Mit Bands auf Tour: Eine Medienethnographie des Unterwegsseins 9783839448137

Die Digitalisierung von Musik und ihre neuen Verbreitungswege haben die Musikbranche scheinbar grundlegend verändert: Mu

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German Pages 194 Year 2021

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Table of contents :
Inhalt
Abbildungen
Vorwort und Dank
1 EINLEITUNG MEDIENETHNOGRAPHISCHE IM/MOBILISIERUNGEN
1.1 Mobilisieren/ Immobilisieren
1.2 Musik, Mobilität und Medien neu beforschen
1.3 Die Tour als rhythmisches Unterfangen
1.4 Tourrhythmen medienethnographisch beforschen
1.5 Über die einzelnen Kapitel
2 WEGE EBNEN ETHNOLOGISCHE FELDFORSCHUNG AUF TOUR
2.1 Ebenen fragmentarischer Forschung
2.2 Zugang und Besonderheiten des Feldes
2.3 Die Tour als Feld
2.4 Zwischen Forschender und Mitreisender
3 UNTERWEGS SEIN ÜRTE UND VERBINDUNGEN EINER MUSIKTOUR
3.1 "Spending your life in random places"
3.2 Mobile Ethnographie
3.3 Orte einer Tour
3.4 Beweggründe und ihre Bedingungen für das Reisen
3.5 Anekdotisches Touren
4 DATENBEWEGUNGEN MUSIK UND MEDIEN AUF TOUR
4.1 "Hunting for WiFi"
4.2 Digitale Ethnographie als fragiles Feld
4.3 Metrische Bewegungen
4.4 Marketingstrategien und Fankontakt auf Tour
4.5 Aushandlungen verschiedener Anspruchsgruppen
5 BEWEGUNGSTAKTUNG RHYTHMISIERUNGEN VON AUFGABEN UND ZEIT
5.1 "The sacred system"
5.2 "Hurry up and wait" als Rhythmus des Touralltags
5.3 Bewegtbilder: Rhythmen filmen
5.4 Tourpausen
6 EINRICHTEN IN DER BEWEGUNG , ZUHAUSE' ALS PRAKTIK UND VORSTELLUNG
6.1 "Horne is mobility?"
6.2 Bewegungs- und Stillstellungspraktiken
6.3 Homing auf Tour und ,Zuhause'
6.4 Zuhause als Vorstellung vom Selbst
7 UN/BEWEGT SEIN SELBSTVERORTUNG DURCH MUSIK UND KLANG
7.1 "It's like your baptism"
7. 2 Das Spiel zwischen Bewusstbei t und Unbekümmertbei t
7.3 Prozesse des Arrangierens
7.4 Einstimmen von Sound, Körper und Raum
8 AUSBLICK BEWEGUNGSRICHTUNGEN
8.1 "Cracking the code"
8.2 Den eigenen Rhythmus finden
8.3 Die Tour im/ mobilisieren
Literatur
Musik
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Mit Bands auf Tour: Eine Medienethnographie des Unterwegsseins
 9783839448137

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Anna Lisa Ramella Mit BandsaufTour

Locating Media/Situierte Medien

I

Band 20

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Sebastian Gießmann, Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Anna Lisa Ramella (Dr.) ist Postdoktorandin im DFG-geförderten Sonderforschungsbereich »Future Rural Africa« an der Universität zu Köln. Sie promovierte am Graduiertenkolleg »Locating MediaAnthropology and MobilityCollaboratory for Ethnographie ExperimentationBen Kingvon Broncho< Korrektorat & Satz: Fabian Lüke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4813-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4813-7 https:/I doi.org/10.14361/9783839448137 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Abbildungen

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Vorwort und Dank

I 11

1 EINLEITUNG

117

MEDIENETHNOGRAPHISCHE IM/MOBILISIERUNGEN 1.1 Mobilisieren/ Immobilisieren

I 17

1.2 Musik, Mobilität und Medien neu beforschen 1.3 Die Tour als rhythmisches Unterfangen

I 19

I 20

1.4 Tourrhythmen medienethnographisch beforschen 1.5 Über die einzelnen Kapitel

2

I 22

I 24

WEGE EBNEN ETHNOLOGISCHE FELDFORSCHUNG AUF TOUR

I 29

I 29 2.2 Zugang und Besonderheiten des Feldes I 37 2.3 Die Tour als Feld I 43 2.4 Zwischen Forschender und Mitreisender I 46 2.1 Ebenen fragmentarischer Forschung

3

UNTERWEGS SEIN ÜRTE UND VERBINDUNGEN EINER MUSIKTOUR 3.1 "Spending your life in random places" 3.2 Mobile Ethnographie 3.3 Orte einer Tour

I 49

I 49

I 51

I 55

3.4 Beweggründe und ihre Bedingungen für das Reisen 3.5 Anekdotisches Touren

I 67

I 61

4

DATENBEWEGUNGEN MUSIK UND MEDIEN AUF TOUR 4.1 "Hunting for WiFi"

I73

I 73

4.2 Digitale Ethnographie als fragiles Feld 4.3 Metrische Bewegungen

I 76

I 79

I 85 4.5 Aushandlungen verschiedener Anspruchsgruppen I 91 4.4 Marketingstrategien und Fankontakt auf Tour

5

BEWEGUNGSTAKTUNG

I 99

RHYTHMISIERUNGEN VON AUFGABEN UND ZEIT 5.1 "The sacred system"

I 99

5.2 "Hurry up and wait" als Rhythmus des Touralltags 5.3 Bewegtbilder: Rhythmen filmen 5.4 Tourpausen

6

I 104

I 116

I 121

EINRICHTEN IN DER BEWEGUNG , ZUHAUSE' ALS PRAKTIK UND VORSTELLUNG 6.1 "Horne is mobility?"

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I 125

6.2 Bewegungs- und Stillstellungspraktiken

I 128

I 139 6.4 Zuhause als Vorstellung vom Selbst I 142 6.3 Homing auf Tour und ,Zuhause'

7 UN/BEWEGT SEIN SELBSTVERORTUNG DURCH MUSIK UND KLANG

I 149

7.1 "It's like your baptism" 1149 7. 2 Das Spiel zwischen Bewusstbei t und Unbekümmertbei t 7.3 Prozesse des Arrangierens

I 158

7.4 Einstimmen von Sound, Körper und Raum

I 165

I 153

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AUSBLICK BEWEGUNGSRICHTUNGEN

I 17 3

8.1 "Cracking the code" 1173 8.2 Den eigenen Rhythmus finden 8.3 Die Tour im/ mobilisieren Literatur 1179 Musik

I 191

I 175

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Abbildungen

Alle Abbildungen von der Autorin, soweit nicht anders angeführt. 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Liste der WLAN-Netze in den Netzwerkeinsteilungen der Ethnologin. Screenshot. "Merch-Anthropologist", Merch-Koffer mit Feldnotizbuch. Foto. Hospitality Riderder Band Broncho. Screenshot. Screenshot des Posts von Lauras Band auf Instagram. Quelle: www.instagram.com. Gliederung von Laurents Vortrag über das Touren. Foto. "Hierarchy of Needs" von Abraham Maslow (1943): A Theory ofHuman Motivation. Nachgezeichnet von der Autorin. Netzwerk- und Passwortinformation für das WLAN im Backstage-Raum in Leeds. Foto. Auswahl digitaler mobiler Medien auf Tour. Screenshot. Instagram-Post von Moses, "Life is passing you by ... ". Quelle: www.instagram.com. Screenshot der Seite der Band Broncho auf Songkick Quelle: www.songkick.com. Screenshot eines ,Events' auf Facebook. Quelle: www.facebook.com. Screenshot der Titelseite der Bandsintown-Manager-App. Quelle: www. bandsintown.com. Q&A auf Facebookder Band Blondage. Quelle: www.facebook.com. Anzeige der Antwortrate der Band Blondage auf Facebook. Quelle: www.facebook.com. Instagram-Post von Penny, "Social Media is selling your shit". Quelle: www.instagram.com. Twitter-Post des Sängers Cameron (RVRB), mit dem Link zu seinem Song "Maybe I could". Quelle: www.twitter.com. Instagram-Post von Broncho am Muttertag. Quelle: www.instagram.com. Unser Van wird nachts vom Abschleppwagen abgeholt. Foto. Mitglieder der Band Broncho warten auf den Haustechniker vor dem Spielort in Paris. Foto. Tourkalender erstellt vom Tourmanager Gavin mit Google Calendar, und mit allen Tourteilnehmer:innen geteilt. Screenshot.

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I MIT BANDS AUF TOUR

21. Penny und Ben von Broncho im Backstage-Warteraum des Venues Molotow. Standbild. 22. Instagram-Post von Penny während desWartens auf ihren Auftritt auf dem Reeperbahn-Festival im Backstage-Bereich des Molotow in Hamburg. Quelle: www.instagram.com. 23. Platzieren der Kamera am Eingang des Spielortes, um gleichzeitig mithelfen und filmen zu können. Standbild. 24. Ein Gespräch mit Penny im Laufen filmen. Standbild. 25. "Rhythms of Attunement": Nathan beim Stimmen seines Schlagzeugs und beim Eincremen im Van. Standbild. 26. Handtuch im Hotel in London mit der Aufschrift "Horne". Foto. 27. Merch-Stand in Liverpool. Foto. 28. Merch-Stand auf der Tour von Queens of the Stone Age. Foto. 29. Georg, Tourmanager der Band Two Gallants, bei der Buchhaltung im Backstage- Raum. Standbild. 30. Penny beim Yoga in Sportkleidung mit Matte und Stretchband. Foto. 31. Penny beim Yoga in Bühnenkleidung ohne Zubehör auf dem Boden. Foto. 32. Bens Kleidung lüftet über einem liegenden Stuhl. Foto. 33. Instagram-Post von Tontechniker Moses, "Back seat living with my pals". Quelle: www.instagram.com. 34. Blumendeka in Pennys Insta-Story und Teppich für den Van. Quelle: www.instagram.com. 35. Insta-Storyvon Penny: "Ben shows he cares by eating his egg outside the van". Quelle: www.instagram.com. 36. Eingescannte Seite des Tourtagebuchs. Scan. 37. Stage Plot aus Bronchos Technical Rider. Screenshot.

Vorwort und Dank

Dieses Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Welt des Taurens zu einem Stillstand gekommen ist. Nach acht Jahren der Beschäftigung mit Musiker:innen auf Tour, ihrem mobilen Leben sowie den medialen Ausdrucksformen ihrer Mobilität, scheint dieser Alltag des Taurens im Jahr 2020 durch die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens nun plötzlich unwirklich fern. Ebenso wie die Vorstellungen einer hypermobilen Gesellschaft, erscheint das Touren nun höchstens nostalgisch und dabei kritischreflexiv betrachtet werden zu können- und niemandem ist klar, ob wir an einem Scheidepunkt zu einer "neuen Normalität" sind, oder ob die "alte Normalität" zurückkommen wird. Vielleicht sollten wir ganz und gar von der Dichotomie Normalität/Krise Abschied nehmen und uns vielmehr mit der Gegenwart und ihren möglichen Formen der Ausgestaltung auseinandersetzen. Für die Musikindustrie bedeutet dies bereits heute ein verstärktes Aufkommen digitaler Konzertformate und Livestreams, die in den letzten Jahren noch eher vergeblich bemüht worden waren. Ein deutscher Musiker hat kürzlich in einem Fernsehinterview gesagt: "Als Musiker bin ich das Schwimmen gewohnt", und spielt damit auf die ohnehin schwer erzielbare "Normalität" im Musikberuf an, die immer ein gewisses Maß an Flexibilität voraussetzt, wie diese Arbeit letztlich zeigt. Andererseits werden auf Social Media und auf Demonstrationen im Corona-Herbst 2020 Stimmen laut, die genau diese Einstellung als Verharmlosung kritisieren und auf die leise dahinsiechende Kulturbranche aufmerksam machen. Die zunehmende Gefahr einer weiteren Kommerzialisierung der Branche würde gerade kleineren, aufstrebenden Bands sowie der alternativen Szene den Boden unter den Füßen wegziehen. Mehr Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass die Resonanz, die beim Spielen eines Konzertes zwischen Musiker:innen und Zuhörer:innen entsteht, mit einer Kamera als Publikum, oder auch im eigenen Wohnzimmer, nicht verglichen werden kann - dies habe ich in diesem Buch zu einem Zeitpunkt beschrieben, als die Existenz solcher Erfahrungen nicht auf der Kippe stand, die

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I MIT BANDS AUF TOUR

jetzt fast anachronistisch anmuten. Überhaupt muss ich immer wieder den drohenden Schwindel zurückweisen, der mich vermuten lässt, dies könnte die letzte Möglichkeit gewesen sein, eine solche Szene überhaupt zu beschreiben. Was wird werden aus all den kleinen Clubs, die ohnehin nur mit Mühe überleben konnten? Was wird es für den Beruf Musik bedeuten, wenn die Bühnen weniger und die Spielorte kompetitiver werden? Ich fange mich oft auf mit der Gewissheit, dass es Musik immer geben wird, und damit auch immer Menschen, die Musik machen. Nicht zuletzt hat dieses Buch mit der Digitalisierung von Musik und den damit verbundenen Tourfrequenzen auch eine zunächst bedrohliche Entwicklung in der Musikbranche zum Ursprung. Und wie einer meiner Gesprächspartner beschrieb, kann das Touren ebenso wie das Verkaufen von Platten auch als eine Phase verstanden werden, die wieder durch eine neue Entwicklung abgelöst werden kann. Es steht außer Frage, dass die Musik einen Rhythmus wiederfinden wird - fraglich ist nur, um welchen Preis für die Beteiligten. Die Gewissheit darüber, dass zu jedem Zeitpunkt etliche Bands über den Globus verteilt unterwegs sind, Konzerte spielen, in muffigen Vans sitzen oder in Backstage-Räumen herumalbern, hat auch mich über Jahre in ein behagliches Gefühl versetzt, das ich abrufen konnte, auch wenn ich fern jeglicher Tour am Schreibtisch saß. Nun mitzuerleben, dass die Clubs leer, die Crews arbeitslos, die Musiker: innen zu Hause sind, versetzte mich zunächst in Alarmzustand, bis ich um ein weiteres Mal von meinem Feld überrascht wurde: Während viele Musiker:innen, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen habe, dieses ungewohnte Gefühl der Nostalgie zwar teilten, und auch von einer gewissen Zukunftsangst nicht frei waren, klang häufig jedoch auch Erleichterung darüber an, auf den Pausenknopf gedrückt zu haben: Was für eine Erholung! Endlich mal einen längeren Zeitraum an einem Ort zu verbringen, endlich mal einen Alltag zu haben, den das Umfeld teilt; endlich mal die Familie, die Liebsten ausgiebig sehen zu können und ihr Leben zu teilen - all das bringt natürlich auch eine Ruhe in den sonst so getakteten Alltag. Und diese Gespräche brachten schlagartig wieder die Neugier und Begeisterung zurück für diese sich ständig wandelnde Unabgeschlossenheit meines Feldes, die mich damals motiviert hatte, überhaupt mit der Forschung zu beginnen - und eine Forschungsperspektive einzunehmen, die sich dieser besonderen Sicht auf die Welt und auf die eigene Position darin widmet, die Musiker:innen zu eigen ist: eine Position, die sich den Rhythmen der Bewegungen verschrieben zu haben scheint.

VORWORT UND DANK

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I am forever grateful to the musicians and crews of the bands Broncho and Two Gallants for agreeing to a very tight and non-stop fieldwork schedule that enabled me to experience a stretch of their lives; to their tour managers for tolerating yet another person in the van and letting me in on the secrets of their jobs; and to their crews who always welcomed me with open arms (despite not getting to choose). Without agreeing to letting me step into their tour vans, welcoming me into their homes and sharing everyday life with all its beautiful, painful and unexpected moments, the research for this book would never have been possible. Thank you from my heart, my friends Penny Pitchlynn, Ryan Lindsey, Nathan Price, Ben King, Gavin Poole, Luke Moss, Dylan Mellgren, Tyson Vogel, Adam Stephens, Moses Mayo, Georg Geuder, Jon Garrett, Steve Kerwin and Al Rarnos for letting me share your stories. Thanks also to Queens of the Stone Age and their crew for showing me a scaled-up version of touring. A warm thank you to Tyson's parents Debbie and Lorin for sharing their home in San Francisco with me and spending wonderful breakfasts and walks together, and to Mrs. King for opening up about the perks of being the mother of a touring musician. To the sound engineers at Bottom of the Hj]J in San Francisco, Alex and Paul, for letting me gaze over their shoulder for a month, and a big thanks to Lynn for establishing the contact. To the bands Bully West, Reisender, The Grand Escape, Second Chair, Ape Machine and Watergate Sandais for letting me film and observe their performances at Bottom of the Hili, as well as Blondage for spending time at Molotow in Hamburg. To Mise En Scene for the time we spent on the EU tour together. To Freedom Fry, Here's To You, üving, Fews, RVRB, Madame Gandhi, Dreamchief, Amber Arcades, Ben Kilgore, Hugh Mclntyre and Desi&Cody for opening up to me in interviews and spending time at SXSW. To Beans on Toast, Yogurt Brain, Amusement Parks on Fire, Tonus, Laurent Pataillot, Fabrizio Dalbello and Tony Cambareri for letting me visit you at your venues, studios and shows and for sharing your insightful thoughts with me. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt Prof. Tristan Thielmann und Prof. Dorle Drackle für die Betreuung der Arbeit, die inhaltliche und emotionale Unterstützung und die langjährige Zusammenarbeit. Unsere zahlreichen Gespräche und Treffen haben mich immer wieder durch kritische Fragen und umsichtige Anregungen dazu motiviert, meinen Blick auf neue Sachverhalte zu richten, dieses Projekt durchführen zu können und letztlich in den Rahmen zu setzen, der hier vorliegt. Für ihr Vertrauen in meine Arbeit möchte ich besonders danken. Meine Dankbarkeit gilt außerdem den Mitgliedern der Prüfungskom-

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I MIT BANDS AUF TOUR

mission, Prof. Comelius Schubert für dezidierte Fragen und Unterstützung während meiner Zeit am Graduiertenkolleg "Locating Media", sowie Prof. Martin Zillinger für die zahlreichen guten Vorschläge, die Motivation, die Arbeit abzuschließen, und letztlich die Zeit, mich diesem Manuskript zu widmen. Für den beständigen Austausch über mein Projekt und insbesondere das Expose möchte ich mich sehr herzlich bei Prof. Michael Schönhuth bedanken. For his friendship, support and mentorship over the years, I wish to thank Prof. Paul Stoller, who warmly received me in his family home during tour for a long weekend of talking, recovering, and looking ahead. My work would have been impossible without the generosity of my friends to establish contacts. First to thank is my good friend Jennie Pro, who introduced me to Adam and Tyson, and without whom the idea for this project might not have materialized. I am deeply thankful to Larry White, to whom I was introduced by Nathan, for introducing me to Martin Atkins and Ted Cohen in Austin, and for affering me the chance to visit the Woody Gutbrie Center, where Kate Blalack helped me get engaged with Woody's writings and drawings. Der Prozess des Schreibens und Forschens hat durch zahlreiche Gespräche und Kolloquien am Graduiertenkolleg "Locating Media" immer wieder neue Impulse erhalten, wofür ich meinen Kolleg:innen, insbesondere Philipp Goll, Sirnon Hirsbrunner, Cindy Heine, Astrid Wiedmann, Sirnone Pfeifer, Andreas Wagenknecht, Max Kanderske, Hendrik Bender, Sam Hind, Christoph Borbach, Mark Dang-Anh, Joohon Chae, Johanna Meurer, Clemens Reisner und Lisa Villioth, sowie den Koordinator:innen, Dozent:innen und Professor:innen Pablo Abend, Sebastian Gießmann, Prof. Judith Ackermann, Cora Bender, Prof. Erhard Schüttpelz und Prof. Carolin Gerlitz herzlich danken möchte. Many thanks to Nick Seaver for sharing his knowledge with me during an interview via Skype. Mein besonders herzlicher Dank gilt meinen Kolleg:innen und Freund:innen, die mir bei der Überarbeitung des Manuskripts geholfen haben: Judith Willkomm, Franziska Bedarf, Asher Boersma und Tomas Criado, sowie meinen liebsten Freund:innen Challa Bust, Paula Trimbur, Friederike Steinbeck, Johanna Coenen und Marten Feddersen. Für die Arbeit an Korrektorat und Formatierung bedanke ich mich herzlich bei Fabian Lüke, und für die zusätzliche Hilfe bei Sirnon Holdermann. Lieben Dank an Benjamin Warkus für die Bearbeitung der Bilder. My heartfelt thanks to Roger Norum for accompanying this process in so many ways and for being a good friend.

VORWORT UND DANK

I 15

Für eure Freundschaft und die Gespräche danke ich außerdem Louisa Asendorf, Linda Kuhnert, Kassandra Block, Oliver Basch, Javier Barbero, Anne Kauharren, Irina Drabkina, Anne Rohrbach, Anna Diekmann, Nelly Pilz, Blake Kendall, Jens Koermer, Silvia Wojczewski, Fabiola Mancinelli, Jan Tropschug, Kim Köster, Niels Grugel, Jasmina Hahn, Margareta von Oswald, Laura Otto, Steffen Köhn, Andy Lawrence, Itsushi Kawase und all denjenigen, die mich durch ihr Interesse und ihre Anekdoten in dieser Arbeit immer wieder bestärkt haben. Die Zeit meiner Doktorarbeit durchgehend begleitet hat meine Familie - Franzi, Philip, Sophia, Mama und Papa: Ich danke euch von Herzen für die Unterstützung, die offenen Ohren und euer unerschütterliches Vertrauen in mich. Ohne eure Liebe wäre ich niemals so weit gekommen. Ben: Danke, dass Du für mich da bist und ich mich bei Dir erholen kann.

Geschdeben am 29.10.2020

1 Einleitung Medienethnographische Im/mobilisierungen

1.1 MOBILISIEREN/IMMOBILISIEREN Penny ist die Bassistin der Band Broncho, die ich über einen Zeitraum von vier Jahren auf verschiedenen Touren1 quer durch Europa für diese Arbeit begleitet habe. Einige Tage nach unserer gemeinsamen Tour im Herbst 2016 verabredeten wir uns zu einem FaceTime-Gespräch. Durch die Zeitverschiebung zwischen Oklahoma und Deutschland ist es bei ihr 23 Uhr, bei mir sechs Uhr morgens. Penny hatte seit einigen Monaten einen kleinen Bungalow gemietet, in dem sie sich seit ihrer Rückkehr verschanzt hat, um das von ihr selbst so betitelte PTSD ("post-tour sadness disorder")Z zu kurieren. Auf meine Frage, wie es ihr ginge, antwortete sie: Coming back here, it's always hard to make the transition. It's been two days of total hermit, mindless. But then I came out to the world like ,Ok, I'm in Norman now, what do I do here? How do I exist here?' But it's wild to Iook araund here, this is my own space, and there's stuff on every surface, but no one can tel! me that it bugs them. It's a nice freedom after living in a way where you're constantly in the way of someone. Now I'm only in my own way. And I lose my phone every five seconds in here, I just set it down on some counter, and then I'm running araund like ,Where is my phone?' When I'm on the road I know it's in my packet. It might be in a different one of six pockets, but it's in a packet.

1

Ich verwende im Deutschen die Formulierung ,auf Tour', angelehnt an das englische on tour. In bestimmten Fällen verwende ich zur Differenzierung außerdem den Begriff ,Musiktour'.

2

"PTSD" steht in der Psychologie eigentlich für post-traumatic stress disorder.

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I MIT BANDS AUF TOUR

Der Übergang, den sie beschreibt, um von der Tour nach Hause zu kommen, gibt einen Hinweis auf die soziale, räumliche und zeitliche Situation des AufTour-Seins, die mit dem plötzlichen An-einem-Ort-Sein einen Bruch erfährt. Wenn wir an Musiker:innen3 auf Tour denken, ständig unterwegs zwischen Hotelzimmer, Van und Spielart, so würden wir wahrscheinlich annehmen, dass es leichter ist, während der Tour das Smartphone zu verlieren als zu Hause. Pennys Geschichte zeigt jedoch, wie Musiker:innen als hochmobile Akteur:innen etablierte Verständnisse von Ort und Bewegung herausfordern: Ist sie unterwegs, ist sie in einer Struktur verortet, zu Hause hingegen geht diese Struktur verloren. Es ergibt sich ein Wechselspiel: Während sie zu Hause, an einem immobilen Ort, ihr Smartphone an verschiedenen Stellen ablegt, es also bewegt, trägt sie es auf Tour, einem mobilen Ort, stets bei sich: sie immobilisiert es, indem sie es parallel mit sich mobilisiert. Diese Immobilisierung lässt sich auf Tour an unterschiedlichen Stellen beobachten: am Körper, wo die wichtigsten Dinge in Jacken- und Hosentaschen ihren Platz finden, um sie nicht zu verlieren; im Van, wo Gepäckstücke und andere Gegenstände in einer bestimmten Ordnung platziert werden, um die Reise bequemer und den Platz nutzbar zu machen; auf der Bühne, wo Instrumente nach einem gewohnten Muster aufgebaut werden und einen bestimmten Klang bewirken; oder im Hotelzimmer, wo durch das Arrangieren von Gegenständen eine Wohnlichkeit hergestellt wird. Dinge werden mobilisiert und immobilisiert, um das Unterwegs-Sein zu verstetigen. Ebenso wichtig wie die Objekte ist dafür die soziale Konstellation: Soziale Kodizes und Rollen sowie gegenseitiger Respekt und Fürsorge tragen zur Zugehörigkeit in der Gruppe bei und stabilisieren die eigene Position. Zeitliche Strukturierungen, etwa durch den Tourplan und tägliche Abläufe, sowie Kartierungen von Strecke und Raum gestalten den Weg und machen ihn berechenbar. Eine Tour ist also keineswegs ein chaotisches Unterfangen, sondern ein hochstrukturiertes, rhythmisiertes System, das ein Steady Rollin ~ ermöglicht. Während Kategorien wie Ort und Bewegung einen Zusammenhang nahelegen,

3

Sofern nicht speziell von einer sich als weiblich oder männlich identifizierenden Person gesprochen wird, verwende ich in dieser Arbeit durchgehend den GenderDoppelpunkt mit weiblichem Artikel, um Barrierefreiheit in der Nutzung von Sprachprogrammen zu begünstigen, und denke dabei LGBTQIA + mit.

4

Dieser ursprüngliche Titel der diesem Buch zugrundeliegenden Dissertation ist einem Songtitel der Band Two Gallants entnommen, die ich im Rahmen dieser Forschung begleitet habe. Er soll in seiner doppelten Bedeutung einerseits die (be-)ständige Bewegung von tourenden Musiker:innen fassen, und andererseits auf die Methode des kontinuierlichen Filmens hinweisen, die ich während der gesamten Forschung angewandt habe.

