Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert: Akteure – Medien – Dynamiken [1 ed.] 9783737004961, 9783847104964, 9783847004967


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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert: Akteure – Medien – Dynamiken [1 ed.]
 9783737004961, 9783847104964, 9783847004967

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Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Band 21

Herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve

Frank Zielsdorf

Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert Akteure – Medien – Dynamiken

V& R unipress

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1574 ISBN 978-3-8471-0496-4 ISBN 978-3-8470-0496-7 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0496-1 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. T 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Staatliche Bibliothek Regensburg, Signatur 999/Hist.pol.2803-1 Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

meinen Eltern

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil: Hinführung zum Thema . . . . . Zeitlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . Methodischer Zugriff . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsperspektiven . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . Rahmenbedingungen und Forschungsstand

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Zweiter Teil: Schriftliche Zeugnisse als Medien militärischer Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regimentsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ersten Regimentsgeschichten: unmittelbarer und mittelbarer Ausdruck von Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Vorzüge« des Infanterie-Regiments Nr. 3 . . . . . . . . . . . . Ereignisgeschichten – ›Regimentsgeschichte‹ im engeren Sinne . . Der Umgang mit negativen Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . ›Merk-würdiges‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regimentsgeschichte des Füsilierregiments von Erlach . . . . . 3. Die Sammlung ungedruckter Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Regimentsgeschichte von Bornstedt . . . . . . . . . . . . . . . ›Persönliche‹ Erinnerungen: Zwischen adliger Herkunft und militärischer Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Motivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erinnerungen – zwischen Individuum, Regiment und Familie . . . Erinnerung an Schlachten und Krieg - Ehre, Ruhm und Tapferkeit. Der Umgang mit Niederlagen und Fehlverhalten . . . . . . . . . . Ansätze von Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Die Rolle des Königs in der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . ›Merk-würdiges‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Teil: Materialisierte Erinnerungskultur – Artefakte und Praktiken als Mittel zur Distinktion, Identitätsstiftung sowie als Medien der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung der Uniform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einflüsse adliger Regimentsinhaber auf die Uniformgestaltung . . Die Uniform des Infanterie-Regiments Nr. 12 – ein Beispiel . . . . ›Geschichtswerdung‹ der Regimenter im Spiegel der Uniform . . . 2. Bewusstes ›Veralten‹ – Die Erinnerung an den königlichen Vater . 3. Das Selbstverständnis der Offiziere im Spiegel der Uniform . . . . 4. Über den aktiven Dienst hinaus – Uniformen erinnern an Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regelbrüche fördern Distinktion und sind ›merk-würdig‹ . . . . . 6. Fahne – Symbol eines Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Exkurs: Regimentsnamen tradieren nur ausnahmsweise Regimentserinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerung an ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten . . . . . . 1. Veränderungen und Ergänzungen der Uniform . . . . . . . . . . . 2. Regimentssiegel und Waffen als Medien der Erinnerung . . . . . . 3. Der Ringkragen als besonderes Medium der Erinnerung der Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Malplaquet-Schild als Beispiel sich verselbständigender Erinnerungsstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Zugehörigkeit zur Truppengattung in der Erinnerung . . . . . 6. Erbeutete Pauken als dauerhafte Zeichen des Erfolgs . . . . . . . . 7. Regimentsmärsche – musikalische Distinktion . . . . . . . . . . . 8. Erinnernde Namensgebung – der Name eines Regimentsmarsches . 9. Außergewöhnlich: Das Gnadendiplom für das Dragonerregiment Nr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Zur Erinnerung geschaffen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Medaillen – Erinnerungsmedien unterschiedlicher Akteure . . . . Erste Erinnerungsbezüge – Initiativen des Monarchen . . . . . . . ›Private‹ Stifter erinnern Militärisches . . . . . . . . . . . . . . . . Regimenter und Offiziere als Stifter von Medaillen . . . . . . . . . 2. Denkmale und Erinnerungsorte – vielfältige Anfänge militärischer Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Denkmale auf dem Berliner Wilhelmsplatz . . . . . . . . . . . Das Denkmal für die gefallenen Hessen in Frankfurt am Main . . .

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Inhalt

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Vierter Teil: Anlässe des Erinnerns und Vergessens . . . . . . . . . . . . Gedenkfeiern und Jubiläen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gedenken an Schlachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zögerlicher Beginn – Regimentsjubiläen . . . . . . . . . . . . . . . Das Stiftungsjubiläum des Infanterieregiments Nr. 16 . . . . . . . 100 Jahre Regiment Gens d’armes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein Regimentsjubiläum nach 1806 – Inszenierung von Kontinuität. Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen . 1. Ehre – zentraler Bezugspunkt in Konflikten . . . . . . . . . . . . . 2. Gegen den königlichen Deutungsanspruch – Erinnerung als Mittel des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befehlsverweigerung im Spiegel eines familiären Erinnerungskontextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befehlsverweigerung im Spiegel eines militärischen Erinnerungskontextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Königliche Dominanz und das Schweigen der Familien – Konflikte in der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erinnerung ›ex negativo‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erinnerung eines Konfliktes aus unterschiedlichen Perspektiven . Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Konflikt aus königlicher bzw. königsnaher Perspektive . . . . Persönliche Konsequenzen und familiäre Perspektive . . . . . . . . Die Perspektive des Regiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wider die Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Selbstbehauptung und Korrekturen durch Erinnerung . . . . . . .

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Das Denkmal in Rheinsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Denkmale in Brünen, Reckahn und Hakenberg . . . . . . . Das Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht bei Rossbach . . Die Berliner Garnisonkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Berliner Garnisonfriedhof und der Invalidenfriedhof . . . Militärische Erinnerung im familiären Umfeld: zwei Grabmale 3. Offiziersporträts und Galerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträts adliger Offiziere: Überschneidung von adligen und militärischen Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildergalerien von Offizieren auf Initiative des Monarchen . . . Bildergalerien im Umfeld von Regimentsinhabern und Kommandeuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Bildergalerie aus Anlass des Sieges . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

8. Dominanz des Regiments – Erinnerungen der Gruppe als Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Teil: Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert – ein vielschichtiger, dynamischer und identitätsstiftender Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalte und Absichten: Selbstinszenierung und Rechtfertigung sowie die Bewahrung von Ruhm und Ehre über die eigene Zeit hinaus . . . Mediale Überlieferung und Erinnerungspraktiken . . . . . . . . . . . Dynamiken militärischer Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte und ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Das vorliegende Buch ist die für den Druck überarbeitete Dissertation, die 2015 als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen angenommen wurde. Sie entstand weitgehend parallel zu meiner Berufstätigkeit und den damit verbundenen Herausforderungen. Auf dem Weg zu diesem Buch haben mich viele Menschen begleitet und in vielfältiger Weise zur Fertigstellung beigetragen. So stehen die im Folgenden namentlich Genannten auch stellvertretend für die Ungenannten. An erster Stelle danke ich vor allem und ganz herzlich Professor Dr. Horst Carl (Universität Gießen) für die nicht selbstverständliche, geduldige, hilfreiche und ermutigende Betreuung und Begleitung des Forschungsprojektes von seinen Anfängen bis zur Vollendung über einen für universitäre Verhältnisse langen Zeitraum. Ebenso bedanke ich mich bei Professorin Dr. Ute Planert (Universität Wuppertal) für die bereitwillige Übernahme des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich Professor Dr. Ralf Pröve und Professor Dr. Bernhard R. Kroener (jeweils Universität Potsdam) sowie dem Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Professor Dr. Jürgen Kloosterhuis, für kritische, hinterfragende und zugleich hilfreiche und inspirierende Gespräche sowie Hinweise auf mögliche Quellen. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme des Buches in diese Reihe, den Mitarbeitern des Verlags für die freundliche Betreuung sowie Pfarrer i.R. Walter Last für das Lektorat. Mit Dank erinnere ich mich auch des wohlwollenden Verständnisses und der auf verschiedene Art und Weise geleisteten Unterstützung für meine ›andere‹ Tätigkeit von Vorgesetzten und Kollegen. Stellvertretend sei Sibylle Pfeiffer MdB genannt. Dr. Claudia Klemm danke ich für die immer wieder gewinnbringenden und intensiven Gespräche und Anregungen, für mehrfache Korrekturdurchläufe und nicht zuletzt für die langjährige Freundschaft. Die vielfältige Unterstützung meiner Frau Dorlies in Worte zu fassen fällt

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Danksagung

schwer : Sie hat mich annähernd von Anfang an durch alle Phasen der Bearbeitung begleitet und mich auf vielerlei Weise unterstützt: durch konstruktive Erörterungen einer unbekannten Thematik, durch ermunternde Worte und nicht zuletzt dadurch, dass ich im Beruf pausieren konnte, um die Arbeit abzuschließen. Ohne letzteres wäre die Dissertation wohl zur Lebensaufgabe geraten. Danke für die große Liebe und umfassende Unterstützung! Nicht zuletzt gilt mein tiefer und inniger Dank meinen Eltern für die treue Unterstützung sowie meinen Brüdern. Insbesondere meinem Bruder Stefan danke ich für die Tatsache, dass ich mich über inhaltliche Gespräche zur Dissertation hinaus immer und in allen Zusammenhängen auf ihn verlassen konnte.

Erster Teil: Hinführung zum Thema

»Nur alsdann nehmt ihr mit Recht und unter der Zustimmung Eurer Mitmenschen an ihren Verdiensten Theil, wenn ihr würdige Nachfolger derselben seid oder bleibet, und ihre Stellen mit Ehren bekleidet. Der rühmliche Namen dieses Regiments ist Euch, meine Theuersten! als ein großes, kostbares, heiliges Pfand von Gott anvertrauet, das ihr unverdorben Euren Nachfolgern übergeben sollt.«1

Diese Aufforderung rief der Feldprediger Wilhelm Gabriel Wegener 1792 in seiner Ansprache den Angehörigen des Regiments Gens d’armes anlässlich dessen 100-jährigen Bestehens zu. Er appellierte damit nicht nur an die Mitglieder der militärischen Institution ›Regiment‹, sondern er beschwor geradezu die Gemeinschaft, die sich angesichts des Rückblicks auf 100 Jahre Regiment Gens d’armes über diese Vergangenheit, d. h. über die Erinnerungen daran definierte. Wegeners Sätze illustrieren, welche zentrale Rolle die Vergangenheit eines Regiments für das Selbstverständnis und die Identität seiner Angehörigen gegen Ende des 18. Jahrhunderts spielte.2 ›Vergangenheit‹ gewann demnach als eigenes »Pfand« für das Regiment mehr und mehr konstitutiven Charakter : an ihr wurde gegenwärtiges Verhalten gemessen, durch sie die ›würdige‹ Zugehörigkeit zur Gruppe definiert und aus ihr Erwartungen an die aktiven Regimentsangehörigen für die Zukunft abgeleitet. Wegener wies mit seiner Ansprache unterschwellig darauf hin, dass die realen und stetig präsenten Gefahren für Leib und Leben von Offizieren und Soldaten im 17. und 18. Jahrhundert über eine institutionalisierte Zugehörigkeit zur Institution ›Regiment‹ eine innere, emotionale Identifikation und Sinnstiftung erforderten.3 Näher als die sich ebenfalls im 18. Jahrhundert herausbildenden 1 Wilhelm Gabriel Wegener, Rede an das Regiment Gens d’armes zur Erinnerung an das hundertjährige Bestehen desselben, Berlin 1792, S. 14. 2 Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen: Eine Einführung, 2. Aufl., Stuttgart, u. a. 2011, S. 19: »Eine zentrale Funktion des Vergangenheitsbezugs im Rahmen kollektiver Gedächtnisse ist Identitätsbildung.« 3 Vgl. Michael Kaiser, Zwischen »ars moriendi« und »ars mortem evitandi«. Der Soldat und der

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Hinführung zum Thema

Erklärungs- und Deutungsmuster ›Nation‹ und ›Vaterland‹ lag die Identifikation mit der eigenen Schicksalsgemeinschaft bzw. mit den ehemaligen und aktiven Kameraden im Regiment. Ein solches auf Erinnerung beruhendes Selbstverständnis und Eigenbewusstsein der brandenburgisch-preußischen Regimenter als Ausdruck einer innermilitärischen Professionalisierung, welche Wegener Ende des 18. Jahrhunderts als selbstverständlich thematisierte, existierte jedoch nicht bereits bei ihrer Errichtung, sondern entwickelte sich erst in einem dynamischen Prozess, der zeitlich verzögert zur Entwicklung der Regimenter verlief. Diesen zentralen und grundlegenden Prozess zu skizzieren, in dessen Verlauf sie sich mehr und mehr auch über ihre Vergangenheit konstituierten und diese sinnstiftend als Teil des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Identität integrierten, ist Aufgabe der Untersuchung. Dazu sind der Umgang der Regimenter mit ihrer Vergangenheit ebenso wie ihre jeweils spezifischen Ausprägungen zu beschreiben und in den zeitlichen Kontext einzuordnen. Im Kern geht es darum, der Entwicklung militärischer Identität bzw. der Entstehung eines Esprit de Corps auf Ebene der brandenburgisch-preußischen Regimenter nachzuspüren und die Kohäsionskräfte und die Herausbildung innermilitärischer Identitäten mittels einer erinnerten Vergangenheit aufzuzeigen.

Zeitlicher Rahmen Die Herausbildung einer militärischen Identität gründet sich vor allem auf eine erinnerte Vergangenheit und setzt damit Kontinuität voraus. Der Beginn des Untersuchungszeitraums wird also weniger durch eine konkrete Jahreszahl, sondern vielmehr durch erste feststellbare Erinnerungsbezüge der Regimenter bestimmt, die sich in einem Prozess entfalteten. Dieser wird durch die Entwicklung des Militärwesens zum Stehenden Heer mit seinem ›miles perpetuus‹ nach dem Dreißigjährigen Krieg markiert.4 Allmählich vollzog sich die dauerhafte Aufstellung jener Regimenter, die sich auf den europäischen Kriegsschauplätzen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts Ansehen und vor allem in den drei Schlesischen Kriegen in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Ruf Tod in der Frühen Neuzeit, in: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 336ff. 4 Vgl. Jutta Nowosadtko, Der Militairstand ist ein privilegierter Stand, der seine eigenene Gesetze, obrigkeitliche Ordnung und Gerichtsbarkeit hat - Die »Verstaatlichung« stehender Heere in systemtheoretischer Perspektive, in: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit – Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 121–125, hier S. 124, die von einer »Verstaatlichung des Militärs« spricht, die als ein »konfliktreicher Integrationsprozess der Streitkräfte in den Staat und Gesellschaft eingeleitet wurde.«

Zeitlicher Rahmen

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über die Grenzen Brandenburg-Preußens hinweg erwarben.5 Die bleibende Existenz eines Regiments und damit die Entwicklung hin zu einer dauerhaften Gemeinschaft war anfangs nicht gesichert, da über Jahrzehnte hinweg militärische Einheiten nach Bedarf aufgestellt, reduziert, aufgelöst und in anderer Konstellation wieder neu errichtet werden konnten.6 Ein vorläufiges Ende dieser ›Unbeständigkeit‹ und damit eine relative Konsolidierung stellte schließlich die Einführung des Kantonsystems unter König Friedrich Wilhelm I. 1733 dar.7 Genauer lässt sich das Ende des Untersuchungszeitraums angeben, denn mit der Niederlage bei Jena und Auerstedt gegen die napoleonischen Truppen am 14. Oktober 1806 und mit der Auflösung vieler ›altpreußischer‹ Regimenter in 5 Vgl. Curt Jany, Geschichte der königlich-preußischen Armee bis zum Jahre 1807, Bd. 1, Von den Anfängen bis 1740, Berlin 1928, S. 97ff.; Gerhard Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer : Wehrwesen im Absolutismus, München 1979, S. 157ff.; Gustav Schmoller, Die Entstehung des preußischen Heeres von 1640 bis 1740, in: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648–1947 - Eine Anthologie, Berlin 1981. Bernhard R. Kroener, Vom »extraordinari Kriegsvolck« zum »miles perpetuus«. Zur Rolle der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit. Ein Forschungs- und Literaturbericht, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 43 (1988), S. 176, weist auf die Forschungsrelevanz militärgeschichtlicher Aspekte hin. Zum Offizierkorps vgl. auch Robert Freiherr von Schrötter, Das preußische Offizierkorps unter dem ersten Könige von Preußen, 1. Teil, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 26, 2 (1913); ders., Das preußische Offizierkorps unter dem ersten Könige von Preußen, 2. Teil, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 27, 2 (1914); Manfred Messerschmidt, Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, Stuttgart 1964, S. 13ff., insbesondere S. 25ff.; aus der Perspektive der Landmiliz ergänzend Frank Göse, Die brandenburgisch-preußische Landmiliz: »Reserve« des landesherrlichen Miles perpetuus oder Rudiment ständischen Selbstbewusstseins?, in: Rüdiger Bergien, Ralf Pröve (Hrsg.), Spießer, Patrioten, Revolutionäre. Militärische Mobilisierung und gesellschaftliche Ordnung in der Neuzeit, Göttingen 2010, S. 197–214. 6 Vgl. Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 192ff., 274ff. u. 425ff.; ebenso Wolfgang Neugebauer, Geschichte Preußens, Hildesheim 2004, S. 46; Bernhard R. Kroener, »Das Schwungrad an der Staatsmaschine?« Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn, u. a. 1996, S. 4. Auch innerhalb des Militärs gab es eine intendierte Fluktuation, ebd., S. 4. 7 Dazu Curt Jany, Die Kantonverfassung des altpreußischen Heeres, in: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648–1947 - Eine Anthologie, Berlin 1981; ders., Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 679; Schmoller, Entstehung (wie Anm. 5), S. 758ff.; Martin Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht? Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 62ff. Hartmut Harnisch, Preußisches Kantonsystem und ländliche Gesellschaft. Das Beispiel der mittleren Kammerdepartements, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn, u. a. 1996, S. 139, weist auf die Bedeutung des Kantonsystems für den Aufstieg Preußens hin; zum Kantonsystem selbst vgl. S. 140ff. Rückblickend wurde im beginnenden 19. Jahrhundert dem Kantonsystem eine identitätsbildende, aber nicht den militärischen Dienst fördernde Rolle zugeschrieben, vgl. Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«: Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Bd. 8, Paderborn, u. a. 2002, S. 83.

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Hinführung zum Thema

der Folge der Niederlage und durch Kapitulationen endete die ›altpreußische‹ Armee.8 Der Fokus dieser Untersuchung liegt dementsprechend auf dem 18. Jahrhundert und insbesondere auf dessen zweiter Hälfte.

Methodischer Zugriff Das Forschungskonzept ›Erinnerungskulturen‹ bietet einen geeigneten methodischen Zugriff, um den dynamischen und vielschichtigen, d. h. synchronen und diachronen Prozess der Erinnerungsstiftung als Teil der Identitätsbildung im Verlaufe des 18. Jahrhunderts in den brandenburgisch-preußischen Regimentern zu erfassen und sichtbar zu machen.9 Der häufig und in vielfältiger Ausprägung10 verwendete Begriff ›Erinnerungskulturen‹ wird hier im Sinne der Definition angewandt, wie sie im Sonderforschungsbereich 434 ›Erinnerungskulturen‹ der Justus-Liebig-Universität Gießen herausgearbeitet wurde. Demnach meint »Erinnerungskulturen […] ein kollektiv geteiltes Wissen über Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Eigenheit und Eigenart stützt, und das sich in einem für jede Gesellschaft und Epoche eigentümlichen 8 Vgl. Günther Gieraths, Die Kampfhandlungen der brandenburgisch-preussischen Armee 1626–1807. Ein Quellenhandbuch, Berlin 1964 mit den Angaben zur Auflösung der einzelnen Regimenter. Tendenziös schildert Curt Jany, Geschichte der Königlich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807, Bd. 3, 1763 bis 1807, Berlin 1929, S. 585–594, insbesondere S. 585 u. 593 das Ende der brandenburgisch-preußischen Armee. Zur Niederlage bei Jena und Auerstedt vgl. die Sammelbände Mathias Tullner, Sascha Möbius, 1806: Jena, Auerstedt und die Kapitulation von Magdeburg. Schande oder Chance? Protokoll der wissenschaftlichen Tagung vom 13. bis 15. Oktober 2006 in Magdeburg, Halle/S. 2007; Konrad Breitenborn, Justus H. Ulbricht, Jena und Auerstedt: Ereignis und Erinnerung in europäischer, nationaler und regionaler Perspektive, Dößel 2006. 9 Vgl. Patrick Schmidt, Wandelbare Traditionen – tradierter Wandel: Zünftische Erinnerungskulturen in der Frühen Neuzeit, Köln, u. a. 2009, S. 45f.: »Der enge und konstitutive Zusammenhang von Erinnerungskulturen und kollektiven Identitäten ist heute praktisch unumstritten […].« 10 Vgl. Horst Carl, Ute Planert, Einleitung: Militärische Erinnerungskulturen – Militär als Gegenstand und Träger kollektiver Erinnerung, in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, S. 14f.; Christoph Cornelißen, Was heißt Erinnerungskultur? Begriff, Methoden, Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003), S. 559; vgl. auch Anne Lipp, Diskurs und Praxis. Militärgeschichte als Kulturgeschichte, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn, u. a. 2000, S. 211. Die breite Verwendung des Begriffs ist wohl auch darin begründet, dass »die Forschung zum Bereich ›kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen‹ […] mittlerweile mit Fug und Recht als einer der bedeutendsten Zweige der Kulturwissenschaften bezeichnet werden [kann]«, Astrid Erll, Medien des kollektiven Gedächtnisses – ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff, in: Astrid Erll, Ansgar Nünning (Hrsg.), Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin, u. a. 2004, S. 3.

Methodischer Zugriff

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Bestand an Tradition (Texten, Bildern, Ritualen) konkretisiert und objektiviert«.11 Damit bietet dieser Forschungsbegriff die notwendige vielfältige Anschlussfähigkeit, die für eine sinnvolle Beschreibung der Herausbildung militärischer Identitäten über Erinnerungsbezüge notwendig ist.12 Zum einen können die diskursiven Aspekte eines ›kommunikativen Gedächtnisses‹13 bzw. einer »erfahrenen Vergangenheit«14 mit erfasst werden. Zum anderen kann die Verdichtung des kommunikativen Gedächtnisses im ›kulturellen Gedächtnis‹15, also einer »nicht-erfahrenen Vergangenheit«16, welches durch Medien tradiert und durch Spezialisten verwaltet wird, nachvollzogen werden. Die Inhalte des ›kommunikativen‹ Gedächtnisses, die dauerhaft in Form von Gedächtnismedien oder Praktiken und Werthierarchien, d. h. durch eine materiale, soziale und mentale Dimension des Erinnerns tradiert und aktualisiert, also gegenwartsbezogen abgerufen werden, sind Teil des kulturellen Gedächtnisses.17 Dieses entsteht rückblickend im Diskurs und stellt damit eine Rekonstruktion dar.18 11 Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 17; zur Definition des Begriffs im Sinne des Gießener Sonderforschungsbereiches 434 ›Erinnerungskulturen‹ vgl. auch Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 36ff. 12 Durch die Verbindung von Erinnerung und Identität bezeichnet der Forschungsbegriff ›Erinnerungskulturen‹ in dieser Studie zugleich den Forschungsgegenstand. 13 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis – Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 3. Aufl., München 2000, S. 50: »Das kommunikative Gedächtnis umfaßt Erinnerungen, die sich auf die rezente Vergangenheit beziehen. Es sind dies Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen teilt.« Dazu auch Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 30f. u. 126ff. 14 Vgl. dies., Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 38. 15 Assmann, Das kulturelle Gedächtnis (wie Anm. 13), S. 52: »Das kulturelle Gedächtnis richtet sich auf die Fixpunkte in der Vergangenheit. Auch in ihm mag sich Vergangenheit nicht als solche zu erhalten. Vergangenheit gerinnt hier vielmehr zu symbolischen Figuren, an die sich die Erinnerung heftet. […] Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte.« Ebenso dazu Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 31 u. 126ff. 16 Dies., Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 38. 17 Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 17. Vgl. dazu Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 116: »Die materiale Dimension der Erinnerungskultur konstituieren die Medien des kollektiven Gedächtnisses. Erst durch die Kodierung in kulturellen Objektivationen, seien dies Gegenstände, Texte, Monumente oder Riten, werden Inhalte des kollektiven Gedächtnisses für die Mitglieder der Erinnerungsgemeinschaft zugänglich. Zur sozialen Dimension der Erinnerungskultur gehört die Trägerschaft des Gedächtnisses: Personen und gesellschaftliche Institutionen, die an der Produktion, Speicherung und dem Abruf des für das Kollektiv relevanten Wissens beteiligt sind. Zur mentalen Dimension der Erinnerungskultur gehören schließlich all jene kulturspezifischen Schemata und kollektiven Codes, die gemeinsames Erinnern durch symbolische Vermittlung ermöglichen und prägen sowie alle Auswirkungen der Erinnerungstätigkeit auf die in einer Gemeinschaft vorherrschenden mentalen Dispositionen – etwa auf Vorstellungen und Ideen, Denkmuster und Empfindungsweisen, Selbst- und Fremdbilder oder Werte und Normen.« Vgl. auch die Darstellung bei Schmidt, Wandelbare Traditionen (wie Anm. 9), S. 50 in Bezug auf Jan Assmann. 18 Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 17.

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Erinnerungskulturen sind dabei stets auf Kollektive zu beziehen, da nur diese »Träger des kulturellen Gedächtnisses« sein können.19 Dies hat Folgen für den Umgang mit der Vergangenheit in der Gruppe. »Die soziale Gruppe, die sich als eine Erinnerungsgemeinschaft konstituiert, bewahrt ihre Vergangenheit vor allem unter zwei Gesichtspunkten auf: der Eigenart und der Dauer. Bei dem Selbstbild, das sie von sich erstellt, wird die Differenz nach außen betont, die nach innen dagegen heruntergespielt. Zudem bildet sie ›ein Bewußtsein ihrer Identität durch die Zeit hindurch‹ aus, so daß die erinnerten Fakten stets auf Entsprechungen, Ähnlichkeiten, Kontinuitäten hin ausgewählt und perspektiviert zu werden pflegen. […] Da aber jede Gruppe nach Dauer strebt, tendiert sie dazu, Wandlungen nach Möglichkeit auszublenden und Geschichte als veränderungslose Dauer wahrzunehmen.«20

Somit rückt die Frage nach der Art und Weise der Überlieferung, d. h. wie Erinnerungen an nachfolgende Generationen der Gruppe weitergegeben wurden, in den Mittelpunkt.21 Die Vielfältigkeit von Erinnerungskulturen spiegelt sich gerade in der Vielzahl der Medien wider, mit denen sie tradiert werden können. Über Gedächtnismedien hinaus geraten auch solche Überreste in den Blick, die nicht zum Zweck der Erinnerung geschaffen werden und dennoch solche überliefern. In diesem Sinne ist von einem »pragmatischen Gedächtnis« zu sprechen.22 Dies leitet zur Frage nach den Inhalten der Erinnerung über, d. h. 19 Ebd., S. 17; Assmann, Das kulturelle Gedächtnis (wie Anm. 13), S. 39: »Das Kollektivgedächtnis haftet an seinen Trägern und ist nicht beliebig übertragbar. Wer an ihm teilhat, bezeugt damit seine Gruppenzugehörigkeit. Es ist deshalb nicht nur raum- und zeit-, sondern auch, wie wir sagen würden: identitätskonkret. Das bedeutet, daß es ausschließlich auf den Standpunkt einer wirklichen und lebendigen Gruppe bezogen ist.« Vgl. auch Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 31. 20 Assmann, Das kulturelle Gedächtnis (wie Anm. 13), S. 40. 21 Erll, Medien des kollektiven Gedächtnisses (wie Anm. 10), S. 4: »Auf kollektiver Ebene ist Gedächtnis stets medial vermittelt bzw. […] wird es oftmals überhaupt erst medial konstruiert.« Zum Einfluss des Mediums auf das Vermittelte, ebd., S. 6. 22 Schmidt, Wandelbare Traditionen (wie Anm. 9), S. 31f. Schmidt stellte in seiner Untersuchung eine Diskrepanz zwischen Theorie und Quellen auf der »Suche nach Spuren explizit identitätsstiftender Erinnerungspraktiken« fest, da die »Erinnerungspraxis« »in Textmassen eingebettet war, die aus anderen Überlieferungsinteressen heraus produziert und archiviert wurden.« Deshalb untersuchte er hinsichtlich der Zünfte, ob deren »kollektive Identitäten nur in expliziten Akten der Identitätsstiftung hergestellt werden oder ob sie auch aus dem alltäglichen Handeln hervorgehen oder durch dieses zumindest gestützt werden«, ebd., S. 47. Zum eigentlichen Begriff, vgl. ebd., 47ff., hier S. 52f.: »Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein ›pragmatisches Gedächtnis‹, wie es sich bei den frühneuzeitlichen Zünften zeigt, gleichsam durch das Raster der Assmann’schen Theoriebildung fällt. Es handelt sich um ein Gedächtnis, das auf den Tradierungsmechanismen des kulturellen Gedächtnisses basiert – es ist medial vermittelt, es wird von Erinnerungs-Experten gepflegt, es ist verbindlich, es ist teilweise sogar durch Kanon-Formeln gesichert –, sich aber durch andere Inhalte und andere Funktionen auszeichnet. Es ist relativ identitäts-neutral in dem Sinne, dass es nicht explizit und intentional Identitäten fundiert, und doch wieder identitätskonstitutiv insofern es dazu

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welche Sachverhalte geeignet und es wert waren, erinnert und dadurch Teil einer Erinnerungskultur einer Gruppe zu werden: Inhalte werden vom Standpunkt aller sinnstiftend für die Gegenwart und die Zukunft ausgewählt, ›modelliert‹ und in Medien objektiviert. Bereits durch die Auswahl der erinnerten Sachverhalte wird eine Wertung der Vergangenheit vorgenommen.23 ›Vergessen‹ und ›Verdrängen‹ sind dabei ebenfalls Teil der Erinnerungsleistung.24 Durch die Art und Weise der Darstellung, d. h. durch Relativieren und Konstruieren, wird ebenso der erinnerte Sachverhalt gewertet und in die eigene und intendierte Perspektive eingeordnet. Deshalb müssen auch die Rahmenbedingungen bei der Interpretation der Medien berücksichtigt werden.25 Auf das brandenburgisch-preußische Militär des späten 17. und des 18. Jahrhunderts angewandt, rücken die Regimenter und ihre Mitglieder als militärische Kollektive in den Mittelpunkt der Untersuchung, die so aus der kulturgeschichtlichen Perspektive hinsichtlich ihrer ›Erinnerungskulturen‹ beleuchtet werden können.26 Regimenter bildeten als militärische Einheiten eine »Regimentskultur mit eigendisziplinierter Lebensweise, kompetenzstolzer Mili-

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beiträgt, die Existenz der Gruppe, und damit den Fortbestand auch der cadres sociaux zu sichern; daher lässt es sich nicht mit dem in die Kunst und die Wissenschaft ausgelagerten Speichergedächtnis gleichsetzen.« Vgl. auch Erll, Medien des kollektiven Gedächtnisses (wie Anm. 10), S. 17: »Ein Medium des kollektiven Gedächtnisses ist auch das, was von einem Kollektiv als ein solches angesehen und funktionalisiert wird – selbst wenn es nie als Gedächtnismedium intendiert war« bzw. Günther Lottes, Erinnerungskulturen zwischen Psychologie und Kulturwissenschaft, in: Günter Oesterle (Hrsg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen – Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005, S. 182. Vgl. Erll, Medien des kollektiven Gedächtnisses (wie Anm. 10), S. 4. Marcus Sandl, Historizität der Erinnerung - Reflexivität des Historischen. Die Herausforderung der Geschichtswissenschaft durch die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung, in: Günther Oesterle (Hrsg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen – Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005, S. 108: »Erinnerung reproduziert nicht einfach das Ordnungs- und Verortungssystem des Gedächtnisses, sondern konstituiert im Zuge ihres Zugriffs auf das Gedächtnis einen jeweils eigenen Bedeutungsraum. Die Wahrheit des Erinnerten resultiert mit anderen Worten nicht aus einer einfachen Referenzbeziehung zwischen dem Erinnerten und seinen Objektivationen, sondern aus den ihm eigenen Formen der Darstellung und Inszenierung. Diese Formen der Darstellung schließen eine Umwertung und Neugewichtung des Gedächtnisses ebenso ein wie das Vergessen oder die Erfindung von Vergangenheit.« Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 37. Wencke Meteling hat in ihrer Studie mit Bezug auf die britische Militärgeschichtsforschung auf das Potential einer Beschäftigung mit Regimentern und ihren Geschichten hingewiesen, Wencke Meteling, Ehre, Einheit, Ordnung – Preußische und französische Städte und ihre Regimenter im Krieg, 1870/71 und 1914–19, Baden-Baden 2010, S. 24ff. Vgl. auch ebd., S. 33; ähnlich dies., Regimenter als Image prägende Standortfaktoren. Regiments-Geschichte als regionale Militärgeschichte am Beispiel der brandenburgischen Garnison Frankfurt (Oder), in: Geschichte und Region/Storia e regione 14, 2 (2005), S. 45f. Eine Fokussierung auf die brandenburgisch-preußischen Regimenter und eine auf ihre Mitglieder bezogene Betrachtung ist notwendigerweise exemplarisch.

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tärmentalität und religiös verankerten Kriegerwertvorstellungen, die ihrerseits auf vielfältige Weise mit den sie umgebenden zivilen Lebensformen verbunden blieb«, aus.27 ›Militärische Erinnerungskulturen‹ sind so zunächst auf die militärische Gruppe als Träger von Erinnerung bezogen. Zugleich darf der Gruppenbezug aber nicht den Blick auf das Individuum, d. h. das einzelne Mitglied der Gruppe, verstellen, da dieses konstituierender Teil der Gruppe war, indem es darauf bezogene Erinnerungen tradierte.28 Gegenstand der Erinnerung der Regimenter waren zum großen Teil militärische, d. h. kriegsbezogene Ereignisse, die aber auch von anderen Akteuren überschneidend bzw. gleichzeitig erinnert werden konnten.29 Indem die Vergangenheit, d. h. militärische Ereignisse hinsichtlich gegenwärtiger Interessen interpretiert wurden und es dabei auch auf die Deutungshoheit über die Vergangenheit ankam, sind Erinnerungskonkurrenzen bzw. -konflikte, aber auch symbiotische Interaktionen zu erwarten.30 Lassen sich solche Beziehungen aufzeigen, können die Grenzen einer Identitätsstiftung durch Vergangenheitsbezüge und die gegenseitige Beeinflussung der Akteure beschrieben und in der Gesamtschau der sich herausbildenden militärischen Erinnerungskulturen vor allem die spezifisch regimentsbezogenen sichtbar gemacht werden. 27 Jürgen Kloosterhuis, Legendäre ›lange Kerls‹ - Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelm I. 1713–1740, Berlin 2003, S. XLV. Vgl. auch David French, Military Identities: the Regimental System, the British Army, and the British People, c.1870– 2000, Oxford, u. a. 2005, S. 334: »This suggests that the regimental system had remarkable powers of survival. Anthropologists have argued that cultures, and by extension institutions, survive only if they overcome six basic challenges. They must be able to reproduce themselves. They must devise means to absorb and train newcomers so that they become functioning members of society. They must maintain order between their own members and between them and members of other societies and sub-cultures. They must motivate their members to engage in activities necessary for the survival of the institution. They must provide for the production and distribution of the goods and services deemed necessary to meet its basic needs. And finally, they must be able to adapt successfully to changes in the external environment. The regimental system has persisted for so long because it successfully passed these tests.« 28 Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 18, die unter Bezug auf Halbwachs formuliert: »Erst über individuelle Erinnerungsakte wird das kollektive Gedächtnis beobachtbar, denn ›jedes individuelle Gedächtnis ist ein ›Ausblickspunkt‹ auf das kollektive Gedächtnis‹«. Vgl. auch Lottes, Erinnerungskulturen zwischen Psychologie und Kulturwissenschaft (wie Anm. 22), S. 174. 29 Vgl. Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 21. 30 Vgl. Hartmut Bergenthum, Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur – Bemerkungen zur neueren Theoriedebatte, in: Günter Oesterle (Hrsg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen – Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005, S. 160: »Gerade das Prozesshafte, die Entstehungsdynamik, die ständige Wechselwirkung mit anderen Erinnerungskulturen, die möglichen Konflikte in einem umkämpften Erinnerungsfeld, die Versuche, bestimmte Erinnerungsinteressen in Politik umzusetzen, auf Erinnerungshoheit zielende Maßnahmen und deren Einfluss auf die Geschichtsschreibung gilt es zu berücksichtigen und zu analysieren.«

Untersuchungsperspektiven

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Der Begriff ›Erinnerungskulturen‹ ist nicht nur hinsichtlich verschiedener Akteure, sondern auch hinsichtlich der zeitlichen Dynamik im Plural zu verwenden.31 Spezifische Erinnerungskulturen unterschiedlicher Akteure konnten im zeitlichen Verlauf verändert, beendet oder aber auch durch neue ersetzt werden.

Untersuchungsperspektiven Ausgehend von dem Erkenntnisinteresse, die Herausbildung militärischer Erinnerungskulturen als Teil der Entwicklung militärischer Identität mit der notwendigen Ausdifferenzierung in den Blick zu nehmen, ergeben sich im Wesentlichen vier Untersuchungsperspektiven. Erstens die auf die Akteure als Erinnerungsträger bezogene Perspektive. Im Mittelpunkt steht die Frage nach regimentsbezogenen Erinnerungskulturen bzw. nach der Rolle der Regimenter als Träger militärischer Erinnerungskulturen. Jedoch lassen sich häufig militärische Erinnerungskulturen nicht nur einem Akteur zuordnen, da die Deutungshoheit über militärische Ereignisse aufgrund ihrer Relevanz für jeweils eigene Interpretationen und Argumentationen ein begehrtes, hohes Gut war. Damit rücken andere Stifter und Träger militärischer Erinnerungskulturen und zugleich die Frage nach Interaktionen zwischen diesen in den Blick. Neben den Regimentern kommen der Monarch, einzelne Offiziere, sowohl in ihrer militärischen Funktion als auch als Mitglieder adliger Familien, und nicht zuletzt Vertreter einer interessierten Öffentlichkeit in Betracht. So ist in Bezug auf die Regimenter nach der Bedeutung der anderen Akteure zu fragen: hinsichtlich ihrer erinnerungsstiftenden Funktion, nach gegenseitigem Nutzen sowie nach Konkurrenzen bzw. Unvereinbarkeiten und Konflikten. Aus der Perspektive der Regimenter geht es um die Aneignung von Erinnerungsbezügen, die durch andere Akteure gestiftet und tradiert wurden. Für die historische Einordnung regimentsbezogener Erinnerungskulturen und die Darstellung dynamischer Prozesse ist die Einbeziehung der anderen Akteure geradezu unabdingbar. Zweitens die auf den Inhalt der Erinnerung bezogene Perspektive. Ausgehend von den Regimentern als Akteuren ist für die Untersuchung zentral, welche Inhalte Gegenstand der Erinnerung wurden und nach welchen Kriterien diese bestimmt wurden. In diesem Zusammenhang ist auf die ›Bearbeitung‹ der 31 Vgl. dazu Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 21. Grundlegend dazu Bergenthum, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 30), S. 127f.: »Erinnerungskulturen ermöglichen gerade in ihrem Doppelsinn die Erfassung der Vielfalt innerhalb einer Kultur und die Vielfalt zwischen den Kulturen und die Wechselwirkungen innerhalb und zwischen den Ebenen«, ebd., S. 161; Sandl, Historizität der Erinnerung (wie Anm. 24), S. 99f.

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Vergangenheit durch Verschweigen, Verändern und ›Vereinnahmen‹ einzugehen. Insbesondere sind negativ wahrgenommene Zusammenhänge diesbezüglich auszuleuchten bzw. anhand der Ereignisgeschichte zu überprüfen. Drittens die auf die mediale Überlieferung und Erinnerungspraktiken bezogene Perspektive. Hinsichtlich militärischer Erinnerungskulturen ist eine wesentliche Frage, wie das Wissen über die Vergangenheit an nachfolgende Generationen der Gruppe überliefert wurde. Der Begriff ›Erinnerungskulturen‹ ermöglicht, über schriftliche Quellen als eine Form materialer Überlieferung hinaus nach weiteren ›Artefakten‹, aber auch Orten und Praktiken unterschiedlicher Akteure zu fragen, die sich derer zur Vermittlung von Vergangenheitsbezügen bedienten. Damit ist es möglich, Plurimedialität ebenso wie Pluralität von Erinnerungskulturen sichtbar zu machen. Medien, Orte und Praktiken können zudem Hinweise auf Erinnerungsbezüge geben, die Teil des kommunikativen Gedächtnisses waren. Viertens die zeitliche Perspektive. Erinnerungskulturen setzen Vergangenheit voraus, das heißt eine zeitliche Distanz zum Ereignis. Deshalb wird auch danach gefragt, ob und inwiefern sich Erinnerungskulturen durch den sich vergrößernden zeitlichen Abstand veränderten. Vor dem Hintergrund des jeweiligen Gegenwartsbezuges können sie als ›Re-Konstruktionen‹ sichtbar gemacht und selbst in ihrer Historizität bewertet werden. Diese Perspektive ermöglicht auch in Ansätzen eine Einordnung des Jahres 1806 als Ende der ›altpreußischen‹ Armee und damit als Zäsur durch die Regimenter.

Quellen Die mögliche Weite des Untersuchungsgegenstandes wird durch den Bestand und den Wert von Quellen begrenzt. Ausgehend von solchen, die bereits im Namen den Bezug zu Erinnerungsstiftung und Identität tragen, wurde vorrangig Hinweisen nachgegangen, die zunächst auf unmittelbare erinnerungskulturelle Bezüge insbesondere hinsichtlich der Regimenter hindeuten. Darüber hinaus wurden aber auch solche Quellen einbezogen, die mittelbar erinnerungskulturelle Bezüge überliefern. Im Ergebnis liegen der Studie weitgehend gedruckte Quellen zugrunde32, da die noch in beschränktem Maße existierenden ungedruckten Quellen militärischer Provenienz vergleichsweise wenig Einblick in die erinnerungskulturelle Praxis der Regimenter geben und selten Gruppenbezüge

32 Vgl. Gerhard Krohn, Bibliographie der altpreussischen Truppen- und Garnisongeschichten, Osnabrück 1974.

Quellen

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herstellen.33 In wenigen Fällen, in denen es sich anbot, wurden ungedruckte Quellen ergänzend herangezogen. An erster Stelle des gedruckten Materials sind Überlieferungen zu nennen, die in einem weit verstandenen Sinn ›Regimentsgeschichten‹ sind. Beginnend mit den Regimentsgeschichten des Jahres 1767 werden exemplarisch die mehrteilige Sammlung ungedruckter Nachrichten von 1782–1785 sowie Regimentsgeschichten aus den Jahren 1778 und 1787 herangezogen.34 Diese zeitgenössischen Regimentsgeschichten sind sowohl als Medien an sich als auch durch den von ihnen überlieferten Inhalt wertvolle Quellen für die Betrachtung des Themas. Als eine weitere Gruppe von gedruckten Quellen sind Schriften mit zumeist autobiographischem Charakter zu nennen, die ebenfalls Einblicke in die erinnerungskulturelle und zugleich regimentsbezogene Praxis von Offizieren, Soldaten und Regimentern geben können. Als Quellen, in denen sich ein kollektives Gedächtnis widerspiegelt, geben sie Auskunft über militärische Erinnerungskulturen der Regimenter. Zugleich können durch solche persönlichen Aufzeichnungen für das Individuum und die adlige Familie wichtige Erinnerungsbezüge sichtbar gemacht werden. Die Grenzen dieser beiden genannten schriftlichen Quellengruppen sind fließend, da Schlachtenberichte und teilweise regimentsbezogene Aufzeichnungen zumeist auf einen Offizier als Verfasser zurückzuführen sind.35 Werke, die eher historiographischen Charakter haben, wurden nur insofern mit einbezogen, als sie Aufschluss über militärische Erinnerungskulturen geben können.36 Gleiches gilt für die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegebenen biographischen Darstellungen über einzelne Generäle und Angehörige des preußischen Militärs.37 Eine weitere wichtige Quellengruppe sind nicht zuletzt die Regimentsge-

33 Es hat sich vor allem Schriftverkehr erhalten, der die königliche Perspektive vermittelt bzw. an den König gerichtet ist und damit kaum Gruppenbezüge erhellt. Vgl. allgemein Rolf Straubel, »Er möchte nur wißen, daß die Arm8e mir gehöret.« - Friedrich II. und seine Offiziere: ausgewählte Aspekte der königlichen Personalpolitik, Berlin 2012, S. 3; Carmen Winkel, Im Netz des Königs. Netzwerke und Patronage in der preußischen Armee 1713 1786, Paderborn, u. a. 2013, S. 23; Jürgen Kloosterhuis, Kabinetts-Minüten, in: Klaus Dettmer (Hrsg.), »Es wächst zusammen, was zusammengehört« – Beiträge zum wissenschaftlichen Kolloquium zu Ehren von Jürgen Wetzel am 25. November 2003 im Landesarchiv Berlin, Berlin 2004, S. 43ff. 34 Vgl. Quellen- und Literaturverzeichnis, S. 285ff. 35 Vgl. ebd., S. 285ff. 36 Vgl. Jürgen Kloosterhuis, Der Husar aus dem Buch. Die Zietenbiographie der Frau von Blumenthal im Kontext der Pflege brandenburg-preußischer Militärtradition um 1800, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 52 (2001), S. 141f. 37 Ebd., S. 152ff.

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schichten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.38 Diese waren zwar zunächst Ausdruck militärischer Erinnerungskulturen ihrer Zeit, aber sie überliefern zum Teil Hinweise auf erinnerungskulturelle Zusammenhänge für den Untersuchungszeitraum, die sich aufgrund von Quellenverlusten heute nicht mehr erschließen lassen. Im Unterschied zu den zeitgenössischen Regimentsgeschichten sind sie, das 18. Jahrhundert betreffend, teilweise historiographische Rekonstruktionen.39 Die Verfasser griffen dabei auf Regimentsakten zurück und vollzogen die Geschichte ihres Regiments über alle geschichtlichen Brüche hinweg nach.40 Dies lässt sich beispielsweise an häufig beigefügten Listen ablesen, die alle Offiziere verzeichnen, die jemals beim Regiment standen. Die Herausforderung für diese Studie mit ihrem kulturgeschichtlichen Erkenntnisinteresse liegt hinsichtlich der Quellen darin, auf einen nicht abgeschlossenen und durch Verlust verringerten Quellenbestand zurückgreifen zu müssen.41 Diese kann bewältigt werden, indem über die bereits oben aufgeführten Quellengruppen hinaus andere Formen der Überlieferung sinnvoll einbezogen werden. Vor allem die Betrachtung sächlicher Ausprägungen militärischer Erinnerungskulturen kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um ihre Entstehung und ihre Weitergabe nachzuweisen, einzuordnen und zu bewerten. Die Einbeziehung von Artefakten und Praktiken beruht ihrerseits wiederum auf schriftlichen Quellen, durch welche die meisten Artefakte auch nach ihrem realen Verlust hinreichend nachgewiesen sind. Diese reichen beispielsweise von Arbeiten über Uniformen der altpreußischen Regimenter, über Auswertungen von Münzkatalogen bis hin zu Forschungen über die Denkmale in Preußen.

38 Wencke Meteling, Der Ruhm verpflichtet! Regimenter als Träger kriegerisch-vaterländischer und konservativ-monarchischer Traditionsstiftung in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, S. 265ff. 39 Vgl. Eike Mohr, Bibliographie zur Heeres- und Truppengeschichte des Deutschen Reiches und seiner Länder 1806–1933, 2 Bde., Bissendorf 2004. 40 Vgl. dazu auch Meteling, Ehre, Einheit, Ordnung (wie Anm. 26), S. 24ff. 41 Vgl. Winkel, Im Netz (wie Anm. 33), S. 23f.; zum Quellenverlust bereits im 18. Jahrhundert vgl. Curt Jany, Hans Bleckwenn, Die Dessauer Spezifikation von 1729. Der Stammlistenkommentar : Die Dessauer Stammliste von 1729, Nachdr. der Ausg. 1905, Osnabrück 1970, S. 4f. Zur Folgewirkung der ›Quellenarmut‹ vgl. Bernhard R. Kroener, Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn, u. a. 2000, S. 295: »Der Mangel an Selbstzeugnissen und die Perspektive obrigkeitlicher Normvorstellungen, die die Mehrzahl der verfügbaren Quellenzeugnisse auszeichnet, sind geeignet, das Bild von der militärischen Gesellschaft der frühen Neuzeit unzulässig zu verzerren.«

Rahmenbedingungen und Forschungsstand

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Aufbau der Arbeit Da sich die unterschiedlichen Perspektiven überschneiden können und so ein komplexes Geflecht von Bezügen entsteht, bietet sich für diese Untersuchung die Annäherung aus der medialen Perspektive an. So stehen im Zentrum des ersten Teils Beispiele schriftlicher Überlieferungen militärischer Erinnerungskulturen. Dazu gehören die Regimentsgeschichten des 18. Jahrhunderts, welche die Regimenter als handelnde und erinnernde Kollektive mit ihren jeweiligen ›Eigengeschichten‹ beleuchten. Anhand von Aufzeichnungen von Angehörigen der Regimenter kann auch das Verhältnis von Individuum und Kollektiv nachgezeichnet werden. Damit wird sichtbar, wie Einzelne Teil des Regiments als Erinnerungsgemeinschaft wurden. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie Artefakte als Medien Erinnerungskulturen tradieren und welchen akteursbezogenen Einflüssen sie dabei unterlagen. Über die zeitliche Perspektive kann zudem ein ›Veralten‹ von Erinnerungsbezügen herausgestellt werden. Ein wesentlicher Schwerpunkt sind Plurimedialität und Pluralität der Erinnerungskulturen, die sich in synchroner und diachroner Hinsicht ergeben. Durch die Erweiterung des Blickfeldes auf militärische Erinnerungskulturen anderer Akteure kann die Reichweite regimentsbezogener Erinnerungskulturen deutlicher konturiert werden. Zudem wird es über den Nachweis der Historizität möglich, Erinnerungskulturen als jeweilig gegenwartsbezogene Deutungsversuche kenntlich zu machen. Im dritten Teil sind schließlich besondere Anlässe des Erinnerns und des Vergessens hinsichtlich ihrer erinnerungskulturellen Bedeutung zu untersuchen. So kann auch aus diesem Blickwinkel die Selbstreflexivität der Regimenter und damit ihre Bedeutung als allmählich unabhängiger werdende Erinnerungsgemeinschaften herausgestellt werden, welche die Deutungshoheit über die eigenen Vergangenheit zu gewinnen suchten. Außerdem kann anhand der Darstellung von Konfliktsituationen gezeigt werden, wie diese aus regimentsbezogener, aus monarchischer und aus adlig-familiärer Perspektive bewertet und erinnert wurden, und welche Deutungsinstanz dominierte.

Rahmenbedingungen und Forschungsstand Entstehende militärische Erinnerungskulturen in Preußen müssen in die Entwicklung der brandenburgischen Armee eingebettet werden, deren Bestandteil sie einerseits waren und von der sie andererseits auch beeinflusst wurden.42 Die 42 Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer (wie Anm. 5), S. 157 betont die äußeren Einflüsse auf die Entwicklung und relativiert die »immanenten Strukturen«: »Aber trotz Uniform und

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Errichtung der brandenburgisch-preußischen Regimenter wiederum war Teil der Entwicklung von einem Söldnerheer hin zu einem Stehenden Heer, dessen Mannschaftsstärken Schwankungen unterlagen.43 Sie vollzog sich in Brandenburg-Preußen wie auch in anderen Territorien der Frühen Neuzeit in einem Prozess, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte.44 Die Regimenter gaben Offizieren und Soldaten erst eine Heimat.45 Aus der Perspektive des Monarchen galt es, das sich herausbildende ›Instrument‹ im Sinne eigener Interessen zu entwickeln.46 Vor allem im 18. Jahrhundert sammelten die Regimenter Erfahrungen auf den europäischen Kriegsschauplätzen, und nicht zuletzt waren die Schlesischen Kriege in der Mitte des Jahrhunderts für die Ausbildung militärischer Erinnerungskulturen zentral.47 Im Verlauf dieses Jahrhunderts formierte sich auch das

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Tradition, trotz eigener Gerichtsbarkeit und eigenen Ehrbegriffen blieb es die politische und soziale Umwelt, die das Gesicht des Stehenden Heeres geprägt hat, das damit in jeder Epoche andere Züge annahm. Mit anderen Worten, die stehenden Armeen, Truppen oder Kontingente der einzelnen Länder und Epochen sind weniger aufgrund irgendwelcher, dem Militär immanenter Strukturen oder Gesetze zu analysieren, sondern vornehmlich als ein ins Militärische übersetztes Spiegelbild der Zeit, und dies in weit stärkerem Maße als es die ältere Militär- und Kriegsgeschichte wahrhaben wollte.« Vgl. S. 15, Anm. 6, des Weiteren: Kroener, Schwungrad (wie Anm. 6), S. 7; Neugebauer, Geschichte Preußens (wie Anm. 6), S. 45f.; Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer (wie Anm. 5), S. 158f.; Georg Ortenburg, Das altpreußische Offizierkorps, in: Rolf Wirtgen (Hrsg.), Das Preußische Offizierskorps 1701–1806. Uniformierung, Bewaffnung, Ausrüstung. Katalog zur Sonderausstellung der Wehrtechnischen Studiensammlung, Koblenz 2004, S. 1. Zu den Ausgangsbedingungen vgl. Peter Michael Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militärischen und höfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650–1725, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. 1 (1991), S. 163f. Mit seinen Quellensammlungen hat Kloosterhuis dazu beigetragen, die ›Kultur der Regimenter‹ vor allem in ihrer sozialen Dimension sichtbar zu machen. Vgl. Jürgen Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militärsystems im preußischen Westfalen 1713–1803, Regesten, Münster 1992 bzw. ders., Legendäre ›lange Kerls‹ (wie Anm. 27). Zentral zur Institution Regiment vgl. Wolfgang Hanne, Das (Infanterie- und Kavallerie-)Regiment. Ein Beitrag zur Formierungs- und Organisationsgeschichte des altpreußischen Heeres, in: Zeitschrift für Heereskunde 392 (1999). Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer (wie Anm. 5), S. 62. Zur Hierarchie innerhalb des Regiments vgl. Winkel, Im Netz (wie Anm. 33), S. 62–75. Neugebauer, Geschichte Preußens (wie Anm. 6), S. 46: »Auch in seiner Struktur verbanden sich Modernität und Traditionalität, und der Monarch hatte über mehrere Jahrzehnte damit zu tun, diese Truppe zu ›verstaatlichen‹, d. h. etwa die Elemente des vormodernen Militär-Unternehmertums zu reduzieren.« Vgl. auch Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 179. Ders., Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 174: »Dem Regiment kam […] in erster Linie als sozialem Ordnungskörper, nicht als taktischer Einheit im Kampf Bedeutung zu.« Zur Struktur der Armee unter König Friedrich II. siehe Guntram Schulze-Wegener, Leuthen 1757 – Genesis einer operativen Doktrin, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), S. 8–13.

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Offizierkorps in den preußischen Regimentern.48 Während sich einerseits das preußische Militär fortentwickelte, kam es andererseits zugleich zu einer Erstarrung, welche ihre Ursprünge in den ›Erfolgen‹ des Siebenjährigen Krieges und dem dadurch begründeten Selbstverständnis, aber auch in der Fiskalpolitik gehabt haben dürfte.49 Bereits gegen Ende des Jahrhunderts wurden deshalb in reformzugeneigten Kreisen des Militärs Diskussionen über den Reformbedarf geführt, die nach den Erfahrungen der Niederlage in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt 1806 in die Umstrukturierungen des 19. Jahrhunderts mündeten.50 Durch die Tatsache begründet, dass mehrere Akteure sowohl auf die Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Militärs Einfluss nahmen als auch auf die Deutung der ›Erfolge‹ Anspruch erheben konnten, ist die mögliche Herausbildung militärischer Erinnerungskulturen in diesem Spannungsfeld zu verorten. Zentrale Akteure waren die Monarchen des Hauses Hohenzollern. Sie bestimmten wesentlich die Ausgestaltung des Militärs mit und gaben entsprechende Impulse. Dieser als »Monarchisierung« bezeichnete Prozess blieb nicht ohne Spannungen und Folgen für die Ausbildung eines militärischen Grup48 Vgl. u. a. Georg Hebbelmann, Das preußische Offizierkorps im 18. Jahrhundert: Analyse der Sozialstruktur einer Funktionselite, Münster 1999; Wolfgang Hanne, Das preußische Offizierkorps unter Friedrich dem Großen, Teil 1, in: Zeitschrift für Heereskunde 408 (2003); ders., Das preußische Offizierkorps unter Friedrich dem Großen, Teil 2, in: Zeitschrift für Heereskunde 409 (2003). 49 Bernhard Kroener, Frankreich und Preußen 1806. Zwei Staaten und ihre Heere im Vergleich, in: Mathias Tullner, Sascha Möbius (Hrsg.), 1806: Jena, Auerstedt und die Kapitulation von Magdeburg. Schande oder Chance? Protokoll der wissenschaftlichen Tagung vom 13. bis 15. Oktober 2006 in Magdeburg, Halle/S. 2007, S. 47: »[…] in Preußen [bestimmte] nach 1763 die Persönlichkeit des großen Königs und der aus der unmittelbaren Vergangenheit eines siegreichen Krieges gespeiste Nimbus der Armee die Gegenwart […]. Die gestaltende Kraft der Erinnerung als Motor der Veränderung wirkt bei den Unterlegenen [Frankreich, Anm. FZ] als Stimulans, bei den Siegern wird sie leicht zum Fetisch der Beharrung«; zur Überalterung der Offiziere vgl. Ebd., S. 53ff. 50 Zum Wandel an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vgl. Peter Burschel, Zur Sozialgeschichte innermilitärischer Disziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 42 (1994), S. 967; zu Veränderungen im 18. Jahrhundert vgl. Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 3f.; Winter, Untertanengeist (wie Anm. 7), S. 189ff. Auf die Diskussionen vor 1806 weisen Kroener, Zwei Staaten (wie Anm. 49), S. 53 und Hagemann, Mannlicher Muth (wie Anm. 7), S. 75 hin; letztere auch zu den preußischen Militärreformen, ebd., S. 75ff., sowie Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807–1813: die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983. Zu den ›erinnerungskulturellen‹ Nachwirkungen der Niederlagen im Oktober 1806 siehe auch Hans-Werner Hahn, »Ohne Jena kein Sedan«. Die Erfahrung der Niederlage von 1806 und ihre Bedeutung für die deutsche Politik und Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 285 (2007), S. 599–642; zum Umgang bzw. zur Interpretation der Niederlagen von 1806 durch die Regimenter vgl. Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 273ff.

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penbewusstseins, entzog er doch vor allem den ehemals einflussreichen adligen Regimentsinhabern mehr und mehr die Gewalt über ›ihre‹ Regimenter.51 Vor allem König Friedrich II. beanspruchte für sich, das Militär und dessen Selbstverständnis mitzugestalten. Die zentrale Antriebsfeder für sein entsprechendes Handeln war seine Sorge, »Ruhm zu erlangen« und diesen dauerhaft zu festigen.52 Damit wurde er zu einem wichtigen Impulsgeber für die Stiftung von Erinnerungsbezügen. Er war zugleich aber auch ein Akteur, der Deutungshoheit über die Interpretation seiner Zeit beanspruchte und diese durchzusetzen und andere Deutungsinstanzen zu unterdrücken suchte.53 Das Verhältnis des Königs zu seinen Offizieren war daher nicht spannungsfrei, was seine Personalpolitik belegte.54 Stellvertretend für den Adel standen die adligen Regimentsinhaber. Sie hatten vor allem in den ersten Jahrzehnten nach der Aufstellung der Regimenter größeren Einfluss. Durch die Verbindung zwischen Adel und Militär nutzten adlige Familien auch im 18. Jahrhundert die Chance, ihre Angehörigen im Militär in den Regimentern unterzubringen und damit standesgemäß zu versorgen.55 Die 51 Zur »Monarchisierung« vgl. Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 172f.; Neugebauer, Geschichte Preußens (wie Anm. 6), S. 46; Burschel, Sozialgeschichte (wie Anm. 50), S. 970f.; Rainer Wohlfeil, Adel und Heerwesen, in: Hellmuth Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555–1740. Büdinger Vorträge, Darmstadt 1965, S. 319; Georg Schmidt, Voraussetzung oder Legitimation? Kriegsdienst und Adel im Dreißigjährigen Krieg, in: Gerhard Oexle, Werner Paravicini (Hrsg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, Göttingen 1997, S. 432ff. datiert den Beginn dieses Prozesses deutlich früher. Zur Relativierung des Leitbegriffes »Sozialdisziplinierung« vgl. Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die »neue Militärgeschichte« der Frühen Neuzeit und der AMG, in: AMG-Bulletin Jg. 5, 1 (2001), S. 14. 52 Jürgen Luh, Der Große: Friedrich II. von Preußen, 2. Aufl., München 2011, S. 9. Luh interpretiert dieses Streben nicht als kurzfristiges Streben, sondern als zentrales Motiv für das Handeln des Königs. »Ruhm zu erlangen und diesen dann zu bewahren, war Friedrichs persönlichstes, höchstes Ziel, war der Kitt seines Seins – zeitlebens«, ebd., S. 10. Vgl. auch Michael Salewski, »Meine Wiege war von Waffen umgeben«: Friedrich der Große und der Krieg, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 56 (2004), S. 8. Die »Ruhmsucht« Friedrichs II. beleuchtet Luh, Der Große (wie Anm. 52), S. 9–111 aus verschiedenen Perspektiven. 53 Marian Füssel, Der »roi conn8table« und die Öffentlichkeit, in: Bernd Sösemann, Gregor Vogt-Spira (Hrsg.), Friedrich der Große in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung, Bd. 2, Stuttgart 2012, S. 200f.; Jürgen Wilke, Nachrichtenvermittlung und Informationswege im 17. und 18. Jahrhundert in Brandenburg / Preußen, in: Bernd Sösemann (Hrsg.), Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 81. 54 Allgemein zur Personalpolitik und zum Verhältnis zwischen König Friedrich II. und den Offizieren seiner Armee vgl. Straubel, Friedrich II. (wie Anm. 33). 55 Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 170ff.; ähnlich Schmidt, Voraussetzung oder Legitimation (wie Anm. 51), S. 450f.: »Nicht also auf Rang, Fachkenntnis und Diensterfahrenheit gründet sich die Autorität und Befehlsgewalt des Offiziers gegenüber den tatsächlichen ›Soldaten‹, sondern auf seinen Stand, auf die einfache

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Entscheidungen dazu erfolgten aus familiären, strategischen Überlegungen.56 Gleichwohl darf die Verbindung von Adel und Militär nicht überstrapaziert werden: zwar waren die meisten Offiziersstellen mit adligen Offizieren besetzt, aber nicht jeder Adlige wurde Offizier.57 Inwieweit sich der Adel in Preußen ins Militär integrieren ließ, war von der regionalen Herkunft abhängig.58 Trotz dieser Einschränkung wurde durch die weitgehende Homogenität des Offizierkorps der innere Zusammenhalt in den Regimentern gestärkt. Darüber hinaus lag es aufgrund dieser Zusammenhänge nahe, adlige Verhaltensmuster und Ehrvorstellungen auf das Sozialsystem Regiment zu übertragen.59 Insbesondere war für die Herausbildung militärischer Erinnerungskulturen relevant, dass sich Adel selbst über Erinnerung definierte.60 Die familiären adligen Er-

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Tatsache, daß er Offizier war. Die Offiziersstellen, zumal die höheren, waren jedoch fest in der Hand des Adels. Dessen Standesbewußtsein wurde daher zum Identifikationsmuster des Offizierskorps. Doch es war ein domestizierter, von den Landesherren vielfach abhängiger Adel, der mit seinen spezifischen Vorstellungen von Ehre, Treue, Pflichterfüllung und Gehorsam die Werte des Offiziersstandes für lange Zeit bestimmen sollte.« Vgl. auch Frank Göse, Zum Verhältnis von landadliger Sozialisation zu adliger Militärkarriere. Das Beispiel Preußen und Österreich im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 109 (2001). Carmen Winkel, Auf dem Weg zum professionellen Offizier? Formen und Institutionen der Offizierausbildung in der preußischen Armee (1713-1786), in: Christian Th. Müller, Matthias Rogg (Hrsg.), Das ist Militärgeschichte! Probleme – Projekte – Perspektiven, Paderborn, u. a. 2013, S. 418f. Zur Zusammensetzung des Offizierkorps vgl. die Untersuchung von Hebbelmann, Offizierkorps (wie Anm. 48), insbesondere S. 106ff. u. 182ff. Der Adel prägte das Offizierkorps auch über die Zäsur von 1806 hinweg. Vgl. Ewald Frie, Adelsgeschichte des 19. Jahrhunderts? Eine Skizze, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), S. 411. Wolfgang Neugebauer, Der Adel in Preussen im 18. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch (Hrsg.), Der europäische Adel im Ancien Regime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600–1789), Köln, u. a. 2001, S. 50f. u. 68ff. »Nicht der preußische Adel stand im Offizierskorps, sondern ganz wesentlich der materiell nicht üppig gestellte kleine Adel […]«, ebd., S. 69. Vgl. Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 196. Ronald G. Asch, Einführung: Adel in der Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), S. 317 u. 324; Martin Wrede, Horst Carl, Einleitung: Adel zwischen Schande und Ehre, Tradition und Traditionsbruch, Erinnerung und Vergessen, in: Martin Wrede, Horst Carl (Hrsg.), Zwischen Schande und Ehre: Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, Mainz 2007, S. 1f. Vgl. Kroener, Militär in der Gesellschaft (wie Anm. 41), S. 294. Für die frühe Phase der Entwicklung siehe Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43). Dennoch sind die adligen Offiziere keine »Vertreter einer autonom agierenden Kriegerkaste«, Bernhard R. Kroener, »Eine Armee, die sich ihren Staat geschaffen hat«? Militärmonarchie und Militarismus, in: Bernd Sösemann, Gregor Vogt-Spira (Hrsg.), Friedrich der Große in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung, Bd. 2, Stuttgart 2012, S. 236.

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innerungsgemeinschaften konnten so Einfluss auf die Ausbildung militärischer Erinnerungsgemeinschaften ausüben.61 Neben diesen beiden Gruppen von Akteuren, die mehr oder weniger stark die Entwicklung militärischer Erinnerungskulturen beeinflussten, ist die geistesgeschichtliche Entwicklung der Zeit mit einzubeziehen. Die Aufklärung bzw. durch sie angestoßene Interpretationsansätze prägten auch Offiziere, so dass Reformbemühungen bereits vor den preußischen Militärreformen am Beginn des 19. Jahrhunderts diskutiert wurden.62 Die Aufklärung wirkte sich auf das Interesse an Geschichte mittelbar aus, so dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit teilweise darauf zurückzuführen ist.63 Ebenfalls entstanden ›nationale‹ Deutungsmuster bereits im Verlauf des 18. Jahrhunderts, die ihrerseits für die Interpretation und Deutung herangezogen werden konnten.64 Das preußische Militär ist immer wieder Gegenstand von Untersuchungen, und insbesondere die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat dazu beige61 Zum Begriff der Erinnerungsgemeinschaft vgl. Lottes, Erinnerungskulturen zwischen Psychologie und Kulturwissenschaft (wie Anm. 22), S. 175. 62 Zum Thema gibt Daniel Hohrath, Spätbarocke Kriegspraxis und aufgeklärte Kriegswissenschaften. Neue Forschungen und Perspektiven zu Krieg und Militär im »Zeitalter der Aufklärung«, in: Daniel Hohrath, Klaus Gerteis (Hrsg.), Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Teil 2, Hamburg 2000, einen Überblick; zur militärischen Aufklärung um 1770, ders., Ferdinand Friedrich von Nicolai: Betrachtungen über die vorzüglichsten Gegenstände einer zur Bildung angehender Officiers anzuordnenden Kriegsschule (1770). Eine bedeutende Denkschrift zur »Aufklärung des Militärs«, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 51 (1992), S. 102ff. Michael Sikora, Ueber die Veredlung des Soldaten: Positionsbestimmungen zwischen Militär und Aufklärung, in: Aufklärung 11, 2 (1999), S. 31ff., weist auf die Verbindung von Aufklärung und Tugend hin; ähnlich Christiane Büchel, Der Offizier im Gesellschaftsbild der Frühaufklärung: Die Soldatenschriften des Johann Michael von Loen, in: Daniel Hohrath, Klaus Gerteis (Hrsg.), Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Teil 1, Hamburg 1999, S. 10. 63 Vgl. Aleida Assmann, Zur Mediengeschichte des kulturellen Gedächtnisses, in: Astrid Erll, Ansgar Nünning (Hrsg.), Medien des kollektiven Gedächtnisses: Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin, u. a. 2004, S. 50: »In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts liegen auch die Wurzeln des modernen historischen Bewusstseins, das die westliche Gedächtniskultur entscheidend geprägt hat. Dieses historische Bewusstsein hat zu einem Auseinanderbrechen von Gegenwart und Vergangenheit geführt. Das Schlüsselereignis in dieser Hinsicht war die Französische Revolution.« Frie weist beispielsweise auf die entstehenden Familiengeschichten des Adels im 19. Jahrhundert hin, Frie, Adelsgeschichte (wie Anm. 57), S. 408; ders., 1806: Das Unglück des Adels in Preußen, in: Martin Wrede, Horst Carl (Hrsg.), Zwischen Schande und Ehre: Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, Mainz 2007, S. 338. 64 Vgl. Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden: Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792–1841, Paderborn, u. a. 2007, S. 479ff.; dies., Wessen Krieg? Welche Erfahrung? Oder : Wie national war der »Nationalkrieg« gegen Napoleon?, in: Dietrich Beyrau (Hrsg.), Der Krieg in religiösen und nationalen Deutungen der Neuzeit, Tübingen 2001, S. 112.

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tragen, dass sich das Spektrum der Fragen ausdifferenzierte und die Thesen der älteren Forschung kritisch hinterfragt wurden.65 Dabei galt das breite Erkenntnisinteresse vor allem sozialgeschichtlichen Fragestellungen und Aspekten, so dass die erlangten Erkenntnisse dazu beitragen, die Wissenslücke über das preußische Offizierkorps im 17. und 18. Jahrhundert zu verkleinern.66 Darüber hinaus wurde angemahnt, kulturgeschichtliche Ansätze auf militärgeschichtliche Themen zu übertragen.67 Aber trotz dieser Aufforderung sind die Erkenntnisse, die bisher aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive gewonnen wurden, vergleichsweise gering. Zwar wird mitunter der Begriff ›Erinnerungskultur‹ verwendet, aber zumeist bezieht er sich nicht auf Regimenter als die wichtigsten militärischen Kollektive und ist nicht die zentrale erkenntnisleitende Forschungsperspektive.68 Insofern trägt diese Untersuchung erstens dazu bei, eine bestehende Lücke zu schließen, indem sie einerseits den Forschungsbegriff ›Erinnerungskulturen‹ konsequent auf das brandenburgisch-preußische Militär anwendet und andererseits mit den Regimentern eine zentrale militäri65 Einen Forschungsüberblick gibt Kroener, Vom »extraordinari Kriegsvolck« zum »miles perpetuus« (wie Anm. 5). Vgl. auch Winkel, Im Netz (wie Anm. 33), welche sich dem Thema anhand der Netzwerkforschung annähert und einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand gibt, ebd., S. 27; des Weiteren Göse, Verhältnis von landadliger Sozialisation (wie Anm. 55), S. 135ff.; Wolfgang Neugebauer, Landstände und Militär im preußischen »Absolutismus«, in: Christian Th. Müller, Matthias Rogg (Hrsg.), Das ist Militärgeschichte! Probleme – Projekte – Perspektiven, Paderborn, u. a. 2013, S. 29 u. 31; Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? (wie Anm. 51), S. 15. 66 Ders., Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? (wie Anm. 51), S. 7: »Thematisch konzentriert sich das Interesse stark auf das Sozialsystem Militär einerseits, auf die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft andererseits.« Vor allem aus sozialgeschichtlicher Perspektive ist das Offizierkorps des brandenburgisch-preußischen Militärs untersucht worden. Zu verweisen ist auf die Publikationen von Straubel, Friedrich II. (wie Anm. 33), S. 3, der die Personalpolitik König Friedrichs II. anhand der königlichen Kabinettsresolutionen untersucht, und Hebbelmann, Offizierkorps (wie Anm. 48), der anhand der im Militär geführten Listen die soziale Zusammensetzung des Offizierkorps untersuchte. Göse, Verhältnis von landadliger Sozialisation (wie Anm. 55) weist u. a. die Differenzierung hinsichtlich der regionalen Herkunft nach. Eine kurze Darstellung des preußischen Heeres gibt auch Hanne, Offizierkorps, Teil 1 (wie Anm. 48). 67 Lipp, Diskurs und Praxis (wie Anm. 10), S. 213. Meteling, Regimenter als Image prägende Standortfaktoren (wie Anm. 26), S. 46, fordert, »Offiziere aus ihrer Verbannung in die Generalstabshistorie zu befreien und ihnen stattdessen mit einem ähnlichen kultur- und erfahrungsgeschichtlichen Instrumentarium zu begegnen wie den Soldaten«. 68 Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 17. Eine Ausnahme stellt der Sammelband selbst dar, der sich explizit am Forschungskonzept ›Erinnerungskulturen‹ orientierte. Der Sammelband von Michael Epkenhans u. a., Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn 2006, trägt nur eingeschränkt dazu bei, militärische Erinnerungskulturen zu beleuchten. Durch die Beschränkung auf Selbstzeugnisse, die sich auch im Singular des Leitbegriffs widerspiegelt, konnte das Potential ›militärischer Erinnerungskulturen‹ nicht in seiner Vielfalt genutzt werden, Carl, Planert, Militärische Erinnerungskulturen (wie Anm. 10), S. 21.

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Hinführung zum Thema

sche Gruppierung in den Mittelpunkt stellt und von diesen ausgehend nach Kohäsion und Identität fragt.69 Zweitens ermöglicht diese Herangehensweise, die bisher zumeist nur aus dem Blickwinkel der Kostüm- und Heereskunde isoliert betrachteten militärischen Artefakte als Quellengruppe für kulturgeschichtliche Fragen zentral einzubeziehen und zu interpretieren.70 Im Ergebnis können so exemplarisch militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert aufgezeigt werden.

69 Welche Perspektiven ein regimentsbezogener Forschungsansatz bietet, konnte die englische Forschung nachweisen. Im Unterschied zu den brandenburgisch-preußischen Regimentern überblickt die englische Forschung einen deutlich längeren Zeitraum. John Keegan, Regimental Ideology, in: Geoffrey Best, Andrew Wheatcroft (Hrsg.), War, Economy and the Military Mind, London 1976, S. 10ff., der nach den Gründen für die lange Existenz der britischen Regimenter fragt, beschreibt diese als Institutionen, die zum Teil älter als die bedeutenden Institutionen des Landes sind, und führt dies auf ihr Alter, ihre Verbindungen zum Hof sowie ihre »Selbst-Verwaltung« zurück. Vgl. S. 20, Anm. 27 bzw. Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 263f., die auf das Forschungsdesiderat hinsichtlich der Regimentsforschung und die spärliche Literatur hinweist. 70 Vgl. dies., Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 290, die auf das Potential einer Beschäftigung mit diesen »hochkomplexen Zeichensystemen« und die bestehende Forschungslücke einer »kulturgeschichtlichen Erforschung von Artefakten« hinweist. Vgl. auch Carmen Winkel, Kriegserinnerungen preußischer Offiziere zwischen Korpsgeist und königlichem Anspruch (1740–1786), in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, S. 229; aus einer interdisziplinären Perspektive Kroener, Militär in der Gesellschaft (wie Anm. 41), S. 296.

Zweiter Teil: Schriftliche Zeugnisse als Medien militärischer Erinnerungskulturen

Regimentsgeschichten Eine gemeinsam erfahrene und erinnerte Vergangenheit stiftet Identität. Die Geschichte der einzelnen Regimenter war deshalb Fundament ihrer jeweiligen Erinnerungskulturen. Obwohl ein Teil der brandenburgisch-preußischen Regimenter bereits im 17. Jahrhundert gegründet wurde, lässt sich ein bewusstes Erinnern erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts belegen. Als Grund dafür ist die bewegte, d. h. zumeist nicht absehbare Entwicklung der einzelnen Regimenter bis in das 18. Jahrhundert hinein anzuführen.71 Erst mit der Konsolidierung der Regimenter durch die Einführung des Kantonsystems war der Fortbestand eines Regiments weitgehend sichergestellt, so dass fortan die Geschichte für die Mitglieder desselben Bedeutung gewinnen konnte. Dennoch dauerte es noch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, bis mehrere oder einzelne Regimentsgeschichten gedruckt wurden.

1.

Die ersten Regimentsgeschichten: unmittelbarer und mittelbarer Ausdruck von Erinnerungskulturen72

Besondere Bedeutung haben die ersten gedruckten Regimentsgeschichten aus dem Jahr 1767. Unter dem Titel »Vollständige Geschichte aller königlichen preußischen Regimenter von ihrer Errichtung an bis auf gegenwärtige Zeit darin 71 Vgl. S. 14f. 72 Auf bestimmte erinnerungskulturelle Aspekte der Regimentsgeschichten von 1767 wurde bereits in einem Vortrag hingewiesen, der im Rahmen des Dissertationsprojektes entstand und unter dem Titel Frank Zielsdorf, Weil so viele daran Antheil genommen … – Die preußischen Regimentsgeschichten von 1767 als Beispiel militärischer Erinnerungskultur, in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012 veröffentlicht wurde.

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alle Feldzüge, Belagerungen und Schlachten denen solche im jetzigen und vorigen Jahrhunderte beygewohnet, nach der Zeitrechnung angeführt und beschrieben, und von den Lebensumständen der Hrn. Chefs sowol als anderer Hrn. Officiers Nachricht ertheilt wird« wurden 1767 anonym im Verlag bei Gottfried Trampe in Halle insgesamt sechs Regimentsgeschichten herausgegeben.73 Diese Veröffentlichungen gingen auf Johann Friedrich Seyfart, Auditeur des Infanterie-Regiments Nr. 3, zurück.74 Seyfart war der Öffentlichkeit durch die Herausgabe einschlägiger militärgeschichtlicher Werke bekannt.75 Inspiriert wurde er durch ein französisches Vorbild. Er war der Überzeugung, dass auch die Geschichten der preußischen Regimenter herausgegeben werden sollten. Aus diesem ›nationalen‹ Konkurrenzdenken heraus bat er die Regimenter um Einsendung ihrer Geschichten. Bereits die Kriterien für die Auswahl zur Veröffentlichung verweisen auf die Mitwirkung der Regimentsangehörigen: »Die 73 Dabei handelt es sich um die Geschichten der Infanterie-Regimenter Nr. 3, Nr. 19, Nr. 36, Nr. 41, Nr. 44 und Nr. 47. Das Erscheinen der ersten Regimentsgeschichten wurde in der Ausgabe vom 1. August 1767 des Leipziger Intelligenz-Blatts beworben: »Bey Johann Gottfried Trampe zu Halle, und in Leipzig bey den Herren Breitkopf und Sohn, ist zu haben: Geschichte aller Königl. Preußischen Regimenter von ihrer Errichtung an, bis auf gegenwärtige Zeit […], 1stes, 2tes und drittes Stück, / 8 Gr. Wer aber auf die folgenden Stücke pränumeriret, bekommt jedes / 6 Gr. Alle Monate soll davon ein neues Stück geliefert werden«, Gnädigst privilegiertes Leipziger Intelligenz-Blatt, in Frag- und Anzeigen, vor Stadt- und Land-Wirthe, zum Besten des Nahrungs-Standes auf das Jahr 1767, Leipzig 1767, http:// books.google.de/books?id=HiUoAAAAYAAJ, 07. 04. 2014, S. 314. 74 »Seyfart, Johann Friedrich 2. […] Studirte zu Halle, hielt sich nachher eine Zeit lang in Erlangen auf, wurde alsdann Auditeur des in Halle garnisonirenden Preuss. Infanterieregiments, und Regierungs-Referendar ; geb. daselbst 1727; gest. am 30sten Junius 1786«, Johann Georg Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schrifsteller, Bd. 13, Leipzig 1813, http://books.google.de/books?id=rLcDAAAAYAAJ& , 07. 04. 2014, S. 136. In der Aufzählung seiner Werke werden die Regimentsgeschichten Nr. 41, Nr. 19, Nr. 36 und Nr. 47 erwähnt, ebd., S. 138. Vgl. auch Georg Christoph Hamberger, Johann Georg Meusel, Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetztlebenden teutschen Schriftsteller, 3. Aufl., Lemgo 1776, http://www.google.de/books?id=U3I5AAAAMAAJ, 07. 04. 2014, S. 1124. Zur Autorenschaft Seyfarts vgl. auch Anton Balthasar König, Alte und Neue Denkwürdigkeiten der Königlich Preußischen Armee. Enthaltend: Die Geschichte der ehemaligen churbrandenburgischen Leibgarden zu Fuß, woraus das jetzige Alten-Bornstedtsche Infanterieregiment, welches das älteste in der Königl. Preuß. Armee ist, entstanden, Berlin 1787, S. 9; Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 44; Gerhard Krohn, Preußische Regimentsgeschichten aus der friderizianischen Zeit. Johann Friedrich Seyfart’s »Vollständige Geschichte aller königlichen preußischen Regimenter von ihrer Errichtung an bis auf gegenwärtige Zeit«, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 61/63 (1934), S. 18f.; Johann Friedrich Seyfart, Geschichte des Infanterie-Regiments von Anhalt-Bernburg. Mit einer Einführung von H. Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1767, Osnabrück 1974, S. VII. 75 Die Aufzählung derselben bei Hamberger, Meusel, Das gelehrte Teutschland (wie Anm. 74), S. 1123f. Vgl. auch Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. VI f. Seyfart hatte bereits 1759 eine »Kurzgefassete Geschichte aller Königlich Preußischen Regimenter […]« zuerst in französischer Sprache herausgegeben, die mittelbar auf der Dessauer Spezifikation beruhte, Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41), S. 8.

Regimentsgeschichten

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Einsendung vollständiger Berichte wird es sodenn bestimmen, ob ein Regiment zu Fuß, oder ein Reuter-Dragoner oder Husarenregiment auf diese folgen wird.«76 Es galt also das Prinzip des ersten Zugriffs bzw. das Prioritätsprinzip: abhängig davon, ob ein Regiment größeres Interesse an einer Veröffentlichung hatte und seine Materialien schneller und vor anderen Regimentern einreichte, konnte es eine zeitnahe Publikation erwarten. Dies kann auch die scheinbar zufällige Auswahl der gedruckten Regimentsgeschichten erklären, die sich ansonsten nicht mit den Gründungsdaten der Regimenter und den mit ihnen korrespondierenden Ordnungsnummern erklären lässt: Nr. 3, Nr. 19, Nr. 36, Nr. 41, Nr. 44 und Nr. 47. Es war vielmehr das gesteigerte Interesse der Angehörigen dieser sechs Regimenter, die zur Veröffentlichung gerade dieser Regimentsgeschichten führte.77 Seyfart publizierte als ›Dienstleister‹ die eingesandten Berichte zusammen mit Angaben zu ehemaligen und aktiven Offizieren in vereinheitlichter Form als Geschichte des jeweiligen Regiments, ohne diese tiefgreifend zu verändern.78 Die Regimenter nahmen ihrerseits sein Angebot an, die Geschichte ihrer Einheit und damit die Leistungen und Taten auch der jüngsten Vergangenheit aus ihrer Sicht zu veröffentlichen. Damit traten sie als Gemeinschaften in Erscheinung, die sich über ihre jeweilige Vergangenheit definierten. Das Interesse der Regimenter an der eigenen Geschichte spiegelte sich komplementär zur Einsendung von Berichten auch in der Abnahme der gedruckten Exemplare wider, was Seyfart wiederum ermunterte, sein Projekt fortzuführen.79 Er hatte dieses bewusst auf die Zielgruppe der aktiven und ehemaligen Offiziere und Soldaten und deren Familien, d. h. auf einen regimentsnahen Personenkreis ausgerichtet. Diese sollten sich mittels der Regimentsgeschichten erinnern und das Leben ihrer ›heldenmütigen‹ Vorfahren 76 Johann Friedrich Seyfart, Geschichte des Infanterie-Regiments Friedrich August v. Braunschweig. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1767, Osnabrück 1975, S. 1. Vgl. auch: »In Ansehung der Fortsetzung gibt der Herr Verleger die Versicherung, daß in Zeit von vier bis sechs Wochen jedesmal ein Stück erscheinen soll. Von den Regimentern von Anhaltbernburg und Brietzke sind, da wir dieses schreiben, bereits einige Bogen abgedruckt, und man wird sich bemühen, zur Veränderung ein Reuter, Dragoner und Husarenregiment, nach und nach der Presse zu übergeben, indem hinlänglicher Vorrath zur ununterbrochenen Fortsetzung vorhanden ist«, ders., Geschichte des Füsilier-Regiments von Kleist. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1767, Osnabrück 1978, S. 3 verso. 77 Die zufällige Auswahl der Regimentsgeschichten kann auch nicht mit der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Truppengattungen erklärt werden. 78 Dies unterstreicht ein abgedruckter Anhang in der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 36. Seyfart erweiterte die Regimentsgeschichte um diesen Beitrag, ohne die neu gewonnenen Informationen in die Regimentsgeschichte einzufügen und damit Redundanzen zu vermeiden. »Es sind mir noch einige sehr zuverläßige zur Geschichte des Regiments gehörige Nachrichten, obwohl etwas spät, zugesendet worden, von denen ich hier noch Gebrauch machen will«, Seyfart, Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 143. 79 Ebd., S. 1. Vgl. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 249.

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nachvollziehen können.80 Adressiert an die Regimentsmitglieder, die sowohl Mitglieder adliger Familien als auch Mitglieder einer militärischen Regimentsgemeinschaft waren, rückten die Zusammenhänge von Ruhm und Ehre durch militärisches Verdienst in den Mittelpunkt.81 Der Anteil am Erfolg der »preußischen Waffen« sowohl im Sinne der Familien als auch des Regiments konnte so erinnernd bewahrt und von den gegenwärtig aktiven Mitgliedern selbstvergewissernd beschworen, aber auch verpflichtend für die nachfolgenden Mitglieder ins Gedächtnis gerufen werden.82 Die hohe Authentizität der Regimentsgeschichten und ihre Ausrichtung auf einen regimentsnahen Personenkreis garantierten den ›Erfolg‹.83 Darüber hinaus hatten sie eine kommentierende Funktion und waren auch für die Öffentlichkeit bestimmt, welche wiederum diskursiv über die Stellung des jeweiligen Regiments im kollektiven Gedächtnis entschied. Das Projekt Seyfarts wurde durch König Friedrich II. nachhaltig beendet, indem er es mit der Begründung, dass die Regimentsgeschichten zu »viele dem Publico nicht zu wissen nötige Details« enthielten, durch Kabinetts-Order verbot.84 Die Verbotsbegründung lief jedoch ins Leere, da der Herausgeber einen möglichen Geheimnisverrat schon im Vorwort zur ersten Regimentsgeschichte 80 Johann Friedrich Seyfart, Geschichte des Füsilier-Regiments von Lossow. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1767, Osnabrück 1979, S. 2. Vgl. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 248. 81 Zum unterschiedlich verwendeten Ehrbegriff am Beispiel des Infanterie-Regiments Nr. 3 vgl. Jutta Nowosadtko, Sascha Möbius, Schule der Helden. Ehrvorstellungen adliger Offiziere des Regimentes Alt-Anhalt in der Zeit des Siebenjährigen Krieges, in: Eva Labouvie (Hrsg.), Adel in Sachsen-Anhalt. Höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln, u. a. 2007, S. 158ff. 82 Vgl. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 249f. 83 In ihrer Funktion waren die Regimentsgeschichten Vorläufer der Regimentsgeschichten des 19. Jahrhunderts. Vgl. Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 268: »Regimentsgeschichten waren kanonisierte Sinnstiftungen aus Offiziershand, welche die offiziöse Sicht des Offizierkorps zum Entstehungszeitpunkt der Schriften wiedergaben und nach innen Zusammenhalt, nach außen Anerkennung schaffen sollten. Ihre Adressaten waren in erster Linie die gegenwärtigen und künftigen Regimentsmitglieder, und zwar vom Oberst bis zum einfachen Mannschaftssoldaten, in einem weiteren Sinne auch deren Angehörige und Freunde des Regiments. Später richteten sie sich auch zunehmend auch an ein allgemeines, an vaterländischer Geschichte interessiertes Publikum«. 84 Zitiert nach Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 44; ebenso Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. VII. Vgl. auch Krohn, Regimentsgeschichten (wie Anm. 74), S. 19, der annimmt, dass Friedrich II. die in Halle gedruckten Exemplare einziehen ließ und deshalb die weiteren Regimentsgeschichten in Weißenfels gedruckt wurden. Gieraths vermutet angesichts der Förderung der allgemeinen Geschichtsschreibung durch König Friedrich II., dass dieser nicht grundsätzlich ein »Gegner kriegsgeschichtlicher Arbeiten« war, sondern die Sammlung von Regimentsgeschichten deshalb verbot, »weil sie zuviel statistisches Material organisatorischer Art über die einzelnen Regimenter« lieferte, Günther Gieraths, Regimentsgeschichtsschreibung nach dem Siebenjährigen Kriege, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 85/87 (1936), S. 9.

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ausgeschlossen hatte. »Staatsgeheimnisse, gehäßige Beurtheilungen der Fehler, welche die Feinde begangen, mit einem Worte, Heimlichkeiten, wird man in diesen Bogen nicht finden. Sie sind lediglich der getreuen Erzählung rühmlicher Begebenheiten, denen jedes Regiment beygewohnet, und der Lebensumstände der Officiers bestimmt.«85 Lediglich die Wahrheit über ruhmwürdige Ereignisse sowie die Lebensumstände der Offiziere sollten Gegenstand der Darstellungen sein.86 Das Verbot der Regimentsgeschichten war aber kein Einzelfall. Bereits 1756 empörte sich der König über die Aktualisierungen und Ableitungen aus der Dessauer Spezifikation von Leopold von Anhalt-Dessau von 1729, die unter verschiedenen Titeln immer wieder herausgegeben wurden und zum Teil einen kurzen Abriss der Geschichte der Regimenter wiedergaben. So erließ er wegen der »›Stamm-Liste von der Königl. Preußischen Armee, wegen Erricht- und Stiftung derselben. Potsdamm, den 2ten April 1756. Frankfurt und Leipzig.‹ am 21. August 1756, unmittelbar vor Ausmarsch, […] folgende Ordre an den Generalmajor Frhrn. v. Schönaich, Chef des in Aschersleben stehenden Kürassier-Regiments (Nr. 6): ›Da sich der cas ereignet hat, daß zu Leipzig eine Historie von allen Meinen Regimentern der Armee unter dem Namen einer Stammliste wegen Errichtung und Stiftung dererselben gedruckt und dabei die malice begangen, solches von Potsdam und unter dem 2. April c. zu datieren, ich aber bei näherer Nachfrage, woher das Manuscript eigentlich gekommen vernommen habe, daß ein gewisser zu Aschersleben sich aufhaltender Schopp derjenige ist, so erwähntes Manuscript unter dem Vorgeben, solches von einem Secretaire eines vornehmen Herrn bekommen zu haben, nach Leipzig geschickt und dem Verleger verkaufet hat, wie Ihr solches aus beiliegender Correspondence, davon Ihr aber nichts eclatiren lassen sollet, zu ersehen habet, als ist Mein Wille, daß Ihr gedachten Schopp sogleich arretiren und ihn kurz, jedoch auch ernstlichst verhören lassen sollet, woher er zu der angegebenen Abschrift gekommen sei. […].«87

Der König hatte mit der Beschlagnahmung der gedruckten Exemplare, anders als bei dem Verbot der Regimentsgeschichten 1767, aber nur mäßigen Erfolg, da diese bereits vorher in verschiedene Bibliotheken gelangt waren und dort handschriftlich fortgesetzt wurden.88 85 Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 3 verso. 86 Die Tatsache, dass Seyfart die Informationen von den Mitgliedern der Regimenter selbst erhielt, die Regimentsangehörigen also in eigener Sache berichteten, legt eine Berichterstattung nahe, die negative Zusammenhänge entweder komplett verschwieg bzw. diese durch teilweises Verschweigen oder Abmildern veränderte. ›Wahrheit‹ war demzufolge eine interpretierbare Kategorie. 87 Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41) S. 6f.; ebenso S. 10. Vgl. auch den weiteren Hinweis: »Als der Ingenieurlieutenant Müller 1785 eine ganz kurze Beschreibung der drei Schlesischen Kriege als Erklärung einer Kupfertafel erscheinen ließ, erhielt er eine tadelnde Kabinettsordre: ›Ich möchte aber wohl wissen, wer euch dergleichen Sachen dem Druck zu übergeben erlaubt hat‹«, Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 44. 88 Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41) S. 7. Die weitere Verbreitung und

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Das Interesse des Königs einerseits, andere als die offiziellen Veröffentlichungen zu unterbinden, und das Interesse der Regimenter andererseits, ihre Geschichten zu publizieren, standen in einem konträren Verhältnis zueinander. Dem König ging es nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges darum, die Deutungshoheit über den für Brandenburg-Preußen so wichtigen und mit dem Frieden von Hubertusburg so erfolgreichen Krieg zu gewinnen und zu erhalten. Letztlich wollte Friedrich II. bestimmen, wer in welcher Weise für den Erfolg verantwortlich war bzw. daran teilhatte.89 Sichtbar und unmittelbar manifestierte sich sein Urteil über die Leistungen der Regimenter im Krieg in den Umstrukturierungsmaßnahmen nach dem Krieg. »Noch aus dem Hauptquartier zu Leipzig erließ der König im Februar 1763 […] eine Reihe von Anordnungen, die teils die Wiederherstellung der Ausbildung und Mannszucht in den Regimentern bezweckten, teils ihre künftige Verfassung und Verwaltung neu ordneten. Das Ersatzwesen, sowohl die Aushebung aus den Kantons als auch die auswärtige Werbung, wurden abgeändert, im Zusammenhang damit die wirtschaftlichen Verhältnisse der Truppen umgestaltet […].«90

Insbesondere die Veränderung der Werbung traf die Regimenter. »Sie wurde der Masse der Regimenter entzogen und auf königliche Rechnung übernommen.«91 Die bis dahin in der Verantwortung eines Regiments liegende Ausgestaltung und Umsetzung der Anwerbung von Rekruten hatte finanzielle Spielräume eröffnet, die mit der Umstrukturierung entfielen.92 Friedrich II. hatte die Regimenter in Hinblick auf ihre jeweiligen Leistungen im Krieg in drei Gruppen eingeteilt: Wenige erhielten aufgrund ihres Verdienstes im Siebenjährigen Krieg »die Ge-

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Fortführung des Werks belegt, dass sich das Interesse daran nicht durch königliche Maßnahmen unterbinden ließ. Letztlich wurde 1784 die königliche Genehmigung zur Herausgabe der ›Stammliste‹ erteilt, ebd., S. 6–10, hier S. 10. Grundlegend dazu Luh, Der Große (wie Anm. 52), S. 77–88, insbesondere S. 85ff. Die Schriften des Königs über den Siebenjährigen Krieg wurden erst 1788 veröffentlicht. Vgl. Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 44; Friedrich der Große, Geschichte des Siebenjähriges Krieges. Erster Teil, Nachdr. der Ausg. 1913, in: Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung, Bd. 3, hrsg. von Gustav Berthold Volz, Braunschweig 2006, S. V. Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 3. Diese Umgestaltung wirkte sich auch auf die bisherige Praxis des Avancements nach Anciennität und damit auf das Selbstverständnis der Betroffenen aus. »Nur bis zum Obristlieutnant ging fortan das Avancement nach dem Dienstalter, ›auf diese Weise ward gewisser Art der Kommandeur eines Regiments eine besondere Charge, da in vorigen Zeiten der Ältere im Charakter beständig ohne Frage denen jüngern befehliget und kommandiret hatte.‹« Mit der Zwischenstellung der General-Inspekteure entfiel die Möglichkeit für die Regimentschefs, sich direkt an den König zu wenden und so mussten sich auch ältere Offiziere bzw. Generale der Aufsicht der zum Teil jüngeren General-Inspekteure unterstellen, ebd., S. 3f. Es gab jedoch auch Ausnahmen, die mit einem ›guten Verhalten‹ im Siebenjährigen Krieg begründet wurden, so auch für die Infanterie-Regimenter Nr. 3 und Nr. 41, ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 5. Vgl. auch Winter, Untertanengeist (wie Anm. 7), S. 187f. u. 189.

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bührnisse aller Beurlaubten und die eigene Werbung. Einer zweiten Klasse von Regimentern bewilligte der König eine etwas höhere als die normale Zahl von Beurlaubten.«93 Das Infanterie-Regiment Nr. 41 konnte beispielsweise auf dem »alten Fuß« weiter werben und beurlauben, ebenso die Weselschen Regimenter, also auch das Infanterie-Regiment Nr. 44. In die zweite Klasse wurde u. a. das Infanterie-Regiment Nr. 3 eingeordnet.94 Die Regimenter Nr. 19, Nr. 36 sowie Nr. 47 fielen damit unter die allgemeinen Bestimmungen.95 Die gekürzte finanzielle Ausstattung wirkte sich auf die Attraktivität der Einheiten aus. Ebenso minderten die geänderten Regelungen die Motivation derselben, möglichst gute Rekruten zu werben. »Für die Beschaffenheit des Ersatzes ergaben sich üble Folgen, da die meisten Regimenter nicht mehr für sich selbst warben, also keinen Einfluss auf die Auswahl ihrer Leute hatten.«96 Die Regimenter, deren Geschichten von Seyfart herausgegeben wurden, waren zum Teil von diesen Umstrukturierungen betroffen und wurden als solche, die sich nicht im »letzten Kriege vor anderen distinguiret hat[ten]«, disqualifiziert und bestraft.97 Vor diesem historischen Hintergrund liegt es nahe, die Regimentsgeschichten von 1767 auch als Schriften zur Rechtfertigung, Verteidigung bzw. zur Selbstvergewisserung der eigenen Leistungen zu begreifen. Mit dem scheinbar nüchternen Ziel einer Darstellung von Tatsachen, wie es Seyfart formulierte, war eine Interpretation und Deutung der Vergangenheit verbunden. Mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Geschichten beanspruchten die Regimenter das Recht, selbst bzw. mit darüber zu entscheiden, ob eine Begebenheit eine »rühmliche« war.98 Der König unterband aber im Fall der Seyfartschen Regimentsgeschichten die weitere Verbreitung dieser alternativen Deutungsansätze. Die Seyfartschen Regimentsgeschichten gliederten sich in zwei große Abschnitte und entsprachen bis auf wenige Veränderungen dem französischen 93 Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 5. 94 Ebd., S. 5. 95 Zum Regiment Nr. 47 gibt Jany an: »Das Inf.-Regt. Nr. 47 hatte gar keine Beurlaubten und blieb dauernd versammelt, da seine Garnison Burg von seinem oberschlesischen Kanton zu weit entfernt und die Kantonisten zu unsicher waren«, ebd., S. 6. 96 Ebd., S. 6. Vgl. auch Winter, Untertanengeist (wie Anm. 7), S. 189f. mit Verweis auf Anton Friedrich Büsching, Zuverlässige Beyträge zu der Regierungsgeschichte Königs Friedrich II von Preussen, vornehmlich in Ansehung der Volksmenge, des Handels, der Finanzen und des Kriegsheers. Mit einem historischen Anhange, Hamburg 1790, http://books.google.de/ books?id=ZMoKAAAAIAAJ, 16. 05. 2014, S. 395. Büsching zählt tabellarisch die Regimenter auf und gibt die Zahl der Beurlaubten an. Ergänzt wurde dieser Prozess durch weitere Maßnahmen, wie z. B. neue Instruktionen für die Kommandeure der Infanterie- und Kavallerieregimenter vom 11. Mai 1763, Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 8. bzw. Winter, Untertanengeist (wie Anm. 7), S. 217ff. 97 Jany, 1763 bis 1807 (wie Anm. 8), S. 5. 98 Vgl. S. 37.

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Vorbild.99 Seyfart verzichtete lediglich auf die Darstellung der adligen Familienwappen, da er sie im Sinne einer Kostenreduktion für verzichtbar hielt.100 Im ersten Teil, der ›Regimentsgeschichte‹ im engeren Sinne, wurde die Ereignisgeschichte des Regiments seit der Gründung wiedergegeben. Dieser Berichtsteil über die chronologisch geordneten Ereignisse und die Beteiligung des Regiments daran reichte von kurzen Notizen über absolvierte Märsche bis hin zu ausführlichen Gefechts- und Schlachtendarstellungen. Das Alter der militärischen Einheit bestimmte den Umfang des ereignisgeschichtlichen Teils. Auch wenn die Gründung zum Teil Anfang der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgt war, wurde über diese, bereits für den Herausgeber weit zurückliegende Zeit wenig detailliert berichtet. Der Grund dafür lag in einem schon von den Zeitgenossen konstatierten Verlust von Quellenmaterial.101 Detaillierter wurden die Ausführungen, je näher die berichteten Ereignisse zur Veröffentlichung lagen, die mit einer stärkeren Identifikation durch den Wechsel in der Rolle des Erzählers vom beobachtenden zum beteiligten Erzähler einherging.102 Stellten die geschichtlichen Ereignisse des ersten Teils den Rahmen dar, in dem sich das Regiment entwickeln und behaupten konnte, so wurde im zweiten Teil auf die Träger dieser Entwicklungen und Bewährungen eingegangen. Diese zum Teil ausführlichen Angaben zu Lebenslauf und Familiengeschichte, zum Teil aber nur spärlichen Angaben zu Namen, militärischem Dienstgrad und 99 »Zu mehrerer Deutlichkeit hat man den Entwurf, wie jedes Regiment abgehandelt werden soll, hier beyfügen wollen. §.1. Einleitung. §.2. Errichtung des Regiments. §.3. Nachricht von der Montur und Standquartieren. §.4. Geschichte der Feldzüge des Regiments. §.5. Geschichte der Feldzüge der Grenadiers vom Regiment. §.6. Geschichte aller Regiments Inhaber. §.7. Inhaber der einzelnen Compagnien seit deren Stiftung. §.8. Verzeichnis aller vorigen beym Regiment gestandenen Officiers. §.9. Folge der Regiments-Quartiermeister, Feldprediger, Auditeurs und Regimentsfeldscherer. §.10. Die beym Regimente jetzt stehende Herren Officiers. §. 11. Beschluß«, Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 4. 100 Über das französische Vorbild berichtete Seyfart: »Er bringt alle merkwürdige Vorfälle aus den ältesten Zeiten bey, zeigt jedes Corps nach seinen lobenswürdigen Thaten von der glänzenden Seite, er erzählt von jedem Officier dessen Herkunft, wie er nach und nach die höhern Ehrenstufen betreten, wie und wo er sich hervorzuthun Gelegenheit gehabt […]«, ebd., S. 1. Lediglich die Darstellung der Wappen im französischen Vorbild kritisierte er wegen der hohen Druckkosten: »[…] ja er hat auch den Preis seines Buchs dadurch ohne Noth erhöhet, daß er alle Wappen der Officiers, die in alten und neuern Zeiten bey den Regimentern gedienet, in Kupferstichen beyfügen lassen. Diese würde man mit mehrerm Rechte in einem Wappenbuche, oder allenfals in des Vater Anselme histoire genealogique de France suchen, und der größeste Theil seiner Leser würde ihm mehr Dank gewust haben, wenn er statt der Wappen die Abbildungen der größesten Helden, deren er Erwähnung gethan, beygefügt hätte«, ebd., S. 2f. 101 Es werden in groben Zügen die Gefechte und Schlachten erwähnt, an denen die Regimenter teilnahmen, aber es fehlen detailliertere Angaben, ebd., S. 3. Vgl. S. 24, Anm. 41. 102 Ders., Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 33. So wechselt der Erzählstil in der Geschichte des Regiments Anhalt-Bernburg mitten im Bericht für das Jahr 1715 von der dritten Person in die erste Person.

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einem eventuellem Ausscheiden aus dem Regiment durch Abschied oder Tod reichten von den ehemaligen Regimentsinhabern und Offizieren bis hin zu den zum Veröffentlichungszeitpunkt beim Regiment stehenden Offizieren. Im biographischen Teil wurde deutlich, dass als Träger der Regimentsidentität und -erinnerung vor allem die zumeist adligen Offiziere wahrgenommen wurden.103 Im Unterschied dazu wurde an die gemeinen Soldaten nicht bzw. nur summarisch im ersten Teil der Regimentsgeschichten erinnert.104 Die von Seyfart herausgegebenen Regimentsgeschichten waren von ihrer Konzeption und Intention her als Überlieferungsmedien Medien militärischer Erinnerungskulturen. Fraglich ist, ob und inwieweit dieser Befund auch durch die Inhalte, d. h. die Berichte auf der Handlungsebene bestätigt wird. Deshalb werden die Inhalte der Regimentsgeschichten auch hinsichtlich ihrer Auswahl und der Art und Weise ihrer Darstellung und Intention in den Blick genommen. Damit verbunden ist die häufig nur mittelbar zu beantwortende Frage, welche Inhalte nicht bzw. verändert erinnert wurden. Indem Verschweigen und Verändern als Modi der Erinnerung aufgezeigt werden, können mögliche Erinnerungsbezüge in den Regimentsgeschichten deutlicher konturiert werden.105 Die »Vorzüge« des Infanterie-Regiments Nr. 3 Ein Ziel der geschichtlichen Abhandlung über das Infanterie-Regiment Nr. 3 war es, die Vorzüge dieses Regiments explizit herauszustellen. Deshalb wurde diesen noch vor der geschichtlichen Darstellung ein eigener Paragraph gewidmet.106 Erst danach folgte die Abhandlung der chronologischen Entwicklung des Regiments. Zunächst wurde über dessen Gründungsakt im Jahr 1665 berichtet und auf das hohe Alter dieses Regiments, einem der ältesten der brandenburgisch-preußischen Armee, verwiesen. »Der grosse Churfürst, Friedrich Wilhelm, ist der Vater dieses Regiments. Er errichtete solches aus lauter Leuten, die in Regensburg, Nürnberg und Frankfurt angeworben waren, und die nicht so wohl angebohrne Schuldigkeit, als vielmehr der Ruhm seiner Grösse angelocket hatte, unter seinen Fahnen zu dienen. Das Jahr 1665 ist der Zeitpunkt 103 Eine Ausnahme stellen lediglich Feldprediger und Auditeure dar, die am Schluss des zweiten Teils kurz benannt werden. Da Seyfart selbst Auditeur des Infanterie-Regiments Nr. 3 war, erinnerte er mit der Herausgabe der Regimentsgeschichten auch an seinen eigenen Berufsstand, ebd., S. VII. 104 Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 253. 105 Die Betrachtung erfolgt hauptsächlich anhand der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 3, da dieses Regiment als ältestes die umfangreichste Regimentsgeschichte hat. Ergänzend werden die weiteren von Seyfart herausgegebenen Regimentsgeschichten herangezogen. 106 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 6f.

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seiner Stiftung, ob man gleich eben den Tag nicht angeben kann, an welchem das Regiment zuerst den Kriegseid geschworen.«107

Der Anreiz für Offiziere und Soldaten, in das neue Regiment einzutreten, lag aus Sicht des Verfassers im Ruhm des Großen Kurfürsten. Das hohe Alter des Regiments stand in der Aufzählung Seyfarts an erster Stelle und spiegelte dessen Bedeutung für das Selbstbewusstsein der Regimentsangehörigen wider : »Es sind verschiedene Vorzüge, welche dieses Regiment vor vielen andern bey dem königlichen Heere kenntlich machen. Es fallen darunter vorzüglich folgende in die Augen. 1. Es ist eines der ältesten preussischen Regimenter, von denen die noch stehen. Dem Alter nach mögte es das dritte in der Ordnung seyn, indem blos die Regimenter, welche jetzto Zeuner Num. I. und Canitz Num. II. heissen, auf eine erwiesene Art noch länger gestanden haben.«108

Wie die Formulierung dokumentiert, war dem Regiment die Unsicherheit seiner Existenz bewusst.109 Gerade die Darstellung der Anfangszeit des Regiments belegt das Bedürfnis der Angehörigen nach Geschichtlichkeit: Durch die Anund Übernahme geschichtlicher Ereignisse als Teil der Regimentsgeschichte konnte die Tatsache, dass über diese Zeit kaum Belege existierten, konstruierend überwunden werden. »Das erheblichste, was wir von dem Regimente zu erzählen haben, sind deßen ruhmvolle Kriegsthaten. Es ist aber zu bedauern, daß wir ausser Stande sind, in den ältern Zeiten vieles ausführlich zu sagen, da hiezu die nöthigen Nachrichten ermangeln. Und doch scheinet es ein Verbrechen zu seyn, davon gänzlich zu schweigen. Wir werden die Thaten des Regiments am besten nach denen verschiedenen Kriegen vorstellen können, in denen es die Ehre der brandenburgischen Waffen, die Rechte seiner Regenten, die Sicherheit des Vaterlandes vertheidiget, unterstützt und glücklich verfochten hat.«110

Bereits die Gründung des Regiments zu einer »bedenklichen Zeit« wurde positiv gedeutet, da durch »Stiftung dieses und anderer Regimenter der Churfürst seine Macht vermehrte« und »sich die trüben Wolken [zertheilten]«, ohne dass jedoch das Regiment gleich zum Einsatz kam.111 Die erste kriegerische Auseinandersetzung wurde, auf Indizien beruhend, auf das Jahr 1670 datiert. »Weil das Regiment Förgel [sic] anfänglich im halberstädtischen Fürstenthum seine Standläger gehabt, so vermuthen wir, daß die Besitznehmung der Grafschaft Regenstein die erste kriegerische Verrichtung dieses Regiments gewesen.«112 Je 107 108 109 110 111 112

Ebd., S. 2f. Ebd., S. 6. Vgl. S. 15, Anm. 6. Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 10f. Ebd., S. 11. Ebd., S. 12. Johann von Fargell war von 1665 bis 1679 Chef des Regiments, vgl. Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 11.

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älter ein Regiment war, desto mehr Angehörige hatten in ihm gedient und die Möglichkeit gehabt, sich des Regiments würdig zu erweisen und dessen Ruhm zu mehren.113 »Es hat, da es schon 100 Jahr seit der Stiftung gestanden, nothwendiger Weise mehreren Kriegen, Schlachten und Belagerungen als andere beygewohnet, wie solches auch die nachher anzuführende Thaten des Regiments erweisen werden. Und was kann vor einen Haufen Kriegsvölker wohl ein grösserer Vorzug vor andern seyn, als wenn es öfterer und länger die Zwecke seines Daseyns erreichet hat?«114

›Alter‹ war als Chiffre für die Bewährung im Kampf ein Kriterium, um sich positiv von anderen Regimentern zu unterscheiden. Die Regimentsgeschichte fokussierte hier auf die kriegerischen Auseinandersetzungen und damit auf die Zusammenhänge von Ruhm und Ehre. Im Vergleich zum Infanterie-Regiment Nr. 3 konnten die anderen fünf Regimenter auf keine so lange Geschichte zurückblicken, weshalb man zum Teil auf die Geschichte des Regiments vor Eintritt ins brandenburgisch-preußische Militär zurückgriff, wie das Beispiel des Infanterie-Regiments Nr. 41 zeigt.115 Militärische Kontinuität und Zusammengehörigkeit eines Regiments waren also wichtiger als die Zugehörigkeit zu Brandenburg-Preußen. Daran zeigt sich, dass ein hohes Alter auch deshalb eine so große Wertschätzung genoss, weil sein Erreichen keine Selbstverständlichkeit war. Ein altes Regiment hatte existenzbedrohende Krisen, militärische Auseinandersetzungen oder aus zum Teil fiskalpolitischen Zwängen gebotene Trup113 Die Bedeutung des Alters eines Regiments kann hier analog zum Alter adliger Familien interpretiert werden. Zur Bedeutung des Alters bzw. von Vergangenheit für den Adel, siehe auch Ronald G. Asch, Europäischer Adel in der frühen Neuzeit. Eine Einführung, Köln, u. a. 2008, S. 2: »Eine Elite, die sich so sehr über die Vergangenheit definierte, neigte naturgemäß dazu, diese Vergangenheit zu verherrlichen […].« Zur Definition ebenfalls ders., Ständische Stellung und Selbstverständnis des Adels im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch (Hrsg.), Der europäische Adel im Ancien R8gime: von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600–1789), Köln, u. a. 2001, S. 12: »Der Adel war in der Frühen Neuzeit und darüber hinaus beides, eine soziale Gruppe, die sich über die Erinnerung definierte, eine Erinnerungsgemeinschaft, und eine Elite, die die Fähigkeit besaß, sich in Krisensituationen ganz neu zu erfinden.« 114 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 6. 115 Ders., Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 3. Vgl. auch den Rückgriff in der Geschichte des Regiments Nr. 47: »Wir müssen also zuförderst anführen, welche Dienste es dem herzoglichen holsteinischen Hause geleistet, und wie es in königliche preußische Dienste gekommen ist«, ders., Vollständige Geschichte aller königlichen preußischen Regimenter von ihrer Errichtung an bis auf gegenwärtige Zeit darin alle Feldzüge, Belagerungen und Schlachten denen solche im jetztigen und vorigen Jahrhunderte beygewohnet, nach der Zeitrechnung angeführt und beschrieben, und von den Lebensumständen der Hrn. Chefs sowol als anderer Hrn. Officiers Nachricht ertheilt wird. Sechstes Stück. No. XLVII. Geschichte und Nachrichten von dem königl. preuß. Fuselierregimente Fürst von Nassau Usingen von der Zeit seiner Stiftung bis zum 3ten Sept. des Jahres 1767, Halle/S. 1767, S. 1ff.

