenmuster Zara Kopie« in Google ein, erscheint das (vermeintliche) Original von Miu Miu. So stellt sich den DesignerInnen die Frage, was weniger einfach als Kopie entlarvt werden könnte: Es muss etwas sein, das flüchtig ist, nicht greif bar – nur erfahrbar und für das es noch kein groß angelegtes kollektives Gedächtnis gibt. Aber es muss auch etwas sein, das irgendeine Verbindung zur Kleidung hat. Nichts liegt näher als die Atmosphäre der Modenschau. Was sind hier die Vorzüge? Nehmen wir hier einmal eine konkrete Atmosphäre, anhand derer wir solche Vorzüge festmachen können: die Show von Sonia Rykiel für H&M beispielsweise, die von Etienne Russo, dem Kreativkopf der belgischen Agentur für Modenschauproduktionen Villa Eugenie geplant und durchgeführt wurde. Sie fand am 1.11.2009 im Grand Palais in Paris statt und in ihr wurde eine Unterwäsche-Kollektion des Modemagnaten H&M in Kooperation mit der Designerin Sonia Rykiel vorgeführt. Im Grand Palais wurde Paris in Miniaturform (d.h. insbesondere seine Wahrzeichen, wie der Eiffelturm und der Triumphbogen, vgl. Abb. 9) nachgebaut und die Models wurden in einem karnevalesken Umzug auf motorisierten Wägen durch die ›Straßen von Paris‹ gefahren.20 Zur Beschreibung der Modenschau sei die Modejournalistin Jessica Weiß zitiert, die – zusammen mit Julia Knolle – den prämierten Modeblog lesmads.de ins Leben gerufen hat und live bei der besagten Modenschau dabei war. Abbildung 9: Eiffelturm bei Sonia Rykiel für H&M 2009

20  |  Über die Planung und die Modellerstellung der Modenschau durch Etienne Russo ist unter diesem Link mehr zu erfahren: www.youtube.com/watch?v=xFjfbVQ4gVI. Den Aufbau der Show kann man hier verfolgen: www.youtube.com/watch?v=rvW3cDEcWdU. Beide Links zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

IV. Die Behauptung des Neuen

Zwei Posts während der Veranstaltung: »Willkommen im Disneyland für Erwachsene! Durch einen Wald aus Luftballonbäumen traten wir soeben in den Grand Palais ein, der für die Modenschau von ›Sonia Rykiel pour H&M‹ umgebaut wurde. Die gesamte beeindruckende Location auf ein Bild zu bekommen, scheint schier unmöglich – in der Mitte rankt ein 25-Meter hoher Eiffelturm, kurz zuvor sind wir auf einem grossen Kettenkarussel [sic] gefahren, in der anderen Ecke steht das älteste Riesenrad der Welt. Das Pariser Flair wird durch kleine Gassen mit Crêpes-, Champagner-, und Patisseriestände [sic] vermittelt. […] Ein Riesenevent, das ich erst einmal verdauen muss – und die Show folgt doch erst!« 21 »Auch auf die Gefahr hin, hier eine Reizüberflutung auszulösen, muss ich noch schnell ein Preview-Bild der Modenschau von ›Sonia Rykiel pour H&M‹ zeigen. Auf gigantischen Wagen wurden die Models durch den Grand Palais gezogen. Ob auf Pferden, Schaukeln, Kronleuchtern oder in Betten – die Rykiel-Models tanzten und räkelten, was das Zeug hielt. Beweisvideos folgen!« 22

Ein Post am Tag danach: »In kleinen Häppchen habe ich den gestrigen Abend bereits Revue passieren lassen, ein allumfassender Beitrag muss aber noch stattfinden. Die Show von Sonia Rykiel für H&M im Pariser Grand Palais war ein Spektakel der Superlative, das zwar auch im Internet verfolgt werden konnte, live dann aber doch Gänsehaut verursachte. Durch einen Wald aus Luftballonbäumen traten wir ein in ein magisches Szenario aus einem nachgebauten Paris, das mit einer Fahrt auf dem Kettenkarrussel [sic] eingeweiht wurde. Mit Champagner, Häppchen und rund 2.000 weiteren Gästen musste ich die Tatsache, mich in Karls heiligen Hallen 23 zu befinden, erst einmal verkraften. […] Mit einigen Bildern im Kasten zog es mich samt Zuckerwatte in das Viertel St. Germain zu noch mehr Bellini und Torten. Allein die Location sowie die Atmosphäre erinnerten an Alice im Wunderland, Disneyland für Erwachsene oder Schlaraffenland, was eine angenehme Reizüberflutung verursachte. Als die Show dann mit grossem Tamm Tamm, leuchtendem Eiffelturm, Feuerwerken, Goldregen und tiefen Bässen (beliebt: ABBA) losging, jubelte das Publikum lautstark und feuerte die rumhüpfenden Models an. Lily Cole übernahm die Führung des gigantischen Pferdes, Alana Zimmer stach aus den nicht unbedingt makellos tanzenden Damen heraus und auch ein deutsches Gesicht aus Berlin (befinde mich 21  |  Post vom 1.11.2009, 22:09 Uhr, einzusehen unter: www.lesmads.de/2009/12/sonia_rykiel_fur_hm___die_location_der_show.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 22 | Post vom 2.11.2009, 2:21 Uhr; einzusehen unter: www.lesmads.de/2009/12/ preview_die_show_von_sonia_rykiel_fur_hm.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 23  |  Mit »Karls heiligen Hallen« weist Jessica Weiß darauf hin, dass Karl Lagerfeld die Modenschauen für Chanel im Grand Palais zu inszenieren pflegt.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode noch auf Namensuche) wurde gesichtet. Auf Schaukeln, Rennrädern, in Kronleuchtern und gigantischen Betten sorgten die Mädels mit der bekannten Rykiel-Afrofrisur für Aufsehen und ich kann mir vorstellen, dass das trotz eingefrorenem Lachen ein wenig Spass gemacht haben muss. […] Wie soll ich jemals wieder auf eine normale Modenschau gehen können, ohne mich zu langweilen…?« 24

Aus diesen reichen Beschreibungen wird der emergentistische Charakter einer Modenschau klar: Die Atmosphäre der Modenschau, die Weiß an einigen Stellen als »magisches Szenario«, als »Disneyland für Erwachsene« oder »Schlaraffenland« umschreibt, wird durch das Zusammenwirken vieler hunderter Details erzeugt. Auffällig ist zudem, dass sie mehrere Posts benötigt, um die Fülle der Eindrücke – sie spricht von Reizüberflutung – auf ›Papier‹ zu bringen. Es ist nicht alles in ein (fotografisches) Bild zu bannen, wie sie gleich zu Beginn feststellt. Die Atmosphäre entzieht sich der Vermittlung durch einzelne Medien wie Fotos und geschriebene Sprache, selbst mehrere Videos werden gepostet, um als LeserIn ein möglichst umfassendes ›Bild‹ zu bekommen. Somit kommen wir zu den wesentlichen Merkmalen einer Modenschau-Atmosphäre: ihr Einzug, Einbezug und Entzug innerhalb von 15 Minuten als die drei Aspekte ihres ephemeren Charakters. Ihr plötzlicher Einzug, womit der Moment gemeint ist, ab dem die Atmosphäre erfahrbar wird, wird von DesignerInnen oft dramatisiert und verstärkt, beispielsweise durch das Heben von Vorhängen, das plötzliche Beleuchten des Sets, durch das Einspielen lauter Musik – der Moment der Überraschung oder des Schocks ist maßgeblich für die Markierung des ›Atmosphärenbeginns‹. Der Einbezug ist die Phase des Einlullens der ZuschauerInnen – des Gefangennehmens, des In-den-BannZiehens, der Immersion. Die Auflösung ist Teil des Entzugs, genauso, wie sich die Atmosphäre in der Folge den Sinnen sowie der Möglichkeit der umfassenden Vermittlung oder Wiedergabe entzieht. Aber wie hat man sich eine Atmosphäre vorzustellen? Eine Atmosphäre wird durch materielle Dinge (wie z.B. die einzelnen Details des Bühnensets oder die Models) und gleichermaßen immaterielle Dinge (wie Musik, Lichtverhältnisse, Geruch des Raums etc.) erzeugt und ist selber immateriell. Was ist damit gemeint? Und vor allem, wenn sie immateriell, d.h. nicht materiell ist, was ist sie dann? Wie kann sie, wenn sie immateriell ist, erscheinen und wieder verschwinden? Ist nicht eine Atmosphäre unsichtbar? Festzuhalten sei zunächst, dass eine Atmosphäre zwar ganzheitlich erfahrbar ist, die einzelnen Sinne jedoch nur gezielt Aspekte einer Atmosphäre erfassen können. Sichtbar ist sie also beispielsweise am Bühnendesign – das Set ist aber nur ein Teil 24 | Post vom 2.11.2009, 15:15 Uhr, einzusehen unter: www.lesmads.de/2009/12/ sonia_rykiel_pour_hm_in_paris_show_und_location.html, zuletzt aufgerufen am 27.9. 2014.

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der Atmosphäre. Hörbar ist sie an der Musik – aber auch das gespielte Lied ist nur Teil der Atmosphäre. Gleichermaßen verhält es sich mit der ›Spürbarkeit‹/ ›Fühlbarkeit‹, ›Schmeckbarkeit‹ und ›Riechbarkeit‹. Die Atmosphäre als Ganze kann also von keinem einzelnen Sinn vollständig erfahren werden.25 Das ist der Grund, warum selbst Videoaufnahmen, die relativ viele Elemente der Atmosphäre (visuelle und auditive) transportieren können, nicht ausreichen für die Vermittlung einer ›ganzen‹ Atmosphäre. Interessant ist, dass in der Erinnerung an eine Atmosphäre verschiedene, durch einen Sinneskanal aufgenommene Elemente synästhetisch auf andere Elemente anderer Sinneskanäle verweisen können. Wenn zum Beispiel der Klang der Modenschau im Grand Palais, der durch das Durcheinanderreden der Gäste, durch die verschiedenen Automaten (z.B. das Karussell), durch die eingespielte Musik, durch die Instrumente der MusikerInnen usw. entstand, an die Gedrängtheit (haptisch/kinästhetisch/propriozeptiv) oder an die stickige Luft (olfaktorisch) erinnert. Die Atmosphäre ist ein Geflecht, eine Art Netzwerk, eine rhizomatische Verweisstruktur26 aus Eindrücken der verschiedenen Sinne, die nicht entwirrt werden können (vgl. Abb. 6 »Elemente eines möglichen synoptischen, synästhetischen Bildes«). Die Atmosphäre ist immateriell, weil sie nicht aus einem bestimmten Material ist und auch an keinem bestimmten Material haftet. Sie ist also nicht stofflich oder körperlich begrenzt. Paradoxerweise erscheint sie dennoch in einem bestimmten Raum oder räumlichen Gefüge und zu einer bestimmten Zeit, was sie eben doch lokalisierbar und zeitgebunden macht (im Gegensatz zur ›Geistigkeit‹, die in vielen Fällen als Synonym von Immaterialität besprochen wird 27). Eine Atmosphäre ist des Weiteren immateriell im Sinne von ›ungreifbar‹: Zwar ist sie erfahrbar, lokalisierbar und zeitgebunden, dennoch aber 25 | Hier kann eine Parallele zu Martin Seels Formulierung der Funktion von Inszenierungen aufgezeigt werden. Jede Inszenierung sei »ein auffälliges Herstellen und Herausstellen einer Gegenwart von etwas, das hier und jetzt geschieht, und das sich darum, weil es Gegenwart ist, jeder auch nur annähernd vollständigen Erfassung entzieht« (Seel 2001, 53). Mit »Gegenwart« meint Seel derweil die »spürende, handelnde und erkennende Begegnung mit Vorhandenem« – Inszenierungen »machen diese Gegenwart bemerkbar« (ebda., 54, kursiv i.O.), lassen Gegenwart öffentlich erscheinen (vgl. ebda., 56). Künstlerische Inszenierungen lassen Gegenwart nicht nur erscheinen, sondern bieten sie dar (vgl. ebda., 58). Die Modenschau bietet als Inszenierung Gegenwart nicht nur dar, sondern hat noch eine zusätzliche Funktion: Dadurch, dass sie die Plattform für die Behauptung des Neuen ist, markiert sie Unsichtbares/Unerkanntes/Unbekanntes als Sichtbares/Erkanntes/Bekanntes. 26  |  Verstanden wie bei Deleuze u. Guattari 1977 (frz. 1976), 5-47. 27  |  Vgl. den Eintrag zu immateriell in der Brockhaus Enzyklopädie von 1970 (Bd. 9, 16): »unstofflich, unkörperlich, ›geistig‹, als philosophischer Begriff auf ideelles, zeitloses Sein (PLATON) wie auf geistig-seelische Realität (N. HARTMANN) angewandt.«

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nicht zu greifen, nicht festzuhalten, nicht ›dingfest‹ zu machen – was ihre Weitervermittlung erschwert. Der Titel dieses Kapitels »Die Atmosphäre als das immaterielle Neue« ist auf zweierlei Weise zu verstehen: Das Neue ist immer aus Prinzip immateriell und seit 30 Jahren bezieht es sich im Modedesign immer häufiger auf die Modenschau-Atmosphäre. Und: Die Modenschau-Atmosphäre ist immateriell. Beiden gemeinsam – der Immaterialität der Atmosphäre und der Immaterialität des Neuen – ist ihre Unbestimmtheit. Das immaterielle Neue ist insofern unbestimmt, da es sich auf kein Ding oder keine Erscheinung von vornherein bezieht, es ist sozusagen flexibel einsetzbar. Die immaterielle Atmosphäre ist insofern unbestimmt, da sie nicht an einem Ding festzumachen ist. Das Neue und die Atmosphäre sind sich ihrem Wesen nach ähnlich, ›passen zueinander‹ und – dies ist der entscheidende Punkt – verstärken einander: Das Neue gewinnt, wenn es sich auf eine Atmosphäre bezieht, durch ihren ephemeren Charakter an Flexibilität; und die Atmosphäre gewinnt, wenn sie als das Neue tituliert wird, an Einmaligkeit und Auffälligkeit. Vor dem Hintergrund der vorherigen Überlegungen zum Neuen als ein Instrument, das Unsichtbares/Unerkanntes/Unbekanntes zu Sichtbarem/Erkanntem/Bekanntem macht, indem es dieses markiert, macht das Neue die Atmosphäre zudem zu etwas, auf das man sich umso leichter beziehen kann, das man umso mehr erhalten und transportieren will, so gesehen zu etwas Pseudo-Materiellem. Diese Erkenntnis ist in Hinblick auf das Kapitel VI. wichtig, wenn es zur Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung kommt. Das ›Einfangen‹ der Atmosphäre in einem synoptischen, synästhetischen Bild mag noch im Grenzbereich zwischen Immaterialität und Pseudo-Materialität liegen – die konkreten Kopplungsstrategien versuchen aber dezidiert die Atmosphäre zu materialisieren.

5. S ynthese : V ersuch einer Theorie des N euen der M ode In diesem das Kapitel IV. abschließenden Teil soll eine Theorie des Neuen der Mode entwickelt werden. Dabei wird systematisch vorgegangen, indem der Beweggrund einer Theoriebildung, die Wesensart einer solchen Theorie, ihre Hypothesen und ihre Anwendbarkeit geklärt werden. In einem finalen Abschnitt soll die Theorie in ein paar kurzen Sätzen artikuliert werden.

Warum überhaupt eine Theorie des Neuen der Mode? Der Modezyklus, wenn man ihn als das Ablösen alter Moden durch neue Moden versteht (wobei zeitliche Überlappungen von Alt und Neu sowie gleichzeitig gültige Moden durchaus normal sind), funktioniert nur deswegen, weil in regelmäßigen Abständen der Wunsch danach besteht, das Alte durch etwas

IV. Die Behauptung des Neuen

Neues zu ersetzen. Dabei spielen spezifische Faktoren, wie etwa die Neugierde des Menschen oder sein stetiger Wunsch nach Differenzierung oder Angleichung an veränderte Situationen, eine Rolle. In anderen Bereichen der Bekleidung, wie z.B. in der Tracht, sind solche Mechanismen nicht oder in abgeschwächter Form zu finden. Wichtig ist m.E. dennoch zu verstehen, dass diese Faktoren, Motoren und Funktionsweisen dieses Zyklus nicht kleidungsspezifisch sind. Es handelt sich im Gegenteil um ein Prinzip des Wechsels nach dem Motto ›Das Neue um des Neuen Willen‹, welches genauso auch andere Bereiche des Lebens erfassen kann und dies auch bereits getan hat, wie im Bereich der Auto- oder Möbelindustrie beispielsweise. In anderen Bereichen des Konsums herrschen andere Prinzipien des Wechsels, in denen beispielsweise die Verbesserung der Funktionalität (z.B. Tablets oder Smartphones) oder die Einhaltung von bestimmten Richtlinien (z.B. Bio-Lebensmittel) für Änderungen sorgen. Nun ist man bislang in den Überlegungen über das Neue der Mode größtenteils davon ausgegangen, dass es als etwas Kleidungsspezifisches untersucht werden muss. Von den Kleidern ausgehend wurde induktiv untersucht, wie verschiedene DesignerInnen inspiriert werden bzw. aus welchem System heraus sie wie ihre Inventionen entwickeln. Selbst Haberler, die das anschauliche Schema über die system-internen, system-affinen, system-fremden und nicht-archivierten Neuheitserscheinungen entwickelt hat, geht, wie ihre Begriffe ja schon zeigen, immer vom Modesystem und den Abweichungen von ihm aus. Hier wird hingegen eine deduktive Theoriebildung über das Wesen des Neuen propagiert, die unabhängig von jeglichem System ist und sich in der Anwendung im Falle der Mode verifiziert. Die Notwendigkeit einer solchen Theoriebildung ist darin begründet, dass seit Mitte der achtziger Jahre Inventivität nicht mehr im Modedesign zu finden ist, sondern sich zum Modenschaudesign verschoben hat. Das Neue des Modenschaudesigns zu untersuchen ist nicht möglich, wenn man es nur von der Kleidung her denkt. Generell und in Zukunft ist es denkbar, dass sich die Inventivität weiterhin verschiebt: weg vom Modedesign über das Modenschaudesign zur Textilbearbeitung beispielsweise (man denke nur an den dauerhaften Trend der Nachhaltigkeit in der Mode). Damit eine Theorie ›mit der Mode gehen kann‹, muss sie daher abstrakt und flexibel sein.

Was ist generell unter einer Theorie zu verstehen? Eine Theorie des Neuen soll ein System von Aussagen enthalten, das dazu dient, gegenwärtige und vergangene ›status quos‹ der Modeinventionen beschreiben und erklären sowie Prognosen über zukünftige Zustände abgeben zu können. Damit ist es ein Modell von der Realität, das unabhängig von Zeit und Raum verifiziert werden kann.

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Welche Hypothesen kann man als Theoriekern formulieren? • Das Neue ist eine Behauptung, die vor jedem kreativen Schaffen existiert. Die Behauptung »Das ist das Neue!« ist flexibel auf jegliche Objekte, Ereignisse oder Erscheinungen anwendbar, ähnlich wie die Behauptung »Das ist Kunst!«28 • Das Neue hat dadurch einen markierenden Charakter, um Unsichtbares/ Unerkanntes/Unbekanntes zu Sichtbarem/Erkanntem/Bekanntem zu machen. • Diejenigen, die die Behauptung aussprechen und auf ein Objekt, ein Ereignis bzw. eine Erscheinung beziehen, können die Behauptung des Neuen als Instrument benutzen, um auf das Objekt, das Ereignis bzw. auf die Erscheinung aufmerksam zu machen. • Das Objekt, das Ereignis oder die Erscheinung ist flexibel auswählbar. Es kann sich dabei um ein Kleidungsstück, um eine Kollektion, um einen Event wie eine Modenschau oder auch um eine bestimmte Herstellungsmaßnahme handeln – um nur einige Beispiele zu nennen. • Die Behauptung kann nur dann realisiert werden, wenn die SprecherInnen die Behauptung an ZuhörerInnen richten. Die SprecherInnen sprechen die Behauptung »Das ist das Neue!« aus, um die ZuhörerInnen davon zu überzeugen, dass das Erschaffene und Präsentierte neu ist. Die Behauptung zieht normalerweise eine Prüfung/Beweisführung durch die SprecherInnen, im Modesystem meist durch die ZuhörerInnen, nach sich. • Die Prüfung besteht darin, das Präsentierte mit dem abzugleichen, was im kollektiven Mode-Gedächtnis bereits abgespeichert wurde. Die Behauptung »Das ist das Neue!« wird dann verifiziert, wenn das Präsentierte so in der Form scheinbar noch nicht gesehen wurde.

Wie kann die Theorie angewandt werden? Die Theorie soll eine Erklärung dafür sein, wie Neues auf die Welt kommen kann. Die Theorie von der Behauptung des Neuen kann nicht alle Veränderungen auf dieser Welt erklären, denn manche Inventionen sind Reaktionen auf bestimmte Veränderungen (z.B. Naturkatastrophen) oder sind mal mehr, mal weniger ›zufällige‹ Entdeckungen (wie die Entdeckung des Penicillin-Pilzes oder von neuen Tierarten). Die Theorie des Neuen als eine Behauptung kann m.E. eher im Bereich kreativen Schaffens bzw. in der sog. ›Kreativwirtschaft‹ angewandt werden. Diese umfasst die Segmente Musik, Literatur, Kunst, Film, Internet/Software/Games, Rundfunk, Theater, Design Architektur, Presse und Werbung. Außerhalb dieser Bereiche (d.h. beispielsweise in der Politik, Medizin oder Technik) müssen andere Kategorien, Gesetzte und Grenzen aus28  |  So versteht beispielsweise der bekannte Kunstsammler und Kurator Rik Reinking Kunst als Behauptung. Vgl. Kramer 2011, 8f.

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gehandelt werden, um mögliche, schwerwiegende Folgen einer ›Behauptung des Neuen‹ zu kontrollieren. Hier kann das Scheitern möglicher Erneuerungen existenzielle Auswirkungen haben.29 In der Mode bedeutet ein solches Scheitern, beispielsweise im Falle des Bloomer-Kostüms 1851, welches sich erst in der weiblichen Sportbekleidung Anfang des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnte (vgl. Wolter 2011a), nur, dass die Zuhörerschaft noch nicht ›bereit‹ für eine Prüfung gewesen ist oder die Prüfung zu einer – momentanen, nicht permanenten – Ablehnung geführt hat. Schwerwiegendere, im Sinne von sich und andere Menschen bedrohende Folgen haben diese Behauptung allerdings nicht. In den anderen kulturellen Bereichen findet man ebenfalls Beispiele für solche Behauptungen, vor allem in den Fällen, in denen KünstlerInnen ›ihrer Zeit voraus‹ waren und ihr Werk erst posthum gewürdigt wurde. So erlangten die zahlreichen Untersuchungen und Entwürfe eines Leonardo da Vinci erst dreihundert Jahre nach seinem Tod die gebührende Beachtung oder die Werke eines Paul Cézanne, die zeitlebens nur von vereinzelten ImpressionistInnen positiv rezipiert wurden.30

Wie könnte die Theorie in verkürzter Form auf den Punkt gebracht werden? Mit der Theorie des Neuen der Mode als eine Theorie der Behauptung des Neuen soll erklärt werden, wie in kulturellen Bereichen, zu denen die Mode gezählt wird, das Neue auf die Welt kommt. Die Behauptung des Neuen ist als ein zunächst unabhängiges Instrument zu sehen, mit welchem KünstlerInnen 29  |  Eine Behauptung in der Medizin beispielsweise, ein bestimmtes Medikament wäre wirksam gegen eine bestimmte Krankheit, und dann ist es das doch nicht oder führt dem Menschen andere Schäden hinzu, ist sehr viel folgenschwerer als Behauptungen in den kreativwirtschaftlichen Bereichen. Genauso verhält es sich bei Behauptungen in der Technik (z.B. die gescheiterte und drei Menschenopfer fordernde Mission Apollo 1 am 27.1.1967) und in der Politik (z.B. die Behauptung Hitlers am 1.9.1939, Polen hätte zuerst angegriffen und so einen neuen Weltkrieg provoziert). Das Scheitern einer Behauptung in diesen Bereichen ist so gesehen Folge einer ungenügenden Prüfung und Beweisführung. Das Neue durch eine Behauptung auf die Welt zu bringen existiert also auch in diesen kritischen Bereichen, wird jedoch aufgrund des Schweregrads beim Scheitern nicht als Methode gepflegt. 30 | Einen unklaren Fall, den man weiter untersuchen könnte, bilden die Künstler, deren Arbeiten von den Nationalsozialisten als ›entartete Kunst‹ eingeordnet wurden und die sich aufgrund der gegebenen Restriktionen in ihrem Heimatland nicht oder erst viel später behaupten konnten (z.B. Max Beckmann oder die Comedian Harmonists). Mit ihren künstlerischen Behauptungen riskierten diese Künstler sehr wohl ihr eigenes Leben. Diese Beispiele seien als Grenzfälle festgehalten, die trotzdem das Moment der Behauptung in den Vordergrund setzten und die Formulierung einer These des Neuen als Behauptung bekräftigen.

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ein für das Publikum unsichtbares Objekt, Ereignis oder eine Erscheinung sichtbar machen können. Die Prüfung und Beweisführung der Behauptung sowie im positiven Falle die Etikettierung des Ereignisses, der Erscheinung oder des Objekts als das Neue obliegt in diesen künstlerischen Bereichen – entgegen den wissenschaftlichen – im Regelfall dem Publikum. Als das Neue erfolgreich oder akzeptiert sind diejenigen Objekte, Ereignisse oder Erscheinungen, deren Behauptung einer Prüfung und Beweisführung standgehalten hat.

V. Die Atmosphäre der Modenschau 1. D ie M odenschau als performatives E reignis Nachdem nun hergeleitet wurde, inwiefern die Behauptung des Neuen maßgeblich für den Modeprozess ist und wie sie sich auf eine Atmosphäre beziehen kann, werden sich dieses und die folgenden Kapiteln der Beschaffenheit einer Modenschau-Atmosphäre sowie der Möglichkeiten ihrer Erfahrung widmen. Dabei gilt es zu klären, warum eine Modenschau performativ ist und was die Atmosphäre mit performativen Ereignissen zu tun hat. Die hier benutzten Begrifflichkeiten sind vornehmlich der theaterwissenschaftlich fundierten Theorie des Performativen entnommen, die Erika Fischer-Lichte insbesondere im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« an der Freien Universität Berlin entwickelt hat und von Gertrud Lehnert für die Mode fruchtbar gemacht worden sind, wie in Kapitel II.2.2 bei den Begriffsklärungen bereits dargestellt wurde. Nachdem wir die Anfänge der Performativität in der Sprechakttheorie kennengelernt haben, sollte es ein Leichtes sein, zu erklären, was ein performatives Ereignis ist: Hierbei handelt es sich um eine selbstreferentielle Handlung, die genau das bedeutet, was in ihr geschieht. Das Geschehen kann einerseits in ein aktives Erzeugen (durch bestimmte Inszenierungsstrategien) und andererseits in ein Geschehen-Lassen (emergentistische Konsequenzen) aufgeteilt werden. Martin Seel formuliert dieses Verhältnis folgendermaßen: »Jede Inszenierung ist das Ergebnis eines komplexen intentionalen Prozesses, aber jede ist auch selbst ein komplexer und keineswegs durchgängig intentionaler (oder auch nur: intendierter) Prozeß. Inszenierungen, mit einem Wort, sind ein intentional erzeugtes Geschehen.« (Seel 2001, 49; kursiv i.O.)

Damit befindet sich die Modenschau in einem Spannungsverhältnis von Planung und Emergenz, am Beispiel der Modenschau von Sonia Rykiel für H&M wurde dieses Verhältnis bereits deutlich. Dadurch, dass das Neue durch eine intentionale, auf etwas gerichtete Behauptung in der Modenschau in Erscheinung tritt (also hervorgebracht wird), sind alle Modenschauen per definitionem performativ. Dennoch gibt es einige konkrete Modenschaubeispiele, die

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in der Presse und Literatur als Performances beschrieben werden. Dies sind meist Modenschauen, in denen offensichtlich mehr gemacht wird, als ›nur‹ Kleidung vorzuführen. Es muss betont werden, dass der Begriff der Performance auch in den (Theater- und Kunst-)Wissenschaften von den Begriffen der Performativität bzw. des Performativen, von denen hier bislang die Rede war, unterschieden wird. Dem Eintrag im Metzler Lexikon der Theatertheorie zufolge, das unter anderem von Fischer-Lichte herausgegeben wurde, kann man unter Performance im deutschen theaterwissenschaftlichen Diskurs dreierlei verstehen: Erstens wird dieser Begriff teilweise als Synonym für Aufführung benutzt (nicht in diesem Buch), zweitens als Performance-Kunst und drittens als »cultural performance« verstanden. Die Autorin des Artikels, Sandra Umathum, wagt trotzdem eine übergreifende Definition von Performance: »Nach theaterwissenschaftlichem Verständnis existieren Performances im Gegensatz zu Monumenten, Texten, Bildern etc. ausschließlich in der Gegenwart. Sie können, da sie sich nicht in Werken konstituieren, auch nicht wie jene erneut aufgesucht und rezipiert werden. Vielmehr werden Performances im Modus des Ereignisses hervorgebracht und erfahren: Sie sind einzigartige Geschehnisse, denen stets eine gewisse Kontingenz und Unplanbarkeit eignet. Ihre zeitliche Entfaltung erfolgt in einem Prozess, in dem Produktion und Rezeption synchron aufeinander bezogen sind, in dem also Zuschauer und Akteure in leiblicher Ko-Präsenz interagieren.« (Umathum 2005, 232)

Die Performance-Kunst ist eine theatrale Gattung, die neben Happening und Aktionskunst in den 1960er Jahren aufgetauchte und deren prominente Vertreter unter anderem Bruce Nauman, Marina Abramović oder Paul McCarthy sind (vgl. ebda., 233). Die oben aufgeführte Definition einer Performance ist hier auch zutreffend, mit der Ergänzung, dass sich bestimmte KünstlerInnen und Künstlergruppen diese Form der Aufführung seit den 1960ern auf die Fahnen schrieben und daraus eine neue Gattung schufen. Unter »cultural performances« versteht man das Phänomen »wertorientierter« kultureller Aufführungen aller Art (u.a. auch Feste und Rituale), »in denen eine Kultur ihr Selbstbild und Selbstverständnis vor sich selbst und vor anderen öffentlich präsentiert – oder auch reflektiert, in Frage stellt und transformiert« (vgl. ebda., 234). Umathum weist darauf hin, dass der Performance-Begriff heutzutage sehr flexibel gebraucht wird, da er mittlerweile beinahe inflationär für alle möglichen Handlungen des Lebens benutzt wird. Modenschauen können als »cultural performances« besprochen werden, wie es Gertrud Lehnert beispielsweise tut1, 1 | So heißt es beispielsweise: »Kurz: Mode ist eine ›cultural performance‹, eine Alltagspraxis – und als Alltagspraxis vermag sie eine Kunst zu sein: die Kunst, mit Mode umzugehen, sich die Mode anzueignen im buchstäblichen Sinne von: etwas Eigenes daraus machen, die eigene Identität mit Hilfe der Mode zu gestalten.« (Lehnert 2006, 12)

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nicht aber ohne Weiteres als Performance-Kunst (vgl. Diskussionen in Rush 2001 u. van Mechelen 2009). Kommen wir nun zu den Modenschaubeispielen, die in der Presse und modewissenschaftlichen Literatur als Performances beschrieben werden. Wie oben bereits angedeutet wurde, tendiert man bei Modenschauen dazu, von Performances zu sprechen, wenn außer der Kleidervorführung noch etwas anderes getan wird und/oder die Kleidervorführung in den Hintergrund tritt, wenn die Kleider von ungewöhnlichen Models vorgeführt werden, wenn die Show von einer ungewöhnlichen Choreografie oder gar keiner geprägt ist oder in denen die Kleider zu etwas Anderem transformiert werden2 . Streng genommen sind jedoch alle Modenschauen performativ, denn alle bringen etwas hervor (das Neue), alle sind ephemer, alle sind nicht vollkommen planbar, kontrollierbar und verfügbar, d.h. sie eröffnen immer wieder Spiel- und Freiräume, in denen Ungeplantes auftritt; alle benötigen die leibliche Anwesenheit eines Publikums und alle bezwecken eine gewisse Transformation vom Alten zum Neuen. Als Performances gehandelt werden die Modenschauen, in denen diese Performativität ›auf die Spitze getrieben‹ wird, d.h. in denen der Aspekt der (vermeintlichen) Unkontrollierbarkeit stark ausgeprägt ist. Das ›Unerwartete‹ oder gar das ›Chaos‹ führt dazu, dass die ZuschauerInnen betroffener sind und sich eingebundener fühlen als bei einer streng durchchoreografierten Show, in der fast nichts aus dem gewohnten Ablauf und Rahmen fällt, auch wenn (in den meisten Fällen) das Unerwartete und Chaotische genauso minutiös geplant ist. Wenn der (rituelle) Rahmen also durchlässiger wird, vermeintlich zu bröckeln beginnt, die Grenze zwischen PerformerIn und ZuschauerIn sich aufzulösen scheint sowie die Grenzen zwischen Bühnenbereich und Zuschauerbereich buchstäblich überschritten werden, dann ist der Affekt3, d.h. die leiblich Be2  |  Kleine Auswahl an Modenschauen, in denen Kleider transformiert werden: - Alexander McQueen F/S 1999, »#13«: Auftritt des beinamputierten Models Aimee Mullins, für das McQueen Prothesen in der Form von Holzstiefel anfertigte. Am Ende der Show wird das ein weißes Kleid tragende Model Shalom Harlow von zwei Robotern mit gelber und schwarzer Farbe bespritzt. - Hussein Chalayan H/W 2000, »Afterwords«: Chalayan fertigt Wohnzimmermöbel an, die in der Finalsequenz der Show zu Kleidungsstücken werden (die Stuhlbezüge werden zu Kleidern, die Stühle zu Koffern, ein Tisch wird zu einem Rock). - Hussein Chalayan F/S 2007, »One hundred and eleven«: Zum Schluss der Show verändern einige Kleider ferngesteuert ihre Form. 3 | In dem Brockhaus Enzyklopädie Deutschen Wörterbuch von 1995 (Bd. 26, 121) wird Affekt von lat. »affectus«, zu: »afficere« mit der Bedeutung »in eine Stimmung versetzen« hergeführt. Heutzutage wird laut ebda. der Begriff im Sinne von a) heftige Erregung, Gemütszustand, b) im Plural im Sinne von Leidenschaften und c) im Sinne von Hand oder Neigung benutzt. Im Brockhaus Wahrig Deutschen Wörterbuch von 1980

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

troffenheit der ZuschauerInnen gesteigert. Unkontrollierbarkeit führt also zu einer erhöhten Immersion4 und Partizipation der ZuschauerInnen. Eine Modenschau, die an dieser Stelle exemplarisch angeführt werden soll, ist die von Pamela C. Scorzin (2013) als »Fashion Show Performance« besprochene Modenschau von Valeria Marini F/S 2010 mit dem Titel »Seduzioni Diamonds«5: »Ein völlig blutüberströmtes Model in hautfarbener Unterwäsche und schwarzen Killer High Heels taumelte plötzlich während des Defilees der verschiedenen Looks der in Italien bekannten TV-Moderatorin und Designerin Valerie Marini über den Catwalk und brach dann nach einigen wenigen schwankenden Schritten und theatralischen Gesten im vollen Scheinwerferlicht direkt vor der exklusiven Front Row und den bestürzten Zuschauern scheinbar bewusstlos zusammen. Der Zwischenfall führte nicht allein nur zu unmittelbarer Betroffenheit und geschockter Erregung im Publikum, er eröffnetet, ob der noch vorherrschenden Unklarheit bei den Augenzeugen darüber, ob es sich hier um Fakt oder Fiktion handelte, was sich da auf der glamourösen Präsentationsbühne abspielte, zugleich auch viele Fragen. Für alle beobachtbar, veranlasste der dramatische Kollaps der Schönen offensichtlich aber auch einige Zuschauer ohne weiteres Nachdenken zum sofortigen Handeln, indem sie von der Front Row aufsprangen und dem am Boden liegenden brünetten Model unversehens zur Hilfe eilten. Die Helfer übernahmen hier zugleich einen entscheidenden Part in einem theatralischen emotionalen Schauspiel. Sie füllten dabei allerdings auch eine strategisch kalkulierte Leerstelle in dieser Fashion Show Performance aus, die eine drastische und vielleicht auch geschmacklosere Variante der Aktivierung und Involvierung des Publikums in szenografierten Events dieser Art bedeutete.« (Scorzin 2013, 42; kursiv i.O.)