1

EINLEITUNG: MEDIENETHNOGRAPHISCHE IM/MOBILISIERUNGEN

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der sie als Effekte voneinander versteht, möchte ich in dieser Arbeit anhand des Beispiels der Musiktour zeigen, dass es Phänomene gibt, die sich diesen Kategorisierllilgen widersetzen: Bewegung verknüpft nicht ausschließlich Orte, sondern bringt sie auch hervor. Wir bewegen uns nicht nur zwischen Orten, sondern auch an ihnen. Das Bereisen von verschiedenen Orten ist also nicht die Grundbedingung für eine Bewegung. Vielmehr bewegt sich eine Tour im Dazwischen von Stabilisierungen und Destabilisierungen, die den Weg erst gestalten und ,Orte' im Unterwegs-Sein selbst erschaffen - in Mobilität oder Immobilität. Die vorliegende Arbeit soll zeigen, wie Prozesse des Anordnens und Umordnens, des Aufbauens und Abbauens, des Ausstreckens Wld Einziehens, des Beschleunigens und Entschleunigens das Unterwegs-Sein gestalten und immobilisieren. 1.2 MUSIK, MOBILITÄT UND MEDIEN NEU BEFORSCHEN Auch wenn, wie H. Stith Bennett schreibt, "Musiker:innen immer schon Reisende, und Tourmusiker:innen schon immer auto-mobil waren" (1980: 71; Übers. A.R.), haben Forschungen über Musiker:innen sich bisher kaum mit ihrer Mobilität als solches beschäftigt, sondern sie vielmehr als Hintergrundfolie für die Beschäftigllilg mit anderen Aspekten genutzt; etwa im Kontext von Medien als Distributionsplattformen von Musik (Mjos 2012) oder als identitätsstiftende Instanz (Molitor/Pierobon 2014); bezüglich der Selbstzuschreibungen auf der Grundlage des Taurens (Ottosson 2009) oder der Zugehörigkeit zu Musikszenen (A. Bennett/ Peterson 2004). Bennetts Forschung über Musikproduktion (H. S. Bennett 1983) beschäftigt sich darüber hinaus mit den Bestrebungen, Musiker:in zu werden (ebd. 1980). Auch bestehende Arbeiten über das Touren fokussieren Aspekte der Identität (N6voa 2012), oder der Verbreitung von Musik und politischen Botschaften, sowie der Ökonomie von Musiktouren (Johansson/Bell 2014: 314), anstatt den Aspekt der Mobilität im Erleben der Musiker:innen in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei ist es auffällig, dass gerade in der Konzeption und Beschreibung routinisierter Praktiken in Bezug auf Mobilität und Bewegung häufig musikalische Begriffe eingesetzt werden. Dennoch werden Konzepte wie "rhythm" (Lefebvre 2004; Edensor 201 0), "beat" und "Orchestration" (Potts 2008), "flow" und "synchronization" (Edensor 2010), "choreography" (Cresswell 2006; Merriman 2011; Haldrup 2011) oder "place ballets" (Seamon 1980) selten auf die mobilen Praktiken von Musiker:innen und Performer:innen selbst angewandt, sondern beschreiben eher Bewegungsabläufe in Feldern wie Verkehr, Stadt, und Transport.

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I MIT BANDS AUF TOUR

Forschungen über Mobilität, auf der anderen Seite, haben sich vor allem Aspekten mobiler Arbeit gewidmet (Clifford 1997; Urry 2000, 2007; Sheller/Urry 2006; Elliott/Urry 2010; Kesselring 2014; Glick-Schiller/ Salazar 2013; Larsen et al. 2006), oder der Forschung in mobilen Kontexten (Pink 2008; Büscher/Urry 2009; Frello 2008), dem Zusammenhang von Ort und Bewegung (Appadurai 1995; Brerenholdt!Granäs 2016; Mazzullo/Ingold 2016; Ingold 2009, 2011a; Kirby 2009; Massey 2007; Cresswell 1993; Dalakoglou/ Harvey 2012), und von Raum, Ort und (mobilen) Medien (Cresswell 2004; Elliott/Urry 2010; Pink 2008; Moores 2012; Thrift 2006; Morley 2003, 2011; Larsen et al. 2006), ohne hierbei auch den Touralltag von Musiker:innen einzubeziehen. Der Zusammenhang von Medien und Mobilität wurde bereits in einer Reihe von Studien beleuchtet, jedoch wurde den Medien in früheren Forschungen häufig eine ortsvermittelnde Rolle zugesprochen: etwa dass sie einen Ort medial aufrecht erhalten, wie in James Cliffords Studie zu Hawaiianisehen FolkloreMusiker:innen (Clifford 1997), medial mitnehmen, wie in David Morleys Forschung zu Mobiltelefonen (Morley 2003), oder die mediale Reise zu ihm ermöglichen, wie etwa in John Urrys Studie zum Fernsehen (Urry 2002). Jüngere Forschungen zum Verhältnis von Medien und Ort stellen die ortsvermittelnde Eigenschaft von Medien mit ihrer Verortbarkeit selbst in Bezug, indem sie sie als "Geomedien" greifen (Thielmann 2007; 2010: 5). Ferner stellen sie die Frage, ob nicht mobile Medienpraktiken- also das, was wir mit Medien tun (vgl. Couldry 2010) -für das Erleben von Ort und Mobilität konstitutiv sind (Moores 2012; Thielmann 2014; Ramella et al. 2017). Mit dieser Arbeit soll eine Verbindung zwischen diesen verschiedenen Forschungsperspektiven geschaffen werden, indem sie tourende Musiker:innen im Schnittfeld von mobiler Arbeit, musikalischer Praxis und Medien positioniert. Mithilfe von medienethnographischen Methoden werden die tourenden Musiker:innen in Bezug auf ihre Bewegungs- und Stillstellungspraktiken, ihr Gestalten von Orten in der Bewegung und ihren Umgang mit mobilen Medien im Kontext der Tour in den Blick genommen. Ich gehe dabei der Frage nach, wie sich eine Tour aus Mobilisierungen und Immobilisierungen heraus gestaltet, und inwiefern diese Fixierungen und flexiblen Arrangements in einem besonderen Zusammenspiel (ent)stehen.

1.3 DIE TOUR ALS RHYTHMISCHES UNTERFANGEN Exzessives Touren ist für Musiker:innen zur Voraussetzung geworden, um als erfolgreich und wirtschaftlich nachhaltig zu gelten. Da heute der meiste Umsatz durch Liveauftritte erzielt wird, müssen Bands mehr denn je auf Tour ge-

1

EI NLEITUNG: MEDI ENETHNOG RAPHISCHE I M/MO BILISIERUNGEN

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hen, um von ihrer Musik leben zu können: Musiklabels sowie andere Akteur:innen der Musikindustrie sind an diesen Auftritten interessiert, um ein Einkommen zu erzielen. Während in der Musikindustrie die Digitalisierung von Musik häufig als Grund dafür genannt wird, dass Downloads und Streaming die goldene Zeit der Plattenverkäufe abgelöst haben, sind digitale soziale Medien während der Tour sowohl auf Seiten der Fans als auch auf Seiten der Musiker:innen ständig dabei. Im Sinne von Social-Media-Marketing und dem Versprechen vermeintlicher ,Authentizität' sind Musiker:innen heute zudem größtenteils selbst für die Marketingpraktiken verantwortlich. Somit bedeutet ,Musiker:in sein' heute auch, neue Techniken der Selbstvermarktung zu erlernen. Two Gallants, die erste Band, die ich auf Tour begleitet habe, waren zum Zeitpunkt der Feldforschung insgesamt etwa fünfzehn Jahre lang on and off tourund verbrachten die meisten Monate des Jahres unterwegs. Dies zeigt, wie eng eine Musikkarriere mit Mobilität verbunden ist und mit Kesselring als Job betrachtet werden kann, bei dem es nicht mehr darum geht, " [to be] allowed or able but rather of having to be mobile" (Kesselring 2014: 8; Hervorhebung A.R.). Die Lebenswelten von Musiker:innen können mit allen fünf "Mobilitäten" beschrieben werden, wie sie von Urry und Büseher identifiziert wurden ("travel of people", "movement of objects", "imaginative travel", "virtual travel", "communicative travel"; Büscher/Urry 2009: 101). Allerdings sind Musiker:innen weder immer auf Tour noch immer am selben Ort. Zudem kann ,touren' und ,an einem Ort sein' nicht mit ,Bewegung' und ,Stillstellung' gleichgesetzt werden; vielmehr hängt das Erleben von Bewegung und Stillstand von den Praktiken ab, mithilfe derer mobilisiert und immobilisiert wird: Während auf Tour durch die vertraute Gestaltung von Orten vorübergehende Fixpunkte - also eine Immobilisierung geschaffen wird, mag das zum Stillstand kommen an einem Ort eine unvertraute Strukturlosigkeit mit sich bringen, die wiederum eine Mobilisierung verlangt. Ein Verständnis von Mobilität, das "migration and stasis" als miteinander verzahnte Aspekte der Condition Humaine begreift, kann Anreiz geben, über diese Kategorien hinaus zu denken (Glick-Schiller/ Salazar 2013: 187). Vor diesem Hintergrund ist eine Tour eher als rhythmisches Unterfangen zu begreifen, das sowohl Bewegung als auch Stillstellung immer wieder neu arrangiert. Diese Praktiken beinhalten in ihrer kontinuierlichen Anpassung immer auch ein experimentelles Element. Doch wie wird dieser vermeintlich "anarchische" Rock'n'Roll (wie Ben, Gitarrist von Broncho, ihn nannte)- wortwörtlich das Musizieren und Weiterziehen - organisiert? Welche zeitlichen, sozialen und räumlichen Strukturierungen werden benötigt, um das vermeintlich ,Unstete' des Unterwegs-Seins zu

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fixieren? In welchem Verhältnis steht das Erleben des Reisens mit dem Spielen von Musik? Welche Rolle spielen die neuen Medien auf einer solchen Reise und wie stehen sie im Zusammenhang mit der Verzahnung von Mobilität und Immobilität? Und schließlich: Wie kann über eine solche Mobilität geforscht und an ihrem Rhythmus teilgenommen werden?

1.4 TOURRHYTHMEN MEDIENETHNOGRAPHISCH BEFORSCHEN Durch die Teilnahme an einer so intensiven Form des gemeinsamen Reisens während meiner Feldforschung konnte ich erleben, wie notwendig es für die ethnographische Erfassung von Mobilität ist, sich mit fortzubewegen und diese spezifische Form des Reisens zu erlernen. Mit anderen Worten: "To capture mobility, one has to move" (N6voa 2012: 351). Hierfür war nicht zuletzt eine ständige Aushandlung meiner eigenen Rolle als Ethnologin auf Tour notwendig. Ein paar Monate nach meiner ersten Feldforschung auf Tour mit der Band Two Gallants im Sommer 2013 sprach ich mit deren Tontechniker, Moses, per Skype. "You kind of bad a difficult role," sagte er mir. "You somehow bad a role, but somehow you didn't. For us, you didn't. I mean, you weren't part of the crew or the band, nor were you one of our girlfriends." Ich war dem gleichen Tempo und den gleichen Bedingungen unterworfen wie die Musiker:innen, aber im Unterschied zu ihnen diente meine Anwesenheit keiner klaren Funktion innerhalb der gesamten Tour. Erst durch das Touren selbst wurde mir bewusst, mitunter in ermüdenden Intervallen von "trial-and-error" (Powdermaker 1968; zitiert nach Bender/ Zillinger 2015: XV), wie klar alle anderen Rollen in diesem System verteilt waren. Für diesen Verständnisprozess war zum Teil das Erleben von Brüchen und Unterbrechungen notwendig, die als arhythmische Elemente eines kollektiven Rhythmus verstanden werden (Edensor 2011 : 191) und dessen Dominanz verdeutlichen können. Eng hiermit verbunden ist der Einsatz mobiler Technologien und Medien: Gruppenchats etwa oder das Teilen des Standortes werden dazu genutzt, die Tourenden zu koordinieren, und ein digitaler Kalender sorgt dafür, dass alle den gleichen Zugang zu Informationen zum Ablauf haben. Nicht zuletzt die Interaktionen mit "spatial absentees" (Kesselring 2014: 9) durch mobile Endgeräte als "miniaturized mobilities" (Elliott/Urry 2010: 27), aber auch die Produktion und Performance von Musik selbst, sowie die Auswahl der Unterhaltungsmedien im Van tragen dazu bei, die Situation zu fixieren. Jedoch stellt nicht nur die Mobilität, sondern vor allem die Diskontinuität von Musiktouren eine Herausforderung für die Eingrenzung des ethnographi-

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sehen ,Feldes' dar (vgl. Amit 2000). Zudem ist das Forschen auf Social Media und mithilfe von Kommunikationsmedien ein über das ,Feld' hinausgehendes Unternehmen, das die Teilnahme entlang zeitlicher und räumlicher Aspekte verschiebt. Meine Feldforschung erstreckte sich zwar insgesamt über fünf Jahre, ist aber als fragmentarisch zu verstehen, da sie aus einzelnen, zeit-räumlich intensiven Tourperioden und der kontinuierlichen Feldforschung auf Social Media bestand. "Mobile ethnography draws researchers into a multitude of mobile, material, embodied practices of making distinctions, relations and places" (Büscher/ Urry 2009: 105), schreiben Büseher und Urry in ihrem Artikel zu mobilen Forschungsmethoden. Für den Forschungsprozess auf einer Musiktour bedeutet dies, zunächst Teil des Tourrhythmus zu werden. Ein gerraues Betrachten meiner eigenen Praktiken wird somit zur Grundlage des Verständnisses dessen, was eine Tour ausmacht und wie sich ein Miteinander auf Tour gestaltet; daher konnten auch meine Methoden erst im Feld entstehen und sind immanent damit verbunden. Während Methodendiskussion und -reflexion in der Ethnologie schon lange Thema sind (Borneman/Hammoudi 2009: 3), plädiere ich hier für eine (medien-)ethnographische Praxis, in der Methode, Feldsituation und Forschungspraktiken miteinander verwoben sind (vgl. Bender/Zillinger 2015: XI) und nicht getrennt voneinander erfasst, entwickelt oder betrachtet werden können. Das Reflektieren der eigenen Position (vgl. ebd.: XIII) wird als Schlüssel des Verständnisses in den Vordergrund gerückt, anstatt eine zusätzliche Ebene zu verkörpern. Rivoal und Salazar (2013) nennen neben der Reflexion und Offenheit "serendipity" als kennzeichnendes Merkmal ethnographischer Forschung. Die Feldforschung wird also vom Feld selbst hervorgebracht und hängt von ihren Bedingungen, Möglichkeiten sowie Zufällen ab. Als "sojourner of the ,between"' 5 (Stoller 2009: 4) stelle ich mit dieser Arbeit heraus, dass die Besonderheiten dieses ,Feldes' immer im Dialog mit den eigenen Methoden zu betrachten sind. In meinem Fall werde ich diese Besonderheiten durch die Beschreibung des Zusammenspiels von Bewegung und Stillstellung, Tour und Forschung, sowie Rhythmus und Praktik verdeutlichen.

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Stoller beschreibt hiermit den Zwischenzustand, in dem sich eine Ethnolog:in befindet: Im ,Feld' kann der Herkunftskontext nicht ganz abgelegt werden, und sobald man ,zurück' ist, wird ein Teil des ,Feldes' immer dabei sein.

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1. 5 ÜBER DIE EINZELNEN KAPITEL Diese Arbeit gliedert sich entlang einer prismatischen Form: Die großen Kapitel bündeln Themenkomplexe entlang der Koordinaten der für diese Arbeit relevanten Felder, während in den Unterkapiteln verschiedene Nuancen aufgegriffen und beleuchtet werden. Durchgehendes Motiv der Betrachtungen sind hier stets Wege und Bewegungen sowie die unterschiedlichen Dinge, die in Bezug dazu verrichtet werden: Konzeptualisierungen, Praktiken, Emotionen und Aushandlungen von Sozialität, die jeweils ihrerseits mobilisieren und immobilisieren. Innerhalb der Oberkapitel nehme ich einzelne Beobachtungen und Besonderheiten durch die Linse der Bewegung und ihre Positionierung dazu in den Blick. Die Verzahnung meiner Forschungsmethoden mit den Umständen einer Musiktour zeigt sich darin, dass es kein gesondert ausgewiesenes Methodenkapitel gibt. Stattdessen wird die Methodik in den einzelnen Kapiteln besprochen und gezielt gezeigt, wo sie entwickelt und angewendet wurde, und welches Thema sie dort entschlüsselt hat. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer Vignette, die den jeweiligen Aspekt, der verhandelt wird, ethnographisch darstellt. Darauffolgend werden das ethnographische Material, methodische Überlegungen sowie thematisch relevante Literatur miteinander in Dialog gesetzt. Methode und Theorie sollen nicht begrenzen, sondern als "Wege und Hilfsmittel wissenschaftlicher Erkenntnis" dienen (Drackle 2015: 393). Im Vordergrund der Arbeit steht das Ziel, die im Feld angetroffenen Themen in ihrer Tiefe zu beschreiben, und gleichzeitig ihre Ambivalenzen zuzulassen. Dabei werden Theoretisierungen zu Rate gezogen, um den Gegenstand verständlicher zu machen, nicht jedoch, um ihn auf eine abstrakte Ebene zu heben. Während im ersten thematischen Kapitel (2) die Felder des Prismas aufgefächert werden - also sowohl der Blick auf das Feld als auch der Weg jn das Feld anband exemplarischer Beispiele aufgezeigt werden - verhandeln die darauffolgenden Kapitel (3-7) je einen Aspekt von Mobilisierungen und Immobilisierungen, die auf einer Musiktour relevant sind. In den einzelnen Kapiteln werde ich immer wieder auf diese Prozesse zurückkommen, um mit ihnen unterschiedliche Perspektivierungen aufzuzeigen. Im folgenden Kapitel (2) Wege ebnen: Ethnologjsche Feldforschung auf Tour geht es also zunächst um meine Forschungspraxis: Die Wege dieser Feldforschung zu ebnen, verlangte von mir, mich selbst zu mobilisieren, während ich immer wieder Begegnungsorte schaffen musste, an denen ich lernen, verstehen und aufzeichnen konnte. Im Hinblick auf die Odyssee einer mobilen Ethnographie, deren MuJtj-sdedness (Marcus 1995) nicht nur auf physischer

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Ebene durch extreme Mobilität geprägt ist, sondern auch "mediale Räume" 6 (Zillinger 2015: 181) umfasst, lotet dieses Kapitel aus, wo das Feld beginnt und wo es aufhört. Diese Überlegungen beziehen sich insbesondere darauf, dass ein sonst im Feld selbst erarbeitetes Vertrauensverhältnis im Falle von ,hypermobiler' Ethnographie, in der es kein lokalisierbares, zu bereisendes ,Feld' gibt, schon im Voraus, also vor der Feldforschung erarbeitet werden muss. Die Frage stellt sich also, ob nicht das Feld schon viel früher beginnt, nämlich mit der ersten Kontaktaufnahme. Das Kapitel (3) Unterwegs sein: Orte und Verbindungen einer Musiktour sammelt die Wege und Orte eines Alltags auf Tour. Immer aus Bewegungsumständen heraus gedacht, vereint dieses Kapitel die Wegstrecken einer Tour, welche sowohl die Wege zwischen den Orten und die Fortbewegungsmittel, als auch die Orte selbst als Teil einer Route oder Strecke begreifen. Ebenso wie die Mobilität von Immobilität, also Bewegung von Unbeweglichkeit geprägt ist, beinhaltet der Weg auch immer Umwege und Unwägbarkeiten, die ihn unterbrechen. Im Zusammenhang mit den Beweggründen von Musiker:innen, sich auf Tour zu begeben, sollen hier auch die Voraussetzungen einer Tour auf emotionaler, wirtschaftlicher und körperlicher Ebene beleuchtet werden. Diese Beweggründe und Vorstellungen sind nicht zuletzt in den Medienpraktiken von Musiker:innen zu finden, die ich in Kapitel (4) Datenbewegungen: Musik und Medien auf Tour untersuche. Auf der Grundlage von Datenbewegungen und deren Konsequenzen für die Mobilität der Musiker:innen, verknüpft dieses Kapitel die Online- und Offlinebestandteile dieser Arbeit. Es setzt einen Rahmen, der über die ethnographischen Ergebnisse hinaus die Arbeit in einen größeren Kontext globaler Entwicklungen einordnet. So stehen hier die Medienpraktiken der Musiker:innen im Zusammenhang mit Marketingbestrebungen ihrer Managements, die mithilfe übergeordneter Strategien versuchen, bestimmte Praktiken zu fixieren. Gerade auf Soda/ Media stellen diese Bestrebungen Herausforderungen für das Vermitteln von Nähe und Distanz und das Aushandeln von privaten und öffentlichen Räumen dar. Auf Tour schaffen bestimmte Vorarrangements, etwa durch das Senden von Ridern/ die die Spielorte entsprechend vorbereiten, eine positiv konnotierte Immobilisierung der als flüchtig erlebten Orte; auf der anderen Seite wird die

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Zillinger beschreibt mediale Rätune als "in der Übersetzung und Verknüpfung von Personen, Zeichen und Dingen" entstehend (2015: 184). Ich knüpfe hieran an und zähle sowohl die medialisierten Interaktionen als auch die Medienarchive meiner Forschungspartner:innen zu medialen Räumen.

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Hospitality Riderund Technical Ridersind an den Spielort im Voraus gesendete Vorbereitungslisteil und ·plärre, vgl. Kapitel 5.

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Mobilität durch Geschehnisse wie Pannen, Konflikte oder wirtschaftliche Engpässe gehemmt. Eine Rhythmisierung des Reisens etwa durch Tourpläne und Tagesabläufe an den Spielarten, sowie das Rollensystem der touring party- der ,Reisegruppe' - verhilft zu einer Taktung, also einer Sortierung und bisweilen Stillstellung des Reiseablaufs. Im Kapitel (5) Bewegungstaktung: Rhythmisierungen von Zeit und Aufgaben werden die in den vorigen Kapiteln erarbeiteten Fixpunkte einer Tour in diesen zeitlichen Rahmen eingebettet. Um die Funktion und Bedeutung der einzelnen Momente einer Tour zu veranschaulichen, wird zunächst das System einzelner Aufgabenbereiche und der dazugehörigen Tätigkeiten von Personen auf Tour beschrieben. Aus dem Zusammenspiel dieser Praktiken erschließt sich dann eine Beschreibung der Rhythmen auf und außerhalb einer Tour, die sich in unterschiedliche Skalen auffächern (der Rhythmus eines Tages, einer Tour oder zwischen Touren). In diesem Kapitel wird zudem die Forschungsmethode des Filmens in den Blick genommen und betrachtet, wie Film als Methode die Rhythmisierungen offenlegt. Aus diesen Konzeptualisierungen des Unterwegs-Seins heraus werden im folgenden Kapitel (6) Einrichten in der Bewegung: Zuhause als Praktik und Vorstellung Momente der Stillstellung mikroskopisch beleuchtet und zunächst unter dem Aspekt der an ihnen verübten Praktiken angeschaut. Dies geschieht unter Bezugnahme auf die Beweglichkeiten wie Gepäck und Equipment, die zum Arrangement der Wege und Orte beitragen. Ferner geht es hier um die Rahmurrgen von (Im-)Mobilität der Musiker:innen selbst, mit denen sie Bewegung und Stillstellung in Bezug setzen. Das Kapitel (7) Un/bewegt sein: Verortung durch Musik und Klang schließlich nimmt sich dem Feld der Musik und ihrer Rolle innerhalb vorher beschriebener Rhythmen, Rahmurrgen und Bedeutungszusammenhänge an. Um das besondere Zusammenspiel zwischen den Musiker:innen und das Phänomen des ,Im-Rhythmus-Seins' zu analysieren, verfolgt dieses Kapitel die Perspektive der Musiker:innen, deren Beschreibungen zufolge die Rhythmisierung der Reise/Mobilitätspraktiken durch die Rhythmisierung in der Erfahrung des MusikspieJens sowie der sozialen Situation des Probens erlernt wird. Schließlich setzt die Einrichtung des Klangs auf der Bühne einen Rahmen, in dem die Musiker:innen sich verortet fühlen und eine sorgenfreie Immobilisierung erfahren. Das abschließende Kapitel (8) Bewegungsrichtungen schließt an die methodischen Zugriffe der Arbeit an und bildet im Dialog mit dem einleitenden Kapitel eine Klammer, die sich mit der Möglichkeit ethnographischen Arbeitens in einem von sich schnell wandelnden Praktiken gekennzeichneten Kontext auseinandersetzt. Das Kapitel denkt damit Richtungen an, die sowohl methodisch als auch inhaltlich über diese Arbeit hinausweisen. Es kann als evalu-

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ierende und zukunftsgerichtete Reflexion gelesen werden, um das Verhältnis von Feld und Forschung, Mobilisieren und Immobilisieren, Medienpraktiken und Ethnographie neu zu beleuchten.