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penreduktionen überstanden, worauf sich der Stolz seiner Angehörigen gründen konnte. So wurde berichtet, dass Kurfürst Friedrich Wilhelm aufgrund ausbleibender Subsidienzahlungen Frieden schließen musste und deswegen Regimenter aus seinem Dienst entließ.116 Das Infanterie-Regiment Nr. 3 blieb bestehen und es wurde vermutet: »Das Regiment Förgel aber muß sich hervor gethan haben, weil Friedrich Wilhelm es beybehielt.«117 Militärisches Verdienst wurde in der Regimentsgeschichte demnach auch im Umkehrschluss generiert, denn das vermutete Verdienst des Regiments und die damit einhergehende Reputation sicherten seinen Fortbestand auch dadurch, dass ein neuer und ebenfalls verdienter Regimentsinhaber durch den König ernannt wurde. So wurde nach der Erwähnung der Teilnahme an verschiedenen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert seine Verleihung an den Schwager des Kürfürsten mit der Reputation des Regiments in Verbindung gebracht: »1679. Von dem Regimente ward hierauf ein Bataillon abgedankt. In diesem ganzen Kriege muß sich das Regiment Förgel sehr hervorgethan haben, weil der Churfürst in diesem Jahr nach Förgels Tode es seinem Schwager, Generalfeldmarschall und Statthalter der Mark, dem Fürsten Hans George von Anhaltdessau, überließ.«118 Es wurde unterstellt, dass dieser nur ein angesehenes Regiment erhalten sollte und wollte. Dennoch war es auch unter seinem dritten Regimentsinhaber nicht vor Veränderungen gefeit. Dies zeigt der Bericht über die Zeit nach dem Frieden von Ryswick. Als Begründung für den Fortbestand, wenn auch nur nach Reduktion auf ein Bataillon mit vier Kompanien, nannte Seyfart erneut die Taten des Regiments und die Reputation seines Inhabers, Leopold von Anhalt-Dessau.119 Regiment und Inhaber standen also in einem gegenseitigen reputationsfördernden Verhältnis. Über die Existenzsicherung hinaus wurde auch an eine Vergrößerung des Regiments erinnert, da es sich neben seinem Alter ebenso durch die Anzahl seiner Mitglieder positiv von anderen unterscheiden konnte.120 Unter König Friedrich Wilhelm I. erhielt das Infanterie-Regiment Nr. 3 am 8. März 1719 ein drittes Bataillon.121 »Auf diesem Fuß, in diesem Zustande ist das löbliche Regi116 117 118 119

Gemeint ist der Frieden von Vossem 1673. Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 14. Ebd., S. 18f. »Dieses Leopolds Thaten machten ihn und sein Regiment berühmt. Die ersteren verdienen eine eigene Beschreibung unter den vornehmsten Feldherren des preußischen Heeres. Unter ihm sind in der inneren Einrichtung des Regiments verschiedene Veränderungen vorgefallen. […] Das anhaltische Regiment ward, dem gemachten Entwurf zu Folge, seiner Thaten und seines Inhabers wegen, zwar nicht gänzlich abgedankt; aber doch bis auf ein Bataillon von vier Compagnien vermindert«, ebd., S. 4. 120 Ebd., S. 3ff. 121 »Die damaligen Regimenter Anhalt Num. III., Heyden Num. X. und Brand Num XIV. gaben daher 1702 ein jedes zwey ganze Compagnien ab, um das schlabberndorfische Regiment auf

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ment, welches zum Unterscheid [sic] anderer, welche anhältische Prinzen besassen, Alt Anhalt hieß, nicht nur bis zum Tode des Fürsten Leopolds, sondern auch unter allen folgenden Regimentsinhabern beybehalten.«122 Damit wurde das Regiment, vermutlich nicht nur in der Regimentserinnerung, mit dem Garderegiment auf eine gleiche Stufe gestellt: »Dieses Regiment ist das einzige Feldregiment Infanterie, ausser der königlichen Garde welches 3 Bataillons stark ist.«123 Im Angesicht der Veränderungen nach dem Siebenjährigen Krieg wurde in der Regimentsgeschichte also an ein besonderes Unterscheidungsmerkmal erinnert: Die Vergrößerung desselben war für die Offiziere vorteilhaft und erhöhte zugleich sein Ansehen. »Der König hielt aber vor gut, das ganze Regiment nach Halle zu verlegen. Es geschahe solches 1718, denn es solte ohnedies noch das Regiment auf ein ganzes Bataillon verstärkt werden. Fast alle preußische Regimenter gaben Leute dazu her ; die Officiers aber zu diesem dritten Bataillon ernannte der König meistens vom Regiment Anhaltdessau selbst. 1719 den 15ten Merz kam die Errichtung unsers dritten Bataillons also in Dessau zu Stande, welches hierauf ebenfalls in Halle einrückte.«124

Die Erwähnung ist deshalb bedeutsam, weil der König mit der Besetzung der Offiziersstellen in die Regimenter eingriff und eine Beurteilung vornahm. Eine Besetzung mit Offizieren aus anderen Regimentern hätte für die eigenen Offiziere eine Zurücksetzung bedeutet, da dadurch deren Aufstiegschancen geschmälert worden wären. Es war aber auch keine Selbstverständlichkeit, dass der König die meisten Offiziere des neu geschaffenen dritten Bataillons aus dem Infanterie-Regiment Nr. 3 ernannte. Ein solcher außerplanmäßiger Aufstieg stellte eine Form der Anerkennung dar und beruhte zumeist auf militärischen Verdiensten.125

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holländischen Fuß vollzählig zu machen. Allein schon im folgenden Jahre 1703 wurden zu dem von Anhalt anstatt derer abgegebenen, zwei neue Compagnien angeworben, und seit dieser Zeit ist dies Regiment niemals vermindert, wohl aber ansehnlich vermehret worden. Denn der König Friedrich Wilhelm von Preussen beschloß, dieses Regiment mit einem ganzen Bataillon zu vermehren. […] Und so kam den 8ten Merz 1719 dieses dritte Bat. zu Dessau zum Stande, welches zu einer starken Erhöhung derer Officiers Gelegenheit gab«, ebd., S. 4f. Ebd., S. 6. Ebd., S. 9. Ebd., S. 35. Es werden zwei Daten zur Aufstellung des dritten Bataillons in der Regimentsgeschichte angegeben. Beispielsweise garantierte der Erfolg des Regiments 1715 in den kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Insel Rügen den regimentsangehörigen Offizieren den außerplanmäßigen Aufstieg in dem neu zu schaffenden Regiment Neu-Anhalt des Prinzen Leopold Maximilian von Anhalt. »1715. Weil schon den 18 November auf der Insel Rügen vom Könige befohlen worden, aus den schwedischen Gefangenen und Ueberläufern ein Regiment vor den Prinzen Leopold Maximilian von Anhalt zu errichten, so kamen viele Officiers unsers Regiments, von denen, die sich auf Rügen wohl gehalten, mit einer Erhöhung 1716 zu diesem neuen Regiment, und selbst einige Mannschaft wurde dazu abgegeben«, ebd., S. 35. Vgl.

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Zu Beginn seiner Existenz war das Infanterie-Regiment Nr. 3 mehr auf den Regimentsinhaber als auf den Monarchen ausgerichtet. Die Unabhängigkeit des Inhabers und die dadurch bedingte Distanz des Regiments zum Herrscher entsprachen dabei der üblichen Praxis: »Damals pflegte man bey dem kaiserlichen Heere mit dem Inhaber eines Regiments sich so zu vergleichen, daß derselbe eine gewisse Anzahl Leute anwerben, aber zugleich die Rechte haben sollte, Stabs- und alle übrige Befehlshaber zu ernennen, und die hohe oder peinliche Gerichtsbarkeit über alle zum Regiment gehörigen Personen, ohne alle Anfrage bey Hofe, auszuüben. Mit eben diesen Vorzügen bekam Förgel dieses Regiment.«126

Gerade das Recht, innerhalb des Regiments eine eigene Gerichtsbarkeit ausüben zu können, ohne den Hof einbinden zu müssen, stärkte das korporative Bewusstsein.127 Wie schnell sich dies vor allem hinsichtlich der Inhaberrechte ändern sollte, belegte die nachfolgende Schilderung: »Allein der grosse Churfürst erkannte frühzeitig, wie viel auf die Stabsbefehlshaber ankomme, und daß zu ihren Stellen nur Personen von geprüfter Treue, unerbebtem Muth, aber auch von erheblicher Kriegserfahrung nöthig wären. Dies bewog den Friedrich Wilhelm, seit 1676 die Stabsbefehlshaber dieses Regiments selbst zu bestellen. In dieser Verfassung ertheilte er das Regiment 1679 dem Fürsten Hans George von Anhaltdessau, einem Prinzen, dessen Asche Verehrung verdienet. […] Unter ihm ward das Regiment 1688 gleich mit dem Anfange der Regierung Churfürstens Friedrich 3 nachmaligen ersten Königes von Preussen, auf 8 Compagnien gesetzt.«128

Dem auf Fargell folgenden Regimentsinhaber wurden diese Rechte also bereits nicht mehr zugebilligt. Die anfängliche Eigenständigkeit in der Gründungszeit der brandenburgisch-preußischen Regimenter fand mit der zunehmenden Ausrichtung auf den Monarchen, d. h. im Prozess der Monarchisierung, ihr Ende.129 In der retrospektiven Darstellung wurde dem Verlust größerer Unabhängigkeit in erster Linie des Regimentsinhabers und in zweiter Linie des Re-

126 127 128 129

auch die Abgabe eines Bataillons zur Gründung des Regiments des Obristen von Wachholz 1736 sowie weiterer Offiziere für dieses Regiment, ebd., S. 36. Ebd., S. 2f. Diese Praxis war keine spezifisch preußische. Vgl. Nowosadtko, »Verstaatlichung« (wie Anm. 4), S. 133ff. Vgl. dies., »Verstaatlichung« (wie Anm. 4), S. 133ff. Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 3. Zum Wandel der Rechte der Regimentsinhaber vgl. auch Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 733 bzw. oben S. 28, Anm. 51. Vgl. auch den weiteren Verlust von Rechten des Regimentsinhabers am Beispiel des Sohnes, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau: »Nachdem der Fürst Hans George von Anhalt 1693 verstorben, ertheilte der Hof dasselbe dessen Prinzen und Nachfolger, dem Fürsten Leopold von Anhaltdessau, doch unter der Bedingung, daß die Ernennung aller Officiers vom Hofe abhangen, und die peinliche Gerichtsbarkeit, dieses vorzügliche Regierungsrecht, nicht anders, als mit Vorbewust der regierenden Herren ausgeübet werden sollte«, Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 3.

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giments die Verstärkung desselben auf acht Kompanien gegenübergestellt und so kompensiert. Die zunehmende Einflussnahme des Monarchen kann man als einen Prozess hin zu einer stärkeren Professionalisierung interpretieren. Der König überließ es nicht mehr unabhängigen Regimentsinhabern, die Schlüsselstellen in seinem Militär zu besetzen, sondern verschaffte sich selbst Zugriff auf diese wichtigen Personalentscheidungen. Vor dem Hintergrund, dass wenig über die Anfangszeit des Regiments bekannt war und berichtet werden konnte, stechen die Angaben zu den Rechten des Regiments(-inhabers) besonders hervor. Sie verweisen darauf, dass das Regiment und seine Mitglieder diese Zeiten, in denen es umfassendere Rechte als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung innehatte, nicht vergessen hatten. Im Kontext der Umstrukturierungen unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg kann die Erinnerung an die vormaligen Rechte also als Kommentar zu den Veränderungen verstanden werden. Einen weiteren Vorzug sahen die Mitglieder des Infanterie-Regiments Nr. 3 darin, durch Ausbildung und Abgabe von später erfolgreichen Offizieren und Mannschaften an andere Regimenter nicht nur zu einer »Schule von Helden«, sondern für diese sogar zum Stammregiment geworden zu sein. »Es hat dieses Regiment dem preussischen Heere erhebliche Feldherren und Regimentsinhaber oder Commandeurs gezogen, und ist folglich als eine Schule von Helden anzusehen. Ohne derer zu erwähnen, die im vorigen Jahrhunderte und in denen 6 ersten des jetzigen Jahrhunderts aus dieser Schule gekommen, so will ich nur folgende anführen, von denen ich solches gewiß behaupten kann, und die mir so gleich in die Augen gefallen.«130

Seyfart zählte 48 Namen auf, um die Überschrift »Schule von Helden« zu untermauern. Durch die ehemaligen Angehörigen wurden das im Regiment Anhalt-Bernburg erlernte Wissen, die Erfahrungen und Erinnerungen tradiert und in deren neuen Wirkungsbereichen verankert. Die Aufzählung glich einer Ahnengalerie, die jedoch nicht so sehr auf die chronologische Reihenfolge abstellte, sondern eher auf die umfassende und teils parallele Verbreiterung des Wissens durch eine starke Untergliederung. Die Aufnahme in die Regimentsgeschichte spiegelte den Stolz auf die Wissensweitergabe in einem System der Filiation wider. Im Vordergrund stand dabei das Regiment und nicht der Einzelne. Ersteres war in der Regimentsgeschichte das handelnde Subjekt, welches seinen Dienst am preußischen Heer dadurch erfüllte, dass es Einzelne, also künftige Feldherren, Regimentsinhaber und -kommandeure sowie Mannschaften aus130 Ebd., S. 6f. u. 9: »4. Ausser denen Officiers, die das Regiment an verschiedene andere Regimenter abgegeben, hat es sonderlich 1713 so viele an das Regiment Stille, 1716 an das Regiment Prinz Leopold, und 1736 an das Regiment Wachholz gegeben, daß es als eine Mutter dieser drey Regimenter angesehen werden kann.«

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bildete und ihrem Dienst am »Vaterland« zuführte. Dort konnten sie ihrem alten Regiment aus dessen Perspektive Ehre erwerben, indem sie erfolgreich handelten. So wurde ein Zusammenhang zwischen Herkunft aus dem Regiment Anhalt-Bernburg und den späteren Erfolgen der anderen Regimenter konstruiert. Damit konnte es sich zusätzlich die später erworbene Reputation des einzelnen ehemaligen Regimentsmitgliedes aneignen. Über den fiktiven Regimentsstammbaum wurden Vorrechte und damit eine Vorrangstellung vor anderen Regimentern begründet. Die Abgabe von Offizieren und Mannschaften des eigenen Regiments an andere wurde dazu genutzt, das Ansehen zu stärken und den faktischen Verlust ausgebildeter Regimentsteile und -angehöriger in einen Gewinn an Bedeutung, Ruhm und Ehre umzudeuten. Naheliegender war jedoch, auch an die eigenen herausragenden Regimentsinhaber und -kommandeure zu erinnern. Dazu zählte u. a. auch die gesellschaftliche Stellung der Inhaber des Infanterie-Regiments Nr. 3, die vor allem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorrangig dem Hochadel entstammten. »Unter denen allerseits würdigen 7 Chefs des Regiments befinden sich 5 Fürsten, und darunter 3 Generalfeldmarschälle des brandenburgischen Heeres.«131 Die gesellschaftliche Abstufung innerhalb des Adels fand damit Eingang in die Regimentsgeschichte und die damit verbundene Autorität bzw. Reputation wurde gleichsam auf die Regimenter übertragen. Der Bericht über die herausragenden Persönlichkeiten stellte die Leistungen derselben und des Regiments heraus und war auch als Appell an den König und die interessierte Leserschaft zu verstehen, sich daran zu erinnern. Die gesellschaftliche Herkunft der Inhaber diente als ein weiteres Distinktionsmerkmal der Unterscheidung von anderen Regimentern und der Begründung einer eigenen Identität. Das Infanterie-Regiment Nr. 3 war in der Eigenwahrnehmung für seine Mitglieder durch seine fürstliche Leitung ein besonderes Regiment. Diese herausragende Stellung wurde ebenfalls durch die Erinnerung an die drei Generalfeldmarschälle, die zugleich Regimentsinhaber waren, hervorgehoben. Der höchste Dienstgrad in der militärischen Laufbahn beinhaltete u. a. die Befehlsgewalt über Armeen und die militärische Vertretung des Königs. Hochadel und militärische Verantwortung verbanden sich im höchsten militärischen Rang. Dem Regiment diente diese Tatsache als Argument für seine Reputation. Die Inhalte der Regimentsgeschichte wurden selektiv ausgewählt, wie das Beispiel des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau deutlich macht. Einerseits wurde ausnahmsweise auch aus Friedenszeiten berichtet, in denen sich das Regiment durch die Ideen und Ansätze des Fürsten verbesserte:

131 Ebd., S. 9.

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»1720. Wir wandten die Ruhe einiger Jahre an, schöne und grosse Leute an das Regiment zu bringen, und durch Waffenübungen vollkommen zu machen. Da der Fürst Leopold hiebey sich vor andern um das ganze preußische Heer verdient machte: so ist es wol kein Wunder, daß er sonderlich bey seinem Regimente kein Mittel verabsäumete, um solches hierin mustermäßig zu machen. Der Officier sowol als der Gemeine wurden zur Ehrliebe und Diensteifer auf mancherley Wege gereizet.«132

Andererseits wurde im ersten Teil der Regimentsgeschichte nicht an seinen Tod und die Vergabe des Regiments an seinen Nachfolger erinnert. Erst durch die sich beiläufig ergebende Nennung des Nachfolgers wurde mittelbar sein Tod verkündet.133 Erinnerungswürdig waren demnach vor allem Tatsachen und Verdienste, die das Ansehen des Regiments erhöhten. Der Tod des Regimentsinhabers allein konnte, musste aber nicht Eingang in die Regimentsgeschichte finden. Neben den bereits genannten reputationsfördernden Distinktionsmerkmalen Alter, Größe und Persönlichkeiten von Rang und Namen wurde auf die für das Regiment existenzielle Rolle des Monarchen hingewiesen. Unterschwellig wurde mit den Berichten über die relativ häufigen Veränderungen hinsichtlich der Größe und über die anfänglichen Rechte des Regiments daran erinnert, dass seine Existenz wesentlich von dessen Wertschätzung und Unterstützung abhing. Insofern war es geboten, sich auf die Anerkennung des Königs in der Vergangenheit des Regiments zu berufen und diese herauszustellen. »1736. […] Der König sahe und musterte uns von Zeit zu Zeit, und gab uns öfters Merkmale seiner königlichen Zufriedenheit. Endlich gieng dieser Monarch 1740 zu Grabe. Wir schwuren hierauf des jetzt regierenden Königs Friedrichs II. Majestät den Eid der Treue.«134 Auch die erste Musterung durch den neuen König wurde erwähnt: »1742. […] Wir brachen von Berlin auf, und langten den 10 August wieder in unserem gewöhnlichen Standlager zu Halle an. Nun konnten wir uns also leicht in die beste Verfassung setzen, so daß wir 1743 zum erstenmal von Sr. Majestät gemustert, und mit dessen bezeugten Zufriedenheit begnadigt werden konten. Das Regiment befand sich im Stande, wenn es der König forderte, einen Feldzug zu machen. Hiezu ereignete sich bald eine Gelegenheit.«135 132 Ebd., S. 35f. Vgl. auch ebd., S. 4. 133 Ebd., S. 60. Es wurden dennoch Wechsel an der Spitze des Regiments erwähnt, die zumeist im Zusammenhang mit besonderen Umständen wie dem Tod in der Schlacht oder herausragendem Verhalten standen. Vgl. ebd., S. 62 u. 67. 134 Ebd., S. 36. Vergleiche auch die Musterung im Jahr des Todes König Friedrich I.: »Die preußischen Regimenter in Italien mußten gleich nach dem utrechter Frieden 1713 nach Deutschland aufbrechen. Unterweges erfuhr man erst den Tod des Königs Friedrich I. […] Den 10 April aber zogen sich die aus Italien zurückgekommene Völker zwischen Wettin, Deutleben, und Lettewitz zusammen, wo sie dem Könige Friedrich Wilhelm huldigten, und von demselben gemustert wurden«, ebd., S. 33. 135 Ebd., S. 37. Dieses erlangte Wohlwollen des Königs wurde auch für die Zwischenkriegszeit

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Nach dem Siebenjährigen Krieg sollte wiederum das Vorkriegsniveau des Regiments wiederhergestellt werden. »Da der letztere Commandeur Herr von Berner ein eigen Regiment erhalten: so setzten Sr. Majestät den Obristlieutenant Levin Friedrich v. Haacke vom Leibgrenadierbataillon v. Saldern als Commandeur zu diesem Regimente, unter dem solches in kurzer Zeit eine solche Fertigkeit in den Waffenübungen wieder erlangt hat, welche dies Regiment vor dem Kriege so merkwürdig gemacht. Es konnte daher 1764 bey der Musterung getrost vor die Augen seines Monarchen treten, und es erndete auch bey der Musterung 1765 seines Königs Beyfall ein. Sonderlich bekam es 1766 bey der Musterung ausnehmende Lobsprüche seines Monarchen, der auch 1767 seine allergnädigste Zufriedenheit bezeugte.«136

In der retrospektiven Darstellung sowie auf der Handlungsebene selbst sollte der Ruf des Regiments immer wieder aufs Neue hergestellt werden und sich daraus eine Kontinuität entwickeln. Musterungen und positive Bewertungen des Königs waren Teil der Regimentskultur und als solche geeignet, das Eigenbewusstsein des Regiments zu fördern. Offen bleibt, ob der König mit dem Regiment in den nicht aufgezählten Jahren unzufrieden gewesen war, negative Feststellungen also aus der Erinnerung getilgt wurden, oder ob die Schilderung des Lobes als beispielbildend interpretiert wurde. Neben der Erinnerung an das Wohlwollen des Monarchen wird mit dieser Passage auch der Blick auf die Selbstsicht der Regimentsangehörigen freigegeben: man hatte vor dem Krieg einen außerordentlich guten Ruf genossen und wollte an diesen nach 1763 schnell wieder anknüpfen. Auf die hochadlige Herkunft der Regimentschefs und den hohen militärischen Rang wurde der Regimentsmarsch als ein weiterer Vorzug zurückgeführt, der deshalb sowohl für die Fußtruppen als auch für die Reiterei geeignet war.137 Diese für die Alltagskultur eines Regiments wichtigen Aspekte ermöglichten entweder durch die alleinige Zuweisung oder durch ihre Variabilität eine Unterscheidung von anderen Regimentern und begründeten ein besonderes zwischen 1745 und 1756 erneut herausgestellt: »Das Regiment suchte sich so bald als möglich wieder herzustellen. Es konnte schon 1747 bey der Musterung seines Königes sich vorstellen. Diese Musterung wiederhohlte der Monarch 1748. Bisher hatte das Regiment bey den Musterungen in der Stadt Magdeburg gestanden, und war nur alsdenn ausgerückt, wenn es der König besahe. Allein jetzt geschahe es zum ersten mal, daß das Regiment ebenfals ins Lager einrückte. 1751 erschien dasselbe wiederum bey der Musterung vor den Augen des Monarchen, welches 1752 wiederholet wurde. Eben solches Glück genoß das Regiment 1754. Das alles durchdringende Auge Friedrich II. besahe es 1755 bey der Musterung, und selbst in dem Jahr, da der wichtigste der dritte schlesische Krieg 1756 auszubrechen im Begrif war, musterte zuvor der König das Regiment«, ebd., S. 47f. 136 Ebd., S. 97f. 137 Ebd., S. 9: »Aus diesem Grunde mag wohl der gewöhnliche alte Marsch, welcher bey dem Regimente geblasen wird, so eingerichtet seyn, daß er den Marsch der Reuterey und des Fußvolks zugleich anzeiget.«

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Selbstwertgefühl.138 Mit der Aufnahme in die Regimentsgeschichte wurden sie als Teil einer bisher auf einer mündlichen Kommunikation beruhenden, sich stetig verändernden Erinnerung fester Bestandteil der Regimentserinnerung. Ereignisgeschichten – ›Regimentsgeschichte‹ im engeren Sinne139 Der Schwerpunkt des ereignisgeschichtlichen Teils der Regimentsgeschichten lag vor allem auf der Erinnerung militärischen Verdienstes. Es wurde über die Teilnahme der Regimenter an Feldzügen und Schlachten und ihren jeweiligen Anteil an den Erfolgen und nur in Ausnahmefällen über Ereignisse oder Regimentsabläufe in Friedenszeiten berichtet.140 Schilderungen von Schlachten lagen nahe, da diese »einen integralen Bestandteil von Regimentsideologien« bildeten.141 Abgesehen von den Einträgen über die Anfangszeit und die ersten kriegerischen Ereignisse, an denen das Regiment beteiligt war, waren diese eher kurz und zusammenfassend. »1675. […] Das Regiment Förgel wurde vor Wolgast, Usedom, Gartz und Triebsee mitgebraucht. […] 1676. Auch vor Anclam, Demmin und Wollin that das Regiment Förgel seine Schuldigkeit.«142 Auch für 1689 hieß es: »Alles ging am Niederrhein nach Wunsch. Des Churfüsten Feldherr Schöning schlug ein französisches Corps bey Ordingen, und bemächtigte sich von Neuß. Friedrich III. kam selbst zu seinen Völkern und eroberte den 16 May Rheinbergen, den 26 Junii Kayserswerth, und hierauf den 12 November Bonn. Bey allen diesen Begebenheiten hat das löbliche Regiment Anhalt sich hervorgethan.«143

Für den 13. August 1704, der Schlacht von Höchstedt, berichtete die Geschichte: »Der Feind erhielt anfänglich einige Vortheile, denn die kayserlichen Reuter wichen, und das Fußvolk ward in die Flanke genommen. Die Preussen fiengen an viel zu leiden, 138 Weitere Vorzüge des Regiments waren Unterschiede in der Bekleidung, Bewaffnung und deren Trageweise sowie der Standort Halle, der nicht nur für die Regimentsmitglieder Annehmlichkeiten bot, sondern auch dem Regiment Nachwuchs aus der »Wissenschaft« zuführte. Es ist nicht auszuschließen, dass Seyfart sich selbst meinte, da er in Halle studiert hatte und später als Auditeur zu diesem Regiment kam. Vgl. S. 34, Anm. 74. 139 Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 251. 140 Ausnahmen stellten allgemeinpolitische Ereignisse wie beispielsweise der Tod des Monarchen oder des Regimentsinhabers dar ; vgl. S. 49. Im Übrigen machen die Berichte über die Märsche von einem Kriegsschauplatz zum anderen einen erheblichen Teil aus. Vgl. Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 23. Die Regimentsgeschichten stellten vor allem Verdienste heraus, weshalb Aussagen über die Regimenter im Frieden, durch welche die alltäglichen, gewöhnlichen und möglicherweise erinnerungskulturellen Abläufe nicht reflektiert wurden. Vgl. auch zu den Regimentsgeschichten des 19. Jahrhunderts, Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 269. 141 Dies., Ehre, Einheit, Ordnung (wie Anm. 26), S. 31. 142 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 16f.; vgl. auch ebd., S. 19 u. 38. 143 Ebd., S. 21, vgl. auch ebd., S. 30f.

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und sonderlich büßte das eine Bataillon von Anhaltdessau viel Leute und sechs Fahnen ein. Jedoch der Fürst trieb endlich die Feinde glücklich zurück, und befochte alle Vortheile über ihren linken Flügel, der unter dem Churfürsten von Bayern stand. Es erfolgte endlich der herrlichste Sieg.«144

Das Regiment erinnerte also daran, dass es an den kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts beteiligt war und unterstellte herausragende Leistungen als Tatsache. Umfangreicher und detaillierter wurden die Schilderungen von Schlachten, je näher sie zeitlich zur Veröffentlichung lagen.145 In der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 41 beispielsweise wurde die siegreiche Schlacht von Torgau am 3. November 1760 relativ ausführlich aus der Perspektive des Regiments geschildert. »[…] Die österreichische Hauptmacht unter Daun hatte das Lager bey Torgau genommen. Dies beschloß der König anzugreifen. Es geschahe solches den 3 Nov. Die Umstände sind bekannt. Ich bemerke nur, was das Regiment Wiedt angehet. Es gehörte zu Tettenborns Brigade, und stand auf dem rechten Flügel im zweyten Treffen. Es sollte an diesem Tage unter dem Generallieutenant von Ziethen fechten. […] Alles kam auf unserer Seite auf das stark besetzte Dorf Süptitz an. Unser Regiment Wiedt mußte solches angreifen, dessen erstes Bataillon der Major von Tümpling, und das zweyte der Major von Bröcker anführte. Nach ihrem Beyspiele hielt das Regiment Wiedt sowohl das Cartetschen als auch kleine Gewehrfeuer mit ausnehmender Standhaftigkeit aus, rückte in der besten Ordnung mit gefälletem Bajonet, ohne einen Schuß zu thun, auf den Feind loß, schlug solchen zurück, eroberte 3 Batterien, und behauptete glücklich das mit fünf feindlichen Grenadierbataillons besetzt gewesene Dorf Süptitz. Unsern Hauptleuten Carl von Voß und Gisbert Wilhelm von Romberg gebühret die Ehre, die feindlichen Batterien zuerst erstiegen zu haben. […] Die geschwinde und glückliche Eroberung von Süptitz unter Tümplings Anführung lenkte den Sieg auf unsere Seite. Denn jetzt grif auch der linke Flügel des Königes zum drittenmal den Feind an, und brachte ihn zum Weichen. […] Das Bluth des Generalmajors Hans von Tettenborn, […] der Tod von 4 Officiers unsers Regiments […] und die Wunden verschiedener Officiers […]; der Abgang so vieler braven Mannschaft des Regiments, welches 140 Todte und etliche 50 Verwundete hatte; alle diese reden von der Tapferkeit dieses wiedtschen Regiments, und überheben mich der Mühe, mehr davon zu sagen.«146

Der Bericht vermittelte den empfunden Stolz, der durch die formulierte Bescheidenheit unterstrichen wurde. Dabei bediente sich der ursprüngliche Verfasser eines Topos: Das Regiment sei vorbildlich und ruhig gegen den sich stark wehrenden Gegner vorgerückt und habe dessen Kanonen erobert.147 Im ge144 145 146 147

Ebd., S. 28. Vgl. Meteling, Ehre, Einheit, Ordnung (wie Anm. 26), S. 37. Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 52f. Vgl. den nüchternen Bericht über die Teilnahme des Infanterie-Regiments Nr. 3 an der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745, ders., Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 43,

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samten Geschehen sei es überlegt geblieben und habe vollkommene Disziplin bewahrt. Indem das Verhalten des Regiments als idealtypisch dargestellt wurde, offenbart sich gerade die Konstruktionsleistung der Beschreibung. Angesichts einschlagender Kugeln und Kartätschen und dadurch tödlich verwundeter bzw. getöteter Kameraden musste sie nicht mit dem realen Geschehen übereinstimmen. Im Rückblick wurde nur der Erfolg erinnert. Tapferkeit und Verdienst des Regiments wurden letztlich durch die Darstellung so weit gesteigert, dass aus der Perspektive des Regiments der Sieg nicht ohne das eigene Handeln möglich war.148 Beleg dafür und zugleich Teil der Regimentserinnerungskultur waren namentlich die Verluste und Verwundungen der Offiziere und summarisch der einfachen Soldaten. Wenn der Anteil eines Regiments nach Meinung von dessen Angehörigen nicht in ausreichendem Maße beschrieben wurde, griffen diese selbst zur Feder. In der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 47 wurde beispielsweise über die Schlacht von Kesselsdorf am 15. Dezember 1745 nur berichtet: »In dieser Schlacht stand das Regiment auf dem rechten Flügel des zweyten Treffens unter der Abtheilung des Herrn Generalmajors Johann Georg von Lestwitz, und verlohr an Todten […]«149 In einer schriftlichen Äußerung jedoch bedauert ein anonymer Beteiligter einen unzureichenden gedruckten Bericht über die Schlacht und führt seinerseits aus: »Daß des Prinzen George von Hessen Darmstadt Regiment, bei welchem ich stand, und mit welchen ich in der Bataille von Kesselsdorf zu gegen war, sieben Regimenter des feindlichen rechten Flügels, ob es gleich im zweiten Treffen gestanden, geworfen, geschahe folgender Gestalt: Da das mehreste vom Feinde geschlagen und geflohen war, schickte der Prinz Moritz von Anhalt Dessau seinen Adjudanten zu unsern Prinzen, und ließ ihm sagen, daß, da er keine Preußen mehr in Ordnung fände, indem sie dem fliehenden Feind verfolgten, Ihre Durchl mit ihrem Regiment, nach dem rechten feindlichen Flügel des Feindes, welcher bei Benrich zahlreich hie postiert war, marchiren mögten. […] Wir suchten darauf den Feind zu verfolgen, und ihn gefangen zu nehmen, wohin wir es auch ganz sicher würden gebracht haben, wenn uns nicht der alte Fürst von Dessau daran gehindert hätte, indem er eben auf uns zu geritten kame und uns zurief: Halt, Ihr genug laßt sie laufen. Warum der feindliche rechte Flügel bei Bernrich ruhig in Schlacht Ordnung war stehen geblieben, kam daher, […] Dass der feindliche rechte sowie die Interpretation dazu bei Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 252. Ähnlich auch der Bericht über die Schlacht bei Soor im September 1745, Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 44f. 148 Vgl. Meteling, Ehre, Einheit, Ordnung (wie Anm. 26), S. 42 in Bezug auf die Regimentsgeschichten des 19. Jahrhunderts: »Schlachtenberichte in Regimentsgeschichten legen stets nahe, daß die Soldaten eine hervorragende Kampfmoral bewiesen und für Ruhm und Ehre des Regiments und der Armee kämpften. Wieviel davon Realität und wieviel davon Offiziersfiktion war, pures Wunschdenken im Dienste der Regimentsideologie, wird man nicht zweifelsfrei klären können.« 149 Seyfart, Geschichte Nassau-Usingen (wie Anm. 115), S. 13.

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Flügel, den der mir unverglichen kluge Prinz George von Hessen Darmstadt glücklich geworfen, aus sieben Regimentern bestanden, haben wir nachmals von einem feindlichen schwer bleßirten Officier von Puherne erfahren. […] Auf diese Art hatte der Prinz einen großen Antheil an den hier bei Keßelsdorf erfochtenen Sieg und mir ist es unbegreiflich, daß dieses in der Beschreibung dieser Bataille nicht ist gedruckt worden.«150

Der Autor forderte nicht nur offensiv den Anteil am Erfolg ein und korrigierte den Bericht, sondern er benannte auch den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau als ›Verhinderer‹ weiteren Ruhms. Nur selten deutet sich in den Darstellungen an, dass die Regimentsangehörigen bereits auf der Ebene der Ereignisse Rückbezüge zur Regimentsvergangenheit herstellten. Lediglich in der Berichterstattung der Grenadiere des Infanterie-Regiments Nr. 3 wurde ein Hinweis darauf gegeben: »1757. Jun. […] Den 30sten bekam unser Bataillon ganz allein den Posten von Welmina zu besetzen. Hier kamen den 3ten Julii die feindliche Panduren und Husaren unter Laudons Anführung, aus den umliegenden Wäldern gegen uns angezogen. Auf unserer linken Seite waren 1500 Panduren und 4 Escadrons Husaren, auf der rechten Seite ein anderer Haufen Ungarischen Fußvolks und Reuterey. Der Uebermacht unerachtet, trieb unser Bataillon den Feind überall zurück. Nur bey einer Compagnie, wo die Officiers todt geschossen waren, konnte der Feind eindringen, und sich einer Canone bemächtigen. Wir konnten den Berg nicht verlassen, um solche zurück zu erobern, weil uns sonst die feindlichen Husaren angegriffen hatten. Genug, wir erhielten uns auf unserem Posten, und waren nicht zu überwältigen. Doch büßten wir hier mehr ein, als in irgend einer Schlacht. […] Nachdem sich die noch übrige Leute verschossen, kamen zum Glück 100 ziethensche Husaren an. Der Feind wiche hierauf.«151

Auch in dieser Beschreibung wurde die Tapferkeit der Grenadiere angenommen und die Auseinandersetzung angesichts der Verluste durch den Vergleich mit anderen Schlachten als die bisher schwerste beschrieben.152

150 GStA Berlin, HA VI Rep Preußen, Friedrich Wilhelm III, BI Nr. 10a. Der Bericht trägt den Titel »Wahrhafte Beschreibung der Thaten des Regiments von Jung Darmstadt unter der Anführung Ihres großen und erhabenen Chefs Prinz George von Hessen Darmstadt in der Bataille von Kesselsdorff den 15ten December 1745« und lässt keine Rückschlüsse auf Verfasser sowie Adressatenkreis und den Zeitpunkt der Niederschrift zu. 151 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 108f. 152 Zugleich wurde damit auf die Bedeutung des Offiziers für die Aufrechterhaltung der Ordnung hingewiesen, ohne deren Bemühungen es schlecht um die Disziplin während des Kampfes im Regiment bzw. im Bataillon stand. Vgl. Sascha Möbius, Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg, Saarbrücken 2007, S. 126ff.; ähnlich ders., Die Kommunikation zwischen preußischen Soldaten und Offizieren im Siebenjährigen Krieg zwischen Gewalt und Konsens, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 63, 2 (2004), S. 344ff.

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Der Umgang mit negativen Ereignissen Die Teilnahme an siegreichen Schlachten erhöhte das Ansehen und war deshalb Teil der Regimentserinnerung. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, ob und wie die Regimenter ihre Teilnahme an ›schmachvollen‹ Niederlagen erinnerten. Zunächst ist anhand des Berichts über die verlorene Schlacht bei Kay am 23. Juli 1759 festzustellen, dass auch über solche negativen Erfahrungen berichtet wurde. An dem Bericht lässt sich ein Erzählmuster aufzeigen. »1759. Jul. […] Um 4 Uhr Nachmittags ging bey dem Dorf Kay eine Canonade an, und derselben war unser Regiment sehr ausgesetzt. Nach einer Viertel Stunde ging das Feuer aus dem kleinen Gewehr an. Unser Regiment rückte durch ein Gebüsch vor. Hinter solchem standen 40 Schritt vorwärts lauter Grenadiers. Unser Feuer war lebhaft. Unser Regiment drang durch das erste Treffen auf das zweyte vor. Es hatte bereits einen Hügel mit vielen rußischen Canonen erobert. Weil aber das feindliche Cartätschenfeuer uns viele Mannschaft raubte: so musten wir diese erfochtene Vortheile verlassen, und büsten so gar eine Fahne und zwey Canonen ein. Ein neuer Angrif war nicht glücklicher. Weil auf unserm rechten Flügel es eben so scharf herging, musten einige Officiers mit einem Theil unsers Regiments dorthin gehen, das Regiment Golz zu unterstützen. Aber auch hier nahmen wir am heftigen Cartätschenfeuer Antheil. Waldung und Moräste, überhaupt die Gegend hinderte unsere Tapferkeit, an welcher es nicht fehlete. Das Regiment Golz hatte nicht viel über fünf Officiers, die noch gesund waren. Das Küraßierregiment Horn hatte bereits eine Anhöhe mit 25 feindlichen Canonen erobert, muste aber jedennoch weichen, und verlohr viele Leute. Wir konnten unser Geschütz fast gar nicht, und die Cavallerie nur wenig brauchen. Mit Sonnenuntergang verliessen wir den Wahlplatz. Was unser Regiment gethan, kann der Herr Generallieutenant Heinrich von Manteufel, der uns anführte, und der Herr General Gablenz, der uns zur Seite focht, bezeugen. Wir brauchen nur unsern Verlust namhaft zu machen, um zu beweisen, daß wir das feindliche Feuer nicht vermieden haben. Unser Regiment hatte an Todten 3 Oberofficier, 5 Unterofficier, 159 Gemeinen; an Verwundeten, 21 Oberofficiers, 40 Unterofficers, 4 Spielleute, 820 Gemeine; vermißt waren […]. Wir erwehnen mit Fleiß derer nicht, die blosse Prellschüsse und Quetschungen bekommen […]. Doch alles vergossene Blut konnte uns nicht den Sieg erkaufen.«153 153 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 68f. Die extensive Aufzählung von 30 Namen der toten, verwundeten und leicht verletzten Offiziere sollte vermutlich die gemachten Aussagen untermauern. Vgl. mit ähnlichen Begründungen den Bericht über die Niederlage in der Schlacht bei Kolin am 18. Juni 1757, ebd., S. 53f. Ebenfalls konnte die Übermacht des Feindes als Begründung für ein Zurückweichen angeführt werden: »Das ganze feindliche Heer stieß sodann auf die Preussen, welche der Uebermacht weichen mußten«, ebd., S. 30. Hohe Verluste wurden beispielsweise auch im Zusammenhang mit einem Sieg mit einem tapferen Feind (Grenadiere) begründet, wie in der für die Preußen siegreichen Schlacht bei Prag am 6. Mai 1757: »Den 6ten, sobald das schwerinsche Heer sich an uns angeschlossen, grif der König die feindliche Hauptmacht an. In dieser Schlacht litte unser drittes Bataillon, welches auf eine starke, mit vielen Grenadiers besetzte Batterie stieß, am meisten, ward aber jedoch durch das erste Bataillon vortreflich unterstützt. Das zweyte Bataillon aber konnte wegen eines in Brand gesetzten Dorfes nicht recht an den Feind

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Die detaillierte Schilderung der Niederlage ermöglichte es, das ›Regimentsversagen‹ zu relativieren und damit zu rechtfertigen. Es mangelte dem Regiment nicht an Gründen, welche für das eigene Verhalten und die militärische Niederlage relativierend herangezogen wurden. Zunächst war es die gegnerische Kanonade, dann das kleine Gewehrfeuer, später waren es die gegnerischen Grenadiere. Hinzu kamen die Wirksamkeit des gegnerischen Kartätschenfeuers, die Schwächung des eigenen Regiments, indem man ein anderes unterstützte, die Widrigkeiten, die in der landschaftlichen Lage begründet waren, und die fehlende Chance, das eigenen Geschütz sowie die eigene Kavallerie einsetzen zu können. Die eigene Tapferkeit wurde als selbstverständlich gegeben behauptet bzw. mit einem benannten hochrangigen Zeugen sowie dem Verweis auf die eigenen Verluste selbstredend belegt. Zugleich reagierte der Bericht auf die unterschwellige Behauptung, dass das Regiment das gegnerische Feuer gemieden hatte. Als Schlussfolgerung aus den widrigen Umständen wurde die tatsächliche Niederlage euphemistisch in ein ›Nichterreichen des Sieges‹ umgedeutet. Der Verlust von Offizieren und Mannschaft, also eine tatsächliche Schwächung des Regiments, wurde in der Retrospektive in einen hypothetischen Vorteil verkehrt, indem ein Zusammenhang zwischen der Zahl der Gefallenen und Verwundeten einerseits sowie Tapferkeit andererseits suggeriert wurde. Je höher der personelle Ausfall war, desto mehr musste das Regiment dem gegnerischen Angriff ausgesetzt gewesen sein. Die Aufzählung der Verluste erhielt dadurch seine eigentliche Funktion. Anhand der Toten und Verwundeten wurde auf die Bemühungen des Regiments in der jeweiligen Auseinandersetzung hingewiesen und die eigene Tapferkeit postuliert.154 Die namentliche Aufzählung der gefallenen Offiziere und die summarische Bezifferung der gemeinen Soldaten spiegelten wider, dass im Mittelpunkt der Regimentserinnerungskulturen vor allem die Offiziere standen.155 Über die Rechtfertigungsabsichten hinaus ist festzustellen, dass die Berichterstattung in den Seyfartschen Regimentsgeschichten nicht konsistent und homogen war, da Berichte sowohl über weitere Siege als auch Niederlagen, an kommen, und hatte wenig Einbusse. Unser Regiment half diesen Sieg ziemlich theuer erkaufen. Wir hatten an Todten Officiers den Obristen von Manstein und den Capitain von Herzberg. An Verwundeten den Obristen von Sydow und von Braun, […]«, ebd., S. 51f. 154 Außen vor blieben Bewertungen, ob einzelne militärische Entscheidungen richtig waren und die Verluste durch mögliche Fehlentscheidungen begründet wurden. 155 Begünstigt wurde dies dadurch, dass wohl zumeist Offiziere die Informationen an Seyfart weitergaben. Die Regimentsgeschichte des Füsilier-Regiments von Nassau-Usingen zählte beispielsweise nach der Niederlage von Kunersdorf namentlich 30 gefallene Offiziere auf, um ergänzend die beiden unverwundeten ebenfalls zu nennen, Seyfart, Geschichte Nassau-Usingen (wie Anm. 115), S. 43f. Vgl. ders., Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 49.

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denen das Regiment teilgenommen hatte, im Vergleich zu den exemplarisch aufgeführten teils komplett fehlten, teils stärker zusammengefasst und nicht im Detail geschildert wurden.156 Grundsätzlich war ein Verschweigen wohl nicht intendiert. Dennoch weist dieser Aspekt auf die Praktiken des Erinnerns innerhalb der Regimenter hin. Die regimentsangehörigen Informationslieferanten konnten durch Auswahl und Darstellung die realen Ereignisse in einer für das Regiment vorteilhaften Weise deuten und bewusst modifizieren. Verschweigen und Modifizieren der Tatsachen waren legitime Mittel, um eigene Schwächen zu retuschieren, wenn detaillierte Erklärungen und Relativierungsversuche nicht geeignet waren, das eigene Regimentsverhalten zu rehabilitieren. Die Berichte über zwei kriegerische Auseinandersetzungen, die für das Infanterie-Regiment Nr. 3 zentrale Bedeutung erlangten, belegen diese Vermutung. Das Regiment hatte sich in der Belagerung von Dresden bei einem Ausfall des Gegners aus Dresden am 21. Juli 1760 überraschen lassen. Es erlitt hohe Verluste und konnte vom Gegner zurückgedrängt werden. Daraufhin wurde es vom König kollektiv bestraft: »Ein Bataillon vom Regiment Anhalt-Bernburg hatte bei der Belagerung seine Schuldigkeit nicht getan. Zur Strafe durfte es den Säbel nicht mehr tragen. Diese für jeden ehrliebenden Soldaten empfindliche Züchtigung machte guten Eindruck bei der Armee und feuerte das Bataillon an, seinen Fehler wieder gutzumachen. Dazu fand sich, wie wir später hören werden, Gelegenheit in der Schlacht bei Liegnitz.«157

Der kollektiven Bestrafung folgte nach dem als besonders positiv wahrgenommenen Verhalten des Regiments in der Schlacht von Liegnitz am 15. August 1760 die Zuerkennung der aberkannten Ehrenzeichen durch den König. Der Erfolg in dieser Schlacht wurde, wie auch der Eintrag des Königs implizierte, darauf zurückgeführt, dass es die Schande von Dresden ausradieren wollte.

156 Obwohl das Regiment beispielsweise an der Schlacht bei Torgau (3. November 1760) beteiligt war, Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 14, berichtete die Regimentsgeschichte nicht davon. Es wurde lediglich die Siegesfeier erwähnt, Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 86f. 157 Friedrich der Große, Geschichte des Siebenjähriges Krieges. Zweiter Teil, Nachdr. der Ausg. 1913, in: Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung, Bd. 4, hrsg. von Gustav Berthold Volz, Braunschweig 2006, S. 45. Volz gibt in der Anmerkung zu dieser Stelle an, dass die »Rückgabe der Ehrenzeichen« nicht erwähnt wird, ebd., S. 53f. Vgl. auch die ›Erweiterung‹ bei Curt Jany, Geschichte der königlich-preußischen Armee bis zum Jahre 1807, Bd. 2, Die Armee Friedrichs des Großen 1740 bis 1763, Berlin 1928, S. 560: »Aufs äußerste erzürnt, verhängte der König über beide Bataillone eine Ehrenstrafe, die in der Armee tiefen Eindruck machte. Sie verloren die Litzen, Hutborten, Pallasche und das Feldtraktament, die Offiziere mußten die Tressen und Kordons von den Hüten ablegen. Da viele sich weigerten, unter diesen Umständen weiter zu dienen, wurden Offiziere anderer Regimenter abkommandiert.«

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»Das Regiment Anhalt-Bernburg fand jetzt Gelegenheit, die Schande von Dresden abzuwaschen. Mit gefälltem Gewehr und wildem Geschrei stürzten sich die drei Bataillone, nach dem Ausdruck eines Mitkämpfers wie ›ein Korps von Furien und Teufeln‹, auf den Feind, überrannten ihn und warfen ihn im Verein mit dem Regiment Prinz Ferdinand auf Bienowitz zurück. […] In freudiger Erregung spendete der König seinen tapferen Truppen das verdiente Lob. Heute, rief er, hätte er wieder seine alte Infanterie fechten sehen! Zahlreiche Gnadenbeweise ergingen, Zieten wurde General der Kavallerie, die Generallieutenants v. Bülow und Graf Wied erhielten den Schwarzen-Adler-Orden. Mit dem Regiment Anhalt-Bernburg söhnte der Monarch sich wieder aus, durch Parolebefehl wurde demnächst sein ›Schandfleck ausgelöscht‹, und es erhielt die verlorenen Ehrenzeichen zurück.«158

Dieser wohl einmalige Zusammenhang zwischen kollektiver Bestrafung durch den König und der Wiedergewinnung der Regimentsehre spiegelte sich jedoch nicht in der Regimentsgeschichte wider. Zwar wurden diese beiden für das Regiment so wichtigen Ereignisse nicht verschwiegen. Es wurde aber darauf verzichtet, an die durch den König über das Regiment verhängte Schande wie auch an die Tatsache zu erinnern, dass es seine Ehrenzeichen aufgrund seiner Leistungen in der Schlacht bei Liegnitz wiedererlangte. »1760. Jul. […] Das Corps de Reserve hatte indessen die Belagerung gedeckt. Des Nachts um 12 Uhr gieng das Regiment Bernburg in die Laufgraben, das erste und 2te Bataillon Bernburg vor das Pirnasche Thor in die Brechebatterie, das 3te Bataillon Bernburg und das erste Bataillon Prinz Ferdinand von Preussen vor das Seethor in die Riccochetbatterie. Den 21sten gleich nach Mitternacht erwartete unser Regiment diejenige, welche sie ablösen solten. Statt derselben aber geschahe ein Ausfall aus den Wilsdrufer-See- und Pirnaschen Thoren. Das Feuer dauerte fast drey Stunden. Die in der Brechebatterie hatten das Unglück zu weichen. Die vornehmste Ursachen, die daran Schuld waren, bestanden darin: weil dem Regimente viele Officiers seit dem 23 Jul. und 4 Decemb. vorigen Jahrs fehlten, die verwundet oder gefangen waren, und dasselbe viele neuangeworbene hatte, welche dieses Jahr zuerst den Feldzug machten. Das Regiment hatte bey demselben Ueberfall 46 Todte; und waren 3 Oberofficiers […], I Unterofficier und 33 Gemeine verwundet, und 2 Oberofficiers […], nebst 14 Unterofficiers und 251 Gemeine wurden gefangen.«159

Im Bericht wurden entsprechend der üblichen Darstellung einer Niederlage Gründe angeführt, die das Versagen während der Belagerung erklären und 158 Ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 566f. Vgl. auch Gottlob Naumann, Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern, Bd. 2, Dresden 1782, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10594919-7, 09. 04. 2014, S. 423: III. Journal des Füselierregiments von Jung-Braunschweig, (jetzo Mölldendorf,) vom Jun. 1756. bis März, 1763: »Von dem Regimente Prinz Ferdinand bekamen alle Kapitains, so noch am Leben waren, 500 Rthlr. und den Orden pour le M8rite. Die 2 Bataillons des Bernburgischen Regiments bekamen ihre Säbel, Huth- und Rocktressen, so ihnen bey Dresden abgenommen worden, wieder, weil sie sich besonders mit distinguiret hatten.« 159 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 81f.

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rechtfertigen sollten. Das eigentliche Zurückweichen wurde als »Unglück« beschrieben.160 Ebenso wurde als Erklärung für das Zurückweichen auf den geringen Zusammenhalt im Regiment aufgrund fehlender gemeinsamer Kampferfahrungen hingewiesen. Begründet wurde dies mit den erlittenen Verlusten in der Schlacht bei Kay (23. Juli 1759)161 und dem Gefecht von Meißen (4. Dezember 1759) und den unerfahrenen nachrückenden Soldaten. Die Erwähnung der beim Ausfall in Dresden erlittenen Verluste sollte wiederum die Tapferkeit des Regiments in der Auseinandersetzung herausstellen. Auf die königliche Bestrafung wies lediglich die Andeutung auf eingeschobene Offiziere hin.162 »Unser Regiment bekam vom Könige 10 Hülfsofficier zum ersten und 2ten Bataillon: Als den Major von Steinwehr vom Bataillon Saldern, […].«163 Die eigentliche kollektive Bestrafung durch den König blieb jedoch seitens der Regimentsangehörigen unerwähnt. Anzunehmen ist, dass sie und die mit ihr einhergehende Schande des Regiments verschwiegen wurden, weil sie nicht relativiert werden konnten. Die erfolgte sichtbare Bestrafung dokumentierte das Fehlverhalten und die Tatsache, dass der König keine rechtfertigenden Gründe anerkannt hatte. Vermutlich wog der damit verbundene Ansehensverlust aus Regimentsperspektive schwerer als die militärische Niederlage selbst und wurde deshalb nicht erinnert. Komplementär zu den Gründen für das Zurückweichen in der Belagerung von Dresden wurde im Bericht über die Schlacht von Liegnitz die besonders vom König gelobte Tapferkeit des Regiments hervorgehoben. »1760. 15ten Aug. […] Unsere Reuterey hielt sich auch brav, und der Feind überließ uns den Sieg. Die Regimenter Bernburg und Ferdinand, nebst dem Grenadierbataillon von Stechau hatten das meiste gethan, aber auch das meiste gelitten. Von unserm zweyten Bataillon sind gefangen worden, die drey Hülfsofficiers […]. Nach dieser Schlacht ward unser Regiment abermals auf zwey Bataillons eingeschränkt. Der König hat selbst die Tapferkeit des Regiments gesehen und gelobet. Er ließ demselben vor seinen Eifer danken. Der Generallieutenant von Bülow, zu dessen Division wir gehörten, bekam den schwarzen Adlerorden. Der Major von Troschke vom Regiment Lestwitz, der unser drittes Bataillon commandirte, ward Obristlieutenant, und bekam den Orden pour les merites nebst 1000 Thlr. geschenkt. Der Capitain von Reibnitz ward Flügeladjutant […].«164 160 Dieses Erklärungsmuster wurde immer dann herangezogen, wenn Negatives der Verantwortung entzogen werden solle. Vgl. auch S. 102. 161 Die ausführliche Darstellung der Niederlage bei Kay stellte den Hintergrund für die Rechtfertigung dieses »Unglücks« dar. Vgl. S. 55. 162 Es wurde nicht erwähnt, ob diese als Ersatz für den Abgang eigener Offiziere oder zur Bestrafung des Regiments in dieses versetzt wurden. Sie verhinderten im Ergebnis den Aufstieg der Offiziere im Regiment. 163 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 82; vgl. ebd., S. 84. 164 Ebd., S. 84.

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Später, im Bericht über die Wiederherstellung des Regiments im Winter 1760/ 1761, wurde ergänzt, dass das zweite Bataillon in der Schlacht von Liegnitz Fahnen eingebüßt hatte und deshalb neue erhielt.165 Konsequenterweise wurde aber auch in dieser Schilderung das Wiedererlangen der Regimentsehrenzeichen verschwiegen. Zugleich wurde durch die Erwähnung der Gefangennahme der ›eingeschobenen‹ »Hülfsofficiers« der unterschwellige Hinweis auf die königliche Unzufriedenheit beseitigt bzw. im Nachhinein als nicht notwendig deklassifiziert. Die Auswahl und das Auslassen einzelner Details machen die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung sichtbar, denn entgegen der öffentlichen Bekanntheit des Sachverhalts wurde dieser nur in Teilen in die Regimentserinnerung aufgenommen. Im Zusammenhang mit weiteren Berichten über Siege und Niederlagen entstand aus der Regimentsperspektive so ein homogenes Bild der Verdienste des Regiments und der Gründe und Erklärungen für ein eventuelles militärisches Scheitern. Niederlagen und nicht siegreiche Ereignisse wurden in die Erinnerungskulturen der Regimenter eher aufgenommen denn verschwiegen. Die Regimenter hatten dadurch die Möglichkeit, sich gegen etwaige Vorwürfe und Unterstellungen zu wehren. Sie konnten Niederlagen erklären und die Darstellung modifizieren. Durch die Auflistung unterschiedlichster Gründe, die aus der eigenen Sicht das Regiment am Erfolg gehindert hatten, wurden in der Erinnerung die eigenen Schwächen relativiert, erklärt und gerechtfertigt.

›Merk-würdiges‹ Teil regimentsbezogener Erinnerungskulturen wurde vor allem das, was den Ruhm und das Ansehen eines Regiments steigern und herausstellen konnte. Neben siegreichen Schlachten zählten dazu auch Berichte über erfolgreiche Belagerungen oder deren Abwehr, sowie die Auszeichnung Einzelner.166 Beispielsweise wurde an das erfolgreiche Ende der Belagerung von Schweidnitz im Oktober 1762 erinnert, dessen Besatzung sich dem Regiment ergab: »Den 9ten October in der vorigen Nacht hielt sich unser Lieutenant Johann Friedrich Wilhelm von Müsling vorzüglich gut. Die Festung ergab sich, und unser Major Bernhard Friedrich von Enkevort ward zur Berichtigung der Uebergabe mit Bedingungen in die Stadt geschickt. Den 11ten muste die Schweidnitzer Besetzung bey unserm Regimente das Gewehr strecken. Nach Endigung dieser sehr sauren Belagerung kam unser Regiment in Kunzendorf zu stehen. Den 12ten ward eine Dankpredigt gehalten.«167 165 Ebd., S. 87. 166 So wurde auch die Verleihung des Ordens Pour le M8rite an den Obristen von Berner und Major von Buddenbrock erinnert, ebd., S. 94. 167 Ebd., S. 96.

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Der immaterielle Gewinn lag in der Information, dass sich die Belagerten dem Regiment ergeben hatten. Hinsichtlich der Erwähnung von Dankgottesdiensten und Siegesfeiern ist festzustellen, dass sie immer wieder erwähnt wurden und »Bestandteil des Schlachtenrituals« waren.168 Sie spiegelten die unmittelbare Reflexion der Ereignisse auf der Handlungsebene durch die Regimenter wider. Die Friedensschlüsse im Jahr 1762 mit Russland und Schweden und 1763 mit Österreich ragten jedoch heraus. »Den 23sten [Mai 1762, Anm. FZ] stellte sich das Regiment auf dem Waffenplatze, machte einen Kreis, präsentirte das Gewehr, worauf der zwischen Preussen und Rußland geschlossene Frieden öffentlich bekannt gemacht wurde. Dann ward das Gewehr bey dem Fuß genommen, und eine Dankpredigt gehalten. Den 29sten ward der Friede zwischen Preussen und Schweden bekannt gemacht. Den Isten Junius muste das Regiment frisch laden, und alle unnütze Weiber wegschaffen.«169

In diesem Fall klingt zugleich durch, dass sich das Regiment auf weitere Auseinandersetzungen vorbereiten und vor allem den Tross verkleinern musste, um die Ordnung im Regiment wiederherzustellen. Schließlich wurde berichtet, wie der Friedensschluss 1763 gefeiert wurde, womit der eigene Anteil am Erfolg besiegelt wurde: »1763. Febr. 1763 den 15ten Februar ward dieser blutige lange Krieg, in dem wir gegen Oesterreich, Rußland, Frankreich und die Reichsvölker gebraucht worden, durch den Hubertusburgischen Frieden geendigt. Den 2ten Merz ruckte bereits der Major von Ludwiger mit 400 Mann in Halle als dem ordentlichen Standlager wieder ein. Den 3ten Nachmittage kam das ganze Regiment in Halle an. Den 7ten feyerte das Regiment das Dankfest in der Marktkirche, weil die Besatzungskirche noch mit Getraide beschüttet war, und der Feldprediger Tiede hielt über I B. Mose 28, 20.21. eine rührende Predigt, worauf: HErr GOtt dich loben wir et cetera angestimmet ward.«170

168 Bernhard R. Kroener, »Nun danket alle Gott.« Der Choral von Leuthen und Friedrich der Große als protestantischer Held. Die Produktion politischer Mythen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gerd Krumeich, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Gott mit uns. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 108. 169 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 91f.; weitere Beispiele ebd., S. 86f., 95 u. 96. 170 Ebd., S. 97. Vgl. Biblia, Was ist: Die gantze Heilige Schrift deß Alten und Neuen Testaments, Nürnberg 1706, 1. Buch Mose 28, 20/21: »Und Jakob thät ein Gelübd / und sprach: So GOtt wird mit mir seyn / und mich behüten auf dem Wege / den ich reise / und Brod zu essen geben / und Kleider anzuziehen / Und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen / so soll der HERR mein GOTT sein.« Vgl. auch den Bericht der Grenadiere über die Ereignisse 1756: »[1756. Oct.] Nach dem Sieg lagerten wir uns auf dem Schlachtfelde. Sowol den 2ten October ward wegen dieses Sieges, als auch den 16ten wegen der Uebergabe der Sachsen, das: Herr Gott dich loben wir, angestimmet und gepredigt. Bey unserm Bataillon verrichtete der Grenadier Brauchatz die Stelle eines Feldpredigers mit vielem Beyfall«, Seyfart Geschichte Regiment Nr. 3, S. 107.

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Über reputationsfördernde Ereignisse bzw. Ereignisse von überragender Bedeutung wie Siegesfeiern hinaus wurden in den Regimentsgeschichten auch eher ungewöhnliche, d. h. nicht alltägliche Ereignisse überliefert. Beispielsweise wurde die Exhumierung des Generalfeldmarschalls Keith, der in der Schlacht von Hochkirch am 14. Oktober 1758 gefallen war, erwähnt.171 Dessen Leichnam wurde rund einen Monat nach der Schlacht bei Hochkirch nach Bautzen überführt und dort bestattet.172 Auffällig ist die Erwähnung, weil das Regiment in keinem näheren Verhältnis zum Generalfeldmarschall stand.173 Es liegt deshalb nahe, dass diese Ehrbezeigung gegenüber dem Gefallenen so besonders war und den Alltag des Regiments durchbrach, dass sie über die eigenen Erlebnisse hinaus Teil der Regimentserinnerung wurde. Personalia Der Umfang des zweiten Teils der Regimentsgeschichten mit den Angaben zu den Offizieren der jeweiligen Einheit174 weist darauf hin, dass sich die auf Vergangenheitsbezüge gründende Identität eines Regiments nicht nur in der Erinnerung der Ereignisgeschichte desselben erschöpfte, sondern auch die ehemaligen und aktiven Offiziere als Gemeinschaft einschloss.175 Dadurch wurde 171 Nach eigenen Angaben war das Infanterie-Regiment selbst nicht an dieser Schlacht beteiligt: »Den 14ten October fiel der Ueberfall von Hochkirchen vor, wobey das Regiment nicht gewesen«, Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 60. Jedoch kämpften die Grenadiere des Regiments in dieser Schlacht. Vgl. Alexander Lyncker, Die Altpreußische Armee 1714–1806 und ihre Militärkirchenbücher, Berlin 1937, S. 23; Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 504. 172 Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 62: »1758. Nov. […] Den 18ten nach Bautzen. Keiths Körper ward von Hochkirchen geholt und hier begraben.« 173 Ein ähnliches Beispiel war die Beerdigung des Generallieutenants von Treskow, welchem das Regiment die letzte Ehre erwies: »1762. April 1762 den 22sten April ward in Neiß der Generallieutenant von Treskow begraben, den 24 Unterofficiers unsers Regiments trugen, und alle Officiers begleiteten«, ebd., S. 90. Es ist außergewöhnlich, dass an ihn erinnert wurde, vor allem, weil er nicht Regimentsinhaber oder -chef gewesen war, und auch sonst keine Beerdigung eines Regimentsinhabers erwähnt wurde. 174 Vgl. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 254. 175 Die Informationen zu den einzelnen Offizieren mussten nicht notwendigerweise vom Regiment herausgegeben worden sein, um Teil der Erinnerungskultur des Regiments zu werden. Entscheidend war die wohlwollende Annahme der Regimentsgeschichten in ihrer Gesamtheit, vgl. oben S. 35. Dass die Erinnerung an die Regimentsmitglieder für ein Regiment grundlegend war, weil sie dieses verkörperten, belegen auch spätere Regimentsgeschichten, die mehr oder weniger vollständige Listen der Mitglieder des Regiments über die Zeit des Bestehens zu geben suchten und auf teilweise vorhandenen Listen beruhend erst erstellt wurden. Vgl. beispielsweise die Ranglisten von 1713 bis 1808 als Anhang in Hans Robert von Zedlitz und Neukirch, Geschichte des Königl. Preußischen Leib-Kürassier-Regiments ›Großer Kurfürst‹ (Schlesischen) Nr. 1. II. Theil. Die schwarzen Reuter, Berlin 1913, S. 786–902. Vereinzelt wurden bereits im 18. Jahrhundert mit den in den Re-

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der Gruppenbezug deutlich herausgestellt und die Ereignisgeschichte aus Regimentsperspektive konkret und nachvollziehbar.176 Erst die Regimentsangehörigen erfüllten die abstrakte militärische Einheit mit Leben und konstituierten die dauerhafte Sozial- und Erinnerungsgemeinschaft, worauf nachfolgende Mitglieder verpflichtet werden konnten.177 Das Regiment war dadurch ›unsterblich‹: »Der Kriegsruhm eines ganzen Regiments ist wirklich so erheblich und anmerkenswerth, als die Lebensbeschreibung des größten Helden. Dieser ist sterblich, und seine vornehmste Heldentugend, die Tapferkeit selbst, verkürzet oft seine Tage. Ein ganzes Regiment lebt länger. Der Abgang der Mannschaft im härtesten Streit, der Tod seiner Befehlshaber wird ersetzet, und man bemerket kaum diesen Abgang.«178

Zu den einzelnen ehemaligen und aktiven Offizieren eines Regiments wurden Angaben zur familiären Herkunft, zur Laufbahn und zu besonderem militärischen Verdienst gemacht. Zumeist wurden die Eltern benannt, aber es konnten auch weiter zurückliegende Familiengenerationen erwähnt werden.179 Wenn der einzelne Offizier einem alten adligen Geschlecht entstammte, wurde dies betont.180 Ein Regiment konnte sich geehrt fühlen, wenn Mitglieder aus angesehenen Familien eintraten, und mit diesem Vorzug für sich werben. Da die erwähnten Familienmitglieder häufig auch militärische Ränge inne gehabt bzw. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch inne hatten, wurde mit ihrer Erwähnung auch die militärische ›Tradition‹ der Familie und das ›Fachwissen‹

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gimentern geführten Listen identitätsstiftende Erinnerungsbezüge verbunden. Vgl. Jürgen Kloosterhuis, Ordre, Liste und Porträt. Identitätsstiftung und Traditionsbildung im preußischen Offizierkorps des 18. Jahrhunderts im Spiegel seiner Schrift- und Bildquellen, in: Hitotsubashi Journal of Law and Politics 39 (2011), S. 17–27, insbesondere S. 24. Entgegen der deklarierten Absicht wurden nur die Offiziere Teil der Regimentserinnerung. Vgl. Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 2 bzw. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 253f. Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 1f. bzw. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 254. Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 1f. bzw. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 255. Vgl. Seyfart, Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 114: »Herr Sec. Lieut. Freyherr von Hertefeld, Karl Friedrich […] Das Geschlecht der Freyherren von Hertefeld ist eines der ältesten im Herzogthum Cleve. Heinrich von Hertefeld verbürgte sich schon im Jahre 1197 vor den Grafen von Geldern an den Herzog von Lothringen.« Siehe auch ders., Geschichte des Füsilier-Regiments von Brietzke. Neudruck der Ausgabe Halle 1767. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Osnabrück 1986, S. 27f.; mit weiteren Beispielen Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 257. Vgl. Seyfart, Geschichte Kleist (wie Anm. 76), S. 54: »Der erste Inhaber dieses Regiments ward 1740 im August der damalige Obrist kalksteinischen Regiments, Herr Gustav Bogislaf von Münchow. Dieser würdige Feldherr stammte aus einem der ältesten pommerschen adelichen Geschlechter und besonders von dem buckowschen Zweige ab. Sein Herr Vater Bernhard Christian hatte dem königlichen Hause als Cornet gedient, […].«

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durch die Einheit erinnert und gleichsam vereinnahmt.181 Mit der Erwähnung von Brüdern und von Kindern, die im gleichen oder in anderen Regimentern dienten, wurde das Regiment nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der eigenen Zeit verankert.182 Durch die Hintergrundangaben zu den einzelnen Mitgliedern wurden die Möglichkeiten herausgestellt, durch den Dienst im Militär und besonderes Wohlverhalten in den Adelsstand aufzusteigen bzw. diesen zu erneuern und allgemein durch erhaltene Auszeichnungen sichtbar Ansehen zu gewinnen. Der Leser wurde mit diesem ›Anreiz‹ konfrontiert und mittelbar aufgefordert, den beschriebenen Vorbildern nachzueifern.183 Besondere Bedeutung hatten die Personaleinträge vor allem dahingehend, persönliches militärisches Wohlverhalten herauszustellen und den Ruhm eines einzelnen Regimentsmitgliedes zur Steigerung des Ansehens des Regiments zu erinnern. Da im ereignisgeschichtlichen Teil die Taten einzelner Offiziere zwar erwähnt, aber nicht detailliert dargestellt wurden, bot sich dies im personalgeschichtlichen Teil besonders an. Die Aufnahme in die Regimentsgeschichten war von gegenseitigem Nutzen: dem Einzelnen wurde mit der Erwähnung ein schriftliches Denkmal gesetzt, während das Regiment stolz darauf sein konnte, den Einzelnen als Mitglied zu führen.184 Die Ausführungen zu persönlichem Ruhm Einzelner umfassten deshalb auch solche Taten, die sich nicht beim Regiment ereignet hatten. Ruhmwürdiges Verhalten und besondere Auszeich-

181 Vgl. das Beispiel des Friedrich Ludwig Burggraf und Graf zu Dohna bei Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 256. 182 Vgl. den Eintrag zu Matthias Ludwig von Lossow : »Von seinen Brüdern starb Friedrich Gottlob 1731 als Fähnrich vom Regiment Alt Braunschweig; Franz Alexander 1754 als Premierlieutenant vom Regiment Szekely, und Georg Dietrich blieb als Prem. Lieut. bey Münchow in der Schlacht bey Leuthen«, Seyfart, Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 71f. Vgl. auch ders., Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 96f.: »Obrister von Bardeleben, Christoph Ludwig«; ders., Geschichte Nassau-Usingen (wie Anm. 115), S. 165f. bzw. Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 258. 183 Vgl. Seyfart, Geschichte Brietzke (wie Anm. 179), S. 27f.: »Aber Laurenz von Jungken, genant Münzer von Mohrenstamm, gab seinem Hause den alten Glanz durch seine Kriegsthaten wieder. Er hielt sich zu Carls V. Zeiten sowohl, daß dieser Kaiser 1555 ihm den alten Adel seines Hauses wieder erneuerte, und das noch jetzt übliche Geschlechtswappen verliehe. […] Er [der Obrist und spätere Generalmajor, Anm. F.Z.] selbst wählte die Kriegesdienste, um sich seinem Stande würdig zu erweisen. Er nahm bey dem herzoglichen würtenbergischen Regiment Alt Würtenberg einen Platz an, und that sich damit in Ungern theils 1716 bey Peterwaradein, und theils 1717 bey Belgard hervor.« Vgl. auch ders., Geschichte Kleist (wie Anm. 76), S. 84; ders., Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 138 bzw. zur Erinnerung an Auszeichnungen durch den König, ebd., S. 108. 184 Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 279 spricht in Bezug auf Regimentsgeschichten von einem »doppelten Kollektivheldentum«: »Die Heldentaten Einzelner standen stellvertretend für die Heldenhaftigkeit der gesamten Einheit, so wie umgekehrt das heroische Kollektiv auf die einzelnen Regimentsmitglieder ausstrahlte.«

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nungen des Einzelnen wurden bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erinnert.185 »Herr Oristlieutenant Jobst Erdmann von Arnim […] kam den 9 April 1729 unter die Cadets, ward den 28 Sept. 1734 Fahnjunker unter den Potzdammern, 1740 im Jun. Fähnrich bey der Garde, und noch in eben dem Jahr Secondlieutenant und Premierlieut. Er ward 1744 Stabscapitain, und den 9 Jul. 1745 bekam er eine Compgagnie. Den I Aug. 1751 ward er Major bey der Garde, und den I April 1758 Commandeur eines Grenadierbataillons. An der Spitze desselben eroberte er das Fort No. I bey Schweidnitz mit Sturm, worauf nach einer Stunde die Vestung sich ergab. Nach erfolgtem Frieden 1763 war er als ältester Major bey Wiedt gesetzt, und den 2 Jun. 1764 Obristlieutn. Seit 1740 hat er allen Feldzügen beygewohnt. Er ist mit bey Hohenfriedberg, Sorr, Leuthen und Landshuth gewesen, in beiden letztern ward er verwundet und bey Landshuth gefangen. Nach der Schlacht bey Leuthen erhielt er den Orden pour les merites.«186

Seine Reputation brachte der Obristlieutenant also bereits aus der Garde ins neue Regiment mit. Die Einträge zu den Offizieren der Regimenter belegen, dass der militärische Werdegang in der Darstellung Vorrang vor zeitlichen oder territorialen Bezügen hatte. Verdienste, die nicht in preußischen Diensten bzw. nicht im Regiment erworben wurden, wurden dennoch in den Regimentspersonalia erinnert. Die Regimentsgeschichten konstruierten mit dem zeitlichen Überblick vom Jahr 1767 ausgehend ein Gesamtbild des Regiments. Die Angaben zu den Offizieren des Regiments waren auch geeignet, das Bild eines idealen Offiziers den nachfolgenden Regimentsangehörigen nahezubringen. So wurde über den ersten Regimentschef des Infanterie-Regiments Nr. 36, Gustav Bogislaf von Münchow, berichtet: »Seine Leibesgestalt war ansehnlich, sein leutseliges Betragen, sein mildes und freygebiges Bezeigen gegen Nothleidende, seine Tapferkeit, Geschicklichkeit und Gottesfurcht verdienen das allgemeine Lob, welches seine Zeitgenossen ihm beygelegt, und bey der Nachwelt dauerhaft bleiben wird.«187

185 Vgl. beispielsweise den Eintrag für den 1705 abgegangenen Fähnrich Philip Wilhelm von Consbruck, der in sächsische Dienste wechselte, dort geadelt wurde und in der Schlacht von Hohenfriedberg gegen Preußen fiel, Seyfart, Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 69. 186 Ders., Geschichte Lossow (wie Anm. 80), S. 92. Vgl. das Beispiel bei Zielsdorf, Regimentsgeschichten (wie Anm. 72), S. 258ff. 187 Seyfart, Geschichte Kleist (wie Anm. 76), S. 56, ähnlich auch ebd., S. 70f. Die Information zu den Personen hatte Seyfart auch aus anderen zugänglichen Werken, wie der Verweis auf Carl Friedrich Pauli, Leben großer Helden, Halle 1760 zeigt.

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Schriftliche Zeugnisse als Medien militärischer Erinnerungskulturen

Die Regimentsgeschichte des Füsilierregiments von Erlach

Nachdem 1767 die weitere Ausführung des Seyfartschen Projektes nach Erscheinen der sechs Regimentsgeschichten unterbunden worden war, erschien 1778 dennoch eine gedruckte Regimentsgeschichte des Füsilier-Regimentes Nr. 40 unter dem Titel: »Historische Nachrichten von dem Koenigl. Preusisch. Hochloeblichen Füsilier-Regiment, des Herrn General-Major von Erlach, zusammengetragen durch C. H. C. L. v. Geispitzheim, Fæhndrich des Regiments. Anno 1778.«188 Sie unterschied sich in einigen wesentlichen Aspekten deutlich von den Seyfartschen Regimentsgeschichten. Mit der belegten Autorenschaft eines Offiziers des Regiments fiel der Filter weg, der mit der Herausgabe durch einen Dritten verbunden war. Die Nachrichten konnten somit eine unmittelbarere Authentizität beanspruchen. Die Regimentsgeschichte gliederte sich in einen knappen geschichtlichen Abriss, in dem in wenigen Zeilen die Ereignisse der Jahre 1733 bis 1762 dargestellt wurden.189 Diesem folgte ein tabellarischer Teil mit den Angaben zu den Regimentschefs, Kompaniechefs und den Offizieren, die seit 1740 im Regiment gestanden hatten. Auch diesbezüglich unterschied sich die Regimentsgeschichte von ihren Vorgängern aus dem Jahr 1767, da von den Offizieren nur erwähnt wurde, wann sie zum Regiment gekommen waren, woher sie stammten und wann sie das Regiment wieder verlassen hatten. Familiäre Reputation konnte dadurch nicht zusätzlich vereinnahmt werden. Gleichwohl zeigt die Aufnahme der Offiziersangaben auch in dieser Regimentsgeschichte, dass die Erinnerung der Ereignisgeschichte zusammen mit der Erinnerung an die Mitglieder Teil der regimentsbezogenen Erinnerungskultur war. Darüber hinaus wurden die Märsche der beiden Füsilier-Bataillone ebenfalls in tabellarischer Form angegeben.190 In einem dritten Teil, der wohl gesondert erschienen ist191, wurde die Geschichte des Regiments für die Jahre 1778 und 1779 in kurzen Abrissen monatsweise dargestellt, und die Offiziere des Regiments wurden genannt. Dieser Teil fiel aufgrund der Nähe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ausführlicher aus.192 188 C. v. Geispitzheim, Historische Nachrichten von dem Koenigl. Preusisch. hochloeblichen Füsilier-Regiment des Herrn General-Major von ERLACH. Neudruck der Ausgabe 1778. Mit einer Einführung von H. Bleckwenn, Osnabrück 1971. Zu Geispitzheim vgl. die knappe Angabe bei Kloosterhuis, Husar (wie Anm. 36), S. 157, Anm. 77. 189 Zusammen mit dem Bericht über die Grenadier-Kompanien sind es zehn Seiten. Die Friedenszeiten sind nur zum Teil berücksichtigt, ähnlich wie in den Regimentsgeschichten von 1767. 190 Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 15–42. 191 Anhang zu der Geschichte des Königl. Pr. Hochlöbl. Fusilier-Regiments des Herrn General-Major v. Erlach. Fortgesetzt durch R. Frh. v. Geispitzheim. Mit Allerhöchster Approbation. Anno 1779. 192 Vgl. S. 40.

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Zur Motivation, diese Regimentsgeschichte herauszugeben, und zu den mit ihr verbundenen Intentionen äußerte sich von Geispitzheim umfassend im Vorwort der 1778 veröffentlichten Geschichte, als auch in den Widmungen des 1779 veröffentlichten Anhangs: »Es ist traurig für einen Helden, zu sehen, dass so manche grosse edle That des Muthes und der Klugheit in dem Gedächtnisse weniger Bekannten sich versteckt sieht, und im kurzen in der Nacht ewiger Vergessenheit vielleicht verschwindet. Mit lebhafter Achtung für diese Verdienste so vieler würdigen Helden dieses Hochlöbl. Regiments versuchte ich es, die Nachrichten von denselben zu sammlen, und der allgemeinen Verehrung dieser und benachbarter Gegenden darzustellen. Nehmen Sie, meine Herren, diese Bemühungen günstig auf; setzen Sie aber ihre Mängel auf die Schwäche der Gedächtnisse, die von Alter entkräftet, von den Begebenheiten so vieler Campagnen überhäuft und also leicht manches haben verwirren oder gar vergessen können. Es ist ein Versuch, den ich deshalb Ihnen vorlege, um durch Ihre gütige Beyhülfe ihn vollkommen machen zu können. Es ist ein Entwurf, der, wie ich mir schmeichle, dem theilnehmenden jungen Officier willkommen seyn wird, und denen, die diesen Feldzügen selbst so rühmlich beygewohnet haben, das Vergnügen verschaffen wird, sich der vergangen Zeit lebhaft wieder zu erinnern. Wir aber finden ein lehrreiches Vergnügen darinn, Ihren zurückgelegten Märschen auf der Karte nachzufolgen, und hier rühmliche Siegeszeichen der Lebenden, dort ruhmvolle Gräber der Gefallenen zu erblicken.«193

Von Geispitzheim ging es also zunächst darum, die Erinnerung an ruhmreiche Taten vor Verlust, falscher Wiedergabe und Vergessen zu bewahren.194 Damit ist auch diese Aufzeichnung ein Beleg für das grundsätzliche Bedürfnis der Regimenter nach Erinnerung.195 Um einem Verlust und Vergessen entgegenzuwirken, sammelte der Autor in Anerkennung der Leistungen und der Verdienste des Regiments Informationen. Er sah sich aber bereits beim Entwurf der Regimentsgeschichte den Herausforderungen durch Informationsverlust bzw. durch Unsicherheiten in der Zuordnung von Ereignissen beeinträchtigt. Diese Unzulänglichkeiten hoffte er, durch die Korrekturen seiner Kameraden im Regiment beseitigen zu können, weswegen er sich im Vorwort an diese mit der Bitte um Unterstützung für sein Vorhaben wandte. Durch diesen Schritt, d. h. die Einbindung weiterer Mitglieder und deren Möglichkeiten zur Korrektur trat der Autor in Interaktion mit diesen und aktivierte ein bewusstes Erinnern im Regiment. Die Regimentsgeschichte war so nicht mehr nur auf das Handeln eines Einzelnen zurückzuführen. 193 Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 3f. 194 Würdigt man die Tatsache, dass diese Regimentsgeschichte lediglich 15 Jahre nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges veröffentlicht wurde, und setzt man sie in Beziehung zum geringen Umfang der Schilderung der Kriegsjahre des Siebenjährigen Krieges, so wird deutlich, dass der Informationsverlust, der als Begründung für die Herausgabe der Geschichte angegeben wurde, kein Scheinargument war. 195 Vgl. S. 42.

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Adressaten, d. h. potentielle Leser, waren junge Offiziere und diejenigen, die an den Feldzügen in der Vergangenheit teilgenommen hatten. Die Geschichte sollte eine Anleitung zum Erinnern sein. Mit der Verfolgung der Märsche auf der Karte sollte aktiv an die noch Lebenden wie auch an die ehrenvoll Gefallenen erinnert werden. Den Appell an die aktiv beim Regiment stehenden Offiziere und Soldaten zur Nachahmung der erinnerten Heldentaten stellte von Geispitzheim zu Beginn des Anhangs ins Zentrum: »Folget junge Krieger diesen vortreflichen Mustern, dann wird der Ruhm mit ausgebreiteten Flügeln, indem er Eure Namen und Eure Thaten in die Erzählungen mischt, Euren Ruhm in die entferntesten Länder tragen.«196 Als Lohn für die Nachahmung und die dadurch erworbenen Verdienste wurden den Tapferen und Erfolgreichen wiederum die Erinnerung ihres Verdienstes und – unausgesprochen – Unsterblichkeit geboten. Im Vorwort zum Anhang wandte sich von Geispitzheim direkt an die Regimentsmitglieder, zunächst aber an die Offiziere: »An die Herren Commilitonen des Regiments. Meine Herren! Nehmen Sie diese Blätter, wodurch ich uns das Andenken dieser Jahre umständlicher getreu zu erhalten bemühet bin, nicht für die Frucht einer eitlen Begierde sich gedruckt zu sehen auf, sondern für einen Beweiß meiner Hochschätzung Ihrer allerseitigen Verdienste, und allenfalls für einen kleinen Stolz auf die Ehre des Regiments, bey welchem ich Zeuge und Mitgenoß Ihres Eyfers und Muthes zu seyn das Glück habe. Wenn der Name des Verfassers einigen Gönnern hierdurch bekannt wird; so hat er es der allgemeinen Achtung und Theilnehmung, die man für Sie und dem Namen des Regiments hat, zu verdanken. Das Unternehmen wird durch meine Verehrung gegen Sie gerechtfertigt; die Mängel der Ausführung, mag die gütige Freundschaft entschuldigen, der ich mich empfehle v.G.«197

Im Mittelpunkt der Erinnerungen stand das Regiment, auf dessen Leistungen und Ehre Bezug genommen wurde und hinter die der Autor topisch bescheiden zurücktrat. Mit der Ansprache wehrte sich der Autor auch gegen den Vorwurf der Eitelkeit. Er begründete sein Unterfangen als einen Beitrag zur Würdigung der Leistungen der Offiziere und als Ausdruck seines Stolzes auf die Regimentsehre. Nach den Offizieren wandte sich von Geispitzheim an die Unteroffiziere und Mannschaften: »An die beyden untern Classen dieses Hochlöbl. Regiments. Auch Euren Ruhm sollen diese Aufsätze der Nachwelt aufbewahren, da Ihr als Stütze Eurer Herrn Officiers; sowohl deren Beyspiel, als dem Eurer Vorgänger treulich nachgefolget, und sie muthig und getrost, um diesem Hochlöbl. Regiment neuen Lorbeeren zu sammlen, in drohenden

196 Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 3, Anhang. 197 Ebd., S. 4 (Anhang).

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Gefahren begleitet, wo vielleicht jedweder von uns, so leicht als andere unserer treuen Mitgefährten, seinen Tod hätte finden können.«198

Damit bezog der Autor diese direkt in die Erinnerung des Regiments mit ein und beschränkte sie nicht lediglich auf die Offiziere. Durch ihre Leistung und durch ihr Ertragen von Unannehmlichkeiten hatten die Soldaten Ruhm und Ehre des Regiments vermehrt. Geispitzheim führte weiter aus: »Doch! was wäre wohl rühmlicher für uns gewesen als diese, wenn man unsere entseelte Cörper unter Leichen gezählt hätte, die um den Vortheil Ihres Allergnädigsten Königs, zum Nutzen Seiner Staaten, und zum Ruhm unserer eigenen und der Hinterlassenen Ehre, auf jenen Feldern unser Leben aufgeopfert hätten. O für das Vaterland zu sterben, Ist schön und süß und ehrenvoll! Der Todt verfolgt auch Flüchtlinge, Verschont der schwachen Jugend Knie nicht, Nicht den, des Rücken seine Feinde sehen. Horaz 2te Ode, III. Buch. Sowohl dieses Vorsatzes wegen, als um Eures standhaften und gleichgültigen Ertragens der Unannehmlichkeiten dieses Krieges, werden Euch Vorgesetzte lieben; der Rechtschafne im Staate, wird Eure Dienste hochschätzen und Euer Alter erträglicher zu machen suchen.«199

Der Verfasser interpretierte die Aufopferung der Soldaten als zweckgerichtet im Sinne des Königs und des ›Staatswohls‹. Diejenigen, die gefallen waren, verschafften seiner Meinung nach dem Regiment und seinen nachfolgenden Angehörigen Ruhm und Ehre. Deshalb verkündete er den Dank und den Stolz der Offiziere auf diese Mannschaft und verpflichtete die nachrückenden Soldaten auf die Regimentsehre.200 Bei der Analyse und Interpretation des Inhalts zeigen sich schnell ähnliche Erzählmuster wie in den Seyfartschen Regimentsgeschichten. So begann auch die Geschichte des Regiments Nr. 40 bereits mit der Gründung des Regiments durch den Herzog Wilhelm Heinrich zu Eisenach 1733201, und nicht erst mit der 1739 erfolgten Übernahme in brandenburgisch-preußische Dienste.202 Das Alter des Regiments und damit die Existenz der militärischen Einheit hatte also auch 198 Ebd., S. 5. 199 Ebd., S. 5. 200 »Freunde! (denn so muß Euch jeder gutdenkende Offizier nennen, dem das Interesse seines Königs heilig ist), nehmet diese aufrichtige Sprache meines Herzens als ein Zeichen meiner Erkenntlichkeit, für Eure Zufriedenheit auf, die Ihr bey den Unbequemlichkeiten des Krieges bezeuget, welche ich das Vergnügen hatte mit Euch gemeinschaftlich zu ertragen, Dieses verspricht Euren Vorgesetzten, dass auch in der Zukunft Ihr, um die Ehre dieses Hochlöbl. Regiments zu vermehren, eben so gewiß Euch wieder bereit werden finden lassen, als ich mir ein Vergnügen daraus mache zu seyn Euer bereitwilliger v. G«, ebd., S. 5f. 201 Ebd., S. 5. 202 Ebd., S. 6f. Ähnlich wie in den Seyfartschen Regimentsgeschichten werden eine Revue durch den König (1741) sowie die Wechsel der Regimentschefs 1743 und 1750 erinnert, ebd., S. 7f.

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in dieser Geschichte eine höhere Bedeutung für das Selbstbewusstsein derselben als die Zugehörigkeit zu Brandenburg-Preußen.203 Trotz der kurzen Berichte für die einzelnen Jahre wurde auch hier versucht, für das Regiment negative Zusammenhänge zu erklären bzw. euphemistisch zu umschreiben. In den Jahren 1736 / 1737 hatte das Regiment seine Seitengewehre abgeben müssen und damit Ehre eingebüßt: »Das Regiment verlohr hier seine Seitengewehre, nicht zu einem Beweis, als hätte es seine Schuldigkeit gegen den Feind vernachlässigt: sondern weil die Unterofficier und Gemeinen, aus Mangel der Lehnung, das Gold von ihren Kleidungen für 9 - 10 Rthlr. verkauften (woraus man den Werth Ihrer Kleidung erkennt;) und auch die Säbels an den Prinzen abliefern mußten.«204 Diese Erwähnung des Verlustes der Seitengewehre und Säbel ist vor dem Hintergrund, dass das Infanterieregiment Nr. 3 dieselbe Kollektivstrafe in seiner Darstellung verschwieg, bemerkenswert und deshalb zu hinterfragen.205 Der Verlust der Seitengewehre und Säbel war die wohl übliche Strafe für ein Zurückweichen vor dem Feind. Hier dagegen wurde sie aus einem anderen und wie der Kontext unterstellt, unverschuldeten und nicht die Tapferkeit betreffenden Grund verhängt. Dadurch wurde ein geringerer Ehrverlust unterstellt und die eigentliche Schuld dem Dienstherrn zugeschrieben. Die Erwähnung der Bestrafung diente im Unterschied zum Infanterieregiment Nr. 3 also der Rechtfertigung des eigenen Handelns. In den Berichten über Kriegsjahre werden, wie auch in den Seyfartschen Regimentsgeschichten, Erfolge und Niederlagen geschildert – erstere, um das Ansehen des Regiments hervorzuheben, letztere, um die Niederlagen zu erklären und so die Verantwortung dafür von sich zu weisen. »1744. […] Der Major v. Conradi besezte mit einigen 100 Mann das vorerwehnte Schloß, und die übrigen des Regiments blieben in Pudeweis zurück. Bald darauf wagten die Panduren, diese 2 mal in diesen Oertern mit stürmender Hand anzugreifen; beyde schlugen sie mit vieler Tapferkeit ab, nach dem letzteren aber, mußten sie wegen Mangel des Pulvers capituliren.«206 Das Regiment wurde von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen und die Kapitulation und folgende Gefangenschaft mit dem fehlenden Pulver erklärt. Die Rechtfertigung zog sich durch alle Berichte, in denen das Regiment nicht den militärischen Anforderungen genügte. »1758. Den 25ten August wohnten sie der Zorndorfer Bataille mit bey. Der Feind hieb auf das 2te Bataillon, welches die Canonen bedeckte, ein. Diese wurfen sich auf einen Haufen mit ihren Fahnen auf die Erde, erwarben sich nachhero ihre Freyheit dadurch 203 204 205 206

Vgl. S. 43. Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 6. Vgl. S. 58ff. Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 8.

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wieder, dass sie den Russisch. Kayserl. Officier, der ihnen das schimpfliche Anerbieten machte, sich zu ergeben, vom Pferde Schossen. Der Capitain v. Strycke wurde von wüthenden Feinden benarbt. Die Compagnie v. Behrenhorst und v. Strycke verlohren in dieser Schlacht ihre Fahnen.«207

Die Angehörigen des zweiten Bataillons waren demnach dem Gegner unterlegen und konnten sich nur vor der Gefangenschaft retten, indem sie den feindlichen Offizier niederschossen. Bedenkt man, welche Bedeutung Offiziere für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Kampf hatten, und dass dieser Offizier den Unterlegenen Gnade anbot, erscheint dieses Verhalten doppelt ehrlos. Trotzdem wurde versucht, dieses Verhalten zu rechtfertigen, indem man dem Feind einen Regelverstoß gegen Anstand und Ehre unterstellte. Das Regiment entging dennoch nicht der Gefangenschaft, denn am 21. November 1759 »wurden sie bey Maxen genöthigt, sich zu ergeben, die Herrn Officiers bekamen Inßpruck, hingegen die Gemeinen Lubach zu ihrem Aufenthalt.«208 Auch in dieser Formulierung schwingt ein entschuldigender Ton mit. Die Regimentsgeschichte nahm auch auf Berichte des Kriegsgegners Bezug: »Das wenige, was vom Feind zu sehen war, zog sich sogleich auf die Annäherung dieses Commandos zurück. Es ist dahero die Anmerkung im Journal der Kayserl. Königl. Truppen völlig falsch, denn es war kein einziger Husar, noch weniger ein Commando von Scekler Husaren bey dem Zurückmarsch zu sehen: noch weniger haben sie uns 300. Stück von dem versteckten Vieh weggenommen, denn die ganze Summe dieses zusammengetriebenen Viehes, belief sich nicht so hoch; die Freygebigkeit dieses Regiments würde sich nicht so weit erstreckt haben, dass es, ohne einen Gewehrschuß zu thun, dasjenige wieder herausgegeben haben würde, was es einmal in seiner Verwahrung gehabt.«209

Mittels der Regimentsgeschichte wehrte sich die Einheit gegen gegnerische Darstellungen, um so dem Vorwurf der Feigheit zu begegnen und dieser aus der eigenen Sicht falschen Darstellung die Glaubwürdigkeit zu entziehen.210 In der Regimentsgeschichte von Erlach wurde trotz der angekündigten Erinnerung der Mannschaften im Vorwort lediglich an die Offiziere erinnert. Im Jahr 1757 nahm das Regiment an der Schlacht bei Prag teil: »Den 6ten May fochte das Regiment mit vielem Ruhm in der Bataille bey Prag. Der Premier-Lieutenant v. Arnimb und Fähndrich v. Buttlar opferten in dieser Schlacht ihr Leben auf. Der Obristlieutenant v. Gerber und der jezige Capitain v. Strycke wurden blessirt, und von der Fahne der Compagnie dieses Capitains wurde ein Stück der Stange

207 208 209 210

Ebd., S. 10. 1759 wurden diese Fahnen wieder ersetzt, ebd., S. 10f. Ebd., S. 14. Ebd., S. 17f. (Anhang). Vgl. ebd., S. 20f.

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verlohren.«211 Ebenso wurden einzelne herausgehoben, die sich besonders auszeichneten: »1759 […] Den 23sten Jul legte das Regiment auch in der Bataille bey Zülligau Beweise von seiner Tapferkeit ab. Die Fahne der Compagnie von Conradi wurde zerschossen, […] Ferner wurden in dieser Schlacht benarbt: der itzige Obrist v. Thüna, Capit. Conradi, v. Behrenhorst, v. Larisch, welcher ohngeachtet seiner empfangnen Wunde mit der größten Standhaftigkeit 5 Fahnen von dem Schlachtfelde trug. Der Ruhm dieser verwundeten und erblaßten Helden wird nie verlöschen.«212

Die Beispiele belegen, dass die Zusage zur Erinnerung der gefallenen und verwundeten Offiziere nur in Hinblick auf die Erinnerung durch das gesamte Regiment gegeben und gewährleistet werden konnte. Sie zeigen darüber hinaus, dass die Fahne als materiales Symbol des Regiments selbst Gegenstand der Erinnerung war.213 Ebenso wurden Zusammenhänge erwähnt, die das Ansehen des Regiments stärken sollten. Königliche Auszeichnungen wurden einigen Regimentsangehörigen zuteil, als sie in der Schlacht von Kunersdorf Brücken über die Oder bewachten und halfen, den König über diese Brücke zu tragen.214 Als 1777 der bisherige Regimentschef und Träger des Schwarzen Adlerordens, Generallieutenant von der Gabelentz starb, folgte als neuer Chef Generalmajor von Erlach, der für seine Tapferkeit in der Schlacht bei Lobositz 1756 den Orden Pour le M8rite erhalten hatte.215

211 Ebd., S. 9. Für Juli 1778 wird ein verwundeter Gemeiner der Kompanie des Obristlieutenants von Wangenheim erwähnt, vgl. ebd., S. 14 (Anhang) u. 20 (Anhang). 212 Ebd., S. 10f. Vgl. ebd., S. 14: »1761. Der Capit. v. Seidlitz zeigte auch bey der Einnahme dieser ersten Schanze, was für einen guten Erfolge es habe, wenn Klugheit und Standhaftigkeit mit einander vereiniget werden: Es warf dieser Held mit eigener Hand einen feindlichen Soldaten zu Boden, welchen er mit einem Gefühl von Menschenliebe wieder aufhub und als einen Gefangenen übergab.« Später heißt es von ihm: »Der Feind verfolgte die Arriergarde bis nach Horsitzka, allein der Capitain v. Seydlitz, vom Regiment v. Erlach, der die Arriergarde commandirte, und der durch seine Unerschrockenheit und Klugheit, sich bereits in den vorigen Kriegen Ruhm und Verehrung zugezogen, hielte sie durch sein Feuer und Gelassenheit, mit der er marschirte, ab, der Feind mochte es nicht wagen, ihn weiter zu verfolgen«, ebd., S. 16 (Anhang). 213 Vgl. auch S. 142f. 214 Geispitzheim, Nachrichten (wie Anm. 188), S. 11. 215 Ebd., S. 12. Vgl. auch die Ordenserwähnungen im Bericht der Grenadiere, ebd., S. 13, 30 u. 39 (Anhang). Ebenfalls ist auf Aufstiege zu verweisen, die in der Regimentsgeschichte erinnert werden, ebd., S. 25 u. 41 (Anhang). Wie wichtig es war, dass die Offiziere des Regiments aufsteigen konnten und keine Offiziere aus anderen Regimentern ins eigene versetzt wurden, zeigt ein Eintrag vom November 1778, ebd., S. 27 (Anhang). Vgl. dazu auch S. 59.

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Die Sammlung ungedruckter Nachrichten

Wenige Jahre später kam es trotz des Verbots von 1767 und der sonstigen Bemühungen des Königs, Darstellungen über die preußischen Truppen zu unterbinden, erneut zu Veröffentlichungen, die zum Teil Regimentsbezüge aufwiesen. Zwischen 1782 und 1785 wurde in Dresden eine »Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern« in fünf Teilen von Gottlob Naumann herausgegeben.216 Ein auch regimentsbezogenes Register ist nicht mehr erschienen.217 Naumann war entweder Regimentsquartiermeister oder Richter in preußischen Diensten gewesen.218 Die Sammlung umfasste u. a. Tagebücher auch von Offizieren, »die nicht bey einer Armee gedienet haben: so werden aufmerksame Leser daraus sehen können, was bey jeder Armee vorgefallen ist.«219 Naumann verfolgte eine Darstellung der Kriege aus der Perspektive der Akteure in den Armeen, um zugleich durch die parallele Überlieferung ein authentischeres Bild der Kriege im Vergleich zu offiziellen Darstellungen vermitteln zu können.220 Dennoch war das Werk überwiegend durch die preußische Perspektive gekennzeichnet. Naumann veröffentlichte Material, welches Seyfart nach dem Verbot durch König Friedrich II. nicht mehr im Rahmen seines Projekts publizieren konnte.221 So kam den seinerzeitigen Verfassern der einzelnen Beiträge das Engagement Naumanns und sein attraktives Angebot Jahre später sehr gelegen.222 Der Ein216 Gottlob Naumann, Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern, Bd. 1, Dresden 1782, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10594918-8, 09.04. 2014. 217 Gieraths, Regimentsgeschichtsschreibung (wie Anm. 84), S. 8. »Ja, ich will, […] von jedem Regiment und Grenadierbataillon unter einem Artikel sagen, wo es seit 1740. verschiedentlich gebraucht worden, und in der Erzählung vorkömmt«, Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), Bl. 4. 218 Jürgen Ziechmann, Journal vom Siebenjährigen Kriege von Friedrich Wilhelm Ernst von Gaudi. Kommentarband, Bd. 10, Buchholz 2012, S. 15f.; Gieraths, Regimentsgeschichtsschreibung (wie Anm. 84), S. 8. Vgl. auch Kloosterhuis, Husar (wie Anm. 36), S. 157, Anm. 76. 219 Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), Bl. 2 verso. Die Namen der Verfasser wurden nur genannt, »wo es thunlich gewesen«, ebd., Bl. 2. Vgl. dazu Gieraths, Regimentsgeschichtsschreibung (wie Anm. 84), S. 8. 220 Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), Bl. 2f. »Es ist angenehm, durch Zusammenhaltung mehrerer Berichte, von einem Vorfall diejenige Erläuterung zu bekommen, welche alle öffentliche Nachrichten, oder die auf Befehl der streitenden Höfe herausgegebene Erzählungen, nicht geben können.« Die Sammlung sollte auch künftigen Geschichtsschreibern als »Depot« dienen, ebd., Bl. 3. 221 Gieraths, Regimentsgeschichtsschreibung (wie Anm. 84), S. 8. 222 Ebd., S. 8. Vgl. auch die Vorrede zum vierten Teil: »Der ununterbrochene Beyfall, mit welchem die Leser diese Sammlung ungedruckter Nachrichten beehret haben, […]«, Gottlob Naumann, Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern, Bd. 4, Dresden 1783, Bl. 2; ebenso die Vorrede im fünften Teil, ders.,

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griff des Herausgebers in die von Regimentsmitgliedern verfassten Darstellungen hielt sich in Grenzen, so dass deren Authentizität erhalten blieb. Naumann hatte in den einzelnen Berichten die Namen der Offiziere korrigiert und zum Teil mit Anmerkungen ergänzt. »Es kann jetzt und künftig Lesern von Stande nicht unangenehm seyn, in diesen Blättern ihre Verwandte, Bekandte, oder Ahnherren, genau bezeichnet zu sehen, die auf der Bahne der Ehre ihnen vorgegangen, und mehr oder weniger glänzende Rollen gespielet haben. Eben darum sind auch in den Verzeichnissen der getödteten und verwundeten Offiziers die Vornahmen beygefüget worden.«223 Mit diesem Anspruch und der Bestimmung seines Werkes qualifizierte der Herausgeber dieses als Medium militärischer und adlig-familiärer Erinnerung. Naumann ging es darüber hinaus um die Sicherung der Vergangenheit. Das Wissen über die Leistungen eines Regiments und die jüngere Geschichte konnte nicht im kommunikativen Gedächtnis über einen längeren Zeitraum tradiert werden, weil es durch den Abgang der Veteranen aus dem Regiment verloren ging. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte nach dem Siebenjährigen Krieg schrumpfte es deshalb auf summarische Zusammenfassungen zusammen. Naumann verwies auf die Aussage eines Offiziers, wonach die »alten Offiziers und Grenadier-Unteroffiziers […] nicht mehr am Leben [waren], und viele Regimenter […] ihre Nachrichten im Kriege verloren« hatten.224 Selbst wusste er von dem Bemühen des Obristen und Flügeladjutanten von Oelsnitz 1748 zu berichten, der die Regimenter um Tagebücher der Regimenter gebeten hatte. Die Regimenter konnten aber dem Verlangen nicht nachkommen, weil detaillierte Nachrichten fehlten, oder sich die Befragten »aus dem oft trügenden Gedächtnis zu helfen suchten«.225 Formal betrachtet waren die herausgegebenen Bände der Sammlung keine Regimentsgeschichten. Auf der inhaltlichen Ebene überlieferten sie aber teilweise dennoch den Seyfartschen Regimentsgeschichten ähnliche Inhalte und Erinnerungsmuster, die Ruhm, Ehre, Stolz und nicht zuletzt das Selbstbewusstsein der jeweiligen Einheit herausstellten und der Identitätsstiftung dienten. Den Bezug zum Regiment als Gemeinschaft trug beispielsweise die »Nachricht von der Errichtung und den Thaten des Königl. Preußischen Jung-Platenschen (jetzo Boßenschen) Dragonerregiments vom Jahr 1740. bis Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern, Bd. 5, Dresden 1785, http://digital.slub-dresden.de/id381179745, 10.04. 2014, Bl. 3. 223 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), Bl. 3 verso. Im vierten Teil übte er Kritik an den bereits erschienenen Schriften über die Kriege, da seiner Schätzung nach nur zwei von fünfzig richtige Namen sowohl der Regimenter als auch der Personen überliefert hätten, ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), Bl. 5 verso. 224 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), Bl. 4 verso. 225 Ebd., Bl. 4 verso f.

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1763.« bereits im Titel.226 Naumann bestätigte im Vorwort zum vierten Band das Interesse an Informationen über die Regimenter : »Man hat mich ersuchet, glänzende Thaten ganzer Regimenter, auch einzelner Befehlshaber, in den vorigen Kriegen auszuheben, und neben einander zu stellen; wie auch ganze Lebensbeschreibungen berühmt gewordener Männer vorzulegen, […].«227 Seinem Werk lag also ein Verlangen der Regimenter nach Erinnerung einerseits und der Gedanke zum Vergleich andererseits zugrunde. Darüber hinaus war beabsichtigt, an die Leistungen der unteren Ränge zu erinnern. So sollte »auch der Unteroffizier, der, bey Vertheidigung seines Posten, vorzügliche Kenntniß und Tapferkeit bewiesen, […] aufgestellt werden, damit ihm die Nachwelt die Achtung und das Lob, so er verdienet, zollen könne.«228 In den Berichten und Darstellungen, die einen regimentsbezogenen erinnerungskulturellen Charakter haben, wurden die eigenen persönlichen und einheitsbezogenen Leistungen herausgestellt, Fehlverhalten erklärt und damit relativiert und ›merk-würdige‹ Ereignisse erinnert.229 Häufig finden sich in den Aufzeichnungen auch Selbstzuschreibungen von Tapferkeit, die insbesondere durch die Erzählung in der ersten Person Singular bzw. Plural verstärkt wurden. Henning Otto von Dewitz, der 1750 aus gesundheitlichen Gründen im Rang eines Generalmajors verabschiedet wurde und 1772 starb, beschrieb beispielsweise in seinem Tagebuch über den ersten Schlesischen Krieg seinen persönlichen Wagemut bei der Erkundung der Gegend in Anwesenheit des Feindes.230 Ebenso betonte er die Tapferkeit der Husaren, bei denen er stand, die in einem Gefecht den zahlenmäßig mehr als sechsfach überlegenen Feind zurücktrieben, so dass die eigenen Grenadiere nicht zu feuern brauchten. Er maß aber auch im Rückblick den anwesenden Grenadieren ihre Bedeutung 226 Ebd., S. 433–451. Es war das Dragoner-Regiment Nr. 11. Vgl. auch den Beitrag zum Infanterie-Regiment Nr. 19, welches bereits durch Seyfarts Engagement eine gedruckte Regimentsgeschichte besaß, »Geschichte des Königl. Generallieutenants, Herzog Friedrich von Braunschweig Durchl. Infanterieregiments, seit der Stiftung vom Jahr 1702. bis 1763«, in: ebd., S. 526–593; ebenso ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 5 (wie Anm. 222): »Geschichte und Feldzüge des Dragonerregiments von Bork, vom Jahr 1717. da es gestiftet worden, bis zum Juli, 1784«, S. 293–436 und »Geschichte des Freyregiments von Härd, von dessen Stiftung an bis zu der 1763. erfolgten Reduktion«, S. 97–292. Eine Aufzählung der regimentsbezogenen Darstellungen findet sich bei Kloosterhuis, Husar (wie Anm. 36), S. 157, Anm. 76. 227 Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), Bl. 3 verso. 228 Ebd., Bl. 4. 229 Wie in den Seyfartschen Regimentsgeschichten wurde auch hier ›Merkwürdiges‹ erinnert. Darunter zählen Feiern anlässlich von Siegen und das Singen bestimmter Choräle. Vgl. ebd., S. 9, 25, 38 u. 111; u. a. »Tagebuch des Majors Maximilian von Bornstädt, Kommandeur eines Grenadierbataillons, über die Campagnen von 1756. 1757. 1758. bis zu Anfang 1759«. 230 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 80f. Zur Person Kurt von Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1, Hamburg 1937, S. 376 (Nr. 394).

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für den Erfolg bei.231 Um den eigenen Erfolg noch deutlicher herauszustellen, schilderte er, wie in der Schlacht bei Chotusitz im Mai 1742 ein zurückweichendes preußisches Kavallerie-Regiment die eigene Ordnung durcheinanderbrachte.232 Die Aufzeichnung gab ihm die Möglichkeit, das eigene Wohlverhalten angesichts des Versagens eines höher rangierenden Kavallerieregiments zu betonen. Stolz auf seine eigenen persönlichen Leistungen erwähnte er auch unmittelbar die ihn auszeichnende königliche Wertschätzung. Er erhielt den Orden Pour le M8rite und eine handschriftliche Würdigung des Königs.233 Ein weiteres besonderes Beispiel von Eigenlob ist im Tagebuch des Majors Maximilian von Bornstädt, Kommandeur eines Grenadierbataillons, die Beschreibung der Schlacht bei Lobositz im Oktober 1756. Durch sein und des Grenadierbataillons Verhalten sei der Gegner »ohne Ruhm zu sagen« zurückgedrängt, durch das Beschießen und Anzünden der Häuser von Lobositz endgültig in die Flucht geschlagen und so die Schlacht gewonnen worden.234 Die Namen der gefallenen und verwundeten Offiziere wurden auch in den Berichten der Sammlung ungedruckter Nachrichten publiziert.235 Die einzelnen Verfasser nutzten außerdem die Möglichkeit, andere ihnen wichtige Personen auszuzeichnen und diese damit als Vorbild in der Erinnerung zu verankern. Heinrich August de la Motte Fouqu8 wurde als ein Obrist beschrieben, der »auf eine überflüßige Art für die Subsistenz des Bataillons [sorgte]. Niemals ist für ein Bataillon reichlicher gesorgt worden, als unter Commando des Obristen von Fouque‹.«236 Das wohlwollende Wirken des Obristen wurde Teil der Erinnerung des Regiments, zumal individuelle Leistung und die des Regiments miteinander verschmolzen. »Man muß es dem Obristen zu seinem Ruhme sagen, daß die Erhaltung des Bataillons seiner Klugheit und vorzüglichen Geschicklichkeit zuzuschreiben sey, weil er der einzige ist, welcher, ohne den geringsten Beystand, sich aus seinen Quartieren gezogen, seinen Marsch fortgesetzet, und die Befehle des Prinzen Dietrichs befolgt hat; dahingegen alle 231 232 233 234

Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 146f. Ebd., S. 150f. Ebd., S. 162f. Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 7. Stolz auf die eigenen Leistungen klingt auch in anderen Berichten an. Vgl. ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 169, »Tagebuch eines Offiziers vom Alt-Schwerinschen, jetzo Prinz Leopold Braunschweigischen Regiments, von den zwey erstern Feldzügen in den Jahren 1741. und 1742«. Vgl. auch ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 66f., »Beschreibung der Feldzüge […] von einem Offizier des Anhaltischen Regiments, so ehedem Jung-Dohna hieß«; ebenso ebd., S. 107, »Tagebuch eines Offiziers vom Gräfl. Anhaltschen Füsilierrgiment, so die Feldzüge von 1756. bis 1763. enthalten«. 235 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 170 u. 174, »Tagebuch eines Offiziers vom Alt-Schwerinschen, jetzo Prinz Leopold Braunschweigischen Regiments, von den zwey erstern Feldzügen in den Jahren 1741. und 1742«. 236 Ebd., S. 177, »Relation von den verschiedenen Attaken des Fouquetschen Grenadierbataillons in Mähren, im Jahr 1742«.

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andere erst degagiret werden mußten, weil sie insgesammt von dem übermächtigen Feinde eingeschlossen waren.«237

Ein Gegenbeispiel war der Nachruf auf den Obristlieutenant von Burgsdorf, der 1760 fiel. »Der Obristelieutenant von Burgsdorf war ein guter Kenner der großen Welt. Den größten Theil seiner Jahre hatte er darinnen zugebracht. Er war artig, belebt, liebte das weibliche Geschlecht, ohne ein Sklave davon zu seyn. Sein Vermögen hatte er in seiner Jugend dem prächtigen Aufwand gewidmet, denn er liebte ihn, ohne auf den Ausgang noch Folgen zu sehen, die er hernach bereuete. In seiner Freundschaft folgte er nicht allezeit den Grundsätzen der Aufrichtigkeit und der Liebe, und oft gab er Gelegenheit, daß man ihm der Falschheit und Heucheley beschuldigen konnte. Er war ein guter Offizier, liebte aber die Bequemlichkeit. Er hielt auf Ordnung, und war ein Feind von allen im Kriege gewöhnlichen Gewaltthätigkeiten. Er blieb wie ein rechtschaffener Offizier, der vor die Wohlfahrt des Staats und die Ehre seines Königes mit wahrem Eifer und Treue gefochten.«238

Angesichts des sonstigen Schweigens liegt nahe, dass Burgsdorf über die Maßen negativ aufgefallen sein musste, so dass dieses in die Regimentserinnerung aufgenommen wurde. Konnte man aufgrund des Wissensverlustes bereits keine konkreten Beispiele für tapferes Verhalten mehr anführen, nahm man dieses – wie in den vorhergehenden Regimentsgeschichten auch – einfach als gegeben an. Die »Geschichte des Königl. Generallieutenants, Herzog Friedrich von Braunschweig Durchl. Infanterieregiments, seit der Stiftung vom Jahr 1702. bis 1763.« erwähnte die Teilnahme des Regiments an der Schlacht bei Malplaquet im Jahr 1709, den Verlust an Leuten und stellte fest, dass es »sich sehr tapfer hielt«.239 Ein militärisches Ereignis konnte aus der Perspektive mehrerer Regimenter unterschiedlich wahrgenommen werden. Differenzen in der Bewertung eines Ereignisses zeigen sich aber erst im Vergleich. Der Erfolg der Schlacht bei Hohenfriedberg im Juni 1745 verschmolz in der überlieferten Erinnerung weitgehend mit dem Angriff des Dragonerregiments Nr. 5. Der Bericht »eines Offiziers vom Marggraf Carlschen Regiment, von der Bataille bey Hohenfriedberg, den 4. Jun. 1745« belegt jedoch, wie auch der Anteil anderer an der Schlacht beteiligter Regimenter hervorgehoben wurde. 237 Ebd., S. 181, »Relation von den verschiedenen Attaken des Fouquetschen Grenadierbataillons in Mähren, im Jahr 1742.« Vgl. auch die Erwähnung, dass ein Offizier das Kommando über Leipzig ablehnte und so die »wahre Ehre dem Eigennutz« vorzog, ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 74. Ähnlich auch ebd., S. 54, »Beschreibung der Feldzüge 1744. und 1745. wie auch von 1756 bis 1763. von einem Offizier des Anhaltschen Regiments, so ehedem Jung-Dohna hieß«. 238 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 82f. 239 Ebd., S. 527.

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»Das Haaksche Regiment hat allein, mit Hülfe des Bayreuthschen Dragonerregiments, drey feindliche Regimenter zerstöret und eine große Menge Fahnen erobert, aber auch dabey, wie leicht zu erachten, ziemlich eingebüßet. Ueberhaupt muß man gestehen, daß der feindliche rechte Flügel sich recht muthig gewehret, und durch nichts, als durch die unzuwiederstehende Bravour und heftigen Feuer unserer Infanterie, und dann auch durch das sehr tapfere Verhalten unserer gewiß recht braven Kavallerie, gezwungen worden, sich nach der Flucht umzusehen.«240

Das wesentliche Verdienst am Erfolg der Schlacht wurde dem Dragonerregiment Nr. 5 nicht abgesprochen, jedoch wurde deutlich auf den Anteil der Infanterie am Gesamterfolg abgestellt: in dieser Lesart ebnete die Infanterie mit ihrer Tapferkeit und ihren Verlusten der Kavallerie den Weg zum Sieg. Der Bericht des Offiziers ist auch eines der wenigen überlieferten Beispiele dafür, dass die Beteiligten bereits auf der Handlungsebene Bezüge zwischen den Schlachten herstellten.241 Im Gegensatz zu meist eher nüchternen und kritiklosen Darstellungen nutzte der Verfasser der »Beschreibung der Feldzüge 1744. und 1745. wie auch von 1756 bis 1763. von einem Offizier des Anhaltschen Regiments, so ehedem Jung-Dohna hieß« die Möglichkeit zur Kritik an der militärischen Führung und ehrlosem Verhalten. »Es ist mir nicht erlaubt, über die damalige genommene Maaßregeln der Preußischen Armee [September 1744, Anm. FZ], in Ansehung des Operationsplanes, mein Urtheil zu fällen. Genug! die Bewegungen des Feindes forcirten den König von Preußen, den Marsch über Tein nach Prag zurück zu nehmen.«242 Deutlicher wurde sein Unmut über das Verhalten von Offizieren im November 1744. »Am Ende des Novembermonats [1744] erhielt der Generallieutenant von Einsiedel, die Ordre vom König, Prag zu verlassen, und so gut er könnte, seine Retraite nach Schlesien zu nehmen. Die Disposition zum Abmarsch war schlecht, die Anstalten dazu verkehrt. Die große Artillerie blieb zurück, und anstatt zu dem Ruhm der Preußischen Waffen und der Ehre der Nation alles beyzutragen: beschäftigten sich einige Generals mit Plünderung der vornehmsten Häuser zu Prag.«243

Dies führte letztlich dazu, dass der Feind eher in die Stadt ein- als die eigenen Truppen aus ihr abgerückt waren, so dass es noch zu – nach Meinung des

240 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 334f. 241 Ebd., S. 334: »Indem nun unsere zum Avanciren gewohnte Armee, immer näher anrückte, so ermangelte man auf beyden Theilen nicht, sich des kleinen Gewehrs zu bedienen; wodurch denn ein entsetzliches Feuer entstund, so zwar dem Mollwitzschen, weil es nicht so lange gewähret, nicht zu vergleichen, jedennoch aber an Donnern weit übertroffen; […]«. 242 Ders., Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 50. 243 Ebd., S. 53.