(Bd. 1, 127) liest man von einer weiteren Bedeutung, nämlich von einem »durch äußere Einflüsse hervorgebrachter Zustand, der zeitweise die rationale Kontrolle außer Kraft setzt«. In diesem Buch wird Affekt sensu Hermann Schmitz (auch wenn er selbst den Begriff nicht favorisierte, vgl. Schmitz 1964ff., Band III.2, 96f.) als leibliche Betroffenheit einer Person verstanden, die sich einem Gefühlsraum (d.h. einer räumlich ergossenen Atmosphäre) befindet (vgl. Schmitz 2009, 26f.). – Zum Begriff des Affektes vgl. die weiterführenden Diskussionen beispielsweise in Clough u. Halley 2007; Ott 2010; Günzel 2011 oder Helmhold 2012. 4  |  In dem Brockhaus Enzyklopädie Deutschen Wörterbuch von 1995 (Bd. 27, 1680) wird Immersion von spätlat. »immersio« mit der Bedeutung »Eintauchen« hergeführt. In dem vorliegenden Buch wird Immersion als das Eintauchen einer Person in eine Atmosphäre verstanden. Zum Begriff der Immersion vgl. die weiterführenden Diskussionen beispielsweise in Bieger 2007 oder Voss 2008. 5  |  Ein unzensiertes Video der Show von Valeria Marini F/S 2010 ist einzusehen unter: www.pseudoccultmedia.net/2009/09/dead-milan-marilyn-dolls.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Ein Vergleich mit Fischer-Lichtes Diskussion über die Performance von Marina Abramović mit dem Titel »Lips of Thomas«, in der sich die Künstlerin selbst verletzte und das Publikum vor der Entscheidung stand, einzugreifen, liegt nahe. Die Ritual- und Spektakelhaftigkeit von Abramovićs Performance begründet Fischer-Lichte damit, dass sie wie ein Ritual »eine Transformation der Künstlerin und einzelner Zuschauer [auslöste] – ohne dass dies allerdings wie häufig bei Ritualen zu einem öffentlich anerkannten Status- und Identitätswandel geführt hätte –, und wie ein Spektakel […] bei den Zuschauern Staunen und Entsetzen aus[löste], […] ihnen Schocks [versetzte] und […] sie zum Voyeurismus [verführte]« (Fischer-Lichte 2004, 17). Laut Fischer-Lichte ging es Abramović nicht darum, dass die ZuschauerInnen verstünden, warum sie sich selbst wehtat, sondern um die Erfahrung, um die Betroffenheit der Anwesenden, die zu einer innerlichen Transformation führen sollen (vgl. ebda., 19). Im Unterschied zu Ritualen haben also künstlerische Performances keinen Kontext und Zweck (wie z.B. Opfergaben einen bestimmten Zweck erfüllen sollen), sie können »ihre spezifische Wirkung überhaupt nur entfalten, weil ein solcher Kontext fehlt« (ebda., 156). Hier mag man besser verstehen, was damit gemeint ist, dass performative Handlungen nur das bedeuten, was in ihnen geschieht oder vollzogen wird: Bei Abramovićs Selbstverstümmelung wird laut Fischer-Lichte auf nichts Bezug genommen, außer auf die eigentliche, vollzogene (Gewalt-)Handlung selbst. Performances – und generell alle performativen Handlungen – sind also auf die Zeugenschaft, und diese auf die Präsenz und Anteilnahme von ZuschauerInnen angewiesen. Zur Präsenz erklärt Fischer-Lichte: »Präsenz ist keine expressive, sondern eine rein performative Qualität. Sie wird durch spezifische Prozesse der Verkörperung erzeugt, mit denen der Darsteller seinen phänomenalen Leib als einen raumbeherrschenden und die Aufmerksamkeit des Zuschauers erzwingenden hervorbringt.« (Ebda., 165)

Die Affizierung der ZuschauerInnen nennt Fischer-Lichte »Ansteckung«, welche »auf dem Wege über die Wahrnehmung vom gegenwärtigen Körper des Schauspielers auf den gegenwärtigen Körper des Zuschauers« erfolgt (ebda., 162; vgl. auch Fischer-Lichte 2005) – als Schlüsselbegriff hat sich der in diesem Zusammenhang entwickelte Begriff der »leiblichen Ko-Präsenz« in der Theorie des Performativen durchgesetzt. Zurück zur Modenschau von Valeria Marini: Hier ist nicht nur kein klarer6 Kontext gegeben, wie es sich eben für eine Performance ›gehört‹, sondern hier hat sich zudem ein weiterer Aspekt 6  |  Wie Scorzin aufklärt, handelte es sich laut den Machern der Show bei dieser Szene um einen Mash-up des Filmklassikers »Diamonds are a girl’s best friend« mit dem Kurzfilm »Dolls« des sizilianischen Regisseurs Salvatore Arimatea (vgl. Scorzin 2013, 43).

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

(im Vergleich zu einem Ritual) verändert: Die Verletzung ist fiktiv, das Model steht, nachdem sie zusammengeklappt ist, lächelnd wieder auf und die ›reguläre‹ Modenschau geht weiter. Um eine tatsächliche Transformation des Models kann es sich nicht handeln (vgl. hierzu die Ausführungen zur Modenschau als eine Art Schein-Transformation in Kapitel V.3.5) – allerdings mag eine etwaige Transformation der helfenden ZuschauerInnen durchaus zur Debatte stehen. Dieses Beispiel sollte einen ›Extremfall‹ der performativen Modenschau vor Augen führen – die Schlüsselbegriffe Ko-Präsenz, Leiblichkeit und leibliche Anwesenheit, Affekt, Ansteckung, Immersion, Rahmen, Transformation etc. werden im weiteren Verlauf dieses Buches eine Rolle spielen. Bleibt noch zu klären, inwiefern die Atmosphäre Teil eines performativen Ereignisses wie das der Modenschau ist. Atmosphären entstehen, wie Gernot Böhme konstatiert, als Produkt ästhetischer Arbeit: »Die ästhetische Arbeit besteht darin, Dingen, Umgebungen oder auch dem Menschen selbst solche Eigenschaften zu geben, die von ihnen etwas ausgehen lassen. D.h. es geht darum, durch Arbeit am Gegenstand Atmosphären zu machen.« (Böhme 1995, 35, kursiv i.O.)

Die Atmosphäre der Modenschau wird durch die ästhetische Arbeit am Gegenstand (womit die Gestaltung eines Raums, das Üben einer Choreografie, das Kreieren spektakulärer Kleider usw. gemeint sein kann) sowie durch das performative Handeln im Moment der Aufführung der Modenschau erschaffen. Eine Atmosphäre ist sowohl Bestandteil als auch ›Produkt‹ einer Modenschau als performatives Ereignis. Auch wenn Gernot Böhme den Begriff des Produktes nicht im wirtschaftlichen Sinne verwendet hat, bleibt die Frage, ob die Atmosphäre als Produkt ästhetischer Arbeit auch als (neues) Wirtschaftsgut, d.h. als (neue) Ware vermarktet werden kann. Wenn man Lehnerts Bemerkung, »Mode, ganz gleich auf welcher Ebene ihrer Aufführung (auf dem Laufsteg, in einer Modezeitschrift, im Alltag), funktionier[t] vornehmlich über bzw. als die Erzeugung von Atmosphären« (Lehnert 2008, 92; kursiv i.O.) ernst nimmt, könnte man sogar soweit gehen zu behaupten, die Atmosphäre sei als ästhetisches Produkt der Modenschau die neue Ware, d.h. die Atmosphäre sei, überspitzt formuliert, die neue Mode. Dies widerspricht der Tatsache, dass man mit Kleider-Mode immer noch etwas meint, was man zumindest theoretisch am Körper tragen könnte – und eine Atmosphäre am Leib zu tragen, scheint erst einmal unmöglich. Dennoch ist dieser Gedanke nicht abwegig und es wird sich insbesondere in Kapitel VI. zeigen, dass die Atmosphäre in Form eines Bildes ›aufgehoben‹ und erinnert wird und Elemente dieses Bildes durch Kopplungsstrategien an die gezeigte und zum Verkauf stehende Kleidung gebunden werden.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

2. M ögliche Typisierungen von M odenschau -A tmosphären Wie auch schon zuvor mehrmals versucht wurde (vgl. z.B. Kahn 2000; Gregg Duggan 2001; Evans 2003), liegt zur Untersuchung von Modenschauen eine Kategorisierung ihrer Erscheinungen nahe. Während die genannten Autorinnen größtenteils von der gezeigten Kleidung und ihrer Wirkung oder ›Botschaft‹ als Basis für die Kategorisierung ausgingen, werden hier die Modenschau-Atmosphären als mögliche Typisierung herangezogen. Hier sind mehrere Typisierungen möglich, da die Atmosphäre von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet werden kann und ein einziges Kategorisierungsmuster nicht zufriedenstellend ist. Sehr fruchtbar ist m.E. die Einteilung von Atmosphären je nach der Nutzung von Atmosphären, die den gewählten Locations, in denen eine Modenschau aufgeführt wird, bereits anhaften – diese Einteilung wird in Kapitel V.3.2 zur Raumerfahrung präsentiert und detaillierter besprochen. Weiterhin könnte man Modenschau-Atmosphären auch nach ihrer Modesystembezogenheit einordnen – hier würde sich das schon bekannte Modell von Haberler anbieten, in dem die Systembezogenheit der Inspirationsquellen der gezeigten Kleidung in vier verschiedene Stufen eingeteilt wurde (vgl. Abbildung 7). Zur Erinnerung: Sie unterscheidet zwischen system-internen, system-affinen, system-fremden und nicht-archivierten Inspirationsquellen. Der Innovationsgrad (sie spricht vom »Neuheitscharakter«) nimmt von system-internen zu nicht-archivierten Quellen stetig zu, die interne Anschlussfähigkeit dagegen diametral ab. Eine system-interne Inspirationsquelle wäre demnach beispielsweise das Zitieren alter Moden (z.B. Westwoods »Mini-Crini« F/S 1985), eine system-affine Quelle z.B. ein konkretes Kunstwerk, auf das ein/e DesignerIn Bezug nimmt (z.B. Yves Saint Laurents »Mondrian dress« H/W 1965), eine system-fremde Quelle ein Bezugnehmen auf beispielsweise politische, technische oder wirtschaftliche Ereignisse oder Neuerungen (z.B. Hussein Chalayans kritischer Kommentar zur Burka F/S 19987) und ein Beispiel für eine nicht-archivierte Inspirationsquelle wäre die Integration von ›profanen‹ Alltagsgegenständen (wie Louis Vuittons Handschuhe, die Spülhandschuhen aus Latex ähneln F/S 20088). 7 | Dieses Beispiel von Haberler (2012, 183) wurde m.E. von Haberler nicht konsequent ausgesucht, denn hier handelt es sich trotzdem um einen system-internen ›Gegenstand‹, nämlich um Kleidung, auch wenn man natürlich bei der Burka nicht von einem Modeartikel sprechen kann. Auch die Zitate der Nachkriegs-Mode der 1940er Jahre bei Prada H/W 2008 fallen m.E. in die erste Kategorie des system-internen Archivs und nicht in die system-fremde. Stringenter wäre m.E. hier etwa die Integration technischer Neuheiten in Textilien, beispielsweise das »LED dress« von Hussein Chalayan H/W 2007. 8  |  Auch bei diesem Beispiel (Haberler 2012, 187) handelt es sich streng genommen um Kleidung – es müsste daher von Haberler erklärt werden, dass es sich bei nichtarchivierten Inspirationsquellen um alle »profanen«, »nicht wertvollen« (ebda., 185)

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Modenschau-Atmosphären haben oft eine Thematik, die man Haberlers vier Verhältnissen zum System zuordnen könnte, allerdings ist dies meistens nicht eindeutig möglich. Nimmt man beispielsweise die bereits beschriebene Modenschau von Sonia Rykiel für H&M, so würden wir, wenn wir das Thema »Klein Paris« nehmen, die Frage nicht klar beantworten können, ob nun aufgrund des Paris-als-Modehauptstadt-Bezugs die Show system-intern ist oder doch system-affin oder gar system-fremd. Außerdem erweist sich die Zuordnung der einzelnen Elemente der Modenschau, die die Atmosphäre konstituieren, zu den jeweiligen Kategorien ebenfalls als schwierig. So hätten wir es bei der Aufnahme der Rykiel-Farben in der farblichen Gestaltung des Sets (vgl. Abbildung 10) mit einer system-internen Inspiration zu tun, bei der karnevalesken Parade eher mit einer system-affinen Quelle (wenn man die Modenschau als eine Art Parade begreift). Abbildung 10: Set von Sonia Rykiel für H&M 2009

Beim Nachbau des verwunschenen Parks sowie beim Zuckerwatte-Verkauf allerdings könnte man sowohl für system-fremde Zugehörigkeit als auch für die nicht-archivierte plädieren. Die einzige Möglichkeit, um Haberlers Modell anzuwenden, läge in der Überprüfung, ob bestimmte Kategorien bei einer Show überwiegend besetzt sind, um so Modenschauen nach ihren Schwerpunkten als »eher system-intern«, »eher system-affin« etc. zu beschreiben. M.E. ist alAlltagsgegenstände handelt, Kleider eingeschlossen. Auch bestätigt dieses Beispiel zwar Haberlers Idee des maximalen Neuheitscharakters, den sie für diese Kategorie ausmacht, jedoch die der minimalen »Anschlussfähigkeit« nicht.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

lerdings eine solche Einordnung nicht zielführend, da nicht alle Modenschauen ein Thema haben oder die Atmosphäre nicht mit einem Thema/Wort begriffen werden kann. Einfacher ist die Einteilung von Atmosphären danach, welche Sinneskanäle und andere Erfahrungsebenen sie bei den ZuschauerInnen vornehmlich ansprechen. Hier soll auf Sabine Schouten verwiesen werden, die erklärt, dass Atmosphären sich nicht »im Gehörten oder Gesehenen, Gesprochenen oder Ertasteten« manifestieren, sondern in einer gleichzeitigen Perzeption (Schouten 2007, 47). Es ist möglich, die einzelnen Sinneserfahrungen zu analysieren und auch aus der Produktionssicht einzelne Sinne gezielt anzusprechen. In der ›Realität‹ jedoch werden Atmosphären intermodal wahrgenommen. Es war bereits vom affektiven Betroffensein der ZuschauerInnen durch das Sich-Hineinbegeben in eine räumlich ergossene Atmosphäre die Rede, was Schmitz den Gefühlsraum nennt. Da hier Gefühle als bereits verarbeitete sinnliche Eindrücke oder Wahrnehmungen verstanden werden, wird Schmitz in dieser Begriffsverwendung nicht gefolgt. Sinnvoller erscheint, von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Erfahrung zu sprechen, die an dieser Stelle erst einmal definitorisch voneinander unterschieden werden sollen. Ästhetische Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung sind durch Martin Seel9 definiert und in Bezug gebracht worden: Ihm zufolge ist »ästhetische Wahrnehmung nicht immer bereits ästhetische Erfahrung, ästhetische Erfahrung aber stets eine – und zwar gesteigerte – Form der ästhetischen Wahrnehmung« (Seel 2004, 73). Ästhetische Wahrnehmung ist indes die »Aufmerksamkeit für das Erscheinen von Erscheinendem«, die aufnimmt, »wie etwas hier und jetzt für unsere Sinne anwesend ist. Sie betrifft nicht in erster Linie das, wie etwas ist, sondern wie etwas da ist: wie es in der Fülle seiner Aspekte und Bezüge anwesend ist. Diese Aufmerksamkeit kann mit Phänomenen des Scheins und der Imagination vielfach verbunden sein. Ihr Grundbegriff jedoch hebt das synästhetische Vernehmen der Simultaneität und Momentaneität sinnlicher Erscheinungen hervor, das alle weiteren und alle komplexeren ästhetischen Vollzüge begleitet.« (Ebda., 74; kursiv d. AK)

9 | Vergleiche seine Diskussionen zur Ästhetik und zur Inszenierung in Seel 2001, 2003 u. 2004.

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Unter Aufmerksamkeit versteht Seel also eine auf das Wie des Erscheinens gerichtete Wahrnehmung.10 An dieser Stelle seien auf die in Kapitel II.2.2 (Begriffsklärungen) dargelegten Unterscheidungen verschiedener Bezüge von Neuheit verwiesen (vgl. Abbildung 4): Inventivität, also die Fähigkeit, Inventionen hervorzubringen, bezieht sich in den letzten 30 Jahren schwerpunktmäßig auf die Art der Vermittlung, auf das Wie der Darbietung von Mode (in Abbildung 4 ›Neuigkeit‹ genannt). Da also in der Art und Weise der Präsentation an sich bereits die ›modische Invention‹ liegt, gewinnt die Aufmerksamkeit in Modenschauen eine doppelte Bedeutung: Nicht nur brauchen die ZuschauerInnen Aufmerksamkeit, um dem Geschehen zu folgen, sondern ihre gezielte Aufmerksamkeitsführung ist Teil der Erzeugung von Neuem. Das, was die ästhetische Wahrnehmung zu einer ästhetischen Erfahrung macht, ist laut Seel ein möglicher Ereignischarakter. In der ereignishaften Darbietung einer Sache wird eine Wahrnehmung gesteigert zu einer ästhetischen Erfahrung (vgl. ebda., 75ff.). Von einem solchen Ereignis, das diese Wandlung erzeugen kann, kann laut Seel dann gesprochen werden, wenn »ein bestimmtes Vorkommnis in einem bestimmten biografischen oder historischen Augenblick auf eine bestimmte Weise bedeutsam wird« (ebda., 75). Ästhetische Ereignisse sind solche, »die uns in einen Prozeß ästhetischer Erfahrung versetzen, weil sie das ästhetisch Erwartbare überschreiben« (ebda.). An dieser Stelle sind wir – auch wenn Seel das leider nicht so weiterführt – wieder an einem kollektiven Gedächtnis angelangt, in dem ästhetische Ereignisse abgespeichert werden, welche die ZuschauerInnen in eine Art ›ästhetische Erwartungshaltung‹ versetzen. Durch Überraschungen und ›Schocks‹ werden Überschreibungen ausgelöst und neu im ›Gedächtnis ästhetischer Ereignisse‹ abgespeichert. Festzuhalten gilt für die folgende Begriffsverwendung, dass für das Erleben von Modenschau-Atmosphären einige aufeinander auf bauende Schritte nötig sind: Es bedarf eines Menschen in seiner leiblichen Anwesenheit, der über eine natürliche Wahrnehmung verfügt. Wenn nun diese Wahrnehmung auf das Wie eines Erscheinens gerichtet ist, kann man von Aufmerksamkeit sprechen. Ist das Wie des Erscheinens Teil eines ästhetischen Ereignisses, in dem etwas beispielsweise auf eine bestimmte Art präsentiert wird, dann ist von einer ästhetischen Erfahrung die Rede. Die Atmosphäre kann nun als Ereignis an sich (!) ästhetisch erfahren werden. Damit ist der Atmosphäre eine 10 | Aufmerksamkeit versteht Jonathan Crary, den man unter diesem Stichwort unbedingt erwähnen muss, »als eine Aktivität der Ausschließung, als teilweises Außerachtlassens des Wahrnehmungsfelds« (Crary 2002, 30), also als einen aktiven aber auch von außen steuerbaren Selektionsprozess. Vgl. Crarys einschlägigen Werke 1996 [engl. 1990] u. 2002 [engl. 1999]. Zusätzlich zu Crarys Selektionsprozess betont Seel die Art und Weise des Erscheinens des Selektierten.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

neue Bedeutung eingeräumt: Sie ist nicht Nebenprodukt eines Ereignisses, sondern ist das Ereignis selbst. Zur Kategorisierung von Atmosphären lässt sich eine Gliederung von Modenschauen vornehmen, die sich aus verschiedenen Erfahrungsebenen, die unter anderem auf unsere fünf Sinne zurückzuführen sind, ergeben. Diese Ebenen sind zunächst die visuelle, die auditive, die gustatorische, die olfaktorische und die taktile Erfahrung als Folge von gerichteter Wahrnehmung. Des Weiteren gibt es auch einen sogenannten Nah- und Fernsinn, der zusammen mit dem Sinn für Dichte, Ausdehnung, für Höhe, Weite und Tiefe – immer in Bezug auf die Leiblichkeit der ZuschauerInnen (sog. Propriozeption) – in der vorliegenden Untersuchung unter dem Begriff der Raumerfahrung subsumiert wird. Zudem ist der Erfahrung des Objektes (der präsentierten Kleidung) in der Modenschau besondere Beachtung zu schenken, ähnlich wie in der Museumspädagogik dem Bezug der BesucherInnen zum Exponat (vgl. Ausführungen zur Musealität). Schließlich gibt es noch die Erfahrungsebene, die im Sozialen angelegt ist: die Erfahrung des Anderen (der NebensitzerInnen, der Models, der DesignerInnen etc.) sowie die einer möglichen rituellen Schwellenerfahrung, die in Kapitel V.3.5 besprochen werden soll. Wie sehen nun Modenschauen aus, die – schwerpunktmäßig – bestimmte Erfahrungsebenen anregen? Offensichtlich gibt es auch Modenschauen, die gezielt alle Ebenen gleichermaßen ansprechen wollen. Sonia Rykiel bot ein visuelles Spektakel ohnegleichen, in dem Zuckerwatte gekauft (gustatorisch), dem Geruch frisch hergestellter Crêpes und Eclairs zum Servierwagen gefolgt (olfaktorisch), der Raum durch das Karussellfahren eingenommen werden konnte (propriozeptiv), dem Ein-Mann-Orchester gelauscht (auditiv), die präsentierte Unterwäsche in einem kleinen Sonia Rykiel Shop angefasst und gekauft werden konnte (taktile und Objekterfahrung) und man mit den Gästen während des Umherschlenderns ins Gespräch kommen konnte (soziale Ebene). Andere Modenschauen wiederum lassen sich relativ klar einer bestimmten Erfahrungsebene zuordnen, die von den MacherInnen der Atmosphäre favorisiert wurde. Hier eine kleine Auswahl:

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Tabelle 3: Kategorisierung von Modenschau-Atmosphären nach Erfahrungsebenen Erfahrungsebene

Modenschaubeispiel

Erläuterung

Visuelle Erfahrungsebene:

Alexander McQueen H/W 2006 »The widows of Culloden«

Am Ende dieser Modenschau erschien eine blaue, Hologramm-ähnliche Projektion von Kate Moss.

Auditive Erfahrungsebene:

Viktor & Rolf HC H/W 2000 »Bells«

In einem dunklen, vernebelten Raum präsentierten die Designer ohne Musik ihre Kleider, die mit hunderten von kleinen Glöckchen versehen waren und bei jeder Bewegung ein Klangkonzert erzeugten.

Taktile Erfahrungsebene:

Maison Martin Margiela, Männermodenschau für Pitti Imagine Uomo am 12.1.2006

Die ZuschauerInnen bekamen im Teatro Puccini in Florenz eine (um wenige Minuten verzögerte) Live-Übertragung des Eingangsbereiches des Theaters zu sehen, in der zuerst ihr eigenes Eintreten und darauf das der Models gefilmt wurde, die – scheinbar als einfache weitere Zuschauer – das Theater betraten. Als die Models im Theatersaal ankamen, mischten sie sich unter das Publikum, sodass die Textilien aus der Nähe begutachtet und befühlt werden konnten.

Gustatorische Erfahrungsebene:

Dries van Noten F/S 2005

Die Models defilierten auf einem 125 Meter langen, weißgedeckten Esstisch, an dem die 500 Gäste zuvor diniert hatten.

Olfaktorische Erfahrungsebene:

Dior HC H/W 2012

Für die erste Kollektion, die Raf Simons für Dior kreierte, besteckte er die Wände von fünf Zimmern mit einer Millionen frischen Blumen. Nicht nur war dies eine Hommage an Diors Kollektion »Corolle« (Blütenkelch) von 1947, sondern ein wahres Dufterlebnis für die ZuschauerInnen.11

Raumerfahrung:

Karl Lagerfeld für Chanel F/S 2009

Lagerfeld ließ im Grand Palais eine Straße errichten, an dessen Anfang die erste Boutique von Coco Chanel in der Rue Cambon Nr. 31 nachgebaut wurde, aus der die Models heraustraten, um die Straße hinauf und hinab zu defilieren.

Objekterfahrung:

Viktor & Rolf H/W 1999 »Russian Doll«

Die Designer kleideten das Model Maggie Rizer, das auf einer sich drehenden Plattform zu Beginn beinahe unbekleidet stand, mit jeder Umdrehung mit einer weiteren von 10 Kleiderschichten, sodass die Kleidung sukzessive immer greif barer für die ZuschauerInnen wurde.

Erfahrung des Anderen:

Sonia Rykiel H/W 2009

In ihrer Boutique ließ Sonia Rykiel ihre Models während der Show die Gäste ansprechen, beispielsweise mit: »Unzip me and follow me« oder »Hello, my name is Julia, and I am a foxy girl«.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Es gilt an dieser Stelle zu betonen, dass diese Kategorisierung aus der Produktionssicht erstellt wurde. Atmosphären sind gerade nicht Gebilde, die eins zu eins vermittelt werden können, womit man ihnen eine Art Dinghaftigkeit zusprechen würde. Atmosphären sind, wie Michael Hauskeller auch in Anlehnung an Böhme konstatiert, »nichts in der Welt Begegnendes […], sondern die Form der Begegnung selbst«, »nichts Objektives, aber auch nichts Subjektives, sondern Relationen: gleichsam der Kitt, der Ich und Welt aneinander bindet« (Hauskeller 1995, 196). In den folgenden Kapiteln begeben wir uns nun auf Rezeptionsebene und nehmen die Atmosphäre als ein Ereignis ernst, das individuell erfahren werden kann. 11

3. D imensionen der E rfahrung von M odenschau - A tmosphären 3.1 Grundgedanken zum atmosphärischen Erleben sowie zu kognitiven und emotionalen Prozessen Das Verhältnis von Produktions- und Rezeptionsseite ist relativ einfach zu bestimmen: Die ProduzentInnen, also die DesignerInnen und ihr Produktionsteam, erzeugen Rahmenbedingungen oder Potentiale, die eine Atmosphäre erzeugen können. Das Machen von Atmosphären ist, um Böhme wiederum zu zitieren, eine »ästhetische Arbeit«, die darin besteht, »Dingen, Umgebungen oder auch dem Menschen selbst solche Eigenschaften zu geben, die von ihnen etwas ausgehen lassen« (Böhme 1995, 35). Diese in den Gegenständen angelegten Potentiale kommen aber erst zu ihrer Entfaltung, kommen sensu Böhme erst zu ihrer »Ekstase« (ebda., 33), wenn die RezipientInnen leiblich anwesend und wahrnehmungsfähig sind. Mit wahrnehmungsfähig ist gemeint, dass »sowohl die Intensität, mit der der Eigencharakter einer atmosphärischen Ekstasis den Gesamtcharakter des Wahrnehmungsraumes prägt, als auch der Charakter selbst, abhängig [ist] von der Struktur des Wahrnehmungssubjekts: erstens und vornehmlich von der arteigenen oder -über-greifenden Physis […], zweitens von seiner besonderen Struktur als einem (genetisch und individualhistorisch geprägten) Einzelwesen und drittens schließlich von seiner augenblicklichen leiblichen Verfassung.« (Hauskeller 1995, 42f.)

Die eigentliche Atmosphäre ist dann Ergebnis dieses Zusammenspiels von Planung und Emergenz, d.h. dass »jegliche Materialität der Aufführung, sei 11  |  Ein Making-of-Video des beeindruckenden Setaufbaus der Show von Dior HC H/W 2012 ist einzusehen unter: www.youtube.com/watch?v=n6xXmHG5VAY, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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es Räumlichkeit, Körperlichkeit oder Lautlichkeit«, wie Fischer-Lichte betont, »erst in der und durch die Aufführung hervorgebracht« wird (Fischer-Lichte 2012a, 58f.). Sabine Schouten wirft in der Diskussion um eine multiple Sinneserfahrung die Frage auf, was das Besondere einer atmosphärischen Sinnlichkeit ist, denn die Wahrnehmung von anderen Dingen und Umgebungen sei ja auch an die gleichzeitige Perzeption gebunden (vgl. Schouten 2007, 48). Ihre Antwort ist die, dass eine Atmosphäre nicht auf einen einzigen Gegenstand bezogen werden kann – und damit widerspricht sie Böhme –, sondern dass Atmosphären eine eigene Räumlichkeit herausbilden (vgl. die räumliche Ergossenheit bei Schmitz): »Anders als der umgebende Raum wird die Atmosphäre aber eben nicht gegenständlich wahrgenommen, sondern affektiv empfunden. Während wir den gehörten vom gesehenen und ertasteten Raum reflexiv trennen können, ist der atmosphärische Raum immer ein einheitlich erspürter. Atmosphärisches Erleben scheint mithin zwar mit der multimodalen Wahrnehmung verbunden zu sein, aber zugleich auf etwas darüber Hinausgehendem, auf einer Verbindung der Sinne, zu basieren.« (Schouten 2007, 49)

Schouten vermutet, dass das Atmosphärische einem »Zwischen« der Sinne entspringt (ebda., 50). Unter Berufung auf Maurice Merleau-Ponty, Helmut Plessner, Georg Simmel und Bernhard Waldenfels erklärt sie, dass die Sinne miteinander in der Wahrnehmung kommunizieren. Zwar kann nicht von einer synästhetischen Wahrnehmung gesprochen werden – im Sinne einer Reizempfindung eines Sinnesorgans bei Reizung eines anderen –, allerdings von einer synthetisierten Wahrnehmungsleistung des Körpers bzw. Gehirns, die Schouten Intermodalität nennt. Die intermodale Wahrnehmung, die durch eine intersensorielle Reizung erfolgt, ist dann aufgrund dessen, dass die Wirkung nicht auf ein einzelnes Organ und nicht auf eine einzelne Reizquelle zurückzuführen ist, nicht an ein Objekt gebunden, sondern bezieht sich auf die ganze atmosphärische Umgebung (vgl. ebda., 64). So könnten dann bestimmte Charakteristika eines Raumes, die seine Atmosphäre beschreiben, auf die parallele Wahrnehmung mehrerer Sinne zurückzuführen sein, wie z.B. der Eindruck, eine Atmosphäre sei drückend oder heiter eine visuelle, olfaktorische oder auch propriozeptive Wahrnehmung gleichermaßen vermuten lässt. Zusammenfassend erklärt Schouten, dass »sich aus der stets multimodalen Wahrnehmung der gegenständlichen Umgebung über die intersensoriellen Eigenschaften ihrer Qualitäten der Spürraum der Atmosphäre heraus[bildet]« (ebda., 65), wobei mit Spüren eine bestimmte Stimmung gemeint ist, die den Menschen leiblich betrifft, ihn affiziert. Damit spricht sich Schouten auch gegen eine Begriffsverwendung von »Gefühl« oder »Emotion« aus, die eine Verarbeitung des Erspürten suggeriert.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Schouten macht drei Merkmale atmosphärischen Spürens aus (vgl. ebda., 70f.), denen sich hier angeschlossen wird: Erstens die bereits angesprochene Abgrenzung einer Stimmung vom Gefühl, welches eher mit persönlichen Entwicklungen und übergreifenden Lebenszusammenhängen zu tun hat und zeitungebunden ist, wohingegen der Auslöser einer Stimmung im aktuellen Wahrnehmungsraum der Atmosphäre im »hic et nunc«12 zu finden ist. Zweitens wird die Stimmung einer Atmosphäre von außen herangetragen und kann vom Menschen gut von eigenen, von innen kommenden Gefühlen abgegrenzt werden. In einem dritten Punkt greift Schouten die Affektivität, d.h. Gerichtetheit einer Atmosphäre auf, indem sie herausstellt, dass Stimmungen zwar nicht Gefühle sind, sehr wohl aber mit der eigenen Körpererfahrung im Sinne von Spannungs-, Erregungs-, Lust- oder Unlustzuständen verknüpft sind. So kann beispielsweise eine Modenschau in der Conciergerie in Paris (McQueen H/W 2002), ohne dass die Eindrücke durch die ZuschauerInnen bereits reflektiert, d.h. emotional oder kognitiv verarbeitet werden würden, bedrückend oder beunruhigend wirken. Schouten spricht in dem Zusammenhang von verschiedenen Energetisierungszuständen. »Die Korrelate intersensorieller Wahrnehmung sind somatische Veränderungen, die wiederum leiblich-affektive Stimmungen sind.« (Ebda., 76)

Schließlich bringt Schouten nach der intensiven Abgrenzung von Gefühl/ Emotion und Stimmung noch »das Mentale« des Menschen ein. Auch dieses habe Einfluss auf das Spüren einer Atmosphäre. Neben der Stimmung, die von außen an die ZuschauerInnen herangetragen und leiblich erfahren werde, komme die Zeichenhaftigkeit der Objekte im Raum, d.h. ihre Referentialität und Symbolhaftigkeit, sowie individuelles Vorwissen und Erinnerungen zum atmosphärischen Spüren hinzu (vgl. ebda., 78f.). Entgegen der Böhmeschen Zweiteilung zwischen aisthetischer und reflexiver Wahrnehmung geht Schouten »davon aus, dass sich Atmosphären sowohl aus den empfundenen Ekstasen als auch aus den Bedeutungen, die das affektive Erleben der Dinge für den Wahrnehmenden prägen, konstituieren« (ebda., 79). So fügt Schouten der nicht objektbezogenen Atmosphäre nun doch die Erfahrung einzelner Objekte im Raum hinzu. Erinnerungen oder kulturell kodierte Bedeutungen von Objekten können bereits mit einem Gefühl gekoppelt sein, welches Schouten gerade nicht in das atmosphärische Spüren einfließen lassen wollte. Zusammenfassend konstatiert sie:

12  |  Vgl. zum Präsentischen, was Fischer-Lichte mit »hic et nunc« meint, hier: FischerLichte 2004, 161.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode »Die atmosphärische Wahrnehmung fungiert somit als eine zusätzliche Modalität, in der sich äußere Qualitäten der Umgebungssituation mit ihren mentalen Zuschreibungen zur spezifisch leiblich-affektiven Wirkung, der Stimmung, vereinen. Atmosphären bauen sich gleichsam als Substrat unserer intersensoriellen Sinnlichkeit und mentalen Vorstellungen auf. Während wir eine Umgebung sehen, hören, riechen, schmecken und tasten, während wir darin handeln, reagieren und denken, erfahren wir die Atmosphäre als leiblich-affektives Extrakt all dieser situativen Qualitäten. Das atmosphärische Spüren liegt quasi hinter den sinnlichen Perzeptionen und mentalen Zuschreibungen. Damit ist kein zeitliches Nachgeordnetsein angesprochen, sondern vielmehr ein Wechsel der Ebenen. Statt der modalen Besonderheit der Eindrücke oder ihrer Referenzialität offenbart sich im Spüren der Atmosphäre die affektive Gesamtwirkung der Situation.« (Ebda., 81)

Schoutens Überlegungen zur Stimmung und dem daraus resultierenden affektiven Betroffensein der ZuschauerInnen als ein atmosphärisches Spüren, das auf einer intermodalen und intersensoriellen, nicht auf einzelne Objekte des Raums basierenden Wahrnehmung zurückzuführen ist, finden in der vorliegenden Untersuchung Berücksichtigung. Die Ergänzung dieser Stimmung durch ›mentale‹ Prozesse wird ebenso als Bestandteil einer Atmosphäre gesehen, aber nicht wie Schouten, im Wechselspiel mit dem leiblichen Spüren, sondern ihm nachgestellt. Assoziationen, Erinnerungen, Deutungen, Analysen, Übertragungen und weitere kognitive sowie emotionale Prozesse sind m.E. zwar konstitutive, allerdings eher ergänzende, d.h. nicht notwendige Bestandteile einer Atmosphäre. Notwendige sind zum einen die Anwesenheit eines spürenden Menschen und zum anderen ein in irgendeiner Form gearteter Raum, in dem sich dieser Mensch befindet. Weitere Elemente in diesem Gefüge, wie ein oder mehrere Objekte oder andere Menschen, sind additional für die ›Grundform‹ einer Atmosphäre, unbedingt notwendig jedoch für eine Modenschau-Atmosphäre zu betrachten. Eine Modenschau-Atmosphäre setzt sich also mindestens aus einem bzw. einer ZuschauerIn und einem Raum, einem präsentierten Objekt und anderen Menschen zusammen. Alle diese Elemente werden erst einmal sinnlich wahrgenommen und gespürt, dann kognitiv und emotional verarbeitet. Von der Produktionsseite aus sind diese einzelnen Bestandteile von den DesignerInnen gezielt einsetzbar und steuerbar, die sensorielle Erfahrung auch verstärkt ansprechbar (vgl. Tab. 3). Die kognitive und emotionale Ebene der ZuschauerInnen zu erreichen und zu beeinflussen ist jedoch ein schwierigeres Unterfangen, weil sie von ZuschauerIn zu ZuschauerIn individuell variiert – nicht alle haben die gleichen Assoziationen, das gleiche Vorwissen oder die gleichen Erinnerungen wie die MacherInnen der Atmosphäre. Dennoch ist es gerade diese Ebene, die beim Kreieren von Atmosphären den Reiz ausmachen kann. Die Atmosphäre der Conciergerie in Paris beispielsweise bezieht sich gerade auf das – bei den meisten Zuschau-

V. Die Atmosphäre der Modenschau

erInnen vorhandene – Wissen darum, dass Marie Antoinette dort festgehalten wurde. ZuschauerInnen, die diesen Wissenshintergrund ggf. nicht haben, werden von der Grundatmosphäre des Raumes sicherlich ebenfalls leiblich betroffen oder ergriffen, das ›surplus‹ der Atmosphäre setzt jedoch einen bestimmten Wissensstand voraus. Andere Modenschauen von McQueen wiesen gar biografische Bezüge auf (mit H/W 2007 »In memory of Elizabeth Howe, Salem 1692« erinnerte McQueen an eine Verwandte, die im Hexenprozess von Salem hingerichtet wurde) oder verwiesen auf bestimmte Filme (H/W 2005 »The man who knew too much« referenzierte Hitchcocks »The Birds«). Das Kreieren von Modenschau-Atmosphären ist als eine Art Versuchsanordnung13 zu verstehen: Die DesignerInnen und ihre Teams schaffen eine Atmosphäre durch das Einsetzen von variablen Elementen (wie Choreografien, Musik, Lichteffekte etc.). Die Wirkung allerdings, also das Ergebnis dieses Experiments, ist nicht von vornherein steuerbar, sondern von den einzelnen sinnlichen Eindrücken sowie ihrer kognitiven und emotionalen Verarbeitungen der ZuschauerInnen abhängig. Von Seiten der Atmosphären-MacherInnen ist es meist wünschenswert, dass diese Erfahrungen auf ähnliche Weise ausfallen und erinnert werden, sodass ein relativ homogenes Bild von der Modenschau im kollektiven Gedächtnis abgespeichert wird (vgl. Kapitel VI.1 »Die Erzeugung eines synoptischen, synästhetischen Bildes«). Um für eine solche Ähnlichkeit zu sorgen, bemühen sich die DesignerInnen oft, eine möglichst homogene Wissensbasis im Vorhinein zu erschaffen. Dies kann beispielsweise durch die Betitelung einer Modenschau mit einem griffigen Motto bewerkstelligt werden, das – wie im Beispiel von McQueens »In memory of Elizabeth Howe, Salem 1692« – bereits auf einen bestimmten Themenkomplex verweist, oder etwa durch das Auslegen von Informationsmaterialien auf den Sitzplätzen. Auch im Nachgang der Modenschau werden gezielte Kopplungsstrategien eingesetzt, um Schlüsselelemente oder -informationen im Gedächtnis der ZuschauerIn13 | So erklärt Erika Fischer-Lichte analog für das Theater: »[…] Aufführungen vollziehen sich vielmehr häufig geradezu als Experiment […] Die Aufführung wird nicht nur als der Ort begriffen, an dem auf letztlich mysteriöse Weise Handlungen und Verhalten von Akteuren und Zuschauern aufeinander einwirken und die Beziehungen zwischen ihnen ausgehandelt werden. Sie erscheint zugleich als der Ort, an dem das spezifische Funktionieren dieser Wechselwirkungen, die Bedingungen und der Ablauf der Aushandlungsprozesse erforscht werden. Aufgabe der Regie ist es, Inszenierungsstrategien zu entwickeln, mit denen sich eine erfolgsversprechende Versuchsanordnung entwerfen und herstellen lässt. Sie macht entscheidende Vorgaben für das Funktionieren der feedback-Schleife, indem sie einzelne Variablen und Faktoren zu isolieren und fokussieren und andere, wenn nicht auszuschalten, so doch in den Hintergrund zu drängen sucht; oder indem sie sich auf das Zusammenspiel ganz bestimmter Parameter konzentriert.« (Fischer-Lichte 2004, 61f; kursiv i.O.)