2 Wege ebnen Ethnologische Feldforschung auf Tour

2.1 EBENEN FRAGMENTARISCHER FORSCHUNG Auf meinem Computer gibt es einen Ordner mit dem Namen "Schrieb". Ich legte ihn relativ früh in meiner Forschung an, in der Hoffnung, er würde mich dazu motivieren, schon bald Texte für meine Dissertation zu produzieren. Lange blieb der Ordner leer, stattdessen füllten sich neben ihm Ordner mit den Namen "Feldtagebuch", "Work in Progress", "Fotos", "Film" und "Social Media", in dem sich vor allem Screenshots der Postsund Profile von Musiker:innen befinden. Im Februar 2014, auf einem Rückflug von Madrid nach Bremen, beschloss ich, dem Ordner seinen ersten Text zu geben. Damals sollte mir dieser Text helfen, ins Schreiben zu kommen und für meine Dissertation einen Anfang zu setzen. Heute werte ich den Text eher als Feldtagebucheintrag, ein Rekapitulieren im Dazwischen, oder auch einfach eine Schreibübung mit dem Ziel, mir die Forschung im Geiste zu behalten, während ich zwischen Nebenjobs hin- und hereilte. Die Datei trägt den Namen "Erste", und ich drucke den Anfang des Textes zähneknirschend hier ab, um zu verdeutlichen, wie meine Dissertation sich aus Texten und Materialien verschiedenen Ursprungs zusammensetzt: It is on an airplane where I write these first words of my PhD thesis. Having stared anxiously at the seatbelt sign, waiting for it to turn off, I now finally am allowed to turn on my computer and jot down the words that have been burning on my tongue. Flying over the sierra of Madrid, I think of a quote of Elton John I once heard in which he said 'When I fly over the snow-covered Alps, all I think about is the snowthat I once took.' As an internationally known musician, flying and moving araund in the world is a common, I would even say daily issue (as cocairre might be, as weil). I now more than ever think

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about the people who constantly move around whenever I take an airplane or a train. The infrastructures that circle the globe in the air and on the ground. When I Iisten to music, even to songs that I have known for a lang time, I now reconsider their meaning in terms of travel and transitoriness [ ... ]

Das erneute Betrachten solch früher Texte hilft mir heute zu rekapitulieren, wie sich meine Forschung und letztlich damit die Dissertation entwickelte. Die Materialien, mit denen eine Forschung operiert, in ihrer Situiertheit zu betrachten und als solche aufzugreifen, kann ihren Entstehungsprozess offenlegen: sie werden erst dadurch zu einer Methode, einem "Nachgehen", wie es Heike Behrend mit Blick auf den griechischen Ursprung des Wortes beschreibt (Behrend 2015: 2). Zum Beispiel ist dieser Text auf Englisch geschrieben, und scheint deswegen fehl am Platz in dieser auf Deutsch verfassten Dissertation. Andererseits kann dies aber darauf hinweisen, welche Rolle die Sprache für meine Forschung spielt: Meine Feldforschungen inklusive aller Interviews fanden auf Englisch statt. Die wichtigen Gespräche mit Musiker:innen, in denen die Wortfindung eine besondere Rolle fand, fanden ebenfalls auf Englisch statt, was zur Folge hatte, dass ich Feldnotizen sowie Gesprächsprotokolle aus dem Feld größtenteils auf Englisch verfasst habe, während meine Reflexionen und Tagebucheirrträge stets auf Deutsch geschrieben sind. Diesen Text hier an den Anfang zu stellen hat also auch die Aufgabe, auf das weitere Vorgehen in dieser Arbeit hinzuweisen: So wird dies eine auf Deutsch verfasste Dissertation sein, mit der ich versuche, in meiner Muttersprache die Nuancen und Differenzierungen, die mir im Feld begegnet sind, zu versprachlichen. Dies dient in meiner Betrachtung einer weiteren Differenzierung: So stellt mein englisches Textmaterial die Konzeptualisierungen dar, die im Feld, während der Feldforschung oder gemeinsam mit den Teilnehmer:innen meiner Forschung vollzogen wurden. Sie grenzen sich sprachlich von den deutschen Texten ab, die eine nachträgliche, und vor allem nur von mir ausgehende Reflexion und Verschriftlichung und Versprachlichung darstellen. Diese Abgrenzung verdeutlicht den Versuch, die gezielte konzeptuelle Arbeit am Schreibtisch vom Feld abzugrenzen, eben gerade weil dies eigentlich nicht möglich ist. Die Sprache selbst wird zum Vermittler von Nähe und Distanz. So weist dieser Versuch oder dieses Experiment über sich hinaus auf den Umstand, dass eine Feldforschung in einem schwer abgrenzbaren Feld unmöglich abzugrenzen ist, aber dennoch Abstand dazu notwendig ist, um einige Reflexionen zu positionieren. Diese blurred boundaries zeigen sich auch in einem weiteren Umstand, der zunächst formal scheint, aber weit darüber hinausweist.

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Zweitens dachte ich zum Zeitpunkt des Verfassens des Textes, wie der Dateiname verrät, ich schriebe gerade die ersten Zeilen meiner Dissertation. Heute bin ich mir nicht sicher, ob es sich hierbei um Feldnotizen, eine Protokollierung eines nachträglichen Gedankengangs oder tatsächlich einen ersten Entwurf einer frühen Version einer Einleitung handelt. Vielleicht ist es an dieser Stelle zuträglich, sich einmal den Zeitpunkt und die Umstände des verfassten Textes anzuschauen: Im Februar 2014 hatte ich schon eine Feldforschung hinter mir. Diese fand im Mai/Juni 2013 statt, als ich die Band Two Gallants auf ihrer Tour durch Europa und die USA begleitete. Die mangelnde Finanzierung meines Dissertationsprojektes zu diesem Zeitpunkt bedeutete, dass ich nach der Feldforschung mehreren Nebenjobs gleichzeitig nachging. Im Rahmen eines dieser Jobs war ich in Madrid auf einer Messe, und fing nun auf dem Rückflug an zu schreiben. In dieser Zeit hatte ich vermehrt das Gefühl, mich daran erinnern zu müssen, was ich dgentlich tat (Egger 20148 ). Das Schreiben im Flugzeug hatte somit auch ein kathartisches Ziel, nämlich zu Hause anzukommen und mich vor der Lähmung zu schützen, in die ich normalerweise nach diesen langen dissertationsfernen Arbeitsstrecken verfiel. Es stand eine zweimonatige Jobpause bevor, in der ich endlich Zeit fürs Schreiben haben würde, also wollte ich diese direkt auf der Rückreise schon einleiten. Hätte ich damals schon tiefer mit Musiker:innen über ihre Erfahrungen gesprochen, so wäre mir die Parallele sicherlich bewusst geworden: So wie sie zwischen einem "headspace of touring" und einem "headspace of home" unterschieden, 9 verhielt es sich auch für mich: Ich wollte mich in das headspace des Schreibens bringen, und meine Methode war das Schreiben selbst. Ich erwähne diese Umstände, um zu zeigen, dass und wie meine Forschung sich maßgeblich entlang ihrer Möglichkeiten entfaltet hat und verweise damit auf die fragmentarische Natur des Feldes selbst. Ich versuche in dieser Einstimmung, die Fragmente als Ebenen darzustellen, die sich durch meine Arbeit ziehen: Materialebene (Diversität von Feldforschungsmaterialien), Zeitebene (Intervalle von Tour und Feldforschung), räumliche Ebene (räumliche Distanz und Nähe, Kommunikationsräume), Kontextebene (Social-Media-Forschung, Tourerfahrung, Zugang, Rollenzuschreibungen). Diese Ebenen sind auf verschiedene Weisen miteinander verwoben und werden dadurch untrennbar. Die Materialebene meiner Forschung ist maßgeblich durch ihren Kontext bestimmt: In der mobilen ethnographischen Praxis bin ich auch immer davon

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Sirnone Egger (2014) beschreibt kulturanalytische Forschung als "mobilen Aufent· haltsmodus" anstelle von An-einen-Ort-Gehen (vgl. Massmünster 201 7: 44).

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Vgl. Kapitel 6.4.

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betroffen, wie sich die Bewegung auf die Möglichkeiten auswirkt, Forschung zu betreiben (vgl. Kapitel 3). So wurde in meiner Feldforschung deutlich, dass das Forschen und seine Methoden entlang eines statischen oder zumindest temporär sesshaften Imperativs konzipiert sind: Das Aufnehmen von etwa Gesprächen erfordert einen ruhigen Ort, an dem man sein Aufnahmegerät aufstellen kann. Das Aufschreiben von Feldtagebucheinträgen und Protokollen erfordert nicht nur die räumliche Möglichkeit, sich zum Schreiben hinzusetzen, sondern benötigt auch die Zeit und den Raum, aus der Feldsituation herauszutreten und sich mit dem am Tag Erlebten zu beschäftigen. Auf Tour werden Gespräche unter Umständen im Gehen geführt, was die Aufzeichnung schriftlicher sowie Audiodaten erschwert. An vielen Orten herrscht eine hohe Lautstärke, was wiederum das Gespräch, vor allem aber die Aufzeichnung dessen erschwert. Zudem ist der Wechsel von Orten oft dafür verantwortlich, dass die Form der Notizen sich nach den Möglichkeiten richtet, die zur Hand sind. Durch die permanente Feldsituation auf einer Musiktour 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche - kann jeder Moment potentiell relevant sein, und auch ein Gespräch in einer Bar nach einem Konzert kann Inhalt hervorbringen, den es sich anzuschauen lohnt. "Dichte Beschreibungen", wie Clifford Geertz sie uns lehrt (Geertz 1973), sind so kaum möglich zu erstellen. Dennoch dient mir die Diversität meiner Feldforschungsmaterialien als "mnemonic artifacts" (Clifford 1990: 53), Situationen zu rekonstruieren, sie mit meinen "headnotes" interagieren zu lassen (Sanjek 1990: 92), und somit nicht zuletzt über ihre materielle Diversität das Feld zu begreifen. So sind meine Notizen über verschiedene Medien und Materialien verteilt und haben sich stets nach der Situation gerichtet: Der Stage Manager Toni etwa, den ich um ein Interview bat, bot mir einen Termin um 22 Uhr in seiner Lieblingskneipe an. Aufgenommen werden wollte er im Gespräch nicht, sodass ich mehrmals ins WC ging, um ein Gesprächsprotokoll in die Sprachmemofunktion meines Smartphones zu sprechen. Auf einem Konzert während des Festivals SXSW, das ich im Rahmen meiner Feldforschung besuchte, sprach mich ein Versicherungsvertreter an, der für Bands das Tourequipment versichert. Sein Branchenwissen kritzelte ich in der Menge eingequetscht zunächst auf seine Visitenkarte und einen Bierdeckel, bevor ich mein Notizbuch aus der Tasche zerrte. Da ich für meine Feldforschung filmte, nutzte ich die Kamera zudem häufig als Aufnahmeinstrument für Gespräche, aber auch für meine eigenen Reflexionen, die ich mit den Musiker:innen teilte und so etwas wie ein dialogisches Tagebuch entstand (zur Rolle der Kamera auf Tour und den Kamerapraktiken vgl. Kap. 5.3).

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WEGE EBNEN: ETHNOLOGISCHE FELDFORSCHU NG AUF T OUR

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Abbildung 1: Liste der WLAN-Netze in den Netzwerkeinstellungen der Eilmologin ~ WLAN

Bevorzugte Netzwerke: Netzwerkname

Srcherheit

GLEIS22 Trix Artists Crew thesunflowerlounge EuroBeamz ST Enoch A2 BrixBricks

Persönlicher WPA2 Persönlicher WPA2 Persönlicher WPAIWPA2 Persönlicher WPAIWPA2 Persönlicher WPAIWPA2 Persönlicher WPA2

+ -

Bewegen Sie die Netzwerke in Ihre bevorzugte Reihenfolge

II Alle Netzwerke merken, mit denen dieser Computer verbunden war Administratorautorisierung erforderlich für: Anlegen von "Computer-zu-Computer"-Netzwerken Netzwerkwechsel WLAN-Aktivierung oder -Deaktivierung WLAN-Adresse:

?

Abbrechen

OK

Jedoch nicht nur von mir selbst Dokumentiertes soll dieser Forschung als Material dienen: Überall finde ich Spuren meiner Bewegung, in Form von unzähligen Backstage-Armbändchen aus verschiedenen Städten, oder der Liste der verschiedenen WLAN-Netzwerke der Backstage-Bereiche der Spielorte in meinem Computer (vgl. Abb. 1). Wenn Feldnotizen "traces left from field research encounters" (Jackson 2016: 51) sind, stellt sich hier zunächst die Frage, was eigentlich als Feldforschungsmaterial begriffen wird, und wie sich Feldnotiz überhaupt definiert. Mein Materialkomplex erstreckt sich über verschiedene Medien: Auf meinem Computer befinden sich Feldtagebucheinträge der ersten Tour 2013 mit Two Gallants, jeweils pro Tag in einer einzelnen Datei. Hierzu ist wichtig zu verstehen, dass ich auf dieser Tour neben meiner Rolle als Ethnologin keine weitere Funktion innehatte, sodass ich neben dem Filmen meist etwas Zeit hatte, mich zwischendurch mit meinem Laptop hinzusetzen und zu schreiben. Dieses Schreiben fand an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Ton-, Licht- und Bewegungsverhältnissen statt: etwa im leeren BackstageRaum, wenn das Konzert lief, oder im vollen Backstage-Raum, wenn alle anwe-

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send waren. Im Van, während alle schliefen, Musik lief, es heiß war oder kalt, wir auf der Autobahn oder in der Stadt fuhren. Im Hotel, wenn wir nachts nach Hause kamen, oder ich früher dort war, weil der Spielort fußläufig zu erreichen war, oder morgens, wenn die anderen noch schliefen, oder wenn sie wach waren und Aufbruchstimmung herrschte. Diese unterschiedlichen Momente führten dazu, dass die Notizen mehr oder weniger konzentriert, mehr oder weniger ausführlich geschrieben wurden. Zudem beeinflusste mein eigener Erschöpfungszustand ihren Inhalt und die Form. Während der zweiten Feldforschung auf Tour mit Broncho im Herbst 2016 hingegen hielt ich, auch in Konsequenz der Erfahrung der ersten Tour, eine Funktion innerhalb der Crew inne und auch meine Filmarbeit rückte in Kollaboration mit der Band mehr in den Vordergrund. Ich war für die Verkäufe der Merchandjse-Artikel (T-Shirts, LPs, CDs) zuständig und assistierte dem Tourmanager Gavin. Einige jener Zeitpunkte, an denen ich auf der vorherigen Tour Feldnotizen geschrieben hatte, fielen nun den Aufbauarbeiten des Merch- Tisches und der Kamera zum Opfer und ich konnte selten im Spielort am Laptop arbeiten, da ich dort immer beschäftigt war. Also hatte ich ein kleines Notizbuch in meinem Merch-Koffer, sodass ich zwischendurch handschriftlich Notizen machen konnte. Die Band und ich bezeichneten mich scherzhaft als "Merch-Anthropologist".

Abbj]dung 2: "Merch -Anthropologjst'~ Merch -Koffer und Feldnoäzbuch (oben mkäg)

Meine erste Erfahrung auf Tour, im Sommer 2013 mit der Band Two Gallants, war methodisch geprägt durch die schnelle Taktung der Tour selbst. Indem ich meine Videokamera in die Routinen des Auf- und Abbaus einbezog (vgl. Kap.

2 WEGE

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5.3), konnte ich an den Rhythmen der Tourpraktiken teilhaben. Jedoch musste ich auch meine eigene Rolle als Parseherin finden und meinen Forschungspraktiken wie Notizen Schreiben, Beobachten und Filmen nachgehen, während ich gleichzeitig half, die Bühne aufzubauen, den Van zu fahren, und darauf achtete, nicht im Weg zu stehen. An den Spielorten gab es wenig Zeit für Gespräche oder Interviews, und die ruhigeren Momente im Van gestalteten sich als Ruhepausen, in denen es unpassend war, Fragen zu stellen oder Aufnahmegeräte jeglicher Art zu bemühen. Also plante ich Besuche in den Tourpausen der Musiker:innen und hoffte, dann einen Weg zu finden, meine Beobachtungen gemeinsam zu reflektieren und zu besprechen. Die zwischen den ersten beiden Touren liegende Feldforschung, auf der ich einerseits die Bandmitglieder an ihren Wohnorten und andererseits das SXSWFestival in Austin, Texas, sowie das Archiv des Folksängers Woody Gutbrie in Tulsa, Oklahoma, besuchte, war von einem gänzlich anderen Rhythmus bestimmt. Ich reiste allein, besuchte auf dem SXSW-Festival täglich ab morgens die Musikkonferenz, verbrachte meine Mittage allein, bei einem Sandwich Notizen schreibend, filmte und interviewte Bands auf der Straße und in Spielarten, und unterhielt mich abends auf Konzerten mit Musiker:innen, Manager:innen, oder Start-Up-Gründer:innen im Musik-App-Bereich, Versicherungsvertreter:innen von Bandequipment, Van-Vermieter:innen und anderen Akteur:innen der immer weiter wachsenden Musikindustrie. Im Archiv des Woody Gutbrie Center in Tulsa schließlich begann mein Arbeitstag um 9 Uhr in einem gekühlten, fensterlosen Raum, in dem ich mit der Archivarin allein war. Hier saß ich am Bildschirm und wälzte unzählige digitale Ordner, die zum Zeitpunkt meiner Forschung im Frühjahr 2016 bis auf Jahreszahlen noch nicht katalogisiert waren. Ich las also durch Scans von Woody Gutbries Tagebüchern, Liederheften, Briefwechseln und Zeichnungen. Manchmal belohnte die Archivarin meine Pünktlichkeit mit der Auslage eines Originals, das noch nicht gescannt, ihrer Meinung aber für meine Forschung relevant sei. Da ich keine Kopien machen durfte, fertigte ich Zeichnungen an und machte Notizen in einem Dokument auf meinem Computer. Meine Besuche an den Heimatorten der Bands Broncho und Two Gallants, Tulsa und San Francisco, waren strukturiert durch die Tagesabläufe der Musiker:innen. Die Abende dienten mir zum Schreiben und Sortieren meiner Notizen, sowie der Archivierung meines Filmmaterials. So konnte ich den strukturierten Alltag einer stationären Forschung zumindest für einen kurzen Zeitraum erleben. Die genauen Umstände und Erfahrungen meiner Forschungsaufenthalte werden in den inhaltlichen Kapiteln hinreichend geklärt; an dieser Stelle soll eine Vorwegnahme nur dazu dienen, die Fülle und diversen Qualitä-

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ten der Materialien zu verdeutlichen, die das "Archiv" (Drackle 2015: 389)10 meiner Forschung bilden. Sie erstrecken sich über verschiedene Ebenen und sind auf unterschiedliche Weise fragmentiert: schriftliche Materialien erstrecken sich von Textdateien im Computer und auf dem Smartphone über handschriftliche Notizen und Zeichnungen auf Zetteln und Bierdeckeln. Sie reihen sich an Dokumente der Managements der Bands, Notizen über Schriftstücke aus dem Archiv, Tagebucheinträge, Sprachmemos, Videoaufnahmen und Fotografien bis hin zu Screenshots von den Social-Medja-Profilen der Bands. All diese Materialien mussten für die Analyse einem Prozess unterzogen werden, den Borneman und Hammoudi (Borneman/ Hammoudi 2009) mit George E. Marcus' Ansatz des "putting things together" (Marcus 1986) beschreiben: "Putting things tagether relied heavily on vignettes, travelogues, media images, texts, and Iiterature of the most diverse origins and types." (Borneman/Hammoudi 2009: 4). In diesem Prozess lässt man das Material "miteinander ,sprechen"' (Drackle 2015: 402). Diese Materialebenen sind dynamisch und erstrecken sich weit über die Feldforschung auf Tour hinaus: Auf Social-Medja-Plattformen wie Instagram oder Twüter kann ich die Bewegung der Band und somit meine eigene Bewegung mitverfolgen. Meine eigenen Posts mit aktivierter Ortsangabe stellen Material dar, das durch den Austausch nie festgeschrieben ist, sondern immer zeitlich über den Moment hinaus verweist. Auch in persönlichen Kommunikationen wie SMS, jMessage oder WhatsApp wird meine Forschung auch nach der Tour insofern ständig fortgeführt, als dass der regelmäßige Kontakt mit den Musiker:innen mich auch immer an ihrer Mobilität und am Erleben derer teilhaben lässt. Ich begebe mich in eine "absent presence" (Gergen 2002; vgl. Hjorth/Pink 2014: 43). In der anfangs beschriebenen ersten Zeit meiner Forschung waren diese mobilen, dislokalen Medien auch eine Möglichkeit für mich, meine Forschung weiterzuführen, ohne mich physisch an einen Ort zu begeben. Natürlich führt dies aber auch dazu, dass unterschiedliche Ebenen sich vermischen und zeitlich voneinander getrennt werden: So erlebe ich eine Tour anhand von Postsanders als im Tour- Van, und Gespräche über einzelne Social-Medja-Posts finden mitunter erst viel später statt. Die Unmittelbarkeit auf Tour hingegen, die zwar erlaubt, gleichzeitig auf beiden Ebenen teilzunehmen und zu beobachten, erschwert die Reflexion der Praktiken eben durch diese Unmittelbarkeit und die zeitlichen Restriktionen auf Tour.

10 Dorle Drackle beschreibt das Archiv als "ein lebendiges Wesen, [das] stets in Wandlung begriffen [ist] " (Drackle 2015: 389).

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Die zeitliche Ebene kommt in meiner Forschungspraxis auch auf andere Art und Weise ins Spiel: So lagen zwischen meinen beiden ersten Tourerfahrungen insgesamt drei Jahre, dazwischen besuchte ich das SXSW-Festival mit seiner Branchenkonferenz und traf diese und andere Bands unregelmäßig auf Konzerten oder war mit ihnen in Kontakt. Diese zeitliche Verschiebung und Verzögerung der Forschung hat verschiedene Gründe, unter anderem die Schwierigkeit des Zugangs, an einer Tour teilzunehmen. Wie Tyson, der Schlagzeuger von Two Gallants mir in San Francisco kurz vor der Tour zu erklären versuchte, ist eine weitere Person im Van "another body that breathes, takes space and changes the relations between the individuals". Nicht nur die Materialebenen und ihr fragmentarischer Charakter sind also entscheidend durch die Mobilität bestimmt, sondern auch der Zugang zur Feldforschung weist schon auf die Bedürfnisse eines mobilen Lebens hin. So hing die Auswahl meiner Feldforschungen und Gesprächspartner:innen maßgeblich von der Bereitwilligkeit ab, mich entweder mit auf Tour zu nehmen oder sich in meist spontanen Situationen auf ein Gespräch einzulassen. Insgesamt stehen auf meiner Liste über 70 Namen von Personen oder Bands, die in irgendeiner Weise an meiner Forschung teilgenommen haben - sei es in Interviews oder Gesprächen im Gehen, Stehen, oder Fahren, Besuch der Vorträge und Panels, Beobachtungen der Praktiken, gemeinsamer Wortfindung oder der kollaborativen Arbeit auf Tour. Die meisten dieser Personen sind durch Kontakte im Musikbereich entstanden, die mich wiederum anderen Musiker:innen, Manager:innen oder Akteur:innen vorgestellt haben. Man könnte dieses Verfahren mit Bernard als "snowball sampling" beschreiben (Bernard 2013: 176), das entgegen dem "purposive sampling" (ebd.) auf den Gegebenheiten beruht, die sich durch die Möglichkeiten ergeben. Jedoch stellt dies in meiner Forschung nicht etwa apriorieine methodische Herangehensweise dar, sondern ist eng mit dem Feld und seinen Besonderheiten verknüpft; so dienen die Forschungspraxis selbst sowie ihre Ermöglichung hier der Erkenntnisgewinnung und sollen gleichsam den ,sesshaften Imperativ', der ethnographischen Forschungsmethoden inhärent ist, in verschiedener Weise herausfordern. Aus diesem Grund weist diese Arbeit kein Methodenkapitel aus, sondern die Methodik wird vielmehr als reziprok wachsender und erkenntnisfördernder Anteil der Feldforschung im Subtext stets mitzulesen sein.

2.2 ZUGANG UND BESONDERHEITEN DES FELDES Durch eine Freundin stellte sich der erste Kontakt zu den Mitgliedern der Band Two Gallants aus San Francisco her. Es war im Juli 2011 auf einem Konzert im

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Cafe Glocksee in Hannover, wo ich mich nach dem Konzert mit dem Sänger

Adam unterhielt. Ich schrieb zu der Zeit an der Ausarbeitung meiner Masterarbeit, die sich mit dem mobilen Beruf von Eisenbahnern im westafrikanischen Mali beschäftige. 11 In einem spontanen Gespräch an der Bar erzählte ich Adam von den Männem im Zug, die ohne festes Zuhause lebten; von ihren Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen, ihrer Leidenschaft für ihre Lokomotiven und den über mehrere Bahnhöfe verteilten Familien, Freundschaften, Liebschaften. Von ihrem Zusammenhalt untereinander, ihren Kniffen und Tricks, die unbequemen Zugsitze schlafbar zu machen, und den Dorfanalogien, mit denen sie ihr Leben im Zug beschrieben. Nachdenklich blickte Adam über den Rand seines Whiskeyglases, machte eine Pause, und sagte schließlich: "Wenn ich es mir recht überlege, leben wir im Grunde nicht anders - außer, dass wir in einem Van statt einem Zug unterwegs sind und einen vielleicht leidenschaftlicheren Beruf ausüben". So begann ich darüber nachzudenken, ein Dissertationsprojekt über Mobilität im Musikberuf zu beginnen. Es brauchte ein weiteres Konzert ca. sechs Monate später (Bremen, 13.2.2012) und ein langes Gespräch im Anschluss, um die Idee konkreter zu entwickeln. Darauf folgte ein SkypeTermin mit Adam, um die Möglichkeit zu besprechen, seine Band auf Tour zu begleiten. Dies war im Mai 2012. Wir sprachen über die Möglichkeit, an einer US-Tour im Frühjahr 2013 teilzunehmen, jedoch gab es hierzu noch keine konkreten Daten oder Details. Adam kümmerte sich seinerseits im Folgenden um die Absprache mit dem Management sowie seinem Bandkollegen Tyson, was wir wiederum in unzähligen E-Mails besprachen. Ich reichte mein Expose ein und schaute mich nach Stipendien um. Wir fanden heraus, dass sie auf einem Festival in Norddeutschland im Juli 2012 spielen würden und vertagten ein weiteres, konkreteres Gespräch darauf, wenn wir uns dort sehen würden. Periodisch konnte ich Adam nicht mehr erreichen, er antwortete monatelang nicht auf E-Mails, um sich dann wiederholt für das lange Schweigen zu entschuldigen. Es sei auf Tour schwierig, mit der Kommunikation am Ball zu bleiben. Das Festival im Juli erreichte er spät am Abend, sie hatten Verspätung auf dem Langstreckenflug von San Francisco nach Amsterdam. Tyson war krank. Wir verbrachten Zeit miteinander, aber zu einem Gespräch kam es nicht. Es war für mich auch teilweise schwierig, das Thema zu adressieren, weil ich einerseits sensibel sein wollte für die Erschöpfungszustände der Bandmitglieder und andererseits selbst keine sicheren Aussagen über die Zukunft machen konnte, da ich noch keine Finanzierung für