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Verfassers vermeidbaren – Verlusten kam. Ebenso kritisierte er eine weitere Entscheidung, die zu deutlichen Vorteilen des Feindes führte.244 »Durch diese Umstände kamen die Preußischen Truppen in die äußerste Verlegenheit. Der Offizier und gemeine Soldat sahe die Schwäche und Unwissenheit der Generals ein. Den Truppen fehlte Brod und Salz. Die Zelter waren auf den Schiffen bey Leitmeritz verbrannt, und mußten die Leute unter freyem Himmel liegen. Auf diese Art vermehrte sich das Elend von Stunde zu Stunde. Für die Kranken konnte keine Vorsorge getragen werden. Diese Umstände revoltirten den gemeinen Soldaten so sehr, daß sie Pelotonweise davon liefen, unter dem Vorwande, wie sich einige ausdrückten, nicht auf eine schimpfliche Art dem Feinde übergeben zu werden. Es war ein Glück dieses Corps, daß der König die allergnädigste Vorsorge getragen hatte, […], um den Rückzug der Prager Garnison zu erleichtern. […] Die Prager Garnison kam also in der allerelendsten Verfassung, ohne Bagage, ohne Zeltern, mit Zurücklassung ihrer Kranken, auf die Schlesische Gränze bey Greifenberg an.«245

Die Erinnerung dieser für die Offiziere nicht rühmlichen Entscheidungen diente der Begründung, warum Teile des Regiments flüchteten. Das heißt, auch in diesem Fall sollten die gegebenen Informationen das eigene Verhalten von Offizieren und Soldaten und die schlechte Verfassung der Truppen erklären und rechtfertigen.

4.

Die Regimentsgeschichte von Bornstedt

Nach dem Tode König Friedrichs II. erschien 1787 eine weitere Regimentsgeschichte, die von Anton Balthasar König246 verfasst wurde. Die Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 1247 erschien unter dem Titel: »Alte und Neue Denkwürdigkeiten der Königlich Preußischen Armee. Enthaltend: Die Geschichte der ehemaligen churbrandenburgischen Leibgarden zu Fuß, woraus das jetzige Alten-Bornstedtsche Infanterieregiment, welches das älteste in der Königl. Preuß. Armee ist, entstanden; nebst einer Menge, bei Behandlung dieses Gegenstandes, angebrachter wichtiger antiquarischer, historischer und biographischer Merkwürdigkeiten, welche die Geschichte des vorigen und jetzigen Jahrhunderts, in Absicht der Kriegesverfassung des Vaterlandes, und der in demselben gelebten berühmten Männer, die sich den Waffen gewidmet, erläutern, und die sämtlich aus ächten und zuverläßigen Quellen, mühsam geschöpft worden. Berlin bey Sigismund Friedrich Hesse, 1787.«248 244 Ebd., S. 54. 245 Ebd., S. 54f. 246 Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1814, Halle/S. 1814, http://books.google.de/ books?id=ko4FAAAAQAAJ, 23. 06. 2014, Sp. 328. 247 Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 3ff. 248 König, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74).

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König hatte für seine Arbeiten über Adelsgeschlechter in Preußen Nachrichten zu den Verdiensten einzelner Familienmitglieder gesammelt und war dabei immer wieder auf militärische Verdienste gestoßen. Aus diesem Grund begann er, Informationen über die preußischen Regimenter zusammenzutragen. »Ich fand auch bey eben dieser Gelegenheit, daß die gedruckte Beschreibungen, so man, besonders von den ältesten Regimentern hat, höchst fehlerhaft und unrichtig sind, und brachte daher mit vermehrterem Eifer, vieles und zugleich verschiedenes merkwürdiges zu deren Verbesserung durch unabläßige Bemühungen zusammen.«249 Zum Infanterie-Regiment Nr. 1 erhielt er auch durch »die Dienstfertigkeit gutdenkender und gemeinnütziger Männer« innerhalb von zwölf Jahren so viel Material, dass er »beschloß, zur allgemeinen Kenntniß ein Ganzes zu Stande zu bringen, und solches bekannt zu machen«.250 Im Unterschied zu den bisherigen Regimentsgeschichten beruhte diese Regimentsgeschichte nicht in wesentlichen Teilen auf Berichten, die von Mitgliedern des Regiments verfasst wurden. König trat eben nicht wie Seyfart und Naumann als ›Dienstleister‹ auf, der lediglich redigierend und ordnend die Berichte veröffentlichte. König verfasste selbst und mit Distanz zum Inhalt die Geschichte dieses Regiments. Er war damit Sachwalter eines eher kulturellen Gedächtnisses, der sich aus Interesse dem Untersuchungsgegenstand widmete. Seine Ambitionen beruhten weniger auf einer inneren Verbundenheit mit dem Regiment. Dabei zog er Bilanz über die bereits vorliegenden »Schriften«, da diese den Bedarf an »Belehrung und Unterricht« nicht deckten.251 Damit waren Veröffentlichungen zur preußischen Armee gemeint, die ihren Ursprung in der Dessauer Spezifikation des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau von 1729 hatten und anfänglich ohne königliche Erlaubnis fortgeschrieben und veröffentlicht wurden.252 Den vermeintlichen ›Beweis‹, dass die anderen Publikationen »un249 Ebd., S. 4. König wurde zu dieser Geschichte auch aufgrund eines Mangels an Wissen über das brandenburgisch-preußische Heer im Vergleich zu anderen europäischen Heeren angespornt, ebd., S. 5. 250 Ebd., S. 5. 251 Ebd., S. 5f. 252 König nennt u. a.: Allerneuester Zustand der Königlichen Preußischen Armee mit Anfang des Jahres 1778. und kurzgefaßte Geschichte dieses Heeres von seiner Stiftung an bis auf die jetzigen Zeiten, Breslau 1778, urn:nbn:de:bsz:14-db-id367645599-177800001, 08. 04. 2014. Zur Überlieferungsgeschichte und Fortschreibung der Dessauer Spezifikation bis hin zu den Stammlisten im 19. Jahrhundert vgl. Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41), S. 2–10. Vgl. auch die Entwicklung der Geschichte, die der Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Bevern herausgab und die sich u. a. auch auf die Dessauer Spezifikation zurückführen lässt, Hans Bleckwenn, Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Bevern. Versuch und Auszug einer Geschichte der Churfürstlich Brandenburgischen und nachherigen Königlich Preußischen Armee. Nach der Originalhandschrift herausgegeben von Hans Droysen, Nachdr. der Ausg. 1886, Osnabrück 1976, S. 5; ders., Einführung, in: Hans Bleckwenn (Hrsg.), Geschichte der churfürstlich brandenburgischen

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richtig« waren, meinte er, mit seiner eigenen Veröffentlichung zu liefern. König wünschte sich eine genaue und detaillierte Regimentsgeschichtsschreibung, »da alle alte Regimenter selbst, von ihrem ersten Ursprunge, nicht genau unterrichtet sind, und die davon vorhandene falsche Traditionen, noch immer beibehalten.«253 Mit dem Ziel, der Belehrung und dem Unterricht zu dienen, richtete sich diese Regimentsgeschichte an das Regiment und konnte durch die Rezeption Teil militärischer Erinnerungskultur werden. König verfolgte damit eine ähnliche Absicht wie Seyfart: Der »Liebhaber der Militairgeschichte« fände »zuverläßige Nachrichten« und »das Andenken so manchen braven Offiziers [würde] erhalten, und auf die Nachwelt, vielleicht oft, zur hervorbringenden Nacheiferung fortgepflanzt.«254 Er kritisierte, dass das Wissen über die Regimenter zu »Geheimnissen« erklärt wurde, so dass sich aktive Offiziere nicht mit der Geschichte ihres Regiments auseinandersetzen konnten.255 Er kommentierte und lobte explizit die Arbeit Seyfarts und kritisierte dabei unterschwellig das Verbot der Regimentsgeschichten durch den König. »Der 1786 verstorbene Auditeur des von Leipzigerschen Infanterieregiments zu Halle, Seiffert, hat vor vielen Jahren, sechs preußische Regimenter beschrieben, und ist Willens gewesen, die Geschichte sämtlicher Regimenter des preußischen Heeres, nach und nach, auf gleiche Art zu behandeln, wenn seine Arbeit nicht durch Mißverstand, vielleicht gar Mißkenntniß, unterbrochen worden wäre.«256 Der Kommentar belegt die durchschlagende Wirkung des steuernden Eingriffs König Friedrichs II. Das Wissen um die Regimentsgeschichte konnte demnach nur mündlich, als Teil des kommunikativen Gedächtnisses, tradiert werden, was einen beträchtlichen Wissensverlust bedingte. Königs Regimentsgeschichte gliederte sich in drei Teile. Im ersten Teil beschrieb er auf Grundlage »archivalischer Quellen« die Geschichte der kurfürstlichen Leibgarden, so dass der Unterschied zwischen »ehemalige[r] Schwäche

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und nachherigen königlich preussischen Armee von Herzog August Wilhelm von Braunschweig Bevern, Nachdr. der Ausg. 1886, Osnabrück 1976, S. V ff. Vgl. auch S. 37f. König, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74), S. 6f. Ebd., S. 7. König sah auch den Vorteil für seine genealogischen Forschungen. Wenn entsprechende Listen der Offiziere vorhanden wären, »so würde für die adlichen Landesgeschlechter, sehr leicht ein Auszug derer Mitglieder aus ihren Mitteln, die sich für die Ehre und Beschützung des Vaterlandes aufgeopfert, oder mit Verdienst und der darauf erfolgten Belohnung, hervorgethan haben, gemacht werden können; und solche Auszüge, würden den Vorzug eines Geschlechts um die allgemeine Landeswohlfahrt und deren Erhaltung am sichersten bestimmen, und eine edle Nacheiferung hervorbringen können«, ebd., S. 7f. König betrachtete die Regimenter vom Standpunkt der adligen Familien. Ebd., S. 8: »Wie mancher, zu seiner Zeit wichtige Umstand, würde nicht aus sicheren und genauen Regimentsnachrichten, die nicht wie bisher unbillig geschehen, zu Geheimnisse gemacht werden müssen, zu berichtigen seyn; wie oft würde mancher Gelehrte sich dadurch bei seinen Arbeiten unterstützt sehen, und wie angenehm muß es nicht auch jedem Offizier werden, die Geschichte des Regiments kennen zu lernen, bei dem er dienet.« Vgl. S. 36f. Ebd., S. 8f.

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der Landesvertheidigung« und »jetzige[r], fast übertriebene[r] Größe, der so zahlreichen stehenden Heere« deutlich sichtbar wurde.257 König sah im Infanterie-Regiment Nr. 1, »dessen Dauer, nunmehr weit über ein Sekulum gewähret«, also aufgrund des Alters und der aus diesem hervorgegangenen Generäle und Chefs anderer Regimenter ein Vorbild für die preußischen Regimenter.258 Im zweiten Teil wurden »biographische Nachrichten von den berühmten Feldherren und Generalen, die theils die Garden, theils das nachmals aus selbigem entstandene Infanterieregiment angeführet und befehliget haben«, gegeben.259 Der dritte Teil enthielt eine Abgangsliste von 1686 an, die aber in Teilen mehr auf das Engagement Königs denn auf im Regiment geführte Listen zurückzuführen ist.260 König verzichtete trotz des Wunsches nach ausführlicheren Informationen auf Ausführungen zu den »Lebensumstände[n] und Familiennachrichten« der einzelnen Offiziere, um einen Verleger für sein Werk zu finden.261 Deutlich wird an einem Kommentar Königs, dass er als Verfasser andere Voraussetzungen für die Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 1 als Johann Friedrich Seyfart vorfand. Zunächst stellte er heraus, dass eine »genaue Ausführung der Geschichte eines alten und lang gestandenen Regiments nicht so leicht« zu schreiben war, da dies der »Unterstützungen und Vorsammlungen« bedurfte.262 Auf die rhetorische Frage, wo diese Unterstützung zu finden sei, gab König seine Erfahrungen wieder : »Jedermann fliehet den Bittenden, der sich deshalb gehörigen Orts verwendet und siehet ihn für lästig und zudringlich an, wie ich solches leider erfahren; und diese Begegnung ist sehr oft mit Hervorbringung einer Muthlosigkeit verknüpft, die den Schriftsteller niederschlägt, und ihm die Feder aus den Händen sinken läßt. Oder, erhält man ja etwas, so pflegt solches zum öftern mit einer Nachläßigkeit niedergeschrieben und gegeben zu werden, auf das man sich also mit gutem Gewissen nicht beziehen oder Gebrauch davon machen kann.«263

Im Unterschied zu Seyfart konnte König also kaum auf das Wissen der Regimenter zurückgreifen. Während Seyfart angab, jeden Monat eine Regimentsgeschichte herausgeben zu können und auch Naumann wenige Jahre vorher Erinnerungsinteressen mit seiner Sammlung bediente, traf König auf eine Mauer des Schweigens. Er wurde mit dem Unwillen der Befragten oder mit deren 257 258 259 260 261

Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. auch S. 47. Ebd., S. 12. Ebd., S. 14f. Ebd., S. 15. Vgl. die Auflistung, ebd., S. 126ff., sowie den dritten Teil der Regimentsgeschichte, die Abgangsliste, ebd., S. 208f., die Rang, Namen und den Grund des Abgangs der Offiziere erwähnt. Zur Funktion von Personalangaben vgl. S. 62ff. 262 Ebd., S. 15. 263 Ebd., S. 15f.

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Unwissenheit konfrontiert. Noch gab es scheinbar nicht den Bedarf für eine objektiv historisierende Geschichte eines Regiments. Demnach beruhen die früheren Regimentsgeschichten vor allem auf einer zeitgenössischen Absicht, die Vergangenheit im Sinne gegenwärtiger und künftiger Interessen zu deuten. Eine Darstellung der Vergangenheit aus rein schriftstellerischen und historischen Interessen heraus war ohne eine innere Verbundenheit, d. h. einerseits entweder selbst Mitglied des Regiments gewesen zu sein oder sich mit diesem verbunden zu fühlen , bzw. ohne Bezug zur Gegenwart und Zukunft andererseits, ohne Bedeutung. Demzufolge entstand die Geschichte des Bornstedtschen Regiments als nüchterne Darstellung historischer Fakten, die durch das Engagement Anton Balthasar Königs zusammengetragen wurden. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass sie durch ihre Rezeption zur Identitätsstiftung der Regimentsangehörigen beitrug. König schrieb die Geschichte aus der Perspektive des ›Historikers‹ auf der Suche nach den historischen Fakten und ohne den Stolz und die Eigenperspektive des Regiments darzustellen.264 Das Alter des Regiments war für König interessant, jedoch maß er diesem über die bereits dargestellten Zusammenhänge hinaus keine weitere Bedeutung bei.265 Deutlich wird das Bemühen Anton Balthasar Königs zu einer distanzierten und sachlich richtigen Darstellung. »1656 in der blutigen Schlacht bei Warschau, die sich den 8ten Julius anfieng, und 3 Tage hintereinander dauerte, soll sich auch die churfürstliche Garde zugegen befunden haben, und den berühmten Sieg mit erfechten helfen, der dem vereinigten schwedischen und brandenburgischen Heere große Ehre erwarb. Wenn dies gewiß ist, wie viel Schriftsteller, so daß preußisch Heer beschreiben, angenommen, und sich einander nachgeschrieben haben, so befand sich die Garde auch bei den folgenden Feldzügen und Unternehmungen des Churfürsten Friedrich Wilhelm […].«266

Das Wissen über die Vergangenheit des 17. Jahrhunderts basierte im 18. Jahrhundert bereits auf Vermutungen, die durch schriftstellerische Zeugnisse auch als ›Gründungsmythen‹ überliefert wurden. König verzichtete bewusst auf diese Art der Überlieferung: »Man hat zu wenig Nachrichten, um gewiß sagen zu können, ob nachher die Garde mit den übrigen verbundenen brandenburgischen Kriegsvölkern und dem pohlnischen Heere, wider die Schweden gefochten, und welche ausgezeichnete Vorfälle solche eigentlich beigewohnt, oder welche Veränderungen bei ihr vorgegangen. Alles was man thun könnte, würde darinn bestehen, solche Begebenheiten dieser Periode sämtlich her zu erzehlen, und sodann muthmaßlich zu sagen, die Garde hätte sich auch dabei be264 Vgl. beispielsweise ebd., S. 22 oder 27. 265 Ebd., S. 17f. König setzte im Jahr 1592 mit der Beschreibung der Leibgarden ein. 266 Ebd. S. 29.

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funden; welches aber nur auf Weitläuftigkeiten ohne wesentliche historische Belehrung, die man doch eigentlich hier verlangt, hinauslaufen kann. Inzwischen finden sich mehr Beweise für als wider diese Sache.«267

Er kritisierte damit die geläufige Praxis, Ruhm und Ehre angesichts allgemeiner Tatsachen anzunehmen und ordnete damit die früheren Regimentsgeschichten und Aufzeichnungen als Teil regimentsbezogener militärischer Erinnerungskulturen ein. Trotzdem vermittelte König etwas von jenem regimentseigenen Stolz, als er die Belagerung von Ofen 1686 beschrieb und die Namen der gefallenen und verwundeten Offiziere nannte und die Tapferkeit einzelner Offiziere herausstellte. »Die Generalmajors Curt Hildebrand von der Marwitz und Johann Albrecht von Barfuß hatten sich bei der erwähnten Gelegenheit vorzüglich tapfer erwiesen, und der letztere war mitten im Gefecht, durch die Oefnung gedrungen.«268 Allgemeiner beschreibt er den Ruf der »Brandenburger« nach der Erstürmung Ofens: »Die Brandenburger hatten dazu ein großes durch ihre anhaltende Herzhaftigkeit beigetragen und sich den Türcken so fürchterlich gemacht, daß sie ihnen den Namen der Feuermänner, beilegten. Der Herzog Carl von Lothringen rühmte auch als Augenzeuge, bei dem Kaiser ihre Bravheit mit den ausgesuchtesten Ausdrücken, die ihrem Betragen zur größten Ehre gereichten und ihre Thaten berühmt machten. […] Auf diesem Rückzuge erschallte ihnen überall der Ruhm wegen ihrer bewiesenen Tapferkeit entgegen.«269

Obwohl sich König von dieser Art der Geschichtsschreibung distanzierte, machte er sie sich selbst teilweise zu eigen, denn auch er überlieferte kolportiertes Wissen. Die ›Verdichtung‹ der Verdienste der brandenburgisch-preußischen Regimenter auf die Annahme, dass diese sich ruhm- und ehrenvoll verhalten hatten, offenbart eine Möglichkeit, mit dem ›Wissensverlust‹ über die eigene Vergangenheit umzugehen und dennoch positiv wahrgenommen zu werden. Dieser Umgang lag aufgrund der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen des 17. Jahrhunderts nahe. Umso mehr erstaunt der Wissensverlust über die Schlesischen Kriege und insbesondere den Siebenjährigen Krieg nach 24 Jahren. Ein Indiz hierfür ist der Seitenumfang: König beschrieb die Taten des Regiments in den Schlesischen Kriegen auf zehn Seiten. Für die Friedenszeiten erwähnte er – ähnlich wie in den anderen Aufzeichnungen auch – die Revuen bzw. den Wechsel an der Spitze des Regiments.270 Fast tabellarisch wurden die Schlachten aufge267 268 269 270

Ebd., S. 30. Ebd., S. 40. Ebd., S. 41f. Ebd., S. 66f.

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zählt, an denen das Regiment oder Teile davon beteiligt waren, sowie die dabei erlittenen Verluste.271 Dem ›objektiven‹ Verfasser König gelang es im Vergleich zu Naumann demnach nicht, auf das in den Regimentern noch vorhandene und aufgezeichnete Wissen zurückzugreifen. Trotzdem übernahm auch dieser Argumentationsmuster, wonach die Verluste des Regiments die Tapferkeit desselben belegten, wie sich exemplarisch an der Erwähnung der Schlachten bei Prag 1757 und der bei Roßbach 1757 zeigte. Über erstere hieß es: »1757 […] wohnte [das Regiment, Anm. FZ] am 6ten May der blutigen Schlacht bei Prag bei, und that sich außerordentlich hervor. Es hatte einen ansehnlichen Verlust erlitten.«272 Hingegen hieß es über letztere: »Den 5ten November wohnte es der berühmten Schlacht bei Roßbach bei, verlohr aber keinen Mann, […].«273 Die Regimentsgeschichte aus der Feder Anton Balthasar Königs war zwar geeignet, den ihm zugänglichen Teil des Wissens über die Vergangenheit des Regiments zu bewahren und durch die Rezeption eines regimentsnahen Leserkreises mittelbar erinnerungskulturelle Bezüge für das Regiment zu stiften, aber sie war nicht unmittelbarer Ausfluss einer regimentsbezogenen Erinnerungskultur, die der Selbstversicherung und Identitätsstiftung angesichts von Herausforderungen wie beispielsweise königlicher Umstrukturierungsmaßnahmen diente. Insofern war sie eher ein Vorläufer der Regimentsgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts.274 Zugleich verweist sie auf eine Entwicklung am Ende des 18. Jahrhunderts, in deren Verlauf sich Zusammenstellungen von Regimentsgeschichten durch Regimenter häuften. Ein weiterer Hinweis darauf ist die verloren gegangene Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 16, die »etwa um das Jahr 1800, der Premierlieutenant und Regimentsadjutant Joseph von Hatten« »mit großer Mühe« schrieb, »doch ist leider sein eben vollendetes Werk, nebst dem angesammelten Material und den Akten des Regiments 1807 nach der Einnahme von Braunsberg, der damaligen Garnison, durch die Franzosen mit Feuer vernichtet worden.«275 271 Vgl. beispielsweise ebd., S. 67f.: »1740 im December gieng das Regiment nach Schlesien. Ein Bataillon befand sich in Lignitz und das zweite 1741 am 10ten April in der Schlacht bei Molwitz im zweiten Treffen, das der Generallieutenant Printz Leopold von Anhalt Dessau anführte. Es hatte dabei folgenden Verlust: […] Hierauf war auch das Regiment bei der Einnahme der Festung Brieg und der Belagerung von Olmütz. […] 1745 den 4ten Junius befand sich das Regiment in der Schlacht bei Hohenfriedeberg, im ersten Treffen, und hatte an Verlust: […] 1745 den 23sten November befand sich das Regiment bei der Action bei Katholisch-Hennersdorf, im zweiten Treffen.« 272 Ebd., S. 69 mit der namentlichen Aufzählung der Gefallenen. 273 Ebd., S. 70. 274 Vgl. S. 30, Anm. 63 sowie Meteling, Ruhm verpflichtet! (wie Anm. 38), S. 271. 275 Oskar Kopka von Lossow, Geschichte des Grenadier-Regiments König Friedrich I. (4. Ostpreußisches) Nr. 5, Bd. 2, Zeitraum 1713 bis 1815., Berlin 1901, S. V u. ebd., S. 44*.

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›Persönliche‹ Erinnerungen: Zwischen adliger Herkunft und militärischer Identifikation Persönliche Erinnerungen vor allem von Offizieren aber auch von Soldaten über ihre Zeit im Militär entstanden meist erst Jahre nach den beschriebenen Ereignissen. Im Vergleich zu den eher nüchternen Darstellungen einzelner Kriegsereignisse und den kriegsgeschichtlichen Werken des 18. Jahrhunderts wurden sie sowohl aus einer individuellen als auch teilweise aus einer kollektiven Perspektive des Regiments verfasst und können Zeugnisse militärischer Erinnerungskulturen sein. Trotzdem ist eine genaue Abgrenzung zu den kriegsgeschichtlichen Darstellungen nicht immer möglich, da auch manche persönliche Aufzeichnung ihrem Inhalt und ihrem Stil nach Teil der Kriegsgeschichtsschreibung war.276 Schriftlich festgehaltene, persönliche Erinnerungen sind nicht per se Ausdruck einer Erinnerungskultur.277 Aufzeichnungen von Offizieren und Soldaten tradieren vor allem dann erinnerungskulturelle Bezüge, wenn sich der Einzelne als Teil des Regiments verstand, d. h. seine individuellen Erinnerungen von dessen sozialen Rahmenbedingungen geprägt waren, und er Vgl. auch den Hinweis bei Curt Jany, Das Gaudische Journal des Siebenjährigen Krieges. Feldzüge 1756 und 1757, Berlin 1901, S. 12: »Die handschriftliche Geschichte des Füsilier-Regiments von Eichmann (1806 Nr. 48) erzählt […].« 276 Vgl. beispielsweise Ulrich Stoetzer, Ein Taschenbuch vom Dragoner-Regiment Alt-Platen 1757–1763, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 159, 4 (1958), S. 62ff. Die schriftlichen Zeugnisse reichen von Tagebüchern mit autobiographischen Passagen, von denen teilweise nur Auszüge überliefert sein können, über Tagebücher der Regimenter und Berichte einzelner Ereignisse sowie Journale der Kriegsjahre bis hin zu den Werken der Geschichtsschreibung. Der Seltenheitswert solcher Autobiographien führt mitunter auch zu Rekonstruktionen, Jürgen Kloosterhuis, Klischee und Kontur, in: Patrick Merziger (Hrsg.), Geschichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2010, S. 311. Allgemeine kriegsgeschichtliche Werke wie beispielsweise die von Johann Wilhelm von Archenholz, Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland, 11. Aufl., Leipzig 1866, urn:nbn:de:tuda-tudigit-850, 23. 06. 2014 und Georg Tempelhof, Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland, 6 Bände, Berlin 1783–1801 werden nicht herangezogen, wobei ersterer dem eigenen Handeln in beschränktem Maß durch die Darstellung einen Sinn zu geben suchte, Heinrich Walle, Der Siebenjährige Krieg zwischen Anekdote und Klischee, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), S. 108. Ebenso werden Kriegsberichte nur bedingt verwendet. Die »Preußische[n] Soldatenbriefe« geben einen Einblick in die unmittelbare Betroffenheit und religiöse Verankerung der Kriegsteilnehmer, aber sie sind weitgehend unmittelbare Eindrücke ohne Gruppenbezug und Distanz zum Ereignis, vgl. Hans Bleckwenn, Preußische Soldatenbriefe, Osnabrück 1982, 40ff.; dazu Walle, Der Siebenjährige Krieg (wie Anm. 276), S. 111; vgl. auch Möbius, Angst (wie Anm. 152), S. 59ff. 277 Vgl. S. 31, Anm. 68. Zu Möglichkeiten und Grenzen von Selbstzeugnissen als Quellen vgl. Michael Epkenhans u. a., Einführung: Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte – Möglichkeiten und Grenzen, in: Michael Epkenhans u. a. (Hrsg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn, u. a. 2006, S. IX–XVI.

›Persönliche‹ Erinnerungen

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mit seinen Aufzeichnungen retrospektiv sowie sinnstiftend unmittelbar wie mittelbar das Regiment in der Erinnerung bewahren wollte.278 Im Folgenden wird zunächst nach der Motivation der Verfasser gefragt, da sich daraus Hinweise darauf ergeben, ob eine Aufzeichnung auf ein Regiment und damit auf ein Kollektiv bezogen ist. Dann wird der Frage nachgegangen, was von den Verfassern als erinnerungswürdig empfunden wurde, und mit welcher Intention dieses Eingang in die Aufzeichnungen fand. Dabei werden mehrere Schwerpunkte sichtbar. In den umfangreichen Darstellungen der Schlachten spielen zum einen Ehre, Ruhm und Tapferkeit eine wichtige Rolle, ebenso wie zum anderen Rechtfertigungsbestrebungen für Niederlagen zu erkennen sind. Darüber hinaus muss es um die aufscheinenden Ansätze von Kritik an Entscheidungen handelnder Personen gehen. Ebenso wird die ›Rolle des Königs‹ in den Aufzeichnungen und auch die Funktion einzelner Episoden beleuchtet, die sich nicht eindeutig in die Systematik der Aufzeichnungen einordnen lassen und deren Funktion es zu erfragen gilt. Nicht zuletzt muss sich eine Analyse den Textpassagen zuwenden, in denen die Verfasser einen Blick auf militärische Abläufe sowie Binnenstrukturen unabhängig von den geschichtlichen Ereignissen gewähren.

1.

Motivationen

Die Begründung und die Motivation zur schriftlichen Fixierung eigener Erinnerungen geben Aufschluss darüber, ob persönliche Aufzeichnungen militärische Erinnerungskulturen tradieren. Die Begründung des Offiziers Ernst Friedrich Rudolf von Barsewisch für seine Aufzeichnungen »Meine Kriegserlebnisse während des Siebenjährigen Krieges 1757–1763« sticht im Vergleich zu anderen Tagebüchern und Erlebnisberichten hervor, insbesondere weil die 278 Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), S. 220: »Auf der Handlungsebene präsentieren die Texte dem Leser die Erlebnisse eines in soziale Kontexte eingebetteten Individuums, dessen Wahrnehmung der Ereignisse bereits durch vielfältige kollektive Bezugsrahmen geprägt ist. Auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung kommt mit der Instanz eines gealterten, rückschauenden, kommentierenden, analysierenden, wertenden und damit sinnstiftenden erzählenden Ich die Situation des Abrufs von Gedächtnisinhalten zur Darstellung. Die literarische Inszenierung der Rekonstruktion und Aneignung von Vergangenheit – individuell-biographischer wie kollektiv-geschichtlicher – auf der Erzählebene kann zu Reflexionen über die Diskrepanz zwischen vergangener Erfahrung und Erinnerung, über Individualität und kulturelle Bedingtheit des Gedächtnisses, über Konstruktivität, Perspektivität und Standortgebundenheit der Erinnerung und die sinnstiftenden Funktionen des Erzählens anregen.« Vgl. auch ebd., S. 18: »Kollektives und individuelles Gedächtnis stehen vielmehr in einer Beziehung wechselseitiger Abhängigkeit, so dass ›das Individuum sich erinnert, indem es sich auf den Standpunkt der Gruppe stellt, und das Gedächtnis der Gruppe sich verwirklicht und offenbart in individuellen Gedächtnissen‹«.

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Motivationen anderer Verfasser zum Teil nicht überliefert sind.279 Barsewischs Tagebuch umfasste annähernd den gesamten Siebenjährigen Krieg, und er schilderte die Ereignisse aus seiner persönlichen Sicht und zugleich aus der des Regiments.280 279 Über Ernst Friedrich Rudolf von Barsewisch (1737–1801) lässt sich über seine eigenen Angaben hinaus wenig berichten. Er selbst gab an: »Ich bin 1737 den 11. October: auf meinem väterlichen Gute zu Vielbaum in der Altmark geboren, von meiner Mutter einer gebornen v. Kloeden«, Ernst Friedrich Rudolf Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse während des Siebenjährigen Krieges 1757–1763, 2. Aufl., Berlin 1863, S. 12. Vgl. auch Deutsche Adelsgenossenschaft, Jahrbuch des Deutschen Adels, Bd. 1, Berlin 1896, http:// dlib.rsl.ru/viewer/01004560619#?page=2, 28. 08. 2013, S. 133. Der Herausgeber der Ausgabe von 1959 gibt darüber hinaus nur an, dass das Tagebuch von dessen Enkel, Julius von Barsewisch unverändert veröffentlicht worden sei und dass die von Ernst Rudolf gemachten Verlustangaben nicht mit den Forschungsergebnissen übereinstimmen und deshalb in den Anmerkungen kommentiert werden, Ernst Friedrich Rudolf Barsewisch, Von Rossbach bis Freiberg 1757–1763: Tagebuchblätter eines friderizianischen Fahnenjunkers und Offiziers. Nach dem wortgetreuen Erstabdruck von 1863 neu herausgegeben, kommentiert und bearbeitet von Olmes, Jürgen, Krefeld 1959, S. 7. Im Anhang wird mitgeteilt, dass Barsewisch ein märkischer Edelmann war, und die Archivalien, die gegebenenfalls Auskunft über ihn hätten geben können, nach 1945 verloren gegangen sind, ebd., S. 203. Nach seinem Wechsel nach Potsdam wurde er wahrscheinlich aufgrund einer Erkrankung relativ schnell unter Erhöhung seines Ranges als General-Quartiermeisterlieutenant entlassen, ebd., S. 208. Zur zeitlichen Entstehung des Tagebuches vgl. auch Möbius, Angst (wie Anm. 152) S. 81. 280 Ergänzend herangezogene Werke: Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222); Drei Jahre im Kadettencorps (1758–1760), in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 39 (1881) bzw. Christoph Friedrich Otto von Diericke, Lebenserinnerungen des Generalleutnants Christoph Friedrich Otto von Diericke und Überblick über die Geschichte des Geschlechts von Diericke, hrsg. von Alfred Tapp, Kassel 1975; Karl Zabeler, Militärischer Nachlaß des Königlich Preußischen Generallieutenants, Gouverneurs von Königsberg und General-Inspekteurs der Ostpreußischen Infanterie, Viktor Amadäus, Grafen Henckel von Donnersmarck, Zerbst 1846, http://hdl.handle.net/2027/hvd.hx1bzv, 06. 03. 2014; Friedrich Wilhelm Ernst von Gaudi, Journal vom Siebenjährigen Kriege 1757, Teil 1, in: Forschungen und Studien zur Fricericianischen Zeit, Bd. 2, hrsg. von Jürgen Ziechmann, Buchholz 2009; Johann Jacob Dominicus, Tagebuch des Musketiers Dominicus 1756–1763 nebst ungedruckten Kriegs- und Soldatenliedern. Mit einem Nachwort von Hans Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1891, Osnabrück 1972; Ulrich Bräker, Lebensgeschichte und natürliche Abenteuer des armen Mannes von Tockenburg, hrsg. von Joachim Nowotny, Michael Niedermeier, Berlin 1985; Helene von Hülsen, Unter Friedrich dem Großen. Aus den Memoiren des Ältervaters 1752–1773, Berlin 1890; R. Walz, Kriegs- und Friedensbilder aus den Jahren 1754–1759: nach dem Tagebuch des Leutnants Jakob Friedrich Lemcke 1738–1810. Mit einer Einleitung von Hans Bleckwenn, Osnabrück 1971; Christian Wilhelm von Prittwitz, »Ich bin ein Preusse …«: Jugend und Kriegsleben eines preussischen Offiziers im Siebenjährigen Krieg. Mit Vorwort von Hans Bleckwenn, Paderborn 1989; Joseph F. Dreyer, Leben und Taten eines preussischen Regiments-Tambours. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Osnabrück 1975; Wilhelm Doering, Erinnerungen aus meinem Leben: 1791–1810, hrsg. von Hans Bleckwenn, Osnabrück 1975; Friedrich August Retzow, Charakteristik der wichtigsten Ereignisse des siebenjährigen Krieges in Rücksicht auf Ursachen und Wirkungen. Teil 1, Berlin 1802, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10405140-0, 24. 06. 2014; Großer Generalstab, Potsdamer Tagebücher 1740

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Mit keckem Selbstbewusstsein beanspruchte der Verfasser, die königlichen und anderen Darstellungen des Siebenjährigen Krieges durch seine persönlichen Erlebnisse zu ergänzen. »Da gantz Europa an dem merkwürdigen Zeitraum von 1756 bis 1763, an dem Sieben Jährigen Kriege, Antheil gehabt, so glaube ich, daß mein gegenwärtiges Tage Buch von dieser Zeit nicht als eine überflüssige Schrift angesehen wird, ohnerachtet daß die Geschichte dieses so merkwürdigen Krieges von Friedrich dem Einzigen selbst auf das Vollkommenste mit allen denen großen Ereignissen und politischen Zusammenhängen beschrieben worden ist.«281

Barsewisch bezog sich auf ein allgemeingültiges Recht: »Es dürfte nicht überflüsig seyn, wann diese Ereignisse aus verschiedenen Gesichts Punkten beschrieben und aufgezeichnet werden. Eine jede Person, so in einem merkwürdigen Kriege mit gehandelt, hat ein gewisses Recht die erlebten Vorfälle aufzuzeichnen und selbige mit zu theilen, und wann nun auch der Bericht eines Offiziers nicht so vollkommen als die Schrift eines Feldherrn über den Krieg nach eigenen Erlebnissen sein kann, so trifft es sich doch, daß ein Offizier verschiedene Begebenheiten erlebt, so gleichfalls merkwürdig und dahero werth sind, bekannt zu werden.«282

Das Recht auf Erinnerung und vor allem Veröffentlichung der »merkwürdigen Begebenheiten« hat also nicht nur der schriftstellerisch versierte Feldherr, sondern ein jeder Offizier.283 Aus seiner Perspektive schrieb Barsewisch zwar nur die Geschichte seines Regiments als Ergänzung, da »ein so großer Mann wie König Friedrich II. nicht im Stande [ist], sich in den detail der Historie einzubis 1756, Bd. H. 10, Berlin 1906; Friedrich August Ludwig von der Marwitz, Nachrichten aus meinem Leben 1777–1808, Berlin 1989. 281 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 5. Möglicherweise bezog sich Barsewisch auf die »Geschichte des Siebenjährigen Krieges« König Friedrichs II., die erst 1788 veröffentlicht wurde. Die Aufzeichnungen Barsewischs wären demnach erst danach entstanden, vgl. Friedrich der Große, Geschichte. Erster Teil (wie Anm. 89), S. V. 282 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 5. – Das Recht zur Aufzeichnung und Veröffentlichung leitete Barsewisch auch aus der Tatsache ab, dass er die Ereignisse als Teilnehmer und Zeuge miterlebt hatte. Die Nachrichten hätten ihren Wert, »besonders, da an der Wahrheit der Sache aus der Ursache weil es von wirklich lebende Personen beschrieben worden nicht der geringste Zweifel übrig bleibet […]«, ebd., S. 12. Vgl. auch ebd., S. 7. 283 Die Ausführungen Barsewischs zur Notwendigkeit der Erinnerung und vor allem zur Veröffentlichung lassen darauf schließen, dass seine Aufzeichnungen in den Druck gegeben werden sollten. »Ich hätte diese Beschreibung [Schlacht bei Leuthen, Anm. FZ], wie alle Schlachten, so ich bey gewohnet, mit richtigen Zeichnungen, da ich ein Ingenieur bin und selbige vielfältig verfertigt habe, begleiten können. Da ich aber die Kosten zur Abdruckung dieser Plans nicht daran verwenden kann, es überdem nicht an solchen fehlt, so habe ich es unterlassen«, ebd., S. 44f. Warum sie erst 100 Jahre später und nicht schon zu Lebzeiten des Verfassers publiziert wurden, muss aufgrund fehlender Informationen unbeantwortet bleiben.

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lassen.«284 Aber obwohl das Regiment nur ein Teil der gesamten Armee, »dahero nur einen Theil des berühmten Krieges« gewesen sei, könne man aus seiner Darstellung ersehen, »wie und in welcher Art sich ein einzelner Truppen Theil im Kriege hervor zuthun im Stande ist; wie aus den einzelnen Corps die allgemeine National Eigenschaft der Preußischen Truppen hervorleuchtet; wie sehr sich die Preußische Nation auch bei denen aller gefährlichsten Ereignissen bemühet hat, die Befehle und Intentionen Ihres großen Königs auszuüben und das Beste des Allgemeinen mit Verachtung aller Gefahren zu befördern; wie viel Antheil bei einem so hartnäckigen Kriege ein jeder rechtdenkende Soldat, auch der aller geringste, zur Erlangung des Ruhmes nimmt; wie es endlich eine ohnstreitige Wahrheit ist, daß das Preußische Volk sich durch seine Standhaftigkeit, Beharrlichkeit und Ergebenheit an seinen geliebten König einen unvergeßlichen Nahmen erworben hat.«285

Barsewisch stellte hier den Bezug zwischen Individuum und Gemeinschaft her. Der Einzelne war Teil des Regiments, welches wiederum Teil der »Nation« war. In Bezug auf die Gemeinschaft erhielt das Handeln des Einzelnen seine Bedeutung. Die Geschichte des Regiments stand – gleichsam als Pars pro Toto – für die Geschichte und die Reputation der gesamten preußischen Armee, der »preußischen Nation« wie auch jedes »rechtdenkenden Soldaten«. In dem Bezug auf die Gemeinschaft Regiment, Armee und »Nation« liegt die Bedeutung seiner Erinnerungen. Der Verfasser konkretisierte seine Absicht weiter : 284 Ebd., S. 5f. – Barsewisch begründete, warum es einem Offizier nicht möglich war, eine umfassende Geschichte zu schreiben: »Ich vor meinen Theil habe nur die Begebenheiten der arm8e und deß Corps zu berichten, wobey unser Regiment gestanden, und welches eigentlich meines Geschichte ausmachet: sonsten hätte ich mir in der Geschichte der gantzen Armee einlassen müssen. Dieses würde mir Theils zu weitläufig, Theils außer ordentlich mühsam gewesen sein, Alles gantz richtig von Tag zu Tag aufzuzeichnen, indem es öfters bey einer Armee, besonders im feindlichen Lande, nicht alle mahl möglich ist, ein accurates Tage Buch zu erhalten: weil öfters die Correspondance der Armee gäntzlich unterbrochen. Wann dergleichen Journales stattfinden sollen, wo wird dazu erfordert, daß etwann ein adjutant von Sr. Majestät dem Könige oder eines anderen commandirenden Generals ein Haupt Journal führt und bei jedem Regiment und detachirten Corps einen Correspondenten hat, so die Tage vermerkt und selbige Notizen von Zeit zu Zeit dem adjutant einhändiget, woraus alsdann eine föllig richtige Geschichte zu entwerfen wäre. Vor einem Subaltern Officier bleibt dieses Geschäft aber allerzeit unvollkommen und beynahe ohnmöglich, und da auch noch darzu öfters die Bagage in feindliche Hände fällt oder dergleichen Schriften durch einen unterwarteten Zufall verlohren gehen: so wird die Aufzeichnung der Thaten einer so zahlreichen Armee wie die Königliche Preußische außerordentlich schwer. Der Kriegs Körper ist zu groß und die Ländereien und Gegenden, wo solche sich bewegen, zu weitläuftig und die Krieges actionen zu viel und mancherley, so daß beynahe ein jedes Regiment einen separaten Journalisten haben müßte, da Stoff genug vorhanden für die Evolutiones, so daß Regiment vorgenommen«, ebd., S. 59f. 285 Ebd., S. 6.

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»Da ich in denen Zeiten Friedrich des Weisen und Großen, Königs von Preußen gelebt und noch lebe, und diese Epoque bereits jetzo die Aufmerksamkeit und Bewunderung der ganzen mit uns lebenden Welt nach sich zieht, wie viel mehr wird dieselbe nicht die Bewunderung der Nachwelt, nach Jahrhunderten bleiben: um desto nothwendiger wird es, daß alle die edelen Handlungen, auch Derer mit Ihm lebenden Unterthanen, so gleichfalls Antheil an seinen rühmlichen Thaten haben, durch richtige Verzeichnung derer jetzt noch Lebenden aufgezeichnet und unseren Nachkommen aufbehalten werden.«286

Nach Barsewisch zog bereits die jüngere Vergangenheit die »Bewunderung der ganzen […] Welt« nach sich, und so schlussfolgerte er auf die Zukunft und den dann bestehenden Bedarf an »Erinnerung«. Deshalb formulierte er als mündiger und selbstbewusster Zeitgenosse des Königs die Notwendigkeit, die Erinnerungen der noch lebenden Untertanen an die rühmlichen Taten und ihren Anteil daran für die Nachwelt schriftlich aufzubewahren. Er erkannte die Leistungen des Königs an, aber er befürchtete das Vergessen der Leistungen der Untertanen und stellt sie deshalb ersteren zur Seite. Er sicherte letztendlich durch die schriftlich fixierten Erinnerungen eine weitere Erinnerungs- und Deutungsperspektive auf die rühmliche Vergangenheit angesichts der Deutungshoheit in den offiziellen Darstellungen.287 Barsewisch wehrte sich zugleich gegen die mögliche Unterstellung, die Niederschrift sei seiner Eitelkeit geschuldet und verwies auf deren Authentizität.288 Da bereits »so viele gute Schriften von diesem Kriege erschienen« seien, könne der Nutzen seiner Veröffentlichung darin liegen, nachzuvollziehen, »an welchen Orten das Corps Truppen, bey welchem mein Regiment stand, und dieses selbst zu den verschiedenen Zeiten sich befand.«289 Er wollte also gerade nicht der zeitgenössischen Geschichtsschreibung über den Siebenjährigen Krieg ein weiteres Werk hinzufügen. Für ihn lag die Erinnerung nicht nur in einer Gesamtdarstellung des Krieges, sondern im Nachvollziehen, im performativen Erinnern der Wege und Taten des Regiments.290 So erhoffte er sich einen »Liebhaber«, der »die Geschichte dieses in allen Kriegen so vorzüglich tapferen Regimentes zu beschreiben weiter übernimmt.«291 In topischer ›Bescheidenheit‹ machte er deutlich, dass seine Niederschrift mehr als eine individuelle biographische 286 287 288 289

Ebd., S. 11. Vgl. S. 28. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279) S. 8. Vgl. S. 68. Ebd., S. 8. Barsewisch verwies u. a. auf die Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Tempelhof, vgl. ebd., S. 33. 290 Vgl. ebd., S. 6f. Dies ist vor allem auf die Entfernungsangaben zu den Märschen des Regiments zu beziehen. Barsewisch war sich bewusst, dass die Meilenangaben den zeitgenössischen Leser irritieren konnten, wollte aber auf die Schnelligkeit des preußischen Heeres hinweisen, durch die erst mancher Sieg möglich geworden sei. Vgl. S. 40 u. 67. 291 Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 8.

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Aufzeichnung war. Sie bezog sich auch auf das Regiment als Erinnerungsgemeinschaft und sollte dieses durch Erinnerung erhalten. Erst zu Beginn des eigentlichen Tagebuches führte Barsewisch eine familiäre Begründung als Motiv für seine Aufzeichnungen an. Auch hier erfolgte sie im Kontext, dass die Kriegsgeschichtsschreibung »die Handlungen eines jeden Offiziers, und von Adel« nicht wiedergeben könne.292 »Aber dem ohnerachtet bleiben die Begebenheiten einzelner Familien, und einzelner von Adel, jederzeit, so wohl jetzo, als vor der Zukunft in ihrem Werth, und besonders vor denen Nachkommen, welche zu diese beschriebenen Familien gehören […].«293 Besonders hoch sei dieser »Schatz wirklicher Thathandlungen« aber für die interessierten Nachkommen, da diese die Ereignisse, auch wenn sie wollten, selbst nicht erleben und nur anhand der Überlieferungen nachvollziehen könnten.294 Diese persönlichen Aufzeichnungen waren sowohl für adlige Familien und deren Nachkommen als auch für die späteren Regimentsangehörigen bestimmt. Sie konnten demnach eine zweifache erinnerungskulturelle Bedeutung haben, wobei im Falle Barsewischs die des Regiments überwog. Bei Carl Wilhelm von Hülsen stand der familiäre Bezug im Vordergrund.295 Dieser wollte seinen Nachkommen das Wissen über die Vorfahren und die Herkunft mit auf den Weg geben, welches ihm selbst nur unzureichend vermittelt worden war. »Es geschieht nur gar zu oft, daß Kinder ihre Eltern verlieren, ohne die geringste Nachricht von ihrer Familie zu haben. Dieses ist mir immer sehr betrübt vorgekommen. – Ich will also Euch, meine Söhne, in den Stand setzen, daß, - wenn Ihr mich in Eurer Kindheit verlieren solltet, - Ihr doch wisset, wo Ihr her seid. – Mit vieler Mühe habe ich eine Stammtafel meines Hauses ausfindig gemacht, die ich Euch aufsetzen werde, und wobei ich wünsche, daß sie von meinen Nachkommen richtig unterhalten werde.«296

Christian Wilhelm von Prittwitz richtete seine Erinnerungen ebenfalls an seine Kinder, aber es trat als Motiv das religiös motivierte Bekenntnis hinzu.297 Er wollte ein Zeugnis seines Glaubens ablegen, und sein Lebensweg sollte seinen Kindern als Vorbild dienen. In diesem Sinne bat er sie, sich seiner zu erinnern. »Im ganzen genommen kann Euch mein Gang durch diese Welt zum Beispiel dienen, auch wohl bei Gelegenheit einen Ausweg zeigen, daß Ihr nicht in gleichen Irrtum geraten dürft. Dabei bitte ich Euch: Laßt mich nicht vergeblich geschrieben haben und die Absicht fruchtlos bleiben, welche dabei zugrunde gelegen. Ich traue es Eurer Redlichkeit 292 293 294 295 296 297

Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 12. Ebd., S. 12. Ebd., S. 11f. Zu Hülsen vgl. Möbius, Angst (wie Anm. 152) S. 81. Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 3. Zu Prittwitz vgl. Möbius, Angst (wie Anm. 152) S. 81.

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zu, daß ihr diesen von Eurem Vater hinterlassenen Aufsatz mit kindlicher Achtung behandelt und ihn nicht der Vernichtung preisgeben werdet.«298

Prittwitz und Hülsen widmeten zwar ihre Aufzeichnungen vorrangig ihren Familien, aber sie errichteten durch die ausgewählten Inhalte auch ihrem Regiment ein Denkmal. Für den nichtadligen Regimentstambour Dreyer hingegen war der Grund seiner Veröffentlichung explizit die gegenwartsbezogene Interpretation der militärischen Vergangenheit. Er wollte damit zur Versachlichung bzw. Korrektur der öffentlichen Meinung über den Soldatenstand beitragen. »Alles spricht und schreibt vom Soldatenwesen, Alles will den Soldaten critisiren, Bürger und Bauer, Küster und Schulmeister, aber wenige wissen, wie es im Kriege zugehet. Das sollen sie aus meinem Büchlein lernen.«299 Dreyer berief sich auf seine Autorität als Augenzeuge. Ähnlich äußerte sich Friedrich August Retzow : »Nachdem aber seit dieser merkwürdigen Epoche eine lange Reihe von Jahren verflossen ist, so manche Veränderungen sich zugetragen haben; die Helden der damaligen Feldzüge theils verewigt, theils vergessen sind: so glaubt ein Zeitgenosse und Augenzeuge, am Anfange dieses Jahrhunderts sich erdreisten zu können, die sowohl vor als während des Krieges gesammelten, oder von unterrichteten Personen ihm mitgetheilten Bemerkungen über die wichtigsten Begebenheiten der damaligen Zeiten, dem unpartheischen Publikum vorzulegen.«300

Dreyer ging es darüber hinaus um Ermahnung und Belehrung, auch in kriegswissenschaftlicher Hinsicht. »Auch finde ich, daß in jetziger Zeit das Soldatenwesen ganz anders getrieben wird, als jemals; ein Jeder möchte gern befehlen, Niemand gehorchen, man spricht mehr, als man handelt. Zu meiner Zeit blieb alles in seinen Fugen, ich war mehr Partisan als Tambour, Sr. Majestät wollten mich zum Offizier befördern, ich blieb aber was ich war, weil ich in meiner Sphäre bleiben wollte, und weil ich dachte: dem Tambour wird man es immer gedenken, was er gethan hat, dem Offizier wird man es bald vergessen. Ein anderer Grund, warum ich dies Büchlein schreibe, ist auch der : weil ich bemerke, daß man anfängt mit Recht viel auf leichte Truppen zu halten, woran es sonst fehlte, vielleicht können meine Erfahrungen zu mancherley dienen.«301

Dreyer zog aus der Vergangenheit nicht nur Schlussfolgerungen für die Gegenwart, sondern er interpretierte und verklärte diese aus der rückblickenden

298 Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280), S. 9. Die Bewahrung durch Gott spiegelt sich auch in den Aufzeichnungen Barsewischs wider, wird aber nicht als eigenes Motiv für die Aufzeichnung genannt, Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 104. 299 Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 4f. 300 Retzow, Charakteristik (wie Anm. 280) S. XI. 301 Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 5f.

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Perspektive. Dadurch maß er der Vergangenheit sinnstiftende Bedeutung für die Gegenwart bei. »Wir Alten gingen mit einem: Eine feste Burg ist unser Gott etc. in die Schlacht, und endigten sie mit einem: Nun danket alle Gott etc. Wir schlugen den Feind aus Pflicht und Gehorsam gegen unsre Obrigkeit und den König. […] Also glaube ich, daß unsre jetzigen Preussen ganz anders, und weit schlechter mit Naturgaben und andern zum Kriege nöthigen Dingen ausgerüstet waren, als unsereins, mithin ist auch der Erfolg ganz anders gewesen.«302

Zuvor konstatierte und kritisierte er, dass die Armee im Verlauf des Siebenjährigen Krieges immer schlechter geworden sei und »zu viele unnütze Quengeleyen eingeführt« worden seien, die die Soldaten »mißmüthig machten, und zu nichts als zur Parade dienten.«303 Deshalb empfahl er den Soldaten, »den verlohrnen Ruhm wieder zu erobern, wo es gilt.«304 Dreyer nutzte die Vergangenheit, um in der Gegenwart die Soldaten anzuspornen bzw. diese auf den Ruhm und die Erfolge der Vergangenheit zu verpflichten.

2.

Erinnerungen – zwischen Individuum, Regiment und Familie

Erinnerung an Schlachten und Krieg - Ehre, Ruhm und Tapferkeit Einen großen Teil der Erinnerungen machen die Schilderungen der Schlachten, Gefechte und Belagerungen aus. Neben der ereignisgeschichtlichen Darstellung dienten sie vor allem dazu, Ehre, Ruhm und Tapferkeit des Regiments sowie einzelner Personen zu belegen. Beispielsweise charakterisierte Barsewisch die Schlacht bei Rossbach als einmalig und setzt sie ins Verhältnis zu anderen Kriegsereignissen. »Bey dieser Glorieusen Schlacht, welche in der Historia wenig Ihres Gleichen finden wird, verlohren wir durch Gottes Hülffe nur 254 Mann, wobey noch das Besondere, daß nur ein Offizier, Obriste von Priegnitz auf der Stelle geblieben. Unsere Arm8e war Effective nur 15 Tausend Mann stark, und der Feind hatte 5 Tausend Todte und Verwundete auf dem Platze und 10000 Gefangene, nebst 8 Generals 400 Officiers, 60 Fahnen und Estandarten und 84 Canonen auf der Wahl Statt zurück gelassen, daß also der feindliche Verlust eben so stark als unsere gantze angreifende Arm8e. Aber die Hülffe Gottes, und die Klugheit und Tapferkeit, unseres vortrefflichen Königs, gab uns mehrere Feinde in unserer Gewalt, als wir selber stark waren.«305

302 Ebd., S. 22; ähnlich S. 15. 303 Ebd., S. 21. Vgl. Friedrich Meusel, Marwitz’ Schilderung der altpreußischen Armee, in: Hans Dellbrück (Hrsg.), Preußische Jahrbücher, Bd. 131, Berlin 1908, S. 482. 304 Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 56. 305 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 22. Vgl. zu den falschen Angaben

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Diesem Beispiel entsprechen in Grundzügen die Berichte anderer Autoren: Es wurden Schlachten, die eigenen Verluste sowie in direkter Gegenüberstellung die gegnerischen und nicht zuletzt die Siegestrophäen erinnert.306 Die eigenen gefallenen Offiziere wurden zumeist namentlich, die Verluste an Soldaten summarisch benannt.307 Die Verluste des Gegners konnten – wie in diesem Beispiel – die eigene Tapferkeit und das außerordentliche Verhalten der eigenen Truppen unterstreichen.308 Erst aus der Gegenwart heraus, in der die Verlustzahlen genau beziffert werden konnten, wurde die Vergangenheit reputationsfördernd interpretiert. Tapferkeit und Ruhm wurden infolge einer solchen Interpretation konstruiert. Barsewischs Beschreibung sticht unter den übrigen deshalb hervor, weil er die Schlacht in einen größeren geschichtlichen Kontext einbettete und mit diesem Rückbezug auf das zeitgenössische Geschichtsbewusstsein verwies.309 Weiterhin verankerte er – wie in seiner Vorrede ausgeführt – sich selbst,

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Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 219. Der Herausgeber Olmes gibt jedoch keinen Hinweis, woher Barsewisch die Zahlen bezog. Die Verwendung öffentlich zugänglicher Quellen liegt nahe, zumal Barsewisch selbst die königlichen und weitere Gesamtdarstellungen zu Beginn seines Werkes erwähnte. Welche Quellen er konkret nutzte, lässt sich jedoch nicht bestimmen. Die Informationen über die Stärken der Armeen wie auch der Verluste waren Gesprächsthema in den Regimentern. So schreibt ein Unteroffizier des Infanterie-Regiments Nr. 3 nach der Schlacht bei Lobositz 1756, dass er »die Liste der Todten und Blessirten […] noch nicht eigentlich bekommen können« und deshalb nur Angaben zu den Verlusten seines Regiments machte, Bleckwenn, Soldatenbriefe (wie Anm. 276), S. 29. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279) S. 126f.: »Schlacht von Torgau, November 1760, 3. […] Der Feind ergriff unter dem Schutze der Nacht die Flucht und ließ uns 56 Canonen, 36 Fahnen, 1 Paar silberne Pauken 370 Officiers und 4 Generals nebst 8tausend Gefangene, gesunde und blessirte, zum Zeichen unseres Sieges und unserer Tapferkeit.« Ebenso werden in den Aufzeichnungen Siegesfeiern erwähnt. Vgl. beispielsweise Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 6f., 35 u. 41; Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 166f. Vgl. ders., Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 22, 41, 84f. Barsewisch erwähnt selten die Namen von Offizieren bei den Angaben zu den Verlusten. Vgl. Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 26. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 40: »In dieser Schlacht [Leuthen, FZ] ist kein feindliches Bataillon und kein Regiment Cavallerie, […], übrig geblieben, so nicht Gelegenheit gehabt, seinen Muth gegen uns zu bezeugen und doch sind sie alle mit Verlust über dem Haufen geworfen worden. Das sie aber einmal die linke Flanque verlohren, nach dem Ihre Cavallerie geworfen und zersprengt war, so hatten Sie den großen Vortheil Ihrer Stellung und dadurch die ganze Schlachtordnung verlohren.« Vgl. auch ebd., S. 41 u. 84f. In den Aufzeichnungen wurden kaum vergleichende Bezüge zwischen den einzelnen Kriegsereignissen hergestellt. Barsewisch stellte in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar. Vgl. ebd., S. 187 über die Schlacht bei Freiberg: »Bataille von Freyberg den 29ten 8brs 1762. […] Diese Bataille hatte insofern viel Aehnlichkeit mit der von Rossbach daß dieselbe durch die Schnelligkeit und Tapferkeit, besonders durch den glücklichen SuccHs der Cavallerie und der Tapferkeit des Generals von Seydlitz entschieden wurde, daß wir ebenso wenig Leute verlohren und den Sieg so entschieden errungen hatten.«

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sein Regiment sowie alle teilgenommenen Regimenter nach dieser »Ehren volle[n] Schlacht […] alß seine [des Königs, Anm. FZ] Sieg reiche Arm8e, die wir alle Theil an denen Lorberen hatten, so wir zu Prag und Rossbach errungen« im kollektiven Gedächtnis und beschwor den Ruhm dieser und der Schlacht von Prag.310 Solche Siege waren bereits auf der Handlungsebene für die Zuversicht der Armee wichtig, denn sie beeinflussten die Bereitschaft der Soldaten erheblich, in eine weitere Schlacht zu ziehen. Auf die Interpretation der jüngsten Vergangenheit als Anhaltspunkt für den Verlauf der Zukunft weist der Eintrag vor der Schlacht bei Leuthen hin. »Da nun das mehrste Theil der Armee so Sr. Majestät aus Sachsen mit brachten, noch niemalen anders, als Sieger gegen denen Kayserlichen gefochten hatte, und wir erstlich vor 3 Wochen, bey Rossbach einen so herrlichen Sieg erhalten, so bezeugte sich die ganze Armee, über diese Ordre willig und bereit den Feind zu überwinden. […] Sie [die kaiserlichen Truppen, Anm. FZ.] wollen mit der Berliner Wacht Parade, worunter unser Regiment und daß von Itzenplitz und die von der Berlinschen Garnison, so bey der Armee waren, gehörten, balde fertig werden, und Ihnen den Puder ausklopfen. Aber die Sache kehrte sich um, daß die Berliner Wacht Parade, wohl vorzüglich die Haupt Ursache war, daß am 5ten Xbrs. die gantze stolze Kayserliche Arm8e ruiniret und in der Flucht geschlagen wurde, wie die Folge der Geschichte zeigen wird.«311

Stolz erinnerte Barsewisch daran, dass sich die Absicht der kaiserlichen Truppen in ihr Gegenteil verkehrte und die eigenen Truppen, darunter auch das eigene Regiment, die gegnerischen besiegte.312 Das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen des Regiments beruhte auf dem Wissen, »noch niemalen anders, als Sieger gegen denen Kayserlichen gefochten« zu haben.313 Der Verfasser machte so unterschwellig deutlich, dass die Angehörigen der Truppen sehr wohl angesichts einer erinnerten Vergangenheit über Sinnhaftigkeit, Erfolgs- und Überlebenschancen einer bevorstehenden Schlacht reflektierten, und die Erfolgsaussichten in einer Schlacht auch von dieser Selbsteinschätzung bzw. Erwartung abhingen. Nicht erst im Rückblick der Aufzeichnung wurde aus der Vergangenheit die 310 Ebd., S. 8. Vgl. auch die bereits unmittelbare Ruhmzuweisung bei einem Unteroffizier des Infanterie-Regiments Nr. 3 nach der Schlacht bei Lobositz 1756, der an seinen Bruder schrieb: »Die Nacht darauf zogen sie heimlich davon, und haben bis dato ihr Lager hinter Leitmeritz aufgeschlagen, und wir haben ihren Posten behauptet, und haben wir bei dieser Bataille nichts mehr behauptet als unsern alten Ruhm mit frischen Lorbeerkränzen zu zieren, sie verjagt, ihren Posten eingenommen, welches ein rechts Meisterstück ist, und sie bei der ersten Begrüßung etwas furchtsam gemacht«, Bleckwenn, Soldatenbriefe (wie Anm. 276), S. 28. 311 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 26. Zur Schlacht vgl. Schulze-Wegener, Leuthen 1757 (wie Anm. 47), S. 17ff. 312 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 26. 313 Ebd., S. 26.

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Zuversicht für eine Schlacht konstruiert, sondern dies geschah bereits während der Ereignisse selbst. Diese Art der Erinnerung wurde im kommunikativen Gedächtnis tradiert und erst durch die Aufzeichnung Barsewischs langfristig abrufbar. Die Armee war also in dieser Hinsicht nicht nur eine »dressierte« Masse.314 Barsewisch versuchte, seine Erinnerungen lebendig werden zu lassen, indem er den Leser bat, sich vorzustellen, was er »als einer der jeden Tag mit Militärische Handlungen bekleidet, in Andenken behalten«.315 Dabei setzte er Ehre ins Verhältnis zum Aufwand, zur Gefahr und zum erforderten Mut. Die Schlacht sei »zwar Ehren volle« gewesen, aber der Leser sollte nicht vergessen, was er in der »desto fatigantere[n] Campagne mit der Fahne in der Hand ausgestanden«.316 Diese Schilderung scheint selbst in der Retrospektive der Selbstvergewisserung zu dienen, denn es klingen Zweifel durch: »[…] 2 Feld Schlachten und eine Belagerung, und hundertfältige Lebensgefahr hatte ich bereits hinter mir, und dem ohngeachtet erschien ich noch, ohne einen wesentlichen Vortheil, von diesem blutigen Krieg gehabt zu haben, an der Spitze des Regiments mit der Leib Fahne, und hatte eben so viel Hoffnung bei der nahesten Schlacht, mein Grab, als mein avancement zu finden: Aber bei der Preußischen Arm8e hieß es zu der Zeit, ›Gott und der König.‹ – Dieses seint unsere Hoffnungen, wobey wir uns vor der gantzen Welt Feinde nicht fürchten, und dieses erhielt uns alle dem Muth, und dieses hat uns auch und mir besonders dem gantz darauf erfolgten noch blutigen Krieg und biß zu dieser meiner jetzigen Stunde erhalten. Auf mir wartete eine noch wichtige Epoque, ich mußte mir mein avancement erstlich mit meinem Blute erkaufen, welches sich in der folgenden Geschichte balde zeigen wird. […].«317

Mit diesem Eintrag wird der Zusammenhang zwischen kollektivem Erleben und retrospektiver Sinnstiftung deutlich. Erst im Rückblick stellte Barsewisch Bezüge her, ordnete und bewertete seine Vergangenheit angesichts späterer Erlebnisse. Ehre und Tapferkeit wurden angesichts des ›Risikos‹ für Leben und Gesundheit in eine Beziehung zum materiellen Gewinn, d. h. einem Aufstieg im Regiment gesetzt. Die Reputation eines Regiments verpflichtete zu entsprechendem Verhalten, 314 Vgl. Ewald Frie, Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777–1837. Biographien eines Preußen, Paderborn, u. a. 2001, S. 165f.: »Deutlich wird die beinahe grenzenlose Distanz zwischen Offizieren und Mannschaften, die bei den Gensd’armes vielleicht noch stärker ausgeprägt war als im vorreformerischen Militär insgesamt. Sie fiel mit der Distanz zwischen Adel und Nichtadel zusammen. Sie reproduzierte die krasse Asymmetrie der sozialen Beziehungen in den Gutsherrschaftsgesellschaften, die einen wichtigen Erfahrungshintergrund der meisten Gensd’armerieoffiziere bildete. Gemeine Soldaten waren Objekte. Kontakte zwischen Offiziere und Mannschaften ergaben sich vor allem im Rahmen der ›Dressur‹, eine Metapher für die Ausbildung von Menschen, die Marwitz verwendete, die sich aber auch in der Militärgeschichtsschreibung bis zum Ersten Weltkrieg hielt.« 315 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 23. 316 Ebd., S. 23. 317 Ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 45ff. sowie Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 36ff.

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wie auch die Schilderung der Schlacht bei Leuthen belegt.318 Barsewisch beschrieb das Vorwärtsstürmen und schilderte dabei nicht nur die Beweise der Tapferkeit in der Schlacht, sondern er griff auch auf die Reputation zurück, die sich das Regiment bereits vorher in den ersten beiden Schlesischen Kriegen erworben hatte und an der er selbst keinen Anteil hatte. Das in der Vergangenheit erworbene hohe Ansehen interpretierte er handlungsanleitend. So wären die Regimentsangehörigen ihrem König und den Offizieren »ganz besonders zum Gehorsam ergeben, […] welche sich bey keiner kriegerischen Begebenheit, so wenig in den ersten Schlesischen Kriegen als in dem gefährlichen 7 jährigen zaghaft bezeuget haben, und dahero bey Molwitz und bey denen übrigen 4 Schlachten in denen ersten Schlesischen Kriegen, und besonders bey Prag und jetzo bey Leuten, als die Krone Ihrer Begebenheiten, im Angesicht Ihres Monarchen und der ganzen Armee ganz außerordentlich hervorgethan haben.«319

Die Bewährung in den zurückliegenden Schlachten begründete den Ruf seines Regiments und ebenfalls den des Bataillons von Itzenplitz, zu »einem der besten Regimenter in der arm8e« zu gehören.320 Als Bestätigung führte Barsewisch den König an: »Und dieses war auch die Ursache warum Sr. Majestät der König uns und dem Bataillon von Iztenplitz […] diesen wichtigen Posten und ersten Angriff anvertrauten.«321 Eine Steigerung war die dem Fürsten Moritz von Dessau zugeschriebene Einschätzung, dass der König dem Regiment seine Krone und Zepter anvertrauen könne, denn wenn dieses – so unterstellt der Kontext – tapfere Regiment vor dem Feind weichen würde, sei eine Schlacht nicht zu gewinnen, und selbst der Fürst würde dann den Rückzug antreten.322 In Barsewischs Erinnerung verhielt sich seine Einheit seiner Reputation entsprechend und bestätigte und vermehrte diese in der Schlacht bei Leuthen. »Dabei hatten wir die Ehre, daß wir die drey Treffen des feindlichen linken Flügel und einen Theil Ihrer Cavallerie geschlagen hatten und vor der Menge der Feinde keinen Schritt hatten weichen dürffen.«323 Der König habe daraufhin dem Regiment öffentlich gedankt und 14 Offiziere mit dem Orden Pour le M8rite und die gemeinen Soldaten mit 1500 Thalern ausgezeichnet sowie daran erinnert, dass er dem Regiment, »welches sich bey Molwitz um Schlesien so verdient gemacht, die 318 319 320 321 322 323

Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279) S. 33. Ebd., S. 33. Ebd., S. 33f. Ebd., S. 34. Ebd., S. 34. Vgl. auch die allgemeine Würdigung nach der Schlacht bei Liegnitz, ebd., S. 116. Ebd., S. 41. Ehrentatbestände wurden gerade im Hinblick auf kriegerische Auseinandersetzung, aber auch auf das Verhalten in Friedenszeiten erwähnt. Vgl. zu ersterem Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 27; Zabeler, Nachlaß Donnersmarck (wie Anm. 280), S. 129ff.: »Diese beiden gedachten Regimenter meretiren eine besondere Distinction […]«; zu letzterem Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 33f. aber auch Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 42f.

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Erhaltung von Schlesien mehr als einmalen verdanke[n] und daß es [ihm] niemalen in Vergessenheit geraten sollte.«324 Der König verpflichtete sich mit dieser Zusage selbst zur Erinnerung. Barsewisch bewahrte beides auf: das Wissen um das Verhalten des Regiments in der Schlacht und die königliche Zusage. Mit der Aufzeichnung letzterer nahm er den König in die Pflicht, diese auch einzuhalten. Mit der Verleihung der Orden würdigte und erhöhte der König dauerhaft die bereits auf dem Schlachtfeld erworbene Ehre. Die monetären Zuwendungen hingegen waren als Wertschätzung sofort spürbar, erinnerten aber nicht über den Augenblick hinaus an das ehrenvolle Verhalten.325 An der Schlacht von Leuthen hatte Barsewisch als Frei-Korporal nur zu Beginn teilgenommen, und der König hatte ihn persönlich aufgefordert, mutig auf den gegnerischen »Verhau« zu zu marschieren.326 Kurz darauf fiel er mit der Fahne in der Hand durch einen Schuss in die Gurgel schwer verwundet.327 Die Lücke zwischen persönlichem Erleben und dem Bericht über das Regiment schloss er durch die Darstellungen seiner Kameraden.328 Ihm war es nicht nur wichtig festzuhalten, dass sein Regiment den Gegner in die Flucht geschlagen und dabei die gesamte Munition verschossen hatte, sondern er beschrieb auch die Situation, dass seine Kameraden der Anweisung des Fürsten Moritz von Dessau, ins zweite Treffen zurückzugehen, weil sie sich genug Ehre erworben hätten, mit dem Verweis darauf, dass sie keine Feiglinge seien, nicht nachgekommen seien.329 Die Rekonstruktion nicht selbst erlebter Ereignisse im Rahmen seiner eigenen Aufzeichnungen und die Erinnerung der Würdigung des 324 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 41f. Vgl. auch ebd., S. 105. 325 Vgl. das Bedauern König Friedrich II. über unzureichende Mittel: »Uns fehlen die Mittel zur Belohnung aller Offiziere, die sich ausgezeichnet haben«, Richard Dietrich, Politische Testamente der Hohenzollern, München 1981, S. 172. 326 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 31f. 327 Ebd., S. 36. 328 Ebd., S. 44: »Von der Geschichte dieser Welt berühmten Schlacht bey Leuthen oder Lissa, wie sie genannt wird, worin ich alle Merkwürdigkeiten, so mir als mithandelnde Persohn durch Tatt Sachen und dem Augenschein bekannt worden, auch welche mir als wahrhafte Begebenheiten von glaubwürdige Personen, die darinnen mit agiret haben, seint erzählet, beschrieben habe nach der Ordnung, von dieser Welt berühmten Schlacht habe ich wider meinen Willen wegen der Wichtigkeit der Sache vielleicht etwas zu weitläuftig berichtet.« 329 Ebd., S. 37: »Dieser Secours kam aber zu rechter Zeit, indem unsere 3 Bataillons sich nun föllig verfeuert und dahero keine Patronen mehr hatten. Deshalb mußten Sie sich auch im Dorff halten, um vor der nahen Cavallerie sicher zu sein. So wie der Fürst Moritz seine Grenadiere hatte aufmarschieren lassen, schrie Er zu unsern Soldaten: - ›Bursche, Ehre genug! gehet zurück im zweiten Treffen.‹ – Unsere Burschen antworteten aber : - ›wir müßten Hundsfötter sein, wann wir nun in dem zweiten Treffen gingen, Patronen her, Patronen her!‹. Zur Bedeutung des Wortes Hundsfott als Synonym für einen Menschen, der feige ist und sich nicht wehrt, vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch (Online-Version), Bd. 10, Leipzig 1854–1961, http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?bookref=10,1934,31, 13. 08. 2013, Sp. 1934.

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Regiments durch den Fürsten belegt, dass Barsewisch über seine eigenen Erfahrungen hinaus an der kollektiven Erinnerung des Regiments arbeitete. Einzelne Mitglieder konnten sich und ihr Regiment auch im Angesicht einer Niederlage – und vielleicht gerade in einer solchen Situation besonders – auszeichnen. In diesem Sinn schilderte Barsewisch sein Wohlverhalten, seine Tapferkeit und seinen Mut in der Schlacht bei Hochkirch (14. Oktober 1758). »Da aber kein Entsatz kam, wir außer dem auf einen kleinern Haufen zusammen geschmolzen: so ließ ich durch einen Soldaten 3 Fahnen, von denen die Frey Corporals und Feldwebel bereits erschossen, sammlen, und sagte zu selbigen, einem Wenden von Geburth, Nahmens Hukatz: - ›halte Dir bey mir, wir wollen die Fahnen retten.‹ – Der von Unruh und der andere von Hertzberg hatten rechts und links sich daß Commando über die Pelotons, wo von die Officiers bereits gefallen, angenommen. Da mein Capitain, von Ingersleben, so den Fahnen Zug geführet, todt und der Major von Haugwitz wegen seinen zerschossenen Arm zum Verbinden daß Schlacht-Feld hatte verlassen müssen, an welcher Wunde Er auch kurtz darauf gestorben, so war es meine Pflicht als einziger Officier bey denen Fahnen vor ihre Sicherheit zu sorgen.«330

Barsewisch postulierte in der Retrospektive für sein, aber auch für das Verhalten seiner Kameraden von Unruh und von Hertzberg die Übereinstimmung zwischen gefordertem und gelebtem persönlichen Verhalten und verankerte sich und diese als vorbildliche und pflichtbewusste Offiziere im kollektiven Gedächtnis des Regiments. Sie trugen trotz der Niederlage zur Reputation bei. Eingeschlossen in die Erinnerung wurde der namentlich genannte Soldat Hukatz, was angesichts der sonstigen Namenlosigkeit für gemeine Soldaten überrascht.331 In der weiteren Schilderung betonte Barsewisch sein und das Wohlverhalten seiner Soldaten noch mehr, indem er davon berichtete, wie sie die Fahnen des Bataillons als sichtbares Symbol der Regimentsehre mit ihrem Leben beschützten. Er zog sich mit den drei Fahnen – zwei waren verloren gegangen – und den noch überlebenden 30 Soldaten zurück, wurde aber von feindlichen Kü330 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 78f. In einem anderen Zusammenhang berichtete Barsewisch von einem Unteroffizier des Regiments, der hinter die feindlichen Linien geriet, weil er aus seinem Posten ausharrte, und seine Soldaten »mit großer Ehre« durch die feindlichen Linien wieder zum Regiment zurückbrachte, ebd., S. 175f. 331 Vgl. auch ebd., S. 85. Ein Packknecht hatte Barsewischs Gepäck gerettet und er erwähnte ihn als »Ehrenmann«. Ein anderes Verhältnis zu den einfachen Soldaten spiegelt sich in dem Bericht Lemckes wider. Dieser hatte den Ehrgeiz, Tapferes zu vollbringen, indem er feindliche Geschütze erobern wollte. Dazu trieb er seine Soldaten mit Schlägen an, aber eine Kanonenkugel zerschmetterte seinen Fuß. Als er verwundet auf dem Schlachtfeld lag, wurde er nur gegen Bezahlung mit einem seidenen Halstuch von seinen Regimentskameraden abtransportiert, die ihn aber aufgrund seiner Schmerzen dann doch liegen ließen, vgl. Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 36.

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rassieren verfolgt und bedrängt. »Die Menge war zu groß, Sie griffen uns von allen Seiten zugleich an und schrien: - ›Steh Preuße, gieb die Fahnen her.‹ – Aber meine trefflichen Burschen verlohren lieber Ihr Leben, als daß Sie Ihre noch einzigen Fahnen vom Bataillon verlassen hätten. Mein Hukatz eilte dem Holen Weg zu, wären wir uns fechtend zurückzogen.«332 Schließlich gelangte Barsewisch mit den Fahnen und den übriggebliebenen 15 Mann zum König. Im Kontext der wiedergegebenen Unterhaltung zwischen ihm und dem König scheint es letzterem mehr um den Verbleib der anderen Fahnen, die allegorisch für die Truppe standen, als um die gefallenen Soldaten gegangen zu sein: denn auf die Frage, wo die anderen seien, antwortete Barsewisch zum einen, dass die anderen gefangen worden seien und meinte damit wohl die Fahnen, und zum anderen, dass die wenigen Soldaten, die ihn begleiteten, der Rest der ursprünglichen Mannschaft wären.333 Der wiedergegebene Dialog zwischen Verfasser und König und die gesamte Ereigniskette unterstreichen, welche große gelebte und verinnerlichte identitätsstiftende Symbolkraft die Fahnen für ein Regiment hatten. Indem Barsewisch diese Begebenheit in die Erinnerung aufnahm, betonte er im Sinne der Selbstbestätigung und -vergewisserung die Kongruenz zwischen dem Ruf des Regiments und seinen Taten.334 Der Einzelne war dabei Teil der Gemeinschaft und hatte mittelbaren Einfluss auf die positiven Zuschreibungen.335 332 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 46. Vgl. auch ebd., S. 169ff. 333 Ebd., S. 47f. Zur Bedeutung der Fahnen vgl. auch S. 142f. 334 Einzelne, die sich hervorgetan hatten, wurden auch unabhängig von ihrer Regimentsangehörigkeit erinnert. Vgl. beispielsweise die Ausführung über »eine außerordentliche heroische That eines Preußischen Husaren Cornet vom Zieten’schen Regiment, Nahmens von Quernheim«, ebd., S. 42f. Ebenso über den »Helden Muth eines Lieutenant von Rohr vom Regiment Printz von Preußen, so bey die Grenadier stand […]«. Dieser schützte mit wenigen Soldaten eine Brücke, über die der Abzug erfolgte, ebd., S. 83. Ebenso Dreyer, der über den General Fouqu8 und den Tod des Feldmarschalls Schwerin berichtete, Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 35f. u. 61. 335 Im Vergleich zu den Aufzeichnungen einfacher Soldaten sind Unterschiede feststellbar. So fehlt in den Aufzeichnungen der Soldaten die starke Betonung von Ehre, Ruhm und Tapferkeit als Hauptmotiv für kriegerisches Handeln. Vielmehr gehen sie hauptsächlich auf die Beschwerlichkeiten des Alltags ein. In den Schilderungen Ulrich Bräkers finden sich beispielsweise keine Hinweise auf Ehre, Ruhm, Tapferkeit und Mut. Vielmehr schilderte er seine Existenznöte, seine Angst und seine Überlegungen, wie er wieder in seine Heimat zurückkehren kann. Seine Desertion bereits in der ersten Schlacht belegt, dass er sich diesen Werten nicht verpflichtet fühlte. Vgl. Bräker, Lebensgeschichte (wie Anm. 280), S. 92–118. Dreyer scheint eine Ausnahme darzustellen, jedoch schrieb dieser mit dem Rückblick auf die Niederlage von 1806. Vgl. Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 20: »[…] Dazu kam noch eine große Ehrliebe, selbst in dem gemeinen Soldaten, welche der alte König dadurch hervorgebracht hatte, daß er die Soldaten allen andern Ständen vorzog.« Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Soldaten eigene Ehrvorstellungen kannten. Vgl. Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 166: »Wie die Offiziere kannten auch die Soldaten Gruppensolidarität und Ehrvorstellungen, die die Zumutungen des adeligen hierarchischen

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Der Umgang mit Niederlagen und Fehlverhalten Anders gingen die Verfasser mit Vorfällen und Ereignissen um, die nicht geeignet waren, das Ansehen des Regiments zu steigern. Indem negative Tatsachen wie Niederlagen als »Unglück« definiert wurden, konnten im Zusammenhang stehende eigene Handlungen einer weitergehenden Bewertung und Beurteilung und damit einer kausalen Verantwortung entzogen werden.336 Damit war es den Verfassern möglich, negative und wenig ehrenvolle Ereignisse und Handlungen in die Aufzeichnungen aufzunehmen, ohne gleichzeitig die positiven Eigenschaften des Regiments zu mindern. Ein weiterer Vorteil lag vermutlich für die Autoren in einer höheren Glaubwürdigkeit ihrer schriftlichen Überlieferungen, da die Niederlagen durch die zeitgenössischen Schilderungen bekannt gewesen waren und ein Verschweigen derselben eher Nachteile denn Vorteile mit sich gebracht haben dürfte.337 Dieses Interpretament war Teil der erkennbaren Rechtfertigungstendenzen bei Niederlagen und verhielt sich komplementär zu den Schilderungen von Tapferkeit, Ruhm und Ehre: Negatives wurde durch die Interpretation als »Unglück« der Verantwortung entzogen, Positives war hingegen Ergebnis eines aktiven, tapferen Handelns. Im Bericht über die Niederlage der Schlacht bei Hochkirch griff Barsewisch auf dieses Interpretationsmuster zurück. So sei das Standlager »das unglückliche von Hochkirch« gewesen. »Hier wurde unser Regiment und mit ihm auch ich zum ersten aber auch zum letzten mahle vom Feinde geschlagen.«338 Die ›Schmach‹ Zugriffs einerseits begrenzten, andererseits die Funktionstüchtigkeit des Militärs erst möglich machten. Alter und Kriegserfahrung hoben Einzelne aus der Menge heraus, verschafften ihnen informelle Autorität.« 336 Vgl. ders., Unglück (wie Anm. 63), insbesondere S. 340f. u. 347: »Die massive Präsenz dieser beiden Adjektive [»unglücklich« und »traurig«, Anm. FZ] weist auf eine geformte Erinnerung hin, auf eine Sprachnorm, die die Katastrophe zugleich benannte und verdeckte, die auf einen Bruch hinwies und ihn zugleich übertünchte.« »Glück« stellt als Interpretament eine Ausnahme dar. Im Rückblick auf die Schlacht von Leuthen hatte aus Sicht Barsewischs »unser Regiment […] das Glück, daß wir nur 100 Todte auf dem Platz und 300 Blessirte darunter 7 Officiers verlohren«, Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 21f. - Glück bzw. Unglück hat in diesen Zusammenhängen häufig die Bedeutung eines vom Schicksal vorbestimmten Zustandes, der positiv bzw. negativ für den Betroffenen sein kann. Vgl. auch S. 59. 337 Vgl. die ähnliche Einschätzung für Veröffentlichungen durch den König bei Luh, Der Große (wie Anm. 52), S. 85. 338 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 38. Im Verlauf seiner Erinnerungen nahm Barsewisch auch Bezug auf die Niederlage von Maxen und bezeichnete die Nachricht über diese als »unglücklich«. Darüber hinaus überlieferte er auch den Fehler des Generallieutenants von Finck, der sich nicht ausreichend vorgesehen habe, ebd., S. 95. Im Vergleich gab Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 74ff. keine Begründung für die verlorene Schlacht an. – Vgl. die ähnliche Verwendung des Interpretaments »Unglück«: Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280), S. 57; Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 38; Hülsen über die Niederlage bei Groß-Jägersdorf: »Unsere Truppen waren tapfer, denn sie fochten für ihren eigenen Heerd und ihre Wohlfahrt. Schon hatten wir nun

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der Niederlage empfand nicht nur das Regiment sondern Barsewisch selbst. Bereits am Beginn der Schilderung machte er deutlich, dass er in seinen Kriegserinnerungen nur von dieser einen Niederlage berichtet, weil es zugleich seine erste und letzte gewesen sei, und stellte ihr die Siege gegenüber. Direkt im Anschluss an diese Aussage ging er dazu über, die Niederlage selbst zu relativieren und seine Autorität und Authentizität als Augenzeuge zu betonen. »Ich will erstlich mein Erlebniß im Lager, als dann die Situation des Terrains und der Gegend, nach hero den Verfolg der Schlacht beschreiben und zwar letztere so deutlich, wie mir möglich als wirklicher Augenzeuge und als mithandelnde Persohn.«339 Es folgt eine detaillierte Darstellung: Der Gegner habe eine Schanze durch einen Coup erobert, stetig frische Truppen herangeführt und eine bessere Stellung in der Schlacht gehabt. Die eigenen Truppen seien dem gegnerischen Kartätschenbeschuss schutzlos ausgeliefert gewesen, und zudem habe im weiteren Verlauf der Schlacht Munitionsmangel geherrscht. Die eigenen Truppen hätten trotzdem tapfer gekämpft und große Verluste hinnehmen müssen, aber nicht die Vorteile des Gegners überwinden können. In der Summe wurde durch diese ausführliche Darstellung das »Unglück« konkretisiert und die Niederlage relativiert.340 Letzteres erfolgte auch durch die Bewertung ihrer Folgen für den weiteren Kriegsverlauf. Diese seien unbedeutend gewesen, weil der Gegner den potentiellen Erfolg – auch in Hinblick auf dessen Verluste – nicht genutzt habe. Im Übrigen sei der Erfolg im Vergleich zu anderen des Gegners eher marginal, so dass dieser »niemalen recht gerühmt« werden würde.341 Damit wurde das Ende der Erinnerungskultur des Gegners gleichsam postuliert. Im Ergebnis wurde mit dieser Argumentation die eigene Niederlage als »Unglück« in der Retrospektive umgedeutet, so dass die Beteiligung des Regiments daran die Eigenwahrnehmung desselben nicht erschütterte und die Niederlage Teil der Regimentserineinen Flügel der Russen gänzlich geschlagen, viele Kanonen erobert, und ihre Kavallerie über den Haufen geworfen, als uns auf einmal der Sieg entrisen ward. – Schrecklicher Zufall, den ich nie vergesse!«, Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 44. 339 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 38. 340 Ebd., S. 38f., 73 u. 78. Vgl. ebenso die Rechtfertigungstendenzen bei Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280), S. 53 über die Niederlage bei Kolin oder die bei Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 62. Vgl. auch das bewusste Ignorieren der Niederlage in der Schilderung Dreyers: »So ging es auch nach der Schlacht von Collin, wir thaten, als wenn wir sie gewonnen hätten«, ebd., S. 38. 341 Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 84: »Der Feind hat sich dieser Schlacht, wie er Sie nannte, niemalen recht gerühmt, indem er über 12 tausend Todte auf dem Platz gelassen und über 6 tausend Verwundete gehabt, da Ihm unsere Cavallerie gleich im Anfang 6 Regimenter föllig zu Grunde gerichtet und bey dem zweiten Angriff 3 Bataillons gäntzlich niedergemacht, ohne waß von unserer 6 stündigen Canonade und kleinen Gewehr Feuer auf der Stelle geblieben. […] Der Feind eroberte 120 Canonen, da er aber durch der Geistes Gegenwart unseres Monarchen seinen Sieg nicht verfolgen konnte, so war unser Verlust gegen den Vortheil, so wir bey Leuten erhalten, unbeträglich und der Feind mußte sich mit der Wahl Statt begnügen.«

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nerung sein konnte.342 Vielmehr konnte sich die Identität des Regiments auch auf das gemeinsame Erleben und Überleben einer Niederlage gründen.343 Anders verhielt es sich mit dem Ansehen einer Person bei individuellem Fehlverhalten, wie ein Vorfall während der Schlacht bei Hochkirch belegt: »Um 11 Uhr fing unsere Sache an, übel zu werden. […] Da wollte ein Frey Corporal von einer bekannten Familie, so ich nicht nennen werde, mit der Fahne zuerst die Flucht ergreifen; ich ward Ihm gewahr und brachte Ihn mit einigen Fuchteln wiederum auf seinen Platz.«344 Dieses Beispiel zeigt, dass ein Offizier und Offizieranwärter auch im Angesicht des wahrscheinlichen Todes die Verantwortung hatte, Vorbild zu sein – zumal ein Frei-Korporal als Träger der Fahne außerordentlichen Mut beweisen musste da die Fahne als sichtbares Symbol des Regiments in der Schlacht besonders gefährdet und deshalb wiederum so bedeutungsbeladen war. Einen Vergleichsmaßstab schaffte der Verfasser durch die Schilderung seiner eigenen Tapferkeit als Frei-Korporal.345 Die Schande des Einzelnen, der gegen den Verhaltenskodex eines Offiziers verstieß, wurde erinnert, jedoch wurde die vermutungsweise adlige Familie durch Verschweigen des Namens geschützt.346 Während also eine Niederlage nicht der Selbstachtung des Regiments schadete, wurde dem Einzelnen sein Fehlverhalten, mit dem er möglicherweise seinen Teil zum Gesamtereignis ›Niederlage‹ beitrug, als Schande zugerechnet und als solche eher in die kollektive Erinnerung aufge342 Barsewisch urteilte ebenso wenig über andere Regimenter. So berichtete er von einem Ausfall des Gegners aus Dresden am 21. Juli 1760, den das Infanterie-Regiment Nr. 3 nicht ausreichend abwehrte und deshalb kollektiv vom König bestraft wurde. Sein eigenes Regiment hatte einen Tag zuvor einen solchen Ausfall abgewehrt: »Bey diesem nächtlichen Ausfall am 19ten [Juli 1760] hatte der Feind 300 Mann Todte auf dem Platz zurück gelassen. Es kann dahero leichtlich ersehen werden, daß sich unser Bataillon bey dem Angriff von 4 tausend Feinden gantz vortrefflich geschlagen und wir Sie unserer beengten und schlechten Stellung ohnerachtet wie rechtschaffene Soldaten empfangen und zurückgetrieben hatten. [… ] Den 21. July versuchte der Feind abermahl einen Ausfall, ruinirte daß Anhalt’sche Regiment in denen Approchen, wurde aber bey dem heran rückenden Secours, so Sr. Majestät in höchster Person anführten, mit Verlust von 10 Officiers und 11 hundert Gefangenen nebst einem General wiederum in die Stadt zurückgetrieben«, Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 105. Vgl. auch S. 57f. 343 Letzteres gilt ebenso für siegreiche Schlachten, da auch in diesen die Verluste sehr hoch sein konnten. 344 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279) S. 45f. 345 Vgl. S. 99. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war er selbst Fähnrich, ebd., S. 74. 346 Vgl. Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 28: »Ich kroch also auf allen vieren hinter einen Berg, wo ich mit der größten Verwunderung viele Offiziers und Unteroffiziers antraf, welche teils blessiert waren und die mehrsten auch nur Schutz suchten. Unter anderen der Feldwebel von der Leibkompagnie, dessen Namen ich nicht nennen mag, weil er nachhero noch Kriegsrat geworden. Dieser lag bei mir und klagte sehr, er wäre in den Plattfuß geschossen; wie aber die Bataille gewonnen war, war er gesund und munterer als die andern, denn er hatte sich nur ausgeruht.« Vgl. auch Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 46f.; Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 43; Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 57.

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nommen.347 Barsewisch verwandte den Begriff der Schande als Gegenpol zum Begriff der Ehre.348 In der Schilderung einer anderen Auseinandersetzung verzichtete er jedoch angesichts der erfolgreichen Abwehr des Gegners darauf, die Schande einzelner Soldaten oder Offiziere aufzulisten, »da es aber nicht nöthig ist und der Feind von uns muthig zurückgetrieben worden, so sei nur des Ehren Punktes und der tapferen gebliebenen Officiers und Soldaten gedacht.«349 Diente das erste Beispiel noch als Hintergrund für die herauszustellende Tapferkeit Barsewischs, wurde im zweiten Beispiel nur auf das Wissen um die Schande des Einzelnen hingewiesen, aber der Sachverhalt nicht vertieft. Es liegt nahe, dass das Wissen über das Fehlverhalten einzelner Mitglieder Teil des kommunikativen Gedächtnisses des Regiments wurde und bei Überschreiten gewisser Grenzen auch Eingang in die schriftlichen Aufzeichnungen fand. Ansätze von Kritik Die Erinnerung des Fehlverhaltens Einzelner verweist bereits auf Kritik als einen weiteren Schwerpunkt hin, welche die Verfasser über manche militärische Entscheidungen äußerten. Kritische Passagen finden sich vor allem in den Aufzeichnungen von Personen, die dem Umfeld des Prinzen Heinrich von Preußen zuzurechnen sind.350 Auch Barsewisch kommentierte und relativierte 347 Vgl. die Berichte über Desertion, Revolte und Bestrafung. Scheelen berichtete beispielsweise für das Jahr 1755, dass ein Major Trenck, der mal als Cornet beim Regiment Garde du Corps gestanden hätte, mit drei weiteren aus Glatz desertierte, in Danzig aufgegriffen und schließlich in Magdeburg eingemauert worden sei, Großer Generalstab, Tagebücher (wie Anm. 280), S. 38. In einem weiteren Eintrag erwähnte er die Hinrichtung eines Soldaten, der einen Unteroffizier erschossen hätte und deswegen nach Verhör und Kriegsrecht besonders langsam hingerichtet worden sei, um die Abschreckung zu erhöhen, ebd., S. 40. Major von Bornstädt berichtete von einer Revolte seines Bataillons und des Oldenburgischen Regiments am 28. Mai 1757. Er habe zwei erschossen, sechs verwundet und 22 eingefangen. Am 11. Juni hätte die Exekution stattgefunden, »wobey der Unteroffizier Kiritz gerädert und ihm die Zunge aus dem Halse geschnitten worden, wie ich denn auch drey Grenadiers von den Revolteurs hängen ließ«, Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 4 (wie Anm. 222), S. 13f. 348 Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 104: »[…] überzeugt daß mein Leben in Gottes Hand sei, daß Er es mir auf meinem Posten erhalten und beym Zurückgehen nehmen könne, daß ersteres mir Ehre, letzteres Schande bringen würde« sowie ebd., S. 105: »Ich behaupte noch weiter, daß zu einer Action in der Nacht ungleich viel mehr Hertzhaftigkeit gehöret als am Tage, indem, wann sich Poltrons unter den Truppen befinden, selbige wegen der Dunkelheit der Nacht von denen Vorgesetzten nicht können zu ihrer Schuldigkeit angehalten werden, sich auch entfernen können, ohne sich vor der Schande fürchten zu brauchen.« 349 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279) S. 105. 350 Siehe Jany, Das Gaudische Journal des Siebenjährigen (wie Anm. 275), S. 3 über Friedrich Wilhelm Ernst Freiherr von Gaudi: »Er war im Regiment des Prinzen Heinrich groß geworden, der, wie bekannt, der Politik und Heerführerschaft seines Bruders kritisch gegenüberstand. Gaudi hatte Beziehungen zu ihm auch später unterhalten, er wurde also von

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zugleich eine militärische Entscheidung, nachdem er mit Prinz Heinrich von Preußen das Schlachtfeld nach der Schlacht bei Freiberg 1762 besichtigte. Er hielt rückblickend fest: vielen modernen Kritikern einfach zu dem ›Prinzenkreise‹ gezählt und mit ihm verurtheilt, obwohl sich dieser Begriff in seiner vieldeutigen Unbestimmtheit mehr für den Geschichtsroman als für die Wissenschaft zu eignen scheint.« Gaudis Kommentare in seinem Journal des Siebenjährigen Krieges sind von Kritik an den militärischen Entscheidungen geprägt. Vgl. beispielsweise Gaudi, Journal, Bd. 2 (wie Anm. 280), S. 196f.: »Es war der Verlust dieser Bataille die erste Wunde von dieser Art und folglich überaus schmerzhaft. Bis hierher hatte der König seine Feinde, wo er sie nur angetroffen hatte. geschlagen. Und nun empfand er zum ersten Mahl die Widerwärtigkeit des Glücks im Kriege und zwar auf eine um so mehr empfindliche Art, da es hier nicht allein auf den Verlust einer Bataille, sondern auf die Zerrüttung so vieler anderen grossen Projecte ankam, mit deren gewissen Erfüllung man sich öfters und nicht ohne Grund geschmeichelt hatte. Er war auch von Gram und Verdruss so mitgenommen, dass er in einigen Tagen nicht zu sich selbst kommen konnte; und vermuthlich kam zu dem erlittenen Unglück die Ueberzeugung, sich selbiges durch seine eigene Schuld und gegen anderer Leute Vorstellungen zugezogen zu haben. […]. Ungeduld und Verachtung gegen diesen Feind brachten uns ins Unglück, denn die unumgängliche Nothwendigkeit, ihn aufzusuchen und anzugreifen, war in Rücksicht auf die andere, die gegen uns anrückten, noch nicht da, sondern, wie auch die Folge zeigte, noch Zeit genung, sich ihnen zu widersetzen. Mit wie viel besserem Nachdruck wären wir dazu nicht im Stande gewesen, wenn wir zuvor Geduld genung gehabt hätten Prag in unsere Gewalt zu bekommen?« Vgl. auch ebd., S. 185 oder Friedrich Wilhelm Ernst Frhr. von Gaudi, Journal vom Siebenjährigen Kriege 1756, in: Forschungen und Studien zur Fridericianischen Zeit, Bd. 1, hrsg. von Jürgen Ziechmann, Buchholz 1996, S. 97. Zum Wert der Informationen, siehe Jany, Das Gaudische Journal des Siebenjährigen (wie Anm. 275), S. 43ff. über die Schlacht bei Kolin: »Kein anderer Abschnitt des Gaudischen Journals hat in solchem Maße beigetragen, das Vertrauen in den Quellenwerth seiner Angaben zu erschüttern. […] Hier wurde nun im Gegensatze zu den älteren Geschichtsschreibern des Krieges, auch zu der im Jahre 1788 mit der Veröffentlichung der Oeuvres bekannt gewordenen Schilderung des Königs, die Schuld an der preußischen Niederlage auf diesen selbst geschoben. […] Die ältere Auffassung, wie sie selbst von Darstellern getheilt wird, die eine ausgesprochen feindselige Haltung gegen den König einnehmen, z. B. Graf Henckel, schrieb dagegen gerade dem Fürsten Moritz die Schuld an dem gegen die Absicht des Königs erfolgten Frontalangriff zu.« Exemplarisch Zabeler, Nachlaß Donnersmarck (wie Anm. 280), S. 327: »Von Seiten des Kommandanten [Generalleutnant von Rochow, Anm. FZ] waren unverzeihliche Fehler begangen worden.« oder S. 330: »Dieses versetzte den König in außerordentlich gute Laune, denn für diesen Fall war eine Schlacht beschlossen. […] So ist denn die Schlachtgrille abermals aufgetaucht, ohne einen einzigen Grund zu haben, der einen guten General zum Schlagen bestimmen könnte. Verlieren wir eine Schlacht, so verlieren wir immer viel, ohne durch den Gewinn einer solchen mehr zu profitiren, als die Festhaltung Leipzigs, was uns nach der letzten Contribution gar nicht mehr von großer Wichtigkeit sein kann, da der König versprochen hat, daß diese die letzte gewesen sein solle.« Vgl. auch S. 78 sowie die eher grundsätzlichen und zugleich kritischen Schriften des Generalfeldmarschalls Kurt Christopher von Schwerin (1684-1757) und des Generalleutnants Friedrich August von Fink (1718–1766) bei Jürgen Kloosterhuis, Kritik vor der Krise. »Gedanken über militärische Gegenstände« zweier preußischer Generale vor und nach dem Siebenjährigen Krieg, in: Jürgen Kloosterhuis, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Krise, Reformen – und Finanzen: Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Beiheft, Berlin 2009, S. 129–138.

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»Es war deutlich zu ersehen, daß wenn wir nur mit 3 Bataillons die Höhen an der rothen Furth besetzet gehabt, so würde der Rest der Kayserlichen Armee in unsere Gefangenschaft gerathen sein. Da es schon unter gewöhnlichen Verhältnissen fast unmöglich ist für den commandirenden General überall anzuordnen und gegenwärtig zu sein, so war es in der Schlacht von Freyberg noch viel weniger möglich, da wir mehr en detail als geschlossen agirten und daß Terrain allenthalben mit Gehöltz und Anhöhen durchschnitten war, kein Wunder, wenn die Uebersicht verlohren geht und Unterlassungen von der größten Wichtigkeit vorkommen. Diese Verhältnisse, so Niemand von unserer Seite zur Last fallen konnten, verminderten die Vortheile unseres Sieges, wenn gleich sie ungeheuer waren, und geriethen dem Feinde zum Vortheil. Dieser Sieg, in so wenigen Stunden erfochten, verursachte eine ungemeine Freude, vertrieb den Feind vor Beginn des Winters föllig aus dem Felde und was noch mehr war, war der letzte vor dem Schlusse des Friedens, wodurch ihm ein besonderes Andenken gesichert bleiben wird.«351

In der Retrospektive kritisierte Barsewisch die verlorene Übersicht und die daraus folgenden Unterlassungen des kommandierenden Generals. Die anklingende Kritik milderte der Verfasser aber sogleich durch den Hinweis auf die Tatsache, dass diese Schlacht siegreich und die letzte des Krieges war, ab. Mit der Betonung der besonderen Erinnerungswürdigkeit des Sieges in der Schlacht bei Freiberg, »wodurch ihm [dem Sieg, Anm. FZ] ein besonderes Andenken gesichert bleiben wird«, akzentuierte Barsewisch unabhängig von der zuvor angedeuteten Kritik die Interpretation der Vergangenheit durch die Nachwelt, indem er sie strukturierte und Prioritäten vorgab. Da Kritik eher verdeckt bzw. nicht öffentlich geübt wurde, besaß der König unabhängig von seinem Anspruch die Deutungshoheit über die Vergangenheit. Die Rolle des Königs in der Erinnerung Eine besondere Rolle nahm der König in der Aufzeichnung Barsewischs ein. Nicht nur in dem Anspruch, den Erinnerungen des Königs die eigenen flankierend zur Seite zu stellen, sondern auch in der Darstellung der Beziehung König – Regiment wurde die Bedeutung des Königs für die Erinnerungsstiftung herausgestellt. Zwar stellten die eigenen schriftlich fixierten Erinnerungen den alleinigen Erinnerungsanspruch des Königs gewissermaßen in Frage, aber der König war zugleich fester Bestandteil der Regimentserinnerung, weil ein besonderes Vertrauensverhältnis des Königs zum Regiment unterstellt bzw. herausgestellt werden konnte.352 Eine dadurch suggerierte oder auch wirkliche ›Königsnähe‹ konnte maßgeblich über das Ansehen eines Regiments entscheiden und war deshalb für die Erinnerungen wichtig. 351 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 189f. Vgl. auch S. 102, Anm. 338. 352 Dabei ist davon auszugehen, dass der König während einer Schlacht in der Nähe mehrerer Regimenter und nicht nur eines bestimmten stand.

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Beispielsweise hatte sich der König in der Schlacht bei Leuthen über Barsewisch hinaus auch an die Soldaten gewandt: »Burschen sehet Ihr dortten wohl die Weißröcke? die sollt Ihr aus der Schanze wegjagen, Ihr müßt nur stark auf Sie anmarschiren, und Sie mit dem Bayonet daraus vertreiben, Ich will Euch alsdann mit 5 Grenadier Bataillons und der ganzen Armee unterstützen. Hier heißt es Siegen oder Sterben, for Euch habt Ihr dem Feind und hinter Euch die ganze Armee, daß Ihr also auf keiner Seite zurück oder vorwärts anders als Siegend Platz findet. […]«353

Da im Ergebnis das Regiment genau der Aufforderung des Königs entsprach, erwarb es sich Ehre. In einem anderen Zusammenhang führte der Verfasser aus, dass die Gegenwart des Königs nicht unerheblich dazu beigetragen hätte, dass die eigene Truppe standhaft geblieben sei.354 Dabei habe der König selbst sehen können, wie viele tapfere Soldaten und Offiziere durch das gegnerische Feuer gefallen seien. Die Erinnerung an den König gewann hier eine doppelte Bedeutung: einerseits wies sie auf die Motivation durch den König hin, andererseits wurde dieser offen als Zeuge für die eigene Tapferkeit benannt, so dass für zweifelnde oder hinterfragende Einwände kein Raum blieb. Ebenso dienten die Disposition des Regiments in der Schlacht, die anschließende Auszeichnung der Offiziere sowie der öffentliche Dank und die Verpflichtung des Königs, sich dessen Taten zu erinnern, als Argumente für das besondere Vertrauen und die außerordentliche Reputation des Regiments.355 Die dem König zugeschriebenen fürsorglichen und anerkennenden Worte sollten dies unterstreichen:

353 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 32. Vgl. auch S. 98. 354 Ebd., S. 74f. 355 Vgl. die Schilderung Barsewischs über die Disposition des Regiments in der Schlacht sowie die Auszeichnung der Offiziere und den öffentlichen Dank des Königs, S. 98f. Vgl. hinsichtlich der öffentlichen Auszeichnung auch: Zabeler, Nachlaß Donnersmarck (wie Anm. 280), S. 101: »Se. Majestät dictirten Folgendes bei der Parole: Se. Königl. Majestät können nicht unterlassen Ihre Zufriedenheit an Dero gesammte Officiers über die von ihnen bei Hohenfriedberg auf ’s Neue wieder gegebenene Proben von Dero besondern Courage, Geschicklichkeit und klugen Betragen zu geben. Das Lob, das sich alle hohen und niedern Officiers bei dieser Gelegenheit erworben haben, wird vom Feinde selber zugestanden und in keinen Zeiten verlöschen. Da aber Ihre Majestät bekannt ist, daß die Lust zur wahren Ehre und die Ambition der vornehmste Affect Ihrer Officiers sei, so sind Sie der Meinung, daß Sie in keinem Stücke Ihre Zufriedenheit mehr an den Tag legen können, als durch eine extraordinaire Promotion, obzwar nicht alle Officiers mit betrifft, welche verdient hätten, Theil daran zu nehmen, so versprechen Se. Königl. Majestät denen andern ingleichen auf andere Weise Zeichen Ihrer höchsten Zufriedenheit zu geben, und recommandiren anbei allen und jedem Officier den Ruhm der Preußischen Nation und Waffen, den wir durch so viel Blut erworben haben, beständig zu Herzen zu behalten und forthin gegen den Hochmuth unrechtmäßiger Feinde auf solche Art zu behaupten, daß sie bei allen Gelegenheiten zu erfahren kriegen, daß sie mit denen Preußen zu thun haben, welche sich bei Hohenfriedberg einen unsterblichen Ruhm erworben haben.«

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»Auch sagte Sr. Majestät zu dem Regimente, als wir in der Nacht vom 5ten zum 6ten Decembrs in der Nähe eines Dorfes auf der Wahl Statt fanden, und an uns vorbey ritten: ›Bursche, Ihr dürfft nicht naß werden, Ihr habt Euch heute besonders hervorgethan, trettet in die Gebäude, da werdet Ihr Schutz finden vor dem Schnee Wetter.‹ – Die gantze übrige Armee mußte wegen der Menge deß zerstreuten Feindes unter freiem Himmel bleiben.«356

Das Regiment genoss somit ein Privileg vor anderen Regimentern. Obwohl es sich im Vergleich zu Ordensverleihungen und Beförderungen lediglich um eine Übernachtung im Trockenen handelt, wurde diese Episode Teil der Regimentserinnerung. Auf der Erzählebene, d. h. in der rückblickenden Betrachtung der Vergangenheit wurden die Ereignisse sinnstiftend interpretiert; erst die Auswahl und die Art und Weise der Darstellung der Ereignisse und ihrer Einordnung zeichneten das Regiment aus. Auch über den unmittelbaren Bezug zur eigenen Person oder zum Regiment hinaus war königliches Handeln erinnerungswürdig. Barsewisch erwähnte beispielsweise die »Parchwitzer Rede« des Königs vor der Schlacht bei Leuthen. In dieser grundsätzlichen Rede hatte der König seine Truppen auf diese Schlacht eingeschworen, indem er Auszeichnungen, Ehre und Geld versprach: dem Offizier, der als erster die feindliche Schanze ersteigen würde, den Orden Pour le M8rite, den Unteroffizieren und den Gemeinen aber die Beförderung und für die Eroberung einer Kanone 100 Dukaten. Darüber hinaus hatte er seiner Armee das Vertrauen ausgesprochen, dass diese »dem Feind entgegen marschiren würden, und Ihn zu überwinden und zu Siegen, oder zu Sterben«.357 Mit der Wiedergabe der Rede reihte Barsewisch sich und sein Regiment in die Armee des Königs ein, um zugleich an dem in der Schlacht erworbenen Ruhm Anteil zu haben und diesen auch den Nachkommen zu verkünden.

356 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 21f. 357 Ebd., S. 25. Zur Bedeutung der Parchwitzer Rede, vgl. Reinhold Koser, Vor und nach der Schlacht bei Leuthen. Die Parchwitzer Rede und der Abend im Lissaer Schloß, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 1 (1888); Bernhard Kroener, Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlachtordnung« Leuthen, 5. Dezember 1757, in: Stig Förster (Hrsg.), Die Schlachten der Weltgeschichte: von Salamis bis Sinai, München 2001. Vgl. die Anreize, die bereits im Reglement gegeben wurden: Reglement vor die königl. preussische Infanterie, worinn enthalten: die Evolutions, das Manual und die Chargirung, und wie der Dienst im Felde und in der Garnison geschehen soll, auch wornach die sämtliche Officiers sich sonst zu verhalten haben. Desgleichen wie viel an Tractament bezahlet und darvon abgezogen wird, auch wie die Mundirung gemachet werden soll. Ordnung halber in XII. Theile, ein jeder Theil in gewissen Tituls, ein jeder Titul in gewisse Articels abgefasset, Berlin 1750, http://books.google.de/books?id=sPM136S2-68C, 01. 05. 2014, S. 274.

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›Merk-würdiges‹ Neben den Berichten mit Königsbezug überliefern die Aufzeichnungen auch Sachverhalte, deren Funktion und Aussage sich nicht unmittelbar erschließen. Es ist anzunehmen, dass solche Episoden auch deshalb Eingang in die Aufzeichnungen fanden, weil sie als ›merk-würdig‹ im eigentlichen Wortsinn empfunden wurden.358 Dazu zählten Vorkommnisse, die den Regiments- und Kriegsalltag durchbrachen oder die einen tiefen Eindruck hinterlassen hatten und die aus Sicht der Verfasser wert waren, auch von den Nachkommen erinnert zu werden. Da auch andere Verfasser solche Angaben machten, kann man darauf schließen, dass sie eine besondere Funktion für die Rekonstruktion der Vergangenheit hatten.359 Der Tod des Feldmarschalls Schwerin in der Schlacht von Prag (7. Mai 1757) war ein Ereignis, über welches beispielsweise sowohl der nichtadlige Dreyer als auch Lemcke berichteten.360 Laut deren Aufzeichnungen fiel Schwerin in der Schlacht, als er mit der Fahne in der Hand vorwärts stürmte. Carl Wilhelm von Hülsen nahm in seinem Bericht über die Niederlage bei Groß-Jägersdorf (30. August 1757) Bezug darauf und verglich den Feldmarschall Lehwaldt mit Schwerin: »Der Feldmarschall nahm nun, wie Graf Schwerin vor Prag, eine Fahne, um die Flüchtlinge wieder ins Feuer zu führen. Aber er hatte nicht Schwerin’s Glück! – Man konnte nicht tapferer sein, als es der Feldmarschall war, und man liebte ihn, aber man fürchtete ihn nicht. – In der Schlacht aber muß beides, Liebe und Furcht, dem Feldherrn nicht fehlen. So nutzte Lewald’s Tapferkeit ihm nichts, und wir flüchteten bis in das Lager von Wilkendorf.«361

Die Tapferkeit Schwerins in der Schlacht, die durch seinen Tod in derselben Schlacht geeignet war, zur Legende zu werden, wurde zum Vorbild und damit zum Vergleichsmaßstab für die Bewertung von anderen Taten.362 Besonders brannten sich den Offizieren und Soldaten die Präsenz des Todes und die zum Teil geringen Überlebenschancen ins Gedächtnis ein. Barsewisch schilderte die Gefahren, den ironischen Umgang mit denselben und die unterschwellige Tapferkeit, aber auch den Tod eines befreundeten Offiziers in der Schlacht bei Hochkirch, der ihn völlig unerwartet traf und erschütterte. 358 Vgl. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 5. 359 Beispielsweise ist der Trauerflor der Offiziere beim Tod der Königinmutter oder des Bruders des Königs zu nennen, die entweder überragende Bedeutung für die Armee oder so ungewöhnlich waren, dass sie von den Angehörigen der Regimenter diskutiert und in Erinnerung behalten wurden. Vgl. Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 22 u. S. 37. 360 Vgl. Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 61 sowie die Nachricht über seinen Tod, S. 35. Ebenso Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 27. 361 Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 45. Vgl. auch ebd., S. 57f. Dieser Eintrag Hülsens ist ein Hinweis darauf, dass seine Aufzeichnungen auch regimentsbezogen waren. 362 Vgl. S. 185 u. 203.