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

nen zu verankern (vgl. Kapitel VI.4). Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen: DesignerInnen, die gerade die Unbestimmtheit oder Unklarheit einer Atmosphäre favorisieren, auf eine eindeutige Referenzialität verzichten oder eine klare Interpretation verhindern wollen, wie z.B. bei der von scheinbar chaotischen Tanzperformances durchzogenen Modenschau von Moncler Gamme Rouge F/S 2011. Andere DesignerInnen wiederum zielen auf einen möglichst inhomogenen Eindruck ihrer Modenschau ab, z.B. Michalsky bei seiner polarisierenden Modenschau H/W 2009 in der Berliner Zionskirche. Nachdem nun geklärt wurde, was mit einer atmosphärischen Erfahrung gemeint ist, sollen die Grundelemente einer Modenschau-Atmosphäre (Raum, Objekt und Andere) einzeln beleuchtet werden.

3.2 Raumerfahrung 3.2.1 Überschachtelung von Ort, Location und Imaginärem Raum Wie bereits in den Begriffsklärungen in Kapitel II.2.2 erläutert wurde, ist Raum immer sozial konstruiert – das bedeutet, dass ein Raum als solcher erst erfahren werden kann, wenn Menschen ihn geformt, bebaut, beschritten, an ihm gelebt, an ihm etwas erlebt oder von ihm gesprochen haben und ihn somit kenntlich gemacht und mit Bedeutung versehen haben.14 In Bezug auf die Modenschau wird hier – zur Erinnerung – zwischen drei Raumtypen unterschieden: dem Ort (meistens eine Modemetropole), der Location (geschlossener oder öffentlich zugänglicher Raum innerhalb des Orts) und dem sog. Imaginärem Raum (Vorstellungsraum als Produkt des phantasievollen Schaffens der DesignerInnen). Alle drei verschmelzen im Moment der Aufführung zum Modenschauraum, was hier der Verräumlichungsprozess genannt wird. Einen ähnlichen Ansatz findet man bei Fischer-Lichte in der Theaterwissenschaft bzw. Theorie des Performativen, nur dass sie den Modenschauraum den Aufführungsraum nennt, was in der hier vorgestellten Dreiteilung für Verwirrungen sorgen könnte, da im allgemeinen Sprachgebrauch unter dem Aufführungsraum die Location verstanden wird. Nach Fischer-Lichte entsteht Räumlichkeit erst in der Aufführung, was den Aufführungsraum zu einem beweglichen und performativen Raum macht, der in einem architektonischgeometrischen Raum (vgl. Location) eingebettet ist und der vor, während und nach der Aufführung bestehen bleibt: »Von diesem architektonisch-geometrischen Raum ist allerdings die Räumlichkeit der Aufführung zu unterscheiden. Denn jegliche Materialität der Aufführung, sei es Räumlichkeit, Körperlichkeit oder Lautlichkeit, wird erst in der und durch die Aufführung hervorgebracht – sie wird performativ erzeugt. So entsteht die Räumlichkeit durch die 14  |  Zum Folgenden vgl. Kühl 2014.

V. Die Atmosphäre der Modenschau jeweils genutzten Möglichkeiten, die verschiedenen Beteiligten bzw. Gruppen von Beteiligten zueinander in ein Verhältnis zu setzen, ihre Bewegungen durch den Raum bzw. im Raum und ihre Wahrnehmung zu organisieren und zu strukturieren. Wie immer von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, wirkt sich auf die Räumlichkeit der Aufführung aus. Denn jede Bewegung von Menschen, Objekten, Licht, jedes Erklingen von Lauten vermag sie zu verändern.« (Fischer-Lichte 2012a, 58f.)

Des Weiteren ist für Fischer-Lichte der Aufführungsraum auch ein immersiver Raum, d.h. einer, der die ZuschauerInnen in sich hineinzieht, bzw. einer, in den die ZuschauerInnen hineintauchen können. Wesentlich ist hierbei die Atmosphäre, die für das Raumerleben eine zentrale Rolle spielt: Die ZuschauerInnen empfinden im atmosphärischen Raum ihre Leiblichkeit auf ganz spezifische Weise – die Atmosphäre dringt in ihren Leib ein und durchbricht ihre Körpergrenzen. Damit wird der performative Raum, wie es der Aufführungsraum ist, »als ein liminaler Raum ausgewiesen, in dem Verwandlungen durchlaufen werden und Transformationen stattfinden« (Fischer-Lichte 2004, 208). Der Begriff der Liminalität wurde insbesondere durch den Ritualwissenschaftler Victor Turner geprägt, der ein Ritual als das Überschreiten von Grenzen und das Hineingeraten in Schwellenzustände beschreibt (vgl. Exkurs zur Modenschau als Ritual in Kapitel V.3.5). An dieser Stelle soll geklärt werden, warum die Dreiteilung und Überlappung relevant ist und inwiefern durch sie die Atmosphäre einer Modenschau konstituiert wird. Die Dreiteilung des Raumes ist insofern für eine Untersuchung gewinnbringend, weil in ihrer Überschachtelung eine Synthese entsteht (der Modenschauraum), die verschiedene Aspekte vereint, die zunächst als unvereinbar erscheinen mögen: Tabelle 4: Gegenüberstellung der Merkmale der verschiedenen Raumtypen Lokalisierbarkeit

Dauer

Beschaffenheit

Vermittlung

Gedächtnis

Ort

lokalisierbar, fix

dauernd

allen bekannt

reproduktiv

kollektives, globales Gedächtnis

Location

lokalisierbar, nicht unbedingt fix (z.B. das Fashion Week-Zelt)

dauernd oder ephemer

teilweise bekannt, teilweise unbekannt

reproduktiv

kollektives, globales oder lokales Gedächtnis

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Imaginärer Raum

nicht lokalisierbar (›in Gedanken‹)

ephemer

nur den DesignerInnen bekannt, imaginativ

meist nur interne Vermittlung (z.B. in Form von »mood boards«)

persönliches Gedächtnis oder Archiv des Labels

Synthese: Modenschauraum

lokalisierbar

ephemer

den Anwesenden bekannt

als Neuigkeit

kollektives Mode-(bzw. Atmosphären-) Gedächtnis

Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass sich die drei Raumtypen in unterschiedlichen Aspekten erheblich unterscheiden. Ihre Synthese zum Modenschauraum bewirkt eine Zusammenstellung, die gegensätzliche Attribute miteinander vereint: Der Modenschauraum ist lokalisierbar, aber dennoch ephemer; seine genaue Beschaffenheit wird nur von den Anwesenden erfahren und den Nicht-Anwesenden (ggf.) als wiedererlebbare Neuigkeit vermittelt. In seiner Inhomogenität ist der Modenschauraum somit als ein ›Möglichkeitsraum‹ zu sehen, also ein Raum, der an sich möglich ist und in dem alles Mögliche passieren kann. Der Theaterwissenschaftler Ulf Schmidt versteht unter einem Möglichkeitsraum innerhalb des Theaters Folgendes: »Als Raum im Raum ist Theater nur Theater wenn Mögliches wirklich, Wirkliches anders möglich wird. Die Unterbrechung des sozialen Raumkontinuums durch die Differenz zwischen Vorstellern und Zusehern eröffnet diesen Möglichkeitsraum, der durch seine Öffnung das Mögliche zeigt. Traditionell kann der Möglichkeitsraum etwa der Fiktionsraum sein, der Raum, der zwar da aber anders als da, weil eben anders möglich, ist. Die Bühne, die nicht die Bühne, sondern der Hof Dänemarks sein kann. Zugleich aber kann diese Bühne Bühne und nicht Dänemark sein. Zeigt aber als Bühne wieder ein Mögliches, das jederzeit anders sein könnte, und das so ist, wie es ist, weil auf der Bühne anderes möglich war und ist.« (U. Schmidt 2010, o.S.)

Inwiefern ist der Modenschauraum ein Möglichkeitsraum? Dadurch, dass er unter anderem aus einem Imaginärem Raum entstanden ist, ist er möglich im Sinne von denkbar, vorstellbar, potentiell. Imaginäre Räume, die den DesignerInnen vorschweben, werden dahingehend geprüft, ob ihre Umsetzung im Bereich des Möglichen ist: So hat sich beispielsweise die Nachbildung eines Eisbergs im Grand Palais als machbar erwiesen. Im Modenschauraum manifestieren sich also die möglichen Imaginären Räume – sicherlich werden andere Imaginäre Räume dem Bereich des (noch) Unmöglichen zugeordnet und deswegen verworfen.15 15  |  Wie z.B. die Frage einer Studentin während der Recherchephase für dieses Buch, warum nicht mal eine gesamte Modenschau unter Wasser stattfinden würde.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Des Weiteren ist der Modenschauraum ein Möglichkeitsraum, weil er performativ gebildet wird, und in ihm Dinge passieren oder entstehen, die nicht eingeplant gewesen sind. Dies bezieht sich einerseits auf das, was jede Aufführungssituation mit sich bringt, nämlich die Hervorbringung von Eventualitäten und andererseits bezieht sich die Performativität auf das Zusammenwirken der Atmosphären der einzelnen Räume, welches vorher in den seltensten Fällen genau so erprobt worden ist. Unter dem Hervorbringen von Eventualitäten ist neben Fehlern in den Abläufen und Störungen durch Zwischenfälle auch die ›normale‹ Interaktion gemeint, die auf der Ko-Präsenz und der autopoietische »feedbackSchleife«16 von leiblich Anwesenden beruht, wie Fischer-Lichte erklärt: »[… D]er Raum, in dem eine Aufführung sich abspielt, [ist] als ein performativer Raum aufzufassen. Er eröffnet besondere Möglichkeiten für das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern, für Bewegung und Wahrnehmung, die er darüber hinaus organisiert und strukturiert. Wie immer von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, wie sie genutzt, realisiert, umgangen oder gar konterkariert werden, hat Auswirkungen auf den performativen Raum. Jede Bewegung von Menschen, Objekten, Licht, jedes Erklingen von Lauten vermag ihn zu verändern. Er ist instabil, ständig in Fluktuation begriffen.« (Fischer-Lichte 2004, 187)

Der performative Raum ermöglicht Handlungen, determiniert sie aber nicht, d.h. er »eröffnet Möglichkeiten, ohne die Art ihrer Nutzung und Realisierung festzulegen« (ebda., 189). Zur Intensivierung der Performativität bietet Fischer-Lichte drei Verfahren an (vgl. ebda., 192ff.): erstens die Verwendung eines (fast) leeren Raumes, welcher eine völlige Neugestaltung ermöglicht; zweitens die »Schaffung spezifischer räumlicher Arrangements, welche bisher unbekannte oder nicht genutzte Möglichkeiten zur Aushandlung der Beziehungen zwischen Akteuren und Zuschauern, von Bewegung und Wahrnehmung eröffnen«, womit die Interaktion zwischen beiden unterstützt werden soll. Dies kann beispielsweise in der Modenschau wie im Theater durch bestimmte Bühnen- und Sitzarrangements oder Möglichkeiten des Umherwanderns der ZuschauerInnen bewerkstelligt werden. Drittens sieht Fischer-Lich16  |  Zur Feedback-Schleife erklärt Fischer-Lichte: »Es erscheint daher wenig hilfreich, von Produzenten oder Rezipienten zu sprechen. Vielmehr handelt es sich eher um MitErzeuger, die in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Weise an der Gestaltung der Aufführung mitwirken, ohne sie bestimmen zu können. In dem Prozeß, in dem sie mit ihren Wechselwirkungen die Aufführung hervorbringen, bringt umgekehrt die Aufführung sie allererst als Akteure und Zuschauer hervor. Akteure und Zuschauer figurieren mit ihren Handlungen und Verhaltensweisen als Elemente der feedbackSchleife, als die sich die Aufführung selbst erzeugt. […] Die feedback-Schleife weist so Verwandlung als eine grundlegende Kategorie einer Ästhetik des Performativen aus.« (Fischer-Lichte 2004, 81; kursiv i.O.)

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te in der »Verwendung vorgegebener und sonst anderweitig genutzter Räume, deren spezifische Möglichkeiten erforscht und erprobt werden«, eine weitere Methode, um die Performativität zu steigern. Zusammenfassend zum performativen Raum konstatiert Fischer-Lichte: »Jedes der drei Verfahren weist prononciert den performativen Raum als einen ständig sich verändernden Raum aus, in dem Räumlichkeit durch Bewegung und Wahrnehmung von Akteuren und Zuschauern entsteht. Während das erste den Prozeß fokussiert, in dem Räumlichkeit von der autopoietischen feedback-Schleife hervorgebracht wird, lenkt das zweite die Aufmerksamkeit darauf, daß im performativen Raum Energie zirkuliert, die ein spezifisches Wirkpotential zu entfalten vermag. Das dritte Verfahren endlich läßt Räumlichkeit als Überblendung von realen und imaginierten Räumen entstehen und weist so den performativen Raum als einen ›Zwischen-Raum‹ aus. Räumlichkeit – so wird in allen drei Fällen deutlich – ist nicht gegeben, sondern wird ständig neu hervorgebracht. Der performative Raum ist nicht – wie der geometrische Raum – als ein Artefakt gegeben, für das ein oder mehrere Urheber verantwortlich zeichnen. Ihm eignet entsprechend kein Werk-, sondern ein Ereignischarakter.« (Ebda., 199f.; kursiv i.O.)

3.2.2 Formen der Nutzung von räumlich gegebenen Atmosphären Die Beobachtung eines Zuschauers der Michalsky-Show in der Zionskirche in Berlin, »Die Location unterscheidet sich und damit unterscheidet sich auch die Marke!«17, lenkt den Blick auf die (Um-)Nutzung eines Raums als Inszenierungsstrategie, deren sich die DesignerInnen im großen Maße bedienen.18 Wie Fischer-Lichte betont, ist die Nutzung von Räumen und damit ihrer eingeschriebenen Atmosphäre ein Verfahren, um die Performativität des Aufführungsraumes, d.h. des Modenschauraumes zu steigern: »Der performative Raum zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er auch eine andere als die vorhergesehene Verwendung ermöglicht, auch wenn viele Beteiligte eine solche nicht vorgesehene Nutzung als ungehörig, ja empörend empfinden mögen […].« (Fischer-Lichte 2004, 189) 17  |  Zitat aus dem offiziellen Making-of-Video der Show, 2: 55 min, einzusehen unter: www.youtube.com/watch?v=HR-2ZuS-uV8, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 18 | So veranstalte Miyake H/W 1989 eine Modenschau in der Pariser Metrostation Porte des Lilas, Margiela schickte für H/W 1997 Models, Team und Musiker in einem Bus von Ort zu Ort, Yves Saint Laurent zeigte im Stade de France im Vorfeld des Fußball-WMEndspiels 1998, McQueen für H/W 2002 in der Conciergerie in Paris, wo u.a. Marie Antoinette bis zu ihrem Tod gefangen gehalten wurde, Lagerfeld zeigte für Chanel Cruise 2007 die Kollektion in einem Hangar des Flughafens von Santa Monica, für Fendi F/S 2008 auf einem Abschnitt der Chinesischen Mauer und McQueen seine Männerkollektion F/S 2008 in einem Schwimmbad – die Liste ließe sich noch lange fortführen (vgl. Tab. 1).

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Es gilt nun zu zeigen, dass die Verschachtelung der drei Raumtypen, die hier unterschieden werden, zur Folge haben kann, dass sich die der Location und des Imaginären Raums anhaftenden Atmosphären unterschiedlich zueinander verhalten können. Sechs verschiedene Verhältnisse zueinander wurden bereits in Kühl 2012 aufgefächert, die an dieser Stelle nochmals aufgegriffen, spezifiziert und durch eine weitere ergänzt werden sollen:19 1) Die Atmosphäre des Imaginären Raums ermächtigt sich der Atmosphäre der Location In diese Kategorie reihen sich die Modenschauen ein, die in einer möglichst leeren und ›atmosphärefreien‹ Location stattfinden, wie Fischer-Lichte es in ihrer ersten Maßnahme zur Steigerung der Performativität vorgeschlagen hat. Diese Überlagerung hat zur Folge, dass der Imaginäre Raum sich der Location ermächtigt, was in der Abbildung 11 durch die Übergröße des Imaginären Raums verdeutlicht wird. Der Prototyp dieser Kategorie sind die Shows, die in den Fashion Week-Zelten stattfinden: Je ephemerer die Location, desto einfacher ist es für den Imaginären Raum, sich ihrer zu ermächtigen. Auch sind viele Shows von ›Konzept-DesignerInnen‹ unabhängig von der Atmosphäre einer Location, wie beispielsweise die Präsentationen von Viktor & Rolf, in denen es allein auf die Idee, also das Imaginative der Modenschau ankommt. Denken wir nur an die Bluescreen-Show, in der die Location der Show theoretisch völlig austauschbar ist, solange sie abgedunkelt werden kann. Für die ProduzentInnen ist diese Form die unkomplizierteste, da sie ihren Imaginären Raum mit weniger Bedingungen, die die Location vorgibt, abgleichen müssen (vgl. ›Möglichkeitsraum‹). Andererseits verlangt eine (fast) atmosphärenfreie Location eine stärkere Imagination der ProduzentInnen, da der Imaginäre Raum nun ›auf sich gestellt ist‹ und ohne ›atmosphärische Hilfestellungen‹ seitens einer Location die ZuschauerInnen in seinen Bann ziehen muss. Für die RezipientInnen bedeutet diese Form der Modenschau meist zweierlei: zum einen eine geminderte Erwartungshaltung – die Spektakularität der Show betreffend – denn mit der Wahl einer außergewöhnlichen, atmosphärischen Location wird meist automatisch auf eine spektakuläre Modenschau geschlossen. Zum anderen werden die ZuschauerInnen, da sie nicht von äußeren Bedingungen der Location abgelenkt sein werden, sich vollends auf die Show, auf die inszenatorischen Details und auf die Kleider konzentrieren können. Mit der Wahl der Location ist also eine bestimmte Aufmerksamkeitssteuerung seitens der ProduzentInnen verbunden.

19  |  Es sei darauf hingewiesen, dass es durchaus auch Mischtypen gibt und viele Modenschauen nicht eindeutig dem einen oder anderen Typ zugeordnet werden können.

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Abbildung 11: Überschachtelungstyp 1, eigener Entwurf

2) Die Atmosphäre des Imaginären Raums konstituiert sich durch die Atmosphäre der Location In diese Kategorie fallen Modenschauen, die in oder an einer derart ungewöhnlichen Location stattfinden, dass die Atmosphäre des Imaginären Raums gänzlich der Atmosphäre entspricht, die der Location anhaftet (vgl. Abbildung 12). Das Imaginäre der Modenschau ist somit die Idee, diese eine Location zu nutzen. Die Modenschau von Karl Lagerfeld für Fendi F/S 2008, die auf einem Abschnitt der Chinesischen Mauer stattfand, ist ein Beispiel für diese Kategorie, so auch Alexander McQueens Show in der Conciergerie in Paris H/W 2002 oder Michael Michalskys Show in der Zionskirche H/W 2009. Für die ProduzentInnen bedeutet die Kreation einer solchen Show, eine zündende Idee für eine Location zu haben, die für sich alleine spricht. Für die RezipientInnen bergen solche Modenschauen oft die Gelegenheit, sich an Orte zu begeben, die sonst nicht frei zugänglich sind. Das macht die Modenschauräume zu Möglichkeitsräumen, die das Betreten eines ›Verborgenen‹, ›Verschlossenen‹ möglich machen. Abbildung 12: Überschachtelungstyp 2, eigener Entwurf

V. Die Atmosphäre der Modenschau

3) Die Atmosphäre des Imaginären Raums und die Atmosphäre der Location ergänzen sich In diesem Fall verhalten sich die Atmosphären der zwei Raumtypen komplementär zueinander, bestärken sich gegenseitig, was in der Abbildung 13 durch ein Pluszeichen symbolisiert wird. Hierunter fallen Modenschauen, deren Atmosphäre oder ›Geschichte‹ in einem Environment erschaffen bzw. erzählt wird, die genau dazu passt. So zeigten beispielsweise Viktor & Rolf ihre erste Haute Couture Modenschau F/S 1998, bei der die Models auf einen Sockel stiegen und wie Statuen in einer Pose verharrten, in einer Kunstgalerie (Galerie Thaddaeus Ropac in Paris). Zum Schluss der Show warf das letzte Model ihren Hut und ihre überdimensional große Perlenkette vom Sockel auf dem Boden, die darauf zerschellten, denn sie waren, wie sich herausstellte, aus Porzellan. Die für Museen und Ausstellungen typische Vorschrift »Look, dont’t touch« wurde hier ironisch gebrochen. Für die KreateurInnen dieser Shows reicht es nicht nur, eine außergewöhnliche Location zu finden oder eine spektakuläre Idee für eine Modenschau zu haben – beides muss in hohem Maße aufeinander abgestimmt sein. Die Harmonie von Location und Imaginärem Raum soll zu einer höheren Immersion der ZuschauerInnen in den Modenschauraum führen. Abbildung 13: Überschachtelungstyp 3, eigener Entwurf

4) Die Atmosphäre des Imaginären Raums steht im Kontrast zur Atmosphäre der Location Hier sind die beiden Raumtypen auch aufeinander abgestimmt, allerdings sollen sie sich im Modenschauraum nicht zu einem harmonischen Ganzen vereinen, sondern zueinander in Kontrast stehen, was in der Abbildung 14 durch den entgegengesetzten Pfeil versinnbildlicht ist. Alexander McQueen zeigte beispielsweise seine Männerkollektion F/S 2008 in dem Mailändischen Schwimmbad Cozzi. Inspiriert durch die Arbeit des amerikanischen Fotografen LeRoy Grannis nahm er in seiner Inszenierung Bezug auf das berühmte Foto eines surfenden Mannes im Anzug. Hier steht die Präsentation schicker

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Anzüge der in dieser Umgebung normalerweise ungezwungenen BadeanzugAtmosphäre entgegen. Der Gegensatz der beiden Raumtypen wurde jedoch zum Ende der Modenschau wieder ironisch gebrochen, als die letzten Models in nassen Anzügen defilierten. Die ProduzentInnen beweisen bei dieser Art von Shows einen gewissen Sinn für Humor und Feingefühl, müssen aber darauf achten, dass die ZuschauerInnen die gegensätzlichen Verweise verstehen bzw. sie nicht missverstehen. So haben die Modenschauen im Zelt der Mercedes Benz Fashion Week Berlin am Bebelplatz für Aufruhr gesorgt, da diese Location ein geschichtsträchtiger und denkwürdiger Ort der Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933 ist.20 Demnach konnte folgende Erklärung des Chefdesigners des damaligen Labels Lac et Mel, Gregor Clemens, zum Fahnenaufmarsch am Ende seiner Modenschau F/S 2009 durchaus falsch verstanden werden: »Wir sind ja auf einem sehr historischen Platz, das war aber durch Zufall: Wir hatten sowieso unsere Kollektion angesiedelt in den zwanziger Jahren zwischen den Weltkriegen. Wir hatten immer gesagt ›zwischen Lebenslust und Zukunftsangst‹, also es sollte auch das Harte sein, dieses ›wir müssen heute feiern weil morgen könnte etwas Schlimmes passieren‹, deswegen das harte Gelb. Als wir dann gehört haben, wir sind auf dem Bebelplatz, da blieb uns nichts anderes übrig als einen Fahnenaufmarsch zu machen.« 21

Abbildung 14: Überschachtelungstyp 4, eigener Entwurf

20  |  Mittlerweile findet die Mercedes Benz Fashion Week Berlin auch eben wegen dieser Kritik regulär am Brandenburger Tor statt (Stand Sept. 2014). 21  |  Zitat aus einem Interview mit Gregor Clemens vom 17.7.2008, einzusehen unter: http://food.freshmilk.tv/fashion-week/bftv-designer-gregor-clemens-ber-die/, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

5) Die Atmosphäre des Imaginären Raums zitiert die Atmosphäre einer bekannten Location oder eines Orts außerhalb der Modenschau In dieser Kategorie werden ein existierender Ort und/oder eine existierende Location zitiert. Die Zitation muss dabei natürlich nicht eins zu eins übereinstimmen und kann auch abgewandelte oder fiktive Elemente beinhalten. Solche Zitationen sind beispielsweise die Nachbildung eines Eisbergs bei Chanel H/W 2010 oder die einer Farm F/S 2010, eines englischen Gartens im Stile Edwards VII. bei Galliano für Dior HC H/W 2005, von Paris in Miniaturform bei Rykiel für H&M 2009 oder auch die Nachbildung eines ganzen vierstöckigen Hauses, und zwar der Rue Cambon 31 (Flagship-Store von Chanel) und einer hinführenden Straße bei Lagerfeld für Chanel F/S 2009. Der Phantasie der DesignerInnen sind in dieser Kategorie keine Grenzen gesetzt – zitiert werden können Räume aus dem Hier und Jetzt, Räume aus der Vergangenheit, Räume aus der Zukunft, Räume, die man in der Literatur oder aus Filmen kennen gelernt hat, auf Reisen entdeckt hat usw. Die ZuschauerInnen können an noch so fremde und ferne und auch unerreichbare Orte versetzen werden, eine Modenschau kann dies möglich machen (vgl. weiterführend Kühl 2013). Abbildung 15: Überschachtelungstyp 5, eigener Entwurf

6) Die Atmosphäre des Imaginären Raums zitiert die Atmosphäre einer bekannten Location oder eines Orts außerhalb der Modenschau und führt diese ad absurdum Dries van Noten stellte für seine Kollektion F/S 2005 in Paris eine meterlange gedeckte Tafel auf, an die sich die ZuschauerInnen setzen und dinieren konnten. Er schuf also den Raum und die passende Atmosphäre eines opulenten Festmahls und zitierte somit eine bereits existierende Location. Diese vorläufige Zitation wurde aber in dem Moment wieder ad absurdum geführt, als die Models die Tafel als Laufsteg betraten. ProduzentInnen, die diese Art von Modenschauräumen erzeugen wollen, setzen Irritationsmomente ein, die sie bei den ZuschauerInnen durch den Bruch mit Erwartungen erzeugen können. Auch hier spielen sie mit den Grenzen des scheinbar Unmöglichen.

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Abbildung 16: Überschachtelungstyp 6, eigener Entwurf

7) Sonderform: Der Imaginäre Raum bildet sich durch die Räumlichkeit der gezeigten Kleidung Zum Schluss sei auf eine Sonderform des Imaginären Raumes eingegangen, nämlich auf seine Erschaffung durch die Mode selbst und damit der Beeinflussung des Raums der Location. Viktor & Rolf bekleideten in der »Russian Doll« genannten Kollektion H/W 1999 ein einziges Model (Maggie Rizer) mit zehn Kleiderschichten der Kollektion, während sie sich auf einer Plattform drehte. Wie eine mit jeder Umdrehung dicker werdende Matroschka vergrößerte sich dadurch ihr Volumen, nahm immer mehr Raum ein und näherte sich so sukzessive dem Zuschauerbereich. Im wahrsten Sinne des Wortes wurde die Kleidung und somit der Imaginäre Raum für die ZuschauerInnen Stück für Stück greif barer. Abbildung 17: Überschachtelungstyp 7, eigener Entwurf

Es ist deutlich geworden, dass der Imaginäre Raum in verschiedenen Verhältnissen zur Location stehen kann, was für den Modenschauraum, also der Vereinigung aller drei Raumtypen, von Bedeutung ist. Im folgenden Kapitel soll

V. Die Atmosphäre der Modenschau

einerseits darauf eingegangen werden, wie diese Vereinigung – hier Verräumlichungsprozess genannt – vollzogen wird, und andererseits sollen weitere Grenz- und Rahmenziehungen im Modenschauraum aufgezeigt werden.

3.2.3 Der Verräumlichungsprozess und weitere Rahmen- und Grenzüberschreitungen Der Verräumlichungsprozess ist die Verschmelzung von Ort, Location und Imaginärem Raum und erfolgt im Moment der Aufführung. Er ist kein Prozess, der für die ZuschauerInnen sicht- oder spürbar sein soll, sondern einer, der von den ModenschauproduzentInnen in die Wege geleitet wurde und in der Aufführung seine Entfaltung erfährt. In den meisten Fällen ist es von den ProduzentInnen erwünscht, dass den ZuschauerInnen die Locationwahl und die Gestaltung der Modenschau als eine aufeinander abgestimmte, natürliche Zusammenstellung erscheinen. Auch ist es im Interesse der DesignerInnen, bestimmte Locations mit ihrem Namen zu prägen: Einem bzw. einer anderen deutschen DesignerIn würde es beispielsweise nicht einfallen, in der von Michalsky nun schon ›belegten‹ Zionskirche eine zweite Modenschau zu veranstalten. Die ZuschauerInnen sollten bei der Michalsky-Show den Eindruck haben, dass genau diese Modenschau genau dieses Designers nur in genau dieser Kirche in genau diesem Ort aufgeführt werden konnte. Ort, Location und Imaginärer Raum werden im Idealfall als untrennbare Entität präsentiert. Nun gibt es genug Fälle, in dem diese Gebundenheit einfach nicht möglich ist, beispielsweise bei der ›Eisberg-Show‹ von Lagerfeld für Chanel. Die ZuschauerInnen sind sich durchaus im Klaren, dass das Grand Palais nicht der natürlichen Umgebung eines Eisbergs entspricht. Verallgemeinert kann man sagen, dass, wenn der Imaginäre Raum nur auf den Bühnenraum beschränkt ist und der Zuschauerraum gänzlich der Location verhaftet ist, eine Präsentation von Einheit nicht wirklich möglich ist.22 Wie Lagerfeld kann man in diesen Fällen zu Hilfsmitteln greifen: Er umschloss den gesamten Eisberg – wohl auch aus Kühlungsgründen – mit einer weißen Box, die dann zu Beginn der Show langsam gehoben wurde, um das Set zu lüften. Durch diese Geste des ›Vorhang auf!‹ wurde versucht, die offensichtliche Grenze zwischen Antarktis und Grand Palais demonstrativ aufzulösen. Im Verräumlichungsprozess vereinen sich dann die Atmosphären des Orts, der Location und des Imaginären Raums. Dabei können die einzelnen Elemente, die die jeweiligen Atmosphären konstituieren, wie Klänge, Gerüche, 22  |  Es gibt derweil durchaus einige Modenschauen, in denen auch die ZuschauerInnen konstitutiver Teil des Imaginären Raums sind. Man nehme beispielsweise die bereits erwähnte Kollektion, in der die Rue Cambon nachgestellt wurde: Hier wurden die ZuschauerInnen zu auf Parkbänken sitzende BeobachterInnen der Models, die auf der Straße flanierten.