11 Vgl. www.laviedurail.net.

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mein Forschungsprojekt und meine Dissertation hatte. Für ein Reisestipendium zur Begleitung der Tour blickte ich auf Fristen von vier Monaten, und bisher hatte die Band ihre Tourdaten erst viel kurzfristiger preisgegeben. Es standen sich schon hier verschiedene Zeitlichkeiten gegenüber, die zu überbrücken meine Aufgabe der nächsten Monate und Jahre sein sollte. Im September 2012, kurz nach der Veröffentlichung von Two Gallants' fünftem Studioalbum The Bloom and the Bjjght kontaktierte ich Adam erneut, um die Möglichkeiten der Begleitung einer Tour zu besprechen. Er antwortete prompt von seiner Tour aus, und bot ein Skype-Gespräch an, welches jedoch nie stattfand, da er nach meiner Antwort sowie weiteren Nachfragen nicht mehr antwortete. Einige Wochen später schrieb ich eine weitere E-Mail, in der ich mit Bezug auf die Fristen dringlicher nach einer Einschätzung und einem Gespräch fragte. Adam antwortete mir erneut von der Tour aus, entschuldigte sich mit Verweis auf die Hektik und den schlechten Internetzugang auf Tour und sagte, ich solle ihm meine Fragen per E-Mail schicken. In dieser E-Mail ging es vor allem um die Finanzierung meiner Reise; so wollte ich versuchen, gezielt Sponsorings zu erwerben, etwa von Kameraherstellern oder Fluggesellschaften. Hierfür erfragte ich von Adam die Erlaubnis, den Namen seiner Band zu benutzen. Ferner fragte ich erneut nach der Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs, da ich vermutete, dass einige Fragen so besser zu klären seien und sich eventuell erst im Gespräch ergeben würden. Da ich selbst arbeiten musste, ergaben sich keine möglichen Termine aus seinem Tourkalender, an denen ich sie hätte besuchen können. Er antwortete einige Wochen lang nicht, bis ich erneut nachfragte. Er schlug dann ein Skype-Gespräch auf Tour vor, sofern es mir nicht möglich sei, sie auf einem Konzert zu besuchen. Ich versuchte also erneut, einen Termin zu finden, an dem ich sie auf einem Konzert besuchen könnte und konnte mit dem Arbeitgeber meines Nebenjobs, mit dem ich mich finanzierte, aushandeln, einen Tag frei zu bekommen. Es ging um eine Wochenendreise nach Spanien, da die Tourdaten in Deutschland an Wochentagen lagen. Ich schrieb Adam von meinen Plänen und erhielt keine Antwort. Als der Termin näher rückte, kontaktierte ich den Tourmanager Georg, der mir sein Einverständnis gab und die anderen entschuldigte; sie seien sehr beschäftigt auf Tour. Ich buchte also meinen Hinflug nach Barcelona, und um noch mehr Zeit und Gelegenheiten zu haben, meinen Rückflug von Bilbao, wo sie zwei Tage später spielten. Dazwischen lag ein Konzert in Madrid. Ich fragte Adam per E-Mail, ob ich mit ihnen im Van reisen könne, schlug aber auch die Alternative vor, einen Zug zu nehmen. Erst jetzt antwortete Adam, sich erneut mit dem Stress der Tour entschuldigend, und zeigte sich sehr erstaunt über meine Pläne. Er schrieb, er habe mich

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missverstanden: ob ich denn nun nach Spanien käme, um schon zu filmen, 12 und dass er dachte, ich wolle erstmal nur besprechen. Außerdem gebe es keinen Platz im Van, da sie vorher und nachher schon lange Fahrten hätten und ohnehin sehr eng gepackt seien. Er schien irritiert und defensiv, und ich fragte mich, ob der Weg über den Tourmanager seine Autorität umging. Ich erläuterte, dass ich nur mehrere Möglichkeiten eröffnen wollte, um dieses Gespräch auch wirklich führen zu können. Daraufhin antwortete er beruhigter, entschuldigte sich dafür, mir keinen Platz anbieten zu können, und bestätigte, mit Tyson geredet zu haben, um bei meinem Besuch auch wirklich Zeit zu haben, das Gespräch zu führen. Kurz darauf fand ich heraus, dass sich ein fester Termin in meinem Kalender verschob, sodass ich nun doch einen Konzerttermin in Deutschland wahrnehmen konnte. Ich fuhr also Mitte November zum Weißenhäuser Strand in Schleswig-Holstein, wo sie ein Konzert auf dem Festival RoJ}jng Stone Weekender spielten. Auf diesem Festival lernte ich Teile der Crew kennen, den Tontechniker Moses und die Merchandise-Verkäuferin Sarah, die zu jener Zeit Adams Freundin war. Nach dem Konzert entstand zunächst ein Konflikt zwischen den beiden Musikern und dem Tontechniker über den Ton beim Konzert, was ein langes Gespräch der drei nach sich zog, bei dem ich nicht dabei sein konnte. Ein weiterer Konflikt führte zu mehreren Gesprächen am Abend und einem frühen Ins-Bett-Gehen Adams, sodass ich am nächsten Morgen erneut ohne Gespräch abreiste. Ungefähr zwei Wochen später, Ende November 2012, reiste ich wie geplant zusätzlich nach Spanien, um die Band bei ihrem Konzert in Barcelona zu besuchen, und buchte einen Zug für den nächsten Tag nach Madrid, wo sie ihre Tour fortführten. Am Abend gingen wir gemeinsam aus, sprachen jedoch nur sporadisch über das Projekt. Zunächst erzählte mir Adam von den Strapazen der Tour und der Enge im Van. Am nächsten Tag, in Madrid, trafen wir uns wieder am Spielort und trafen unsere gemeinsame Freundin Jennie, die zu Beginn den Kontakt etabliert hatte. Das Gespräch fand wieder nicht statt, aber sowohl ich als auch Jennie fuhren im Van mit nach Bilbao. Erst am Folgetag in Bilbao schaffte ich es, Tyson und Adam gleichzeitig zu einem Gespräch zu bitten, das wir schließlich auf einem Spielplatz in der Nähe des Hotels hielten. Auf Schaukeln sitzend erzählte ich von meiner Idee, und versuchte eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie ethnologische Feldforschung auf Tour ausse-

12 Meine Feldforschung sah audiovisuelle Methoden vor, die den Musiker:innen meist am geläufigsten waren, sodass sie "filmen" und "forschen" synonym verwandten dazu mehr am Ende dieses Kapitels.

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hen könnte. Wider meine Erwartung hatten Tyson und Adam wenig Fragen und willigten ein. Tyson war sogar sehr begeistert von der Idee, auf Tour eine Person dabei zu haben, mit der er über die eigene Mobilität reflektieren könne, da dies ein Thema sei, das immer mitreise, aber nie thematisiert würde. Adam sagte, es sei sehr unterschiedlich in Europa zu touren als in den USA, und am besten wäre es, wenn ich beides erfahren könnte. Wir verständigten uns darauf, dass sie mich bezüglich ihrer Tourpläne auf dem Laufenden halten würden und ich sie meinerseits über meine finanziellen Möglichkeiten. Anfang 2013 meldete ich mich zurück, vor allem um zu zeigen, dass ich noch dabei war, und um noch einmal nach den Frühjahrsplänen zu fragen. Adam und Tyson waren zu der Zeit auf Tour in Australien. Ich erhielt keine Antwort. Einige Wochen später sah ich, dass einige Spielorte in Europa anfingen, Konzerte anzukündigen. Ich schrieb den beiden erneut und fragte nach Neuigkeiten. Adam meldete sich überrascht zurück und sagte, die Daten seien noch nicht finalisiert und sollten eigentlich noch nicht veröffentlicht werden. Er wisse nur, dass die Tour Ende Mai in Belgien enden würde und versicherte, mich auf dem Laufenden zu halten. Zu dieser Zeit näherte sich die Frist für eine Stipendienbewerbung, sodass ich Adam kurz darauf um ein Skype-Gespräch und, nach Ausbleiben seiner Antwort, um eine dringende Zusage für die Tour bat. Er schrieb mir am nächsten Tag zurück und bestätigte, nach meiner Vorlage, meine Beteiligung an der Two Gallants Tour im Mai und Juni 2013 in Europa und den USA. Dazu schickte er mir endlich eine Auflistung der Tourdaten in Europa, beginnend in Brüssel und endend in Paris. Ich reichte Ende Februar meinen Antrag ein und kontaktierte Adam erneut im März, um die Pläne für die US-Tour im Juni zu besprechen, für die zuvor noch keine Daten feststanden. Die Zeit rückte näher und ich musste mich bald um meine Reisevorbereitungen sowie Flugbuchungen kümmern. Ich erhielt eine weitere überraschte Antwort Adams, in der er sich über mein Interesse an der US-Tour wunderte, hatten wir doch zuletzt über die Europa-Tour gesprochen. Trotz seiner offiziellen, schriftlichen Bestätigung meiner Teilnahme an beiden Touren hatte er nun nur noch an die Europa-Tour gedacht. Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt sowohl genervt als auch naiv, war ich doch davon ausgegangen, dass unsere Absprachen für ihn eine ähnliche Relevanz hatten wie für mich. Seine Verwirrung wusste ich nicht einzuordnen: wollte er mich loswerden oder hatte er es schlichtweg durcheinandergebracht? Wann würde ich endlich meine Forschung beginnen können?

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Die langwierige und müßige Beschreibung der Planung meiner ersten Feldforschung soll hier dazu dienen, die Besonderheiten des Feldes herauszustellen und zu hinterfragen, wie das ethnographische Feld eigentlich konturiert werden kann. Was mir zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht bewusst war, ist, dass ich mich mit diesen Vorbereitungen der Feldforschung schon längst im Feld befand. Denn meine Aushandlungen, eine Feldforschung zu etablieren, sind bereits Bemühungen, Vertrauensbeziehungen zu den Teilnehmer:innen meiner Forschung aufzubauen und somit ein Miteinander zu ermöglichen. Unter den Umständen der Mobilität der Musiker:innen mussten diese die Aushandlungsprozesse zunächst in Form von zeitlich und räumlich versetzter, medialisierter Kommunikation stattfinden. Ich begann meine Forschung also im Feld der digitalen Anthropologie, indem ich die Tourdaten auf sogenannten Trackingseiten (Bandsjntown, SongMck; mehr dazu in Kap. 4) oder den Sodal-Medja-Profilen der Band (Facebook, offizielle Website) nachschaute und mit Adam und Tyson perE-Mail und Skype in Kontakt war. Diese Bemühungen führten dann zu zeitlich und räumlich konvergenten Treffen, indem ich die Reise auf eines der Konzerte unternahm und dort das Gespräch suchte. So liegt eine Besonderheit der Vorbereitungen dieser Feldforschung darin, dass die Arrangements zur Vorbereitung der Reise vorgenommen werden, während das Gegenüber in schwer berechenbaren Situationen (Tour, Stress, kein Internetzugang etc.) verharrt. Solche Verabredungen werden zwar schon seit der Einführung von digitalen Technologien in die Forschungspraxis per Kornmunikationsmedien aus der Distanz vermittelt (Horst 2016: 154), 13 indem die Vorbereitungen auch für stationäre Feldforschungen im Vorfeld zumeist per EMail oder Telefon stattfinden. Jedoch besteht in meinem Fall eine doppelte Ungewissheit, da mein Gegenüber sich bereits auf der Reise befindet. Auch geben die Unentschiedenheit und das Zögern meines Gesprächspartners Adam hier einen Hinweis auf die besonderen Umstände der hier zu planenden Begegnung: So geht es bei dieser Forschungsanfrage nicht um die Verabredung eines Interviews, eines zeitlich und räumlich begrenzten, eventuell einmaligen Treffens. Bei meiner Anfrage handelt es sich um die Bitte, über einen Zeitraum von mehreren Monaten sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, auf engem Raum am Leben des Anderen teilzunehmen; eine Anfrage, die sich in den meisten Fällen durch das jm-Feld-Sdn selbst ergibt. Adam jedoch soll sich schon entscheiden, bevor wir uns überhaupt kennen.

13 Obwohl Horst hier auch von Feldnotizen und Aufnahmen in digitaler Form spricht, ordne ich das Verabreden von Treffen als "mediating our relationships" (Horst 2016: 154) ein.

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Durch die Schwierigkeit der Kommunikation wurde nun schon etwas über das Feld gezeigt: dass es einer besonderen Zeitlichkeit unterliegt, die mit dem Unterwegs-Sein in Verbindung steht (Adam nennt als Grund häufig den stressigen Alltag des Tourens) und einer bestimmten Räumlichkeit, bzw. kontinuierlichen räumlichen Bewegung, die das Planen von Treffen verkompliziert und die Möglichkeit eines sporadischen KennenJemens verhindert. Es muss also zunächst erörtert werden, wie die Tour als Feld skizziert werden kann und wie diese Besonderheiten eine Ethnographie auf Tour kennzeichnen.

2.3 DIE TOUR ALS FELD Das ,Feld', oder fieldsite, wird traditionell durch Inklusions- und Exklusionshandlungen konstruiert, wobei die Definition dieses "Raumes" meist vor oder am Anfang der Feldforschung vorgenommen wird (Burrell 2009: 182). Es erfährt damit eine räumliche sowie zeitliche Einordnung, um die Aspekte, die eine Forschung behandelt oder nicht behandelt, einzugrenzen (ebd.). Bereits Mitte der 1980er Jahre haben Michael Fischer und George E. Marcus für eine ethnographische Praxis plädiert, die sich der Vorstellung einer (in ihrer Beschreibung zwar nie da gewesenen, aber als solcher konstruierten) singulären, in sich geschlossenen Lokalität widersetzt (Marcus 1986; vgl. Candea 2009). Stattdessen sprachen sie sich für die methodologische Strategie einer multilokalen, multi-sited ethnography aus, um auf die Bedingungen einer globalisierten und zunehmend von Mobilität geprägten Welt einzugehen. Diese Überlegungen fanden schließlich ihren Weg in Marcus' programmatischem Artikel Ethnography in/of the World System: The Emergence of Mufti-Sited Ethnography (Marcus 1995). Hierin ist "multi-sited" aber nicht nur wörtlich gemeint, sondern Marcus verwendet den Begriff auch, um die Entwicklung rezenter Ethnographien weg von einer Einordnung singulärer Lebenswelten in größere Welt-Systeme, hin zu einer interdisziplinären Betrachtung zu beschreiben, die vermeintliche Dichotomien zwischen ,lokal' und ,global' aufzulösen versuchen. Er identifiziert zwei verschiedene Arten, auf die Ethnographien sich ihrerseits jeweils in unterschiedlicher Weise in den Kontext eines "historic and contemporary world system of political economy" einbetten (Marcus 1995: 95). Eine davon betrachtet Einzelfelder mit dem Ziel, diese (und ihre Strategien des Umgangs, wie etwa Widerstand oder Resilienz) im Kontext eines globalen Systems zu verstehen, wie etwa des Kolonialismus, oder des Kapitalismus. Der andere Modus, den Marcus beschreibt, beschäftigt sich mit der Zirkulation kultureller Bedeutungen, Objekte oder Identitäten in einem diffusen Zeitraumgefüge (Marcus 1995: 96). Diese "mobilen Ethnographien", wie Mar-

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cus sie nennt (ebd.; Übers. A.R.), destabilisieren die Unterscheidung zwischen System und Lebenswelt, indem sie durch die Beschreibung der Verbindungen zwischen Lebenswelten auch immer auf ein übergeordnetes System hinweisen, das hiermit assoziiert werden kann, wenngleich die Kontextualisierung eines solchen nicht eigentliches Ziel der Untersuchungen ist: The distinction between lifeworlds of subjects and the system does not hold, and the point of ethnography within the purview of its always local, close-up perspective is to discover new paths of connection and association by which traditional ethnographic concerns with agency, symbols, and everyday practices can continue to be expressed an a differently configured spatial canvas. (Marcus 1995: 98)

Dies ist für die vorliegende Arbeit insofern relevant, als dass die sites dieser Arbeit gleichzeitig getrennt und verbunden sind, wir es also weniger mit einer Multilokalität zu tun haben als mit in der Bewegung verbundenen, überlappenden, und zusammengehörenden Lokalitäten. Während diese sich in ein übergeordnetes System einordnen lassen (die Musikindustrie, etwa, oder die Infrastruktur von Livemusik), werden die einzelnen Lebenswelten individuell gestaltet und erlebt. Gleichzeitig kann hier kaum von "discontinuous, multisited objects of study" (Marcus 1995: 97) gesprochen werden, sondern gerade die Bewegungen einer Tour machen eine Kontinuität aus. Wir haben es hier also nicht mit verschiedenen, zusammengehörigen Feldern zu tun, sondern die verschiedenen Orte einer Musiktour sind als Teil einer übergeordneten site zu verstehen. Wie lassen sich diese Wege und Verbindungen nun als Feld beschreiben und konturieren? Neben der Annahme, dass ,Feld' und fieldsite auch in ihrer Pluralität noch immer mit der Idee geographisch entfernter, über einen langen Zeitraum betrachteter regionaler Lokalitäten zusammengedacht wurden und werden (Amit 2000: 4), wird auch darüber hinaus davon ausgegangen, das ,Dortsein' sei eine unabdingbare Voraussetzung für das ,Feldforschen': [A]nthropology is validated as a separate discipline through a particular methodology which, while valued for its open-endedness, is in turn legitimated through spatial and social encapsulation. When am I doing anthropological fieldwork? When I am ,there' and doing nothing else. (Amit 2000: 5)

Nun stellt sich hieraus nicht nur aus Sicht der digitalen Anthropologie oder ethnographischer Forschung im Kontext digitaler Medien die Frage des ,wo', wie in Kapitel 4.2 erörtert werden wird. Sondern es stellt sich auch die Frage,

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ob einem zunächst als ,mobil' gekennzeichneten Feld, das das Mitreisen erfordert, nicht auch schon vor dem ,Dortsein' die Feldforschung, und damit das Feld beginnt. Zumal, wenn die mobilen Lebensumstände, die zu erforschen es gilt, nicht zulassen, dass eine Feldforschung im Vorhinein geplant werden kann und die nötige Vertrauensbeziehung für eine Teilnahme an der Lebenswelt nicht erst ,dort', sondern eben aus dem ,noch-nicht-Dortsein' heraus aufgebaut werden muss. Wie kann in einem solchen Fall überhaupt eine Eingrenzung vorgenommen werden? Handelt es sich hierbei nicht vielmehr um ein Paradebeispiel für die Hinfälligkeit dieser "encapsulation", die Amit (2000) kritisiert? In der zuvor skizzierten Kommunikation mit Adam ist bereits einiges über das Feld klar geworden, und hat so Einzug in mein Feldtagebuch gehalten: etwa, wie schwierig es ist, gleichzeitig unterwegs und zuverlässig zu sein. Oder wie sehr ein Hier und Jetzt der Bewegung die Vorstellung eines zukünftigen Ortes und einer zukünftigen Begegnung, und somit eine reale Planung, hemmt. Die Tour also als Feld zu konzeptualisieren, beinhaltet einen Blick auf die Praktiken, die sie erst konstituieren: die Vor- und Nachbereitung einer Tour aus Sicht von Musiker:innen und Crew, wie auch aus Sicht der Ethnologin in der Organisation des Feldes - sind unweigerlich mit der Tour verknüpft, sodass sie kaum als davon separat betrachtet werden können. Somit ist das Feld, mit dem sich diese Arbeit beschäftigt, sowohl zeitlich als auch räumlich fluide zu verstehen, beginnt es doch schon lang vor der Tour und bezieht Orte mit ein, an denen die Tour gar nicht stattfindet. Im Sinne Amits lässt sich dieses Feld viel eher als Geflecht von Beziehungen verstehen: [T]he construction of an ethnographic field involves efforts to accommodate and interweave sets of relationships and engagements developed in one context with those arising in another. (Amit 2000: 6)

Die Beziehungsgeflechte, die ich als Ethnologin einer solchen Tour zu stricken versuche, haben einen reziproken Bezug zwischen Bewegung und Stillstellung: während ich am Schreibtisch sitze, bemühe ich mich, Beziehungen herzustellen, die einen Bewegungszustand antizipieren; bringe ich mich selbst in Bewegung, um die Musiker:innen auf ihrer Tour anzutreffen, so inszeniere ich Stillstellungsmomente, um mit ihnen Planungsgespräche zu führen. Auf Tour versuchen wir einerseits unsere Bewegungen miteinander zu koordinieren, und gleichzeitig versuche ich, die Momente des Innehaltens einzufangen, an denen mir die Bewegung bewusst wird. Aus dieser Erkenntnis heraus erscheint es mir wichtig, zwei zentrale Merkmale meiner Forschung im Laufe der Arbeit im Hinterkopf zu behalten: das experimentelle Inszenieren von Begegnungsorten,

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die sich den Aufenthaltsorten der Musiker:innen anpassen und den räumlichen, zeitlichen und klanglichen Voraussetzungen dieser unterwerfen müssen; und meinen Lernprozess, mich dem Takt einer Tour anzupassen und darin einen eigenen Rhythmus zu entwickeln. Diesen Überlegungen liegt eine Herangehensweise zugrunde, die sich mit Borneman und Hammoudi als "experiencebased fieldwork" (2009: 7) beschreiben lässt und einen Fokus auf die Begegnungen ,im Feld' legt.

2.4 ZWISCHEN FORSCHENDER UND MITREISENDER Um Treffen vor, während und nach der Tour zustande kommen zu lassen, war es notwendig, schnell auf die Gegebenheiten und Möglichkeiten reagieren zu können. Dies beinhaltete neben der räumlichen und zeitlichen Flexibilität, meine oszillierenden Rollen und Rollenzuschreibungen gerrau zu beobachten und an ihnen zu lernen, wie sich die Erwartungen an eine Forschende etwa von denen an eine Mitreisende unterschieden. Neben meinen verschiedenen Aktivitäten auf Tour, zwischen denen ich auch innerhalb einer einzigen Tour changierte, - ich verkaufte Merch, filmte, war Zuhörerin, Fahrerin, Beobachterirr und Crewmitglied zugleich - war ich immer wieder mit den Zuschreibungen innerhalb dieser Rollen konfrontiert, also was gerrau eine Forscherirr zu tun und sein hatte, wje sich eine Mitreisende im Van verhalten sollte, und so weiter. Ich möchte dieses Verhältnis an der kurzen Darstellung einer Toursituation verdeutlichen. Am letzten Abend meiner Tour mit der Band Broncho 2016 trafen wir in London auf den Bekannten eines Freundes, der ihn in den Backstage-Raum begleitete. Er war Anwalt und über meine Präsenz als Ethnologin auf Tour so überrascht, dass er dies vermehrt zum Gesprächsthema sowohl mit mir als auch mit den Musiker:innen machte. Dies kam vor allem am nächsten Tag beim Frühstück zur Sprache, als der Schlagzeuger der Band, Nathan, und der Gitarrist, Ben, mir davon erzählten. Demnach hatte sie beide gefragt, wie sie es fänden, dass ich als "embedded anthropologist" die Tour begleite. Beide Musiker zeigten sich verstört über diesen Begriff und hatten im Zuge dessen sowohl mich als auch die Arbeitsweise der Ethnologie zu beschützen und zu rechtfertigen versucht. Wir waren uns einig, dass dieses Vokabular eher an infiltrierte Spione und Geheimdienste erinnerte, als dass es in irgendeiner Weise mit der transparenten Form meiner Forschung zu tun hatte. Natürlich ist dennoch in diesem Wort ein wichtiger Hinweis darauf, dass auch in einer konsequent transparenten Form der Forschung gewisse ,Black Boxes' nicht zu vermeiden sind; dies fängt beim Feldtagebuch an, das ich zudem auf Deutsch verfasst ha-

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be, und kulminiert natürlich in der fertigen Arbeit, in der ich meine Erfahrungen interpretiere. Jedoch ergab sich zwischen besagtem Anwalt und mir noch ein anderes Gespräch, das mir seine Sichtweise näherbrachte. Nach dem Konzert liefen wir alle gemeinsam vom Spielort zu einer Bar; die Band, der Freund mit seinem Bekannten und ich. Der Tourmanager Gavin war noch den Van parken gefahren, und so fragte ich in die Runde, ob ich ihm Bescheid sagen sollte, wohin wir gingen. Bisher hatte dies noch niemand getan, also schrieb ich eine iMessage in unseren gemeinsamen Gruppenchat. Der Anwalt wurde hierauf aufmerksam und fragte, ob ich das als Ethnologin überhaupt ,dürfe': ob ich mich damit nicht zu sehr einmische und die Situation eher neutral beobachten müsse, anstatt sie zu manipulieren. Ob ich nicht darauf warten müsse, wie die Band und der Tourmanager sich ohne mein Zutun verabreden oder, im hier wahrscheinlicheren Fall, verpassen würden, und wie dies dann wiederum gelöst würde. Nun, durch meine SMS, so fand er, würde ich den Lauf der Dinge beeinflussen und verändern, und so könne ich ja gar nicht darüber forschen, wie der Abend ,normalerweise' verlaufen wäre. Nun hat die Ethnologie einerseits einen langen Weg hinter sich, sich von dieser malinowskiesken Vorstellung einer unberührten Glaskugelsituation 14 zu lösen und einzusehen, dass wir als Forscher:innen im Feld präsent sind und die soziale Situation verändern, auch wenn wir uns noch so passiv verhalten. Wir haben es nicht mit einer Laborsituation zu tun, in der wir von außen betrachten, was ohne Zutun und ohne Zuschauen passiert. Die Ethnologie hat sich insofern von der Vorstellung einer objektiven Forschung abgewandt, zu Gunsten subjektiver und reflexiver Forschungsansätze. Abgesehen davon lässt sich an dieser Begegnung mit dem Anwalt noch etwas anderes erörtern: Was er als Einmischen interpretierte, war aus meiner Sicht vielmehr das Resultat eines Lern- und Anpassungsprozesses, der am Anfang der Tour damit begann, dass Gavin mich überhaupt in den Gruppenchat aufgenommen hatte. Nach und nach lernte ich die Art und Weise, wie die Band mit ihrem Manager und untereinander kommunizierte. Als Gavin mich zwischenzeitlich als seine AssistenzTourmanagerin betrachtete (vgl. Kapitel 5.1), fing auch ich an, in den Gruppenchat zu posten. So war der Nachricht in dieser Nacht vielmehr ein Prozess

14 Malinowski schreibt in der Einleitung zu Argonauts ofthe Western Paciflc. "Imagine yourself suddenly set down surrounded by all your gear, alone on a tropical beach close to a native village, while the launch or dinghy which has brought you sails away out of sight." (Malinowski 2014: 3) Er prägte damit die Vorstellung, ethnologi· sehe Forschungen haben in abgeschiedenen, von der westlichen Welt unberührten Gegenden stattzufinden und deren Aufgabe sei es, dieses Unberührte, Ursprüngliche einzufangen und niederzuschreiben, ohne es zu verändern.

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des Zugehörig-Werdens voraus gegangen, der nicht zuletzt von Aushandlungen innerhalb der Gruppe geprägt war. Es wurde quasi von mir erwartet mit Gavin zu kommunizieren, da die Bandmitglieder mir mittlerweile die Rolle der Tourmanagerio zuwiesen, wann immer Gavin nicht präsent war. Hierin ist also auch die Frage versteckt: Wann sind wir ,wir', und wann ,ich' und ,sie'? Das ständige Reflektieren meiner Rolle und der unterschiedlichen Zuschreibungen, die ich während meiner verschiedenen Feldforschungen erfuhr, bedeutete, den Balanceakt zwischen meiner ,Forscherinnenposition' und meiner ,Mitreisendenposition' zu einem verschmelzen zu lassen, und aus eben diesem Prozess Erkenntnisse zu ziehen. Criado und Estalella nennen dieses Verfahren "processes of material and social interventions that turn the field into a site for epistemic collaborations" (Estalella/Criado 2018: 2). Sie postulieren hierin, die experimentellen Anteile ethnographischer Praxis, die schon immer Teil dieser waren, als "para-ethnographic" sites (Holmes/ Marcus 2005) in den Vordergrund zu riicken und ihnen in der Analyse einen höheren Stellenwert zu geben: "The experimental becomes a distinctive articulation of the empirical work of anthropologists shaping their relationships in the field collaboratively" (Estalella/ Criado 2018: 12). Diese Kollaboration schließt den sozialen Rhythmus ein, der im Zusammenspiel der ethnographischen Praxis und der Praxis des Feldes entstehen muss. Die Besonderheit der Tour, die eine ununterbrochene räumliche Nähe mit sich bringt, erzeugt eine potentiell ständige Forschungssituation; es gibt keine Pause, kein Aus-dem-Feld-Gehen, keinen Feierabend. Sie steht in starkem Kontrast zur "anthropology by appointment" CHannerz 2010: 77) und ist dabei eine radikale Version der ,immersiven Anthropologie'. Jede Begegnung, auch mit theoretisch nicht zur Tour gehörenden Personen, kann potentiell zum Erkenntnisgewinn beitragen. So verlangt diese ständige Forschungssituation, stets achtsam zu sein und bereit, aus sämtlichen Situationen heraus über die Forschung und ihre Parameter, sowie die möglichen Aussagen über das Feld zu reflektieren.