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»Ich vor meinen Theil hatte die Ehre zu Anfang des Treffens, daß mir nahe über dem Kopfe forne durch der Spitze des Huthes eine Flinten Kugel drang und nicht lange darauff eine zweite durch die Große Krempe der linken Seite des Huthes der Art, daß mir dieser vom Kopfe fiel. Ich sagte zu die von Hertzberg [Brüder, Anm. FZ], so nicht weit von mir standen: ›Meine Herren, soll ich den Huth wieder aufsetzen, den die Kayserlichen sogerne haben wollen?‹ – ›ja freilich – sagten sie – der Huth macht Dir Ehre‹ – Der älteste von Hertzberg nahm seine Schnupftabacks Dose in der Hand und sagte: - ›Meine Herren, nehmen Sie eine Priese Contenance.‹ – Ich trat also herzu, nahm meine Prise und sagte: ›Ja, hier haben wir Contenance nöthig.‹ – Der von Unruh folgte mir und der Bruder des von Hertzberg, der Jüngste, nahm die letzte Priese. So wie der älteste von Hertzberg seine Prise aus der Dose genommen hatte und solche nach der Nase führete, so kam eine Mosqueten Kugel und fuhr Ihm gerade oben in die Stirn. Ich stand dicht bei Ihm, sah Ihn an, - er schrie laut: - ›HErr Jesu‹ – drehte sich um und fiel todt zur Erde. – Dieser Fall verursachte eine außerordentliche Impression bey mir, obgleich ich vorhero meinen Major, viele tapfere Soldaten, und sogar daß Pferd meines Monarchen hatte verwundet gesehen, mir mein Huth zweymahl durchschossen, so rührete mir dieses doch am meisten, da es so zu sagen ein Fall war, vor dem ich selber Platz machen mußte, damit der Körper die Erde erreichen konnte.«363

Die Berichte über solche unmittelbaren persönlichen Erfahrungen ließen die Grenze zwischen individuellen Erinnerungen und kollektiven Erinnerungen des Regiments verwischen. Sie waren Teil einer individuellen Strategie zum Umgang und zur Verarbeitung dieser Erlebnisse364 und durch ihre Absicht, den Kriegsalltag zu schildern, gleichermaßen regimentsbezogen. Sie sollten den Nachkommen vermitteln, dass sowohl Barsewisch als auch die anderen Offiziere mit der unmittelbaren Gefahr völlig gelassen, ja schon fast fatalistisch, verwegen umgingen. Die Darstellung unterstrich die überstandenen Gefahren, welche die Überlebenden enger zusammenrücken ließ und erinnerte nicht zuletzt der Gefallenen des Regiments. Das Überleben wurde vor dem Hintergrund der nicht nur physischen, sondern auch freundschaftlichen Nähe des Gefallenen im Moment seines Todes besonders herausgehoben. In den Berichten wurden auch Siegesbekundungen und -feiern erwähnt, an denen das eigene Regiment nicht beteiligt war. Da die Verfasser und ihre Regi363 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 77, ebenso S. 72. Teil der Regimentserinnerung war die Bezifferung der Verluste, die zugleich der Erinnerung der Gefallenen diente, wie die meist namentliche Nennung der Offiziere nahelegt. Nach dem Siebenjährigen Krieg blickte Barsewisch auf den Gesamtverlust des Regiments zurück: »Es waren aber leider von denen Soldaten, so aus der Garnison marschiret, wären denen 7 Jahren wenig übrig geblieben. Von dem Regiment von Linden waren nur einige 50 alte Soldaten, nach denen Listen des Abgangs hatten wir allein 5 tausend Mann von dem einen Regimente verloren, so mehren Theils entweder gegen den Feind gefallen oder durch Krankheiten aufgerieben worden waren«, ebd., S. 196. Vgl. Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 68f.; Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 18. 364 Vgl. dazu Möbius, Angst (wie Anm. 152) S. 59ff. u. 106ff.

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menter sich jedoch als Teil der »preußischen Waffen« verstanden, erinnerte man mit der Erwähnung der Siegesfeiern zugleich an den Sieg und vereinnahmte diesen gewissermaßen auch für das eigene Regiment.365 Eine Besonderheit stellt der Eintrag des Musketiers Dominicus über den Sieg bei Leuthen dar. Dieser berichtete nicht nur über die Nachricht vom Sieg, an dem sein Regiment keinen Anteil hatte, sondern auch über den Schlachtruf der Kavallerie, die den Gegner niedergehauen und »Revanse vor Culin« gerufen hätten.366 Hier wurde innerhalb der Handlungsebene mit dem kolportierten Schlachtruf ein Bezug zur Niederlage von Kolin hergestellt, der ebenso Teil der retrospektiven Sicht wurde. Im Gegensatz dazu fehlte bei Barsewisch ein Hinweis, obwohl dessen Regiment an der Schlacht teilgenommen hatte. Der Bericht von Dominicus war möglicherweise schon eine erste Interpretation der Zeitgenossen, die den Sieg der Schlacht bei Leuthen auch auf den Ehrgeiz zurückführten, Rache für die Niederlage von Kolin zu üben. Der hier ausnahmsweise schriftlich festgehaltene Bezug war vermutlich in der kommunikativen Erinnerung sehr viel präsenter.367 Weniger stark emotional aufgeladen oder interpretationsbeladen waren Berichte über die alltäglichen Herausforderungen. In seinen Aufzeichnungen war es Barsewisch wichtig, das Avancement und die persönliche Versorgung festzuhalten.368 Nachdem er nach der Schlacht von Torgau, »da verschiedene Officiers bey und nach der Schlacht von Torgow abgegangen waren, unter anderem der Capitain von Printz, so auf der Wahl Statt an seiner Verwundung starb« zum Leutnant ernannt wurde, nahm er an der »Execution wegen rückständiger Contributionen« teil und erhielt dafür vier Reichstaler als Gebühr.369 »Es war dies wären des ganzen Krieges das einzige Mahl, daß ich ein solche Commando erhielt, wären ein solches den Officiers der Cavallerie öfters so viele und ansehnliche Einnahmen und Zulagen zuwandte.«370 Barsewisch thematisierte diese Privilegierung der Kavallerie als Offizier der Infanterie. Im Rückblick hinterfragte er diese und machte die Unterscheidung, die auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Truppengattung beruhte, zu einem Teil der Regimentserinnerung. In den Aufzeichnungen wurden auch Geschichten kolportiert, die möglicherweise regimentsübergreifend erzählt wurden. Barsewisch fühlte sich gera365 Vgl. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 166f. Vgl. S. 61. 366 Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 35. Vgl. auch die Nachricht zum Sieg in der Schlacht bei Zorndorf (25. August 1758), ebd., S. 41. 367 Zur Bedeutung der Schlacht von Leuthen als »Ikone der preußisch-deutschen Kriegsgeschichte« vgl. Kroener, Nun danket alle Gott (wie Anm. 168), S. 106ff. 368 Vgl. u. a. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 17. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln spielt auch in anderen Aufzeichnungen eine Rolle: vgl. Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 24; Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 75f.; Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280) S. 7, 11 u. 27. 369 Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 130. 370 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 130.

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dezu gezwungen, eine Episode zu überliefern, die sich während der Schlacht bei Rossbach zugetragen hatte: »Zugleich kann ich nicht unangemerkt lassen, daß der Prinz Soubise, Commandirende General, der Combinirten französischen Arm8e, die Fatalitet hatte, bey der Flucht von Rossbach, von einem Dragoner von dem Preußischen Normann’schen Regiment eingeholet zu werden: und da der Dragoner ein Pommer von Geburt (dessen Nahmen mir nicht bekannt worden), seinen vornehmen Gefangenen gerne lebendig und gesund überlieffern wollte, so bemühet er sich den Printzen dem Zügel des Pferdes abzugewinnen, und da sein Pferd von der Action müde und nicht so guth wie deß Printzen seins ausdaurn kann, so hat Er dem Printzen mit der flachen Klinge des Pallasches dermaßen blau geschlagen, daß der Printz nachdem der Dragoner mit seinem Pferde nicht mehr hat folgen können: Sich bey seiner Ankunft in Freyburg, seinen Rücken, so gantz blau gewesen mit glüenden Weyn hat waschen lassen, so wir in Freyburg von dem dortigen Wirth, wo die Waschung geschehen, selber in Erfahrung gebracht.«371

Die von Barsewisch erzählte Geschichte belegt die regimentsübergreifenden kommunikativen Erinnerungsstrukturen auf der Handlungsebene, deren Inhalte sich durch die Aufnahme in sein Tagebuch dauerhaft verfestigten. Auf der synchronen Ebene diente die Episode wohl als belustigende Anekdote; auf der diachronen, d. h. retrospektiven Ebene konnte sie den Krieg vergegenwärtigen und veranschaulichen. Schließlich gaben die Aufzeichnungen Einblick in die Binnenstrukturen und militärischen Abläufe, die unabhängig von den Kriegsereignissen waren. Dazu gehörte auch der Eintritt des Einzelnen ins Militär, den Barsewisch aus der adligen Perspektive begründete. Barsewischs Entscheidung für den Dienst im Militär scheint nicht dem Ruf desselben geschuldet gewesen zu sein, sondern war als Folge der familiären (Finanz-)Situation wohl eher alternativlos. Die Familie sei zahlreich und die Einnahmen eines kleinen Rittergutes gering gewesen, so dass der Staatsdienst nach einer durch die Familie zu finanzierenden universitären Ausbildung nicht in Frage gekommen sei. »So blieb daher weil es dem Adel am Rümlichsten im Militair zu dienen, kein anderer Weg offen, als dieses vorzügliche Ehren Metie, von Jugend auf sogleich zu ergreifen.«372 Aus diesem Grund hätte sein Vater ihn und seinen ältesten Bruder 1750 in der Kadettenanstalt in Berlin untergebracht. Barsewischs Begründung, dass »es dem Adel am Rümlichsten [sei], im Militair zu dienen«, folgt also erst, nachdem er die finanzielle Situation dargestellt hat: eine Alternative zum Militärdienst wurde in seinen Aufzeichnungen noch mitgedacht; das »Ehren Metie« erscheint in diesem Kontext wenig attraktiv.373 Der 371 Ebd., S. 22f. 372 Ebd., S. 2. 373 Eine ähnliche Begründung und noch stärker die Alternativlosigkeit kontrastierend lieferte Christian Wilhelm von Prittwitz und Gaffron. »Da ich das 16., mein Bruder aber 14 12 Jahr

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Eintritt ins Militär erfolgte gemäß adlig-familiärer Normen und Verhaltensregeln und der Dienst im Militär entsprach diesen noch am ehesten. Vergleicht man die Begründung für den Eintritt ins Militär mit der Begründung für die Aufzeichnung der »Kriegs-Erlebnisse« im fortgeschrittenen Alter, so zeigt sich eine Diskrepanz zwischen persönlicher Motivation zum Eintritt ins Militär und der Erinnerung sowie Wiedergabe der eigenen Erlebnisse. Barsewisch ließ das Spannungsverhältnis bestehen, rechtfertigte und glorifizierte den Eintritt ins Militär nicht in der Retrospektive, auch wenn er in dieser die brandenburgisch-preußischen Siege in den Kriegen und die geschichtliche Entwicklung überblickte.374 Carl Wilhelm von Hülsen, der 1750 als Sechzehnjähriger in ein Regiment eintrat, führte als Grund die familiäre Tradition an. Er zählte die militärischen Ränge der Vorfahren und Verwandten auf. Damit verwies er willentlich oder unwillentlich auf die Kontinuität militärischen Dienstes innerhalb der Familie. Dies wurde noch dadurch unterstrichen, dass er seinem Vater den Vorwurf machte, verschwenderisch und fahrlässig gewesen zu sein, wider besseres Wissen den Dienst im Militär quittiert und damit die Familie ruiniert zu

zurückgelegt hatte, wurden wir gefragt, was für ein Metier wir uns zu widmen gedächten, ob wir studieren oder Soldaten werden wollten? Von diesen beiden Möglichkeiten war nur eine zu wählen: denn für einen jungen Edelmann bleibt keine andere übrig, ob es sich gleich leicht fügen kann, daß er weder zu dem einen noch zu dem anderen – wie es bei uns auch eintraf – eigentlich paßt und die dazu erforderlichen Qualitäten besitzt. Freilich hätten wir beide am liebsten das Studium theologicum ergriffen, wozu wir eine Vorliebe hatten, da aber der Mangel an gehörigen Vorkenntnissen uns nicht unbewußt, wir auch einsahen, welcher Kostenaufwand erforderlich sein dürfte, der von unserem kleinen, für jeden in 2400 Rthlr. bestehenden Vermögen nicht zu erzwingen wäre, so entschlossen wir uns am Ende, da kein anderer Ausweg übrig blieb, den letzteren Vorschlag einzugehen und den Soldatenstand zu ergreifen«, Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280), S. 17. Vergleicht man die Begründung des nichtadligen Joseph Ferdinand Dreyers, so treten neben persönliche und nationale Begründungen, die auch im Kontext der Entstehungszeit der Niederschrift zu sehen sind, das Motiv militärischer Anerkennung für die preußischen Soldaten: »Sehr leicht hätte ich können zu dem französischen Militair gehen, welches damals im höchsten Ansehn stand, und wobey nicht die militairsche Strenge herrschte, wie bey den deutschen Truppen, wie hinlänglich bekannt ist, aber ich haßte die Franzosen als Elsaßer, und besonders wegen der Verfolgung, die mein Vater bey Hofe ausgestanden hatte, und entschloß mich Preußische Militairdienste zu suchen. Viel Rühmens war in jener Zeit von den Preuß. Soldaten; dies mochte wohl daher kommen, weil Friedrich Wilhelm der I. durch seine Werber im Auslande so viel schönes von seinen Soldaten verbreiten ließ, damit es nicht an Rekruten fehlen möchte«, Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 12f. – Carmen Winkel, Geburt und Eintritt. Initiationsrituale beim Eintritt in das preußische Offizierkorps im 18. Jahrhundert, in: Christine Roll u. a. (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln, u. a. 2010, S. 346ff., bewertet den Eintritt ins Militär als Teil eines »Rituals«. 374 Über das Motiv Barsewischs, die finanzielle Beschränkung der Familie nicht zu verschweigen, kann nur spekuliert werden.

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haben.375 Während bei Barsewisch der Dienst im Militär als eine dem Adel »rümliche« Angelegenheit definiert wurde, berief sich Carl Wilhelm von Hülsen auf die familiären Bezüge. Im Kontext der geschilderten finanziellen Situation scheint der Eintritt ins Militär aber auch bei letzterem die einzige Möglichkeit gewesen zu sein, standesgemäß zu leben. Der Eintritt ins Militär war ein weitreichender Schritt im Leben der jungen Adligen.376 Deshalb spielte die Auswahl des Regiments eine enorm wichtige Rolle. Christian Wilhelm von Prittwitz beschrieb einen Prozess der Entscheidungsfindung, an dem verschiedene Personen mitwirkten und in dem ein komplexes Beziehungsgeflecht eine wichtige Rolle spielte. »Als wir unser Jawort gehörigen Orts abgegeben hatten, wurde weiter überlegt, unter welches Korps oder Regiment wir uns zu engagieren hätten, dabei fielen die Meinungen sehr verschieden aus, und man konnte damit zu keinem sicheren Schluß gelangen, endlich wurde von unserem Schwager, dem v. Prittwitz aus Tschanschwitz, ein Vorschlag aufs Tapet gebracht, welcher nicht allein unsere eigene, sondern auch der Eltern Zustimmung erhielt. Mein Schwager hatte nämlich in dem Regiment Herzog von Bevern zu Stettin einen Bruder, der bei seinem Chef Generaladjutant war und bei ihm in besonderer Gnade stand. Auch fügte es sich, daß im Jahre 1754 bei Großglogau unweit Breslau eine General-Revue gehalten werden sollte, bei welcher vorgedachter Herzog mit seinem Adjutanten gleichfalls erscheinen würde. Da nun letzterer meinem Schwager, als seinem Bruder, den Herzog in allen seinen Briefen sehr gelobt hatte, auch von dem Adjutanten, als unserem Vetter selbst viel Ersprießliches für uns zu erwarten stand, so wurden wir insgesamt miteinander eins, kein anderes Regiment als eben dieses zu wählen, daher auch mein Schwager umgehend gebeten wurde, alles, was zur Sache gehöre, einzuleiten, mit seinem Bruder zu verabreden und in Richtigkeit zu setzen. Das Resultat seiner 375 Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 4. Friedrich August Ludwig von der Marwitz suggerierte seinen Lesern, dass es völlig klar gewesen sei, dass er ins Militär eintreten würde und führte als Grund die Familientradition an: »Es war weder mir noch meinen Eltern jemals eingefallen, daß ich etwas anderes in der Welt werden könne denn Soldat. Beinahe alle meine Vorfahren und Seitenverwandte waren es gewesen, und so wurde gar nicht darüber deliberiert, ob ich diesen oder einen anderen Stand ergreifen solle, und ebenso entschieden wurde angenommen, daß es nur im Regiment Gensdarmes sein könne. Seit etwa hundertundvierzig Jahren, seit es einen brandenburgisch-preußische Militärmacht gab, hatte unsere Familie dem Vaterlande einige hundert Offiziere, und unter diesen sieben Generale, gegeben. Es war vom Schicksal beschlossen, daß ich der achte werden sollte […]«, Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 38. Marwitz erinnerte aus der adlig-familiären Perspektive die Verbindung zwischen Dienst im Militär und Mitgliedern seiner Familie. 376 Vgl. Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 162: »Der Wechsel vom familiären Umfeld in den Männerbund des Offizierkorps mitten in der Adoleszenzphase muß für die Persönlichkeitsbildung des preußischen Militäradels ungemein folgenreich gewesen sein. Noch in seiner vierzig Jahre später geschriebenen Autobiographie [….] scheinen die kollektiven Zurichtungen durch, die Marwitz seitens seiner Offizierskollegen erfuhr. Die Disziplin wurde nicht nur über Befehl und Gehorsam, sondern auch über soziale Kontrolle und affektive Bindungen in der Gruppe hergestellt.« Weniger auf den familiären Charakter des Regiments abstellend, Winkel, Im Netz (wie Anm. 33), S. 40ff.

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Bemühungen war, daß der Herzog uns bei der Revue zu sehen verlangte und zu akzeptieren versprach, wenn anders ihm unsere körperliche Konstitution einleuchten und gefallen sollte, als worauf es noch allein ankam. Nun wurden wir neu gekleidet und in solche Verfassung gesetzt, daß wir sonder Anstand dem Herzog präsentiert werden konnten. […]«377

Im Ergebnis wurden die beiden Brüder im Regiment aufgenommen. Die Erinnerungen offenbaren, dass für die Auswahl des Regiments weniger dessen Ruf als die familiär-adligen Beziehungen wichtig waren, und dieser Sachverhalt auch in der Retrospektive nicht anders dargestellt wurde. Auch wenn Barsewisch in diesem Zusammenhang eher eine Ausnahme zu sein scheint, da sein Vater ihn und seinen Bruder lediglich den Ausbildern der Kadettenanstalt anempfahl, und er nichts von weiteren Bezugspersonen berichtet, war das Beziehungsgeflecht aus nahen Familienangehörigen, näheren und ferneren Verwandten und Freunden für die Auswahl des Regiments außerordentlich wichtig.378 Die Bezugspersonen waren bedeutender und ausschlaggebender als ein zu erwartendes Avancement.379 Zum Besten der Betroffenen wie auch zum Besten der Familie wurde das zu wählende Regiment ermittelt und ›ausgehandelt‹, um den Wechsel aus der kindlichen, familiären Geborgenheit, in ein rein männliches, von Konkurrenz geprägtes Sozialgefüge durch Bezugspersonen abzumildern. Dazu wurden die Kontakte, wenn notwendig, aktiviert. Ebenfalls wurde der abrupte Wechsel durch die Fürsorge der älteren Offiziere abgefedert, die sich häufig der Junker, die ja zum Teil noch Kinder waren, in väterlich-freundschaftlich-fürsorgender Weise annahmen. Die Fürsorge der Familie wurde durch die Fürsorge der Offiziere und Kameraden des Regiments ersetzt. Das Regiment wurde zur neuen Familie, zum Lebensmittelpunkt und zur Erinnerungsgemeinschaft. In der retrospektiven Betrachtung 377 Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280), S. 17f. Vgl. auch Diericke, Lebenserinnerungen (wie Anm. 280), S. 14f. Eine ganz andere Einschätzung vermittelt die Aufzeichnung von Karl Friedrich Klöden, dessen Großvater beim Dragonerregiment Nr. 5 gestanden hatte, der aber aufgrund seiner schlechten Erfahrungen den Eintritt seines Sohnes ins Militär verhindern wollte und diesen, als dies nicht gelang, ›verstieß‹, Karl Friedrich Klöden, Von Berlin nach Berlin: Erinnerungen 1786–1824, hrsg. von Rolf Weber, Berlin 1978, S. 32–44. 378 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 2. Auch die anderen Verfasser erwähnen solche Bezugspersonen. Vgl. Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 14; Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 9; indirekt Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 38f.; indirekt überliefert Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 20. 379 Prittwitz, »Ich bin ein Preusse« (wie Anm. 280) S. 24: »Des Avancements halber hätten wir unter dieses Regiment nicht gehen sollen, sondern würden unter einem schlesischen in dieser Hinsicht weit besser angekommen sein.« Vgl. auch Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 2ff., der eigentlich aufgrund der Bezugsperson, einem Freund seines Großvaters, bei einem Husarenregiment eintreten sollte, später aber in der Oberschlesischen Füsilier-Brigade aufgenommen wurde, weil die Bezugsperson nunmehr dort Dienst leistete.

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konkurrierten Familie und Regiment nicht miteinander, weil sie als Erinnerungsgemeinschaften zeitlich hintereinander den Bezugsrahmen für die Erinnerungen bildeten. Auffällig ist, dass in den Aufzeichnungen der Offiziere über die Aufnahme durch das Regiment der Wille des Monarchen keine Rolle spielte. Der König wurde meist erst dann erwähnt, wenn er das Regiment im Rahmen einer Revue besichtigte. Jakob Friedrich von Lemcke schilderte seine erste Begegnung mit dem König 1755: »Der König[…] kam vom linken Flügel geritten und da ich bei des Onkels Kompagnie auf dem rechten Flügel stand, so war ich schon der sechste neue Junker, der ihm das Jahr vorgestellt wurde. Er war darüber unwillig und frug den Onkel, warum in einem Jahre so viele neue Junkers angenommen, was aus den Leuten werden sollte. ›Besonders der da,‹ und damit wies er auf mich, ›ist ja noch sehr klein und kann noch ein paar Jahre in die Schule gehen.‹ Der Onkel antworte: ›Eure Majestät halten zu Gnaden, dieser ist mein Vetter und ich möchte ihn gern früh den Dienst lernen.‹ ›So, so,‹ entgegnete der König, ›nun denn ist’s gut, mein lieber Pritz.‹ Bei der Spezialrevue frug mich der König selbst, wie ich hieße, wo ich her wäre, wer mein Vater gewesen und wie alt ich wäre.«380

Der Entscheidung, in das Militär einzutreten, sowie die Auswahl des Regiments werden demnach in den Erinnerungen als Ergebnis familiärer Überlegungen und nicht als eine Folge königlichen Willens bzw. Wohlwollens dargestellt. Die Berichte der weiteren Verfasser unterstreichen die Rolle des Regiments als Ersatzfamilie und Erinnerungsgemeinschaft und die Bedeutung der Bezugspersonen für ihre Schützlinge. Wilhelm von Doering wurde einem Stabskapitän anempfohlen und genoss die freundliche Behandlung im Regiment, die er vermutungsweise auf seinen Onkel zurückführte. »Kein Offizier bekümmerte sich eigentlich in dienstlicher Richtung um mich, wurde aber von allen sehr freundlich behandelt und gern in ihrer Gesellschaft gesehen. Ob ich dies meinem Onkel verdanke, der ein sehr geachteter Kamerad, oder irgendeinem anderen Umstand zu danken hatte? doch ist es gewiß, daß meine Kameraden Neubauer, v. Gladis und Schneider, obwol sie Port d’epee-Fähnrichs und völlig erwachsen waren, nicht mit derselben Milde behandelt wurden.«381

Besonders betroffen war er, als sein Förderer, Stabskapitän v. Kossecki, Kompaniechef in einem anderen Bataillon wurde. Doering wollte zwar nichts Schlechtes über den neuen sagen, der freundlich und nachsichtig ihm gegenüber war, aber »inzwischen vermißte [er] sehr bald die fast väterliche Sorgfalt, welche 380 Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 22f. Ähnliches berichtet Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 33 u. 15f. 381 Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 29f. Es ist davon auszugehen, dass die Junker ihrerseits das Unterpfand, einen höherrangigen Beschützer zu haben, auch bewusst eingesetzt haben, um ihre Interessen durchzusetzen. Vgl. Walz, Tagebuch Lemcke (wie Anm. 280), S. 20.

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Kossecki [ihm] widmete.«382 Über diese direkte Fürsorge erzählte Doering auch von Neckereien, die den kameradschaftlichen Umgang im Regiment widerspiegelten.383 Mit diesen Berichten setzten die Verfasser über die individuellen Beschreibungen hinaus ihren Regimentern ein Denkmal, indem sie diese als Familienersatz beschrieben. Auch Barsewisch schilderte diesbezügliche Erfahrungen. Er beschrieb die Bindekräfte und Mechanismen innerhalb der Gemeinschaft der Offiziere und offenbarte, welche Bedeutung das Regiment für ihn sowohl in ideeller als auch in materieller Hinsicht hatte und wie sehr er sich mit diesem identifizierte und verbunden fühlte.384 So lehnte er eine Versetzung zu den Ingenieuren mit Hinweis auf seine Bindung an sein Regiment ab. »Da ich aber nicht gewillt war, daß Regiment, in welchem ich so lange und unter so schweren aber ehrenvollen Verhältnissen gedient und in dem ich so viele Freunde hatte, zu verlassen, so dankte ich vor dieser Auszeichnung und dem Zutrauen, so mir geschenkt wurde, bliebe aber in meinen früheren Verhältnissen, dortten mein Avancement abzuwarten.«385 Nur deutlich attraktivere Aussichten konnten ihn vom Regiment weglocken. Als er auf Bitte des Brigadiers von Dueringshoffen vom König zum Adjutanten ernannt wurde, listete er die Vorteile der neuen Stelle auf: »Ein solcher hat von Sr. Majestät monathlich 20 Thlr. Gehalt 4 Rationes und 4 Portiones, so daß ich dahero, da ich bey meinem Brigadier die Taffel hatte, mir weit besser als beym Regiment stand.«386 Das Verlassen führte für Barsewisch später zu materiellen Sorgen. »Ich hatte nach meiner Promotion als Brigade Adjutant ein besonderes Schicksal als der Friede publiciret und der Feld Etat dadurch bey der Armee aufgehoben ward, in dem ich vom 1 Maertz an kein Gehalt mehr erhielt, da die Brigaden eingingen. So mußte der von Dueringshoffen als ältester Obrister von der Armee erstlich auf das Avancement zum General und Erlangung eines Regimentes als Chef warten, ich dagegen hatte, da viele Officiers außer Etat gesetzt waren, vor der Hand auf kein vortheilhaftes Placement zu rechnen und mit einem Abschied mit erhöhtem Charakter war mir nicht geholfen, ich hatte dahero Geduld nöthig, um einen gelegenen Zeitpunkt abzuwarten.«387 382 Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 46. Vgl. auch Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 23f. sowie Kadettencorps (wie Anm. 280), S. 89 u. 91. Bei letzterem handelte es sich um die Erinnerungen von Christoph Friedrich Otto von Diericke, Diericke, Lebenserinnerungen (wie Anm. 280), S. 11ff. 383 Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 29. Doering berichtet von seiner ersten Wache: »Die Offiziere dagegen machten sich den Spaß, öfter als sonst wol die Wache zu passieren, um sich von mir die Honneurs machen zu lassen.« Vgl. auch Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 24ff. 384 Die adlige Familie als Erinnerungsgemeinschaft, der der Offizier entstammte, geriet nur selten in den Blick der Erinnernden. 385 Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 62. Vgl. ebd., S. 129. 386 Ebd., S. 101f. 387 Ebd., S. 128f.

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Die Sache ging für Barsewisch relativ glimpflich aus, denn das alte Regiment bot ihm die Wiederaufnahme an. Er jedoch zögerte und rückversicherte sich vorher bei seinem ehemaligen Brigadier von Düringhoffen »[…] und tratt dahero wiederum bey meinem Regimente, in welchem ich mit so vieler Ehre gedient, ein. Von Seiten sämmtlicher Herren Officiers ward mir die freundschaftliche Aufnahme zu theil und ich wollte ich wäre immer in Ihrer Gesellschaft geblieben.«388 Kurz darauf nahm er jedoch das Angebot des zum Generalleutnant beförderten von Dueringshoffen an, zu dessen Regiment zu wechseln.389 Der Generalleutnant wurde zum Förderer und zur wichtigen Bezugsperson für Barsewisch.390 Der Bericht Barsewischs belegt die Kohäsions- und Integrationskräfte innerhalb eines Regiments. Es war nicht nur eine Gemeinschaft, welche für die Junker zur neuen Familie wurde und in der Ehre eine wesentliche Rolle spielte, sondern zugleich eine soziale Sicherungsgemeinschaft, die durch berechenbares Avancement eine gewisse materielle Absicherung in Aussicht stellte und in bestimmten Fällen dem Einzelnen über schwierige Zeiten hinweg helfen konnte.391 Vor allem nutzte er seinen ersten Abschied aus dem Regiment für diesen Rückblick, in dem er sich der für ihn ehrenvollen Sachverhalte erinnerte. So habe er insgesamt viermal eine Kompagnie außer der Reihe auf besonderen Wunsch seiner Vorgesetzten geführt, dreimal als Fähnrich, einmal als Lieutenant.392 Er beschrieb sich selbst als idealen Offizier : »Dabey wurde mir die Freude zu Theil, von meinen Untergebenen eine außerordentliche Liebe zu genießen, so kann ich auch mit Wahrheit sagen, daß mir bei meinen beschwerlichen Commandos auf den Vorposten, Wachten, wären [sic] der Führung der Compagnie, überhaupt wären des gantzen so äußerst beschwerlichen 7jährigen Krieges, nie einen Mann, weder von den Inländern noch Ausländern, wenn ich das Commando selbständig geführet, desertiret ist. Ich heiße es Glück, aber zugleich kommt auch viel darauf an, daß der Officier sich bei seinen Untergebenen Liebe erwirbt und Ihnen alle mögliche Vorsorge zuwendet, zumal da der gemeine Soldat einen so beschwerlichen Dienst hat, indem er oft von allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens entblößet ist und zu Niemand als zu seinem Officier mit seinen kleinen Bedürfnissen und Anliegen Zuflucht nehmen kann«.393

Barsewisch schien angesichts der Wiederaufnahme im Regiment diesen Anforderungen entsprochen zu haben: »So wurde ich also außer meiner Tour aus dem Regimente befördert und kann noch dabey erwähnen, daß die Herrn Officiers sowohl als die Untergebenen mir sehr ungern vom Regiment misseten und 388 389 390 391 392 393

Ebd., S. 130. Ebd., S. 130f. Ebd., S. 131. Vgl. ebd., S. 133. Vgl. S. 181. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 156. Vgl. ebd., S. 50 u. 60. Ebd., S. 101.

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da ich bey dem darauf erfolgten Frieden nicht sogleich placiret werden konnte, nahmen die Herrn Officiers mir sehr freundschaftlich und willig, wie die Folge der Geschichte zeigen wird, beym Regiment wieder auf.«394 Bei seiner zweiten Verabschiedung wurde das vorbildliche Verhalten der abgehenden Offiziere hervorgehoben, und Barsewisch gab diese Würdigung wörtlich in seinen Erinnerungen wieder. »Als wir uns auf der Parade abmeldeten und Abschied von den Herrn Staabs und anderen Officiers nahmen, so machte uns der Commandeur das Compliment: ›Meine Herren ich muß Ihnen versichern, daß ich Sie nicht gern vom Regiment misse und daß daß Regiment bey Ihrem Abgang wirklich Officiers verliehret, so dem Könige rechtschaffen gedienet haben.‹«395 Die Aufzeichnung diente auch dazu, sich selbst als vorbildlichen Offizier in der Regimentserinnerung zu verankern, zu beschreiben und damit das Bild des vorbildlichen Offiziers den nachfolgenden Generationen zu vermitteln und zur Nachahmung zu empfehlen. Die familiäre Atmosphäre im Regiment, der identitätsstiftende Charakter als Erinnerungsgemeinschaft sowie das System von Beziehung und Förderung und die Berechenbarkeit des eigenen Aufstiegs als Bindeglied zwischen Offizier und Regiment hatten dennoch Grenzen. Sie lagen in der Perspektivlosigkeit, wenn ein Offizier davon ausgehen konnte, bei den entscheidenden Personen des Regiments nicht (mehr) wohl gelitten zu sein, also nicht von dem System aus Beziehung und Förderung profitieren zu können.396 Schon bei seiner Rückkehr ins Regiment glaubte Barsewisch, da ihn von Dueringshoffen ohne das Wissen des Regimentschefs vom König als Adjutant erbeten hatte, »deshalb an meinem Chef keinen wohlwollenden Vorgesetzten in Friedenszeiten zu haben […]«.397 Weitere Gründe – in diesem Zusammenhang als Grenzen der Anziehungskraft zu verstehen – lagen in der Aussichtslosigkeit, im alten Regiment auf einmal fünf Plätze im Avancement vorrücken zu können, und im gleichzeitigen Verlust an Ehre, da Barsewisch kein Kommando mehr erhalten hätte. »Zweitens waren die meisten Officiere des Regimentes, so älter als ich waren, durch Gefangenschaft, Krankheit oder Commando, […], wären [sic] dem 394 395 396 397

Ebd., S. 101f. Vergleiche auch ebd., S. 108 u. 128. Barsewisch, Von Rossbach (wie Anm. 279), S. 200. Vgl. die von Offizieren gezogenen Konsequenzen, S. 261. Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 199. Dass Barsewischs Sorge nicht unbegründet war, zeigt ein weiterer Eintrag: »Da aber der General von Linden wenige Monate nach dem Frieden in Ungnade bey Sr. Majestät dem Könige fiel und seinen Abschied erhielt, so hätte ich des ersten Grundes wegen schon bleiben und auch die schönen Tage in dem Brenkenhoff ’schen Hause fernerhin genießen können. Es gingen mit mir wegen des Betragens des General von Linden gegen seine Herrn Officiers noch zwey derselben von dem Regimente ab, so der Commandeur gleichfalls ungern mißete«, ebd., S. 200. Vgl. auch die Auseinandersetzung Carl Wilhelms von Hülsen mit seinem General bezüglich seines Avancements, Hülsen, Memoiren (wie Anm. 280), S. 35ff. sowie die geschilderten Probleme bei Diericke, Lebenserinnerungen (wie Anm. 280), S. 30.

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Kriege von der Truppe abwesend gewesen, so daß ich bereits in der Bataille von Liegnitz und der von Torgow Divisions commandirte und nun zu Friedens Zeiten sollte ich als der 9te Seconde Lieutenant hinter dem Capitain vom ersten Zuge ohne Peleton marschiren.«398 Das Regiment war ›Heimat‹ des Offiziers. Mit den positiven Beschreibungen seines Regiments verklärte Barsewisch die eigene Zeit darin und begründete auch im Rückblick den Ruf und den ›Korpsgeist‹ des Regiments und seiner Offiziere. Seinen Wechsel wollte Barsewisch nicht als eine Entscheidung gegen ›sein‹ Regiment, sondern als Entscheidung für eine ›bessere‹ Zukunft verstanden wissen. Nicht zuletzt geben die Aufzeichnungen auch Auskunft über das kommunikative Gedächtnis. Wilhelm von Doering berichtete, dass während seiner Zeit das Bataillon »niemals von einem höheren Befehlshaber inspiziert worden [ist], auch habe ich nie von einer früheren Inspizierung, die doch sonst lange Zeit ein Gegenstand des Gesprächs der Offiziere namentlich in einer so kleinen und monotonen Garnison wie Neumarkt, reden hören.«399 Die Ergebnisse solcher Inspektionen wie auch die Abwesenheit von Offizieren des Regiments waren Gegenstand der Gespräche. Von Doering wunderte sich jedenfalls noch in seiner Aufzeichnung, warum sein Bataillon einen außerordentlich guten Ruf genoss, obwohl nur selten exerziert, kein Felddienst verrichtet wurde und nur die Schützen Schießen übten.400 Er selbst mutmaßte, dass es daran gelegen habe, »daß das Exerzieren nach den Signalen des Flügelhornes hier bei weitem am ausgebildetsten war.«401 Revuen und Inspektionen waren maßstabsbildend und entschieden mit über die Reputation eines Regiments. Ihre Bedeutung als Gegenstand des kommunikativen Gedächtnisses machte sie auch für das kulturelle Gedächtnis interessant. Von Doering erwähnte auch, dass der Oberst von Boguslawski sich mindestens ebenso lange und oft auf seinem nahen Gut aufhielt wie bei seinem Bataillon, dass er aber trotz Abwesenheit in hoher Achtung bei seinen Offizieren gestanden habe.402 Da es keine eigens für die Offiziere vorgesehenen Räumlichkeiten gab und in diesem Falle ebensowenig eine Gaststätte, hätten sich die Offiziere in der Wache getroffen, »wo dann tüchtig geraucht und raissoniert und wol ein kleines Kartenspiel unternommen wurde. Bei gutem Wetter saß die ganze Gesellschaft vor der Thür der Wache.«403 Der Gedankenaustausch über das Regiment und andere wichtige Ereignisse fand statt, hatte

398 399 400 401 402 403

Barsewisch, Meine Kriegserlebnisse (wie Anm. 279), S. 130f. Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 32. Ebd., S. 31. Ebd., S. 31. Ebd., S. 27. Ebd., S. 30f. Vgl. auch ebd., S. 40f.

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aber keinen langfristig festen ›Erinnerungs‹-Ort.404 Es ist ein Hinweis darauf, dass ein wichtiger Teil der regimentsbezogenen militärischen Erinnerungskultur in den Regimentern vor allem in mündlicher Form gelebt wurde und die Regimentsidentität auch davon abhängig war, dass das Wissen um die Vergangenheit weitergegeben wurde.

Zusammenfassung Schriftliche Zeugnisse als Medien militärischer Erinnerungskulturen lassen sich in den meisten Fällen auf persönliche Aufzeichnungen von Offizieren und – seltener – Soldaten zurückführen. Dazu zählen u. a. persönliche Aufzeichnungen mit Ausrichtung auf die eigene Familie, Darstellungen über das Regiment und allgemeine Berichte über einzelne kriegerische Ereignisse. Sie umspannen im Wesentlichen den Zeitraum vom ersten Schlesischen Krieg bis über die Kapitulationen im Jahr 1806 hinaus. Der Schwerpunkt lag jedoch auf dem Siebenjährigen Krieg. Sie entstanden vor allem in der Retrospektive über Kriegszeiten, dienten der Nachvollziehbarkeit und Verklärung geschichtlicher Ereignisse und interpretierten die Vergangenheit im Bewusstsein der Gegenwart und in Hinblick auf die Zukunft. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nachdem einige der ältesten Regimenter als ›Institution‹ bereits rund einhundert Jahre bestanden, wurde den Geschichten dieser militärischen Gemeinschaften mehr und mehr Aufmerksamkeit zuteil, d. h. sie gewannen für die Verfasser und ihren angestrebten Adressatenkreis einen eigenen Wert. Die Autoren errichteten mit den Aufzeichnungen ihrer militärischen Einheit unmittelbar und mittelbar ein Denkmal und tradierten Ausschnitte gelebter militärischer Erinnerungskulturen. Sie nutzten hinsichtlich der Zusammenstellung der Regimentsgeschichten auch das Angebot wohlwollender ›Dienstleister‹, von denen zum Teil die Anregung für die Fixierung der ›Eigengeschichten‹ ausging und die eine Zwischenfunktion zwischen Regiment und Öffentlichkeit einnahmen. Ein Impuls zur Herausgabe der ersten Regimentsgeschichten von 1767 war die ›nationale‹ Konkurrenz mit Frankreich. Durch die Überschneidung der Interessen der Regimenter und der Herausgeber entstand ein für beide Seiten vorteilhaftes Verhältnis. Die Herausgeber waren ihrerseits auch aufgrund des Wissensverlustes auf die Mitwirkung und das Wohlwollen der Regimentsangehörigen angewiesen. So beklagte der externe Verfasser der Geschichte des Infanterie-Regiments Nr. 1 1787, also lediglich zwei Jahre nach Erscheinen des fünften Bandes der umfangreichen Sammlung ungedruckter Nachrichten, den Mangel an Un404 Kasernen entstanden vereinzelt bereits im 18. Jahrhundert, aber lediglich als Unterbringungsort. Vgl. König, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74), S. 80.

Zusammenfassung

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terstützung für sein Projekt. Zwar scheiterte dies nicht, aber es bot den Lesern kein vergleichbares Konvolut an Informationen und Details. Auch wenn König Friedrich II. mit Erfolg immer wieder gegen Initiativen einzelner Herausgeber vorging, Regimentsgeschichten im weiteren Sinne zu veröffentlichen, konnte er das grundsätzliche Anliegen – die Geschichte der militärischen Gemeinschaft aus der eigenen Perspektive zu bewahren – nicht unterbinden. Dies belegen verschiedene Werke, die nach dem königlichen Verbot von 1767 veröffentlicht wurden und deren Herausgeber sich ihrerseits teilweise an den ersten Vorbildern orientierten. Die Verfasser ergänzten und korrigierten die offizielle Darstellung mit ihren Deutungsangeboten zur Interpretation insbesondere der Leistungen des Regiments und einzelner ›Helden‹. Durch die Auswahl der Inhalte, das Aufzeichnen und deren Präsentation bestimmten sie, ob und wie das jeweilige Regiment und der Einzelne, d. h. auch sie selbst, im kulturellen Gedächtnis verankert wurden, und sie sicherten damit das im kommunikativen Gedächtnis tradierte Wissen. Mit ihren schriftlichen Aufzeichnungen vereinheitlichten und fixierten sie die Eigenwahrnehmung auch der nachfolgenden Angehörigen des Regiments. Insbesondere Regimentsgeschichten, aber auch regimentsbezogene persönliche Aufzeichnungen von Offizieren hatten durch den Rückbezug auf die eigene Vergangenheit eine integrative, selbstvergewissernde und identitätsstiftende Funktion. Vor allem die Mitglieder des Regiments, aber auch der adligen Familie sollten auf die bisherigen Leistungen verpflichtet werden, um sich der Ehre und des Ruhms in der Gegenwart und in der Zukunft würdig zu erweisen und diese zu steigern. Mit den Aufzeichnungen sollte auch die Außenwahrnehmung eines Regiments bestimmt werden, so dass diese auch als Rechtfertigungs- und Verteidigungsschriften zu verstehen sind. Interessierte und dem Regiment bzw. der Familie nahestehende Leser sollten die ›ruhmreiche‹ Geschichte performativ nachvollziehen können. Die Schlachten der vergangenen Kriege, ›Schlachtenerfolge‹ und ›Helden‹ waren die Kristallisationspunkte regimentsbezogener Erinnerungskulturen. Die meisten Regimentsgeschichten waren sowohl von ihrer Bestimmung durch ihre Herausgeber, ebenso durch die Mitwirkung der Regimentsangehörigen und nicht zuletzt von ihrem Inhalt her Medien militärischer Erinnerungskulturen. Für die persönlichen Schriften galt dies insoweit, wie sie unmittelbar und mittelbar auf die militärische Einheit bezogen waren. Je länger die ›prestigeträchtigen‹ Kriegsereignisse zurücklagen, desto mehr mussten die Geschichten der Regimenter konstruiert werden, da nicht mehr auf eine durch Zeitzeugen in den Regimentern tradierte lebendige Erinnerungskultur zurückgegriffen werden konnte. So wandelten sich die Regimentsgeschichten von Zeitzeugenberichten des 18. Jahrhunderts, denen es zunächst um ein Erinnern der eigenen Verdienste, der Begründung von Ansprüchen und der Bewahrung der Reputation eines Regiments ging, mehr und mehr zu historisch-wissenschaftlichen Ab-

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Schriftliche Zeugnisse als Medien militärischer Erinnerungskulturen

handlungen im 19. Jahrhundert, die ihrerseits ebenso Teil gewandelter Erinnerungskulturen sein konnten. Schriftliche Überlieferungen einzelner Personen geben darüber hinaus nicht zuletzt einen Einblick in die Wirklichkeit, wie die zumeist adligen Verfasser sie erlebten und wie sie diese im Rückblick auf ihre Erlebnisse und ihr Leben konstruierend interpretierten. Der Dienst im Militär war Teil ihres Lebens. Sie identifizierten sich mit diesem Lebensabschnitt, aber die Identifikation überwand nicht die Schwelle zu unreflektierter Verklärung und Überhöhung des Dienstes im Militär. Diese letztlich fortbestehende Distanz lässt sich mit einer Verwurzelung und Sozialisation in familiär-adligen Strukturen erklären, die den Dienst im Militär als Teil eines adligen Lebensweges deutete, aber ihm noch keine eigenständige identitätsstiftende Funktion beimaß.

Dritter Teil: Materialisierte Erinnerungskultur – Artefakte und Praktiken als Mittel zur Distinktion, Identitätsstiftung sowie als Medien der Erinnerung

Die Geschichte eines Regiments, sein Ruhm sowie seine Regimentsangehörigen wurden vorrangig durch schriftliche Quellen in der Erinnerung und im Bewusstsein nachfolgender Mitglieder erhalten und bewahrt. Die zweifelsohne existierende mündliche Überlieferung – das orale, kommunikative Gedächtnis – ist heute bis auf wenige Hinweise nicht unmittelbar zu belegen. Erinnerungskulturelle Bezüge konnten aber auch in materialisierter Form, als ›Artefakte‹, überliefert werden, weshalb diese als ein wesentlicher Bestandteil mit in die Betrachtung einzubeziehen sind. Obwohl die altpreußischen Regimenter in ihrem jeweiligen Kanton beheimatet waren, besaßen sie nicht notwendigerweise einen spezifischen und unveränderlichen Erinnerungs-Ort zur Aufbewahrung identitätsstiftender Symbole und Zeugnisse ihrer Geschichte wie das Offizierskasino des 19. Jahrhunderts. Deshalb kommen zunächst die Gegenstände in Betracht, die das Regiment und seine Angehörigen permanent begleiteten und präsent waren, also Gegenstände, die eine unmittelbare militärische Funktion hatten.405 Mit ihren vielfältigen Details waren diese Artefakte als Distinktionsmittel und -varianten und somit als Träger von Informationen besonders geeignet, zu spezifischen, identitätsstiftenden Symbolen der militärischen Einheit und längerfristig zu faktischen Zeugnissen der jeweiligen Geschichte zu werden. Als solche konnten sie Medien einer Erinnerungskultur sein, aber sie mussten es nicht: Nicht jedes Distinktionsmittel wurde zwangsläufig zum Medium einer Erinnerungskultur.406 Im Folgenden stehen deshalb nur solche Artefakte im Fokus, die erinnerungskulturelle Bezüge tradierten. Zugleich ist deren Vielfalt aufzuzeigen, denn die vielen, mitunter kleinen Veränderungen ergeben erst in ihrer Gesamtheit ein Bild gelebter Erinnerungskulturen. Neben jenen Artefakten, die über ihre originäre Funktion hinaus mit Erinne405 Der Begriff ›Artefakt‹ wird weit ausgelegt. Beispielsweise werden Regimentsmärsche berücksichtigt, die nicht durch ihre materiale Überlieferung als Notentext, sondern in der Praxis ihre erinnerungskulturelle Wirkung entfalteten. 406 Vgl. zum »pragmatischen Gedächtnis« S. 18, Anm. 22.

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Materialisierte Erinnerungskultur

rungsbezügen aufgeladen wurden, konnten beispielsweise mit Bildern und Denkmalen auch solche geschaffen werden, die unmittelbar der Erinnerung dienten. Im Mittelpunkt der Betrachtung von Artefakten stehen die Regimenter mit ihren Angehörigen und ihrer jeweiligen Gruppenidentität als handelnde Subjekte. Es ist danach zu fragen, wie diese durch Veränderungen und Ausdifferenzierung von Artefakten ihre Identität als Gruppe, ihren Ruhm und ihre Ehre, ihren Stolz darauf und nicht zuletzt ihre Geschichten zeitlos zu verankern suchten. Die einzelnen Regimenter waren jedoch nur jeweils ein Akteur unter mehreren. Sie interagierten mit anderen wie dem König, der in den Regimentern und in ihren Artefakten eine Möglichkeit der Darstellung monarchischen Selbstverständnisses407 sah, oder mit adligen Regimentsinhabern, die ›ihr‹ Regiment in einen familiären Kontext zu stellen suchten. Schließlich gab es mit interessierten Mitgliedern der Gesellschaft noch eine weitere Gruppe von Akteuren, die Erinnerung zu stiften suchte. Da die verschiedenen Akteure aus ihren jeweils eigenen Motiven heraus auf die Gestaltung von Artefakten Einfluss nahmen, konnten Erinnerungsbezüge und -absichten parallel nebeneinander entstehen oder sich überschneiden bzw. sogar verstärken. Eine wesentliche Rolle dabei spielte der Faktor Zeit. Nicht zuletzt ist neben den verschiedenen Gruppen von Artefakten und den verschiedenen Akteuren in der Betrachtung auch nach der erinnerungskulturellen Wirkmächtigkeit von Ereignissen zu fragen. Mit Blick auf diese multikausalen Zusammenhänge wird es möglich, langfristige und übergreifende Entwicklungen aufzuzeigen und Formen militärischer Erinnerungskultur in synchrone wie auch diachrone Zusammenhänge einzuordnen. So können die Vielfältigkeit, Artefakte mit Erinnerungsbezügen aufzuladen bzw. zu einem solchen Zweck zu erschaffen, und damit das komplexe System militärischer Erinnerungskulturen sichtbar gemacht werden.

Die Entwicklung der Uniform Sichtbarstes Unterscheidungsmerkmal der Regimenter war deren Kleidung, d. h. deren Uniform.408 Diese diente dazu, die militärisch-taktischen Einheiten409 407 Hohrath beschreibt diesen Zusammenhang unter Rückgriff auf Jürgen Luh als »zeremonielle Darstellung der Kriegsmacht in einer höfisch geprägten Gesellschaft«, Daniel Hohrath, Friedrich der Große und die Uniformierung der preußischen Armee von 1740 bis 1786, Bd. 1, Wien 2011, S. 30. 408 Durchsetzen konnte sich die Uniform, weil ihre Produktion immer günstiger wurde, Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer (wie Anm. 5), S. 179. Als Element der Disziplinierung, der Steigerung der inneren Kohäsion und der Stiftung von Identität beschreibt sie Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 31. 409 Im Kriegseinsatz fungierten die Bataillone als Gefechtseinheiten, vgl. Hanne, Das Regiment (wie Anm. 43), S. 56.

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unterscheiden zu können.410 In ihrer Gesamtheit bestimmte sie, für jedermann wahrnehmbar, nicht nur ihren Träger als Angehörigen des Militärs allgemein, sondern als Angehörigen eines bestimmten Regiments. Kleidung hat grundsätzlich die Funktionen Schutz, Scham und Schmuck. Letztere dient durch Auszeichnung der Distinktion des Einzelnen und erfüllt in der Abgrenzung das Bedürfnis nach Identität.411 So ist die Uniformierung des Militärs, als Tatsache für sich allein betrachtet, eine tiefgreifende Zäsur. Sie schaffte die Voraussetzung für eine Gruppenidentität, für Stolz und für Geschichtlichkeit des Militärs im Allgemeinen und der Regimenter im Besonderen. Treffend formulierte Gerhard Papke: »Erst die Uniform erschuf den ›Zivilisten‹ – den Nichtuniformierten und damit außerhalb der Werteordnung Stehenden –, den es vor ihrer Erfindung nicht gegeben hat.«412 Als »Symbol der Regimentsehre« und als »kriegsherrliche Ehrung« schuf sie den Soldaten, und ihr wurde ein sakraler Wert beigemessen.413 Dadurch kam ihr eine identitätsstiftende Bedeutung zu. Die Entstehung der Uniform ist auf die sich ausbildenden Stehenden Heere zurückzuführen und hat sich »seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zügig in allen Armeen Europas« ausgebreitet.414 In dem Maße, wie das Regiment seine Bezüge im Söldnerwesen mit der Verpflichtung und Bindung an den jeweiligen Regimentschef hatte, waren prägende Einflüsse desselben auf das Regiment die logische Konsequenz. Nach und nach wurde jedoch dieser Einfluss durch eine immer stärkere Reglementierung durch den Monarchen zurückgedrängt.415

410 Die Uniform sei im Zusammenhang der fürstlichen Repräsentation und nicht als eine Notwendigkeit des Krieges entstanden. Hohe Investitionskosten einerseits wären der Stimulierung der Wirtschaft andererseits zugutegekommen. »Die Gestaltung der Uniform entsprach ihrer Funktion als gesellschaftliches Kommunikationsmittel: Sie musste den Soldaten eindeutig erkennbar machen, sollte ihm aber auch ein gewisses Ansehen in der Bevölkerung verleihen«, Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 30f. Momente der Vereinheitlichung hatte es schon im Dreißigjährigen Krieg gegeben. Die Uniform war meist auf die Farbgebung beschränkt geblieben und diente der Unterscheidung. In Ansätzen waren ganze Einheiten einheitlich ausgestattet worden, Klaus-Peter Merta, Jean Molitor, Das Heerwesen in Brandenburg und Preußen von 1640 bis 1806, Bd. 2, Die Uniformierung, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin 2001, S. 12. 411 Martin Dinges, Der »feine Unterschied«: die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 1 (1992), S. 49f. 412 Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer (wie Anm. 5), S. 179. 413 Ebd., S. 179. 414 Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 30f. Vgl. auch ders., Uniform, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Subsistenzwirtschaft - Vasall, Bd. 13, Stuttgart, u. a. 2011, Sp. 979. Vgl. auch Merta, Molitor, Uniformierung (wie Anm. 410), S. 17: »In dem Maße, wie das stehende Heer im Verlaufe von Jahren zu einer festen Institution wurde, setzte sich auch nach und nach die einheitliche blaue Farbgebung für die Mannschaften aller Truppenteile durch.« Merta skizziert einen Prozess der allmählichen Verdichtung von Voraussetzungen, der zur Uniformierung des Militärs führte, ebd., S. 17. 415 Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 32. Vgl. S. 27f.

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Die Uniform konnte unmittelbar nach ihrer Einführung 1657416 im brandenburgisch-preußischen Militär zunächst nur Distinktionsmittel sein, da die wesentlichen Grundlagen militärischer Erinnerungskulturen, d. h. die Bewährung in der Schlacht und Ruhm, erst erworben werden mussten. Aber schon wenige Jahre danach wurde mit ihr die »ruhmvolle« Geschichte der »preußischen Waffen« verbunden. Zugleich entstand ein Gemeinschaftsgefühl, mit dem sich ihre Träger deutlich identifizierten. Dies spiegelt sich im Bericht des Fähnrichs von Zanthier vom Dönhoffschen Regiment über den Feldzug in Ungarn 1686 wider. Demnach war es Ehrensache, »den Ruhm der ›blauen Völker‹ zu erhalten.«417 Die Uniform war also schon zu diesem Zeitpunkt mehr als nur Kleidung der brandenburgisch-preußischen Truppen: Sie stand bereits für den Ruhm, den sich diese in Schlachten erworben hatten. Ein weiterer Beleg für die identitätsstiftende Wirkung der Bekleidung sind überlieferte schriftliche Darstellungen von Uniformen und ihrer Ausprägungen: angefangen bei der Dessauer Spezifikation des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, der eine erste vollständige Übersicht fertigte, bis hin zu den Übersichten, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts erstellt wurden. In der Literatur werden allein 21 Bilderhandschriften und Kupferstiche bis 1806 aufgelistet, die in Teilen oder in ihrer Gesamtheit die brandenburgisch-preußischen Truppen darstellten. Sie belegen das Bestreben, trotz der Vielzahl der Unterscheidungsmöglichkeiten der Uniformen die Regimenter eindeutig bestimmen zu können.418 Zu diesen kommen noch die Beschreibungen von Uniformen hinzu, die ohne Bildmaterial auskamen bzw. Sammlungen wie beispielsweise die des Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, die dieser nach 1740 anlegte und bis zu seinem Tod 1790 erweitert und gepflegt hat.419 Diese Werke sind mehr als nur Anschauungsmaterial und Unterscheidungshilfen: Sie vermittelten immer auch Zusammenhänge, Geschichten der Regimenter und konstruierten Ordnung, indem die Regimenter beispielsweise nach ihrem angenommenen Stiftungsjahr, also nach ihrem Alter geordnet wurden.420 416 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 178. 417 Zusammenhang und Zitat bei Jany, der seinerseits auf Pauly verweist, ebd., S. 341. Vgl. auch den Hinweis auf die aufsehenerregende »blaue Uniform« im Jahr 1632 bei König, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74), S. 24f.: »Sie waren in Preußen sämtlich in einer gleichen Lieberey, blauer Farbe, gekleidet worden, welches damals ungewöhnlich war und viel Aufsehen machte; daher sie den Nahmen der Blaurücke erhielten.« 418 Hans Bleckwenn, Urkunden und Kommentare zur Entwicklung der altpreussischen Uniform als Erscheinungsbild und gesellschaftliche Manifestation, Osnabrück 1971, S. VIII– XI. Zur Dessauer Spezifikation und den von ihr direkt und indirekt abgeleiteten Regimentsübersichten bis in das 19. Jahrhundert hinein, siehe Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41), S. 2ff. 419 Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 1. Das sogenannte »Buchsweiler Inventar« beschrieb die gesammelten Stücke. 420 Vgl. Jany, Bleckwenn, Stammlistenkommentar (wie Anm. 41), S. 2.

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Die Uniform stellte Zeitbezüge her. Durch sie konnte nicht nur zwischen Truppengattungen, sondern auch zwischen ›alten‹ und ›neuen‹ Regimentern unterschieden werden. Beispielsweise trugen »die Offiziere der neuen Regimenter […] an den Hüten breite gebogene Tressen, eine schwarze Hutschleife (Kokarde) und durchweg silbern-schwarze Kordons […], während die der alten Regimenter schmale Huttressen, keine Kokarden und bei goldener Stickerei goldene Hutkordons hatten.«421

1.

Einflüsse adliger Regimentsinhaber auf die Uniformgestaltung

Der bereits vermutete Einfluss der Regimentschefs auf die Gestaltung der Uniform trotz der zunehmenden Regulierung durch die Kurfürsten und Könige lässt sich bis in das 18. Jahrhundert hinein nachweisen. Vor dem Hintergrund der Entstehung der »Dessauer Spezifikation« 1729 zeigt sich, dass zu diesem Zeitpunkt die Regimentschefs »über die Uniform und die Gestaltung und Ausstattung nach wie vor« mitentschieden.422 1685 wünschte der Kurfürst, »daß einem jedweden Regimente eine gewisse Couleur von Fähnleins und Kleidern gegeben werden solle«. Vorher sollten die Regimenter jedoch die bereits verwendeten Farben für Fahnen und Uniformen anzeigen. Ihnen und ihren Chefs oblag es, dem Willen des Kurfürsten zu entsprechen und die Farben für die Fahnen wie auch für die Kleidung mit einem Maß an zu unterstellender Gestaltungsfreiheit zu bestimmen. Eine Rolle spielten dabei auch modische und ästhetische Aspekte. So konnte im Einzelfall die Farbe des Aufschlags auf die Farbe der Borte abgestimmt werden.423 421 Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 276. Zur Unterscheidung von alten und neuen Regimentern siehe auch Meusel, Marwitz’ Schilderung (wie Anm. 303), S. 476: »Alle alten Regimenter in der Armee (d. h. bis zum Regierungs-Antritt Friedrichs II. gestiftet) hatten rote Halsbinden, die Offiziere weiße und gelbe Espontons und Kurzgewehre, die neuen Regimenter hatten schwarze Halsbinden und schwarze Espontons. Die alten Regimenter wurden Musketiere genannt und hatten kleine dreieckige Hüte, die neuen hießen Füsiliere und hatten Mützen, den Grenadiermützen ähnlich, aber kleiner, die sehr gut aussahen. Man sagte, sie hätten diese gegen den siebenjährigen Krieg bekommen, wo die Preußischen Grenadiere schon im großen Ruf standen und von weitem schon an den Blechmützen zu erkennen waren, und wo nun diese Füsiliere für Grenadiere gehalten wurden.« 422 Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 32f. 423 Zitat und Zusammenhang bei Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 342. Auch für die Jahrhundertwende sei der Einfluss der Regimentschefs und Obersten auf Einzelheiten des Anzugs ebenfalls nachweisbar. So enthielten die Musterungsberichte ausführliche Beschreibungen, die aber bloß als Auszug zu werten seien, da sie nur für den betreffenden Truppenteil und auch nur für den angegebenen Zeitpunkt zuträfen. Sie ließen aber erkennen, dass im Großen und Ganzen schon Übereinstimmung herrschte, ebd., S. 595.

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Es erstaunt deshalb nicht, wenn Symbole des familiär-adligen Kontextes der Regimentsinhaber als Elemente in die Ausstattung der Regimenter übernommen wurden. Ein solcher Bestandteil der Uniform war die Hutschnur. Sie verlief um den Hutkopf und endete in zwei Quasten. Ihre Farben bestimmten sich bis in das 18. Jahrhundert hinein in der Regel durch die »Wappenfarben des Obersten« und damit gehörte die Hutschnur »zu den wesentlichen Regimentsabzeichen«. »Die eigentümlichen, von den sonstigen Abzeichen vielfach ganz verschiedenen Farben, welche die Hutschnüre und Hutbüschel der Infanterieregimenter bis zum Jahre 1806 zeigten, erklären sich fast durchweg aus den Wappenfarben eines Regimentschefs, den das Regiment unter Friedrich Wilhelm I. oder schon früher gehabt hatte.«424 »Da es jedem neuen Regiments-Chef frei stand, seine Wappenfarben anzubringen«, ist anzunehmen, dass die Farben der Hutschnüre und Büschel häufig gewechselt haben.425 Das Einbringen der Wappenfarben des Familienwappens des Regimentsinhabers entsprach noch dem Selbstverständnis des unabhängigen Truppenführers, und es manifestierte sich darin – bewusst oder unbewusst – der Besitzanspruch des Regimentschefs. Zwar waren die Regimenter zunehmend Ausdruck des herrschaftlichen Selbstverständnisses des Landesherrn, aber sie waren dennoch gleichzeitig in den familiären Erinnerungskontext ihrer jeweiligen Inhaber eingebettet. Mit jedem Wechsel an der Regimentsspitze fand eine Aktualisierung in Bezug auf die ›Familienzugehörigkeit‹ durch die Übernahme der Farben des neuen Inhabers statt. Weitere Bezüge zum Regimentschef konnten beispielsweise durch die Namensgebung des Regiments nach dem Inhaber426 sowie durch das Anbringen des Namens oder des Wappens auf Teilen der Uniform hergestellt werden. So waren auf dem Vorderschild der Grenadiermützen der Namenszug oder das Wappen des Obersten, aufgenäht oder in Metall befestigt.427 Nicht zuletzt konnte auch auf dem Ringkragen428 der Offiziere das Wappen des Regimentsinhabers dargestellt

424 Zusammenhang und Zitate ebd., S. 343. 425 Constantin Kling, Allgemeine Geschichte der Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung des altpreußischen Heeres, Bd. 1, Die Infanterie-Regimenter : allgemeine Bemerkungen. Mit einer Einführung von Hans Bleckwenn, Nachdr. der Ausg. 1902, Osnabrück 1971, S. 20. 426 Vgl. S. 144f. 427 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 344. Vgl. auch ebd., S. 396. Als ein weiteres Beispiel sind »die unter dem deutschen Sattel liegenden halben Schabracken und die in losen Falten über den Pistolenhalftern hängenden Halfterklappen« zu nennen, die »im Regiment gleich oder auch kompagnieweise verschieden, beim Anhaltischen Regiment 1683 blau, gelb, rot, grün mit dem fürstlichen Namenszuge, Borteneinfassung und Fransenbesatz« waren, ebd., S. 348. 428 Der Ringkragen ist in Bezug auf den hier im Zentrum stehenden Zeitraum für sich genommen ein Anachronismus. Als Überrest der Halsberge, welche als Teil der Ritterrüstung die verletzliche Halspartie zu schützen hatte und die das wichtige Bindeglied zwischen Helm und Rüstung war, hatte er keine schützende Funktion mehr. Als Abzeichen der

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werden.429 Dieser bestand »beim Anhaltischen Regiment 1683 von vergoldetem Silber mit dem getriebenen fürstlichen Wappen«.430 Die Inhaberrechte manifestierten sich insbesondere in den Uniformen der Spielleute, deren Nähte und Taschen mit wappenfarbenen Schnüren verziert waren. Darüber hinaus verwiesen auch Fahnenbilder, Grenadiermützen, Patronentaschen, Borten und Namenszüge der Schabracken, Paukenbehänge und Trompetenfahnen auf den jeweiligen Regimentsinhaber.431 Obwohl der Wechsel der Farben bereits unter Friedrich Wilhelm I. nicht mehr allgemeine Regel war, lässt sich auch für dessen Regierungszeit noch der Einfluss einiger Regimentschefs auf die Farbbestimmung insbesondere bei der Aufstellung neuer Regimenter feststellen. Unter Friedrich II. wurde der Einfluss, »die Wappenfarben des Regiments-Chefs in den Hutbüscheln und Tambourborten anzubringen« deutlich zurückgedrängt, indem der König bei der »Uniformierung der von ihm errichteten Regimenter und bei der Umänderung der Uniformen einiger alter Regimenter auf diese alte Sitte keine Rücksicht mehr nahm.«432 Dennoch sind auch für dessen Zeit drei Ausnahmen bei den »Regimentern Erbprinz von Hessen-Darmstadt (Nr. 12) im Jahre 1752, Alt-Württemberg (Nr. 46) und Prinz Georg von Hessen-Darmstadt (Nr. 47) im Jahre 1743« wahrscheinlich, die wohl aufgrund der fürstlichen Herkunft der Regimentschefs gemacht wurden.433 Bei annähernd jedem der alten Regimenter lassen sich Farbübereinstimmungen zwischen den Farben des Wappens des Regimentschefs und vor allem der Uniform des Regiments feststellen. Das gilt auch für Tambourborten sowie zum Teil für Fahnen.434 So entsprach die Borte der Tambouruniform des Infanterie-Regiments Nr. 1 im Jahr 1742 den Farben des Chefs von Glasenapp, der dies von 1723 bis 1742 gewesen war.435 Eine andere Variante war die Übernahme

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Offiziere verwies er auf deren Selbstverständnis und knüpfte an die Tradition des Rittertums an, vgl. Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 245. Zum Ringkragen als Medium militärischer Erinnerung vgl. S. 152f. Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 347; Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 245 verallgemeinert möglicherweise dieses Beispiel. Demnach sei im 17. Jahrhundert meistens das Wappen des Regimentschefs auf dem Ringkragen angebracht worden. Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 346. Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 21. Ebd., S. 21. Ebd., S. 21. Kling nennt die Regimenter Nr. 16, Nr. 19, Nr. 24, Nr. 26, Nr. 29, Nr. 31, Nr. 32, Nr. 40 und Nr. 46. Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 7. Bleckwenn kommentiert die Arbeit von Gustav Lehmann, Forschungen und Urkunden zur Geschichte der Uniformierung der Preussischen Armee. 1713–1807, Berlin 1900. Vgl. auch ebd., die Auswertungen und Kommentare zu den Regimentern: Nr. 4 (S. 13); Nr. 9 (S. 20); Nr. 13 (S. 29); Nr. 16 (S. 37); Nr. 17 (S. 38); Nr. 18 (S. 41); Nr. 20 (S. 44); Nr. 21 (S. 45); Nr. 22 (S. 47); Nr. 26 (S. 51); Nr. 29 (S. 55); Nr. 30 (S. 56); Nr. 31 (S. 57); Nr. 32 (S. 60). Vgl. auch die Angaben zu

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von Bestandteilen des Wappenbildes. Auf den Grenadiermützen des Infanterie-Regiments Nr. 24 war die Wappenfigur Bernd Christian v. Schönbecks abgebildet, der seit 1713 Chef eines Bataillons war, welches 1715 Teil des Regiments Schwendy (Nr. 24) wurde. Die Wappenfigur erhielt sich trotz der Umstrukturierungen und der Weiterentwicklung und Aktualisierung der Uniform, was die Farbübereinstimmung mit den Wappenfarben des späteren Regimentschefs von Schwerin belegt.436 Demzufolge wurde der Erhalt dieser erinnernden Elemente reflektiert und ihnen ein besonderer Stellenwert beigemessen.

Die Uniform des Infanterie-Regiments Nr. 12 – ein Beispiel Die oben genannte Ausnahme des Regiments Nr. 12 bezüglich Veränderungen an der Uniform auch in der Regierungszeit Friedrichs II. ist auf besondere Bitte des fürstlichen Regimentschefs vom König bewilligt worden. Dieses Regiment war das Regiment der Nebenlinie Brandenburg-Schwedt, begründet vom Großen Kurfürsten, welches 1741 »strafweise« anderweitig und 1743 an den Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt vergeben wurde.437 Dieser war bis 1757 Regimentschef und hatte 1748 die Uniform des Regiments selbst entworfen und dem König zur Genehmigung vorgelegt. Eingeführt wurde sie jedoch erst 1752.438 Aus der Generalkleiderkasse hat sich ein Vermerk darüber erhalten: »Weilen nun die jetzige Darmstadtische Mundierung in der Armee bleiben soll, so frage ich zugleich allererst an, welches Rgt. solche haben soll. Das Bonische Rgt. hat E.K.M. vor einigen Jahren um eine andere Mundirung gebeten gehabt.«439 Dieser Vermerk belegt, dass nicht nur die oben genannten Änderungen vorgenommen wurden, sondern auch andere Regimentsinhaber Wünsche bezüglich der Uniformierung ihrer Regimenter dem König unterbreiteten. Dieser entsprach den Wünschen aber nur zum Teil, wie die mehrfachen Eingaben des Regimentschefs des Infanterie-Regiments Nr. 20 sowie die ablehnenden Bescheide des Monarchen belegen.440 Mit der Änderung der Uniform des Infan-

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den Kavallerie- und Dragoner-Regimentern, ders., Die friderizianischen Uniformen 1753– 1786, Band 3: Berittene Truppen, Dortmund 1984: K 1 (S. 30); K 4 (S. 42); K 8 (S. 58); K 12 (S. 74); D I (S. 94) sowie D II (S. 98). Für die neuen Regimenter lassen sich selten heraldische Bezüge herstellen, ders., Die friderizianischen Uniformen 1753–1786, Band 2: Infanterie, Dortmund 1984, S. 12. Ausnahmen sind die Infanterieregimenter Nr. 45 und Nr. 47, ders., Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 74 u. 75. Ders., Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 49. Daniel Hohrath, Friedrich der Große und die Uniformierung der preußischen Armee von 1740 bis 1786, Bd. 2, Wien 2011, S. 86. Ebd., S. 87. Zitiert nach Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 23. Ebd., S. 44 u. 164. Vgl. Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 20f., der das Engagement der Regimentsinhaber belegt.

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terie-Regiments Nr. 12 wurden die goldfarbenen Stickereischleifen für die Offiziers-Uniform der alten Uniform auf die neue übertragen, »sodass nunmehr die Offiziere beider Regimenter beinahe identische Schleifen trugen. Vermutlich sollte auch dadurch die Kontinuität und die besondere Stellung des Regiments sichtbar gemacht werden, blieb doch durch das Taschenblech mit dem großen königlichen Wappen die Tradition als Brandenburger ›Haus-Regiment‹ gewahrt. Die Tambourborte hingegen zeigt mit rot und weiß die vom hessischen Löwen bekannten Hausfarben.«441

Folgt man dieser Interpretation, dann nutzte der fürstliche Regimentsinhaber einerseits die ehrbringenden Elemente der Tradition des Regiments der Brandenburg-Schwedter Nebenlinie und überführte diese andererseits zugleich in den Kontext seines eigenen Hauses, indem das Regiment die Farben seines Wappens in die Uniform aufnahm.

›Geschichtswerdung‹ der Regimenter im Spiegel der Uniform Ist diese immer wieder umgesetzte Aktualisierung als Teil einer adligen Erinnerungsstrategie zu werten, indem das Regiment als quasi familieneigenes Regiment geführt wurde, so verweist der Zeitpunkt, zu dem diese Aktualisierung in der Regimentsausstattung und Uniform nicht mehr vollzogen wird, auf die ›Geschichtswerdung‹ des Regiments. 18 von 32 alten Infanterie-Regimentern hatten 1806 noch die Farben in den Hutbüscheln, wie sie »schon im Jahre 1729 und noch früher bestanden.«442 Ein Hinweis in einem Bericht Lossows von 1826 legt nahe, dass die Zeitgenossen die Zeichensprache der Uniformen im zeitlichen Kontext einordneten und bewerteten. So entsprach die Uniform des In441 Hohrath, Uniformierung, Bd. 2 (wie Anm. 437), S. 87. Weitere Beispiele ebd., insbesondere S. 352 zum Infanterie-Regiment Nr. 46: »Die württembergische Farbkombination Schwarz-Gelb-Rot bestimmte die Uniform des neuen Regiments sehr deutlich. Sie zeigte sich in den Grundfarben sowie in den Tambourborten und Mützenpuscheln. Goldene Achselbänder für die Offiziere waren eine besondere Zugabe für den hochfürstlichen Regiments-Chef.« Ähnlich auch die Beschreibung der Uniform des Infanterie-Regiments Nr. 47: »Ob die gelbe Abzeichenfarbe des nach dem Schema des neuen Stils uniformierten Regiments auf einen besonderen Wunsch des Prinzen von Hessen-Darmstadt als erstem Regiments-Chef zurückgeht, ist nicht bekannt. Dafür wurden die hessischen Wappenfarben in die Tambourborte aufgenommen. Ebenfalls mit dem fürstlichen Rang des Chefs ist die Aufwertung der Offiziers-Uniform durch eine goldenes Achselband zu erklären«, ebd., S. 358. 442 Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 21. Konkret nennt er die Infanterie-Regimenter Nr. 1, 2, 3, 5, 6, 9, 11, 14, 16, 17, 19, 20, 21, 23, 24, 25, 26, und 27. Vgl. die Ausführung zu Infanterie-Regiment Nr. 41, welches bis zur Einführung einer neuen Uniform, Hohrath, Uniformierung, Bd. 2 (wie Anm. 437), S. 316, die alte Uniform von Regiment Nr. 7 und damit deren Bezug zu dessen Regimentschef von Bredow (1737-1741) übernommen habe, Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 69f. Vgl. ebenso Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 343.

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fanterie-Regiments Nr. 4 1775 nicht mehr den Vorstellungen der Zeit, obwohl sie erst zwischen 1739 und 1745 eingeführt worden war.443 Diese wurde als »die Kriegsraths-Mondirung« verspottet, weil »solche Officianten damals gewöhnlich mit Tressen galonirte Röcke trugen«.444 Es ist also anzunehmen, dass die ›Farbvielfalt‹ dem zeitgenössischen Betrachter ins Auge gefallen ist und ihn an die Geschichtlichkeit des Regiments erinnerte. Von dem Zeitpunkt an, von dem die inhaberbezogenen Symbole nicht mehr aktualisiert wurden, wandelten sich diese zu Überresten und wurden zu Zeugen der Geschichte des Regiments und seines Alters. Die ›Zugehörigkeits‹-Verhältnisse wurden gewissermaßen in ihr Gegenteil verkehrt. Der familiäre Erinnerungskontext wandelte sich mit der Geschichtswerdung des Regiments in einen regimentsbezogenen. Diese zweifelsohne vorhandene Herstellung von erinnernden Bezügen über die Uniform war aber zeitlich begrenzt, wie sich Ende des 18. Jahrhunderts zeigte. Die Regimenter waren 1797 nach der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms III. nur bedingt in der Lage, ihre beim Tode König Friedrich Wilhelms II. getragenen Uniformen zu beschreiben. Wenn sie überhaupt auf die Anforderung antworteten, dann teilweise unter Rückgriff auf die Ökonomie-Reglements.445

2.

Bewusstes ›Veralten‹ – Die Erinnerung an den königlichen Vater

Der Uniform des Bataillons Grenadiergarde, welches nach dem Tode König Friedrich Wilhelms I. aus dessen Regiment (Infanterie-Regiment Nr. 6) hervorging, kam durch Anweisung Friedrichs II. eine besondere Erinnerungs443 Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 12. Ebenso Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 33. Sowohl Bleckwenn als auch Hohrath verweisen auf Matthias Ludwig von Lossow, Denkwu¨rdigkeiten zur Charakteristik der preussischen Armee unter dem grossen Ko¨ nig Friedrich dem Zweiten, Glogau 1826. 444 Lossow schilderte ein ›Veralten‹ und schrieb, dass der König die alten Uniformen beibehielt und selten etwas daran änderte. Ihm wurde nur eine wesentliche Änderung, das Infanterieregiment Nr. 4 betreffend, bekannt: »Dieses hatte bis 1775 eine an dem ganzen Rock herunter laufende breite Tresse, weshalb man denn scherzweise diese Uniform die Kriegsraths-Mondirung nannte, weil solche Officianten damals gewöhnlich mit Tressen galonirte Röcke trugen. Dieser große Rockbesatz wurde nun zu jener Zeit in Schleifen mit Puscheln verwandelt, welche auf den beiden Seiten der Mondirung (sie hatte keine Rabatten) bis zur Taille vorn hingesetzt wurden«, ders., Denkwürdigkeiten (wie Anm. 443), S. 142. 445 Bleckwenn, Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 139. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung der Uniform in der Regimentsgeschichte des Regiments Braunschweig (Infanterieregiment Nr. 19). Darin wird eine Uniform – zwar mit salvatorischer Klausel – beschrieben, die das Regiment seit seiner Stiftung getragen hätte, die jedoch erst 1730 eingeführt worden sei, Seyfart, Geschichte Braunschweig (wie Anm. 76), S. 3 sowie der Kommentar von Bleckwenn, Einführung Geschichte Armee (wie Anm. 252), S. VIII.

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funktion zu. Der Vorgang an sich belegt, dass die Uniform als Distinktionsmittel geeignet war, auch Erinnerungen zu konservieren und zu tradieren. Bereits die Formierung dieses Bataillons diente dem »glorwürdigsten Andencken« seines Vaters, »des nun in gott ruhenden Königs Majestätt«.446 Friedrich II. setzte mit der gleichen Absicht fest, »daß künfftighin dies Bataillon Grenadierguarde sowohl in Ordnungen, Mondirungen, Propret8, insbesondere auch Gewehren und Patrontaschen, in summa in allem und jedem, wie es nur Nahmen haben mag, ohnverändert bleiben solle […]«.447 Damit koppelte der König dieses Bataillon ganz bewusst vom zeitlichen Verlauf und von den sich vollziehenden Entwicklungen ab. Langfristig schuf er einen Anachronismus, denn er befahl, »daß, wenn künfftig in der Arme8 ein Reglement oder Ordres, so denen vormahligen zuwider lauffen, ergehen mögten, derselbe sich daran im geringsten nicht binden, sondern alles auf dem Fuß behalten und conserviren solle, wie es zu Zeiten des Höchstseeligen Königs Majestätt gewesen.«448 Die Tatsache, dass dieses Bataillon aus dem ehemaligen Königsregiment hervorgegangen war, genügte Friedrich II. nicht als Symbol der Erinnerung an seinen Vater. Es brauchte darüber hinaus deutlich sichtbare und wahrnehmbare Zeichen. Diese fand er in Uniform und Ausrüstungsteilen. Den besonderen Status dieses Bataillons unterstrich er zusätzlich durch die Besserstellung der Offiziere im Vergleich zu anderen Regimentern: »Seine Königliche Majestätt wollen auch dies Bataillon in der Arme8 distinguiret wissen, dergestalt, daß Sie denen Oberofficiers einen Pas im Rang im Voraus allergnädigst verwilligen und gestatten, so daß der Obrister Generalmajor, der Obristlieutenant Obrister, der Major Obristlieutenant, die Capitains Majors, die Lieutenants Capitaines, und die Fähnrichs als Lieutenants einen Rang bey der Arme8 nach der Anciennet8 derer Patentes, welche sie nach ihrem Caracter bey der Guarde haben, rangiren sollen.«449

Die besondere Stellung dieses Bataillons blieb bis 1806 bestehen. Friedrich II. war sich der Bedeutung der Uniform als Mittel der Unterscheidung und als Medium der Erinnerung bewusst. Als Anekdote wurde überliefert, dass er als Kronprinz die Uniform seines, d. h. des kronprinzlichen Regiments, mit Erlaubnis des Königs änderte. »Als nun die neuen Uniformen fertig waren; bat der Prinz die Officiere des Regiments auf eine Wiese bei Ruppin hinaus, wo für sie öfters Ergötzlichkeiten angestellt wurden. Hier fanden sie einen großen brennenden Holzstoß, setzten sich rings herum nieder, und nahmen Erfrischungen an, die ihnen gereicht wurden. Da nun alles fröhlich und guter Dinge war, sagte der Prinz: ›nun meine Herren, da wir hier alle versammlet sind, so 446 447 448 449

Zitiert nach Kloosterhuis, Legendäre ›lange Kerls‹ (wie Anm. 27), S. 419. Zitiert nach ebd., S. 419. Zitiert nach ebd., S. 419. Zitiert nach Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 4.

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dächte ich, wir erzeigten der Golzischen Uniform die letzte Ehre!‹ Mit diesen Worten zog er den Rok und die Weste aus, und warf sie nebst dem Hute ins Feuer. Die Offiziere mußten diesem Beispiele gern oder ungern folgen. Dabei blieb es aber nicht; sondern der Prinz schnitt mit einem Federmesser das Oberzeug der Beinkleider auf, und warf es ebenfalls ins Feuer. Daß es so weit kommen würde, hätte von den Anwesenden keiner vermuthet […] und nachdem dieser Spaß genug belacht worden war, wurden die neuen Uniformen herbeigebracht und unter die Offiziere vertheilt.«450

Die mit der alten Uniform bestehende Erinnerung an den vormaligen Regimentsinhaber wurde in einem symbolischen Akt faktisch ausgelöscht. Es war eine bewusst gesetzte und inszenierte Zäsur für das Regiment, die jegliche ehrenden und erinnernden Rückbezüge unmöglich machte. Diese Episode unterstreicht ebenso, wie sehr die Uniform als ein Symbol des jeweiligen Regimentschefs wahrgenommen wurde.

3.

Das Selbstverständnis der Offiziere im Spiegel der Uniform

Während sich die Uniform im ausklingenden 17. Jahrhundert mehr und mehr auf Regimentsebene durchsetzte und Attribute der Regimentsinhaber aufgenommen und immer wieder aktualisiert wurden, verweigerten sich die Offiziere einer Vereinheitlichung ihrer Kleidung, weshalb sie sich von der der Mannschaft wesentlich unterscheiden konnte. Anhand eines Musterungsberichtes von 1681 ergibt sich die Farbenvielfalt der Uniformen der Offiziere: diese reicht von violetten über carmoisinroten, blauen, mit Gold und Silber verzierten Röcken bis zu rotsamtenen Wehrgehenken und schwarzen Hüten mit weißem Federbesatz.451 Das Fehlen von Uniformen für die Offiziere lässt sich auf deren Selbstverständnis als Angehörige des Adels zurückführen. »Als sich in den europäischen Heeren die Kleidung der Soldaten zunächst regimenterweise, dann immer mehr auch innerhalb ihrer Waffengattung vereinheitlichte, versagte sich der barocke Kavalier als Offizier noch lange Zeit solchen Vorschriften. Er versuchte nicht nur seinen roten Adelsrock beizubehalten, auch wenn er von der Grundfarbe der Truppe abwich, sondern auch Edelmetallbesätze nach eigener Vorstellung zu tragen.«452

Dass die Einheitlichkeit der Uniformierung der Offiziere bis über die Jahrhundertwende hinaus noch nicht weit gediehen war, belegt ein Bericht aus dem Jahr 1706. Die Offiziere kleideten sich wohl eher nach Belieben, denn einheitlich. 450 Anekdoten und Karakterzüge aus dem Leben Friedrich des Zweiten. Vierte Sammlung, Berlin 1787, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11001931-3, 23. 06. 2014, S. 45ff. 451 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 347. 452 Ortenburg, Das altpreußische Offizierkorps (wie Anm. 43), S. 15.

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»Wir sehen hier bei der Armee […] so viele Moden, daß es schwer ist zu wählen, jeder kleidet sich nach seiner Phantasie, die einen schwedisch, die andern berlinisch, andere gar französisch.«453 Durch immer mehr Vorgaben wurde der Prozess der Vereinheitlichung jedoch beschleunigt. Bis 1718 entsprach die Gestaltung des Uniformrocks dem Rang und Vermögen des Einzelnen und war entsprechend aufwendig. Nach 1718 wurden sie einfacher und einheitlicher, lediglich die Uniform des Königsregiments blieb weiterhin aufwendiger.454 In der Bewertung muss offen bleiben, ob die Gestaltungsfreiheit der Uniform unter Friedrich Wilhelm I. »als psychologisch kluge Zurückhaltung gewertet werden kann, durch die der König bewusst den ›Esprit de Corps‹ der Regimenter förderte« oder ob es »ein Mangel an Durchsetzungsvermögen des Monarchen« gewesen ist.455 Als Gründe für die schleppende Durchsetzung einer Uniform für die Offiziere wird man neben dem bereits angeführten Selbstverständnis adliger Offiziere auch einen Versuch zur Abgrenzung vom gemeinen Soldaten sehen müssen. Dieses Verhalten der Offiziere ist aber nicht als Weigerung des Adels zu interpretieren, im Militär zu dienen. Dies entsprach durchaus dem adligen Selbstverständnis und Lebensweg. Nur entfaltete der Dienst im Militär keine so starken Identifikationskräfte, dass die adlige Identität dahinter zurückgetreten wäre.456 Gleichwohl konnten sich an der Herleitung von Vorrechten und Vorrangstellungen immer wieder Konflikte zwischen Offizieren entzünden, von denen die eine Seite den militärischen Rang und die andere Seite den adligen Titel als Argument für das innezuhaben geglaubte Vorrecht anführte.457 Dieses bestehende Konfliktpotential wurde durch die zunehmenden Regelungsvorgaben für die Uniformierung der Offiziere zwar nicht aufgelöst, aber auch nicht verstärkt. Als Ausdruck adligen Selbstverständnisses ist neben der langsamen Durchsetzung einer Uniformierung der Offiziere die fehlende Ausdifferenzierung der Uniform nach militärischem Rang innerhalb der Offiziersränge zu werten. Die Offiziere trugen einschließlich der Generale, nachdem sich die einheitliche Uniformierung durchgesetzt hatte, »die durch keinerlei Gradabzeichen unter-

453 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 599. 454 Ebd., S. 775. Distinktion konnte auch durch Verzicht – wie beim Infanterie-Regiment Nr. 3 – erzeugt werden. 455 Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 36. 456 Der Dienst im Militär als originäre Sinnstiftung konnte sich erst mit dem Verlust von anderen Möglichkeiten – wie beispielsweise Hofdienst oder Verwaltung eines eigenen Gutes – etablieren. 457 Hahn berichtet davon, dass zwei aus dem niederen Adel stammende Generäle den Dienst quittierten und zwei weitere nur unter Protest in preußischen Diensten blieben, als Graf Wartensleben durch König Friedrich I. an die Spitze der Armee berufen worden sei, Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 179.

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schiedene Montierung ihres Regiments.«458 Als Offiziere wurden sie dennoch durch ihre Standesabzeichen wie dem Ringkragen, einer silbern-schwarze Schärpe oder Feldbinde und dem Portepee wahrgenommen.459 Die höheren Generale unterschieden sich lediglich durch den Stern und bei besonderen Anlässen durch das Band des Schwarzen-Adler-Ordens.460 Erst 1742 wurde von König Friedrich II. die Plümage als Abzeichen für die Generale eingeführt.461 Das Fehlen einer ausdifferenzierten Uniform bzw. von Rangabzeichen wird als Gleichheit innerhalb der Gemeinschaft der Offiziere interpretiert.462 Diese Gleichheit leitete sich demnach aus der Gleichheit der Herkunft und deren starker identitätsstiftender Kraft her, nicht aber aus einem davon losgelösten Selbstverständnis als Offizier.463 Darin kann man die Weigerung des adligen Offiziers sehen, die existierende militärische Binnendifferenzierung nicht auch noch durch eine ausdifferenzierte Uniform für jedermann sichtbar zu machen.464 Wahrnehmbar war dadurch lediglich, dass ›jemand‹ Offizier war. Für eine weitere Bestimmung der sozialen Hierarchie konnte die adlige Herkunft herangezogen werden. Die fehlende Unterscheidung trug wohl wesentlich zur Befriedung des bereits erwähnten Konfliktpotentials bei. Die Folgen einer Ausdifferenzierung zeigen sich in dem Bericht Wilhelm von Doerings über das Verhalten der Fahnenjunker seiner Einheit, die durch geschicktes Verhalten versuchten, sich die Ehrbezeigungen der höheren militärischen Dienstgrade zu 458 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 774. Vgl. auch Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 186. 459 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 600. 460 Ebd., S. 774. 461 Ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 275. Vgl. Meusel, Marwitz’ Schilderung (wie Anm. 303), S. 475: »Eine Generals-Uniform gab es nicht, jeder General trug die Uniform seines Regiments und die Feder im Hut, bei der Infanterie außerdem die breite, gebogene Tresse, selbst wenn das Regiment nur schmale Tressen um den Hut hatte. Wenn man also die Uniform eines Regiments kannte, so wußte man auch den Namen des Generals, der einem begegnete.« Vgl. auch Ortenburg, Das altpreußische Offizierkorps (wie Anm. 43), S. 15. Zur Uniform und ihrer Auswirkung auf den Korpsgeist vgl. Hebbelmann, Offizierkorps (wie Anm. 48), S. 224f.: »Ein äußerlicher Faktor der zu der Homogenisierung der Regimentsoffizierkorps und der Formung des ›esprit des corps‹ beitrug, war die Vereinheitlichung der Uniformen. […] Die Gleichheit brachte zum Ausdruck, daß alle Offiziere Angehörige ein und derselben Militärelite waren. An der Montur war allerdings sichtbar, zu welchem Regiment ein Offizier gehörte, da jede der Einheiten unterschiedliche Farben, Paspelierungen, Aufschläge etc. hatte. Diese Unterschiede in den Uniformen förderten den Zusammenhalt in den Regimentern.« 462 Ders., Offizierkorps (wie Anm. 48), S. 224f.; Ortenburg, Das altpreußische Offizierkorps (wie Anm. 43), S. 15. 463 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 728. 464 Dinges, Der »feine Unterschied« (wie Anm. 411), S. 50. Mit dem Erklärungsansatz von Martin Dinges ist die Uniformierung an sich zu erklären. Für die zum Teil lange Zeit fehlende Binnendifferenzierung der Uniformen, nämlich gerade für die Offiziere, hilft jedoch der Verweis auf das Bedürfnis nach Distinktion nur begrenzt weiter.

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›erschleichen‹. Demnach trugen Offiziere dreieckige Hüte ohne Tressen mit weißen Federbüschen, die letzteren unten schwarz.465 Im Gegensatz zu den Unteroffizieren der Infanterieregimenter, die »immer ganz ordonanzmäßig wie jeder andere Unteroffizier erscheinen mußten, hatten die Junker der Füsiliere, mindestens die der Oberschlesischen Brigade in dieser Richtung ganz besondere Lizenzen.« Diese bestanden darin, dass Port d’epee-Junker außer Dienst und in Gesellschaften die Interimsbekleidung der Offiziere trugen. Das bedeutete: »denselben Hut mit silbernem Cordon, den Federbusch mit unten schwarz, nur der Säbel unterschied sich von dem der Offiziere […].«466 Diese Ausnahme reichte den betreffenden Junkern aber nicht, sondern sie versuchten ihr Ansehen weiter zu steigern. »Auf der Straße wurde dann der Säbel unterm Arm getragen, das verräterische Gefäß dadurch maskiert, dagegen das möglichst große Port d’epee sehr zur Schau gestellt. So hatten diese jungen Herren zum großen Ärger ihrer Kameraden von der Linie, denn die Freude, daß ihnen von den Schildwachen anderer Truppenteile die den Offizieren zustehenden Honneurs regelmäßig gemacht wurden.«467 Selbst die jüngeren »Troddeljunker«, die mit wenigen Abstrichen ebenfalls die Annehmlichkeit der ›exklusiven‹ Kleidervorschrift genossen, bemühten sich um eine weitere ›Verbesserung‹. Deren »Hut [hatte] keine silbernen, sondern Cordons von Seide, der Federbusch hatte das Schwarze oben und der Säbel eine Troddel. Da nun diese Kategorie auch gern für etwas Höheres angesehen werden wollte, so trugen sie ganz weiße Federbüsche, hatten aber ein pinselartiges schwarzes Convolut von Federn in der Tasche, um es schnell, bei Begegnung eines Offiziers, dem sie nicht recht trauten, oben im Busche hereinzustecken. Das Cordon war von möglichst glänzender Seide und genau wie die silbernen gearbeitet. Der Säbel wurde auch unter dem Arm getragen, das Troddel wohlweislich aber auch. Stöcke trugen Offiziere wie Unteroffiziere.«468

4.

Über den aktiven Dienst hinaus – Uniformen erinnern an Zugehörigkeit

Uniformen und Standessymbole wurden im Verlauf des 18. Jahrhunderts für Offiziere so attraktiv, dass ihr Besitz über die aktive Dienstzeit im Militär hinaus angestrebt wurde.469 Dazu dürfte wesentlich beigetragen haben, dass die Könige selbst Uniform trugen.470 Mit einer solchen verband sich ein Zugehörigkeits465 466 467 468 469

Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 15. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Ebd., S. 16. Vgl. S. 126f. Der Einfluss zeitgenössischer Mode auf die Uniformgestaltung trug zur Akzeptanz der Uniform bei. Vor allem für die Zeit um 1800 spielte Mode eine wichtige Rolle. Vgl. Zedlitz und Neukirch, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 175), S. 719. 470 Auch wenn Friedrich II. ebenso wie sein Vater Uniform trug, behielt er seine Affekte gegen

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gefühl und ein Zugewinn an Reputation, den man ohne sie nicht vermitteln zu können glaubte. Anders lässt es sich nicht erklären, dass 1795 ein ausdrückliches Verbot zum Tragen der Uniform und Standeszeichen für ehemalige Offiziere erlassen wurde. Über die Zeitungen sollte die Missbilligung des Königs verkündet werden, »daß verschiedentlich das Officierport8p8e und Huthcordon Dero Arm8e von Personen getragen wird, die auf keine Weise dazu berechtigt sind. Um nun diesem Mißbrauch ein für allemal vorzubeugen, haben Allerhöchstdieselben zu bestimmen geruhet, daß außer denjenigen Personen, welche in Sr. Majestät. Königl. Majestät Militair Dienst als Officiers gestanden und demnächst mit Erlaubniß zur Beibehaltung der alten Arm8e- oder der Regiments- oder Bataillons-Uniform, bei welchem sie ehedem gedient, dimittiert worden, niemand gestattet werden soll, das Offcierport8p8e und den Huthcordon zu tragen, als denjenigen verabschiedeten Officiers, denen zwar wegen ihrer zu kurzen Dienstzeit die Erlaubniß zur Tragung einer Uniform Dero Arm8e nicht hat accordirt werden können, welche aber mit der patentmäßigen Pension ihren Abschied erhalten haben.«471

Schon Anfang des 18. Jahrhunderts war bestimmt worden, dass das Portepee nur – abgesehen von den bewilligten Ausnahmen – von den aktiven Offizieren getragen werden sollte.472 Dass das Tragen der ehemaligen ›Dienst- bzw. Arbeitskleidung‹ als Auszeichnung verstanden wurde, kann nur damit begründet werden, dass sie ihren Trägern weit mehr als lediglich Kleidung bedeutete.473 Es war zumeist eine Form der individuellen Anerkennung und Ehrung durch den Monarchen.474 Mit der Uniform des Regiments legitimierte sich sein Träger als Ehemaliger. Er blieb Teil

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jede Form zeremonieller Reglementierung bei, Johannes Kunisch, Friedrich der Große: Der König und seine Zeit, München 2004, S. 279. Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 234. Kloosterhuis belegt eine Bekanntmachung der Generaladjutantur vom Februar 1787, wonach sich »entsprechend privilegierte Personen« in ein Verzeichnis bei der Generaladjutantur unter Attest ihres alten Regiments eintragen mussten, um dem Missbrauch Einhalt zu gebieten, Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten (wie Anm. 43), S. 343. Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 231. Bei Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten (wie Anm. 43), S. 344 findet sich das Beispiel des verabschiedeten Majors Gottfried Dietrich v. Zastrow, der krankheitshalber mit dem Rang eines Majors entlassen worden sei und die Erlaubnis erhalten habe, die Uniform seines Regiments nach wie vor zu tragen. Vgl. auch Straubel, Friedrich II. (wie Anm. 33), S. 509. Friedhelm Heyde, Die Altpreussischen Orden, Ehrenzeichen, Ehrenmedaillen, sonstigen Auszeichnungen und ihre brandenburgischen Vorläufer (1701–1809). Abteilung B, Osnabrück 1979, S. 89. Heyde verweist auf die Erwähnung bei Priesdorff, ebd., S. 90. Priesdorff nennt Heinrich Wilhelm von Lettow den »erste[n] Offizier der kurbrandenb.-preuß. Armee, dem diese Auszeichnung zuteil wurde«, Kurt von Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2, Hamburg 1937, S. 101. Vgl. den Hinweis im Eintrag zu Francois Andr8 Jacquier de Berney von Favrat, ebd., S. 220.

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der militärischen Gemeinschaft, indem er öffentlich und wahrnehmbar Zugehörigkeit suggerierte bzw. an seine Vergangenheit in derselben erinnerte und weiterhin deren Reputation genoss. Auch das Regiment konnte die Auszeichnung eines ehemaligen Regimentsmitglieds für sich in Anspruch nehmen, denn die Leistungen als Grund für den Gunsterweis hatte dieser im Regiment erbracht. Als Ausnahme – in Unterscheidung zur individuellen Ehrung – ist die Auszeichnung einer bestimmten Gruppe, die Uniform über den Dienst hinaus tragen zu dürfen, anzusehen. Beispielsweise trugen die ehemaligen Mitglieder des 1. Bataillons Garde (Infanterie-Regiment Nr. 15 I) die Uniform der Unrangierten. Darüber hinaus erhielt aber »eine bestimmte Anzahl […] eine solche Montirung wie sie das Bataillon in der Bataille bei Mollwitz gehabt hatte.«475 Diese bewachte die königlichen Schlösser.476 Die Uniform wurde also von den Zeitgenossen als ehrende Auszeichnung und als Rückverweis auf die erste siegreiche Schlacht König Friedrichs II. wahrgenommen. Die ›exklusive‹ Bekleidung machte die Wache der königlichen Schlösser zu Veteranen des ersten Schlachtensieges König Friedrichs II., unabhängig davon, ob diese daran teilgenommen hatten oder nicht. Rückbezüge wie dieser verschafften nicht nur den Personen Respekt, sondern auch deren Aufgabe besondere Aufmerksamkeit. Voraussetzung dafür war jedoch die ›Dekodierung‹ der symbolischen Chiffren.

5.

Regelbrüche fördern Distinktion und sind ›merk-würdig‹

Das Bedürfnis, die eigene Ehre und den Status des Regiments herauszustellen und zu erinnern, dürfte ein starker Antrieb dafür gewesen sein, die Unterscheidung von anderen immer wieder auch unter Inkaufnahme von Regelbrüchen herauszustellen. Solche Regelbrüche konnten Vorbildcharakter entwickeln und selbst Teil der Erinnerung werden. So wurden die Offiziere der Garde du Corps gebeten, dass sie keine »extravagante Frisur und im Hutsetzen einen Vorzug setzen möchten«. Weil sie sich aber nicht dem Regelwerk entsprechend verhielten, sah sich der Regimentskommandeur gezwungen, die Offiziere des Regiments Gens d’armes als Vorbild zu benennen. Eigentlich sollten die Offiziere der Garde du Corps das Vorbild für alle anderen Kavallerieregimenter sein.477 475 Ziesemer, Briefe eines Preussischen Feldpredigers verschiedene Characterzüge Friedrichs des Einzigen betreffend: Mit Rücksicht auf die Briefe eines alten Preussischen Officiers über eben diesen Gegenstand, Potsdam 1791, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10012658-4, 17. 03. 2014, S. 98. Der Hinweis bei Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 299. 476 Ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 299. 477 Zusammenhang und Zitat bei Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 220. Dieser verweist auf Zabeler, Nachlaß Donnersmarck (wie Anm. 280), S. 35.

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Wie sich solche Veränderungen durch die Regimenter fortpflanzen, belegt die Bitte an den König, demnächst »Zopfcocarden« tragen zu dürfen: »Das Corps Officiers des meinem Commando anvertrauten Regiments von Thadden hat zu wiederholten mahlen gegen mich den Wunsch geäußert, daß ihnen erlaubt werden möchte, zu denen erhaltenen Huthcocarden auch einen auf dem Zopf tragen zu dürfen, wie solches bey mehreren Infanterie-Regimentern bereits der Fall sey. Ich unterwinde mich daher, Ew. königl. Majestät unterthänigst zu bitten, gedachtem Corps Officiers die gewünschte Erlaubnis zu Tragung der mehr gedachten Zopfcocarden allergnädigst zu ertheilen. […] Ippenbühren den 29. April 1795. Wilhelm Prinz von Braunschweig.«478

Es war den Regimentern wichtig, mit äußeren Veränderungen Schritt zu halten oder diese, gleichsam vorpreschend, zu entwickeln. Die Haartracht war in diesem Sinne ein geeignetes Mittel zur Distinktion.479 Regelbrüche machten Distinktion ebenso möglich wie außergewöhnliche Leistungen. Indem überkommene Regeln gerade nicht mehr akzeptiert wurden, konnte man auf sich aufmerksam machen. Dass solch ein Konzept aufging, belegt der Eintrag Wilhelm von Doerings, der den Regelbruch einer anderen Einheit kolportierte und erinnerte: »Wir bewegten uns in einer sehr durchschnittenen Gegend und sahen von der Höhe verschiedene Truppen, so das Regiment Holzendorf-Cürassiere, Escadrons von Bila-Husaren, einige Escadrons v. Schimmelpfennig. Erste grün mit gelben Schnüren, die andern braun. Diese war die erste preußische Truppe, welche die Zöpfe abschnitten. Ihr Commandeur, der Fürst v. Pleß, hatte es gewagt, diese Neuerung bei dem Regiment, welches er kommandierte, einzuführen.«480

Erinnerungswürdig bzw. »merk-würdig« war das Besondere. Dieses fand zunächst Eingang in das kommunikative Gedächtnis, indem darüber diskutiert wurde. Langfristig konnte es, wie der Eintrag bei Doering zeigt, Teil der Erinnerung und des kulturellen Gedächtnisses der Offiziere werden.

6.

Fahne – Symbol eines Regiments

Neben Uniform und Ausrüstungsteilen war die Fahne symbolischer Mittelpunkt eines Regiments.481 Sie galt als Ehrenzeichen besonders schützenswert.482 An478 Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 222. 479 Jany geht auf die Haartracht vor und nach 1726 ein. Die nach diesem Jahr aufkommenden künstlichen Seitenlocken seien von den Regimentern unterschiedlich getragen worden, also als ein Unterscheidungsmerkmal genutzt worden, Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 769. 480 Doering, Erinnerungen (wie Anm. 280), S. 51. 481 »Fahnen und Flaggen dienten als optische Zeichen und wurden zu Wahrzeichen militärischer Einheiten und ganzer Nationen, deren sakrale Überhöhung sich in Kunst und Literatur

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fänglich wurden – wie bei der Gestaltung der Uniform – noch Hinweise auf die adligen Regimentsinhaber auch in den Fahnen vermittelt, doch zunehmend verschwanden solche Bezüge und wurden durch einheitliche Gestaltungselemente, die der König vorgab, ersetzt.483 Gleichwohl nahm sie selbst keine unmittelbaren Erinnerungsbezüge, d. h. sichtbare Erinnerungen an herausragende Leistungen des Regiments auf.484 Die Fahne wurde in Verbindung mit dem Eid und religiösen Bezügen zunächst mehr und mehr Symbol des Königs und seiner Armee.485 Dies zeigt sich beispielsweise in einer Ansprache anlässlich des Schwurs des Infanterie-Regiments Nr. 24 auf die neuen Fahnen. Der Feldprediger ermahnte 1747 seine Zuhörer, den Pflichten eines ›miles christianus‹

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spiegelt. Fahnen waren fester Bestandteil von Ritualen der Identifikation im militärischen wie im zivilen Bereich. Sie wurden geweiht und geschmückt, blutig umkämpft und bewusst zerstört. Praktische Funktion, symbolische Bedeutung und Mythos der Fahnen waren stets untrennbar verbunden«, Daniel Hohrath, Zur Einführung, in: Daniel Hohrath (Hrsg.), Farben der Geschichte: Fahnen und Flaggen, Berlin 2007, S. 4; ähnlich Urte Evert, Daniel Hohrath, Die Zeichen des Kriegers und der Nation: Fahnen und Flaggen, in: Daniel Hohrath (Hrsg.), Farben der Geschichte: Fahnen und Flaggen, Berlin 2007, S. 17. Vgl. beispielsweise auch die Verbindung von Fahne und Eid im Reglement vor die Königl. Preußische Infanterie (wie Anm. 357), S. 454. Vgl. S. 269; Urte Evert, ›Die Fahne fliegt uns hoch und stolz voran‹ – Mythos Fahne, in: Daniel Hohrath (Hrsg.), Farben der Geschichte : Fahnen und Flaggen, Berlin 2007, S. 23 bzw. 24 mit dem Verweis auf den berühmten Schlachtentod des Generalfeldmarschalls von Schwerin mit der Fahne in der Hand in der Schlacht bei Prag 1757. Vgl. auch S. 185 u. 203. Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 350 u. 601f. »Berichte, die im Jahre 1699 eingefordert wurden, zeigen noch eine bunte Mannigfaltigkeit der Sinnbilder und Spruchbänder, deren Wahl dem Regimentschef überlassen blieb«, ebd., S. 782. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden Fahnen auch noch im persönlichen Umfeld des Obersten, beispielsweise in der Kirche, aufbewahrt, Daniel Hohrath, Martin Winter, Die Preußische Armee und ihre Feldzeichen, in: Daniel Hohrath (Hrsg.), Farben der Geschichte: Fahnen und Flaggen, Berlin 2007, S. 46. Bereits 1713 änderte sich dies. »Die Fahnen erhielten kurz nach dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm I. ein einheitliches, nur in den Farben bei den Regimentern verschiedenes Aussehen. Die mannigfaltigen Sinnbilder und Sprüche, die an die alten Hoheitsrechte der Obersten erinnernden Wappenzeichen verschwanden und machten den königlichen Abzeichen Platz«, Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 782. Zur Gestaltung der Fahnen unter König Friedrich II. vgl. ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 284f.; Evert, Hohrath, Zeichen des Kriegers (wie Anm. 481), S. 17. Vgl. S. 131. Hohrath, Winter, Feldzeichen (wie Anm. 483), S. 44 gibt aber an, dass es bereits »seit dem 18. Jahrhundert […] wieder üblich [wurde], an den Truppenfahnen […] Ehrenzeichen anzubringen«, deren Vorbilder man in der »römisch-antiken Überlieferung« fand, jedoch werden keine konkreten Beispiele für Preußen genannt. Der Funktionswandel zum »sakral überhöhten Symbol« vollzog sich erst im 19. Jahrhundert, in dem sich auch die verschiedenen Arten von Auszeichnungen der Fahnen etablierten, ebd., S. 44f. Dies legt auch die Aufbewahrung von Fahnen als »außer Gebrauch genommene Erinnerungsstücke der eigenen Armee« im Sinne von »Reliquien« im Berliner Zeughaus nahe, Daniel Hohrath u. a., Die Fahnensammlung des Deutschen Historischen Museums, in: Daniel Hohrath (Hrsg.), Farben der Geschichte: Fahnen und Flaggen, Berlin 2007, S. 6.

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nachzukommen und wies mehrfach auf die Folgen einer Eidverletzung hin.486 In einer anderen Veröffentlichung eines Soldaten des Infanterie-Regiments Nr. 47 spiegelt sich ebenfalls die übergeordnete Bedeutung der Fahne wider. Dabei stellte der Verfasser die Verbindung zwischen der Gründung des Regiments 1743 und der späteren Auseinandersetzung Friedrichs II. mit Österreich her487 und stilisierte die neuen Fahnen zu deren ›Bote‹. »Aus diesem Ursprung ist das Regiment entstanden, Die sich fast recht mit Lust zum neuen Dienst verbanden. Ich sahe Freuden-voll die Ehren-Zeichen stehn, Als sollt es morgen schon vorm Feind zu Felde gehen.«488 Der Verfasser war wohl ein Sachse, der in preußische Dienst trat und mit dieser Veröffentlichung seine ›neue‹ Treue zu bekunden suchte. »O theurer Wietersheim! es schwören Deine Sachsen, Eh soll ein Bienen-Schwarm, in den Schornsteinen wachsen, Eh sie, wenn Du sie führst, vorm Feinde rückwärts gehn, Sie werden um Dich rum als wie die Mauren stehn.«489 Die Fahne war für ihn königliches Symbol und Regimentssymbol zugleich. Fahnen waren Teil einer ›Regimentskultur‹ und als bedeutende Symbole auch Teil der Erinnerung der Regimenter.

7.

Exkurs: Regimentsnamen tradieren nur ausnahmsweise Regimentserinnerungen

Namen können identitätsstiftende Symbole von Erinnerungsgemeinschaften sein. Die Regimenter trugen in der Regel den Namen ihres jeweiligen Regimentsinhabers, wie sie auch bis in das 18. Jahrhundert hinein Farben und Symbole seiner Familie übernahmen. Zugleich wurde durch den Rang des Regimentsinhabers – abgesehen von Ausnahmen – der Rang des Regiments bestimmt.490 Diese Art der Namensgebung bis 1808 macht deutlich, dass das Re486 Franz Weinitz, Ansprache eines preußischen Feldpredigers an sein Regiment aus dem Jahre 1747, Nachdr. der Ausg. 1918–1920, in: Zeitschrift für historische Waffenkunde 8 (1973), S. 214f. Die sakrale Überhöhung der Fahnen spiegelte sich in den Fahnenweihen des 19. Jahrhunderts wider, vgl. Gustav von Kessel, Geschichte des Königlich Preußischen Ersten Garde-Regiments zu Fuß. 1857–1871 unter Fortsetzung der Personalnotizen bis zum Jahre 1880, Berlin 1881, S. 19. 487 Vgl. Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 147. 488 Bey der solennen Inauguration derer neuen prächtigen Fahnen, womit Ihro Königl. Maj. von Preussen das Hochlöbl. Wietersheimische Regiment zu beehren geruheten, wollte gegen seinen gnädigen Herrn General als einen hochtheuren Chef seine submisse Veneration in einigen gebundenen Zeilen an den Tag legen, ein unterhänigst treuer Knecht und Gemeiner Soldat vom Regiment, Halle/S. 1757, http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/ SBB0000B2AD00000000, 23. 06. 2014, S. 5. 489 Ebd., S. 6. 490 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 627: »Die den Regimentern […] beigefügten Nummern waren im Dienstgebrauche nicht üblich. Die Regimenter wurden vielmehr

Die Entwicklung der Uniform

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giment von seinem adligen Regimentsinhaber her gedacht wurde bzw. der Regimentsinhaber der Mittelpunkt eines Regiments war. Von dieser Praxis der Namensgebung ausgehend kam einem Regiment keine eigene ›Persönlichkeit‹ zu. Erinnerungsbezüge konnten sich nur so lange mit dem Namen des Regiments verbinden bzw. in der Fremdwahrnehmung mit dem Regiment verknüpft werden, so lange der namensgebende Inhaber Regimentschef war. Mit jedem Wechsel an der Regimentsspitze endete also die erinnerungs- und identitätsstiftende Funktion des Namens.491 Ausnahmen stellten die wenigen Regimenter dar, die dauerhaft denselben Namen trugen.492 So konnte beispielsweise der Prediger des Regiments Gens d’armes 1792 den Namen des Regiments als ein von Gott verliehenes »großes, kostbares Pfand« in den Mittelpunkt stellen und die Regimentsangehörigen darauf einschwören.493 Neben der offiziellen Nomenklatur entwickelte sich eine inoffizielle Namensgebung der Regimenter. 1729 hatte Fürst Leopold von Anhalt-Dessau eine »Specification der jetzigen und in diesem Jahre befindlichen Regimenter zu Fuß, Cavallerie und Dragoner, wenn dieselben gerichtet, wer sie gehabt, was sie vor Fahnen und Estandarten haben, auch wie sie jetzo mondiret sein« beim König eingereicht.494 Fürst Leopold von Anhalt-Dessau wählte zur präzisen Unterscheidung der militärischen Einheiten deren Alter seit ihrer Gründung und nummerierte sie dementsprechend aufsteigend durch. Obwohl diese Nummerierung nicht zur offiziellen Nomenklatur erhoben wurde, belegte ihre Verwendung in den gedruckten Stamm- und Ranglisten ihren durchschlagenden Erfolg.495 Mit dieser Art der Benennung wurde es einfacher, Regimenter und ihre

491

492 493 494 495

bis zum Jahre 1808 lediglich nach ihren Chefs benannt, rangierten nach dem Dienstalter ihrer Chefs und wechselten daher ihren Namen und Rang mit jeder Änderung in den Chefstellen.« Ausführlicher dazu Kling, Infanterie-Regimenter (wie Anm. 425), S. 2. Beispielsweise ist hier das Infanterie-Regiment Nr. 44 zu nennen, welches mit dem Namen seines zeitweiligen Regimentschefs keine positiven Erinnerungen verband, da dieser »ohne jemals zum Regiment gekommen zu seyn« 1764 starb, Seyfart, Geschichte Brietzke (wie Anm. 179), S. 14 bzw. 24. Zum Verlust eines ›zeitlosen‹ Namens bzw. eines Status, vgl. König, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74) S. 62 zum Infanterie-Regiment Nr. 1: »Die Garde verlohr 1713 ihren Namen und erhielt den ihres Chefs des Grafen von Wartensleben.« Vgl. S. 13. Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 628. Vgl. S. 128. Ebd., S. 628. Vgl. zur Praxis in der österreichischen Armee Michael Hochedlinger, Austria’s Wars of Emergence: War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683–1797, London, u. a. 2003, S. 115: »The proprietor gave his name to the regiment, and his own social and military rank (and not the seniority oft he regiment!) also determined the precedence of the regiment and ist position in the order of battle which prevailed during the march, in camp and in the actual battle.« Ab 1769 erhielten die österreichischen Regimenter Nummern zugewiesen und ersetzten die bisherige Praxis, die Regimenter nur durch den Namen des Regimentsinhabers zu identifizieren. »From now on a regiment’s number and status were to be frozen according to the rank it held in 1769, whereas previously regimental reputation had varied depending on the rank and the social position of ist current proprietor«, ebd., S. 313.