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Lichteffekte usw. und intersensoriell von den ZuschauerInnen aufgenommen werden, einander verstärken, unterstützen oder auch behindern. So ist beispielsweise das Grand Palais die perfekte Location für den Nachbau von Paris in Miniaturform (und, laut dem Modenschauproduzenten Etienne Russo auch der einzige Raum, in dem dieses Vorhaben verwirklicht werden konnte23), aber es muss auch damit gerechnet werden, dass bestimmte Klänge oder Gerüche sich aufgrund der Größe des Raums wieder verflüchtigen. Bei der Modenschau von McQueen in der Conciergerie H/W 2002 wiederum hat sich die Atmosphäre, die unter anderem durch den Einsatz von Wölfen zu Beginn der Show erschaffen wurde, durch die Kälte und Unheimlichkeit der Location verstärkt, sowie dadurch, dass die langen Schatten der Tiere und der Gitterstäbe durch geschickte Lichtführung an die Decken, Wände und auf den Boden des Gefängnisgewölbes geworfen wurden.24 Bei der Modenschau von Sonia Rykiel H/W 2009, bei der die Models das Publikum ansprachen, war die Wahl des Ateliers von Rykiel perfekt: Dadurch, dass der Laufsteg um die Auslagen, Regale und Spiegel geführt wurde, war es möglich, die einzelnen Ausrufe der Models zu hören, ohne dass sie durch die der anderen Models gestört wurden; außerdem schuf die Location eine für einen solchen ›Plausch‹ angemessene, intime Atmosphäre. Die Dreiteilung der Räume wird insbesondere nach der Show wieder sichtbar, wenn der Imaginäre Raum dem Rest ›abgezogen‹ wird und Ort und Location dann wieder ihren ›normalen‹ Bestimmungen obliegen, wie die Zionskirche beispielsweise der Andacht und des Gottesdienstes. Oder auch in dem Moment, wenn sich andere DesignerInnen einer Location ermächtigen wollen, die zuvor bereits bespielt worden ist – man erinnere sich an den Post von Jessica Weiß während der Rykiel für H&M Show, in der sie erst einmal ›verkraften‹ musste, dass sie sich in Karls heiligen Hallen befand, bevor sie sich auf Rykiel einlassen konnte (vgl. Zitat in Kapitel IV.4). Insgesamt lohnt es sich also, bei der Analyse einer einzelnen Modenschau auf diese drei Raumtypen einzugehen und die Wechselwirkungen ihrer Atmosphären zu berücksichtigen. Neben dem Verräumlichungsprozess sind aber noch weitere Grenzziehungen, Rahmungen und ihre Auflösungen in einer Modenschau auszumachen. 23  |  »If you look for a venue that is big in the center of Paris with a high ceiling, that is basically the only one. And as we wanted to have an Eiffel Tower, that is going to be between 25 and 30 meters, I mean, it was that location and luckily we could get it!« Zitat von Etienne Russo aus dem Making-Of-Video von Sonia Rykiel für H&M 2009, 0:40 min., einzusehen unter: www.youtube.com/watch?v=xFjfbVQ4gVI, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 24 | Eindrucksvoll zu sehen im Video der Show, einzusehen unter: www.alexandermc queen.com/experience/en/alexandermcqueen/archive/?years=2002#id_article=166, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Zur Einstimmung in diesen Themenkomplex sei Alexander McQueens Modenschau für die F/S Kollektion 2001 mit dem Titel »Voss« beschrieben, die später, nach einigen theoretischen Überlegungen, wieder aufgegriffen wird. Am 26.9.2000 zeigte McQueen auf der Londoner Fashion Week eine Modenschau, die in Komplexität, Spektakularität und Fülle an Verweisen seinesgleichen sucht. Nach Charlotte Silbermann (2012) lässt sich die Show in drei Sequenzen einteilen. Im ersten Teil, den Silbermann das »Spiegelkabinett« nennt, sitzen die ZuschauerInnen, die auf den Beginn der Show warten, um eine gläserne Box. Die Glasflächen spiegeln die Publikumsreihen und die ZuschauerInnen kommen nicht umhin, sich selbst oder ihre NebensitzerInnen zu beobachten. Silbermann kommt zu folgender Beobachtung: »Der Catwalk als Spiegelkabinett konfrontiert die Zuschauer mit dem eigenen und fremden Blick, sei es im Betrachten des eigenen Spiegelbildes, sei es beim Beobachten von schaulustigen Anderen. Das selbstwahrnehmende Subjekt ist gleichzeitig beobachtetes Objekt und die Tatsache, dass das Sehen ein Gesehenwerden impliziert, wird visuell erfahrbar, wird zur sichtbaren Gewissheit. Hinzu kommt, dass die eigentlich private Geste des Sich-Selbst-im-Spiegel-Anschauens zu einem öffentlichen Event, zu einer Bühneninszenierung wird. […] In der räumlichen Struktur wird noch ein weiterer Aspekt deutlich: die Projektion des Selbst auf das Geschehen des Catwalks und damit auf das ästhetische Ideal, das vermittelt werden soll. Durch die Spiegelbox auf dem Laufsteg wird der Zuschauerraum nämlich tatsächlich auf den Bühnenraum projiziert. Der Raum der physischen Präsenz der Zuschauer verschmilzt in der Illusion des Spiegelbildes mit dem Raum der Bühne. Das wesentliche Moment des ›Eintauchens‹ in die Welt der Mode durch die Inszenierungsstrategien der Modenschau wird in der Spiegelung auf den Punkt gebracht und der Zuschauerraum gleichzeitig zum inszenierten Moderaum erklärt.« (Silbermann 2012, 76f.) 25

Der zweite Teil der Show, den Silbermann den »Goldenen Käfig« nennt, markiert den eigentlichen Beginn der Show. In der gläsernen Box gehen die Lichter an, was zur Folge hat, dass die ZuschauerInnen von ihrem eigenen Anblick und der Beobachtung der Anderen erlöst sind und nun hineinschauen können. In der Glasbox ist eine weitere, kleinere Box aus Metall zu sehen, um die nun die Models, die mit weißen Kopf- und teilweise Beinbandagen Schwerverwundeten ähneln, scheinbar orientierungslos und verwirrt umherstreifen. Dabei wird den ZuschauerInnen klar, dass sie zwar hineinschauen, die Models aber nicht hinausschauen können. Passend zu dieser Szene tragen die Models 25 | Der Beginn dieser Show ist ein sehr gutes Beispiel für das, was Martin Seel als grundlegendes Merkmal von Inszenierungen festgestellt hat: »Weder die, die inszenieren, noch die, für die inszeniert wird, können sich jemals ganz sicher sein, wann eine Inszenierung anfängt und wann sie zuende ist.« (Seel 2001, 62)

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(im wahrsten Sinne des Wortes) zerbrechliche Kleidungsstücke aus Federn, Stäbchen und feinen, leichten Stoffen, die sie noch verwundbarer erscheinen lassen. Interessant ist dabei, wie die Models mit ihrem Spiegelbild umgehen, hinter dem sie natürlich um den Blick der ZuschauerInnen wissen: »[I]hr eigener Blick in den Spiegel ist gleichzeitig ein Blick in die Öffentlichkeit des Publikumsraumes. Das Selbst, das sich im Spiegel wahrnimmt, ist so auch das Bild, das dem Anderen, dem Gegenüber erscheint. In diesem Sinne wird inszeniert, wie Selbstbild und Fremdbild im Spiegelbild überblendet werden.« (Ebda., 77)

Nachdem nun die gesamte Kollektion auf diese Art gezeigt wurde und die ZuschauerInnen im Zwiespalt darüber gelassen werden, ob sie sich nun begeistern, entrüsten oder gruseln sollen, gehen die Lichter wiederholt aus und kündigen eine dritte Sequenz an, die Silbermann die »Truhe der Vergangenheit« nennt. Als die Lichter in der Box wieder aufleuchten, rückt die metallene Box im Innern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Ihre Wände springen unverhofft auf, zerschellen auf dem Boden und zum Vorschein kommt eine mollige, völlig nackte Frau, die sich als die Reporterin und Schriftstellerin Michelle Olley entpuppt, die sich – ähnlich wie in Tizians Venus von Urbino, wie Silbermann bemerkt – auf einem Canapé inmitten eines aufsteigenden Mottenschwarms räkelt. Die Ähnlichkeit der gesamten Inszenierung mit einer Szene aus einem Sanatorium wird nun noch offensichtlicher, da Olley eine silberne Maske trägt und durch Schläuche mit Sauerstoff versorgt wird – eine Anspielung auf das Foto des Künstlers Joel Peter Witkin von 1983 mit dem Titel »Sanitarium«. Zu der Symbolhaftigkeit dieses »tableau vivant« erklärt Silbermann: »Wie eine alte verstaubte Truhe auf dem Dachboden verbirgt die patinierte Box ein antiquiertes Schönheitsideal, das von Motten halb zerfressen, nur noch den Abglanz seiner verflossenen Pracht aufweist. […] So tänzeln die aktuellen Federkleider nicht ohne Grund um die Box, hinter der sich die verstaubte Renaissanceschönheit versteckt. Der Raum der neuen Mode trägt die Truhe der Vergangenheit in sich. Gleichzeitig macht das Bild der vergänglichen, nur noch künstlich am Leben gehaltenen Schönheit bewusst, dass auch das derzeitige Schönheitsideal, die aktuelle Saison der Mode mehr oder weniger schnell der Vergangenheit angehören wird. So flattern die Motten bereits im gläsernen Zimmer des goldenen Käfigs, jenem Raum der aktuell präsentierten Mode. Das Vogelparadies ist nur ein flüchtiger Moment. […] Das große Thema der Vergänglichkeit in der immer schneller werdenden Modeindustrie wird in einem Bild inszeniert, das über kunsthistorische Referenzen die Verschachtelung des Alten und Neuen im ästhetischen Prozeß umschließt.« (Ebda., 81f.)

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Neben vielen anderen interessanten Beobachtungen, die Silbermann macht, ist einerseits die »Verschachtelung des Alten und Neuen« interessant sowie die Blickverhältnisse von ZuschauerInnen und Models, die zu einer gleichzeitigen Aktivität und Passivität, Inklusion und Exklusion beider Seiten führt: »Das Publikum partizipiert während der Show nur passiv an der verführerischen Welt des Vogelparadieses. Es bleibt eine Kluft zwischen Betrachten und Partizipieren, das ein Begehren nach ganzheitlicher Erfahrung weckt.« (Ebda., 78)

Es ist des Weiteren überlegenswert, was solch künstliche/künstlerische Verschachtelungen mit der gezeigten Kleidung machen. Silbermann bringt das Paradox der Begehrlichkeit von Mode durch ihre Unerreichbarkeit bzw. durch ihren Entzug für diese Modenschau auf den Punkt: »Der Besucher der Fashionshow soll, verführt von der präsentierten Welt auf dem Catwalk, zum Kauf der Kleidung animiert werden, im Glauben, so dieser Welt näherzukommen. Das Kleid wird Substitut für die Erfahrung. In Voss wird diese Idee räumlich fixiert. Das Paradies existiert nur innerhalb der Glasbox. In die verführerische Traumwelt der Mode ist nicht einzudringen – die gläsernen Mauern sind unüberwindlich, es gibt keine Tür durch die man eindringen könnte und allein diese Tatsache stimuliert das Begehren, erregt die Fantasie und regt eben auch zum Kauf der Kleider an. So lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass die räumliche Struktur der zweiten Szenerie von Voss nicht zuletzt ein explizites Bild für die Begehrensstrategien der Fashionshow im Allgemeinen darstellt.« (Ebda., 78)

Diese Show im Hinterkopf behaltend werden nun allgemeinere Überlegungen zu den Begriffen der Grenze und des Rahmens angestellt.26 Grenzen trennen zwei Bereiche voneinander ab, um den einen Bereich von dem anderen abzuheben. Sie existieren nicht einfach so (wie auch Territorialgrenzen nicht natürlich gegeben sind), sondern sind Ergebnis eines sozialen Aushandlungsprozesses. Welche Arten der Grenzziehung gibt es in der Modenschau? Zum einen ist die Abgrenzung der drei zuvor besprochenen Raumtypen – Ort, Location und Imaginärer Raum – zu nennen, zum anderen ist aber auch innerhalb des Modenschauraumes eine Grenze zwischen Publikum [P] und Bühne [B], zwischen Bühne und Backstage [BS], zwischen Objekt (Kleidung) und betrachtendem Subjekt, zwischen ZuschauerIn und NebensitzerIn, zwischen ZuschauerIn und Model, zwischen den Sitzplätzen in der begehrten »front row« und den »standing«-Plätzen usw. gegeben. Grenzziehungen sind, wenn man sie aus der Vogelperspektive zu Papier bringt, Rahmen ähnlich (vgl. Abbildung 18).

26  |  Vgl. im Folgenden Kühl 2014.

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Abbildung 18: Rahmen und Grenzen aus der Vogelperspektive, eigener Entwurf

Es stellt sich die Frage, wofür man Grenzen in einer Modenschau braucht und wer was wovon und warum abzugrenzen oder zu umrahmen gedenkt. Die Grundthese, dass sich die Inventivität in der Mode vom Modedesign zum Modenschaudesign verschoben hat, wird in der hier aufgestellten These, dass der Rahmen einer Modenschau nicht mehr nur dazu da ist, die Neuheit, die in der Modenschau behauptet wird, hervorzuheben, sondern dass der Rahmen selbst sogar das Neue sein kann, bestärkt. Modenschauräume entstehen zum einen durch das bereits beschriebene Zusammenwirken der drei Raumtypen und das Auflösen ihrer Grenzen zwischen einander – aber auch dadurch, dass eine Grenze gezogen wird zwischen dem, was die DesignerInnen als das Neue markieren wollen in Abhebung von dem Alten, für das die ZuschauerInnen, ob sie es nun sind oder nicht, symbolisch stehen. Diese Grenze ist vor der Modenschau sichtbar und wird unterstrichen; z.B. ist es verboten, den Laufsteg vor der Show zu betreten oder in den Backstage-Bereich hineinzuschauen (Exklusion). Während und nach der Modenschau werden diese Grenzen aufgelöst, damit die ZuschauerInnen Teil der Aufführung und so ZeugInnen der Präsentation von Neuheit werden (Inklusion). Zur theoretischen Untermauerung der Konzepte oder Begrifflichkeiten Grenze und Rahmen bieten sich einige AutorInnen an. Die fruchtbarsten Ansätze sind m.E. in der Ritualtheorie und der Theorie des Performativen zu finden. In dem Sammelband Ritualität und Grenze führt Erika Fischer-Lichte (2003) den Begriff der Grenze folgendermaßen ein: Die Darstellung der Elektra in einem Stück von Hugo von Hoffmannsthal durch Gertrud Eysoldt in Berlin 1903 markierte einen Wendepunkt in der Schauspielkunst. Durch ihre ausdrucksstarke, wilde Performance durchbricht Eysoldt die traditionelle Grenze zwischen semiotischen Körper (also ihrer Rolle) und ihrem eigenen, phänomenalen Leib (vgl. Fischer-Lichte 2003, 14). Die ZuschauerInnen waren nicht mehr in der Lage, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden – zu stark war ihre Identifikation mit Eysoldts phänomenalem Leib. Es gab also

V. Die Atmosphäre der Modenschau

kein Spiel des ›Als-ob‹ mehr, das Schauspiel ahmte nicht mehr eine Wirklichkeit nach, die es lediglich vortäuscht, sondern konstituierte selbst Wirklichkeit (vgl. ebda., 20). Dies hatte auch Auswirkungen auf die Grenze zwischen dem Publikum und der Bühne: Die Grenzüberschreitung vom semiotischen zum phänomenalen Körper ging auf die ZuschauerInnen über. Zumindest für die Zeit der Aufführung durchliefen auch die ZuschauerInnen – so Fischer-Lichte – eine körperliche Transformation, womit die Aufführung eine rituelle Dimension bekam (vgl. ebda., 18). Dabei stellt Fischer-Lichte heraus, dass diese Grenzüberschreitung als ein »künstlerisches Verfahren« (ebda., 21) betrachtet werden kann – also als etwas, was von KünstlerInnen als Inszenierungsstrategie gezielt eingesetzt wird. In diesem Beispiel basiert die Grenzüberschreitung und Transformation auf der leiblichen Ko-Präsenz und Interaktion von ZuschauerInnen und SchauspielerInnen. Es sei daran erinnert, dass in der Modenschau nicht nur der Leib des Anderen, sondern noch viele weitere Elemente, die die Modenschau-Atmosphäre konstituieren (wie medial erzeugte Bilder, Klänge, Gerüche, Temperaturen, Engen und Weiten etc.), durch die verschiedenen Sinne erfahren und durch kognitive und emotionale Prozesse verarbeitet werden können. Die zuvor zur Sprache gekommene Immersion, also der Einbezug der ZuschauerInnen in einen Raum durch das Hineintauchen in eine Atmosphäre, vollzieht sich durch eine solche multidimensionale Grenzüberschreitung. Bezüglich des Rahmens liegt erst einmal der kunstwissenschaftliche Zugang nahe, bei dem es um den Rahmen als Rahmung des Kunstwerks geht. Wenn man die Modenschau als Gesamtkunstwerk denkt, dann kann man mit der Metapher des Kunstrahmens ggf. operieren. Da das Gesamtkunstwerk Modenschau aber kein Artefakt, sondern ein performativer Akt ist, ist der Begriff des Kunstrahmens nicht geeignet. Fruchtbarer dagegen sind die Überlegungen aus der Soziologie und wieder einmal aus Ritual- und Theatertheorie, die das Prinzip des Bilderrahmens, nämlich das der Inklusion durch Exklusion, auf die Kommunikation zwischen Individuen übersetzen. In dem bereits genannten Aufsatz zur Soziologie des Raums (1903) beschäftigt sich Simmel auch mit den Begriffen der Grenze und des Rahmens. Simmel verwendet beide Termini als eine soziologische Metapher zur Beschreibung von Sinn- und Verhaltenszusammenhängen: »Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt. Das idealistische Prinzip, dass der Raum unsere Vorstellung ist, genauer: dass er durch unsere synthetische Tätigkeit, durch die wir das Empfindungsmaterial formen, zustande kommt – spezialisiert sich hier so, dass die Raumgestaltung, die wir Grenze nennen, eine soziologische Funktion ist. Ist sie freilich erst zu einem räumlich-sinnlichen Gebilde geworden, das wir unabhängig von seinem sozio-logisch-praktischen Sinne in die Natur einzeichnen, so übt dies

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode starke Rückwirkung auf das Bewusstsein von dem Verhältnis der Parteien.« (Simmel 1903, o.S.)

Über den Rahmen heißt es: »Der Rahmen, die in sich zurücklaufende Grenze eines Gebildes, hat für die soziale Gruppe sehr ähnliche Bedeutung wie für ein Kunstwerk. An diesem übt er die beiden Funktionen, die eigentlich nur die zwei Seiten einer einzigen sind: das Kunstwerk gegen die umgebende Welt ab- und in sich zusammenzuschliessen; der Rahmen verkündet, dass sich innerhalb seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet, die in die Bestimmtheiten und Bewegungen der umgebenden nicht hineingezogen ist; indem er die selbstgenügsame Einheit des Kunstwerks symbolisiert, verstärkt er zugleich von sich aus deren Wirklichkeit und Eindruck. So ist eine Gesellschaft dadurch, dass ihr Existenzraum von scharf bewussten Grenzen eingefasst ist, als eine auch innerlich zusammengehörige charakterisiert, und umgekehrt: die wechselwirkende Einheit, die funktionelle Beziehung jedes Elementes zu jedem gewinnt ihren räumlichen Ausdruck in der einrahmenden Grenze.« (Simmel 1903, o.S.)

In Ökologie des Geistes (1983 [engl. 1972]) erklärt der Anthropologe Gregory Bateson ebenfalls in Analogie zum Bilderrahmen, dass in kommunikativen Gefügen »die Wahrnehmung des Grundes […] positiv unterdrückt und die Wahrnehmung der Figur (in diesem Fall des Bildes) […] positiv verstärkt sein [muss]« (Bateson 1983, 254), womit er auch den Gedanken der Inklusion und Exklusion sowie den der Kontrastierung stark macht und damit auf gestaltpsychologische Begriffe zurückgreift. Rahmen können im Batesonschen Sinne also bestimmte Wahrnehmungsmuster aktivieren, kognitive und emotionale Prozesse in Gang setzen und Verhaltensweisen und Handlungen anleiten. Erving Goffman geht noch stärker von einer Austausch-Beziehung zwischen Rahmen und Ereignis für seine Rahmen-Analyse (1980 [engl. 1974]) aus. Es gibt nach seinem Verständnis innerhalb sog. primärer Rahmen neben den natürlichen (wie z.B. Naturereignissen) die sozialen Rahmen, die »einen Verständnishintergrund für Ereignisse [liefern], an denen Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen einer Intelligenz, eines Lebewesens, in erster Linie des Menschen, beteiligt sind« (Goffman 1980, 32). Die Umgrenzung von Handlungen durch primäre soziale Rahmen hat zur Folge, dass die Beteiligten verstehen, was gerade vor sich geht, indem sonst sinnlose Aspekte der Szene zu sinnvollen gemacht werden (vgl. ebda., 31). Durch sog. Modulationen wird »eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert […], das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird« (ebda., 55). Als Beispiel für eine solche Transformation wird häufig das Fußballspiel angebracht, das durch bestimmte Aktionen von einzelnen radikaleren Fans in einen neuen Rahmen verschoben wird, wodurch

V. Die Atmosphäre der Modenschau

es den Charakter eines Kampfes annehmen und zu Gewalteskalationen führen kann (vgl. Weinhold, Rudolph u. Ambos 2006, 25). Rahmen sind also – nach Goffman – Organisationsprinzipien für Ereignisse, die der bzw. die Einzelne aufgrund von Erfahrungen oder Wissen gebildet hat. Jan Weinhold et al. fassen unter anderem vor dem Hintergrund der Ansätze von Bateson und Goffman die folgende, für Ritualdynamiken fruchtbar gemachte Definition von Rahmen vor: »Frames werden verstanden als individuelle oder kollektive, bewusste oder unbewusste Wissensstrukturen und Organisationsprinzipien, die physische und soziale (und damit auch rituelle) Realitäten strukturieren. Mit einem Frame [Rahmen] wird von Ritualakteuren definiert, welche Handlungen, Elemente und Ereignisse salient zugehörig und richtig in der entsprechenden Situation sind und welche nicht. Frames sind kognitivaffektive und damit handlungsleitende Informationen. Während Frame als Begriff verstanden wird, der Strukturen beschreibt, bezeichnet Framing [Rahmung] den Prozess der Wahrnehmung und Interpretation einer Situation. Dazu gehört auf der individuellen Ebene die Aktualisierung von Frames, auf sozialer und kultureller Ebene der konstitutive Prozess des Etablierens, Veränderns und Kommunizierens von Frames.« (Weinhold et al. 2006, 25)

Es lassen sich zusammenfassend drei wichtige Charakteristika von Rahmen festhalten: Erstens werden sie aktiv von Personen gesetzt und sind daher nicht natürlich gegeben, zweitens schließen sie etwas ein, um das Eingeschlossene hervorzuheben und drittens können Rahmen bis zu einem gewissen Maße gewährleisten, dass Ereignisse auf eine bestimmte Art erlebt und verstanden werden und die AkteurInnen auf eine bestimmte Art darauf reagieren. Für die Modenschau bedeutet das, dass sie als Event ein Ergebnis aus dem Zusammenspiel von Planung und Emergenz ist. Planung deswegen, weil die DesignerInnen und ihre Teams bewusst durch die Gestaltung des Modenschauraumes einen Rahmen um das zu Präsentierende ziehen als ›künstlerisches Verfahren‹ und zwar mit der Absicht, es gegenüber dem ›Außen‹ abzugrenzen. Und Emergenz deswegen, weil innerhalb der Dauer der Modenschau diese Rahmenziehung aufgelöst wird: Innen und Außen werden kurzzeitig eins, Dinge passieren oder werden zur Erscheinung gebracht und all dies wird von den Anwesenden beeinflusst und erfahren. Zurück zur Modenschau »Voss« und zu der These, der Rahmen umrahme nicht nur das Neue, sondern sei gar das Neue. Im Falle dieser Modenschau stellt sich die Frage, was das Spiel der dreifachen Verschachtelung bzw. Umrahmung bedeuten oder bewirken soll. Könnte es sein, dass die Strategien der Sichtbarmachung des Neuen, nämlich die Umrahmungen, selber sichtbar, verhandelbar, vermittelbar und verkäuflich werden? Dass das Zentrale, d.h. das, um was es in einer Modenschau geht, nicht das Zentrum selbst ist, son-

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dern die Ränder, die es umschließen? Haben wir es hier mit einer Verkehrung von ›Innen‹ und ›Außen‹ zu tun? Diese Modenschau ähnelt vom Prinzip her dem Spiel mit einer Matroschka-Puppe, die zu Beginn robust und undurchdringlich ist und mit jeder Entpuppung etwas Zierlicheres, Zerbrechlicheres zum Vorschein bringt. Am Ende erhält man die kleinste Puppe, die meistens nicht hohl, sondern massiv ist und das ›Kind‹ ihrer ›Mütter‹ darstellt. Dieser Schatz – sozusagen als Belohnung für das mühevolle Graben – ist in »Voss« nicht etwa die Kleidung, die als das vermeintlich Neue präsentiert werden soll, sondern gerade das Nackte als Anti-Kleidung, das – wie Silbermann herausgearbeitet hat – in dieser voluminösen Form die Vergänglichkeit und das Alte symbolisiert. Mit der Grenzziehung und Rahmensetzung und ihrer sukzessiven Auflösung wird McQueen nun nicht der Erwartung der ZuschauerInnen gerecht, die Sensation, das Neue aufzufinden oder zu entdecken, sondern setzt, sich dessen bewusst, gerade das Alte als ihr Gegenteil in das Zentrum. Damit spielt er zum einen, wie Silbermann schreibt, auf den ewigen Wechsel des modisch Neuen und Alten an, aber zum anderen wird m.E. noch etwas anderes deutlich: Die gesamte Modenschau war ein Spiel des Ent- und Verpackens – die Kleidung spielte nur eine nebensächliche Rolle und ihre Präsentation war nicht mal das Ziel des gesamten Prozedere. Das, was diese Show ausgemacht hat und was auch heute noch mit dieser Kollektion verbunden wird, war die Grenzerfahrung der ZuschauerInnen.

3.3 Distanzerfahrung zum Objekt Es mag aufgefallen sein, dass wir uns nun der Kleidung nähern, die einen konstitutiven Teil der Modenschau darstellt, auch wenn sie nicht mehr unbedingt in ihrem Mittelpunkt steht, wie argumentiert worden ist. Überlegungen hinsichtlich der Kleidung sollten in zwei Richtungen gehen: zum einen in Hinblick darauf, welche Rolle sie im Akt der Aufführung spielt (1) und zum anderen welche Bedeutung ihr durch den Akt der Aufführung zuteilwird (2). Die VertreterInnen der performativen Theorien haben sich so intensiv damit beschäftigt, was unter sozialer Handlung, Akt, Interaktion, »feedback-Schleife«, Wechselwirkung usw. zu verstehen ist, dass den Gegenständen im alltäglichen Gebrauch, im Theater, in Performances usw. zunächst nur marginale Beobachtung geschenkt wurde. Dies lag daran, dass in der Theorie des Performativen vorgegebene Signifikant-Signifikat-Gefüge von vornherein in Frage gestellt werden und davon ausgegangen wird, dass sich bestimmte Materialitäten erst im Handlungsakt herausbilden: »Die Geste bedeutet eben das, was sie vollzieht […] Was ich hier am Beispiel von Körpern und Gesten ausgeführt habe, gilt auch für Räume, Dinge, Farben, Laute u.a. Die theatralen Elemente in ihrer spezifischen Materialität wahrzunehmen heißt also, sie als

V. Die Atmosphäre der Modenschau selbstreferentielle, sie in ihrem phänomenalen Sein wahrzunehmen. […] Die Dinge bedeuten das, was sie sind bzw. als was sie in Erscheinung treten. Etwas als etwas wahrzunehmen heißt also, es als bedeutend wahrzunehmen. In der Selbstreferentialität fallen Materialität, Signifikant und Signifikat zusammen. Die Materialität fungiert nicht als ein Signifikant, dem dies oder jenes Signifikat zugeordnet werden kann. Vielmehr ist die Materialität zugleich als das Signifikat zu begreifen, das mit der Materialität für das wahrgenommene Subjekt, das sie als solche wahrnimmt, immer schon gegeben ist. Die Materialität des Dings nimmt, tautologisch gesprochen, in der Wahrnehmung des Subjekts die Bedeutung einer Materialität an, das heißt seines phänomenalen Seins. Das Objekt, das als etwas wahrgenommen wird, bedeutet das, als was es wahrgenommen wird. […] Es handelt sich also nicht um den Prozeß einer Desemantisierung, sondern um Selbstreferentialität.« (Fischer-Lichte 2004, 245f.)

Erst in den letzten Jahren wurde die Diskussion um das Objekt/das Ding/ das Artefakt, welche vor dem »performative turn« angeschoben wurde27, als sog. Dingtheorie bzw. »material culture studies« wieder aufgenommen, wie einige Publikationen28, Zeitschriften29, Tagungen30 und Seminare31 belegen. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass der Museologie in den letzten Jahren in den kulturwissenschaflichen, soziologischen und philosophischen Diskursen größere Beachtung geschenkt wurde und die Ästhetisierung des Alltags und von Alltagsgegenständen zu einem beliebten Forschungsfeld avanciert ist (vgl. z.B. Schulze 1992). Zugleich ist eine ›Überschwemmung‹ des performanztheoretischen Gedankenguts auf alle Bereich der Kulturwissenschaft zu beobachten: Nach dem Sprechakt konnte auch das Geschlecht und 27 | Beispielsweise durch Baudrillard 2007 [frz. 1968]; Miller 1987 oder Appadurai 2009 [1986]. 28  |  Hier eine kleine Auswahl: Hahn 2005; van Binsbergen u. Geschiere 2005; Miller 2010 [engl. 2008]; Bosch 2010 und Liessmann 2010. 29 | Z.B. das Ding-Magazin der Fakultät für Design der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München (2013). 30  |  Z.B. die Tagungen »Phänomenologie der Dinge« im Juli 2010 und »Kraft der Dinge. Dinge, Gegenstände, Objekte in der Phänomenologie« im Sept./Okt. 2011 der deutschen Gesellschaft für Phänomenologische Forschung. Näheres zum bald erscheinenden Tagungsband der letzten Tagung unter: www.phaenomenologische-forschung.de/ pages/tagungen/tagungen.htm, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 31 | Z.B. das Seminar »Theorie der Dinge« von Prof. Dr. Gertrud Lehnert im Wintersemester 2011/12 an der Universität Potsdam, das in Kombination mit Lehnerts Forschungsschwerpunkt in der Modetheorie am 28.6.2013 zu einem Workshop über Luxus und Lifestyle geführt hat. Näheres unter: www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/ avl/AKTUELLES/Flyer_Workshop__Luxus_und_Lifestyle_.pdf, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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andere Identitäten als performativ konstruiert ausgemacht werden (»doing gender«). Das Theater bedeutete nur noch das, was in ihm gemacht wurde und plötzlich sprachen, machten und wollten Bilder, Blicke und auch Dinge. Alles wurde zum Akt – auch die Mode. Beispielhaft für diese Erweiterung scheint die Ergänzung der kürzlich erschienen Einführung in die Performativität von Fischer-Lichte (2012), welche als eine Art überarbeitete und konzentrierte Fassung ihres Schaffens gesehen werden kann, durch ein Kapitel über die »Macht der Dinge«. Darin geht sie darauf ein, inwiefern »heilige Dinge« (Reliquien, Fetische), »Gebrauchsdinge«, »Prestigedinge«, »musealisierte Dinge« und »vermüllte Dinge« performativ sein können. Die Frage, die sich für die Bedeutung der Kleidung als Ding der Modenschau (1) erst einmal stellt, ist die, ob es überhaupt Modenschauen ohne die Kleidung geben könnte.32 Analog dazu gibt es durchaus Modefotografien und »fashion short films«, in denen die zu präsentierende Kleidung nicht oder kaum zu sehen ist. Auch spielen bestimmte Modenschauen, wie das forschungsleitende Beispiel »Bluescreen«, mit der teilweisen Unsichtbarkeit der Kleidung (und des Körpers). Für das Funktionieren der Modenschau muss dennoch die Kleidung in irgendeiner Form erahnt werden können. Warum ist das so? Auch wenn hier argumentiert wird, dass das Neue der Modenschau die Atmosphäre ist, die die Kleidung umgibt und kontextualisiert, muss gerade als eine Art ›Gegenmittel‹ zur flüchtigen Atmosphäre etwas von der Modenschau erhalten bleiben, das nicht ephemer ist. Die Kleidung ist ein Transportmittel, mit der die Atmosphäre einer Modenschau an die Öffentlichkeit und in die Zukunft hinausbefördert werden kann. Auch wenn sie manchmal so unbedeutend ist, dass sie nicht mal wirklich gesehen werden muss, muss sie dennoch soweit gesehen worden sein, dass sie auch außerhalb der Modenschau wiedererkannt wird. Es ist also eine wechselseitige Abhängigkeit von Kleidung und Atmosphäre zu konstatieren: Die Atmosphäre braucht die Kleidung, um erhalten zu bleiben und die Kleidung braucht die Bewahrung der Atmosphäre, um die Zuschreibung als neue Mode zu erhalten. Bestimmte Kopplungsstrategien bewerkstelligen diese Bindung (siehe Kapitel VI.). Der Kleidung soll nicht abgesprochen werden, zu der kreierten Atmosphäre dazuzugehören, bzw. sie durch ihre Erscheinung zu unterstützen. Nehmen wir beispielsweise ein Kleid der Modenschau »Voss«, welches aus lackierten amerikanischen Schwertmuscheln bestand. In der Aufführung fuhr sich das Model Erin O’Connor derart über das Kleid, dass die einzelnen Muscheln abbrachen und auf den Boden fielen. McQueen sagte hierzu:

32  |  Vgl. die Modenschau in Robert Altmann »Prêt-à-porter«, in der die Models nichts trugen, d.h. nackt auf die Bühne traten. Hier stellt sich m.E. zudem die Frage, ob eine Modenschau überhaupt ohne Körper funktionieren würde.

V. Die Atmosphäre der Modenschau »My friend George and I were walking on the beach in Norfolk, and there were thousands of [razor-clam] shells. They were so beautiful, I thought I had to do something with them. So, we decided to make [a dress] out of them. … The shells had outlived their usefulness on the beach, so we put them to another use on a dress. Then Erin came out and trashed the dress, so their usefulness was over once again. Kind of like fashion, really.« (Frankel, Blanks, Sundsbø u. Bolton 2011, 146)

Die sich sonst unmerklich und allmählich vollziehende Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit von Schönheit und Mode als leitendes Thema dieser Modenschau wird in dem Akt der Zerstörung der Kleider auf der Bühne zu einem konkreten, sinnlich erfahrbaren Moment. Es gibt sehr viele weitere Beispiele, in denen die Kleidung in der Modenschau nicht wegzudenken ist, beispielsweise in einer anderen Show von McQueen (F/S 1999, »#13«), an deren Ende ein weißes Kleid von zwei Robotern mit gelber und schwarzer Farbe bespritzt wurde. Aber auch hier wird evident, dass es sich nicht um das Kleid als Endprodukt dieses ›Kampfes zwischen Mensch und Maschine‹ dreht, sondern um die Möglichkeit, Kleider im Moment der Modenschau erst zu erschaffen. Dabei liegt die Faszination darin, dass das Kleid niemals ein zweites Mal in der gleichen Art und Weise hätte erschaffen werden können, denn auch wenn die Roboter programmiert waren, Shalom Harlows Bewegungen könnten nicht nochmal absolut gleich ausgeführt werden. Die Abhängigkeit der Mode von der Modenschau könnte kaum pointierter dargestellt werden als hier. Die Prämisse von McQueen, »always […to start] every collection with an idea or a concept for the runway presentation before the fashions«33, gilt auch für andere DesignerInnen, wie Viktor & Rolf oder Hussein Chalayan. So heißt es bei Khan über Chalayan: »Many of the garments he shows are not even ment to be sold or worn, but simply represent ideas and concepts carried throught the collection as a whole. […] Chalayans desings are not ›fashionable‹, instead they embody ideas and concepts. His catwalk shows are direct extensions of these ideas and they occupy a stage on which he brings not only his clothes, but the ideas that inform them.« (Khan 2000, 120)

Zusammenfassend lässt sich über die Bedeutung der Kleidung sagen, dass sie der Modenschau Material ist. Auf sie projiziert sich die Modenschau (pointiert in »Bluescreen«), in sie schreibt sie sich ein (pointiert in »#13«), durch sie wird ihre Idee materialisiert (pointiert in »Voss« und den Shows von Chalayan). Die33  |  Zitat aus dem Blog der Ausstellung »Alexander McQueen – Savage Beauty« im Metropolitan Museum of Art, New York (4.5.-7.8.2011); einzusehen unter: http://blog.met museum.org/alexandermcqueen/about/#sthash.vmj2r64v.dpuf, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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se und andere vielfältige Arten der Einschreibung als Akt des Spurenhinterlassens erheben die Kleidung zu einem Beweisstück, zu einem Zeugnis der Modenschau. Während sie in der Modenschau noch als Oberfläche fungiert, die gestaltet, geprägt und beschriftet werden kann, gewinnt sie als einziges ›Überbleibsel‹ der Modenschau im Nachhinein an »agency« – in (2) dazu mehr. Die ZuschauerInnen erfahren das Objekt während der Modenschau meist nicht sinnlich-taktil, sondern über ihre anderen Sinne, d.h. insbesondere visuell und auditiv. Wie Hauskeller herausstellt, erzeugt gerade das Unvermögen, Materielles nicht taktil erfassen zu können, ein spezifisches Bedürfnis: »In keiner Sinnesmodalität treten uns die Gegenstände so nahe wie in der körperlichen Berührung, und mehr als alles andere überzeugt uns die Berührung von der Wirklichkeit eines Gegenstandes. ›Was mittels anderer Sinne als Realität wahrgenommen wird, halten wir bestenfalls für Hypothesen, die einer Bestätigung durch Berührung bedürfen. Letztendlich glauben wir nichts, was wir nicht berühren können‹ […]. 34 Zweifeln wir an der Realität einer Erscheinung, erwacht in uns das Bedürfnis, das Gesehene anzufassen, um uns seiner Realität zu versichern.« (Hauskeller 1995, 157)

In der Modenschau wird genau diese »optische Vorwegnahme der Berührung«, wie Hauskeller sie nennt, gezielt eingesetzt, und zwar in Form einer Distanzerfahrung, die über vier verschiedene Strategien des sinnlichen Entzugs bewerkstelligt wird. Die erste Form des Entzugs funktioniert über den Raum: Die räumliche Distanz zum Objekt wird dadurch gesteigert, dass die Kleidung oft kaum bzw. nur teilweise zu sehen ist oder in zu großer Entfernung vorgeführt wird. Zweitens kann ein zeitlicher Entzug die Distanz zum Objekt erhöhen, dadurch dass die Kleidungsstücke in einem recht schnellen Tempo nur einmal vorgeführt werden und meist auch nicht alle im Finale ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Der körperliche Entzug basiert auf der hochkritisierten Form des schmalen Modelkörpers, der das Kleid trägt. Das Kleid ist in der vorgeführten Größe in den meisten Fällen nicht für die Körper der ZuschauerInnen geeignet; durch die ›Kluft‹, die zwischen Ideal- und Realkörper existiert, vergrößert sich die Distanz zur Kleidung. Und schließlich viertens, der haptische Entzug: Selbst wenn man nach der Modenschau als EinkäuferIn oder JournalistIn in den Genuss kommt, die Kollektion zu sichten und haptisch zu überprüfen, entsteht während der Modenschau insofern eine Distanz, als sich diese Personen sicher sein können, dass sich die vorgeführten Teile nicht in genau derselben Form und Beschaffenheit in der Kollektion wiederfinden werden, da es sich um sog. »showpieces« handelt. Dennoch – die Berührbarkeit mag zwar nicht realisierbar sein, sie wird aber als solche inszeniert, wie Hauskeller erklärt: 34  |  Hauskeller zitiert hier Montagu 1984, 221.