3 Unterwegs sein Orte und Verbindungen einer Musiktour

3.1 "SPENDING YOUR LIFE IN RANDOM PLACES" Touren heißt, wie es meine Gesprächspartnerin Laura15 beschrieb, viel Zeit an verschiedenen Orten zu verbringen: Everybody wants to go on tour, but they don't realize that when you do it, you spend your life in random places that are not your home.

Laura, die erst Anfang zwanzig ist und als Bassistirr einer aufstrebenden norwegischen Dream-Pop/ Psych-Rock-Band noch am Anfang ihrer Musikkarriere steht, scheint jetzt schon von der Vorstellung des stetigen Unterwegsseins ernüchtert; spätestens mit dreißig, so erzählt sie, möchte sie eine ,stay-at-homemom' sein. Dass dennoch viele junge Musiker:innen davon träumen, auf Tour zu gehen, hat nicht zuletzt mit den romantisierten Vorstellungen zu tun, die über das Tourleben kursieren. An deren Fuße steht meist eine Kombination aus dem Wunsch, die Welt zu sehen und gleichzeitig das zu tun, was man liebt. Dabei bestätigen selbst erfahrene Musiker:innen, die seit Jahren oder Jahrzehnten regelmäßig touren, die Ernüchterung, die Laura antizipiert. So erzählt mir etwa Ben, Gitarrist der Band Broncha. [I]t's nice to travel, but it becomes routine, you know? And you're not as happy about just going on a trip anymore. It's nice when you show up in a pretty place that's fun, but getting to the airport is not as exciting as it used to be.

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Name auf Wunsch anonymisiert.

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Seine Bandkollegin Penny, Bassistin von Broncho, beschreibt einen ähnlichen Verlauf, als wir während der Tour durch Antwerpen laufen: Not that it's not exciting anymore, and that I don't still Iove it, but I think coming to these places now is that I'm starting to really want to be here for a minute and not just show up, have a day, have a night, and then leave. My temporary existence in all these places is kind of feeling like not enough or something. I wanna be able to be somewhere for a minute, you know? For like a few days, or a year, I don't know. And then I'd probably be somewhere and find somewhere else to go, but I think forcing it every day and having to leave even though maybe you met a friend or you found a spot that you really like and not to be able to go back there right away is maybe just frustrating me lately, so I don't think I'rn as expressive of how fond I arn of things because then I just have to leave thern. You know? Anna: How did you feel about that before? Penny: I think I was just soaking it in, I was just on that rollercoaster ride and I was just equally excited to go to the next place as I was to just be anywhere for a moment, and it was all really exotic and now that I've seen all of these places at least once or twice, now I wanna dig in, you know? And just being around it isn't as enlivening, now it's like: I wanna know where is rny spot? Where would I go for breakfast every day here if I lived here, where would my bar be, who would my friends be? Where would I fit in? But then, rnaybe I don't fit in anywhere, rnaybe I'rn not supposed to. Just kind of always a stranger, I don't know. There's sornething romantic about that too I guess.

Dennoch gehen auch sie immer wieder auf Tour, selbst wenn dies heißt, in einem ständigen "in-between-state" zu leben, wie Laura es nennt. Je nach Reisetransportmittel und Route ist eine Tour geprägt durch lange Fahrten und kurze Aufenthalte an den Spielarten. Die Bands, die ich begleitet habe, sind ausschließlich in Vans6 unterwegs. Im Unterschied zum Reisen in sogenannten Night}jnem, also Reisebussen mit Doppelstockbetten und Bad, fahren Bands im Van ausschließlich tagsüber. Sie übemachten je nach Budget in Hotels, Hostels oder bei Freund:innen, und verbringen den Tag bis zur Ankunft im Spielort auf der Autobahn. Am Spielort ist meist nicht viel Zeit bis zum Soundcheck, worauf das Konzert folgt, worauf die Rückkehr ins Hotel folgt, bis am nächsten Morgen alles von vorne beginnt.

16 Übliche Größenordnungen sind hier Modelle wie etwa Mercedes Sprinter oder Ford Transit.

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Sie sehen in den meisten Fällen also nicht viel von der Welt, sondern halten sich täglich an strukturell bekannten Orten wie Backstage-Räumen und Hotelzimmern auf. Der zeitliche Rhythmus des Tagesablaufs, vor allem am Spielart, wird im Kapitel 5. Bewegungstaktung eingehender betrachtet, und das Einrichten an diesen Orten wird wiederum in Kapitel 6. Ejnrichten jm Unterwegs behandelt. In den kommenden Abschnitten werde ich hingegen Bezug nehmen auf die Orte, an und zwischen denen sich eine Musiktour bewegt, wobei ich zunächst einige Überlegungen zur Methode der mobilen Ethnographie aufgreife. Anschließend wird es auch um die Beweggründe sowie die Konditionen, die einer Musiktour zugrunde liegen, gehen. Zum Abschluss werde ich dann einen Exkurs in die narrative Repräsentation des Unterwegs-Seins in Erzählungen und Songtexten von Musiker:innen machen, die das Bild der Reise tragen, formen und hinterfragen.

3.2

MOBILE ETHNOGRAPHIE

Der Begriff der Mobilität ist als Folge einer vernetzten und globalisierten Welt in vielerlei Hinsicht in den Sprachgebrauch eingegangen. Nicht nur Migration und Exil, sondern auch Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt können als ,Beweg'Gründe für eine global stattfindende Mobilität genannt werden. Ihre Konsequenzen stellen Ansprüche an die mobil lebenden Akteur:innen sowie deren soziales Umfeld. Was aber bedeuten nun die Dynamiken der Mobilität, die sich aus einem Wandel der politischen Umstände sowie der Arbeitsverhältnisse ergeben, und die ihrerseits die Grenze zwischen sesshaftem und nomadischem Leben zu verwischen scheinen? So wird es in sesshaften Kontexten immer mehr zur Notwendigkeit, seinen Wohnort zumindest zeitweise, wenn nicht sogar gänzlich zu verlassen und einen neuen aufzusuchen. In einigen Fällen ist sogar die ständige Bewegung eine Notwendigkeit, um einer Tätigkeit überhaupt nachgehen zu können. Oder es ist eben die Bewegung selbst, die die Tätigkeit ausmacht. Mobilität kann auf unterschiedliche Weise charakterisiert werden. Tim Cresswell entwickelt aus seinem Ortskonzept eine dreigliedrige Definition von Mobilität, die sie zunächst als Abstraktion von Bewegung kennzeichnet. Bewegung steht in dieser Positionierung im gleichen Verhältnis zur Lokalität wie Mobilität zum Ort (Cresswell 2006: 3). Zweitens betont er den Stellenwert von Repräsentationen von Mobilität, die das Verständnis von Mobilität mitbestimmen; er nennt hier etwa Film, Gesetzgebung, Medizin oder Photographie, und diese Arbeit wird zeigen, dass auch Musik und Soda] Medja zu diesen Re-

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präsentationsstrategien gezählt werden müssen. Schließlich nennt er als dritten Aspekt von Mobilität die Erfahrungsebene: "Third, mobility is practiced, it is experienced, it is embodied. Mobility is a way of being in the world" (Cresswell 2006: 3). Schwanen und Ziegler etwa beschreiben als Mobilität "the overcoming of any type of distance between a here and a there, which can be situated in physical, electronic, social, psychological, or other kinds of space" (Schwanen/ Ziegler 2011: 758), wie Elliott et al. in der Einleitung zu ihrem Band zu Methodologies of Mobilities als umfassende Definition anbringen (Elliot et al. 2017: 1). In ihrem kurzen Forschungsüberblick der Mobility Studies beschreiben sie deren Verweise auf die multiplen Netzwerke und Verbindungen, die zwischen Menschen, Dingen und Orten sichtbar (gemacht) werden. Die hiermit wachsende Beschäftigung in den Sozialwissenschaften zeichne sich vermehrt als "Mobility turn" ab, der vor allem in der Geographie und Soziologie als solcher benannt würde (Elliot et al. 2017: 2). Hierbei wird vordergründig eine Zunahme verschiedener Bewegungen und Bewegungsformen als Determinante der ansteigenden Wichtigkeit einer solchen wissenschaftlichen Beschäftigung herangezogen (Urry 2007; 2000). Der Blick auf und die Theoretisierung von zeiträumlicher Verlagerung stehen nunmehr stellvertretend für das "New Mobilities Paradigm", wie vor mittlerweile über einem Jahrzehnt von Vertreter:innen der Mobility Studies postuliert wurde (Hannam et al. 2006). Hierbei wurde vor allem eine Kritik an sedentaristischer und deterritorialisierender Theoriebildung avisiert, die Forscher:innen und Forschungssubjekte in vermeintlichen Grenzen verharren ließ (Elliot et al. 2017: 2). Methoden der Ethnographie sollten und mussten mobiler werden, um sich den mobilen Umständen derer, die im Forschungsmittelpunkt stehen, überhaupt annähern zu können und ihre Lebenswelten durch den Blickwinkel von Mobilität verstehen zu können. Dabei ging es vor allem um Methodenbildung, die schon länger im Zentrum gerade der "multi-sited ethnography" oder auch ethnologischer Forschungen in mobilen Kontexten standen. Etwa George Marcus hatte 1995 seine Methode des "following the people" (Marcus 1995) beschrieben, die zum Forschen in mobilen Umständen notwendig sei. Um Bewegungsmuster zu verstehen, so Büseher und Urry (Büscher/ Urry 2009: 104), müsse die Forscher:in sich mit den Menschen bewegen, die im Fokus stünden. Zu diesem Zweck entwickelten Ethnolog:innen ,mobile Methoden' wie etwa das "go-along" (Kusenbach 2003), die auch unter Einsatz einer Kamera durchgeführt werden können, um die Visualität der Bewegung mitzuverfolgen (Pink 2007b; 2008).

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Das Zentrieren der Mobilität als theoretische Brille, wie durch das ,mobilities paradigm' suggeriert, regte unter verschiedenen Aspekten zu Kritik an. Peter Adey hinterfragt etwa in seinem Artikel If Mobility is everything then it is nothing (Adey 2006) die Eignung von Mobilität als analytische Linse, drohe doch eine Verwässerung dieser Fokussierung, die sich trotz Theoretisierungsversuche schwer abzugrenzen vermochte: If we are to take the ,mobility turn' seriously, academic schalarship should not fail to realize the relations and differences between movements. As we become conscious of the inherent Changeability and erratic nature of our mobile world, there may be a tendency for mobility to become everything. (Adey 2006: 91)

Auch Birgitta Frello hinterfragt die Spezifik von Mobilität als Paradigma, indem sie auf die Machtverhältnisse aufmerksam macht, die der Konstitution eines epistemischen Objekts immer zugrunde liegen. So sei Mobilität ebenso wie Immobilität, und vor allem deren Unterscheidung, diskursiv konstituiert und im Kontext ihrer Repräsentation zu betrachten. Ihre Kritik richtet sich dabei dezidiert gegen eine vermeintlich kategorische Differenzierung von "here" und "there '~ die ebenfalls vielmehr diskursive als empirische Einheiten darstellen und dem Prinzip zugrunde liegen, nach dem Mobilität und Immobilität voneinander unterschieden werden: My contribution to this discussion consists in drawing attention to how mobility is constituted as an object of knowledge not only in the sense that it is always represented within a field of power but also in the very basic sense that irrespective of the spatial activities involved, the distinction between movement and non-movement is in itself dis· cursively constituted. This involves certain activities being perceived as ,movement', while others are excluded from the movement concept and thus prevented from entering a field of vision which is ,tuned in' to observing ,movement'. (Frello 2008: 27)

Gleichzeitig warnt sie davor, dass wenn nach dem New Mobilities Paradigm nun alles - selbst das Konzept von Ort - potentiell durch die Linse von Bewegung betrachtet werden kann, dieses Konzept an Spezifik verliert und als analytische Kategorie unbrauchbar wird. So macht sie, wie auch andere Kritiker:innen des New Mobilities Paradigms, auf den relationalen Charakter von Bewegung aufmerksam. So steht bei Frello ,Bewegung' zwischen zwei Endpunkten, die durch diese verbunden werden. Es geht bei Bewegung also um das Überwinden von Distanz:

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I will describe movement as a relational concept characterized by the overcoming of physical, mental, conceptual or other types of distance, or by the transgression of a state or condition. To describe an activity in terms of motion is to declare that it implies the transgression of a difference. Hence it also involves the declaration of the relevance of certain types of distinction, such as the distinction between ,here' and ,there' or between different academic disciplines or different imaginary worlds. It is the distinction that constitutes the difference that is overcome by ,movement'. (Frello 2008: 32)

Sie fährt fort, indem sie darauf aufmerksam macht, dass es bei Distanzen aber nicht um metrisch messbare, sondern auch in der jeweiligen Erfahrung relationale Entfernungen handelt, die sich in Abhängigkeit von der Bewegung abzeichnen: "Thus, the notion of ,distance', which is central to this definition of movement, is notasimple question of applying the metric system either [ ... ]" (ebd.). Auch Peter Adey nimmt die Geschwindigkeit der Bewegung in den Blick, um den relationalen Charakter von Bewegung zu definieren. Er nimmt hier Bezug auf Mackenzie, der Bewegung als Wahrnehmung von Geschwindigkeit charakterisiert: "We have no experience of speed except as a difference of speed" (Mackenzie 2002: 122; vgl. Adey 2006: 84). Wenn Hannam, Sheller und Urry (2006) das New Mobilities Paradigm postulieren, so spielen sie mit ihrer Diagnose einer zunehmenden Beschäftigung mit Bewegungszuständen darauf an, weder der Sesshaftigkeit noch den Bewegungszuständen idealisierende Bedeutung zuzuschreiben. Vielmehr sollen beide Zustände kritisch hinterfragt werden: Our approach to mobilities problematizes both ,sedentarist' approaches in the social science that treat place, stability and dwelling as a natural steady-state, and ,deterritorialized' approaches that posit a new ,grand narrative' of mobility, fluidity or liquidity as a pervasive condition of postmodernity or globalization. (Hannam et al. 2006: 5)

Der vorliegenden Arbeit liegt ein hiervon abgeleitetes Verständnis zugrunde, das ,mobil sein' (being mobile) im Dazwischen von ,in Bewegung sein' (being in movement) und ,an einem Ort sein' (being in place) ansiedelt und als Verbindung beider nicht voneinander zu trennenden Zustände charakterisiert. Dabei soll das ,Dazwischen-Sein' an Beispielen aus dem Feld erörtert werden, die die Praktiken von Musiker:innen dort positionieren. Weder Mobilität noch Stillstellung können als absolute Zustände verstanden werden. Jedoch bedarf es gerade bei Beschreibungen, die sich im ,Dazwischen' positionieren, des Bewusstseins, diesen Zustand gerrau zu charakterisieren, wie Borneman und Hammoudi anmerken:

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By any standard, contemporary anthropological work is uneven and, despite the multiplicity of approaches and sites studied, makes repetitive theoretical claims. Things are constructed; things are plural; things are unstable; things have histories; most things are in-between. Many anthropologists now see the world as being in constant motion and as consisting of fragments with no wholes, 'assemblages' with no criteria of inclusion into descriptive or analytical units other than the choice between alternative narrative theories or the subjective interests of the writer. Along these lines, the insistence that all translations are pattial, all truths relational and perspectival - sound ideas and assumptions with which we agree - often becomes an excuse for offering superficial translations that prefer surface over depth. (Borneman/Hammoudi 2009: 5)

3.3

ÜRTE EINER TOUR

Eine Musiktour ist ein ethnographisches Feld mit einer Reihe von Besonderheiten. Es ist ein translokales Feld, das das Durchqueren verschiedener vermeintlich statischer Lokalitäten wie Spielorte oder Hotelzimmer einschließt, während man sich zwischen ihnen in einem Van fortbewegt, der selbst auch als stabiler, doch mobiler Raum verstanden werden kann. Mit ihrer Videoarbeit Contained Mobility beschreibt Ursula Biemann einen translokalen Zustand, dessen Existenz darauf basiert, gleichzeitig verbunden und getrennt zu sein (Biemann/Lundström 2008: 56). Während eine Tour, die die meiste Zeit in einem sich zwar fortbewegenden, in sich aber stabilen Van stattfindet, zwar als eine solche ,containerisierte' Erfahrung verstanden werden kann, haben wir es hier eher mit dem Durchdringen der Dichotomie von ,Ort' und ,Bewegung' zu tun. Können die Orte einer Tour stattdessen als transitorische Orte begriffen werden? Paola Jir6n Martfnez beschreibt "transient places" wie folgt: Transient places [ ... ] involve those fixed spaces which people signify while moving through them. They are not places of permanence but places of transit and transition. [ ... ] Transient places are fixed spaces with intense mobility going through them. (Jir6n Martfnez 2010: 132)

In ähnlicher Weise, wie Mare Auge sein Konzept der "Nicht-Orte" (Auge 2012) umschreibt, wird auch hier in der Beschreibung transitorischer Orte der Fokus eher darauf gelegt, wie Menschen sie passieren, als was sie in ihnen machen, wenn sie sich dort aufhalten. In all diesen Orten sind auch immer Menschen an Handlungen beteiligt, für die sie keinen transitorischen Charakter haben; bei Auge etwa die Flughafenmitarbeiter:innen, die er bewusst aus seiner Betrach-

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tung verbannt, und im Musikbereich eben die Haustechniker:innen für Licht und Ton, Stage-Manager:innen, Barpersonal und lokale Veranstalter:innen. Im anthropologischen Verständnis wird ein Raum dann zum Ort, wenn er Identifizierungsmöglichkeiten für die Subjekte bietet, die mit ihm im Zusammenhang stehen. Um seinen Gegenentwurf des Nicht-Ortes zu postulieren (Auge 2012), stellt Auge den Ort als einen, durch Marcel Mauss geprägten, Begriff einer "in Zeit und Raum lokalisierten Kultur" dar. Einem Ort liegt also ein Zugehörigkeitspotenzial zugrunde, das sich in Zeit und Raum verorten lässt. Tim Cresswell definiert Ort wie folgt: Within geographical theory and philosophy [place] has come to signify meaningful segments of space - locations imbued with meaning and power. A place is a center of meaning - we become attached to it, we fight over it and exclude people from it- we experience it. The same cannot be said of location. (Cresswell 2006: 3)

Wie jedoch verhält es sich mit Orten, die mit Bedeutung belegt sind, auch wenn sie nicht einer bestimmten Lokalität zugehörig sind? Ein Hotelzimmer etwa, das nach einem normativen Standard ausgestattet ist, kann selbst für den Durchreisenden ein Ort der Ruhe sein. Oder ein Backstage-Raum, der jeweils sehr ähnliche Merkmale aufweist, kann für die Musiker:innen unabhängig der geographischen Lage einen Ort ausmachen, an dem sie sich zugehörig fühlen. Grundlage für diese Überlegungen sind zwei Aussagen, die mir in meinen Auseinandersetzungen mit Musiker:innen in abgewandelter Form immer wieder begegnet sind. Die eine stammt von Nathan, dem Schlagzeuger der Band Broncho, der in einem Gespräch über den Begriff ,place' sagte: "When I think of place, I associate it with all over the plact!'. Er kritisierte damit den vorläufigen Arbeitstitel dieser Arbeit, "Mobility as place", indem er zu meiner Überraschung sagte, ,place' und ,mobility' hätten für ihn die gleiche Bedeutung. Wie sich im weiteren Verlauf unseres Gesprächs herausstellte, ist hier vor allem das dahinterliegende Verständnis aus Sicht eines ständig Reisenden interessant: Er konzipiert ,Ort' als ein großes Ganzes, indem er sich bewegt. Seine Mobilität ist also nicht ein Bewegen zwischen Orten, sondern ein Bewegen im Ort, oder als Ort. In diesem Gespräch, das wir beim Frühstück am letzten Tag der Tour in London führten, schaltete sich auch Ryan, der Sänger von Broncho ein, indem er sagte: "We do have our place, it just kind of shifts." Als Teil einer größeren Route, an der die jeweiligen kurzzeitig besuchten Orte liegen, macht es Sinn, diese durch die Linse von Bewegung und Wegen zu betrachten (Morley 2000: 14; Massey 2007: 13; Ingold 2007: 2). Mit Ingold gesprochen sollten Orte darüber hinaus als Knoten von Verbindungen ver-

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standen werden: "Places, then, are like knots, and the threads from which they are tied are lines of wayfaring" (Ingold 2009: 33). Ingolds Figur des "wayfarer", die er schon in seinem Buch Lines: A Brief History (Ingold 2007) beschreibt, ist in ständiger Bewegung; während sie immer ,irgendwo' ist, führen die "Irgendwos" (Ingold 2007: 84; Übers. A.R.), zwischen denen sie sich bewegt, auch immer wieder ,irgendwo' hin. Somit sind die Verbindungen und die Orte in gleicher Weise an Bewegung und Stillstellung beteiligt und bringen sich gegenseitig hervor. Diese Idee möchte ich in den folgenden Überlegungen mit dem ,Verschieben', von dem Ryan spricht, in Verbindung bringen. Dieses Verschieben kann sich darauf beziehen, dass die Orte, durch die die Reise führt, jeweils bekannte Merkmale aufweisen, auch wenn sie sich geographisch an unbekannter Stelle befinden und in ihrer Beschaffenheit ein wenig voneinander unterscheiden. Noch einmal zurückkommend auf das Spannungsfeld von Ort und Mobilität, oder von Lokalität und Bewegung, sollte hierbei eine Differenzierung von fixierten Orten (wie etwa Spielarten) und sich bewegenden Orten (wie etwa Vans) nur insofern relevant sein, als dass sie sich in ihrer Begünstigung von Praktiken der Mobilisierung oder Immobilisierung unterscheiden. Wie Hannam et al. anmerken, ist ein Fokus auf das Innehalten vor allem wichtig, um Mobilität wahrnehmen und ermöglichen zu können: Mobilities cannot be described without attention to the necessary spatial, infrastructural and institutional moorings that configure and enable mobilities - creating what Harvey (1989) called the ,spatial fix'. (Hannam et al. 2006: 3)

Ob sich dieser "spatial fix" (Harvey 1989; vgl. Hannam et al. 2006: 3) jedoch auch auf sich bewegende Orte beziehen kann, bleibt hier offen. Die einzelnen Orte einer Tour werden meist schon vorbereitet, indem bestimmte Arrangements im Vorfeld abgeklärt werden. Hierzu gehören nicht nur Hotelreservierungen und Routenplanung, um den Reiseverlauf möglichst unterbrechungsfrei zu gestalten; ein Van zum Beispiel kann sehr unterschiedlich ausgestattet sein, was die Möglichkeit des Ausruhens maßgeblich mitbestimmt. Ebenso können die Schlafmöglichkeiten auf Tour von Hotelzimmern bis hin zu Privatwohnungen variieren. Platz und Ausstattung der Orte richten sich nach dem Budget der Tour, was wiederum mit den durch Kartenverkäufe erzielten oder geschätzten Einnahmen einhergeht. So waren wir auf meiner ersten Tour im Sommer 2013 mit der Band Two Gallantsetwa in Europa in Zweierzimmern in Hotels untergebracht, während wir in den USA zunächst Dreierzimmer zu sechst teilten und teilweise bei Freund:innen der Band auf Sofas und Böden

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übernachteten. Der Ford Transü, mit dem wir in Europa unterwegs waren, und der dem Tourmanager gehörte, war mit zwei hintereinander liegenden Sitzbänken ausgestattet, während der Mercedes Sprinter in den USA, der von einem Tourunternehmen gemietet war, einzeln verstellbare Komfortsitze und bordeigenes W-Lan hatte. Den Transit fuhr stets der Tourmanager, während wir uns auf den langen Strecken in den USA im Sprinter abwechselten. Drei Jahre später, auf meiner ersten Tour mit Broncho durch Europa im Herbst 2016, hatten wir zunächst einen gemieteten Sprinter mit zwei gegenüberliegenden Bänken, einem Tisch, sowie einer kleinen Schlafbank über der hinteren Sitzreihe. Nachdem wir mit diesem Van eine Panne hatten (vgl. Kapitel 5.1), bekamen wir einen Ersatz- Van mit einer über die gesamte Breite des Vans reichenden Schlafkoje über dem Kofferraum und gegenüberliegenden Einzelsitzen mit Tisch. Auf der letzten Tour mit der Band Broncho, im Herbst 2017, als Vorband von Queens of the Stone Age, hatten wir einen Sprinter mit gegenüberliegenden Bänken, einem Tisch und einer schmalen Schaumstoffmatratze zwischen vorderer Bank und Fahrerkabine. Das Transportmittel bestimmt maßgeblich das Erleben der Reise, wie Tim Edensor betont: [T]he speed, pace and periodicity of a joumey produce particular effects through which space and place are known and feit, a stretched out, linear apprehension shaped by the form of a railway or road, the qualities of the vehicle and the time and pace of the journey. (Edensor 2011: 191)

Auch an den Spielorten spielt die Ausstattung eine Rolle für das Erleben der eigenen Mobilisierung/Immobilisierung. Ob die Band sich den Backstage-Raum etwa mit der Vorband teilen muss oder nicht, hat Auswirkungen auf das Wahrnehmen dieses Raumes als intimen Ort. Ich habe oft erlebt, dass Musiker:innen sich im Fall eines öffentlicheren Backstage-Raumes anders verhalten als in abgeschlossenen, einzig ihnen zur Verfügung stehenden Räumen. Dies bezieht sich nicht nur auf augenscheinliche Handlungen wie etwa seine Wertgegenstände zu verstecken, sondern auch auf nebensächlich wirkende Verhaltensweisen, wie etwa die Jacke anzulassen. Manche Backstage-Räume sind luxuriös ausgestattet und verfügen über ein eigenes Bad mit Dusche, mehrere Tische mit beleuchteten Spiegeln und Sofas. Andere wiederum erinnern an eine Turnhallenumkleide, wo gerade mal ein Stuhl und ein Tisch hinzugestellt wurden. Manche Spielorte verfügen zudem über eine Waschmaschine mit Trockner, sodass die Musiker:innen ihre Reisekleidung während des Soundchecks waschen, während des Konzerts trocknen, und im Anschluss wieder einpacken können.