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Materialisierte Erinnerungskultur

Angehörigen in einer Hierarchie zu verorten: je niedriger die Nummer des Regiments war, desto älter war es und umso mehr hatte es sich auch in kriegerischen Auseinandersetzungen bewähren können. Für die Einheiten war wichtig, Ruhm und Ehre zu mehren und sichtbar zu machen. Der Name eines Regimentsinhabers war hierfür nicht das geeignetste Mittel, wie die Umbenennung des Dragonerregiments Nr. 5 belegt. Das Regiment bat zu Beginn des Jahres 1806 um die besondere Ehre, sich nach der Königin benennen zu dürfen. Dies lässt darauf schließen, dass der Name des Markgrafen Friedrich von Bayreuth nicht den außerordentlichen Ruhm tradierte, den sich das Regiment in der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745 erworben hatte.496 Es versuchte daher durch einen besonders ehrenden und dauerhaft verliehenen Namen sein Ansehen zu steigern. Der König beantwortete am 5. März 1806 die mündlich vorgetragene Bitte des Generals der Kavallerie Kalckreuth: »[…] Das Euch anvertraute Dragoner-Regiment, das bisher den Namen des Markgrafen von Anspach-Bayreuth geführt hat, würde ein nach dessen nunmehr erfolgten Hintritt in die Kathegorie der meisten übrigen Regimenter treten, welche der eingetretenen Ordnung zufolge, nach ihren wirklichen Chefs benannt werden und gerne würde Ich auch ihm Euren Namen gegeben haben, indem Ihr demselben stets mit so vieler Auszeichnung vorgestanden. Da Ihr indesen selbst mit den Stabs-Offizieren des Regiments Mir im Namen desselben mündlich den Wunsch vorgetragen, dem Regiment die Erlaubniß zu ertheilen, sich nach der Königin Meiner Gemahlin nennen zu dürfen, so habe Ich solches zwar schon mündlich genehmigt, will es aber auch noch schriftlich bestätigen und dem Regiment den Namen »Regiment Königin-Dragoner« hierdurch beilegen, überzeugt daß dieses brave Regiment auch unter diesem Namen nicht nur seinen alten Ruhm behaupten, sondern sich auch denselben zu einem neuen Antriebe werde gereichen lasse, sich wie bisher auch ferner vortheilhaft auszuzeichnen und sich dadurch Mein bisherige Zufriedenheit und Mein besonderes Wohlwollen zu erhalten. […]»497

Das Schreiben des Königs belegt, dass der Ruhm des Regiments auch 61 Jahre nach der Schlacht im Bewusstsein der nachfolgenden Generation verhaftet blieb. Darüber hinaus offenbart sich in dem Vorgang eine kollektive Identität des Regiments, vertreten durch den neuen Regimentschef und die Stabsoffiziere, die sich mit dem ›zeitlosen‹ und ehrenvollen Namen der Königin weiter festigte. Mit dem neuen Namen erhielt das Regiment keine neue Identität, denn es wurde nicht aus seiner bisherigen Geschichte entlassen, wie die Verpflichtung auf den »alten Ruhm« zeigt. Vielmehr trat zum bisherigen Ruhm und zur Geschichte des

496 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Hohenfriedberger Marsch, S. 166f. 497 GStA Berlin, BPH Rep 49 S I, Nr. 9 - Bitte um Übertragung des Namens der Königin auf IR / Übersendung von Rapporten.

Erinnerung an ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten

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Regiments die Aufforderung und Verantwortung hinzu, dem neuen, ehrenvollen Namen gerecht zu werden.498

Erinnerung an ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten Das Grundgeflecht von Erinnerungsbezügen und Geschichten, welches Uniformen und sonstige Ausrüstungsgegenstände tradierten, konnte, wie oben dargestellt, durch zum Teil auch systemdurchbrechenden Veränderungen und Ergänzungen derselben weiter ausdifferenziert werden. Ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten boten Anlass, das Regiment auch sichtbar von anderen zu distinguieren, hervorzuheben und letztendlich auszuzeichnen. Distinktion aber erzeugte Identität und Geschichtlichkeit und schuf den Grundstein militärischer Erinnerungskulturen.

1.

Veränderungen und Ergänzungen der Uniform

Es gab viele Möglichkeiten, Regimenter und Bataillone für besonderes Wohlverhalten auszuzeichnen und dadurch an dieses zu erinnern.499 So erhielt beispielsweise das Infanterieregiment Nr. 28 für das Gefecht bei Weißkirchen (22. Oktober 1778) silberne Achselbänder,500 und dem zweiten Husarenregiment 498 Das Gesuch des Dragonerregiments an den König und die Vorabentscheidung des Königs müssen anderen Regimentern nicht verborgen geblieben sein und lösten Konkurrenzbestrebungen aus. Wenige Tage vor der schriftlichen Bestätigung des Königs schrieb Generalleutnant von Puttkammer an denselben: »Brandenburg, 26. Febr. 1806: Ew. Majaestät werden einen alten Abgedankten Krieger nicht ungnädig nehmen, wann er es wagt, Ew. Majestät seine Freude zu bezeugen, über das Glück welches der Arme8 zutheile geworden, daß ein Cavalrie-Regiment den Namen der Schönsten, und Libenswürdigsten Königin, zu führen die Gnade hat. Meine Freude würde vollkommen sein, wann die Infantrie, unter welche ich das Glück hatte mit Eiffer 61 Jahre zu dienen, noch vor meinem Tode ein gleiches Glück widerführe. So lange ich lebe, werde ich in meinem Herzen alles theilen was den Königlichen Preußischen für Wehe und Mühe wider fahren wird […]«, GStA Berlin, BPH Rep 49 S I, Nr. 9. 499 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92. Heyde listet eine Auswahl von »kollektiven Auszeichnungen und Prärogativen für einzelne Regimenter und Bataillone der altpreußischen Armee« auf. 500 Ebd., S. 92. Weitere Beispiele für Distinktionen in der Uniform und Ausrüstung finden sich beim Kürassierregiment Nr. 13, welches »Suprawesten mit dem großen, in Silber gestickten Stern des Schwarzen-Adler-Ordens«, Sterne des Schwarzen-Adler-Ordens auf den Patronentaschen, polierte Kürasse, versilberte Pallasche gehabt und von Königin Luise reichgestickte Paukenfahnen erhalten habe. Darüber hinaus hätten die Wachtmeister den Rang als Premierleutnants von der Armee gehabt, ebd., S. 92. Das Kürassierregiment Nr. 10 habe u. a. in Silber gestickte Schabrackensterne des Schwarzen-Adler-Ordens besessen, ebd., S. 92. Da nicht immer zuverlässige Angaben über den Grund der Verleihung zu finden sind

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Materialisierte Erinnerungskultur

stifteten die Königinmutter Sophie Dorothea und König Friedrich II. 1743 nach dem ersten schlesischen Krieg eine besondere Paradeuniform: »Am ersten Revuetag eines jeden Jahres tragen die drei ersten Offiziere jeder Eskadron Tigerfelle. Die Eskadronchefs überdies Adlerflügel an der Mütze, die übrigen Offiziere eine Reiherfeder als Schmuck […].«501 Auszeichnungen in Form von Veränderungen der Ausstattung bzw. der Uniform der Regimenter waren insbesondere Folge militärischer Leistung und erinnerten fortan an diese. Die beiden Beispiele belegen, dass Änderungen oder zusätzliche Auszeichnungen das Wohlwollen des Königs in Form einer Genehmigung benötigten. Waren sie jedoch einmal bewilligt und verliehen, tradierten und erinnerten sie in erster Linie das regimentsbezogene Wohlverhalten und nicht den gnädigen Bewilligungsakt des Monarchen. Solange keine Information darüber vorliegt, ist es unerheblich, ob die Auszeichnung ursprünglich vom Regiment erbeten oder vom König von sich aus gegeben wurde.502 Vom Grundsatz her sind solche überlieferten Realien, die militärischen Erfolg tradieren, der Einflusssphäre der Regimenter zuzurechnen. Die gezeigten Beispiele legen nahe, dass sich die erinnernde Funktion der Uniform und ihrer Bestandteile häufig erst in Kenntnis der allgemeinen Bekleidungsvorschriften bzw. im Kontext der Uniformen anderer Regimenter der gleichen Truppengattung sowie in Kenntnis der Geschichte der Regimenter wirksam entfaltete.

2.

Regimentssiegel und Waffen als Medien der Erinnerung

Nach der Schlacht bei Hohenfriedberg im Juni 1745 wurde das Dragonerregiment Bayreuth (Nr. 5) besonders ausgezeichnet. Es erhielt u. a. die Erlaubnis, die eroberten 67 Fahnen sowie die fünf Kanonen im Regimentssiegel zu führen.503 bzw. diese sich nicht mehr rekonstruieren lassen, bleiben erinnerungskulturelle Bezüge mitunter im Dunkeln. 501 Ebd., S. 94. 502 Die Initiatoren solcher Auszeichnungen lassen sich nur in Ausnahmefällen belegen. 503 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91; Bleckwenn, Uniformen, Bd. 3, Berittene Truppen (wie Anm. 435), S. 110. In der Stammliste von 1806 heißt es: »1745 gab das Reg. in der Schlacht bei Hohenfriedberg außerordentliche Beweise seiner Tapferkeit. Es griff eine Brigade von 20 Bat. an, warf sie zu Boden, und eroberte 67 Fahnen und 4 Kanonen. Der König dankte nicht allein dem Reg. in einem eigenhändigen verbindlichen Schreiben, sondern schenkte ihm auch, zum unauslöschlichen Andenken für die Nachwelt, ein neues Insiegel, welches am Ende hier abgedruckt ist«, ders., Stammliste aller Regimenter und Corps der Königlich-preussischen Armee für das Jahr 1806, Nachdr. der Ausg. 1806, Osnabrück 1975, S. 233. Das Regiment erbeutete jedoch fünf statt vier Kanonen. Vgl. auch die Abbildung des Siegels ebd., S. 235 sowie die Abbildungen der zeitlich verschiedenen Siegel Nr. 309 und 310 bei Friedhelm Heyde, Die Altpreussischen Orden, Ehrenzeichen, Ehrenmedaillen, sonstigen Auszeichnungen und ihre brandenburgischen Vorläufer (1701–

Erinnerung an ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten

149

Gleiches Vorrecht erhielt nur wenige Monate später das Infanterieregiment Nr. 30 nach der Schlacht bei Kesselsdorf im Dezember 1745, welches die 24 eroberten Kanonen ebenfalls im Regimentssiegel führen durfte.504 Regimentssiegel waren mit Edikt vom 4. Juli 1723 für die Regimenter eingeführt worden, um das Fälschen von Pässen zu erschweren und so die Desertion einzudämmen.505 Mit der erstmaligen Vergabe des Vorrechts, die eroberten Trophäen in das Feld des Regimentssiegels aufnehmen zu dürfen, erhielten solche spezifizierten Siegel den Charakter einer Auszeichnung, der auch von den Regimentern wahrgenommen wurde. Da in der Regel die dargestellte Anzahl der Trophäen im Siegel der in der Schlacht eroberten entsprach506, war das Siegel ein eindeutiger 1809). Abteilung A, Osnabrück 1979, Tafel 120. Im Gnadendiplom des Königs werden 66 eroberte Fahnen erwähnt, Heinrich Ravenstein, Historische Darstellung der wichtigsten Ereignisse des Königlich-Preußischen Zweiten Kürassier-Regiments (genannt Königinn) von dessen Stiftung im Jahre 1717 bis zum Jahre 1820, Berlin, u. a. 1827, http://hdl.handle.net/2027/hvd.hxk2sq, 27. 02. 2014, S. 146. Georg von Albedyll, Geschichte des Kürassier-Regiments Königin (Pommersches) Nr. 2. II. Theil. Königin-Dragoner - Königin-Kürassiere, Nachdr. der Ausg. 1904, Berlin 1998, S. 171* [Der Stern hinter den Seitenzahlen verweist auf den Anhang, Anm. FZ.] erwähnt unter Bezugnahme auf das Gnadendiplom 67 Fahnen und 5 Geschütze. Vgl. auch ders., Geschichte des Kürassier-Regiments Königin (Pommersches) Nr. 2. I. Theil. Schulenburg-, Bayreuth-, Anspach-Bayreuth-Dragoner. 1717 bis 1806, Nachdr. der Ausg. 1896, Berlin 1997, S. 206: »67 Fahnen, während der Königliche Gnadenbrief für die Schlacht nur deren 66 angiebt. Jedenfalls ist in irgend einer Art sofort eine Berichtigung des gleich nach der Schlacht erlassenen Gnadenbriefes erfolgt, denn bereits in dem am 31. Juli für den General v. Geßler ausgefertigten Grafendiplom wird die Zahl der von diesem mit dem Regiment Bayreuth eroberten Fahnen und ›ruinirten‹ Bataillon auf 67 bzw. 20 angegeben. Auch in dem dem Regiment verliehenen Regimentssiegel haben sich 67 Fahnen befunden.« Die Abbildung der beiden Regimentssiegel ebd., S. 222. Vgl. Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 137. 504 Ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 168: »[…], durfte die 24 eroberten Geschütze in seinem Regimentssiegel führen, seine Offiziere trugen seitdem im Ringkragen ein Emailleschild, das den preußischen Adler über den eroberten Trophäen zeigte, oben den Spruch: ›Pro Gloria et Patria‹, unten die Inschrift ›Kesselsdorf‹.« Ebenso Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503) S. 93f.: »Die Schlacht bei Kesselsdorf erwarb dem Reg., wegen seiner darin bewiesenen außerordentlichen Tapferkeit, einen unsterblichen Ruhm. Es bemächtigte sich des Dorfes, wovon die Schlacht den Namen führt, eroberte daselbst 20 Kanonen, 4 Mörser, 1 Fahne und 1 Paar Pauken. Zum Andenken dieser großen That begnadigte der König alle Stabsofficiere mit dem Orden pour le m8rite, das Reg. aber mit einem neuen Regimentssiegel, welches die eroberten Stücke mit der Ueberschrift: Bataille bei Kesselsdorf, den 15 ten Dec. 1745, vorstellt.« Die Abbildung des Siegels ebd., S. 95. Vgl. auch Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 429. 505 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91 und Bleckwenn, Uniformen, Bd. 2, Infanterie (wie Anm. 435), S. 40. – Abbildungen bei Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 151f., Abbildung 309: Kupferstich von J. D. Philippin, aus dem Historischen Portefeuille, 1786.; vgl. auch Abbildungen unterschiedlicher Siegel bei Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten (wie Anm. 43), S. 610f. 506 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91. Heyde vermutet, dass diese Art der Auszeichnung erstmalig 1745, d. h. im Nachgang der Schlacht bei Hohenfriedberg, vergeben wurde.

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und konkreter Verweis auf die Schlacht, in der die Trophäen erbeutet wurden. Die Erinnerung an den Erfolg von 1745 war für das Dragonerregiment Nr. 5 prägend. Auch nach 60 Jahren berief man sich noch darauf, wie die Aktualisierung des Regimentssiegels nach der Umbenennung des Regiments 1805 zeigte.507 Die Eroberung von Siegestrophäen in den Schlachten des Siebenjährigen Krieges durch andere Regimenter führte dagegen zu keinen Veränderungen in den Regimentssiegeln. Diese Art der Auszeichnung ist also nur am Anfang der 46-jährigen Regierungszeit Friedrichs II. zu beobachten und zeigt einmal mehr, welche zentrale Rolle der König bei der Erinnerungsstiftung hatte. Erst aus dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts sind wieder solche Auszeichnungen überliefert: das Infanterie-Regiment Nr. 49 durfte die in den Auseinandersetzungen mit Frankreich eroberten zwölf Kanonen im Regimentssiegel abbilden.508 Gleiches Vorrecht errang auch das Kürassier-Regiment Nr. 7 für die dreizehn im Jahr 1793 erbeuteten Trophäen.509 Das Siegel hatte die Funktion, die Authentizität der Schreiben des Regiments 507 Vgl. die Abbildung, ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), Tafel 120 bzw. Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503), S. 235. 508 Christian Friedrich Himburg, Stammliste aller Regimenter und Corps der Königlich-Preußischen Armee, 3. Aufl., Berlin 1796, S. 112: »Auch 1794 erwarb es sich bei den Hauptvorfällen vielen Ruhm. Da das Regiment während dem Kriege den Franzosen 13 Kanonen abgenommen, so führt es dieselben auf Befehl des Königs im Regimentssiegel.« Heyde nennt für das Infanterieregiment Nr. 49 lediglich 12 Kanonen, Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91. Ebenso berichtet Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 154 von 12 Kanonen. Der Grund für die Differenz liegt darin, dass eine frühere Ausgabe der Stammliste, von 13 Kanonen berichtete. Das in der Stammliste von 1804 abgedruckte Siegel zeigt 12 Kanonen. Ebenso das 1806 in der Stammliste abgebildete Siegel: »Da das Regiment, während des Krieges, den Franzosen 12 Kanonen in verschiedenen Affairen abgenommen, so führt es dieselben, auf Befehl des Königs, im Regimentssiegel, welches, zur bessern Darstellung, hier abgedruckt ist«, Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503), S. 137. 509 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91 bzw. ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 153; vgl. Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 218; Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503), S. 210: »In der Schlacht bei Pirmasens erwarb es sich neuen Ruhm, indem es eine beträchtliche Anzahl Feinde niederhieb, über 1000 Gefangene machte, 2 Haubitzen und 11 Kanonen eroberte. Sämmtliche Stabsofficiere erhielten den Orden pour le m8rite, und die wirklichen Rittmeister avancirten zu Majors, auch befahl König Friedrich Wilhelm II., die eroberten 13 Stück Geschütz im Regimentssiegel zu führen. Dieses Siegel, wovon Se. jetzige Majestät, damaliger Kronprinz, die Zeichnung selbst entworfen, und solches dem Reg. übersendet hat, ist zur bessern Darstellung hier mit abgedruckt«. Nicht aufgrund militärischen Erfolgs, sondern wohl eher aufgrund seiner herausragenden Stellung als ehemaliges Königs- und späteres Garderegiment führte das Infanterie-Regiment Nr. 6 seit 1805 den Gardestern, den Stern des Schwarzen-Adler-Ordens, im Siegel, Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91, Abbildung 113 sowie Erläuterung ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 37.

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zu belegen und verbreitete erst dadurch die Leistungen des Regiments. So findet es sich auf dem Schreiben zum Abschied des Soldaten Dreyer 1788, welches selbst zu einem Dokument militärischer Erinnerungskultur wurde, da es erstens die Verdienste des Regimentstambours auflistete und ihn den Lesern anempfahl und zweitens von Dreyer als so wichtig erachtet wurde, Teil der Veröffentlichung zu werden. Das Schreiben schilderte dessen militärische Laufbahn, erwähnte alle Schlachten, an denen er teilgenommen hatte und stellte ihm ein »untadeliges« Zeugnis aus, da er sich »[…] jederzeit als ein braver und rechtschaffener Regiments- Tambour finden lassen, und alle ihm vorgesetzt gewesene Offiziers völlig mit ihm zufrieden gewesen, derselbe auch während seiner Dienstzeit von aller Regiments- und Compagnie-Strafe befreit geblieben […] sondern ihm auch seines rühmlichen und rechtschaffenen Verhaltens wegen, allen geneigten Willen und Aufnahme zu erzeigen […] Zu mehrerer Bekräftigung habe ich gegenwärtigen Abschied eigenhändig unterschrieben, und mit dem Regiments-Siegel sowohl, als auch meinem angebohrnen Petschaft besiegelt.«510

Im Siebenjährigen Krieg gab es zwar keine Änderungen an Regimentssiegeln, dennoch sind sichtbare Veränderungen von Ausrüstungsteilen für militärisches Wohlverhalten überliefert. Die gedruckte Stammliste von 1793 berichtet vom Dragonerregiment Nr. 10: »1761 war es in der Action bey Kloster Wahlstadt, die dem Reg. viel Ehre brachte. Der König schenkte zum Andenken dieses Tages den Officieren, die jetzigen, beym Regimente üblichen silbernen Pallasche mit dem schwarzen Adler ; dem Reg. aber 3000 Thaler.«511 Ebenso ist eine Fahnenstange des Infanterieregiments Nr. 24 zu erwähnen, die seit der Schlacht von Prag im Mai 1757 mit einem gravierten Metallband versehen gewesen war. Mit der Inschrift wurde daran erinnert, dass – wohlgemerkt – die Fahnenstange und nicht etwa dessen Träger in den Händen des Gefreitenkorporals von Morstein am Schaft »blessirt« worden war.512 Anders als im ersten Fall, in dem die Leistungen des Regiments anerkannt wurden, wurde im zweiten Beispiel des Regimentssymbols ›Fahne‹ gedacht und diesem eine Persönlichkeit zugeschrieben.513 Ehre als Folge militärischen Erfolgs sowie eine darauf gegründete eigene Identität waren ein wesentlicher Teil des »sozialen Kapitals«, welches Regi510 Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 54. Vgl. die Abbildung von gesiegelten Schriftstücken, Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten (wie Anm. 43), S. 616. 511 Christian Friedrich Himburg, Kurzgefaßte Stammliste aller Regimenter und Corps der Königlich-Preußischen Armee, Berlin 1793, http://digital.slub-dresden.de/id37214993617930200, 23. 06. 2014, S. 220 sowie Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503), S. 243. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 93 verweist auf die Stammliste von 1806, erwähnt zugleich die Zweifel Bleckwenns. Vgl. auch Hohrath, Uniformierung, Bd. 2 (wie Anm. 437), S. 600. Bleckwenn, Uniformen, Bd. 3, Berittene Truppen (wie Anm. 435), S. 130, vollzieht die Darstellung des Pallaschkorbes nach. 512 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 93. 513 Vgl. S. 101.

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menter anhäufen konnten.514 Indem militärischer Erfolg und Ehre symbolisch in die Uniform und Ausrüstungsstücke des Regiments aufgenommen wurden und teilweise bildliche Gestalt annahmen, wurden sie von zeitlichen Konjunkturen unabhängig. Dessen waren sich die Regimenter bewusst, wie ein Kommentar aus dem frühen 19. Jahrhundert, der in einem anderen Kontext über Regimenter entstand, belegt: »Ein Regiment, gleich jeder Korporation, starb nie aus. Die Nachfolgenden erbten den Ruf ihrer Vorfahren, welche ihnen zu ihren kriegerischen Ahnen wurden. Selbst ein Regiment, mit welchem der König unzufrieden war, und es deshalb in die Armee vertheilte, wie das Gersdorf ’sche Husaren-Regiment, bekam Nachfolger, welche in dessen Stellen traten, und dasselbe repräsentirten, also auch seine Geschichte und Vorfahren erbten. Ganz aus den Annalen der Armee ausgestrichen wurde kein solches Korps.«515

3.

Der Ringkragen als besonderes Medium der Erinnerung der Offiziere

Als ein besonderes Beispiel militärischer Erinnerungskultur ist der Ringkragen des Infanterieregiments Nr. 30 anzuführen.516 »Der Ringkragen galt als Dienstzeichen und wurde auf der Brust unter dem geöffneten Rocke getragen.«517 Es ist 514 Vgl. Pierre Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1992, S. 49–79, insbesondere S. 63f.: »Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhten.« 515 Lossow, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 443), S. 121. Tatsache ist, dass das Gersdorfsche Husaren-Regiment (Nr. 8) nach der Gefangennahme bei Maxen am 21. November 1759 am 3. Januar 1761 aufgelöst wurde und das ›neue‹ Bellingsche Husaren-Regiment (Nr. 8) dessen Uniform und Garnison übernahm, Lyncker, Altpreußische Armee (wie Anm. 171), S. 203. Das Tagebuch des Husarenregiments von Belling erinnerte keine ›Traditionsübernahme‹. Bis einschließlich 1760 wurde im Tagebuch vom Bataillon bzw. Corps des Obersten, ab 1761 dann vom Regiment Belling gesprochen, Gottlob Naumann, Sammlung ungedruckter Nachrichten, so die Geschichte der Feldzüge der Preußen von 1740 bis 1779 erläutern, Bd. 3, Dresden 1783, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10594920-9, 20. 03. 2014, S. 286– 376, insbesondere S. 319. Vgl. auch den Hinweis bei Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 295, der angibt, dass in der Stammliste von 1806 »nur von den Taten des Bellingschen Regimentsteiles berichtet wird«. De facto wurde also eine Regimentstradition beendet. 516 Zum Ringkragen und zur Möglichkeit, Bezüge zum adligen Regimentsinhaber und dessen Familie herzustellen und das Regiment in diesen Kontext zu verorten, vgl. S. 130f. Um die Bedeutung einzelner Ereignisse für die Stiftung erinnerungskultureller Bezüge aufzuzeigen, werden sie im Zusammenhang mit den Regimentssiegeln und nicht im Zusammenhang mit der Uniform erörtert. 517 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 776: »Er bestand in der Regel aus Silber

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anzunehmen, »dass alle Offiziere innerhalb eines Regiments den gleichen Ringkragen trugen und jedes Regiment ein eigenes Muster führte.«518 Da es Hinweise auf unterschiedliche getragene Varianten gibt, steht diese Annahme unter Vorbehalt.519 Ein Schreiben des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau an den König legt jedoch ihre Wahrscheinlichkeit nahe. Daraus geht hervor, dass letzterer den Entwurf für den anzufertigenden Ringkragen des gesamtem Regiments genehmigte: »[…] nun das Regiment neue Ringkragen brauchet, so habe die […] verfertigen lassen, und der Wahl durch entschlißung Ew. Königl. Maj. anheim stellen wollen, welches von beyden mann für das gantze Regiment machen lassen solle […].«520 Der bildliche Nachweis der Ringkragen ist schwierig. Bei einer stichprobenartigen Untersuchung von Offiziersbildern fanden sich von 400 Bildern lediglich neun, auf denen ein Ringkragen dargestellt wurde.521 Im Zeughausbestand existierten 27 Ringkragen bzw. -teile, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr vorhanden waren. Jedoch ließen sich 31 Ringkragen bildlich darstellen.522 »Die Mittel-Trophäe war offenbar stets, die Grundplatte gelegentlich vergoldet. Erstere hat regimentsweise verschiedene Prägung, wobei – wie bei all diesen militärischen Beschlägen – der gleiche Stempel durchaus für verschiedene Regimenter verwendet worden sein kann. Auch die Malerei der Mittel-Emaille ist offenbar für verschiedene Regimenter gelegentlich die gleiche, häufig eine sehr ähnliche; ihre Grundfarbe ist weiß oder auch hellblau, angeblich eine Ableitung aus dem Himmelblau, indem der Adler des Soldatenkönigs zur Sonne aufsteigt.«523

Der Ringkragen des Infanterieregiments Nr. 30 zeigte, ebenso wie sein Regimentssiegel, sowohl den Schlachtennamen »Kesselsdorf« als auch die eroberten Siegestrophäen.524 Auf dieses Exemplar gibt es in der Literatur lediglich einen Hinweis. Auch können über die Entstehungsgeschichte dieser besonderen

518 519 520 521

522 523 524

und hatte in der Mitte zwischen vergoldeten ›Kriegsarmaturen‹ ein Emailleschildchen, das meist den schwarzen Adler in weißem oder himmelblauem Felde zeigte.« Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 99. Ebd., S. 99. GStA Berlin, HA I, Bestand 96, Signatur 7 A. Hans Bleckwenn, Alfred Gay, Altpreußische Ringkragen. Mit Bildbeilagen, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 158, 2/3 (1958), S. 24. Unter ›Sammlung‹ ist eine Sammlung von Hinweisen auf Bildnisse und fotographische Reproduktionen solcher Bildnisse zu verstehen. Es handelte sich nicht im eigentlichen Sinn um eine Sammlung von Offiziersporträts. Vgl. S. 210, Anm. 804. Ebd., S. 25. Ebd., S. 25. Vgl. auch Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 776. Ders., 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 168. Abbildung bei Hans Bleckwenn, Fritz-Günther Melzner, Die Uniformen der preußischen Infanterie: 1753–1786, Bd. 1, Osnabrück 1973, unter »Infanterie-Regiment No. 30«. Bleckwenn verweist in der Beschreibung auf die Zeughaussammlung. Vgl. auch die Angaben Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91. bzw. ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 152 und Tafel 120.

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Ausgabe nur Vermutungen angestellt werden. Einerseits kommen eine »offizielle Verleihung«, vergleichbar mit den Regimentssiegeln, und andererseits »eine regimentseigene Schöpfung« in Betracht. Trotz der Tatsache, dass es keine Hinweise auf eine »offizielle Verleihung« gibt, kann diese nicht endgültig ausgeschlossen werden. Gleichwohl ist die zweite Variante wahrscheinlicher, da »die überlieferte Mittel-Emaille mit dem Namenszug FWR schon eine Variation nach dem Tod Friedrich II. 1786« ist. Im Gegensatz dazu zeigt ein überliefertes Regimentssiegel die »Chiffren Friedrichs II. (FR)«.525 Die Besonderheit und Einzigartigkeit dieses Ringkragens lag darin, dass dem Regiment das Regimentssiegel allein nicht genügte. Das Siegel entfaltete nur durch schriftliche Dokumente des Regiments erinnernde Wirkung, die aber nicht notwendigerweise öffentlich wahrnehmbar war. Im Gegensatz dazu stellte der modifizierte Ringkragen sichtbar ›Öffentlichkeit‹ her. Nimmt man die wahrscheinlichere Variante an, d. h. dass der Ringkragen eine Kreation des Regiments war, dann war dieser eine ›Re-Konstruktion‹ militärischen Ruhms, die über 40 Jahre nach dem Ereignis umgesetzt wurde.526 Für die hier im Mittelpunkt stehende Frage ist der Ringkragen des Infanterieregiments Nr. 30 ein außergewöhnliches Beispiel dafür, wie in einem Regiment versucht wurde, den einmal erworbenen Ruhm zu bewahren und diesem unbedingt sichtbaren, d. h. wahrnehmbaren Ausdruck zu verleihen. In der Zusammenschau des Ringkragens des Regiments Anhalt (Nr. 3) von 1683 und dem des Regiments Nr. 30 nach dem Tode König Friedrichs II. 1786 wird ein Wandel des Ringkragens als Projektionsfläche erkennbar. Bot das Mittelschild zunächst die Möglichkeit, fürstliche Wappen wie im Beispiel 1683 zu zeigen und Regimenter über solche adligen Symbole zu definieren, spiegelt sich Ende des 18. Jahrhunderts die Identität der Gruppe nun im gemeinsam erfochtenen militärischen Erfolg und den symbolisch dargestellten Siegestrophäen wider. Hinzu kommt, dass mit dem Ringkragen die Erinnerung an den Erfolg des Regiments in der Schlacht bei Kesselsdorf exklusiv von den Offizieren vereinnahmt wurde. Die gemeinen Soldaten wurden ausgeschlossen, war doch der Ringkragen das Dienstabzeichen der Offiziere.

525 Bleckwenn, Gay, Ringkragen (wie Anm. 521), S. 26. Hohrath erwähnt dieses Exemplar nicht. Es seien keine Hinweise auf besondere Vorschriften oder regimentsspezifische Motive bekannt, die zur Annahme beitragen, dass an Ringkragen Dekors oder Motive angebracht waren, die jenen auf Grenadiermützen oder Taschenblechen glichen, Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 99. Vgl. auch Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 152 bzw. die Abbildung ebd., Tafel 94. 526 Dass Regimenter Jahrzehnte später noch Ansprüche erhoben, also an ihrer Erinnerung arbeiteten, zeigen auch Forderungen nach Auszeichnung mit dem Orden Pour le M8rite. Vgl. unten S. 233.

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4.

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Das Malplaquet-Schild als Beispiel sich verselbständigender Erinnerungsstiftung

Möglicherweise als Vorlagemuster für das Fahnen- und Kanonen-Emblem sowie auch für den Ringkragen in der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. diente eine Auszeichnung des Infanterieregiments Nr. 16.527 Die Geschichte dieses sogenannten »Malplaquet-Schildes« ist ein besonders anschauliches Beispiel militärischer Erinnerungskultur.528 Sie belegt, wie eine Auszeichnung, die wahrscheinlich für ein konkretes Verhalten verliehen wurde, zum überlieferten identitätsstiftenden Accessoire des Regiments wurde und Anlass für eine eigene Geschichte bot, die weit mehr als 200 Jahre umfasste. In der Regimentsgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Untersuchungen zum Malplaquet-Schild vom Anfang des Jahrhunderts aufgegriffen. So hatte es bereits 1806 eine fertiggestellte Regimentsgeschichte gegeben, die der damalige Regiments-Auditeur von Hatten verfasst hatte, die aber in den Wirren des Krieges 1807 von französischen Soldaten vernichtet worden war.529 Erst 1821 bemühte sich der damalige Regimentskommandeur Oberstlieutenant von Jochens erneut um eine Zusammenstellung der Geschichte des Regiments. »Zu diesem Zweck trat er in ausgedehnten Briefwechsel mit älteren, meist verabschiedeten Offizieren, aus welchem sich unter Anderem ergab, daß der Regiments-Tambour bis zum Jahre 1816 ein messingenes Schild als Auszeichnung auf dem Trommel-Bandolier getragen habe. Leider ließ sich nicht mit Gewißheit feststellen, für welche besondere That dem Regiment diese Auszeichnung verliehen war.«530 1822 wurde anlässlich der Übergabe des Schildes dieses als ein aus Messing gegossenes Tambour-Schild beschrieben, worauf ein sich zur Sonne schwingender Adler sowie die Inschrift »non soli cedit« zu sehen gewesen war. Jedoch existierten keine Informationen über Herkunft und Hintergründe. Im Rahmen der Informationsbeschaffung antwortete der ehemalige Regimentsangehörige von Lagerström auf die Anfrage und erinnerte sich, »daß etwa im Jahre 1783 der General von Anhalt Einspruch gegen die Befugniß es zu tragen, machte. Dies mußte Erörterungen veranlaßt haben, in Folge dessen dem Rgts. Tambour 527 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 63. 528 Der folgenden Darstellung liegen die Aufzeichnungen Kopkas von Lossow zugrunde. Seine »Nachrichten über das Auszeichnungsschild des Regiments-Tambours« beruhen auf Aufzeichnungen aus dem Regiments-Archiv, die er wörtlich wiedergibt, Oskar Kopka von Lossow, Geschichte des Grenadier-Regiments König Friedrich I. (4. Ostpreußisches) Nr. 5, Bd. 1, Stammgeschichte und Zeitraum 1626 bis 1713, Berlin 1889, S. 44* ff. [Der Stern hinter den Seitenzahlen verweist auf den Anhang, Anm. FZ]. Heyde und Bleckwenn beziehen sich ihrerseits auf Kopka von Lossow, vgl. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 63. sowie ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 99. 529 Vgl. S. 85. 530 Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 528), S. 44*.

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sein Schild verblieb.«531 Mit dieser Äußerung belegte Lagerström eine funktionierende Weitergabe von Erinnerungen innerhalb des Regiments bis in die 1780er Jahre. Der Anspruch und das Recht auf dieses Schild, so schlussfolgerte von Lagerström selbst, konnte vom Regiment begründet werden, so dass es weiter getragen werden durfte. Außerhalb des Regiments war dieses Wissen nicht (mehr) vorhanden, wie der Einspruch des Generals von Anhalt belegte. Der ehemalige Oberst von Fabecki gab rückblickend an, dass der Regimentstambour das Schild »jederzeit« getragen habe. Er bestätigte darüber hinaus den Bericht Lagerströms und nannte den vermuteten Grund für das Vorrecht. Er erinnerte sich, »daß der damahlige Inspecteur und Commandirende General Anhalt dies auszeichnung beym Regiments-Tambour bemerkte, und sich beym Commandeur erkundigte, bey was vor eine gelegenheit, diese prerogatiwe daß Regiment sich erworben hat, hierauf wurden seiner Excellence aus der alten Geschichte des Regiments überwiesen, daß sich dies auszeichnung seit der ersten Rein Campagne, wär ich nicht Irre noch von Mallplakeit herrieth.«532

Diese Aussage macht deutlich, dass das Wissen um den einstigen konkreten Auszeichnungsgrund nach 1783 zu verschwinden begann und deshalb später nur noch verallgemeinernd auf die Vergangenheit sowie die Schlacht von Malplaquet 1709 verwiesen werden konnte. Es verdichtete sich also im Verlauf der Jahre auf den Namen einer siegreichen Schlacht. Ähnlich wie Fabecki äußerte sich ein weiterer Ehemaliger : »Ueber den Ursprung des messingenen Schildes auf dem Bandolier des Regiments-Tambours, welches ich bei meiner Ankunft zum Regiment im Jahre 1795 schon, als aus älterer Zeit herrührend, vorfand, erinnere ich mich nie etwas Näheres als die Vermuthung gehört zu haben, das dasselbe in älterer Zeit einem sich brav gehaltenen Regiments Tambour als Auszeichnung verliehen worden seyn müße.«533 In dieser individuellen Erinnerung wurde die Auszeichnung – vermutungsweise – auf die Tat eines Einzelnen zurückgeführt.534 Nachdem aus der Befragung keine weiteren Schlussfolgerungen gezogen wurden, wurde in den 1860er Jahren das Thema erneut aufgegriffen. Der Regimentskommandeur hatte Mitte des 19. Jahrhunderts noch die Möglichkeit, auch den Regimentstambour zu befragen, der als letzter dieses Schild getragen hatte. In dieser neuerlichen Befragung sagte der ehemalige Regimentstambour Neumann aus, dass er nach der Verwundung des Regimentstambours vom Obersten von Clausewitz wenige Tage nach der 531 532 533 534

Ebd., S. 45*. Ebd., S. 45*. Ebd., S. 45* f. Dieser Rückblick belegt die mündliche Weitergabe von Wissen über die Geschichte des Regiments in demselben.

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Schlacht bei Dennwitz 1813 zum Regimentstambour ernannt und ihm ein Schild ausgehändigt worden war, welches der Regimentstambour als Auszeichnung getragen hatte.535 Neumann konnte sich nicht mehr mit Gewissheit daran erinnern, ob sich auf dem Schild eine Jahreszahl – er nennt 1720 – befunden hätte. Jedoch war ihm schon seit seinem Eintritt in das Regiment bekannt gewesen, dass dieses Schild dem Regiment vor langer Zeit als Auszeichnung für einen Regimentstambour, der sich persönlich ausgezeichnet habe, verliehen worden war.536 Auch gab er an, dass dieses Schild vom »Regimentstambour bei allen Gelegenheiten im Dienste getragen wurde, sobald er überhaupt die Trommel trug.«537 Mit seiner Aussage belegte er nicht nur die gelebte Ritualisierung solcher Auszeichnungen, sondern auch die Weitergabe derselben durch den Kommandeur. Im Ergebnis der zweiten Befragung machte Oberst von Böhn 1861 eine Eingabe an den Kronprinzen und beantragte, »daß das alte ruhmreiche 4. Ostpreußische Grenadier-Regiment Nr. 5 Erlaubniß erhalte, gedachtes Schild nebst einem von dem Regiments-Tambour über die Schulter zu tragenden Bandolier, an welchem entweder die Trommel, der altpreußische Säbel oder der Stock zu tragen sein würde, wieder anlegen zu dürfen. Das Regiment würde durch die Auszeichnung stets daran erinnert werden, daß es in allen seinen ruhmvollen Schlachten und Gefechten, von Malplaquet an, den Feind stets mit schlagenden Tambouren und dem Bajonett über den Haufen geworfen hat und eingedenk seiner Großthaten sich angefeuert fühlen, seinen alten Lorbeeren dereinst neue hinzuzufügen.«538

In Folge der Eingabe wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, welches ergab, »daß wohl ein Bataillon des Regiments Alt-Dohna an der Erstürmung von Verschanzungen in der Schlacht von Malplaquet, unter den Augen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, betheiligt gewesen sei, Einzelheiten aber, die sich auf die Truppengeschichte beziehen, im Archiv des Generalstabs nicht vorhanden sind.«539 Trotz dieser Hinweise erging keine Entscheidung und die Angelegenheit war selbst beim Erscheinen des ersten Bandes der Regimentsgeschichte noch offen.540 Wie aber der zweite Teil der Regimentsgeschichte belegt, wurde die Auszeichnung am 2. März 1889 anlässlich des »200-jährigen Stiftungsfest[es] des Regiments am 11. März 1889« erneut verliehen. »Seine Majestät der Kaiser und 535 536 537 538 539 540

Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 528), S. 46*. Ebd., S. 47*. Ebd., S. 47*. Ebd., S. 48*. Ebd., S. 48*. Ebd., S. 48* f.: »Se. Königliche Hoheit würden Sich [7. Dezember 1861, Anm. FZ] gerne bereit finden lassen, Sich für die Angelegenheit weiter zu interessieren, wenn es gelingt, den Anspruch des Regiments auf die mehrerwähnte Auszeichnung durch einen unzweifelhaften Nachweis über den Zeitpunkt und den Anlaß ihrer ersten Verleihung zu begründen. Bisher haben jedoch die auf Veranlassung des Regiments in den verschiedensten Archiven angestellten Ermittlungen noch zu keinem endgültigen Abschluß dieser Angelegenheit geführt.«

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König haben Allergnädigst geruht, die Auszeichnung zu erneuern, welche bis nach den Befreiungskriegen in dem Grenadier-Regiment König Friedrich I. (4. Ostpreußischen) Nr. 5 getragen worden ist. Seine Majestät befehlen, daß das beifolgende Schild von dem Regiments-Tambour zum Paradeanzuge, bei Besichtigungen und in Feldverhältnissen angelegt und alsbald in Gebrauch genommen wird.«541 Auch wenn die Anstrengungen um Erhellung des Sachverhalts und die Bitte um Erneuerung des Vorrechts Teil der militärischen Erinnerungskultur des Regiments im 19. Jahrhundert sind, belegt diese Geschichte mit all ihren Facetten eine ritualisierte und gelebte militärische Erinnerungskultur und zugleich den Bedarf an einer solchen. So ist das Bemühen der Regimenter um ihre Geschichte und einer Verankerung im kollektiven Gedächtnis nachvollziehbar. Besondere Bedeutung hat diese Geschichte auch für die Einschätzung, wie die Regimenter, soweit sie nicht durch Kapitulation aufgelöst worden waren, mit der Zäsur von 1806 und den nachfolgenden militärischen Neuerungen umgingen. Das »Malplaquet-Schild« des altpreußischen Infanterieregiments Nr. 16 spannte in der Erinnerung der Regimentsangehörigen einen Bogen vom Anfang des 18. Jahrhunderts über die Zäsur von 1806 hinweg bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Zudem belegen die Versuche zur Erneuerung der Auszeichnung, in welche Kontinuität sich die Verantwortlichen im 19. Jahrhundert stellten. 1806 und die nachfolgenden Veränderungen wurden nicht als unüberbrückbarer Bruch mit der Vergangenheit empfunden.

5.

Die Zugehörigkeit zur Truppengattung in der Erinnerung

Symbole und ideelle Auszeichnungen und Vorrechte, die einen höheren Rang belegen, können auch erinnernde Funktion haben. Sie sind Beweis und Hinweis auf den Verleihungsgrund. Im täglichen Umgang müssen sie nicht reflektiert werden, aber in Konfliktsituationen werden sie als Interpretationshilfe herangezogen. Zum Selbstverständnis eines Regiments trug auch die Zugehörigkeit zur Truppengattung und innerhalb derselben ein hoher Rang bei.542 Vor allem die Regimenter zu Pferde genossen ein höheres Ansehen, was ihnen die Nachwuchsgewinnung deutlich erleichterte.543 541 Ders., Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 275), S. IV, die Abbildung ebd., S. 521. 542 Auf die Rangordnung wird beispielsweise im Konflikt während der Beerdigung Friedrich Wilhelms II. Bezug genommen. Vgl. S. 266. 543 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 711. Dabei zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Wertschätzung seitens der Angehörigen des Militärs und der des Monarchen, denn König Friedrich Wilhelm I. maß im Verhältnis zur Infanterie der Kavallerie weniger Wert bei, Hohrath, Uniformierung, Bd. 1 (wie Anm. 407), S. 36.

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Vor diesem Hintergrund war die Aufwertung eines Regiments hinsichtlich der Truppengattung eine hohe Auszeichnung. Diese wie auch eine Abwertung konnten Teil militärischer Erinnerung werden. So hatten die Pannewitz-Dragoner ein schwaches schwedisches Bataillon bei der Eroberung Usedoms 1715 zersprengt und mehrere hundert Gefangene gemacht. Daraufhin war das Regiment von König Friedrich Wilhelm I. mit Datum vom 5. August 1715 zu einem Regiment Reuter erhoben worden.544 Der militärische Erfolg wurde damit dauerhaft nicht nur im Regimentsbewusstsein, sondern in der gesamten Armee durch die neue und höhere Stellung des Regiments verankert. Es ist anzunehmen, dass diese Aufwertung bei seinen Angehörigen Stolz und eine noch engere Bindung an das Regiment begründete. Umgekehrt wurde eine Abstufung in der Truppengattung von den Regimentsangehörigen missbilligt, da sie neben Verlust von Ehre und Ansehen auch einen Verlust von Vorteilen bedeutete. 1716 ließ König Friedrich Wilhelm I. ein neues Regiment errichten, dessen Mannschaft zu einem Teil aus der Schlosswache, den sogenannten »Schloßgrenadirer[n]« gebildet wurde. Diese hatten »allein die Wache aufm Schloß einige Jahre versehen, und an tractement und range vor andern viel voraus gehabt«, welches mit der Umstrukturierung auf das Niveau der Versorgung eines Feldregiments gekürzt wurde. Die Betroffenen reagierten entsprechend frustriert: »Die Burse seyn zimlich mißvergnügt und wie sie bey der revue in Gegenwart des Königs ihre Grenadiermützen abgeleget und dagegen Hühte empfangen, haben einige mit Ungestühm, Klagworten und mächtigen Fluchen solche zur Erden geworffen, weil sie nicht allein auf einmahl aller praerogativen beraubet, sondern auch sogleich aus dieser Residentz in die kleine Städte aufm Lande verleget worden. Man hat sie immer die Schloß-Cavalier genand, weilen es so ansehnliche und mit proprer Mondur versehene Leute, maßen es alle aus denen Preußischen und hiesigen gardes ausgesuchte Leute seyn. Im Durchmarchiren durch diese Stadt haben die Officier genug zu thun gehabt, sie zu besänfftigen, maßen sie gesagt, daß ein jeder sie auslachete und mit Fingern auf sie zeigete, worauf die Officier geantwortet, weil die Sache neu, so müßte man solches den Leuten gönnen; es würde bald aus deren Gedancken kommen.«545

Das Gefühl, der Lächerlichkeit einer Öffentlichkeit preisgegeben zu sein, entsprang deshalb wohl dem empfundenen Ehrverlust. Dieses war nicht grundlos, wie der Bericht in einer Berliner Zeitung beweist. 544 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 638. Es handelt sich um das Kürassierregiment Nr. 12, Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 12. Auch die Dragonerregimenter Lottum und Markgraf Albrecht und Blanckensee wurden ebenfalls umgewandelt, Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 650. 545 Ernst Friedländer, Berliner geschriebene Zeitungen aus den Jahren 1713 bis 1717 und 1735, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Berlin 1902, urn:nbn:de:kobv :109opus-140048, 20. 03. 2014, S. 516f. Hinweis, Zusammenhang und Quelle bei Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 642.

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Eine Auf- und Abwertung erlebte das Dragonerregiment Nr. 3. 1714 wurde es aufgrund erbrachter Leistung vom König zum Regiment »Grenadiers zu Pferde« umgewandelt. Sein Sohn und Nachfolger nahm diese Auszeichnung zurück: es wurde wieder ein Dragonerregiment.546 In der Regimentsgeschichte von 1885 wurde die Abstufung auf ein militärisches Versagen im Gefecht von Baumgarten im Februar 1741 zurückgeführt. »Das Regiment aber strafte der König dadurch, daß er ihm die Grenadiermützen nahm und sie an das neuformirte Füsilier-Regiment Markgraf Heinrich abzutreten befahl. Hierdurch verlor das Regiment die Sonderstellung eines Grenadier-Regiments zu Pferde und führte seitdem wieder die Bezeichnung: ›Dragoner-Regiment‹«.547 Wie tief sich solche Veränderungen im Regimentsgedächtnis einprägten bzw. später wieder rekonstruiert wurden, zeigt die Erneuerung der Bezeichnung »Grenadiers zu Pferde« gut 150 Jahre später durch Wilhelm II.548 Nicht zuletzt ist die Drohung in der »Parchwitzer Rede« des Königs am Vorabend der Schlacht bei Leuthen im Dezember 1757 ein signifikantes Beispiel dafür, dass eine Bestrafung in Form sichtbaren Ehrverlustes für die Regimenter nicht außerhalb des Erwartungshorizontes lag und mithin relevant gewesen war. So wird überliefert, dass der König ein Versagen der Regimenter mit Degradierung und Wegnahme der Uniform bestrafen werde. »Das Cavallerie-Regiment, was nicht gleich, wenn es befohlen wird, sich / corps perdu in den Feind hinstürzt, laß ich gleich nach der Bataille absitzen, und mache es zu einem Garnison-Regiment. Das Bataillon Infanterie, was, es treffe worauf es wollen, nur zu stocken anfängt, verliert die Fahnen und die Säbels, und ich lasse ihnen die Borten von der Montirung schneiden.«549 Die Schilderung belegt, dass von den Zeitgenossen der Truppengattung sowie der Uniform ein auch in erinnerungskultureller Hinsicht hoher Wert beigemessen wurde. Das bekannteste und be546 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92. Vgl. auch Bleckwenn, Stammliste 1806 (wie Anm. 503), S. 228. 547 E. v. Hagen, Geschichte des neumärkischen Dragonerregiments Nr. 3, Berlin 1885, S. 45. Bleckwenn verweist auf diese Regimentsgeschichte im Zusammenhang der abgegebenen Grenadiermützen, die so zum Infanterieregiment Nr. 42 gekommen seien, Bleckwenn, Uniformen, Bd. 2, Infanterie (wie Anm. 435), S. 48; ebenso ders., Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 62. Die Wegnahme der Mützen, aber ohne den Zusammenhang einer Aberkennung des besonderen Kennzeichens als »Grenadiere zu Pferde« liefert die Geschichte der Schlesischen Kriege aus dem Jahr 1841. Dort heißt es: »Nach diesem Gefechte schaffte der König bei den Dragonern die Mützen ab und gab ihnen Hüte«, Leopold von Orlich, Geschichte der Schlesischen Kriege, Bd. 1, Berlin 1841, http://books.google.de/ books?id=ImJTAAAAcAAJ, 23. 06. 2014, S. 64. 548 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92. 549 Rudolph Wilhelm von Kaltenborn, Briefe eines alten Preussischen Offiziers verschiedene Charakterzüge Friedrichs des Einzigen betreffend, Bd. 1, Hohenzollern 1790, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10015009-2, 16. 06. 2014, S. 45. Zur quellenkritischen Einschätzung siehe Koser, Vor und nach der Schlacht (wie Anm. 357), S. 281–289, insbesondere S. 289.

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reits erwähnte Beispiel für die Umsetzung einer solchen Maßnahme ist das Versagen des Infanterie-Regiments Nr. 3 bei der Belagerung von Dresden. Das Regiment verlor Litzen, Hutborten, Pallasche und das Feldtraktament sowie die Offiziere ihre Tressen und Kordons.550 Wie tief das Regiment von dieser sichtbaren Degradierung betroffen war, überliefert Johann Wilhelm von Archenholz in seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges. »Das Regiment, das von dem berühmten Fürsten Leopold von Dessau selbst gebildet, nicht selten Proben von Tapferkeit und guter Kriegszucht gegeben hatte, wurde aufs tiefste gebeugt. Fast alle Offiziere, reiche und arme, überzeugt, nach Umständen ihre Pflicht gethan zu haben, verlangten ihren Abschied, der ihnen jedoch sämmtlich verweigert wurde.«551 Die Offiziere reagierten damit unmittelbar auf diese Art der Bestrafung. Das komplementäre Beispiel, die Würdigung militärischer Leistung, ist die Rückgabe dieser aberkannten Uniformelemente als Auszeichnung des Regimentes, nachdem sich dieses in der Schlacht bei Liegnitz im August 1760 besonders hervorgetan hatte.552

6.

Erbeutete Pauken als dauerhafte Zeichen des Erfolgs

Uniform- und Ausstattungsteile der Regimenter waren also nicht nur Ausdruck der jeweiligen Truppengattung und ihrer Rangstellung in der Armee, sondern sie transportierten zugleich den von den Regimentern erworbenen Ruhm, oder wie im Falle des Infanterieregiments Nr. 3 mit ihrem Fehlen die Schande durch das Versagen in der Schlacht. Darunter zählten auch Pauken und Trompeten.553 Bei550 Vgl. zum Sachverhalt und zur Interpretation oben S. 57f. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92, nimmt darüber hinaus an, dass das Regiment das Recht, den Grenadiermarsch zu schlagen, verlor. 551 Archenholz, Geschichte des Siebenjährigen Krieges (wie Anm. 276), S. 248. Zu Archenholz vgl. Ute Rieger, Johann Wilhelm von Archenholz als »Zeitbürger«. Eine historische-analytische Untersuchung zur Aufklärung in Deutschland, Berlin 1993 und oben S. 86, Anm. 276. 552 Vgl. S. 57f. 553 Die Auszeichnung bestand darin, dass nur Dragoner- und Kürassierregimenter Pauken, sowie letztere und Husaren Trompeten führten. Pauken und Trompeten waren Instrumente vor allem im höfischen, fürstlichen Kontext, vgl. Sascha Möbius, ›Ein feste Burg ist unser Gott…!‹ und das ›entsetzliche Lärmen ihrer Trommeln‹: preußische Militärmusik in den Schlachten des Siebenjährigen Krieges, in: Jutta Nowosadtko u. a. (Hrsg.), »Mars und die Musen«: das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, S. 267 bzw. 271. Zur sozialen Zuordnung, siehe Michael C. Schramm, Funktionsbestimmte Elemente der Militärmusik von der Frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert, in: Jutta Nowosadtko u. a. (Hrsg.), »Mars und die Musen«: das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, S. 249. Zur Verwendung von Trompeteninstrumenten für Repräsentationszwecke vgl. Alfred Berner, Trompeteninstrumente. B. Geschichte der Trompeteninstrumente, II. Typen und Verwendung im Abendland bis zum

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spielsweise führte das Dragonerregiment Nr. 5 bereits seit seiner Stiftung 1717 Pauken554 und das Kürassierregiment Nr. 9 seit 1721 silberne Trompeten, die aber wohl in der Schlacht bei Maxen am 21. November 1758 verloren gingen.555 Eine besondere Auszeichnung und Ehre war es, wenn Pauken des Gegners von den Regimentern als Siegestrophäe erbeutet wurden und die siegreichen Regimenter vom König das Recht erhielten, diese dauerhaft zu führen. Besonders ehrenhaft war eine solche Auszeichnung, wenn Regimenter, die normalerweise keine Pauken hatten, dieses Recht erlangten. Im Gegensatz zu anderen Beutestücken wie Fahnen oder Geschützen konnten Pauken in die eigene Regimentskultur integriert werden. Das Kürassierregiment Nr. 6 beispielsweise führte bereits seit der Schlacht bei Malplaquet im September 1709 (11. September 1709) erbeutete Pauken556, das Dragonerregiment Nr. 3 erhielt am 31. August 1741 silberne Pauken und das Husarenregiment Nr. 7 1758 französische Beutepauken.557 1745 hatten das zweite und das fünfte Husarenregiment in der Auseinandersetzung bei Katholisch-Hennersdorf von den Sachsen Pauken erobert, die sie seitdem führten.558 Das Paukenpaar des Husarenregiments Nr. 5 wurde mit einer entsprechenden Gravur versehen.559 Erbeutete und einem Regiment verliehene Pauken waren sichtbare und hörbare Symbole der Tapferkeit eines Regiments. Einen indirekten Hinweis auf die Bedeutung von Instrumenten und Musik im zeitgeschichtlichen Kontext für die Regimenter und ihre Selbstwahrnehmung gab der Regimentstambour Dreyer. »Im Jahre 1778. brach der bayrische Erbfolgekrieg aus, und es machte mir Freude, daß ich der erste Tambour war, der den Preussischen Grenadier-Marsch in diesem Feldzuge bey Nachod in Böhmen über der Grenze schlug und dadurch den Krieg erklärte.«560 Dreyer stilisierte sich selbst in Ausübung

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Ende des 18. Jahrhunderts. III. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Friedrich Blume (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 13, Kassel 1986, Sp. 780. Ebenso Achim Hofer, Studien zur Geschichte des Militärmarsches, Bd. 1, Tutzing 1988, S. 177. Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 97*: »Die Pauken, welche dem Regiment durch Punkt 9 der Kapitulation vom 2. April 1717 verliehen worden, hat sich dasselbe gleich allen Ausrüstungsstücken selber aus der Kleiderkasse beschafft und zwar kupfern-versilberte, welche 210 Thlr. kosteten. In dem Oekonomie-Reglement von 1752 […] ist bereits ein Beitrag von 1072 Thlr. 2 Gr. 9 Pf. aus der Kleiderkasse ausgeworfen, um silberne für das Regiment zu beschaffen; dies ist jedenfalls noch vor dem siebenjährigen Kriege geschehen, denn die bei dem Ueberfall von Holitz verlorenen Pauken waren von Silber.« Vgl. den Auszug aus der Kapitulation: »Die vor dieses Regiment benöthigte Estandarten und Pauckenfahnen wollen Wir demselben allergnädigst schenken, dergestalth Wir denn in gnaden resolviret, und gestattet, daß es die Paucken führen möge, und hatt der Obrister sich dieser Stücke wegen, bey unsern Obristen von Köppen, zu melden«, ebd., S. 9. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92. Ebd., S. 93. Ebd., S. 94. Ebd., S. 94. Ebd., S. 94. Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 49.

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seiner Tätigkeit als Regimentstambour zum Symbol nicht nur seines Regiments, sondern der gesamten brandenburgisch-preußischen Armee hinsichtlich der Kriegseröffnung. Erbeutete Pauken als Siegestrophäen konnten über das Recht zur dauerhaften Führung hinaus weitere Unterschiede schaffen. Das Husarenregiment Nr. 5 erhielt für die 1745 eroberten Pauken einen etatmäßigen Pauker. Im Gegensatz dazu wurde ein gleichlautender Antrag Zietens (Husarenregiment Nr. 2) für die in der gleichen Auseinandersetzung erworbenen Pauken vom König im Mai 1747 abgelehnt.561 Zwei gleiche, in der Wahrnehmung der Armee herausragende Leistungen wurden in einer umfassenderen Bewertung unterschiedlich beurteilt: das eine Regiment konnte die Pauken ohne Not mit einem eigens dafür etatisierten Pauker schlagen lassen, das andere musste sehen, wie es den ehrbringenden Paukenschlag zustande brachte. Durch die zusätzliche Ausstattung unterschied sich das Regiment nicht nur durch die Tatsache an sich, sondern auch dadurch, dass Pauken und Trompeten ohne Probleme im Regimentsalltag genutzt werden konnten.562 Jeder Paukenschlag erinnerte an diese Sonderstellung und wies auf die Eroberung derselben. Der ›Konkurrenzkampf‹ um die Pauken wurde Ende des Jahrhunderts in einem anderen Zusammenhang noch einmal aufgegriffen. In der Beschreibung des Zieten-Denkmals auf dem Wilhelmsplatz in Berlin wurde die Tatsache, dass das Husarenregiment Nr. 5 Pauken führte, auf eine ›Umverteilung‹ der Siegestrophäen durch den König zurückgeführt. »Der General Zieten legte nun dem Könige […] alle erbeuteten Siegeszeichen zu Füßen; und bat sich zum Andenken dieses Tages für sein Regiment ein Paar der eroberten silbernen Pauken aus. Der König bewilligte ihm diese […]. Der General v. Ruesch, Chef der schwarzen Husaren, welche tapfer mitgefochten hatten, äußerte den nämlichen Wunsch, und auch dieser fand Statt. Es lieferten also die Husaren von Zieten denen von Ruesch zwei Pauken auf das feierlichste aus, und die fünfte wurde mit den übrigen Siegeszeichen nach dem Berliner Zeughause gebracht. Noch bis jetzt sind diese beiden Husarenregimenter in der Preußischen Armee die einzigen, welche Pauken führen.«563 561 Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157) S. 190: »Die Etats der Kavallerieregimenter blieben unverändert wie vor dem Zweiten Schlesischen Kriege. Das Husarenregiment Ruesch hatte seit 1746 einen etatsmäßigen Pauker für die bei Katholisch-Hennersdorf eroberten Pauken. Einen gleichen Antrag Zietens, dessen Regiment dort ebenfalls Pauken erbeutet hatte und führen durfte, lehnte der König am 4. Mai 1747 ab.« Möbius erklärt die Ablehnung des Königs mit der untergeordneten Stellung in der Ehrenfolge, die nur durch eine Ausnahme durchbrochen gewesen wäre. Möbius, Ein feste Burg (wie Anm. 553), S. 267. 562 Die täglichen Abläufe der Regimentsmusik beschreibt Karlheinz Deisenroth, Militärmusikalischer Tagesdienst und Zeremoniell in der Königlich Preußischen Armee, in: Zeitschrift für Heereskunde 375 (1995), S. 30ff. 563 Beschreibung der am 27sten Februar des J. 1794 zu Berlin errichteten Bildsäule des General Zieten wie auch der drey am Fußgestell befindlichen Bas-reliefs, Berlin 1794, http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB00002B7000000000, 21. 06. 2014, S. 8. Leh-

164

Materialisierte Erinnerungskultur

Mit dieser Darstellung wurde der eigene Anspruch des Husarenregiments Nr. 5 relativiert, denn sie erhielten die Pauken vom Zietenschen Husarenregiment. Die ›Auseinandersetzung‹ um den Pauker belegt ein weiteres Mal – unabhängig von der unterschiedlichen Bewertung durch den König –, dass die Regimenter aktiv an der Gestaltung ihrer Außenwahrnehmung arbeiteten. Zwar konnten sie die königliche Bewilligung nicht erzwingen, aber sie warteten auch nicht passiv darauf, dass der König ihnen von sich aus eine Anerkennung zuteilwerden ließ. Im Regiment selbst erhielt sich eine Interpretation der Vorgänge, die im Zusammenhang der Denkmalerrichtung für den General Zieten abgerufen werden konnte.564

7.

Regimentsmärsche – musikalische Distinktion

Eine weitere Form der Erinnerung an den Heldenmut eines Regimentes und der Distinktion von anderen Regimentern war die Erlaubnis, den Grenadiermarsch bzw. den Reitermarsch schlagen zu dürfen.565 Diese, den Eliteeinheiten bzw. der höchsten Truppengattung vorbehaltenen Formen des Marsches, konnten ebenso anderen Regimentern in Erinnerung an die in der Schlacht vollbrachte Leistung als Auszeichnung verliehen werden, so dass sie in dieser Hinsicht jenen glichen.566 mann deutet einen möglicherweise sogar zeitgenössischen Widerspruch zu dieser Darstellung an. Vgl. die Anm. bei Gustav Lehmann, Die Trophäen des preußischen Heeres in der königlichen Hof- und Garnisionkirche zu Potsdam, Berlin 1899, S. 121. 564 Vgl. S. 186. 565 Ausgehend von einer weiten Definition des Begriffs ›Artefakt‹ werden Märsche als etwas künstlich Geschaffenes im Zusammenhang mit den Instrumenten erörtert, vgl. S. 125, Anm. 405. Nowosadtko und Rogg nehmen an, dass das Gebiet der frühneuzeitlichen Musik eine große Forschungslücke darstellt, Jutta Nowosadtko, Matthias Rogg, Gedanken über Krieg, Kunst und Kultur in der Frühen Neuzeit, in: Jutta Nowosadtko u. a. (Hrsg.), »Mars und die Musen«: das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Berlin, u. a. 2008, S. 21f. Zum Forschungsstand siehe auch Möbius, Ein feste Burg (wie Anm. 553), S. 263f. Die Regimenter waren sich der Distinktionsmöglichkeiten über die verschiedenen Märsche (Reiter- und Grenadiermarsch) bewusst. Dies belegt die Regimentsgeschichte des Infanterieregiments Nr. 3, welches als eine Besonderheit aufzählt, dass das Regiment auch den Reitermarsch spielen durfte, vgl. S. 50. Zu den Gelegenheiten, wann Marsch geschlagen bzw. gespielt wurde, vgl. Peter C. Marten, Die Musik der Spielleute des altpreussischen Heeres, Osnabrück 1976, S. 34. Die konkrete Verwendung des Musketiermarsches ebd., S. 48ff. Wann jedoch der Grenadiermarsch geschlagen wurde, könne aufgrund fehlender Angaben in den Reglements nicht festgestellt werden. Marten nimmt jedoch an, »daß er beim An- und Abbringen der Fahnen durch die Grenadiere und auch stets dann zu schlagen war, wenn die Musketiere den ›Musketiermarsch‹ oder den ›Trupp‹ zu schlagen hatten«, ebd., S. 67. Vgl. Peter Panoff, Militärmusik in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1938, S. 141. 566 Johannes Reschke, Studie zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Heeresmusik,

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165

Ähnlich wie bei der Versagung des von Zieten erbetenen Paukers gab es keine Zwangsläufigkeit hinsichtlich weiterer Auszeichnungen. Friedrich II. verweigerte dem Dragonerregiment Nr. 9 und seinem hochadligen Inhaber das Recht, auch den Grenadiermarsch schlagen zu dürfen. Zwar sei er mit dem Regiment »gantz wohl zufrieden« und »approbire und constenire auch hierdurch gantz gerne, dass Ew. Liebden unterhabenes Regiment die in der Bataille bei Crefeld von dem frantzösischen Regiment Roussillon eroberte Pauken führen und gebrauchen möge, um Reutermarsch darauf zu schlagen zu lassen. Was aber das Schlagen des Grenadier-Marsches auf dessen Trommeln anbetrift; da muss das Regiment damit noch warten, bis es sich hiernechst in Bataillen noch besser distinguiret haben wird‹. Schönfeld, den 18. August 1758. Friedrich.«567

Auch dieses Beispiel belegt, dass die Regimenter ihr Ansehen aktiv zu gestalten suchten und sich dabei auf ihre Erfolge beriefen. Der Erfolg sollte durch Distinktion wahrnehmbar verankert werden, denn die auszeichnende und erinnernde Funktion solcher Vorrechte wurde im Regimentsalltag wirksam. Einer ungehinderten Selbstdarstellung stand jedoch der König mit seiner Entscheidungsbefugnis entgegen.

Berlin 1936, S. 21f. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91f. listet folgende Beispiele auf: Den Grenadiermarsch habe der König allen an der Schlacht von Kesselsdorf (Dezember 1745) beteiligten Infanterieregimentern und dem Dragonerregiment Nr. 4 verliehen. Des Weiteren hätten das Infanterieregiment Nr. 3 für Liegnitz (1760), Nr. 32 für Zuckmantel (1779), Nr. 36 für Lobositz (1756), Nr. 51 bei der Revue 1802, Nr. 52 für Rawka (1794), Nr. 53 für die Gefechte am Narew (1794), Nr. 54, 1. Bataillon, für Rawka (1794), Nr. 55 für den polnischen Feldzug (1794), das Freiregiment Nr. 14 für Rawka (1794), die Dragonerregimenter Nr. 1 für Reichenberg bzw. nach anderer Quelle für Kolin (1759), Nr. 4 für Kesselsdorf (1745), Nr. 5 für Hohenfriedberg (1745), Nr. 8 für Gefangennahme des gegnerischen Generals von Gemmingen und von 1400 Österreichern (1759) und Nr. 11 für Pretsch (1759) erhalten. Jany gibt an, dass nach der Schlacht von Hohenfriedberg alle beteiligten Infanterieregimenter das Recht erhielten, den Grenadiermarsch zu schlagen, Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 138. Vgl. auch Marten, Musik (wie Anm. 565), S. 66f. 567 Zitiert nach Reschke, Heeresmusik (wie Anm. 566), S. 33, der wiederum auf »Der Soldatenfreund, 1865, Juli« verweist. Vgl. auch Ernst zur Lippe-Weissenfeld, Militaria aus König Friedrichs des Grossen Zeit, Nachdr. der Ausg. von 1866, Krefeld 1977, S. 83 sowie Möbius, Ein feste Burg (wie Anm. 553), S. 286. Ein weiteres Beispiel ist das Dragonerregiment Nr. 2, welches 1745 nach einem Gefecht bei Neustadt das Recht erhielt, den »Reutermarsch zu schlagen«, Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 123. Diesen Beleg korrigiert zugleich Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 92, der angibt, Reutermarsch sei ein Synonym der Kavallerie für Grenadiermarsch. – Möbius stellt fest, dass Regimenter die Auszeichnung verlieren konnten und nennt als ein Beispiel das Infanterieregiment Nr. 3, Möbius, Ein feste Burg (wie Anm. 553), S. 287. Er verweist auf Marten, Musik (wie Anm. 565), S. 67, der seinerseits Schnackenburg, Jahrbuch für die deutsche Armee und Marine, 1889, zitiert.

166 8.

Materialisierte Erinnerungskultur

Erinnernde Namensgebung – der Name eines Regimentsmarsches

In diesem Zusammenhang sind die Märsche der Regimenter bzw. ihre Namen hinsichtlich ihrer Erinnerungsbezüge zu hinterfragen, denn einige der damals verwendeten Märsche wurden nach Ereignissen, Regionen oder Inhabern benannt. Eine solche Zuordnung, wie sie sich beispielsweise im »Hohenfriedberger Marsch« oder im »Dessauer Marsch« widerspiegelt, wirft die Frage auf, wann diese erfolgte. Ein erstes Beispiel für die erinnernde Namensgebung eines Marsches ist der »Rheinstromer Marsch«.568 Es ist anzunehmen, dass sich der Name vom Krieg am Oberrhein 1734/1735 herleitete, da noch 1759 diejenigen Mitglieder des Infanterie-Regiments Nr. 5, die daran teilgenommen hatten, als »Rheinstromer« oder »Oberrheiner« bezeichnet wurden. Eine spätere Aufzeichnung belegt, »daß dieser Marsch dem Regiment eigentümlich sei wie der ›Alte Dessauer‹ dem Infanterieregiment Renouard [Infanterieregiment Nr. 3, Anm. FZ]«.569 Deshalb erklang er auch noch beim letzten Angriff des Regiments im Oktober 1806. Mittels der Namensgebung wurden Bezüge zu vergangenen Ereignissen und ganzen Kriegskampagnen hergestellt. Es reichte der Hinweis darauf, daran teilgenommen zu haben; ein Sieg als kulminierender Höhepunkt war nicht notwendig. Am Beispiel des »Hohenfriedberger Marsches« lassen sich darüber hinaus zwei weitere erinnerungskulturelle Bezüge aufzeigen: die Zuschreibung der Urheberschaft sowie die Textfassungen. Nach der Schlacht 1745 hatte das Dragonerregiment Nr. 5 für seinen entscheidenden Reiterangriff als Anerkennung

568 Zusammenhang und folgende Zitate bei Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 677. 569 Ebd., S. 677. Auch die Herkunft des »Dessauer Marsches« ist nicht zweifelsfrei zu klären. So sei zu vermuten, dass die brandenburgischen Truppen unter Fürst Leopold diesen Marsch in Italien 1706 kennen- und lieben gelernt hätten, so dass er zum Regimentsmarsch gemacht worden und bis 1806 der Parademarsch des Regiments Anhalt-Dessau gewesen sei, Reschke, Heeresmusik (wie Anm. 566), S. 18. Eine Spieluhr aus der Zeit des Fürsten Leopold überliefere eine Version des Marsches, ebd., S. 18; vgl. auch Th. August Kalkbrenner, Die Königlich Preussischen Armeemärsche, Leipzig 1896, S. 27f. bzw. Karl August Varnhagen von Ense, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau: biographisches Denkmal, Leipzig 1890, S. 33. Reschke und Kalkbrenner beziehen sich auf Varnhagen von Ense. Die erwähnte Spieluhr ist ein Hinweis auf weitere denkbare Artefakte, mittels derer militärische Identität und Erinnerungskultur tradiert werden konnten. Hofer gibt zwei Beispiele an, die belegen, dass der Marsch schon im 18. Jahrhundert unter diesem Namen geführt wurde. Vgl. Hofer, Studien, Bd. 1 (wie Anm. 553), S. 456f. Zu den entsprechenden Sammlungen des Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, vgl. ebd., S. 748ff.

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und Auszeichnung das Recht vom König erhalten, den Reiter- und den Grenadiermarsch zu schlagen.570 Der Name des Marsches »Hohenfriedberger«, der zweifelsohne an die Schlacht von Hohenfriedberg am 4. Juni 1745 erinnert und erinnern sollte, ist für 1745 wie auch für das gesamte 18. Jahrhundert nicht belegt. 1795 wurde der Marsch noch als »Marsch des Dragoner-Regiments ›Ansbach-Bayreuth‹« verzeichnet. Ebenso trug eine in der Königlichen Hausbibliothek vorhanden gewesene Klavierbearbeitung den Titel »Marsch des Regiments ›Ansbach-Bayreuth-Dragoner‹«.571 Aber bereits 1827 wird in einer Regimentsgeschichte, deren Berichtszeitraum bis 1820 reicht, ausgeführt, dass »der dem Regimente darin [Gnadendiplom, Anm. FZ] zur Auszeichnung bewilligte Grenadier-Marsch […] unter dem Namen: ›Hohenfriedberger‹ fortwährend bei allen großen Paraden geblasen [wird].«572 Dieser Hinweis deutet darauf hin, dass spätestens in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts dieser Name für den Regimentsmarsch in Gebrauch kam. Unabhängig vom genauen Zeitpunkt der Namensgebung zeigt sich, dass die Verknüpfung von Marsch und historischem Ereignis, in dem das Regiment brillierte, erst deutlich später erfolgte, also ein Ergebnis von Reflexion und Konstruktion war.573 Die Schlacht und das herausragende Verhalten des Regiments wurden in dem einem Wort »Hohenfriedberger« zusammengefasst und verdichtet. Fortan erinnerte der Marsch daran. Er wurde zum Synonym für den Reiterangriff des Regiments und den Sieg. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Marsch selbst schon bei der Attacke in der Schlacht von Hohenfriedberg erklungen ist.574 Aus musikwissenschaftlicher Perspektive datiert der Marsch selbst vor 1750, da er kein Trio hat, welches erst nach 1750 üblich wurde.575 Die Teilhabe am Ruhm konnte auch mittelbar konstruiert werden. So wurde die Urheberschaft des Marsches König Friedrich II. zugeschrieben576, der damit in unmittelbare Nähe zum positiven Ereignis gestellt wurde. Diese Annahme wird unter Berücksichtigung des vom König selbst ausgestellten Gnadenbriefes 570 Vgl. Ravenstein, Historische Darstellung (wie Anm. 503), S. 141–148, hier insbesondere S. 147. Vgl. auch S. 164, Anm. 566 bzw. S. 171. 571 Kalkbrenner, Armeemärsche (wie Anm. 569), S. 32f. 572 Ravenstein, Historische Darstellung (wie Anm. 503), S. 14. 573 Die Beweisführung beruht darauf, dass für das späte 18. Jahrhundert keine weiteren Dokumente bekannt sind, die den Namen des Regimentsmarsches wiedergeben. Das schließt jedoch nicht endgültig aus, dass der Marsch schon früher so bezeichnet wurde. Die Interpretation würde sich jedoch durch einen früheren Beleg nicht ändern, da der Abstand zum Ereignis immer noch groß wäre. Die Namensgebung belegt einmal mehr das ›Arbeiten‹ an der Regimentserinnerung. 574 Kalkbrenner, Armeemärsche (wie Anm. 569), S. 34. 575 Ebd., S. 32. 576 Vgl. Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 100*.

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angezweifelt, da darin nichts auf eine Urheberschaft des Königs hindeutet. Es kann daher mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dieser Marsch durch Friedrich II. komponiert wurde.577 Gleichwohl belegt dieser Zuschreibungsversuch die nachträgliche Erinnerungsarbeit: eine König Friedrich II. zugeschriebene Urheberschaft verband nicht nur diesen stärker mit der siegreichen Schlacht, sondern erhöhte die bereits hohe und besondere Auszeichnung des Regiments noch einmal. Der Marsch und die spätere Umbenennung sind in einem größeren Kontext zu sehen. Es deutet sich die Tendenz an, dass das Ereignis ›Hohenfriedberg‹ immer stärker erinnert wurde, je weiter es in die Vergangenheit rückte. Dies zeigt auch die Textfassung, die im zeitlichen Kontext des 100-jährigen Schlachtengedenkens 1845 entstand.578 Der Text belegt, dass sein Verfasser sich nicht mit der Vergangenheit des Regiments auseinandergesetzt hatte, denn zum Zeitpunkt der Schlacht hieß das Regiment lediglich »Bayreuth«. Den Namen Ansbach-Bayreuth, wie es im Text heißt, erhielt es erst 1769. Die Namensgebung und die Textdichtung erfolgten wahrscheinlich im 19. Jahrhundert und damit außerhalb des Untersuchungszeitraumes. Aber erst in der Gesamtschau, angefangen beim Ereignis bis hin zu den Reflexionen auf dasselbe zeigt sich, dass Erinnerungsbezüge über die Zäsur von 1806, d. h. über den Niedergang der altpreußischen Armee hinweg konstruiert wurden. Die Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. war eine wichtige Zeitspanne für die Etablierung erinnerungskultureller Bezüge für das brandenburgisch-preußische Militär. Das Interesse des Königs an den Uniformen, wie sie am Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. getragen wurden, förderte ebenso wie die »officielle ›Armeemarsch-Sammlung‹«579 die Auseinandersetzung mit der Ver577 Reschke, Heeresmusik (wie Anm. 566), S. 22. Vgl. auch Karl Müssel, Die »Bayreuth-Dragoner« von Hohenfriedberg. Ein Beitrag zur Namensgeschichte des preußischen Dragonerregiments »Bayreuth«, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 65 (1985), S. 349. Müssel verweist auf die Argumentation von Hans Schwenk, Marschmusik, München 1965, S. 99. – Es gibt weitere Märsche, die auf König Friedrich II. als Urheber zurückgeführt werden, beispielsweise den »Mollwitzer Marsch«, etc. Eine zweifelsfreie Zuordnung ist – aufgrund fehlender Quellen – nicht möglich, Reschke, Heeresmusik (wie Anm. 566), S. 21. 578 Albedyll, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 503), S. 442. Dort heißt es, dass »der Musikdirektor Löwe in Stettin […] durch Herrn Freiberg in Pasewalk ein Gesangstück ›Hohenfriedberg‹ [überreichte]. Auf Bitten des Regiments kam Herr Löwe am 3. Juni [1845, Anm. FZ] nach Pasewalk und übte dasselbe mit den Sängern ein. Das Regiment ließ das Lied drucken. Es wurde aber nicht so populär wie das gleichzeitig von Herrn Freiberg gedichtete und von dem Konrektor Rosenthal in Musik gesetzte Lied ›Auf Ansbach-Bayreuth‹ […], welches bald das Regimentslied wurde […]«. Vgl. auch den Text mit dem Hinweis, dass dieser von A. H. Freiberg stammt: ders., Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 101*: »Auf Ansbach-Bayreuth, auf Ansbach-Bayreuth, Schnall um Deinen Degen und rüste Dich zum Streit, […]«. Müssel, »Bayreuth-Dragoner« (wie Anm. 577), S. 350 greift auf Albedyll zurück. 579 Kalkbrenner, Armeemärsche (wie Anm. 569), S. 9. Märsche des brandenburgisch-preußische Militärs wären in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nur vereinzelt im Schriftgut

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gangenheit. Die Bedeutung der Märsche am Ende des 18. Jahrhunderts als Auszeichnung reflektierte der Regimentstambour Dreyer in seinem Tagebuch. Dieser kritisierte die Praxis und hätte diese dahingehend ändern wollen, dass es nur wenige »Ehrenmärsche« geben sollte, »welche nur diejenigen Bataillone schlagen dürfen, welche diese Ehre verdient hätten«.580 Die Regimentsmärsche hatten demnach eine wesentliche Bedeutung für die Selbstwahrnehmung der militärischen Einheiten. Sie wirkten identitäts- und längerfristig traditionsstiftend und waren Teil der Regimentserinnerung.

9.

Außergewöhnlich: Das Gnadendiplom für das Dragonerregiment Nr. 5

Das von König Friedrich II. ausgestellte Gnadendiplom581 als besondere Form der Auszeichnung des Dragonerregiments Nr. 5 für die Leistung in der Schlacht von Hohenfriedberg 1745 und die anderen möglichen Auszeichnungen von Regimentern als auch Einzelpersonen belegen neben der Bedeutung des ›Ereignisses‹ die zentrale Rolle des Königs als unmittelbaren und mittelbaren Stifter militärischer Erinnerungskulturen. Die verschiedenen Instrumentarien wie Uniformen und Ausrüstungsgegenstände dienten zunächst der Selbstdarstellung des Landesherrn und seiner Macht. Dies schloss aber nicht aus, dass sich solche Elemente verselbständigten und zum Zeichen und Medium militärischer Identität und Erinnerungskultur werden konnten. Die Besonderheit und Einzigartigkeit des Gnadendiploms für das Dragonerregiment Nr. 5 ist darin zu sehen, dass der König mit diesem unmittelbar eine regimentsbezogene Erinnerungskultur stiftete, dass kein weiteres ähnliches Zeugnis für die 46-jährige Regierungszeit Friedrichs II. belegt ist und diese Auszeichnung relativ am Anfang seiner Regierungszeit erfolgte.582 Gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung des Siebenjährigen Krieges für das Königtum in Preußen verwundert die ›Stille‹ im Auszeichnungswesen. Friedrich II. benannte zu Beginn des Gnadenbriefes die »ungefärbte Heldenmüthigkeit und Tapferkeit« als die Tugend, die es allen anderen vorzuziehen gälte. Sie diene dazu, das »Königreich […] wohl zu regieren und kräfftig zu erwähnt und nicht gesammelt worden, Reschke, Heeresmusik (wie Anm. 566), S. 19. Laut Reschke ist die »Armeemarsch-Sammlung« verloren gegangen, ebd., S. 21. Vgl. auch Achim Hofer, Studien zur Geschichte des Militärmarsches, Bd. 2, Tutzing 1988, S. 541f. 580 Dreyer, Leben und Taten (wie Anm. 280), S. 52. 581 Im Folgenden wird Ravenstein zitiert. Albedyll gibt dieses ebenso wie eine Abbildung des Regimentskastens mit dem darauf liegenden Gnadendiplom wieder, vgl. Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 217–220. 582 Heyde erwähnt in diesem Zusammenhang weiterhin die Belobigung eines Regiments durch Parolebefehl und öffentliche Relation, vgl. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 91.

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schützen«, den »Ruhm, erhabenden Nahmen, und blühenden Ruhm beständig zu unterhalten und zu befördern«, »Ruhe und Frieden, zu schaffen und zu erhalten«.583 Da diesen Zielen auch die Taten der »redliche[n] Krieges-Offiziers und Soldaten« dienten, könnte der König »in höchst eigener Persohn ein unwiedersprechlicher Zeuge seyn, und den [ihm], und [seiner] Krohne, dadurch erworbenen Ruhm, der Nachwelt, als ein merkwürdiges Denck-Mahl überlieffern […]«.584 Mit dem »erfochtene[n] vollkommene[n] und herrliche[n] Sieg« bei Hohenfriedberg sei der Anspruch »zum dritten mahle, mit Unsern siegenden Waffen behauptet« worden und die »wahre Ehre« gehöre den Generälen, den Offizieren und den einfachen Soldaten.585 So habe die »gantze Armee, denjenigen Ruhm und erhabenen Nachklang, gantz ausnehmend befestiget, welche sie, von so vielen Krieges-Völckern Europens so mercklich unterscheidet.«586 Der König postulierte damit den Ruhm seiner Armee und begründete eine Vorrangstellung. Das Dragonerregiment Nr. 5 hatte die Zweifel derjenigen zerstreut, die den Erfolg bloß auf die Schlachtordnung zurückführen und sonst den Regimentern keinen »Muht und Eyffer zur Ehre Unseres Dienste« zutrauen würden. Es hatte das Glück gehabt, »diesen Zweiffel, auf eine fast unerhörte Weise, vorzubeugen, und mit einer recht Heldenmäßigen That in dem Angesicht der gantzen feindlichen Armee, auf der Wahl-Stadt, selbst öffentlich zu versiegeln«.587 Nach dieser Einleitung folgte eine Beschreibung des eigentlichen Vorgangs.588 Das Besondere dieser »heldenmäßige[n] und desto ruhmwürdigere[n] That« lag darin, dass sie an »solchen Kriegs-Völckern geschehen, welche von undencklichen Jahren her, des Sieges gewohnet, solchen bey nahe, wie ihr besonderes Erbtheil gehalten, und kaum durch eine Fünffjährige Zeit, mit ihren größesten Schaden, einen so eitelen Wahn, auf denen Schlacht-Feldern selbst, so feyerlich verlaßen müßen.«589 Der König wollte herausstellen, dass der auf bisheriger Erfahrung beruhenden, an Arroganz grenzenden Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit des Gegners, den Sieg in einer Schlacht davonzutragen, mit dem Sieg bei Hohenfriedberg Einhalt geboten wurde. Die Interpretation des Königs zeigte dessen Anspruch, 583 584 585 586 587 588

Ravenstein, Historische Darstellung (wie Anm. 503), S. 141f. Ebd., S. 142. Ebd., S. 142. Ebd., S. 142. Ebd., S. 143. Das Regiment habe ein »starckes Oesterreichsches Corps Grenadiers und die 6 alte versuchte, und ihrer Gewohnheit nach, redlich fechtende Regimenter […] über den Hauffen [geworfen], hieb das meiste davon nieder, bezeigte aber auch, mitten in seiner heldenmüthigen Hitze, dieses seinen Feinden selbst, die Großmüthigkeit, Zwei Tausend Fünf Hundert derselben Quartier zu geben, und selbige nebst Sechs und Sechtzig Fahnen und verschiedenen Kanonen, als lebendige und selbst redende Sieges-Zeichen, mit in Unser Lager zu bringen, und Uns solche allerunterthängst zu Füßen zu legen«, ebd., S. 145f. 589 Ebd., S. 146.

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die Deutungshoheit nicht nur über diese eine Schlacht zu gewinnen. Mit dem Gnadenbrief erklärte er in gewisser Weise die Erinnerungskonkurrenz zwischen den gegnerischen und der brandenburgisch-preußischen Armee zugunsten der eigenen für beendet. Da auch die Offiziere tapfer und klug gehandelt hatten, hatte der König über die Anerkennung hinaus »auf solche Mittel gedacht, wodurch dieselbe anjetzo und bey der Nachwelt, auf eine solenne Weise, in beständigen Andencken erhalten, und außerordentlich möchte verewiget werden.«590 Dies war der Grund, warum der König dem »Dragoner Regiment von Bayreuth […] vor allen andern […] jetzo und zu ewigen Zeiten, Vorzug und Ehren-Zeichen beyzulegen, daß das Regiment jederzeit, im Zug und March, es sey im Felde oder Garnisonen, den Grenadier-March, mit ihren Paucken aber auch, den March, Unserer Curiassier Reuther, schlagen zu laßen, befugt seyn solle, sondern Wir wollen auch, um das Andencken dieser glorieusen Action noch ansehnlicher zu machen, dem gantzen Regiment die Befugniß geben, die eroberten Trophees, an Fahnen und Kanons in ihren sogenandten Regiments-Siegel zu führen«.591

Darüber hinaus sollte der »Willen- und Gnaden-Brieff, als ein öffentliches Gezeugniß, […] in ein solennes Diploma« gebracht werden, welches dem angetretenen Regiment vorzulesen und bekannt zu machen war. Das Original sollte beim Kommandeur bei der Regiments-Standarte verwahrt und von Kommandeur zu Kommandeur weitergegeben werden.592 Der König bestimmte also auch, wie die von ihm unmittelbar gestiftete Erinnerungskultur tradiert werden sollte. Die Schilderung in der Regimentsgeschichte des 19. Jahrhunderts belegt, dass das Original dieses ehrenvollen Schriftstücks zusammen mit der Standarte des Regiments aufbewahrt wurde. Aus diesem Grund liegt nahe, dass dieses Schriftstück kopiert wurde, um den Ruhm und die Auszeichnung weiter zu verbreiten.593 Das Gnadendiplom war eine exklusive Auszeichnung des Regiments. Gleichwohl wurde diese Exklusivität und damit auch die Absicht des Königs, das Regiment besonders auszuzeichnen, ein wenig relativiert, wenn man den Nachrichten der Regimentsgeschichte von 1896 Glauben schenkt, dass das letztendlich ausgestellte Gnadendiplom die dritte und mithin schwächste Variante im Vergleich zu den beiden vorherigen Entwürfen darstellte.594 So hatte der eine Entwurf einen Zusatz beinhaltet, »daß die sämmtlichen Ober-Offiziers, welche bei dieser ruhmwürdigen Aktion gewesen, die eroberten Fahnen und 590 591 592 593

Ebd., S. 146. Ebd., S. 146f. Ebd., S. 147. Ebd., S. 14. Albedyll weist auf die Einzigartigkeit der Auszeichnung und die deshalb besonders behutsame Aufbewahrung hin, vgl. Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 221. 594 Ders., Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 221.

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Kanons in ihrem Wappen zu führen berechtigt sein sollen.«595 In dem anderen Entwurf war das Ansinnen des Königs, »die eroberten Trophäen im Wappen zu führen« umfassender dargestellt worden, indem auch die Nachkommen der Offiziere berechtigt wurden, die detailliert beschriebene heraldische Ergänzung als Teil des jeweiligen Familienwappens zu führen.596 Die Entwürfe belegen, dass militärische und familiäre Reputation nicht voneinander getrennt wurden und dass sich die Rolle des Königs als Stifter von erinnerungskulturellen Bezügen nicht allein in der Ausstellung des Gnaden-Briefes erschöpfte. Vielmehr sind auch die anderen Auszeichnungen zu sehen, die im Nachgang einer militärisch anerkennenswerten Leistung durch ihn vergeben wurden und die – wie die Regimentsgeschichte zeigt – als Teil der Regimentserinnerung aufgenommen wurden. So sind beispielsweise nach der Schlacht bei Hohenfriedberg neben der Verleihung des Grenadiermarsches an alle beteiligten Regimenter die Generallieutenants du Moulin und Graf Posadowsky mit dem Schwarzen-Adler-Orden geehrt worden.597 Dieser Orden war durch Friedrich I. anlässlich der Erlangung der Königswürde 1701 gestiftet worden und wurde seit 1713 überwiegend für Verdienste verliehen.598 Die Stabsoffiziere und Offiziere im Kapitänsrang beim zweiten und dritten Bataillon Garde, beim Grenadierbataillon Einsiedel sowie bei den Regimentern Hacke und Bevern hatten für ihre Verdienste in der Schlacht den Orden Pour le M8rite erhalten.599 Auch die Erhebung des Generallieutenants von Geßler in den Graf-

595 Zitiert nach ebd., S. 220. 596 Ebd., S. 221: »Es sollen die sämmtlichen Ober-Offiziere, welche bei dieser ruhmwürdigen Aktion gewesen, nicht nur die eroberten Fahnen und Kanons in ihren Wappen zu führen berechtigt sein, sondern wir wollen auch, um das Andenken dieser tapfern Aktion noch ansehnlicher zu machen, allen vorbenannten Ober-Officieren und ihren in rechtmäßiger Linie absteigenden Leibes-Erben, zu ihrem angebohrnen Wappenschilde und Helme noch einen offenen Helm hiermit allergnädigst und dergestalt geschenket und ertheilet haben, daß sie auf der rechten Seite ihres gewöhnlichen Wappenschildes einen offenen, gekrönten Helm, nebst 2 darauf schräg rechts und schräg links aufgerichtet über einander geschränkt stehenden Kanonen und einer dazwischen gepflanzeten auswärts fliegenden Fahne, worinnen in der Mitte die ruhmwürdige Anzahl derer eroberten Fahnen mit denen beiden Chiffren 66 gezeichnet, die Fahnenstange mit den Kanonen durch Lorbeerzweige verbunden erschiene, führen, ihre angebohrene Helme aber auf die linke Seite des Wappens so, daß die offenen Visire der beiden Helme gegen einander stehen, stellen, und sich dieses Wappens, als ein von Uns ihnen verliehenes wohl verdientes besonderes Gnadenzeichen, bei allen Gelegenheit zu bedienen befugt sein sollen.« 597 Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 138. 598 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 15. Die Zahl war auf 30 festgelegt. Ausgenommen waren fürstliche Personen, ebd., S. 17. 599 Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 138. Albedyll schlussfolgert aus der Ordensverleihung an die Offiziere der anderen Regimenter, »daß es eine größere Anzahl war«, Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 225. Zum Orden Pour le M8rite vgl. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 24. Als Verdienstorden von Fried-

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enstand sowie die Änderungen seines Familienwappens und das des Majors von Chasot unterstreichen die Verbindung zwischen militärischer und familiärer Erinnerung.600 Mit dem Gnadendiplom und mit dem um die Siegestrophäen erweiterten Regimentssiegel wurde jedoch die Leistung des Regiments für den Sieg stärker als das Wohlverhalten Einzelner betont.601 Der König hatte ein grundlegendes Interesse an der Erinnerung dieses Ereignisses und verpflichtete sich deshalb gegenüber seinen Offizieren in einem Parolebefehl, diejenigen Offiziere nicht zu vergessen, die nicht außerordentlich befördert worden waren: »[…] so versprechen Ihro Majestät ingleichen den Andern, auf eine andere Weise, Zeichen Ihrer höchsten Zufriedenheit zu geben und rekommandiren anbey allen und jeden Officiers den Ruhm der Preußischen Nation und Waffen, den wir durch so viel Blut erworben haben, beständig zu Herzen zu nehmen, und forthin gegen den Hochmuth unrechtmäßiger Feinde auf solche Art zu behaupten, daß sie bei aller Gelegenheit gewahr werden, daß sie mit denselben Preußen zu thun haben, welche sich bei Hohenfriedberg einen unsterblichen Ruhm erworben haben.«602

Durch die nähere Betrachtung der vielfältigen Auszeichnungen und Ehrungen im Zusammenhang mit der Schlacht bei Hohenfriedberg werden auch die Interaktionen der verschiedenen Akteure sichtbar. Der König bediente sowohl seine Interessen als auch die des Regiments bzw. der Regimenter und darüber hinaus einzelner Personen. Gemeinsam war allen Akteuren, die Erinnerung an das herausragende Verhalten und nicht zuletzt den Sieg in der Schlacht zu bewahren, um damit Ansprüche und Vorrechte zu begründen und zu legitimieren.

›Zur Erinnerung geschaffen‹ Zeitlich etwas versetzt wurden auch zeitgenössisch übliche Erinnerungsmedien genutzt, die keine oder nur bedingt militärische Funktionen hatten. Mit diesen sollte entweder an herausragende Ereignisse, an Personen oder aber auch an die eigene Gruppe erinnert werden.

rich II. 1740 gestiftet, wurde er »überwiegend für allgemeines militärisches Verdienst« bis 1809 verliehen. 600 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 223f. 601 Um die Erinnerung und Zurechenbarkeit des Verdienstes wurde hart gerungen. Vgl. S. 265ff. bzw. ebd., S. 216. 602 Ebd., S. 223. Vgl. auch Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 138f.

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Medaillen – Erinnerungsmedien unterschiedlicher Akteure

Medaillen sind typische Erinnerungsmedien und sie wurden zunehmend auch für die Erinnerung militärischer Sachverhalte genutzt.603 Sie belegen das Nebeneinander verschiedener Akteure und Akteursgruppen, deren Erinnerungsabsichten sich überlagern und damit verstärken konnten. Die Regimenter waren eine davon.

Erste Erinnerungsbezüge – Initiativen des Monarchen Die weitaus größte Zahl von Medaillen mit militärischen Bezügen sind Medaillen, die anlässlich eines Sieges oder eines Friedensschlusses geprägt wurden.604 Ein erstes Beispiel ist eine Medaille für den Sieg in der Schlacht bei Fehrbellin (28. Juni 1675), die im Auftrag des Kurfürsten gefertigt wurde: »Er erkannte auch solche [die allmächtige Hand Gottes, Anm. FZ] mit grosser Demuth, und ließ dannenhero sowohl zum ewigen Andencken dieses unvergleichlichen Sieges, als auch insonderheit zu Bezeugung seiner Danckbarkeit vor Göttliche erwiesene Gnade folgenden Medaillon schlagen.«605 Die Medaille war eine Form der Danksagung. Dargestellt wurde auf dem Avers die »Schlacht, und sonderlich der muthige Churfürst zu Pferde mit dem Regiments-Stab in der Hand, und kurtz vor demselben der Stallmeister Frobenius, mit einer Stück-Kugel, […] getroffen vom Pferde herab fallend […]«.606 Das Bildprogramm erinnerte an die Schlacht, die Umschrift verwies auf Gottes Hilfe.607 Mit der gleichfalls lateini603 Fried deutet insbesondere die Renaissance-Medaille als »Garant individueller Repräsentation, Ehre und Unsterblichkeitshoffnung. Sie ist aber im Koordinatensystem von Freundschaft, Gabe, Gedächtnis sowie Geist und Gelehrsamkeit […] viel allgemeiner als ein materialisiertes Zeichen sozialer Relationen und Absichten und als ›soziale Währung‹ zu verstehen«, Torsten Fried, Medaille, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Manufaktur - Naturgeschichte, Bd. 8, Stuttgart, u. a. 2008, Sp. 208. Als Ereignismedaille etablierte sich diese Form bereits im 17. Jahrhundert und diente so »dem Gedächtnis wichtiger Ereignisse, die der Nachwelt überliefert werden sollten […]«, ebd., Sp. 209. Darüber hinaus waren Medaillen Zeichen der Herrschaft, da »Herrschaft, bes. adlige und fürstliche, […] der Erinnerung, durch die sie legitimiert wird, [bedarf]«, ebd., Sp. 210. Vgl. auch Thomas Weißbrich, Medaillen und Gedächtniskunst. Aspekte militärischer Erinnerungskultur um 1700, in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, S. 155. 604 Vgl. ders., Medaillen und Gedächtniskunst, S. 161f. 605 George Daniel Seyler, Leben und Thaten Friedrich Wilhelms des Grossen, Churfürstens zu Brandenburg – Aus den bewährtesten Geschicht-Schreibern in beliebte Kürtze verfasset, durch glaubwürdige Urkunden bestätiget, und mit Medaillen und Müntzen erläutert, Frankfurt/M., u. a. 1730, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10637450-4, 13. 03. 2014, S. 128. 606 Ebd., S. 128. 607 Ebd., S. 128.

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schen Inschrift auf der Rückseite wurde das Ereignis in einen zeitgeschichtlichen Kontext gestellt und der Sieg letztlich als Parabel für Gottes Wirken interpretiert. »Friedrich Wilhelm Churfürst zu Brandenburg hat die gantze Armee der Schweden, welche eben zu der Zeit, da Er anderswo den Bedrängten im Reich zu Hülffe gezogen war, in die Marck und Pommern feindlich eingefallen waren, endlich, nachdem Er sie bey Fehrbellin den 18. Junii 1675. eingeholet, bloß mit seiner Reuterey angegriffen, und allein auf Göttliche Hülffe sich verlassende, überwunden, in die Flucht geschlagen, und also diejenigen, welche sieben Monath lang seine Länder verwüstet hatten, in sieben Tagen daraus getrieben. GOTT allein die Ehre!«608

Die Erinnerung des Ereignisses mittels dieser Medaille diente in erster Linie der Danksagung und erst dann der Würdigung des Großen Kurfürsten. Implizit wurde damit das militärische Ereignis der Schlacht bei Fehrbellin erinnert. Darüber hinaus ließ der Große Kurfürst auch Münzen sowie einen »Schau-Pfennig« ausgeben, die ebenfalls daran erinnerten.609 Die Prägung von Medaillen mit militärischen Bezügen setzte sich im 18. Jahrhundert fort.610 Solche Medaillen erhöhten in der Selbstwahrnehmung, wenn sie beim Regiment aufbewahrt wurden, die Reputation der Einheit. Anlässlich des Sieges in der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745 veranlasste der König beispielsweise eine Medaillenprägung aufgrund der in der Aktion gewonnenen Ehre, von denen mindestens zwei Exemplare dem Dragonerregiment Nr. 5 ausgehändigt wurden.611 Das Regiment nutzte wiederum diese Medaillen zum Nachweis der eigenen Reputation. Wohl einmalig war die Medaille auf den Sieg in der Schlacht bei Leuthen (5. Dezember 1757). Diese imitierte möglichst detailgetreu die österreichische 608 Ebd., S. 129. 609 Ebd., S. 129f. u. 131. Für weitere Medaillen aus Anlass der Schlacht bei Fehrbellin vgl. Günther Brockmann, Die Medaillen Joachim I. – Friedrich Wilhelm I.: 1499–1740, Köln 1994, S. 140–145. 610 Vgl. beispielsweise die Medaillen Nr. 601–640 des Kriegsjahres 1757 in der Auflistung von Manfred Olding, Die Medaillen auf Friedrich den Großen von Preußen 1712 bis 1786: Anhang: Medaillen mit Bezug auf Preußen aus der Zeit von 1740 bis 1786, Regenstauf 2003, S. 104–125. Die Ereignismedaillen des 18. Jahrhunderts unterschieden sich kaum von ihren Vorbildern. »Die Sprache der Ereignismedaille und damit auch der Ikonographie von Krieg und Frieden entwickelte sich nicht mehr wesentlich weiter. Die von den antiken Münzen und aus der Emblematik bekannten Bildelemente wurden zu neuen Allegorien zusammengesetzt. Die Originalität bewies sich in der Variation, die ein bekanntes Motiv auf ein Ereignis anwandte und kommentierte und es so mit einem neuen Inhalt erfüllte. Spottmedaillen sind als Sonderform der Ereignismedaille anzusehen […]«, Gerd Dethlefs, Die Anfänge der Ereignismedaille. Zur Ikonographie von Krieg und Frieden im Medaillenschaffen, in: Deutsche Gesellschaft für Medaillenkunst (Hrsg.), Medaillenkunst in Deutschland. Themen, Projekte, Forschungsergebnisse, Dresden 1997, S. 22ff., Zitat S. 36. 611 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 226. Während Albedyll die Regimentsgeschichte verfasste, besaß das Regiment noch zwei dieser Medaillen.

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Medaille auf den Sieg von Kolin (18. Juni 1757), womit Maria Theresia den preußischen König verspottete.612 Mit der Replik wurde die Niederlage der Schlacht bei Kolin aus der Perspektive des Sieges in der Schlacht bei Leuthen kommentiert und ins Lächerliche gezogen. Friedrich II. war sich der Unbeständigkeit dieser Aussage angesichts wechselnden Schlachtenglücks bewusst, weshalb er auf die schnelle Umsetzung seines Wunsches drängte.613 Auch diese Medaille wurde an einige Generale und hohe Offiziere ausgereicht.614 Die Medaille für Leuthen belegt die Verwendungsbreite von Medaillen allgemein in den Bemühungen um eine Deutungshoheit über die Vergangenheit. Ein zentraler Akteur in diesem Streben war der Kurfürst bzw. der König, der mit Hilfe von Medaillen ›Erinnerungspolitik‹ betrieb. Gerade König Friedrich II. nutzte dieses Mittel, um seine Kriege und Siege öffentlichkeitswirksam zu verbreiten und sich selbst zu »verherrlichen«.615 Dies bedeutete aber nicht, dass er für jede der Medaillen den Anstoß zur Fertigung gab bzw. in diesen Prozess eingriff.616 Adressaten waren sowohl das eigene wie auch das gegnerische Lager, die »mittels metallener Chroniken« über seine Leistungen in Kenntnis gesetzt werden sollten.617 Später, als sein ›Ruhm‹ auch mittels anderer Darstellungsformen verankert war, ließ sein Interesse an Medaillenprägungen nach.618 ›Private‹ Stifter erinnern Militärisches Auch wenn der König eine zentrale Rolle für die Herausgabe von Medaillen einnahm: die meisten Medaillen mit militärischem Bezug wurden von ›privaten‹ Dritten initiiert. Dazu zählen auch die Medaillen, die auf eine Veranlassung von Regimentern geprägt wurden. Den Interessen Friedrichs II. kam das Engagement zupasse, förderten doch diese Medaillen seinen Ruhm und sein Ansehen. Für Medaillenverleger, Medailleure und Stempelschneider waren es wirt612 Ausführlich Elke Bannicke, Die Wiederherstellung der allgemeinen Glückseligkeit. Kolin und Leuthen - zwei Medaillen von 1757, in: Numismatisches Nachrichtenblatt 61, 9 (2012), S. 362. Vgl. auch Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 130f. sowie Abbildung Nr. 272 (Tafel 107). Die Akte befindet sich im Geheimen Staatsarchiv, GStA Berlin, HA I, Rep 63 Nr. 1094. Die Abbildung auch bei Olding, Medaillen (wie Anm. 610), S. 114: Medaille Nr. 619. 613 Bannicke, Kolin und Leuthen (wie Anm. 612), S. 363. 614 Ebd., S. 364. 615 Ebd., S. 360. 616 Vgl. Peter-Michael Hahn, Friedrich II. von Preußen: Feldherr, Autokrat und Selbstdarsteller, Stuttgart 2013, S. 152, der eher eine Zurückhaltung hinsichtlich der Selbstdarstellung zu erkennen glaubt und darauf verweist, dass nur wenige Medaillen wie die auf die Schlachtensiege bei Soor und Hohenfriedberg tatsächlich im königlichen Auftrag erstellt wurden. 617 Bannicke, Kolin und Leuthen (wie Anm. 612), S. 360. 618 Ebd., S. 361. Vgl. auch Luh, Der Große (wie Anm. 52), S. 57ff. u. 76.

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schaftliche Gewinnperspektiven, die das Geschäft mit Medaillen attraktiv machten.619 Durch Kombination eines Medaillenstempels mit verschiedenen Rückseitenstempeln entstanden mehrere Varianten einer Medaille in einer Werkstatt. Auch der Prägezeitraum konnte sich abhängig von der Nachfrage über mehrere Jahre erstrecken. Durch diese große Vielfalt und Absatzdauer war ein hoher Umsatz möglich.620 Beispielsweise gehen die Ehrenmedaille auf den Entsatz der Festung Kolberg durch den Generalmajor von Werner wie auch die Medaille auf die Verteidigung der Festung Kolberg durch den Oberst von der Heyde auf die Bemühungen Johann Georg Sulzers (1720-1779)621 zurück.622 In einem Schreiben berichtete dieser : »Ich bin jetzt durch den Marquis d’Argens in einer kleinen mittelbaren Korrespondenz mit dem König. Ich hatte, nebst einigen Freunden, den Einfall gehabt, den braven Obrist von der Heyde, der Kolberg verteidigt, mit einer auf ihn geprägten Medaillen zu beehren, und sammelte dazu Subskribenten ein. Als der König es erfuhr, ließ er mir durch d’Argens sagen, daß ihm der Einfall sehr gefiele, und verlangte, mit auf der Liste der Subskribenten zu stehen. Der König wünsche, daß Werner eine gleiche Ehre genösse, und auch dieses habe ich nun meist zustande gebracht, so daß beide Medaillen in kurzem erscheinen werden.«623

In der Verwirklichung dieser Medaillen spiegeln sich sowohl die Interessen einer interessierten Öffentlichkeit, repräsentiert durch Sulzer, wie auch die königliche

619 Olding, Medaillen (wie Anm. 610), S. 7. Bannicke führt dieses Engagement darauf zurück, dass Friedrich II. Medaillen in hoher Qualität möglichst kostengünstig herstellen lassen wollte, dies sich aber nicht umsetzen ließ. »Umso mehr blühte zu jener Zeit das Privatgeschäft der Medaillenverleger, Medailleure und Stempelschneider, die sich des kommerziellen ›Zugpferdes‹ Alter Fritz gewinnbringend annahmen«, Bannicke, Kolin und Leuthen (wie Anm. 612), S. 361. Auch seinerzeit wurde Kritik an der Praxis der Medailleure geübt. Vgl. Olding, Medaillen (wie Anm. 610), S. 5 mit einem Zitat von Johan Jakob Spies. 620 Ders., Medaillen (wie Anm. 610), S. 7: »Die jeweiligen Medailleure […] haben zum einen ihre Medaillenstempel […] oftmals mit verschiedenen Rückseitenstempeln kombiniert und zum anderen auch Jahre und Jahrzehnte nach dem Ereignis aufgrund von Nachfrage Medaillen nachgeprägt […].« Vgl. auch Bannicke, Kolin und Leuthen (wie Anm. 612), S. 361. 621 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 296. 622 Ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 132f. sowie Abbildungen Nr. 275ff. (Tafel 109). Vgl. ebenso den Einfluss des Direktors des Nationaltheaters in Berlin, Carl Wilhelm Ramler, der »als ›spiritus rector‹ mehrerer preußischer Medaillen auf die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges galt. Auf seine unmittelbare Veranlassung wurde u. a. die Torgau-Medaille 1761 geprägt«, ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 286 bzw. ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), Abbildung Nr. 273 (Tafel 107). Weitere Medaillen zählt ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85f. auf, u. a. die »Medaille des Rates der Stadt Breslau zu Ehren des Gouverneurs GdJ Bogislav Friedrich von Tauenziehn […] 1789«. 623 Zitiert nach ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 132.

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Absicht, einen verdienstvollen Offizier zu ehren, wider.624 Der König nutzte die Gelegenheit, um quasi ohne größeren Aufwand sein Ziel zu erreichen.625 Bedarf an Erinnerung militärischer Ereignisse und der Würdigung herausragender Personen hatten über die unmittelbar daran beteiligten Regimenter also auch unbeteiligte Dritte. Solche Medaillen, die eine militärische Persönlichkeit ehrten, konnten ihrerseits Teil der Regimentserinnerung werden und auf diese Art zu einer kollektiven Identität beitragen. Im Falle des Generalmajors Friedrich Wilhelm von Hausen war der Urheber einer auf sein Wohlverhalten geprägten Medaille der Adel des polnischen Gebietes (heute Vilkaviskis/Litauen), deren Gerichte in Folge der dritten polnischen Teilung unter Aufsicht des Generalmajors von Hausen arbeiteten.626 »›Im Monat September 1797 haben der Adel und die Stände des lithauischen Distrikts mit Allerhöchster Erlaubniß dem Generallieutenant v. Hausen, als ein Zeichen ihrer Anhänglichkeit und Zufriedenheit, wegen des daselbst über 2 Jahre geführten Kommandos, eine goldene Ehren Medaille, durch 2 adelige Deputirte, nämlich den gewesenen Oberrichtern v. Gawronsky und v. Orlowsky, öffentlich überreichen lassen.‹ General v. Hausen, welcher durch eine besondere Kabinets-Ordre ermächtigt wurde, die Medaille ›als eine wohlverdiente Distinction‹ anzunehmen, ließ ein silbernes Duplikat derselben anfertigen und legte dieselbe im Regimentskasten nieder, ›weil das ganze Regiment durch vorzügliches Wohlverhalten und sorgsame Entfernung alles desjenigen, was Unzufriedenheit hätte erwecken können, mit beigetragen hat.«627

Die Münze ging samt dem Kasten in den Wirren 1806/1807 verloren.628 Eine von Dritten als Ehrung zu verleihende Medaille durfte also erst mit Erlaubnis des Königs angenommen werden. Nachdem diese erteilt war, bezog General von Hausen das Regiment mit ein, indem ein Duplikat Teil der gegenständlichen Regimentserinnerung wurde. Es ist ein mehrfaches gegenseitiges Verhältnis: Der König nahm durch seine Bewilligung Anteil an der Ehrung und ebenso erlangte das Regiment Ehre, welches durch die Aufbewahrung den Nachruhm 624 Das Regiment erinnerte seinerseits die Tatsache der Verleihung als besondere Ehre im Rahmen seiner Regimentsgeschichte. Vgl. Seyfart, Geschichte Anhalt-Bernburg (wie Anm. 74), S. 192f. 625 In einem Dankbrief an Sulzer schrieb der König: »Schon längst hätte ich ihn [den Plan zur Ehrung der treuen Diener des Vaterlandes, Anm. FZ] selbst ausgeführt, aber die gegenwärtigen Umstände erlauben mir nicht immer, wie ich wünsche, denen, die sich auszeichnen, die verdienten Beweise meiner Hochachtung zu geben«, zitiert nach Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 133. 626 Ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85f. sowie Abbildung, Beschreibung und Hintergrundinformation bei Klaus Sommer, Daniel Loos, Die Medaillen des königlich-preussischen Hof-Medailleurs Daniel Friedrich Loos und seines Ateliers, Osnabrück 1981, S. 64. 627 Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 275), S. 285f. 628 Ebd., S. 286.

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des Regimentschefs und in seiner Erinnerung den Akt der Verleihung konservierte. Regimenter und Offiziere als Stifter von Medaillen Als Akteure, die Medaillen prägen lassen, traten die Regimenter vergleichsweise spät in Erscheinung. Die wenigen im Umfeld der altpreußischen Regimenter nachgewiesenen Medaillen entstanden erst in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts.629 Aufgekommen war dieser ›Brauch‹ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. »Die Offiziere des Regiments faßten einen entsprechenden Beschluß und ließen eine Subskriptionsoder auch Sammelliste unter den Kameraden umlaufen; war die notwendige Summe beisammen, beauftragte man einen Medailleur und ließ die Medaille prägen […].«630 Solche Regimentsmedaillen sind äußerst rar. »Insgesamt konnte überhaupt nur ein knappes Dutzend von Prägungen dieser Kategorie verifiziert werden; kaum eine der festgestellten Medaillen wurde in mehr als ein oder zwei Exemplaren registriert. Der Grund dafür ist einleuchtend: Wenn man davon ausgeht, daß jeder Offizier im Regiment vielleicht ein Exemplar als persönliches Souvenir subskribierte und dem Jubilar in der Regel etwa ein Dutzend der auf ihn gemünzten Medaillen als Geschenk überreicht wurde, dann kommen pro Anlaß wohl noch keine hundert Prägungen zusammen. Was davon die Wirren der napoleonischen Ära und den Zweiten Weltkrieg überstanden hat, kann man sich leicht ausrechnen.«631

Diese Annahme unterbietet »die Mindestauflage für eine Sonderanfertigung, und das trifft auf die meisten privaten Gedenkmedaillen zu […]« deutlich. Denn diese »betrug in der Regel 300 Exemplare in Silber, oder so viele Stücke in Gold und Bronze, als der Verkaufspreis für 300 silberne ausmachen würde.«632 Grundsätzlich kann heute nur in wenigen Fällen die genaue Fertigungszahl einer Medaille bestimmt werden.633Unabhängig von dieser kann jedoch als gesichert angenommen werden, dass die Auflage solcher Sonderanfertigungen so klein war, dass sie nur den Regimentsbedarf abdeckte und dadurch ein spezifisches Erinnerungsmedium des jeweiligen Regiments darstellte. Zumeist hatte das Offizierskorps des Regiments eine Medaille auf ›seinen‹ Chef prägen lassen, und 629 630 631 632

Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 140. Ebd., S. 140. Ebd., S. 140. Ders., Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. XIII. Manche Medaillen sind heute nur noch über die Auflistung in Katalogen, jedoch nicht mehr durch ein Original nachzuweisen. Meist können auch zum Entstehungshintergrund solcher Medaillen keine Angaben gemacht werden. 633 Olding, Medaillen (wie Anm. 610), S. 7: »Die Auflagenhöhe der preußischen Medaillen läßt sich in fast allen Fällen nicht ermitteln.« Ähnlich Sommer, Loos, Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. XIII.