V. Die Atmosphäre der Modenschau »Hingegen bleiben all die Dinge, die ich nicht berühre, als berührbare präsent. So machen sich die Berührungsqualitäten vor allem im Modus ihrer Vorwegnahme atmosphärisch geltend.« (Hauskeller 1995, 161; kursiv i.O.)

Das vorgeführte Kleid während der Modenschau ist potentiell berührbar und weckt das Bedürfnis, die Distanz durch eine Berührung und letztendlich durch den Kauf zu überbrücken. Aber was passiert nun tatsächlich mit dem Kleidungsstück, das in der Show als Material der Modenschau fungierte, nach der Show (2)? Bei den »showpieces« handelt es sich im gehobenen Prêt-à-porter wie in der Haute Couture meist um Stücke, die entweder im Museum oder Archiv landen oder für weitere künstlerische Präsentationen genutzt werden35. Sie gehen nur in den seltensten Fällen in Privatbesitz über. Zum Transport der Atmosphäre nach ›draußen‹ und in die Läden ist also eine Aufrechterhaltung der Verbindung der Modenschau mit den Kleidern zu forcieren (vgl. Kopplungsstrategien), auch wenn die eigentlichen Beweisstücke und Zeugnisse aus der Modenschau nicht in den Verkauf kommen, sondern nur Ersatzstücke als Abwandlungen der Originale. Die Originale als authentische Objekte dagegen werden dadurch, dass sie an den einmaligen Shows ›teilhatten‹ und ihre Atmosphären in irgendeiner Form materiell gespeichert haben, beinahe wie heilige Dinge auf bewahrt. Ihnen wird etwas zuteil, was Fischer-Lichte »agency« nennt: »Reliquien und Fetische sind in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil in ihnen Signifikant und Signifikat zusammenfallen: Sie sind das, als was sie in Erscheinung treten. Sie bedeuten nicht die heilende, schützende oder zerstörerische Macht, sondern sind deren Verkörperung bzw. Materialisierung. […] So wie Sprechakte häufig als Teil von Ritualen fungieren, werden heilige Dinge als wichtiger Bestandteil in Ritualen eingesetzt. Mit bzw. durch beide wird gehandelt. Beide zielen auf eine Veränderung der Wirklichkeit.« (Fischer-Lichte 2012a, 164; kursiv d. AK)

Die »agency« eines Dings ist also dann gegeben, wenn mit ihm und durch es etwas gemacht worden ist und auch im Nachhinein auf dieses Gemachte nicht nur verwiesen wird, sondern es das Gemachte verkörpert bzw. materialisiert. Das bedeutet, dass die Originale der Modenschau nicht einfach auf die Atmosphäre als Zeichen verweisen, sondern Teil der Atmosphäre waren und es immer bleiben. Sie können durch ihre Existenz und Präsenz die Atmosphäre immer wieder aufs Neue zum Leben erwecken. Den ausgestellten »showpieces« könnten neben dem, was unter Musealität (vgl. Flügel 2005; Waidacher u. Raffler 2005) sowie dem, was mit dem semiophoren Charakter eines Mu35  |  Beispielsweise bei Auftritten von Lady Gaga, die mit Vorliebe Kreationen von Alexander McQueen zu Preisverleihungen etc. trägt.

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seumsobjekts (Pomian 1993 [frz. 1987], 49ff.36) verstanden wird, die Fähigkeit des »reenactment« zugesprochen werden. Wie bereits in Kapitel II.1.2 erläutert, handelt es sich bei der Musealität um den »Ausdruck einer Subjekt-Objekt-Beziehung, einer Beziehung zwischen Mensch und Ding« (Flügel 2005, 25), wobei diese Beziehung immer dann entsteht, »wenn der Mensch Dinge als so wesentlich erkennt, dass er sie aus ihrer Umgebung herauslöst, um sie und ihre Bedeutung dauerhaft zu bewahren« (ebda., 15). Während Flügel des Weiteren betont, dass ein museales Objekt sowohl auf die Vergangenheit verweisen, aber auch einen Bezug zur Gegenwart schaffen muss (ebda., 24), macht Pomian die Zeichenhaftigkeit daran fest, dass durch die sichtbare Materialität des Gegenstandes Unsichtbares referenziert wird: »[…A]lle sinnlichen Merkmale werden umgewandelt in Zeichen, die eine Beziehung herstellen sollen zwischen dem Betrachter und dem Unsichtbaren, auf das sie verweisen.« (Pomian 1993, 95)

Die Materialität des roten Federkleids aus McQueens Show »Voss« beispielsweise stellt bei den MuseumsbesucherInnen37 also nicht nur eine Verbindung zum Unsichtbaren, nämlich der Atmosphäre der Modenschau her im Sinne einer bloßen Erinnerung, sondern bewirkt eine Re-Präsenz der Atmosphäre der Modenschau. Ohne dass Gottfried Korff (2007 [2002]) explizit diese performative Eigenschaft als solche benannt hätte, klingt im folgenden Zitat dieser Gedankengang an: »Musealisierung hat es mit dem Spannungsgeflecht von Eigenem und Fremdem, von Nähe und Ferne zu tun. Anders als die Utopie, die der Nichtort, der Ort des Idealen und Imaginären ist, hat es das Museum als Ort der Heterotopie mit dem wirklichen Ort und mit dem wirklichen Ding, mit der erlebbaren Dreidimensionalität zu tun. Die Orts- und Dingwirklichkeit des Museums, gründend in der realen Präsenz der Überlieferungsobjekte, macht sie zu Institutionen, in denen Identitäts- und Alteritätserfahrungen in Ver36  |  Pomian unterscheidet zwischen zwei Arten von Dingen: »Auf der einen Seite befinden sich die Dinge, nützliche Gegenstände, das heißt solche, die konsumiert werden können oder die dazu dienen, sich Subsistenzmittel zu verschaffen oder auch Rohstoffe umzuwandeln, so daß sie konsumiert werden können oder schließlich dazu, gegen die Veränderungen der natürlichen Umgebung zu schützen. Mit all diesen Gegenständen hantiert man, durch sie alle werden physische, sichtbare Veränderungen vorgenommen und erleiden sie auch: sie nutzen sich ab. Auf der anderen Seite befinden sich die Semiophoren, Gegenstände ohne Nützlichkeit, […] die das Unsichtbare repräsentieren, das heißt die mit einer Bedeutung versehen sind.« (Pomian 1993, 49f.; kursiv i.O.) 37 | Das Kleid wurde in der Ausstellung »Gothic: Dark Glamour« (FIT, 5.9.2008-21.2.2009) oder auch in »Alexander McQueen – Savage Beauty« (MET, 4.5.-7.8.2011) gezeigt.

V. Die Atmosphäre der Modenschau flechtung möglich sind. Die physische Nähe des Objekts, des Dings, des Sachzeugen, ist Voraussetzung der Erfahrung des Anderen, des Fernen.« (Korff 2007, 150)

Dies erinnert an das, was Walter Benjamin mit der Aura als »eine Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag« gemeint hat (Benjamin 1981, 15). Die Distanzerfahrung zum Objekt manifestiert sich demnach während der Modenschau in einer Ferne, die Nähe verspricht, und im Museum in einer Nähe, die Ferne impliziert.

3.4 Die Erfahrung des Anderen Neben der Erfahrung des Objekts als Alteritätserfahrung stehen die ZuschauerInnen auch in leiblicher Ko-Präsenz zu den sie umgebenden Menschen, d.h. zu anderen ZuschauerInnen, Models und zum Designer bzw. zur Designerin. Wie das Wechselspiel von Beachtung und Beobachtung untereinander von den DesignerInnen gezielt gelenkt werden kann, wurde in dem Modenschaubeispiel »Voss« deutlich. Im Folgenden wird einerseits darauf eingegangen, wie jede einzelne ›Partei‹ (ZuschauerInnen – Models – DesignerInnen) beschaffen ist und andererseits, wie die ›Parteien‹ zueinander in ein Verhältnis treten. Die Bildung von Gemeinschaften, die Victor Turner (2005 [engl. 1969]) die »communitas« nannte und die auch so in der theaterwissenschaftlich fundierten Theorie des Performativen übernommen wurde, geschieht bei der Modenschau von Seiten der ZuschauerInnen sowie seitens der Models im Moment des Betretens der Location (ein Mechanismus, den Erving Goffman ein »ortsbestimmtes Verhalten« nennt, vgl. Goffman 2008 [engl. 1959], 99ff.). Gemeinschaft ist nach Turner, und damit zitiert er den Religionsphilosophen Martin Buber, »das Nichtmehr-nebeneinander, sondern Beieinandersein einer Vielheit von Personen, die, ob sie auch mitsammen sich auf ein Ziel zu bewegen, überall ein Aufeinanderzu, ein dynamisches Gegenüber, ein Fluten von Ich und Du erfährt: Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht« (Turner 2005, 124). Als dialektisches Pendant zur sozialen, institutionalisierten Struktur, die bestimmte Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften verbindet (z.B. SteuerzahlerInnen), entwickeln Menschen auf natürliche Weise Gruppen, die »menschlich miteinander verbunden« sind. In einem Ritual seien die AkteurInnen von der Sozialstruktur befreit und befänden sich in einer »communitas«, um danach wieder in die festgelegten Formen zurückzukehren (vgl. ebda., 126). Fischer-Lichte übersetzt diese Form der Vergemeinschaftung folgendermaßen für das Theater: »Jene Gemeinschaft, die durch diese gemeinsam vollzogenen Handlungen geschaffen wurde, ist nun selbst nicht als eine ›Fiktion‹ zu begreifen, sondern entstand als eine soziale Wirklichkeit – eine soziale Wirklichkeit allerdings, die, anders als andere soziale Gemeinschaften, nur für kurze Zeit Existenz hatte. Sie verschwand im Augenblick, da die

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode gemeinsamen Handlungen beendet waren. Ihre Gelingensbedingungen bestanden nicht in irgendwelchen länger anhaltenden Dispositionen und Überzeugungen, die von allen Mitgliedern der Gemeinschaft hätten geteilt werden müssen. Sie sahen lediglich vor, daß Mitglieder der beiden ihrer Funktion nach sonst klar differenzierten Gruppen – der Akteure und Zuschauer – in einer durch die Aufführung in ihrer Eigenart mit-konstituierende Handlungen gemeinsam vollziehen.« (Fischer-Lichte 2004, 90)

Entgegen der Argumentation von Fischer-Lichte, im Theater vollziehe sich eine Gemeinschaftsbildung zwischen ZuschauerInnen und AkteurInnen, ist in der Modenschau eine Vergemeinschaftung der einzelnen ›Parteien‹ untereinander, jedoch nicht miteinander zu beobachten. Die Vergemeinschaftung von ZuschauerInnen auf der einen und Models auf der anderen Seite wird durch verschiedene Inszenierungsstrategien verstärkt. Zunächst durch die bereits erwähnte Grenzziehung zwischen dem Bühnen- und dem Zuschauerbereich: Selbst wenn die einzelnen Gruppen es wollen würden – eine leibliche Übertretung dieser Grenze ist erst einmal nicht möglich (mit der Zeit werden dieses Grenzen sukzessive aufgelöst). Des Weiteren verbringen die einzelnen Gruppen mehr Zeit untereinander: die Models in den Räumen der Anprobe und des Schminkens, die ZuschauerInnen in den Minuten vor der Show, was zu einem Austausch von Erinnerungen, Erwartungen und Erfahrungen hinsichtlich des bevorstehenden Ereignisses führt. Weiterhin unterscheiden sich diese zwei Gemeinschaften optisch voneinander: Die unterschiedlichen Erscheinungsbilder der Models werden durch einheitliches Schminken und Frisieren nivelliert und auch das Anziehen der jeweiligen Designerstücke kann nicht zu einer Identifizierung der einzelnen Models beitragen. Zudem vereint das rhythmische, gleichförmige Defilieren auf dem Laufsteg sie zu einer homogenen ›Modelmasse‹. Die ZuschauerInnen dagegen ähneln sich insofern, als sie sich gar nicht ähneln: Als Gegenstück zu den AkteurInnen auf der Bühne wirken sie wie eine heterogene, undefinierbare Masse. Dies führt zum letzten Aspekt, der zu einer Vergemeinschaftung führt, und zwar zu ihrer Symbolhaftigkeit: Während die Models in ihrem Beruf stets mit dem, was die DesignerInnen als das Neue behaupten wollen, in Berührung kommen, es als solches präsentieren und sich gar damit identifizieren sollen, steht die Masse der ZuschauerInnen stellvertretend für alles Alte, d.h. für das, was durch das Neue ersetzt werden soll. Manche ZuschauerInnen versuchen diese Kluft dadurch zu überbrücken, dass sie etwas ›Klassisches‹ oder ›Zeitloses‹ anziehen oder sich in einem Outfit des präsentierenden Labels kleiden. Dennoch ist es nicht möglich, sich optisch den Models zu nähern, da ihnen im Normalfall die Kollektion noch nicht bekannt sein sollte. Durch den symbolischen und räumlichen ›Verweis‹ der ZuschauerInnen in den ›Randbereich‹ des modisch nicht mehr Zeitgemäßen entsteht innerhalb der Zuschauermenge eine meist rege Kommunikation – verbal oder non-verbal – über das, was die Models tun und

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vorführen. Die ZuschauerInnen verbinden sich durch Blickwechsel, durch den Austausch von Kommentaren, durch Äußerungen in der Gestik und Mimik, durch Beifall oder Unmutsbekundungen untereinander. Die Models kommunizieren während der Modenschau meist nicht miteinander; ihre Vergemeinschaftung basiert auf dem, was im Vorhinein der Show Backstage passierte, sowie darauf, dass sie sich als einheitliches Ganzes präsentieren. Hinsichtlich der Beschaffenheit ihrer Gemeinschaft könnte man eine Parallele zu dem ziehen, was Erving Goffman unter einem »Ensemble« versteht:38 »Ein Ensemble kann also definiert werden als eine Gruppe von Individuen, die eng zusammenarbeiten muss, wenn eine gegebene Situationsbestimmung aufrechterhalten werden soll. Ein Ensemble ist zwar eine Gruppe, aber nicht in bezug auf eine soziale Struktur oder eine soziale Organisation, sondern eher in bezug auf eine Interaktion oder eine Reihe von Interaktionen, in denen es um die relevante Definition der Situation geht.« (Goffman 2008, 96)

Das Ensemble ist dadurch geprägt, dass es »gemeinsam eine Rolle aufbau[t]« (ebda., 75), um seine Darstellung möglichst glaubhaft wirken zu lassen. Falls ein Mitglied »aus der Rolle fällt«, gibt es laut Goffman verschiedene Strategien der »Ausdruckskontrolle« (vgl. ebda., 48ff.) und »Techniken der Eindrucksmanipulationen« (vgl. ebda., 189ff.), um eine Irritation des Publikums zu vermeiden – beispielsweise bei Fehlern in der Choreografie einer Modenschau.39 Und die DesignerInnen – zu welcher Gemeinschaft gehören sie? Sie sind als loses Bindeglied zwischen Models und ZuschauerInnen zu sehen. Zwar halten sie sich im Vorhinein der Show mit den Models auf, gehen mit ihnen jedoch keine derartige, schon gar nicht optische Symbiose ein wie die Models untereinander40, trotzdem gehören sie symbolisch zum Neuen. Eine Vergemeinschaftung mit den ZuschauerInnen findet wenn, dann erst im Nachhinein der Show statt und meist auch auf ihrem ›eigenen Terrain‹: JournalistInnen und FotografInnen spüren sie meist sofort im Anschluss der Show im Backstage-Bereich auf, um mit ihnen die Präsentation zu besprechen. 38 | Für den, der Goffmans Werk nicht kennt, sei erklärt, dass er mit Metaphern des Theaters hantiert, um die Interaktionen von Menschen in Alltagssituationen zu analysieren und zu erklären. 39 | Es sei darauf hingewiesen, dass Goffmans Ansatz in diesem Buch zwar sinnvoll ist für eine Erklärung von intentionalem Verhalten innerhalb der Modenschau – für die Erklärung dessen jedoch, was die Emergenz und Performanz einer Modenschau ausmacht, sind seine Ausführungen unzulänglich. 40  |  Hier gibt es auch Ausnahmen, beispielsweise das Auftreten von Galliano im passenden Look seiner Dior- und Galliano-Kollektionen. Normalerweise jedoch nehmen die DesignerInnen Vorlieb mit klassisch schlichten Outfits in schwarz oder schwarz-weiß.

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Nachdem einiges zur Vergemeinschaftung gesagt worden ist, ist nun die Interaktion zwischen den ›Parteien‹ unter die Lupe zu nehmen. Wie können die einzelnen Positionen und Verhältnisse beschrieben werden? Den DesignerInnen geht es ähnlich den Freudschen Witzerzählern (1912 [1905]), die das Risiko eingehen, dass ihr Witz vom Publikum nicht verstanden, missverstanden oder gar gänzlich als witzlos abgetan wird. Der Witz muss also für das Publikum glaubhaft und pointiert formuliert sein. Wenn die DesignerInnen Erfolg haben, das Publikum lacht und klatscht, sind sie erleichtert – Freud spricht davon, dass sowohl die ErzählerInnen als auch die ZuhörerInnen durch das (geglückte) Witzeerzählen Energien loswerden können, die sich während des Witzes angestaut haben (Freud 1912, 135f.).41 Jede Anordnung einer Kollektion folgt einer konkreten, von den DesignerInnen festgelegten Reihenfolge und so entwickelt sich innerhalb der Präsentation eine Narration oder eine Steigerung, die zur Pointe am Ende der Show führt. Die Hinführung zur Pointe erfolgt durch die immerwährende Wiederholung der Argumente des Witzes (z.B. die Wiederholung eines Details oder einer Farbe an verschiedenen Kleidungsstücken), bis sie im letzten Kleid – oft ein opulentes Abend- oder Hochzeitskleid – kulminiert.42 Darum wissend, dass ihr ›Witz‹ mittlerweile eigentlich nicht mehr witzig ist (als Analogie zur ›Inventionsbredouille‹), arbeiten die DesignerInnen mit Ausschmückungen (als Analogie zur umgebenden Atmosphäre), um den ›Witz‹ schon auf dem Weg zur vermeintlichen Pointe für die ZuschauerInnen amüsant zu gestalten. Oft fällt den ZuschauerInnen dann gar nicht auf, dass die DesignerInnen nicht auf den Punkt gekommen sind. Auch wenn von einer Narration die Rede gewesen ist, funktioniert der Witz nicht immer als kausale Aneinanderkettung von erzählerischen Elementen, sondern ist von vielen nicht eingeplanten oder nicht steuerbaren Aspekten beeinflusst. So könnten die ZuhörerInnen bzw. ZuschauerInnen den ›Witz‹ schon kennen, könnten die Pointe sofort erahnen und vorwegnehmen, könnten eine Ähnlichkeit mit einem anderen ›Witz‹ erkennen, vielleicht gerade nicht auf einen ›Witz‹ aufgelegt sein oder sich als humorlos entpuppen. Auch könnte die Narration nicht genauso 41 | Die Abführung der Energie beim Lachen, was wir als lustvoll empfinden, ist laut Freud ein Ausdruck der »Ersparnis von psychischem Aufwand«. Die drei verschiedenen Arten von Aufwand, d.h. der Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand, der Vorstellungs- bzw. Besetzungsaufwand sowie der Gefühlsaufwand, können den ZuhörerInnen durch die Auflösung des Witzes im Moment der Pointe erspart werden (vgl. Freud 1912, 101f. u. 207). »Lachen wir über einen Witz, so lachen wir nach Freud ersparten Hemmungsaufwand ab, lachen wir über eine komische Szene, so lachen wir ersparten Vorstellungs- oder Besetzungsaufwand ab, und lachen oder lächeln wir humorvoll, so geschieht dies aus erspartem Gefühlsaufwand.« (Pietzcker 2006, 21) 42  |  So sind viele Witze so aufgebaut, dass drei Wünsche, drei Anläufe oder drei ähnliche Ereignisse nacheinander folgen.

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vonstattengehen wie geplant, da sie von den Models und anderen Beteiligten abhängt, oder die Ausschmückungen könnten zu sehr – oder zu wenig – vom ›Witz‹ ablenken. Die DesignerInnen befinden sich also zusammenfassend in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Models und zum Publikum: Für eine reibungslos verlaufende Präsentation bauen sie auf die Loyalität und Disziplin der Models und sind auf ihre Kooperation angewiesen. Vom Publikum brauchen sie ein offenes Ohr bzw. Auge, eine wohlwollende Gemütslage und die Bereitschaft, ihnen zuzuhören und zuzusehen. Insofern könnte man Simmels Überlegung zustimmen, dass der Führer im Grunde ein Angeführter ist: »Er [der Modenarr] geht den anderen voran – aber genau auf ihrem Wege. Indem es die letzterreichten Spitzen des öffentlichen Geschmacks sind, die er darstellt, scheint er an der Tête der Gesamtheit zu marschieren. In Wirklichkeit aber gilt von ihm, was unzählige Male für das Verhältnis zwischen Einzelnen und Gruppen gilt: dass der Führende im Grunde der Geführte ist.« (Simmel 1998, 49)

Die ZuschauerInnen verspüren nur selten eine Abhängigkeit von den DesignerInnen – zunächst müssen sie sich während der Modenschau nicht persönlich mit ihnen befassen, auch in den wenigen Sekunden des Designergrußes fallen deren Blicke eher in die blitzenden Kameras als auf Einzelpersonen, die sich angesprochen fühlen könnten. Es liegt im Belieben der ZuschauerInnen, den DesignerInnen direkt Feedback zu geben – etwa durch die Überreichung eines Blumenstraußes (was auf professionellen Events recht unüblich ist), durch »standing ovations«, Zwischenrufe etc. Das tatsächliche Feedback, das heißt die Auseinandersetzung der ZuschauerInnen mit der Behauptung des Neuen und dessen Ratifizierung bzw. Ablehnung (vgl. Dücker), wird zwar in der Modenschau angestoßen, aber nicht unbedingt zu Ende geführt. Viel interessanter ist derweil die Interaktion der ZuschauerInnen mit den Models. Hier wird darauf referenziert, was René König als das »Schauen und Sich-Beschauen-Lassen« und als den »Rollenwechsel von Akteuren und Zuschauern« bezeichnet. Auch König nimmt zunächst auf Sigmund Freud Bezug: »Sigmund Freud gibt ja auch dafür eine interessante Ableitung, indem er zeigt, wie der Schautrieb ursprünglich autoerotisch ist, sich also auf den eigenen Körper bezieht […] Erst danach wird der Schautrieb auf dem Wege der Vergleichung auf einen fremden Körper gewendet. Schließlich wird auch dieses Objekt aufgegeben, und der Schautrieb wendet sich gegen einen Teil des eigenen Körpers, womit sich zugleich das aktive Schauen in Passivität verwandelt und in die Aufstellung eines neuen Zieles, nämlich selber gesehen zu werden. 43 […] So steht auf der einen Seite die Tendenz zum aktiven Schauen, die vom eigenen 43  |  Es scheint so, als ob Alexander McQueen dieser Abfolge in »Voss« Rechnung getragen hätte.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode Körper auf den fremden geht, also vom Narzissmus auf die entfaltete Erotik, die das Objekt ihres Sehens im anderen Körper erblickt; auf der anderen Seite erwächst aus der gleichen Wurzel der Wunsch, gesehen zu werden, der sich in seinem Extremen bis zum offenen Exhibitionismus steigern kann […].« (König 1999, 84f.; kursiv i.O.)

Die ZuschauerInnen beobachten nicht nur die Models, sondern auch sich selbst durch die Augen der Models. Im Fachjargon des symbolischen Interaktionismus dienen Models dem Publikum und das Publikum den Models als »group of generalized others« (vgl. Helle 2001, 80). Das Publikum übernimmt die Perspektive der Models und sieht sich selbst als unmoderne und körperlich suboptimale Gestalt. Diese Erkenntnis kann zwar auch Neid oder Missfallen gegenüber den Models auslösen, trägt aber letzten Endes zu einer Revision des Selbst bei. Laut König kann dieser Mechanismus des Vergleichens zu einem Rollenwechsel führen, da derjenige, der »zuerst Zuschauer war und Beifall klatschte, […] nun selber zum Akteur werden und den Beifall für sich einheimsen« will (ebda., 127). In der Modenschau kann von einem solchen Impuls durchaus gesprochen werden, der sicherlich von den DesignerInnen provoziert wird: Das Begehren danach, so zu sein, so auszusehen, sich so zu kleiden und so begehrt zu werden wie die Models, mag den einen oder die andere ZuschauerIn dazu verleiten, die präsentierte Kleidung als ein Mittel zu nehmen, um diesem Wunschbild näher zu kommen. Erika Fischer-Lichte subsumiert den Rollenwechsel unter den Facetten der sog. »feedback-Schleife«, von der hier auch schon die Rede war. Sie unterstreicht dabei das Oszillieren von Macht von den AkteurInnen zu den ZuschauerInnen und wieder zurück: »Der Rollenwechsel läßt sich in diesem Zusammenhang als ein Prozeß von Ent- und Ermächtigung verstehen, der sowohl die Theaterkünstler als auch die Zuschauer betrifft. Die Künstler entmächtigen sich in ihm selbst als alleinige Schöpfer der Aufführung: sie erklären sich bereit, Autorschaft und Definitionsmacht – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – mit den Zuschauern zu teilen. Dies gelingt jedoch nur durch einen Akt der Selbstermächtigung und der Entmächtigung der Zuschauer: Die Künstler ermächtigen sich, dem Zuschauer neue Verhaltensweisen aufzuzwingen oder sie gar in Krisen zu stürzen, und entziehen diesen so die Position des distanzierten, über dem Geschehen stehenden Beobachters. […] Durch den Rollenwechsel wurde offenbar, daß der ästhetische Prozeß der Aufführung sich stets als Selbsterzeugung vollzieht, als eine autopoietische, sich ständig verändernde feedback-Schleife.« (Fischer-Lichte 2004, 80; kursiv i.O.)

Daher, so schlussfolgert sie, könne man nicht wirklich von ProduzentInnen und RezipientInnen sprechen, sondern von »Mit-Erzeugern«, die zwar in unterschiedlichem Ausmaße, aber dennoch gleichsam an der Aufführung mitwirken (vgl. ebda., 81). Soweit kann man m.E. bei der Modenschau zwar nicht gehen, allerdings sind die Wahrnehmungen, projizierten Sehnsüchte,

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Reaktionen und Wechselwirkungen der ZuschauerInnen maßgeblich für den Verlauf und den Ausgang einer Show. Die Models befinden sich derweil in einem Zwiespalt zwischen Selbstinszenierung und Projektion. Neben der Aufforderung der DesignerInnen, bei jeder Show in eine neue Rolle zu schlüpfen44, sind sie auch dem Druck ausgesetzt, den aktuellen Schönheitsidealen und (erotischen) Wunschvorstellungen zu entsprechen. Auch die Models sehen sich im Spiegel des Publikums und erkennen dessen Verlangen, so zu sein wie sie (was ihr Selbstbewusstsein stärkt), aber eventuell auch Abscheu gegenüber ihrem mageren Körper oder ihres scheinbar ›oberflächlichen‹ Daseins. Diesem versucht das Model mithilfe einer gelungenen Selbstinszenierung standzuhalten. Laut Gofmann kristallisiert sich in der Interaktion zwischen AkteurInnen und ZuschauerInnen ein Mechanismus heraus, der die Selbstinszenierung auf der Bühne unterstützt: »Eine richtig inszenierte und gespielte Szene [veranlasst] das Publikum […], der dargestellten Rolle ein Selbst zuzuschreiben, aber dieses zugeschriebene Selbst ist ein Produkt einer erfolgreichen Szene, und nicht ihre Ursache.« (Goffman 2008, 231)

Um die Kollektion und Idee der DesignerInnen möglichst glaubwürdig zu präsentieren, braucht das Model eine gewisse Sicherheit und ›exhibitionistische‹ Veranlagung. An der Sicherheit kann das Model insofern arbeiten, als sie ihren Körper als ihr wichtigstes Kapital strengen Diäten und Körpertrainings unterwirft.45 Ihrer Selbstinszenierung und -behauptung entgegen stehen die allgemeinen Praktiken der ModespezialistInnen, ihre gebuchten Models in der Anonymität zu lassen. Auch renommierte Frauen- und Modezeitschriften (z.B. die Vogue) nennen bei »editorial shoots« zwar die Namen der ›unsichtbaren‹ DesignerInnen, der FotografInnen, ProduzentInnen und Hair & Make-up-ArtistInnen, jedoch sucht man meist vergeblich nach dem Namen (oder wenigstens nach dem Agenturnamen) des Models.46 Die Anonymität der Models dient dem Publikum dazu, beliebig viele Wunschvorstellungen auf sie 44 | Vgl. die Instruktionen auf einem Plakat im Backstage-Bereich der Modenschau von Michael Kors F/S 2012, auf dem zu lesen war: »You are the most glamorous, sexy couple in Safari history. Brad and Angelina are jealous of you. You are the modern Lauren Hutton and Peter Beard. Be strong, sexy and have fun!« Einzusehen unter: http:// denveralamode.com/wp-content/uploads/2011/09/michael-kors1.jpg, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 45  |  Vgl. die Publikationen von Ashley Mears zu »emotional labour«. 46 | Eine ähnliche gängige Praxis lässt sich selbst in den Modelagenturen verzeichnen: Hier werden die Models, insbesondere dann, wenn sie sich noch ›keinen Namen gemacht haben‹, nur unter ihrem Vornamen geführt. Des Weiteren kann man auch beobachten, dass Models in ihrer Namensgebung auf äußerliche Merkmale oder Fähig-

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zu projizieren, und den DesignerInnen, die Uniformität und Wandelbarkeit des Models, die mit der Anonymität einhergehen, für ihre Kollektionen auszunutzen: Persönlichkeiten oder unterschiedliche Körperstaturen würden vom Kleid ablenken, es soll daher so wenig vom Model zu sehen sein wie möglich.47 Models können sich zudem die zu präsentierende Mode nicht aussuchen, d.h. also, dass die getragene Mode für ihre Projektion und Selbstinszenierung keine Rolle spielt. Die Fähigkeit eines ›guten‹ Models besteht darin, sich selbst bzw. die Figur, die sie verkörpern soll, jedes Mal aufs Neue mit oder auch trotz ihrer äußeren Hülle zum Ausdruck zu bringen. Abschließend lassen sich die einzelnen Interaktionen und Wechselwirkungen der drei ›Parteien‹ unter- und zueinander in folgender Tabelle zusammenfassen: Tabelle 5: Mögliche Interaktionen zwischen DesignerInnen, ZuschauerInnen und Models INTERAKTION

zu den DesignerInnen

zu den ZuschauerInnen

zu den Models

Ausgehend von den DesignerInnen

Inspiration, Imitation, Vergleich, Respekt, Bewunderung, Neid, Ablehnung, Kritik, Anti-Mode

Experiment, ›Witz‹, Angebot, Abhängigkeit

Körperformung, Identitätsformung, Urteil, Anerkennung, Kritik, Abhängigkeit

Ausgehend von den ZuschauerInnen

Bewunderung, Ablehnung, Interpretation, Urteil, Ratifizierung des Angebots, ›Lachen über den Witz‹

Vergemeinschaftung durch Beobachtung und Kommunikation, Vergleich, Urteil, ›Lachen‹

Beobachtung, Vergleich, Anerkennung, Bewunderung, Imitation, Missachtung

Ausgehend von den Models

»emotional labour« (Mears), Körperarbeit, Verkörperung von Idealen, Disziplin, Anonymität

Exhibitionismus, Verkörperung von Schönheits- und Körperidealen, ›Arroganz‹

Vergemeinschaftung durch Imitation und Kommunikation, Vergleich, Neid

keiten reduziert werden – so ist Elle McPherson als »The Body«, Linda Evangelista als »Chamäleon« bekannt. 47  |  Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, wie z.B. bei der jährlichen Victoria’s Secret Modenschau, bei der die DesignerInnen eben gerade Wert auf die Bekanntheit, die Körperlichkeit, die Individualität und Persönlichkeit der Models legen.

V. Die Atmosphäre der Modenschau

3.5 E xkurs: Die Modenschau – ein Ritual? Die Charakterisierung der Modenschau als performatives Ereignis, die Untersuchung der Rahmen- und Grenzziehungen und die Analyse dessen, welche Beziehungen und Interaktionen in der Modenschau zu beobachten sind, könnten zu der Frage führen, ob es sich bei der Modenschau um ein Ritual handelt. Dieser Exkurs gibt Raum zur Entfaltung einiger Gedankengänge, die vorab explizit als essayistischen Versuch gekennzeichnet sein soll. Eine eindeutige Klärung der Frage ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, wohl aber das Vorstellen einiger Ideen, die für eine Beantwortung hilfreich sein könnten. In diesem Kapitel soll also der Frage nachgegangen werden, ob ein ritueller Charakter der Modenschau als sozialer Aushandlungsprozess (des Neuen) festgestellt werden kann, was die Bezeichnung der Modenschau als Ritual legitimieren könnte. Die Kombination der Wissenschaft von der Mode mit der des Rituals bzw. der Religion wurde in der Modetheorie nur vereinzelt in Angriff genommen (z.B. Sellmann 2002a; Gründl 2007) und stößt im Allgemeinen auf Vorsicht. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Modewissenschaft noch immer, zumindest auf deutschsprachigem Gebiet, keine ausreichende disziplinäre Anerkennung gefunden hat und leider oft als Populärwissenschaft abgetan wird. Aufgrund dieses Images scheint sie mit der ›uralten‹ Theologie unvereinbar zu sein. Stattdessen hat sich das Forschungsinteresse einiger ModetheoretikerInnen auf einen quasireligiösen Aspekt konzentriert, nämlich der Fetischisierung von Modeprodukten. Die Übertragung des Fetischismus-Begriffes aus der Psychoanalyse (z.B. aus Freud 1991 [1927]; Krips 1999), der Theorie/Kritik des Warenfetischismus (z.B. Marx 2000 [1867]48; Adorno 1972 [1970], 334ff.; Horkheimer u. Adorno 1987 [1944], 186; H. Böhme 2006) sowie aus den Gender Studies (z.B. Garber 1993 [engl. 1991]; Butler 1995 [engl. 1993]) schien ein zwar indirekter, aber einfacherer Weg zu sein. Nach ersten Ansätzen von Benjamin (1983, 118 u. 130) befassten sich später Anne Hollander (1995), Barbara Vinken (1998) und Valerie Steele (1996) mit den Verquickungen von Fetisch, Erotik, Gender und Mode und etwas später Caroline Evans (2000) mit der Fetischisierung des Modebildes. Die Diskussion über einen rituellen Charakter der Mode klingt in einigen Publikationen zwar an (z.B. in Gregg Duggan 2001, 250; Kawamura 2004, 61ff. u. 2005, 71; Gründl 2007, 13ff.; Dücker 2008, 21; Schiermer 2011, 121f.), wurde aber noch nicht konkret diskutiert. Dabei liegen die zahlreichen Auseinandersetzungen mit dem performativen Aspekt der Mode (z.B. Lehnert 2003; van Mechelen 2009) einen solchen Vergleich m.E. nahe. Auch hat in Deutschland die Aufführung einer Modenschau von Mi48 | Hier insbesondere: Erstes Buch, Erster Abschnitt, Erstes Kapitel, Punkt 4 »Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis«, S. 83-95.