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Diese Merkmale sind von Spielort zu Spielort unterschiedlich und hängen von den räumlichen Möglichkeiten des Spielortes ab, aber auch der Relevanz, die die Spielorte der Gastfreundlichkeit zuschreiben. Neben dieser Infrastruktur des Spielortes werden die Backstage-Räume auch von der Band selbst mitgestaltet, indem im Vorfeld ein sogenannter Hospitality Rider (Abb. 3) an die Veranstalterirr geschickt wird. Die hierauf vermerkten Angaben werden von der lokalen Veranstalterirr vorbereitet und mit der ausgezahlten Guarantee (die im Vorfeld verhandelte, von Ticketverkäufen unabhängige Gage der Bands) verrechnet.

Abbildung 3: Hospitality-Rider der BandBroncho IN THE DRESSING ROOM ON ARRIVAL Hi-fi with mini-jack aux input cable Towels (prewashed): 6 small towels (for stage) + 61arge towels for showers.

Chopping board and knives, glasses, plates, cutlery and napkins

Food: (please note, we have one vegan and one vegetarian in the tauring party, please store meaUfish/dairy separately) A selection of high quality, healthy, fresh ingredients to include salad, cheese, unprocessed meats/fish and freshly baked bread to make sandwiches for 6 people Lots of fresh fruit and vegetables Vegan spreads and dipslexciting hummus Fancy olives Nuts Fair trade 75%+ cocoa dark chocolate Limes and lemons Any local specialty (snack, drinkor other) Avocados Drinks: 24 x 500ml bottles of still mineral water (half at room temperature) 8 x 500ml bottles of chilled sparkling mineral water 1 x Utre of orange juice (not from concentrate) 1 x Litre of apple juice (not from concentrate) 6 x Kombucha 8 x Club Mate (Red Bull if not available) 24 x 5%+ ice cold premium pilsner. Absolutely not eyer any ' ljte' beers please. 8 x local craft beer/ale/cider, a selection would be greatly appreciated. 1 x bettle of dry white wine/Prosecco 1 x bettle of red wine 1 x bettle of good vodka (Stolichnaya/Grey Goose) Selection of teas with honey, lemon and fresh ginger Lots of coffee! 12 x drinks Iakens for the bar DINNER (if two hours or more before stage time, if not, after the show or buyout please). Fresh, hot and healthy, high quality meals (one vegan, ane vegetarian) far the tauring party. We wauld prefer to walk ta a good restaurant clase ta the venue for a change af scenery if possible and if there's time, but always appreciate gaad in hause catering.

Dieser Rider beinhaltet die zusätzliche Ausstattung des Backstage-Raumes, also im Normalfall die Essens- und Getränkewünsche der Band, sowie zusätzlich benötigte Artikel wie etwa Handtücher. Einem solchen Rider sind ausschließ-

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lieh die Grenzen des Budgets gesetzt, und so finden sich Beispiele von berühmten Bands und ihren exklusiven Ansprüchen im Internet. Jedoch werden die Wünsche des Riders nicht immer erfüllt. Wie mir der Tourmanager der Band Broncho, Gavin, in einem Gespräch mitteilte, hängt der durch die Veranstalter:in gebotene Kornfort am Spielort auch immer von den Ticketverkäufen ab. Zwar ist der Rider Teil des Vertrages, aber eine geringe Zahl verkaufter Tickets kann zu kurzfristigen Änderungen der bereitgestellten Ausstattung führen. Weil nur 20 Tickets verkauft worden waren, wurde uns etwa auf einem Konzert in Liverpool kurz vor dem Konzert das Catering gegen ein Buy Out getauscht, was bedeutet, dass das Essen selbst besorgt werden muss. Wie das Essen geregelt ist, hängt mit der jeweiligen Aushandlung mit dem Spielort und der lokalen Veranstalteein zusammen, und variiert nicht nur von Spielort zu Spielort, sondern ist auch unterschiedlichen Konventionen unterlegen. Während es in Deutschland beispielsweise vielerorts üblich ist, in kleineren Clubs für die Bands selbst zu kochen, ist in England meist ein Aushandlungskampf des Tourmanagers damit verbunden, dass überhaupt für das Essen der Crew gesorgt wird. Sofern der Spielort eine eigene Küche hat, ist es üblich, dort mithilfe eines Gutscheins etwas zu essen zu bestellen, meistens in einem bestimmten preislichen Rahmen. In Liverpool mussten wir also in der Kürze der Zeit noch schnell ein Restaurant finden, in dem wir von der Buy-Out-Summe (zehn Britische Pfund) etwas zu essen bekamen. Hier werden die Musiker:innen also ganz direkt zur Rechenschaft für den Erfolg ihres Konzertes gezogen. Selbst Vertragsbestandteile wie der Hospitality Rider werden missachtet, wenn das eingespielte Geld nicht den Erwartungen der Veranstalteein entspricht. In einigen Spielorten hingegen wird sogar frisch gekocht. Obwohl dies ein Bestandteil des Riders sein kann, bieten einige Spielorte diesen Service auch ohne Verhandlung an. Das Vera etwa in Groningen, das Gleis 22 in Münster oder die Henry-Miller-Library in Big Sur sind bei Bands gerade aufgrund des guten Essens beliebt. Auf dem Bonnaroo-Festival in Tennessee etwa, das ich im Sommer 2013 mit Two Gallants besuchte, unterhielten sich Adam und Tyson im Backstage-Bereich mit einer anderen Band, die eine Europatour vor sich hatte, über ihre Lieblings-Spielorte. Dabei empfahlen sie für die Niederlande das Vera mit der Begründung, dass dort frisch gekocht würde, es einen großen Tisch zum gemeinsamen Frühstück gab, sowie Zimmer zum Übemachten in den oberen Geschossen des Gebäudes, sodass man nach dem Konzert nicht noch ins Hotel fahren musste. Diese Aspekte des Spielortes schienen wichtiger zu sein als etwa der Sound, der zwar von allen als schlecht befunden wurde, in

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diesem Gespräch aber unerwähnt blieb und einer Empfehlung des Vera als guten Spielort nicht im Weg stand. Die informellen Absprachen zwischen Musiker:innen, die sich offizieller Aufzeichnungen und Bewertungen über die Spielorte entziehen, bedienen sich ausschließlich oral vermittelten, sozialen Wissens. Musiker:innen, selbst in Bewegung, kommen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten zusammen und tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus, die sich wiederum auf Orte beziehen, die zwar geographisch fixiert sind, sich in der Bewegung von Musiker:innen jedoch nur punktuell materialisieren. So erheben sich die Verbindungen von Musiker:innen weltweit- meist über Genres und durch gemeinsame Auftritte und Festivals verknüpft - über das geplante, geographisch ausgeklügelte ,Touren nach Plan', indem sie in ihrer miteinander produzierten Vorstellung Orte einer Tour auf imaginative Weise verbinden. Sie spannen soziale Netzwerke, die sich nicht als miteinander verbundene, fixierte Punkte darstellen, sondern aufgrund der Beweglichkeit der einzelnen Knoten mit Tim Irrgold eher als "Meshwork" (Ingold 2007: 80ff.) verstanden werden können: "The world [ ... ] is not an assemblage of heterogeneaus bits and pieces but a tangle of threads and pathways" (Ingold 2008: 212). In Anlehnung an das Bewegungswissen von kanadischen Inuit, deren geographische Vorstellung eines "network of trails" (Aporta 2009: 132) Aporta als "social network" (Aporta 2009: 140) beschreibt, steht hier das tradierte, an speziellen Punkten der Zusammenkunft ausgetauschte Wissen im Vordergrund.

3.4 BEWEGGRÜNDE UND IHRE BEDINGUNGEN FÜR DAS REISEN Laura und ich saßen im März 2016 im Flugzeug von Austin, Texas, nach San Francisco, Kalifornien, nebeneinander, wo sie ihre Tour und ich meine Feldforschung fortsetzte. Wir kamen ins Gespräch, als sie ein Glas Tomatensaft bestellte, mich ansah und schulterzuckend bemerkte, sie habe gehört, das mache man im Flugzeug so. Sie und ihre Band durften in jenem Jahr auf dem SXSWFestival in Austin spielen. Durften, weil es trotz der prekären Umstände, unter denen Bands dorthin eingeladen werden, als Erfolg gilt, auf diesem Festival aufzutreten: Das Festival selbst zahlt einer eher unbekannten Band wie ihnen keine Gage für den Gig, und für ihren Flug von Bergen nach Austin gab ihnen ihr Musiklabel die Hälfte dazu, den Rest zahlten sie selbst. Für das Festival wurde ihnen auch keine Unterkunft finanziert, sodass sie jeden Abend von der Bühne aus im Publikum nach Schlafplätzen fragten. Es handelt sich hier um ein renommiertes Festival, für das die Eintrittskarten zwischen 600 und 800 USDollar kosten. Musikgrößen wie Iggy Pop, The Roots oder Ryan Adams spielten

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in jenem Jahr hier ein Konzert. Laura erzählt mir von einem Sofa, auf dem sie während des Festivals unter einer gehäkelten Decke zusammen mit ihrem Bandkollegen schlief. Sie sagt: "My friends at home say I'm lucky, and I guess I am. Butthat doesn't mean that I'm living a dream or living as a king."

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Abbildung 4: Screenshot des Posts von Lauras Band auflnstagram

25 llkes

l og in to llke or comment.

Wenige Tage später recherchierte ich die Social-Media-Profile ihrer Band. Dabei stieß ich auf Instagram auf ein Foto von Laura auf dem Sofa mit der Häkeldecke, von der sie mir erzählte. Ihr Gesicht ist bedeckt mit Geld. Das Foto ist mit dem Kommentar "Who ever said America doesn't pay? # SXSW # Austin #Texas #cashisking" versehen. Auf Twitter postet die Band fast zeitgleich ein Video, das zeigt, wie 20-Dollar-Scheine auf Lauras Gesicht regnen, und sie lacht. Der Tweetdazu lautet "It's raining money at #SXSW # Austin # Texas". Unterschiedliche Dinge werden hier verhandelt: Einerseits wird die Prekarität deutlich, die viele junge Bands heute erleben und erdulden. Die Teilnahme an prestigeträchtigen Festivals wie jenem in Austin wird von jungen unbekannten Bands als Aufstiegsmöglichkeit gehandelt und oft privat finanziert. Die meisten Bands, die ich dort interviewte, wurden für ihre Auftritte nicht bezahlt; zum Teil mussten sie sogar zahlen, um dort spielen zu dürfen. Dennoch wird von Lauras Band in dem Post ein gegenteiliges Bild vermittelt: "Who ever said America doesn't pay?" und "cash is king" weisen auf eine gute Bezahlung

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der Musiker:innen hin. Eine Begründung hierfür erwähnte Laura schon in unserem Gespräch, noch bevor ich das Foto auf Instagram sehen konnte: Sie sagte, sie wolle sich nicht über ihr Leben als Musikerin beschweren. Da weder ihre Freund:innen noch ihre Fans dies verstehen würden, sei es einfacher, auf Social Media ein Bild zu vertreten, das eigentlich einer Idealisierung entspricht (auch wenn ihr Post einer gewissen Ironie nicht entbehrt). In ihrem Buch über Fashion-Blogger:innen beschreibt Brooke Erin Duffy (Duffy 2017) einen ähnlichen Modus als "aspirationallabor": Aspirational Iabor is a mode of (mostly) uncompensated, independent work that is propelled by the much-venerated ideal of getting paid to do what youlove. (Duffy 2017: 4; Hervorhebung im Original)

Die Beweggründe von Musiker:innen, oder "their need to do the road" (N6voa 2012: 367), sind vor allem von der Vielfältigkeit ihrer Bestrebungen geprägt. Diese reichen von der Identifikation mit der Rockszene, der finanziellen Notwendigkeit, bis hin zu "work for exposure" (Duffy 2017: 35), wie wir an Lauras Beispiel festmachen können. Touren kann mit Büseher und Urry als "corporeal travel" (Büscher/Urry 2009: 101) beschrieben werden, das sie als "travel of people for work, leisure, family life, pleasure, migration and escape, organized in terms of contrasting time-space modalitieS' (ebd.; Hervorhebung A.R.) kennzeichnen. Jedoch reisen Musiker:innen nicht an ihren Arbeitsort und zurück, sondern ihre Arbeit leitet sich vom stetigen Reisen erst her. So ist nicht zuletzt auch die Planung der Route am Erleben der Reise beteiligt. Während die Tourroute ihren genauen Reiseplan vorgibt und die Orte bestimmt, an denen sie zu einem temporären Aufenthalt kommen, schränkt ihr genauer Arbeitsplan an diesen Orten ihre Erfahrung mit ihnen ein. Tourrouten werden in der Regel durch ein Zusammenspiel aus Plattenlabel, Management und Boaking-Agenturen geplant, indem der Profit vorhergehender Touren mit dem Kartieren finanziell tragbarer Strecken kombiniert wird (Johansson/Bell 2014: 316). Die Musiker:innen selbst haben in diesem Entscheidungsprozess kaum mitzureden, können allerdings Präferenzen anmelden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass, wie es in meiner Forschung der Fall war, die Bandmitglieder bis wenige Wochen vor der Tour die Daten und Route nicht kennen. Die Route der Tour ist jedoch nicht nur ökonomisch relevant, sondern auch entscheidend für das Erleben aus der Sicht vom Inneren des Vans. Beispielsweise führte die erste Tour, auf der ich Two Gallants begleitete, kreisförmig ca. 16.000 km rund um die USA, während ihre nächste Tour durch Europa eher einem Zickzackmuster folgte, was sich durch die längeren Stre-

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cken als viel erschöpfender für die Bandmitglieder und Crew herausstellte, wie mir der Sänger Adam nach einem Konzert in Düsseldorf im November 2015 erzählte. Penny, die Bassistirr von Broncho, erzählte mir: All this shit builds up, you know: the claustrophobia of the van, and the monotony of the driving, and the load-in, and the soundcheck, and the blah blah blah, it's all the same, it's so much the same. Even though you're in these exotic, amazing places, like, I've only been to some of these places maybe twice before, a Iot of them never before. And you're just in this one club, and this one little street, and you have 8 hours, 4 of which you're supposed to sleep ... When people ask, ,Oh, how was tour?', it's my least favorite thing for someone to ask me when I'm home. Cause you don't wanna be like, ,Oh it was great, we went to Berlin, we went to Paris, we went to, you know, London'. You wanna be like, ,Weil, I don't know, I was in a van for at least half the time. It was like a van ride, a couple flights and some shows'. You can't really do it justice and not occasionally sound like you're bragging, because we have a killer life, if you Iet yourself just enjoy it, I think.

Äse Ottosson spricht im Zusammenhang mit australischen indigenen Musiker:innen und deren Tourberichten von einem "touring discourse at home" (Ottosson 2009: 102), der in seiner positiven Auslegung durch Freund:innen und Familie häufig dafür sorge, das mitunter empfundene Unwohlsein auf Tour zu mäßigen. Meine Forschung schließt insofern daran an, als dass meine Gesprächspartner:innen sich häufig von denen, die zu Hause geblieben waren, unverstanden fühlten, und deswegen über das Reisen fast ausschließlich mit anderen Musiker:innen oder Crewmitgliedern hielten. Wie Kesselring beschreibt: "[T]he normalization [of being mobile] also appears as a ,disenchantment' of the modern promise of mobility" (Kesselring 2014: 8). Viele der Musiker:innen, die an meiner Forschung teilgenommen haben, haben jedoch bemerkt, dass das Touren ebenso Grund wie Folge ihres ständigen Unterwegs-Seins ist, und sie schwer differenzieren können, was zuerst da war: Das Touren, oder die Notwendigkeit sich fortzubewegen. In ihren Narrationen hat das Fortbewegen für die Musik eine Schlüsselfunktion für ihre Erfahrung in der Welt und kann nicht mit wirtschaftlichen Erfolgen allein erklärt werden. So erzählte mir Penny etwa, We're really lucky, what we get to do with our art, and for whatever might be sacrificed for it, as far as like normalcy, I mean, like a traditional home-life.. . or maybe just consistency. But the question is also, would I even have that if I wasn't doing it? Fuck, I'd

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probably not. I don't blame my traveling Iifestyle for my inability. But my inability to have a relationship, or have a kid if wanted one - I wouldn't blame the fact that I travel for work on that. I would blame the fact that I travel for work on the fact that I'm who I am.

Touren kann in bestimmten Momenten zu einer sehr mühsamen Erfahrung werden, etwa wenn Krankheit eintritt; während einer Tour durch die USA vor meiner Feldforschung schrieb mir Adam von Two Gallants eine E-Mail, in der er erzählte: "We're out on tour right now. I miss home. Tyson is really sick. Living the glamorous life of a traveling musician". Diese ernüchternde und sarkastische Äußerung weist nicht nur auf sein Unwohlsein, sondern auch auf die mit dem Touren verknüpften Erwartungen und Assoziationen hin, nämlich dass Touren nicht nur bedeutet, Spaß zu haben und die Welt zu sehen, sondern auch eine starke Belastung darstellen kann, die die eigene körperliche Verfassung außer Acht lässt. Im Gegenteil, denn neben der Feststellung, dass Touren harte Arbeit ist, stellt es für einige Musiker:innen sogar eine Bedrohung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit dar. Laurent, ehemaliger Schlagzeuger der französischen Punkband Kiemsa, der nach elf Jahren kontinuierlichen Tourens nun an einem Musikkonservatorium in der Kleinstadt Cholet im Pays de la Loire arbeitet, erklärte mir dies auf besondere Weise. Neben seinem Tonstudio, in dem er mit den Studierenden Musik aufnimmt, hat er dort die Aufgabe, in einer jährlichen Vorlesung die angehenden Absolventinnen auf ihr bevorstehendes, von Mobilität geprägtes Arbeitsleben vorzubereiten. Als ich ihn zu Hause besuchte, erzählte er mir von seiner Vorlesung und zeigte mir seine Präsentation. Sie begann mit einem Videozusammenschnitt verschiedener Tour-Szenarien, von sowohl Rockgrößen Iran Maiden, Rolling Stones etc. - als auch kleineren Bands und den in der Presse häufig (re)produzierten Romantisierungen ihres Lebensstils, des sogenannten ,Sex, Drugs and Rock'n'Roll'-Lifestyles: die einen in Privatjets, kamfortausgestatteten Nightlinern und luxuriösen Hotelzimmern, die anderen zu siebt in einem Van, mit Dosenbier und improvisierten Bühnen, haben sie, so erklärt mir Laurent im Gespräch, doch vieles gemeinsam: seien es die Markierungen auf der Bühne, oder die Setlist; der Spaß, den man hackstage mitunter hat, oder die Tankstelle, an der jede und jeder, egal wie berühmt, ,on the road' oft Zeit verbringt. Er zielt darauf ab, darzustellen, dass selbst höherer Komfort auf Tour nicht unbedingt bedeutet, dass sich die Konditionen für das eigene Wohlbefinden verändern.

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Abbj]dung 5: Gliederung von Laurents Vortrag über das Touren

In seiner Präsentation zieht er bezüglich der Konditionen ("Les Conditions", vgl. Abb. 5) die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (1943) zu Rate (Abb. 6), um die gesundheitlichen Umstände oder deren Mängel auf Tour zu erläutern. Wenn wir uns den Touralltag vorstellen, so Laurent, ist Maslows Pyramide genau auf den Kopf gedreht: eine Kombination aus Schlafmangel, unregelmäßigem Essen und wechselnden Umgehungen sind die Bestandteile einer jeden Tour. Spannungen, die sich aus diesen Faktoren ergeben, wirken sich auf Bedürfnisse wie Zugehörigkeit oder Sicherheit aus. Auf der anderen Seite erreichen Aufmerksamkeit und Selbstverwirklichung fast allabendlich auf der Bühne ihren Höhepunkt. In einem journalistischen Interview, publiziert im The Guardian (Britton 2015), dekonstruieren mehrere erfolgreiche Musiker:innen romantisierte Vorstellungen vom Reisen, die mit dem Touren assoziiert werden. Die Sängerin Meredith Graves etwa drückt sich klar aus: "Being confined to the van for a 10hour drive ... You can't sleep, you can't move, you can't do anything. It's like a recipe forabreakdown forme." Unter den Musiker:innen, mit denen ich im Rahmen meiner Forschung Kontakt hatte, galt es jedoch weitreichend als Tabu, sich über das eigene Unterwegs-Sein zu beschweren. Während sie zwar die mit ihrer Mobilität verbundenen Unannehmlichkeiten erwähnten, wurde dies stets als der zu bezahlende Preis für die Möglichkeit hingenommen, Musik zu spielen, wie wir am Beispiel von Penny und Laura sehen konnten.

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Abbildung 6: "Hierarchy ofNeeds" von Abraham Maslow (1943), nachgezeichnet von der Autorin

Esteern Love/ Belanging Safety Physiological Needs

3.5 ANEKDOTISCHES TOUREN Auf dem SXSW-Festival in Austin, Texas, stellte mich Nathan, der Schlagzeuger von Broncho, dem ehemaligen Manager der Band Larry vor. Larry war bereits mit Bands wie den Sex Pistols, Red Hot Chili Peppers oder Public Image Ltd auf Tour, mit dessen einstigem Schlagzeuger Martin Atkins er noch heute gut befreundet ist. Martin hat bei Bands wie Nine Inch Nail~ Ministry und Pigface mitgewirkt, und schreibt heute unter anderem humoristische Ratgeber für (tourende) Bands mit Titeln wie Welcome to the Music Business: Youre Fu*ked! (Atkins 2012) oder Tour:Smart And Break the Band (Atkins 2007). Ich fragte Larry, ob ich mit ihm ein Interview führen könne. Kurzerhand lud er mich ein, ihn zu einem Cocktailempfang in Martins Hotel zu begleiten. Kurz entschlossen stiegen wir in ein Velo-Taxi und fuhren durch Austin bis zum Hotel. Dort angekommen war noch niemand da, und Martin war anscheinend noch unterwegs. Wir setzten uns auf die Terrasse und Larry begann sofort das Gespräch: "Anna, I have lots of stories." Auf meiner Videoaufnahme vergehen fünf Minuten und 57 Sekunden unseres Gesprächs, unterbrochen durch einen kurzen Te-

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lefonanruf auf Larrys Handy, bevor ich meine erste Frage stelle. In diesen ersten fünf Minuten rekurriert Larry in seiner Erzählung seine persönliche Geschichte: angefangen als Schüler, der eine Band hörte und diese berühmt machen wollte, über seine ersten Erfahrungen als Manager von Bands in der Bay Areabis hin zu seiner Erklärung, wie es zur heutigen Verteilung der Aufgaben in der Musikindustrie kam. So spricht er von den Anfängen der Plattenindustrie und der Studiomusik, von einem Dokumentarfilm namens The Wrecking Crew, der alljene Studiomusiker:innen beleuchtet, die hinter den Bands standen, die zu dieser Zeit Platten verkauften: The Mamas and the Papas, The Beach Boys, The Byrds. Musik in den 60er Jahren wurde im Studio produziert, sagt er, ein großer Bruch zu der davor nur live existierenden Musik. Viele Bands fingen überhaupt nur deswegen an, eigene Songs zu schreiben, damit sie ins Studio gehen konnten, um diese aufzunehmen. Eingespielt wurden sie dann eben von Studiomusiker:innen, die en gras die Band ausmachten. Zwar scheint der Eindruck weit verbreitet, dass die Digitalisierung von Musik in den letzten Jahrzehnten die Frequenz des Tourens erhöht hat, haben doch Live-Auftritte die Albenverkäufe als Haupteinnahmequelle abgehängt. Dies gilt selbstverständlich nur für bestimmte Bereiche der Musikindustrie und es gibt zahlreiche Beispiele für weitaus sesshaftere und stetigere Berufe im Musikbereich. Andererseits wurde mir nicht nur durch Larry, sondern auch in Gesprächen mit anderen Musiker:innen (wie etwa Ian von Ape Machine) Meinungen nahegelegt, die diesen Eindruck für fatalistisch halten. Eher sprechen sie von einer Blase, die in den 1970er Jahren mit dem Boom der Musikproduktion begann. So sollte das stetige Touren also nicht als eine heutige Entwicklung, sondern vielmehr als Zurückkehren zu einem Normalzustand gesehen werden. Die 1970er Jahre veränderten den Stellenwert vom Touren insofern, als dass es nun fast ausschließlich der Bewerbung der aufgenommenen Alben diente, die einen Großteil des wirtschaftlichen Gewinns erzielten. Zuvor stand das Touren als einzige Einnahmequelle auch in anderen Genres, etwa dem Jazz, bis in die 1960er Jahre im Mittelpunkt professioneller Musiker:innenleben (Laing/ Shepherd 2003). Larry lud mich ein, das Woody Guthrie Center in Tulsa, Oklahoma, zu besuchen, wo er arbeitete. Ich könne dort die Notizbücher, Songtexte und Briefwechsel im Archiv dieses bedeutenden Folk-Sängers anschauen und so über die Geschichte der Mobilität von Folkmusiker:innen lernen. So seien heute viele Bilder, die junge Musiker:innen vom Touren haben, maßgeblich hiervon geprägt. In der Tat bezogen sich viele meiner Gesprächspartner:innen in ihren Erzählungen vom Unterwegs-Sein auf das Genre des nordamerikanischen Folk und dessen Tradition, über das Reisen in Songs zu erzählen. Wenn der Alltag

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von Musiker:innen bedeutet, sich die meiste Zeit auf Tour zu begeben, so ist es nicht verwunderlich, dass viele Songs, gerade im Genre des Folk und Blues, sich mit Motiven der Reise beschäftigenY Schon Tim Cresswell, der sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Thema der Mobilität beschäftigt, schrieb 1986 seine Masterarbeit über Metaphors of Mobj]ity in the Lyrics ofBob Dylan (vgl. "Acknowledgements", Creswell 2006). So können Songs als narrative Artikulationen verstanden werden, die ein "dwelling-in-motion" (Sheller/Urry 2006: 214), oder "dwelling-in-travel" (Clifford 1997) veranschaulichen. Mit Larry sprach ich darüber, wie bestimmte Erfahrungen ihren Weg in Songtexte finden: I can't speak for all bands, but I do think that a Iot of song-writers while they're on the road, have new experiences. Whether it's going into a new city, meeting a guy or a girl on the road that means something to them or an experience that happens, you know, at a hotel room or the venue, that is something they can write about, so I think that can inspire songs.

Bei meinem Besuch des Woody Gutbrie Centers in Tulsa, Oklahoma, im April 2016 stieß ich beim Lesen der zumeist unsortierten und lediglich numerisch kategorisierten Notizen des Folk-Sängers auf folgendes "Lied oder Gedicht": When I go down (Song or poem, eHher one) Born on the run and lived on the roam, I managed to make the world my home, I had a home walking from town to town, and my shoes will keep walking when I go down. All colors of people and places I seen, all kinds and colors of countries I been, I sung your songs as I leamed them around, and you will keep singing when I go down. I rode the cushions, the blinds, the freights, the cannonballs, flyers and nicke! plates, The road was uphill that I come down, Mostly just following the sun arolll1d.