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diese wurde zum metallenen Nachweis einer gemeinschaftlichen Erinnerungskultur. Ein Beispiel ist die »Ehrenmedaille« des Infanterieregiments Nr. 32 für den Generallieutenant Hans Christoph von Rothkirch (1717-1785).634 Sie wurde von Anton Friedrich König 1784 anlässlich Rothkirchs 50-jährigen Dienstjubiläums geprägt. »1784 den 20. Jul. feierten die Offiziere seines Regiments sein 50jähriges Dienstjubiläum, worauf eine Denkmünze gepräget worden, welche auf der Vorderseite des Generallieutenants Bildniß, mit der Umschrift: Hans Christoph von Rothkirch, königl. preuß. Generallieutenant der Infanterie und Kommendant zu Neisse, die Rückseite aber eine Piramide, worauf oben die Zahl 50 zu sehen, und woran unten die Aufschrift angebracht ist: gewidmet von den Offizieren seines Regiments, nebst der Umschrift: zum Andenken der Jubelfeier in Kriegesdiensten, und im Abschnitt: den 20. Junius 1784, vorstellt.«635

Für die Offiziere des Regiments war es wichtig, ihrem Regimentschef diese Medaille zum Geschenk zu machen. Dabei war für sie unerheblich, dass Hans Christoph von Rothkirch seine militärische Laufbahn in sächsischen Diensten begonnen und in diesen bis 1756 gegen preußische Truppen gekämpft hatte, also erst 28 bzw. 29 Jahre in brandenburgisch-preußischen Diensten stand.636 Ihnen kam es also eher auf die ›militärische‹, denn auf eine ›brandenburgisch-preußische‹ Zugehörigkeit an. Das militärische Eigenbewusstsein des Regiments gründete sich demnach vor allem auf die eigene kriegerische Profession. Eine ähnliche Medaille wurde vom 2. Artillerieregiment für den Generalmajor Friedrich Ludolf von Merkatz 1796 geprägt.637 »Den 6ten Dez. 96. wurde das Dienst-Jubiläum des General v. Merkatz auf eine rührende und geschmackvolle Art begangen. Zwey Lieutenants als Abgeordnete des zweyten Artillerie-Regiments in Breslau überreichten dem General eine Medaille, auf deren einen Seite das Brustbild des Gen. mit der Umschrift stand: Joh. Fr. v. Merkatz Pr. G. Maj., Chef des ersten Artillerie-Regiments u. Gen. Inspektor der sämmtl. Artillerie, geb. d. 14. Jan. 1729. Auf der Rückseite erblickt man einen fliegenden Adler mit einem Lorbeerkranz im

634 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85 bzw. ausführlicher ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 140 mit Abbildung Nr. 287f. (Tafel 113). 635 Anton Balthasar König, Biographisches Lexikon aller Helden und Militairpersonen, welche sich in preußischen Diensten berühmt gemacht haben, Bd. 3, Berlin 1790, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10070480-6, 14. 06. 2014, S. 327f. Vgl. auch Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 75, Nr. 600. Auf der bei Heyde abgebildeten Medaille ist jedoch das Jahr 1785 eingeprägt, so dass entweder Rothkirch erst 1735 in militärische Dienste trat oder dieses nur das Datum der Feier (ein Jahr später) wiedergab. 636 Ders., Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 75, Nr. 600. 637 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85 bzw. ausführlicher ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 141f. mit Abbildung Nr. 289f. (Tafel 113).

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Schnabel, mit der Umschrift: Funfzigjährigem Kriegsdienst und der Unterschrift: Ehrfurcht und Liebe des zweyten Artillerie Regiments zu Breslau d. 6ten Dec. 1796.«638

Da Merkatz auch im 2. Artillerie-Regiment einen Teil seiner Laufbahn verbracht hatte, verwundert es weniger, dass ihm von diesem die beschriebene Medaille überreicht wurde. Das Dienstjubiläum war neben der Medaillenprägung auch Anlass für eine ›privat‹ initiierte Feier. »Abends gab die Generalin einen Ball, wo die Subaltern-Offiziere des hier in Garnison stehenden Artillerie-Korps folgende dramatische Vorstellung veranstaltet hatten.«639 Im Verlauf derselben wurde dem General ein Bild, welches die »Artillerie-Subaltern-Offiziere in Kupfer« hatten stechen lassen, mit den Worten »dies Bild, welches ich dir hier überreiche, grub Liebe, Treue, Dankgefühl mit unvertilgbarer Flammenschrift in unser aller Herzen ein!« überreicht.640 »Ein Ball beschloss die Feyerlichkeit, welche von den Offizieren noch dadurch veredelt wurde, daß sie für die 83jährige Witwe des Zeuglieut. Meßmann in Wesel eine lebenslängliche Pension von jährlich 120 thlt. zusammenschossen.«641 Die Feier war Ausdruck der persönlichen Wertschätzung des Generals durch die Offiziere seines ehemaligen Regiments. Mit der Sammlung für die hinterbliebene Witwe eines ehemaligen Regimentskameraden folgte aus einer ›abstrakten‹ Erinnerung heraus ›konkretes‹ Handeln. Die Gemeinschaft der Offiziere zeigte sich sowohl als Erinnerungs- wie auch Sozialgemeinschaft. Ergebnis derselben war auch die ›Öffentlichkeitsarbeit‹, durch welche dieses Ereignis sowohl in der »National-Zeitung«, als auch in einer Beschreibung veröffentlicht wurde und so zur positiven Wahrnehmung der Einheit in der Öffentlichkeit beitrug. Weitere Regimentsmedaillen wurden 1793 vom Infanterie-Regiment Nr. 25642 638 Conrad Lautenbach, National-Zeitung der Teutschen, Gotha 1797, urn:nbn:de: bvb:12-bsb10503153-6, 23. 06. 2014, Sp. 145. Merkatz war 1770 in den Adelsstand erhoben worden und seit 1773 Major im 2. Artillerieregiment. 1785 wurde er Kommandeur en chef des 4. Artillerieregiments, 1792 Chef des 1. Artillerieregiments und 1795 Generalsinspekteur der Artillerie, nachdem er diese Aufgabe bereits seit 1792 kommissarisch übernommen hatte, Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 367, Nr. 855. Priesdorff erwähnt auch das Jubiläum und die »Denkmünze« und verweist auf die »National-Zeitung der Deutschen vom 16. Februar 1797«. 639 Lautenbach, National-Zeitung (wie Anm. 638), Sp. 145f. 640 Ebd., Sp. 146. 641 Ebd., Sp. 146. Johann Andreas Wilhelm Kosmann veröffentlichte unter dem Titel: »Beschreibung des am 6. Dezember 1796 von den Offizieren der Artillerie gefeierten 50jährigen Dienstjubiläums des Herrn Joh. Friedrich von Merkatz, Königl. Preuß. Generalmajor, Berlin« eine Beschreibung dieser Feierlichkeit. Hinweis bei Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 368; das Exemplar der Staatsbibliothek Berlin wird als ›Kriegsverlust‹ geführt. 642 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85; ausführlicher und mit Abbildung ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 143 bzw. Tafel 114 (Nr. 293). Auf der Medaille wurde auf die Urheberschaft des Regiments verwiesen. Vgl. auch Sommer, Loos, Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. 53.

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und gleichfalls von der Berliner Inspektion643 auf die Generalfeldmarschall-Würde Wichart Joachim Heinrichs von Möllendorf, 1796 vom Infanterie-Regiment Nr. 29 zum Abschied für den Chef Generallieutenant Ludwig Christian von Wendessen644, vom Dragoner-Regiment Nr. 6 zum 50-jährigen Dienstjubiläum von Generalmajor August Wilhelm von Werther645, 1797 vom reitenden Feldjäger-Corps zu Köpenick für den Chef Generallieutenant Hans Rudolf von Bischoffswerder646 sowie 1798 vom Infanterie-Regiment Nr. 30 für den scheidenden Chef Generallieutenant Ernst Wilhelm Philipp von Rüchel647 geprägt. Diese Nachweise belegen, dass das Erinnerungsmedium Medaille von den Regimentern genutzt wurde, um regimentsbezogene Sachverhalte dauerhaft zu erinnern. Auch die 1804 für den General der Infanterie Francois Andr8 Jacquier de Bernay von Favrat geprägte Münze wurde von seinem Infanterie-Regiment Nr. 33 in Auftrag gegeben.648 Sie zielte angesichts der Tatsache, dass sie anlässlich seines Todes geprägt wurde, stärker noch als die Medaillen anderer Regimenter auf Erinnerung ab. Sie hatte nicht mehr den Charakter eines Geschenks, sondern sie war eher Ausdruck des Totengedenkens des Regiments. Medaillen, die im Auftrag brandenburgisch-preußischer Einheiten gefertigt wurden, waren trotz einzelner Nachweise kein in der Armee weit verbreitetes Mittel der Erinnerungsstiftung und stellen diesbezüglich etwas Besonderes dar. Zugleich ist diese Art der Ehrung und Stiftung von Erinnerungsbezügen in den Kontext der Zeit einzuordnen, da ähnliche Medaillen sowohl außerhalb des Militärs wie auch außerhalb Brandenburg-Preußens entstanden.649

643 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 142 bzw. Tafel 114 (Nr. 291f.). Auf dieser Medaille wurde der Urheber nicht benannt. 644 Ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85 gibt an, dass kein Original mehr nachzuweisen ist. 645 Abbildung und Beschreibung bei Sommer, Loos, Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. 62. Diese Medaille wurde dem Jubilar von »den Officieren seines Regiments« gewidmet. 646 Abbildung und Beschreibung ebd., S. 65. Das reitende Jägercorps ›verewigte‹ sich mit dieser Medaille. 647 Heyde gibt an, dass kein Original mehr nachzuweisen ist. (Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 85. 648 Ebd., S. 86 bzw. 276. Abbildung, Beschreibung sowie Hintergrundinformation bei Sommer, Loos, Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. 98. 649 Medaillen für ein Dienstjubiläum zu prägen, war kein spezifisch militärischer Gebrauch. Vielmehr nutzten die Regimenter die zeitgenössischen Möglichkeiten zur Wertschätzung und Ehrung. Beispielsweise zeigte sich dies an einer Medaille für den »Kammerpräsident [en] E. O. Wasserschleben, auf sein 50jähriges Amtsjubiläum« von 1790, ders., Daniel Friedrich Loos (wie Anm. 626), S. 48. Ebenso zeigte eine Medaille eines Regiments der dänischen Armee, dass die Entwicklung militärischer Erinnerungsbezüge keine preußische Spezifität ist. Vgl. Medaille »Das tapfere dritte Jütländische Regiment«, geprägt 1801, ebd., S. 79.

›Zur Erinnerung geschaffen‹

2.

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Denkmale und Erinnerungsorte – vielfältige Anfänge militärischer Erinnerungskulturen

Denkmale bewahrten durch Darstellung und Inschriften militärische Personen und damit oft wichtige militärische Ereignisse als in Stein gemeißelte Erinnerung.650 Obwohl in der Zeit zwischen 1770 bis 1820 viele Denkmale entstanden, waren es im ausgehenden 18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen nur wenige, die militärische Bezüge aufwiesen.651 Deshalb ist zunächst danach zu fragen, wer die Initiatoren solcher Denkmale gewesen sind und welche Intentionen sie verfolgten. Auf dieser Grundlage können unterschiedliche Möglichkeiten des Erinnerns militärischer Sachverhalte sichtbar gemacht und bedingt ihre erinnerungskulturelle Wirkung durch die Interaktion mit den Betrachtern aufgezeigt werden. Dabei darf die zeitliche Dimension nicht vernachlässigt werden, weil sich die ursprünglichen Denkmalaussagen sowohl durch materielle Umgestaltungen und Ergänzungen, als auch durch veränderte Wahrnehmungen seitens der Betrachter wandeln können. Neben Denkmalen werden auch die Garnisonkirche in Berlin und die angegliederten Friedhöfe in diesem Kontext betrachtet, die sich im zeitlichen Verlauf zu Orten militärischer Erinnerungskultur entwickelten. In der Zusammenschau der unterschiedlichen Aspekte können Denkmale und Erinnerungsorte hinsichtlich ihrer Bedeutung für militärische Erinnerungskulturen bewertet und eingeordnet werden.

Die Denkmale auf dem Berliner Wilhelmsplatz Die bekanntesten brandenburgisch-preußischen Denkmale aus dieser Zeit sind wohl die Denkmale auf dem Berliner Wilhelmsplatz. Friedrich II. hatte 1759 zunächst die Anfertigung zweier Statuen für den Feldmarschall Schwerin und den General Winterfeldt, die beide im Kriegsjahr 1757 gefallen waren, in Auftrag gegeben. Obwohl der König eine rasche Umsetzung erwartete, wurde die Statue für Schwerin erst 1768 vom Neffen des zwischenzeitlich verstorbenen Hofbildhauers Adam, der bereits 1759 mit der Ausführung begonnen hatte, vollendet. 650 Dietrich Erben, Denkmal, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Beobachtung - Dürre, Bd. 2, Stuttgart, u. a. 2008, Sp. 914f. 651 Döring spricht von »Zeit der Monumente«, die sich »schwerpunktmäßig auf das halbe Jahrhundert von 1770–1820 eingrenzen« ließe, Jürgen Döring, Das »Zeitalter der Monumenten-Wuth«. Zum Denkmalverständnis um 1800, in: Hans Werner Grohn (Hrsg.), Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 29, München, u. a. 1990, S. 149. Im 18. Jahrhundert entstanden in anderen Territorien schon vor 1759 häufiger Feldherrndenkmale; in Brandenburg-Preußen existierten dagegen nur wenige Denkmale für die regierenden Landesherrn, Lorenz Seelig, FranÅois-Gaspard Adams Standbild des Feldmarschalls Schwerin, in: Münchner Jahrbuch der bildenen Kunst XXVII (1976), S. 171.

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Aufgestellt wurde sie 1769.652 Das Denkmal für Winterfeldt, welches die Brüder Jäntz angefertigt hatten, wurde 1777 enthüllt.653 1781 kam das vom Hofbildhauer Tassaert geschaffene Standbild des Generals Friedrich Wilhelm von Seydlitz hinzu, 1786 dann das für den Generalfeldmarschall Jakob Keith.654 Unter den Nachfolgern Friedrichs II. folgten die von Gottfried Schadow angefertigten Statuen für den Reitergeneral Hans Joachim von Zieten, die 1794 ebenfalls auf dem Wilhelmsplatz aufgestellt wurde, sowie 1828 die bereits 1800 im Lustgarten aufgestellte Statue für den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau.655 Die Initiative für die ersten vier Denkmale ging von Friedrich II. aus, der alle Fragen in diesem Zusammenhang entschied.656 Da es kein Denkmal für den regierenden Friedrich II. gab, konnte keine Konkurrenz mit den aufzustellenden Feldherrndenkmalen entstehen.657 Zudem unterschieden sich die Feldherrndenkmale durch die »Zweizahl«, später durch die »Ausweitung zum Zyklus«, von »der Kategorie des Herrschermonuments«.658 Die vom König gestiftete Ehrung war auch für die Zeitgenossen ungewöhnlich, wie die Einordnung des Wilhelmsplatzes durch den Grafen Mirabeau (1749–1791) zeigte.659 »Der eine [Platz, Anm. FZ] enthält ein sehr verehrungswürdiges Monument, das Friedrichs des Großen würdig, bey andern Königen aber eben nicht üblich gewesen ist; weswegen sie auch nicht so gut bedient worden sind als er, und es auch weniger zu werden verdienten. Er heißt der Wilhelmsplatz. […] Es gibt in einigen Reichen Bildsäulen großer Männer in Kirchen. […] Allein ich wüßte nicht eine einzige Monarchie, wo man einem großen Manne eine Bildsäule auf einem öffentlichen Platz errichtet hätte […]. Friedrich II. hat diese so seltne, ja vielleicht einzige Ehre nicht bloß auf die Tapferkeit im Kriege eingeschränkt […].«660

652 Ders., Standbild (wie Anm. 651), S. 157. 653 Ebd., S. 159. 654 Ebd., S. 159; zur Seydlitz-Statue auch Gerhard Kaldewei, ›Nur ein General!‹ – die Geschichte einer preußischen Legende: Friedrich Wilhelm von Seydlitz 1721–2009, Bremen 2009, S. 61f. mit weiteren Angaben. Das Grabmal von Seydlitz in Schlesien hatte ebenfalls Denkmalcharakter, aber abgesehen von dem Löwen als Sinnbild der Stärke keine unmittelbaren Bezüge zu Seydlitz’ militärischer Laufbahn, ebd., S. 57; Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 148. 655 Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 160. 656 Ebd., S. 171. 657 Ebd., S. 172. 658 Ebd., S. 172. 659 Ebd., S. 171 verweist auf Mirabeau. Vgl. auch Jürgen Kloosterhuis, Platz für Preußen. Polemische Gedanken über den Wilhelmplatz und seine Generalsdenkmäler, in: Wolfgang Voigt, Kurt Wernicke (Hrsg.), Stadtgeschichte im Fokus von Kultur- und Sozialgeschichte. Festschrift für Laurenz Demps, Berlin 2006, S. 86. 660 Honor8-Gabriel de Riquetti de Mirabeau, Jakob Mauvillon, Von der Preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, Braunschweig, u. a. 1793, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10013670-7, 21.06.2014, S. 395ff.

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Der König selbst wertete die Denkmale als »Ausdruck der Dankbarkeit, die das Vaterland dem Verdienst bezeuge.«661 Aufgrund der zeitgenössischen Einordnung sowie durch die Wahl des Ortes – der Wilhelmsplatz diente als Exerzierplatz – erschließt sich die Absicht des Königs: mittels der Denkmale sollten Offiziere und Soldaten zur Nachahmung des vorbildlichen, tapferen Verhaltens der Dargestellten aufgefordert werden.662 »Der speziell mit dem Standbild Schwerins verbundene Appell zur selbstlosen Todesbereitschaft richtete sich somit unmittelbar an die dort tagtäglich aufziehenden Soldaten und im weiteren Sinne an die gesamte Armee Preußens.«663 Mit der Enthüllung der Denkmale für die Generäle auf dem Wilhelmsplatz stiftete König Friedrich II. militärische Erinnerungskultur, die aufgrund der völlig unabhängigen Entscheidungen des Königs durch ihre idealisierte Darstellung vor allem den Erinnerungs- und Vermittlungsabsichten des Königs diente.664 Der scheinbare Widerspruch im Handeln des Königs hinsichtlich militärischer Erinnerung, einerseits Denkmale zu stiften und andererseits Veröffentlichung der Leistungen von Regimentern zu unterbinden, löst sich unter dem Gesichtspunkt ›königlicher Kontrolle‹ auf.665 Anerkennung von Leistungen in der Gegenwart bzw. der jüngeren Vergangenheit, insbesondere mit militärischem Bezug, die nicht von ihm selbst ausging, war dem König vor dem Hintergrund des eigenen Ruhmstrebens suspekt und deshalb zu unterbinden. Dem König ging es nicht darum, Formen von Erinnerung zu verbieten, sondern darum, sich selbst und damit der eigenen Interpretation die Deutungshoheit zu sichern und als einzig mögliche zuzulassen. Durch die Auswahl von unmittelbaren Zeitgenossen, die durch ein Denkmal ausgezeichnet wurden, machte Friedrich II. deutlich, dass die Vorbilder für seine Armee nicht in einer abgeschlossenen Vergangenheit, sondern vielmehr in der von ihm selbst gestalteten Gegenwart zu finden waren.666 In der Interaktion zwischen betrachtenden Of-

661 Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 173. 662 Ebd., S. 173f. Es ist bereits antikes Gedankengut, durch Beispiel zur Nachahmung aufzurufen. Vgl. auch ebd., S. 167f. 663 Ebd., S. 174f. 664 Vgl. den Hinweis auf den Widerspruch bei Kloosterhuis, Platz für Preußen (wie Anm. 659), S. 86. 665 Vgl. S. 38. 666 Mit dem Schwerpunkt auf der »Gegenwärtigkeit« unterscheide sich das Denkmalensemble vom »Pantheon-Gedanken ebenso wie von vorangegangenen genealogischen Zyklen, für die eine bewußte Historizität das entscheidende Kritierium darstellt«, Lothar Lambacher, Die Standbilder preußischer Feldherren im Bodemuseum: ein Berliner Denkmalensemble des 18. Jahrhunderts und sein Schicksal, Berlin 1990, S. 10. Vgl. Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 176.

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fizieren und Soldaten und den betrachteten steinernen Generälen konnte sich diese königlich gestiftete Erinnerungskultur entfalten.667 Die vier bis 1786 enthüllten Denkmale sind als ein in sich geschlossenes Programm Friedrichs II. anzusehen.668 Die danach von Johann Gottfried Schadow gefertigten Statuen für Hans Joachim von Zieten und für den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau sind nicht mehr Teil dieser Konzeption.669 Die Idee für die letzten beiden kam nicht vom nachfolgenden König, sondern vom Künstler Schadow, der den Minister Friedrich Anton Freiherr von Heinitz darum gebeten hatte, »beim König die Order zur Anfertigung der Zieten-Statue zu erwirken«, u. a. als ›Arbeitsbeschaffungsmaßnahme‹ für seine Mitarbeiter.670 Ein Eintrag Schadows in seinen Aufzeichnungen deutet darauf hin, dass die beiden eingereichten Entwürfe nicht nur dem König zur Entscheidung vorgelegt, sondern auch vom Sohn und von Offizieren des Husarenregiment Nr. 2, dessen Chef Hans Joachim von Zieten von 1741 bis zu seinem Tod 1786 gewesen war, diskutiert wurden. Diese kommentierten sie und äußerten letztlich Präferenzen für die Umsetzung »Der Sohn des Helden und Offiziere, welche im Siebenjährigen Kriege mitgefochten hatten, hätten die Skizze gewählt – dastehend mit gezogenem Säbel, als dessen entschlossenem Charakter angemessen. König Friedrich Wilhelm II. befahl jedoch zur Ausführung jene, welche den in Überlegung begriffenen Feldherrn darstellt.«671 Durch die Bemühungen des Künstlers zu 667 Zum Verhältnis von Betrachter und betrachtetem Denkmal siehe Thomas Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 206 (1986), S. 538: »Das Denkmal ist mehr als es selbst; […]. Das Denkmal verweist in seiner begrenzten Gestalt auf ein Unbegrenztes – ja Unendliches, […], es hat Verweisungscharakter. Indem es nun eine unendliche Idee repräsentiert, stellt es zugleich einen Geltungsanspruch an den Betrachter, das Denkmal mutet dem Betrachter ein subjektives Empfinden und Erleben an, die Idee des Denkmals vollendet sich erst in der Einstellung des Betrachters. Der Betrachter muß jene Verweisung nach- und mitvollziehen, […]. Verweisung und Anspruch also konstituieren wechselseitig das Denkmal, das macht seine Spannung und seinen Problematik aus, darin gründet auch die Möglichkeit, daß es sakrale Funktion gewinnen kann«, ebd., S. 537f. 668 Lambacher, Standbilder (wie Anm. 666), S. 10f. weist darauf hin, dass die vier Denkmale die »vier Ecken als Dominanten des Platzraumes« besetzen. 669 Ebd., S. 14. 670 Johann Gottfried Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten: ein Quellenwerk zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte zwischen 1780 und 1845. Kommentierte Neuausgabe der Veröffentlichung von 1849 Bd. 2, hrsg. von Götz Eckardt, Berlin 1987, S. 398, (Kommentar von Joachim Kundler). Minister Heinitz hatte Bedenken, »in dieser kriegerischen Epoche bei des Königs Majestät diese Statue in Antrag zu bringen. Der Künstler möge dies tun«, ders., Kunstwerke und Kunstansichten: ein Quellenwerk zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte zwischen 1780 und 1845. Kommentierte Neuausgabe der Veröffentlichung von 1849, Bd. 1, hrsg. von Götz Eckardt, Berlin 1987, S. 35, dort auch die Abbildungen des Denkmals, des zweiten Entwurfs sowie der Basreliefs mit einer ähnlichen Beschreibung, S. 267ff. Vgl. auch Lambacher, Standbilder (wie Anm. 666), S. 14f. 671 Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 35.

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größtmöglicher Authentizität hatten trotz der grundsätzlichen Entscheidung des Königs sowohl der Sohn, der im Regiment seines Vaters stand, als auch dessen Offiziere in einem gewissen Maß die Möglichkeit, ihr ›Bild‹ vom ehemaligen Chef und das Selbstverständnis der Truppengattung in die Gestaltung des Denkmals einzubringen.672 Die Intention der Offiziere, einen ›aktiveren‹ Zieten auf dem Denkmal darzustellen, entsprach eher dem Selbstverständnis des Regiments als der letztendlich verwirklichte Entwurf des nachdenklichen Generals. Auch die Auswahl der Szenen für die Basreliefs und deren Gestaltung boten sich dafür an, da »der Marmor auch Bildliches aus dem ersten und zweiten Schlesischen Kriege geben möge«.673 Das Zieten-Denkmal unterschied sich von den ersten vier Denkmalen des Wilhelmsplatzes in mehrerer Hinsicht: zunächst ging der Impuls nicht vom König, sondern von privater Seite aus. Im Verlauf der Herstellung konnte das Regiment durch Zuarbeiten direkt und durch Präferenzen indirekt auf die Gestaltung Einfluss nehmen. Mit der Einbindung biographischer Szenen in den Darstellungen der Basreliefs wurde in die Erinnerung an den General bereits der historische Kontext mit einbezogen. Damit wurde nicht mehr so sehr die Gegenwart betont, sondern vielmehr die Vergangenheit, die zunehmend wichtiger wurde. Zuletzt sollte dieses wegen seines Sockels so andere Denkmal nach Meinung Schadows auch nicht als Teil des Ensembles auf dem Wilhelmsplatz, sondern auf einem anderen Platz aufgestellt werden.674 Es wurde dennoch 1794 auf königliche Anordnung auf dem Wilhelmsplatz platziert und enthüllt.675 Damit veränderte es die Gesamtaussage des bisherigen Denkmalensembles auf dem Platz. Den Auftrag für das Denkmal für den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau erhielt Schadow zur Kompensation für ein anderes, nicht realisiertes Denkmalprojekt im königlichen Umfeld.676 Mit diesem zweiten von Schadow angefertigten Denkmal veränderten sich die bisherigen Erinnerungs- und Darstellungsabsichten noch stärker.677 Dies zeigen u. a. die Überlegungen zu möglichen 672 Vgl. ebd., S. 36. Dass die Denkmale diskutiert wurden, belegt eine zeitgenössische Beschreibung des Denkmals für Seydlitz. Dieser sei nur zu Fuß und nicht als General der Kavallerie zu Pferde dargestellt worden, Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 155, Anm. 5. 673 Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 36. Ergänzend ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 2 (wie Anm. 670), S. 399, (Kommentar von Joachim Kundler). 674 Ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 2 (wie Anm. 670), S. 403, (Kommentar von Joachim Kundler). 675 Ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 37 u. ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 2 (wie Anm. 670), S. 403, (Kommentar von Joachim Kundler). 676 Ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 2 (wie Anm. 670), S. 414; ders., Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 44. 677 Lambacher, Standbilder (wie Anm. 666), S. 16f.: »Mit der Aufnahme des 1747 verstorbenen ›Alten Dessauers‹ erweiterte man bewußt die historische Dimension des Programms über das Zeitalter Friedrichs II. und den im Mittelpunkt stehenden Siebenjährigen Krieg hinaus.«

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Personen, die für ein Denkmal in Betracht kamen, u. a. König Friedrich Wilhelm II. und Prinz Ludwig.678 Während bei dem Zieten-Denkmal die Reliefs persönliche Erlebnisse des Generals schilderten, waren die Inschriften und Basreliefs beim Denkmal für den Fürsten Leopold trotz persönlicher Bezüge für Brandenburg-Preußen von zentraler Bedeutung: »Für die rechte Seite war vorgeschrieben: Im Felde ist eine Trophäe errichtet. Die Siegesgöttin schreibt auf einem Schilde mit dem Griffel das Wort Kesselsdorf mit dem Tage und dem Jahre ein. […].«679 Dadurch wurde »die Absicht, die Denkmalwürdigung des Einzelnen für die Propagierung preußisch-nationalen Geschichtsbewußtseins zu vereinnahmen«, akzentuiert.680 Auch die anderen Statuen wurden mit der Neufassung in Bronze, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus Erhaltungsgründen erfolgte, Teil einer ›nationalen‹ Selbstdarstellung, »im Sinne eines allgemeineren militärischen Traditionsbewußtseins und preußisch-nationalistischen Geschichtsverständnisses«.681 Während Friedrich II. den Einzelnen mit einem Denkmal auszeichnete und dadurch einen Bezug zu seiner Gegenwart herstellte und die Zeitgenossen sehr konkret zur Nachahmung aufrief, wandelte sich die Botschaft des Denkmalensembles mit den beiden Schadow-Denkmalen zu einer auf die Vergangenheit verweisenden und verklärenden Erinnerung.

Das Denkmal für die gefallenen Hessen in Frankfurt am Main Mit den Denkmalen für die Feldmarschälle und Generäle erweiterte König Friedrich II. den Kreis der denkmalwürdigen Personen, d. h. Personen, die mit einem Denkmal geehrt werden konnten. Dieser Umstand ist für die Entwicklung militärischer Erinnerungskulturen von großer Bedeutung. Eine noch stärkere Ausweitung der Denkmalwürdigkeit stellte das Denkmal für die gefallenen Hessen dar, welches König Friedrich Wilhelm II. 1793 im Zusammenhang mit der Einnahme Frankfurts durch preußische und hessische Truppen errichten ließ. Karl Freiherr vom und zum Stein beschrieb die Hintergründe und das Denkmal zeitnah. »Das Heßische Garde-Grenadier-Bataillon und die Jäger, welche die TÞte hatten, hielten aber ein so heftiges Feuer fünf viertel Stunden mit einer Standhaftigkeit aus, die sie, ihren zu früh gefallenen Anführer, den Obrist Prinzen von Hessen-Philippsthal und alle Offiziers die an seiner Seite sanken, mit 678 Ferdinand Laban, Johann Gottfried Schadows Thonbüste der Prinzessin Louis (Friederike) von Preußen in der Königlichen National-Galerie, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen 24 (1903), S. 32. 679 Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 47. Vgl. auch Lambacher, Standbilder (wie Anm. 666), S. 17. 680 Ders., Standbilder (wie Anm. 666), S. 17. 681 Ebd., S. 17; annähernd wortgleich Kloosterhuis, Platz für Preußen (wie Anm. 659), S. 90.

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einem unsterblichen Ruhm zu becränzen verdient.«682 Der preußische Monarch sei von den Gefallenen gerührt gewesen und »beschloß ihr Andenken auf die spätesten Zeiten zu erhalten, und genehmigte den Vorschlag zu einem Denkmal, welches auf der Stelle errichtet werden sollte, auf welcher die Edlen sanken deren Namen die Verehrung der entfernten Nachkommen verdienen.«683 Vier auf dem Würfel aus Marmor angebrachte Tafeln, der oben u. a. mit einem Widderkopf, Helm und Schild verziert war, erinnerten über den Stifter und seine Motivation hinaus auch namentlich rangabsteigend an alle Gefallenen, einschließlich der gemeinen Soldaten.684 Die Intention stellte Karl Freiherr vom und zum Stein so dar : »Auf! und laßt uns seyn was diese waren! […] Möchte doch der Ruhm, den die treue Hessen und so viele ihrer edlen Waffen-Brüder in diesem blutigen Feldzug hinterließen, für die alte Sitte und Verfassung Deutschlands, bis in den Tod gekämpft zu haben, sich davon und von ihren stillen unbekannten Grabhügeln über ganz Germanien verbreiten, und den Tapfern überall Nacheiferer ihres Heldenmuths erwecken!«685 Das Denkmal war in dreifacher Hinsicht ungewöhnlich. Erstens wurden hier zum ersten Mal einfache Soldaten, wenn auch noch nicht brandenburgisch-preußische, namentlich genannt, d. h. einfache Soldaten waren nun auch denkmalwürdig.686 Zweitens vereinnahmte der preußische König durch einen Siegeszug in die Stadt und die Errichtung des Denkmals den Sieg für sich.687 Drittens erfährt der in der Inschrift benutzte Begriff des »Vaterlands« eine umfassendere, zukunftsweisende Bedeutung, gehörten doch die Freie Reichsstadt Frankfurt sowie die hessischen Staatsgebilde nicht zum brandenburgisch-preußischen Herrschaftsgebiet.688 Die ›nationale‹ Deutung spiegelte sich auch in der symbolischen Sprache wider, indem französische Kanonen als Ausgangsmaterial für die Denkmalstrophäen und Inschriften verwendet wurden.689 Das Denkmal für die gefallenen Hessen ist somit ein frühes Zeugnis der

682 Freiherr Karl vom und zum Stein, Nachricht von dem Denkmal welches auf Befehl Seiner Königlichen Majestät von Preußen Friedrich Wilhelm II. den am 2. December 1792. bei der Einnahme von Frankfurt gebliebenen Hessen errichtet worden ist, Frankfurt/M. 1794, S. 34. Der Tod dieser Soldaten wäre möglicherweise durch andere militärische Entscheidungen vermeidbar gewesen. Vgl. Thomas Scheben, Matthias Zimmer, Der Hund am Fallschirm: Streifzüge durch die Frankfurter Geschichte, Frankfurt/M. 2009, S. 67. 683 Stein, Nachricht von dem Denkmal (wie Anm. 682), S. 37f. 684 Ebd., S. 39f. 685 Ebd., S. 15. 686 Vgl. dazu Meinhold Lurz, Befreiungskriege, Heidelberg 1985, S. 43. 687 Scheben, Zimmer, Hund am Fallschirm (wie Anm. 682), S. 67. 688 Zur Inschrift Stein, Nachricht von dem Denkmal (wie Anm. 682), S. 39f. Zur Bewertung derselben Scheben, Zimmer, Hund am Fallschirm (wie Anm. 682), S. 68. 689 Stein, Nachricht von dem Denkmal (wie Anm. 682), S. 43f. Vgl. auch Scheben, Zimmer, Hund am Fallschirm (wie Anm. 682), S. 68.

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im 19. Jahrhundert aufkommenden Krieger- und Nationaldenkmale.690 Es dauerte aber noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass auch Regimenter ›ihren‹ Gefallenen Denkmale stifteten. Bis dahin gingen solche Stiftungen vom Monarchen oder von den Familien der gefallenen Offiziere aus.691 Das Denkmal für die gefallenen Hessen ist ebenso wie die Erweiterung des Denkmalensembles auf dem Wilhelmsplatz692 in Berlin Ausdruck der gedanklichen Öffnung des Nachfolgers Friedrichs II. an der Wende zum 19. Jahrhundert. Die Veränderungen im Zeitgeist lassen sich so beschreiben: »Erstens: während die transzendente Sinnleistung des Todes verblaßt oder verlorengeht, wächst der innerweltliche Anspruch der Todesdarstellungen. […] Es entsteht der bürgerliche Denkmalskult und innerhalb dieses Kultes die eigene Gattung der Kriegerdenkmäler. Seit der Französischen Revolution und den Befreiungskriegen nehmen die Totenmale für gefallene Krieger stetig zu. […] Im Vollzug ihrer Ausbreitung werden die Kriegerdenkmale immer mehr der überkommenen ständischen Unterschiede entblößt. […] Der einzelne Gefallene wird denkmalsfähig. Zur Funktionalisierung tritt die Demokratisierung.«693

690 Vgl. Lurz, Befreiungskriege (wie Anm. 686), S. 61. Zum Wandel des Denkmals allgemein, siehe Nipperdey, Nationalidee (wie Anm. 667), S. 534: »Im späten 18. Jh. dann setzt im Zuge der Aufklärung ein Vorgang ein, den man als ›Moralisierung‹ und ›Patriotisierung‹ der Denkmalsidee charakterisieren kann; das Denkmal soll ein Verdienst ehren, und es soll zur bürgerlichen Tugend erziehen, insbesondere soll es den Patriotismus wecken und bestärken. Ein Denkmal ist ›Belohnung für Verdienste, deren Andenken durch dasselbe auf die Nachwelt gebracht wird und die Gmüther zu gleicher Erlangung der Unsterblichkeit anfeuert‹. […] der Kreis deren, die eines Denkmals würdig sind, ja es beanspruchen können, [wird] weit über den Kreis der Fürsten und Feldherren ausgedehnt. Zum andern wird der Fürst nicht mehr als Fürst, sondern aufgrund seiner Verdienste als Individuum geehrt. Und mit dem Vordringen des Geniekults wird es die ›Größe‹ des Individuums, die man verherrlicht. Damit tritt die merkwürdige Paradoxie ein, daß das Denkmal für das verdienstvolle große Individuum zugleich zu einem Symbol der in seinem Genius sich offenbarenden überindividuellen Kräfte wird und daß schließlich das Denkmal des Fürsten auch zu einem Denkmal des in ihm repräsentierten überindividuellen Zusammenhangs, zu einem Denkmal des Staates, des Vaterlandes, der Nation werden kann.« 691 Lurz, Befreiungskriege (wie Anm. 686), S. 240. 692 Vgl. S. 183ff. 693 Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979, S. 259. Vgl. auch Dietrich Erben, Geschichtsüberlieferung durch Augenschein. Zur Typologie des Ereignismals, in: Joachim Landwehr (Hrsg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Augsburg 2002, S. 231f.: »Zum Ereignis wird er [der Tod, Anm. FZ] erst als ein öffentlich wahrgenommenes und relevantes und daher notwendigerweise medial vermitteltes Geschehen. […] Bekanntlich erweist sich das Kriegerdenkmal als eine moderne Erfindung, die mit der Massenmobilisierung der Armeen auch das Massensterben voraussetzt und auf einem militarisierten Feindbild beruht. Nicht nur für den unbekannten, sondern auch für den namentlich identifizierten Soldaten ist die Memorialleistung des Gefallenendenkmals stets auf ein anonymes Kollektiv bezogen.«

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Das Denkmal in Rheinsberg In den Kontext des sich wandelnden und breiteren Gruppen öffnenden Denkmalverständnisses ist letztlich die Häufung von Denkmalen im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, die im engeren oder weiteren Sinne militärische Sachverhalte erinnerten, einzuordnen. So ist im königlichen Umfeld auf das Denkmal in Form eines Obelisken des Prinzen Heinrich in Rheinsberg von 1791 zu verweisen, mit welchem der Prinz seinen Bruder August Wilhelm, verdiente Offiziere der friderizianischen Zeit und unausgesprochen sich selbst würdigen wollte.694 Anlässlich der Einweihung im Rahmen eines Festes Anfang Juli 1791, an dem viele preußische Offiziere teilnahmen695, forderte dieser seine Zuhörer auf: »Erinnern Sie sich, meine Herren, so vieler wackern Krieger, die damals fochten, so vieler tapfern Soldaten, die ihr Bluth, ihre Gesundheit, ihr Leben aufopferten; und dann urtheilen Sie, ob wir nicht mit Recht bedauern, daß es unmöglich war, alle diese grossen Männer zu nennen, und ihre Thaten aufzuzählen, und wie traurig es ist, daß über so manchen ehrenvollen Namen eine ewige Dunkelheit sich verbreitet hat.«696 Dabei formulierte er bereits die Forderung, auch an die gemeinen Soldaten zu erinnern. »Gemeine Bürger aus Städten und Dörfern, kurz, alle und jede, welche Waffen getragen, haben gleiches Recht zu den Trophäen, zu den Lorbeern und zu den Palmen des Sieges. Geleitet durch ihre Befehlshaber, gaben sie ihren Arm und ihr Blut dem Vaterlande hin, unterstützten, vertheidigten dasselbe durch ihre Stärke und ihren Muth.«697 Nur sah sich Heinrich »ausser Stande, alle die Bürger namentlich anzuführen, die als gemeine Soldaten merkwürdige Beyspiele gegeben haben« und wollte deshalb stellvertretend herausragende Persönlichkeiten benennen.698 Heinrich räumte seinem Bruder Friedrich II. keinen Platz auf dem Denkmal ein, da dieser genug gerühmt würde und entsprechend bekannt wäre.699 694 Michael Seiler, Denkmäler der Erinnerung, der Freundschaft und der Trauer im Garten und Park von Rheinsberg, in: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Kunst in Preussen. Hans-Joachim Giersberg zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, S. 161. Zur Auswahl der Namen siehe Jürgen Luh, Namen ins Gedächtnis rufen, die Friedrich nicht erwähnt. Prinz Heinrich und sein Denkmal, in: Detlef Fuchs, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Das Monument zu Rheinsberg, Potsdam 2002, S. 44. Vgl. auch ders., Heinrichs Heroen. Die Feldherrengalerie des Prinzen Heinrich im Schloss Rheinsberg, Karwe 2007, S. 10ff., insbesondere S. 15, der auf eine 1778 von Prinz Heinrich eingerichtete Feldherrengalerie in Rheinsberg verweist, mit der Heinrich seine eigenen Leistungen in der Erinnerung bewahren wollte. 695 Die Zahl der Anwesenden schätzt ders., Namen ins Gedächtnis rufen (wie Anm. 694), S. 40 auf etwa 3.000. 696 Detlef Fuchs, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Das Monument zu Rheinsberg, Potsdam 2002, S. 9. 697 Ebd., S. 9. 698 Ebd., S. 9. 699 Ebd., S. 10: »Die Geschichte welche dieser König von seinem Leben selbst geschrieben hat; die

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»[…] zu gleicher Zeit bleiben grosse Dienste, die oft unbemerkt geleistet sind, und die man nicht einmal gehörig entwickeln kann, in Vergessenheit begraben; denn die Zeit vernichtet alles; die Nachwelt hat von dem was vor ihr geschah keinen Augenzeugen mehr, die Gemälde werden unkenntlich; die Namen werden vergessen, und die Geschichte stellt uns oft nur eine ungestaltete Schilderung dar, welche die Schmeicheley entworfen, und die Trägheit gesammlet hat. […]«700

Schließlich widmete Heinrich den Obelisken all denjenigen, die sich Verdienste erworben hatten: »Ihr Andenken [auch verdienter Bürger, Anm. FZ] ist unter Absicht mit begriffen, die wir durch dieses Denkmal erreichen wollen; wir schliessen keinen aus, der sich des Ruhms würdig gemacht hat; wir weihen ihm öffentlich Hochachtung und Dank.«701 Der Anspruch, alle preußischen »Helden« zu würdigen und gleichzeitig faktisch seinen Bruder Friedrich II. sowie weitere prominente Personen von dieser Würdigung auszuschließen, legt nahe, dass Prinz Heinrich mit diesem Denkmal die Dominanz der königlichen Deutungshoheit zu durchbrechen suchte und damit in erinnerungspolitische Konkurrenz zu seinem Bruder trat.702 In seiner Absicht, »den König zu korrigieren und sich selbst zu präsentieren« bereitete Prinz Heinrich in langfristiger Perspektive auch den Weg zu einer eigenständigeren militärischen Erinnerungskultur, die den König als zentralen Stifter bzw. als Genehmigungsinstanz nicht mehr benötigte.703

Die Denkmale in Brünen, Reckahn und Hakenberg Auch außerhalb des königlichen Umfeldes entstanden ab 1790 Denkmale. Der Gouverneur von Wesel, Generallieutenant Martin Ernst von Schlieffen (1732– 1825) ließ 1791 den Bürgern des Dorfes Brünen ein Denkmal errichten, die im Siebenjährigen Krieg ihre Söhne, die desertiert waren, in den Krieg zurückge-

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Lobschriften, die nach seinem Tode herausgekommen sind, lassen mir nichts mehr zu sagen übrig […].« Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Die Inschrift spiegelt dieses Anliegen wider. Das Denkmal war »allen preussischen Helden gewidmet; die durch Tapferkeit und Kenntnisse verdient haben, dass man sich ihrer ewig erinnere. Die von der Hand der Freundschaft in diesem Marmor eingegrabene Namen sind die Wahl einer vorzüglichen Achtung, welche denen keinesweges zum Nachtheil gereichet, die so wie diese sich ums Vaterland verdient gemacht haben, und an der öffentlichen Hochachtung theil nehmen«, ebd., S. 15. Obwohl sich Heinrich nicht mit einer Inschrift verewigte, diente das Denkmal auch der Erinnerung seiner Person, Luh, Heinrichs Heroen (wie Anm. 694), S. 9f. Ders., Namen ins Gedächtnis rufen (wie Anm. 694), S. 40 u. 44. Luh bescheinigt dem Anliegen Heinrichs einen anfänglichen Erfolg, welches sich aber nicht gegen die königsnahe Überlieferungstradition durchzusetzen vermochte, ebd., S. 45. Zitat ebd., S. 44. Zur Bewertung des königlichen Geschichtsbildes durch den Prinzen Heinrich siehe ders., Heinrichs Heroen (wie Anm. 694), S. 8.

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schickt hatten.704 Da Denkmale gerade in Krisenzeiten einen Beitrag zu Rückbesinnung und Selbstversicherung leisten können705, ist dieses Denkmal wohl vor dem Hintergrund der Revolution in Frankreich und Unruhen in Belgien zu sehen. Schlieffen widmete es mit folgenden Worten den Bürgern: »Freunde! dieses Denkmal heilige ich Eurer in einem vergangenen Kriege bewiesenen Vaterlandsliebe. Fahret fort, es auch fernerhin zu verdienen, und lehret Euren Kindern das Gleiche zu thun. […] Ihr aber, ehrwürdige Greise, die Ihr aus den damals für’s Vaterland kämpfenden Helden Eurer Gemeinde noch lebend seid: Schlabes, Hoddick, Thalmann, kommt theure Waffenbrüder, helft mir das Denkmal aufstellen und vergönnt, von Euren alten Führern auf jener Bahn des Ruhms, dem einzigen hier gegenwärtigen, dem v. Spitael, mit uns Hand an’s Werk zu legen.«706

Über den Appell an die Bürger hinaus band Schlieffen die noch lebenden Soldaten des Dorfes mit ein. Damit wurden sie zu aktiven Trägern militärischer Erinnerungskultur und verschafften dem Denkmal eine hohe Authentizität, denn sie waren Augenzeugen der mittlerweile annähernd dreißig Jahre vergangenen Ereignisse. Zwei weitere Denkmale gehen auf Friedrich Eberhard von Rochow (1734– 1805) zurück. »Zum Gedenken des großen Heerlagers unter Friedrich dem Großen zum großen unersetzten Schaden der umliegenden Güter von 29 247 Talern.«707 Mit dieser, König Friedrich II. und seinen Umgang mit Schuld und Schulden anklagenden Inschrift ließ der ehemalige Offizier der brandenburgisch-preußischen Armee 1791 – 50 Jahre nach dem Ereignis – eine Pyramide aus Feldsteinen errichten.708 Möglicherweise war er von zeitgleich errichteten Pyramiden im bekannten Umfeld inspiriert worden.709 1741 war auf dem Ro704 Hinweis bei Horst Carl, Okkupation und Regionalismus: die preussischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg, Mainz 1993, S. 372. Die Inschrift gibt Johann David Erdmann Preuß, Die Lebensgeschichte des großen Königs von Preußen. Erster Theil, 2. Aufl., Berlin 1837, http://books.google.de/books?id=1LoGAAAAYAAJ, 23. 06. 2014, S. 367 wieder. 705 Erben, Denkmal (wie Anm. 650), Sp. 915. 706 Preuß, Lebensgeschichte (wie Anm. 704), S. 367. 707 Frank Brekow, Klaus Witt, Das preußische Heerlager zu Göttin / Reckahn 1741, Brandenburg 2007, S. 50. 708 Ebd., S. 50f. Seit 1907 erinnerte eine weitere Tafel an die zwar 1741, aber nicht in diesem Lager erfolgte Gründung der »Schwarzen Husaren«. Das Denkmal wurde somit im 20. Jahrhundert um eine regimentsbezogene militärische Erinnerungskultur erweitert. 709 Ebd., S. 49f. Die Annahme, dass das Denkmal bereits 1760 von Friedrich Wilhelm von Rochow, seinem Vater, errichtet wurde, wird mit Hinweis auf die fehlenden Belege in zeitgenössischen Beschreibungen von den Autoren als unwahrscheinlich bewertet, ebd., S. 48. Zudem sei es wahrscheinlich, dass die Pyramide, »die immerhin eine indirekte Anklage gegen das Handeln von König Friedrich II. darstellt, erst nach dessen Tod 1786 aufgestellt worden ist«, ebd., S. 49. Vgl. Michael Niedermeier, Denkmale: Friedrich Eberhard von Rochow und der vaterländische Patriotismus, in: Hanno Schmitt, Frank Tosch (Hrsg.), Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow 1734–1805 im Aufbruch Preußens, Berlin 2001, S. 82.

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chowschen Gut ein Heerlager errichtet worden. Durch Brand, Diebstahl, Plünderung bzw. Beschlagnahmung, die Verhinderung der Nutzung der Ackerflächen sowie die Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit usw. entstand in der Zeit des Heerlagers von März bis September 1741 großer Schaden.710 Eine Abmilderung allein der unmittelbaren Brandfolgen wurde durch Generalfeldmarschall Leopold von Anhalt-Dessau initiiert, der eine Kollekte unter den Offizieren für die Opfer einsammeln ließ.711 Der Vater Friedrich Eberhards, der preußische Staats- und Kriegsminister Friedrich Wilhelm von Rochow, wandte sich nach Auflösung des Lagers an den König: »Euer Majestät Dienst hat erfordert, daß das Kampement auf meinen Gütern hat zu stehen kommen müssen. Meine Pflicht aber als ein getreuer Untertan, den Ruin meiner Güter, weil solches zur Gloire meines Königs geschehen müssen, mit ruhigem und gelassenem Gemüt anzusehen. Nun, da das Lager weg ist, erfordert die Pflicht gegen mich und die Meinen, auf allerhand Art und Weise zu überlegen, wie der totale Ruin abgewandt werden kann.«712

Unter anderem bezifferte eine Kommission, bestehend aus drei Landräten im Auftrag des Generaldirektoriums, den Schaden allein für die Rochowschen Güter auf 29.247 Taler.713 Eine erneute, durch den König veranlasste Berechnung des Schadens durch zwei Kriegsräte bezifferte den Schaden mit 11.636 Talern deutlich niedriger. Im Ergebnis der sich hinziehenden Auseinandersetzung über die Höhe des Schadenersatzes quittierte von Rochow den königlichen Dienst und widmete sich fortan der Wiederherstellung seiner Güter.714 Die Tatsache, dass 50 Jahre nach einem Schadensereignis ein Denkmal errichtet wurde, zeigt, wie sehr dieses im Bewusstsein der Familie und möglicherweise auch der Dorfgemeinschaften präsent blieb.715 Der Stifter des Denkmals, Friedrich Eberhard von Rochow, war 1741 erst sechs Jahre alt, mithin noch ein Kind. Durch diese Tatsache wurde er ebenso wenig von der Errichtung des Denkmals abgehalten wie durch seine eigenen Erfahrungen als Offizier in der Armee des kritisierten Königs bzw. durch dessen Förderung in seinen pädagogischen Bestrebungen.716 Die Art und Weise, dieser gegen König Friedrich II. gerichteten 710 Brekow, Witt, Heerlager (wie Anm. 707), S. 34ff. Vgl. auch die Ausführungen von Anton Friedrich Büsching, Berlin, Potsdam, Brandenburg 1775: Beschreibung seiner Reise nach Reckahn, Nachdr. der Ausg. 1775, hrsg. von Gerd-H. Zuchold, Berlin 2006, S. 216. 711 Brekow, Witt, Heerlager (wie Anm. 707), S. 39. 712 Zitiert nach ebd., S. 41. 713 Ebd., S. 42f. 714 Ebd., S. 45. 715 Vgl. auch Niedermeier, Denkmale (wie Anm. 709), S. 82, der das Denkmal als Ausdruck des »Selbstbewußtsein[s] des alten märkischen Standesherren gegenüber Friedrich II.« interpretiert. 716 Friedrich Eberhard von Rochow stand bei der Garde du Corps und nahm an der Schlacht bei Lobositz (1. Oktober 1756) teil und wurde in dieser verwundet. Ebenso nahm er an der

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Erinnerung Ausdruck zu verleihen, war ungewöhnlich, zumal ein pyramidenförmiges steinernes Denkmal Unvergänglichkeit symbolisierte. Mit diesem wurde der Anspruch auf Schadenersatz dauerhaft und öffentlich sichtbar dokumentiert und die ›Lobeshymnen‹ auf Friedrich II. nach dessen Tod konterkariert.717 Vor dem Hintergrund des Denkmals von 1791 kann ein zweites von Friedrich Eberhard von Rochow 1800 errichtetes Denkmal für den Sieg in der Schlacht bei Fehrbellin 1675 verwundern.718 In gewisser Weise korrespondieren die beiden Denkmale dennoch miteinander, denn Friedrich Eberhard begründete seinen Schritt zunächst mit der gut gehenden Landwirtschaft: »Im J. 1800 hatte die Vorsehung meine beinahe 40jährige Landwirtschaft in der Art gesegnet, daß ich auf meinen Todesfall die Meinigen versorget wußte. Der Gedanke, noch etwas Vaterländisch-Gemeinnütziges zu thun, erwachte wieder lebhaft in meiner Seel. Meine Bekanntschaft mit vaterländischer Geschichte mahnte mich um den Sieg bei Fehrbellin.«719 In einem Schreiben bat er König Friedrich Wilhelm III. um die Erlaubnis, ein Denkmal für dieses Ereignis aufstellen zu dürfen, und die Zuweisung des dafür benötigten Landes. »Wenn durch den Sieg des großen Kurfürsten bei Fehrbellin der Grund zu Preußens nachheriger Größe gelegt wurde, diesen Sieg aber unter Allerhöchster Anführung Landeskinder erfochten, so kann ein öffentliches Denkmal dieses Sieges den Patriotismus der Nation zu erhöhen dienen.«720 Rochows Geschichtsbild war von der Aufklärung im Sinne eines immer weitergehenden Fortschritts geprägt. Die Schlacht bei Fehrbellin sah er als Gründungsakt des preußischen Staatswesens, welches seitdem einen stetigen

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Schlacht bei Prag (6. 5. 1757) teil und wurde während des Rückzuges durch ein Duell so verwundet, dass er seinen Abschied einreichen musste, Adolph Friedrich August von Rochow, Nachrichten zur Geschichte des Geschlechts derer von Rochow und ihrer Besitzungen, Berlin, u. a. 1861, urn:nbn:de:gbv :23-drucke/alv-f-10-2f6, 23. 06. 2014, S. 148. Brekow gibt an, dass Friedrich Eberhard durch den König hinsichtlich seiner Reformbemühungen im Bildungswesen wie auch in der Landwirtschaft »umfangreich« gefördert worden sei, Brekow, Witt, Heerlager (wie Anm. 707), S. 49. Vgl. S. 191. Brekow, Witt, Heerlager (wie Anm. 707), S. 49. Vgl. auch Rudolf Bergau, Inventar der Bauund Kunst-Denkmäler in der Provinz Brandenburg. Orte A - I, Nachdr. der Ausg. 1885, Bd. 1, Berlin 2012, S. 403. Dort auch der Hinweis auf die Abbildung bei F. Wilhelm Riehl, I. Scheu, Berlin und die Mark Brandenburg mit dem Markgrafthum Nieder-Lausitz in ihrer Geschichte und in ihrem gegenwärtigen Bestande, Berlin 1861, S. 154f. Friedrich Eberhard Rochow, Sollte nicht überall jede Nazion den Anfang ihrer Größe und Staatswichtigkeit irgend einem Siege verdanken? Bearb. von J. E. Biester, in: Neue Berlinische Monatschrift 1 (1803), http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/image/2239816_041/92/, 14. 06. 2014, S. 84. Den Hinweis darauf bei Niedermeier, Denkmale (wie Anm. 709), S. 73. Rochow, Nachrichten (wie Anm. 716), S. 152. Vgl. auch J. A. Vintzelberg, Gedenkbuch zur Feier der Schlacht bei Fehrbellin. Nebst dem Fest-Bericht über die Einweihung des erneuerten und bewehrten Denkmals. Unter Benutzung archivalischer Quellen, Nachdr. der Ausg. 1857, Berlin 2000, S. 20f. Unter ›Nation‹ ist hier Brandenburg-Preußen zu verstehen, Niedermeier, Denkmale (wie Anm. 709), S. 74.

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Aufstieg genommen hatte und wünschte, »daß der Kulminirpunkt in Preußens politischem Klimax noch weit entfernt sein möge!«721 Das Denkmal entstand unter erheblichen Kosten und Bemühungen etwa 60 Kilometer Luftlinie von Reckahn und dem Rochowschen Gut entfernt.722 Es sollte an einem möglichst authentischen Ort errichtet werden, weshalb man auf die mündliche Überlieferung vor Ort vertraute: »Bei dieser Wahl benutzte man nun besonders die Mittheilungen eines in Hakenberg wohnenden 84jährigen Invaliden, Namens Liepe. Derselbe war von seinem Vater, der als zehnjähriger Knabe den Kriegsereignissen in nächster Nähe beigewohnt hatte, über den Verlauf der auf jenen Feldern gelieferten Schlacht unterrichtet worden und daher am besten dazu geschickt, einen Platz in Vorschlag zu bringen. Nach längerer Berathung und genauer Besichtigung des Terrains entschied man sich endlich für die Stelle, welche der Invalide Liepe als den Punkt bezeichnete, auf welchem der große Kurfürst das Centrum der Schweden durchbrochen, den Feind zuerst zum Weichen gebracht und damit den Sieg für die Brandenburgischen Waffen entschieden hatte.«723

Mit Ehrung des Kurfürsten, seiner wichtigsten Offiziere sowie den »braven Brandenburgern«, die »den Grund zu Preussens Grösse« legten, gehört auch dieses Denkmal eher zu einem frühen Beispiel eines Nationaldenkmals.724 Das Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht bei Rossbach Im Unterschied zu den beschriebenen Denkmalen entstand bereits 1766 anlässlich der Schlacht bei Rossbach (5. November 1757) ein »Ereignisdenkmal«.725 721 Rochow, Nazion (wie Anm. 719), S. 84. 722 Niedermeier, Denkmale (wie Anm. 709), S. 73. 723 Vintzelberg, Gedenkbuch (wie Anm. 720), S. 21; vgl. auch Rochow, Nazion (wie Anm. 719), S. 91f. 724 Auch die weitere Wortwahl bestätigt den Nationalcharakter : »Die Materialien zu diesem Denkmal sollen ganz vaterländisch sein. Der Untersatz aus einem Stück Rothenburger Steins, die Urne gleichfalls aus einem Stück märkischen festen grauen granitähnlichen Feldstein bestehen. Vier eiserne Dreipfünder dienen zur Sicherheit der vier Ecken. Das ganze Denkmal erhält die Höhe von dreizehn bis vierzehn Fuß. Bei der Wahl solcher Materialien hoffe ich dem Denkmal die Dauer versprechen zu dürfen, welche jeder Patriot und ich Preußens Throne wünscht«, Rochow, Nachrichten (wie Anm. 716), S. 152f. Die weitergehende Interpretation Niedermeiers, der in der Benennung von Offizieren und der einfachen Soldaten eine Parallele zur »Affront-Architektur des Prinzen Heinrich zu Rheinsberg« sieht, ist nicht schlüssig, Niedermeier, Denkmale (wie Anm. 709), S. 79. Der Charakter als Nationaldenkmal wurde durch die Erneuerung im 19. Jahrhundert (1875–1879) in Form einer Siegessäule noch stärker betont, vgl. Bergau, Inventar (wie Anm. 718), S. 403f. 725 Es ist wahrscheinlich, dass dieses Denkmal das einzige gewesen ist, welches bereits im 18. Jahrhundert zur Erinnerung an eine Schlacht entstanden ist. Vgl. Karl Heinrich Siegfried Rödenbeck, Beiträge zur Bereicherung und Erläuterung der Lebensbeschreibungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen, Könige von Preußen […], Bd. 1, Berlin 1836, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10014062-6, 23. 06. 2014, S. 299: »Von den vielen Schlachtfel-

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Der Verfasser einer in einem Bericht 1808 zitierten Beschreibung wunderte sich, dass die Gemeinde dieses Denkmal errichtet hatte: »Es wurde von der Gemeinde Reichartswerben errichtet und am 15ten Februar 1766 aufgesetzt. Warum sich grade die friedlichen Landbauer dieser Dorfgemeinde zur Errichtung eines Monuments für den Ruhm einer ihr feindlichen Armee entschlossen, ist mir unbekannt.«726 In einer Beschreibung von 1836 wird die Motivation zur Errichtung des Denkmals auf die unerwartete Verschonung des »größten und reichsten« Dorfes, Reichardtswerben, zurückgeführt, dessen Vernichtung im Schlachtplan des Prinzen Soubise unausweichlich schien. Aus diesem Grund veranlasste der Dorfvorsteher Michael Eichard die Herstellung und Errichtung der pyramidenförmigen Säule.727 Unter dem Leitmotiv : »Soli deo gloria.« verwiesen die Inschriften auf die Schlacht und den Siebenjährigen Krieg sowie die Örtlichkeiten der verschiedenen feindlichen Armeelager in der Schlacht bei Roßbach.728 Die Inschriften erinnerten also mitnichten an den »Ruhm einer ihr feindlichen Armee« und aufgrund der zeitlichen Nähe zum Ereignis nicht explizit an die ›Schlacht bei Roßbach‹.729 Dieses Denkmal der Gemeinde Reichardtswerben ist vielmehr als Votivdenkmal einzuordnen.730 Gleichwohl wurde es Teil militärischer Erinnerungskultur, denn: »Im Uebrigen ist dieß Denkmal oft genug, selbst von bedeutenden Personen, in Augenschein genommen worden. Viele haben sich,

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dern der drei schlesischen Kriege ist außer dem bei Roßbach und bei Zorndorf keines durch ein Denkmal bezeichnet […].« In einer Fußnote wird für die Errichtung eines Denkmals für die Schlacht bei Zorndorf das Jahr 1826 angegeben. Füssel erwähnt das Denkmal bei Roßbach unter dem Gesichtspunkt von Denkmalstürzen in napoleonischer Zeit, vgl. Marian Füssel, Auf der Suche nach Erinnerung. Zur Intermedialität des Schlachtengedenkens an den Siebenjährigen Krieg im 18. und 19. Jahrhundert, in: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, S. 190f. – Zur Typologisierung des Ereignisdenkmals, vgl. Erben, Geschichtsüberlieferung (wie Anm. 693), S. 222ff. Das Ereignisdenkmal bildete sich in der Frühen Neuzeit heraus. Friedrich von Coelln, Möllendorfs Gastmahl am Fuße des Monuments der Roßbacher Schlacht im Jahr 1805, in: Neue Feuerbrände zum Brennen und Leuchten: Marginalien zu der Schrift: Vertraute Briefe über die innern Verhältnisse am Preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II. 6, 16 (1808), http://books.google.de/books?id=falGAAAAcAAJ, 24. 06. 2014, S. 115. Vgl. Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 301; dort mit Monatsangabe »September«. Ders., Beiträge (wie Anm. 725), S. 301. Ebd., S. 302: »Deutliche Nachricht von den Lagern der Kaiserlichen, Reichs-französischen, alliierten und Preußischen Armeen deren Aufmarsch und der Bataille, so den 5. November 1757, Nachmittag’s gegen 2 Uhr allhier ihren Anfang genommen. Ferner die Retirade der Alliierten nebst dem Anfange und Ende dieses Krieges. […].« Jany weist auf den Widerspruch zwischen Denkmalinschriften und dem wirklichen Schlachtenverlauf hin und vermutet, dass die Inschriften des Denkmals die Darstellungen Tempelhofs und des alten Generalstabs beeinflusst haben, Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 440. Coelln, Möllendorfs Gastmahl (wie Anm. 726), S. 115. Vgl. Erben, Geschichtsüberlieferung (wie Anm. 693), S. 224f., der auf den Zusammenhang zwischen Votiv- und Ereignisdenkmalen eingeht.

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mit einkritzeln ihres Namens, suchen kenntlich zu machen. Viele mit Bleistift gezeichnete Namen sind unleserlich und durch die Witterung verwischt worden. Bleibender wußten sich vor einigen Jahren etliche Preußische Officiers vom Goekingschen Husaren Regimente darauf zu verewigen.«731 Das Denkmal war also Anziehungspunkt für Reisende geworden, die sich ihrerseits in die Erinnerung an die Schlacht und ihren Ort mit einem Graffito einschreiben wollten.732 Die Beschreibung verweist bereits auf die weitere Entwicklung. »Als zu Ende des Jahres 1792 und zu Anfang’ 1793 der später bei Saalfeld gefallene Prinz Louis von Preußen mit dem damaligen von Ebenschen später von Göckingschen Husaren-Regiment’ über dieses Schlachtfeld nach Frankreich zog, gab er zur Feier jenes merkwürdigen Ereignisses dem Offizierkorps des Regiment’s an der Stelle, wo die Säule stand, unter freiem Himmel ein glänzendes Gastmal. Da er bemerkt hatte, daß das Denkmal durch die Zeit viel gelitten hatte, so ertheilte er in seinem Standquartiere, dem Dorfe Gröst […] – dem dasigen damaligen Prediger Siegel den Auftrag, ein neues geschmackvolleres Denkmal zu besorgen und versprach, die Kosten, die es verursachen würde, zu erstatten. Nach dem Frieden von Basel 1795 kehrten die Preußen aus Frankreich zurück; das Denkmal war aber noch nicht fertig und der gegebene Auftrag wurde wiederholt. Endlich wurde es im Jahre 1796, unter Mitwirkung des erwähnten Prediger’s Siegel, errichtet […].«733

Ergänzend heißt es in einer anderen Schilderung: »Die Gemeinde von Reichardtswerben hatte dabei ein sehr großes Fest, oder wie der Berichterstatter sagt: ›Drei Tage Bier und Ball frei‹.«734 Die neue Inschrift veränderte und konkretisierte den bisherigen, eher neutralen Charakter des Denkmals. Nun hieß es: »Soli Deo Gloria. Denkmal der Roßbacher Bataille, so den 5. November 1757 gegen 2 Uhr Nachmittags ihren Anfang genommen, errichtet von der Gemeinde Reichardtswerben den 15. September 1766. […] Erneuert auf Kosten einiger Herren Officiers des Hochlöbl. Königl. Preuß. Leib-Husaren-Regiments v. Göking. 1796. Lieutn. v. Lichnocosky. Rittm. v. Berg. [usw.].«735 Der Kreis der Initiatoren hatte sich erweitert: Das Dorf wurde mit seinen Vorstehern, parallel dazu das Regiment mit zehn Offizieren benannt. Hingegen wurde der in den 731 Coelln, Möllendorfs Gastmahl (wie Anm. 726), S. 115. 732 Vgl. zum »Schlachtfeldtourismus« Füssel, Suche nach Erinnerung (725), S. 192ff. 733 Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 303. Die erste Denkmalssäule wurde von der Dorfgemeinschaft an einen anderen Platz versetzt, Johann Elieser Theodor Wiltsch, Die Schlacht von nicht bei Roßbach oder die Schlacht auf den Feldern von und bei Reichardtswerben den 5. November 1757, und was ihr voranging, und nachfolgte. Nach bisher noch unbenutzten authentischen und archivarischen Quellen und nach glaubwürdigen Berichten von Augen-Zeugen, Reichardtswerben, u. a. 1858, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10408909-4, 18. 07. 2015, S. 233. 734 Ders., Schlacht (wie Anm. 733), S. 230. Vgl. auch Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 303. 735 Wiltsch, Schlacht (wie Anm. 733), S. 231.

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Beschreibungen als Initiator der Erneuerung des Denkmals angegebene Prinz Louis von Preußen nicht erwähnt. In der ersten Fassung erinnerte das Denkmal an ein militärisches Ereignis als Teil einer lokalen Erinnerungskultur der Dorfgemeinschaft. In der zweiten Fassung blieb das Denkmal sowohl Teil dieser Erinnerungskultur, wurde aber zugleich auch Teil einer Erinnerungskultur des Husarenregiments Nr. 2. Den Offizieren des Regiments gelang es, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Dies ist umso bemerkenswerter, da dieses Regiment nicht an der Schlacht bei Roßbach beteiligt war.736 Ausgehend von der Annahme, dass ein Betrachter, der die Schlacht, ihren Verlauf und die daran beteiligten Regimenter nicht en d8tail kannte, möglicherweise einen Bezug zwischen den Initiatoren des Denkmals und der Erinnerung an die Schlacht herstellte, wurde durch die Nennung des Husarenregiments Nr. 2 dessen Teilnahme an der Schlacht suggeriert. Das Regiment partizipierte dadurch am Ruhm für die Schlacht bei Roßbach, zu dem es selbst nichts beigetragen hatte. Unerheblich für diese Folgewirkung war, ob die namentlich genannten Offiziere diese Wirkung intendiert hatten, denn das Denkmal erinnerte fortan an sie. Auch weiterhin wurde das Denkmal von Offizieren besucht. Bei einem Truppendurchzug versammelte 1805 der Generalfeldmarschall von Möllendorf »an einem schönen Herbsttage, am Fuß des Monuments, […] alle Stabsoffiziere seins Corps zu einem Feste. Das Monument war mit Tischen in weiten Kreisen umgeben, an denen sich die Gäste, ihren Feldherrn an der Spitze, zu einem fröhlichen Mahl einfanden. Die froheste Laune belebte sie alle, und den Manen737 der hier begrabenen Helden wurden viele Opfer gebracht. Zwei gut besetzte Musikchöre waren auf benachbarten Anhöhen einander gegenübergestellt, und wechselten mit kriegerischen Accorden, nach welchen die Gesellschaft in feierlichen Chören alle beliebte kriegerische Gesänge anstimmte.«738

Die Beschreibung des Festes und die Wahl des Ortes legen nahe, dass es sich gleichsam um eine Erinnerungsfeier handelte, durch die einerseits der in der Schlacht von Roßbach Gefallenen gedacht wurde und durch die man sich andererseits angesichts neuer Gefahren durch französische Truppen selbstvergewissern und ermutigen wollte.739 Das Denkmal wurde so zu einem Symbol der Zuversicht.

736 Laut Gieraths, Kampfhandlungen (wie Anm. 8), S. 268 nahm das Regiment nicht an der Schlacht teil. 737 Manen = gute Geister eines Toten. 738 Wiltsch, Schlacht (wie Anm. 733), S. 233; Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 304. 739 Wiltsch, Schlacht (wie Anm. 733), S. 233: »[…] nachdem ein französisches Corps von 70,000 Mann, ohne Preußens Zustimmung durch dessen fränkische Provinzen zog, […]«. Vgl. Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 304.

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1806 wurde das Denkmal auf Napoleons Befehl abgetragen, nach Paris transportiert und zentral aufgestellt; 1814 wurde es wohl zerstört.740 Mit diesem Vorgang wurde es zu einem ›nationalen‹ Symbol erhoben und Teil einer solchen Erinnerungskultur. Das erste Denkmal hatten die Dorfbewohner seinerzeit vergraben, um nicht auch dieses nach Paris transportieren zu müssen.741 Ein drittes, dann eisernes Denkmal wurde schließlich im Oktober 1813 von Offizieren des 3. Preußischen Armeekorps nach der Völkerschlacht bei Leipzig wiedererrichtet. Die Erinnerung an die Schlacht wurde weiter verdichtet. Die Inschriften lauteten nun: »[…] Denkmal der Schlacht von Rossbach, den 5. November 1757. […] Auf dem Marsche, nach der Deutschland befreienden Schlacht von Leipzig, von Preussischen Kriegern des 3. Armee-Corps wieder errichtet den 23. October 1813.«742 Die Entwicklung des Denkmals mit dem Ausblick auf den Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt, dass das Denkmal mehr und mehr weg von der ursprünglichen Stiftungsintention der Dorfgemeinschaft zur Erinnerung an die Bewahrung des Dorfes in der Schlacht in einen militärischen bzw. militärisch-nationalen Kontext gestellt wurde.743 Dieses Beispiel belegt, dass ein Denkmal auch zu einem späteren Zeitpunkt – hier aus Anlass der Erneuerung – Teil militärischer Erinnerungskultur werden konnte. Im Sinne einer nachträglichen Deklaration wurde das Denkmal vereinnahmt und zum Bestandteil regimentsbezogener Erinnerung. Die erinnernde Dorfgemeinschaft wurde dabei nach und nach aus der Erinnerung gedrängt.

Die Berliner Garnisonkirche Denkmale sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Standort zumeist einen realen Bezug zum dargestellten Ereignis bzw. zur dargestellten Person aufweist und sie weitestgehend unverrückbar sind. Unter dem Aspekt der Immobilität kann insbesondere die Garnisonkirche in Berlin als ›Denkmal militärischer Erinnerungskultur‹ verstanden werden. Eine innere Verbundenheit zwischen Berliner 740 741 742 743

Ders., Beiträge (wie Anm. 725), S. 304f. bzw. Wiltsch, Schlacht (wie Anm. 733), S. 234. Rödenbeck, Beiträge (wie Anm. 725), S. 304. Ebd., S. 304. Zur Entwicklung des Ereignisdenkmals siehe Erben, Geschichtsüberlieferung (wie Anm. 693), S. 241f., Ereignisdenkmale erlebten ihre »eigentliche Konjunktur« nach 1800, an denen die »gesellschaftliche Öffentlichkeit in allen Belangen« Teil nahm. »Für die historische Verdichtung der Erinnerungskultur nach 1800 war entscheidend, dass der Typus des Ereignisdenkmals in veränderte Rahmenbedingungen gestellt war. Gerade die Qualität dieser Verdichtung selbst lässt sich aber erst aus der Kontinuität zur frühneuzeitlichen Tradition verständlich machen.« Zur Deutung der Schlacht siehe allgemein Thomas Nicklas, Die Schlacht von Rossbach (1757) zwischen Wahrnehmung und Deutung, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte NF. 12 (2002), zum Denkmal S. 43.

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Offizieren und der Kirche existierte bereits von Anfang an, ging doch der Anstoß für den Bau der Kirche (1701-1703) von diesen aus, die auch einen Teil der Kosten übernahmen.744 Die Kirche war als festes Monument dazu geeignet, nach und nach durch Aufstellung erbeuteter Fahnen und Standarten mit militärischen Erinnerungsbezügen aufgeladen zu werden, die immer wieder abgerufen werden konnten.745 Da der Kreis der Kirchgänger im Wesentlichen aus Angehörigen des Militärs und vorrangig der in ihrem Sprengel garnisonierenden Regimenter746 bestand, wurden solche Erinnerungsbezüge vor allem in diesem lebendig.747 Im 17. und frühen 18. Jahrhundert wurden erbeutete Fahnen nur in Ausnahmefällen in Kirchen aufgestellt, ansonsten erfolgte die Aufbewahrung wenig öffentlichkeitswirksam und kaum erinnernd in Zeughäusern, danach in der Rüstkammer in Berlin.748 Relativ bald nach den Schlachten bei Hohenfriedberg und Soor bzw. bei Kesselsdorf wurden jedoch die in diesen siegreichen Schlachten erbeuteten Fahnen und Standarten in die Garnisonkirche eingebracht und aufgestellt.749 1757 folgten die Trophäen von Lobositz, Reichenberg und Prag.750 Nach dem Einfall des Generals Hadik im Oktober 1757 in Berlin wurde das prestigeträchtige Gut in die Festung Spandau verbracht, ebenso wie die Trophäen der Schlachten von Roßbach und Leuthen, die zunächst im

744 Zum Gesuch für den Bau der Kirche, siehe Beatrice Falk, Bärbel Holtz, Das Schicksal der Alten Berliner Garnisonkirche, in: Gisela Berg u. a. (Hrsg.), Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, Berlin 1997, S. 38; für die Kostenübernahme siehe Georg Goens, Geschichte der Königlichen Berlinischen Garnisonkirche, Berlin 1897, S. 13. 745 Falk, Holtz, Schicksal (wie Anm. 744), S. 42. Die Autoren sprechen von einer »repräsentative[n] Traditionsstätte der Berliner Garnisonen«. 746 Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 177. 747 Die Berliner Garnisonkirche ist keine »Denkmalkirche« im Sinne eines Nationaldenkmals. Gleichwohl wurde in ihr militärischer Erfolg sakralisiert und wirkte auf die Offiziere und Soldaten als Gottesdienstbesucher zurück. Auch liegt die Vermutung nahe, dass in den Ansprachen Bezüge zu den aufgehängten Fahnen, Standarten und Bildern hergestellt wurden. Zur »Denkmalkirche« als Nationaldenkmal, siehe Nipperdey, Nationalidee (wie Anm. 667), S. 546ff. Zur Berliner Garnisonkirche siehe Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin 1786, http://books.google.de/ books?id=uS4CAAAAcAAJ& , 23. 06. 2014, S. 610f. 748 Lehmann, Trophäen (wie Anm. 563), S. 1f. Dort auch Angaben zur Anzahl der Fahnen. 749 Ebd., S. 2; Nicolai, Beschreibung (wie Anm. 747), S. 861f.; Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 45. Hinweis auf Nicolai bei Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 177, Anm. 263. Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 55 gibt indirekt an, dass einige der Siegestrophäen des Siebenjährigen Krieges auch in der Potsdamer Garnisonkirche aufgestellt wurden, jedoch wird dies nicht bestätigt, beispielsweise bei Andreas Kitschke, Die Potsdamer Garnisonkirche »Nec soli cedit«, Potsdam 1991. Zur schlechten Quellenlage der Berliner Garnisonkirche siehe Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 14. 750 Lehmann, Trophäen (wie Anm. 563), S. 2.

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Zeughaus untergebracht waren.751 Die Aufbewahrung von erbeuteten Siegeszeichen in der nächstgelegenen Festung wurde für die Zeit des Siebenjährigen Krieges Praxis, so dass von den russischen und österreichischen Truppen im Oktober 1760 nur die im Zeughaus verbliebenen Fahnen erbeutet werden konnten.752 Gut einen Monat nach dem Friedensschluss von Hubertusburg wurden im März 1763 »die in Spandau verwahrt gewesenen Trophäen wieder in der Berliner Garnisonkirche aufgestellt.«753 In den folgenden Jahren kamen nach und nach die Trophäen weiterer Siege des Siebenjährigen Krieges hinzu, zuletzt 1769 u. a. die der Schlacht bei Torgau.754 Die Entwicklung der Garnisonkirche in Berlin zu einem Ort militärischer Erinnerungskultur vollzog sich also über einen längeren Zeitraum und war im Interesse des Königs. Das Erbeuten von Fahnen, Standarten, Pauken und Geschützen im Kampf gereichte den Regimentern zu Ruhm und Ehre. Während Pauken den siegreichen Regimentern als sichtbare Auszeichnung verliehen werden konnten755, gingen die symbolträchtigen gegnerischen Fahnen und Standarten in den Herrschaftsbereich des Königs über. An diese und damit an das spezifische Verdienst eines Regiments erinnerte nur in Ausnahmefällen ein um die Anzahl der erbeuteten Fahnen bildlich angereichertes Regimentssiegel, welches der König als Auszeichnung verlieh.756 Mit der öffentlichen Ausstellung von Siegestrophäen der einzelnen Siege in der Berliner Garnisonkirche wurden diese jedoch Teil einer militärischen Erinnerungskultur, die über die der einzelnen Regimenter hinausging.757 Nun erinnerte nicht mehr eine einzelne Fahne an den Erfolg eines einzelnen Regiments in der Schlacht, sondern die Summe der erbeuteten Trophäen an den Sieg der ›preußischen Waffen‹, dessen Teil gleichwohl das einzelne Regiment und der einzelne Offizier und Soldat waren. Insofern konnten der König, aber auch die Regimenter die sich in und mit der Garnisonkirche bietenden Erinnerungsbezüge im jeweils eigenen spezifischen Erinnerungskontext nutzen. Im ›Denkmal‹ Garnisonkirche überlagerten sich – konfliktfrei – sowohl königliche als auch regimentsbezogene Erinnerungskulturen. Die Plünderung und Entweihung der Kirche durch französische Truppen belegt, dass diesem Ort eine

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Ebd., S. 2f. Ebd., S. 3. Der Verlust betrug 277 Fahnen und 75 Standarten. Ebd., S. 3. Ebd., S. 3. Über den Verbleib von Fahnen und Standarten aus den weiteren Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts, mit Ausnahme der 1794 in Polen erbeuteten, herrscht laut Lehmann Ungewissheit. Vgl. auch Hohrath u. a., Fahnensammlung (wie Anm. 485), S. 8. 755 Vgl. S. 161ff. 756 Vgl. S. 148ff. 757 Vgl. Falk, Holtz, Schicksal (wie Anm. 744), S. 42, die von »militärischer Traditionsbildung« sprechen.

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Gedächtnisfunktion beigemessen wurde, die es zu zerstören galt.758 Im Vergleich zur Potsdamer Hof- und Garnisonkirche war die Berliner Kirche ein Zentrum vorrangig militärischer Erinnerungskulturen der friderizianischen Zeit. Erstere hingegen begründete »ihren Charakter als symbolisch hoch aufgeladener Ort dynastisch-militärischer Erinnerungskultur« durch die Bestattungsfeierlichkeiten für König Friedrich II., die sich an denen für König Friedrich Wilhelm I. orientierten.759 Als letzte Ruhestätte Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. war sie zwar ein »Refugium der Traditionsstiftung«, vor allem aber in dynastisch-monarchischer Hinsicht und nicht im Sinne regimentsbezogener Erinnerungskultur, trotz oder gerade wegen der in Potsdam u. a. garnisonierenden königsnahen Eliteeinheiten wie dem 1. Bataillon Leibgarde und der Garde du Corps.760 Der Gedächtnischarakter der Berliner Garnisonkirche wurde auch durch eine private Stiftung des Malers Christian Bernhard Rode unterstrichen.761 Dieser hatte 1761/1762 vier von ihm gemalte Bilder mit Genehmigung des Königs in der Kirche aufhängen lassen. »Besonders sind vier große Gemälde sehenswürdig, welche der berühmte B. Rode gemalt, und hieher geschenkt hat. Sie stellen vier preußische Helden vor, welche in dem siebenjährigen Kriege blieben: 1) den Feldmarschall Grafen Schwerin, der sterbend den Sieg umfaßt, welcher ihn krönt. Auf ihm liegt die Fahne, mit welcher in der Hand, er 1757 in der Schlacht bey Prag erschossen ward. 2) Den Generallieutenant Winterfeld, bey welchem die Muse der Geschichte sitzt, dessen Thaten zu beschreiben. 3) Den Feldmarschall Keith, dessen Grab von dem Ruhme mit Lorbeerzweigen umwunden wird. 4) Den Major und berühmten Dichter von Kleist, über dessen Urne die Freundschaft weint. Unten am Postement der Urne liegen Degen und Leyer, mit einem Lorbeerkranze umflochten.«762

758 Vgl. Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 55; Lehmann, Trophäen (wie Anm. 563), S. 4 und Hohrath u. a., Fahnensammlung (wie Anm. 485), S. 8. 759 Frank Göse, Garnison und Kirche im 18. Jahrhundert, in: Michael Epkenhans, Carmen Winkel (Hrsg.), Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung, Freiburg/ Brsg., u. a. 2013, S. 48 erwähnt eine Ausstellung von Bildern auf die zwölf Siege Preußens während des Leichenbegängnisses für Friedrich II. Zur Potsdamer Garnisonkirche als Militärkirche siehe Hartmut Rudolph, Die Potsdamer Hof- und Garnisongemeinde, in: Bernhard R. Kroener (Hrsg.), Potsdam: Staat, Armee, Residenz in der preussisch-deutschen Militärgeschichte, Berlin 1993. 760 Göse, Garnison und Kirche (wie Anm. 759), S. 46f. Zur Überlagerung der »verschiedenen Mythen« Carmen Winkel, Einleitung, in: Michael Epkenhans, Carmen Winkel (Hrsg.), Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung, Freiburg/Brsg., u. a. 2013, S. 7. 761 Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 176f. Vgl. auch die Angaben bei Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 290. 762 Nicolai, Beschreibung (wie Anm. 747), S. 862. Mit dem Bild für Schwerin, den er von der Fahne bedeckt und sterbend malte, trug Bode zu dem Mythos um Schwerins Tod bei. Es ist

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Das Bild für Kleist wurde von Johann Wilhelm Ludwig Gleim gestiftet.763 Ungewöhnlich – dies zeigt auch die notwendige ›Sondergenehmigung‹ des Königs – ist die Einreihung des Majors Ewald von Kleist in eine ›Galerie‹ von Generälen, die aber seiner Reputation als Schriftsteller innerhalb der »literarischen Zirkel Berlins« geschuldet war.764 Bode deckte damit offenbar einen bei den Offizieren und Soldaten als Teil der Berliner Gesellschaft vorhandenen Bedarf an ›Erinnerung‹, der durch die vom König veranlassten Denkmale nicht ausreichend bedient werden konnte. Dies legt die geplante, aber nicht umgesetzte Ausweitung zu einem Bilder-Zyklus nahe. In den Berlinischen Nachrichten vom 20. Oktober 1761 heißt es: »Es werden noch verschiedene andere Bildnisse der vor die Rechte des großen Friedrich in dem jetzigem Kriege auf dem Bette der Ehren gestorbenen muthigen Helden in gemeldeter Garnison-Kirche nach und nach aufgestellt werden.«765 Die Stiftung von Artefakten geschah in diesem Fall nicht aus kommerziellen, sondern aus patriotischen Motiven.766 Mit seinen Bildern hätte Rode »die lebende und folgende Staatsbürger [aufgefordert], das Gedächtniß von Männern zu verehren, welche ihr Blut für das gemeine Wohl vergossen hatten.«767 Auch wenn man zugesteht, dass diese Beschreibung aus dem Jahr 1800 sehr überladen anmutet, ist anzunehmen, dass die Bilder ihre Wirkung als Erinnerungsmedien zu Ehren gefallener ›Helden‹ entfaltet haben. Langfristig entwickelte sich die Berliner Garnisonkirche auch zu einem Gedächtnisort für verstorbene Militärangehörige. Um das finanzielle Defizit der Kirche auch durch eigene Einnahmen zu reduzieren, wurde das Gewölbe unter der Kirche seit 1723 nach und nach zu einer Begräbnisstätte für Offiziere ausgebaut. Waren vorher nur einzelne Personen in der Gruft der Kirche beerdigt worden768, wurde später dieses Privileg gegen eine abgestufte Bezahlung er-

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unwahrscheinlich, dass er so starb, noch dass sein Tod zur Ermunterung der Truppen beitrug, Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 155. Ders., Standbild (wie Anm. 651), S. 177. Die Bilder sind beim Brand der Kirche 1908 verloren gegangen, ebd., S. 176. Um eine Plünderung durch napoleonische Truppen zu verhindern, hatte die Witwe des Malers die Bilder verstecken lassen, Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 55. Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 177. Zusammenhang und Zitat ebd., S. 177. Nach Angaben von Falk, Holtz, Schicksal (wie Anm. 744), S. 42 kam 1786 noch ein Bild für Hans Joachim von Zieten hinzu. Zur zeitgenössischen Einschätzung des Malers Rode als »patriotischem Künstler« siehe Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 177. Vgl. auch Kroener, Nun danket alle Gott (wie Anm. 168), S. 110. Anton Balthasar König, Versuch einer Historischen Schilderung der Hauptveränderungen, der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Künste, Wissenschaften [et]c. der Residenzstadt Berlin seit den ältesten Zeiten, bis zum Jahre 1786: Kurzgefaßte Regierungs- und Staatsgeschichte Friedrich des II. Königs von Preußen. Vom Jahr 1740 bis 1786, Bd. 5, 1800, http:// books.google.de/books?id=odcAAAAAcAAJ, 23. 06. 2014, S. 238. Hinweis darauf bei Seelig, Standbild (wie Anm. 651), S. 177, Anm. 264. Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 26 berichtet davon, dass der Generalmajor und

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weitert.769 Diese Möglichkeit wurde rege angenommen.770 Indem sich die Offiziere zur Beerdigung in der Garnisonkirche entschieden, postulierten sie noch im Tode ihre Verbundenheit mit dem brandenburgisch-preußischen Militär.771 In der Gesamtschau trafen mit aufgestellten Fahnen, Bildern, Dankgottesdiensten und Totenerinnerung in der Garnisonkirche in Berlin Erinnerungsbezüge und Symbole, die von unterschiedlichen Initiatoren aus verschiedenen Anlässen mit verschiedenen Intentionen gestiftet wurden, aufeinander, überlagerten sich und verschmolzen im zeitlichen Verlauf miteinander. Dadurch entwickelte sich die Garnisonkirche zu einem einzigartigen, festen und öffentlich zugänglichen Ort ›verdichteter‹ praktizierter militärischer Erinnerungskulturen. Als solcher spiegelte sie vor allem die Pluralität militärischer Erinnerungskulturen wider, die sich durch Erinnerungsmedien, Rituale und Totengedenken im sakralen Raum entwickeln konnte.

Kommandeur der Grenadier-Garde Daniel von Tettau zunächst der Kirche Inventar gestiftet hatte und nach der Schlacht bei Malplaquet »am 17. Oktober in einer verschlossenen Gruft der Garnisonkirche mit hohen Ehren und unter dem Läuten der Glocken und dem Donner der Kanonen beigesetzt« wurde. 769 Ebd., S. 37f. König Friedrich Wilhelm I. hatte die Begräbnisordnung herausgegeben und die Gebührenordnung festgesetzt: der Begräbnisplatz konnte von 300 Talern für einen Feldmarschall bis zu 16 Taler für einen Fähnrich kosten. Vgl. die zum Teil abweichenden Angaben bei Otto von Schwerin, Das Regiment Gens d’armes und seine Vorgeschichte sowie die Geschichte der anderen Stammtruppen des Kürassier-Regiments Kaiser Nicolaus I. von Rußland (Brandenburgisches) Nr. 6. III. Teil. 1786–1740, Berlin 1917, S. 9. Dazu auch Heinz Berg, Zur Geschichte der evangelischen Garnisongemeinde diesseits vom Spandauer Tor, in: Gisela Berg u. a. (Hrsg.), Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, Berlin 1997, S. 27. 770 1830 wurde das Grabgewölbe geschlossen. Bis dahin wurden höchstens 1800 Personen, davon 14 Generalfeldmarschälle und 50 Generäle bestattet, Goens, Garnisonkirche (wie Anm. 744), S. 37. Die Zahl der Bestatteten schwankt zwischen 820 und 1800, die Zahl der Generalfeldmarschälle zwischen 14 und 15, Berg, Geschichte (wie Anm. 769), S. 27; Wolfgang Gottschalk, Der Garnisonfriedhof und der Invalidenfriedhof zu Berlin, Berlin 1991, S. 30f.; Christian Scheer u. a., Alter Berliner Garnisonfriedhof: ein Friedhofsführer, Berlin 2003, S. 3. 771 Auch wenn die Wahl des Begräbnisortes ein faktisches Bekenntnis zur eigenen Profession war, war diese davon abhängig, ob die Familien verstorbener Offiziere über eine Erbbegräbnisstätte verfügten. So erbat sich zwar Generalfeldmarschall Alexander Hermann Graf von Wartensleben das Privileg, sich und seine Familie in der Berliner Garnisonkirche bestatten zu lassen, jedoch wurden vom Regiment Gens d’armes neben zwei weiteren Regimentschefs nur noch zwei Offiziere in der Garnisonkirche bestattet. Die weiteren Offiziere wurden in Familienbegräbnisse überführt, Schwerin, Regiment Gens d’armes, Teil 3 (wie Anm. 769), S. 9f.; ähnlich Ewald Frie, Herrschaftsstäbe, Adelskreise und des Königs Rock. Vom Bestattungsverhalten der brandenburgischen Nobilität im 18. Jahrhundert, in: Mark Hengerer (Hrsg.), Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln 2005, S. 311.

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Der Berliner Garnisonfriedhof und der Invalidenfriedhof Im Zusammenhang mit der Berliner Garnisonkirche und der Bestattung von Offizieren im Grabgewölbe sind auch die beiden Teile des Garnisonfriedhofs zu erwähnen, dessen einer Teil den Offizieren und dessen anderer Teil den Gemeinen der im Stadtinneren einquartierten Regimenter bis 1804 vorbehalten war.772 Für einen großen Teil des 18. Jahrhunderts wird man keine starken militärischen erinnerungskulturellen Bezüge annehmen können, zumal die beiden Friedhofsteile entsprechend zeitgenössischer Kommentare »einen ziemlich trostlosen Anblick geboten haben müssen.«773 Da keine aussagekräftigen Nachrichten über möglicherweise vorhandene Grabmale überliefert sind, wird eine den anderen Berliner Friedhöfen ähnliche Ausstattung mit einfachen Steinen und Holzkreuzen angenommen.774 Dies lag wohl auch daran, dass die Garnisonkirche als Begräbnisstätte attraktiver war und der Friedhof nur für die ärmeren Familien in Betracht kam.775 Eine Aufwertung mit »aufwendigeren Grabanlagen in größerer Anzahl« erfuhr dieser Begräbnisort erst durch die Einschränkung im Allgemeinen Landrecht von 1794776, dass »in den Kirchen und in den bewohnten Gegenden der Städte […] keine Leichen beerdigt werden« sollten.777 Diese Ende des 18. Jahrhunderts bis annähernd in die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Grabdenkmale spiegelten aber in der Wahl der Symbole eher den aufklärerischen Zeitgeist778 als militärische Erinnerungsbezüge wider. Letztere entwickelten sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts: beispielsweise durch Übernahme der Pflege einzelner Grabfelder durch einzelne Regimenter oder durch die gemeinsame Stiftung eines Grabdenkmals.779 Einen 772 Gottschalk, Garnisonfriedhof (wie Anm. 770), S. 15f. 773 Ebd., S. 16f. Vgl. Scheer u. a., Friedhofsführer (wie Anm. 770), S. 3. Seine eigentliche Bedeutung erlangte der Friedhof im 19. Jahrhundert, Gottschalk, Garnisonfriedhof (wie Anm. 770), S. 26. 774 Jörg Kuhn, Der Alte Garnisonfriedhof und seine kunsthistorisch bedeutenden Grabmale, in: Gisela Berg u. a. (Hrsg.), Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, Berlin 1997, S. 80; annähernd wortgleich Scheer u. a., Friedhofsführer (wie Anm. 770), S. 4. 775 Heinz Berg, Vom Diesseits zum Jenseits des Spandauer Tores: Zur Geschichte des Alten Berliner Garnisonfriedhofs, in: Berg, Gisela / Berg, Heinz, et al. (Hrsg.), Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, Berlin 1997, S. 60, kommt aufgrund der Auswertung von Sterberegistern und Kirchenbüchern zu diesem Schluss. 776 Kuhn, Garnisonfriedhof (wie Anm. 774), S. 80. 777 Gottschalk, Garnisonfriedhof (wie Anm. 770), S. 11. Ebenso Berg, Vom Diesseits zum Jenseits (wie Anm. 775), S. 60. Im Umkehrschluss nahm seitdem die Bedeutung der Garnisonkirche als Begräbnisstätte ab, ders., Geschichte (wie Anm. 769), S. 27. 778 Kuhn, Garnisonfriedhof (wie Anm. 774), S. 80, zu Grabdenkmalen einzelner Offiziere, S. 83f.; annähernd wortgleich Scheer u. a., Friedhofsführer (wie Anm. 770), S. 4. 779 Zur Pflege von Grabfeldern vgl. Berg, Vom Diesseits zum Jenseits (wie Anm. 775), S. 60,

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ähnlichen Bedeutungszuwachs hinsichtlich militärischer Erinnerungsbezüge erfuhr im 19. Jahrhundert der Invalidenfriedhof. Auf diesem Friedhof, der 1748 angelegt wurde, sind erst nach den Befreiungskriegen höhere Offiziere und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Zivilisten bestattet worden.780 Einen offensichtlichen Rückbezug auf die friderizianische Epoche stellte die Umbettung des Generalleutnants von Winterfeldt aus der familiären Begräbnisstätte im schlesischen Pilgramsdorf auf den Invalidenfriedhof und die Errichtung eines Grabmals anlässlich des 100. Todestages des Generalleutnants 1857 dar.781 Zu einer »Weihe- und Gedächtnisstätte« entwickelte sich der Invalidenfriedhof erst nach 1871.782

Militärische Erinnerung im familiären Umfeld: zwei Grabmale Grabmale sind zumeist durch die Wahl der Stilmittel Zeugen ihrer Zeit.783 Nur selten aber waren die von den Familien der Verstorbenen im 18. Jahrhundert in Auftrag gegebenen Grabmale im Sinne aufwendigerer Denkmale zugleich Ausdruck militärischer Erinnerungskultur. Eines der wenigen Beispiele war das Grabmal für den General von Tauentzien.784 Der Bildhauer Schadow erwähnte in seinen Aufzeichnungen, dass er 1795 durch »die Söhne des Generals von Tauentzien zu Breslau« zur Arbeit an einem Denkmal für den 1791 verstorbenen und durch die »glorreiche Verteidigung von Breslau berühmten Feldherrn« veranlasst wurde.785 Das Denkmal selbst wurde von dem Architekten Langhans entwor-

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zum Grabmal von 1829 für Carl Friedrich von Holtzendorff von Schinkel Kuhn, Garnisonfriedhof (wie Anm. 774), S. 86. Gottschalk, Garnisonfriedhof (wie Anm. 770), S. 35. Ebd., S. 50. Ebd., S. 35. Vgl. auch die Untersuchung zum Bornstedter Friedhof von Karlheinz Deisenroth, Märkische Grablege im höfischen Glanz. Der Bornstedter Friedhof zu Potsdam, Berlin 1997, der 230 Offiziere nachweist, ebd., S. 43, von denen nach Zählung dreizehn bis 1806 bestattet wurden, ebd., S. 282–344. Auch aufgrund des Nebeneinanders von »Dorfbewohnern und angestammten Nutzungsberechtigten einerseits und gesellschaftlich relevanten Schichten der Stadt Potsdam und des preußischen Hofes andererseits« ist der Bornstedter Friedhof ebenfalls kein Zentrum militärischer Erinnerungskultur im 18. Jahrhundert, ebd., S. 3. Zur Wahl der Stilmittel bei Grabmalen und ihrer zeitlichen Verankerung vgl. ders., Märkische Grablege (wie Anm. 782), S. 13f. Zur erinnernden Funktion von Grabmalen vgl. Renate Kohn, Zwischen standesgemäßem Repräsentationsbedürfnis und Sorge um das Seelenheil. Die Entwicklung des frühneuzeitlichen Grabdenkmals, in: Mark Hengerer (Hrsg.), Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln, u. a. 2005, S. 19. Günther Grundmann, Stätten der Erinnerung in Schlesien. Grabmale und Denkmäler aus acht Jahrhunderten, Konstanz, u. a. 1964, S. 65. Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 40. Zur Person Tauentziens, vgl. Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 469ff. (Nr. 485).

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fen.786 Schadow kritisierte Langhans’ Entwurf, weil dieser nicht dem Ruf des Architekten entsprach: »Wenig stimmt hiermit [mit der Reputation Langhans’, Anm. FZ] der Sarkophag […], welcher wie unsere Tischlersärge gestaltet ist.«787 Schadow fertigte die auf dem Sarkophag liegende Kriegsgöttin Bellona sowie zwei Basreliefs am Sockel, die »das Kriegsvolk jener Zeit kenntlich« darstellen »und im beschränkten Raume mit wenigen Figuren eine Andeutung von einem gefahrvollen Momente geben« sollten, so dass »bei der prosaischen Beschränkung ein lebendiger Hauch das Ganze durchwehen soll«.788 In einer Szene wurde ein Moment beim Ausfall aus Breslau dargestellt, »wo der feindliche Offizier sich als Gefangener ergibt.«789 Im zweiten Basrelief wurde die Übergabe der Festung Schweidnitz verherrlicht: die Österreicher verlassen die Festung und »legen die Waffen nieder«.790 Der Ort des Denkmals und mit ihm die Grabstätte des Generals in Breslau war bedeutungsbeladen, da »[der Kampf] bei einem Ausfall […] dermaßen gefährlich [wurde], daß Tauentzien den Seinen befahl, wie es auch kommen möge, ihn hier zu begraben.«791 In der Bewertung des Denkmals bezeugte Schadow, dass dieses Denkmal durch die Wahl des Ortes wie auch die Figur und Darstellungen mehr als nur ein Grabmal eines wertgeschätzten Familienangehörigen war : »Es kann dies Denkmal nicht zu den Kunstwerken gezählt werden, die als Vorbilder dienen, dürfte jedoch dazu beitragen, den alten preußischen Geist für König und Vaterland rege zu halten.«792 Es hob die Bedeutung Tauentziens für den militärischen Erfolg hervor und verbarg damit die Kluft, die sich zwischen König Friedrich II. aufgrund dessen Unzufriedenheit und dem General in seinen letzten Lebensjahren aufgetan hatte.793 In der Wahl der Formen wies dieses ›Denkmal‹ in die Zukunft. Im Unterschied zu barocken Darstellungsformen zeigte es »den grundsätzlich vollzogenen Wandel zum geschichtlichen Denkmal mit seinen aus der Antike entlehnten Symbolen.«794 786 787 788 789

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Schadow, Kunstwerke und Kunstansichten, Bd. 1 (wie Anm. 670), S. 40. Ebd., S. 41. Ebd., S. 41. Ebd., S. 41. In der Beschreibung der Abbildung gibt Schadow an, »daß man auf dem einen unsern Feldherrn zu Pferde sieht, wie seine Truppen den Feind zum Weichen zwingen und andere dessen erobertes Geschütz vernageln, weil sich seine Leute nach dem Ausfall wieder in die Festung zurückziehen mußten […]«, ebd., S. 271. Ebd., S. 42. Ebd., S. 41f. Ebd., S. 41. Zur Bedeutung von Kriegergrabmalen über die Familie hinaus, vgl. Koselleck, Kriegerdenkmale (wie Anm. 693), S. 269f.: »Aufs Ganze gesehen wird das repräsentative Fürstengrab vom repräsentativen Kriegergrab zunächst ergänzt, dann – zeitlich gesprochen – überholt. An der geweihten Grabstätte sollte die Identität der politischen Handlungsträger, zunächst der Dynastien, dann der zu schaffenden Nation, ihren sinnfälligen Ausdruck finden.« Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 472. Grundmann, Stätten der Erinnerung (wie Anm. 784), S. 65.

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Ein zweites Werk Karl Gotthard Langhans’ in Form eines Epitaphs schmückte das Grab Friedrich Leopolds Graf von Geßler in der Nikolaikirche in Brieg.795 Für dieses verwendete Langhans noch die Formen der Barockzeit: »Allegorien und symbolische Personifizierungen«.796 Es entstand wenige Jahre vor dem Denkmal für Tauentzien um 1790.797 In einer Beschreibung des Epitaphs wurde zunächst das militärische Verdienst Geßlers gewürdigt und die Denkmalfähigkeit des Ereignisses festgestellt: »Hat jemals eine militärische That ein Ehrendenkmal verdient, so ist es gewiß diese.«798 Ebenfalls wurde hervorgehoben, dass der Sohn, der unter seinem Vater gedient und dessen Erfolge miterlebt hatte, würdig war, dieses Epitaph errichten zu lassen. Das militärische Verdienst Geßlers wurde unter Verkehrung der chronologischen Ereigniskette als stetige Steigerung dargestellt: von der Schlacht bei Mollwitz über die Schlacht bei Kesselsdorf bis hin zum Höhenpunkt in der Schlacht bei Hohenfriedberg mit der Erbeutung der Siegestrophäen. Geßler »distinguirte sich in allen Actionen, besonders bey Mollwitz, da er von Ohlau aus dem Feinde mit drey Regimentern in den Rücken kam, und ihn zur Flucht brachte; noch mehr bey Keßelsdorf; am meisten bey Hohen-Friedeberg, wo er mit dem Regiment Bayreuth 20 Bataillons aufrollte und 67 Fahnen eroberte. Hier erhob ihn sein König in den Grafenstand.«799 Schließlich wurde die Inschrift genutzt, um die Leistung der Kavallerie allein auf den Generalfeldmarschall zurückzuführen: »Durch ihn zuerst, und durch ihn allein zeigte die Preußische Cavallerie, was sie vermag, wenn sie recht angeführt wird.«800 Rückblickend wurde Geßler also eine gesteigerte Bedeutung und Wirkung zugeschrieben, die nicht notwendigerweise seiner wirklichen Bedeutung entsprochen haben musste. Über der Inschrift wurde allegorisch der Sieg bei Hohenfriedberg dargestellt: Zwei Figuren, »wovon die rechter Hand die Göttin des Sieges vorstellet, die mit erhabenen begeistertem Blick von dem Schlachtfelde empor schwebt, und eine Menge in die Höhe steigender Fahnen umfaßt, die oben mit dem doppelten Adler bezeichnet und in der Mitte mit Lorbeer-Kränzen umwunden sind. Unter ihr liegen Paucken und andre Armaturen. Zur Linken sitzet die Geschichte und vermerkt mit erstauntem Blick auf die Göttin des

795 Zur Person Geßlers vgl. Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 189 (Nr. 259). 796 Grundmann, Stätten der Erinnerung (wie Anm. 784), S. 62. 797 Streit, Zimmermann, Schlesische Provincialblätter, Bd. 12, Breslau 1790, http:// books.google.de/books?id=mZABAAAAYAAJ, 21. 03. 2014, S. 549. Der Hinweis darauf bei Leopold Freiherr von Zedlitz, Neues preussisches Adels-Lexicon. Zweiter Band. E-H, Leipzig 1836, http://books.google.de/books?id=dJ8wAAAAYAAJ, 21. 03. 2014, S. 230. 798 Streit, Zimmermann, Schlesische Provincialblätter (wie Anm. 797), S. 548. 799 Ebd., S. 549f. 800 Ebd., S. 550.

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Sieges, die glorreiche That in dem auf ihrem Knie ruhenden Buche der Unvergeßlichkeit.«801

Ergänzt wurde das erste »Soldaten-Epitaph«802 Langhans’ durch ein Portrait des Generalfeldmarschalls. Inschrift und Darstellung verknüpften den Sieg bei Hohenfriedberg untrennbar mit seiner Person. Selbst die Aufforderung zur Erinnerung, also das Einschreiben in das Buch der Geschichte, wurde bildlich dargestellt. Der militärische Erfolg des Vaters hatte die Erhebung desselben in den Grafenstand zur Folge gehabt und war deshalb für die Familie von zentraler Bedeutung. Mit der Inschrift und Darstellung verschmolzen familiäres und militärisches Erinnern. Ein Betrachter des Epitaphs konnte die ihm persönlich näher liegende Perspektive wählen und so war auch dieses ›Denkmal‹ Teil militärischer Erinnerungskultur.

3.

Offiziersporträts und Galerien

Porträts adliger Offiziere: Überschneidung von adligen und militärischen Aussagen Zu Artefakten, die unmittelbar für Erinnerungs- und Repräsentationszwecke geschaffen wurden, sind insbesondere Bildnisse von Personen zu zählen. Für Adlige war diese Form der Darstellung üblich, aufgrund der Kosten gleichwohl exklusiv.803 Da die Offiziere der brandenburgisch-preußischen Armee zumeist dem Adel entstammten, waren Porträts derselben also nicht außergewöhnlich.804 801 Ebd., S. 550. Abbildung bei Grundmann, Stätten der Erinnerung (wie Anm. 784), S. 63. 802 Ders., Stätten der Erinnerung (wie Anm. 784), S. 62. 803 Hans Bleckwenn, Zur uniformkundlichen Diagnostik altpreußischer Offiziers-Porträts. Mit Bildbeilagen, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 159, 4 (1958), S. 57f. 804 Bleckwenn sammelte über 3000 Hinweise und Nachweise für Offiziersporträts im 18. Jahrhundert im mitteleuropäischen Raum, für Brandenburg-Preußen um die 800 Bilder (1713–1807). Er identifizierte aufgrund auffallender Ähnlichkeit Bildergruppen und vermutete einen bestimmten Zweck und kam dadurch auf rund 80 Galerien. Für letztere fehlt jedoch ein publizierter Nachweis, ders., Das Portrait Adam Friedrichs von Wreech - ein Relikt der »Chefgalerie Potsdam«?, in: Magarethe Kühn (Hrsg.), Schloß Charlottenburg, Berlin 1975, S. 203f.; ders., Diagnostik (wie Anm. 803), S. 58. Für die Offizierporträts, siehe die Veröffentlichung ders., Altpreußische Offizierporträts: Studien aus dem Nachlaß. Mit Minitaturen von Bodo Koch, hrsg. von Bernhard R. Kroener, Joachim Niemeyer, Osnabrück 2000. Die Bilder im Besitz des königlichen Hauses fielen einem »internen Bildersturm«, ders., Wreech, S. 208, sowie Porträts den Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, ders., Offizierporträts, S. IX, zum Opfer. Nachweise entsprechender Porträts finden sich auch in Familiengeschichten, die aufgrund ihrer typisierenden Darstellung Bezüge zu Offiziersgalerien ahnen lassen. Vgl. beispielsweise das Porträt von 1750 von Georg Wolf II. von Tümpling (1713-1777) in Wolf von Tümpling, Geschichte des Geschlechtes von Tümpling, Bd. 2, Weimar 1892, S. 745.

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Das Kriegshandwerk war Teil adligen Verständnisses und kriegerische Leistungen konnten Adel begründen. Deshalb ist danach zu fragen, inwieweit sich in Porträts adliger Personen, auf denen diese in militärischer Kleidung dargestellt wurden, über das adlige Selbstverständnis hinaus ein originär militärisches Eigenbewusstsein widerspiegelte. Die Verbindungen zwischen Adel und Militär lassen zugleich darauf schließen, dass solche Bilder kaum abschließend und trennscharf entweder einem adlig-familiären oder einem militärischen Erinnerungskontext im engeren Sinne zugeordnet werden können. Dafür sprechen auch – bis auf die Gesichtszüge – diverse Bildinhalte, welche eher der Symbolik als der korrekten Dokumentation des Realzustandes dienten. Porträts waren Mittel der Inszenierung. Beispielsweise stellten sie eine Person mit Rüstungsteilen dar, die schon zu ihrer Zeit waffentechnisch überholt waren und keine schützende Funktion mehr besaßen.805 Anstatt des zur hoch geschätzten Uniform gehörenden Hutes wurde häufig ein alter eiserner Helm abgebildet.806 Dieser hatte im mittelalterlichen Turnier eine wichtige Funktion zum Nachweis der Ritterbürtigkeit und war wie auch Wappen und Harnisch Zeichen des Adels. In der bildlichen Darstellung der bereits anachronistischen Rüstungsteile auch in den Offiziersporträts des 18. Jahrhunderts spiegelte sich symbolträchtig das Selbstverständnis der Porträtierten wider.807 So trugen die Dargestellten häufig einen Kürass, den schützenden Brustschild der Reiter. Aber selbst bei porträtierten Kürassieren liegt nahe, dass dieser eher als Adelssymbol denn als getragenes Uniformteil zu bewerten ist.808 Ein und dieselbe Person konnte also sowohl in einen adligen als auch in einen militärischen Kontext gestellt werden. Ein Betrachter eines Porträts sah die dargestellte Person so, wie sich diese demselben präsentieren wollte bzw. wie diese demselben präsentiert werden sollte. Insbesondere spätere Veränderungen 805 Heinrich Müller, Waffen- und Rüstungsteile der Offiziere als Adelssymbole, Ehren- und Dienstzeichen, in: Rolf Wirtgen (Hrsg.), Das Preußische Offizierskorps 1701–1806. Uniformierung, Bewaffnung, Ausrüstung. Katalog zur Sonderausstellung der Wehrtechnischen Studiensammlung, Koblenz 2004, S. 25: »Als stehende Heere in der Zeit des Absolutismus in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtet wurden, änderte sich zwar das äußere Erscheinungsbild der Offiziere durch gleichartige Uniformen und Waffen für die einzelnen Waffengattungen, doch wird auch deutlich, wie alte Traditionen fortlebten, die in der Bewaffnung militärisch nicht mehr notwendig waren. Besonders bei einer Studie von Porträts adliger Offiziere des 18. Jahrhunderts wird diese Traditionspflege erkennbar.« 806 Ebd., S. 25. 807 Ebd., S. 27. 808 Ebd., S. 30. Ebenso Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 347. Zu unterscheiden sind der Dienst-Kürass und der Schmuck-Kürass als Ausdruck des Adels durch die Form und Verzierungen, Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 214; Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. A (wie Anm. 503), S. 86 u. a. mit Abbildung des Generalfeldmarschalls Friedrich Wilhelm von Dossow (1669–1758). Diese »Prunkharnische« waren bis in das zweite Drittel des 18. Jahrhunderts Teil der Offizierporträts.