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chael Michalsky in der Zionskirche in Berlin (H/W 2009) dafür gesorgt, dass man sich mit etwaigen Parallelen eines Gottesdienstes und einer Modenschau als religiöses Ritual auseinandersetzt (vgl. Kühl 2014). Die Ritualistik ist eine Wissenschaft, die aus mehreren anderen Disziplinen – insbesondere der Ethnologie, Anthropologie und der Religionswissenschaft – erwachsen ist und ohne die andere Disziplinen und Paradigmen nicht auskommen würden (z.B. die Sprechakttheorie, Theaterwissenschaft, Performanztheorie; der »linguistic«, »cultural«, »performative« und »iconic turn«). Das Interesse an der Ritualwissenschaft verstärkte sich laut Burckhard Dücker (2007, 177ff.) ab 1970 – davor konzentrierte sie sich als Wissenschaft von ›primitiven‹ Kulturen auf Beobachtungen, Analysen und Systematisierungen von Ethnografen seit dem 19. Jahrhundert. Mit den Studentenrevolten von 1968 richtete sich die Jugend gegen althergebrachte Traditionen und brachte dadurch neue Rituale hervor49 – eine Paradoxie, die Dücker auch in seinem Aufsatz zum Neuen und Rituellen aufgemacht hat (Dücker 2008a). Dort heißt es, dass sich das Neue und das Rituelle nicht ausschließen, sondern einander bedingen (vgl. Kapitel IV.2). Das Neue sei überhaupt nur im Rahmen einer Serialität möglich, und eine Serie, d.h. eine wiederkehrende Ordnung, werde gewährleistet, wenn sie immer wieder in einem ähnlichen rituellen Akt affirmiert wird. Das Ritual brauche das Neue, um einen Anlass zu haben, sich selbst immer wieder zu überprüfen und zu bestätigen – und das Neue brauche auch das Ritual als Vehikel, um in die Welt zu kommen. Die Modenschau anhand ihrer Aushandlung von Neuem als ein Ritual zu bezeichnen, ist der Argumentation von Dücker zufolge unproblematisch. Um Rituale als solche erkennen zu können, führt Dücker in seiner Einführung in die Ritualtheorie eine Liste von Merkmalen auf (Dücker 2007, 188ff.), an denen sich hier orientiert wird. Zuallererst stellt er fest, dass eine geordnete Sequentialität der Ritualhandlung in Ordnungsformen wie einer Choreografie oder Agenda gegeben sein muss. Zweitens sei ein Ritual durch eine Wiederholung oder Repetitivität dieser Sequentialität in jeder Aufführung geprägt. Bei einer Modenschau liegen diese Merkmale auf der Hand: Die Sequentialität ist durch den meist straff getakteten Ablauf einer Modenschau gegeben, den die ZuschauerInnen kennen und verinnerlicht haben. Außerdem wird die Modenschau durch das streng organisierte Modejahr in dem ritualisierten Zyklus der immer wiederkehrenden Fashion Weeks eingefasst. Der dritte Punkt ist der der »Inszenierung und Performanz«, dem in diesem Buch bereits ein großes Augenmerk geschenkt wurde. Viertens macht Dücker ein Ritual an sei49  |  So heißt es: »Ritualkritik dient vielmehr als Vehikel politischer Kritik mit dem Ziel des Systemwandels, der neue Rituale erfordert. So gilt das Zugleich von (Ritual-)Aufführungen und (Ritual-)Kritik als konstitutives Merkmal für die beschleunigte Ritualdynamik der Moderne.« (Dücker 2007, 184)

V. Die Atmosphäre der Modenschau

ner Förmlichkeit fest und meint damit die »Feierlichkeit« und »Festlichkeit« eines Ereignisses oder eine »offizielle Atmosphäre«. Als fünften Punkt nennt er die Unterhaltungsfunktion und/oder ästhetische Dimension. Die Feierlichkeit und offizielle Atmosphäre wird bei einer Modenschau dadurch unterstrichen, dass nur durch persönliche Einladungen der DesignerInnen bzw. ihrer PR-Agenturen der Zutritt zur Modenschau gestattet ist, dass die Gäste mit Geschenken und oft mit kostenloser Verköstigung für ihre Anwesenheit belohnt werden, dass es Sitzordnungen gibt, Ausweise, offizielle Anfangszeiten und Abläufe, sowie Sonderbereiche, in denen sich VIPs oder die Presse aufhalten darf. Den Dimensionen der Erfahrung – seien sie nun ästhetischer, emotionaler oder epistemischer Natur – sowie dem letzten Punkt von Dückers Katalog, dem der Anwesenheit von ZuschauerInnen und AkteurInnen, wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich Rechnung getragen. Dücker schließt hier zwar die Liste der sichtbaren, formalen Merkmale – sie sei jedoch noch ergänzt durch einen weiteren Aspekt, nämlich den des Auftauchens sog. »Klammern« innerhalb sozialer Interaktionen, den Goffman beobachtet hat (vgl. Goffman 1980, 278ff. u. Weinhold et al. 2006, 23f.). Klammern sind Hinweise, die die AkteurInnen auf den Beginn, auf den Fortschritt oder das Ende einer Handlung bzw. eines Rituals aufmerksam machen. Die Modenschau ist stark von solchen Klammern gekennzeichnet und durchdrungen: Sie verläuft i.d.R. gleich ab (Defilee mit »first« und »last face«, Finale und Designergruß), wird i.d.R. von den gleichen Menschen durchgeführt (meist von professionellen Models), findet i.d.R. in den gleichen Locations (z.B. im offiziellen Fashion Week-Zelt), in den gleichen Städten (in den Modemetropolen), zu gleichen Zeitpunkten (im Halbjahresturnus) statt. Modenschauen, die von diesen Reglementierungen abweichen, wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt, z.B. wenn eine außergewöhnliche Location gewählt wird, wenn Amateurmodels gebucht werden oder wenn der Ablauf umgekehrt wird (wie bspw. bei Viktor & Rolf F/S 2000 oder Marc Jacobs F/S 2008). Neben den formalen Merkmalen kommen für Dücker noch zwei Dimensionen hinzu, nämlich die des Bezugs zu einer nicht-menschlichen Instanz (Gott, Wert) und die Dimension der Wirkung, womit Dücker die Intentionalität des Rituals meint (also eine Krisenlösung, eine Formung, Bestätigung oder Transformation des Status eines bzw. aller AkteurInnen). Auf der Suche nach einer höheren Instanz, der die Modenschau gewidmet sein soll, läuft man Gefahr, zu der strittigen Behauptung zu gelangen, die Mode könne als eine Ersatzreligion fungieren. Die einzigen SchöpferInnen, die in der Modenschau auftauchen und denen gehuldigt werden könnte, sind die ModeschöpferInnen, aber eine transzendentale Kraft oder Macht ist nicht auszumachen. Auch ein höherer Wert, wie es beispielsweise bei dem Ritual der Einschulung der Wert der Bildung ist, ist bei einer Modenschau schwer zu finden, es sei denn, man argumentiert, Modenschau trügen zu einer Formung einer spezifischen

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

oder allgemeinen Ästhetik bei. Stärker betont sei daher die Intentionalität, die hinter einer Modenschau steckt, und zwar die Aushandlung von Neuem und die Bestätigung der Status der DesignerInnen und ZuschauerInnen durch ihre kontinuierliche Teilnahme (vgl. Kawamura 2005, 70ff.). Passend hierzu verweist Dücker auf ein weiteres Merkmal, das der Literaturwissenschaftler Wolfgang Braungart anführt, und zwar das der Selbstbezüglichkeit. In der Modenschau ist diese in der immerwährenden Affirmation des Systems und der einzelnen Positionen, sowie in der gezeigten Kleidung, die sich immer und immer wieder selbst zitiert, zu sehen. Schließlich fehlt noch das Merkmal, dem Arnold van Gennep (1986 [frz. 1909]), Turner und Fischer-Lichte intensiv nachgingen, und zwar das der Transformation, welches weitere Konzepte mit sich bringt, nämlich die der Liminalität, der Schwelle und der »communitas«. Dücker versteht unter Transformation »eine Situation und das zughörige Verhalten zum Thema oder Gegenstand einer rituellen Handlung zu machen. Dabei kann beabsichtigt sein, etwas zu bestätigen, zu bekräftigen, (sich) zu reinigen, den Status von jemandem zu verändern oder auch eine Ordnung umzuwandeln, um eine andere zu etablieren. Rituelles […] Handeln bezieht sich also auf die Modifikation eines gegebenen (Ist-) in Richtung auf einen erwünschten (Sollens-) Zustand […].« (Dücker 2007, 190)

Laut van Gennep werden in einem Ritual verschiedene Phasen durchlaufen, die den Status der am Ritual Beteiligten verändern oder bestätigen. Dabei entwickelte er ein Dreischrittmodell, nach welchem eine oder mehrere AkteurInnen von einer Ausgangsphase über eine Zwischenphase, in der ein neuer Status ausgehandelt wird, hin in eine Anschlussphase gelangen, in der die neue Situation affirmiert wird. Dementsprechend differenziert van Gennep Rituale der Ablöse- oder Trennungsphase (»rites de séparation«), solche der Zwischenoder Übergangsphase (»rites de marges«) und solche der Angliederungsphase (»rites d’agrégation«; vgl. van Gennep 1986, 21). In allen Ritualen befinden sich die AkteurInnen in einem bestimmten Moment zwischen zwei Welten – ein Zustand, den van Gannep die Schwellenphase bzw. Transitionsphase nennt (vgl. ebda., 27f.). Turner (und später Fischer-Lichte) legt auf diese Schwellenphase ein besonderes Augenmerk und führt hierfür den Terminus »betwixt and between« ein (vgl. insb. Turner 1964). Die Schwellenphase kann unter anderem durch räumliche Übergänge, also das tatsächliche Überschreiten von räumlichen (Tür-)Schwellen oder (Territorial-)Grenzen bewerkstelligt werden (vgl. Ausführungen zu Rahmen- und Grenzziehungen). Im Moment des Überschreitens befinden sich die Beteiligten an einem Punkt, der »den Übergang von einer Ordnung zu einer anderen bildet, und [die Beteiligten] in diesem Sinne in eine[n] liminalen Zustand« führt (Fischer-Lichte 2004, 258).

V. Die Atmosphäre der Modenschau

Während alle formalen Aspekte sowie die der Selbstreferentialität, der Intentionalität und auch der Überschreitung und Auflösung von Grenzen und Rahmungen an der Modenschau festgemacht und bestätigt werden können, bliebe noch zu klären, ob es in einer Modenschau zu einer Transformation kommen könne. Hier sei zur Diskussion gestellt, ob man von der Modenschau als eine Schein-Transformation sprechen könne, in der die Models eine Überschreitung der Grenze vom Alten zum Neuen vorführen (im Sinne von simulieren, aber nicht tatsächlich vollführen). Zu untersuchen gilt zudem, ob eine Modenschau als eine Schein-Transformation wie ein ›reales‹ Ritual auch wirklichkeitskonstituierend sein kann oder nicht. Wirklichkeitskonstituierend heißt in diesem Falle, dass die Transformation in einem ›realen‹ sozialen System anerkannt wird und auf ihn Auswirkungen hat. Wagen wir also nun das Gedankenexperiment, eine Modenschau nicht nur als einen Akt der Behauptung und nicht nur als ein inszeniertes und aufgeführtes Angebot der DesignerInnen, sondern gar als ein Spiel des ›Als-ob‹ zu betrachten.50 Wenn die Modenschau ein ›richtiges‹ Ritual wäre, dann würde nach Abschluss der Show sofort klar sein, ob es gelungen ist, die neue Kleidung als die neue Mode einzuführen, denn in herkömmlichen Ritualen kommt es zu tatsächlichen, von den ZuschauerInnen und AkteurInnen akzeptierten (Status-) Änderungen. Dies würde jedoch bedeuten, dass es weder ModespezialistInnen bedarf, noch dass ihnen eine Zeit der Nachbearbeitung und Verhandlung eingeräumt werden müsste. Wäre die Modenschau ein ›echtes‹ Ritual, dann wäre nach 15 Minuten die Statusänderung von alter zu neuer Mode vollzogen – und dem ist nicht so. Man könnte die Modenschau jedoch als Simulation verstehen, als Miniaturmodell des eigentlichen Modezyklus, in dem die alte Mode von der neuen überlagert und in vielen Fällen von ihr abgelöst wird (vgl. im Folgenden Kühl 2012). In der Modenschau würde diese Überlagerung nur modellhaft geschehen – die Modenschau wäre als experimentelle Anordnung ein Vor-Bild, eine Vor-Stellung des realen Modezyklus. Wie die Überlagerung und Ablösung von einer alten durch eine oder mehrere neue Moden in der ›Wirklichkeit‹ vonstattengeht, kann man wie in Abbildung 19 sehr abstrahiert und simplifiziert durch Schleifen verdeutlichen:

50  |  Diese These kann nur im Rahmen dieses Kapitels erörtert werden, bedarf jedoch sicherlich einer eingehenderen Untersuchung. Gerade im Hinblick darauf, dass die Modenschau als ein performatives, die Gegenwart markierendes und mit allen Sinnen im Hier und Jetzt erfahrbares Ereignis verstanden wird, würde einem Spiel des ›Als-ob‹ widersprechen (vgl. zu dieser Problematik Seel 2001, 57).

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Abbildung 19: Überlagerungsmöglichkeiten von alter und neuer Mode, eigener Entwurf

Im ersten Fall (linke Schleife) wird die alte Mode [A.M.] durch die Einführung neuer Kleidung [N.K.] überlagert. An einem konkreten Punkt – hier als Punkt verdeutlicht, in der Realität nimmt dieser Prozess natürlich eine längere Zeitspanne ein – kommt es zur Transformation und die neue Kleidung wird zur neuen Mode [N.M.] und löst somit die alte Mode ab. Im zweiten Fall (mittlere Schleife) wird die alte Mode von der neuen Kleidung überlagert, die alte Mode kann sich jedoch durchsetzen – die neue Kleidung wird nicht zur Mode. Im dritten Fall (rechte Schleifenreihe) wird die alte Mode durch mehrere neue Kleidungen (z.B. bei einer Fashion Week, auf der die Kollektionen mehrerer DesignerInnen gleichzeitig präsentiert werden) überlagert. Dabei können sich mehrere Kleidungen gleichzeitig als neue Moden durchsetzen [N.M.1 und N.M.2] oder wegfallen [N.K.3], genauso wie die alte Mode weiter bestehen oder wegfallen kann. Die Modenschau [MS] ist wie ein Miniaturmodell der gerade aufgezeigten Wirklichkeitsschleifen [WK], wobei die Modenschau ihnen vorgeschaltet ist (vgl. Abbildung 20). Abbildung 20: Modenschau als Miniaturmodell, eigener Entwurf

V. Die Atmosphäre der Modenschau

In ihr wird die Überlagerung von Alt und Neu modellhaft vorgeführt. Wie sieht nun eine solche modellhafte Vorführung – eine Simulation, eine Schein-Transformation – in der Modenschau konkret aus? Die DesignerInnen bereiten die Models im abgeschlossenen, für das Publikum unzugänglichen Backstage-Bereich auf das Ritual vor: Sie lassen sie uniform schminken und frisieren und ziehen ihnen die Kleider an, die meistens untereinander auch Ähnlichkeiten aufweisen, da sie einer Kollektion angehören. Durch die Überschreitung der Grenze zum Laufsteg – meist durch einen Vorhang oder verwinkelten Eingang markiert – präsentiert sich das Model in veränderter Form: Es verkörpert nun im Kontext der Modenschau-Atmosphäre und geschmückt mit der ›rituellen Kleidung‹ das Neue. Das Model durchläuft also während einer Modenschau – wenn man davon ausgeht, dass es z.B. viermal den Laufsteg betritt – folgende Abfolge: Abbildung 21: Schwellenüberschreitungen eines Models, eigener Entwurf

Das Hereintreten in den Backstage-Bereich, das von einigen vorgeschalteten Ritualen abhängig ist (wie dem Casting und Fitting), sei hier als Trennungsphase bezeichnet. Das Model trennt sich von der ›realen Welt‹, in der alte Moden dominieren und begibt sich während der Vorbereitungen und Aufführung in die Übergangs- bzw. Schwellenphase, in der ihr Status als (Re-)Präsentantin des Neuen für eine kurze Dauer gültig ist. Das Neue verkörpert sie für das Publikum in einigen wiederholten Auftritten. Nach der Modenschau wird sie abgeschminkt und gekämmt und mit dem Verlassen des Backstage-Bereichs gliedert sie sich wieder in die ›reale Welt‹ von zuvor ein, ohne die vorgeführte Statusänderung tatsächlich vollzogen zu haben. Eine tatsächliche Statusänderung wäre dann vollzogen, wenn sie die Kleidung und das Styling anbehalten hätte und während der Modenschau eine Statusänderung auch vom Publikum verifiziert worden wäre. Da die Modenschau aber nur ein Angebot für eine Statusänderung abgibt und die Aushandlung des Neuen ein zeitintensiver Prozess ist, kann nicht sofort eine Änderung herbeigeführt werden. Dies hätte auch gar keinen Sinn, denn wer hat schon Interesse daran, dass die Models tatsächlich modisch sind? Die Schein-Transformation hat den Sinn, dass etwas vorgeführt

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

wird, was zur Nachahmung animiert. Während der Show ist es möglich, als ZuschauerIn eine Art Testlauf der Models zu sehen: Sie führen beispielhaft vor, was es heißt, in dem Kontext einer Atmosphäre eine bestimmte Kleidung zu tragen. Sie zeigen, wie man sich in den Kleidern (zur Musik) bewegen kann, an ihnen sieht man, ob sie sich in der Kleidung wohlfühlen, bzw. wie leicht sie in verschiedene Rollen schlüpfen können (z.B. in die Figur einer modernen Lauren Hutton oder in Angelina Jolie, vgl. Fußnote 44 in diesem Kapitel). In diesem Spiel des ›Als-ob‹ können die ZuschauerInnen für sich bzw. für ihre Kunden/Leser prüfen, ob sie sich in dieser ›Rolle‹ und in diesem Kontext vorstellen können. Die Atmosphäre ist hier von maßgeblicher Bedeutung, da sie die Rollen auf narrativer oder ästhetischer Ebene kontextualisiert. Zusammenfassend sei die Vermutung angestellt, dass alle Modenschauen rituell sind, da sie die prominenten Merkmale eines Rituals aufweisen. Abzusehen ist jedoch von einem Vergleich mit religiösen Ritualen, wie es in der Debatte um Michalskys Modenschau in der Zionskirche geschehen ist. Die kritisierten Elemente von »Saints and Sinners«, wie die Toröffnung als Parallele zur Himmlischen Pforte, die Gleichsetzung des Laufstegs mit einem Altar und die Inszenierung Michalskys als ›Schöpfer‹, können als ein blasphemischer Kommentar gewertet oder diskutiert werden. Hier wird darin jedoch eine Überzeichnung oder gar Persiflage des vermuteten rituellen Charakters von Modenschauen im Allgemeinen gesehen, auf den Michalskys Modenschau überhaupt erst aufmerksam gemacht hat (vgl. Kühl 2014).

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung

1. D ie E rzeugung eines synoptischen, synästhetischen B ildes »I need inspiration. I need something to fuel my imagination and the shows are what spur me on, make me excited about what I’m doing. When you star t getting into the mindset where this is a business and you’ve got to bring in money, when you’re designing with a buyer in mind, the collection doesn’t work. The danger is that you lose the creativity that drives you…. I want people to see that this is what fashion is about. […] I don’t think I always do it for the people in the audience. I do it for the people who see the pictures in the press afterwards, in newspapers and magazines. I design the shows as stills and I think that if you look at those stills they tell the whole story.« (Alexander McQueen zitier t in: Frankel et al. 2011, 24)

Wie kann ein Bild als Still einer Modenschau »the whole story« erzählen? Die Herausforderung liegt darin, ein ephemeres, performatives Ereignis in ein ›Bild‹ zu bannen, d.h. die Atmosphäre einer Modenschau auf irgendeine Art einzufangen. Dieses Bild sollte dementsprechend nicht nur die visuellen Reize, die in der Modenschau angeboten wurden, transportieren, sondern auch alle anderen Dimensionen der Erfahrung, die hier aufgezeigt wurden. Es ist, wenn im Folgenden von einem ›Bild‹ gesprochen wird, daher nicht von einem fotografischen oder bewegten Bild die Rede, sondern von einem Erinnerungsbild, welches individuell und kollektiv von einer Modenschau gebildet wurde. Das individuelle Erinnerungsbild von der Modenschau basiert auf den Erfahrungen, welche die ZuschauerInnen während der Modenschau gemacht haben und beinhaltet alle Wahrnehmungen und ihre (kognitive, emotionale) Verarbeitung und dazugehörigen Assoziationen. Das kollektive Erinnerungsbild entsteht durch den Austausch der individuell erstellten Bilder. Dieser Austausch findet erst einmal innerhalb des Kreises der ModespezialistInnen statt: Eindrücke und Emotionen werden besprochen, Parallelen zu anderen Shows aufgewiesen, fotografische und bewegte Bilder hin- und hergeschickt,

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Reviews geschrieben. In dieser Zeit der Aushandlung kristallisieren sich Aspekte der Show heraus, die für das kollektive Erinnerungsbild unentbehrlich sind. Bei der Show von Chanel F/S 2010 beispielsweise, in der Lagerfeld eine Farm nachbaute, wurde die Farm Bestandteil des Bildes, die in Kombination mit der adretten und schicken Kleidung auf Marie Antoinettes Aufenthalte in ihrem Rückzugsort Hameau de la Reine im Versailler Schlosspark verweisen sollte (so zumindest die Reviews, z.B. Cartner-Morley 2009). Aber auch das gelbe Heu, Lily Allens Auftritt mit ihrem Country-Song »Not fair«, das Anbändeln von Freja Beha Erichsen, Lara Stone und Baptiste Giabiconi im Heu zum Schluss der Show sowie die Anwesenheit von prominenten Gästen wie Rihanna oder Prince sind Schlüsselelemente der Show, die immer wieder tradiert werden. Das Erinnerungsbild von der Show verweist nicht nur auf Dinge, die in der Modenschau gesehen worden sind, sondern auch auf Klänge, Gerüche, die Wahrnehmung von Räumen (beispielsweise Enge-Gefühle), auf die Anwesenheit Anderer sowie auf Handlungen der AkteurInnen. Wie können diese Bilder darauf verweisen? Wie John Berger herausstellt, besteht die Funktion von Malerei darin, »eine Abwesenheit mit dem Schein der Anwesenheit zu füllen« (Berger 1990 [engl. 1985], 227) – ein Aspekt, den Hauskeller auf die Funktion von Fotografien und Filmen überträgt (vgl. Hauskeller 1995, 175) und der für das hier gemeinte Erinnerungsbild Verwendung finden soll. Das Erinnerungsbild ist eines, welches die Anwesenheit von Abwesendem und Vergangenem wieder ›herauf beschwört‹. Dadurch, dass das Bild von Anwesenden kollektiv entwickelt wird, beinhaltet es Elemente, die von Anwesenheit, Wahrnehmung und Erfahrung zeugen, ohne die es nicht existieren könnte. Dabei ist die Wirklichkeit dieses Erinnerungsbildes nicht »von der selben Art wie die von ihm bezeichnete Wirklichkeit« (ebda., 176), sondern ein Konglomerat von Wahrnehmungsbildern der Anwesenden. Das Wahrnehmungsbild wird dabei »in der naiven Erfahrung gar nicht als Bild wahrgenommen, sondern als lebendige, machterfüllte Wirklichkeit, so daß es bereits als das Ganze, als Einheit von Bild und Grund erscheint« (ebda.). Ein ›wahres‹ Bild, von dem das individuelle Wahrnehmungsbild sowie das in Kombination mit anderen Wahrnehmungsbildern erschaffene kollektive Erinnerungsbild zeugen könnte, existiert als ›Urbild‹ im Grunde gar nicht. Kurz: Es gibt nicht das wahre Bild der Modenschau, sondern nur Wahrnehmungsbilder, aus denen Erinnerungsbilder resultieren. Das, was die Erinnerungsbilder evozieren können, ist infolgedessen scheinbare Anwesenheit. Wie kann das geschehen? Indem das Bild das Ereignis, auf das es verweist, synoptisch und synästhetisch zu erfassen versucht. Eine synoptische Erfassung bedeutet, dass es möglichst alle Ereignisse, die in der Wahrnehmung ›hängen geblieben‹ sind, integriert. Daher ist ein Erinnerungsbild auch nicht nur ein Still der Show,

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung

in dem nur ein Moment festgehalten wird, sondern eine Art Bildabfolge oder Bewegtbild der Show, allerdings nicht zwingend chronologisch, sondern synchron als Zusammenschnitt oder Collage erscheinend. Das Erinnerungsbild ist somit ein Bild, das als ein Längsschnitt durch Zeit, Raum und Bewegung verschiedene Zeitpunkte, räumliche Anordnungen und Handlungen miteinander vereint. Des Weiteren ist ein Erinnerungsbild synästhetisch, d.h., dass mit der Erinnerung an eine Reizempfindung die gleichzeitige Erinnerung an andere Reizempfindungen gekoppelt ist. Während wir es bei der Synopse mit einer Gleichzeitigkeit von Raum, Zeit und Handlung zu tun haben, haben wir es bei der Synästhesie mit einer Gleichzeitigkeit von sinnlichen Wahrnehmungen zu tun (wie herausgestellt wurde, ist die Untrennbarkeit von Sinneswahrnehmungen in Form einer intersensoriellen Wahrnehmung auch ein zentrales Charakteristikum einer Atmosphäre). Hat man also das Gelb des Heus der Chanel-Show vor Augen, erinnert man sich an den Geruch, den es verströmt, an die Laute, die von Lily Allens Band zu einem gedrungen sind, an die Beschaffenheit der Kleider, an die Erscheinung der Models, an das Auftreten Lagerfelds, an die beeindruckende Höhe und Weite des Grand Palais usw. Somit ist das Erinnerungsbild in seiner synoptischen und synästhetischen Eigenschaft ein performatives Bild, da es etwas wieder zum Vorschein bringt, was einmal erfahren wurde. Es ist daher auch nicht möglich, das Erinnerungsbild mit einem Wort, mit einem Bild oder mit einem Klang darzustellen. Es ist als Collage vorstellbar oder als ein rhizomatisches Geflecht (vgl. Abbildung 6).

2. D ie O rganisation der B ilder im Atmosphären -G edächtnis Bereits einige Male war davon die Rede, dass das Neue in der Mode etwas ist, das ›in der Form so noch nicht gesehen‹ im kollektiven Mode-Gedächtnis erfasst wird. Das bedeutet, dass die ZuschauerInnen das in einer Modenschau behauptete Neue vor dem Hintergrund eines Archivs prüfen, das sie in ihrem eigenen Gedächtnis angelegt haben bzw. das kollektiv – in analoger oder digitaler Form – errichtet wurde (vgl. einführende Gedanken zum kollektiven Mode-Gedächtnis in Kapitel II.2.2.). Die Argumentationsentwicklung im Verlaufe der Untersuchung hat zu der Einsicht geführt, dass das Neue nicht etwas ist, was (nur) gesehen wird, sondern als Atmosphäre etwas ist, was ganzheitlich von Anwesenden erfahren wird. Das Erfahrene wird in synoptischen, synästhetischen Bildern eingefangen, die im sog. kollektiven Atmosphären-Gedächtnis organisiert werden. Der Begriff des kollektiven Gedächtnisses wurde in Abgrenzung zur Erinnerung als rein individueller Vorgang in den 1920er Jahren von Maurice Halbwachs (z.B. 1985 [frz. 1925]); 1991

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[1950])1 entwickelt und unter anderem von Aleida und Jan Assmann seit den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum weitergedacht (zusammengefasst in Assmann u. Assmann 1994). Dabei unterscheiden sie beim kollektiven Gedächtnis zwischen dem kommunikativen und dem kulturellen Gedächtnis. Während sich das kommunikative Gedächtnis durch die mündliche Weitergabe von Informationen und Erfahrungen über ca. drei Generationen bildet, ist das kulturelle Gedächtnis nicht unbedingt an Personen gebunden, sondern entsteht durch das gemeinsame Zusammentragen von Wissen in schriftlicher und bildlicher Form bzw. in der Form von ritualisierten Bewegungen (z.B. Tanz): »Unter dem Begriff kulturelles Gedächtnis fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren ›Pflege‹ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt.« (J. Assmann 1988, 15)

Astrid Erll ergänzt, dass es sich bei dieser Art von Gedächtnis um eine »zeremonialisierte, vor allem in der kulturellen Zeitdimension des Festes vergegenwärtigte Erinnerung« handelt (Erll 2011, 31). Das Mode-Gedächtnis ist dieser Form zuzuordnen, nicht nur deswegen, weil die Modenschau als festliches Ritual betrachtet werden kann, sondern auch weil das täglich gezielte Anziehen für bestimmte soziale Zwecke, Interaktionen und Ereignisse kulturell tradiert wird. Dabei ist das Mode-Gedächtnis nicht nur individuell und kollektiv erwachsen, sondern wird zudem noch durch bestimmte Institutionen ›gefüttert‹ und somit teilweise gelenkt, wie durch Online-Archive der Labels oder bekannte (Online-)Zeitschriften wie die Vogue oder style.com. Auf der Basis des individuellen und kollektiven kulturellen Gedächtnisses von der Mode suchen die ZuschauerInnen nun während und im Nachgang der Modenschauen nach etwas Vergleichbarem, das die Neuheit des von den DesignerInnen Angebotenen untergraben könnte. Wenn aber nun das Neue der Mode keine materielle Veränderung ist, sondern in Form einer Atmosphäre immateriell erscheint, wie kann es dann abgespeichert und erinnert werden? Zunächst einmal sieht man sich der Schwierigkeit gegenüber, dass nicht alle BesucherInnen die Atmosphäre gleich wahrnehmen. Im Unterscheid zu einer materiellen Neuerung, die an einem bestimmten Schnitt, an einer konkreten Form, an einem 1  |  Laut Astrid Erll hat auch Aby Warburg unabhängig von Halbwachs ein anderes Konzept zum kulturellen Gedächtnis entwickelt, in dem nicht so sehr die soziale Dimension (aktive Aneignung einer identitätsbezogenen Vergangenheit durch soziale Gruppen), sondern die materielle Dimension einer Kultur (Erinnerung evozierende und Kultur kontinuierende Wirkung kultureller Objektivationen) betont wird. Vgl. Erll 2011 (2004), 21ff. und Gombrich 2012 (engl. 1970), 459ff.

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung

Muster oder einer Farbkombination festgemacht werden kann, ist eine Modenschau-Atmosphäre nicht so leicht benennbar. Im Gegenteil, sie wird individuell beschrieben – was eine Person als heitere und energetisierende Atmosphäre wahrgenommen hat, war für die andere eventuell eher schrill und unangenehm. Des Weiteren konstituiert sich eine Atmosphäre nicht nur durch die Effekte von Inszenierungsstrategien, sondern auch durch performative Anteile, d.h. durch Ereignisse, die den Prinzipien der Emergenz folgend in der Aufführung einfach auftauchen und so die Erfahrung der Atmosphäre variieren. Sich der Unübersichtlichkeit der Aspekte einer Modenschau-Atmosphäre bewusst, werden bestimmte Teile einer Modenschau-Atmosphäre von den DesignerInnen überbetont (dies sind auch die Aspekte, die anhand von Kopplungsstrategien immer wieder an die Kleider gebunden werden). Wichtig ist, dass diese Schlüsselelemente Teil eines Bildes werden, das hier das synoptische, synästhetische Bild einer Modenschau genannt wird. Sobald solche repräsentativen Bilder von Modenschauen gebildet worden sind, können sie im Atmosphären-Gedächtnis (einem Untergedächtnis des Mode-Gedächtnisses, wenn man so will) gespeichert werden. Wie kann ein Atmosphären-Gedächtnis aussehen? Das Mode-Gedächtnis ist einige Zeit lang chronologisch aufgebaut und skizziert worden. Das bedeutet, dass modehistorisch verschiedene Epochen verschiedene Moden bzw. Stile zugeordnet werden. So verorten ModewissenschaftlerInnen beispielsweise die Empire-Mode in der Zeit des Imperiums von Napoleon Bonaparte, Haremshosen in Paul Poirets Schaffenszeit in den 1920er Jahren oder Diors »New Look« in der Nachkriegszeit. Querverweise zu alten Moden wurden, Vinken folgend, erst in der »Mode nach der Mode« offensiv sichtbar gemacht und miteinander kombiniert: So verweist Westwood mit ihrem »Mini-Crini« offensiv auf die Krinolinenmode des 19. Jahrhunderts und kombiniert sie mit Mary Quants »Mini«. Hier könnte man bereits von einer rhizomatischen Struktur sprechen, wobei die Zitationen, Kombinationen und Dekonstruktionen an Elementen des Kleides nachzuvollziehen sind. Seitdem zeichnet sich eine weitere Entwicklung ab: das Zitieren, Kombinieren und Dekonstruieren von Elementen, die nicht kleidungsgebunden sind. Louis Vuitton F/S 2012 zitiert beispielsweise ein Element der Show von McQueen H/W 2001, und zwar das Karussell. Am Beispiel des Karussells als Schlüsselelement vieler Shows kann man die rhizomatische Verflechtung gut nachvollziehen: In dieser Modenschau mit dem Titel »What a merry go round« inszeniert McQueen eine Zirkusshow mit einem Karussell, die an die Zirkuskollektion und -inszenierung von Schiaparelli erinnert (erster möglicher Verweis), oder auch an die Karussell-Szene von Mary Poppins (zweiter möglicher Verweis). McQueen könnte durch die F/S 1997 Show von John Galliano inspiriert gewesen sein (dritter möglicher Verweis), in der Galliano eine Zirkusmanege aufbaute. Auch war Louis Vuitton 2012 nicht der einzige, der diese Idee wieder aufnahm (vierter

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Verweis), sondern schon zuvor John Galliano für F/S 2008 (fünfter Verweis), Chanel für H/W 2008 (sechster Verweis), Sonia Rykiel für H&M 2009 (siebter Verweis) und später Saint Laurent für Men H/W 2013 (achter Verweis): Abbildung 22: Mögliche Verweise innerhalb einer rhizomatischen Verweisstruktur, eigener Entwurf

Das Karussell ist aber nur ein Aspekt, unter dem die Atmosphäre abgespeichert werden kann – die Organisation von Shows kann auch (zusätzlich) unter anderen Schlagwörtern, wie z.B. »Zirkus« erfolgen, was wiederum (noch mehr) Verweise zu anderen Shows zulässt. Die Beschaffenheit des Atmosphären-Gedächtnisses als rhizomatische Struktur eröffnet den DesignerInnen viele Möglichkeiten, stellt sie jedoch zur selben Zeit vor Herausforderungen. Einerseits können sie die chaotische Struktur nutzen: Für die ZuschauerInnen ist sie mühsamer zu erstellen, zu speichern und zu durchschauen, und das Auffinden und Erinnern ihrer Elemente ist aufwendiger als bei einer chronologischen Struktur. Hierin liegen zwei Chancen für die DesignerInnen: Erstens können sie durch kleine Veränderungen neue Verknüpfungen in der Struktur bewirken. Die Tatsache, dass die BesucherInnen selber das Karussell bei der Show von Sonia Rykiel besteigen durften, bot ihnen natürlich eine intensivere Erfahrung der Atmosphäre, als bei den anderen Shows, in denen die Karussells nur Teil des Bühnenbilds waren. Hier kommt es darauf an, ob der Erfahrungswert im Abspeichern eine größere Rolle spielt oder z.B. eher die ästhetische Wirkung. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz von Kunstschnee in zahlreichen Shows (McQueen H/W 1999, McQueen H/W 2003, Galliano H/W 2009, Moncler Gamme Bleu H/W 2013), der gegen die Formierung eines Eisbergs aus 30 Tonnen schweren, echten Eisstücken aus Schweden bei Chanel H/W 2010 an Faszination einbüßt. Hier kommt es darauf an, ob die jeweilige Show

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung

unter dem allgemeineren Begriff »Winterlandschaft« oder konkreten wie »Eisberg« oder »Schnee« eingeordnet wurden. Die Antwort auf die Frage »Was speichere ich unter welchem Schlagwort ab?« kann zunächst jeder bzw. jede ZuschauerIn selbst für sich finden; im Nachgang aber, insbesondere durch die Berichterstattungen der JournalistInnen, finden sich aber dennoch immer Schlüsselelemente einer Show, die kollektiv in einem Bild abgespeichert werden. Zweitens können die DesignerInnen das Vergessen der ZuschauerInnen auszunutzen: Durch das ständige Überlagern von ›Verbindungslinien‹ in der rhizomatischen Struktur ist das Verlorengehen von einzelnen Versatzstücken wahrscheinlicher, die sie wiederum als scheinbar neue Ideen wieder aufgreifen könnten. Die rhizomatische Struktur ist daher keine ›verlässliche‹ Ordnung, sondern ein Geflecht aus Punkten und Linien, ständig am Wachsen, ständig am Schaffen neuer Verbindungen und am Löschen bereits bestehender. Andererseits ist es für die DesignerInnen schwieriger, sich in diesem unübersichtlichen Geflecht zu positionieren, d.h. ihre Modenschau-Atmosphäre an einem zentralen Punkt zu platzieren. Von dem Bild ihrer Modenschau-Atmosphäre sollten möglichst viele Linien hin und weg führen, damit sie gut verbunden ist. Eine andere Strategie könnte sein, dass man die Vernetzung mit möglichst vielen Verbindungslinien gerade vermeidet, damit keine Ähnlichkeiten mit anderen Atmosphären festgestellt werden können. Dies könnte jedoch auch bedeuten, dass sie in Vergessenheit gerät, weil keine anderen Linien zu ihr hinführen – sie nie ›erinnert‹ wird. Eine Ideallösung gibt es nicht.