17 Beispiele hierfür sind Blind Willie McTells Travelin' Blues (1929), Geoff Macks I've Been Everywhere (1959), Roger Millers King of the Road (1965), Bob Segers Tum the Page (1973) oder Willie Nelsons On the Road Again (1979).

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I MIT BANDS AUF TOUR I can see thern yet and I won't forget, The words and faces of the girls I rnet, And the men that have made this world go rolllld, They'll keep coming up when I go down. I guess my main job is to find my place, And work like hell in all of this race, And wirr all the wars that are loose around, Got to stand up and fight till I go plurnb down.

Im Genre des Folk wird die Mobilität von Musiker: innen häufig mit einem politischen Statement in Verbindung gebracht, das Solidarität mit den sogenannten Wanderarbeiter:innen in den 1940er/50er Jahren ausdrückt. Wie Boyle et al. (Boyle et al. 1998) beschreiben, waren etwa Woody Guthries Reisen in der Zeit zwischen den Weltkriegen eng mit seinem linkspolitischen Aktivismus verknüpft, der ihn mit den Arbeiter:innen verbündete, die in der Wirtschaftskrise der Great Depression für ihre Rechte und das Überleben kämpften. Gerade zur Zeit des Dustbowl in Oklahoma, der zu einer Dürre und folglich Arbeitsmigrationen von Landarbeiter:innen nach Kalifornien führte, reiste er auf den Zügen in gleicher Manier wie die Wanderarbeiter:innen durchs Land. Hier nahm er Inspiration für eine Vielzahl seiner Songs, so auch für oben zitiertes Manuskript. Diese Tradition, die Solidarität mit Wanderarbeiter:innen und das Motiv der Reise, wird zu einem zentralen Motiv auch späterer Folk-Songs, die auf der Tradition Woody Guthries aufbauen, so etwa bei Bob Dylan in seinem 1962 geschriebenen Song To Woody(vgl. Boyle et al. 1998): I'm out here a thousand miles from my home Walking a road other men have gone down I'm seeing a new world of people and things Hear paupers and peasants and princes and kings Hey hey Woody Guthrie I wrote you a song About a funny old world that's corning along Seems sick and it's hungry, it's tired and it's tom It Iooks like it's dying and it's hardly been born

Hey Woody Guthrie but I know that you know All the things that I'm saying and a many times rnore I'rn singing you the song but I can't sing enough 'Cause there's not rnany rnen that've dorre the things that you've dorre Here's to Cisco and Sonny and Leadbelly too And to all the good people that traveled with you

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Here's to the hearts and the hands of the men That come with the dust and are gone with the wind I'm leaving tomorrow but I could leave today Somewhere down the road someday The very last thing that I'd want to do Is to say I've been hitting some hard traveling too

Dieser Song ist nicht nur eine direkte Ansprache an den Folksänger Guthrie, sondern liest sich auch wie eine tiefe Verneigung vor seiner politischen Aktivität - spricht Dylan doch direkt das "hard travelin'" an und alludiert damit den gleichnamigen Song Woody Guthries, in dem er einmal mehr seine Reisen auf den Frachtzügen, seine Routen zwischen Oklahoma und Kalifomien, sowie die Landarbeit beschreibt. In Woody Gutbries Song ist damit vor allem die Solidarität mit den Wanderarbeiter:innen präsent, und das "harte" Reisen in aufgeheizten, staubigen Frachtwaggons mit unsicherem Ziel gilt hier auch als Politikum, ist es doch eine Bekundung hin zur Unbequemlichkeit in Solidarität mit den Arbeitern. Dylan schließt seinen Song mit den Worten "The very last thing that I'd want to do I Is to say I've been hitting some hard traveling too", womit er in gewisser Weise eingesteht, dass der Vergleich seiner Reisen mit denen von Gutbrie nicht trägt. Was aber in diesen beiden aneinander angelehnten Songtexten auch zum Tragen kommt, ist eine Hingabe zum Erzählen, wobei die Reise als Quelle von Geschichten fungiert und die Geschichte miterzählt. Am Tag meines ersten Archivaufenthalts im Woody Gutbrie Center frühstückte ich mit Ben und Nathan von Broncho in einem Cafe in Tulsa, wo die Band ihren Proberaum hat und ich zu Besuch war. Die beiden waren neugierig, was ich wohl über Woody Gutbrie in seinen Tagebüchern erfahren würde. Dabei kam Ben darauf zu sprechen, wie wichtig das Reisen im Folk auch für die Songs war. Woody Gutbrie etwa hatte die meisten seiner Songs durch das Reisen gelernt, und diese Songs mitgenommen und verändert. Erst das Aufnehmen von Schallplatten hatte die Folk-Songs fixiert, jedoch spielten die Musiker:innen sie weiterhin unterschiedlich und ließen sie über die Zeit hinweg entwickeln. Auch Adam erzählte mir einst, dass er Aufnahmen nicht wichtig fände und sich seine eigenen Songs selten wieder anhöre, da sie nur Zeugnis dessen seien, wie ein Song in diesem gerrauen Moment war - nicht aber konnten sie irgendetwas über den Song oder seine Spielart festhalten, denn diese entwickelten sich immer weiter. Ben sagt Ähnliches über Woody Guthrie: "Some of his farnaus songs are stuck in time because of mechanical reproduction. But he keeps on changing

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them, he's like a Vinei 8 star that was bom pre-intemet, you know?" Nathan fügt hinzu: "Most of his stuff was never being heard again". Die beiden erklären mir, dass sie das Live-Performen und das Aufnehmen von Songs als zwei komplett unterschiedliche Dinge verstehen, die nicht einmal miteinander verglichen werden sollten. Heute sind Aufnahme und Performance fast eins geworden, beklagen sie, da das Aufnehmen von Alben veränderte, wie Musiker:innen spielen, wie sie ihre Kunst verstehen, wie sie den Ton einstellen. Ben vergleicht dieses Verhältnis mit Geschichten und dem Buchdruck: so haben sich Geschichten durch das Weitererzählen stets verändert, indem zum Beispiel die Figuren getauscht wurden. So ähnlich habe es Woody Guthrie auch gemacht, indem er zum Beispiel sein Lied This Land is your Land (1962) in einen Protestsong gegen Donald Trump Sr. umformulierte, indem er seinen Namen einsetzte, weil dieser in seinen Häuser in Brooklyn keine afroamerikanischen Mieter:innen duldete.

18 Vine ist eine App, auf der Videos geteilt werden können, die nur sehr kurz einem breiten Publikum zur Verfügung stehen und dann gelöscht werden.

4 Datenbewegungen Musik und Medien auf Tour

4.1 "HUNTING FOR WIFI" Abbj]dung 7: Netzwerk- und Passwortinformationen für das WLAN im Backstage-Raum in Leeds

NETWORK:

ARTIST WIFI PASS'Nv RD:

WelcomeHome

Auf dem SXSW-Festival in Austin im März 2016 verbrachte ich immer wieder Zeit in der Registrants' Lounge, einer Art Aufenthaltsfläche für Bändchentäger:innen des Festivals, wo Bands sich zwischen ihren Auftritten immer wieder mit kostenlosen Erfrischungen versorgten. Dieser Ort eignete sich gut, um mit Musiker:innen ins Gespräch zu kommen, da sie hier meist eine Pause einlegten. Ich eröffnete meist das Gespräch mit "Which band are you with?", was hier

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AUF TOUR

eine normale Frage zu sein schien, und wie ich es aus Backstage-Bereichen von Festivals schon kannte. So lernte ich in der Getränkeschlange auch die Mitglieder einer britisch-schwedischen Post-Punk/Noise-Pop-Band kennen. Ich fragte sie, ob ich unser Gespräch filmen dürfte, worauf sie mir die Bedingung stellten, ihr Konzert am nächsten Tag anschauen zu kommen. Auch sie, wie Lauras Band, mussten hier fast jeden Tag spielen, um am Festival teilnehmen zu dürfen. Am Tisch fragte ich sie, was Touren für sie bedeute. Die Antwort machte die Runde: David:

Not sleeping.

Jay:

Eating bad food.

Rasmus: Hunting for WiFi. Like, all the time.

Tatsächlich wird die Bewegung von Musiker:innen in vielerlei Hinsicht von digitalen Medien begleitet (vgl. Abb. 8). Zum Navigieren werden Apps wie Waze oder Google Maps genutzt, ein Google-Kalender ermöglicht das Teilen des Tourplans, TripAdvisor wird genutzt, um schnell ein Restaurant um die Ecke des Spielortes zu finden, die WhatsApp-Gruppe ermöglicht die Kommunikation mit allen Mitreisenden, die iMessage-Funktion des Standort-Teilens wird aktiviert, damit die Tourmanager:in immer gerrau weiß, wo jede:r gerade ist. Diese digitalen, mobilen Medien werden vordergründig dazu genutzt, die Bewegung zu organisieren. Die Bewegung erfährt dadurch eine Strukturierung, die auch mit anderen teilbar und gemeinsam bestückbar ist. Während dies einerseits beschleunigen kann, indem z.B. Routen schneller gefunden und als unnötig empfundene Wartezeiten, wie etwa Staus, vermieden werden können, führt es in der tatsächlichen Handhabe mitunter zu einer Entschleunigung der Bewegung (etwa, wenn mühsam versucht wird, ein Restaurant auf Google Maps zu finden, während es gerrau auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt). Neben diesen Organisations- und Navigationsmedien werden auf Tour vor allem auch Soda] Media genutzt. Hier verhandeln Musiker:innen, wie ich im Folgenden zeigen werde, mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen, wie etwa Fans, Management und Familie oder Freund:innen. Ferner sind die auf Soda/ Media und anderen Diensten, wie etwa TrackingWebseiten oder Streamingdiensten produzierten Daten mehr oder weniger leicht auswertbar und können so zur Planung einer neuen Tour dienen. Zwar ist hier Vorsicht geboten, da man sich mit einer solchen Aussage in die Rhetorik großer Unternehmen begibt - beispielsweise wirbt Spotify damit, höhere

4 DATEN BEWEGUNGEN : MUSIK UND MEDIEN AUF TOUR

I 75

lokale Streamingzahlen würden zu einer Tour in die jeweilige Gegend führen; 19 dennoch hat die Tendenz und Entwicklung in diese Richtung reale Konsequenzen für Musiker:innen, da ihre Tätigkeiten auf Soda] Media zumindest von ihren Managements genauer beobachtet werden und sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden können, wie in diesem Kapitel noch gezeigt werden wird.

Abbildung 8: Auswahl digitaler mobiler Medien auf Tour • ••oo o2·de

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17:00.18:00 The Bad Trips soundcheck 19:00..20.00 Treeboy & Are soundcheck 19:30 Ooors 20:()().20:30 Treeboy & Are 20:45-21 :15 The Bad Trips 21:40.. 23:00 Broncho 23:00 Curfew 23:30 Drive to Nottlngham (1h 30m)

This is me so close to y'atl

Be there in a sec I just have give up goodbyes Where the fuck do I go

D

0

Tourende Bands werfen also in verschiedener Hinsicht einen ,digitalen Schatten', wenn sie sich auf Apps bewegen: Tracking-Apps posten die aktuellen Tourdaten und werden mit Ticketverkäufen und Soda] Media verlinkt, Mitschnitte der Konzerte werden von Fans und professionellen Filmteams auf YouTube hochgeladen, die Reichweite ihrer Posts auf Instagram, Facebook und Co. können durch Statistikausspielungen geographisch nachverfolgt und ihre Reichweite bemessen werden. Um dies zu fördern, engagieren sich Managements in digitalen Marketingstrategien und loten aus, wie, wann und was am besten gepostet werden soll. Sie versuchen hiermit Praktiken zu fixieren, indem sie genaue Schritte vorgeben. Musiker:innen reagieren hierauf auf unterschiedliche Weise, indem sie entweder diesen Strategien nachgehen, oder aber ihre eigenen Praktiken auf andere Weise mobilisieren, die ihnen "authentischer" (vgl. Duffy 2017: 98ff.) erscheint. Hieraus folgen wiederum Aushand-

19 Diesen Hinweis bekam ich von Nick Seaver, Medienethnologe an der Tufts University, den ich am 18. Juli 2017 per Skype zu seiner Arbeit interviewte.

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AUF TOU R

Iungen, die nicht zuletzt das Zusammenspiel von öffentlich und privat verdeutlichen. Damit praktizieren Musiker:innen mitunter Medienpraktiken, die mir als Forscherin zuvor nicht bekannt waren, wodurch sich eine Umkehrung der "medientechnischen Überlegenheit des Forschenden" (Bender/Zillinger 2015: XVIII) ergab.

4.2 DIGITALE ETHNOGRAPHIE ALS FRAGILES FELD Im Folgenden möchte ich zunächst einige Bemerkungen zur Forschungspraxis auf Social Media vornehmen. Anders als bei mobilen Methoden, wie etwa das Mitreisen auf einer Tour, sind Begegnungen auf Social Media oft einer versetzten Zeitlichkeit ausgesetzt, indem Inhalte erst im Nachhinein des Postens wahrgenommen werden und dann mit ihnen interagiert werden kann. Methodisch ist dies in der Ethnographie insofern relevant, als dass eine Co-Präsenz nunmehr die Co-Lokation ablöst (Beaulieu 2010) und somit die Multiplizitäten und Zeitlichkeiten eines "being in fieldwork" und damit zusammenhängende Prozesse von Wissensproduktion mitkonzeptualisiert werden (vgl. Horst 2016: 163). Als ich 2017 von meiner letzten Feldforschung zurückkam, auf der ich die Band Broncho in ihrer Funktion als Vorband auf der Tour der Band Queens of the Stone Age durch Europa begleitet hatte, wurde mir diese Zeitlichkeit mit hoher Dringlichkeit bewusst: Ben, der Gitarrist, hatte allem Anschein nach kurz nach der Tour sein Instagram-Profil aufgeräumt, indem er fast alle Fotos gelöscht hatte - es blieb ein fast leeres Profil mit alten Posts vom Vorjahr. Und Penny, die Bassistin, die schon während der Tour damit angefangen hatte, benutzte nunmehr ausschließlich die Insta-Stories-Funktion, 20 d.h. alle ihre Posts wurden innerhalb von 24 Stunden gelöscht. Demnach musste ich von nun an täglich Screenshots anfertigen. Von einigen von Bens Posts, die mir während der Tour aufgefallen waren, hatte ich bereits Screenshots gemacht. 21 Dies war mit meiner Methodologie kongruent, die Posts weitgehend im Kontext der gemeinsam erlebten Situation zu verstehen. So erschloss sich mir etwa auf meiner ersten Tour mit der Band Two Gallants ein zunächst widersprüchlicher Post des Tontechnikers Moses, der ein Foto der vorbeiziehenden Landschaft

20 Insta-Stories sind Foto· oder Videoposts auf Instagram, denen interaktive und multi·

mediale Elemente hinzugefügt werden können. Sie werden in einer Art Slideshow angezeigt. Angelehnt an andere Apps, wie z.B. Snapchat, werden diese Posts nach 24 Stunden automatisch gelöscht. 21 Zum Speichern im Feld vgl. Drackle 2015: 400.

4 DATEN BEWEGUNGEN : MUSIK UND MEDIEN AUF TOUR

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machte, das er wenig später mit dem Caption "Life is passing you by ... " (Abb. 9) auf Instagram postete, während er im Van hinter mir saß und lauthals mit den anderen Bandmitgliedern scherzte.

Abbildung 9: Instagram-Post von Moses, ''Life is passing you by.. . "

· - ·Folgen -

Life is passing vou by...

iiiiii10r are you passirlQ it

by?

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maril;ieren oder zu kommentieren.

Im Gespräch mit ihm wurde mir klar, dass er diese Sorge, sein Leben würde an ihm vorbeiziehen, nicht während einer Tour mit seinen Bandkolleg:innen teilen konnte, sondern stattdessen einer teils unbekannten Öffentlichkeit seine Gedanken mitteilte. Durch die Kenntnis des Moments, in dem er dieses Foto aufgenommen hat, und durch das Miterleben der sozialen Situation, konnte ich folgend Gespräche mit den Musiker:innen über die Tabus und Kodizes führen, die auf Tour herrschten. So ist die soziale Situation auf Tour von dem Einverständnis geprägt, Sorgen und Zweifel über die Tour-Situation nicht mit den Mitreisenden zu teilen, um die allgemeine Stimmung nicht zu gefährden. Die Nähe, die hier ,in der Distanz' durch mobile Medienpraktiken geschaffen wird, steht im Kontrast mit der körperlichen Nähe im Van, die eher emotionale Distanz zu benötigen scheint. Der Medienethnologe Edgar G6mez Cruz (2016) schlägt vor, mit dem Smartphone gemachte Aufnahmen unter dem Aspekt des "World-making" (G6mez Cruz 2016: 339) zu betrachten. So tragen die visuellen Erzeugnisse der Musiker:innen selbst zunächst dazu bei, das Umfeld durch die Praktik des Aufnehmens mit zu konstituieren, indem wir durch die Kontextualisierung über sie hinaus lesen können. Durch die zusätzliche Angabe des Ortes der Aufnahme

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können sogar weitere Informationen mit dem Inhalt verknüpft werden und fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen: The ways in which locative media overlay and entangle information and media with location invite us to conceptualize the relationality between these technologies and the environments of which they are part through Doreen Massey's (Massey 2005: 130) notion of place as being made up of ,stories-so-far.' (Hjorth/Pink 2014: 43)

Dennoch lässt sich eine Co-Präsenz mit verschiedenen, zudem ständig wechselnden Zeitzonen nur bedingt aufrecht erhalten und ich musste etwa sechs Monate nach meiner letzten Tour mit Broncho im Herbst 2017 einen Schlussstrich darunter ziehen, die Insta-Stories der Bandmitglieder allnächtlich zu verfolgen und in jeder freien Minute Screenshots anzufertigen. Somit fand meine digitale Ethnographie über einen langen Zeitraum statt, während die Begleitung der Bands, abhängig von deren Tourkalendern und meinen Kapazitäten, in Intervallen erfolgte. Durch das Miterleben ihres Alltags auf Tour jedoch konnte ich auch aus der Distanz heraus die Momente ungefähr einordnen, in denen gepostet wurde, und auch hier einen gewissen Rhythmus feststellen. Verschiedene Faktoren tragen hierzu bei, etwa ob der Van über WLAN verfügt, oder ob nur an den Spielorten zu Pausenzeiten gepostet werden kann; ob die Band in ihrem Heimatnetz unterwegs ist und somit mobile Daten hat, oder ob sie auf WLAN-Verbindungen angewiesen sind. Nach einer Zeit der Gewöhnung, und durch die Triangulierung mit meiner eigenen Erfahrung auf Tour, konnte ich hier sowohl Muster erkennen als auch Situationen einordnen. Neben den Tourbegleitungen folge ich seit mittlerweile sieben Jahren auf Facebook, Twitter und Instagram den Posts von Musiker:innen. Wenn ich in meinem Alltag, meiner Zeitlichkeit, etwa beim Betrachten und Speichern der Insta-Starfes einer Musikerin, einen Post lese, der für meine Forschung relevant ist, dann bewege ich mich genau in dem Feld, das Sarah Pink und John Postill in ihrer Arbeit über Social-Media-Ethnographie als "messy web" (Postill/ Pink 2012) bezeichnen. Sie schlagen darin vor, methodisch den Blick von Netzwerken und Communities auf Routinen, Mobilitäten und Sozialitäten zu richten: We examine the implications of shifting the methodological emphasis from models of network and community to a focus on routines, mobilities and socialities [ ...]. These concepts, we propose, enable us to understand how social media ethnography produces ,ethnographic places' (Pink 2009) that traverse online/ offline contexts and are collaborative, participatory, open and public. (Postill/ Pink 2012: 2)

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Der ,ethnographische Ort' meiner Forschung gestaltet sich durch das Zusammenspiel der Tour selbst sowie der Posts über die Tour, ebenso wie meine Kommunikation während oder zwischen Touren mit den Musiker:innen, sodass die Konturen des ,Feldes' unklar werden (vgl. Jackson 2016: 43). In den Monaten, in denen die verschiedenen Bands auf Tour waren, folgte ich einer Routine, die den Beschreibungen von Postill und Pink ähnlich ist (Postill/Pink 2012): In ihrer Reflexion über das methodische Vorgehen ihrer Social-Media-Forschung bestimmen sie fünf Handlungen des "digital researcher": catching up, sharing, exploring, interacting, archiving (ebd. 2012: 6). Sobald ich mein Smartphone anschaltete und Instagram oder Facebook öffnete, war ich mitten im Tourleben derjenigen, denen ich ,folgte'. Ich konnte nachvollziehen, wo sie sich gerade befanden und was sie erlebten. Ich selbst teilte Fotos und Posts, die mich an sie oder die Tour erinnerten, und reagierte auf ihre Posts entweder in der jeweiligen App selbst, oder per Textnachricht. Über die verwendeten flashtags und getaggten Personen in ihren Posts konnte ich weitere Posts finden, etwa von Mitreisenden auf der Tour oder der Crew. Schließlich speicherte ich die Posts, schrieb darüber Notizen und fertigte Screenshots an, die wiederum in einem Ordner auf meinem Computer Platz fanden. Während ich in den nächsten Abschnitten speziell auf Marketing und Fankontakt eingehen werde, bilden die auf Social Media gesammelten Materialien auch Analysegegenstände in den weiteren Kapiteln, die sich nicht gezielt mit digitalen Technologien auseinandersetzen.

4.3 METRISCHE BEWEGUNGEN In der Musikbranche wird häufig das Jahr 1999 mit der Gründung des Streamingdienstes Napster als Beginn der Entwicklungen gehandelt, die die Musikindustrie im ,digitalen Zeitalter' zu bestimmen scheinen: die Digitalisierung von Musik und die Popularität ihrer digitalen Verbreitung. In ihrem Artikel mit dem Titel "Embracing the Flow" (Baym 2010) diagnostiziert die Intemetforscherin Nancy Baym einen "Kontrollverlust über die Distribution von digitalem Material" in den Medienindustrien, der vor allem auch die Musikindustrie betrifft, welche lange auf der Zentralisierung von Distribution und Kommunikation basierte (Baym 2010: 2). Demnach haben nach dem Aufkommen illegaler Verbreitung von Musik im Internet die Strategien der Musikindustrie zunächst darauf abgezielt, unbezahlte Downloads und FileSharing zu unterbinden. Baym beobachtet allerdings den Trend, die Distribution der Musik eher als Möglichkeit zu sehen, das Publikum zu vergrößern: "[T]he question is how to use it, not how tostop it" (ebd.: 4). Die Musiklabels,

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die als scheinbar größte Verlierer der Digitalisierung gelten, verschrieben sich nunmehr anderen Strategien, um ihren wirtschaftlichen Gewinn aufrecht zu erhalten. So setzten sie in Reaktion vermehrt auf kostenlose Downloads und Streaming - heute vor allem mit dem Ziel, Fans zu gewinnen, die Geld für Konzerttickets ausgeben. Für Musiker:innen bedeutet diese Entwicklung, die der Live-Performance die größte (wirtschaftliche) Aufmerksamkeit schenkt, vor allem, vermehrt auf Tour zu gehen. Wie ich auf der Musikkonferenz des SXSW-Festivals 2016 erfahren konnte, setzen Managements heute vor allem auf das Social-Media-Marketing der Bands selbst. So sollen Fans an die Band gebunden und dazu motiviert werden, auf die Konzerte zu kommen, um damit die Gewinne zu steigern. Die Strategien, die hinter diesem Marketing stecken, werden ständig ausgebaut und erweitert. Sie reichen von "Best Practices" 22 der Inhalte der Posts bis hin zu den Uhrzeiten, an denen die Reichweite am größten ist. Diese Marketingstrategie ist in der Musikbranche nicht neu; wie Larry, der ehemalige Manager von Broncho mir erzählte, lag schon immer ein großer Wert auf der direkten Kommunikation mit Fans: Obviously it's important to have good songs and be a competent band, but to take your brand and get it out there and make impressions with people, it's the one-on-one contact.

Social Medja is awesome, obviously you could market your brand through that, that's new in the last decade or so. But nothing beats the personal contact between a fan and the artist through touring. And again, while you're touring, make those personal Connections before and after the show. Those are the things that fans are gonna remernher and they're gonna become loyal. [... ] And those people are gonna tel! all their friends. And then the next time you come around, there might be 30 people in the audience and then they're gonna tel! their friends ,Wow, you missed a great show!', next time it's gonna be 300 people. And that's how you build a following! It's just, it's tried and true, you know?

Social Media, und besonders der direkte Kontakt zwischen Musiker:innen und ihren Fans, der dadurch begünstigt wird, bewegt sich vielleicht gerrau zwischen diesen beiden Aussagen: einerseits spielt es mit dem, was Larry aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als "tried and true" betitelt, andererseits nutzt es die neuen digitalen Medien und ihr Potential, Daten auswertbar und damit Entwicklungen berechenbarer zu machen.

22 Hier werden als Beispiele Musiker:innen genannt, die besonders erfolgreiches SocialMedja-Marketing betreiben.

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Diese Entwicklung geht mit einem weiteren, zum Teil noch in der Zukunft liegenden Schritt einher, geosensible Daten, die von Streaming-Diensten, Social-Media-Plattformen und Downloads generiert werden, nach Herkunft auszuwerten und in der Planung der Tourrouten zu Hilfe zu ziehen. Hugh, ein Musikjournalist, der u.a. für das Wirtschaftsmagazin Forbes schreibt, erwähnte diesen Zusammenhang in unserem Interview: The data that comes along with being involved in social media and especially streaming [ ... ] is starting to teil musicians where they should go, so it's getting a little bit smarter. I mean if you can see that a thousand people are tweeting you from Cologne, and you've never visited Cologne, then you should go there. [ ... ] I'm sure there is a relation, if this photo got 500 likes from this city, but I don't know if a Iot of musicians get that in depth into it. I'm not sure it's there yet.