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an Porträts weisen auf den Wunsch der Bildbesitzer hin, im Nachhinein eine frühere Bildaussage zu verändern. So wurde beispielsweise nachgewiesen, dass der Schwarze Adlerorden, den General von Wreech (1689-1746) erst 1744 erhalten hatte, nachträglich in das Bild eingefügt wurde.809 Dieses Detail war demnach dem späteren Besitzer des Bildes sehr wichtig, zeigte es doch die besondere Reputation der Familie.810 Eine ›Löschung‹ wurde hingegen bei einem Porträt des 1730 als Komplizen des Kronprinzen Friedrich verurteilten und hingerichteten Hans Hermann von Katte vermutet. »Nach seinem Tode ließ die Familie dieses Bild anstücken und offenbar verändern. Es zeigt den Leutnant im Dienstanzug, dabei aber den Küraß ohne Königs-Chiffre: absichtlich oder nur in malerischer Freiheit?«811 Letztlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass ganze Bilder ›nachträglich‹ entstanden, also aus der Retrospektive ›konstruiert‹ wurden. So beschreibt Fontane eine Darstellung des jungen Zieten, die diesen vermutungsweise in der Uniform des Dragonerregiments zeigte. Dabei war sich Fontane wegen der Unähnlichkeit nicht sicher, ob dieses Bild wirklich den jungen Zieten zeigte. »Zieten, damals siebenundzwanzig Jahr alt, trägt, wie es scheint, einen Stahlküraß, und über demselben eine graue Uniform (früher vielleicht weiß) mit schmalen blauen Aufschlägen. Ob das Bild echt ist, stehe dahin. Von Ähnlichkeit mit dem ›alten Zieten‹ natürlich keine Spur.«812 Mitentscheidend für die Einordnung von Bildern in spezifische Erinnerungskontexte ist auch das jeweilige Umfeld. Nicht nur durch den Ausstellungsort, sondern auch bei Zusammenstellung von mehreren Bildern zu einer Galerie können sich Gewichtungen zugunsten des einen oder anderen Erinnerungskontextes ergeben. Porträtgalerien existierten beispielsweise als adlige Ahnengalerien.813 Eine solche wies den Betrachter auf die Altehrwürdigkeit, die 809 Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 209. 810 Helmut Börsch-Supan, Die bildende Kunst im Spiegel von Theodor Fontanes »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, in: Sibylle Badstübner-Gröger (Hrsg.), Schlösser, Herrenhäuser, Burgen und Gärten in Brandenburg und Berlin. Festschrift zum zwanzigjährigen Jubiläum des »Freundeskreises Schlösser und Gärten der Mark in der Deutschen Gesellschaft e.V.« 2012, Berlin 2012, S. 219. 811 Bleckwenn, Offizierporträts (wie Anm. 804), S. 140. Börsch-Supan erwähnt eine Abbildung eines Bildes von Hans Hermann von Katte von Georg Lisiewski von 1730 ohne einen Hinweis auf eine mögliche Löschung, Börsch-Supan, Die bildende Kunst (wie Anm. 810), S. 213. 812 Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, in: Helmuth Nürnberger (Hrsg.), Theodor Fontane. Werke in vier Bänden, Bd. 1, München, u. a. 1979, S. 333. 813 Sammlungen von Porträts im höfischen Bereich ebenso wie Ahnengalerien in Adelshäusern waren nicht ungewöhnlich, Rouven Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist – Zum politisch-sozialen Hintergrund von Porträtgalerien des 18. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 19, 1 (2009), http://dx.doi.org/10.3790/ fbpg.19.1.1, 21. 06. 2014, S. 9ff., bzw. analog Bernhard von Barsewisch, Groß Pankow und Wolfshagen. Zwei Prignitzer Gutshäuser mit neuen Funktionen, in: Sibylle Badstübner-Gröger (Hrsg.), Schlösser, Herrenhäuser, Burgen und Gärten in Brandenburg und

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Kontinuität und die Vorzüge der Familie hin. Indem das einzelne Familienmitglied im Verbund mit seinen Vor- und Nachfahren gezeigt wurde, wurde es vom Betrachter in diesem Kontext wahrgenommen und als Teil desselben verstanden. Alle dargestellten kennzeichnenden, ehrenden und auszeichnenden Attribute des Einzelnen wie beispielsweise Orden oder auch ein Kommandostab hoben die Reputation der gesamten Familie hervor. Es existierten aber auch den Ahnengalerien ähnliche Galerien von Offizieren eines Regiments. Bildergalerien von Offizieren auf Initiative des Monarchen Letztere sind bereits im späten 17. Jahrhundert bzw. im frühen 18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen im Umfeld des kurfürstlichen Hauses nachzuweisen.814 Um 1680 herum entstand eine Galerie des Regiments Kurprinz zu Pferd, gemalt wohl von Adam de Clerck.815 Das Inventar des Köpenicker Schlosses listete 1682 eine Galerie mit 20 Bildern auf.816 Zwischen 1704 und 1711 entstand eine Galerie Berlin: Festschrift zum zwanzigjährigen Jubiläum des »Freundeskreises Schlösser und Gärten der Mark in der Deutschen Gesellschaft e.V.« 2012, Berlin 2012, S. 190. 814 Aufgrund fehlender weiterer Belege fällt es schwer, diese Galerien sowohl zeitlich als auch hinsichtlich ihrer Entstehung einzuordnen, Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 28. 815 Kloosterhuis, Ordre, Liste und Porträt (wie Anm. 175), S. 14f.; Gerd Bartoschek, Das Potsdamer Stadtschloss als Gemäldegalerie, in: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Kunst in Preussen. Hans-Joachim Giersberg zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, S. 23. Die Datierungen sind unter Vorbehalt zu stellen, da eindeutige belegende Quellen fehlen. Bleckwenn datiert diese Galerie auf 1681, Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 204. Er verweist dabei auf Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1, S. 37, 75, 79, 90 u. 98. Zur Unsicherheit bei der Bestimmung der Maler siehe das Beispiel bei Börsch-Supan, Die bildende Kunst (wie Anm. 810), S. 219; Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 208f. 816 Helmut Börsch-Supan, Die Kunst in Brandenburg-Preußen: ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlösser, Berlin 1980, S. 110. Börsch-Supan weist auf ein anderes, frühes Beispiel dieser Art von Galerien in Den Haag hin. Vorsichtig vermutend deutet er eine Vorbildfunktion der niederländischen für die brandenburgischen Offiziersgalerien an. Auch Pons stellt den Bezug zu der seit 1611 bestehenden niederländischen Galerie her. »Damit wurde eine bürgerlich-kollektive Bildtradition der gesellschaftlichen Verortung des einzelnen in eine höfische Sphäre übertragen und zur Selbstdefinition und Außenwirkung eines Staates genutzt«, Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 6f. Bessin zufolge standen Bilder von Moritz von Nassau (1567–1625) häufig im Zentrum von Offiziersgalerien von zumeist »in antihabsburgischen Diensten stehenden Offizieren«. »Als zwischen Ahnen- und Ritterordensgalerie stehende Mischform konnte diese Offiziersgalerie dem Grafen Moritz eine ihm nicht zur Verfügung stehende ruhmreiche Familientradition ersetzen«, Peter Bessin, Zur Rhetorik des Krieges. Die Propaganda der Feldherrnbildnisse des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Hans Peterse (Hrsg.), Süß scheint der Krieg der Unerfahrenen, Göttingen 2006, S. 162. Dass es auch Offiziersgalerien zur Bewahrung der »Erinnerung an die unsterblichen Helden« und zur gleichzeitiger Demonstration »der Macht des Herrschers« außerhalb Europas gab, zeigen die 1760 vom chinesischen Kaiser Qianlong in Auftrag gegebenen Offiziersbilder, die zum

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des Regiments Kronprinz zu Fuß, deren Reste heute wieder im Schloss in Königs Wusterhausen ausgestellt sind und deren ebenfalls porträtierter Kommandeur der spätere Feldmarschall Albrecht Konrad Finck von Finckenstein war.817 Die meisten Bilder dieser Galerie werden dem Maler ]dam M#nyoki zugeschrieben.818 Eine weitere Galerie des Königsregiments entstand 1722/1729.819 Neben den regimentsbezogenen Galerien wurde in der Zeit Friedrich Wilhelms I. eine regimentsübergreifende Galerie in Anlehnung an eine Feldherrngalerie des Großen Kurfürsten zusammengestellt.820 So wurde am 3. März 1714 in der Berliner Zeitung vom Wunsch des Königs berichtet: »Der König will aller seiner Generals Portraits haben und sollen in lebensgröße seyn, und zu Potsdam im großen Saale aufgehangen werden, imgleichen 12 Gemählde der großen Grenadiers, so in der Vorkammer stehen sollen.«821 Diese ›Chef-Galerie‹ stellte die

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Teil an ältere chinesische Traditionen anknüpften, Annette Bügener, Offiziersporträts, in: Herbert Butz u. a. (Hrsg.), Bilder für die »Halle des Purpurglanzes« chinesische Offiziersporträts und Schlachtenkupfer der Ära Qianlong (1736–1795). Ausstellung des Museums für Ostasiatische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, vom 18. Juli bis 12. Oktober 2003, Berlin 2003, S. 24. Claudia Sommer, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloss und Garten Königs-Wusterhausen, Potsdam 2000, S. 20. Kloosterhuis gibt einen Zeitraum von 1706/1707 bis 1711 an, Kloosterhuis, Ordre, Liste und Porträt (wie Anm. 175), S. 15; ders., Legendäre ›lange Kerls‹ (wie Anm. 27), S. 587. Diese Praxis erwähnt auch die »Potsdammische Quintessentz«, Seligo, Ueber die »Potsdammische Quintessentz«, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 3 (1867), S. 314. Sommer, Berlin-Brandenburg, Königs-Wusterhausen (wie Anm. 817), S. 20. Kloosterhuis, Ordre, Liste und Porträt (wie Anm. 175), S. 15. Vgl. auch Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 7; Bartoschek, Potsdamer Stadtschloss (wie Anm. 815), S. 24; Kloosterhuis, Legendäre ›lange Kerls‹ (wie Anm. 27), S. 57. Bogislav von Puttkamer, Die Portrait-Gallerie Chur-Brandenburgischer und Königlich Preussischer Generale, Obersten und Subaltern-Officiere im Königlichen Stadtschlosse zu Potsdam, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 2 (1866), urn:nbn: de:bvb:12-bsb10014960-8, 23. 06. 2014, S. 157: »Diese Sammlung von 136 Portraits rührt unzweifelhaft aus der Regierungs-Zeit der Könige Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. her, doch fehlen darüber bestimmte Nachrichten, und umfaßt dieselbe die Periode vom Großen Kurfürsten, bis gegen das Ende der Regierung Friedrich Wilhelm I., etwa von 1657 bis 1733.« Sie umfasste die »Portraits bekannter Generale, Obersten und der gesammten Officier-Corps beider Kur- später Kronprinzlichen Regimenter zu Fuß und zu Pferde […]«. Vgl. auch ders., König Friedrich Wilhelm I. als Beförderer und Dilettant der edlen Malerkunst, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 2 (1866), urn:nbn:de:bvb:12-bsb10014 960-8, 23. 06. 2014, S. 484. Zur Feldherrngalerie siehe auch Bartoschek, Potsdamer Stadtschloss (wie Anm. 815), S. 13. Friedländer, Zeitungen (wie Anm. 545), S. 99; vgl. Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 206. Vgl. auch die Anforderungen von Porträts für die Chefgalerie durch König im Stadtschloss zu Potsdam für die Jahre 1730, 1733 und 1734, abgedruckt bei Jürgen Kloosterhuis, Le vrai portrait d’un officier prussien. Militärische Kostümkunde als Historische Hilfswissenschaft bei der Interpretation preußischer Offiziersporträts des 18. Jahrhunderts, in: Rolf Wirtgen (Hrsg.), Das Preußische Offizierskorps 1701–1806. Uniformierung, Bewaffnung, Ausrüstung. Katalog zur Sonderausstellung der Wehrtechnischen Studiensammlung, Koblenz 2004, S. 63.

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Inhaber der einzelnen Regimenter gesammelt dar. Der König ließ sie bis zu seinem Tod immer wieder aktualisieren.822 Die »Potsdammische Quintessentz« schrieb am 21. Januar 1741 über diese Praxis: »Nachdem nun der unermüdete Friderich Wilhelm Sein Leib-Regiment in der schönsten Ordnung hatte [d. h. die Galerie des Königsregiments entstanden war, Anm. FZ], wollte derselbe Seinem geliebten Potsdamm noch eine andere Ehre erzeigen. Es wurden nehmlich auf Dessen Befehl die sämtlichen Generals, und Obersten, welche Chefs von Regimentern waren, nach den Leben abgemahlet, und in einem grossen Saale des hiesigen Schlosses aufgestellet. Se. Maj. nahmen, als höchster General über Dero Armee, den ersten Platz ein. Gewiß, ein Bilder-Cabinet von solcher Art verdient alle Aufmercksamkeit. So bald einer von diesen hohen Officiers verstarb, ward sein Bildniß unverzüglich in die so genannte Todten-Cammer gesetzt. Ein Reisender, der unser Schloß besichtiget, kann daher nicht allein die lebende Preußische Generalität, sondern auch in einem andern Zimmer die verblichene Helden vergangener Zeiten, beschauen.«823

Diese »Chef-Galerie« wird als eine Fortentwicklung des Vorbildes der Feldherrngalerie des Großen Kurfürsten von »einer traditionellen, gewachsenen Galerie hoher Offiziere, zu einer dokumentarischen, ja fast buchhalterischen Sammlung«824 interpretiert, die neben der »barocken Repräsentation« das »Ziel des buchhalterischen Festhaltens eines gegenwärtigen und eines vergangenen Zustands der Armee« zu Dokumentationszwecken verfolgte. Diese Interpretation, die den König als nüchternen obersten Buchhalter darstellt, der mit einer solchen Galerie die Effizienz seines Wirkens nachweisen wollte, greift möglicherweise zu kurz. De facto begründete König Friedrich Wilhelm I. mit der Chef-Galerie eine Erinnerungskultur der brandenburgisch-preußischen Armee. Indem gerade die Bilder der verstorbenen Regimentsinhaber mit der Aufbewahrung in der »Todten-Cammer« weiterhin Teil der Galerie und in der besonders gepflegten Erinnerung Teil der Armee blieben, wurden identitätsstiftende Rückbezüge hergestellt. Auf diese im Bild festgehaltenen Personen gründete sich der ›Mythos‹ der brandenburgisch-preußischen Waffen, der den Schutz und die Existenz des Territoriums garantierte. Die Galerie schuf Verbindungen zwischen unterschiedlichsten Personen, die in der brandenburgisch-preußischen Armee unter dem Schirm des Königs vereint wurden, und stiftete Identität einerseits und Verpflichtung andererseits.825 822 Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 204. 823 Seligo, Potsdammische Quintessentz (wie Anm. 817), S. 315; vgl. auch Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 208. Vgl. weiterhin Puttkamer, König Friedrich Wilhelm I. (wie Anm. 820), S. 48 sowie Kloosterhuis, Le vrai portrait (wie Anm. 821), S. 55. Maler dieser Galerie war wohl annähernd bis 1735 F. W. Weidemann, der dann von G. Lisiewski abgelöst wurde, Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 208. 824 Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 7f. 825 Als Traditionsstiftung wird diese Galerie von Gerd Bartoschek interpretiert. Vgl. Hendrik Thoß, Kunst in Preussen - Preussische Kunst? Bericht zur Jahrestagung der Preußischen

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Die Bildergalerien von Offizieren, die König Friedrich Wilhelm I. veranlasste, hatten durch ihre erinnernde und konservierende Funktion ebenfalls identitätsstiftenden Charakter auf Ebene der brandenburgisch-preußischen Armee. Der König setzte mit der Galerie »dem Offizierskorps als homogener gesellschaftlicher Gruppe außerhalb der ständischen Hierarchie, aber auf dem Boden des Adels ein Denkmal, das seinen Zusammenhalt, aber auch die Bindung an den König demonstrierte.«826 Es muss offen bleiben, ob er die Galerie in Königs Wusterhausen »als klassifizierende und ordnende Bestandsaufnahme des Offizierspersonals« sah.827 Im Ergebnis jedenfalls entfalteten die Galerien Friedrich Wilhelms I. über diese eher begrenzte Funktion hinaus eine größere Wirkung. Mit dem Regierungsantritt Friedrichs II. scheint das Porträtieren zum Erliegen gekommen zu sein. Dies galt sowohl für die Chef-Galerie wie auch für Galerien eines ganzen Offizierskorps eines Regiments im königlichen Umfeld.828 Gleichwohl gibt es Hinweise darauf, dass um 1770, also rund vierzig Jahre später, eine Galerie des Offizierskorps vom Kürassierregiment Garde du Corps (Nr. 13), dessen Chef der König war, angefertigt wurde. Bilder dieser Galerie wurden später vom Königshaus zurückgegeben bzw. verschenkt.829 Aufgrund fehlender Hintergrundinformationen zu dieser Galerie können jedoch keine weiterführenden Schlüsse auf Motivation, Umfang und Urheberschaft gezogen werden. Es ist zu vermuten, dass Friedrich II. im Hinblick auf sein Ruhmstreben830 in

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Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz vom 3. bis 5. November 2011 in Berlin, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. 22, 1 (2012), S. 125. Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 9. Ebd., S. 9. Die Anregung für diese Galerie hat Friedrich Wilhelm I. wohl aus dem Spanischen Erbfolgekrieg mitgebracht, ebd., S. 20. Ein weiteres Motiv sieht Pons im »Zurücktreten der dynastischen Einbindung der Herrscherpersönlichkeiten in der repräsentativen Selbstdarstellung zugunsten der individuellen Meriten«. So würde sich der Einzelne einerseits im Militär bewähren können und andererseits den »Verlust einer unverrückbaren dynastischen Gruppenidentität in eine neue, nicht von Geblüts- und Verwandtschaftsverhältnissen bestimmte Identität des militärisch-heroischen Korpsgeistes hinein« finden können. »Je mehr das Militär für regierende Mitglieder von Herrscherhäusern zur Beweisprobe eigener Größe wurde, um so mehr fanden sie sich wiederum in einer zusammengeschweißten Gemeinschaft der Offiziere wieder«, ebd., S. 21f. Möglicherweise bestand die Chef-Galerie noch längere Zeit fort. »Als Bestand der Chefgalerie sind 1810/1812 lediglich 15 Bildnisse verzeichnet. 26 wurden erstmals 1822 inventarisiert – als wäre zwischenzeitlich die legendäre ›Totenkammer‹ geöffnet worden«, Bartoschek, Potsdamer Stadtschloss (wie Anm. 815), S. 19f. Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 208. Insofern ist die Aussage Bartoscheks zu relativieren, dass Friedrich II. keine Bilder mehr sammeln ließ, vgl. Thoß, Kunst in Preussen (wie Anm. 825), S. 125. Friedrich Adolf Ludwig von Bismarck (1766–1830), der selbst in der Garde du Corps diente, schrieb nach dem Tode Friedrich Wilhelms II.: »Der König hat mir ein Präsent mit einigen alten Porträts von Gardes du Corps-Offizieren in Superweste u.s.w. gemacht«, Georg Schmidt, Schönhausen und die Familie von Bismarck, Berlin 1897, S. 137. Vgl. Luh, Der Große (wie Anm. 52), S. 49ff.

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Offiziersgalerien kein Mittel der Förderung seines Ruhmes sah.831 Darüber hinaus ist in Anbetracht auch anderer Entscheidungen anzunehmen, dass er eine Identitätsstiftung in den Regimentern für nicht notwendig erachtete und deshalb auch nicht förderte.832 Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich kaum Offiziersgalerien der Regimenter für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts belegen lassen. Bildergalerien im Umfeld von Regimentsinhabern und Kommandeuren Neben den Galerien von Offizieren im Umfeld des Herrscherhauses entstanden weitere im Umfeld zumeist (hoch-)adliger Regimentschefs.833 Die Galerien 831 Vermutlich entsprachen Offiziersgalerien nicht seiner Vorstellung von Selbstinszenierung und Repräsentation, Börsch-Supan, Die bildende Kunst (wie Anm. 810), S. 219. Vgl. auch Thoß, Kunst in Preussen (wie Anm. 825), S. 125. 832 Vgl. oben S. 36f. 833 Zur Verbreitung der unterschiedlichen Galerietypen, siehe vor allem Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 14f. Pons zeigt auf, dass sich die unterschiedlichen Arten von Galerien im 18. Jahrhundert sowohl innerhalb wie außerhalb Brandenburg-Preußens relativ schnell verbreiteten und stellt im Ergebnis Bezüge zwischen der Sammlung Gleims und der Galerie in Königs Wusterhausen her. Neben der Hofdamengalerie der Königin Sophie Dorothea von Preußen erwähnt er Galerien u. a. in Brandenburg-Bayreuth (1715, Darstellung eines kaiserlichen Dragonerregiments), Schloss Neuenstein (1746, Galerie eines dänischen Regiments), Offiziersporträts im Nachlass des Landgrafen Maximilian von Hessen-Kassel, eine Galerie »im Nachlass des hessischen Freiherrn Ludwig von Pretlack« und den Verkauf von 33 Gemälden aus dem Besitz des Grafen von Schwerin, ebd., S. 14f. Dieser Verkauf von »33 Gemählde[n] verschiedener Offiziere älterer Zeit« lässt vermuten, dass es sich um eine Galerie im Umfeld des Generalfeldmarschalls Kurt Christoph Graf von Schwerin gehandelt haben könnte, da dieser vermutlich die Sammlung aufgebaut hatte, http://piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.star web (06. 12. 2013). Der Hinweis auf eine Galerie schwedischer Offiziere bei Percy Ernst Schramm, Einige Erinnerungen an Ostpreußen und Schloß Finckenstein, in: Carl von Lorck (Hrsg.), Schloss Finckenstein: ein Bauwerk des preußischen Barock im Osten, Frankfurt/M. 1966, S. 202f. Als Teile möglicherweise mehrerer einzelner Galerien ordnet Kloosterhuis die Überreste von Porträts des Infanterieregiments Nr. 9 ein. Er nimmt an, dass Galerien fortlaufend aktualisiert wurden und vermutet, dass »eine Traditionslinie von Altem zu Neuem entstanden [wäre], die am Kristallisationspunkt des ›esprit de corps‹ der Offiziere einmal mehr den Entwicklungsprozess von Regiments-Identität fördern konnte.« Im Ergebnis würde dieses »auf die identitätsstiftende Entstehung von Tradition« hinauslaufen, Kloosterhuis, Le vrai portrait d’un officier prussien - Militärische Kostümkunde als Historische Hilfswissenschaft bei der Interpretation preußischer Offiziersporträts des 18. Jahrhunderts, S. 54ff., insbesondere S. 62; ders., Ordre, Liste und Porträt. Identitätsstiftung und Traditionsbildung im preußischen Offizierkorps des 18. Jahrhunderts im Spiegel seiner Schrift- und Bildquellen, S. 16f. Kloosterhuis schlussfolgert in Anlehnung an Bleckwenn, dass es eine »vielfach gepflegte Sitte« war, »das Offizierskorps eines ganzen Regiments – etwa 50 Personen – geschlossen von einem Maler zu einem Zeitpunkt malen zu lassen; entweder auf Kosten eines vermögenden Chefs, oder um einem Regimentsinhaber ein Geschenk zu machen«, Kloosterhuis, Le vrai portrait (wie Anm. 821), S. 56; Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 204; wohl ursprünglich Herbert Knötel, Offiziersgallerien. Das

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Friedrich Wilhelms I. können mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorbilder für diese gelten. 1698 entstand wahrscheinlich im Umfeld des Regimentschefs Anton Günther Fürst von Anhalt-Zerbst (1653-1714) die Galerie des Regiments Anhalt. Sie könnte vermutungsweise die »älteste Gesamtgalerie einer Truppe« einschließlich der Mannschaften gewesen sein.834 Ein weiteres besonderes Beispiel ist die Offiziersgalerie im Schloss Finckenstein. Der Erbauer des Schlosses und Regimentsinhaber des Infanterie-Regiments Nr. 14, Albrecht Conrad Finck von Finckenstein (1666–1735) hatte sich und die Offiziere seines Regiments porträtieren lassen.835 In der »Leutnantsstube« des Schlosses wurde »die einzigartige Sammlung von Brustbildnissen von 42 Offizieren des Regiments« ausgestellt.836 Unter den Bildern befanden sich die Schilder mit den Namen der Dargestellten. Diese Sammlung wurde als ein »menschliches Dokument des Marschalls, das seine Persönlichkeit kennzeichnet« und als »Gegenstück von wesentlich höherem Niveau als die Bildnisse der ›Langen Kerls‹ König Friedrich Wilhelms I.« interpretiert.837 Die Entstehung der Galerie kann auf die Zeit zwischen 1711 und 1721 eingegrenzt werden, da 1721 ein abgebildeter Lieutenant zum Stabskapitän ernannt

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Kaiserliche Dragoner-Regiment Bayreuth um 1715, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 85 (1936), S. 1. Jedoch lässt die Tatsache, dass in einem Bilderverzeichnis für die Gutshäuser Ostpreußens im Umfang von rund 2750 Porträts, die der 1875 geborene Eberhard Burggraf zu Dohna-Schlobitten erstellt hat, keine weitere Galerie erwähnt wird und es sich bei den Bildern demnach um Einzelbilder handelte, Zweifel an dieser »vielfach gepflegten Sitte« aufkommen. Vgl. Carl E. L. von Lorck, Neue Forschungen über die Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und Westpreußen, Frankfurt/M. 1969, S. 80f., bzw. zur Sammlung Eberhard Burggraf zu Dohna-Schlobitten, Carl von Lorck, Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und Westpreussen: mit einem beschreibenden Verzeichnis von über 450 Häusern, Frankfurt/M. 1972, S. 173f. Vgl. auch die ausführliche Beschreibung des Kunstinventars des Schlosses Schlobitten, in der ebenfalls keine Offiziersgalerie erwähnt wird, Alexander zu Dohna u. a., Das Dohnasche Schloß Schlobitten in Ostpreußen, Stuttgart 1962, S. 161ff. bzw. S. 202ff., sowie das Inventarverzeichnis »der Personen auf Gemälden, Graphiken, Miniaturen und Plastiken im Schloß Schlobitten nach dem Inventarverzeichnis 1935«, ebd., S. 456ff. Bleckwenn, Wreech (wie Anm. 804), S. 204 mit Hinweis auf Indizien für eine Gesamtgalerie des Infanterieregiments Nr. 19; ders., Urkunden und Kommentare (wie Anm. 418), S. 143 mit Verweis auf Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1, S. 422 und Bd. 2, S. 18, 21, 22; Georg Heinrich Berenhorst, Betrachtungen über die Kriegskunst über ihre Fortschritte und Widersprüche und ihre Zuverläßigkeit, Abt. 2, 2. Aufl., Leipzig 1798, urn:nbn:de:bvb: 12-bsb10595319-5, 23. 06. 2014, S. 12. Zur Person des Fürsten von Anhalt-Zerbst siehe Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 69f. (Nr. 110). Laut Priesdorff befand sich sein Bild im Museum zu Zerbst. Carl von Lorck, Schloss Finckenstein: ein Bauwerk des preußischen Barock im Osten, Frankfurt/M. 1966, S. 77, Abbildungen Nr. 71, S. 91; Nr. 72, S. 94. Vgl. Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 176. Lorck, Schloss Finckenstein (wie Anm. 835), S. 77. Ebd., S. 77.

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wurde.838 Die Veranlassung dazu ging mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Regimentsinhaber aus. Dieser stand dem brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus besonders durch seine Tätigkeit als Prinzenerzieher der beiden späteren Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. nahe.839 Auch hatte er als Kommandeur des Regiments des Kronprinzen die Praxis, das gesamte Offizierskorps zu porträtieren, kennengelernt. Es liegt deshalb nahe, dass er diese auf seine eigene Lebenswelt übertrug und das Offizierskorps seines Regiments porträtieren ließ. Die Galerie als Imitat der königlichen konnte dadurch eine besondere Nähe zum König herausstellen, wenn nicht sogar eine ›königgleiche‹ Stellung des Regimentsinhabers suggerieren. Mit der bildlichen Darstellung des durch seine Offiziere repräsentierten Regiments im familiären Ausstellungsrahmen wurde gleichsam ein ›Besitzanspruch‹ deklariert. So wurde dieses in den familiären Erinnerungskontext eingeordnet und Teil familiärer Erinnerungskultur. Der zweimalige Besucher des Schlosses Finckenstein, Benedictus Christianus Hermann, ein Chirurg aus Elbing, schilderte 1752 seinen während eines Besuches gewonnenen Eindruck: »Ist demnach die Eiserne Gallerie sowohl beym Eingang, als die Gallerie des Altans nach dem Garten zu schauen, am Schlosse wohl betrachtenswerth. Unten hier der große Saal mit den kostbarsten Tapetten Chinesischer Arbeit u. darin einiger Fürstlicher Portraits derer Könige Friedrich August, Friedr. Wilhelm v. Preussen u. des Fürsten v. Dessau Leopoldi, des weltberühmten preußischen Generals. Dann sind die gantz eichen von Bildhauer Arbeit nicht gemeine Treppen, worauf man in die oberen Zimmer gelanget, da man die Bildniße des Fundatoris u. aller Offiziers seines Rgmts. antrifft u. in den größten Zimmern nach hinten einige weiß marmorne Camins.«840

Die Beschreibung Hermanns belegt, dass die Galerie einen eigenständigen Platz innerhalb des Schlosses und damit in der Familie hatte.841 Dadurch konnte der 838 Ebd., S. 118. Vgl. auch ders., Landschlösser und Gutshäuser (wie Anm. 834), S. 175: »Darunter befand sich dort die seltene Reihe von 44 Offiziersporträt des Regiments Finckenstein, dessen Chef der Feldmarschall Graf Finckenstein war, der Bauherr des Schlosses seit 1716.« Wortgleich Lorck, Landschlösser und Gutshäuser (wie Anm. 833), S. 81. 839 Lothar Graf zu Dohna, Der Bauherr Albrecht Conrad Graf Finck von Finckenstein und seine Nachfolger, in: Carl von Lorck (Hrsg.), Schloss Finckenstein: ein Bauwerk des preußischen Barock im Osten, Frankfurt/M. 1966, S. 19. 840 Lorck, Schloss Finckenstein (wie Anm. 835), S. 99. 841 Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung einer Offiziersgalerie im familiären Umfeld ist die des schwarzburgischen Regiments, welche durch die Tochter des Obristen Johann Adolf von Diepenbroick durch besondere Gestaltung inszeniert wurde, Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 15. Das Regiment stand ab 1756 in preußischem Dienst, so dass die Porträts vorher entstanden sein müssen. »Allerdings sind die Bilder von verschiedenen Malern und natürlich nicht gleichzeitig gemalt, vielleicht in Mecklenburg.« Die Galerie ist ebenfalls ein Beispiel, dass die Initiative vom Obristen ausging, Freiherr von Diepenbroick-Grüter, Das schwarzburgische Regiment von Diepenbroick 1734–1748 und

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Raum aber zugleich auch einer spezifischen Regimentserinnerung dienen. Indem sich der Regimentsinhaber in der Uniform desselben porträtieren ließ, reihte er sich in das Regiment als Primus inter Pares ein: Sein Porträt entsprach in Form und Ausführung den anderen und wurde gemeinsam mit diesen aufbewahrt. Mit der Galerie wurde so ein Ankerpunkt regimentsbezogener Erinnerung geschaffen.842 Zugleich verschmolz auch jeder einzeln dargestellte Offizier mit der Gruppe. Das Individuum wurde Teil der Gemeinschaft.843 Das einzelne Porträt gab »das adelig-ritterliche Selbstverständnis des Einzelnen« und hinsichtlich der Gruppe die gesamte Galerie »die korpsgemäße Geschlossenheit des Ganzen« wieder.844 Ein weiterer Beleg für die Entstehung solcher Offiziersgalerien im hochadligen Umfeld ist die Galerie des Dragonerregiments Nr. 9, welches 1743 errichtet wurde und dessen Inhaber der Herzog Georg Ludwig von Holstein-Gottorp war.845 Diese Galerie, von der heute noch 38 Bilder existieren, entstand in zwei Schritten. Der erste Teil wurde 1747 gemalt, der zweite zwischen 1750-1752.846 »In monotoner Gleichartigkeit repräsentieren sie das Offizierskorps der Einheit, wie es um die Mitte des 18. Jahrhunderts zusammengesetzt war.«847 Die bildliche Eingliederung des Regimentsinhabers in die Reihe der Offiziere des eigenen Regiments war Ausdruck der Identifikation und der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe.848 Unter anderem dadurch wurde eine Galerie auch in den Dienst der Erinnerung des Regiments gestellt. Die Konservierung des Offizierskorps zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde darüber hinaus zu einem ›Denkmal‹ für Gefallene,

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die Bildnisse seiner Offiziere im Haus Marck bei Tecklenburg, Westfalen, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 88 (1936), S. 42. Lorck, Schloss Finckenstein (wie Anm. 835), S. 77. Vgl. auch Inventar des Schlosses, ebd., S. 102ff., hier S. 109. Kloosterhuis, Ordre, Liste und Porträt (wie Anm. 175), S. 8: »Jene Regimentskultur bot womöglich für alle Militärdienstleistenden des Regiments schließlich auch den Anknüpfungspunkt für die Stiftung einer synchronen Identität zwischen Individuum und Gemeinschaft, die wiederum die Ausbildung einer Regiments-Tradition ermöglichte. Dort, wo sich Tradition allmählich gebildet hatte und von der Sinngebung weiter gespeist wurde, wandelte sie sich allmählich zum Mittel für den Zweck einer diachronen Identitätsstiftung im militärischen Mikrokosmos, der dadurch wiederum in die ihn umgebende politisch-soziale Lebenswelt nachhaltig integriert werden konnte.« Ders., Le vrai portrait (wie Anm. 821), S. 56. Zur Person des Regimentsinhabers, vgl. Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 298 (Nr. 333). Alfred Gay, Offizier-Porträts vom Preußischen Dragoner-Regiment von Holstein-Gottorp. Mit 2 Bildbeilagen, in: Zeitschrift für Heeres- und Uniformkunde 168, 2 (1960), S. 18. Vgl. auch die Erwähnung bei Bleckwenn, Uniformen, Bd. 3, Berittene Truppen (wie Anm. 435), S. 126. Winfried Ranke, Gottfried Korff, Preußen. Versuch einer Bilanz, Bd. 1, Ausstellungsführer, hrsg. von Gottfried Korff, Reinbek b. Hamburg 1981, S. 176. Vgl. Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 15.

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wenn die Dargestellten nach dem Porträtieren im Felde blieben. Fontane beschrieb in den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« eine aus 16 Bildern bestehende Galerie im Zietenschen Schloss in Wustrau, die zwischen 1749 und 1751 entstanden war, die aber heute nicht mehr erhalten ist.849 »Kaum minder interessant als dieser im ganzen Kriege nur einmal gezogene Säbel850, sind die sechzehn lebensgroßen Bildnisse, die ringsum die Wände bedecken. Es sind die Porträts von sechzehn Offizieren des Zietenschen Regiments, alle 1749, 1750 und 1751 gemalt. Die Namen der Offiziere sind folgende: Rittmeister Langen, v. Teiffel, v. Somogy, Calau v. Hofen, v. Horn, v. Seel, v. Wieck, v. Probst, v. Jürgaß, v. Bader ; die Lieutenants von Reitzenstein, v. Heinecker, v. Troschke, und die Cornets v. Schanowski, Petri und v. Mahlen. Mit Ausnahme des letzteren starben sie all’ im Felde; v. Seel fiel als Oberst bei Hochkirch, v. Heinecker bei Zorndorf, v. Jürgaß bei Weiß-Costulitz. v. Wieck starb als Kommandant von Comorn in Ungarn; wie er dort hinkam – unbekannt.«851

Auch wenn entgegen der Aussage Fontanes nicht alle dieser Offiziere im Kampf fielen, erinnerten doch die Porträts der Gefallenen über ihr Ableben hinaus an ihre Zugehörigkeit zum Regiment. Fontane gab zugleich sein Gefühl wieder, welches er als Betrachter dieser Galerie hatte und welches einen Eindruck von der Wirkung solcher Offiziersgalerien vermitteln kann: »Im ersten Augenblick, wenn man in den Saal tritt und diese sechzehn Zietenschen Rotröcke mit ungeheuren Schnauzbärten auf sich herabblicken sieht, wird einem etwas unheimlich zu Mute. Sie sehen zum Teil aus, als seien sie mit Blut gemalt, und der Rittmeister Langen, der vergebens trachtet, seinen Hasenschartenmund durch einen zwei Finger breiten Schnurrbart zu verbergen, zeigt einem zwei weiße Vorderzähne, als wollte er einbeißen. Dazu die Tigerdecke – man möchte’ am liebsten umkehren. Hat man aber erst fünf Minuten ausgehalten, so wird einem in dieser Gesellschaft ganz wohl, und man überzeugt sich, daß eine Rubenssche Bärenhatz oder ähnlich traditionelle Saalund Hallenbilder hier viel weniger am Platze sein würden. Die alten Schnurrwichse 849 Börsch-Supan, Die bildende Kunst (wie Anm. 810), S. 212. 850 Fontane überlieferte die Geschichte, die sich um den Degen Zietens rankt und die ihrerseits eine Form militärischer Erinnerungskultur durch Legendenbildung darstellt. »In diesem einfachen Schrein befindet sich der Säbel des alten Zieten […]. Er zog ihn währen des ganzen Siebenjährigen Krieges nur einmal, und dies eine Mal zu seiner persönlichen Verteidigung. Am Tage vor der Schlacht von Torgau, 2. November 1760, als er in Begleitung einer einzigen Ordonnanz auf Rekognoszierung ritt, sah er sich plötzlich von sechs oesterreichischen Husaren umstellt. Er hieb sich im buchstäblichsten Sinne durch und steckte den blutigen Säbel ruhig wieder in die Scheide. Nie sprach er von dieser Affaire. Die Blutflecke, ein rotbrauner Rost, sind noch deutlich auf der Klinge sichtbar.« Im gleichen Zusammenhang erwähnte Fontane, dass »der von Petter III. herrührende Prachtsäbel […] im Besitze des Zietenschen Husarenregiments [ist]«, Fontane, Wanderungen (wie Anm. 812), S. 331f. Die Geschichte belegt gleichfalls, wie sich um Artefakte Geschichten und Mythen ranken und retrospektiv weiter ausgebaut werden konnten. 851 Ebd., S. 332.

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fangen an, einem menschlich näher zu treten, und man erkennt schließlich hinter all diesem Schreckensapparat die wohlbekannten märkisch-pommerschen Gesichter, die nur von Dienst wegen das Martialische bis fast zum Diabolischen gesteigert haben. Die Bilder, zumeist von einem unbekannten Maler Namens Häbert herrührend, sind gut erhalten und mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung nicht schlecht gemalt. Das Schöne fehlt noch, aber das Charakteristische ist da.«852

Fontane machte deutlich, dass die Porträts mehr als nur die bildliche Darstellung von Personen dem Betrachter vermittelten. Sie gaben etwas von der ›Wirklichkeit‹ des Militärs wieder. Eine Bildergalerie aus Anlass des Sieges Bildergalerien von Offizieren eines Regiments konnten neben den bereits aufgeführten Präsentations- und Erinnerungsinteressen einzelner zumeist hochadliger Personen bzw. deren Familienverbänden auch unmittelbar der Regimentserinnerung dienen und für diese geschaffen werden. Dies belegt die Offiziersgalerie des Dragonerregiments Nr. 5, die anlässlich des besonderen Einsatzes des Regiments in der Schlacht bei Hohenfriedberg entstand. »Nach der Rückkehr aus dem Felde ließ sich das Offizierskorps in tiefer Dankbarkeit für seinen Kommandeur en chef malen. Im Jahre 1850 sind von diesen Bildern durch den Enkel Otto Martins [von Schwerin, Anm. FZ] 18 dem Regiment geschenkt worden, die übrigen sollen theils schon früher an die Familien zurückgegeben, theils verkommen sein.«853 Leider bleibt ungeklärt, ob, wo und wie diese Galerie ausgestellt wurde. Die Information über die Schenkung der Bilder durch einen Nachfahren legt jedoch nahe, dass dies im familiären Rahmen des Kommandeurs geschah. Gleichwohl unterscheidet sich diese Galerie von denen, die sich auf den Wunsch eines Einzelnen bzw. familiäre Interessen zurückzuführen lassen. Das Besondere liegt einerseits darin, dass der Impuls für diese Galerie gerade von den Offizieren des Regiments als Gruppe ausging. Andererseits entstand diese aus einem ganz bestimmten historischen Kontext heraus: Die Offiziere des Regiments wollten sich nicht nur als Gruppe, sondern auch als diejenigen Offiziere im kulturellen Gedächtnis verankern, die für den Erfolg in 852 Ebd., S. 332. Über den Maler Häber ist nichts bekannt. Börsch-Supan vermutet einen »in der Nähe von Wustrau tätigen provinziellen Maler«, Börsch-Supan, Die bildende Kunst (wie Anm. 810), S. 212. 853 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 225. Vgl. auch den Hinweis ebd., S. 214. Ob alle Bilder nach der Schlacht von Hohenfriedberg gemalt wurden, wie es die Angabe Albedylls impliziert, oder doch ein Teil schon vorher, muss offen bleiben. Jany interpretierte das Fehlen des Ordens Pour le M8rite bei manchen Dargestellten in diesem Sinne; Albedyll hingegen sieht darin keinen Widerspruch, vgl. Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 290. Im Kern ändert sich dadurch nichts an der Interpretation, da die Galerie zur Erinnerung an die Schlacht bei Hohenfriedberg erstellt bzw. zusammengestellt wurde.

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der Schlacht bei Hohenfriedberg mitverantwortlich waren. Gewissermaßen war es ein ›Hineindrängen‹, ein ›Wachhalten‹ und ein ›Teilhabenwollen‹ an der Erinnerung, so dass das Ereignis ›Hohenfriedberg‹ nicht auf die wenigen besonders ausgezeichneten Personen wie den General Geßler oder den Kommandeur Schwerin reduziert werden konnte.854 Die dargestellten Offiziere einer Galerie schufen sich als Gruppe mit dem ›Gruppenfoto des 18. Jahrhunderts‹ ein Denkmal. Die Bildergalerie – auch wenn sie bei dem Kommandeur ausgestellt war – machte jedem Betrachter deutlich, dass der Sieg bei Hohenfriedberg ein gemeinsam erkämpfter Sieg war. Zugleich drückte eine solche Galerie das kollektive Verständnis der Gemeinschaft der Offiziere aus: Zugehörigkeit und Identität.855 Die Rückgabe der noch in der Familie aufbewahrten Teile der Galerie über 100 Jahre später belegt, dass diese Galerie Ausdruck der Regiments- und langfristig nicht Teil der Familienerinnerung der Schwerins war.856 Daher konnten einzelne Bilder herausgelöst und an die Familien der dargestellten Offiziere zurückgegeben werden oder sogar verloren gehen. Letzteres spricht dafür, dass die Galerie unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Rückgabe nicht als Ganzes ausgestellt bzw. gelagert wurde. 105 Jahre nach dem eigentlichen Ereignis wurde die Galerie – dank eines festen Erinnerungsortes – erneut Bestandteil der Regimentserinnerung, wie die »Hohenfriedberger Bilder, enthaltend die Porträts des Grafen Geßler, des Obersten v. Schwerin und von 18 Offizieren des Regiments, nach den Originalen im Speisesaal des Offizierkorps« belegten.857 Die Rückgabe der Porträts im Fall des Dragonerregiments Nr. 5 ergänzt die bereits gemachte Feststellung, dass die Regimenter auch im 19. Jahrhundert aktiv an ihrer Außenwahrnehmung arbeiteten, indem sie Belege für die Historizität, den Ruhm und die Geschichte des Regiments zusammentrugen. Die Abbildungen der Regimentsinhaber in Regimentsgeschichten sind teilweise Wiedergaben der Porträts im Offizierskasino und belegen die nachträgliche Zusammenstellung und ›Re-Konstruktion‹ solcher ›Chefgalerien‹ und nicht zuletzt eine Verdichtung der Regimentsgeschichte auf die Inhaber und Kom854 Ähnlich gelagert sind die Erinnerungsmedaillen, die aufgrund eines Dienstjubiläums des Regimentschefs von den Offizieren eines Regiments diesem überreicht wurden. 855 Pons, Freundschaftskult und Korpsgeist (wie Anm. 813), S. 36: »Die Lösung aus den traditionellen Sozialstrukturen und die daraus resultierende Suche nach neuen Gemeinschaften begünstigte die Blüte von Bildnisserien. Viele der Porträtgalerien des 18. Jahrhunderts sind darum nicht nur schöner Schein, sondern existenzieller Ausdruck gesellschaftlicher Selbstverortung, im höfischen wie – etwas später auch – im bürgerlichen Bereich.« 856 Vgl. auch den Verkauf der Bilder von Kurt Christoph Graf von Schwerin, S. 217, Anm. 833. 857 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. VIII und die Abbildung zwischen S. 224 u. 225.

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mandeure.858 Zugleich wurden in der Retrospektive das Alter des Regiments und dessen zeitliche Kontinuität über alle Brüche hinweg betont. Mit dem Offizierskasino kristallisierte sich im 19. Jahrhundert ein fester und dauerhafter Erinnerungsort für die Offiziere heraus, der durch Abschottung die Exklusivität der Gruppe unterstrich und sich für die Präsentation von Identitätsbewusstsein und Geschichte besonders eignete.859 Dadurch wurde militärische Erinnerungskultur aus seinem bisherigen doppeldeutigen Umfeld adliger Familienhäuser und -schlösser herausgelöst und in ein unmittelbares Regimentsumfeld überführt. Sind die Galerien im 18. Jahrhundert eher als zeitbezogene und punktuelle Erinnerungsakte der Offiziere eines Regiments zu verstehen, so entwickelten sie sich im Verlauf der Zeit zu retrospektiven Rekonstruktionen von Alter und Kontinuität.

Zusammenfassung Artefakte und Praktiken wurden von Offizieren und Regimentern der brandenburgisch-preußischen Armee zum Teil dazu genutzt, das Bedürfnis nach Distinktion, Identitätsstiftung und Erinnerung zu erfüllen. Aufgrund ihrer Materialität waren sie zumeist für eine breite Öffentlichkeit dauerhaft sichtbar und wahrnehmbar und deshalb besonders geeignet, Symbole des Stolzes, der Ehre, des Ruhms, der Tapferkeit und nicht zuletzt der Regimentsidentität und -geschichte zu werden. Dabei sind drei wesentliche Gruppen von Artefakten und Praktiken zu unterscheiden. Die erste Gruppe bestand vor allem aus Realien mit militärischen Funktionen, die einer zeitlich begrenzten Distinktion und Identitätsstiftung dienten und die zum Teil unbewusst längerfristig Erinnerungsbezüge tradierten. Eine zweite Gruppe von Realien, die im Wesentlichen gleichfalls militärische Funktionen hatten, wurde – ganz bewusst – mit Erinnerungsbezügen aufgeladen. Dabei ging es darum, langfristig das Wissen über 858 Zedlitz und Neukirch, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 175), S. 311: »Friedrich Leopold Graf v. Geßler, Kgl. Pr. General-Feldmarschall, Ritter des hohen Ordens vom Schwarzen Adler, Chef eines Kürassierregiments usw., Originalporträt im Offizierkasino des Leib-Kürassier-Regiments.« Vgl. auch ebd., S. 406, 568 u. 581 sowie ders., Geschichte des Königl. Preußischen Leib-Kürassier-Regiments ›Großer Kurfürst‹ (Schlesischen) Nr. 1. I. Theil. Kurbrandenburgische Leibdragoner, Berlin 1905, S. 254: »Dietrich Graf zu Dohna. Obrist und Chef des Churfürstlichen Leibregiments Dragoner. Nach einem Gemälde im Offizier-Kasino des Leib-Kürassier-Regiments«. Vgl. ebenso Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 275), S. XVIII. 859 Eine Beschreibung der Stadt Hamm erwähnt das »Komödienhaus«, welches »der Unterhaltung der Offiziere, die den Verkehr mit Bürgerlichen mieden, diente«, Heinrich Ossenberg, Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 43. Band, Stadt Hamm, Nachdr. der Ausg. 1936, hrsg. von Josef Lappe, Warburg 1994, S. 51 bzw. Kloosterhuis, Le vrai portrait (wie Anm. 821), S. 62.

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Ruhm und Ehre zu bewahren, um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können. Die Artefakte der dritten Gruppe, d. h. die in dieser Zeit üblichen Medien der Erinnerung, hatten keine originäre militärische Funktion. Sie wurden mit der Absicht geschaffen, an militärische Ereignisse, Personen und mittelbar an die stiftenden Regimenter zu erinnern. Bezüglich der drei Gruppen sind zeitliche Schwerpunkte auszumachen. Artefakte der ersten Gruppe, die vor allem den Einfluss adliger Regimentsinhaber widerspiegelten, entstanden in der Zeit, in der sich das brandenburgisch-preußische Militär in seinen Strukturen herausbildete und konsolidierte. Bereits unter König Friedrich Wilhelm I. schwand dieser vormalige Einfluss und die nicht mehr aktualisierten Distinktionszeichen ehemaliger Regimentsinhaber veralteten und wurden zu Symbolen der Geschichtlichkeit der Regimenter. Erinnerungsbezüge lassen sich vor allem in der Abwehr von Neuerungen und Statusverlusten, mithin also in der Abwehr von Ehrverlusten und Momenten der Schande feststellen. Die Erinnerung an ruhmreiche Taten und ehrenvolles Verhalten setzte kriegerische Auseinandersetzungen voraus, so dass sich die Regimenter vor allem in der Zeit der Schlesischen Kriege, aber auch in allen anderen Auseinandersetzungen um Distinktionszeichen bemühten, die ihre Leistungen sichtbar machten und so daran erinnerten. Dies galt insbesondere für die zweite Gruppe von Artefakten. Zeitliche Schwerpunkte für das Erschaffen von Artefakten, die unmittelbar der Erinnerung dienten, lagen sowohl am Anfang als auch am Ende des 18. Jahrhunderts. Während die Offiziersgalerien, vom königlichen Vorbild inspiriert, in der ersten Jahrhunderthälfte neben ihrer regimentsbezogenen Bedeutung auch Teil adliger Repräsentations- und Erinnerungsstrategien waren, wiesen die Bemühungen vor allem im letzten Jahrzehnt bereits in die Zukunft. Das Nutzen von Erinnerungsmedien ist dabei auch Ausdruck einer Selbstreflexivität der Akteure und spiegelte die sich darauf gründenden Gruppenidentitäten wider. Die Vergangenheit wurde zur Selbstbehauptung in der Gegenwart und Zukunft herangezogen. Die Bemühungen wurden intensiver, je mehr ›ruhmreiche Taten‹ im Dunkel der Vergangenheit zu versinken begannen. Sie wurden durch königliche Ambitionen wie auch von Künstlern mit ihren Arbeiten am kulturellen Gedächtnis gefördert. Der Verlust von Wissen durch allmähliches Vergessen bot die Chance zur Konstruktion von Vergangenheit. Das bewusste Erinnern militärischer Sachverhalte an der Wende zum 19. Jahrhundert war Teil allgemeiner gesellschaftlicher Diskurse. So wurde die ›glorreiche militärische Vergangenheit‹ zunehmend in einen ›nationalen‹ Deutungskontext integriert und löste sich damit teilweise von ihren bisherigen Trägern. Offiziere und Regimenter waren wichtige Akteure für die Stiftung von Erinnerungsbezügen und die Pflege militärischer Erinnerungskulturen, aber sie

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Materialisierte Erinnerungskultur

waren nicht die einzigen. Eine Zwischenstellung nahmen die Regimentsinhaber und -kommandeure ein, die sich sowohl im Sinne der Regimenter als auch hinsichtlich ihrer adlig-familiären Herkunft um Distinktion und Erinnerung bemühten. Der Monarch nahm eine zentrale Rolle in der Erinnerungsstiftung ein. Indem er Regimenter auszeichnete und dies mit Veränderungen an Uniform- und Ausrüstungsteilen sichtbar machte, wandelten sich diese zu Medien der Erinnerung. Dabei verfolgte der Landesherr zumeist seine eigenen Interessen, die aber den Absichten der Regimenter entsprechen konnten. Schließlich wurden insbesondere hinsichtlich der dritten Gruppe von Artefakten auch ›unbeteiligte‹ Dritte als Vertreter einer interessierten Öffentlichkeit oder aber als einbezogene Künstler und Handwerker aktiv, die aus verschiedenen Gründen dazu beitrugen, militärische Sachverhalte zu erinnern. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Akteure mit ihren verschiedenen Intentionen und Beweggründen lassen sich militärische Erinnerungskulturen nicht trennscharf den Akteuren zuordnen bzw. von anderen Erinnerungskulturen abgrenzen. Am deutlichsten und unmittelbarsten sind die Bezüge zwischen Regimentern als Träger von Erinnerungen und den von ihnen genutzten Artefakten als Erinnerungsmedien in der zweiten Gruppe. Zugleich entstand eine Pluralität von spezifischen Erinnerungsbezügen innerhalb der Gruppen von Erinnerungsmedien bzw. hinsichtlich von Erinnerungsorten. Diese Vielschichtigkeit ermöglichte eine Konjunktur von Erinnerungskulturen, in der Akteure interagieren und zugleich jeder Akteur seine spezifische Erinnerungsabsicht vermitteln konnte. So konnte der König mit der Ausstellung eroberter Fahnen und Standarten in der Berliner Garnisonkirche an seinen Erfolg und die Regimenter an den ihren erinnern. Im Ergebnis entstanden Erinnerungskulturen parallel nebeneinander, überlagerten und verstärkten sich. Ebenso gab es Konkurrenzsituationen, in denen ein anderer Akteur aus der Erinnerung gedrängt oder Abhängigkeiten hergestellt werden sollten. Hinsichtlich der Deutungshoheit über die Vergangenheit und daraus abgeleiteten Ansprüchen hatte der König ein Monopol. Vorsichtige Versuche, dieses zu hinterfragen und zu durchbrechen gab es erst nach dem Tode Friedrichs II., beispielsweise mit den Denkmalen in Rheinsberg und in Reckahn. Die eigenen Taten und damit den eigenen Ruhm und die eigene Ehre herauszustellen, gelang insbesondere dem Dragonerregiment Nr. 5. Das Ereignis ›Hohenfriedberg‹ ist das Beispiel par excellence für die Plurimedialität militärischer Erinnerung: die erinnernden Artefakte reichten vom Gnadendiplom des Königs über Pauken und Vorrechte zum Schlagen des später sogar nach der Schlacht benannten Reiter- und Grenadiermarsches, einem veränderten Regimentssiegel bis hin zu einer Porträtgalerie der Offiziere des Regiments und einem Grabmal, dessen Darstellung und Inschrift das Ereignis in den Mittelpunkt stellte.

Zusammenfassung

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Im Ergebnis zeigt sich, dass im Zusammenspiel von Plurimedialität und Pluralität von Erinnerungen ein komplexes System militärischer Erinnerungskulturen entstand, in dem sich die Regimenter zu behaupten suchten. Solange der Anspruch Friedrichs II. auf die Deutungshoheit existierte und nachwirkte, arrangierten sie sich mit diesen Deutungsangeboten und machten sich diese zumeist zu eigen. Auch die durch Artefakte tradierten Erinnerungskulturen dienten nicht nur der Erinnerung einer Vergangenheit, sondern darüber hinaus der Selbstvergewisserung eigener Leistungen, der Ermutigung angesichts neuer Herausforderungen und Verunsicherungen und vor allem der Verpflichtung nachfolgender Regimentsangehöriger. Sie endeten nicht unbedingt mit dem Zusammenbruch der Armee in den Niederlagen des Jahres 1806 und den nachfolgenden Transformationsprozessen der Regimenter als historische Zäsur, sondern stifteten darüber hinaus Identität, Erinnerung und langfristig Tradition.

Vierter Teil: Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Gedenkfeiern und Jubiläen 1.

Gedenken an Schlachten

Eine besonders öffentlichkeitswirksame Form der Erinnerung sind feierlich begangene Jahrestage.860 Durch solche konnte u. a. an siegreiche Schlachten erinnert werden. Die Erinnerung daran war jedoch nicht zwangsläufig regimentsbezogen, da der Kreis der Erinnernden nicht auf Regimenter begrenzt war. Es konnten über die an der Schlacht beteiligen Regimenter hinaus auch unbeteiligte Regimenter, die Bevölkerung vor Ort wie auch eine interessierte Öffentlichkeit daran erinnern. Das Gedenken wurde umso regimentsspezifischer, je mehr einzelne Regimenter ihre besonderen Leistungen hervorhoben, mit denen sie in der Schlacht zum Sieg beigetragen hatten. Für die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts ist das Erinnern an eine Schlacht nur aus dem königlichen Umfeld überliefert.861 Der Jahrestag der Schlacht von Malplaquet (11. September 1709), an der Friedrich Wilhelm als Kronprinz teilgenommen hatte, wurde von diesem in einem besonderen Erinnerungsakt jährlich begangen. Er feierte das Gedenken im Kreis von Offiziers-Veteranen im Jagdschloss Wusterhausen bei Berlin.862 860 Auf Feiern, die unmittelbar nach einem Sieg begangen wurden, wird im Folgenden nicht eingegangen. 861 Dies ist ein weiterer Beleg für die zentrale Rolle des Königs hinsichtlich der Entwicklung militärischer Erinnerungskulturen. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass die Regimenter von sich aus solche Schlachtentage in irgendeiner Form begingen. Hierfür sind jedoch keine Hinweise bekannt. Die Regimentsgeschichten erwähnten, wenn ›Friedensjahre‹ überhaupt aufgenommen wurden, meistens lediglich die jährlich stattfindenden Revuen und die jeweilige Einschätzung des Königs. 862 Vgl. David Fassmann, Leben und Thaten des allerdurchlauchtigsten und grossmächtigsten Königs von Preussen Friederici Wilhelmi, Nachdr. der Ausg. 1735, Bad Honnef 1982, S. 32f.: »Der Königl. Preußische General-Lieutenant, Graf von Lottum, hat hierbey [Schlacht von Malplaquet, 11. September 1709, Anm. FZ] die Ehre gehabt, daß er das feindliche

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

»Zu der Herbst-Zeit, wann sich des Königs Majestät in Wusterhausen befinden, fället auch allemal der Gedächtnis-Tag, wegen der, am 11. Sept. 1709. erfochtenen grossen Victoria bey Malplaquet, welchen Tag Ihro Majestät der König mit einer Parforce-Jagd, und einem herrlichen Festin zu begehen pflegen. […] Endlich fiengen Ihro Majestät der König auch an, zu tantzen; aber mit lauter Officiers, und absonderlich mit alten Generals. Darunter befande sich der General-Lieutenant von Pannewitz, welcher in der Bataille vor Malplaquet eine gewaltige Schmarre über den Kopff bekommen.«863

Die Erinnerung ging in diesem Fall vom König aus, der zusammen mit den Veteranen im Rahmen des Festes der Schlacht und des eigenen Erlebens und mittelbar auch Überlebens gedachte. Es war ein exklusives Ritual, da nur ein enger Kreis Zugang zu dieser Form des Gedenkens erhielt. Öffentlichkeit wurde über diesen Kreis hinaus durch mündliche und schriftliche Berichte hergestellt. Jedoch endete diese Form des Gedenkens mit dem Tod des Königs. Sein Sohn Friedrich II. beging seinerseits den Jahrestag des Sieges in der Schlacht bei Mollwitz (10. April 1741): »Bei allen den Gelegenheiten, wo es [1. Bataillon Leibgarde, Anm. FZ] gegen den Feind geführt worden ist, hat es Wunder der Tapferkeit gethan: […] In der Schlacht bei Mollwitz feuerte es zweimal mit Pelotons mit eben der Ordnung wie auf dem Exercierplatz. Auch feierte der König das Gedächtnis dieses Tages noch immer dadurch, daß er das Bataillon ausrücken und weiter nichts machen als zweimal mit Pelotons chargiren ließ, mit der kurzen Anrede: ›So machten es eure Vorfahren bei Mollwitz.‹ So lange noch Leute in dem Bataillon waren, die in jener Schlacht mit gewesen waren, wurden sie auf Befehl des Königs an dem Tage an der Officierstafel gespeist.«864

gewaltige, ja gar vor unüberwindlich ausgeschrien gewesene, Retrenchenment am ersten überstiegen, und des Cron-Printzen Königl. Hoheit selber haben sich mit bey denen gefährlichen Attaquen befunden, folglich Dero hohe Person gar sehr exponiret; wie Sie dann auch seit dem, alle Jahre, den 11. Sept. zum Andencken dieser grossen und blutigen Schlacht, und der erfochtenen Victorie, mit einem gantz besondern Festin beehren und begehen.« Hinrichs bezeichnet die Schlacht von Malplaquet als das »größte persönliche Erlebnis« Friedrich Wilhelms, weshalb dieser den »Gedenktag […] alljährlich mit den dabei gewesenen Offizieren festlich beging«, Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. König in Preusen. Eine Biographie, Darmstadt 1974, S. 412. Vgl. auch Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 173. 863 Fassmann, Leben und Thaten (wie Anm. 862), S. 896f. Ähnlich Carl F. von Benckendorf, Karakterzüge aus dem Leben König Friedrich Wilhelm I. nebst verschiedenen Anecdoten von wichtigen unter seiner Regierung vorgefallenen Begebenheiten, und zu der damaligen Zeit sowohl im Militair- als Civil-Stande angestellt gewesenen merkwürdigen Persohnen, Nachdr. der Ausg. 1788, Bd. 1, Wiesbaden 1982, S. 23. 864 Kaltenborn, Briefe, Bd. 1 (wie Anm. 549), S. 89f. Vgl. auch den Eintrag im Tagebuch von Miltiz, Großer Generalstab, Tagebücher (wie Anm. 280), S. 31: »Den 10. April mußte unser Bataillon Garde in dem Lustgarten vor Ihro Mayst. feuern, zum Andenken der selbigen Tages bei Mollwitz erfochtenen Victorie über der österreichischen Armee«; Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 171.

Gedenkfeiern und Jubiläen

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Auch in diesem Fall initiierte der König das aktive Erinnern. Er bezog den exklusiven Kreis der noch aktiven Veteranen des eigenen Bataillons mit in das Gedenken ein.865 Diese wurden durch die Einladung an die Offizierstafel geehrt und ausgezeichnet. Anders als sein Vater ließ er aber auch durch das Bataillon, welches das eigene Vorgehen in der Schlacht von Mollwitz identisch nachahmen musste, unmittelbar und öffentlich daran erinnern. Durch den performativen Akt des Erinnerns wurden die aktiven Regimentsmitglieder auf den vergangenen Erfolg verpflichtet. Dies machte das Ritual bedeutsam, denn es ging nicht bloß um die Erinnerung an die Schlacht selbst, sondern um eine Fortschreibung des tapferen Verhaltens als Vorbild für die Gegenwart und die Zukunft. Über diese beiden eher im königlichen Umfeld zu verortenden regelmäßigen ›Gedenktage‹ gibt es – wenn auch nur wenige – Hinweise darauf, dass in Regimentern auch Jahrzehnte später Jahrestage präsent waren und durch Veranstaltungen in der Erinnerung wachgehalten wurden. Die ›rituelle Praxis‹ am Ende des 18. Jahrhunderts im Kürassierregiment Nr. 4 wurde in einer Regimentsgeschichte – jedoch erst am Anfang des 20. Jahrhunderts – beschrieben und damit zugleich ein Hinweis auf aktive Schlachtenerinnerung überliefert. In den Räumen eines Hotels trafen sich demnach die Offiziere des Regiments regelmäßig, beispielsweise um Feste darin zu feiern.866 Die Aufnahme ins Regiment wurde zugleich symbolisch vollzogen: »Wer die Farben des Regiments trug, sollte ihm auch voll und ganz angehören. Mit Feierlichkeit wurde der alte Reiterbrauch geübt, den Nachwuchs an Kameraden mit drei Degenstreichen, der üblichen Strafart für Unteroffiziers im Gegensatz zur Fuchtel der Mannschaft, nach ritterlichem Brauch zum Offizier zu weihen als Zeichen, daß diese drei Degenstreiche eben die letzten sein sollten, die der zum Ritter Geschlagene erlitte.«867 Über dieses Ritual hinaus wurde 1797 auf die Initiative des Inspekteurs, des Generallieutenants Graf Kalckreuth hin, des Einsatzes des Regiments in der Schlacht bei Freiberg 1762 gedacht. »Mit Stolz erinnerte man sich auch der reiterlichen Taten des Regiments vor dem Feinde, und angeregt durch den Inspekteur [Generallieutenant Graf Kalckreuth, Anm. FZ], mit welchem persönlich man die Ehren des letzten und ruhmreichsten Ritts des schwarzen Regiments teilte, feierte man jetzt alljährlich am 29. Oktober das Gedächtnis des Freiberger Sieges an festlich geschmückter Tafel, wie die übrigen Reiterregimenter der 865 Die Exklusivität findet in der Abneigung der anderen Regimenter ihren Widerhall, wenn man Kaltenborn glauben darf: »Er [der einzelne Soldat, Anm. FZ] durfte an keinem Versammlungsort der übrigen Garnison kommen, denn da diese das erste Bataillon mehr haßten, als sie je Russen und Oesterreicher gehaßt hatten, so war aus diesem Grund aller Umgang zwischen diesem Bataillon und den anderen Regimentern bei Gassenlaufen verboten«, Kaltenborn, Briefe, Bd. 1 (wie Anm. 549), S. 81. 866 Zedlitz und Neukirch, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 175), S. 712. 867 Ebd., S. 712.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Armee ihre großen Ruhmestage: die Garde du Corps Zorndorf, die Gensdarmes Roßbach, die Leibkürassiers Liegnitz unter anderem.«868

Spätestens 35 Jahre nach dem Ereignis wurde das Verhalten des Regiments bewusst in Erinnerung gebracht und von da an jährlich ins Gedächtnis gerufen. Der Prozess vollzog sich aber nicht nur in diesem Regiment allein, sondern auch in anderen Regimentern. Das Infanterieregiment Nr. 30 beispielsweise hatte am 15. Dezember 1803 anlässlich des 58. Jahrestages der Schlacht bei Kesselsdorf (15. Dezember 1745) in Stettin eine Feier zu Ehren der Veteranen veranstaltet.869 Die Tatsache, dass der Schlacht auch am 58. Jahrestag und nicht nur im Abstand ganzer Jahrzehnte gedacht wurde, lässt auf eine gelebte Erinnerungskultur im Regiment schließen.870 Das Wissen über die Vergangenheit wurde an die nachfolgende Generation im Regiment weitergegeben, von der sechs Jahrzehnte später die aktive Erinnerung ausging. Die noch lebenden Veteranen waren aufgrund ihres hohen Alters lediglich Gäste. Die Wertschätzung der alten Kameraden durch das Regiment war für dieses vorteilhaft: denn die Veteranen waren lebendige Denkmäler und Aushängeschilder der Taten des Regiments und konnten diese bezeugen. Angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass ihre Zahl mit jedem Jahr abnahm, gewannen sie eine immer größere Deutungshoheit über das Ereignis. Dies lässt sich am Beispiel des ehemaligen Musketiers David Witte beobachten, der als Küster in der Nähe von Anklam lebte. Er reichte ein Gedicht zu dieser Feier ein, mit welchem der Fürst Leopold zu Anhalt-Dessau geehrt und zugleich an die Schlacht bei Kesselsdorf erinnert wurde: »Doch fällt mir’s ein, wie einst von Jenem angeführt, Den wir den alten Schnurrbart nannten, Bei Kesselsdorf wir wild ins Feuer rannten, Dann wird’ ich heiß und denk in meinem Herzen: Der war ein andrer Küster doch als du – verzeiht mir den Vergleich! Den Alten hätt’s gefreut, Der hatt’ es gern, auch außer’m Dienst zu scherzen. […].«871 Der Veteran beschrieb seine und des Regiments Tapferkeit, indem er das geradezu todesmutige und kampfbegeisterte Vorwärtsstürmen benannte. Die Realität konnte jedoch anders ausgesehen haben, als es die Beschreibung nahelegt, die aus der 868 Ebd., S. 712. Vgl. dazu den Bericht ebd., S. 549: »Und diese glänzenden Ehren gebührten diesmal allein Preußens schwarzem Kürassierregiment, von dem der Schlachtbericht sagt: ›Unsere Kavallerie unter dem General Meyer, welche beständig mit der Infanterie agirte, hat Wunder gethan, und wurde also der Feind auf diesem Flügel gänzlich geschlagen und nahm seine Flucht über Tuttendorf nach den Höhen von Conradsdorf‹.« 869 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 174 bzw. 143. 870 Das Regiment führte neben sonstigen Auszeichnungen seit der Schlacht die 24 eroberten Geschütze im Siegel. Zum Ringkragen des Regiments mit den Siegestrophäen vgl. S. 153. Heyde vermutet, dass dieser Tag bei den beteiligten Regimentern noch bis in das 19. Jahrhundert hinein festlich begangen wurde, ebd., S. 174. 871 Zusammenhang und Zitat bei Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 168 unter Verweis auf Soldatenfreund 1846, Nr. 654.

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retrospektiven Selbstwahrnehmung heraus entstand.872 Das Regiment konnte zudem im Nachgang der Feier seine Ehre mehren. König Friedrich Wilhelm III. erfuhr von dieser Feier und zeichnete am 24. Dezember 1803 drei Veteranen aus: der bereits genannte Witte wie auch der Invalide Peters, der noch beim Regiment stand, erhielten die Silberne Verdienst-Medaille und ein Geschenk von sechs Friedrichs d’or, der Kapitän a.D. Christof Daniel von Zieten den Orden Pour le M8rite.873 Erstere Auszeichnung gab es erst seit 1793874, letztere hatten die Stabsoffiziere des Regiments nach der Schlacht erhalten.875 Mit der Auszeichnung der drei Veteranen würdigte der König mittelbar das Regiment und zeigte, dass ihm selbst die Erinnerung an diese Schlacht wichtig war. Leistungen eines Regiments, die durch Jahrestage immer wieder ins Gedächtnis gerufen wurden, begründeten Ansprüche auf Ehrungen. Solche sind möglicherweise anlässlich einer Revue im Todesjahr Friedrichs II., die am Jahrestag der Schlacht von Leuthen am 5. Dezember 1786 stattfand, seinem Nachfolger vorgetragen worden. König Friedrich Wilhelm II. zeichnete jedenfalls Offiziere des Regiments Garde mit dem Orden Pour le M8rite aus. Es ist nicht auszuschließen, dass diese »zur Erinnerung an den Jahrestag der Schlacht bei Leuthen« verliehen wurden.876 Es liegt nahe, dass sich das Regiment nach der Schlacht nur unzureichend durch Friedrich II. für seine Taten in derselben gewürdigt und ausgezeichnet sah und dieses Gefühl mit in die Erinnerungskultur des Regiments einfloss. Dadurch konnte der Anspruch auch Jahre später formuliert und vorgetragen werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass es im Regiment eine Deutung der Ereignisse des Siebenjährigen Krieges gab, die hinsichtlich der eigenen Leistungen nicht mit der des Königs übereinstimmte. 872 Zur Glaubwürdigkeit von Berichten über das eigene Verhalten in der Schlacht vgl. John Keegan, Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1415, Waterloo 1815 und an der Somme 1916, 2. Aufl., Frankfurt/M., u. a. 2007, S. 40f. 873 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 143 unter Verweis auf die Stettinsche Zeitung Nr. 101. Vgl. Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 168. Hinsichtlich des Ortes der Feier widersprechen sich Heyde und Jany. Die Garnison war Stettin, Lyncker, Altpreußische Armee (wie Anm. 171), S. 64. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der König aus dem Umfeld des Regiments auf die Feier hingewiesen wurde und die drei Veteranen für eine Auszeichnung vorgeschlagen wurden. Zur Verdienstmedaille ist als Exkurs zu ergänzen, dass diese häufig regimentsintern weitergegeben wurde und in dieser Praxis ihrem Stiftungszweck widersprach. So wurde im Februar 1794 verkündet, dass »erledigte VM [Verdienstmedaillen, Anm. FZ] nicht innerhalb der Regimenter vererbt werden [dürften], sondern […] zurückgereicht werden [sollen]«, Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 65. Damit war auch diese Praxis Teil militärischer Erinnerungskulturen der Regimenter. 874 Vgl. ders., Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 64ff. 875 Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 168. 876 Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 173 bzw. 130. Priesdorff bestätigt diese Angaben, Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 80 (Nr. 999).

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Wie die wenigen überlieferten Belege beweisen, gedachten – wenn auch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – Regimenter der Schlachten an den jeweiligen Jahrestagen, an denen sie beteiligt gewesen waren. Ähnlich wie bei anderen Erinnerungsbezügen zeigt sich auch in diesem Zusammenhang, dass sich diese Praxis des Erinnerns erst im 19. Jahrhundert vollends entfaltete und vielerorts erst in dieser Zeit begonnen wurde. Dies belegt beispielsweise die Regimentsgeschichte des Dragonerregiments Nr. 5 über das ritualisierte Schlachtengedenken anlässlich des Jahrestages der Schlacht von Hohenfriedberg 1745. »An jedem 4. Juni wird es [Gnadendiplom, Anm. FZ] seiner bergenden Hülle entnommen, vor dem zu Pferde oder zu Fuß in Parade stehenden Regiment durch den Adjutanten ›von Wort zu Wort‹ verlesen und den Mannschaften gezeigt, welche sodann durch den Kommandeur auf die Thaten der Vorfahren, den von denselben erworbenen Ruhm und die Verpflichtung, sich dessen stets würdig zu zeigen, hingewiesen werden. – Dieser Brauch geht nicht aus dem Wortlaut des Diploms hervor, und in früherer Zeit scheint überhaupt des Tages nicht besonders gedacht zu sein; einestheils wohl weil Ereignisse wie Leuthen und Torgau dem Gedächtniß näher lagen, andernteils weil sich das Regiment im vorigen Jahrhundert zu jener Zeit stets bei der Revue befand. Erst dem Obersten v. Stülpnagel, 1833 bis 1842, gebührt das Verdienst, ihn eingeführt zu haben.«877

Erst rund 90 Jahre später begann dieses Regiment unabhängig vom König durch einen performativen Akt seiner Leistung zu gedenken, für die es 1745 außerordentlich von König Friedrich II. ausgezeichnet worden war.878 Demnach konnte sich die identitätsstiftende Wirkung durch diese Form des Erinnerns erst im 19. Jahrhundert entfalten.

2.

Zögerlicher Beginn – Regimentsjubiläen

Neben einem Schlachtengedenken konnte durch feierlich begangene Jahrestage der Stiftung eines Regiments gedacht werden. In solch einem Fall standen ein Regiment und seine Geschichte unmittelbar im Mittelpunkt des Erinnerungsgeschehens. Dadurch beschränkte sich zumeist der Kreis der Erinnernden auf die aktiven und ehemaligen Regimentsangehörigen sowie die Bevölkerung des jeweiligen Garnisonstandortes. Trotz der Gründung von Regimentern in der gesamten zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lassen sich solche Jubiläen lediglich für das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts belegen.879 877 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 221. 878 Der Bericht Albedylls ist ein starkes Indiz dafür, dass der Jahrestag vorher nicht begangen wurde. Gleichwohl kann dies nicht mit endgültiger Sicherheit ausgeschlossen werden. 879 In der Regimentsgeschichte des Kürassierregiments Nr. 1 wird für das Jahr 1774 angegeben,

Gedenkfeiern und Jubiläen

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Das Stiftungsjubiläum des Infanterieregiments Nr. 16 Das Infanterieregiment Nr. 16 feierte 1790 sein 100-jähriges Stiftungsjubiläum.880 »Das hundertjährige Jubelfest des Regiments begann in der Annahme, daß das Regiment 1690 gestiftet sei, am Sonntag den 3. Januar abends, mit einer Beleuchtung als Vorfeier. Montag früh 8 Uhr trat das Regiment auf Königsgarten zur Kirchenparade an. Den Feldgottesdienst hielt Prediger Ollech. Es folgte in der Roßgärter Kirche die Ansprache eines städtischen Geistlichen, an die sich ein Tedeum schloß. Mittags war großes Festessen im Hotel de Paris, an welchem die aktiven und inaktiven Offiziere, die Spitzen der Behörden, die Feldwebel und die Gefreiten-Korporale des Regiments theilnahmen. Sämmtliche Mannschaften wurden von ihren Kapitäns bewirthet. Abends fanden für die Leute Tanzlustbarkeiten und für das Offizierkorps ein glänzender Ball statt, zu welchem die ganze ›Noblesse‹ der Stadt und des Landes geladen war. Alles fast wie heute.«881

Kopka von Lossow gibt zusammengefasst wieder, wie der organisatorische Ablauf aussah und wer an der Feier teilnahm. Es ist anzunehmen, dass die Geschichte des Regiments anlässlich des Jubiläums Gegenstand der Reden und Ansprachen war und entsprechend vorher Bemühungen unternommen wurden, um diese zu erhellen. Die Feierlichkeiten weisen auf eine existierende und gelebte Regimentsidentität hin, welche sich auf die Geschichte des Regiments gründete. Das Wissen über die eigene Vergangenheit scheint jedoch – wie das ›falsche‹ Jubiläumsjahr zeigt – noch wenig ausdifferenziert und eher diffus gewesen zu sein. Jedenfalls orientierte sich das Regiment in der Bestimmung seines dass keine Belege für eine 100-Jahrfeier existieren und dennoch wird eine solche angenommen, W. Foerster, Geschichte des königlich preussischen Ersten Kürassierregiments von dessen Errichtung bis auf unsere Zeit. Nach urkundlichen Quellen, Tagebüchern, Lebensbeschreibungen, Memoiren und einzelnen gedruckten und handschriftlichen Nachrichten, auf den Wunsch des Regiments Breslau 1841, http://hdl.handle.net/2027/ hvd.hnzvf8, 27. 04. 2014, S. 300. Vgl. auch das ›Schweigen‹ in der Regimentsgeschichte Zedlitz und Neukirch, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 175), S. 584ff. Der Stiftungstag des Regiments war der 1. Juli 1674, der sich durch die Ausstellung der Kapitulation auf den Obristwachtmeister von Grumbkow »auf eine Kompagnie Dragoner-Leibgarde« bestimmte, ders., Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 858), S. 149. 880 Das Regiment wurde 1689 gegründet. Kopka von Lossow setzte in der Regimentsgeschichte bereits 1626 ein, um die Vorgeschichte darzustellen. Vgl. Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 528), S. 52. 881 Ders., Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 275), S. 271. Vorher heißt es: »Unser Truppentheil war gegenwärtig zu einem bedeutsamen Abschnitt gelangt; 100 Jahre waren vergangen, seit seine einstigen Stammtheile sich zum Regimentsverbande vereinigt hatten. Auf mehr als 30 Kriegsjahre konnte das Regiment zurückblicken, unangetastet waren bisher seine Feldzeichen geblieben, zahlreich die erbeuteten Trophäen gewesen, nicht minder zahlreich die Opfer, die es für sein Herrscherhaus und das Vaterland gebracht. Ein ganzes Jahrhundert hatte die alte Krönungsstadt seine Heimath gebildet, jetzt wurde ihm vergönnt, sein hundertjähriges Jubelfest in denselben Mauern zu feiern, wo ehedem seine Wiege stand«, ebd., S. 271.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Alters nicht am Datum der ›Gründungsurkunde‹, der sogenannten Kapitulation, mittels derer zwischen Monarch und Regimentschef die rechtliche Grundlage für die Errichtung eines Regiments geschaffen wurde.882 Von der Festtafel im Hotel de Paris in Königsberg existierte eine »eingehende Beschreibung«.883 Das Jubiläum schuf also selbst Anknüpfungspunkte für schriftliche Erinnerungen. Kopka von Lossow greift auf diese zurück, so dass die Beschreibung mit einer gewissen Einschränkung als unmittelbare zeitgenössische Beschreibung gelten kann. »Rechter Hand präsentirte ein Schild, auf zwei ionischen Säulen ruhend, Namen und Titel unseres jetzigen Herrn Gouverneurs, Reichsgrafen Henkel v. Donnersmark, mit der Devise: Sey lange uns Führer, zur Ehre und zum Ruhm! An diesen Säulen hing unterwärts ein Schild mit dem Namen des ersten Chefs, Generalfeldmarschalls Grafen zu Dohna 1690. Linker Hand waren gleichfalls an einem auf 2 ionischen Säulen ruhenden Schilde Namen und Titel des jetzigen Chefs, Herrn Generals v. Gillern, mit der Devise: Sey lange unser Chef, zum Glücke Deines Regiments! An diesen Säulen hing unterwärts eine Tafel mit dem Namen des zweiten Chefs, General-Feldmarschalls v. Flanß 1728. Zur Säule rechter Hand hiervon stand Herkules als Symbol der Stärke mit der Devise: Von diesem gebildet, wer könnte ihm unähnlich sein! Zwischen weiteren Säulen waren die Namen der folgenden Chefs angebracht und zwar nach beiden auslaufenden Richtungen der Tafel hin. Die Endpunkte derselben waren mit den Symbolen der Geschichte, Treue und Gerechtigkeit, mit entsprechenden Sinnsprüchen geschmückt. In der Mitte des Hintergrundes sah man ebenfalls auf zwei ionische Säulen, denen eine, ein Schild mit einem Adler und die Jahreszahl 3. Januar 1690, die andere, die Jahreszahl 3. Januar 1790 wiedergab.«884

Der Regimentsgeschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts interpretierte seinerseits bereits dieses Fest: »Ausstattung und Verlauf des Festes deutet auf bereits zur Entwicklung gelangten kameradschaftlichen Sinn, Korpsgeist und geschichtliches Verständnis.«885 Die Beschreibung ist nicht nur ein Beleg für regimentsbezogene Erinnerungskulturen Ende des 18. Jahrhunderts, sondern sie gibt auch einen guten Einblick in die Mechanismen. Dienten Bildergalerien ganzer Offizierkorps Anfang des Jahrhunderts neben adliger Repräsentation in Ansätzen auch einer militärischen Selbstdarstellung und Erinnerungsabsicht886, so waren es Ende des Jahrhunderts ›nur‹ noch die Bilder der Regimentsinhaber, die anlässlich des Jubiläums die Geschichte des Regiments versinnbildlichten. 882 »Am 1./11. März 1689 wurde mit dem Oberst Graf Alexander zu Dohna folgende Kapitulation abgeschlossen […]«, ders., Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 528), S. 52. 883 Ders., Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 275), S. 272. Kopka von Lossow machte keine weiteren Angaben dazu und angesichts der ›Auflösung‹ der Bibliothek in den Kriegs- und Nachkriegswirren des Zweiten Weltkrieges ist der Verbleib der Beschreibung ungewiss. 884 Ebd., S. 272. 885 Ebd., S. 272. 886 Vgl. S. 217.

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Durch den ›Verdichtungsprozess‹ und die Präsentation wurde die Regimentsgeschichte sichtbar inszeniert und für den Betrachter dechiffrierbar kommentiert: Das Regiment ist ein altes Regiment und es war in den vergangenen einhundert Jahren stark, tapfer, treu und gerecht.

100 Jahre Regiment Gens d’armes Zwei Jahre später beging auch das Regiment Gens d’armes sein hundertjähriges Stiftungsjubiläum.887 In seiner Autobiographie weist der Feldprediger des Regiments, Wilhelm Gabriel Wegener (1767–1837)888, auf dieses Stiftungsjubiläum hin: »Anno 1792 war das Regiment 100 Jahre alt. Ich samlete [sic] so viel Nachrichten als möglich und erhielt dadurch eine große Kentniß der Geschichte des Regiments. Die Samlung ist für das Regiment bestimt. Das Andenken daran feierte das Regiment durch meine Predigt, welcher der Prinz Ludwig (starb als Chef des DragonerRegiments in Schwedt), damals agreierter Oberst der Gensd’armes beiwohnte, dem ich sie auch, als sie gedruckt war, dedicirte […], und sie mehreren ehemaligen Officieren des Regiments überschickte, welche mir antworteten. Der General v. Prittwitz starb 1793, worüber sich die meisten Officiere freuten.«889

Wegener bestätigt damit die Annahme, dass Jubiläen ein Anlass waren, sich mit der Regimentsgeschichte auseinanderzusetzen. Seine Worte sind auch Beleg dafür, dass Regimenter Stiftungsjubiläen begingen und diese Ausdruck einer gelebten Erinnerungskultur im Regiment waren. Durch den Druck der Predigt wurde die Bedeutung des Jubiläums für das Regiment zusätzlich hervorgehoben, der Akt des Erinnerns ›konserviert‹ und der Kreis der Erinnernden über den Kreis der aktiven und ehemaligen Regimentsangehörigen um die Leser der Predigt erweitert. Der Regimentsprediger nutzte zugleich den Druck, um in der »Nachschrift« um Übersendung weiterer Regimentsnachrichten zu bitten: 887 Die Geschichte des Regiments von 1917 erwähnt das Gründungsjubiläum nicht, Schwerin, Regiment Gens d’armes, Teil 3 (wie Anm. 769). Vgl. Heyde, Die Altpreussischen Orden. Abt. B (wie Anm. 474), S. 172 bzw. 92. 888 Wegener hatte von 1789 bis 1795 die Stelle des Feldpredigers bei diesem Regiment inne, die er von seinem Bruder übernommen hatte, Peter Hermann, Leben und Werk des brandenburgischen Supterintendenten Wilhelm Gabriel Wegener (1767–1837) im Spiegel seiner Autobiographie, in: Erich Donnert (Hrsg.), Europa in der frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Unbekannte Quellen, Aufsätze zu Entwicklung, Vorstufen, Grenzen und Fortwirken der Frühneuzeit in und um Europa, Inhaltsverzeichnisse der Bände 1–6, Personenregister der Bände 1–7, Weimar, u. a. 2008, S. 404. Seine Autobiographie verfasste er unter dem Titel »Meine Lebensgeschichte nebst Belägen für meine Nachbleibenden; nahmentlich für meinen Aeltesten Sohn«, ebd., S. 399; der letzte Eintrag stammte vom 10. März 1837, ebd., S. 507. 889 Ebd., S. 469.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

»Obgleich diese Rede ganz casuel und deshalb nur für die Gemeine ist, an welche sie gehalten wurde; so wünsche ich doch damit zugleich den Freunden unsers Regiments meinen Wunsch und meine Bitte bekant zu machen, mir die ihnen etwa bekanten merkwürdigen Nachrichten vom Regiment, zukommen zu lassen; damit die in mancher Rücksicht wichtige Geschichte desselben so vollständig als möglich werde.«890 Diese Bitte zeigt, dass es über das 100-jährige Jubiläum hinaus eine weitere Beschäftigung mit den Taten des Regiments und damit eine aktive Erinnerung geben sollte. Zugleich verweist sie indirekt auf den Umstand hin, dass das Wissen über die Geschichte eines Regiments dezentral und zumeist im kommunikativen Gedächtnis existierte und erst schriftlich fixiert werden musste. Die überlieferte Predigt ermöglicht, der Frage nachzugehen, wie die Feiernden ein solches Jubiläum inhaltlich interpretierten und verstanden. Für den Feldprediger waren »Werke und Einrichtungen […], welche eine lange Reihe von Jahren hindurch, nicht sowohl durch Zufall und Glück, als vielmehr durch Fleiß und Sorgfalt bestanden« und die »großen Einfluß in die Schicksale vieler Menschen hatten« nicht nur lehrreich, sondern erhebend und nachahmungswürdig.891 Eines der wenigen geeigneten Beispiele sei die preußische Armee, deren Regimenter als künstliche Gebilde innerhalb kurzer Zeit einen Stand der »Vollkommenheit« erreicht hätten. »Aber auch kein Heer hat in einem einzigen Jahrhundert so an Zahl und Werth zugenommen und solche merkwürdige Thaten verrichtet, als das unsrige.«892 Insbesondere sei die hundertjährige Geschichte des eigenen Regiments wichtig und nützlich, »da wir als Mitglieder desselben an seinen Schicksalen den nächsten, unmittelbarsten Antheil nehmen.«893 Von diesen könne keiner emotionslos angesichts der Vergangenheit, insbesondere der letzten fünfzig Jahre mit seinen Kriegen sein.894 Wegener wollte zum einen beleuchten, »durch welche Mittel und Wege dieses Regiment ein ganzes Jahrhundert hindurch mit Ruhm bestand«895 und zum anderen »erwägen, welche Lehre, Pflicht und Ermunterung aus der langen rühmlichen Dauer dieser Gemeine für Euch ergehet, die ihr jetzt Mitglieder derselben seid.«896 890 Wegener, Rede an das Regiment (wie Anm. 1), S. 24. Die Predigt wurde unter dem Titel »Rede an das Regiment Gensd’armes zur Erinnerung an das hundertjährige Bestehen desselben. Gehalten den 17ten May 1792 von Wilhelm Gabriel Wegener. Prediger des Regiments.« bei Johann Georg Langhoff in Berlin gedruckt. Die Widmung des Druckes deutet darauf hin, dass für die Veröffentlichung dieser Predigt eine vorherige Genehmigung eingeholt wurde. 891 Ebd., S. 5. 892 Ebd., S. 6. 893 Ebd., S. 6. 894 Ebd., S. 6. 895 Ebd., S. 8. 896 Ebd., S. 8.

Gedenkfeiern und Jubiläen

239

Der Feldprediger eröffnete den Rückblick nicht mit einer glorifizierenden bzw. mythologisierenden Darstellung der Gründung des Regiments, d. h. das Alter des Regiments allein begründete aus seiner Sicht nicht bereits schon Ruhm, Ehre und Stolz. »Wenn man die hundert und zwanzig Gensd’armes, mit welchen ihr Stifter, der Oberstlieutenant von Nazmer vor hundert Jahren, im May Ein tausend sechs hundert und zwei und neunzig, zuerst in diese Stadt kam, so ungebildet und unerfahren, als sie damals nothwendig seyn mußten, mit dem jetzigen Zustande ihrer Nachfolger vergleicht, welch’ eine auffallende Verschiedenheit, und welch ein weiter Abstand!«897 Die Entwicklung des Regiments im Verlauf der hundert Jahre sah er durch den Aufstieg des Königshauses, »glückliche« Umstände und das tatkräftige Wirken und die Verdienste seiner vernünftigen und fleißigen Mitglieder begünstigt. »Und dieses Mitwürken der Mitglieder selbst, von welchem hier eigentlich zu reden ist, geschahe hauptsächlich auf dreyerley Art: durch allmälige Verbesserungen, durch den Geist der Ehre oder Pflichtliebe und durch gewissenhafte Folgsamkeit.«898 Seine Sicht auf den Beginn des Regiments erlaubte Wegener, das Regiment in der Gegenwart als vorerst vollendetes Werk darzustellen. Er begriff die Entwicklung des Regiments als einen evolutionären Prozess. »So wie alles anfänglich unvollkommen ist, so mußte auch das neugestiftete Regiment viele Mängel haben. Ihnen halfen die ersten Anführer ab, so weit ihre Einsichten reichten, und so viel sie nach den damaligen Umständen konnten. Ihre Nachfolger fanden dadurch eine gebildetere Mannschaft, und konnten um so glücklicher und leichter ihre Kenntnisse und Erfahrungen zur Verbesserung anwenden. Je länger dies geschahe, desto mehr nahmen die Unvollkommenheiten ab; selbst die Versehen und Fehler des Vorgängers waren bei neuen Einrichtungen warnend und lehrreich. […] Die Bescheidenheit der Lebenden erlaubt mir nicht, mehrere zu nennen. Ein jeder Befehlshaber benutzte mit Einsicht die jedesmaligen Vorfälle seiner Zeit und die besondern Umstände seiner eigenthümlichen Lage.«899

Wegener unterstrich seine Behauptung durch den Verweis auf die unterschiedlichen Einsätze des Regiments Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts sowie in den Schlesischen Kriegen.900 Im Rückblick wurden dadurch Kontinuität konstruiert und Erfolge und Misserfolge vergemeinschaftet. Erinnerung wurde dazu genutzt, das Verbindende zu betonen und das Trennende auszublenden. Neben diesen Verbesserungen des Regiments, die auf den Erfahrungen im Kriegseinsatz beruhten, sah Wegener als zweiten wichtigen Punkt den »Geist der 897 898 899 900

Ebd., S. 8. Ebd., S. 8. Ebd., S. 10. Ebd., S. 10.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Ehre«, das Selbstverständnis der Regimentsmitglieder, »seine Pflicht auf eine vorzügliche Weise zu erfüllen« an.901 Als Beleg führte er das Verhalten des Regiments in der Schlacht bei Oudenaarde an, in der 80 Mann desselben einem zehnfach stärkeren Gegner getrotzt hätten und einen außerordentlichen Mut bewiesen hätten, indem sie zum Angriff übergegangen seien. Damit hätten sie »Pflicht und Ehre höher als das Leben« geachtet, »welches die Hälfte nebst ihrem Anführer dem Oberst von Canstein siegend verlohr«.902 Für ein weiteres Beispiel aus der Zeit des zweiten Schlesischen Krieges griff Wegener trotz seiner Bemühung um Regimentsnachrichten zitierend auf die Darstellung König Friedrichs II. zurück.903 Es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Regimentsgeschichten und -erinnerungen auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch dezentral verfasst wurden. Eine mündliche Überlieferung im Regiment konnte den Wissensverlust nicht aufhalten, so dass man auf andere schriftliche Wiedergaben zurückgreifen musste. Die königliche Darstellung hatte dadurch bedingt Monopolcharakter. Die Schlacht von Zorndorf (25. August 1758) erwähnte Wegener eher nebenbei und appellierte dabei an die noch lebenden Teilnehmer der Schlacht: »Nur hohes Gefühl für Ehre und Pflicht konnten den Muth entflammen, der sie zu vorzüglichen Theilnehmern des Sieges bei Zorndorf machte; das wisset Ihr unter uns, die Ihr noch von jener Zeit übrig seid!«904 Zusammenfassend hielt er fest: »Doch – was mehr, als diese einzelne Fälle beweiset,905 ist dieses, daß sie nach Zeugniß der unpartheiischen Geschichte niemals ihre Ehre befleckt haben oder irgend einer Art der Verzagtheit beschuldiget sind. An den Ufern der Schelde und Peene, der Elbe und Oder, der Mulde und Warte wird ihr Name mit Achtung genannt. Und wie? sollte es wohl einzig und allein Zufall gewesen seyn, daß sie, so lange ihr Name besteht, nur bey gewonnenen Treffen gewesen sind?«906 Auch wenn Wegener die Geschichte des Regiments nicht durch bildhafte Ausschmückungen und Ausführungen glorifizierte, so suggerierte er, dass das Regiment in der Zeit seines Bestehens nur an siegreichen Kriegsereignissen teilgenommen hatte. Lediglich in einer Fußnote wurde in der gedruckten Darstellung erwähnt, dass das Regiment auch an der Niederlage in der Schlacht bei Hochkirch (14. Oktober 1758) beteiligt war : »Der Ueberfall bei Hochkirch war

901 Ebd., S. 10. 902 Ebd., S. 11. 903 Die Autobiographie Wegeners als Gesamtschrift entstand nach 1792, weshalb davon auszugehen ist, dass die Sammlung von Regimentsnachrichten als Folge der Veröffentlichung der Predigt später entstand. 904 Wegener, Rede an das Regiment (wie Anm. 1), S. 11. 905 Ebd., S. 11. 906 Ebd., S. 11f.

Gedenkfeiern und Jubiläen

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kein wirkliches Treffen.«907 Euphemistisch wertete Wegener diese Schlacht ab und negierte die Niederlage, in der die rund 78.000 Mann zählenden Österreicher rund 30.000 Preußen besiegten und beide Seiten schwere Verluste (annähernd 17.000 Mann) erlitten hatten.908 In seinem Rückblick wählte Wegener aus der Geschichte des Regiments aus, verkürzte, interpretierte Tatsachen um und konstruierte somit eine Regimentsgeschichte, die seiner beabsichtigten Selbstdarstellung des Regiments entsprach. Als weitere Belege dafür, dass der »Geist der Ehre« auch in der Gegenwart im Regiment vorherrschte, dienten dem Festredner die Tatsache, dass »kein ehrenrühriger Verbrecher geduldet wird« und dass »Regiment fast ganz aus deutschen Männern, von deutschem Sinn und Herzen, besteht«.909 Ohne dieses Selbstverständnis und Verhalten war aus Sicht Wegeners trotz größten Fleißes keine Tatkraft zu erwarten. Unbedingter und unmittelbarer Gehorsam sowie eine religiöse Verankerung gehörten ebenso dazu. Das Ansehen des Regiments schrieb er sowohl den Offizieren als auch den Mannschaften zu, da jede Seite die andere bräuchte. »Die besten Anführer würden ohne pflichtliebende und gehorsame Gemeinen nichts vermocht haben, und diese hätten sich bei aller Treue und Willigkeit nicht hervorthun können, hätte es ihren Befehlshabern an Einsicht, Gerechtigkeit und Erfahrung gefehlt.«910 So habe der Einzelne dem Regiment und das Regiment dem Einzelnen Ruhm und Ehre verschafft bzw. das Regiment den Einzelnen zum Helden gemacht. In der Erinnerung würden auch die Taten der einfachen Soldaten fortleben.911 Wichtiger als der Rückblick in die Vergangenheit waren dem Regiments907 Ebd., S. 12. 908 Vgl. Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 499ff. 909 Wegener, Rede an das Regiment (wie Anm. 1), S. 12. Vgl. auch Meusel, Marwitz’ Schilderung (wie Anm. 303), S. 469. Marwitz, der wenig später selbst in diesem Regiment diente, benennt die Praxis, Deserteure nach ihrer Bestrafung vom Regiment in ein anderes zu versetzen, als hervorzuhebende Besonderheit des Regiments Gens d’armes. 910 Wegener, Rede an das Regiment (wie Anm. 1), S. 13. 911 Ebd., S. 13f.: »Der Verstand der Obern leitete die Tapferkeit der übrigen auf dem Wege der Ehre. Zu dem Ruhme eines Grumkow, Platen, Bandemer, Bredow, Golz, Oerzen, Schwerin und anderer berühmten Helden der preußischen Geschichte, trug dis ganze Regiment bei, weil sie bei demselben oder durch dasselbe Helden wurden. Aber auch die Namen vieler einzelnen Gemeinen, welche sich durch Treue und Thaten auszeichneten, sind uns aufbehalten, und ihr Andenken und Nachruhm lebt und blühet noch jetzt, lange nach ihrem Tode, unter uns fort.« Wegener macht keine Angaben darüber, wie auch an die einfachen Soldaten erinnert wurde. Es liegt nahe, die Einbeziehung der Soldaten in die Regimentserinnerung zunächst als rhetorisches Mittel zu verstehen, mit welchem Wegener die Soldaten unter seinen Zuhörern integrieren wollte. Darüber hinaus ist der zeitliche Kontext zu berücksichtigen, in welchem sich der einfache Soldat mehr und mehr emanzipierte und zugleich denkmalwürdig wurde. Vgl. die Rede des Prinzen Heinrich, der sein Denkmal bewusst allen Soldaten widmete, die sich um das Vaterland verdient gemacht hatten, S. 191; ebenso das Denkmal für die gefallenen Hessen, S. 188.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

prediger jedoch die Schlussfolgerungen aus der hundertjährigen Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft. »Eigentlich […] kann sich keiner mit fremder Tugend schmücken, und unbedeutend ist der Glanz, welcher bloß von den Verdiensten unserer Vorfahren auf uns zurückstrahlet. So achtungswerth auch das Verfahren und Benehmen Eurer Vorgänger bei diesem Regimente seyn mag, so kann doch das an und für sich selbst noch nicht Euch einen wahren Werth beilegen. Nur alsdann nehmt ihr mit Recht und unter der Zustimmung Eurer Mitmenschen an ihren Verdiensten Theil, wenn ihr würdige Nachfolger derselben seid oder bleibet, und ihre Stellen mit Ehren bekleidet. Der rühmliche Namen dieses Regiments ist Euch, meine Theuersten! als ein großes, kostbares, heiliges Pfand von Gott anvertrauet, das ihr unverdorben Euren Nachfolgern übergeben sollt.«912

Der Vergangenheit des Regiments kam nur in der Verpflichtung der gegenwärtigen Regimentsangehörigen zum Erhalt des Ruhmes und zur Nachahmung der Taten identitätsstiftende Bedeutung zu. Wegener interpretierte die Geschichte des Regiments zweckgerichtet: »Den erkaltenden Eifer müsse das Andenken an den Namen, den ihr führt, von neuem erwärmen, denen nachzukommen, in deren Fußtapfen ihr getreten seid.«913 Es den vorherigen Regimentsangehörigen gleichzutun reiche aber nicht. Vielmehr appellierte Wegener an die Regimentskameraden, diese zu übertreffen, denn: »[…] ein jeder von Euch weiß, daß auch in diesem Stande, wie in jedem andern, bleiben wie vorher schon zurückkommen heißt. Damit erkennet ihr denn selbst die Nothwendigkeit, eure Vorgänger in jeder Art zu übertreffen, wie diese die ihrigen übertrafen; daß, wie sie der Zeit nach hinter Euch bleiben, sie Euch auch so an Vollkommenheiten nachstehen müssen.«914

Deshalb zeigte er seinen Regimentskameraden die seiner Meinung nach immer vorhandenen Möglichkeiten dazu auf. Die naheliegende, aber auch »schwerste« Möglichkeit sei, im Krieg zu kämpfen, zu siegen und möglicherweise für die Kameraden zu fallen.915 Fast noch wichtiger scheint dem Regimentsprediger die Verantwortung in Friedenszeiten gewesen zu sein, weshalb er die Würde des Berufs, seine idealen Tugenden und Ziele beschwor : »Fühlet die ganze Größe und Würde Eures Berufs: Ihr sollet dem Euch anvertrauetem Lande zu allen Zeiten Schutz, Sicherheit, Ruhe und damit erhöheteres Glück verschaffen und bewahren. Das ist die Pflicht Eures Amts, und diese große Pflicht nach allen Kräften zu erfüllen, darin besteht das Verdienst Eures Standes. Was kann ehrenvoller seyn, als Glückseeligkeit und Wohlfahrt unter seinen Mitmenschen zu sichern, zu fördern, zu mehren; Ungerechtigkeit, Elend und Verwüstung aber zu vernichten oder zu mindern? 912 913 914 915

Ebd., S. 14. Ebd., S. 15. Ebd., S. 15. Ebd., S. 15f.

Gedenkfeiern und Jubiläen

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Was kann es für einen größern Ruhm geben, als daß durch Euer Bemühen viele Tausende um Euch her ihres Lebens froher werden?«916

Seine Antwort fiel abstrakt aus: »Ihr alle ohne Ausnahme befördert also unaufhörlich die Ehre dieses Regiments, indem ihr nach dem höchsten Muster eines vollkommenen Soldaten strebt, nämlich Euch als Männer zeiget, die von ihren Freunden und Genossen eben so sehr geliebet und geachtet, als von ihren Feinden gefürchtet werden.«917 Um dies zu erreichen, müsse sich jeder um Pünktlichkeit, Strebsamkeit, Wachsamkeit, Tadellosigkeit, Furchtlosigkeit, Entschlossenheit, Pflichtliebe, Genügsamkeit, Unnachgiebigkeit, Geduld, Mut und Flexibilität bemühen.918 Im Ergebnis würden Vaterlandsliebe, Treue gegen den König und das königliche Haus, Verteidigung der Unschuldigen, Hilfe für die Unglücklichen, gerechtes und menschenfreundliches Handeln auch das zweite Jahrhundert des Regiments sichern. Die Erinnerung an die Vergangenheit sollte demnach vor allem unmittelbare und handlungsanleitende Auswirkungen für die Gegenwart haben.919 Im letzten Teil seiner Predigt diente dem Feldprediger die Regimentsgeschichte als Mittel, das Wirken Gottes in der Welt zu beschreiben und die Regimentsangehörigen in ihrem Glauben zu festigen. Die wenigen noch übrig gebliebenen sollten den jüngeren Regimentskameraden von den erlebten »Wundern« erzählen.920 Wegener nutzte den Rückblick auf die Geschichte des Regiments zur Vermittlung verschiedener Botschaften. Das Regiment sei eines von wenigen Einrichtungen des Menschen, die dauerhaft Bestand gehabt hätten, weshalb ihm dessen Handeln als nachahmungswürdig galt. Im Verlauf der einhundert Jahre hätte sich die stetige Verbesserung und Vervollkommnung gezeigt, die dieses Regiment erfahren hätte. Wegener beschrieb wohl auch deshalb einzelne Siege nicht ausführlich und bildhaft und verklärte ebenso wenig das Heldentum einzelner.921 Sein Rückblick lief vielmehr auf den Höhepunkt in seiner Gegenwart zu, auf dem sich das Regiment sowohl quantitativ als auch qualitativ befunden habe. Diese evolutionäre Entwicklung war ihm wichtiger als der Versuch einer mystifizierenden und glorifizierten Darstellung der Stiftung und der Anfänge des Regiments. Der gegenwärtige ›beste‹ Zustand des Regiments im Sinne einer 916 917 918 919 920 921

Ebd., S. 16. Ebd., S. 16f. Ebd., S. 17. Ebd., S. 17f. Ebd., S. 19f. Die Kürze des Rückblicks ist wahrscheinlich neben der Argumentationslinie auch einem Mangel an Regimentsnachrichten geschuldet. Wenn diese nicht aufgezeichnet wurden, waren sie aufgrund der Fluktuation im Regiment bereits nach kurzer Zeit für die nachfolgenden Regimentsangehörigen verloren.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

stetigen Verbesserung war auch das Ergebnis des Strebens jedes Einzelnen nach Vervollkommnung. In diesem Verständnis des stetigen Fortschritts und der Perfektibilität, d. h. der Vervollkommnung des einzelnen Menschen, spiegelte sich das Gedankengut der Aufklärung wider, mit dem Wegener nicht nur während seines Studiums in Berührung gekommen war.922 Das Besondere an Wegeners Ausführungen ist, dass er mit seiner Predigt militärisches Denken und Verhalten gerade auch für Friedenszeiten einforderte. Zwar war die Bewährung im Krieg der »schwerste Theil« des Dienstes, aber jeder einzelne Soldat und Offizier trug mit seinem Streben nach Vervollkommnung gerade in Friedenszeiten zur Abschreckung potentieller Gegner bei. Dadurch wurde der bisherige enge Rahmen – Krieg –, in welchem der Einzelne seine militärischen Tugenden konkret beweisen konnte und durch den das Regiment als militärische Einheit seinen Sinn erhielt, deutlich erweitert. Dem ›Militär‹ an sich kam durch diese Auslegung mehr und mehr eine eigenständige Bedeutung zu, welches perspektivisch auf ein professionelles Selbstverständnis hinauslief. Wegener rief zwar mit seiner Ansprache die Geschichte des Regiments den Zuhörern in Erinnerung, aber er interpretierte sie aus dem Zeitgeist heraus für die Gegenwart und leitete daraus Schlussfolgerungen für die Zukunft ab. Die Stiftungsjubiläen des Infanterie-Regiments Nr. 16 und des Regiments Gens d’armes belegen, dass wenigsten zwei Regimenter ihren hundertjährigen Stiftungstag in einem größeren festlichen Rahmen feierten. Zugleich fällt auf, dass für die Zeit vor dem Tod König Friedrichs II. 1786 keine solchen erwähnt werden. Die zwei aufgeführten Belege stehen zu den insgesamt neunzehn Infanterieregimentern, den zwölf Kürassierregimentern sowie einem Dragonerregiment, welche vor 1706 gegründet wurden und die im 18. Jahrhundert und im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Anlass für ein hundertjähriges Jubiläum

922 Hermann, Leben und Werk (wie Anm. 888), S. 403 bzw. Wegeners eigene Schilderung, S. 432ff. Wegener studierte an der Viadrina in Frankfurt/Oder u. a. bei dem Aufklärer Josias Friedrich Christian Löffler. Zum Gedankengut der Zeit siehe Albrecht Beutel, Gerrit Walther, Aufklärung. 5.1. Religion und Kirche, Bd. 1, Stuttgart 2005, Sp. 806: »Man äußerte Zuversicht in die Ideen des Fortschritts und der Perfektibilität des Menschen […]«. Ebenso unter der Überschrift: »Aufklärung als geschichtlicher Fortschritt« schreiben Walter Sparn, Gerrit Walther, Fortschritt, Bd. 3, Stuttgart 2006, Sp. 1081f.: »Die europ[äische] Philosophie der Aufklärung seit Descartes oder Leibniz stellte ontologische und anthropologische Begründungen der Erwartung universalen kulturellen F[ortschritts] und der Arbeit an diesem F[ortschritt] bereit. In ihrem Optimismus unterlief sie die (bislang Gott vorbehaltene) ›Vervollkommnungsfähigkeit‹ (Perfektibilität) des Menschen, dessen Glück daher nicht in einem jenseitigen Ziel liegt, sondern im rastlosen Streben nach immer neuen Vollkommenheiten«. Vgl. auch die Ausführungen zur Perfektibilität: Gottfried Hornig, Perfektibilität, in: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie Band 7, P-Q, Darmstadt 1989, Sp. 241ff.

Gedenkfeiern und Jubiläen

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hatten, in einem Missverhältnis.923 Dass in den Regimentsgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts keine Jubiläen erwähnt werden, lässt drei Vermutungen zu: Entweder wurden erstens die Feiern im engsten Kreise des Regiments abgehalten, so dass auch keinerlei schriftliche Belege der Planung und Durchführung existierten und deshalb keinen Eingang in die Regimentsgeschichtsschreibung fanden. Dies scheint aber eher unwahrscheinlich zu sein, da für die meisten Regimenter detaillierte Geschichten entstanden und für deren Verwirklichung Archivgut herangezogen wurde. Überzeugender erscheint zweitens, dass die Regimentsgeschichtsschreiber des 19. und 20. Jahrhunderts eine solche Feier für nicht ›erinnerungswürdig‹ hielten. Von Ausnahmen abgesehen erscheint dies aufgrund des grundsätzlichen Anliegens solcher Regimentsgeschichten und ihrer zum Teil sehr detaillierten Ausführungen trotzdem eher unwahrscheinlich. Oder drittens: Es gab keine solchen Feiern anlässlich des Bestehens eines Regiments. Diese Vermutung gewinnt mit Blick auf das Todesjahr Friedrichs II. eine überraschende Plausibilität.924 Es ist auffällig, dass das erste bekannte Regimentsjubiläum vier Jahre nach seinem Tod 1790 begangen wurde. Vor dem Hintergrund, dass Regimentsangehörige Auszeichnungen wie den Orden Pour le M8rite nach dem Tode Friedrichs II. 1786 einforderten und ebenso sein Bruder Heinrich 1791 seiner Meinung nach unzureichend gewürdigten Feldherren ein Denkmal errichten ließ, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der König zu seinen Lebzeiten solche Jubiläumsfeiern nicht wünschte, nicht genehmigte und dadurch solche eigenständigen Erinnerungskulturen der Regimenter unterband.

3.

Ein Regimentsjubiläum nach 1806 – Inszenierung von Kontinuität

Die Praxis, Regimentsjubiläen zu begehen, entwickelte sich – wie auch das Schlachtengedenken – im 19. Jahrhundert weiter. Dennoch zeigt der Blick in das frühe 19. Jahrhundert, dass – auch bedingt durch die Auflösung von Regimentern 1806 und 1807 – in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts Jubiläumsfeiern immer noch ungewöhnlich und nicht fest etabliert waren. Das Bemühen um ein hundertjähriges »Stiftungsjubiläum« des Dragonerregiments Nr. 5 bzw. des Regiments »Königin-Dragoner« 1817 wurde in der Regimentsgeschichte belegt:

923 Die Zahl der möglichen Regimentsjubiläen reduziert sich dadurch, dass ein Jubiläum in die Zeit eines Krieges fiel und damit nicht begangen werden konnte. 924 Allein 14 der Infanterieregimenter und fünf Kürassierregimenter wurden bis 1686 gegründet.

246

Anlässe des Erinnerns und Vergessens

»Da in diesem Jahre nunmehr ein Jahrhundert seit der Errichtung des Regiments vergangen war, erbat dasselbe Allerhöchsten Orts die Genehmigung zu der Feier seines 100jährigen Bestehens. Weil der Tag der Errichtung damals nicht genau bekannt war, so sprach das Regiment die Bitte aus, das Fest am 3. August – dem Geburtstag Sr. Majestät des Königs – feiern zu dürfen, was ihm auch huldvollst gestattet wurde. Derartige Feiern waren in der Armee damals etwas Seltenes und Ungebräuchliches und durch die Verjüngung der Armee bei der Neuorganisation auch nur wenige Truppentheile dazu berechtigt. Dadurch erklärt es sich, daß der Gedanke zu der Feier bei dem Regiment sehr spät gefaßt ist und der Antrag erst am 20. Juli gestellt wurde.«925

Dieses Regiment gehörte zu den wenigen Regimentern, die über die Zäsur von 1806 hinaus bestanden. Unterstrichen wurde dieser Umstand durch personelle Kontinuität in der Person des Regimentschefs, des Generalfeldmarschalls Graf Kalckreuth. Die Unsicherheit über das genaue Stiftungsdatum kaschierte das Regiment wohl auch durch die Bitte, das Jubiläum des Regiments auf den Geburtstag des Königs legen zu dürfen. Wie beim Infanterieregiment Nr. 16 war die Regimentserinnerung vermutungsweise aufgrund fehlender Dokumente davon abhängig, was mündlich oder durch einzelne schriftliche Aufzeichnungen weitergegeben wurde. Durch ihre Bitte verknüpften die Mitglieder die Geschichte ihres Regiments mit einem aktuellen und besonderen Ereignis, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Genehmigung und ebenso die Bedeutung der Veranstaltung erhöhten. Aber die Kurzfristigkeit der Veranstaltungsorganisation führte neben Krankheit auch dazu, dass Offiziere anderer Regimenter »wenig zahlreich vertreten« waren.926 Kritischer vermutend ist anzunehmen, dass diese an der Feierlichkeit kein allzu großes Interesse hatten und die Kurzfristigkeit der Einladung zum Anlass nahmen, dieser fernzubleiben. Umso mehr nahm die Stadt Pasewalk Anteil, in der das Regiment in Garnison lag. Mit Parade, Reden, Gottesdienst und Empfängen wurde das Ereignis begangen. »Hierauf [nach dem Gottesdienst, Anm. FZ] marschirte das Regiment nach dem Markt zurück. Es bildete einen weiten Kreis, innerhalb dessen der als Redner berühmte Prediger und Rektor Sydow die eigentliche Festpredigt für das Regiment hielt, in welcher er auf das Große und Ausgezeichnete hinwies, was das Regiment im Laufe der Zeit ausgeführt und wodurch es sich unsterblichen Ruhm erworben. Hierauf redete Oberst v. Kameke in kräftigen Worten über die Doppelbedeutung des Tages zu dem Regiment und schloß mit dem Gelöbniß, dem König und dem Vaterlande treu zu bleiben, den Voreltern zu gleichen und als Preußen zu leben und zu sterben.«927

925 Albedyll, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 503), S. 347. 926 Ebd., S. 347. 927 Ebd., S. 348.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

247

Der Abend endete mit einem Ball, zu dem der Adel und alle wichtigen Personen eingeladen wurden. Ein Bericht über das Fest hielt fest: »Möge nun das kommende Geschlecht die heldenmüthigen Kämpfe diese Regiments stets durch dankbare Erinnerung ehren und dadurch zu muthigen Nacheiferung der Thaten ihrer wackeren Väter ermuntert werden.«928 Die vom Regiment und der Garnisonsstadt gemeinsam begangenen Jubiläumsfeierlichkeiten belegen, dass die Regimentsvergangenheit zu diesem Zeitpunkt bereits Teil einer städtischen Erinnerungskultur war und damit der Kreis der Erinnernden über das Regiment hinaus erweitert wurde. Dabei wurden in aller Öffentlichkeit Rückbezüge gegenwartsbezogen hergestellt, dadurch die Anwesenden auf die Werte des Regiments und seinen Ruhm verpflichtet und die Erinnerung daran dauerhaft sichergestellt.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen Erinnerungsbezüge werden nicht um ihrer selbst willen, sondern aus einer bestimmten Absicht heraus hergestellt. Dies wird vor allem in der Darstellung von Konfliktsituationen wichtig. Einige solcher spannungsreichen Situationen, die sich insbesondere zwischen König Friedrich II. und seinen Offizieren aber auch zwischen anderen Akteuren entwickelten, sind als Anekdote überliefert. Unter anderem deshalb lässt sich die Außenwirkung bzw. Wahrnehmung und Weitergabe solcher Konflikte heute nur noch schwer bestimmen. Derartige Überlieferungen zeigen, dass auch Negatives erinnert und nicht generell verdrängt und verschwiegen wurde. Insofern ist bei der Bewertung erstens danach zu fragen, welcher Akteur mit welcher Perspektive und Interpretation das Wissen um einen solchen Konflikt erinnerte und tradierte. Zweitens ist wichtig, ob und inwieweit Erinnerungsbezüge bereits als Argument in diesen Situationen geltend gemacht wurden. Mit der Analyse von Konflikten können somit Reichweite und auch Grenzen militärischer Erinnerungskulturen nachgezeichnet werden.929

928 Ebd., S. 349. 929 Das Duell als eine Konfliktform wird nicht berücksichtigt, da zwar Duelle immer wieder erwähnt wurden, diese aber keine signifikanten erinnerungskulturellen Bezüge entfalteten.

248 1.

Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Ehre – zentraler Bezugspunkt in Konflikten

In Konflikten vor allem mit dem König wurde Ehre als zentraler Bezugspunkt herangezogen. In seinen Aufzeichnungen konkretisierte Friedrich August Ludwig von der Marwitz den Ehrbegriff auch in militärischer Hinsicht. Für ihn war Ehre das Mittel, um Disziplin im Regiment durchsetzen zu können.930 »Ich tat also alles mögliche, um meinen Truppen einen wahren Soldatengeist einzuflößen und die wahre Disziplin, die auf der Ehre beruht, hineinzubringen, und ich kann sagen, daß es mir gelang.«931 Ehre zeigte sich in konkreten Sachverhalten. »Überhaupt gab es damals viele Ehrenansprüche, gegen welche niemand verstoßen durfte. In den Regimentern selbst war aller Dienst in Ehren- und Fatiguendienst geteilt. Die Ehre ging der Reihe nach von oben herunter. Dazu gehörten alle Kommandos gegen den Feind (und beim Exerzieren), alle Wachen, Standrecht, Kriegsrecht usw. Diese Dienste tat der älteste zuerst und der jüngste zuletzt. Die Fatigue hingegen ging von unten herauf, also Transporte bei der Bagage, Revisionen von Montierungen, Lazaretten und dergleichen mußte der jüngste zuerst tun und der älteste kam zuletzt daran.«932

Ebenso gab es eine ehrenbezogene Arbeitsaufteilung entsprechend dem Ansehen der Regimenter im Felde933 wie auch ehrenvolles bzw. ehrverletzendes Verhalten in der kriegerischen Auseinandersetzung: 930 Zum Begriff Ehre vgl. Ulrike Ludwig, John Zimmermann, Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugenden. Einführende Bemerkung, in: Ulrike Ludwig u. a. (Hrsg.), Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugenden, Paderborn 2014, S. 12: »Insgesamt kann festgestellt werden, dass Ehre und Pflichterfüllung als Konstrukte zu verstehen sind, mit deren Hilfe Wahrnehmungen geformt, Erfahrungen interpretiert und Verhaltensweisen motiviert werden.« Vgl. auch Nowosadtko, Möbius, Schule der Helden (wie Anm. 81), S. 158ff. 931 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 280. 932 Meusel, Marwitz’ Schilderung (wie Anm. 303), S. 464. – Deshalb war es für Marwitz auch wichtig, daran zu erinnern, dass er als Lieutenant, während die anderen Urlaub anstrebten, das Kommando im Regiment führte, obwohl der dritte Offizier eigentlich nie dazu Gelegenheit gehabt hätte, ebd., S. 483. – Ehransprüche ergaben sich auch aus dem Dienstalter der Kommandierenden, denn nach diesen wurden die Kompanien und Regimenter aufgestellt: »Jede Kompagnie war das Eigentum ihres Chefs, folgte seinem Range und avancierte also mit ihm. Z.B. die sechste Kompagnie (nach dem Range des Inhabers) stieß mit der ersten (der Kompagnie des Generals, Leibkompagnie) zur ersten Schwadron zusammen, ebenso die siebente mit der Kompagnie des Obersten zur zweiten Schwadron, dann die dritte mit der achten, die vierte mit der neunten und die fünfte mit der zehnten. Nun stand aber die erste oder Leibschwadron auf dem rechten Flügel des Regiments, die zweite Schwadron mit der Kompagnie des Obersten auf dem linken Flügel, die dritte Schwadron neben dem rechten Flügel, die vierte neben dem linken Flügel, die fünfte in der Mitte des Regiments. In den Schwadronen aber von der Mitte bis zum rechten Flügel stand die älteste Kompagnie rechter Hand, in den beiden linken Flügelschwadronen aber linker Hand, weil die Flügel, als die gefährlichsten Posten, die Ehrenposten waren«, ebd., S. 464. 933 Ebd., S. 464f.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

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»Wer sich in der Attacke nach hinten ausdrängen ließ, sollte 20 Fuchtel bekomen. Es wurde für entehrend und für ein Zeichen von Hundsfötterei angesehen, aus der Flanke zurückgedrängt zu werden, weshalb ein jeder mit aller Gewalt seines Pferdes dahinstrebte, seinen Platz zu behaupten. Zwar durfte während des Trabes und Galopps auch niemand nach vorn herausbrechen […], wenn aber erst Marsch! Marsch! kommandiert war, so kam es garnicht darauf an, ob ein Klumpen nach vorn hinausbrach, sondern ein jeder hatte, ohne jede Rücksicht, nur die angestrengteste Karriere zu reiten, um zuerst in den Feind einzubrechen. Man wußte damals noch, daß der Klumpen, der in der Karriere nach vorn hinausbricht, eben derjenige ist, der das Loch in der feindlichen Linie macht.«934

Gerade in diesen Ausführungen über den Angriff zeigt sich, was Ehre in der Interpretation von Friedrich August Ludwig von der Marwitz meinte: es ging letztendlich darum, in der kriegerischen Auseinandersetzung den Feind zu überwinden, Mut und Tapferkeit zu fördern und Feigheit von vornherein auszuschließen.935 Im Rückblick auf die Vergangenheit bemängelte er den Verlust von ›Wissen‹ in seiner Gegenwart und meinte eigentlich den Verlust von ehrenhaftem Verhalten. In den Regimentern aufbewahrtes Wissen über die Vergangenheit diente also in erster Linie dazu, das eigene ehrenvolle Verhalten herauszustellen, dieses als solches zu rechtfertigen und zu verteidigen, und sich von unehrenhaftem Verhalten abzugrenzen.936

2.

Gegen den königlichen Deutungsanspruch – Erinnerung als Mittel des Widerspruchs

Befehlsverweigerung im Spiegel eines familiären Erinnerungskontextes »Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.«937 Diese bekannte und stark nach934 Ebd., S. 471. 935 Im Gegensatz dazu sei »Alter« weniger wichtig, da »die Disziplin, das Beispiel der Offiziere, und der Muth, nicht das Alter des Regiments, den Soldaten machen«; zitiert nach Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 186f. 936 Vgl. den Bericht eines ›Augenzeugen‹ über die Schlacht von Kolin (1757), in der das 1. Bataillon Garde (im zweiten Treffen stehend) nicht mit zurückweichenden Truppenteilen des ersten Treffens zusammen angreifen wollte, da es ihrer Ehre zuwider war, Carl von Reinhard, Geschichte des Königlich Preußischen Ersten Garde-Regiments zu Fuß zurückgeführt auf die historische Abstammung des Regiments vom 1. Bataillon Leibgarde, dem Regiment Garde und dem Grenadier-Garde-Bataillon 1740–1857, Potsdam 1858, http://books.google.de/books?id=SbtXAAAAcAAJ, 24. 03. 2014, S. 84; Hinweis bei Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 419. Vgl. auch S. 55. 937 Günter de Bryn, Opposition und Gehorsam, in: Günter de Bruyn, Gerhard Wolf (Hrsg.), Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Nachrichten aus meinem Leben 1777–1808, Berlin 1989, S. 350.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

wirkende Inschrift auf dem Grabstein für Johann Friedrich Adolph von der Marwitz (1723–1781)938 erinnert noch heute in seltener Offenheit an einen Konflikt zwischen dem adligen Offizier und seinem König im Siebenjährigen Krieg: Friedrich II. hatte nach Plünderung des Schlosses Charlottenburg in Berlin im Gegenzug das Schloss des sächsischen Premierministers, des Grafen Bühl in Pförten, zerstören lassen. Zudem hatte er den Obersten Johann Friedrich Adolph beauftragt, das mobile Inventar des königlich sächsischen Jagdschlosses Hubertusburg in Wermsdorf, welches einem hohen finanziellen Gegenwert entsprach, wegschaffen zu lassen.939 Der Neffe des Obersten, Friedrich August Ludwig (1777–1837), überlieferte den Konflikt aus der familiären Perspektive und schilderte folgende Szene: »Nach einigen Tagen fragte der König ihn [Johann Friedrich Adolph, Anm. FZ] bei Tisch, ob er alles habe wegbringen lassen. Der Oberst sagte: ›Nein.‹ Nach einigen anderen Tagen, wo der König recht gut wußte, daß noch alles unangerührt stehe, tat er dieselbe Frage, und als die nämliche Antwort erfolgte, fragte der König: ›Warum nicht?‹ – ›Weil dies sich allenfalls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde, nicht aber für den Kommandeur Sr. Majestät Gensdarmes!‹ war die Antwort. Der entrüstete König stand von der Tafel auf, schenkte dies Mobiliar dem Obersten Quintus Icilius, und der plünderte alles rein aus.«940

Johann Friedrich Adolph fiel daraufhin beim König in Ungnade. Er wurde nicht befördert und erhielt kein eigenes Regiment. Ebenso wurde ihm der geforderte Abschied verweigert. Der König übertrug seinen Unmut auch auf das Regiment, mit dem er nach dieser Auseinandersetzung in den Revuen unzufrieden war. Die Steigerung in der persönlichen Zurücksetzung sah schließlich Johann Friedrich Adolph darin, dass nicht ihm, sondern dem Generaladjutanten von Krusemarck das »erledigte« Regiment verliehen wurde. Daraufhin verweigerte er sich dem Dienst, zog sich auf seine Güter zurück und lehnte auch die Angebote des Königs ab, ihm das nächste freiwerdende Regiment zu übergeben. »Er [Johann Friedrich Adolph von der Marwitz, Anm. FZ] ließ antworten, was geschehen sei, könne der König nicht ungeschehen machen, auch den Krusemarck nicht wieder wegjagen, er habe aber so gedient, daß er sich keine passe-droit941 brauche gefallen zu lassen. Und so forderte er zum dritten Male den Abschied und erhielt ihn 1769.«942 Zunächst weigerte sich Johann Friedrich Adolph von der Marwitz als Offizier und als »Kommandeur Sr. Majestät Gensdarmes«. Dieses Regiment war, wie sein 938 Zur Person Johann Friedrich Adolph von der Marwitz Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 119 (Nr. 640). 939 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 10f. 940 Ebd., S. 11. Friedrich August Ludwig von der Marwitz schrieb wiederum seine Erinnerung im Bewusstsein der militärischen Tradition seines Hauses. Vgl. S. 115, Anm. 375. 941 Zurücksetzung, auch: Ungehörigkeit. 942 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 11f.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

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Neffe Friedrich August Ludwig von der Marwitz mehrfach betonte, das zweite Regiment in der Armee hinter dem Regiment Garde du Corps und vor dem Regierungsantritt Friedrichs II. über lange Zeit das erste Regiment in der Armee. Johann Friedrich Adolph trat also dem König nicht auf der Grundlage eines unbestimmten allgemeinen militärischen Ehrbewusstseins und Stolzes entgegen, sondern als Kommandeur des zweithöchsten Regimentes der Armee.943 Es ging um seine Ehre als Offizier, die er vorrangig militärisch begründete. Dies tritt umso deutlicher hervor, als Johann Friedrich Adolph von der Marwitz meinte, die Ausführung des königlichen Befehls schicke sich – wenn überhaupt – für Offiziere eines Freibataillons, also für Offiziere von Freiwilligeneinheiten, die für die Zeit eines Krieges angeworbenen wurden und – unterschwellig anklingend – keine Ehre, Geschichte und Tradition hatten. Aber selbst diesen traute er nur schwerlich die Ausführung eines solchen Befehles zu. In dem Maße, wie Friedrich II. im Verlauf des Konfliktes Johann Friedrich Adolph von der Marwitz als Kommandeur des Regimentes Gens d’armes seine Ungnade spüren ließ, wandelte sich der Konflikt allmählich von einer zunächst dienstlichen Angelegenheit zu einer persönlichen Auseinandersetzung. Es ging zunehmend auch um die Ehre und den Stolz der Person Johann Friedrich Adolphs. Darauf weisen die Aussage, »was geschehen sei, könne nicht mehr ungeschehen gemacht werden« und die selbstbehauptende Verteidigung, dass er, Marwitz, »so gedient habe, dass er sich keine [Zurücksetzung] brauche gefallen zu lassen« hin. Johann Friedrich Adolph von der Marwitz konnte diesen Konflikt nicht gewinnen und ihm blieb nur der Rückzug aus der Armee, um seine Ehre zu bewahren. Selbst diesen gewährte ihm der König nur zögernd. Die Johann Friedrich Adolph von der Marwitz zugeschriebenen Erwiderungen sowie sein Verhalten waren nicht nur in der korporativ verankerten, ›berufsständischen‹ Ehre als Offizier begründet, sondern auch in der des Adels. Obwohl seine adlige Herkunft ihm gerade nicht eine angemessene Versorgung sicherstellen konnte, beharrte er auf seinem ›Ehrenstandpunkt‹.944 Seine ›Ehrenhaftigkeit‹ war also nicht an materielle Voraussetzungen geknüpft. Die Erinnerung dieses Konflikts im familiären Umfeld belegt, wie wichtig und konstitutiv das Ehr- und Selbstverständnis für den Neffen und die Familie war.945 Es ist auch der Versuch, sich gegen die königlichen Interpretationen zu wehren. Obwohl sein Neffe Friedrich August Ludwig die Geschichte aufgrund seines

943 Vgl. Ewald Frie, Preußische Identitäten im Wandel (1760–1870), in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 367. 944 Vgl. Marwitz Nachrichten, S. 12. Johann Friedrich Adolph starb »völlig insolvent«. 945 Auch heute hat dieser Konflikt noch identitätsstiftenden Charakter. Vgl. die Reduktion der Familiengeschichte auf diesen Konflikt auf der Homepage von Hans-Georg von der Marwitz MdB: http://www.von-der-marwitz-mdb.de/index.php?ka=2& ska=20 (24. 03. 2014).

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Alters nur aus der Erzählung kennen konnte, ließ er seinem Onkel den Grabstein mit der Inschrift setzen. Befehlsverweigerung im Spiegel eines militärischen Erinnerungskontextes Ehre war auch in einem parallelen Vorfall bzw. einer zweiten Version dieser Geschichte zentral.946 Sie ist zugleich ein Indiz dafür, dass dieser Konflikt auch innerhalb des brandenburgisch-preußischen Offizierskorps wahrgenommen und erinnert wurde.947 Im Mittelpunkt stand Friedrich Christoph von Saldern (1719–1785)948, der sich ebenso wie Johann Friedrich Adolph von der Marwitz weigerte, das Schloss Hubertusburg zu plündern und damit einen Bruch mit dem König in Kauf nahm.949 Auf den Befehl des Königs, die beweglichen Güter des Schlosses in Wermsdorf abtransportieren zu lassen, antwortete der Generalmajor und Chef des Grenadier-Gardebataillons Saldern: »Eure Majestät halten zu Gnaden, das ist gegen meine Ehre und Eyd.«950 Nach der rechtfertigenden Begründung des Königs für 946 Für diese Untersuchung ist es unerheblich, ob sich die beiden Vorfälle nacheinander oder nur einer der beiden ereignete. Auch im Ergebnis der Betrachtung und zeitlichen Einordnung der beiden Vorfälle durch Friedrich E. Schnapp, Von der Marwitz oder von Saldern?, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 18 (2008) ist nicht ausgeschlossen, dass sich sowohl der Disput zwischen König und Marwitz als auch der zwischen König und Saldern ereignete. Vgl. ebd., S. 60f. Zum Spannungsverhältnis zwischen Ehre und Subordination vgl. Carmen Winkel, Zwischen adliger Reputation und militärischer Subordination. Normative Ehrvorstellungen und soziale Praxis im preußischen Offizierkorps, in: Ulrike Ludwig u. a. (Hrsg.), Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugenden, Paderborn 2014, S. 114ff. 947 Vgl. auch das Beispiel, dies., Ehrvorstellungen (wie Anm. 946), S. 121f. 948 Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 475ff. (Nr. 489). 949 Ausführlich berichtete der ehemalige Feldprediger Carl Daniel Küster davon. Dieser gab im Vorwort an, entweder selbst Augenzeuge gewesen zu sein oder die Berichte von verlässlichen Personen erhalten zu haben, Carl Daniel Küster, Characterzüge des Preußischen General-Lieutenants von Saldern mit practischen Bemerkungen über seine militärischen Thaten und über sein Privatleben. Zum Dienst junger Helden Berlin 1793, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10066452-6, 23. 06. 2014, S. XIV f. Zur Person Küsters vergleiche auch Kristin Heinze, Zwischen Wissenschaft und Profession. Das Wissen über den Begriff »Verbesserung« im Diskurs der pädagogischen Fachlexikographie vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Opladen, u. a. 2008, S. 65. 950 Küster, Saldern (wie Anm. 949), S. 42. Eine weitere Situation, in welcher sich ein Offizier im August 1757 auf seine Ehre berief und einen königlichen Befehl verweigerte, wurde durch Zabeler, Nachlaß Donnersmarck (wie Anm. 280), S. 287 überliefert: »Vor seinem Abmarsche von Dresden, hatte der König dem Obersten Finck, Kommandanten von Dresden, befohlen, Pulverfässer in die Keller des Schlosses schaffen und Schießscharten durch die Mauern der Katholischen Kirche brechen zu lassen. Finck hatte jedoch geantwortet: ›Majestät, ich bin ein rechtschaffener Mann, ich werde meine Pflicht thun und die Stadt bis auf den letzten Mann vertheidigen, aber entbinden Sie mich von Dingen, die gegen meine Ehre sind.‹« Auch in diesem Beispiel geht es um die Grenzen königlicher Durchsetzung. Die

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seinen Befehl wiederholte Saldern seine Antwort: »Eure Majestät schicken mich stehenden Fußes den Feind und dessen Batterien anzugreifen, so werde ich herzhaft gehorchen; aber wider Ehre, Eid und Pflicht kann ich nicht, darf ich nicht!« und verwies darauf, dass der König ohne weiteres einen anderen für diese Aufgabe hätte heranziehen können.951 Mit seinem Verweis darauf, einen Angriffsbefehl sofort umzusetzen, betonte Saldern, dass militärischer Gehorsam nicht durch sein Verständnis von Ehre wirkungslos wurde, sondern nach wie vor für ihn bindend war. Der König hatte demnach ein anderes Verständnis von Ehre und so zog Saldern eindeutige Konsequenzen.952 »Saldern entfernte sich; ward krank und verließ mit Königlichem Urlaub die Armee bis zu seiner Wiedergenesung.«953 Damit wurde die Auseinandersetzung auch in weiteren Kreisen bekannt und die Offiziere und Soldaten beschäftigten sich damit: »Es ward fast in allen Zelten der Officiere und Gemeinen über das Benehmen des Generals Saldern und des Obrist Quintus gesprochen. […] Denkende Officiere und Feldprediger nahmen hierbey Gelegenheit, die wichtige Materie von militairischen Collisionspflichten zu untersuchen, und sich einander manche nützliche Aufklärung zu geben. Die mehresten, und wie ich glaube die besten Stimmen gingen dahin, daß sie sagten: der König und Saldern sind zu entschuldigen; ja jeder von ihnen hat Recht gethan. Denn jeder hat nach dem Uebergewichte seiner sich ihm darstellenden Ideen gehandelt. […] Saldern aber that als General Recht, daß er seine Ehre in den Augen der Welt nicht durch den Schein des niedern Eigennutzes beflecken wollte.«954

Diese Schilderung belegt, dass die Bewertung des Vorfalls kollektiv diskutiert wurde und zu einer inhaltlichen Konkretisierung des eigenen Selbstverständnisses führte. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die Auseinandersetzung über dreißig Jahre später immer noch als lehrreiches Beispiel Teil militärischer Erinnerungskultur war. So nutzte der ehemalige Feldprediger Küster 1793 die Auseinandersetzung, um diese als leuchtendes Beispiel für seinen Adressatenkreis, »verstandvolle, junge angehende Helden« zu aktualisieren, so dass sie »hieraus Ermunterungen und Winke nehmen [sollen, Ergänzung FZ], auf ihrer

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Aufnahme in den Aufzeichnungen des Grafen Henckel von Donnersmarck zeigt, dass auch dieser Konflikt wahrgenommen und erinnert wurde. Vgl. auch Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung (wie Anm. 43), S. 180. Küster, Saldern (wie Anm. 949), S. 42. Zum Ehrverständnis des Königs vgl. Hebbelmann, Offizierkorps (wie Anm. 48), S. 215f. Vgl. auch Friedrich Syben, Preußische Anekdoten nach Memoiren und Biographien, Berlin 1939, S. 185. Dieser Anekdote zufolge konnte ein Offizier die Gebühr für den Pour le M8rite nicht bezahlen und wählte deshalb das vom König angebotene Geld. Als er Jahre später den Orden erneut erhalten sollte, nahm er diesen an und führte sein geändertes Verhalten gegenüber dem König auf die Einnahmen aus der mittlerweile eigenen Schwadron zurück. Küster, Saldern (wie Anm. 949), S. 42. Ebd., S. 43f.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Heldenbahn in Salderns Fußstapfen zu treten; denn [sic] können sie hoffen, sich im Frieden und Kriege ehrwürdig zu machen.«955 Beide Versionen des Konfliktes bezüglich der Räumung des Schlosses Hubertusburg wurden öffentlich erinnert: in der Version mit Friedrich Christoph von Saldern als Teil militärischer Erinnerungskultur und in der Version mit Johann Friedrich Adolph von der Marwitz als Teil einer familiär-adligen Erinnerungskultur, welche die Grenzen militärischer Identität aufzeigte.956 Die Inschrift des Grabsteins entfaltete in Reduktion des Sachverhalts als in Stein gemeißelte Erinnerung langfristige Wirkung und verschaffte der dramatischen Figur Johann Friedrichs Adolphs nach dessen Tod Rechtfertigung und Rehabilitation. Der Initiator Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der selbst Offizier im Regiment Gens d’armes gewesen war, unterstrich und ergänzte diese auch gegen den König gerichtete Perspektive durch seine retrospektiven schriftlichen Aufzeichnungen.

3.

Königliche Dominanz und das Schweigen der Familien – Konflikte in der Erinnerung

Die Erinnerung des Widerspruchs Johann Friedrich Adolphs von der Marwitz aus der familiären Perspektive stellte eher eine Ausnahme dar, wie die Entlassung des Generallieutenants Christoph II. Burggrafen und Grafen zu Dohna-Schlodien 1759 als Oberbefehlshaber einer Armee durch König Friedrich II. belegt. Über lange Zeit dominierte die königliche Interpretation der Ereignisse die öffentliche Meinung. König Friedrich II. rechtfertigte die Entlassung des Generallieutenants in seinem Rückblick auf den Siebenjährigen Krieg mit dessen mangelnder Tatkraft und machte ihn für die Niederlage bei Kay im Juli 1759 verantwortlich. Er warf dem Generallieutenant vor, die Truppen im Feldzug 1759 schlecht geführt zu haben. »Man häufte Fehler auf Fehler, und so wurde der unglückliche Zug gleichsam zur Quelle all des Mißgeschicks, daß die Preußen in diesem Feldzuge traf. […] Sie [die Russen, Anm. FZ] zogen ganz nahe an der preußischen Armee hin, aber in einer Unordnung, die Graf Dohna bei einiger Entschlossenheit wohl hätte ausnützen können. Indes traf er durchgehends so schlechte Maßnahmen, daß er durch seine eigene Nachlässigkeit einen Teil seiner Bäckerei und seines Proviants verlor, was ihn zum Rückzug auf Züllichau 955 Ebd., S. XVI. Vgl. auch S. I u. VI. 956 Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 12: »Die Lebensleistungen seiner ersten Frau, seiner beiden Brüder und seines Onkels faßte er in prägnanten Formeln zusammen, die immer wieder zitiert worden sind. Am bekanntesten wurde die Inschrift auf dem Gedenkstein für den Onkel Johann Friedrich Adolph, die ein ganzes Leben auf einen Akt des Widerspruchs gegen Friedrich II. zusammenzog […].«

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

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zwang. Der König erfuhr von der bei Dohnas Armee herrschenden Verwirrung und von der Uneinigkeit unter den Generalen. Er schickte deshalb Wedell dorthin, der das Kommando als Diktator übernahm, obgleich er nicht der Rangälteste war.«957

Die Einschätzung des Königs wurde durch einen Teil der Soldaten geteilt, wie ein Kommentar des Musketier Dominicus in einem Brief aus dem Lager Fürstenwald vom 25. August 1759 belegt: »Wir sind unterdeßen durch götliche Fügung mit ihnen zu zwey Batalien gekomen. Die erste ist gewesen den 23ten Juli bey Zulichau. [bzw. Kay, Anm. FZ] Vorhero hatte der General Dohna das Commando. Den 22ten Juli trat der General Wedel das Commando an, und der alte General Dohna verlohr sich von uns. Dem Gespräch und unserm Ansehen nach hätte Dohna den Feind, eher als wir denselben, vor dem Busche auf einer Pläne angreifen sollen. Sobald als Wedel ankam, stund der Feind hinter dem Busche. Den 23ten marschirten wir durch den Busch auf sie loß.«958

Ein anderer Bericht erwähnte lediglich die Ankunft und Übernahme des Kommandos durch den Generallieutenant Wedel.959 Obwohl die Niederlage der preußischen Truppen in der Schlacht bei Kay unmittelbar nach Ablösung des Generallieutenants Dohna als Oberbefehlshaber dessen defensive Truppenführung im Nachhinein bestätigte, zog seine Entlassung über die unmittelbare Diskussion in der Armee und die nachträgliche Begründung durch den König hinaus keine familiäre Gegendarstellung nach sich.960 Dohna hatte eher die Sorge, dass der König seinen Unmut auch auf seine Familie übertragen könnte und schrieb an den König: »Hat es mir nicht geglückt, Euer Königliche Majestät Vertrauen erwerben zu können, so opfere ich willig meine Hoffnungen auf, wenn ich diejenigen nur behalte, daß Euer Königliche Majestät weder auf mich noch meine Kinder, die zu Euer Majestät Diensten erzogen, keine Ungnade werfen.«961 Das Schweigen der Familie ist möglicher-

957 Friedrich der Große, Geschichte. Zweiter Teil (wie Anm. 157), S. 11f. Zur Bewertung der königlichen Sichtweise siehe Lothar Graf zu Dohna, Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie, Bd. 2, Göttingen 2013, S. 495, wonach die Darstellung überwiegend sachlich unzutreffende Angaben enthalte. 958 Dominicus, Tagebuch (wie Anm. 280), S. 61. Parallel schrieb er : »Den 22. krigte der General Wedel das Comando bey uns, und der General Graf Dohne kam von uns weg; wohin? weiß ich nicht«, ebd., S. 55f. 959 Naumann, Ungedruckte Nachrichten, Bd. 1 (wie Anm. 216), S. 495, »Tagebuch eines Offiziers vom Alt-Schwerinschen Infanterieregiment, welches die Feldzüge von 1756. bis 1763. enthält«. 960 Konsequenzen zog die Familie dennoch: der Sohn und zugleich Adjutant Christophs erbat seinen Abschied aus der Armee aus gesundheitlichen Gründen, der jüngere Sohn diente nicht im Militär, Dohna, Die Dohnas, Bd. 2 (wie Anm. 957), S. 498. Lothar Dohna unterstellt, dass die gesundheitlichen Gründe vorgeschoben waren. 961 Zitiert nach Kopka von Lossow, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 528), S. 159f. Kopka von Lossow wertete die Zurückhaltung Dohnas als Schwäche und interpretierte alles vom

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

weise damit zu erklären, dass durch eine Gegendarstellung kein Ehrgewinn zu erwarten war. Die militärische Entscheidung des Generallieutenants Dohna, über eine bewegliche Kriegführung im Jahr 1759 eine Schlacht zu vermeiden, dadurch die ihm anvertraute Armee zu schonen und dennoch den Gegner am angestrebten Erfolg zu hindern, bot weder der Familie noch einem Regiment und allgemein dem Militär die Möglichkeit, positive Erinnerungsbezüge damit zu verknüpfen. Denn sein ›Erfolg‹ lag gerade in der Vermeidung eines ›Schlachtenereignisses‹ und damit beraubte er sich, seine Armee und letztlich auch seine Familie der Möglichkeit, Ruhm und Ehre zu gewinnen. So wird verständlich, warum erst im 19. Jahrhundert in einer Bewertung der Gesamtlage seine Entscheidungen als sinnvoll beurteilt und die Darstellung des Königs relativiert wurden.962 Dieses Beispiel belegt eine Dominanz der königlichen Erinnerungspolitik und Deutungshoheit auch über Konflikte und offenbart das Schweigen adliger Familien, die der königlichen selten und zumeist erst deutlich verzögert eine eigene Darstellung gegenüberstellten. Erst im 19. Jahrhundert war die Distanz groß genug, um sich kritisch mit der überlieferten königlichen Darstellung auseinandersetzen zu können, die dann aber keine spezifischen Erinnerungsbezüge mehr stiften konnte.

4.

Erinnerung ›ex negativo‹

König Friedrich II. dominierte nicht nur hinsichtlich der Interpretation von Konfliktsituationen, sondern er trug aktiv dazu bei, dass seine negativen Erfahrungen mit bestimmten Regimentern diesen als ›ihr‹ Versagen im Gedächtnis blieben. Dies erfolgte insbesondere durch seine über Jahre hinweg anhaltenden schlechten Bewertungen einiger Regimenter. Jahrzehnte nach dem Siebenjährigen Krieg wurden beispielsweise Offiziere schlechter gestellt, unabhängig davon, ob sie bei einem Regiment gestanden hatten, als der König seine ›schlechten‹ Erfahrungen mit demselben sammelte.963 Vor allem bei den negativ bewerteten Regimentern verweigerte Friedrich II. nicht nur den Aufstieg, sondern auch die Verabschiedung lang gedienter Offiziere mit einem höheren Rang. Standpunkt des ›genialen‹ königlichen Feldherrn. Dohna selbst hatte mit gesundheitlichen Gründen um seinen Abschied gebeten, Dohna, Die Dohnas, Bd. 2 (wie Anm. 957), S. 497. 962 Ders., Die Dohnas, Bd. 2 (wie Anm. 957), S. 495. 963 Straubel, Friedrich II. (wie Anm. 33), S. 370f. Straubel nennt aufgrund seiner Untersuchung die ostpreußischen Infanterie-Regimenter (Nr. 4, 11, 14, 16), aber auch die Infanterieregimenter Nr. 7, 24, 33 und 36. In Summe waren es knapp 20 Regimenter, die der König immer wieder auf ihre ›Verfehlungen‹ hinwies, ebd., S. 374. Neben dem Verhalten im Siebenjährigen Krieg zählte auch das Verhalten während der jährlichen Revuen. Auch dieses konnte negative Folgen zeitigen, vgl. ebd., S. 377.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

257

»Es hat mitunter den Anschein, als ob mit zunehmender zeitlicher Distanz zum letzten Krieg die Sicht des Königs auf seine Armee immer rigider wurde. Hatte er unmittelbar nach 1763 nur einige wenige Regimenter wegen ihrer schlechten Haltung kritisiert, wuchs deren Zahl bis in die Mitte der siebziger Jahre immer mehr an.«964 So wurde beispielsweise die Bitte eines Capitains von Brincken um Beförderung mit dem Hinweis, »das Regiment ist beständig vohr den Feindt gelaufen und mus er nothwendig aller wegens mit gelaufen seindt […]«, abgelehnt. Nach dessen Einspruch, »nicht länger unter der dem Regiment auferlegten Ungnade leiden zu müssen« erhielt er erneut zur Antwort: »›Alles gut, aber Ich wollte brave Officiers bey Meiner Armee haben, und die Officiers die bey solchen Regimentern gestanden, die niemahls gut gethan‹, müssen sich vorzüglich distinguieren und dadurch zeigen, ›daß sie an dem nicht schuld sind, daß die übrigen beym Regt. nicht beßer gethan‹«.965 König Friedrich II. forderte mit seinen Vorwürfen die Offiziere der beschuldigten Regimenter aktiv zur Erinnerung auf, aber nicht im Sinne einer positiven Identitätsstiftung: so sollte sich ein Premier-Lieutenant von Kleist »nur erinnern, wie das Regt. im Kriege gethan«.966 So handelte es sich gleichsam um Erinnerungen ›ex negativo‹, die der König begründete und es ist anzunehmen, dass diese vom König bestraften Regimenter zu einem spezifischen Umgang mit ihrer ›Vergangenheit‹ gelangten.

5.

Erinnerung eines Konfliktes aus unterschiedlichen Perspektiven

Ein besonderes Beispiel für die Pluralität und Selektion von Erinnerungen eines Konfliktes ist die Auseinandersetzung zwischen König Friedrich II. und Otto Martin von Schwerin (1701–1777), einem der Hauptakteure der Schlacht von Hohenfriedberg 1745.967 Daran lässt sich zeigen, wie unterschiedlich ein und derselbe Konflikt aus individueller-familiärer, aus königsnaher militärischer und aus unmittelbarer Perspektive des Regiments bewertet und erinnert wurde. Sachverhalt König Friedrich II. befürchtete nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges eine Verschlechterung der Disziplin und formulierte Anfang 1746 sein in die Offiziere gesetztes Vertrauen, »daß sie nichts negligiren werden um die gute Ordnung und Disciplin, durch welche Meine Armee bis dato unüberwindlich 964 965 966 967

Ebd., S. 371. Zusammenhang und Zitat bei ebd., S. 371f. Zusammenhang und Zitat bei ebd., S. 373. Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 1 (wie Anm. 230), S. 304 (Nr. 338).

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

gewesen, auf alle Arth und Weise völlig einzuführen und zu erhalten, allen Fleißes bemüht seyn werden. Derowegen Ich Euch und denen gesammten Stabes auch Ober-Officiers des Bareuth’schen Regiments recommandire alle Meine Reglements und Ordres einigemahl widerumb durchzulesen und nachher auf die execution derselben in allen Stücken sehr genau zu halten.«968 Die Befürchtungen des Königs waren nicht unbegründet. Der Konflikt begann mit einem Duell zwischen den Offizieren Chasot und Bronikowsky, in dem letzterer tödlich verletzt wurde.969 Daraufhin veranlasste der König als erste Disziplinarmaßnahme eine Querversetzung von Offizieren und forderte im weiteren Verlauf von Schwerin eine Beschleunigung der Untersuchung.970 Darüber hinaus war der König unzufrieden, weil dem Regiment u. a. Exzesse bei der Anwerbung von neuen Soldaten vorgeworfen wurden.971 Seine Kritik richtete sich vor allem gegen die Offiziere: »Mein lieber General-Major v. Schwerin. Wenn Ich Euch durch den Lieutenant v. Rahden sagen lassen, daß bei dem Bareuth’schen Regiment viele desordres welche Ihr abstellen und besser Ordnung halten sollet; So habe Ich nicht von dem Gemeinen Mann bey dem Regiment gesprochen, sondern vielmehr meine Absicht auf die Lebens Arth derer Officiers und die daher entstehenden desordres gehabt. Um Euch aber deutlich zu sagen, was Ich dadurch eigentlich verstehen wolle; So ist solches zuförderst dieses, daß Ihr die Officiers nicht kurz genug haltet, nächst dem aber, Daß das Saufen bey dem Regiment unter den Officiers eingerissen ist, welches Saufen denn Ihr abschaffen sollt.[…]«972.

Im Spiegel dieses königlichen Briefes erscheint Schwerin als ein Kommandeur, der die Anforderungen des Königs anders als dieser interpretierte und nach eigenem Ermessen umsetzte. Dem König war die fehlende Distanz zwischen Kommandeur und Offizieren und der eher ›familiäre‹ Zusammenhalt im Regiment mehr als suspekt: »[…] da Ich weiß, daß die Officiers von solchem viele Schulden machen, daß bey solchem keine rechte Subordination noch ordre ist und daß wegen der großen familierit8 zwischen denen Commandeurs und Subalternen Officiers und anderer Uhrsachen halben alles in Confusion und Unordnung gehet.«973 Es liegt angesichts dieser Argumentation des Königs nahe, dass eine gewachsene kollektive Identität der Regimenter seinem Verständnis und Ziel eines funktionierenden Militärs, wie es in den Reglements beschrieben wurde, widersprach. Nur so sind auch die häufigen Ermahnungen, diese einzuhalten 968 969 970 971

Zitiert nach Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 245. Ebd., S. 246f. Ebd., S. 248f. Albedyll nennt neben dem erwähnten Duell und den »Werbeexzessen […]« »Jagdkontraventionen und Heirathsgesuche der Offiziere«, ebd., S. 252. 972 Ebd., S. 251. 973 Ebd., S. 251.

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und in bestimmten Zeitabständen zu verlesen, zu verstehen.974 Die ›Mängel‹ im Dragonerregiment Nr. 5 hatten jedoch noch keine unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten des Regiments in den Übungen während der Revue 1747.975 So lange sich das Regiment in den Revuen der folgenden Jahre entsprechend den gestellten Anforderungen verhielt, kulminierte der schwelende Konflikt nicht in einer offenen Auseinandersetzung. Schwerin selbst stellte sich immer wieder vor die Offiziere und suchte das vom König kritisierte Verhalten zu entschuldigen.976 Vor diesem Hintergrund kam es seit 1753 erneut zu Problemen bei der Anwerbung von Soldaten und 1755 dann während der Revue öffentlich wahrnehmbar zum Bruch zwischen Schwerin und dem König.977 Friedrich II. hatte Schwerin schwere Vorwürfe gemacht und bekräftigt, das Regiment sei »ein versoffenes Regiment«. Dagegen verwahrte sich Schwerin und ersuchte um seinen Abschied. Dabei soll Schwerin den Satz ausgesprochen haben: »Ich will ein Hundsfott sein, wenn ich noch einmal den Degen vor dem Sauf-Regiment ziehe.«978 Den Abschied erhielt Schwerin nicht, jedoch konnte er sich auf seine 974 Vgl. ebd., S. 261: »Uebrigens wiederhole Ich hierdurch die Ordre, daß die gesammten officiers das Reglement fleißig lesen müssen, und sollen mir die Chefs und Commandeurs davor responsable seyn, daß die officiers alle Jahr das Reglement viermahl durchlesen und nicht zu vergessen was darinnen stehet«; ebenso S. 263 u. 264. 975 Ebd., S. 261. Vgl. die Revuen 1748, S. 266; 1751, S. 268 und 1753, S. 272. 976 Vgl. beispielsweise ebd., S. 268. Schwerin wurde in den Darstellungen als ein dem Regiment verbundener Regimentskommandeur beschrieben. Dies habe sich sowohl an dem Einsatz eines Teils des Regiments gegen die Landbevölkerung gezeigt, die ohne seine Erlaubnis in seinen Seen fischte, wie auch durch den Umstand, dass seine Kinder vom Feldprediger und nicht vom Ortspfarrer getauft worden seien, ebd., S. 275. Als Gegenbeispiel eines ›ungeliebten‹ Regimentschefs, vgl. S. 145, Anm. 491. 977 Ebd., S. 273. 978 Zusammenhang und Zitat bei ebd., S. 274. Vgl. auch Ravenstein, Historische Darstellung (wie Anm. 503), S. 16ff., der ohne wörtliche Zitate berichtete, dass Schwerin aufgrund der Vorwürfe nie mehr den Degen ziehen wollte. Zentral für die Ausschmückung im 19. Jahrhundert ist die Beschreibung bei Louis Schneider, Bilder aus Berlin’s Nächten!, 2. Aufl., Berlin 1870, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11015909-9, 14. 06. 2014, S. 90ff., der ein Zwiegespräch zwischen Zieten und Schwerin wiedergab und von späteren Autoren rezipiert wurde: »[Zieten, Anm. FZ] ›Und doch hat der König vier Jahre nachher das Regiment ein besoffenes Regiment genannt, und Dich in Gegenwart der ganzen Generalität geschuhriegelt wie einen Kammer-Laquaien.‹ ›Ja, das hat er, und mich hat er damit aus einem Dienst gebracht, der mein ganzes Leben war. – Aber ich habe ihm geantwortet wie ein Edelmann. Der Teufel soll mich holen, wenn ich wieder den Degen vor der Front meines Regiments ziehe. Und ein Schwerin hält sein Wort.‹«. Vgl. Heinrich Ravenstein, Geschichte des Königlich Preußischen zweiten Kürassier-Regiments Königin, 2. Aufl., Minden 1842, urn:nbn:de:hbz:6:1-55685, 04. 03. 2014, S. 60ff., insbesondere die Wiedergabe der Schneiderschen Erzählung, S. 63ff. Weiterhin Louis Gollmert, Leonhard Graf von Schwerin, Biographische Nachrichten über das Geschlecht von Schwerin, Bd. 2, Berlin 1878, urn:nbn:de:hbz:061:1-333719, 27. 02. 2014, S. 274 und Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 274. Auch bildlich wurde die ausgeschmückte Erzählung im 19. Jahrhundert aufgegriffen und dabei ahistorisch noch weiter verfremdet. Vgl. ebd., S. 209, der ein Bild Camphausens erwähnt, welches Schwerin nach dem Sieg bei Hohenfriedberg 1745 bereits mit der Reitpeitsche zeigte.

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Güter zurückziehen. König Friedrich II. befahl Schwerin zu Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 zum Regiment und gestattete ihm – so die Überlieferung –, statt des Degens das Regiment mit der Reitpeitsche zu kommandieren.979 Anfang 1757 erhielt Schwerin seinen wiederholt erbetenen Abschied aus der Armee. Als Begründung wurden sowohl gesundheitliche Gründe als auch eine Auseinandersetzung mit dem Fürsten Moritz von Anhalt überliefert.980 Der Konflikt aus königlicher bzw. königsnaher Perspektive Ernst Gottlob von Scheelen diente seit 1746 im königsnahen 1. Bataillon Garde (Infanterie-Regiment Nr. 15 I), welches in Potsdam stand.981 Aus diesem Grund geben seine Aufzeichnungen Diskurse und königliche Einschätzungen aus dem unmittelbaren Umfeld des Königs wieder. So berichtete Scheelen über die Bewertung der Regimenter durch den König, u. a. auch über die Auseinandersetzung zwischen Schwerin und dem König im Mai 1755. »Der König war mit allen Regimentern zufrieden, außer mit Bayreuth nicht, so in der Attaque nicht geschlossen blieb. Der Oberlieutenant Meier von Normann ward deswegen als Kommandeur bei Bayreuth gesetzt, und der Oberst Platen von Bayreuth dagegen als Kommandeur bei Normann. Meier soll die Offiziers kurz halten. Der Major Quast bekam eine Pension und ward Kommandant zu Altena. Das Regiment Bayreuth bekam außer diesem noch 2 Esquadrons Einschub.«982

Der königsnahe Personenkreis erinnerte als Ursache für die Unzufriedenheit des Königs und dessen Sanktionen an ein in militärischer Hinsicht essentielles ›Versagen‹ des Regiments, welches mit seinem Fehlverhalten den Erfolg eines Angriffs zentral gefährdet hätte. Es wurden hingegen weder die Probleme des Regiments bei der Anwerbung von Soldaten oder Alkoholprobleme der Offiziere noch die von Schwerin nach den Vorwürfen gezogene persönliche Konsequenz thematisiert. Aus der selektiven königsnahen Perspektive stellte sich der Konfliktverlauf stringent dar : ein Versagen eines Regiments führte zur Unzufriedenheit des Königs und in Folge dessen zu ›Verbesserungsmaßnahmen‹ mittels Austausch des Kommandeurs, Querversetzung, Einschüben und Entlassung. Auch die Rückkehr Schwerins zum Regiment passte in diese Argumentationslinie: 979 Ders., Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 278. 980 Ebd., S. 287. Vgl. auch König, Lexikon aller Helden, Bd. 3 (wie Anm. 635), S. 466; Gollmert, Schwerin, Geschlecht Schwerin (wie Anm. 978), S. 277. 981 Zur Person, zu seinen Aufzeichnungen und der Herkunft der Informationen siehe Großer Generalstab, Tagebücher (wie Anm. 280), S. 4–10. Vgl. auch Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 2 (wie Anm. 474), S. 179 (Nr. 697); Ziechmann, Kommentarband (wie Anm. 218), S. 16. 982 Großer Generalstab, Tagebücher (wie Anm. 280), S. 49.

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»Den 8. [Oktober 1755, Anm. FZ] kam der Generallieutenant Schwerin von Bayreuth, so auf seine Güter gewesen, nach Potsdam. Der König machte ihm das Kompliment, es wäre Alles vergessen und vergeben, was beim Regiment vorgefallen, er könnte ihm versichern, daß er sein bester Generallieutenant wäre, er wollte Niemand lieber einen Flügel der Armee anvertrauen, als ihm allein. Ein Regiment zu kommandiren und vorzustehen wäre nicht seine Sache und damit sollte er auch nichts mehr zu thun haben.«983

Diese Darstellung lässt keine Einwände noch andere Perspektiven denkbar erscheinen. Im Zentrum stand der König, der dem General sein Versagen verzieh. Scheelens Loyalität galt angesichts der Auswahl der Details und der Art der Darstellung nicht dem adligen Offizierskameraden, sondern dem König. Persönliche Konsequenzen und familiäre Perspektive Wie in anderen Auseinandersetzungen zwischen Offizieren und König zog auch Schwerin persönliche Konsequenzen aus den vom König gemachten Vorwürfen.984 Für die Zeit zwischen Ende des Zweiten Schlesischen Krieges 1745 und der Auseinandersetzung 1755 wird im Spiegel des königlichen Schriftverkehrs Schwerin als ein Kommandeur erkennbar, der sich offenbar nicht in jeglicher Hinsicht als verlängerter Arm des Königs im Regiment verstand. Er stellte sich über Jahre hinweg gerade nicht auf die Seite des Königs und damit nicht gegen sein Regiment. Dem königlichen Durchdringungsanspruch des Militärs widerstand er aufgrund seines persönlichen Selbstverständnisses und einer Loyalität seinem Regiment gegenüber. Als jedoch der Druck zu groß wurde, konnte er sich auf seine adlige-familiäre Identität und Herkunft zurückziehen. Seine militäri983 Ebd., S. 67. 984 Ein weiteres Beispiel ist Adolf Friedrich Graf von der Schulenburg. Der König hatte diesem befohlen, das Regiment seinen Wünschen entsprechend »in Ordnung [zu] bringen«, worauf der General gekränkt um seinen Abschied bat. Der König ließ daraufhin vermitteln bzw. drohte mit seiner Ungnade, worauf Adolf Friedrich sein Gesuch zurückzog. Wegen des »Versagens [des Regiments, Anm. FZ] im Gefecht bei Baumgarten« zogen sich 1741 Adolf Friedrich und das Regiment den Unwillen des Königs zu. Ebenfalls ›versagte‹ das Regiment in der Schlacht bei Mollwitz 1741, Dietrich Werner von der Schulenburg, Hans Wätjen, Geschichte des Geschlechts von der Schulenburg: 1237 bis 1983, Wolfsburg 1984, S. 221f. In der Familiengeschichte von 1847 wird dieses ›Versagen‹ mit der starken und gut ausgebildeten österreichischen Kavallerie und dem noch schlechten Zustand der preußischen Kavallerie erklärt. »Der Befehlshaber, der den befleckten Ruhm der Cavallerie überhaupt und seines Regiments insbesondere wahrscheinlich nicht überleben wollte, stellte sich mit allen Officieren seiner Leibschwadron an die Spitze derselben, griff mit Ungestüm die österreichische Infanterie an und blieb mit allen seinen Officieren auf dem Wahlplatz«, Johann Friedrich Danneil, Das Geschlecht der von der Schulenburg, Bd. 2, Salzwedel 1847, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10428054-6, 06. 03. 2014, S. 392. Zu den Folgen des Gefechts bei Baumgarten für das Regiment vgl. S. 160. Ein frühes Beispiel eines Konflikts waren die Rangstreitigkeiten um Feldmarschall Georg Freiherr von Derflinger (1606–1695): Vintzelberg, Gedenkbuch (wie Anm. 720), S. 34ff.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

sche Sozialisation und die darin begründete Beziehung zum König banden ihn weniger stark. Das Regiment blieb von diesem Augenblick an sich selbst überlassen. Die Ansprache von 1777, die anlässlich der Bestattung Schwerins gehalten wurde, gab mittelbar die individuelle und familiäre Perspektive auf diesen Konflikt wieder. Der Redner schickte eingangs voraus, dass er im Umgang mit Schwerin trotz seiner Bemühungen von diesem nichts über dessen militärische Leistungen erfahren hatte und deshalb auf die bekannten Tatsachen zurückgreifen musste.985 So berichtete er lediglich für die zehn Jahre zwischen 1745 und 1755 von der Beförderung Schwerins zum Generallieutenant und dem königlichen Befehl, sich in Potsdam einzufinden.986 Den Abschied von der Armee führte der Redner auf die ›Kriegsmüdigkeit‹ und den Gesundheitszustand Schwerins zurück: »Nun dachte unser Held auf die Ewigkeit. Er fühlte Schwachheiten und bath nach solchen Arbeiten Seinen Allerdurchl. Landesherrn um die Ruhe, die Ihm Se. Majestät schriftlich und Allergnädigst zu erlauben geruheten, obgleich Allerhöchstdieselben nie, so viel uns bewußt ist in den, um mancherlei häuslicher und cörperlicher Beschwerden willen, gesuchten Abschied zugestanden haben.«987 Von Spannungen zwischen Schwerin und dem König berichtete er jedoch nicht. Lediglich in dem Hinweis, dass Schwerin Angebote, in fremde Kriegsdienste zu treten, aus Treue zum König ablehnte, zeigt sich eine Diskrepanz zur vorherigen Darstellung: Schwerin war demnach nicht dienstuntauglich, als er seinen Abschied erhielt.988 Aus der individuellen und familiären Perspektive wurde die Vergangenheit selektiv erinnert. Der Konflikt zum König wurde komplett verschwiegen, und durch die Interpretation einzelner Aspekte Schwerin als besondere Person gewürdigt. Im eigentlichen adlig-familiären Umfeld entfaltete dieser Konflikt keine nachweisbare identitätsstiftende Wirkung. In der Konfliktsituation selbst konnte die Ehre des Einzelnen in seiner Wahrnehmung so verletzt werden, dass er keine andere Möglichkeit zur Ehrenrettung als den Abschied aus der Armee für sich sah. In der Erinnerung musste eine Auseinandersetzung nicht notwendigerweise thematisiert werden, wenn durch kluges Auswählen einzelner Argumente das mit der Erinnerung verbundene Ziel – zumeist die Würdigung einer Person – erreicht werden konnte.

Die Perspektive des Regiments Neben der königsnahen Erinnerung und dem weitgehend familiären ›Schweigen‹ wurde der Konflikt auch anekdotenhaft ausschmückend schriftlich über985 986 987 988

Ravenstein, Historische Darstellung (wie Anm. 503), S. 149. Ebd., S. 155. Ebd., S. 156. Ebd., S. 156.

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liefert, wie die oben ausgeführte Darstellung des Sachverhalts widerspiegelt. In dieser Erzähltradition, die sich auch aufgrund der Ausschmückungen im 19. Jahrhundert nicht eindeutig zeitlich zuordnen lässt, wurden die markigen Worte, die möglicherweise erst in der Wiedergabe des Konflikts dem General zugeschrieben wurden, wie auch das Motiv des mit der Reitgerte befehlenden Schwerins tradiert. Darin ›entspannte‹ sich im Ergebnis der Konflikt und sowohl der König als auch Schwerin gewannen Reputation hinzu: der König wurde als gnädiger, verzeihender Monarch und Schwerin als ein Mann, der sein einmal gegebenes Wort nicht brach und deshalb das Regiment mit der Reitgerte kommandierte, dargestellt.989 Über diese schriftliche Überlieferung hinaus blieb das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Kommandeur Schwerin und Friedrich II. im Regiment durch mündliche Weitergabe lebendig. In dieser Version war die Auseinandersetzung, die bereits vor dem Zweiten Schlesischen Krieg ihren Anfang genommen hatte990, ursächlich für den größten Sieg in der Geschichte des Regiments, nämlich den Sieg in der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745.991 Demnach schätzte der König zwar den Kommandeur wegen seiner militärischen Fähigkeiten; aber das Verhältnis war durch das »wüste« Leben Schwerins gespannt. »Der Oberst Schwerin wäre von einer brennenden Begierde beseelt gewesen, etwas zu leisten, und dem Könige zu zeigen, daß er auf ihn etwas zu halten habe. Das Regiment hätte am Morgen der Schlacht, ohne zu einem Treffenverbande zu gehören, rückwärts, wie es sogar heißt, noch rechts des Striegauer Wassers abgesessen gehalten. Der Oberst Schwerin wäre allein für seine Person vorgeritten, um eine Gelegenheit zum Handeln zu erspähen. Da er die Verhältnisse bei der Infanterie des linken Flügels wahrgenommen, sei er zurückgeeilt, habe das Regiment herbeigeführt, und sich mit demselben auf den Feind gestürzt.«992

Die Motivation Schwerins erwuchs in der Regimentserinnerung also gerade aus dem Bedürfnis, dem König seine und des Regiments Fähigkeiten zu beweisen und damit konkludent des Königs Anschuldigungen zu widerlegen: 989 Vgl. S. 259, Anm. 978. 990 Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 188. 991 Leo Freiherr von Lützow, Die Schlacht von Hohenfriedberg oder Striegau am 4. Juni 1745: ein Beitrag zur Geschichte des zweiten Schlesischen Krieges, Potsdam 1845, http:// hdl.handle.net/2027/hvd.hnzui1, 28. 02. 2014, S. 81 gab die Geschichte unter Berufung auf einen mündlichen Bericht »des im Jahre 1837 verstorbenen General-Lieutenants v. Rudolphi, der in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beim Regiment Bayreuth gestanden, und Adjutant in demselben gewesen war«, wieder. Hinweis bei Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 208 mit der Angabe, dass Nikolaus Ludwig von Rudolphi (1772–1837) von 1793–1800 in diesem Regiment stand. 992 Lützow, Hohenfriedberg (wie Anm. 991), S. 81. Zur Bestätigung des ›wüsten‹ Lebens des Kommandeurs wird unter Verweis auf die Regimentsgeschichte von 1827 mittelbar auf eine Kabinettorder des Königs verwiesen.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

»Die Erzählung sagt weiter, gleich nach der glücklichen Attake sei Oberst Schwerin mit dem Regimente und den eroberten Trophäen vom Schlachtfelde ab- und zurückmarschirt. Dort habe er auf seine eigene Hand dem Regiment das Lager aufschlagen lassen, die eroberten Fahnen währen vor seinem Zelt aufgerichtet worden. Der König sei darauf nach diesem Lager zum Regiment gekommen, Oberst Schwerin hätte sich anfangs nicht gezeigt, sondern wäre ruhig in seinem Zelt geblieben, bis der König ihn habe auffordern lassen, herauszutreten. Als er dann erschienen, habe der König ihn umarmt und ihn und sein Regiment mit Lobsprüchen überhäuft.«993

In dieser Erzählung zeigte sich das militärische (Selbst-)Bewusstsein des Regiments. Schwerin wurde darin nicht nur wegen seiner Führung in der Schlacht zum gefeierten Kommandeur, sondern aus Sicht des Regiments bewies er mit dem Sieg auch, dass er in der Bewertung der militärischen Fähigkeiten des Regiments Recht gehabt hatte. Mit seinem Auftreten machte er Regimentsehre und -stolz sichtbar und stellte diese über Gehorsam und Subordination: Das Lager sei auf Schwerins und nicht auf des Königs Kommando hin errichtet, die Siegestrophäen vor seinem und nicht vor des Königs Zelt aufgestellt worden.994 Auch habe er als ›eigenständige‹, ›selbstbewusste‹ und ›stolze‹ Persönlichkeit den Dank des Königs entgegengenommen, nachdem er diesen, fast schon trotzig, habe warten lassen. Die Rollen zwischen König und Schwerin wurden in der retrospektiven Schilderung getauscht: Schwerin stand im Mittelpunkt und der König war gewissermaßen ein Bittsteller. Diese Erzähltradition vermittelte den Versuch des Regiments, den Ruhm für den Sieg in der Schlacht durch Umdeutung des Konfliktes in der Erinnerung zu monopolisieren: der Sieg der Schlacht bei Hohenfriedberg war demnach der Sieg Schwerins und des Regiments und erst in zweiter Linie ein Sieg des Königs.

993 Ebd., S. 81f. Der Verweis auf einen Bericht belegt, dass es sich hierbei um eine Erzählvariante handelte: »Diesem letzten Theil der Erzählung, wie Oberst Schwerin die Trophäen des Sieges gleichsam für sich behalten und vom König keine Notiz genommen habe, widerspricht die anderweitige Angabe, daß ein Stabs-Offizier des Regiments, der Major v. Chazot, abgeschickt worden ist, um dem Könige die Siegeszeichen zu überbringen«, ebd., S. 82. Vgl. auch Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 208f. 994 Unabhängig von der Frage, wie authentisch diese im Regiment erzählte Geschichte ist, beinhaltet sie vermutungsweise einen wahren Kern, indem sie die Charakterzüge Schwerins in bildhafter Weise tradierte. Dies legt der vom König 1755 dem Fürsten Moritz von Anhalt-Dessau erteilte Auftrag zur Untersuchung der Vorwürfe gegen Schwerin nahe. »Es thut mir gewiß leidt, daß Ich dergleichen proced8s, von einem Manne, den Ich sonst wegen seiner capacit8 in Kriegsdienste aestimire, vernehmen muß; Inzwischen kann Ich jedennoch auch keinesweges zugeben, daß wieder die von Mir gemachte Reglements und Ordres gehandelt, noch Meine Unterthanen wieder Meine Willensmeinung von particuliers unterdrucket und gegen selbige gewaltsam precediret werde […]«; zitiert nach Leopold von Orlich, Fürst Moritz von Anhalt-Dessau: ein Beitrag zur Geschichte des siebenjährigen Krieges, Berlin 1842, http://hdl.handle.net/2027/nnc1.cu60741503, 27. 02. 2014, S. 16. Schwerins Verhalten und das seines Regiments stellte die königlichen Anweisungen de facto in Frage.

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6.

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Wider die Konkurrenz

Für die Regimenter war es wichtig, Ruhm und Ehre hinzuzugewinnen. Wie viel Ruhm ein Regiment erlangen konnte, hing auch davon ab, wie groß der Anteil anderer Regimenter oder Personen an einem rühmenswerten Ereignis war. Je kleiner also der Personenkreis war, desto bedeutender wurde der erlangte Ruhm. Für die alleinige Zurechnung von Ruhm waren Offiziere und Regimenter bereit, Konkurrenten aus der Erinnerung zu drängen. Bereits unmittelbar nach der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745 kam es zu einer Beschwerde des General-Lieutenants Geßler und den Offizieren des Regiments. Sie beanspruchten den ungeteilten Ruhm aus der Schlacht bei Hohenfriedberg. Geßler legte ebenso wie die Offiziere des Regiments Widerspruch beim König dagegen ein, dass Generalmajor Graf von Schmettau ein Anteil am Ruhm für den Sieg in der Schlacht zugeschrieben wurde. Bereits am 12. Juni 1745 schrieb Geßler als Reaktion auf das am 11. Juni ausgestellte Gnadendiplom, welches den Grafen Schmettau namentlich aufführte995, an den König: »Da in der Arm8e ein Bruit entstanden, als wenn Ew. Königlichen Majestät wäre rapportiret worden, daß der General-Major von Schmettau in letzterer bataille sich vor das Regiment von Bayreuth gesetzt, und solches gegen die feindliche Infanterie angeführt hätte, dieses aber, mir den General-Lieutenant v. Gessler, als der / la tHte von diesem Regiment auf meinem Posten gewesen, den allergrößesten tort thut, wen ein anderer sich rühmen sollte, dasselbe an den Feind geführt zu haben; So kann nicht umbhin Ew. Königlichen Majestät gegenwärtiges attest von denen sämbtlichen Commandeurs derer Esquadrons allerunterthänigst zu presentiren, und zugleich auff meine honneur zu versichern, daß ich den General-Major v. Schmettau in der attaque gar nicht gesehen. […].«996

Die Kommandeure bestätigten seine Version an Eides statt und ergänzten dabei, dass nicht nur dem General-Lieutenant Geßler, sondern auch dem gesamten Regiment Unrecht geschehen würde.997 In Folge dieser Beschwerde wurde laut Überlieferung der Name des Generalmajors Graf Schmettau fortan nicht mehr erwähnt.998 Insofern war es dem Generallieutenant Geßler und den Offizieren des Dragonerregiments Nr. 5 gelungen, den Grafen Schmettau aus der Erinnerung zu drängen und ihren Anspruch auf den Ruhm für den Sieg in der Schlacht bei Hohenfriedberg zu behaupten.

995 996 997 998

Vgl. S. 169f. Zitiert nach Albedyll, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 503), S. 216. Ebd., S. 216. Ebd., S. 216.

266 7.

Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Selbstbehauptung und Korrekturen durch Erinnerung

Das Streben nach Ruhm, Ehre und Ansehen sowie das Bemühen um deren Erhalt durchzogen den Alltag der Regimenter und begründeten damit Konkurrenz zwischen ihnen. Dies führte auch zu Auseinandersetzungen, in denen sie sich behaupten mussten, um so einen Ehr- bzw. Rangverlust abzuwehren. Die Erinnerung der eigenen Vorrechte spielte dabei eine zentrale Rolle, ebenso wie es im Nachhinein galt, Korrekturen in der Erinnerung vorzunehmen. Nach dem Leichenbegängnis für König Friedrich Wilhelm II. 1797 kam es zu einer solchen Auseinandersetzung, an der Friedrich August Ludwig von der Marwitz als junger Offizier beteiligt war und die er später in seinen Aufzeichnungen beschrieb. In der Kirche befand sich vor dem Sarg des verstorbenen Königs die preußische Fahne und daneben jeweils sechs der zwölf Reichsinsignien wie Krone, Zepter, Reichsapfel, Schwert, Kurhut etc.999 Nach der Trauerrede und der Trauerhymne nahmen zwölf dafür abkommandierte Lieutenants den Generälen und Ministern die Insignien ab, damit letztere den Sarg an seinen letzten Ort in der Krypta bringen konnten. Die Lieutenants sollten die Reichsinsignien wieder in die Schatzkammer bringen. »Hierbei ereignete sich ein sonderbarer Zufall hochmütiger Keckheit, der Konfusion anrichtete. Ich habe schon erwähnt, daß die Gensdarmen den Vorrang vor den übrigen Truppen hatten. Garde du Korps waren nicht zugegen, also kam es meinem ältern Kameraden (einem Grafen Schwerin) und mir zu, die beiden Hauptstücke, Krone und Zepter, zu tragen. Wir erklärten dies. Neun Infanterielieutnants, die dabei waren, wußten Bescheid und widersprachen nicht. Von den Ziethenschen Husaren aber war Lieutnant von Warburg dabei (der noch als Generalmajor lebt), dieser deklarierte, sein Regiment als Leibhusaren werde davon nicht betroffen und rangiere mit uns gleich; überdies sei er älter im Dienst als wir beide. – Wir bewiesen die gänzliche Nichtigkeit und sogar Neuheit der Behauptung und erklärten, wir würden von Krone und Zepter nicht lassen. Da lenkte er plötzlich um und sagte, der Feldmarschall Möllendorff habe ihm gesagt: er würde ihm das Reichspanier übergeben. (Dies sah ganz prächtig aus und mußte über den ganzen Lustgarten hin in die Augen fallen.)«1000

Da die Fahne nicht zu den Reichsinsignien gehörte, sollte sie eigentlich in der Kirche verbleiben. »Indessen hatte die Lust, mit der großen Fahne vor uns herzugehen und so scheinbar den ersten Rang zu behaupten, einen zu großen Reiz für ihn. Wie wir den Katafalk hinaufstiegen und Schwerin die Krone, ich aber den Szepter ergriffen, ging er keck vorbei und nahm dem Feldmarschall das Reichspanier weg. Der sah höchst verwundert aus, 999 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 73. 1000 Ebd., S. 74. Zur Stellung des Regiments Gens d’armes vgl. ebd., S. 40 und zur allgemeinen Einordnung des Regiments auch Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 162 mit Anmerkungen. Zur Stellung des Husarenregiments Nr. 2 vgl. Jany, 1740 bis 1763 (wie Anm. 157), S. 178.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

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mochte aber wohl glauben, es sei so angeordnet, oder wollte in der Kirche keine Störung verursachen, genug, Warbug eroberte die Fahne und schritt vor uns her.«1001

Dadurch stiftete Ernst Friedrich Christoph Wilhelm von Warburg Verwirrung, da nun ein Lieutenant zwei Insignien trug und demzufolge auch von zwei Tresordienern begleitet wurde. Da auch das »Reichspanier« nicht in die Schatzkammer gehörte, wurde es »in einer Vorstube in den Winkel gestellt! – Aber Warburg war voller Freude, sehr bemerkbar vorangegangen zu sein.«1002 Im Gesamtzusammenhang der feierlichen Bestattung des Königs war der Abtransport der Reichsinsignien nach dem Hauptakt aus Trauerrede, -hymne und Versenken des Sarges eher nachrangig. Aus diesem Grund übernahmen auch Lieutenants und keine höherrangigen Offiziere diese Aufgabe. Die Auseinandersetzung entzündete sich also an einer nebensächlichen Angelegenheit und offenbart, welche Bedeutung dieser beigemessen wurde. Konkret ging es in diesem Streit um einen potentiellen Zugewinn an Ehre und Ansehen in der Öffentlichkeit, da diese kleine Gruppe aufsehenerregend durch die Stadt ziehen würde. Indem sich beide Seiten auf Rang und Alter beriefen, erinnerten sie an ihre jeweilige Geschichte. Noch in der Aufzeichnung Friedrich August Ludwigs von der Marwitz ist dessen Resignation spürbar, da sich der Lieutnant von Warburg der den anderen Offizieren geläufigen Interpretation der Rangordnung entzog.1003 Obwohl Warburg gar keine Reichsinsignie trug, erhielt er doch die größte Aufmerksamkeit und damit Reputation für sein Regiment und proklamierte mit dem Voranmarschieren die Vorrangstellung des Husarenregimentes nach außen. Da anzunehmen ist, dass auch dem Offizier des Husarenregiments Nr. 2 die Rangordnung der Armee bekannt war, ist in diesem Vorfall mehr als nur kecke Ahnungslosigkeit zu vermuten. Vielmehr stellte Lieutnant von Warburg die Ordnung und den Ranganspruch der Vertreter des Regiments Gens d’armes öffentlichkeitswirksam in Frage. Die Folgenlosigkeit für den Husarenoffizier und dessen Freude über die gelungene Uminterpretation der Rangordnung in diesem konkreten Fall trug zur Empörung Friedrich August Ludwigs von der Marwitz bei. Die Aufzeichnung des Vorfalls Jahre später belegt die Bedeutung von Erinnerung im Zusammenspiel mit Ehre im Alltag der Regimenter, da durch Erinnerung Ehre wirksam geltend gemacht bzw. verteidigt werden konnte. Noch nachträglich bemühte sich Marwitz darum, das Fehlverhalten des Husarenoffiziers herauszustellen und die Ehre des eigenen Regiments zu verteidigen.

1001 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 74. 1002 Ebd., S. 74f. 1003 Vgl. Hanne, Das Regiment (wie Anm. 43), S. 58ff., insbesondere S. 60; Winkel, Im Netz (wie Anm. 33), S. 62f.

268 8.

Anlässe des Erinnerns und Vergessens

Dominanz des Regiments – Erinnerungen der Gruppe als Bewertungsmaßstab

Eine Konfliktlinie verlief innerhalb eines Regiments zwischen dem Einzelnen und der Gruppe. Die kollektiv ausgehandelten, akzeptierten und gelebten Regeln und Wertvorstellung des Adels und des Militärs konnten kongruent sein, aber in Grenz- bzw. Konfliktsituationen musste sich der Einzelne entscheiden bzw. die Gruppe eine Entscheidung herbeiführen. Erinnerung spielte in diesem Zusammenhang von Wohl- und Fehlverhalten eine unmittelbare Rolle, da dadurch Maßstäbe konstruiert wurden, die mit den gezogenen Schlussfolgerungen in der Gegenwart Gültigkeit erlangten. Friedrich August Ludwig von der Marwitz schilderte eine solche Situation aus der Perspektive der Offiziere seines Regiments und wies bereits zu Beginn auf die Verankerung im kollektiven Gedächtnis hin: »Daß es mit dergleichen Strafen kein Spaß war, sondern daß sie unnachsichtlich erfolgten, beweiset folgender Vorfall, der, wenngleich seit Menschengedenken der einzige seiner Art im Regiment, sich doch unter meinen Augen zugetragen hat.«1004 Der zeitliche Rückblick erfüllte den Zweck, ähnliche Fälle zur Auslegung des aktuellen Geschehens heranziehen zu können und gleichzeitig – da es keine parallelen Fälle gab – den Ausnahmecharakter dieses Falles zu betonen. »Ein schlesischer Graf, wohl zwanzig Jahr alt, groß und stark, war als Standartenjunker in das Regiment getreten. Er war nasesweis und glaubte, hier herrsche Freiheit und Gleichheit, zum wenigsten für ihn selber. Wie er sich nun einmal, obzwar außer Dienst, gegen einen Offizier, der ihm einen dienstlichen Befehl gab, impertinent erwies und dabei verharrte, ungeachtet dieser ihn auf die Folgen aufmerksam machte und zum Gehorsam aufforderte, so meldete ihn dieser an den General Prittwitz. Der Junker wurde sogleich in die Wache gesetzt, und des anderen Tages bekam er zwanzig Fuchtel mit der Klinge vor der versammelten Wachtparade. Natürlich ließ er sich nie wieder sehen, nahm den Abschied, ging nach Schlesien zurück und wurde ein reicher Majoratsherr, welches er noch in diesem Augenblick ist.«1005

Spätestens Ende des 18. Jahrhunderts bedeutete der Eintritt in ein Regiment, Teil einer kollektiven Identität und Erinnerungsgemeinschaft zu werden. Das hieß auch, deren Regeln unter teilweisem temporären Verzicht auf die Geltung des persönlichen Wertekanons zu akzeptieren. Verstöße gegen diese Regeln auch außerhalb des Dienstes wie in dem geschilderten Fall wurde von den Offizieren des Regiments nicht akzeptiert, wie die zwingend erfolgte Meldung und die 1004 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 43. 1005 Ebd., S. 43. Zur Bestrafung mit der flachen Klinge vgl. Frie, Marwitz (wie Anm. 314), S. 165 mit Verweis auf Meusel, Marwitz’ Schilderung (wie Anm. 303), S. 468. Vgl. auch Hermann, Leben und Werk (wie Anm. 888), S. 470.

Erinnerungsbezüge in Konflikten – Konflikte in Erinnerungsbezügen

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Bestrafung belegt.1006 Der Betroffene musste jedoch die mit der Bestrafung vor und von den Kameraden verbundene Schande nicht akzeptieren und konnte seinen Abschied einreichen. Dessen waren sich auch die Regimentsmitglieder bewusst, denn für Friedrich August Ludwig von der Marwitz war die Reaktion des Bestraften »natürlich«. Friedrich August Ludwig von der Marwitz selbst wurde beinahe vor diese Entscheidung gestellt. Als er aufgrund einer falschen Einstellung des Standartenschuhs die Standarte bei einer Revue nicht mehr halten konnte, übergab er sie in Absprache mit dem Rittmeister an einen Unteroffizier.1007 Daher wurde von den Augenzeugen angenommen, Marwitz habe die Standarte fallen lassen. »Dies wäre eine Beleidigung der Ehre des Regiments gewesen und keine Macht in der Welt hätte mich trotz meiner Jugend und Schwäche vor der Strafe retten können.«1008 Daraufhin wurde der Vorfall untersucht, jedoch ging Marwitz aufgrund der Schilderung des Rittmeisters ohne Strafe aus. Für ihn war diese Straflosigkeit dennoch keine Selbstverständlichkeit. »Ich hätte mich nicht beschweren können, wenn ich ausgehauen worden wäre, denn hätte ich mich von Anfang an darum bekümmert, wie der Standartenschuh sitzen muß, was meine Schuldigkeit war, und hätte ihn gehörig lang geschnallt, so hätte die Standarte nur ein so geringes Übergewicht gehabt, daß ich sie hätte halten können.«1009 In der rückblickenden Bewertung des Vorfalls akzeptierte Friedrich August Ludwig von der Marwitz die Möglichkeit, dass er auch ohne das Fallenlassen der Standarte hätte bestraft werden können. Es zeigt, wie sehr er die Regimentsehre als Wertemaßstab verinnerlicht und zu seiner eigenen gemacht hatte. Ehre und Schande lagen für die Angehörigen der Regimenter dicht beieinander. Es galt, die Ehre des Regiments unbedingt zu erhalten und zu mehren und ebenso Ehrverlust zu vermeiden. Geschah es trotzdem, dass das eigene Handeln dem Regiment keine Ehre brachte, zeigten sich schnell die Grenzen militärischer Identitätsstiftung. Der Betroffene zog sich, soweit es möglich war und gestattet wurde, ähnlich wie in den Auseinandersetzungen einzelner Offiziere mit dem König, in das eigene adlig-familiäre Umfeld zurück. Ehre als ein von der Gruppe ausgehandelter und akzeptierter Konsens war für die Selbstverortung des Einzelnen zentral. Wenngleich es zur Kongruenz zwischen verschiedenen Ehr1006 Jany, Von den Anfängen bis 1740 (wie Anm. 5), S. 728 betonte für den Anfang des 18. Jahrhunderts gerade die Gleichheit der Herkunft, die auch die gesellschaftliche Gleichheit der Offiziere, unbeschadet der im Dienst notwendigen Unterordnung, nach sich gezogen hätte: »Die Offiziere - schreibt ein Zeitgenosse - werden überaus distinguiert, die Subordination erstreckt sich nicht weiter als auf die Königlichen Dienste, maßen im gemeinen Leben auch der jüngste Fähnrich in der Gesellschaft eines Generals, auch sogar bei Hofe sich einfinden kann.« 1007 Marwitz, Nachrichten (wie Anm. 280), S. 42f. 1008 Ebd., S. 43. 1009 Ebd., S. 43.

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Anlässe des Erinnerns und Vergessens

konzepten kommen konnte, musste sich dennoch der Einzelne in Grenz- und Konfliktfällen entscheiden. Dies lag im Ermessen des Einzelnen, jedoch dominierte die Gruppe die regimentseigene Erinnerung. Darauf gegründet konnte sie einen ›ehrlosen‹ Offizier ausgrenzen. Rückbezüge auf die Regimentsvergangenheit konnten darüber hinaus als Vergleichsmaßstab zur Interpretation solcher Fälle herangezogen werden.

Zusammenfassung Als Anlässe zu einer gelebten Erinnerungskultur eigneten sich Stiftungsjubiläen und Jahrestage von Schlachten, während Konflikte überwiegend der Vergessenheit anheimfielen. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass vorwiegend positive Zusammenhänge militärische Erinnerungskulturen begründeten, da darauf Ruhm und Ehre aber auch Ansprüche beruhen konnten. Feierlich begangene Jahrestage von Schlachten sind für das frühe 18. Jahrhundert nur im Umfeld des Monarchen und erst im späteren Verlauf auch für einzelne Regimenter überliefert. Nach dem Ableben König Friedrichs II. mehren sich die Hinweise darauf, dass die Regimenter nun nicht nur regelmäßig der Siege und ihres Anteils daran erinnerten, sondern auch Ansprüche auf weitere Auszeichnungen gegenüber dem König formulierten. Dies spricht dafür, dass solche als Teil der Regimentserinnerung ebenfalls tradiert und zum entsprechenden Zeitpunkt ›abgerufen‹ wurden. Ebenfalls erst nach dem Tod des Königs 1786 lassen sich festlich begangene Stiftungsjubiläen nachweisen. Durch die Art und Weise der Feierlichkeiten zeigt sich, dass die Geschichte des Regiments als Mittel zur Selbstinszenierung und Identitätsstiftung diente. Dies wurde durch eine ›Verdichtung‹ der Regimentserinnerung auf wesentliche Aspekte erleichtert, die sich teilweise durch eine dezentrale und überwiegend mündliche Weitergabe von Wissen und den damit einhergehenden allmählichen Verlust von allein ergab. Stiftungstage waren Anlass, sich selbstreflexiv näher mit der eigenen Regimentsgeschichte auseinanderzusetzen. Die Vergangenheit konnte als Grundlage des eigenen Stolzes glorifizierend wahrgenommen oder als Ausgangspunkt für eine stetige Entwicklung zum Positiven in der eigenen Gegenwart interpretiert werden. Die Vergangenheit auf dem Weg des Fortschritts und der stetigen Vervollkommnung bzw. Perfektibilität in Gegenwart und Zukunft zu übertreffen, galt für ein Regiment wie auch für jeden Einzelnen. In welcher Ausprägung letztendlich die Geschichte eines Regiments inszeniert und ›re-konstruiert‹ wurde, entschieden die handelnden Akteure auf Grundlage ihrer Absichten und beeinflusst vom Zeitgeist. Der Erinnerung positiv assoziierter Zusammenhänge steht der Umgang mit negativ bewerteten oder wahrgenommenen Grenzsituationen wie Konflikten

Zusammenfassung

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gegenüber. Letztere wurde nicht generell verschwiegen und damit aus der Erinnerung gelöscht. Wenn es den Zwecken eines Konfliktbeteiligten wie dem König, der adligen Familie oder einem Regiment diente, wurde selektiv und tendenziös und damit konstruierend ein Konfliktverlauf erinnert. Somit konnten nachträglich die vergangenen Ereignisabläufe korrigierend dargestellt bzw. das eigenen Verhalten gerechtfertigt oder eine Auseinandersetzung fortgeführt werden. Negative Erfahrungen konnten auch als Hintergrund mit erinnert werden, um das eigene Verdienst, den eigenen Vorrang und somit die eigenen Vorzüge umso deutlicher hervorheben zu können. Eine zentrale Rolle in der Frage, ob und wie sowohl positive als auch negative Begebenheiten aktiv erinnert wurden, nahm in diesen Zusammenhängen ebenfalls König Friedrich II. ein. Langfristig verhinderte seine Deutungshoheit zwar nicht, dass sich einerseits Erinnerungskulturen in den Regimentern verselbständigten und andererseits vereinzelte, nachträgliche, ergänzende und relativierende ›Gegendarstellungen‹ zu Konflikten zwischen König und adligen Offizieren erschienen. Bis dahin war aber bereits das Wissen über die Vergangenheit von Regimentern und Konfliktgegnern in erheblichem Maße verloren gegangen. Der Dominanz der königlichen Sichtweise stand ein weitgehendes Schweigen der adligen Familien gegenüber. Eine dem König widersprechende Erinnerung wurde nur dann ausnahmsweise öffentlichkeitswirksam, wenn durch die Darstellung Ehre erlangt bzw. bewahrt werden konnte. Die Regimenter ihrerseits dominierten die Deutung von Auseinandersetzungen zwischen Regiment und Offizieren. In beiden Konstellationen konnten die Konfliktgegner entweder die Deutungshoheit akzeptieren oder sich in ihr adliges-familiäres Umfeld zurückziehen, um ihre persönliche Ehre zu bewahren. In der Erinnerungspraxis der Regimenter zeigte sich zudem eine stärkere Umdeutung mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum erinnerten Konflikt vor allem in der mündlichen Überlieferung; die Konstruktionsleistung wurde stärker und der erinnerte Konflikt nahm den Charakter einer Legende an. Konflikte konnten so auch wiederum Vorbildwirkung entfalten: indem auf das Verhalten Einzelner im Konflikt verwiesen wurde.

Fünfter Teil: Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert – ein vielschichtiger, dynamischer und identitätsstiftender Prozess

Das Erinnern von militärischen Akteuren sowie das Erinnern an militärische Ereignisse, Personen und Gruppen trug im 18. Jahrhundert in Preußen immer wieder zur Identitätsstiftung und damit auch zu einer fortschreitenden Professionalisierung militärischer Gruppen bei. Im Kern begründeten erst solche Erinnerungsbezüge einen Korpsgeist, der angesichts militärischer Herausforderungen beschworen werden und aus dem militärisches Selbstvertrauen erwachsen konnte. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür war Kontinuität. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war die Entwicklung der Regimenter eher von Veränderungen geprägt; Kontinuität und Beständigkeit waren die Ausnahme. Diese Unsicherheit bot daher kein geeignetes Umfeld für die Herausbildung von Erinnerungskulturen und Traditionen. Erst im Zuge einer annähernd dauerhaften Sicherung der Existenz der Regimenter im 18. Jahrhundert wurde die Grundlage dafür auf Ebene derselben geschaffen. Trotzdem wurden einzelne Einheiten auch in diesem Jahrhundert aufgelöst und damit die Erinnerungen derselben und an dieselben ›ausgelöscht‹.

Die Akteure Die Entstehung militärischer Erinnerungskulturen und die Überlieferung der Inhalte lassen sich in den meisten Fällen auf mehrere Akteure zurückführen, die teils durch Interaktion untereinander, teils eigenständig durch ihre Aufzeichnungen, ihr Handeln und ihr Bewusstmachen von Vergangenheit Erinnerung und Identität stifteten. Im Mittelpunkt standen dabei die Regimenter und ihre Angehörigen, die bewusst und aktiv das Bild inszenierten, welches sie von sich und ihrer Einheit hatten und welches die Öffentlichkeit wahrnehmen sollte. Dies reichte von Eingaben an den König um sichtbare Auszeichnung über Berichte in Regimentsgeschichten und Aufzeichnungen einzelner Offiziere bis hin zur Ein-

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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert

flussnahme bei der Errichtung öffentlicher Denkmale sowie bildlicher Selbstdarstellung. Indem die Regimenter bewusst die positiv wahrgenommenen Zusammenhänge auswählten und zusammenstellten, negative aber verschwiegen bzw. relativierten, konstruierten sie ein Bild von sich, welches für sie im ›Konkurrenzkampf‹ mit anderen Regimentern um Ansehen und Vorrechte sowie im Kampf um Deutungshoheit vorteilhaft war. Gerade in schriftlichen Zeugnissen konnten bedeutsame Ereignisse für ein Regiment so dargestellt werden, dass dadurch dessen Ehre und Ruhm gesichert und sogar gesteigert werden konnte. Die zumeist adligen Offiziere der Regimenter nahmen eine Doppelrolle ein; denn sie handelten hinsichtlich der sich herausbildenden Erinnerungskulturen nicht allein als ›militärische‹ Akteure sondern auch als Mitglieder ihrer jeweiligen Familien und in deren Interesse. Den Familien ging es darum, für ihren Stand grundlegendes militärisches Verdienst im Gedächtnis zu halten und gegebenenfalls das Verhalten eines Vorfahren zu rechtfertigen, um damit die eigene familiäre Reputation zu bewahren, zu verteidigen und zu fördern. Die familiäre Erinnerung konnte sich deshalb im Einzelfall sogar gegen den König und seine Entscheidungen richten. Die zweifache Funktion der Offiziere bedeutete auch, dass ständisch geprägte Mechanismen zur Distinktion eines exklusiven Personenkreises sowie der Identitäts- und Gemeinschaftsstiftung in den militärischen Einheiten implementiert wurden. Anfänglich, d. h. in der zweiten Hälfe des 17. Jahrhunderts, ist sogar davon auszugehen, dass diese adlig-familiären Mechanismen prägend für das Selbstverständnis der militärischen Einheiten waren, und sich erst allmählich eigenständige militärische Erinnerungskulturen herausbildeten, die im späteren Verlauf in Konkurrenz zu familiären Deutungen treten konnten. Insbesondere die Regimentsinhaber und -kommandeure spielten für die Herausbildung militärischer Erinnerungskulturen eine wichtige Rolle. Ihnen ging es aufgrund ihrer zumeist hochadligen Herkunft in der Regel um die Inszenierung ihres Standes bzw. ihrer herausragenden Familie. Hinzu kam, dass das Ansehen eines Regimentes stark von der Initiative und dem Selbstverständnis des jeweiligen Inhabers bzw. des Kommandeurs abhing. Regimentsinhaber oder -kommandeure stifteten Erinnerungsbezüge, indem sie u. a. das gesamte Offizierskorps porträtieren ließen und im Familienanwesen ausstellten. Die adlige Familie des Inhabers vereinnahmte damit einerseits das Regiment als ›familieneigenes‹ Regiment. Mit der ›Aufnahme‹ des adligen Regimentsinhabers als ›Primus inter Pares‹ wurde andererseits die Gemeinschaft der Offiziere als militärische ›Kampf‹-, Sozial- und auch Erinnerungsgemeinschaft durch dessen adlig-familiäre Reputation aufgewertet. Die Grenze zwischen militärischen und familiären Erinnerungskulturen verlief demnach fließend. Offiziere und Regimenter erwarben sich durch militärische Verdienste Ansehen und Ruhm und schufen damit eine Grundlage für Erinnerungsbezüge,

Die Akteure

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jedoch konnten vor allem letztere diese nur bedingt öffentlichkeitswirksam verankern und erinnern. Für eine sichtbare Auszeichnung bedurfte es der Zustimmung des Königs, die dieser nicht in jedem Fall erteilte. So nahm der König eine wichtige Rolle in der Erinnerungsstiftung ein: er verlieh Orden und vergab als Auszeichnungen Vorrechte, wie zum Beispiel Märsche anderer Truppengattungen schlagen zu dürfen, erbeutete Pauken zu führen oder das Regimentssiegel bildlich um die Anzahl der erbeuteten Trophäen aufzuwerten. Der Monarch griff aber ebenso abwehrend in seiner Ansicht nach allzu eigenständige Erinnerungskulturen der Regimenter ein, indem er u. a. 1767 die Veröffentlichung weiterer Regimentsgeschichten unterband. Erinnerungsstiftung einerseits und Verbot selbständiger Erinnerungskulturen aus einer anderen als der königlichen Perspektive andererseits standen dabei nicht unbedingt im Widerspruch zueinander, da der König eigene Erinnerungsinteressen und -absichten verfolgte. Aus diesem Grund ließ er Denkmale für Generäle seiner Zeit errichten, die erbeuteten Fahnen und Standarten in der Berliner Garnisonkirche aufstellen oder eine Medaille auf den Sieg bei Leuthen als Imitat der österreichischen Medaille auf den Sieg bei Kolin prägen. Das Ziel König Friedrichs II. war vor allem, seinen Ruhm als Feldherr auch über die preußischen Grenzen hinaus herauszustellen und zu verbreiten. Solches Handeln des Monarchen schloss jedoch nicht aus, dass Regimenter, Offiziere und Soldaten die königlichen Erinnerungsmedien in ihrem Sinne interpretierten und beispielsweise ihren Anteil an der Erbeutung der Fahnen und Standarten erinnerten. Schließlich nahmen im Verlauf des 18. Jahrhunderts nachweislich zunehmend Vertreter einer interessierten Öffentlichkeit Einfluss auf die Herausbildung militärischer Erinnerungskulturen. Vertreter dieser sehr unterschiedlich zusammengesetzten Gruppe konnten ehemalige Regimentsangehörige sein, jedoch waren die persönlichen Erfahrungen nicht für ihr Handeln maßgeblich. Neben wirtschaftlichen Interessen waren es u. a. ›patriotische‹ Gründe wie das Fehlen kriegsgeschichtlicher Abhandlungen über die preußischen Regimenter, die zur Herausgabe von Regimentsgeschichten führten, oder ›nationale‹ Absichten, weshalb beispielsweise ein Denkmal für die Schlacht bei Fehrbellin 125 Jahre später aufgestellt wurde. Aus ähnlichen Gründen schufen Künstler Denkmale und Bilder, welche sie zum Teil explizit in einen militärischen Erinnerungskontext stellten. Ebenso fällt unter diese Gruppe die Dorfgemeinschaft, welche ein Votivdenkmal für die Bewahrung vor den Folgen einer Schlacht errichtete und damit den Grundstein für regimentsbezogene militärische und auch ›nationale‹ Erinnerungsbezüge legte. Die Interessen und Absichten dieser Vertreter einer interessierten Öffentlichkeit verschränkten sich so ebenfalls zum mehrseitigen Nutzen mit den Interessen und Absichten der anderen Akteure. Im Ergebnis zeigt sich in Bezug auf alle beteiligten Akteure und deren Interessen die Pluralität militärischer Erinnerungskulturen.

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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert

Inhalte und Absichten: Selbstinszenierung und Rechtfertigung sowie die Bewahrung von Ruhm und Ehre über die eigene Zeit hinaus Das unmittelbare und allen Akteuren immanente Motiv zur Überlieferung der militärischen Vergangenheit war der Wunsch, spezifisches Wissen über dieselbe vor dem Vergessen zu bewahren. Schriftliche Überlieferungen beruhten nicht allein auf individuellen Erlebnissen, sondern wurden auch aus allgemein veröffentlichten Darstellungen zusammengetragen. Ihre Inhalte wurden zielgerichtet ausgewählt. Die Schwerpunktsetzung reichte dabei aus der Perspektive der jeweiligen Akteure von Bezügen zum Regiment über Bezüge zur preußischen Armee bis hin zu familiären Zusammenhängen. Des Weiteren war ein zentrales Motiv der unterschiedlichen Akteure die Absicht, auf die Herausforderungen der Gegenwart anlassbezogen zu reagieren, wie zum Beispiel auf mehr oder weniger existenzbedrohende Krisen und Verunsicherungen, aber auch auf Bewertungen, und insbesondere auf die Infragestellung der eigenen Leistungen durch andere. Dies konnte vor allem durch Identitätsstiftung geschehen, die auf Sinnstiftung, Integration und Distinktion, Selbstinszenierung und Selbstvergewisserung über die eigenen erbrachten Leistungen beruhte. Teilweise war auch beabsichtigt, zu ermahnen oder Zuversicht zu vermitteln. Die Inhalte und die mediale Überlieferung waren somit Teil und Ausdruck von Erinnerungskulturen. Vor diesem Hintergrund waren die Inhalte militärischer Erinnerungskulturen ›positiv‹ wahrgenommene Zusammenhänge wie herausragende militärische Siege und verdienstvolles Verhalten Einzelner, gingen doch mit diesen Ruhm, Ehre, Reputation und Stolz einher. Die Tapferkeit eines Regiments und dessen Teilhabe an Siegen blieben durch Erinnerung lebendig. Waren keine konkreten und detaillierten Kenntnisse über das Verhalten in einer Schlacht mehr vorhanden, galt eine ›Ehr- bzw. Tapferkeitsvermutung‹. Man nahm an, dass es sich in der Schlacht bewährt und hervorgetan hatte, besonders wenn keine gegenteiligen Hinweise bekannt waren. Mit der Wiedergabe der Vergangenheit wurden unabhängig von ihrer Faktizität Ereignisse gedeutet, interpretiert und aus der eigenen Perspektive in logische Zusammenhänge eingeordnet. Die Erinnerung an die kriegerische Vergangenheit eines Regiments gewann insbesondere an Bedeutung, wenn aufgrund längerer Friedenszeiten gemeinsam erlebte kriegerische Auseinandersetzungen fehlten. Ruhm und Ehre konnten in solchen Zeiten nur durch die Erinnerung daran eingefordert und behauptet werden. Die dadurch konstruierte und gepflegte Reputation einer Einheit konnte über die tatsächliche Vergangenheit und Leistungen hinaus auch auf einer ›angeeigneten‹ Vergangenheit bzw. Zukunft und ›vereinnahmten‹ Leistungen seiner Mitglieder

Inhalte und Absichten

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beruhen. Dabei war es unerheblich, wann und in welchen Diensten sich das Regiment und der Einzelne ausgezeichnet hatten. Im Gegensatz dazu war mit der Erinnerung negativ wahrgenommener Ereignisse für ein Regiment kaum ein Nutzen verbunden, weshalb diese häufig verkürzt dargestellt oder ganz von den Einheiten und Offizieren verschwiegen wurden. Nur wenn es vorteilhafter erschien, wurden negativ aufgeladene Ereignisse und Zusammenhänge, zu denen auch Konflikte zählten, bewusst ausgewählt und geschildert. Vor dem Hintergrund negativer Sachverhalte konnten so einerseits positiv wahrgenommene Ereignisse und Zusammenhänge, d. h. vor allem eigene Leistungen und das eigene Verhalten deutlicher herausgestellt werden. Andererseits war es möglich, die Gründe für das eigene seinerzeitige Verhalten zu erklären, dieses durch Kontextualisierung zu relativieren oder gar zu korrigieren, zu rechtfertigen und letztlich seine Auswirkungen in der Erzählung abzuschwächen. Konflikte zwischen König und adligen Offizieren und Regimentern wurden auch erinnert, um neben den bereits erwähnten familiären Interessen aus militärischer Perspektive junge Offiziere auf ein Vorbild zu verpflichten, welches sich in Erfüllung seiner militärischen Verpflichtungen sogar dem König widersetzt hatte. Die Erinnerung negativer Zusammenhänge als eine Form des Widerspruchs, mit der in Ansätzen die königliche Interpretation und Deutungshoheit in Frage gestellt wurde, lässt sich aber nur in wenigen Fällen und erst für die Zeit nach dem Tod König Friedrichs II. nachweisen. Es zeigt sich aber auch, dass mit zunehmendem zeitlichem Abstand Konflikte in der schriftlich fixierten Erinnerung entschärft wurden, so dass sowohl der König als auch die weiteren Konfliktparteien jeweils positiv dargestellt werden konnten. Je länger die brandenburgisch-preußische Armee bestand, desto stärker wurde die Regimentsvergangenheit Gegenstand militärischer Erinnerungskulturen. Wesentlicher inhaltlicher Bestandteil schriftlicher Überlieferungen war die mehr oder weniger ausführliche chronologische Wiedergabe der Ereignisgeschichte. Damit wurde u. a. die Entwicklung des Regiments hinsichtlich seiner Stärke, Ausstattung und Stellung innerhalb der Armee nachvollzogen. Das Alter eines Regiments begründete, insbesondere wenn es bereits im 17. Jahrhundert errichtet worden war, Selbstbewusstsein und Stolz und war ein entscheidendes Argument in der Auseinandersetzung mit anderen Einheiten: Ein altes Regiment hatte nachweislich Unwägbarkeiten der Anfangszeit, d. h. ständige und teilweise auch existenzbedrohende Fluktuationen und die kriegerischen Herausforderungen erfolgreich überwunden und sich immer wieder bewährt. Je länger es bestand, desto wahrscheinlicher war es prägende Ausbildungsstätte für Offiziere und Mannschaften, die in andere Regimenter versetzt oder zum Grundstock neuer Regimenter wurden. Sie nahmen das erworbene Wissen, ihre Erfahrungen und möglicherweise auch Traditionen aus ihrem alten Regiment mit, welches wiederum auf diese ›Filiation‹ seinen Stolz gründen konnte.

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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert

Inhalte von Regimentserinnerungskulturen waren aber nicht nur Ereignisse und Leistungen, die unmittelbar Ruhm und Ehre begründeten. Es wurden auch Inhalte erinnert, die mittelbar die Untadeligkeit des Regiments bzw. dessen Leistungen im Kriegsalltag belegten oder den Kriegsalltag unterbrachen. Die Bandbreite dieser ›merk-würdigen‹ Inhalte reichte von außergewöhnlichen, fast kuriosen Ereignissen bis hin zu den jährlich stattfindenden Revuen, die Abwechslung in den Friedensalltag brachten und zugleich maßstabbildende Indikatoren für die Wertschätzung eines Regiments in der Fremd- und folglich auch in der Selbstwahrnehmung waren. Durch die Erinnerung beispielsweise von Marschwegen und -dauer sollten gleichsam performativ Leser den vergangenen Regiments- bzw. Kriegsalltag in Gedanken nachvollziehen können. Neben ereignisgeschichtlichen Sachverhalten ging es in der Erinnerung immer auch um Personen, d. h. vor allem um Regimentsinhaber, -kommandeure und Offiziere. Die Geschichten über einzelne herausragende Personen waren als ›Heldengeschichten‹ für die Identitätsstiftung und den Stolz einer militärischen Einheit von großer Bedeutung. Sie hatten Vorbildfunktion. Mit Verweis darauf konnten aktive und künftige Angehörige aufgefordert werden, sich des Ruhms und der Ehre des Regiments würdig zu erweisen, diese zu erhalten und durch eigene ›Heldenleistungen‹ zu steigern.

Mediale Überlieferung und Erinnerungspraktiken Das Wissen um eine gemeinsame Vergangenheit wurde naheliegenderweise mündlich weitergegeben, d. h. im kommunikativen Gedächtnis aufbewahrt. Die dadurch erhaltenen militärischen Erinnerungskulturen waren jedoch hinsichtlich ihrer Beständigkeit und Wirkmächtigkeit zeitlich stark begrenzt, weil das Wissen beispielsweise durch die hohe Fluktuation in den Regimentern, d. h. durch Abgang, Versetzung und Tod bereits nach wenigen Jahren verloren ging. Auch militärische Erinnerungskulturen bedürfen deshalb vorrangig einer medialen Überlieferung. Dauerhafter präsent blieben sie deshalb durch verschiedene schriftliche Fixierungen, vielfältige Artefakte sowie performative Praktiken. Mit zunehmendem Alter der Regimenter wurden zunächst und in erster Linie materiale Distinktionsmittel mit identitätsstiftenden Rückbezügen erinnerungskulturell aufgeladen. Die Einführung, Entwicklung und Ausdifferenzierung der Uniformen und Ausrüstungsgegenstände hatten bereits in den Jahrzehnten um 1700 ein Geflecht von Unterscheidungsmerkmalen und -kennzeichen und damit bereits ein Netz von (Erinnerungs-) Bezügen geschaffen. Neben vom Monarchen beeinflussten sind auch solche der adligen Regimentsinhaber und der Offiziere als Gruppe feststellbar. Die richtige Zu-

Mediale Überlieferung und Erinnerungspraktiken

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ordnung und Verknüpfung aller Merkmale von Uniform und Ausrüstung setzte zugleich vertiefte Kenntnisse über die Geschichte und Geschichten der Regimenter voraus, so dass vermutet werden kann, dass diese Ausdifferenzierung auf Unterscheidung von anderen Regimentern und Truppenteilen zielte und weniger auf Abgrenzung zum zivilen Bereich, dem ohne Hilfsmittel die Komplexität der Zeichen wie ein versiegeltes Buch erschienen sein musste. Zum Beispiel wurden Wappenfarben oder Familienwappen, die sich auf den Regimentsinhaber bezogen, anfänglich mit jedem Wechsel an der Spitze des Regiments aktualisiert. Mit dem Wegfall der unregelmäßigen Anpassung veralteten sie jedoch und erinnerten an eine vergangene Zeit des Regiments, die mitunter erst ex negativo bewusst erfasst wurde. Wenn sich betroffene Einheiten beispielsweise über den Verlust ihrer Uniform empörten, zeigte sich, dass diese Teil identitätsstiftender Erinnerungskulturen gewesen war. Artefakte aber auch schriftliche Zeugnisse, denen ursprünglich keine Erinnerungsfunktion zukam, konnten so immer wieder zu Medien eines ›pragmatischen Gedächtnisses‹ werden. Über die Möglichkeit hinaus, passiv überkommene militärisch funktionale Artefakte allgemein als Mittel zur Distinktion und Identitätsstiftung zu nutzen, wodurch sich zugleich Erinnerungsbezüge entfalteten, gab es auch solche Distinktionsmittel, welche sich die Regimenter durch herausragendes Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen erwarben. Zu diesen gehörten alle durch Auszeichnung aufgewerteten und veränderten Ausrüstungsgegenstände wie etwa die um die Siegestrophäen ergänzten Regimentssiegel und Uniformteile sowie die verliehenen Vorrechte, um die sich die Regimenter bewusst und aktiv bemühten und die fortan wiederum auch im Sinne eines ›pragmatischen Gedächtnisses‹ als Teil des kulturellen Gedächtnisses von Leistungen, Tapferkeit, Ehre und Ruhm zeugten, Ansprüche belegten und letztlich Identität stifteten. Ihre erinnerungskulturelle Bedeutung zeigte sich u. a. im Bestreben der Einheiten, diese auch über Zäsuren hinweg zu behalten bzw. zu erneuern. Eine weitere Gruppe von Erinnerungsmedien wurde schließlich direkt zum Zweck der Erinnerung geschaffen. Dazu zählen u. a. Galerien von Offiziersporträts, die bereits Anfang des 18. Jahrhunderts in Nachahmung kurfürstlicher und königlicher Vorbilder entstanden. Diese suggerierten zum einen Königsnähe und drückten zum anderen eine gleichsam ›königliche‹ Stellung des Regimentsinhabers aus. In der bildlichen Darstellung wurde auf ritterliche, d. h. auf bereits in der damaligen Zeit veraltete und somit anachronistische Stilmittel zurückgegriffen, so dass die Galerien zunächst Ausdruck des adligen Selbstverständnisses waren. Als Repräsentationsmittel dienten sie familiären Erinnerungsstrategien. Die Regimentsinhaber identifizierten sich aber zugleich sichtbar mit ihrem Regiment und seinen Offizieren, so dass eine Offiziersgalerie auch aus Perspektive des Regiments Teil einer regimentsbezogenen Erinne-

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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert

rungskultur war. Die Zwischenstellung der Offiziersgalerien als Bestandteil sowohl adlig-familiärer als auch regimentsbezogener Erinnerungskulturen und Identitätsstiftung war zum Teil auch der Tatsache geschuldet, dass die Regimenter im 18. Jahrhundert noch keine dauerhaften Erinnerungsorte für eine spezifische Regimentserinnerung hatten. Als Alternative bot sich nur das familiäre Umfeld des Inhabers bzw. Kommandeurs an. Dort konnten die Offiziere ihre Zugehörigkeit zum Regiment dokumentieren bzw. sich ›verewigen‹ und dort konnte eine Galerie dauerhaft öffentlichkeitswirksam präsentiert werden. Weiterhin zählen zu dieser dritten Gruppe Medaillen, Denkmale bzw. Erinnerungsorte und schriftliche Zeugnisse. Die Regimenter nutzten das Angebot von Medailleuren, um für Mitglieder des Regiments spezifische Regimentsmedaillen prägen zu lassen. In der Garnisonkirche in Berlin fanden sie für sich einen festen Erinnerungsort, der sowohl der Erinnerung an militärische Erfolge und ›Helden‹ diente als auch die Erinnerung an die dort bestatteten Toten wachhielt. Ebenso nutzten die anderen Akteure und Akteursgruppen solche Erinnerungsmedien und -orte. Die Erinnerung an militärische Ereignisse und Personen durch Denkmale wurde erst im Verlauf des späten 18. Jahrhunderts über die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert hinweg immer wichtiger. Das Gros der Denkmale mit militärischen Erinnerungsbezügen in Brandenburg-Preußen entstand zwischen 1790 und 1810 und weist bereits auf ein gewandeltes Denkmalverständnis im 19. Jahrhundert hin. Zunächst kam diese ausdruckstarke Form der Erinnerung im öffentlichen Raum nur dem Herrscher zu, so dass frühe Beispiele militärischer Erinnerungskultur auf die Initiative des Königs zurückgehen. Zunehmend stifteten auch andere Personen und Gruppen Denkmale, wobei die Regimenter diese Form der Erinnerung nur in Ansätzen nutzten. Im Ergebnis waren die im 18. Jahrhundert gestifteten Denkmale und Orte der Erinnerung erste Wegsteine hin zu einer ›professionalisierten‹ Erinnerungskultur, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts in entstehende ›nationale‹ und militärische Erinnerungskulturen integriert oder um solche ergänzt wurden. Denkmale rückten noch stärker als die in dieser Untersuchung genannten und auf den innermilitärischen Kontext beschränkten Artefakte die Erinnerung an militärische Erfolge und damit mittelbar an die Leistungen der Regimenter in das öffentliche Bewusstsein. Durch sie wurde die Erinnerung über das Umfeld des Regiments und der Armee hinaus Teil des öffentlichen Raumes und konnte dadurch am stärksten von allen untersuchten Gegenständen auch von Zivilisten wahrgenommen und als Manifestation von Erinnerung verstanden werden. Parallel zur materialen Überlieferung von Vergangenheitsbezügen bzw. völlig eigenständig konnten schriftliche Zeugnisse wie Regimentsgeschichten und Aufzeichnungen von Offizieren und Soldaten zum einen unmittelbar Ausdruck militärischer Erinnerungskulturen sein und zum anderen Quelle, die über sol-

Dynamiken militärischer Erinnerungskulturen

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che berichten. Um ihren Ruhm zu bewahren und ihre spezifische Geschichte zu tradieren, griffen die Regimenter auf ›professionelle‹ Anbieter zurück, die Erfahrung in der ›Aufbereitung‹ von Erinnerungen hatten. Beispiele dafür sind die Regimentsgeschichten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurden. Die Regimenter und ihre Angehörigen lieferten die Informationen, die sie bewusst und den eigenen Interessen und Absichten entsprechend auswählt hatten, und trugen so zur Verdichtung und zum Erhalt der Geschichte ihrer Einheit bei. Offiziere wiederum suchten mit ihren persönlichen, zum Teil kriegstagebuchähnlichen Aufzeichnungen oder schriftlichen Zeugnissen zur Geschichte des eigenen Regiments sich selbst und dabei auch unmittelbar und mittelbar ihrem Regiment ein Denkmal zu errichten. Schließlich konnte die Vergangenheit durch erinnerungskulturelle Praktiken wie beispielsweise feierlich begangene Jubiläums- und Gedächtnisfeiern oder auch durch das Schlagen des Regimentsmarsches erhalten bleiben und durch die Erinnerung daran zur Identitätsstiftung beitragen. Erstere verweisen insbesondere auf den selbstreflexiven Bezug zur Vergangenheit, der zugleich zu einer intensiven Auseinandersetzung und damit zu einer Professionalisierung des Erinnerns führte. So konnten solche Feiern wiederum selbst ›Erinnerungsmedien‹ wie Drucke, Medaillen oder Bilder generieren, so dass ein Jubiläum selbst Inhalt der weiteren Regimentserinnerung wurde. Es zeigt sich, dass besonders herausragende militärische Ereignisse wie beispielsweise der Sieg in der Schlacht bei Hohenfriedberg 1745 durch unterschiedliche Erinnerungsmedien, d. h. in ihrer Summe plurimedial tradiert wurden. Medien, die militärische Erinnerungen überlieferten, konnten von verschiedenen Akteuren gleichzeitig genutzt werden. Unterschiedliche Erinnerungsabsichten spiegelten zugleich die Pluralität der Erinnerungskulturen wider, die sich überlagern und verstärken konnten.

Dynamiken militärischer Erinnerungskulturen Militärische Erinnerungskulturen bildeten sich zunehmend quantitativ und qualitativ in Preußen ausgehend von der Gründung der Regimenter im 17. Jahrhundert im Laufe und vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus. Militärische Erinnerungskulturen hatten am Ende dieses Jahrhunderts ›Konjunktur‹. Diese Zunahme ist einerseits Teil der Identitätsbildung und Verdichtung im Sinne eines Zusammenwachsens der Regimenter, andererseits auch Ausfluss des jeweiligen ›Zeitgeistes‹ bzw. der geistesgeschichtlichen Epoche. Letzteres spiegelt sich u. a. in der Wahl der Erinnerungsmedien und in Deutungsmustern wider, die aufklärerischem Denken geschuldet und zunehmend

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Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert

›national‹ ausgerichtet waren. Es ist ein vielschichtiger Prozess, in dessen Verlauf Erinnerungskulturen entstanden, verloren gingen und andere sich neu herausbildeten. Er verlief nicht im Sinne eines stetigen Fortschritts kontinuierlich ansteigend, sondern Erinnerungskulturen bildeten sich punktuell, anlass- und gegenwartsbezogen heraus. Vor allem Herausforderungen wie die Bedrohung eines Regiments in seinem Rang oder gar seiner Existenz durch Bewertungen, Umstrukturierungen und kriegerische Auseinandersetzungen führten zur Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit. Die Vielschichtigkeit und Differenziertheit des Prozesses kann nur durch einen Plural des Begriffes ›Erinnerungskulturen‹ erfasst werden, der allein schon um der verschiedenen Akteure willen notwendig ist. Militärische Erinnerungskulturen konnten sowohl auf militärische Ereignisse und Personen als auch auf die Eigengeschichten militärischer Gruppen wie der Regimenter bezogen sein. Militärische Erinnerungskulturen unterlagen dabei immer einem dynamischen Wandel. Am Beispiel der Erinnerung der Schlacht bei Hohenfriedberg zeigt sich, dass diesem Ereignis in der Retrospektive immer mehr Bedeutung beigemessen und das Ereignis in der Erinnerung verändert wurde. Militärische Erinnerungskulturen waren nicht nur anlass- und gegenwartsbezogen, sondern ›Re-Konstruktionen‹, die nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Ereignisverlauf übereinstimmen mussten. Die zunehmende Loslösung von Deutungsmustern und die eigenen Interpretationen weisen bereits über die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert hinaus auf ein professionalisiertes Militär hin. Erinnerungskulturen ›verdichteten‹ sich im Laufe der Zeit, so dass beispielsweise der Name eines Marsches an eine Schlacht und die darin errungenen Verdienste des Regiments erinnerte. Ebenso verdichtete sich die Geschichte einer Einheit, indem sie u. a. auf die bildliche Darstellung nur der Regimentsinhaber in den ›Chefgalerien‹ des 19. Jahrhunderts reduziert wurde. Einfluss auf Dauer und Wirkmächtigkeit militärischer Erinnerungskulturen nahm vor allem König Friedrich II. Sein umfassender und absoluter Anspruch über die Deutungshoheit der Ereignisse seiner Zeit, die er auch durch Verbote alternativer Darstellungen zu erlangen suchte, ließ regimentseigene Erinnerungskulturen nur in geringem Ausmaß entstehen. Als nach seinem Tod die Möglichkeiten zur Entfaltung größer wurden, gab es nur noch wenige Zeitzeugen, die sich an die ›glorreichen Heldentaten‹ erinnern konnten. Auch Gegendarstellungen von Konflikten aus familiärer Perspektive erfolgten erst im 19. Jahrhundert. Dennoch entstanden immer wieder militärische Erinnerungsbezüge, die sogar die für das brandenburgisch-preußische Militär wichtige Zäsur der Jahre 1806/1807 überdauerten, in denen viele ›altpreußische‹ Regimenter aufgelöst wurden. Sie konnten, wie das Beispiel des Malplaquet-Schildes zeigt, annähernd zweihundert Jahre überspannen. Zugleich wurden im 19. Jahrhundert Rückbe-

Dynamiken militärischer Erinnerungskulturen

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züge geschaffen, wie das Ritual am Jahrestag der Schlacht bei Hohenfriedberg mit dem Verlesen des Gnadendiploms oder die Umbettung des Generalleutnants Winterfeldt auf den Invalidenfriedhof anlässlich seines 100. Todestages im Jahr 1857 zeigen. Die militärische Vergangenheit wurde so gegenwartsbezogen interpretiert, wie auch die Überführung und Einbettung militärischer Erinnerungskulturen in nationale Deutungskontexte nahelegt. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive betrachtet war das brandenburgisch-preußische Militär im 18. Jahrhundert facettenreicher und ausdifferenzierter, als es der Begriff des ›altpreußischen Militärs‹ vermuten lässt. Militärische Erinnerungskulturen trugen im Verlauf der Jahrzehnte seit der Gründung der ›alten‹ Regimenter nach dem Dreißigjährigen Krieg mehr und mehr zur Identitätsstiftung und damit zu einer Professionalisierung der brandenburgisch-preußischen Regimenter bei.

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Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«

herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft gehören zu den zentralen Themen der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe Neuzeit war maßgeblich von einem Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt. Allerdings sind die bisher dominierenden Interpretationsmuster zur Beschreibung von Herrschaftspraxis und Staatsbildung in der letzten Zeit immer mehr in die Kritik geraten. Dies gilt schon seit längerem für den der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts entlehnten, ursprünglich teleologisch fundierten Staatsbegriff im Allgemeinen sowie für das davon abgeleitete Konzept des Absolutismus. Aber auch jüngere, stärker auf sozialen und räumlichen Vorstellungen basierende Modelle wie Otto Brunners »Land und Herrschaft« oder Gerhard Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung sind problematisch geworden. Ursächlich für dieses Unbehagen ist nicht zuletzt die idealtypische Begriffsbildung, die den Ergebnissen empirischer Forschung auf Dauer nicht standhalten konnte und so schließlich an erkenntnistheoretischem Nutzen verloren hat. Über die idealtypische Begriffsbildung hinaus scheint es deshalb notwendig, Herrschaft konkret, und zwar in ihren räumlichen wie in ihren sozialen Dimensionen und Reichweiten zu beschreiben. Herrschaft wird somit als soziale Praxis begriffen, die Herrschende und Beherrschte in einer kommunikativen und sich wandelnden, allerdings durch obrigkeitlich gesetzte Normen einerseits sowie ungeschriebene Traditionen andererseits begrenzten Beziehung verband.

Diese soziale Praxis entwickelte sich innerhalb der Grenzen eines Herrschaftsgebietes, oftmals aber zunächst innerhalb des kleineren Rahmens rechtlich, ökonomisch und sozial in sich geschlossener, voneinander abgegrenzter räumlicher und sozialer Einheiten. Um Herrschaft präzise beschreiben zu können, erscheint es daher ratsam, sie im Rahmen solcher Einheiten zu untersuchen, die oftmals zugleich Herrschaftsraum wie Herrschaftsinstrument sein konnten. Besonders gilt dies für Formationen, die sich aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber auch ihrer funktionalen und kommunikativen Binnenstrukturen als »soziale Systeme« charakterisieren lassen. Zweifellos das herausragende Beispiel eines solchen sozialen Systems ist das Militär, also die Söldnerhaufen der aufziehenden Neuzeit und die Stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade in diesen sich im und nach dem Dreißigjährigen Krieg immer stärker institutionalisierenden, mittels spezifischer Regeln und Symbole zusammenschließenden und zugleich nach außen abgrenzenden Armeen spiegelt sich die Herrschaftsproblematik der Frühen Neuzeit in besonders eindringlicher Weise wider. Zum einen war die militärische Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit ihren Soldaten und deren Angehörigen in ihrer Binnenstruktur zugleich sozial wie auch rechtlich und hierarchisch, also herrschaftlich organisiert. Zum anderen war das Militär selbst Herrschaftsinstrument – im Krieg nach außen und im Frieden nach innen. Aber auch andere, weniger geschlossen auftretende Formationen und Institutionen kannten die doppelte Funktion als Objekt und Subjekt von Herrschaft, als deren Erprobungsfeld wie als deren Instrument. Dazu gehörten beispielsweise die übrigen Bereiche organisierter öffentlicher Herrschaftsausübung wie der sich immer weiter differenzierende Polizei- und Verwaltungsapparat oder die Justiz. Die in der vorliegenden Schriftenreihe erscheinenden Bände widmen sich der Geschichte dieser sozialen Systeme in unterschiedlichen thematischen und methodischen Zugängen, aus der Binnensicht ebenso wie aus der Außenperspektive. Immer aber steht dabei die doppelte Frage nach ihrer Herrschaftsfunktion wie nach ihrer Herrschaftsintensität im Vordergrund.

Veröffentlichungen des AMG Seit 2000 verfügt der Arbeitskreis über die Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Bände bei V& R unipress (ab Band 14): Bd. 21: Frank Zielsdorf, Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert. Akteure – Medien – Dynamiken, Göttingen 2016, 306 S. [ISBN 978-3-8471-0496-4]. Bd. 20: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568– 1714, Göttingen 2015, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0350-9]. Bd. 18: Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert, Göttingen 2015, 284 S. [ISBN 978-3-8471-0321-9]. Bd. 17: Jan Kili#n (Hrsg.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629 – 1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 2014, 462 S. [ISBN 978-38471-0235-9]. Bd. 16: Ralf Pröve, Carmen Winkel (Hrsg.), Übergänge schaffen: Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft, Göttingen 2012, 158 S. [ISBN 978-3-84710023-2]. Bd. 15: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, 384 S. [ISBN 978-3-89971-995-6]. Bd. 14: Jan Peters (Hrsg.), Peter Hagendorf – Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg, Göttingen 2012, 238 S. [ISBN 978-3-89971-993-2]. Ankündigung: Bd. 19: Jutta Nowosadtko, Diethelm Klippel (Hrsg.), Militär und Recht (16.–19. Jahrhundert). Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen, Göttingen 2015, ca. 332 S. [ISBN 978-3-8471-0338-7].

Ältere Bände: Bd. 13: Matthias Meinhardt, Markus Meumann (Hrsg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Münster u. a. 2015, 408 S. [ISBN 978-3-643-10108-2]. Bd. 12: Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Münster u. a. 2012, 338 S. [ISBN 978-3-643-10666-7]. Bd. 11: Ralf Pröve, Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, Münster u. a. 2010, 222 S. [ISBN 3-643-10768-8]. Bd. 10: Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster u. a. 2008, 312 S. [ISBN 978-3-8258-0585-2].

Bd. 9: Matthias Asche, Michael Herrmann, Ulrike Ludwig, Anton Schindling (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 344 S. [ISBN 978-3-8258-9863-6]. Bd. 8: Ursula Löffler, Vermittlung und Durchsetzung von Herrschaft auf dem Lande. Dörfliche Amtsträger im Erzstift und Herzogtum Magdeburg, 17. – 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 256 S. [ISBN 3-8258-8077-X]. Bd. 7: Beate Engelen, Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 672 S. [ISBN 3-8258-8052-4]. Bd. 6: Sebastian Küster, Vier Monarchien – Vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster u. a. 2004, 560 S. [ISBN 3-8258-7773-6]. Bd. 5: Matthias Rogg, Jutta Nowosadtko (Hrsg.) unter Mitarbeit von Sascha Möbius, »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 408 S. [ISBN 978-3-8258-9809-1]. Bd. 4: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2004, 352 S. [ISBN 3-8258-6030-2]. Bd. 3: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2006, 416 S. [ISBN 3-8258-6346-8]. Bd. 2: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster u. a. 2004, 256 S. [ISBN 3-82586000-0]. Bd. 1: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, 390 S. [ISBN 3-8258-4758-6]. Weitere Veröffentlichungen des AMG: Karen Hagemann, Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1998 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), 368 S. [ISBN 3-593-36101-9]. Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, 356 S. [ISBN 3-506-74825-4].