3. I m W e t tstreit der B ilder Die individuell erstellten Wahrnehmungsbilder und das dadurch kollektiv erschaffene Erinnerungsbild der SpezialistInnen bilden das, was ihnen als Grundlage für Vergleiche im Atmosphären-Gedächtnis dient. Basierend auf dem Abgleich der Erinnerungsbilder mit bereits abgespeicherten anderer oder derselben DesignerInnen ist es möglich, die behauptete Neuheit zu beurteilen. Für die DesignerInnen gilt, auf die Prüfung der SpezialistInnen dahingehend Einfluss zu nehmen, ob die Atmosphäre in der Form schon so gesehen und erlebt worden ist. Denn sie ist das, was von ihrer Show tradiert und worauf ihre Kollektion nun vorerst reduziert werden könnte. Die DesignerInnen müssen also nicht nur eine neue Atmosphäre schaffen, sondern auch eine neue Erfahrung für das Spezialistentum. Der Grad der Immersion der ZuschauerInnen in die Atmosphäre ist hierbei ein wichtiges Kriterium, welches beispielsweise durch das intensive Ansprechen eines Sinneskanals oder auch möglichst aller Sinne zu erreichen versucht wird oder auch durch die Bereitstellung von Freiraum für Interaktionen und Bewegungen der ZuschauerInnen (Bsp. Rykiel für H&M 2009). Eine intensivere Erfahrung seitens der ZuschauerInnen erzeugt

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ein stärkeres individuelles Wahrnehmungsbild und in der Folge ein aussagekräftigeres kollektives Erinnerungsbild. Nun ist die Tradition außergewöhnlicher Shows schon knapp 30 Jahre alt und so zeichnet sich ab, dass auch die Erinnerungsbilder Ähnlichkeiten aufweisen, d.h. dass auch im Modenschaudesign zitiert, kombiniert und dekonstruiert wird – eine Methode, die sich bereits im Modedesign bewährt hat, aber mittlerweile an ihre Grenzen gestoßen ist. Im Wettstreit der Bilder ist es nun auch im Bereich der Modenschau-Atmosphären schwieriger geworden, etwas ›noch-nicht-in-dieser-Form-Erlebtes‹ zu erschaffen; die Verbindungen zu anderen Shows werden immer offensichtlicher. Wie oben bereits am Beispiel des Karussells deutlich gemacht wurde, bedienen sich die DesignerInnen der Erinnerungsbilder anderer DesignerInnen, oder zitieren sich selbst, was insbesondere bei McQueen öfter vorgekommen ist (z.B. das Thema Highland Rape). In den Berichterstattungen (z.B. bei style. com) heißt es beispielsweise, Marc Jacobs hätte für Louis Vuitton H/W 2012 die Idee des Zuges von John Galliano für Dior HC H/W 1998 kopiert – etliche andere Beispiele lassen sich aufzeigen (vgl. Tab. 1). Wenn man von einem Wettstreit der Bilder ausgeht, tauchen Analogien zu einem sportlichen Wettkampf auf: Wer darf antreten? Welche Hilfsmittel dürfen benötigt werden? Ist etwas im Wettkampf nicht erlaubt? Was heißt, zu gewinnen und was zu verlieren? Wie bildet sich die Jury, was sind ihre Kriterien? Wie hat sich der Wettstreit über die letzten 30 Jahre verändert und wie wird er in der Zukunft aussehen? Im Wettstreit dürfen theoretisch erst einmal alle DesignerInnen ›antreten‹, nur ist ihre Partizipation nicht sinnvoll, wenn sie sich keiner Jury, bestehend aus Mitgliedern des Spezialistenkreises, präsentieren. Die DesignerInnen müssen sich um die Einladung ihrer potentiellen KritikerInnen bemühen. Daher legen sie großen Wert auf die Präsenz renommierter Persönlichkeiten wie Suzy Menkes (International Herald Tribune) oder Anna Wintour (US Vogue) – oft fängt eine Modenschau gar nicht erst an, wenn bestimmte Koryphäen noch nicht anwesend sind. Die Teilnahme am Wettstreit setzt also erst einmal voraus, dass eine qualifizierte Jury eingeladen und anwesend ist. Dies beeinträchtigt die Partizipation aufs Äußerste, denn eine solche Jury beschäftigt sich meist nur mit den im offiziellen Kalender gelisteten Shows. Teil dieses Kalenders zu werden bedeutet, bereits ein gewisses Renommee oder sehr gute Kontakte zu haben, oder eine hohe finanzielle Investition leisten zu können. Den ›Hilfsmitteln‹, um eine Jury in die Show zu locken oder für ihr Kommen zu belohnen, sind keine Grenzen gesetzt. Solche Hilfsmittel können beispielsweise die Auswahl einer spektakulären Location sein, während der Fashion Week jedoch nur in Verbindung mit einem funktionierenden Shuttleservice. Bei den Resort/Cruise bzw. Pre-Fall-Kollektionen großer Modehäuser wie Chanel, Dior oder Gucci, die als Ergänzung der regulären Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter Kollektionen gezeigt werden, haben die DesignerInnen noch viel mehr Freiraum bei der Wahl der Location. Während

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Chanel beispielsweise anfänglich noch in die üblichen Modemetropolen einlud, wurden die Cruise Shows in den letzten Jahren an Orte und in Locations verlagert, in denen die ZuschauerInnen vielleicht tatsächlich Urlaub oder zu denen sie einen Ausflug machen würden: nach Venedig, Saint-Tropez, Antibes und Versailles (vgl. Kühl 2013). Des Weiteren ist der Einsatz von prominenten Models, SängerInnen, SchauspielerInnen oder TänzerInnen in der Show beliebt. So protegierte Chanel die Sängerinnen Lily Allen oder Florence and the Machine, Viktor & Rolf Tori Amos und Róisín Murphy, Alexander McQueen die Journalistin Michelle Olley und die beinamputierte Leichtathletin Aimee Mullins oder, um ein deutsches Beispiel zu nennen, Michael Michalsky das für Damen- und Männerkollektionen einsetzbare androgyne Model Andrej Pejić oder Lady Gaga. Andere Strategien, um die Jury zur Show zu locken, sind etwa das Einladen zur Aftershowparty oder zu einem Aftershowdinner, das Verteilen von Geschenken an »front row«-SitzerInnen, das Verleihen von Kleiderstücken an prominente Gäste, das Einplanen von exklusiven Interviews für einschlägige JournalistInnen, private Vorführungen im Showroom für wichtige EinkäuferInnen oder die Bereitstellung persönlicher AssistentInnen und »seater« vor und nach der Show. Vorwürfe der ›Bestechung‹ oder unlautere Einflussname kommen hierbei nicht auf, es sei denn, das Kopieren von Kleidern oder Atmosphären anderer DesignerInnen ist offensichtlich. Natürlich konzentriert sich das Hauptaugenmerk der DesignerInnen auf die Gestaltung der Show selbst und die Behauptung des Neuen, aber auch der organisatorische Kontext und die Selbstvermarktung vor und nach der Modenschau, die den SpezialistInnen ihre Arbeit erleichtern, sind nicht zu unterschätzen. Die Bereitstellung von Informationsmaterial vor und nach der Show beispielsweise (z.B. durch Pressekits) stimmt die SpezialistInnen auf das ein, was sie erwartet, und die DesignerInnen können dadurch versuchen, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nicht selten ist es nämlich so, dass sich Veranstaltungen überlappen – der offizielle Kalender der Fashion Week Organisatoren (in Paris die Chambre Syndicale, in London der British Fashion Council und in vielen anderen Städten IMG in Kooperation mit dem Hauptsponsor Mercedes-Benz) versucht zwar, gerade dies zu vermeiden, dennoch gibt es viele alternative Veranstaltungsreihen mit den DesignerInnen, die es (meist aus finanziellen Gründen) nicht in die Reihe der renommierten Shows geschafft haben, z.B. die Lavera Showfloor in Berlin oder die Made Fashion Week in New York. Nicht nur die Show ist also wichtig, sondern auch die Begleitung zur Show und nach der Show. Der ›Sieg‹ und die ›Niederlage‹ im Wettstreit kann an den Reaktionen und Verarbeitungen des Dargebotenen durch die Jury gewertet werden, denn sie ist es, die die Atmosphäre der Show in kollektive Erinnerungsbilder für sich und die EndkonsumentInnen umwandelt. Die Ratifizierung des behaupteten Neuen kann also daran erkannt werden, in welchem Ausmaße die Idee oder auch einzelne Elemente der Modenschau aufgenommen und zu Berichten,

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Fotoserien, Fotoproduktionen und Bestellungen verarbeitet worden sind. Eine neue Mode kommt also dann in die Welt/auf den Markt, wenn das Modespezialistentum es als das Neue markiert und tradiert hat. Die EndkonsumentInnen spielen in der Beurteilung der Neuheit keine Rolle. Der Wettstreit der Bilder hat sich in den letzten 30 Jahren erheblich verändert. Zunächst hat sich mit der Spektakularisierung der Shows der Beruf der ModenschauproduzentInnen etabliert und mittlerweile geben die meisten DesignerInnen ihre Shows an sie ab. Die kreative Leitung liegt nicht mehr (nur) in den Händen der DesignerInnen, sondern auch in den Händen eines Etienne Russo, Sam Gainsbury oder Alexandre de Betak. Sie sind es auch, die die Bilder der Shows anderer DesignerInnen im Kopf haben und Dopplungen zu vermeiden versuchen: »Verrückte kreative Forderungen sind eigentlich die anregendsten und am wenigsten problematischen für mich in dem Sinn, dass ich sie am inspirierendsten finde. Wirklich schwierig ist es, wenn ein Modehaus oder eine Marke kommt und etwas will, was man schon für andere gemacht hat, vielleicht für John Galliano oder Rodarte. Man kann nicht so tun, als sei man etwas, was man nicht ist. Ich muss ihnen helfen zu erkennen, wer sie eigentlich sind und wie sie sich angemessen darstellen können.« (Alexandre de Betak zitiert in Browne 2009, 84)

Durch die Professionalisierung hat sich eine ganze Maschinerie, eine ganze Branche um das Schaffen von Modenschau-Atmosphären gebildet. Atmosphären sind dadurch nicht nur zum potentiell Neuen avanciert, sondern im Moment der Abspeicherung als Erinnerungsbild auch zur Ware, die produziert, beworben, vermarktet und distribuiert werden kann. Wie Caroline Evans herausgestellt hat, zeichnet sich das späte 20. Jahrhundert dadurch aus, dass Bilder von Dingen, unter anderem von der Mode, nicht mehr nur bloße Repräsentationen sind, sondern selbst zur Ware werden. Die Materialität der Dinge wird durch die Immaterialität von Bildern ersetzt, die jeder als Ersatzbefriedigung besitzen kann (vgl. Evans 2000, 97). Während Mode sich zuvor nur in der Kleidung ausdrückte, verbreitet sie sich jetzt – so Evans – »in many more forms, within a larger network of relations:  as image, as cultural capital, as consumer goods, as fetish, art exhibition, item on breakfast television, show invitation, or collectable magazine« (ebda., 96). Evans These suggeriert die Existenz einer Mode vor ihrer Präsentation in den genannten Formen. In der vorliegenden Untersuchung wird dagegen konstatiert, dass nicht die Mode sich (u.a.) in Bildern äußert, sondern umgekehrt, dass das Bild selbst Mode ist bzw. als die neue Mode ausgehandelt wird. Im Bild kommen zwar Kleider vor, aber nicht sie machen das Bild zum Neuen d.h. zur Mode. Die in dem Bild vermittelte Atmosphäre der Modenschau ist das Neue; und die Kleidung, die dann doch tatsächlich im Bild zu sehen ist, ist für die Konstitution des Neuen nicht ausschlaggebend. Des Weiteren geht Evans davon aus, dass die zirkulierenden

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Bilder von der Mode in der Modenschau – obwohl sie selbst Warenform angenommen haben – über die »kommerzielle Natur« der Kleidung bzw. die Modenschau als eigentlich kommerzieller Event hinwegzutäuschen versuchen: »In these examples the fashion show could be construed as the paradigm of the modern spectacle which seduces us with the ›hyper-reality‹ of ravishing and perfect images. These fashion shows suggest that ›the society of the spectacle‹ that Debord identified in 1967 has merely intensified its effects, harnessing the new technologies of the image to do what it always did so well: visual seduction through fetishising the commodity form […]. As Rosalind Williams describes in her book […] Dream Worlds, the seduction of the commodity form lies precisely in its ability to veil the real, commercial nature of the transaction with sedutive ›dream worlds‹ in which the consumer loses him or herself in fantasy and reverie. On the face of it, the contemporary fashion show, as one example of late twentieth-century spectacle, seems to be a very precise evocation of this principle, the starriest of all star commodities: ›when culture becomes nothing more than a commodity, it must also become the star commodity of the spectacular society‹.« (Evans 2000, 95f.; kursiv i.O.)

In Evans Verständnis sind die Modenschau und die hiervon entstandenen Bilder Formungen der Mode. Da diese Bilder nun jedermann besitzen kann, sind sie ihres Erachtens als eine Art Ersatzbefriedigung, als Entschädigung für den Nicht-Besitz der Kleidung zu betrachten. Wenn aber das Bild alleine schon Mode ist, tröstet der Besitz des Bildes also nicht (nur) über den Nicht-Besitz des Kleides hinweg – das Bild zu besitzen und um es zu wissen, weist die KonsumentInnen schon als modisch aus. Dies veranlasst die DesignerInnen und das Spezialistentum dazu, die Bilder an die Kleidung zurück zu koppeln, damit doch noch das Begehren nach dem Kleid erschaffen wird, denn (u.a.) von dem Verkauf der Kleider lebt die Modebranche. Nun stellt sich die Frage, wie ein kollektiv erschaffenes Erinnerungsbild von einer Modenschau und ihrer Atmosphäre tradiert werden kann, wenn es nicht in einem einzigen Bild festzumachen ist. Die Lösung ist denkbar einfach: Das, was als Erinnerungsbild als Konglomerat zusammengetreten ist, wird von den ModespezialistInnen für die Weitervermittlung wieder in einzelne Bestandteile aufgedröselt. Nehmen wir die Berichterstattung der Chanel Show F/S 2010 (Nachbau von Marie Antoinettes Hameau de la Reine) durch das Internetportal style.com als Vorlage.2 Style.com versucht, das Erinnerungsbild von der Show in einzelne Kategorien aufzudröseln und auf diese Weise zu vermitteln. Der Reiter der Internetseite zeigt die Rubriken »Review«, »Collection«, »Details«, »Video«, »Front Row« und »Beauty« an, in denen das Augenmerk immer auf eine konkrete Fa2 |  Die Berichterstattung von style.com über die Chanel Show F/S 2010 ist einzusehen unter: www.style.com/fashionshows/review/S2010RTW-CHANEL, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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cette der Modenschau geworfen wird. Während in der »Review« eine Zusammenfassung in Worten und eine Fotografie der Show angezeigt wird, findet man unter »Collection« eine Zusammenstellung aller »looks«, d.h. jeweils ein Foto je Kollektionsteil. Bei manchen Shows bietet style.com in dieser Kategorie den Button »Move it!« an, der das Bild in einen ca. zehnsekündigen Ausschnitt der Show verwandelt, in dem das Kleid in Bewegung zu sehen ist. Unter »Details« verbergen sich Nahaufnahmen von den Schuhen, vom Schmuck und von den Accessoires, die die Models tragen. Das »Video« ist ein Zusammenschnitt von Interviews mit Karl Lagerfeld, Lily Allen und prominenten Gästen, von Ausschnitten der Show (wobei der spektakuläre Auftritt von Allen und das Techtelmechtel der drei Models nicht fehlte), von Aufnahmen der Location, des Setdesigns, der »front row« und Nahaufnahmen der Kleider – all dies kommentiert vom Modejournalisten Tim Blanks. Und schließlich sind unter der Rubrik »Beauty« Fotografien des Make-ups der Models und der Atmosphäre im Backstage-Bereich zu finden. Bei anderen DesignerInnen (z.B. bei der Show von Louis Vuitton H/W 2012) ist bei style.com sogar die Rubrik »Atmosphere« zu finden – ein Mix von Fotografien aus allen anderen genannten Sparten. Berichterstattungen anderer Portale ergänzen diese Reihe mit Einblicken in Casting und Fitting vor der Show, mit Fotos vom Auf bau des Sets, von den Einladungskarten oder von der Aftershowparty. Für die interessierten EinkäuferInnen, JournalistInnen oder EndkonsumentInnen, die nicht anwesend sein konnten, soll so ein möglichst komplettes Bild von der Show erzeugt werden. Je mehr Texte, Interviews, Fotografien und Videos zur Verfügung gestellt werden, desto mehr kann sich das Bild, welches sich die Nicht-Anwesenden von der Modenschau machen, dem Erinnerungsbild der Anwesenden annähern. Man könnte diesen Prozess folgendermaßen verdeutlichen: Abbildung 23: Vermittlung des synoptischen, synästhetischen Bildes, eigener Entwurf

Die Ratifizierung des Angebots (d.h. die Bestätigung des Angebots als etwas Neues), wirkt sich auf das Ausmaß der Weitervermittlung des kollektiven Erinnerungsbildes der SpezialistInnen für das Erinnerungsbild der KonsumentInnen aus. Blättert man beispielsweise das »Designer Directory« von style.com

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durch, lassen sich erhebliche Unterschiede bei der Vermittlung der aufgedröselten Elemente zwischen den einzelnen DesignerInnen feststellen. Konkret heißt das: Ein Label, das man nicht unbedingt in der Form unterstützen möchte wie Chanel, erhält beispielsweise ›nur‹ die Rubriken »Review« und »Collection«.

4. K opplungsstr ategien des B ildes an die K leidung Das Neue der Mode ist eine neue Modenschau-Atmosphäre, die den KonsumentInnen in der Form eines Erinnerungsbildes zugänglich gemacht wird. Mit den Informationen und Eindrücken, die ihnen mit dem Erinnerungsbild vermittelt werden, wissen sie um das Neue. Modisch sind also nicht erst diejenigen, die die neue Mode tragen, sondern auch diejenigen, die schon um das neue, von den SpezialistInnen als neue Mode etikettierte Bild wissen. Der Weg des Neuen von den ProduzentInnen über die SpezialistInnen zu den KonsumentInnen ist dadurch sehr kurz und schnell geworden und bringt den DesignerInnen zwar ein gutes Image, aber kein Geld ein. Obwohl die Behauptung von Neuem und die Etikettierung von Mode nun über Bilder funktioniert, sind die DesignerInnen natürlich trotzdem daran interessiert, ihre Produkte zu verkaufen. Daher lassen sie sich – und die SpezialistInnen helfen dabei – Kopplungsstrategien einfallen, um die Kleidung immer wieder mit dem Bild in Verbindung zu bringen. Dargestellt werden im Folgenden neun Strategien, die die Unverbundenheit zur Kleidung wieder in eine Gebundenheit verwandeln.3  Strategie 1: Fotografische/filmische Online-Präsentation einer »sneak preview«

oder eines »mood boards« (der Kleidung und des Settings) vor der Show  Strategie 2: Fotografische, filmische und schriftliche Nachbereitung der Show Diese zwei Strategien sollen anhand der Einträge gezeigt werden, die Chanel in Vor- und Nachbereitung der Haute Couture-Show F/S HC 2013 im labeleigenen Blog gepostet hat.4 Es handelt sich hierbei um eine Show im Grand Palais, in der meterhohe Bäume um den kreisrunden Laufsteg aufgestellt wurden, sodass es den Anschein hatte, die Models bei einem Waldspaziergang auf einer Lichtung zu beobachten.5 Die Modenschau fand am 22.1.2013 statt. Die Einstimmung

3  |  Diese Auflistung kann keinem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden. 4  |  Die folgenden Aufzählungen findet man, chronologisch geordnet, ab diesem Eintrag: http://chanel-news.chanel.com/de_DE/home/2013/01/public-garden--br---directedby-karl-lagerfeld.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 5  |  Nebenbei bemerkt hatte Raf Simons für Dior zur selben Zeit für seine HC-Show eine sehr ähnliche Idee: Die Models defilierten ebenfalls auf einem mit kleinen Bäumchen umsäumten künstlich angelegten Weg.

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des Publikums begann bereits am 18.1. mit einem Upload eines schwarz-weiß Image-Films mit dem Titel »Public Garden«. In diesem Film wurden keine Teile aus der kommenden Kollektion gezeigt, sondern aus vorherigen Prêt-à-porter-Kollektionen – aber es wurde auf die Thematik Park und Wald aufmerksam gemacht. Am selben Tag wurde die Einladungskarte, die die Zeichnung eines Baumblattes zierte, gepostet. Am Tag der Modenschau bekamen die LeserInnen eine Making-of-Fotoreihe der Pressemappe zu sehen, dann kurz vor der Modenschau ein Foto vom »show decor«, also der Location und dem Set der Modenschau. Sofort im Anschluss der Show wurde auf dem Blog eine Fotoreihe hochgeladen sowie auf der eigentlichen Homepage ein Video der Show.6 Einen Tag später war auf dem Blog ein Interview über Setting und Kollektion mit Lagerfeld zu finden, dann Fotografien von den anwesenden Celebrities, die sich vor dem Set fotografieren ließen. Am Folgetag, dem 23.1., postete Chanel ein Video aus dem Backstage-Bereich mit Nahaufnahmen von Schminke und Accessoires. Interessanterweise folgte darauf eine Making-of-Fotostrecke über den schwarz-weiß Image-Film, mit dem wir begonnen hatten, die jetzt wunderbar in Farbe in die Haute-Couture-Show hereinzupassen schien. Schließlich kam am Ende dieser Bilderflut, am 4.2.2013, ein Making-of-Video von der Anfertigung der Kollektion im Atelier, wobei jedes Kleid während der Anfertigung und dann auf dem Laufsteg in Aktion gezeigt wurde. Anhand dieser Auflistung sollte gezeigt werden, wie sich das Wald-Motiv immer und immer wieder durch die Online-Dokumentation hindurchzieht. Dabei ist es auch auffällig, dass im Vorlauf der Show vor allem auf die Atmosphäre aufmerksam gemacht wurde – man hätte ja auch ein Detail von einem Kleid als Vorschau zeigen können. Im Verlauf der Berichterstattung wurde die Kleidung immer prominenter, bis schließlich im letzten Post die Kleidung im Vordergrund stand. Man könnte das Verhältnis von Atmosphäre und Kleid folgendermaßen verdeutlichen: Abbildung 24: Verhältnis der Fokusse auf Atmosphäre und Kleid, eigener Entwurf

6  |  Mittlerweile nicht mehr auf der Homepage von Chanel einsehbar, sondern auf dem Chanel-Kanal von Youtube: www.youtube.com/watch?v=8XqTkOpVuI4, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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Während Atmosphäre und Kleid vor allem visuell und auditiv auf den labeleigenen Websites präsentiert werden, findet man die Nachbereitung natürlich auch in Schriftform auf den Websites von Modemagazinen, in Online-Zeitschriften und -Zeitungen.7 In Tim Blanks Berichterstattung für style.com – noch am selben Tag der Modenschau übrigens – wird ein ähnliches Verhältnis wie im Schaubild offenbar. Blanks beginnt mit einer Beschreibung dessen, was hier der Imaginäre Raum genannt wurde, nämlich mit dem Vorstellungsraum, den sich Lagerfeld erträumt hat: »Karl Lagerfeld can’t move mountains just yet. Today, he had to settle for a mere forest, shipped into the Grand Palais tree by tree. His guests wandered through the woods till they happened upon a classical amphitheater. ›Neo-classical‹, Karl clarified. He was dreaming of Weimar, sylvan hub of German Romanticism in the late eighteenth century, home to Goethe and Schiller.« (Tim Blanks für style.com, kursiv i.O. 8)

Ein zweiter Teil, der als eine Art Überleitung fungiert, thematisiert die Hochachtung davor, dass Lagerfeld kurz nach der Show der Pre-Fall-Kollektion 2013, die am 4.12.2012 im schottischen Linlithgow stattfand, sich nun schon wieder neu erfinden konnte. Interessant ist, dass Blanks eine Verbindung der Imaginären Räume der beiden Shows ausmachen konnte: Maria Stuart. »Connoisseurs of synchronicity might appreciate the fact that one of Schiller’s bestknown plays was Mary Stuart. She was the inspiration for the pre-fall spectacle Lagerfeld staged for Chanel in Edinburgh last month. Only last month? What is this man made of to be able to turn round and produce another, quite distinct collection of equal richness and complexity? The concept of spreading oneself too thin is clearly as alien to Lagerfeld as the notion of gaining one single, solitary kilo. ›I always feel I can do better‹, he said after the show. ›The minute you think you did it, you should stop.‹ And better he did this time – maybe even the best, in a while at least.« (ebda., kursiv i.O.)

Im letzten, dritten Teil bringt er den Weimarer Romantizismus in Verbindung mit der gezeigten Kollektion. Es scheint so, dass sich die Kleidung gar erst über die Beschreibung der Atmosphäre erklären lässt, und wie man hier auch sieht, kommt Blanks immer wieder auf sie zu sprechen, auch in Verbindung mit dem Styling der Models:

7 | In diesem Buch kann nicht auf sicherlich spannende Fragen der Ikonotextualität eingegangen werden. Vergleiche hier einschlägige Werke, wie z.B. Venohr 2010. 8  |  Siehe: www.style.com/fashionshows/review/S2013CTR-CHANEL, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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Die Kleidung braucht den Imaginären Raum, um in die Berichterstattung zu gelangen und um sinnvoll zu sein. Die letzte Pre-Fall-Show wird nicht etwa über bestimmte kleiderbezogene Merkmale abgespeichert, sondern über die Atmosphäre und das Schlagwort »Mary Stuart«. Somit hat Lagerfeld eine Verbindung geschaffen zwischen seinen beiden Kollektionen, die als Erinnerungsbilder im Atmosphären-Gedächtnis abgespeichert wurden (vgl. Abbildung 22). Es wäre interessant, solche Verbindungslinien im Werk von einzelnen DesignerInnen nachzuverfolgen, um zu sehen, ob sich tatsächlich eine Art Kontinuität oder Konstanz (vgl. Dückers Begriff der Serialität) nachvollziehen lässt.  Strategie 3: Upload der Modenschau als Live-Übertragung, teilweise mit Kom-

mentarfunktion Der Upload der Show erfolgte bei dem obigen Beispiel von Chanel einige Minuten nach der Show. Immer häufiger jedoch werden Modenschauen aber auch als Live-Übertragungen angeboten. Die Live-Übertragung soll den ZuschauerInnen das Gefühl geben, bei der Show trotz leiblicher Abwesenheit ›dabei‹ zu sein. Wie der Post »Wish I was there… GUCCI!« in der integrierten Facebook-

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Kommentarfunktion der Live-Übertragung der Gucci- Show H/W 2010 zeigt9, erhöht die Übertragung aber nur noch das Begehren, dabei zu sein und ist offensichtlich kein Ersatz. Analog dazu könnte man auch argumentieren, dass Cyber-Ausstellungen von Gemälden bekannter Künstler (z.B. das »Google Art Project«10) auch nicht den Wunsch stillen, die Gemälde im Original zu sehen, sondern ihn erst wecken oder verstärken. Auch wenn die Atmosphäre so nicht vollends erfasst werden kann, ist der Moment der Exklusivität mit der LiveÜbertragung abgeschwächt. Bei der Live-Übertragung der Prada-Show H/W 2010 suggerierte die Einstellung der Kamera den ZuschauerInnen vor dem Bildschirm, der Elite des Modebusiness gegenüber zu sitzen (vgl. Kühl 2010). Diese Beispiele sollen verdeutlichen, wie die Atmosphäre und Momenthaftigkeit der Modenschau zu einem immer wichtigeren Element in der Vermarktung von Kleidung wird. Die Kopplung von Atmosphäre und Modenschau wird bis zu den EndkundInnen forciert.  Strategie 4: Upload eines »E-lookbooks«, in denen die einzelnen »looks« nicht ohne den Modenschau-Hintergrund zu sehen sind »Lookbooks« sind eine Zusammenstellung der »looks« einer Kollektion, d.h. die Kombination eines Kleidungsstückes mit anderen und dazu passenden Accessoires. Während es zuvor üblich war, die »looks« vor einem neutralen Hintergrund separat zu fotografieren, ist man mittlerweile dazu übergegangen, die »looks« in der Modenschau mit dem jeweiligen Hintergrund der Modenschau abzulichten. Man kommt also, wenn man sich für eine neue Kollektion interessiert, nicht an der Modenschau vorbei, sei es in fotografischer, filmischer oder schriftlicher Nachbereitung.11  Strategie 5: Einbindung einzelner Kleider als konstitutiver Bestandteil der Atmosphäre

Es gibt durchaus Modenschauen, in denen mit den Kleidern etwas gemacht wird: Meistens führt die Handlung mit dem Kleid zu einer Veränderung desselben, wie wir es bei McQueens Farbbespritzung (F/S 1999 »#13«) gesehen haben, bei Chalayans Tisch-wird-zu-Rock-Kreation (H/W 2000 »Afterwords«) oder bei Viktor & Rolf »Bluescreen«, in dem die Kleider zu Leinwänden wurden. Die Kleider sind als in diesen Ritualen gebrauchte Objekte beinahe Reli9 | Vgl. Kühl 2010 für einen Online-Artikel über die Live-Übertragungen von Modenschauen. 10  |  Einzusehen unter: www.google.com/culturalinstitute/project/art-project, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 11 | Ein solches »E-lookbook« der Show Chanel HC F/S 2013 war auf der Homepage von Chanel in einer kompletten Bilderreihe einzusehen, durch die man blättern konnte wie durch ein herkömmliches gedrucktes »lookbook«. Diese Bilder sind noch einzeln einzusehen unter: http://chanel-news.chanel.com/de_DE/home/2013/01/springsummer-2013-haute-couture-show0.gallery.html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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quien gleich (vgl. Fischer-Lichte zur Performanz von Dingen). In ihnen ist die Atmosphäre eingeschrieben und gespeichert. Die Atmosphäre wird im und durch das Kleid materialisiert – und das Kleid ist dann Atmosphäre zum Anfassen. Zur Wiederbelebung des farbbespritzten Kleides beispielsweise imitierte die Figurine in der Ausstellung »Savage Beauty« die Armhaltung von Shalom Harlow während der Show, sodass sich die BesucherInnen in die dramatische Szene wieder hineinversetzen konnten.12 Auch für den Fall, dass die BesucherInnen die Show nicht kannten, wurde sie in der Ausstellung über der Figurine als Film nochmals gezeigt. Auch wenn die Ausstellung das Zeigen von Kleidern intendierte, wurde versucht, diese durch das Abspielen der Videos wieder in den ›Zustand‹ zu versetzen, in dem sie Teil der Atmosphäre waren. Im Falle des Kleides, welches Kate Moss in der Hologramm-ähnlichen Projektion von McQueens Show H/W 2006 trug, bemühten sich die KuratorInnen sogar um eine Re-Projektion in verkleinerter Form.13  Strategie 6: Griffige Modenschau-Namensgebung

Der Imaginäre Raum im obigen Chanel-Beispiel wurde von Tim Blanks unter dem Stichwort »Mary Stuart« – sogar in zwei hintereinander folgenden Shows – verschlagwortet. Nicht alle JournalistInnen sind allerdings so belesen oder so raffiniert, um Thematiken zu erkennen oder gar miteinander zu verbinden. Diesem Dilemma verschaffen die DesignerInnen gerne Abhilfe, indem sie ihren Shows und gleichzeitig den in ihnen gezeigten Kollektionen griffige Namen geben. Chalayan, Viktor & Rolf und McQueen sind dabei besonders kreativ, während sich bei Chanel die Namen eher von selbst finden. Mit einem Titel wie »In memory of Elizabeth Howe, Salem 1692« (McQueen H/W 2007) z.B. kann auf eine Inspiration hingewiesen werden, mit dem Titel »Russian Doll« (Viktor & Rolf HC H/W 1999) eine Erinnerung gegeben werden an das, was in der Modenschau passiert ist. Chalayan wählt oft Begrifflichkeiten aus den Naturwissenschaften, wie »Genometrics« (H/W 2005), »Heliotropics« (F/S 2006) oder »Ambimorphous« (H/W 2002), Brainteaser wie »Before minus now« (F/S 2000) oder auch japanischen Titel »Sakoku« und »Kaikoku« (übersetzt »geschlossenes« bzw. »offenes Land«, F/S bzw. H/W 2011), die auf die Isolations- bzw. Öffnungspolitik Japans verweisen. Chanel dagegen listet seine Modenschauen nur nach 12  |  Die Show von Alexander McQueen F/S 1999 ist einzusehen unter: http://youtu.be/ Qv8Hx3cWB74, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. Ein Foto der Figurine in der Ausstellung »Savage Beauty« findet man unter: http://farm3.static.flickr.com/2377/5743231794_ fb892e5f61.jpg, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 13 | Ein Foto der Re-Projektion der Hologramm-ähnlichen Projektion von Kate Moss in Alexander McQueens Show H/W 2006 in der Ausstellung »Savage Beauty« ist einzusehen unter: www.nytimes.com/imagepages/2011/07/31/fashion/31JPMCQUEEN1. html, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung

den jeweiligen Saisons und Jahren – Namensgebungen kristallisierten sich erst durch die Berichterstattungen heraus, wie die ›Eisberg-Show‹ (H/W 20010) oder die ›Unterwasserwelt-Show‹ (F/S 2012). Griffige Titel bewirken die Verschlagwortung und Abspeicherung einer Kollektion unter einem Wort, welches für die Modenschau und ihre Atmosphäre steht. Kollektionen, die sich vom Design der Kleidungsstücke her ähnlich sind, können durch die gedankliche Verbindung mit der aussagekräftigen Show besser auseinander gehalten werden.  Strategie 7: »Giveaways« oder sonstige (käuflich zu erwerbende) Erinnerungs-

stücke von der Show Um die Erinnerung an die Atmosphäre der Show noch lange aufrecht zu erhalten und, neben den Kleidungsstücken, Teile von ihr in den Umlauf zu bringen, verteilen viele DesignerInnen »goodie bags«. Das sind Tüten, die entweder nur den »front rows« zugeteilt werden oder auch allen ZuschauerInnen, in denen Informationen und Geschenke (»giveaways«) enthalten sind. Als Beispiel sei eine Show von Lena Hoschek auf der Berliner Fashion Week genannt (F/S 201314), in der sowohl die Kleider als auch das Setting im Stile des mexikanischen Totenfestes gestaltet waren. Im »goodie bag« fand man alles, was man stereotypisch mit Mexiko in Verbindung bringt: eine Spielzeugpistole, ein Fläschchen Tequila, Tabasco, eine bunte Deko-Girlande, ein bunter Tanga und dazu ein vorproduziertes »lookbook« und Plakat von der Mode von Hoschek. Man konnte gewissermaßen die Show mit nach Hause nehmen. Diese Strategie ist an die Anwesenden gerichtet. Aber auch die, die nicht anwesend sein konnten, sind in der Lage, außer Bild, Video und Text etwas von Modenschauen zu besitzen. Wie in Abbildung 23 dargestellt wurde, wird für die Bildung eines kollektiven Erinnerungsbildes für die KonsumentInnen das kollektive Erinnerungsbild der SpezialistInnen nochmals aufgedröselt. Das hängt damit zusammen, dass das durch Anwesenheit erschaffene Bild der SpezialistInnen nicht in vollem Umfange vermittelt werden kann, sondern nur einzelne Elemente tradiert werden können. Ein Element der Show ist die Musik, die manche DesignerInnen als CD-Sampler zusammenstellen und auf den Markt bringen. Michael Michalsky brachte beispielsweise eine Kompilation »Broken Promises« mit den Songs der Stylenite (H/W 2013) heraus, einer Sonderveranstaltung, die von Michalsky halbjährlich während der Fashion Week in Berlin ausgerichtet wird und zu der er andere Labels, die ebenfalls nicht im Zelt zeigen wollen, einlädt.15