Dies deutet auf eine Entwicklung der Medienauswertung hin, die man mit Thielmann wie folgt zusammenfassen kann: "Nowadays everything in the media world gets tracked, tagged, and mapped" (Thielmann 2010: 2). Die neue Rolle, die Musikkonsument:innen hierdurch zuteil wird, und die Dezentralisierung der Kommunikation in der Musikindustrie weist also auf eine besondere Bewegung hin: Eine durch die Digitalisierung der Musik vermeintlich so groß gewordene Welt geht durch die Digitalisierung des Marketings mit einer gleichzeitigen Verkleinerung einher. Marketingbestrebungen auf Social Media setzen eher auf persönlichen Kontakt als auf Massenkompatibilität und haben zum Ziel, lokale Begegnungen zwischen Fans und Musiker:innen an den Konzertorten zu ermöglichen. Gleichzeitig führen Datenbewegungen zu physischer Mobilität: indem Musikstücken und Posts eine größere Mobilisierung zuteilwird, werden einerseits die Musiker:innen, und andererseits ihre Fans mobiler, indem sie sich an die von diesen Daten abgelesenen Orte bewegen. Dieses Zusammenspiel möchte ich als ,metrische Bewegungen' begreifen. Die Bewegungen einer Band kann man auf sogenannten Tracking-Webseiten wie Bandsintown oder Songkick anband ihrer Konzertdaten nachverfolgen (Abb. 10). Auf einer solchen Webseite kann man sehen, ob die Band zurzeit auf Tour ist, wie viele Konzerte sie wo gespielt hat, und wie viele Kilometer oder Meilen sie jemals zurückgelegt hat - zumindest, seit sie hier gelistet ist. Der Hintergrund dieser Webseiten scheint eine von der Musikindustrie identifizierte Statistik darüber zu sein, dass 40% der Ticketverkäufe verloren gehen, weil die Fans nicht wissen, dass die Band in der Stadt ist. Trotz mehre-

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rer Nachfragen an diejenigen, die auf der Musikkonferenz des SXSW-Festivals 2016 diese Statistik benutzten, konnte mir niemand sagen, woher sie stammt.

Abbildung 10: Screenshot der Seite der Band Broncho aufSongkick

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Next 3 concerts:

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Next concert:

Dennoch scheint es nunmehr das Ziel digitalen Marketings geworden zu sein, auch diese 40% der Tickets zu verkaufen, indem die Fans besser über die Tourdaten unterrichtet werden. Hieran sind auch große Plattformen wie etwa Facebook beteiligt, indem sie sich Strategien überlegen, wie die Konzertankündigung einer Band auf dem meist überfüllten Feed der Foliower gesehen werden könnte. Sie setzen dabei vor allem auf das Schneeballprinzip zwischen den Fans und ihrem sozialen Netzwerk. Eine solche Strategie ist zum Beispiel das Posten von Stage Seifies (also Seifies aus Sicht der Bühne), in denen sich die Fans im Publikum taggen können, um so die Sichtbarkeit des Posts zu erhöhen. Andererseits bietet Facebook die Möglichkeit, Events zu erstellen, in die sich die Fans eintragen können. In die Diskussionsspalte eines solchen Events, wie in Abb. 11 zu sehen, können Informationen gepostet werden, zum Beispiel über den Ticketverkauf. Häufig nutzen auch Konzertbesucher:innen diese Möglichkeit, um Tickets für ein ausverkauftes Konzert zu suchen oder zu verkaufen. Auch Mitfahrten etc. werden hier geregelt. Diese Events sollen die Sichtbarkeit des Konzertes erhöhen, weshalb eine Facebook-Repräsentantin auf der SXSW-Musikkonferenz dazu riet, ein Event für die ganze Tour anzulegen. Zwar könne man dann nicht mehr die Besucherzahlen der einzelnen Konzerte einschätzen, erziele aber eine höhere Sichtbarkeit, unter anderem wegen der vermutlich erhöhten Aktivität

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in der Eventdiskussion. Somit könne die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden, dass die Information über die Tour auf dem Feed der Foliower gesehen werde.

Abbildung 11: Screenshot eines Events aufFacebook

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Dieser diagnostizierte Mangel an Sichtbar- und Erreichbarkeit hat einerseits zu einem Wiederaufleben von E-Mail-Listen an den Merchständen von Konzerten gesorgt. Andererseits hat es etwa die Tracking-Webseite Bandsintown, die auf einer ähnlichen Idee wie Songkick basiert, dazu motiviert, ihr Produkt um eine Social-Media-Funktion zu erweitern: Die Bandsintown Manager-App wird als "The Touring App that connects artists to fans" beworben (Abb. 12).

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I MIT BANDS AUF TOUR Abbj]dung 12: Screenshot der Tüelseüe der Bandsintown Manager-App

Diese App wurde von dem Bandsintown-CEO Julien Mitelberg auf der SXSW Musikkonferenz 2016 vorgestellt und diskutiert. Das Marketing-Versprechen dieser App ist, dass sie die Fans direkt erreicht und die Posts nicht in einem langen Feedlanden, wo sie überlesen werden. Entsprechend der Marketingstrategien in der Musikindustrie, die auf persönlichen Kontakt und Interaktion zwischen Musiker:innen und Fans abzielen, werden diese Apps entwickelt und angepasst: Sie werden sozial. Darüber hinaus kaufen Webseiten wie Bandsintown, so Mitelberg, Daten von Streaming-Diensten wie Spotizyund Pandora, um Empfehlungsalgorithmen in ihre Webseite einzubauen. Diese neuen Verknüpfungen, also die im Zuge der Empfehlung von Fans abonnierten neuen Bands, werden zurück an die Managements und Labels gespielt, die dann wiederum den Fans von einer Band auch gezielt Werbung für andere Bands schicken können, bzw. die Geschmäcker der Fans ihrer Bands auswerten können. Dies wird kombiniert mit Daten aus Events (von Facebook, Tracking-Webseiten oder anderen Quellen), um zu bemessen, welche Musikfans wie oft im Jahr Konzerte besuchen und wieviel Geld sie dafür ausgeben. Nick Seaver, der über die Programmierer:innen von Musikempfehlungsalgorithmen eine Ethnographie geschrieben hat, definiert Algorithmen als kulturelle Prozesse, in die politische wie soziokulturelle Einbettungen mit einfließen: We can call this the algorithms as culture position: algorithms are not technical rocks in a cultural stream, but are rather just more water. Like other aspects of culture, algorithms are enacted by practices which do not heed a strong distinction between technical

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and non-technical concems, but rather blend them together. In this view, algorithms are not singular technical objects that enter into many different cultural interactions, but are rather unstable objects, culturally enacted by the practices people use to engage with them. (Seaver 2017: 5; Hervorhebung im Original)

Er betont hier und an anderer Stelle (Seaver 2013: 6) die inhärente Subjektivität sogar von scheinbar ,objektiven' Prozessen wie Algorithmen, die durch individuelle Praktiken ausgeführt werden. Indem er von ,instabilen Objekten' spricht, wird auch die Dynamik deutlich, derer diese unterliegen. Im Fall meiner Arbeit, in der ich mich nicht im Detail Algorithmen angenommen habe, sind diese Überlegungen dennoch relevant: Zum Beispiel werden die folgenden Abschnitte zeigen, dass nicht nur Musiker:innen auf Social Media unterschiedliche, individuelle Praktiken anwenden, durch die sie sich die Möglichkeiten der Plattformen in gewisser Weise aneignen, sondern auch, dass die Plattformen selbst Entwicklungen und Veränderungen unterliegen. Wenn ich hier also von metrischen Bewegungen spreche, dann bewege ich mich an einer Schnittstelle: während mich aus ethnologischem Interesse vor allem die Erfahrungen, Erlebnisse und Begegnungen von und mit Musiker:innen interessieren, sind für den größeren Kontext meiner Forschung auch andere Werte notwendig: Datenbewegungen, Plattformen und andere Akteur:innen, die an den Praktiken der Musiker:innen teilhaben und diese mitbestimmen. Jedoch ist hier auch wichtig im Blick zu behalten, dass das Marketing, um Fans zu mobilisieren, zunehmend den Musiker:innen aufgetragen wird, und damit zu einer weiteren Aufgabe während der Tour wird. Eine Automatisierung und Vereinfachung auf der einen Seite (etwa durch Empfehlungsalgorithmen) führt auf der anderen Seite zu mehr Arbeit, die zudem zu einem Rechenschaftsinstrument gemacht werden kann.

4.4 MARKETINGSTRATEGIEN UND FANKONTAKT AUF TOUR Die Medienpraktiken von Musiker.innen stehen ferner auch immer in Zusammenhang mit dem Marketing der Tour und den an sie gestellten Aufgaben, Fankontakt zu pflegen. So ist die Anzahl der Foliower auf Social Media heute zu einem ausschlaggebenden Maßstab geworden, der nicht zuletzt den Erfolg einer Band bestimmt, 23 indem sie etwa für Vertragsschließungen zu Rate gezo-

23 vgl. Gespräch mit einem Manager in den USA, der mir erklärte, dass Bands mit weniger als 30.000 Fans auf Facebook womöglich keinen Plattenvertrag erhielten, Austin, 16.03.2016.

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gen werden. Marketingstrategien in der heutigen Musikbranche lassen sich anband der Themen der SXSW-Musikkonferenz 2016 in Austin, Texas, exemplarisch darstellen. Hier rangelten sich Panels rund um das Thema Sodal-MediaMarketing und Tourgewinne, die vor allem deutlich machten, warum die Plattformen und App-Entwickler:innen ein solches Interesse an der Musikindustrie haben, bzw. warum die beiden Branchen so eng miteinander verwoben sind. Scott Carlis, Digital Marketing Manager bei AEG und Glenn Minerley, Vizepräsident des Ressorts Music & Entertainment bei Momentum, diagnostizierten in ihrer Präsentation im Panel mit dem Titel "Does Social Media make concerts better?", Musik sei das Nummer-Eins-Gesprächsthema auf Soda] Media. Sie stützten ihre These mit Statistiken aus dem Vorjahr 2015, in dem vier von fünf der meist retweeteten Posts auf Twitter musikbezogen waren und sieben der zehn Top-Profile auf Facebook Musiker: innen zuzuordnen sind. Jedoch wurde hier nicht näher erläutert, ob sich diese Daten weltweit oder nur auf den USamerikanischen Markt beziehen. In ihrer Präsentation zeichneten sie, nicht auf ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit verzichtend, den Stellenwert von Soda] Media in der Musikbranche nach und kamen dabei zu dem Fazit, dass Soda] Media vor allem zur Platzierung von Marken in den Posts von Musiker:innen und Fans geeignet sei. In ihren Augen seien Musiker:innen vor allem als sogenannte "brand advocates" interessant, also als Vermittler:innen zwischen Marken und ihren Fans. Dabei bedienten sie sich der Argumentation, Soda/ Media habe die Musikindustrie auf verschiedene Weise verändert: [Social Media] changed albtun cycles, changed the way brands leverage music, changed the way artists relate to fans [and] changed the way fans consume music. (Car· Iis/Minerley, Austin, 16.3.2016)

Vor allem aber sollen Bands sich selbst als "brands" verstehen. Wer in den letzten Jahren ein Konzert besucht hat, hat sicherlich nicht nur den Blick auf die Bühne in Erinnerung, sondern auch jenen auf die unzähligen Smartphone-Displays, die die Sicht bis dorthin pflastern. Diese mitunter störende Praktik soll, so stellen es unterschiedliche Digital MarketingManagerinnen auf dem SXSW-Festival vor, dahingehend motiviert werden, dass Fans immer mehr Content für die Bands generieren, der gleichzeitig eine potenzierte Live-Erfahrung der Fans verspricht. So können gepostete Aufnahmen von Fans einerseits die Hörerschaft vergrößern, wenn es sich etwa um auf YouTube hochgeladene Videos handelt. Posts auf Twitter können von der Band retweetetwerden, ohne selbst Contentproduzieren zu müssen. Und auf getaggte Fotos auf Instagram kann die Band mit einem Like oder Kommentar reagie-

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ren, um so - aus marketingstrategischer Perspektive - Fans langfristig und mit großer Reichweite an die Band zu binden. Hier sind die Strategien je nach Plattform unterschiedlich und hängen auch von den jeweiligen technologischen Entwicklungen ab. Während Bands auf Twitter z.B. alles retweeten, was ihr Twitter-Handle direkt erwähnt, wird das Regrammen auf Instagram nicht auf die gleiche Weise praktiziert. Und während es auf Facebook vor einigen Jahren noch attraktiv war, als Fan auf eine Bandpage zu posten und damit für alle anderen Foliower sichtbar zu sein, so muss man jetzt, nachdem 2014 der Newsfeed geändert wurde, erst auf den Reiter "Visitor Posts" klicken, um diese zu sehen. Vor kurzer Zeit besuchte ich Gavin, den Tourmanager von Broncho, im Molotow in Hamburg, wo er mit der dänischen Elektro-Pop-Band Blondage auf Tour war. Im Backstage-Raum aßen die beiden Bandmitglieder ihr vom Spielart bereit gestelltes Essen. Während des Essens schreckte die Sängerin Pernille plötzlich auf, griff zu ihrem Computer und fing an zu tippen - sie müsse unbedingt noch etwas in das ,Event' posten. Sie fragte ihren Bandkollegen Esben, ob sie das Video vom Vorabend, auf dem er ein Britney-Spears-Lied in der Karaokebar nach dem Konzert sang, posten dürfe. Er erwiderte, dass es für ihn kein Problem sei. Gemeinsam überlegten sie, ob sie das Video auf das Bandprofil oder in das ,Event' posten, als Pernille bemerkte, dass sie erst den Manager fragen sollten, ob das Video ,in Ordnung' sei. Schließlich sei es ein ziemlich albernes Video. Jedoch müssten sie dann auf seine Antwort warten, und dann wäre es zu spät - in das ,Event' sollten sie ja noch vor dem Konzert etwas posten. Wie von diesem Hindernis daran erinnert, beschwerte sie sich folglich darüber, dass sie nun ihr Abendessen dafür unterbrechen musste, um etwas auf Facebook zu posten. Wie ich am nächsten Tag sehen konnte, hatte sie sich schließlich entschieden, in das ,Event' ein Foto vom Soundcheck mit einem Gruß der Vorfreude an die Fans zu posten. Das Video des Britney-Spears-Covers von Esben erschien erst am nächsten Tag auf ihrer Profilseite - vermutlich nach Absprache mit dem Manager. Wenn wir hier an den Tourrhythmus denken, sind also nicht nur Praktiken des Bühnenaufbaus oder der Reise ausschlaggebend, sondern auch Medienpraktiken müssen in ihm Platz finden. Die Zeitlichkeit und Taktung dieser Medienpraktiken sind dabei zweierlei: Einerseits gibt es da die "Best Practices"Vorgaben von Marketing-Strategen, die raten, immer gegen 21 Uhr CET zu posten, weil die Posts zu dieser Zeit angeblich die meisten Menschen auf der Welt erreichen. Andererseits stehen die meisten Bands um 21 Uhr auf der Büh-

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ne und spielen entweder ihr Konzert oder bauen gerade die Bühne um. Die Praktiken des Postens müssen sich also in den Rhythmus der Tour eingliedern. Da die meisten Tourvans kein eigenes WLAN besitzen, ist für Musiker: innen die beste Zeit zum Posten zwischen Soundcheck und Konzert. In dieser Leerlaufphase, in der die Zeit meistens nicht reicht, um sich weit vom Spielort zu bewegen, werden in meiner Erfahrung tatsächlich die meisten Posts erstellt, wie man an den unzähligen Fotos von Soundchecks auf den Social-Media-Profilen von Bands ablesen kann. An Pernilles Beispiel wird deutlich, dass ihr Manager hier als Korrektiv an den Medienpraktiken beteiligt ist. Dies verdeutlicht einerseits die im BandAlltag bestehende Hierarchie und kann andererseits für ein Vertrauen in Marketingfragen stehen. Vor allem aber liegt darin eine Umschichtung der Rollen von Management und Musiker:innen in Bezug auf die Marketingpraktiken. Während einst das Management (zusammen mit der lokalen Veranstalterin) für die PR der Bands zuständig war, ist dies nun vor allem in den Aufgabenbereich der Musiker:innen gerückt. Für dieses Verfahren werden die Plattformen interessant, auf denen die Medienpraktiken überhaupt verübt werden. Facebook zum Beispiel bietet mittlerweile viele Funktionen für das Musikmarketing: Einer Bandpage können Buttons hinzugefügt werden, die Tourdaten verzeichnen und sich mit Ticketanbietern verknüpfen lassen. Der Ethnologe Daniel Miller analysiert Facebook in seinem Buch Tales from Facebook (Miller 2011) unter anderem als Medium der Sichtbarmachung und öffentlichen Teilhabe. Im Fall von Musiker:innen (ähnlich wie im Fall von sogenannten "Internet Celebrities", vgl. Abidin 2018, oder Blogger:innen, vgl. Duffy 2017) werden Social Media zusätzlich als ,Medien der Selbstvermarktung' zu einem Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses, was nicht selten in Konflikt mit der Selbstwahrnehmung der Musiker: innen steht. 24 Natürlich ist Selbstvermarktung in der Musikindustrie kein neues Phänomen, das erst durch Social Media auftritt. Was sich jedoch hier verändert hat, ist die zeiträumliche Verteilung privater und öffentlicher Sphären, die sich nicht mehr trennen lassen. Waren die Aufgaben des Unterhaltens ihres Publikums von Musiker:innen immer auf bestimmte Räume und Zeiten beschränkt - etwa die Bühne, das Interview und allenfalls die Autogrammstunde - sind sie heute dazu angehalten, permanent öffentlich mit ihren Aktivitäten umzugehen. Die Internetforscherirr Nancy Baym hat die Marketingaktivitäten von Musiker:innen mit Blick auf ihren Fankontakt beforscht und diese als "relational

24 Hierzu habe ich öffentliche Facebook-Konversationen von Musiker:innen verfolgt, in denen sie sich mit diesem Dilemma auseinandersetzen.

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labour" charakterisiert, das sie als "regular, ongoing communication with audiences over time to build social relationships that foster paid work" (Baym 2015: 16) beschreibt. Sie ergänzt: When pundits tell musicians that to be economically viable, they must 'connect' with their fans in order to 'monetize' them, their rhetoric of connection obscures the Iabor of relating [and] [... ] the hard work that 'connecting' entails. (Baym 2015: 16)

Abbjjdung 13: Q&A aufFacebook der BandBiondage

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l1 -·-Für solche ,Beziehungsarbeit' müssen Musiker:innen sich sowohl zunächst unbezahlt Zeit nehmen als auch Techniken überlegen, den Fankontakt aufrecht zu erhalten. Kurz nachdem ich Pernille und Esben der Band Blondage in Harnburg bei ihrem Konzert kennengelernt hatte, fand ich ein Beispiel für eine solche Arbeit auf ihrem Facebook-Profil. Sie unternahmen hier eine Live-Q&A-Session mit ihren Fans (vgl. Abb. 13). Auf Abb. 13 zu sehen ist die Sängerirr Pernille, die auf ihren Computer zeigt. Im dazugehörigen Text werden die Fans zu Fragen aufgefordert, die sie und Esben in den Kommentaren zu beantworten versprechen. Die Band nahm sich hier zwei Stunden Zeit, um mit den Fans Nachrichten auszutauschen. Später am Abend beantworteten sie weitere Kommentare und Fragen. Es wurden insgesamt 42 Fragen gestellt, deren Themen von Musikeinflüssen, der kürzlich

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vollzogenen Namensänderung der Band und Kompositionstechniken rangierten - also nicht viel anders, als man es aus musikjournalistischen Interviews kennt. Dennoch haben die Fans hier die Möglichkeit, persönlich mit der Band zu interagieren und erhalten eine direkte Antwort. Dass das Antworten überhaupt wichtig geworden ist, ist einer Erweiterung von Facebook zu verschulden: der Antwortrate (vgl. Abb. 14). Am Tag nachdem ich die Mitglieder von Blondage bei einem Konzert in Harnburg kennengelernt hatte, schrieb ich ihnen eine Nachricht per Facebook. Ich erhielt darauf sofort eine automatisierte Antwort im Stil eines ,Out-of-office-Reply', in der sie sich vorsorglich für eine verlängerte Antwortzeit entschuldigten, da sie gerade auf Tour seien. Dennoch antworteten sie mir noch am selben Tag.

Abbildung 14: Anzeige der Antwortrate der BandBlondage auf Facebook Featured For You

Get in tauch with Blondaga




Mit dem Hinzufügen der Antwortrate auf Facebook setzen Marketingstrategien damit auf direkte Kommunikation, indem die Fans dazu motiviert werden sollen, mit den Musiker:innen direkt in Kontakt zu treten. Baym, die im Kontext der schwedischen Musikszene forscht, beschreibt die Social-Media-Aufgaben von Musiker .innen ferner als "Hostessing" (vgl. Veijola/Jokinen 2008: 176177): [I]t's no Ionger enough to create affectively engaging music, musicians are now expected to host lively and engaging discussion forums, whether on their own sites or through commercial platforms such as Twitter and Facebook. (Baym 2015: 18)

Die von Musiker:innen erwartete ,Beziehungsarbeit' auf Soda] Media erfordere vor allem andere Skills als das Musikmachen und zudem die Fähigkeit, Grenzen zu setzen (Baym 2015: 16). Jedoch beschränken sich die Fertigkeiten nicht nur auf die Beziehungsarbeit selbst, sondern sie sind vor allem für die Anforde-

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rungen an die Medienpraktiken von Relevanz. Wie John Postill (Postill 2010) am Beispiel von Base-Jumper:innen25 und ihren Videopraktiken deutlich macht, wirkt sich die Qualität der Videos auch auf die Reputation der Springer:innen aus. Im Fall von Musiker:innen lässt sich dies insofern übersetzen, als dass die Qualität ihrer Posts in Form von Videos, Fotos oder Text ein weites Verbreiten der Posts ermöglicht, das von ihrem Management als erfolgreiches Marketing für die Musik gedeutet wird. Um in der Musikbranche erfolgreich zu sein, ist es also hilfreich, auch gut fotografieren zu können, unterhaltsam zu kommunizieren oder rhetorisch versiert zu sein.

4.5 AUSHANDLUNGEN VERSCHIEDENER ANSPRUCHSGRUPPEN Die soeben dargestellten Strategien von Marketingmanager:innen scheinen eine klare Linie darzustellen, wenn es um Best Practkes und zur Rechenschaft ziehbare Zahlen des Engagements geht. Für die Musiker:innen bedeutet dies aber mehr als die Aushandlung zwischen fixierten Marketingstrategien und ihren flexiblen Auslegungen derer. Schließlich sollen sie mit ihren Posts an einer Öffentlichkeit teilnehmen, der sie sich so privat wie möglich stellen, wie mir der Marketingstudent Josh auf dem SXSW-Festival erklärt: I think Social media is here to stay, it's never gonna go anywhere and if it's not being utilized it's an opportunity being missed by every perform er [ .. .] because when it comes down to it, [ ... ] you're a brand. So, your brand comes out in whatever social media platform you use [ ... ] One, you have to be careful about what you put out there, but two, you have to be strategic about it. Especially when you're an artist, because that engagement with your fans is so crucial. That's why Taylor Swift is constantly in the top of everything, it's not necessarily because she's making great music [ ... ], but it's because she loves her fans, she engages with them on a personal Ievel constantly. She's not just randomly putting out things and staying distant from everybody, but she is talking to people directly through there, or she's inviting people to shows, or she is doing special things for her fans [ ... ]. Every artist, no matter if they are pop or heavy meta!, can leam something from that. [ .. . ] I think that the people who are doing it right are being authentic. Because if you're not, then obviously there's this disconnect between the brand image that you're presenting and who you are.

25 Base-Jumping ist eine durch die Verbreitung von Online-Videos bekannt gewordene Sportart, in der Menschen mit Fallschirmen von festen Objekten wie Felskanten und hohen Gebäuden springen. Laut Postill wird die Praktik des Base-Jumping von der Videopraktik maßgeblich mitbestimmt (Postill 2010: 15).

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Was hier deutlich wird, ist, dass ,Authentizität' im Marketing von Musik als Marke verkauft werden soll. Authentizität wird dabei mit einer Kohärenz von ,Marke' und ,Person' gleichgestellt. Dies verwundert zunächst in Bezug auf das Image, das gerade in der Kunstfiguren produzierenden Musikwelt lange Zeit herrschte. Jedoch hat sich allem Anschein nach auch das Image des ,Rockstars' parallel mit der Entwicklung zu Social Me&a dahingehend verändert, greifbar und vor allem ansprechbar zu sein. Dabei soll der Aspekt der Selbstvermarktung möglichst vertuscht werden, wie Baym analysiert; schließlich identifiziert sie die Musiker:innen-Fan-Beziehungen als "market relationships": "Fan/ artist relationships might seem to be better understood as market relationships, given that artists are selling things audiences want" (Baym 2012: 289). Duffy hat in ihrer Forschung mit Fashionblogger:innen drei "pattemed contradictions" (Duffy 2017: 6) beobachtet, die sie wie folgt unterteilt: Authenticity vs. self-promotion: A pervasive social media aesthetic and narrative re!ies on the contemporary Jogics of ,authenticity' and ,realness' but requires laborers to draw upon market logics to brand themselves.

Creativity vs. Commerce. The idea of creative self-expression that they circulate serves to distinguish social media aspirants from those working in cultural industries more explicitly driven by profit maximization. Yet much Jike the latter, individual social media producers confront commercial pressures on the path to generate income.

Hobby vs. professional status: The contrast between professional and amateur pervades the world of social media makers. Certainly, this dichotomy elides the reality that those (seemingly hobby) bloggers with the greatest number of followers have been able to parlay their digital fame into book deals, clothing Jines, and designer collaborations, among others. (Duffy 2017: 6)

Soda/ Media wird aber nicht nur in den Augen von Manager:innen mit wirtschaftlichem Erfolg assoziiert, sondern wird auch von Musiker:innen auf Soda] Media selbst so dargestellt (vgl. Abb. 15). Penny drückt hier einerseits einen gewissen Missmut über die Kraft von Social Media aus, indem sie es "poison" nennt. Andererseits bezeichnet sie lnstagram, wo dieser Post erschienen ist, als eine Möglichkeit, sich "authentisch" und "künstlerisch" auszudrücken. Gleichzeitig wird ,Authentizität' somit zu einem wirtschaftlichen Gut (Duffy 2017: 98). Hierbei ist nicht außer Acht zu lassen, dass Musiker:innen Social Media nicht ausschließlich zur Kommunikation mit Fans und mit dem Ziel des Musikmarketings verwenden. Viele Musiker:innen sehen ihre Social-MediaPraktiken als persönliche Interaktionen an, bei denen die emotionale Ebene im

4 DATEN BEWEGUNGEN : MUSIK UN D MEDIEN AUF TOUR

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Vordergrund steht. Vor allem jüngere Musiker:innen von Anfang bis Mitte 20 haben mir immer wieder bestätigt, dass für sie eine Unterscheidung in Marketingnutzung und persönliche Kommunikation nicht greift. So etwa der Musiker Cameron (Abb. 16), der zum Zeitpunkt des Gesprächs 207.000 TwitterFollowerund 57.000 Instagram-Followerhatte: I don't have a massive social following, but it's actually a big part of what I do. [ ... ] I wanna connect to them, and so for me that's big. I want people to see my life, not just the art that I create, not just the things that I put out, but I want people to know me for me. And so that plays a big part in my life. So I think I'm pretty open. That's why people follow you, it is not [about] 'buy my album'·posts, they wanna hear when you're upset, they wanna hear when you're joyful [ ... ] The highs and lows are what people hopefully would drive them to your music, being real, not just fakely being an 'artist', whatever that means, I don't even know what it means. But just being human, just being real. And I like that about social media, it's easy to hide behind the fa