14  |  Das Video der Show von Lena Hoschek F/S 2013 kann eingesehen werden unter: www.youtube.com/watch?v=3c22NVyoEko, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 15 | Nähere Informationen zur Kompilation von Michalsky unter: www.warnermusic. de/news/2013-06-19/broken-promises, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode  Strategie 8: Wiederholung der Atmosphäre in anderen Produktionen der De-

signerInnen/des Modehauses z.B. in Aftershowparties, Werbeanzeigen oder in der Schaufenstergestaltung der Boutiquen Das Erinnerungsbild der KonsumentInnen kann etabliert und verstärkt werden, wenn die Elemente der Show immer und immer wieder in verschiedenen Variationen wiederholt werden. So nehmen die Kampagnen der Labels meistens die Atmosphäre der Modenschau wieder auf, wenn auch des Öfteren in abgewandelter Form. Interessanterweise ist man auch in der Gestaltung der Schaufenster dazu übergegangen, Elemente des Sets der Modenschau zu übernehmen. In der Chanel-Show H/W 2012 beispielsweise defilierten die Models durch meterhohe Kristallsäulen, die Schuhabsätze glichen Kristallstücken und die Augenbrauen der Models waren über und über mit kleinen bunten Kristallen dekoriert.16 Der Imaginäre Raum der Show wurde eins zu eins in die Wiener Chanel-Boutique übernommen, wie auf der Abbildung 25 zu sehen ist. Hier wird den KäuferInnen suggeriert, sie könnten die Atmosphäre der Modenschau in der Boutique erleben und mit dem Kauf eines Kleidungsstückes mit nach Hause nehmen und am eigenen Leib spüren. Abbildung 25: Kristallsäulen im Schaufenster von Chanel in Wien im Okt. 2012, eigenes Foto

16  |  Die Show Chanel H/W 2012 ist einzusehen unter: www.youtube.com/watch?v=-vB3yMS-jw, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

VI. Die Kopplung des immateriellen Neuen an die Kleidung  Strategie 9: Wiederholung der Atmosphäre in Produktionen der JournalistIn-

nen/FotografInnen/BloggerInnen, z.B. in Berichterstattungen, Dokumentationen oder »editorial shoots« Fashion Editors lassen sich von den Imaginären Räumen der Modenschauen für eigene Fotoproduktionen inspirieren. Dies verstärkt das Image der DesignerInnen als Trendsetter (in der Kreation von Atmosphären wohlgemerkt) und, da meist auch Stücke aus der betreffenden Kollektion abgelichtet werden, verbindet die Kollektion mit dem Thema. Die am 6.10.2009 aufgeführte Modenschau von Chanel F/S 2010 (Nachbau einer Hütte im Stile von Antoinettes Hameau de la Reine) zum Beispiel inspirierte anscheinend die Editors der deutschen Vogue, die im März 2010 eine Fotostrecke mit ähnlicher Thematik (Leben auf einer Farm) publizierten – natürlich auch mit einem Blazer von der aktuellen Chanel-Kollektion.17 Die hier formulierten Kopplungsstrategien sind an konkreten Beispielen belegbar und offensichtlich, jedoch sei darauf hingewiesen, dass keine Aussagen darüber gemacht werden können, inwiefern die Kopplung nun in den einzelnen Fällen ›geglückt‹ oder ›missglückt‹ ist. Dies könnte (beispielsweise) eine empirische Studie be- oder widerlegen, was die vorliegende Untersuchung jedoch nicht leisten kann. Hier ging es darum, zu zeigen, inwiefern die von Evans proklamierte Vermarktung des Bildes der Modenschau tatsächlich nachvollzogen werden kann und wie es den DesignerInnen gelingt, die in den Hintergrund gerückten Kleider durch eine stetige Verbindung mit der Atmosphäre der Show aufzuwerten und begehrenswert zu machen. In der ständigen Wiederbelebung der Atmosphäre und Aufrechterhaltung des Erinnerungsbildes lassen sich die Thesen bestätigen, ... dass das Neue nun immateriell ist im Sinne einer immateriellen Atmosphäre, die als synoptisches, synästhetisches Erinnerungsbild abgespeichert und durch ständige Reproduktionen ihrer Elemente tradiert wird, ... dass das Neue damit ein verhandelbares Neues ist, eine Zuschreibung und keine Eigenschaft eines Produktes, ... dass sich die Inventivität der Mode vom Modedesign zum Modenschaudesign verlagert hat und ... dass damit die Modenschau selbst Produktionsstätte des Neuen sein kann und infolgedessen zentraler Motor des Modezyklus ist.

17  |  Die Fotostrecke der Vogue Germany, März 2010 kann man einsehen unter: http:// artfashiondesign.wordpress.com/page/5/, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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VII. Schluss 1. Z usammenfassung Zum Schluss dieses Buches soll in einem ersten Schritt zusammengefasst werden, was bislang konstatiert worden ist, indem der Argumentationsstrang nochmals in komprimierter Form wiedergegeben wird. In einem zweiten und letzten Schritt soll in Form eines Ausblicks diskutiert werden, wie in Modetheorie und -praxis mit den Ergebnissen dieser Untersuchung umgegangen werden könnte. Die Mode ist ein Phänomen, welches sich durch die Verbindlichkeit des Vorübergehenden (Elena Esposito) auszeichnet: Sie sichert dadurch ihre Existenz, dass sie sich ständig selbst ersetzt. Dabei überflügelt die neue Mode die zuvor als neu Gegoltene und stuft sie zur alten Mode herab. Zentral für die Verbindlichkeit bzw. Akzeptanz einer neuen Mode sind dabei nicht Komparative wie ›schöner‹, ›günstiger‹, oder ›praktischer‹, sondern, ganz allgemein ›neuer‹ im Sinne von ›bisher noch nicht so gesehen‹ (bzw. ›bisher noch nicht so erlebt‹). Die Präsentation des Neuen ist konstitutiv für die Dynamik des Modezyklus. Das Neue wird dem sog. modeversierten Spezialistentum vorgeführt, bestehend aus JournalistInnen und BloggerInnen, EinkäuferInnen und FotografInnen. Damit markiert die Modenschau den Beginn eines Aushandlungsprozesses über die Etikettierung der Kleidung als neue Mode, an dem diese SpezialistInnen maßgeblich teilhaben. Die neue Mode ist nicht von sich aus die neue Mode, d.h. sie ist nicht selbstevident. Sie wird erst zu ihr gemacht, und zwar durch die in der Modenschau anwesenden ModespezialistInnen, die sich untereinander über das in der Modenschau gezeigte Neue verständigen. Dabei gleicht das Spezialistentum das von den DesignerInnen behauptete Neue mit dem bereits bekannten, zuvor als neu im kollektiven Mode-Gedächtnis Abgespeicherten ab. Die Präsentation der Mode zieht eine Prüfung nach sich. Auch wenn diese Prüfung bzw. Aushandlung nicht in der Modenschau abgeschlossen werden kann, so ist zumindest das in der Modenschau Gezeigte die Ausgangsbasis. In dem Buch wurde von der Existenz eines starken Spezialistentums ausgegangen, das trotz aller Demokratisierungstendenzen im Modesystem die

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Entscheidung über Mode und Nicht-Mode fällt. Damit wird die Trickle-DownTheorie verteidigt. Auch wenn wichtige Impulse durch Trendscouts von den Straßen aufgegriffen werden, müssen sie erst von DesignerInnen aufgenommen und vom Spezialistentum ausgehandelt werden, um Mode zu werden. Außerdem ist nicht erst dann Mode, wenn alle EndkonsumentInnen eine bestimmte Kleidung besitzen und tragen, sondern bereits dann, wenn das Wissen um die Gültigkeit einer Mode besteht. Dieses Wissen ist Bestandteil des kollektiven Mode-Gedächtnisses. Mode ist, in einem Satz, nicht dann, wenn alle bzw. eine möglichst große Gruppe einer Gesellschaft das Gleiche tragen, sondern dann, wenn sie realisiert haben, dass von den SpezialistInnen eine neue Mode im Mode-Gedächtnis abgespeichert wurde. In der sog. »mode de cent ans« (ca. 1860-1960) war das Neue an der Form oder Beschaffenheit des Kleides selbst festzustellen. Danach, in der »Mode nach der Mode« (Barbara Vinken), lag das Neue in einem veränderten Verständnis von Zeitlichkeit. Es manifestierte sich in einem neuen Verhältnis zur Kleidung und ihrer Herstellung sowie zu vergangenen Moden, was sich in offensiven Zitationen, Kombinationen und Dekonstruktionen niederschlug. Das Mode-Gedächtnis erfuhr seit Mitte der 1980er unter anderen zwei wesentlichen Veränderungen. Zum einen kamen, wenn man es als eine Art ModeEnzyklopädie begreift, keine neuen ›Einträge‹ mehr hinzu, sondern immer nur mehr Verlinkungen zwischen bestehenden ›Einträgen‹. Zum anderen hat sich das Gedächtnis seit den frühen 2000ern in das Internet verlagert, was einerseits eine Sprengung ihrer Grenzen bewirkte und andererseits die Kontrolle des Spezialistentums zu mindern drohte. Mehr denn je rückte die Modenschau in das Zentrum des Modesystems, da die DesignerInnen als Lösung dieser ›Inventionsbredouille‹ hier etwas erschaffen konnten, das durch ihre Exklusivität und Ephemeralität nur dem Spezialistentum zugänglich war und somit wieder zu einem raren Gut wurde: eine Atmosphäre. Seit Mitte der 1980er ist daher eine Verschiebung vom Zeigen des Neuen hin zur Hervorbringung des Neuen in der Modenschau zu verzeichnen. Aufgrund dessen wurde eine Theorie des Neuen der Mode entwickelt, mit der erklärt werden soll, wie in kulturellen Bereichen, zu denen die Mode gezählt wird, das Neue auf die Welt kommt. Die Behauptung des Neuen ist als ein vom Werk unabhängiges Instrument zu sehen, mit welchem KünstlerInnen ein für das Publikum zunächst unsichtbares Objekt, Ereignis oder eine unsichtbare Erscheinung sichtbar machen können. In seiner Form als Statement, als bloße Behauptung, ist das Neue also keine materielle Eigenschaft eines Objekts, sondern im Gegenteil immateriell. Hinzu kommt, dass die Schaffung einer Atmosphäre in der Modenschau seit knapp 30 Jahren immer mehr in den Vordergrund rückt und die Kleidung in den Hintergrund drängt. Die Atmosphäre beruht einerseits auf den Auswirkungen der Inszenierungsstrategien, die von den DesignerInnen in die Wege geleitet wurden und andererseits auf dem, was

VII. Schluss

in der Modenschau ungeplant passieren kann und worauf die DesignerInnen keinen oder begrenzten Einfluss haben. Somit ist die Modenschau in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Planung und Emergenz. Mit der Behauptung des Neuen beziehen sich die DesignerInnen nun nicht mehr (nur) auf die gezeigte Kleidung, sondern auf eine Atmosphäre, die ebenfalls immateriell ist, aber durch die gezielte Adressierung sichtbar/erfahrbar wird. Das Spannende an diesem Umstand ist, dass Immaterialität durch Immaterialität zu einer gewissen Erfahrbarkeit gelangen kann. Die Atmosphäre wird in Form einer intersensoriellen Sinneserfahrung von den ZuschauerInnen erfasst – zentral sind dabei die Distanzerfahrungen zum Objekt (Kleidung), die Erfahrung des Anderen sowie die Raumerfahrung. Die Auseinandersetzung mit den Räumen einer Modenschau hat in der Analyse zu einer Dreiteilung von Ort, Location und Imaginärem Raum geführt, die in der Modenschau ineinander aufgehen, was als Verräumlichungsprozess bezeichnet wurde. Es haben sich bestimmte Verhältnisse dieser Räume zueinander herauskristallisiert, die eine Typifizierung von Atmosphären möglich gemacht haben. Des Weiteren führte die Beschäftigung mit Grenz- und Rahmenziehungen, die mit der Etablierung und Auflösung von Räumen einhergehen, zu der Fragestellung, ob die Modenschau als ein Ritual betrachtet werden kann. Insbesondere in Hinblick auf transformatorische Prozesse, die in der Modenschau allerdings nur simuliert werden, ist ein ritueller Charakter bei allen Modenschauen zu vermuten. Das immaterielle Neue als Modenschau-Atmosphäre muss für die Zuschreibung der Kleidung als die neue Mode auf irgendeine Weise konserviert werden, um weitervermittelt werden zu können. Dies funktioniert durch die Erzeugung eines Bildes, welches synoptisch (also zusammenfassend und stellvertretend für die Modenschau) und synästhetisch (also alle Wahrnehmungen zu einem Konglomerat verbindend) zu sein hat. Dabei sind folgende Differenzierungen zu machen: Zunächst muss unterschieden werden zwischen den Bildern, welche die DesignerInnen intendieren und denen, welche sich die einzelnen ZuschauerInnen aufgrund ihrer (sinnlichen) Erfahrung individuell zusammenstellen. Daraus folgt, dass es nicht das Bild einer Modenschau geben kann. Aus diesen individuellen Wahrnehmungsbildern entsteht das, was das kollektive Erinnerungsbild der SpezialistInnen genannt wurde. Dieses Bild vereint all das, was im Kollektiv in der Modenschau erfahren worden ist. Der von den SpezialistInnen vollzogene Abgleich dieses Bildes mit den im sog. Atmosphären-Gedächtnis abgespeicherten Bildern erfolgt nach dem Prinzip des ›bisher noch nicht so erlebt‹ und beurteilt so die Inventivität der Atmosphäre. Das Atmosphären-Gedächtnis ist als Untergedächtnis des Mode-Gedächtnisses zu verstehen und weist eine rhizomatische Struktur auf, in der die einzelnen Bilder gespeichert und mit dem Bildern bzw. Bildelementen anderer Shows zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

Für die Weitervermittlung und -verarbeitung (z.B. Berichterstattung, Fotoproduktion etc.) des kollektiven Erinnerungsbildes an die KonsumentInnen werden von den SpezialistInnen einzelne Bestandteile dieses Bildes aufgegriffen, um die Atmosphäre der Modenschau ›anzuzitieren‹. Wenn man davon ausgeht, dass das Neue zunehmend nicht im Modedesign, sondern im Modenschaudesign zu finden ist, haben die DesignerInnen ein großes Interesse daran, trotzdem behaupten zu können, ihr Modedesign sei neu, denn schließlich ist es das, woran sie – meist als Zusatz zum Accessoire- und Parfümgeschäft – ihr Geld verdienen. Das, was die EndkundInnen in der Modezeitschrift, in der Fotoproduktion oder im Schaufenster zu sehen bekommen, ist zunächst einmal ›nur‹ die in der Modenschau gezeigte Kleidung (in abgeschwächter Form). Daher ist die Wiederholung von Elementen des von der Modenschau erinnerten Bildes durch die ModespezialistInnen für die DesignerInnen zentral, damit eine gedankliche Kopplung von Kleidung und Bild und somit von Kleidung und dem Neuen gewährleistet wird. Bestimmte Kopplungsstrategien, die in diesem Buch aufgedeckt wurden, dienen der Verbindung von Kleidung und Atmosphäre der Modenschau. Der Paradigmenwechsel in der Modenschaugeschichte, der Mitte der achtziger Jahre festgemacht wurde, besteht darin, dass es nicht mehr um einen Wettbewerb modischer Erfindungen geht, sondern um einen Wettstreit um neue Modenschau-Bilder. Mit der Erzeugung und Abspeicherung von Bildern können die DesignerInnen ein ganz neues Feld beziehen, in dem sie sich als inventiv und visionär präsentieren können. Nachvollziehbar ist, dass auch hier die ›Einträge‹ im kollektiven Atmosphären-Gedächtnis nach einiger Zeit, wie bereits in der »Mode nach der Mode« immer seltener werden, bzw. verstärkt Verlinkungen zu verschiedenen Bildern gezogen werden, wie es bei der Zitation, Kombination und Dekonstruktion von alten Moden der Fall war. Beispiele für eine solche Entwicklung gibt es bereits und wurden hier ausgeführt. An dieser Stelle sei nochmals bekräftigt, dass die spektakuläre, atmosphärische Modenschau als ein möglicher Ausweg aus der ›Inventionsbredouille‹ angesehen wird, von dem viele DesignerInnen Gebrauch gemacht haben. Dennoch handelt es sich nur um einen Ausweg von vielen und auch um einen, der zeitlich begrenzt ist. Eine Prognose ist, dass die zunehmende Technologisierung der Materialien auf lange Sicht eine Ära der funktionellen Invention einläuten wird, die die Fokussierung auf spektakuläre, atmosphärische Modenschauen langsam ablösen wird.

VII. Schluss

2. A usblick : A nnäherung an eine M odenschaukritik Das Ergebnis dieser Untersuchung soll an der Schnittstelle von Modetheorie und -praxis verortet werden. Das Ziel war, die Rolle und Position der Modenschau herauszuarbeiten. Dabei rückte die Modenschau-Atmosphäre in den Fokus, der als kontextualisierendes Ereignis eine größere Bedeutung zukommt als der Kleidung selbst. Im Grunde ist dies keine neue Strategie – seit Jahrzehnten werden gleichbleibende Lebensmittel immer wieder in neue, attraktivere Formen gebracht, Theaterstücke werden immer wieder anders inszeniert, Filmgeschichten neu produziert, Musikstücke ›modern‹ interpretiert. In der Modetheorie hat man der Modenschau bislang noch nicht dieselbe Macht oder Funktion zugestanden. In diesem Buch wurde die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass sich das Arbeitsfeld der ModeschöpferInnen massiv erweitert hat. Eine verstärkte Reflexion und Würdigung der Kreation von Atmosphären seitens der ModedesignerInnen, -spezialistInnen und -konsumentInnen macht einerseits den Prozess der Hervorbringung von Neuem transparenter und treibt ihn andererseits an. Zudem sollte das immer noch vorherrschende Vorurteil, es handle sich beim Modebusiness und bei der Modetheorie um eine Beschäftigung mit Oberfläch(lichkeit)en, aus dem Weg geräumt werden. Sowohl in der Praxis als auch in der Theorie gibt es einige Punkte, die zu weiterführenden Gedanken anregen könnten. Das Wissen um die Existenz eines Atmosphären-Gedächtnisses als Subkategorie des Mode-Gedächtnisses (von dem im Übrigen auch noch niemand in dieser Form geschrieben hat), könnte eine gezielte Analyse der Verbindungslinien nach sich ziehen, um bestimmte Atmosphären-Stile in der Vergangenheit aufzudecken oder Trends für die Zukunft vorherzusehen. Infolgedessen könnten DesignerInnen und ModenschauproduzentInnen eine Kontrolle des AtmosphärenGedächtnisses in Angriff nehmen: So könnten sie beispielsweise bereits abgespeicherte Bilder persiflieren, die Vernetzung eines Bildes im rhizomatischen Geflecht verstärkt forcieren, durch ein Bilderverbot absichtlich eine Abspeicherung erschweren oder auch Verwirrung stiften, indem sie Erinnerungsbilder in den Umlauf bringen, die nicht der Atmosphäre der Modenschau entsprechen. Eine andere Überlegung wäre, dass sie in dem Wissen darum, dass die Atmosphären das eigentlich Neue sind, ihre Atmosphären unabhängig von Kleidung anbieten (einen solchen Ansatz gab es ja bereits in der Ausstellung »Catwalks« in Düsseldorf). Eine jahrmarktähnliche Atmosphäre von »Klein Paris«, wie sie Etienne Russo für Sonia Rykiel und H&M 2009 erschaffen hat, könnte auch ohne die Parade funktionieren oder auch als Rahmen einer anderen Präsentation, wie einer Kunstausstellung oder Automesse. Wieder einmal sehen wir: Die Kleidung ist prinzipiell austauschbar geworden.

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Wie weit kann der Rahmen einer Modenschau überhaupt noch gespannt werden? Welche fixen Elemente einer Show gibt es, ohne die eine Modenschau nicht auskommt, und welche können sich verändern? Wir hatten beispielsweise gesehen, dass eine Änderung der Location (innerhalb eines Orts) oder der Austausch von professionellen durch Amateur-Models möglich ist. Aber wie weit können DesignerInnen gehen? Auch in Anbetracht des rituellen Charakters einer Modenschau: Was muss eingehalten werden, dass er nicht verloren geht? Drei fixe Elemente, ohne die es m.E. nicht geht, sind erstens die leibliche Anwesenheit der SpezialistInnen an einem Ort zu einem Zeitpunkt, zweitens die gezielte Steuerung ihrer Aufmerksamkeit und drittens die Behauptung des Neuen. Variable Elemente sind all diejenigen, die die Erfüllung dieser drei fixen Elemente nicht verhindern. In Hinblick auf den Aspekt der Anwesenheit hat das Auf kommen von »fashion short films« die Frage aufgeworfen, die unter anderem von Khan und Muriale bearbeitet wird, ob sie Modenschauen ersetzen können, weil sie von einigen DesignerInnen (z.B. Gareth Pugh) auf diese Weise eingesetzt werden. M.E. funktionieren »fashion short films« als Ersatz für Modenschauen nur in Opposition zu oder als Abweichung von ihnen, als ›Anti-Modenschauen‹ gewissermaßen. Zurzeit werden sie eher als zusätzliche Marketingstrategie eingesetzt oder sogar als Inszenierungsstrategie in Modenschauen. Die leibliche Anwesenheit bei einer Modenschau ist nicht durch »fashion short films« zu ersetzen, ebenso wenig wie durch LiveÜbertragungen einer Show. Die leibliche Anwesenheit einer geschlossenen Gruppe von SpezialistInnen garantiert die Exklusivität und Einmaligkeit der Show und die sinnlichen Eindrücke der Atmosphäre bestätigen den ZuschauerInnen die Besonderheit ihrer leiblichen Anwesenheit. Die gezielte Steuerung ihrer Aufmerksamkeit ist ein weiteres unumgängliches Merkmal für eine Modenschau: Bei einer Modenschau eines aufstrebenden Labels1 im Juli 2011 in der Alten Münze in Berlin beispielsweise wurden die Grenzen von ZuschauerInnen- und Publikumsbereich in der Form gesprengt, dass die Models sich ohne vorherige Präsentation in die Menge mischten. Leider wurde die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen so wenig geführt – weder durch Lichtführung, noch durch auffälliges Make-up, noch durch irgendwelche erkennbaren Gesten –, sodass die Models von ihnen nicht erkannt werden konnten. Dies ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass das Neue nicht selbstevident ist. Es bedarf einer ausdrücklichen Behauptung, womit wir beim dritten unverzichtbaren Element einer Modenschau angekommen sind. Die Behauptung des Neuen der DesignerInnen muss von den ZuschauerInnen auf etwas bezogen werden können – auf Kleider, auf Models, auf Atmosphären. Falls dies nicht geschieht, kann die Präsentation des Neuen nicht gespeichert, zu einem Bild verarbeitet und so mit anderen Bildern verglichen werden. Eine Zuschreibung 1  |  Der Name des Labels soll hier ungenannt bleiben.

VII. Schluss

von Kleidung als Mode durch die ModespezialistInnen beruht auf einer Ratifizierung, und eine Ratifizierung kann nur geschehen, wenn es eine Behauptung gibt. In diesem Zusammenhang sei eine weitere Überlegung angestellt, die mit der Ausrichtung der Behauptung des Neuen zu tun hat. Bislang hatten wir es mit Beispielen zu tun, in denen die Behauptung bestimmte Kleider (und damit bestimmte Körper) sowie bestimmte Atmosphären adressierte. Daraus bildeten sich dann das Mode-Gedächtnis sowie das Atmosphären-Gedächtnis. Kann sich die Behauptung vielleicht auch auf ein anderes Element der Modenschau richten und somit ein weiteres Gedächtnis erzeugen? Könnte sich die Behauptung des Neuen zum Beispiel auf das Publikum beziehen? Nehmen wir das Beispiel der aktuellen Vermarktung der Rasiererserie »Venus« des Herstellers Gillette.2 Die Behauptung des Neuen bei diesen Rasierern richtet sich auf die Beschaffenheit ihrer Ausführungen (drei Klingen, fünf Klingen mit Olaz-Feuchtigkeitskissen usw.) sowie auf ihr Design/Verpackung (»Jede Venus Ersatzklinge passt auf jeden Venus-Griff«), aber vor allem an die Käuferin mit dem Werbeslogan »Erwecke die Göttin in dir«. Hier, wie auch in vielen weiteren Produktwerbungen der letzten Jahre, sollen KonsumentInnen sich ›neu entdecken‹ oder ›neu erfinden‹. Die Behauptung des Neuen könnte, wenn sie sich auf die ZuschauerInnen in der Modenschau bezieht, auf eine Erneuerung ihrer Persönlichkeiten abzielen (bzw. die Möglichkeit einer sofortigen Erneuerung suggerieren). Dies könnte man beispielsweise durch einen stärkeren Einbezug des Publikums bewerkstelligen, womit der rituelle Charakter noch mehr in den Vordergrund gerückt und die Schein-Transformation eventuell zu einer wahrhaftigen Transformation werden würde. Wie in einem Artikel von Richard Zoglin (2013) im Time-Magazin zu lesen ist, genießt das sog. »immersive theater« als eine Kombination von Happening und Theaterstück immer mehr Beliebtheit. Das Londoner Punchdrunk Theater beispielsweise lädt zum Schauspiel »Sleep no more« ein, bei dem die ZuschauerInnen ohne Anleitung in einem Hotel in verschiedenen Zimmern SchauspielerInnen antreffen, die Szenen aus Macbeth nachspielen.3 Wie könnte man sich ein solches Erlebnis – als Steigerung der Erfahrung einer Atmosphäre – in der Modenschau vorstellen? Es wäre beispielsweise denkbar, dass nach oder auch statt einer Vorführung durch die Models den ZuschauerInnen die Gelegenheit gegeben wird, die Kleidung anzuprobieren und/oder selbst vorzuführen. Dies ist ein kompliziertes Unterfangen, weil die »showpieces« nur in der Größe 34 angefertigt werden und weil dann auch das Begehren, welches 2  |  Vgl. die Fernsehwerbung von Gillette unter: www.youtube.com/watch?v=vAXyaiCYu TI und Internetpräsenz unter: www.gillettevenus.de, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014. 3  |  Vgl. die Website des Theaters unter: http://punchdrunk.com/current-shows/column/ 3, zuletzt aufgerufen am 27.9.2014.

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durch die Kluft zwischen eigenem Körper und (vermeintlichem) Körperideal der Models sowie zwischen dem Altmodischen und dem Neumodischen entsteht, nicht aufrechterhalten wird. Dennoch ist es denkbar, dass die Modenschauentwicklung analog zu den aktuellen Strategien des Produktmarketings zur »personalization« oder »customization« übergehen könnte, also dass die ZuschauerInnen als unentbehrlicher Teil der Modenschau gefeiert werden, nach dem Motto »Es geht nur, wenn ihr dabei seid!«. All diese Überlegungen über die Art und Weise, wie Kleider präsentiert werden können und darüber, welche Auswirkungen diese Inszenierungsstrategien auf die Geburt neuer Moden und den Modezyklus im Allgemeinen haben, könnte man systematisieren und formalisieren. Daher wird dieses Buch mit einer Anleitung zu einer Modenschaukritik geschlossen, die analog zur Theaterkritik oder Ausstellungskritik bei Modenschauen angewandt werden könnte (vgl. Abbildung 26). Eine solche Systematik könnte nicht nur den ModejournalistInnen oder ModenschauproduzentInnen bei der Evaluation einer Modenschau behilflich sein, sondern auch allen anderen ModespezialistInnen, die an der Ratifizierung des Neuen beteiligt sind oder auf theoretischer Ebene darüber forschen. In der Modetheorie sind zudem Reaktionen auf die These wünschenswert, dass neue Kleider-Moden theoretisch gänzlich ohne neue Kleider entstehen können, sowie auf die auf das zeitgenössische Modebusiness bezogene Vermutung: Ohne Modenschau keine neue Mode.

VII. Schluss

Abbildung 26: Anleitung für eine Modenschaukritik, eigener Entwurf

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VIII. Literatur L iter atur mit A utorenangaben Adorno, Theodor W. (1972 [1970]): Ästhetische Theorie. In: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 7. Hg. v. Theodor W. Adorno, Gretel Adorno u. Rolf Tiedemann. Frankfurt: Suhrkamp. Adorno, Theodor W. (1990 [1970]): Ästhetische Theorie. In: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 7. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt: Suhrkamp. Anna, Susanne (Hg.) (2001a): Untragbar – Mode als Skulptur. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz. Anna, Susanne (2001b): Die Falte All-over. Untragbar/skulpturale Kleidung als künstlerischer Ausdruckswert im Wandel der Zeiten. In: Susanne Anna (Hg.): Untragbar – Mode als Skulptur. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, S. 3445. Appadurai, Arjun (Hg.) (2009 [1986]): The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. Assmann, Aleida; Assmann, Jan (1994): Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis. In: Klaus Merten (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 114-140. Assmann, Jan (1988): Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Jan Assmann u. Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt: Suhrkamp, S. 9-19. Austin, J.L. (1972 [engl. 1962]): Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart: P. Reclam. Barthes, Roland (2004 [frz. 1967]): Die Sprache der Mode. Unter Mitarbeit von Horst Brühmann. Frankfurt: Suhrkamp. Bateson, Gregory (1983 [engl. 1972]): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt: Suhrkamp. Baudelaire, Charles (1976 [frz. 1857]): Die Blumen des Bösen. Unter Mitarbeit von Carlo Schmid. Frankfurt: Insel Verlag.

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode

A rtikel aus E nz yklopädien und L e xik a ›Affekt‹: Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1980 (Bd. 1, S. 127), Brockhaus Enzyklopädie Deutsches Wörterbuch 1995 (Bd. 26, S. 121). ›behaupten‹: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 1964 (Bd. 1, S. 475), Der neue Brockhaus 1978 (Bd. 1, S. 247), Brockhaus Wahrig/Deutsches Wörterbuch 1980 (Bd. 1, S.  569), Meyers grosses Universallexikon 1986 (Bd. 16, S. 329), Wahrig Herkunftswörterbuch 2009 (S. 93). ›Behauptung‹: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 1964 (Bd. 1, S. 475), Brockhaus Enzyklopädie 1967 (Bd. 2, S. 464), Meyers enzyklopädisches Lexikon 1971 (Bd. 3, S.  720), Meyers neues Lexikon 1972 (Bd. 2, S. 157), Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1980 (Bd. 1, S. 569), Meyers grosses Universallexikon 1981 (Bd. 2, S. 299), Meyers grosses Universallexikon 1986 (Bd. 16, S. 329), Meyers neues Lexikon 1994 (Bd.1, S. 510), Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 3, S. 495). ›immateriell‹: Brockhaus Enzyklopädie 1970 (Bd. 9, S. 16). ›Immersion‹: Brockhaus Enzyklopädie Deutsches Wörterbuch 1995 (Bd. 27, S. 1680). ›Mannequin‹: Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 17, S. 619). ›Model‹: Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 18, S. 625). ›Person‹: Brockhaus Enzyklopädie 2006 (Bd. 21, S. 237).

IX. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis  Abbildungsverzeichnis Abbildung

Beschriftung

Quelle

Copyright

1

Viktor & Rolf H/W 2002 »Bluescreen – long live the immaterial!«

Getty Images

© Pierre Verdy (AFP/Getty Images)

2

Schema Mode und Nicht-Mode

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

3

Das Neue und seine Bezüge

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

4

Bezüge des Neuen in der Modenschau

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

5

Überlappung der drei Raumtypen

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

6

Elemente eines möglichen synoptischen, synästhetischen Bildes

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

7

Inspirationsquellen nach Haberler (2012, 176)

Haberler 2012, 176

© Springer Science + Business Media. Zudem mit freundlicher Genehmigung von Veronika Haberler.

8

Übersicht über die Arten des Emergentismus nach Stephan (2005, 71)

Stephan 2005, 71

© Mentis Verlag

9

Eiffelturm bei Sonia Rykiel für H&M 2009

Villa Eugenie

© Villa Eugenie

10

Set von Sonia Rykiel für H&M 2009

Villa Eugenie

© Villa Eugenie

11

Überschachtelungstyp 1

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

12

Überschachtelungstyp 2

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

13

Überschachtelungstyp 3

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

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Modenschauen – Die Behauptung des Neuen in der Mode 14

Überschachtelungstyp 4

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

15

Überschachtelungstyp 5

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

16

Überschachtelungstyp 6

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

17

Überschachtelungstyp 7

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

18

Rahmen und Grenzen aus der Vogelperspektive

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

19

Überlagerungsmöglichkeiten von alter und neuer Mode

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

20

Modenschau als Miniaturmodell

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

21

Schwellenüberschreitungen eines Models

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

22

Mögliche Verweise innerhalb einer rhizomatischen Verweisstruktur

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

23

Vermittlung des synoptischen, synästhetischen Bildes

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

24

Verhältnis der Fokusse auf Atmosphäre und Kleid

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

25

Kristallsäulen im Schaufenster von Chanel in Wien im Okt. 2012

Eigenes Foto

© Alicia Kühl

26

Anleitung für eine Modenschaukritik

Eigener Entwurf

© Alicia Kühl

 Tabellenverzeichnis Tab.

Beschriftung

1

Auswahl einschlägiger Modenschauen der letzen 30 Jahre

2

Rhythmus der Modenschautermine eines Jahres

3

Kategorisierung von Modenschau-Atmosphären nach Erfahrungsebenen

4

Gegenüberstellung der Merkmale der verschiedenen Raumtypen

5

Mögliche Interaktionen zwischen DesignerInnen, ZuschauerInnen und Models

Fashion Studies Christa Gürtler, Eva Hausbacher (Hg.) Kleiderfragen Mode und Kulturwissenschaft Juni 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2819-7

Gertrud Lehnert Mode Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis 2013, 200 Seiten, kart., 24,90 €, ISBN 978-3-8376-2195-2

Gertrud Lehnert, Alicia Kühl, Katja Weise (Hg.) Modetheorie Klassische Texte aus vier Jahrhunderten 2014, 240 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2250-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de